Frühe Neuzeit im Videospiel: Geschichtswissenschaftliche Perspektiven [1. Aufl.] 9783839425480

»History« has become an important source of material for video games, yet despite its importance for the popular present

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German Pages 336 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Postmoderne Visionen des Vor-Modernen. Des 19. Jahrhunderts geisterhaftes Echo
Auftakt
Narration und Narrativ. Geschichte erzählen in Videospielen
METHODOLOGIE UND THEORIE
Screening the game – screening the play. Zur videografischen Analyse von Videospielen
Zur Geschichte der Cutscenes. Versuch einer Medienarchäologie kommerzieller Videospiele
The History beyond the Frame. Off–Screen Space in the Historical Strategy Game
Authentizität als Darstellung interaktiver Simulationsbilder populärer Videospiele mit historischem Setting
The Ahistorical in the Historical Video Game
Konfliktsimulationen – Counterfactual History oder Infotainment?
Modding als Indikator für die kreative und kritische Auseinandersetzung von Fans mit Historienspielen
Homo homini ludus?. Vom Spiel in der Philosophie der Neuzeit zur Philosophie im Videospiel ASSASSIN’S CREED
FALLBEISPIELE
SID MEIER’S PIRATES!
»Dont eat me I’m a mighty pirate«. Das Piratenbild in Videospielen
Der Stadt ihre Spieler. Wahrnehmung und Wirkung historischer Metropolen in der Assassin’s Creed Reihe
Spiel im Spiel. Über die Geschichte des Spielens in ASSASSIN’S CREED II
Bauen als Bedingung zum Sieg. Darstellung und Funktion frühneuzeitlicher Architektur und Stadtgefüge in Strategie- und Aufbauspielen
Epochengrenzen in Videospielen. AGE OF EMPIRES III und EUROPA UNIVERSALIS III
CIVILIZATION UND DER GEIST DES JAHRES 1991
SAMMELBIBLIOGRAPHIE
Quellen
Videospiele
Monographien
Sammelbände
Sammelbandaufsätze
Lexikonartikel
Zeitschriftenaufsätze
Internetquellen
Filme
Musikalia
Autorinnen und Autoren
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Frühe Neuzeit im Videospiel: Geschichtswissenschaftliche Perspektiven [1. Aufl.]
 9783839425480

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Florian Kerschbaumer, Tobias Winnerling (Hg.) Frühe Neuzeit im Videospiel

Histoire | Band 50

Florian Kerschbaumer, Tobias Winnerling (Hg.)

Frühe Neuzeit im Videospiel Geschichtswissenschaftliche Perspektiven

Veröffentlicht mit Unterstützung der Fakultät für Kulturwissenschaften der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und des Lehrstuhls für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Grundlage des Titelbilds: Philips Angel, »Der Teuffel hatt daß best im Spill«, 1640, Digitalisat der HAB Wolfenbüttel, A1 65. (http://digilib.hab.de/?grafik=graph-a1-65) Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2548-6 PDF-ISBN 978-3-8394-2548-0

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

E INLEITUNG Postmoderne Visionen des Vor-Modernen. Des 19. Jahrhunderts geisterhaftes Echo

Florian Kerschbaumer/Tobias Winnerling | 11

AUFTAKT Narration und Narrativ. Geschichte erzählen in Videospielen

Angela Schwarz | 27

METHODOLOGIE UND THEORIE Screening the game – screening the play. Zur videografischen Analyse von Videospielen

Simon Maria Hassemer | 55 Zur Geschichte der Cutscenes. Versuch einer Medienarchäologie kommerzieller Videospiele

Simon Huber | 71 The History beyond the Frame. Off-screen Space in the Historical Strategy Game

Adam Rowan Chapman | 87 Authentizität als Darstellung interaktiver Simulationsbilder populärer Videospiele mit historischem Setting

Tim Raupach | 99 The Ahistorical in the Historical Video Game

Martin Isaac Weis | 117 Konfliktsimulationen – Counterfactual History oder Infotainment?

Malte Stamm | 127

Modding als Indikator für die kreative und kritische Auseinandersetzung von Fans mit Historienspielen

Lutz Schröder | 141 Homo homini ludus? Vom Spiel in der Philosophie der Neuzeit zur Philosophie im Videospiel A SSASSIN’ S C REED

Sinem Derya Kılıç | 159

FALLSTUDIEN Sid Meier‘s P IRATES !

Gunnar Sandkühler | 181 »Dont eat me I’m a mighty pirate.« Das Piratenbild in Videospielen

Eugen Pfister | 195 Der Stadt ihre Spieler. Wahrnehmung und Wirkung historischer Metropolen in der A SSASSIN’ S C REED-Reihe

Gernot Hausar | 211 Spiel im Spiel. Über die Geschichte des Spielens in A SSASSIN ’ S CREED II

Andreas Fischer | 227 Bauen als Bedingung zum Sieg. Darstellung und Funktion frühneuzeitlicher Architektur und Stadtgefüge in Strategie- und Aufbauspielen

Marc Bonner | 239 Epochengrenzen in Videospielen. A GE OF E MPIRES III und EUROPA U NIVERSALIS III

Anton Zwischenberger | 257 C IVILIZATION und der Geist des Jahres 1991

Stefan Donecker | 269

S AMMELBIBLIOGRAPHIE Quellen | 291 Videospiele | 295 Monographien | 299 Sammelbände | 304 Sammelbandaufsätze | 308 Lexikonartikel | 317 Zeitschriftenaufsätze | 318 Internetquellen | 320 Filme | 328 Musikalia | 329 Autorinnen und Autoren | 331

Einleitung

Postmoderne Visionen des Vor-Modernen Des 19. Jahrhunderts geisterhaftes Echo F LORIAN K ERSCHBAUMER / T OBIAS W INNERLING Unaufhaltsam baut und zerstört die Geschichte, sie wird nicht müde, die göttlichen Güter aus den Trümmern alter Welten in eine neue hinüberzuretten. Wer an dies unendliche Werden, an die ewige Jugend unsres Geschlechtes glaubt, der muß auch die unabänderliche Nothwendigkeit des Krieges erkennen. HEINRICH VON TREITSCHKE/FREIHEIT UND KÖNIGTUM

1

H ISTORISIERENDE V IDEOSPIELE : Z EITEN -M ASCHINEN Was stellt sich das 21. Jahrhundert als Frühe Neuzeit vor?2 Um das herauszufinden, wollen wir, ganz hypothetisch, zwei verschiedene Möglichkeiten vorschlagen. Man könnte einerseits die Kataloge einschlägiger Verlage, zum Beispiel dieses hier, zur Hand nehmen und nachsehen, welche Titel renommierter Historiker3 unter der jeweiligen Kategorie gerade beworben werden. Man könnte andererseits aber auch die Hitlisten der Videospielcharts der letzten zwanzig Jahre durchforsten und sehen, welche Titel dort die nämliche Epoche verarbeiten, und daneben die Geschichts-

1

Treitschke, Heinrich von: Historische und Politische Aufsätze. Dritter Band. Freiheit und Königtum, 4., vermehrte Aufl., Leipzig: Hirzel 1871, S. 534, auf: Google Books, URL: http://tinyurl.com/pxk6erg (Stand: 18.01. 2014).

2

Zum Beispiel in der Darstellung dieses Zeitraums in Videospielen.

3

In diesem Beitrag – wie in allen Beiträgen dieses Bandes – ist die weibliche Form stets mitgemeint, wenn die männliche Form allein steht. Ausnahmen sind gekennzeichnet.

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werke des 19. Jahrhunderts erneut zur Hand nehmen und wieder einmal Ranke, Burckhardt und Treitschke lesen. Wir nehmen an, dass eine der genannten Möglichkeiten Sie sicherlich etwas, na, sagen wir mal, irritieren wird. Uns auch. Und um es gleich klar zu sagen: Wir meinen die erste. Der aktuelle historische Forschungsstand hat mit Videospielen nichts zu tun. Das gilt besonders, wenn es darum geht, herauszufinden, wie sich die Frühe Neuzeit in Videospielen darstellt, und warum das aus Historiker-Perspektive überhaupt ein relevantes Unterfangen sein soll. Dabei hängt die Wahl natürlich eng mit dem Gegenstand dieses Bandes zusammen: Um Geschichtsdarstellungen in Videospielen zu untersuchen, um der Frühen Neuzeit im Videospiel auf die Spur zu kommen, müssen selbstverständlich Spiele den primären Fokus des Interesses bilden. Aber nicht nur aus rein forschungspragmatischen Gründen empfiehlt sich ein solches Vorgehen, sondern auch, wenn man etwas über gesellschaftlich wirkmächtige Deutungs- und Repräsentationsmuster von Historizität aussagen will. Videospiele finden viele Spieler, weit mehr, als geschichtswissenschaftliche Bücher Leser oder sogar Historienfilme Zuschauer. Wie das Magazin ›Der Spiegel‹ kürzlich in einer »Spielen macht klug. Warum Computerspiele besser sind als ihr Ruf« betitelten Ausgabe schrieb, »gelten [Videospiele] nicht mehr als zweifelhafter Zeitvertreib sozial inkompetenter Teenager, sie werden für die Allgemeinheit interessant.«4 Selbst die gehobene Massenpresse hat sich also mittlerweile entschlossen, das Phänomen wohlwollend zu würdigen. Die schiere Popularität des Mediums Videospiel bürgt damit dafür, dass die darin aufzufindenden Geschichtsbilder zumindest den stillschweigenden Konsens der Gesellschaft über das Historische nicht verletzen. ASSASSIN’S CREED5, auf das wir und die Autoren der Beiträge im Folgenden noch häufiger Bezug nehmen werden, steht mit wohl bereits deutlich über 50 Millionen verkauften Exemplaren der Gesamtreihe beispielhaft dafür, in welchen Dimensionen wir uns hier bewegen.6 Und, wie wir hier behaupten und später noch erläutern wollen: Diese Titel nehmen ihre Muster und Modelle für die Repräsentation(en) von (frühneuzeitlicher) Geschichte, die sie inszenieren, nicht aus den Verlagsprogrammen der 2010er, sondern weit eher aus denen der 1880er. Zwischen Sandbox und God-Perspective, zwischen ASSASSIN’S CREED und EMPIRE: TOTAL WAR7 bewegt sich die Spannbreite der Aufsätze dieses Bands: Um bei Treitschke zu bleiben, zwischen ›Freiheit und Königtum‹. Die darin beschriebenen Phänomene

4

Buse, Uwe/Schröter, Friederike/Stock, Jonathan: »Du sollst spielen!«, in: Der Spiegel

5

ASSASSIN’S CREED (2007) (Ubisoft).

3/2014, S. 60-67; hier S. 61. 6

Vgl. den Beitrag von Angela Schwarz.

7

EMPIRE: TOTAL WAR (2009) (Creative Assembly/Sega).

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erfordern daher in ihrer Gesamtheit die reflektierende Beschäftigung mit dem Historismus, um ihre Mechanismen zu verstehen. Dass diese Deutung nicht auf sofortige Gegenliebe stoßen dürfte, nehmen wir billigend in Kauf. Wenn Sie aber nun noch nicht abgeschreckt sind, dann sind Sie der oder die Richtige für dieses Buch. Und damit Sie herausfinden können, ob dieses Buch auch das Richtige für Sie ist, wollen wir etwas näher ausführen, was unsere bisherigen apodiktisch-kryptischen Ausführungen eigentlich bedeuten sollen. Was etwa soll das heißen, historisierende Videospiele seien, wie eingangs getitelt, Zeiten-Maschinen? »Wenn ich mich, zum Beispiel, an ein Ereignis sehr lebhaft erinnere, so kehre ich zum Zeitpunkt des Geschehens zurück: Ich werde, wie man sagt, ›geistesabwesend‹. Für einen Augenblick springe ich in die Vergangenheit zurück. Natürlich haben wir keine Möglichkeit, dort auch nur für die kürzeste Zeitspanne zu verweilen, ebenso wenig wie ein Wilder oder ein Tier sechs Fuß über der Erdoberfläche verweilen kann. Aber ein zivilisierter Mensch ist in dieser Hinsicht besser dran als der Wilde. Er kann, gegen die Schwerkraft, mit einem Ballon in die Höhe steigen; und warum sollte er nicht Grund zu der Hoffnung haben, eines Tages auch sein Gleiten entlang der Zeitdimension aufhalten oder beschleunigen zu können? Oder sogar umzukehren und in entgegengesetzter Richtung zu reisen?«8

Zeit-Maschinen in diesem herkömmlichen Verständnis sind Videospiele jedenfalls nicht, und damit lässt sich vielleicht schon das erste Missverständnis beseitigen, das oft und gern mit ihnen verbunden wird. Weder produzieren noch messen sie Zeit noch zeigen sie sie an, wie Uhren oder Chronometer – und erst recht erlauben sie es nicht, uns jetzt und hier so leibhaftig als möglich in eine bestimmte Vergangenheit zu versetzen, wie die bekannten Science-Fiction-Apparaturen. Selbst wenn, wie in den millionenfach verkauften Blockbuster-Titeln der Reihe ASSASSIN’S CREED,9 die – dort ›Animus‹ getaufte – Maschinerie oberflächlich gesehen etwas Ähnliches zu sein scheint, so ist dem bei genauerem Hinsehen eben nur scheinbar so.10

8

Wells, Herbert G.: »Die Zeitmaschine« in: Ders./Annie Reney (Übers.)/Alexandra Auer (Übers.): Die Zeitmaschine und Von kommenden Tagen (H. G. Wells-Edition 6), Wien/Hamburg: Zsolnay 1980, S. 5-144; hier S. 12.

9

ASSASSIN’S CREED; ASSASSIN’S CREED II (2009) (Ubisoft); ASSASSIN’S CREED III (2012) (Ubisoft); ASSASSIN’S CREED IV: BLACK FLAG (2013) (Ubisoft). ASSASSIN’S CREED im Folgenden: AC.

10 Vgl. die Beiträge von Gernot Hausar, Simon Huber, Angela Schwarz und Martin Weis.

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Videospiele, die historische Inhalte verarbeiten – und die wir in bewusster Abgrenzung zu anderen, auch in diesem Band verwendeten Terminologien11 als historisierende Videospiele bezeichnen wollen –, sind aber tatsächlich Mechanismen zur dynamischen Produktion mehr oder weniger kohärenter Repräsentationsprozesse von Vergangenheitsbildern. Damit sind sie Zeiten-Maschinen: Sie produzieren fremdartige Zeiten. Sie historisieren. Ob diese Zeiten mit den akademisch produzierten Zeiten-Bildern korrespondieren (und auch Geschichtswissenschaft ist in diesem Sinn eine Zeiten-Maschine, nur eine ganz anders konstruierte und funktionierende), ist eine Frage, die hiermit noch längst nicht beantwortet ist, in deren Formulierung aber der Schlüssel zur Antwort bereits erkennbar ist: Wohl eher nicht. Was wiederum noch nichts darüber aussagt, inwiefern und warum nicht; ob und wie diese (postulierte) Andersartigkeit bewertbar ist, und welche kritischen Funktionen wir als Historiker hier ausüben sollten – und können. Um aber noch einen Grund für die Vermehrung der bereits kursierenden Begriffe um einen weiteren terminus technicus vorzubringen: Historisierende Spiele sind alle, die in irgend einer Form historische Inhalte aufgreifen, verarbeiten und darstellen – selbst die, in denen lediglich ein Pinball-Simulator mit einem Jugendstilmäntelchen verkleidet wird. Auch hier wird versucht, mit der Anmutung eines irgendwie geschichtlichen Flairs das Spiel in andere Zeiten zu rücken. Es wird historisiert, und historisiert zugleich selbst. Die Doppeldeutigkeit ist es, die uns als Historiker hier vor so schwere Herausforderungen stellt, versuchen wir doch zumeist, nur das Letztere zu tun und das Erstere für uns selbst tunlichst zu vermeiden. Diese Ambivalenz einfangen zu können und damit zugleich von uns in der Arbeit daran auch wieder einzufordern, scheint uns der Vorteil unseres Vorschlags. Aber: Lesen Sie selbst, und entscheiden Sie, was Sie überzeugt.

D ER

LANGE

S CHATTEN

DES

19. J AHRHUNDERTS

»Vor allem werden die Zeitalter durch die großen Institutionen verbunden, welche, einmal fest begründet, dem Bedürfnis der menschlichen Natur mehr oder minder gemäß, immer bekämpft und verjüngt, ein eigentümliches Leben haben; überdies auch durch

11 Historienspiele, vgl.: Schwarz, Angela: »›Wollen Sie wirklich nicht weiter versuchen, diese Welt zu dominieren‹. Geschichte im Computerspiel«, in: Barbara Korte/Sylvia Paletschek, Sylvia: History goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres (Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen 1), Bielefeld: transcript 2009, S. 313-340; S. 332; historische Computerspiele, vgl.: Heinze, Carl: Mittelalter Computer Spiele. Zur Darstellung und Modellierung von Geschichte im populären Computerspiel, Bielefeld: transcript 2012, S. 91.

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einen genealogischen Zug, der durch die mittlere und neuere Geschichte geht. Denn die Geschlechter haben, indem sich ein Glied an das andere anschließt, eine gewisse Kontinuität: Ihre Eigenschaften erneuern sich in den verschiedenen Generationen, wenngleich niemals vollständig, selbst ihre Gesichtspunkte leben fort.« LEOPOLD VON RANKE/PREUßISCHE GESCHICHTE12

Nicht nur das bereits angesprochene und immer wieder mit historisierenden Videospielen in Verbindung gebrachte Konzept der Zeitmaschine entstammt dem vorletzten Jahrhundert (Wells‘ klassischer Roman wurde 1895 erstmals veröffentlicht). Auch die gerade zitierten Worte Leopold von Rankes machen deutlich, wie groß die Schnittmengen zwischen den im 19. Jahrhundert formulierten Auffassungen von Wesen und Werden der Geschichte zur Struktur von Videospielen als Medium insgesamt und ihren historisierenden Vertretern im Einzelnen sind. Nicht nur den Kennern von in der frühen Neuzeit angesetzten historisierenden Aufbau- und Strategiespielen wie ANNO 1701,13 AGE OF EMPIRES III,14 EMPIRE: TOTAL WAR oder epochenüberspannender wie CIVILIZATION V15 wird das Zeitalter übergreifende »eigentümliche Leben« der großen Institutionen und die »gewisse Kontinuität« der aufeinander folgenden Geschlechter (oder: Titel einer Serie) sofort merkwürdig vertraut erscheinen. In diesen Titel tritt der Spieler mit absoluter autokratischer Machtfülle versehen dazu an, sein Reich durch die Weltgeschichte zu führen. Hier »tritt ein neues Lebendiges in die Geschichte: der Staat als berechnete, bewußte Schöpfung, als Kunstwerk«16, vor den Augen des Spielers erschaffen durch das Spiel im Spielen desselben.17 Ebenso deutlich wird in all diesen Titeln die »unabänderliche Nothwendigkeit des Krieges«, wie Treitschke sie eingangs behaupten durfte und ohne den der Sieg (fast) unmöglich ist. Diese Art von Spieletiteln ist schnell der Remedialisierung des Historismus überführt. Aber auch wenn man abseits der makrohistorisch ausgerichteten Titel sucht und etwa Testberichte zum im 18. Jahrhundert angesiedelten AC IV18 liest, wird schnell deutlich, wo entsprechende Ähnlich-

12 Ranke, Leopold von: Preußische Geschichte. Ungekürzte Textausgabe. Mit 91 Abbildungen nach zeitgenössischen Gemälden, Stichen und Plänen, Hamburg/Leipzig: Hoffmann und Campe [1934], S. 61. 13 ANNO 1701 (2006) (Related Designs/Sunflowers/Koch Media). 14 AGE OF EMPIRES III (2005) (Ensemble Studios/Microsoft). 15 SID MEIER’S CIVILIZATION V (2010) (Firaxis/2K Games). 16 Burckhardt, Jacob/Günther, Horst (Hg.): Die Kultur der Renaissance in Italien (Koselleck, Reinhardt (Hg.): Bibliothek der Geschichte und Politik 8; Bibliothek deutscher Klassiker 38), Frankfurt a.M.: Deutscher Klassiker Verlag 1989, S. 12f. 17 Vgl. auch den Beitrag von Stefan Donecker. 18 ASSASSIN’S CREED IV: BLACK FLAG.

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keiten liegen.19 Die »niemals vollständig[e]« Erneuerung der Eigenschaften wird hier ebenso deutlich wie die damit notwendig verbundenen Unterschiede zum Vorgänger, die nicht nur positiv sein müssen – und welche emotionalen Erwartungen an die Historie geknüpft werden: »Aber auch wenn die Welt und die Charaktere von Assassin's Creed IV ein deutlicher Sprung im Vergleich zum Vorgänger sind, dürft ihr wohl keine allzu emotionale Bindung zu Charakteren wie Blackbeard, Charles Vane oder Ben Hornigold erwarten.«20

Das gilt nicht nur für das ganze Spiel, sondern auch für seine Untereinheiten: »Freedom Cry plays like a sampler platter of the many mission types in Black Flag.«21 Aber nicht nur auf dieser relativ allgemeinen Meta-Ebene der Spielarchitekturen folgt die Darstellung diesen Prinzipien des 19. Jahrhunderts, sondern vor allem auch in der inhaltlichen Füllung – mag man sie nun narrativ nennen oder nicht –, mit der historisierende Videospiele ihr geschichtliches Dekor ausfüttern. Wie bereits an anderer Stelle an Strategiespielen gezeigt, reproduzieren die Algorithmen der verborgenen Programmstruktur in der dynamisch sichtbaren Oberfläche durch die Interaktion mit den Spielenden Prozessmodelle und Geschichtsteleologien, die dem 19. Jahrhundert entstammen,22 seien es nun der unaufhaltsame Fortschritt von Technik und Wissenschaft, die Naturnotwendigkeit der europäischen Expansion und der Kolonisierung der nicht-europäischen Welt, die großen Menschen, die Geschichte machen (zuallermeist Männer), oder das Primat von Staaten, Herrschern und Kriegen in der Darstellung. »[E]ine Geschichte, die auch aus der Feder eines

19 Vgl. etwa: Zeis, Michael: »Assassin’s Creed IV: Black Flag – Review«, auf: www. gameswelt.de,

URL:

http://www.gameswelt.de/assassins-creed-iv-black-flag/review/

seite-1,208837,1 (Stand: 16.01.2014), S. 1. 20 Hähnel, Robert: Review zu Assassin’s Creed IV: Black Flag«, auf: IGN Deutschland: http://de.ign.com, URL: http://de.ign.com/review/21022/review-zu-assassin-s-creed-ivblack-flag (Stand: 16.01.2014). 21 Concepcion, Miguel: »From liberation to liberator. Assassin’s Creed IV: Black Flag – Freedom Cry Review«, auf: www.gamespot.com, URL: http://www.gamespot.com/ reviews/assassin-s-creed-iv-black-flag-freedom-cry-review/1900-6415608/ (Stand: 16.01. 2014). 22 Vgl. Winnerling, Tobias: »Sicherer Berg, gefährlicher Feind. Natürlicher und militärischer Raum im Computerspiel zur Frühen Neuzeit«, in: Christoph Kampmann/Ulrich Niggemann (Hg.): Sicherheit in der Frühen Neuzeit. Norm – Praxis – Repräsentation (Frühneuzeit-Impulse 2), Weimar/Köln/Wien: Böhlau 2013, S. 712–727.

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Heinrich von Treitschke stammen könnte. CIVILIZATION atmet eher den Geist von 1871 als den Geist von 1991.«23 Im Parcours der Beiträge dieses Bandes scheinen noch andere Motive auf, die uns aus den Diskursen des Historismus entlehnt scheinen – wie, beispielsweise, das gesamte Setting von AC II:24 Der Renaissance-Rahmen dieses Titels ließe sich, schon fast allzu leicht, als ein Vexierspiel aus Burckhardt-Versatzstücken deuten, oder aber mit Friedrich Nietzsche, Fjodor Dostojewski und Joseph von Hammer aufschlüsseln.25 Die Piratenbegeisterung vieler Spiele (und SpielerInnen) zeigt sich als Remedialisierung der Stimmen von Joseph Conrad, James Fenimore Cooper, Emilio Salgari und Rafael Sabatini (und auch Robert Louis Stevenson ließe sich anfügen).26 Carl von Clausewitz,27 Samuel Taylor Coleridge und Friedrich Theodor Vischer28 treten auf und liefern immer noch gültige Interpretamente für die Funktionen von Videospielen. Die Frage, warum sich das nun so verhält, ist berechtigt – schließlich ist wohl kaum anzunehmen, die Programmierer, Designer und Entwickler der in Frage stehenden Titel hätten alle die Preußische Geschichte gelesen (und dann auch noch bewusst entschieden, ihre Spiele darauf zu bauen). Hier sehen wir eine ertragreiche Perspektive für weitere Forschungen abgezeichnet, denn wir haben, ehrlich gesagt, keine Antwort. Das im Wortsinn: Auch wenn es uns noch nicht gelungen ist, eine befriedigende solche zu finden, wissen wir doch, welche mögliche Antwort eben keine ist. Natürlich wäre es zu einfach, hier eine kulturpessimistische These eines trägen Massenbewusstseins zu konstruieren, in dessen Tiefen die Thesen des 19. Jahrhunderts bereits herabgesunken seien, um nun von den Spieleprogrammierern und -firmen von dort publikumswirksam wieder evoziert werden zu können – während die gängigen historiographischen Theorien darauf eben noch ihre anderthalb Jahrhundert zu warten hätten. Eine solche achselzuckende Herabstufung der Populärdiskurse verhindert nicht nur eine wirksame Auseinandersetzung mit deren Phänomenen, als dann sowieso nichts daran zu ändern und erst recht nichts zu retten wäre. Sie erweist sich in der Arroganz des Wissens auch als eine Form von Gesinnungstyrannei, die vorzuschreiben wünscht, alles habe gefälligst so zu sein und zu denken, wie es ihr gut scheint, und sich darin nach ihr zu richten. Was auf einen Zirkelschluss herausläuft: Was ich für richtig halte, ist richtig, weil ich es für richtig halte. Punkt.

23 Im Beitrag von Stefan Donecker, S. 280. 24 Vgl. den Beitrag von Andreas Fischer. 25 Vgl. den Beitrag von Sinem Kılıç. 26 Vgl. die Beiträge von Gunnar Sandkühler und Eugen Pfister. 27 Vgl. die Beiträge von Adam Chapman und Lutz Schröder. 28 Vgl. den Beitrag von Marc Bonner.

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Wenn Historiker gegenüber historisierenden Videospielen eine Aufgabe haben, ist es jedenfalls nicht diese. Aus einer solchen selbstverschuldeten Unwirksamkeit gilt es gerade herauszutreten und als Voraussetzung eines kritischen und konstruktiven Dialogs zwischen Geschichtswissenschaft und Geschichtsspielen die Andersartigkeit und das eigene Existenzrecht des jeweils Anderen vorurteilsfrei anzuerkennen. Wie das gelingen kann, wissen wir auch noch nicht: Aber wir wollen es herausfinden und Sie einladen, uns dabei zu begleiten. Die Beiträge dieses Bandes sollen mögliche Perspektiven für die dabei in Frage kommenden Pfade schlaglichtartig ausleuchten. Zwei große Leitfragen scheinen uns dabei hilfreich zu sein.

E RSTE F RAGE : W IE

WIRD HISTORISIERT ?

Auftakt / Methodologie und Theorie Angela Schwarz (Siegen) eröffnet diesen Band mit einer Analyse der Erzählungen und Erzählweisen für Historisches in Videospielen. Exemplarisch wird dabei am Beispiel von AGE OF EMPIRES III und AC III überprüft, wie die Ereignisse, die Mechaniken der Spieletitel und die Interaktionsmöglichkeiten der Spielenden dynamisch Narrative produzieren. Sie spürt damit der Frage nach, welche äußere Form die Diskurse der Geschichtsverarbeitung in Videospielen angenommen haben: Wo liegen die Gesetzmäßigkeiten und Grenzen von Sag- und Unsagbarkeiten, wenn Spiele Geschichte verhandeln wollen? Wie lassen sie sich in der Analyse auffinden und nachverfolgen? Dieser Beitrag steckt allerdings nicht nur methodologische Rahmen ab, sondern steht in seiner konkreten Fokussierung auf klar definierte Beispielfälle auch der zweiten Sektion voran; aber zur zweiten Leitfrage später. Simon Hassemer (Freiburg) beginnt den methodisch-theoretisch ausgerichteten Teil dieses Bandes mit einem Plädoyer für die Nutzung videographischer Methoden, also der gezielten Aufzeichnung und Auswertung realweltlich stattfindender Spielverläufe, sei es durch den Forscher selbst, sei es durch Spieler, die ihre Erlebnisse mit der Weltöffentlichkeit teilen wollen. Im Vergleich verschiedener Aufzeichnungsmodi und ihrer spezifischen Möglichkeiten und Restriktionen eröffnet er damit weiterführende Perspektiven, die wir für sehr fruchtbar halten. Mit einer noch genaueren Ausarbeitung dieser Ansätze ließe sich das Forschungsfeld mit einer soliden Grundlagenmethodologie unterbauen. Simon Huber (Wien) schließt in seinem Beitrag methodisch an, in dem er statt auf die vom Spieler generierten Videoformate auf die vom Spiel selbst erzeugten abhebt und die Einspiel- und Zwischensequenzen analysiert, die in manchen Videospielen mittlerweile so viel Raum einnehmen, dass bereits vom neuen Genre des interaktiven Films gesprochen wird. Sein Vorschlag einer Medienarchäologie verweist uns wieder einmal auf die Notwendigkeit, die Grenzen des eigenen Feldes zu

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überschreiten, wenn es um die Analyse von Videospielen geht, und interdisziplinär vorzugehen. Nach diesem Fokus auf das Sichtbare stellt Adam Chapman (Hull) den dritten wesentlichen Bestandteil der Darstellung von Videospielen in den Mittelpunkt: Das, was nicht gezeigt wird. Der Off-screen Space, die Vorgänge, von denen uns das Spiel glauben macht, sie spielten sich neben dem sichtbaren Bildschirm ab, wird von ihm als ein wesentliches Element bei der Konstitution des Wahrnehmungs- und damit des Handlungsraums von Videospielen gezeigt. In jede Analyse von Videospielen muss also nicht nur das Sichtbare, sondern auch das Unsichtbare einfließen: nicht nur das faktisch realisierte, sondern auch der weit umfassendere Möglichkeitsraum, den jedes Spiel in seiner Interaktivität bietet. Tim Raupach (Marburg) bindet in seinem Beitrag diese verschiedenen, auseinanderstrebenden Perspektiven wieder zusammen und fragt nach den Regeln und Strategien der Authentifizierung, die es Spielen unter Rückgriff auf all diese Elemente erlaubt, sich glaubwürdig als historisch zu präsentieren. Wie er überzeugend nachweist, ist es nicht ein Element, das dabei in den Vordergrund zu stellen wäre, sondern vielmehr ein komplexes Netz verschiedener Prozesse, das die Aura der Authentizität erschafft, in der vermeintlich Geschichtliches aus dem digitalen Nichts entsteht. In einer fallanalytisch an BIOSHOCK: INFINITE29 und ASSASSIN’S CREED abgestützten Betrachtung ergänzt Martin Weis (Davis, Kalifornien) diese Argumente um das komplementäre – und konträre – der Ahistorizität, die Videospiele mit ihren Spielern verhandeln müssen. Schließlich handelt es sich, wie historisch sich ein Spiel auch immer geben mag, stets um ein hochtechnologisiertes Produkt einer Gerätewelt, die ein spezifisches Merkmal unserer Gegenwart ist. Gelingt es Spieletiteln, diese Spannung zu integrieren, kann das ein wesentlicher Faktor ihres Erfolgs sein, wie Weis zeigt – und INFINITE wirft uns ganz buchstäblich ins 19. Jahrhundert zurück. An einer populären Klasse von Spieletiteln, den makroperspektivisch ausgerichteten Kriegssimulationen, behandelt Malte Stamm (Düsseldorf) über einen historischen Abriss von Planspielen die Schwierigkeiten des Balancierens zwischen Historizität und Ahistorizität unter der Perspektive der wissenschaftlichen Betrachtung als mögliche counterfactual history-Szenarien einerseits und derjenigen der Spieler als Erlebnis- und Nachvollzugsmedien von Geschichte anderseits. Die Remedialisierungen durch die Übertragung der Brett- in Videospiele entstehen, zeigt er ebenso auf wie die immer noch bestehenden intermedialen Verknüpfungen zwischen beiden. Lutz Schröder (Hamburg) zeigt in seinem Beitrag, dass diese Aushandlungsprozesse noch weit über das bloße Spielen von Videospielen hinausreichen. Im Modding, also dem bewussten Verändern von Spielen, um sie den eigenen Bedürfnissen

29 BIOSHOCK INFINITE (2013) (Irrational Games/2K Games/Human Head Studios).

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anzupassen, ist gerade im Fall von historisierenden Videospielen ablesbar, welche Anforderungen Spieler eigentlich an Spieletitel haben; welche Vorstellungen sie bedient sehen wollen, und welche Themen ihnen am Herzen liegen. Hier ergibt sich also eine der seltenen und gesuchten Möglichkeiten, in die Rezipientenseite der Geschichtskultur hineinzuspähen. Wie sich der Rahmen dieser Interaktion zwischen Spielen und Spielern theoretisch aufspannen lässt, untersucht Sinem Kılıç (Mainz) abschließend mit einem Rückgriff auf Konzepte, die Frühneuzeithistorikern nicht unbekannt sind: Schillers und Kants Theorien des Spielens und seines Werts. In der Konkretisierung am Beispiel ASSASSIN’S CREEDs zeigt sich allerdings nicht nur, dass Videospiele als Phänomen in breiteren geistesgeschichtlichen Kontexten situiert werden können – und sollten – als lediglich unserer unmittelbaren Gegenwart, sondern auch, dass der Rückgriff auf einen der scharfzüngigsten Kritiker des Historismus‘, Friedrich Nietzsche, eine gute Basis für die Analyse historisierender Videospiele bietet.

T HIS

IS NOT THE SAME

B OOK

Wie sie am Ende des ersten Teiles vielleicht festgestellt haben –, oder sogar bereits wussten – steht dieses Werk nicht allein. Dieses Buch hat ein wenige Monate älteres britisches Geschwister.30 Wie Sie aber sicher auch bereits erkannt haben, handelt es sich dabei nicht um Zwillinge. »Early Modernity and Video Games« ist keine englische Übersetzung der hier gesammelten Beiträge (und diese auch nicht die deutsche Übertragung), sondern ein eigenständiges Werk mit unterschiedlichen Beiträgen, Autoren, und anderen Perspektiven auf den gleichen Gegenstand. Unser dort formulierter methodologischer Vorschlag zu einer genaueren Fassung des historisierenden Videospiels als Gegenstand – »the Historian’s GameCAM«31 – bildet eine Grundlage für unsere hier ausgeführten Überlegungen zum epistemologischen Status des Videospiels und wird zugleich durch sie weiter präzisiert. Ebenso werden die Ansätze der in beiden Publikationen vertretenen Autoren32 durch die Kombination jeweils um weitere Facetten ergänzt und in breiteren Kontexten situiert. Und doch stehen beide Ansätze jeweils ganz eigenständig für sich. Sie brauchen also

30 Kerschbaumer, Florian/Winnerling, Tobias (Hg.): Early Modernity and Video Games. Newcastle-upon-Tyne: Cambridge Scholars Publishing 2014. 31 Kerschbaumer, Florian/Winnerling, Tobias: »The Devil is in the Details. Why Video Game Analysis is such a Hard Task for Historians, and how we nevertheless try«, in: Dies. (Hg.): Early Modernity and Video Games, S. ix-xx, hier S. xv-xvii. 32 Marc Bonner, Adam Chapman, Stefan Donecker, Andreas Fischer, Gernot Hausar, Simon Hassemer, Simon Huber, Lutz Schröder, Tim Raupach, Angela Schwarz und Martin Weis.

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weder zu fürchten, Sie müssten nun zwingend beide Bände lesen, um ein brauchbares Ganzes zu erhalten – auch wenn wir uns darüber freuen würden –, noch müssen Sie sich ärgern, wenn Sie gehofft haben, die deutsche Version würde Ihnen die englischen Beiträge in leichter zugänglicher Form präsentieren. Eine wesentliche Familienähnlichkeit gibt es jedoch: In beiden Bänden haben wir uns dafür entschieden, Ihnen die Literaturangaben aller Beiträge in einer sortierten Sammelbibliographie am Ende des Buchs zur Verfügung zu stellen, in der Hoffnung, damit die endemische Zersplitterung des Feldes ein wenig abmildern zu können und allen, die einen raschen Überblick suchen, ein paar Orientierungspunkte zu bieten. Und auch hier können wir feststellen, dass beide Bibliographien eine eigene Gestalt und Schwerpunktsetzung mitbringen: Es gibt noch viel zu entdecken. So verfügt jeder Band über seinen eigenen Charme, und vielleicht ist es ja auch charmant, sich zwischen zwei reizenden Geschwistern nicht entscheiden zu müssen. Aber wir schulden Ihnen noch die andere Leitfrage.

Z WEITE F RAGE : W AS

WIRD HISTORISIERT ?

Fallbeispiele Die eher generell orientierten Beiträge des ersten Teils werden hier von konkret fallbezogenen Untersuchungen flankiert. Damit bildet diese Sektion ein solides Gegengewicht zur ersten und sichert die Bodenhaftung des gesamten Bandes. Gunnar Sandkühler (Köln) und Eugen Pfister (Wien) nehmen in ihren Beiträgen Kurs auf die Karibik. Während Sandkühler sich detailgenau mit der Darstellung und Modellierung der Piraterie in SID MEIER’S PIRATES!33 auseinandersetzt, behandelt Pfister diese Spielszenerie in einem breiteren Ausblick und situiert so die Einzelanalyse in einem umfassenden Kontext. Das Freibeutertum, das Videospiele inszenieren und simulieren, können beide klar in Abgrenzung von der im Forschungsstand der Geschichtswissenschaft liegenden Deutung als populärkulturelles Phänomen deuten, das jedoch bei weitem nicht statisch ist. In den Wandlungen von PIRATES! während der letzten 25 Jahre wird vor dem Hintergrund der übrigen Piratenspiele ein ungemein dynamisches Geschehen deutlich, in dem eine letztlich dem 19. Jahrhundert entstammende Grundmelodie den sich verändernden Ansprüchen der Spielerschaft angepasst wird. Hier wird die Historisierung selbst historisiert. Gernot Hausar (Wien) und Andreas Fischer (München) nehmen ASSASSIN’S CREED in den Fokus. Während Hausar die Möglichkeiten der Auseinandersetzung

33 SID MEIER’S PIRATES! (1987) (Microprose); SID MEIER‘S PIRATES! (2004) (Firaxis et al./Atari et al.).

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mit Geschichte thematisiert, die in der Simulation gebauter Wirklichkeiten liegen, stellt Fischer diejenigen heraus, die aus reflexiv angelegten Spielsituationen resultieren. Beide Situationen zeichnen sich durch das Potential zu einer intensiveren, da tendenziell unerwarteten Auseinandersetzung mit den im Spiel abgebildeten Inhalten aus. In beiden Fällen stellen die Autoren fest, dass die Titel nicht nur zu einer komplexeren Interaktion mit Historischem anregen, als bei oberflächlicher Betrachtung zu vermuten wäre. Sondern es liegen gerade in solchen Situationen, in denen das Spiel seinen Spielern die Möglichkeit gibt, es durch die Freiheit der Interaktion scheinbar selbst zu transzendieren, besondere Anknüpfungspunkte – sowohl für die geschichtswissenschaftliche Analyse als auch für populärkulturelle Prozesse. Marc Bonner (Köln) und Anton Zwischenberger (Klagenfurt) konzentrieren sich auf Strategiespiele. Während Bonner nach Funktion und Beschaffenheit der digital im Spiel repräsentierten Architektur fragt, befasst sich Zwischenberger mit Beschaffenheit und Funktionen der in die untersuchten Titel eingeschriebenen Epochengrenzen und Periodisierungskonzepte. In beiden Fällen handelt es sich um Repräsentationen von Phänomenen, die sich gegen die Digitalisierung sperren; während Architektur ihre Materialität verliert und zur reinen gestalterischen Projektionsfläche wird, wird der Fluss der zeitlichen Dynamik in starr vor-geschriebene Sequenzen gezwängt und so zu einem bloßen Zeichenträger für Veränderung. Dennoch werden beide Phänomene durch die Rückbindung an die von ihnen transportierte Historizitätsaura nicht vollständig beliebig. Durch die Funktionalisierung im Gesamtkomplex des jeweiligen Spiels erscheinen sie den Spielern als organisch gewachsen und notwendig vorhandene Elemente desselben. In einem würdigen Abschluss schlägt Stefan Donecker (Wien) zuletzt im Kleinen, anhand von SID MEIER’S CIVILIZATION, noch einmal die Brücke zwischen Gegenwart, Früher Neuzeit und 19. Jahrhundert, die auch der Makrokosmos des ganzen Bandes abzubilden versucht. In seiner Untersuchung der Nationendarstellungen des Spiels stellt er nicht nur fest, dass die dort präsentierten Konzepte und Prozessmodelle weder der Gegenwart noch der Frühen Neuzeit zugehören, sondern schlägt vor, sich in der Betrachtung und Behandlung historisierender Videospiele dem Gegenstand so zu widmen, wie diese es in ihren besten Vertretern mit ihrem historischen Gehalt tun: Mit einem Augenzwinkern.

D ES S PIELES

WAHRES

W ESEN

Wenn wir nun versuchen, den Ertrag zu beziffern, den wir als Quersumme der Beiträge festhalten wollen, dann scheinen uns alle Zeichen darauf zu deuten, dass wir noch nicht genau genug wissen, welche Zeichen wir eigentlich deuten wollen. Oder, um genauer zu sein: Welche Zeichenkonfigurationen eignen sich nun eigentlich ge-

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nau als Objekte für eine Analyse unter den Prämissen, die sich aus den unterschiedlichen Beispielen und Herangehensweisen der hier versammelten Autoren ableiten lassen? Was untersuchen wir eigentlich? »Wir hypostasieren Informationen in Objekte. Die Neuordnung von Objekten vollzieht sich im Informationsgehalt; die Botschaft hat sich verändert. Dies ist eine Sprache, die zu lesen wir verlernt haben. Wir selbst sind ein Teil dieser Sprache, Veränderungen in uns sind Veränderungen im Informationsgehalt. Wir selbst sind informationsgesättigt. Information erreicht uns, wird weiterentwickelt und dann erneut nach außen projiziert, und zwar in veränderter Form. Wir merken nichts davon; wir merken nicht einmal, daß dies alles ist, was wir tun.«34

Ein noch immer ungelöstes Problem im Umgang mit Videospielen ist die Frage nach der richtigen Methode. Wie lässt sich das flüchtige und nonlineare Phänomen der einzelnen Partie für die Analyse festhalten und präparieren? Eine in ihrem Potential noch längst nicht ausgeschöpfte Möglichkeit scheint uns hier die videographische Methode zu sein, das Festhalten des gespielten Spiels während des Spielens über ein Screencast-Programm.35 Ähnliche Materialien füllen als Let‘sPlays, Walkthroughs und Gamecam-Mitschnitte bereits in unabsehbarer Zahl das Internet, und ganz abgesehen davon, dass hier reichhaltige Quellenbestände ihrer Erschließung harren, hat sich das Format damit bereits als geeignet erwiesen, wichtige Eigenschaften einzelner Spielverläufe dokumentarisch festzulegen. Es für die wissenschaftliche Nutzung noch zu modifizieren und zu standardisieren, ist eine Aufgabe für die Zukunft. Was wir aber feststellen können, und was sich aus der Lektüre der Beiträge für uns ergibt, ist, dass die Berücksichtigung eben dieser wichtigen Eigenschaften der Spielverläufe in eine Neudefinition des Gegenstandes mündet. Denn das bestimmende Element einer jeden Spielpartie ist nicht allein das Spiel, sondern, mindestens im gleichen Maß, der oder die Spieler. Videospiele sind insofern interaktive Medien, als sie, sich selbst überlassen, nicht funktionieren. Sie sind angewiesen auf menschliche Eingaben, die wiederum entscheidenden Einfluss auf die Gestalt ausüben, die der einzelne Spielverlauf annimmt. Und dieses durch den Spieler eingebrachte Element ist unvorhersehbar – wir können im Voraus nicht wis-

34 Dick, Philipp K.: »Valis«, in: Ders.: Die Valis-Trilogie. Valis. Die Göttliche Invasion. Die Wiedergeburt des Timothy Archer. Drei Romane. Mit einem Nachwort von Sascha Mamczak, überarbeitete Neuausgabe, 4. Aufl., München: Heyne 2005, S. 9-330; hier S. 322. 35 Vgl. die Beiträge von Simon Hassemer und Simon Huber.

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sen, wie jemand spielen wird. Das bedeutet, dass jeder so erzeugte Spielverlauf einzigartig ist in seiner Gestalt, und dass dieses dynamische und unvorhersehbare Element, das durch den Spieler notwendig ins Spiel eingebracht wird, nur durch ein – im besten Fall videographisches – Verlaufsprotokoll analysierbar wird. Das bedeutet aber auch, dass das eigentlich untersuchte Objekt nicht ›das Spiel‹ in einer abstrakten, menschenlosen Reinform ist und sein kann, sondern immer nur das konkrete Objekt, das als Ergebnis einer Mensch-Maschine-Interaktion entstanden ist. Der Spielverlauf ist das Spiel. Es ist wie bei klassischer Musik: Niemand würde sagen, dass eine einzelne Aufführung von Beethovens Neunter ›Beethovens Neunte‹ an sich ist. Und jeder würde wohl zustimmen, dass es einen Unterschied macht, wie und von wem die Musik gespielt wird. Allerdings lebt Musik davon, dass die Partitur, also die ›Regeln‹ des jeweiligen Stücks, den Teilnehmern völlig bekannt ist und von ihnen verstanden wird, um zu funktionieren, was bei Videospielen nur bedingt der Fall ist. Deren Algorithmen liegen unter der Oberfläche verborgen und sind daraus nur induktiv-intuitiv ableitbar – der Spieler lernt sie erst während des Spielens, und nur durch das Spielen. Stellen Sie sich also die Neunte als Free-JazzInterpretation vor. Wenn man daher eine andere Analogie wählt: Wenn Sportjournalisten erklären wollen, was den Fußball des frühen 21. Jahrhunderts von dem Beckenbauers und Pelés unterscheidet, so greifen sie ganz selbstverständlich zu den aggregierten Daten tausender ausgewerteter einzelner Fußballspiele, um zeigen zu können, welche Faktoren eigentlich abweichen, und wieso. Denn es ist offensichtlich klar, dass über ›den Fußball‹ nur in Form der konkreten Partien sinnvoll gesprochen werden kann, und niemals ohne den Rückbezug auf die beteiligten Spieler: Die Wahrheit ist auf dem Platz. Epistemologisch gesehen ist ›das Videospiel‹ – bislang mehr oder weniger unproblematisiert gebraucht in Sätzen wie etwa »ANNO 1701 ist ein Videospiel, das…« – also kein konkret analysierbares Objekt. Es ist eine nur abstrakt beschreibbare Kategorie. Unter diese Kategorie fallen die einzelnen, konkreten Objekte: Die einzelnen Spielverläufe. Künftige Untersuchungen werden erheblich an Trennschärfe und Aussagekraft gewinnen, wenn es gelingt, dieses methodologische Postulat ins wissenschaftliche Alltagsgeschäft zu integrieren. Dort sind wir noch nicht angekommen, auch in diesem Buch noch nicht; aber dorthin müssen wir kommen, wenn Videospielanalysen (und Analysen anderer ›neuer Medien‹ im Allgemeinen) in den historischen Kanon eingehen sollen.

Auftakt

Narration und Narrativ Geschichte erzählen in Videospielen A NGELA S CHWARZ

E INLEITUNG Videospiele sind inzwischen ein akzeptiertes und prominentes Medium der Freizeitgestaltung. Das schlägt sich in vielfältiger Weise nieder, lässt sich sogar in harten Zahlen messen. So spielten nach Angaben des europäischen Publisherverbandes, der Interactive Software Federation of Europe (ISFE), gemäß einer im November 2012 veröffentlichten Online-Umfrage, 42% der Deutschen zwischen 6 und 64 Jahren oder rund 26 Millionen Personen1 Computer- oder Videospiele.2 Im Vergleich der vier größten europäischen Märkte bedeutet dies Platz 2 hinter Frankreich, vor Großbritannien und Spanien.3 Die Produkte des über viele Jahre fast ausschließlich von Männern für hauptsächlich männliche Rezipienten entworfenen Unterhaltungsmediums sprechen nun einen Kundenkreis an, der in Deutschland ebenso wie

1

Vgl. Interactive Software Federation of Europe (ISFE) (Hg.): Videogames in Europe. Consumer Study. Germany, November 2012, URL: http://www.isfe.eu/sites/isfe.eu/ files/attachments/germany_-_isfe_consumer_tracker.pdf (Stand: 01.03.2014), S. 7.

2

Vgl. ebd., S. 32. Fast ein Viertel der Befragten (23 %) oder mehr als die Hälfte der Personen, die überhaupt spielen, gab an, sogar wöchentlich Computerspiele zu nutzen. Vgl. ebd., S. 8. Die Zahlen des deutschen Branchenverbandes BIU zeigen ein fast identisches Ergebnis mit ebenfalls rund 26 Millionen Spielenden in Deutschland. Vgl. Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) (Hg.): Gamer in Deutschland. Jeder dritte Deutsche spielt mehr als regelmäßig digitale Spiele, in: BIU. Hier spielt die Zukunft, URL:

http://www.biu-online.de/de/fakten/gamer-statistiken/gamer-in-deutschland.html

(Stand: 01.03.2014). 3

Vgl. Interactive Software Federation of Europe: Videogames in Europe, S. 32.

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in vielen anderen Ländern fast zur Hälfte aus Spielerinnen besteht.4 Und diese wollen sich entgegen dem noch immer verbreiteten Klischee nicht nur der FARMVILLE oder der BARBIE BEAUTY BOUTIQUE widmen. Was genau macht eigentlich den Erfolg der Spiele aus? Die Spiele faszinieren und fesseln zunächst als Spiele, durch Herausforderungen, Belohnungen, das Angebot interaktiver Immersion. Man muss kein ›Nerd‹ oder ›Zocker‹ sein, um von einem gut gemachten Spiel gepackt zu werden. Das liegt neben einem als gelungen empfundenen Gameplay, der Spielstruktur, zu einem wesentlichen Teil an der audiovisuellen Aufbereitung. Bilder, Bilderfolgen, Musik, Geräusche lassen wie beim Medium Film5 eine Atmosphäre entstehen, in die man als Spielender eintaucht. Hinzu kommt ein drittes, ebenfalls dem Medium Film vergleichbares Strukturelement von Computerspielen: die Erzählung oder Narration. Von einem Pong vielleicht einmal abgesehen, liegt dem Medium seit seinen Anfängen eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Erzählung, eine Geschichte zugrunde. Es gab und gibt in den Spielen einen Anfang, eine Entwicklung, also Abfolge bestimmter Elemente, und ein Ende – und sei es nur ein ›Game over‹ oder der erfolgreiche Abschluss des letzten Levels. Das gilt unabhängig davon, ob man zu Beginn der achtziger Jahre als Pac Man von Gespenstern gejagt wurde, à la Mario die Prinzessin rettete oder heutzutage realitätsnah wirkende Heereskontingente über die Schlachtfelder der Weltgeschichte führt oder gleich auf mehreren Zeitebenen komplexe Handlungsstränge mit verschiedenen Charakteren verfolgt. Bei Spielen mit Geschichte, also mit historischen Inhalten, kommen noch zwei weitere Ebenen hinzu, die die sonst rein fiktive Erzählung ergänzen: − einmal das Konzept einer historischen Realität, auf die sich die Spiele in unterschiedlicher Weise beziehen, und − zum zweiten eine bestimmte Form des Umgangs mit Geschichte, die nicht nur das Erzählen eines Geschehnisses, sondern das Konzept des historischen Erzählens umfasst.

4

Vgl. dazu Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware: Gamer in Deutschland (Stand: 01.03.2014).

5

Die Narration ist definiert durch den Anfang, das Ende und die dazwischen liegende Durchführung eines Vorganges. Es muss eine Minimalstruktur oder »minimal narrative« gegeben sein, nach der die Ereignisfolge mindestens zwei Bestandteile enthält, und zwar eine Komplikation und deren Auflösung. Vgl. Labov, William/Waletzky, Joshua: Erzählanalyse: mündliche Versionen persönlicher Erfahrung, in: Jens Ihwe (Hg.): Literaturwissenschaft und Linguistik, 2. Bd, Frankfurt am Main: Athenäum Fischer 1973, S. 78-126.

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Nach Jörn Rüsen erfolgt über das historische Erzählen die eigentliche Vergegenwärtigung des Vergangenen, eben das Erinnern. Bezogen auf die Spiele heißt das, sie schaffen mit der Art, wie sie vergangene Ereignisse darstellen – wie nah oder fern das den tatsächlichen Abläufen auch immer sein mag – ein Bild, ein Konstrukt des vergangenen Geschehens. Sie bilden Sinn durch das Erzählen, das Geschichte in die Gegenwart holt. Aus der Narration kann daher ganz schnell ein Narrativ werden. Wenn sich in ihm die Muster einer Deutung bestimmter Ereignisse oder Prozesse verdichten, die in einer Nation oder Kultur vorherrschen, spiegeln sie sogenannte Meistererzählungen wider. Dass solche Meisterzählungen sogar Eingang in das Populärmedium Computerspiel finden können, zeigt nicht nur die für das Medium spezifische Ausprägung, sondern ihre Präsenz in der Populärkultur generell. Im Folgenden soll es um eben diese Ausprägung, um die Mechanismen der Aufbereitung und Vermittlung von Geschichte in der Narration eines Computerspiels gehen. Wie verhalten sich Geschichte und Erzählung zueinander? Was bleibt von Geschichte übrig, wenn sie in eine Handlung, deren Erleben Sinn des Spiels ist, eingefügt ist? Was passiert, wenn die sonst so fern und abstrakt erscheinende Vergangenheit in Gestalt einer Hauptfigur und ihren Erlebnissen für die Spielenden greifbar wird? Und wie verhält sich die Geschichtsdeutung des populären Massenprodukts zu anderen in einer Gesellschaft vorherrschenden Deutungen? Bevor das anhand zweier Beispiele mit einem identischen historischen Setting etwas näher untersucht wird, sollen verschiedene Muster der historischen Narration in Computerspielen herausgearbeitet werden.

Grundlagen und Muster des Erzählens in Historienspielen

Die Erzählstruktur gehört zu jenen Charakteristika eines Computerspiels, die von Beginn der Auseinandersetzung mit dem jungen Medium besonders interessierten. Vor allem die Literaturwissenschaft wollte wissen, wie die Erzählung im digitalen und interaktiven Medium aufgebaut ist, wie sie funktioniert.6 Die Historie als wissenschaftlich erforschter Gegenstand spielte bei diesen Erkenntnisinteressen jedoch keine Rolle. Zum einen lag das daran, dass für den Blick auf die Erzählstruktur und eventuell noch die Gründe für ihre Attraktivität für das damals noch überwiegend jugendliche Publikum unerheblich war, inwieweit die Narration Geschichte verwer-

6

Vgl. Niesz, Anthony/Holland, Norman: »Interactive Fiction«, in: Critical Inquiry, 11, 1984, S. 110-129; Murray, Janet H.: Hamlet on the Holodeck. The Future of Narrative in Cyberspace, Cambridge, Mass: MIT Press 1997.

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tete. Zum anderen nahm die Geschichtswissenschaft das, was in den Spielen als Geschichte inszeniert wurde, nicht als ernstzunehmende Präsentation von Geschichte wahr. Diese Geschichte erschien den meisten Historikerinnen und Historikern nicht mehr als randständige Popularisierung und Instrumentalisierung aus ökonomischen Motiven zu sein. Dass sich bis heute an dem – geschichtswissenschaftlichen – Desinteresse an den Erzählmustern wenig geändert hat, erklärt sich nicht zuletzt daraus, dass der Blick darauf, wie Geschichte in Spielen erzählt wird, die eingangs bereits genannten zusätzlichen Ebenen mit hineinbringt und diese komplexer werden lässt. Ebenfalls komplizierter ist die Nutzung von Geschichte als Gegenstand eines Plots für die Produzenten eines Spiels insofern, als ihr Ausgang bekannt ist und es damit schwieriger wird, einen Spannungsbogen aufrechtzuerhalten, wenn man allein die bekannte Ereignisgeschichte als Motiv der Erzählung benutzt. Um dieses Problem zu umgehen, setzen die Hersteller auf unterschiedliche Verwendungsmuster von Narrationen, von denen im Folgenden einige Typen vorgestellt werden, die in vielen Spielen anzutreffen sind. Titel mit kontrafaktischen Szenarien, die ein weiteres Muster bilden würden, bleiben ausgenommen. Wie in anderen populären Medien und Formaten variiert es ebenso bei Computerspielen sehr stark, wie eng das Spielgeschehen, die Narration, jeweils an die historischen Vorbilder angelehnt ist. Je nachdem, wie intensiv das geschieht, lassen sich auffällige Unterschiede ausmachen und wiederkehrende Muster erkennen. Es sind vor allem drei solcher Muster, die dem Großteil der Spiele zugrunde liegen.

Erstes Muster Viele Spiele nutzen Geschichte lediglich als groben Rahmen, in die ein nur wenig variierter Ablauf von für das jeweilige Genre typischen Spielhandlungen wie das Aufbauen von Städten oder Zivilisationen oder das Töten von Gegnern eingefügt ist. Dabei wird das Spielprinzip einfach in andere Zeitabschnitte übertragen, mit anderen Bildern und einigen anderen Details in der Geschichte – mitunter auch der Gegenwart oder der Zukunft – versehen. ANNO 1404 und ANNO 2070 aus dem Bereich der Aufbausimulationen sind gute Beispiele dafür, wie leicht sich narrative Grundmuster von Tabula rasa, Aufbau und Entwicklung bis in ein ›blühendes Zeitalter‹ auf verschiedene Zeiten in Vergangenheit und Zukunft übertragen lassen. Ohne eine Kampagne7 ist die Narration im freien Spiel ein Ergebnis des eigentlichen Spielprozesses und kommt ohne eine Erzählung im engeren Wortsinn aus. Die

7

Eine Kampagne findet sich zwar in ANNO 1404 (2009) (Related Designs/Blue Byte/Ubisoft) ebenfalls, doch ist diese rein fiktiv, so dass die vermeintliche Historizität allein über die optische Darstellung erzeugt wird.

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einzelnen Tätigkeiten im Spiel wie Ressourcen sammeln, Gebäude errichten, Technologien entwickeln, erkunden, kämpfen und töten, mit denen aus dem Gameplay heraus eine Spielerzählung generiert wird, sind zwar in gewisser Weise historisch, da sie so in der jeweiligen Zeit stattgefunden haben könnten. Sie müssen aber in der Art, in der sie in einem Spiel wie ANNO 1404 oder einer Wirtschaftssimulation wie CITIES IN MOTION8 erscheinen, als so allgemein – fast schon anthropologisch oder in der jeweiligen Wirtschaftsform strukturell angelegt – bezeichnet werden, dass sie konkreter historischer Ereignisse und exakter Nachmodellierung einer Epoche kaum bedürfen. Jenseits der jeder Darstellung von Geschichte inhärenten Verkürzung erscheinen sie in der Umsetzung im Medium Computerspiel noch einmal weiter reduziert, auf die Andeutung von anthropologischen Grundkonstanten zurückgeführt. So muten in solchen Spielen weniger die Handlungen historisch an als vielmehr das, was mit visuellen und akustischen Effekten um sie herum als eine Art Atmosphäre erzeugt wird.9 Allerdings wirkt diese Atmosphäre oft ähnlich stereotypisiert wie die narrativen Elemente: Was historisch anmutet, ist historisch.10 Interessanterweise erscheint Geschichte bei diesem Narrationsmuster mehr als struktureller Prozess und nicht oder nicht primär als Folge menschlichen Entscheidens und Handelns. Eine solche Fokussierung ist auch in der geschichtswissenschaftlichen Forschung nicht unbekannt, wie etwa die in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts ausgeformte neuere Sozialgeschichtsschreibung

8

Diese Erscheinungsform findet sich in vielen Spielen, vor allem dort, wo es keine Kampagnen oder Szenarien mit einer erzählten Geschichte gibt. Daher können Spiele durchaus mehreren Mustern entsprechen, je nachdem, ob ihr Einzelspielermodus oder der Mehrspielermodus analysiert wird.

9

Es wäre zu untersuchen, inwieweit das auch auf andere Genres wie etwa den Shooter zutrifft. Gerade die phasenweise überaus beliebten Weltkriegsshooterreihen, etwa CALL OF DUTY (CALL OF DUTY (2003) (Infinity Ward/Activision/Mediaquest/Aspyr); CALL OF DUTY 2 (2005) (Infinity Ward/Activision/Konami/Aspyr); CALL OF DUTY 3 (2006) (Treyarch/Exact Entertainment/Activision)) oder MEDAL OF HONOR (bislang 14 Haupttitel, beginnend mit: MEDAL OF HONOR (1999) (DREAMWORKS/ELECTRONIC ARTS/SONY), sind nach mehreren Titeln mit einer Handlung im Zweiten Weltkrieg in den jüngeren Ausgaben in der Gegenwart oder Zukunft angekommen. Anders jedoch als bei Strategiespielen oder Aufbausimulationen ist die Narration in ihnen weit enger an historische Abläufe und Strukturen angelehnt.

10 Vgl. dazu Schwarz, Angela: »Bunte Bilder – Geschichtsbilder? Zur Visualisierung von Geschichte im Medium des Computerspiels«, in: Dies. (Hg.): »Wollten Sie auch immer schon pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?« Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel (Medien'Welten 13), 2. Aufl., Münster: Lit 2012, S. 213-243.

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belegt. Allerdings treten die Strukturen für Spielende nicht zwangsläufig als ein Ordnungsschema hervor, dass auf einer bestimmten Interpretation von Vergangenheit basiert. Sie können sich von Spiel zu Spiel unterscheiden, was eine differenziertere Narration auf der Grundlage des Gameplays nach sich zieht.11

Zweites Muster Bei einer zweiten Kategorie von Spielen steht eine frei erfundene Handlung mit vollständig oder weitgehend erfundenen Figuren im Vordergrund, die in eine historische Zeit eingebettet ist. Die Einbettung erfolgt in der Erzählung durch das Auftreten von historischen Persönlichkeiten, sozialen Gruppen, Ereignissen und Strömungen der Zeit in den einzelnen Stadien des Geschehens, das so als möglichst historisch authentisch präsentiert werden soll. Die eigene Spielfigur interagiert mit Kleopatra, Leonardo da Vinci oder George Washington im Kontext von Schlachten oder in alltäglich wirkenden Situationen auf den Straßen von Venedig oder New York. Sofern der Charakter des Historischen nicht allein durch die Visualisierung und das Erleben des virtuellen Raums vermittelt wird, erscheint Geschichte in einzelnen Elementen der Handlungsstränge, etwa den einzelnen Stationen oder in den Gesprächen zwischen den Protagonisten. Selbst wenn diese lediglich als Handlungsanweisung für die nächste Aufgabe dienen, können sie dennoch geschichtliche Informationen in Form von Fakten oder Deutungen beinhalten und vermitteln. Die Erzählung des Spiels greift historische Details in der Regel dort auf, wo sie sich mühelos in die Spielnarration bzw. das Gameplay integrieren lassen. Weitere Fakten über den historischen Hintergrund stehen als Zusatzinformationen in angehängten Datenbanken, Pop-Up-Fenstern oder Einblendungen innerhalb des Spiels zur Verfügung, um eine unnötige Verlängerung der eigentlichen Erzählung zu vermeiden. Mit ihnen soll die erzählte Geschichte abwechslungsreicher, in ihren historischen Bezügen verständlicher und vor allem als Widerhall einer vergangenen Zeit authentifiziert werden. Diese zusätzlichen Informationen können die Spielenden je nach Bedarf und Interesse nutzen, sie können sie aber ebenso als für die Handlung und das Ziel des jeweiligen Spiels nebensächlich ignorieren. Die Fiktion, etwa die

11 Vgl. dazu Pasternak, Jan: 500.000 Jahre an einem Tag. Möglichkeiten und Grenzen der Darstellung von Geschichte in epochenübergreifenden Echtzeitstrategiespielen, in: Angela Schwarz (Hg.): »Wollten Sie auch immer schon pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?« Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel (Medien'Welten 13), 2. Aufl., Münster: Lit 2012, S. 35-73.

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Geschichte von Nathaniel Black in AGE OF EMPIRES III12 oder von Ezio Auditore in ASSASSIN’S CREED II, ASSASSIN’S CREED: BROTHERHOOD und ASSASSIN’S CREED: REVELATIONS wird mittels der erfundenen Person historisiert,13 als realitätsnahes – nicht realitätsgetreues – Abbild von Vergangenheit greifbar. Ein ähnliches Vorgehen lässt sich bei Shooter-Reihen feststellen. Besonders BROTHERS IN ARMS, eine der großen Serien von Weltkriegsshootern, legt großen Wert auf eine stimmige und in sich geschlossene Erzählung rund um eine Gruppe Soldaten, die als Personen frei erfunden sind, aber einer historisch belegten Einheit der US-Armee zugeordnet sind.14 Die Mischung von Fiktion und Fakt, von Immersionsangebot und scheinbar weitreichendem Bezug zu vergangener Realität ergibt dabei potenziell eine besonders nachhaltige Wirkung der erzählten Geschichte und der ihr zugrundeliegenden Geschichtsbilder.

Drittes Muster Eine noch exaktere Wiedergabe der Vergangenheit versprechen Spiele, die über die Narration zum Nachvollzug von Ereignissen, eben zum Nachspielen historisch überlieferter Handlungen, einladen – und dazu meist eine optisch möglichst genaue Rekonstruktion bieten möchten. Schlachten bekannter Kriege sind hier überproportional stark vertreten. Dazu zählen einmal die Fahrzeugsimulationen, vielfach im Zweiten Weltkrieg angesiedelt, deren Spielgeschehen oft darin besteht, sorgfältig nachmodellierte Flugzeuge, U-Boote oder andere militärische Fahrzeuge durch tatsächlich erfolgte Einsätze der Jahre 1939 bis 1945 zu steuern, etwa den sogenannten ›Adlertag‹ in der »Luftschlacht um England« im Sommer 1940 oder die Versenkung des Flugzeugträgers Ark Royal durch ein deutsches U-Boot im Jahr 1941, wie es eine Mission in SILENT HUNTER 5 vorsieht. Ein recht ähnliches Bild bieten Strategiespiele, die sich den Schlachten in einem größeren Maßstab zuwenden, dem Spielenden das Kommando über nicht selten ganze Armeen verleihen. Für die Narration der Schlachten ist es dabei unerheblich, ob das Spiel diese in rundenbasierter Form anbietet, mit stilisierten Einheiten, die aber vielfach sehr detailliert die Trup-

12 Vgl. unten den Abschnitt 3.1 über die Narration in AGE OF EMPIRES III. 13 ASSASSIN’S CREED II (2009) (Ubisoft); ASSASSIN’S CREED: BROTHERHOOD (2010) (Ubisoft); ASSASSIN’S CREED: REVELATIONS (2011) (Ubisoft). 14 Dass auf diese Weise durchaus der Eindruck einer vermeintlichen Authentizität geweckt werden kann, deutet sich in der einen oder anderen Spielerezension zur Serie an. O. A.: »Brothers in Arms: Road to Hill 30. Authentischer gehts nimmer«, auf: GAME7, 31. 03. 2005, URL: http://www.game7.de/1603-brothers-in-arms-road/artikel/test-10748d3874. php (Stand: 01.03.2014).

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penstärke und Kampfkraft der jeweiligen Armeen symbolisieren, oder in Form einer vollständig animierten Echtzeitschlacht mit tausenden modellierten Soldaten in zahlreichen Truppenverbänden, wie in der Schlacht von Waterloo15 im Spiel NAPOLEON: TOTAL WAR. Die erzählte Geschichte besteht in der Regel aus einer Art Chronologie militärisch relevanter Ereignisse, bei der der eigentliche Protagonist das U-Boot, das Flugzeug oder der abstrahierte Truppenverband ist. Die einzelnen Personen treten dabei in den Hintergrund. Obschon nicht selten Piloten, Besatzungsmitglieder oder Soldaten als Bestandteil der Verbände auftreten, bleiben diese eher schemenhaft, werden kaum als Menschen wahrgenommen und haben offenbar auch keine eigene Geschichte beizusteuern.16 Die Erzählung, fokussiert auf die rein militärischen Ereignisse, lässt so kaum oder keinen Raum für menschliches Handeln, Emotionen, Motive, die in anderen Medien und Genres wie Literatur und Film zentrale Elemente der Erzählung bilden, selbst wenn sich diese ebenfalls mit den großen Schlachten der Weltgeschichte befassen. Diese grundsätzlichen Überlegungen über Geschichte und Erzählung im Computerspiel zu Mustern zusammengefasst, ergeben hinsichtlich der Art der Narration folgendes Bild: 1)

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eine vage skizzierte ›Geschichte‹ als exotisches Kolorit für tendenziell überzeitliches Geschehen (gesät, geerntet und getötet wird immer), eine Erzählung im engeren Sinne fehlt hier, was folglich auch Akteure, seien es Gruppen oder Individuen, zu bloßen Schemen macht; eine möglichst genau rekonstruierte Geschichte, die in Elementen der Erzählung als Hintergrundinformation immer wieder zitiert wird, das geschieht vor allem zur Authentifizierung des Geschehens, in das Spielende eintauchen sollen, also eine weitgehend fiktive Erzählung, die mit Details historisiert wird;

15 Diese sei nur als Musterbeispiel genannt, weil sie zu jenen Schlachten zählt, die sehr häufig in Computerspielen thematisiert werden, ähnlich wie die Schlacht um Stalingrad oder die Landung in der Normandie. Im Spiel selbst werden alle wesentlichen Schlachten der Napoleonischen Ära nachgebildet (NAPOLEON: TOTAL WAR (2010) (Creative Assembly/Sega). 16 Die Einführung einer individuellen Besatzung des U-Bootes in SILENT HUNTER 5 (2010) (Ubisoft Romania) kann als Versuch verstanden werden, eine Nebenerzählung aufzubauen. Die Möglichkeiten dazu blieben aber angesichts der Beschränkungen durch die Spielmechanik begrenzt, so dass letztlich doch wieder das U-Boot bzw. die Technik im Fokus bleibt. Vgl. dazu Schwarz: Bunte Bilder – Geschichtsbilder?, S. 226-231.

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eine scheinbar akribisch rekonstruierte Geschichte, die sich allerdings auf einzelne Aspekte wie die für Verlauf und Ausgang einer Schlacht wesentlichen Ereignisse und den Einsatz von Technologien beschränkt; die Erzählung scheint eng historischen Abläufen zu folgen, spart aber wesentliche Teile der geschichtswissenschaftlichen Rekonstruktion wie verschiedene Perspektiven, Motive, Handlungsspielräume, Interessen jenseits des militärischen Geschehens aus.

In allen Mustern ist Geschichte insofern ergebnisoffen, als die tatsächlichen historischen Ereignisse nicht alles im Spiel exakt festlegen. Denn selbst die Fahrzeugsimulationen oder Strategiespiele mit ihren nachgestellten Schlachten lassen es zu, dass im Spiel der Gegenwart die Geschichte einmal anders verläuft als in der Realität der Vergangenheit.17 Das lässt sich auf die Erwartung der meisten Spielenden zurückführen, über eine größtmögliche Handlungsfreiheit innerhalb des Geschehens zu verfügen und nicht schon zu Beginn des Spiels zu wissen, worauf alles zusteuert.18 Inwiefern Spiele mit einer bereits geschriebenen Handlung überhaupt ergebnisoffen sein können, wie sich die Geschichte zu der Geschichte eines Computerspiels verhält und ob dabei Narrative, also Meistererzählungen, eine Rolle spielen, soll die nachfolgende etwas detailliertere Betrachtung von zwei Beispielen zeigen.

17 Das kann in verschiedenen Formen auftreten. Bei einem konkreten historischen Auftrag etwa in SILENT HUNTER 5 bleibt nichts anderes zu tun, als den Auftrag zu erfüllen oder zu scheitern. Der Weg zum Ziel ist aber freigestellt – Wahl der Waffen, Häufigkeit ihres Einsatzes, Anzahl der Angriffe usw. Bei Strategiespielen besteht mitunter die Option, Schlachten ahistorisch zu gewinnen, was mehr oder weniger starke Auswirkungen auf den virtuellen Kriegsverlauf hat. Kontrafaktische Szenarien kommen hinzu, wenn statt der historisch verbürgten Niederlage ein Sieg erfolgt und damit ein Divergenzpunkt geschaffen wäre. Solche kontrafaktischen Handlungsverläufe bieten oft Spiele mit einem Geschehen im Kontext großer Kriege bzw. des Kalten Krieges an. So lässt sich in einer Ausgabe der Reihe PANZER GENERAL (bislang sieben Haupttitel, beginnend mit PANZER GENERAL (1994) (SSI/Mindscape) eine deutsche Kampagne bis zur Eroberung der USamerikanischen Hauptstadt Washington spielen oder der Kalte Krieg in der gleichnamigen Kampagne des Spiels RISE OF NATIONS: THRONES AND PATRIOTS (2004) (Big Huge Games/Microsoft Game Studios) auf militärischem Weg zugunsten einer der beiden Seiten entscheiden. 18 Das Ganze kann aber sehr unterschiedlich ausgeführt werden. Ein gutes Beispiel stellt TITANIC: ADVENTURE OUT OF TIME (1996) (Cyberflix/GTE Entertainment) dar. Das Spiel hat eine vergleichsweise offene Handlung und eine Geschichte, die sieben verschiedene Enden bietet, jeweils abhängig von den Handlungen des Spielenden. Das historische Ereignis des Schiffsuntergangs ist allerdings nicht zu verhindern.

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ANNÄHERUNG AN VERSCHIEDENE MUSTER Narration und Narrativ in AGE OF EMPIRES III Die meisten Strategiespiele erzeugen dadurch einen Anreiz, immer wieder gespielt zu werden, dass sie ein freies Spiel zulassen. Die freie Spielhandlung entfaltet sich als Vorbereitung auf einen nicht näher historisierten Kampf und seine Durchführung. Solche Spielformen sind der zuvor ausgemachten ersten Ausprägung der Narrationen in Computerspielen zuzuordnen, nach der Geschichte nur als ein loser Rahmen für das eigentliche Gameplay erscheint. Anders dagegen sind die Kampagnen strukturiert, in denen eine bestimmte Ereigniskette nachgespielt, Geschichte (nach-)erzählt wird. Das geschieht mit Hilfe derselben Spielelemente aus dem freien Spiel, also mit dem Sammeln von Ressourcen, Errichten von Stützpunkten, der Entwicklung von Technologien, eben der Formierung der Kräfte und deren Einsatz gegen die gegnerischen Parteien. Das folgende Beispiel einer solchen Kampagne entstammt dem Spiel AGE OF EMPIRES III: THE WAR CHIEFS von 2006, Teil einer der weltweit erfolgreichsten Strategiespielreihen mit über 20 Millionen verkauften Einheiten. Sie ist zur Zeit der Unabhängigkeitskriege der entstehenden US-amerikanischen Nation angesiedelt und zeigt, wie in einem solchen Genre die Geschichte als erzählte Geschichte ins Spiel kommt. Erzählt wird das (Spiel-)Geschehen des späten 18. Jahrhunderts von Amelia Black, selbst Protagonistin eines anderen Teils der Kampagne, die aus dem 19. Jahrhundert einen Blick zurück auf die Erlebnisse ihres Vaters Nathaniel Black wirft – beides frei erfundene Charaktere. Durch die Erzählperspektive, in der die Erzählerin in engem biographischem Zusammenhang mit der Hauptfigur steht, erhält die Geschichte eine besonders schlüssig wirkende Authentifizierung. Durch die narrative Klammer einer Familiengeschichte wird zudem nicht nur der Weg für eine engere Bindung des Spielenden zum Geschehen geebnet, sondern zugleich die Möglichkeit für Freiräume hinsichtlich des historischen Hintergrundes geschaffen. Denn eine mündlich überlieferte Familiengeschichte wie in diesem Fall ist in der Regel nicht so akkurat wie eine sorgfältig recherchierte Chronik oder gar eine geschichtswissenschaftliche Rekonstruktion. Wahrheit und Legende sind in solchen Fällen nicht selten schwer zu unterscheiden, wie es Amelia Black ihrer Zuhörerschaft gleich zu Beginn ihrer Erzählung über die Geschichte der eigenen Familie klarmacht.19 Damit erscheinen selbst offensichtliche Abweichungen von der allgemein überlieferten Geschichte als subjektives Erleben der Mitglieder der Familie Black authentisch und im Sinne eines Es-hätte-so-sein-können historisch korrekt.

19 Vgl. AGE OF EMPIRES III (2005) (Microsoft Game Studios): Kampagne, Teil 1: Blut. Szenario 1: Ausbruch. Einführungssequenz.

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Die Sequenzen um die Figur des Nathaniel Black, in der Regel zu Beginn und zum Ende eines Szenarios zwischengeschaltet, beginnen mit einem Bild aus der Untersicht auf Nathaniel Black und die wehende Flagge der Rebellen bzw. Patrioten im unmittelbaren Hintergrund. Es wird begleitet von dem – abgedruckten und eingesprochenen – Satz seiner Tochter, ihr Vater sei »einer der Helden der amerikanischen Revolution« und bei allen großen Schlachten und Revolutionsgeschehnissen »dabei gewesen«, u.a. bei Bunker Hill, Trenton, Saratoga und Yorktown, die so als Teil einer Biographie lebendig werden. Nach einer kurzen Szene, in der Soldaten der Rebellen unter Blacks Kommando angreifende britische Truppen zurückschlagen, wird die Geschichte in einem Rückblick auf die Ereignisse sechs Jahre zuvor zurückgeführt, auf die Anfänge der Hauptgeschichte und damit Nathaniels Involvierung in das Geschehen der Revolution.20 Heutigem Verständnis einer gleichberechtigten Darstellung entsprechend – das Spiel wurde 2006 veröffentlicht – haben sich die Spieleentwickler für eine Person mit europäischen und indigenen Wurzeln gleichermaßen entschieden. Nicht zufällig wird Nathaniel Black mit einem der Völker des Irokesenbundes,21 einer damals mächtigen Vereinigung indigener Völker im Nordosten des nordamerikanischen Kontinents, verbunden. Im »Irokesendorf«, in dem er aufgewachsen ist, erörtert er zu Beginn der Kampagne mit seiner Mutter und seinem Onkel die Frage, wie sich die indigene Bevölkerung angesichts des Konflikts der Zugewanderten aus Europa verhalten soll. Nathaniel erklärt, eine passive Haltung könnten die Stämme nicht einnehmen, sie müssten sich für eine Seite entscheiden und sich verteidigen.22 Damit erhält sein Engagement in dem aufkommenden Konflikt eine persönliche, unmittelbar nachvollziehbare Motivation jenseits abstrakter politischer Ideale, obschon zu diesem Zeitpunkt offen bleibt, ob und warum er sich, anders als viele andere Angehörige der indigenen Völker, auf die Seite der Rebellen gegen die Krone schlagen wird. Aus der Erzählung heraus gibt es in diesem frühen Stadium der Ge-

20 Vgl. AGE OF EMPIRES III: THE WAR CHIEFS (2006) (Ensemble Studios/Microsoft): Kampagne, Teil 1: Feuer. Szenario 1: Kriegstanz. Einführungssequenz. 21 Es gibt kein Selbstzeugnis des Protagonisten, zu welchem der Stämme der »Six Nations« er gehört bzw. sich zählt. Im Zuge der Narration werden die Stämme der Mohawk, der Oneida und der Seneca erwähnt, eine Zuordnung auf Basis der Erzählung durch die Spielenden ist allerdings nicht eindeutig möglich. Dieser eher oberflächliche Umgang mit den indigenen Stämmen fügt sich nahtlos in die Art der Darstellung und Zuordnung zu einem bestimmten Narrativ ein, die die Figur des Nathaniel Black erfährt. Im Gegensatz dazu steht der Umgang mit der indianischen Bevölkerung in dem zweiten Spiel, das im Abschnitt über die Geschichte von Ratonhnhake:ton. exemplarisch analysiert wird. 22 Vgl. AGE OF EMPIRES III: THE WAR CHIEFS. Kampagne, Teil 1: Feuer. Szenario 1: Kriegstanz. Einführungssequenz.

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schichte keinen erkennbaren Grund. Einzig der zu erwartende Wunsch (vor allem) der (US-amerikanischen) Spielenden, auf der Seite der späteren Sieger spielen zu dürfen, spricht für die Seite der aufständischen Kolonisten. Die nachfolgenden Erzählsequenzen, die den Protagonisten an vielen wichtigen Schauplätzen der Amerikanischen Revolution zeigen, ergeben sich aus dieser Eröffnung und Einbettung der Biographie des Protagonisten in den historischen Rahmen, den das Setting liefert. Wiederholt wird dabei nicht bloß Schlachtengetümmel thematisiert, sondern der Held als Teil einer individuellen Geschichte immer wieder persönlich berührt und direkt zum Handeln herausgefordert. Das geschieht durch einen zweiten Handlungsstrang neben der Revolution. Die Mutter des Protagonisten wird zu Beginn des zweiten Szenarios von hessischen Söldnern unter dem Befehl des fiktiven Oberst Küchler entführt.23 Sie wird zwar unmittelbar darauf wieder befreit,24 der Antagonismus zwischen Nathaniel Black und Oberst Sven Küchler wird jedoch den gesamten weiteren Spielverlauf prägen und zu drei weiteren Konfrontationen führen, bis es dem Helden gelingt, seinen Widersacher zu besiegen. Diese Konfrontation liefert dann zugleich den Grund für Nathaniel Black, sich für die Seite der Revolutionäre zu entscheiden, was erst nach der Befreiung der Mutter und der ersten Auseinandersetzung mit den hessischen Truppen Küchlers geschieht.25 In der Folge wird das Motiv von Nathaniel Black für sein Engagement im Revolutionskrieg gewandelt. Nicht mehr die Verteidigung seines Stammes steht im Vordergrund, sondern der Antagonismus mit Küchler.26 Interessanterweise erscheint hier nicht wie in anderen populären Medienumsetzungen des Stoffes ein Brite in der

23 Vgl. AGE OF EMPIRES III: THE WAR CHIEFS. Kampagne, Teil 1: Feuer. Szenario 2: Die Rettung. Einführungssequenz. 24 Das ist die Aufgabe für die Spielenden im zweiten Szenario der Kampagne. 25 Küchlers Gründe für den Angriff auf das Dorf der lokalen Stämme werden jedoch nicht erläutert. 26 In einem späteren Gespräch mit Washington warnt dieser seinen Offizier Black eindringlich davor, sich zu sehr auf Küchler zu fixieren und dabei das Ziel der Revolution aus den Augen zu verlieren. In seiner Antwort lässt Nathaniel Black allerdings keinen Zweifel daran aufkommen, dass er – mittlerweile – aus Überzeugung für die Revolution kämpft: »Mein Platz ist in der Kolonialarmee, bis unsere Nation frei ist.« (AGE OF EMPIRES III: THE WAR CHIEFS. Kampagne, Teil 1: Feuer. Szenario 7: Die Schlacht von Morristown. Einführungssequenz). Damit verschiebt sich Nathaniels Motiv ein weiteres Mal in Richtung der amerikanischen Meistererzählung vom Kampf um die Freiheit, die hier, so suggeriert es die Erzählung, auch für Angehörige der indigenen Bevölkerung erreichbar ist, was im Gegensatz zur historischen Realität und zur Darstellung im zweiten Beispiel steht (siehe den Abschnitt über die Geschichte des Ratonhnhake:ton).

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Rolle,27 dem Gegner der Revolution und dem Drang nach Freiheit ein Gesicht zu geben, sondern ein Hesse und damit aus der Sicht der US-amerikanischen Spielenden ein Deutscher – eine Form des historisch viel später anzusetzenden Motivs vom »bösen Deutschen«.28 Für die eigentliche geschichtliche Verortung der Story sorgte neben bekannten Handlungsorten die Interaktion mit einigen historisch verbürgten Personen, darunter vor allem George Washington. Wiederum bemerkenswert ist die Tatsache, dass der Protagonist der Geschichte dem Revolutionär der Historie nicht bloß auf Augenhöhe begegnet – was für die Identifikation des Spielenden mit der Figur wie eine gut funktionierende Erzählung mit ihrem Spannungsbogen nicht ganz unerheblich ist. Vielmehr erklärt der General der Kontinentalarmee (Washington) im Spiel den Captain der Miliz (Nathaniel Black) gar zu einer kriegsentscheidenden und damit geschichtsmächtigen Figur.29 So wird die erfundene Spielfigur, die in enger Abstimmung mit dem Genre des Strategiespiels nicht Randfigur sein darf, mit der ›Ich-war-ganz-vorne-dabei-Relevanz‹ für das historische Geschehen ausgestattet und damit aufgewertet. Dabei bleibt das Handeln in den Spielabschnitten mit dem Spielenden als lenkende Instanz, bleiben die inszenierten Aktionen der Figuren und generell die Handlung entlang berühmter Kämpfe ganz im Rahmen der vertrauten Spielmechanik, die in der Kampagne wie im freien Spiel vorherrscht: Siedlungen bauen oder zerstören, Kämpfe austragen, eigene Versorgung sicherstellen oder die der Feinde unterbrechen. Der Handlungsrahmen ist durch die Optionen also begrenzt, während die um sie herum konstruierte Erzählung etwas anderes suggeriert. Wie verhalten sich nun Geschichte und Erzählung, Revolutionsgeschehen und die Handlung um Nathaniel Black zueinander? Ausgewählte Ereignisse und Personen der Historie dienen als Skript, in das dann einzelne Spielphasen integriert sind. So bereitet Nathaniel mit Washington zusammen unter anderem die Überquerung des Delaware vor, um, so das von den Spielenden nach der Einführungssequenz zu diesem vierten Szenario der Kampagne umgesetzte Geschehen, das Lager der Hessen in Trenton anzugreifen.30 Gemessen an den tatsächlich eingetretenen Ereignissen ist das Skript unvollständig, selbst bezüglich eines Schauplatzes und der dort angesiedelten Kette von Aktionen auf jene Facetten beschränkt, die sich im Rahmen des Gameplay umsetzen lassen, d.h. meist auf militärische Geschehnisse oder deren

27 Vgl. etwa die Figur des Col. William Tavington in dem Spielfilm DER PATRIOT (2000) (USA, R: Roland Emmerich, O: THE PATRIOT). 28 »Hessen« tauchen als wählbare Zivilisation im Spiel übrigens nicht auf, sondern nur die »Deutschen«. 29 Vgl. etwa AGE OF EMPIRES III: THE WAR CHIEFS. Kampagne, Teil 1: Feuer. Szenario 4: Überquerung des Delaware. Einführungssequenz. 30 Vgl. ebd.

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Vorbereitung. Was von Geschichte demnach übrigbleibt, ist ein Gerüst von Fakten und Personen, in die die Spielhandlung und das eigentliche Spiel eingefügt werden. Mit dem Blick der Erzählerin Amelia Black, die aus der Rückschau des 19. Jahrhunderts die Ereignisse überschaut, scheint ein größerer Rahmen vorhanden, doch das täuscht. Letztlich trägt Amelia mehr dazu bei, dass die amerikanische Meistererzählung fortgeschrieben werden kann.31 Die narrativen Einspielungen sind zu kurz, als dass ein differenzierteres Bild auch nur in Ansätzen entstehen könnte. Ihre knappen Bemerkungen geben nur Hinweis darauf, dass es etwa vor der Überquerung des Delaware um die Truppen Washingtons nicht besonders gut bestellt, die Herausforderung eine große war. Ähnliches wiederholt sich zwei Szenarien später in Valley Forge. In beiden Fällen ist es dann Nathaniel Black (und damit der oder die Spielende), der die Wende zugunsten der Aufständischen herbeiführt. Politik und Kriegführung sind demnach im Fall von AGE OF EMPIRES III nicht allein Sache der ›großen Männer der Geschichte‹, von denen hier George Washington herausragt. Vielmehr kommt mit dem fiktiven Protagonisten Nathaniel Black eine gewisse Differenzierung hinzu. Denn mit seinem Blick ›von unten‹ erfolgt eine Personalisierung der sonst depersonalisierten Massenschlachten des Strategiespiels ebenso wie der abstrakten Ereignisgeschichte. Hierin lässt sich innerhalb der Reihe eine deutliche Entwicklung hin zu einer stark individualisierten Figur erkennen, die den Spielenden größere Identifikation erlaubt und so das Eintauchen des Spielenden in Spiel und vor allem Spielhandlung zumindest potenziell erhöht.32 Somit bietet

31 Aus ihrer Rückschau und dem Wissen, Teil einer aufstrebenden neuen Nation zu sein, kann sie Ereignisse der Revolutionszeit glaubwürdiger in den Bedeutungskontext der späteren US-Geschichte einsetzen, als dies die Figur ihres Vaters als Zeitgenosse der Revolution tun könnte. So wird die Tragweite der Ereignisse fast in der Weise spürbar, wie sie in der späteren Aufwertung und Stilisierung zu einer Meistererzählung US-amerikanischer Geschichte werden sollte. Die Erzählerin verstärkt somit das vorhandene Narrativ und schafft über die Familiengeschichte eine Brücke zwischen der Erinnerungskultur des 19. – die eigentlich die inszenierte Version von Spieledesignern um die Jahrtausendwende darstellt – und der des frühen 21. Jahrhunderts. 32 Die Kampagnen im ersten Teil von AGE OF EMPIRES (2007) (Ensemble Studios/Microsoft) waren noch abstrakte Abfolgen der Ereignisgeschichte. In AGE OF EMPIRES II (1999) (Ensemble Studios/Microsoft) griffen die Designer bereits auf eine personalisierte Form der Darstellung zurück und ließen bekannte Figuren aus dem Mittelalter wie Johanna von Orleans oder Friedrich Barbarossa auftreten, die dann vom Spielenden durch die Geschichte geführt wurden. In AGE OF EMPIRES III (2005) und der ersten Erweiterung aus dem Jahr 2006 dienen die historischen Ereignisse als Hintergrund für eine Familiengeschichte, die in fünf Teilen von etwa 1565 bis 1880 reichend erzählt wird. Mit der Ausrichtung auf die Geschichte einer Familie, der Blacks, wird die Ausgestaltung und Indivi-

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die Handlung des Strategiespieltitels Identifikationsangebote, die denen im historischen Rollenspiel oder Action Adventure nicht unähnlich sind, sich in Strategiespielen aber erst nach der Jahrtausendwende mehr und mehr etabliert haben. Das, was als Vergangenheit thematisiert wird, erscheint auf die Weise nicht nur verständlicher, sondern zugleich – bei aller Vereinfachung bzw. Verzerrung durch das Genre und das Medium – als individuelles Erleben sichtbar. Über die fiktive Figur in der virtuellen Welt, die bei den entscheidenden Weichenstellungen der Geschichte dabei war,33 kann so der Spielende, eingetaucht in die Spielhandlung, das Gefühl entwickeln, dabei zu sein, eben teilzuhaben an Vorgängen, die sonst nur als Bericht eines anderen, als Abstraktum nachzuvollziehen sind. Noch unbeantwortet ist allerdings die Frage, inwieweit Spielerinnen und Spieler die Identifikation mit der fiktiven Figur in der Handlung tatsächlich als (Nach-)Erleben von Geschichte betrachten.34 Noch ein weiterer Aspekt tritt in diesem Beispiel hervor. In den Ereignissen rund um diese Figur überschneiden sich Narration, also die Erzählstruktur der Ge-

dualisierung der Protagonisten weiter vorangetrieben, werden zudem die Möglichkeiten erweitert, fiktionale Elemente in eine historische Rahmenhandlung zu integrieren. 33 Trotz der Dichte von historischen Schlachten insbesondere im Kampagnenteil um Nathaniel Black wird die Erzählung nicht dadurch verengt, dass die Historie der Narration kaum noch Freiraum für unerwartete Wendungen ließe. Die im Strategiespiel ohnehin eher begrenzte Handlung unterscheidet sich nur bis zu einem gewissen Grad von den freieren Erzählungen der anderen Teile der Kampagne, im Gegensatz zum zweiten Beispiel, in dem die Vielzahl eingefügter historischer Ereignisse zu einer Art Forrest-GumpEffekt, einer so hohen Dichte von Geschichte im Spiel führen, die in der Biographie einer Person unglaubwürdig erscheint (vgl. unten das Resümee). 34 Untersuchungen über die Wirkung von Videospielen haben inzwischen eine längere Tradition. Vgl. etwa Fritz, Jürgen: »Wie virtuelle Welten wirken: Über die Strukturen von Transfers aus der medialen in die reale Welt«, in: Ders./Wolfgang Fehr (Hg.): Computerspiele: Virtuelle Spiel- und Lernwelten, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2003, CD-ROM; Fritz, Jürgen: »Geschichtsverständnis via Computerspiel: Civilization 3 simuliert Grundstrukturen historischer Prozesse«, in: Ders./Wolfgang Fehr (Hg.): Computerspiele: Virtuelle Spiel- und Lernwelten, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2003, CD-ROM; Fritz, Jürgen: Wie Computerspieler ins Spiel kommen. Theorien und Modelle zur Nutzung und Wirkung virtueller Spielwelten, Berlin: Vistas 2011; Penney, Joel: »No better way to experience World War II: Authenticity and Ideology in the Call of Duty and Medal of Honor Player Communities«, in: Nina Huntemann/Matthew T. Payne (Hg.): Joystick soldiers. The politics of playing military video games, New York: Routledge 2010, S. 191-205. Das Feld der Wirkung speziell der Geschichte in den Spielen ist jedoch noch weitgehend eine Terra incognita.

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schichte, und das geschichtliche Narrativ. Denn geradezu lehrbuchhaft verkörpert Nathaniel Black in allen Worten und Taten die Meistererzählung der Amerikaner vom Freiheitswillen und Kampf für die Freiheit, die in der Erlangung der Unabhängigkeit gipfelte. Ausbeutung der indigenen Völker für einen Krieg ›der Europäer‹, Verbundenheit mit dem Mutterland bei einem beachtlichen Teil der Bevölkerung in den Kolonien wie überhaupt das Problem der ›nationalen‹ Identitätsfindung, die großen Opfer des Krieges: all das erhält im traditionellen US-amerikanischen Selbstverständnis entweder keinen Raum oder wird als unvermeidliche Begleiterscheinung im Kampf für eine große Sache in den Hintergrund gerückt.35 Genau so spiegelt es AGE OF EMPIRES III wider. Es ist nicht verwunderlich, dass das USamerikanische Entwicklerstudio für das Spiel bzw. diesen Teil der Kampagne zur nordamerikanischen Geschichte dieses positiv besetzte Narrativ aufgriff. Dafür lassen sich mindestens drei wesentliche Gründe ausmachen. •





Zum einen ließ sich damit auf dem großen heimischen Markt ein entsprechendes Arsenal von für die Spielhandlung nützlichen Werthaltungen und Kategorisierungen (z.B. Freund-Feind-Schemata) abrufen – klassisch besetzt mit Oberst Küchler als dem »bösen Deutschen«. Das vereinfachte potenziell das Verständnis des Spielgeschehens und erhöhte zudem die Wahrscheinlichkeit eines Verkaufserfolges des Produkts auf einem Massenmarkt. Zum zweiten griffen die Spielentwickler damit auf eine Deutung der Vergangenheit zurück, die, wenn vielleicht in dieser simplifizierenden Form nicht mehr in der großen Mehrheit der US-amerikanischen Öffentlichkeit, so doch im Mainstream populärer Repräsentationen der nationalen Geschichte nach wie vor vorherrscht. Dieses Phänomen der Anpassung an den Mainstream lässt sich bei Produktionen für andere Massenmedien in ähnlicher Weise finden und wird vom jüngsten Medium Computerspiel scheinbar mühelos reproduziert. Zum dritten lässt sich in dem Rückgriff auf die geglättete Version der Unabhängigkeitsbewegung ein Muster vermuten, nach dem im Genre des Strategiespiels – wie womöglich in weiten Teilen der Historienspiele generell36 – Erfolgsnarrative wie der Siegeszug von Freiheit und Demokratie im Strategiespiel oder die Expansion von Industrie und Technologie in der Aufbau- oder Wirtschaftssimu-

35 Vgl. dazu etwa Heideking, Jürgen/Fabre, Geneviève/Dreisbach, Kai (Hg.): Celebrating Ethnicity and Nation. American Festive Culture from the Revolution to the Early 20th Century, New York, Oxford: Berghahn 2001. 36 In weiteren Analysen wäre der Frage nachzugehen, welchen Einfluss dem Spielgenre in dem Zusammenhang genau zukommt, ob etwa Shooter und Strategiespiele mehr auf die Meistererzählungen zurückgreifen als etwa Adventures oder Wimmelbildspiele und diese dann entsprechend dezidierter ausgestaltet transportieren.

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lation als Fortschrittsmodell dominieren. Mit dem Siegen als Ziel und Ende eines Spiels haben es geschichtliche Erfolgsnarrative eben leicht, zur unterschwelligen Leitlinie des Geschehens in der virtuellen Welt zu werden. Insbesondere in Produktionen westlicher Firmen für einen westlichen Markt bieten sie Identifikationsangebote, die über den thematisierten konkreten nationalen Fall hinaus auch in anderen nationalen Kontexten – einer westlich-industriellen Welt – ansprechen können. Das wiederum liegt an den in ihnen eingeschlossenen Elementen einer inter- oder gar transnationalen Erinnerungskultur, die es möglich machen, den konkreten Fall Amerikanische Unabhängigkeit oder Eisenbahnbau/Industrialisierung in der westlichen Welt – zumindest im westlichen Selbstverständnis – als gemeinsame Geschichte zu verstehen.

NARRATION UND NARRATIV Die Geschichte des Ratonhnhake:ton alias Connor Ist das Erfolgsnarrativ im Medium Computerspiel tatsächlich so dominant? Zur weiteren Untersuchung der Frage dient ein Wechsel des Genres, wobei das historische Ereignis das gleiche bleibt. Wie gehen Action Adventures, in denen nicht hunderte oder gar tausende von Untergebenen gelenkt werden, sondern nur eine einzelne Figur gesteuert wird, mit Narrativen um? Das gewählte Beispiel entstammt der Spielereihe ASSASSIN’S CREED, die mit inzwischen 60 Millionen verkauften Spielen weltweit eines der erfolgreichen Franchises der letzten fünf Jahre darstellt. Mit dem vorletzten Teil der Reihe, ASSAS37 SIN‘S CREED III (2012), wird wie bei AGE OF EMPIRES III, die nordamerikanische Unabhängigkeitsbewegung des späten 18. Jahrhunderts thematisiert. Es gibt einen Protagonisten, der die Erzählung und damit den größten Teil der im Einzelspielermodus verbrachten Zeit beherrscht. Das tut er noch stärker als die in den Mittelpunkt der Kampagne gerückte Figur im Strategiespiel. Mit einem solchen Protagonisten ließe sich eine intensivere Auseinandersetzung seitens der Spielenden anbahnen, ließe sich viel Geschichte in die Erzählung integrieren, beides sogar weitgehend in Deckungsgleichheit bringen, wenn eben in den Erlebnissen der Hauptfigur Geschichte in differenzierter Darstellung erkennbar wird. Das würde sich natürlich

37 ASSASSIN’S CREED III (2012) (Ubisoft) erschien am 31.10.2012, das nachfolgende ASSASSIN’S

CREED IV: BLACK FLAG (2013) (Ubisoft) am 31.10.2013. Weitere Titel der

Reihe werden folgen. So hat die Firma Ubisoft bereits verlauten lassen, dass sich derzeit noch zwei weitere Spiele in Entwicklung befänden. Eine offizielle Ankündigung dieser Titel steht für das Frühjahr 2014 zu erwarten.

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nicht nur auf besonders prominente historische Ereignisse beziehen, sondern ebenso Strukturen von Gesellschaft oder Alltagsleben mit einschließen. Wie sieht das konkret in ASSASSIN’S CREED III aus? Erzählt werden über die Erlebnisse des Protagonisten ausgewählte Stationen der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung – und noch einiges mehr. Dazu gehören neben der Einordnung in die Rahmenhandlung um die fiktive Assassinen-Bruderschaft die besonderen Hintergründe der Person. Überdies setzt die Geschichte nicht, wie zu erwarten wäre, bei der Geburt des Helden an. Sie beginnt mit den Ereignissen, die seinen Vater Haytham Kenway von London in die englischen Kolonien in Nordamerika führen, wo er die Mutter seines künftigen Sohnes kennenlernen wird. Die Erzählung vollzieht sich somit auf drei Zeitebenen, einer frühen von Haytham Kenway (17541755), der Ebene der erwachsenen Hauptfigur während des Unabhängigkeitskrieges (1770-1783) – nach kurzen Einblicken in Erlebnisse des Heranwachsenden (1760 und 1769) – und der Zeitebene der Rahmengeschichte mit der bereits in den früheren Spielen der Reihe agierenden Figur des Desmond Miles im frühen 21. Jahrhundert (November und Dezember 2012).38 Die Narration macht so aus der Geschichte der fiktiven Figur und des fiktiven Ordens der Assassinen Gegenwart. Das geschieht über den erzählerischen Kunstgriff, den Spielenden nicht als gegenwärtigen Menschen unmittelbar in die Vergangenheit reisen zu lassen. Stattdessen schlüpft man in die Rolle eines fiktiven Menschen der Gegenwart. Dieser erlebt mit Hilfe einer Maschine, eines Computersimulationsprogramms die in seiner DNA gespeicherten Erinnerungen eines Vorfahren nach und ›erfährt‹ so als dieser Mensch vergangene Lebenswirklichkeit. Mit diesem Kunstgriff der zwei Zeitebenen wird zum einen Geschichte inszeniert als Biographie eines unbekannten Individuums jenseits von historischen Überlieferungen, Ereignissen und Entscheidungsprozessen. Die DNA als ›Überlieferungsform‹ erhöht dabei den Eindruck von Subjektivität gegenüber mündlicher oder schriftlicher Überlieferung. Das bietet der Erzählung große Freiheiten,39 so dass im Spiel eine Geschichte entstehen kann, wie sie nicht in den Geschichtsbüchern steht – so jedenfalls ließe sich der Reiz von Spielen mit Geschichte wie diesem Action Adventure beschreiben. Mögen andere Spiele das Motiv der Zeitreise in Variationen schon aufgegriffen haben, so ist in dieser Reihe eine

38 Das war zum Zeitpunkt des Erscheinens von ASSASSIN’S CREED III ein Setting in der unmittelbaren Gegenwart. 39 Ähnlich wie schon in AGE OF EMPIRES III können auf die Weise Abweichungen von der überlieferten Geschichte innerhalb der Narration erklärt werden. Nicht zu unterschätzen ist die höhere Attraktivität einer solchen Geschichte für die heterogene Käuferschicht eines Mainstream-Produkts. Diese spricht eher überraschende Wendungen als eine exakt nachmodellierte Chronologie an.

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neue Komplexität im Erzählen von Geschichte, eine neue Stufe des Nacherlebens von Geschichte und ihres Gegenwartsbezugs zumindest virtuell Realität geworden. Diese Komplexität findet sich zudem in der recht aufwändigen Erzählung, die um die Person und ihre Hintergründe geschaffen wurde. Sie führen zu der spezifischen Art, in der Narration und Narrativ in ASSASSIN’S CREED III miteinander verflochten sind. Der Sprössling eines Engländers und einer »Kanien’kehà:ka« oder Mohawk – wie schon Nathaniel Black wird so auch der Protagonist dieses Spiels mit einem Volk der »Six Nations« oder Föderation der Irokesen verbunden – mit Namen Ratonhnhake:ton steht für die indigene Bevölkerung Nordamerikas oder konkret den Stamm seiner Mutter, den er als »sein Volk« bezeichnet. Trotz der vielen Ähnlichkeiten zwischen beiden Protagonisten unterscheiden sie sich im Wesen recht deutlich: Während Ratonhnhake:ton ganz in der Tradition des Stammes seiner Mutter aufwächst, nachdem sich seine Eltern bereits vor seiner Geburt wieder getrennt haben, wächst Nathaniel in Erinnerung an seinen Vater, also der Tradition der europäischen Siedler, heran. Der Held aus ASSASSIN’S CREED III trägt einen indianischen Namen und kämpft später dann konsequenterweise allein für das Wohl seines Stammes, nicht aus Überzeugung für oder gegen die Amerikanische Revolution.40 Nathaniel Black dagegen, von seinen indianischen Verwandten mit einem Namen in Anlehnung an britische Gepflogenheiten versehen, ist stets der Sohn seines Vaters, den er nie kennenlernte, weil er vor seiner Geburt starb.41 Spätestens seit dem im Spiel eigens in Szene gesetzten Treffen mit Washington kämpft er aus Überzeugung für die Revolution.42 Hier treten bereits die beiden unterschiedlichen Narrative zu Tage, die von den jeweiligen Herstellern bemüht werden: die amerikanische Meistererzählung auf der einen und eine etwas kritischere und in Teilen sogar differenziertere Sichtweise des multinationalen Entwicklerteams von ASSASSIN’S CREED III auf der anderen Seite. Nach dem Tod der Mutter (ca. 1760) erhält der Protagonist als Jugendlicher während seiner Ausbildung zum Assassinen von seinem afroamerikanischen Mentor einen neuen Namen. Die dazugehörige Szene, auf die im Folgenden ausführli-

40 Er ist in aller Regel für die Rebellion, weil sie eher dem Freiheitsideal entspricht, das die Assassinen vertreten, kritisiert aber durchaus, dass die Rebellen nicht die Freiheit für alle Menschen anstreben. Zum Schluss muss er sogar feststellen, dass an Freiheit für sein Volk ebenfalls nicht gedacht war. 41 Das ist Teil einer der anderen Kampagnen in AGE OF EMPIRES III. 42 Zuvor wird nicht deutlich, ob er Sympathien für die Revolution hat, er spricht sich nur gegen Neutralität der Stämme der Irokesenföderation aus, weil er fürchtet, dass die Ereignisse ihnen die Entscheidung sonst diktieren werden. Vgl. oben den Abschnitt über AGE OF EMPIRES III AGE OF EMPIRES III.

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cher eingegangen wird,43 beginnt in dem Moment, in dem der junge Mann erstmals eine größere Stadt betritt, sowohl geographisch als auch zeitlich wird die Sequenz genau verortet: Boston, Anfang März 1770. Der junge Mann, der bislang nur das Leben auf dem Land kannte, entdeckt beim Gang durch die belebten Straßen rasch die Unterschiede und kommentiert sie detailliert. Wie andere Reisende des späten 18. Jahrhunderts, die die damals größte Stadt Europas, London, zum ersten Mal erlebten, glaubt er ebenfalls, Tage an dem Ort verbringen zu können, ohne auch nur »die Hälfte der Wunder gesehen«44 zu haben. Daraus spricht jedoch weniger der Angehörige indigener Völker in einer Siedlung der Zugewanderten aus Europa und ihrer Nachfahren, als vielmehr der klassische (europäische) Land- oder Kleinstadtbewohner, der die Wunder der Großstadt bestaunt. Sein Mentor Achilles relativiert jedoch seinen Enthusiasmus über die vielen Möglichkeiten des Stadtlebens, die eben doch nur wenigen offenstünden. Ist dies eine Anspielung der Entwickler auf das im Entstehen begriffene ›Land‹, das scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten bieten sollte – zumindest für eine bestimmte Gruppe von Menschen? In der direkt darauf folgenden Szene, kommt es zu der zuvor angesprochenen Namensänderung: Ratonhnhake:ton brauche einen neuen Namen, so Achilles. Achilles geht es offensichtlich nicht nur darum, den der aus Europa stammenden Bevölkerung vermutlich sperrig erscheinenden Mohawk-Namen zu vereinfachen, als er als neuen Namen Connor vorschlägt. Vielmehr verbirgt sich hinter dem Namenswechsel der erste Schritt der Camouflage, der Übergang zu einer neuen Identität, die die wahre Herkunft des Protagonisten verbergen soll. Das ist zunächst Narration, denn die Assassinen in der Spielereihe verhüllen generell ihr wahres Gesicht und arbeiten im Verborgenen. Aber Achilles bringt dazu etwas Historisches mit ins Bild, was die Szene besonders interessant werden lässt, nämlich die Hierarchie von Ethnien, die die nordamerikanische Gesellschaft bereits vor Entstehung des neuen Staates und der ›Nation‹ charakterisierte. Spanier und Italiener seien aus Sicht der Siedler aus Europa, weitgehend aus Großbritannien, besser als Indigene, alle stünden auf einer höheren Stufe als Afroamerikaner, selbst wenn diese, wie im Fall von Achilles, keine Sklaven waren.45 Für die Handlung ist dieser Hinweis nicht unbedingt nötig, zumal die ethnische Zugehörigkeit sonst an keiner Stelle der Spielhandlung thematisiert wird – Auswirkungen auf den Spielverlauf hat sie ohnehin nicht: Achilles wird in seiner Siedlung von allen geschätzt, ebenso das afroamerikanische Ehepaar, das dort die Farm übernimmt, selbst Connors Herkunft wird insofern nie thematisiert, als er sich überall und jedem gegenüber völlig frei bewegen und äu-

43 Vgl. ASSASSIN‘S CREED III: Sequenz 05, Erinnerung 02: Eine Reise nach Boston. Einführungssequenz. 44 Ebd. 45 Vgl. ebd.

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ßern kann, George Washington eingeschlossen. Das gilt selbst auf dem Zweiten Kontinentalkongress, an dem er in Begleitung von Samuel Adams teilnimmt. Diese Freiheiten in der Handlungsfähigkeit der Figur setzt das Gamedesign voraus – die Narration tut das ebenfalls. Was passiert hier in Bezug auf eine mögliche Meistererzählung? Der französische Publisher der ASSASSIN’S CREED-Reihe und sein federführendes frankokanadisches Entwicklerstudio rücken die verschiedenen Gruppen, ihre Ausgangslagen und Interessen zumindest in Ansätzen schon früh ins Bewusstsein. Hierarchisierung und Stigmatisierung erklären die einzelnen Personen offenbar zu Menschen zweiter oder dritter Klasse,46 und das noch bevor die Spielenden mit der Freiheitsidee der bevorstehenden Amerikanischen Revolution konfrontiert werden. Im weiteren Verlauf der Spielhandlung wird diese Skepsis immer wieder erzeugt, so etwa in einem Gespräch, in dem Connor Samuel Adams, als historische Persönlichkeit einer der Gründerväter der USA und Mitorganisator der Boston Tea Party, vorwirft, Sklaven zu besitzen bzw. sich bei der Forderung nach Freiheit nur auf weiße männliche Kolonisten zu beziehen. Adams Vergleich des Unrechts, das die britische Krone den Kolonisten antue (z.B. durch Einquartierungen von Truppen) sei, so Connors aus heutiger Sicht überzeugender Schluss, nicht mit der Lage vergleichbar, in der sich ein Sklave gegenüber seinem Herrn befinde.47 Aus dem Erfolgsnarrativ der Befreiung vom Joch des Unterdrückers wird somit die Frage, wer denn hier wirklich befreit wird und wer nur den Herrscher oder Besitzer wechselt. In beiden Fällen, der Unterhaltung mit Achilles und der mit Adams, wird die Meistererzählung der US-Geschichte aus der Perspektive der Unterprivilegierten durchbrochen. Spielenden des 21. Jahrhunderts, die den weiteren Verlauf der Geschichte Nordamerikas und speziell die Besiedlungsgeschichte kennen, können sogar Zweifel aufkommen, ob die Hilfe des Protagonisten für die Aufständischen überhaupt die erhoffte Sicherheit für die Mohawk und andere indigene Völkerschaften bringen kann. Letztlich erscheint ein Engagement Connors für die Revolutionäre oder ihre Gegner, die Vertreter der Krone, gleichermaßen nutzlos, bestenfalls ein Aufschub drohenden Unrechts, ein Umstand, den Connor am Schluss des Spiels erkennen muss und als eigenes Scheitern begreift. Die Komplexität der Figur und ihrer Interaktionen im Adventure erlauben damit eine differenzierte Darstellung und zugleich eine Abwei-

46 Es ist bemerkenswert, dass diese für das Gameplay keine Bedeutung besitzen. Dass sie dennoch in die Erzählung eingefügt werden, zeigt nicht nur das Bemühen der Macher um eine ausgefeilte Geschichte, die zu fesseln vermag. Vielmehr tritt das Spiel, das populäre Medium Computerspiel, damit ein in den erinnerungskulturellen Diskurs um die Deutung des zentralen Ereignisses der US-amerikanischen (National-)Geschichte. 47 Vgl. ASSASSIN’S CREED III: Sequenz 06, Erinnerung 01: Auf Johnsons Spur. Erster Spielabschnitt.

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chung vom (Erfolgs-)Narrativ der US-amerikanischen Staatswerdung. Das geschieht allerdings nicht mit dem Gestus des Streiters gegen jegliches Unrecht, sondern vergleichsweise behutsam, wie Achilles Worte »und alles ist besser als ich«48 andeuten. Er hätte nämlich die Diskriminierung bzw. Entmenschlichung der afroamerikanischen Bevölkerung viel deutlicher anprangern können. Dass es den Machern auch in der erzählten Geschichte, in der die Erinnerung an die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung Form annimmt, nicht um ein Heldenepos ging, belegt zudem die Darstellung George Washingtons. Er erscheint zwar wie in AGE OF EMPIRES III als historische Persönlichkeit, die die Hauptfigur aufwertet und ihr in den historischen Vorgängen eine bedeutsame Rolle zuweist, doch tritt er keineswegs als heldenhafte Lichtgestalt der Revolution auf, die ihm das ältere Spiel durchaus zubilligt. An mehreren Stellen der Handlung kommen Schwächen und Fehler des Generals zur Sprache, was wiederum Connors Begegnungen mit ihm in ihrer Bedeutung relativieren. Wie wenig dem multinationalen Entwicklerteam daran gelegen war, das Bild eines heldenhaften Revolutionsgenerals entstehen zu lassen, zeigt eine Szene, die in Valley Forge im Jahr 1779 angesiedelt ist.49 Angesprochen werden darin fast wörtlich jene Befehle Washingtons, die zur Sullivan-Clinton-Expedition gegen vier der sechs Nationen des Irokesenbundes führten. Im Befehl ist von Verwüstung der Siedlungen und totaler Zerstörung, von der Gefangennahme von so vielen Indianern jeden Alters und Geschlechts wie möglich die Rede.50 Den indigenen Völkern solle

48 ASSASSIN‘S CREED III: Sequenz 05, Erinnerung 02: Eine Reise nach Boston. Einführungssequenz. 49 Vgl.ebd.: Sequenz 10, Erinnerung 02: Missbrauchtes Vertrauen. Einführungssequenz. 50 »The expedition you are appointed to command is to be directed against the hostile tribes of the six nations of Indians, with their associates and adherents. The immediate objects are the total distruction [sic] and devastation of their settlements and the capture of as many prisoners of every age and sex as possible. … I would recommd. that some post in the center of the Indian Country should be occupied with all expedition, with a sufficient quantity of provision; whence parties should be detached to lay waste all the settlements around, with instructions to do it in the most effectual manner; that the country may not be merely overrun but destroyed. … But you will not by any means, listen to any overture of peace before the total ruin of their settlements is effected. … Our future security will be in their inability to injure us; … and in the terror with which the severity of the chastizement [sic] they receive will inspire them.« Washington, George: »Instructions to Major General John Sullivan, Head-Quarters, Middle Brook, May 31, 1779«, in: Ders.: 1732-1799. The writings of George Washington from the original manuscript sources. Electronic Text Center, University of Virginia Library, URL: http://etext.virgin- ia.edu/

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so eine große Angst eingeflößt werden, dass sie der neu entstehenden ›amerikanischen‹ Nation – zu der sie folglich nicht gehören würden – in Zukunft nie mehr schaden könnten. Doch nicht alle Angehörigen des Bundes, die diese Strafexpedition traf, hatten mit den Briten kooperiert, einige hatten sogar – wie die fiktive Person Connor im Spiel – Washingtons Truppen unterstützt. Die Vergeblichkeit dieses Handelns Connors wird in der Sequenz im Spiel deutlich, nimmt diese doch im dargestellten Gespräch fast wörtlich nicht nur die Verbrannte-Erde-Taktik von Befehl und Expedition auf und führt somit nicht nur eine differenziertere Charakterisierung des Generals in das populäre Geschichtsbild ein, sondern lässt Spielende in Connors vergeblichem Streben, sein Volk zu beschützen, das ganze Dilemma der indigenen Völker erkennen.51 All seine Aktionen gegen Übeltäter und die als solche definierten Feinde der Freiheit erscheinen daher in diesem Teil der Reihe für die Spielenden eigentümlich ambivalent – anders als in den früheren Versionen, in denen die Motive der Protagonisten eindeutiger aus der Narration hervortraten. Diese Feinde sind zudem nicht durchgängig klar definiert, denn je nach Blickwinkel der einzelnen Personen im Spiel bedeutet die Freiheit etwas anderes, sind andere Personen(-gruppen) als Feinde auszumachen. Für die – fiktive – Gruppe der Assassinen ist stets jeder Angehörige des Templerordens ein solcher ›Freiheitsfeind‹, ganz gleich, ob er wie John Pitcairn auf britischer Seite oder wie Charles Lee und Nicholas Biddle auf Seiten der Aufständischen agierte. Aus Sicht der Patrioten sind alle Loyalisten sowie deren Unterstützer in Form der regulären britischen Truppen und deren Hilfskontingenten diejenigen, die den Kolonisten die Freiheit vorenthalten wollen. Schließlich bedrohen beide Seiten, sowohl Loyalisten als auch die Rebellen, die Freiheit der indigenen Bevölkerung, weil diese auf Land siedeln, dass aus Sicht der weißen Siedler für die Expansion der Kolonien bzw. nach 1783 des jungen nordamerikanischen Staates notwendig ist. Daraus resultiert ein vergleichsweise heterogenes Freiheitsbild, das weder klare Grenzen noch eine eindeutige Einteilung in Gut und Böse erlaubt. In Connor als dem Wanderer zwischen den verschiedenen Welten und damit zugleich den unterschiedlichen Freiheitsvorstellungen treffen alle drei genannten Optionen in einer Person zusammen. Da er nicht alle drei erfüllen kann, ist ein Scheitern vorprogrammiert. Eine Gewichtung dieser Freiheiten und deren Erfüllung oder Nicht-Erfüllung nimmt das Spiel nicht vor, sie bleibt dem Spielenden überlassen.

etcbin/toccer-new2?id=WasFi15.xml&images=images/modeng&data=/texts/english/ modeng/parsed&tag=public&part=165&division=div1 (Stand: 01.03.2014). 51 Dieser Schluss bleibt allerdings dem Spielenden überlassen, da sich Connor selbst nach der Einsicht in Washingtons frühere Befehle weder von Washington noch von der Amerikanischen Revolution abwendet.

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Im Ergebnis taucht in ASSASSIN’S CREED III so viel Geschichte auf wie in keinem der Vorgängertitel, denn in keinem anderen Spiel der Reihe wurden bislang so viele Ereignisse des historischen Geschehens so eng in die Narration eingebunden wie in diesem – Boston Tea Party, Paul Reveres Ritt, die Gefechte bei Lexington und Concord, Valley Forge und einige mehr. Darüber hinaus ist die Darstellung der Geschichte in ASSASSIN’S CREED III differenzierter als in den Vorgängertiteln und zugleich mit der Chance versehen, einen Wechsel der Perspektiven vorzunehmen. Das dient folglich nicht dazu, über die Erinnerung an Elemente des Erfolgsnarrativs vom Weg in die Freiheit das Narrativ unkritisch zu reproduzieren, wie dies in der Darstellung Nathaniel Blacks sehr viel deutlicher geschah. Vielmehr lässt das Spiel das Potenzial hervortreten, auch in populärkulturellen Medien und Mainstreamprodukten andere Perspektiven als die sonst bekannte zu berücksichtigen und selbst an prominenter Stelle (hier in der Hauptfigur) Gegenerzählungen aufzunehmen. Das wird in ASSASSIN’S CREED III sogar noch weiter verstärkt, wenn in der spielinternen »Animus-Datenbank« die Informationen über die Ereignisse der Amerikanischen Revolution aus Sicht der Spielfigur Shaun Hastings, der aus dem Großbritannien des 20. und frühen 21. Jahrhunderts stammt, erläutert und mitunter sehr kritisch kommentiert werden. Für die Geschichte des Mediums generell lässt sich mit ASSASSIN’S CREED III als vorläufigem Zwischenergebnis festhalten, dass die Narrationsstruktur ebenso wie das Gameplay und die audiovisuelle Darstellung eine Entwicklung kontinuierlicher Erweiterung durchlaufen hat. Sie hat hinsichtlich der inszenierten Geschichte einen für ein populäres Medium bemerkenswerten Grad der Differenzierung erreicht.  

RESÜMEE Geschichte ist der Erzählung eines Computerspiels immer insofern untergeordnet, als dass sie nicht im Zentrum steht. Vielmehr dient sie als Lieferantin für mehr oder minder konkrete und detaillierte Elemente, mit denen sich das Setting als eines in einer früheren Zeit angesiedeltes gestalten und Abläufe vergangener Prozesse für die Erzählung festlegen lassen. Den Vorgaben des Mediums vom Unterhaltungszweck bis zur Spielmechanik entsprechend erscheint Geschichte sehr häufig in Form von Tatsachen, die als gegeben präsentiert werden: Biographien von Personen, bestimmte Abfolgen von Ereignissen, Einsatz von Technologien. In der Regel spielen verschiedene Sichtweisen keine nennenswerte Rolle. Der eindeutigen Linie der Narration entspricht in dem Fall häufig ein ebenso eindeutiges Narrativ, das angesichts des Spielzwecks, am Ende zu siegen, im Grunde nur eine Erfolgsgeschichte sein kann.

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Eine instrumentalisierte Geschichte, positivistische Faktenhuberei: So würden Kritiker die genannten Ergebnisse als vorhersehbare Resultate der Beschäftigung mit dem Medium vermutlich auf den Punkt bringen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn auf den zweiten Blick offenbaren so manche Spiele einen für das Medium erstaunlich differenzierten Umgang mit Geschichte, der so für den Verkaufserfolg eines eben gut gemachten Spiels gar nicht zwingend nötig wäre. Warum etwa stammt die Hauptfigur in der gezeigten Kampagne in AGE OF EMPIRES III zur Hälfte von einem Irokesenvolk ab? Für das Narrativ hätte ein Nachfahre englischer Einwanderer doch ebenso genügt. Warum überhaupt die Personalisierung, die im freien Spiel in dieser Form gar nicht vorkommt? Eine Abfolge von wichtigen Schlachten hätte der Kampagne doch ebenso gut einen Hauch von Geschichte verleihen können? Warum schließlich wird ein ominöser hessischer Oberst zum direkten Gegenspieler aufgebaut? Es hätte doch gereicht, Hauptkontrahenten wie Washington und Lord Cornwallis auftreten zu lassen. Das sind alles keine Elemente, durch die das Spiel für bestimmte komplexe historische Hintergründe sensibilisieren will, aber es sind doch Features, die einer allzu einfachen Deutung von den Grenzen des Mediums zuwiderlaufen. Die Gründe für eine solche Darstellungsart sind vielfältig. Sie umfassen die Erwartungshaltung, die Spieledesigner bei ihren Rezipientinnen und Rezipienten voraussetzen und denen derzeit mit einfachen Schwarzweiß-, Gut-Böse-Schemata nicht mehr entsprochen werden kann. Zudem schließen sie die technischen Möglichkeiten des Mediums bis zur Nutzung komplexer Erzähl- und Spielstrukturen ein, alles Mittel, um Spielerinnen und Spieler lange, möglichst dauerhaft für eine ganze Spielereihe zu begeistern. Darüber hinaus lassen die Spiele aber weitere Deutungen zu. So kann das Auftreten des Bundes indigener Völker und seiner Spaltung im Unabhängigkeitskrieg ebenso auf eine andere Geschichte neben und in der erzählten aufmerksam machen wie der Part, den Hessen in der amerikanischen Revolution zu spielen hatten. Wie kamen diese überhaupt dorthin, wie groß war ihr Anteil an dem Krieg tatsächlich, könnte sich ein nur mäßig an Geschichte interessierter Spielender von AGE OF EMPIRES III fragen. Solche Elemente der Narration werfen also Fragen auf, sie schaffen potenziell wieder Distanz zu Geschichte, wo die Geschichte des Spiels, also die Erzählung für Nähe sorgt. In diesem Fall muss dann selbst das unterschwellig dargebotene Narrativ nicht mehr zwangsläufig so unabänderlich erscheinen. Der Titel aus dem Jahr 2012 ist allein durch den Aufbau der Reihe deutlich flexibler, obwohl schon AGE OF EMPIRES III 2006 mit einer Familiengeschichte als Widerhall der Geschichte der frühen USA neue Wege für die eigene Reihe beschritt. ASSASSIN’S CREED III erreicht als bislang fünfter Titel der neueren Serie noch einmal einen anderen Grad der Komplexität und ein für die Reihe neues Maß an Einbindung von Geschichte in die Narration. Statt die Geschichte in die Narration einzuflechten, scheint die Narration um die Geschichte herum geschrieben. So

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ergibt sich eine Art Forrest-Gump-Effekt, die den Protagonisten praktisch bei allen wichtigen Ereignissen der Unabhängigkeitsbewegung unter Einschluss des Zweiten Kontinentalkongresses in vorderster Reihe dabei gewesen sein lässt.52 Kritiker könnten erneut einwenden, dass Geschichte auch in dem Fall nur als Steinbruch für Fakten und Ideen dient. Das genügt als Antwort aber bei weitem nicht mehr, um das Medium und insbesondere einen Titel wie ASSASSIN’S CREED III zu charakterisieren. Das Maß an Details, die im Spiel über die Handlung und die jederzeit aufrufbare Datenbank vermittelt werden, ist enorm.53 Dennoch geht es nicht bloß um die Einzelheiten, da Spielende vielfältige Möglichkeiten zum Perspektivwechsel vorfinden, durch die Erlebnisse und Ansichten des Protagonisten ebenso wie die Präsentationsweise der Einzelheiten in den Datenbankeinträgen. Das Erfolgsnarrativ der Freiheitsbewegung wird demnach immer wieder in Frage gestellt, mit Ratonhnhake:ton die Geschichte auf einmal ganz anders erinnert und für Spielende des 21. Jahrhunderts somit anders vergegenwärtigt. Das ist weniger eine Frage des gewählten Genres Adventure – obwohl dieses mehr Spielräume zu bieten scheint als andere Genres – als Interesse der Entwickler bzw. Publisher an immer wieder neuen Erzählungen, anderen Perspektiven, unverbrauchten Settings, eben an jenen Themen (aus der Geschichte), die von den Herstellern als Alleinstellungsmerkmal beworben werden können und die letztlich von zahlreichen Spielenden auch gewünscht werden. Es spiegelt daher eine sich auffächernde, möglicherweise sogar globalisierende Erinnerungskultur wider, oder vielleicht sollte man besser von einem sich ausbildenden Set globaler »narrativer Abbreviaturen«54 sprechen, die überall auf der Welt so abrufbar sind. Es wäre eine spannende Geschichte, diese eingehender zu untersuchen.

52 AGE OF EMPIRES III operiert zwar ähnlich, doch stellt der Protagonist nie in Frage, was geschieht, sondern trägt die jeweils aktuellen Handlungen aus eigenem Antrieb mit. 53 Ein Abgleich mit den umfangreichen Handbüchern und ihren Informationen, so wie sie frühen Spielen beigegeben waren, könnte eine interessante Vergleichsebene eröffnen. 54 Rüsen, Jörn et al.: »Untersuchungen zum Geschichtsbewußtsein vom Abiturienten im Ruhrgebiet«, in: Ders./Bodo von Borries/Hans-Jürgen Pandel (Hg.): Geschichtsbewußtsein empirisch (Geschichtsdidaktik, Studien, Materialien. Neue Folge 7), Pfaffenweiler: Centaurus 1991, S. 221-344, hier S. 231.

METHODOLOGIE UND THEORIE

Screening the game – screening the play Zur videografischen Analyse von Videospielen S IMON M ARIA H ASSEMER

Seit einigen Jahren sind die geisteswissenschaftlichen Disziplinen dabei, das Computerspiel1 als ein nicht mehr weg zu denkendes Massenmedium, stabilen Wirtschaftsfaktor und (populär)kulturelles Gut moderner Gesellschaften für sich zu entdecken und mit zu konstruieren. Medien-, Literatur-, Film- und Geschichtswissenschaft, Soziologie und Philosophie versuchen das Videospiel als neuen, gesellschaftsrelevanten Untersuchungsgegenstand »mit ihren Erklärungsansprüchen und Paradigmen zu erfassen.«2 Damit einher geht automatisch eine an den etablierten Disziplinen orientierte höchst disparate Betrachtungs- und Herangehensweise an ein in seiner Struktur, Rezeption und Wirkung nur bedingt vergleichbares Medium. Der Nachteil dieser an sich wertzuschätzenden Diversität ist, dass das Videospiel in seiner primären Entität als Spiel aus dem Blick zu geraten droht. »Using other media as starting points, we may learn many things about the construction of fictive worlds, characters... but relying too heavily on existing theories will make us forget what makes games games: Such as rules, goals, player activity, the projection of the player's actions into the game world, the way the game defines the possible actions of the player.«3 Mittlerweile liegt die Gefahr jedoch nicht in einem Mangel, sondern in einer interdisziplinär entstandenen Masse an theoretischen Ansätzen, durch den

1

Ich verwende den Begriff analog zum Englischen videogame und nicht in der umgangssprachlichen Bedeutungsverengung auf PC-Spiel.

2

Hanke, Christian: »>Next Level. Das Computerspiel als Medium, Eine Einleitung«, in: Jan Distelmeyer/Christine Hanke/Dieter Mersch (hg.): Game Over! Perspektiven des Computerspiels, Bielefeld: transcript 2007, S. 7-18; hier S. 7-8.

3

Juul, Jesper: Half-real. Video games between real rules and fictional worlds, Cambridge (Mass.): MIT Press 2005.

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das Videospiel »als ›unscharfes Objekt‹ durch verschiedene Disziplinen, Modelle (Literatur, Film, Simulation), Erklärungsansätze und Praktiken« durchgereicht zu werden droht.4 Der heterogene Theorieüberschuss geht einher mit einem massiven Methodendefizit: »systematic and widely acknowledged methods for video game studies, especially concerning the studying of games from the perspective of game design, are still largely missing.«5 Auch die in Deutschland mittlerweile verstärkt in Erscheinung tretenden Fachdisziplinen der game studies haben die methodische Grundsatzdiskussion bislang weitgehend vermieden. Ein zentrales Problem der wissenschaftlichen Untersuchung von Videospielen liegt in dem unbeständigen Syntagma des Mediums, womit gleichzeitig Schwierigkeiten mit der Zitierfähigkeit einhergehen. Während Literatur und Filme durch ihre festgelegte Linearität anhand von Seitenzahlen oder dem Timecode exakt zitiert werden können, ist dies beim Videospiel so nicht möglich und eine wissenschaftliche Nachprüfbarkeit somit nicht mehr gewährleistet. Während Literatur- und Filmwissenschaftler sich sicher sein können, dass sie sich im Austausch mit ihren Kollegen auf die gleiche syntagmatische Grundlage berufen können, bindet das Medium Videospiel den Rezipienten als Spieler viel aktiver ein, was zu unterschiedlichen syntagmatischen Verläufen führen kann: Das Spiel, welches der Ludologe zur Grundlage seiner Analyse gespielt hat, ist nicht mehr exakt reproduzierbar. »Gerade durch die Anlage des variablen Verlaufs mit unterschiedlichen Enden […] und dem performativen Charakter des Spielens wird es problematisch, eine abgesicherte, letztgültige Fassung des Spielablaufs zu fassen zu bekommen: Es existiert keine historisch-kritische Ausgabe einer Spielsitzung am Computer.«6

Um die damit verbundenen wissenschaftlichen Probleme zu reduzieren, ist es notwendig, den für die Untersuchung gespielten Spielverlauf zu dokumentieren: Der Ludologe muss das Spiel aufzeichnen.

4 5

Hanke: >Next Level, S. 13. Järvinen, Aki: »Understanding Video Games as Emotional Experiences «, in: Mark J. P.Wolf/Bernard Perron (Hg.): The Video Game Theory Reader 2, New York: Routledge 2009, S. 85-108; hier S. 85.

6

Sandkühler, Gunnar: »Der Historiker und Silent Hill. Prospektives Quellenstudium«, in: Matthias Bopp/ Britta Neitzel/Rolf F. Nohr (Hg.): »See? I'm real...«. Multidisziplinäre Zugänge zum Computerspiel am Beispiel von ›Silent Hill‹ (Medien'Welten 4), 3., unveränderte Aufl., Münster: Lit 2010, S. 213-226; hier S. 214.

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M ETHODOLOGISCHER F ORSCHUNGSSTAND Vom letztgenannten Vorgehen macht bereits die ausführliche Computerspielanalyse Danny Kringiels von MAX PAYNE 2 Gebrauch: Einschlägige Spielpassagen werden durch Videomitschnitte des Spiels, die er auf seiner Homepage verlinkt hat, zitiert. Dies stellt sich als sinnvolle Erweiterung des von Kringiel praktizierten »close playing« (analog zur grundlegenden Methode des New Criticism) heraus, die es auch Lesern, die das Spiel nicht kennen erlaubt, die Dekonstruktion des Spiels nachzuvollziehen. An seinem Fallbeispiel erprobt Kringiel sechs disziplinär unterschiedliche Zugänge (ludologisch, narratologisch, theaterwissenschaftlich, filmwissenschaftlich, architektonisch, didaktisch). Die Auswahl zeigt, dass das Hauptaugenmerk der Studie auf dem Produkt Computerspiel und nicht auf dem Prozess des Spielens liegt. Kringiels Ansatz versucht zunächst, die Gestaltungsmerkmale des Computerspiels zu dekonstruieren, um darauf aufbauend (und nicht umgekehrt) »den Fragen nach Wirkungen des digitalen Spiels auf Heranwachsende und nach pädagogisch sinnvollen Umgangsformen damit […] gerecht werden zu können.«7 Die Studie beinhaltet daher keine Analyse der emotionalen und kognitiven Beteiligung (involvement) des Spielers, gibt also keine Auskunft über die psychische Verfassung des Spielenden während des Spielprozesses.8 Angesichts seiner Fragestellung und dem erziehungswissenschaftlichen Forschungsstand ist diese Auslassung natürlich legitim. In anderen Fällen aber wird die Frage nach dem interaktiv auch physisch beteiligten Spieler relevant, werden neue Anforderungen an eine methodisch-kritische Erfassung der Rezeptionssituation gestellt. Werkzeuge zur methodischen Analyse des emotionalen Spielverhaltens kennen die von dem finnischen Ludologen Aki Järvinen vorgestellte »Rapid analysis methods«, kurz RAM, die Järvinen als Werkzeugkasten für eine angewandte Ludologie versteht.9 Die RAM können auf alle Arten von Spielen (games) angewandt werden, beanspruchen also nicht alleinige Gültigkeit auf Computerspiele. Voraussetzung dieser Methodologie ist eine Bestimmung derjenigen Elemente, die ein Spiel kons-

7

Kringiel, Danny: Computerspielanalyse konkret. Methoden und Instrumente – erprobt an May Payne 2, München: kopaed 2009, S. 21.

8

Die »dramatische Rolle des Spielers«, wie in Kapitel 2.3 beschrieben, ist derart eingeschränkt, dass sich aus ihr heraus keine Rückschlüsse auf das Spielerleben durch den Rezipienten ableiten lassen. In der lernbezogenen Analyse (Kapitel 2.6) geht Kringiel mehr auf die Art und Weise ein, die Steuerung des Spiels zu erlernen.

9

Järvinen, Aki: Games without Frontiers. Theories and Methods for Game Studies and Design, Dissertation: Tampere 2008, Tampere: Acta Electronica Universitatis Tamperensis, URL: http://tampub.uta.fi/bitstream/handle/10024/67820/978-951-44-7252-7.pdf?sequence=1 (Stand: 17.01.2014), S. 336.

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tituieren. Järvinens Theorie dekonstruiert ein Spiel in die neun Elemente Spielkomponenten, Spielumgebung, Regeln, Spielmechanik, theme, Information, Interface, Spieler und Kontexte. Die Identifikation und Analyse dieser Elemente ist der wichtigste Aspekt der RAM. Järvinen fügt diesem noch weitere hinzu, etwa zur Identifikation der Spielerfähigkeiten und derjenigen Bedingungen, die Emotionen in Spielsituationen auslösen. Damit beziehen die RAM explizit die emotionale und kognitive Beteiligung des Spielenden im Spielprozess mit ein. Eine Konsequenz die von derjenigen theoretischen Prämisse ausgeht, dass das Spiel (game) nicht losgelöst von ihm abhängigen Spielprozess (play) verstanden werden kann. Für die meisten Fragestellungen, insbesondere jene, die sich um die Wirkungsweise eines Spiels auf den Rezipienten drehen, ist diese Prämisse von zentraler Bedeutung. Obwohl Järvinen seine Methoden an über 100 Spielen ausprobiert, deren Ergebnisse er in Appendices tabellarisch aufführt, bleibt es bei einer Bereitstellung des Werkzeugkastensystems auf theoretischer Grundlage und einigen stichwortartigen Resultaten aus den Anwendungsbeispielen – eine konkrete methodische Anleitung zu Durchführung und Beschaffenheit der Analyse aber fehlt in dieser Methodologie. Ähnlich aufgebaut ist auch die rund fünf Jahre ältere Methodologie von Lars Konzack, der eine Analyse anhand von sieben Spielelementen (Hardware, Programmcode, Funktionalität, Gameplay, Bedeutung, Referentialität und soziokultureller Kontext) vorschlägt. Die Illustration am Fallbeispiel scheitert jedoch bereits an der Analyse der programmiertechnischen Elemente, für die eine enorme informatische Fachkenntnis erforderlich wäre. Zudem führt Konzacks Methodologie – wie auch Järvinens – lediglich das Was der Analyse an und vernachlässigt dabei die Frage nach dem Wie. In dieser Hinsicht orientieren wir uns daher wieder an der konkreten Analyse von Kringiel, die aufgrund des untersuchten Einzelfalls jedoch nur bedingt auf andere Spiele übertragbar ist. So kommt es wieder sehr auf die genaue Fragestellung und die Untersuchungsabsichten der jeweiligen Arbeit an. In Anbetracht des thematischen Rahmens dieses Tagungsbandes konzentrieren wir uns im Folgenden daher auf geschichtskulturelle Fragestellungen an das Computerspiel: Wie vermitteln Computerspiele Historisches? Wie tragen sie zur Konstitution historischen Wissens bei? Welche Auswirkungen hat eine game-based history auf das Geschichtsbewusstsein des Spielenden? Da sich bereits eine auf Spiele und Computerspiele allgemein bezogene Methodik bis dato nicht etablieren konnte und auch die Diskussionen darüber spärlich gesucht werden, verwundert es kaum, dass es kein methodisches Rüstzeug zur Beantwortung geschichtskultureller Fragen in Hinsicht auf Computerspiele gibt. Carl Heinzes Arbeit zum Mittelalter in Computerspielen liegt eine dezidiert geschichtskulturelle Fragestellung zu Grunde und verbindet entsprechend geschichtskulturwissenschaftliche und ludologische Ansätze miteinander. Darin liegt auch gleichzeitig die größte Stärke der Arbeit, deren sechs Produkte umfassender Analyseteil eine gemeinsame, systematische Methode vermissen lässt und somit sechs voneinander unabhängige Essays anbietet. Die je

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nach Produkt individuell gewählten Schwerpunkte, die nach einem close reading in einer Art punktuellen dichten Beschreibung aufgearbeitet werden, lassen sich somit untereinander auf ihre gemeinsamen Eigenschaften (Computerspiel, Geschichtsdarstellend, Mittelaltermodellierend) nur schlecht untereinander vergleichen. Das Ergebnis ist zwangsläufig das eines höchst disparaten Geschichts- und Mittelalterbildes im Computerspiel. Die Schlussfolgerung »[e]ine andere Methode wäre der Heterogenität des Gegenstandes nicht angemessen« gewesen, ist im Umkehrschluss vielmehr ihre Bedingung: Denn das qualitative close reading einzelner Produkte unter Betrachtung unterschiedlicher Aspekte führt gerade zu dem Ergebnis einer Heterogenität der Mittelalterdarstellung im Computerspiel. Was nach einer linearen Kausalwirkung klingt, ist bei näherer Betrachtung ein Zirkelschluss. Damit soll nicht gesagt werden, dass dieses Ergebnis ein falsches ist – mit dem Begriff der Heterogenität kann man in geisteswissenschaftlichen Arbeiten eigentlich nie etwas falsch machen. Doch die Uneinheitlichkeit der Elemente ist letztendlich immer nur eine Frage des perspektivischen Grads von Makro zu Mikro. Es zeigt aber, wie die Wahl einer unsystematisch freien Methode wie der des close reading, die per se das Partikulare statt des Allgemeinen fokussiert, die Ergebnisse mitbestimmt. Im Folgenden soll daher eine Methode zur Untersuchung von Geschichtsdarstellungen im Videospiel vorgeschlagen werden, die systematisch angelegt ist. Wie zu sehen sein wird, bedeutet dies keineswegs das Einbüßen ihres kritischen Potentials.

E LEMENTE

DES

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Eine systematische Methode erfordert eine Systematik des Gegenstands, den es zu untersuchen gilt. Aufgrund des bereits angesprochenen Theorieüberschusses ist es daher nicht schwer, eine Definition des Spiels oder seiner konstitutiven Bestandteile zu finden. Die vielleicht berühmteste wissenschaftliche Definition des Spiels stammt von Johann Huizinga: »Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewußtsein des ›Andersseins‹ als das ›gewöhnliche Leben‹.«10

10 Huizinga, Johan: Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, bibliogr. erg. u. überarb. Neuausg., 113 – 115. Tsd., Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1987, S. 12.

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Huizingas Definition besitzt nach wie vor Gültigkeit; und trotz ihres Alters auch für das damals noch unbekannte Computerspiel. Aufgrund dieser Allgemeingültigkeit ist sie zur Gestaltung einer Methode eher ungeeignet, zumal sie das Spiel als Tätigkeit, also den Begriff des Spielens (play) bestimmt und nicht das Spiel (game) als System und Produkt fokussiert. Um zahlreiche Ableitungen bis hin zu einer anwendbaren Methode zur Dekonstruktion eines Spiels zu entkommen, verwenden wir hier das strukturelle Modell Espen Aarseths, dass das Spiel in drei Elemente gliedert: »»Any game consists of three aspects: (1) rules, (2) a material/semiotic system (a gameworld), and (3) gameplay (the events resulting from application of the rules to the gameworld).«11 Diese definitorische Zergliederung des Untersuchungsgegenstands ist bereits der erste Schritt einer systematisch-dekonstruktiven Methode.

Regeln

Semiotisches System SPIEL

Gameplay

Eine Analyse des Regelsets eines Spiels bedeutet, die innere Struktur des Spiels zu untersuchen. Eine Analyse des semiotischen Systems (der Spielwelt) eines Spiels bedeutet, die äußere Struktur des Spiels zu untersuchen. Eine Analyse des Gameplays bedeutet, auf die Wechselbeziehungen zwischen inneren (Regeln) und äußeren (semiotisches System) Strukturen einzugehen und gleichzeitig das Verhältnis zwischen Spiel und Spieler mit einzubeziehen.

SPIELEN Abb. 1: Um den Prozess ›Spielen‹ erweitertes und kommentiertes Modell Espen Aarseths der drei Spielaspekte

Aarseths Modell bezieht sich auf das Spiel (game) und nicht auf das Spielen (play). Diese beiden Entitäten werden bezeichnenderweise unter dem dritten Aspekt des Gameplays aufeinander bezogen. Das Gameplay ist die Art und Weise, wie das Spiel gespielt wird. Insofern ist in einer Spielanalyse immer auch eine SpielenAnalyse integriert. Das Spielen eines Spiels in der Untersuchung unberücksichtigt

11 Aarseth, Espen: »Genre Trouble«, URL: http://www.electronicbookreview.com/thread/ firstperson/vigilant, 21.05.2004 (Stand: 17.01.2014).

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zu lassen ist epistemologisch ohnehin sehr fragwürdig, wenn nicht geradezu sinnlos und kommt etwa der Analyse eines ungesehenen Films oder ungelesener Literatur gleich. Daher wurde in das Modell neben den methodologischen Kommentaren zu den drei Aspekten auch das Spielen als Prozess mit aufgenommen. So kann das Modell als Grundlage einer Methode dienen, »that show sensitivity to the specificity of videogames as played objects that are only mobilized by the action of the playing subject«.12

H ISTORISCH

THEMATISIERTE

C OMPUTERSPIELE

In einem anderen Artikel zu dieser Tagung habe ich in der Untersuchung von ludologischen Minimalpaaren bereits zeigen können, dass historische Thematisierungen nur in dem semiotischen Systems eines Spiels vorkommen. Die Regeln und damit die innere Struktur des Spiels allein sind ungeeignet, um Geschichte darzustellen, da es sich abstrahiert um ein rein mathematisches System handelt. Wenn aber das semiotische System eine historisch thematisierte Spielwelt (historically themed gameworld) darstellt, so werden im Gameplay vom Spieler auch die Regeln auf dieses historische Setting bezogen. Ein Beispiel: AGE OF EMPIRES II: THE AGE OF KINGS13 ist ein historisch thematisiertes Echtzeit-Strategie-Computerspiel, dessen semiotisches System auf das Mittelalter verweist. In diesem Spiel gibt es eine Spielfigur, deren regeltechnischen Werte von 100 Trefferpunkten, 17 Attackepunkten und 10 Rüstungspunkten sie zu einer der mächtigsten Spielkomponenten in AGE OF EMPIRES II macht. Semiotisch ist diese Spielfigur als Deutschritter thematisiert. Die Kombination aus Regeln und semiotischen System lässt dann folgende Aussage zu: »The [Elite] Teutonic Knight is the most powerful infantry unit in the game.«14 Wie wirkt eine so thematisierte Regel auf das Geschichtsbewusstsein des Spielenden? Nach Aki Järvinen ist das theme »[t]he subject matter of the game which functions as a metaphor for the system and the ruleset.«15 In unserem Beispiel ist der Deutschritter also eine Metapher für große militärische Stärke. Die Absicht hinter dieser Metapher liegt in der erleichterten Verinnerlichung der Regeln, weswegen das semiotische System »auf eine ganz bestimmte mimetische Bilderwelt als Meta-

12 Atkins, Barry/Krzywinska, Tanya: »Introduction: videogame, player, text«, in: Dies. (Hg.): Videogame, player, text, Manchester/New York: Manchester University Press 2007, S. 1-7; hier S. 3. 13 AGE OF EMPIRES II: THE AGE OF KINGS (1999) (Ensemble Studios/Microsoft). 14 O. A.: »Teutonic Knight«, URL: http://ageofempires.wikia.com/wiki/Teutonic_Knight (Stand: 29.07.13). 15 Järvinen: Games without Frontiers, S. 338.

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pher, in die das abstrakte Spielprinzip eingebettet wird«16 zurückgreift.Wie weit diese Verinnerlichung gehen kann, zeigt ein weiteres Zitat aus dem usergenerierten Age of Empires-Wiki: »However, they [the Teutonic Knight units] are extremely slow, due to the large amount of armor they wear«.17 In den Regeln wird lediglich spezifiziert, dass die Einheit sich nur sehr langsam fortbewegen kann, nicht aber warum. Diese Leerstelle wurde von dem Autor des zitierten Wiki-Artikels allein aus dem theme des Spiels abgeleitet. Historische Thematisierungen in Computerspielen werden mit Hilfe des semiotischen Systems realisiert, aber nur in der Anwendung dieses Systems auf die Regeln durch Gameplay entsteht so etwas wie eine historische Sinnstiftung durch den geschichtsbewussten Anwender. In diesem Fallbeispiel lautet sie so: Die Deutschritter waren die stärksten Krieger ihrer Zeit, konnten sich wegen ihren schweren Rüstungen aber nur sehr langsam fortbewegen. Das mag als Ergebnis rudimentär erscheinen. Aber es zeigt zum einen, dass für geschichtskulturelle Fragestellungen in Bezug auf Computerspiele das semiotische System eine Schlüsselposition einnimmt und dass über dieses immer der erste Zugang zum historischen Thema eines Spiels erfolgt. Zum zweiten zeigt es, dass die beiden anderen Aspekte Regeln und Gameplay und über letzteres eben auch und vor allem der historisches Bewusstsein reflektierende Spieler, Bestandteil der geschichtskulturwissenschaftlichen Computerspielanalyse sein müssen. Dies gilt es beim Aufbau einer entsprechenden Methode zu berücksichtigen.

V ERSUCHSAUFBAU Im wissenschaftlichen Umgang mit dem Computerspiel sehen wir uns – im Unterschied zu anderen Medien – vor allem mit zwei Problemen konfrontiert: Der Zitation des syntagmatisch offenen Computerspiels und der analytische Einbezug des Spielers als nicht nur aktivem, sondern auch interaktivem Rezipienten. Drittens kommt die jeweilige Fragestellung hinzu, die anhand des dreigliedrigen Modells von Aarseth methodisch spezifiziert werden kann: im vorliegenden geschichtskulturwissenschaftlichen Fall wenden wir uns zunächst dem semiotischen System zu, dass im Gameplay auf die Regeln bezogen wird und so beim interaktiven Rezipienten (dem Spieler) spielbasierte Sinnstiftungen in dessen Geschichtsbewusstsein generieren. Für die Computerspielanalyse empfiehlt sich damit eine mediengerechte Protokollform in Bild und Ton, die auch die Interaktion des Spielers mit berücksichtigt, ohne den es kein Gameplay, vielleicht nicht einmal ein Spiel gibt – »a ga-

16 Mit Verweis auf Juul: Kringiel: Computerspielanalyse konkret, S. 46. 17 O. A.: Teutonic Knight.

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me without a player is not a game at all, but merely a collection of game components pregnant with the potential to be realised as a game«.18 Als Versuchsaufbau dient das gleiche Sample an Computerspielen und Videografien, das ich bereits in meinem anderen Artikel zu dieser Tagung verwendet habe: jeweils drei Spiele aus der TOTAL WAR-, der AGE OF EMPIRES- und der ASSASSIN’S CREED-Reihe.19 Dabei wurden drei verschiedene Formen von Videografien getestet: 1) Eine einfache Videografie, bei der nur Bild und Ton des Spiels während des Spielprozesses aufgezeichnet wurden (erprobt an den Spielen der TOTAL WAR-Reihe); 2) Eine Videografie mit Spielerscreening, bei der das Spiel und gleichzeitig der Spielende über eine Webcam ebenfalls in Bild und Ton aufgezeichnet wurden; 3) Ein Let’s Play20 eines bekannten deutschen »Vorspielers«21, bei der das Spiel und der gleichzeitige Audiokommentar des Spielers aufgezeichnet und via YouTube für ein größeres Publikum zur Verfügung gestellt wurde.

E INFACHE V IDEOGRAFIE – T OTAL W AR Im ersten Versuch wurden die Tutorials von drei Spielen der TOTAL WAR-Reihe gespielt. Tutorials lehren den Spieler das Spiel zu spielen und sind von daher ein gutes Hilfsmittel um Regeln und Gameplay, insbesondere Interface und Steuerung eines Spiels zu untersuchen. Im Vergleich fällt das gemeinsame Spielprinzip bei gleichzeitig unterschiedlichen Thematisierungen im semiotischen System der drei

18 Atkins, Barry/Krzywinska, Tanya: Introduction: videogame, player, text, S. 3. 19 Die Titel des Samples im Einzelnen: ROME: TOTAL WAR (2004) (Creative Assembly/Activision/Sega), MEDIEVAL 2: TOTAL WAR (2006) (Creative Assembly/Sega), NAPOLEON:

TOTAL WAR (2010) (Creative Assembly/Sega), AGE OF EMPIRES (1997) (En-

semble Studios/Microsoft), AGE OF EMPIRES II: THE AGE OF KINGS (vgl. Anm. 13), AGE OF

EMPIRES III (2005) (Ensemble Studios/Microsoft), ASSASSIN’S CREED (2007) (Ubi-

soft), ASSASSIN’S CREED II (2009) (Ubisoft), ASSASSIN’S CREED III (2012) (Ubisoft). 20 Beim Let’s Play handelt es sich um eine populäre Form der videografischen und kommentierten Vorführung eines Videospiels im Internet. 21 So die Behelfsbezeichnung des SPIEGELs für die professionellen Let’s Player Gronkh und Sarazar, alias Erik Range und Valentin Rahmel. Siehe dazu Horchert,Judith: »Let'sPlay-Stars Gronkh und Sarazar: Deutschlands berühmteste Vorspieler«, auf: SPIEGEL Online, URL: http://www.spiegel.de/netzwelt/games/let-s-play-videos-machten-gronkhund-sarazar-beruehmt-a-859241.html (Stand: 31.07.2012).

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Spiele auf: Gemeinsam ist ihnen ein rundenbasierter Kampagnen-Modus, den der Spieler aus der Vogelperspektive über eine Karte steuert. Dieser Teil des Spiels funktioniert hauptsächlich über das Bewegen von Spielfiguren und dem Klicken durch verschiedene Menüs zur Verwaltung des eigenen Einflussgebiets und für diplomatische Unterhandlungen mit (computergesteuerten) Gegnern. Im sogenannten Taktik-Teil steuert der Spieler in Echtzeit eine als Armee thematisierte, heterogene Gruppe von Spielfiguren aus einer frei einstellbaren Kameraperspektive22 über ein als Schlachtfeld thematisiertes Spielfeld.23 Carl Heinze hat in diesem Zusammenhang »auf die Ähnlichkeit der Steuerung im Schlachten-Modus von MEDIEVAL II: TOTAL WAR und in gängigen grafischen Dateiverwaltungen hingewiesen […]. Hier wie dort selektiert und gruppiert man Elemente (Militäreinheiten bzw. Dateien und Ordner) mittels derselben Tastaturkommandos und Mausroutinen.«24 Daraus leitet er die Konsequenz ab, dass es sich bei solchen historisch thematisierten Computerspielen wie denen der TOTAL WAR-Reihe, die Historisches zwangsläufig als formalisiertes und diskretes System – was das Spiel ja auch ist – darstellen. Den Spielen dieser Reihe gelänge es daher nicht, Geschichte »von der Algorithmenlogik der gegenwärtig nahezu omnipräsenten computerisierten Datenverarbeitung zu entkoppeln.«25 So ist auch das semiotische System der Spiele in seinen Grundformen (Kartenmodus, Interface mit Buttons, als Schriftrollen thematisierte Fenster usw.) untereinander sehr ähnlich. Das Thema aber ist je nach dargestellter Epoche unterschiedlich. Wie ich bereits an anderer Stelle bemerkt habe, sind die visuellen, aber auch akustischen Gestaltungen sowie die Musik der jeweils thematisierten Epoche angepasst. Ob diese Zeichen mit Aussagen eines zeitgenössischen historischen oder archäologischen Spezialistendiskurses konform sind, spielt dabei keine Rolle. Entscheidend ist, ob diese Zeichen überzeugen können. Der Rezipient (der Spieler) muss sie als typisch römisch, mittelalterlich oder frühneuzeitlich erkennen kön-

22 Eine aus dem Medium Film entlehnte Metapher, da es im Computerspiel tatsächlich keine Kamera gibt. Vgl. Hassemer, Simon M.: »VG Rome: Total War – Tutorial«, URL: http://www.youtube.com/watch?v=G7v9B4u0pGA&feature=youtu.be

(Stand:

30.07.

2012), wo die Perspektivensteuerung mit der entsprechenden Metapher erklärt wird: TC 10:19-11:03. 23 In NAPOLEON: TOTAL WAR kommt der besondere Fall von Seeschlachten hinzu: Hassemer, Simon M.: »VG Napoleon: Total War – Tutorial«, URL: http://www.youtube.com/ watch?v=QxaVhgGmwXA&feature=youtu.be (Stand: 31.07.2012), TC 02:19. 24 Heinze, Carl: Mittelalter Computer Spiele. Zur Darstellung und Modellierung von Geschichte im populären Computerspiel, Bielefeld: transcript 2012, S. 289. 25 Ebd., S. 295

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nen.26 Damit wird klar, dass der erste methodische Schritt einer Analyse unter geschichtskulturwissenschaftlicher Fragestellung das semiotische System betrifft, weswegen eine definitorische Gliederung des Spiels als analytische Grundlage nötig ist. Was aber ist mit dem Spieler, der ja die entsprechenden Zeichen wahrnehmen und erkennen, oder anders ausgedrückt, dessen Geschichtsbewusstsein den semiotischen Input zunächst verarbeiten und einordnen muss? Über ihn können mit der einfachen Videografie keine Aussagen gemacht werden. Ohne die Einbindung des Spielers in die Computerspielanalyse aber sind letztlich keine sicheren Aussagen über die Wirkung historischer Thematisierungen auf das Geschichtsbewusstsein und damit in der Geschichtskultur möglich. Damit bleibt der Stellenwert einer game based history im lebensweltlichen Vollzug von Computerspielen weiterhin im Dunkeln. Alles was mit einer rein produktorientierten Computerspielanalyse möglich ist, ist die analytische Dekonstruktion des einzelnen medialen Produkts. Bezogen auf geschichtskulturwissenschaftliche Untersuchungen bedeutet dies die Einschränkung auf den Fragenkomplex, welche Elemente des Spiels auf welche Weise dazu imstande sein können, Geschichtliches zu vermitteln. Was davon beim Rezipienten tatsächlich ankommt, lässt sich damit nicht feststellen.

V IDEOGRAFIE

MIT

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Medienpsychologisch gesehen ist die Wahrscheinlichkeit von persuasiven Effekten von medialen Produkten höher, wenn der Rezipient emotional involviert ist.27 Die Rolle von Emotionalität im Spielprozess ist – wie zu Beginn des Artikels gezeigt – insbesondere von Aki Järvinen aus theoretischer Richtung angegangen worden. Järvinen geht im Rekurs auf das kognitionswissenschaftliche OCC-Modell28 davon aus, dass es sogenannte eliciting conditions (»Hervorlockungsbedingungen«) als

26 Vgl. Hassemer, Simon M.: »Does History Play the Role of Storyline? Historiographical Periodization as Theme in Video Game Series«, in: Florian Kerschbaumer/Tobias Winnerling (Hg.): Early Modernity and Video Games, Newcastle-upon-Tyne: Cambridge Scholars Publishing 2014, S. 64-75. 27 Brock, Timothy C./Green, Melanie C.: »In the mind's eye. Transportation-imagery model of narrative persuasion«, in: Dies./Jeffrey J. Strange (Hg.): Narrative impact: Social and cognitive foundations, Mahwah (New Jersey): L. Erlbaum Associates 2002, S. 315-341.; Appel, Markus: Realität durch Fiktionen. Rezeptionserleben, Medienkompetenz und Überzeugungsänderungen, Berlin: Logos 2005, S. 102 u. S. 125. 28 Nach den Anfangsbuchstaben seiner Urheber Andrew Ortony, Gerald L. Clore und Allan Collins, vgl. Järvinen, Games without Frontiers, S. 202.

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diejenigen Bedingungen gibt, die einen emotionalen Prozess in einem Individuum auslösen können.29 Zudem haben Emotionen eine phasische Struktur, die von der Wahrnehmung eines Auslösers über den Umgang mit der Situation, die zur sogenannten action readiness führt, bis hin zur Entäußerung der Emotion in körperlichen Reaktionen, v.a. im Gesichtsausdruck reichen.30 Für Järvinens ludologische Anwendung sind vor allem zwei Emotionen aus dem OCC-Modell von Bedeutung: »First, that games privilege so-called prospect-based emotions that are always focusing on events and their outcomes. Second, the emotion of suspense is a fundamental emotion of player experiences, because it is a compound emotion where the emotions of hope, fear and uncertainty come together.«31

Wenn dem so ist, so müssten sich emotionale Reaktionen des Spielers an einer körperlichen Reaktion des Spielers wie dem Gesichtsausdruck ablesen lassen, insbesondere in solchen Spielsituationen, die zwischen Hoffnung (auf Erreichen des Spielziels/Gewinnen) und Furcht (vor Nicht-Erreichen des Spielziels/Verlieren) changieren. Aus diesem Grund wurde der Versuch unternommen, nicht nur das Spiel, sondern gleichzeitig auch den Spieler mittels einer Webcam aufzuzeichnen. Die Voraussetzungen für eine Erfassung der emotionalen Beteiligung sind in den Videografien günstig, da der Spieler (in den vorliegenden Fällen der Autor selbst) die Zufallskarten-Partie in AGE OF EMPIRES verliert, diejenige in AGE OF EMPIRES II gewinnt und diejenige in AGE OF EMPIRES III einen so geringen Schwierigkeitsgrad hat, dass sie kaum herausfordernd ist. Der Vergleich entscheidender Spielsituationen in jeweils den Momenten, da sich ein wertiges Ergebnis (valued outcome) der Partie abzeichnet, zeigt jedoch: Im Angesicht der drohenden Niederlage in der Partie von AGE OF EMPIRES32 und der Situation der sich langsam einstellenden Sieges-

29 Järvinen, Games without Frontiers, S. 355. 30 Ebd., S. 355. 31 Ebd., S. 356. Die daraus abgeleitete Methode bleibt wenig konkret: »first, the student has to identify the eliciting conditions for hope and fear. After that, by applying the theory of game elements, the next step is to identify how the eliciting conditions are embodied into the design of the elements« (ebd., S. 357). Auffällig ist, dass Järvinens Methode Emotionalität aus dem Spiel als Produkt heraus abzuleiten versucht. Möglicherweise ist es analog dazu auch möglich, eliciting conditions für Geschichte aus dem Design des Spiels heraus abzuleiten, mit Sicherheit aber nur bis zu einem gewissen Grad. 32 Hassemer, Simon M.: »VG Age of Empires I: Random Map«, URL: http://youtu.be/8T2hyOGMqA (Stand: 31.07.2013), TC: 39:36-39:52.

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gewissheit in derjenigen von AGE OF EMPIRES II33, lässt sich kein Unterschied im Gesichtsausdruck des Spielers erkennen, der auf eine emotionale Regung von suspense in der Modulation zwischen Hoffnung und Furcht des zu erwartenden Spielergebnisses hinweist. Tatsächlich sind die physiognomischen Reaktionen ähnlich ausdrucksschwach wie in der Partie von AGE OF EMPIRES III34, die wie erwähnt aufgrund des niedrigen Schwierigkeitsgrades kaum eine Herausforderung an die Spielerfähigkeiten darstellt und von daher nur sehr niedrige Hervorlockungsbedingungen für eine Emotion wie suspense liefert.35 Die Videografie mit Spieler, so wie sie in diesem Versuch aufgebaut worden ist36, eignet sich also nicht als Methode für die Erfassung von emotionaler Beteiligung des Spielenden am Spiel. Sie ist demnach weit davon entfernt, Aussagen über das Geschichtsbewusstsein des Spielenden treffen zu können.

L ET ’ S P LAY – A SSASSIN ’ S C REED Da das Geschichtsbewusstsein keine Emotion ist, sondern emotionale Beteiligung allenfalls die Aufnahme von (u.a. fiktional-historischen) Inhalten begünstigt, muss die Grundlage jeder Untersuchung von Geschichtsbewusstsein verbaler Provenienz sein. Entäußerungen des Geschichtsbewusstseins ließen sich beispielsweise durch qualitative Interviews im Anschluss an ein Spiel oder auch aus dem Audiokommentar eines moderierten Spiels wie im Let’s Play-Format gewinnen. Für diesen Versuch betrachten wird das Let’s Play von ASSASSIN’S CREED III des professionellen LPers Sarazar37, das aus 70 Episoden besteht, die zwischen dem 30.10.2012 und dem 6.1.2013 auf YouTube hochgeladen wurden.

33 Hassemer, Simon M.: »VG Age of Empires II: Random Map«, URL: http://youtu. be/gGX8CmiAIg8 (Stand: 31.07.2013), TC: 39:36-39:52. 34 Vgl. Hassemer, Simon M.: »VG Age of Empires III: Random Map«, URL: http://you tu.be/u4teE9lBvSY (Stand: 31.07.13). 35 Vgl. den Abschnitt »Uncertainty factors as cues of non-trivial player abilities« bei Järvinen: Games without Frontiers, S. 352. 36 Möglicherweise haben folgende Faktoren das Ergebnis des Versuchs beeinflusst: (1) Bei der Versuchsperson handelte es sich um den Autor des Artikels selbst; (2) Die Versuchsperson war sich bewusst, dass sie aufgezeichnet wird; (3) Die Auswertung erfolgte nicht mit speziellen Hilfsmitteln und nicht durch entsprechendes Fachpersonal. Dennoch erscheint es unwahrscheinlich, dass der Negativbefund allein auf diese nicht ganz optimalen Versuchsbedingungen zurückzuführen ist. 37 Vgl. Anm. 20. Sarazars YouTube-Channel SarazarLP hat über 660.000 Abonnenten.

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Das semiotische System von ASSASSIN’S CREED III ist für Sarazar immer wieder Anlass zu Kommentaren, die eine Reflektion des historischen Themas des Spiels erkennen lassen. Dies ist zum ersten Mal der Fall, wenn er nach dem spielinternen Dialog seiner ersten Spielfigur Haytham Kenway mit einem Schiffsarzt38 das schmutzige Laken, auf dem gerade ein Patient behandelt wird, Auslöser eines ausschweifenden medizinhistorischen Kommentars wird: »Dem Typen hier geht’s nich so gut und das Laken sollte vielleicht mal geputzt werden! Aber das wussten die damals nonich, ny, wie schnell sich Krankheiten verbreiten. Da war ja auch der Aderlass im Trend, yhh. Amputationen auf dem Schlachtfeld. Und die Kugel muss so schnell wie möglich rausgezogen werden war damals noch die Meinung, was man ja heute gar nicht mehr machen soll, wie ich gehört habe. Da hab‘ ich mir letztens noch so ‘ne Erste Weltkriegs-Doku reingezogen, das war sehr interessant.«39

Ausgelöst wird die Aussage durch ein ›schmutziges Laken‹. Sarazar stellt über dieses im Kontext der historischen Thematisierung stehende Zeichen einen Vergangenheitsbezug her (»die damals«) und fügt daran anknüpfend weitere subjektive, historische Wissensbestände an (Aderlass, Feldlazarett), von denen er letzteres mit dem Verweis auf einen von ihm rezipierten Dokumentarfilm kontextualisiert. Später im Spiel nimmt Sarazar die Darstellung von englischen Soldaten zum Anlass, um über den Siebenjährigen Krieg in Nordamerika zu sprechen: »Hier ziemlich viele Soldaten, die auch Rotröcke genannt werden. Im Jahr 1754 befindet sich England mit Frankreich im Krieg um die Kolonien in Nordamerika. Ihr wisst ja, hatt‘ ich ja schonmal erzählt, de(i)r größte Teil der von Nordamerika natürlich unter dem Besitz der Engländer, der Briten. Aber nicht nur. [Intradiegetischer Sound (Ausrufer): ›Der französische Kommandant de Jumonville ist bei einem Gefecht mit königlichen Truppen im Ohio-Territorium gefallen‹]. Der französische Kommandant ist also gefallen. Und die … Franzosen werden zurückgedrängt von den britischen Truppen. Und im Jahr 1754 ist – wie gesagt – die USA noch gar nicht entstanden, die wurde erst ein paar Jahrzehnte später unabhängig.«40

38 SarazarLP: »Let's Play Assassin's Creed 3 #003 – Schlechte Stimmung auf Hoher See«, URL: http://www.youtube.com/watch?v=pKH94au3BM0 (Stand: 31.07.2013),

TC:

01:32-02:09. 39 SarazarLP: Schlechte Stimmung auf Hoher See, TC: 02:10-02:45. 40 SarazarLP: »Let's Play Assassin's Creed 3 #006 – Der nächste auf der Liste«, URL: http://www.youtube.com/watch?v=-K9a7AwF8s4 (Stand: 31.07.2013), TC: 00:32-01:42.

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Sarazars Geschichtswissen, wie es sich in dieser während des Spielens erzählten Passage entäußert, ist von seinem Wissen vom Ausgang der Ereignisse her bestimmt. Mit der britischen Hegemonie in Nordamerika nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich spricht er Entwicklungen an, die zum intradiegetischen Zeitpunkt des Spielabschnittes (der dort erwähnte Tod des französischen Offiziers Joseph de Jumonville gilt in der Historiografie als Auslöser des Krieges) noch nicht eingetreten sind. So wird die Information vom gefallenen französischen Kommandanten von Sarazar auch als Hinweis auf einen für die Briten erfolgreichen Kriegsverlauf interpretiert. Diese Reflektionen des Geschichtsbewusstseins zeigen, dass die historische Thematisierung im semiotischen System des Spiels funktioniert. Sie regt das Geschichtsbewusstsein des Spielenden an, sofern dieser die Zeichen auf einen Geschichtsdiskurs bezieht. Dass diese Entäußerungen von Geschichtsbewusstsein nicht unbedingt mit den Darstellungen der Historiografie übereinstimmen, ist dabei eine weitere Bestätigung, dass es sich um unvorbereitete Artikulationen und damit subjektives Geschichtswissen handelt. Dieses lässt sich anhand von Let’s Plays historisch thematisierter Computerspiele erforschen. Das Hauptproblem dieser Methode besteht allerdings darin, dass man sich mit ihr vom eigentlichen Untersuchungsgegenstand entfernt, denn streng genommen wird nicht ein Spiel (game) und der dazugehörige Spielprozess (play) analysiert, sondern ein spezifisches soziokulturelles Format, nämlich das Let’s Play. Die Videografien mit Spieler anhand der AGE OF EMPIRES-Partien haben gezeigt, dass es offensichtlich nicht dem üblichen Spielverhalten eines Computerspielers im Einzelspielermodus entspricht, den Spielverlauf kontinuierlich zu moderieren. Dennoch handelt es sich beim Let’s Play um eine geeignete, leicht zugängliche und ohne zusätzlichen Versuchsaufwand vorhandene Quelle, die Computerspiele im soziokulturellen Gebrauch zeigen und somit auch auf geschichtskulturwissenschaftliche Fragestellungen bezogen werden können.

E RGEBNIS Von den drei hier rudimentär erprobten Methoden lösen alle das Problem der Zitierfähigkeit von Computerspielen und gewährleisten somit die wissenschaftlich notwendige Nachvollziehbarkeit eines syntagmatisch unsteten Mediums. Die Erweiterung auch den Spieler während des Spielens aufzunehmen jedoch lässt kaum Rückschlüsse auf dessen emotionale Beteiligung oder gar sein Geschichtsbewusstsein zu. Im vorliegenden Fall hat sie nicht viel mehr beigetragen als daran zu erinnern, dass ein Spieler bzw. das Spielen konstitutive Bedingung eines Spiels ist. Konsequenterweise sollte man hier zusätzlich noch die Steuerung des Spiels über die entsprechenden Eingabeinstrumente (Maus, Tastatur, Joypad etc.) aufnehmen – aber die

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Fragestellung müsste einen solchen Aufwand dann entsprechend rechtfertigen. Let’s Plays konnten als geeignete Quelle identifiziert werden, die sich potentiell sogar dazu eignen, Entäußerungen von Geschichtsbewusstsein zu analysieren. Zur Untersuchung eines Spiels sind sie aber nur bedingt geeignet, da nicht das Spiel untersucht wird, sondern das YouTube-Video eines Spielprozesses (eben play). Diesen soziokulturellen Umgang mit dem Medium Spiel auch auf geschichtskulturelle Fragen hin zu untersuchen ist selbstverständlich legitim und kann z.B. durch den Einbezug der User-Kommentare zum jeweiligen Video noch erweitert werden. Ludologisch ist diese Methode nicht, da nicht das Spiel untersucht wird, der Forschende das Spiel nicht selber spielt und mit dem Let’s Play auch kein ›unbefangenes‹ Spielen dokumentiert wird, da das Video publikumsbezogen mit der Absicht aufgezeichnet wird, möglichst viele Klicks und Zuspruch erhalten zu bekommen (zumindest im vorliegenden Fall, da Sarazar ein hauptberuflicher LPer ist). Die Art und Weise des LPers ein Spiel zu spielen, unterscheidet sich grundlegend vom Spielverhalten des üblichen Spielers, der allein vor PC oder Konsole ein Spiel im Einzelspielermodus spielt. Das zeigte der Vergleich mit dem Spielerscreening, bei dem der Spieler seine Emotionalität kaum ausdrückt. So bleibt festzuhalten, dass sich mit dem aufgezeichneten Spielprozess in einer frei zugänglichen Videografie das Computerspiel adäquat zitieren lässt. Für die Geschichtskulturwissenschaft kommen zwei mögliche Methoden in Frage, die sich nach der jeweiligen Fokussierung auf das eigentliche Untersuchungsobjekt unterscheiden. Stehen Fragen nach dem Geschichtsbewusstsein des computerspielenden Individuums im Vordergrund, kommt man kaum um den zusätzlichen Arbeitsschritt sozialwissenschaftlicher qualitativer Interviews mit den Spielern von historisch thematisierten Computerspielen herum. Will man Geschichte als theme im semiotischen Design eines Spiels dekonstruieren und aus dem Spiel als System heraus abstrahieren, wie historische Sinnstiftung im Gameplay und damit durch Anwendung des semiotischen Systems auf die Regeln funktionieren könnte, lässt sich ein Spiel auch ohne Rezeptionsstudien mit den hier vorgestellten Methoden analysieren. Die umfangreichen, theoretisch fundierten ludologischen Methoden von Aki Järvinen kombiniert mit der kritischen Herangehensweise in Danny Kringiels detaillierter Einzelfallstudie unter Zuhilfenahme von Videografien, können hierfür gewinnbringend zur Anwendung gebracht werden. Dies als Vorschlag für den ersten Schritt einer ludologischen Methodologie für geschichtskulturelle Computerspielanalysen. Video zum Tagungsvortrag: Hassemer, Simon M.: »Historiographische Periodisierung als theme in Videospielreihen«, URL: http://mediathek.hhu.de/watch/762ba324-737b-41ab-b266bde0e5a167 a2 (Stand: 13.01.2014).

Zur Geschichte der Cutscenes Versuch einer Medienarchäologie kommerzieller Videospiele S IMON H UBER

C YBER -H ISTORIOGRAPHIE ASSASSIN’S CREED1 ist in eine Rahmenhandlung eingebettet, die erzählt, wie ein Barkeeper der Gegenwart, seine eigenen Gene mit Hilfe des eigens dafür entwickelten Animus-Computers auf Informationen abtastet, die als Erinnerungen seines Vorfahren Altair abgespeichert sind. Dessen Erlebnisse nochmals durchzuspielen ist die eigentliche Spielaufgabe. Dadurch wird explizit, was der Medienhistoriker Claus Pias allen Computerspielen unterstellt: »Computerspiele handeln nicht von japanischen Niedlichkeiten oder indiziertem Splatter, sondern von usability und damit von Computerspielen selbst.«2 Das Spielgeschehen von ASSASSIN’S CREED handelt folglich ebenso wenig von Kreuzzügen, Templern und Assassinen; es erzählt allerdings in der Rahmenhandlung von der Bedienbarkeit geschichtlicher Information durch den Animus. Pias schreibt für eine Auseinandersetzung, in welcher die Inhalte des Spiels als sekundär betrachtet werden, da diese durch Hard- und Software strukturiert sind. Seine Geschichte der Computerspiele endet mit der Kommerzialisierung; das warenförmige Außen ist bloß Dekor, allerdings mit wesentlicher Funktion: »Was jedoch anlässlich der Emergenz Computerspielen wie Pong geschieht, ist eine Verbergung von Hardware und Software durch die Phantasmagorie von buntem Plastik und

1 2

ASSASSIN’S CREED (2007) (Ubisoft). Pias, Claus: Computer Spiel Welten, Zürich: Diaphanes 2010, S. 307; Hervorh. im Original.

72 | SIMON HUBER geschütztem Code, die sie tatsächlich zu black boxes macht und Spielspaß dadurch gewährt, dass sie Kontingenz dort suggeriert, wo Programmierung waltet.«3

Die Visualisierungen von ASSASSIN’S CREED erzählen eine Geschichte davon, wie historische Information berechenbar und damit bespielbar gemacht wird — eine Geschichte über die Spielbarkeit (usability) historischen Wissens. Der Animus steht für eine popkulturelle Formulierung eben jenes Verdachts, den Pias äußert; das Medium der historischen Narration — der Animus — oszilliert, so wie echte Medien auch, zwischen Transparenz und Opazität. Diese Phantasmagorie ist keine black box, sondern vielmehr eine schillernde Verpackung, die mit ein bisschen drehen und wenden Einblick gewährt, nicht in seine Schaltkreise und Programmiercodes, doch zumindest in das Denken der Game-Designer über das Wissen in Computerspielen, dessen Vermittlung und ›Archivierung‹. Nicht zuletzt sind diese archivierten Informationen notwendig, um kulturellen Anschluss bei den Endnutzern zu ermöglichen.4 ASSASSIN’S CREED hebt sich von anderen typischen Computerspielen mit historischen Inhalten ab: Weder ist es ein Strategiespiel, mit dem man verschiedene Teile der Weltgeschichte durch kluges Wirtschaften und taktische Entscheidungen neu simuliert, die also in der Distanz einer Gesamtschau verharrt und sich um eine adäquate Simulation bemüht; noch baut es auf immersives Eintauchen in die Geschichte, wie etwa »Weltkriegs-Shooter«5, umso Vergangenheit hautnah zu vermitteln. Ubisofts Serie thematisiert eben diese Medialisierung ›unmittelbarer‹ Geschichte durch filmische Stilmittel: disclaimer, Rahmenhandlung und Rückblende, cutscenes, Panoramen, Abspann. Die aufkommende Ähnlichkeit neuer Film- wie Spielästhetik ist schon bemerkt worden,6 doch konnte keine historische Analyse ausgemacht werden, die genau diesen Aspekt medienarchäologisch betrachtet. Wir wollen daher in einem ersten

3

Pias: Computer Spiel Welten, S. 12; Hervorh. im Original.

4

Vgl. Schrammel, Sabrina/Mitgutsch, Konstantin: »Spielerische Gewalt – Skizze einer ludischen Kultur des Spiels ›Counter-Strike‹«, in: Konstantin Mitgutsch/Herbert Rosenstingl (Hg.): Faszination Computerspielen. Theorie – Kultur – Erleben, Braumüller: Wien 2008, S. 69–82.

5

Vgl. Bender, Steffen: »Durch die Augen einfacher Soldaten und namenloser Helden. Weltkriegsshooter als Simulation historischer Kriegserfahrung?«, in: Angela Schwarz (Hg.): »Wollten sie auch immer schon einmal pestverseuchte Kühe auf ihre Gegner werfen?« Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel (Medien'Welten 13), Münster: LIT 2010, S. 123-148.

6

Vgl. King, Geoff/Krzywinska Tanya: »Introduction«, in: Dies. (Hg.): ScreenPlay. Cinema/videogames/interfaces, London/New York: Wallflower Press 2002, S. 1-32; Beil, Benjamin: First Person Perspectives. Point of View und figurenzentrierte Erzählformen im Film und Computerspiel, Lit: Münster 2010.

Z UR G ESCHICHTE DER C UTSCENES

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Schritt Pias’ Taxonomie der Computerspiele nach ihrer Provenienz verwenden, um das Beispiel ASSASSIN’S CREED scharf zu stellen und im Anschluss kulturgeschichtlich seiner Emergenz aus verschiedenen Vorgängerspielen nachspüren. Daraus soll nicht zuletzt ersichtlich werden, welche Möglichkeiten Medienarchäologie bereit hält für eine noch ungeschriebene Geschichte kommerzieller Computerspiele.

ZUR MEDIENARCHÄOLOGISCHEN VON A SSASSIN ’S C REED

EINORDNUNG

Drei Bereiche macht Pias mit Foucault als »Äußerungsmengen« aus, in die Spiele eingeteilt werden können: zeitkritische Actionspiele, entscheidungskritische Adventurespiele und konfigurationskritische Strategiespiele: »Als Gegengenstandsgruppen, die sich an ganz eigentümliche Probleme anlagern und diese zugleich formatieren, bringen sie ein je spezifisches Wissen in Form von Daten, Verfahren, Darstellungsmodi usw. hervor.«7 Wie werden historische Probleme formatiert? Welche Art von geschichtlichen Daten, Verfahren und Darstellungsmodi werden in Computerspielen verarbeitet und inwiefern ist Assassin’s Creed ein Beispiel dafür? Journalistischen alltagsweltlichen Einteilungen zu Folge handelt es sich um ein Action-Spiel, wegen des kampflastigen Geschehens und tatsächlich geht es hauptsächlich darum zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein und mit dem rechten Tastendruck die historischen Persönlichkeiten auszuschalten. Es gibt allerdings auch Hinweise, dass es als Adventure gelesen werden kann: eine Reihe von getroffenen Entscheidungen ergeben einen Spielverlauf, der zu einer Narration semantisiert wird, in welcher der Fortschritt durch stetiges Kartographieren protokolliert wird.8 Hier passiert dies allerdings nicht durch Texteingabe, bzw. später durch graphisch vermitteltes point-and-click, also logisches Kombinieren, sondern durch geschicktes Navigieren; die einzelnen Attentate lassen sich zwar als zu lösende Rätsel auffassen, in dem erst die richtige Herangehensweise und Fluchtmöglichkeit gefunden werden muss; mit bestimmten Entscheidungen lassen sich folglich zeitkritische und bisweilen tödliche — das sind spielunterbrechende — Kämpfe umgehen, doch letztlich bleibt es ein Spiel, das Reaktionsschnelligkeit verlangt und so mit zeitkritischen Anforderungen verwoben wird. Das Wesentliche des Adventures bleibt ausgespart: »Für solche Rekonstruktionen und Nachvollzüge vorgeschriebener Datenbankarbeit ist Erzählung das Interface. Sie ist gewissermaßen das, was eine Archivarbeit erst ermöglicht, durch die dann herauskommt, wie ›es wirklich gewesen ist‹ und immer sein wird.«9

7

Pias: Computer Spiel Welten, S. 9.

8

Ebd., S. 124.

9

Ebd., S. 174; Hervorh. SH.

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Das eigentliche interaktive Spiel ist auch ganz ohne diesem historischen Hintergrund konsumierbar. Archivarbeit in dem Sinne ist nicht nötig, die Geschichte entwickelt sich bei Spielerfolg unabhängig vom Spiel selbst in den schon erwähnten Film-Einspielungen. Michael Liebe teilt Spiele auf vier Dispositive10 auf: ASSASSIN’S CREED, das zunächst als Konsolenspiel verkauft wurde, fällt so unter ›Wohnen‹ wegen seiner Situierung rund um das heimische Fernsehgerät; dadurch unterscheiden sie sich von Spielhallen-Automaten (›Freizeit‹), sowie von handhelds (›Mobilität‹); oder von PC-Spielen, die im Dispositiv ›Arbeit‹ verhaftet sind: Liebe betont in seiner Analyse das soziale Erlebnis des Spiels im Wohndispositiv, inhaltlich die Nähe der Spiele zum Fernsehen und dessen Programm. Dies unterscheidet sich vom Erscheinungsbild ASSASSIN’S CREED, das auf eine Nähe zum Film schließen lässt, dessen Erzählung durch die Kameraführung einer einzelnen Person schwerlich auf mehrere Spieler aufgeteilt werden kann. In den von Liebe angeführten Verkaufscharts scheinen allerdings mit ASSASSIN’S CREED vergleichbare Spiele auf, wenn auch nur vereinzelt und nicht so massenhaft wie die erwähnten Sport- und Rennspiele. Die Auflistung ist veraltet, und eine Bestätigung der Vermutung steht noch an, dass dieser Trend zur einer dichteren Verschränkung mit Filmästhetik anhält. Von einem technischen Fortschritt im Bereich der Videospiele kann man ausgehen; aber auch in der Ausstattung und Umfunktionierung des Wohnzimmers? Heim-Kinos mit Surround-Soundsystemen und Breitbild-Plasmafernsehern sind keine Besonderheit mehr. Ist ASSASSIN’S CREED die logische Konsequenz dieser Entwicklungen? Auch andere erfolgreiche Spiele11 lassen zumindest diese Vermutungen zu. ASSASSIN’S CREED steht am Ende einer Entwicklung, die sich in zahlreichen Details äußert und bewusst eingesetzt wird; somit als Geschichte der cutscenes geschrieben werden könnte, jenen nicht-interaktiven Momenten im Spiel, in denen Spieler nur zusehen dürfen. Damit wird den medienarchäologischen Bedingungen für Narrativität im Computerspiel auf den Grund gegangen, die in der Theoretisierung des

10 Vgl. Liebe, Michael: »Die Dispositive des Computerspiels«, in: Jan Distelmeyer et al. (Hg.): Game over!? Perspektiven des Computerspiels, Bielefeld: transcript 2007, S. 7394. 11 Neuerdings werden solche Spiele AAA-Prdouktionen genannt. Konkrete Beispiele wären die UNCHARTED-Serie (beginnend mit: UNCHARTED: DRAKE’S FORTUNE (2007) (Naughty Dog/Sony)), die sich ans Abenteuerfilm-Genre hält, mit spezifisch historischem Weltkriegs-Hintergrund und Dokumentarfilm-Einsprengseln die CALL OF DUTY-Reihe (beginnend mit: CALL OF DUTY (2003) (Infinity Ward/Activision/Mediaquest/Aspyr)) und insbesondere der interactive film noir HEAVY RAIN (2010) (Quantic Dream/Sony), der in der Tradition von Spielen wie DRAGON‘S LAIR (1983) (Advanced Microcomputer Systems/Cinematronics) und BLADE RUNNER (1997) (Westwood/Virgin Interactive) steht, die je nach Spielverlauf verschiedene Geschichten per cutscenes erzählen.

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interactive storytelling der akademischen Auseinandersetzung ein altes Problem bildet12: Im Folgenden werden drei Beispiele gebracht, an deren Designinnovationen das Ziel eines filmischen Erlebnisses sichtbar wird: Benutzerfreundlichkeit des Interfaces, Authentizität der Animationen, und Räumlichkeit des Simulationsbildes.

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Erste Filme in Computerspielen tauchen auf zwischen zwei Missionen, wenn der Spieler pausiert. Es soll ein Zusammenhang hergestellt werden zwischen den Tätigkeiten der Anwender und den Ausgaben auf dem Bildschirm, deren eifrige Hantieren auf den Armaturen zwecks Spielfortschritt eigentlich gleichgültig ist: Pac-Man lernt Ms. Pac-Man kennen und gründet mit fortschreitendem Spielverlauf zwischen den einzelnen Spiel-Sequenzen eine Familie. Eine Geschichte, die nichts mit Punkte-Sammeln oder dem Fliehen vor Gespenstern zu tun hat.13 In den ersten Adventures hingegen sind Narrationen in ihrer logischen Struktur notwendig, da nur so Zusammenhang von Menschen zwischen zwei bezifferten Datensätzen hergestellt werden kann.14 Diese Datensätze sind in diskreten Konfigurationen abgespeichert. Damit der Eindruck einer kontinuierlichen Geschichte entsteht, werden diese logisch-funktionalen ›Kerne‹ in ausschmückende Erzählungen gebettet, die selbst redundante ›Katalysen‹ sind: Wenn ein Messer folgerichtig eingesetzt wird, um einen Troll zu töten, »könnte eine Kampfbeschreibung folgen, deren Fehlen in frühen Adventures nur dem mangelnden Speicherplatz geschuldet ist, später jedoch oft eingesetzt wird, um die diskreten Übergänge zu verwischen und zu verzeitlichen: ›With great effort, you open the window far enough to allow entry.‹ statt ›The window is open‹. Die Katalysen der Adventurespiele dienen dazu, den Unterschied zwischen zeitlichen und logischen Folgerungen zu verschleiern.«15

In einer Anmerkung bestätigt Pias den spätestens jetzt aufkommenden Verdacht, dass filmische Animationen genau diese Katalysen darstellen. In Textadventures erscheint der aufgerufene Datensatz sofort als Absatz, während ganze Filmszenen diese Zeitlichkeit in ihrer eigenen Dauer umsetzen und somit die Interaktion ausset-

12 Vgl. Frasca, Gonzalo: »Ludology meets Narratology: Similitude and Differences between (video-)games and narrative«, URL: http://www.ludology.org/articles/ludology.htm (Stand: 17.12.2012). 13 Vgl. Howells, Sacha A.: »Watching a Game, Playing a Movie: When Media Collide«, in: Geoff King /Tanya Krzywinska (Hg.): ScreenPlay. cinema/videogames/interfaces, London/New York: Wallflower Press 2002, S. 110-121; hier S. 111. 14 Pias: Computer Spiel Welten, S. 173. 15 Ebd., S. 144.

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zen muss, bis die Animation beendet ist. Es entsteht eine zeitliche Parallel-Achse zur Lese- und Schreibgeschwindigkeit des Spielers; zeitliche Längen, welche die Narration zwischen ausgeführte Spielzüge schiebt, bzw. an erfolgreich abgeschlossene Levels anhängt: Durch größere Speicherkapazitäten — insbesondere durch die CD-ROM — war es möglich aufwändigere Filme zu distribuieren.16

SCUMM: Vom Text zur Leinwand Der Begriff cutscene stammt von Ron Gilbert17, der ihn während der Produktion des comic-haften Grafik-Adventures MANIAC MANSION: THE DAY OF THE TENTACLE seiner eigenen Aussage nach prägte. Hier schnitt man den Spieler von der interaktiven Handlung ab, um mit kleinen filmischen Animationen zu zeigen, was an anderen Orten abseits der Spielaktionen geschieht. Das Spiel fährt zweigleisig: Es teilt den Bildschirm in ein Fenster in dem sich die Handlung abspielt, und expliziert darunter die Parser-Sprache, die Textadventure-Spieler noch selbst herausfinden mussten. Per cursor kann er jetzt verschiedene Handlungen auswählen (›Schau an‹, ›Benutze‹, ›Nimm‹, etc.), um damit im oberen Fenster zu operieren. Extra für dieses Spiel wurde SCUMM (Script Creation Utility for Maniac Mansion) entwickelt; eine virtuelle Maschine, die jedes Spiel zerteilt, das damit produziert wird. Sie stellt Programmierern nämlich eine eigene Scriptsprache zur Verfügung, die sie rasch Musik, Graphiken und Charaktere arrangieren lassen. (Mit der Regieanweisung ›cut‹ etwa werden cutscenes eingefügt.). Gleich zwei Benutzeroberflächen werden eingezogen: Eine textbasierte für Produzenten und eine graphische für Spieler. Computerspiele können so recht schnell für den Heimgebrauch programmiert werden.18 Erzählbausätze, die von Designern in Dialogzeilen und Inventarobjekten zu einem Set zusammengestellt und am Desktop zu Hause nachgebaut werden, mit deren Ende nach neuen Geschichten gefragt wird. Parsergerechte — d.i. für den Computer lesbare — Dateneingabe war in Textadventures noch ein Spielerproblem, nun wird es eine Frage des Interface-Designs. Benutzeroberflächen sind Pias zu Folge die »unheimlichen Doppelgänger« der Actionspiele.19 Denn was einmal als ein zeitkritischer Leistungstest von Maschine und

16 Howells: Watching a Game, S. 114f. 17 Gilbert, Ron: »Maniac Mansion in 9«, URL: http://grumpygamer.com/8139425 (Stand: 18.12.2012). Vgl. MANIAC MANSION (1987) (Lucasfilm Games). 18 Vgl Pias: Computer Spiel Welten, S. 127. Auch King und Krzywinska erwähnen den Effekt der »commercial convenience« von Graphik-Engines: King/Krzywinska: cinema/ videogames/interfaces, S. 28. 19 Vgl. Pias: Computer Spiel Welten, S. 102: »Während Benutzeroberflächen auf maximale Sichtbarkeit setzen, Benutzerfreundlichkeit auf ihre Verpackungen schreiben und die Langsamkeit und Fehleranfälligkeit ihrer User immer schon einrechnen, vermessen

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Mensch erscheint, ist auf Seiten der graphical user interfaces eine Frage der Redundanz: Diese muss einerseits minimiert werden, weil Schleifen und Wiederholungen der linearen Narration widersprechen und den Spannungsbogen aushebeln; andererseits soll die Ähnlichkeit zu Kino gewahrt bleiben: So wie Betriebssysteme Schreibtische imitieren, um Sekretärinnen einen leichten Einstieg zu ermöglichen, so adressieren Graphikadventures die Kinoerfahrung der Spieler.

Abb. 1: Screenshot aus THE SECRET OF MONKEY ISLAND (1990). Ziel ist in beiden Fällen eine fließende Bewegung auf dem Schreibtisch bzw. durch Räume, die so zum Film animiert wird. Passend zur neuen Benutzerfreundlichkeit

Computerspiele die Grenzwerte, Wahrnehmungsschwellen und Reaktionsgeschwindigkeiten ihrer Spieler, machen die Herausforderung des ›schnellsten anzunehmenden Benutzers‹ zu ihrer Devise und bestrafen Langsamkeit und Fehlverhalten durch den Verlust symbolischer Leben. Zwar sucht die Entwicklung von GUIs dieselben Systemstellen auf wie die Spieleentwicklung (Wahrnehmung, Reaktion, mögliches Fehlverhalten), doch ist es ihr Ziel, diese Bedingungen anschließend unter der oberflächlichen Güte einer ›Benutzerfreundlichkeit‹ zu verbergen. Das zeitkritische Spiel hingegen macht genau diese Verborgenheiten zu seinem Gegenstand und ist im Sinne einer agonalen Konstellation, die Lerneffekte und dauerhaften Spielspaß erst ermöglicht, geradezu benutzerfeindlich und damit eine Art ›unheimlicher‹ Doppelgänger des Desktops.«

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der Lucas Arts-Spiele schuf Gilbert nicht etwa einen Helden, sondern den Möchtegern-Piraten Guybrush Threepwood für MONKEY ISLAND.20 Er kann nicht sterben; auch nicht in Fechtduellen, zu denen er andere Piraten herausfordert. Diese werden über das Anwählen von Dialogzeilen ausgetragen, die eine Beleidigung bzw. eine eloquente Antwort auf eine solche zum Ausdruck bringen. Auf drei unerwiderte Beschimpfungen endet das Säbelrasseln mit Entwaffnung — ein bloß verbaler Schlagabtausch, bei dem jeder Punkt mit einem Ausfallschritt belohnt wird, der nur Katalyse ist und damit Filmbilder ironisiert. Jedenfalls ist das entscheidungskritische Prinzip nicht aufgehoben: Man muss nur lang genug spielen, um »vom ersten Ort zum letzten Ort zu gelangen und en passant alle Katalysen herbeizuführen, die nötig sind, um von einem Ausgangspunkt namens Spielbeginn zu einem Endpunkt namens Spielende zu gelangen.«21 Das Ende wird in dem Fall erreicht, in dem die Beleidigungen mit ihren Antworten gelernt werden, das heißt einmal gehört und ab dann richtig aus dem Speicher aufgerufen.

Prince of Persia: Fechten wie im Film Fechten muss auch ein namenloser Held22, der 1989 aus dem Gefängnis ausbricht: Wie uns eine cutscene vorher informiert, hat er hat nur eine Stunde Zeit, um die Prinzessin zu retten, die der verräterische Wesir Jaffar zur Heirat nötigen möchte. Der Weg führt über Ebenen aus dem Kerker in den Palast; ein Weg, der wegen zahlreicher Fallen, Stockwerken und Abgründen den persischen Prinzen in spe zu akrobatischer Hochleistung zwingt. Als Schöpfer gilt Jordan Mechner, der eigentlich Drehbuchautor werden wollte.23 Die Verschränkung mit Filmtechnik beginnt hier schon vor der Programmierung: Mechner filmte seinen Bruder bei Turnübungen auf einem Spielplatz und rotoskopierte24 diese Filmausschnitte, um mit Animationen seine Vision eines interaktiven Filmerlebnisses umzusetzen. Das Resultat waren damals beeindruckende Bewegungsabläufe auf dem Bildschirm des Apple II.25

20 Gilbert, Ron: »On Stranger Tides«, URL: http://grumpygamer.com/6476640 (Stand: 13.12.2012). Vgl. THE SECRET OF MONKEY ISLAND (1990) (Lucasfilm Games). 21 Pias: Computer Spiel Welten, S. 157; Hervorh. im Original. 22 PRINCE OF PERSIA (1989) (Brøderbund). 23 Mechner, Jordan: The Making of Prince of Persia. Journals 1985-1993, ebook 2011. Vgl. LODE RUNNER (1983) (Brøderbound). 24 Rotoskopie ist ein simples Animations-Verfahren, mit dem Bild für Bild einer Videoaufnahme abgepaust wird, um so Bewegungen tricktechnisch umzusetzen. 25 Was zu der Zeit als ›beeindruckend‹ galt und heute nostalgisch verklärt wird, kann der Autor gerade schon selbst berichten, bzw. auf die Berichte des ComputerspielDokumentationskanals »All your History belong to us« zurückgreifen. Durch diesen er-

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Abb. 2: Screenshot aus PRINCE OF PERSIA (1989). Die Absicht, ein kinematografisches Erlebnis im Spiel zu liefern, hatte also keine ausgeklügelte Narration zur Folge. Eher schrumpfte dadurch das als Puzzle konzipierte Spiel auf zehn kurze Sequenzen ein, obwohl 40 Levels geplant waren und diese ganz ohne Gegner hätte auskommen sollen.26 Mechner verwarf schließlich auch die ursprüngliche Idee, den Level-Editor mitzuliefern, wie es Brøderbound schon mit Lode Runner getan hatte27, um die Spieler anzuregen, eigene Rätsel herzustellen. Die Auflage, das Spiel in einer Stunde durchzuspielen, stilisiert die Levels stattdessen zu Szenen und den symbolischen Tod zu einem missglückten take. Da es unmöglich ist, das Spiel von einem selbst gesicherten Speicherstand aus fortzusetzen, wird es zu einem abendfüllendem Unterfangen, das allerdings ein klar definiertes Ende kennt: kein Highscore sondern Happy End.

fährt man auch von einer Zusammenarbeit von Jordan Mechner mit Patrice Désilets, was schließlich in die Produktion von ASSASSIN‘S CREED mündete: Der persische Prinz im weißen Strampler kann als direkter Vorläufer des weiß vermummten Assassinen gelten. Vgl. Machinima: »All Your History: Prince of Persia Part 1«, URL: http://www.youtube .com/watch?v=FixuIk64bI4 (Stand:18.12.2012). (Die umfassende Quellenanalyse solcher neuer Dokumentationsformen wäre seinerseits eine fachwissenschaftlicher Auseinandersetzung wert.) 26 Vgl. Mechner: The Making of Prince of Persia, S. 76. 27 Mäyrä, Frans: An Introduction to Game Studies, London: Sage Publications 2008, S. 112.

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Die gleiche Geschichte von Entführung und Rettung erzählt DONKEY KONG,28 mit welchem laut Frans Mäyrä Nintendo die erste interaktive story world 1981 auf den Spielemarkt bringt: »The top-down puzzle of Pac-Man is here replaced by a sideways view to a set of construction platforms — a setting that cemented the ›platformer‹ as a particular kind of genre, consisting of the combination of navigation (running, jumping and climbing) on platforms and ladders while making avoiding and attacking actions. While the controls of Pac-Man had consisted only of a Joystick, Donkey Kong set the direction for future arcade action games by adding a jump button. As button presses and joystick movements were combined, this paved the way that eventually led into sophisticated and demanding ›combo‹ action configurations in the future games in the 1980s and 1990s.«29

Es existieren mehrere Dimensionen von Spielfortschritt, die sich in zwei verschiedenen Schaltern äußern: Annäherung an das Ziel mit dem Joystick und erfolgreiche Abwehr eines Angriffs mit dem zusätzlichen Knopf. Damit ist die zeitkritische Achse, um die sich alle Actionspiele drehen, in die gegensätzliche Richtung verlängert: Nur gegnerische Angriffe zu vermeiden bringt noch keinen Spielfortschritt. Man könnte mit Jesper Juul30 behaupten, dass hier emergente Spiele in progressive eingebaut werden. Nachdem innerhalb eines Fechtduells die Regeln als vollständig bekannt vorausgesetzt werden können (emergent), entwickeln sich die Spielabläufe vor und nach diesen Kämpfen unterschiedlich mit der Narration (progressiv). Scheitern ist nach wie vor eine zeitkritische Frage der Pünktlichkeit, doch wird diese Frage serialisiert, an verschiedenen Orten in einem Labyrinth wiederholt und dadurch für jeden erfolgreichen Ortswechsel aktualisiert. Die Katalysen, also die Bewegung von einem Ort zum nächsten, werden schon im Graphik-Adventure durch die Animation von Körperbewegungen verzeitlicht; eine Zustandsänderung nicht nur schlicht konstatiert, sondern graphisch animiert. Für diese Dauer ist man in Actionspielen zusätzlich verschiedenen Attacken ausgesetzt, sodass das Navigieren eines Avatars die zeitkritischen Anforderungen mit dem entscheidungskritischen Wegesuchen koppelt. So können nur durch Steuerung des Körpers Entscheidungen getroffen werden. Die Antropomorphisierung von Avataren hat also designtechnische Auswirkungen, vor allem auf die Gestaltung der Spielwelt.

28 DONKEY KONG (1981) (Nintendo). 29 Mäyrä: Game Studies, S. 73. 30 Vgl. Jesper Juuls Game-Studies-Glossar: Juul, Jesper: »A Dictionary of Video Game Theory«, URL: http://www.half-real.net/dictionary/ (Stand 12.12.2012).

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Metal Gear: Das Sehen des Sehens Auch Spieldesigner Hideo Kojima macht kein Geheimnis aus seiner FilmObsession, die er in einer anderen, bis heute erfolgreichen Computerspiel-Serie einbrachte: METAL GEAR31 gilt in Spielemagazinen als wegbereitend, da hier zum ersten Mal spielgeschichtlich eine heimliche Infiltration in eine feindliche Basis geschieht: die Munition ist streng limitiert; es wird schon eine kleine Überzahl an Gegnern gefährlich; man sucht Sichtschutz hinter Mauern. So wird die lose GenreBezeichnung Stealth-Shooter abgesteckt, unter die auch ASSASSIN’S CREED fällt.

Abb. 3: Screenshot aus Metal Gear (1987). Kojima rüstet seinen Held nur mit einer Packung Zigaretten aus, die freilich nicht zum Kampf taugt, die aber eingesetzt werden kann, um logische Schließungen hervorzurufen, um also etwa übermächtige Wachen anzulocken und sie von hinten zu überraschen. Es handelt sich also um ein Adventure, welches zusätzlich die zeitkri-

31 METAL GEAR (1987) (Konami).

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tischen Anforderungen in sein Programm schreibt. Folglich ist METAL GEAR als Adventure mit Action-Elementen eine andere Spielgattung als ASSASSIN’S CREED, das umgekehrt Erzählungen durch Einspielungen implementiert. Die Darstellung von Heimlichkeit ist im Interface grundsätzlich verschieden angelegt, was an der Perspektive und der Rolle des Spielers festgemacht werden kann: In dem Spielklassiker ist die Ansicht von schräg oben bestimmend, die später in ausgefeilterer 3D-Graphik Platz umgesetzt worden ist: Der Spieler positioniert seine Spielfigur außerhalb der gegnerischen Sichtfelder hinter Mauern. Deckung ist also eine Frage der Verortung auf bespielbaren Karten, ihrer Topographie sowie der Bewegungsalgorithmen von Gegnern. Bei ASSASSIN’S CREED hingegen ist Heimlichkeit ein ›Habitus‹, ein Modus der Bewegung, der per Tastendruck an- und ausgeschalten werden kann. Solange der Spieler seine Hauptfigur nicht auffällig bewegt, d.h. auf dessen Kletter- und Lauffähigkeiten verzichtet, kann er als gewöhnlicher Stadtbewohner getarnt, direkt an Wachen vorbeispazieren — dabei spielt es keine Rolle, ob diese Altaïr sehen können. Dieses Spielprinzip erinnert wesentlich stärker an I, ROBOT32, das als erstes Spiel gelten kann, dessen Interface mit polygoner Vektorgraphik ausgestattet wurde, somit im virtuellen Raum dreidimensionale Objekte erscheinen ließ.33 Das strapazierte die damals verfügbare Rechenleistung, wodurch nur sehr kleine Levels darstellbar waren, in denen es galt, alle blauen Polygone rot einzufärben. Um das simple Schießspiel auf so kleinem Raum anspruchsvoller zu machen, installierte man den ›Big Brother‹, ein rotes Auge, im Fluchtpunkt des screens, das beachtet werden musste, sofern man springen wollte. Auch hier ist ›ÜberwaAbb. 4: Screenshot aus I, ROBOT (1983). chung‹ ein panoptischer Zustand und keine Frage der Deckung und Sichtfelder. I, ROBOT ist somit eher in die Genealogie von ASSASSIN’S CREED einzuordnen, da die Wachsamkeit des allgegenwärtigen Computergegners hier dem Spieler durch ein Icon vermittelt wird.

32 I, ROBOT (1983) (Atari). 33 Bickenbach, Matthias: »Der virtuelle Grafik-Raum oder: ›It’s not a game.‹ Die Gesetze des Videospiels«, in: Jan Distelmeyer et al. (Hg.): Game over!? Perspektiven des Computerspiels, Bielefeld: transcript 2008, S. 43-58; hier S. 47.

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Durch Texturen werden aus Polygonen und dem ähnlichen Spielprinzip historische Städte. Ein Gefühl von Urbanität vermittelte zuvor die GTA-Reihe, erstmal mit dem dritten Ableger34 in seiner dreidimensionalen Form: Seitdem werden Verbrechen nach ähnlichem Prinzip in fiktiven amerikanischen Großstädten begangen, für die auch Bewegungsmuster der Realität abgeschaut werden — digitales Cruisen.35 Für ASSASSIN’S CREED wurde eine ebenso moderne Entsprechung gefunden, die allerdings ohne motorisierte Vehikel auskommt und deshalb auch in mittelalterlichen Gassen taugt: Parcour ist ein Sport urbaner Akrobaten, die den direktesten Weg suchen und halsbrecherisch wie beeindruckend auch kühne Sprünge und Rollen über Geländer, Stufen und Mauern wagen. Diese spielerische Praxis war Vorbild für die Bewegungen des Assassinen.36

Z WISCHEN E INTAUCHEN

UND

S TEUERN

Patrice Désilets vergleicht die Art Spiel-Freiheit37 in ASSASSIN’S CREED nicht mit einer Sandkiste, vielmehr mit einer Blumenkiste, deren wunderschönen, historischen Umgebung man einfach erklettern und ausspähen — also filmisch einfangen — kann. Damit ist der wesentliche Unterschied von ASSASSIN’S CREED zu den meisten Computerspielen historischen Inhalts markiert: Bei diesen handelt es sich meist um Strategiespiele. Jedes zweite38 fällt unter die dritte Kategorie, die Pias einführt und deren Titel sich dadurch auszeichnen, dass sie konfigurationskritisch sind.

34 GRAND THEFT AUTO III (2001) (Rockstar Games/War Drum Studios). 35 Vgl. dazu Mitgutsch, Konstantin/Rosenstingl, Herbert: »Computerspiele zwischen Kult und Kultur«, in: Medienimpulse. Beiträge zur Medienpädagogik 4 (2010), URL: http://www.medienimpulse.at/articles/view/274 (Stand: 08.09.2012). 36 Vgl. Raymond, Jade: »ASSASSIN’S CREED Developer Diary: Art Direction«, URL: http:// www.gametrailers.com/video/jade-raymond-assassins-creed/26613 (Stand: 17.12.2012). 37 Désilets, Patrice: »ASSASSIN’S CREED Video Game, Developer Diary: Freedom«, URL: http://www.gametrailers.com/video/developer-diary-assassins-creed/26024 (Stand: 17. 12.2012). 38 Schwarz, Angela: »Computerspiele – ein Thema für die Geschichtswissenschaft?«, in: Dies. (Hg.): »Wollten Sie auch immer schon pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?« Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel (Medien'Welten 13), Münster: Lit 2010, S.7-28; hier S. 11-13: In den Statistiken, die Schwarz liefert, wird nicht nur die stetige Zunahme an Neu-Erscheinungen mit historischen Inhalten thematisiert, sondern auch der deutliche Überhang von Strategiespielen, zu deren Anteil von 44,9% auch noch die 5% der Aufbau-Simulationen gerechnet werden dürfen, wenn man sich an Pias’ Trias hält — also knapp die Hälfte. Der Unterschied, dass Letzte-

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Angela Schwarz’ Verwunderung gegenüber dieses Umstands ist der an sich richtigen Annahme geschuldet, das Geschichte sich nicht verträgt mit dem kontrafaktischen, prognostischen Verfahren von Strategiespielen, die nämlich aus ihren Algorithmen uchronische, futuristische Zustände entwerfen, während Actionspieler Gegenwarten synchronisieren und Adventurespieler Vergangenes nacherzählen.39 »Denn es ist gerade das Adventure, das der Spielerin und dem Spieler die Möglichkeit gibt, in Gestalt eines anderen eine andere Welt, eben eine vergangene Welt, zu erkunden und in Form einer handelnden und mit der Spielwelt interagierenden Person zu beeinflussen. Letztlich vermag dieses ›PC-Kino‹ zum Mitmachen potenziell am stärksten die Illusion eines Eintauchens in die Vergangenheit zu erzeugen.«40

Immersion (wörtliche Übersetzung: ›Eintauchen‹) brachte Béla Balasz41 1938 in den Film-Jargon ein, und der Terminus ist auch heute noch im Diskurs der game studies wirkmächtig, wenn man ihn ausdifferenziert, um damit die Sogwirkung von Spielen zu beschreiben.42 Damals beschreibt er das Erlebnis des Eintauchens in Filmnarrationen als neue Offenheit des Werks: »Der Film hat dieses Prinzip der alten räumlichen Künste — die Distanz und die abgesonderte Geschlossenheit des Kunstwerkes — zerstört. [...] Ich gehe mit, ich fahre mit, ich stürze mit — obwohl ich körperlich auf demselben Platz sitzen bleibe.«43

Immersion geschähe demzufolge nicht durch einen Akt des Eindringens; vielmehr sei es die Abbildung von Bewegung selbst, die Nähe vorspiele: die eigentliche Neuerung von Film im Vergleich zu Vorgängern wie perspektivischer Malerei und Photographie. Interaktivität hingegen, die heutzutage als Möglichkeit des Eintauchens gefeiert wird, ist ein Kind des Whirlwind-Projekts des MIT, das in den 40er-Jahren lanciert wurde. Bis dato waren Computer Rechenmaschinen, denen man Aufgaben zur Verarbeitung gestellt hat; diese Batch-Prozesse mussten abgewartet werden, damit im

re kein Spielziel außerhalb des unbestimmten Bauens und Wirtschaftens kennen, macht sie nicht weniger konfigurationskritisch. 39 Vgl. Pias: Computer Spiel Welten, S. 195. 40 Schwarz: Computerspiele – ein Thema für die Geschichtswissenschaft?, S. 12f. 41 Bálasz, Béla: »Zur Kunstphilosophie des Films«, in: Franz-Josef Albersmeier (Hg.): Texte zur Theorie des Films, Stuttgart: Reclam 1995, S. 204-226. 42 Bspw. Gomes, Renata: »The Design of Narrative as an Immersive Simulation. International Perspectives on Digital Games Research«, in: Suzanne de Castell/Jennifer Jenson (Hg): Worlds in Play, New York: Peter Lang 2007, S. 55-62 oder Mäyrä: Game Studies. 43 Bálasz: Kunstphilosophie des Films, S. 215.

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Anschluss die ausgegebenen Ergebnisse von Menschen weiterverwertet werden konnten. »So war also Interaktivität nur zum geringeren Teil eine ästhetische Frage der Visualität, sondern erst einmal eine systematische Frage der Temporalisierung von Komplexität. Interaktivität gründet darin, daß Prozesse von einer höheren Instanz unterbrochen werden können, um Beobachtungen vorzunehmen, die Auswirkungen für den weiteren Verlauf der Prozesse haben. Das Machtzentrum der Interaktivität ist daher [...] ein Schalter namens Interrupt, der die Prozessierung zu regelmäßigen Zeitpunkten unterbricht, um an unterschiedlichen Systemstellen Daten zu erheben.«44

Erkki Huhtamos Kulturgeschichte der Interaktivität ist damit vielleicht mit einem medienhistorischem Datum untermauert: Der Mensch steht nicht mehr vor dem Computer, wie vor einem vertrautem Fremden, sondern wie ein »wartender Bediener« wie Huhtamo in Anlehnung an Lev Manovich feststellt: »Diese Beobachtung [einer post-industriellen Arbeitswelt, Anm. SH] führt zur Behauptung, daß der wirkliche Vorläufer dieser Beziehung Mensch-Maschine die Erfahrung beim Ansehen eines Films ist, nicht die Arbeit an einem mechanisierten Fließband.« Daran beanstandet Huhtamo, dass die Häufigkeit der Interaktion übersehen wird, eher die Rolle eines »ungeduldigen Benutzers« eingenommen wird.45

D OPPELTES S PIEL Ein medienarchäologischer Blick in die Geschichte kommerzieller Computerspiele lässt diesen Umstand als Resultat einer Präparation für den Heimgebrauch erscheinen: Damit das Geld, das sonst für jede Spielrunde in Spielhallenautomaten geworfen wurde, nun weiterhin in die Taschen der Spieldesigner fließt, müssen deren Produkte zu einem Ende finden, damit weitere Spiele für Heimsysteme entwickelt und verkauft werden können. Die Ausstattung häuslicher Computerspiel-Arrangements beeinflusst somit deutlich die Produktion von Spielsystemen und Programmen: Auf der Ebene der Kompatibilität dieser beginnt am Markt ein Kampf, der in immer opulenteren Graphiksimulationen46 ausartet und zum Leistungstest für die heimische Hardware wird.

44 Pias, Claus: »Chimäre Interaktivität«, in: Silke Walther (Hg.): Carte Blanche. Mediale Formate in der Kunst der Moderne, Berlin: Kadmos 2007, S. 119-130; hier S. 122; Hervorh. im Original. 45 Huhtamo, Erkki: »From Cybernation to Interaction. Ein Beitrag zur Archäologie der Interaktivität«, in: Brigitte Felderer (Hg.): Wunschmaschine Welterfindung. Eine Geschichte der Technikvisionen seit dem 18. Jahrhundert, Wien: Springer 1996, S. 192-203; hier S. 200. 46 Vgl. Bickenbach: It’s not a game.

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Der Bedarf an Geschichten, die Enden mitbringen, ruft Filmfreunde auf, ihr Kino-Wissen über Dramaturgie in das Spieldesign einfließen zu lassen, an das schließlich auch die Spieler wieder anknüpfen können. Die Unvereinbarkeit linearer Plots mit repetitiven Spielzügen lässt Filmtechnik zur visuellen Strategie, mit der Brüche in der Logik der Handlung überbrückt und gleitende Übergänge zwischen Spielzügen geschaffen werden, um Redundanz in der Abwicklung von Geschichten zu reduzieren. Diese wird auch von Desktop-Interfaces gespiegelt: Intuitive Bedienung wird erfahren als Imitation natürlicher Trägheit der touchscreens: Hypertext wird wieder geblättert, Programmfenster werden geöffnet und Inhalte werden entpackt.47 Während wir also in einem Actionspiel interaktiv Daten prozessieren, durch die Bewegung eines Avatars läuft gleichzeitig ein Adventure durch das Interface eines Action-Spiels, das uns durch interaktive Cinematographie, die Räume absuchen lässt. Dieses doppelte Spiel ist Laufzeit und Ladebalken unserer Tätigkeit zugleich. Der Animus bildet davon die fiktionale Repräsentation: Ein erdachtes Medium, welches nach denselben Prinzipien funktioniert, wie es Bolter und Grusin Bolter/Grusin48 als doppelte Logik der »remediation« bezeichnen: Sie oszillieren zwischen Hypermedialität (›hypermediacy‹), die sich in ihrer Selbstreferenzialität übersteigert und Unmittelbarkeit (›immediacy‹), welche eine Realität hinter dem Medium adressiert und totale Transparenz anstrebt.49 Man könnte daraus folgen, dass das Adventure durch ein Actionsspiel remediatisert wird, in deren Code kein Unterschied zwischen Geschichte und Geschichten ausweisbar ist. Video zum Tagungsvortrag: Huber, Simon: »Spiel um historische Authentizität«, URL: http://mediathek. hhu.de/watch/5bbd0732-7f0e-4484-aae00b8a507649ee (Stand: 16.01.2014).

47 Im Bezug auf das Graphikdesign wird dies auch unter dem Schlagwort »Skeuomorphismus« gehandelt, hier ist im speziellen die Animation von Bewegung gemeint. 48 Bolter, Jay David/Grusin, Richard: Remediation. Understanding New Media, Cambridge/London: MIT Press 2001, S. 3-15. 49 In diesem Licht werden die Geschichtsdarstellungen aus ASSASSIN’S CREED im englischsprachigen Tagungsband betrachtet: Huber, Simon: »The Remediation of History in ASSASSIN’S CREED«, in: Florian Kerschbaumer/Tobias Winnerling (Hg.): Early Modernity and Video Games, Newcastle-upon-Tyne: Cambridge Scholars Publishing 2014, S. 162-174.

The History beyond the Frame Off-Screen Space in the Historical Strategy Game A DAM R OWAN C HAPMAN

Space is both a historical and a ludic issue in historical videogames. Virtual space constructs representations and functions as a tangible narrative structure but it is also integral to challenge and game-play. However, representations of space (and thus off-screen space) manifest distinctly differently between games. Here I will begin to explore the role of off-screen space in historical strategy games by examining the critically acclaimed SID MEIER’S CIVILIZATION series.1 Issues of fidelity that arise in more complex virtual spaces, such as those found in, for instance, historical first-person shooters (FPS), are much less important in conceptual simulations, which concentrate far more on enabling the player to play fairly complex historical games effectively.2 SID MEIER’S CIVILIZATION is a historical strategy game series that epitomises the conceptual category and as such prioritises agency and discursive complexity over giving a particularly credible visual

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SID MEIER’S CIVILIZATION (1991) (Microprose); SID MEIER’S CIVILIZATION II (1996) (Microprose); SID MEIER’S CIVILIZATION III (2001) (Firaxis/Infogrames); SID MEIER’S CIVILIZATION IV (2005) (Firaxis/2K Games); SID MEIER’S CIVILIZATION V (2010) (Firaxis/2K Games) [PC]. More specifically, CIVILIZATION represents the sub-genre of 4X (eXplore, eXpand, eXploit, eXterminate) strategy games which are also characterised by their use of large scale empires, complexity, detail and greater range of diplomatic possibilities. See: O.A.: »4X«, in: Wikipedia: The Free Encylopedia: Wikimedia Foundation Inc., URL: http://en.wikipedia.org/wiki/4X (Stand: 22.08.2013).

2

For my analysis of off-screen space in historical first-person shooters instead of historical strategy games, please see: Chapman, Adam R.: »The History beyond the Frame: OffScreen Space in the Historical First-Person Shooter«, in: Florian Kerschbaumer/Tobias Winnerling (Hg.): Early Modernity and Video Games, Newcastle-upon-Tyne: Cambridge Scholars Publishing 2014, S. 38-51.

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representation of space.3 Perhaps unsurprisingly given its conceptual simulation style, CIVILIZATION uses the most familiar technique for conceptualising space in ways beyond human experience and presents its digital representation of space as a map with a simple, fixed, essentially ›top down‹, camera angle for players.4 Aspects of historical representation such as depth and perspective are thus relatively unimportant and this is indicated by the use of the isometric viewpoint in the earlier versions of the game. It is useful to note that though the camera cannot be manoeuvred as it can in, for instance, historical FPS, the player enjoys greater spatial agency in some regards because they are generally not impeded in either movement or line of sight by the features of terrain that are part of the map. This means that navigation of the virtual space is relatively easy. By comparison, in FPS games such as BROTHERS IN ARMS (a tactical World War II shooter), not only learning which spaces can be navigated but actually doing so, is an implicit challenge of the game due to the features of the terrain which may impede us and also the complexity of firstperson controls.5 Similarly, unlike the typical historical action or FPS game set in relatively complex, most often linear, 3D environments, the game play of CIVILIZATION takes

3

Though there are considerable nuances to my historical simulation categories of ›realist‹ and ›conceptual‹ that I have explored elsewhere, here it is enough to note that the realist simulation represents the past by claiming to show it ›as it was‹ through high fidelity audio-visual techniques that invoke ›realism‹ (often drawn from cinema). In opposition to realist simulations I have proposed the category of conceptual simulations (such as CIVILIZATION’s).

Such simulations are characterised by abstract audio-visual styles and in-

stead the aesthetics of historical description mostly operate through the ludic aspect (rules and action) whereby most of the data is found and the historical representation is constructed. Accordingly, these simulations work at a more discursive level and thus tell us about the past without purporting to directly show it ›as it was‹. 4

The player can zoom in and out, but beyond this they are fixed at a roughly top down camera angle. Players are also fixed facing north, the natural perspective for looking at a map.

5

BROTHERS IN ARMS (2005) (Gearbox Software, Ubisoft) [Xbox 360]. In the terminology of Linderoth’s interpretation of the ecological approach we would say that CIVILIZATION does not face players with a performatory challenge to gain information, whereas this is a key aspect of the challenge of BROTHERS IN ARMS i.e. actually moving the avatar/playerperspective around the space is a challenge. For more on the ecological approach to games and the performatory and exploratory aspects of action and challenge see Linderoth, Jonas: »Beyond the Digital Divide: An Ecological Approach to Gameplay«, in: Proceedings of DiGRA 2011 Conference: Think, Design, Play 4 (2011): 1-15, URL: http://www.digra.org/dl/db/11307.03263.pdf.

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place in a simpler single space and we cannot travel to other spaces, only explore the one we are given at the beginning of play. Whilst the details of this map often change between each play-through (the terrain is, at least in the default mode, randomly generated or chosen from a list of many different maps) the broader spatial structure does not change. As such, playing CIVILIZATION involves navigating a fixed map-like space for the entire duration of play. Generally, the 3D model, perspective, visual scope, allowed movements and broad spatial format of FPS games such as BROTHERS IN ARMS means players are supposed to feel as though they are on a journey travelling through a world as a member of it. Conversely in CIVILIZATION these design structures are supposed to make players feel as though they look down upon a world and command elements of it. Each helps communicate the game’s focus to the player and enables them to engage with both its ludic and historical functions and yet each is also very different. Off-screen space is about more than just the game as an object and the »space of videogames is a conceptual one, constructed in the player’s mind as he manipulates the representational system that comprises a particular game«.6 This dynamic obviously finds particular emphasis in the conceptual simulation and reminds us to be wary of dualist notions of virtual ›space‹ (these are only representations). However it is also important because it highlights the importance of the exchanges between the modes of interactivity („configurative ergodic traversal”7/doing and „orthodox meaning negotiation”8/reading) that are a part of engaging with all historical games as histories. Consequently, each information gathering configuration that the player produces through play can feed into their meaning-negotiation of the game-space. This can aid in constructing a meaningful and believable world which may affect the player’s decision making. However, these internal constructions can also feed back into tactical considerations by building an understanding of the limits and nature of the game’s ›3D‹ space. What this implies is that there is a ›space‹ that is not contained on the screen and yet that is not a part of the real space of the player either. The most comprehensive account of these off-screen spaces in videogames can be found in Wolf’s tax-

6

Bogost, Ian: »Persuasion and Gamespace« in: Friederich von Borries, Steffen P. Waltz, Matthias Böttger (Hg.), Space Time Play. Computer Games, Architecture and Urbanism: The next Level, Basel: Birkhauser Verlag 2007, S. 304-309; S. 306.

7

Aarseth, Espen: Cybertext: Perspectives on Ergodic Literature, Maryland: John Hopkins University Press, 1997, S. 1.

8

Bogost, Ian: Unit Operations: An Approach to Videogame Criticism, Massachusetts: MIT Press 2006, S. 14.

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onomy.9 By developing these ideas further, here I explore the idea that the suggestion of off-screen space affords us structured imagining of fictive historical spaces beyond, though related, to what is contained on the screen. I will also describe how in some historical games virtual space moves between on- and off-screen and how this dynamic is vital to their play. I propose that spatial historical representations in modern videogames work not only through coded virtual architecture but also in accordance with the Japanese concept of »ma«, what author Lian Hearn explains as »the space between that enables perception to occur.«10 Obviously, this is at least partly because historical games rely on complex exchanges between the player’s »polyvalent doing«11 (ergodic traversal) and polysemic reading (meaning negotiation). Off-screen spaces are a form of ›ma‹ that developers use to cue players into constructing vast and detailed worlds that cannot possibly be represented. However, they are also important rules that work to establish epistemologies and to create challenges that contain implicit arguments about the historical experiences and/or processes they aim to represent. This concept of space for perception also relates to the Gibsonian ecological psychology I have applied to historical videogames elsewhere.12 However, the analysis contained here is restricted to examining the relation between virtual ›spaces‹ that we, as players in a given moment experience and those we are aware of or imagine but do not in a given moment (or perhaps any moment) actually directly audiovisually perceive. This is important to understanding historical representation in videogames.

9

Wolf, Mark J. P.: »Inventing Space: Toward a Taxonomy of On- and Off-Screen Space in Videogames«, in: Film Quarterly 51, 1 (1997), S. 11-23.

10 Hearn, Lian: »On Writing Across the Nightingale Floor« (2008), URL: http://www.lian hearn.com/across_the_nightingale_floor.html (Stand: 18.01.2014). In Hearn’s work this manifests (as in much Japanese style literature) as a use of ›silence‹, i.e. she deliberately omits details in order to force the reader to perceive and fill the gaps. 11 Galloway, Alexander R.: Gaming: Essays on Algorithmic Culture, London: University of Minnesota Press 2006, S. 105. 12 For example, see Chapman, Adam R.: »Affording History: CIVILIZATION and the Ecological Approach« in: Andrew B. Elliot/Matthew W. Kappell (Hg.): Playing with the Past. Digital Games and the Simulation of History, London: Continuum 2013, and Gibson, James J.: The Ecological Approach to Visual Perception, New Jersey: Lawrence Erlbaum Associates 1986.

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CIVILIZATION AND OFF-SCREEN SPACE As a conceptual simulation, CIVILIZATION (unlike realist simulations such as BROTHERS IN ARMS or CALL OF DUTY) relinquishes the restrictions on perspective that trying to represent human experience as it was directly lived entails.13 Accordingly, there is perhaps less to say about the game’s off-screen space.14 In fact there is ›less‹ off-screen space in CIVILIZATION than even many other conceptual simulations as the game does not feature particularly explicit boundaries to most of its game space. Nonetheless, there are four distinct ways in which off-screen space can matter to the experience of playing CIVILIZATION and similar historical strategy games. Firstly, though this is nothing like to the extent of the restrictions on the player’s perception in FPS games like BROTHERS IN ARMS, the camera view of CIVILIZATION does operate as a present (but not particularly challenging) information rule. As aforementioned, in CIVILIZATION, as in most strategy games, which are also most often conceptual simulations, the player’s view is what is commonly termed as a ›god‹ or ›top down‹ perspective (as if looking directly down, or at a slight angle, upon land from the sky). The semi-3D landscape gives a digital impression of a raised-relief map. We can only look at a particular portion of this map at any one time, with players expected to move the camera around the map using the direction keys or thumbstick. The player can see an even simpler mini-map in the corner of the screen that informs them (with a rectangular outline) as to which portion of the map they are currently viewing. In historical strategy games that feature real-time gameplay moments, such as the TOTAL WAR series, such a viewpoint is again an explicit form of challenge and makes constant efficient camera movements to gather and reveal strategic spatial information necessary.15 Accordingly, it is perfectly possible, when combined with other (in this case temporal) structures of pressure,

13 For example see CALL OF DUTY: WORLD AT WAR (2008) (Activision/Treyarch). 14 The spaces of conceptual simulations are perhaps less important because the point is not to represent space as something in which the player, as a represented historical agent ›exists within‹ but as a concept which has ludic significance and effects (just as in the board games which CIVILIZATION heavily imitates) and in turn makes particular arguments about the role of space in human history. 15 For example see TOTAL WAR: SHOGUN 2 (2011) (Creative Assembly/Sega) [PC]. This challenge however is still generally not as difficult as the performatory spatial work facing the player of BROTHERS IN ARMS and similar games. This is because the ›god‹ perspective allows for much easier freedom in terms of the spatial agency and perception of the player, who can take in vast swathes of the map in one and who is not locked to the ground and forced to use more complex controls.

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for off-screen space caused by camera perspectives and scope to be an important tactical aspect of historical strategy games and for these to make particular arguments about the nature of spatial information and negotiation in warfare. However, CIVILIZATION is turn-based and this removal of the temporal pressure negates much of the performatory aspect of this challenge, instead allowing players to move their camera around the game space and gather information about their own civilization and those of other players at their own pace.16 The game series, in its more recent incarnations at least, also aids the player in this movement by selecting and moving the camera to each city or unit in turn that needs instructions from the player. However, keeping an eye on enemy civilizations is mostly still up to the player. Nonetheless, the challenge from the restrictions imposed by the perspective and scope of the camera are negated by the lack of pressure from the time element (and frequently concurrent narrative component), the freedom to scroll around the map and lastly, the ability to zoom out to the point that on smaller maps we can view almost 4/5ths of the entire map at once. This should not be taken to indicate that CIVILIZATION is free of spatial challenge all together and in fact, space is an important aspect of the game’s rules and thus, historical representation. There is much to be discussed about this broader issue which there is simply not space here to do (and so must remain ›off-screen‹ for now). However there is an important aspect of this that relates specifically to the issue of off-screen space. Whilst the information restrictions entailed by the limited camera scope present little problem, there is another information rule that is an important part of the game mechanics and makes particular arguments about the role of spatial information, technology and exploration in historical dominance. These are similar to those of FPS such as BROTHERS IN ARMS (see companion essay in English volume) but on a much more macro scale. This second type of off-screen space is the ›fog of war‹ mechanic. In strategy games this means a black ›fog‹ that covers areas of the map that the player has not yet discovered.17 The quote commonly held as the source of this military (and thus in-turn gameplay) phrase also has good relevance in this context as it indicates specifically what any spatially-related mechanic (including those of BROTHERS IN ARMS and others of its ilk) designed to restrict information to the

16 Again for more on the difference between performatory and exploratory challenges see Linderoth: Beyond the Digital Divide, S. 10-11. 17 Moving units to portions of this fog reveals what is underneath. Though sometimes in such games the geography will remain revealed once a friendly unit has visited an area, often (and this is the case in CIVILIZATION) the movements of enemy units will not be tracked and represented visually on the map unless we have troops nearby. This may also be referred to as due to the ›fog of war‹.

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player when representing historical combative situations is designed to imitate. Namely that, »War is the realm of uncertainty; three quarters of the factors on which action is based are wrapped in a fog of greater or lesser uncertainty.«18 By challenging the player to negotiate with this ›fog‹, these games make specific arguments about the historical importance of understanding and conceptualising space whether off-screen, off-map or simply undiscovered. The power of spatial and environmental information is emphasised as core to historical, particularly military, endeavour and the fog of war mechanic is central to such arguments. In this way, off-screen space is an important part of CIVILIZATION’s and similar games’ wider arguments about space, exploration, ownership and dominance. Whilst some of the arguments are similar, the differences in practice between this ›fog of war‹ and the perspective restrictions of FPS like BROTHERS IN ARMS are actually quite significant. For instance, whilst in the latter we can uncover information about the off-screen space blocked by terrain by using a ›proxy‹ (i.e. the tactical fire teams under our control, not our avatar) this is obviously not our main source of exploration. In CIVILIZATION this use of proxies is always necessitated in some regard as we must command units to explore to allow us to reveal off-screen space. Such proxy exploration is distinct because it is not based only on our own performatory capabilities (i.e. how well we can move an avatar in real-time through a virtual space) but on the ludic abilities attributed to particular units and our exploratory use of them.19 This, combined with the turn-based nature of the game, means that such exploration can require careful forward planning and strategy and this similarly applies to much of the spatial gameplay of CIVILIZATION. Furthermore, because off-screen spaces must be negotiated through the development and use of new units and technology, the ›fog of war‹ is important as a pressure to lead players into the game’s other historical arguments about affordances. The game therefore seems to represent spatio-historical issues at a more discursive level (or if we must frame these issues as historical experience then they are represented as they would apply much more to the generals and leaders of the past than individual soldiers). This is not only indicated by the visual perspective which the player is given but also in the specific ludic challenges that this entails. Though the different techniques for doing so are important and vary in success, the effort to include these issues of space in all historical videogames is important to note. Accordingly, the harmony between space as a generally necessary feature of both games and representations of the past is perhaps particularly significant. Particular-

18 Clausewitz, Carl von/Michael E. Howard, Michael E./Paret, Peter (Hg., Übers.): On War, Princeton, NJ: Princeton University Press 1976, S. 101. 19 Exploratory both in the conventional and the ecological sense.

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ly in terms of warfare with which the competitive game shares obvious further parallels. The third experience of off-screen space in CIVILIZATION is related to that offered by the spatial boundaries of games like BROTHERS IN ARMS, though in the former this occurs in a rather different capacity.20 For the most part, macro demarcations of the spatial limits of the game world are remarkably absent in Sid Meier’s text. This is because it maintains the cohesion of its representation by presenting a flat(ish) map that nonetheless works similarly to a globe, that is to say, if the player continuously scrolls to the left or right they will eventually return to the space in which they started. In older versions of the series the player would encounter boundaries beyond which they could not move units or their camera and which were marked with the edges of the mini-map in the corner of the screen. However, in later iterations this was changed to the (mostly) boundless model described above, what we could term, using Wolf’s terminology, as ›finite but unbounded space‹.21 This change is significant in terms of the scope of the historical representation it infers. Players of the earlier CIVILIZATION games could be forgiven for assuming that the boundaries implied the possibility of further space and that the game represented just a portion of human history, with a possibility for other narratives and paths to progression to simultaneously exist in the space beyond. However, such interpretations are much less readily available to players of today’s versions and by presenting this finite yet unbounded space in such a way as to invoke the global, by way of the virtual illusion of the spherical, the game cements that its perspective on human history is supposed to be all encompassing: the history of the world. In this way we can see that the very lack of off-screen space in itself contains particular arguments about the nature of the games scope and creates a sense through space of the epic stage upon which the historical events, arguments and investigations can occur during play. This of course also reflects the game’s tendency (at least in production) toward an empirical-analytical epistemological approach. The lack of the off-screen creates the sense (however mimetically flawed) of completeness, an epistemological echo of the printed text with which the empiricalanalytical approach has long been associated and drawn its own authority from.22

20 BROTHERS IN ARMS features boundaries (such as hedges and fences) that we cannot cross but can see beyond. This, as well as a number of other techniques, cues us into imagining the game space as situated within a much larger historical fictive world. For more on this issue please see the companion essay in the English sister volume to this one. 21 Wolf: Inventing Space, S. 14. 22 More precisely, CIVILIZATION, like most conceptual simulations, tends (at least in production) to lean towards a constructionist epistemological approach. For more on con-

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For example, the argument could be made that the turn to this contained space means the implicit cues for reflection on the player’s part on larger systems and alternatives are reduced. Accordingly, it becomes apparent that the suggestion or exclusion of off-screen space in historical strategy games may be important to the story/content and epistemological claims that are made. What is also interesting about this ›continuous‹ virtual space in CIVILIZATION is that the north and south edges of the map (which are normally depicted as the arctic circles) are still maintained as boundaries.23 This is perhaps because of the problems that this would cause in terms of the less immediately apparent logic about where the player camera should end up if the impression of the globe is to be maintained and were they to continuously scroll on the vertical aspect. However (whether unwittingly or not) this also contains implicit arguments, firstly about the lack of historical relevance of this geography which is virtually useless in the game space. This is our first clue that in CIVILIZATION space is only valuable in its relation to power, or perhaps more specifically expansion and domination. Of course in reality there is a rich history of cultures that have used this space as a habitat, for transmigrational purposes and of course often feats of adventurous endurance on the arctic plateaus have been touted as significant cultural events. Secondly, and perhaps more interestingly, these boundaries also echo the game’s concentration on a dichotomous history of the world as a series of West-East movements. Of course this is not likely to be the reason for this mechanic and players can still move along a North-South axis but the emphasis and greater degree and convenience of movement horizontally cannot help but add to what is already apparent in the game’s rules and content. By this I mean the intrinsic focus on those aspects of history that CIVILIZATION highlights as significant in progression and domination are most frequently features of a particularly Western-centric narrative and more specifically, focused on the type of historical processes and conflicts that were frequently done by the west to the east. Whilst the continuous scrolling could of course also be interpreted as emphasizing the game’s inclusiveness, because this is not always supported in the causal network of lexia it also becomes possible to read this as further highlighting the game’s emphasis on the primacy of Western, or even Eu-

structionist epistemological approaches see Munslow, Alun: Narrative and History, Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2007, S. 10-15. More on the link between authority and print can be found in Ong, Walter J.: »Print, Space, and Closure« in: Ders.: Orality and Literacy, London: Routledge, 2002, S. 117-138. 23 In CIVILIZATION: REVOLUTION these are just un-crossable borders of ice whereas in CIVILIZATION

V they are ice hexes that submarines can travel under. Nonetheless, in either

version the player’s camera cannot travel further than these arctic circles.

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ropean, histories.24 This is hardly a revelation and there is much excellent scholarship on these types of content criticisms.25 However, what is interesting in this context is that, whether intentionally or not, the mechanic has eventually grown to support the message, with the spatial agency allowed the player both reflecting and perhaps even creating, its particular historical arguments. A more favourable view of this East-West spatial dynamic would highlight that it also invokes the environmental determinist arguments of Jared Diamond’s Guns, Germs and Steel a text which much of the wider spatial arguments of CIVILIZATION further align with.26 This is perhaps no less western-centric but certainly more nuanced and politically and morally palatable than CIVILIZATION’s rhetoric would seemingly first imply. This unbounded movement and the almost omnipotent perspective which the player experiences, represent the game’s operation at the macro level of historical discourse and reinforces and enables the player’s engagement in this discourse as an (historian) observer able to travel through fictive time and space almost at will.27 Because there is no off-screen space significantly implied that we cannot access and

24 In my work (inspired by Barthes, Roland: S/Z, Paris: Editions du Seuil, 1973) I use the term lexia to describe the pieces that the player is given to construct the ›ludonarrative‹ (see Bissell, Tom: Extra Lives: Why Video Games Matter, New York: Pantheon Books 2010, S. 37), the part of the produced historical narrative which is controlled by the player. 25 For instance see: Pobłocki, Kacper: »Becoming-state. The bio-cultural imperialism of Sid Meier's Civilization«, in: Focaal. European Journal of Anthropology 39 (2002), S. 163177, URL: http://web.ceu.hu/soc_ant/stu-dents/phd/pdf/becomingstate.pdf; Atkins, Barry: »History is bunk?: Historiographic Barbarism in Civilization« [preprint; original English draft, Word document], published as: Atkins, Barry: »La storia è un’assurdità: Civilization come esempio di barbarie storiografica?« in Bittanti, Matteo (Hg.)/ Paggiarin Valentina (Übers.): Civilization: Storie Virtuali, Fantasie Reali, Mailand: Costa & Nolan 2005, S. 65-81; Carr, Diane: »The Trouble with Civilization« in: Krzywinska, Tanya/Atkins, Barry (Hg.): Videogame//Player/Text, Manchester: Manchester University Press 2007, S. 222-236; Lammes, Sybille: »On the Border: Pleasures of Exploration and Colonial Mastery in Civilization III Play the World«, in: Marinka Copier/Joost Raessens (Hg.): Level Up. Digital Games Research Conference, Utrecht: Utrecht University 2003, S. 120-129, and Douglas, Christopher: »You Have Unleashed a Horde of Barbarians!: Fighting Indians, Playing Games, Forming Disciplines«, in: Postmodern Culture, 13, 1 (2002), Abs. 1-28. UR: http://web.mit.edu/21w.784/www/BD%20Supplementals/Materials/UnitFour/douglasall.html (Stand: 10.01.2014). 26 Diamond, Jared: Guns, Germs and Steel. A Short History of Everybody For the Last 13,000 Years, London: Chatto and Windus, 1997. 27 Within the game’s spatial and temporal restrictions: the edges of the story-space.

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no (or few) cuts, unlike film or most linear adventure games, the representative virtual space of the game is coherent, consistent and contained.28 This means that in contrast to BROTHERS IN ARMS, the fictive space of CIVILIZATION (from CIVILIZATION: REVOLUTION onwards) is almost solely contained on the actual map. At least, in the sense of the boundaries of a wider fictive world. However, the trade-off for such all-encompassing, seemingly boundless spatial representations is (just like the map which the game uses as a tool to establish the conceptual basis of its representation of space) the sacrifice of detail.29 There are many implied spaces that are too small to see, are blocked from our view by the roofs of buildings or are simply not represented in the games’ abstracted spatial representation but the inference is that they exist(ed) in the spaces which the game refers to.30 Similarly, the menus hint at concepts and technologies that have particular reference to space for many of us but which cannot feasibly be included in anything but the most abstracted spatial form (if at all). The abstract nature of CIVILIZATION cannot really do justice to notions such as the relationship between architecture and state power. Accordingly, many of the spaces hinted at by the game’s relatively complex historical representation cannot be visually represented except in the simplest possible terms and yet they are implied as existing somewhere in our civilization and within the historical discourse of play. This is supplemented not through players assuming a super-set of fictional world space as in games like BROTHERS IN ARMS (CIVILIZATION’s unbounded map makes this redundant) but instead by players assuming a series of sub-sets. In Meier’s text players fill in the minutiae that the broad strokes on the giant canvas of CIVILIZATION cannot help but miss.

28 The only off-screen space of this nature is that which is implied to be behind the player’s camera, i.e. space beyond the Earth’s atmosphere. The player is cued into imagining this space largely because travel through it is a win condition for the game. If the player wins a technological victory then a short film shows the pinnacle of human achievement as the movement to new space and into the future both literally and figuratively beyond even the seemingly god-like perspective and agency of the historian/player. 29 This boundlessness is of course only an illusion and CIVILIZATION is subject to story and content decisions in all aspects of its representation (including space) just like any other history. 30 For instance the CIVILIZATION’s cities do not show us the everyday spaces the assumed populations exist in. Similarly the cities do not have the spatial footprint and amount and scale of buildings we would expect but they work well as symbols to cue us into imagining these spaces are what the (ludic) rhetoric of the game refers to.

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CONCLUSION Whether in the form of accessible or viewable space that is unavailable because of player movements and the limitations of the camera and/or the ›fog of war‹; the historical space that is suggested by the game but exists only as part of our interpretative construction of the fictive historical world; or even in the epistemological and ideological implications of the absence of off-screen space itself, this issue is important to the historical representations of CIVILIZATION and many other historical strategy games. This analysis has shown that the historical representation, challenges and even epistemological claims of historical strategy games like CIVILIZATION are dependent on off-screen spaces that are not shown in a (or indeed perhaps any) game-play moment as well as those that are. Games clearly force players to understand the limitations and significance of virtual spaces if they are to play well when facing spatial challenges, however, this by no means guarantees that this understanding will always transfer to an understanding of the historical spaces that they imitate. Nor does this mean that players will predictably engage in the creation of a shared fictional world. These are only opportunities that exist within the text, through which historians/developers clearly try to cue players into engaging with the past in particular ways. Nonetheless off-screen space clearly plays an important role in the attempt to represent the past in videogame form, in terms of the suggestion of its existence and role in the construction of fictive spaces through the player’s meaning negotiation, its epistemological and ideological implications, and through its role as a ludic pressure and resource. In terms of space (at the very least) this analysis suggests that historical videogames and their representations are made up of more than that which the developer actually constructs. As such, off-screen space is also an important issue in that it allows us to see that history in the videogame form is also made up off that which developer/historians hint at, cue us to construct, downright exclude or make sometimes unavailable: digital »ma«, the spaces in between that enable perception to occur. Video zum Tagungsvortrag: Chapman, Adam R.: »The History beyond the Frame: OffScreen Space in Historical Videogames«. URL: http://mediathek.hhu.de/watch/fed3cdd1-531f-4eca-abcddb3179d8c792.

Authentizität als Darstellung interaktiver Simulationsbilder populärer Videospiele mit historischem Setting T IM R AUPACH

I.

D IE AUTHENTIZITÄT EINES NEUEN › INFORMELLEN G ESCHICHTSUNTERRICHTS ‹

Die populäre Darstellung von Geschichte hat gegen Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts weltweit einen neuen Höhepunkt erreicht. Eine leitende Grundannahme dieser These ist, dass populäres historisches Wissen nicht lediglich Resultat intentionaler Wissensvermittlung ist, sondern durch ›informelle‹ Verbreitung in populärkulturellen Produkten, wie zum Beispiel Video- und Computerspielen mit militärischem Hintergrund, konstituiert wird. Charakteristisch für die gegenwärtige populäre Geschichtsvermittlung ist, so der Ausgangspunkt, ein ›lebensweltlicher‹ Zugang, bei dem Vergangenheiten als eine für das jeweilige Publikum nach-erlebbare und relevante Geschichte aufbereitet werden. Kultur wird in Computerspielen dazu folglich nicht als Geschichte festgeschrieben, sondern in ihrem lebendigen Funktionieren begriffen, modifiziert, prozessiert. Diese Entwicklung manifestiert sich in der elaborierten Ausgestaltung mannigfacher Authentizitätsstrategien, die als spezifische Verfahren von Computerspielen mit historischem Setting mediengenealogisch wirksam werden. An ihnen wird die charakteristische Medialität von Computerspielen beschreibbar und soll deshalb von den Prämissen ihres Funktionierens bzw. ihrer Störbarkeit diskutiert werden. Ausgangspunkt dazu bildet die artifizielle Präsenz der digitalen Spielräume mit der die medienspezifischen Charakteristika der Relationalität von interaktiven Computerspielbildern mit Kriterien der Referenzialität von Authentizitätsstrategien zusammengebracht werden sollen, um so die Bedingungen der Möglichkeit von Authentizität in Computerspielen zu umreisen.

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II. AUTHENTIZITÄT ALS EFFEKT MEDIALER DARSTELLUNG Die Zuweisung von Authentizität ist im Bereich der ästhetischen Kommunikation grundsätzlich als Form, Resultat beziehungsweise Effekt medialer Darstellung zu verstehen, welche erst im Referenzhorizont der Rezeption eine diskursive Aufwertung erfährt, wenn sie als technisches Verfahren mit einer besonderen Wahrheitsfähigkeit, Glaubwürdigkeit und Echtheit assoziiert wird.1 Betrachtet man jüngere Vorläufer des medienwissenschaftlichen Authentizitätsdiskurses und schaut beispielsweise zurück auf den Kontext des deutschen Dokumentarfilmdiskurses der 1990er Jahre, so ist Authentizität als Effekt von Darstellung für Manfred Hattendorf »zu einer Frage der Rhetorik und der Wahrnehmungspsychologie« geworden.2 Es gehe, so auch die Folgerung Jan Bergs, um ein Verhältnis von Darstellungsmitteln zur Rezeption, weniger um die Repräsentationsfunktion des Abbildes im Hinblick auf das tatsächlich Dagewesene. Authentizität liege demnach »weniger in der Quelle begründet«, sondern sei als »Effekt« zu begreifen, »hervorgerufen durch die Wirkung bestimmter Vermittlungsstrategien in der Rezeption des Mediennutzers«.3 Sie habe keine »Wahrheitsqualität an sich«, sondern ihren »Eigenwert stets nur für einen Akteur, für einen Beobachter - oder nicht«. Authentizität sei »ein Effekt, den der Rezipient mitgenerieren muss.«4 In Bezug auf den Dokumentarfilm verdeutlicht Hattendorf, dass, die »Authentisierungsstrategien« des Films dafür verantwortlich sind, dass der Rezipient das Gezeigte auch als authentisch wahrnimmt.5 Authentizität als Effekt mit einer ›darstellungsfreien Darstellung‹ zu übersetzen, d.h. einer Darstellung in der die Darstellungsmittel nicht mehr thematisch sind, scheint mehr Utopie und Ideal denn für eine Definition von Medien als Produzenten von Authentizität geeignet, wären sie doch

1

Vgl. Wortmann, Volker: Authentisches Bild und authentisierende Form. Köln: Halem 2003, S. 155f.

2

Hattendorf, Manfred: Dokumentarfilm und Authentizität: Ästhetik und Pragmatik einer Gattung, Konstanz: UVK Medien 1999, S. 67.

3

Berg, Jan: »Techniken der medialen Authentifizierung Jahrhunderte vor der Erfindung des ›Dokumentarischen‹«, in: Kay Hoffmann/ Ursula von Keitz (Hg.): Die Einübung des dokumentarischen Blicks. Marburg: Schüren 2001, S. 51-KLHU6

4

Vgl. Berg, Jan: »Formen szenischer Authentizität«, in: Ders./Hügel, Hans-Otto/ Kurzenberger, Hajo (Hg.): Authentizität als Darstellung, Hildesheim: Universität Hildesheim 1997, S. 155-174; hier S. 160f.

5

Hattendorf, Manfred: »Fingierter Dokumentarfilm. Peter Delpeuts The Forbidden Quest (1993)«, in: Ders. (Hg.): Perspektiven des Dokumentarfilms, München: Diskurs Film 1995, S. 167-211; hier S. 192.

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hiermit definitorisch zu bloßen Überträgern von konstant bleibenden Informationen degradiert, die sie nicht affizieren können. Zwar ist die Überwindung des Paradoxes einer vermittelten Unmittelbarkeit von Darstellung durch die kombinierte Anwendung bestimmter Authentizitätsstrategien durchaus intendiert. Die Erfüllung dieses Programms vollzieht sich jedoch als Effekt auf Seiten des Publikums zumeist nur als graduelle Annäherung, die ganz unterschiedliche medienspezifische Prämissen zum Ausgangspunkt hat.

III. ZUR ARTIFIZIELLEN PRÄSENZ VON COMPUTERSPIELBILDERN Für den Fall der synthetischen Bilderwelten von Computerspielen, die nicht nur Schauplatz, sondern auch Handlungsraum der Spieler werden, deren Körper dort mittels eines symbolischen Zeichenkörpers aktiv werden, indem sie mit anderen Zeichenkörpern in Interaktion treten, ist das Konzept einer vermittelten Präsenz zentrale Voraussetzung für das Gelingen authentischer Darstellung. Bezugspunkt der Präsenz sind primär Darstellungsmedien, genauer die tiefenräumliche Bewegtbilder und ihre Eigenschaft, Bildobjekte auf eine Weise präsentieren zu können, dass sich der Betrachter dabei selbst verorten kann.6 Diese mögliche Selbstverortung im virtuellen Raum ist wiederum Voraussetzung der Spieler in einem Raum agieren zu können, ohne dort selbst körperlich anwesend zu sein. Jede Form von künstlicher, oder »artifizieller Präsenz«7 von tiefenräumlichen Computerspielbildern muss demnach nicht nur die Gegenwärtigkeit von Bildobjekten in der Wahrnehmung, sondern auch die Anwesenheit ihrer Betrachter einschließen. Artifizielle Präsenz des computergenerierten Bildraumes konstituiert ein Bewusstsein als Betrachter sich auch dort zu befinden und dieses Bewusstsein wiederum stellt die Voraussetzung einer möglichen Immersion dar.8 Dass die synthetischen Bildräume des Spiels dazu als Darstellungsmittel nicht transparent werden können, sondern ihre ›Vermittlungsleistungen‹ hinsichtlich der Präsenz ihrer Objekte während der Dauer der Darstellung thematisch bleiben, greift das Präsenz-Konzept insofern auf, wie es die Binnendifferenz von realer und virtueller Realität inkludiert, d.h. authentische Darstellung würde gerade nicht den Fall der perfekten Immersion bezeichnen, die etwa in metaphorischen Beschreibungen vom ›Versinken‹« oder ›Eintauchen‹« in eine virtuellen Realität programmatisch

6

Vgl. Günzel, Stephan: Egoshooter. Das Raumbild des Computerspiels. Frankfurt, New York: Campus 2012, S. 77-79.

7

Wiesing, Lambert (2005): Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2005.

8

Vgl. Günzel: Egoshooter, S. 75-77.

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werden, sondern zweierlei: Zum einen die Anwesenheit einer virtuellen Welt, d.h. eine Summe von Bildobjekten in einem definierten Raum, deren artifizielle Präsenz zum anderen die Anwesenheit der physikalischen Realität als Anwesenheit des Bildbetrachters mit einschließt.9 Das Konzept der Präsenz geht dem der Immersion somit voraus und stellt einen möglichen Zugang zu Analyse von Authentizitäts- wie auch Realismus- und Realitätseffekten in Computerspielen dar, da die Prämissen des Präsenskonzeptes auch für das Gelingen dieser Effekte in Teilen erfüllt sein müssen. Sie lassen sich aus einer Verhandlung des bildtheoretischen Grenzfalls perfekter Immersion herleiten.

IV. DIEGETISCHE UND NICHT-DIEGETISCHE IMMERSION In der perfekten Form beschreibt Immersion den Umstand, dass Mediennutzer in das Mediengeschehen eintauchen, insofern die Differenz zwischen medial vermitteltem Inhalt und unmittelbar erlebter Außenwelt für sie nur noch mittels des Intellekts, d.h. einer Schlussfolgerung, nicht aber mehr mittels ihrer eigenen Wahrnehmung möglich ist.10 Diese Grenzverwischung ist in zwei Richtungen auslegbar; einerseits »hinsichtlich des Bildträgers und andererseits hinsichtlich des Bildsujets«:11 In Bezug auf den Bildträger basiert perfekte Immersion auf einem Bildraum, der vom Betrachter ohne Begrenzung wahrgenommen wird, kein Außen mehr kennt und folglich total erscheint. Die Wahrnehmung einer solchen Bildform ist jedoch nicht ohne logische Paradoxie zu modellieren, ist die Unterscheidung zwischen Spiel und Realität ohne ein kognitiv bewusstes und gewusstes Aussen nicht mehr zu treffen. Die Begeisterung für diese besondere Bildform und ihr Potential zur Wahrnehmungsirritation lässt sich kunsthistorisch bis auf die großen Panoramen des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen: »Ein ganzes Jahrhundert lang, von ca. 1800 bis ca. 1900, war das Panorama ein äußerst populäres Medium, vor allem in Frankreich und England […], es zog Millionen von Besuchern an und war in einer Zeit mit langsamen Aufkommen der Massenpresse, aber ohne Fernsehen, Radio oder Kino, ohne aktuelle illustrierte Nachrichten und mit eingeschränkten Möglichkeiten kollektiver Bilderrezeption enorm beliebt. Es informierte in

9

Vgl. ebd.

10 Vgl.: Wiesing: Artifizielle Präsenz, S. 108. 11 Günzel: Egoshooter, S. 73.

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einer Zeit, in der Reisen für die meisten unmöglich war, über Ansichten ferner Städte und Länder.«12

»Durch eine bestimmte Kombination von Architektur mit einem Rundumbild versucht das Panorama, ein rahmenloses Bild ohne ikonische Differenz zur Umgebung aufzubauen. Das programmatische Ziel ist die Verwirklichung eines Panoramablicks, als wenn man die Sache – zumeist war es eine Stadt – selbst sehen würde.«

13

Neben der Bezeichnung einer besonderen Bildform steht der Begriff der Immersion ebenfalls für einen Wahrnehmungsmodus der die innere Versunkenheit des Betrachters im Zustand der Bildbetrachtung zum Ausdruck bringen soll.14 Im alltäglichen Sprachgebrauch vermischen sich beide Geltungsbereiche des Begriffs; immersive Wirkung wird als materielle Eigenschaft einem Bildträger zugesprochen, gleichwie ist damit ein psychischer Zustand gemeint, der auf die illusionistische Partizipation des Subjekts an einer dargestellten Welt im medialen Modus abzielt.15 Immersion auf der Ebene des Bildträgers setzt sich gegenwärtig in der modernen Cyberspace-Technologie fort. Unterscheiden lassen sich in diesem Bereich einerseits begehbare Bildsimulationen (Cave Automatic Virtual Enviroment) und andererseits die Verwendung von Datenbrillen (Head Mounted Display). Diese bildgebenden Technologien stellen zweifelsfrei eine neue Qualität in der Traditionslinie immersiver Bildtypen dar, die ihr Potential zur Realismusillusion noch lange nicht ausgeschöpft zu haben scheinen. Bemerkenswert ist allerdings, dass solche Technologien, die eine Form von perfekter Immersion versprechen, einen relativ geringen Einfluss auf die Entwicklungstendenzen gegenwärtiger Computerspiele besitzen. Die Explikation dieses Sachverhaltes scheint notwendig, da viele Vorstellungen von ganzheitlicher Immersion, wie sie sich etwa mit der Cyberspace-Technologie verbunden haben, die spezifische Struktur des Handlungserlebens in Computerspielen übersehen. Sie äußert sich in einer notwendigen »Gleichzeitigkeit von externer Beobachter- und intrinsischer Teilnehmerperspektive«.16 Das Szenario des Computerspiels, welches eine Trennung von Spieler und Bildschirm vorsieht, materialisiert

12 Ulrike Bergermann: Schöner wissen. Selbsttechniken vom Panorama zum Science Center. In: Rolf Nohr (Hg.): »Evidenz - … das sieht man doch! « Münster: Lit 2004, S. 90124; hier S. 94-95. 13 Wiesing: Artifizielle Präsenz, S. 107-108. 14 Vgl. Günzel: Egoshooter, S. 73. 15 Vgl. ebd. 16 Rautzenberg, Markus: Spiegelwelt. Elemente einer Aisthetik des Bildschirmspiels, Berlin: Logos 2002, S. 68.

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folglich eine Doppelposition, die das Handlungserleben im Computerspiel als eine »oszillierende Gleichzeitigkeit von hochgradiger Immersion mit dem nicht ausschaltbaren Bewusstsein, es mit einem Kunstprodukt zu tun zu haben, begreifbar werden lässt.«17 Die Bedeutung der metaphorischen Rede vom Eintauchen in eine diegetische Welt scheint sich im Kontext von Bildschirmspielen vor allem auf die Faszination für die Bilderzählung zu beziehen; computerbasiertes Spielen wird mit der Lektüre linearer Erzählmedien gleichgesetzt, d.h. Immersionseffekte meinen in dem angesprochenen metaphorischen Vergleich vor allen Dingen Effekte diegetische Immersion. Neben solchen identifikationsfördernden Modi der Narration (z.B. GegenwartErzählzeit, Verwendung des Ich-Erzählers etc.) sind auch auf ludologischer Ebene Immersionseffekte unterscheidbar, die Computerspiele nicht als Erzähl-, sondern Handlungsraum fokussieren. Stephan Günzel nennt drei Prämissen für das Funktionieren einer solchen »nicht-diegetischen Immersion«:18 »Zum einen müssen die Erwartungen der Spieler an die virtuelle Umgebung erfüllt werden, zum zweiten müssen die Aktivitäten der Spieler eine nichttriviale Auswirkung auf die virtuelle Umgebung haben; und zum dritten müssen die Konventionen der virtuellen Welt Konsistenz besitzen. Nur wenn alle drei Bedingungen erfüllt sind, sei (nichtdiegetische) Immersion wahrscheinlich; denn für sich allein wäre die erste Forderung ein zu all19

gemeines Kriterium, das auch auf außermediale Situationen zutrifft.«

V. RELATIONALITÄT VON OBJEKTHANDLUNG UND BILDBETRACHTUNGEN IN COMPUTERSPIELEN Wenn somit Immersivität zum einen keine prinzipielle Eigenschaft von Computerspielen darstellt und zum anderen in der Analyse diegetische wie auch nichtdiegetischen Bezugsrahmen umfasst, bindet sich die Frage nach authentischer Darstellung insofern an diese analytischen Bezugsrahmen wie sie der Beschreibung einer möglichen Selbstverortung des Spielers im Handlungsraum des Spieles zuarbeiten können. Diese Selbstverortung vollzieht sich immer relational zu einer Exploration von Wissen über Bildobjekte und dessen strategischem Gebrauch. Hypothetischer Bezugspunkt der Exploration ist eine kohärent simulierte künstliche Phy-

17 Vgl. ebd. 18 Vgl. Günzel: Egoshotter, S. 74. 19 Ebd., S. 75.

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sik des virtuellen Spielraumes, nach deren Regeln der Betrachter mit den Bildobjekten in Interaktion tritt:20 »In der Simulation hat man keine surreale, sondern eine virtuelle Realität voller Überraschungen. Denn in der virtuellen Realität einer digitalen Simulation kann der Betrachter über die Bildobjekte nicht beliebig verfügen, sondern er tritt mit Ihnen in Interaktion. Er kann die Bewegung der bildlich gezeigten Sache nur noch in Grenzen bestimmen, denn das Bildobjekt, obwohl es nichts anderes als eine Sache aus reiner Sichtbarkeit ist, hat

20 In diesem bereits angesprochenen metaphorischen Akt des ›Eintauchens‹ in die virtuelle Realität des Computerspiels muss sich der Spieler, wie Sybille Krämer für die Verschmel]XQJYRQ&RPSXWHUVSLHOXQG&\EHUVSDFHWHFKQRORJLHIHVWJHVWHOOWKDWTXDVL¾YHUGRSSHOQ½ zum einen in einen physischen Leib, der als Verkörperung eines berechenbaren Bewegungsrasters agiert und zum anderen in einen Datenkörper, der in der virtuellen Realität des Spiels als Symbolstruktur die Stellvertreterfunktion des Spielers übernimmt (vgl. Krämer, Sybille: »Verschwindet der Körper? Ein Kommentar zu virtuellen Räumen«, in: Rudolf Maresch/Nils Weber (Hg.): Raum – Wissen – Macht, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002, S. 49-KLHU6-68.). Die Übertragbarkeit von Krämers Verdopplungsthese als konstitutives Merkmal virtueller Realität auf den Bereich der Computerspiele scheint wegen der dort eher marginalen Rolle der Cyberspacetechnologie nur bedingt möglich und fordert vielmehr eine Unterscheidung zwischen immersiver und nicht-immersiver virtuellen Realität (vgl. Wiesing: Artifizielle Präsenz, S. 109.). Letztere wird zumindest als gebrochene Form der Immersion verständlich, wenn die Wahrnehmung des Spiels auf der bereits angesprochenen notwendigen Simultanität von Teilnehmer- und Beobachterperspektive gründet (vgl. Zumbansen: Dynamische Erlebniswelten, S. 84-86.). Die von Krämer angeführte Doppelposition personaler Identität in einer virtuellen Spielumgebung wird somit wieder auf die materiale Trennung von Spieler und Bildschirm (vgl. ebd.) zurückverwiesen. Gegen das von ihr hierzu dargelegte »sublime Wechselspiel von Fleischkörper und Zeichenkörper« als Kriterium von Virtualität spricht auch die These von Lutz Ellrich, der in diesem Zusammenhang festhält, dass nicht ein »Wechselspiel«, sondern vielmehr eine »Form von Identität« vorliege, die sich an der »Mensch-MaschineSchnittstelle« bilde (Ellrich, Lutz: »Die Realität virtueller Räume. Soziologische Überlegungen zur ›Verortung‹ des Cyberspace«, in: Rudolf Maresch/Nils Weber (Hg.): Raum – Wissen – Macht, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002, S. 92-KLHU6 (QWVSUHFKHQG muss nach Ellrich das Pendant zum »physischen Körper« der Spieler nicht im von Krämer genannten »virtuellen Zeichenkörper«, sondern im Computerspiel selbst gesehen werden, da es trotz seiner unterschiedlichen semiotisch-ästhetischen Gestaltungsmuster als ein kompaktes ganzheitliches Gebilde erlebt wird, das zwar ungeahnte ›Spielräume‹ der Kontingenz und Verunsicherung enthält, in deren Umgang sich paradoxerweise aber eine besonders stabile Identität der Spieler konstituiert (ebd.).

106 | TIM R AUPACH dennoch – eben simulierterweise – Materialeigenschaften und unterliegt damit einer künstlichen Physik. Diese in die Bildwelt künstlich implementierte Physik kann, muss 21

aber nicht die Physik der außerbildlichen Realität sein.«

Entscheidend für den Authentizitätsbegriff ist nicht der Grad der Annäherung dieser künstlichen Physik an die physikalische Welt. Für die Interaktionsperspektive der Spieler, welche Bildobjekte im virtuellen Raum bewegen, zählt vielmehr, dass sie sich in einer eindeutigen Relation zu den Bildobjekten des Spiels befindet. Selbst wenn es nicht klar bestimmbar scheint, wo sich diese im virtuellen Spielraum verorten lässt, so ist diese Relation im Begriff der Präsenz als eine relationslogische Handlungsachse essentiell. Präsenz bezeichnet die Möglichkeit einer raumlogischen Interaktion zwischen Spieler und Bildobjekten nach den Gesetzen einer künstlich geschaffenen Physik des jeweiligen virtuellen Spielraumes. Während Simulation nicht mehr meint als die artifizielle Präsenz dieser Physik, so schließt artifizielle Präsenz von Bildobjekten die Handlungsperspektive des Spielers mit diesen Bildobjekten ein. Für die artifizielle Präsenz von Computerspielbildern wird somit eine Relationslogik charakteristisch, die Bildbetrachtung und Objektinteraktion miteinander kombiniert.22 In der Beschreibung tiefenräumlicher Bewegtbilder von Computerspielen findet sich diese Relationslogik auf ein Verhältnis von Blick- und Handlungsperspektive angewendet, die in der First-Person-Optik von Weltkriegsshootern miteinander verschmelzen und ein besonderes Merkmal dieser interaktiven Simulationsbilder darstellen. Für die Frage nach authentischer Darstellung in Computerspielen sind neben dieser besonderen Form der Objektinteraktion zwei weitere analytische Kriterien zu unterscheiden.23

21 Wiesing: Artifizielle Präsenz, S. 121. 22 Vgl. Günzel: Egoshooter, S. 78-80. 23 Von dieser Prämisse ausgehend, hat die Frage nach Authentizität der Darstellung in Computerspielen mit historischem Setting weniger mit unveränderlichen Objekteigenschaften zu tun, sondern ist vielmehr nach der Relationslogik artifizieller Präsenz funktional definiert. Authentische Darstellung in Computerspielen entsprechend einer Relationslogik von Präsenz funktional zu definieren bedeutet, ihren interaktiven Bewegtbildern einen Zeichenbegriff zu unterstellen, der nicht aus den Eigenschaften dieser Bilder abzuleiten ist, sondern nur aus den Funktionen, welche die Bilder innerhalb des Spiels erfüllen. Lambert Wiesing gibt für diese Unterscheidung ein allgemeines Exempel mit der Frage »Sind Delphine Fische? […] Diese Frage wird ausschließlich durch den Nachweis von bestimmten, empirischen Eigenschaften beantwortet. […] Bei dem zweiten Fragetyp ist dies anders, wie beispielhaft die Frage Sind Blumen Geschenke? zeigen kann. Diese Frage wird nämlich nicht mit Eigenschaften von Blumen beantwortet; das wäre ganz abwegig. Ein Gegenstand wird ausschließlich durch die Erfüllung einer bestimmten Funk-

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VI. RELATIONSLOGIKEN VON OBJEKTINTERAKTION UND AUTHENTIZITÄTSKRITERIEN: ZUM KRITERIUM VON REFERENZ UND FORM Um in einem Computerspiel das ›Gesamtgefühl‹ von Authentizität zu erreichen, müssen zwei Kriterien innerhalb der Relationslogik von Präsenz erfüllt werden, welche die Objektinteraktionen betreffen, zum einen das »Kriterium der Referenz«, und zum anderen das »Kriterium der Form«.24 Das »Authentizitätskriterium der Referenz« wird dann erfüllt, wenn der »spezifische Referenzrahmen des Spiels, also sein Setting, Nachprüfbarkeit bzw. Viabilität ermöglicht. Bei möglichen Referenzrahmen unterscheidet Daniel Appel zwischen einem real-geschichtlichen Referenzrahmen, dem immer ein wirklich geschehenes historisches Ereignis als Vorbild dient und dem fiktiven Referenzrahmen, der sämtliche erfundene Settings, also vor allem Fantasy- und ScienceFiction-Szenarien, mit einschließt.25

VII. REAL-GESCHICHTLICHER REFERENZRAHMEN Beim Kriterium des ›real-geschichtlichen Referenzrahmens‹ wird davon ausgegangen, dass die Interaktionsbilder des Computerspiels auf Realitätsaspekte referieren, die sich wiederum in zwei Bereiche des Realen unterscheiden lassen: einmal die sichtbaren Aspekte und Phänomene des Realen, die in gestalt-, material- und oberflächenrealistische Illusionen transformiert werden, und zum anderen die unsichtbaren Strukturen und Gesetze des Realen. Da es sich bei der Computeranima-

tion zu einem Geschenk.« (Wiesing: Artifizielle Präsenz, S. 37). Die Relation, die ein solcher funktionaler Zeichenbegriff mit anspricht, meint in der Übertragung auf die Analyse interaktiver Erzählbilder eine Relation auf die diskursive Praxis, in dem diese Bilder zum Einsatz kommen. In und durch diese können sie ihren funktionalen Weltbezug erst entfalten. 24 Vgl. Appel, Daniel: »Die Authentizität im virtuellen Schützengraben. Zum möglichen Forschungsfeld eines Authentizitätsbegriffs im Computerspiel«, in: Ders. et al. (Hg.): »Welt, Kriegs, Shooter. Computerspiele als realistische Erinnerungsmedien?« Boizenburg: VWH 2012, S. 205-KLHU6-217. 25 Vgl. ebd.

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tion um ein Bewegtbildkonzept handelt, zählt zu diesen strukturellen Strategien auch die Illusionierung von natürlichen Bewegungsabläufen und -mustern.26 Angewandt auf den Bereich der Weltkriegsshooter ermöglicht es diese Unterscheidung, historische Kriegsszenarien als Spiel-Setting auf mehreren Ebenen in den Blick zu nehmen. Konzepte des Abbild- wie auch des Bewegungsrealismus können auf die Darstellungen von Uniformen, Waffen, Fahrzeugen und Schauplätzen bezogen werden, welche die historische Realität sowohl im bildlichen Detail wie auch in einzelnen Bewegungsabläufen (z.B. von Soldaten und Militärfahrzeugen) präzise abbilden sollen. Dementsprechend erscheint der Realismus der militärischen Simulation als ein Realismus des technischen Details.27

26 Vgl. Maulko, Rüdiger: »Referenz und Computerbild. Synthetischer Realismus in den Bildmedien«, in: Harro Segeberg (Hg.): Referenzen. Zur Theorie und Geschichte des Realen in den Medien. Marburg: Schüren 2008, S. 26-KLHU6-30. 27 Belegen ließe sich dies auch anhand einzelner Werbeversprechen von Weltkriegsshootern, in denen die Hersteller auf den zum Teil erheblichen Produktionsaufwand verweisen, der für eine möglichst authentische Remodellierung orginalgetreuer Kriegsmaterialien und Schauplätze betrieben worden sei. Steffen Bender nennt in diesem Kontext einige populäre Beispiele: »Für die Produktion von MEDAL OF HONOR: AIRBORNE (EA 2007) […] wurde eine historische und flugfähige C47 organisiert, also ein Exemplar jenes Flugzeugtyps, der im Zweiten Weltkrieg tatsächlich häufig dazu eingesetzt wurde, die USDPHULNDQLVFKHQ /XIWODQGHHLQKHLWHQ ]X LKUHQ (LQVDW]RUWHQ ]X EULQJHQ 7RQLQJenieure nahmen dann Motoren- und Überfluggeräusche für das Spiel auf. Ebenso wurde, wie bei der Produktion zahlreicher Weltkriegsshooter, mit den Lade- und Schussgeräuschen der im Spiel CALL OF DUTY: WORLD AT WAR (2008) (Activision/Treyarch) verwendeten Waffen verfahren. Sie wurden ebenfalls mithilfe von Original-Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg aufgezeichnet.« (vgl. Bender, Steffen: »Durch die Augen einfacher Soldaten und namenloser Helden. Weltkriegsshooter als Simulation historischer Kriegserfahrung?«, in: Angela Schwarz (Hg.): »Wollten sie auch immer schon einmal pestverseuchte Kühe auf ihre Gegner werfen?« Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel (Medien’Welten 13), Münster: LIT 2010, S. 123-6 'LH]XP Teil beindruckenden abbild- und bewegungsrealistischen Remodellierungsleistungen dominieren die Realismusillusionen in Weltkriegsshootern und stehen damit in einem starken Ungleichgewicht zu narrativen Ansprüchen, die von einer auf Realismus abzielenden Bilderzählung militärischer Konflikte von der Schlacht- bis zur Kriegsdarstellung generell zu erwarten wären (z.B. Opfer, Verwundete, Vergewaltigungen, ethnische Säuberungen, Flüchtlingsströme). Diese werden in Weltkriegsshootern selten oder gar nicht thematisiert (vgl. Nagenborg, Michael: »Gewaltdarstellungen als Phänomen der Computerspielkultur«, in: Tobias Bevc/Holger Zapf (Hg.): Wie wir spielen was wir werden. Computerspiele in unserer Gesellschaft, Konstanz: UVK 2009, S. 265-KLHU6-272).

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Das Gleichsetzen von detailgenauer Darstellung mit Realismus ist eine Assoziation, die sich mit den angedeuteten Einschränkungen zwar hauptsächlich auf die historische Kulisse der Kriegsschauplätze mitsamt des militärischen Arsenals zu beziehen scheint, von den Spielern aber offenbar akzeptiert und mitgetragen wird:28 »Bei einer etwa 2.900 Spieler umfassenden Umfrage zu den Nutzungsmustern von First-Person-Shootern aus dem Jahr 2005 erhielten die aktuellen Vertreter der Serien CALL OF DUTY und MEDAL OF HONOR die mit Abstand höchste Wertung für den Faktor ›Realismus‹«.29 Die Kriterien realistischer Darstellungen lassen sich in der Wahrnehmung der Spiele zumeist nochmals in diejenigen von Abbild- und Bewegungsrealismus ausdifferenzieren. Die Sinn- und Bedeutungsproduktion dieser Wahrnehmung schließt das Wissen um einen dynamischen intermedialen Verweisprozess ein, in dem diese Kriterien ihren ästhetischen Referenzrahmen ausbilden. Neben dem diskursiven Ausweis ästhetischer Vor- und Leitbilder spielt deren kohärente Rahmung im Spiel auch für den authentisierenden Wahrnehmungseffekt der Spieler eine entscheidende Rolle. Im Unterschied zu den analytischen Kriterien der Realismusillusion, geraten sie im Fall authentisierender Wahrnehmung unterhalb der Schwelle der Wahrnehmung und sind sozusagen die unsichtbaren Prämissen für den günstigen Fall, dass interaktive Bewegtbilder der Spiele auch als authentische ›funktionieren‹.

VIII. FIKTIVER REFERENZRAHMEN Im Fall des ›fiktiven Referenzrahmens‹ ist das Prädikat der Authentizität Resultat einer intermedialen Verweisstruktur von Realismuskriterien, die in einem kohärenten Referenzrahmen präsentiert werden und als solche im Spielvollzug unthematisch bleiben müssen, um ihre Transparenz als Darstellungsmittel zu erfüllen. Man kann in diesem Kontext auch vom Prinzip der Viabilität sprechen, d.h. einer stimmigen Zusammensetzung aller Einzelelemente des Settings.30 Viabilität beschreibt die Kunst, dem Spieler eine geschlossene, in sich stimmige Welt zu präsentieren und diesen Eindruck auch aufrecht zu erhalten, indem zu große Brüche oder Widersprüche mit den zuvor gelieferten Bildern und Geschehnissen vermieden, Neues behutsam eingeführt und in den Gesamtzusammenhang einbettet wird. Es geht auf einer narratologischen Ebene des Spiels beim Prinzip der Viabilität zum einen darum, ob Verknüpfungen zu bekannten Inszenierungsstrategien und Darstellungsprin-

28 Vgl. ebd. 29 Vgl. Bender, Steffen: »Durch die Augen einfacher Soldaten und namenloser Helden. Weltkriegsshooter als Simulation historischer Kriegserfahrung?«, S. 128. 30 Vgl. Appel: Authentizität im virtuellen Schützengraben, S. 215-217.

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zipien hergestellt werden können. Der Anspruch authentischer Darstellung in Computerspielen mit historischem Setting bezieht sich in diesem Fall auf die Illusion, dass fotorealistische Computerbilder auf das Filmisch-Fotografische referenzieren müssen. Diese ästhetische Konstruktion unterteilt sich in zwei Bildtypen, die zur Suggerierung größtmöglicher Authentizität als Vorlagen genutzt werden: Zum einen sind das (Bewegt-)Bilder aus der Vergangenheit (z.B. Dokumentarfilmmaterial und Archivbilder) und zum anderen fiktive Bilder des populären Spielfilms: »Dabei werden insbesondere die Darstellungs- und Sichtweisen sowie der ›Look‹ des Filmischen synthetisch remodelliert, um auf konventionelle Wahrnehmungsmuster zu referenzieren und gewisse Illusionierungs- und Wirkungspotentiale des analogen Vor- und Leitbildes abzuschöpfen.«31 Die Motive dieser Remodellierung zeigen die Bedeutung der intermedialen Referenz für das Gelingen von Bewegungs- und Darstellungsrealismus: durch Analogiebildungen zu tradierten Wahrnehmungsstandards sollen Akzeptanz und illusionistische Wirkung synthetischer Bilderwelten verstärkt werden. Die bereits etablierte Optik ›filmischer Materialität‹ wird von den synthetischen Bildwelten der Computerspiele adaptiert, um auf diese Weisegewisse Erfahrungsmuster, Erlebnisqualitäten und Erwartungshaltungen bei den Spielern abzurufen, die diese über den Zeitraum ihrer eigenen bereits vollzogenen Mediensozialisation kognitiv mit den Darstellungskonventionen der analogen Vor- und Leitbilder verbunden haben.32 Die Illusionierungsstrategien des Filmisch-Fotografischen erzielen mittlerweile qualitativ so hochwertige Ergebnisse, dass der Charakter des Computerspielbildes als digitales Artefakt zunehmend in den Hintergrund gerät. Synthetische Bilder entfalten stattdessen in steigendem Maße Illusionierungspotentiale und Erlebnisqualitäten, die auch konventionellen Bildtypen zugeschrieben werden.33 Ausgestattet mit dieser neuen Wirkungsmächtigkeit sind Computeranimationen in der Lage, auf bildmediale Kernbereiche anderer künstlerischer und populärer Medien zurückzugreifen und bestimmte, bereits etablierte Geschichtsbildofferten in ihren eigenen Verwertungskreislauf ›einzukopieren‹:34 »Die erste Mission in MEDAL OF HONOR: RISING SUN IST dicht an die Angriffssequenz aus dem Spielfilm PEARL HARBOR angelehnt. Weiterhin gibt es eine Mission mit dem Titel DIE BRÜCKE AM KWAI, deren Vorbild der gleichnamige Spielfilm von David Lean aus dem Jahr 1957 darstellt. Der Spielcharakter übernimmt

31 Maulko: Referenz und Computerbild, S. 28. 32 Vgl. ebd., S. 40. 33 Richter, Sebastian: Digitaler Realismus. Zwischen Computeranimation und Live-Action. Die neue Bildästhetik in Spielfilmen, Bielefeld: transcript 2008, S. 171-173.

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hier die Aufgabe, die Brücke zu zerstören. Ebenso wie im Film spielt der Zug, der die Brücke im Moment der Sprengung überquert eine Rolle.«35 Auf narratologischer Ebene schließt das Prinzip der Viabilität derartige Referenzen auf filmgeschichtliches Wissen ein.36 Auf ludologischer Ebene bezeichnet Viabilität die Notwendigkeit, dass sich auch die Regeln der Spielmechanik auf das Authentizitätskriterium der Form ausrichten müssen. Dieses Kriterium ist dann erfüllt, wenn die Strategien spielerischer Umsetzung auf extra- und intradiegetischer Ebene Glaubwürdigkeit gewährleisten. Auf intradiegetischer Ebene relevant wird die audiovisueller Gestaltung, auf extradiegetischer Ebene die Spielmechanik, sprich der Einsatz von Eingabegeräten, wie zum Beispiel Gamepads, Tastatur und Maus, der Light-Gun oder beispielsweise Kinect für die Xbox 360.

IX. VERBINDUNG DER RELATIONSLOGIKEN VON REFERENZ UND FORM Am Beispiel der audiovisuellen Gestaltung lässt sich exemplifizieren, wie die beiden Authentizitätskriterien ineinander verwoben sind. Während die grafische und akustische Gestaltung eines Spiels mit einem real-geschichtlichen Referenzrahmen versucht, die äußere Wirklichkeit zu imitieren, um glaubwürdig zu wirken, kann dies bei einem fiktiven Referenzrahmen je nach Setting auch mit ausgefalleneren Visualisierungen und Klängen gelingen. Ist die Spielmechanik in Bezug auf das, was im Setting des Spiels geschieht nachvollziehbar, so erscheint die Spielmechanik glaubwürdig. Daniel Appel veranschaulicht das treffend mit dem Vergleich der Referenzrahmen von HALO,37 einem futuristischen Ego-Shooter und CALL OF DU-

35 Bender, Steffen: »Durch die Augen einfacher Soldaten und namenloser Helden. Weltkriegsshooter als Simulation historischer Kriegserfahrung?«, S. 138. 36 Wie Claus Leggewie feststellt, bestätigt diese Form der Ikonisierung informelles Geschichtswissen als das Bekannte und synchronisiert gleichzeitig das Wissen des Publikums mit der Historie: »Was wir über sie wissen, wissen wir bekanntlich aus den Massenmedien […], in denen Ikonen im Umlauf sind und sich wechselseitig zitieren. Auf diese Weise nehmen sie auch politische und weltanschauliche Funktionen an, fungieren als Schlüsselbilder für Epochen und Zäsuren, gliedern historische Narrative und Generationen. Ikonen sind damit eine Währung visueller Massenkommunikation, wo sie oft multi- und transmedial in Erscheinung treten.« (Leggewie, Claus: »Zur Einleitung: Von der Visualisierung zur Virtualisierung des Erinnerns«, in: Erik Meyer (Hg.): Erinnerungskultur 2.0. Kommemorative Kommunikation in digitalen Medien, Frankfurt a. M.: Campus 2009, S. 9-KLHU6  37 HALO: COMBAT EVOLVED (2001) (Bungie Studios/Gearbox/Microsoft Game Studios).

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WORLD AT WAR38 einem Shooter mit realgeschichtlichen Setting. Beide Spiele haben eine nahezu identische Spielmechanik: Der Spieler bewegt sich in der IchPerspektive durch ein überwiegend lineares Level und eliminiert Gruppen immer wieder auftauchender Gegner, wobei er in beiden Fällen von computergesteuerten Verbündeten begleitet wird. Auffälliger Unterschied hierbei ist allerdings, dass im Fall von HALO der Avatar von einem Elitesoldaten verkörpert wird, der mit Energieschilden ausgerüstet ist, während der Spieler in CALL OF DUTY in die Rolle eines einfachen Infantriesoldaten schlüpft. Beide Spielfiguren können jedoch ähnlich hohe Trefferquoten einstecken, obwohl ihre Konstitution grundverschieden ist. Im Fall von CALL OF DUTY ist der Mangel an authentischer Mortalität des zu steuernden Weltkriegssoldaten der Spielbarkeit geschuldet.39 Deutlich wird im Vergleich, dass das Gelingen einer spielerischen Umsetzung in jedem Fall vom Referenzrahmen abhängig ist, umgekehrt gilt dies allerdings nicht. Aufgrund dieser einseitigen Abhängigkeit scheint es sinnvoller, die beiden Authentizitätskriterien nicht gleichwertig nebeneinander zu stellen, wie es in Appels Modell angelegt ist.

TY:

X. TYPOLOGIE VON REALITÄTS- UND REALISMUSEFFEKTEN Indem nun das Modell von Markus Engelns hinzugezogen wird, werden analoge Verwendungsweisen des Begriffs der Referenzialität sichtbar. Engelns Unterscheidung zwischen Realitäts- und Realismuseffekt bietet für das Authentizitätskriterium der Form eine Ausdifferenzierungsmöglichkeit, welche intermediale Charakteristika als konventionalisierte Zeichen des Dokumentarischen einbezieht. Für das Authentizitätskriterium der Referenz werden gleichzeitig die pragmatischen Grenzen der Überprüfbarkeit dieser Zeichen deutlich gemacht. Engelns unterscheidet zwischen »Realitätseffekten« und »Realismuseffekten« in Videospielen. Diejenigen Effekte, die an dem Erschaffen einer virtuellen Realität beteiligt sind, werden »Realitätseffekte« genannt. Jedes Spiel baut, so Engelns, im Grunde eine von der Wirklichkeit unabhängige zweite Wirklichkeit auf, die in Form von berechneten Räumen, Flächen und der Spielmechanik existiert. Realitätseffekte »verweisen« damit »nach innen«, sie »konstituieren eine eigenständige, zweite Welt«. Engelns verwendet dafür den Begriff der »Simulation«.40 Die argumentative

38 CALL OF DUTY: WORLD AT WAR (2008) (Activision/Treyarch). 39 Vgl. Appel: Authentizität im virtuellen Schützengraben, S. 220-222. 40 Vgl. Engelns, Markus: »›Man kommt sich fast vor wie im realen Film!‹ Ansätze für eine Typologie von Realitäts- und Realismuseffekten in Computerspielen.« in: Daniel Appel et

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Nähe zu Appels Authentizitätskriterium der Form wird hier bereits augenscheinlich und auch von ihren Bezugspunkten auf intra- und extradiegetischer Ebene ähnlich fokussiert. Zwar gesteht Engelns eine gewisse Abhängigkeit der Simulation von einem dualen Referenzrahmen ein, betont aber, dass Referenzialität keinesfalls nur auf die Nachahmung der lebensweltlichen Wirklichkeit ausgerichtet sein muss. »Demnach kann (...) auch eine hochgradig surreale Welt ›realistisch‹ sein, sofern sie als konsistent, authentisch etc. aufgefasst wird«.41 Es »solle[t]n bei der Analyse von Computerspielen [daher] immer auch spielstrukturelle Realitätseffekte, die sowohl auf die Konstruktion alternativer Welten als auch auf die Konstruktion spielerischer Prozesse verweisen, mit einbezogen werden«, anstatt ausschließlich »bei der Realitätsnähe des Settings oder der verwendeten Thematiken« anzusetzen.42 Der zweite von Engelns eingeführte Begriff des »Realismuseffektes« unterscheidet sich von ersterem dadurch, dass diese Effekte nach außen, also auf die »Lebensrealität des Spielers« verweisen. Hier werden nochmals einige Unterteilungen vorgenommen und verschiedene »Modi« voneinander unterschieden. »Faktische Realismuseffekte«, d.h. solche die Realität oder etwas, das real sein könnte nachbilden, und »semi-faktische Realismuseffekte«, deren »Faktizität kein Garant für Tatsächliches [ist], sondern lediglich ein Authentizitätsmerkmal, das als Faktum markiert wird und somit den Status von Wirklichkeit erhält«43, können im optisch grafischen Modus und im dokumentarischen Modus auftreten. Ersterer kann zum Beispiel die Darstellung eines real existierenden Ortes, letzterer das Implementieren eines für den Spieler lesbaren Dokuments, das die Lektüre einer historischen Primärquelle suggeriert, bedeuten.44 Als »kulturellen Realismuseffekt« bezeichnet Engelns jene Darstellungen, die sich entweder direkt auf ein kulturelles Phänomen, wie beispielsweise eine Comicoder Filmvorlage, beziehen oder einen »kulturellen Code«, wie etwa die Architektur einer bestimmten Epoche, verwenden und somit eine Beziehung zur Lebensrealität des Spielers herstellen.45 Eine weitere Kategorie, der »semantische Realismuseffekt«, konstituiert sich aus unterschiedlichen Aussagen, Versatzstücken und PlotDetails, die als Desiderat einer Deillusionierungsstrategie erscheinen. Der Realismuseffekt stellt sich dadurch her, dass eine unrealistische Welt als solche entlarvt

al. (Hg.): Welt, Kriegs, Shooter. Computerspiele als realistische Erinnerungsmedien? Boizenburg: VWH 2012, S. 184-KLHU6-188. 41 Ebd., S. 186. 42 Vgl. ebd., S. 189-190. 43 Engelns: Man kommt sich fast vor wie im realen Film, S. 195. 44 Vgl. ebd. S. 190-192. 45 Ebd., S. 195.

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und zerstört wird. In einer eine Art negativer Kaskade wird dem Spieler die Brüchigkeit der Ausgangserzählung als Realitätsmodell vorgeführt. Dadurch erhält der narrative Endpunkt des Spiels eine diskursive Aufwertung, d.h. weist dem Spieler aus, dass dieser nun auch dem ›Boden‹ der Realität angekommen ist.46 Auch wenn beim semantischen Realismus dessen Gelingen in der Überprüfung der in der Bildnarration angelegten Realismusindikatoren besteht, liegt die Basis aller Realismuseffekte gerade nicht in der Überprüfung ihrer Deklaration gegenüber Realität, sondern in einem gewissen Grundvertrauen als Grundlage eines kommunikativen Kontraktes zwischen Rezipient und Kommunikat: »Vertrauen ist zum einen eine praktische Voraussetzung, die kommunikative Bindung ermöglicht. Sie basiert zum anderen auf Konventionen – sowohl hinsichtlich der Kommunikationssituation wie auch hinsichtlich des konkreten Inhaltes einer Kommunikation. «47 Der Faktor Vertrauen bildet einen Querverweis zwischen den beschriebenen Realismuseffekten und dem erwähnten Kriterium von Glaubwürdigkeit und Konsistenz, dass dem Authentizitätskriterium der Form zugeordnet worden ist. Geht man davon aus, dass Authentizität nicht durch Verifizierung, sondern auf der Grundlage einer konventionalisierten Markierung gestiftet ist, so ist Vertrauen für die kommunikative Bindung an Erzählbilder eines Computerspieles mit historischem Setting ein Vertrauen in eine vom Spieler angenommene potentielle Überprüfbarkeit dieser konventionalisierten Markierungen. Sie sagen zwar nichts über die tatsächliche Referenz des Spiels aus, legen stilistisch jedoch ein dokumentarisches Verständnis der dargestellten Inhalte nahe. Hinsichtlich der Leseart ästhetischer Strategien virtueller Spielumgebungen, die das Authentizitätskriterium der Referenz erfüllen, geht es allerdings mitnichten allein um die Differenz zwischen dokumentarisch und nichtdokumentarisch.

XI. ZUSAMMENFÜHRUNG DER MODELLE UND AUSBLICK Betrachtet man die audiovisuelle Erscheinung der faktischen und semi-faktischen Realismuseffekte, so fällt auf, dass diese ihre authentisierende Wirkung in Abhängigkeit von einem spezifischen Referenzrahmen entfalten. Wenn man so will, besitzt jedes Videospiel, wie wirklichkeitsgetreu es auch sein will, ein Mindestmaß an Fiktion, die mit dem real-geschichtlichen Referenzrahmen in Passung gebracht werden muss. Schaut man sich nun umgekehrt den fiktiven Referenzrahmen an, so

46 Ebd., S. 197. 47 Wulff, Hans J.: »Konstellationen, Kontrakte und Vertrauen. Pragmatische Grundlagen der Dramaturgie«. In: montage a/v 10.2 (2001), S. 131-154; hier S. 141.

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wird klar, dass seine Darstellungen nicht nur von einem frei erfundenen Setting abhängen, sondern sich nicht zuletzt auf eine Reihe von Darstellungstraditionen berufen, die ihr jeweiliges Genre prägten. Für das Science-Fiction Genre dürften beispielsweise Filme und Serien wie STAR WARS oder STAR TREK wichtige Impulsgeber gewesen sein, die schon früh zeigten: »So hat ein Raumschiff auszusehen und nicht anders!« Spiele mit einem fiktiven Referenzrahmen messen sich folglich in der Darstellung ihrer Inhalte immer auch mit den Darstellungskonventionen ihres Genres mit denen fiktionale wie auch non-fiktionale Wirklichkeitsmodelle assoziiert sind. Die Unterscheidbarkeit der Modelle verweist auf keine per se inhärente Eigenschaft der visuellen Darstellung, sondern ist in der filmischen Darstellung wie auch den virtuellen Bildräumen von Computerspielen produktionsseitig Resultat der angelegten Inszenierungs- und Darstellungsstrategien, die intermediale Konventionen des Authentischen bzw. Nicht-Authentischen adaptieren und modifizieren. Die Aufgabe dieser Strategien, das vermittelte Material der Darstellung inszenatorischzeichenhaft in die Nähe eines authentifizierenden Diskurses zu bringen, bleibt ein unerreichbares Ideal, können weder der Diskurs, mit dem die Darstellungsästhetik als symbolisches System korrespondiert, noch die Darstellungsmittel selbst die darzustellende Sache repräsentieren oder abbilden, sondern diese stets nur inszenieren. Trotzdem erfüllt das Ideal authentischer Darstellung als solches eine regulative Funktion, über die auch auf Rezipientenseite eine Erwartungs- und Vertrauenshaltung ablesbar wird. Über sie können die kulturgeschichtlichen Auf- und Abwertungen medientechnischer Darstellungsverfahren überhaupt erst nachvollzogen werden. Die Weiterführung einer konkreten Phänomenologie von Authentisierungsstrategien in Computerspielen müsste die vorgeschlagenen Differenzierungen von Relationslogiken in dem Bewusstsein führen, dass authentisierende Darstellungskonventionen keine tatsächlichen Referenzen auf einen unerreichbar wie paradoxen Zustand darstellungsfreier Darstellung repräsentieren. Sie sind lediglich in das hybride (Spiel-)Medium hineingetragene darstellungsästhetische Konventionen, auf deren medienhistorischem Status das in der eigenen Mediensozialisation gewachsene Vertrauen der Spieler ruht. Die Settings möglicher Analyseperspektiven auf die Frage nach authentischer Darstellung in Computerspielen muss daher die Frage nach der Spieler-Spielewelt-Beziehung immer schon mit einschließen.

The Ahistorical in the Historical Video Game1 M ARTIN I SAAC W EIS

The second game of the ASSASSIN’S CREED series opens with a disclaimer, announcing to its player that it is a »work of fiction« that is »[i]nspired by historical events and characters.«2 Although few players would mistake the ASSASSIN’S CREED series as an accurate historical representation – consider, for example, the pope’s tendency to levitate before battle – the disclaimer makes a certain type of sense, framing the series as a more accurate reflection of historical events than the average video game in spite of its own obvious historical infidelities. Players come into contact with recognizable figures such as Cesare Borgia, Niccolò Machiavelli, and Benjamin Franklin, and relive historical events like the Third Crusade and the American Revolution. In the ASSASSIN’S CREED series, players experience a doubly mediated version of the past by taking control of Desmond, who, from his position in the 21st century, is able to take control of one of his ancestors. Ultimately, this mediation undermines the historical fidelity of the series, as time and time again characters impossibly communicate between the past and the present, such as when the goddess Minerva addresses Desmond through one of his ancestors (a moment I will return to below). While the series constantly emphasizes its historical material – an emphasis

1

I wish to thank Colin Milburn, Ian Afflerbach, and Danni Gorden for their invaluable input and support. This research project was supported in part by the IMMERSe network for video game immersion, funded by the Canadian Social Sciences and Humanities Research Council.

2

ASSASSIN’S CREED II (2009) (Ubisoft). In referring to the ASSASSIN’S CREED series throughout this essay, I refer to those titles that feature Desmond Miles: in addition to ASSASSIN’S CREED II, this list includes ASSASSIN’S CREED (2007) (Ubisoft); ASSASSIN’S CREED: BROTHERHOOD (2010) (Ubisoft); ASSASSIN’S CREED: REVELATIONS (2011) (Ubisoft); and ASSASSIN’S CREED III (2012) (Ubisoft).

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that is clear both in the video game’s content and the way this content is framed – this emphasis always coexists with the ahistorical. In fact, given the mediating role played by the animus, it is the ahistorical that enables the historical throughout the ASSASSIN’S CREED series. While the animus is perhaps the clearest example of the fantastic throughout the series, in a series that is dominated by gods and magical artifacts (to say nothing of the physics defying acrobatics performed by Desmond and his ancestors), it is far from the only example. Thus, the video games that make up the ASSASSIN’S CREED series are not historical video games despite but because of their engagement with the fantastic, and in what follows, I expand upon this claim, using my analysis of the ASSASSIN’S CREED series as a platform from which to make a claim about the historical video game as a genre.3 In doing so, I follow a long tradition of formal analysis that attempts to identify the historical as a genre, a tradition that is perhaps most easily recognizable in Georg Lukác’s ›The Historical Novel‹.4 For Lukác, what is significant about the historical novel – particularly the historical novel as represented by Walter Scott, the figure that he champions throughout – is not that it contains so many historical facts, but that its arrangement of these facts produces a certain form of historical consciousness.5 Writing on the shifting conceptualizations of history in the age of digital media, scholars have approached the historical video game as a medium ca-

3

For an overview of the question of genre analysis and video game studies, see Clearwater, David: »What Defines Video Game Genre? Thinking about Genre Study after the Great Divide«,, in: Loading...The Journal of the Canadian Games Studies Association, 5,8

(2011), S. 29-49. http://journals.sfu.ca/loading/index.php/loading/article/view/

67/105; see also Apperley, Thomas H.: »Genre and Game Studies: Toward a critical approach to video game genres«, in: Simulation & Gaming 37 (2006): S. 6-23; as well as Mark J.P. Wolf’s own contributions to Wolf, Mark J.P. (ed.): The Medium of the Video Game, Austin: University of Texas Press, 2001. 4

Lukács, Georg: The Historical Novel, Lincoln: University of Nebraska Press 1983. While Lukács’ text might be the seminal example of genre analysis that focuses on the historical, this form of analysis persists today for critics across a number of different textual forms. For a discussion of the historical film, see Rosenstone, Robert A.: History on Film/Film on History, New York: Addison-Wesley Longman 2006. See also de Groot, Jerome: The Historical Novel, London/New York: Routledge 2009, a work that in both its title and analysis positions itself in relationship to Lukács.

5

For a historical analysis of the shifting role played by historical narratives in the construction of a social consciousness, see Foucault, Michel: »›Society Must Be Defended‹. Lectures at the Collège de France«, 1975-1976, New York: Macmillan 2003.

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pable of producing multiple, mutually exclusive, historical narratives.6 In this essay, I argue that this understanding of history is in fact dependent upon the presence of the ahistorical that exists in the historical video game. I pair my analysis of the Assassin’s Creed series with an analysis of BIOSHOCK INFINITE, which, although set in the past, takes place miles above the Earth’s surface in a floating city. At first glance, then, BIOSHOCK INFINITE is an unlikely candidate for the title of historical video game. But BIOSHOCK INFINITE uses its ahistorical qualities to construct a historical consciousness in which competing historical narratives multiply rather than diminish as the player’s knowledge of the past grows. In both BIOSHOCK INFINITE and the ASSASSIN’S CREED series, the ahistorical plays a crucial role in the construction of history, enabling these games to reflect on the production and authenticity of historical narratives. Throughout the ASSASSIN’S CREED series, the production of history takes place around the figure of the animus, a video game-like »projector that renders genetic memories in three dimensions.«7 These games star Desmond Miles, an ex-bartender turned assassin who, after being kidnapped, finds himself in a war of millennial proportions between the Assassins and the Knights Templar. By using the animus, Desmond is able to take control of his ancestors and replay their pasts, doing so to both develop the skills of an Assassin and to learn historical information that might provide the Assassins with the knowledge necessary to defeat the Templar. The gameplay will seem familiar to fans of the action-adventure genre: using the right mix of strength and stealth, players leap from roof to roof tracking down and killing their enemies, all the while earning enough money to purchase the next upgrade for a weapon or piece of armor. But unlike many other games of the genre, the ASSASSIN’S CREED series eschews the more conventional health bar for the synchronization bar. As the tutorial of the animus explains, »The synchronization bar represents how in sync you are with your ancestor’s memories. If you ever fall completely out of sync, the animus will restore you to your last synchronized position.«8

6

Anderson, Steve: »Past Indiscretions: Digital Archives and Recombinant History«, URL: http://www.technohistory.net/wp-content/uploads/2009/06/Anderson_Past_Indiscretions.pdf (accessed: 17.01.2014); Weis, Martin Isaac: »ASSASSIN’S CREED and the Fantasy of Repetition«, in: Florian Kerschbaumer/Tobias Winnerling (eds.): Early Modernity and Video Games, Newcastle-upon-Tyne: Cambridge Scholars Publishing 2014, S. 201-211; Baerg, Andrew: »Digital Hoops History: NBA 2K12 and Remediating Basketball’s Past«, in: Communication and Sport 1,4 (2013), S. 365-381. Cf. Rosenstone: History on Film/Film on History; and White, Hayden: Metahistory: The Historical Imagination in Nineteenth-Century Europe. Baltimore: John Hopkins University Press 1975.

7

ASSASSIN’S CREED.

8

Ibid.

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The synchronization bar produces a form of historical investigation that emphasizes the unrepeatability of the past. There are many different ways to lose synchronization with your ancestor, and some of these, such as taking damage, emphasize the continuity that exists between the synchronization bar and the conventional health bar. But Desmond can also become partially or fully desynchronized for doing something that his ancestor did not, a mechanic that emphasizes the role the synchronization bar plays as a measurement of historical fidelity – albeit a fictional historical fidelity. For example, killing a civilian in the first game will cause Desmond to lose a bar of synchronization because »Altaïr did not kill civilians,« and some assassinations require that Desmond remains undetected – because his ancestor did. In these moments, a failure to do so will force Desmond to restart that memory from his »last synchronized position.«9 The synchronization bar emphasizes the historical constraints – fictional as they may be – that shape Desmond’s reproduction of the past. But the presence of these constraints also emphasizes what is left unconstrained and the role taken by the player in producing the past, and how this past varies from one playthrough to another.10 Desmond is even encouraged to replay memories in order to achieve a more complete synchronization, an option that makes clear the multiplicity of pasts produced throughout the ASSASSIN’S CREED series. The production of history in the ASSASSIN’S CREED series is not about producing the singular past as it happened – a past that the series suggests cannot definitively be known – but one out of a number of pasts that could have happened. The ASSASSIN’S CREED series, then, emphasizes the role played by mediation in the construction of a past, and in this way the series can tell us as much about the medium through which it is experienced as it can about the past.11 These video games thematize a fantasy of repeating the past ultimately in order to reveal its unrepeatability – regardless of whether this past is approached as distant historical events or recent gameplay. Or, put another way, the unrepeatability of the video game becomes the means through which the ASSASSIN’S CREED series argues against the repeatability of the historical past. From this perspective, what makes

9

ASSASSIN’S CREED.

10 For a detailed analysis of the decision-making process that games afford their players at a micro-level and how these decisions work to develop the gameplay, see Arsenault, Dominic/Perron, Bernard: »In the frame of the magic cycle: The circle(s) of gameplay«, in: Wolf, Mark J. P./Perron, Bernard (ed.): The Video Game Theory Reader 2, New York: Routledge 2009, S.109-131. See also Sicart, Miguel: »Against Procedurality«, in: Game Studies 11,3 (2011), URL: http://gamestudies.org/1103/arti-cles/sicart_ap (accessed 17.01.2014). 11 Weis: ASSASSIN’S CREED and the Fantasy of Repetition.

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these games historical is not just that they engage with historical material – that is, particular people or places; rather, what makes them historical is that the organization of this historical material becomes the means through which they reflect on the construction of history. These games are not simply about the past, but the construction of the past. Consider, for example, that while the onscreen action might suggest that these games are set in the past, the diegesis makes clear that this is not the case, and that while Desmond might be off-screen, access to the past is dependent upon the present. And even when the present remains off-screen, time and time again the most crucial moments of the narrative insist upon not only its presence but on the significant role it plays in structuring the past. At the end of ASSASSIN’S CREED 2, Desmond replays a moment of Ezio’s past in which his ancestor is confronted by the goddess Minerva. Further adding to the sense of mystery throughout the scene, Minerva addresses not Ezio but Desmond, emphasizing the significance of the ahistorical in the construction of the historical. Thus, while Minerva’s very presence might seem to undermine the series’ historicity, by drawing attention to the role played by the animus system in structuring the past, it makes clear that what is historical throughout the series is a way of constructing a historical narrative. I would like to turn now to BIOSHOCK INFINITE,12 a historical video game that employs the thematics of time travel and multiple worlds to reflect on questions of historicity as they are reconfigured through the historical video game. Unlike the video games of the ASSASSIN’S CREED series, BIOSHOCK INFINITE opens with no disclaimer that positions it in relationship to »historical events and characters«. While both the ASSASSIN’S CREED series and BIOSHOCK INFINITE make clear that much of the gameplay takes place in the past, the former is set in European and American locations that feature recognizable landmarks such as the Sistine Chapel, the Pantheon, and the Boston Commons, whereas the latter takes place miles above the surface of the Earth in the floating cloud city of Columbia. And whereas the ASSASSIN’S CREED series is an action-adventure series in which the player primarily kills his or her marks with swords and daggers and rarely anything more fantastic than an anachronistically accurate handgun, in BIOSHOCK INFINITE the player can opt to kill his enemies by summoning deadly crows – crows that the player is encouraged to light on fire to maximize their damage dealing potential. But these differences function as indices of relative historical fidelity, and as such are not necessarily indicative of whether or not these games are historical video games. Whereas the ASSASSIN’S CREED series foregrounds its historical fidelity and only intermittently introduces the ahistorical, BIOSHOCK INFINITE reverses the relationship between these two registers; in both instances, however, it is through the interplay of

12 BIOSHOCK INFINITE (2013) (Irrational Games/2K Games/Human Head Studios).

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the historical and the ahistorical that these video games are able to reflect on the historical. BIOSHOCK INFINITE stars Booker DeWitt, an ex-Pinkerton turned private investigator, who initially finds himself in Columbia while working a job: »Bring us the girl and wipe away the debt«, are Booker’s only instructions, and this mysterious refrain is repeated throughout the game.13 The girl is Elizabeth, and getting her out of Columbia and away from its zealous founder, Comstock, proves to be exceedingly difficult. So much is this the case that we, along with both Booker and Elizabeth, slowly learn that this is his 123 attempt, with the previous 122 failed attempts taking placing in different worlds existing among an increasingly diverging timeline. But towards the concluding moments of the game, an aged Elizabeth from a different world provides Booker with a note to share with her younger self, a note that allows Elizabeth to take control of the reality around her. At this point, a fully empowered Elizabeth travels with Booker back to different moments of his past until he realizes that he and Comstock are actually the same person in different worlds, and that Comstock exists in worlds in which Booker chose to be reborn through baptism. Elizabeth, we learn along with Booker, is really Anna DeWitt, the daughter that Booker sold to an infertile Comstock. The only way to end Booker’s cycle of failed attempts, then, is to ensure that Columbia is never built by traveling back in time and drowning Booker before he can decide to be baptized. Despite its fantastical plot and setting, BIOSHOCK INFINITE does at times draw on actual historical events; when it does so, however, it is not to produce a sense of historical fidelity, but to raise questions about the difficulty of evaluating representations of the past. Early on during their escape from Columbia, Booker and Elizabeth are forced to take a detour into the Hall of Heroes, Columbia’s cross between an amusement park and a museum. But what begins as a seemingly straightforward fetch quest ends up raising significant questions about Booker’s past, and in this regard, this functions synechdochally for Booker’s larger mission and thus BIOSHOCK INFINITE as well. When Booker and Elizabeth arrive in the Hall of Heroes, it quickly becomes evident that recovering the bottle of Shock Jockey – one of the various »Vigors« that, when drank, grants its user with superhuman powers – will be no easy task; Cornelius Slate, a onetime member of the American army, has sequestered himself and the remaining containers of Shock Jockey in the back of the hall. While Slate is not present to greet Booker and Elizabeth when they enter the Hall of Heroes, an oversized statue of Comstock – complete with red, white, and blue flags – is. A plaque appears below the statue, describing Comstock as »Our prophet, Father Comstock, Commander of the 7th Calvary.« Next to this description is a timeline featuring a number of events, some of which – such as those indicating

13 BIOSHOCK INFINITE.

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the Battle of Wounded Knee and the Boxer Rebellion – accurately reflect their historical occurrence, while others – such as »1893-Columbia is lunched« – reference a history that exists only within the world of BIOSHOCK INFINITE. But Booker ignores the timeline, choosing instead to comment on the description of Comstock: »That man did not lead the 7th. Hell, I don’t even remember the guy.«14 As the player makes his way through the hall, it becomes increasingly evident that Booker – who, according to Slate, »wrapped himself in glory on December 29, eighteenhundred and ninety« – was there during Wounded Knee.15 The Hall of Heroes raises questions about historicity, but this tension is not about the relationship between the video game’s depiction of history and actual historical knowledge; rather these questions emerged around the contestation of the fictionalized histories presented within the game. Like Booker, Slate questions the historical accuracy of the Hall of the Heroes, claiming that Comstock, that »tin soldier[,] has taken credit for the deeds of the real ones.«16 Both Booker and Slate base their protestations about the Hall of Heroes on their own personal experience, and in doing so, they wrongly imagine history in terms of a single historical narrative; that is, whereas Booker and Slate reject the Hall of Heroes on the grounds that it does not correspond with their own experience of the past, the narrative of BIOSHOCK INFINITE emphasizes the past as so many different, overlapping narratives. Nowhere is this more clear than the game’s ending, which, with its emphasis on the language constants and variables, allegorizes the video games ability to produce these alternative narratives. In this final sequence, a seemingly omniscient and omnipotent Elizabeth leads Booker out of Columbia and, after a brief stopover in the underwater city of Rapture from BIOSHOCK 1 and 2, to the door of a lighthouse.17 Once on the other side, the scene begins to fold in on itself, as Booker is greeted by the sight of a nearly endless number of identical of lighthouses. These lighthouses, Elizabeth self-reflexively explains, are »a million million worlds. All different and all similar«, but in each one, »There’s always a lighthouse. There’s always a man, there’s always a city.«18 Before this can set in, Booker opens the door of another lighthouse, and he and Elizabeth are no longer alone, sort of: standing in front of a lighthouse opposite them and having what appears to be a very similar conversation is another Booker and Elizabeth. »It always starts with a lighthouse«, Elizabeth repeats, but Booker still cannot understand. »You

14 BIOSHOCK INFINITE. 15 Ibid. 16 Ibid. 17 See BIOSHOCK (2007) (2K Games); and its sequel, BIOSHOCK 2 (2010) (2K Games/ Arcane/Digital Extremes). 18 BIOSHOCK INFINITE.

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don’t need to«, Elizabeth explains. »It’ll happen all the same«, »[b]ecause it does. Because it has. Because it will.«19 A moment later, Elizabeth illustrates her point, leading Booker back in time to replay the moment when he first sold her. Booker stands in his apartment, the baby in his arms and the man to whom he sold Elizabeth blocking the door, waiting for the child. »You can wait as long as you want«, explains Elizabeth. »Eventually you’ll give him what he wants.«20 And she’s right. The player can move Booker around the room, even set the controller down and walk away for five, ten minutes. To proceed, however, sooner or later the player has to give away Elizabeth. Those players familiar with the BIOSHOCK series might be reminded of the original’s midgame plot twist in which the player is forced to hand over control not of a child, but a genetic key. Elizabeth’s point, however, should resonate with players of any number of video games: the language of constants and variables that Elizabeth uses throughout this final sequence underscores the way that video games constrain what the player is and is not able to do. Regardless of which of the »million million worlds« the action unfolds in, in each Booker’s decision to sell Elizabeth is a constant, never changing event, regardless of the variables in place around it. In this allegory, like the one in the ASSASSIN’S CREED series, the past is produced through the interplay of these constants and variables, where the player’s own gameplay decisions determine the latter but never the former. This final scene provides a framework through which to understand the questions of historicity raised by the Hall of Heroes, which stages the intersection of competing historical narratives. As mentioned in the earlier summary of BIOSHOCK INFINITE, Booker and Comstock are revealed to be two different versions of the same person as he exists across those »million million worlds.« Thus, whether or not Booker chooses to be baptized is, within the narrative of the game, one such example of what Elizabeth refers to as a variable. Subsequently, while the occurrence of the Boxer Rebellion and the Battle of Wounded Knee are constants in that they occur regardless, the particulars vary. It is, of course, these particulars that Booker and Slate contest as the former makes his way through the Hall of Heroes – for example, whether or not Comstock played a pivotal role in the Boxer Rebellion, a role that he could only have played in those worlds in which Booker was reborn. Ultimately, rather than falsify either Slate’s or Comstock’s historical narrative, BIOSHOCK INFINITE forces its player to reenact both of them in such a way that results in their multiplication. As Booker and Elizabeth make their way through the exhibits of the Battle of Wounded Knee and the Boxer Rebellion, they are confronted by a number of Slates soldiers. These soldiers are uniformed, and presumably participated in the very same battles represented by the Hall of Heroes. »My men

19 BIOSHOCK INFINITE. 20 Ibid.

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have been waiting for a long time for a soldier’s death. Will you give it to them, Booker?« asks Slate.21 Booker, of course, has no choice but to return fire on Slate’s soldiers, adding an additional layer of authenticity to the recreation of these battles and the historical narrative propagated by Slate and his rhetoric of the authentic »soldier’s death.« But while Booker’s actions legitimate Slate’s interpretation, they also reinforce the one endorsed by the Hall of Heroes as well. Mixed in with Slate’s soldiers are the fake soldiers that are native to the exhibit and popup from the ground as Booker progresses. Once close up, these figures – which are highly racialized and cutout from cardboard – appear to be fakes. From a distance and in the middle of a firefight, however, they are easily mistaken for actual enemies, and it is not hard to fire at them in error. From one perspective, then, Booker’s participation in this battle is also a recreation of a historical narrative in which Comstock led these battles, as Booker takes on the role of the man who he refused to become. Admittedly, the narrative of BIOSHOCK INFINITE is, at times, unclear and, as Elizabeth and Booker travel from world to world at a rapidly accelerating rate, it becomes challenging to know with any certainty what any given world’s past is. But this multiplicity becomes the point, as it provides a perspective in which these histories overlap and blur together, just as these recreations blur together both as and because Booker and Comstock blur together. BIOSHOCK INFINITE refuses to provide its player with a stable position from which to falsify the past, only a position from which to understand history as operating under a logic of »and« in which these narratives modify and multiply with one another. BIOSHOCK INFINITE is a historical video game because of its fantastical narrative. This narrative thematizes the repeatability of the past, a thematization that is most clearly on display during the game’s ending. But the entire narrative, in which Booker attempts to end a cycle of failed attempts to escape from Columbia, is premised on making the past unrepeatable – the same sort of unrepeatability emphasized by the Hall of Heroes. No player would mistake BIOSHOCK INFINITE as a historically accurate representation of 1912, and with its floating city and emphasis on traveling between multiple worlds, perhaps BIOSHOCK INFINITE does not justify the sort of disclaimer that the ASSASSIN’S CREED series opens with. But its emphasis on time travel and multiple worlds becomes the means through which it constructs a plot that engages with questions of historical accuracy and representation. In this regard, BIOSHOCK INFINITE has much in common with the ASSASSIN’S CREED series, which constantly undermines its own historical fidelity to emphasize the mediating role played by the animus. I have argued that the ahistorical functions as the means through which the video game produces its multiple pasts. In doing so, these video games present history

21 BIOSHOCK INFINITE.

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as something personal – something that can be changed by players and their characters. At the micro level, this happens consistently throughout the ASSASSIN’S CREED series through the gameplay decisions made by the player. But, as becomes increasingly clear as the player progresses throughout the series, the narrative revolves around Desmond’s ability to save the world from a catastrophic event that has been foretold by the gods. The ASSASSIN’S CREED series transforms the player into a subject of history: historical knowledge becomes the means through which the player – through the figure of Desmond and the ancestors that he allegorically controls – is able to ensure the future of mankind. Similarly, in BIOSHOCK INFINITE knowledge of the past – or, more precisely, pasts – empowers Elizabeth and Booker, enabling them to travel throughout time space. While BIOSHOCK INFINITE raises questions about the possibility of influencing the future, as a historical video game, it emphasizes the ability to change the past. In these games, characters are forced into situations in which they have no choice but to produce new pasts – Desmond is initially kidnapped by the Templar and forced into the animus, and Booker must »wipe away the debt.« Both the ASSASSIN’S CREED series and BIOSHOCK INFINITE thematize the medium of the video game and its relationship to history, and as such, they are ideally positioned to help scholars of video games and history understand the historical video game. These video games reveal the inadequacy of thinking of historical fidelity as the definitive feature of the historical video game. Instead, it is necessary to recognize the role played by the ahistorical in the production of the historical. Conference video: Weis, Martin I.: »The Videogame as a Historical Medium: Assassin’s Creed and the Playable Past«, URL: http://mediathek.hhu.de/watch/cddc8259-f9d4-4a69-8c2479d4b211f453 (accessed: 13.01.2014).

Konfliktsimulationen – Counterfactual History oder Infotainment? M ALTE S TAMM

Bis Ende des 19. Jahrhunderts basierten die Ergebnisse empirischer Wissenschaften sowohl auf der Aufstellung von Theorien (und ihren theoretischen Beweisen) als auch auf den Ergebnissen von Experimenten. Im beginnenden 20. Jahrhundert wurden diese beiden Methoden um eine dritte Methode ergänzt: die der Simulation. Zwar betraf dies zunächst nur die technischen Disziplinen (Wind- und Strömungskanäle, Flugsimulatoren etc.), jedoch machten nach Ende des Zweiten Weltkrieges auch die Politik- und Wirtschaftswissenschaften zunehmend Gebrauch von Simulationsmodellen. Und in der heutigen Zeit sind Simulationen dank hoch entwickelter Computertechnik in nahezu allen wissenschaftlichen Disziplinen selbstverständlich. Interessanterweise gehören die Geschichtswissenschaften zu den wenigen akademischen Disziplinen, die bisher auf Simulationen, gleich welcher Art, konsequent verzichtet haben.1 Per definitionem ist eine Simulation bzw. ein Simulator die Kopie eines dynamischen Systems oder Prozesses, welches in der Realität nicht getestet werden kann, weil es zu kompliziert, zu gefährlich, zu kostspielig oder schlichtweg unmöglich ist. Gute Beispiele dafür sind das Training von Landungen auf einem Flugzeugträger von Militärpiloten oder die Notfallprozedur im Falle eines Störfalls in einem Atomkraftwerk. Dabei ist zum einen zwischen ›analogen‹ Simulationen, bspw. Crash-Tests, wie sie in der Verkehrsforschung eingesetzt werden, und »digitalen« Simulationen zu unterscheiden. Des Weiteren kann es sich bei Simulationen um ›exakte‹ Simulationen handeln, wie sie in den naturwissenschaftlichen und technischen Disziplinen angewendet werden (Pilotentraining, Wettervorhersage, Stadtplanung etc.), oder um ›hypothetische‹ Simulationen, wie sie in den sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen verwendet werden, bspw. Wahlprognosen, Wirtschaftsmodelle etc.).

1

Vowinckel, Annette: »Past Futures. From Re-enactment to the Simulation of History in Computer Games«, in: Historical Social Research 34 (2009), S. 322-332, hier: S. 322f.

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Obwohl in den Geschichtswissenschaften Simulationen eher unüblich sind, um den Ablauf von historischen Prozessen zu erklären oder zu analysieren, haben ungeachtet dessen außerhalb dieses Bereichs nicht-wissenschaftliche Simulationen von Geschichte in Form von Brett- und Computerspielen in den vergangenen 25 Jahren einen enormen Grad an Popularität erreicht. Eine Untergattung dieser Spiele sind die sogenannten Konfliktsimulationen bzw. Wargames, wobei beide Bezeichnungen synonym für ein- und dasselbe Spielprinzip genannt werden. Eine Definition des Wargame ist der Versuch, in die Zukunft zu springen, um die Vergangenheit besser verstehen zu können. Es ist ›Spiel‹, erlebbare Geschichte und Wissenschaft zugleich, eine Zeitmaschine aus Papier.2 Wargames sollen die Möglichkeit vermitteln, den Lauf der Geschichte ändern zu können, sowie das Gefühl eines Feldherrn, der seine Truppen zum Sieg führt.3 Man könnte ein Wargame auch als ›Kriegssimulation‹ bezeichnen, denn zumeist werden mit ihnen historische Schlachten ›nachgespielt‹ und damit deren Ablauf rekonstruiert. Alle Arten von Simulationsspielen haben ein Ziel gemein: historische Ereignisse nachzustellen und Alternativen aufzuzeigen. Während also die historische Ausgangssituation vorgegeben wird, können die Spieler im Folgenden von den Entscheidungen der damals Handelnden abweichen und zu unterschiedlichen Entschlüssen kommen. Dies macht einen großen Reiz der historischen Simulationen aus. Dazu ein Beispiel: Gegeben ist ein Szenario der Kampfhandlungen am Südflügel der Ostfront im Winter 1942/43. Der Spieler der sowjetischen Seite hat, den historischen Vorgaben folgend, die deutsch-rumänischen Linien durchbrochen und Stalingrad eingeschlossen. Für den Spieler der deutschen Seite stellt sich nun die Frage, ob er mit seinen Verbänden im Kessel verbleiben und auf Entsatz hoffen oder, solange es noch möglich ist, den Ausbruch befehligen soll. Während letztgenannte Möglichkeit die Rettung der 6. Armee bedeuten mag, kann sie aber durch das rasche Freiwerden der sowjetischen Truppen rund um den Belagerungsring zum völligen Zusammenbruch der deutschen Front im Süden der Ostfront und einem »Über-Stalingrad« im Kaukasus führen. Ein historisches Simulationsspiel stellt also einen Hybrid aus einem historischen Buch und einem Spiel dar. Wie die historische Monographie behandelt die historische Simulation ein bestimmtes geschichtliches Ereignis, mag es nun ein kleiner Ausschnitt aus einer Schlacht, ein ganzer Feldzug oder ein kompletter Krieg sein. Während man als Leser eines Buches aber ›passiv‹ den Ausführungen des Autors folgt, ermöglicht die historische Simulation das ›aktive‹ Eingreifen ins Geschehen und dadurch auch Veränderungen im Ablauf, eben wie bei einem Spiel. Einfach formuliert, kann man sich ein historisches Simulationsspiel als eine Art von Schach vorstellen, allerdings ist das Spielfeld, da es dem historischen Gelände

2

Dunnigan, Charles F.: »The Complete Wargame Handbook«, Ann Arbor: University of Michigan Press 1992, Online-Ausgabe, URL: http://www.hyw.com/books/wargames handbook/1-what_ i.htm; (Stand: 02.03.2013).

3

Handbuch zu: FIELDS OF GLORY (1993) (MicroProse), S. 2.

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nachempfunden ist, komplizierter, die ›Spielfiguren‹ repräsentieren die tatsächlich vorhandenen historischen Verbände, und die Regeln, vor allem die für Bewegung und Kampf, sind weitaus umfangreicher und ausgefeilter. Gegenwärtig gibt es drei unterschiedliche Arten von historischen Simulationen: Brett-Simulationen, Computer-Simulationen und Tabletop-Simulationen. Brett-Simulationen verwenden eine Papierkarte (aus normalen Spielen bekannt), die zumeist zur besseren Regulierung der Bewegung in Hexagonfelder aufgeteilt ist, ein Regelhandbuch und bedruckte ›Spielsteine‹ aus Pappe, die sogenannten ›Counter‹. Computer-Simulationen benutzen den Bildschirm als ›Karte‹; Spielsteine werden per Mausklick über den Monitor-Spielplan geschoben. Zudem besitzen Computer-Simulationen in Form der meist im Programm enthaltenen Artificial Intelligence (AI) einen allzeit bereiten Gegner. Tabletop-Simulationen schließlich greifen auf Spielfiguren aus Zinn- oder Plastikfiguren und auf ein handmodelliertes Gelände (das Tabletop) mit maßstabsgetreuen Häusern, Wäldern etc. als Spielfeld zurück, ähnlich den ›militärischen Sandkastenspielen‹. Obwohl eine größere Tabletop-Simulation mit mehreren hundert Figuren sicherlich einen farbenprächtigen und eindrucksvollen Anblick bietet, weist sie gegenüber den beiden anderen Arten von Simulationsspielen doch gewichtige Nachteile auf: Zum einen erfordert die Erstellung des Geländes und das historisch genaue Bemalen der oftmals winzigen Figuren eine große Menge an Zeit und Geschick, zum anderen schränken Tabletop-Simulationen die ›Anwender‹‹ in ihrer Vielfalt ein. Während der Spieler bei Brett- oder Computer-Simulationen heute in die Rolle Wellingtons bei Waterloo, morgen in die Robert E. Lees bei Gettysburg und übermorgen in die Hannibals bei Cannae schlüpfen kann, konzentrieren sich ›Tabletopper‹ meist auf eine historische Epoche, da die Anschaffung verschiedener Armeen sehr kostspielig ist.4 Die ersten ›Kriegsspiele‹ entwickelten sich bereits zum Übergang in das 19. Jahrhundert. Im Jahr 1780 entwickelte der Mathematiker Johann Christian Ludwig Hellwig ein Strategiespiel, das er bewusst Kriegsspiel nannte5. Zweck des Spiels war, militärisch-strategisches Wissen und Denken zu lehren, zugleich sollte es auch unterhaltsam sein und »...die Wahrheit verschiedener Regeln der Kriegskunst in einem unterhaltenden Spiel anschaulich machen«.6 Hellwig unternahm den Versuch, das Kriegsgeschehen zu visualisieren, allerdings in einem übersichtlichen Format. Er reduzierte die Komplexität der Realität auf die Elemente, die einen entscheidenden Einfluss auf den Ausgang einer Schlacht haben. Zentrale Figurengrup-

4

Blennemann, Ulrich: »Die Geschichte der CoSims«, URL: http://www.ghs-kosim.de/ index.php/cosimm/historycosims (Stand: 02.03.2013).

5

Hellwig, Johann Christian Ludwig: Das Kriegsspiel. Ein Versuch die Wahrheit verschiedener Regeln der Kriegskunst in einem unterhaltenden Spiel anschaulich zu machen, Braunschweig: Reichard 1803. URL: http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00002905 (Stand: 02.03. 2013).

6

Koch, Isabell: »Simulanten, Spieler und Strategen. Das Kriegsspiel und der Zweite Weltkrieg in Computerspielen«, in: Das Archiv 41 (2009), S. 29-35, hier: S. 30.

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pen sind Infanterie, Kavallerie und Artillerie, welche wie beim Schach pro Zug eine unterschiedliche Anzahl Felder überwinden dürfen. Das Feld, von Hellwig »Kriegstheater« genannt, ist mit 49 x 33 quadratischen Feldern größer als ein Schachbrett und beinhaltet farbig markierte Geländefelder. Sieger ist, wer zuerst die gegnerische Festung eingenommen hat. Hellwig veröffentlichte das Regelwerk als Buch, welches neben den über 300 Paragraphen an Spielregeln auch Anleitungen und Vorschläge zur Gestaltung des Spielfeldes und der Figuren enthielt. Der Aufbau und das eigentliche Spielen waren jedoch sehr zeitintensiv, trotzdem wurde das Kriegsspiel, nicht zuletzt dank der Modifikationen durch Georg Leopold Baron von Reißwitz und seinen Sohn Georg Heinrich weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. In Preußen wurde es ab 1824 allen preußischen Offizieren zu Ausbildungs-, und Lehrzwecken empfohlen.7 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hielten Kriegsspiele Einzug in die Kinderstuben, als sich die Spielzeugindustrie mit einer Vielzahl militärischer Miniaturfiguren auf den Beginn des Ersten Weltkriegs einstellte. Im Jahr 1913 erschien die Spielanleitung Little Wars, deren Verfasser kein geringerer war als der bekannte ScienceFiction-Autor H. G. Wells.8 Little Wars war deutlich weniger komplex als das Kriegsspiel, ein Kampf wurde lediglich durch die Truppenstärke, Mann gegen Mann, entschieden. Hier geht es nicht wie bei Hellwig und Reißwitz um die Lehre der Kriegskunst, sondern um die soziale Interaktion der Spieler. Wells distanzierte sich sogar ausdrücklich vom Kriegsspiel und bekannte sich zum Pazifismus. Wells´ Spielanleitung steht damit beispielhaft für eine Entwicklung, die er zwar nicht begründete, aber durch ihre Popularität dem sogenannten ›miniature wargaming‹ neuen Schwung verlieh. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs spiegelte die starke militärische Akzentuierung bei Spielzeug deutliche soziale Veränderungen wieder. In Deutschland wurde auf diese Weise Spielzeug auch zu propagandistischen Zwecken genutzt, indem bereits existierende Spiele-Klassiker adaptiert und in neuem, ideologisch gefärbtem Kleid auf den Markt kamen. Während des Krieges fand die als Übung konzipierte Simulation wieder zu ihren militärischen Wurzeln zurück. So wurde u. a. die Invasion der Alliierten in der Normandie ausgiebig durch Planspiele und Simulationen vorbereitet. Während die Alliierten auf diese Weise die für den Verlauf der Operation beste Vorgehensweise ermitteln wollten, wollten die Deutschen damit die bestmögliche Verteidigung ermitteln. Ironischerweise befanden sich, als die Invasion begann, viele Kommandeure der deutschen Einheiten, die zuerst angegriffen wurden, nicht auf ihrem Posten, weil sie zu einem Kriegsspiel, das die 7. Armee in Rennes veranstaltete, abkommandiert waren, wo die zukünftige Abwehr der zu-

7

Koch: Simulanten, Spieler und Strategen, S. 31.

8

Vgl.: Wells, Herbert G.: Little wars; a game for boys from twelve years of age to one hundred and fifty and for that more intelligent sort of girls who like boys' games and books, London: Palmer 1913.

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künftigen Invasion zum wiederholten Mal durchgespielt wurde.9 Somit ist es leicht begreiflich, dass die Invasion in der Normandie bei der Entwicklung von Wargames in der Nachkriegszeit eine erhebliche Rolle spielt. Endgültigen Eingang in die Welt der zivilen Spiele fanden Cosims im Jahr 1954, als der aus Baltimore stammende Spiele-Entwickler Charles S. Roberts TACTICS veröffentlichte, womit ein Szenario des Kalten Krieges mit zwei fiktiven Staaten gespielt werden konnte.10 Die Miniatursoldaten wurden durch die bereits erwähnten counter ersetzt, die auf der topographischen Spielfläche positioniert werden. Die Darstellung von militärischen Einheiten durch Pappcounter anstelle von Zinnfiguren hatte einen einfachen Grund: Die Herstellung von Countern aus Pappe ist billiger und unkomplizierter als die Herstellung von Zinnfiguren. Zudem wird das zu überblickende Spielgeschehen durch sie viel übersichtlicher, da sie stapelbar sind und so weniger Platz auf dem Spielfeld beanspruchen, was der Spielbarkeit zugutekommt. Treffer werden mit Würfel und Schadenstabellen ermittelt. Für die Vermarktung von TACTICS gründete Roberts die Avalon Hill Game Company. Die später in Avalon Hill umbenannte Firma entwickelte sich in den folgenden 30 Jahren zum führenden Anbieter von Cosims. Ab den beginnenden 1960er Jahren publizierte Avalon Hill neben anderen Brettspielen mit historischen Inhalten vorwiegend Spiele, die den Zweiten Weltkrieg zum Thema hatten.11 Das im Jahr 1970 erschienene PANZERBLITZ wurde mit über 300.000 verkauften Exemplaren zu einem der erfolgreichsten Spiele von Avalon Hill. Die 1970er Jahre waren die goldene Ära für brettbasierte Cosims. Nachdem 1980 der Zenit für ››tabletop wargames‹, wie diese Art von Spielen in den USA wegen der Aufbauten auf dem Tisch genannt wurden, mit über 2 Mio. verkauften Exemplaren überschritten war, gingen die weiteren Verkaufszahlen stetig zurück. Grund dafür war die Entwicklung des Personal Computers und der damit verbundene Startpunkt der Entwicklung von modernen Videospielen. Dieses neue Medium zog schon bald die historisch interessierten Brettspieler an. Dass PC-Cosims attraktive Alternativen zu Brettspielen sind, liegt auf der Hand. Umfangreiche Vorbereitungen entfallen, die Berechnungen der Spielzüge übernimmt der Computer. Der Spieler kann in der PC-Simulation Teil des Ablaufs werden, während im Brettspiel alles lediglich durch Counter symbolisiert wird. Überhaupt ist es wenig verwunderlich, dass sich die wichtigsten Anwendungsgebiete von Computer-Simulationen beim Militär auch auf dem Spielemarkt wiederfin-

9

Mönch, Winfried: Entscheidungsschlacht ›Invasion‹ 1944? Prognosen und Diagnosen, Stuttgart: Steiner 2001, S. 176f.

10 O. A.: »Tactics II (1958)«, auf: Boardgamegeeks.com, URL: http://www.boardgamegeek. com/boardgame/1574/tactics-ii (Stand: 05.03.2013). 11 O. A.: »Avalon Hill«, auf: Boardgamegeeks.com, URL: http://www.boardgamegeek. com/boardgamepublisher/5/avalon-hill (Stand: 05.03.2013).

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den.12 Die U-Boot-Simulation SILENT SERVICE,13 die von dem bekannten GameDesigner Sid Meier entwickelt wurde, wurde für das Genre wegweisend.14 Der Spieler kann Kanonen abfeuern, unter Wasser navigieren und von Deck aus feuern. Die weiträumige Karte des Pazifiks kann mittels Zoom-Funktion im Detail betrachtet werden. Neben den Simulationsspielen hatte sich auch das Genre des Strategiespiels weiterentwickelt. Im Jahr 1994 erschien PANZER GENERAL,15 dessen strategischer Anspruch und Spielmechanik auch heute noch Fans in aller Welt begeistert.16 Der Spieler positioniert und zieht wie bei einem analogen Brettspiel auf einer Karte mit hexagonalen Feldern seine Truppen, um strategisch wichtige Punkte zu besetzen. Das Spiel bietet ca. 100 Szenarien mit historischen Schauplätzen des Zweiten Weltkriegs. Im Jahr 1996 brachte Microsoft CLOSE COMBAT17 auf den Markt, das erste einer ganzen Reihe von Cosims.18 CLOSE COMBAT gehört zu den sogenannten Echtzeit-Strategiespielen. Im Gegensatz zu rundenbasierten Spielen, bei denen die Spieler ihre Züge nacheinander tätigen, ziehen Spieler und PC hier gleichzeitig. Die Macher von CLOSE COMBAT ermöglichten dem Spieler auch einen Blick auf die dem Spiel zugrunde liegenden historischen Ereignisse. So werden einzelne Spielsequenzen durch historisches Bild- und Filmmaterial eingeleitet und inhaltlich unterfüttert. Ebenfalls neu sind auch psychologische und mentale Einflüsse auf den Spielablauf, so können Soldaten angesichts einer ausweglosen Situation in Panik geraten und nicht mehr richtig handeln.19 In den 1980er und 1990er Jahren wurden die Schießspiele weiter entwickelt, bei denen ein Spieler eine Waffe im unteren Bildfeld sieht und mit dieser beim Durcheilen dreidimensionaler Raumdarstellungen schießt, sobald er Gegner erkennt (First Person Shooter oder Ego-Shooter). Bei dieser Art von Spiel ist der Spieler nicht mehr der Beobachter, sondern wird als Akteur selbst im Spielraum verortet.20 Bei diesen Spielen hat die Darstellung von Kriegsbildern dank leistungsstarker Prozessoren und verbesserter Spiele-Engines (Programmier-Plattformen, die eigens für die

12 Streibl, Ralf E.: »Game Over. Die Rüstungsspirale auf Diskette und CD-ROM«, URL: http://fiff.informatik.uni-bremen.de/ruin/kicffp.htm (Stand: 05.03.2013). 13 SILENT SERVICE (MicroProse 1985). 14 O. A.: »Silent Service«, auf: Mobygames, URL: http://www.mobygames.com/game/ silent-service (Stand. 05.03.2013). 15 PANZER GENERAL (1994) (SSI/Mindscape). 16 O. A.: »Panzer General«, auf: Mobygames, URL: http://www.mobygames.com/game/ panzer-general (Stand: 05.03.2013). 17 CLOSE COMBAT (1996) (Atomic Games/Microsoft). 18 O. A.: »Close Combat«, auf: Mobygames, URL: http://www.mobygames.com/game/ close-combat (Stand: 05.03.2013). 19 Koch: Simulanten, Spieler und Strategen, S. 34f. 20 Dreher, Thomas: »Geschichte der Computerkunst«, URL: http://iasl.uni-muenchen.de/ links/GCA-VII.1.html#Person, (Stand: 05.03.2013), Abs. VII: Games.

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Entwicklung von Spielen entwickelt wurden) stark an ›Realismus‹ zugenommen. Hier geht es jedoch weniger um die historisch korrekte Darstellung der Ereignisse, wenngleich grobe Fehler in technischen oder symbolischen Details von den Spielern meist sofort bemerkt werden. Wenn derartige Spiele mit ›Realismus‹ beworben werden, ist zumeist ein spannungsreiches, durch fiktive Elemente angereichertes Spielgeschehen gemeint, welches sich bestenfalls an tatsächlichen Geschehnissen orientiert. Die Übernahme von filmischen Stilmitteln, wie der gezielte Einsatz von Videosequenzen und eigens für das Spiel komponierter orchestraler Musik, unterstützt dabei die emotionale Teilnahme des Spielers. Je stärker der Spieler ›mitgenommen‹ wird, je tiefer er eintauchen kann, desto höher wird der Grad an Realismus und Authentizität eingestuft. Einige dieser Spiele inszenieren das Töten und Verwunden des Gegners auf geradezu unangenehm artifizielle Weise, weshalb sie in der Gesellschaft unter kritischer Beobachtung stehen.21 Untersucht man den Stellenwert der historischen Genauigkeit eines Spiels für die Spieler, ist festzustellen, dass die Spieler die gleiche Gratwanderung zwischen Spielspaß und historischer Genauigkeit vollziehen, wie ihre Entwickler. Tendenziell ist dabei festzustellen, dass sich die Spieler bei dieser Frage in zwei Fraktionen einteilen lassen. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die einer guten Spielbarkeit und dem Unterhaltungswert eines Spiels den Vorzug geben, während die anderen einen größeren Wert auf eine angemessene geschichtliche Darstellung legen. Wenn ein Spiel ›Geschichte‹ verspricht, dann sollte nach Ansicht der Fangemeinde zumindest das Ausgangsszenario bei Spielbeginn realitätsnah sein, denn danach verläuft das Spielnarrativ ohnehin kontrafaktisch. Nach Ansicht dieser Spieler kommt der historischen Genauigkeit eine instrumentelle Funktion zu, da auf diese Weise der Spielspaß erhöht wird. So zeigt eine einschlägige Umfrage unter 5.000 Spielern zum Spiel TOTAL WAR, dass unter etwa zwei Dutzend Kriterien die historische Genauigkeit leicht unterdurchschnittlich bewertet wurde, während anderen Bereichen, etwa der Bedienbarkeit oder der Ästhetik, ein höherer Stellenwert bescheinigt wurde. Ein Beispiel dafür war die Frage eines Spielers nach der Genauigkeit der dargestellten Flaggen und Uniformen. So fiel militärgeschichtlich interessierten Vielspielern durchaus auf, dass sich bei deren Darstellung diverse Fehler eingeschlichen hatten. Diese Diskussion führte zu der Frage, wie genau es die Hersteller mit den historischen Gegebenheiten nehmen. Dazu befragt, wies ein Mitarbeiter der Entwicklerfirma von TOTAL WAR, Creative Assembly, darauf hin, dass das Budget für die Entwicklung begrenzt und daher eine tiefgehende Recherche nicht möglich sei. Deshalb haben die Entwickler den Spielern, die über entsprechendes technisches Know-How verfügen, die Möglichkeit gegeben, an Veränderungen mitzuarbeiten. Solche Spielerweiterungen, sogenannte ›Mods‹, bieten die Möglichkeit, das Spiel

21 Koch: Simulanten, Spieler und Strategen, S. 35.

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auf der Faktenebene der historischen Realität anzunähern. In dieser Hinsicht sind elektronische Spiele somit einzigartig.22 Entsprechend der Spielgestaltung der TOTAL WAR-Reihe stehen auch bei Diskussionen über einen kontrafaktischen Verlauf fast ausschließlich militärische Erklärungsmuster im Zentrum des Interesses. Auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen wird kaum Bezug genommen. Geradezu typisch ist in diesem Zusammenhang die Annahme, dass individuelle Schwächen der militärischen Führer auf französischer23 Seite für deren Niederlage verantwortlich seien. Die Spielergemeinschaft stellt damit kontrafaktische Überlegungen nur auf ereignisgeschichtlicher, nicht aber auf struktureller Ebene an. Da die meisten Spieler offenbar sehr stark auf Fakten bauen und dem Begriff der historischen Wahrheit eine größere Bedeutung beimessen, werden die Grundlagen historischer Wandlungsprozesse kaum hinterfragt.24 Auch der Wert kontrafaktischer Geschichtsbetrachtung wird weitgehend infrage gestellt. Dass sie dazu anregen kann, zeitgenössische Alternativen zu identifizieren und den Blick für Gründe und Ursachen historischer Prozesse frei macht, scheint für viele Spieler von nachrangiger Bedeutung zu sein. Dabei ermöglichen diese Spiele kontrafaktische Szenarien nicht nur, sondern bedingen sie in gewisser Weise sogar. Allerdings unterscheidet sich das, was Computerspieler für Geschichte halten, fundamental von dem, was die Geschichtswissenschaft darunter versteht. Damit gleichen die Spieler den Machern der Spiele, die im Zweifelsfall Fakten produzieren müssen und schon aus programmtechnischen Gründen heraus keine Vermutungen liefern können. Allein die Eindeutigkeit zählt, und die erwarten die Spieler auch von historischen Fragen.25 Während ein gesteigertes Maß an Ambiguitätstoleranz im Studium der Geschichtswissenschaften erworben wird, prägen vorschnelle Urteilsbildung und ein umfassender Geltungsanspruch der eigenen Meinung eher die Betrachtungen der Laiensphäre. So sehr eine multiperspektivische Betrachtungsweise auf akademischer Ebene erwünscht ist, so wenig erscheint sie Teilen der Spielergemeinde als angemessener Ansatz. Ihnen geht es um Eindeutigkeit, welche die Erklärungsmuster nur in Einzelfällen liefern, getreu dem Motto: Wenn man weiß, wer der Böse ist, hat das Spiel Struktur. Dies deckt sich nicht zufällig mit den Programmieranforderungen der Macher elektronischer Spiele. In eben dieser Deckungsgleichheit zwischen medialem Angebot und laienhaftem Verständnis besteht die Qualität virtueller Spielwelten. Als Vermittlungsmedium für historische Schlachten erscheinen Spiele den Nutzern als bedingt geeignet. Im günstigsten Fall können sie das Interes-

22 Vgl.: Pöppinghege, Rainer: »Pedanterie im Cyberspace. Zum Geschichtsbewusstsein von Computerspielen«, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 62,7-8 (2011), S. 459470; vgl. auch den Beitrag von Lutz Schröder. 23 Bezogen auf die Steuerung von Frankreich bei EMPIRE: TOTAL WAR (2009) (Creative Assembly/Sega). 24 Pöppinghege: Pedanterie im Cyberspace, S. 464. 25 Ebd., S. 465.

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se der Spieler an einer vertiefenden Beschäftigung mit einem Thema wecken. In diesem Sinne greifen die Spieler das auf, was sie in der Konzeption der Spiele präsentiert bekommen: eine auf Militär und Politik verkürzte Sichtweise von Geschichte.26 Grundsätzlich lassen sich zwei Arten von Konfliktsimulationen unterscheiden, nämlich die in traditionellen Spielen, welche die Entscheidungssituationen betonen, und solche, die der Operationsanalyse für die Verteidigung dienen. Mit letzteren soll versucht werden, Sieg oder Niederlage der beteiligten Seiten mit Hilfe von ›Erfahrungswerten‹, statistischem Material und spieltheoretischer Formeln zu ermitteln. Verluste der Konfliktparteien werden dabei als ›Abnutzung‹ definiert.27 Die für diese Spiele benötigten ›Erfahrungswerte‹ werden auf zweifache Weise gewonnen, nämlich indem Stärke und Verluste der Kriegsparteien von real vergangenen Schlachten entnommen werden und dann versucht wird, diese Daten spielerisch zu verifizieren. Dabei gelten die Erfahrungswerte in dem Maß als immer ›richtiger‹, je weiter sie sich nach verschiedenen Spieldurchläufen immer mehr den historischen Vorgaben annähern. Solche Spiele sind jedoch stark abstrahiert, dazu lassen sie kaum oder gar keine persönlichen Entscheidungen der Spieler zu. Damit haben sie zwar für Wissenschaftler einen gewissen Reiz, nicht aber für Angehörige des Militärs oder passionierte Spieler. Bei Spielen, die für analytische Zwecke entworfen werden, wird solange von den singulären historischen Begebenheiten abstrahiert, bis ein bestimmter Nenner ermittelt ist, der die militärischen Faktoren durch die Zeit hindurch vergleichbar erscheinen lässt. Diese Faktoren sollen dann als Basis für die Bestätigung der Grundannahme eines mathematischen Modells dienen. Indem man sich auf die scheinbar ›zeitlos gültigen‹ Prinzipien der Kriegführung konzentriert, soll der historische, also zeitbedingte Faktor abgelegt werden. Bei intensiver Beschäftigung mit derartigen Spielen treten jedoch die militärische ›Führung‹ und ihre Entschlüsse als entscheidender Faktor zutage, obwohl man in solchen Spielen ›Führung‹ lediglich als Kette quasi unpersönlicher Entscheidungen begreift, die automatisch auf gegebene Möglichkeiten reagieren.28 Auf diese Weise wird aus einer tatsächlichen Schlacht der Vergangenheit eine Folge von Wahlmöglichkeiten, Entscheidungen und Unterlassungen. Nicht nur die für wissenschaftliche Zwecke und taktische Schulung entwickelten ›Kampfmodelle‹ und ›Simulationen‹ sind vom Geist höchster Wissenschaftlichkeit geprägt. Dies gilt aufgrund ihrer Komplexität auch für viele Spiele, die für den Massenmarkt entwickelt wurden. Jedes Spiel verschafft aus sich selbst heraus eigene Versionen von Vergangenheit und Zukunft und bewegt sich damit in dem Bereich, in dem Geschichte kontrafaktisch wird. Das Spiel mit Möglichkeiten schafft verschiedene alternative Wirklichkeiten, hinter denen die ›Realität‹ zurücktritt. Mit Hilfe von Kriegsspielen lässt sich nach

26 Ebd., S. 466f. 27 Mönch: Entscheidungsschlacht ›Invasion‹, S. 178. 28 Mönch: Entscheidungsschlacht ›Invasion‹, S. 179.

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Ansicht einiger Militärhistoriker innerhalb der Militärgeschichtsforschung ein besseres Verständnis für die Möglichkeiten gewinnen, welche den zeitgenössischen Heerführern zur Verfügung standen, und der Stellenwert einzelner Faktoren des Geschehens auf diesem Wege besser beurteilen. So lassen sich Wendepunkte der Geschichte auf diese Weise herausgreifen und ›spielerisch‹ darauf untersuchen, ob es sich tatsächlich um solche gehandelt hat.29 Das Konzept der kontrafaktischen Geschichtsschreibung erfreut sich vor allem in der britischen und amerikanischen Fachliteratur einiger Beliebtheit, vor allem dann, wenn mit Szenarien gearbeitet wird, bei denen zumindest einmal die Möglichkeit der Umkehr des Gleichgewichts der Kräfte bestanden hat. Für derartige konkrete, rekonstruierte historische Entscheidungen lassen sich halbwegs plausibel alternative Folgen ausmachen, die mit den Mitteln des ›Wenn-Dann‹ arbeiten. Allerdings ermöglicht jeder weitere Schritt in die ›alternative Geschichte‹ neue Entscheidungssituationen, die auf den voran gegangenen Schritten aufbauen und sich so nicht mehr historisch rekonstruieren lassen.30 Dadurch verliert die ›Kriegsgeschichte‹ aber ihren ›historischen‹ Charakter und wird zu einer bloßen Abfolge möglicher Szenarios. In dem Maße, wie ›die‹ Geschichte verschwindet, entwirft man keine alternativen Welten mehr, sondern nur noch ›Bühnen‹ und ›Kriegstheater‹.31 Dies ist das Problem der kontrafaktischen Geschichte. Alternative Szenarien leben davon, verschiedene Möglichkeiten durchzuspielen, indem sie nach unterschiedlichen Bedingungen des Handelns fragen. Vor allem bei der Analyse von Schlachten ist man dazu verleitet, mit der Gewichtung einzelner Faktoren zu spielen. Aber genau diese Vorgehensweise versucht man in der modernen Historiographie zu vermeiden, obwohl das eigentlich kaum möglich ist.32 Einige halten die Beschäftigung mit kontrafaktischen Szenarien sogar für Häresie.33 Dabei ist die Frage nach und die Bewertung von Alternativen in Form kontrafaktischer Szenarien von weitreichender theoretischer Bedeutung, denn würde man solche Probleme für nichtig erachten, wäre die Entscheidungsfreiheit des Menschen hinfällig und die ›Geschichte‹ auf eine anonyme Abfolge von Sachzwängen

29 Glick, Stephen P. /Charters, Ian L.: »War, Games and Military History«, in: Journal of Contemporary History, 18,4 (1983), S. 567-582, hier: S. 578f. 30 Mönch: Entscheidungsschlacht ›Invasion‹, S. 182. 31 Ebd., S. 173. 32 Vgl.: Demandt, Alexander: Ungeschehene Geschichte. Ein Traktat über die Frage »Was wäre geschehen, wenn...? «, Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht 1984; Tellenbach, Gerd: »Ungeschehene Geschichte und ihre heuristische Funktion«, in: Ders.: Ausgewählte Abhandlungen und Aufsätze, 5. Bd., Stuttgart: Hiersemann 1996, S. 157-176. 33 Pöhlmann, Markus/Dierk, Walter: »Guderian für‘s Kinderzimmer? Historische Konfliktsimulationen im Computerspiel«, in: Zeitschrift für Geschichtswisssenschaft 46,12 (1998), S. 1087-1108; hier: S. 1087.

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reduziert, weshalb kontrafaktische Szenarien durchaus einen wissenschaftlichen Sinn haben34. Dabei darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass Cosims so entworfen werden, dass sie Spielspaß und Herausforderungen bieten sollen. Über die Einbindung in die erzählte Story, interessante Spielszenarien und verschiedenste weitere Stil- und Hilfsmittel sollen die Spiele ihre Nutzer so an sich binden, dass diese bereit sind, sich über viele Stunden mit ihnen zu beschäftigen. Dies beginnt bereits bei den Spiel-Interfaces, die als Verbindung zwischen dem Spieler vor dem Computer und seinem Avatar innerhalb der virtuellen Welt fungieren. In dieser findet nicht nur das Geschehen statt, in ihr werden auch die Geschichte erzählt und dem Spieler bestimmte zu erfüllende Aufgaben gestellt. Auch dem Feedback kommt eine wichtige Rolle zu, da es dem Spieler anzeigt, was seine Handlungen für Folgen haben. Zu diesen zählen nicht nur die unmittelbar auf dem Bildschirm sichtbaren, sondern gerade auch jene, die sich im Hintergrund entwickeln und etwa durch zu erfüllende Spielziele repräsentiert werden. Verbindender Faktor dabei ist das Regelsystem, welches nicht nur die Beschaffenheit der Spielwelt, sondern auch die Möglichkeiten der Interaktion der Spieler sowie die Spielziele definiert, ja nicht einmal Naturgesetze haben Gültigkeit, wenn diese von den Machern nicht in die Spielwelt integriert werden. Zudem lassen sich viele Aspekte nicht eins zu eins in das Spiel übertragen weil die Spiele ansonsten nicht mehr spielbar wären. Allein deshalb sind Vereinfachungen bzw. die Konzentrierung auf bestimmte Aspekte innerhalb des Spiels nicht nur üblich, sondern sogar notwendig, um den Spielern einen möglichst leichten Zugang zu den Spielen zu gewähren. Bei Cosims bedeutet dies nichts anderes, als dass den Spielern auf diese Weise die Ausführung konkreter Handlungen ohne die in der Realität notwendigen jahrelangen Lernprozesse erlaubt werden.35 So können zu Beginn des Spiels große Armeen aufgebaut und befehligt werden, in der Realität müssten die Spieler dazu eine lange politische oder militärische Karriere beschreiten, um alle dafür notwendigen Anforderungen und Fähigkeiten zu erwerben. Im Spiel reichen dazu wenige Mausklicks, was den Spielern ermöglicht, ohne Umschweife in das Geschehen einzutauchen36. Bei analogen Cosims spielen im Regelfall zwei Spieler bzw. zwei Parteien gegeneinander, bei elektronischen Cosims spielt der Spieler gegen den Computer. Zunehmend bieten letztere aber auch Mehrspieler-Modi, welche entweder im LAN oder über das Internet gespielt werden können. Die starke Bipolarität der bisherigen

34 Hook, Sidney/Pilzer, Gerhard (Übers.): Der Held in der Geschichte, Nürnberg: NestVerlag 1951, S. 27. 35 Vgl.: Frasca, Gonzalo: »Simulation vs. Narrative. Introduction to Ludology«, in: Wolf, Mark J. P./Perron, Bernard; (Hg.): The Video Game Theory Reader 1, New York: Routledge 2003, S. 221–236. 36 Schröder, Lutz: »Computerspiele als ein neuer Zugang zu Geschichtsthemen«, auf: SpielBar (06/2012), URL: http://www.spielbar.de/neu/2012/06/computerspiele-als-einneuer-zugang-zu-geschichtsthemen/ (Stand: 05.03.2013).

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historischen Szenarien, die in der Dramaturgie der Spiele auf die klassische Konfrontation ›der Gute rettet die Welt vor dem Bösen‹ hinauslief, erklärt sich demnach aus zumindest teilweise aus technischen Beschränkungen37. Die Spielmechanik funktioniert entweder rundenbasiert oder im Echtzeitmodus. Manche Spiele bieten auch beides, so läuft z. B. bei EMPIRE: TOTAL WAR der Kampagnenmodus, also der Bereich, in dem Wirtschaft, Politik und Diplomatie gesteuert werden, rundenbasiert, während der Schlachtenmodus in Echtzeit abläuft. Während bei älteren Cosims das Spielgeschehen auf die schieren Kampfhandlungen fokussiert sind und weitere Faktoren wie Politik, Diplomatie, Wirtschaft und Forschung entweder gar keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen, finden eben diese Faktoren bei Cosims neuerer Entwicklung zunehmend Beachtung. Auch wenn bei Spielen wie EMPIRE: TOTAL WAR, HEARTS OF IRON III38 und ähnlichen Spielen weniger die großen gesellschaftlichen Entwicklungen sondern der militärische Konflikt im Vordergrund steht, werden auch den oben genannten zivilen Faktoren zunehmend größeres Gewicht im Gameplay gegeben. So muss der Spieler bei EMPIRE: TOTAL WAR nicht nur die finanziellen Mittel für die Ausbildung von Soldaten aufbringen, sondern auch sicherstellen, dass er sich ihren Unterhalt künftig leisten kann. Einnahmen werden durch Steuern generiert, deren Höhe neben dem Steuersatz insbesondere über den Bau von Produktionsstätten, welche die Wirtschaftsleistung stärken, beeinflusst werden können. Auch überseeische Handelsniederlassungen und Handelsabkommen mit anderen Nationen sind von großer Bedeutung für die Staatskasse. Daneben kommt auch der Forschung eine wichtige Rolle zu, da wissenschaftliche Entdeckungen nicht nur Einfluss auf die Wirtschaft und die Entwicklung der Bevölkerung haben, sondern auch die Organisation und Ausbildung des Militärs verbessern und neue Truppenarten ermöglichen. Ähnliches geschieht bei IMPERIAL GLORY,39 das ebenfalls die Napoleonischen Kriege zum Thema hat. Dort muss der Spieler bei der Verwaltung bis zu 18 Menüanzeigen für die unterschiedlichsten zivilen Belange im Auge behalten.40 Bei HEARTS OF IRON III, einer sehr komplexen Simulation des Zweiten Weltkriegs, ist die zivile Verwaltung sogar so umfangreich, dass gleich mehrere Vollbildansichten für ihre Verwaltung benötigt werden. 41 Damit ist HEARTS OF IRON III sehr komplex zu spielen, deckt es doch die Jahre 1936 bis 1948 ab, was einem kontrafaktischen Verlauf der Geschichte dieser Epoche sehr breiten Spielraum bietet. Um die Bereitschaft der Spieler, sich über einen längeren Zeitraum mit dem Spiel zu beschäftigen, zu fördern, müssen beim Design bzw. bei der Programmierung zwei Prämissen beachtet werden: Spielspaß und Spielbarkeit.42 Spielspaß ent-

37 Pöhlmann/Dierk: Guderian für‘s Kinderzimmer, S. 1092. 38 HEARTS OF IRON III (2009) (Paradox Interactive/Koch Media). 39 IMPERIAL GLORY (2005) (Pyro Studios/Eidos Interactive). 40 Handbuch zu: IMPERIAL GLORY, Eidos Interactive 2005, S. 17. 41 Handbuch zu: HEARTS OF IRON III, Paradox Interactive 2009, S. 19ff. 42 Vgl.: Schröder: Computerspiele als ein neuer Zugang zu Geschichtsthemen.

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steht, wenn der Spieler Fortschritte erzielt und durch ein Belohnungssystem dadurch profitiert, z. B. durch eine technische Neuerung, welche die nächste Ebene des Spiels freischaltet. Zugleich soll das Gameplay die Spieler fordern und spannend bleiben und sie dazu animieren, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie sie vorgehen sollen, um konkrete Ziele zu erreichen. Eng damit verknüpft ist die Spielbarkeit. Da die Spieler nicht nur die Rolle eines Herrschers oder Feldherrn übernehmen, sondern sich auch in einer vergangenen Epoche bewegen, müssen die Spiele sowohl Informationen über die typischen Aufgaben der in den Spielen genannten Akteure vermitteln, als auch über die thematisierte Zeit informieren, weil nicht davon auszugehen ist, dass sich die Spieler in beiden Bereichen auskennen. Neben dem Learning-by-Doing erfolgt die Vermittlung jener Kenntnisse auch über die den Spielen beigegebenen Handbücher und über Tutorials. Bei EMPIRE: TOTAL WAR geben zusätzlich zwei Berater innerhalb des Gameplays nützliche Tipps und Hinweise. Besondere Aufmerksamkeit erfahren die zwei Handlungsebenen bei EMPIRE: TOTAL WAR, die Kampagnenkarte und der Schlachtenmodus. Erstere wird über eine Landkarte der gesamten Spielwelt dargestellt und ist der zentrale Ort für alle Entscheidungen, die keine unmittelbaren Kampfhandlungen betreffen, also etwa Politik, Wirtschaft und Forschung. Die Kampagnenkarte ist rundenbasiert, so dass alle Nationen nacheinander an der Reihe sind und erst nach Beendigung der laufenden Runde erfahren, wie sich getroffene Entscheidungen auswirken. Die Spieler können dafür jedoch beliebig lange überlegen und ihr Vorgehen planen. Dies erzeugt Spannung, weil sie vor Beendigung der laufenden Runde nicht nur planen müssen, welche Entscheidungen für ›ihre‹ Nation notwendig bzw. möglich sind, sondern auch überlegen müssen wie sich ihre Gegner verhalten könnten. Im Schlachtenmodus, in dem alle Kampfhandlungen ablaufen, muss er hingegen in Echtzeit auf Angriffe seiner Gegner reagieren oder kann eigene ausführen. Dazu kann der Spieler auf viele militärische Vorgehensweisen zurückgreifen, die in den Napoleonischen Kriegen üblich waren. Ohne die zuvor geschilderte rundenbezogene Bedenkzeit ist zwar ersichtlich, wie sich die Gegner verhalten, andererseits müssen sie jedoch auch angemessen agieren, um die Schlacht zu gewinnen. Dies führt zu einer teils großen Dramatik, die es erforderlich macht, durch die Entwicklung situationsabhängiger Taktiken statt großer zahlenmäßiger Überlegenheit zu gewinnen, denn Ausbildung und Unterhalt großer Armeen sind sehr teuer.43 Zusammenfassend ist festzustellen, dass Cosims ein Konvolut aus verschiedenen Möglichkeiten bieten, die dem Spieler je nach Komplexität des Spiels verständlich erklärt und spannend präsentiert werden. Durch die Lenkung einer Nation wird dieser in eine Rolle versetzt, die ihm aus dem Alltag nicht vertraut ist. Die Bereitschaft dazu wird dadurch gefördert, dass der Spieler zwar zeitnah erkennen kann, welche unmittelbaren Folgen sein Handeln hat, jedoch auch in der Lage ist, langfristige Strategien zu entwickeln und diese nach und nach zu verwirklichen, so dass er Fortschritte bei der Erreichung der Spielziele macht. Zwar wird die in der Ge-

43 Vgl.: Schröder: Computerspiele als ein neuer Zugang zu Geschichtsthemen.

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schichtswissenschaft wichtige Rolle des neutralen Beobachters negiert, andererseits ermöglicht die aktive Einbindung des Spielers in das Geschehen einen gänzlich neuen Zugang zu Geschichtsthemen. Durch die Versetzung der Spieler in typische Ingame-Situationen, wie die Bedrohung der Spielfigur oder der ›eigenen‹ Nation, werden sie wesentlich stärker involviert und sind so darauf bedacht, situationsabhängige Lösungen für die auftretenden Bedrohungen zu finden, da sie sonst keine Fortschritte machen und das Spiel nicht gewinnen können. Zu diesem Zweck bieten Cosims eine große Zahl komplexer Möglichkeiten, die der Spieler zunächst verstehen muss, bevor er in der Lage ist, auf eine Bedrohung zu reagieren und diese und etwaige künftige Gefahren abzuwenden. Der Nachteil wiederum liegt in der Fokussierung auf bestimmte Aspekte der Geschichte, die zwar zugunsten der Spielbarkeit notwendig ist, andererseits aber zulasten der Authentizität geht. Cosims stellen niemals ein wirklichkeitsgetreues Abbild von Geschichte dar, sondern ein maßstäblich verkleinertes und abstrahiertes Bild von Geschichte. Andererseits bietet die Beschäftigung mit Cosims auch Chancen, nämlich die Vertiefung des Verständnisses für historische Abläufe. Zudem betonen sie die Möglichkeiten der Spieler. In Kombination mit packenden Handlungssträngen bietet sich ein Zugang zu historischen Themen, die kein anderes Medium bieten kann. Allerdings erheben solche Spiele eher selten einen pädagogischen Anspruch. Im Mittelpunkt steht fast immer der Spielspaß, die Information über historische Begebenheiten findet eher neben dem Spielgeschehen statt. Dies muss jedoch kein Nachteil sein, wenn der Spieler durch das Spiel dazu angeregt wird, sich auch außerhalb des Spiels mit dem dargebotenen Thema zu beschäftigen. So bieten Cosims bzw. generell Spiele mit historischen Inhalten bei der Vermittlung selbiger großes Potential. Bei dessen Ausschöpfung müssen jedoch alle Akteure zusammenarbeiten, damit geschichtsinteressierte Laien auf der einen und die Wissenschaft auf der anderen Seite von den geschilderten Kenntnissen und Erfahrungen der jeweils anderen Seite profitieren können.44 Video zum Tagungsvortrag: Stamm, Malte: »Konfliktsimulationen – ›Counterfactual History‹ oder Infotainment?«, URL: http://mediathek.hhu.de/watch/577103ea-67fd-412c-bf6f5be821a812fe (Stand: 16.01.2014).

44 Vgl.: Schröder: Computerspiele als ein neuer Zugang zu Geschichtsthemen.

Modding als Indikator für die kreative und kritische Auseinandersetzung von Fans mit Historienspielen L UTZ S CHRÖDER

Wird danach gefragt, wie sich Spieler1 mit den von ihnen genutzten digitalen Spielen2 auseinandersetzen, findet sich in entsprechender Literatur oft die Feststellung, dass Annahmen mangels empirischer Studien noch nicht überprüft werden konnten.3 Dies trifft im Besonderen zu, wenn jene Spiele nicht gänzlich frei erfundene Narrative und Spielszenarien bieten, sondern sich explizit auf historische Ereignisse beziehen. In solchen Fällen stellt sich fast zwangsläufig die Frage, ob Geschichtsbilder vermittelt werden und wie diese beschaffen sind. Wie sich bereits während der Konferenz gezeigt hat, zu der dieser Aufsatz einen Beitrag leistet, ist die Beantwortung dieser Frage nicht nur wegen der Vielfalt an vorhandenen Spielszenarien ein hoch komplexes Unterfangen, sondern gerade auch wegen der Verortung der Spiele in der medialen Erinnerung.

1

In diesem Beitrag wird der sprachlichen Vereinfachung wegen durchgehend die männliche Form verwendet.

2

In diesem Aufsatz wird von Computerspielen gesprochen, wenn der jeweilige Titel eine entsprechende Einschränkung erfordert, etwa wenn bei Fassungen für mehrere Plattformen jene für den PC verwendet wird oder wenn PC-exklusive Eigenschaften beschrieben werden. Ansonsten wird von digitalen Spielen gesprochen.

3

Vgl. u.a.: Bender, Steffen: Virtuelles Erinnern. Kriege des 20. Jahrhunderts in Computerspielen (Histoire 23), Bielefeld: transcript 2012, S. 226; Schwarz, Angela: »Siegen ist erst der Anfang, oder: Was kommt nach der Annäherung an die Geschichte im Computerspiel?«, in: Dies. (Hg.): »Wollten Sie auch immer schon pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?« Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel (Medien'Welten 13), Münster: Lit 2010, S. 217-228; hier S. 225.

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Frei zugängliche Quellen, wie Onlineforen, Reviews und Kommentare von Nutzern bieten zwar erste Einblicke in die Rezeption, müssen insgesamt jedoch selektiv bleiben, weil unklar ist, wie groß der Anteil der Spieler ist, die sich auf diese Weise äußern. Diese Herausforderung trifft auch auf die in diesem Text diskutierten Modifikationen4 (kurz: Mods) zu, denn wegen häufig fehlender Gesamtverkaufszahlen lässt sich weder sagen, wie groß der Anteil der Spieler ist die aktiv »modden«, noch wie verbreitet die Nutzung bereitgestellter Mods ist. Allerdings unterscheiden sich Mods in einem zentralen Punkt von den anderen genannten frei zugänglichen Quellen: sie können deutlich vielseitiger sein, als bloße schriftliche oder audiovisuelle Beiträge, weil sie kollaborativ erstellt, diskutiert und überarbeitet werden. Dies führt dazu, dass entsprechende Werke nicht als einzelne Meinungsäußerung anzusehen sind, sondern vielmehr die reflektierte Sicht einer Gruppe von Spielern auf ein bestimmtes Thema widerspiegeln. Daher wird in diesem Beitrag nicht von der Annahme ausgegangen, dass Modifikationen automatisch ein Beleg für die umfassende Wahrnehmung von Geschichtsthemen in Historienspielen5 sind, wohl aber ein Indikator für eine kreative und kritische Auseinandersetzung mit ihren Inhalten sein können. Diese besondere Stellung der Mods für Historienspiele geht mit ihrer Lage an einer (Re-)Medialisierungsschnittstelle einher, an der sich sowohl Geschichtswissenschaft, Gedächtnis und Erinnerung, wie auch Wirtschaft, Konsumenteninteressen und Nutzungsverhalten treffen. Damit entstehen sowohl Mods als auch Spiele in einem Umfeld, welches nach Barbara Korte und Sylvia Paletschek eng mit der populär gewordenen medialen Aufbereitung von Geschichte der vergangenen Jahrzehnte verbunden ist.6 Die ehemals vor allem akademisch geprägten Diskurse über Themen der Vergangenheit und ihre Aufbereitung entwickelten sich entsprechend zu Massenprodukten weiter, die zu einer Veränderung bestehender Akteurskonstel-

4

Modifikationen sind von Nutzern programmierte Veränderungen an einem Spiel, die von der Korrektur von Fehlern bis zu komplett neuen Spielszenarien reichen können. Siehe Ausführungen an späterer Stelle.

5

In diesem Text verwendete Bezeichnung für digitale Spiele, die Geschichtsthemen für ihre Spielszenarien aufbereiten. Zur Typologie des Begriffs, vgl. Schwarz, Angela: »›Wollen Sie wirklich nicht weiter versuchen, diese Welt zu dominieren‹. Geschichte im Computerspiel«, in: Barbara Korte/Sylvia Paletschek (Hg.): History goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres (Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen 1), Bielefeld: transcript 2009, S. 313-hier S. 332-335.

6

Vgl. Korte Barbara/Paletschek, Sylvia: »Geschichte in populären Medien und Genres. Vom Historischem Roman zum Computerspiel«, in: Dies. (Hg.): History Goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres (Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen 1), Bielefeld: transcript 2009, S. S. 9-60.

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lationen führten. Die ehemals hierarchische Produzenten- und Konsumentenbeziehung veränderte sich gerade durch die digitalen interaktiven Medien der letzten Jahrzehnte und die mit ihnen ermöglichten Mitbestimmungsmöglichkeiten zu einem Dreieck, bei dem der aktive Nutzer7 die beiden anderen Akteure beeinflusst und von ihnen beeinflusst wird. Während jedoch im World Wide Web, bedingt durch geringe Zugangshürden und benutzerfreundliche Tools, sowohl Unternehmen und staatliche Institutionen wie auch Privatpersonen Themen präsentieren, die ihnen wichtig sind, sieht es bei Historienspielen anders aus. Bedingt durch die höheren Entwicklungskosten und vergleichsweise komplexe Software dominiert weiterhin das professionelle Entwicklerstudio als Produzent der Spiele, auch wenn weniger aufwendige Titel, etwa aus der kreativen Indie-Szene,8 sich ebenfalls feste Zielgruppen erschließen. Modifikationen lassen sich hingegen nicht nach dem zuvor genannten Schema aufteilen, weil sie, und wie noch erläutert werden wird, die Grenzen zwischen den Akteuren verschwimmen lassen. Einerseits entstehen sie aus der aktiven Auseinandersetzung mit bestehenden Spielinhalten, andererseits entsteht durch Veränderung und Ergänzung neuer Content, der wiederum von anderen Nutzern verwendet und kollaborativ weiterentwickelt wird. Da das Machbare abhängig von dem ist, was die Engine9 des modifizierten Spiels zulässt, müssen sich Modifikationsentwickler (kurz: Modder) auch mit den Gegebenheiten auseinandersetzen, die ihnen die Spielentwickler vorgeben. Die Breite an möglichen Veränderungen reicht dabei von kleinen Korrekturen bis zu »Total Conversions«, die das gesamte Spiel von Grund auf verändern, indem sie etwa Narration, Regelsystem oder Gameplay umgestalten.10 Um die Ausführun-

7

Gemeint ist ein Akteur, der sich aktiv mit angebotenen Inhalten auseinandersetzt und eigene Erzeugnisse nicht nur anderen Konsumenten zur Verfügung stellt, sondern auch die Arbeit der Produzenten beeinflusst. Erläutert wird dies an späterer Stelle bei den Ausführungen zu Modifikationen.

8

Gnade, Mike: »What Exactly is an Indie Game?«, in: The Indie Game Magazine, 15.07. 2010, URL: http://www.indiegamemag.com/what-is-an-indie-game/ (Stand: 22.05.2013).

9

Der Begriff Engine bezeichnet nach dem Lexikon des Portals spielbar.de »(…) das technische Gerüst für Computerspiele. Sie stellt Spiele-Entwicklern eine Sammlung von wichtigen Programmfunktionen zur Verfügung.«: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): »Engine«, auf: www.spielbar.de, URL: http://www.spielbar.de/neu/praxiswissencomputerspiele/lexikon/#E (Stand: 17.01.2014).

10 Vgl.: Nieborg, David B.: »Am I Mod or Not? An analysis of First Person Shooter modification

culture«,

2005,

URL:

http://www.gamespace.nl/content/DBNieborg2005_

CreativeGamers.pdf (Stand: 22.05.2013), sowie: Unger, Alexander: »Modding as Part of Game Culture«, in: Johannes Fromme/Ders. (Hg.): Computer Games and New Media

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gen anschaulich zu halten, konzentriere ich mich nach einem allgemeinen Überblick zu Modifikationen beispielhaft auf Total Conversions für die Total WarStrategiespielreihe. An diesen soll gezeigt werden, wie eine Auseinandersetzung der Modder mit den Geschichtsthemen ablaufen kann. Die Reihe bietet sich besonders an, weil sie mit der Kampagnenkarte und dem Schlachtenmodus11 nicht nur zwei unterschiedliche Spielebenen mit zahlreichen modifizierbaren Elementen bietet, sondern auch weil zahlreiche vielfältige Total Conversions vorhanden sind.

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IST EINE

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Bereits die Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes und die Frage, wann eine Modifikation zu einem vollwertigen Spiel werden kann, gestaltet sich schwierig. Eines der prominentesten Beispiele ist HALF-LIFE12, das für die Erläuterungen in diesem Abschnitt herangezogen wird, weil es neben seiner Prominenz auch sehr gut dokumentiert ist, so dass verschiedene Merkmale von Modifikationen anschaulich erläutert werden können. HALF-LIFE entstand auf Basis einer erweiterten QUAKE13-Engine und wurde damit im Gegensatz zum Nachfolger HALF-LIFE 214 nicht auf einer neu entwickelten, sondern auf einer lizenzierten Engine programmiert. Julian Kücklich bezeichnet HALF-LIFE daher als Modifikation von QUAKE.15 Diese weitgefasste Definition geht folglich davon aus, dass auch die Lizenzierung einer Engine zur kommerziellen Nutzung als Mod des Spiels gelten kann, für das die Engine ursprünglich entwickelt wurde.16

Cultures. A Handbook of Digital Games Studies, Dordrecht: Springer 2012, S. 509-523 hier S. 516-521. 11 Auf der Kampagnenkarte verwaltet der Spieler das Reich, das er zu Spielbeginn augewählt hat, während er im Schlachtenmodus die Kämpfe mit seinen Konkurrenten austrägt. Umfangreiche Einblicke in das Spielkonzept der Reihe und ihren einzelnen Teilen bietet das von Fans der Reihe erstellte Wiki: O. A.: »Wiki«, auf: totalwar.org, URL: http://forums.totalwar.org/wiki/index.php?s=29db494bb8a9e65843e89a88520003d5 (Stand: 17.01.2014). 12 HALF-LIFE (1998) (Sierra/Valve). 13 QUAKE (1996) (id Software). 14 HALF-LIFE 2 (2004) (Sierra/Valve). 15 Vgl. Kücklich, Julian: »Precarious Playbour. Modders and the Digital Games Industry«, in: The Fibreculture Journal 5 (2005), URL: http://five.fibreculturejournal.org/fcj-025precarious-playbour-modders-and-the-digital-games-industry/ (Stand: 22.05.2013). 16 Diese Position teilt auch Nieborg, vgl.: Nieborg: Am I Mod or Not.

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Gemessen am Ursprung des Quellcodes eines Spiels ist die Auffassung nachvollziehbar, so dass HALF LIFE-Entwickler Gabe Newell zu widersprechen wäre, der erklärt, dass eine eigene Engine auf Basis verschiedener Bestandteile der QUA17 18 KE- und QUAKE II -Engines entwickelt wurde. Kücklichs Ansatz stößt jedoch an seine Grenzen, wenn das auf Basis der lizenzierten Engine entstandene Spiel ebenfalls modifiziert wird, so geschehen bei COUNTER-STRIKE.19 Demnach wäre COUNTER-STRIKE eine Mod von HALF-LIFE, das wiederum eine Mod von QUAKE wäre. Da dies die von Gabe Newell beschriebenen Weiterentwicklungen nicht berücksichtigen würde, orientiere ich mich in den nachfolgenden Ausführungen an der Definition von Wagner James Au, nach der eine Mod eine »fan-made modification to a pre-existing game« sei.20 Trotz des oftmals großen zeitlichen Aufwandes, der in Modifikationen investiert wird,21 profitieren ihre Entwickler nur dann finanziell davon, wenn ihr Erzeugnis durch einen Publisher übernommen und vermarktet wird. Zwei der seltenen Fälle, in denen dies geschehen ist, sind die ehemaligen HALF-LIFE-Mods COUNTERSTRIKE und TEAM FORTRESS CLASSIC,22 die nach der Übernahme durch Valve jeweils Fortsetzungen und Erweiterungen erfahren haben. Hector Postigo und Au nennen besonders rechtliche Gründe als Ursache für die (abgesehen von Anerkennung ausbleibende) Honorierung, denn dadurch, dass Modder ihre Werke auf Basis

17 QUAKE II (1997) (Activision/id Software). 18 Zur Lizensierung der QUAKE-Engine: O. A.: »Half Life: Interview With Gabe Newell«, auf: GameSpot.co.uk, URL: http://web.archive.org/web/20010723160349/http://extra. gamespot.co.uk/pc.gamespot/features/halflife_uk/02.html (Stand: 22.05.2013). 19 COUNTER-STRIKE bekam erst mit der späteren kommerziellen Übernahme durch Valve einen Publisher, nicht jedoch bei der ersten freien Veröffentlichung. Vgl. COUNTERSTRIKE [Mod: HALF-LIFE, ab: 1999@ COUNTER-STRIKE (2000) (Valve/EA Games). 20 Au, Wagner James: »Triumph of the mod«, 2002, URL: http://www.salon.com/ 2002/04/16/modding/ (Stand: 22.05.2013), VRZLH lKQOLFK 1LHERUJ $P , 0RG RU 1RW Unger: Modding, S. 514. 21 So dauerten die Arbeiten an den im folgenden Kapitel beschriebenen Total Conversions für Spiele der TOTAL WAR-Reihe mehrere Jahre, da nach der ersten Präsentation eine langanhaltende Evaluation und Weiterentwicklung der Mods gemeinsamen mit den Nutzern stattfand. 22 Im Unterschied zu diesem war TEAM FORTRESS jedoch bereits eine populäre Modifikation für QUAKE, die zunächst an die HALF-LIFE Engine angepasst und später von Valve übernommen wurde. Vgl.: Planet Fortress (Hg.): »The TFC Survival Guide: Introduction. What is TFC?«, URL: http://www.planetfortress.com/tfc/guide/introduction.shtml (Stand:   TEAM FORTRESS [Mod: HALF-LIFE, ab: 1996] TEAM FORTRESS CLASSIC (1999) (Valve/Sierra).

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bestehender Spielinhalte entwickeln, verwenden sie urheberrechtlich geschütztes Material eines Spiels, wie Texturen, Soundeffekte und 3D-Objekte.23 Auch wenn Publisher von Spielen durch vielfältige Modifikationen profitieren24 und durch die Bereitstellung offizieller Tools, sogenannter Software Development Kits (kurz: SDKs) sogar zur Veränderung ihrer Produkte anregen, so sind sie letztlich diejenigen, welche die Rechte am Spiel und seinen Bestandteilen innehaben. Befürworten Entwickler und Publisher das Thema Modding, werden SDKs meist mit dem Spiel ausgeliefert bzw. nachgereicht, so geschehen bei den populären UnrealEd für die verschiedenen UNREAL25-Engines, GtkRadiant für die Engine von QUAKE III ARENA26, Hammer SDK für Valves‘ Source Engine oder G.E.C.K.27 für FALLOUT 3 und FALLOUT: NEW VEGAS28. Fehlen SDKs oder entsprechen vorhandene nicht den Bedürfnissen der Nutzer, gibt es mit dem von Brian Morris entwickelten WorldCraft29 oder QuArK30 von Armin Rigo auch Beispiele für SDKs, die unabhängig entwickelt wurden. Auch finden sich neben vollwertigen SDKs eine Reihe von Tools, die beim Modifizieren helfen, sich jedoch auf bestimmte Funktionen beschränken, wie das Entpacken von Spieldateien für ihre spätere Verwendung im Rahmen des Moddings.

23 Ebd., sowie Postigo, Hector: »Of Mods and Modders. Chasing Down the Value of FanBased Digital Game Modifications«, in: Games and Culture 2,4 (2007), S. 300-313; hier S. 311. Explizit benannt wird dies bei BLACK MESA [Mod (SOURCE ENGINE): HALF-LIFE 2, ab: 2012], einem Fan-Remake von HALF-LIFE auf Basis der Source Engine von HALFLIFE 2: O. A.: »General FAQ: How much does Black Mesa cost?«, URL: http://wiki. blackmesasource.com/General_FAQ#How_much_does_Black_Mesa_cost.3F

(Stand:

22.05.2013). 24 Vgl.: Kücklich: Precarious Playbour; Postigo: Of Mods and Modders, S. 302-308, sowie im folgenden Unterkapitel. 25 UNREAL (1998) (Epic Mega Games/Digital Extremes/GT Interactive). 26 QUAKE III ARENA (1999) (Activision/id Software). 27 Abkürzung für Garden Eden Creation Kit, siehe: O. A.: »G. E.C.K.«, URL: http://geck. bethsoft.com/index.php/Main_Page (Stand: 22.05.2013). 28 FALLOUT 3 (2008) (Bethesda Softworks/Bethesda Game Studios); FALLOUT NEW VEGAS (2010) (Bethesda Softworks/Obsidian Entertainment). 29 Au: Triumph of the mod. 30 Abkürzung für Quake Army Knife, ein Open Source-SDK für zahlreiche Engines, darunter jene von QUAKE, HALF-LIFE, CALL OF DUTY (2003) (Infinity Ward/Activision/Mediaquest/Aspyr). MEDAL OF HONOR: ALLIED ASSAULT (2002) (Electronic Arts/2015), und PORTAL (2007) (Buka Entertainment/Valve). Vgl.: O. A.: »The Official QuArK Website«, URL: http://quark.sourceforge.net (Stand: 22.05.2013).

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Die Entwicklung eigener SDKs deutet bereits an, dass es Spieler gibt, die sich nicht damit zufrieden geben, lediglich das Produkt zu nutzen, das ihnen verkauft wurde. Stattdessen nutzen sie mit der Offenheit des Codes einen Aspekt, der spezifisch für digitale Spiele ist. Im Gegensatz zu klassischen audiovisuellen Medien, wie Büchern und Filmen, können in Spielen nicht nur bestehende Inhalte neu arrangiert, sondern auch von Grund auf umgeschrieben werden. Während damit im Fall der Total Conversions bisweilen neue Spiele entstehen, bleiben bestimmte zentrale Elemente, wie etwa die Perspektive auf das Geschehen, die Steuerung oder das generelle Gameplay31 häufig erhalten. Damit können Spieler weiterhin auf ihr Vorwissen zum Ursprungsspiel aufbauen, über die Mod gleichzeitig jedoch etwas Neues erleben. Der Aufbau auf Bekanntem ist jedoch nur ein Teil der Vielseitigkeit, der mit dem Phänomen Modding einhergeht. Kücklich hat daneben noch vier weitere Aspekte identifiziert, die zeigen wie sehr Nieborgs Beschreibung des Modifizierens als einer »collaborative culture«32 zutrifft. Für die Entwicklung und Nutzung von Mods sei meist der Besitz des Spiels notwendig, für das die Mods entwickelt wurden. Dies fördere nicht nur die Verkäufe, sondern verlängere auch das »shelf-life«, also den Zeitraum, zu dem ein Spiel im Handel zum vollen Preis verkauft werden kann, bevor die Phase der Veröffentlichung günstiger Fassungen beginnt.33 Von beidem profitieren in erster Linie Handel und Publisher, auch wenn für die Entwickler der Spiele ebenfalls Rückschlüsse möglich sind, welche Spielkonzepte besonders populär sind und sich damit womöglich für künftige Veröffentlichung eignen könnten. Dies liege viertens daran, so Kücklich mit Bezug auf Postigo weiter, dass Mods als wichtige Quelle für Innovationen in der Spielebranche dienten, weil sie durch Nutzung und anschließendes Feedback in den aktiven Communities im Netz als eine Art »test market«34 fungierten, auf dem neue Spielkonzepte erprobt werden konnten. Dies minimiere das Risiko kostspieliger Fehlinvestition bei der Spielentwicklung und senke zudem die Marketingkosten, wenn ein Spielkonzept bereits

31 Gemeint ist hier etwa der Einsatz von Truppen nach vorheriger Ausbildung oder der Aufbau von Produktionsbetrieben. 32 Nieborg: Am I Mod or Not. 33 Vgl.: Kücklich: Precarious Playbour. Auch die günstigeren Fassungen sind wegen der Inhaltsgleichheit modifizierbar, erscheinen jedoch erst, wenn die Verkäufe deutlich zurückgegangen sind. 34 Kücklich: Precarious Playbour.

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unter Spielern bekannt sei und dadurch weniger erklärt werden müsse.35 Schließlich entfalle auch die Notwendigkeit der Weiterbildung von Mitarbeitern, wenn Spielentwickler aus der Modding Community rekrutiert würden, denn diese »produces highly trained programmers, 3D-artists and animators«,36 die durch die Arbeit an Mods bereits mit gängigen Programmen vertraut seien. Während Kücklich durch die Ausrichtung seines Beitrags gerade Bezugspunkte zwischen Spielindustrie und Moddern beschreibt, wird jedoch auch deutlich, dass die genannten Vorteile für die Enwicklerstudios erst daraus entstehen, dass sich Nutzer kreativ mit den Spielinhalten und -mechaniken auseinandersetzen. Die Aneignung der dafür notwendigen Kenntnisse erfolgt teils autodidaktisch, teils über die sehr umfangreichen Dokumentationen, die von der Modding-Community erstellt wurden. Werden entsprechende Portale, wie der Mod »Workshop« zu MEDIVAL II: TO37 TAL WAR und der dazugehörigen Erweiterung KINGDOMS aufgerufen, erhält der Besucher umfangreiche Anleitungen, Tutorials und individuelle Ratschläge, die ihm dabei helfen seine Ideen erfolgreich umzusetzen, sofern dies technisch möglich ist. In den verschiedenen Unterforen des »Workshops« finden sich insgesamt 15.438 Diskussionsthemen mit 126.444 Beiträgen mit Hilfen in Schrift-, Bild-, und Videoform. Damit können Interessierte bereits eine enorme Zahl an Hilfen abrufen, auch ohne eigene Fragen zu stellen. Wird der MEDIEVAL II-»Workshop« jedoch mit dem »Empire Workshop« zu EMPIRE: TOTAL WAR38 verglichen, so fällt auf, dass sich in diesem mit 3.425 Themen und 33.683 Beiträgen39 nicht einmal 30% der Aktivität findet, die bei den zwei bzw. drei Jahre älteren Titeln vorhanden ist. Die Gründe lassen sich nicht allein auf das höhere Alter von MEDIEVAL II zurückführen, denn während dieser Teil der Reihe zwar älter ist, war EMPIRE der bislang mit Abstand erfolgreichste40 und hätte demnach eine größere Zahl an Spielern

35 Ebd., sowie: Postigo, Hector: »From Pong to Planet Quake. Post-Industrial Transitions from Leisure to Work«, in: Information, Communication, and Society, 6,4 (2003), S. 593607. 36 Kücklich: Precarious Playbour. 37 O. A.: »Forum. Medieval II: Total War. Medieval II Mod Workshop«, URL: http:// www.twcenter.net/forums/forumdisplay.php?272-Mod-Workshop (Stand: 17.01.2014); MEDIEVAL II: TOTAL WAR (2006) (Creative Assembly/Sega); MEDIEVAL II: TOTAL WAR – KINGDOMS (2007) (Creative Assembly/Sega). 38 EMPIRE: TOTAL WAR (2009) (Creative Assembly/Sega). 39 Alle Werte: Stand: 03.05.2013. 40 Konkrete Verkaufszahlen seit der Veröffentlichung ließen sich nicht ermitteln. Laut Wikipedia gibt der in Japanisch erschienene Jahresbericht des Publishers Sega die Verkaufszahlen für den Zeitraum März (Veröffentlichung) bis September 2009 mit 810.000 Einheiten an. Dies ließ sich jedoch mangels Sprachkenntnissen nicht verifizie-

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und potentiellen Moddern hervorbringen können. Selbst wenn eine gewisse Redundanz bei den besprochenen Themen angenommen wird, dürfte der eigentliche Grund für diesen sehr unterschiedlichen Grad der Beteiligung in der eingebauten und damit erleichterten Modifizierbarkeit des älteren Titels liegen.41 Da diese bei Empire fehlte, bei MEDIEVAL II jedoch in KINGDOMS mit einem SDK nachgereicht worden war,42 ist dies eine Erklärung für den großen Unterschied bei Themen, Beiträgen und programmierten Modifikationen. Da Letztere bedingt durch die dezentrale Veröffentlichung und regelmäßige Neuentwicklungen wohl nie komplett erfasst werden können, beschränke ich mich an dieser Stelle auf die meistbesuchte Seite, das Total War Center, das als Portal für die Diskussion aller Titel der Reihe dient. Dort sind für MEDIEVAL II und KINGDOMS insgesamt 54 fertige Modifikationen, sowie 21 weitere in der Entwicklung befindliche Projekte gelistet,43 was insoweit bemerkenswert ist, weil die Veröffentlichung bereits über sechs Jahre zurück liegt. Die thematische Bandbreite der Mods umfasst sowohl bloße Veränderungen des ursprünglichen Spiels bei Beibehaltung des Settings im europäischen Mittelalter, wie auch weitere historische Szenarien etwa zur Antike, Früher Neuzeit und Ostasien. Auch fiktionale Szenarien mit Anlehnung an bekannte Fantasy-Literatur, da-

ren. Vgl.: O. A. »Empire: Total War« , in: Wikipedia: The Free Encylopedia: Wikimedia Foundation Inc., URL: http://en.wikipedia.org/wiki/Empire:_Total_War (Stand: 22.05. 2013). Das englische Branchenmagazin MCV gibt zudem an, dass von EMPIRE: TOTAL WAR in der ersten Woche etwa doppelt so viele Einheiten verkauft worden sind, wie von den unmittelbaren Vorgängern ROME und MEDIEVAL II, vgl.: Parfitt, Ben: »Empire Total War smashes series’ records«, in: MCV. The Market for Computer & Video Games (10. März

2009),

URL:

http://www.mcvuk.com/news/read/

retail-biz-empire-total-war-

smashes-series-records (Stand: 22.05.2013). 41 Craig Laycock, einer der Entwickler der jüngsten Teile der TOTAL WAR-Reihe äußerte sich hierzu und erklärte dabei die technischen Unterschiede von EMPIRE und NAPOLEON zu ROME. Vgl. Laycock, Craig: »Official CA comment – Total War. The modding situation« (30. Juni 2011), URL: http://www.twcenter.net/forums/showthread.php? 463622-Official-CA-comment-Total-War-The-modding-situation (Stand: 22.05.2013). 42 Vgl. The Creative Assembly (Hg.): Handbuch Medieval II: Total War – Kingdoms, o. O., 2007, S. 5. http://steampowered.com/Manuals/4780/manual_en.pdf (Stand: 01.03.2014). 43 Vgl.: O. A.: »Forum. Medieval II: Total War. Medieval II Hosted Modifications«, URL: http://www.twcenter.net/forums/forumdisplay.php?211-Medieval-II-HostedModifications (Stand: 22.05.2013); O. A.: »Forum. Medieval II: Total War. Kingdoms: Hosted Modifications,« URL: http://www.twcenter.net/forums/forumdisplay.php?556Kingdoms-Hosted-Modifications (Stand: 22.05.2013).

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runter HERR DER RINGE und GAME OF THRONES, sowie solche mit Entlehnungen aus anderen digitalen Spielen wie THE LEGEND OF ZELDA sind abrufbar. In der entsprechenden Auflistung für EMPIRE finden sich hingegen lediglich 12 fertige und eine in der Entwicklung befindliche Modifikation. Alle diese Mods greifen dabei Szenarien aus dem 18. bis frühen 20. Jahrhundert auf, die sich ohne die grundlegende Veränderung des Ursprungsspiels herstellen ließen. Damit fehlen für EMPIRE auch vier Jahre nach dessen Veröffentlichung noch Mods, die sich grundlegend vom Ursprungsspiel unterscheiden, wie etwa die Herr der Ringe-Mod THIRD AGE: TOTAL WAR44 für KINGDOMS, das neben Truppen aus Mittelerde auch eine neue Kampagnenkarte des fiktiven Landes bietet.45 Bedingt durch die beschriebenen Grenzen der Engine von EMPIRE46 sind dort hingegen vor allem Anpassungen von Details möglich, wie dem Verhalten einer militärischen Einheit im Kampf, ihr Aussehen, Bewegungsanimationen, sowie grundlegende Parameter von Wirtschaft und Diplomatie. Ein vielseitiges SDK von Seiten des Entwicklerstudios The Creative Assembly, das auch die Entwicklung neuer Spiele wie im Fall von HALF-LIFE ermöglichen würde, fehlte für EMPIRE jedoch. Trotz gewisser Einschränkungen sind von den Moddern dennoch zahlreiche teils sehr umfangreiche Total Conversions erstellt worden, die sich auffällig häufig auf konkrete historische Ereignisse oder Zeiträume beziehen und nicht nur vorgeben allgemeine Vorstellungen »der Antike« oder »des Mittelalters« wiederzugeben. Beispiele für entsprechende Moddingprojekte wären AMERICAN CIVIL WAR – THE BLUE AND THE GREY, AMERICAN REVOLUTION MOD und BRITISH EAST INDIA COMPANY – THE INDIAN MUTINY für EMPIRE47 oder 1648 – THIRTY YEARS OF WAR und DAS HEILIGE RÖMISCHE REICH für KINGDOMS.48 Unabhängig vom jeweiligen Zeitraum deuten entsprechende Mods darauf hin, dass es bestimmte historische Themen gibt, welche die Modder gerne in einem Spiel thematisiert sehen würden, jedoch bislang keines fanden, dass ihren Interessen ent-

44 THIRD AGE: TOTAL WAR [Mod: MEDIEVAL II: TOTAL WAR – KINGDOMS, ab: 2009]. 45 Eine sehr umfangreiche Analyse der Eigenschaften der Kampagnenkarte und der Versuche der Modding-Community von EMPIRE, Veränderungen vorzunehmen, findet sich unter: O. A.: »Guide to the ETW map«, URL: http://www.twcenter.net/forums/show thread.php?355187-Guide-to-the-ETW-map&highlight=Guide+to+the+ETW+map (Stand: 22.05.2013). 46 Vgl. Anm. 41. 47 AMERICAN CIVIL WAR – THE BLUE AND THE GREY [Mod: EMPIRE: TOTAL WAR, Proj.]; AMERICAN REVOLUTION [Mod: EMPIRE: TOTAL WAR, Proj.]; BRITISH EAST INDIA COMPANY – THE INDIAN MUTINY [Mod: EMPIRE: TOTAL WAR, Proj.].

48 1648 – THIRTY YEARS OF WAR [Mod: MEDIEVAL II: TOTAL WAR – KINGDOMS, Proj.]; DAS HEILIGE RÖMISCHE REICH [Mod: MEDIEVAL II: TOTAL WAR – KINGDOMS, Proj.].

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sprach. Dementsprechend kann die oft Jahre dauernde und mit tiefgreifenden Eingriffen in die Spielmechanik verbundene Arbeit49 als ein Indikator für die Auseinandersetzung mit den in den Spielen präsentierten Geschichtsthemen interpretiert werden: die Mod-Entwickler warten nicht auf kommerzielle Angebote zu bestimmten Szenarien, sondern entwickeln diese kurzerhand selbst, indem sie ihre Möglichkeiten auf kreative Weise nutzen. Dies trifft im Besonderen zu, wenn sich die Entwickler der Mods nicht darauf beschränken Themen nachzubilden, die sich bedingt durch Gemeinsamkeiten mit dem ursprünglichen Spiel vergleichsweise leicht reproduzieren lassen. Werden etwa das Hochmittelalter auf Basis von ROME: TOTAL WAR50 oder die Napoleonischen Kriege auf Basis von MEDIEVAL und ROME51 nachgestellt, so ist ein erheblicher Mehraufwand notwendig, weil besagte Spiele in Zeiträumen angesiedelt sind, die sich von den in den Mods thematisierten grundlegend unterscheiden. Da beispielsweise in ROME und MEDIEVAL nicht nur Modelle von mit Musketen und Kanonen kämpfenden Soldaten fehlen, sondern auch entsprechende Animationen ihrer Verwendung im Kampf, passende Schussgeräusche, Uniformtexturen, wie auch zeitgenössische Formationen und Taktiken, reicht es nicht aus bestehende Spielelemente anzupassen, was bei EMPIRE oder NAPOLEON: TOTAL WAR52 bedingt durch ein entsprechend zeitnahes Setting im 18. oder frühen 19. Jahrhundert möglich wäre. Vielmehr müssen alle genannten und noch zahlreiche weitere Elemente neu programmiert werden, damit zumindest die Grundlage für die Nachbildung entsprechender Schlachten vorhanden ist. Zwar helfen entsprechende SDKs hierbei, jedoch ist weiterhin ein hoher Zeiteinsatz notwendig, um die neuen Elemente zu programmieren und anschließend ausgiebig im Spiel zu testen, damit nicht nur Ansprüchen einer akkuraten audiovisuellen Nachbildung genüge getan werden kann, sondern die Änderungen auch im Spiel selbst funktionieren. Hier hilft gerade die Nutzung der Mods durch die in den Foren aktiven Spieler, die durch ihr Feedback dazu beitragen, dass verschiedene Sichtweisen nicht nur diskutiert, sondern auch bei der fortlaufenden Entwicklung der Mods berücksichtigt werden, was den beschriebenen

49 Eine Analyse des Arbeitseinsatz in: Postigo: Of Mods and Modders. 50 CHIVALRY I TOTAL WAR [Mod: ROME: TOTAL WAR, ab: 2008], vgl. O. A.: »Chivalry Total War (ChivTW)«, URL: http://www.twcenter.net/forums/forumdisplay.php?58Chivalry-Total-War-%28ChivTW%29 (Stand: 22.05.2013). 51 NAPOLEONIC TOTAL WAR 1 [Mod: MEDIEVAL: TOTAL WAR – VIKING INVASION, ab: 2005] und NAPOLEONIC TOTAL WAR 2 [Mod: ROME: TOTAL WAR, ab: 2008]; NAPOLEONIC

TOTAL WAR 3 [Mod: NAPOLEON: TOTAL WAR, ab: 2010] veränderte erstmals De-

tails der bestehenden Kampagnenkarte. Vgl.: O. A.: »The Lordz Modding Collective «, URL: http://www.thelordz.org (Stand: 22.05.2013). 52 NAPOLEON: TOTAL WAR (2010) (Creative Assembly/Sega).

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kollaborativen Charakter weiter unterstreicht. Auch die Veröffentlichung von Fortsetzungen der TOTAL WAR-Reihe, die zuvor lediglich in Mods vorkommende Szenarien aufgreifen, ist von großer Bedeutung, weil dadurch Vergleiche zwischen den professionellen Produktionen und den Mods möglich werden.53 Während der Umgang mit den Geschichtsthemen bislang in der Forschung vor allem an Hand der Historienspiele untersucht wurde, erlauben Mods mit einem historischen Setting wichtige Einblicke in den kreativen und kritischen Umgang der Nutzer mit den Spielen sowie in etwaige Interessen bei der Simulation der Vergangenheit. Die von den Moddern formulierten Ansprüche an die eigenen Leistungen und angestrebte Ziele bei den zuvor genannten Beispielen erlauben hierbei erste Einblicke, weil sie von den Entwicklern selbst formuliert worden sind und nicht in Reviews oder Ähnlichem von Dritten impliziert wurden. Ein Vergleich einiger Beispiele offenbart einen bemerkenswert ähnlichen Anspruch: die historisch korrekte Reproduktion der jeweiligen Geschichtsbezüge. Entsprechende Aussagen finden sich sowohl bei NAPOLEONIC TOTAL WAR, EUROPEAN WARS54 und THE GREAT WAR55:56 »[W]e strived to provide the most historically accurate multiplayer experience we could given the limitations of the tools/engine available to us.«57 ª$OOXQLWVZLOOEHKLVWRULFDO « PDQ\KLVWRULFDOEDWWOHVIURPZDUV*UHDW1RUWKHUQ:DU Spanish Succesian War, Seven Years War, American War of Independence, French Revolution and Napoleonic Wars.«58 »It aims to create an authentic representation of World War I-era formations, tactics, strategies and general warfare.«59

53 Ein Beispiel wären die ersten beiden Teile des Mod-Projekts NAPOLEONIC TOTAL WAR, die vor Erscheinen von NAPOLEON: TOTAL WAR bereitgestellt worden sind. 54 EUROPEAN WARS [Mod: ROME: TOTAL WAR, ab: 2009]. 55 THE GREAT WAR [Mod: NAPOLEON: TOTAL WAR, ab: 2010]. 56 Die folgenden Zitate wurden im Original belassen, ohne die Orthografie zu korrigieren. 57 O. A.: The Lordz Modding Collective, Beschreibung zu den NAPOLEONIC TOTAL WARModifikationen. 58 O. A.: »European Wars: General Discussion«, URL: http://www.twcenter.net/forums/ showthread.php?130394-EUROPEAN-WARS-GENERAL-DISCUSSION (Stand: 22.05. 2013). 59 O. A.: »The Great War. Patch 4.6 Download & Information«, URL: http://www.tw center.net/forums/showthread.php?455480-The-Great-War-Patch-4-6-DOWNLOADamp-Information&p=9657395#post9657395 (Stand: 22.05.2013).

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Diese ähnlichen Ansprüche deuten auf drei zentrale Punkte hin. Erstens sind sich die jeweiligen Mod-Teams offenbar Defiziten bei den historischen Darstellungen in digitalen Spielen bewusst. Dies setzt nicht nur eine kritische Betrachtung der Spiele, sondern auch Kenntnisse zur Vergangenheit voraus, die den Spielinhalten gegenüber gestellt werden können. Zweitens unterstreicht die ausführliche Dokumentation des Projektfortschritts,60 wie auch die Hervorhebung der Ziele und Ansprüche Nieborgs Ansatz der collaborative culture, da entsprechende Angaben weniger der bloßen Werbung als vielmehr der transparenten Erläuterung von Veränderungen einer Mod dienen. Damit wird Nutzern neben der gezielten Auseinandersetzung mit den Neuerungen auch ermöglicht, über ihr Feedback an der Entstehung der Mod mitzuwirken. Drittens erlauben jene Aussagen auch Rückschlüsse auf die Wahrnehmung von Geschichte in Spielen generell, denn durch die Möglichkeit neue Spielszenarien zu entwickeln bzw. bestehende nach eigenen Vorstellungen zu verändern, wird den Spielern die Chance geboten Themen spielerisch aufzubereiten, die es bisher nicht gab. Dies setzt nicht nur eigene thematische Vorlieben und Wünsche voraus, sondern auch Vorstellungen von einer angemessenen Aufbereitung eines Themas. Erlaubt ein SDK deren Umsetzung, so liegt die Annahme nahe, dass bei entsprechender Motivation auch Mods entstehen.61 Diese drei Punkte finden sich auch in Mods der TOTAL WAR-Reihe wieder, die keine neuen Szenarien entwickeln, sondern die bestehenden Spiele selbst verändern. In entsprechenden Mods nehmen die Programmierer die Rolle eines Korrektivs ein, das sich Fehlern in der Darstellung von spezifischen Details bewusst ist und sie per Modifikation beseitigen möchte. So heißt es in den Zielen von DAR62 THMOD EMPIRE , einer Mod für EMPIRE: TOTAL WAR:

60 Ein anschauliches Beispiel sind die Changelogs zur Total Conversion DARTHMOD EMPIRE,

einer Mod, die nicht nur über eine Zeitraum von vier Jahren konstant weiterentwi-

ckelt wurde, sondern auch die gemessen an den Diskussionsbeiträgen populärste für EMPIRE:

TOTAL WAR ist und deren Entwicklung in mehreren Changelogs sehr umfangreich

dokumentiert wurde. Zum umfangreichsten Changelog: O. A.: »DarthMod Empire Changelog (The old archive)«, URL: http://www.twcenter.net/forums/showthread.php? 430213-DarthMod-Empire-Changelog-%28The-old-archive%29 (Stand: 22.05.2013). 61 Im Fall von militärischen Themen besitzen Mods durch ihre Konzentration auf ausgewählte Details eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit verschiedenen Formen der spielerischen Konfliktsimulation, wie sie über die Jahrhunderte immer wieder aufkamen und mit Reiswitzǥ Kriegsspiel einen bekannten Vertreter aus dem deutschen Raum haben. Vgl. den Beitrag von Malte Stamm. 62 DARTHMOD EMPIRE [Mod: EMPIRE: TOTAL WAR, ab: 2009].

154 | L UTZ S CHRÖDER »The DarthMod series of Mods strikes back to destroy all gameplay inconsistencies of the original game and offer you better AI, realistic battles and unequaled challenge.«63

Auch zu CLOUDS ACROSS EUROPE64, einer Mod für MEDIEVAL II (mtw2) finden sich ähnliche Aussagen: »Note that the basic aim of the mod is to enhance mtw2 by adding new factions, units, textures, guids, missions etc. And also realism and historical accuracy are the other most important goals of the mod.«65

Die zentrale Herausforderung beim Ergänzen neuer Reiche und Einheiten, wie auch der Veränderung der Spielparameter ergibt sich daraus, dass sie in Konkurrenz zu bestehenden Inhalten treten. Die Anforderung an entsprechende Vorhaben liegt also darin die Spielbalance nicht zu zerstören und das Spiel damit unspielbar oder gänzlich frei von Herausforderungen zu machen. Wird etwa ein neuer Typ Ritter hinzugefügt, der in der Lage ist, alle Gegner ohne größere Verluste niederzureiten, so wäre die historische Genauigkeit von MEDIEVAL II in diesem Punkt zwar verbessert, wenn jene Ritter über Quellen einwandfrei nachgewiesen sind, gleichzeitig würden sich diese Ritter jedoch als derart dominant erweisen, dass alle Schlachten mit ihnen leicht gewonnen werden könnten. Gleiches gilt auch für wirtschaftliche Parameter des Spiels. Wird eine Mine so modifiziert, dass das von ihr generierte Einkommen massiv ansteigt, kann auch dies historisch korrekt und realistisch sein, aber gleichzeitig würde damit die Spielbalance geschädigt, weil das Einkommen eines der zentralen ludologischen Elemente ist, dass durch seine Begrenztheit Spielhandlungen reguliert und Planungen erforderlich macht.66 Weitere Herausforderungen für die Modifikation zur TOTAL WAR-Reihe ergeben sich aus der sehr langen Spieldauer. So kann eine Kampagne in TOTAL WAR:

63 O. A.: »Thema: DarthMod Empire«, URL: http://www.twcenter.net/forums/forumdis play.php?1126-DarthMod-Empire (Stand: 22.05.2013). 64 CLOUDS ACROSS EUROPE [Mod: MEDIEVAL II: TOTAL WAR, ab: 2007]. 65 O. A.: »Thema: Clouds Across Europe Mod Info«, URL: http://www.twcenter.net/ forums/showthread.php?87614-Clouds-Across-Europe-Mod-Info (Stand: 22.05.2013). 66 Ausführlich dazu mein Beitrag im englischsprachigen Tagungsband, in dem ich mich mit der Bedeutung des Geldes in EMPIRE: TOTAL WAR befasse. Vgl. Schröder, Lutz: »Research the Spinning Jenny, Gain +8% Wealth by Textile Industries: The Transformation of Historical Technologies into the Virtual World of Empire: Total War«, in: Florian Kerschbaumer/Tobias Winnerling (Hg.): Early Modernity and Video Games, Newcastleupon-Tyne: Cambridge Scholars Publishing 2014, S. 76-90.

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SHOGUN 267 durchaus über 100, in EMPIRE: TOTAL WAR gar über 160 Stunden dauern – in einer unmodifizierten Fassung.68 Da sich die auf der Kampagnenkarte aktiven Reiche während der gesamten Spielzeit dynamisch entwickeln, haben scheinbar kleine Veränderungen, wie das durch Minen erwirtschaftete Einkommen mitunter weitreichende Folgen. Muss der Spieler ohne Mod mehrere Spieljahre sparen, um sich Investitionen leisten zu können, erlaubt beispielsweise ein durch Mods erhöhtes Startkapital sofortige Investitionen in Wirtschaft und Handel, die ihrerseits das regelmäßige Einkommen verbessern. Dadurch wäre nicht nur die begrenzte Zahl der möglichen Ausbauten69 schnell erreicht, sondern auch das regelmäßige Einkommen so angestiegen, das keine Abwägungen mehr notwendig wären und das Gameplay nur noch aus dem Austragen von Schlachten bestünde.70 Neben diesen mittel- bis langfristigen wirtschaftlichen Spielparametern stellen auch Anpassungen der militärischen Einheiten Herausforderungen an die Spielbalance. Hier sind es jedoch Fertigkeiten, wie Angriffs- und Verteidigungsstärke, Schussgenauigkeit, Moral oder die Zahl der Soldaten je Einheit, die den Ausgang einer Schlacht beeinflussen und dazu führen, dass eine ursprüngliche Balance zwischen Herausforderung und Spielspaß verloren gehen kann, sofern sie nicht ausgiebig getestet und gegebenenfalls nachjustiert werden.

67 Mit der Veröffentlichung von TOTAL WAR: SHOGUN 2 (2011) (Creative Assembly/Sega) wurde Namen und Reihentitel getauscht. 68 Erhebung über die protokollarische Dokumentation der Spielzeiten im längsten Spielmodus »Große Kampagne« im Zuge meiner Doktorarbeit. Wie sich die Spieldauer durch Modifikation verändert, lässt sich nicht pauschal schätzen. Senken Mods wie DARTHMOD

die Schussgenauigkeit über größere Entfernungen, dauern Schlachten automa-

tisch länger, weil Armeen entsprechend später in Folge von Verlusten fliehen, was die Schlachten der TOTAL WAR-Reihe klassisch beendet. 69 Alle Gebäudetypen, z.B. Kasernen, Fabriken, etc., können mehrmals ausgebaut werden. Je besser die Ausbaustufe, desto größer die Vorteile, aber auch umso höher die Baukosten. 70 Dies konnte bei einer EMPIRE-Kampagne mit installiertem DARTHMOD EMPIRE ULTIMATE

COMMANDER 7.0 [MOD: EMPIRE: TOTAL WAR, ab: 2011], einer Variante von

DARTHMOD EMPIRE, beobachtet werden, in der bereits nach einem Viertel der regulären Spielzeit alle Gebäude errichtet worden waren. Damit konnte das gesamte Einkommen für das Militär aufgewandt werden, das in Folge gewaltiger Armeen schnell übermächtig wurde, da die computergesteuerten Gegner ihre neuen Möglichkeiten nicht im gleichen Maße nutzten.

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F AZIT Wie deutlich geworden ist, sind die Möglichkeiten des Modifizierens von Spielen sehr vielseitig Auch wenn die Modder durch SDKs, egal ob mitgeliefert oder selbst programmiert, mächtige Mittel zur Verfügung haben, um ihre Ideen umzusetzen, so bleiben grundlegende Eigenschaften des Gameplays meist bestehen. Dies führt dazu, dass die Arbeiten an Mods nicht nur davon geprägt sind, welche Veränderungen sich Modder vorstellen können, sondern mindestens ebenso stark was technisch umsetzbar ist. Gleichwohl sind die Möglichkeiten, in digitalen Spielen neue Inhalte zu erstellen, im Vergleich zu anderen Medien enorm und bieten Nutzern die Möglichkeit, eigene Ideen zu verwirklichen und einer weltweiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Dennoch hat die Wissenschaft bislang kaum Notiz von Mods genommen. Dies hat zur Folge, dass weder methodische Fragen, wie die Entwicklung einer fundierten Typologie oder Vorgehensweisen zur ihrer Analyse, noch übergeordnete Fragen nach Auswirkungen dieser Form der Nutzerbeteiligung auf die Spielkultur näher behandelt worden sind. Wie deutlich geworden ist und auch durch erste Literaturbeiträge bestätigt wurde, sind diese Aspekte jedoch nicht nur zentraler Teil der Modding-Kultur, sondern bieten zudem auch weitreichende Einblicke in die Ansprüche und Interessen, die sich hinter den Mods verbergen. Im Fall der TOTAL WAR-Reihe geben viele Projekte an, Realismus und historische Genauigkeit zu verbessern, was einen kritischen Blick auf die Spiele voraussetzt. Technisch gesehen bedeutet Modding jedoch lediglich die Veränderung bestehender oder die Erzeugung neuer Spielparameter und -elemente, wodurch Modder zwar die Möglichkeit haben, wahrgenommene Fehler zu korrigieren, jedoch nicht zwangsläufig historisch akkurate Darstellungen erzeugen. Vielmehr ist es die Manipulationen der auf ausgewählte Details eingeengten Balance zwischen historischer Genauigkeit, Herausforderung und Spielspaß,71 die Modder hinterfragen und die sie durch ihre Arbeit in Richtung der Erstgenannten zu verschieben glauben. Bereits durch die Veränderung des bekannten Gameplays entsteht damit ein Kontext für den Spieler, der ihm Unterschiede zwischen unmodifizierter und modifizierter Version deutlich macht und eine Reihe von Fragen erlaubt. Zu nennen sind neben Veränderungen bei Spielbarkeit und Spielspaß, die beide direkt mit der Mo-

71 Vgl. Butts, Steve: »Empire: Total War – The Post-Mortem. Two weeks after its release, Creative Assembly talks about the development and reception of its latest game« (13. März 2009), URL: http://uk.pc.ign.com/articles/962/962469p1.html (Stand: 22.05.2013). Es handelt sich um ein Interview zwischen Kieran Brigdan (Communications Manager The Creative Assambly) und IGN über die Balance zwischen historischer Genauigkeit und Spielspaß.

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difikation zusammenhängen, gerade auch die Hintergründe, welche die Entstehung der Modifikation veranlasst haben. Durch die umfangreichen Dokumentationen der Entstehungsgeschichte kann der Spieler nicht nur nachvollziehen welche Entwicklungsschritte die Mods durchlaufen haben, sondern auch welche Ansprüche die Programmierer an ihre Werke stellen. Hier ist es neben den Nutzern der Mod auch an der Wissenschaft zu entscheiden, ob ein etwaiger Anspruch nach gesteigertem Realismus oder historischer Genauigkeit berechtigterweise erhoben kann oder ob dies lediglich Schlagworte bleiben. Unabhängig vom gewählten Schwerpunkt profitiert die Wissenschaft auf jeden Fall davon, wenn sie sich Modifikationen intensiv widmet, weil sie durch das Nachvollziehen der vorgenommenen Veränderungen Einblicke erhält, auf welche Quellen sich Modder bei ihren Projekten stützen und welches Verständnis sie von Begriffen wie historischer Genauigkeit und Realismus haben. Die Diskussionen zu den Mods erlauben daher auch Einblicke in das Geschichtsverständnis der Spieler. Zentrieren sich Fragen etwa bevorzugt um die Darstellung und Eigenschaften von Militaria, wie Reichweite oder Schussgenauigkeit von Waffen, so muss dies noch nicht bedeuten, dass die Nutzer allesamt Militaristen ohne ein über Technik hinausgehendes Geschichtsbewusstsein sind. Hier bedarf es vielmehr einer genauen Unterscheidung zwischen dem Bewusstsein der Vergangenheit und dem, was im Spiel dargestellt werden kann. Fehlen gesellschaftliche, politische oder soziale Perspektiven in den Diskussionen, so kann dies auch bedeuten, dass Spieler lediglich die über die Engine darstellbaren Inhalte diskutieren. Es kann also festgestellt werden, dass Modifikationen durch ihre Vielfältigkeit zu einer enormen Fülle an Erkenntnissen über die Spielkultur führen können, wenn sich die Wissenschaft mit ihnen befasst. Dies geht im Besonderen mit der Arbeit einher, die von Moddern investiert wird und die mit Recht als kreativer Umgang mit den Möglichkeiten digitaler Spiele bezeichnet werden kann. Wird darüber hinaus wie bei der TOTAL WAR-Reihe oft explizit angegeben historische Elemente korrigieren zu wollen, so wird die kreative Gestaltung des Spiels zu einer kritischen Auseinandersetzung mit seinen Inhalten, bei der Fans den Anspruch erheben Fehler bei der ursprünglichen Darstellung der Geschichtsthemen zu korrigieren. Dementsprechend hoch sind die Anforderungen an eine umfangreiche Analyse von Mods, die nicht nur die Auswirkungen der Spielveränderungen, sondern auch ihre Entstehungs- und Nutzungsgeschichte, die technischen Möglichkeiten des Originalspiels und Einflüsse bestehender Geschichtsbilder berücksichtigen muss. Video zum Tagungsvortrag: Schröder, Lutz: »Übertragung realer Entwicklungen in die virtuelle Welt von Empire: Total War«, URL: http://mediathek.hhu.de/watch/76b43496-968f-4843-b0d64b7a39bc6bfc (Stand: 16.01.2014).

Homo homini ludus? Vom Spiel in der Philosophie der Neuzeit zur Philosophie im Videospiel ASSASSIN’S CREED SøNEM DERYA KILIÇ Man kann sagen, der Begriff ›Spiel‹ ist ein Begriff mit verschwommenen Rändern. LUDWIG WITTGENSTEIN/ PHILOSOPHISCHE UNTERSUCHUNGEN

I.

P RÄLUDIUM : V ERSUCH DES (V IDEO -)S PIELS

EINER

1

P HILOSOPHIE

Eine Philosophie des Videospiels – das Thema führt auf unvertrautes Gelände. Gibt es diese überhaupt? Ein Blick in philosophische Nachschlagewerke und Datenbanken zeigt schnell, dass das Medium des Videospiels auf der Weltkarte der Philosophie meist noch eine terra incognita darstellt. Während es zwar im anglophonen Raum bereits mehrere Ansätze für eine Philosophie des Videospiels gibt,2 findet

1 Wittgenstein, Ludwig/Schulte, Joachim (Hg.): Philosophische Untersuchungen. Auf der Grundlage der kritisch-genetischen Edition neu herausgegeben. Mit einem Nachwort des Herausgebers, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003, §71, S. 60. 2 Als Beispiele hierfür seien folgende Publikationen (in chronologischer Reihenfolge) angeführt: Cogburn, Jon/Silcox, Mark: »Computing Machinery and Emergence. The Aesthetics and Metaphysics of Video Games«, in: Minds and Machines 15(1), 2005, S. 73–89; Cogburn, Jon/Silcox, Mark: Philosophy Through Video Games, New York: Routledge 2009; Sicart, Miguel: The Ethics of Computer Games, Cambridge (Mass.): MIT Press 2009; Sageng, John Richard/Fossheim, Hallvard/Larsen, Tarjei Mandt (Hg.): The Philosophy of Computer Games, Dordrecht: Springer 2012; Burgun, Keith: Game Design Theory. A New Philosophy for Understanding Games, Boca Raton/London: Peters/Taylor &

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eine solche Diskussion im deutschsprachigen Bereich bislang nur selten statt.3 Angesichts des sehr jungen Forschungsfelds der Game Studies, auf welchem die Trümmer des Kampfplatzes zwischen Ludologen und Narratologen noch immer nicht vollständig beseitigt worden sind,4 mag dies vielleicht auch nicht unbedingt verwundern. Und doch soll an dieser Stelle gezeigt werden, wie fruchtbar es sein kann, sich dem Medium des Videospiels einmal aus philosophischer Perspektive zu nähern – wenn auch, wie in meinem Fall, nur in Form eines Experiments, eines Versuchs, in Anlehnung an die Essais von Michel de Montaigne,5 welche Fragen aufwerfen, ohne sie letztlich eindeutig zu beantworten. Ansetzen möchte ich für diesen Versuch bei zwei Philosophen der Neuzeit, die sich mit der Bedeutung des

Francis 2013. Neben diesen Schriften gibt es außerdem welche, denen je ein bestimmtes Spiel als Projektionsfläche fürs Philosophieren dient, wie zum Beispiel: Cuddy, Luke (Hg.): The Legend of Zelda and Philosophy. I Link Therefore I Am, Chicago: Open Court 2009; Ders./Nordlinger, John (Hg.): World of Warcraft and Philosophy, Chicago: Open Court 2009; Ders. (Hg.): Halo and Philosophy. Intellect Evolved, Chicago: Open Court 2011. 3 Erfreuliche Ausnahmen bilden mitunter folgende Publikationen: Günzel, Stephan: Egoshooter. Das Raumbild des Computerspiels, Frankfurt a.M./New York: Campus 2012; Günzel, Stephan/Liebe, Michael/Mersch, Dieter (Hg.): Conference Proceedings of the Philosophy of Computer Games 2008, Potsdam: Univ. Press 2008. 4 Dieser Streit zwischen Ludologen und Narratologen wurzelt, grob umrissen, in der Frage, ob es sich bei Videospielen in erster Linie um eigenständige Werke sui generis (so die Ludologen) oder um Erzählungen (so die Narratologen) handele, d. h. beide Lager nehmen einen Versuch vor, das Videospiel ontologisch zu bestimmen. Für den narratologischen Ansatz stehen z. B. Barry Atkins, Janet H. Murray und Espen Aarseth, für den ludologischen Gonzalo Frasca, Jesper Juul und Markku Eskelinen. Vgl. zu dieser Debatte die »Einleitung« des Autorenkollektivs GamesCoop in: GamesCoop (Hg.): Theorien des Computerspiels zur Einführung, Hamburg: Junius 2012, S. 9–12, hier S. 9. Darin heißt es: »[B]ei genauerer Betrachtung ist es fraglich, ob dieser Streit innerhalb der Game Studies überhaupt je stattgefunden hat oder ob er nicht von außen – im Zuge disziplinärer Zuständigkeitsbekundungen – an dieses neue Forschungsfeld herangetragen wurde. Noch entscheidender aber ist, dass eine solche Beschreibung des Computerspiels in Form von oppositionellen Begriffspaaren gerade das Bestreben der Game Studies, die Hybridität ihres Gegenstands ernst zu nehmen, verfehlt [Herv. i. O.]« (Ebd., S. 9 f.). Vgl. hierzu außerdem den Abschnitt »The ludology versus narratology discussion« in: Egenfeldt-Nielsen, Simon/Smith, Jonas Heide/Tosca, Susana Pajares: Understanding Video Games: The Essential Introduction, New York/London: Routledge 2008, S. 195–197. 5 Montaigne, Michel de/Stilett, Hans (Übers.)/Enzensberger, Hans M. (Hg): Essais. Erste moderne Gesamtübersetzung, Frankfurt a.M.: Eichborn Verlag 1998.

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Spiels auseinandersetzen und noch vor Johan Huizingas bekannter Schrift zum Homo ludens6 aus dem Jahr 1938 den Menschen sub specie ludi betrachten: Immanuel Kant und Friedrich Schiller. Deren Perspektiven auf das Spiel sollen den Weg dafür ebnen, wenn es gilt, zu einer Philosophie des Spiels zu gelangen, die auch die Rolle des Videospiels berücksichtigt. Diesem abstrakten Teil soll ein konkreter folgen, in dem anhand eines Beispiels, nämlich Ubisofts ASSASSIN’S CREED, die Anverwandlung philosophischer Topoi im Medium des Videospiels nachgezeichnet werden soll. Ziel dieser Betrachtung auf Makro- und Mikroebene ist es nicht, eine in Stein gemeißelte Philosophie des Videospiels zu entwerfen, sondern vielmehr, einen Denkweg (unter vielen möglichen) aufzuzeigen, der, parallel zum musikalischen Präludium, in lockerer Form jene Konturen entstehen lassen soll, die eine Philosophie des Videospiels annehmen könnte.7 Zunächst aber gilt es, im Sinne der sokratischen Frage ›IJȓ İıIJȓ(Ȟ)‹ (Was ist es?) zu bestimmen, um was für einen Begriff von Spiel es in diesem Rahmen überhaupt gehen soll. Hierfür soll zwischen zwei Spielbegriffen unterschieden werden: dem metaphorischen und dem anthropologischen. Auf metaphorischer Ebene ist das Spiel, da es in einer übertragenen Bedeutung gebraucht wird, bereits verstanden, ohne dass eine ontologische Bestimmung vonnöten wäre. Den Gegenstand der Reflexion bildet dann nicht mehr das Spiel selbst, sondern der Spielbegriff. Dieser kommt zur Anwendung, wenn ganz bestimmte Zusammenhänge mittels Metaphern veranschaulicht werden sollen: So sind beispielsweise die metaphorischen Ausdrücke ›Spiel der Wellen‹, ›Spiel der Farben‹ oder ›Spiel des Lebens‹ übertragene Bedeutungen in einer Bewegung, in einem bestimmten (Spiel-)Raum, einer bestimmten Vorgabe.8 Um einen solchen Begriff von Spiel soll es hier jedoch nicht gehen. Zielführender für unseren Versuch erscheint der Umgang mit dem anthropologi-

6 Huizinga, Johan: Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. In engster Zusammenarbeit mit dem Verfasser aus dem Niederländischen übertragen von F. Nachod. Mit einem Nachwort von Andreas Flitner, 2. Aufl., Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2011. 7 Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass es nicht bereits konkretere philosophische Forschungsansätze zum Thema Videospiel gibt. Als Beispiel hierfür sei insbesondere die Plattform »The Gamephilosophy Network« (URL: http://www.gamephilosophy.org) genannt, in deren Beirat Forscherinnen und Forscher aus Deutschland, England, der Niederlande und den Vereinigten Staaten von Amerika vertreten sind und unter deren Leitung jüngst auch eine Konferenz zum Thema »The Philosophy of Computer Games« (02.– 04.10.2013 in Bergen, Norwegen) stattfand. 8 Vgl. hierzu Grätzel, Stephan/Heil, Joachim/Schollenberger, Astrid (Hg.): Der Ernst des Spieles. Vorlesungen zu einer ›Philosophie des Spiels‹ (Philosophische Reihe), London: Turnshare 2004, S. 13.

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schen Spielbegriff, der Spiel als Teil der Menschwerdung versteht – und nicht etwa, wie oft angenommen, als bloßen Zeitvertreib oder gar Eskapismus. Den Ausgangspunkt für eine Betrachtung des Spiels in seiner anthropologischen Dimension soll der Königsberger Philosoph bilden, der die »kopernikanische Wende« in der Philosophiegeschichte vollzogen hat: Immanuel Kant.9 Zwar gibt es bei ihm keine Theorie des Spiels im eigentlichen Sinne; dennoch finden sich bei ihm Gedanken, die für diesen Versuch über die Philosophie des Spiels höchst interessant erscheinen. In seiner Kritik der Urteilskraft von 1790, in der er sich ästhetischen Fragen widmet, formuliert Kant folgende Definition des Spiels: »Wird auch K u n s t vom H a n d w e r k e unterschieden; die erste heißt f r e i e , die andere kann auch L o h n k u n s t heißen. Man sieht die erste so an, als ob sie nur als Spiel, d. i. Beschäftigung, die für sich selbst angenehm ist, zweckmäßig ausfallen (gelingen) könne; die zweite so, daß sie als Arbeit, d. i. Beschäftigung, die für sich selbst unangenehm (be-

9 An dieser Stelle sei darauf aufmerksam gemacht, dass, entgegen der Darstellung im Historischen Wörterbuch der Philosophie (Corbineau-Hoffmann, Angelika: »Spiel«, in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, 9. Bd., Basel/Darmstadt: Schwabe 1995, Sp. 1383-1390), das Spiel mitnichten erst im Deutschen Idealismus philosophische Relevanz besitzt: Schon bei frühneuzeitlichen Denkern wie Nikolaus von Kues ist das Spiel Anlass zu epistemologisch-kosmologischen Spekulationen und soll letztlich zur Selbst-, Welt- und Gotteserkenntnis führen. Vgl. Kues, Nikolaus von/Bredow, Gerda v. (Übers./Bearb.): Dialogus de ludo globi. Gespräch über das Globusspiel. Lateinisch-Deutsch. Auf der Grundlage der kritischen Ausgabe neu übers. und mit Einleitung und Anmerkungen (Schriften des Nikolaus von Kues 21), Hamburg: Felix Meiner 1999. Auch deuten viele Traktat-Titel der Renaissance darauf hin, dass dem Spiel in dieser Zeit eine wichtige Rolle zukam, wie z.B.: Costa, Stefano: Tractatus de ludo, Pavia: Franciscus de Sancto Petro 1478; Ringhieri, Innocentio: Cento giuochi liberali, et d'ingegno. Novellamente da M. Innocentio Ringhieri Gentilhuomo Bolognese ritrovati & in dieci libri descritti. Bologna: A. Giaccarelli 1551; Cardano, Girolamo: Liber de ludo aleae (Opera Omnia 1), Lyon: Huguetan & Ravaud 1662; Bargagli, Girolamo: Dialogo de’ giuochi, Venezia: Alessandro Gardano 1581; Mori da Ceno, Ascanio de’: Giuoco piacevole, Mantua: Ruffinello 1575; Tasso, Torquato: Il Gonzaga secondo, o vero del giuoco, Venezia: Giunti 1582; Aquila, Johannes: Enchiridion de omni ludorum genere, Oppenheim: Köbel 1516. Vgl. zum Thema Spiel in der Renaissance auch: Ariès, Philippe (Hg.): Les jeux à la Renaissance, Paris: Vrin 1982; Hempfer, Klaus W./Pfeiffer, Helmut (Hg.): Spielwelten. Performanz und Inszenierung in der Renaissance, Stuttgart: Steiner 2002.

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schwerlich) und durch ihre Wirkung (z. B. den Lohn) anlockend ist, mithin zwangsmäßig auferlegt werden kann. [Herv. i. O.]«10

Spiel ist also eine »Beschäftigung, die für sich selbst angenehm ist«. Einige Passus vorher bettet Kant seine Gedanken zum Spiel in den Kontext der Erkenntnis ein: »Die Erkenntnißkräfte, die durch diese Vorstellung ins Spiel gesetzt werden, sind hiebei in einem freien Spiele, weil kein bestimmter Begriff sie auf eine besondere Erkenntnißregel einschränkt.«11

In der Aussage »Die Rose ist schön« – was nach Kant ein ästhetisches Urteil bzw. ein »Geschmacksurtheil« darstellt –12 wird demnach nicht das Objekt beschrieben, sondern die Erkenntniskräfte. Diese befinden sich im freien Spiel, da sie nicht an einen bestimmten Gegenstand oder an ein bestimmtes Ziel gebunden sind. Bei einem Geschmacksurteil wird folglich nichts über den Gegenstand gesagt, sondern über den Erkennenden, über das Subjekt in einer ganz bestimmten Verfassung, nämlich in der des Freiseins. Wenn der Mensch sich also dadurch erklärt und ausspricht, dass er nicht nur Verstandesarbeit leistet – was Kant mit dem bestimmenden Urteil benennt (»Die Rose ist rot«) –, sondern auch imstande ist, ein reflektierendes Urteil zu fällen (»Die Rose ist schön«), dann liegt in dieser Möglichkeit der Selbstbetrachtung der Ursprung für sein eigentliches Menschsein.13 Genau diesen Gedanken greift nun Friedrich Schiller auf, der sich dem Studium der Kritik der Urteilskraft gewidmet hat.14 In seinen Briefen Über die ästhetische Er-

10 Kant, Immanuel: Kritik der Urtheilskraft, § 43, in: Kant’s Werke. Kritik der praktischen Vernunft. Kritik der Urtheilskraft (Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften (Hg.): Kant’s gesammelte Schriften 5), Berlin: Georg Reimer 1913, S. 304. 11 Kant, Immanuel: Kritik der Urtheilskraft, § 9, ebd., S. 217. 12 Kant unterscheidet zwischen dem (ästhetischen) Geschmacksurteil (»Die Rose ist schön«) und dem (logischen) Erkenntnisurteil (»Die Rose ist rot«): »Das Geschmacksurtheil ist also kein Erkenntnisurtheil, mithin nicht logisch, sondern ästhetisch, worunter man dasjenige versteht, dessen Bestimmungsgrund n i c h t a n d e r s , als s u b j e c t i v sein kann. [Herv. i. O.]« Kritik der Urtheilskraft § 1, a. a. O., S. 207. 13 Zum Spielbegriff in Kants Kritik der Urteilskraft siehe Aichele, Alexander: Philosophie als Spiel. Platon – Kant – Nietzsche, Berlin: Akademie Verlag 2000, Kapitel III: »Spiel als Erkenntnisgrund: Zum Spielbegriff in Kants Kritik der Urteilskraft«, S. 77-108. 14 Vgl. Kowatzki, Irmgard: Der Begriff des Spiels als ästhetisches Phänomen. Von Schiller bis Benn (Stanford German Studies 4), Bern/Frankfurt a.M.: Lang 1973, S. 39.

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ziehung des Menschen,15 die er vor über 200 Jahren an den Prinzen Friedrich Christian von Augustenburg adressierte, findet sich das Fundament für sein Konzept des Theaters, d. h. für das, was Kunst eigentlich leisten und weshalb der Mensch ins Theater gehen soll – nämlich nicht zur Unterhaltung, sondern zur Erziehung, zur Selbstbildung. Im elften von insgesamt siebenundzwanzig Briefen spricht Schiller von »zwey letzten«, den Menschen begrenzenden Begriffen, die zwei Facetten im Menschen beschreiben: »etwas, das bleibt« und »etwas, das sich unaufhörlich verändert«. Das Bleibende im Menschen nennt er dessen »Person«, das Wechselnde dessen »Zustand«.16 Beides ist untrennbar mit dem Menschsein verbunden, da der Mensch in gewisser Hinsicht stets eine Konstante darstellt, andererseits jedoch ständiger Veränderung unterworfen ist. Schiller ordnet nun diesen beiden Teilen im Menschen bestimmte Triebe zu: dem ersten Teil, der Konstante, den sogenannten »Formtrieb«.17 Darunter fällt alles, was dahin tendiert, Dinge unter eine Einheit zu bringen, was also zur Selbstidentifikation führt. Was dem Wechsel entspricht, wäre dann auf der anderen Seite der »sinnliche Trieb« bzw. der »Stofftrieb«,18 d. h. ein Aufgehen im Stoff, in der Sinnlichkeit, im Verfließen. Der Mensch ist beiden Trieben ausgesetzt: einerseits dem Bedürfnis nach Einheit, andererseits nach Veränderung. Beides sucht nach Befriedigung. Da aber beide nicht zusammenkommen, scheint ein innerer Riss im Menschen zu herrschen, ein völliger Antagonismus. Wenn dies die conditio humana wäre, könnte der Mensch sein Leben überhaupt nicht leben. Und hier kommt das Spiel zum Tragen: Schiller stellt nämlich einen dritten Trieb im Menschen fest, den er Spieltrieb nennt. Dieser stellt eine Art Vermittlungsinstanz der beiden gegensätzlichen Triebe dar als eine Vermittlung, die zur Aufhebung dieser antagonistischen Tendenzen führt.19

15 Schiller, Friedrich/Berghahn, Klaus L. (Hg.): Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. Mit den Augustenburger Briefen, Stuttgart: Reclam 2000. 16 Ebd., S. 43. 17 Ebd., S. 48. 18 Ebd., S. 46f. 19 Was auf den ersten Blick wie ein dialektisch entwickeltes Modell erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen bloß als ein Postulat Schillers. Entsprechend stellt Kowatzki fest: »Der Begriff ›Spieltrieb‹ erscheint in diesem philosophischen Schema wie eine dialektische Synthese. Doch bleibt die Synthese nur ein Postulat, da Schiller eine Dialektik von Formtrieb, Stofftrieb und Spieltrieb nicht entwickelt hat. Der Formtrieb ist nicht, wie bei einer echten dialektischen Ableitung, im Stofftrieb als Widerspruch enthalten oder der Stofftrieb im Formtrieb. Nur dann wäre nämlich der innerlich notwendige Widerspruch in der These schon eingeschlossen, so daß sie selbst die Antithese fordern müßte. Daher ist

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In Schillers vierzehntem Brief findet sich dann die entscheidende Stelle, die den Spieltrieb beschreibt: »Der sinnliche Trieb will, daß Veränderung sey, daß die Zeit einen Inhalt habe; der Formtrieb will, daß die Zeit aufgehoben, daß keine Veränderung sey. Derjenige Trieb also, in welchem beyde verbunden wirken, (es sey mir einstweilen, bis ich diese Benennung gerechtfertigt haben werde, vergönnt, ihn S p i e l t r i e b zu nennen) der Spieltrieb also würde dahin gerichtet seyn, die Z e i t i n d e r Z e i t aufzuheben, Werden mit absolutem Seyn, Veränderung mit Identität zu vereinbaren. [Herv. i. O.]« 20

»Die Zeit in der Zeit aufzuheben«: Was ist damit gemeint? Es handelt sich um eine dialektische Formulierung, die letztlich auf die Erfahrbarkeit der Zeit, des Zeitbegriffes tendiert. Der Mensch bleibt in der Zeit, ist also nach wie vor sterblich; aber die Zeit als diese bedrohende und in gewisser Weise auch auflösende Macht hat diese Wirkung nicht mehr auf ihn. Im Gegenteil, als Spielender hat er die Zeit gewissermaßen in der Hand und kann sie nach seinen Wünschen gestalten. So weit die erste Erklärung dieser Definition. Doch wenden wir uns nun dem Kernstück seiner Überlegungen zum Spiel zu, das sich im fünfzehnten Brief findet. Da heißt es: »Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und e r i s t n u r d a g a n z M e n s c h , w o e r s p i e l t . [Herv. i. O.]«21

Um also dem delphischen Orakelspruch Erkenne dich selbst Genüge zu tun, muss der Mensch sich seine Identität erspielen. Das ist ein sehr interessanter Gedanke, und mein Vorschlag ist nun, diesen aufzugreifen, wenn es um eine Philosophie des Videospiels gehen soll. Gleichzeitig möchte ich darauf aufmerksam machen, dass bei diesem Brückenschlag noch einige Bausteine fehlen: Wie sieht es beispielsweise mit der Struktur des Spiels aus? Dazu finden sich bei Schiller keinerlei Hinweise. Und doch gibt es diese ja: Man denke etwa an die Einteilung in Präludium, Interludium und Postludium im Bereich der Musik, die Aufteilung eines Fußballspiels in zwei Spielhälften mit einer Halbzeitpause oder die Gliederung eines Bühnenschau-

der Spieltrieb kein neuer höherer Gesichtspunkt der Vereinigung des Widerspruchs, die sich nun als neue These auffassen ließe, der eine neue Antithese entgegenträte, und so in dialektischer Bewegung immer weiter fort.« (Kowatzki: Der Begriff des Spiels als ästhetisches Phänomen, S. 47, FN 32.) 20 Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen, S. 56 f. 21 Ebd., S. 62 f.

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spiels in bestimmte Akte. Spiel ist nie einfach nur ein unstrukturiertes Geschehen. Es hat eine eigene Dramaturgie und kann deshalb in Phasen eingeteilt werden. Jedes Spiel hat ein Vorspiel, in dem das Thema gesucht, das Spielfeld umgrenzt und das allgemeine Regelwerk gefunden wird. Das gilt selbstverständlich auch für das Videospiel. Für eine philosophische Betrachtung dieses Mediums ist also das, was ich hier kurz umrissen habe, lediglich ein Wegweiser bzw. ein Präludium. Hilfreich beim Nachdenken über das Videospiel erscheint mir dabei die Idee des Aufhebens der Zeit in der Zeit; diese Erfahrung dürfte jeder Spieler einmal gemacht haben. Auch spielt – je nach Spielgenre – das Thema Freiheit, das sowohl bei Kant auch als bei Schiller eine eminente Bedeutung besitzt, ebenso im Videospiel häufig eine große Rolle.22 Doch wie sieht es konkret mit der Philosophie im Videospiel aus? Hierbei möchte ich mich auf ein Spiel konzentrieren, worin das Thema Freiheit bereits sehr deutlich im Credo der Assassinen ausbuchstabiert wird: nämlich Ubisofts ASSASSIN’S CREED.

II. »N ICHTS IST WAHR , ALLES IST ERLAUBT « – P HILOSOPHIE IN ASSASSIN ’ S C REED In der von Ubisoft Montréal entwickelten Videospiel-Reihe ASSASSIN’S CREED23 tritt mit Niccolò Machiavelli die Philosophie gleichsam in personam auf. Doch ist

22 Man denke beispielsweise an erfolgreiche Videospielserien wie GRAND THEFT AUTO, das auch als Sandbox- oder Open-World-Game bezeichnet wird und worin dem Spieler eine ungehinderte Bewegungsfreiheit in der Spielwelt eingeräumt wird. Vgl. Tögl, Gero: »›This is not much of a fucking holiday!‹. Simulation und Freiheit in Sandbox Games am Beispiel von Grand Theft Auto IV«, in: Jörg von Brincken/ Horst Konietzny (Hg.): Emotional Gaming. Gefühlsdimensionen des Computerspielens, München: epodium 2012, S. 153-169. 23 Die ASSASSIN’S CREED-Reihe (im Folgenden: AC) besteht bislang aus folgenden Hauptspielen: AC (2007), AC II (2009), AC: BROTHERHOOD (2010), AC: REVELATIONS (2011), AC III (2012) sowie AC IV: BLACK FLAG (2013) [alle (Ubisoft)]. Zusätzlich wurden mehrere Spin-off-Spiele, Animationen, Kurzfilme, Soundtracks, Comics und Bücher produziert. Auch wird derzeit an einer Verfilmung gearbeitet, für deren Hauptrolle der deutsch-irische Schauspieler Michael Fassbender verpflichtet wurde. Vgl. zum Phänomen ›Assassin’s Creed als Marke‹ das Kapitel von Heinze, Carl: »Geschichte als Marke«, in: Mittelalter Computer Spiele. Zur Darstellung und Modellierung von Geschichte im populären Computerspiel, Bielefeld: transcript 2012, S. 155-183. Im Folgenden stütze ich mich auf die sogenannte ›Ezio-Trilogie‹, bestehend aus den Spielen AC II, AC: BROTHERHOOD sowie AC: REVELATIONS. Diese Spiele formen nicht nur

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er das gesuchte Objekt, wenn es darum geht, philosophische Topoi im Videospiel auszumachen? Im Grunde erfährt der Spieler nämlich nicht viel über das Denken dieses Philosophen – und auch nicht über dessen Leben: In AC II sowie in AC: BROTHERHOOD begegnet man ihm als einem (bisweilen unsympathischen) Assassinen, der sogar kurz in den Verdacht gerät, ein Verräter zu sein. Eine etwas konkretere Zeichnung von Machiavelli findet sich dann außerhalb des Spiels, wie z. B. in den dazugehörigen Büchern von Anton Gill, der unter dem Pseudonym Oliver Bowden die Romane zum Spiel verfasst hat.24 So beginnt der erste Teil des Romans zu AC: BROTHERHOOD mit einem Zitat aus Machiavellis Fürstenspiegel Il Principe: »Man kann es nicht Tugend nennen, seine Mitbürger zu ermorden, die Freunde zu verachten, ohne Treu und Glauben, ohne Menschlichkeit und Religion zu sein. Auf diese Art kann ein Fürst wohl die Herrschaft, doch keinen Ruhm erwerben.«25

Inspiriert wurde Machiavelli bei der Abfassung von Il Principe durch den für seine Grausamkeit berüchtigten Fürsten Cesare Borgia, der auch im Videospiel AC: BROTHERHOOD als kaltblütiger Machtmensch erscheint. Was die Vita von Machiavelli angeht, so erfährt der Spieler, wenn er die aufwendig gestaltete Enzyklopädie zum Spiel aufschlägt, Folgendes:

bezüglich ihres Rahmens von Raum und Zeit, in dem sie stattfinden (nämlich v. a. das des italienischen Rinascimento), eine Einheit, sondern kreisen allesamt um das Schicksal einer Erzählfigur: das des Assassinen Ezio Auditore da Firenze. 24 Hiervon sind für diesen Rahmen folgende Titel relevant: Bowden, Oliver: Assassin’s Creed: Renaissance. Aus dem Englischen von Timothy Stahl, Stuttgart: Panini 2011; Ders.: Assassin’s Creed: Die Bruderschaft. Aus dem Englischen von Timothy Stahl, Stuttgart: Panini 2012; Ders.: Assassin’s Creed: Revelations. Die Offenbarung. Aus dem Englischen von Timothy Stahl, Stuttgart: Panini 2012. 25 Bowden: AC: Die Bruderschaft, S. 9. Das Zitat ist dem achten Kapitel von Machiavellis Il Principe entnommen. Im Original lautet es folgendermaßen: »Non si può ancora chiamare virtú ammazzare e’ sua cittadini, tradire gli amici, essere sanza fede, sanza pietà, sanza religione; li quali modi possono fare acquistare imperio, ma non gloria.« (Machiavelli, Niccolò/Rippel, Philipp (Übers./Hg.): Il principe. Der Fürst. Italienisch/Deutsch, Stuttgart: Reclam 2004, S. 66.) Missverständlich übersetzt wird hier »tradire gli amici« mit »die Freunde zu verachten«; wortgenauer übersetzt hieße es stattdessen »die Freunde zu verraten«. Auch ist die deutsche Wiedergabe des Begriffs »pietà« mit »Menschlichkeit« nicht nur sehr frei, sondern auch insofern diskutabel, als Machiavelli, wollte er dies ausdrücken, hierbei sicher, wie andernorts, zum Wort »umanità« gegriffen hätte.

168 | SINEM D ERYA KILIÇ »Niccolò di Bernardo dei Machiavelli (* 1469; † 1527) war Politiker und Philosoph aus Florenz und Mitglied der Assassinen-Bruderschaft. Machiavelli wurde in Florenz in eine recht wohlhabende Familie hineingeboren, doch sein Leben begann keineswegs leicht. […] An seinem 19. Geburtstag war er bereits Mitglied der Bruderschaft, denn im Jahr 1488 trat er erstmals als Assassine in Erscheinung. Zusammen mit Mario Auditore und mehreren anderen versuchte er, in Venedig den Edenapfel zu stehlen, den der Templer und Kardinal Rodrigo Borgia an sich gerissen hatte. […] Den einsamen Rest seines Lebens verbrachte Machiavelli außerhalb der Stadt. Er versuchte, die Gunst der Medici zurückzugewinnen, und schrieb mehrere Werke, die er ihnen widmete. Das berühmteste dieser Werke war Der Fürst. Darin beschreibt Machiavelli ein Modell zu Machtübernahme und Machterhalt in der Schlangengrube der italienischen Renaissance.«26

Abb. 1: Fabulierte Geschichte: In AC II und AC: BROTHERHOOD tritt Machiavelli als Mitglied des Assassinen-Ordens auf.

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26 Farrese, Richard/Lemay, Ann (Hg.): Assassin’s Creed Encyclopedia 2.0, Montréal: Ubi Workshop 2012, S. 242 f.

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Abb. 2: Auf ein nächtliches Treffen des Assassinen-Ordens folgt das nächste Abenteuer – nach einem waghalsigen Sprung in die Tiefe.

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In der Zeichnung Machiavellis verschwimmen also Faktum und Fiktion, so wie auch bei allen anderen historischen Figuren im Spiel. Neben der Figur des Machiavelli sind noch einige weitere Elemente aus der Philosophie in das Spiel eingestreut: So finden sich etwa unter den Büchern, die Ezio in AC: REVELATIONS finden muss, die Abhandlung Peri physeos (Über die Natur) des Vorsokratikers Empedokles oder auch die von Sokrates in Reimform gebrachten Fabeln des Aesop, die so freilich nicht erhalten sind. Möglicherweise haben die Spielemacher hierfür in Platons Phaidon oder in den Vitae philosophorum des Diogenes Laertios geblättert, wo sich der Hinweis findet, dass Sokrates sich als Dichter versucht haben soll.27 Möchte

27 Vgl. Platon: Phaidon 61 b, worin Sokrates von einem Traum berichtet: »So habe ich denn zuerst auf den Gott gedichtet, dem das Opfer eben gefeiert wurde, und nächst dem Gott, weil ich bedachte, daß ein Dichter, wenn er ein Dichter sein wolle, Fabeln dichten müsse und nicht vernünftige Reden und ich selbst nicht erfindsam bin in Fabeln, so habe ich deshalb von denen, die bei der Hand waren und die ich wußte, den Fabeln des Äsopos, welche mir eben aufstießen, in Verse gebracht.« (Platon/Kurz, Dietrich; Robin, Léon; Méridier, Louis (Bearb.)/Schleiermacher, Friedrich (Übers.): Werke in acht Bänden. Griechisch und Deutsch, 3. Bd. (Phaidon – Das Gastmahl – Kratylos), 5. Aufl., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005.) Überliefert wird dies einige Jahrhunder-

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man aber von einer Philosophie dieser Spielreihe reden, lohnt sich der Fokus auf etwas anderes, nämlich auf das, was den Kern dieses Spiels ausmacht und bereits im Titel der Spielreihe seine Emphase erfährt: das Credo. Wie ein Ariadnefaden durchzieht es die gesamte Spielreihe, so auch in ASSASSIN’S CREED II, wenn Ezio dem Orden der Assassinen im Rahmen einer Weihezeremonie beitritt: »›Laa shay’a waqi’un moutlaq bale koulon moumkine … Dies sind die Worte, die unsere Ahnen sprachen und die das Herz des Credos birgt …‹ Machiavelli trat vor und schaute Ezio fest an. ›Wo andere Menschen blindlings der Wahrheit folgen, denke daran …‹ Und Ezio beendete den Satz, als kenne er die Worte schon sein Leben lang: ›… nichts ist wahr.‹ ›Wo andere Menschen den Schranken von Moral und Gesetz unterliegen‹, fuhr Machiavelli fort, ›denke daran …‹ ›… alles ist erlaubt.‹ Machiavelli sagte: ›Wir wirken im Dunkeln, wir dienen dem Licht. Wir sind Assassinen.‹ Und die anderen fielen mit ein: ›Nichts ist wahr, alles ist erlaubt. Nichts ist wahr, alles ist erlaubt. Nichts ist wahr, alles ist erlaubt…‹«28

Abb. 3: »Wir wirken im Dunkeln, wir dienen dem Licht. Wir sind Asssassinen.«

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te später von Diogenes Laertius im Buch II.5.42, in: Ders./Apelt, Otto (Übers.)/Zekl, Hans G.; Reich, Klaus (Bearb.): Leben und Meinungen berühmter Philosophen, 1. Bd. (Bücher I–VI), Hamburg: Felix Meiner 2008, Buch II Kap. 5, 42, S. 88.: »Auch eine äsopische Fabel dichtete er, nicht besonders gelungen«. 28 Bowden: AC: Renaissance, a. a. O., S. 314 f.

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»Nichts ist wahr, alles ist erlaubt.« Als unmittelbare Quelle für das Credo lässt sich ein Buch ausmachen, das nach Aussage der kanadischen Videospiel-Produzentin Jade Raymond als Vorlage bei der Entwicklung der Spiele gedient haben soll:29 der Roman Alamut30 des slowenischen Schriftstellers Vladimir Bartol.31 Die Handlung

29 Vgl. Philipp, Andreas: Assassin’s Creed. Interview mit Jade Raymond, auf: Gameswelt.de (31. Juli 2007), URL: http://www.gameswelt.de/assassins-creed/special/seite-1,2391 (Stand: 04.09.2013); CVG Staff: Interview Assassin’s Creed, auf: Computerandvideogames.com (07. November 2006), URL: http://www.computerandvideogames.com/ 148805/interviews/assassins-creed (Stand: 04.09.2013); Morisse, Jean-François: Histoires secrètes des jeux vidéo, Paris: Éditions First 2013, S. 110. 30 Bartol, Wladimir/Vincenot, Claude; Antz, Sylvia (Übers.)/Sicre, Jean-Pierre (Bearb.): Alamut. Ein Roman aus dem alten Orient, Bergisch Gladbach: Gustav Lübbe 1992. Es handelt sich hier nicht um eine Direktübersetzung aus dem Slowenischen. Der Roman wurde 1938 in slowenischer Sprache veröffentlicht und erst 1988 ins Französische, 1992 ins Deutsche und 2004 (direkt aus dem Slowenischen) ins Englische übersetzt. Besondere Aufmerksamkeit erfuhr Bartols Buch nach den Ereignissen des 11. September 2001. So sah der Slawist Michael Biggins darin eine visionäre Darstellung der aktuellen Mechanismen des Terrors: Biggins, Michael: »Against Ideologies. Vladimir Bartol and Alamut«, in: Bartol, Vladimir/Ders. (Übers., Komm.): Alamut, Berkeley/Seattle: North Atlantic Books/Scala House Press 2007, S. 383-390. Diese Parallele zu 9/11 wird auch in einem Artikel des französischen Wochenmagazins ›L’Express‹ vom 22.11.2001 gezogen: »Si Oussama ben Laden n’existait pas, Vladimir Bartol l’aurait inventé.« Siehe hierzu Clavel, André: »Ben Laden mode d’emploi«, in: L’Express (22. November 2011), URL: http://www.lexpress.fr/informations/ben-ladenmode-d-emploi_646230.html?xtmc=bartol_alamut&xtcr=3 (Stand: 20.11.2013). Derselbe Autor spricht auch in einem Artikel zur Neuausgabe von 2012 noch von »un roman terriblement prémonitoire« und kommt zu dem Ergebnis, dass »les méthodes qu'il décrit sont, à la lettre, celles que pratiquent les djihadistes contemporains«: Clavel, André: »Chez les Haschichins d’Alamut avec Vladimir Bartol«, in: L’Express (08. November 2012), URL: http://www.lexpress.fr/culture/livre/alamut_1183787.html (Stand: 20.11.2013). 31 Vladimir Bartol wurde am 24. Februar 1903 in Triest geboren und starb am 12. September 1967 in Ljubljana. Nach einem Studium der Biologie und Philosophie in Ljubljana verbrachte er 1926 zwei Jahre als Stipendiat an der Pariser Sorbonne. Nach seiner Rückkehr 1930 war er als Redakteur verschiedener Zeitschriften tätig. Nach dem Zweiten Weltkrieg, an dem er sich als Widerstandskämpfer beteiligte, bekleidete er verschiedene Posten im kulturellen Bereich. Neben seiner Tätigkeit als freischaffender Künstler war Bartol auch als Übersetzer aus dem Russischen, Serbischen, Deutschen und Englischen tätig. Besonders hervorzuheben sind seine Beiträge zu Sigmund Freud und C. G. Jung. Zu seinem Leben gibt am besten seine dreiteilige (bislang jedoch unübersetzte) Autobiogra-

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des Romans spielt im Persien des 11. Jahrhunderts, welches von den Seldschuken beherrscht wird, und kreist im Wesentlichen um die historisch belegte Figur des Gründers der ismailitischen Religionsgemeinschaft der Assassinen, Hassan Ibn Sabbah.32 Der erzählte Stoff ist einem Reisebericht des Marco Polo entlehnt, historisch verbürgt sind die geschilderten Ereignisse jedoch nicht.33 Um die Übermacht der sunnitischen Seldschuken zu brechen, lässt Hassan Ibn Sabbah (alias Seiduna) in der Festung Alamut religiös fanatisierte Kämpfer, »Fedayin«34 genannt, ausbilden. Zum Erreichen dieses Ziels bedient er sich eines perfiden Plans: Hinter der Festung lässt er die himmlischen Gärten nach seinen Vorstellungen detailgetreu nachbauen, um dort mit Hilfe falscher Huris und durch Betäubung mit Haschisch ausgewählten Schülern vorzutäuschen, dass er über den Zugang zum Paradies verfüge.35 Im Glauben an Hassans unumschränkte Macht und im

phie Auskunft: Mladost pri Svetem Ivanu. Prva knjiga. Svet pravljic in þarovnije, Triest: ZTT EST 2001; Mladost pri Svetem Ivanu. Druga knjiga. Pot do uþenosti., Ljubljana: Sanje 2006; Mladost pri Svetem Ivanu. Tretja knjiga. Romantika in platonika sredi vojne, Ljubljana: Sanje 2007. Siehe außerdem Košuta, Miran: »Vladimir Bartol, uno scrittore sloveno di Trieste. La psicalanisi, il potere, i fondamentalismi«, in: Quaderni del Dipartimento di Lingue e Letterature dei Paesi del Mediterraneo 5 (2004), S. 129-157. 32 Vgl. Lewis, Bernard: Die Assassinen: Zur Tradition des religiösen Mordes im radikalen Islam, Repr. München: Eichborn 2001; Daftary, Farhad: A Short Story of the Ismailis: Traditions of a Muslim Community, Edinburgh: Edinburgh University Press 1998. Einen völlig anderen Zugang zur Person Hassans bietet das von Bill Laswell arrangierte Album The End of Law – Hashisheen (Bill Laswell: Sub Rosa 1999), auf dem u. a. Künstler und Schriftsteller wie Iggy Pop, Patti Smith, William S. Burroughs oder Hakim Bey die Geschichte von Hassan Ibn Sabbah auf dokumentarisch-musikalische Weise erzählen. 33 Vgl. Heinze: Mittelalter Computer Spiele, S. 157 f.; Halm, Heinz: »Die Assassinen 1092 bis 1273«, in: Alexander Demandt (Hg.): Das Attentat in der Geschichte, Köln u. a.: Böhlau 1996, S. 61-74, hier S. 63; Glaube, Heinz: »Masyaf – Hauptburg der Assassinen«, in: Alfried Wieczorek/Mamoun Fansa/Harald Meller (Hg.): Saladin und die Kreuzfahrer. Begleitband zur Sonderausstellung ›Saladin und die Kreuzfahrer‹, Landesmuseum für Frühgeschichte Halle (Saale), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005, S. 275279, hier S. 275; Košuta: Vladimir Bartol, S. 143. 34 Vgl. Bartol: Alamut, S. 66: »Ein Fedayin ist ein Ismaelit, der bereit ist, sich auf Befehl des höchsten Herrn blindlings zu opfern. Stirbt er in Erfüllung seiner Pflicht, wird er ein Märtyrer. Hat er Erfolg und bleibt am Leben, wird er Dey und noch mehr.« An anderer Stelle ist auch von »Haschaschins« die Rede; vgl. ebd., S. 329. 35 Seiduna begründet sein Vorgehen Ibn Tahir gegenüber wie folgt: »Es ist das künstliche Paradies, das ich in allen Einzelheiten auf der anderen Seite des Felsens geschaffen habe, indem ich die Gärten der Könige von Deilem wiedererstehen ließ […]. Wo im Leben be-

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Vertrauen darauf, wieder ins Paradies zurückzukehren, sind die Schüler zu bedingungslosem Gehorsam auf Leben und Tod bereit. Hassans Täuschung gelingt: Die Schüler sind bereit, ihr Leben der vermeintlich höheren Idee zu opfern. Nur einem Schüler, Ibn Tahir, werden die Augen geöffnet, als er auf Befehl Ibn Sabbahs den Großwesir töten soll. Dieser verrät ihm die Maxime, nach der Hassan eigentlich lebt: »Hör zu, junger Mann. So lautet der höchste Grundsatz des Ismaelismus: Nichts ist wahr, alles ist erlaubt!«36 Erstmals erfährt der Leser davon in einem Gespräch zwischen Hassan und seiner Geliebten Myriam: »›Ich möchte deine Aufmerksamkeit noch auf etwas anderes lenken, meine Liebe. Du hast mir oft erklärt, daß es dir, nach allem, was du in deiner Jugend erlebt hast, nicht mehr möglich sei, an irgend etwas zu glauben. Da habe ich dir geantwortet, daß ein langes Leben, das der Erforschung des Wissens gewidmet war, mich zu dem gleichen Schluß geführt hat. Ich fragte dich: Was ist dann einem Menschen erlaubt, der entdeckt hat, daß es die Wahrheit, die in ihrem Prinzip unzugänglich ist, für ihn nicht geben kann? Weißt du noch, was du mir darauf geantwortet hast?‹ ›Ganz genau, o Ibn Saba. Ich habe geantwortet: Wer entdeckt hat, daß all das, was die Menschen Glück, Liebe, Freude nennen, nichts ist als eine Ansammlung falscher Berechnungen, aufgebaut auf falschen Hypothesen, findet in seinem Herzen nur noch eine schreckliche Leere vor. Das einzige, was ihn noch aus dieser Betäubung wecken könnte, wäre, sein Leben und das anderer aufs Spiel zu setzen. Demjenigen, der dessen fähig ist, dem ist alles erlaubt.‹« [Herv. S. K.]37

Noch prägnanter formuliert Hassan seinen Leitspruch an anderer Stelle: »Und wenn sie sich als würdig erweisen, zum höchsten Grad zu gelangen, werden wir ihnen den schrecklichen Grundsatz enthüllen, der unser gesamtes Bauwerk regiert: Nichts

ginnt die Illusion, wo endet die Wahrheit? Das ist schwierig zu sagen. Du bist noch zu jung, um das zu verstehen. Aber wenn du nur so alt wärest wie ich! Dann würdest du sehen, daß das Paradies jedes einzelnen immer nur das Trugbild eines bestimmten Wunsches ist. Die Wonnen, die er empfindet, sind für ihn wirklich, mehr braucht er nicht. Wenn du meine List nicht erraten hättest, wärest du glücklich gestorben, in der gleichen Gewissheit, in der Yusuf und Suleiman gestorben sind.« (Ebd., S. 595). Seiner Ansicht nach ist also die Welt, die der Mensch für wahr hält, mit Schopenhauer gesprochen nichts anderes als ›sein Wille und seine Vorstellung‹. 36 Ebd., S. 519. 37 Ebd., S. 212 f.

174 | SINEM D ERYA KILIÇ ist wahr, alles ist erlaubt! Was uns betrifft, die wir die Fäden dieser Maschinerie in Händen halten, so behalten wir unsere letzten Gedanken für uns.« [Herv. S. K.]38 Abb. 4: Masyaf, die Hauptburg der Assassinen.

Assassin’s Creed® Revelations: © 2011 Ubisoft Entertainment. All Rights Reserved. Assassin’s Creed, Ubisoft, and the Ubisoft logo are trademarks of Ubisoft Entertainment in the U.S. and/or other countries. »Nichts ist wahr, alles ist erlaubt«:39 Eben dieser Leitsatz findet sich nun wortwörtlich in ASSASSIN’S CREED wieder. Hier wie dort bildet er den philosophischen Kern der Handlung. Wenn also Bartols Roman den Prätext zur Videospielreihe bildet – worauf wiederum berief sich Bartol, als er diesen Assassinenspruch aufgriff? Als mögliche Quellen finden sich zwei Autoren, die ebenfalls den Gedanken aufgreifen, dass jenseits von Gut und Böse die Karten der Moral neu gemischt werden sollen: Zum einen wäre da Fjodor Michajloviþ Dostoevskij zu nennen. In seinem Œuvre finden sich mehrere Schilderungen des Gedankens, dass alles erlaubt wäre, wenn Gott nicht existierte. In seinem letzten Roman Brat’ja Karamazovy (Die Brüder Karamasow) heißt es:

38 Ebd., S. 663. 39 In Bartols Roman taucht diese Maxime (teils in anderer Formulierung) noch an folgenden Stellen der hier zitierten Ausgabe auf: S. 219, 297, 298-300, 385.

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»›Aber wie ist’s denn jetzt?‹ fragte ich ihn, ›was ist denn der Mensch noch nach alledem? Ohne Gott und ohne zukünftiges Leben? Das heißt dann doch, daß alles erlaubt ist, dann kann man ja alles machen?‹ – ›Und du wußtest das noch nicht?‹ sagt er. ›Ein kluger Mensch‹, sagt er, ›kann alles tun, ein kluger Mensch kann auch Krebse fangen, ohne geklemmt zu werden. […]‹«40

Es steht außer Zweifel, dass Bartol Dostoevskijs Werke kannte. Als unmittelbare Vorlage für seinen Roman kommt dessen Œuvre aber vermutlich weniger in Frage.41 Vielmehr bietet sich als mög-licher Prätext das Werk eines Philosophen an, der selbst ein sehr begeisterter Leser Dostoevskijs war und den russischen Romancier als einen der »schönsten Glücksfälle« in seinem Leben bezeichneAbb. 5: Die Vorlage zum Spiel: te: Friedrich Nietzsche.42 Bartol kannte Vladimir Bartols Roman ›Alamut‹, hier das Werk des deutschen Philosophen die slowenische Ausgabe von 2001. sehr gut und übersetzte sogar einzelne

40 Dostojewski, Fjodor M./Rahsin, E. K. (Übers.): Die Brüder Karamasow. Nachwort von Ilma Rakusa, München/Zürich: Pieper 2008, Elftes Buch: Der Bruder Iwan Fjodorowitsch, Kapitel IV: »Die Hymne und das Geheimnis«, S. 956. 41 Jedenfalls ließ sich in der Forschungsliteratur nur ein Hinweis auf einen möglichen Einfluss Dostoevskijs – neben vielen anderen – auf Bartol ausmachen. So spricht Košuta davon, dass »[n]elle cartelle Alamutiana si accatastano citazioni da Goethe, Poe, Dostoevskij, Platone e Omar Khayyam«: Košuta: Vladimir Bartol, S. 143. 42 »Für das Problem, das hier vorliegt, ist das Zeugnis Dostoiewsky’s von Belang – Dostoiewsky’s, des einzigen Psychologen, anbei gesagt, von dem ich Etwas zu lernen hatte: er gehört zu den schönsten Glücksfällen meines Lebens, mehr selbst noch als die Entdeckung Stendhal’s.«: Nietzsche, Friedrich/Colli, Giorgio; Montinari, Mazzino (Hg.): Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophirt (Kritische Studienausgabe 6), München/Berlin/New York: Deutscher Taschenbuch Verlag/de Gruyter 1999, »Streifzüge eines Unzeitgemässen«, § 45, S. 147.

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Schriften daraus ins Slowenische.43 Bei der Lektüre von Nietzsches Schriften dürfte ihm aufgefallen sein, dass der Assassinenspruch wortwörtlich in zwei seiner einflussreichsten Werke vorkommt:44 zum einen in Also sprach Zarathustra, zum anderen in Zur Genealogie der Moral. Die erste Stelle findet sich im vierten Teil von Also sprach Zarathustra, wenn Zarathustras Schatten zu Zarathustra spricht: »Mit dir verlernte ich den Glauben an Worte und Werthe und grosse Namen. Wenn der Teufel sich häutet, fällt da nicht auch sein Name ab? der ist nämlich auch Haut. Der Teufel selber ist vielleicht –– Haut. ›Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt‹: so sprach ich mir zu.«45

43 Vgl. Hatem, Jad: Un paradis à l’ombre de épées. Nietzsche et Bartol, Paris: L’Harmattan 2010, S. 45. Hatem bezeichnet Bartol nicht nur als Schüler Nietzsches, sondern auch Max Stirners; vgl. ebd., S. 75. Für Nietzsche als Prätext spricht mitunter folgende Stelle aus Bartols Roman, die sich ausgesprochen nietzscheanisch liest: »Als er wieder allein war, sagte Hassan sich: Mein Sohn ist ein Stein des Anstoßes für mein Werk. Bin ich ein wildes Tier, wenn ich ihn vernichte? Das begonnene Bauwerk muß vollendet werden. Wenn mein Herz sich dem widersetzt, befehle ich ihm zu schweigen. Denn alles Große muß jenseits des Menschlichen stehen.« (Bartol: Alamut, S. 631.) 44 Der Assassinenspruch tritt bei Nietzsche insgesamt neunmal ohne Erwähnung der Assassinen auf, zweimal erwähnt der Philosoph die Assassinen ohne den Spruch. Vgl. Kuhn, Elisabeth: »Nietzsches Quelle des ›Assassinenspruchs‹«, in: Tilman Borsche/Frederico Gerratana/Aldo Venturelli (Hg.): ›Centauren-Geburten‹. Wissenschaft, Kunst und Philosophie beim jungen Nietzsche, Berlin/New York: Walter de Gruyter 1994, S. 268-275, hier S. 269f. Kuhn macht als früheste Variante des Assassinenspruchs und als dessen terminus a quo eine Notiz aus Nietzsches Basler Zeit aus, die sich im Nachlass aus dem Sommer 1875 findet und in der es heißt: »Ironische Novelle: alles ist falsch. Wie der Mensch sich an einen Balken klammert.« (Nietzsche, Friedrich/Colli, Giorgio; Montinari, Mazzino (Hg.): Nachgelassene Fragmente 1875–1879 (Kritische Studienausgabe 8), München/Berlin/New York: Deutscher Taschenbuch Verlag/de Gruyter 1999, S. 99.) Als ein Echo dieser Notiz liest sich dann auch eine Stelle aus dem ersten Teil des Zarathustra, die wie folgt lautet: »Schreien wirst du einst: ›Alles ist falsch!‹« (Nietzsche, Friedrich/Colli, Giorgio; Montinari, Mazzino (Hg.): Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen (Kritische Studienausgabe 4), München/Berlin/New York: Deutscher Taschenbuch Verlag / de Gruyter 1999, Erster Theil: »Die Reden Zarathustra’s«, S. 81.) 45 Nietzsche: Also sprach Zarathustra, »Vierter und letzter Theil: Der Schatten«, S. 340. Bereits vor Erscheinen des Zarathustra hat Nietzsche sich mit diesem Wahlspruch befasst: So lässt sich im Nachlass eine Notiz aus dem Frühjahr 1884 ausmachen, in der es heißt: »Nichts ist wahr, alles ist erlaubt.« (Nietzsche, Friedrich/Colli, Giorgio; Montinari, Maz-

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Wie ist dieser Ausruf zu verstehen? Was auf den ersten Blick wie eine erkenntnisanarchistische Botschaft erscheint, erweist sich im Laufe der Lektüre als notwendiges Moment, um zum wahren Wahrheitsbegriff jenseits bisheriger Werte zu gelangen;46 denn weiter heißt es: »Manchmal meinte ich zu lügen, und siehe! da erst traf ich – die Wahrheit.«47 Während der Assassinenspruch im Zarathustra noch ohne Erwähnung der Assassinen auskommt, bringt Nietzsche ihn zwei Jahre danach in seiner Streitschrift Zur Genealogie der Moral von 1887 ausdrücklich mit dem Orden der Assassinen in Verbindung. In der dritten und letzten Abhandlung dieses Werks heißt es: »Als die christlichen Kreuzfahrer im Orient auf jenen unbesiegbaren Assassinen-Orden stiessen, jenen Freigeister-Orden par excellence, dessen unterste Grade in einem Gehorsame lebten, wie einen gleichen kein Mönchsorden erreicht hat, da bekamen sie auf irgend welchem Wege auch einen Wink über jenes Symbol und Kerbholz-Wort, das nur den obersten Graden, als deren Secretum, vorbehalten war: ›Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt‹ … Wohlan, d a s war F r e i h e i t des Geistes, d a mi t war der Wahrheit selbst g e k ü n d i g t … Hat wohl je schon ein europäischer, ein christlicher Freigeist sich in diesen Satz und seine labyrinthischen F o l g e r u n g e n verirrt? kennt er den Minotauros dieser Höhle a u s E r f a h r u n g ? [Herv. i. O.]«48

zino (Hg.): Nachgelassene Fragmente 1884–1885 (Kritische Studienausgabe 11), München/Berlin/New York: Deutscher Taschenbuch Verlag/de Gruyter 1999, S. 88.) 46 Vgl. Niemeyer, Christian: »›Nichts ist wahr, alles ist erlaubt‹. Die Wahrheitstheorie Nietzsches in ihrer Bedeutung für seine späte Bildungsphilosophie«, in: NietzscheStudien 27 (1998), S. 196–213, hier S. 203 f. 47 Nietzsche: Also sprach Zarathustra, S. 340. 48 Nietzsche, Friedrich/Colli, Giorgio; Montinari, Mazzino (Hg.): Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift (Kritische Studienausgabe 5), München/Berlin/New York: Deutscher Taschenbuch Verlag/de Gruyter 1999, »Dritte Abhandlung: was bedeuten asketische Ideale?«, S. 398. Als mögliche Quelle für Nietzsches Assassinen-Losung lässt sich Joseph von Hammers Die Geschichte der Assassinen, aus morgenländischen Quellen aus dem Jahre 1818 ausmachen. Dort findet sich u. a. folgende Auskunft zum Assassinen-Orden: »Daß Nichts wahr und Alles erlaubt sey, blieb zwar der Grund der geheimen Lehre, die aber nur sehr wenigen mitgetheilt, und unter dem Schleier der strengsten Religiosität und Frömmigkeit versteckt, die Gemüther mit dem schon eingelegten Zügel der positiven Gebote des Islams um so straffer unter dem Joche des blinden Gehorsams zusammenhielt, jemehr zeitliche Unterwerfung und Aufopferung durch ewige Belohnung und Verherrlichung sanktionirt ward« (Hammer, Joseph von: Die Geschichte der Assassinen, aus morgenländischen Quellen, Stuttgart/Tübingen: Cotta’sche Buchhandlung 1818, S. 84). Obwohl Nietzsche von Hammer nirgends erwähnt und das Werk sich auch nicht in Nietz-

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Für Nietzsche war der Assassine also der Freigeist par excellence. Und genau dieses Bild findet sich auch in der ASSASSIN’S CREED-Reihe wieder: Vor dem Hintergrund, dass es keine Wahrheit gibt, sieht sich der Spieler in eine Situation geworfen, die der Protagonist Ezio Auditore da Firenze in AC: REVELATIONS wie folgt umschreibt: »Wer sagt, dass alles erlaubt ist, hat erkannt, dass wir die Architekten unserer Handlungen sind und mit ihren Konsequenzen leben müssen.« Nietzsches Philosophie, die ein Denken in Kategorien wie Gut und Böse überwindet und von der »Umwerthung aller Werte« spricht, ist ein hilfreicher Schlüssel zum Verständnis der Philosophie von ASSASSIN’S CREED – und vielleicht ist sie wiederum auf einer Metaebene das, was mir als Maxime galt, um über die Philosophie des Videospiels nachzudenken. Denn auch da ist, wie mir scheint, ›nichts wahr‹ und (noch) ›alles erlaubt‹.

sches nachgelassener Bibliothek befindet, deuten mehrere Indizien darauf hin, dass der Philosoph die Schrift gekannt und seinen »Assassinen-Stellen« zugrunde gelegt haben muss. Vgl. hierzu Kuhn: Nietzsches Quelle des ›Assassinenspruchs‹, S. 274f., wo die Autorin zu folgendem Schluss gelangt: »Der Extratext, Joseph von Hammers Die Geschichte der Assassinen, aus morgenländischen Quellen aus dem Jahre 1818, wird in den Varianten des Nietzscheschen ›Assassinenspruchs‹ und an den Nietzscheschen AssassinenStellen zunehmend zum Intertext […]. Der ›Assassinenspruch‹ wird Nietzsche zum Schlüssel-Satz, der sowohl auf seine Erkenntnistheorie als auch auf seine Ethik verweist, d. h. auf seine Perspektivenlehre der Affekte und auf sein Jenseits von Gut und Böse.« Vgl. außerdem Köster, Peter: Der verbotene Philosoph. Studien zu den Anfängen der katholischen Nietzsche-Rezeption in Deutschland (1890–1918), Berlin/New York: de Gruyter 1998, S. 31f; Hatem: Un paradis à l’ombre des épées, S. 48; Sommer, Andreas Urs: Kommentar zu Nietzsches ›Der Antichrist‹, ›Ecce homo‹, ›Dionysos-Dithyramben‹, ›Nietzsche contra Wagner‹ (Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken 6,2), Berlin/Boston: de Gruyter 2013, S. 501.

FALLBEISPIELE

SID MEIER’S PIRATES! GUNNAR SANDKÜHLER

Z U V ERÖFFENTLICHUNGSGESCHICHTE

UND

V ORGEHEN

The Caribbean is a canvas of grand adventure, from the treasure-laden ambushes of Sir Francis Drake to the piratical plunderings of the notorious Henry Morgan (whose name still graces a brand of Jamaican rum). Like these men, you can discuss politics with provincial governors, sneak into towns for clandestine smuggling arrangements with local merchants, cross swords with vicious noblemen of all nationalities, rescue helpless waifs from vile slave plantations, even find a beautiful wife! When you accumulate sufficient treasure, land, honors, and satisfaction, you can take a pleasant retirement appropriate to your gains. PIRATES! brings alive the grand scope of a venturesome and bygone age. As in every MicroProse simulation, extensive research into the details of places and people, ships and battles brings you unparalleled realism. PIRATES! goes beyond simple fantasy and touches the reality of an exciting page in history.1

Das hier zu behandelnde Spiel PIRATES! trat mit einem nicht unbedingt bescheidenen Anspruch auf, wie der Auszug aus dem mitgelieferten, umfangreichen Handbuch verdeutlicht. Freilich ist zu beachten, dass es sich hier um die Selbstdarstellung der Hersteller handelt, somit also notwendigerweise Vorsicht angebracht ist

1

Handbuch zu: SID MEIER’S PIRATES!, Microprose 1987, S. 3.

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hinsichtlich des ›bisher unbekannten Realitätsgrades‹ der ›Simulation‹. Vor dem Hintergrund, es in der Version von 1987 noch gewissermaßen mit einer Inkunabel mehrschichtiger Videospiele zu tun zu haben, muss man jedoch dem Titel eine technisch für damalige Zeiten ambitionierte Herangehensweise zugestehen, was sich in einer bemerkenswerten Fülle historischer Details und Handlungsmöglichkeiten für den Spieler äußert. Die vollständige Bezeichnung des Titels lautete schon in der ersten Version von 1987 SID MEIER‘S PIRATES!2 Diese Namensgebung diente zunächst aus Sicht des ursprünglichen Herstellers und Publishers Microprose dazu, das Spiel über die Nennung des hauptverantwortlichen Programmierers im Titel attraktiver zu machen, lagen doch bereits erfolgreiche Simulationen von Sid Meier als leitendem Programmierer vor. Die Veröffentlichungsgeschichte erstreckt sich mit Unterbrechungen von 1987 bis – vorerst – 2011. Eine Version für die Android-Plattform wurde 2012 angekündigt, ist jedoch bislang (Stand: März 2014) noch nicht erschienen. Das Spiel ist – beziehungsweise: war – mithin für beinahe alle aktuellen oder in früherer Zeit gängigen Systeme verfügbar. Im vorliegenden Beitrag wird in erster Linie Bezug genommen auf die Versionen für den C64 von 1987 und die PCVersion von 2004. Die Gründe dafür liegen einerseits in der technischen Verfügbarkeit, andererseits aber auch in der Tatsache, dass die in der Zwischenzeit veröffentlichten Versionen (insbesondere die Versionen unter dem ›Gold‹-Label (Amiga und DOS) vornehmlich Veränderungen auf der Ebene der grafischen Gestaltung, also zahlreichere und höher aufgelöste Bilder, mit sich brachten. Ganz grundlegende Erweiterungen auf der Darstellungsebene, in erster Linie die Verwendung einer Vielzahl animierter Sequenzen, brachte letztlich erst die Neuauflage von 2004 mit sich. Hinzu kam im Bereich der Spielhandlung die Ergänzung durch einige so genannte ›Minigames‹. Diese erfüllen teilweise eine doppelte Funktion: Zum einen dienen sie offensichtlich der Auflockerung und attraktiveren Darbietung von in früheren Versionen vornehmlich in Form von Bildschirmtexten gegebenen Informa-

2

Vgl. zur Veröffentlichungsgeschichte auf unterschiedlichen Plattformen u.a.: O. A.: »Sid Meier’s Pirates!«, auf: Mobygames, URL: http://www.mobygames.com/game/sid-meierspirates (Stand: 20.01.2014); O. A.: »Pirates!«, in: Wikipedia: Die freie Enzyklopädie: Wikimedia Foundation Inc., URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Pirates! (Stand: 21.01. 2014); aus der Vielzahl der Auszeichnungen verschiedener Spielezeitschriften und Portale kann die Berücksichtigung im Rahmen der Ausstellung »The Art of Video Games« des Smithonian American Art Museum genannt werden: Bei einer Ende 2011 veranstalteten öffentlichen Abstimmung erreichte die Version für den C64 einen Platz unter den 80 wichtigsten Computerspielen seit den späten 1970er Jahren; vgl. Smithsonian American Art Museum (Hg.): »The Art of Video Games«, URL: http://www.americanart.si.edu/ exhibitions/archive/2012/games/winninggames.pdf (Stand: 21.01.2014).

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tionen. Zum anderen erscheint es aber auch so, dass spezifische Bezüge auf das ›Referenzzeitalter‹ der Spielhandlung, also die Frühe Neuzeit, erst möglich werden durch eine aufwendigere Präsentation der Spielhandlung. Im Folgenden soll zunächst gezeigt werden, an welchen Punkten und gestalterischen Entscheidungen Verbindungen zur Frühen Neuzeit im Spiel nachgewiesen werden können. Dabei geht es nicht primär um die Vielzahl einzelner Details, sondern vielmehr um Anknüpfungspunkte, die sich auf struktureller Ebene bieten. Daran anschließend soll untersucht werden, welche mediengeschichtliche Dimension die Untersuchung des Spiels bietet. Dies geschieht unter dem Aspekt der »Remediation«,3 wobei die so bezeichneten Überlagerungsprozesse auf zwei verschiedenen Ebenen im Spiel nachzuweisen sind. Abschließend wird versucht, das Spiel als Unterhaltungsmedium zu beschreiben und dabei die damit verbundenen Genrekonventionen und den Gestaltungsspielraum für die dargestellten Abläufe und Figuren zu skizzieren.

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Das Spiel SID MEIER‘S PIRATES! ist von der dargestellten Handlungszeit her überdeutlich in der Frühen Neuzeit angesiedelt. Dabei macht es zunächst keinen Unterschied, auf welcher methodologischen, theoretischen und oft auch ideologisch gefärbten Grundlage man sich der Epochenbezeichnung bedient: Ob als Übergangsperiode, als Vorstufe der Moderne oder auch mit dem Fokus auf der Eigentümlichkeit der Epoche. In jedem Fall fügt sich die im Spiel dargestellte Zeit nahtlos in die drei Jahrhunderte nach der Reformation und vor der Französischen Revolution ein, für die sich die Bezeichnung der Frühen Neuzeit durchgesetzt hat.4 Eine genaue Datierung der Spielhandlung erfolgt in bisher allen Umsetzungen des Spiels nach einzelnen Unterepochen, die sich – und dies ist später noch zu beachten – nicht an den europäischen Zeitreferenzen orientieren, sondern vielmehr an den Merkmalen der Geschichte der europäischen Kolonien und der Piraterie in der

3

Vgl. Bolter, J. David/Grusin, Richard: Remediation. Understanding New Media, 5. Aufl., Cambridge (Mass.): MIT Press 2002.

4

Zur Geschichte und Diskussion der Periodisierung vgl. Neuhaus, Helmut: »Die Frühe Neuzeit als Epoche«, in: Ders. (Hg.): Die Frühe Neuzeit als Epoche (Historische Zeitschrift, Beiheft 49), München: Oldenbourg 2009, S. 2-4; Duchhardt, Heinz: Europa am Vorabend der Moderne. 1500-1800 (Handbuch der Geschichte Europas 6), Stuttgart: Ulmer 2003.

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Karibik. In allen bisherigen Versionen des Spiels werden die folgenden Einstiegsdaten in die jeweils rund 20 Jahre umfassende Spielhandlung angeboten:5 • • • • • •

The Silver Empire (1560) Merchants and Smugglers (1600) The New Colonists (1620) War for Profit (1640) The Buccaneer Heroes (1660) Pirates’ Sunset (1680)

Wie oben angesprochen, hat die Frühe Neuzeit als Epoche oder Epochenbezeichnung in der vergangenen Zeit eine Reihe von Interpretationen und Neuinterpretationen erlebt. Dabei ist zu beachten, dass die funktionalen Deutungen der Epoche oftmals mehr über die Position des deutenden Historikers aussagten und aussagen, als über die beschriebene Epoche selbst.6 Betrachtet man jedoch strukturelle Aspekte der Epoche, so bieten sich einzelne Anknüpfungspunkte, welche als gesamteuropäische Muster zu identifizieren sind. Ein zentrales Merkmal der Frühen Neuzeit – neben demographischer Expansion und einer allmählichen Herausbildung staatlicher Gebilde – ist dabei die so bezeichnete Europäische Expansion; also das Bestreben der europäischen Staaten oder Staatsgebilde, Territorien außerhalb des Kontinents zu entdecken, zu erforschen und – last but not least – zu erobern beziehungsweise zu unterwerfen.7 Eine Reihe von aktuellen Diskussionen dreht sich gerade um den Punkt, warum und ob dieses Muster der Europäischen Expansion für die kommenden Jahrhunderte bis in die Gegenwart hinein auch Einflusssphären und Machtverteilungen auf globalem Niveau beeinflusst und bereits in der Frühen Neuzeit zementiert hat. Wie auch immer die Antwort lauten mag, so bleibt doch dieses Merkmal bezeichnend. Und es

5

Hier entsprechend der Version von 1987; spätere Umsetzungen weisen keine Veränderungen auf.

6

Schorn-Schütte, Luise: Geschichte Europas in der Frühen Neuzeit. Studienhandbuch

7

Ebd., S. 56f; vgl. auch Vogler, Günter: Europas Aufbruch in die Neuzeit. 1500-1650

1500-1789, Paderborn u.a.: Schöningh 2009; hier S. 15ff. (Handbuch der Geschichte Europas 5), Stuttgart: Ulmer 2003. Als Umsetzung in einem Videospiel wurde dies bereits 1984 in SEVEN CITIES OF GOLD (1984) (Ozarc Softscape/Electronic Arts) aufgegriffen; der Titel wird in diesem Zusammenhang oftmals als eine mögliche Anregung für PIRATES! gesehen, vgl.: O. A.: »Seven Cities of Gold«, in: Wikipedia: Die freie Enzyklopädie: Wikimedia Foundation Inc., URL: http://de.wiki pedia.org/wiki/Seven_Cities_of_Gold (Stand: 21.01.2014).

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sind eben jene Vorgänge und sich seit dem 16. Jahrhundert ausbildenden Strukturen, die als Erzählfolie des Spiels PIRATES! dienen. Schon die kurzen Erläuterungen zu den einzelnen Einstiegszeitpunkten beim Spielbeginn zeigen, dass die Einflussnahme Europas auf dem amerikanischen Doppelkontinent begonnen hat, beziehungsweise in den späteren wählbaren Zeitabschnitten vielmehr bereits abgeschlossen ist. Der einführende Text des Handbuchs, beziehungsweise des Startmenüs, des Spiels erläutert so für das Jahr 1560: »In this era the Spanish Empire is at its peak. All the colonies (with one lonesome exception) are Spanish, all the major ports and trade are controlled by Spain. However, Spain's gains have been so great other Europeans are attracted to steal and plunder whatever Spain cannot protect. Because of Spains great power, this is an extremely challenging era, and should not be attempted by novices. [...] The Caribbean and the Spanish Main were a changing environment as military and economic power waxed and waned, new colonies appeared and old cities declined. The region gradually changed from total Spanish dominion in the 1560s, to a wild frontier for European colonization, and eventually to a cosmopolitan nexus in a new global economy.«8

Das Spiel bietet auf parallelen Ebenen Ansatzpunkte, historischer Realität nachzugehen. Zum einen ist es die bei aller Knappheit und sicherlich unvermeidlichen Vereinfachung doch treffende Herausstellung der »europäischen Expansion« als Merkmal der Frühen Neuzeit. Der Spieler hat lediglich die Wahl zwischen Vertretern der ›großen‹ Seefahrernationen, also zwischen Spanien, England, Frankreich und den Niederlanden. Was in diesem Kontext auffällt, ist die Auslassung der ursprünglichen Bevölkerung Mittel- und Südamerikas. Eine theoretische Anbindung an die Geschichtswissenschaft bietet sich nicht nur unter den allgemeinen Epochenmerkmalen der Frühen Neuzeit an, sondern vielmehr auch unter dem Aspekt einer spezifischeren, oftmals als Alternativentwurf diskutierten ›Atlantischen Geschichte‹.9 Im Blickwinkel von Anleihen aus den Themenbereichen der ›postkolonialen‹ Geschichtswissenschaft, also unter der Maßgabe einer weniger eurozentrischen Darstellung, spiegelt PIRATES! genau einen der zentralen Handlungsräume dieser ›Atlantischen Geschichte‹ wieder: Die Kolonialökonomie des Karibischen Beckens bildet den Aktionsraum für die Spielaktio-

8

Handbuch PIRATES!, S. 7.

9

Vgl. Klooster, Wim: »Atlantische Geschichte und der Begriff der Frühen Neuzeit«, in: Helmut Neuhaus (Hg.): Die Frühe Neuzeit als Epoche (Historische Zeitschrift, Beiheft 49), München: Oldenbourg 2009, S. 469-478; ausführlicher die Beiträge bei Canny, Nicholas P. (Hg.): The Oxford handbook of the Atlantic world. 1450-1850, Oxford: Oxford University Press 2011.

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nen, für Piraterie und Handel. Die im Spiel modellierte Ökonomie ist dabei freilich sehr stark vereinfacht und blendet konsequent das menschenverachtende ›Handelsgut‹ Sklaven aus. Zucker hingegen, als ein zentraler Faktor der atlantischen Ökonomie in der Frühen Neuzeit, findet explizite Erwähnung, wohingegen andere Güter als ›Goods‹ zusammengefasst werden. Spätere Epigonen des Spiels, wie beispielsweise PORT ROYALE, bieten ein weitaus komplexeres Wirtschaftsmodell.10 Dennoch, und an dieser Stelle zeigen sich Inkonsequenzen, wird die Sklaverei nicht vollständig ausgeblendet, tritt sie doch als eine Lebensform in verschiedenen einleitenden Rahmenerzählungen zum Spielstart in Erscheinung: »Young and poor, you seek your fortune in the New World. To purchase passage, you indenture yourself, binding you to work on a sugar plantation for five years as payment. But on the plantation your debts only grow. You decide to escape this life of debt slavery. You ask some local seaman about joining the ›Brethren of the coast‹.«11 »As a young man you fled your family’s debt slavery on a sugar plantation. You live among the buccaneers of the coast, learning to shoot, to handle a sword, and handle a ship. Most importantyly you learn bravery and leadership.«12

Als weiteres Epochenmerkmal der Frühen Neuzeit kann eine vergleichsweise höhere soziale Mobilität als in vorangegangenen Zeiten gelten.13 Und gerade diese wird im Spiel zumindest zu einem – neben der Zusammenführung der entführten Familienmitglieder – expliziten Spielziel: Der soziale Aufstieg des agierenden Helden, der Erwerb von Land und Finanzmitteln, welche in der Endbewertung eine möglichst hohe soziale Position nach dem Leben als Freibeuter bedeuten. Soziale Mobilität allerdings, dies gerät oftmals aus dem Blick, kennt auch die andere Richtung, also nicht den Aufstieg, sondern ebenso die Verarmung, den Verlust von Ansehen und Einfluss. Es ist wenig überraschend, dass das Grundnarrativ des Spiels eine Erfolgsgeschichte ist, also der Aufstieg zum – als bestem zu erreichenden Ergebnis – »King‘s Advisor«. Spiele, die dem Nutzer Freude bereiten und zum Weiterspielen motivieren sollen, müssen diesen Weg anbieten und in ihrer Handlungsstruktur vorsehen.14 Dennoch bietet sich alternativ ein überraschend historisch

10 PORT ROYALE: GOLD, POWER AND PIRATES (2002) (Try Synergy/Ascaron Entertainment/Take2); vgl. dazu und weiteren stärker als Wirtschaftssimulation angelegten Spielen auch den Beitrag von Eugen Pfister. 11 PIRATES! (1987). 12 Ebd. 13 Vgl.: Duchhardt: Vorabend, S. 2-4. 14 Koster, Raph: A theory of fun for game design, Scottsdale/AZ: Paraglyph Press 2005.

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plausibler Spielverlauf: Der Spieler kann aus einer verhältnismäßig gesicherten sozialen Position heraus beginnen, die mit folgenden Szenario skizziert wird: »Your skill as a merchant captain is famous throughout Europe. The best traders employ you. Finally, an officer of the powerful West Indies Company approaches you with a proposition to command a voyage to the Indies.«15

Bei mangelndem Geschick, fehlerhaften Angaben bei der Kopierschutzabfrage oder schlichtem Pech im Spiel kann eine Partie jedoch damit enden, dass der schlussendlich erreichte Status unterhalb eines Handelskapitäns zu verorten ist. Formen der Politik- und Wirtschaftsgeschichte des karibischen Raumes werden im Spiel ebenfalls aufgegriffen.16 Dabei findet ein realhistorischer Bezug statt, wenn beispielsweise einzelne Orte nur in bestimmten Zeitabschnitten zu finden sind. Dies verweist auf tatsächliche Entwicklungen des ökonomischen oder politischen Auf- und Abschwungs einzelner Marktflecken und Städte oder auch, um das prominenteste Beispiel zu erwähnen, auf singuläre Katastrophen wie die Zerstörung des legendären ›Piratennests‹ Port Royal 1692. Der Spieler selbst hat ebenfalls die Möglichkeit zur politischen Einflussnahme auf dem Wege der Plünderung von Städten und der darauf folgenden Einsetzung eines neuen Gouverneurs – wenngleich dies freilich in einer Frequenz geschieht, die selbst für die labilen Bündnisgebilde der Frühen Neuzeit unglaubwürdig erscheint.

P IRATES !

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Es kann an dieser Stelle kritisiert werden, dass sich der Großteil der Parallelen zur Realhistorie in Belegstellen findet, die zum einen lediglich der Rahmung des eigentlichen Spielgeschehens dienen und zum anderen in reiner Textform dargeboten werden. Das für die Rezeption eines Computerspiels typische Zusammenspiel verschiedener Informationen und besonders das Element des aktiven Eingreifens des Spielers scheinen so in der Interpretation vernachlässigt zu werden. Entscheidend ist, dass in der Neuauflage des Spiels von 2004 eine deutliche Verschiebung zu beobachten ist: Die – historisch plausible – Rahmung des Spielgeschehens wird stark geglättet; es findet sich nur noch eine eher vage gehaltene Er-

15 PIRATES! (1987). 16 Vgl. zur allgemeinen Orientierung Bernecker, Walther L. et al. (Hg.): Handbuch der Geschichte Lateinamerikas, 1. Bd.: Mittel-, Südamerika und die Karibik bis 1760, Stuttgart: Klett-Cotta 1994; Bethell, Leslie (Hg.): The Cambridge History of Latin America, 1. Bd.: Colonial Latin America, Cambridge u.a.: Cambridge University Press 1984.

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öffnungsszene, die in das weitere Spielgeschehen einführt. Diese freilich ist in recht aufwendiger Form als gerenderte Videosequenz in Szene gesetzt. Es existieren keine Hinweise mehr auf den sozialen, ökonomischen oder gar konfessionellen Hintergrund – wie noch in der Version von 1987 – des handelnden Helden. Stattdessen werden diese ersetzt durch eine recht allgemeine Rahmenerzählung über eine Verschwörung und den Betrug des Erzschurken Montalbán. Aus Sicht des an den Umgang mit Texten gewöhnten Historikers böte PIRATES! in der Neuauflage mithin nur wenig Anlass zur eingehenderen Beschäftigung. Als Befund innerhalb der Veröffentlichungsgeschichte des Spiels kann dennoch festgehalten werden, dass in der Neuauflage die historisch konkretere Rahmung in Textform zurückgenommen wird zugunsten des höheren Schauwerts des Spiels – ein Befund, der sich nur über den Vergleich der zeitlich recht weit auseinander liegenden Versionen herausarbeiten lässt. Zu fragen ist dabei, wie sich diese Verschiebung erklären lässt. Eine recht nahe liegende Lösung ist es, die abnehmenden Anteile textueller Elemente durch technischen Wandel zu begründen. Wo in der Version für den C64 noch jede Zeile Text signifikant viel Speicherplatz beanspruchte, spielt dies in der Version von 2004 keine Rolle mehr: Der Text kann problemlos durch umfangreiche Videosequenzen ersetzt werden. Dies stellt eine formal nicht anzufechtende Begründung dar, die so für uneingeschränkt alle Neuauflagen älterer Spiele gelten kann. Diese reicht jedoch nicht aus, wenn man eine medienhistorische Perspektive einnimmt. Es ist kein ungewöhnliches Vorgehen, wenn neuere Medien inhaltliche und formale Elemente älterer Medien übernehmen.17 Diese Remediation kann vielmehr als ganz allgemeines Kennzeichen der Mediengeschichte gelten. Im Falle des Spiels PIRATES! und seiner spezifischen Handlung finden sich – neben anderen – zwei Hauptaspekte, die aus medienhistorischer Sicht eine genauere Betrachtung verdienen. Bereits in der Frühen Neuzeit war die Piraterie unbestreitbar ein Medienereignis. Berichte über die Taten ›großer‹ Piraten fanden in der Tat ein Publikum. Beispielhaft sind dabei nicht nur die bekannten Werke von Alexandre Olivier Exquemelin oder Charles Johnson zu nennen,18 wobei letzteres durch mehrere erweiterte Auflagen eine Art Enzyklopädie der karibischen Piraterie wurde. Die dort gegebe-

17 Vgl. Bolter/Grusin: Remediation. 18 Exquemelin, Alexandre Olivier/Federmann, Reinhard (Übers., Bearb.): Das Piratenbuch von 1678, Stuttgart: Thienemann 1983; Johnson, Charles: A General History of the Robberies and Murders of the Most Notorious Pirates [1724], London: Anova Conway Maritime Press 2002; vgl. zu den Lebensdaten bekannter Piraten auch Bohn, Robert: Die Piraten, 2. Aufl., München: Beck 2002; ebenso Kempe, Michael: Fluch der Weltmeere. Piraterie, Völkerrecht und internationale Beziehungen 1500-1800, Frankfurt a.M./New York: Campus 2010.

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nen Schilderungen der Lebenswege und Lebensumstände bekannter Piraten entsprechen am ehesten dem, was einige Jahrhunderte später als so genannter Kolportageroman große Beliebtheit erfahren sollte. Es überrascht kaum, dass das Spiel eine Vielzahl von Personen, namentlich die besonders berüchtigten Piraten, Handlungsorten und Ereignissen aufnimmt.19 Es existiert jedoch noch eine weitere Form zeitgenössischer medialer Auseinandersetzung: So wurden in einigen Fällen die Protokolle der Verhandlungen gegen ergriffene Piraten und deren Mannschaften in Buchform veröffentlicht. Beispielhaft zu nennen sind hier die Prozesse gegen William Kidd (1645-1701) und Stede Bonnet (1688-1718).20 Es ist bemerkenswert, dass die Veröffentlichung dieser Prozessberichte zum einen sehr zeitnah zum Geschehen erfolgte, und dass es zum anderen überhaupt zu diesen Publikationen kam. Es bestand also ganz offensichtlich ein öffentliches Interesse daran, an den Geschehnissen ›aus erster Hand‹ teilzuhaben. Hier findet sich also im Sinne der Remediation ein Überlagerungsprozess auf der inhaltlichen Ebene, welche vornehmlich die Form des Textes nutzt. Denn trotz der teilweise durch bildliche Elemente unterstützten Darstellung der Ereignisse im Computerspiel erfolgt ein hoher Anteil der Informationsvergabe in der Fassung von 1987 noch in Form des Begleittextes; sei es auf dem Monitor, sei es im beigefügten Handbuch. Und eben dieses Handbuch nimmt inhaltlich die Form der angesprochenen Prozessakten auf und greift auch auf sprachlicher Ebene das Englisch der Frühen Neuzeit auf: »PIRATES! Being a complete and comprehensive account of the Great Age of Buccaneering in the West Indies between the years 1560 and 1700.«21

Im Vergleich dazu bietet auch das Deckblatt der Verhandlung gegen William Kidd die zeitgenössisch übliche Form einer Überschrift, die im Sinne vollumfänglicher

19 Zwar fehlen in der Version von 2004 die so genannten »Famous Expeditions«, in denen der Spieler auf Szenarien zurückgreifen kann wie beispielsweise die Plünderfahrt des Fancis Drake 1572/73. Doch werden die im Spiel von 2004 auftauchenden ›berühmten‹ Piraten mit ihren entsprechenden, beinahe folkloristisch anmutenden Attributen dargestellt; hervorzuheben sind sicherlich die brennenden Lunten, die der Legende nach Edward Teach, alias Blackbeard, (ca. 1680-1718), bei sich bietenden Gelegenheiten in seinen Bart flocht. In den Kampfsequenzen der Version von 2004 sind diese gut zu erkennen. 20 High Court of Admiralty[/Kidd,William]: The Arraignment, Tryal, and Condemnation of Captain William Kidd, for Murther and Piracy, upon Six several Indictments, London: John Nutt 1701; Court of Vice-Admiralty[/Bonnet, Stede/Tucker, Robert]: The Tryals of Major Stede Bonnet, and other Pirates, London: Benjamin Cowse 1719. 21 Handbuch PIRATES! (1987), S. 1.

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Angabe des Inhalts schon vorab den Leser unterrichtet und gleichsam verdeutlicht, wie eng die Anlehnung des Spiels von 1987 nicht nur inhaltlich, sondern auch auf Ebene der Sprache ist: »The Arraignment, Tryal and Condemnation of Captain William Kidd, for Murther and Piracy, upon six several indictments, At the Admirality-Sessions, held by His Majesty´s Commission at the Old-Baily, on Thursday the 8th and Friday the 9th of May, 1701. Who, upon full Evidence, was found guilty, receiv’d Sentence, and was accordingly Executed at Excution-Dock, May the 23d.«22

Es zeigt sich jedoch noch ein zweiter Prozess der Remediation, der weniger eine sprachliche Überlagerung darstellt, sondern auf formaler Ebene das Aufgreifen vorangegangener visueller Ausdrucksformen durch das Spiel deutlich macht. Betrachtet man PIRATES! nicht nur unter den technischen Aspekten eines Computerspiels, sondern vielmehr als eine mediale Gesamtkomposition, so fallen die Gemeinsamkeiten mit dem Genre des Abenteuerfilms auf.23 Das Piraten-Setting stellt eine nachgerade klassische Variante des Genrefilms dar. Gerade dieses Genre ist auf der formalen Ebene dadurch zu kennzeichnen, dass die Schauwerte eine große Bedeutung spielen. Diese Bedeutung ist so groß, dass ihnen gegenüber durchaus inhaltliche und handlungslogische Aspekte in den Hintergrund treten können, ohne dass der Erfolg – im Sinne einer wohlwollenden Rezeptionshaltung des Zuschauers oder eben des Spielers – geschmälert wird. Und in der Tat bieten die letzten Versionen des Spiels eine Vielzahl von animierten Szenen, klassischen »Swashbuckler«Animationen und eindrucksvollen Kulissen. Ganz ähnlich verhält es sich mit weiteren im Spiel integrierten »Minigames« wie dem Tanz auf dem Ball des Gouverneurs oder dem Auffinden verschollener Familienmitglieder und diverser Schätze. Gerade die neu hinzugekommene Ballsequenz der Version von 2004, in welcher der Spieler versuchen muss, beim Tanzfest im Hause des Gouverneurs das Herz der Gouverneurstochter zu erobern, macht die Logik deutlich, nach der die technisch verbesserten Möglichkeiten des Spiels in Schauwerte umgesetzt werden. Die Sequenz quillt geradezu über von Anspielungen auf die Hofkultur des Barocks: Glänzendes Parkett, vollständige Musikbegleitung, ungezählte Verbeugungen vor und nach dem Tanz und letztlich eine Zeichnung der anderen Ballgäste, die durch ihre optische Erscheinung – also recht steife Bewegungen und eine maskenhafte Ge-

22 High Court/[Kidd]: The Arraignment, S. 1. 23 Vgl. Fritze, Christoph/Seeßlen, Georg/Weil, Claudius: Der Abenteurer. Geschichte und Mythologie des Abenteuer-Films (Grundlagen des populären Films 9), Reinbek: Rowohlt 1983; Christen, Matthias: »Der Piratenfilm«, in: Bodo Traber/Hans J. Wulff (Hg.): Filmgenres. Abenteuerfilm, Stuttgart: Reclam 2004, S. 66-77.

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sichtszeichnung – auf Elemente höfischer Etikette verweisen.24 Allein die Fülle der hier angesprochenen Schlagworte und Topoi bringen das Spiel in eine sehr enge Beziehung zum Abenteuer- und Piratenfilm. Wie weit diese Anlehnung geht, soll hier nur an zwei weiteren Aspekten illustriert werden. Zum einen ist es für den Piraten- und Abenteuerfilm in seiner Hochzeit typisch, dass aus Kostengründen für aufwendige Szenen bereits bestehendes Filmmaterial, so genannte Stock Shots, verwendet wurde. Gleiches kann in der modernisierten Fassung von PIRATES! beobachtet werden, so beispielsweise neben den erwähnten Beispielen auch bei der Interaktion mit NPCs in der Taverne,25 beim Händler oder dem Schiffbauer. Dies lässt sich ebenfalls noch mit einer gewissen Produktionsökonomie erklären, doch auch auf der Ebene der Zeichnung der Protagonisten findet sich eine Parallele zum Abenteuerfilm. Der Filmheld ist üblicherweise neben seiner handlungstragenden Rolle durch eine ungemeine körperliche Präsenz gekennzeichnet. Diese Körperlichkeit kann als eines der wesentlichen Merkmale des ›Swashbuckler‹-Films angesehen werden. »Der Pirat ist ein betont körperlicher Held. Das zeigt sich auch im Kampf, den er gewöhnlich Mann gegen Mann mit dem Säbel austrägt. […]. Seinen Gegnern ist er nicht allein an Kraft und Geschicklichkeit überlegen, sondern auch durch seinen Charme, sein attraktives Äußeres und seine erotische Ausstrahlung.«26

Und es ist eben genau diese Körperlichkeit, die in PIRATES! aufgegriffen und – gemessen an den Standards des Abenteuerfilms – weitergeführt wird: Der Avatar altert im Spielverlauf, eine Tatsache, welche dem klassischen Filmpiraten nicht widerfährt. Dies ergibt sich nicht nur durch die entsprechenden Einträge in den Menüs zum Status, in denen Angaben über Alter und Gesundheitszustand zu finden sind. Vielmehr ›spürt‹ der Spieler zunächst noch unbedeutende, dann aber mehr und mehr deutliche Anzeichen verlangsamter Reaktionen seines Avatars in den Schwertkampf-Sequenzen. Auf der Ebene der Darstellung wird diese, sich in der Tat schleichend einstellende Verwandlung, dadurch unterstützt, dass das Gesicht

24 Vgl. Alewyn, Richard: Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste, 2. Aufl., München: Beck 1985. Hinsichtlich der zur Begleitung ausgewählten Musik ist anzumerken, dass es sich vielfach um Teile oder Versatzstücke aus Kompositionen Johann Sebastian Bachs handelt; schon in der Version von 1987 wurden diese als kurze Zwischeneinspielungen eingesetzt. 25 NPC steht für Non-Player-Character, also diejenigen in einem Spiel auftretenden Figuren, mit welchen der Spieler zwar in mehr oder weniger weitem Umfang interagieren kann, die jedoch nicht direkt gesteuert werden können. 26 Christen: Piratenfilm, S. 68f.

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des Avatars auch von seiner äußeren Erscheinung her altert. Zweifellos stellt dies für den Spieler ein Angebot dar, eine Art Beziehung zu seinem Avatar aufzubauen; die so vermittelte Körperlichkeit, welche über die mitunter statische Figuration der Protagonisten des klassischen Piratenfilms hinausgeht, lässt sich als Darstellungsmittel verstehen, welches sich in dieser Form nur im Videospiel finden lässt.27

Z USAMMENFASSUNG Im Vergleich der Versionen von 1987 und 2004 zeigt sich mithin, dass eine deutliche Verschiebung der inhaltlichen Akzentuierung zu erkennen ist. Bot die frühere Version noch vergleichsweise korrekte, oder zumindest nachvollziehbare Verweise und Elemente, die sich mit der realhistorischen Frühen Neuzeit in Deckung bringen ließen, so überwiegt in der späteren Fassung die Illustration, der Schauwert. Die Frühe Neuzeit wird dabei nicht vollends zur austauschbaren Kulisse oder zum reinen Dekor, doch die Bezugnahmen auf die Eigentümlichkeiten der Epoche werden unpräziser und weniger positiv abgleichbar mit realhistorischen Ereignissen.28 Es wird vielmehr das dargestellt, was sich im populärkulturellen Gedächtnis über die Piraterie in der Karibik verfestigt zu haben scheint.29 Es kann nicht darum gehen, einzelne Aspekte der dargestellten Geschichte auf ihre faktische Korrektheit hin abzuklopfen; die Reduktion der historischen Realität auf ausgewählte Elemente und notwendige Konzessionen an die Spielbarkeit von PIRATES! lassen zweifellos keine ausdifferenzierte Darstellung der Lebenswirklichkeiten der Frühen Neuzeit im Spiel zu. Alternativ zur Frage nach der realhistorisch korrekten Darstellung, welche sich vornehmlich an der ereignisgeschichtlich korrekten Erwähnung von Personen, Orten und Geschehnissen orientiert, wäre die Frage nach der Plausibilität der dargestellten, in einem historisch fremden Kontext angesiedelten Handlung einzubringen. Dabei ist zu fragen, inwiefern die im Spiel dar-

27 Vgl. dazu unter dem Schlagwort der »parasozialen Interaktion« Schaumann, Melanie: Parasoziale Interaktion und Virtualität, München: Grin Verlag 2007; anders dazu der Beitrag von Eugen Pfister. 28 Der Hinweis darauf, dass eine Untersuchung dahingehend, wie umfangreich historisches Einzelwissen in einem Spiel gesammelt und präsentiert wird, nicht zur Klassifikation eines Titels als gut oder schlecht ausreicht, findet sich auch bei Schwarz, Angela: »Computerspiele – ein Thema für die Geschichtswissenschaft?«, in: Dies. (Hg.): »Wollten Sie auch immer schon pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?« Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel (Medien'Welten 13), 2. Auf., Münster: LIT 2012, S. 7-28. 29 Vgl. dazu ausführlich den Beitrag von Eugen Pfister.

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gestellten Ereignisse wenn nicht wahr, so dann doch zumindest gut erfunden sind. Es ist offenbar die Stärke des Spiels PIRATES!, auf dem Feld der Plausibilität eine sehr geschlossene und in sich stimmige Welt zu zeichnen. Die Gründe dafür liegen in verschiedenen Punkten begründet: Zunächst handelt es sich um einen – trotz der Vielzahl der aufsuchbaren Orte – geschlossenen Handlungsraum. Eine derartige Reduktion kommt dem Designer entgegen, lassen sich damit doch eben innerhalb des Raumes Ausblendungen vornehmen. Im Spiel wäre hier die – durchaus realistische – Abwesenheit Portugals als agierender Kolonialmacht zu nennen.30 Die Abwesenheit stellt mithin keinen darstellerischen Mangel, sondern ganz im Gegenteil eine konsequente Reduktion dar, welche die Plausibilität des Spiels steigert. Es ist besonders in den Ausführungen zu den Darstellungsanleihen aus dem Abenteuer- und Piratenfilm, einschließlich der Produktionstechniken, deutlich geworden, dass PIRATES! ein Kondensat dessen darstellt, was sich im populärkulturellen Gedächtnis als Piratenbild verfestigt haben mag. Das Spiel, so kann an dieser Stelle subsumiert werden, positioniert sich auch im Bewusstsein der Hersteller in gewisser Ambivalenz zwischen dem Anspruch auf historisch korrekte Darstellung und populärer Vorstellung. Dies wird auch deutlich in den bereits eingangs zitierten Ausführungen aus dem Handbuch von 1987: »The Caribbean is a canvas of grand adventure, [...].«31 Das gesamte Setting der Piraterie in der Karibik wird als »Leinwand« genutzt, als Träger für eine Spielhandlung, die einerseits angereichert wird durch Anleihen aus der Realhistorie, aus Personen und Strukturen, andererseits jedoch auch mit Übernahmen populärer Vorstellungen, welche schon in früheren Medienformen das Bild der Piraten bestimmt haben. Das Spiel bleibt seinem Wesen nach ein Unterhaltungsmedium, in dem beispielsweise die detaillierte Darstellung der psychopathischen Züge und verbrecherischen Handlungen eines Roc Brasiliano (ca. 1630-1671) oder Bart Roberts (16821722) keinen Raum haben. Grausamkeit und skrupelloses Handeln werden – und hier gleicht die Umsetzung der Piraterievorstellungen im Spiel erneut denen im Film – ausschließlich den Kontrahenten zugeschrieben.32 Die Motivation für die Aktionen der Gegenspieler bleiben unklar, ebenso weite Teile ihrer Vorgeschichte.

30 Die Rolle Portugals war tatsächlich nach dem Vertrag von Tordesillas 1494 zum allergrößten Teil auf den südlichen Teil der ›Neuen Welt‹ begrenzt; vgl. Schneider, Ute: Die Macht der Karten. Eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute, Darmstadt: Primus 2004. 31 Handbuch PIRATES!, S. 3. 32 Bemerkenswerterweise wird auch jede Duellszene der Fassung von 2004, in der der Spieler einen gegnerischen Kapitän mit der Waffe bekämpft, in eher slapstickhafter Manier aufgelöst; in der Regel stürzen sich die Gegner in Folge eines angesengten Kleidungsstücks selbst ins Meer.

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So wird in der Fassung von 2004 nicht erläutert, welchen Verrat der Marquis Montalbán begangen hat, mit welchen dunklen Machenschaften er seinen Lebensunterhalt verdient und wie genau er zu seinem doch recht großzügigen und stark befestigten Anwesen im Dschungel gekommen ist.33 Solcherlei Ausblendungen sind freilich genretypisch und erstrecken sich – wie gezeigt – auch auf andere inhaltliche Aspekte. Dies gilt umso mehr im Kontext einer Betrachtung des Computerspiels als Medium mit durchaus vorhandenen eigenen medialen Produktions-, Distributions- und Rezeptionsbedingungen. In der laufenden Diskussion werden diese oftmals noch nicht hinreichend beachtet. PIRATES! profitiert dabei nicht unwesentlich vom Titelzusatz »Sid Meier‘s«. Ob in der ursprünglichen Version noch als Mitprogrammierer genannt oder später zumindest als Markenname eingesetzt, ›erwartet‹ der Kunde bei einem Titel von Sid Meier keine exzessive Gewaltdarstellung, sondern vielmehr eine vornehmlich heitere und durchaus leicht ironisierende Spielatmosphäre. Video zum Tagungsvortrag: Sandkühler, Gunnar: »Lebensformen in der Karibik – Das Spiel Pirates!«, URL: http://mediathek.hhu.de/watch/503bc56b-8815410b-be7a-e44e0ffd68c8 (Stand: 13.01.2014).

33 Die Bezugnahme auf Joseph Conrads Heart of Darkness (Edinborough: W. Blackwood 1899) und Coppolas APOKALYPSE NOW (1979) (USA, R: Francis Ford Coppola) wird hier überdeutlich. Der entscheidende Unterschied ist freilich, dass der Avatar des Spiels ebenso wenig wie der Spieler eine Reise in die eigene Finsternis seines Herzens unternimmt: Der sympathische Pirat bleibt, den Regeln des Unterhaltungsgenres folgend, seelisch unbeschadet und verbringt, so die Zusammenfassung am Spielende, einen heiteren und gelassenen Lebensabend im Kreise seiner wieder zusammengeführten Familie.

»Dont eat me I’m a mighty pirate« Das Piratenbild in Videospielen

EUGEN PFISTER

1. PIRATEN1 IN DER (POPULÄR-)KULTUR Das Bild von säbelrasselnden Piraten, insbesondere in Verbindung mit der tropischen Inselwelt der Karibik erweckt in den Köpfen von LeserInnen, KinogeherInnen und VideospielerInnen nach wie vor starke Sehnsüchte.2 So ist es auch zu erklären, dass man heute dem Mythos Piraten allerorts in der einen oder anderen Form begegnet – ob als Filmheld/-bösewicht auf der Leinwand und im Fernsehen, als Spielfigur, als Faschingskostüm oder als Merchandisingprodukt, wie zum Beispiel Käpt‘n Sharky-Trinkbecher. Piraten funktionieren als Marke,3 denn sie haben einen hohen ›Wiedererkennungswert‹: Totenkopfflagge, Augenklappe, Hakenhand, Papagei. Das Piratenbild beschränkt sich aber nicht allein auf diese – teilweise ahis-

1

Da es sich bei den historischen Piraten fast ausschließlich um Männer handelte und weibliche Piratinnen in Literatur und Film immer gesondert behandelt wurden, macht in diesen Fällen eine Genderung keinen Sinn. Wenn in Videospielen aber keine qualitative Unterscheidung zwischen männlichen und weiblichen Piraten gemacht wird, werde ich das gegenderte ›PiratInnen‹ benutzen.

2

Mackie, Erin: »Welcome the Outlaw: Pirates, Maroons, and Caribbean Countercultures«, in: Cultural Critique 59 (2005), S. 24-62; hier S. 24.

3

Vgl. Schüler, Benedikt et al.: »Geschichte als Marke. Historische Inhalte in Computerspielen aus der Sicht der Softwarebranche«, in: Angela Schwarz (Hg.): »Wollten Sie auch immer schon pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?« Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel (Medien'Welten 13), Münster: Lit 2010, S. 199-215; hier S. 211 und Wesener, Stefan: »Geschichte in Bildschirmspielen. Bildschirmspiele mit historischem Inhalt«, in: Tobias Bevc (Hg.): Computerspiele und Politik. Zur Konstruktion von Politik und Gesellschaft in Computerspielen (Studien zur visuellen Politik 5), Berlin: Lit 2007, S. 141-164; hier S. 141.

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torischen4 – Attribute, sondern kennzeichnet sich auch durch eine emotionelle inhaltliche Aufladung und steht gleichermaßen für so schwer fassbare Konzepte wie Gewalt, Grausamkeit, Sexualität, Freiheit und Rebellion. Der Topos des Piraten, in seiner Widersprüchlichkeit als Krimineller und Held zugleich – als ›Vogelfreier‹ – ist ein kulturelles Motiv mit langer Tradition. Eine Untersuchung dieses historischen Piratenbildes gibt keinen Aufschluss über die historischen Piraten der Karibik, dafür aber über die Gesellschaften, die diese Bilder hervorbrachten und verbreiteten. Der britische Historiker Peter Burke stellte zu Bildern im Allgemeinen fest, dass sie gesellschaftliche Wirklichkeit zwar verzerrt darstellen, aber eben dadurch zu einem wertvollen Beweis für darunterliegende Mentalitäten, Ideologien und Identitäten werden.5 Und wenn der französische Philosoph Guy Ladreau 1979 in einem Gespräch mit Georges Duby über die Geschichtswissenschaft fest hielt, dass sie »in unserer Kultur einer der grundlegenden Modi ist, durch die unsere Gesellschaft sich ein Selbstbild erträumt und bekräftigt«,6 gilt dies noch verstärkt für historische Romane, Historienfilme und historische Videospiele. In diesen Medien spiegeln sich nicht nur kollektive Ängste und Sehnsüchte, hier wird Gesellschaft aktiv konstruiert und kommuniziert.7 Romane, Filme und Videospiele müssen eben auch als ›Ort visueller Erinnerung‹ verstanden werden – die Nutzung von Videospielen als Quelle für kulturhistorische Analysen ist ein notwendiger nächster Schritt. Der deutsche Politologe Tobias Bevc ist beispielsweise der Überzeugung, dass Videospiele den SpielerInnen Elemente vermitteln, die im tatsächlichen Leben Anwendung finden können.8 In Videospielen werden bewusst oder unbewusst Gesellschaftsmodelle und Identitäten kommuniziert. In ihnen, wie auch in anderen Medien, reproduziert sich unsere Gesellschaft mit ihren Werten, Zielen und Regeln. 4

Vgl. Cordingly, David: Under the Black Flag. The Romance and the Reality of Life among the Pirates, San Diego: Harcourt Brace 1997, S. xiiif.

5

Burke, Peter: Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen, Berlin: Wagenbach 2010, S. 34.

6

Duby, Georges/Ladreau, Guy: Geschichte und Geschichtswissenschaft. Dialoge, Frankfurt a.M.. Suhrkamp 1982, S. 47.

7

Vgl. Jones, Sigrid: »Medien bilden – Schlüssekonzepte zu Media Literacy und Computerspielen«, in: Konstantin Mitgutsch/Herbert Rosenstingl (Hg.): Faszination Computerspielen. Theorie – Kultur – Erleben, Wien: Braumüller 2008, S. 137-148, hier S. 143; Weiß, Alexander: »Computerspiele als Aufbewahrungsform des Politischen. Politische Theorie in AGE OF EMPIRES and CIVILIZATION«, in: Bevc: Computerspiele und Politik, S. 77-98, hier S. 77; Zapf, Holger: »Anmerkungen zur visuellen Kommunikation im Medium Videospiel«, in: Bevc: Computerspiele und Politik, S. 99-114, hier S. 100.

8

Bevc, Tobias: »Konstruktion von Politik und Gesellschaft in Computerspielen?«, in: Ders.: Computerspiele und Politik, S. 25-54; hier S. 31.

»DONT

EAT ME

I‫ ތ‬M

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Wofür steht also das Piratenbild in unserer Kultur? Der Pirat erscheint gleichzeitig als Gegen-Ich – als Barbar und Figur des Schreckens – wie auch als Identifikationsfigur. Die Gestalten der grausamen aber freien Piraten boten und bieten sowohl den LeserInnen und KinobesucherInnen als auch den VideospielerInnen die Möglichkeit, sich kurz von ihren gesellschaftlichen Pflichten und Einschränkungen zu befreien wenn sie sich mit den ProtagonistInnen identifizieren. Piratengeschichten sind immer auch ein Fluchtort und erfüllen die Sehnsucht nach Freiheit. Insofern sind sie ein Prototyp eskapistischer Unterhaltung. Sie dienen der Stimmungskontrolle, der Entspannung und Rekreation, aber auch – so widersprüchlich es vorerst scheinen mag – der Spannungssuche, letzteres insbesondere bei Videospielen. Piratengeschichten können hier besonders ›reiz‹-voll sein. Was diesen Reiz noch verstärkt, ist, dass diese Geschichten an den Grenzen unserer Gesellschaft stattfinden, sowohl in einem geographischen als auch in einem sozialen Sinn. Im Folgenden soll es deshalb nicht darum gehen, Videospiele auf ihre historische Akkuratesse zu prüfen, sondern vielmehr darum den dem Piratenbild zugrundeliegenden Diskurs zu untersuchen. Ich habe bereits angedeutet, dass Piraten als Antagonisten und Protagonisten in Literatur und Film immer auch eine gesellschaftliche Funktion erfüllten. Von diesem Gedanken ausgehend möchte ich im folgenden Aufsatz der Frage nachgehen, inwieweit auch in den Videospielen der letzten dreißig Jahre, das ›klassische‹ Piratenbild aus Film und Literatur Eingang gefunden hat. Es soll die Geschichte des Piratenbildes in Videospielen nachgezeichnet und auf seine Besonderheiten eingegangen werden. Wie und mit welchen Motiven werden PiratInnen in Videospielen inszeniert, konstruiert und dekonstruiert? Gibt es Versuche, sich von den ›Zwängen‹ klassischer Piratennarativa zu befreien? Wie stark sind die Parallelen zu anderen zeitgenössischen Medien und was sagen diese Darstellungsformen über die Gesellschaft, die sie hervorbringt, aus?

2. EINE KURZE GESCHICHTE VON PIRATENBILDERN 9 IN FILM UND LITERATUR Um die Kontinuitäten des Piratenbildes zu verstehen, muss man auf seine historischen Ursprünge in schriftlichen und bildlichen Darstellungen zurückgreifen. Seit

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Einen ausführlichen Überblick über Piraten in Literatur und Film findet sich beispielsweise in Pfister, Eugen: »›What did your say your occupation was? – I'm a grog-swilling, foul-smelling pirate‹. Das Piratenbild in ›alten‹ und ›neuen‹ Medien«, in: Andreas Obenaus/Ders./Birgit Tremml (Hg.): Schrecken der Händler und Herrscher. Piratengemeinschaften in der Geschichte, Wien: Mandelbaum 2012, S. 248-269.

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den ersten überlieferten Überfällen auf hoher See, waren Piraten ein beliebter Topos in Abenteuer-Erzählungen. In den Werken Plutarchs und Suetons wurden beispielsweise die kilikischen Piraten zu wichtigen Gegnern, durch deren Überwindung sich ein junger Julius Cäsar profilieren konnte.10 Schon damals spielte die historische Genauigkeit eine der Narration untergeordnete Rolle. Es galt weniger eine detailgetreue Überlieferung zu schreiben, als die besondere Kaltblütigkeit des römischen Politikers hervorzuheben. Die längste Zeit über funktionierten Piraten in Erzählungen vor allem als Antagonisten, als Hürde, die es zu überwinden galt, als narratives Werkzeug um die Handlung voranzutreiben. So auch in William Shakespeares Hamlet (1603), worin der dänische Prinz von Piraten gefangen genommen und gegen seinen Willen in Dänemark abgesetzt wird.11 Insofern waren die AutorInnen zumeist wenig an den politischen und sozialen Beweggründen der Piraten interessiert. In solchen Erzählungen hatten Piraten keine eigenen Ziele sondern wurden allein von ihrer Geldgier getrieben, sie entsprechen dem später durch Thomas Hobbes Verbreitung findenden Bild des »homo homini lupus« und funktionieren als Verkörperung einer vorgesellschaftlichen atavistischen Gefahr, als warnendes Beispiel, als Anti-These der Gesellschaft. Zugleich hat aber auch von Anfang an ein unterschiedliches Piratenbild Verbreitung gefunden. Bei Thukydides liest man beispielsweise, dass die Seeräuberei für viele junge Griechen aus gehobener Schicht eine Lebensphase der Bewährung sein konnte, ähnlich wie später die ritterliche Aventure im Mittelalter.12 Einem ähnlich ›positiven‹ Piratenbild begegnen wir später in Paul Scarrons Komödie Le Prince Corsaire aus dem Jahr 1662. Der Pirat tritt bei dem französischen Dichter als ›illustrer‹ und ›nobler‹ Held auf.13 Es handelt sich hier um einen ungewollt zum Piraten gewordenen Prinzen – ein Topos dem wir in Folge noch häufig begegnen werden. Beeinflusst durch den Erfolg der ersten Reiseberichte europäischer Freibeuter in der ›Neuen Welt‹,14 hielten sich Piratengeschichten seitdem konstant in

10 Canfora, Luciano: Caesar, der Demokratische Diktator, München: Beck 2001, S. 25-27. 11 Vgl. Farley-Hills, David: »Hamlet's Account of the Pirates«, in: The Review of English Studies, New Series 50 (1999), S. 320-331: Unter Shakespeareforschern war eine heftige Kontroverse darüber entstanden, ob Hamlet geplant hatte, mithilfe der Piraten den dänischen Thron zurückzuerobern. 12 Bohn, Robert: Geschichte der Seefahrt, München: Beck 2011, S. 26. 13 Requemora, Sylvie: »L’Imagerie littéraire du «Tiran de la Mer» au XVIIe siècle: des récits de voyages et des histoires de flibustiers aux traitements romanesques et dramaturgiques«, in: Dies./Sophie Linon-Chipon (Hg.): Les Tyrans de la Mer. Pirates, Corsaires & Flibustiers, Paris: Presses de l'université de Paris-Sorbonne 2002, S. 297-314; hier S. 308. 14 Hier wären das Tagebuch von William Dampiers Reisen (Dampier, William/Walz, Hans: Freibeuter 1683-1691. Das abenteuerliche Tagebuch eines Weltumseglers und Piraten,

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der Gunst des Publikums. Die abenteuerlichen Bukaniere und Flibustiers begeisterten die zeitgenössischen Öffentlichkeiten und inspirierten beispielsweise Voltaire zu einem bewundernden Eintrag in seinem Essai sur les Moeurs et L’Esprits des Nation (1756): »Imaginez des tigres avec un peu de raison: voilà ce qu’étaient les flibustiers.«15 Neben dem »edlen« Freibeuter bestand in der Literatur auch weiterhin das Bild des grausamen und unmenschlichen Piraten, welches von den populären zeitgenössischen Piratenchroniken genährt wurde. Sowohl Alexandre Exquemelins Beschreibung des französischen Freibeuters L’Ollonois in Die amerikanischen Seeräuber16 als auch Captain Johnsons A General History of the Robberies and Murders of the Most Notorious Pirates17 versorgten nicht nur zeitgenössische Abenteuerromane mit historischem Material, sondern dienen auch heute noch als Inspirationsquelle für Film- und Videospielproduktionen.18 Besonders populär wurden in diesen Piratenchroniken die Beschreibungen von Foltern und Grausamkeiten. Die Popularität von Darstellungen grausamer Foltermethoden lässt sich vielleicht am besten anhand von Jacques Lacans These des »zerstückelten Begehrens« erklären: »Manifeste die-

Stuttgart: Erdmann 1977) gegen Ende des 17. Jahrhunderts sowie der von Jean-Pierre Moreau herausgegebene anonyme Bericht über die Reise des Freibeuters Charles Fleury aus dem frühen 17. Jahrhundert (Moreau, Jean-Pierre/Mayer, Jean: Un Flibustier Français dans la Mer des Antilles, Paris: Payot & Rivages 2002) zu nennen. Besonders schön liest sich auch der Reisebericht des französischen Flibustiers Jacques Ravenau de Lussans, der 1689 erstmals erschienen ist (Ravenau de Lussans, Jacques: Journal du Voyage fait à la Mer de Sud, avec les Flibustiers de l'Amérique en 1684. & années suivantes, Paris : J. B. Coignard 1689). 15 Krief, Huguette: »A l’abordage de l’idée d’énergie: l’héroisation de la flibuste de Courtilz de Sandras à Voltaire«, in: Requemora/Linon-Chipon (Hg.): Les Tyrans de la Mer, S. 335-348 ; hier S. 344. 16 Exquemelin, Alexandre Olivier/Federmann, Reinhard (Übers., Bearb.): Das Piratenbuch von 1678, Stuttgart: Thienemann 1983. 17 Vgl. Defoe, Daniel [i.e. Captain Johnson]: A General History of the Robberies and Murders of the Most Notorious Pirates, New York: Carol & Graf 1999. 18 In PIRATES OF THE CARIBBEAN: ON STRANGER TIDES (2011) (USA, R: Rob Marshal) wird deutlich, dass die Drehbuchautoren Captain Johnsons Buch gelesen haben, denn die Charaktere entsprechen in ihrem Auftreten jenen Beschreibungen. Zum einen erscheint Blackbeard bei seinem ersten Auftritt mit den obligatorischen brennenden Lunten in seinem Bart und zum anderen wird auf den Mythos, der seinen Tod umrankt, angespielt: Nachdem Blackbeard der Kopf in der Chesapeake Bay abgeschlagen wurde, soll er noch mehrmals um das Schiff geschwommen sein – übrigens ein Mythos, der in ähnlicher Form auch die Hinrichtung Klaus Störtebekers begleitet.

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ses zerstückelten Begehrens zeigen sich den um den eigenen Körper rankenden Phantasien und Träumen. […] Sie richten sich auf Teilstücke des Körpers in Form losgelöster Glieder, halbierter Leiber oder ausgerissener Organe«.19 Das Piratenbild wurde entsprechend von der Dichotomie von edelmütigen Freiheitskämpfer und blutrünstigen Gesetzlosen bestimmt. Dass eine solcherart vereinfachende SchwarzWeiß-Zeichnung nicht die Realität widerspiegelte, versteht sich von selbst. Wer als legitimer Freibeuter und wer als ruchloser Seeräuber bezeichnet wurde hing schon zu Lebzeiten der Freibeuter vor allem von der Nationalität des Schreibers ab. Während spanische Dichter den englischen Freibeuter Francis Drake (um 1540-1596) als ruchlosen Piraten verteufelten, wurde er zur selben Zeit in seiner Heimat als Held verklärt. Solch nationale Sichtweisen hielten sich über die Jahrhunderte.20 Spätestens im 19. Jahrhundert waren Freibeuter durch die Abenteuerromane von James Fenimore Cooper, Robert Louis Stevenson und Emilio Salgari Bestandteil einer transnationalen Populärkultur geworden. In Coopers Der rote Freibeuter21 ist der namengebende Freibeuter ein nobler Gesetzloser, der für die Unabhängigkeit der zukünftigen Vereinigten Staaten eintritt. Dem Archetypen des ehrenwerten Piraten begegnen wir auch in Emilio Salgaris Roman Der Schwarze Korsar.22 Hier ist der Titelheld Emilio di Roccabruna ein weithin gefürchteter Pirat, der im 17. Jahrhundert die Karibik unsicher machte. Durch Verrat war der junge Adelige dazu gezwungen worden, aus Europa zu fliehen, und versuchte nun gemeinsam mit seinen drei Brüdern in der Neuen Welt Rache am Verräter zu üben. Diesem stereotypen edelmütigen Piraten, der nur durch äußere Umstände dazu gezwungen wurde ein Leben als Gesetzloser zu führen und dem es am Ende der Erzählung immer gelingt, sich wieder erfolgreich in die Gesellschaft einzugliedern, begegnen wir dann mit nur geringen Variationen auch in Rafael Sabatinis Romanen Der Seehabicht23 und Peter Bluts Odysee24 sowie in deren Verfilmungen mit Errol Flynn.25 Mit der Verbreitung des Films als Massenmedium im 20. Jahrhundert, wurde dieses Piratenbild nämlich nahezu unverändert vom Spielfilm übernommen. Wichtig war vor allem, dass die edlen Piraten im Gegensatz zu ihren Widersachern – den grausamen Pira-

19 Pagel, Gerda: Jacques Lacan. Zur Einführung, Hamburg: Junius 1989, S. 28. 20 Siehe Pfister, Eugen: »›Imaginez des Tigres avec un peu de Raison.‹ Von Bukanieren, Flibustiers und Piraten (1602-1726)«, in: Obenaus/Ders./Tremml: Schrecken der Händler und Herrscher, S. 184-205. 21 Cooper, James F.: The Red Rover, Philadelphia: Carey, Lea & Carey 1828. 22 Salgari, Emilio: Il corsaro nero, Genua: Donath 1898. 23 Sabatini, Rafael: The Sea Hawk, Auckland: The Floating Press 1915. 24 Sabatini, Rafael: Captain Blood: His Odyssey, Aukland: The Floating Press 1922. 25 CAPTAIN BLOOD (1935) (USA, R: Michael Curtiz) und THE SEA HAWK (1940) (USA, R: Michael Curtiz).

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ten – sich trotz ihrer Gesetzlosigkeit an einen eigenen Ehrenkodex hielten. Dieses Festhalten an Gesetz und Moral erlaubte es ihnen am Ende sich im Gegensatz zu ihren Widersachern als Held zu profilieren. Die Gouverneurstochter wurde gerettet, die Kolonisten beschützt, und einer Eingliederung in die Gesellschaft – Hochzeit mit der Gouverneurstochter, Beförderung oder Erhebung in den Adel – stand nun nichts mehr im Wege. Charakteristisch für diese Narrative sind aber auch gewisse Einschränkungen: zum einen haben sich die Helden nie freiwillig zu einem Leben als Piraten entschieden. Der heldenhafte Pirat zeichnet sich dadurch aus, dass er sich auch weiterhin an einen (ungeschriebenen) Ehrenkodex hält. Hier finden sich natürlich viele Parallelen zu ähnlichen Narrativen, wie beispielsweise dem Robin Hood Mythos. Wirklich rechtsfreie Piraten, die sich weder an Gesetze noch an Verhaltenskodices halten, bleiben aber auch in Literatur und Film entmenschlichte Antagonisten. Sie dienen als Gegenbild zum Vorbild des ehrenhaften Piraten. Insofern bestärken die Gesetzlosen die Gesetze der Gesellschaft. Hier verdichtet sich das grundlegende Konzept von Anziehung und Abstoßung, welches den Reiz dieses Genres ausmacht. Halten wir also fest, dass die Freiheit der Piraten stets nur von beschränkter Dauer war. ›Böse‹ Piraten werden bestraft und ›ehrliche‹ Freibeuter werden am Ende wieder in die gesellschaftliche Ordnung eingegliedert. Die erfolgreiche Darstellung dieser Dichotomie verbreitete sich vor allem in Zeiten in denen der frühmoderne Staat immer mehr auch das symbolische Machtmonopol an sich band und die persönlichen Freiheiten zumindest in der Wahrnehmung zurückgingen. Solcherart reproduzierte das Piratenbild in Literatur und Film die längste Zeit einen sozialen Disziplinierungsprozess.26 Erst mit den Filmen gegen Ende des 20. Jahrhunderts und in Videospielen fiel dieser Aspekt weg. Weder gliedern sich Helden wie Roman Polanskis amoralischer Captain Red27 oder Gore Verbinskis Jack Sparrow28 am Ende der Geschichte wieder in die Gesellschaft ein, noch werden sie bestraft.

26 Vgl. Schuck, Gerhard: »Theorien moderner Vergesellschaftung in den historischen Wissenschaften um 1900. Zum Entstehungszusammenhang des Sozialdiszipli-nierungskonzeptes im Kontext der Krisenerfahrungen der Moderne«, in: Historische Zeitschrift, 268 (1999), S. 35-59. 27 Gespielt von Walther Matthau in: PIRATES (1986) (Frankreich/Tunesien, R: Roman Polanski). 28 Gespielt von Johnny Depp in: PIRATES OF THE CARIBBEAN: THE CURSE OF THE BLACK PEARL (2003) (USA, R: Gore Verbinski).

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3. DAS PIRATENBILD IN VIDEOSPIELEN Viele Topoi aus Literatur und Film fanden auch in Videospielen Eingang und ermöglichen es den SpielerInnen, sich problemlos in Piraten-Spielwelten zurechtzufinden: Ihnen muss nicht erst erklärt werden, was das Ziel des Spieles ist. Ganz selbstverständlich begeben sich die SpielerInnen auf Kaperfahrt. Allein dank graphischer Elemente und der Tonalität der Musikuntermalung können sie beispielsweise unterscheiden, ob sie es gerade mit gefährlichen Piraten oder heldenhaften Freibeutern zu tun haben. Dadurch, dass Videospiele mit unzähligen sehr unterschiedlichen Spielgenres ein weitaus heterogeneres Medium als beispielsweise der Film darstellen, muss eine Analyse des Piratenbildes in Videospielen differenzierter ausfallen. So gibt es zum einen Spiele, die wie Spielfilme eine lineare Erzählung eines Helden / einer Heldin nachvollziehen. Das sind zum Beispiel Abenteuer- und Rollenspiele wie ASSASSINS CREED IV: BLACK FLAG29, RISEN 230 oder THE SECRET OF MONKEY ISLAND.31 Hier folgt der Spielverlauf einer gedachten Linie, die es ermöglicht, das narrative Modell aus Spielfilm und Literatur zu übernehmen. Daneben gibt es aber auch offene Spielwelten mit offenem Spielausgang insbesondere in Simulationen wie PIRA32 TES!. Hier ist der Weg der SpielerInnen nicht klar vorgezeichnet, und so greift das klassische Piraten-Narrativ in seiner Dichotomie nur bedingt, auch wenn sich hier ebenfalls narrative Elemente finden lassen.33

PiratInnen in linearen Spielwelten

Wenden wir uns zuerst den linearen Spielverläufen in Adventures und Rollenspielen zu. Hier lässt sich eindeutig eine Übernahme klassischer Piratentopoi nachzeichnen. Bereits die ersten Textadventures34 der 1970er und 1980er Jahre verwendeten ›piratische‹ Versatzstücke. 1978 war Scott Adams Textadventure PIRATE AD35 VENTURE erschienen, in welchem der Spieler auf einer Pirateninsel nach einem vergrabenen Piratenschatz sucht. Im Gegensatz zu heutigen millionenschweren Vi-

29 ASSASSIN’S CREED IV: BLACK FLAG (2013) (Ubisoft). 30 RISEN 2: DARK WATERS (2012) (Piranha Bytes/Deep Silver/Ubisoft). 31 THE SECRET OF MONKEY ISLAND (1990) (Lucasfilm Games). 32 Vgl. auch Schwarz, Angela: »Computerspiele – ein Thema für die Geschichtswissenschaft?«; in: Dies: Pestverseuchte Kühe, S.7-28, hier S. 15. 33 Bevc: Konstruktion von Politik und Gesellschaft in Computerspielen, S. 30. 34 In Textadventures präsentiert sich das Spiel in rein textlicher Form. 35 PIRATE ADVENTURE (1978) (Adventure International).

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deospielprojekten, wurde das textbasierte Spiel von einem einzigen Programmierer entwickelt und war denkbar einfach. Die SpielerInnen spielten, indem sie simple Phrasen eintippten, wie »Take Cup« oder »Go North«. Es folgten in den nächsten Jahren mehrere einfache Spiele, deren Geschichte mehr oder weniger offen an Stevensons Schatzinsel angelehnt waren. Piraten dienten ihnen dabei anfangs nur als bunte Bühnenwand, als zweckdienliche Hintergrundgeschichte, die in gewissem Maße austauschbar blieb. Vor allem die Gestaltung der Verpackungen zeigte aber bereits bei Textadventures ganz eindeutig den Einfluss klassischer Piratenbilder. Auf farbenfrohen Schachteln prangten schneidige Piratenkapitäne, Totenkopfflaggen und Papageien. Auch bedingt durch die technischen Restriktionen der ersten Personal Computer blieb die Narration selbst aber eher beschränkt. Erst 1987 kam mit Infocoms PLUNDERED HEARTS36 ein ausführlicheres Textadventure auf den Markt, in dem die SpielerInnen die Rolle einer jungen Frau übernehmen,37 die sich in einer Intrige zwischen dem ›bösen‹ Gouverneur Jean Lafond und dem schneidigen jungen Piraten Nicholas Jamison behaupten muss. Hier tritt erstmals ein ›ehrenwerter‹ Freibeuter in Erscheinung, auch wenn die Piraten nach wie vor keine spielbaren Figuren sind. Sie sind Widersacher und/oder (komische) Verbündete. Diese Tradition findet sich auch heute noch vor allem in japanischen Rollenspielen wieder. Nichtspielbare Piraten-Gefährten begegnen uns beispielsweise in FINAL FANTASY II, V, XII38 und LOST ODYSSEY.39 Ihre freibeuterische Hintergrundgeschichte ist für die Handlung des Spiels jedoch meist ohne Bedeutung. Zum Helden eines Abenteuerspiels wurde ein Pirat 1990 in der AdventureParodie THE SECRET OF MONKEY ISLAND, welche es sich zur Aufgabe gemacht hatte, konsequent alle bekannten Piratenklischees zu verarbeiten.40 In dem von Ron Gilbert gemeinsam mit Tim Schafer und Dave Grossman für Lucasfilm Games entwickelten Spiel übernehmen die SpielerInnen die Rolle des jungen Guybrush Threepwood,41 der es sich zum Ziel gesetzt hat, ein Pirat zu werden. Er muss jedoch

36 PLUNDERED HEARTS (1987) (Infocom). 37 Der Text auf der Box des Spieles warb folgendermaßen für das Spiel: »Im 17. Jahrhundert sind die Meere so wild wie das ungezähmte Herz einer jungen Frau«. 38 FINAL FANTASY II (1988) (Square), FINAL FANTASY V (1992) (Square) und FINAL FANTASY XII

(2006) (Square Enix/Koch Media).

39 LOST ODYSSEY (2007) (Mistwalker/feelplus/Microsoft Game Studios). 40 THE SECRET OF MONKEY ISLAND. 41 »In the Secret of Monkey Island, you play the role of Guybrush Threepwood, a young man who has just hit the shores of Melee Island (somewhere in the Caribbean). Our naive hero's travels have lead him to Melee Island in a quest to fulfill his life's ambition ... to become a fierce, swashbuckling, bloodthirsty PIRATE.« In: Handbuch zu: THE SECRET OF MONKEY ISLAND, Lucasfilm Games

1990, DOS-Version.

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zuerst drei Prüfungen bestehen, um von der Piratengemeinschaft der Insel als einer der ihren anerkannt zu werden. Threepwood verliebt sich im Laufe des Spieles in die junge Gouverneurin Elaine Marley, die wiederum vom ruchlosen Geisterpiraten LeChuck entführt wird. Die Geschichte liest sich eingangs wie ein Potpourri der gängigsten Stereotype – und das mit Absicht. Macht es sich das Spiel – ähnlich wie zuvor nur Roman Polanskis Film PIRATES – doch zur Aufgabe, alle gängigen Klischees zu dekonstruieren. Dabei stellen sich die arrivierten Piraten von Mêlée Island™ ohne Ausnahme als ängstliche Prahler heraus, die seit langem keine Schiffe mehr überfallen haben. Auch der Protagonist Guybrush Threepwood wird trotz seiner großspurigen Ansagen – »Ich bin ein mächtiger Pirat!« – von keinem der anderen Charaktere ernst genommen. Als der Protagonist des Spiels von drei Kannibalen für den Diebstahl mehrerer Bananen zur Rede gestellt wird, versucht er ängstlich, sich aus der misslichen Lage herauszureden. Eine dem Spieler angebotene Antwortmöglichkeit im folgenden Gespräch ist hier: »Don’t eat me, I‘m a mighty pirate«. Die Widersprüchlichkeit des piratentypischen Machismo kondensiert in einem Satz. Überhaupt werden alle gängigen Stereotype dekonstruiert. Die Schwertkämpfe, die in den klassischen Mantel- und Degenfilmen neben einer möglichst aufwendigen Choreographie vor allem durch die begleitenden Wortgefechte der Protagonisten auffielen, werden allein auf das Element der Beleidigungen reduziert. Will Guybrush Threepwood den Schwertmeister (übrigens eine Frau) besiegen, muss er erst die richtigen Beschimpfungen beherrschen. Ron Gilbert ließ sich bei der Entwicklung des Spiel von seiner Liebe zum Abenteuerfilm leiten: »The pirates on Monkey Island aren't like real pirates, who were slimy and vicious, the terrorists of the 17th century. These are swashbuckling fun-loving pirates, like the ones in the adventure stories everyone grows up with.«42 Gerade durch seine satirische Überhöhung ist das Spiel eine unschätzbare Fundgrube für die gängigen Topoi des Piratenbildes. Seine Inspiration bezog Ron Gilbert nach eigenen Angaben aus historischen Überblicken43 und Belletristik zugleich.44 Das Spiel wurde zu einem nachhal-

42 »The Secret of Creating Monkey Island – An Interview With Ron Gilbert, excerpt from LucasFilm Adventurer vol. 1, number 1, Fall 1990«, URL: http://www.scummbar.com/ resources/articles/index.php?newssniffer=readarticle&article=1033 (Stand: 07.01.2013). 43 »The Secret of Creating Monkey Island«. 44 »I was sorting through some boxes today and I came across my copy of Tim Power's On Stranger Tides, which I read in the late 80's and was the inspiration for Monkey Island. Some people believe the inspiration for Monkey Island came from the Pirates of the Caribbean ride – probably because I said it several times during interviews – but that was really just for the ambiance. If you read this book you can really see where Guybrush and LeChuck were plagiarized from, plus the heavy influence of voodoo in the game. When I am in the early stages of designing, I'll read a lot of books, listen to a lot of music and

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tigen Erfolg und wurde erst vor kurzem für moderne Spielkonsolen und Smartphones neu aufgelegt. Man findet es mittlerweile in allen gängigen Spielekanons und 2012 hat das Smithsonian Institute das Spiel in die Reihe der künstlerischen Videospiele aufgenommen.45 Ein weiteres gutes Beispiel für die Übernahme klassischer Piratenmotive bietet das rezente Fantasy-Rollenspiel RISEN 2. Zwar spielt es nicht in der Karibik, sondern in einer Fantasiewelt vor dem Hintergrund eines epischen Kriegs zwischen Menschen und Titanen, doch sowohl die Narration selbst als auch die Zeichnung der Charaktere greift dabei eindeutig auf die Traditionen der karibischen Piraten zurück. Die Geographie und Fauna ist eindeutig an die Karibik angelehnt, ebenso wie die Toponyme. (Eine der Hafenstädte heißt beispielsweise Antigua.) Der Charakter »Stahlbart« ist bereits aufgrund seines Namens eindeutig als Verweis auf »Blackbeard« zu verstehen. Seine Tochter »Patty« wiederum ist eine Übernahme der Figur der Anne Providence aus dem Film »Die Piratenkönigin« (gespielt von Jean Peters).46 Wie Anne ist Patty die Tochter eines berüchtigten Piratenkapitäns. Dies dürfte in Erzählungen scheinbar die einzige Möglichkeit für Frauen sein, erfolgreiche Piratinnen zu werden, denn es gilt auch für die Piratinnen »Morgan Adams« (Geena Davis) in der Piratenbraut47 und »Angelica« (Penelope Cruz) in »Pirates of the Caribbean: Fremde Gezeiten«48. Besonders interessant ist die Geschichte des »namenslosen Helden«, der Spielerfigur in RISEN 2: Er arbeitet eigentlich für die »Inquisition« und begibt sich auf die Suche nach einer Waffe im Kampf gegen die Titanen. Dazu muss er sich als Pirat ausgeben. Wir begegnen also der klassischen Erzählung des ehrenhaften Freibeuters, der im Grunde gar kein Pirat ist. Er wird durch äußere Umstände gezwungen, für einen begrenzten Zeitraum ein Leben als Pirat zu führen.49 An dieser Stelle ist ein Blick auf die Frauenrollen in Piratenspielen interessant: Während es zumindest zwei große Filme über Piratinnen gab, und im letzten ›Fluch der Karibik‹ Penelope Cruz eine zentrale Rolle einnimmt, spielten weibliche Piratinnen in Videospielen bisher kaum eine Rolle. Obwohl Videospiele häufig die

watch a lot of movies. I'll pick up little ideas here and there. We in the business call it stealing.« Gilbert, Ron: »On Stranger Tides«, URL: http://grumpygamer.com/6476640 (Stand: 13.12.2012). 45 Smithonian American Art Museum (Hg.): »The Art of Video Games«, URL: http:// www.americanart.si.edu/exhibitions/archive/2012/games/winninggames.pdf (Stand: 21. 01.2014). 46 ANNE OF THE INDIES (1951) (USA, R: Jacques Tourneur). 47 CUTTHROAT ISLAND (1995) (USA, R: Jenny Harlen). 48 PIRATES OF THE CARIBBEAN: ON STRANGER TIDES. 49 RISEN 2: DARK WATERS.

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Möglichkeit bieten, historische Frauenbilder aufzubrechen und insbesondere deutsche Spiele oft eine ahistorische Gleichberechtigung konstruieren,50 hält sich das Genre der Piratenspiele meist an klassische Erzählstrategien. So zum Beispiel wenn in PIRATES! (siehe unten) das Herz der Gouverneurstochter erst im Duell und in einer späteren Fassung im Tanz erobert werden muss.51

PiratInnen in offenen Spielwelten

In offenen Spielwelten ist eine direkte Übernahme klassischer teleologischer Narrativa schwieriger, da die SpielerInnen hier weitaus freier agieren können und nicht an einen einzigen Entwicklungsstrang gebunden sind. Andererseits finden auch hier die Spiele nicht in einem handlungsfreien Raum statt. Gerade Piratensimulationen leben von der Marke »Pirat« und selbst in Wirtschaftssimulationen und Strategiespielen finden sich deshalb Spuren klassischer Piratenmotive. Als archetypische Antagonisten erscheinen die Piraten beispielsweise in Starsofts Wirtschaftssimulation PIRATES OF THE BARBARY COAST52 auf dem Commodore 64-Heimcomputer.53 Hier übernehmen die SpielerInnen die Rolle von Kapitän Atticus, dessen Tochter von Piraten entführt wurde, und müssen durch Handel das notwendige Lösegeld auftreiben. Während PIRATES OF THE BARBARY COAST nur begrenzt erfolgreich war, gelang es dem amerikanischen Programmierer und Mitbegründer von Microprose, Sid Meier mit seinem Piratenspiel, das er schlicht PIRATES! taufte, sowohl das Publikum als auch die Kritiker zu überzeugen.54 Es ist das erste Spiel, in dem Piraten selbst zu Protagonisten wurden: »The world’s first swashbuckling simulation« steht in großen Buchstaben auf dem Handbuch geschrieben, unter dem romantischen Gemälde einer Schiffsschlacht vor tropischem Hintergrund. Das Spiel stellt dabei eine interessante Mischung aus Wirtschaftssimulation, Strategie- und Rollenspiel dar. Die SpielerInnen übernehmen die Rolle eines Piraten in der Karibik des 16. bis 18. Jahrhunderts. Ziel ist es, durch Handel, Kaperfahrten und Überfälle zu Reichtum und Ansehen bei den vier europäischen Nationen – England, Frankreich, Spanien und den Niederlanden – zu kommen. Mittels Kaperbriefen können die Spiele-

50 Knoll-Jung, Sebastian: »Geschlecht, Geschichte und Computerspiele. Die Kategorie ›Geschlecht‹ und die Darstellung von Frauen in Historienspielen«, in: Schwarz: Pestverseuchte Kühe, S. 171-189; hier S. 176. 51 Ebd., S. 178. 52 PIRATES OF THE BARBARY COAST (1986) (Starsoft Development Laboratories/Keypunch Software/Artronic Limited). 53 Der Commodore 64 (C64) war ein 8-Bit Heimcomputer aus den frühen 1980er Jahren. 54 SID MEIER’S PIRATES! (1987) (Microprose).

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rInnen durch geschicktes Ausspielen der wechselhaften diplomatischen Beziehungen Adelstitel und Landgüter ansammeln. Dazu müssen Schiffe und Kolonien der jeweils verfeindeten Nationen überfallen werden. Sid Meier, der Entwickler des Spiels, legte dabei großen Wert auf historische Genauigkeit, was sich auch in dem ausführlichen Handbuch widerspiegelt, das dem Spiel beiliegt. Über mehrere Seiten wird hier die Geschichte großer Piraten erzählt, von Francis Drake über Henry Morgan bis zum Baron de Pointis. Immer wieder wird das 87-seitige Handbuch von »Historical Footnotes« unterbrochen, die zeigen, dass Sid Meier mit der zeitgenössischen Literatur zur Geschichte der Piraterie vertraut war: »PIRATES! began as a glimmer in an historian’s eye. Here at Microprose we knew that the buccaneering era in the Caribbean would make a fabulous game.«55 Der Wille zur historischen Genauigkeit findet sich auch im Spiel. Gewisse Kolonien stehen den SpielerInnen erst in der passenden Epoche zur Verfügung. Auch die Besitzverhältnisse versuchen die historischen Machtverhältnisse der jeweiligen Zeit möglichst getreu abzubilden. Zugleich haben die SpielerInnen aber auch die Möglichkeit, selbst in die Geschichte einzugreifen und Kolonien für bestimmte Nationen zu erobern. Das Hauptaugenmerk des Spiels liegt dabei auf den Seegefechten und Enteraktionen, auf wirtschaftlichen Aspekten (kürzlich ausgeraubte Kolonien verarmen und verlieren Bevölkerung) und einer Art politischen Geschichte der Karibik. Daneben gilt es, das Herz der schönsten Gouverneurstochter in einem Duell mit einem Widersacher zu erobern und die eigene verschleppte Familie wiederzufinden. Neben zwei eigenen Neuauflagen,56 kam es auch zu mehreren ›Klonen‹, wie den von der Spielmechanik fast identischen Kopien SEA LEGENDS,57 BUCCANEER58 und CORSAIRS: CONQUEST 59 AT SEA. Diese Spiele setzen vor allem auf ein ›wirtschaftliches‹ Element: Ziel ist es durch Überfälle auf Handelsschiffe und Kolonien Reichtümer und Prestige anzusammeln. Erreicht wird dieses Ziel durch strategische Entscheidungen und motorisches Geschick im Laufe der Seegefechte und Enteraktionen. Die Person des Piraten tritt hierbei jedoch, in der für dieses Genre typischen Top-Down Perspektive, in den Hintergrund. Verkaufspreise von gekaperten/gestohlenen Handelsgütern und die meist in Zahlenkolonnen festgehaltenen Spezifikationen der Schiffe, spielen auf lange Sicht eine gewichtigere Rolle als die Figur des Piraten. Das zeigt sich besonders deutlich in der PORT ROYALE-Spielserie, die stark von PIRATES beeinflusst ist.

55 Handbuch zu: THE SECRET OF MONKEY ISLAND, Lucasfilm Games 1990, DOS-Version, S. 82. 56 PIRATES GOLD (1993) (Microprose) und SID MEIER‘S PIRATES! (2004) (Firaxis et al./Atari et al.). 57 SEA LEGENDS (1996) (Mir Dialogue/Ocean Software/GTE Entertainment). 58 BUCCANEER (1997) (Divide by Zero/Strategic Simulations). 59 CORSAIRS: CONQUEST AT SEA (1999) (Microids).

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Obwohl im dritten Teil der Serie eine Liebesgeschichte mit einer Gouverneurstochter einen stimmigen Hintergrund bieten soll, dominieren auch hier die Tabellen und Menüs.60 Die mangelnde Ausarbeitung des Spielercharakters und seiner Hintergrundgeschichte erschwert eine Identifikation der SpielerInnen, wie sie bei Spielfilmen und Abenteuerspielen stattfindet.61 Zugleich bietet aber gerade der Mangel an Konturen und Inhalten eine Projektionsfläche und kann somit die Immersion, das Eintauchen der Spieler in das Spiel erleichtern.62 Seit der Jahrtausendwende spielen Piraten in den äußerst erfolgreichen Aufbausimulationen der ANNO-Reihe,63 in der die SpielerInnen die Aufgabe übernehmen, unbekannte Inselwelten zu erforschen und zu besiedeln, erneut die klassische Rolle des gesichtslosen Antagonisten, der den Handel und Aufschwung der jungen Kolonien gefährdet. Auch in anderen historischen Aufbausimulationen – wie CIVILIZA64 und COLONIZATION65 (beide ebenfalls von Sid Meier entwickelt) – begegTION nen wir Piraten. Hier funktionieren sie allerdings bloß als Werkzeug. Ähnlich wie auch Schachfiguren dienen sie den SpielerInnen dazu, sich gegen andere Fraktionen zu behaupten. Im Gegensatz dazu übernehmen in TROPICO 266 ähnlich wie in PIRATES! wieder die SpielerInnen die Rolle des Piraten. Dabei fällt TROPICO 2 durch eine betont humorvolle Herangehensweise auf, womit es an den Ton von Lucas Arts‘ MONKEY ISLAND-Spielen und das Piratenbild aus der Jugendliteratur67 anknüpfte. Auch fehlt in dem von der Spielmechanik eher an Städtebausimulationen wie SIMCITY angelehnten Spiel eines der zentralen Elemente des Piratenbildes: die Seeschlachten, welche sich hinter Zahlentabellen versteckten.

60 PORT ROYALE: GOLD, POWER AND PIRATES (2002) (Try Synergy/Ascaron Entertainment/Take2), PORT ROYALE 2 (2004) (Try Synergy/Ascaron Entertainment) und PORT ROYALE 3: PIRATES & MERCHANTS (2012) (Gaming Minds/Kalypso Media). 61 Eine der grundlegenden Formen der emotionalen Aktivierung der ZuseherInnen beim Film ist die Identifikation. Mikos, Lothar: Film- und Fernsehanalyse, Konstanz: UVK 2008, S. 174. 62 Vgl. auch den Beitrag von Gunnar Sandkühler in diesem Band. 63 ANNO 1602 (1998) (Max Design/Sunflowers); ANNO 1503 (2002) (Max Design/ Sunflowers); ANNO 1701 (2006) (Related Designs/Sunflowers/Koch Media); ANNO 1404 (2009) (Related Designs/Blue Byte/Ubisoft); ANNO 2070 (2011) (Related Designs/Blue Byte/Ubisoft). 64 Erstmals in den Szenarios zu SID MEIER’S CIVILIZATION II (1996) (Microprose), dann in SID MEIER’S CIVILIZATION III (2001) (Firaxis/Infogrames) und in SID MEIER’S CIVILIZATION IV

(2005) (Firaxis/2K Games).

65 SID MEIER’S COLONIZATION (1994) (Microprose). 66 TROPICO 2: PIRATE COVE (2003) (Gathering of Developers/Frog City Software). 67 Vgl. Pfister: What did your say your occupation was?, S. 248-269.

»DONT

EAT ME

I‫ ތ‬M

A MIGHTY PIRATE «

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Gerade die satirische Atmosphäre von TROPICO 2, wo auch die archetypischen Galgen eher amüsant als bedrohlich wirken, ist ein Indiz für einen Wandel im Piratenbild. Den meisten Videospielen mit PiratInnen als Protagonisten ist nämlich gemein, dass sie, ebenso wie rezente Filme, immer mehr Abstand von der traditionellen Dichotomie zwischen brutalem Piraten und ehrenwertem Freibeuter nehmen, oder diese aktiv dekonstruieren. Der Pirat als Protagonist befreit sich immer öfter von den Zwängen des Genres und muss nicht länger zwangsläufig am Ende der Erzählung in die geregelte Gesellschaft zurückgeführt werden. Zwar lassen sich Spuren des klassischen Piratennarratives auch in strategischen Wirtschaftssimulationen nach dem Vorbild von SID MEIER’S PIRATES erkennen – der Held kann eine Gouverneurstochter heiraten und sich mit seinen Titeln am Ende des Spiels zu Ruhe setzen –, Motivation für das Spiel sind diese Überreste einer klassischen PiratenErzählung aber nicht. Es fehlt jegliche Strafe oder Wiedergutmachung für etwaige kriminelle Handlungen. Ziel ist nicht wie in Romanen und Filmen die Auflösung der Handlung, sondern das Spielen selbst.

4. DER REIZ, PIRATIN ZU SEIN Videospiele übernehmen also historisch entstandene Piratenbilder. Zugleich verändert die den Spielen zugrunde liegende Spielmechanik die tradierten Bilder. So eignen sich im Grunde nur stark lineare Erzählstrukturen für eine direkte Übertragung klassischer Erzählungen, in welchen grausame Piraten bestraft und ehrenhaften Freibeuter belohnt werden. Doch auch in diesen Spielgenres findet die Übernahme nur partiell statt. Selbst in linearen Adventure- und Rollenspielen geben die SpielerInnen und nicht die EntwicklerInnen die Spiel- und damit die Erzählgeschwindigkeit vor. Ihre Aufmerksamkeit kann nicht so stark gelenkt werden, wie im Film.68 Somit können klassische Piratennarrativa nie ihre gesamte Wirkung entfalten. Das gilt noch mehr für Wirtschafts- beziehungsweise Strategiesimulationen in der Tradition von Sid Meiers PIRATES!. Auch hier lassen sich klassische Versatzstücke des Piratenromans bzw. Piratenfilms finden. Trotzdem lässt sich das klassische erzieherische Piratenbild hier nicht vollständig übertragen. Im Gegensatz zum Roman und Film findet in den Wirtschaftssimulationen und Strategiespielen keine ebenso starke emotionale Identifikation mit dem Protagonisten statt. Er bleibt bis zuletzt konturund im Grunde auch geschichtslos. Nicht sein persönliches Schicksal steht im Zentrum, sondern das Geschick in den Gefechtseinlagen und das wirtschaftliche Gespür der SpielerInnen. Wie auch die genreverwandten Simulationen bezieht das Spiel

68 Abgesehen davon lässt sich schon seit den 1980er Jahren ein vergleichbarer Wandel des Piratenbilds in Piratenfilmen feststellen.

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seinen Reiz vor allem aus den Spielmechanismen und Spielzielen. Trotzdem spielt das historische Ambiente eine wichtige Rolle und von den Entwicklern wird immer Wert auf historische Authentizität gelegt.69 Diese historische Bezugnahme ermöglicht es den SpielerInnen sich in der Spielwelt zu orientieren. Das Piratenbild funktioniert eben auch als Marke, mit dem gewisse Eigenschaften, Erwartungen und Sehnsüchte in Verbindung gebracht werden.70 Gerade als Traumbild eines wahrhaft freien Lebens, ob auf hoher See oder in den Unendlichkeiten des Weltraums, werden Piraten voraussichtlich auch in Zukunft fixer Bestandteil unserer Populärkultur bleiben.

69 Siehe den Beitrag von Gunnar Sandkühler in diesem Band. 70 Ein rezentes Beispiel dafür bietet die erfolgreiche ASSASSIN’S CREED-Reihe, deren vierter Teil zur Zeit des Goldenen Zeitalters der Piraterie in der Karibik spielt: ASSASSIN’S CREED IV: BLACK FLAG (2013) (Ubisoft).

Der Stadt ihre Spieler Wahrnehmung und Wirkung historischer Metropolen in der Assassin’s Creed Reihe G ERNOT H AUSAR

ABSTRACT Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den neuen Interaktionsmöglichkeiten in ›historischen‹ Städtesimulationen in Computerspielen und den Rückkoppelungen für das Geschichtsbild der Spieler. Durch immer leistungsfähigere Technik, computergesteuerte ›intelligente Einwohner‹ und digitalisierte Quelltexte und Artefakte kann ein Gefühl für das Leben in historischen Metropolen, wie beispielsweise Jerusalem, Florenz, Venedig, Rom oder Konstantinopel in modernen digitalen Spielwelten vermittelt werden. Da der Spieler mit den Gebäuden, Objekten und der Geographie der digitalen Stadt interagiert, um die gestellten Aufgaben zu bewältigen, wird potentiell weitaus mehr an Information vermittelt, als dies durch schriftliche, bildliche oder dingliche Quellen möglich ist. Dieser Beitrag geht der Frage nach, welche Auswirkungen diese Entwicklung in Bezug auf Spieler und Forschung haben könnte. Weiterhin wird ein Ausblick auf eine für Spieleindustrie und Geschichtswissenschaften fruchtbare Zusammenarbeit versucht.

E INLEITUNG : D AS

HISTORISCHE

P UZZLE

UND DIE

M EDIEN

Das Hineinversetzen in eine vergangene Zeit – die Frage, wie Menschen früher ihren Alltag gemeistert haben – übt auch heute eine ungebrochen starke Faszination aus. Daher verwundert es nicht, dass die Unterhaltungsindustrie dieses ›Setting‹ gerne als Hintergrund ihrer Produkte nutzt. Sowohl Filme, Romane, populärwissenschaftliche Texte aber auch Brett- und Computerspiele spielen mit dem vom Konsumenten gesuchten ›authentischen‹ Gefühl für die von ihnen behandelten ge-

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schichtlichen Ereignisse oder Epochen.1 In den letzten Jahren wurden Kinofilme von der Spieleindustrie als profitabelstes Unterhaltungsmedium teilweise abgelöst (Umsatz: 1,86 Milliarden Euro).2 Daher können Spiele mit historischen Settings auch immer größere Bevölkerungsgruppen erreichen und Impulse für das Geschichtsbild geben, wie Studien über die Rolle von Unterhaltungsmedien auf das Geschichtsbild der Zuseher am Beispiel Film bereits durchaus kritisch untersucht haben.3 Der Trend, dass Belletristik und Populärliteratur sich historischer und anderer fiktionaler Settings annehmen und dadurch auch in den betroffenen wissenschaftlichen Fachbereichen an Deutungsmacht gewinnen, ist dabei keineswegs neu. Er ist ein Nebeneffekt eines Buchmarktes, der nicht allein Autoritäten, Wirtschaft und Wissenschaften, sondern einem stetig wachsenden Teil der Gesamtbevölkerung dient und marktwirtschaftlichen Prinzipien unterworfen ist. Je breiter der Zugang zu einem Medium ist, desto geringer ist auch der Anteil wissenschaftlicher Themenbereiche am Gesamtmarkt. So gab es bereits in den Messkatalogen der Frankfurter und Leipziger Buchmessen 1797 einen etwa 10-prozentigen Anteil poetischer und fiktionaler Werke.4 Aktuelle Statistiken zeigen inzwischen fast eine Umkehrung der Schwerpunkte aktueller Publikationstätigkeit und der Gewinn bei ›poetischen und fiktionalen‹ Werken hat heute jenen der wissenschaftlichen Werke weit übertroffen.5 Dabei gibt es berühmte Beispiele, wie Wissenschaftler die ›Unterhaltungsliteratur‹ nutzten, um durch die Publikation von Romanen ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So brachte schon Johannes Kepler in seiner phantastischen Erzählung Somnium6 seinen Lesern subtil

1

Siehe bezüglich der ungebrochenen Beliebtheit von Filmen mit historischen Settings beispielsweise: Internet Movie Database: »Keywords: History«, URL: http://www.imdb. com/find?q=history&s=kw&ref_=fn_kw (Stand: 17.01.2014).

2

Probst, Maximilian: »Kulturgut Games «, in: Die Zeit Online (08. Dezember 2012), URL: http://www.zeit.de/2012/50/Computerspiele-Medium-Zukunft (Stand: 07.02.2013).

3

Siehe dazu beispielsweise diesen Review von Publikationen zum Thema: Raw, Lawrence: »Retelling European History on Film: An Essay Review«, in: Film & History 41,2 (2011), S. 64-68.

4

Vgl. bspw. die Grafik der Auswertung von Dr. Olaf Simons, die auf Wikimedia Commons dankenswerterweise frei verfügbar ist. Simons, Olaf: »1797 Titelverteilung nach den Frankfurter und Leipziger Messkatalogen«, URL: http://tinyurl.com/1797-Titel verteilung (Stand: 07.02.2013).

5

Vgl. bspw. die Berichte des German Book Offices in New York: GBO New York (Hg.): »The

United

States

Book

Market«,

URL:

http://www.buchmesse.de/pdf/buch

messe/buchmarkt_usa.pdf (07.02.2013). 6

Keppler, Johannes/Plutarch: Joannis Keppleri Somnium seu Opus posthumun de astronomia lunari. Accedit Plutarchi libellus De facie quae in orbe lunae apparet. E Graeco

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das heliozentrische Weltbild näher, und auch in jüngerer Zeit hatten beispielsweise die Pulp-Science Fiction-Magazine in den USA wesentlichen Anteil an der Technologieakzeptanz breiter Teile der Bevölkerung, indem versteckt in einer phantastischen Abenteuergeschichte auch wissenschaftliche Erkenntnisse und Fortschritte vermittelt wurden.7 Diese Beispiele machen deutlich, dass die Populärkultur gerade bei der Kommunikation wissenschaftlicher Erkenntnisse eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Computerspiele bieten hier zwar technisch neue – insbesondere audiovisuelle – Interaktionsmöglichkeiten, stehen aber in ihrer Funktion als vermittelndes Medium im Rahmen von ›Fakt und Fiktion‹ in einer langen erfolgreichen Tradition.

ASSASSIN ’ S C REED : ›F REERUNNING ‹ DURCH DIE G ESCHICHTE ASSASSIN’S CREED ist eine Serie von Computerspielen, die von Ubisoft Montreal entwickelt wurde. Der erste Teil wurde 2007 für Spielekonsolen und 2008 für PC veröffentlicht. Ursprünglich als Action- und Geschicklichkeitsspiel für Einzelspieler gedacht, wurden in den neuen Teilen Multispielerelemente eingeführt. In der ASSASSIN’S CREED-Reihe (AC I, II, III) müssen Spieler vom Mittelalter bis in die Neuzeit Missionen erfüllen. Sie schlüpfen dabei in die Rolle von Desmond Miles, der über eine virtuelle Umgebung in die Rolle der Vorfahren des Spielhelden schlüpfen kann. Diese gingen als Assassinen gegen die Machenschaften der Templer vor, wobei sie eine weltweite Verschwörung aufdecken, die mit ihrer aberwitzigen Vermischung von historischen und fiktionalen Elementen auch aus Umberto Ecos Foucaultschem Pendel stammen könnte. Denn der besondere Reiz der Serie besteht im dichten Verweben von historischen Persönlichkeiten, Ereignissen und Schauplätzen mit der erzählten Geschichte. Die Spielwelt konzentriert sich überwiegend auf europäische Metropolen. So müssen im ersten Teil beispielsweise Jerusalem oder Damaskus, im zweiten Teil mit seinen Erweiterungen Florenz, Venedig, Rom oder Konstantinopel erforscht werden, bevor im dritten und vierten Teil Nordamerika während des Unabhängigkeitskrieges bzw. die Häfen der karibischen Inseln Hintergründe der Handlung werden. Die einzelnen Städte können weitgehend frei begangen werden, einzelne Bezirke müssen allerdings durch Vorantreiben der Handlung ›freigeschaltet‹ werden. Der Held begegnet während seiner Aufträge immer wieder historischen Persönlichkeiten, von Leonardo Da Vinci und Piri Reis bis zu George Washington oder Blackbeard.

Latine redditus a Joanne Kepplero, hg. v. Martha List u. Walter Gerlach. Faksimiledruck der Ausgabe von 1634. Osnabrück: Zeller 1969. 7

Atteberry, Brian: »The magazine era: 1926-60«, in: Edward James/Farah Mendlesohn (Hg.): The Cambridge Companion to Science Fiction, 7. Aufl., Cambridge et al.: Cambridge University Press 2009, S. 32-47; hier S. 33.

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Abb. 1: Damaskus als Beispiel für ein historisches Setting. Concept Art, Assassin’s Creed 1. Mit freundlicher Genehmigung von Ubisoft. Als Assassine haben Spieler außergewöhnliche athletische Fähigkeiten, die es erlauben, wie bei der Sportart ›Parkour‹ bzw. ›Freerunning‹ Fassaden zu erklettern und todesmutig von Gebäuden und Aussichtspunkten zu springen. Die virtuellen Bewohner der Städte reagieren auf die Aktionen des Heldens. Gute Beziehungen zur Stadtbevölkerung können so auch genutzt werden, um sich zu verstecken oder Verfolger abzuschütteln. Stadtviertel können erobert werden, was es ermöglicht, Geschäfte und historische Wahrzeichen zu erwerben und damit Boni und zusätzliche Einnahmequellen freizuschalten. Auch außerhalb der Städte kann die Umgebung zu Land und am Wasser erforscht werden. Sie wurde mit jedem weiteren Teil durch eine deutlich erhöhte Detailtiefe, eine Reihe von Mini-Games und Nebenaufträge besser in das Spiel eingebunden und mit historischen Elementen der erzählten Geschichte verbunden.

V ON P UZZLETEILEN

BIS ZU HISTORISCHEN

L EBENSWELTEN

Das Erforschen des Lebens und Denkens der Menschen vergangener Zeiten ist eine der schwierigsten Tätigkeiten, der sich Historiker bei ihrer Arbeit widmen. Sie bilden das Fundament historischer Ereignisse und erlauben es, die Interaktionen, Zusammenhänge, Hintergründe und Auswirkungen besser zu verstehen. Wissenschaftler, die sich mit der Rekonstruktion vergangener Ereignisse befassen, seien es beispielsweise Physiker, Biologen, Archäologen oder Historiker, arbeiten mit den – oft spärlich vorhandenen – Artefakten. Sie versuchen, diese zuerst zu einem Grundgerüst zusammenzusetzen. Dieses wird durch weitere Artefakte ergänzt und zeichnet ein immer komplexeres, wenn auch nie vollständiges Bild vergangener Ereignisse.

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Abb. 2: ›Todessprung‹ vom Galata-Turm in Istanbul. In-Game-Bild, Assassin’s Creed Revelations. Mit freundlicher Genehmigung von Ubisoft. Historiker haben dazu immer auch das ›Erzählen‹ der Vergangenheit genutzt, um in der Phantasie der Menschen ein möglichst lebendiges Bild vergangener Geschehnisse zu erzeugen. Die ›Narration‹ erleichtert die Arbeit der Forscher, da ein Fokus auf das Kontextualisieren von Artefakten in einen fiktiven historischen ›Alltag‹ mit seinen Problemen und wiederkehrenden Tätigkeiten gelegt wird. Ausstellungen und Rekonstruktionen von Lebensumgebungen, ergänzt durch vorhandene Artefakte, sind Beispiele für diesen ›narrativen‹ Zugang, der es auch Rezipienten erlaubt, sich ein buntes, vielschichtiges Bild von der Vergangenheit zu zeichnen. Lücken werden dabei oft durch eigene Erfahrungen und Perzeptionen ergänzt. Dies führt manchmal zu einer populären Wahrnehmung der mit Hilfe der vorläufigen Forschungsergebnisse dargestellten Geschichte als ›komplette und authentische‹ Rekonstruktion. ASSASSIN’S CREED spielt mit diesem Effekt, wenn es in seiner Produktwerbung damit wirbt, dass Spieler in eine ›realistische Simulation historischer Geschehnisse‹ eintauchen können und als Hintergrund des Spielgeschehens in eine Simulation einer ›echten‹ und funktionierenden historischen Stadt versetzt werden. Dazu wird auf historische Artefakte und Dokumente zurückgegriffen, um Gebäude, Grundrisse, Kostüme und Fassaden im Rahmen der Spielmechanik möglichst nahe an die damals real bestehenden Gegebenheiten heranzuführen und mittels der am Menschen ausgerichteten Spielfigur zu erkunden. Gleichsam als Kontrapunkt gilt es im ›Animus‹ mit geometrischen Figuren wie einem Quader als Spielfigur durch abstrakte geometrische Spielwelten zu navigieren. Der Unterschied zwischen den ›historischen‹ und den ›abstrakt-geometrischen‹ Leveln ist von der reinen Spielmechanik und -architektur gering – allerdings fühlen sich Spieler oft instinktiv in den historischen Leveln ›wohler‹, da sie näher an der perzipierten ›Realität‹ sind. Sie empfinden Stilbrüche wie die Animus-Level von

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ASSASSIN’S CREED daher auch oft als Störungen im Rahmen des Spielerlebnisses, wie es in Artikeln, Forenpostings und Kommentaren ausgeführt wird.8 Dies ist ein Indiz dafür, wie wichtig das historische Setting – welches insbesondere durch die Stadt als ›Kulisse‹, Projektions- und Interaktionsfläche vermittelt wird – als Teil der audio-visuellen Narration für den Prozess der ›Immersion‹ im Sinne eines Eintauchens und einer Identifikation des Spielers mit der spezifischen Spielwelt sein kann. Wesentlich für diesen Prozess sind neben den unmittelbar durch den Spieler erlebten Interaktionen auch die simulierten mittelbaren Aktionen der Non Player Characters (NPCs). Es hilft beim Eintauchen, wenn man die Spielwelt als teilweise ›lebendig‹ wahrnehmen kann. So macht es einen Unterschied, ob Wachen auch dann weiter auf den Stadtmauern patroullieren, wenn der Spieler sie nicht gerade beobachtet. Diese Simulationen des Stadtlebens führen zu einer Individualisierung des Spielerlebnisses, da NPCs sich im Laufe eines ›Tages‹ durch die Spielarchitektur bewegen und unterschiedliche Tätigkeiten verrichten. So kann es zu einzigartigen ›Begegnungskonstellationen‹ zwischen Spielfigur und NPCs kommen, da es einen Unterschied macht, ob man den Markt bei Tag besucht, wo die Geschäfte geöffnet sind und viele NPCs ihre simulierten ›Einkäufe‹ verrichten, oder in der Nacht, wo der Markt dunkel und leer ist. Diese einzigartigen spielerabhängigen Konstellationen sind es auch, die der simulierten Welt ›Leben‹ einhauchen – unabhängig von der historischen ›Authentizität‹. Sowohl der Tagesablauf der NPCs als auch ihre Interaktionen mit dem SpielerCharakter richten sich dabei zwangsläufig nach dem Plan der Stadt, ihren architektonischen und baulichen Besonderheiten. Durch Simulation einer historischen Stadt und ihrer Einwohner können auch oberflächliche Ähnlichkeiten mit ›real‹ existierenden Städten den Spielern über den Spielverlauf hinausgehende und im realen Leben anwendbare (historisch) relevante Informationen mitgeben. So berichteten Eltern davon, wie ihre ASSASSIN’S CREED spielenden Kinder bei Besuchen Istanbuls historische Gebäude und Plätze suchten und diese wiedererkannten.9 All diese Indizien legen nahe, dass der Kulissenbegriff neben dem reinen Simulieren von Authentizität im Rahmen der Gebäude, Objekte und Geographie der digitalen Stadt sehr wohl auch inhaltliche Facetten, beispielsweise im Bereich des Leveldesigns und –layouts besitzt. Dieser weite Begriff der Kulisse soll in der Folge kurz erläutert werden.



8

Vgl.: O. A.: »Assassin’s Creed 3 – Five Things We Want To See Improved«, URL: http://www.x360magazine.com/general/assassins-creed-3-–-five-things-we-want-to-seeimproved/ (Stand: 17.01.2014).

9

Vgl.: The Thrifty Traveller: »Istanbul – The Assassin’s Creed Trail«, URL: http://thrifty traveller.wordpress.com/2013/06/10/istanbul-the-assassins-creed-trail/ 2013).

(Stand:

19.08.

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K ULISSEN : D IE

GANZE

W ELT

ALS DIGITALE

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In seiner Untersuchung zur Darstellung des Mittelalters im ersten Teil der Assassin’s Creed Serie spricht Carl Heinze von »Kulissenauthentizität« und meint damit »all jene Thematisierungen von Geschichte im Computerspiel (…), die hinsichtlich ihrer Erscheinung nach ›korrekten‹ Vorbilder gefertigt sind.«10 Er entwickelt den Begriff aus Denkmalschutz und Filmproduktion und bezieht sich dabei insbesondere auf Hans-Werner Goetz Untersuchung zu Umberto Ecos Der Name der Rose.11 Kleine Fehler beim Versuch der digitalen Reproduktion historisch korrekter Requisiten, wie sie beispielsweise bei diversen architektonischen Details der Hagia Sophia auch in AC: REVELATIONS zu finden sind,12 sind auch für Heinze vernachlässigbar, da er insgesamt einen Einfluss der authentischen Kulissen auf das Spielen verneint und damit auch Hans Werner Goetz‘ Argumentation13 folgt: » (…) letztlich wird man aber aufgrund der sprachlichen Limitierung und der Engführung in den Handlungsoptionen in der Spielfigur keine überzeugende Modellierung eines mittelalterlichen Individuums, das um das Jahr 1200 lebte, erkennen. Vergangenheitsreferenz wird also (…) nur durch visuelle Gestaltung und sprachliche Benennung erzeugt. Statt des direkten Erlebens von Authentizität, zu dem ›das Nachspielen und Reenactment, das Evozieren eines ›authentischen Gefühls‹‹ gehört [Anm.: Heinze bezieht sich hier auf Pirker/Rüdiger, Authentizitätsfiktionen],14 geht es hier um die mimetischen Potentiale des Computerspiels. Die Nachbauten berühmter Kirchen und Moscheen durch ASSASSIN’S CREED mögen zwar zur Fiktion von Authentizität beitragen, auf Ebene der Spiellogik haben sie aber keinen Einfluss; sie belegen sogar in einem ganz wörtlichen Sinn die Bedeutung des Begriffs von der Kulissenauthentizität: Weder Felsendom noch UmayyadenMoschee sind begehbar, alle Türen sind nur funktionslose Tür-Grafiken. Für die Spiellogik haben die aufwändig gestalteten Bauwerke daher in etwa die Bedeutung von großen Kisten mit etwas unebener Oberfläche.«15

10 Vgl. Heinze, Carl: Mittelalter Computer Spiele. Zur Darstellung und Modellierung von Geschichte im populären Computerspiel, Bielefeld: transcript 2012, S. 182-183. 11 Vgl. Goetz, Hans Werner: »Umberto Eco und das Interesse am Mittelalter«, in: Tom Kindt/Harald Müller (Hg.): Ecos Echos. Das Werk Umberto Ecos: Dimensionen, Rezeptionen, Kritiken, München: Wilhelm Fink 2000, S. 37-52. 12 Vgl. ASSASSIN’S CREED : REVELATIONS (2011) (Ubisoft). 13 Goetz: Umberto Eco und das Interesse am Mittelalter, S. 50. 14 Pirker, Eva Ulrike/Rüdiger, Mark: »Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen. Annäherungen«, in: Dies. et al (Hg.): Echte Geschichte. Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen. Bielefeld: Transcript 2010, S. 11-30; hier S. 17. 15 Heinze: Mittelalter Computer Spiele, S. 183.

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Der Kulissenbegriff wird in diesem Artikel weiter gefasst als bei Goetz oder Heinze. Die hier zitierten Äußerungen bieten aber einen guten Ausgangspunkt, wenn man anhand der Entwicklung der ASSASSIN’S CREED-Serie ab 2007 die Fortschritte bei Computerspielen mit historischen Themen in den letzten Jahren demonstrieren möchte. So müssen viele der Kritikpunkte aus heutiger Sicht erneut untersucht werden: Historische Gebäude wie die Hagia Sophia sind nun in digitalen Rekonstruktionen begehbar. Fortschritte in der Prozessorleistung, die sich – wenn man Moore’s Schätzung folgt – alle 18 Monate verdoppeln, machen aufwendigere Rekonstruktionen ganzer Stadtviertel sowie eine weitergehende Simulation eines vereinfachten Stadtlebens und seiner ›Bewohner‹ möglich. NPCs sind dabei ebenso ein Teil der historischen Kulisse wie Architektur und Layout der Straßen, Dächer und Gebäude, die im Zusammenspiel mit den anderen Elementen gewürdigt werden sollten – gerade wenn es um die Spielerwahrnehmung einer ›historisch lebendigen Stadt‹ geht. Bei einem genauen Blick auf die unterschiedlichen NPC-Arten zeigt sich, dass auch NPC-Statisten und -Komparsen, d.h. vom Computer gesteuerte Figuren, die nicht Teil der Hauptgeschichte sind und keine oder nur geringfügig individualisierte Rollen haben, sich seit dem ersten Teil der Serie stark weiterentwickelt haben. Dabei muss klar festgehalten werden, dass (Spiel-)A.I.s auf dem heutigen Stand der Technik noch sehr rudimentär sind, auch wenn sie auch in Forschung und Wirtschaft Verwendung finden. Trotzdem können immer komplexere Modelle für das Verhalten von NPC-Statisten in Spielwelten programmiert werden. So können NPCs zum Beispiel unterschiedlich auf den Spieler reagieren: ängstlich, neutral, unterstützend oder aber feindselig. Auch der Ort und die Art der Begegnung sowie Elemente der Spielwelt, wie der Tag und Nachtrhythmus, haben Einfluß auf die Reaktionen. Wenn die Spielfigur NPCs stößt oder unachtsam in sie hineinläuft, kann es passieren, dass die Bürger ihn wütend den Weg verstellen, Kisten fallenlassen oder Wachen ihre Waffen verlieren. Generell kann festgestellt werden, dass NPCs und Spielwelt den physischen und historischen Möglichkeiten und Begrenzungen weitestgehend unterliegen, auch wenn man zugunsten der Spielmechanik einige Konzessionen gemacht hat, wie die Spielfigur mit ihren Sprüngen aus großer Höhe in Heuhaufen immer wieder demonstriert. Diese Begrenzungen beziehen sich auf das damals theoretisch Mögliche aus Grundlage – sowohl in den architektonischen als auch individuellen Optionen der NPCs, und geht so weit über reine Kulisse im engen Sinn hinaus. So macht es auch spielmechanisch einen Unterschied, ob NPCs mit Steinschloßpistolen oder modernen automatischen Waffen ausgerüstet sind, da sich die Wahl des historischen Settings auch mathematisch in Schaden, Schußfolge und Trefferwahrscheinlichkeit niederschlägt. Kulisse als Teil des (digitalen) ›Bühnenbildes‹ war immer schon stark an die jeweiligen Inhalte gebunden und daher weit weniger austauschbar, als durch solch enge Definitionen suggeriert wird. Denn genauso wie in traditionellen Bühnenstücken vermitteln auch die digitale Kulissen in ASSASSIN’S CREED die Illusion eines eingeschränkten Abbildes einer historisch verorteten ›Wirklichkeit‹. Für Spieler ist offensichtlich, dass es sich um idealtypische und fik-

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tive Orte handelt, die über einen Computer, eine Spielkonsole, ein mobiles Gerät oder VR-Ausrüstung bereist werden können und sich an populären Bildern der Geschichte orientieren. Das Gefühl der ›Authentizität‹ wird bei Spielern dabei hauptsächlich durch die Beziehung zu der Spielwelt geschaffen, die durch persönliche Misserfolge, Siege und Reiseerlebnisse aufgebaut wird. Um dies zu erreichen, müssen Game Designer die Spieler dazu bringen, sich auf das Lösen der gestellten Aufgaben zu konzentrieren. Das richtige ›Balancing‹, die Balance zwischen Belohnungen und dem Schwierigkeitsgrad, die erzählte Geschichte, einzigartige Charaktere und Interaktionen, die die Frustrationstoleranz steigern, müssen optimalerweise so zusammenspielen, dass diese Konzentration nicht gestört wird. Der Spieler wiederum muss gewillt sein, die nötige Zeit und Energie aufzuwenden, um das Spiel erfolgreich zu spielen – und dies beinhaltet ein Grundwissen des in der Simulation möglichen Handlungen, Gefahren und Strategien. Dieses Grundwissen ist – je nach Anspruch und Qualität der Simulation – sehr wohl stark historisch verortet, da nur sehr wenige Spieler zwischen Setting und zugrundeliegender Mathematik trennen möchten. Ganz im Gegenteil wird die Mathematik versteckt und mit historischen Artefakten in Kontexte gesetzt, die auch ohne detaillierte Kenntnisse der Schadensberechnung über Ähnlichkeiten und Vertrautheit Informationen über die zu lösende Aufgabe beinhalten. So werden einfache NPC Statisten nur mit schlechten bzw. mittelmäßigen Rüstungen und Waffen der damaligen Zeit ausgestattet sein. Durch das Identifizieren dieser gut sichtbaren historischen Artefakte lernt der Spieler gleichzeitig etwas über die ›Stärke‹ des Gegners als auch historisch relevante Details. Diese historischen Informationen sind dabei nicht unmittelbar an das Spiel gebunden. Dies macht sie relevant für Geschichtsbilder des Spielers, da sie als Details bewusst und unbewusst in das ›ganzheitliche‹ populäre Bild einer Epoche einfließen. Durch die Möglichkeit, eigene Inhalte durch Mods wieder in die Spielwelt zurückzuspielen sowie Meta-Ebenen des Spieleraustausches wie Foren gewinnt dieser Vorgang zusätzlich an Komplexität. Da sowohl das Konsumieren als auch das aktive Beitragen jeweils individuell passiert, sind Untersuchungen zu diesem Thema langwierig und nur in sehr engen Rahmen aussagekräftig, da bisher noch keine ›kritische Masse‹ an Studien erreicht werden konnte. Wenn die Verarbeitung der in Spielen enthaltenen Informationen ein spielerspezifischer Vorgang ist, so ist das zweite Element, die durch die Designer und Programmierer entworfene Spielwelt, ein generelles Umfeld, innerhalb dessen dieser Informationsaustausch passiert. Diese simulierten Welten mit ihren ›Kulissen‹ sind daher ein verbindendes Element im Rahmen der sehr unterschiedlichen individuellen Erfahrungen der Spieler.



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S IMULIERTE E RFAHRUNGEN Kulissen entstehen in Online-Spielen mit 3D-Welten grundsätzlich dadurch, dass zuerst eine Art 2D-Levelplan gezeichnet wird, der dann in ein 3D-ModelingProgramm importiert wird. Der Plan enthält meistens bereits auch spielrelevante Informationen, wie beispielsweise NPCs und ›Spawns‹. Spawns sind Handlungselemente wie z.B. das Erscheinen eines durch die Spielintelligenz gesteuerten Gegners oder einer Reaktion, die erst dann ausgelöst werden, wenn die vom Spieler gesteuerte Spielfigur einen Ort erreicht oder eine Handlung setzt – z.B. die Hagia Sophia betritt und eine Tür öffnet – oder der Spieler eine bestimmte Aktion setzt, wie z.B. eine Siedlung baut. Auf diesen zweidimensionalen Plan werden nun entsprechende dreidimensionale geometrische Figuren aufgesetzt. Da dies in den meisten Fällen Quader sind, nennen Designer diesen Prozess oft auch ›blocking in‹. Interessant ist, dass durch diese ›Bauweise‹ der Level gewisse architektonische Stilrichtungen leichter zu modellieren sind als andere. So kamen beispielsweise konstruktivistische Gebäude, wie Bauhaus- oder frühe kommunistische Architektur mit ihren klaren Linien, minimalistischen Design und einer Konzentration auf einfache geometrische Formen gerade in den frühen Jahren der 3D-Spieleentwicklung den Beschränkungen entgegen, die durch Rechenleistung und Grafikkarten gegeben waren. Durch Fortschritte der Technik können heute aber schon detaillierte Personenmodelle bzw. ganze Strassenzüge mit sehr hoher Detailtiefe durch 3D-Scanner für weitere Modellierung importiert werden. Die Formen der Elemente der so entstehenden Level werden nun ergänzt. Innenräume werden geschaffen und Texturen werden wie Kleidung über die grauen/grünen Quader gelegt. Dann werden immer weitere Details durch Objekte, Ornamente und Alltagsgegenstände ergänzt. Weltmechanische Elemente wie Wetter oder der Wechsel von Tag und Nacht finden ebenso Beachtung wie Fauna und Flora. NPCs werden modelliert und ihnen wird ein Tagesablauf zugewiesen. Weltsimulationen werden durch die Fortschritte der Technik immer komplexer und vermitteln dem Spieler so auch mehr Tiefe und simulierte ›Realität‹. Spielarchitektur im Sinne von Objekten und Texturen ist daher weniger ein Zitat als vielmehr eine Interpretation und Übersetzung von Ideen in eine räumliche Form. Diese Inhalte bleiben dabei auch im Rahmen einer nicht perfekten räumlichen Kopie zu einem gewissen Teil erhalten. Durch mobile Geräte kann auch die Realität selbst zur Kulisse des Spielgeschehens werden, wie Googles Ingress eindrucksvoll beweist. Hier wird per GPS der Standort der Spieler ermittelt, die um die Kontrolle von Portalen kämpfen, die an real existierenden Orten platziert werden. Mit einer Datenbrille oder einem mobilen Gerät können Spieler so eine Spielwelt betreten, die auf Grundlage der realen Welt geschaffen wird und die der Spieler nur dadurch bereisen kann, dass er dies auch physisch tut. Seine Verbündeten und Gegner sind andere Spieler. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen A.I., Kulissen, der simulierten Welt und den Spielwel-

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ten endgültig. Dies führt uns auch zu der Frage, wie Spieler diese konstruierten Welten erleben und welche Auswirkungen diese Art der Interaktion haben kann. Zuerst muss dazu die digital reproduzierte Architektur untersucht werden. Dies ist wichtig, da insbesondere in Metropolen die Stadtarchitektur auch Repräsentativzwecken dient, d.h. Menschen beeindrucken soll. So stellt sich auch die Frage, ob ähnliche Wirkungen auch in der digitalen Reproduktion erzeugt werden können. Wenn die Spielfigur z.B. durch Napoleons Paris mit seinen bewußt geplanten Gebäudeachsen und –fluchten streifen würde, auf den Tempelberg oder in den Petersdom oder die Hagia Sophia tritt, ist sie dann – und mit ihr der Spieler – ebenso beeindruckt? Aus Quellen wissen wir jedenfalls, dass beispielsweise die ›echte‹ Hagia Sophia schon bei Abgesandten Prinz Wladimirs von Kiew, der später für die Orthodoxie kirchenpolitisch eine wichtige Rolle spielen sollte, einen tiefen Eindruck hinterließ, den diese folgendermaßen beschrieben: »Wir wußten nicht, ob wir schon im Himmel oder noch auf Erden weilten. Denn etwas so Schönes und Großartiges gibt es auf Erden nicht – und wir wissen nicht, wie wir es angemessen beschreiben sollen. Wir können nur sagen, dass Gott an diesem irdischen Ort weilt und dass die für ihn gefeierten Messen von einer Schönheit und Reinheit sind, die wir in anderen Nationen nicht gefunden haben. Denn wir können diese Schönheit nicht mehr vergessen.«16

Repräsentative Architektur kann also als die Übersetzung von Botschaften und Symboliken verstanden werden.17 Durch das Einlassen auf eine digitale Reise an einen Ort, der an historischen Vorbildern angelehnt ist, wird der Spieler so der genutzten Symbolik ausgesetzt, die durch Formen, Farben und andere Bedeutungsträger zeitgenössische und moderne Inhalte transportiert. Dabei sind historische Intentionen ebenso inkludiert wie Änderungen, die die Spieldesigner nachträglich vornehmen. So wurden vom Spieldesigner Derby McDevitt bewußt (»We tweak history«) vier statt der zur Zeit der Handlung historisch akkuraten zwei Minarette der Hagia Sophia in das Spiel übernommen, da dies »visuell eindrucksvoller« sei.18

16 Frei übersetzt nach: Freely, John: Istanbul. The Imperial City, London: Penguin 1996, S. 89. 17 Auf die architekturtheoretische Komponente kann hier nicht angemessen eingegangen werden. Vgl. bspw.: Derrida, Jacques: »Architecture Where Desire Can Live«, in: Kate Nesbitt (Hg.): Theorizing a New Agenda for Architecture: An Anthology of Architectural Theory, 1965-1995, Princeton: Princeton Architectural Press 1996, S. 142-149; hier S. 146-148. 18 Frei übersetzt nach: Ritman, Alex: »Assassin’s Creed: Revelations is historically impressive«, in: The National (14. November 2011), URL: http://www.thenational.ae/artsculture/assassins-creed-revelations-is-historically-impressive (Stand: 17.01.2014).

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Abb. 3: Die Hagia Sophia und ihre digitale Reproduktion. Designstudie, Assassin’s Creed Revelations. Mit freundlicher Genehmigung von Ubisoft. Welchen Eindruck hinterlässt nun aber die digitale Version der Hagia Sophia und des simulierten Konstantinopels bei Spielern? Und inwieweit kann eine detaillierte Reproduktion überhaupt ähnliche Gefühle beim Spieler wecken, wie sie die Architekten bei den physischen Vorbildern geplant hatten? Aus einzelnen Spielerberichten kann man jedenfalls ein gewisses Staunen über die ›historische‹ Simulation und die präsentierten Inhalte erkennen, die scheinbar auch in digitaler Form beeindrucken kann: »Ich habe über Orte wie die Hagia Sophia in Konstantinopel gelesen und Bilder gesehen und gesagt: Ich war [im Spiel] auch dort. Ich konnte um diese Gebäude und die Straßen der Stadt gehen und es hat [das historische Konstantinopel] lebendig gemacht, wie es ein Bild einfach nicht geschafft hätte. Ich bin auf das Kolosseum in Rom geklettert, habe das Panorama bewundert und sprang hinunter. Ich habe auch über den Attentatsversuch auf Lorenzo de Medici 1478 beim Dom von Florenz gelesen und erinnerte mich, selber aktiv daran beteiligt gewesen zu sein, sein Leben zu retten.«19

Äußerungen mit ähnlichen Aussagen finden sich in einer Reihe von Fanseiten, als Kommentare bei Artikeln und insbesondere bei Gameplay-Videos. Der oben zitierte

19 Frei übersetzt nach: Miller, Tony: »Assassin’s Creed as a History Lession«, in: Nintendo Okie (22. Januar 2013), URL: http://nintendo-okie.com/2013/01/22/assassins-creed-as-ahistory-lesson/ (Stand: 19.08.2013).

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Beitrag eines Spielers demonstriert, wie sich – außerhalb der Fachdisziplinen – Unterhaltungsmedien, Spiel, Geschichtsinteresse und Populärgeschichte sinnvoll und positiv ergänzen können. Der Spieler nutzt die Vorteile der unterschiedlichen Medien, ohne dass diese einander stören: ein Bild der Hagia Sophia vermittelt einfach andere Eindrücke als die digitale Repräsentation in Assassin’s Creed und eine Schilderung der Pazzi-Verschwörung in einem Fachbuch setzt die persönlich im Spiel erlebten Inhalte besser in einen historischen Kontext. Gerade die Schilderung der persönlich erlebten Geschichte zeigt, wie sehr die Geschichtswissenschaft von Spielen mit historischen Themen profitiert. Solange die Ereignisse der Vergangenheit in der Populärkultur immer wieder auftauchen, wir es auch längerfristig Nachwuchs, Unterstützung und Interesse an der Fachdisziplin geben. Spiele schaffen es dabei auf einzigartige Weise, dem Spieler sowohl die Fiktion als auch die Immersion klar vor Augen zu führen. Allein durch die Bedienung über einen Controller oder Maus und Tastatur ist klar, dass es sich um eine vereinfachte und virtuelle Welt handelt. Gleichzeitig wird Immersion durch eine sehr plastische, persönliche Darstellung der historischen Ereignisse erreicht. Beide Facetten gemeinsam schaffen es im hier zitierten Fall, den Spieler dazu zu bringen, sich weitergehend und fundierter informieren zu wollen. Auch die Verortung ist alles andere als trivial. Der Ort und die historische Kulisse sind der Grund, warum der Spieler überhaupt das Spiel spielen möchte. Die im Rahmen eines Spieles mögliche realitätsnahe Simulation existierender Orte kann das Spiel über das Medium hinaus relevant für den Spieler machen. So ist es die Kombination aus der Freude am Spielen und der Möglichkeit des spielerischen Lernens, die besonders faszinieren kann: »(…) man fühlt sich, als wäre man an diesen Orten während diese [historischen] Ereignisse passieren. Man kann [heute] dieselben Orte besuchen und man wird Dinge sehen, die man schon aus dem Spiel kennt. Durch diese Serie habe ich erst verstanden, welchen Einfluß Videospiele darauf haben können, ob Menschen etwas über diese Orte, Personen und Ereignisse lernen möchten. Denn es ist eine Sache, darüber in einem Geschichtsbuch zu lesen, aber wenn man diese Personen sieht und mit ihnen spricht und dabei ist, wenn sich die Ereignisse so ähnlich entwickeln, wie es wirklich passieren hätte können, bekommt man eine völlig neue Perspektive (…).«20

Um hier das weiter oben zitierte Fazit von Carl Heinzes über den ersten Teil der ASSASSIN’S CREED-Reihe erneut aufzugreifen, so lassen sich anhand solcher Quellen zu den Nachfolgeteilen sehr wohl Anzeichen für ein »direkten Erlebens von Authentizität und das Evozieren eines authentischen Gefühls« herauslesen, die weitere quantitative und qualitative Untersuchungen rechtfertigen. Die durch die Spielwelt und die Kulissen vermittelten historisch relevanten Informationen und die aufgrund

20 Frei übersetzt nach: Miller: Assassin’s Creed as a History Lesson.

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dieser Informationen gesetzten Folgehandlungen (z.B. Zugriff auf Fachinformationen) wären hier speziell von Interesse. Das spielerische Lernen ist besonders in Bezug auf Kinder und junge Erwachsene eine hervorragende Herangehensweise an die Geschichtswissenschaften. Gerade hier zeigt sich, wie wichtig es ist, dass Historiker und insbesondere Lehrer stärker auf aktuelle Spiele im Unterricht eingehen und den Schülern Möglichkeiten und Wege aufzeigen, die Informationen im Spiel kritisch zu hinterfragen und sich zusätzliche externe Informationsquellen zu erschließen: »(…) Ich habe auch gesehen, wie meine Kinder mit den Personen [in ASSASSIN’S CREED] interagiert haben. Meine Tochter hat jedes Quäntchen an Information über Leonardo da Vinci, Rodrigo Borgia und Suleiman im Spiel gelesen. (…) Ich denke, dass sie dieselben Informationen in einem Geschichtsbuch langweilig oder uninteressant empfunden hätte. Aber die [historische] Welt, die sie in ASSASSIN’S CREED kennengelernt hat, war für sie interessant.«21

Zu beachten ist hier auch die Erwähnung der Hintergrundinformationen in der Animus-Datenbank im Spiel. Ubisoft weiß um das Interesse der Spieler und bietet mit dem Spiel gleich weiterführende historische Informationen an, die allerdings in Details an das Spielgeschehen angepasst wurden. Hier bietet sich für digitale Geschichtswissenschaften eine hervorragende Möglichkeit für Partnerschaften, beispielsweise um hochwertige Inhalte beizusteuern oder für das Spiel bereitgestellte Inhalte längerfristig außerhalb des Spiels bereitzustellen.

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AUSBLICK

Die Überlegungen über eine sinnvolle Partnerschaft zwischen den Geschichtswissenschaften und der Spieleindustrie sind ein guter Ausgangspunkt für ein Fazit. Denn Computerspiele und Filme prägen wie kaum ein anderes Medium das populäre Bild von ›Geschichte‹. Die neuen Interaktionsmöglichkeiten in ›historischen‹ Städtesimulationen in Computerspielen wurde anhand von Einzelbeispielen erläutert. Durch die Interaktion wurde deutlich, dass für Spieler sehr wohl die historische Verortung durch Artefakte, Personen, Gebäudegrundrisse und städtebauliche Eigenheiten von Bedeutung ist. Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen wurde ein weiterer ›Kulissenbegriff‹ vorgeschlagen, der neben der ›rein visuellen Gestaltung‹ auch der inhaltlichen Bedeutung spezifischer digitaler Ortsreproduktionen sowie der so passiv vermittelten Informationen Rechnung trägt. Es wurde anhand eines Einzelbeispiels aufgezeigt, dass man durch weitergehende Untersuchungen der über das Internet verfügbaren Postings und Medienin-

21 Frei übersetzt nach: Ebd.

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halte von Fans historischer Spiele bessere Aussagen über das Zusammenspiel zwischen an historischen Ereignissen angelehnten Spielinhalten, dem populären Geschichtsbild und historischen Fachwissen der Spieler treffen könnte. Insbesondere das spezifische geographische Setting, das Layout der Stadt und die Architektur der einzelnen Gebäude haben durch Fortschritte in der Spiel-A.I. auch inhaltlichen Einfluß auf die individuelle ›Geschichte‹ des Spielers. Detailgetreue digitale Simulationen, computergesteuerte ›intelligente Einwohner‹ und digitalisierte Artefakte schaffen es, eine Immersion bei manchen Spielern zu erzeugen, die sie die Spielwelt mit real existierenden Orten vergleichen lässt. Durch die Interaktionsmöglichkeiten der Spieler mit den Gebäuden, Objekten und der Geographie der digitalen Stadt werden die historischen Begebenheiten an diesen Orten persönlicher und plastischer wahrgenommen. Gleichzeitig wird durch die virtuelle Reise auch das Interesse an den real existierenden historischen Metropolen, wie beispielsweise Jerusalem, Florenz, Venedig, Rom oder Konstantinopel geweckt. Weiterhin soll hier auch darauf hingewiesen werden, wieviel Potential eine weitergehende und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Spieleindustrie und Geschichtswissenschaften hätte. Die digitalen Geschichtswissenschaften und ihre Schwesterdisziplinen könnten historisch akkurate Artefakte in Form von (3D-) Scans von Gebäuden, Orten und Gegenständen, Informationen über die Ereignisse anhand von Originalquellen sowie Zusammenhänge und Beschränkungen in diese Partnerschaft einbringen. Die Spieleindustrie könnte auf digitale Modelle und Inhalte zurückgreifen und dafür neben finanzieller Unterstützung vor allem auch die Weiternutzung der so produzierten Inhalte nach und über das spezifische Spiel hinaus erlauben. Diese Partnerschaft könnte so positive Impulse für eine der schwierigsten Herausforderungen der Geschichtswissenschaften geben: Wie kann eine stark an schriftlichen und dinglichen Quellen orientierte Wissenschaft ihre Inhalte in eine angemessene Form für die vernetzte digitale Medienwelt bringen und damit auch die gewünschten Adressaten erreichen. Abschließend zeigt dieser kurze Artikel deutlich, welche Relevanz Geschichte auch in einer immer weitergehenden virtuellen Welt besitzt und wie gerade durch Geschichte eine Brücke zwischen dem digitalen Raum und der physisch verorteten historischen Vergangenheit und Gegenwart geschlagen werden kann. Die rasanten Fortschritte und die Komplexität machen dabei eine immer weitergehende Zusammenarbeit zwischen den von C.P. Snow in seiner berühmten Rede ausgemachten zwei Kulturen ›Sciences‹ und ›Humanities‹ nötig, die das Potential hat, das Auseinanderdriften derselben zumindest in Bezug auf den digitalen Raum umzudrehen. Video zum Tagungsvortrag: Hausar, Gernot: »Players in the digital city: metropoleis in the assassin’s creed series«, URL: http://mediathek.hhu.de/watch/a53e204d-a285-4373-b48f05bd0f5a5982 (Stand: 01.03.2014

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Spiel im Spiel Über die Geschichte des Spielens in ASSASSIN’S CREED II A NDREAS F ISCHER

Computerspiele eröffnen eine reizvolle Möglichkeit der Selbstreferenzialität, indem sie innerhalb einer Spielwelt das Spielen selbst darstellen können: Ein Spiel im Spiel. Wenn neben der so ermöglichten Verhandlung etwa von Gebrauch und Funktionen konkreter Spiele sogar das Spielen vergangener Zeiten zum Gegenstand gemacht wird, bedeutet dies auch eine dem Spiel inhärente Bezugnahme auf die eigene Vergangenheit. Anhand einer Szene, die im rinascimentalen Venedig von AS1 SASSIN’S CREED II dem Spieler die Teilnahme an Spielen des Karnevals eröffnet, möchte ich im Folgenden untersuchen, welche Möglichkeiten diese Darstellung historischen Spielens im Computerspiel für die Konstruktion von Geschichtsbildern bietet. Der Fokus wird also auf einem speziellen Aspekt der Frage liegen, mit welchen Mitteln ein Computerspiel Geschichte zu erzählen vermag. Hierfür treffe ich zwei Vorannahmen: (1) Geschichte kann etwas mit der Erfahrung von Alterität zu tun haben. Ohne Andersheit bleibt Identität, aber Identität mit der Gegenwart bedeutet eine zweite Gegenwart. Eine Erfahrung einer Differenz zwischen Gegenwart und Vergangenheit erzeugt also zumindest deutlichere Erfahrungen einer geschichtlichen Entwicklung. (2) Für die Beschreibung betreffender Spiel-im-Spiel-Sequenzen halte ich theaterwissenschaftliche Überlegungen für gewinnbringend, die ein komplexes Begriffsinstrumentarium für ein immerhin ähnliches Phänomen entworfen

1

Im Folgenden: AC II.

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haben: Das Theater im Theater.2 Wenn in Hamlet über die theatrale Umsetzung des von Hamlet organisierten Theaterstücks gesprochen wird, können wir dies Metatheatralität nennen, insofern das Theater sich selbst thematisiert. Implizit oder explizit wird selbstreflexiv nicht nur vom Stück im Stück gesprochen, sondern auch das Theater im Allgemeinen berührt. Gleichermaßen bedeutet daher die Darstellung von Spielen im Spiel die Eröffnung eines sozusagen – impliziten oder expliziten – metaludischen Diskurses über das Spielen selbst. Basierend auf diesen beiden Vorrausetzungen möchte ich im Folgenden argumentieren, dass AC II gerade einen Differenz zwischen Computerspielen und traditionellen Spielen im Zuge einer Darstellung von vergangenem Spielen fruchtbar zu machen weiß, um das populäre Bild einer moralisch zwielichtigen Renaissance zu zeichnen. Hierfür wird es zunächst sinnvoll sein, die rinascimentale Spielwelt von AC II in Umrissen zu skizzieren. In einem zweiten Schritt werde ich sodann die Spiele des Karnevals vorstellen und anschließend erörtern, inwiefern sie eine Erfahrung einer Alterität im Kontext des beschriebenen Renaissancebilds vermitteln. Eine Konklusion fasst die Ergebnisse schließlich zusammen.

DIE RINASCIMENTALE WELT VON ASSASSIN’S CREED II Ubisoft bemüht sich auch im Werbetext zum dritten Teil seiner ASSASSIN’S-CREEDReihe, bei den Konsumenten das Gefühl einer authentischen Geschichtserfahrung zu erzeugen: »Es gibt die Amerikanische Revolution, bekannt aus den Geschichtsbüchern. Und dann gibt es die Revolution, in der du kämpfst. Letztere ist sehr viel realistischer, düsterer und lebendiger, als ein Geschichtsbuch jemals sein könnte.«3 Auch in allen Vorgängerteilen fällt besonders die detailreiche Ausgestaltung möglichst historisch korrekter Architektur ins Auge.4 Der Anspruch auf Authentizität ist

2

Hierfür lege ich zugrunde Korthals, Holger: Zwischen Drama und Erzählung. Ein Beitrag zur Theorie geschehensdarstellender Literatur, Berlin: Erich Schmidt Verlag 2003, S. 324-329 und S. 409-414.

3

Ubisoft: Produktinformation zum Spiel ASSASSIN’S CREED III, URL: http://assassinscreed.ubi.com/ac3/de-DE/gameinfo/info/index.aspx (Stand 01.05.2013).

4

Für die mimetische Ausrichtung schon des ersten Teils der Reihe vgl. Heinze, Carl: Mittelalter Computer Spiele. Zur Darstellung und Modellierung von Geschichte im populären Computerspiel, Bielefeld: transcript 2012, S. 155-183; für die sogar fachwissenschaftliche Unterstützung bei der Gestaltung Roms in der Fortsetzung ASSASSIN’S CREED BROTHERHOOD vgl. Hsu, Jeremy: »A Renaissance Scholar helps build virtual Rome«, in:

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dabei allerdings Teil der Vermarktungsstrategie des Produkts AC, wie Vertreter Ubisofts in einem Beitrag zu einer von Angela Schwarz organisierten Tagung über das Verhältnis von Computerspiel und Geschichte deutlich gemacht haben: »Wird ein solches Projekt mit historischem Setting begonnen, lesen die verantwortlichen Gamedesigner Literatur zu dem jeweiligen Thema. Dabei geht es lediglich darum festzustellen, was es in diesem Zeitalter an Dingen gab, die für die Umsetzung des Spiels relevant sein könnten. Es wird folglich bei den meisten Produktionen kein großer Wert auf historische Genauigkeit gelegt, da diese für Entwickler eigentlich nicht von Belang ist.«5

Mit Carl Heinze kann man davon ausgehen, dass es sich hier lediglich um Verweise auf gesellschaftlich etablierte historische Diskurse handelt, welche nicht notwendigerweise mit den fachwissenschaftlichen Diskursen übereinstimmen müssen: Es handelt sich also um eine modelhafte Vermittlung von Geschichte, welche eine auf Grundlage dieser Wissensbestände mögliche Version von Geschichte darstellt.6 Dies stimmt mit der sicherlich nicht auf fachwissenschaftliche Maßstäbe rekurrierenden Bereitschaft der Entwickler überein, die historische Chronologie zu ignorieren oder zu vertauschen, »solange es dem Durchschnittsspieler noch als historisch korrekt erscheint.«7 Wie aber zeichnen die Entwickler nun die korrekt erscheinende rinascimentale Welt und welches Geschichtsbild (oder welche Geschichtsbilder) liegt (oder liegen) ihrer Auffassung zugrunde?8 AC II führt den Spieler in eine Renaissance der Intri-

LiveScience (12.11.2010), URL: http://www.livescience.com/8945-renaissance-scholarhelps-build-virtual-rome.html (Stand: 01.05.2013). 5

Schüler, Benedikt et al.: »Geschichte als Marke. Historische Inhalte in Computerspielen aus der Sicht der Softwarebranche«, in: Angela Schwarz (Hg.): »Wollten Sie auch immer schon pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?«. Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel (Medien'Welten 13), Münster: Lit 2010, S. 199215, hierzu S. 203. Dazu im selben Band auch Schwarz, Angela: »Computerspiele – ein Thema für die Geschichtswissenschaft?«, S. 7-28, besonders S. 16.

6

Vgl. Heinze: Mittelalter Computer Spiele, S. 77-108, insb. S. 82-94.

7

Schüler et al.: Geschichte als Marke, S. 203.

8

Unter ›Geschichtsbild‹ verstehe ich im Folgenden eine »nach Inhalt und Umfang individuell verschiedene subjektive Gesamtvorstellung vom Sinn, Wesen, Verlauf und Ziel der Geschichte sowie der sie bestimmenden Kräfte, Ereignisse und Gestalten.« (Schneider, Gerhard/Wilharm, Irmgard: »Geschichtsbild«, in: Klaus Bergmann et al. (Hg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, 3., überarb. u. erw. Aufl., Düsseldorf: Pädagogischer Verlag Schwann 1985, S. 261-264, hier S. 261). Den Begriff ›Spielwelt‹ benutze ich im Sinne des sehr weiten Verständnisses des Begriffs ›game world‹ in Ernest Adams Darstellung

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gen und dunklen Machenschaften, bevölkert von Prostituierten, Söldnern und Dieben, zerrissen in einem Kampf zwischen den Geheimorden der Templer und der Assassinen.9 Vor allem streiten diese beiden Gruppierungen um mächtige magische Artefakte, die Edensplitter, welche schier unbegrenzte Macht verheißen. Als Spielerin folgt und steuert man Ezio Auditore, Mitglied der Assassinen, dessen Weg eingeflochten ist in ein Koordinatensystem historischer Orte, Ereignisse und Personen.10 Der Spielablauf lässt sich im Wesentlichen beschreiben als eine Folge von Attentaten, durch die der Spieler verschiedene, vor allem mächtige gesellschaftliche Positionen besetzende Anhänger des Templerordens ausschalten muss. Oftmals im Geheimen operierend, durch rinascimentale Städte wie Florenz, Forlì oder Venedig streifend bieten sich der Spielerin dabei einige Freiräume in der Gestaltung der zu erledigenden Aufgaben, obgleich die grundsätzliche Spielstruktur in der Terminologie Jesper Juuls eher einer progressiven Ordnung entspricht, verbunden mit einer entsprechend linearen Narration.11

der grundlegenden Regeln des Game Designs: »A game world can have a culture, an aesthetic, a set of moral values, and other dimensions (…).« (Adams, Ernest: Fundamentals of Game Design, Berkeley: New Riders 2010, S. 85). 9

Meine Ausführungen beziehen sich im Folgenden auf das Spiel AC II (2009) für die Konsole Xbox 360, für die Spiele des Karnevals im Speziellen auf Sequenz 9 des Spiels. Eine hilfreiche unterstützende Quelle zu Spielcharakteren und Handlungsverlauf stellt das online verfügbare, von Liebhabern der Reihe kollaborativ erstellte »Assassin’s Creed Wiki« dar, das Teil des größeren Netzwerkes Wikia ist. Englische Version: URL: http://assassinscreed.wikia.com/wiki/Assassin%27s_Creed_Wiki (Stand:

01.05.2013),

deutsche Version: URL: http://de.assassinscreed.wikia.com/wiki/Assassin%27s_Creed_ Wiki (Stand: 01.05.2013). 10 So wird beispielsweise die Pazzi-Verschwörung im Florenz des Jahres 1478 zu einem spielbaren Teil von AC II (vgl. AC II (2009), Sequenz 4). 11 Progressive Spiele bestehen in Juuls Perspektive hauptsächlich aus einer Abfolge von einzelnen Herausforderungen, verlaufen also linear, im Gegensatz zu emergenten Spielen, die auf einem beschränkten Regelset basierend zahlreiche Variationsmöglichkeiten bieten, wie etwa Strategiespiele oder Schach; vgl. hierzu Juul, Jesper: »The Open and the Closed: Games of Emergence and Games of Progression«, in: Frans Mäyrä (Hg.): Proceedings of Computer Games and Digital Cultures Conference, Tampere: Tampere University Press 2002, S. 323-329, besonders S. 324-326. Die Einteilung ist weniger als Dichotomie zu betrachten, vielmehr sollte man sie als Setzung bipolare Extrempunkte eines Kontinuums verstehen, da sicherlich zahlreiche Mischformen existieren, vgl. hierzu Heinze: Mittelalter Computer Spiele, S. 117-119.

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Im Verlaufe seiner Attentatszüge verschlägt es Ezio nun in die erlauchteste Stadt Venedig, in der selbstverständlich ein Tempelritter den Posten des Dogen besetzt. Dies war den Templern, angeführt von ihrem Großmeisters Rodrigo Borgia, nur durch Giftmord am vorhergehenden Stadtoberhaupt gelungen. Die Beseitigung des nun Venedig regierenden Marco Barbarigo, tatsächlich historisch verbürgter 73. Doge der Serenissima12, unternimmt Ezio in Sequenz 9 des Spiels folgerichtig mithilfe von Charakteren, die eben außerhalb des venezianischen Establishments stehen: Unterstützt wird er von dem Robin-Hood-Verschnitt Antonio de Magianis, der mit seiner Diebesbande lediglich die wohlhabenden Bürger Venedigs um ihr Einkommen erleichtert, und Teodora Contanto, Leiterin des Bordells La Rosa Della Virtù, ein ausschließlich von ehemaligen Nonnen betriebenes Etablissement. Es wird deutlich, wie trickreich AC II in historischen Quellen nachweisbare Begebenheiten mit einem populären Renaissance-Bild vermengt: So wird der tatsächliche Doge Barbarigo kurzerhand Teil eines fiktionalen, geheimbündlerischen Ränkespiels um die Macht in Venedig. Auch spielt käufliche Liebe in der venezianischen Gesellschaft durchaus keine geringe Rolle zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert, was insbesondere die Existenz von gedruckten Prostituiertenkatalogen mit Preisangaben im Venedig des 16. Jahrhunderts verdeutlichen mag.13 Die Idee eines von ehemaligen Nonnen betriebenen Bordells reizt den kreativen Umgang mit einer sicherlich auch fachwissenschaftlich zugestandenen, moralisch zwielichtigen Seite der Renaissance allerdings sehr weit aus.14 Fast schon langweilig ist es allerdings, Rodrigo Borgia zum Anführer der Tempelritter und damit zum obersten Schurken zu erklären. Die zum machiavellistischen Paradigma frühneuzeitlicher Machtspiele überhaupt stilisierte Herrschaftsgier der Familie Borgia findet sich jenseits der Wissenschaft als weitverbreitetes Renais-

12 Vgl. Gaeta, Franco: »Barbarigo, Marco«, in: Dizionario biografico degli Italiani, Bd. 6 (1964), S. 73; der Artikel erzählt mitnichten eine Geschichte von Unfähigkeit oder Grausamkeit, es heißt hier: »Dopo un'intensa carriera politica, culminata con l'assunzione dell'ufficio di procuratore di S. Marco, fu eletto doge il 19 nov. 1485, soprattutto in virtù della sua gran pratica di governo.« 13 Die teils eindeutig, teils nicht sicher satirisch gemeinten Schriften beziehen sich nach Margaret Rosenthal in jedem Falle auf tatsächliche Personen; vgl. Rosenthal, Margaret: The honest Courtesan. Veronica Franco, citizen and writer in the sixteenth-century Venice, Chicago/London: The University of Chicago Press 1992, S. 39-40 und S. 274-275. 14 Von der Schwierigkeit, fiktionale, moralisierende und administrative Beschreibungen in der Frage nach rinascimentaler Sexualität zueinander zu bringen berichtet Terpestra, Nicholas: Lost girls. Sex and Death in Renaissance Florence, Baltimore: The John Hopkins University Press 2010, S. 10-11.

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sancemotiv in zahlreichen Romanen oder Fernsehserien wieder.15 Und gerade diese starke Betonung moralischer Zwielichtigkeit der Renaissance liegt meines Erachtens nach auch dem Renaissancebild von AC II zugrunde: Sehen wir uns an, inwiefern die Spiele des Karnevals diese Bild bedienen.

DIE VIER SPIELE DES KARNEVALS Von Theodora Contanto erfährt Ezio, dass Barbarigo im bevorstehenden Karneval einen Ball ausrichte. Als Gast wäre ein Attentat leicht durchführbar, zumal der Doge seinen Palazzo sonst nie verlässt. Eintritt ist jedoch nur ausgewählten Personen gewährt, die jeweils eine nummerierte goldene Maske erhalten. Eben eine solche kann allerdings auch der einfache venezianische Bürger gewinnen, wenn er aus den jedermann offen stehenden vier Spielen des Karnevals als Sieger hervorgeht. Der Spielerin obliegt es also, diese Herausforderung anzunehmen und die Wettkämpfe erfolgreich zu bestreiten. Folgerichtig steuert man Ezio Auditore also zu einer venezianischen Piazza und erklärt seine Teilnahme an den Spielen. Dass nun ein Spiel beginne, klingt zunächst paradox, denn wir spielen ja gerade ein Spiel. Im Bezugsrahmen der Spielwelt allerdings befinden wir uns auf einer tödlich ernsten Mission, von der sich der karne-

15 Schon allein die Anzahl der über die Borgia veröffentlichen Romane ist schwer überschaubar. Bisweilen werden sogar zwei Borgia-Romane in einem Band herausgegeben, wie bei Plaidy, Jean: The Borgias. Two Novels in one Volume, New York: Broadway Paperbacks 2011. Den oftmals reißerischen Fokus dieser Veröffentlichungen exemplifiziert Christopher Hibberts The Borgias, auf dessen Frontcover mit folgendem Zitat aus der Sunday Times für das Werk geworben wird: »A tale of greed, nepotism, assassination and relentless jostling for power.« (Hibbert, Christopher: The Borgias, London: Constable and Robinson 2011). Die Betonung der Brutalität der Borgias begründete unter anderem schon der wirkmächtigste Promoter der Epochenbezeichnung ›Renaissance‹ in Deutschland, Jakob Burkhardt, der über Alexander VI. und seinen Sohn Cesare Borgia folgendes Urteil fällt: »Als aber der Papst mit der Zeit unter die Herrschaft seines Sohnes geriet, nahmen die Mittel der Gewalt jenen völlig satanischen Charakter an, der notwendig auf die Zwecke zurückwirkt.« (Burkhardt, Jakob: Die Cultur der Renaissance in Italien, Basel: Schweighauser’sche Verlagsbuchhandlung 1860, S. 113). In die gleiche Kerbe schlägt auch die vom ZDF mitproduzierte Fernsehserie ›Borgia‹, wenn auf der Internetseit der Produktionsfirma Betafilm Rodrigo folgendermaßen beschrieben wird: »He was a man whose name would become synonymous with ruthlessness, and whose reign as pope would be remembered as the most infamous chapter of the history of the Catholic church – Rodrigo Borgia.« (URL: http://www.betafilm.com/borgia/, Stand: 01.05.2013).

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valeske Streit um die goldene Maske auf einem bunten Marktplatz deutlich unterscheidet.16 Wiederum wird mit der Maske ein populäres, gleichwohl historisch verbürgtes Bild des venezianischen Karnevals aufgerufen.17 Sie ist in der Spielwelt der Preis, der die Überwindung sozialer Schranken in der Hafenstadt auch für den einfachen Bewohner ermöglicht: Der Erfolg in den Karnevalsspielen stellt in AC II also in Aussicht, am Leben der venezianischen Oberschicht teilhaben zu können. Die verbindende Grundregel der Spiele ist also folgende: Wer in vier Teilspielen gewinnt, erhält die begehrte goldene Maske. Im ersten Spiel hat der Spieler hierfür möglichst viele Schleifen von Gewändern venezianischer Damen zu erlangen. Das zweite Spiel erfordert Schnelligkeit, um vor einem Kontrahenten eine Fahne zu erreichen und diese zuerst ins Ziel zu tragen. Im dritten Spiel gilt es, gegen die Uhr die Bestzeit auf einem vorgegebenen Parcours zu erlaufen, und zuletzt muss Ezio sich in einem Boxkampf beweisen. Aus fachwissenschaftlicher Sicht ließe sich bemerken, dass Spiele im italienischen Karneval der Renaissance nach historischer Quellenlage kein ungewöhnliches Ereignis darstellen: Aus verschiedenen italienischen Städten liegen uns beispielsweise Berichte vor, dass die Jugend der Stadt sich zu Karnevalszeiten in kriegerischen Spielen gemessen habe.18 Auch das erste Spiel mit den Schleifen der Damen könnte man durchaus in Verbindung zu Konversationsspielen der italienischen Hofgesellschaft bringen.19 Sicherlich kann allerdings der Wettlauf gegen die Uhr im dritten Spiel als ein Beispiel für die kreative Offenheit der Entwickler gegenüber der historischen Chronologie bezeichnet werden20 – trotzdem ist immerhin das Be-

16 Bezogen auf das obige Verständnis von ›Spielwelt‹ bedeutet dies, dass in der von AC II dargestellten rinascimentalen Kultur die vier Wettkämpfe eindeutig als Spiele bezeichnet und im Kontext eines fröhlichen Karnevals abgehalten werden, also deutlich als öffentliches Spektakel von Ezios Attentatsstreifzügen unterschieden sind. 17 Vgl. Johnson, James H.: Venice Incognito. Masks in the Serene Republic, Berkeley/Los Angeles/London: The University of Berkeley Press 2011; Johnson datiert zumindest die erste Erwähnung von Masken in Venedig schon auf 1268, vgl. S. 54. 18 Vgl. Ciapelli, Giovanni: Carnevale e Quaresima. Comportamenti sociali e cultura a Firenze nel Rinascimento, Rom: Edizioni di Storia e Letteratura 1997, S. 123-136, für die Verbindung mit Karneval vgl. insb. S. 125. 19 Wie etwa bei Castiglione, Baldassare: Il Libro del Cortegiano, Roma: Bulzoni, 1986 (Nachdruck der Erstausgabe 1528) oder Ringhieri, Innocenzo: Cento giuochi liberali, et d'ingegno. Novellamente da M. Innocentio Ringhieri Gentilhuomo Bolognese ritrovati & in dieci libri descritti, Bologna: A. Giaccarelli 1551. 20 Die These, dass Rekorde ein Spezifikum modernen Sports seien, vertritt etwa Guttmann, Allen: From Ritual to Record. The Nature of Modern Sports, New York: Columbia University Press 1978, S. 51-55.

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mühen erkennbar, Spiele darzustellen, die im Kontext eines Venedigs der Renaissance wenigstens vorstellbar sind. Soweit allerdings nichts Besonderes: AC II ruft mehr oder weniger fachwissenschaftlich denkbare Spielformen zur Konstruktion atmosphärischer Dichte in der Darstellung des rinascimentalen Venedigs auf. Das eigentliche Kunststück allerdings, eine Differenz zwischen traditionellen und modernen Spielformen erfahrbar zu machen, vollführen die Entwickler erst nach den vier Spielen und in Gestalt waschechter Falschspieler.

DIE FALSCHSPIELER »Sorry Ezio, we could not have known Silvio would cheat as he did« Als Spielerin hat man nun sämtliche Spiele siegreich durchlaufen und beobachtet Ezio auf einer Holztribüne stehend neben dem Spielleiter, der sich gerade anschickt, den Erfolg des Assassinen beim diesjährigen Karnevalswettstreit zu verkünden. Allerdings wird die erwartete Siegesfeier jäh unterbrochen von einer manipulativen Intervention einiger Tempelritter, die durch offensichtliche Bestechung einen der Ihren zum Sieger erklären lassen: Die Regeln werden also gebeugt. Ezio muss ohne eine goldene Maske von dannen ziehen. Diese Szene ist aus der Perspektive einer Betrachtung des Spiels im Spiel verblüffend, denn sie wird im Spiel selbst von den Akteuren thematisiert, es wird sozusagen metaludisch über das Spielen gesprochen. Eine anschließende Videosequenz gibt ein Statement Theodora Contantos zu den Vorgängen, die Ezio versichert: »Sorry Ezio, we could not have known Silvio would cheat as he did.« Wie Mia Consalvo in ihrer Untersuchung zum Begriff ›Cheating‹ herausgestellt hat, ist dessen Verwendung durchaus unscharf.21 Hier aber findet man eine klare Kategorisierung, die einige Fragen aufwirft: Wenn Cheating stattfand, welche Regeln wurden denn nun eigentlich verletzt? Die Regeln des Computerspiels oder die Regeln der Karnevalsspiele? Und wer wird eigentlich betrogen? Wir können versuchen, diese Fragen in Anschluss an einen alten Bekannten der Spielforschung zu klären: In der wissenschaftlichen Beschäftigung nicht nur mit Computerspielen ist die Abgrenzung von Spielen vom alltäglichen Leben auf Grundlage einer Bemerkung Johan Huizingas unter dem Begriff magic circle disku-

21 Consalvo, Mia: Cheating. Gaining advantage in video games, Cambridge, Mass./London: MIT Press 2007.

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tiert worden.22 In seinem klassischen Werk Homo ludens gibt Huizinga folgende Betrachtung hinsichtlich der Einhaltung von Regeln: »Die dem Spiel eigenen Qualitäten der Ordnung und Spannung führen uns zur Betrachtung der Spielregel. Jedes Spiel hat seine eigenen Regeln. Sie bestimmen, was innerhalb der zeitweiligen Welt, die es herausgetrennt hat, gelten soll. Die Regeln eines Spiels sind unbedingt bindend und dulden keinen Zweifel. (…) Sobald die Regeln übertreten werden, stürzt die Spielwelt zusammen. Dann ist es aus mit dem Spiel.«23

In einem abgetrennten Raum vollziehe sich das Spiel, erklärt Huizinga, und setzt Spielen mit kultischen Handlungen in Zusammenhang: »Die Rennbahn, der Tennisplatz (…) und das Schachbrett unterscheiden sich formell nicht vom Tempel und vom Zauberzirkel.«24 Diesen gleichsam magischen Raum der unerschütterlich gegebenen Regeln betrete man jedoch freiwillig: »Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die (…) nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird (…).«25 Bricht man also die Regeln, bricht die Spielwelt zusammen. In traditionellen Spielen sorgt die Einhaltung der Regeln durch einen oder mehrere menschliche Spieler für die Erhaltung des Zauberkreises. Die Verpflichtung auf die Regeln kontrolliert man hierbei entweder selbst, falls man alleine spielt, oder, wenn mehrere Spieler beteiligt sind, gegenseitig sowie in einigen Fällen auch durch einen unabhängigen Dritten. Regelüberschreitungen werden von den aufmerksamen Kontrollierenden entweder sanktioniert oder – bewusst wie auch unbewusst – übersehen. Demgegenüber ist es sinnvoll anzunehmen, dass Computerspiele zumindest die Möglichkeit eröffnen, gänzlich ohne menschliche Kontrollinstanz auszukommen.26

22 Vgl. etwa Salen, Katie/Zimmerman, Eric: Rules of Play. Game Design Fundamentals, Cambridge: MIT Press 2003, S. 95. 23 Huizinga, Johan: Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, 21. Aufl., Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2009, S. 20. 24 Ebd., S. 29. 25 Ebd., S. 37. 26 Vgl. hierzu Liebe, Michael: »There is no Magic Circle. On the Difference between Computer Games and Traditional Games«, in: Stephan Günzel et al. (Hg.): Conference Proceedings of the Philosophy of Computer Games 2008, Potsdam: Potsdam University Press 2008, S. 324-340. Liebe schließt seine Ausführungen mit einer sehr generellen These: »Consequently, the idea of the magic circle is based on factors that are not relevant to computer games.« (S. 338). Ich formuliere vorsichtiger, da mir folgender Hinweis Stephan Günzels betreffend Onlinespiele sinnvoll erscheint: »Computerspiele (…) sind ohne jedwede Verpflichtung spielbar (…). Diese Situation kehrt sich erst wieder in On-

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Selbst wenn man in AC II den Protagonisten Ezio in sein eigenes Schwert stürzen lassen wollte, würde dies der Computer verhindern. Als Spielerin muss man nicht aktiv einwilligen in die Einhaltung der Regeln, weil man zunächst gar nicht anders kann, als sich innerhalb der Regeln des Spiels zu bewegen. Natürlich sind auch Computerspiele in diesem Sinne für technische Manipulation offen, wie Carl Heinze ausführt: »Aber auch bei Computerspielen ist manchmal von Betrug, dann meist mit der Vokabel Cheating, die Rede. Dabei handelt es sich aber um einen ganz anderen Vorgang als beim Falschspielen im traditionellen Regelspiel: Bei der Computerspiel-Mogelei suchen findige Spieler und Spielerinnen oder professionelle Anbieter nach Möglichkeiten, das Spielsystem durch Manipulation am Programmcode zu verändern.«27

Verändert werden also die Spielregeln selbst und ihre Einhaltung eben nicht geheuchelt, wie beim klassischen Falschspielen. Der wesentliche Unterschied zu traditionellen Spielen ist für Heinze folglich eindeutig: »Die regelgebende Instanz beim Computerspiel ist der Computer. Diesem kann nichts Falsches vorgespielt werden.«28 Die Abgabe der Kontrolle der Regeleinhaltung und der Spielbewertung an einen Computer bedeutet demnach auch, dass sich im Unterschied zu einer menschlichen Kontrollinstanz die Mittel zur Manipulation der Spielergebnisse verändern. Im Spiel AC II steht Ezio Auditore daher einer anderen Kontrollinstanz gegenüber als der Spieler des Computerspiels. Betrachten wir die Szene der Siegerbekanntgabe, so fällt dieser Unterschied sehr deutlich ins Auge: Die Instanz, welche die Einhaltung der Regeln überwacht, ist in der Erzählung des Spiels ein Mensch, und folglich steht dieser sozialer Manipulation offen. Er kann bestochen, er kann bedroht werden, er mag Sympathien für den einen oder anderen Kontrahenten haben: Er kann auf verschiedene Weisen beeinflusst werden, die bei einem Computer nicht mehr verfangen. Der Spieler von AC II macht also innerhalb der Spielwelt bei den Spielen des Karnevals eine Erfahrung, die in Bezug auf das Computerspiel, das er gerade spielt, gar nicht möglich wäre: Die soziale Manipulation von Kontrollinstanzen. Dies be-

linewelten um. Hier müssen sich Spieler tatsächlich verpflichten, die Regeln des Spiels einzuhalten, also etwa zur selben Zeit antreten, um gegen eine andere Gilde zu kämpfen. Erst hier kommt es zur Wiedererstehung des Magic Circle – auch im Digitalen.« (Günzel, Stephan: »Der reine Raum des Spiels. Zur Kritik des Magic Circle«, in: Mathias Fuchs/ Ernst Strouthal (Hg.): Das Spiel und seine Grenzen, Wien: Springer 2010, S. 187-200, hierzu S. 199). 27 Heinze: Mittelalter Computer Spiele, S. 65-66. 28 Ebd., S. 66.

S PIEL IM S PIEL

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deutet eigentlich einen Misserfolg, denn die Belohnung für die eingesetzten Mühen in den Spielen des Karnevals bleibt aus. Gleichwohl hat der Spieler im Kontext des Computerspiels AC II gerade einen Fortschritt in der progressiven Ordnung des Spiels gemacht. Die lineare Handlung des Spiels erlaubt auch nicht, den Misserfolg in den Spielen des Karnevals zu vermeiden, er ist fixierter Bestandteil von AC II. Daher bedeutet die Absolvierung der vier Spiele eigentlich einen Spielerfolg. Die Frage nach dem Regelbruch lässt sich nun also beantworten: Die Regeln der Karnevalsspiele werden gebrochen, nicht aber die Regeln von AC II. Als Spieler hat man die vom Spiel gestellte Aufgabe gelöst und wird regelgerecht mit einem Fortschritt in der linearen Handlung belohnt. Im Kontext der Spielwelt allerdings hat man seine Kräfte völlig umsonst in die Spiele des Karnevals investiert, denn die Kontrollinstanz wurde korrumpiert. Die Kontrollinstanz, welcher der Spieler von AC II – wohlgemerkt als Einzelspieler29 – gegenübersteht, unterscheidet sich grundlegend von derjenigen Kontrollinstanz, die Ezio Auditore den Sieg verwehrt: Und in dieser Szene funktioniert die rinascimentale Welt eben nicht so wie das Erfolg nach fixierten Regeln bewertende Computerspiel. AC II eröffnet hier also eine Differenz, die meines Erachtens nach dadurch deutlich wird, dass sie die Erwartungen von Computerspielern unterläuft. Denn die auf einem Ziel basierende Involvierung des Spielers, wie sie aus zahlreichen Computerspielen vertraut ist und auch hier mit dem Preis einer goldenen Maske konstruiert wird, führt nicht zum in Aussicht gestellten Ergebnis. Diese explizit im Spiel metaludisch thematisierte Abweichung von der Regeleinhaltung und Belohnung zeigt eine differente, sozial manipulierbare Form des Spielens. In der Spielwelt entsteht diese Differenz gerade indem die Skrupellosigkeit der Tempelritter ausgespielt wird, welche die Regeln einfach kraft monetärer Potenz beugen. In dem Moment also, in dem AC II eine Alteritätserfahrung erzeugt – nämlich die einer anderen Form des Spielens – zeigt es zugleich einen Grundzug des von ihm skizzierten Renaissancebildes: Die moralfreie Machtpolitik der von Rodrigo Borgia angeführten Tempelritter. Den Moment, in dem sich das Spiel im Spiel vom Computerspiel distanziert, erzeugt AC II, indem es eine unfaire Manipulation von Spielregeln zeigt, die dem skizzierten, dem Spiel in vielfacher Hinsicht zugrunde liegende Bild rinascimentaler Politik entspricht und es in aller Deutlichkeit illustriert.

29 Die Ausführungen beziehen sich auf die Situation eines Einzelspieler beim Spielen von AC II. Beteiligen sich mehrere Spieler an einem Spiel, ist die Lage komplexer, aber diese sehr weit führende Diskussion kann hier nicht aufgegriffen werden.

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KONKLUSION Die Regeln werden also zugleich gebrochen und nicht gebrochen. Metaludisch wird daher deutlich, dass wir es mit zwei verschiedenen Formen des Spielens und daher mit einer Differenz zu tun haben. Die Alterität der im Spiel dargestellten anderen Art des Spielens ist dabei sicherlich nicht als spezifisch rinascimental zu verstehen. Vielmehr zeigt sich hier eine Differenz zwischen traditionellen Spielen und Computerspielen im Allgemeinen. Diese Differenz wird aber durch ihre Einbettung in eine rinascimentale Spielwelt und die Erzählung von den Karnevalsspielen, die trotz der Aussicht auf Zugang zum Ball der Oberschicht skrupellos manipuliert werden, zur Konstruktion eines Renaissancebilds genutzt, welches auf der skizzierten und populären Auffassung moralisch flexibler Eliten und gewissenloser Politik dieser Epoche beruht. Insofern eröffnet ASSASSIN’S CREED II hier eine Technik, mit der Spiele selbstreflexiv Alterität erzeugen und nicht zuletzt für die Konstruktion von Geschichtsbildern nutzen können.

Bauen als Bedingung zum Sieg Darstellung und Funktion frühneuzeitlicher Architektur und Stadtgefüge in Strategie- und Aufbauspielen M ARC B ONNER

Seriell gefertigte Patrizierhäuser und Kanonengießereien? Ein stilisiertes Schloss von Versailles, das als Destillat prunkvoller Herrschaftsarchitektur den Sieg bringen soll? Frühe Hochkulturen, die auf Errungenschaften der Frühen Neuzeit zurückgreifen? Kann virtuelle, frühneuzeitliche Architektur gleichzeitig architecture parlante und Klonarchitektur im Sinne Jean Baudrillards sein und somit ein Paradoxon aufheben? Sind historische Architekturen authentisch nachgebildet? In den nachstehenden Ausführungen sollen diese und weitere Fragen im Kontext von Strategie- und Aufbauspielen geklärt werden. Beide Genres sind vornehmlich auf dem PC vertreten, was insbesondere in der Steuerung der Spiele begründet liegt: Mit Tastatur und Maus lässt sich wesentlich direkter und effizienter aus der Überblicksperspektive agieren als mit dem Gamepad. Versuche, Strategie- und Aufbauspiele für Konsolen zu adaptieren, schlagen daher oft fehl.1 Bevor jedoch tiefer gehend auf einzelne Beispiele eingegangen werden kann, müssen einige Sachverhalte und Begriffe zum Thema der Architektur in digitalen Spielwelten geklärt werden.

1

Vgl. Koch, Maik: »Strategiespiele auf Konsole: Von mies bis toll – Was bringen Move und Kinect?«, URL: http://www.videogameszone.de/Panorama-Thema-233992/Specials/ Strategiespiele-auf-Konsole-Von-mies-bis-toll-Was-bringen-Move-und-Kinect-771363/ (Stand: 15.12.12); O. A.: »Creative Assembly: Strategiespiele auf Konsole machbar«, URL: http://www. gamezone.de/Creative-Assembly-Firma-15352/News/Creative-Assembly-Strategiespiele-auf-Konsole-machbar-965049/ (Stand 15.12.12).

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BEGRIFFE, ASPEKTE UND THEORIEN EINE EINFÜHRUNG In früheren Studien wurden bereits Darlegungen zur Medialität der Architektur sowie zu Korrelationen zwischen gebauter Wirklichkeit und digitalen Bauwerken erbracht.2 Diese sollen nun mit Bezug auf die Strategie- und Aufbauspiele dargelegt werden, um eine Einführung in die Thematik zu bieten. Die digitale Architektur in Computer- und Videospielen erzeugt mit ihrer oft archetypischen Bildhaftigkeit raumatmosphärische Erlebnisse und lässt so, durch ihre Formensprache, unweigerlich eine Kommunikation zu den Spieler/-innen entstehen.3 Folglich vermitteln die virtuellen Gebäude mit ihren Bauvolumina und – stilen Werte, die den spielimmanenten Kontext produzieren und transportieren. Sie verweisen dabei auf die jeweilige, von den Spieler/-innen ausgewählte Fraktion oder Nation und verkörpern zudem ihre Bauaufgaben respektive die von ihnen produzierten Güter. Als Beispiel sollen lediglich die architektonischen Stilmerkmale der beiden spielbaren Fraktionen in WARCRAFT II: TIDES OF DARKNESS aufgezeigt werden:4 Während die zur Produktion von Soldaten benötigte Kaserne (barracks) der Menschen eine zinnenbewehrte symmetrisch aufgebaute Burg ist, besticht jene der Orcs durch riesige Dornen, Knochen und ein aus Häuten bestehendes Zeltdach. Ein weiteres Beispiel sind die Höfe (farms), mit deren Erbauung das Einheitenlimit erhöht werden kann. Die Höfe der Menschen zeichnen sich durch ein Heu bedeck-

2

Vgl. Bonner, Marc: Architektur ferner Welten – Santiago Calatravas skulpturales Architekturverständnis und die Bildhaftigkeit seiner Bauwerke in Wechselwirkung zu Werbung, Musik, Computerspiel und Science-Fiction-Film (Dissertation), Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014; Ders.: »Gebaute Wirklichkeit in digitalen Welten: Die Medialität der Architektur und deren Korrelation mit Bauwerken in Computer und Videospielen aus einer kunsthistorischen Perspektive«, in: Winfried Kaminski/Martin Lorber (Hg.): Clash of Realities 2012 – Gamebased Learning, München: Kopäd 2013, S. 327-340; Ders.: »Die Visualisierung von Angst und Alptraum in Computerspielen durch die Formensprache real erbauter Architekturen«, in: Horizonte. Zeitschrift für Architekturdiskurs 6 (Angst), 2013, S. 106-115; Ders.: »Digitale Spielarchitektur und ihr leiblicher Raum – Über das affektive Erfahren des Spielers und den Transfer von Atmosphären gebauter Wirklichkeiten«, in: Zwischen|Welten. Atmosphären im Computerspiel, hrsg. von Christian Huberts und Sebastian Standke, Glückstadt: Verlag Werner Hülsbusch 2014 (im Druck).

3

Im Folgenden sollen die Begriffe Computer- und Videospiel aus Gründen der Einfachheit synonym verwendet werden.

4

WARCRAFT II: TIDES OF DARKNESS (1995) (Blizzard Entertainment).

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tes Haus und einen fruchtbaren Nutzgarten aus. Die Orcs hingegen hausen in Baumstümpfen und bewirtschaften einen dazugehörigen Acker. Grundsätzlich stehen dabei die hellen Farben der gemauerten Bauwerke der Menschen den erdigen Farben und zum Großteil der Natur entstammenden Bauteilen der Orcs gegenüber, deren scheinbar temporäre Architektur eine gewisse Wildheit und Aggressivität verkörpert und so auch auf den Charakter der Orcs verweist. Die digitalen Bauwerke können im Kontext der Architekturgeschichte folglich als architecture parlante verstanden werden, die im 18. Jahrhundert von Architekten wie Claude-Nicoals Ledoux und Étienne-Louis Boullée unter dem heute gängigen aber umstrittenen Begriff der ›Revolutionsarchitektur‹ etabliert wurde. Der von Boullée im Jahr 1784 lediglich in Zeichnungen erdachte Cenotaphe à Newton ist das Schaustück der architecture parlante und macht zugleich den utopischen, virtuellen Charakter des Gros dieser Projekte klar. In diesem Zusammenhang ist auch Umberto Ecos Theorie des ikonischen Codes wichtig. Eco führt aus, dass Architektur als Kommunikation wahrgenommen und auch verstanden wird, wenn die Codierung durch bereits bekannte oder abgeänderte Formen decodiert werden kann. Er nennt als Beispiel die Gabel: Sie erfüllt die Funktion, Nahrung zum Mund zu führen.5 Dadurch ist sie zum Symbol für die Nahrungsaufnahme geworden und zum Beispiel auf Hinweisschildern für Autobahnraststätten zu finden. Bereits 1852 formuliert Friedrich Theodor Vischer ähnliche Überlegungen, wenn er die Architektur als symbolische Kunst versteht, die sich jedoch nicht expliziter artikulieren könne.6 Der Aspekt der architecture parlante sowie die Theorie des ikonischen Codes korrespondieren schließlich indirekt mit der weit verbreiteten Definition der digitalen Spielarchitektur als narrativer Architektur. Dies liegt unter anderem in der literaturwissenschaftlichen Prägung der Medienwissenschaft respektive der Game Studies begründet. Somit schließt sich der Kreis, wenn Henry Jenkins in seinem grundlegenden Artikel die Gamedesigner als narrative Architekten und die Computerspiele als »spatial stories« bezeichnet.7

5

Eco, Umberto: »Function and Sign: The Semiotic of Architecture«, in: Neil Leach (Hg.): Rethinking Architecture. A Reader in cultural theory, London: Routledge 2006, S. 182202, hier S. 182f und S. 186.

6

Vischer, Friedrich Theodor: Ästhetik und Wissenschaft des Schönen, Dritter Theil, Zweiter Abschnitt (Band 3-1): Die Künste. Erstes Heft: Die Baukunst, Stuttgart: C. Mäcken 1852, S. 202.

7

Jenkins, Henry: »Game Design as narrative architecture«, in: Noah Wardrip-Fruin (Hg.): First Person. New Media as Story, Performance, Game, Cambridge, Mass: MIT Press 2004. URL: http://web.mit.edu/cms/People/henry3/games&narrative.html (Stand: 21. 03.12).

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Ein im Hinblick auf die Bauwerke in digitalen Spielwelten ebenso wichtiger Sachverhalt wurde 1999 von Jean Baudrillard im Kontext der kritischen Auseinandersetzung mit zeitgenössischer, real erbauter Architektur erörtert. Er wendet den Begriff Virtuelle Architektur auf Gebäude an, deren szenischer Raum verloren geht, die den Städten die Dramaturgie der Illusion rauben und im Sinne reiner Funktionsarchitektur nur noch die technische Verfügbarkeit der Formen und Materialien thematisieren. In diesem Kontext benutzt Baudrillard auch den Begriff der Klonarchitektur, deren Eindruck von Leere ihr nicht erlaube, über sich selbst hinaus zu verweisen.8 Dabei sieht er im 1995 von Frank O. Gehry erbauten Museum Guggenheim Bilbao das Paradebeispiel für ein virtuelles Bauwerk, da die Formensprache für unzählige Bauaufgaben modifiziert werden könne.9 Fällt der Blick auf spätere Projekte Gehrys, wie die Disney Music Hall in Los Angeles oder das Hotel Marqués de Riscal im spanischen Elciego, so wird die Kritik Baudrillards deutlich. Die Begriffe der Virtuellen und der Klonarchitektur können auf den Bereich der Strategie- und Aufbauspiele adaptiert werden, da die digitalen Bauwerke von Spieler/-innen, aufgrund ihrer erhöhten, der Übersichtlichkeit geschuldeten Perspektive, in der Regel nicht betreten werden können und von den Gamedesignern folglich nur in Form von Bitmaps bzw. hohlen Polygonhüllen bar jeder inneren Kohärenz gestaltet werden. Der Begriff der Klonarchitektur greift allerdings erst dann richtig, wenn bestimmte Bauwerke durch die Spieler/-innen mehrfach erbaut werden, um die militärische, produktive Effektivität zu steigern oder eine ausreichende Sicherung der eigenen Siedlung zu gewährleisten. So werden im vorgenannten Beispiel WARCRAFT II: TIDES OF DARKNESS aber auch bei allen anderen Strategiespielen die immer gleichen Höfe zu Dutzenden erbaut, um die Kapazität der Armee zu steigern oder mehrere Kasernen errichtet, um schlagkräftige Truppen schneller produzieren zu können. Daher bleibt der Eindruck einer organisch gewachsenen mittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Siedlung oder Stadt weitestgehend aus und die uniforme, serielle Ästhetik englischer Arbeiterviertel des 19. Jahrhunderts oder der Fertighausproduktion Walter Gropius’ im 20. Jahrhundert dominieren die digitale Bildwelt. Dabei sind nicht nur die Bauwerke identisch: Auch mehrere Siedlungen derselben Spieler/-innen auf einer Levelkarte unterscheiden sich lediglich in der Gebäudeanordnung. Zum einen sollen aufgrund der archetypischen Bildhaftigkeit entsprechende Förder- oder Produktionsstätten direkt erkannt und genutzt werden können, zum anderen ist es aber auch dem Programmcode bzw. der Rechenleistung geschuldet,

8

Somit steht die Klonarchitektur diametral zur architecture parlante.

9

Baudrillard, Jean: Architektur. Wahrheit oder Radikalität? Aus dem Französischen von Colin Fournier, Maria Nievoll und Manfred Wolff-Plottegg, Essay 40, Graz/Wien: Literaturverlag Droschl 1999, S. 12, 20, 24, 25f. und 34.

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die besonders bei Strategie- und Aufbauspielen der 1990er Jahre noch stark begrenzt war. Die Reduzierung auf ihre produktive oder abwehrende Funktion sowie die Copy-and-paste-Ästhetik gehen dabei mit Baudrillards Definition der Klonarchitektur einher. Lediglich in Aufbauspielen, wie der ANNO- oder SIM-CITY-Reihe, versuchen die Entwickler diesem negativen Beigeschmack entgegenzuwirken, indem sie zum Beispiel Wohnbauten in mehreren alternativen Ausgestaltungen einfügen. Der Programmcode wählt dann scheinbar zufällig aus dem Repertoire aus.10 Baudrillards Begriff der Virtuellen Architektur ist also in zweifacher Hinsicht zutreffend: Einerseits sind digitale Gebäude – ob nun im Computerspiel oder in einer Konstruktionssoftware für Architekten – ebenso virtuell wie andere Abbilder einer Architektur (Zeichnung, Fotografie), andererseits verweist die begrenzte Vielfalt der optischen Ausgestaltungen auf die von Baudrillard geschilderten Missstände in der gebauten Wirklichkeit. Das wissentliche Produzieren von Klonarchitektur durch die Spieler/-innen ist letztendlich notwendig, um im kriegerischen wie wirtschaftlichen Wettkampf zu bestehen und den Sieg davon zu tragen. Wie noch zu zeigen sein wird, avanciert in manchen Fällen eine einzige Architektur zur alleinigen Siegbedingung. In Bezug auf die digitale Spielarchitektur ist festzuhalten, dass sie sowohl architecture parlante als auch Virtuelle Architektur im Sinne Baudrillards ist. Beide Themenkomplexe bilden in der gebauten Wirklichkeit ipso facto ein Paradoxon. In digitalen Spielwelten können sie jedoch durchaus miteinander korrespondieren, da reale Bedingungen im spielimmanenten Raum ebenso wenig existent sind wie physikalische Gesetze. Letztere werden aus Gründen der Authentizität allerdings oft durch einen Programmcode simuliert. In Bezug auf die gebaute Wirklichkeit zeigen sich weitere, grundlegende Abweichungen in den digitalen Architekturen der Strategie- und Aufbauspiele. So sind die Größenverhältnisse zwischen den Arbeitern oder Soldaten und den Bauwerken meist verzerrt. Dies hat einen funktionalen Grund: Stünden die Bauwerke mit den einzelnen Figuren in einer maßstabsgetreuen Relation, müssten die Figuren entweder so klein sein, das sie mit dem Mauszeiger kaum noch angeklickt, also genutzt, werden können oder die Gebäude müssten derart groß dargestellt werden, dass sie

10 ANNO-Reihe: ANNO 1602 (1998) (Max Design/Sunflowers); ANNO 1503 (2002) (Max Design/Sunflowers);

ANNO 1701 (2006) (Related Designs/Sunflowers/Koch Media);

ANNO 1404 (2009) (Related Designs/Blue Byte/Ubisoft); ANNO 2070 (2011) (Related Designs/Blue Byte/Ubisoft). SIMCITY-Reihe: SIMCITY (1989) (Maxis et al./Brøderbund et al.); SIMCITY 2000 (1993) (Maxis/Ful Fat/Maxis et al.); SIMCITY 3000 (1999) (Maxis/Electronic Arts); SIMCITY 4 (2003) (Maxis/Electronic Arts/Aspyre Media); SIMCITY DS (2007) (Electronic Arts/AKI); SIMCITY SOCIETIES (2007) (Tilted Mill Entertainments/Electronic Arts); SIMCITY (2013) (Maxis/Electronic Arts).

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den Bildausschnitt stark verengen und der isometrischen Ansicht jeglichen Überblick rauben würden. Die Spieler/-innen müssen mit möglichst wenig Aufwand möglichst viele Bauwerke und Einheiten nutzen und überblicken können. Für ein flüssiges und effektives Gameplay werden die Maßstäbe folglich untereinander verzerrt, wodurch ein einfacher Pikenier die Höhe eines kompletten Stockwerks, oft aber darüber hinaus, erreicht. Nur wenige Computerspiele, wie zum Beispiel das 2013 erschienene Aufbauspiel SIMCITY, bieten eine nahezu maßstabsgetreue Relation zwischen Bauwerken und digitalen Bürgern.11 Die digitale Spielarchitektur weist auf Basis ihrer archetypischen Bildhaftigkeit, ihrem nicht existenten Inneren sowie ihrer verzerrten Größenverhältnisse die Merkmale von Kulissen- oder Filmarchitektur auf und lässt sich unter anderem auch mit den Bauwerken japanischer Themenparks vergleichen. Letztere sind nach Jürgen H. Gleiter besonders in den 1980er Jahren in Form von holländischen, spanischen und bayrischen Siedlungen entstanden. Dabei werden einzelne Häuser in ihrer Fassadengestaltung authentisch nachgebaut. Das Innere jedoch, so Gleiter, sei fiktional und entspreche nicht der historischen Konstellation der Häuser.12 Die Referenzen sind nach Gleiter lediglich auf die architektonische Erscheinung beschränkt und vermitteln den Besuchern des Parks ein vormodernes idyllisches Europa. Die einzelnen Bauwerke versteht er daher als Pars pro toto für Amsterdam, Utrecht und andere europäische Städte.13 Diese Bauwerke können also, ebenso wie die digitale Spielarchitektur, gleichsam als architecture parlante und als Virtuelle Architektur verstanden werden. Kulissenhaftigkeit, die fehlende Kohärenz zwischen innen und außen sowie die archetypische Bildhaftigkeit sind dabei die gemeinsamen Nenner.14 In Bezug auf Perspektive, Raum und Gameplay stellt Felix Raczkowski für die Strategiespiele fest, dass die Nutzer/-innen nicht, wie bei den meisten Genres üblich, über einen Avatar, sondern ausschließlich über den Mauszeiger in die Spielwelt eingreifen. Dieser dezentrale point of action geht darüber hinaus auch mit der distanzierten Perspektive zwischen Spieler/-innen und spielimmanentem Raum ein-

11 Dies scheint allerdings nur dann möglich, wenn die Spieler/-innen beliebig in das digitalurbane Raumgefüge ein- und auszoomen und die Perspektive frei wählen können. 12 Gleiter, Jörg H.: »Exotisierung des Trivialen – Japanische Themenparks«, in: Thesis. Wissenschaftliche Zeitschrift der Bauhaus-Universität Weimar, Heft 6 (1998), S. 36-51, hier S. 37 und 39. 13 Ebd. 14 Einen verallgemeinernden Vergleich zwischen digitalen Spielwelten und Themenparks erbrachte Michael Nitsche bereits im Jahr 2008. Vgl. Nitsche, Michael: Video Game Spaces. Image, Play, and Structure in 3D Worlds, Cambridge, Mass./London: MIT Press 2008. S. 13.

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her.15 Dabei merkt Raczkowski an, dass die Vogelperspektive bzw. die isometrische Darstellung den Spieler/-innen eine Allmacht suggeriert, die sie faktisch allerdings nicht besitzen. Trotz der zentralen Rolle von Bauwerken ist laut ihm die Raumerfahrung weniger bedeutsam als in übrigen Genres. Lediglich die verschiedenen Geschwindigkeiten von Truppenverbänden, sowie strategisch günstige Positionen wie Anhöhen oder Pässe seien von Relevanz.16 Die Tatsache, dass die Raumerfahrung in Genres, die von Nutzer/-innen aus der First- oder Third-Person-Perspektive, also dreidimensional, erlebt werden ungleich höher ist, bleibt unbestreitbar. Dennoch misst Raczkowski der Raumerfahrung in Strategiespielen zu wenig Bedeutung bei. Obwohl die distanzierte Erzählperspektive eine geringere Immersion zur Folge haben kann, ist das Erforschen von Gebieten ein zentrales Moment des Gameplays. So werden nicht nur neue Ressourcen, Schleichwege, spezielle Örtlichkeiten und feindliche Stellungen ausgemacht, sondern auch der Entdeckerdrang angesprochen, da im Großteil der Strategie- und Aufbauspiele der fog of war die Levelkarte im Dunkeln lässt. Erst die Erkundung der Spielwelt sowie die Errichtung von weiteren Siedlungen erlaubt eine freie Sicht auf das Gelände. Oft ist dabei aber dennoch ein gräulicher Schleier über bereits aufgedeckte Bereiche gelegt, sodass die Spieler/innen gezwungen sind Einheiten über festgesetzte Routen patrouillieren zu lassen bzw. an wichtigen Knotenpunkten zu stationieren, um feindliche Truppenbewegungen zu überwachen. Das Erkunden der Map sowie die beschränkte Einsicht respektive Kontrolle auf bereits erkundetes Terrain, schaffen eine gewisse Spannung und erhöhen die Dramaturgie des Gameplays. Michael Nitsche schreibt in diesem Zusammenhang, dass eine Struktur zu bauen, sie der Landschaft hinzuzufügen eine dramatische und zentrale Funktion ist. Laut Nitsche definieren die Spieler/-innen selbst den Raum für verschiedene Interaktionen aus. Er entscheidet welche Architektur er wohin baut und schafft mit seinen Siedlungen individuelle Orte, die Ressourcen abbauen oder bestimmte Zugänge und Pässe befestigen.17 Folglich kann von einer dichten Atmosphäre in räumlichen, wenn auch distanziert wahrgenommenen Dimensionen gesprochen werden, die aufgrund einer dramaturgischen Kontextualisierung entsteht. Die Spieler/-innen, so folgert Nitsche, tauchen vielmehr durch den Spielfluss, als durch die reduzierte Räumlichkeit in die digitale Spielwelt

15 Raczkowski, Felix: »Die Dramaturgie virtueller Kriege. Narration in Strategiespielen«, in: Benjamin Beil/Sascha Simons/Jürgen Sorg/Jochen Venus (Hg.): »It’s all in the Game«. Computerspiele zwischen Spiel und Erzählung. Navigationen, Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften 9,1 (2009), S. 121-133, hier S. 123. 16 Ebd., S. 128 und 131. 17 Nitsche: Video Game Spaces, S. 197.

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ein.18 Die Raumerfahrung in Strategie- und Aufbauspielen ist daher auf andere Weise bedeutsam und scheint mit der eines Schachspiels vergleichbar.

DAS VORMODERNE ›FRÜHER‹ ÜBER DIE VERSCHMELZUNG DER EPOCHEN UND DIE GESCHICHTE ALS KULISSE »Populäre literarische und filmische Genres wie Science-Fiction, Western oder Abenteuergeschichten verwandeln sich im Kontext von Videospielen in GenreSettings, die als Kulisse und Zeichensystem für die ludischen Ereignisse dienen.«19 Damit fast Andreas Rauscher ein zentrales Moment der Computerspiele mit historischer Rahmenhandlung zusammen und fügt hinzu, dass historische Kriegsspiele lediglich die Ausgangssituation eines Konfliktes simulieren. Der weitere Verlauf der Feldzüge bleibt dann meist den Spieler/-innen und deren taktischen Fertigkeiten überlassen.20 Dieses Simulieren einer Ausgangssituation zeigt sich zum Beispiel im Strategiespiel TOTAL WAR: SHOGUN 2 durch die im feudalen Japan des 16. Jahrhunderts angelegte Handlung.21 Die Spieler/-innen befinden sich hier in der grob umrissenen Sengoku-Zeit. Diese knapp 100 Jahre währende Epoche folgte auf den Zerfall der Zentralgewalt des Ahikaga-Shogunats und den damit verbundenen Onin-Krieg (1467-1477) und war durch über 300 untereinander rivalisierende Daimyos geprägt. Die Spieler/-innen wählen zu Beginn einen der zehn authentischen Clans aus, die ihre historisch belegten Ländereien als Ausgangspunkt besitzen. Mit welchen Clans die Spieler/-innen dann ein Bündnis eingehen oder welche Provinzen sie erobern möchten, liegt fernab der geschichtlichen Ereignisse in ihrem eigenen Ermessen. Das von Rauscher als Genre-Setting definierte System aus Kulissen und Zeichensystemen bezeichnet Carl Heinze in seinem Buch Mittelalter Computer Spiele. Zur Darstellung und Modellierung von Geschichte im populären Computerspiel als kollektive Wissensbestände, die eine entsprechende Vergangenheitsreferenz erzeugen.22 Des Weiteren sieht er das historische Computerspiel als ein unwissenschaftli-

18 Ebd., S. 204. 19 Rauscher, Andreas: Spielerische Fiktionen. Transmediale Genrekonzepte in Videospielen, Marburg: Schüren 2012, S. 19. 20 Ebd., S. 67. 21 TOTAL WAR: SHOGUN 2 (2011) (Creative Assembly/Sega). 22 Heinze, Carl: Mittelalter Computer Spiele. Zur Darstellung und Modellierung von Geschichte im populären Computerspiel, Bielefeld: transcript 2012, S. 83.

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ches Werk an, dessen historischer Charakter durch die Referenz auf gesellschaftlich anerkanntes historisches Wissen generiert wird.23 Bei letzterem Aspekt verweist er auf den von Ernst Voltmer etablierten Begriff des »Freischwebenden Mittelalters«,24 das, so Heinze, keine speziellere zeitliche Einordnung besäße als die Umschreibung »früher«.25 Damit einhergehend stellt Thomas Martin Buck fest, auch dies ist bei Heinze nachzulesen, dass Mittelalter, Renaissance und die jüngere Geschichte in der öffentlichen Wahrnehmung oft »...zu einem undifferenzierten (vormodernen) ›Früher‹ vermischt« werden.26 Diese diffuse und verzerrte Perspektive zeigt sich im Besonderen durch die Gestaltung der materiellen Kultur. Heinze bringt in diesem Kontext das Beispiel der Darstellung städtischer Wohnhäuser: So sei »...das Fachwerkhaus zu einer der populärsten Mittelalterchiffren des Computerspiels« geworden.27 In diesen Ausführungen findet sich die Anwendung von Baudrillards Begriff der Virtuellen Architektur sowie von Ecos System des ikonischen Codes auf die digitalen Bauwerke in Spielen abermals bestätigt.

ANACHRONISMEN, MASHUPS UND STRUKTURELLE ABSTRAKTIONEN FRÜHNEUZEITLICHE ARCHITEKTUR IN AUFBAU- UND STRATEGIESPIELEN Das Problem der verzerrten respektive diffusen Darstellung des Mittelalters als ein vormodernes ›Früher‹ ist folglich auch in Computerspielen mit frühneuzeitlicher Rahmenhandlung vorzufinden. Die Amalgamierung verschiedener Epochen zu einem sumpfigen Gebräu historischer Zeitalter zum Wohle der Erzeugung von Atmosphäre hinterlässt besonders in der Spielarchitektur historischer Strategie- und Aufbauspiele ihre Spuren. Die im Design der digitalen Bauwerke vorzufindenden

23 Ebd., S. 91. 24 Voltmer, Ernst: »Das Mittelalter ist noch nicht vorbei... Über die merkwürdige Wiederentdeckung einer längst vergangenen Zeit und die verschiedenen Wege, sich ein Bild davon zu machen«, in: Alfred Haverkamp/Alfred Heit (Hg.), Ecos Rosenroman. Ein Kolloquium, München: Deutscher Taschenbuch-Verlag 1987, S. 185-228, S. 210. Zitiert nach: Heinze: Mittelalter Computer Spiele 2012, S. 151. 25 Heinze: Mittelalter Computer Spiele, S. 152. 26 Buck, Thomas Martin: »Einführung: Das Mittelalter zwischen Vorstellung und Wirklichkeit«, in: Thomas Martin Buck/Nicola Brauch (Hg.): Das Mittelalter zwischen Vorstellung und Wirklichkeit. Probleme, Perspektiven und Anstöße für die Unterrichtspraxis, Münster u.a.: Waxmann 2011, S. 21-54, hier S. 49. 27 Heinze: Mittelalter Computer Spiele, S. 153.

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Anachronismen und Mashups bedienen die populärkulturelle Vorstellung von bzw. den kollektiven Wissensbestand über historische Epochen. In Strategiespielen haben die von den Spieler/-innen erbauten Architekturen fünf zentrale Funktionen: Die Produktion von Soldaten und Kriegsgerät, was im frühneuzeitlichen Kontext vom Pikenier über Mörser zur Galeone reicht; die Förderung oder Weiterverarbeitung von Ressourcen; die Erweiterung der Truppenkapazitäten; die Verbesserung der Waffen und Rüstungen und schließlich die Abwehr feindlicher Einheiten. Nicht immer sind alle Funktionen in einem Spielkonzept vertreten. Die digitale Spielarchitektur weist jedoch aufgrund ihrer Formensprache immer auf ihre Funktion hin. Im Kontext der Strategiespiele haben die virtuellen Bauten grundlegend eine unterstützende Funktion. Sie erlaubt den Nutzer/-innen den Aufbau von Truppen und die Sicherung seiner Stützpunkte und ebnet teilweise den Weg zum Sieg. Mit Wehrmauern und befestigten Türmen können die Spieler/innen so der Levelarchitektur bzw. dem Kontrahenten individuelle Grenzen setzen und die eigene Basis schützen, da der Verlust zentraler Produktionsbauwerke oft die Niederlage bedeutet. Gegnerische Bauten und Siedlungen hingegen werden zur Verkörperung der feindlichen Nation bzw. Fraktion und somit zu Hindernissen respektive Kontrahenten, die aktiv das Erreichen des Spielziels verhindern sollen. Diese Siedlungen oder Stützpunkte sollen Abbilder eines urbanen Gefüges darstellen, bestehen aber nur aus Fragmenten eines städtischen Komplexes, die zur Kriegsführung und Rohstoffgewinnung benötigt werden. Sie können daher am ehesten mit den in sich geschlossenen Mikrokosmen militärischer Außenposten oder Heerlager verglichen werden wie sie zum Beispiel die Römer nördlich der Alpen zur Sicherung ihrer Grenzen betrieben. Für diesen Artikel beschränken sich die tiefer gehenden Betrachtungen zu Strategiespielen auf die beiden von Big Huge Games entwickelten Spiele RISE OF NATIONS aus dem Jahr 2003 und RISE OF NATIONS: RISE OF LEGENDS aus dem Jahr 2006.28 RISE OF NATIONS wird auf der offiziellen Webseite als historisches Echtzeitstrategiespiel beschrieben und wirbt damit, dass 6000 Jahre menschliche Geschichte vom Altertum bis zum Informationszeitalter erlebt werden können.29 Zu Beginn müssen die Spieler/-innen eine der 18 Nationen auswählen. Darunter befinden sich Azteken, Bantu, Briten, Ägypter, Chinesen, Deutsche, Franzosen, Maya, Mongolen, Römer und Russen. Hierbei ist es in einigen Fällen schon schwierig von einer Nation zu sprechen. Ein weiterer unhistorischer Aspekt ist die Tatsache, dass ›Nationen‹ wie die Maya oder Japaner gegen Römer oder Russen ins Feld ziehen. Keine

28 RISE OF NATIONS (2003) (Big Huge Games/Microsoft Game Studios); RISE OF NATIONS: RISE OF LEGENDS (2006) (Bige Huge Games/Microsoft Game Studios). 29 Offizielle Webseite zu RISE OF NATIONS, URL: http://www.microsoft.com/games/riseofnations/default.aspx (Stand: 13.12.2012).

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der wählbaren Fraktionen existierte über die gesamte Menschheitsgeschichte hinweg.30 Manche Zivilisationen waren schon längst untergegangen, als andere auflebten. In der digitalen Spielwelt entstehen dadurch durchaus ungewöhnliche Schlachten zwischen zum Beispiel Römern und Japanern. Diesem anachronistischen Problem begegnen die Gamedesigner mit kreativen Einheiten: So haben die Azteken im Modern Age und Information Age (ab 1936) die Jaguar Infantry. Sie wird als eine ›Was-wäre-wenn-Einheit‹ beschrieben, die wohl existieren könnte, wenn das Reich der Azteken noch heute prosperieren würde. Die Jaguar Infantry stellt in den beiden genannten Epochen auch gleichzeitig die schnellste Infanterieeinheit dar.31 Die Römer erhalten im Industrial Age Tank-Killer-Soldaten, die speziell gegen Panzer eingesetzt werden, wie sie zum Beispiel die Deutschen mit dem Tiger und dem Leopard erhalten.32 Die für die Frühe Neuzeit entscheidenden Epochen des Gunpowder Age und des Enlightenment Age weisen sich durch eine eher fragwürdige Zeiteingrenzung aus. So endet in der digitalen Spielwelt von RISE OF NATIONS das Mittelalter bereits mit dem Jahr 1299. Historisch annähernd richtig ist dagegen die vereinfachte und verallgemeinerte Darstellung militärischer Konzepte: So bleiben in der spielimmanenten Geschichte Wehrmauern und –türme bis zum Mittelalter wichtige Elemente zur Sicherung einer Basis während mit dem Gunpowder Age Mörser und Dragoner Einzug halten und den angreifenden Truppen den Vorteil bringen.33 Diese surreale Verschränkung von Fiktion, historisch belegbarem und kollektivem Wissensbestand spiegelt sich auch in den Spielarchitekturen wieder. In RISE OF NATIONS können die Spieler/-innen die Technologieressource Architecture erforschen und somit kürzere Bauzeiten, verstärkte Panzerungen der Bauwerke oder größere Reichweiten für Wehrtürme erwirken.34 Im Verlaufe des Spiels können die Nutzer/-innen ein oder mehrere Weltwunder bauen. Diese bringen immense spielerische Vorteile, sind größer als die üblichen Bauwerke und haben eine lange Bauphase. Zudem tragen die spielimmanenten Wonder auch deutlich zu den Siegbedingungen bei.

30 Die acht Epochen in RISE OF NATIONS: Ancient Age bis 2000 v. Chr.; Classical Age von 1999 v. Chr. bis 500 n. Chr.; Medieval Age 501 bis 1299; Gunpowder Age 1300 bis 1715; Enlightenment Age 1716 bis 1880; Industrial Age 1881 bis 1935; Modern Age 1936 bis 1968 und Information Age 1969 bis heute. URL: http://www.micro-soft.com/ games/riseofnations/ages.aspx (Stand: 13.12.2012). 31 http://www.microsoft.com/games/riseofnations/nations.aspx (Stand: 13.12.2012). 32 http://www.microsoft.com/games/riseofnations/nations_germans.aspx; http://www.micro soft.com/games/riseofnations/nations_romans.aspx (Stand: 13.12.2012). 33 http://www.microsoft.com/games/riseofnations/ages.aspx (Stand 13.12.2012). 34 http://www.microsoft.com/games/riseofnations/technologies_architecture.aspx (Stand: 13.12.2012).

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The Palace of Versaille ist in der gebauten Wirklichkeit ein weitläufiger und über Jahrhunderte ausgebauter Schlosskomplex, der in RISE OF NATIONS zum Wohle des Gameplays zu einem kompakten Stadtpalais zusammengeschrumpft ist. Die Fassadengestaltung sowie die U-förmige Anlage der Bauflügel erzeugen ein destilliertes Abbild des den Marmorhof umgebenden Bautraktes, der zwischen 1631 und 1634 unter Louis XIII. von Philibert Le Roy erbaut und zum Kernelement des Komplexes wurde. Der barocke Baustil ist durch Backsteinmauern gekennzeichnet, die von Sandstein gegliedert, gerahmt oder profiliert werden. Die fragmentarische Spielarchitektur des Weltwunders weist die materiellen Merkmale durch ihre Farbigkeit auf und adaptiert sogar die das Mansardendach vorbereitende umlaufende Balustrade. Die Designer hielten sich jedoch nur grob an die physisch realen Binnengliederungen und Gestaltungen: So weisen beide den Marmorhof flankierenden Flügel an ihren Stirnseiten einen barocken Giebel mit einer Uhr auf, während dieser Abschluss der Fassade in der gebauten Wirklichkeit lediglich dem Mittelrisalit des zentralen Baukörpers vorbehalten bleibt. Der Marmorhof verkommt in dieser kompakten Ausführung des Schlosses zu einer engen hinterhofartigen Schlucht zwischen zwei Bauvolumina, wie sie wohl eher in den urbanen Raumgefügen von Städten wie New York oder Chicago vorkommen. Ein weiteres in der Frühen Neuzeit entstandenes Weltwunder ist das Taj Mahal. In der physisch realen Welt ließ Schah Jahan dieses Mausoleum zwischen 1632 und 1643 für seine verstorbene Frau Mumtaz Mahal errichten. Wie bei The Palace of Versaille wurde die Darstellung der Gebäudegruppe samt Gartenanlage auf die zentrale Kernarchitektur reduziert. In diesem Fall ist allerdings tatsächlich nur der Kernbau im kollektiven Wissensbestand präsent. So wird die digitale Spielarchitektur dem Typus des herrschaftlichen Mogulgrabes nicht gerecht: Wie schon im Falle Versailles‘ wirkt der Bau gedrungen. Die Proportionen der Bauvolumina untereinander stimmen nicht. So lässt der Sockelbau keinen Freiraum zu den Minaretten, die in der gebauten Wirklichkeit in einem sicheren Abstand vom Grabbau entfernt und leicht nach außen geneigt errichtet wurden, sodass sie im Falle eines Erdbebens oder Einsturzes nicht den zentralen Kuppelbau beschädigen. Die Kuppel erscheint ebenfalls zu groß und verliert dadurch nicht nur die entmaterialisierte, schwebende Wirkung des physisch realen Vorbildes, sondern auch den harmonischen Einklang mit den restlichen Gebäudeteilen. Die Merkmale des Baumaterials werden allerdings wieder durch die farbigen Grafikflächen suggeriert: Der weiße Marmor sowie die meisterlichen Intarsien aus Koralle, schwarzem Marmor, Jaspis und Perlmut sind in filigranen Linien umgesetzt, die aufgrund der Bitmapgrafik weder die reflektierenden Oberflächen noch die Materialqualitäten wiedergeben können. In Bezug auf die spielimmanenten Weltwunder ist im Allgemeinen die Verschiebung historischer Wirklichkeit festzustellen. So können die Spieler/-innen zum Beispiel mit der ›Nation‹ der Inka ebenso das Schloss von Versailles wie auch das Space Program, eine Startrampe mitsamt Saturn-V-Rakete, erbauen und sich da-

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durch den Spielsieg sichern. Jeder Nation steht jedes der 14 Weltwunder zur Verfügung. Man könnte in diesem Fall von einem kollektiven Menschheitserbe sprechen, das in seiner diffusen und unhistorischen Ausgestaltung mit Bucks Umschreibung von einem undifferenzierten vormodernden ›Früher‹ korrespondiert. Der Basenbau beginnt mit einer Stadt, die je nach ›Nation‹ und Zeitalter in entsprechenden Grafiken dargestellt ist. Zunächst ist es allgemein eine Ansammlung von Holz und/oder Lehmhütten auf einer quadratischen Fläche. Diese werden ab dem Gunpowder Age zu Fachwerkhäusern respektive Steinbauten und wandeln sich im Industriezeitalter zu Betonarchitekturen und Hochhäusern aus Glas und Stahl. Mit den steigenden Epochen können die destillierten urbanen Raumgefüge zur Large bzw. Major City ausgebaut werden. Neben den Unterschieden in der Darstellung, erhöht sich unter anderem die Gebietsgrenze (also der Baugrund) und die Einwohnerzahl. Um diese ikonischen Codierungen einer Stadt können die Spieler/innen frei wählbar die Produktions- und Förderstätten errichten, wodurch sich ein loses Gefüge von isolierten Bauwerken ergibt. Die 18 Nationen müssen sich eine begrenzte Anzahl an Grafikskins bzw. digitalen Baustilen teilen: Perser und Inder nutzen dasselbe an die Mogulzeit erinnernde Grafikpaket während Ägypter, Nubier und Türken sich einen islamisch-maurischen Stil teilen. Je nach Hochzeit einer Nation können die Architekturskins in gewissen Epochen individualisiert sein. Folglich müssen sich mehrere Nationen auch dieselben Bauwerke teilen: Die Engländer, Franzosen, Holländer, Deutschen und Russen erbauen zum Beispiel denselben Senatspalast im neogotischen Stil. Dieser Längsbau wird in seiner Mittelachse durch einen emporragenden Uhrenturm betont, der dem Big Ben nachempfunden ist. Die europäischen Fraktionen rekurrieren also ausnahmslos auf eine Adaption des Palace of Westminster, dem popkulturell tradierten und filmisch verdichteten Wahrzeichen Londons. Eine Ausnahme in diesem unhistorischen Umgang mit der Architekturgeschichte, wenn man von ihrer eigentlichen Nichtexistenz vor dem spielimmanenten Enlightenment Age einmal absieht, ist die in einem späteren Add-On spielbare Nation USA. Sie erhält ein eigenes Grafikpaket an Bauwerken, die aufgrund von Backsteinfassaden, Porches und neoklassizistischen Elementen dem kolonialen Baustil entsprechen. Die digitale Spielwelt von RISE OF NATIONS: RISE OF LEGENDS ist eine Verschränkung von Science-Fiction, Steampunk und Fantasy. Die Spieler/-innen können aus den drei Fraktionen Vinci, Alin und Cuotl wählen, deren Mashup von Baustilen und origineller Basisbau kurz dargelegt werden sollen. Während die Alin in über dem Wüstenboden schwebenden, romantisierten Schlössern aus 1001 Nacht ihre Einheiten produzieren, erbauen die Cuotl auf steilen Gipfeln suprematistische Adaptionen der Azteken- und Mayatempel, die mit der futuristischen Formästhetik

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des Films STARGATE vermengt sind.35 Die Architekturen und Technologien der Vinci bedürfen einer näheren Betrachtung. Sie leben in sich bekriegenden Stadtstaaten, ein Zustand, der auch während der Renaissance die Politik Norditaliens beherrschte. Der Namensgebende uomo universale Leonardo da Vinci erdachte schon zu seinen Lebzeiten gepanzerte Fahrzeuge und Fluggeräte, die erst mit dem Aufkommen der Industrialisierung möglich wurden. Laut des Executive Producer Tim Train waren im Besonderen die Zeichnungen und grafischen Entwürfe Leonardos inspirierend: »The designs were light years ahead of their time. [...] One of our most successful units involved borrowing heavily from Da Vinci’s corkscrew helicopter design.«36 Daneben sei aber auch Hayao Miyazakis Gestaltung des wandelnden Schlosses in seiner 2004 entstandenen Animeadaption zu Diana Wynne Jones’ 1986 publiziertem Kinderbuch Howl’s Moving Castle inspirierend gewesen:37 So entsteht ein Architektur-Mashup aus klassizistischen Tempelportiken, Zahnrädern, Dampfmaschinen und großen Schornsteinen. Die Formensprache des 19. Jahrhunderts, genauer gesagt, die der Ingenieurskunst und der Industrialisierung verschmilzt mit den vermeintlich antiken Baukörpern zu einer Steampunk-Chimäre. Die Digitale Spielarchitektur verweist in Bezug auf Leonardo da Vinci mit den antikisierten Bauformen auf ein verallgemeinertes, vormodernes Früher der Denker und Erfinder, während die restlichen Bestandteile der Fassaden an die Hochöfen der Schwermetallindustrie erinnern. Diese unhistorische Metamorphose zweier Epochen wird im Design der Einheiten fortgeführt: Die Soldaten der Vinci tragen Harnische, Kettenhemden und Helme, die eine Adaption auf Renaissancerüstungen darstellen. Die eine vormoderne Hydraulik suggerierende Seilzugkonstruktion und Zahnradmechaniken erhöhen die Beweglichkeit des Trägers. Die Helme weisen schließlich Objektive und Visiere auf, wie sie heutige Soldaten tragen. RISE OF NATIONS: RISE OF LEGENDS besticht durch einen originellen Basisbau. Um den zentralen Palast werden Bezirke direkt über Stege und Brücken angegliedert. Diese erhöhen das Einheitenlimit, vergrößern die Rohstofflager und erlauben die Produktion spezieller Truppen und Erweiterungen. Die Funktionen bleiben also gleich. Das urbane Raumgefüge wirkt hier jedoch ungleich gewachsener und organischer, da die Spieler/-innen eine scheinbar unüberschaubare Stadtlandschaft erbauen, die eine kohärente Struktur aufweist und zum mehrfach erweiterbaren Stadtkern hin ansteigt. Lediglich die Abwehr- und Förderarchitekturen sind weiterhin als

35 STARGATE (1994) (USA, R: Roland Emmerich). 36 Rausch, Allen ›Delsyn‹: »Rise of Legends: Sand Castles and Mechanical Men«, URL: http://pc.gamespy.com/pc/rise-of-nations-2/668096p2.html (Stand 13.12.12). 37 IGN Staff: »Rise of Nations: Rise of Legends. We got some info on Big Huge Games’ trip into steampunk fantasy«, URL: http://www.ign.com/articles/2005/12/02/rise-ofnations-rise-of-legends-6 (Stand: 12.12.12).

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isolierte Baukörper in der digitalen Spielwelt zu errichten. In RISE OF NATIONS: RISE OF LEGENDS werden die Städte zu suprematistischen, komprimierten Megastrukturen, die weniger in die Breite als in die Höhe gehen und in ihrer Ausnutzung des Raums folglich sowohl an Hochöfen, mittelalterliche Klöster oder Bergdörfer wie Mont-Saint-Michel oder Vejer de la Frontera als auch an kulissenhafte Themenparkarchitektur wie Disneys Cinderella Castle erinnern. Mit der Vermeidung loser Stadtgefüge hat der Basisbau von RISE OF NATIONS: RISE OF LEGENDS zumindest rein optisch eine Sonderstellung im Genre der Strategiespiele. Von Städten oder Siedlungen zu sprechen führt im Allgemeinen jedoch in die Irre. Es handelt sich um fragmentarische Abbilder einer Stadt, die weder die infrastrukturelle noch die soziokulturelle Komplexität eines physisch realen, urbanen Gefüges aufweisen. Diese digitalen Spielarchitekturen sind hauptsächlich Produktionsstätten, virtuelle Bauwerke im Sinne Baudrillards, die nicht nur die ikonische Codes ihrer produzierten Güter sind, sondern in ihrer Kombination ein GenreSetting auf Basis des kollektiven Wissensbestandes über die (vormoderne) Stadt verkörpern. Ähnlich verhält es sich mit der Spielarchitektur in Aufbauspielen, deren Merkmale abschließend auf Basis von ANNO 1404 erläutert werden sollen.38 Heinze hat im Kontext seiner Studien zum Mittelalter in Computerspielen bereits zentrale Aspekte zur Spielmechanik der Aufbauspiele festgehalten.39 Sie sollen im Folgenden kurz wiedergegeben werden, da sie auch für die Frühe Neuzeit im Computerspiel gelten. Heinze schreibt einleitend, dass das Historische erst eine engere Beziehung mit dem Spielerischen eingeht, wenn nicht nur die Gestaltung, sondern auch die Struktur des Spiels beeinflusst wird. Dies sieht er in der Simulation mittelalterlicher Stadtgesellschaften wie in DIE SIEDLER – AUFSTIEG EINES KÖNIGREICHS und ANNO 1404 verwirklicht.40 Im Gegensatz zu den Strategiespielen steht das Errichten und Verwalten von Siedlungen und Städten im Vordergrund. Die virtuelle Spielarchitektur ist zwar auch hier zum Großteil auf Produktionsstätten reduziert, doch ist das Ziel nicht vorrangig die Herstellung von Kampftruppen, sondern die Grundversorgung, Infrastruktur sowie die Zufriedenheit der Bürger.41 Folglich werden historische Produktionsketten rudimentär nachempfunden. Die bäuerliche Landwirtschaft und das städtische Handwerk sind also stilisiert und verzerren die historisch nachweisbaren Gegebenheiten: So sind nach Heinze in der spielimmanenten Welt Fisch und Fleisch Grundnahrungsmittel, während dies in Wirklichkeit vornehmlich Ge-

38 ANNO 1404 (2009) (Related Designs/Blue Byte/Ubisoft). 39 Heinze: Mittelalter Computer Spiele, S. 211-249. 40 Ebd., S. 211; DIE SIEDLER – AUFSTIEG EINES KÖNIGREICHS (2007) (Blue Byte/Ubisoft). 41 Ebd., S. 213.

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treideprodukte waren.42 Darüber hinaus stellt Heinze fest, dass ANNO 1404 aufgrund des Handelssystems, der verschiedenen Klimazonen und der Schifffahrtsrouten sowohl auf die Hanse als auch auf die Frühe Neuzeit verweist.43 Ähnlich der Epochen in RISE OF NATIONS können die Einwohner in Zivilisationsstufen aufsteigen. In einer unhistorischen Metamorphose wandelt sich das rustikale Bauernhaus zu einem Bürger-, Patrizier- und Adligenhaus. Heinze stellt ebenfalls fest, dass der Aufstieg allen Bewohnern möglich ist, wodurch es zu einer dem Gameplay zwar förderlichen, jedoch die historischen Tatsachen gänzlich verzerrenden Gesellschaftspyramide kommt, in der mehr reiche als arme Bewohner existieren. Er hebt weitere Details hervor, welche die Simulation der vormodernen Stadt unzureichend werden lässt: So verlange erst die Zivilisationsstufe der Patrizier nach Brot und die Produktpalette beherberge lediglich alkoholische Getränke.44 Heinze erbringt schließlich einen passenden Vergleich, wenn er die idealen »wildromantischen Bilderbuchlandschaften« der digitalen Spielwelten mit jenen des Modellbaus gleichsetzt, da das utopische Abbild der ANNO-Welt ebenso an einer scharfen Kante endet wie die Platte einer Modelleisenbahn.45 Im Gegensatz zu den Strategiespielen erfordern Aufbauspiele wie ANNO einen strukturierten Aufbau der digitalen Stadt: Gepflasterte Straßen und Feldwege beschleunigen den Transport von Rohstoffen für die Weiterverarbeitung in anderen Bauwerken und erzwingen ein anorganisches, rasterförmiges Straßennetz aus quadratischen und rechteckigen Häuserblöcken. Zudem müssen Kirchen und Schulen flächendeckend im gesamten Stadtgebiet erbaut werden, da sie nur eine gewisse Reichweite haben. Wohnhäuser sind grundlegende Gebäude, die das Stadtbild dominieren. Daher haben die Gamedesigner für jede Zivilisationsstufe je fünf verschiedene Hausmodelle entworfen. Trotz dieser grafischen Vielfalt stellt sich aufgrund der archetypischen Formgebungen und der teils kräftigen Farben schnell Ernüchterung im scheinbar differenzierten Stadtbild ein. Die typische Ausrichtung der Giebelfassaden hin zu den Straßen ist dabei ebenso historisch korrekt wie die grundlegende Homogenität der Bauvolumina: Das hohe Wohnspeicherhaus blieb bis zum 19. Jahrhundert aufgrund der gleichbleibenden Anforderungen und Baumaterialien dominierend. Zudem wurden ältere Arbeiter- oder Bauernhäuser in mittelalterlichen Stadtzentren meist nur um- oder ausgebaut. Die Produktionsstätten sind von weiteren abhängig, die Materialien oder Rohstoffe liefern oder das Produkt weiterverarbeiten. Im Grunde jedoch verweisen sie nur auf ihr produziertes Gut und sind lediglich durch ihre Fassaden existent. So ha-

42 Heinze: Mittelalter Computer Spiele, S. 218 und 224. 43 Ebd., S. 232. 44 Ebd., S. 234. 45 Ebd., S. 247.

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ben die Waffenschmiede oder die Seidenweberei Schmelzofen bzw. Webstuhl unlogischerweise nach außen verlagert, um die Spieler/-innen über ihre Aktivität zu informieren. Die Kaffeerösterei verweist durch ihren an islamische Architektur angelehnten Baustil auf die Herkunft des Guts Kaffee. Im Grunde ist die Darstellung und Funktion der digitalen Spielarchitektur in Aufbauspielen also ähnlich jener in Strategiespielen. Die Gebäude dienen als grafische Einfühlung in die historische Atmosphäre und zur Produktion von Gütern. Das Bauwerk, das eigentlich Schutz vor Wind und Wetter bieten soll, legt seine inneren Produktionsabläufe frei, um den Spieler/-innen den Status der Produktion direkt zu verbildlichen und sie durch kinetische Objekte zum Verweilen einzuladen respektive optische Reize an den sonst eher statischen Architekturen zu bieten. Zudem existieren auch bei den detaillierter ausgearbeiteten Strukturen der Aufbauspiele Anachronismen und Mashups: So hat in ANNO 1404 das mit sechs Minaretten ausgestatte Monument Sultanmoschee die erst zwischen 1609 und 1616 in Istanbul errichtete Sultan-Ahmed-Moschee zum Vorbild.

SCHLUSSBETRACHTUNGEN Anders als das Gros der europäischen Städte sind die Ansiedlungen respektive Basen in Strategie- und Aufbauspielen keine organisch bzw. historisch gewachsenen Wucherungen verzweigter Gassen und geschwungener Straßen, sondern isolierte Häuser, die sich oft um zentrale Kernbauten wie Kirchen, Marktplätze oder sogenannte Stadtzentren in losen Gefügen oder rasterartigen Strukturen gruppieren. Idealisierte Bauformen und archetypische Bildhaftigkeit schmücken eine Architekturhülle, die ihre Funktion mittels ihrer Bauvolumina und den zur Schau gestellten Produktionsabläufen verdeutlicht. Alle Charakteristika dieser Spielarchitektur sind zum Wohle des Gameplays vereinfacht und stilisiert. Dabei sind im historischen Genre-Setting oft Mashups der Baustile zu sehen, die auf der populärkulturellen Vorstellung eines vormodernen ›Früher‹ rekurrieren. Die Architekturen in Strategie- und Aufbauspielen sind vornehmlich Produktionsstätten, die durch die Spieler/-innen seriell errichtet werden, um den militärischen oder wirtschaftlichen Sieg zu erlangen. Fest steht, die digitale Spielarchitektur kann auf Basis ihrer spielimmanenten Anforderungen nicht nur als Virtuelle Architektur im Sinne Baudrillards, sondern auch – und das wäre in der gebauten Wirklichkeit ein Paradoxon – als architecture parlante bezeichnet werden. Sie sind somit ikonisch codierte, fragmentarische respektive verdichtete Abbilder gebauter Wirklichkeiten, die keinen physischen Gesetzen folgen müssen. Dennoch streben die Gamedesigner einen gewissen Grad von Authentizität an, damit die Spieler/-innen in die historische Szenerie eintauchen können. Dabei kommt ihnen die willing suspension of disbelief der Spieler/-innen

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zugute, welche die auffälligsten Unzulänglichkeiten historischer Computerspiele kaschiert.46 Video zum Tagungsvortrag: Bonner, Marc: »Bauen als Bedingung zum Sieg«. URL: http://mediathek. hhu.de/watch/b383afdb-91d8-41d5ba63-b7128c8a4066.

46 Die im Jahr 1817 von Samuel Taylor Coleridge verfasste Theorie der Willentlichen Aussetzung der Ungläubigkeit thematisiert die Bereitschaft der Leser oder Zuschauer die Vorgaben und Gesetze eines Werkes der Fiktion vorübergehend und ohne Hinterfragung zu akzeptieren. Vgl. Coleridge, Samuel Taylor: Biographia Literaria, London: Fenner 1817, URL: http://www.gutenberg.org/ebooks/6081, S. 91, (Stand: 18.07.2012).

Epochengrenzen in Videospielen AGE OF EMPIRES III und EUROPA UNIVERSALIS III A NTON Z WISCHENBERGER

Betrachtet man die Geschichte aus den Augen eines Historikers, wird einem klar, dass unser Forschungsgegenstand großen Einfluss auf unsere Gesellschaft hat. Vielfach wird der Vergangenheit allerdings ihre Wichtigkeit abgesprochen, gemäß dem Motto ›Vergangen ist vergangen‹ oder ›warum lebst du in der Vergangenheit‹. Dies lässt sich auch besonders stark an unseren Universitäten spüren, wenn die Geschichtswissenschaften um jeden Cent kämpfen beziehungsweise jeden Euro zweimal umdrehen müssen. Beobachtet man wirtschaftliche Abläufe, wird deutlich, dass die Geschichtswissenschaft nur an der Universität ihren Platz hat und von Personen der Wirtschaft und der Politik müde belächelt wird. Dennoch, betrachtet man das gesellschaftliche Umfeld, erkennt man durchaus das große Interesse an Vergangenem. Dies lässt sich besonders an historischen Romanen sowie Filmen mit historischem Bezug erkennen. Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts erobert das geschichtliche Interesse auch über die Videospielindustrie die Kinderzimmer sowie die Zimmer unserer heutigen Generation. Die Möglichkeit, beispielsweise als Herrscher des ägyptischen, römischen, britischen oder des Dritten Reiches aufzutreten, ist durch die Videospielindustrie gegeben. Es ist nunmehr möglich, nicht nur als Beobachter bei einem historischen Film die ›lebendige Geschichte‹ – ob historisch korrekt oder auch nicht, sei dahingestellt – nachzuverfolgen, sondern nun selbst die Entwicklung in politischer, wissenschaftlicher, wirtschaftlicher sowie militärischer Hinsicht nach historischem oder persönlichem Wissen und Gewissen zu beeinflussen. Doch nicht nur die breite Masse, sondern auch wir als Historiker sind von diesem Phänomen nicht mehr ausgenommen und müssen unsere Herangehensweise an Forschungsobjekte neu ausrichten. Am besten lässt sich dies mit unserer Tagung zu ›Frühe Neuzeit und Videospiele‹, die im März 2013 in Düsseldorf abgehalten wurde, erkennen. Historiker, die das wissenschaftliche Arbeiten an der Universität erlernt haben, Schriften aus vergangener Zeit zu lesen und zu interpretieren, Einflüsse

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und Strömungen der Vorzeit zu erkennen und somit zu erklären, müssen sich einem neuen ›Quellenbestand‹ zuwenden, den Videospielen, denen historischer Inhalt zugrunde liegt. Betrachtet man die Palette historischer Ereignisse und Themenkomplexe, welche in Videospielen verwendet werden, erkennt man die Breite der angeschnittenen Epochen, von der Antike bis zur Gegenwart werden kleine Ereignisse bis hin zu großen politischen Machtblöcken als Basis zur Darstellung genutzt. Im folgenden Aufsatz soll auf die Darstellung von Epochengrenzen, vorrangig in der Neuzeit, in Videospielen eingegangen werden. Es wird folgenden Fragen nachgegangen: Wie werden Epochengrenzen dargestellt? Welchen Zäsuren sind sie unterworfen? Und, welche Möglichkeiten bieten sich für die historischen Wissenschaften, diese Ergebnisse für sich selbst zu nutzen?

EPOCHENGRENZEN Zunächst muss jedoch kurz auf den Begriff ›Epoche‹ beziehungsweise ›Epochengrenzen‹ eingegangen werden, da er selbst in der Riege der historischen Zunft als Streitpunkt fungiert. Mit dem griechischen Wort ›epochখ‹ waren in der antiken Alltagssprache das Anhalten des Laufs, der Rede oder allgemein die Unterbrechung gemeint. Auch wurde es als Terminus in der Astrologie genutzt, der beispielsweise auf eine Sternenkonstellation schließen ließ.1 Der Begriff Epoche bezeichnete bis ins 18. Jahrhundert den Anlass als Auslöser für einen bestimmten Zeitabschnitt. Um 1800 wandelte er sich schließlich zum Synonym für ein ›Zeitalter‹ beziehungsweise eine ›Periode‹, und entspricht damit unserem heutigen Sprachgebrauch.2 Die Funktionen der Epocheneinteilungen sind für die Geschichtswissenschaft unumgänglich. Sie sind Akte der Sinngebung. Ernst Walter Zeeden beschreibt die Aufgaben der Epocheneinteilung wie folgt: »Geschichtliche Begriffe und Periodisierungen spiegeln das Bemühen der Forschung wider, den Gesamtlablauf der Geschichte nach Maßgabe der jeweils erreichten Sachkunde und nach Maßgabe der jeweils für angemessen gehaltenen – von Generation zu Genera-

1

Riedel, Manfred: »Epoche, Epochenbewusstsein«, in: Joachim Ritter et al. (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, 2. Bd., Basel/Stuttgart: Schwabe 1972, S. 596-599; hier S. 596.

2

Walther, Gerrit: »Epochen«, in: Friedrich Jäger et al (Hg.): Enzyklopädie der Neuzeit, 3. Bd., Stuttgart/Weimar 2006, S. 378-384; hier S. 378.

E POCHENGRENZEN IN V IDEOSPIELEN

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tion sich wandelnden – Perspektiven ordnend zu gliedern und die Zeiträume, die bei solcher Gliederung herausspringen, möglichst zutreffend zu benennen.«3

Die Interpretation der Geschichte wird durch das Wertesystem und der Weltanschauung eines Historikers und dessen Auffassung über Fortschritt und Resignation, Gut und Schlecht, erhoffte und zu verhindernde Entwicklungen von Kultur, Politik und Gesellschaft geprägt. Die bereits eingetretenen Ereignisse reagieren mit der eigenen Gegenwart, indem sie Bestehendes anerkennen, es als Verfehlung von normativen Zielen ansehen oder es als Übergangsphase relativieren. Diese Annahmen werden durch die Etablierung entsprechender historischer Traditionslinien untermauert. Anhand dieser vorgegeben Richtung und Auslegung lässt sich im besonderen Maße etwas über die Strukturen und Machtgefüge der führenden Wissenseliten aussagen.4 Daher muss festgehalten werden, dass die Einteilung der Geschichte in unterschiedliche Zeitabschnitte nur Hilfsvorstellungen sind, die jedoch für eine plausible und nachvollziehbare Verständlichkeit unabkömmlich sind. Die begrifflichen wie auch periodischen Versuche sind eine Standpunktdiskussion der Geschichtswissenschaft, um eine möglichst angemessene und geeignete Erfassung ihres Gegenstandes zu ermöglichen. Somit ist der Wandel der Begriffe in dieser Hinsicht unvermeidlich, da es sich neben den nachprüfbaren Tatsachen auch immer um eine Auseinandersetzung und Begegnung mit der Vergangenheit handelt.5

SPIELE UND DIE DARSTELLUNG VON EPOCHENGRENZEN Man sieht, dass sich selbst die Historikerzunft untereinander nicht einig ist, welche Zäsuren als zeitliche Abgrenzung zwischen einzelnen Epochen gesetzt werden sollen. In dieser Hinsicht haben es die Entwickler von Videospielen wesentlich einfacher, Zäsuren beziehungsweise historische Authentizität wiederzugeben, da sie keinem wissenschaftlichen Duktus unterworfen sind. In den beiden als Beispiel dienenden Videospielen EUROPA UNIVERSALIS III6 sowie AGE OF EMPIRES III7 sollen die unterschiedlichen Herangehensweisen zu historischer Authentizität sowie zur Darstellung der Epochengrenzen gezeigt werden.

3

Zeeden, Ernst Walter: Konfessionsbildung. Studien zur Reformation, Gegenreformation und katholischen Reform (Tübinger Beiträge zur Geschichtsforschung 15), Stuttgart: Klett-Cotta 1985, S. 60.

4

Walther: Epochen, S. 379.

5

Zeeden: Konfessionsbildung, S. 60.

6

EUROPA UNIVERSALIS III (2007) (Paradox Interactive). Im Folgenden: EU III.

7

AGE OF EMPIRES III (2005) (Ensemble Studios/Microsoft). Im Folgenden: AOE III.

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AGE OF EMPIRES III UND EUROPA UNIVERSALIS III AGE OF EMPIRES III (Microsoft Game Studios) ist 2005 auf den Markt gekommen und zählt zu den erfolgreichsten Spielereihen der Videospielindustrie. Zu den wesentlichen Inhalten des Spiels zählen folgende Punkte: ›Entdeckungs‹-, ›Kolonial‹-, ›Festungs‹-, ›Industrie‹- sowie ›Imperialzeitalter‹. Gestartet wird demnach mit der Entdeckung Amerikas bis hin zum Ende des 19. Jahrhunderts. Spielbar sind acht Nationen (Briten, Franzosen, Deutsche, Spanier, Portugiesen, Russen, Osmanen, Holländer); hinzu kommen nicht spielbare Kulturen, die als Indianerstämme (Crees, Azteken, Sioux oder Irokesen) erklärt werden – diese kann man während des Spiels zu verbündeten Mitstreitern machen und deren wissenschaftliche Technologien sowie deren Militäreinheiten erlangen. Das Spielprinzip ist auf drei Ressourcen (Holz, Gold, Nahrung) begrenzt. Zusätzlich bietet das Spiel ein Experience-System an. Dies wird durch den Abbau von Rohstoffen, dem Bau von Gebäuden und Einheiten sowie durch die Vernichtung von feindlichen Einheiten gesteuert. Dadurch ist es möglich, neue Einheiten militärisch als auch zivil zu erhalten sowie verbesserte Technologien und Rohstoffeinheiten zu erlangen. Ziel des Spiels ist es, den oder die Gegner militärisch zur Aufgabe zu zwingen oder anders gesagt, diese zu eliminieren. EUROPA UNIVERSALIS III verfolgt einen anderen Weg als AOE III. Das Spiel, von Paradox Interactive entwickelt, wurde 2007 auf den Markt gebracht. Dieser Softwareentwickler ist bekannt für seine komplexen, auf Geschichte bezogenen Spiele, wie zum Beispiel VICTORIA,8 HEARTS OF IRON (I, II, III),9 PRIDE OF NATI10 ONS und andere. EU III basiert auf dem Brettspiel von Philippe Thibault, bei dem über 250 ›Nationen‹ auf einer Weltkarte spielbar sind. So kann beispielsweise mit einer Vielzahl einzelner Königtümer, Fürstentümer, Bistümer, des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bis hin zu asiatischen Ländern und Stämmen sowie mit Völkern Afrikas, Nord- und Südamerikas gespielt werden. Das Standardspiel startet 1453 mit dem Fall Konstantinopels und endet mit dem Jahr 1789, dem Sturm auf die Bastille. Die Erweiterungen NAPOLEON‘S AMBITION, IN NOMINE, HEIR TO THE THRONES und DIVINE WIND beeinflussen diese Regulative folgend: Startsequenz ist 1399; das Spiel endet 1821. Zudem treten neue Merkmale im Spiel auf, wie zum Beispiel ein unterschiedliches Besteuerungssystem zwischen den Nationen sowie

8 9

VICTORIA – AN EMPIRE UNDER THE SUN (2003) (Paradox Interactive). HEARTS OF IRON I (2002) (Paradox Interactive/Koch Media); HEARTS OF IRON II (2005) (Paradox Interactive/Deep Silver); HEARTS OF IRON III (2009) (Paradox Interactive/ Koch Media).

10 PRIDE OF NATIONS (2011) (AGEOD/Paradox Interactive).

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die Möglichkeit, die Spielsteuerung für China, das Shǀgunat sowie die Dayimǀ in Japan zu erhalten. Eine weitere Neuerung bildet die verstärkte Sicht auf unerwartetes Piraten- und Rebellenaufkommen während der Spielphase.11 Ziel des Spiels ist es, im Vergleich zu AOE III, das gespielte Land durch die Geschichte zu manövrieren. Um eine historische Authentizität zu schaffen, werden dem Spieler durch Missionsaufgaben sogenannte Richtlinien vorgegeben, die der Spieler annehmen oder auch ablehnen kann. Tendenziell bleibt dem Spieler aber die Möglichkeit, sein Land beispielsweise durch Zuhilfenahme eines historischen Lexikons durch die Geschichte zu führen, oder selbst Entscheidungen zu treffen und entsprechend der Zielsetzung das Spiel zu beenden. Während AOE III immer denselben Ablauf für jegliche gespielte Nationen gleich behält, ist bei EU III vieles unabhängig steuerbar. Der Spieler hat die Möglichkeit, den Handel, die Religion, das Militär, die Wissenschaft, die Diplomatie, den Ausbau der Hauptstadt sowie die Spionage zu verändern einzugreifen und selbst zu bestimmen. Der Stern-Journalist Bernd Fetsch bezeichnete das Spiel folgendermaßen: »Einsteiger gehen bereits nach wenigen Minuten vor diesem Komplexitätsmonster in die Knie, versierte Zocker scheuen die enorme Einarbeitungszeit. Was bleibt, ist der Status als Spiel für Sonderlinge, die neben ihrem Geschichtsstudium einfach zu viel Zeit haben.«12

DARSTELLUNG VON EPOCHENGRENZEN Nachdem die beiden Spiele und ihre Unterschiede kurz vorgestellt wurden, soll ein Blick auf die Darstellung von Epochengrenzen geworfen werden. Die Spieleentwickler und -designer haben im Vergleich zu den historischen Wissenschaften wesentlich mehr Möglichkeiten für die Interpretation und Darstellung ihrer zu erzählenden Geschichte. Aufgrund des Quellenfundus ist es für die Arbeit eines Historikers zu einer gewissen Epoche beziehungsweise einer Thematik schwer zu entscheiden, was essentiell ist oder was diese Epoche ausmacht. Denn einerseits muss ihre historische Integrität aufrecht erhalten und andererseits die Darstellung so le-

11 Vgl.: EUROPA UNIVERSALIS III : NAPOLEON’S AMBITION (2007) (Paradox Interactive); EUROPA UNIVERSALIS III: IN NOMINE (2008) (Paradox Interactive); EUROPA UNIVERSALIS

III: HEIR TO THE THRONE (2009) (Paradox Interactive); EUROPA UNIVERSALIS III:

DIVINE WIND (2010) (Paradox Interactive). 12 Fetsch, Bernd: »Schwedischer Strategieklops«, in: Stern Online Magazin, URL: http://www.stern.de/digital/computer/europa-universalis-3-schwedischer-strategieklops581858.html (Stand: 26.04.2013).

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bendig gehalten werden, damit sie auch gelesen beziehungsweise publiziert wird. Für die Spieleindustrie ist eine geschichtliche Epoche nur als Rahmen angelegt. Hier werden die wichtigsten Erkenntnisse der Wissenschaft oder Populärwissenschaft herangezogen, um damit einen geschichtlichen Rahmen zu schaffen, indem sich nun die Geschichte nachspielen lässt. Andererseits haben die Spieleentwickler eine starke wirtschaftliche Komponente: den Konkurrenzdruck. Allein für das Beispiel Frühe Neuzeit und Neuere Geschichte gibt es, um nur ein einige Spiele zu nennen, einen heiß umkämpften Markt. Neben EUROPA UNIVERSALIS III und AGE OF EMPIRES III teilen sich diese Sparte die Spiele aus der TOTAL WAR-Reihe (EMPI13 14 RES oder NAPOLEON) , die ANNO-Reihe (1602, 1503, 1701 und 1404) sowie EM15 PIRES – DIE NEUZEIT. Hinzu kommen auch, speziell auf einen gewissen Zeitabschnitt innerhalb der langen Epochen, zugeschnittene Spiele, meist sogar aus dem eigenen Haus, wie beispielsweise VICTORIA: REVOLUTIONS16 – der Spielzeitraum beträgt 1836 bis 1935 – sowie PRIDE OF NATIONS,17 das von 1850 bis 1920 gespielt werden kann und von Paradox Interactive konzipiert wurde. Aufgrund der Fülle an Spielen, die auf historischen Ereignissen beruhen, ist es ein hart umkämpfter Markt. Um sich von anderen Publishers abzuheben und abzugrenzen, werden neben den grafischen Darstellungsmöglichkeiten auch bei den für eine Epoche bestimmenden Forschungsmöglichkeiten und Einheiten unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Auffallend ist in dieser Hinsicht, dass bekannte Zäsuren, die auch durch das schulische Allgemeinwissen in der breiten Spielergemeinschaft bekannt sein dürften, vorhanden und im Spiel nutzbar sind. Um sich jedoch abzuheben, werden in den Spielen unterschiedliche Erfindungen und Einheitentypen

13 Creative Assembly/Sega (Hg.): »EMPIRE: TOTAL WAR ONLINE, Readbook«, URL: http://www.totalwar.com/en_us/empire/ (Stand 09.09.2013); vgl. EMPIRE: TOTAL WAR (2009) (Creative Assembly/Sega), NAPOLEON: TOTAL WAR (2010) (Creative Assembly/Sega). 14 O. A.: »Gefundene Produkte zu ›Anno‹ (11 Treffer), auf: PC Games (online), URL: http://www.pcgames.de/Suche/?strSearch=Anno (Stand 09.09.2013); vgl.: ANNO 1602 (1998) (Max Design/Sunflowers); ANNO 1503 (2002) (Max Design/Sunflowers); ANNO 1701 (2006) (Related Designs/Sunflowers/Koch Media); ANNO 1404 (2009) (Related Designs/Blue Byte/Ubisoft). 15 O. A.: »Empires: Die Neuzeit (PC)«, auf: PC Games (online): URL: http://www.pcga mes.de/Empires-Die-Neuzeit-PC-52340/Tests/Empires-Die-Neuzeit-250721/ (Stand 09. 09.2013); vgl.: EMPIRES: DIE NEUZEIT (2003) (Activision). 16 Vgl.: VICTORIA: REVOLUTIONS (2006) (Paradox Interactive). 17 O. A.: »Pride of Nations (PC)«, auf: PC Games (online), URL: http://www.pcgames.de/ Pride-of-Nations-PC-236337/News/Pride-of-Nations-Erster-Trailer-zum-rundenbasier ten-Strategiespiel-veroeffentlicht-810532/ (Stand 09.09.2013); vgl. PRIDE OF NATIONS.

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verwendet. Es folgt eine Spezialisierung einzelner Sparten, wie beispielsweise die genaue Bezeichnung militärischer Einheiten der einzelnen Nationen. Während man in den ersten Videospielen die Infanterieeinheiten allgemein als Musketier bezeichnete, gibt es beispielsweise bei EU III nun für militärische Technologien, die man nun Level für Level erhöht, verbesserte Militäreinheiten. Hier ein kurzer Auszug aus dem militärischen Technologiebaum von EU III: • Militärtechnologie fünf, Langbogen • Militärtechnologie elf, Galloglaigh-Infanterie • Militärtechnologie dreizehn, Landsknechte Diese lassen sich bis zu den bekannten britischen Rotröcken weiterentwickeln. Hierbei wurde versucht, militärische Errungenschaften und Neuerungen, die sich in der Geschichte ergeben und zu Erfolgen im Felde geführt haben, in das Spiel zu integrieren, um eine bewusst höhere historische Genauigkeit zu erzielen.18 Vordergründig kann bereits festgestellt werden, dass Auseinandersetzungen zwischen zwei oder mehreren Parteien sehr viel Platz während eines Spiels einnehmen. Dies ist zwar ein sehr banales Element, doch nutzt AOE III dies für den Spielfluss. In den Erweiterungen ist es dann zwar möglich, Handelsposten zu besetzen und, wenn es dem Spieler gelingt, diese über einen gewissen Zeitraum zu halten, gewinnt er durch Monopolstellung das Spiel. Da sich dies allerdings nur schwer umsetzen lässt und wenige Spieler von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, ist dies eine eher selten gespielte Variante, die dem Spieler zwar vermittelt wird, aber nicht die Norm darstellt. Natürlich ist dies ein wesentlicher Punkt eines Videospiels. Problematisch wird es natürlich vor allem, wenn Geschichte einem breiten Publikum auf die Weise vermittelt wird, dass der gesamte historische Ablauf nur auf dem Wesen des Krieges beruht. Wenn man sich die Menschheitsgeschichte ansieht, erkennt man, dass die Entwickler mit dieser Annahme nicht ganz falsch liegen. Betrachtet man die Epochen über die Frühe Neuzeit hinaus, wird einem klar, dass es in jedem Jahrhundert zu großen Auseinandersetzungen gekommen ist. Dieser Möglichkeit nehmen sich die Konstrukteure von Videospielen natürlich gerne an und bereiten die Geschichte nach ihren Vorstellungen auf. Interessant ist hier zu beobachten, wie unterschiedlich dies umgesetzt werden kann. AOE III setzt voraus, dass ein Spiel nur durch die Eliminierung der Gegner zu gewinnen ist, ohne hier einen Grund anzuführen. Anders geht EU III mit dem Thema Krieg um. Hier wird dem Spieler in den

18 Vgl. hierzu: Alle Infanterieeinheiten, die während des Spiels erforscht werden können: O. A.: »Infantry«, auf: EUROPA UNIVERSALIS III-Wiki, URL: http://www.paradoxian.org /eu3wiki/Infantry (Stand 16.10.2013).

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Erweiterungen die Möglichkeit geboten, anderen Nationen den Krieg zu erklären, indem man auf unterschiedliche Casus Belli entscheiden kann. Hier gibt es eine kurze Auswahl der insgesamt 37 unterschiedlichen Anlässe einer Kriegserklärung, wie zum Beispiel ›Rückeroberungsgrund‹ (für Länder, die historisch gesehen vor dem Datum des Spielbeginns zu derjenigen Nation gehört haben), ›Unterwerfung‹ (diese Art setzt eine Zwangsvasallisierung derjenigen Nation voraus), ›Heiliger Kriegsgrund‹ und ›Mitglied einer Allianz‹ sowie ›Ohne Kriegsgrund‹, wodurch die Negativpunkte der spielenden Nation am stärksten beeinträchtigt werden. Bei AOE III wird der Handel und Wissenstransfer in dieser Hinsicht vollkommen aus dem Vermittlungsprozess gestrichen und dient nur als Mittel zum Zweck, das sich auf die Kriegsführung stützt.19 Anders als bei EU III handelt es sich bei AOE III um eine stärker vereinfachte Darstellung von Geschichte. Die Abläufe von EUROPA UNIVERSALIS sind wesentlich komplexer und bieten die Möglichkeit, durch die Schaffung von Bündnissen einen Block zu erschaffen, welcher als ›Abschreckung‹ bezeichnet werden kann. Im Einzelspielermodus ist dies allerdings weniger von Belang. Die KI (Künstliche Intelligenz) ändert dadurch nicht ihre Spielweise. Sie wurde so programmiert, ständig auf Konfrontationskurs mit den anderen Parteien zu sein. Für die Videospielreihe AGE OF EMPIRES sind Epocheneinteilungen ein wesentliches Element des Spiels und bilden somit die Basis der Spannungsbögen des Spiels. Dem Spieler wird durch den Aufstieg in die unterschiedlichen Zeitalter die Möglichkeit geboten, neue Upgrades für Soldaten, verbesserte ökonomische Items sowie neue Waffengattungen zu erhalten.

VISUELLE KOMMUNIKATION Ein wichtiger Punkt in der Konstruktion von Geschichte ist auch die visuelle Kommunikation. Zwar stammen die folgenden Anregungen aus der Politikwissenschaft, doch lassen sich diese Zugänge auch für die Geschichtswissenschaft und die Wahrnehmung von Geschichte beobachten. Es ist feststellbar, dass die sprachliche Kommunikation mehr und mehr von der visuellen Kommunikation abgelöst wird. Dies trifft auch auf die Vermittlung von historischen Kontexten sowie historischer Realität zu. Die Gesellschaft, vor allem die uns nachfolgenden Generationen, wechselt vom logozentrischen und schriftlichen hin zum ikonozentrischen Geschichtsverstehen. Dies beginnt bei Filmdokumentationen zu geschichtlichen Themen, über

19 Vgl. O. A.: »Casus Belli«, auf: EUROPA UNIVERSALIS III-Wiki: http://www.paradoxian. org/eu3wiki/Casus_belli (Stand: 16.10.2013); hier können alle 37 Kriegsgründe eingesehen werden.

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Filme mit historischem Inhalt, bis hin zu den von uns besprochenen Videospielen mit historischem Rahmenbedingungen.20 Umgemünzt auf die Fragestellung, wie Epochengrenzen in Videospielen dargestellt werden, möchte ich folgendes Beispiel nennen. Zu Beginn werden bei AGE OF EMPIRES die Häuser als Holzhäuser dargestellt, diese Annahme, dass ein großer Teil der Häuser aus dem Element Holz bestand, ist nicht falsch. Sobald jedoch eine neue Stufe beziehungsweise Epochengrenze erreicht wird, verwandeln sich die gesamten erstellten Häuser automatisch in Gebäude aus Stein. Auffallend ist hierbei, dass dies einfach geschieht, ohne die langwierigen Prozesse eines Umbaus noch die Arbeiten daran zu zeigen. Dadurch suggeriert das Spiel, dass die Gebäude in realitas einfach abgerissen und durch neue Häuser aus Stein ersetzt wurden. Das heißt, man bekommt den Eindruck, dass es in der Frühen Neuzeit nur Holzhäuser gab und, sobald man in die Neuere Geschichte wechselt, plötzlich nur mehr Gebäude aus Stein vorhanden waren. Da es allerdings bekannt ist, dass Gebäude aus Holz bis ins späte 19. Jahrhundert, insbesondere auf dem Land, aber auch in der Stadt, gemeinsam mit gemauerten Häusern vorhanden waren und sich die Waage hielten, führt dies zu einer falschen Interpretation von historischer Realität.21 Durch die veränderte Informationswahrnehmung und -kommunikation wird eine Möglichkeit von Geschichte konstruiert, die von den Empfängern auch angenommen und als Wirklichkeit wahrgenommen wird. Ein weiterer Punkt ist die ›permanente telepräsente Welt‹, die auf eine völlig mediatisierte Gesellschaft hinweist. Durch diese Sicht auf die Welt ist für jeden alles sichtbar und abrufbar. Nach Baudrillard muss in unserer Gesellschaft alles gesehen werden, damit es Realität wird und das Reale muss zum Bild werden. Somit wäre etwas, das nicht gezeigt wird, auch nicht existent.22 Hier ist beispielsweise die Verfolgung von Hexen und Zauberern zu nennen. In keinem der beiden Spiele wird auf die Verfolgung von andersgläubigen oder andersartigen Personen eingegangen, noch diese dargestellt. EU III verwendet zwar Aufständische einer anderen Glaubensrichtung, lässt aber die Frage offen, was diese zu ihrem Aufstand bewogen hat. Was dazu führt, dass der Spieler annehmen kann, dass es sich bei dieser Art der Hexenverfolgung weiterhin um ein Kapitel des Mittelalters handle.

20 Bevc, Tobias: »Statt eines Vorworts«, in: Ders. (Hg.): Computerspiele und Politik. Zur Konstruktion von Politik und Gesellschaft in Computerspielen (Studien zur visuellen Politik 5), Berlin: Lit 2007, S. 7-22; hier S. 13f. 21 Vgl. bspw. die Aufzeichnungen, die von Joseph Kyselak während seiner Erkundungsreise durch die österreichische Habsburger Monarchie 1830 gemacht wurden: Kyselak, Joseph: Skizzen einer Fußreise durch Österreich, hrsg. von Gabriele Goffriller und eingel. von Gabriele Goffriller/Chico Klein, Wien/Salzburg: Jung und Jung 2009. 22 Bevc, Tobias: Statt eines Vorworts, S. 14.

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Ein weiterer Punkt, der durch die eine Epochengrenze erkennbar gemacht wird ist das Bild der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, wie es auch Reinhard Koselleck beschreibt.23 Strukturell ist diese Vorstellung auch richtig, jedoch nimmt diese dann auch relativ obskure Ansichten an, wenn ägyptische Streitwagen plötzlich gegen Panzer oder gar Flugzeuge kämpfen müssen.24

WELCHE FORSCHUNGSMÖGLICHKEITEN BIETEN UNS VIDEOSPIELE SOMIT? Es ist unsinnig, ein Spiel als historisch inkorrekt zu bezeichnen, denn man muss sich immer vor Augen halten, dass man es nicht mit der Realität zu tun hat, sondern in genauerer Betrachtungsweise mit einem Forschungslabor, in dem man die Möglichkeit hat, Geschichte, Epochengrenzen, Systeme usw. unter Laborbedingungen zu testen. Wie reagiert Nation A auf Nation B (Spieler), wenn Nation C der Krieg erklärt wird. Dies gibt neue Möglichkeiten der Interpretation auf die Frage ›Was wäre, wenn…?‹ vor. Für die Beobachtung der einzelnen Spiele lässt sich beispielsweise wie bei historischen Büchern die Handschrift der Entwickler herauslesen: Aus welchem gesellschaftlichem Duktus sind sie entstanden, wie sehen die Entwickler Geschichte, welche gesellschaftlichen Hintergründe stecken in der von ihnen gebauten Welt? Welcher politischen Richtung stehen sie nahe, handelt es sich um eine europäisch zentrierte Sichtweise auf die Geschichte oder wird eine mögliche globale Sichtweise gezeigt? Spannend ist auch die Frage nach der Darstellung einzelner Kulturen, Völker und Nationen. Wie werden diese einzelnen dargestellt, ist es allen ›Nationen‹ möglich sich zu entwickeln oder nicht, welche tragende Rolle wird ihnen in der Geschichte zugeschrieben und in welchen Bereichen sind diese federführend? Wie Ihnen als Leser (oder Historiker) bewusst sein dürfte, ist die Vergangenheit ein schwer zu erklärendes Phänomen, das aus vielen einzelnen und komplexen Strömungen, Personen und gesellschaftlichen sowie wirtschaftlichen Handlungen zusammensetzt. Für die Videospielindustrie, der es in erster Linie darum geht, Ge-

23 Vgl. Koselleck, Reinhard: Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2003. 24 Pasternak, Jan: 500.000 Jahre an einem Tag. Möglichkeiten und Grenzen der Darstellung von Geschichte in epochenübergreifenden Echtzeitstrategiespielen, in: Angela Schwarz (Hg.): »Wollten Sie auch immer schon pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?« Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel (Medien'Welten 13), Münster: Lit 2010, S. 29-62; hier S. 44-49.

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winne zu erzielen und dies natürlich nur möglich ist, wenn man den Spielspaß bei den Nutzern hochhalten kann, birgt selbstverständlich die große Schwierigkeit, eine Balance zwischen vergangener Realität und Fiktion zu schaffen. Wie und ob sich die Geschichtswissenschaft weiterhin mit dem Thema Videospiele und Vergangenheit auseinandersetzt und ob dieser Forschungspunkt auf den Universitäten auch vermittelt wird, möchte ich mit folgenden Worten beantworten: »Das wird die Zeit zeigen, früher oder später, die Zeit wird es zeigen.«25 Video zum Tagungsvortrag: Zwischenberger, Anton: »Epochengrenzen und Spannungsbögen in den Echtzeitstrategiespielen ›Age of Empires II‹ und ›Europa Universalis III‹«, URL: http://mediathek.hhu.de/watch/e99bcf7628d6-428b-8fa5-39c63d2f2192 (Stand: 16.01.2014)

25 Zitat des fiktiven Albert Einsteins im Videospiel COMMAND & CONQUER: ALARMSTUFE ROT (1996) (Westwood/Virgin Interactive/Sony). Vgl.: Mejackass: »Alarmstufe Rot 1 Intro Deutsch«, auf: Youtube, URL: http://www.youtube.com/watch?v= bPIyzYZ4LGo &hd=1 (Stand: 08.12.2013), TC: 01:49-01:59.

CIVILIZATION UND DER GEIST DES JAHRES 1991 S TEFAN D ONECKER

In den frühen Morgenstunden des 19. August 1991 erfuhren die Bewohnerinnen und Bewohner der Sowjetunion aus Radio und Fernsehen, dass Staatspräsident Michail Gorbatschow seine politischen Funktionen aus gesundheitlichen Gründen nicht länger ausführen konnte. Vizepräsident Gennadi Janajew, so die offizielle Verlautbarung, hatte deshalb als interimistisches Staatsoberhaupt die Amtsgeschäfte übernommen. Wenige Stunden später positionierten sich Militäreinheiten an strategischen Punkten in Moskau und anderen Großstädten. Abermals schien sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit das bedrückende Schauspiel kommunistischer Repression abzuspielen, dessen Elemente – Panzer auf den Straßen, Verhaftungen von Dissidenten, Proklamationen in teilnahmsloser Bürokratendiktion – Erinnerungen an die Jahre 1956 in Budapest, 1968 in Prag und 1989 in Peking wachriefen. Dass es sich bei dem Augustputsch um ein letztes, kraftloses und vergebliches Aufbäumen der konservativen sowjetischen Nomenklatura handelte, begann sich erst in den nächsten Stunden und Tagen abzuzeichnen. Während Jenajew auf der ersten Pressekonferenz des »Staatlichen Komitees für den Ausnahmezustand« mit merkbar zitternden Händen die Legitimität des Staatsstreiches zu rechtfertigen versuchte, proklamierte der Präsident der Russischen SFSR, Boris Jelzin, mit dem Megaphon auf einem Panzer stehend den Generalstreik – Bilder, die um die Welt gingen, und in ihrer Gegensätzlichkeit besser als jeder politische Kommentar verdeutlichten, wie sehr sich die Machtverhältnisse in der UdSSR verschoben hatten. Bereits am 21. August war der Putsch in sich zusammengebrochen und Gorbatschow konnte nach Moskau zurückkehren. Der Zusammenbruch der Sowjetunion, den die Hardliner um Jenajew zu verhindern glaubten, wurde durch den gescheiterten Staatsstreich nur beschleunigt. Am Abend des 25. Dezembers 1991 wurde die rote Flagge mit Hammer und Sichel über dem Kreml eingeholt und die weiß-blaurote Trikolore der Russischen Föderation aufgezogen. Am folgenden Tag vollzog der Oberste Sowjet die formelle Auflösung der Sowjetunion und entließ Russland in eine ungewiss scheinende Zukunft. Die folgenden Jahre der Ära Jelzin waren ge-

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prägt durch gesellschaftliche Zerrüttung, Korruption und Wirtschaftskrisen, den überhandnehmenden politischen und ökonomischen Einfluss dubioser Oligarchen und einen stockenden Demokratisierungsprozess. Ein langjähriger Veteran der Computerspielserie CIVILIZATION wird wenig Probleme haben, die Ereignisse des Jahres 1991 richtig zu deuten: Die Staatsform »Kommunismus«, die der Spieler der Zivilisation »Russland« im Jahr 1917 gewählt hat, hat ihm über viele Runden gute Dienste geleistet. Den deutschen Angriff um die Mitte des Jahrhunderts konnte er dank der soliden Industriekapazität, die einen steten Nachschub an Militäreinheiten garantierte, bravourös abwehren – denn eine gesteigerte Industrieproduktion ist, wie die Spielanleitung erklärt, eine der großen Stärken der kommunistischen Staatsform.1 Aber Kommunismus bedeutet in CIVILIZATION leider auch, dass »die persönliche und wirtschaftliche Freiheit und der Handel durch die orthodoxe Haltung der Partei eingeschränkt« sind2 – und gegen Ende des 20. Jahrhunderts begann der russische Spieler zu realisieren, dass er in Technologie und Wirtschaftsleistung immer weiter hinter seinen großen Rivalen, den Spieler der Zivilisation »Amerika«, zurückfiel. Die beste Lösung, in so einem Fall, ist ein Wechsel der Staatsform. In der Runde 1991 klickte der russische Spieler offenbar auf den Menüpunkt »Revolution«: »Staatsformen werden durch Revolutionen geändert. […] Um eine Revolution auszulösen, müssen Sie das Game-Menü herunterziehen und die Option ›Revolution‹ wählen. Nach einigen Spielrunden mit Anarchie erscheint ein Menü, das die verschiedenen für Ihre Zivilisation verfügbaren Staatsformen auflistet.«3 Für diese Phase der Anarchie, die auf eine Revolution folgt, bietet die CIVILIZATIONSpielanleitung eine Beschreibung, in der man das Russland der 1990er Jahre problemlos wiedererkennt: »Es werden keine Steuern und keine Abgaben für den Ausbau der Städte erhoben, und die Forschung liegt brach.«4 Nachdem die russische Zivilisation diese unerfreuliche Phase der Stagnation hinter sich gebracht hat, kann ihre Entwicklung nun weitergehen. Ob der russische Spieler aber als neue Staatsform für seine Zivilisation den »Despotismus« oder doch die »Demokratie« gewählt hat, wird erst ein Rückblick auf die Ära Putin zeigen. Manchmal ist die Realität doch etwas komplizierter als eine Partie CIVILIZATION.

1

Milligan, B.C./Murphy, Paul: Sid Meier's Civilization. Schaffen Sie ein Reich, das der

2

Ebd.

3

Ebd., S. 63.

4

Ebd., S. 61.

Prüfung der Geschichte standhält [Spielanleitung], Tetbury: MicroProse 1991, S. 62.

C IVILISATION

UND DER

G EIST

DES

JAHRES 1991

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EINLEITUNG: CIVILIZATION IM KONTEXT SEINER ENTSTEHUNG Die von dem US-amerikanischen Spieldesigner Sid Meier entwickelte CIVILIZAzählt zu den kommerziell erfolgreichsten, einflussreichsten und stilprägendsten Computerspielen überhaupt. Der Spieler bzw. die Spielerin übernimmt die Geschicke einer bestimmten »Zivilisation« im Moment ihrer Sesshaftwerdung im Jahr 4000 v. Chr. und führt sie bis ins Nuklear- und Raumfahrtzeitalter. Er oder sie erforscht die anfangs unbekannte Welt, gründet Städte, erkundet neue Technologien, setzt sich mit rivalisierenden Zivilisationen auseinander – durch Diplomatie, Krieg und Handel – und bestimmt die politische sowie – in späteren Versionen des Spiels – auch die kulturelle und religiöse Entwicklung seiner bzw. ihrer Untertanen. Mit diesem in jeder Hinsicht epochalen Spielprinzip begründete CIVILIZATION das Genre der rundenbasierten Globalstrategiespiele und bewährt sich auch mehr als zwanzig Jahre nach seiner Erstveröffentlichung in seiner aktuellen Inkarnation, CIVILIZATION V. Da mittlerweile die zweite Generation von Computerspielerinnen und -spielern mit CIVILIZATION aufwächst, ist der Einfluss der Serie auf populäre Geschichtsbilder nicht zu unterschätzen. Im Gegensatz zu historischen Simulationen wie z.B. EUROPA UNIVERSALIS (2000)5 ist das Spiel als alternative Geschichte ausgelegt: Der Spieler bzw. die Spielerin soll die Weltgeschichte nicht nacherleben, sondern nach eigenem Gutdünken neu gestalten – und gerade in diesem kontrafaktischen Aspekt liegt der Reiz der CIVILIZATION-Serie: Wenn Flugzeugträger der linientreu marxistischen aztekischen Sowjetrepublik vor der amerikanischen Küste aufkreuzen, um Washington vor einem Angriff babylonischer Faschisten zu beschützen, entfaltet CIVILIZATION sein volles satirisches und subversives Potential. Ungeachtet ihres kontrafaktischen Grundkonzepts, das in den frühen Versionen des Spiels noch deutlich ausgeprägter war und in den aktuellen Fassungen zunehmend abgeschwächt wurde6, erhebt die CIVILIZATION-Serie den Anspruch, grundlegende Mechanismen der Weltgeschichte – etwa die Relevanz naturräumlicher Gegebenheiten für die Entwicklung menschlicher Gesellschaften oder die Bedeutung

TION-Serie

5

Vgl. Brendel, Heiko: »Historischer Determinismus und historische Tiefe – oder Spielspaß? Die Globalechtzeitspiele von Paradox Interactive«, in: Angela Schwarz (Hg.): »Wollten Sie auch immer schon pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?«. Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel (Medien'Welten 13), Münster: Lit 2012, S. 107-135.

6

Vgl. Donecker, Stefan: »Pharaoh Mao Zedong and the Musketeers of Babylon. The Civilization Series between Primordialist Nationalism and Subversive Parody«, in: Florian Kerschbaumer/Tobias Winnerling (Hg.): Early Modernity and Video Games, Newcastleupon-Tyne: Cambridge Scholars Publishing 2014, S. 105 – 122; hier S. 118-120.

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technologischen Austausches7 – vereinfacht, aber korrekt wiederzugeben. Dementsprechend intensiv hat sich die wissenschaftliche Forschung mit CIVILIZATION auseinandergesetzt8: Im Bereich der Geschichtsdidaktik erschienen einige Publikationen, die das Spiel als geeignetes Unterrichtsmittel für die schulische und universitäre Geschichtsvermittlung empfahlen; eine Position, die vor allem von dem US-

7

Whelchel, Aaron: »Using Civilization Simulation Video Games in the World History Classroom«, in: World History Connected 4 (2007). http://worldhistoryconnected. press.illi-nois.edu/4.2/whelchel.html

8

Vgl. Kaindel, Christoph/ Steffelbauer, Ilja: »Civilizations, Inventions and Empires. Implicit Theories of History and Society in Computer Games«, in: Konstantin Mitgutsch/Christoph Klimmt/Herbert Rosenstingl (Hg.): Exploring the Edges of Gaming. Proceedings of the Vienna Games Conference 2008–2009: Future and Reality of Gaming, Wien: Braumüller 2010, S. 251-262; Glitz, Rudolph: »Making Worlds Historical: The Political Aesthetics of Sid Meier's Civilization Series«, in: Ansgar Nünning/Vera Nünning/Birgit Neumann (Hg.): The Aesthetics and Politics of Cultural Worldmaking (Giessen Contributions to the Study of Culture 3), Trier: WVT 2010, S. 160-180; Reichert, Ramón: »Government-Games und Gouverntainment. Das Globalstrategiespiel CIVILIZATION

von Sid Meier«, in: Rolf F. Nohr/Serjoscha Wiemer (Hg.): Strategie spielen. Media-

lität, Geschichte und Politik des Strategiespiels (Medien'Welten 9), Münster: Lit 2008, S. 189-212; Aasted, Matthew: Civilization IV and Historical Theory (2008 AHS Capstone Projects 3), Needham, MA: Franklin W. Olin College 2008, URL: http://digital commons.olin.edu/ahs_capstone_2008/3 (Stand: 01.03.2014); Weiß, Alexander: »Computerspiele als Aufbewahrungsform des Politischen. Politische Theorie in Age of Empires and Civilization,« in: Tobias Bevc (Hg.): Computerspiele und Politik. Zur Konstruktion von Politik und Gesellschaft in Computerspielen (Studien zur visuellen Politik 5), Berlin: Lit 2007, S. 77-97; Douglas, Christopher: »›Hai scatenato un´orda di barbari!‹. Combattere gli indiani, giocare e definire discipline«, in: Matteo Bittanti (Hg.): Civilization. Storie virtuali, fantasi reali (Videoludica 1), Milano: Costa & Nolan 2005, S. 40-64; Chen, Kenneth: »Civilization and its Disk Contents. Two Essays on Civilization and CIVILIZATION«,

in: Radical Society 30 (2003), S. 95-107; Lammes, Sybille: »On the Border:

Pleasures of Exploration and Colonial Mastery in CIVILIZATION III PLAY THE WORLD«, in: Marinka Copier/Joost Raessens (Hg.): Level Up. Digital Games Research Conference, Utrecht: Utrecht University Press 2003, S. 120-129; Pobłocki, Kacper: »Becoming-state. The bio-cultural imperialism of SID MEIER'S CIVILIZATION«, in: Focaal. European Journal of Anthropology 39 (2002), S. 163-177. Zusammenfassend dazu auch Fogu, Claudio: »Digitalizing Historical Consciousness«, in: History and Theory, Theme Issue 47 (2009), S. 103-121, hier S. 117; Mäyrä, Frans: An Introduction to Games Studies. Games and Culture, London: Sage Publications 2008, S. 98-99.

C IVILISATION

UND DER

G EIST

DES

JAHRES 1991

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amerikanischen Didaktiker Kurt Squire mit Nachdruck vertreten wurde.9 Der Tenor der akademischen Forschung fiel deutlich kritischer aus: CIVILIZATION wurde eine eurozentrische10 und imperialistische11 Tendenz vorgeworfen. Kritisiert wurden zudem die Technologiegläubigkeit und der unkritische Fortschrittsoptimismus, der durch das Spiel vermittelt wird12, sowie die Betonung »großer Männer« als historischer Akteure, durch die patriarchale und personenzentrierte Geschichtsbilder bekräftigt werden.13 Der vorliegende Aufsatz versteht sich als Beitrag zu jener Diskussion über die Geschichtsbilder, die Sid Meiers CIVILIZATION-Serie zugrunde liegen und durch sie an Computerspieler und -spielerinnen vermittelt werden. Dabei möchte ich versuchen, das Spiel im Kontext seiner Entstehung zu betrachten: SID MEIER'S CIVILIZA14 TION , die ursprüngliche Version des Spieles, erschien zum Jahresende 1991, wenige Monate nach dem eingangs erwähnten Augustputsch, als die Sowjetunion in den letzten Zügen lag und das »kurze 20. Jahrhundert« sein unerwartet frühes Ende fand. Ist CIVILIZATION ein Kind seiner Zeit? Wie sehr haben die Ereignisse des Jah-

9

Squire, Kurt: »Changing the Game: What happens when Video Games enter the Classroom?«, in: Innovate. Journal of Online Education 1 (2005), URL:

http://website.education.wisc.edu/kdsquire/tenure-files/26-innovate.pdf (Stand: 01. 03.2014); Squire, Kurt D.: Replaying History: Learning World History through playing CIVILIZATION III. Unveröffentlichte Dissertation, Bloomington, IN, 2004; Whelchel: Using Civilization Simulation Video Games. Vgl. Kubetzky, Thomas: »Computerspiele als Vermittlungsinstanzen von Geschichte? Geschichtsbilder in Aufbausimulationsspielen am Beispiel von CIVILIZATION III«, in: Angela Schwarz (Hg.): »Wollten Sie auch immer schon pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?«. Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel (Medien'Welten 13), Münster: Lit 2012, S. 75-106, hier S. 84-92; Schut, Kevin: »Strategic Simulations and Our Past. The Bias of Computer Games in the Presentation of History«, in: Games and Culture 2 (2007), S. 213-235, hier S. 213-214. 10 Voorhees, Gerald A.: »I Play Therefore I Am. SID MEIER’S CIVILIZATION, Turn-Based Strategy Games and the Cogito«, in: Games and Culture 4 (2009), S. 254-275, hier S. 255. 11 King, Geoff/Krzywinska, Tanya: Tomb Raiders and Space Invaders. Videogame Forms and Contexts, London: I.B. Tauris 2006, S. 189-190; Pobłocki: Becoming-state, S. 175. 12 Ghys, Tuur: »Technology Trees: Freedom and Determinism in Historical Strategy Games«, in: Game Studies 12 (2012). http://gamestudies.org/1201/articles/tuur_ghys (Stand: 01. 03. 2014). 13 Schut: Strategic Simulations, S. 220-223; Kaindel/Steffelbauer: Civilizations, Inventions and Empires, S. 258. 14 In Folge als CIVILIZATION I abgekürzt.

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res 1991 und die vorangehenden Entwicklungen das Spiel, und das ihm zugrundeliegende Geschichtsverständnis, geprägt? Als Prototyp eines makrohistorischen Computerspiels – 1991 ein vollkommen neues Genre – wurde CIVILIZATION von Kritikern und Kommentatoren an den globalpolitischen und geschichtsphilosophischen Modellen gemessen, die zur gleichen Zeit, in den frühen 1990er Jahren, formuliert wurden. CIVILIZATION wurde und wird ein Naheverhältnis zu den Theorien der US-amerikanischen Politologen Samuel Huntington und Francis Fukuyama attestiert, deren kontroverse Prognosen eines »Kampfes der Kulturen« bzw. eines »Endes der Geschichte« zu den markantesten Versuchen zählen, die Neugestaltung der Weltpolitik nach dem Ende des Kalten Krieges zu reflektieren. Auf den folgenden Seiten möchte ich CIVILIZATION im Kontext der Thesen Huntingtons und Fukuyamas sowie der Nationalismustheorien der frühen 1990er Jahre betrachten und der Frage nachgehen, inwieweit die »Mutter« aller Globalstrategiespiele tatsächlich dem politischen und akademischen Zeitgeist des Jahres 1991 verhaftet ist. In Hinblick auf die Themenstellung des Sammelbandes werde ich abschließend einige Überlegungen zu den Geschichtsbildern, die der CIVILIZATION-Serie zugrunde liegen, aus der Perspektive der Frühneuzeitforschung anstellen.

ZIVILISATIONEN UND KULTURKREISE? Im Jahr 1993, zwei Jahre nach der Erstveröffentlichung von CIVILIZATION, präsentierte der US-amerikanische Politikwissenschaftler Samuel Huntington in einem Essay in der Zeitschrift Foreign Affairs erstmals seine Hypothese eines »Clash of Civilizations«, eines »Kampfes der Kulturen«.15 Huntington prognostizierte, dass die Weltpolitik nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Lagers im Zukunft nicht primär von ökonomischen oder ideologischen Faktoren, sondern vom Antagonismus zwischen verschiedenen Kulturkreisen (»civilizations«) geprägt sein würde. Drei Jahre später legte er eine Monographie mit dem Titel The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order vor, in der er seine These ausführlicher darlegte.16 In einer äußerst kritischen Stellungnahme zu den ideologischen Hintergründen der CIVILIZATION-Serie erhob der polnische Ethnologe Kacper Pobłocki im Jahr 2002 den Vorwurf, Sid Meier hätte die – ideologisch mehr als nur problematische –

15 Huntington, Samuel P.: »The Clash of Civilizations?«, in: Foreign Affairs 72 (1993), S. 22-50. 16 Huntington, Samuel P.: Der Kampf der Kulturen. The Clash of Civilizations. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München/Wien: Europaverlag 1996.

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Huntington-These unter Computerspielerinnen und -spielern salonfähig gemacht.17 Meiers CIVILIZATION entpuppt sich, wenn man Pobłockis Argumenten folgt, als Computerspieladaption von Huntingtons Theorie des »Clash of Civilizations«, die so ihren festen Platz in der Populärkultur erhalten hat. »Although praise or criticism of the clash of civilizations thesis has usually been mailed to Huntington, it is Meier who was first, has more to say, and [...] seems more convincing.«18 Auf den ersten Blick scheint Pobłockis Kritik durchaus schlüssig: Meiers Spiel trägt die »Zivilisationen« nicht nur im Titel, sondern lässt Spielerinnen und Spieler eine militärische, ökonomische und technologische Rivalität zwischen politischkulturellen Entitäten erleben, die an Huntingtons Modell erinnert. Dennoch wird, bei näherer Betrachtung, deutlich, dass die Analogie zwischen Huntingtons These und dem Spielprinzip der CIVILIZATION-Serie schnell an ihre Grenzen stößt. Ein Kulturkreis im Sinne Huntingtons besteht in der Regel aus zahlreichen Staaten (der chinesische und der japanische Kulturkreis stellen dabei Ausnahmen dar).19 Ein derartiges Modell lässt sich auf die Spiele der CIVILIZATION-Reihe nicht übertragen: »Zivilisation« und Staat sind im Computerspiel deckungsgleich – oder zumindest werden sie von den Spielerinnen und Spielern so empfunden.20 Jede Zivilisation verfügt über ihre eigene Form der politischen Ordnung, über ihre Untertanen und Bürger – die Zugehörigkeit der einzelnen Bevölkerungseinheiten ist eindeutig festgelegt – sowie über ein Territorium, über das der Spieler (bzw. im Fall einer computergesteuerten Zivilisation der Computer) die Staatsgewalt ausübt. Aus mehreren

17 Pobłocki: Becoming-state, S. 163-164; vgl. dazu auch Wagner, Rachel: »God in the Game: Cosmopolitanism and Religious Conflict in Videogames«, in: Journal of the American Academy of Religion 81 (2013), S. 249-261, hier S. 256; Reichert: Government-Games und Gouverntainment, S. 206; sowie der kritische Hinweis von Burns, Alex: CIVILIZATION III: Digital Game-Based Learning and Macrohistory Simulations, Melbourne: Australian Foresight Institute 2002, URL: alexburns.net/Files/CivilizationIII.pdf (Stand: 01.03. 2014), S. 5. 18 Pobłocki: Becoming-state, S. 163. 19 Huntington: The Clash of Civilizations?, S. 24. 20 Die Spielanleitung zu CIVILIZATION I erklärt z. B., dass eine Zivilisation, für die der Spieler die Staatsform »Republik« gewählt hat, eine »Versammlung von Stadt-Staaten« ist. »Jede Stadt bildet einen autonomen Staat und ist gleichzeitig Teil der Republik, die Sie führen«. (Milligan/Murphy: SID MEIER'S CIVILIZATION, S. 62) In der Praxis spielt sich eine solcher Bund von Stadtstaaten aber nicht wesentlich anders als jede andere Zivilisation: Der Spieler entscheidet über Bauprojekte, Truppenbewegungen und Ressourcennutzung, unabhängig davon ob er einer zentralistischen Monarchie oder einer Konföderation von Stadtstaaten vorsteht.

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Staaten bestehende Kulturkreise, wie sie Huntington postuliert, lassen sich mittels der Regeln und Spielmechanismen der CIVILIZATION-Serie nicht darstellen. Unter den verschiedenen Determinanten (Geschichte, Sprache, Kultur, Tradition), die einen Kulturkreis definieren bzw. ihn von anderen Kulturkreisen abgrenzen, hebt Huntington Religion als wichtigsten Faktor hervor.21 Auch hier weicht Sid Meiers Spielkonzept deutlich von der Huntington-These ab: Religion spielt in der CIVILIZATION-Serie eine durchwegs marginale Rolle. In CIVILIZATION I war Religion eine »Technologie« unter vielen, die eine Zivilisation erforschen und erlernen konnte. Auch die beiden folgenden Versionen beschränkten sich darauf, Religion durch einzelne, in einem äußerst detailreichen Spiels eher unauffällige Spielelemente wie Tempel und Kathedralen darzustellen. Erst CIVILIZATION IV (2005) führte sieben Weltreligionen (Buddhismus, Christentum, Konfuzianismus, Hinduismus, Islam, Judentum und Taoismus) ein. Aus Rücksichtnahme auf die religiösen Empfindungen der Spielerinnen und Spieler verzichteten die Designer aber darauf, den einzelnen Religionen im Rahmen der Spielmechanik konkrete Eigenschaften, Vorzüge und Nachteile zuzuteilen. In CIVILIZATION V (2010) wurde Religion als Spielelement gestrichen, nur um in der Erweiterung GODS & KINGS (2012)22 wieder eingeführt zu werden. Wie in CIVILIZATION IV bleiben die einzelnen Weltreligionen aber austauschbar: Christliche Moscheen sind ebenso möglich wie ein Islam, in dem Weinbau und Weinkonsum eine besondere spirituelle Bedeutung zukommt. Zwar sind die religiösen Spielmechanismen in der aktuellen Fassung von CIVILIZATION nicht dermaßen unbedeutend wie in den älteren Versionen, aber von der dominanten Rolle, die Huntington Religionen als bestimmendes Moment in den Konflikten seiner Kulturkreise zuschreibt, sind sie in CIVILIZATION weit entfernt. Als noch grundlegender erweisen sich die Unterschiede zwischen Huntingtons und Meiers Geschichtsauffassung in Hinblick auf die Periodisierung. Huntington sieht den Clash of Civilizations als rezentes Phänomen, als »latest phase in the evolution of conflict in the modern world«23, die für die Zeit nach 1991 charakteristisch ist. In früheren Zeiten waren es, so Huntington, andere Akteure, zwischen denen politische und militärische Konflikte abliefen: europäische Monarchen während der Frühen Neuzeit, Nationalstaaten im 19. Jahrhundert und rivalisierende Ideologien im 20. Jahrhundert.24 Die von ihm postulierten Kulturkreise betrachtet er zwar als äußerst alte Entitäten,25 doch ihre Bedeutung war für mehrere Jahrhunderte von Herrschern und Dynastien, Nationen und Ideologien überlagert worden. Erst mit

21 Huntington: The Clash of Civilizations?, S. 25. 22 Sid Meier’s Civilization V: Gods & Kings (2012) (Firaxis/2K Games). 23 Huntington: The Clash of Civilizations?, S. 22. 24 Ebd., S. 22-23. 25 Ebd., S. 24-25.

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dem Fall des Eisernen Vorhangs beginnen die Kulturkreise wieder ihre dominante Position in der Weltpolitik einzunehmen. In diesem außerordentlich simplen Geschichtsmodell wird deutlich, dass Huntingtons These wenig mehr ist als der Versuch einer Bestandsaufnahme der Welt nach Ende des Kalten Krieges, die sich unmöglich in einer sinnvollen Weise auf andere historische Epochen anwenden lässt. Während Huntingtons Kulturkreise Phänomene der Zeit nach 1991 sind, lassen sich die Zivilisationen in Sid Meiers Computerspiel keiner bestimmten historischen Epoche zuordnen. Das Spiel lebt von der Prämisse, dass Zivilisationen überzeitlich und unveränderlich sind und in jedem historischen Kontext, von der Neolithischen Revolution bis zum Atomzeitalter, als dominante politische Akteure das Weltgeschehen beeinflussen. Somit ergibt sich, als vorläufiges Fazit, dass Sid Meiers CIVILIZATION und Samuel Huntingtons Clash of Civilizations, von einer oberflächlichen Namensähnlichkeit abgesehen, wenige Gemeinsamkeiten aufweisen. Das soll keineswegs bedeuten, dass die CIVILIZATION-Serie frei von imperialistischen, ethnozentristischen und militaristischen Inhalten wäre – aber als bloße Popularisierung Huntington'scher Ideologeme lässt sich das Spiel nicht abtun.

ZIVILISATIONEN UND NATIONEN? So weit die ethnisch-politischen Entitäten der CIVILIZATION-Serie von den Kulturkreisen Samuel Huntingtons entfernt scheinen, so nahe stehen sie dem klassischen Konzept der modernen Nation. Nimmt man beispielsweise die Definition Georg Elwerts als Maßstab, der die »Nation« als »(lockere oder festgefügte) soziale Organisation, welche überzeitlichen Charakter beansprucht, von der Mehrheit ihrer Glieder als (imaginierte) Gemeinschaft behandelt wird und sich auf einen gemeinsamen Staatsapparat bezieht«, charakterisiert,26 wird deutlich, dass die »Zivilisationen« der CIVILIZATION-Serie diesen Kriterien genau entsprechen. Der Anspruch auf einen überzeitlichen Charakter steht im Mittelpunkt des Spielkonzepts: Der Spieler bzw. die Spielerin lenkt die Geschicke einer bestimmten Zivilisation von Jahr 4000 v. Chr. bis in die nahe Zukunft – unter der Prämisse ethnischer Kontinuität: Zwar entwickelt sich das Volk weiter, erlernt neue Technologien und nimmt neue Staatsformen an, aber das Spielprinzip setzt voraus, dass das Volk, als geschichtlicher Akteur ein und derselbe bleibt. CIVILIZATION basiert somit auf der Annahme einer nationalen Kontinuität zwischen Frühgeschichte und Gegenwart. Ebenso deutlich wird das Kriterium eines gemeinsamen Staatsapparats im Spiel umgesetzt. Jede Zivilisation entspricht, wie erwähnt, einem Staat. Seit CI-

26 Elwert, Georg: »Nationalismus und Ethnizität. Über die Bildung von Wir-Gruppen«, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 41 (1989), S. 440-464, hier S. 446.

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(2001) folgt die Darstellung dieses (National-)Staates den bekannten Konventionen moderner Kartographie: sein Territorium wird farbig gekennzeichnet und seine Grenzen sind eindeutig festgelegt. Das dritte Kriterium in Elwerts Definition, das Bekenntnis der Individuen zur Nationsgemeinschaft, lässt sich schwer auf CIVILIZATION anwenden, da die virtuellen Bewohnerinnen und Bewohner einer Zivilisation nur als abstrakte Bevölkerungszahl erscheinen und ihnen keine politische Willensäußerung in den Mund gelegt wird. Allerdings übernimmt CIVILIZATION zwei typische Kernaussagen nationalistischer Ideologien, mittels derer, in der realen Welt, Zugehörigkeit und Loyalität der Menschen zu »ihrer« Nation argumentiert werden – das Konstrukt einer biologischen Abstammungsgemeinschaft und den Vorrang der Nation gegenüber anderen Formen der Identität. CIVILIZATION ist, in befremdlicher Weise, auf den Gedanken des Bevölkerungswachstums fixiert, das der Spieler bzw. die Spielerin, um im Spiel Erfolg zu haben, unbedingt aufrechterhalten sollte. Zivilisationen in CIVILIZATION entsprechen tatsächlich der nationalistischen Fiktion einer Abstammungsgemeinschaft; andere Faktoren der demographischen Entwicklung, wie z. B. Immigration, werden weitgehend ausgeblendet. Auch andere Formen kollektiver Identität wie Klasse, Geschlecht und Religion spielen eine vernachlässigbare Rolle.27 Die Zivilisationen, die Spielerinnen und Spieler in CIVILIZATION aufbauen, entsprechen präzise den Wunschvorstellungen nationalistischer Ideologen: eine homogene Gemeinschaft von blutsverwandten Menschen, die keine andere Loyalität kennen als die zu ihrem Vaterland. Es mag überraschend erscheinen, dass CIVILIZATION Anfang der 1990er Jahre ein Geschichtsbild präsentiert, das unverkennbar den nationalen Historiographien des 19. Jahrhunderts entlehnt ist. Die wissenschaftliche Forschung tendierte während der 1980er und 1990er Jahre dazu, die Nation als überkommenes Prinzip zu verstehen. Man sah die Welt an der Schwelle eines postnationalen Zeitalters, in dem die Bedeutung der Nation, die »weder dem Wesen der Dinge noch dem Herzen der Menschen einbeschrieben«28 sei, und das gesellschaftliche Mobilisierungspotential nationaler Ideologien weiter abnehmen würde. Der Nationalstaat könne, so die vorherrschende Meinung, auf die Herausforderungen der Globalisierung kaum angemessen reagieren und stelle deshalb ein gesellschaftliches Auslaufmodell dar. Im vielzitierten Schlusswort seiner Monographie Nations and Nationalism since 1780 (1990) sah Eric Hobsbawm, einer der führenden Nationstheoretiker der 1980er und frühen 1990er, bereits die Eule der Minerva um das Konzept der Nation kreisen –

27 Stephenson, William: »The Microserfs Are Revolting: Sid Meier's Civilization II«, in: Bad Subjects 45 (1999). http://bad.eserver.org/issues/1999/45/stephenson.html (Stand: 01.03. 2014). 28 Gellner, Ernest: Nationalismus und Moderne, Berlin: Rotbuch 1991, S. 184.

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Hegels Symbol dafür, dass sich ein Gegenstand dann der Forschung erschließt, wenn er dabei ist, obsolet zu werden: »Schließlich deutet allein schon die Tatsache, daß Historiker zumindest damit beginnen, in der Erforschung und Analyse von Nationen und Nationalismen Fortschritte zu machen, wie in so vielen ähnlichen Fällen darauf hin, daß das Phänomen seinen Zenith bereits überschritten hat. Die Eule der Minerva, die uns Klugheit bringt, breitet nach Hegel ihre Flügel immer erst in der Dämmerung aus. Es ist ein gutes Zeichen, daß sie ihre Kreise inzwischen über Nationen und Nationalismen zieht.«29 In Sid Meiers CIVILIZATION-Serie ist von der Eule der Minerva und dem Abgesang auf Nationen und Nationalismen nichts zu merken. Unverdrossen präsentiert das Computerspiel eine altmodische Nationsgeschichte, die zwar charmant aufgearbeitet ist und sich teilweise ironisch selbst reflektiert, in ihren Grundzügen aber durch und durch dem Geschichtsdenken des 19. Jahrhunders verhaftet ist. Wie bereits im Falle Samuel Huntingtons und seiner breitenwirksamen These vom »Kampf der Kulturen« erweist sich CIVILIZATION als weitgehend resistent gegenüber akademischen Trends und gesellschaftspolitischen Kommentaren.

DAS ENDE DER GESCHICHTE Während das Geschichtskonzept der CIVILIZATION-Serie mit Huntingtons Clash of Civilizations wenig mehr als den Namen gemeinsam hat, bestehen gewisse Übereinstimmungen zum Werk eines anderen neokonservativen Vordenkers, Francis Fukuyama.30 In seinem 1992 veröffentlichten Buch The End of History and the Last Man,31 das auf einem Essay aus dem Jahr 1989, The End of History?, aufbaut,32 formulierte Fukuyama die provokante These, dass sich die Prinzipien eines demokratischen, marktwirtschaftlichen Liberalismus in absehbarer Zukunft weltweit durchsetzen würden, nachdem das Scheitern des Realsozialismus, des letzten exis-

29 Hobsbawm, Eric: Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780, Frankfurt/New York: Campus 2005, S. 221. 30 Zum Verhältnis zwischen Huntingtons konfliktorientierter Zukunftsprognose und Fukuyamas

optimistischer

Idee

einer

pax

democratica

vgl.

Kurtz, Stanley:

»The Future of ›History‹: Francis Fukuyama vs. Samuel P. Huntington«, in: Dwight Furrow (Hg.): Moral Soundings. Readings on the Crisis of Values in Contemporary Life, Oxford: Rowman & Littlefield 2004, S. 197-214, der jedoch die Validität von Huntingtons These unter dem Eindruck der Ereignisse des 11. September 2001 deutlich überschätzt. 31 Fukuyama, Francis: Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir?, München: Kindler 1992. 32 Fukuyama, Francis: »The End of History?«, in: The National Interest 16 (1989), S. 3-18.

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tenten Gegenentwurfs, in den späten 1980er Jahren offensichtlich geworden sei.33 Das »Ende der Geschichte« bedeutet nicht, dass es in Zukunft keine politischen Ereignisse und Veränderungen geben werde – doch Geschichte als Dynamik globaler Widersprüche, als ideologische Auseinandersetzung um die Frage nach dem idealen Staat, hat, so Fukuyama, mit dem Fall der Sowjetunion ihr Ende gefunden.34 Der Philosoph Rudolf Burger hat diese von Fukuyama als Sieg des Liberalismus gedeutete Entwicklung prägnant als »Verzicht auf jedes historische Sinnsystem« charakterisiert.35 Für ein historisches Computerspiel wie CIVILIZATION ist die Frage nach dem »Ende der Geschichte« – aus leicht ersichtlichen Gründen – von entscheidender Bedeutung. Im Gegensatz zu Simulationen mit offenem Ende, wie z. B. SIMCITY (1989), war CIVILIZATION darauf ausgelegt, einen klaren Endpunkt zu haben, an dem der abschließende Punktestand ermittelt wird und sich zeigt, ob der Spieler bzw. die Spielerin gewonnen hat. CIVILIZATION muss sich zwar auf keine geschichtsphilosophischen Debatten über das Ende der Geschichte einlassen, aber es benötigt einen konkreten Regelmechanismus, der den Abschluss der »erspielten Geschichte« dezidiert festlegt. Die ursprüngliche Version CIVILIZATION I sah zwei Möglichkeiten vor,36 durch die das Spiel und mit ihm die Weltgeschichte ein Ende nehmen: »Ein Spiel endet bei Civilization von selbst, wenn ein Raumschiff mit Siedlern irgendeiner Zivilisation das nahegelegene Sternensystem des Alpha Centaurus [sic] erreicht, [oder] [w]enn Sie es schaffen, alle anderen Zivilisationen auf der Erde zu eliminieren.«37

33 Vgl. Williams, Howard/Sullivan, David/Matthews, E. Gwynn: Francis Fukuyama and the End of History. Cardiff: University of Wales Press 1997, v.a. S. 76-82; Pöggeler, Otto: Ein Ende der Geschichte? Von Hegel zu Fukuyama (Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften, Vorträge Geisteswissenschaften 332), Opladen: Westdeutscher Verlag 1995, v.a. S. 13-14. 34 Vgl. Füredi, Frank: »The Enthronement of Low Expectations: Fukuyama's Ideological Compromise for Our Time«, in: Christopher Bertram/Andrew Chitty (Hg.): Has History Ended? Fukuyama, Marx, Modernity. Aldershort: Avebury 1994, S. 31-45, hier S. 37; Rother, Christian: »Vom Fortgang der Geschichte nach ihrem Ende. Zu Francis Fukuyamas Das Ende der Geschichte«, in: Kontroversen in der Philosophie 4 (1993), S. 73-78, hier S. 74. 35 Burger, Rudolf: »Man lache nicht über Fukuyama«, in: Leviathan 18 (1990), S. 453-461, hier S. 461. 36 In allen Varianten des Spiels existiert zudem die Möglichkeit, das Spiel nach einer festgelegten Rundenzahl enden zu lassen. Diese Option, die mit dem Ablauf der fiktiven Geschichte nichts zu tun hat, wird in den folgenden Überlegungen nicht berücksichtigt. 37 Milligan/Murphy: Sid Meier's Civilization, S. 28.

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Von der endgültigen Hegemonie eines bestimmten politischen Systems, wie sie Fukuyama vorschwebt, ist hier keine Rede. Die beiden Siegesbedingungen zeigen deutlich den Kontext, in dem CIVILIZATION entstanden ist: Die Eroberung der ganzen Welt ist ein charakteristisches (und bereits 1991 eher abgedroschenes) Motiv in strategischen Brettspielen wie RISIKO (ursprünglich LA CONQUÊTE DU MONDE, 1957) oder AXIS & ALLIES (1981), an denen sich Sid Meier und die Entwickler von CIVILIZATION orientierten. Weitaus innovativer ist der Gedanke, die Weltgeschichte mit der Kolonisation des nächstgelegenen Sonnensystems enden zu lassen. Angesichts der jahrzehntelangen Stagnation der bemannten Raumfahrt erscheint der Gedanke, dass die Menschheit im frühen 21. Jahrhundert Alpha Centauri besiedelt – wie es in einer typischen Partie von CIVILIZATION I der Fall ist – beinahe rührend. Und auch im Jahr 1991 dürfte offensichtlich gewesen sein, dass es sich dabei um eine nicht besonders realistische Zukunftsprognose handelt. Mit der Wahl eines interstellaren Schlusspunktes für die fiktive Weltgeschichte von CIVILIZATION beweisen Sid Meier und Co-Designer Bruce Shelley aber, dass sie aus einer Generation stammen, die mit dem Space Race der 1960er Jahre aufgewachsen ist und die Kontroversen um das SDI-Programm und die militärische Nutzung des Weltraums in den 1980er Jahren miterlebt hat.38 Die Besiedelung von Alpha Centauri erwies sich als eines der markantesten Spielelemente von CIVILIZATION, das in allen späteren Versionen beibehalten wurde und dem mit SID MEIER'S ALPHA CENTAURI (1999)39 sogar ein eigenes Spinoff-Spiel gewidmet wurde. In späteren Versionen von CIVILIZATION wurden zusätzliche Optionen eingeführt, durch die ein Spieler das Spiel für sich entscheiden und den Lauf der Geschichte beenden konnte. CIVILIZATION V sieht beispielsweise neben der militärischen Weltherrschaft (»Herrschaftssieg«) und der Mission nach Alpha Centauri (»Wissenschaftssieg«) auch die Möglichkeit eines »Kultursieges« und eines »Diplomatiesieges« vor, bei denen »die anderen Zivilisationen durch Ihre kulturelle Überlegenheit oder politisches Geschick« überwältigt werden.40 Akademische Kritiker und Kritikerinnen haben wiederholt angemerkt, dass das Modell der Weltgeschichte, das die CIVILIZATION-Serie vermittelt, im Wesentlichen der Meistererzählung der amerikanischen Moderne entspricht: Der Spieler bzw. die Spielerin erschließt und besiedelt jungfräuliches Land, ganz im Sinne der Frontier-

38 Vgl. Pobłocki: Becoming-state, S. 169. 39 SID MEIER'S ALPHA CENTAURI (1999) (Firaxis/Electronic Arts/Aspyr/Loki Software). 40 Menard, Michelle/Murphy, Paul: Sid Meier's Civilization V [Spielanleitung], New York: Take-Two Interactive 2010, S. 119-121.

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These Fredrick Jackson Turners,41 das Wohlergehen der Zivilisation hängt von Innovation und technologischem Fortschritt ab und eine liberale, marktwirtschaftliche Demokratie nach amerikanischem Vorbild erweist sich unter all den Staatsformen, die der Spieler wählen kann, als unbestreitbar beste Option.42 Abermals ist es Kacper Pobłocki, der diese Kritik besonders einprägsam formuliert: »[T]he fetishobject of Meier's fantasies is the ›ultimate empire‹, the state that resembles most the end product of all human advancement, namely the United States of America.«43 Trotz der unübersehbaren Präferenz für westlichen Liberalismus findet sich in keiner der bisherigen fünf Versionen von CIVILIZATION die Möglichkeit eines »Fukuyama-Sieges«. Ein Spielmechanismus, bei dem der Spieler / die Spielerin einen Sieg verbuchen kann sobald sich die von ihm / ihr gewählte Staatsform bzw. Ideologie weltweit durchsetzt, wäre im Rahmen des CIVILIZATION-Spielprinzips durchaus vorstellbar – trotzdem haben die Designer diese Option nicht vorgesehen. Im Gegenteil: Im Lauf der Entwicklung des Spieles von CIVILIZATION I bis CIVILIZATION V wurde die Bedeutung der Ideologien als Spielelemente schrittweise verringert und abgeschwächt. In CIVILIZATION I, II und III konnten Spieler/innen zwischen fünf (später sieben) Staatsformen wählen. Unter anderem standen (liberale) »Demokratie«, »Kommunismus«, »Fundamentalismus« (in CIVILIZATION III) und »Faschismus« (in der Erweiterung CIVILIZATION III: CONQUESTS, 200344) zur Auswahl. Diese geradlinige und – dank einschlägiger Grafiken und Texte – auch bewusst klischeehaft gehaltene Präsentation ideologischer Systeme trug in einem beträchtlichen Maße zu der ironischen und teilweise regelrecht subversiven Stimmung bei,45 für die CIVILIZATION bekannt geworden ist. »The effect is equivalent to an absurd but fascinating masked carnival of governments, in which the High Priest Mao Tse Tung might rub shoulders with Comrade Abraham Lincoln.«46 Die klassischen »Staatsformen« der älteren Versionen wurden in CIVILIZATION IV und V durch ein System ersetzt, in dem der Spieler / die Spielerin eine eigene Gesellschaftsordnung gestaltet. In der aktuellen Version wählt der Spieler aus zehn

41 Kapell, Mathew: »Civilization and its Discontents: American Monomythic Structure as Historical Simulacrum«, in: Popular Culture Review 13 (2002), S. 129-135. Vgl. auch Kee, Kevin et al.: »Towards a Theory of Good History through Gaming«, in: The Canadian Historical Review 90 (2009), S. 303-326, hier S. 305; C. Douglas: »Hai scatenato un’orda di barbari!«, S. 52. 42 Reichert: Government-Games, S. 207. 43 Pobłocki: Becoming-state, S. 167. 44 SID MEIER’S CIVILIZATION III: CONQUESTS (BreakAway Games/Firaxis/Atari) (2003). 45 Vgl. Lammes: On the Border, S. 127-128; Donecker: Pharaoh Mao Zedong, S. 134-136. 46 Stephenson: Microserfs.

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»Zweigen der Sozialpolitik« aus.47 In jedem dieser Zweige können politische Errungenschaften (z. B. »Allgemeines Wahlrecht« oder »Gewerkschaften«, aber auch »Planwirtschaft« oder »Totaler Krieg«) freigeschaltet werden, die der eigenen Zivilisation bestimmte Boni gewähren. Klassische Ideologien lassen sich durch dieses politische »Baukastensystem« simulieren, indem man passende »Zweige« kombiniert – so ergibt »Frömmigkeit« plus »Autokratie« im Wesentlichen ein fundamentalistisches Regime, während »Ordnung« und »Rationalismus« auf Sowjetkommunismus hinausläuft. Die explizite Wahl einer historischen Ideologie, die in den älteren Versionen des Spieles möglich war, ist in CIVILIZATION V aber nicht länger vorgesehen. Somit bleibt also die Frage, warum Sid Meier und die CIVILIZATION-Designer, trotz aller ideologischer Voreingenommenheit und trotz ihrer Präferenz für amerikanischen Liberalismus, darauf verzichtet haben, das »Ende der Geschichte« im Sinne Fukuyamas an einem Triumph der westlichen Demokratie festzumachen. CIVILIZATION hat ein heikles Verhältnis zu teleologischen Geschichtsmodellen: Bis zu einem gewissen Maß sind sie unerlässlich, um die Komplexität historischer Ereignisse zu reduzieren und spielbar zu machen. Seinen deutlichsten Ausdruck findet der Gedanke einer gesetzmäßigen, zielgerichteten historischen Entwicklung in den so genannten »Fortschrittsdiagrammen« (»technology trees«)48 – einem seit CIVILIZATION I weitgehend unveränderten Kernelement des Spieles –, die technologischen Fortschritt als lineare Abfolge von Innovationen in einer festgelegten Reihenfolge darstellen.49 Allerdings besteht der Reiz des Spieles zu einem beträchtlichen Maße darin, den Spielerinnen und Spielern das Gefühl zu vermitteln, den Verlauf der Weltgeschichte selbst zu bestimmen. Dementsprechend vorsichtig müssen Elemente teleologischer Geschichtskonzeption gehandhabt werden, da sonst leicht der Eindruck entsteht, der Spieler bzw. die Spielerin würde lediglich eine vorgegebene Handlung abarbeiten anstatt das Spiel selbst zu gestalten. Ein Modell wie Fukuyamas »Ende der Geschichte«, das von einer Zwangsläufigkeit im historischen Ablauf ausgeht, wäre dabei nur hinderlich. Abseits aller ideologischen Präferenzen ist es für den Spielspaß förderlicher, wenn das Spiel die Möglichkeit offenlässt, mit verschiede-

47 Menard/Murphy: Sid Meier’s Civilization V, S. 95-97. Unter dem irreführenden Sammelbegriff »Zweige der Sozialpolitik« subsumiert das Spiel verschiedenste politische Schlagwörter wie »Tradition«, »Ordnung« und »Freiheit«, aber auch »Ehre« und »Frömmigkeit«. Bei diesen Optionen handelt es sich also nicht um Sozialpolitik im herkömmlichen Sinn, sondern eher um ideelle Grundlagen eines politischen Systems. 48 Vgl. Ghys: Technology Trees. 49 Vgl. Kubetzky: Computerspiele als Vermittlungsinstanzen, S. 90-91; Reichert: Gouvernment-Games, S. 191-195.

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nen Staatsformen verschiedene Siegesbedingungen zu erreichen, anstatt einen Triumph des westlichen Liberalismus vorauszusetzen.50 Statt eines »Endes der Geschichte« im Sinne Fukuyamas bleibt der Endpunkt einer Partie CIVILIZATION deshalb irgendwo zwischen Welteroberungsambitionen und der charmantanachronistischen Science Fiction-Utopie einer Mission nach Alpha Centauri angesiedelt.

FAZIT Obwohl CIVILIZATION im Epochenjahr 1991, zeitgleich zum Zusammenbruch der Sowjetunion veröffentlicht wurde, zeigt das Spiel nur wenig Spuren der politischen Debatten, die durch das Ende des Kalten Krieges losgetreten wurden.51 Auch in den überarbeiteten Versionen, die in den folgenden Jahren auf den Markt kamen (CIVILIZATION II, 1996; CIVILIZATION III, 2001) ist wenig von einer Huntington- oder Fukuyama-Rezeption zu spüren, die man bei einem makrohistorischen Computerspiel, das den Wettstreit von Zivilisationen zum Inhalt hat, eigentlich erwarten würde. Statt eines »Endes der Geschichte« oder eines »Kampfes der Kulturen« präsentiert CIVILIZATION eine altmodische, durch und durch konservative Nationalgeschichte, deren Akteure primordiale, ihrem Wesen nach unveränderliche Abstammungsgemeinschaften sind – eine Geschichte, die auch aus der Feder eines Heinrich von Treitschke stammen könnte. CIVILIZATION atmet eher den Geist von 1871 als den Geist von 1991. Doch die Prognosen und Entwürfe, die Anfang der 1990er Jahre unter dem Eindruck des Kollapses der UdSSR formuliert wurden, haben sich nicht bewahrheitet. Huntingtons These eines Clash of Civilizations sind die Qualitäten einer selbsterfül-

50 Der Spielmechanismus, der am ehesten an eine ideologische Hegemonie erinnert, ist das »Utopia-Projekt« in CIVILIZATION V (M. Menard/P. Murphy: Sid Meier's Civilization V, S. 121). Ein Spieler, der fünf beliebige Sozialpolitik-Zweige vollendet hat, kann das Projekt einer perfekten Gesellschaft in Angriff nehmen und dadurch das Spiel gewinnen. Der Spielmechanismus scheint aber weitaus eher den klassischen Utopien der Ideengeschichte verpflichtet zu sein als dem neoliberalen Modell eines Francis Fukuyama – denn der Spieler bzw. die Spielerin muss verschiedene historische Ideologien kombinieren, um die sozialpolitischen Voraussetzungen für das »Utopia-Projekt« zu erreichen. Das Resultat ist dann meistens eine kuriose Gesellschaftsform – »utopisch« im umgangssprachlichen Sinn –, etwa eine theokratisch-kommunistische Monarchie, der es gelingt gleichzeitig eine Republik zu sein. 51 Gewisse Züge eines bipolaren, vom Kalten Krieg geprägten Weltbildes sind z. B. in CIVILIZATION I noch

deutlich erkennbar. Pobłocki: Becoming-state, S. 169-170.

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lenden Prophezeiung zwar nicht abzusprechen,52 und ihr Einfluss auf die Nahostpolitik der Bush-Administration ist nicht zu übersehen.53 Doch trotz aller Bemühungen amerikanischer Neokonservativer und islamischer Jihadisten, einen »Kampf der Kulturen« herbeizuführen oder zumindest herbeizureden,54 findet die überwiegende Mehrheit globaler Konflikte Anfang des 21. Jahrhunderts innerhalb der von Huntington postulierten Kulturkreise statt.55 Fukuyamas Prognose war ebenfalls kein voller Erfolg beschieden, denn die Geschichte macht bislang wenig Anstalten, mit einem Triumph des westlichen Liberalismus zu Ende zu gehen. Und der – im Rückblick gesehen naive – Optimismus der führenden Nationstheoretiker der frühen 1990er Jahre, das Konzept der Nation und mit ihm die gefährliche Ideologie des Nationalismus würde in absehbarer Zeit obsolet werden, fand mit den Katastrophen in Bosnien und Ruanda ein ernüchterndes Ende.56 Minervas Eule scheint sich andere Themen gesucht zu haben, um die sie kreisen kann. Ist also, um es etwas überspitzt zu formulieren, Sid Meier ein besserer Geschichtsphilosoph als Samuel Huntington, Francis Fukuyama und sogar Eric Hobsbawm? Als Designer eines außerordentlich erfolgreichen und richtungsweisenden Computerspiels waren Meier und sein Mitarbeiter Bruce Shelley klarerweise nicht verpflichtet, auf aktuelle akademische Debatten einzugehen57 – und mit ihrer An-

52 Metzinger, Udo M.: Die Huntington-Debatte. Die Auseinandersetzung mit Huntingtons »Clash of Civilizations« in der Publizistik (Kölner Arbeiten zur internationalen Politik 13), Köln: SH-Verlag 2000, S. 78-80. 53 Vgl. Salter, Mark B.: »The Clash of Civilisations and the War on Terror(ists): An Imperialist Discourse«, in: Global Dialogue 5 (2003), URL: http://www.worlddialogue.org/ print.php?id=222 (Stand: 01.03.2014). 54 Vgl. Adib-Moghaddam, Arshin: A Metahistory of the Clash of Civilisations. Us and Them Beyond Orientalism, London: Hurst & Company 2011. 55 Vgl. dazu: Croissant, Aurel et al. (Hg.): Kultur und Konflikt in globaler Perspektive. Die kulturellen Dimensionen des Konfliktgeschehens 1945–2007, Gütersloh: Verlag Bertelsmann-Stiftung 2009, v. a. S. 10; auch: Fox, Jonathan: »Ethnic Minorities and the Clash of Civilizations: A Quantitative Analysis of Huntington's Thesis«, in: British Journal of Political Science 32 (2002), S. 415-434. 56 Vgl. Nairn, Tom: Faces of Nationalism. Janus Revisited, London/New York: Verso 1997, S. 47-48. 57 Geschichtswissenschaftliche Fachliteratur scheint bei der Entwicklung von CIVILIZATION nur eine minimale Rolle gespielt zu haben (vgl. Glitz: Making Worlds Historical, S. 174; Aaasted: Civilization IV, S. 2). Einzig William McNeills The Rise of the West (1963) (vgl. Burns: Civilization III, S. 4-5) und Paul Kennedys The Rise and Fall of the Great Powers (1987), auf das auch in der Spielanleitung zu CIVILIZATION I ausdrücklich hin-

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hänglichkeit an überholte, nationalgeschichtliche Narrative lagen sie gar nicht so schlecht. Denn so oft das Konzept der Nation von Theoretikern und Theoretikerinnen totgesagt wurde, so langlebig ist es. Während die Prognostiker der frühen 1990er Jahre mit ihren Entwürfen gescheitert sind, bleibt der Nationalstaat auch im frühen 21. Jahrhundert in weiten Teilen der Welt die dominante Form gesellschaftlicher Organisation und die primäre Identifikationsebene der Menschen, und der verhängnisvolle Einfluss nationaler und nationalistischer Ideologien scheint ungebrochen. Es ist keineswegs unplausibel, dass die CIVILIZATION-Serie ihren Erfolg zu einem beträchtlichen Maße ihrer nationalgeschichtlichen Meistererzählung verdankt. Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass Spielerinnen und Spieler es generell gutheißen, wenn sich die fiktiven Protagonisten vermeintlich »historischer« Computerspiele wie moderne Menschen verhalten, da sie ihr eigenes Wissen und ihre Problemlösungsstrategien in das Spiel einbringen wollen und erwarten, damit Erfolg zu haben. Sich in die Mentalität und Lebenswelt eines frühneuzeitlichen Adeligen oder eines römischen Politikers hineinzudenken mag eine verlockende Idee für Historikerinnen und Rollenspieler sein, aber die Mehrheit der Spielerinnen und Spieler erwartet, dass sich »historische« Charaktere an die Verhaltensnormen halten, mit denen sie selbst vertraut sind.58 CIVILIZATION suggeriert, dass alle Menschen, vom Jahr 4000 v. Chr. bis in die Gegenwart, in denselben nationalstaatlichen Kategorien gedacht haben, an die die Spieler selbst gewöhnt sind.59 Dieser Aspekt spricht zweifellos die Mehrzahl an Computerspielerinnen und -spielern an, die wenig Interesse haben sich auf historische Identitätsbildungsprozesse einzulassen. Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht, und insbesonders aus der Perspektive der Frühneuzeitforschung, ist das Geschichtsverständnis, das der CIVILIZATIONSerie zugrunde liegt, aber mehr als nur problematisch. Seit den 1980er Jahren hat die sogenannte modernistische Schule der Nationstheorie aufgezeigt, dass Nationen keineswegs primordiale, seit Anbeginn der Zeit existente und somit über geschichtliche Prozesse erhabene Konstanten menschlicher Existenz sind. Theoretiker wie Ernest Gellner, Benedict Anderson und der bereits erwähnte Eric Hobsbawm haben

gewiesen wird (Milligan/Murphy: Sid Meier's Civilization, S. 174), haben unverkennbare Spuren hinterlassen. 58 Grosch, Waldemar: Computerspiele im Geschichtsunterricht (Geschichte am Computer 2), Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2002, S. 76-77. 59 Kubetzky, Computerspiele als Vermittlungsinstanzen, S. 93.

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aufgezeigt, dass es sich bei der Nation um ein Konzept der Moderne handelt, von dessen Existenz man erst ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts ausgehen kann.60 In den letzten Jahren wurde verstärkt Kritik an diesem modernistischen Nationsverständnis laut. Im anglo-amerikanischen Raum war und ist es vor allem der britische Soziologe Anthony D. Smith, der die ausschließliche Schwerpunktsetzung auf das 19. und 20. Jahrhundert beanstandet und eine stärkere Berücksichtigung älterer Formen ethnischer Identität eingemahnt hat, die seiner Ansicht nach für das Verständnis moderner Nationen unerlässlich sind.61 In den deutschsprachigen Geschichtswissenschaften gilt der Schweizer Historiker Caspar Hirschi als Wortführer derjenigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die bereits für die Frühe Neuzeit, vor allem im Kontext des Humanismus, die Existenz nationaler Diskurse annehmen.62 Die Frage, ob und inwieweit »Nationen« ein legitimes Konzept zur Beschreibung von Identitätsbildungsprozessen des 16., 17. und 18. Jahrhunderts darstellen, scheint noch längst nicht ausdiskutiert zu sein und zählt zu den zentralen Problemstellungen der gegenwärtigen Frühneuzeitforschung. Dass die Nation jedoch keine überzeitliche Konstante, sondern das Resultat konkreter sozial- und ideengeschichtlicher Entwicklungen ist, ist eine in der Forschung unangefochtene Tatsache, die von keiner nationstheoretischen Denkschule in Zweifel gezogen wird. Die Vermittlung des in den Wissenschaften unbestrittenen sozialkonstruktivistischen Nationsverständnisses an eine breitere Öffentlichkeit hat sich aber stets als schwierig erwiesen. Im Alltagsdiskurs werden Nationen nach wie vor oft als archaische Gemeinschaften wahrgenommen, deren Existenz als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Dass dieser Mangel an Reflexion nationalistische und xenophobe Argumente fördert ist hinlänglich bekannt. Umso problematischer scheint es, wenn eine seit mehr als zwanzig Jahren ungebrochen erfolgreiche und außerordentlich breitenwirksame Computerspielserie ein wissenschaftlich völlig unhaltbares Bild urwüchsiger, unveränderlicher und über den Lauf der Geschichte erhabener Nationen zeichnet.

60 Vgl. Hobsbawm: Nationen und Nationalismus; Gellner: Nationalismus und Moderne; Anderson, Benedict: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt: Campus 1996. 61 Vgl. Smith, Anthony D.: »Nationalism in Early Modern Europe«, in: History and Theory 44 (2005), S. 404-415; Smith, Anthony D.: Nationalism and Modernism. A Critical Survey of Recent Theories of Nations and Nationalism. London: Routledge 1998. 62 Vgl. Hirschi, Caspar: Wettkampf der Nationen. Konstruktionen einer deutschen Ehrgemeinschaft an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Göttingen: Wallstein 2005; Hirschi, Caspar: The Origins of Nationalism. An Alternative History from Ancient Rome to Early Modern Germany. Cambridge: Cambridge University Press 2012.

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Wie soll die Frühneuzeitforschung darauf reagieren? Bleibt der Wissenschaft nur, resignierend hinzunehmen dass das Spielprinzip von CIVILIZATION Ausdruck eines unkritischen Nationsverständnisses ist, das den Charakter der Frühen Neuzeit als Sattelzeit der Nationswerdung völlig verkennt? Eine angemessene Antwort kann nicht darin bestehen, Computerspiele wie CIVILIZATION als Träger eines »falschen« Geschichtsbildes pauschal zu verurteilen. Zielführender wäre es, die Anforderungen, Traditionen und Genrekonventionen der Globalstrategie-Spiele zu würdigen und eine gleichberechtigte Synthese zwischen historischer Authentizität, gesellschaftspolitischem Bewusstsein und Spielspaß anzudenken. Den Produzenten der CIVILIZATION-Serie, Firaxis Games, scheint an einem Dialog mit den Geschichtswissenschaften durchaus gelegen zu sein – denn die »Seriosität« ihres Spieles und seine Anwendbarkeit im schulischen Geschichtsunterricht bilden einen nicht unerheblichen Teil der Marketing-Strategie.63 Anstatt penibel auf Fehler hinzuweisen, wäre es meiner Ansicht nach zielführender, sich der Stärken der frühen CIVILIZATION-Spiele zu besinnen.64 Vor allem CIVILIZATION I und II lebten von der Absurdität ahistorischer Spielsituationen: Mao Tse-tung als altorientalischer Potentat mit den Insignien eines ägyptischen Pharao oder ein nuklear hochgerüsteter Mahatma Gandhi vermittelten den Spielerinnen und Spielern, dass es sich um einen satirischen Umgang mit Geschichte handelte, der mit historischer Realität nichts zu tun haben wollte. Diese ironischen Elemente wurden in den jüngeren Versionen von CIVILIZATION weitgehend entfernt, um dadurch einen fadenscheinigen Eindruck historischer Authentizität zu erreichen. Wenn man sich, als Historiker, einen Ratschlag an Firaxis Games erlauben darf: Eine Rückbesinnung auf die Stärken des ursprünglichen CIVILIZATION I, auf die historische Farce, würde den verhängnisvollen Narrativ der unveränderlichen Nation wirkungsvoll ins Absurde ziehen und Spielerinnen und Spieler animieren, die vermeintliche Urwüchsigkeit und Unveränderlichkeit ihrer Nation zu hinterfragen. Auf diese Weise könnte CIVILIZATION weitaus eher einen positiven Beitrag zum Geschichtsbewusstsein leisten als durch alle plakativen Bemühungen, Authentizität und Realismus zu signalisieren. Video zum Tagungsvortrag: Donecker, Stefan: »Assyrian Landsknechts and Mongolian Musketeers«. URL: http://mediathek.hhu.de/watch/0c1b4374-888e-472f-8051b16c74a260e0.

63 Vgl. Kubetzky: Computerspiele als Vermittlungsinstanzen, S. 84-92. 64 Vgl. ausführlicher Donecker: Pharaoh Mao Zedong, S. 118-120.

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F ILME ANNE OF THE INDIES (1951) (USA, R: Jacques Tourneur). APOKALYPSE NOW (1979) (USA, R: Francis Ford Coppola). CAPTAIN BLOOD (1935) (USA, R: Michael Curtiz). CUTTHROAT ISLAND (1995) (USA, R: Jenny Harlen). DER PATRIOT (2000) (USA, R: Roland Emmerich; O: THE PATRIOT). PEARL HARBOR (2001) (USA, R: Michael Bay). PIRATES (1986) (Frankreich/Tunesien, R: Roman Polanski). PIRATES OF THE CARIBBEAN: THE CURSE OF THE BLACK PEARL (2003) (USA, R: Gore Verbinski). PIRATES OF THE CARIBBEAN: ON STRANGER TIDES (2011) (USA, R: Rob Marshal). STARGATE (1994) (USA, R: Roland Emmerich). THE BRIDGE ON THE RIVER KWAI (1957) (UK, USA, R: David Lean). THE SEA HAWK (1940) (USA, R: Michael Curtiz).

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M USIKALIA The End of Law – Hashisheen (Bill Laswell: Sub Rosa 1999).

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Autorinnen und Autoren

Bonner, Marc: Studium der Kunstgeschichte, Neueren Geschichte und Informationswissenschaft an der Universität des Saarlandes. Abgeschlossene Promotion zur Medialität von Architektur. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medienkultur und Theater an der Universität zu Köln. Forschungsschwerpunkte sind die Darstellung von Stadt und Architektur im Computerspiel und Film, zeitgenössische Architektur und Game-Studies. Chapman, Adam Rowan: Studium der Geschichte und Kulturgeschichte an den Universitäten Liverpool, Leeds und Hull. Ausgewiesene Publikationen aus dem Bereich ›Geschichte und Videospiele‹. Arbeitet derzeit nach seiner Dissertation als Post-Doctoral Fellow an der Universität Gothenburg über Videospiele mit historischen Inhalten. Donecker, Stefan: Studium der Geschichte und Skandinavistik an den Universitäten Wien und Florenz. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Forschungsprojekt: ›Die ›germanische Völkerwanderung‹ im Geschichtsdenken der Frühen Neuzeit.‹ Fischer, Andreas: Studium der Philosophie, Mediävistik und neueren deutschen Literatur an der Universität München. Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes; arbeitet an einer Dissertation zum Thema ›Philosophische Perspektiven auf Spiele und ludische Perspektiven auf die Philosophie zwischen Nicolaus Cusanus und Paquier Joostens (1463-1561)‹. Hassemer, Simon Maria: Studium von Geschichte und Deutsch an den Universitäten Freiburg i.Br. und Krakau. Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes; eingereichte Dissertation mit dem Titel "Das Mittelalter der Populärkultur. Medien – Designs – Mytheme". Hausar, Gernot: Studium der Geschichte und Student der Rechtswissenschaften an den Universitäten Wien, Innsbruck und Madrid. Journalist und Lehrbeauftragter an der Universität Wien, Mitarbeiter der Akademischen Hochschulentwicklung der FH

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Campus Wien. Forschungsschwerpunkte sind u.a. Digital Humanities, Informationsaustausch und -transfer, Game Studies, Informationsvisualisierung und Netzpolitik. Huber, Simon: Studium der Geschichte und Bildungswissenschaften an der Universität Wien. Diplomarbeit zum Thema der ›Spiel um historische Authentizität. Eine exemplarische Analyse zum Verhältnis von Computer, Spiel, Film und Geschichte‹. Mitorganisator der ›Future and Reality of Gaming Conference‹ (FROG) in Wien. Kılıç, Sinem Derya: Studium der Philosophie, lateinischen Philologie und Musikwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit 2011 Mitarbeiterin des Forschungsprojekts ›Peter Cornelius als Musiktheoretiker‹ an der Hochschule der Künste Bern. Forschungsschwerpunkte: antike Philosophie und ihre Rezeption, Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts sowie interdisziplinäre Forschungsfelder zwischen Philosophie, Musik, Film, Videospiel, Orientalistik und klassischer Philologie. Pfister, Eugen: Studium der Geschichte und der Politikwissenschaften an der Universität Wien und Paris. Dissertationsprojekt zum Thema ›Das Europabild in Wochenschauen nach 1945 in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Österreich‹ im Rahmen des internationalen Graduiertenkollegs ›Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20. Jahrhundert‹. Raupach, Tim: Studium der Kulturwissenschaften an der Universität Hildesheim. Zahlreiche Lehraufträge u.a. in Jena, Braunschweig und Marburg. Mitherausgeber des Sammelbandes ›Welt, Kriegs, Shooter. Computerspiele als realistische Erinnerungsmedien?‹, Boizenburg: VWH 2012. Sandkühler, Gunnar: Studium der Geschichte und Deutsch an den Universitäten Bochum und Liverpool. Arbeitsschwerpunkte sind Sprachpolitik, Bildungsgeschichte und Medien der Geschichte. Derzeit laufendes Dissertationsprojekt zur Geschichtsdarstellung im Computerspiel. Schröder, Lutz: Studium der Geschichte und Politik an der Universität Hamburg mit den Schwerpunkten internationale Beziehungen, Geschichte in Medien und Hamburg in der Neuzeit. Arbeitet derzeit an einer interdisziplinären Dissertation zur Inszensierung von Geschichtsthemen in digitalen Spielen. Schwarz, Angela: Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Siegen. Zahlreiche Publikationen und Expertisen u.a. in den Bereichen Geschichte und Videospiele, Wissenschaftsgeschichte und Popularisierung von Wissen sowie der Geschichte der Industrialisierung.

A UTORINNEN UND A UTOREN

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Stamm, Malte: Studium der Volkswirtschaftslehre, Geographie und Geschichte an den Universitäten Bonn und Düsseldorf. Forschungsschwerpunkte u.a. GameStudies und Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels. Weis, Martin Isaac: Studium der englischen Literatur an der Universität von Kalifornien, Davis. Forschungsschwerpunkt sind u.a. ›Media- and Game-Studies‹ und amerikanische Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts. Zwischenberger, Anton: Studium der Geschichte an der Universität Klagenfurt. Mitarbeiter bei Neumann & Kamp Historische Projekte in München. Forschungsschwerpunkte sind u.a. europäische Geschichte des 19. Jahrhunderts, Unternehmensgeschichte und Geschichte in den Neuen Medien.

Danksagung

Wir möchten uns sehr herzlich bei zahlreichen Personen und Organisationen bedanken, die dieses Buch überhaupt erst möglich gemacht haben. Zuallererst bei der Gesellschaft der »Freunde und Förderer der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf«, der philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der Fakultät für Kulturwissenschaften der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, deren großzügige Unterstützung die im März 2013 stattgefundene internationale Konferenz »Frühe Neuzeit und Videospiele« ermöglichte, die der Ausgangspunkt für die vorliegende Publikation war. In diesem Zusammenhang möchten wir uns auch bei der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf bedanken, die uns für diese Veranstaltung die notwendigen Räume zu Verfügung gestellt hat und eine wunderbare Gastgeberin war. Ein besonderes Dankeschön ergeht an Anja Burwitz, Jan Eikenbusch und Katharina Heitmann, die einen maßgeblichen und wertvollen Beitrag bei der redaktionellen Arbeit geleistet haben. Bedanken möchten wir uns auch bei Silvia Osada, die eine unschätzbare Hilfe in allen organisatorischen Belangen war. Die Fakultät für Kulturwissenschaften der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und der Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf haben die Drucklegung dieser Publikation großzügig unterstützt. Bei Prof. Achim Landwehr und Prof. Reinhard Stauber möchten wir uns für ihr Vertrauen und ihre Unterstützung ganz besonders bedanken. Schließlich gilt unser besonderer Dank allen AutorInnen: Ihre Ideen und Gedanken haben erheblich unsere Perspektiven auf Spiele und Geschichte erweitert, und ohne sie wäre dieses Buch niemals entstanden. Klagenfurt und Düsseldorf, im März 2014 Florian Kerschbaumer und Tobias Winnerling

Histoire Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hg.) Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945 (3., überarbeitete und erweiterte Auflage) August 2014, 398 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2366-6

Alexa Geisthövel, Bodo Mrozek (Hg.) Popgeschichte Band 1: Konzepte und Methoden Juni 2014, ca. 250 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2528-8

Bernd Hüppauf Was ist Krieg? Zur Grundlegung einer Kulturgeschichte des Kriegs 2013, 568 Seiten, kart., 29,90 €, ISBN 978-3-8376-2180-8

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Histoire Sebastian Klinge 1989 und wir Geschichtspolitik und Erinnerungskultur nach 20 Jahren Mauerfall November 2014, ca. 430 Seiten, kart., z.T. farb. Abb., ca. 38,99 €, ISBN 978-3-8376-2741-1

Felix Krämer Moral Leaders Medien, Gender und Glaube in den USA der 1970er und 1980er Jahre September 2014, ca. 430 Seiten, kart., ca. 35,99 €, ISBN 978-3-8376-2645-2

Detlev Mares, Dieter Schott (Hg.) Das Jahr 1913 Aufbrüche und Krisenwahrnehmungen am Vorabend des Ersten Weltkriegs August 2014, ca. 240 Seiten, kart., ca. 25,99 €, ISBN 978-3-8376-2787-9

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