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German Pages X, 257 [242] Year 2020
Cornelia Zanger Hrsg.
Events und Messen im digitalen Zeitalter Aktueller Stand und Perspektiven
Markenkommunikation und Beziehungsmarketing Reihe herausgegeben von Cornelia Zanger, Chemnitz, Deutschland
In den letzten Jahren sind am Lehrstuhl für Marketing und Handelsbetriebslehre an der TU Chemnitz über 30 Dissertationen zu verschiedenen Forschungsgebie ten im Marketing entstanden, die zum Teil bei Springer Gabler veröffentlicht werden konnten. Einen Schwerpunkt stellten Studien zu innovativen Fragen der Markenkommunikation wie Eventmarketing, Sponsoring oder Erlebnisstrategien dar. Ein weiteres zentrales Thema waren Arbeiten zum Beziehungsmarketing, die sich beispielsweise mit jungen Zielgruppen, der Entstehung von Vertrauen und mit der Markenbeziehung beschäftigten. Mit dieser Reihe sollen die Forschungsarbeiten unter einem thematischen Dach zusammengeführt werden, um den Dialog mit Wissenschaft und Praxis auszubauen. Neben Dissertationen, Habilitationen und Konferenzbänden, die am Lehrstuhl der Herausgeberin entste hen, steht die Reihe auch externen Nachwuchswissenschaftlern und etablierten Wissenschaftlern offen, die empirische Arbeiten zu den Themenbereichen Marken kommunikation und Beziehungsmarketing veröffentlichen möchten. Reihe herausgegeben von Prof. Dr. Cornelia Zanger Technische Universität Chemnitz Deutschland
Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/12687
Cornelia Zanger (Hrsg.)
Events und Messen im digitalen Zeitalter Aktueller Stand und Perspektiven
Hrsg. Cornelia Zanger Chemnitz, Deutschland
ISSN 2626-028X (electronic) ISSN 2626-0263 Markenkommunikation und Beziehungsmarketing ISBN 978-3-658-31774-4 ISBN 978-3-658-31775-1 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31775-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Vorwort Das spannende Schwerpunktthema Events und Messen im digitalen Zeitalter führte wieder über 200 Wissenschaftler, Vertreter der Eventpraxis und Studierende zur 11. Wissenschaftlichen Konferenz Eventforschung nach Chemnitz. Die 2009 durch mich an der TU Chemnitz initiierte Veranstaltung hat sich in den vergangenen elf Jahren zum Dialogforum von Eventforschern und Praktikern entwickelt und ist ein „must“ in den Terminkalendern der Zielgruppe geworden. Mit den 14 Konferenzbeiträgen konnten vielfältige Perspektiven zu den Herausforderungen der Digitalisierung in der Live Communication sowohl aus wissenschaftlicher als auch praktischer Sicht dargestellt und diskutiert werden. Viel Beachtung fanden die Keynotes. Jan Kalbfleisch, der Geschäftsführer des FAMAB Kommunikationsverband e.V. stellte in seinem Beitrag „Warum Sie immer den Ast absägen sollten, auf dem Sie sitzen“ vor, wie das bewährte Veranstaltungsformat der FAMAB Awards vor dem Hintergrund der Digitalisierung innoviert, kreativ verändert und schließlich als BrandEx Award 2019 neu „erfunden“ wurde. Matthias Schultze, der Geschäftsführer des German Convention Bureau, berichtete über die Ergebnisse der Studie des Innovationsverbundes Future Meeting Space zur digitalen Transformation im Kongress- und Tagungsbereich. Als Erfolgsfaktoren für den Kongress der Zukunft wurden die Nutzung der vielfältigen Möglichkeiten der Digitalisierung, die Entwicklung effektiver Formen der Wissensvermittlung und Teilnehmerinteraktion ebenso ermittelt wie die Möglichkeit zum Netzwerken, die Teilnehmerzufriedenheit und die Disruption i.S. von überraschenden, das Gemeinschaftsbewusstsein stärkenden und nachhaltig in Erinnerung bleibenden Veranstaltungen. Colja Dams, Geschäftsführer von VOK DAMS aus Wuppertal, sprach in seinem visionären Vortrag zum Thema Live+ Marketing Automation über die Möglichkeiten der Nutzung von Teilnehmerdaten aus der Event Data Cloud zum intelligenten Einladungs-, Teilnehmer- und Leadmanagement vor, während und nach dem Event. Besonders interessant für die Konferenzbesucher war sein Case zum Emotion Tracking während eines Events zur Optimierung der Eventwirkung. Gleich drei wissenschaftliche Beiträge widmeten sich dem spannenden Thema des Einsatzes von digitalen Tools zur Schaffung von virtueller Realität (VR) und erweiterter, augmented Realität (AR) in der Live Communication. Professor Jan Drengner von der Hochschule Worms setzte sich mit den Einsatzmöglichkeiten von VR im Veranstaltungsbereich auseinander und versuchte, den Nutzen für die Teilnehmer anhand von Beispielen deutlich zu machen. Als Fazit stellt er fest, dass VR immer zielorientiert ein-
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Vorwort
gesetzt werden muss und nicht zum Selbstzweck werden darf. Dazu müssen die Erlebnisse und der Mehrwert der VR für den Veranstaltungsteilnehmer im Blick behalten und die VR nahtlos in die Inszenierung der Veranstaltung eingebettet werden. Wichtige Anforderungen an den VR-Einsatz sind Lebendigkeit, Klarheit, Interaktivität und Benutzerfreundlichkeit. Dabei müssen Botschaften zwar aufmerksamkeitsstark in die Eventinszenierung integriert werden, dürfen aber nicht vom (Marken)erlebnis ablenken. Achim Kießig und Katja Lohmann von der TU Chemnitz stellten eine interessante empirische Studie vor, die den Einsatz der VR-Applikation „Festung Xperience“ auf dem Messestand des Schlösserlandes Sachsen auf der ITB 2019 in Berlin untersuchte. Dabei konnte ermittelt werden, dass der VR-Einsatz zur lebendigeren Wahrnehmung des Messeauftritts durch die Besucher beiträgt und auf diese Weise den Service Wert steigert. Philip Häußler von der Messe Augsburg ASMV GmbH stellt in seinem Beitrag dar, wie der Einsatz von AR einen Servicemehrwert für den Messebesucher generieren kann, indem für den Messebesucher individualisierte Informationsangebote durch den Aussteller gemacht werden können. Anhand zahlreicher Beispiele aus seiner Agenturpraxis stellte Christoph Kirst von insglück Berlin in seinem Beitrag vor, wie digitale Technologien die Erlebnisse und die Erwartungen an die Live Communication verändern. Das Thema Event-Apps führte auch in diesem Jahr zu angeregten Diskussionen. Beno Brězan von smartEvents referierte über aktuelle Trends bei der Entwicklung von EventApps und stellt dabei die Integration der App entlang der Wertschöpfungskette des Events mit Blick z. B. auf die Registrierung, Personalisierung, Information, Navigation, Interaktion oder Community heraus. Er wies auf die Möglichkeiten zur Erhöhung des Komforts der Kommunikation durch den Einsatz von Chatbots, Gesichtserkennung oder Künstlicher Intelligenz hin und stellte den Trend zur Nutzung von Big Data zur Entwicklung neuer App basierter Veranstaltungsformate dar. Das aktuelle Thema Influencer-Marketing wurde ebenfalls auf der Konferenz intensiv diskutiert. Doreen Biskup vom VDVO und Irina Graf vom MICE Blog untersuchten in einer Studie die Fragen, welchen Nutzen der Einsatz von Influencer Kommunikation auf B2B-Veranstaltungen hat, welche Kriterien Influencer im B2B-Kontext erfüllen sollten und welche Handlungsempfehlungen für den Einsatz gegeben werden können. Professor Mandy Risch-Kerst von Eventlawyers Berlin und Professor André Schneider von der Hochschule Mittweida stellten in einem spannenden Vortrag drei unterschiedliche Gerichtsentscheidungen zum Influencer Marketing vor, die an drei verschiedenen deutschen Orten vor dem Hintergrund des gleichen Rechtsrahmens gefällt wurden. Interessante Vorträge gab es auch zu weiteren Themen der Eventforschung. So stellte eine Forschungsgruppe der Hochschule Aalen ihre Ergebnisse zu nachhaltigen Events
Vorwort
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im öffentlichen Raum vor. Katja Lohmann von der TU Chemnitz referierte über ihre experimentelle Forschung zur Wirkung von Smileys und Siegfried Mattern von SMW Consult stellte die Frage: Event: Quo vadis? Gern gesehener Gast aus Österreich war auch in diesem Jahr Professor Thomas Duschlbauer von der Fachhochschule St. Pölten der mit seinem Abschlussvortrag das Konferenzthema in einen medienphilosophischen Rahmen einordnete und die Zuhörer zum Nach- und Weiterdenken anregte, indem er den deterministischen Organisationsprinzipien, die mit der Digitalisierung zunehmend einhergehen, Aktionen und Improvisationen gegenüber stellte, die einen starken Erlebnischarakter durch das Ausloten eigener Handlungsspielräume erhalten. Während der Konferenz wurde zum fünften Mal der durch die TU Chemnitz und den FAMAB Kommunikationsverband e. V. ausgelobte Deutsche Forschungspreis für Live Communication, der LiveComPreis 2019 verliehen. Der LiveComPreis zeichnet talentierte Nachwuchsforscher aus, die mit ihrer Bachelor- oder Masterarbeit eine sowohl wissenschaftlich interessante als auch praktisch relevante Aufgabenstellung aus dem Bereich der Live Communication (Events, Messen, Kongresse, Brandlands u. ä.) herausragend bearbeitet haben. Der LiveComPreis für die beste Bachelorarbeit ging an Felix Urban von der DHBW Ravensburg, der für die Hannover Messe ein Modell zur strategischen Gewinnung relevanter Zielgruppen für Investitionsgütermessen entwickelte. Anne Gärtner erhielt den Preis für die beste Masterarbeit für ihre Abschlussarbeit im MBA-Studiengang Eventmarketing / Live-Kommunikation an der TU Chemnitz. In ihrer Thesis untersuchte sie in einer breit angelegten empirischen Studie die strategische Konzeption der Messebeteiligung von Forschungseinrichtungen. Auch für Konferenzband zur 11. Wissenschaftlichen Konferenz Eventforschung ist es uns wiederum gelungen, alle wissenschaftlichen Beiträge zusammenzufassen, um sie der interessierten Fachöffentlichkeit zugänglich zu machen. Für ihre Mitwirkung an der Konferenz und ihre anregenden Beiträge zu diesem Konferenzband darf ich mich auch in diesem Jahr ganz herzlich bei allen Autoren bedanken. Zusätzlich wurde der Beitrag zu einer aktuellen Studie von Professor Sören Bär aus Leipzig zum Thema der Entscheidungsbeeinflussung von Festivalbesuchern durch Nudging aufgenommen. Ohne das Konferenzteam von Mitarbeitern und Studenten des Lehrstuhls für Marketing und Handelsbetriebslehre der TU Chemnitz wäre unsere Konferenz nicht denkbar, des-
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halb auch an sie alle mein Dank. Besonders hervorheben möchte ich die perfekte Konferenzorganisation unter der bewährten Leitung von Frau Simone Sprunk-Dostmann, die professionelle Programmplanung durch Frau Dr. Katja Lohmann und große Mühe bei der Zusammenstellung des Konferenzbandes durch Herrn Achim Kießig und Frau Sophie Ruckau sowie die exzellente Betreuung von Internet und Social Media Präsenz der Eventkonferenz durch Frau Dick und Herrn Tomala. Nun hoffe ich, dass Sie neugierig auf unseren 11. Sammelband zur Wissenschaftlichen Konferenz Eventforschung geworden sind und möchte Ihnen eine interessante Lektüre sowie viele Anregungen für Ihre eigene Arbeit im Event- und Messebereich wünschen. Seit März 2020 werden Messen und Events national wie international bis auf weiteres abgesagt. Millionenverluste und Insolvenzen stehen im Raum. Tausende von Arbeitsplätzen sind gefährdet. Unsere Messe- und Eventbranche ist eine der ersten Branchen, die stark von Corona und der damit verbundenen Wirtschaftskrise betroffen ist. Krisen als Chancen zu verstehen ist aktuell nicht ganz einfach. Trotzdem wird es der einzige Weg sein, um die Event- und Messebranche während und nach der Krise neu zu erfinden, denn ein Einfaches „back to normal“ wird es wohl nicht geben. Die digitale Transformation wird durch die Krise eine deutliche Beschleunigung erfahren, aber die Digitalisierung wird das persönliche Treffen nicht ersetzen sondern wertvoller machen. Nach der Krise werden die Kunden die Kommunikationsqualität der Live Communication ganz besonders schätzen. Neue Messe- und Eventformate müssen gemeinsam mit dem Kunden entwickelt, reale und virtuelle Erlebniswelten wirkungsvoll verzahnt werden. Ich glaube, auch die wissenschaftliche Forschung kann einen wichtigen Betrag leisten, um Chancen in dieser Krise zu erkennen und Empfehlungen für die Entwicklung der Event- und Messebranche zu geben. Es stellen sich viele interessante Forschungsfragen, die wir auf der 12. Wissenschaftlichen Konferenz Eventforschung mit dem Schwerpunktthema „Events und Wege aus der Krise“ diskutieren wollen. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich Sie zu unserer 12. Wissenschaftlichen Konferenz Eventforschung am 30.10.2020 - virtuell oder real - begrüßen dürfte. Ich darf Sie schon heute herzlich einladen.
Cornelia Zanger
Inhaltsverzeichnis Events und Messen im digitalen Zeitalter Das Live-Erlebnis im digitalen Zeitalter ........................................................................ 1 Christoph Kirst, Urte Peter Virtuelle Realität im Veranstaltungsmanagement – Einsatz, Nutzen und Herausforderungen ........................................................................................................ 15 Jan Drengner, Alexander Wiebel Lebendige Messeauftritte – Die Wirkung von Virtual Reality im Messekontext ........ 39 Achim Kießig, Katja Lohmann, Cornelia Zanger Die Wirkung von Smileys auf die Social Presence in Kundeninteraktionen mit Self-Service Technologies ...................................................................................... 63 Katja Lohmann, Cornelia Zanger Stand und Perspektiven der Eventforschung Vom #Hashtag zum Event – Influencerkommunikation bei B2B-Veranstaltungen am Beispiel des Eventplannerstalk ............................................................................... 91 Doreen Biskup, Irina Graf Influencer-Marketing aus Perspektive des Wettbewerbsrechts (UWG): Die Voraussetzungen der wettbewerbsrechtlichen Konformität für Influencer ......... 111 Mandy Risch-Kerst, André Schneider Nudging im Eventkontext: Eine vergleichende Analyse von Musikfestivals ............ 129 Sören Bär, Laura Korrmann Digitaler Wandel und Performativität......................................................................... 159 Thomas Duschlbauer Weitere Forschungsergebnisse und praxisorientierte Anwendungsfälle Live+ Marketing Automation - Boosting für die Marketing Automation .................. 179 Colja Dams Event Apps - Aktuelle Entwicklungen und Prognosen aus Sicht der Praxis .............. 193 Beno Brězan
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Inhaltsverzeichnis
Augmented Reality als Teil des Messe-Erlebnisses: Eine Vision zum Einsatz von AR als Service für Messeteilnehmer ................................................................... 211 Philip Häußler Nachhaltige Events im öffentlichen Raum ................................................................. 225 Ulrich Holzbaur, Evelyn Neifer, Vanessa Vanini Event: Quo vadis? - Denkanstöße für die Zukunft ..................................................... 241 Siegfried Mattern
Christoph Kirst, Urte Peter Das Live-Erlebnis im digitalen Zeitalter 1
Veränderte Bedürfnisse und Erwartungen an die Kommunikation
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Live-Kommunikation als symbiotisches Gegengewicht zur Virtualisierung
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Einfluss der Digitalisierung auf das (Live-) Marketing
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Megatrends 4.1 Big Data 4.2 KI als Schlüsseltechnologie für individualisierte (Event) Erlebnisse 4.3 Immersives Marketing
5 Fazit und Credo Literaturverzeichnis
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Zanger (Hrsg.), Events und Messen im digitalen Zeitalter, Markenkommunikation und Beziehungsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31775-1_1
Das Live-Erlebnis im digitalen Zeitalter
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1 Veränderte Bedürfnisse und Erwartungen an die Kommunikation Die Digitalisierung verändert unsere Gesellschaft und die Art der Kommunikation. Die allumfassende Konnektivität durch digitale Kanäle und Netzwerke steigert die Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten. Kundenkontaktwege werden immer vielfältiger und komplexer. Der "vernetzte Kunde" von heute hinterlässt überall Daten und wechselt zwischen unterschiedlichen Endgeräten, Kanälen und sogar Identitäten. An allen Punkten muss der Kunde heute erreicht und mit ihm interagiert werden. Dabei wird das Prinzip der One-Way-Kommunikation zunehmend abgelöst und immer mehr durch (virtuellen) Dialog, Beteiligung und Interaktion ersetzt. Mit den neuen Möglichkeiten verändern sich auch die Bedürfnisse der Kunden und die Erwartungen an die Markenkommunikation. Um der Komplexität und Angebotsdichte sowie der globalen Informationsflut etwas entgegenzusetzen, braucht es Positionierung und Orientierung. Standen bislang Produkte und Preise im Vordergrund, gelten heute echte Markenerlebnisse und authentische Nutzererfahrung als wichtigste Differenzierungsmerkmale. Beides setzt voraus, dass die Marke erlebbar und spürbar wird – live, digital und im Raum.
2 Live-Kommunikation als symbiotisches Gegengewicht zur Virtualisierung Das unmittelbare Erlebnis, d. h. die Gestaltung von im Hier-und-Jetzt stattfindenden Ereignissen mit persönlicher Teilnahme von Marketingzielgruppen, steht im Fokus unserer Branche. „Echte Erlebnisse“ gehören dabei zum Grundprinzip im Wirkungsmechanismus der Live-Kommunikation. Dabei werden durch den digitalen Wandel auch hier neue Maßstäbe gesetzt und neue Herausforderungen gestellt. Beispielsweise arbeitet man daran, Virtualisierung und digitale Simulation so zu verfeinern, dass sie dem Live-Erlebnis möglichst nahe kommen, dieses unter Umständen sogar übertreffen. Digitale Bestandteile können Erlebnisse intensivieren und den Nutzen vieler Live-Kommunikationsmaßnahmen zielführend verstärken. Digitale Medien ermöglichen heute den nahtlosen Übergang von On- und Offline-Welt, wodurch eine neue Gemeinsamkeit entsteht. „Live“ verliert seine Beschränkung auf Raum und Zeit beziehungsweise bekommt eine Verlängerung vor und nach dem Event. Reales Erlebnis wird hier zielführend mit virtuellem Erlebnis verknüpft. Live-Begegnungen bilden dabei das multisensuale und symbiotische Gegengewicht zur Virtualisierung. Auch wenn sich Live-Kommunikation mit den Möglichkeiten der Digitalisierung heute verstärken, optimieren, verlängern und zielgenau potenzieren lässt, setzt unsere Branche nach wie vor auf die Kraft und Wirkung des direkten emotionalen Erlebens und der persönlichen Interaktion.
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3 Einfluss der Digitalisierung auf das (Live-) Marketing Erfreulicherweise haben sich bereits verschiedene Studien mit dem Einfluss der Digitalisierung auf das Marketing beschäftigt. Nicht immer sind sie exakt auf die Anforderungen der Live-Kommunikation ausgerichtet, dennoch lassen sich daraus Ableitungen und Schlussfolgerungen ziehen. Zu diesen Untersuchungen zählen beispielsweise der „Adobe Experience Index Digital Trends 2019“ (vgl. Adobe 2019). Adobe zeigt darin auf, wie Marken ihr Wissen über Kunden mithilfe von Daten verfeinern und das personalisierte Kundenerlebnis (Customer Experience) immer mehr im Mittelpunkt steht. Erfolgreiche Unternehmen bieten Kundenerlebnisse, die auf integrierten Marketingund Kundenerlebnistechnologien basieren. Die an der Umfrage von Adobe beteiligten Marketers konzentrieren sich insbesondere auf die Sammlung und Nutzung von Daten. Etwa 55% der Befragten gehen davon aus, dass künftig die bessere Nutzung von Daten für ein effektiveres Segmentieren und Targeting von Zielgruppen zu den drei wichtigsten Prioritäten ihrer Maßnahmen gehören werden. Der Bereitstellung personalisierter Erlebnisse in Echtzeit wird das größte Potenzial für das Marketing der kommenden drei Jahre zugeschrieben. Bei mehr als einem Drittel (37%) der größeren und 31% der kleineren Unternehmen hat dieses Ziel oberste Priorität. Weitere Trends, die mittelfristig als spannende Möglichkeiten gelten sind künstliche Intelligenz, Bots, Virtual Reality und Augmented Reality sowie das Internet der Dinge. Eine bedeutende Anzahl der befragten Unternehmen sieht in ihnen großes Potenzial. Digitale Trends in der Live-Kommunikation thematisiert der aktuelle „XING Events Report: Die Zukunft der Event-Technologie“ (vgl. XING Events 2019). Die Verfasser stellen darin fest, dass sich neue Technologien im Event-Marketing mit großer Geschwindigkeit entwickeln. Die Branche wird von innovativen Event-Tools, neuen Interaktions- und Kommunikationsmöglichkeiten, KI und dazu passenden Event-Formaten künftig immer intensiver beeinflusst werden. Im Zentrum steht dabei die personalisierte Wissensvermittlung. Um das individuelle Event-Erlebnis zu kreieren, müssen Veranstalter ihre Teilnehmer künftig besser kennen, um mit diesen Informationen persönliche Event-Erlebnisse schaffen zu können. Diese Individualisierung ist nach Meinung von XING Events nicht nur ein kurzzeitiger Trend, sondern ein Game-Changer, der vor keiner Branche Halt macht und Einfluss auf alle Bereiche des Lebens, der Wirtschaft und Gesellschaft hat. Algorithmen liefern aufgrund von gesammelten und analysierten Daten auf uns persönlich zugeschnittenen Content, individuelle Anzeigen, personalisierte Kaufempfehlungen oder Entertainment-Angebote. Neue Event-Technologien erfahren sowohl auf Seiten der Veranstalter als auch der Teilnehmer die größte Akzeptanz, wenn sie in unser tägliches Leben integriert sind. Zukünftig wird Technologie intuitiv verstanden und eingesetzt werden.
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Für das Event-Marketing bedeutet das zum Beispiel die Automatisierung standardisierter Abläufe, die Digitalisierung bestehender Prozesse sowie den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI). Augmented Reality, Virtual Reality, Near-Field Communications und Face-ID gehören aus Sicht von XING Events zu den Technologien, die die Event-Welt zunehmend transformieren werden. Sie ermöglichen Veranstaltern ihre Projekte nicht nur schneller und flexibler, sondern auch effizienter und nachhaltiger zu organisieren. Eventteilnehmer versprechen sich durch neue Technologien vor allem eine größere Informationstransparenz (72%). Sie fordern deren Einsatz, um das persönliche Event-Erlebnis zu verbessern, wie beispielsweise durch die Nutzung von Event-Apps (46%), Self-Service-Countern beim Einlass (47%) oder digitale Interaktions-Tools für Publikumsfragen (33%). Deutlich reservierter geht der AUMA, Ausstellungs- und Messe-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, mit dem Thema Digitalisierung und seine Auswirkungen auf Messen um. Im „AUMA-MesseTrend 2019“, einer Ausstellerbefragung durch Counter TMS, Bielefeld, wird dazu die Frage aufgegriffen, welche Maßnahmen Aussteller bereits bei ihren Messeauftritten eingesetzt haben oder in Kürze einsetzen werden (vgl. AUMA 2019). Es geht insbesondere darum, welche digitalen Maßnahmen am Messestand eine Rolle spielen. Dabei konstatiert der AUMA: „Seit einiger Zeit wird vermehrt über den Einsatz digitaler Tools auf Messeständen diskutiert beziehungsweise werden diese schon eingesetzt“ (AUMA 2019, S.30). Mehr als die Hälfte der Aussteller (58%) setzen noch keine virtuellen Instrumente am Messestand ein. Etwa 20% haben schon mit Virtual Reality am Messestand experimentiert und 17% setzen Augmented Reality ein. Weit weniger als ein Viertel der Befragten (18%) ergänzen den Messeauftritt mit neuen Kommunikationsarten wie einem Live-Chat, einer Online-Übertragung oder einem Social-Media-Tool. Zu einer Reduzierung der Standfläche oder des Personals führt der Einsatz dieser Maßnahmen bislang nicht. Nur 10% der Befragten haben die Standfläche reduziert, da sie durch den Einsatz digitaler Tools weniger Exponate auf dem Messestand ausstellen. Lediglich 6% der Befragten hat das Standpersonal aufgrund der Tatsache, dass digitale Tools zur Informationsvermittlung eingesetzt werden, reduziert. Allein durch die Fragestellung und auch der Art der Beschreibung wird klar, dass durch die Digitalisierung nicht nur Hoffnungen auf eine erhöhte Produktivität oder ein effizienteres Marketing bestehen, sondern auch Ängste entstehen: Kunden-, Umsatz- oder Bedeutungsverluste. Das Beispiel AUMA zeigt, dass die digitale Transformation noch längst nicht überall in der Veranstaltungsbranche angekommen ist. Trotzdem lassen sich aus all den Befragungen und Studien verschiedene Megatrends für das (Live-) Marketing ableiten.
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4 Megatrends 4.1 Big Data Die Digitalisierung sorgt quer durch alle Branchen für eine Datenexplosion. So erzeugen die mittlerweile drei Milliarden Web-Nutzer plus die vielen Milliarden via Internet vernetzten Geräte inzwischen 2,5 Trillionen Byte Daten – und das jeden Tag. Knapp 90 Prozent der heute verfügbaren Daten wurden allein in den letzten zwei Jahren erzeugt. Insgesamt wächst die Menge der gespeicherten Daten vier Mal schneller als die Weltwirtschaft (vgl. Kroker 2015). Dabei sind 90 Prozent aller Daten unstrukturiert. Das bedeutet: Die Daten müssen vor der weiteren Analyse zunächst einmal aufbereitet, in eine strukturierte Form gebracht und in Datenbanken gespeichert werden. Auch vor der Eventbranche macht das „Data-Age“ nicht halt. Große Technologie-anbieter und Plattformbetreiber können bereits innovative Event-Lösungen aufgrund der Auswertung von Big Data anbieten (vgl. Mazari 2019). Doch noch adaptieren Veranstalter diese nur zögerlich, da die vergleichsweise hohen Kosten ein Hindernis darstellen. Event-Veranstalter investieren einen Großteil des Budgets immer noch klassisch in Speaker, Setup und technische Infrastruktur. Digitale Systeme für die Datenerfassung machen derzeit einen Bruchteil der Kosten aus. Bei vielen Veranstaltern von Events kommen zudem nicht genügend Daten zusammen. Sogar Events mit bis zu 50.000 Besuchern bieten längst nicht genug Daten, um damit Big Data betreiben zu können. Ein denkbarer Weg ist hier, über Plattformen die anonymisierten Daten mehrerer Events mit ähnlichen Zielgruppen zu nutzen. 4.2 KI als Schlüsseltechnologie für individualisierte (Event-) Erlebnisse Big Data und Künstliche Intelligenz werden das Marketing in Zukunft revolutionieren – mit personalisiertem Content. Denn nur wer seine (Kunden-) Daten kennt und versteht, kann Mehrwert schaffen. Es geht also längst nicht mehr darum, möglichst große Datenmengen zu sammeln und daraus Leads zu generieren. Zukünftig stehen in Echtzeit erstellte individuelle Inhalte und automatisiert benutzerdefinierte User Experiences im Fokus. Content wird dann nicht nur mit einer individuellen Ansprache angereichert, vielmehr werden vermehrt personalisierte, relevante Inhalte ausgespielt.
Das Live-Erlebnis im digitalen Zeitalter
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Abb. 1: Prognose zum weltweit generierten Datenvolumen 2025. Quelle: Statista (2019)
KI-Systeme sind heute in der Lage, die Nutzerdaten bedürfnisgerecht auszuwerten und das Angebot mit Hilfe von Algorithmen spezifisch zuzuschneiden. Maschinelles Lernen wird als Problemlöser für standardisierte und wiederkehrende Aufgaben genutzt, um Datenmengen zu strukturieren und daraus neue Informationen abzuleiten. Auch in der Adobe-Veröffentlichung wird darauf hingewiesen. Als konkrete Beispiele werden die Mustererkennung von Bildern und die Klassifikation von Texten benannt, damit Inhalte automatisiert auf ihre wesentliche Bedeutung hin entschlüsselt werden können. Die Sammlung von Data Traces vor, während und nach einer Veranstaltung könnte laut XING Events einige Entwicklungen in der Eventindustrie initiieren. Veranstalter könnten damit gezielt Informationen herausfiltern und in den richtigen Bezug zu den eigenen Aufgaben und Zielen setzen: Zum Beispiel über den besten Zeitpunkt für einen Event auf einer Messe oder die effektivste räumliche Gestaltung von Messeständen, um Besucher zielgerichteter als bisher zu leiten. Anwendungsbeispiele für den Messebereich sind automatische SMS- oder Push-Nachrichten nach dem Betreten des Standes mit einer Ansprache, die auf das gesamte Verhaltens- und Transaktionsprofil einer bestimmten Person zugeschnitten sind. Oder die dynamische Personalisierung und Anpassung von Inhalten auf dem Display oder Screen. Durch die semantische Verknüpfung von Informationen, welcher Kontakt sich wann und wie lange in der Nähe eines bestimmten Produktes aufgehalten hat, erfährt
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das Verkaufspersonal, woran der Kunde interessiert ist und kann das Gespräch gezielt und individuell darauf ausrichten. Mit Blick auf die Besucherkommunikation im Vorfeld können automatisierte und inhaltlich personalisierte Reminder- und Informationsmails helfen, die No-Show Rate zu reduzieren. Christoph Sedlmeir, CEO und Mitbegründer der doo GmbH, sieht mit KI sogar große Chancen für ein passgenaueres Einladungsmanagement: „Wenn ich weiß, dass sich eine Person für Events zu einem bestimmten Thema interessiert, kann ich daraus ableiten, welche anderen Events Relevanz haben und zielgerichtet genau diese Person gegebenenfalls auch noch mit dem Hinweis auf einen bestimmten Speaker einladen.“ (Rapp 2019, S. 23). Auch für die Evaluation und optimierte Besucherführung eignen sich die datenbasierten Anwendungen. Verweildauer und Bewegungen der Besucher lassen sich auf Ausstellungen, Messen und Ständen über sogenannte „Heatmaps“ visualisieren. Über ein Sensoren-Netzwerk können beispielsweise die Smartphones der Besucher über die automatische Netzwerksuche geortet werden. Auch wenn die Daten DSGVO-konform anonymisiert sind, lassen sich wertvolle Rückschlüsse auf das Besucherverhalten ziehen. Etwa welche Angebote innerhalb einer Messe zu welcher Tageszeit besonders gut angenommen wurden und welche nicht. Halten wir also fest: Durch neue KI-Technologien und die gezielte Analyse von Daten rücken die einzelnen Teilnehmer und das maßgeschneiderte Event deutlich in den Vordergrund. Ziel wird es sein, ein gemeinsames Erlebnis mit individuellen Inhalten zu schaffen, so dass alle Teilnehmer das Gefühl bekommen, dass die Veranstaltung nur für sie persönlich konzipiert wurde. Die Herausforderung für unsere Branche wird darin bestehen, das persönliche Erlebnis so zielgenau wie möglich zu inszenieren, ohne die Privatsphäre der Teilnehmer zu verletzen sowie personalisiertes und Gemeinschaftserlebnis in eine gute Balance zu bringen. 4.3 Immersives Marketing Immersive Technologien nehmen zunehmend einen festen Platz in der Kommunikationsstrategie von Unternehmen und Marken ein. Laut einer Marktforschungsumfrage des Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. sind Augmented Reality und Virtual Reality inzwischen fester Bestandteil der Strategien der Unternehmen aus der digitalen Wirtschaft (vgl. BVDW 2018). Wie viele Technologien zuvor, hatten Augmented Reality und Virtual Reality ihre ersten großen Anwendungsgebiete im Gaming-Bereich. Inzwischen sind nicht nur die Technologien deutlich reifer, auch die Nutzungsszenarien werden zunehmend professioneller.
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Mit ihrem Einsatz ergeben sich auch vielfältige Chancen für das Marketing: Unternehmen können Kunden in eine bestimmte Atmosphäre eintauchen lassen und diese unmittelbar erlebbar machen. Dabei sind die Kunden mitten im Geschehen und können auf der Gefühlsebene wirksam erreicht werden. Im großen Unterschied zu klassischen Werbe- und Medienformaten, schafft immersives Marketing außergewöhnliche Erlebnisse und Emotionen, welche die Kundenbindung und Markenerinnerung erheblich verstärken können. Darüber hinaus birgt immersives Marketing die Möglichkeit, umfangreiche Informationen anschaulich für den Kunden darzustellen. Komplexe Produktinhalte lassen sich in interaktiven, visuellen Anwendungen besser erklären als mit herkömmlichen Marketingtools. Der Einsatz immersiver Technologien wird das Kauf- und Konsumverhalten der Menschen in den nächsten 5 bis 10 Jahren entscheidend beeinflussen. Immersion beschreibt dabei das Phänomen des „Eintauchens“ in eine virtuelle Realität – so weit, dass die virtuelle Umgebung als real empfunden wird. Ein Zustand, bei dem der Teilnehmer hochgradig involviert ist und auf alle virtuellen Stimuli reagiert, als wären sie real. Die multisensuale Ansprache führt zu einer verbesserten Informationswahrnehmung, -speicherung und -verarbeitung, da die Eindrücke über verschiedene Sinnesorgane hinweg unterstützt werden (vgl. omnia360 2019). Die Abschirmung führt zu einer erhöhten Aufmerksamkeit, die vollständig auf das Kommunikationsmittel gelenkt wird. Die selektive Wahrnehmung sorgt dafür, dass eine Botschaft ganzheitlich wirken kann. Darüber hinaus können neuartige und unerwartete Reize, die das Bekannte übersteigen, eine erhöhte Fokussierung erzielen und Überraschungen auslösen (vgl. ebenda). Für das „immersive“ Live-Marketing lassen sich verschiedene Anwendungsmöglichkeiten ableiten: Mit der Privatkundenkampagne „Neue Zeit braucht neues Banking“ stellte die Deutsche Bank ihre digitale Neuausrichtung und das Kundenerlebnis in den Mittelpunkt. Die Vorteile des neuen Bankings sowie die neuen digitalen Services sollten für den Kunden in einer 8-wöchigen Roadshow erlebbar gemacht werden. Hierfür wurde ein interaktives und dialogorientiertes Format entwickelt und die Kampagne als kundennahe Story in eine immersive 360-Grad-VR-Experience übersetzt. Im Mittelpunkt des VR-Films stand Familie Blum, welche in ihren verschiedenen Lebenssituationen individuell und modern ihre Bankgeschäfte tätigt. Über die 360°-VR-Experience wurden die Zuschauer mitten in das Geschehen hineinkatapultiert und erlebten die neuen, digitalen Möglichkeiten im direkten Lebensumfeld der Protagonisten. Die 360°-VR-Experience Tour beeindruckte, begeisterte und sorgte als „mitreißendes Erlebnis“ für zahlreiche Gesprächsanlässe in den Filialen – wo sie direkt an den Beraterkontakt angedockt war und das Interesse der Kunden für die neuen Produkte und Möglichkeiten nachweislich erhöhte.
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Abb. 2: Über eine 360° VR Experience Tour konnten Kunden in den Filialen die neuen digitalen Services der Bank erleben Foto: insglück
Während der Nutzer bei Virtual Reality vollständig in die computergenerierte Realität eintaucht und dabei von seiner Umwelt abgeschottet wird, bleibt bei Augmented Reality die reale Umgebung bestehen, wird jedoch um virtuelle Elemente ergänzt. Diese zusätzliche digitale Ebene wird meist im Display eines Smartphones oder Tablets sichtbar gemacht. Die absolut Consumer-taugliche Technologie wird immer allgegenwärtiger und gehört mittlerweile fast zum Standardrepertoire auf unseren mobilen Endgeräten. Google und Apple investieren beide stark in diese Technologie, um sie im Consumerund Retail-Bereich zu monetarisieren. In der Industrie wird Augmented Reality immer häufiger in der Produktion sowie für Trainings und Qualifizierungen eingesetzt. Der digitale Layer wird hier meist nicht über Displays, sondern über Augmented Reality-Brillen eingespielt. Wie AR-Anwendungen effektiv und zukunftsweisend eingesetzt werden können, wurde auf dem Messestand der BMW Group IT, beim Entwickler-Kongress WeAreDevelopers in Wien sichtbar. Mit einer Microsoft HoloLens Brille konnte man auch ohne Vorkenntnisse ein Training zur Motoren-Montage absolvieren. Die Visualisierungen eines Motorblocks durch künstlich erzeugte Bilder leiteten durch alle Arbeitsschritte und gaben gezielte Hinweise für den Zusammenbau. Erst im November 2019 hat Microsoft seine neue Brillen-Generation, die HoloLens 2, auf den Markt gebracht und treibt damit seine Vorreiterstellung weiter voran. Epson und auch Google versuchen mit sogenannten Smart Glasses nachzuziehen.
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Abb. 3: Augmented Reality Trainingsstation beim BMW Group IT Messeauftritt auf der WeAreDevelopers 2018 Foto: insglück
Mit Blick auf die Live-Kommunikation hat Augmented Reality einen entscheidenden Vorteil: Anders als bei Virtual Reality besteht hier die Möglichkeit, individuelles und gemeinschaftliches Erleben zu verschmelzen. Eine überzeugende Anwendung von Augmented Reality im Rahmen eines Groß-Events, bei der auch AR-Brillen zum Einsatz kamen, ist uns bisher jedoch nicht bekannt. In der Praxis ist die eingesetzte Hard- und Software noch nicht wirklich kompatibel für die Anforderungen von Veranstaltungen. Wir erproben gerade für einen B2B-Event mit mehreren tausend Zuschauern die Möglichkeiten, Augmented Reality in das Gemeinschaftserlebnis zu integrieren. Allerdings stellt sich momentan eher der Einsatz von Technik, die aus dem Broadcasting-Bereich adaptiert wird als am zielführendsten heraus.
5 Fazit und Credo Live-Kommunikation ist längst im digitalen Zeitalter angekommen. Und die Bandbreite der Möglichkeiten ist groß und wächst. Bereits jetzt integrieren Messeauftritte und Events digitale Tools in das (inter)aktive „Mitmacherlebnis“ und liefern Gästen und Konsumenten damit die Möglichkeit, tiefer denn je in Markenwelten einzutauchen und das persönliche Erleben zu steuern und mit anderen zu teilen. Big Data und KI helfen
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darüber hinaus bei der Individualisierung sowie Analyse und Evaluierung von Besucherverhalten. Der Einsatz digitaler Technologien allein schafft aber noch keine glaubwürdige Story, geschweige denn einen gelungenen Marketing-Event. Content ist hier mehr denn je „King“. Es braucht nach wie vor starke Bilder und gute Geschichten, um Nähe und erinnerungsfähige Ereignisse zu schaffen. Hierfür sind hohe Kompetenz, umfassendes Fach- und Branchenwissen der speziellen Thematik, Zielgruppenkenntnis und Kreativität gefragt. Das multisensorische Erleben ist durch digitale Technologien allein auch nicht zu ersetzen. Obwohl Virtual Reality durchaus in der Lage ist, individuelle Erlebnisse teilweise exzellent nachzubilden, kann es die sozialen und vielen emotionalen Aspekte des Gemeinschaftserlebnisses nicht simulieren: Gespanntes Warten, das Raunen der Menge, spontane Überraschungen, Lachen, Ausgelassenheit, der menschliche Kontakt – hier können Simulationen dem echten Erlebnis gegenüber (noch) nicht überzeugen. Und so haben echte Erlebnisse und geteilte Momente für den Menschen nach wie vor die größte Bedeutung, denn nur real Erlebtes erzielt die nachhaltigste Wirkung, die jede Kampagne, jeder Event letztendlich auslösen will. Immersion befruchtet diese „echten“ Momente in der Form, dass sie sie wirkungsvoller gestaltet und um ein Vielfaches intensiviert. Durch die digitale Transformation entstehen innovative Formen der Kommunikation, bei denen die Grenzen zwischen realem, virtuellem oder (mit)geteiltem Erleben verschmelzen. So werden digitale Technologien wie Virtual Reality und Augmented Reality zukünftig zu wichtigen Bestandteilen von Live-Kommunikation werden. Im Zentrum steht dabei jedoch immer mehr die personalisierte Vermittlung von Inhalten. Um das individuelle Eventerlebnis zu kreieren, müssen Veranstalter ihre Teilnehmer kennen und in den Mittelpunkt rücken. Diese Entwicklung gilt es als langfristigen Trend zu akzeptieren und kreativ umzusetzen. Vor uns liegt eine große Anzahl von Möglichkeiten für eine Live-Kommunikation in neuer Dimension. Umarmen wir die digitalen Innovationen – als vielversprechende Erweiterung unseres Repertoires und als wunderbare Spielwiese unserer Kreativität.
Das Live-Erlebnis im digitalen Zeitalter
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Literaturverzeichnis ADOBE (2019): Experience Index Digitale Trends 2019, März 2019, online verfügbar unter: https://www.adobe.com/content/dam/acom/uk/modal-offers/2019/DT-Report-2019/econsultancy-2019-digital-trends_de.pdf, zuletzt abgerufen am: 20.03. 2019. AUMA – AUSSTELLUNGS- UND MESSE-AUSSCHUSS DER DEUTSCHEN WIRTSCHAFT (2019): MesseTrend 2019, März 2019, online verfügbar unter: https://www.auma.de/de/medien_/publikationen_/Documents/auma-messetrend2019/auma-messetrend-2019.pdf, zuletzt abgerufen am: 27.03.2019. BVDW - BUNDESVERBAND DIGITALE WIRTSCHAFT E.V. (2018): Studie: Virtual und Augmented Reality fester Bestandteil der Unternehmensstrategien, Juli 2018, online verfügbar unter: https://www.bvdw.org/fileadmin/user_upload/ BVDW_Marktforschung_ VR_AR_Trendumfrage.pdf, zuletzt abgerufen am: 20.11.2019. KROKER, M. (2015): Big Data: 2,5 Trillionen Byte Daten jeden Tag, wächst vier Mal schneller als Weltwirtschaft. In: WirtschaftsWoche Kroker’s Look @ IT (OnlineBlog), 22. April 2015, online verfügbar unter: https://blog.wiwo.de/look-atit/2015/04/22/big-data-25-trillionen-byte-daten-jeden-tag-wachst-vier-mal-schneller-als-weltwirtschaft, zuletzt abgerufen am: 11.12.2019. MAZARI, I. (2019): Digitale Transformation: Big Data für Messen steckt noch in den Kinderschuhen. Events Magazin (Online-Publikation), Archiv, online verfügbar unter: https://www.events-magazin.de/eventbranche/big-data-fuer-messen-stecktnoch-in-den-kinderschuhen/, zuletzte abgerufen am: 27.11.2019. OMNIA360 (2019): Immersives Marketing: Mehr als nur ein Hype? In: 360-Grad Know-
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Jan Drengner, Alexander Wiebel Virtuelle Realität im Veranstaltungsmanagement - Einsatz, Nutzen und Herausforderungen 1
Einleitung
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Virtuelle Realität 2.1 Begriffsverständnis 2.2 Technische Grundlagen
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Zentrale Konzepte zur Erklärung der Wirkungen von Virtueller Realität bei den Nutzern 3.1 Präsenz als zentrales Wirkungskonzept 3.2 Virtuelle Realität als Quelle wertstiftender Erlebnisse
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Einsatzmöglichkeiten von Virtueller Realität im Veranstaltungsmanagement 4.1 Virtuelle Realität als Element wertstiftender Erlebnisse im Veranstaltungsablauf 4.2 Einsatz von Virtueller Realität in der Raumplanung 4.3 Einsatz von Virtueller Realität zu Marketingzwecken 4.3.1 Vermarktung von Veranstaltungen 4.3.2 Virtuelle Realität als Instrument der Live-Kommunikation
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Herausforderungen und Grenzen beim Einsatz von Virtueller Realität 5.1 Virtuelle Veranstaltungen als potentieller Ersatz klassischer Präsenzveranstaltungen 5.2 Konzeptionelle und operative Herausforderungen
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Fazit
Literaturverzeichnis
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Zanger (Hrsg.), Events und Messen im digitalen Zeitalter, Markenkommunikation und Beziehungsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31775-1_2
Virtuelle Realität im Veranstaltungsmanagement
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1 Einleitung Die gegenwärtig stattfindende Durchdringung aller menschlichen Lebensbereiche mit digitalen Technologien bringt für die Veranstaltungsbranche sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich (vgl. Zanger 2019, S. 13ff.). Dabei geht die Markteinführung digitaler Technologien gemäß des sog. Hype-Zyklus der Unternehmensberatung Gartner in der Praxis häufig mit enthusiastischen Erwartungen einher, die aufgrund von unrealistischen Einschätzungen oder Umsetzungsschwierigkeiten zunächst im „Tal der Ernüchterung“ münden. Erst die dadurch angestoßenen Lernprozesse führen anschließend auf ein „Plateau der Produktivität“, auf dem dann ein wertstiftender, effektiver sowie effizienter Umgang mit der Technologie erfolgt (vgl. Kreutzer 2015, S. 3 ff.). Dieser Prozess trifft auch auf die Technologie der Virtuellen Realität (VR) zu, welche als potentiell wertstiftendes digitales Werkzeug für das Veranstaltungsmanagement gilt (vgl. Ruetz 2019; Wreford/Williams/Ferdinand 2019; Ruetz 2018, S. 143 ff.; Zanger/ Klaus/Kießig 2018, S. 16 ff.). Es besteht die Annahme, dass VR mittlerweile das Tal der Ernüchterung durchschritten hat und in circa zwei bis fünf Jahren das Plateau der Produktivität erreichen wird (vgl. Aichner et al. 2019, S. 8 ff.). Vor diesem Hintergrund diskutiert der vorliegende Text aus wissenschaftlicher Perspektive den Nutzen und die Herausforderungen eines Einsatzes von VR in der Veranstaltungsbranche, um einen Beitrag zum produktiven Einsatz dieser Technologie zu leisten. Zu Beginn des Beitrags erfolgt zunächst die Klärung des Konzeptes der Virtuellen Realität sowie eine kurze Beschreibung seiner technischen Grundlagen, wobei der Fokus ausschließlich auf Head-Mounted-Displays (HMDs) liegt. Im dritten Kapitel stehen die Wirkungen bei den Nutzern von HMDs im Mittelpunkt. Dies ist erforderlich, da ein effektiver und effizienter Einsatz der Technologie fundiertes Wissen über das Verhalten ihrer Anwender voraussetzt. Der Fokus liegt dabei zunächst auf dem Konzept der Präsenz, welche als zentrales Konstrukt für das Verständnis der Wirkungen von VR gilt (vgl. Steuer 1992). Da Unternehmen Veranstaltungen nur dann erfolgreich umsetzen können, wenn sie ihren Zielgruppen wertstiftende Erlebnisse bieten (vgl. Drengner 2017), wird außerdem das Potential der VR-Technologie für die Wert- bzw. Erlebnisgenerierung seitens der Konsumenten diskutiert. Die beiden anschließenden Kapitel erörtern sowohl konkrete Anwendungsfelder der Technologie für Veranstalter als auch die Herausforderungen und Grenzen bei ihrem Einsatz im Veranstaltungskontext. Der Beitrag endet mit einer Zusammenfassung, einem Ausblick auf künftige technologische Entwicklungen sowie offenen Forschungsfragen.
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2 Virtuelle Realität 2.1 Begriffsverständnis Der Begriff der Virtuellen Realität (VR) beschreibt eine virtuelle Umgebung, die dem Anwender über technische Schnittstellen Möglichkeiten zur Navigation und Interaktion bietet sowie in Echtzeit sensorische Rückmeldungen (z. B. visuell, auditiv, haptisch) auf das Verhalten des Anwenders generiert, sodass bei diesem das Gefühl entsteht, sich in der virtuellen Umgebung zu befinden (vgl. Mihelj/Novak/Beguš 2014, S. 1; Guttentag 2010, S. 638; Steuer 1992, S. 76). Bei einer virtuellen Umgebung handelt es sich um eine computergenerierte dreidimensionale Darstellung, die physische Räume simuliert, einschließlich der darin befindlichen authentischen oder artifiziellen Objekte (z. B. Gegenstände, Akteure) (vgl. Mihelj/Novak/Beguš 2014, S. 1; Bainbridge 2007, S. 472). Wie Tabelle 1 verdeutlicht, weisen authentische virtuelle Objekte einen Bezug zu Dingen auf, die in der realen Welt tatsächlich existieren (1a), existiert haben (1b) oder deren Existenz theoretisch möglich ist (1c). Artifizielle Objekte entspringen hingegen der menschlichen Phantasie. Ihre Existenz ist in der Realität aufgrund der dort herrschenden Naturgesetze nicht möglich. Tab. 1: Möglichkeiten zur inhaltlichen Gestaltung virtueller Welten Art der Objekte
Erklärung
1. authentische Objekte 1a. existent
Darstellung existenter Objekte auf der Makro-Ebene (z. B. touristisch interessante Orte) sowie der Mikro-Ebene (z. B. Modelle der Teilchenphysik, Visualisierung empirischer Daten)
1b. nicht mehr existent
Darstellung nicht mehr existenter Objekte (z. B. zerstörte Bauwerke, ausgestorbene Lebewesen)
1c. noch nicht existent
Darstellung künftig zu erwartender Objekte (z. B. in Planung befindliche Bauwerke)
2. artifizielle Objekte
Darstellung phantastischer Welten (z. B. Mittelerde) und der dazugehörigen Objekte (z. B. Hobbits)
Quelle: eigene Erstellung
Unabhängig von ihrer inhaltlichen Gestaltung bieten die in VR eingesetzten virtuellen Umgebungen dem Anwender Freiräume zur Navigation und Interaktion. Navigation betrifft das Erkunden der virtuellen Umgebung, indem sich der Nutzer innerhalb des digital simulierten physischen Raumes frei bewegt. Die Interaktion bezieht sich hingegen darauf, die Objekte in der Umgebung manipulieren zu können (vgl. Guttentag 2010, S. 638) oder von ihnen beeinflusst zu werden. Reine 360°-Bilder oder Videos zählen im engeren Sinne somit nicht zu VR. Sie können zwar sehr wohl stereoskopisch sein, also einen Tiefeneindruck vermitteln, jedoch beschränkt sich die Navigation auf das „Umsehen“ in der virtuellen Umgebung durch Rotation des Kopfes bzw. des Körpers
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des Nutzers. Möglichkeiten zur Manipulation von Objekten bestehen ebenfalls nicht. Beide Einschränkungen lassen sich jedoch durch diverse Erweiterungen der 360°-Darstellung abschwächen: Existieren mehrere 360°-Bilder bzw. -Videos der gleichen Szene oder benachbarter Szenen, so kann Anwendern die Möglichkeit gegeben werden, selbständig zwischen verschiedenen Kamera-Perspektiven zu wechseln und somit in der virtuellen Umgebung zu navigieren (vgl. Drengner/König/Wiebel 2019, S. 258). Weiterhin ist es technisch machbar, interaktive 3D-Objekte in 360°-Darstellungen zu integrieren (vgl. Abb. 1) und damit Anreize zu schaffen, diese Objekte zu manipulieren (vgl. Wiebel et al. 2020).
Abb. 1: Beispiel des Einsatzes interaktiver Elemente in einer 360°-Video-Aufnahme des Musikfestivals „Worms: Jazz & Joy“. Nutzer können Feuerwerksraketen abschießen. Dreidimensionale Darstellung des Stocks durch leicht versetzte Position für linkes und rechtes Auge (horizontale Parallaxe). Quelle: eigene Erstellung
2.2 Technische Grundlagen Um Nutzern die Navigation und Interaktionen in virtuellen Umgebungen zu ermöglichen, existieren in der Praxis vielfältige VR-Technologien bzw. VR-Systeme. Diese umfassen unterschiedliche Schnittstellen in Form von Ein- und Ausgabe-Geräten, die den Anwendern sowohl Informationen aus der virtuellen Umgebung zur Verfügung stellen (Ausgabe) als auch die Möglichkeit bieten, die virtuelle Umgebung zu beeinflussen (Eingabe) (vgl. LaViola et al. 2017). Die gegenwärtig verbreitetste Schnittstelle zur Ausgabe von Informationen sind Head-Mounted-Displays (HMDs). Diese am Kopf des Anwenders befestigten Anzeige-Geräte sprechen primär den Sehsinn an (visuelle Wahrnehmung). Ihre Anzeige besteht zumeist aus je einem Bildschirm für jedes Auge, um dem Nutzer zwei leicht zueinander versetzt dargestellte Bilder (horizontale Parallaxe) der gleichen Szene zeigen zu können (vgl. Abb. 1) und damit einen StereoEffekt zu erzeugen. Im Sinne einer Dateneingabe werden weiterhin die Position (wo befindet sich das HMD im dreidimensionalen Raum) und die Orientierung (in welche
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Richtung schaut die Person) des HMDs kontinuierlich ermittelt. Die durch dieses Tracking gewonnenen Informationen dienen dazu, die Computergrafik stetig an den jeweiligen Blickwinkel der Person anzupassen und damit die sogenannte Bewegungsparallaxe zu erzeugen. Letztere beschreibt ein wahrnehmungspsychologisches Phänomen, bei welchem sich bei Bewegung des Kopfes die im Sichtfeld des Betrachters befindlichen Objekte in Abhängigkeit von ihrer Entfernung vom Betrachter unterschiedlich schnell und in unterschiedliche Richtungen bewegen (vgl. Ansorge/Leder 2017, S. 103). Sowohl die stereoskopische Darstellung als auch die Bewegungsparallaxe sind wichtige Elemente für eine eindrückliche und korrekte Wahrnehmung von räumlicher Tiefe in der virtuellen Umgebung. Da sich der Nutzer aufgrund des Trackings mit Hilfe seiner realen körperlichen Bewegungen in der virtuellen Umgebung umschauen kann, wird gleichzeitig der Gleichgewichtssinn angesprochen (vestibuläre Wahrnehmung). Meist besitzen HMDs auch Kopfhörer, um die auditive Wahrnehmung (Hören) zu beeinflussen. Die zwei Lautsprecher der Kopfhörer sowie eine passende Berechnung der jeweils auszugebenden Töne (binaurale Synthese) ermöglichen es, eine virtuelle Tonquelle korrekt im dreidimensionalen Raum verortet erscheinen zu lassen. Das Tracking von zusätzlichen aktiven Geräten (z. B. in der Hand gehaltene Controller) oder passiven Geräten (z. B. Tracker an Füßen) erweitert die Navigationsmöglichkeiten und ermöglicht Interaktionen mit Objekten der virtuellen Umgebung. So können Anwender den Controller zu einem im virtuellen Raum befindlichen Objekt bewegen, dieses durch anschließende Betätigung einer Taste am Controller greifen sowie durch Weiterbewegen des Controllers in der virtuellen Umgebung verschieben. Weiterhin kann der Controller durch Vibrationen Rückmeldung zu einer Interaktion (z. B. Greifen des Objektes) geben und damit die haptische Wahrnehmung des Nutzers ansprechen. Letzteres kann auch durch weniger verbreitete technische Schnittstellen erreicht werden. So gibt es sowohl für das Laufen in virtuellen Umgebungen eine Reihe verschiedener Geräte (z. B. Laufbänder) als auch Handschuhe für taktiles und haptisches Feedback. Weiterhin existieren Ganzkörper-Anzüge zum Tracking aller Gliedmaßen einer Person. Extrem selten und auch noch nicht zur Marktreife entwickelt sind Geräte, die Gerüche (olfaktorische Wahrnehmung) oder Temperaturen (thermale Wahrnehmung) vermitteln (vgl. LaViola et al. 2017). Um hochqualitative Sinnesreize (z. B. Bilder und Töne) in Echtzeit erzeugen zu können, sind die bisher beschriebenen HMDs typischerweise an leistungsstarke Rechner (meist Desktop-Computer) und ein separates Tracking-System angeschlossen. Die Art des Tracking-Systems bestimmt dabei, ob der Nutzer sich im Raum nur umschauen oder auch bewegen kann. Eine einfachere Art von HMDs hat entweder selbst einen weniger leistungsstarken Rechner eingebaut („standalone HMD“, z. B. VIVE Focus Plus) oder ist
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lediglich als Halterung für ein Smartphone realisiert („mobile HMD“, z. B. Samsung Gear VR, Google Cardboard). Diese einfacheren HMDs erzeugen eine grafische Darstellung der virtuellen Umgebung von deutlich geringerer Qualität und damit meist auch geringerer Realitätsnähe. Zudem bieten sie häufig aufgrund eines einfachen Trackings nur die Möglichkeit, sich im virtuellen Raum umschauen, jedoch nicht bewegen zu können. Vorteilhaft ist jedoch an diesen Geräten der deutlich geringere Aufwand für deren Inbetriebnahme (z. B. Aufbau) und der geringere Preis.
3 Zentrale Konzepte zur Erklärung der Wirkungen von Virtueller Realität bei den Nutzern 3.1 Präsenz als zentrales Wirkungskonzept Der „Aufenthalt“ in einer virtuellen Umgebung kann beim Nutzer zu dem psychischen Zustand der Präsenz führen. Dieses Konzept bezeichnet das Gefühl, sich in einer Umgebung zu befinden. Es wird ausgelöst durch die Aufnahme eines oder mehrerer Reize durch die Sinnesorgane der Person sowie die anschließende mentale Verarbeitung der aufgenommenen Informationen (vgl. Steuer 1992, S. 75). Die Reizaufnahme erfolgt dabei einerseits durch den unmittelbaren Kontakt des Menschen mit der realen Welt, wobei er den Zustand der Präsenz in diesem Fall als selbstverständliches Phänomen empfindet. Andererseits lassen sich Reize aber auch über Medien und Technologien vermitteln, etwa durch Texte in Romanen, durch Töne und bewegte Bilder in Filmen oder mit Hilfe der Ausgabe-Geräte von VR-Systemen. Für Nutzer dieser Medien und Technologien existiert somit neben der (selbstverständlichen) realen Welt eine zweite medial bzw. technisch vermittelte Welt. Letztere kann – etwa in Form einer virtuellen Umgebung – die Wahrnehmung des Anwenders dominieren und damit dessen Erleben beeinflussen, indem die Person die virtuelle Umgebung bzw. die darin befindlichen authentischen oder artifiziellen Objekte als „real“ oder „tatsächlich“ empfindet (vgl. Lee 2004, S. 37; Steuer 1992, S. 75f.). Daraus resultiert, dass die Person in der virtuellen Umgebung ähnliche Reaktionen und Verhaltensweisen zeigt, wie in der ihr vertrauten realen Welt (vgl. Sanchez-Vives/Slater 2005, S. 338). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Anwender bei Kontakt mit einem als bedrohlich empfundenen Reiz (z. B. Angriff durch ein virtuelles Raubtier) eine Verteidigungshaltung einnimmt oder vor der Bedrohung zurückweicht, obwohl die Person weiß, dass es sich um eine virtuelle und damit fingierte Bedrohung handelt. Damit wird deutlich, dass das Erleben von Präsenz vornehmlich durch die unmittelbare Wahrnehmung sensorischer Reize und die dadurch spontan ausgelösten Reaktionen geprägt ist und weniger durch eine tiefgründige Reflexion der Situation (z. B. „Ich befinde mich in einer virtuellen Welt. Deshalb ist das, was ich sehe, nicht real und somit keine
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echte Bedrohung.“) (vgl. Slater 2018, S. 432). Eine mögliche Erklärung für diese Dominanz unmittelbarer Reaktionen über eine ausführliche kognitive Auseinandersetzung liefern duale Prozesstheorien aus der Psychologie. Diese unterscheiden zwischen zwei Formen des Denkens, für die je ein eigenes System verantwortlich zeichnet (vgl. Kahneman 2016; Evans 2008; Stanovich/West 2000). In System 1 erfolgt ein automatisch ablaufendes, schnelles Denken ohne willentliche Steuerung. Dies ist beispielsweise bei der oben beschriebenen spontanen Reaktion auf eine Bedrohung (Verteidigung, Flucht) der Fall. In System 2 finden hingegen willentliche, eher langsam ablaufende Denkprozesse statt, die etwa beim Aufenthalt in einer virtuellen Umgebung zu der Erkenntnis führen, dass es sich bei einem Angreifer um ein virtuelles und somit objektiv nicht bedrohliches Objekt handelt. In Abhängigkeit davon, welches Objekt eine Person in einer virtuellen Umgebung als echt empfindet, leitet Lee (2004, S. 44 ff.) drei Typen von Präsenz her. Physische Präsenz ist gegeben, wenn der Anwender die in der virtuellen Umgebung dargestellten unbelebten Objekte als wirklich erlebt. Soziale Präsenz entsteht, wenn er die in der virtuellen Umgebung sichtbaren sozialen Akteure als wahrhaftig empfindet. Bei HMDs treten diese Akteure in der virtuellen Welt einerseits in Form computeranimierter, menschenähnlicher Darstellungen (Avatare) auf, deren Verhalten von Personen gesteuert wird, die sich physisch jedoch außerhalb der virtuellen Umgebung befinden. Andererseits können auch künstliche soziale Akteure zum Einsatz kommen. Diese besitzen kein Pendant in der realen Welt und ihr Verhalten wird durch Software gesteuert. SelbstPräsenz betrifft schließlich das Erleben der eigenen Person. Diese Form der Präsenz kann sich zunächst darauf beziehen, inwieweit der Anwender sich als tatsächlich existentes Individuum in der virtuellen Umgebung wahrnimmt. Dies hängt davon ab, in welchem Umfang das VR-System eine möglichst realitätsnahe Repräsentation der eigenen Person liefert. Darüber hinaus kann selbstbezogene Präsenz jedoch auch dann entstehen, wenn der Nutzer in der virtuellen Umgebung in die Rolle einer künstlichen Figur schlüpft (z. B. als Held eines Abenteuerspiels) und sich mit dieser Rolle identifiziert. 3.2 Virtuelle Realität als Quelle wertstiftender Erlebnisse Gemäß einer Befragung von 1.061 Deutschen im Alter von 18 bis 69 Jahren bildet das „Gefühl, in eine andere Welt einzutauchen“ den „interessantesten Aspekt“ bei der Nutzung von VR-Systemen (vgl. Statista 2017a). Damit wird deutlich, dass das Erleben von Präsenz aus Konsumentensicht einen zentralen Bestandteil der Wertgenerierung bei der Nutzung von VR-Systemen darstellt. Generell stiftet eine Konsumhandlung dann Wert, wenn sich Menschen durch diese Handlung besserstellen (z. B. durch Erwerb von Wissen) oder ihr Wohlbefinden steigern (z. B. in Form von Vergnügen). Dabei entsteht der Wert aufgrund der individuellen Bewertung während der Konsumhandlung auftretenden Erlebnisse (vgl. Akaka/Vargo/Schau 2015).
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Der wertstiftende Charakter des „Eintauchens“ in virtuelle Umgebungen lässt sich nicht nur anhand des Gefühls der Präsenz, sondern auch mit Hilfe des Flow-Erlebens (vgl. Csikszentmihalyi 1975) erklären. Dieses Konzept gilt als zentrale Variable zur Erklärung der Erlebniswirkungen computergestützter Umgebungen im Allgemeinen (vgl. Hoffman/Novak 1996) und damit auch für virtuelle Umgebungen im Besonderen (vgl. Hassan et al. 2020; Kim/Lee/Jung 2020; Chen/Chieng/Chieng 2014; Huang/Backman/Backman 2012). Flow beschreibt eine durch eine Handlung ausgelöste Erfahrung, welche durch eine starke Konzentration auf die Handlung, durch Selbstvergessenheit, durch einen Verlust des Zeitgefühls sowie durch das Verschmelzen von Handlung und Bewusstsein gekennzeichnet ist. Menschen empfinden diesen Zustand als vergnüglich und damit als wertstiftend (vgl. Drengner/Jahn/Furchheim 2018). Weiterhin geht die Nutzung von VR-Systemen häufig mit affektiven Reaktionen einher. Aufgrund des Gefühls der Präsenz lassen sich Nutzer mittels VR daher in lebensechte emotionalisierende Situationen versetzen. Dabei können virtuelle Umgebungen in Abhängigkeit von ihrer konkreten inhaltlichen Ausgestaltung die gesamte Bandbreite menschlicher affektiver Reaktionen auslösen (z. B. Angst, Ekel, Vergnügen, Erregung, Entspannung) (vgl. z. B. Kim/Lee/Jung 2020; tom Dieck et al. 2018; Diemer et al. 2015; Riva et al. 2007). Damit ergeben sich in der Praxis vielfältige wertstiftende Anwendungsmöglichkeiten für VR-Systeme, wie etwa bei der therapeutischen Behandlung von Angststörungen (vgl. Riva et al. 2016) oder der Entwicklung emotionalisierender VRSpiele (z. B. Adventure-Games). Neben affektiven Reaktionen können VR-Systeme auch kognitive Reaktionen auslösen, indem sie den Intellekt der Nutzer ansprechen. Dabei liegt die Wertstiftung für die Anwender unter anderem darin, dass sie mit Hilfe der VR-Technologie komplexe Sachverhalte aufgrund der lebensechten Darstellung besser erfassen und verarbeiten können (vgl. Markowitz et al. 2018; Merchant et al. 2014) oder dass ihre Kreativität durch eine virtuelle Umgebung stimuliert bzw. ihr Problemlösungsverhalten gefördert werden. Eine besondere Erlebnisqualität ist vor allem dann zu erwarten, wenn VR-Systeme solche Objekte virtuell aufbereiten, die für die Nutzer in der Realität nicht oder nur mit großem Aufwand zugänglich sind. Hierzu zählen beispielsweise Phänomene, die noch nicht (z. B. in Planung befindliche Bauwerke) oder nicht mehr existieren (z. B. Dinosaurier, Koloss von Rhodos), nicht von Jedermann betreten werden dürfen (z. B. Windräder, Raumstationen) oder deren Erkundung in der Realität mit großem Aufwand (z. B. Kosten, körperliche Anstrengung) verbunden ist (z. B. entlegene touristische Destinationen). Indem Anwender in virtuellen Umgebungen navigieren und Objekte manipulieren können, eröffnet sich außerdem die Möglichkeit, die Technologie für das Training von Fähigkeiten und Fertigkeiten einzusetzen (vgl. Makransky/Lilleholt 2018, S. 1144 f.; Markowitz et al. 2018). Zusammenfassend bietet die VR-Technologie in der Praxis
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somit vielfältige Anwendungsfelder, zum Beispiel in der Bildung und Weiterbildung, der Wissenschaft, der Produktentwicklung, in Museen, zu Therapiezwecken, dem Militär oder der Raum-, Landschafts- und Fabrikplanung. In Form geteilter bzw. kollaborativer virtueller Umgebungen (vgl. Slater/Sanchez-Vives 2016, S. 27) bieten VR-Systeme auch Anreize für soziale Erlebnisse. Dies setzt voraus, dass sich mehrere Personen gleichzeitig in einer virtuellen Umgebung befinden und diese Personen sich dort gegenseitig sinnlich wahrnehmen können. Letzteres wird beim Einsatz von HMDs dadurch sichergestellt, dass jeder Akteur mittels eines von ihm steuerbaren Avatars in der virtuellen Welt agiert. Zudem stehen die Nutzer häufig über Mikrophone und Kopfhörer in verbalem Kontakt. Wichtig ist außerdem, dass sich die in der virtuellen Umgebung befindlichen Personen – im Sinne des Konzeptes der sozialen Präsenz – gegenseitig als wahrhaftig empfinden. Dabei kann die von einem Anwender gefühlte soziale Präsenz unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Sie reicht von (i) der bloßen Wahrnehmung der physischen Anwesenheit der anderen Akteure (sog. Co-Präsenz), über (ii) eine tiefere Zuwendung zu den kognitiven oder affektiven Zuständen (z. B. Absichten, Gedanken, Emotionen) dieser Akteure bis hin zu (iii) kollaborativen Handlungen (z. B. gemeinsames Lösen einer Aufgabe) (vgl. Kehrwald 2010, S. 40f.; Biocca/Harms/Gregg 2001). Entlang dieses Kontinuums nimmt von (i) bis (iii) die vom Anwender wahrgenommene soziale Präsenz zu, was wiederum die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es zwischen den Personen zu sozialen Austauschprozessen kommt. Anwendungsbeispiele sind virtuelle kollaborative Lernumgebungen oder Multiplayer-VR-Games1, in denen eine erfolgreiche Bewältigung von Aufgaben ein gemeinsames Agieren der Anwender erfordert. Die Wertstiftung kann in diesen Fällen beispielsweise in der Stärkung des Verbundenheitsgefühls der betreffenden Personen bestehen. Schließlich können VR-Systeme aufgrund ihrer ästhetischen Gesamterscheinung das Erleben sinnlicher Schönheit auslösen und damit hedonistischen Wert stiften. Wie bereits erörtert, basiert dabei die Wahrnehmung in virtuellen Umgebungen zumeist auf visuellen, auditiven, haptischen und vestibulären Sinnesreizen. Für eine möglichst positive und eindrückliche Erlebniswirkung dieser Reize sollten sie in sehr guter Qualität (z. B. hohe Bildauflösung und Bildfrequenz) über die Ausgabe-Schnittstellen des VR-Systems bereitgestellt werden. Um einen stimmigen Gesamteindruck zu erreichen, gilt es außerdem die einzelnen Elemente der sensorischen Gestaltung einer virtuellen Umgebung, wie etwa Formen, Farben, Texturen, Beleuchtungssituationen (Lichtstimmung), Animationen, Geräusche oder Musik, aufeinander abzustimmen. Dies ist beispielsweise bei einer VR-Anwendung des Dali-Museums St. Petersburg (Florida) der Fall, in der
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Beispiel des VR-Escape-Games „Huxley“: https://exit-vr.de/; zuletzt abgerufen am: 29.12.2019.
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Museumsbesucher die Bilder des Künstlers Salvador Dali im Kontext virtueller Räume erleben können2.
4 Einsatzmöglichkeiten von Virtueller Realität im Veranstaltungsmanagement 4.1 Virtuelle Realität als Element wertstiftender Erlebnisse im Veranstaltungsablauf Veranstaltungen lassen sich als Bündel verschiedener Arten von Ressourcen auffassen, aus denen die Veranstaltungsbesucher durch ihr Verhalten wertstiftende Erlebnisse generieren (vgl. Drengner 2017). Eine für diesen Prozess zentrale Kategorie von Ressourcen bilden dabei die vom Veranstalter eingesetzten sachbezogenen Produktionsfaktoren, wie etwa die Veranstaltungsstätte mit ihrer infrastrukturellen Ausstattung, fliegende Bauten, Licht- und Tontechnik, Elemente der Raumdekoration oder das Catering. Aufgrund ihres Potentials zur Erlebnis- und Wertgenerierung kann die VR-Technologie somit sowohl als Ressource (Besuchersicht) als auch als sachbezogener Produktionsfaktor (Veranstaltersicht) verstanden werden. Aus Besuchersicht eignen sich VR-Systeme insbesondere als Ressourcen, um hedonistischen Wert zu stiften. So können die Gäste während der Veranstaltung mit Hilfe von HMDs in virtuelle Umgebungen eintauchen (Flow, Präsenz), verschiedene Emotionen erleben oder die sinnliche Schönheit virtueller Objekte genießen. Weiterhin lässt sich die Technologie bei solchen Veranstaltungsformaten einsetzen, die auf die Generierung von ökonomischem Wert – in Form eines effektiven und effizienten Erwerbs von Kompetenzen – fokussieren, wie es beispielsweise bei Konferenzen, Seminaren, Workshops oder Marketing-Events und Messen der Fall ist. Die Nutzung virtueller Umgebungen scheint in diesem Zusammenhang vor allem dann sinnvoll, wenn die Veranstaltung auf die Vermittlung abstrakter und nur schwer vorstellbarer Sachverhalte (z. B. wissenschaftliche Erkenntnisse, komplexe Produkte, Dienstleistungen oder Produktionsprozesse, Zukunftsvisionen) abzielt und sich diese mit klassischen Kommunikationsträgern (z. B. Bildschirme, Printerzeugnisse) oder aufgrund von Platzmangel (z. B. auf Messeständen) nur schwer darstellen lassen (vgl. Ruetz 2019, S. 63). Außerdem können Veranstalter VR-Systeme zum Zweck des Trainings von Fähigkeiten und Fertigkeiten einsetzen. Dies gilt insbesondere für Branchen und Bereiche, bei denen sich die gewünschten Trainingssituationen im Rahmen einer Veranstaltung nur mit großem Aufwand simulieren lassen. Beispielsweise weil der unmittelbare Zugang zu diesen Situationen zu
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http://www.dreamsofdali.net/, zuletzt abgerufen am: 09.12.2019.
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teuer bzw. aufwendig ist oder Gefahren für Leib und Leben bestehen (z. B. Brandbekämpfung3). Potentielle Einsatzbereiche sind hier Schulungen für Mitarbeiter oder Geschäftskunden. Schließlich können VR-Systeme in Form von kollaborativen virtuellen Lernumgebungen oder Multiplayer-VR-Games die Besucher einer Veranstaltung anregen, miteinander zu interagieren, und ihnen damit sozialen Wert stiften. Dieser entsteht auch dann, wenn die Veranstaltungsgäste ein VR-System nutzen und sich im Anschluss in Gesprächen über ihre Erlebnisse in der virtuellen Umgebung austauschen. Zusammenfassend eröffnen VR-Systeme Veranstaltern somit die Möglichkeit, ihren Gästen zusätzliche Anreize für wertstiftende Erlebnisse anzubieten. Dies kann wiederum die Zufriedenheit der Veranstaltungsbesucher erhöhen, was sich letztlich positiv auf diverse für den Erfolg des Veranstalters relevante Faktoren (z. B. Kundenbindung, Weiterempfehlungsbereitschaft) auswirkt. 4.2 Einsatz von Virtueller Realität in der Raumplanung Da sich auch noch nicht existierende Objekte in einer lebensecht wirkenden Art und Weise in virtuellen Umgebungen darstellen lassen (vgl. Tab. 1, Kategorie 1c), können Unternehmen HMDs als Hilfsmittel zur Planung und Entwicklung veranstaltungsbezogener Raumkonzepte einsetzen. Die Technologie bietet die Chance, Veranstaltungsräume, Bühnenaufbauten, Messestände oder ganze Veranstaltungsstätten in Form digitaler dreidimensionaler Simulationen abzubilden. So lassen sich bereits frühzeitig die ästhetische Wirkung einzelner räumlicher Gestaltungselemente (z. B. Dekoration, Beleuchtung), die Sichtverhältnisse an verschiedenen Standorten eines Raums (z. B. Sicht auf die Bühne) oder auch die Raumwirkung insgesamt beurteilen und damit Fehler in der Raumplanung frühzeitig offenlegen. In Summe resultiert in diesem Fall die Anwendung von VR in einer effizienteren Abstimmung zwischen allen an der Konzeption und operativen Umsetzung beteiligten Akteuren. Insbesondere fachfremde Anspruchsgruppen, wie etwa die Kunden von Veranstaltungsagenturen, Bürger oder Politiker, können auf diesem Weg Raumkonzepte aus der Ich-Perspektive erleben und diese somit besser bewerten als mit Hilfe herkömmlicher Methoden (z. B. Bau- und Standpläne, Skizzen, Modelle). Weiterhin vereinfacht die virtuelle Raumplanung die Schulung des Personals, da dieses bereits im Vorfeld der Veranstaltung mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut gemacht werden kann. Letztlich lassen sich die virtuellen Abbildungen von Bühnenaufbauten und Messeständen zu Zwecken der Dokumentation nutzen.
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https://www.flaimsystems.com/flaim-trainer/, zuletzt abgerufen am: 29.12.2019.
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4.3 Einsatz von Virtueller Realität zu Marketingzwecken 4.3.1 Vermarktung von Veranstaltungen Ein weiteres Einsatzfeld der VR-Technologie liegt in deren Nutzung als Instrument zur Vermarktung von Veranstaltungen oder anderen Dienstleistungen der Veranstaltungsbranche (z. B. Veranstaltungsstätten). Die Bandbreite potentieller Anwendungsmöglichkeiten reicht dabei von 360°-Videos bereits beendeter Veranstaltungen, über 360°-Live-Streamings4 bis hin zu virtuellen Modellen real existierender Messestände (sog. „digitale Zwillinge“)5. Insbesondere die Rezipienten von stereoskopischen 360°Videos bzw. 360°-Streamings von Veranstaltungen können aufgrund des durch die dreidimensionale Darstellung ausgelösten starken Gefühls von Präsenz die Atmosphäre eines Ereignisses viel intensiver erleben als bei herkömmlichen zweidimensionalen Video-Übertragungen. Dies erscheint insb. im Rahmen der individuellen Nachbereitung eines Veranstaltungsbesuches hilfreich, um das Ereignis erneut zu durchleben (vgl. Wredford/Williams/Ferdinand 2019, S. 729). Um bei den Nutzern ein möglichst intensives Gefühl der Präsenz zu stimulieren, sollten dabei die Aufnahmen möglichst mit interaktiven Elementen kombiniert werden. Können die Rezipienten beispielsweise mit Objekten interagieren (vgl. Abb. 1) oder selbstständig zwischen verschiedenen KameraPerspektiven wechseln, so erhöht dies das Gefühl der Kontrolle über den Aufenthalt in der virtuellen Umgebung und damit das Gefühl der Präsenz (vgl. Carrilat et al. 2015, S. 626). Erhalten die Anwender außerdem exklusive Einblicke in Bereiche der Veranstaltung, die ihnen normalerweise verwehrt bleiben, beispielsweise in Form von 360°-Aufnahmen direkt von der Bühne, vom Backstage-Bereich oder aus der Vogelperspektive, entsteht für sie zusätzlicher Wert. Eine weitere Einsatzmöglichkeit von VR zur Vermarktung von Veranstaltungen liegt im Einsatz von VR-Stationen auf Messeständen oder an anderen Orten mit hohem Publikumsverkehr (z. B. Museen, Ausstellungen). Dies kann beispielsweise im Destinationsmarketing sinnvoll sein, um Interesse für die Veranstaltungen eines touristischen Zielgebietes zu wecken. So nutzt beispielsweise die Stadt Worms zu verschiedenen Gelegenheiten (z. B. auf Messen, während des Rheinland-Pfalz-Tages 2018, im Nibelungenmuseum) VR-Stationen zur Vermarktung diverser Veranstaltungen, wie die Nibelungen-Festspiele, das Mittelalterfest „Spectaculum“ oder das Musikfestival „Worms: Jazz & Joy“ (vgl. Drengner/König/Wiebel 2019, S. 258).
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Beispiel aus der nordamerikanischen Basketball-Liga NBA: https://watch.nba.com/page/vr, zuletzt abgerufen am: 29.12.2019. Beispiel: https://digitaltwin.cueconcept.de/, zuletzt abgerufen am: 29.12.2019.
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4.3.2 Virtuelle Realität als Instrument der Live-Kommunikation Setzen Unternehmen Veranstaltungen in Form von Marketing-Events, Messeauftritten oder dem Veranstaltungssponsoring zu Marketingzwecken ein, so können VR-Systeme als Kommunikationsmittel während der Veranstaltung die Vermittlung der jeweiligen Marketingbotschaft unterstützen. Studien zur Nutzung der Technologie im Rahmen der Markenkommunikation (vgl. Gauqier et al. 2018; van Kerrebroeck/Brengman/Willems 2017) und des Tourismusmarketings (vgl. Bogicevic et al. 2019; Hudson et al. 2019; Ruetz 2019; Wei/Qi/Zhang 2019; Kim/Lee/Jung 2020; tom Dieck et al. 2018; Tussyadiah et al. 2018; Marasco et al. 2018) belegen, dass VR-Systeme diverse für den Kommunikationserfolg relevante Faktoren beeinflussen können, wie zum Beispiel die Markenerinnerung, die Markeneinstellung, die Markenpersönlichkeit, das Produktwissen, das Weiterempfehlungsverhalten sowie die Kaufabsicht. Als zentrale Variable zur Erklärung dieser Wirkungen gilt auch in diesem Fall das Erleben von Präsenz (vgl. Wei/Qi/Zhang 2019; Tussyadiah et al. 2018; van Kerrebroeck/Brengman/Willems 2017).
5 Herausforderungen und Grenzen beim Einsatz von Virtueller Realität 5.1 Virtuelle Veranstaltungen als potentieller Ersatz klassischer Präsenzveranstaltungen Mit Blick auf die disruptiven Wirkungen digitaler Technologien stellt sich die Frage, inwieweit die VR-Technologie geeignet ist, reale Veranstaltungen zu ersetzen (vgl. Wreford/Williams/Ferdinand 2019; Getz/Page 2016, S. 172) oder wenigstens genutzt werden kann, zusätzliche Teilnehmer über virtuelle Umgebungen in Präsenzveranstaltungen einzubinden (vgl. Sharma/Schroeder 2013). Potentielle Vorteile wären in diesen Fällen Kosten- und Zeiteinsparungen sowohl seitens der Veranstalter als auch bei den Veranstaltungsbesuchern sowie eine größere ökologische Nachhaltigkeit. Generell lässt sich feststellen, dass die gegenwärtig existierende VR-Hard- und Software weder hinsichtlich der multisensualen Reizdarbietung noch bezüglich der sozialen Interaktionen eine Erlebnisqualität bieten können, wie sie Menschen im Kontext realer Veranstaltungen gewöhnt sind. So beschränkt sich auf sensorischer Ebene das Erleben in virtuellen Umgebungen zumeist auf die visuelle, vestibuläre, auditive und haptische Wahrnehmung. Letztere basiert dabei häufig lediglich auf Controllern, deren taktiles Feedback auf Vibrationen begrenzt ist, während andere haptische Empfindungen (z. B. Druck, Wärme) unberücksichtigt bleiben. Zwar existieren, wie oben bereits erwähnt, Ansätze sowohl für eine differenziertere haptische Reizvermittlung (z. B. Handschuhe) als auch für eine stärkere Einbindung weiterer Sinneswahrnehmungen (z. B. Gerüche,
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Geschmack) (vgl. Martins et al. 2017), jedoch sind diese noch weit von einer praktikablen Umsetzung und Marktfähigkeit entfernt. Auch auf sozialer Ebene können VR-Systeme gegenwärtig nicht die Qualität realer menschlicher Interaktionen adäquat abbilden. So mangelt es den derzeit kommerziell verfügbaren VR-Systemen an der Fähigkeit, die gesamte Bandbreite nonverbaler menschlicher Kommunikation (z. B. Gesichtsausdruck, Körperhaltung, Blicke, Berührungen) auf Avatare zu übertragen. Weiterhin bieten Avatare aufgrund ihres künstlichen Charakters den Nutzern die Möglichkeit, ihre wahre Identität (z. B. Geschlecht, Alter, physische Erscheinung) zu verschleiern, was in einem Verlust von Authentizität und Vertrauen im Rahmen der zwischenmenschlichen Kommunikation resultiert (vgl. Slater/Sanchez-Vives 2016, S. 27 ff.; Bente et al. 2008). Beides führt zu Einschränkungen hinsichtlich der sozialen Präsenz und daraus folgend zu Schwierigkeiten beim Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen zwischen den Nutzern virtueller Umgebungen (vgl. Bente et al. 2008). Weiterhin können VR-Systeme nicht die gesamte Bandbreite veranstaltungstypischer Erlebnisse vermitteln. So führen beispielsweise auf realen Veranstaltungen gemeinsame rituelle Interaktionen (z. B. Singen, Klatschen, La-Ola-Wellen) zu kollektiven Emotionen sowie zu einer Stärkung des Verbundenheitsgefühls zwischen den Gästen (vgl. Jahn et al. 2018; Drengner/Jahn/Gaus 2012). Aufgrund der eben erörterten Probleme auf sozialer Ebene ist das Auftreten solcher kollektiv-emotionaler Erlebnisse eher unwahrscheinlich (vgl. Wreford/Williams/Ferdinand 2019, S. 727). Letztlich bietet die Nutzung von VR-Systemen im Vergleich zu Präsenzveranstaltungen weniger Möglichkeiten zur Selbstinszenierung (z. B. durch entsprechende Posts in sozialen Medien) und damit auch weniger Potential, sozialen Wert zu generieren (z. B. Stärkung des Selbstwerts). 5.2 Konzeptionelle und operative Herausforderungen Generell besteht die Gefahr, dass die Nutzung von HMDs während einer Veranstaltung die „natürlichen“ sozialen Kontakte zwischen den Besuchern aber auch zum Personal des Unternehmens (z. B. auf Messeständen, während Marketing-Events) unterbricht. Dies kann zu Einschränkungen der persönlichen Kommunikation führen, welche jedoch gerade als ein zentrales Wirkungselement von Veranstaltungen gilt (vgl. Rück 2018). Veranstalter sollten deshalb die VR-Technologie so in die Inszenierung einbinden, dass der Besuch virtueller Umgebungen als Auslöser sozialer Interaktionen fungiert. Dies lässt sich am ehesten erreichen, indem sie die virtuellen Inhalte auf das Thema ihrer Veranstaltung abstimmen. Die daraus resultierende Passfähigkeit sorgt letztlich dafür, dass die Veranstaltungsgäste den Einsatz von VR als glaubwürdig und authentisch empfinden. Weiterhin wird damit sichergestellt, dass die Technologie sich an den Zielen des Veranstalters orientiert und nicht um ihrer selbst eingesetzt wird,
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weil es sich beispielsweise um ein „trendiges“ Thema handelt oder die Wettbewerber ebenfalls VR auf ihren Veranstaltungen anbieten. Bei der Nutzung virtueller Umgebungen im Rahmen von Veranstaltungen der Live-Kommunikation empfiehlt es sich deshalb, diese als unterstützende Maßnahme zur Vermittlung der jeweiligen Marketingbotschaft aufzufassen. Wichtig ist auch hier ein stimmiges Zusammenspiel mit den anderen während der Veranstaltung genutzten „analogen“ Kommunikationsmaßnahmen (z. B. persönliche Kommunikation, Printmedien). Dient VR als Instrument zur Vermarktung von Veranstaltungen (vgl. Abschnitt 4.3.1) so können Veranstalter für eine reichweitenstarke mediale Verbreitung ihrer 360°-Videos bzw. -Streamings auf Video-Plattformen, soziale Medien oder die Homepage der Veranstaltung zurückgreifen. Einschränkend ist jedoch anzumerken, dass die jeweiligen Zielgruppen über die notwendige Hardware verfügen müssen, um in die virtuellen Veranstaltungsumgebungen eintauchen zu können. Generell scheint jedoch gegenwärtig der Verbreitungsgrad von VR-Brillen im Endverbraucherbereich relativ gering. So gaben im Jahr 2017 lediglich 22% von 1.061 Deutschen an, bereits eine VR-Brille genutzt zu haben (vgl. Statista 2017b). Schließlich gilt es beim Einsatz von VR während einer Veranstaltung einige Besonderheiten auf operativer Ebene zu beachten. Grundvoraussetzung für die Akzeptanz bei den potentiellen Anwendern von HMDs ist die Beachtung hygienischer Standards (z. B. Reinigung nach jeder Nutzung), da die Ausgabe-Geräte direkt auf dem Kopf und Gesicht sitzen. Weiterhin kann die Nutzung von VR zur sogenannten Motion-Sickness (z.B. temporärer Schwindel oder Übelkeit) führen. Eine gut umgesetzte virtuelle Umgebung wirkt dem mit geeigneten Interaktions- und Navigationstechniken entgegen, jedoch werden sich bei einem sehr kleinen, besonders anfälligen Teil von Nutzern dennoch unangenehme Effekte zeigen (vgl. Treleaven et al. 2015). Weiterhin eignet sich VR wegen seiner Fokussierung auf die visuelle Wahrnehmung nur bedingt für Personen mit stark eingeschränkter Sehfähigkeit. Sehhilfen, wie Brillen und Kontaktlinsen, stellen typischerweise jedoch keine Probleme dar. Ist der Einsatz des VR-Systems im Freien geplant, so sollte zudem geprüft werden, ob die verwendete Tracking-Technologie mit starker Sonneneinstrahlung zurechtkommt. Sowohl große Hitze als auch die Infrarotstrahlung können deren Funktionsfähigkeit beeinträchtigen.
6 Fazit Zusammenfassend bietet die VR-Technologie eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten entlang des gesamten Managementprozesses einer Veranstaltung. So lässt sie sich in der Vorlauf-Phase zur Raumplanung und zur Vermarktung der Veranstaltung nutzen. In der Hauptphase liegen Anwendungsbereiche vor allem in der Erweiterung des Erlebnispo-
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tentials der Veranstaltung sowie in der Vermittlung von Marketingbotschaften im Rahmen der Live-Kommunikation. Im Nachlauf eröffnen (interaktive) 360°-Aufnahmen die Chance, die Besucher bei ihrem „Nacherleben“ des Ereignisses zu unterstützen. Letztlich können Veranstalter VR-Darstellungen zur Dokumentation ihrer Veranstaltung einsetzen. Ein Ersatz von Veranstaltungen durch die VR-Technologie erscheint mit der gegenwärtigen auf dem Markt angebotenen Hard- und Software nicht möglich. Jedoch befinden sich Technologien in der Entwicklung, die einige der in Abschnitt 5.1 diskutierten Probleme lösen könnten. Ein Beispiel ist die automatisierte Erzeugung von realistischen Avataren aus Kamerabildern, was dreidimensionale Rekonstruktionen realer Personen und Objekte ermöglicht6 (vgl. Waltemate et al. 2018; Orts-Escalano 2016). Dies wiederum eröffnet die Chance, künftig eine größere Bandbreite nonverbaler Kommunikation als bisher in kollaborativen virtuellen Umgebungen abzubilden und damit das Gefühl der sozialen Präsenz zu erhöhen. Bei einem Vergleich der hier diskutierten vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von VR im Veranstaltungskontext mit der geringen Zahl der bisher zu diesem Thema veröffentlichten wissenschaftlichen Publikationen wird deutlich, dass es Forschungsbedarfe gibt. So mangelte es – abgesehen von wenigen Studien mit eher explorativem Charakter (vgl. Ruetz 2019; Wreford/Williams/Ferdinand 2019) – bisher generell an empirischen Untersuchungen zur Wirkung von VR im Veranstaltungskontext. Weiterhin wäre es vor dem Hintergrund der in den Abschnitten 3.2 und 4.1 gewonnenen Erkenntnisse von Interesse, die Erlebniswirkungen von VR sowie deren Einfluss auf die Erlebnisqualität von Veranstaltungen anhand von Daten zu prüfen.7 Weiterhin zeigen Forschungen zur Anwendung von VR im Bereich der Bildung, dass das Eintauchen in virtuelle Umgebungen zu einer kognitiven Überlastung bei den Nutzern führen kann (vgl. Parong/Mayer 2018). Vor diesem Hintergrund ist künftig zu eruieren, wie virtuelle Umgebungen gestaltet sein müssen, um Informationen entsprechend der Ziele von Veranstaltern wirksam vermitteln zu können. Dies gilt sowohl beim Einsatz von VR zur Wissensvermittlung bzw. zum Training von Fähigkeiten und Fertigkeiten als auch bei der Nutzung der Technologie im Rahmen von Veranstaltungen der Live-Kommunikation.
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Beispiel: https://www.youtube.com/watch?v=7d59O6cfaM0 Der Beitrag von Kießig/Lohmann/Zanger im vorliegenden Konferenzband untersucht den Zusamenhang zwischen VR Einsatz auf Messeständen und dem wahrgenommenen Servicewert von Standbesuchern und nähert sich damit dieser Forschungslücke.
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Einleitung
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Standbesuch und Servicewert
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Virtual Reality im Messekontext
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Wirkung des Einsatzes von Virtual Reality auf die Werterfahrung des Standbesuchers 4.1 Vividness als vermittelnde Größe in der Wirkungsbeziehung zwischen Virtual Reality Nutzung und Servicewert 4.2 Die zeitliche Nähe zum Kauf und die Neigung zur visuellen Informationsverarbeitung als Randbedingungen
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Experimentelle Untersuchung zur Wirkung von Virtual Reality auf den wahrgenommenen Servicewert 5.1 Zielstellung 5.2 Methodik 5.3 Ergebnisse und Interpretation
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Implikationen
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Fazit
Literaturverzeichnis
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Zanger (Hrsg.), Events und Messen im digitalen Zeitalter, Markenkommunikation und Beziehungsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31775-1_3
Lebendige Messeauftritte – Die Wirkung von Virtual Reality im Messekontext
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1 Einleitung Die rasche Entwicklung digitaler Technologien der vergangenen Jahre führt zu anhaltenden, teils abrupten Veränderungen in nahezu allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen. Vor diesem Hintergrund werden auch in der Live Kommunikation und insbesondere im Messeumfeld zunehmend digitale Tools und Elemente genutzt, welche unterdessen phasenübergreifend sowohl im Vor- und Nachfeld als auch während Messeveranstaltungen Einsatz finden. Der Nutzung digitaler Technologien zu Grunde liegende Zielstellungen sind dabei vielfältig und reichen von der Unterstützung operativer Prozesse in Bereichen wie der Besucherkommunikation oder dem Teilnehmermanagement über Info-Screens und Navigations-Apps für Veranstaltungsbesucher während einer Messe bis hin zu Tracking-Analysen und Lead-Erfassung zur Nachbereitung von Messeveranstaltungen (vgl. Ruetz 2018, S. 140; Zanger 2019, S. 13 ff.). Im Zuge des Digitalisierungstrends in der Live Kommunikation haben sich auch die Kommunikationsmedien und -muster zwischen Messebesuchern und Messeausstellern gewandelt (vgl. Zanger 2019, S. 13 f.). Diese Veränderungen spiegeln sich beispielsweise in einer zunehmenden Integration von innovativen digitalen Technologien in die Standkonzeptionen wider, wobei Aussteller darauf abzielen, einen Mehrwert für Standbesucher zu bieten und besondere Standerlebnisse zu generieren. Da es trotz des Einsatzes digitaler Tools auf Messeständen bislang an belastbaren Erfahrungen mangelt, ob und wie digitale Elemente zum Standerlebnis beitragen können, stellt sich für Aussteller die Frage, welche digitalen Technologien ausgewählt und wie diese eingesetzt werden können, um das Besuchererlebnis während eines Standbesuches positiv zu beeinflussen. Dies zu erreichen ist aus Ausstellersicht von zentralem Interesse, da Veranstaltungen, so auch Messen, Plattformen einer gegenseitigen Wertgenerierung zwischen Besuchern und Ausstellern darstellen und eine erfolgreiche Messebeteiligung aus der Perspektive eines Ausstellers an ein positives Erlebnis der Standbesucher gebunden ist (vgl. Drengner 2017, S. 54). Heute hat eine Vielzahl digitaler Elemente und Tools in die Konzeption und physische Umgebung von Messeständen Einzug gehalten (vgl. Zanger 2019, S. 14 f.). Moderne Messestände sind durch eine Kombination analoger und digitaler Elemente gekennzeichnet, wobei immer häufiger auch sogenannte Virtual Reality (VR) Technologien eingesetzt werden (vgl. Ruetz 2019, S. 53), um reale Standumgebungen durch virtuelle Reize zu ergänzen bzw. zu erweitern (vgl. Zanger 2019, S. 15). Die Erschließung der Potenziale der VR-Technologie zur Bereitstellung eines Zusatznutzens für Messebesucher erfordert jedoch ein tiefgreifendes Verständnis für die Wirkungsweise und die Konsequenzen deren Einsatzes für das Besuchererlebnis und damit einhergehend auch für den Gesamterfolg von Messebeteiligungen. Da der Einsatz von VR auf Messeständen aufgrund der Anforderungen an die Erstellung hochwertiger Inhalte in der Regel mit
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erheblichen finanziellen Aufwendungen verbunden ist, gilt es zudem zu klären, unter welchen Rahmenbedingungen der Einsatz von VR besonders effektiv ist. Da der Wissensstand bezüglich des Einsatzes von VR auf Messeständen bisher äußerst gering ist und die oben aufgezeigten Fragestellungen bislang weitestgehend unbeantwortet bleiben, zielt der vorliegende Beitrag darauf ab, die Konsequenzen und die Wirkungsweise des Einsatzes von VR auf Messeständen zu ergründen sowie den Einfluss ausgewählter kontextueller und personengebundener Wirkungsgrößen auf die Effektivität des Einsatzes der Technologie zu untersuchen. Insbesondere mit Blick auf die Bedeutung positiver Standerlebnisse für den Erfolg einer Messebeteiligung aus Sicht des Ausstellers wird in diesem Zusammenhang eine Forschungslücke von großer praktischer Relevanz adressiert. Der vorliegende Beitrag soll damit neben der Bearbeitung einer theoretischen Fragestellung vor allem einen Beitrag für das Messemanagement leisten.
2 Standbesuch und Servicewert Neben der erforderlichen Hardware ist vor allem die Produktion hochwertiger und zielgruppengerechter Inhalte für die Anwendung von VR aufwendig und dadurch der kostentreibende Faktor des Einsatzes von VR auf Messeständen. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass der Einsatz von VR auf Messeständen grundsätzlich auch an die Erwartung eines gesteigerten Erfolges bzw. eines höheren Zielerreichungsgrades der entsprechenden Messebeteiligung geknüpft ist. Die Betrachtung potenzieller Erfolgswirkungen sowie zugrunde liegender Wirkungsmechanismen von VR im Messekontext erfordert daher zunächst eine Auseinandersetzung mit den Erfolgsgrößen von Messebeteiligungen und damit auch potenzieller Zielgrößen des Einsatzes von VR. Nach dem Verständnis von Drengner (2017) sind Veranstaltungen im Allgemeinen, zu denen im Speziellen auch Messeveranstaltungen gehören, Plattformen zur Wertgenerierung, auf denen Veranstalter einen Wert durch die Erreichung gesetzter Gewinn- bzw. Kommunikationsziele generieren. Der Zielerreichungsgrad hängt dabei wiederum ganz wesentlich von der Fähigkeit des Ausstellers zur Schaffung eines Wertes für die Standbesucher durch die Beförderung positiver Erlebnisse (z. B. Steigerung des Produktwissens oder positive Servicebegegnungen) während der Veranstaltung ab, da diese dem Ausstellererfolg vorgelagerte besucherbezogene Zielgrößen wie etwa Bekanntheit, Zufriedenheit, Einstellungen oder Kaufabsichten beeinflussen. Die Erreichung von gesetzten Messezielen ist demnach nur möglich, wenn es Ausstellern zunächst gelingt, Standbesucher effektiv in deren individuellen Wertschaffungsprozessen im Sinne positiver Standerlebnisse zu unterstützen (vgl. Drengner 2017, S. 54 f.).
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Um den Wertschaffungsprozess der Standbesucher zu unterstützen, stellen Aussteller im Rahmen eines Messeauftrittes vielfältige Ressourcen zur Verfügung (z. B. Standpersonal, Informationsmaterialien oder Info-Screens), die nur dann einen Wert für den Besucher in Form eines positiven Konsumerlebnisses (z. B. Steigerung des Produktwissens oder Unterhaltung) generieren, wenn diese vom Standbesucher auch genutzt bzw. in Anspruch genommen werden (vgl. Grönroos/Voima 2013, S. 137 f.). Das Konzept des Servicewertes nimmt in diesem Zusammenhang eine zentrale Stellung ein und kann wie folgt definiert werden: „Service Value [ist] die kundenseitige Bewertung des aus der Inanspruchnahme einer Dienstleistung resultierenden Konsumerlebnisses.“ (Jahn/Drengner 2014, S. 36) Im Kontext der vorliegenden Untersuchung werden auch Messeauftritte als Dienstleistungsangebot verstanden, da sie Standbesuchern Ressourcen bereitstellen, welche von diesen genutzt werden können, um positive Konsumerlebnisse zu generieren, aus denen schließlich Werterfahrungen hervorgehen (vgl. Jahn/Drengner 2014, S. 42; Drengner 2017, S. 40). Vor diesem Hintergrund ist die Förderung positiver Konsumerlebnisse und damit auch die Förderung des wahrgenommenen Servicewertes aus Kundensicht als zentrale Zielgröße einer Messebeteiligung zu betrachten, da Werterfahrungen der Standbesucher der Erreichung von Messezielen des Ausstellers vorangehen. Eine empirische Untersuchung von Gottlieb, Brown und Dennan (2011) stützt diese konzeptionellen Überlegungen und zeigt einen positiven Zusammenhang zwischen der Serviceerfahrung von Messebesuchern während der Veranstaltung und deren Kaufabsicht im Nachgang einer Messeveranstaltung auf (vgl. Gottlieb/Brown/Dennan 2011, S. 1652). Auf diesen Erkenntnissen aufbauend, sollte auch der Einsatz von VR auf die Unterstützung positiver Standerlebnisse und damit einhergehend einer positiven Werterfahrung der Standbesucher im Sinne eines gesteigerten Servicewertes abzielen.
3 Virtual Reality im Messekontext VR-Anwendungen haben sich innerhalb weniger Jahre rasant im Veranstaltungs- und Messeumfeld verbreitet und sind heute auf Messeständen kaum mehr wegzudenken. Trotz der Sichtbarkeit eines Trends zum Einsatz von VR-Anwendungen im Messekontext mangelt es bislang an zuverlässigen deskriptiven Untersuchungen, die Aufschluss über die branchenübergreifende Häufigkeit des Einsatzes von VR auf Messeveranstaltungen geben können. Nichtsdestotrotz konnte eine Ausstellerbefragung auf der ITB
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Berlin 20181 bereits aufzeigen, dass mehr als die Hälfte der Aussteller dieser Messe digitale Tools auf dem Messestand einsetzen und VR-Anwendungen dabei das zweithäufigste eingesetzte digitale Instrument darstellen (vgl. Ruetz 2019, S. 61). Der Technologie wird großes Potential im Hinblick auf den Erfolg von Messebeteiligungen zugeschrieben (vgl. Ruetz 2018, 2019), da Aussteller durch den Einsatz von VR in die Lage versetzt werden, physische Reize der realen Standumgebung durch virtuelle Reize zu ergänzen, um damit die Präsentation von Marken, Produkten und Leistungen zu unterstützen. Virtuelle Realitäten werden in diesem Zusammenhang als computer-generierte, dreidimensionale Umgebungen verstanden, zu denen Nutzer der Technologie unter Einsatz einer Hardware (in der Regel sogenannte Head-Mounted-Displays, umgangssprachlich auch „VR-Brille“) Zugang erhalten und innerhalb derer Interaktions- und Navigationsmöglichkeiten für den Nutzer bestehen (vgl. Gutiérrez/Vexo/Thalmann 2008, S. 1). Messeaussteller nutzen die Interaktions- und Navigationsmöglichkeiten innerhalb der virtuellen Umwelt, um den Erfahrungsraum der Standbesucher zu erweitern und Erlebnisse zu ermöglichen, die in der realen Sphäre des Standerlebnisses aufgrund räumlicher, zeitlicher und/oder wirtschaftlicher Restriktionen nicht möglich sind. So begegnen beispielsweise viele Aussteller auf der BAUMA2 in München zeitlichen, wirtschaftlichen und räumlichen Restriktionen, indem größere Baumaschinen (z. B. Kettenbagger oder Muldenkipper) nicht physisch auf dem Messestand, sondern unter Nutzung einer VR-Anwendung präsentiert werden (vgl. Reitermann 2016). Für ähnliche Beispiele kann auf weitere Branchen wie etwa den Tourismussektor verwiesen werden. Mit der „Lufthansa Air Swing VR Experience“ implementierte die Lufthansa auf der ITB 2019 eine VR-Anwendung auf dem Messestand, die es dem Nutzer erlaubte, auf einer Schaukel sitzend, ausgewählte Reisedestinationen des Unternehmens virtuell aus 5.000 Meter Höhe zu erleben, wodurch die Leistungen des Unternehmens für den Standbesucher noch erlebbarer wurden. Aufgrund der Bedeutung der technischen Schnittstelle zur Realisierung von VR-Anwendungen erfolgte die Definition von VR in den frühen Phasen der Technologie unter Fokussierung der technisch physischen Aspekte von VR zunächst „hardwareorientiert“ (vgl. Steuer 1992, S. 74 f.). Im Rahmen der Entwicklung eines Verständnisses für die Wirkungen des Einsatzes von VR auf Messeständen ist jedoch eine Distanzierung von einem technologieorientierten Verständnis des Instrumentes erforderlich. Stattdessen ist
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Die ITB Berlin ist die internationale Leitmesse der Tourismuswirtschaft. Die BAUMA in München ist eine internationale Fachmesse für Baumaschinen, Baustoffmaschinen, Bergbaumaschinen, Baufahrzeuge und Baugeräte und wird als Weltleitmesse dieser Branche betrachtet.
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es notwendig, VR aus einer „nutzerorientierten“ Perspektive zu betrachten und die Erfahrungen des Standbesuchers beim Einsatz von VR in den Fokus des VR-Verständnisses zu rücken. Eine zentrale Rolle nimmt hierbei das Konzept der „Präsenz“ ein. Präsenz beschreibt dabei das Gefühl der Anwesenheit in einer Umgebung, welches durch die Aufnahme und Verarbeitung von Reizen aus der Umgebung einer Person entsteht (vgl. Steuer 1992, S. 75). Die zentrale Erkenntnis für den Einsatz von VR ist, dass ein Gefühl von Anwesenheit nicht ausschließlich durch die physischen Reize einer realen Umwelt, sondern auch über Kommunikationsmedien (z. B. VR) vermittelt, ausgelöst werden kann (vgl. Steuer 1992, S. 76). Der vorliegende Beitrag greift daher das erfahrungsbzw. erlebnisorientierte Verständnis von VR auf und legt folgende Definition für VR zu Grunde: “Virtual reality can […] be defined as the environment created by a computer or other media, an environment in which the user feels present." (Biocca 1992, S. 5 f.) VR vermittelt dem Nutzer der Anwendung demnach ein Gefühl des Eintauchens bzw. der tatsächlichen Anwesenheit in der künstlichen Umgebung, welches vornehmlich durch die Reichhaltigkeit der vermittelten Reize entsteht (vgl. Steuer 1992, S. 75). Dieser Definition folgend stellt VR keine Technologie bzw. Hardware, sondern das vom Nutzer wahrgenommene Erlebnis einer realen Anwesenheit in einer virtuellen Umgebung dar.
4 Wirkung des Einsatzes von Virtual Reality auf die Werterfahrung des Standbesuchers 4.1 Vividness als vermittelnde Größe in der Wirkungsbeziehung zwischen Virtual Reality Nutzung und Servicewert Um ein Verständnis für den Zusammenhang zwischen dem Einsatz von VR und einem gesteigerten Servicewert aus Sicht der Standbesucher zu entwickeln, ist ein tieferes Verständnis für den Einfluss der Nutzung einer VR-Anwendung auf den Standbesucher notwendig. Während die Präsenz bereits als wesensprägendes Merkmal von VR-Anwendungen aufgezeigt wurde, ist nun zunächst die Frage zu beantworten, durch welchen Wirkungsmechanismus das Gefühl einer tatsächlichen Anwesenheit in der virtuellen Umwelt entstehen kann. Aufgrund der Anzahl und des hohen Detaillierungsgrades der vermittelten Reize zeichnen sich VR-Anwendungen insbesondere durch die Qualität der Darstellung und eine ausgeprägte Realitätsnähe der präsentierten Inhalte aus (vgl. Steuer 1992, S. 81 ff.; van Kerrebroeck/Brengman/Willems 2017, S. 12). Die Reichhaltigkeit der vermittelten Reize mithilfe von VR ergibt sich dabei vor allem aus der dreidimensionalen (räumlichen) Darstellungsform, die im Vergleich zu zweidimensionalen Medien (z. B. Info-
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Screens) größeres Potenzial zur Stimulierung der Sinne bietet (vgl. van Kerrebroeck/Brengman/Willems 2017, S. 12). Darüber hinaus stellen diese erweiterte Möglichkeiten zur Vermittlung konkreterer, umfangreicherer und in der Regel auch – zumindest hinsichtlich visueller Reize – präziserer Informationen bereit. Die Klarheit, der hohe Detaillierungsgrad und die ausgeprägte Realitätsnähe der durch die VR-Anwendung vermittelten Reize stehen in engem Zusammenhang mit dem Konzept der „Vividness“ mentaler Repräsentationen. Vividness bezieht sich auf die Qualität gedanklicher Vorstellungsbilder von Ereignissen (z. B. Wochenendausflug) oder Objekten (z. B. Leistungsangebote eines Anbieters) im Sinne ihrer Klarheit, Intensität und Güte (vgl. MacInnis/Price 1987, 474 ff.). Das Konzept bezeichnet demnach die „Schärfe“ bzw. den Detaillierungsgrad mentaler Repräsentationen. Kurzgefasst kann die Vividness deshalb auch als Lebhaftigkeit gedanklicher Vorstellungsbilder beschrieben werden. Bestehende Forschungsarbeiten im Bereich der Werbewirkungsforschung weisen auf die Beeinflussbarkeit des Ausmaßes erlebter Vividness einer Person durch äußere Reize, wie beispielsweise die Präsentation von Bildmaterial, eine konkrete Wortwahl oder auch Anweisungen zur bildlichen Vorstellung eines Objektes oder eines Ereignisses hin (vgl. Burns/Biswas/Babin 1993, S. 72; Babin/Burns 1997, S. 34 f.). Da zudem auch erste konzeptionelle sowie empirische Forschungsarbeiten im VR-Kontext die Bedeutung der Vividness beim Einsatz von VR aufzeigen (vgl. Steuer 1992; van Kerrebroeck/Brengman/Willems 2017; Willems/Brengman/van Kerrebroeck 2019), ist ein positiver Einfluss der VR-Nutzung auf die Vividness des Anwenders in Bezug auf die präsentierten Inhalte zu vermuten. Untersuchungen der Werbewirkungsforschung weisen darüber hinaus auf eine Reihe, aus Anbieterperspektive vorteilhafter affektiver, kognitiver und verhaltensbezogener Konsequenzen gesteigerter Vividness hin. Vividness wirkt sich beispielsweise positiv auf die Einstellung gegenüber einem Kommunikationsmittel und der dahinterstehenden Marke aus (vgl. Burns/Biswas/Babin 1993, S. 81; Babin/Burns 1998, S. 42), führt zu gesteigertem Vertrauen gegenüber einer Werbemaßnahme, fördert die Kaufabsicht (vgl. Gavilan/Avello/Abril 2014, S. 462) und steigert die wahrgenommene Attraktivität (im Sinne von Produktpräferenzen) eines Leistungsangebotes (vgl. Ding/Keh 2017, S. 857 f.). Weiterhin konnte bereits ein positiver Einfluss der Vividness auf das Engagement mit Kommunikationsbotschaften gezeigt werden, welches sich im Ausmaß der kognitiven und emotionalen Hingabe gegenüber der vermittelten Botschaft widerspiegelt (vgl. Ophir et al. 2019, S. 622; Green/Brock 2000) und damit auch als „Eintauchen“ in die Botschaft verstanden werden kann.
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Im Marketingkontext spricht man im Speziellen vom Customer Engagement, das wie folgt definiert werden kann: „[Customer Engagement is] the intensity of an individual’s participation in and connection with an organization’s offerings or organizational activities, which either the customer or the organization initiates.” (Vivek/Beatty/Morgan 2012, S. 133) Demzufolge ist Customer Engagement mit einer intensiven Beteiligung von Konsumenten bzw. Kunden an den Leistungsangeboten und Aktivitäten eines Unternehmens verbunden. In der Diskussion um das Konzept des Customer Engagements wird in der Literatur neben der kognitiven und emotionalen Komponente insbesondere auch auf eine verhaltensbezogene Dimension des Konstruktes hingewiesen (vgl. Brodie et al. 2011, S. 260). Überträgt man diese Erkenntnisse auf den Messekontext, kann vermutet werden, dass eine gesteigerte Vividness der mentalen Vorstellungsbilder eines Standbesuchers hinsichtlich der Leistungsangebote eines Ausstellers dessen Engagement gegenüber dem Angebot auf dem Messestand steigert und damit in einer höheren Beteiligung des Besuchers auf dem Messestand mündet. Betrachtet man, wie bereits oben näher erläutert, eine Messe bzw. einen Messestand zudem als Wertschöpfungsplattform (vgl. Drengner 2017), kann die intensivierte Nutzung des Leistungsangebotes des Ausstellers (Ressourcen des Messestandes) zu positiven Konsumerlebnissen und dadurch zu einem höheren wahrgenommenen Servicewert des Standbesuchers führen. Zusammenfassend, und vor dem Hintergrund des postulierten Zusammenhanges zwischen dem Einsatz von VR und der Vividness mentaler Vorstellungsbilder kann daher folgende Hypothese abgeleitet werden: Hypothese 1: Der positive Effekt der VR-Anwendung auf den vom Kunden wahrgenommenen Servicewert wird mediiert durch die Vividness des präsentierten Marktangebotes. 4.2 Die zeitliche Nähe zum Kauf und die Neigung zur visuellen Informationsverarbeitung als Randbedingungen Zur Erlangung eines tieferen Verständnisses für die Wirkungsweise von VR auf den wahrgenommenen Servicewert der Standbesucher ist neben der Betrachtung der Vividness als zentralen Wirkungsmechanismus auch die Berücksichtigung von Kontextbedingungen erforderlich. Diese geben über Bedingungen Aufschluss, die die beobachteten Haupteffekte beeinflussen (vgl. Grandey/Goldberg/Pugh 2011, S. 405) und stellen somit einen bedeutenden Schritt im Hinblick auf die Theoriebildung dar (vgl. Dubin
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1976). Da die Entscheidung für bzw. gegen den Einsatz von VR in der Regel mit einer Abwägung von Kommunikationswirkungen und Wirtschaftlichkeit des Instrumentes verbunden ist, erscheint es zudem auch aus einem praxisorientierten Blickwinkel sinnvoll, Rahmenbedingungen offenzulegen, die den Einsatz von VR in besonderer Weise begünstigen. In dem vorliegenden Artikel werden zunächst zwei Kontextbedingungen berücksichtigt, die sowohl auf eine situative (zeitliche Nähe zum Kauf) als auch auf eine individuelle (Neigung zur visuellen Informationsverarbeitung) Bedingung eingehen. Erfolgt eine nähere Betrachtung von Messebesuchern, kann davon ausgegangen werden, dass sich unterschiedliche Besucher einer Messeveranstaltung in verschiedenen Phasen des Kaufes befinden. Während einige Besucher den Messebesuch nutzen, um eine erste Orientierung in einem Markt/Produktbereich zu gewinnen, sind andere Besucher bereits zielgerichtet auf der Suche nach einem Produkt oder einer Dienstleistung zur Lösung eines spezifischen Kundenproblems. Für einen Teil der Messebesucher wiederum ist die Kaufentscheidung gefallen und die Messe wird genutzt, um Konditionen des Kaufes zu verhandeln und den Kauf schließlich abzuschließen. Eine Berücksichtigung der zeitlichen Distanz eines Messebesuchers zum Kauf im Zusammenhang mit dem Einsatz von VR auf einem Messestand erscheint bedeutsam, da die zeitliche Distanz zum Kauf die Reaktion von Personen gegenüber der Gestaltung eines Kommunikationsmittels (z. B. Konzeption und Elemente eines Messestandes), und damit auch dessen Effektivität, beeinflussen kann (vgl. z. B. Hernandez/Wright/Rodrigues 2015, S. 244; Nenkov 2012, 617 f.). Eine Erklärung hierfür liefert die Construal Level Theory, die den Zusammenhang zwischen der zeitlichen Distanz zu einem Objekt oder Ereignis und dem Grad der Abstraktion mentaler Repräsentationen von Objekten/Ereignissen beschreibt (vgl. Trope/Liberman/Waslak 2007, S. 84 f.). Die Theorie unterscheidet zwei Niveaus mentaler Abstraktion – High-Level-Construals und Low-Level-Construals. Große zeitliche Distanz zu Objekten/Ereignissen führt zu einem High-Level-Construal Zustand, der mit groben und schemenhaften mentalen Repräsentationen eines Objektes/Ereignisses verbunden ist. Hohe zeitliche Nähe zu einem Objekt/Ereignis führt hingegen zu einem Low-Level-Construal Zustand, der mit der Konstruktion detaillierter, konkreter und facettenreicher mentaler Repräsentationen des Objektes/Ereignisses verbunden ist (vgl. Trope/Liberman/Waslak 2007, S. 83). Aus diesem Grund präferieren Personen in zeitlicher Nähe zu einem Objekt/Ereignis im Rahmen der Beurteilung des Objektes/Ereignisses auch detaillierte und facettenreiche Informationen (vgl. Jin/He 2013, S. 203, Avnet/Higgins 2003) und neigen dazu, sich in Entscheidungssituationen im Zusammenhang mit zeitlich nahen Objekten/Ereignissen stärker auf konkrete Reize und Informationen zu stützen (vgl. Liberman/Trope 1998). So konnte im Kontext von Kaufentschei-
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dungen beispielsweise aufgezeigt werden, dass Konsumenten bei Käufen in naher Zukunft der Qualität eines Produktes, im Sinne konkreter Merkmalsausprägungen der Produkteigenschaften, eine größere Bedeutung beimessen als es bei zeitlich entfernten Käufen der Fall ist (vgl. Yan/Sengupta 2011, S. 382 f.). Folglich lässt sich vermuten, dass auch die Besucher eines Messestandes empfänglicher für konkrete und detaillierte Reize sind und sich umso stärker auf diese stützen, je weiter die Besucher in ihrem Kaufentscheidungsprozess vorangeschritten sind. Da VR aufgrund der bereits dargelegten Charakteristika in besonderer Weise in der Lage ist, Informationen in reichhaltiger Form zu vermitteln, stimuliert und unterstützt die VRAnwendung die Konstruktion konkreter und detaillierter mentaler Repräsentationen, wodurch der Grad der erlebten Konkretisierung des präsentierten Leistungsangebotes steigt. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Einsatz von VR insbesondere unter hoher Nähe zu einer Kaufentscheidung effektiv ist. Durch die VR-induzierte Vividness erfahren die Standbesucher das Leistungsangebot des Ausstellers in reichhaltiger, detaillierter und konkreter Form. Im Fall von zeitlich nahen Kaufentscheidungen fällt dies mit dem Bedürfnis der Besucher nach konkreten Informationen und Reizen zusammen, wodurch deren Engagement auf dem Messestand gesteigert wird (vgl. Jin/He 2012, S. 203; Avnet/Higgins 2003) und folglich auch der wahrgenommene Servicewert zunimmt (vgl. Drengner 2017). Es ist daher zu erwarten, dass der indirekte Zusammenhang zwischen VR und dem Servicewert umso stärker ist, je weiter ein Standbesucher im Kaufprozess vorangeschritten ist. Um ein umfassendes Verständnis für die Interaktion zwischen VR und dem Kaufzeitpunkt hinsichtlich deren Wirkung auf den Servicewert zu entwickeln, muss darüber hinaus die individuelle Neigung zur visuellen Informationsverarbeitung, der Visual Style of Processing, berücksichtigt werden. Childers, Houston und Heckler (1985) folgend, unterscheiden sich Personen hinsichtlich ihrer Neigung zur Konstruktion bildlicher gedanklicher Vorstellungsbilder. Personen mit ausgeprägter visueller Informationsverarbeitung („Visualizer“) tendieren stärker zur Entwicklung reichhaltiger und detaillierter Vorstellungsbilder als Personen mit geringer Neigung zur visuellen Informationsverarbeitung (vgl. Childers/Houston/Heckler 1985, S. 126 f.). Visualizer sind deshalb auch ohne den Einsatz von VR in der Lage, bildhafte mentale Repräsentationen von Objekten/Ereignissen zu formen (vgl. Hilken et al. 2017), wodurch schließlich auch der Grad der wahrgenommenen Konkretisierung steigt. In anderen Worten: Visualizer versorgen sich unter hoher zeitlicher Nähe zu einem Kauf selbst mit lebhaften und detaillierten gedanklichen Vorstellungsbildern, wodurch der Einsatz von VR zur zusätzlichen Konkretisierung und Steigerung des Detaillierungsgrades der mentalen Repräsentation des Leistungsangebotes eines Ausstellers weniger bedeutsam ist. Im Umkehrschluss unter-
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stützt der Einsatz von VR Standbesucher mit geringer Neigung zur visuellen Informationsverarbeitung bei der Konkretisierung gedanklicher Vorstellungsbilder, wobei dieser Effekt, wie bereits erläutert, insbesondere im Fall einer hohen zeitlichen Nähe zum Kauf vorteilhaft ist. Zusammenfassend kann daher folgende Hypothese aufgestellt werden: Hypothese 2: Die indirekte Beziehung zwischen dem Einsatz von VR und dem Servicewert wird durch eine hohe zeitliche Nähe zum Kauf einer Leistung verstärkt, wobei dieser Effekt bei Personen mit geringer Neigung zur visuellen Informationsverarbeitung am stärksten ist.
5 Experimentelle Untersuchung zur Wirkung von Virtual Reality auf den wahrgenommenen Servicewert 5.1 Zielstellung Durch die Diskussion theoretischer und empirischer Erkenntnisse konnten in den vorangestellten Kapiteln zwei Hypothesen hergeleitet werden, die aufeinander aufbauend einen Erkenntnisbeitrag zur Wirkung von VR auf den Servicewert im Messekontext liefern. Hierbei zielt Hypothese 1 darauf ab, die Beziehung zwischen VR und dem Servicewert zu überprüfen und gleichzeitig einen tieferen Einblick in die Wirkungsmechanismen der VR-Servicewert-Beziehung zu gewinnen. So wird die Vividness als mediierende Variable berücksichtigt und geprüft, inwieweit diese den positiven Einfluss der VR-Anwendungen auf den Servicewert vermittelt. Hypothese 2 widmet sich den Wirkungsbedingungen der in Hypothese 1 untersuchten indirekten Beziehung (VR → Vividness → Servicewert). Hierfür werden sowohl die zeitliche Nähe zum Kauf als auch die persönliche Neigung des Besuchers zur visuellen Informationsverarbeitung als moderierende Variablen herangezogen. Die Berücksichtigung der beiden Moderatoren gibt einen Einblick, unter welchen Bedingungen sich der Einsatz von VR-Anwendungen am Messestand auf den vom Besucher wahrgenommenen Wert des Standbesuches auswirkt. Zusammenfassend werden die durch diese zwei Hypothesen postulierten kausalen Wirkungsbeziehungen in Abbildung 1 dargestellt.
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Abb. 1: Überblick über die postulierten kausalen Wirkungszusammenhänge Quelle: eigene Erstellung
5.2 Methodik Zur Prüfung der hergeleiteten Hypothesen wurde ein Feldexperiment am Messestand des Schlösserland Sachsen im Rahmen der weltweit führenden Tourismusmesse, der Internationalen Tourismus-Börse (kurz: ITB), im März 2019 durchgeführt. Der Messeauftritt des Schlösserland Sachsen wurde dabei als Untersuchungsobjekt gewählt, da dieser eine VR-Anwendung als zentrales Element einbezieht. So wurde die Hälfte der Präsentationsfläche dafür eingesetzt, den Standbesuchern mittels der VR-Anwendung „Festung Xperience“ einen Einblick in die neu eröffnete, multimediale Ausstellung in der Festung Dresden zu geben. Um durch das Experiment nicht in die natürliche Situation des Standbesuches einzugreifen, wurden die Probanden erst nach Verlassen des Standes gebeten, an der Befragung mittels eines standardisierten Fragebogens teilzunehmen. Insgesamt kamen 198 Besucher (52,3 % weiblich, mittleres Alter: 46 Jahre) dieser Bitte nach, wobei 100 (98) Teilnehmer die VR-Anwendung genutzt (nicht genutzt) haben. Um den Einfluss des Einsatzes von VR auf den wahrgenommenen Servicewert zu erfassen, wurde mittels des Fragebogens zum einen erfasst, ob die Probanden die VRAnwendung während ihres Standbesuches genutzt haben. Darüber hinaus wurde die zeitliche Nähe zum Kauf als weitere experimentelle Variable im Untersuchungsdesign berücksichtigt und durch die Präsentation eines Szenarios aktiv manipuliert. Die Probanden wurden hierbei gebeten, sich in die Situation zu versetzen, dass sie die Möglichkeit haben, entweder am nächsten Wochenende (Low-Level-Construal) oder im nächsten Jahr (High-Level-Construal) Dresden und die im Rahmen der VR-Anwendung präsentierte Festung Dresden zu besuchen.
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Damit folgt das Experiment einem 2x2-Design und bezieht die folgenden Faktoren mit jeweils zwei Faktorstufen ein: • Nutzung VR: VR genutzt vs. VR nicht genutzt • Nähe zum Kauf: Besuch am nächsten Wochenende (Low-Level-Construal) vs. Besuch im nächsten Jahr (High-Level-Construal) Somit werden im Rahmen dieser Untersuchung vier Experimentalbedingungen berücksichtigt. Während die Zuordnung der Probanden bezüglich der zeitlichen Nähe zum Kauf randomisiert erfolgt, konnte keine zufallsbasierte Zuweisung der Probanden hinsichtlich der Experimentalbedingungen „VR genutzt“ vs. „VR nicht genutzt“ realisiert werden, da kein Eingriff in den Standbesuch durch die Untersuchung entstehen sollte. Daher ist die Untersuchung als quasi-experimentelle Untersuchung zu charakterisieren. Im Zuge der schriftlichen Befragung wurden weiterhin der wahrgenommene Servicewert, die Vividness sowie die persönliche Neigung zur visuellen Informationsverarbeitung mittels bestehender Skalen erhoben. Die Antworten der Probanden wurden hierbei anhand siebenstufiger Ratingskalen erfasst. Eine Übersicht über die eingesetzten Messinstrumente gibt die folgende Tabelle. Weiterhin verdeutlichen die in Tabelle 1 aufgeführten Gütemaße, dass die Messung als reliabel und valide eingestuft werden kann. Tab. 1: Übersicht Messinstrumente und deren psychometrische Güte Konstrukt
Messinstrument
CA
DEV
KR
Wahrgenommener Servicewert des Standbesuches
Ausgewählte Items der Subskalen Vergnügen, Ästhetik und Qualität der „Service Value Scale“ von Sánchez-Fernández et al. (2009)
.73
.62
.86
Vividness
Subskala “Imagery Vividness” der „Mental Imagery” Skala von Babin/Burns (1998)
.88
.59
.91
Neigung zur visuellen Informationsverarbeitunng
Subskala „Visual Component of Style of Processing” der “Style of Processing” Skala von Ramsey/Deeter-Schmelz (2008)
.73
.65
.92
Quelle: eigene Erstellung Anmerkungen: CA = Cronbachs Alpha; DEV = Durchschnittlich erfasste Varianz, KR = Konstruktreliabilität
5.3 Ergebnisse und Interpretation Im Hinblick auf die Untersuchung der Wirkung der VR-Anwendung auf den wahrgenommenen Wert des Standbesuches wird eine Mediatoranalyse mittels PROCESS (Model 4, Hayes 2018) durchgeführt und somit die Rolle der Vividness in der Beziehung zwischen VR und dem wahrgenommenen Servicewert geprüft. Die Analyseergebnisse
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(siehe Abb. 2) zeigen dabei einen signifikanten, positiven indirekten Einfluss von VR auf den wahrgenommenen Servicewert des Standbesuches, der durch die Vividness vermittelt wird (b = .04, Wertebereich des 95%-Konfidenzintervalls: .002 bis .097). Während dieser indirekte Effekt die in Hypothese 1 postulierte mediierende Rolle der Vividness stützt, legen die Analyseergebnisse darüber hinaus offen, dass VR ebenso einen direkten Effekt auf den wahrgenommen Servicewert des Standbesuches aufweist (b = .17, p < .05). Dies lässt den Schluss zu, dass zusätzliche Wirkungsmechanismen existieren, die neben der Vividness die VR-Servicewert-Beziehung vermitteln und in künftigen Untersuchungen ebenso Beachtung finden sollten. Da statt einer vollständigen Mediation eine partielle Mediation vorliegt, wird Hypothese 1 teilweise bestätigt.
Abb. 2: Ergebnisse Mediationsanalyse Quelle: eigene Erstellung
Nachdem die Wirkungsmechanismen in der VR-Servicewert-Beziehung durch die Berücksichtigung der Vividness im Rahmen von Hypothese 1 betrachtet wurden, wird im Folgenden der Einfluss der beiden Kontextbedingungen, d. h. der zeitlichen Nähe zum Kauf sowie der Neigung zur visuellen Informationsverarbeitung, auf die indirekte VRVividness-Servicewert-Beziehung analysiert. Um somit die in Hypothese 2 postulierte moderierte Mediation zu prüfen, wird eine moderierte Mediationsanalyse (Model 18, Hayes 2018) durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Analyse zeigen eine signifikante dreiWege-Interaktion der Vividness, der zeitlichen Nähe zum Kauf und der Neigung zur visuellen Informationsverarbeitung (p < .049), sodass eine moderierte Mediation vorliegt. Die folgende Tabelle veranschaulicht in diesem Zusammenhang die Ausprägung des indirekten Effektes von VR unter den untersuchten Rahmenbedingungen. Die Betrachtung der in der Tabelle aufgeführten Effektstärken zeigt dabei, dass die indirekte Beziehung von VR auf den wahrgenommenen Servicewert dann am stärksten ausgeprägt ist, wenn die zeitliche Nähe zum Kauf hoch ist und die Probanden eine geringe Neigung zur visuellen Informationsverarbeitung aufweisen. Diese Ergebnisse bestätigen Hypothese 2 und stützen damit die Annahme, dass vor allem Besucher mit einer geringen Neigung zur visuellen Informationsverarbeitung stärker von der durch die VR
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vermittelten Vividness profitieren. Hingegen benötigen die „Visualizer“ keine Unterstützung durch VR, um konkrete und detaillierte gedankliche Vorstellungsbilder zu entwickeln. Durch ihre Neigung zum bildlichen Denken und durch die hohe Nähe zum Kauf zur Konstruktion konkreter mentaler Repräsentationen stimuliert, können sie ohne zusätzliche Visualisierung selbst konkrete gedankliche Vorstellungsbilder erzeugen, welche den Servicewert unter hoher Nähe zum Kauf positiv beeinflussen. Dies erklärt auch, dass der indirekte Effekt der VR auf den wahrgenommen Servicewert in der Bedingung „hohe zeitliche Nähe zum Kauf“ und „hohe Neigung zur visuellen Informationsverarbeitung“ insignifikant wird. In anderen Worten: Der VR-Vividness-Effekt verliert seine Bedeutung für den wahrgenommenen Servicewert unter diesen Bedingungen. Bei Betrachtung der linken Spalte der Tabelle 2 zeigt sich hingegen, dass die Stärke der indirekten Beziehung zwischen VR und dem Servicewert bei einem zeitlich noch entfernten Kauf nicht durch die individuelle Neigung zur visuellen Informationsverarbeitung beeinflusst wird. Gemäß der Construal Level Theory ist dies damit zu begründen, dass eine große Distanz zu einem Ereignis (z. B. Kaufakt), tendenziell mit der Konstruktion weniger konkreter und eher schemenhafter mentaler Repräsentationen verbunden ist und in einem solchen High-Level-Construal Zustand selbst Visualizer nicht zur Konstruktion konkreter mentaler Repräsentationen neigen. Unter dieser Voraussetzung unterstützt VR auch Standbesucher mit hoher Neigung zur Visuellen Informationsverarbeitung effektiv bei der Konstruktion konkreter mentaler Vorstellungsbilder, sodass der VR-Vividness-Effekt für den wahrgenommenen Servicewert aller Standbesucher vergleichsweise bedeutsam ist. Tab. 2: Ergebnisse der moderierten Mediationsanalyse Zeitliche Nähe zum Kauf
Neigung zur visuellen Informationsverarbeitung
niedrig (Besuch nächstes Jahr)
hoch
gering
Quelle: eigene Erstellung
hoch (Besuch nächstes Wochenende)
b=.05
b=.02
(95%-KI: .002 bis.140)
(95%-KI: -.024 bis .080)
b=.05
b=.07
(95%-KI: .0004 bis.117)
(95%-KI: .0006 bis .238)
Lebendige Messeauftritte – Die Wirkung von Virtual Reality im Messekontext
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6 Implikationen Die zuvor präsentierten Untersuchungsergebnisse des Feldexperimentes verdeutlichen, dass der Einsatz von VR am Messestand den wahrgenommenen Servicewert des Standbesuchers erhöht. Die Wirkung von VR auf den Servicewert kann dabei teilweise durch die Vividness erklärt werden. Durch die VR-Anwendung nimmt die Lebhaftigkeit der Präsentation des Leistungsangebotes zu, was wiederum das Customer Engagement steigert und den Besucher dazu stimuliert, mehr affektive und kognitive Ressourcen für die Auseinandersetzung mit dem „Wertangebot Messestand“ einzusetzen. Die intensivere Beschäftigung mit dem Messeauftritt des Anbieters verstärkt das Erlebnis des Besuchers am Messestand und kann damit sein Wertempfinden bezüglich des Standbesuches erhöhen. Diese Ergebnisse bekräftigen somit die vermuteten positiven Wirkungen des Einsatzes von VR am Messestand. So ist es Ausstellern zu empfehlen, Produkte und Leistungen, die am Messestand nicht real präsentiert werden können, durch ergänzende virtuelle Elemente darzustellen. Da bereits viele Aussteller VR-Anwendungen als digitale Elemente in ihren Standkonzepten berücksichtigen, können VR-Anwendungen nicht mehr als neu gelten. Folglich kann auch der Einsatz von VR am Messestand allein nicht mehr zur Profilierung und Differenzierung gegenüber den Konkurrenten führen. Es gilt vielmehr hochwertigen Content zu produzieren, der es schafft, das Leistungsangebot auf kreative, unterhaltsame und interaktive Art und Weise darzustellen. So kann VR gezielt und erlebnisorientiert Kommunikationsbotschaften vermitteln und zur Erreichung der außerökonomischen und folglich der ökonomischen Ziele beitragen. Wie die Untersuchungsergebnisse darüber hinaus zeigen, wirkt sich der Einsatz von VR vor allem unter der Bedingung der zeitlich nahen Kaufentscheidung und einer geringen individuellen Neigung zur visuellen Informationsverarbeitung beim Besucher auf den von ihm wahrgenommenen Servicewert aus. Während die Neigung zur visuellen Informationsverarbeitung im Rahmen des Messegeschehens schwer zu erfassen ist und die diesbezüglich gewonnenen Ergebnisse somit eher einen theoretischen Erklärungsbeitrag leisten, birgt der Einfluss der Nähe der Kaufentscheidung das Potenzial für konkrete Handlungsempfehlungen. So sollte vor allem den Standbesuchern die Nutzung der VRAnwendung verstärkt nahegebracht werden, bei denen sich im Kundengespräch herauskristallisiert, dass ihre Kaufentscheidung zeitlich nah ist. Vor dem Hintergrund der Construal Level Theory kann bei dieser Besuchergruppe dem durch die nahende Kaufentscheidung entstandenen Bedürfnis nach detaillierten Informationen besser entsprochen werden. Somit ist der Einsatz von VR bei Personen mit zeitlich naher Kaufentscheidung am effektivsten.
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7 Fazit Wie die in Kapitel 3 angesprochene Ausstellerbefragung auf der ITB Berlin 2018 exemplarisch verdeutlicht, hat sich VR in der Messepraxis weit verbreitet und zählt zu den häufig eingesetzten digitalen Elementen am Messestand. In Anbetracht der hohen Investitionen, die Aussteller leisten müssen, um qualitativ hochwertigen Content für die Ausgestaltung der VR-Anwendung zu produzieren, zeigte sich eine überraschend geringe empirische Auseinandersetzung mit der Wirkung von VR auf den Standbesucher. Vor diesem Hintergrund widmete sich der vorliegende Beitrag der näheren Untersuchung der Wirkung von VR im Messekontext. Hierbei stand der Einfluss der VR auf den wahrgenommen Servicewert im Vordergrund. Die Ergebnisse eines Feldexperimentes zeigen hierbei, dass der Einsatz von VR am Messestand den wahrgenommenen Servicewert des Standbesuchers erhöht, wobei dieser Effekt teilweise durch die von der VR gesteigerte Vividness des Leistungsangebotes erklärt werden kann. VR wirkt sich dabei vor allem dann besonders positiv auf den Servicewert aus, wenn der Besucher in naher Zukunft eine Kaufentscheidung treffen muss/möchte und gleichzeitig eine geringe individuelle Neigung zur visuellen Informationsverarbeitung aufweist. Dies bekräftigt, dass der Einsatz von VR-Anwendungen nicht auf bloßes Entertainment und „schmückendes Beiwerk“ von Messeauftritten reduziert werden sollte. Vielmehr sollten Unternehmen VR als eine Option wahrnehmen, dem Besucher reichhaltige und konkrete Präsentationen des Leistungsangebotes zu bieten, die ihm einen Wert stiften und somit die Effektivität der Kommunikationsmaßnahme „Messebeteiligung“ erhöhen können. Somit liefern die aus der vorgestellten Untersuchung resultierenden Erkenntnisse sowohl einen Beitrag zu dem noch jungen Forschungsstrang zur Wirkung von VR im Messekontext als auch erste Managementimplikationen zur Bedeutung und zum Einsatz von VR. Dennoch bleiben viele Forschungsfragen ungeklärt, die in zukünftigen Untersuchungen aufgegriffen werden sollten, um die Wirkung der VR-Anwendungen noch tiefgehender zu verstehen und konkretere Empfehlungen für die ausstellenden Unternehmen ableiten zu können. So würde beispielsweise eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Komponenten des Servicewertes (u. a. Effizienz, Ästhetik, Vergnügen, Qualität) im Hinblick auf die Weiterführung der Untersuchung der Wirkungsmechanismen zu aufschlussreichen Erkenntnissen führen. In diesem Zusammenhang ist auch eine tiefere Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen Vividness und dem Servicewert empfehlenswert. Theoriegeleitet wurde in diesem Beitrag das Customer Engagement als erklärende Größe in der Beziehung zwischen Vividness und Servicewert aufgezeigt. Um diesen Wirkungsme-
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chanismus noch besser zu verstehen, sollte in zukünftigen Untersuchungen das Customer Engagement direkt erfasst werden, um die theoretischen Überlegungen auch empirisch zu prüfen. Schließlich ist es im Hinblick auf weitere Implikationen von Interesse, zukünftig experimentelle Untersuchungen durchzuführen, die auch den Inhalt der VRAnwendung berücksichtigen. Hierbei ist zum Beispiel die Frage zu klären, welche Wirkung ein konkreter Inhalt (z. B. detaillierte Vorstellung eines Produktes) der VR-Anwendung im Vergleich zu einer allgemeineren Leistungspräsentation (z. B. Imagevideo des Ausstellers) erzielt.
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Katja Lohmann, Cornelia Zanger Die Wirkung von Smileys auf die Social Presence in Kundeninteraktionen mit Self-Service-Technologies 1
Einleitung
2
Self-Service Technologies in der Live Communication
3
Social Presence in Kundeninteraktionen mit Self-Service Technologies
4
Wirkung von Smileys in den Dialogen der Self-Service Technologies 4.1 Smileys als emotionale Ersatzinformationen 4.2 Wirkung von Smileys auf die Social Presence
5
Experimentelle Untersuchung 5.1 Zielstellung 5.2 Methodik 5.3 Ergebnisse
6
Implikationen
7
Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Zanger (Hrsg.), Events und Messen im digitalen Zeitalter, Markenkommunikation und Beziehungsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31775-1_4
Die Wirkung von Smileys auf die Social Presence in der Kundeninteraktion
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1 Einleitung Die Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie seit den 90er Jahren führte zur „Technology Infusion“ im Service (vgl. Bitner et al. 2010). In diesem Zuge etablierten sich u. a. Self-Service Technologies (SSTs), wie Automaten, Apps oder Chatbots, die es den Kunden heutzutage ermöglichen, den Serviceprozess eigenständig zu durchlaufen und sich durch die Bedienung einer Benutzeroberfläche ihre Serviceleistung selbst zu erbringen (vgl. Meuter et al. 2000, S. 50). Beispielsweise können mittlerweile an Flughäfen viele Serviceleistungen, wie der Check-In oder die Gepäckabgabe mittels SSTs, ohne den Einbezug von Servicemitarbeitern, von den Kunden selbstständig vollzogen werden. Ebenso kommen in den Serviceprozessen rund um das Angebot und die Durchführung von Live Communication-Maßnahmen, wie Marketing-Events, Messen oder Brandlands zunehmend mehr SSTs zum Einsatz. Hierbei profitieren sowohl Anbieter als auch Kunden von den Vorteilen der SSTs. So verringern diese aus Anbietersicht die Beanspruchung von knappen Personalressourcen und erleichtern den Umgang mit Nachfrageschwankungen. Neben der daraus resultierenden Effizienzsteigerung können die SSTs, die konstante Serviceleistungen liefern, gleichzeitig die Servicequalität verbessern (vgl. Scherer/Wünderlich/von Wangenheim 2015, S. 178; Collier/Kimes 2012, S. 39; Wejters et al. 2007, S. 4). Auch aus Kundensicht tragen die SSTs zu effizienteren Serviceinteraktionen bei, indem sie die Verfügbarkeit des Service verbessern und den Zugang zu diesem erleichtern (vgl. Collier/Kimes 2012, S. 39). Durch die Nutzung der SSTs sind die Kunden unabhängig von zeitlichen (z. B. Öffnungszeiten einer Filiale, Servicezeiten einer Hotline) und räumlichen Restriktionen (z. B. Weg zur Filiale), sodass sich die Serviceinteraktionen leichter und bequemer in den individuellen Tagesablauf einbinden lassen (vgl. Scherer/Wünderlich/von Wangenheim 2015, S. 178; Lin/Hsieh 2011, S. 194). Im Vergleich zu den im Service zuvor dominierenden Face-to-Face-Interaktionen wird jedoch ersichtlich, dass die Kunden nun mit funktionalen Computern interagieren, die sie meist neutral durch den Serviceprozess führen und die sozialen und emotionalen Elemente der zwischenmenschlichen Interaktion nicht abdecken können. Dies stellt die Serviceanbieter verschiedener Branchen, wie auch der Live Communication, nun vor die Herausforderung, technologiebasierte Serviceinteraktion zu gestalten, die nicht nur effizient, sondern auch persönlich und einfühlsam sind und den Kunden ebenso auf einer sozialen Ebene ansprechen (vgl. Van Doorn et al. 2017, S. 44). Da die Forschung zu den Kundeninteraktionen mit den SSTs bislang die sozialen und emotionalen Aspekte überwiegend vernachlässigt, widmet sich der vorliegende Beitrag
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Katja Lohmann, Cornelia Zanger
diesem Forschungsbedarf und fokussiert die Social Presence. Diese beschreibt das Gefühl eines persönlichen und einfühlsamen menschlichen Kontaktes und gilt daher als Erfolgsgröße für das soziale Erlebnis des Kunden in den technologiebasierten Serviceinteraktionen (vgl. Verhagen et al. 2014, S. 529; Park/Chung/Rutherford 2011, S. 35). Vor dem Hintergrund, dass die Social Presence beispielsweise durch das Einbetten von menschen-ähnlichen Reizen (z. B. menschliches Erscheinungsbild und Verhalten) in den Dialogen der SST erzeugt werden kann (vgl. Verhagen et al. 2014, S. 532) und die Servicedialoge der SSTs häufig auf textbasierter Kommunikation beruhen, stellt die in diesem Artikel beschriebene Untersuchung die Smileys in den Mittelpunkt der Betrachtung. In der computervermittelten Kommunikation (z. B. Mails, Chats, Instant Messaging) haben sich diese Symbole als ein beliebtes Substitut des menschlichen Gesichtsausdrucks etabliert (vgl. Aldunate/González-Ibáñez 2017, S. 2 f.; Tossell et al. 2012, S. 659) und Park und Sundar (2015) konnten bereits zeigen, dass Textnachrichten mit Smileys das Gefühl von Social Presence in diesem Kontext erhöhen können. Hingegen fehlt es an Erkenntnissen zur Wirkung der Smileys auf die Social Presence in MenschComputer-Interaktionen. Daher widmet sich die vorliegende Untersuchung den Forschungsfragen, ob und wie Smileys Social Presence in der Kundeninteraktion mit einer SST erzeugen können. Mit der Bearbeitung dieser Forschungsfragen wird somit sowohl eine bedeutende und aktuelle Forschungslücke zur sozialen und emotionalen Wirkung der SSTs adressiert als auch neue Möglichkeiten zur Ausgestaltung von SSTs im Zusammenhang mit deren Einsatz im Rahmen der Live Communication präsentiert.
2 Self-Service Technologies in der Live Communication Der Besuch eines Messestandes, eines Marketingevents, eines Brandlands oder eines Showrooms ermöglichen es Unternehmen und (potentiellen) Kunden direkt in Kontakt zu treten. Aufgrund dieses unmittelbaren Kontaktes können Unternehmen ihre Kommunikationsbotschaften inszenieren und mithilfe der Gestaltung der physischen Umwelt sowie einer gezielten Wahl von Attraktionen und Aktionen erlebnisorientiert an die Zielgruppe vermitteln (vgl. Kirchgeorg/Springer/Brühe 2009, S. 113; Schmitt 2009, S. 702 ff.). Das direkte Erleben der inszenierten Botschaften mit allen Sinnen und der persönliche Kontakt zu den Unternehmensrepräsentanten erzeugt Emotionen und autobiografische Erlebnisse beim Besucher, die durch ihre persönliche Relevanz in seinem Gedächtnis verankert werden (vgl. Schmitt 2009, S. 701 f.). Daher gelten die Instrumente der Live Communication als besonders wirkungsvoll im Hinblick auf die Erreichung kommunikativer Ziele (vgl. Kirchgeorg/Springer/Brühe 2009, S. 21; Zanger/Drengner 2009, S. 197). Das Angebot und die Durchführung dieser Live Communication-Maßnahmen wird dabei von verschiedenen Serviceleistungen und -prozessen (z. B. Anmeldung für ein Marketingevent, Beratung am Messestand) begleitet. Da alle Erfahrungen, die der Kunde im
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Zusammenhang mit der Live Communication-Maßnahme sammelt, sein Erlebnis beeinflussen (vgl. Pine/Gilmore 1999, S. 31), wirken sich diese Serviceleistungen neben den zuvor beschriebenen Inszenierungen ebenso auf das Erlebnis des Kunden aus. Damit bedingen auch diese Serviceleistungen die Beurteilung der Kommunikationsmaßnahme als auch des gesamten Unternehmens und bestimmen somit die Zielerreichung (vgl. Bitner 1990, S. 69; Bitner/Booms/Standfield Tetreault 1990, S. 71 f.). Serviceleistungen werden von den Serviceanbietern, d. h. den kommunizierenden Unternehmen oder einem übergeordneten Veranstalter (z. B. Messeveranstalter) bzw. Dienstleister (z. B. Eventagentur), im Rahmen einer Serviceinteraktion erbracht, die als die Zeitspanne definiert wird, in welcher der Konsument direkt mit einem Serviceangebot interagiert (vgl. Shostack 1985, S. 243). Dabei werden sowohl Situationen als Serviceinteraktionen beschrieben, in denen der Kunde mit einer Person, d. h. einem (Service-) Mitarbeiter, in Kontakt tritt, als auch die Situationen, in denen der Kunde mit einer anderen Repräsentation des Unternehmens, wie einem Produkt, einer Marke oder einem Verkaufsraum, interagiert (vgl. Guenzi/Pelloni 2004, S. 367). Die Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie führte jedoch dazu, dass vor allem die zweite Form der Serviceinteraktion, zu der auch die Interaktion mit einer SelfService Technology (SST) (z. B. Unternehmenswebseite, stationäre Automaten, Apps, Chatbots, FAQs) zählt, einen besonderen Stellenwert im Servicegeschehen eingenommen hat. SSTs können nach Meuter et al. (2000) wie folgt definiert werden: „Self-service technologies (SSTs) are technological interfaces that enable customers to produce a service independent of direct service employee involvement.“ (Meuter et al. 2000, S. 50) Diesem Begriffsverständnis folgend, ermächtigen die SSTs die Kunden dazu, Serviceleistungen selbstständig zu nutzen, ohne dass ein Servicemitarbeiter einbezogen wird. Hierfür bedienen sie eine programmierte Benutzeroberfläche und erbringen den gewünschten Service auf diesem Wege für sich selbst. Nach aktuellem Stand der Technik können Self-Service Technologies hierbei vor allem Serviceaufgaben ersetzen, die eine geringe Komplexität aufweisen und sich somit gut in eine standardisiert programmierte Anwendung umsetzen lassen (vgl. Van Doorn et al. 2017, S. 34; Schumann/Wünderlich/von Wangenheim 2012, S. 135), beispielsweise das Ticketing, der Check-In eines Besuchers am Eingang der Location oder die Unterstützung bei der Informationssuche. Mit der Weiterentwicklung der Technologie, insbesondere im Hinblick auf die künstliche Intelligenz, können jedoch auch zunehmend komplexere Aufgaben von den SSTs übernommen und zukünftig ähnliche Dialoge mit der SST wie mit einem menschlichen Servicemitarbeiter geführt werden.
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Aber auch heutzutage unterstützen die SSTs Unternehmen bereits dabei, schnell auf Kundenanfragen zu reagieren, die Flexibilität bei der Serviceerstellung zu erhöhen (z. B. räumlicher und zeitlicher Zugang zum Service) sowie die Serviceleistungen leichter individuell an die Bedürfnisse der Kunden anzupassen (z. B. Produktkonfiguration am Messestand) (vgl. Bitner/Brown/Meuter 2000, S. 142 f.). Neben diesen Vorteilen ist jedoch zu beachten, dass die SSTs den menschlichen Kontakt mit den Servicemitarbeitern durch eine Mensch-Computer-Interaktion ersetzen (vgl. Breidbach/Kolb/Srinivasan 2012, S. 429). Diese Einschränkungen im Hinblick auf den menschlichen Kontakt spiegeln sich auch in der Charakterisierung der SSTs wider. Während klassische Face-toFace-Interaktionen als „high touch, low tech“ Services beschrieben werden, in denen die Mitarbeiter und ihre Kompetenzen den entscheidenden Erfolgsfaktor darstellen, zählen die SSTs aufgrund der fehlenden zwischenmenschlichen Ebene zu den als „low touch, high tech“ Services charakterisierten Leistungen. Bei den SSTs werden dabei die Komponenten als zentrale Erfolgsfaktoren benannt, die für die Prozessverlässlichkeit und -qualität verantwortlich sind (vgl. Bieger 2007, S. 17; Corsten/Gössinger 2007, S. 35). Somit verwundert es nicht, dass sich sowohl die Forschung zu den SSTs als auch die Gestaltung dieser in der Praxis bislang hauptsächlich auf die technischen und funktionalen Komponenten und deren Einfluss auf die Serviceinteraktion konzentriert. Weitgehend vernachlässigt wird dabei die soziale und emotionale Komponente der Serviceinteraktion (vgl. Van Doorn et al. 2017, S. 44). Vor dem Hintergrund, dass der Kunde trotz der Interaktion mit einem Computer ein soziales Wesen bleibt und ihm daher eine emotionale und soziale Ansprache unabhängig vom genutzten Servicekanal einen Wert stiftet (vgl. Verhagen et al. 2014, S. 529; Park/Chung/Rutherford 2011, S. 37), wird diesbezüglich eine Forschungslücke ersichtlich.
3 Social Presence in Kundeninteraktionen mit Self-Service Technologies Um einen tieferen Einblick in die soziale und emotionale Komponente der Kundeninteraktion mit den SSTs zu erhalten, können die Ergebnisse der Forschung zur MenschComputer-Interaktion herangezogen werden. Das Computers as Social Actors-Paradigma (CASA-Paradigma) erklärt in diesem Zusammenhang, dass Menschen auch Computer1 als soziale Akteure wahrnehmen können und infolgedessen soziale Reaktionen auf diese zeigen und sie menschlich behandeln (vgl. Kim/Sundar 2012, S. 241; Lee 2010, S. 191 f.; Hall/Henningsen 2008, S. 2965). Ursächlich für diese irrationalen sozialen Reaktionen auf ein unbelebtes Objekt wie einen Computer ist der Theorie des Anthropomorphismus folgend, eine angeborene Tendenz der Menschen, nicht menschlichen
1
Der Terminus „Computer“ kann weit ausgelegt und die Ergebnisse auf viele weitere technische Geräte wie Smartphones, Tablets oder Automaten übertragen werden (vgl. Wang 2017, S. 335).
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Objekten menschliche Eigenschaften (z. B. Motivationen, Absichten, Emotionen) zuzuschreiben (vgl. Letheren et al. 2016, S. 973; Epley/Waytz/Cacioppo 2007, S. 864). So sprechen Menschen beispielsweise von launischen Computern, reden ihrem Auto gut zu, wenn der Tank annähernd leer und die Tankstelle noch etwas entfernt ist oder verfluchen ihren Drucker, der nicht reagiert (vgl. Waytz/Epley/Cacioppo 2010, S. 58; Epley/Waytz/Cacioppo 2007, S. 864). Im Hinblick auf die Kundeninteraktionen mit SSTs deuten diese Erkenntnisse an, dass es auch bei diesen Serviceinteraktionen möglich ist, Social Presence, d. h. ein Gefühl eines menschlichen Kontaktes sowie der Präsenz eines anderen Menschen, zu vermitteln (vgl. Park/Sundar 2015, S. 121 f.; Verhagen et al. 2014, S. 532). Die Social Presence wird von Verhagen et al. (2014) auf der Basis der Social Presence Theory (vgl. Short/Williams/Christie 1976) wie folgt definiert: “Social Presence is the feeling of personal, social, and sensitive human contact conveyed through and within a medium.“ (Verhagen et al. 2014, S. 530) Die Social Presence erzeugt demzufolge ein Gefühl eines persönlichen und einfühlsamen menschlichen Kontaktes (vgl. Biocca/Harms/Burgoon 2003, S. 14; Biocca et al. 2001, S. 2; Yoo/Alavi 2001, S. 373) und prägt somit das soziale Erlebnis der Menschen in Interaktionen mit Computern (vgl. Nabisan/Watt 2011, S. 891). Das Erzeugen von Social Presence in einer Kundeninteraktion mit einer SST verleiht dieser einen „menschlichen Touch“ und rundet das Serviceerlebnis ab (vgl. Park/Chung/Rutherford 2011, S. 35). Daher stellt die Social Presence allgemein eine Schlüsselgröße für erfolgreiche Servicebegegnungen dar (vgl. Verhagen et al. 2014, S. 529) und sollte auch im Kontext des Einsatzes von SSTs im Rahmen von Live Communication-Maßnahmen Berücksichtigung finden. Die Social Presence kann dabei durch die Gestaltung der Benutzeroberfläche und der Dialoge der SST mithilfe der Integration von anthropomorphen Reizen erzeugt werden (vgl. Park/Sundar 2015, S. 121 f.; Verhagen et al. 2014, S. 532; Park/Chung/Rutherford 2011, S. 35). Anthropomorphe Reize (z. B. menschliches Erscheinungsbild, Verhalten, Bewusstsein und/oder Gefühl) werden eindeutig mit menschlichen Eigenschaften assoziiert und veranlassen die Kunden daher, den technischen Objekten (hier: den SSTs), menschliche Eigenschaften zuzuweisen und diese folglich als soziale Akteure wahrzunehmen und soziale Reaktionen gegenüber diesen zu zeigen (vgl. Verhagen et al. 2014, S. 532; Keeling/Keeling/McGoldrick 2013, S. 847; Kim/Sundar 2012, S. 243). In der Forschung zur Mensch-Computer-Interaktion wurden bislang vor allem komplexe anthropomorphe Reize, die viele Anknüpfungspunkte zum menschlichen Äußeren
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und/oder Verhalten aufweisen (z. B. programmierte Avatare, Serviceroboter), berücksichtigt und gezeigt, dass diese Social Presence erzeugen können (vgl. u. a. Daher et al. 2016; Verhagen et al. 2014; Sandygulova et al. 2013; Lee et al. 2006). Nach den Erkenntnissen der Forschung zur computervermittelten Kommunikation2, gibt es jedoch ebenso einfache anthropomorphe Reize, die in der textbasierten Kommunikation zur Wahrnehmung von Social Presence führen können. Park und Sundar (2015) kamen in diesem Zusammenhang bereits zu dem Ergebnis, dass Textnachrichten mit Smileys das Gefühl von Social Presence erhöhen können. Da auch die Dialoge der Self-Service Technologies oftmals auf der textbasierten Kommunikation beruhen und bislang keine Erkenntnisse zur Wirkung der Smileys auf die Social Presence in Mensch-ComputerInteraktionen vorliegen, fokussiert dieser Beitrag diese emotionalen Symbole mit dem Ziel, die Forschung zur Social Presence in Mensch-Computer-Interaktionen zu erweitern.
4 Wirkung von Smileys in den Dialogen der Self-Service Technologies 4.1 Smileys als emotionale Ersatzinformationen Smileys sind farbige Piktogramme oder animierte Symbole, die ein Gefühl oder eine Emotion repräsentieren. Sie stellen dabei den emotionalen Gesichtsausdruck nach. Der Kopf bzw. das Gesicht wird durch einen Kreis symbolisiert (vgl. Ganster/Eimler/Krämer 2012, S. 226). Die spezifischen Emotionen und deren Intensität werden durch die Form der Augen und/oder des Mundes ausgedrückt, wobei in den individualistischen Kulturen, wie den Europäischen Ländern oder Nordamerika, überwiegend die Mundpartie für den Emotionsausdruck variiert wird (vgl. Park/Baek/Cha 2014, S. 349; Yus 2014, S. 516). Abzugrenzen sind die Smileys von den Emoticons (siehe Abb. 1), die mit ihrer sehr einfachen visuellen Darstellungen des Emotionsausdrucks basierend auf den verschiedenen Zeichen der Tastatur die Ursprünge der Smileys darstellen (vgl. Walther/D’Addario 2001, S. 326).
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Die computervermittelte Kommunikation wird als der Austausch von zwei oder mehr Personen via Computernetzwerken definiert (vgl. Reips 2006, S. 555). Während bei der computervermittelten Kommunikation die Computernetzwerke lediglich die zwischenmenschliche Interaktion übertragen (z. B. Mails, Chats, Instant Messaging), findet in den Kundeninteraktionen mit den SSTs kein Austausch zwischen Personen mehr statt, da ein Computer den Part des menschlichen Interaktionspartners übernimmt.
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Abb. 1: Vergleich der Smileys und Emoticons Quelle: eigene Erstellung, Smileys stammen aus dem Angebot des Instant Messaging-Dienstes Whats‘App
Im Hinblick auf die Wirkung der Smileys zeigt die Forschung zur computervermittelten Kommunikation, dass sie ähnliche Funktionen in der textbasierten Kommunikation erfüllen wie die nonverbalen Reize in der Face-to-Face-Kommunikation (vgl. Skovholt/Grønning/Kankaanranta 2014, S. 781; Derks/Bos/von Grumbkow 2007, S. 843; Walther/D’Addario 2001, S. 329). Indem die Smileys den emotionalen Gesichtsausdruck substituieren, komplettieren sie Nachrichten und verstärken oder relativieren deren Inhalt (vgl. Janssen/Ijsselsteijn/Westerink 2014, S. 35; Tossell et al. 2012, S. 660; Derks/Bos/von Grumbkow 2008a, S. 101; Derks/Bos/von Grumbkow 2008b, S. 386; Lo 2008). Weiterhin können durch den Einsatz von Smileys die Absichten hinter einer Nachricht besser herausgestellt und auf diesem Wege auch Humor oder Sarkasmus ausgedrückt werden. Dies erleichtert es dem Sender, seine Botschaft zu formulieren und trägt zu einem besseren Verständnis der Nachricht auf Seiten des Empfängers bei, sodass Missverständnisse verringert werden können (vgl. Skovholt/Grønning/Kankaanranta 2014, S. 792; Derks/Bos/von Grumbkow 2008b, S. 386). Darüber hinaus beeinflussen die Smileys die Wahrnehmung des Senders und seines emotionalen Zustandes. Hierbei werden Personen, die häufig positive Smileys in der Kommunikation einsetzen, als wärmer und freundlicher wahrgenommen sowie in ihrer Persönlichkeit extrovertierter, umgänglicher und offener eingeschätzt (vgl. Li/Chan/Kim 2018, S. 1; Wall/Kaye/Malone 2016, S. 71ff.; Taesler/Janneck 2010, S. 380). Durch den Einsatz von Smileys und den Ausdruck von Emotionen können auch soziale Informationen gesendet und bspw. Empathie vom Sender ausgedrückt werden (vgl. Park/Sundar 2015, S. 127). Dies verringert die psychologische Distanz, die meist der computervermittelten Kommunikation inhärent ist und baut eine Vertrautheit auf (vgl.
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Hsieh/Tseng 2017, S. 407; Janssen/Ijsselsteijn/Westerink 2014, S. 40; Skovholt/ Grønning/Kankaanranta 2014, S. 792 f.). Die Smileys reichern die Nachrichten durch einen emotionalen Ton an (vgl. Aldunate/González-Ibáñez 2017, S. 4; Derks/Bos/von Grumbkow 2008b, S. 380; Huang/Yen/Zhang 2008, S. 467) und tragen somit dazu bei, den Nachrichten dieselbe menschliche Wärme zu verleihen, die typischerweise in direkten, persönlichen Interaktionen erlebt wird (vgl. Lim/Kim/Watts 2011, S. 22). 4.2 Wirkung von Smileys auf die Social Presence Die zuvor beschriebenen Forschungsergebnisse zur Wirkung der Smileys in der computervermittelten Kommunikation verdeutlichen, dass diese dafür eingesetzt werden können, um die Gefühle des Senders zum Ausdruck zu bringen. Vor dem Hintergrund des CASA-Paradigmas (siehe Gliederungspunkt 3) können diese Erkenntnisse auf die Kundeninteraktion mit der SST übertragen werden. Der Einsatz von Smileys kann ebenso in den textbasierten Dialogen der SST Emotionen zum Ausdruck bringen, die als anthropomorphe Reize eindeutig mit menschlichen Eigenschaften assoziiert werden und daher dazu führen können, dass die Kunden die SST als sozialen Akteur wahrnehmen, die Interaktion mit der SST als persönlicher, sozialer und wärmer empfinden und somit das Gefühl von Social Presence entsteht. Darüber hinaus zeigen erste Untersuchungen, dass Smileys sowohl in der computervermittelten Kommunikation als auch in der Kundeninteraktion mit den SSTs nicht nur Emotionen ausdrücken, sondern auch den interpersonellen Prozess der Emotionalen Ansteckung auslösen können (vgl. Lohmann/Zanger 2018; Lohmann/Pyka/Zanger 2017; Sasaki et al. 2016). Nach Hatfield, Cacioppo und Rapson (1994, S. 5) beschreibt die Emotionale Ansteckung die Übertragung von Emotionen zwischen zwei oder mehr Interaktionspartnern, wobei diese auf der instinktiven Synchronisation des emotionalen Ausdrucksverhaltens der Interaktionspartner (= Mimikry) und einer Feedback-Reaktion basiert (siehe Abb. 2). Zur Verdeutlichung des Prozesses der Emotionalen Ansteckung wird dieser beispielhaft an einer Face-to-Face-Interaktionen von einem Servicemitarbeiter und einem Kunden beschrieben, da sich auch die Forschungsarbeiten zur Emotionalen Ansteckung im Service vorwiegend auf Face-to-Face-Interaktionen beziehen. In der Serviceinteraktion von Mitarbeiter und Kunde nimmt der Kunde zunächst die vom Servicemitarbeiter über ein Lächeln ausgedrückte Freude wahr. Dies löst das instinktive Mimikry aus und führt dazu, dass der Kunde das emotionale Ausdrucksverhalten des Servicemitarbeiters spiegelt und ebenfalls beginnt zu Lächeln. Da der Ausdruck der Emotionen und deren Empfinden bzw. emotionale Erleben stark miteinander verbunden sind, führt das Lächeln des Kunden dazu, dass er auch die von ihm ausgedrückte Emotion (hier: Freude) selbst empfindet. Somit hat sich durch die Synchronisation des
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emotionalen Ausdrucks (hier: des Lächelns) und die Angleichung des emotionalen Erlebens (hier: Ausdruck der Freude durch Lächeln führt zu empfundener Freude) die vom Servicemitarbeiter empfundene Freude auf den Kunden übertragen.
Abb. 2: Prozessschritte der Emotionalen Ansteckung Quelle: eigene Erstellung
Neben der reinen Übertragung der Emotionen hat die Forschung aus dem Bereich der Face-to-Face-Kommunikation weiterhin gezeigt, dass sich die Emotionale Ansteckung auch auf den Verlauf und das Ergebnis der Serviceinteraktion zwischen Servicemitarbeiter und Kunden auswirkt. Durch die Synchronisierung des Verhaltens und der Emotionen bringt die Emotionale Ansteckung die Interaktionspartner in Einklang und fördert damit harmonische und reibungslose Serviceinteraktionen (vgl. Baumeister/Vohs 2007, S. 292; Howard/Gengler 2001, S. 190; Hatfield/Cacioppo/Rapson 1994, S. 16). Weiterhin kann sie emotionale Nähe herstellen (vgl. Hatfield/Cacioppo/Rapson 1994, S. 41) und das Gefühl von Vertrautheit und Verbundenheit zu einer anderen Person stärken (vgl. Lin/Lin 2017, S. 110; Baumeister/Vohs 2007, S. 292; Van Baaren et al. 2003, S. 393). Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass die Emotionale Ansteckung die Bildung einer positiven Einstellung gegenüber Produkten oder Marken fördert, das Entstehen einer Produktpräferenz begünstigt (vgl. u. a. Tanner et al. 2008; Tanner/Chartrand 2008; Howard/Gengler 2001), die wahrgenommene Servicequalität verbessert (vgl. Pugh 2001) sowie die Kundenzufriedenheit und -loyalität erhöht (vgl. u. a. Grandey/Goldberg/Pugh 2011; Netemeyer/Maxham/Lichtenstein 2010; Homburg/ Stock 2004). Im Hinblick auf die Kundeninteraktion mit SSTs lassen diese Ergebnisse die Vermutung zu, dass der Einsatz eines positiven Smileys in den Dialogen der SSTs zur Emotionalen Ansteckung führen kann, sodass Serviceanbieter auch in Mensch-Computer-Interaktionen von der positiven Wirkung der Emotionalen Ansteckung profitieren könnten. Zusammenfassend wird auf der Basis dieser Erkenntnisse angenommen, dass Smileys nicht nur durch das Anreichern der Dialoge mit emotionalen und menschlichen Zusatzreizen Social Presence in der Kundeninteraktion mit den SSTs erzeugen, sondern dass
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sie ebenso ein Gefühl eines einfühlsamen und warmen menschlichen Kontaktes herstellen, indem sie den sozialen Prozess der Emotionalen Ansteckung auslösen. Dementsprechend wird die folgende Hypothese abgeleitet: Hypothese 1: Der positive Einfluss der Emotionen der SST, ausgedrückt durch Smileys, auf die Social Presence wird durch den Prozess der Emotionalen Ansteckung teilweise mediiert. Die in Hypothese 1 vermuteten kausalen Wirkungsbeziehungen werden in der folgenden Abbildung für einen besseren Überblick schematisch dargestellt.
Abb. 3: Schematische Darstellung der betrachteten Wirkungszusammenhänge Quelle: eigene Erstellung
Weiterhin sollen die Ergebnisse von Takahashi et al. (2017) Berücksichtigung finden, die erklären, dass Personen, die nur wenige Erfahrungen in der Kommunikation mit Smileys aufweisen, Schwierigkeiten haben, die Emotionen zu erkennen, die durch die Smileys ausgedrückt werden. Daher wird vermutet, dass die Erfahrung mit Smileys die Wirkung des Smileys auf die vom Nutzer wahrgenommen Emotionen der SST bedingt. Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse von Takahashi et al. (2017) besteht somit dieAnnahme, dass die Effekte der Smileys auf die wahrgenommenen Emotionen, die von den SSTs durch Smileys ausgedrückt werden, bei den Kunden höher sind, die viel Erfahrung im Umgang mit Smileys haben, als bei denen, die weniger Erfahrung aufweisen. Somit lautet Hypothese 2: Hypothese 2: Die Erfahrung der Kunden im Umgang mit Smileys beeinflusst die wahrgenommenen Emotionen, die die SST durch die Smileys ausdrückt, positiv.
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5 Experimentelle Untersuchung 5.1 Zielstellung Durch die Diskussion bestehender Theorien sowie empirischer Erkenntnisse konnten im vorangestellten Kapitel zwei Hypothesen hergeleitet werden. Die Untersuchung dieser verspricht neue Einblicke bezüglich der sozialen und emotionalen Reaktionen der Kunden in der Interaktion mit SSTs und trägt darüber hinaus zur Wirkungsforschung der Smileys in diesem Kontext bei. Hypothese 1 fokussiert sich dabei auf die Wirkung der durch Smileys ausgedrückten Emotionen der SST auf die Social Presence. Hierbei wird neben einer direkten Beziehung eine indirekte Beziehung angenommen, die durch den Prozess der Emotionalen Ansteckung vermittelt wird. Hypothese 2 widmet sich darüber hinaus dem Einfluss der Erfahrungen der Probanden im Umgang mit Smileys auf die wahrgenommenen Emotionen der SST und berücksichtigt somit eine potentielle Kontextbedingung, die die Wirkung des Smileys in der Kundeninteraktion mit der SST bedingen kann. Um die in den Hypothesen postulierten kausalen Wirkungsbeziehungen zu prüfen, wird ein Online-Befragungsexperiment durchgeführt. Das Experiment, welches in den folgenden Gliederungspunkten näher vorgestellt wird, bezieht sich dabei nicht spezifisch auf eine Kundeninteraktion mit einer SST im Kontext einer Live Communication-Maßnahme. Da jedoch eine typische Kundeninteraktion mit einer SST untersucht wird, sind diese Ergebnisse auch auf die Live Communication-Branche übertragbar. 5.2 Methodik Das durchgeführte Onlineexperiment folgt einem einfaktoriellen between-subject Design, wobei der Smiley als Experimentalvariable gezielt manipuliert wird. Vor dem Hintergrund, dass Serviceanbieter stets bestrebt sind, den Kunden durch das Ausdrücken von positiven Emotionen ein möglichst positives Serviceerlebnis zu bereiten, liegt der Fokus des Experimentes auf einem positiven Smiley als experimentellen Stimulus. Um demnach die Wirkung des Smileys in einer möglichst realistischen Kundeninteraktion mit einer SST zu prüfen, wird eine Experimentalbedingung kreiert, in der den Probanden im Rahmen eines Szenarios ein positiver Smiley präsentiert wird. Als Referenzgröße für die beobachtete Wirkung des Smileys in der Experimentalgruppe wird ebenfalls eine Kontrollgruppe berücksichtigt. Diese durchläuft dabei das Szenario, ohne dass ihr ein Smiley präsentiert wird. Das Experiment verfügt somit über zwei Experimentalbedingungen. Das Szenario, welches sowohl in der Experimental- als auch Kontrollbedingung zum Einsatz kommt, simuliert eine Kundeninteraktion mit einer SST. Die Teilnehmer des
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Onlineexperimentes werden gebeten, sich in die Situation zu versetzen, dass sie an einem Fotodruck-Automaten ein Urlaubsbild ausdrucken möchten und nun den Automaten bedienen. Nach der Beschreibung der Hintergrundsituation werden die Probanden aufgefordert, aus einer Auswahl von vier neutralen Landschaftsbildern das zu druckende Bild zu wählen. Durch diese kurze Aufgabe sollen die Auskunftspersonen aktiv in das Szenario einbezogen werden, sodass es ihnen erleichtert wird, sich in die geschilderte Situation hineinzuversetzen. Nach der Auswahl eines der Bilder durch die Probanden wird eine Bestätigung, inklusive eines Dankes, angezeigt. Diese Bestätigung enthält den experimentellen Stimulus und unterscheidet die Experimentalbedingung von der Kontrollbedingung durch die Präsentation eines positiven Smileys. Sowohl die präsentierten Landschaftsbilder als auch die experimentellen Stimuli werden in der folgenden Abbildung veranschaulicht.
Abb. 4: Aufgabe im Szenario (links) und Manipulation der Experimentalvariable (rechts) Quelle: eigene Erstellung
Um die Wirkung des Smileys zu erfassen, werden neben der Social Presence, die von den Kunden wahrgenommenen Emotionen der SST (ausgedrückt durch den Smiley), die Emotionale Ansteckung sowie die Erfahrung im Umgang mit Smileys erhoben. Die Social Presence wird hierbei mithilfe von 5 Items nach Verhagen et al. (2014) gemessen (CA = .93, DEV = .78, KR = .95). Analog zum eingesetzten freudigen Smiley fokussiert sich die Erhebung der vom Kunden wahrgenommenen Emotion der SST sowie der Emotionalen Ansteckung auf die Emotion Freude. Zur Erfassung der vom Kunden wahrgenommenen Emotion der SST werden die 3 Items der Subskala „Enjoyment“ der Differential Emotions Scale von Izard (1977) genutzt (CA = .96, DEV = .93, KR = .97). Die Emotionale Ansteckung wird durch die Differenz der Freude der Kunden vor (CA = .90, DEV = .83, KR = .94) und nach der Präsentation des Szenarios (CA = .89, DEV = .82, KR = .93) erfasst. Hierfür wird ebenfalls die Subskala „Enjoyment“ der Differential
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Emotions Scale von Izard (1977) eingesetzt. Die Erfahrung im Umgang mit Smileys wird mit 3 Items in Anlehnung an Dahl, Manchanda und Argo (2001) gemessen (CA = .88, DEV = .81, KR = .93). Die Antworten der Probanden werden mithilfe von 7-stufigen Ratingskalen erfasst. Die psychometrische Güte aller Messinstrumente kann bestätigt werden, wie die Werte von Cronbachs Alpha (CA), der durchschnittlich erfassten Varianz (DEV) und der Konstruktreliabilität (KR) verdeutlichen, die bereits hinter jedem zuvor vorgestellten Messinstrument in Klammern vermerkt wurden. Es nahmen 206 Auskunftspersonen (55,3 % weiblich; durchschnittliches Alter: 37 Jahre) an der Untersuchung teil. Diese wurden über den Anbieter Prolific3 (www.prolific.ac) gewonnen und dem between-subject Design entsprechend, randomisiert einer der Experimentalbedingungen („Text + freudiger Smiley“ vs. „Text allein“) zugeordnet. 5.3 Ergebnisse Bevor die Hypothesenprüfung vorgenommen werden kann, ist der Einfluss des freudigen Smileys auf die von den Probanden wahrgenommenen Emotionen der SST zu prüfen. Die Ergebnisse einer durchgeführten ANOVA verdeutlichen diesbezüglich, dass die wahrgenommene Freude der SST im Szenario mit Smiley signifikant höher ausgeprägt ist als in der Kontrollbedingung (siehe Tab 1). Tab. 1: Mittelwertunterschiede der wahrgenommenen Freude der SST (Ergebnisse ANOVA)
wahrgenommene Freude der SST
ohne Smiley
mit Smiley
F-Wert, p-Wert
4.58
5.26
.18.06, p < .001
Anmerkung: 1… stimme ganz und gar nicht zu bis 7… stimme voll und ganz zu Quelle: eigene Erstellung
Auch die Ergebnisse einer Regressionsanalyse zeigen einen positiven Effekt des Smileys auf die wahrgenommene Freude der SST (b = .29, p < .001). Dieses Ergebnis bestätigt, dass die Probanden mehr von der SST ausgedrückte Freude wahrnehmen, wenn ein freudiger Smiley im Rahmen des Kundendialogs der SST präsentiert wird. Zur Prüfung von Hypothese 1 und damit der postulierten direkten und indirekten Wirkung der wahrgenommenen Emotionen der SST (ausgedrückt durch die Smileys) auf die Social Presence, wird eine Mediatoranalyse mittels PROCESS (Model 4, Hayes 2018) durchgeführt. Die Analyseergebnisse zeigen, dass die wahrgenommene Freude 3
Dieses Portal bringt Forscher mit Personen zusammen, die gegen ein Entgelt bereit sind, an Befragungen teilzunehmen. Die meisten Personen, die auf Prolific registriert sind, stammen aus Großbritannien (45,8 %) und den USA (27,6 %), sodass die Befragung auf Englisch durchgeführt wurde.
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der SST sowohl einen signifikanten positiven direkten Effekt auf die Social Presence (b = .45, p < .001) als auch einen signifikanten positiven indirekten Effekt (b = .05, Wertebereich des 95%-Konfidenzintervalls: .302 bis .593) aufweist, der durch die Emotionale Ansteckung vermittelt wird. Folglich beeinflussen Smileys die Social Presence zum einen durch ihre reine Präsenz. Smileys bringen dabei Emotionen zum Ausdruck und können somit zu den anthropomorphen Reizen gezählt werden. Daher kann der Einsatz von Smileys in den Dialogen der Kundeninteraktionen mit den SSTs das Gefühl von Social Presence erzeugen oder verstärken. Darüber hinaus beeinflussen die Smileys als emotionale Reize auch die Emotionen der Kunden. Das Präsentieren eines freudigen Smileys löst den zwischenmenschlichen Prozess der Emotionalen Ansteckung aus und trägt auch auf diesem Wege dazu bei, dass die Kunden die Interaktion als menschlicher und wärmer empfinden. Somit ist Hypothese 1 zu bestätigen. Um die Annahme von Hypothese 2, dass die Erfahrung der Kunden im Umgang mit Smileys die wahrgenommenen Emotionen, die die SST durch die Smileys ausdrückt, positiv beeinflusst, zu prüfen, wird in der Experimentalbedingung „Text + freudiger Smiley“ eine Regressionsanalyse durchgeführt. Diese zeigt, dass die Erfahrung in der Smileynutzung einen signifikanten positiven Effekt auf die wahrgenommene Freude der Probanden hat (b = .23, p < .021). Somit nehmen Personen, die Smileys öfter in ihrer Kommunikation einsetzen und somit mehr Erfahrung in der Kommunikation mit ihnen aufweisen die positiven Emotionen stärker wahr, die von dem freudigen Smiley zum Ausdruck gebracht werden. Demnach kann Hypothese 2 bestätigt werden.
6 Implikationen Die Social Presence gilt allgemein als Schlüsselgröße für erfolgreiche Servicebegegnungen im Kontext der computervermittelten Kommunikation (z. B. Chats, Mail, Instant Messaging) als auch der Mensch-Computer-Interaktionen (z. B. SSTs, wie Automaten, Chatbots, Webseiten). Die Ergebnisse der in diesem Beitrag vorgestellten experimentellen Untersuchung zeigen dabei, dass nicht nur komplexe anthropomorphe Reize, wie aufwändig programmierte, menschen-ähnliche Avatare ein Gefühl eines persönlichen und einfühlsamen menschlichen Kontaktes in der Kundeninteraktion mit einer SST erzeugen können, sondern dass bereits die Berücksichtigung kleiner und einfacher anthropomorpher Reize, wie der Smileys, in den textbasierten Dialogen der SSTs diesen Mensch-Computer-Interaktionen einen „menschlichen Touch“ verleihen können. Daher ist es grundsätzlich zu empfehlen, neben verbalen, funktionalen Informationen (z. B. Handlungsanweisungen, sachliche Informationen) auch stets anthropomorphe Reize, wie die Smileys, in die Kundendialoge der SST einzubinden und diese so etwas menschlicher und sozialer zu gestalten. Unter der Voraussetzung der Passfähigkeit des Einsat-
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zes der Smileys zur jeweiligen Branche, der anzusprechenden Zielgruppe sowie der Unternehmensidentität können diese dabei die Textbotschaften visuell unterstützen, emotional aufladen und damit das Serviceerlebnis abrunden. Weiterhin zeigen die Untersuchungsergebnisse, dass zwar die Berücksichtigung der Smileys allein bereits die Serviceinteraktion wärmer und persönlicher macht, die von den Smileys ausgedrückten Emotionen sich aber auch durch die Emotionale Ansteckung auf den Kunden übertragen und somit sein emotionales Erleben beeinflussen können. Darüber hinaus hat der Prozess der Emotionalen Ansteckung auch eine soziale Wirkung und kann die Distanz zwischen dem Serviceanbieter und dem Kunden, die durch die Mensch-Computer-Interaktion entsteht (vgl. Hsieh/Tseng 2017, S. 406), überbrücken. Um die Kundeninteraktion mit der SST emotional aufzuladen und auch über die Emotionale Ansteckung Social Presence zu erzeugen, ist zunächst sicherzustellen, dass ein gemeinsames Verständnis des Kunden und des Serviceanbieters über die von dem Smiley ausgedrückte Emotion vorherrscht. Insbesondere vor dem Hintergrund des Ergebnisses, dass die Erfahrung im Umgang mit Smileys die wahrgenommenen Emotionen der SST verstärken, ist diesem Punkt eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Dies können vor allem die Smileys gewährleisten, die einfach und klar gestaltet und in der alltäglichen computervermittelten Kommunikation der Kunden (z. B. über Instant Messaging Dienste wie WhatsApp) weit verbreitet sind. Diese werden mit einer hohen Wahrscheinlichkeit vom Kunden erkannt und korrekt interpretiert (vgl. Yus 2014, S. 516; Wolf 2000, S. 829). Die Wahl einfacher und weithin bekannter Smileys erleichtert es auch den Kunden, die bislang noch wenig Erfahrungen im Umgang mit Smileys haben, die von den Smileys visualisierten Emotionen zu erkennen. Damit die Serviceanbieter von den positiven Effekten der Emotionalen Ansteckung profitieren können, sind die Smileys weiterhin so zu platzieren, dass der Kunde ihnen Aufmerksamkeit schenkt. Nur mit einem Mindestmaß an Aufmerksamkeit können die von den Smileys ausgedrückten Emotionen den Kunden in der Interaktion mit der SST anstecken und sich auf ihn übertragen. Die Aufmerksamkeit kann dabei durch eine zentrale Platzierung auf dem Bildschirm erreicht werden. Darüber hinaus sind im Hinblick auf die Platzierung des Smileys die Ergebnisse von Verhagen, van Nes und Feldberg (2014) zu berücksichtigen. Sie kommen in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass die Emotionale Ansteckung über einen statischen emotionalen Reiz (ein Foto eines lächelnden Servicemitarbeiters) nicht stimuliert werden konnte und empfehlen daher emotionale Reize (hier: den Smiley) stets reaktiv, d. h. als Reaktion auf eine Aktion des Nutzers, einzusetzen. Weiterhin sollten Smileys den Erkenntnissen von Provine, Spencer und Mandell (2007) folgend, möglichst vor oder nach einer kompletten Aussage bzw. Frage oder eines Teilsatzes in den Dialog eingebunden werden, damit sie die übliche Satzstruktur des Textes nicht unterbrechen und sich natürlich in die Kommunikation einfügen.
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Zusammenfassend kann der Einsatz der Smileys den zumeist neutralen und auf den funktionalen Nutzen fokussierten Dialogen der SSTs die menschliche Wärme einer Face-to-Face-Interaktion zurückgeben und somit das Serviceerlebnis im Hinblick auf die soziale und emotionale Komponente abrunden. Im Sinne des Artikels „small details that make big differences“ von Bolton et al. (2014) können die persönlicheren, sozialeren und wärmen Kundeninteraktionen mit den SSTs die kleinen Unterschiede im Serviceerlebnis des Kunden ausmachen, die eine große Wirkung hinsichtlich der Differenzierung und Profilierung gegenüber dem Wettbewerb zur Folge haben.
7 Fazit und Ausblick Immer mehr Self-Service Technologies, wie Automaten, Apps oder Chatbots, unterstützen den Kunden dabei, eine Serviceleistung rund um seine Beteiligung an einer Live Communication-Maßnahme eigenständig und flexibel für sich selbst zu erbringen. Hierbei fokussieren sich die textbasierten Dialoge der SSTs mit dem Kunden zumeist auf einen funktionalen Zweck (z. B. Kauf eines Tickets, inkl. Datenerfassung und finanzieller Transaktion). Die in diesem Beitrag vorgestellten Untersuchungsergebnisse geben in diesem Zusammenhang erste Hinweise darauf, wie die Kundeninteraktionen mit den SSTs unabhängig von ihrer Funktionalität auch mit einem „menschlichen Touch“ ausgestattet werden können, sodass das soziale Erlebnis der Kunden verstärkt und das Serviceerlebnis insgesamt abgerundet wird. Da sich die Erfahrungen, die der Kunde in der Interaktion mit den SSTs sammelt ebenso auf sein Gesamterlebnis im Rahmen der Live Communication-Maßnahme und deren Bewertung auswirken, bedingt der Einsatz und die Gestaltung der Kundeninteraktionen mit den SSTs die Erreichung der mit der Live Communication-Maßnahme verbundenen Ziele, sodass auch diesen begleitenden Serviceprozessen entsprechende Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Indem der Einfluss der durch den Smiley ausgedrückten Freude der SST auf die Social Presence untersucht und eine direkte und indirekte Beziehung aufgezeigt wurde, leistet die in dem vorliegenden Artikel beschriebene Untersuchung einen Beitrag zum tieferen Verständnis der sozialen und emotionalen Wirkung der SSTs und erweitert gleichsam die Wirkungsforschung der Smileys im Servicekontext. Dennoch ist die vorliegende Untersuchung als ein erster Schritt zur Erforschung des Einflusses der Smileys auf die Social Presence zu sehen und ist mit verschiedenen Limitationen verbunden. Diesbezüglich soll vor allem das gewählte Szenario angeführt werden. Dieses simuliert eine Servicebegegnung, die für den Kunden zufriedenstellend verläuft und in der keine Servicefehler, wie eine Fehlfunktion des Automaten, auftreten. Diese Einschränkung wurde bewusst gewählt, da insbesondere vor dem Hintergrund der Emotionalen Ansteckung nicht-zufriedenstellende Serviceinteraktionen aufgrund der damit verbundenen negativen Emotionen der Kunden als Sonderfall zu betrachten sind und somit einer gesonder-
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ten theoretischen und empirischen Auseinandersetzung bedürfen. Neben der Betrachtung der Wirkung der Smileys in nicht-zufriedenstellenden Serviceinteraktionen sowie im Beschwerdemanagement zeigt sich weiterer Forschungsbedarf, u. a. im Hinblick auf eine vergleichende Betrachtung verschiedener Smileys, der Anzahl der eingesetzten Smileys sowie der Platzierung der Smileys in den Dialogen der SSTs.
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Doreen Biskup, Irina Graf Vom #Hashtag zum Event – Influencerkommunikation bei B2B-Veranstaltungen am Beispiel des Eventplannerstalk 1
Einleitung
2
Influencerkommunikation am Beispiel „Eventplannerstalk“ 2.1 Die Entwicklung des Eventplannerstalk (#eventproftalk) 2.2 Methodik der Untersuchung
3
Die Ergebnisse 3.1 Die Veranstaltung 3.2 Influencerkommunikation 3.2.1 Paid-Owned-Earned Modell 3.2.2 Arten von Influencern 3.2.3 Eigenschaften von Influencern 3.2.4 Ziele der Influencerkommunikation 3.3 Zusammenfassung der Ergebnisse
4
Fazit und Diskussion
Literaturverzeichnis
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Zanger (Hrsg.), Events und Messen im digitalen Zeitalter, Markenkommunikation und Beziehungsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31775-1_5
Vom #Hashtag zum Event
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1 Einleitung Influencer Marketing und Influencer Relations werden seit mehr als zehn Jahren für den Einsatz im Rahmen der Unternehmenskommunikation diskutiert. Während Influencer Relations darauf abzielt, Influencer als Schnittstelle zwischen Unternehmen und Stakeholdern einzusetzen, um auf die Meinungsbildung einzuwirken, werden beim Influencer Marketing vorrangig absatzpolitische Ziele verfolgt (vgl. Ruisinger 2016 S. 103; Carter 2016). Nachfolgend werden die Begriffe Influencer Relations und Influencer Marketing unter dem Begriff Influencerkommunikation zusammengefasst (vgl. Pleil et al. 2018, S. 5). Im B2B-Bereich ist der Einsatz von Influencerkommunikation noch unzureichend untersucht (vgl. ebenda.). Dies kann zum einen auf die Komplexität der Themen und zum anderen auf die langfristigen Geschäftsbeziehungen zurückgeführt werden (vgl. Kreutzer 2015, S. 15). Vor allem die langfristigen Geschäftsbeziehungen unterliegen der Prämisse, möglichst vertrauensvoll und seriös zu sein, weswegen B2B-Kunden besonders sensibel auf Marketing-Tricks reagieren (vgl. Rizomyliotis et al. 2017, S. 81). Eine Studie der Hochschule Darmstadt (vgl. Pleil et al. 2017) zeigt, dass sich die Influencerkommunikation im B2B-Bereich nicht mit dem B2C-Bereich vergleichen lässt, da Kaufentscheidungen komplexer sind, rationaler getroffen werden und Fakten als Basis wichtiger sind. Zudem sind die Spezifizierung und die persönliche Reputation des Influencers wichtiger als die quantitative Reichweite. Sowohl Kunden als auch Mitarbeitern wird hier ein größeres Potential und eine höhere Glaubwürdigkeit als „Youtubern“ zugesprochen. Die Herausforderung besteht jedoch in der Identifikation geeigneter Influencer und im strategisch zielgerichteten Einsatz derselben. Sind beide Voraussetzungen erfüllt, ergibt sich eine Einsatzmöglichkeit in der dialogorientierten Kommunikation. Der Einsatz von Influencerkommunikation im B2B-Bereich unterliegt demzufolge anderen Anforderungen als im B2C-Bereich. Die Frage, die sich nun im Speziellen stellt, ist: Welche Auswirkung hat der Einsatz von Influencerkommunikation bei B2B-Veranstaltungen? Eine qualitative Untersuchung wird im Rahmen des Eventplannerstalk in Bern 2020 vorgenommen. Die forschungsleitenden Fragen lauten wie folgt: • • •
Welchen Nutzen hat der Veranstalter durch den Einsatz von Influencerkommunikation? Welche Kriterien müssen beim Einsatz von Influencerkommunikation bei B2BVeranstaltungen beachtet werden? Welche Handlungsempfehlungen lassen sich für den Einsatz von Influencerkommunikation bei B2B-Veranstaltungen ableiten?
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Doreen Biskup, Irina Graf
2 Influencerkommunikation am Beispiel „Eventplannerstalk“ 2.1 Die Entwicklung des Eventplannerstalk (#eventproftalk) Der Eventplannerstalk (#eventprofstalk) wurde 2014 von Irina Graf auf Twitter initiiert. Die Idee war, zu einem festgelegten Zeitpunkt, meeting- und eventmarktbezogene Themen online zu diskutieren, eine Community zu bilden und eine Lern- und Networkplattform zu schaffen. Mit steigender Anzahl an Twitterfollowern entstand das Bedürfnis der Community nach einem direkten Face-to-Face-Austausch. So findet seit 2015 regelmäßig ein Eventplannerstalk in ausgewählten Locations in London, Frankfurt a.M. und Berlin statt. 2020 wird die erste internationale, mehrtägige Eventplanners-Konferenz in Bern stattfinden. Von 2014 bis Ende 2019 gelang es Irina Graf über verschiedene Social-Media-Kanäle eine Community mit einer Größe von 23.495 Follower, Fans und Abonnenten aufzubauen. Nachfolgend sind die Social-Media-Kanäle von Irina Graf mit der Anzahl der Follower dargestellt.
Abb. 1: Die Community von Irina Graf Quelle: eigene Erstellung, Stand 10.2019
Was mit einem Hashtag begann, entwickelte sich innerhalb von fünf Jahren zu einer internationalen Business-to-Business (B2B) Konferenz – mit dem Zweck, Wissen und Informationen auszutauschen sowie Kontakte zu knüpfen.1
1
Nach Getz (2012, S. 41) existieren neben dem Austausch von Wissen und Informationen sowie der Leadgenerierung der Zweck des Infotainments und der Emotionalisierung bei Business- und TradeVeranstaltungen.
Vom #Hashtag zum Event
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2.2 Methodik der Untersuchung Um die Relevanz der Influencerkommunikation zu untersuchen, wurde deutsch- und englischsprachige Fachliteratur zum Thema Influencerkommunikation der Bereiche B2B und B2C aus den Jahren 2015 bis 2019 zusammengefasst. Daraus entstand ein Kategoriensystem, welches die Grundlage für die Auswertung der Daten bildete. Es wurden ein schriftliches Interview und zwei telefonische Interviews geführt. Zusätzlich wurden ausgewählte Social Media Posts der Kanäle Twitter, Facebook, Instagram und LinkedIn im Zeitraum vom 01.06.2019 bis 30.09.2019 für die Untersuchung herangezogen. Die qualitative Untersuchung mündete in einer Inhaltsanalyse, mit der das Leitfadeninterview, die Folgeinterviews sowie die Social Media Posts ausgewertet wurden. Um eine Vergleichbarkeit mit bestehenden, aber auch zukünftigen Untersuchungen zu ermöglichen, wurde ein Kategoriensystem erarbeitet, welches ergänzend zu den Clustern der Influencerkommunikation auch Merkmale der Veranstaltung enthält.
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Tab. 1: Kategorien der Untersuchung
Bezug
#
Kategorie
Subkategorie
Veranstaltung
A
Ziele der Veranstaltung
/
B
Zielgruppe
/
C
Dauer der Veranstaltung /
D
Teilnehmeranzahl Live / Veranstaltung
E
Kommunikationskanäle / zur Vermarktung der Veranstaltung
1
Kategorien des In- • Paid fluencers aus Sicht des • Earned Unternehmens • Corporate
2
ABCC Kriterien
Influencerkommunikation
• • • •
Authentizität Brand Fit Community (Reichweite, Resonanz, Relevanz) Content
3
Kategorien von Influencern
• • • • • • • •
Macro Micro Key Opinion Leader Digital Opinion Leader Influencer Multiplikator Testimonial Celebrity - Category – Micro (Analog)
4
Ziele von Influencer- • kommunikation • • • • •
Conversion Content Sharing und Content Creation Dialogue Reputationstransfer Emotionalisieren Verlängerung der Reichweite der eigenen Botschaften Steigerung des Engagements auf den eigenen Kanälen Leadgenerierung Zielgruppeninsights
• • • Quelle: eigene Erstellung
Vom #Hashtag zum Event
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Die Inhalte der Kategorien werden im Zusammenhang mit der Auswertung in Kapitel 3 erläutert.
3 Die Ergebnisse 3.1 Die Veranstaltung Ausgehend von der Zielstellung des Online-Eventplannerstalks liegen auch die Ziele der Live-Veranstaltung in der Professionalisierung des Veranstaltungsmarktes und dem Festlegen von Bildungsstandards. Aufgrund der hohen Social Media Reichweite ist ein weiteres Ziel, für eine zeitgemäße Form der Kommunikation zu sensibilisieren. Über die Möglichkeit für die Teilnehmer an der Community des Eventplannerstalks 24 Stunden am Tag, an 365 Tagen im Jahr zu partizipieren und zu interagieren, soll der Veranstaltungslebenszyklus verlängert werden. In Kooperation mit der Destination Bern soll das Berneser Oberland als Destination für Veranstaltungen bekannt gemacht werden. Die Live-Veranstaltung findet an vier aufeinanderfolgenden Tagen statt. Es nehmen ca. 35 bis 50 Teilnehmer teil. Die primäre Zielgruppe der Live-Veranstaltung ist die OnlineCommunity. Das Alter liegt bei 25 bis 34 Jahren. Die Veranstaltung wird über die digitalen Kanäle, über die regionalen Eventplannerstalks, Vorträge der Veranstalterin bei Fachkonferenzen und anderen Netzwerkveranstaltungen beworben (siehe Tabelle 2). Tab. 2: Einordnung Eventplannerstalk2020 Bern.
#
Kategorie
Ergebnisse
A Ziele der Veranstaltung
• Professionalisierung des Veranstaltungsmarktes • Bildungsstandards festlegen • Sensibilisierung für eine zeitgemäße Form der Kommunikation • Veränderung des Veranstaltungslebenszyklus • Vermarktung der Destination Bern
B
Zielgruppe
• Online Community → Offline • 25 bis 34 Jahre
C
Dauer der Veranstaltung
• 4 Tage
D Teilnehmeranzahl (Live Veranstaltung)
• 35 bis 50 Teilnehmer
E
• Social Media
Kommunikationskanäle zur Vermarktung der Veranstaltung
• Vorträge auf Fachkonferenzen • Regionale Eventplannerstalks • Third Party Events
Quelle: eigene Erstellung, in Anlehnung an Grad (2019)
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Doreen Biskup, Irina Graf
3.2 Influencerkommunikation 3.2.1 Paid-Owned-Earned Modell In der Zusammenarbeit von Influencern und Unternehmen existieren verschiedene Modelle, die das Thema Influencerkommunikation strukturieren. Das Paid, Owned, Earned Modell differenziert die Art der Influencerkommunikation nach der Art der Unternehmenszugehörigkeit und der Bezahlung. Daraus entstehen die Bereiche •
Influencer Marketing (Paid),
•
Influencer Relations (Owned) und
•
Corporate Influencer (Earned).
Influencer Marketing ist gekennzeichnet durch bezahlte Erwähnungen, geteilte Inhalte, Bewertungen, Kommentare, Reviews auf externen Kanälen. Die Influencer werden in die eigenen Online-Werbemittel integriert. Auch eine Paid Media Integration wie auf LinkedIn oder Xing ist möglich. Influencer Relations kommen dann zu Stande, wenn unbezahlte Erwähnungen, geteilte Inhalte, Bewertungen, Kommentare, Reviews auf Kanälen Dritter platziert werden. Dazu zählen auch generierte Erwähnungen während eigener Unternehmensveranstaltungen, Sprecher-Platzierungen und Social Media Posts bei Medienberichten. Eine für Unternehmen sehr interessante Form der Influencerkommunikation sind die Corporate Influencer. Mitarbeiter, Experten, aber auch der CEO oder Geschäftsführer können diese Form des Influencers annehmen, indem sie eigene Fachartikel, Whitepaper, Studien, Umfragen, Foren, Chats, Webinare initiieren und veröffentlichen und als Teilnehmer oder Redner an Veranstaltungen teilnehmen. Publikationen in den Unternehmensmedien stellen ebenfalls Corporate Influencer Aktivitäten dar (vgl. Lewinski 2018, S. 88; Lovett et al. 2018). In ihrer Funktion als Veranstalterin und Initiatorin des Eventplannerstalks und in der Kooperation mit Switzerland Convention & Incentive Bureau kann Irina Graf als Corporate Influencer für den Eventplannerstalk eingeordnet werden, da sie als Influencerin ihrer eigenen Veranstaltung die Kommunikation mit der Community übernimmt. In anderen Bereichen wird Irina Graf jedoch von externen Veranstaltern wie dem Verband der Veranstaltungsorganisatoren beauftragt, Content über Veranstaltungen zu kreieren und die Berichterstattung in den sozialen Medien in ihren eigenen Kanälen und auf den Kanälen des Veranstalters zu übernehmen. Diese Art der Zusammenarbeit fällt in den Bereich der Influencer Relations (Owned). Aber auch eine Zusammenarbeit im klassischen Influencer Marketing und damit Paid Bereich ist möglich, wenn sie beispielsweise
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beauftragt wird über FAM-Trips2 von Destinationen zu berichten. Damit wird deutlich, dass die Zielstellung des Influencers in Bezug auf die Kooperation ein Kriterium ist, in welchen Bereich der Influencer eingeordnet werden kann. Die Praxis zeigt, dass auch Mischformen möglich sind. 3.2.2 Arten von Influencern Influencer lassen sich nach der Anzahl der Follower, ihrem Status und ihrem Einfluss in der digitalen oder analogen Welt kategorisieren. Die nachfolgende Übersicht zeigt die Möglichkeiten der Kategorisierung nach der Anzahl der Follower, der Art des Kommunikationskanals (Online oder Live) und des Status. Tab. 3: Kategorien von Influencern
Kategorie
Bezeichnung
Macro Anzahl der Follower Micro
Erklärung Mehr als 100.000 Follower Weniger als 100.000 Follower Influencer im B2B Bereich Fach- und Expertenwissen
Key Opinion Leader (KOL)
Online vs. Live
2
i.d.R. nicht von einem Unternehmen gekauft Publikationen in Offline Medien & auf Veranstaltungen
Teilen und Erstellen von Content findet ausschließlich digital statt.
Digital Opinion Leader (DOL) Haben seltener als KOLs ein gehobenes AutoritätsSenioritätslevel
oder
Influencer
Person, die die Meinung, Einstellung Dritter beeinflussen kann. Nahbarer als ein Testimonial. Kann durch die Kooperation mit Unternehmen zum Testimonial werden.
Multiplikator
Personen des öffentlichen Lebens, die die Meinungsbildung aufgrund ihrer Position (Politiker, Journalist, Wissenschaftler) beeinflussen.
FAM-Trips sind Kurzreisen oder Touren, die ein oder mehrere Dienstleister für die Einkäufer von Veranstaltungsdienstleistungen organisieren, um diese sog. Buyer mit der Destination vertraut zu machen. Diese Touren sind für die teilnehmenden Einkäufer in der Regel kostenfrei oder mit einer relativ geringen Gebühr verbunden (vgl. Facchinetti 2012, S. 127).
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Doreen Biskup, Irina Graf
Prominenter Influencer Testimonial
Ist dem Rezipienten durch die Medien bekannt. Werden von Unternehmen zur Vermarktung ihrer Kampagne oder Leistungen engagiert. Weitreichender Ruhm
Celebrity
Beeinflussen eine breite Masse an Fans. Traditionell: Schauspieler, Musiker Online Influencer, die über die o. g. Kriterien verfügen Kennzeichnen sich durch ein echtes Interesse, Expertise oder Enthusiasmus in Bezug auf ein Thema (Mode, Autos, Musik, Event).
Status
Category
A Person, die in dem Bereich arbeitet (Veranstaltungsmanager). B Person, die über eine weitreichende Expertise in diesem Bereich verfügt.
Micro (nach Backaler, 2018 eher Offline)
Kennzeichnen sich durch ihre Leidenschaft und ihr Wissen in Bezug auf ein bestimmtes Thema. Haben nicht zwingend eine hohe Online Reichweite, unter Umständen nicht einmal eine Online Präsenz.
Quelle: eigene Erstellung, in Anlehnung an Lammers (2018, S. 112); Clifton (2016); Mediakix (2016); Wolfson (2017); Lewinski (2018, S. 88); Backaler (2018, S. 22)
Bezogen auf die Followeranzahl und den Schwerpunkt auf Meetings- und Events kann Irina Graf als ‚Category‘ und mit der Communitygröße von mehr als 23.000 als ‚Micro Influencer‘ eingeordnet werden. Durch ihre überwiegende Online-Einflussnahme wird sie zudem als ‚Digital Opinion Leader‘ eingestuft. 3.2.3 Eigenschaften von Influencern Es existieren verschiedene Ansätze, die Eigenschaften von Influencern zu beschreiben. Deges (2018, S. 16 f.) benennt Glaubwürdigkeit, Vertrauen, Authentizität und Identifikation. Cialdini (2017, S. 21) benennt Autorität, Sympathie, Reziprozität, Konsistenz, soziale Bewährtheit und Knappheit. Nirschl und Steinberg (2018, S. 31) bestimmen als Kriterien für eine wirksame Inlfuencerkommunikation die Reichweite, Relevanz, Reputation, Resonanz, Zieldefinition und Zielgruppe.
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Backaler (2018, S. 28) legt ABCC-Kriterien fest, um die Qualität eines Influencers bewerten zu können. ABCC steht dabei als Akronym für Authentizität, Brand Fit, Community und Content. Im Rahmen der Untersuchung werden die ABCC-Kriterien genutzt, um die Qualität des Influencers zu bewerten. Die Kriterien von Deges (2018), Cialdini (2017) und Nirschl & Steinberg (2018) werden bei der Zielstellung noch einmal aufgegriffen. Authentiztät meint die authentische, vertrauensvolle Beziehung zur Community. Der Fokus liegt auf Engagement, Gefühlen und Business Ergebnissen. Die besten Influencer bewahren sich Neutralität und Unabhängigkeit. Irina Graf kann als neutral und unabhängig eingestuft werden. Beiträge, die in den Bereich Paid oder Owned fallen, werden konsequent mit dem Hinweis „Ad“ für Advertorial gekennzeichnet, was die Schaffung von Transparenz gegenüber der Community ermöglicht und zur Bildung von Vertrauen beiträgt. Als Influencerin wird Irina Graf für den Meeting- und Eventmarkt von der Community als authentisch und vertrauenswürdig wahrgenommen (siehe Abbildung 2).
Abb. 2: Beispiel ABCC Kriterien Quelle: Graf (2019d)
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Brand Fit zielt auf das Spannungsfeld zwischen der Eigenmarke Influencer und der Unternehmensmarke ab. Die Influencer unterliegen einem ständigen Spannungsfeld zwischen ihrer eigenen Marke und den Marken, mit denen sie zusammenarbeiten. Der Brand Fit zwischen dem #eventprofstalk, Irina Graf und der Destination liegt in den Attributen vertrauensvoll, zuverlässig und professionell. Da der Eventplannerstalk bereits in anderen Destinationen stattfand, ist zumindest bei einer einmaligen Veranstaltung nicht davon auszugehen, dass ein nachhaltiger Brand Fit entsteht. Das Kriterium Community differenziert zwischen Reichweite, Resonanz und Relevanz. Reichweite meint die totale Anzahl von Influencer Audience (Follower, Suscriber, Traffic) über alle Social-Media-Kanäle hinweg (wie Follower, Subscriber, Traffic). Die Top Herkunftsdestinationen der Community von Irina Graf sind UK, U.S., Indien und Deutschland. Zwei Drittel der Community sind männlich, ein Drittel weiblich. Die totale Anzahl der Community liegt bei 23.495 Abonnenten, Followern und Fans. Die größte in sich geschlossene Community findet sich auf dem Twitteraccount vom Eventplannerstalk und dem persönlichen Twitteraccount von Irina Graf. Resonanz zielt auf das Social Media Engagement ab. Sobald die Community mit dem Content des Influencers interagiert, entsteht Resonanz und damit Social Media Engagement. Diese lässt sich durch bestimmte Metriken erfassen: •
Likes
•
Follower
•
Shares
•
Kommentare
•
Retweets
•
Click-Throughs
Beispiel: Ein Tweet, der an 100 Follower geschickt wird, und nicht geretweetet wird, hat sicher kaum Resonanz (vgl. Tran, 2019). Die Community interagiert auf allen Kanälen mit dem Content der Influencerin – sei es durch Kommentare oder in dem der Content aufgegriffen wird und eigene Beiträge daraus entstehen (siehe Abbildung 3).
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Abb. 3: Community Interaktion. Quelle: Venegas (2019).
Die Engagement Rate ist mit zehn Prozent vergleichsweise hoch3. Vor allem bei LinkedIn ist hier erkennbar, dass die wichtigsten internationalen Wettbewerber eine deutlich niedrigere Engagement Rate haben.
EVENT PLANNERS TALK
C&IT MAGAZINE
INVOYAGE
M&I FORUMS
5,59%
4,44%
5,48%
4,19%
10%
Engagement rate
THE MEETING SHOW
Abb. 4: Engagement auf LinkedIn. Zeitraum 31.05.2019 bis 06.10.2019. Quelle: Graf (2019e)
3
Zum Vergleich: Der Oktoberfest Post der Modebloggerinnen Sara Harrison und Liz Kaeber für die Marke Douglas auf Instagram hatte eine Engagement Rate von 9,96 Prozent (vgl. Horizont 2019).
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Die Relevanz beschreibt die inhaltliche Passfähigkeit (Fit) mit einem konsistenten Themenset, das die Community interessiert. Aus der Markensicht ist die Relevanz auch das Kriterium, welches den Fit der Influencer Community mit dem Fit der Markenzielgruppe darstellt. Zusätzlich spielt die Art und Weise der Community-Kommentare eine Rolle. Jemand, der ein echter Influencer ist, erhält themenspezifische Kommentare. Die Interaktion und die Tonalität der Kommentare auf den Kanälen von Irina Graf sind geprägt durch themenspezifische Kommentare. Zusätzlich ist erkennbar, dass der #eventprofstalk direkt positiv mit Irina Graf in Verbindung gebracht wird (siehe Abbildung 2 und 3). Content ist die Art und Weise wie der Influencer einen Mehrwert für seine Community kreiert und wie die Beziehung zur Community aufgebaut wird. Damit geht die Frage einher, wie Influencer Content kreieren, den die Community nirgendwo anders finden kann (vgl. Backaler 2018, S. 28.). Im Hinblick auf die Relevanz und den Content wird über die Fragen des #eventproftalks jeden Montag neuer und für die Community einzigartiger Inhalt kreiert. Aber auch die Kommentare und das Aufgreifen der Themen, um diese auf Kanälen anderer Key oder Digital Opinion Leader weiter zu diskutieren, zeigen, dass auch diese Kriterien erfüllt sind. 3.2.4 Ziele der Influencerkommunikation Der Einsatz von Influencern in der B2B-Kommunikation ist stark von den Unternehmenszielen abhängig. Die nachfolgende Tabelle zeigt die wichtigsten Ziele im Zusammenhang mit Influencerkommunikation. Tab. 4: Ziele der Influencerkommunikation
Conversion
Die Conversion Rate ermittelt den prozentualen Anteil der Kaufinteressenten, die bei dem Besuch einer Webseite zu Käufern / Abonnenten werden oder allgemein eine bestimmte Aktion ausführen. Wenn von 1.000 Besuchern 32 kaufen, spricht man entsprechend von einer Conversion Rate von 3,2 Prozent.
Content Sharing
Anzahl der geteilten Inhalte
Content Creation
Die Art und Weise, wie die Community aus dem Inhalt des Influencers selbst Inhalte kreiert.
Dialogue
Die Art und Weise, ob Diskussionen durch den bereitgestellten Inhalt entstehen.
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Reputationstransfer
Die Art und Weise wie Unternehmen, Personen, Marken wahrgenommen werden. Reputation entsteht erst dann, wenn viele Menschen ein Reputationsobjekt wahrnehmen und Wissen und Bewertungen darüber interpersonell oder medienvermittelt austauschen (vgl. Einwiller 2014, S. 371f.)
Emotionalisieren
Emotionen und Gefühle beim Rezipienten wecken. Dies ist stark von der Bedeutung abhängig, die der Rezipient dem Inhalt aufgrund seines Wertesystems und Verhaltensgenetik beimisst (vgl. Mellmann 2017, S. 243)
Verlängerung der Unternehmen können über den Einsatz von Influencern die Reichweite der eige- Markenbotschaften auf den Kanälen der Influencer streuen. nen Botschaften Steigerung des Enga- Auf den Kanälen des Unternehmens soll eine Interaktion der gements auf den eige- Community mit dem Content stattfinden. nen Kanälen Leadgenerierung
Indem Influencer auf herunterladbare Inhalte verweisen, können Kontaktdaten gesammelt werden.
Zielgruppeninsights
Über die Tonalität der Berichterstattung, direkte Fragen und Diskussionen können Zielgruppeninformationen direkt oder indirekt, öffentlich und nicht-öffentlich gesammelt werden.
Quelle: eigene Erstellung, in Anlehnung an Einwiller (2014, S. 371f.); Lewinski (2018, S. 88-91); Mellmann (2017, S. 243)
Die Social Media Kommunikation auf den Kanälen von Irina Graf führt in Bezug auf den Eventplannerstalk in Bern dazu, das zum einen Speaker, zum anderen aber auch Teilnehmer generiert werden. Der Dialog entsteht durch die regelmäßigen Eventproftalks auf Twitter, wodurch auch Zielgruppeninsights möglich sind. Die Inhalte werden zum einen durch andere Meinungsführer aufgegriffen und auf deren Kanälen geteilt und zum anderen weitergedacht und in deren Community kommuniziert. Dadurch werden die Botschaften von Irina Graf in ihrer Reichweite verlängert. Es werden zusätzliche Kontakte generiert. Es ist davon auszugehen, dass ein Reputationstransfer zwischen der Influencerin und der Destination Bern stattfindet. Dies konnte jedoch nicht abschließend gemessen werden. Auch der Grad der Emotionalisierung wurde nicht gemessen.
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3.3 Zusammenfassung der Ergebnisse Der Nutzen der Influencerkommunikation beim Eventplannerstalk liegt darin, dass nachweisbar, folgende Ziele der Influencerkommunikation erreicht werden: •
Conversion
•
Content Sharing
•
Content Creation
•
Dialogue
•
Verlängerung der Reichweite der eigenen Botschaften
•
Leadgenerierung
•
Zielgruppeninsights
•
Steigerung des Engagements auf den Kanälen von Irina Graf
Es ist davon auszugehen, dass ein wechselseitiger Reputationstransfer zwischen der Influencerin und der Destination Bern stattfindet. Nicht gemessen wurde der Grad der Emotionalisierung. Beim Einsatz von Influencern bei B2B-Veranstaltungen ist darauf zu achten, dass der Influencer die ABCC-Kriterien erfüllt. Der Influencer sollte fach- und/oder branchenspezifische Kenntnisse haben und bereits über eine ausreichende Online-Community verfügen. Damit fallen geeignete Influencer für B2B-Veranstaltungen in den Bereich der Micro- und Category-Influencer und sind Digital Opinion Leader. Sowohl der Zeithorizont für die Communitybildung als auch die Zusammenarbeit zwischen Stakeholdern und Influencer sollte mittel- bis langfristig ausgelegt sein, damit ein Brand Fit erreicht wird (zwei Jahre und mehr). Die Bildung langfristiger strategischer Partnerschaften sollte das Ziel der Zusammenarbeit sein. Über die Zielgruppeninsights, über den Dialog und Content Creation ist es so möglich, die Community und den Influencer in den Prozess der Leistungserstellung zu integrieren. Die Content Creation muss dabei regelmäßig und für die Community im Idealfall zu einem festen Termin erfolgen. Das hat zur Folge, dass eine regelmäßige Interaktion stattfindet und auch ein permanentes Monitoring möglich ist. Ein überraschendes Ergebnis der Untersuchung ist die Erkenntnis, dass der Eventplannerstalk zeigt, wie aus einem Hashtag erst eine Online-Community und dann eine LiveVeranstaltung wird. Aufgrund der Größe der Online-Community ist es kein Ziel der Veranstaltung, eine möglichst hohe Teilnehmerzahl zu generieren, da die Gesamtreichweite online und offline zählt und Content Sharing, Dialog und Content Creation primär digital stattfinden.
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4 Fazit und Diskussion Die Untersuchung der Veranstaltung „Eventplannerstalk“ in Bern zeigt, wie aus einem Hashtag eine Veranstaltung werden kann. Was als Twitterchat begann, hat sich im Zeitverlauf von fünf Jahren zu einer Online Community rund um Irina Graf als Gründerin mit 23.495 Followern entwickelt. Der Fokus der Community liegt im fachlichen Austausch zu den Themen Meeting und Event. Irina Graf ist Gründerin, Initiatorin und Veranstalterin des Eventplannerstalk. Als Digital Opinion Leader greift sie Themen der Meeting- und Eventbranche auf und initiiert einen intensiven Austausch. Die Community hat eine hohe Engagement Rate, weshalb auch Key Opinion Leader wie Hector Venegas die Themen aufgreifen und Content für deren Community kreieren. Damit ist Irina Graf eine Influencerin für die Meeting- und Eventbranche. Anhand ihres Falles als Influencerin und Veranstalterin wird deutlich, dass im Bereich der Category Influencer sowohl die Online- als auch Offlinekommunikation relevant sind und neben digitalen Begegnungen auch reale Begegnungen geschaffen werden sollten. Laut Graf (2019b) lässt sich vor allem die Zielgruppe der 25 bis 34-jährigen sehr gut über Social Media erschließen. Deren Teilnahme an der Veranstaltung resultiert daraus, dass auf Seiten der Teilnehmer bereits Vertrauen gebildet wurde und der Wunsch nach einer Fortführung der Begegnungen im realen Austausch besteht. Die Entwicklung der Online Community zu einer realen Veranstaltung zeigt, wie sich Veranstaltungen zukünftig co-kreativ und zielgruppengerechter entwickeln können. Ein Vorteil dieses Prozesses ist, dass der Veranstaltungslebenszyklus auf 365 Tage im Jahr verlängert werden kann. Daraus ergeben sich Konsequenzen für die Art und Weise, wie Veranstaltungen zukünftig konzipiert und geplant werden können, da die Online Community des Influencers direkt in den Leistungserstellungsprozess der Veranstaltung einbezogen werden kann. Über den Fall „Eventplannerstalk“ können damit Tendenzen abgeleitet werden, wie sich der Leistungserstellungsprozess der Veranstaltung zukünftig ändert und wie Stakeholder aufgrund des zu erwartenden Reputationstransfers einen weiteren Vertriebs- und Kommunikationskanal nutzen können. Das entwickelte Kategoriensystem ist eine Grundlage, um die Influencerkommunikation bei B2B-Veranstaltungen messbar zu machen: wenngleich die Praktikabilität der Messung für die Praxis nur bedingt gegeben ist, da sie vergleichsweise zeitaufwendig ist. Fragen, die zudem über weitere Untersuchungen geklärt werden müssen, sind: •
Inwiefern findet eine Emotionalisierung der Community statt?
•
Wie hoch ist der Reputationstransfer zwischen Influencer und Stakeholder?
•
Welche Referenzwerte können für die Kennzahlen der Kriterien festgelegt werden?
•
Welche Auswirkung hat der Zweck der Veranstaltung auf die Ergebnisse?
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Mandy Risch-Kerst, André Schneider Influencer-Marketing aus Perspektive des Wettbewerbsrechts (UWG): Die Voraussetzungen der wettbewerbsrechtlichen Konformität für Influencer 1
Einleitung
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Influencer-Marketing 2.1 Begriff und Abgrenzung 2.2 Typologien und Formen
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Wettbewerbsrechtliche Konformität – Darstellung anhand von drei Entscheidungen 3.1 Das Berliner Kammergericht: Fall Vreni Frost – Urteil vom 08.01.2019 3.1.1 Sachverhalt 3.1.2 Entscheidung des Gerichts 3.2 Das Landgericht Karlsruhe: Fall Pamela Reif – Urteil vom 21.03.2019 3.2.1 Sachverhalt 3.2.2 Entscheidung des Gerichts 3.3 Das Landgericht München: Fall Cathy Hummels – Urteil vom 29.04.2019 3.3.1 Sachverhalt 3.3.2 Entscheidung des Gerichts 3.4 Verstoß gegen die Grundrechte? 3.4.1 Kammergericht Berlin 3.4.2 Kammergericht Karlsruhe 3.4.3 Kammergericht München 3.5 Vergleich der Gerichtsentscheidungen und Fazit
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Literaturverzeichnis © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Zanger (Hrsg.), Events und Messen im digitalen Zeitalter, Markenkommunikation und Beziehungsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31775-1_6
Influencer-Marketing aus der Perspektive des Wettbewerbsrechts
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1 Einleitung In der gesamten Wirtschaft verlagern sich Marketingstrategien immer mehr weg von den klassischen Strategien wie im Fernsehen ausgestrahlten Werbespots oder Plakatwerbung hin zu neueren Methoden des Marketings, wie etwa dem Influencer-Marketing. Als noch verhältnismäßig neues Marketingtool ist das Influencer-Marketing jedoch für die Influencer und Unternehmen keinesfalls ein rechtsfreier Raum. Dennoch besteht hinsichtlich der Anwendbarkeit bestimmter Normen noch Klärungsbedarf und es fehlt oftmals an konkreten Handlungsempfehlungen für die Praxis. Auch ist die Rechtsprechung bisher uneinheitlich. Dies wird in diesem Beitrag anhand von drei Gerichtsurteilen herausgearbeitet und entsprechende praxisrelevante Implikationen abgeleitet.
2 Influencer-Marketing 2.1 Begriff und Abgrenzung Als Influencer werden Personen bezeichnet, die durch ihr Tun und Handeln sowie ihre Kommunikationsaktivitäten andere Menschen in ihren Einstellungen und Verhalten beeinflussen (vgl. Pöllmann 2019; Jahnke 2018; Schach 2018). Der gesellschaftliche Status und die Popularität dieser Personen haben für den Erfolg eine große Bedeutung (vgl. Grabs/Shudhoff 2014). Influencer sind Multiplikatoren und Meinungsführer, insbesondere innerhalb ihrer Community, die Produkte, Marken und ihre Werbe-botschaften über diverse digitale Kommunikationskanäle weiterverbreiten (vgl. Jahnke 2018; Schach 2018; Ruisinger 2016). Influencer können in Blogger und Content Creators unterschieden werden (vgl. Schach 2018). Während Blogger einen eigenen Webblog betreiben, nutzen Content Creators bestehende soziale Netzwerke wie beispielsweise Instagram, Snapchat, YouTube oder Twitter, um mit ihrer Zielgruppe zu interagieren (vgl. Schach 2018; Primbs 2016; Czerwinski 2014). Unter dem Begriff des Influencer-Marketings wird die Zusammenarbeit von Unternehmen mit individuellen Personen verstanden, welche eine relevante Menge an Zuschauern, Zuhörern oder Followern ansprechen und beeinflussen können. Das Unternehmen bzw. Agentur muss dabei gewährleisten, dass die engagierten Influencer auch die richtigen Ziel- und Anspruchsgruppen ansprechen können (vgl. Jahnke 2018; Fischer 2016). Abzugrenzen ist das Influencer-Marketing von den Influencer-Relations. Während beim Influencer-Marketing die Kommunikation primär auf den Absatzmarkt ausgerichtet ist, liegt der Fokus bei den Influencer-Relations auf dem Meinungsmarkt und der direkten Beeinflussung der Meinungsbildung (vgl. Lommatzsch 2018).
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Mandy Risch-Kerst, André Schneider
2.2 Typologien und Formen Influencer lassen sich anhand verschiedener Kriterien unterscheiden, wie z.B. der Abonnentenzahl, der genutzten Medienkanäle oder auch der fachlichen Expertise bzw. Spezialisierung (vgl. Pöllmann 2019; Lammers 2018; Wolfson 2017). Bezogen auf die Anzahl der Follower wird oftmals zwischen Macro-Influencern (> 100.000 Follower) und Micro-Influencern (< 100.000 Follower) unterschieden (vgl. Wolfson 2017; Audunsson 2017; Clifton 2016). Eine noch differenziertere Typologie unterscheidet zwischen Mega-Influencern (> 1.000.000 Follower), Macro-Influencern (10.000 bis 1.000.000 Follower) und den Micro-Influencern (500 bis 10.000 Follower) (vgl. van Gogh 2017). Wie die beiden Typologien aufzeigen, liegt bis heute keine einheitliche Definition vor, ab welcher Anzahl an Follower beispielsweise ein Instagramer, YouTuber oder auch Snapchatter als Influencer angesehen wird und zu welcher Kategorie er gezählt werden kann (vgl. Lammers 2018). Ein weiteres Differenzierungskriterium stellt die inhaltliche bzw. fachliche Spezialisierung dar. Macro-Influencer und Mega-Influencer greifen oftmals allgemeine Themenbereiche auf, die meist aus den Bereichen Mode, Kosmetik, Ernährung oder auch Reisen kommen. Hingegen verfolgen Micro-Influencer eine andere Strategie. Diese spezialisieren sich oftmals auf ein Fachthema. Auch wenn die Spezialisierung auf ein Themenfeld die Reichweite des Influencers begrenzen kann, so besteht gleichzeitig die Chance auf eine Erhöhung der Glaubwürdigkeit (vgl. Lammers 2018; Ihnenfeldt 2017). Im Bereich des Influencer-Marketings haben sich diverse Content-Formate entwickelt, die von den Influencern genutzt werden. Hierzu zählen beispielsweise „Unboxing“ (auspacken von Produkten), „Routine“ (integrieren von Produkten in ihren Tagesablauf oder bestimmte Rituale), „Tutorial“ (erklären des Aufbaus oder Nutzung von Produkten), „Lookbook“ oder auch „Haul“ (präsentieren der gekauften Produkte) (vgl. Nguyen 2018).
3 Wettbewerbsrechtliche Konformität – Darstellung anhand von drei Entscheidungen Suchte man bis vor Kurzem noch vergeblich nach einer rechtlichen Einordnung zum Influencer-Marketing, so sind drei Gerichtsentscheidungen hierzu aus dem Jahr 2019 nun in aller Munde. Die Entscheidungen setzen sich allesamt mit einem Thema auseinander: Dem Verstoß der Influencer gegen das Wettbewerbsrecht durch sogenannte „Tags“.
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3.1 Das Berliner Kammergericht: Fall Vreni Frost – Urteil vom 08.01.2019 Das erste zu betrachtende Urteil stammt vom 08. Januar 2019 vom Berliner Kammergericht. Das Berliner Kammergericht entschied in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, welche das Verhalten der Influencerin Vreni Frost auf Instagram unterbinden sollte. Den Antrag stellte ein eingetragener Verein, zu dessen Aufgaben die Wahrung des Wettbewerbsrechts gehört. Das Urteil setzt sich mit drei verschiedenen Posts auseinander. Das Kammergericht kommt zu dem Urteil, dass zwei der drei in Frage stehenden Posts der Influencerin gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen. 3.1.1 Sachverhalt Vreni Frost ist eine Modebloggerin, die ursprünglich aus der PR-Branche kommt und in Berlin lebt. Im Urteil geht es um insgesamt drei Blogeinträge der Bloggerin auf der Plattform Instagram, die nach Auffassung des den Wettbewerbsverstoß anzeigenden Vereins (im Folgenden: Verein) einen Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb darstellen. Blogbeitrag zu 1: Im ersten Blogbeitrag ist die Bloggerin im Liegen zu sehen. Sie trägt einen Pullover mit Aufschrift, eine Bauchtasche und eine Brosche. Unter dem Blogbeitrag steht: „[Werbung] #unbezahlt Totally Bananas Nach JetSet brauche ich dringend mal wieder BettSet und ein paar Tage Ruhe. Bin auf dem Weg zurück nach Berlin und freue mich tierisch auf die Katers und meine Lieblingsmenschen “ (vergleiche: Instagramprofil vrenifrost) Im Bild sind die jeweiligen Profile der Marken der Bekleidung der Bloggerin durch sogenannte Tags verlinkt. Solche „social tags“ sind definiert als gemeinschaftliche Verschlagwortung, bei der Nutzer den Inhalten von sozialer Software Schlagwörter zuordnen. Vereinfacht ausgedrückt: Tags sind in den entschiedenen Fällen Verlinkungen zu anderen Instagramprofilen in einem Instagram-Post. Blogbeitrag zu 2: In einem weiteren Blogbeitrag ist die Bloggerin mit einigen Luftballons in der Hand vor einem blau bemalten Tor zu sehen. Darunter titelt sie: „[Werbung] #unbezahlt Akten... gefällt
Die Ballons, die Vreni und der Wind - Eine Tragödie in 167
Manchmal brauche ich echt 100 Fotos von mir, bis ich eins habe, das mir “ (vergleiche: Instagramprofil vrenifrost)
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Mandy Risch-Kerst, André Schneider
Klickt man auf das Bild, so werden an verschiedenen Stellen Tags zu den Profilen verschiedener Marken angezeigt. So ist etwa auf Höhe der Luftballons die Marke „schwarzkopfpro.de“ verlinkt. Auf Höhe des Rocksaums der Bloggerin ist „prada“ verlinkt. Blogbeitrag zu 3: Im letzten Blogbeitrag ist die Flugkabine eines Flugzeuges zu sehen. Im Fokus steht ein Flugsessel, auf dem zwei Kissen und ein Paar Kopfhörer drapiert sind. Davor stehen ein Paar Sneakers. Unter dem Beitrag schreibt die Bloggerin: „[Werbung] #unbezahlt ☝🏼 Ich bin so ein krasses Glücksbärchiiiiiii!! Bei @singaporeair gab es erstmal schööön ein Upgrade 🙈💪🏼 Wann immer ich es mir für Jobs aussuchen darf, wähle mich meine Lieblingsairline. Und wie man sieht, zahlt sich die Treue aus 😂❤️ Sowas von #readyfortakeoff ✈️“ (vergleiche: Instagramprofil vrenifrost) Im Bild sind an verschiedenen Stellen verschiedene Marken verlinkt, unter anderem die Fluglinie. 3.1.2 Entscheidung des Gerichts Das Berliner Kammergericht hat entschieden, dass zwei der drei Blogbeiträge gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) verstoßen. Es verhängte gegen die Bloggerin eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung wettbewerbswidriger Werbung. Seine Entscheidung begründet das Kammergericht dabei wie folgt: Mit den beanstandeten Posts hat die Antragsgegnerin nicht zu privaten Zwecken, sondern als Unternehmerin im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 6 UWG gehandelt (KG Berlin, Urteil vom 8. Januar 2019 – Az 5 U 83/13, S. 5). Die Tags, die die Bloggerin in ihren Beiträgen zu den Seiten anderer Unternehmen verlinkte, seien auch zweifelsohne objektiv geeignet gewesen, den Absatz der von diesen Unternehmen angebotenen Waren zu fördern (KG Berlin, S. 6). Dann jedoch, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die Bloggerin für die Darstellung von den betreffenden Unternehmen nicht entlohnt worden sei, sei keine kennzeichnungspflichtige Werbung anzunehmen, wenn in einem Beitrag lediglich redaktionelle Inhalte verbreitet würden (KG Berlin, S. 6). Dies sieht das Kammergericht im Falle des ersten Blogeintrages als gegeben. Im Falle der anderen beiden Einträge der Bloggerin hält das Gericht die Voraussetzungen des § 5a Abs. 6 UWG für erfüllt, woraus sich ein Anspruch auf Unterlassen zugunsten des Antragstellers aus § 8 Abs. 1 und 3 Nr. 2, § 3, § 5a Abs. 6 UWG ergibt.
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Verstoß gegen das UWG im Falle der Blogeinträge zu 2 und 3 – keine lediglich private Selbstdarstellung Diese Auffassung begründet das Kammergericht damit, dass die Bloggerin die in Frage stehenden Posts nicht lediglich zur privaten Selbstdarstellung veröffentliche, sondern sie darauf gerichtet seien, das Unternehmen der Bloggerin zu fördern, etwa durch eine Erhöhung der Zahl der Follower. Diese sei gleichbedeutend mit einer Steigerung des Wertes der von ihr angebotenen Dienstleistungen (KG Berlin, S. 6). Überdies habe die Bloggerin aber mit den Beiträgen 2 und 3 auch tatsächlich objektiv und unmittelbar ein fremdes Unternehmen gefördert. Davon sei lediglich dann nicht auszugehen, wenn eine Handlung vorrangig anderen Zielen als der Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung von Verbrauchern diene und sich lediglich reflexartig auf die Absatzförderung auswirke. Dies gilt insbesondere für rein redaktionelle Beiträge, die zumindest vorrangig der Information und Meinungsbildung seiner Adressaten dienen (KG Berlin, S. 7). In Bezug auf den Beitrag, der den Flugzeugsessel zeigt (Blogbeitrag zu 3), führt das Gericht auf, die „getaggten“ Marken stünden in keinerlei Zusammenhang zum Inhalt des Bildes. Lediglich die verlinkte Fluglinie habe einen Zusammenhang zu dem Gezeigten. Die Bloggerin hatte aber bereits in einer Schutzschrift einen Zusammenhang zwischen dem Flug und der Fluglinie zugestanden. Dieser lag darin, dass die Fluglinie ihr den Flug bezahlt hatte. Vor diesem Hintergrund ging das Gericht davon aus, dass es Absicht der Bloggerin gewesen sei, im Gegenzug den Absatz von Waren dieser Fluglinie zu fördern (KG Berlin, S. 7). Die Tags stünden ansonsten in keinerlei Zusammenhang zum Inhalt des Bildes. Sie hätten daher auch keinen Informationsgehalt und keine andere Aussagekraft als eben die, den Besucher des Profils zu einem Klick auf die Verlinkung und so zu einem Besuch auf der Seite des verlinkten Unternehmens zu verleiten, wo sie unmittelbar mit dessen Werbung konfrontiert würden (KG Berlin, S. 8). Diese Beurteilung ändert sich aus Sicht des Gerichts auch dann nicht, wenn man dem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Besucher des Accounts das Wissen unterstellt, dass derartige Links gesetzt werden, um den Besucher über die Herkunft der mit den Tags gekennzeichneten Produkte zu informieren (KG Berlin, S. 8). Denn es wurde in dem Beitrag nicht einmal ein Produkt der verlinkten Marke vorgestellt und bewertet, das den Bezug für den Verbraucher hätte erklären können. Auch das Argument der Bloggerin, ohne die Verlinkung wären die Beiträge als redaktionelle Beiträge anzusehen, ändert laut Gericht die Rechtslage nicht: Gerade bei einer Vermischung von redaktionellen Äußerungen mit Tags und Links, die als Werbung zu qualifizieren seien und sich nicht aus dem Inhalt des Bildes erklärten, sei gerade die Gefahr einer Irreführung der Verbraucher am höchsten (KG Berlin, S. 9). Denn ein Besucher trete grundsätzlich redaktionellen Beiträgen unkritischer gegenüber als solchen, die von vorneherein als Werbung gekennzeichnet sind. Eine Kennzeichnung als Werbung habe aber
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durch die Bloggerin nicht stattgefunden. Auch ergibt sich für das Gericht der kommerzielle Charakter der Beiträge nicht aus der Anzahl der Follower der Bloggerin. Gerade die fehlende Kennzeichnung des kommerziellen Charakters ist laut Auffassung des Gerichts dazu geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er anderenfalls nicht getroffen hätte (KG Berlin, S. 9). Ebenso sieht das Gericht die Rechtslage im Falle des Blogbeitrags zu 2). Denn der Beitrag beschäftige sich ausschließlich mit der Schwierigkeit, ein zufriedenstellendes Foto anzufertigen. Mit den darauf getaggten Marken habe der Inhalt des Bildes nichts zu tun (KG Berlin, S. 12). Im Übrigen hat die Bloggerin zugestanden, für die Teilnahme an einem der im Bild getaggten Workshops gegen Entgelt teilgenommen zu haben und auch für zwei Posts und eine Instagramstory bezahlt worden zu sein. Zwar führte sie an, diese Verpflichtungen bereits durch andere Posts erfüllt zu haben. Dies tut aber nach Auffassung des Gerichts nichts zur Sache. Kein Verstoß gegen das UWG im Falle des Posts zu 1) Anders liegt es nach Auffassung des Gerichts jedoch im Falle des Posts zu 1. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich im Falle dieses Posts tatsächlich nur um einen redaktionellen Beitrag, der allein der Information und Meinungsbildung seiner Adressaten dient (KG Berlin, S. 12). Aus diesem Grund hätte die Pflicht, die Tags als Werbung zu kennzeichnen, die Bloggerin in ihren Rechten verletzt. Der Unterschied liegt bei diesem Post darin, dass die Bloggerin einen klaren Zusammenhang zwischen dem Post und den Tags hergestellt hat. Denn die getaggten Marken bzw. Stores, wo die Kleidungsstücke erworben wurden, sind auch tatsächlich im Bild durch die von ihnen stammenden Kleidungsstücke dargestellt. Das Gericht meint, es sei typisch für Internetauftritte wie den von Vreni Frost, dass das Interesse der Besucher sich eben nicht nur darauf beziehe, Bilder anzusehen, sondern auch darauf, zu erfahren, welche Marken die Bloggerin miteinander kombiniert. Die Bloggerin beantworte daher ein bestehendes Informationsbedürfnis (KG Berlin, S. 13). Die Bloggerin konnte auch durch die Vorlage von entsprechenden Anfragen beweisen, dass ein solches Informationsbedürfnis tatsächlich bestand. Insbesondere konnte sie auch durch die Vorlage von Kaufbelegen sowie durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft machen, dass sie die Kleidungsstücke sämtlich aus eigenen Mitteln erworben hat und für deren Erwerb nicht bezahlt worden ist (KG Berlin, S. 14). Hier liege somit eine im Rahmen des § 5a Abs. 6 UWG unbedenkliche Markennennung im Rahmen eines redaktionellen Beitrags beziehungsweise einer Meinungsäußerung vor. Insbesondere werde dem Verbraucher nicht direkt über den Link der Erwerb des Produktes ermöglicht (KG Berlin, S. 16). Offen bleibt nach der Entscheidung des KG jedoch, wie derartige Beiträge in Zukunft gekennzeichnet werden sollen.
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3.2 Das Landgericht Karlsruhe: Fall Pamela Reif – Urteil vom 21.03.2019 Eine etwas eindeutigere Position als das Kammergericht Berlin bezog das Landgericht Karlsruhe in einem Urteil vom 21.03.2019 (LG Karlsruhe, Urteil vom 21.03.2019 – Az. 13 O 38/18 KfH). Auch dieses Urteil betrifft einen Unterlassungsanspruch gegen eine Influencerin, in diesem Fall die Bloggerin Pamela Reif. Das Gericht gab in diesem Fall dem Kläger in vollem Umfang Recht und stellt somit eine Verschärfung im Vergleich zum Urteil des Kammergerichts dar. 3.2.1 Der Sachverhalt Die 22-jährige Influencerin Pamela Reif aus Hamburg wurde vom Berliner Verband Sozialer Wettbewerb (Kläger) wegen ihrer Instagram-Posts auf Unterlassung verklagt. Auf Instagram hat die Bloggerin über vier Millionen Follower. Insbesondere beschäftigt sie sich in ihren Posts mit Themen wie Mode, Fitness und Lifestyle. Teilweise versieht sie ihre Posts mit Hinweisen auf die Hersteller der von ihr getragenen Kleidung oder sonstiger im Bild zu sehender Gegenstände. Diese Hinweise werden entweder als Hashtags unter dem Bild stehend positioniert oder sie werden direkt als Tags im Bild platziert. Das Urteil befasst sich mit drei streitgegenständlichen Posts. In einem dieser Posts ist die Bloggerin vor einem Hotel in Paris zu sehen. Im Bild sind drei Unternehmen getaggt. Im zweiten Post ist die Bloggerin oberhalb von Ischgl im Schnee zu sehen, wiederum sind drei Unternehmen getaggt. Der Begleittext enthält eine Empfehlung zu einem Hotel in Ischgl. Im letzten Post ist die Bloggerin in einer Gewerbehalle zu sehen, wobei im Bild ein Unternehmen getaggt ist. Der Text darunter bezieht sich auf den Wert des Scheiterns. 3.2.2 Entscheidung des Gerichts Das Gericht gab der Klage in vollem Umfang statt. Zur Begründung führte es aus: Ein Unterlassungsanspruch des Verbands Sozialer Wettbewerb als Kläger ergibt sich nach Auffassung des Gerichts aus § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 6, § 3, § 5a Abs. 6 UWG. Laut Gericht sind die Posts der Influencerin an § 5 a Abs. 6 UWG analog zu messen. Der Versuch der Irreführung werde von manchen Werbetreibenden dahingehend unternommen, die Werbebotschaft in ein neutrales Gewand zu hüllen, was als Schleichwerbung bezeichnet wird (LG Karlsruhe, Rn. 33). Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich bei den in Frage stehenden Posts um derartige verbotene Schleichwerbung. Denn der Internetauftritt der Influencerin stelle eine geschäftliche Handlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG dar (vgl. S. 4). Zunächst dienten die streitgegenständlichen Posts der Förderung fremder Unternehmen (LG Karlsruhe, Rn. 39). Dass die Influencerin durch die Tags Nachfragen von interessierten Followern nach der Herkunft der Produkte vermeiden wolle, stehe einer geschäftlichen Handlung nicht entgegen. Auch der betont private Charakter der Posts steht laut Gericht dem geschäft-
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lichen Charakter der Handlung an sich nicht entgegen. Vielmehr sei es gerade das Besondere an der Influencer-Werbung, dass Privates und Geschäftliches sich vermischten (LG Karlsruhe, Rn. 40). Daher stelle auch der Post, der die Bloggerin in einer Gewerbehalle zeigt und dessen darunter stehender Text sich mit dem Scheitern auseinandersetzt, eine geschäftliche Handlung im Sinne des UWG dar. Denn zwar sei der Text durchaus gehaltvoll, es handele sich aber dennoch nicht um einen rein redaktionellen Beitrag. Denn dazu müsse der Beitrag vorrangig der Information und Meinungsbildung der Adressaten dienen. Dies sei aber aufgrund des Tags nicht der Fall. Denn dieser und der Account, zu dem der Tag führt, weisen laut Gericht keinerlei Bezug zu dem Bild oder Text auf. Der Tag bewirke, so das Gericht, dass die Erwartung des Besuchers geweckt werde, durch einen Klick auf den Tag weiteres erfahren zu können (LG Karlsruhe, Rn. 41 f.). Außerdem fördere die Influencerin durch den Tag ihr eigenes Unternehmen. Für dieses unterhält sie bei Instagram einen Business-Account. Für 50 % ihrer Posts wird die Bloggerin laut eigener Aussage bezahlt. Dass ab und an auch noch unentgeltliche Posts veröffentlicht würden, mache diese nicht rein privat, da der Influencer sich die Gunst seiner Follower erhalten müsse, was durch reines Posten von Werbung nicht dauerhaft gelingen würde (LG Karlsruhe, Rn. 45). Auch der Zusammenhang zur Förderung des Absatzes von Waren ist nach Auffassung des Gerichts gegeben. Es sei irrelevant, dass die Influencerin sich darauf berufen habe, nur für einen Teil ihrer Posts bezahlt zu werden. Denn selbst die unentgeltlich erstellten Posts dienten wenigstens der Förderung ihres eigenen Unternehmens. Sei ein rein privater Post gewünscht, habe die Influencerin die Möglichkeit, einen rein privaten Instagram-Account zu unterhalten, was sie aber nicht tue. Somit sei jeder „private“ Post im Kontext seiner Veröffentlichung zumindest auch geschäftlich (LG Karlsruhe, Rn. 50). Der unlautere Charakter im Sinne von § 5a Abs. 6 UWG liege darüber hinaus in der Verschleierung des werblichen Charakters einer Handlung. Dafür komme es auf die Entgeltlichkeit einer Handlung nicht an (LG Karlsruhe, Rn. 51). Diesen werblichen Charakter hat die Beklagte nach Auffassung des Gerichts in keiner Weise kenntlich gemacht. Denn damit sich der kommerzielle Zweck aus den Umständen ergebe, müsste er auf den ersten Blick und ohne jeden Zweifel erkennbar sein (LG Karlsruhe, Rn. 55). Nach Auffassung des Gerichts fällt es nicht ins Auge, dass es sich um Werbung handelt. Insbesondere sei dies nicht der Fall, nur weil die Beiträge professionell gestaltet seien oder weil jeder, der auf einen Beitrag einer Person geht, die über 4 Millionen Follower hat, wisse, dass es sich hierbei um einen Influencer handele. Ebenso wenig werde der Post dadurch erkennbar zu Werbung, dass der Mehrheit der Nutzer klar sei, dass Online-Dienste wie Instagram sich vornehmlich durch Werbung finanzieren (LG Karlsruhe, Rn. 56). Das Nichtkenntlichmachen der Werbung ist laut Gericht auch dazu geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er anderenfalls nicht getroffen hätte. Denn durch den Klick auf den Tag gelange er auf die Unternehmenswebsite, ohne vorher genau zu wissen, was ihn erwarte (LG Karlsruhe, Rn. 62 f.). Auf Grundlage dieser Bewertung gibt
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das Gericht der Klage in vollem Umfang statt. Einer Entscheidung darüber, wie solche Posts in Zukunft gekennzeichnet werden müssen, enthält sich das LG Karlsruhe ebenso wie das KG Berlin. 3.3 Das Landgericht München: Fall Cathy Hummels – Urteil vom 29.04.2019 Mit der vielleicht berühmtesten Influencerin hatte sich das LG München in seinem Urteil vom 29.04.2019 auseinanderzusetzen (LG München, Urteil vom 29.04.2019 – Az. 4 HK O 12312/18). Es handelte sich dabei um Cathy Hummels, ihres Zeichens Ehefrau des deutschen Fußballspielers Mats Hummels, selbst tätig als Moderatorin und Instagram-Influencerin. Kläger war ebenfalls – wie im Falle von Pamela Reif – der Verband Sozialer Wettbewerb. Dieses Urteil unterscheidet sich in einigen Punkten auffällig von den zwei vorangegangenen. 3.3.1 Sachverhalt Cathy Hummels unterhält bei Instagram einen Business-Account, bei dem sie knapp eine halbe Millionen Follower hat. Sie veröffentlicht dort regelmäßig Bilder von sich selbst mit kurzen Begleittexten. In vielen Fällen werden die Posts durch Tags mit Hinweisen auf die Hersteller der von der Bloggerin getragenen Kleidungsstücke oder andere Gegenstände im Bild versehen. Auch im Falle Hummels sind für die Entscheidung drei Posts streitgegenständlich. Im ersten dieser Posts ist die Bloggerin in einem Umstandskleid vor einem Kleiderständer zu sehen. Zwei Unternehmen sind im Bild getaggt. In einem zweiten Post steht die Influencerin vor der Kunstakademie München. Auch hier sind zwei Firmen im Bild getaggt. Im dritten und letzten Post ist die Influencerin mit einem weiteren Outfit auf einem eingezäunten Grundstück stehend zu sehen. Es sind ebenfalls zwei Unternehmen im Bild getaggt. Im Wege der Klageerweiterung wurde überdies noch ein weiterer Post streitgegenständlich, in dem die Beklagte mit einem hellblauen Plüschelefanten der Marke „Steiff“ abgebildet ist. Die Marke wirbt selbst auf ihrer Seite mit diesem Elefanten. Laut der Influencerin wird sie für eine Vielzahl ihrer Posts von den betreffenden getaggten Unternehmen bezahlt. Dies sei jedoch in Bezug auf die streitgegenständlichen Beiträge nicht der Fall gewesen. Auch seien ihr die Produkte nicht unentgeltlich überlassen worden. Die Verlinkung der Produkte sei aus reiner Begeisterung über die Produkte erfolgt. Überdies dienten sie dazu, dem Informationsinteresse der Follower der Beklagten gerecht zu werden, die üblicherweise wissen wollten, wo die Influencerin bestimmte Artikel erworben habe. Cathy Hummels und ihre Anwälte meinen, eine Kennzeichnung als Werbung sei nur im Falle des Erhalts eines Entgelts vonnöten. Im Übrigen müsse die Influencerin auch tatsächlich Werbeträgerin des Unternehmens sein. Dies würden die Unternehmen aber am liebsten selbst entscheiden. Jemand, der ungefragt einen Post als Werbung für ein bestimmtes Unternehmen kennzeichnen würde, setze sich eventuell Ansprüchen des Unternehmens auf Unterlassung aus. Schon deswegen sei die Klage gegen Cathy Hummels abzuweisen.
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3.3.2 Entscheidung des Gerichts Das Gericht hat die Ansicht der Influencerin geteilt und die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Das Gericht verneinte einen Verstoß gegen § 5 a Abs. 6 UWG. Zwar handelt es sich laut Gericht sehr wohl – anders als von der Influencerin vorgetragen – um geschäftliche Handlungen der Influencerin im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG. Denn die streitgegenständlichen Posts dienten sowohl der Förderung des verlinkten Unternehmens als auch der Förderung des eigenen Unternehmens der Influencerin. Ein Verstoß gegen das UWG scheidet dem Gericht nach aus einem anderen Grund aus: Es sei im Falle der streitgegenständlichen Posts unmittelbar aus den Umständen erkennbar, dass diese Posts geschäftliche Handlungen mit einem kommerziellen Zweck seien (LG München, Rn. 41). Die Erkennbarkeit der Kommerzialität der infrage stehenden Posts ergibt sich laut Gericht aus folgenden Umständen: Zunächst handele es sich um einen verifizierten Account mit blauem Häkchen. Ein solcher Business-Account stehe an sich schon nur Personen mit einem gewissen Grad an öffentlicher Bekanntheit zu (LG München, Rn. 44). Das Gericht ist der Meinung, dass kommerzielle Accounts, in denen die Privatsphäre bekannter Persönlichkeiten öffentlich gemacht werde, ausschließlich kommerziellen Interessen dienen könnten. Normalerweise würde die Privatsphäre zunehmend geschützt. Mache eine berühmte Person Teile ihres Privatlebens öffentlich, diene das einzig und allein der Imagepflege aus wirtschaftlicher Motivation (LG München, Rn. 45). Angesichts dessen, dass die Influencerin fast eine halbe Million Follower habe, müsse jedem Besucher ihrer Seite klar sein, dass es sich bei diesen Followern nicht um wirkliche „Freunde“ der Beklagten handele und dass sie überdies die Posts nicht schalte, um ihre „Freunde“ über ihre Tätigkeiten zu informieren, sondern dass kommerzielle Zwecke dahinter stünden (LG München, Rn. 45). Die Bloggerin habe sich offensichtlich bewusst für die Anlage eines öffentlichen Profils entschieden. Daraus allein ergebe sich, dass es ihr nicht darum gehe, sich mit ihren „Freunden“ auszutauschen (LG München, Rn. 47). Zusammenfassend lässt das Gericht verlauten, weder der Kläger noch „die Gerichtsentscheidungen, die einen Verstoß gegen § 5 a Abs. 6 UWG als gegeben erachtet haben“, hätten darlegen können, wie eine ordnungsgemäße Kennzeichnung der Posts aussehen müsste (LG München, Rn. 51). Dies sei zwar nicht Aufgabe des Klägers, lasse aber Rückschlüsse darauf zu, ob überhaupt eine Irreführung vorliege. Als Werbung dürften die Posts schon deswegen nicht gekennzeichnet werden, weil dies die Irreführung nicht beseitige, sondern im Gegenteil verstärke, wenn der Blogger nicht tatsächlich Werbeträger des Unternehmens sei (LG München, Rn. 53). Nicht weniger irreführend sei eine Kennzeichnung als „unbezahlte Werbung wegen Markennennung“ (LG München, Rn. 55). Die einzig verbleibende Möglichkeit sei somit die Kennzeichnung des gesamten Accounts als kommerziell. Dies sei im Falle von Cathy Hummels aber bereits durch die
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Markierung des Accounts mit dem blauen Häkchen sowie die Tatsache, dass sie eine halbe Million Follower habe, geschehen (LG München, Rn. 56). 3.4 Verstoß gegen die Grundrechte? In allen drei Entscheidungen setzen sich die Gerichte bei einer vergleichbaren Ausgangslage damit auseinander, ob ein Zwang zur Kennzeichnung der infrage stehenden Posts als Werbung einen unzulässigen Eingriff in die Grundrechte der jeweiligen Beklagten bedeuten würde. Mit einer Verletzung der Grundrechte müssen die Gerichte sich – zumindest gedanklich – immer dann kurz auseinandersetzen, wenn ein bestimmtes Handeln staatlich untersagt wird. Hier wird ein solches Verbot durch die Gerichte auf Grundlage des UWG ausgesprochen – lediglich das Landgericht München sieht davon ab. Ein solches Verbot kann insbesondere in das Grundrecht der Meinungsfreiheit eingreifen. Zur Beantwortung der Frage nach der Verhältnismäßigkeit müssen die Maßnahme – das Verbot – und ihr Nutzen – der Schutz der Öffentlichkeit vor unlauterem Wettbewerb – gegeneinander abgewogen werden. Auch hier kommen die Gerichte zu unterschiedlichen Ergebnissen. 3.4.1 Kammergericht Berlin Das Kammergericht verneint eine Verletzung von Grundrechten durch das ausgesprochene wettbewerbsrechtliche Verbot der Veröffentlichung der Posts ohne Kennzeichnung als Werbung in den Fällen der Posts zu 2) und 3). Eine direkte Anwendung des Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungsfreiheit) scheidet nach Auffassung des Gerichts aus, da § 6 a Abs. 6 UWG der Umsetzung von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates dient. Somit finden aufgrund von Art. 51 Abs. 1 S. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtecharta) die Art. 11 Abs. 1 und 2 der EU-Grundrechtecharta (Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit) Anwendung (KG Berlin, S. 10). Die fraglichen Inhalte (Posts) werden sowohl von der Meinungsfreiheit als auch von der Medienfreiheit umfasst. Die Medienfreiheit umfasst grundsätzlich auch die mit der Medienarbeit verbundene Werbetätigkeit. Somit können auch Vorgaben, welche die Kennzeichnung von Werbung regeln, grundsätzlich die Medienfreiheit beeinträchtigen (KG Berlin, S. 11). Eine Einschränkung dieses Rechts sei jedoch nach den Vorgaben des Art. 52 Abs. 1 S. 2 EU-Grundrechtecharta zulässig. Gesetzlich vorgesehen ist die Einschränkung des Art. 11 Abs. 1 und 2 EU-Grundrechtecharta durch das UWG. Die Einschränkung ist nach Auffassung des Kammergerichts auch verhältnismäßig. Denn sie diene dem Gemeinwohl und lege eine bestimmte Anzahl von Basisinformationen fest, die der
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Verbraucher benötige, um eine informierte geschäftliche Entscheidung treffen zu können (KG Berlin, S. 11). Mit Blick auf den Post zu 1) jedoch erkannte das Gericht eine Verletzung von Grundrechten. Dieser Beitrag musste laut Gericht auch nicht deswegen als Werbung gekennzeichnet werden, weil andere Posts der Influencerin Vreni Frost kommerziellen Zwecken dienten. Denn Einschränkungen der Grundrechte dürfen nur dann vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen (KG Berlin, S. 16). Eine solche Einschränkung hat nach Auffassung des Gerichts immer unter Beachtung des Inhalts des jeweiligen, konkreten Posts zu erfolgen. 3.4.2 Landgericht Karlsruhe Keine Beeinträchtigung der Influencerin Pamela Reif in ihren Grundrechten konnte das LG Karlsruhe erkennen. Hierbei stellt das Gericht ebenfalls auf Art. 11 der EU-Grundrechtecharta ab. Dies ist in sich nur konsequent, als das Gericht alle infrage stehenden Posts für werbliche Posts erachtet hat. Es werde durch das Gericht kein Verbot der Werbung insgesamt ausgesprochen, sondern lediglich Kennzeichnung gefordert. Auch stehe es der Influencerin frei, weiterhin Textbeiträge zu verfassen und diese mit Fotos ihrer selbst zu kombinieren. Einzig die inhaltlich zusammenhanglose Einbettung von Tags auf Herstellerseiten werde aus wettbewerbsrechtlichen Gründen untersagt (LG Karlsruhe, Rn. 67). 3.4.3 Landgericht München Im Gegensatz zum Kammergericht Berlin und zum Kammergericht Karlsruhe stellt das Landgericht München direkt auf Art. 5 GG ab. Darüber hinaus beschäftigt sich das LG München auch mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz, welchen es als „Gebot der Gleichbehandlung mit den traditionellen Medien“ bezeichnet. Auch Frauenzeitschriften, so das LG München, verwendeten in ihren Online-Auftritten ähnlich wie die Influencerin Cathy Hummels Verlinkungen und Tags, ohne sie jedoch als Werbung kennzeichnen zu müssen. Diesbezüglich müssten gleiche Bedingungen für alle herrschen. Frauenzeitschriften aber kennzeichneten ihre Anzeigen nur dann als Werbung, wenn sie von den Unternehmen beauftragt und bezahlt worden seien. 3.5 Vergleich der Gerichtsentscheidungen und Fazit Im Ergebnis zeigt sich an den drei vorgestellten Entscheidungen eindrucksvoll, wie sehr insbesondere in neuartigen Bereichen das Recht von der Prägung einer einheitlichen Rechtsprechung abhängig ist und wie begrenzt das aus dem Gesetzestext Herauslesbare sein kann. Vorliegend sind in drei fast inhaltsgleich gelagerten Fällen drei sehr unterschiedliche Entscheidungen getroffen worden. Dabei kann die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe als die für Influencer „negativste“ Entscheidung bezeichnet werden, die des Landgerichts München als „positivste“ und die des Kammergerichts Berlin als
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„vermittelnde“. Konsequent sehen alle drei Gerichte in den Posts geschäftliche Handlungen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG. Auf die Entgeltlichkeit der in Frage stehenden Handlung kommt es den Gerichten letztlich nicht an. Das Kammergericht sowie das Landgericht Karlsruhe bestätigen die Pflicht zur Kennzeichnung. Dies gilt gemäß dem Kammergericht lediglich dann nicht, wenn es sich um einen Beitrag redaktioneller Art handelt. Entscheidend ist in den vom Kammergericht und vom Landgericht Karlsruhe besprochenen Fällen vor allem die Zusammenhanglosigkeit zwischen Post und verlinkten Unternehmen. Bei Unentgeltlichkeit und einer Verlinkung im tatsächlichen Informationsinteresse der Follower, wobei die Verlinkung hier im tatsächlichen Zusammenhang mit dem Inhalt der Posts stehen muss, ist eine Pflicht zur Kennzeichnung zu verneinen. Das Urteil des Landgerichts München unterscheidet sich deutlich von den beiden anderen Urteilen. Abgesehen davon, dass das Landgericht München eine Verletzung von Grundrechten für gegeben hält und sich dabei als einziges Gericht nicht auf die EU-Grundrechtecharta, sondern auf das Grundgesetz stützt, unterscheidet sich auch die Begründung wesentlich von der der beiden anderen Gerichte. Das Landgericht München hält, wie bereits dargestellt, die Beiträge für eindeutig kommerziell, weil sie auf einem öffentlichen Account veröffentlicht wurden, welcher ca. eine halbe Million Follower hat (LG München, Rn. 41 ff.). Hiermit unterliegt das Gericht in den Augen der Verfasser dieses Beitrags einem Irrtum. Denn in seiner Begründung führt es an, dass dann, wenn bekannte Personen ihre Privatsphäre nicht schützten, dies stets aus kommerziellen Interessen geschehe (LG München, Rn. 43). Diese Argumentation greift im Ergebnis zu kurz. Das LG München vernachlässigt die Tatsache, dass bei öffentlichen Publikationen, die sich mit Informationen über das Privatleben von öffentlichen Personen vermischen, durchaus noch andere als kommerzielle Interessen eine Rolle spielen können. So missachtet das Gericht, dass auf diese Weise auch politische oder kulturelle Botschaften kommuniziert werden können. Es existieren mehr Ebenen der modernen Kommunikation als bloß die private und die kommerzielle. Insgesamt trägt das Landgericht München nicht zur allgemeinen Rechtsklarheit bei. Es ist wohl noch zu früh, von einer allgemeinen rechtlichen Tendenz zu sprechen. Im Interesse der Öffentlichkeit, des Verbraucherschutzes und auch zum Schutze der Influencer vor „versehentlichen Rechtsbrüchen“ ist zu hoffen, dass sich eine solche allgemeine Tendenz im Sinne der Urteile des LG Karlsruhe und des Kammergerichts Berlin herausbildet.
4 Durch die Kennzeichnung als Werbung auf der sicheren Seite Für eine erfolgreiche Tätigkeit als Influencer ohne rechtliche Ärgernisse ist insbesondere das Wettbewerbsrecht (UWG) sowie gewerbe- und steuerrechtliche Gesichtspunkte zu beachten. Ein Verstoß gegen diese Regelungen kann unangenehme Folgen haben. Dies wird anschaulich insbesondere durch die im Beitrag diskutierten Entscheidungen des Kammergerichts Berlin sowie des Landgerichts Karlsruhe. Für ein erhöhtes Maß an Rechtsunsicherheit sorgt demgegenüber die Entscheidung des Landgerichts
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München. Doch auch wenn die Klage gegen Cathy Hummels abgewiesen wurde, sollte dies Influencer nicht dazu animieren, Werbung nicht als solche kenntlich zu machen. Noch ist vonseiten der Gerichte keine klare Linie, insbesondere nicht mit der Tendenz einen Verstoß gegen § 5a Abs. 6 UWG bei Nichtkenntlichmachung von Werbung zu verneinen, zu erkennen. In den Fällen eines Prozesses drohen hohe Prozesskosten sowie die Unterlassungsanordnung unter Androhung eines hohen Bußgeldes, wie geschehen in den vorgestellten Fallbeispielen der Prozesse gegen Vreni Frost und Pamela Reif. Auch Schadensersatzansprüche von Mittbewerbern der beworbenen Unternehmen sind nicht auszuschließen. Die Nichtanzeige eines Gewerbes stellt eine Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 146 Abs. 2 Nr. 2 b) Gewerbeordnung dar. Darüber hinaus kann die Nichtanzeige auch steuerliche Konsequenzen mit sich bringen. Im Ergebnis ist Influencern zu raten, sich vor Aufnahme ihrer Tätigkeit gründlich über die rechtlichen Rahmenbedingungen zu informieren. Im Zweifel sollte immer eher „auf Nummer sicher“ gegangen werden, wenn es um die Kennzeichnung von Marken im eigenen Profil geht. Wie eine Kennzeichnung tatsächlich auszusehen hat und wie sich die rechtlichen Tendenzen manifestieren werden, hat die Zeit zu zeigen. Jedoch sollten Influencer für eine transparente und eindeutige Kennzeichnung die Begriffe „Werbung“ oder „Anzeige“ nutzen und diese auch an den Anfang der Beschreibung bzw. des Posts stellen (vgl. DLM 2020; Meinen/Gerecke 2018). Auch urheberschutz-, datenschutz- und persönlichkeitsrechtliche Aspekte sollten nicht außer Acht gelassen werden, da deren Missachtung zur Verhängung beachtlicher Geldstrafen und zu Schadensersatzansprüchen führen kann.
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Sören Bär, Laura Korrmann Nudging im Eventkontext: Eine vergleichende Analyse von Musikfestivals 1
Problem- und Zielstellung
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Die Forderung nach einem nachhaltigen Management von Events
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Die theoretische Basis des Nudging 3.1 Der Begriff Nudge und die Idee des Nudging 3.2 Status Quo Bias, Endowment-Effekt und Verlustaversion 3.3 Framing, Mere Measurement und Mapping 3.4 Impression Management, Psychologie der Masse und Spotlight-Effekt 3.5 Soziale Ansteckung 3.6 Broken Windows-Theorie
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Analyse der Musikfestivals Melt!, Haldern und Wilde Möhre zur Entwicklung von Nudges 4.1 Charakteristika der für die Untersuchung ausgewählten Musikfestivals 4.2 Ergebnisse der Analyse 4.2.1 Transport 4.2.2 Gastronomie 4.2.3 Strom 4.2.4 Müll 4.2.5 Sanitär 4.2.6 Kompensation
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Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Zanger (Hrsg.), Events und Messen im digitalen Zeitalter, Markenkommunikation und Beziehungsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31775-1_7
Nudging im Eventkontext
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1 Problem- und Zielstellung Klimademonstrationen haben sich in größeren Städten inzwischen zu vertrauten Erscheinungen entwickelt. Initiiert durch die Bewegungen „Fridays for Future“ (Fridays for Future 2020) und „Extinction Rebellion“ (Extinction Rebellion Hannover 2019) erlangte die ökologische Nachhaltigkeit im Zuge eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wertewandels eine hohe Relevanz und ist Gegenstand intensiver Diskussionen. Deshalb ist es auch für Eventveranstalter und -manager fast zur Pflicht geworden, sie bei der Eventplanung und -realisierung zu berücksichtigen (vgl. Cho et al. 2013). Der Begriff „Green Event“ ist mittlerweile fest etabliert. Die Eventforschung hat sich aus diesem Grund in den vergangenen Jahren intensiv mit der Entwicklung von Kriterien beschäftigt, die für die nachhaltige Konzipierung und Durchführung von Events gelten und herangezogen werden können. Die Untersuchungen und Überlegungen konzentrieren sich dabei jedoch nahezu ausschließlich auf die daraus erwachsenden Anforderungen für die Eventveranstalter als Eventanbieter. Die Handlungen und Entscheidungen der Eventteilnehmer bzw. Eventnachfrager stehen in Bezug auf die Realisierung von Green Events bislang deutlich weniger im Fokus. Bestrebungen, deren Verhalten auf Events positiv zu beeinflussen, erscheinen jedoch besonders lohnenswert. Bislang existieren allerdings kaum wissenschaftliche Untersuchungen, die sich der Frage widmen, wie man Eventbesucher in ihren Handlungen durch subtile Hinweise derart lenken kann, dass diese ihren Beitrag zur Durchführung eines Green Events leisten. Den Menschen steht in den meisten Lebenssituationen – so auch auf Events – prinzipiell eine Vielzahl von Handlungsalternativen zur Auswahl, die mit unterschiedlichen Konsequenzen verbunden sind. Je mehr Informationen für sie verfügbar sind oder ihnen bereitgestellt werden, desto eher bzw. präziser sind sie prinzipiell in der Lage, die Folgen ihres Handelns einzuschätzen. Mit den Wahlhandlungen ist jedoch das Problem verbunden, dass eher selten eine eindeutig beste Alternative existiert, die sich bezüglich aller relevanten Kriterien als überlegen erweist. Stattdessen sehen sich Individuen mit der Notwendigkeit konfrontiert, die Vor- und Nachteile der verschiedenen Optionen abzuwägen und im Sinne eines Trade-offs zu entscheiden, welche positiven Aspekte einer gewählten Alternative ihnen besonders wichtig sind und welche Nachteile sie dafür bereitwillig in Kauf nehmen. Erschwerend kommt hinzu, dass oft eine auf lange Sicht erfolgversprechende Alternative kurzfristig mit höherem Aufwand verbunden ist, der zuweilen gescheut wird, um sich einen unmittelbaren Vorteil, beispielsweise eine kurzfristige Zeitersparnis, zu verschaffen. Meist ist auch eine große Anzahl von Faktoren entscheidungsrelevant, wodurch sich die Komplexität der Entscheidung erhöht, weil nicht alle Kriterien gleichermaßen kompetent bewertet werden können. Die Individuen suchen deshalb im Sinne einer Komplexitätsreduktion nach Möglichkeiten, ihre Entscheidungsprozesse zu vereinfachen.
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Vor dieser Herausforderung stehen auch Eventbesucher. Gesetzliche Regelungen, Verbote und Gebote stellen dabei die simpelsten, aber auch striktesten Varianten der Beeinflussung dar, weil sie den Individuen keinen Entscheidungsspielraum lassen. Stattdessen verfolgt der hier vorgestellte Ansatz des Nudging das Ziel, die Menschen auf eher indirekte, hintergründige Art bei ihrer Entscheidungsfindung zu unterstützen. Die Konzeption basiert auf subtilen, nicht offensichtlichen Hinweisen, mit denen Individuen beeinflusst und zur Auswahl der nachhaltigen Alternativen gelenkt werden, ohne andere Optionen von Vornherein auszuschließen oder monetäre Anreize zu setzen. Diese indirekten, subtilen Hinweise bezeichnet man als Nudges. Zur Beeinflussung des Verhaltens von Eventgästen durch Nudges existieren bislang noch keine Forschungserkenntnisse. Die Autoren untersuchen, auf welche Weise der Ansatz des Nudging im Eventkontext angewendet werden kann, d.h. welche Nudges den Besuchern vor, während und nach einem Event gegeben werden können, um deren Entscheidungen in gewünschter Form zu beeinflussen. Die Teilnehmer der Events sollen dabei nicht in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt werden und zwischen diversen Alternativen wählen können. Zur Entwicklung eines Modells für mögliche Nudges, welches generell für Musikfestivals anwendbar und implementierbar ist, werden die anzustrebenden Ziele hinsichtlich der ökologischen Nachhaltigkeit in den sechs Bereichen Transport, Müll, Strom, Gastronomie, Sanitär und Kompensation von Emissionen definiert. Insbesondere wird der Frage nachgegangen, welche Nudges für die jeweiligen Kategorien sinnvoll entwickelt werden können. Als Untersuchungsgegenstände dienen die Musikfestivals Melt!, Haldern Pop und Wilde Möhre, welche im Hinblick auf ihre Maßnahmen zur ökologischen Nachhaltigkeit analysiert werden. Für die bereits etablierten Maßnahmen wird geprüft, inwieweit diese in Verbindung mit einem Nudge bei anderen Open-Air-Festivals realisierbar wären. Es entsteht ein Kriterienkatalog, der die Bereiche aufzeigt, in denen sich mit Hilfe der Besucher ökologische Nachhaltigkeit vor, während und nach Musikfestivals umsetzen lässt. Daraus gehen konkrete Maßnahmen hervor, die sich jeweils mittels eines Nudges und ohne einen monetären Anreiz für prinzipiell jedes größere Festival eignen.
2 Die Forderung nach einem nachhaltigen Management von Events Großevents wirken sich in vielfältiger Weise auf die Region, in der sie stattfinden, aus (vgl. Ritchie 1984, S. 2 ff.). So ergeben sich durch mehrtägige Musikfestivals positive ökonomische Effekte. Hotels profitieren mit einer Vielzahl von Übernachtungen und einer hohen Auslastung von dem Besucherandrang und können aufgrund der großen Nachfrage nach Hotelbetten Preissteigerungen vornehmen. Gastronomie, Einzelhandel und andere Dienstleistungsunternehmen verzeichnen ebenfalls Umsatzzuwächse. Zudem werden oft auch Arbeitskräfte aus den umliegenden Gemeinden auf den Festivals beschäftigt. Beim jährlich in Leipzig über Pfingsten stattfindenden Wave-Gotik-Treffen
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(WGT) geben die mehr als 20.000 Gäste aus aller Welt an vier Festivaltagen etwa zwölf Millionen Euro aus und lasten die städtischen Gästebetten zu 90% aus. Neben der Buchmesse und dem Bachfest sorgt das WGT damit für den größten touristischen Andrang. Die Stadt gelangt durch ihre Verknüpfung mit dem Treffen der schwarzen Szene in den Fokus des öffentlichen Interesses und erzielt in den sozialen Medien Reichweiten wie zu keinem sonstigen Anlass (vgl. Wöbking 2018). Auf der anderen Seite beeinflussen Großevents die Lebensqualität der Einheimischen sowohl positiv als auch negativ. Unvermeidlich sind darüber hinaus Auswirkungen auf die Umwelt und Emissionen. Dabei sind die Emissionen, welche durch ein großes Musikfestival an einem Wochenende verursacht werden, mit dem CO2-Fußabdruck zu vergleichen, den eine Kleinstadt innerhalb eines ganzen Jahres hinterlässt. 42,6% der Emissionen entfallen auf die An- und Abreise der Gäste, 26,7% auf den elektrischen Strom, 22,8% auf die Gastronomie, 2% auf die auf dem Festivalgelände unterhaltenen Büros und 5% auf sonstige Beanspruchungen (vgl. Bottrill/Liverman/Boykoff 2010). Vor diesem Hintergrund wächst die Forderung nach einem nachhaltigen Entwicklungsprozess, der wirtschaftliche, soziale und ökologische Belange gleichermaßen berücksichtigt und vereint (vgl. Bär 2006, S. 17 f.). Mehrere Musikfestivals werben bereits aktiv mit einer nachhaltigen Konzeption. Mit Green Marketing erhoffen sie sich einen positiven Imagetransfer. Green Events rücken auch daher verstärkt in den Fokus des Interesses (vgl. Andersson/Getz 2008; vgl. Behr/Wall 2010; Laing/Frost 2010). Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit veröffentlichte im Jahr 2015 gemeinsam mit dem Umweltbundesamt einen Leitfaden für die nachhaltige Organisation von Veranstaltungen. Es werden zehn Bereiche (und die jeweiligen Ziele und Maßnahmen) angeführt (vgl. BMUB 2015, S. 7 ff.): (1) Mobilität, (2) Veranstaltungsort und Unterbringung der Teilnehmer, (3) Energie und Klima, (4) Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen, (5) Catering, (6) Abfallmanagement, (7) Umgang mit Wasser, (8) Gastgeschenke, (9) Kommunikation und (10) Soziale Aspekte. Von besonderer Bedeutung für die ökologische Nachhaltigkeit sind die Bereiche Mobilität, Energie und Klima, Catering, Abfallmanagement und Umgang mit Wasser. An diese Bereiche angelehnt greift der vorliegende Beitrag sechs Kategorien auf, entlang derer die Festivals Melt!, Haldern Pop und Wilde Möhre hinsichtlich ihrer Potenziales zum Einsatz von Nudges analysiert werden: Transport, Strom, Gastronomie, Müll, Sanitär und Kompensation.
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3 Die theoretische Basis des Nudging 3.1 Der Begriff Nudge und die Idee des Nudging Das Wort „nudge“ kommt aus dem Englischen und bedeutet „Schubs“ oder „leichter Stoß“. Beim Nudging geht es also darum, jemanden durch einen sanften Schubs auf etwas aufmerksam zu machen, an etwas zu erinnern oder vor einer Gefahr zu warnen (vgl. Thaler/Sunstein 2011, S. 13). Thaler und Sunstein (2008, S. 6) definieren Nudge als: “… any aspect of the choice architecture that alters people’s behavior in a predictable way without forbidding any options or significantly changing their economic incentives.” Bei Nudges kann es sich somit um jeden Aspekt der Auswahlarchitektur handeln, der das Verhalten der Menschen auf vorhersehbare Weise beeinflusst, ohne ihnen die Auswahl anderer Optionen zu verbieten oder ihre ökonomischen Anreize erheblich zu verändern. Nudges sind private oder öffentliche Initiativen, mit denen versucht wird, die Menschen in bestimmte Richtungen zu lenken, ihnen aber auch ermöglichen, ihren eigenen Weg zu gehen (vgl. Thaler/Sunstein 2008, S. 8). Die Nudging-Ideen sollten einen Bezug zu den tatsächlichen Denk- und Verhaltensweisen von Menschen haben. Entscheidend dafür ist das Konzept der Auswahlarchitektur. Wenn es Entscheidungsbzw. Wahlarchitekten gelingt, ein Entscheidungssystem geschickt aufzubauen, können sie Menschen in Richtungen bewegen, die ihr Leben verbessern (vgl. Thaler/Sunstein 2008, S. 6). Personen oder Institutionen, welche die Möglichkeit haben, das Umfeld zu organisieren, in dem Menschen Entscheidungen treffen, schaffen eine Auswahl- bzw. Entscheidungsarchitektur und werden deshalb als Entscheidungsarchitekten bezeichnet. (vgl. Thaler/Sunstein 2011, S. 11). Als Nudges kommen also Erinnerungen, Warnungen oder Empfehlungen in Betracht, welche die Wahlfreiheit bewahren. Um als Nudge zu gelten, darf eine Initiative keine materiellen Anreize setzen. Auszuschließen sind daher Subventionen, Steuern und die (Androhung von) Geld- oder Gefängnisstrafen. Wenn eine Intervention erhebliche materielle Kosten für die Auswahl verursacht, kann sie zwar durchaus gerechtfertigt sein, sie gilt aber nicht als Nudge. Einige Nudges funktionieren, weil sie Menschen informieren oder weil sie bestimmte Entscheidungen vereinfachen. Andere nutzen den menschlichen Hang zur Trägheit und zur Prokrastination aus (vgl. Sunstein 2018, S. 61). Nudging bewegt sich damit etwa zwischen der aktiven Selbstauswahl von Entscheidungsalternativen, basierend auf Hintergrundwissen und Expertise, und der Einhaltung von Gesetzen und Regeln ohne Entscheidungsspielraum. Zuweilen können Menschen einfach nicht wählen, weil ihnen das Fachwissen fehlt, oder sie wollen nicht wählen (Sunstein 2015). Dann betrachten sie Standardregeln als Segen. Ein Grund ist, dass die Menschen nur über begrenzte Zeit und Aufmerksamkeit verfügen (Sunstein 2015; Mullainathan/Shafir 2014). Wie die individuelle Entscheidungsfreiheit zu respektieren ist, so sind auch Regeln anzuerkennen (Sunstein 2017).
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Nudging bedient sich der Grundwerte des libertären Paternalismus. Es sollte legitim sein, einerseits die Entscheidungsfreiheit zu garantieren, zum anderen das Verhalten der Menschen aber dahingehend zu beeinflussen, dass sie bessere Entscheidungen für sich selbst treffen können, um länger, gesünder und besser zu leben (vgl. Sunstein/Thaler 2003, S. 1159 ff.; Thaler/Sunstein 2008, S. 14). Wenn mehrere Wahlmöglichkeiten angeboten werden, darf nicht eine davon so unattraktiv präsentiert werden, dass sie für die Auswahl gar nicht mehr in Frage kommt. Um Nudging sinnvoll einsetzen zu können, müssen Eventveranstalter verinnerlichen, dass sie als Entscheidungsarchitekten agieren. Damit ist große ethische und moralische Verantwortung verbunden, denn schon unscheinbare Nudges können die Aufmerksamkeit in eine bestimmte Richtung lenken und sehr wirkungsvoll sein. 3.2 Status Quo Bias, Endowment-Effekt und Verlustaversion Der Status Quo Bias beschreibt das menschliche Phänomen der Trägheit. Menschen bevorzugen zuweilen, die Dinge so zu belassen, wie sie sind, indem sie nichts tun oder bei einer Entscheidung bleiben, die sie im Vorfeld getroffen haben. Damit bewahren sie den Status quo (vgl. Samuelson/Zeckhauser 1988, S. 7). Im Zusammenhang mit dem Trägheitsphänomen stehen der Endowment-Effekt und die Verlustaversion (Kahneman/Knetsch/Thaler 1991). In der Ökonomie dominiert die von Neumann und Morgenstern (1947) entwickelte Erwartungsnutzentheorie (Expected Utility Theory). Sie basiert auf der Annahme, dass der Mensch als homo oeconomicus rational entscheidet und nach dem Prinzip der Nutzenmaximierung (Kahneman/Tversky 1979) die Option auswählt, welche ihm den höchsten Nutzen verspricht. Dies würde erlauben, menschliche Entscheidungen durch eine Berechnung der Erwartungsnutzen verschiedener Alternativen zu prognostizieren. Durch die ordinale Nutzentheorie wird eine irreversible Präferenzordnung postuliert (Tversky/Thaler 1990). Knetsch (1989) konnte jedoch in einem Experiment diese Hypothese widerlegen. Er schenkte zunächst einer Gruppe von 76 Studierenden Kaffeebecher im Wert von 4,95 US-Dollar und bot allen Teilnehmern die Chance, die Becher gegen eine Tafel Schokolade (400 Gramm) im Wert von 6,00 US-Dollar zu tauschen. Ein Großteil der Studenten (89%) verweigerte dies, obwohl die Probanden mit den Preisen der Güter vertraut waren. Die 87 Studenten einer Kontrollgruppe erhielten hingegen die Tafel Schokolade als Geschenk und die Möglichkeit, diese gegen den Kaffeebecher einzutauschen. Dies lehnten 90% der Probanden ab (vgl. Knetsch 1989, S. 1278). Würde der Mensch tatsächlich rational und nutzenmaximierend handeln, wäre ein solches Resultat nicht möglich. Stattdessen offenbart sich der Endowment-Effekt (Thaler 1980): Menschen gewichten bereits in ihrem Besitz befindliche Güter – und wenn auch nur hypothetisch - deutlich höher als Güter, die ihnen noch nicht gehören. Dieses scheinbar irrationale Verhalten wird auf die Verlustaversion (Loss Aversion) zurückgeführt: Der Verlust eines Gutes wird subjektiv
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deutlich höher bewertet als der Gewinn des gleichen Gutes. Mehrere weitere Experimente (u.a. Kahneman/Knetsch/Thaler 1990) bestätigten die Ergebnisse. Kahneman/Knetsch/Thaler (1991) konnten nachweisen, dass die Zahlungsbereitschaft für den erstmaligen Erwerb eines Gut deutlich geringer ausfiel als die Geldforderung beim Verkauf ein und desselben Gutes. Der Endowment-Effekt ist ein Phänomen, welches durch die Prospect Theory (Kahneman/Tversky 1979) und insbesondere durch die entstandene Verlustaversion erklärt wird. Menschen verhalten sich dahingehend träge, dass sie Besitz ungern aufgeben und sich nicht ohne weiteres an neue Situationen gewöhnen. Ein Nudge, der sich diese Besonderheiten zunutze macht, wäre das Angebot einer wünschenswerten Handlungsalternative als Standardoption. Es bestünde eine gute Chance, dass diese Alternative von der Mehrzahl der Eventteilnehmer präferiert wird (vgl. Thaler/Sunstein 2011, S. 56 f.) 3.3 Framing, Mere Measurement und Mapping Unter Framing ist zu verstehen, dass Entscheidungen durch die Art und Weise der Informationspräsentation und durch die Form der Darstellung der Alternativen sowie auch das persönliche Umfeld beeinflusst werden (vgl. Tversky/Kahneman 1986, S. 251 ff.). Die Art, wie eine Frage formuliert wird oder verschiedene Entscheidungsoptionen präsentiert werden, kann als starker Nudge wirken. Das Framing sollte aber aus diesem Grund bedachtsam vorgenommen werden (vgl. Thaler/Sunstein 2011, S. 58 f.). Wenn Menschen Vorsätze fassen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie diese auch in die Tat umsetzen, deutlich höher, wenn man sie im Vorhinein dazu befragt hat und sie mindestens einmal offen darüber gesprochen haben. Dieses Phänomen bezeichnet man als Mere Measurement-Effekt (vgl. Dolan/Sharot 2012, S. 137) und kann auch als Nudge eingesetzt werden. Es wirkt verbindlicher und verpflichtender, wenn man sich zu einem Vorhaben öffentlich geäußert hat (vgl. Thaler/Sunstein 2011, S. 103). Im konkreten Fall wird die Wirkung eines Nudges verstärkt, je detaillierter die Nachfragen dabei zu dem (ökologisch nachhaltigen) Verhalten sind. Eine Vielzahl von Entscheidungsoptionen ist wenig hilfreich, wenn deren Konsequenzen nicht prognostizierbar sind. Ein Nudge kann dann eine willkommene Unterstützung sein (vgl. Thaler/Sunstein 2011, S. 112). Insbesondere im Zusammenhang mit globalen Umweltthemen sind Auswirkungen meist nicht unmittelbar erkennbar, wenn auch das Bewusstsein dafür zunimmt (vgl. BMUB 2019, S. 17). Wenn die Entscheidung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen direkt verknüpft werden können, wird dies als Mapping bezeichnet. Dies erleichtert die Entscheidungsfindung erheblich (vgl. Thaler/Sunstein 2011, S. 132; Thaler/Sunstein/Belz 2013, S. 434 f.).
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3.4 Impression Management, Psychologie der Masse und Spotlight-Effekt Gemäß Goffman (1959) sind Menschen in Interaktionen stets darauf bedacht, ein gewisses Bild von sich zu vermitteln, da ihnen bewusst ist bzw. sie annehmen, dass sie beobachtet werden. Goffman zog das Theater als Modell für die soziale Welt heran und schlussfolgerte, dass alle Menschen prinzipiell immer Theater spielen. Dafür, dass Menschen permanent eine Performance liefern und sich eine Fassade schaffen, prägte er den Begriff des Impression Management. Goffman gelangte zu der Erkenntnis, dass für etablierte soziale Rollen jeweils Fassaden existieren. Die für die jeweiligen Rollen geltenden Erwartungen und Stigmatisierungen spiegeln sich in den Fassaden wider (vgl. Goffman 1959, S. 22 ff.). Daran knüpfte Richard Sennetts Theorie des öffentlichen Ausdrucks an, die sich an der Öffentlichkeit des Ancien Régime orientiert. Menschen agieren als Schauspieler und sind damit im Wesentlichen Darsteller von Emotionen (vgl. Sennett 1974). Es kann abgeleitet werden, dass Eventteilnehmer ebenfalls Rollen spielen, die sich aber von jenen unterscheiden, die sie im Alltag verkörpern. Auf einem Musikfestival werden sie Teil einer (organisierten) Masse, die ihnen Anonymität garantiert. Gustave Le Bon erkannte, dass sich eine große Menschenmenge in bestimmten Situationen und unter gewissen Bedingungen anders verhält als die Individuen, aus denen sich diese Gemeinschaft zusammensetzt. Die Gedanken und Gefühle der Individuen vereinheitlichen sich – ein Phänomen, das mit den Begriffen organisierte und psychologische Masse charakterisiert wird. Die Psychologie der Masse ist eine andere als die des Individuums. Die organisierte/psychologische Masse verschmilzt zu einer seelischen Einheit. Deren Entstehung wird durch die übermächtige Menge und das Versinken des Individuums in der Anonymität in ihr gefördert. Dies hat ein sinkendes persönliches Verantwortungsgefühl, die geistige Übertragung von Gefühlen und Handlungen sowie Beeinflussbarkeit zur Folge (vgl. Le Bon 2009, S. 29 ff.). Le Bon kennzeichnete u. a. Beeinflussbarkeit, Triebhaftigkeit, Erregbarkeit und Beweglichkeit, aber auch Leichtgläubigkeit, Überschwang und Einseitigkeit der Gefühle als Charakteristika organisierter/psychologischer Massen (vgl. Le Bon 2009, S. 40 ff.). Eine große Menschenansammlung an einem Ort reicht allerdings für die Entstehung einer psychologischen Masse nicht aus, es müssen gezielt Reize gesetzt werden. Es sollten also Nudges kreiert werden, die den Festivalbesuchern das von ihnen gewünschte Verhalten signalisieren, damit sie diesen Rollenerwartungen entsprechen können. Hilfreich ist es, Vorbilder bzw. Influencer als Multiplikatoren und Rollenmodelle zu gewinnen, denn Menschen lassen sich in ihrem Sozialverhalten leicht von den Worten und Taten anderer Personen beeinflussen. Dies lässt sich durch den Einsatz von Social Nudges erreichen. Thaler und Sunstein definieren zwei Möglichkeiten sozialer
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Einflussnahme: Da Informationen sozial gewonnen werden, kann das Denken und Handeln vieler Menschen dazu führen, dass andere diese Gedanken oder Handlungen übernehmen bzw. imitieren. Dafür werden Vorbilder im Umfeld gesucht und nachgeahmt. Um Menschen bestimmte Verhaltensweisen nahezulegen, kann ihnen als sozialer Nudge mitgeteilt werden, was andere in vergleichbaren Situationen tun (vgl. Thaler/Sunstein 2011, S. 97). Als zweite Möglichkeit wird der Gruppenzwang, dem viele Menschen erliegen, angeführt (vgl. Thaler/Sunstein 2011, S. 81). Insbesondere wenn unsere Entscheidungen und unser Verhalten öffentlich durch andere wahrnehmbar sind, sind wir geneigt, uns anderen anzupassen (vgl. Thaler/Sunstein 2011, S. 84). Dieses Phänomen wird nach Gilovich als Spotlight-Effekt bezeichnet (vgl. Gilovich, 2000, S. 212). 3.5 Soziale Ansteckung Mehrere Studien haben gezeigt, dass sich Gemütszustände, Einstellungen, Überzeugungen und Verhaltensweisen in Gesellschaften verbreiten können, als wären sie ansteckend (vgl. Giddens 1979, S. 89 f.). Um das Phänomen der sozialen Ansteckung zu veranschaulichen, wird oft auf die zahlreichen Suizide und Suizidversuche verwiesen, welche sich im Europa des 18. Jahrhunderts nach dem Erscheinen des Briefromans „Die Leiden des jungen Werthers“ von Johann Wolfgang Goethe im Jahre 1774 (Goethe 1774) ereigneten. Viele Menschen, die den Freitod wählten, hatten im Vorfeld direkten oder indirekten Kontakt mit diesem Buch, in welchem sich der Protagonist das Leben nimmt (vgl. Marsden 1998, S. 23). Dies wird in der Psychologie deshalb auch als „Werther-Effekt“ bezeichnet. Soziokulturelle Phänomene verbreiten sich offenbar eher epidemisch als rational begründet. Auch wenn diese Prozesse wenig plan- und kontrollierbar erscheinen, kann man sich die soziale Ansteckung zu Nutze machen. Jonah Berger (2013) definiert in seinem Buch „Contagious – Why things catch on“ sechs Kriterien für eine erfolgreiche soziale Ansteckung unter dem Akronym STEPPS: (1) Social Currency – Soziale Währung (2) Triggers – Auslöser (3) Emotion – Gefühl (4) Public - Öffentlichkeit (5) Practical Value – Praktischer Wert (6) Stories (Storytelling) – Geschichten. Für die erfolgreiche Verbreitung einer Idee sollten möglichst viele dieser sechs Kriterien erfüllt sein. Musikfestivals werden überwiegend von jungen Menschen besucht, die sich noch von anderen Personen beeinflussen und lenken lassen. Dies erklärt den Erfolg von Influencer-Marketing insbesondere bei der jungen Zielgruppe. Das für Open-Air-Festivals typische Zusammenleben auf relativ engem Raum begünstigt, dass die Besucher
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das Verhalten anderer Festivalgäste wahrnehmen und dieses imitieren. Wenn Multiplikatoren oder eine kritische Menge das gewünschte Verhalten zeigen, besteht somit eine große Chance, dass die anderen es übernehmen. 3.6 Broken Windows-Theorie Die Broken Windows-Theorie besagt, dass eine zerbrochene Glasscheibe eines (verlassenen) Hauses möglichst sofort repariert werden sollte, um dessen weiterer Zerstörung vorzubeugen (vgl. Harcourt 1998). Analog dazu kann man für das Waste Management auf Festivals schlussfolgern, dass herumliegender Müll sofort weggeräumt werden sollte, um zu verhindern, dass weiterer Abfall achtlos dazu geworfen wird. Die „Social Influence Conception of Deterrence“ („Soziale Einflusskonzeption der Abschreckung“) hat ihren Ursprung ebenfalls in der Verbrechenspsychologie. Harcourt (1998) arbeitete deren drei wesentliche Aspekte heraus: 1. Social Meaning – Soziale Bedeutung Befürworter sozialer Normen schlagen vor, dass soziale Bedeutungen für Ordnung und Sauberkeit konstruiert werden. Soziale Bedeutungen sind die Rahmenbedingungen des Verstehens, in denen Individuen leben (vgl. Harcourt, 1998, S. 306). 2. Social Influence – Sozialer Einfluss Soziale Bedeutungen können einen sozialen Einfluss haben. Im Zusammenhang mit der Broken Windows-Theorie bedeutet dies, dass regelmäßig ungeahndetes Fehlverhalten zu einer Erhöhung dieses Fehlverhaltens führt, weil keine Konsequenzen befürchtet werden (vgl. Harcourt 1998, S. 306). In einem Umfeld, in dem regelkonformes Verhalten der Standard ist, passen sich laut dieser Theorie auch Personen an, die in einem „sozialen Brennpunkt“ höchstwahrscheinlich Straftaten begehen würden. 3. Social Norms – Soziale Normen/Ordnungsnormen Sozialer Einfluss kann Menschen dazu bewegen, Ordnungsnormen zu befolgen. Die Normen sind mit sozialen Bedeutungen verbunden. Der soziale Einfluss wirkt sich auf die sozialen Normen aus und beeinflusst das Handeln der Menschen. Auf diese Weise kann die Anpassung einer sozialen Bedeutung die sozialen Normen ändern. Erlangen also Ordnung und Sauberkeit soziale Bedeutung, verhält sich die Gemeinschaft ordentlich und achtet auf Sauberkeit. Durch den sozialen Einfluss der Gemeinschaft sehen sich regelkonforme Menschen in ihrem Verhalten bestätigt, während andere Menschen Regelverstöße unter dem sozialen Druck der Mehrheit unterlassen. Ordnung und Sauberkeit werden zu sozialen Normen (vgl. Harcourt, 1998, S. 308). Auch dann, wenn diese Gesellschaft sich nur für die Dauer von wenigen Tagen während eines Musikfestival bildet und gelebt wird, muss sie doch als eine Gruppe wahrgenommen werden, deren Mitglieder sich gegenseitig beeinflussen.
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4 Analyse der Musikfestivals Melt!, Haldern Pop und Wilde Möhre zur Entwicklung von Nudges 4.1 Charakteristika der für die Untersuchung ausgewählten Musikfestivals Für die vergleichende Analyse wurden drei regelmäßig in Deutschland stattfindende Musikfestivals im Detail untersucht. Dabei handelt es sich um das Melt! Festival, das Haldern Pop Festival und das Wilde Möhre Festival. (1) Melt! Festival Das Melt! Festival fand erstmals im Jahr 1997 statt und bedient seit jeher verschiedene Musikgenres von Elektro über Indie und Pop bis zu Hip-Hop (vgl. Melt Festival 2019). Laut den Veranstaltern zieht das Festival seit etwa zehn Jahren konstant 20.000 Besucher an (vgl. Melt Festival 2019). Seit nunmehr 20 Jahren ist es in der „Stadt aus Eisen“ - Ferropolis bei Gräfenhainichen - ansässig. Die stillgelegten Schaufelradbagger und andere zurückgelassene Maschinen aus dem Braunkohletagebau stellen eine einzigartige und imposante Kulisse dar. (2) Haldern Pop Festival Das Haldern Pop Festival existiert bereits seit 1984 und ist damit von den ausgewählten Festivals das am längsten bestehende. Es findet jährlich auf einer Reitwiese im nordrhein-westfälischen Haldern statt. Aufgrund der begrenzten Größe der Event Venue ist die Kapazität auf 7.000 Besucher limitiert. Im Gegensatz zu den beiden anderen Musikfestivals ist es musikalisch stark auf Live-Musik von Rock- und Popbands im Bereich Indie, Singer-Songwriter und Folk-Pop fokussiert. (3) Wilde Möhre Festival Das Wilde Möhre Festival wird seit 2013 ausgetragen (vgl. Wilde Möhre Festival 2019) und ist somit das jüngste der ausgewählten Musikfestivals. Es wird in dem kleinen Ort Drebkau in Brandenburg veranstaltet. Im vergangenen Festivalsommer konnten erstmals mehr als 5.000 Besucher verzeichnet werden (vgl. Manske 2019). Ähnlich wie beim Melt! Festival werden beim Wilde Möhre Festival Genres im Bereich der elektronischen Musik bedient, doch auch Indie-Bands wird eine Bühne geboten. Zusätzlich zum musikalischen Line-up legen die Veranstalter Wert auf ein breites Angebot an Workshops. 4.2 Ergebnisse der Analyse Wie einleitend beschrieben soll die Analyse der drei Festivals zur Beantwortung der folgenden Forschungsfrage beitragen: Wie lassen sich die Besucher von Musikfestivals mittels des Einsatzes von Nudging ohne monetäre Anreize hinsichtlich ihrer
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Entscheidungen dahingehend subtil beeinflussen, dass sie sich ökologisch nachhaltig verhalten? Im Rahmen der Analyse wurden verschiedene Online-Quellen separat voneinander ausgewertet, die ökologisch nachhaltige Aspekte der Events kommunizieren. Dabei handelt es sich vorwiegend um die festivaleigenen Websites, Online-(Zeitungs-) Artikel und Blogeinträge. Quellen zum Melt! Festival sind vorrangig die festivaleigene Website (Melt Festival 2019), aber auch Blogeinträge und Online-Artikel über das Festival (Bilabel 2011; Green Music Initiative 2010, 2011, 2013, 2019a, 2019b; Spreewild 2018). Zur Analyse des Haldern Pop Festivals wurden ebenfalls die festivaleigene Website (Haldern Pop 2019) sowie zwei weitere Online-Zeitungsartikel (Jetzt! 2019; Silko 2019) über das Festival ausgewertet. Ökologisch nachhaltige Aspekte des Wilde Möhre Festivals lassen sich ausschließlich auf der festivaleigenen Website (Wilde Möhre Festival 2019) finden. Das identifizierte Material wurde zunächst geordnet und strukturiert. Anschließend wurde das Datenmaterial vor dem Hintergrund der sechs eingangs aufgezeigten Kategorien im Detail analysiert, um davon ausgehend einen Maßnahmenkatalog zum gezielten Einsatz von Nudges zu entwickeln, der im Folgenden näher dargestellt wird. 4.2.1 Transport Im Bereich Transport entstehen die meisten Emissionen bei der Durchführung von Musikfestivals. Diese entfallen nicht ausschließlich auf die direkte An- und Abreise der Besucher, sondern auch auf Fahrten, die nötig sind, um Material und Mitarbeiter zu transportieren. Nudges sollen in erster Linie jedoch Entscheidungen und Handlungen der potenziellen Gäste positiv beeinflussen. Es geht darum, die Besucher zu motivieren, eine Option zu wählen, die möglichst emissionsarm ist. Dazu zählen – in aufsteigender Reihenfolge, gemessen an den anfallenden Emissionen – die Anreise zu Fuß, mit dem Fahrrad, in einer Fahrgemeinschaft, in einem vollausgelasteten Reisebus, per Bahn, allein im eigenen PKW oder per Flugzeug (vgl. Umweltbundesamt 2018). Jedes Auto, das zu einem Musikfestival anreist, ist gegenwärtig mit durchschnittlich 2,3 Personen ausgelastet (vgl. Taige 2018, S. 25). Ziel sollte die Auslastungserhöhung sein, so dass pro PKW durchschnittlich mehr Personen in Fahrgemeinschaften mitfahren und die Anzahl der Autos, die für das Festival bewegt werden, verringert wird. Ein Nudge, der hier gesetzt werden könnte, wären Belohnungen für größere Fahrgemeinschaften. Dabei sind die zu erfüllenden Rahmenbedingungen jedoch im Vorfeld klar zu definieren. Ein Auto mit fünf Sitzen müsste so etwa mit mindestens drei Personen belegt sein, um die Belohnung zu erhalten. Für ein siebensitziges Fahrzeug müsste mindestens eine Belegung mit fünf Personen nachgewiesen werden. Es ließe sich eine prozentuale Fahrzeugmindestauslastung ansetzen, die im konkreten Fall auf ganze Sitze
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aufgerundet wird. Die nicht-monetäre Belohnung könnte der Zugang zu attraktiveren Parkmöglichkeiten direkt auf dem Festivalgelände sein. Um zu verhindern, dass Autos erst wenige Meter vor dem Festivalgelände Passanten aufnehmen, um die Belohnung zu erhalten, ohne die ganze Strecke als Fahrgemeinschaft unterwegs gewesen zu sein, kann man schon circa einen Kilometer von der Festival-Location entfernt erste Kontrollpunkte aufstellen und mit Personen besetzen, welche die Auslastung überprüfen und mit einem Stempel auf dem Ticket oder auf der Hand des Fahrers deutlich sichtbar bestätigen, so dass sich Parkplatzeinweiser daran orientieren können. Diese besseren Parkmöglichkeiten sind vor allem deswegen so attraktiv, weil eine Hauptmotivation für die Nutzung des Autos Bequemlichkeit ist. Der Komfort und der verkürzte oder eventuell ganz entfallende Weg zum Tragen der Campingutensilien wird ein großer Anreiz sein, um Fahrgemeinschaften zu bilden. Um diese Idee noch weiter auszureizen, könnten die Fahrgemeinschaften in zu 100% ausgelasteten Fahrzeugen mit einem komplett bestückten Getränkekasten belohnt werden. Dieser könnte in Kooperation mit einem Sponsoringpartner und als nicht frei verkäufliche limitierte Sonderedition angeboten werden, um nicht in die Grauzone der monetären Anreize zu fallen. Ein weiterer Nudge ist mit einer Verlegung der Parkflächen für Autos verbunden. Bei vielen Festivals erhält man mit dem Erwerb eines Autopasses die Berechtigung, auf dem Festivalgelände zu parken. Dieses limitierte Parkplatzkontingent ist jedoch schnell ausverkauft, so dass alle anderen PKW-Fahrer nur noch die Möglichkeit haben, ihr Fahrzeug auf dem kostenfreien Parkplatz außerhalb des Festivalgeländes abzustellen. Beim Feel Festival befindet sich dieser Parkplatz gegenwärtig etwa einen Kilometer vom Festivaleingang entfernt. Durch eine Verlegung der gesamten Parkfläche auf ein Areal in deutlich größerer Distanz zum Festivalgelände und die intensive Kommunikation dieser Maßnahme im Vorfeld, würden einige Besucher vermutlich abgeschreckt und zum Verzicht auf die Anreise mit dem eigenen Fahrzeug bereit, da ihnen der Weg zum Tragen des Gepäckes zu weit wäre. Stattdessen würden sie eventuell auf den „Bassliner“ umsteigen, um näher an das Festivalgelände zu gelangen. Je nach Standort des Festivals können geführte Radtouren aus der nächstgrößeren Metropole angeboten werden, in der erwartungsgemäß auch viele Festivalbesucher wohnen. Diese könnten dadurch zur Teilnahme bewegt werden. Das Melt! Festival und das Wilde Möhre Festival haben solche Touren zwar bereits angeboten, ohne jedoch nennenswerte Nudges einzusetzen. Im Falle des Feel Festivals wurde dies 2019 auch schon umgesetzt. Die Nudges wurden in Form von Anreizen gesetzt, die diese Art der Anreise attraktiver gestalten sollten. Zum einen wurde ein Gepäcktransport angeboten, zum anderen erwartete die Teilnehmer bei Ankunft am Bergheider See, der Festival-Location, ein reservierter Campingplatz mit Seeblick. Des Weiteren bekamen die Teilnehmer eine Wochenend-Flatrate für den Sanitärbereich des Festivals inklusive warmer Duschen und Keramiktoiletten.
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Ein weiterer Grund, weshalb vielen Festivalbesuchern die Anreise per „Bassliner“ oder mit anderen Reisebussen zu unbequem ist, liegt darin, dass dabei nur mit sehr großem körperlichen Aufwand Lebensmittel und Ausrüstungsgegenstände transportiert werden können. Deshalb rief 2019 das Magazin „Höme“ in Zusammenarbeit mit dem Rocken am Brocken Festival und dem Fuchsbau Festival den ersten Festival-Bestellsupermarkt ins Leben (vgl. Höme Magazin 2019). Die Idee bei diesem Nudge bestand in einer Kooperation mit den jeweils ortsansässigen Supermärkten, so dass die Besucher im Vorfeld aus einem Katalog Lebensmittel und Campingausrüstung bestellen und nach ihrer Ankunft vor Ort jederzeit flexibel abholen konnten. So war die Motivation größer, mit dem „Bassliner“ anzureisen und sich die Bestellung unmittelbar auf dem Festivalgelände abzuholen. Tab. 1: Nudges bei der Anreise zu Musikfestivals Kategorie
Ziele
Nudges
(1) Transport
Erhöhung der personellen Auslastung anreisender Autos
Belohnungen für größere Fahrgemeinschaften und prozentual stark ausgelastete Fahrzeuge
Gewährung des Zugangs zu attraktiven Parkmöglichkeiten auf dem Festivalgelände
Verlegung und Einrichtung der kostenfreien Parkplätze in relativ weiter Entfernung zum Festivalgelände
Verlegung der gesamten Parkfläche auf ein Areal in deutlich größerer Distanz zum Festivalgelände und intensive Kommunikation dieser Maßnahme im Vorfeld beim „Feel Festival“
Einrichtung der Bushaltestellen in großer Nähe zum Festivalgelände
Bushaltepunkt beim „Feel Festival“ unmittelbar vor dem Eingang
Angebot der Katalogbestellung von Lebensmitteln und Campingausrüstung
Festival-Bestellsupermarkt des Magazins „Höme“ bei den Festivals „Rocken am Brocken“ und „Fuchsbau“
Verringerung der Anzahl der anreisenden Fahrzeuge Förderung der Anreise mit dem „Bassliner“ oder mit Reisebussen
Anwendungen
Vergabe eines limitierten Kastens mit Freigetränken für Fahrgemeinschaften mit zu 100% ausgelasteten Fahrzeugen
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Sören Bär, Laura Korrmann Attraktivere Gestaltung der Anreise mit dem Fahrrad
Angebot von geführten Radwanderungen aus der nächstgrößeren Metropole
Geführte Radwanderungen aus Hamburg und Berlin, z.B. zum „Melt!“
Angebot eines kostenlosen Gepäcktransports
Gepäck-Shuttle für mit dem „Bassliner“ Anreisende
Reservierung eines attraktiven Campingplatzes
Bereitstellung eines Campingplatzes mit Seeblick für Busreisende beim „Feel Festival“
Wochenend-Flatrate für den Sanitärbereich des Festivals
Wochenend-Flatrate für den Sanitärbereich mit Zugang zu warmen Duschen und Keramiktoiletten beim „Feel Festival“
Quelle: Eigene Darstellung
4.2.2 Gastronomie Die Art der auf einem Festival angebotenen Speisen und Getränke hat ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf die Bilanz der im Kontext eines Events entstehenden Emissionen (vgl. Scarborough et al. 2014). Die geforderte Speisenvielfalt wird durch die Angebotskategorien vegan, vegetarisch, regional, saisonal etc. widergespiegelt. Der Eventveranstalter trifft die Entscheidung, welche Speisen und Getränke angeboten werden. Über Kauf und Konsum entscheiden allerdings die Besucher. Studien belegen, dass eine vegane Ernährung die Emissionen, die bei der Herstellung der Lebensmittel entstehen, halbieren kann (vgl. Scarborough et al. 2014, S. 8). Auch die Wahl von regionalen und saisonalen Produkten hat durch einen verringerten Transport- und Lagerungsaufwand einen positiven Einfluss auf die Klimabilanz. Im Bereich Gastronomie besitzt der Verzicht auf tierische Produkte das größte Potenzial zur Vermeidung von Emissionen (vgl. Scarborough et al. 2014, S. 10). Viele größere Festivals, wie das Melt! oder auch das Feel Festival, befürchten bei einer kompletten Umstellung auf vegetarische Speisen Umsatzrückgänge. Bei kleineren Festivals, wie dem Wilde Möhre Festival, scheint das weniger ein Problem zu sein, da man dort die Wünsche der Zielgruppe besser einschätzen kann und von einem eher homogenen vegetarisch orientierten Publikum ausgeht. Andererseits ist das sehr große Fusion Festival mit 70.000 Besuchern schon seit jeher komplett vegetarisch/vegan ausgerichtet (vgl. Kulturkosmos 2014). Dieses Beispiel lässt erkennen, dass kaum Umsatzeinbußen zu befürchten sind, solange man von einer homogenen Zielgruppe ausgehen kann. Die Erwartungshaltung spielt eine bedeutsame Rolle. Wenn ein Festival schon immer ein rein vegetarisches Angebot hatte, kann man sich als Gast eher darauf einstellen, als wenn ein Festival, bei dem man seit Jahren Fleischgerichte konsumieren konnte, sein Angebot
Nudging im Eventkontext
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umstellt. Eine solche Anpassung vollzieht sich nicht unbedingt innerhalb einer Festivalsaison, weshalb im schlimmsten Fall die Ticketverkäufe einbrechen können. Ein Nudge in diesem Bereich sollte die Entscheidungsfreiheit der Zielgruppe berücksichtigen, was sich mittels einer Vorauswahlkonzeption realisieren ließe. So könnte man den Festivalteilnehmern beim Ticketkauf (im Onlineshop) mitteilen, dass das kulinarische Angebot grundsätzlich vegetarisch sei, aber eine Präferenz für Fleischprodukte per E-Mail oder mittels eines Formulars angemeldet werden könne. Diese Anmeldung kann mit der besseren Planbarkeit der benötigten Mengen begründet werden. Aufgrund von Trägheit würden vermutlich viele Menschen diesen Extra-Aufwand scheuen und sich somit an den Food Courts vegetarisch/vegan ernähren. Angesichts des Status Quo Bias bleibt die Vorauswahl meist auch die Endauswahl. Ein zweiter Nudge könnte in Verbindung mit einem symbolischen Kontingent an CO2-Äquivalenten realisiert werden, die je nach Speise aufgebraucht werden. Die genaue Umsetzung wird im Punkt 4.2.6 dargestellt. Dafür müssten jedoch alle Imbissstände mit Scannern und alle Besucher mit Chips ausgestattet werden. Dies würde eine hohe einmalige Investition für das Festival bedeuten. Da derartige Chips aber auch die Implementierung von Zugangsberechtigungen, Bezahlsystemen und Duschkontingenten etc. unterstützen, wäre dies dennoch bedenkenswert. 4.2.3 Strom Der Strom auf Musikfestivals ist eine spezielle Kategorie, da ausschließlich der Eventveranstalter darüber entscheidet, aus welchen Quellen er bezogen wird. Die Besucher können nicht zwischen mehreren Alternativen wählen. Allerdings spielt Strom eine entscheidende Rolle bei der Verringerung der anfallenden Emissionen (vgl. Umweltbundesamt 2019). Die Auswirkungen können den Besuchern durchaus auch über Nudging spielerisch nahegebracht werden. Es sollte dabei selbstverständlich sein, dass der bezogene Strom aus erneuerbaren Energieträgern – Windkraft, Solarenergie, Wasserkraft – erzeugt wird. Um ein Event so ökologisch nachhaltig wie möglich zu gestalten, sollten fossile Energien um jeden Preis vermieden werden (vgl. Umweltbundesamt 2019). Auch die Erzeugung von Energie vor Ort, wie etwa durch eigene Photovoltaikanlagen, kann in Betracht gezogen werden. Da Open-Air Großveranstaltungen oftmals an Orten stattfinden, die sonst das Jahr über nicht bespielt werden, existieren oft keine festen Stromanschlüsse, weshalb auf mobile (Diesel)-Generatoren zurückgegriffen wird. Deren Vermeidung liegt jedoch im Aufgabenbereich des Veranstalters. Deshalb werden alle Maßnahmen, die von den Besucher nicht direkt beeinflusst werden können, in der Anwendung des Kriterienkatalogs ausgeklammert. Wie Jacob Bilabel, Gründer der Green Music Initiative, feststellte, scheint das Thema Strom für Festivalbesucher zunächst eher nebensächlich zu sein, da es für sie nicht unmittelbar erkennbar ist, aus welchen Quellen er bezogen wird und in welchen Mengen
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er verbraucht wird (vgl. Taige, 2018, S. 25). Dies könnte man sich mit einem visuellen Nudge (vgl. Thaler/Sunstein, 2011, S. 268) bewusst zu Nutze machen, in dem man, ähnlich wie beim Melt! Festival, ausgewählte Bühnen durch Solarenergie oder mit Muskelkraft betreiben lässt. Besonders gut eignen sich dafür Singer-Songwriter-Bühnen, da dort der Energiebedarf meist nicht so hoch ist. Man könnte außerdem eine große Glaskugel als Teil einer Installation auf dem Festival errichten, die grün leuchtet, wenn tagsüber durch Sonneneinstrahlung auf Photovoltaikanlagen oder durch aktuelles Betätigen einer Fahrradkonstruktion genug Strom erzeugt wird und wiederum rot leuchtet, wenn aktuell mehr Energie aus dem Feststrom bezogen werden muss, als bisher am Tag generiert wurde. Dies könnten Besucher als gemeinschaftlichen Ansporn sehen, die Lampe immer im grünen Bereich zu halten. In der Umsetzung würde dies auch einen sozialen Nudge darstellen, weil im Sinne einer Gemeinschaftsaktivität ein gewisser Druck entsteht, etwas zur Erzeugung des Stroms beizutragen, wenn dieser für das Hören der Musik und für das Betrachten der Lichter genutzt werden soll. 4.2.4 Müll Bei dem auf dem Festivalgelände zurückgelassenen Müll (vgl. Henderson/Musgrave 2014) handelt es sich neben Verpackungen von Lebensmitteln auch um Zelte, Matten, Schlafsäcke und Dekoration. Bevor mögliche Nudges entwickelt werden, muss man die favorisierten und realistischen Nudging-Ziele bestimmen. Sollen die Besucher im Sinne eines Zero Waste Managements durch Nudges dazu animiert werden, erst gar keinen Abfall entstehen zu lassen, oder soll erreicht werden, dass der entstehende Müll ordnungsgemäß getrennt und entsorgt bzw. wieder mitgenommen wird? Erstrebenswert für Musikfestivals ist es sowohl, so wenig Müll wie möglich zu produzieren, als auch den Müll, der unvermeidbar anfällt, ordnungsgemäß zu entsorgen und zu trennen. Die Festivalgäste sollten zudem motiviert werden, keine Zelte oder andere Ausrüstungsgegenstände zurückzulassen. Systeme, die ein Müllpfand beinhalten, dürfen keineswegs Festivalgäste benachteiligen, die selbst kaum Müll produzieren. Bei der Abgabe eines vollen Müllsackes geht es eher um ein Solidarprinzip, so dass dazu angehalten wird, auch Müll einzusammeln, der nicht selbst verursacht wurde. Auf diese Weise kann man einen Beitrag dazu leisten, das Gelände nach Festivalende so schnell wie möglich wieder vom Müll zu befreien. Die Erfahrung der Eventveranstalter zeigt, dass meist auch Gäste, die selbst nahezu ein Zero Waste Management praktizieren, trotzdem einen gefüllten Müllsack abgeben können, um ihre Müllpfandgebühr zurückzuerhalten. Eine Untersuchung der Green Music Initiative zeigte, dass es sinnvoller ist, mit positiver Verstärkung zu arbeiten, statt detaillierte Aufklärungsarbeit einzusetzen, die oft wegen ihrer Komplexität im Rahmen eines Musikfestival seltener von den Gästen angenommen wird (vgl. Taige 2018, S. 26). Deshalb sollten die Informationen bereits im Vorfeld
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übermittelt werden, wenn die Besucher genügend Zeit haben, diese zu verarbeiten und eigene Erkenntnisse daraus zu ziehen, so dass sie im besten Fall auf dem Festival das erlernte Wissen abrufen und in ihre Handlungen und Entscheidungen einfließen lassen können. Mittels Smileys oder anderer Symbole könnte ein emotionaler Nudge gesetzt werden, der die wünschenswerte Müllentsorgung kommuniziert. Thaler und Sunstein (2011, S. 18) merkten an: „Erstens: Man darf niemals die Macht der Trägheit unterschätzen. Zweitens: Diese Macht kann man auch gezielt nutzen.“ Nach diesem Prinzip sollten auch die Müllabgabestationen bei Musikfestivals positioniert werden, um die Recyclingquote zu erhöhen und den Aufwand bei der Müllsortierung zu verringern. Beim Feel Festival ist es bisher so, dass die Gäste beim Verlassen des Geländes einen vollen Müllsack abgeben können. Solange dieser Müllsack bis zu einem bestimmten Maß gefüllt ist, bekommen sie ihr Müllpfand zurückgezahlt. Anschließend wird jeder einzelne Sack von Mitarbeitern wieder geöffnet und nach Plastik/Wertstoffen, Glas, Bio-Abfällen, Papier und Restmüll sortiert. Dies ist ein hoher Aufwand, der noch mehrere Wochen nach dem Festival in Anspruch nimmt. Der vorgeschlagene Nudge sieht vor, dass zwei voneinander getrennte Müllstationen an unterschiedlichen Orten errichtet werden. Eine (grüne) Müllstation sollte sich direkt am Wegesrand des Besucherstroms am Abreisetag befinden. Dort hat man die Möglichkeit, seinen Müll selbst zu trennen und anschließend sein Müllpfand wiederzubekommen. Um zur zweiten (roten) Müllstation zu gelangen, muss man hingegen einen Umweg von mehreren hundert Metern auf sich nehmen, kann den Müllsack allerdings dort ungetrennt gegen seinen Müllpfand eintauschen. Diese Nudge-Idee setzt an der Trägheit der Besucher an: Menschen nehmen ungern zusätzliche Wege auf sich und bevorzugen die komfortabel erscheinende einfache Lösung. Zwar entsteht durch den Vorgang der Mülltrennung ebenfalls zusätzlicher zeitlicher Aufwand, doch vordergründig wird die längere Wegstrecke als unangenehmer empfunden. Da die „Grüne Station“ jedoch von allen Besuchern wahrgenommen wird, wirken das Phänomen der sozialen Ansteckung und das Impression Management: Solange es immer eine Anzahl an Besuchern gibt, die als Vorbilder agieren und ihren Müll dort trennen, werden sich ihnen weitere anschließen. Denn je prominenter die Wahlmöglichkeiten aufgestellt sind und je mehr die Öffentlichkeit die Entscheidungen der Einzelnen wahrnehmen kann, desto eher werden die Besucher ein Verhalten zeigen, von dem sie annehmen, dass es erwünscht ist. Des Weiteren ist es wichtig, genügend Müllbehälter aufzustellen und diese regelmäßig zu leeren und zu schließen, um zu verhindern, dass sie überquellen und der Müll auf dem Boden verstreut liegt. Die Broken Windows-Theorie besagt, dass sich noch mehr Müll anhäufen wird, sobald sich erste Müllinseln auf dem Gelände außerhalb der dafür
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vorgesehenen Mülltonnen bilden. Ein Team, welches regelmäßig über das Festivalgelände geht und Säuberungen vornimmt, verhindert diese Kettenreaktion und dient gleichzeitig als gutes Vorbild, welches auch andere Besucher dazu inspirieren könnte, ihren Müll bis zum nächsten Müllbehälter zu bringen und erst dort zu entsorgen. Tab. 2: Nudges für Müllvermeidung, -trennung und -entsorgung bei Musikfestivals Kategorie (4) Müll
Ziele Müllvermeidung
Nudges Einführung eines Müllpfandes
Anwendungen Rückerstattung des Müllpfandes bei Abgabe eines vollen Müllsacks zum Festivalende
Ökologisch nach- Einrichtung von zwei haltige Mülltren- Müllstationen in unnung terschiedlichen Entfernungen
(Grüne) Müllstation in kurzer Distanz mit der Pflicht, für die Rückerstattung des Müllpfandes seinen Müll selbst zu trennen - (Rote) Müllstation in großer Entfernung mit der Möglichkeit, den Müllsack ungetrennt gegen sein Müllpfand einzutauschen
Ökologisch nachhaltige Müllentsorgung
Regelmäßige Leerung der Mülltonnen und Beseitigung herumliegenden Mülls
Einsatz eines Müllbeseitigungsteams, das regelmäßig Säuberungen auf dem Festivalgelände vornimmt und dadurch eine Vorbildfunktion ausübt
Kommunikation und Förderung der er-
Einsatz von Smileys und anderer Symbole zur Kennzeichnung des gewünsch-
wünschten Müllentsorgung
ten Verhaltens
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4.2.5 Sanitär Unter der Kategorie Sanitär (vgl. Laing/Frost 2010) werden alle Aspekte zusammengefasst, die Duschen, Toiletten und Trinkwasserauffüllstationen betreffen. Dabei geht es nicht nur um den sparsamen Verbrauch von Frischwasser, sondern auch um die Art und den Einsatz von Hygieneprodukten. Die grundsätzliche Auswahl bzw. Bereitstellung von Chemie-, Kompost-, Flug- oder Spülwassertoiletten obliegt zwar dem Eventveranstalter, welche der Toiletten jedoch genutzt werden, ist Entscheidung der Besucher, sofern verschiedene zur Auswahl stehen.
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Ähnlich wie im Bereich der Gastronomie kann der Eventveranstalter als Entscheidungsarchitekt die Wahlhandlungen der Gäste schon im Vorfeld lenken. Es könnte in der strategischen Festivalplanung festgelegt werden, dass es ausschließlich Komposttoiletten geben soll – wie auf dem Wilde Möhre Festival bereits praktiziert. Da es jedoch aktuell keinen Dienstleister in Deutschland gibt, der beispielsweise ein Festival der Größe des Feel Festivals mit 20.000 Besuchern komplett mit ökologischen Toiletten ausstatten kann (vgl. Heisterkamp 2017), müssten für die zusätzlich benötigten Kapazitäten Chemietoiletten eingesetzt werden. Außerdem soll es beim Nudging nicht darum gehen, den Entscheidungshorizont von Vornherein durch die Limitierung von Wahlmöglichkeiten einzuschränken, sondern den Besuchern trotzdem noch mehrere Optionen zu bieten, sie aber subtil in die gewünschte Richtung zu lenken. Es stellt sich somit die Frage, wie die Entscheidungen der Gäste durch einen Nudge dahingehend geleitet werden können, dass ein Großteil die Komposttoiletten nutzt. Dies wäre zum einen durch die Positionierung an hochfrequentierten Standorten auf dem Gelände möglich, da meist der kürzeste Weg zur Toilette gewählt wird. Dabei müssen aber auch die Zufahrtsmöglichkeiten für die Abpumpfahrzeuge der Chemietoiletten gewährleistet werden. Eine weitere Nudge-Idee wäre, mehr Annehmlichkeiten bei der Benutzung von Komposttoiletten zu bieten. Dazu gehört die Ausstattung der Komposttoiletten mit Waschbecken, Seife, Desinfektionsmittel und Handtüchern, eine optimale nächtliche Innenbeleuchtung sowie eine angenehme Beleuchtung des äußeren Wartebereiches. So haben die Festivalgäste zwar immer noch freie Wahl, aber aufgrund der Annehmlichkeiten werden vermutlich eher die Komposttoiletten präferiert. Aber auch im Bereich der Duschen ist der Einsatz eines Nudges einzusetzen, um ökologisch nachhaltiges Verhalten zu fördern. In diesem Fall wäre das ein rationeller Wasserverbrauch. Zum einen könnte durch den Einsatz von Zeitschaltuhren die Dauer des Wasserflusses geregelt werden. Um den individuellen Duschvorgang zu verlängern, nachdem das Wasser versiegt ist, müssten die Festivalgäste den Duschknopf erneut betätigen. Alternativ oder ergänzend wäre es denkbar, Sanduhren in die Duschkabinen zu integrieren, die innerhalb von zwei Minuten durchlaufen. Diese können auf freiwilliger Basis benutzt werden, vermitteln aber auf einfache Art ein gewisses Zeitgefühl und regen dazu an, nicht zu lange zu duschen und dadurch auf einen sparsamen und verantwortungsvollen Wasserverbrauch zu achten.
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4.2.6 Kompensation Die Intention hinter einer Kompensation von Emissionen ist neben dem Ausgleich der entstandenen Treibhausgase auch, den Besuchern anhand von Zahlen den tatsächlichen Ressourcenverbrauch eines Festivals und ihres eigenen Lebensstils zu verdeutlichen. Ein Nudge, der ein derartiges Resultat erzielen könnte, wäre ein Klimakonto mit einem vorab festgelegten Emissionsbudget für jeden Festivalgast. So könnte man im Vorfeld des Events ausrechnen, wie viele CO2-Äquivalente maximal verbraucht werden sollen und diesen Wert als Kontingent definieren. Mit dem Ticketerwerb erhielte jeder Gast dieses Emissionsbudget und begänne bereits mit der Anreise, es einzusetzen. Je nach Anreiseart würde sich das Budget um die entsprechenden CO2-Äquivalente verringern. Der Verbrauch für eine Anreise mit dem eigenen PKW wäre dabei sehr viel höher als für die Anfahrt mit dem Fahrrad. Ob die Anreise tatsächlich auf die angegebene Art und Weise durchgeführt wurde, ließe sich per GPS und Tracking der Fahrtgeschwindigkeit ermitteln, die über die Festival-App gemessen werden könnte. Dabei sendet das Smartphone der Anreisenden die Route und die Geschwindigkeit an ein System, welches mittels der Daten validieren kann, dass die Anreise tatsächlich per Bahn, Bus, Auto, Fahrrad oder zu Fuß erfolgte. Aus Datenschutzgründen ist ein solches Tracking nur möglich, wenn zuvor die explizite Zustimmung zur Nutzung der Daten in der App erfolgte. Auch bei jeder Mahlzeit, die am Foodcourt gekauft wird, wird das Emissionsbudget beansprucht. Vegane Speisen wirken sich dabei am positivsten aus. Der Bogen ließe sich von regionalen über saisonale und vegetarische Gerichte bis hin zu Mahlzeiten spannen, die Fleisch enthalten. Auch für viele weitere Tätigkeiten und Handlungsentscheidungen können die Auswirkungen auf die Umwelt und die Klimabilanz errechnet werden. Das noch verfügbare Emissionsbudget sollte den Gästen über die Festival-App grafisch in einem Kreisdiagramm prozentual dargestellt werden. Um zudem den Mere Measurement-Effekt zu nutzen, kann man den App-Nutzern die Möglichkeit bieten, vor Beginn des Festivals ein Ziel bezüglich des erstrebten Restbudgets am Ende der Veranstaltung zu definieren. Sobald dieses Ziel kommuniziert und in der App festgehalten wurde, ist es verbindlicher und wird mit einer höheren Wahrscheinlichkeit erreicht. Es sollte dabei jedoch nicht um eine Bestrafung derjenigen gehen, die ihr Emissionsbudget vollends aufbrauchen. Bei der Festlegung des Budgets muss unbedingt darauf geachtet werden, dass es selbst dann ausreichend wäre, wenn von einem Festivalgast stets die am wenigsten ökologisch nachhaltige Option gewählt würde. Stattdessen sollen
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diejenigen, die sehr sparsam mit dem Kontingent umgegangen sind, belohnt werden. Die Belohnungen sollten nicht-monetär in Form attraktiver Preise erfolgen, darunter z. B. exklusive Meet and Greets mit auf dem Festival auftretenden Bands, Backstage-Pässe oder limitierte Merchandising-Pakete. In einem zweiten Nudge-Ansatz kann man die von Thaler und Sunstein beschriebene Verlustaversion nutzen. Dabei wird allen Festivalgästen eine erstrebenswerte Belohnung in Aussicht gestellt, wobei es sich um das originale Festival-Shirt oder einen anderen limitierten Merchandising-Artikel handeln kann. Anschließend dürfen die Gäste auf dem Festival frei über ihr Emissionsbudget verfügen. In diesem Fall wäre das Kontingent jedoch knapper bemessen, so dass es bei permanenter Auswahl der nicht ökologisch nachhaltigen Optionen an einem bestimmten Punkt ausgeschöpft wäre. Die Unterschreitung der Untergrenze würde mit dem Verlust der Belohnung sanktioniert. Es wäre denkbar, diesem System noch einen sozialen Nudge hinzuzufügen, indem man unter Nutzung von Usernamen das Emissions-Ranking der Teilnehmer in der Festival-App veröffentlicht. Denn sozialer Druck sowie eine Wettbewerbssituation motivieren viele Menschen stärker (vgl. Thaler/Sunstein 2011, S. 263).
5 Schlussbetrachtung Die Analyse der Musikfestivals Melt!, Haldern Pop und Wilde Möhre hat gezeigt, dass aktuell vor allem monetäre Anreize gesetzt werden, um die Entscheidungen der Besucher hinsichtlich ökologischer Nachhaltigkeit positiv zu beeinflussen. Die Entwicklung eines eigenen Maßnahmenkatalogs erfolgte bewusst unter der Prämisse, attraktive Nudges zu kreieren, die nicht auf wirtschaftlichen Vorteilen basieren. Die Eignung dieser Nudges für die subtile Lenkung zu einem ökologisch nachhaltigen Verhalten kann sich nur durch Praxiserfahrungen erweisen. Einige der vorgeschlagenen Nudges würden einen hohen finanziellen Einsatz sowie größere technologische Neuerungen in den Festivalstrukturen erfordern, wie etwa die Umprogrammierung der Festival-App, die Einführung von RFID-Chips und der dazugehörigen Scanner. Außerdem könnten sich die Festivalbesucher schnell kontrolliert fühlen, wenn viele ihrer Handlungen überwacht werden. Andererseits sind viele junge Menschen auch im Alltag bereit, persönliche Daten weiterzugeben. Solange das Vertrauen zu den Veranstaltern gegeben ist, dass die Daten anonym behandelt werden, sollte diesen technologischen Innovationen nichts im Wege stehen.
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Der Herausforderung, die ökologische Nachhaltigkeit in allen Bereichen, welche die Planung und Produktion von Musikfestivals umfasst, zu berücksichtigen, muss man sich stellen, wenn man der Verantwortung gegenüber künftigen Generationen gerecht werden will. Events im 21. Jahrhundert sollten die Umwelt nur noch minimal beeinträchtigen. Das Wissen und die Technologien dafür existieren bereits. Nudging kann dabei durch subtile, unscheinbare Hinweise und Lenkungen einen wichtigen Beitrag für ein ökologisch nachhaltiges Verhalten von Eventbesuchern leisten.
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UMWELTBUNDESAMT (2019): Umweltbewusstsein in Deutschland 2018. Berlin: BMU - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit 2019. WILDE MÖHRE FESTIVAL (2019): Offizielle Website des Wilde Möhre Festivals, online unter: https://wildemoehrefestival.de/, Zugriff am: 10.10.2019. WÖBKING, M. (2018): Wave-Gotik-Treffen lässt in Leipzig die Kassen klingeln. In: Leipziger Volkszeitung, 20.05.2018, online unter: https://www.lvz.de/Thema/Specials/Wave-Gotik-Treffen/WGT-News/Wave-Gotik-Treffen-laesst-in-Leipzig-dieKassen-klingeln, Zugriff: 10.01.2020.
Thomas Duschlbauer Digitaler Wandel und Performativität 1
Einleitung
2
Performativität als Wirklichkeitsmaschine des Sozialen
3
Das heilsversprechende Narrativ von der planbaren Disruption
4
Die Nachahmung als sinnstiftendes Ereignis
5
Performativität gegen den fragwürdigen Konsens
Literaturverzeichnis
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Zanger (Hrsg.), Events und Messen im digitalen Zeitalter, Markenkommunikation und Beziehungsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31775-1_8
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1 Einleitung Digitalisierung als Mega-Trend bringt nicht nur eine Fülle von mehr oder weniger nützlichen Anwendungen hervor, die wir auch in der Eventbranche zum Einsatz bringen können. Sie stellt phänomenologisch die Konstitution eines Events an sich in Frage und wir sollten im Kontext der Digitalisierung keinesfalls darauf verzichten, uns auf einer übergeordneten Ebene mit diesem Wandel zu befassen. Spätestens mit dem flächendeckenden Einsatz des 5G-Standards sind im Indoor- sowie im Outdoor-Bereich digitale Nutzungen möglich, die weit über den Charakter eines den Event „behübschenden“ Features hinausgehen, sondern gemeinsam mit anderen digitalen Anwendungen auch fundamentale Aspekte unseres Daseins in der Welt betreffen. Angesichts der Tragweite der Digitalisierung wird die Auseinandersetzung mit Events wahrscheinlich zu kurz greifen, wenn sie im Rahmen der User-Zentriertheit verharrt und es keine holistische Analyse dessen gibt, was auch die Veränderungen einer Gesellschaft betrifft, die nicht nur materielle Bedürfnisse hat, sondern sich in den letzten Jahrzehnten stark in die Richtung der Erlebnisorientierung und der „Eventisierung“ des Alltäglichen entwickelte. Wenn in unserem Verständnis eines Events auch Themen wie das Lernen und die Stiftung von Sinn und Gemeinschaft – oder überhaupt die Organisation des Sozialen – ihren Platz haben, dann berührt die Digitalisierung also auch jene Bereiche, welche zu den Grundlagen eines Events gehören. So hat beispielsweise Marshall McLuhan bereits 1958 darauf verwiesen, dass das Medium auch die Funktion einer Botschaft übernimmt (vgl. McLuhan 1964, S 29). Und gerade im Ereigniskontext eines Events besteht das Besondere zudem darin, dass die Besucher durch diverse Botschaften emotional von einem Zustand in einen anderen versetzt werden und Affektion erfahren. Die Auswahl der verwendeten Medien betrifft insofern nicht bloß die Form der „Darbietung“ und „Aufbereitung“ von Inhalten, sondern ist selbst Inhalt, der die Wahrnehmung eines Events beeinflusst. Denn es kommt der Umstand hinzu, dass die Anwendung von Technologie ebenfalls wie ein Ereignis oder als Sensation wahrgenommen werden kann. Mood Design setzt daher ganz bewusst darauf, Technik im Alltag derart zu inszenieren, dass bei den Anwendern besondere Erlebnisse hervorgerufen und bestimmte Gefühle ausgelöst werden. So stellt es für einen enthusiastischen Autofahrer eventuell einen besonderen Reiz dar, wenn der Start-Stop-Knopf seines Fahrzeuges vor dem Betätigen im Rhythmus eines Herzschlages rot aufflackert. Denn diese technische Analogie zu einem natürlichen Ablauf in unserem Körper repräsentiert emotionalisierende Aspekte wie Spannung, Kraft und Vitalität. So vermag es die Technologie, in alle Bereiche unseres Alltagslebens einzudringen und dazu beizutragen, dass unser Leben zunehmend Inszenierungen unterworfen wird, die uns überraschen, Gefühle verstärken und uns von Routine ablenken.
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Technologie ist bei diesen Beispielen jedoch stets rückgekoppelt mit unseren Fähigkeiten und unserem Können, denn der Zweck solcher Inszenierungen besteht darin, eine Referenz zu unseren Eigenschaften und unserer Persönlichkeit herzustellen, indem wir zeigen können, dass wir Technologien bedienen und sie damit beherrschen. Wir nehmen in dieser Konstellation die Rolle des Dieners und Herrschers ein, und wer nicht dienen kann, kann auch nicht herrschen. Souveränität leiten wir in unserer technisierten Welt bislang auch von jenen Fähigkeiten ab, mit denen wir uns neuen technischen Herausforderungen stellen. Im Sinne von Sigmunds Freuds Kulturtheorie, Arnold Gehlens Anthropologie und Soziologie oder McLuhans Medientheorie sind wir mit unseren Technologien „Prothesengötter“ (vgl. Freud 1974, S. 222), „Mängelwesen“ (vgl. Gehlen 2016, S. 35 f.) oder Wesen, die Medien als Extension ihrer Sinnesorgane nutzen (vgl. McLuhan 1964, S 68). Technologie trat bis vor kurzem stets als eine Kompensation menschlicher Defizite oder als Verstärkung bestehender Fähigkeiten auf. Ihre Nutzung nötigte dem Menschen eine körperliche und geistige Eignung ab, wodurch ihm weiterhin eine gewisse Überlegenheit suggeriert wurde. Aus diesem kompensatorischen und amplifizierenden Verhältnis des Menschen zu seinen Technologien leiteten sich z. B. auch sportliche Bewerbe ab, die das Eventgeschehen bereicherten. Dabei zählen im Umgang mit technischen Geräten wie Flugzeugen oder Automobilen nicht mehr so sehr Fähigkeiten wie Kraft und Ausdauer, sondern sensorische Begabungen, wie eine schnelle Reaktion oder eine gute Wahrnehmung davon, wie sich eine Maschine verhält, wenn sie extremen physikalischen Kräften ausgesetzt ist. Diese Phänomene sind es auch, die wesentlich zur Faszination des Motorsports beitragen. Die Einheit von Mensch und Maschine entsteht dadurch, dass die Defizite des einen durch die Stärken des anderen wettgemacht werden. Künftige Technologien werden allerdings dafür sorgen, dass wir unsere Welt mit Robotern, Mutanten, Androiden, Avataren und anderen neuen „Wesen“ teilen, mit ihnen in Interaktion treten und kommunizieren werden. Die Sphären des rein Dinglichen und des Organischen werden dabei zunehmend miteinander vernetzt und verwoben, die digitale Technologie in den Organismus implantiert, während wir mit unseren Körpern in den smarten Homes der smarten Cities leben und uns von smarter Mobility von A nach B transportieren lassen. Smart ist dabei nicht unbedingt gleichzusetzen mit dem, was wir unter der Bezeichnung „intelligent“ verstehen können. Smart ist nicht unbedingt klug oder gar weise, sondern hat etwas mit Gewandtheit und Tüchtigkeit zu tun. Smart zu sein heißt nicht bloß zu denken, sondern es ist ein Denken, das auch sehr eng mit dem Tun verbunden ist. Denn letztlich ist die digitale Technologie ja auch dazu da, etwas für uns Menschen, oder dem,
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was von unserem Mensch-Sein übrigbleiben wird, zu tun. Diese Verbindung einer besonderen Ausprägung des Denkvermögens mit dem Tun lässt sich am besten als ein Geschick beschreiben, wobei das Geschick als „Fertigkeit“ auch etwas Schicksalhaftes innehat und damit auch auf eine unumstößliche Ordnung hinweist – ähnlich wie der Begriff „data“ von seiner Etymologie her auch auf etwas bereits „Gegebenes“ hindeutet. Wenn uns in dieser neuen Ordnung nun die Dinge mit ihrer eigenartigen Geschicklichkeit autonom gegenübertreten, um uns von all den Bürden unserer Existenz zu erlösen, dann stellt sich natürlich die Frage, ob bei uns Menschen Geschicklichkeit nicht irgendwann bis auf das bloße und schließlich nicht mehr zum Ausdruck gebrachte Talent verkümmert? Wir wären in einem direkten Sinn nicht mehr wirkmächtig, weil nicht mehr wir es sind, die die Maschinen bedienen, sondern wir von den Maschinen rundum bedient werden. Wir setzen uns beispielsweise in ein selbst fahrendes Kraftfahrzeug und werden gefahren, ohne unmittelbar jene Kräfte zu erfahren, die wir dabei heute noch durch unser Tun selbst auslösen und auch selbst zähmen. Wir bewegen uns im Raum, ohne ein Gefühl der physikalischen Gesetze in der Natur zu erlangen. Wir brauchen beim Fahren nicht einmal mehr aus dem Fenster zu schauen, weil wir der im Hintergrund arbeitenden Technologie blind vertrauen können. Während uns die Automobilindustrie zuvor seit Jahrzehnten das Serum eines aufregenden und erquicklichen Fahrerlebnisses eingeimpft hat, um ihre hoch emotionalisierten Produkte zu verkaufen, gibt es beim selbstfahrenden Auto eigentlich kaum mehr einen Unterschied zu anderen Dingen des alltäglichen Lebens wie Büromöbel oder Kühlschränke. Wie eine Fracht werden wir vom Auto von A nach B geschickt, ohne dabei selbst Geschicklichkeit an den Tag legen zu müssen. Das Autofahren ist mehr oder weniger ein logistischer Prozess und auch vergleichbar mit einem Geschlechtsakt, der ausschließlich der Fortpflanzung dienen würde. Was geschieht also mit uns aus einer ontologischen Perspektive, wenn wir durch eine autonom entscheidende und autonom handelnde Technologie nun mit anderen Handlungsspielräumen und daher auch mit einer anderen Erlebnisfülle und Erlebnisqualität konfrontiert werden? Wie sieht es mit unserer Macht zu handeln aus, wenn im Sinne Spinozas der menschliche Körper nun eventuell in einer anderen Art und Weise oder gar weniger erregt oder affiziert wird? Denn für Spinoza besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Tätigkeitsvermögen des Menschen und dessen Affiziertseinkönnens, wobei das Tätigkeitsvermögen Ausdruck des menschlichen Wesens und gleichzeitig die Bejahung dessen ist, was wir als die Fähigkeit erachten, uns beeindrucken und beeinflussen zu lassen (vgl. Müller 2015, S. 52 f.).
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Eine autonom auftretende digitale Technologie orientiert sich zudem nicht an einem von Mehrdeutigkeit und Vielfalt geprägten Umfeld, zumal ein solches es der Maschine erschweren würde, für uns Entscheidungen zu treffen. Die Entwicklung künstlicher Intelligenz hat wenig Sinn für Humor und noch weniger für Ironie. Was für uns Menschen – zumindest für die intelligenteren unter uns – gemeinhin als Unterhaltungsfaktor gilt, basiert schließlich auf Entscheidungen. Denn Ironie bietet zumindest zwei Versionen einer Wirklichkeit und wir empfinden so etwas wie Freude daran, abzuwägen, zu testen, zu entscheiden und aus einer ambivalenten Situation auch zu lernen. Bislang wurde gesellschaftlicher Wandel stets geprägt und angetrieben von derartigen Lernerfahrungen aus ambivalenten Situationen heraus und in der Romantik wurde die Ironie sogar zu einem selbstreflexiven Stilmittel, zu einer ästhetischen Theorie erhoben. Bislang, denn erstmals in der Geschichte der Menschheit tritt Technologie nicht in ihrer klassischen kompensatorischen und amplifizierenden, sondern in einer autonomen Art und Weise auf. Und auch der Wandel, der durch sie hervorgerufen wird, wird zunehmend nicht mehr über den Weg der Mehrdeutigkeit und Vielfalt und beispielsweise daraus resultierender Ironie vollzogen werden. Denn die Aufgabe der Maschine besteht ja jetzt genau darin, uns in allen Bereichen des Alltags Entscheidungen abzunehmen, weshalb Ambiguität nichts anderes darstellt als eine Unzulänglichkeit (vgl. Bauer 2018, S. 92). Neben der Conditio humana gibt es also auch eine technische Befindlichkeit, die darauf abzielt unsere Bedürfnisse einfach abzulesen und für uns zu entscheiden. Die Technik bedient den Menschen und der Mensch dient der Technik, indem er die Welt derart für sie gestaltet, dass sie zunehmend vereindeutigt wird und somit den Maschinen den Weg in die Form einer symbiotischen Obsorge ebnet. Der Philosoph Éric Sadin zieht daraus den Schluss, dass der Mensch gleich in doppelter Weise eine Neupositionierung erfährt: Zum einen in otologischer Hinsicht, da er nicht länger das einzige mit Urteilsfähigkeit ausgestattete Wesen ist und durch die neue und von ihm selbst als überlegen betrachtete Wahrheitsinstanz verdrängt werde. Zum anderen würden wir anthropologisch marginalisiert werden, da nicht mehr der Mensch mit Hilfe seines Geistes, seiner Sinne und seines Wissens Gestaltungsmacht ausübe, sondern eine als leistungsfähiger angesehene Interpretations- und Entscheidungsgewalt. Diese würde ihn laut Sadin aus unterschiedlichen Lebenswelten verdrängen, beginnend mit der Arbeitswelt (vgl. Sadin 2017, S. 8). Während zu Beginn des Informationszeitalters der Begriff der Information noch vorwiegend mit der Bedeutung des Bildens und Unterrichtens verknüpft war, ändert sich dies nun und es tritt die zweite und ursprüngliche Bedeutung dieses Begriffs bzw. das lateinische Gestalt geben, das Formen und Prägen in den Vordergrund. Die Welt der Dinge wird den Anforderungen der digitalen Welt angepasst, so dass die Dinge nicht mehr mühsam in einem Chaos ausgemacht werden müssen, sondern sich selbst jederzeit
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und an jedem Ort zu erkennen geben. Es geht notwendiger Weise beim Informationsbegriff im Sinne einer autonom auftretenden Technologie auch um Prägung und Formung in einem materiellen oder phänotypischen Sinn. Denn diese Technologie bezieht sich in ihrer Funktion nicht mehr allein auf den Menschen als ein Mängelwesen, sondern auch auf die Natur. Wenn deren Evolution ein permanenter Prozess der Adaption ist, dann offenbart dieser ebenfalls Mängel, die beispielsweise sogar dadurch behoben werden können, indem man die Umweltbedingungen derart korrigiert, dass sich Natur nicht mehr an solche Verhältnisse anpassen muss, wie es beispielsweise die Utopie des Terraformings auf fernen Planteten durch Roboter und andere Maschinen vorsieht. Information ist daher nicht mehr länger bloß wie es Augustinus in seinem von Platon beeinflussten Traktat „Über die Dreifaltigkeit“ analysiert, ein Wahrnehmungs- und Vorstellungsprozess bei Tieren und Menschen. Es geht nicht mehr allein um das sinnliche Schauen als Prozess, bei dem der Gegenstand die Sinneswahrnehmung informiert (informatio senus) (vgl. Augustinus 2002, trin. 11,2,3). Nein, es geht, wie es beispielsweise auch die Vorstellungen vom Internet der Dinge oder von Industrie 4.0 offenbaren, erstmals auch um die Gegenstände und deren raum-zeitliche Anordnung.
2 Performativität als Wirklichkeitsmaschine des Sozialen Der Sphäre des Informativen, das nun mit einer neuen Handlungsvollmacht hin zum Prägenden ausgestattet ist, steht jedoch auch die Sphäre des Performativen gegenüber. Sie könnte dem Menschen nun dazu verhelfen, genau jene Funktion der Information für sich zurück zu erlangen, die im Zuge der Digitalisierung und Autonomisierung der Technologie in den Hintergrund trat. Der Mensch kann sich mit anderen Menschen in seinen Tugenden, Talenten und Fähigkeiten durch das Performative selbst ein Bild von sich selbst machen. Er kann sich in seiner verbliebenen Nische mit ihren verbliebenen Handlungsspielräumen im Performativen ausprobieren, sich bilden und ausbilden. Entsprechend des sprachphilosophischen Ansatzes von John Longshaw Austin gibt es auch die Unterscheidung zwischen konstativen und performativen Äußerungen. Während die konstativen Äußerungen, die auch der Logik der digitalen Sphäre entsprechen, einer Wahr-falsch-Klassifizierung folgen, steht dem die performative Artikulation gegenüber, welche im Sinne des doing something handlungsbezogen ist und etwas in Kraft setzt (vgl. Austin 1986, S. 305-327). Das Performative mit seinem wirklichkeitserzeugenden und materiellen Charakter könnte gerade in Zeiten dieses fundamentalen Wandels einen Ausgleich zur Wirkmächtigkeit des Digitalen schaffen und dazu beitragen, dass die soziale Innovation mit jener unserer Technologien mithalten kann. So verweist auch Shannon Jackson darauf, dass Performance zwei Dimensionen hat: Eine, die sich
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auf die Zusammenarbeit bezieht, welche die Bedingungen und den Content der Performance repräsentiert – und eine, die in ihren unterschiedlichen Ausprägungen die Möglichkeit schafft, Gemeinschaft neu zu stiften (vgl. Jackson 2011, S. 11-17). Performance bzw. die Inszenierung, das Spiel, die Maskerade oder das Spektakel ist insofern nicht bloß als Entertainment oder Teil der Eventbranche, sondern als eine emanzipatorische Methode anzusehen, bei der keine Analysen vor dem Handeln verschrieben werden, sondern unmittelbare Handlungs-, Versuchs- und Improvisationsanalysen vorgesehen sind, aus denen sich auch der Handlungsspielraum eines Einzelnen oder einer Gruppe ableiten lässt. Diese spielerische Methode hat eine gewisse Affinität zu iterativen Ansätzen wie dem Design Thinking oder der Bricolage, da all diese Ansätze auf einem kreativen und transformativen Verständnis von Lernen und Erkunden aufbauen. Anstatt sich nur auf das Bestehende zu konzentrieren, zielen diese Ansätze darauf ab, zu untersuchen, was sein könnte, Systeme und Zustände zu erforschen, die noch nicht existieren. Diese Entwurfsmethoden sind weitgehend auf neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle ausgerichtet und zielen auf innovative Lösungen ab (vgl. Allert/Richter 2009). Die Herangehensweise des Performativen kann uns aber auch in die Lage versetzen, eine Organisation oder eine Gemeinschaft zu transformieren, um ihre Interessengruppen zu befähigen, nicht nur auf neue Realitäten zu reagieren, sondern auch ihre eigene Realität zu schaffen. Wenn wir diesem Weg vom einfachen "Design Thinking" über "Design from Within" bzw. das „Designen“ einer innovativen Organisation bis hin zu "Design as Inquiry" konsequent folgen und ihn radikal weiterdenken, wird auch das Verhältnis zwischen den Mitteln und dem Zweck – also zwischen Produktion und Produkt und zwischen Kreation und Artefakt – umgedreht. Auf diese Weise gesehen ist es nicht unbedingt die Organisation und Sozialisation des Menschen, die es ihm ermöglicht, Artefakte zu schaffen, sondern das Artefakt kann dazu dienen, in einem stark erlebnisorientierten und spielerischen Schaffensprozess Menschen zusammenzubringen, neue Kompetenzen zu erwerben, Tugenden zu kultivieren, sich mit anderen zu identifizieren – letztlich auch Organisation zu schaffen und zwar auf einem höheren Niveau als wir es heute kennen, so dass sie auch den Herausforderungen der Digitalisierung gerecht werden könnte. Dies ist also nicht nur eine rein akademische Betrachtung, sondern hängt im Wesentlichen davon ab, wie wir uns selbst als Menschen definieren, womit wir uns identifizieren und aus welcher Quelle wir die Motivation für unsere Existenz ableiten. Dies umso mehr, als sowohl auf der Ebene der Kommunikation als auch auf jener der Organisation die Automatisierung von Prozessen – beispielsweise über Algorithmen und Bots etc. – zunehmend als erstrebenswert erachtet wird.
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3 Das heilsversprechende Narrativ von der planbaren Disruption Veränderungen wie diese existieren in unserem Verständnis zunehmend als etwas, das dadurch geprägt ist, dass das Bestehende durch etwas anderes ersetzt wird. Begriffe wie Disruption oder Menschen wie die sogenannten Game Changer repräsentieren diese vermeintlich radikale Sichtweise heute. Diese Annahmen sind jedoch nicht ganz neu, zumal Joseph Schumpeter bereits von einer schöpferischen Zerstörung sprach (vgl. Schumpeter 2005). Darüber hinaus ist die schöpferische Zerstörung bei Karl Marx im „Kommunistischen Manifest“ (1848) und später im „Kapital“ zu finden. Im 20. Jahrhundert, dem Höhepunkt der Moderne, war der Wandel noch viel stärker mit Fortschritt als mit Zerstörung verbunden. Fortschritt deutete darauf hin, dass etwas bereits von Erfolg gekrönt ist und auch eine wettbewerbsorientierte Bedeutung hat. Niemand will sich gerne mit dem Gegenteil, dem Stillstand oder gar dem Rückschritt identifizieren. Und niemand will in den Augen der anderen als jemand gesehen werden, der dem Fortschritt im Weg steht. Der Begriff bezieht sich auch auf die Tatsache, dass etwas seinen Weg geht oder einem Zweck folgt. In dieser Hinsicht hat der Fortschritt einen sehr überzeugenden und verbindlichen Charakter. Fortschritt ist eng mit der Aufklärung, der Industrialisierung und dem modernistischen Projekt verbunden, und die Interpretation der Geschichte selbst wird oft durch fortschrittliches Denken beeinflusst. Der Fortschritt hat uns jedoch nicht nur positive Ergebnisse beschert, sondern auch Dinge und Veränderungen wie die nukleare Bedrohung, die Zerstörung der biologischen Vielfalt und neue Formen sozialen Ungleichgewichts. Ende des letzten Jahrhunderts hat die Menschheit dies nicht nur erkannt, sondern auch berücksichtigt, indem sie zunehmend den Begriff „Innovation“ verwendete. Innovation bezieht sich nur auf etwas Neues, eher ohne Werturteil und damit auf einen bewussten Prozess, der eine Idee in ein marktfähiges Produkt verwandelt. Innovation lässt ebenso wie die schöpferische Zerstörung die Frage offen, ob der daraus resultierende Wandel sozial vorteilhaft ist oder nicht. Es bleibt auch unklar, welche Gruppen von Innovationen profitieren werden, während andere darunter leiden könnten. Innovation bedeutet zumindest auch, sich nicht nur vorwärts zu bewegen, sondern sich an den Märkten und Kundenbedürfnissen zu orientieren. Der Begriff des Fortschritts hingegen verlor seine Unschuld, erhielt eine kritische Konnotation mit dem Begriff des „Fortschrittsglaubens“, und seine Linearität und Teleologie wurden auch beispielsweise von Francis Fukuyama mit seinem Buch über das „Ende der Geschichte“ (vgl. Fukujama 2006) in Frage gestellt. Inzwischen ist aber auch die „Innovation“ als Begriff erwachsen geworden. Er wurde zu einem Schlagwort degradiert, das mit allerlei lächerlichen Klischees garniert ist, zu denen Illustrationen mit leuchtenden Glühbirnen oder Mitarbeitern, die auf bunten Hüpfkugeln sitzen, gehören. Wahrscheinlich auch aufgrund der Digitalisierung und der
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damit verbundenen Erfolgsgeschichten aus dem Silicon Valley schließen sich heute immer mehr Unternehmer dem Narrativ der Disruption an, wobei viele der medial gepriesenen Start-up-Ideen allerdings nicht einmal eine radikale Innovation darstellen. Selbst Teslas Elektroautos sind nicht wirklich Ausdruck einer disruptiven Innovation. Abgesehen davon, dass das Elektroauto mehr als 100 Jahre auf dem Buckel hat und nur deshalb von der Straße verschwunden ist, weil Strom damals noch schwer zu bändigen war, dauert der von Tesla in der Automobilbranche hervorgerufene Wandel viel zu lange, um hier von einer Disruption zu sprechen. Auch die Idee des autonomen Fahrens gibt es seit Jahrzehnten, und es wird weitaus länger dauern, als ursprünglich angenommen, bis sich diese Technologie etabliert hat. Wie in vielen anderen Fällen ist die Disruption hier eigentlich nichts anderes als eine Rute, die in das Fenster der Mitbewerber gestellt wird. Aber selbst innerhalb der Automobilindustrie wäre es übertrieben zu behaupten, dass kein Stein auf dem anderen geblieben wäre. Damit die Rute im Fenster auch ihre Wirkung zeigt, bedeutet das Storytelling der Disruption immer, dass ein Unternehmen deshalb disruptiv sein muss, um nicht selbst mit seinem Geschäftsmodell von anderen Disruptoren zerstört zu werden. Diese Erzählung zeigt auch, dass es nicht wirklich um etwas Visionäres oder um sozialen Wandel geht, sondern nur um den Schutz des eigenen Unternehmens. In diesem Sinne sind die meisten so genannten disruptiven Innovationen oft nur so „revolutionär“, dass sie lediglich in ihrer eigenen Organisation Wellen schlagen. Als eine wirklich bahnbrechende Technologie hingegen kann beispielsweise die digitale Fotografie gesehen werden, die das Fotografieren einfacher und billiger machte und sich relativ rasch durchgesetzt hat. Deshalb ist es derzeit so, dass Kodaks Niedergang unter den Unternehmensberatern die Runde macht, um an diesem ach so „schrecklichen“ Beispiel zu zeigen, wie wichtig es ist, neue Entwicklungen nicht zu verschlafen. Tatsächlich funktioniert dieses Narrativ nur durch die Vermittlung ihrer Eröffnungssequenz und des Endes. Und wir wissen, dass viele bei einer spannenden Krimilektüre nur den Anfang mit den Schilderungen des Tathergangs lesen sowie das Ende, um zu wissen, wer denn nun der Mörder war. Denn obwohl die Geschichte der Erfindung der Digitalkamera bei Kodak – dem damaligen Marktführer in der analogen Fotografie – im Jahr 1975 beginnt, endet sie mit dem Schluss, dass dieses Unternehmen keinen Nutzen, sondern nur Nachteile von dieser Innovation hatte. Das klingt ein wenig nach dem Zauberlehrling, nach Wahnsinn und anderen dramaturgischen Versatzstücken, an denen wir schon immer Gefallen fanden.
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Die Entwicklung von Kodak eignet sich allerdings nur bedingt als abschreckendes Beispiel, um die „Fear of missing out“ zu schüren bzw. bei den Unternehmen ein bedingungsloses Bekenntnis zu disruptiver Innovation auszulösen. Denn all jene, die wie der Innovationsforscher Michael Shamiyeh nicht nur den Anfang und das Ende dieses Narrativs kennen, sondern die Handlung genau analysiert haben, würden wissen, dass es keineswegs so war, dass Kodak in einen jahrzehntelangen Tiefschlaf verfiel. Das Unternehmen nahm tatsächlich viel Geld in die Hand und begann zum Beispiel zu diversifizieren. Aufgrund der Neuartigkeit der beteiligten Technologien waren diese Projekte jedoch anfangs ganz einfach noch nicht reif für den Markt und kosteten das Unternehmen Ressourcen aus der noch gesunden Substanz (vgl. Shamiyeh 2014). In dieser Hinsicht zeigt der Plot, dass Kodak nicht zu dem geworden ist, was es heute ist, indem gewartet und Tee getrunken wurde – wie es oft und gerne dargestellt wird. Nein, in seinem Überlebenskampf entwickelte Kodak 1999, lange vor Facebook & Co, sogar eine Anwendung, mit der Nutzer ihre Bilder online teilen konnten. Das Problem war vielmehr, dass die Unternehmensleitung den Handlungsbedarf erkannte, aber die Veränderungen auf unzureichenden Prämissen basierten und letztendlich unzureichende Ressourcen vorhanden waren – vergleichbar vielleicht mit dem Kauf eines teuren Tickets um auf einen Zug aufzuspringen, von dem man nicht weiß, wohin er fährt. Die Tatsache, dass Kodaks „Horrorgeschichte“ so unermüdlich und mit einer solchen Inbrunst erzählt wird, offenbart auch den Glauben an die Vorhersagbarkeit disruptiver Innovation. Denn nur wenn eine so schreckliche und apokalyptische Erzählung wie jener von Kodak mit einer Art Heilsversprechen verbunden ist, kann sie auch die Gruppe der Gläubigen dazu motivieren, Geld für Beratungsleistungen auszugeben. Clayton Christensen, Professor an der Harvard Business School, der 1997 das Buch "The Innovator's Dilemma" veröffentlichte, legte den Grundstein dafür und schuf so die Theorie der disruptiven Innovation anhand von Beispielen wie Discountmärkten oder den Mini Mills der Stahlindustrie (vgl. Christensen 1997). Das Problem ist jedoch, dass die Beispiele nicht immer konsistent sind, sondern nur im Nachhinein darstellen, wie Unternehmen scheitern. Dies bedeutet jedoch noch lange nicht, dass eine verlässliche Prognose über den Erfolg eines neuen Geschäftsmodells abgegeben werden kann. Darüber hinaus zeigen die von Christensen dargestellten Branchen, dass es durchaus etablierte Unternehmen gibt, die trotz disruptiver Veränderungen nicht unbedingt vom Markt verschwinden müssen (vgl. Lepore 2014). Nicht umsonst weist Christensens Harvard-Kollegin Jill Lepore darauf hin, dass disruptive Innovationen nicht ehernen Naturgesetzen folgen und nicht immer von jungen und agilen Start-ups ausgehen, sondern auch von etablierten Akteuren mit viel Eigenkapital und einer bestehenden Marktposition. Andererseits zeigt sich auch, dass Investitionen
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in ein völlig neues Geschäftsmodell selbst ein starkes Unternehmen in den Abgrund ziehen können (vgl. Lepore 2014). Denn „schöpferische Zerstörung“ und „zerstörerische Schöpfung“ liegen oft nah beieinander. Die Logik des Narrativs der Disruption basiert im Wesentlichen auf der Angst, etwas zu verpassen, wobei neben der Geschichte von Kodak auch gerne jene vom Aussterben der Dinosaurier erzählt wird und bei diversen Vorträgen dann Illustrationen gezeigt werden, worauf kleine, fiese Säugetiere auch noch die letzten Gelege der ohnehin durch einen Meteoriteneinschlag in Mitleidenschaft gezogenen Riesenechsen auffressen. Heute sind es nicht Meteoriten und deren Verwüstungen, sondern die Multiplikation digitaler Informationen und die Auswirkungen der Zukunftstechnologien, welche eine zerstörerische Kraft entfalten sollen. Sie würden die traditionellen Geschäftsmodelle der Branche untergraben, weshalb uns nun eindringlich empfohlen wird, mit radikalen Veränderungen, neuen Ansätzen und Technologien die Marktführerschaft unserer Unternehmen zu verteidigen. Und das alles, obwohl wir aus genau dieser Erfahrung wissen sollten, dass dies wahrscheinlich zu einer weiteren Vervielfachung des Informationsvolumens führen wird und dass die durch die eingesetzten Technologien nun etablierten Geschäftsmodelle bald erneut in Frage gestellt werden. Ja, die Logik der disruptiven Innovation ist zum Teil auch eine absurde Logik, welche die Betroffenen in einen permanenten Ausnahmezustand versetzt. Aber es ist auch kein Geheimnis, dass dieser ständige Stress dazu führt, dass wir irgendwann einen Punkt erreichen, an dem wir weder kämpfen noch fliehen können. Die Mitarbeiter solcher Organisationen befinden sich in einem abwechselnden Zustand von "freze" und "submit". Eine derart traumatisierte Organisation überfordert sich selbst aus Angst, die Anforderungen nicht mehr erfüllen zu können. Sobald es uns aber nur um unser Überleben geht, können wir uns den Luxus der Muse, des Reflektierens, der Imagination und des Experimentierens nicht mehr leisten. All dies macht einen grundlegenden Wandel, einen echten Systemwechsel oder zumindest den Willen zu einer solchen radikalen Umkehr unmöglich, die uns endlich von jenen „Lösungen“ befreien könnte, welche bislang Teil des Problems blieben und beispielsweise zur totalen industriellen Ausbeutung unseres Planeten oder zu einem übertriebenen Individualismus auf Kosten der Natur führten. Aber Christensen allein für die inflationäre Verwendung des Narrativs der Disruption oder gar eines drohenden Weltunterganges zu beschuldigen, wäre ungerecht. Er hat nur einen sehr verlockenden Begriff in der Beratungsszene etabliert, und nachdem die Büchse der Pandora geöffnet wurde, beschwert er sich auch selbst, dass dieses Label oft missbraucht wird. Denn die meisten so genannten disruptiven Innovationen wären nicht
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in der Lage, einen neuen Markt zu schaffen. Es scheint auch, dass radikale Formen der Innovationen ganz allgemein überschätzt werden (vgl. Christensen et al. 2016). Während wir uns stets auf das Neue konzentrieren, vernachlässigen wir hingegen, wie es in die Welt kommt: meist nicht als brillanter Geniestreich, sondern als ständiger Strom von Nachahmung und Variation, oft nur kleiner, marginaler Ideen. Was wir heute zunehmend verächtlich beäugen und den Asiaten auch ankreiden, ist in der Praxis mit dem Lernen verbunden, weshalb die Nachahmung ihren Weg in die Pädagogik und Psychologie gefunden hat. Auch in anderen Bereichen, wie der Kochkunst, finden wir Nachahmung, wo es bei Fernsehformaten wie "Kitchen Impossible" beispielsweise darum geht, ungewöhnliche und exotische Gerichte nach zu kochen. Bei der Betrachtung von Innovationen stellt sich zudem die Frage, ob wir uns nicht zu sehr auf den engen Bereich der wirtschaftlichen und technologischen Innovationen beschränkt und dabei die soziale Dimension vernachlässigt haben? So revolutionär Innovationen auch sein mögen, letztlich wird es immer so bleiben, dass es sich um eine kollektive Reorganisation bereits bestehender sozialer Praktiken handelt. Aus dieser Perspektive des französischen Soziologen Gabriel Tarde und seinem Verständnis der sozialen Praktiken ist der Wandel jedoch ohnehin etwas Selbstverständliches, zumal die Situation entsteht, dass Innovation einerseits auf der Analyse bestehender sozialer Praktiken aufbaut und sich andererseits erst durch die Anwendung oder die unterschiedlichen Variationen der Elemente sozialer Praktiken manifestiert (vgl. Tarde 2003). Diese Form des permanenten Wandels hat jedoch wenig mit der Intention des Sprüchleins für Managerpoesiealben zu tun, wonach die einzige Konstante im Leben der Wandel sei. Schließlich steht diese „Weisheit“ nicht für sich selbst, sondern entspringt dem Glauben, dass Veränderungen in Organisationen mehr oder weniger zu verordnen wären. Im Gegensatz dazu impliziert der Blick auf die Theorien der sozialen Praxis ein nichtnormatives Verständnis des Sozialen, das sich nicht auf das sozial Erwünschte oder das Wahre, Schöne und Gute als bestimmende Kriterien einlässt. Tatsächlich kann dies als soziale Innovation angesehen werden, wenn bestimmte Erfindungen, Ideen und Initiativen imitiert und kontextuell angepasst werden und so zu einer Transformation sozialer Praktiken innerhalb oder zwischen bestimmten Gruppen als Ausdruck und Motor des Wandels führen. In solchen Transformationsprozessen führen Interferenzen in der Nachahmung von sozialen Praktiken und sozialen Innovationen zur Rekonfiguration komplexer Praxisformationen und ihrer entsprechenden Lebensstile. Relevante Treiber des Wandels sind in diesem Zusammenhang nicht a priori etablierte soziale Fakten oder Systeme, Strukturen, Ebenen und Normen sowie externe Entwicklungen, sondern die Konstellation von Beziehungen zwischen imitativer Wiederholung, Opposition und Anpassung (vgl. Tarde 2003).
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Als Beispiel könnte hier die Mikrowelle gesehen werden, die ursprünglich als eine echte aber teure und nicht gerade platzsparende Alternative zum Herd angeboten wurde. Mit diesem Anspruch konnte sie sich aber in den Haushalten nicht durchsetzen. Schließlich nahm sie aufgrund sinkender Preise, ihres handlicheren Formats, aber nicht zuletzt wegen der Fernsehgewohnheiten eine Nische ein: Die Zuschauer konnten während der Werbepausen rasch eine warme Mahlzeit aufbereiten. Auch für das Telefon war ursprünglich eine andere Bestimmung vorgesehen: Ähnlich wie heute bei einem Streaming-Dienst sollte es Live-Übertragungen aus Opernhäusern und Theatern ermöglichen. Mit der Erfindung des Radios wurde diese Anwendung obsolet und es setzte sich die Nutzung für die interpersonale Kommunikation durch. Heute ist es sogar so, dass es in Kinos verboten ist, Inhalte von Vorführungen zu „streamen“.
4 Die Nachahmung als sinnstiftendes Ereignis Für Tarde sind es nicht die sozialen Bedürfnisse und Notwendigkeiten, die Innovationen und Erfindungen hervorbringen. Vielmehr hängen die Bedürfnisse von den neuartigen Annehmlichkeiten ab, welche die Erfindungen nach sich ziehen. Nachahmung und Verbreitung solcher Neuerungen gehen dann aber selbstverständlich als sozialer Prozess einher. Der Schwerpunkt bei Tarde liegt hier offensichtlich bei der Verbreitung und Diffusion von Neuem. Somit steht er im Gegensatz zur Vorstellung einer planbaren disruptiven Innovation – selbst wenn sich diese durch Methoden wie Design Thinking auch noch so nutzerorientiert gibt. Es ist stets der Nachahmer in einem anspruchsvollen Prozess, der eine Erfindung erst nachhaltig macht. Innovation hängt von der Intelligenz der Nachahmung ab. Lernen und die weitere imitierbare Aneignung und Annahme scheinen daher entscheidend zu sein (vgl. Tyrell 2003). Dabei erfolgt die Nachahmung im Sinne von Tarde mit somnambulistischer Gewissheit, weshalb man daraus schließen kann, dass die Nachahmungspraktiken zunächst keine bewusst handelnden Personen erfordern. Tarde vermutet den Antrieb des Prozesses konsequent in der „Überzeugung“ und im „Begehren“. Daraus resultiert diese Art des spontanen Gehorsams, der nicht beabsichtigt ist, sondern auf einer Nachahmung basiert, die den ganzen Menschen in seiner Emotionalität und Körperlichkeit erfasst (vgl. Lüdemann 2009, S. 113 ff.). Laut Tarde hat die Nachahmung als Wiederholungsmechanismus eine weitere interessante Eigenschaft, denn sie ist nie mechanisch, was bedeutet, dass Innovationen im Rahmen des Nachahmungsprozesses modifiziert und neu aufgebaut werden. "Les répétitions sont donc pour les variations", behauptet Tarde (vgl. Tarde1993, S. 7) und verweist darauf, dass sie notwendigerweise Differenzierung und Variation erzeugt. Eine Nachahmung sollte daher nicht als identische Kopie angesehen werden. Im Gegenteil, para-
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doxerweise ist sie eine Quelle der Vielfalt und sie steht damit im Gegensatz zu den Mechanismen der Vereinheitlichung und Vereindeutigung, wie wir sie beispielsweise von den Algorithmen der künstlichen Intelligenz her kennen. Ob es sich nun um die Worte einer Sprache oder die Mythen einer Religion handelt, Nachahmungen verändern sich durch ihren Kontext, in welchem sie als ein Zitat stehen. Tarde bezieht in seiner Analyse der Nachahmung auch den Aspekt des „Ereignisses“ (événement) mit ein. Der Zweck einer Wissenschaft der sozialen Fakten wäre es, die Ereignisse zu lokalisieren, die sich überschneiden und eine Geschichte, eine Erzählung nachzeichnen. Diese Ereignisse hätten dann die äußere Form eines Bruchs und einer Wiederholung, „la forme extérieure d’une rupture et d’un redoublement“, wie Jacques Derrida es formuliert (vgl. Derrida 1967, S. 409). Die Frage nach dem Urheber der Ideen ist dabei von untergeordneter Bedeutung, weshalb solche Stoffe aus Sicht der Marketingspezialisten kaum für deren Erzählungen geeignet wären. Denn hier ist wenig Platz für heroische Geschichten, wie sie gerne um disruptive Innovationen gesponnen werden. Eine ständig wiederholende und zitierende Praxis, durch die der Diskurs die Wirkungen erzeugt, die er benennt, lässt sich nach Judith Butler auch mit dem Begriff der Performativität beschreiben (vgl. Butler 1991, S. 202). Während Austin das Gelingen des sprachlichen Handelns noch an bestimmte Bedingungen knüpft, wie etwa an Riten oder konventionelle Kontexte oder an die Autorität des bzw. der Sprechenden als Vertreter des Gesetzes, sieht Derrida die wirklichkeitskonstituierende Kraft der Performativität in seiner Iterabilität begründet, womit er auf den Aspekt der Wiederholung, die sich mit Andersheit verbindet, hindeutet (vgl. Derrida 2004, S. 99). Performativität betrifft auch unseren Zugang zur Technologie, der zu einer Frage des direkten und praktischen Gebrauchs wird und nicht zu einer, ob etwas schon immer so war. Eine solche Aufgabe besteht zunächst darin, die Unterscheidung zwischen Natur und Kultur zu überwinden, indem Begriffe eingeführt werden, die im Denken dieser Kategorien nicht vorgesehen sind. Deleuze und Guattari stellen Körperlichkeit insofern in Einklang mit Technologie und machen sich damit auf die Suche nach dem Ort, an dem körperliche Subjektivität produziert wird. Für sie wird die Einheit des Körpers anders konzipiert als die Einheit des Organismus, nämlich als eine Einheit von Verhalten und Wahrnehmung, in die technische Hilfsmittel integriert werden können (vgl. Deleuze/Guattari 1995). Während Technik als Produkt des Menschen verstanden wird, kann nach dieser Auffassung nun davon ausgegangen werden, dass die Technik als etwas, das der Natur im Allgemeinen bereits immanent ist, auch Teil der menschlichen Natur sein muss. Der Einsatz von Technologie ist nicht etwas, das durch den Menschen bloß abgesondert wird, sondern etwas, das die conditio humana ausmacht. Bereits Antonin Artaud wusste um
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die Immanenz und wies darauf hin, dass Denken nicht angeboren ist, sondern im Denken geschaffen werden muss (vgl. Günzel 1998, S. 14 ff.). Er wusste, dass das Problem nicht darin besteht, ein bereits bestehendes Denken von Natur aus und de jure methodisch zu lenken oder anzuwenden, sondern das zu erzeugen, was nicht existiert (vgl. Deleuze/Guattari 1992, 191 f.). Aber wenn wir das, was nicht existiert, ertragen wollen, können wir den Aspekt des Performativen nicht vermeiden. Denn nur durch das Performative wird die Welt weniger wiederholt als erschaffen. Gilles Deleuze und Felix Guattari hinterfragen auch Lacans Konzept des Unbewussten, das wie eine Rechenmaschine funktioniert, und ersetzen es durch ihr Konzept der Wunschmaschine, die unbewusste Prozesse beschreibt, die mit keinem Algorithmus modelliert werden können, so komplex er auch sein mag. Performativität, gepaart mit einem Unbewussten, das im Gegensatz zur Psychoanalyse nicht sprachlich strukturiert ist, führt zu etwas Mechanischem, das letztlich sowohl in unserem Körper als auch in allen Lebensbereichen präsent ist: „Es funktioniert überall, bald rastlos, dann wieder mit Unterbrechungen. Es atmet, wärmt, ißt. Es scheißt, es fickt. Das Es." (vgl. Deleuze/Guattari 1974, S. 7) Auf einer einfachen Reproduzierbarkeit von Wahrnehmung basiert auch die Meinung, welche uns vom Chaos isoliert. Als Alternative zu dieser Abschirmung bevorzugen Deleuze und Guattari die offene Auseinandersetzung mit dem Chaos, da dieser Prozess nicht nur zur Meinungsbildung, sondern auch zu spezifischen Fähigkeiten innerhalb einer Organisation oder Gruppe führt. In ihren Köpfen bedeutet „Denken“, mit dem Chaos zu konkurrieren. Aus diesem Grund bedient sich auch der Ansatz des performativen Wandels künstlerischer Strategeme. Ein Kunstwerk kann als eine Struktur von Empfindungen, Affekten und Wahrnehmungen gesehen werden, die dem Werden Beständigkeit verleiht, unsichtbare Kräfte spürbar macht und es den Menschen ermöglicht, etwas über ihre eigene Existenz hinaus zu bewegen. Meistens ist es nicht der Konsens, sondern die Aufregung, die uns zu neuen Erkenntnissen führt (vgl. Deleuze/Guattari 1992). Auf diese Weise gesehen ist es nicht unbedingt die Sozialisation des Menschen, die es ihm ermöglicht, Artefakte zu schaffen, sondern das Artefakt bzw. deren Kreation kann dazu dienen, Menschen zusammenzubringen und ihnen zu ermöglichen, neue Kompetenzen zu erwerben. Insofern geht es beim Event im Zeitalter der Digitalisierung nicht nur darum, die damit verbunden technischen Anwendungen in eine Veranstaltung zu integrieren, sondern das Event selbst als eine Technik oder Methodik zu sehen, womit es gelingt, Neues unmittelbar zu erproben und auf diese Weise weiter zu entwickeln.
5 Performativität gegen den fragwürdigen Konsens Dem steht die Unveränderlichkeit der Realität gegenüber, wie sie die Digitalisierung hervorbringt. Beispielhaft dafür ist die Blockchain. Die Autorität über einen Konsens
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oder eine daraus resultierende Vereinbarung wird dabei dezentral und transparent ausgeübt. Versteht man die Blockchain dabei als eine Datenstruktur, die als Kulturtechnik des Menschen in einer langen Tradition von Medientechnologien geschaffen wurde, ändert sich auch unser Verständnis von ihr: Von der Keilschrift über das Schreiben bis zum Buchdruck dienen diese der Erschließung der Realität. Kaum jemand wird in Abrede stellen, dass jede Kulturtechnik auch einen Einfluss auf die Entwicklung der Menschheit hat. Gleichzeitig ermöglicht die größere kulturhistorische Perspektive eine bessere Klassifizierung der Technologie: Aus dieser lässt sich für die Blockchain sagen, dass sie die Vorteile der Öffentlichkeitsarbeit über weite Strecken – aufgrund der elektronischen Infrastruktur – mit den Vorteilen einer materiellen Schreibkultur wie dem Buchdruck verbindet und damit ein gewisses Commitment zwischen allen Beteiligten schafft. Für die Mehrheit der Benutzer, die nicht selbst kodieren können, ist der im Hintergrund agierende Code jedoch eine Art Blackbox. Hier sind wir wieder weit zurück auf der Ebene der mittelalterlichen Mönche, die zu einer kleinen Elite von Menschen gehörten, welche die Kulturtechnik des Schreibens und Lesens beherrschten (vgl. Reijers/Coeckelbergh 2018, S.105-119). Dieser Umstand ist auch deshalb wichtig, weil die Blockchain auch mit Regeln für den Konsens ausgestattet ist. Öffentliche Blockchains sind als dezentrale Systeme strukturiert; und da sie nicht von einer zentralen Instanz abhängen, müssen sich die dezentralen Knoten daher auf die Gültigkeit von Transaktionen einigen. Hier kommen Konsensalgorithmen ins Spiel. Sie stellen die Einhaltung der Protokollregeln sicher und garantieren eine zuverlässige Abwicklung aller Transaktionen, so dass beispielsweise bei Krypto-Währungen die Coins nur einmal ausgegeben werden können (vgl. Reijers/Coeckelbergh 2018, S.120-125). Als problematisch kann angesehen werden, dass die technologische Sprache der Kodierung bisher nur von einer kleinen Gruppe beherrscht wird. Denn Codes prägen auch unser Weltbild. Es ist wichtig zu verstehen, dass Codes nicht nur „Realität“ darstellen, sondern diesem Konstrukt auch eine Struktur geben. Eine, die sich in unseren Narrativen wieder manifestiert, sogar in denen von uns selbst. Blockchain-Technologien sind nicht nur „narrativ“ in dem Sinne, dass sie Teil der Geschichten sind, die wir – als Individuen, Gemeinschaften und Gesellschaften – über sie erzählen. Blockchain-Technologien können viel mehr: Sie können die Erzählungen konfigurieren, mit denen wir unsere alltägliche soziale Realität interpretieren (vgl. Reijers/Coeckelbergh 2018, S.126-130). Gerade angesichts solcher Technologien, die keine Abweichungen mehr zulassen, kann das Event hier dazu führen, dass wir zu überzeugten „Nachahmungstätern“ werden, die mit echter Begeisterung tatsächlich noch Neues in die Welt setzen. Dafür müssen wir uns aber endlich auch von der Idee einer „Dialogkommunikation“ verabschieden, die auf der fragwürdigen Illusion eines Konsenses, quasi als Artefakt der Kommunikation,
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beruht. Aus dem Verständnis der Performativität heraus hat selbst ein Begriff einen ereignishaften Charakter: Es besteht nicht in der Reproduktion einer bereits fabrizierten Bedeutung, sondern in der Freisetzung einer Kraft, die es zuvor noch nicht gegeben hat. Dementsprechend brauchen wir nicht unbedingt eine vorgefertigte Meinung, einen Konsens oder Guidelines, denn wir können bei performativen Events Vorstellungen schaffen, die rein aus der Praxis entstammen. Notwendig sind dafür lediglich genügend Handlungsspielräume. Was eine Praxeologie oder Theorie der Praxis ausmacht und inwieweit sie neue Perspektiven für die Eventforschung bietet, ist sicherlich etwas, das noch geklärt werden muss. Denn sie könnte eine sinnvolle Ergänzung zu den digitalen Praktiken darstellen, nach denen derzeit überall eifrig gesucht wird.
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Colja Dams Live+ Marketing Automation – Boosting für die Marketing Automation und Events 1
Einleitung
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Marketing Automation
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Live+ Marketing Automation 3.1 Live+ Marketing Automation – Reason Why 3.2 Live+ Marketing Automation – How 3.3 Datenerhebung auf Events
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Fazit
Literaturverzeichnis
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Zanger (Hrsg.), Events und Messen im digitalen Zeitalter, Markenkommunikation und Beziehungsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31775-1_9
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1 Einleitung Marketing Automation und Live? Traditionell verbinden wir das Thema Marketing Automation ganz klar mit Online-Marketing. Mit aufpoppenden Werbeanzeigen in unseren Social-Media-Kanälen, wenn wir online eingekauft oder uns beispielsweise bei einem Newsletter angemeldet haben. Wie passt hier also das Live-Marketing? Die Welt, in der sich Marken heute bewegen, dreht sich immer schneller und die Erwartungen der Kunden steigen. Entsprechend fokussieren sich Unternehmen heute nicht mehr allein auf ihre Produkte und Leistungen, sondern umwerben ihre Kunden – Customer Centricity lautet hier das Stichwort. Es meint, dass individuelle Lösungen vor dem Hintergrund von individuellen Problemen, Bedürfnissen und Wünschen angeboten werden. Sowohl Produkte als auch Services werden in Abhängigkeit vom Kunden konzipiert. Customer Insights geben Antworten darauf, wie der Kunde tickt, was seine größten Herausforderungen, seine Bedürfnisse und Wünsche sind. Und darauf, wie diese befriedigt werden können. Digitalisierung und Daten spielen eine entscheidende Rolle bei diesem Ansatz, sie bieten die Lösung effizienter zu arbeiten, das Produkt auf die Bedürfnisse der Kunden anzupassen und in Zeiten der Marketing Automation eine Automatisierung der Prozesse. Daten gelten als neue Währung des Marketing und Sales. Was in der Online-Welt schon längst angekommen ist, hält nun auch in der Event und Live-Marketing Branche Einzug. Der Live-Kanal bietet durch seine persönliche Ansprache und die gemeinsamen Erlebnisse Insights aus Kundensicht, die ohne Face-to-Face-Kommunikation nicht möglich wären. Eine Live-Marketingmaßnahme ist im Vergleich zu einer digitalen Marketingkampagne oft mit erheblich höheren Kosten verbunden. Gerade vor diesem Hintergrund ist die Vermeidung von Streuverlusten umso wichtiger. Wenn es um Daten geht, muss die Customer Journey zwingend ganzheitlich betrachtet werden. Ebenso relevant ist in diesem Zusammenhang die Antwort auf die Frage, ob sich der Aufwand eines Live-Erlebnisses wirklich gelohnt hat. Bisher werden Daten, die durch Live-Marketing und Events generiert werden, nicht ausreichend genutzt, wodurch eine gravierende Lücke im Marketing Automatisierungsprozess entsteht. Mit Live+ Marketing Automation wird die Marketing Automation um Daten, die durch Live-Marketingmaßnahmen generiert werden, erweitert und die Basis für einen ganzheitlichen Automatisierungsprozess geschaffen. Ziel ist ein fortwährendes, personalisiertes und automatisiertes Markenerlebnis über alle Touchpoints hinweg, das
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Kunden immer wieder neu überrascht. Für den Bereich Events und Live-Marketing bietet die ganzheitliche Marketing Automatisierung die Möglichkeit der effektiveren Erfolgsmessung und erfolgreicheren, automatisierten Konzeption von Inhalten und Formaten. Im Bereich der Umsetzung von Live+ Marketing Automation benötigt es Zusammenarbeit auf beiden Seiten: der technischen und strategischen Kompetenzen. VOK DAMS bietet von der strategischen Planung (Live-Marketing Intelligence) bis zur technischen Umsetzung (Event Analytics) lösungsorientierte Ansätze, um den Live-Kanal von der Zielwirkung bis hin zur Messbarkeit über die Anbindung an die Marketing Automation erfolgreich zu implementieren. Darüber hinaus wurde das technische Herzstück – die Event Data Cloud – für die Live+ Marketing Automation entwickelt, die alle gängigen Marketing Automationslösungen unterstützt.
2 Marketing Automation Marketing Automation – im Deutschen auch als Marketing Automatisierung bekannt – ist die auf den Kunden abgestimmte Kommunikation durch automatisierte Marketingprozesse. Zur Marketing Automation werden IT-Lösungen genutzt, die Marketeers dabei unterstützen, alle Informationen über Kundenbeziehungen zu sammeln, zu analysieren, auszuwerten und Marketing-Maßnahmen und Werbekampagnen optimal zu steuern. Durch Marketing Automation wird darüber hinaus die Zusammenarbeit zwischen Marketing, Vertrieb und After-Sales-Service gestärkt (vgl. Swiftpage International o.J.). Marketing Automation startet bei der Leadgenerierung und reicht über die Datenerhebung, Pflege der Daten und Analyse der Kundenbedürfnisse bis zur Optimierung der Kundenansprache in Marketing-Maßnahmen. Leads werden dabei basierend auf ihrem Userverhalten mit Informationen angereichert, um automatisierte Kampagnenprozesse für individuelle Kommunikation einzurichten. In den letzten Jahren haben sich die Aufgabengebiete des Marketing, stetig von neuen digitalen Lösungen getrieben, erweitert (vgl. Swiftpage International o.J.). Ziel ist erstens die intelligente Steuerung von Inhalten über alle Touchpoints hinweg, um aktuelle und potenzielle Kunden an jedem Punkt der Customer Journey individuell abzuholen. Ein zweites Ziel ist die Transparenz im Sales-Funnel. Über die lückenlose Dokumentation wird der Kampagnenerfolg messbar. Ein drittes Ziel sind erfolgreiche Post-Kampagnen. Während der Customer Journey kommen Kunden mit zahlreichen digitalen Touchpoints in Kontakt - ob Mailings, Whitepaper, Social Media oder Websites. Jeder Kontakt mit digitalen Touchpoints wird durch Marketing Automation messbar.
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Abb. 1: Klassischer Marketingautomatisierungsprozess Quelle: eigene Erstellung
Es entstehen valide Daten für automatisierte, erfolgversprechende Marketingmaßnahmen. Dafür werden alle Interaktionen registriert und analysiert. Das Wissen wird mit den Daten aus einem Customer-Relationship-Management System (CRM) verbunden. Ziel ist es, ein umfassendes Bild von Interessen, Informations- und Kaufgewohnheiten zu erhalten, offenzulegen, welche Maßnahmen Aufmerksamkeit generieren und zu Kaufentscheidungen führen. So können Marketingmaßnahmen bewertet und zielgerichtet ausgewählt werden, um potenzielle Kunden erfolgversprechend anzusprechen. Dies ist nur möglich, wenn man die relevanten Customer Touchpoints identifiziert, steuert und die Datenströme in einem einzelnen System (CRM) erfasst, um sie schließlich auszuwerten. Bisher wurden Daten, die durch Live-Marketing und Events entstehen, nicht in den Marketing Automationsprozess integriert – diese Lücke wird mit Live+ Marketing Automation geschlossen.
3 Live+ Marketing Automation Die Customer Journey ist nicht nur ein einzelnes Buzzword, sondern auf einer komplexen Strategie aufgebaut, die aus einer Verknüpfung verschiedenster Kommunikationskanäle und -maßnahmen hervorgeht. Events und Live-Marketing sind selbstverständliche Bestandteile des Marketingmix. Kein anderes Kommunikationsinstrument ermöglicht es, sich mit allen Sinnen mit einer Marke auseinanderzusetzen und keine andere Disziplin schafft eine so emotionale Bindung zu einer Marke, wie es ein Live-Erlebnis schaffen kann. Die Integration des Live-Kanals in den Marketing Automationsprozess nennt sich Live+ Marketing Automation und ist die erforderliche Weiterentwicklung des Marketing Automationsprozesses, wenn man Leads an allen relevanten Kontaktpunkten der Customer Journey durch intelligent gesteuerte, individuell maßgeschneiderte und relevante Inhalte abholen möchte.
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Abb. 2: Ganzheitlicher Marketing Automatisierungsprozess Quelle: eigene Erstellung
Das technische Herzstück der Live+ Marketing Automation ist die Event Data Cloud, die durch alle gängigen Marketing Automationslösungen, wie z. B. Marketo, Adobe Campaign, Oracle, Salesforce, AVANCE, EVALANCHE oder HubSpot unterstützt wird. Damit laufen alle erhobenen Daten – live und digital – auf einem System zusammen, wodurch Marketing und Sales die Möglichkeit geboten wird, effektiv zusammen zu arbeiten und ganzheitliche Erkenntnisse über das Nutzungsverhalten der Zielgruppe und Marketingmaßnahmen in Bezug auf Sales-Aktivitäten zu erhalten. Werden Daten darüber hinaus in einen ganzheitlichen Marketing Automatisierungsprozess integriert, können Live-Erlebnisse geschaffen werden, die noch genauer auf die Bedürfnisse der Zielgruppe zugeschnitten sind und das sowohl im Bereich Business-toCustomer wie auch im Bereich Business-to-Business. Wir können für Live-Formate eine individuelle Ansprache der Besucher entwickeln und den Erfolg von Live-Kampagnen auf einer neuen, exakteren Grundlage bemessen. Zudem ist es uns möglich, erfolgreiche Folgekampagnen, seien sie live oder digital, zu gestalten. 3.1 Live+ Marketing Automation – Reason Why Customer Centricity: Es geht heute nicht mehr darum, sich selbst als Unternehmen in den Mittelpunkt der Kommunikation zu stellen. Vielmehr setzt das Marketing heute beim Kunden an. Unternehmen fokussieren sich nicht mehr allein auf sich und ihre Produkte, sondern auf den Kunden. Relevante und zielgruppengerechte (Event-)inhalte: Der digitale Fußabdruck wird genutzt, um Kunden während der gesamten Customer Journey – live und digital – mit
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relevanten zielgruppengerechten Inhalten zu bedienen. Ziel ist es, zu Kaufentscheidungen zu bewegen, Services und Informationen anzubieten und Follow-up Maßnahmen zu entwickeln. Effiziente Nutzung des Customer-Relationship-Management (CRM): Alle Daten laufen in einem CRM-System zusammen, sodass Leads qualifiziert, bearbeitet und angesprochen werden können. Die Verbindung von Marketing und Sales: Die Abbildung von Marketing- und SalesAktivitäten in einem Kanal zeigt Leadgenerierung und Leadqualifizierung an und schafft eine Transparenz im Sales-Funnel. Erfolgsbeitrag des Marketing quantifizieren, ROI steigern: Live+ Marketing Automation bietet Transparenz über Leads. Das Reporting über Live-Marketingmaßnahmen wird die Basis für jede einzelne Entscheidung bezüglich zukünftiger Marketingmaßnahmen. Geschwindigkeit: Inhalte werden automatisiert generiert: Es wird eine automatisierte Pre- und Postkommunikation (E-Mail, Chatbots etc.) und eine personalisierte EventExperience ermöglicht. Analysieren und nachhaltig verbessern: Kommunikationsmaßnahmen, die während Live-Marketing Kampagnen und Events eingesetzt werden, können analysiert, bewertet und für Folgekampagnen optimiert werden. 3.2 Live+ Marketing Automation – HOW 01 System Level Data Alle Daten laufen in einem System zusammen. Der digitale Fußabdruck des Kunden wird so auf einer Plattform zusammengeführt und schließlich ausgewertet. Eine lückenlose Dokumentation über alle Marketingmaßnahmen hinweg, trägt zu einem transparenteren Sales-Funnel und der Entwicklung erfolgreicher Folgemaßnahmen bei. 02 System Level Augmentation – Ubiquitous Lead Tracking Leads werden über alle Marketingaktivitäten hinweg verfolgt – inklusive Live-Marketingaktivitäten. Folgekampagnen werden gezielt auf das individuelle Interesse und Bedürfnis eines jeden Kunden zugeschnitten. Es entsteht eine Markenbindung und die Kaufentscheidung wird wahrscheinlicher. 03 System Level Automation Durch die Eventschnittstelle (dem Plug-In) werden die Eventdaten in ein automatisiertes System (z.B. Marketo oder HubSpot) integriert. So entsteht eine automatisierte Pre- und Postkommunikation (E-Mail, Chatbots etc.) und eine personalisierte Event-Experience.
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04 System Level Kreation Deep-learning Algorithmen unterstützen bei der Entwicklung zielgerichteter Eventkonzeption und bestimmen den Erfolg von Kampagnen schon im Vorfeld. 3.3 Datenerhebung auf Events
Abb. 3: VOK DAMS Event Data Cloud Quelle: eigene Erstellung
Während Live-Marketing Kampagnen, seien es Messen, Roadshows, Showrooms oder Events, entstehen besonders relevante Daten über die Bedürfnisse und Interessen der Zielgruppe. Vor, während und nach dem Event werden so eine Vielzahl von Informationen hinterlassen - bei der Registrierung oder dem Kauf eines Tickets im Onlineshop, beim Betreten und Verlassen der Event-Location oder der Sessions, bei der Nutzung digitaler Angebote und bei der Weitergabe von Kontaktdaten. Durch die Implementierung von digitalen Elementen bei Events und Live-Kampagnen entsteht eine relevante Datenmenge, die Aufschluss über Bedürfnisse und Motive der Zielgruppe gibt. Digitale Elemente können ein digitales Teilnehmermanagement sein, also der digitale Check-In bei der Veranstaltung und einzelnen Veranstaltungselementen, wie z.B. Keynotes oder Workshops. Es können aber auch spielerische digitale Exponate sein, die Daten z. B. bei einem Angebot von Rabattaktionen, zu denen man sich per Mail anmelden muss, generieren.
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Abb. 4: Datenerhebung auf Events Quelle: eigene Erstellung
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Weitere Tools 1) Location Based Services Location Based Services – manchmal kurz LBS genannt – sind standortbezogene mobile Dienste, in der Regel in Form von Apps. Sie stellen einem Smartphone-Nutzer Informationen oder Funktionen in Abhängigkeit von dessem Aufenthaltsort zur Verfügung. Meist geschieht dies über GPS Triangulation, Passive und Active WiFi Tracking, iBeacons, Motion Detection, RFID- und NFC-Technologie oder eine Kombination daraus (vgl. Demling 2017). 2) Emotion Tracking Emotion Tracking im Laborumfeld kann die Brücke zum Kunden schlagen, denn es liefert Daten, die objektiv und belastbar sind – und ermöglicht so, nutzerzentrierte Produkte und Inhalte weiterzuentwickeln. Emotion Tracking über Eye Tracking misst die Blickrichtung und Facial Action Coding beschreibt, welche Emotionen der Kunde bei der Betrachtung der Produkte zeigt. Die Stimmanalyse und die Hautwiderstandsmessung stellen weitere erprobte Instrumente zur Analyse der Gefühlswelt dar. 3) Teilnehmende Beobachtung Eine bewährte Methode zur Bewertung von Veranstaltungen ist die teilnehmende Beobachtung. Hier werden sogenannte Mystery Attendees eingesetzt, die das Event als reguläre Besucher getarnt, durchlaufen und eine Qualitätsprüfung vornehmen. 4) Befragung Auch die Befragung gibt Aufschluss über Messgrößen, wie beispielsweise Markenwirkung oder Zufriedenheit. Hier bietet sich die Pre- und Postbefragung an, aber auch die Critical Incident Technique (Beschreibung kritischer Ereignisse). Das Anfertigen eines Blueprints kann ebenso Aufschluss über den Erfolg von Events und Live-Marketingmaßnahmen und wertvolle Daten für zukünftige Aktivitäten geben. 5) Medienresonanzanalyse Gerade wenn Sie prüfen möchten, ob sich die öffentliche Meinung in Bezug auf Ihr Markenimage nach einem Event oder einer Live-Marketingmaßnahme gewandelt hat, verschafft die Medienresonanzanalyse mit Techniken, wie der Sentimentanalyse oder der Inhaltsanalyse, Klarheit. 6) Bestandsdaten Nicht zuletzt liefern auch Bestandsdaten, die bspw. aus dem eigenen CRM-System oder dem betrieblichen Controlling generiert werden, umfassende Insights. Ausgewertet lassen sich diese Daten für Leadgenerierung, Leadqualifizierung und zur Targeted Communication, der maßgeschneiderten, personalisierten Kommunikation, nutzen – während Live-Marketing und digitalen Kampagnen. Gleichsam kann durch die Auswertung
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im Vorfeld schon gelaufener Marketingmaßnahmen, der Erfolg von Event und LiveMarketing-Formaten zukünftig schon im Vorfeld bestimmt werden. Inhalte von Events können durch das konkrete Interesse der eingeladenen Teilnehmer bestimmt werden. Durch die gezielte Nutzung von Daten wird der Outcome von Marketing Automation und Events geboostet. Während des Veranstaltungsablaufs kann darüber hinaus durch die Datenmenge, die vor Ort entsteht, agil auf die Bedürfnisse der Besucher eingegangen werden. Ist ein Element/Produkt besonders gefragt, aber nicht zentral angeordnet, kann es während der Veranstaltung anders positioniert werden. Hat ein Kunde sich während eines Events für ein bestimmtes Produkt oder einen Service interessiert, werden ihm im Rahmen des After-Sales zusätzliche, personalisierte Informationen zur Verfügung gestellt.
4 Fazit Unternehmen können mithilfe von Live+ Marketing Automation Daten des Live-Marketing mit klassischen Daten aus dem Online-Marketing anhand definierter Prozesse einen größeren Marketingerfolg generieren. Dafür notwendig sind Plattformen, die die Effizienzsteigerung aller Marketingaktivitäten auf Basis logischer Prozesse und gewonnener Kundendaten voranbringen. Dementsprechend müssen die Prozesse so genau wie möglich an der Customer Journey ausgerichtet sein. Dafür sollten bei der Planung dieser Prozesse Zielsetzungen festgelegt werden, damit die Prozesse am Ende in die richtige Richtung zeigen (vgl. Scholze o. J.). Durch die Einbindung von Live+ Marketing Automation in den Marketing Automatisierungsprozess entsteht eine einheitliche, steuerbare und auf den Kunden zugeschnittene Customer Experience über alle Touchpoints hinweg. Somit schließt Live+ Marketing Automation eine entscheidende Lücke in der Marketing Automation. Denn erst wenn alle Marketingmaßnahmen auf einem CRM zusammenlaufen, können Leads qualifiziert, bearbeitet und maßgeschneidert abgeholt werden. Live+ Marketing Automation ist also eine entscheidende Basis für jede einzelne Entscheidung bezüglich zukünftiger Marketingmaßnahmen. Events, Live-Marketing und Post-Sales Kampagnen werden für die Zielgruppe entscheidender, denn die Inhalte werden durch ihren digitalen Fußabdruck abgeleitet. Bereits in der Planungsphase von z. B. einem Event, wird durch die erhobene Datenmenge deutlich, mit welchen Themen sich die Individuen der Zielgruppe beschäftigen. Entsprechend werden Inhalte gestreut. Darüber hinaus bieten die neuen Daten der Event Data Cloud enormen Mehrwert, wenn es um die Erfolgsmessung von Events und Live-Marketing-Kampagnen geht. Zum einen wird durch das Zusammenlaufen aller Daten auf einem System eine höhere Transparenz im Sales-Funnel geschaffen. Zum anderen kann der Return on Investment (ROI)
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durch die neuen Datenwerte genauer bestimmt werden. Für die Entwicklung eines ganzheitlichen Marketing Automatisierungsprozesses ist Live+ Marketing Automation essenziell.
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Beno Brězan Event-Apps - Aktuelle Entwicklungen und Prognosen aus Sicht der Praxis 1
Event-Apps 1.1 Definition „Event-App“ 1.2 Historische Entwicklung 1.3 Funktions-Cluster 1.4 Technologische Unterscheidung 1.5 Aktuelle Nachfrage und Marktdurchdringung 1.6 Erfolgsfaktoren für den praktischen Einsatz
2
Aktuelle Trends 2.1 Vertikale Integration 2.2 Horizontale Integration 2.3 Technologische Integration
3
Ausblick 3.1 Virtuelle Assistenten - das Ende der Event-Apps 3.2 Datenschutz und kritische Prozesse
Literaturverzeichnis
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Zanger (Hrsg.), Events und Messen im digitalen Zeitalter, Markenkommunikation und Beziehungsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31775-1_10
Event-Apps
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1 Event-Apps Mit dem vorliegenden Beitrag soll sich der Definition von „Event-Apps“ genähert und ein grober geschichtlicher, technologischer und inhaltlicher Überblick gegeben werden. Darüber hinaus werden aktuelle Entwicklungen in diesem Segment beschrieben, auf deren Grundlage der Autor einen Ausblick auf die zukünftige Entwicklung und damit zusammenhängende Herausforderungen entwickelt. 1.1 Definition „Event-App“ Weder der Duden noch die deutsche Version von Wikipedia kennt den Begriff „EventApp“ als solchen, obwohl die Worte „Event“ und „App“ bereits offiziell Einzug in die deutsche Sprache gefunden haben (vgl. Dudenverlag 2019). Auch in der deutschsprachigen Fachliteratur finden sich vergleichsweise wenige Verweise auf diesen Begriff und wenn, dann zumeist in Beiträgen, die auf Webseiten oder in Fachmagazinen veröffentlicht wurden (vgl. TU Chemnitz 2019). Wer jedoch im Jahr 2019 nach dem Begriff „Event-App“ im Internet sucht, erhält dagegen mehr als 1,5 Millionen Ergebnisse (vgl. Google 2019). In der englischen Version von Wikipedia wird der Begriff „Event-App“ als Synonym für „Conference App“ und „Meeting App“ genannt (vgl. Wikipedia 2019). Dieser Definition zufolge stellen Event-Apps veranstaltungsbezogene Informationen mobil und in digitaler Form bereit. Besonders auf Konferenzen und Tagungen entfalten sie für Veranstalter und Teilnehmer einen Mehrwert, indem sie die Bereitstellung und Aktualisierung sowie den Abruf und Austausch von Informationen auf Events erleichtern. So erscheint es nachvollziehbar, dass die meisten Event-App-Funktionen auf Veranstaltungen auf dieses Veranstaltungsgenre zugeschnitten sind. Die Anwendungsbereiche und Funktionen von Event-Apps erweitern sich allerdings fortlaufend, so dass auch andere Veranstaltungsformate mit Event-Apps begleitet werden können. Inzwischen haben sich Event-Apps zum Teil in mehr und mehr umfassende und plattformunabhängige Eventmanagementsysteme gewandelt, beziehungsweise integriert. Viele verschiedene mobile Dienste, die auf Events angeboten werden, können unter dem Begriff „Event-App“ mittlerweile zusammengefasst werden. Anbieter von Event-Apps integrieren stetig mehr Geschäftsprozesse, entwickeln neue Schnittstellen zu anderen Diensten und setzen dabei immer leistungsfähigere Infrastrukturen ein. So werden Event-Apps ein zunehmend elementarer Bestandteil von Events und haben dadurch auch einen immer größeren Einfluss auf den Erfolg eines Events. 1.2 Historische Entwicklung Die Vorstellung des iPhones durch die amerikanische Firma Apple im Jahr 2007 kann als Startschuss für die Einführung von Smartphones auf dem Massenmarkt betrachtet
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werden, womit auch der Begriff „Smartphone-App“ breiten Bevölkerungsschichten geläufiger wurde. Ab 2008 konnten Entwickler für die wichtigsten Smartphone-Betriebssysteme eigene Apps entwickeln (vgl. Google 2008). So dauerte es auch nicht lange, nämlich bis 2009, dass die ersten Event-Apps zur Verfügung standen und in erster Linie die Funktion hatten, das Tagungsprogramm in seiner gedruckten Form zu ersetzen (vgl. EVENTMB Studio 2019, S. 12). Die parallele Entwicklung und der Betrieb von Apps für verschiedene Betriebssysteme waren, besonders damals, im Vergleich zu einer Webseite recht aufwendig, da sie in der jeweiligen Programmiersprache entwickelt werden mussten. Das machte Event-Apps zu einem eher teuren Service. Mit der offiziellen Einführung der Web-Socket-Technologie im Jahr 2011 konnten Webseiten mit Servern besser kommunizieren und über eine ständige Verbindung Inhalte dynamisch nachladen, ohne dass die ganze Seite neu geladen werden musste (vgl. IETF 2011). Zur etwa gleichen Zeit setzte sich auch das Responsive Webdesign von Webseiten allmählich als Standard durch, so dass diese für mobile Endgeräte leichter nutzbar wurden (vgl. Marcotte 2010). Auf Grundlage dieser Entwicklung konnten Event-Apps, die lediglich auf Webseiten basierten, hinsichtlich ihres Nutzens, durchaus mit nativen Apps in Konkurrenz treten. Seit 2012 wurden Event-Apps auch für LiveAbstimmungen und anonyme Fragen aus dem Publikum eingesetzt und die Interaktivität der Teilnehmer gewann für Veranstalter damit zunehmend an Bedeutung (vgl. EVENTMB Studio 2019, S. 12). Zehn Jahre nach den ersten Event-Apps werden heutzutage nicht nur gedruckte Programme, Voting-Pads und Q&A-Sessions mit Event-App-Funktionen abgedeckt, sondern auch die Registrierung, Zugangskontrollen, Service-Desk und vieles mehr (vgl. EVENTMB Studio 2019, S. 12). Es gibt mittlerweile unzählige Event-Apps mit unterschiedlichsten Funktionsprofilen für eine große Anzahl von verschiedenen Geschäftsprozessen bei Veranstaltungen. Auch bezüglich der eingesetzten Technologien und der angebotenen Preismodelle gibt es beachtenswerte Unterschiede. 1.3 Funktions-Cluster Einen begrenzten und dennoch sehr breiten Überblick über das weltweite Event-AppAngebot bietet die vom EventMB Studio herausgegebene Studie „The Event App Bible 2019“. Dort werden 120 Event-Apps mit insgesamt über 90 unterschiedlichen Funktionen miteinander verglichen. Außerdem wurden weitere Fragen rund um die Event-AppNutzung evaluiert (vgl. EVENTMB Studio 2019, S. 35). Auf Grundlage der Studienergebnisse lassen sich gewisse Funktions-Cluster bilden, die unterschiedliche Hauptnutzen einer Event-App adressieren.
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Folgende Hauptnutzen werden gegenwärtig von Event-Apps bedient: Informationen wie Agenda, Vortrags- und Sprecherportraits, Lagepläne und viele weitere wichtige Informationen können von einem Großteil der Event-Apps dargestellt werden. Dabei bieten sie den Vorteil, dass den Nutzern Änderungen in Echtzeit mitgeteilt werden können und der Druck von Programmheften entfällt. Interaktionen wie Live-Abstimmungen, Wordclouds, Brainstormings und anonyme Q&A-Sessions sind besonders beliebt, um das Publikum bei Fragestellungen aktiv einzubinden und während eines Events in Echtzeit Teilnehmer-Feedbacks zu erheben (vgl. Brězan o. J.). Dem Netzwerken wird besonders auf Business-Events eine hohe Bedeutung beigemessen. Funktionen wie Nutzerprofile, Teilnehmerlisten, Chats, Matchmaking-Algorithmen und das Vereinbaren von Meetings helfen die Kontaktaufnahme unter den Eventteilnehmern zu vereinfachen und zielgerichteter zu gestalten. Besonders im Rahmen des Teilnehmermanagements und der Kommunikation zwischen Veranstaltern und Teilnehmern helfen Event-Apps bisher aufwändige Abläufe zu vereinfachen und zu automatisieren. So werden Funktionen wie die Teilnehmerregistrierung über eine Landing-Page, die Bezahlung von Tickets, der Ausweisdruck vor Ort und die Zugangskontrolle in das Angebot integriert. Bei Messen steht der Kontakt- und Informationsaustausch im Vordergrund. Dafür werden sogenannte Lead-Retrievel-Systeme eingesetzt. Der Besucher lässt am Messestand beispielsweise einen QR-Code scannen und bekommt automatisch alle gewünschten Informationen zugeschickt. Der Standbetreiber wiederum hat einen ersten Kontakt zum Kunden, einen sogenannten Lead (vgl. smartEvents GmbH 2020, S. 8 ff.). Es gibt Event-App-Plattformen, die es ermöglichen langfristige Beziehungen mit Teilnehmern bei wiederkehrenden Events aufzubauen. Sind die Teilnehmer einmal registriert, können sie die Plattform App für weitere Events nutzen, ohne sich erneut anzumelden. Der Veranstalter profitiert von einem integrierten Event-Management-System, bei dem die Event-App als solche, neben dem Emailverkehr und Social Media nur einen von vielen Kontaktpunkten zum Teilnehmer darstellt. 1.4 Technologische Unterscheidung Die unterschiedlichen Technologien, mit denen Event-App-Funktionen angeboten werden, sind ein wichtiger Faktor bei der Auswahl einer Event-App. Native Apps sind Programme, die direkt auf einem Endgerät installiert werden und sich in erster Linie dadurch auszeichnen, dass Sie auch offline funktionieren. Ein weiterer
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wichtiger Vorteil ist, dass eine native App auf wichtige physische Ressourcen des Endgeräts zugreifen kann und somit die Nutzung von Sensoren, Kameras und Audiogeräten, sowie die Verknüpfung mit anderen Programmen möglich ist. Der Nachteil ist, dass solche Apps meistens im Store des jeweiligen Betriebssystems geladen werden müssen und somit die Hemmschwelle für bestimmte Nutzergruppen (Nutzer mit dienstlich genutzten Geräten, ungeübte oder bequeme Nutzer) höher ist (vgl. EVENTMB Studio 2019, S. 79). Web Apps sind Webseiten, die für die mobile Nutzung auf Smartphone oder Tablet optimiert wurden. Sie entsprechen vom Aussehen und der Bedienung her einer nativen App, haben jedoch einige funktionale Begrenzungen. Ihr Vorteil liegt jedoch darin, dass sie über einen einfachen Link geöffnet werden können und somit fast jedes Endgerät mit einem gängigen Browser die Inhalte anzeigen kann (vgl. EVENTMB Studio 2019, S. 80). Es gibt auch Web-Frameworks, bei denen sich aus einer fertigen Web-App, mit überschaubarem Aufwand, eine native App entwickeln lässt. Diese nennt man dann Hybride Apps. Der auf Web-Technologien basierende Code wird in einem App-Container dargestellt (vgl. EVENTMB Studio 2019, S. 80). Inzwischen können Web Apps auch zunehmend auf native Funktionen der Endgeräte zugreifen und werden so den nativen Apps immer ähnlicher. Diese Programme nennt man Progressive Web Apps (kurz: PWA). Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich nach dem Speichern aus dem Browser auf dem Home-Bildschirm wie eine native App anfühlen, über Offline-Funktionalität verfügen und Push-Benachrichtigungen ausführen können (vgl. Liebel 2017). Allerdings lässt iOS, Stand Oktober 2019, keine Push-Benachrichtigungen für solche Apps zu, womit Funktionen wie Chats immer noch nur für einen Teil der Smartphone-Nutzer verfügbar sind (vgl. Stackoverflow 2019). Viele Event-Apps sind aber inzwischen sowohl als native bzw. hybride App wie auch als Web-App bzw. PWA gleichermaßen verfügbar. 1.5 Aktuelle Nachfrage und Marktdurchdringung Event-Apps adressieren mit ihren Funktionen bisher vorrangig Veranstaltungen im wirtschaftlichen und beruflichen Kontext, sodass sich die im Folgenden vorgestellten Zahlen und Werte auf entsprechend gleiche Veranstaltungsgenres beziehen dürften. Fast jeder zweite Teilnehmer eines Events erwartet heutzutage demnach eine Event-App mit Informationen zum Event und jeder Dritte Interaktionstools (vgl. Alphen-Schrade 2018). Auch Teilnehmerlisten und damit Networking-Funktionen spielen für jeden Vierten eine wichtige Rolle (vgl. EVENTMB Studio 2019, S. 45). So gehören Event-
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Apps für einen großen Teil der Veranstaltungsteilnehmer zum Standard, denn sie ermöglichen den schnellen und komfortablen Zugriff auf Informationen, eine interaktivere Teilhabe am Event selbst und vereinfachte Kommunikation der Teilnehmer untereinander. Auf der Seite der Veranstalter ergibt sich eine ähnliche Priorisierung von Funktionen, die eine Event-App haben sollte. Auch hier werden Funktionen wie Agenda, Interaktionen und Networking als die wichtigsten Funktionen genannt. 0%
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Abb. 1: Beliebtheit von Event-App-Funktionen bei Events nach prozentualen Anteilen Quelle: eigene Erstellung1
Die meisten Event-Apps erreichen inzwischen Adoptionsraten von mehr als 60% und ein Drittel sogar mehr als 80%. Das heißt, dass ein Großteil der Teilnehmer eines Events eine Event-App auch nutzt, wenn sie angeboten wird (vgl. EVENTMB Studio 2019, S. 41). Damit werden Event-Apps ein zunehmend interessantes Werkzeug für Veranstalter, welches viele neue Möglichkeiten bietet, Veranstaltungen um virtuelle Spielräume zu 1
Datensatz erstellt mit Microsoft Excel auf Grundlage von EventMB Studio 2019, S. 57ff.
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erweitern. Ein weiterer wichtiger Grund für den Einsatz von Event-Apps ist die digitale und damit komfortable Erhebung von Daten, mit denen Veranstalter den Erfolg Ihrer Events messen können. Neben Bewertungen von Vorträgen und der Einbindung von Fragebögen zum Event, geben auch generelle Nutzungsdaten und -Statistiken Hinweise darüber, welche Vorträge beispielsweise sehr beliebt sind oder zu welchen Themen die meisten Fragen oder Kommentare geschrieben werden (vgl. EVENTMB Studio 2019, S. 42). Veranstalter und Teilnehmer profitieren also auf unterschiedliche Weise aber gleichermaßen von Event-App-Funktionen. Es erscheint demnach logisch, dass sich der Einsatz von Event-Apps für alle Arten von Veranstaltungen weiter durchsetzen wird. 1.6 Erfolgsfaktoren für den praktischen Einsatz Event-Apps werden mit sehr vielen unterschiedlichen Funktionen angeboten. Daher ist es besonders ratsam, die eigenen Anforderungen genau zu definieren, den individuellen Mehrwert für das konkrete Event abzuschätzen und zukünftige Handlungsspielräume im Blick zu behalten. Ein wichtiger Faktor ist der Preis, wobei die Unterschiede recht groß ausfallen können. So ist eine einfache, werbefinanzierte Web App zum Teil kostenlos erhältlich (vgl. Linupr GmbH o. J.). Eine individualisierte Event-App mit vielen Funktionen kann aber auch mehr als 10.000 EUR pro Event kosten (vgl. Plazz AG o. J.). Neben einem günstigen Verhältnis von Preis und Funktion stellen sich für Veranstalter aber auch weitere Fragen, die bei der Auswahl einer Event-App entscheidend sein können (vgl. EVENTMB Studio 2019, S. 46ff.): • Welche Programmierschnittstellen bietet die Software? • Wie intuitiv ist die Nutzung für die unterschiedlichen Nutzergruppen gestaltet? • Wie werden Daten gehandhabt und verarbeitet? • Inwieweit lässt sich die Event-App individualisieren? • Wie hoch ist das maximale Service-Level, wenn Hilfe gebraucht wird? • Welche technischen Voraussetzungen sind notwendig?
2 Aktuelle Trends Aus Sicht der Praxis sind aktuell drei wesentliche Integrationsentwicklungen zu beobachten, durch welche Event-Apps einen immer größeren Nutzen generieren. 2.1 Vertikale Integration Mit der vertikalen Integration soll die fortlaufende Implementierung neuer Event-AppFunktionen, beziehungsweise damit zusammenhängende Geschäftsprozesse, beschrieben werden. Zum einen erschließen Event-Apps so auch andere Veranstaltungsgenres
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wie beispielsweise Musikfestivals oder klassische Konzerte (vgl. Brown 2019). Zum anderen begleiten sie den Eventteilnehmer immer intensiver bei seiner Eventerfahrung. So lässt sich die vertikale Integration auch sehr gut entlang einer exemplarischen “User Journey“2 eines Eventteilnehmers beschreiben. Immer mehr Anwendung und Dienste kommen an den unterschiedlichen Kontaktpunkten des Events zum Einsatz.
Registrierung
Interaktion
Networking
Personalisierung
Navigation
Entertainment
Ticket & Ausweis
Informationen
Community
Abb. 2: Vertikale Integration von Event-Apps Quelle: eigene Darstellung
So integrieren sich Event-Apps immer tiefer in die Architektur von Events. Aus großen Empfangstresen mit viel Personal für die Registrierung der Teilnehmer, werden beispielsweise Online-Registrierungen und kleine Selbstbedienungsterminals für den Ausweisdruck vor Ort. Aus Besuchern wird eine Community, mit der auch zwischen den Events kommuniziert wird (vgl. Eventmobi o. J.). Um Event-Apps jedoch in vollem Umfang einsetzen zu können, ist für jeden Nutzer des Systems ein adäquater Zugang zum Internet notwendig. Damit wird die Abdeckung mit mobilem Internet und die lokale Netzwerkinfrastruktur der Veranstaltungsstätte für Veranstalter zum entscheidenden Erfolgsfaktor für das Gelingen des Events. 2.2 Horizontale Integration Es ist eine zunehmende Vernetzung in der Breite zu beobachten. Immer mehr Anbieter schaffen Programmierschnittstellen (auch API genannt), damit ihre Systeme mit parallel 2
User-Journey beschreibt die Erfahrungskette die der Nutzer einer Anwendung vollzieht.
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eingesetzten Systemen kommunizieren und Daten austauschen können. Der Event-Teilnehmer profitiert dabei von einer reibungsloseren Nutzererfahrung, während der Veranstalter bei der Auswahl seiner Software einen Best-of-Breed-Ansatz3 verfolgen kann (vgl. Loeks 2019). So könnte beispielsweise ein Teilnehmermanagement-System von Anbieter A an eine Event-App von Anbieter B gekoppelt werden. Der Teilnehmer würde sich in diesem Fall beim Anbieter A registrieren und hätte dann Zugriff auf eine EventApp des Anbieters B mit seinem automatisch angelegten Profildaten. Aber auch die Anbindung an Kalender, To-Do-Listen, Zahlungsdienstleister und viele weitere Programme und Dienste ist möglich. Nach dem sich beispielsweise zwei potentielle Gesprächspartner auf Grundlage ihrer Profildaten über die Teilnehmerliste der Event-App gefunden haben, könnten Sie ein Meeting vereinbaren und der Termin würde automatisch dem jeweilig persönlichen Kalender der Teilnehmer hinzugefügt. Mit Programmierschnittstellen können also Geschäftsprozesse über Systemgrenzen hinweg gestaltet werden. So können auch sehr spezielle und begrenzte Anwendungen in ein größeres Konstrukt verschiedener Softwaredienste eingebunden werden. Veranstalter profitieren so von immer umfassenderen Eventmanagement-Umgebungen, mit denen sie Kommunikationsabläufe rund um ihr Event optimieren und automatisieren können. Die Teilnehmer genießen hingegen den Komfort vernetzter digitaler Anwendungen, ohne sich beispielweise für jeden Dienst einzeln registrieren zu müssen. 2.3 Technologische Integration Neue Hardware- und Softwaretechnologien schaffen für die Nutzer neue Möglichkeiten der Interaktion mit Event-Apps und damit mit dem Event selbst. An dieser Stelle werden nur einige beispielhaft genannt. Spracherkennungssysteme und Chatbots helfen einige Funktionen über Spracheingaben zu nutzen und Informationen automatisiert zur Verfügung zu stellen. Damit erhöht sich in erster Linie der Komfort für die Nutzer, währenddessen der Aufwand für Servicepersonal auf Veranstaltungen reduziert werden kann (vgl. EVENTMB Studio 2019, S. 19 ff). Gesichtserkennung ist eine Technologie, die sich in Europa noch nicht durchsetzen konnte. Zu groß sind die Bedenken, dass die erhobenen Daten missbräuchlich verwendet werden könnten. In anderen Teilen der Welt wird Gesichtserkennung jedoch schon verbreitet eingesetzt (vgl. Beuth 2020). Denn sie ist auch geeignet die Evaluierung und Steuerung von Events zu verbessern. So können persönliche Daten wie Alter,
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Beschreibt den Einsatz von jeweils der besten Software für eine Teilaufgabe. Im Gegensatz dazu steht der Ansatz der Systemsoftware, die versucht ale Aufgabenbereiche abzudecken.
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Geschlecht und Gefühle wie Ärger, Freude, Trauer oder Überaschung erkannt werden (Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS o. J.). Die zunehmende Nutzung von weiteren mobilen Endgeräten neben dem Smartphone, wie zum Beispiel von smarten Uhren und sogenannten Wearables, ziehen neue Möglichkeiten und Anwendungsszenarien im Eventbereich nach sich (vgl. EVENTMB Studio 2019, S. 67). Mit vermehrter Nutzung von Event-App-Funktionen und ihrer Vernetzung mit anderen Systemen im Eventbereich werden zunehmend mehr Daten generiert. Diese Daten lassen sich mit neuronalen Netzen auswerten und schaffen damit die Basis für immer individualisiertere Nutzererfahrungen der Teilnehmer und automatisierte Abläufe für die Veranstalter (vgl. Rapp 2018). Besonders der Einsatz von AR-Brillen4 dürfte in der Eventbranche zum einem sogenannten Game-Changer5 avancieren. Der Mix aus realer Welt, virtueller Realität, und Echtzeit-Informationen erzeugt eine ganz neue Nutzererfahrung (vgl. Vuzix o. J.), die vielleicht sogar auch bald mit Gedanken gesteuert werden kann (vgl. Haase 2020) und damit das Potential hat, die bisherige Form und Funktionalität von Apps grundlegend zu verändern.
3 Ausblick 3.1 Virtuelle Assistenten - das Ende der Event-Apps Wenn man die eben beschriebenen inhaltlichen und technologischen Integrationsentwicklungen von Event-App-Funktionalitäten zu einem Bild vereinigt und gedanklich fortschreibt, stünde am Ende vermutlich etwas, was eher einem intelligenten geräteunabhängigen Interface ähnelt als einer klassischen Event-App. Ein auf künstlicher Intelligenz basierender virtueller Assistent, der auf Sprache, Gesten, Gedanken oder Sensordaten reagiert und verschiedene Dienste immer zur rechten Zeit auf dem gewünschten Endgerät dem Nutzer bereitstellt. Diese Dienste können auch mit Sensoren, Sendern, Terminals und anderen externen Diensten vor Ort verbunden sein und somit eine Vielzahl von Interaktionen unterstützen. Digitale Assistenten können schon heute auf eine Reihe von Diensten zugreifen und Aktionen ausführen, ohne dass der Nutzer eine App öffnen muss (vgl. Kroker 2019). Zeitgleich konzentrieren sich in sogenannten SuperApps immer mehr Dienste, so dass die Installation von dienstspezifischen Apps immer weniger Nutzen bietet (vgl. Velten 2019).
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AR steht für Augumented-Reality und beschreibt eine Technologie, bei der virtuelle Gegenstände als Zusatz in die reale Welt eingeblendet werden. Ein Game-Changer ist übersetzt ein Spielveränderer und steht als Synonym für etwas, was die bisherigen Spielregeln auf den Kopf stellt.
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Abb. 3: Integrationsvektoren für Software Quelle: eigene Erstellung
Unter diesen Umständen dürften sich Event-Apps vielmehr zu digitalen Event-Services entwickeln, deren Dienste und besonders Daten sich nahtlos in ein generelles User-Interface integrieren und damit als Event-App im klassischen Sinne nicht mehr zu erkennen sind. 3.2 Datenschutz und kritische Prozesse Mit der Nutzung digitaler Dienste geht auch die Erhebung und Verarbeitung von Daten einher. Diese Daten werden in immer weiter vernetzten Prozessen zwischen Softwaresystemen ausgetauscht, um eine noch bessere Nutzererfahrung zu gewährleisten und Prozesse zu automatisieren. Darunter sind auch persönliche Daten der Teilnehmer, die für besonders kritische Prozesse im Rahmen eines Events benötigt werden, wie zum Beispiel für den Erwerb von Tickets, Zugangskontrollen oder Individualisierungen. Auch bei firmeninternen Veranstaltungen werden Event-Apps eingesetzt, wo sie beispielsweise für die Bearbeitung von Themen in Workshops eingesetzt werden oder die Kommunikation unter den Teilnehmern generell unterstützen. Auch in diesen Fällen werden Daten generiert, die zum Teil einen besonders hohen Vertraulichkeitsanspruch mit sich bringen (vgl. Funk 2017). Heutzutage speichern Event-App-Systeme ihre Daten auf Online-Servern. Nutzer und externe Dienste können so jederzeit über, in der Regel verschlüsselte Verbindungen, auf
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diese Daten zugreifen. Sind die Daten an sich nicht verschlüsselt, so liegen sie als Klardaten vor und sind so für jeden sichtbar, der Zugriff zum Server hat, was Server-Betreiber und Behörden unter Umständen einschließt. Wenn also kritische Prozesse und vertrauliche Daten auf der einen Seite und zunehmend vernetzte Softwaresysteme auf der anderen Seite zusammenkommen, stellt sich folgerichtig die Frage, wie entsprechende Prozesse und Daten vor Spionage und Missbrauch geschützt werden können und gleichzeitig der systemübergreifende Austausch gewährleistet werden kann (vgl. EVENTMB Studio 2019, S. 23 ff). Auf Grundlage der Blockchain-Technologie können Daten verschlüsselt und dezentral in einem Peer-to-Peer-Netzwerk gespeichert werden. Ist das Netzwerk groß genug, sind die Daten damit vergleichsweise gut gegen Angriffe geschützt (vgl. Sheldon 2019). Besonders Verifizierungsprozesse lassen sich mit der Blockchain sehr sicher abbilden. So gibt es bereits auf Blockchain basierende Ticketsysteme für Veranstaltungen. Der Vorteil liegt in der Nachverfolgbarkeit und Fälschungssicherheit der Tickets (vgl. Nunen 2019). Zero-Knowledge-Proofs beschreiben die Möglichkeit, einen Informationsbeweis durch den Inhaber der Information zu erbringen, ohne dass er die Information an sich preisgeben muss. Einige Anbieter von privaten Cloudspeicherdiensten verwenden dieses Verfahren, um zu gewährleisten, dass niemand, außer dem Besitzer selbst die Daten lesen kann (vgl. Schiller 2019). So wäre auch eine Anwendung denkbar, die es erlauben würde, die Daten eines Teilnehmers so zu verwalten, dass er völlig anonym und trotzdem vollständig registriert an einem Event teilnehmen kann. Auch die Nutzung und gar die Bezahlung von veranstaltungsbezogenen Diensten könnte in diesem Kontext anonym erfolgen. Ob sich allerdings Datenschutz und Privatsphäre als entscheidende Erfolgsfaktoren für mobile Dienste auf Events durchsetzen werden, bleibt abzuwarten.
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Philip Häußler Augmented Reality als Teil des Messe-Erlebnisses: Eine Vision zum Einsatz von AR als Service für Messeteilnehmer 1
Einleitung
2
Augmented Reality 2.1 Definition und Einordnung 2.2 Funktionsweise 2.3 Anwendungsfelder 2.4 Displays
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Eine Vision zum Einsatz von AR als Service für Messeteilnehmer 3.1 Ausgangssituation 3.2 Ausstellerinformationen 3.3 Kontakte 3.4 Programm 3.5 Navigation 3.6 AR-Experience verlassen
Literaturverzeichnis
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Zanger (Hrsg.), Events und Messen im digitalen Zeitalter, Markenkommunikation und Beziehungsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31775-1_11
Augmented Reality als Teil des Messe-Erlebnisses
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1 Einleitung Fachmessen spielen für Unternehmen eine bedeutende Rolle und haben nach der eigenen Homepage die zweithöchste Wichtigkeit im Kommunikations-Mix (vgl. AUMA e.V. 2016, S. 17). Viele Unternehmen nutzen das Medium Fachmesse unter anderem, um Produkte und Innovationen präsentieren zu können, Kontakte zu knüpfen und zu pflegen und sich im Wettbewerbsumfeld zu positionieren. Jedoch haben sich die Anforderungen der Fachbesucher an das Medium Fachmesse in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Heute stehen für sie weniger die Geschäftsabschlüsse, dafür aber vor allem die Beschaffung und der Austausch von Informationen sowie Kontaktmöglichkeiten im Mittelpunkt (vgl. AUMA e.V. 2015, S. 11). Die möglichst effiziente Befriedigung dieser Bedürfnisse soll durch Fachmessen unterstützt werden. Um die genannten Ziele zu erreichen, stehen dem potentiellen Fachbesucher vor allem in der digitalen Welt viele Alternativen zur Verfügung. Diese können das Live-Erlebnis zwar nicht vollständig ersetzen, die Gefahr einer partiellen Substitution des Leistungsund Nutzenspektrums von Fachmessen ist aber vorhanden. So bieten heutzutage beispielsweise viele Aussteller auf ihrem Messestand Virtual-Reality-Lösungen an, mit denen der Fachbesucher Inhalte (z.B. Produktwelten, Produktionsstätten usw.) in einer vollständig virtuellen Umgebung erleben kann und die deshalb nicht mehr physisch auf dem Stand präsentiert werden. Auch die zahlreichen sozialen Netzwerke können einen Teil des Kontaktbedarfs potentieller Fachbesucher befriedigen, wenngleich die Kontaktqualität nicht mit der des Live-Kontakts vergleichbar ist. Eine Möglichkeit, das Medium Fachmesse attraktiver zu gestalten und zu modernisieren besteht darin, Technologien aus der digitalen Welt zu nutzen und in das Live-Erlebnis zu integrieren. Der Einsatz von digitalen Medien stärkt den Wettbewerbsvorteil von Fachmessen gegenüber dem substituierenden Digitalangebot. Diese Herangehensweise fördert auch den Status von Fachmessen als integratives Kerninstrument im Kommunikations-Mix der Unternehmen. Augmented Reality (kurz: AR) könnte für diese Überlegungen eine zentrale Bedeutung zukommen. AR ist eine Digitaltechnologie, die sich dadurch kennzeichnet, die physische Realität mit einer digitalen Informationsebene zu verknüpfen. Sie scheint sich daher gut dafür zu eignen, das Medium Fachmesse, dessen Daseinsberechtigung vor allem im persönlichen Kontakt und dem realen, multisensorischen Produkterlebnis liegt, mit einer digitalen Lösung anzureichern, weil der Kern des Formats dabei nicht verletzt wird.
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Philip Häußler
Funktionen von Fachmessen wie die Schaffung von Markttransparenz, die Marktpflege, der Informationsaustausch zwischen den Teilnehmern, Unterstützung bei der Kontaktgenerierung und -pflege, aber auch Leistungen für die Produktpräsentation können mit AR auf ein neues Niveau gehoben werden. Die unmittelbare Verknüpfung der physischen Realität mit digitalen Informationen birgt gerade auch für die Effizienz eines Messebesuchs ein sehr großes Potential.
2 Augmented Reality Als AR wird eine Digitaltechnologie bezeichnet, in der eine digitale Informationsebene geschaffen wird, die in die reale Umwelt eingebettet wird. Diese Informationsebene wird über ein Medium, wie etwa ein Smartphone, ein Tablet oder eine AR-Brille, für den Nutzer sichtbar. 2.1 Definition und Einordnung In der Literatur existieren unterschiedliche Definitionen zu AR. Dass es keine einheitliche Definition gibt, wird auch in mehreren aktuellen Schriften festgehalten (vgl. Broll 2013, S. 245; Mehler-Bicher/Steiger 2014, S. 9; Schart/Tschanz 2015, S. 21; Craig 2013, S. 15). Für diesen Beitrag wird der anwendungsorientierte Definitionsansatz von Schart & Tschanz (2015) herangezogen, der gestalterischen Spielraum für die notwendige Hard- und Software lässt, aber gleichzeitig die Wirkung der Technologie umfasst: „Augmented Reality ist die Schnittstelle zur Erweiterung der Realität sowie bestehender Medien mit virtuellen Objekten, digitalen Inhalten und ortsbezogenen Informationen - mit dem Ziel, Interaktion zu schaffen, die Informationsaufnahme zu erleichtern und aktive Wahrnehmung bei gesteigerter Verweildauer zu fördern“ (Schart/ Tschanz 2015, S. 23). Die gängigste Art der Einordnung von AR beruht auf dem Modell „reality-virtuality continuum“ von Milgram et al. (1995). Den Rahmen des Modells bilden dabei die reale und virtuelle Umgebung (vgl. Abb. 1), die in ihrer Beziehung die Extreme bilden. So beinhaltet die reale Umgebung keine virtuellen Komponenten und bezieht sich ausschließlich auf reale Szenen, die vom Betrachter direkt oder indirekt über Medien, wie etwa einer Kamera, wahrgenommen werden können. Die virtuelle Umgebung hingegen hat keine realen Objekte und wird rein virtuell dargestellt (z.B. Computerspiele). Alle Mischformen werden als „Mixed Reality“ bezeichnet. Überwiegt dabei in der Umgebung der Anteil virtueller Objekte, spricht man von „Augmented Virtuality“. Wenn virtuelle Objekte in eine reale Umgebung eingebettet werden, ergibt sich die „Augmented Reality“ (vgl. Mehler-Bicher/Steiger 2014, S. 9).
Augmented Reality als Teil des Messe-Erlebnisses
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Mixed Reality (MR) Reale Umgebung
Augmented Reality (AR)
Augmented Virtuality (AV)
Virtuelle Umgebung
Abb. 1: Reality-Virtuality Continuum Quelle: eigene Erstellung, in Anlehnung an Milgram et al. 1995, S. 283
Das Modell von Milgram et al. (1995) ermöglicht auch eine Abgrenzung zu verwandten Technologien. So bewegt sich „Virtual Reality“ (kurz: VR) im Bereich der virtuellen Umgebungen, weil hier die reale Umgebung ausgeblendet und die Wirklichkeit vollständig in einer computergenerierten, virtuellen Umgebung dargestellt wird (vgl. Mehler-Bicher/Steiger 2014, S. 9). Der Unterschied von AR und VR lässt sich auch an den Voraussetzungen für notwendige Hard- und Software festmachen. Während VR vergleichsweise hohe Anforderungen an die Visualisierung zur virtuellen Darstellung der Wirklichkeit und an das Display des wiedergebenden Mediums hat, sind die Anforderungen von AR im Hinblick auf diese Aspekte geringer. Dahingegen ist bei AR die Tracking- und Sensorentechnologie von größerer Bedeutung als bei VR (vgl. Azuma 1997, S. 17). 2.2 Funktionsweise Die AR-Technologie folgt einem fünfstufigen Prozess (vgl. Broll 2013, S. 242 ff.): 1. Videoaufnahme Zunächst wird die reale Umgebung in Form eines Videostreams mittels einer Kamera aufgenommen. 2. Tracking Durch die Videoaufnahme ist es möglich, die Position und/oder Lage der Objekte im Blickfeld des Nutzers zu schätzen. Dafür wird in der Regel die Position und Ausrichtung der Kamera als Orientierungspunkt genutzt. Beim Tracking werden Informationen aus dem Koordinatensystem des Nutzers bzw. der Kamera in das Koordinatensystem der virtuellen Umgebung übertragen. 3. Registrierung Die Verankerung der virtuellen Objekte in die reale Umgebung wird Registrierung genannt. Dabei werden die Positions- und Lageschätzungen aus dem Tracking genutzt, um
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die virtuellen Objekte realitätsnah mit der realen Umgebung in Relation zu setzen, sodass sie fest verortet erscheinen. 4. Darstellung Auf Basis der Registrierung werden die virtuellen Inhalte perspektivisch korrekt in die Videoaufnahme übertragen. 5. Ausgabe Zum Schluss wird die errechnete Darstellung auf einem Display wiedergegeben, was z. B. ein Smartphone, ein Tablet oder eine AR-Brille sein kann. 2.3 Anwendungsfelder AR-Technologien finden sich in einer Vielzahl von Anwendungen wieder. Aufgrund der rasanten Entwicklung der Technologie entstehen ständig neue Anwendungsfelder. Auch wenn die nachfolgend aufgeführten Bereiche deshalb nicht vollständig sind, sind die Beispiele nützlich, um das Verständnis für die Technologie zu steigern und gleichzeitig Anregungen für die Anwendung im Messewesen zu erhalten. •
Industrie: Bau, Reparatur und Wartung komplexer Geräte, Anlagenplanung, Konstruktion, Simulation, Schulungen und Trainings
•
Militär und Krisen-/Katastrophenmanagement: Umgebungsinformationen im Helmvisier, Simulation von Umgebungen und Szenarien
•
Lehre und (Aus-)Bildung: z. B. Experimente mit makro- und mikroskopischen, sehr großen oder gefährlichen Bestandteilen
•
Architektur und Städteplanung: Planungssimulation
•
Medizin: Trainings, Einsatz bei OPs, Behandlung von Psychosen und Phobien
•
Navigation und Tourismus: Stadtführer, Rekonstruktion von Gebäuden, Navigation für Fußgänger und Transportmittel aller Art (Autos, Flugzeuge, Schiffe), Navigation in Supermärkten oder in der Logistik (Lagerhallen, Warenzustellung)
•
Kollaboration: Unterstützung von Telefon- und Videokonferenzen
•
Spiele und Unterhaltung: Spiele auf verschiedenen Endgeräten, Brettspiele und Bücher, Museen, Sportveranstaltungen im TV
•
Marketing und Promotion: Animierte Printbroschüren, Vertriebsunterstützung am Point of Sale oder im Eigenheim, Präsentationen, Messen und Events
Augmented Reality als Teil des Messe-Erlebnisses
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2.4 Displays Als Displays, welche die visuellen und teilweise auditiven Schnittstellen zwischen der Anwendung und dem Nutzer sind, werden stationäre Bildschirme, mobile Endgeräte (Smartphones, Tablets, PDAs, Uhren), Head-Up Displays (kurz: HUD; z. B. Windschutzscheibe von Autos oder Flugzeugen), Head-Mounted Displays (kurz: HMD; z. B. Datenbrillen) und Kontaktlinsen (stehen noch am Anfang der Entwicklung) verwendet (vgl. Schart/Tschanz 2015, S. 45 ff.). Eher selten sind Schnittstellen, die olfaktorische, gustatorische und haptische Signale wiedergeben können (vgl. Craig 2013, S. 53). Die Mehrzahl der Anwendungen ist für mobile Endgeräte konzipiert. Mit dem Fortschritt der HMDs entstehen auch hierfür zunehmend Anwendungen. Der wesentliche Vorteil von HMDs gegenüber Smartphones und Tablets ist die Tatsache, dass beide Hände frei bleiben. Außerdem schränken HMDs das natürliche Verhalten des Nutzers weniger ein als Smartphones oder Tablets, die in bestimmter Weise in der Hand getragen werden müssen.
3 Eine Vision zum Einsatz von AR als Service für Messeteilnehmer AR ist seit einigen Jahren eine viel diskutierte Digitaltechnologie, die in verschiedenen Wirtschaftsbereichen Anwendung findet. Im Messewesen wird sie immer wieder von Ausstellern eingesetzt, um Produkte zu präsentieren, die z. B. zu groß sind, um sie auf einen Messestand zu stellen oder um Produkteigenschaften durch Visualisierung verständlicher zu machen. Als vom Veranstalter angebotener Service ist die Technologie bisher kaum eingesetzt worden. Auf der CEBIT 2018 wurde ein Prototyp für eine AR-erweiterte Navigationslösung vorgestellt. In Finnland hat die Messukeskus Helsinki bereits 2015 eine AR-Anwendung eingeführt, die neben einer Navigationsfunktion auch eine Gaming-Komponente hatte. In Las Vegas wird eine AR-App mit Orientierungsfunktionen getestet. Ansonsten steht zumindest in der deutschen Messelandschaft AR zwar auf der Digitalisierungs-Agenda einiger Veranstalter, über die Konzeptionsphase hat sie es bisher jedoch nicht hinaus geschafft. Das liegt vor allem daran, dass die Technologie noch viel technischen Klärungsbedarf in Bezug auf die Hardware, die Software zur Generierung von Content, aber auch hinsichtlich der zur Indoor-Lokalisierung notwendigen Infrastruktur aufweist. Aus diesem Grund sind die in diesem Beitrag vorgestellten Anwendungsmöglichkeiten als Vision zu verstehen, wie AR in Zukunft einen Nutzen für Messeteilnehmer schaffen kann. Die Vision zeigt, dass AR die Zielerreichung der Teilnehmer unterstützen, die wahrgenommene Effizienz einer Messeteilnahme steigern und das Messe-Erlebnis verbessern kann.
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Philip Häußler
3.1 Ausgangssituation Die Vision beginnt mit einer typischen Situation im Tagesablauf eines Messebesuchers: Gegen Ende eines langen Messetages, an dem die im Vorfeld vereinbarten Termine wahrgenommen, interessante Aussteller und Vorträge besucht und Kontakte geknüpft wurden, schaut der Messebesucher auf die Uhr und stellt fest, dass er noch eine Stunde Zeit hat, die er möglichst sinnvoll nutzen möchte.
Abb. 2: Wie viel Zeit habe ich noch, bis ich gehen muss? Foto: Philip Häußler
Zu diesem Zweck holt der Besucher sein Smartphone aus der Tasche und öffnet die ARApp der Veranstaltung, um sich kontextrelevante Informationen in seine aktuelle LiveUmgebung einzublenden. Dabei kann er unterscheiden zwischen den App-Rubriken „Aussteller“, „Kontakte“, „Programm“ und „Navigation“.
Abb. 3: Die AR-App in der Übersicht Foto: Philip Häußler
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3.2 Ausstellerinformationen In der Rubrik „Aussteller“ werden Informationen über die im Sichtfeld befindlichen Aussteller in Form von Call-Outs eingeblendet (kontextsensitive Informationen). Diese zeigen jeweils mit klarer optischer Zuordnung zum jeweiligen Stand Grundinformationen des Ausstellers, die vom Veranstalter erhoben wurden und so auch in der OnlineDatenbank der Veranstaltung abgebildet sind: z. B. Firmenname, Standnummer und Produktbereiche. Darüber hinaus gibt es weiterführende Funktionen, die über jedes CallOut ausgeführt werden können, wie etwa Hintergrundinformationen zur Firma, Kontaktinformationen, eine Merkfunktion und Bewertungsmöglichkeiten. Ein wesentlicher Bestandteil des Tools ist, dass Aussteller bewertet werden können und die Bewertungen zusammen mit den Kommentaren im Call-Out auch angezeigt werden. Die Aussteller mit den besten Bewertungen werden zusätzlich in der AR-Umgebung mit einem goldenen Stern gekennzeichnet. Außerdem zeigt das Call-Out an, ob der Besucher einen Aussteller über die Ausstellerliste einer Merkliste hinzugefügt hat. Der Aussteller hat zusätzlich die Möglichkeit, seine Sichtbarkeit zu erhöhen, indem er innerhalb des Call-Outs Werbung schaltet. In der Rubrik „Aussteller“ werden auch AR-Exponate der Aussteller eingeblendet, die der Veranstalter zuvor in die AR-Umgebung eingebunden hat. Der Aussteller hat dadurch den Vorteil, dass er keine eigene App generieren muss und der Besucher das Objekt trotzdem über sein eigenes Endgerät betrachten kann. Eine weitere wichtige Funktion sind die Filtermöglichkeiten. Der Besucher kann ein Suchprofil definieren, das die eingeblendeten Ausstellerinformationen verdichtet und die irrelevanten Call-Outs ausblendet. So kann der Besucher schneller die für ihn relevanten Aussteller identifizieren.
Abb. 4: Die Funktion „Aussteller“ Foto: Philip Häußler
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3.3 Kontakte In der zweiten Rubrik „Kontakte“ zeigt die App Informationen zu Personen im Sichtfeld. Ähnlich wie bei den Ausstellerinformationen erfolgt die Darstellung in Form eines Call-Outs, das Angaben des Besuchers aus der Besucherregistrierung beim Ticketkauf wiedergibt. Wenn der Besucher auch den Link zu seinen Social-Media-Profilen angegeben hat, hat der App-Nutzer die Möglichkeit, über die entsprechenden Links einen Realtime-Background-Check zu vollziehen, um weiterführende Informationen über die Person zu bekommen. Der Besucher kann beim Ticketkauf entscheiden, ob er seine Informationen in der AR-Umgebung freigeben möchte. Damit verbunden ist dann auch die Teilnahme am Match-Making-Service. Ähnlich wie bei der Funktion „Aussteller“ kann der AppNutzer ein Suchprofil angeben, das dann mit den Profilen der Besucher im Sichtfeld gematcht wird.
Abb. 5: Die Funktion „Kontakte“ Foto: Philip Häußler
3.4 Programm In der dritten Rubrik „Programm“ erhält der App-Nutzer Einblick in das laufende Rahmenprogramm in seiner Umgebung. Im Beispiel könnte er zum einen einsehen, was das Vortragsforum aktuell zu bieten hat. Das eingeblendete Call-Out zeigt, welcher Vortrag aktuell stattfindet und wie weit der Programmpunkt fortgeschritten ist. Weiter zeigt das Call-Out ein Live-Bild des Vortrags und auch, ob die Präsentation selber AR-Elemente enthält, die wiederum mit derselben App sichtbar werden. Auch in der Rubrik „Programm“ können Bewertungen abgegeben werden, sodass die Entscheidungsfindung zum Besuch des jeweiligen Programmpunkts unterstützt wird.
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Zum anderen zeigt das Beispiel eine Mixed-Reality-Tour, die individuell nach den Interessen des Besuchers zusammengestellt wird und ihn zu einer Auswahl der zahlreichen physischen Point-of-Interests führt. Eine echte Person stellt anhand greifbarer Exponate das jeweilige Thema vor. So ist zwar die Tour digital gestützt, die Inhalte bleiben aber ein physisches Erlebnis.
Abb. 6: Die Funktion „Programm“ Foto: Philip Häußler
3.5 Navigation Die abschließende Rubrik „Navigation“ stellt eine Indoor-Navigationslösung dar, die den App-Nutzer zu bestimmten Ausstellern, Programmpunkten oder Point-of-Interests führen und die Orientierung bei der Suche von Catering-Einrichtungen, Toiletten, Einund Ausgang usw. unterstützen kann.
Abb. 7: Die Funktion „Navigation“ Foto: Philip Häußler
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3.6 AR-Experience verlassen Abschließend kann der App-Nutzer die App beenden und wieder vollständig in die physische Welt eintauchen. Auf Basis der verdichteten Informationen kann er nun eine schnelle Entscheidung treffen, wie er seine restliche Zeit sinnvoll nutzen möchte und so den Nutzen seines Messebesuchs optimieren kann.
Augmented Reality als Teil des Messe-Erlebnisses
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Literaturverzeichnis AUMA E.V. (2015): Verhalten und Struktur der Fachbesucher auf deutschen Messen. Sekundäranalyse repräsentativer Besucherbefragungen. 1. Aufl. Unter Mitarbeit von Hendrik Hochheim und Peter Neven. Hg. v. AUMA e.V. Institut der Deutschen Messewirtschaft. Berlin (AUMA_Edition, 41), online verfügbar unter http://www.auma.de/de/DownloadsPublikationen/PublicationDownloads/Verhalten-Struktur-Fachbesucher-auf-deutschen-Messen.pdf, zuletzt abgerufen am: 04.04.2017. AUMA E.V. (2016): AUMA_MesseTrend. 1. Aufl. Unter Mitarbeit von Hendrik Hochheim und Peter Neven. Hg. v. AUMA e.V. Institut der Deutschen Messewirtschaft. Berlin (AUMA_MesseTrend, 44), online verfügbar unter: http://www.auma.de/de/DownloadsPublikationen/PublicationDownloads/AUMA_MesseTrend2016.pdf, zuletzt geprüft am: 04.04.2017. AZUMA, R.T. (1997): A Survey of Augmented Reality, in: Presence: Teleoperators and Virtual Environments, Vol: 6, No. 4, pp. 355-385. BROLL, W. (2013): Augmentierte Realität, in: Dörner, R.; Broll, W.; Grimm, P. & Jung, B. (Hrsg.): Virtual und Augmented Reality (VR/AR). Grundlagen und Methoden der Virtuellen und Augmentierten Realität. Berlin 2013. CRAIG, A B. (2013): Understanding Augmented Reality. Concepts and Applications. Amsterdam 2013. MEHLER-BICHER, A.; STEIGER, L. (2014): Augmented reality. Theorie und Praxis. 2., überarbeitete Auflage. München 2014. MILGRAM, P.; TAKEMURA, H.; UTSUMI, A.; KISHINO, F. (1995): Augmented reality: a class of displays on the reality-virtuality continuum, in: Telemanipulator and Telepresence Technologies, Vol: 2351, pp. 282-293. SCHART, D.; TSCHANZ, N. (2015): Praxishandbuch Augmented Reality. Für Marketing, Medien und Public Relations. Konstanz, München 2015.
Ulrich Holzbaur, Evelyn Neifer, Vanessa Vanini Nachhaltige Events im öffentlichen Raum 1
Einführung
2
Nachhaltige Events im öffentlichen Raum 2.1 Spannungspunkte 2.2 Nachhaltige Wirkung von Events
3
Spezielle Ansätze 3.1 Sus Event Matrix 3.2 Plastikmatrix
4
Fallstudien 4.1 Aalen - Generelle Eventplanung unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten 4.2 Aalen – 20 Jahre Agenda 4.3 Aalen – Internationales Festival
Literaturverzeichnis
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Zanger (Hrsg.), Events und Messen im digitalen Zeitalter, Markenkommunikation und Beziehungsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31775-1_12
Nachhaltige Events im öffentlichen Raum
227
1 Einführung Die aktuellen Megatrends umfassen unter anderem Digitalisierung, Urbanisierung und Nachhaltigkeit und stellen wichtige Faktoren für Events dar. Events im Zeitalter der Digitalisierung bedeutet auch, auf geänderte Anforderungen und andere Anspruchshaltungen reagieren zu müssen. Urbanisierung ist ein Trend, der die Städte und das Land verändert. Kommunale Verwaltungen und andere Akteure wie Vereine oder Quartiersorganisationen in der Stadt und auf dem Land wollen ihre Kommunen bzw. Quartiere attraktiver machen. Dazu gehören auch Events. Ebenso haben Organisationen den öffentlichen Raum schon immer als Location für ihre Veranstaltungen genutzt. Die erhöhte Sichtbarkeit stellt aber gerade an die Nachhaltigkeit höhere Anforderungen. Wir zeigen auf, welche Herausforderungen und Lösungsansätze es für die Nachhaltigkeit von Events im öffentlichen Raum gibt.1
2 Nachhaltige Events im öffentlichen Raum Die Nachhaltigkeit bei Events ist grundsätzlich gut untersucht und es gibt zahlreiche Best Practice Beispiele (vgl. Jones 2014; Holzbaur 2015) – auch zu Megaevents. Jedoch besteht insbesondere bei kleineren Events im öffentlichen Raum (Stadtfeste, Festivals) im Bereich Nachhaltigkeit eine Forschungslücke. 2.1 Spannungspunkte Events im öffentlichen Raum zeichnen sich durch spezifische Herausforderungen aus:
1
•
Die Location (Kommune) hat primär eine andere Funktion und die Gesamt-Location ist gleichzeitig Wohn-, Lebens- sowie Arbeitsbereich für viele Menschen.
•
Der Zugang zur Gesamt-Location kann nicht oder schwer abgegrenzt werden.
•
Wege sind vorhanden, jedoch insbesondere in Innenstädten stark verwinkelt.
•
Die Anzahl der Besucher kann lediglich abgeschätzt werden (Schätzung auf Basis vom Vorjahr) und je nach Räumlichkeiten schwer kontrolliert und gesteuert bzw. geleitet werden.
Die Konzeption einer Event-App für Events im öffentlichen Raum mit Funktionen wie Besucherinformation (Vor und während des Events), Besucherlenkung in Raum und Zeit, Sicherheit und Warnfunktionen wurde in diesem Zusammenhang untersucht. Diese wird im Folgenden jedoch nicht näher betrachtet, da die technische Umsetzung noch aussteht.
228
Ulrich Holzbaur, Evelyn Neifer, Vanessa Vanini
Die Kommune (Stadt, Gemeinde) ist im Allgemeinen in mehrfacher Funktion eingebunden: •
Ordnungsrechtlich als Aufsichts- und Genehmigungsbehörde. Hier spielt die Kommune eine deutlich wichtigere Funktion als bei Events in geschlossenen Locations oder auf einem Privatgelände. Weiterhin spielen auch noch weitere kommunale Gebietskörperschaften (z.B. Landkreise) eine Rolle.
•
Privatrechtlich im Rahmen der Bereitstellung und Überlassung von Räumen und Infrastruktur.
•
Kommunen können ebenso als Organisator des Events auftreten.
Damit ergeben sich einige Spezifika in der Gestaltung der Nachhaltigkeit bei öffentlichen Events bzw. Events im öffentlichen Raum. 2.2 Nachhaltige Wirkung von Events Nachhaltigkeit und Events haben mehrere Wechselwirkungen (vgl. Holzbaur 2015): •
Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Eventgestaltung (Green Events).
•
Der Einsatz von Events zur Unterstützung nachhaltiger Entwicklung und Bildung in diesem Bereich.
•
Nachhaltige Entwicklung als explizites Ziel von Events.
•
Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung und im strategischen Eventmanagement.
Speziell für Events im öffentlichen Raum ergeben sich einige Besonderheiten: •
Eventbesucher und indizierter Tourismus vermischen sich mit den Bewohnern und Besuchern der Stadt.
•
Logistik und Mobilität (An- und Abreise, Mobilität vor Ort) nutzen die vorhandenen Infrastrukturen und konkurrieren mit der Logistik und Mobilität der Bürger.
•
Die Liefer- und Wertschöpfungsketten sind teilweise dezentral.
•
Die Informations- und Bildungseffekte vermischen sich mit den im kommunalen Raum vorhandenen Informationen (z. B. Werbung).
•
Gastronomie und Catering sind im betrachteten Bereich vorhanden.
•
Destination und Location sind nicht genau abgrenzbar (vgl. Holzbaur/Luppold 2016). Die Kommune (Destination) wird zur Gesamt-Location des Events.
Nachhaltige Events im öffentlichen Raum
229
3 Spezielle Ansätze Im Rahmen der Arbeit zu Nachhaltigen Events wurden neben der Umsetzung allgemeiner Prinzipien zur Nachhaltigkeit einige spezielle Ansätze ausgearbeitet. 3.1 Sus Event Matrix Für die Konzeption Nachhaltiger Events wurde ausgehend von den Entscheidungskomponenten (vgl. Holzbaur et al. 2010, S. 34) eine Matrix aufgebaut, welche zwei Sichten auf das Event mit den Aspekten Nachhaltiger Events kombiniert. Sichten bzw. Phasen: •
Vision – the stakeholders´view (Strategische Sicht, Kundensicht)
•
Plan – the team´s view (Operative Sicht, Teamsicht)
Stakeholder sind dabei: •
Der Veranstalter
•
Die Kommune
•
Die Bürger und Anwohner
•
Die Besucher
•
Lieferanten
Elemente bzw. Aspekte: •
Strategy – make it sucessfull (Erfolgsfaktoren)
•
Event and experience – make it special (Eventfaktoren)
•
Sustainability – make it compatible with the future (Nachhaltigkeitsfaktoren)
•
Education for Sustainable Development – make an impact (Faktoren der Bildung für NE)
•
Safety – make it safe and secure (Sicherheitsfaktoren und Kommunikation)
Damit ergibt sich eine Matrix mit zehn Kernelementen.
230
Ulrich Holzbaur, Evelyn Neifer, Vanessa Vanini
Tab. 1: Matrix der zehn Kernentscheidungen für Sustainable Event Design Matrix (© Ulrich Holzbaur 2018)
Strategie Erfolg Event und Erlebnis Inszenierung Nachhaltigkeit Zukunftsorientierung Bildung für Nachhaltige Entwicklung Sicherheit Stabilität
Nachhaltiges
Eventmanagement
Vision Stakeholdersicht
Plan Teamsicht
Eventstrategie Stakeholderanalyse
Projektstrategie Eventkonzept
Eventcharakter Erlebnischarakter
Implementierung Inszenierung
Nachhaltigkeitsschwerpunkte
Nachhaltiges Eventmanagement
Bildungsaspekte Partizipation
Gestaltungskompetenzen Kommunikation
Eventsicherheit Sicherheitsstrategie
Sicherheitskonzept SWOT-Strategie
Quelle: eigene Erstellung
Für jedes Element dieser Tabelle gibt es eine Reihe von Entscheidungen, die zu jeweils vier Hauptbereichen zusammengefasst werden. Damit ergibt sich eine Gesamtmatrix mit 40 Elementen. 3.2 Plastikmatrix In der Diskussion um die Vermeidung von Plastikmüll ist es wichtig, die beiden Aspekte „Plastik“ und „Müll“ differenziert zu betrachten. Das Thema Plastikmüll muss bei Events, wie die Nachhaltigkeit generell, aus drei Perspektiven betrachtet werden: •
Strategisch: Langfristiges Konzept und Konzeption der obersten Leitung.
•
Taktisch: So wenig Einsatz von Plastik- und Einwegprodukten wie möglich.
•
Resilient/Reaktiv: Dafür sorgen, dass alle Wertstoffe möglichst sinnvoll erfasst und verwendet werden.
Nachhaltige Events im öffentlichen Raum
231
Tab. 2: Matrix Plastikmüllfreie Events
Plastikfrei Plastik
Müllfrei
Müll
Plastikfrei und Müllfrei
Plastikfrei aber Einweg
Müllfrei Plastik im Kreislauf
Plastik-Einweg NICHT ZUGELASSEN
Quelle: eigene Erstellung
Das Grundprinzip (Tabelle 2) kann weiterhin durch eine differenzierte Betrachtung verschiedener Entsorgungswege und Materialien (Herkunft und Abbaubarkeit) differenziert werden. So können in der erweiterten Matrix (Tabelle 3) die einzelnen Bereiche beispielsweise mittels einer Farbcodierung als „OK“, „noch erlaubt“ (Übergangs- oder Einzelfallregelung) oder „verboten“ gekennzeichnet werden. Wichtig zu beachten ist, dass die Matrix nicht als Absolutum zu sehen ist. Die Möglichkeiten und Verbote hängen stark von den lokalen Gegebenheiten ab: •
Möglichkeit der Verwendung von Mehrweggeschirr (Spülmobil)
•
Möglichkeiten von individuellen oder eventweiten Pfandsystemen
•
Möglichkeiten der produkt- bzw. sortenreinen Erfassung
•
Möglichkeiten des Entsorgers (z. B. bei der Kompostierung)
Die Matrix kann dann von Event zu Event angepasst (bzw.verschärft) werden.
232
Ulrich Holzbaur, Evelyn Neifer, Vanessa Vanini
Tab. 3: Erweiterte Matrix Plastikmüllfreie Events
Müllfrei Kreislaufwirtschaft Pfandsysteme
Kontrollierte Kreislaufwirtschaft
Einweg
Kompostierung
Kompostierung
Abstimmung Entsorger
Abstimmung Entsorger
Natürliche bzw. naturnah verarbeitete und abbaubare Materialien
OPTIMUM
Öko-Plastik = ökologisch verträgliche Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen
Akzeptiert
Nachweis Kreislaufkonzept
Nachweis Entsorgungskonzept
Nachweis Kreislaufkonzept
Nachweis Kreislaufkonzept
NICHT ZUGELASSEN
Plastik bzw. Nicht abbaubare Stoffe aus Rohöl Quelle: eigene Erstellung
4 Fallstudien Im Folgenden stellen wir mehrere Events in der Stadt Aalen vor. Für die Stadt Aalen als Stadt der UN-Dekade-Bildung für Nachhaltige Entwicklung spielt die Nachhaltigkeit generell und mit dem Konzept „Aalen nachhaltig-er-leben“ eine wichtige Rolle. 4.1 Aalen – Generelle Eventplanung unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten Die Stadt hat in Kooperation mit den Gruppen der Lokalen Agenda 21 einen Leitfaden zur nachhaltigen Gestaltung von Events herausgegeben. Die folgenden Punkte wurden für die Stadt Aalen zusammengestellt und sind bei allen Veranstaltungen im Gebiet der Stadt Aalen zu beachten: •
Gesellschaftliche Verantwortung integrieren und demonstrieren.
•
Sicherheit und Erlebnis vereinbar machen: Sicherheitsplanung, Notfallpläne und Risikomanagement.
•
Rechtzeitige Planung und Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten, Kooperation und Unterstützung.
•
Nutzung des Events für die Bildung für nachhaltige Entwicklung. Kommunikation von speziellen Aspekten wie Region, Umwelt, Integration, Inklusion.
Nachhaltige Events im öffentlichen Raum
233
•
Eventmotto und Prinzipien sollen den positiven Beitrag zur Zukunft widerspiegeln.
•
Umweltaspekte: Energieverbrauch, Umweltbelastungen, Müll, Fahrzeugverkehr.
•
Inklusion und Integration: Schwellenabbau, Preisgestaltung, Barrierefreiheit, kulturelle Aspekte.
•
Wirtschaftliche Wirkung in der Lieferkette und in Kooperationen regional und international.
•
Beteiligung aller Betroffenen und interessierten Gruppen, Partizipation.
•
Präventionsaspekte umsetzen: Jugendschutz, Drogen- und Gewaltprävention.
•
Geschulte und kompetente Mitarbeiter einsetzen, Informationen für Mitarbeiter und Besucher.
•
Verhaltensbeeinflussung im Sinne der Nachhaltigkeit durch Planung, Angebote und Kommunikation.
•
Kommunikation durch einfache und klare Information; Leitsysteme APP KISS Keep It Simple and Safe.
•
Aufnahme von Nachhaltigkeitsaspekten in Verträge und die Eventkommunikation.
•
Kommunikation der Nachhaltigkeitsaspekte, Hilfen und Anregungen für das Verhalten.
•
Partizipation, Einbindung und Berücksichtigung lokaler Akteure und der Anwohner.
Diese allgemeinen und abstrakten Punkte müssen für die Beteiligten konkretisiert werden: •
Besucher
•
Vertreter der Kommune (als Kontrollorgan)
•
Vertreter des Organisators
•
Dritte (z. B. Betreiber von Ständen oder Teilevents, Dienstleister)
•
Zulieferer und Dienstleister
4.2 Aalen – 20 Jahre Agenda Speziell betrachten wir die Events zum Jubiläumsjahr „20 Jahre Lokale Agenda 21“. Die Veranstaltungen waren als Komplexevent über ein Jahr angelegt. Highlights waren zwei öffentliche Agenda-Parlamente und eine zentrale Veranstaltung mit dem Baden-
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Ulrich Holzbaur, Evelyn Neifer, Vanessa Vanini
Württembergischen Umweltminister. Dabei sollten die Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG) den Bürgern nahegebracht werden. Für die folgende Liste der Veranstaltungen wurde jeweils ein Event dem oder den wesentlichsten SDG zugeordnet: 1. Keine Armut: Warenschenktag, Eine-Welt-Aktionen 2. Ernährung: Tafelladen, Schulobsttag, Tag der Regionen (TdR) 3. Gesundheit und Wohlergehen: Faires Frühstück, Essbare Stadt 4. Bildung: Nachhaltigkeitstag, Grüner Aal, Kino am Kocher, TdR 5. Geschlechtergerechtigkeit: Frauenfrühstücke, Frauentag 6. Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen: Exkursion Wasserversorgung 7. Bezahlbare und saubere Energie: Infotage Energie, Runder Tisch Energie, TdR 8. Arbeit: Ausstellung „Menschliche Seite des Bergbaus“ 9. Industrie, Innovation und Infrastruktur: Vorträge an der Hochschule 10. Gerechtigkeit: Internationales Fest, Rolli Parcours 11. Nachhaltige Städte und Gemeinden: Agendagruppen, Smart City 12. Nachhaltiger Konsum und Produktion: Projekt AUSgebechert, Essbare Stadt 13. Maßnahmen zu Klimaschutz und Resilienz: Infotage Energie, Stadtradeln, TdR 14. Leben unter Wasser: „kein Plastik“ 15. Leben an Land: Naturerlebnistage 16. Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen: Pulse of Europe 17. Partnerschaften zur Erreichung der Ziele: Agendaparlamente, Partnerstädte Damit deckt die Veranstaltung zum 20-jährigen Bestehen alle Bereiche der SGDs ab, Schwerpunkte sind Bildung (SDG 4 & 4.7), Klima (SDG 13) und Nachhaltige Stadt (SDG 11). Bei den Veranstaltungen wurde auf Nachhaltigkeit geachtet, im Vordergrund stand aber der Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung und den SDG und insbesondere der Effekt der Bildung für nachhaltige Entwicklung. 4.3 Aalen – Internationales Festival Events gehören zu den wichtigsten Kommunikationsmitteln von Unternehmen und Vereinen, gerade im öffentlichen Bereich. Auch beim Internationalen Festival in Aalen
Nachhaltige Events im öffentlichen Raum
235
kommen jedes Jahr zahlreiche Besucher zur Unterhaltung und zum Meinungsaustausch zusammen und finden hierbei eine direkte Kommunikationsplattform des menschlichen Miteinanders. Durch die zahlreichen Besucher, Vereine, Organisatoren und auch Medienvertreter ist einerseits eine hohe Sichtbarkeit gegeben, andererseits entstehen hohe Belastungen, gerade im Bereich Abfall. Gerade deshalb sollte bei öffentlichen Events, bei denen das Thema Catering, wie etwa beim Internationalen Festival, im Vordergrund steht, auf eine nachhaltige Organisation geachtet werden. Das Abfallaufkommen durch das Catering wird immer ein wichtiger Faktor vor, während und nach der Veranstaltung sein. Aus diesem Grund ist es umso wichtiger bei der Organisation von Events, Umweltbelange im sozialen, ökonomischen und ökologischen Bereichen im Handlungsfeld Abfall zu berücksichtigen. Dieses Handlungsfeld bietet großes Potential, um Emissionen zu reduzieren, Ressourcen zu sparen und eine Stadt attraktiv zu gestalten. Aus dem Ziel, ein Konzept für die nachhaltige Organisation für das öffentliche Internationale Festival in Aalen zu erstellen, ergaben sich folgende Fragestellungen: •
Haben öffentliche Veranstaltungen bereits ein nachhaltiges Abfallsystem oder handelt es sich vielmehr um einmalige nachhaltige Projekte?
•
Besteht von Seiten der Organisatoren und Teilnehmern eine ausreichende Nachfrage zur Einführung?
•
Gibt es zielführende Empfehlungen für öffentliche Veranstaltungen?
•
Wie können die Maßnahmen des nachhaltigen Caterings effektiv umgesetzt und im öffentlichen Bereich kommuniziert werden?
Der Fokus bei diesem Projekt lag auf dem Thema Catering und dem dabei anfallenden Abfall. Dabei wurde speziell auf die Verpflegungsverpackungen und den Abfall aufgrund der Verpflegung geachtet. Welches Geschirr, Besteck und welche Getränkebehälter die Vereine für ihre Verpflegungsangebote benutzen und wie mit dem entstehenden Abfall umgegangen wird. Eine Herausforderung besteht darin, dass das Catering durch die einzelnen Vereine durchgeführt wird, die damit auch ihre Vereinskasse aufbessern, aber natürlich keine professionellen Caterer sind. Dies führt dazu, dass eine schnelle Umsetzung eines nachhaltigen Cateringansatzes, auch aus Kostengründen, in diesem Jahr nicht umsetzbar ist. Den Vereinen müssen für die nächsten Jahre klare Vorschriften über die Herkunft und Art der Lebensmittel gegeben werden. Durch einen angepassten nachhaltigen Ansatz zum Thema Geschirr und Besteck können außerdem Kosten gespart werden und die Vereine auf eine nachhaltige Alternative umgelenkt werden. Vielen Interessengruppen,
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Ulrich Holzbaur, Evelyn Neifer, Vanessa Vanini
die an einem Event teilnehmen, sind die erheblichen Belastung und die bleibenden Spuren für die Umwelt nicht bewusst. Doch gerade beim Catering und dem daraus folgenden Abfallaufkommen, entsteht eine enorme Belastung für die Umwelt. Die Integration von Konzepten in die Organisationsleitung führt dabei zur Besserung sozialer, ökonomischer und ökologischer Aspekte bei einem Event. Durch eine nachhaltige Planung, Durchführung und Nachbereitung können die Einflüsse auf die Umwelt verringert werden. Eine nachhaltig organisierte Veranstaltung hat außerdem die Chance, das Umweltbewusstsein zu sensibilisieren und neue Standards, auch im öffentlichen Bereich, im Umgang mit der Natur zu setzen. Die Emissionsmengen, die z. B. bei einer öffentlichen Veranstaltung entstehen, sind im Vergleich zum Industriesektor gering. Jedoch ist jeder Betrag hilfreich, um als Vorbildfunktion für die Gesellschaft und dem Klimaschutz zu dienen. Handlungsbedarf zur Optimierung der Abfallsituation beim Catering besteht über die gesamte Prozesskette hinweg. Beim Internationalen Fest in Aalen wird in der Regel ohne fest installierte Koch- und Kühlmöglichkeiten vor Ort gearbeitet und die Speisen werden „extern“ vorbereitet und selbstständig besorgt. Um Handlungsempfehlungen für ein nachhaltiges Catering bei einem Event zu aussprechen zu können und ein Konzept für die Abfallentsorgung zu entwickeln, ist es wichtig, die Themen Catering und Abfall nach den drei Dimensionen von Nachhaltigkeit zu kategorisieren. •
Ökologie: Einkauf, Produktion und Entsorgung so umweltfreundlich wie möglich gestalten. Müll vermeiden und eine möglichst komplette Kreislaufführung erreichen. Wasser und Energie einsparen. Vermüllung und Lärm vermeiden.
•
Gesellschaft: Teilhabe am öffentlichen Leben ermöglichen. Kultur vermitteln. Belästigung der Anwohner reduzieren.
•
Wirtschaft: Fairer und partnerschaftlicher Umgang mit Lieferanten, Mitarbeitern und Kunden.
Beim Internationalen Festival wurde für dieses Jahr im Auflagenblatt ein Plastik-Verbot erteilt. Damit sind die Vereine verpflichtet, sich um Alternativen beim Geschirr und Besteck zu kümmern. Bei der Abfalltrennung gibt es für dieses Jahr noch keine bestimmte Regelung. Abfälle werden weiterhin in die vorhandenen Tonnen entsorgt. Eine vorgegebene Trennung von Restmüll und Verpackungsmüll existiert nicht. Die Vereine müssen ihren anfallenden Abfall, der nicht mit der Essenausgabe in Verbindung steht, selbst entsorgen. Um diese zusammenhängenden Probleme des Caterings nachhaltig und systematisch bei einem öffentlichen Fest zu gestalten, wird für die kommenden
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Jahre ein Konzept erstellt. Dabei ist es wichtig, den Vereinen klare Anweisungen zu vermitteln und sie über die Änderungen zu informieren. Das Internationale Festival hat am 13. und 14. Juli 2019 stattgefunden. Die oben aufgezeigten Fragen können abschließend wie folgt beantwortet werden: In zwei ausgewählten Bereichen wurde 2019 eine Geschirrstrategie umgesetzt: Zum einen in einem räumlich abgetrennten und privatwirtschaftlich betriebenen Bereich der Innenstadt. Zum anderen in einem der größten Vereine, die im Rahmen einer Bachelorarbeit bei der Vorbereitung unterstützt wurden. Weiterhin wurde im Rahmen eines studentischen Projekts eine Abfalltrenninsel geschaffen. Hierbei ging es vor allem darum, die Besucher und Vereine für das Thema Abfalltrennung zu sensibilisieren. Um die Besucher auf das Thema Abfalltrennung aufmerksam zu machen, wurden die Tonnen so beschriftet, dass jedem ersichtlich wurde, was in die jeweilige Tonne gehört und was nicht. Außerdem waren Studierende vor Ort, die als Müllbeauftragte für die Abfall-/ Trenninsel verantwortlich waren. Daher wurde bezüglich des Themas Abfall analysiert, dass oft keine systematische Trennung des Mülls erfolgte. Hierfür werden, wie oben bereits beschrieben, Mülltrennungsinseln für den anfallenden Abfall der Eventbesucher und Stände empfohlen. Zudem wird der Aufbau eines organisierten Abfallmanagementsystems für den Cateringabfall vorgeschlagen. Erste Schritte für ein plastikfreies Event wurden durch das Einführen von Alternativen zum Plastikeinweggeschirr von den Vereinen durchgeführt. Hier gibt es jedoch noch keine einheitlichen Regelungen zur vollständig nachhaltigen Umsetzung. Weitere Überlegungen bezüglich eines nachhaltigen Eventmanagement sind die Anschaffung von Geschirrmobilen sowie die Einführung eines Pfandsystems. Durch die Best Practice Analyse konnte herausgefunden werden, dass die Abfallsammlung und -entsorgung abhängig von der Art und Größe der Veranstaltungen unterschiedlich geregelt sind. In der Regel hat der Veranstalter ein Entsorgungsunternehmen zu beauftragen. Ein Mehrwegangebot für den Verzehr von Speisen ist augenscheinlich vorhanden, jedoch werden in bestimmten Bereichen Ausnahmen mit Einwegprodukten geduldet. Ein systematisches und konsequentes Vorgehen fehlt daher. Nur Getränke werden durchgehend in Mehrweggläsern oder Flaschen angeboten. Das Abfallaufkommen ließe sich daher weiter reduzieren.
Nachhaltige Events im öffentlichen Raum
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Literaturverzeichnis HOLZBAUR, U. (2015): Nachhaltige Events – Erfolgreiche Veranstaltungen durch gesellschaftliche Verantwortung. Springer Gabler essentials, Wiesbaden 2015. HOLZBAUR, U., JETTINGER, R., KNAUS, B., MOSER, R., ZELLER, M. (2010): Eventmanagement. Heidelberg 2010. JONES, M. (2014): Sustainable Event Management. A Practical Guide. Taylor & Francis, London 2014. LUPPOLD, S., HOLZBAUR, U. (2016): Nachhaltiger Tourismus im Dreieck Destination – Location – Event, in: Zanger, C. (Hrsg.): Events und Tourismus, Berlin 2016, S. 149 – 171.
Siegfried Mattern Events: Quo vadis? – Denkanstöße für die Zukunft 1
Einleitung
2
Digital Natives
3
Künstliche Intelligenz und Quantencomputer
4
3D-Virtualität
5
Industrie 4.0
6
Additive Technologien
7
Syllogismus
Literaturverzeichnis
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Zanger (Hrsg.), Events und Messen im digitalen Zeitalter, Markenkommunikation und Beziehungsmarketing, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31775-1_13
Events: Quo vadis? – Denkanstöße für die Zukunft
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1 Einleitung Die Fragestellung dieses Beitrages ist im Kontext des Themenspektrums „Events und Messen im digitalen Zeitalter“ der 11. Wissenschaftlichen Konferenz Eventforschung zu lesen, zu verorten und zu verstehen, die am 25.10.2019 vom Lehrstuhl für Marketing und Handelsbetriebslehre an der Technischen Universität Chemnitz stattgefunden hat. Dieser Beitrag ist mit dem Anspruch verbunden, ausgewählte Entwicklungspfade aufzuzeigen, die mit großer Wahrscheinlichkeit die Funktion, den Erlebnischarakter des Kommunikationsinstrumentes Event beeinflussen. Die Beschreibung der ausgewählten Entwicklungspfade kann allerdings im Rahmen dieses Beitrages nur in kursorischer Form erfolgen, wobei für ein vertiefendes Interesse das Literaturverzeichnis dafür inhaltliche Anregungen bieten kann. Einleitend möchte ich an die fundamentale, existenzielle Erkenntnis unserer jeweiligen Welterschließung erinnern, die bei unzureichender Selbstreflexion zu mannigfaltigen Missverständnissen, Problemen und Konflikten führen kann und führt wie tagtäglich wahrzunehmen und natürlich lebensweltlich in unserer Branche vorzufinden ist. Denn jeder1 von uns erschließt die Welt mittels subjektiv-individueller Interpretationen, die jeweils perspektivgebundene und sozialisationsbedingte Konstruktbildungen sind (vgl. Lenk 1993, S. 55). D. h., „Welt, Wirklichkeit und Sinn sind nur in Interpretationsprozessen und als Interpretationsergebnisse oder -konstrukte faßbar.“ (ebd., S. 65) Von Realität bzw. Wirklichkeit ist deshalb nicht im Singular, sondern vielmehr im Plural zu denken und zu kommunizieren. Und es geht letztendlich darum, vernünftig mit den Unterschieden von Realitäten bzw. Wirklichkeiten umgehen zu können. Diese skizzierte Problematik ist natürlich auch in unserer Event- und Messebranche gegeben. Die divergierenden, fast konträren Einschätzungen der zukünftigen Bedeutung von Instrumenten für Produkt- und Markenerlebnisse, zu denen die Kommunikationsinstrumente Events und Messen zählen, veranschaulichen beispielhaft folgende aktuelle Statements, d. h. die perspektivgebundenen, interpretativen Konstruktbildungen sind: „Die zwischenmenschliche Kommunikation ist durch digitale Technologien nicht zu ersetzen“, erklärt Dr. Peter Neven, Hauptgeschäftsführer des AUMA (Ausstellungs- und Messe-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V.).“ (Redaktion 2019, S. 2)
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Aus Gründen der Lesbarkeit wird an einigen Stellen auf die Formulierung der weiblichen Schreibweise verzichtet. Grundsätzlich sind jedoch stets alle Geschlechter gemeint.
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„Laut Claus Rättich, Mitglied der Geschäftsleitung bei der NürnbergMesse GmbH, gehe es bei der digitalen Transformation im Messebereich darum, Prozesse der Messeorganisation und Angebote für Aussteller und Besucher zu digitalisieren – nicht das Produkt Messe selbst.“ (Redaktion 2019, S. 3) Die vollständig virtuelle und von XING-Event, der Tochtergesellschaft des BusinessNetzwerkes XING realisierte VExCon – Virtuelle Expo & Conference – fand vom 26. bis 29. November 2019 bereits zum dritten Mal statt. Ziegler (2018) sieht im Wesentlichen folgende Stärken von virtuellen Events: ortsungebundene Teilnahme; keine Inanspruchnahme von relevanten Ressourcen wie Stand-, Personal- oder Reisekosten; Informationstransparenz; komfortabler Zugang zu Präsentationen. (vgl. Ziegler 2018) „Mit der Digitalisierung in der Eventbranche sowie durch einen stärker werdenden Wettbewerb im Eventmarkt werden virtuelle Events zu einer echten Alternative für Veranstalter. Mit dem Fortschritt der Technologien und der wachsenden Anzahl von Produkten werden virtuelle Events zukünftig eine größere Selbstverständlichkeit auch auf Teilnehmerseite aufweisen.“ (ebd.) Eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit der zitierten Einschätzung von Ziegler zeige ich anhand von folgenden, als relevant eingestuften Entwicklungspfaden auf: Generationen von ‚Digital Natives‘; Künstliche Intelligenz und Quantencomputer; 3D-Virtualität; Industrie 4.0 und Additive Technologien.
2 Digital Natives Das Merkmal, die Charakterisierung, die Typisierung ‚Digital Natives‘ beschreibt Menschen, die in der digitalen Sphäre der Welt aufgewachsen sind, sich hier selbstverständlich tagtäglich bewegen und damit kulturelle Praktiken ausführen. Einleitend ist der Hinweis entscheidend, dass ‚Digital Natives‘ keine gesellschaftlich homogene Gruppe darstellen - „die soziokulturelle Landschaft der Jugendpopulation in Deutschland ist vielfältig.“ (Flaig et al. 2016, S. 38) Mit anderen Worten, die Jugendpopulation setzt sich soziologisch betrachtet aus unterschiedlichen Milieus zusammen. Ein methodischer Ansatz zur Definition und Beschreibung von Milieus bilden bspw. die SINUS-Lebenswelten (vgl. ebd., S. 38 ff.), die der Leser bei Interesse in der angegebenen Literaturquelle findet. Kaspar König (2019) rekurriert auf die aktuelle 18. Shell-Jugendstudie 2019: »Eine Generation meldet sich zu Wort« und führt in diesem Kontext u.a. aus: „Diese Jugendlichen sind zwar Digital Natives, also Menschen, die in das Digitale hineingeboren sind. Aber sie sind schon die nächste Generation, die Kinder der ersten Digital Natives. Für ihre Eltern war das Digitale aufregend, neu, berauschend. Für die nächste Generation ist
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es nichts, worüber man reden muss. Es ist einfach da. […] Das Einfachdasein des Digitalen verändert das Denken, die Gewohnheiten, aber auch das Selbst. „Ubiquitous Computing“ nennen das die Fachleute – von lateinisch „ubique“ überall. […] Es ist ein Denkwechsel, der tief in die Seele des Menschen gebrannt ist, der im 21. Jahrhundert geboren ist. […] Die heutigen Kinder und Jugendlichen sind vernetzt und global. […] Ich poste ein Bild auf Instagram, schaue, ob es vielen gefällt, und wenn nicht, lösche ich es wieder. Wenn das Bild zahlreiche Reaktionen erzielt, wiederhole ich es und baue es aus. Dahinter steht auch ein riesiges System des Versuchs und Irrtums, des massenhaften schnellen Erprobens, Verbesserns und Verbreitens von Ideen. So ist der Einzelne immer Teil des Ganzen, prägt es und wird geprägt. […] Die globale Macht der Bilder kann dabei nicht überschätzt werden. Die gleichen Posen auf Instagram lassen sich weltweit über alle Kontinente nachweisen.“ (König 2019) Die Tragweite der Digitalisierung und damit einhergehend die Auswirkungen auf die Persönlichkeitsstruktur der ‚Digital Natives‘ vermittelt folgende Aussage: „Häufig wird die Digitalisierung als ein lediglich durch die neuen Informationstechnologien (IT) und ihre Weiterentwicklung bestimmter Prozess betrachtet. Aber diese Sichtweise greift viel zu kurz. Denn die Digitalisierung ist ein Produkt der menschlichen Kultur. Als solches berührt sie die Lebensweisen und die Wahrnehmungs- und Gestaltungsformen, die die menschliche Praxis bestimmen, fundamental. Man kann die Digitalisierung weder hinreichend erklären noch verstehen, wenn man diese kulturelle Dimension nicht berücksichtigt. Das gilt allgemein, da die Digitalisierung die gesellschaftlichen und kulturellen Grundlagen des individuellen und des gesellschaftlichen Lebens in allen Feldern erheblich verändert.“ (V 2019, S. 6) Die in diesem Zitat angesprochene, signifikante Bedeutung der kulturellen Dimension im Kontext der Digitalisierung kann im Rahmen dieses Beitrages nicht weiter verfolgt werden, weder skizzenhaft noch annäherungsweise aufgrund der Mächtigkeit, der hohen und dynamischen Komplexität der kulturellen Dimension. Die ‚Digital Natives‘ und die damit verbundenen Auswirkungen auf Sozialisation, Einstellungen und Verhalten sind vor dem bisher skizzierten Hintergrund gegenwärtig im Fokus des Forschungsinteresses bspw. von Soziologen, Psychologen, Pädagogen und Kulturwissenschaftlern. Sodass entsprechend zahlreiche Studien publiziert sind, die ‚Digital Natives‘ erfassen, interpretieren und teilweise Handlungsempfehlungen aufweisen. Dazu nachstehend auszugsweise folgende Informationen und Erkenntnisse aus ausgewählten Studien: Das folgende Zitat thematisiert die Penetration der Digitalität in die gesamte Gesellschaft und sensibilisiert für eine möglichst holistische, eine ganzheitliche Betrachtungsweise: „Auch wenn einstweilen nicht abzusehen ist, wohin der digitale Wandel letztlich
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führen wird, ist doch jetzt schon klar, dass es sich im Kern nicht nur um einen technischen und ökonomischen, sondern vor allem um einen kulturellen Transformationsprozess handelt, der die Wahrnehmungs- und Gestaltungsmöglichkeiten von Menschen in allen Lebensbereichen – Arbeit, Politik, Öffentlichkeit, Bildung, Kunst und Kultur, Wissenschaft, Religion und Alltag – fundamental betrifft und radikal verändert.“ (Rat für Kulturelle Bildung 2019, S. 4) Die Verbreitung der Nutzung von digitalen Angeboten im Internet dokumentieren folgende Informationen: Im letzten Jahr (2018) nutzten 98% der jungen Menschen zwischen 14 bis 19 Jahren das Internet, 99% der jungen Erwachsenen (20 bis 29 Jahre) und ebenfalls 98% der Erwachsenen in der Altersgruppe von 30 bis 39 Jahren. (vgl. Initiative D21 e. V. 2019, S. 13) „Nahezu alle Zwölfjährigen sind online (DJI 2014/2015: 98 Prozent). Das Smartphone als „persönlicher Begleiter“ in der digitalen Welt hat aufgrund der Vielfalt seiner Funktionalität besonderen Stellenwert: Etwa 90 Prozent der Jugendlichen ab zwölf Jahren verfügen über ein eigenes Gerät (JIM 2015). Studien belegen neben ihrer flächendeckenden Medienausstattung auch, dass Jugendliche das „Online-Sein“ als Normalzustand und dessen mögliche Beschränkung – z. B. durch ein Handyverbot an Schulen – als Eingriff in die persönliche Freiheit bewerten (z. B. DIVSI 2014; Calmbach et al. 2016).“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Referat Öffenlichkeitsarbeit 2016, S. 3) „Ein Leben ohne Internet und Smartphone können sich Jugendliche heute kaum noch vorstellen: „Online-Sein“ gehört selbstverständlich zum Leben dazu. […] Jugendliche gehen zudem nicht mehr ins Internet, sondern leben darin. Digitale Teilhabe ist dabei immer mehr Voraussetzung für soziale Teilhabe in der Peergroup. Nutzt man Messenger-Dienste oder Social-Media-Angebote nicht, droht die soziale Ausgrenzung.“ (Flaig et al. 2016, S. 465) „Grundsätzlich überwiegen für Jugendliche die positiven Aspekte von «always on». Fast alle Jugendlichen schätzen es, jederzeit in Kontakt mit anderen sein zu können und gehen online, wenn sie sich langweilen. Sehr viele Jugendliche haben das Gefühl, dass andere online eine schnelle Reaktion erwarten und dass die Vielfalt an Informationen das Leben reicher macht. Ungefähr 60 % der Jugendlichen finden, dass ihre OnlineAktivitäten sie glücklich und die Online-Möglichkeiten ihr Leben reicher machen. Etwa ein Drittel der Jugendlichen will nichts Wichtiges verpassen, fühlt sich unter Druck gesetzt durch Apps, welche die Nutzung belohnen und unterscheidet Treffen oder OnlineKontakte nicht. Ein Viertel der Jugendlichen wird nervös, wenn sie längere Zeit offline sind. Was auffällt: Die positiven Aussagen werden durchgehend von der Mehrheit, die
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meisten negativen Aussagen von einer Minderheit der Jugendlichen bestätigt.“ (Heeg & Steiner 2019, S. 13) „Für junge Menschen besitzen Informationsintermediäre als Nachrichtenquelle einen hohen Stellenwert. In der täglichen Nutzung liegen soziale Medien, Suchmaschinen, Videoportale und Nachrichtenaggregatoren deutlich vor den Angeboten klassischer Medien.“ (Kluge et al. 2018, S. 20) „86 Prozent der befragten 12- bis 19-Jährigen nutzen YouTube. Damit wird YouTube nach WhatsApp (92 Prozent) am zweithäufigsten genutzt – noch vor Instagram und Facebook (jeweils 61 Prozent). Was die altersspezifische Nutzung angeht, so liegt der Anteil bei den 12- bis 13-Jährigen bei 75 Prozent und steigt mit zunehmendem Alter auf 93 Prozent bei den 18- und 19-Jährigen an. […] Dass YouTube ein digitaler Kulturort ist, zeigt sich an der Bandbreite der kulturellen Formate und Angebote und an der Beliebtheit von Musik-, Tanz- und Modevideos. Darüber hinaus hat sich über YouTube eine Remix-Kultur der Jugendlichen etablieren können (z. B. DJ-, Mashupvideos oder Sampling).“ (Rat für Kulturelle Bildung e. V. 2019, S. 7) „Im Jahr 2018 haben bei der täglichen Mediennutzung Zwölf- bis 19-Jähriger die Smartphone- (94 %), Internet- (91 %) und Musiknutzung (84 %) den größten Stellenwert.“ (Feierabend et al. 2018, S. 13) Abschließend skizziert die nachstehende Aussage die Bedeutung, den Stellenwert der digitalen Angebote für die Welterschließung der jungen Menschen: „Kinder und Jugendliche wachsen ganz selbstverständlich mit digitalen Medien auf. Sie bewegen sich intuitiv in digitalen Welten und nutzen Soziale Netzwerke und Kommunikationsplattformen wie WhatsApp, Snapchat und Instagram, um zentrale Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Dazu gehören das Streben nach Autonomie, die Gestaltung sozialer Beziehungen sowie die Verwirklichung von Selbstbestimmung und Teilhabe. Die neuen Traumberufe heißen YouTuber*in oder E-Sportler*in – und auch jenseits dieser hippen Berufe erlebt die Arbeitswelt derzeit einen radikalen Wandel durch die Digitalisierung.“ (Felling et al. 2019, S. 7) Zusammenfassend lässt sich für diesen skizzierten Entwicklungspfad die Einschätzung formulieren, dass die Generationen der ‚Digital Natives‘ ihre jeweiligen interpretativen Konstruktbildungen überwiegend sowohl aus den physisch realen als auch aus den digital virtuellen Welten bilden. Für die ‚Digital Natives‘ ist es eine Welt mit fluiden Übergängen zwischen den Sphären der physischen Realitäten und denen der digital virtuellen Wirklichkeiten. Für Events der Gegenwart kann das bedeuten, dass die in absehbarer Zeit möglichen dreidimensionalen virtuellen Welten in Echtzeit mit multisensorischem Erlebniswert in
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zahlreichen Fällen eine Alternative darstellen könnten, weil sie von den ‚Digital Natives‘ als Selbstverständlichkeit verstanden werden.
3 Künstliche Intelligenz und Quantencomputer In einem ersten Schritt ist die Künstliche Intelligenz Gegenstand der kursorischen Darstellung. Anschließend erfolgt eine skizzenhafte Thematisierung von Quantencomputern. Die Frage nach der Verbindung dieser beiden Entwicklungspfade mit Events wird im Grundsatz bereits an dieser Stelle beantwortet. Beide Technologiefelder bilden Basistechnologien und entscheidend die Grundlage für Lösungen von anspruchsvollen Aufgabenstellungen der Digitalisierung einschließlich der digital drei-dimensionalen Virtualität. Im vorhergehenden Abschnitt wurde bereits das digital-virtuelle Event VExCon angesprochen, das dieses Jahr zum dritten Mal stattfand. „KI-Technologien sind längst ein fester Bestandteil in unserem Leben geworden und wir nutzen jeden Tag digitale Assistenten wie Siri, Cortana, Alexa oder Google Now. […] KI ist im Zuge von Big Data und der verstärkten Vernetzung von Maschinen zu einem wichtigen Treiber für die zunehmende branchenübergreifende Digitalisierung von Geschäftsprozessen und -modellen geworden.“ (Wess 2019, S. 156) Wess (2019) formuliert ein einprägendes Sprachbild für die Künstliche Intelligenz: „Wenn Daten das Öl des 21. Jahrhunderts sind, so ist KI der Motor, der diesen Kraftstoff nutzen kann. Gemeinsam bilden sie die „Kraftquelle“ für die Digitalisierung. In der digitalisierten Welt gehören Hightech-Produkte und KI inzwischen stets zusammen. KI macht aus einem „sehr guten Produkt“ ein wirklich „smartes Produkt“. (ebd., S. 157) Die Frage, was unter Künstlicher Intelligenz zu verstehen ist, lässt sich in zweifacher Sicht nicht allgemeingültig festlegen: „zum einen aufgrund der Breite des Gebietes, zum anderen, weil selbst eine Definition von „Intelligenz“ sich als schwierig erweist.“ (Buxmann & Schmidt 2019, S. 6) „Wichtig ist die Unterscheidung zwischen einer starken und schwachen Künstlichen Intelligenz: Unter einer starken Künstlichen Intelligenz (engl. „Strong AI“) versteht man im Allgemeinen alle Ansätze, die versuchen, den Menschen bzw. die Vorgänge im Gehirn abzubilden und zu imitieren. […] So weit ist die Forschung heute allerdings noch lange nicht und uns sind keine Forschungsprojekte bekannt, die einer Umsetzung dieser starken Künstlichen Intelligenz bislang wirklich nahe gekommen sind.“ (Buxmann & Schmidt 2019, S. 6) Unter einer schwachen Künstlichen Intelligenz versteht man die Entwicklung von Algorithmen für bestimmte und abgegrenzte Aufgabenstellung, wobei die Lernfähigkeit eine wesentliche Anforderung darstellt. (vgl. ebd., S. 7)
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„In den vergangenen Jahren entwickelte sich die Künstliche Intelligenz stärker in die Richtung des Maschinellen Lernens (ML).“ (ebd.) ML umfasst „Methoden, die mithilfe von Lernprozessen Zusammenhänge in bestehenden Datensätzen erkennen, um darauf aufbauend Vorhersagen zu treffen.“ (ebd., S. 8) D. h., die Ergebnisse der Algorithmen, mit denen Vorhersagen und Entscheidungsgrundlagen für die Zukunft getroffen werden, beruhen auf Daten, die historische Gegebenheiten und Entscheidungen widerspiegeln, d. h. die Daten sind im Kontext der gesellschaftlichen Zustände, ihrer soziokulturellen Einbettung zu sehen und gegebenenfalls zu hinterfragen, in denen sie erhoben worden sind. (vgl. Schünemann & Lebert 2019, S. 10) KI-basierte Anwendungen ermöglichen bereits heute eine Verbesserung, eine Attraktivitätssteigerung von Events bspw. mittels zielpersonenausgerichtete Matchings, interessensausgerichtete Präsentationen u. v. a. Im Zuge der weiteren Entwicklung von KI hinsichtlich der Erzeugung von multisensualen Reizen ist davon auszugehen, dass digital virtuelle Events in Echtzeit eine neuartige Erlebniswahrnehmung ermöglichen. Die Wirkmächtigkeit von Quantencomputern kann folgende Expertendarstellung aus einem Interview vermitteln: „Das klingt sehr aufwendig. Welche Vorteile haben Quantencomputer gegenüber klassischen Computern? Bauckhage: Ein Qubit kann zwei Zustände haben. Zwei Qubits können insgesamt vier Zustände haben. Drei Qubits acht Zustände, vier 16 und so weiter. Das ist bei digitalen Computern ähnlich. Vier Bits können insgesamt 16 Zahlen darstellen – jedoch immer nur eine aus diesen 16 Zahlen. Vier Quantenbits stellen die 16 Zahlen jedoch gleichzeitig dar. Wenn man das mathematisch versteht, ist man in der Lage, exponentiell schwierige Probleme in sogenannter Polynomialzeit zu lösen. Das klassische Beispiel ist Verschlüsselung: Wenn die Verschlüsselungszahlen groß genug sind, bräuchte ein digitaler Computer Milliarden Jahre, bis er eine Verschlüsselung knacken kann, er muss nämlich unfassbar viele Kombinationen nach und nach durchtesten. Ein Quantencomputer hingegen testet diese Kombinationen alle simultan durch. Statt Milliarden von Jahren dauert diese Berechnung nur ein paar Sekunden. Quantencomputing wird alles ändern. Keine Banktransaktion über das Internet wird mehr sicher sein.“ (FraunhoferGesellschaft e. V. 2017, S. 17 f.) „Beim maschinellen Lernen lösen Algorithmen Probleme, indem sie sehr viele Daten auswerten. Werden Quantencomputer diesen Vorgang folglich beschleunigen? Bauckhage: […] Wo heute isolierte Spezialprogramme zum Beispiel für Bilderkennung, für Spracherkennung, für Prozessplanung nötig sind, wird bald ein einziges Programm reichen. Der heutige Zustand kann vertausendfacht werden. Viel aufwendigere
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Probleme werden gelöst und dann verkauft werden. Wir werden dramatische Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz sehen.“ (ebd., 18 f.) Im Januar 2019 präsentierte „den weltweit ersten kommerziellen Quantencomputer mit 20 Quantenbits. Die Anlage ist zwar nicht zu kaufen, wird aber über die Cloud für Nutzer zugänglich sein.“ (Lindinger 2019, S. 1) Im Oktober 2019 veröffentlichte Google Informationen über die erfolgreiche Entwicklung eines Quantenprozessors mit 53 Qbits: „Googles Quantenprozessor „Sycamore“ kann 53 sogenannte Qbits miteinander verschränken – und das ist in der Tat der aktuelle Rekord. Der durch Preskills Wortschöpfung nicht eben abgeschwächte Hype um Sycamore rührt daher, dass der Chip, der dazu auf Bruchteile eines Grades über dem absoluten Nullpunkt heruntergekühlt werden muss, nach Angaben der Forscher eine Aufgabe in wenigen Minuten gelöst habe, für welche noch der schnellste Supercomputer zehntausend Jahre benötige.“ (Hruza 2019, S. 2) Diese Fortschritte bei den Quantenprozessoren stehen für die beispiellose Dynamik der umwälzenden Veränderungsprozesse, für die es in der Vergangenheit weder eine vergleichbare noch ähnliche Dynamik gab.
4 3D-Virtualität Den Status und die Einschätzung über den weiteren Entwicklungspfad werden anhand von ausgewählten Aussagen der aktuellen TA-Studie ‚Virtual und Augmented Reality‘ (Kind et al. 2019) kursorisch beschrieben. „Der aktuelle Fortschritt im Feld von Virtual Reality und Augmented Reality lässt erwarten, dass die Technologien und ihre vielfältigen Anwendungen im beruflichen wie privaten Alltag zukünftig eine wachsende Rolle spielen werden.“ (Kind et a. 2019, S. 9) „VR und AR dürften wesentlich dazu beitragen, dass sich Aktivitäten im Lebens- und Arbeitsalltag noch stärker als bisher in die digitale Sphäre verlagern.“ (ebd., S. 20) „[…] Anwendungsoptionen von VR im Arbeitskontext ergeben sich mit Blick auf die Weiterentwicklung von Telefon- und Videokonferenzlösungen durch virtuelle Räume […]. In dieser Hinsicht lassen sich sowohl Prinzipien als auch Plattformen für soziale VR […] vom privaten Umfeld in professionelle Situationen wie Coworking oder conferencing überführen, um die ortsunabhängige Interaktion zwischen Einzelakteuren und Gruppen zu intensivieren […]. Je nach Qualität entsprechender Anwendungen können solche Lösungen dazu beitragen, die Notwendigkeit von Dienstreisen und damit verbundene zeitliche, ökologische und ökonomische Nachteile zu mindern […].“ (ebd., S. 45)
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„Weiterentwicklungen bei der Displaytechnologie, Grafik- und Rechnerleistung, 3DSimulationssoftware und Echtzeitfähigkeit virtueller Simulationen zielen darauf, dass sich virtuelle Welten visuell kaum noch von der realen Welt unterscheiden lassen.“ (ebd., S. 67) „Maschinelles Sehen (Computer Vision) und maschinelles Lernen (Machine Learning) als konkrete Anwendungen von künstlicher Intelligenz (KI) können die zukünftige Entwicklung von VR und AR vorantreiben.“ (ebd., S. 68) Eine Kombination aus Virtualität und synthetischen Duftaromen erzeugt einen virtuellen Cocktail. Der virtuelle Cocktail - Vocktail ist eine Erfindung „von Nimesha Ranasinghe […], ehemals Forscher an der National University of Singapore […]. Es handelt sich um ein Glas, das den Genuss von reinem durchsichtigem Wasser in eine bestimmte Mischung aus Empfindungen verwandeln kann, die an Wein, Orangensaft oder auch einen Mojito erinnern. Um ein solch wahrhaftes Kunststück zu vollbringen, stimuliert das virtuelle Cocktailglas drei Sinne: Eine Leuchtdiode verändert die Farbe der Flüssigkeit, Elektroden auf dem Glasrand sorgen für Geschmackswahrnehmungen, indem sie die Geschmacksknospen stimulieren, und eine Düse setzt Duftstoffe mit den Aromen des gewünschten Getränks frei […]. Damit soll dem Trinkenden vorgetäuscht werden, dass er etwas anderes als Wasser trinkt. […] der Farbeindruck wird durch eine reale Farbveränderung hervorgerufen und ein reales Lebensmittelaroma löst die Geruchsempfindung aus. Das einzige Virtuelle besteht darin, dass der Geschmackseindruck allein durch elektrische Stimulierung der Geschmacksknospen auf der Zunge ohne Mitwirkung wirklicher Geschmacksbestandteile hervorgerufen wird.“ (Godinot 2018) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass zwar gegenwärtig im Rahmen der dreidimensionalen Virtualität noch keine umfassende multisensualen Immersion erzeugt werden kann, aber bereits heute neben dem visuellen, der akustische, der haptische, der taktile und der gustatorische Sinn aktivierbar sind.
5 Industrie 4.0 Industrie 4.0 ist die Bezeichnung für ein ambitioniertes, visionäres Konzept: „Im Kern der Vision Industrie 4.0 steht mit dem „Internet der Dinge“ eine allgegenwärtige Vernetzung von Personen, Dingen und Maschinen. Diese Vernetzung soll eine Vielzahl neuer Dienste und Angebote hervorbringen. Auf einem virtuellen Marktplatz sollen Produkte, Transportmittel oder Werkzeuge untereinander aushandeln, welche Produktionselemente den nächsten Produktionsschritt am besten übernehmen könnten. So würde sich die virtuelle Welt mit den Objekten der realen Welt nahtlos verknüpfen.“ (strategy& 2014, S. 5)
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„Die Fabrik der Zukunft wird durchgehend digitalisiert und über die Cloud vernetzt: Maschinen, Anlagen und Systeme kommunizieren miteinander und tauschen Informationen aus. So machen intelligente und digital vernetzte Systeme letztendlich eine weitgehend selbstorganisierte Produktion möglich. Dies wirkt sich auf alle Unter-nehmensbereiche aus und bringt neue Betriebsabläufe, Organisationsstrukturen und Wertschöpfungsmöglichkeiten mit sich. Um auch künftig im Wettbewerb zu bestehen, müssen Unternehmen sich an die neue digitale Welt anpassen.“ (Deloitte 2019, S. 6) Mit Kenntnisstand November 2019 stellt sich der Grad der Umsetzung, der Realisierung des anspruchsvollen Konzeptes ‚Industrie 4.0‘ bspw. für den relevanten Wirtschaftsbereich Maschinen- und Anlagenbau wie folgt dar: „Industrie 4.0 ist im Jahr 2019 nach den Ergebnissen des Selbst-Checks im deutschen Maschinen- und Anlagenbau ein sich weiterverbreitendes Thema […]. Fast 45 Prozent der Unternehmen zeichnen sich durch fortgeschrittene oder sogar „erfahrene“ Industrie 4.0-Ansätze aus (Stufen 2+3). 1,6 Prozent der teilgenommenen Unternehmen erreichen den Expertenstatus (Stufe 4), keines jedoch den Excellenzstatus (Stufe 5). Mehr als die Hälfte der Unternehmen sind entweder noch Außenstehende (Stufe 0) oder Anfänger (Stufe 1) auf dem Weg zur Industrie 4.0-Readiness.“ (IW Consult 2019, S. 1) Die Auswirkungen von Industrie 4.0 bspw. auf die Unternehmensfunktion Beschaffung wird wie folgt eingeschätzt: „[…] Der Einkauf schrumpft – der operative Einkauf wird weitgehend autonomisiert. Operative Einkaufsprozesse können nahezu komplett digitalisiert werden bis hin zur Autonomisierung. Der strategische Einkauf steuert und überwacht diese Prozesse dann nur noch. […] […] Der Einkauf wird in Zukunft vollkommen anders aussehen – es gibt keinen traditionellen Einkäufer mehr. Der Einkäufer muss künftig viele Talente mitbringen. Er wird zum Schnittstellenmanager intern und extern. Er muss ein hohes technisches Verständnis aufweisen, da er sich auch mehr und mehr zum Produktentwickler wandelt. Die Entwicklung zum Datenanalysten ist bereits gesetzt.“ (Pellengahr 2016, S. 8) Die mit ‚Industrie 4.0‘ verknüpfte horizontale und vertikale Vernetzung von Wertschöpfungsketten, die zudem autonom digital automatisiert miteinander auf virtuellen Marktplätzen kommunizieren, wird sich in diesem Kontext auch auf die Funktion von Events auswirken. Denn autonom agierende Systeme aus vernetzten Maschinen und Anlagen, die miteinander interagieren, können notabene mit Events nicht beeinflusst werden.
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6 Additive Technologien „Bei der additiven Fertigung wird das gewünschte Bauteil auf der Grundlage eines digitalen 3-D-Modells durch gezieltes schichtweises Auftragen des Ausgangsmaterials sukzessive aufgebaut. Gegenüber konventionellen Verfahren […] weist die additive Fertigung eine Reihe von technologischen und ökonomischen Vorteilen auf […]“ (Caviezel et al. 2017, S. 9) Die wesentlichen Vorzüge der additiven Fertigungstechnologien sind: Einzelfertigungen und Kleinserien sind kostengünstiger produzierbar bzw. teilweise überhaupt erst realisierbar; Produkte lassen sich ohne erheblichen Aufwand nach den Kundenanforderungen herstellen (vgl. ebd., S. 10) und „[a]ufgrund des virtuellen Produktentwicklungsprozesses und der werkzeuglosen Fertigung können mit additiven Fertigungsverfahren deutlich kürzere Produkteinführungszeiten realisiert werden.“ (vgl. ebd.) Der additiven Fertigung wird regelmäßig ein disruptives Potenzial zugeschrieben, weil sie nicht an die bestehenden Wissensbestände konventioneller Fertigungsverfahren anknüpfe, sondern auf einem völlig neuartigen Ansatz der Güterproduktion beruhe und damit ein neues Produktionsparadigma begründe. Demnach sei bei einem flächendeckenden Einsatz additiver Fertigungsverfahren in der industriellen Serienproduktion mit erheblichen Strukturveränderungen in den heute bestehenden Geschäftsmodellen und Wertschöpfungsketten zu rechnen.“ (Caviezel et al. 2017, S. 10) Die Verbindung des Entwicklungspfades Additive Fertigungstechnologien zu dem Kommunikationsinstrument Events ist in der Fragestellung zu sehen, welche Funktionen Events aus der unternehmerischen Marketingperspektive erfüllen könnten, wenn die Kunden zukünftig ihre eigenen Vorstellungen von Produkten realisieren lassen und nicht wie gegenwärtig aus Alternativen bestehender Produkt- und Leistungsangebote wählen.
7 Syllogismus Abschließend möchte zusammenfassend aus den skizzierten Entwicklungspfaden drei Erkenntnisse anbieten: (1) Events aus der Unternehmensperspektive sollten nicht ausschließlich instrumentell, sondern interdisziplinär vernetzt gelesen, verstanden und behandelt werden. D. h. die unternehmerisch relevanten Ökosysteme und ihre Dynamik wären einzubeziehen. (2) Wir leben in einer global vernetzten Welt mit einer sehr hohen Veränderungsdynamik (Stichworte: 3D-Virtualität, KI, Quantencomputer), die mit völlig anderen, nicht vergleichbaren Herausforderungen an die Anpassungsfähigkeit an Unternehmen ver-
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bunden ist. Eine erfolgreiche Anpassung an Veränderungen wird am ehestens dann erfolgreich sein, wenn die Veränderungsdynamik aufmerksam begleitend wahrgenommen und handlungsleitend reflektiert wird. (3) Die Eingangs formulierte Frage: ‚Events: Quo vadis?‘ möchte ich transformieren in die nachstehende Erkenntnis von Konfuzius, die nicht nur nach wie vor gültig, sondern gegenwärtig besonders vorrangig erscheint: „Wer nicht an die Zukunft denkt, der wird bald große Sorgen haben.“ ( APHORISMEN.DE, O.J.)
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