Kulturvermittlung heute: Internationale Perspektiven [1. Aufl.] 9783839438756

How can you create creative learning environments for citizens with different socio-cultural traditions and cultural rec

227 17 1MB

German Pages 222 Year 2017

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Was, wie und für wen?
Was heisst denn schon Kulturvermittlung? Diskurs und Gesellschaft
Kulturvermittlung als Profil
Zusammenbringen, stimulieren, neu kontextualisieren, Veränderungen moderieren
Wir sind ja keine Weltverbesserungsanstalt!
Die Ausschweifungen eines Mannes, der bei dem Gedanken daran verrückt wird, dass niemals jemand jemandem etwas beigebracht hat
Skizzierungen sozialer Inklusionspraktiken
Wie soll man denn Kultur vermitteln? Praxisfelder und Methoden
Der frische Blick
Kulturvermittlung in einer bewegten Welt
Partizipation ermöglichen in der Praxis von Community Dance
Wozu Baukultur vermitteln?
Empathie – magische Zutat für Kulturvermittlung und urbane Entwicklung
Für wen denn schon Kultur vermitteln? Dialoggruppen und Forschung
Die Stadt als Bühne der BürgerInnen
Klassik fürs Hinterland
Me:ršprahigkayt in der kulturellen Bildung
Methoden der BesucherInnenforschung
Qualitative NichtbesucherInnenforschung
Anhang
The Ramblings of a Man Going Insane Over the Idea That No One Has Ever Taught Anyone Anything
AutorInnen
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Kulturvermittlung heute: Internationale Perspektiven [1. Aufl.]
 9783839438756

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NÖKU-Gruppe, Susanne Wolfram (Hg.) Kulturvermittlung heute

NÖKU-Gruppe, Susanne Wolfram (Hg.)

Kulturvermittlung heute Internationale Perspektiven

Herausgeberin: NÖ Kulturwirtschaft GesmbH. für die NÖKU-Gruppe Neue Herrengasse 10, A-3100 St. Pölten Koordination und Redaktion: Susanne Wolfram

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Renata Behncke / RBbureau.com Korrektorat & Satz: Wolfgang Delseit, Köln Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3875-2 PDF-ISBN 978-3-8394-3875-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort  | 9 Was, wie und für wen? Das Internationale Symposium Kultur vermittlung in St. Pölten Ein Rückblick und eine Einstimmung Susanne Wolfram | 13

W as heisst denn schon K ulturvermittlung ? D iskurs und G esellschaft Kulturvermittlung als Profil Thomas Gludovatz im Gespräch | 27

Zusammenbringen, stimulieren, neu kontextualisieren, Veränderungen moderieren Konzept Kultur vermittlung Birgit Mandel | 39

Wir sind ja keine Weltverbesserungsanstalt! Friederike Lassy-Beelitz im Gespräch | 49

Die Ausschweifungen eines Mannes, der bei dem Gedanken daran verrückt wird, dass niemals jemand jemandem etwas beigebracht hat Modesto Tamez | 61

Skizzierungen sozialer Inklusionspraktiken Kultur vermittlung im Spannungsfeld professioneller Ansprüche Agnieszka Czejkowska | 71

W ie soll man denn K ultur vermitteln ? P raxisfelder und M ethoden Der frische Blick Perspektivwechsel in der Kultur vermittlung Dagmar Frick-Islitzer | 91

Kulturvermittlung in einer bewegten Welt Manuela Mittasch | 103

Partizipation ermöglichen in der Praxis von Community Dance Romy Kolb im Gespräch | 115

Wozu Baukultur vermitteln? Raumwahrnehmung und Stadtgestaltung für junge Menschen Sabine Gstöttner | 125

Empathie Magische Zutat für Kultur vermittlung und urbane Entwicklung Andreas Fehr | 135

F ür wen denn schon K ultur vermitteln ? D ialoggruppen und F orschung Die Stadt als Bühne der BürgerInnen Airan Berg im Gespräch | 143

Klassik fürs Hinterland Kulturpolitik in Brasilien als Politik der Kultur vermittlung Chico César im Gespräch | 153

»Me:ršprahigkayt« in der kulturellen Bildung Eva Kolm | 163

Methoden der BesucherInnenforschung Claudia Bauer-Krösbacher/Stephanie Tischler | 173

Qualitative NichtbesucherInnenforschung Wie GelegenheitsbesucherInnen einen Theaterbesuch erleben Thomas Renz | 189

Anhang The Ramblings of a Man Going Insane Over the Idea That No One Has Ever Taught Anyone Anything Modesto Tamez | 205

AutorInnen  | 213

Vorwort Die vorliegende Publikation wendet sich an KulturvermittlerInnen, KulturmanagerInnen, Marketingfachleute sowie an alle, die kulturwissenschaftlich forschen. Das Buch dient als Nachschlagewerk und Momentaufnahme bestimmter Ausschnitte des aktuellen Kulturvermittlungsdiskurses. Die dem Buch zugrunde liegenden Veranstaltungen  – zwei internationale mehrtägige und mehrdimensionale Tagungen aus der Reihe »Internationales Symposium Kulturvermittlung« verfolgen genau diesen Zweck: PraktikerInnen und ForscherInnen, AkteurInnen aus den Bereichen Kunst, Kultur, Musik, Bildung, Wissenschaft, soziale Arbeit und Stadtentwicklung an einem gastfreundlichen Ort zusammenzubringen und gemeinsam zu bestimmten Aspekten einen Status quo der Kulturvermittlung an der Schnittstelle von Theorie und Praxis zu erarbeiten. Vor genau elf Jahren, im Sommer 2005, haben sich in Niederösterreich zunächst vier Kulturinstitutionen der NÖKU-Gruppe – die Kunsthalle Krems, das Landesmuseum Niederösterreich (heute Museum Niederösterreich), das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich und das Festspielhaus St. Pölten – ausgehend von den damaligen Kulturvermittlungsleiterinnen Bettina Büttner-Krammer, Martina Hackel, Monika Schaar-Willomitzer und Susanne Wolfram zu einem Netzwerk im Dienste der Kulturvermittlung zusammengeschlossen und begonnen, ihre Angebote für Schulen und außerschulische DialogpartnerInnen zu bündeln. Der Wunsch, sich mit ExpertInnen aus anderen Kunst- und Kultursparten zu vernetzen, Projekte zu entwickeln und Kommunika­ tionskanäle gemeinsam zu nutzen, standen dabei neben dem Bedürfnis, die eigene Arbeit im Diskurs mit anderen ProfessionistInnen zu evaluieren und aktuell zu halten.

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Vor wor t

Mittlerweile gehören weit über 20 führende Kunst-, Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen der NÖKU-Gruppe zur Plattform der NÖKU-Kulturvermittlung, die qualitativ hochwertige Vermittlungsangebote entwickelt und diese für unterschiedliche Dialoggruppen systematisch zugänglich macht. Neben der Gestaltung, Kommunikation und Distribution der Angebote nach Zielgruppen zählt die Sicherung der Qualitätsstandards innerhalb der Betriebe durch praxisorientierte Fortbildungsmaßnahmen zu den wichtigsten Aufgaben dieses Netzwerks und seiner PartnerInnen. Es handelt sich um eine lebendige Austauschplattform von PraktikerInnen mit unterschiedlichen Arbeitsfeldern und Erfahrungswelten, geeint in ihrem hohen Anspruch an Qualität, Aktualität, Kreativität, Nachhaltigkeit und (sozialer) Innovation. Durch die Vielfalt der Zugänge übergreifend über alle Kunstsparten, Wissenschaften und alle Aspekte der Alltagskultur und die f lächendeckende Nachfrage des Publikums in Niederösterreich sind Rückf luss und Erkenntnisgewinn aus dem Praxisfeld enorm. Wobei neben der inhaltlichen Breite der Ansätze auch die regionale und überregionale Reichweite durch die dezentralen Standorte der Betriebe und ihrer jeweiligen Herausforderungen im f lächenmäßig größten Bundesland Österreichs ein Alleinstellungsmerkmal darstellen. Es ist daher nur konsequent, dass die NÖKU-Kulturvermittlung seit Jahren in enger Kooperation mit Bildungseinrichtungen und Fachverbänden den aktuellen Fachdiskurs durch die Organisation von Veranstaltungen und durch Publikationen impulsgebend bereichert. Vor diesem Hintergrund müssen die Internationalen Symposien gesehen werden, bei denen sich biennal über 100 ExpertInnen aus ganz Europa und darüber hinaus beteiligen. Den VeranstalterInnen ist es mit diesem Format gelungen, trotz des großen Zustroms zu den Veranstaltungen eine Arbeitsatmosphäre zu schaffen, die intim und inspirierend, freudvoll und kreativ ist. Die Internationalen Symposien Kulturvermittlung in St. Pölten sind Tagungen, bei denen Menschen in wenigen Tagen zu PartnerInnen im Ausprobieren und Verwerfen von Konzepten und Ideen werden, wo gespielt und experimentiert wird. Es sind Tagungen, bei denen Forschung und Vermittlungspraxis in der kommunikativen und offenen Atmosphäre des Festspielhauses St. Pölten gemeinsam neue Lernorte erschließen.

Vor wor t

Mit dieser Publikation kommt die NÖKU-Gruppe einem häufigen Feedback von TeilnehmerInnen und Vortragenden nach, und sie wird damit wenige Jahre nach der ersten Konferenz im Jahr 2013 dem Wunsch derer gerecht, die bisher nicht teilnehmen konnten und sich bis heute eine Nachlese wünschen. Die Veranstaltungsreihe wird in Zusammenarbeit mit dem Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim fortgesetzt und findet alle zwei Jahre in St. Pölten, Niederösterreich, statt. Entnehmen Sie detaillierte Informationen und Termine bitte der offiziellen Website www.kulturvermittlung.net. Wien, im November 2016 Susanne Wolfram im Auftrag der NÖKU-Gruppe

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Was, wie und für wen? Das Internationale Symposium Kulturvermittlung in St. Pölten Ein Rückblick und eine Einstimmung Susanne Wolfram Seit einigen Jahren wird Kulturvermittlung von vielen als die Antwort auf verschiedenste brennende sozialpolitische Fragen angesehen. Dabei ist Kulturvermittlung ein Überbegriff, der eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Tätigkeiten beschreibt, die zwischen Produktion und Rezeption vermitteln (Mandel 2005) und damit Menschen befähigen, sich selbst in Bezug zu Kunst, Kultur und Wissenschaft zu stellen. Entsprechend dem Anspruch einer gerechten Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen werden dabei Menschen in einen Kommunikationsprozess über künstlerische, kulturelle und wissenschaftliche Inhalte involviert. Diese Kommunikationsprozesse beschränken sich längst nicht auf das Miteinanderreden über Kunst, Kultur und gesellschaftliche und wissenschaftliche Phänomene, sondern bedienen sich unterschiedlichster interdisziplinärer Methoden und Formate. Nicht nur Angebote von Kunst-, Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen, wie z. B. Führungen, Workshops, Publikumsgespräche oder Einführungen in Tanz-, Theater-, Opernproduktionen oder mediale Formen der Vermittlung wie �������������������������������stellungskataloge, Audioguides und der Einsatz neuer Technologien für Smartphones und dergleichen werden dazugezählt, sondern auch der gesamte Bereich der sogenannten Co-Creation, also Projekte, die Laien zu eigenen Prozessen der Kreation von Inhalten, zum Ausloten des individuellen Ausdrucks und zum selbsttätigen Lernen animieren, geh�� ören dazu. Darunter fallen theaterpädagogische Projekte, der Bereich der Community Art, personale Kunstvermittlung durch Kunstschaffende im schulischen und außerschulischen Projektzusammenhang, naturwissenschaftliche Science-Centers und vieles mehr.

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Susanne Wolfram

Als es darum ging, 2012 das erste Internationale Symposium Kulturvermittlung im Auftrag der NÖKU-Gruppe in St. Pölten zu planen, haben wir uns der Verhandlung des Arbeitsbereichs Kulturvermittlung über die drei Schlagworte »Soziale Inklusion«, »Partizipation» und »emotionale Intelligenz« angenähert. Die drei Begriffe sind aus der Debatte um die gesellschaftliche Verantwortung von kultureller Bildung und Kulturvermittlung spätestens seit Hilmar Hoffmanns Forderung nach »Kultur für alle« nicht wegzudenken. Die Entwicklungen im Bereich der Publikumsforschung und des Audience Developments in den letzten Jahren machen klar, dass sich hinter den drei Begriffen, die das erste Internationale Symposium Kulturvermittlung in St. Pölten untertitelt haben, ideologisch und ganz praktisch Welten verbergen. Das Symposium 2013 hat für diese gemeinsame und individuelle Ref lexion vor dem Hintergrund der kulturellen Praxis einen wichtigen Beitrag geleistet. Über 100 ExpertInnen waren bereits im ersten Jahr im Kulturbezirk der niederösterreichischen Landeshauptstadt zu Gast und aus der Auftaktkonferenz wurde ein biennales Veranstaltungsformat, das mittlerweile im Jahresplan der PraktikerInnen und TheoretikerInnen vorgemerkt ist. Im ersten Jahr mit dem Thema Inklusion zu starten, war naheliegend, wenn man im Leitbild der Veranstalterin nachliest. Die NÖKUKulturvermittlung fühlt sich dem konstruktiven Umgang mit Vielfalt und Unterschiedlichkeit verpf lichtet, welcher auf Inklusion und nicht auf Ausgrenzung setzt. Kulturvermittlung wird im Leitbild als Dialog zwischen Publikum und den künstlerischen Inhalten der jeweiligen Kulturinstitutionen definiert. Dabei gilt im Sinne der Grundhaltung von lebenslangem Lernen der Bildungsauftrag weit über das System Schule hinaus als Garant für die Heterogenität der AdressatInnen. Kulturvermittlung hat demgemäß die Aufgabe, niederschwellig und demokratisch, basierend auf gegenseitigem Respekt, persönliche Zugänge zu kulturellen und künstlerischen Inhalten zu schaffen, wobei Alter, Herkunft und persönlicher Hintergrund in der Konzeption der Ansprache und Abwicklung berücksichtigt werden, aber niemanden ausschließen sollen. Kulturvermittlung soll Bezüge herstellen, Inhalte veranschaulichen, Fragen aufwerfen, provozieren, stimulieren und neue Horizonte eröffnen. Die Bereitschaft, mit den von KulturvermittlerInnen entwickelten Programmen, Projekten und Werkzeugen die Heterogenität der

Das Internationale Symposium Kultur vermittlung in St. Pölten

Gesellschaft auch in der konkreten Kulturnutzung widerzuspiegeln, macht für viele KonferenzteilnehmerInnen das Praxisfeld zum Hoffnungsträger für eine moderne Gesellschaft des Miteinanders. Der Begriff der sozialen Inklusion positioniert sich gegen den Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen von kultureller, sozialer und politischer Mitgestaltung, er geht also weit über den notwendigen Abbau von Barrieren für Menschen mit Behinderungen hinaus. Soziale Inklusion zielt auf eine gerechte Beteiligungsmöglichkeit aller Menschen unabhängig von ihren körperlichen Voraussetzungen und ihrem biografischen und ökonomischen Hintergrund. Der Anspruch an Kulturvermittlung, Menschen entsprechend der Heterogenität ihrer Fähigkeiten und Bedürfnisse einen Zugang zum öfö�� gfentlich subventionierten Kulturbetrieb und zu den Künsten zu erm��� lichen und dahingehend Barrieren abzubauen, war bei der Konferenz übereinstimmend der Ausgangspunkt, der für den gesellschaftlichen Inklusionsbegriff angewandt wurde. Einher geht damit die zentrale Forderung nach Individualisierung des kulturellen Angebots bei der Entwicklung von zeitgemäßen Kulturvermittlungsformaten, für welche unter anderem durch Beiträge aus dem Bereich Servicedesign im zweiten Konferenzjahr methodische Wege aufgezeigt wurden. Darüber hinaus und dementsprechend wurde auf beiden Tagungen auch über den Umgang mit benötigten Ressourcen und über institutionelle Rahmenbedingungen gesprochen. Insgesamt waren 33 Vortragende aus zehn verschiedenen Ländern auf der Konferenz vertreten. Birgit Mandel, die in St. Pölten den ersten Vortrag überhaupt in der langen Reihe der Kulturvermittlungsveranstaltungen hielt, hat diesen mit dem Titel Die Brückenbauer  – Kulturvermittlung als Profession überschrieben. Als Professorin an der Universität Hildesheim ist auch sie selbst eine Brückenbauerin  – sie forscht seit vielen Jahren an der Schnittstelle von Kulturvermittlung, Kulturmanagement und Audience Development und führt ihre Forschungserkenntnisse in diversen Beratungs- und Begutachtungsgremien in die Praxis zurück. Durch ihre Tätigkeit für die Kulturpolitische Gesellschaft und den Fachverband Kulturmanagement in Forschung und Lehre, den sie begründete, hat Mandel die Entwicklungen rund um die Themenkonferenz genauestens

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im Blick und bot als erste Vortragende für die Bestandsaufnahme des weiten Arbeitsbereichs Kulturvermittlung eine umfassende Grundlage. Der Genetiker Markus Hengstschläger sprach sich in seinem viel beachteten Keynote-Vortrag sehr deutlich für eine Individualisierung in (kulturellen) Bildungsprozessen aus. Möglichst viele möglichst verschiedene Individuen im System zu haben, garantiere die besten Chancen auf dem Weg in die Zukunft. Er warnte davor, Talente zu verschleudern, indem unsere Gesellschaft zu viel Zeit und Energie auf das Ausmerzen von Defiziten auf bringe, um sich in den Durchschnitt einzureihen, anstatt Vorlieben und Fähigkeiten zu entdecken und zu kultivieren. Der preisgekrönte Wissenschaftler hielt als Branchenfremder nicht nur ein f lammendes Plädoyer für Kulturvermittlung und die Verantwortung von Kulturinstitutionen, er brachte auch die drei Themensäulen Inklusion, Partizipation und emotionale Intelligenz in einen anschaulichen Zusammenhang. Ihre eigene Bereitschaft zu partizipieren und emotionale Intelligenz konnten die TagungsteilnehmerInnen während fünf Workshops und bei zahlreichen anderen Tagungsformaten unter Beweis stellen. Es wurde experimentiert, diskutiert, gestritten, kreiert, Blickwinkel wurden verschoben, Muskeln verrenkt und viel gelernt. Jane Hackett und Modesto Tamez brachten in ihren groß angelegten Projektpräsentationen durch Einblicke in ihre Arbeit in Großbritannien bzw. den USA zum Ausdruck, wie der Anspruch der sozialen Inklusion unterschiedlicher, aber genau adressierter Gruppen zu interessanteren künstlerischen Ergebnissen und zu einer gerechteren Teilhabe an kulturellem Wissen und Kunstproduktion führen. Während Tamez die KonferenzteilnehmerInnen nicht nur an seiner jahrzehntelangen Erfahrung im Bereich der Wissenschaftsvermittlung im Exploratorium in San Francisco teilhaben ließ, sondern auch in zwei spannende praktische Workshops inkludierte, stellte die primär in London am Sadler’s Wells Theatre tätige Choreografin und Kulturvermittlerin Jane Hackett ihre Arbeit in Großbritannien und deren Auswirkungen vor und setzte diese auch mit einer mit über 100 Laien in St. Pölten erarbeiteten Tanzproduktion in Zusammenhang, deren Premiere auf der großen Bühne des Festspielhauses St. Pölten den stimmungsvollen Ausklang der ersten Konferenz darstellte. Das präsentierte Projekt alles bewegt wurde in einer Studie von Kulturanthropologin Manuela

Das Internationale Symposium Kultur vermittlung in St. Pölten

Mittasch evaluiert, deren Ergebnisse in der vorliegenden Publikation erstmals in Auszügen der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Christoph Lang und Blanka Siska von der Schweizer Hochschule Luzern verknüpften in ihrem Workshop Diversität und neue Methoden der Musikvermittlung. Martina Winkel gab Einblicke in ihre Arbeit als kulturvermittelnde Stadtentwicklerin und zeigte an verschiedenen Konzepten für das Programm Europäische Kulturhauptstadt auf, dass kein Mensch zurückgelassen werden muss, wenn es darum geht, kulturelle Orte der Begegnung zu definieren und zu gestalten. Anne Bamford, die für die UNESCO die bisher größte weltweite Studie zur Wirkung kultureller und künstlerischer Bildung geleitet und unter dem Titel The wow Factor: Global research compendium in the impact of the arts in education (2006) veröffentlicht hat, machte besonders den Zusammenhang von Kulturvermittlung und emotionaler Intelligenz deutlich. Sie betonte vor allem die Schärfung des Sinns für Kontextualisierung des Individuums in der Gesellschaft. Die Verbundenheit und Beziehung zueinander bzw. mit der Umgebung entwickeln sich laut ihrer Studie in der Auseinandersetzung mit künstlerischen Inhalten bzw. Methoden am stärksten. Künstlerische und kulturelle Bildung leiste einen direkten Beitrag zur intellektuellen Entwicklung von Kindern. Die Künste repräsentieren dabei ein sehr praxisnahes Sichtbarmachen des Denkens und Fühlens. In diesem Sinne sind die Künste wertvolle Partnerinnen in der Entwicklung des kritischen Denkens und für andere Lernformen. Qualitätsvolle Kunst und kulturelle Bildung kann SchülerInnen darin fördern, kreativ zu lernen, Entscheidungen zu treffen, die Richtung des eigenen Lernens selbst zu bestimmen, Strategien zur Problemlösung zu finden, ihre Imagination zu nutzen, zu lernen, wie und warum sie lernen. Agnieszka Czejkowska, Professorin an der Karl-Franzen-Universität Graz, sprach über Methoden der Professionalisierung und Evaluierung der Arbeit von KulturvermittlerInnen aus dem Blickwinkel der Bildungsforschung. Die erfahrenen PraktikerInnen Dagmar Frick-Islitzer, Susanne C. Jost, Romy Kolb und Michael Kren gaben Einblicke in Methoden der Vermittlung von bildender Kunst, Tanz und in die Filmvermittlung bzw. den Einsatz von filmischen Mitteln in der Kulturvermittlung mit

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Jugendlichen und stellten diese Methoden den KonferenzteilnehmerInnen aus verschiedensten Sparten zur Diskussion. All diese Einblicke dienten 2013 einer umfassenden und teilweise überraschenden Vermessung des Praxisfelds Kulturvermittlung, das sich längst von klassischen Führungsformaten in Museen und Ausstellungshäusern oder Einführungsgesprächen und Programmheftgestaltung im Bereich der darstellenden Künste emanzipiert hat und einer übergeordneten gesellschaftspolitischen Aufgabe nachkommt. Oder etwa nicht? Die Präsidentin des Österreichischen Verbands für KulturvermittlerInnen Friederike Lassy-Beelitz lieferte in unterschiedlichen Konstellationen und Diskussionsformaten bei beiden Konferenzen Denkanstöße zur gesellschaftlichen Verantwortung von Kulturvermittlung und zum Trend der Quantifizierung. Sie mahnt aber zur Vorsicht, wenn es darum geht, das Arbeitsfeld im Dienste einer öffentlichen Legitimation mit Wirkungsannahmen und Transfererwartungen aufzuladen, die die Praxis insbesondere im Bereich Museen und Ausstellungen nicht immer einlösen kann. Grund genug, sich nach der Bestandsaufnahme und der Skizzierung der Möglichkeiten des Berufsfelds in der folgenden Konferenz mehr mit der RezipientInnenseite auseinanderzusetzen. Der von Frick-Islitzer geforderte Perspektivenwechsel, die Impulse zu Qualitätskriterien und Herausforderungen des Berufsfelds, unterfüttert mit den Ergebnissen der Forschung von weltweit anerkannten WissenschaftlerInnen wie Hengstschläger und Bamford über die Auswirkungen von kultureller Teilhabe, und die vielfältig aufgezeigten Methoden, dialogisch mit BürgerInnen jeden Alters in einen künstlerischen Prozess zu kommen, veranlassten uns, das zweite Internationale Symposium ganz der Frage zu widmen, für wen denn nun Kulturvermittlung eigentlich vorgesehen ist. Die Fragen, wie gut bekannt die Bedürfnisse und Anliegen von Zielgruppen und DialogpartnerInnen den VermittlerInnen wirklich sind, welche Rolle Standort und Entstehungsgeschichte der Kulturinstitutionen für die Inhalte und den methodischen Zugang unserer Vermittlungsarbeit spielen und ob sich veränderte demografische Bedingungen in den Projekten und Angeboten widerspiegeln, wurden im zweiten Symposium ebenso ausführlich behandelt wie die Frage nach der Qualität der Beziehungsarbeit mit dem Publikum.

Das Internationale Symposium Kultur vermittlung in St. Pölten

Theatermacher, Regisseur und Stadtentwickler Airan Berg hat in seinem  – musikalisch vom Akkordeonisten Otto Lechner umrahmten – Keynote-Vortrag 2015 ein bildgewaltiges Plädoyer für gegenseitige Wertschätzung und Neugierde und die Künste als Vehikel der Stadtentwicklung geliefert und Beispiele für BürgerInnenbeteiligung an künstlerischen Prozessen aus ganz Europa vorgestellt, bei denen ganze Städte durch künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum zum Erblühen gebracht wurden. Im Interview hat sich der viel beschäftigte Kosmopolit noch einmal für das vorliegende Buch die Zeit genommen, seine Erfahrungen zu ref lektieren. Die Themensäulen Stadtentwicklung, Randgruppenarbeit, Internationalität und Migration und die qualitative BesucherInnenforschung verhalfen an den zwei Tagen in St. Pölten den KonferenzteilnehmerInnen zu einem differenzierten Blick auf das wichtigste Gegenüber der Kulturvermittlung: das bestehende und das zu gewinnende Kulturpublikum. Monica Delgadillo Aguilar stellte in ihrem bewegten Vortrag das Kunst- und Sozialprojekt Tanz die Toleranz vor, bei dem Menschen unterschiedlichster Herkunft über die Kunstform Tanz miteinander in Berührung kommen, und sprach unter anderem über die Auswirkungen der Initiative auf die umliegenden Stadtviertel und die Erwartungen und Bedürfnisse ihrer vielfältigen TeilnehmerInnen, bevor sie rund 200 KonferenzteilnehmerInnen kurzerhand für einen Mini-Community-Dance-Workshop ins Foyer des Festspielhauses bat. Die Themen Change Management und das Hinterfragen von eigenen Handlungs- und Denkmustern sowie den dahinterstehenden Kulturbegriffen im Zusammenhang mit Kulturvermittlung brachte Eric Lynn, der in Berlin lebende Coach und Gründer von CultureQs, mit einem Spiel in die Konferenz ein, das im Sinne der Vernetzung einen wertvollen Nährstoff für Offenheit und neue Denkansätze geliefert hat. In die gleiche Kerbe schlugen die promovierte Volkswirtin und Designerin Magdalena Malachowska und Belina Raffy, Lebenskünstlerin nach Eigendefinition, die Methoden des Design Thinking und Servicedesign im einen und Techniken des Improvisationtheaters im anderen Fall gekonnt mit den Themen der Konferenz verwoben und so zu einem inspirierenden und vertrauensvollen Miteinander der TeilnehmerInnen beitrugen.

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Einen fundierten Beitrag zum Thema Migration und Randgruppenarbeit lieferte Eva Kolm, Beraterin für Kulturvermittlung bei Kultur Kontakt Austria, indem sie Einblicke in bundesweite Programme ihres Arbeitgebers lieferte. Ida Bals und Chico César, Corinne Micallef und Connal Kelleher teilten ihre Erfahrungen in verschiedenen Praxisfeldern von Kulturvermittlung, die jeweils in großer Nähe zur Zielgruppe entwickelt wurden und werden. Das Frauenmuseum in Hittisau, Vorarlberg, an dem Ida Bals die Kulturvermittlungsabteilung leitet, ist für seine intensive Auseinandersetzung mit dem Publikum bekannt. Ida Bals leitete einen viel beachteten und methodisch äußerst interessanten Workshop, für den sie viele Originalexponate aus Vorarlberg nach St. Pölten mitgebracht hatte. Auf der anderen Seite der Praxisgespräche stand das brasilianische Hinterland, wo César in Paraíba ein großes Musikvermittlungsprojekt und ein Zentrum für kulturelle Bildung initiiert hat, während Micallef und Kelleher die Arbeit der internationalen Kulturinitiative Phakama im Workshop Mapping Our Worlds vorstellten. Vom »Sich-verzeichnen« auf der Landkarte der Kulturen der Welt, wie es in diesem Workshop – ohne allerdings direkte Anleihen bei der von der Wiener Künstlerin und Kulturvermittlerin Mikki Muhr (Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien [mumok]) entwickelten Methode »Sich-verzeichen« zu nehmen – musikalisch und tänzerisch passierte, ist es nicht mehr weit zu der spannenden Suche nach dem Zusammenhang zwischen Stadtentwicklung und Kulturvermittlung, die eine der thematischen Säulen des Symposiums 2015 war und von der These ausgeht, dass kulturelle Teilhabe die Identifikation der Beteiligten mit ihrem Lebensumfeld und ihrer Stadt erhöht. Mit der von Lefebvre aufgeworfenen Frage nach dem »Recht auf Stadt« und ihrem Zusammenhang mit Kulturvermittlung haben sich in verschiedenen Formaten wie Workshops, Vorträgen und Diskus­ sionsrunden die Architektin, Stadt- und Landschaftsplanerin und Raumforscherin Sabine Gstöttner, die Obfrau der Initiative Baukulturvermittlung für junge Menschen (bink) Barbara Feller, die Regisseurin Nehle Dick, der Citymanager und Servicedesigner Andreas Fehr, die Soziologin Katharina Auer und der Musiker, Kurator und Kunstschaffende Andreas Fränzl auseinandergesetzt. Seit einigen Jahren wächst das wissenschaftliche Interesse am Kulturpublikum stetig, und auch Kulturbetriebe und die Kulturpolitik be-

Das Internationale Symposium Kultur vermittlung in St. Pölten

ginnen zunehmend, sich nicht nur seitens des Angebots, sondern auch von der NutzerInnenseite mit Fragen der Relevanz auseinanderzusetzen. Der Druck, die behaupteten Wirkungen von Kulturnutzung empirisch zu bestätigen, um nicht zuletzt Argumente zur Aufrechterhaltung und Förderung kultureller Angebote zu liefern, wächst (vgl. Klein 2016). Dies setzt aber voraus, dass Kulturbetriebe und die empirische Publikumsforschung (noch) näher zusammenrücken. Auch hierzu konnte 2015 beim Internationalen Symposium Kulturvermittlung eine Brücke geschlagen werden. Um Arbeitsfelder, Zielgruppen und das Wissen über die Bedürfnisse, Lebensrealitäten, Motive und Barrieren von Kulturnutzung auch wissenschaftlich in den Blick zu bekommen, hat Kulturwissenschaftler Thomas Renz in einem fundierten Vortrag seine neuesten Studien­ ergebnisse zur qualitativen NichtbesucherInnenforschung präsentiert und anschließend gemeinsam mit Claudia Bauer-Krösbacher von der IMC Fachhochschule in Krems an der Donau in einem Workshop verschiedene Methoden der Erhebung von validen Informationen im Rahmen der BesucherInnenforschung vorgestellt. Ein großer Teil der auf der Konferenz vorgestellten Inhalte liegt nun erstmals in Buchform vor. Ich habe mich bewusst entschieden, die einzelnen Beiträge nicht analog zur Chronologie der Konferenzen anzuordnen, sondern inhaltlich zusammenzustellen. Allen BeiträgerInnen sei mein herzlicher Dank ausgesprochen, dass sie sich auf das gemeinsame geistige Wiederaufsuchen und Weiterdenken der Konferenzinhalte eingelassen und so zu dieser Vertiefung und Ergänzung zu den Internationalen Symposien Kulturvermittlung 2013 und 2015 beigetragen haben. Das Buch ist eine Nachlese und eine Einstimmung gleichermaßen. Sie werden viele Inhalte finden, die eine Zusammenfassung des Status quo sind, auf den sich Theorie und Praxis im Feld Kulturvermittlung bereits verständigt haben, aber es wird auch mancher Standpunkt neu und unerhört in ihren Ohren klingen. Ich bin überzeugt, dass die Erfahrungsberichte, Forschungsergebnisse und Momentaufnahmen aus der unterschiedlichen künstlerischen Kulturvermittlungspraxis einen sehr guten Einblick in das Tätig-

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keitsfeld bieten und Lust auf die kommende Konferenz machen, die sich unter dem Titel Was kann Kulturvermittlung? noch einmal deutlicher der – auch in diesem Buch – strittigen Frage der gesellschaftlichen Verantwortung von Kulturvermittlung annimmt. Die Themenbereiche Community Building, Stadtraumentwicklung und gesellschaftliche Verantwortung von Kulturvermittlung werden aus sehr unterschiedlichen Blickpunkten besprochen und bearbeitet. Die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Kulturpraxis zielt dabei auf eine vielfältige praktische Anwendbarkeit der Tagungsergebnisse ab. Nach zwei vorangegangenen Symposien zu den Leitfragen »Was heißt schon Kulturvermittlung?« (2013) und »Für wen denn schon Kulturvermittlung?« (2015) legt das kommende Symposium den Fokus auf die gesellschaftliche Verantwortung von Kulturinstitutionen für die Stadt und das Umfeld, in dem sie verortet sind. Es fragt danach, welchen Beitrag Kulturvermittlung zur Identitätsstiftung einzelner Gruppen und Milieus in einem Stadtteil, einer Stadt oder einer Region leisten kann. Über Strategien des Audience Development hinaus geht es dabei um die Frage, wie Kulturinstitutionen sich selbst vielfältiger positionieren, für neue AkteurInnen, Laien und die Communities im Umfeld öffnen und sich gemeinsam mit diesen verändern können. Die verschiedenen Konzepte und aktuellen Diskurse von Audience Development, Community Engagement und partizipatorischen Projekten sowie die sich daraus ergebenden Strategien der Kulturvermittlung sollen analysiert und anhand aktueller Beispiele in Bezug auf ihre praktische Umsetzung diskutiert werden. Die nächste Konferenz findet in Zusammenarbeit mit dem Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim Ende Januar 2017 in St. Pölten statt. Ich freue mich, dort mit Ihnen weiter nachzudenken und zu gestalten!

L iter atur Bamford, Ann (2009): Der wow-Faktor: Eine weltweite Analyse der Qualität künstlerischer Bildung. 2. Auf l. Münster. Czejkowska, Agnieszka/Ortner, Rosemarie/Thuswald, Marion (Hg.; 2015): facing differences. Materialien für differenzsensible Vermittlung in pädagogischer Aus- und Weiterbildung. Wien.

Das Internationale Symposium Kultur vermittlung in St. Pölten

Höhne, Steffen/Bünsch, Nicola/Ziegler, Ralph Philipp (Hg.; 2011): Kulturbranding III. Positionen, Ambivalenzen, Perspektiven zwischen Markenbildung und Kultur. Leipzig (Weimarer Studien zu Kulturpolitik und Kulturökonomie 7). Hoffmann, Hilmar (1981): Kultur für alle. Perspektiven und Modelle. Frankfurt am Main. Klein, Armin (2001): Kulturmarketing. München. Ders. (2016): Geleitwort. In: Patrick Glogner-Pilz/Patrick S. Föhl (Hg.): Handbuch Kulturpublikum. Forschungsfragen und -befunde. Wiesbaden, S. 23. Mandel, Birgit (Hg.; 2005): Kulturvermittlung zwischen kultureller Bildung und Kulturmarketing. Eine Profession mit Zukunft. Bielefeld. Dies. (Hg.; 2008): Audience Development, Kulturmanagement, kulturelle Bildung. Konzeptionen und Handlungsfelder der Kulturvermittlung. München. Renz, Thomas (2016): Nicht-Besucherforschung. Die Förderung kultureller Teilhabe durch Audience Development. Bielefeld.

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W as heisst denn schon K ulturvermittlung ? D iskurs und G esellschaft

Kulturvermittlung als Profil Thomas Gludovatz im Gespräch mit Susanne Wolfram Geschäftsführer Thomas Gludovatz gibt einen Einblick in die Rahmenbedingungen und die Auswirkungen des Internationalen Symposiums Kulturvermittlung, das seit 2013 biennal am von ihm geleiteten Festspielhaus St. Pölten stattfindet. Der 46-jährige Jurist und Marketingexperte ist seit 2006 Geschäftsführer des Festspielhaus St. Pölten und hat dort mit mittlerweile drei künstlerischen LeiterInnen, der Wiener Agentur Brainds und einem Großteil seiner MitarbeiterInnen am Branding des Hauses gearbeitet, bei dem Kulturvermittlung und die partizipative Entwicklung neuer Zielgruppen die wichtigsten Säulen darstellen. Im Gespräch erklärt er, warum ein zeitgemäßer Kulturbetrieb die Waage halten muss zwischen schwarzen Zahlen und seiner Vision, welches Entwicklungspotenzial in der Kunstrezeption im ländlichen Raum noch liegt und was wir von London lernen können. Thomas Gludovatz hat die Idee, in St. Pölten eine internationale Fachkonferenz für Kulturvermittlung umzusetzen, von Anfang an unterstützt und beschreibt hier auch seine Schlüsselmomente im ersten Symposiumsjahr. Wie sind die organisatorischen Rahmenbedingungen in Niederösterreich? Das Land Niederösterreich hat mit der NÖKU-Gruppe eine der erfolgreichsten europäischen Kulturmanagementorganisationen gegründet, in der aktuell zwölf Gesellschaften und rund 30 Ausstellungs- und Veranstaltungsbetriebe zusammengefasst sind. Hier werden eine Vielzahl von künstlerischen und wissenschaftlichen Aktivitäten des Bundeslandes Niederösterreich insbesondere in den Bereichen Musik, Theater, Tanz, bildende Kunst, Landeskunde und Geschichte konzipiert und umgesetzt.

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Thomas Gludovat z im Gespräch mit Susanne Wolfram

Als man 1999 begonnen hat, Kulturagenden auszugliedern, d. h. aus der öffentlichen Verwaltung herauszunehmen, um eine privatwirtschaftliche Struktur mit privaten Gesellschaftern aufzubauen, gab es drei ursprüngliche Zellen: die Niederösterreichische Kulturszene Betriebs GmbH, damals mit dem Festspielhaus St. Pölten und dem Klangturm, die Kunsthalle Krems Betriebs GmbH mit den Standorten Kunsthalle Krems in einer alten Tabakfabrik und der Minoritenkirche in Krems sowie die Donaufestival GmbH mit dem zu dem Zeitpunkt wirtschaftlich unter Druck geratenen Donau­festival. Die Kulturabteilung des Landes, allen voran deren Leiter Joachim Rössl, der gemeinsam mit dem damaligen Geschäftsführer der Niederösterreichischen Kulturszene GmbH, Jürgen Bauer, und der Landespolitik, hat ein Modell erarbeitet, das einerseits strategische Planbarkeit des Handels gewährleisten und andererseits eine Abkehr von einer reinen Kameralistik bedeuten sollte. Dies war auch von der Idee geprägt, dass die Politik zwar die Prioritäten durch den organisatorisch-wirtschaftlichen Rahmen vorgibt, nicht aber in irgendeiner Form auf die inhaltliche Ebene einwirkt. Unabhängiges Handeln, Planbarkeit, steuerliche Vorteile und Fortschreibung von Fördermitteln in die Folgeperioden waren die großen Stichworte zur Zeit der Gründung der NÖKU-Gruppe. Zu Beginn war die NÖKU-Gruppe bewusst von monetären und quantitativen Kennzahlen dominiert. Eine eigene kulturelle Identität war zu diesem Zeitpunkt noch nicht ablesbar. Mit dem schnellen Wachstum und der rasanten Entwicklung der NÖKU-Gruppe wurde klar, dass sie nicht mehr nur in quantitativen Kennzahlen messen kann, sondern auch eine Vision brauchen würde. Parallel dazu haben sich in dieser Zeit schon einzelne Tochterbetriebe im Bereich Kulturvermittlung stark positioniert. Neben den klassischen übergreifenden Bereichen wie Buchhaltung, Rechnungswesen, IT, Ausschreibungswesen und Personalentwicklung formulierte man nun bewusst als Konzern einen inhaltlichen Leitfaden. Da man erkannt hatte, wie schnell die Kulturvermittlung in den Betrieben an Bedeutung gewonnen hat, wurde das Thema Kunst- und Kulturvermittlung zum Thema und somit zu einem zentralen Anliegen der NÖKU-Gruppe gemacht. Heute formuliert die NÖKU-Gruppe diesen Gedanken folgendermaßen: Wir verstehen uns nicht nur als eigenständige Organisation mit

Kultur vermittlung als Profil

dem Fokus auf das Kulturmanagement, sondern sehen uns darüber hinaus als kompetenten Partner des Landes Niederösterreich in kulturpolitischen und kulturellen Grundsatzentscheidungen. Als moderne Kulturmanagementorganisation übernimmt die NÖKU-Gruppe eine Themenführerschaft in den Bereichen Kunst- und Kulturvermittlung sowie kulturtouristische Angebotsentwicklung und sieht sich als eine der wesentlichen Botschafterinnen der Marke Niederösterreich. Es ist daher äußerst erwähnenswert, dass die NÖKU-Gruppe jetzt alle zwei Jahre Geldmittel zur Verfügung stellt, um damit ein großes, praxisnahes, wissenschaftliches Symposium auf die Beine zu stellen. Es wird somit nachhaltig Geld in Ausbildung und Qualitätssicherung investiert. Was sind die Erfolgsfaktoren für Kulturvermittlung in Niederösterreich und warum haben das Land und die NÖKU-Gruppe solch konsequente Weichenstellungen veranlasst? Offenbar hat man in Niederösterreich, das demografisch ohne Wien gar nicht zu denken ist, lange die Meinung vertreten, dass man, wenn man kulturell hochstehende Angebote wahrnehmen möchte, nach Wien fahren muss. Dabei darf man nicht außer Acht lassen, dass der Sitz der niederösterreichischen Landesregierung bis zur Entscheidung der Hauptstadtfrage per Volksbefragung 1986 in Wien war. Und das hatte zwei Effekte: Erstens wurden die niederösterreichischen Betriebe durch die Dezentralität der Standorte und die Weite des Landes dazu gezwungen, besser zusammenzuarbeiten, um ein starkes Netzwerk aufzubauen. Zweitens gibt es in Niederösterreich den Wunsch nach Formaten in der unmittelbaren topografischen Umgebung und in Abgrenzung zu Wien. Wir reden in der NÖKU-Gruppe immer von Kulturvermittlung und meinen damit alle Formen von Kultur: Kunstvermittlung, Wissenschaftsvermittlung, Musikvermittlung, Architektur- und Geschichtsvermittlung, genreübergreifend, interdisziplinär, interkulturell und am besten international. Insofern sehen viele Betriebe in der Kulturvermittlung eine der Grundaufgaben ihrer Tätigkeit. Initiativen wie das Tonkünstler-Projekt Seid umschlungen, Millionen mit 500 ChorsängerInnen oder das große Tanzprojekt alles bewegt im Festspielhaus St. Pölten 2013 sind beispielhaft für diese Grundaufgabe von Kultur, nämlich einen Rahmen anzu-

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bieten, in dem die Menschen sich ihre zwischenmenschlichen Beziehungen gestalten. Wenn man das Beispiel Community-Arbeit hernimmt, wo man mit Laien auf verschiedenen Ebenen zusammenarbeitet und sie zunächst einmal unter Anleitung kreativ sein lässt, dann entstehen natürlich auch Dinge wie KundInnenbindung und ein erhöhter Kaufwunsch der KundInnen. Das darf aber nicht der Ansatzpunkt sein. Zuerst muss immer ein sinnstiftendes Moment gefunden werden. Das Spezifische an der Kulturvermittlung ist, dass es um sinnstiftende Beziehungen und um inhaltliche Arbeit geht. Und erst dann, wenn diese Sinnstiftung stattgefunden hat, wenn sich die Leute mit einer Institution wie z. B. dem Festspielhaus St. Pölten identifizieren, dann sind sie vielleicht auch einmal bereit, Werbedrucksorten mitzunehmen und aus eigener Überzeugung heraus aufzulegen. Umgekehrt wird das nicht funktionieren, jemandem, der dreimal da war, ein Paket Folder in die Hand zu drücken und um eine Verteilung zu bitten. Dafür muss zuerst eine eigene innere Motivation und Identifikation mit dem Produkt vorliegen. Du beschreibst Kulturvermittlung in Abgrenzung zum Marketing als ein Arbeitsfeld, wo inhaltlich gearbeitet wird. Also ist das Generieren von kulturellem Wissen, kritischem Denken oder auch von Kulturfertigkeiten in der Auseinandersetzung mit Kunstwerken ein Spezifikum dieser Arbeit, die das Marketing oder auch die Kommunikationsabteilungen so nicht leisten können. Das ist sinnstiftend für die teilnehmenden Laien, gleichzeitig ist es auch sinnstiftend für die NÖKU-Gruppe, da sie dadurch zur kulturellen Nahversorgerin wird und die kulturelle Identität abseits von Wien im Bundesland stärkt. Das müsste man herunterbrechen auf den Bedarf der einzelnen Betriebe der NÖKU-Gruppe. Im Festspielhaus St. Pölten mit dem Museum Niederöstereich und dem Klangturm, dem Landesarchiv und der Landesbibliothek, die im eher sterilen Kulturbezirk angesiedelt sind, also auf einem Gelände liegen, das im Zuge der Hauptstadtwerdung am Reißbrett entstanden ist und fast nur aus spektakulären Architekturen besteht, ist der Bedarf ganz konkret. Man muss das Haus so attraktiv machen, dass Menschen das Bedürfnis haben, hinzukommen. Das ist mit drei, vier Events, wo dann punktuell 5 000 Menschen am Platz sind, nicht machbar.

Kultur vermittlung als Profil

Das Festspielhaus St. Pölten ist trotz des erfolgreichen Gastspiel- und Abendbetriebes nicht rund um die Uhr belebt. Da gilt es, Angebote zu formulieren, die Menschen dazu bewegen, täglich hierherzukommen und mit Profis zu singen, zu tanzen und zu musizieren. Im Moment kommen wöchentlich über 120 Menschen ins Haus, um mit KünstlerInnen auf dauerhafter Basis zu arbeiten; und das über das ganze Jahr und seit fünf Jahren. Diese Menschen empfinden das Haus als ihre künstlerische Heimat. Da beginnt dann auch etwas zu wachsen, das die Architektur des Hauses nie leisten könnte. Die Römerstadt Carnuntum wird demgegenüber ganz andere Zielsetzungen haben als die Bühne Baden oder das Landestheater Niederösterreich. In St. Pölten rollt eine ganze Welle an Projekten an, die BürgerInnen einbeziehen. Das Festspielhaus St. Pölten, das Landestheater Niederösterreich mit dem Bürgertheater und auch das Tonkünstler-Orchester leisten mittlerweile diese Art von Projektarbeit. Der US-Autor Malcom Gladwell sagt, dass man positive Mundpropaganda gestalten kann, wenn es gelingt, in einer Community ein Hundertstel der Bevölkerung von sich zu begeistern. Das würde für St. Pölten mit seinen bald 60 000 EinwohnerInnen bedeuten, dass 600 Menschen erreicht werden müssen, um eine positive Mundpropaganda zu bewirken. Der Förderverein des Kulturbezirks allein hat schon fast 600 Mitglieder, und viele der Fördervereinsmitglieder nehmen an Laienprojekten teil. Dazu kommen mehr als 1 500 AbonnentInnen und Zehntausende SchülerInnen und SeniorInnen, die im Museum Niederösterreich jährlich ein- und ausgehen. Daraus lässt sich schließen, dass die Verankerung des Kulturbezirks in Zukunft eine ganz andere sein wird, als das am Anfang der Fall war. Städtebaulich ist das ein Jahrzehnteprojekt, bis die Stadt so weit gewachsen ist, dass der Kulturbezirk dem Stadtzentrum zugerechnet wird. Aber allein von der Empfindung her tut sich jetzt schon sehr viel. Das Festspielhaus St. Pölten ist wahrscheinlich im deutschsprachigen Raum eines der ersten Mehrspartenhäuser, das sich bewusst und über Jahre hinweg einem Markenbildungsprozess zur Schärfung des eigenen Profils ausgesetzt hat, in dem alle MitarbeiterInnen und Stakeholder eingebunden waren. Welche Überlegungen stecken dahinter?

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Ein Gastspielhaus, das kein Ensemble und keine Tanzkompanie hat, das kein produzierendes Haus ist und maximal koproduziert  – wie schafft man es, in einem solchen Haus eine starke Marken-Identität aufzubauen, und zwar eine Identität, die auch unabhängig sein muss von den jeweils agierenden Personen? Was mich immer fasziniert und gleichzeitig irritiert hat, waren IntendantInnenwechsel in Kulturbetrieben, die Institutionen oft komplett umgekrempelt haben. Im Extremfall wurden bei derartigem Anlass drei Viertel der Belegschaft ausgetauscht und künstlerische Konzepte, die über Jahre und Jahrzehnte aufgebaut wurden, verworfen und am nächsten Tag neu gedacht. Auf diese Art werden zwar verstaubte Strukturen durchgeblasen und Raum für Neues geschaffen, anderseits geht dadurch aber auch wichtiges Know-how verloren. Dem Branding-Prozess lag also folgende Idee zugrunde: Was kann uns überhaupt dauerhaft ausmachen? Und da haben wir die Wiener Markenagentur Brainds und Peter Deisenberger an Bord geholt, der nicht nur, aber auch im kulturellen Bereich Erfahrung mitbrachte. Es wurden mehrere Varianten entwickelt und letztlich einigten wir uns auf eine Mischung aus zwei Prototypen: ein Vermittlungshaus einerseits und ein Betrieb, der einen enormen Serviceanspruch für seine KundInnen hat, andererseits. Weil ja auch Vermittlung einen ganz starken Servicecharakter hat, passen die beiden Richtungen gut zusammen. Nun haben wir die spezielle Situation, dass in der NÖKUGruppe ein künstlerisch-wissenschaftliches Rahmenkonzept vorliegt, das die künstlerischen Wirkungsbereiche der Institutionen festlegt. Die Zuständigkeit für gewisse Genres sind den einzelnen Häusern entsprechend vorgegeben – auch um zu verhindern, dass die Betriebe sich gegenseitig kannibalisieren. Sinnlose Konkurrenz zu schaffen, stünde im Widerspruch zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Fördermitteln. An dieses Rahmenkonzept sind die Tochterbetriebe und die künstlerischen Leitungen seitens der NÖ Kulturwirtschaft GesmbH. gebunden. Das Festspielhaus St. Pölten hat mit dem Markenkonzept eine weitere Richtlinie dazubekommen. Dieses liegt in schriftlicher Form vor und wird jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin ausgehändigt. Das Markenkonzept ist auch für die künstlerischen LeiterInnen bindend. Es soll gewährleisten, dass man nicht zehn Jahre oder länger in eine Richtung läuft, um dann umzudrehen und wieder von vorne zu beginnen. So ist das Thema Kulturvermittlung hier schon sehr stark verankert.

Kultur vermittlung als Profil

Die Markenstrategie wurde der Generalversammlung vorgelegt und von den GesellschafterInnen einstimmig beschlossen. Sie wurde also wirklich auch auf eine formale Ebene gehoben, damit sie exekutierbar ist. Das bedeutet sehr viel Überzeugungsarbeit gegenüber den GesellschafterInnen. Wichtig ist, dass es kein rein intellektuelles Konzept sein kann, es muss auch gewisse Konkretisierungen in finanziellen oder wirtschaftlichen Größenordnungen beinhalten. Ein Vermittlungsprojekt ist sehr selten ein Projekt mit hohen Deckungsbeiträgen oder großen finanziellen Erfolgen, vielmehr ist es eine Investition. Seit Ende des Brandingprozesses gibt es im Festspielhaus St. Pölten darüber hinaus auch ein Markenteam. Dabei handelt es sich um den betriebsinternen Wächter des Schatzes Kulturvermittlung. Diese Arbeitsgruppe bricht die Ziele von der Metaebene herunter, schnürt ganz konkrete Maßnahmen und Arbeitspakete und bringt diese als exakt definierte Aufträge in die Abteilungen. Und wir blicken auch regelmäßig auf die Fragestellungen zurück, die wir zu Beginn formuliert hatten, und adaptieren sie in Form von Zwischenschritten. Kannst du uns deine Philosophie für eine Programmatik, die im Sinne einer zeitgemäßen Kulturinstitution künstlerische Produktion, Kulturvermittlung und Kulturmarketing gleichberechtigt vor dem Hintergrund der Bedürfnisse des Publikums zusammenbringt, erläutern und deine Zusammenarbeit mit den künstlerischen LeiterInnen diesbezüglich? Sei dir deiner Wurzeln bewusst! Sei authentisch vor Ort und engagiere dich in deinem unmittelbaren Umfeld! Dies aber nicht ohne einen sehr klaren Zusatz: Vor allem in Niederösterreich, einem Land mit einer starken agrarischen Vergangenheit, gehört zu dem regionalen Bekenntnis ein großer internationaler und auch interkultureller Weitblick dazu. Sonst ist man bald seine eigene Referenz und alles Künstlerische bekommt den Beigeschmack einer miefigen Volkstümelei. Ich muss mir neben den Wurzeln auch anschauen, wohin wachsen meine Äste und Blätter und womit bin ich vernetzt, was ist mein Umfeld, wie weit reichen meine Wirkungskreise? Wir hatten am Festspielhaus St. Pölten immer die Herausforderung eines sehr breiten Spektrums. Als Joachim Schloemer 2009 mit einer neuen internationalen künstlerischen Idee gekommen ist, war klar, wir dürfen auch den Fokus

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auf das unmittelbare Umfeld nicht verlieren. Und zwischen diesen beiden Spannungsfeldern haben wir dann das Community-Projekt alles bewegt aufgebaut. Wir wollten immer in konzentrischen Kreisen denken. Das heißt, wir müssen zuerst einmal den Kern lösen und die nächste Schicht abtragen und dann wachsen und die nächste Schicht ausarbeiten  – Vertrauen finden. Es muss einen soliden Kern geben, sonst verpufft der Effekt. Und der Kern, das waren die Communities vor Ort. Regionale Verantwortung vor Ort, aber immer den internationalen Fokus im Auge behaltend. Für die Communities von alles bewegt wurde daher auf die Erfahrungen unseres Netzwerkpartners Sadler’s Wells zurückgegriffen. Das führende Tanzhaus Londons hat jahrzehntelange Erfahrung in diesem Bereich der künstlerischen Arbeit und hat uns ermutigt, auch bei den ChoreografInnen auf Vielfalt und Internationalität zu achten, diese dann auf die regionale Bevölkerung treffen zu lassen und zusammenzuarbeiten. Das wirkt in die Stadt hinein, das Publikum wächst so automatisch mit und entwickelt ein anderes Selbstverständnis im Umgang mit der Kulturinstitution sowie mit der eigenen Stadt. Du kannst im Bereich Kulturvermittlung weniger Ergebnisse einfordern, vielmehr steht es an erster Stelle, Dynamisierungsprozesse zu starten. Wenn du zu schnell Ergebnisse erwartest, schneidest du Prozesse unter Umständen ab oder öffnest Handlungsräume gar nicht erst, die aber sehr weit führen könnten. Es muss ein Unterschied sein, ob ich einen Chor 50 plus habe, der sich an SeniorInnen richtet, oder eine kleine Tanz-Community für Teenager. Da bestehen andere Erwartungshaltungen. Es muss andere Ansprachen, andere Methoden, letztlich ein anderes Format geben. Das kann man immer weiter deklinieren, je nachdem, welches Publikum ich anvisiere. Das heißt aber nicht, dass ich innerhalb dessen, was ich anbiete, beliebig bin, ganz im Gegenteil: Es ist zu jeder Zeit ganz klar, was ich für wen mache. Wie gut muss eine Institution ein (potenzielles) Publikum und dessen Bedürfnisse kennen? Da gibt es bei uns drei große Richtungen. Die eine, die wir schon seit Jahren verfolgen, ist die der gängigen BesucherInnenbefragungen, und

Kultur vermittlung als Profil

dazu ist vor einiger Zeit das Thema der qualitativen NichtbesucherInnenforschung gekommen. Dahinter steckt die Idee des Marktpotenzials. Anders formuliert: Du kannst Dialog mit allen aufnehmen, aber nur dort, wo nachweislich Kulturaffinität vorhanden ist, wird es Sinn machen, zu beginnen. Als drittes Thema haben wir uns ausführlich mit dem Thema der Milieuforschung auseinandergesetzt und betreiben sie mit unserem Partner Integral. Dabei teilt man die österreichische Bevölkerung in verschiedene Sinus-Milieus ein, um deren Wertehaltungen und Lebensmodelle besser verstehen zu können. Es gibt zehn Milieus, die alle fünf Jahre neu überarbeitet werden. Wir wissen daher sehr genau, welches Produkt sich an welches Milieu richtet, und können zielgerichtet agieren. Diese Bemühung, sein Publikum gut zu kennen, ist als Trend des sogenannten Audience Development in aller Munde. Während die Entwicklung in Großbritannien sehr stark gesellschafts- und kulturpolitisch gesteuert ist, haben Kulturinstitutionen in den USA aus innerbetrieblichen Gründen Strategien entwickelt, das Publikum ins Zentrum ihrer Aktivitäten zu rücken. Wo positionierst du dein öffentlich finanziertes Festspielhaus St. Pölten zwischen diesen Motiven für aktives Audience Development? Wenn man konkret das Sadler’s Wells Thearte in London mit dem Festspielhaus St. Pölten vergleicht, gibt es da doch komplett unterschiedliche Rahmenbedingungen. In London hat die Stadtregierung einen sehr starken sozialen Hintergrund bei der Implementierung dieser Programme. Da ging es in der Ära von New Labour unter Tony Blair um multiethnische Nachbarschaften, wo die Förderung eines möglichst respektvollen Miteinanders im Fokus stand. Auch bei uns ist dieser Aspekt zwar nicht falsch, aber er besteht niemals in dieser Intensität. Der Fördergeber in Niederösterreich formuliert in seinem Kulturförderungsgesetz lediglich einen Bildungsauftrag. Aus diesem Bildungsauftrag kann man Verschiedenes ableiten. Bevor wir etwas in Bewegung setzen, wissen wir natürlich ganz genau, an wen wir uns wenden und welcher Aspekt des Bildungsauftrags zum Tragen kommt. Unser Bildungsauftrag sichert auch die Qualität des Angebots. Dadurch wird sinnvolle Bespielung erst ermöglicht, weil man nicht auf Gewinn angewiesen ist.

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In diesem Sinn wird eine Frage immer wichtiger: Was ist der Sinn der Kulturvermittlung? Was will ich erreichen? Da müssen auch die KulturvermittlerInnen ein anderes Selbstverständnis bekommen. KulturvermittlerInnen sind oft zu bescheidene Persönlichkeiten, die viel mehr in Richtung Selbstmarketing und Lobbying agieren könnten, um auch darzustellen, was sie eigentlich vollbringen. Dazu soll das Symposium einen Beitrag leisten. Wenn wir in den ersten Jahren gefragt haben, was Kulturvermittlung ist und an wen sie sich richtet, dann fragen wir im kommenden Jahr gezielt danach, was Kulturvermittlung denn kann? Was wollen wir eigentlich damit erreichen? Der Erfolg der Kulturvermittlung muss eben auch anders als mit quantitativen Kennzahlen gemessen werden. Das wird uns in Zukunft sehr beschäftigen. Wenn sich die NÖKU-Gruppe in diesem Bereich anhaltend positioniert, profiliert und gesellschaftliche Aufgaben weit über den vagen Bildungsauftrag hinaus annimmt, wie ist deine Prognose: Wird das Land Niederösterreich irgendwann auf den Zug aufspringen und vorschreiben, wo es soziale Brennpunkte gibt, wo die Kulturvermittlung und die Kulturbetriebe als Feuerwehr einspringen sollen? Das ist jetzt schon spürbar, wenn auch  – nicht zuletzt aus budgetären Gründen – mit Zurückhaltung. Die gerade in St. Pölten, aber auch an anderen Standorten der NÖKU-Gruppe so wichtige Verankerung vor Ort und im regionalen Bewusstsein wird ergänzt durch das, was jetzt hier in Europa und auf der ganzen Welt passiert. Durch diese enormen soziodemografischen Verschiebungen im Rahmen der Zuwanderungswellen. Die ganzen Zäune, die jetzt gebaut werden, werden daran auch nichts ändern. Die Menschen werden kommen, und das ist gut, weil es uns bereichert. Wir stecken mitten in künstlerischen Projekten, wo wir aus den Communities heraus schnell und direkt auf die Veränderungen in der Gesellschaft reagieren können. London, wo viele unserer koproduzierenden Partnerinstitutionen angesiedelt sind, war immer ein Zuwanderungsort, und dadurch ist man uns dort auch um Jahrhunderte voraus. In Niederösterreich hat man noch mit dem Ochsenkarren gepf lügt, als man in London schon indische Communities integriert hat. Ich glaube, dass wir jetzt dorthin aufschließen, wo viele Bereiche Europas schon sind.

Kultur vermittlung als Profil

Wenn man etwa nach Brüssel schaut, dann wird es künftig unsere Aufgabe sein, möglichst vielen Menschen die Teilnahme an möglichst vielen auch kulturellen Angeboten zu verschaffen und Zugang zu Bildung zu ermöglichen, um Ghettos zu verhindern. Wir können als KulturvermittlerInnen natürlich nur einen Beitrag liefern, einen bescheidenen, aber doch selbstbewussten Beitrag. Gutes Stichwort! Social Inclusion, Participation und Emotional Intelligence waren die Schlagworte oder die inhaltlichen Säulen, auf denen das erste, sehr erfolgreiche Internationale Symposium 2013 aufgebaut war. Was waren deine Highlights bei diesem Symposium? Es mag keine neue Erkenntnis sein, aber es ist gut mit neuerlichen und multiperspektivischen Fakten zu untermauern, dass jeder Mensch grundsätzlich emotionale Intelligenz besitzt und diese in der kreativen Begegnung mit anderen gefördert wird. Das bedeutet ja auch für die KulturvermittlerInnen ganz klar, dass wir diese Intelligenz nicht erst schaffen, sondern Kreativität fördern müssen. Und dazu müssen wir Räume und Gelegenheiten aufmachen. Das Bildungssystem baut diese Kreativität im Laufe der Zeit nachweislich ab. Der ehemalige Kreativdirektor von Hallmark Gordon MacKenzie, der in seinem Unternehmen wie ein Guru für Kreativität gehandelt wurde, hat ein Buch mit dem Titel Orbiting the Giant Hairball geschrieben. Darin beschreibt er seine Suche nach Kreativität in Regelschulen und beweist, dass die Bereitschaft, gemeinsam kreativ zu sein – unabhängig von der Kunstsparte – radikal abnimmt, je älter die SchülerInnen werden. Das Schulsystem vernichtet Kreativität, und die Kulturvermittlung kann das aufhalten oder sogar rückgängig machen. Die VermittlerInnen sind also in Bezug auf die emotionale Intelligenz in der Rolle von ›ErmöglicherInnen‹. Zum Thema Inklusion fand ich beim ersten Internationalen Symposium Kulturvermittlung die Beiträge von Jane Hackett und Anne Bamford sehr interessant, die beide von der Bedeutung eines kulturellen Erweckungserlebnisses berichtet haben. Jede und jeder, die und der eine gewisse Affinität zur Kultur hat, hatte zu irgendeinem Zeitpunkt in seinem Leben – sehr oft sehr früh – eine Art kulturelles Erweckungserlebnis. Dieses steht meist in Zusammenhang mit sehr prägenden Personen, die mit einem ins Theater oder ins Museum gegangen sind. All diese Dinge  – und da sind wir schon bei der Partizipation  – gelingen

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dann gut, wenn ich die Kunst mit dem eigenen Leben, dem eigenen Können, den eigenen Wünschen in Verbindung bringen kann. Wenn man den Leuten ein Handwerkszeug gibt, um ihre Kreativität zu entwickeln, und sie mit Profis zusammenbringt, dann hat man neben der Ursehnsucht nach persönlicher Begegnung eben auch einen Blick für die Kunst geschaffen. Jemand, der selbst involviert ist, schaut anders hin. Kunst – und damit auch der Kulturbetrieb – bekommt einen anderen, einen höheren Stellenwert. Das sind für mich die wichtigsten Leitgedanken, aus denen heraus wir das Internationale Symposium Kulturvermittlung weiterentwickeln und an denen wir unsere Arbeit messen. Mein persönliches Highlight 2013 war Modesto Tamez vom Exploratorium in San Francisco, der dem Diskurs und dem ideellen Überbau relativ wenig Beachtung schenkt, aber in seinen drei Workshops und der lecture performance so lustvoll aufgezeigt hat, wie mittels gelungener Vermittlung Museen wie von Zauberhand zu wunderbar überraschenden und verblüffenden Lernorten werden können. Der Zugang, der streckenweise an Clownerie grenzt, mag sehr amerikanisch sein, aber immerhin verstrickt er in diese Art der Wissensvermittlung mittlerweile Hunderte Freiwillige, die mit viel Freude und Erfolg ihr Wissen im Museum und darüber hinaus weitergeben. Weg vom pädagogischen Zeigefinger und hin zur Lust am Wissen. Es ist leicht gesagt und schwer getan, aber es muss gelingen, mit Kunstvermittlung, Wissensvermittlung und Geschichtsvermittlung in den Leuten etwas zu erwecken, damit das Feuer in ihnen weiter brennt. Wenn du mit einer SeniorInnengruppe arbeitest, wo Menschen dieses Feuer ein Leben lang zugeschüttet haben, dann müssen sie sich erst wieder öffnen, und wenn das nur dadurch geschieht, dass man sich einmal die Woche trifft, um im künstlerischen Kontext miteinander zu singen. Das ist ein erster Schritt. Dann nimmt man zwei Drittel dieser Menschen mit und integriert sie, z. B. in ein so großes Orchester-Projekt wie Seid umschlungen, Millionen. Das sind die Themen und die Wege, die gemeinsam ref lektiert werden, wenn man sich die Zeit nimmt, beim Internationalen Symposium Kulturvermittlung zwei Tage aus verschiedensten Postitionen in dieses Nachdenken einzutauchen.

Zusammenbringen, stimulieren, neu kontextualisieren, Veränderungen moderieren Konzept Kulturvermittlung Birgit Mandel Der Stellenwert von Kulturvermittlung vor allem auch im Kontext kultureller Bildung ist seit einigen Jahren aus mehreren Gründen stark gewachsen: Im Bildungssektor möchte man dem Problem einer zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung, nicht zuletzt bedingt durch die Chancenungleichheit im Bildungswesen, auch mit Mitteln kultureller Bildung entgegenwirken. Kulturinstitutionen versuchen durch Strategien der Kulturvermittlung, »Publikum von morgen« zu sichern, das nicht mehr automatisch nachwächst, wie einige Studien vermuten lassen. Und auch die starke Diversifizierung der Gesellschaft durch Migration stellt den Kultursektor vor die Aufgabe, seine Angebote zu hinterfragen und auf neue Weise für diverse Bevölkerungsgruppen zugänglich zu machen. Diese neuen Herausforderungen korrespondieren mit einer starken Professionalisierung des Feldes Kulturvermittlung, das inzwischen in Deutschland über eine hohe Anzahl akademischer Studiengänge und eine breite Weiterbildungslandschaft verfügt (vgl. Kulturpolitische Gesellschaft 2012). Worum geht es in der Kulturvermittlung, wer vermittelt was an wen bzw. zwischen welchen Gruppen, kulturellen Welten und verschiedenen Interessen soll vermittelt werden und warum?

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Birgit Mandel

1. H ilfestellung für ein besseres K unst verständnis oder E mpowerment, eigene kulturelle I nteressen auszudrücken ?

Verschiedene Ziele und Funktionen von Kultur vermittlung

Der Begriff der Kulturvermittlung ist sehr weit interpretierbar und dementsprechend sehr unterschiedlich definiert. Hier soll er verstanden werden sowohl als das Schaffen von Anschlüssen zwischen künstlerischer Produktion und Rezeption wie auch als Anregung zu eigenem ästhetischkünstlerischen und kulturellen Gestalten. Darüber hinaus ist Kulturvermittlung auch als Moderation zwischen unterschiedlichen kulturellen Welten und unterschiedlichen kulturellen Interessen zu verstehen. Diese kann auch konf liktreich sein. Kulturvermittlung ist keine Informationsübertragung, sondern stellt »Situationen des Austauschs« und Beziehungen zwischen beteiligten Subjekten her, »wobei damit durchaus nicht immer ein harmonischer, sondern eben auch ein widerstreitender und widerständiger [Austausch] gemeint sein kann« (Kulturvermittlung Schweiz [2013]: 39). Nach den Funktionen von Kulturvermittlung kann unterschieden werden in: – Kunstvermittlung im Sinne der Ermöglichung von Zugängen zu professioneller Kunst, – Kulturpädagogik und kulturelle Bildung als Anregung des Erwerbs ästhetischer und sozialer Kompetenzen und Erweiterung der ästhetischen Ausdrucksmöglichkeiten, – Kulturmanagement in den kommunikativen Funktionen des Marketings und der PR als indirekte Formen der Kulturvermittlung durch Initiierung von Aufmerksamkeit und Interesse für Kunst und Kultur. – Im Audience Development als einem direkt aus dem angelsächsischen Kontext übernommenen Begriff werden direkte und indirekte Formen von Vermittlung strategisch verbunden mit dem Ziel, neues (und eventuell auch anderes) Publikum zu erreichen und an Kultureinrichtungen zu binden (vgl. Maitland 2000).

Konzept Kultur vermittlung

Kulturvermittlung kann dementsprechend unterschiedliche Zielsetzungen haben: – Kunstorientierte Ziele mit der Intention, für bestimmte Kunst- und Kulturformen Interesse und Verständnis zu schaffen; – Bildungsorientierte Ziele, bei denen es darum geht, über Kunst und kulturelle Formate Bildungsprozesse zu entfalten; – Gesellschaftspolitische Ziele bestehen darin, über die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur Demokratisierungsprozesse zu befördern, »mündige Bürger« herauszubilden, die über eine breite Palette von Ausdrucksmöglichkeiten verfügen, innovativ denken und handeln können und sich an der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens beteiligen; – Kulturpolitische Ziele, wie insbesondere die Förderung chancengerechter Zugänge für alle Bevölkerungsgruppen zu öffentlich geförderten kulturellen Angeboten; – Marketingziele bestehen darin, Images bestimmter Kultureinrichtungen zu optimieren und positive Aufmerksamkeit zu schaffen, um mehr BesucherInnen zu gewinnen, höhere Auslastungsquoten zu haben und mehr Einnahmen zu erzielen (vgl. Mandel 2009). – Ein weiteres, zukünftig relevantes Ziel auf der Ebene der klassischen Kulturinstitutionen könnte darin bestehen, über Kulturvermittlungsprojekte mehr von den ästhetischen und kulturellen Interessen solcher Gruppen zu erfahren, zu denen diese ansonsten keinen Zugang haben, wozu z. B. ein Großteil der Jugendlichen gehört, und aus der Kooperation mit diesen Gruppen lernen, sich zu verändern, um zukunftsfähig zu bleiben (vgl. Mandel 2013). Kulturvermittlung, die im Rahmen von Kulturinstitutionen stattfindet, benötigt das Zusammenspiel der verschiedenen, oben aufgeführten Funktionen auf der Basis einer klaren Zielsetzung, um »Wirkung« zu erzielen. Institutionalisierte Kulturvermittlung befindet sich dabei per se in einer ambivalenten Lage. Sie dient der Stabilisierung und Legitimierung der Kulturinstitutionen, da sie für das Publikum sorgt und die Anliegen der Institution nach außen vertritt. Sie bildet aber auch ein permanentes Störmoment, da allein schon die

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Birgit Mandel Tatsache ihrer Existenz an den niemals ganz einzulösenden Anspruch erinnert, die Künste als Gemeingut zu betrachten (Kulturvermittlung Schweiz 2012: 36).

Diese ambivalente Situation der in Institutionen tätigen KulturvermittlerInnen äußert sich auch darin, dass diese häufig in der Hierarchie der Einrichtungen eher nachgeordnet sind und nicht von Anfang an in die Konzeption von Programmen eingebunden werden, sondern in der Regel auf die Aufgabe reduziert sind, eine fertiggestellte Produktion/Präsentation zielgruppengerecht zu kommunizieren und zu vermitteln. Da der Begriff der Kulturvermittlung häufig so interpretiert wird, dass es sich dabei um ein hierarchisches Verhältnis zwischen »wissenden«, professionellen VermittlerInnen und »unwissenden« Subjekten handelt, wird in der kulturpädagogischen Theorie und Praxis seit einiger Zeit eher von »Kultureller Bildung« gesprochen. In dem Begriff der kulturellen Bildung steht das sich selbst bildende Subjekt im Vordergrund und nicht die Funktion und (institutionellen) Interessen der VermittlerInnen. Unter kultureller Bildung sollen hier Selbstbildungsprozesse in Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur verstanden werden, häufig ausgelöst durch eine ästhetische oder kulturelle Differenzerfahrung (vgl. Dewey 1988). Selbstverständlich können kulturelle Selbstbildungsprozesse auch ohne Kulturvermittlung in informellen, alltagskulturellen Settings stattfinden, sei es beim Musikhören und -machen oder beim Computerspielen. Professionelle Kulturvermittlung, die fördernde Rahmenbedingungen ermöglicht und Ref lexionsprozesse ästhetischer und emotionaler Erfahrungen anregt, steigert jedoch die Chance für kulturelle Bildungsprozesse, die nachhaltige Erfahrungen und Erweiterung der eigenen Perspektive auf die Welt implizieren. Die Künste sind häufig Ausgangspunkt und bieten besonderes Potenzial für die Kulturvermittlung, denn durch ihre Mehrdeutigkeit, ihren Bedeutungsüberschuss und ihre Fähigkeit, über die Grenzen des Bestehenden hinauszugehen, fordern sie dazu heraus, produktiv mit Widersprüchen umzugehen und utopisch über die bestehende Praxis hinaus zu denken. Durch ihre ästhetische Verfasstheit sprechen sie nicht nur auf der kognitiven, sondern auch auf der ästhetischen und emotionalen Ebene an. Dennoch sind die Künste in der Kulturvermittlung mit dem Anspruch kultureller Bildung nicht Ziel und Selbstzweck.

Konzept Kultur vermittlung

Die Erweiterung der individuellen Erfahrungen des Subjekts und seine persönlichen »Empowerment«-Prozesse stehen im Vordergrund.

2. V om vir alen M arke ting bis zur partizipativen P rogr amment wicklung

Methodische Ansätze der Kultur vermittlung

Wie kann man Menschen für künstlerische und kulturelle Angebote sowohl als RezipientIn wie als ProduzentIn interessieren? Kulturvermittlung erschöpft sich nicht in Kunst-Erklärung, das gilt ebenso für die Instrumente der Vermittlung. Empirische Erkenntnisse zeigen, dass es für die Vermittlung von und in Kulturinstitutionen auch notwendig ist, sich als Einrichtung zu positionieren und offensiv zu kommunizieren, z. B. unter Einsatz von Maßnahmen des viralen Marketings in den Social Media oder des Guerillamarketings an öffentlichen Orten  – damit eine Einrichtung und ihre Angebote für bestimmte, bislang nicht interessierte Zielgruppen überhaupt sichtbar werden. Andere Formate der Präsentation von Kunst und Kultur, sei es im digitalen Raum, an realen Alltagsorten, attraktive Rahmenbedingungen, die Raum für soziale Interaktion lassen, Outreach-Formate und vor allem Programme, die für die avisierten Gruppen relevant und attraktiv erscheinen und Anknüpfungspunkte zu ihren Leben geben, sind weitere Voraussetzungen, die jedoch alleine in der Regel nicht ausreichen, um neue Zielgruppen für bestimmte, ihnen bislang nicht vertraute oder relevante Angebote zu gewinnen. Die Möglichkeit, sich selbst aktiv einbringen zu können, sei es in Form eigener künstlerischer Praxis oder mehr noch auch durch Mitgestaltung von Programmen/Formaten, erweist sich als zentral für Kulturvermittlung, vor allem wenn diese sich an jüngere Menschen richtet. Dominierende Kulturvermittlungsangebote für Kinder und Jugendliche sind dementsprechend vor allem partizipativ angelegte Workshops und Projekte: (Musik-)Theaterprojekte, Tanzworkshops, Skulpturenwerkstätten, Filmprojekte  – das Spektrum der Angebote ist vielfältig. Der Grad der Partizipationsmöglichkeiten für die Jugendlichen reicht dabei vom Einüben einer vorgegebenen Tanzchoreografie (wie bei den

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Projekten Roysdan Maldooms mit den Berliner Philharmonikern, unter anderem dokumentiert im Film Rhythm is it!) bis zu ganz eigenständig entwickelten Projekten wie bei der Gruppe »Kultür auf!«, die als unabhängige Initiative junger Kulturschaffender mit in Berlin lebenden Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft Kulturprojekte entwickeln und die 2015 den BKM-Preis für kulturelle Bildung erhielt. Wann diese Projekte jeweils als »erfolgreich« zu bezeichnen sind, was genau Erfolg und Qualität in der Kulturvermittlung ausmacht, dazu gibt es bislang wenige allgemeingültige Erkenntnisse. Grundsätzlich könnte man die Qualität von Kulturvermittlung mit dem Ziel kultureller Bildung in die Kategorien a. Rahmenbedingungen, Strukturen, Management, b. Prozessqualität, c. Qualität des entwickelten Produkts einteilen (vgl. Wimmer 2010: 14). Die Strukturqualität wie etwa die verbindliche Integration der Arbeit mit Jugendlichen als Teil der Mission einer Kultureinrichtung, die alle Abteilungen umfasst, hat entscheidenden Einf luss auf die Qualität der kulturellen Arbeit einer Kultureinrichtung. Bei der Prozessqualität geht es z. B. um Fragen, auf welche Weise unterschiedliche Jugendliche motiviert werden konnten, ihre Ideen aktiv in gemeinsame kulturelle Prozesse einzubringen. Welchen Einf luss hat dabei z. B. ein vertrauensvoller Kontakt der Teilnehmenden zu den »VermittlerInnenn« und die Person des Mittlers? Welche Auswirkungen haben bestimmte künstlerische bzw. technische Medien sowie bestimmte thematische Zugänge auf den gemeinsamen Gestaltungsprozess? Wie glückt ein partizipativer Vermittlungsstil? Wie dominant und charismatisch darf/muss einE VermittlerIn sein? Wann sind Projektthemen und -aufgaben relevant für das Leben der TeilnehmerInnen? Bei der Qualität des künstlerischen Ergebnisses stellt sich die Frage, wie ein gutes künstlerisches Ergebnis gelingt, auf das alle stolz sein können und bei dem alle TeilnehmerInnen ihre eigenen Ideen und ästhetischen Vorstellungen einbringen konnten. Und zugleich geht es hier um die Frage, unter welchen Umständen solche gemeinsamen kulturellen Erfahrungen nachhaltig wirken.

Konzept Kultur vermittlung

Die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. hat als Qualitätskriterien für Vermittlungsarbeit in der kulturellen Bildung folgende Prinzipien benannt: Freiwilligkeit; Stärkenorientierung, Fehlerfreundlichkeit, Interessenorientierung; Lebensweltorientierung; selbstgesteuertes Lernen; Partizipation, Selbstwirksamkeit, Ganzheitlichkeit, ästhetische und künstlerische Erfahrung, Zusammenarbeit mit Künstlern, Vielfalt, Öffentlichkeit/Anerkennung (vgl. BK J 2009).

Eine Studie der Autorin zu »Interkulturellem Audience Development« an Theatern und Museen in NRW (Mandel 2013), die sich mit Strategien und Wirkungen partizipativer Projekte befasste, um unterschiedliche bislang nicht an den Angeboten interessierte Gruppen zu erreichen, kam in Bezug auf Vermittlungsqualität zu folgenden Ergebnissen: Vermittlungssituationen müssen sich deutlich von schulischen Lernsettings unterscheiden, um angenommen zu werden: Niedrigschwelligkeit und Freizeitatmosphäre, Vermittlungsformate, die Blicke hinter die Kulissen einer Kultureinrichtung ermöglichen, und vor allem solche Formate, bei denen Laien selbst aktiv werden können, kommen vor allem bei jüngeren BesucherInnen besonders gut an. Bei partizipativen Projekten mit Jugendlichen erwies es sich als große Herausforderung, diese aus der Reserve zu locken und sie zu motivieren, das Projekt als ihr eigenes zu begreifen und nicht als ein weiteres Angebot von außen, das eigentlich wenig mit dem eigenen Leben zu tun hat. Auf der formalen Ebene war es dafür wichtig, dass Jugendliche sich aussuchen können, mit welchem Medium und auf welche Weise sie sich beteiligen wollen an einem Projekt, sei es hinter den Kulissen bei Bühnenbild oder Tontechnik oder als darstellender AkteurInnen. Dass die gemeinsam entwickelte Produktion als künstlerisch gelungen von Freunden, Bekannten und Kollegen wahrgenommen wurde, erwies sich von zentraler Bedeutung für die beteiligten Jugendlichen wie die VermittlerInnen aus den Kulturinstitutionen. Für alle beteiligten Gruppen war die persönliche, zwischenmenschliche Beziehung zu den Kulturschaffenden/KulturvermittlerInnen wie auch die neu entstandene Gruppenbeziehung im Produktionsteam von entscheidender Bedeutung für ihre positive Einschätzung des Projekts. Solche partizipativen Projekte verlaufen nicht immer reibungslos, auch das zeigten die Befragungen: Unterschiedliche Vorstellungen pral-

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len aufeinander, Kompromisse müssen erstritten werden. Dass man aus den Differenzen gelernt habe, mache aber am Ende die besondere Qualität (inter-)kultureller Bildungsprozesse aus, war die mehrheitliche Einschätzung der beteiligten VermittlerInnen (vgl. Mandel 2013: 141–146). Jedoch, so ein weiteres Ergebnis dieser Studie: Projekte kultureller Bildung von Kulturinstitutionen führen nicht automatisch dazu, dass TeilnehmerInnen dieser Projekte sich auch für die regulären Programme interessieren und zu neuem Stammpublikum werden. Viele TeilnehmerInnen partizipativer Projekte hatten offensichtlich intensive, sehr positiv erlebte kulturelle Bildungserfahrungen, brachten diese aber nicht mit dem sonstigen Programm der Institutionen zusammen (vgl. Mandel 2013). Daraus lässt sich ableiten, dass Institutionen sich über kulturelle Bildungsprojekte hinaus verändern müssen in ihrer Gesamtpositionierung und dass sie auch ihre Programme erweitern müssten, wenn sie neue Zielgruppen erreichen möchten. Man könnte aber auch den Schluss daraus ziehen, dass es gar nicht darum gehen muss, die Teilnehmenden solcher Projekte auch zu ZuschauerInnen zu machen, sondern dass diese Art partizipativer künstlerischer Arbeit mit neuen (jungen) AkteurInnen eine weitere, als gleichwertig zu betrachtende Säule des künstlerischen Profils einer Kultureirichtung darstellt.

3. N eue H er ausforderungen und P erspek tiven für die K ulturvermit tlung Das öffentlich geförderte Kulturleben in Ländern wie Deutschland und Österreich mit einer großen institutionalisierten kulturellen Infrastruktur steht vor der Herausforderung, sich neu aufzustellen, um in einer sich stark verändernden, zunehmend auch kulturell diversen Bevölkerung seine Relevanz zu erhalten. Und auch die Bildungspolitik steht in diesen Ländern vor der Herausforderung, sehr ungleich verteilte soziale Chancen auszugleichen und allen Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit auf Bildung einzuräumen. Gerade kulturelle Bildung, die nicht defizitorientiert arbeitet, sondern die individuellen Ressourcen und individuelles »Empowerment« in den Mittelpunkt stellt, erweist sich dafür als besonders wertvoll.

Konzept Kultur vermittlung

Kulturvermittlung kann dazu beitragen, das Potenzial kultureller Institutionen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen produktiv werden zu lassen. Kunst realisiert sich erst in der Kommunikation, die sie auslöst, im Diskurs. In der gemeinsamen Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur können auch kulturelle Unterschiede, seien diese herkunfts- oder milieubedingt, produktiv werden. Kunst und Kultur können Sprachund Mentalitätsgrenzen überwinden und Gemeinschaft stiften; aus der Beschäftigung mit ihnen kann nicht nur kulturelle, sondern auch interkulturelle Bildung erwachsen (vgl. Mandel 2013). Um dieses Potenzial zu nutzen, ist es jedoch notwendig, einen normativen, engen Kulturbegriff zu überwinden, verschiedene Formen klassischer Kultur, Alltagskultur, Volkskultur, Pop-Kultur, digitaler Kultur als gleichwertig zu begreifen und Kunst und Kultur sehr viel stärker als bisher mit anderen gesellschaftlichen Bereichen zu vernetzen. Kulturvermittlung kann dazu beitragen, dass Brücken gebaut werden zwischen verschiedenen Sprach- und Denkebenen, dass aus der Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur Kommunikation und neue Gemeinschaften entstehen können. Das erfordert eine hohe Professionalität und Ref lexionsfähigkeit der handelnden VermittlerInnen. Es geht dann nicht mehr nur darum, Fachwissen über bestimmte Kunst- und Kulturbereiche anschaulich unter Einsatz vielfältiger Medien und auf der Basis von Wissen über Interessen verschiedener Zielgruppen vermitteln zu können. Es geht auch um permanentes Hinterfragen und eine Neukontextualisierung von Kunst und Kultur sowie die Durchsetzung notwendiger Änderungsprozesse im Sinne kultureller Partizipation auch in traditionellen Kulturinstitutionen.

L iter atur Blumenreich, Ulrike (Hg.; 2012): Studium, Arbeitsmarkt, Kultur. Essen. Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (BJK; 2009): Kulturelle Bildung stärken – in die Qualität von Bildung investieren. Tätigkeitsbericht 2008. Remscheid. Dewey, John: Kunst als Erfahrung. Frankfurt am Main.

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Kulturvermittlung Schweiz [2013]: Zeit für Vermittlung. Eine online Publikation zur Kulturvermittlung. Hg. vom Institute for Art Education der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), im Auftrag von Pro Helvetia, als Resultat der Begleitforschung des »Programms Kulturvermittlung« (2009–2012). Verantwortlich für die Begleitforschung des Programms Kulturvermittlung Carmen Mörsch und Anna Chrus­ ciel. Zürich, online unter www.kultur-vermittlung.ch/zeit-fuer-vermittlung/download/pdf-d/ZfV_0_gesamte_Publikation.pdf [Zugriff: 15.11.2016]. Mandel, Birgit (Hg.; 2008): Audience Development, Kulturmanagement, Kulturelle Bildung. Konzeptionen und Handlungsfelder der Kulturvermittlung. München 2008. Dies. (2013): Interkulturelles Audience Development. Zukunftsstrategien für öffentlich geförderte Kulturinstitutionen. Bielefeld. Dies./Renz, Thomas (Hg.; 2014): Mind the gap? Zugangsbarrieren zu kulturellen Angeboten und ein kritischer Diskurs über Konzeptionen »niedrigschwelliger« Kulturvermittlung. Hildesheim, online unter www.kulturvermittlung-online.de [Zugriff: 15.11.2016]. Maitland, Heather/Arts Council England (2000): A guide to audience development. London. Rat für Kulturelle Bildung (Hg.; 2015): Jugend/Kunst/Erfahrung. Horizont 2015. Eine Repräsentativbefragung des Instituts für Demoskopie Allensbach. Essen. Wimmer, Constanze (2010): Exchange. Die Kunst, Musik zu vermitteln. Salzburg; online unter www.miz.org/artikel/2010_November_Mozar teum_Studie%20Musikvermittlung.pdf [Zugriff: 15.11.2016].

Wir sind ja keine Weltverbesserungsanstalt! Friederike Lassy-Beelitz im Gespräch mit Susanne Wolfram Friederike Lassy-Beelitz ist seit 2010 Präsidentin des Berufsverbandes für Kunst- und KulturvermittlerInnen in Österreich und arbeitet im Team der Kunstvermittlung der Albertina Wien. Der Berufsverband für Kunst- und KulturvermittlerInnen unterstützt Kultur- und KunstvermittlerInnen wie Institutionen auf dem Weg zur Professionalisierung, bietet Informationsaustausch und Networking sowie Zertifizierungen und Fortbildung für Mitglieder an. Im Gespräch mit Susanne Wolfram ref lektiert Friederike LassyBeelitz die Errungenschaften und Aufgaben des Berufsverbands, die Schwachstellen und Chancen in der Ausbildung von KulturvermittlerInnen, die vermeintliche Legitimationskrise von Kunstinstitutionen und ihren Vermittlungsabteilungen sowie das sich laufend ändernde Berufsbild der KulturvermittlerIn. Als Verbandspräsidentin des Österreichischen Berufsverbands der KulturvermittlerInnen verfügst du über einen guten Überblick darüber, wie unterschiedlich die Ausbildungswege und Arbeitsbiografien von KollegInnen in diesem Berufsfeld sind. Hauptberuf lich arbeitest du seit vielen Jahren selbst als Kunstvermittlerin in einem der bedeutendsten Kunstmuseen in Österreich. du bist Magistra der Kunstgeschichte und hast auch Musikwissenschaft sowie Geschichte studiert. Muss man heute noch ein Studium der Kunstgeschichte absolviert haben, wenn man KunstvermittlerIn werden möchte? Musste man das vor 20 Jahren und inwiefern hat sich die Situation geändert? Diese Frage lässt sich so eindeutig nicht beantworten. Qualifiziert ein Studium an der Universität Wien beispielsweise für das Berufsfeld Kulturvermittlung? Nicht zwangsläufig! Zwar wurden in den letzten 20 Jahren zahlreiche neue Lehrgänge eingerichtet, die mir in meinen Anfangsjah-

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ren nicht zur Verfügung standen, aber eine gewisse Diskrepanz zwischen dem Praxisfeld und der Theorie ist allemal da. Das Beherrschen von Studieninhalten ist keine Garantie für gelungene Vermittlungspraxis. So wie das Studieren der Pädagogik noch lange keineN guteN LehrerIn hervorbringt, so macht auch die fundierte Kenntnis von Lebensdaten und Epochen etc. noch keine ausgezeichnete Vermittlung aus: Es hat ganz viel mit der Chemie der Persönlichkeit des Vermittlers oder der Vermittlerin zu tun, ob Kulturvermittlung gelingt. Ich habe vor fast 25 Jahren an der Universität Wien Kunstgeschichte und Musikwissenschaft studiert. Meine eigentliche Berufsausbildung habe ich allerdings in der Praxis erworben. Die Museumslandschaft habe ich beim Studium z. B. damals gar nicht kennengelernt: Ein einziges Mal hat eine Übung vor Originalen stattgefunden – der Rest hat ausschließlich vorm Diaprojektor stattgefunden. Ohne meine – sehr gern geleistete! – Eigeninitiative, Reisen und private Museumsbesuche hätte ich nach dem Lehrplan meines Studiums die Museumslandschaft und Objektbestände niemals kennengelernt. Auch wurden meine kommunikativen Fähigkeiten an der Universität nicht abgeholt, geschweige denn gefördert. Schade – ich weiß heute, dass Letzteres eine Voraussetzung für die Tätigkeit des Vermittelns ist. Die Fähigkeit zu kommunizieren ist in vielen Institutionen beim Rekrutieren von VermittlerInnen sogar noch wichtiger als ein abgeschlossenes Studium. Wirkliche Förderung meiner Fähigkeiten habe ich also nicht dem Studium, sondern meiner ersten »richtigen« Arbeitgeberin zu verdanken, die ihre MitarbeiterInnen regelmäßig auf Fortbildungen hingewiesen hat und eine Teilnahme daran sehr begrüßt hat. Meine fachliche Ausbildung zur Museumspädagogik – wie es damals hieß – bekam ich also durch die Teilnahme an Tagungen, Seminaren und Fortbildungen, die von verschiedenen Verbänden angeboten wurden. Du ref lektierst auf den Zeitraum ab Mitte der 1990er-Jahre. Was hat die Verbände damals so aktiv werden lassen und was hat sich seither nach deiner Erfahrung verändert? Die Arbeitssituation von KunstvermittlerInnen war zu diesem Zeitpunkt in hohem Ausmaß prekär. Viele von uns hatten entweder gar keine Verträge oder rechtlich fragwürdige. Das Interesse am Berufsfeld war also schon allein aus arbeitsrechtlichen Gründen groß und es war eine Not-

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wendigkeit, sich zu organisieren und auszutauschen. Das Formular »Honorarsätze für KulturvermittlerInnen« war für eine sehr lange Zeit die wichtigste PDF-Datei auf der Website des Verbandes! Eine zweite Triebfeder war das breite Interesse an einer inhaltlichen und methodischen Weiterentwicklung und der Qualitätssicherung der Arbeit – und das zu einer Zeit, in der die meisten Betriebe weder vom Organigramm her, noch von der Arbeitsplatzbeschreibung, noch von der Budgetierung her überhaupt in der Lage gewesen wären, qualitätsvolle Kulturvermittlung längerfristig umzusetzen. So eröffneten diese Weiterbildungen und Seminare oft Visionen, die in vielen Institutionen erst viel später realisiert werden konnten. Vor 20 Jahren waren Vermittlungsabteilungen in einem Organigramm entweder nirgends zu finden oder der Marketing- oder Presseabteilung untergeordnet. Sie waren wie eine kleine Insel, eine Firma in der Firma, die sich, egal wo sie nun organisatorisch untergebracht war, um ihr eigenes Marketing, ihre eigene Presse, ihre Personalabwicklung, ihre eigene Kundendatenbank und ihre Lohnverrechnung kümmern musste. Diese Situation hat sich erst in den letzten Jahren professionalisiert. Heute werden Vermittlungsabteilungen als gleichwertige, ebenbürtige Partner von anderen Abteilungen wahrgenommen und in alle Abläufe eingebunden. Der Verband und KulturKontakt Austria haben ab 2008 die Bedeutung der Vermittlung im Kulturbetrieb politisch sichtbar gemacht. Und durchgesetzt! In der Museumordnung von 2009 wird Vermittlung als oberste Aufgabe eines Museums genannt. Bis dahin gab es nur drei Aufgaben, nämlich Sammeln, Bewahren und Forschung. Ab 2009 waren es vier! Die drei traditionellen Aufgaben waren auf einmal der Vermittlung untergeordnet. Das war ein Meilenstein! Unerwartete Schützenhilfe gab es von den Sozialversicherungsträgern. Sie haben die Legalisierung von Verträgen vorangetrieben und den illegalen Honorarnoten und den freien Dienstverträgen, die per definitionem für die Tätigkeit von Vermittlung ungeeignet sind, ein Ende gesetzt. VermittlerInnen sind heute im Museums- und Ausstellungswesen nicht mehr zu übersehen. Und wenn doch: Nicht jammern, sondern Ärmel hochkrempeln und tätig werden! Die Grundvoraussetzungen sind da, das Rad ist bereits erfunden worden!

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Auf die Frage nach einer Annäherung von Theorie und Praxis kommen wir auf die Rolle der KunstvermittlerInnen in der Praxis zu sprechen. Läge es an den PraktikerInnen, die gute Arbeit leisten und die Anforderungen an eine kommunikative, offene und prozessorientierte Persönlichkeit erfüllen, auch in der Theoriebildung einen Beitrag zu leisten? In den letzten fünf Jahren habe ich viele wissenschaftliche Arbeiten begleitet, die Studierende diverser Tourismusschulen oder Kunstuniversitäten verfasst haben. In einer Kooperation mit dem Institut für Erziehungswissenschaften wurde beispielsweise Studierenden Feldforschung im Museum ermöglicht, mit dem Ziel, Theorien zum ästhetischen Lernen zu entwickeln. Der Weg ist also ein umgekehrter: Nicht praktisch arbeitende VermittlerInnen sind die LieferantInnen von Theorien! Studierende, die häufig auch in anderen Disziplinen beheimatet sind, erforschen und kommentieren die Kulturvermittlungspraxis. Es gibt also einen Einf luss der Praxis auf die Theorie. Aber ich erlebe meistens, dass die Forschung in der Phase der Dokumentation steckt. Dann ist das Semester vorbei und die Arbeit passé. Die Analysen gebären keine neuen Ansätze für die Praxis. Liegt es daran, dass es Dritte sind, die diese Arbeit ref lektieren, und Prakti­ kerInnen nur als Quelle dienen? Bestimmt ist das so. Ich erlebe in meiner Arbeit, dass die praktische Tätigkeit von KulturvermittlerInnen als Datenquelle wahrgenommen wird. KulturvermittlerInnen und ihre KundInnen haben die Rolle der »Versuchskaninchen«. Aber der Schritt, allfällige Ergebnisse dann wieder an die Quelle der Feldforschung zurückzutragen und die Praxis zu verändern – der wird nicht vollzogen. Es fehlt wohl an Zeit und Geld dafür, die beide Seiten auf bringen müssten, um in einer nächsten Schleife gemeinsam mit den WissenschaftlerInnen die dokumentierten Prozesse oder die anschließende Theoriebildung zu ref lektieren und daraus ein konkretes Programm abzuleiten. KunstvermittlerInnen sind entweder mit der Frage des Überlebens permanent beschäftigt oder mit der Bedienung der enormen Nachfrage. Nur ganz wenige PraktikerInnen verfügen in diesem Extrem über ausreichenden Atem, zurückzutreten, ihr Tun kritisch zu hinterfragen, da-

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rüber nachzudenken und dies zu publizieren. In den meisten Häusern bleiben Ref lexionsrunden interne Angelegenheiten. Und selbst von den großen Häusern  – wo man meinen könnte, dass Personal und Ressourcen doch genug vorhanden sein müssten  – schaffen es nur wenige, sich bewusst Zeit für Ref lexion zu nehmen. Das Technische Museum Wien und das Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (mumok) sind Ausnahmen. Dem Klosterneuburger Museum Essl gelang dies auch. Aber vielleicht ist es auch ein Zeichen für Alltag und Normalität? Denn  – ohne ein Desiderat entschuldigen zu wollen: Publizieren die anderen Abteilungen im Museum kritische Ref lexionen ihrer Methodik? Ich kenne niemanden aus dem Museumscontrolling oder aus dem Kreis der KuratorInnen, die sich bezahlterweise Auszeit von der alltäglichen Arbeit nehmen können, um Ref lexionen über die Methoden seiner/ihrerArbeit zu veröffentlichen. Im aktuellen Diskurs wird der Arbeit von KulturvermittlerInnen besondere gesellschaftliche Relevanz zugeschrieben, gerade in Zeiten, in denen gesellschaftliche Ziele aus dem Bildungs- und Sozialwesen an die öffentlich subventionierten Kulturinstitutionen delegiert werden  – dort im Besonderen an die Kulturvermittlungsverantwortlichen –, weil es die Erwartung gibt, dass so Lücken geschlossen werden, die das formale Schulsystem und die sozialpädagogischen Einrichtungen nur bedingt abdecken? Kommt KulturvermittlerInnen nicht deshalb eine besondere Rolle zu? KulturvermittlerInnen sind sehr gefragt! Aber sie können die Lücken des Bildungssystems nicht schließen, weil sie diese weder verursacht haben noch dazu beitragen. Bildungslücken können nur die schließen, die für das Bildungssystem verantwortlich sind und Desiderate feststellen. Aber wir sind keine ExpertInnen fürs Schulorganisationsgesetz oder Bildungsstandards oder … oder … oder. Einfach ausgedrückt: KulturvermittlerInnen gewährleisten die Auseinandersetzung mit Kultur. Da sind wir ExpertInnen! Unsere Leistung kann auch Schulunterrichtsziele bereichern. Diese Leistung ist da! Sie ist jederzeit abruf bar! Diese Inanspruchnahme von außerschulischen Lernangeboten in Kulturinstitutionen kann jedoch verschieden interpretiert werden: entweder als Beweis einer Bildungslücke, die hier ganz schnell mithilfe außerschulischer ExpertInnen überbrückt gehört, oder als Beweis von echtem Interesse, Neugierde, Freude und Wertschätzung an Gegenständen, die von Künstlern oder der Ge-

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sellschaft irgendwann mal hervorgebracht wurden. Ich mag die zweite Interpretation lieber! Was die Relevanz von Kulturbetrieben betrifft: Woran misst man denn Relevanz? Wer misst für wen? Wer entscheidet, was für wen relevant ist, zu sein hat oder besser sein sollte? Woran macht man die Beteiligung einer Kulturinstitution an gesellschaftlichen Veränderungen fest? Ab wie vielen Personen ist etwas relevant? Welcher Zeitraum ist für Relevanz gültig? Die Frage, ob meine Arbeit als Kulturvermittlerin relevant ist, ist meines Erachtens ein selbst gemachter Druck. Ein selbst auferlegter Wettbewerb, zu dem keiner eingeladen hat. Wer ist relevanter? Meine Zahnärztin oder meine Kulturvermittlerin? Na, selbstverständlich sind beide gleich relevant, beide an ihren angestammten Orten, zur angestammten Zeit, im angestammten Kontext. Kunstvermittlung in der Zahnarztpraxis mit Zahnschmerzen … na, irrelevanter geht’s ja nicht mehr! Kunstvermittlung vor einem Objekt, das mir jetzt überhaupt nix sagt! Bitte unbedingt Kunstvermittlung! Dieser Legitimationsdruck »ist meine Arbeit für ›die Gesellschaft‹ relevant« entspringt meiner Meinung nach einem seltsamen Minderwertigkeitskomplex gegenüber den Naturwissenschaften und »der Wirtschaft«. Die Politik und die GeschäftsführerInnen der Museen stellen Kulturvermittlung nicht infrage, die Öffentlichkeit schätzt die Vielfalt der Angebote. Also, warum tun wir uns das an? Dass Kulturvermittlung bestrebt ist, sich über die gesellschaftliche Relevanz zu legitimieren, finde ich riskant: Kulturvermittlung erzeugt keine »besseren« Menschen, wir sind doch keine Weltverbesserungsanstalten! Es soll bitte vorkommen dürfen, dass Partizipierende von Vermittlungsangeboten völlig unverändert aus diesen herausgehen. Wir sind KulturvermittlerInnen, keine Missionare. Relevanz und Manipulation liegen für mich sehr dicht nebeneinander. Ein bisschen Besinnung auf die Kernkompetenzen der Kulturvermittlung täte meiner Meinung nach dem Bereich sehr gut: Wir sind dafür verantwortlich, dass Menschen, die eine Kulturinstitution betreten, bestens betreut werden. Und nein, wir sind nicht dafür verantwortlich, Menschen für das Museum zu interessieren. Das müssen KulturpolitikerInnen und/oder die Elternhäuser leisten. Wir sind dafür verantwortlich, dass es innerhalb der Kulturinstitution keine Barrieren gibt. Aber wir sind nicht dafür verantwortlich, dass außerhalb des Museums alle Barrieren abgebaut werden.

Wir sind ja keine Weltverbesserungsanstalt!

Warum nicht? Weil wir das nicht können, weil das nicht unser Bereich ist – hier gibt’s kompetentere Menschen dafür! Zusammengefasst: Wir sind für die – geschätzt – drei Prozent der Bevölkerung verantwortlich, die gerne Museen betreten und besuchen! Hier müssen wir beste Arbeit liefern, um unsere KundInnen zu betreuen. Und nein, wir sind nicht verantwortlich für die anderen 97 Prozent, die offensichtlich sehr fein und sehr glücklich ganz ohne Museumsbesuche leben können. Denn diese drei Prozent sind unsere 100 Prozent! Ich verwehre mich dagegen, dass KulturvermittlerInnen ihre Tätigkeit immer mit gesellschaftspolitischen Verheißungen legitimieren wollen. Ich kenne keine Tagung von AnwältInnen, die sich fragen: »Wie sollen wir es anlegen? Wie legitimieren wir unseren Tätigkeitsbereich?« Hast du jemals vom Fußballklub Rapid oder Austria Wien eine Einladung bekommen für Mütter in Karenz ins Stadion? Nein! Wenn du keinE KundIn bist, die/der sich ein Fußballspiel ansieht, bist du keinE KundIn. Es gibt nicht das Programm vor dem Match: Jetzt darfst du mal ein Tor treffen oder einen Fußball basteln. Ich bin kein Fußballfan, ich werde keiner sein und kein Vermittlungsprogramm eines Stadions wird das ändern. Fehle ich? Nein! Macht mich das zu einem schlechteren Menschen? Auch nicht! Wird der Fußball daran zerbrechen? Nein, sicher nicht. Macht es den Fußball mehr oder weniger relevant? Na, wie egal ist mir Fußball und ob er relevant ist, er interessiert mich einfach nicht! Entspannen wir uns, es ist okay, dass wir nicht alle Menschen erreichen werden. Und doch boomt die Literatur, die dem Kontakt mit Kunst und Kultur eine Schlüsselfunktion in der Persönlichkeitsentwicklung zuschreibt. Soziale Inklusion, Partizipation und emotionale Intelligenz wurden beim ersten Symposium Kulturvermittlung in St. Pölten als erläuterndes Unterfutter mit dem Titel Was heißt denn schon Kulturvermittlung? mitgeliefert. Die Literatur boomt, ja! Überspitzt und provokant könnte man frech behaupten, dass gerade die Anzahl der Projektberichte und die Vehemenz, mit der beschworen wird, Kulturvermittlung würde Persönlichkeiten entwickeln, ein Indikator für eine dünne Suppe ist. Natürlich haben wir alle in unserer Arbeit bereits Momente erlebt, die uns den WOW!-Eindruck

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beschert haben, dass die begleitete Auseinandersetzung mit Kunstwerken einen Menschen jetzt verändert haben könnte. Aber wenn wir ehrlich sind, müssen wir uns doch eingestehen, dass wir es eben meistens nicht bemerken, Prozesse in Gang gesetzt zu haben. Prozesse, die womöglich auch gar nicht im Moment, sondern eventuell Jahre später einsetzen. Im Zusammenhang mit öffentlich subventionierter Kultur wird seit den 1970er-Jahren von Teilhabegerechtigkeit und neuen Zielgruppen gesprochen. Audience Development, Change Management und soziale Innovation durch Partizipation sind heute häufige Schlagworte im Kulturvermittlungsdiskurs. Sind die Kunstmuseen davon nicht betroffen? »Neue Zielgruppen erschließen!« ist eine Parole, mit dem sich die Kunstvermittlung in den letzten zehn Jahren legitimieren wollte. Heute höre ich das Argument von Multimediafirmen, die meinen, dass man mit einer App »neue Besucherschichten« ins Haus locken könnte. Abgesehen davon, dass BesucherInnenzahlen mit Kunstvermittlung nichts zu tun haben, stimmt das Argument, dass Kulturvermittlung mit Zielgruppenarbeit mehr BesucherInnen generieren und sie dauerhaft ans Haus binden könnte, einfach nicht. Gemessen am Wachstum der Bevölkerung hat sich der Prozentsatz der Zahl der MuseumsbesucherInnen nicht verändert. Dass die Zahl der BesucherInnen in Summe allerdings gleich geblieben ist und nicht eingebrochen ist, mag durchaus eine Leistung sein, die sich KulturvermittlerInnen, aber auch KuratorInnen, Marketing, Shop, Café, serviceorientierte KollegInnen an der Kassa und der Aufsicht und alle anderen KollegInnen auf die Fahnen heften dürfen! Auch sehe ich den Begriff »Zielgruppe« kritisch. Wer definiert denn, wer wann zu einer Zielgruppe gehört? Und wer – in die andere Richtung gedacht – ausgeschlossen wird, nicht dazugehören darf? Ich beobachte, dass Museen schnell Zielgruppen bedienen, die »von außen« zu einem eigenen, speziellen Segment der Bevölkerung gemacht werden. Speziellen Zielgruppen werden spezielle Bedürfnisse zugeschrieben. Im besseren Fall spricht man sogar mit StellvertreterInnen von Zielgruppen – und diese VertreterInnen teilen dann mit, was denn die besonderen Bedürfnisse dieser Zielgruppe wären, die alle anderen nicht teilen. Kunstvermittlungsprogramme reagieren dann auf diese Bedürfnisse und versuchen sie zu bedienen. Wo Partizipation dabei ist, wird davor noch ein Spielfeld gemeinsam definiert, in dem man sich partizipativ

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bewegen darf. Das ist meiner Meinung nach zu wenig. Vor allem dann, wenn das aus den Augen verloren wird, was den Ort des Geschehens zu etwas Einzigartigem, Unverwechselbarem, Unaustauschbarem macht. Ich halte es für ein Problem, wenn im Museum Zielgruppen an soziodemografischen, biografischen, körperlichen, religiösen oder anderen Merkmalen festgemacht werden. Ich sehe Partizipation im Museum kritisch, weil sie in letzter Konsequenz Teilhabe nur vorgaukeln kann. Ich halte – das mag eine Alterserscheinung sein – auch immer weniger von Angeboten, die nichts mit den Inhalten einer Sammlung zu tun haben, sondern mit deren DarstellerInnen. Solche Angebote fallen für mich in die sehr geschätzte Kategorie »Unterhaltung«, aber nicht in die Kategorie »Vermittlung«. Freie KulturvermittlerInnen, die nicht an ein Haus, eine Sammlung, einen Ort gebunden sind, sind meiner Meinung nach viel besser für die – in meinen Augen – nicht unproblematische Zielgruppenarbeit geeignet. Die KollegInnen der freien KulturvermittlerInnen können tatsächlich auf gemeinsam vereinbarte Bedürfnisse eingehen und sich mit diesen vertiefend auseinandersetzen. Hier kann auch Partizipation wirklich stattfinden! Aber in einem Museum, wo ich mit dem Lösen von Tickets die Hausordnung akzeptiere? Es gibt dafür bessere Orte als Museen. Es war unter deinem Vorsitz, dass sich der Verband der KulturvermittlerInnen, der in seiner Anfangszeit auf Museen und Ausstellungshäuser beschränkt war, sich für andere Kunstformen geöffnet hat. Hat das damit zu tun, dass du viele Aufgaben, die heute KulturvermittlerInnen zugeschrieben werden, nicht im Museumsbetrieb verortet siehst? Du differenzierst stark zwischen den Aufgaben von freien KulturvermittlerInnen, die aus der Mitte der Gesellschaft mit Methoden der Kunstvermittlung gesellschaftliche Themen aufgreifen und partizipativ erarbeiten, und den KunstvermittlerInnen an Museen und Ausstellungshäusern. Hättest du gerne zwei verschiedene Berufsbilder und Ausbildungsschienen? Der Verband hat in den letzten Jahren versucht, auch Theatervermitt­ lerInnen, MusikvermittlerInnen, NaturvermittlerInnen, KulturlotsInnen oder ArchitekturvermittlerInnen anzusprechen. Sie haben den Vorteil, dass sie überall arbeiten können und nicht an ein Haus gebunden sind. Sie leiden unter dem Nachteil, dass sie von keiner gemeinsamen Lobby

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vertreten werden. Sie arbeiten auf Projektbasis und in wechselnden Konstellationen mit heterogenen Zielgruppen. Sie haben keine gemeinsame Vertretung, die Erfahrungsaustausch, Vernetzung und Weiterbildung gewährleistet. Hier fehlt auch eine Basis für rechtliche Auskünfte, z. B. wie die heikle Abgrenzung zwischen den freien KulturvermittlerInnen und Austria-Guides ausgelegt wird, teilen sich ja beide Gruppen den öffentlichen Raum. Kann der Verband der KulturvermittlerInnen, dem du im Moment als Präsidentin vorstehst, dieses Tätigkeitsfeld überblicken und erfasst er diese Menschen, die ja vermehrt auch aus unterschiedlichen Ausbildungsschienen auf den Arbeitsmarkt kommen? In dieser Rolle kann sich der Verband massiv weiterentwickeln. AbsolventInnen neuer Studiengänge und unterschiedlicher Ausbildungsschienen sowie KünstlerInnen im soziokulturellen Feld haben im Verband im Moment keine Ansprache. Ich glaube auch nicht, dass sie vom Verband wissen – und so, wie der Verband derzeit aufgestellt ist, kann er nur wenig bieten. Hier sehe ich großes Entwicklungspotenzial. An den Tagungen und Feedback empfinde ich durchaus, dass der Verband der Kunst- und KulturvermittlerInnen nicht mehr so attraktiv ist wie vor rund zehn Jahren. Viele Ziele sind erreicht! Die Generation der heute eintretenden KulturvermittlerInnen hat nicht mehr das Problem von Kettenverträgen oder Ähnlichem. Gleichzeitig wurde durch die Professionalisierung der Vermittlung, der organisatorischen und budgetären Verankerung in den Betrieben ein Hamsterrad im goldenen Käfig geschaffen, das für Verbandsarbeit, Vernetzung und Ref lexion wenig Kapazitäten freilässt. Was sind die Ziele der Präsidentin? Wo soll sich der Österreichische Verband der KulturvermittlerInnen in den nächsten Jahren hin entwickeln? Wie gesagt, die nächsten Ziele müssen meiner Meinung nach sein, der Vielzahl an freien KulturvermittlerInnen eine »Heimat« zu bieten. Anderes Thema wäre die Frage der Ausbildung. Wir verstehen Kulturvermittlung als Beruf – ein Beruf hat eine geregelte Ausbildung. Ich glaube, es wäre an der Zeit, darüber zu diskutieren, ob der Wunsch nach einer vereinheitlichten Ausbildung vorhanden ist. In diese Diskussion sollten

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unbedingt auch ArbeitgeberInnen und Verantwortliche des Förderwesens eingebunden werden! Derzeit sind die Ausbildungen für KulturvermittlerInnen sehr verschieden und für die Ausführung dieser Tätigkeit keineswegs verpf lichtend! Manche Ausbildungswege sind teurer als andere, es gibt lange und kurze Ausbildungszeiten, viele sind praxisorientiert, andere legen wiederum Wert darauf, auch in andere Berufsfelder – z. B. KuratorInnentätigkeit – einzuführen. Wer darf ausbilden? Gibt es denn so wie für angehende MedizinerInnen ein Lehrkrankenhaus für Kulturvermitt­lerInnen ein Ausbildungsmuseum oder für NaturvermittlerInnen einen Ausbildungsnaturlehrpfad? Eine Kooperation zwischen einer Sammlung und einer Ausbildung wäre sinnvoll, man könnte Theorie und praktisches Training verbinden. Würde denn eine einheitliche Ausbildung Qualität sichern? Wir sind wieder beim Anfang unseres Gesprächs. Festzuhalten ist: Die Tätigkeit an sich ist zurzeit nicht geschützt! JedeR darf sich KulturvermittlerIn nennen! Wollen wir den Zustand beibehalten, ist das in Ordnung so?  – Oder gibt’s hier Handlungsbedarf? Und was passiert dann mit »Dinosauriern« der Vermittlung, wie ich einer mittlerweile bin, die auf ein abgeschlossenes Studium, Teilnahme an Workshops und Seminaren und 25 Jahre Praxis verweisen kann? Bekomme ich ohne Schein Berufsverbot? Gibt es Übergangsfristen? Die Diskussion darüber könnte spannend sein und deren Ergebnisse das Berufsfeld für die nächsten Jahre prägen.

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Die Ausschweifungen eines Mannes, der bei dem Gedanken daran verrückt wird, dass niemals jemand jemandem etwas beigebracht hat* 1

Modesto Tamez Bisher hat Ihnen niemand etwas beigebracht. Das ist für jemanden wie mich, der seit über 40 Jahren pädagogisch und kulturvermittelnd arbeitet, eine gewagte und beunruhigende Aussage. Aber bevor ich mich in die Bedeutung dieser Aussage vertiefe, denke ich, dass ein wenig Hintergrundwissen erforderlich ist. Die meiste Zeit meines Erwachsenenlebens war ich stolz darauf, mich als Lehrer bezeichnen zu können. Ich bin zweisprachig, Spanisch und Englisch, und somit auch bikulturell aufgewachsen. Ich stamme aus Mexiko, aber meine Heimat ist die USA und daher kommt auch der für mich größte kulturelle Einf luss. Im weiteren Verlauf wird das noch eine Rolle spielen. Dieser Artikel basiert auf meinen 40 Jahren Erfahrung in formaler und informeller Bildung. Hier geht es nicht um wissenschaftliche Erkenntnisse; was hier steht, kommt von Herzen und geht aus meiner Erfahrung und Beobachtung hervor. Meine ersten Erfahrungen im Bildungsumfeld habe ich in einer bilingualen Spanisch-Englisch-Grundschule als Klassenlehrer in Chicago gesammelt. Hier sollten SchülerInnen in die amerikanische Kultur und Sprache eingeführt werden, ohne dabei ihre Muttersprache zu vernachlässigen. Obwohl es sehr viele Forschungen dazu gibt, die den Wert eines solchen *1| Der Originalbeitrag wurde im Anhang dieses Bandes abgedruckt.  Die vorliegende Übersetzung stammt vom Büro Kern, Wien.

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Ansatzes belegen, ist die mehrsprachige Spracherziehung in den Vereinigten Staaten nicht weit verbreitet. Ich habe also in so einem Klassenraum für ein paar Jahre unterrichtet und wurde dann Lehrer für Naturwissenschaften an einer Schule, in der alle SchülerInnen mithilfe praktischer Anwendungen Mathematik und andere Naturwissenschaften erlernten. Unsere Philosophie war es, dass man diese Fächer eher durch einen praxisorientierten Ansatz lernt. Heute bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass dies auf alle Fächer zutrifft. Ich konnte aus erster Hand erfahren, wie ähnlich und unterschiedlich verschiedene Altersgruppen sein können, was eine sehr wertvolle Erfahrung war. Ich habe versucht, verschiedene Aktivitäten mit unterschiedlichen Levels im Alter zwischen fünf und 14 Jahren auszuprobieren, um Gemeinsamkeiten zu entdecken. Das war eine Offenbarung für mich. Ich habe gemerkt, dass Kindergartenkinder jegliche Information mit Freude wie ein Schwamm aufnehmen können. ErstklässlerInnen waren da schon wieder etwas anders, trotzdem wussten sie alles! Sie konnten bis 100 zählen; sie kannten alle Buchstaben und hatten bereits angefangen zu lesen. Was brauchten sie noch?! Natürlich ist die Frage nicht ernst gemeint, aber in Wirklichkeit lernen die Kinder in den USA in der ersten Klasse alle Grundlagen, und dabei ist der Unterricht sehr linear und wenig kreativ. In der zweiten Klasse erkennen die Kinder, dass da noch so viel mehr ist, was man lernen kann, und schon saugen sie wieder fröhlich alles auf. Das hält meistens bis in die vierte und fünfte Klasse an. Dann steigen ihnen die Hormone zu Kopf und halten sie vom Lernen ab. In meinen ersten 18 Jahren als Lehrer habe ich Naturwissenschaften unterrichtet, alles in einem formellen Rahmen. Ich habe die eben beschriebenen Trends bei den SchülerInnen häufig erlebt und konnte verschiedene Strategien ausprobieren, sie in ihren unterschiedlichen Stadien zu erreichen. Vor etwa 25 Jahren habe ich angefangen, beim Exploratorium in San Francisco zu arbeiten und methodisch zu experimentieren. Diese Einrichtung ist eines der ersten interaktiven Wissenschaftsmuseen der Welt. Das Museum wurde 1969 von Frank Oppenheimer gebaut, dem Bruder des berühmten Robert Oppenheimer, der Leiter des Manhattan-Projekts war, bei dem die USA in den frühen 1940er-Jahren versuchten, eine Atombombe zu bauen. Die Ironie ist, dass Frank, ein Teilchenphysiker, der mit Teilchen arbeitete, die für das menschliche Auge nicht zu erfas-

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sen sind, daran glaubte, dass man nur die Dinge unterrichten soll, die man anfassen, schmecken, sehen, riechen und hören kann. Er gab der Einrichtung einen Namen, der seinem Glauben Nachdruck verlieh: »Das Exploratorium: Museum der Wissenschaft, Kunst und menschlicher Wahrnehmung«. Ich war in der Abteilung für Bildung und Vermittlung, hier war das Ziel, das Wissen eines/einer UniversitätsprofessorIn mit der Pädagogik des/der SchullehrerIn zu vereinen. Wir waren davon überzeugt, dass nur Inhaltliches, also Lesen und Lektüre, auf Dauer zu langweilig und uninspirierend für die SchülerInnen ist, dass aber andererseits einfach nur etwas zu tun, ohne Inhalt und Ref lexion, reine Zeitverschwendung ist. Unser Programm bestand aus einem Teil Pädagogik, der auf einen reichhaltigen Inhalt trifft. Das Programm unterscheidet sich dahin gehend von anderen, dass Kunst und Wissenschaft gemeinsam eine Rolle spielen. Wir unterrichten viele Kurse, in denen Mathematik, Wissenschaft und Kunst zusammengebracht werden, um die Zusammenhänge besser verständlich zu machen und um einen authentischen Ansatz zu verfolgen. In der Abteilung sind die Hälfte fähige UniversitätsprofessorInnen und die andere Hälfte fähige LehrerInnen. Das macht sie zu einem wundervollen Ort, an dem Ideen und Fähigkeiten miteinander geteilt werden. Es ist kein gewöhnlicher Job, sondern eher eine Lebensart. Am Exploratorium gilt die Regel: Anfassen erlaubt! Das zieht alle möglichen interessanten, kreativen und talentierten Menschen an. Es gibt am Exploratorium sehr viele begabte WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen, MathematikerInnen, IngenieurInnen und (Kunst-)HandwerkerInnen, die alle zusammen an dem Ziel arbeiten, den Menschen mithilfe interessanter und erreichbarer Ausstellungen Wissenschaft und Kunst näherzubringen. Dieses Umfeld eröffnete mir die Möglichkeit, einige der größten DenkerInnen und MacherInnen unserer Zeit kennenzulernen, mit ihnen zu spielen und mich mit ihnen zu unterhalten. Hier dachte ich zum ersten Mal intensiv darüber nach, wie wir eigentlich lernen. Thomas, einer meiner Kollegen, war ein Physikprofessor, der ganz zu meiner Freude von Richard Feynman unterrichtet wurde, einem der brillantesten Köpfe des 20. Jahrhunderts. Dessen Arbeit und Bücher sind unglaublich – er hat den Nobelpreis für Physik erhalten – und er war eine wundervoll verrückte Person. Ich hatte alles von ihm gelesen und bat Thomas, mir alles über Feynman zu erzählen.

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Eine Geschichte ist mir besonders im Kopf geblieben. Thomas sagte, dass er als Student Schwierigkeiten beim Verständnis der QED (Quantenelektrodynamik) hatte. Dafür bekam Feynman seinen Nobelpreis. Dieses Konzept war so schwierig, dass, egal wieviel Thomas las, er es nicht verstehen konnte. Er fand aber heraus, dass Feynman vorhatte, einen Vortrag über QED zu halten. Seine Vorträge waren so gut, dass sie von Millionen von StudentInnen aufgenommen und gehört wurden. Thomas erinnert sich, dass er dieser brillanten Vorlesung zuhörte und anfing, das Konzept zu verstehen, und sich sogar sagte: »Es ist gar nicht so schwierig, wie ich dachte!« Fröhlich verließ er die Vorlesung, endlich hatte er die QED verstanden! Aber später am Abend bemerkte er, dass er das Konzept doch nicht wirklich verstanden hatte. Er hatte eine Ahnung, aber von der war nicht wirklich etwas hängen geblieben. Es hat ihn noch viele Tage des Problemewälzens, Textelesens und viele Unterhaltungen mit KommilitonInnen und LehrerInnen gekostet, ehe er alles verstanden hatte. Der brillante Richard Feynman konnte ihm also QED nicht beibringen. Niemand konnte es; er musste es sich selbst beibringen. Eine meiner Aufgaben am Exploratorium bestand darin, eine Förderung der National Science Foundation mitzuleiten und Kunst und Wissenschaft für Kommunen zugänglich zu machen, in denen Kinder keinen Platz hatten, um herumzutüfteln, zu bauen und zu experimentieren. Wir haben in Kalifornien geholfen, 13 betreute, wissenschaftliche (After-School-Science-)Zentren in ärmeren Gegenden zu errichten. Wir nennen sie Community-Science-Workshops. Das hat mir die Möglichkeit gegeben, wirklich in die Welt der informellen Wissenschaft einzusteigen, und fünf Jahre lang war es mir möglich zu sehen, wie Kinder in ungewöhnlichen Settings lernen. Bei diesen Workshops haben Kinder jeden Alters miteinander an Wissenschafts- und Kunstprojekten gearbeitet, manchmal auch gemeinsam mit den Eltern. Auch das hat mir die Augen geöffnet; ein weiteres Beispiel dafür, wie Menschen lernen. Durch meine Arbeit am Exploratorium und die Mitarbeit bei den Wissenschaftsworkshops hatte ich die Möglichkeit, viel zu beobachten, und ich erhielt tiefe Einblicke in unser Lernverhalten. Aufgrund der Reputation des Exploratoriums baten mich andere Institutionen von überall auf der Welt, bei ihnen zu arbeiten. Jetzt habe ich in über einem Dutzend Länder, mit Menschen jeden Alters und aus allen Schichten gearbeitet. Ich konnte aufgrund dieser Erfahrungen beobachten, dass es

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weltweit große Diskrepanzen zwischen der Art, in der wir lernen, und den Bildungssystemen gibt. Meine eigene schulische Ausbildung hat in Mexiko begonnen, mit sieben bin ich in die USA gekommen. In beiden Ländern war der Unterricht mit einigen wenigen Ausnahmen eher traditionell. Was für mich wirklich wertvoll war, war, dass ich bei der Einwanderung in die USA eine neue Sprache und Kultur kennenlernen durfte. Rückblickend erinnere ich mich, wieviel Freude mir das Lernen der neuen Sprache gemacht hat. Das Komische ist, dass es mir wenig ausgemacht hat, wenn ich einiges nicht wusste oder ratlos war. Ich habe mir dann immer vorgestellt, ich wäre auf einem anderen Planeten. Ich erinnere mich noch an die Macht, die ich hatte, wenn ich sagte: »No hablo ingles!« (»Ich kann kein Englisch!«), auch wenn ich verstand, was gesagt wurde. Es war toll, Dinge nicht tun zu müssen, nur weil ich so tat, als könnte ich die Sprache nicht. Ich habe jeden Tag geübt und versucht, die Dinge miteinander in Verbindung zu bringen und alles zu verstehen, aber das richtige Verschmelzen mit der Sprache hat lange gedauert. Die Listen mit englischen Wörtern, die meine Lehrer mir an die Tafel geschrieben haben, haben mir nie wirklich geholfen, neue Wörter zu lernen. Was mir tatsächlich dabei geholfen hat, waren Erfahrungen, z. B. wenn mir jemand einen Apfel gegeben hat und ich einen Bissen davon nahm und dann das Wort gesagt habe, dann habe ich es behalten. Ich habe beinahe meinen gesamten Wortschatz dadurch erhalten, dass ich neue Wörter mit einer Erfahrung verknüpft und sie dann wiederholt habe. Eine der größten intellektuellen Erfahrungen meines Lebens habe ich nach etwa einem Jahr in dem neuen Land gemacht: Plötzlich war ich bilingual. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich das erste Mal auf Englisch gedacht habe. Ich bin nicht nach und nach bilingual geworden, sondern es passierte quasi mit einem Mal. Erst noch »pensaba en español« und dann beim nächsten Mal dachte ich auf Englisch! Ich erinnere mich noch daran, wie ich mich gefreut habe, von Englisch auf Spanisch und zurück zu denken. Es war atemberaubend und noch Tage später habe ich mit dieser neuen Fähigkeit gespielt. Das war ein riesengroßer Schritt für mein Sprachverständnis. Ich glaube, dass man zunächst sieht oder hört, dann eine Erfahrung macht, darauf hin übt und nach einiger Zeit setzt dann das Verstehen ein.

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Beim Schreiben dieser Zeilen fällt mir auf, dass ich seit Jahren nicht mehr an diese Erfahrung gedacht habe. Sie hat mir nicht nur einen Beweis dafür gegeben, dass wir durch Erfahrung lernen, sie hat mir auch das Tempo, in dem wir lernen, vor Augen geführt. Es ist nicht so, dass wir an einem Tag etwas lernen, am nächsten Tag dann das Doppelte und so weiter. Es kann sein, dass wir eine ganze Zeit lang nicht viel verstehen, und dann machen wir plötzlich einen Sprung und bekommen einen Sinn für etwas. Ich glaube, Lernen besteht aus solchen besonderen Wissenssprüngen. Das heißt, für eine gewisse Zeit versteht man kaum etwas und dann plötzlich ist es da. Vor Kurzem hatte ich noch eine andere Erfahrung bezüglich des Lernens. Vor vier Jahren, also mit 65, fing ich an, Unterricht für JazzUkulele zu nehmen. Das hat mir viel Spaß gemacht, eine neue Synapsenverbindung in meinem Kopf, und ich habe wieder viel über unser Lernverhalten erfahren. Im Ukulelespielen bin ich ein Anfänger, aber einer mit vollständiger analytischer Ref lexion. Während ich mich damit schwertue, eine musikalische Sprache zu erlernen und meine Muskeln an die Griffe zu erinnern, denke ich nach und analysiere den Prozess. Als Kind hatte ich diese Fähigkeit nicht. Mein Musiklehrer zeigt mir die Symbole und deren Bedeutung, die Positionen, in denen meine Hände sein müssen, und unterstreicht das Timing eines Tons. Oft gehe ich nach Hause, übe das neue Lied und ich mache kaum Fortschritte, und dann, wie von selbst, kann ich das Lied plötzlich spielen. Ich finde es merkwürdig, dass Finger und Kopf so lange nicht zusammenkommen wollen, und dann spiele ich plötzlich eine Melodie. Es ist ein vielschichtiger Prozess. Mit der Zeit werden Noten, die für einen unmöglich zu spielen waren, normal. Wenn noch mehr Zeit vergeht, hat man einen weiteren Durchbruch, und die Melodie wird zu einer lyrischen, musikalischeren. Diese Fortschritte sind immer sprunghaft und punktuell, niemals f ließend. Auch das zeigt wieder, dass Lernen nicht graduell verläuft, sondern aus einer Abfolge ungleichmäßig verteilter Plateaus besteht. Für eineN LehrerIn ist es wirklich schwer, damit umzugehen, denn man erwartet von seinen SchülerInnen, dass ihr Verständnis linear ansteigt und sie dadurch Fortschritte machen, und man ist enttäuscht, wenn dem nicht so ist; es kann sogar zu Problemen mit den SchülerInnen führen. Sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass die SchülerInnen immer in unterschiedlichem Tempo lernen werden und dass sie immer an be-

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stimmten Punkten Sprünge machen werden. Sie müssen hauptsächlich geduldig sein. Lernen braucht seine Zeit und bei verschiedenen SchülerInnen wird diese Zeit unterschiedlich lang sein. Die SchülerInnen, die als erste den Sprung geschafft haben, können den anderen helfen, dahin zu gelangen. Ihnen ist bestimmt schon aufgefallen, dass ich das Wort »Unterrichten« nicht so häufig verwende, denn es geht mir ums »Lernen«. Nach jahrzehntelangem »Unterrichten« wurde mir klar, dass einE LehrerIn nicht einfach einE ÜberbringerIn von Worten ist, sondern jemand, der/die das Lernen vermittelt. Dieser Paradigmenwechsel hat alles für mich verändert. Zuerst war es ein wenig verwirrend, aber dann hat mir diese Erkenntnis die Freiheit gegeben, verschiedene Ansätze auszuprobieren und meine Erwartungen darüber zu ändern, wie und wann Lernen passiert. Wir lernen bereits, sobald wir das Licht der Welt erblicken, ganz ohne LehrerIn. Wenn wir die Fruchtblase unserer Mutter verlassen, beginnen wir, die Welt für uns selbst zu erfahren. Unsere Sinne – Sehen, Riechen, Tasten, Hören und Schmecken – sind die Fenster zu unserer Welt. Sie werden nach und nach aktiviert; der Geschmackssinn ist vor allem am Anfang einer der aktivsten Sinne, kleine Kinder stecken fortwährend Dinge in ihren Mund. Hier fängt die Erkundungstour des Menschen an und man versucht, sich in seiner Umgebung zurechtzufinden, sie zu erkunden. Babys experimentieren eindeutig, indem sie alles probieren, was sie in ihren Mund stecken können. Sinne wie Sehen kommen später dazu. Das Faszinierende an dem, wie wir sehen und das Gesehene wahrnehmen, ist, dass das Gehirn Zeit braucht, um die empfangenen Bilder zu verarbeiten. Größe und Entfernung sind ein gutes Beispiel. Wenn ein Säugling zu sehen beginnt, gibt das Netzhautbild, falls klein, dem Kind einen Hinweis darüber, dass das Objekt, was es sich ansieht, auch klein ist. Experimentieren und Ausprobieren führen wahrscheinlich dazu, dass das Baby begreift, dass Objekte sich nicht in der Größe verändern, sondern dass die Entfernung diesen Eindruck verursacht. Das bringen sich die Kinder selbst und ohne Hilfe der Eltern bei. Nachdem sie ihre Sinne verwenden können, versuchen sich Säuglinge an komplizierten physikalischen Experimenten. Schauen Sie sich einmal kleine Kinder im Kinderhochstuhl an. Sie werfen ihr Essen, ihren Löffel und alles andere von ihrem kleinen Tisch. Dies ist ein Experiment der Schwerkraft. Sie sind nicht bösartig, wenn sie das tun, son-

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dern sie probieren einfach Dinge aus. Nach einigen Jahren hat sich das Gehirn entwickelt und es beginnt, Verallgemeinerungen zu machen. Wenn alles, was das Kind bisher runtergeworfen hat, fällt, dann werden alle Dinge, die man wirft, fallen: Das ist newtonsche Physik. Es würde uns viel Zeit kosten, alles auszuprobieren, was wir zu lernen haben. Wir haben nur eine begrenzte Lebenszeit, und die Fähigkeit, Dinge zu verallgemeinern, ist ein wichtiger Teil des evolutionären Prozesses unseres Gehirns. Der Säugling als »experimentierendes Individuum« wird zu einem Individuum, das anfängt, mehr zu generalisieren und weniger zu experimentieren. Als PädagogInnen ist es eine unserer wichtigsten Aufgaben, in den Köpfen unserer SchülerInnen das einjährige Kind wiederzuerwecken. Ein anderes Merkmal, das Säuglinge besitzen und das wir bei vielen unserer SchülerInnen mittlerweile vermissen, ist die Fähigkeit, zu scheitern und wieder aufzustehen. Wir besitzen eindeutig eine biologische Notwendigkeit, aus Fehlern zu lernen. Kulturell gesehen, stirbt diese Praxis aus und unsere Lernfähigkeit leidet darunter. Wir sind als kreative ExperimentiererInnen und RisikoträgerInnen geboren, aber unsere Kultur und die Erziehungseinrichtungen unterdrücken das. Wie ich bereits geschrieben habe, empfinde ich ErstklässlerInnen als nicht mehr so kreativ und spontan wie Kindergartenkinder. Das ist kein biologischer Zug, sondern ErstklässlerInnen werden anders unterrichtet als Kindergartenkinder. Norman Brosterman hat ein wundervolles Buch geschrieben, das Inventing Kindergarten heißt. In diesem Buch wird erklärt, wie die Erfindung des Kindergartens durch Friedrich Wilhelm August Fröbel viele KünstlerInnen und DesignerInnen des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts beeinf lusst hat. Der Kindergarten wurde ins Leben gerufen, um Kindern die Möglichkeit zum Spielen und Erkunden zu geben. Brosterman spricht über die ›Geschenke‹, die Teil von Fröbels Kindergärten waren. Diese waren Farben, Holzklötze, Ton und andere Dinge, aus denen man etwas bauen oder formen konnte. Der Kindergarten war ein Ort, an dem Kinder durch Spielen und Experimentieren lernen konnten. Heutzutage hingegen sollte der Unterricht in den Kindergärten der USA als Verbrechen angesehen werden! Kindergärten wurden zu Vorschulen, in denen Lesen das vorrangige Ziel ist, und nicht mehr das Experimentieren oder Spielen.

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Wenn ich so daherrede, möchte ich aber nicht den Eindruck vermitteln, dass ich LehrerInnen kritisiere oder sie in ihrer Rolle als Erzie­ herInnen herabsetzen möchte. Im Gegenteil: Ich bin ein stolzes Mitglied und Unterstützer dieser überaus wichtigen Profession! Was ich sagen will, ist, dass wir Menschen als Kreative, AutodidaktInnen, ExperimentiererInnen, MacherInnen und ProblemlöserInnen geboren werden. Das Leben ist ein kreativer Prozess, in dem jede Minute anders ist. Situationen und Herausforderungen ändern sich andauernd und wir passen uns allem an, wir lernen alles, was wir brauchen, um weiterleben zu können. Mit diesem Wissen sollten wir betonen, dass die Rolle eines/einer LehrerIn die eines/einer VermittlerIn, FragenstellerIn, LeiterIn, BeispielgeberIn ist. LehrerInnen sind wie TrainerInnen. Das Hauptaugenmerk in einer pädagogischen Umgebung sollte weniger auf dem Erlernen von Fähigkeiten und Wissen liegen, vielmehr sollte das Heranwachsen eines positiven Effekts unterstützt werden, mit der Möglichkeit für eineN SchülerIn, aus vielen authentischen und persönlichen Erfahrungen zu lernen. Sehr gute Lehrkräfte stehen den SchülerInnen bei diesen Erfahrungen zur Seite und unterstützen diesen persönlichen Prozess.

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Skizzierungen sozialer Inklusionspraktiken Kulturvermittlung im Spannungsfeld professioneller Ansprüche Agnieszka Czejkowska Der folgende Artikel beleuchtet und diskutiert Spannungsfelder (1.) wie Spielräume einer kritischen professionstheoretischen Positionierung der Kunst- und Kulturvermittlung. Die vorliegende Version resultiert aus den drei Projekten, die in einer ausführlichen Version in Czejkowska 2013, Czejkowska/Sorge 2015 sowie Czejkowska/Ortner/Thuswald 2015 nachzulesen sind. In den Blick nehme ich dabei ausgewählte Problemfelder der pädagogischen Professionalisierung vor dem Hintergrund sozialer Inklusion. Knappe Skizzierungen sollen auf bisher in der Kunstpädagogik wie in den pädagogischen Professionalisierungsdebatten vernachlässigte Themen (2.), wie etwa die Positionierung einer ausbildenden Institution im gesellschaftlichen Kontext oder das von ihr vertretene Menschenbild, aufmerksam machen. Daran anschließend werden konkrete Bezugspunkte (3.) für eine entsprechende (Aus-)Bildung von Kunst- und KulturvermittlerInnen eröffnet.

1. P rofessionalisierungsdiskurs trifft auf soziale I nklusion Gegenwärtig wird in Österreich eine Reform umgesetzt, die pädagogische Berufe – für künftige Aufgaben und Herausforderungen der sozialen Inklusion vorbereitend – neu rahmt. Zu mehr Professionalisierung soll die sogenannte PädagogInnenbildung neu berufsfelderübergreifend führen: vom Kindergarten bis zu Hochschulen. Kunst- und KulturvermittlerInnen sind spätestens mit dem educational turn davon ebenso betroffen wie die KindergartenpädagogInnen, LehrerInnen oder Erwachsenenbild­

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nerInnen. Darüber hinaus markiert diese Bezugnahme auf unterschied­ liche Felder1 einen Shift in der Frage der Herausforderungen, da sie offenbar nicht mehr berufsbezogen, sondern entlang von (Lern-)Biografien der AdressatInnen betrachtet werden. An dieser Stelle lässt sich frei nach Kosselleck (2002: 41) die Frage aufwerfen: Wann, wo, von wem und für wen werden welche Absichten mit der Chiffre Professionalisierung begriffen? In einem acht Jahre andauernden Aushandlungsprozess (2007–2015) wurde die PädagogInnenbildung neu als Gesetz verabschiedet und mit der Änderung des Universitätsgesetzes 2002 und des Hochschulgesetzes 2005 im Jahr 2015 abgeschlossen2 . Diesem gingen zahllose mehr oder weniger partizipative Prozesse voraus, deren ausgesprochenes Ziel es war, eine Antwort auf zukünftige gesellschaftliche Herausforderungen zu liefern. ExpertInnengruppen wurden beauftragt, Stellungnahmen von betroffenen Institutionen erbeten, Stakeholderkonferenzen initiiert und die ›Sozialpartner‹ an einen Tisch gesetzt (vgl. Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft 2016). Am Ende des langwierigen Prozesses und bis zum Schluss ungewissen Ausgangs (wird der Entwurf in den Gesetzesstatus gehoben oder nicht) wurde letztlich eine entsprechende Gesetzesvorlage verabschiedet. Diese stellt außerordentlich ambitioniert wie kostenneutral zahlreiche Ansprüche an die Ausbildung von PädagogInnen im Namen einer diffusen, da nicht näher ausgeführten Professionalisierung, genauer der Entwicklung professioneller Kompetenzen: Das Subsumtionssystem der darin genannten Kompetenzen ist fraglich. Es wird von »allgemeinen und speziellen pädagogischen Kompetenzen«, »fachlichen und didaktischen Kompetenzen«, »Professionalitätsverständnis«, »Beratungskompetenz«, aber auch von »sozialer Kompetenz im Umgang mit internen und externen Partnern« gleichermaßen gesprochen (vgl. Empfehlung der Expertengruppe 2010). Prominent vertreten ist der Begriff der Gender- und Diversitätskompetenz. Diese Betonung ist bemerkenswert, weil sie die Praktiken der sozialen Inklusion im 1 | »Allen pädagogischen Berufen liegt ein gemeinsames Verständnis vom Bildungsprozess junger Menschen insgesamt zu Grunde: das erstreckt sich vom Eintritt in frühkindliche Bildungseinrichtungen bis zum Übergang in postsekundäre, tertiäre berufliche Phasen – und es umfasst die gesamte Palette der PädagogInnen-Profession.« (Vgl. Empfehlung der Expertengruppe 2010: 15) 2 | Ein Gesamtüberblick der Prozesse findet sich unter www.bmbf.gv.at/schulen/ lehr/labneu/index.html [Zugriff: 15.11.2016].

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pädagogischen Alltag nicht widersprüchlicher aufgreifen könnte. Wenn wir davon ausgehen, dass Heterogenität eine gesellschaftliche Tatsache ist, pädagogische Institutionen und Settings jedoch in ihrer Funktionalität darauf angewiesen sind zu homogenisieren, dann wird es für die Vermittlung spannungsreich, die im Dienst einer Partizipation, Integration und Gleichstellung steht, worum es ja im Wesentlichen bei der sozialen Inklusion geht. Vermittlung in einer Klasse oder in einer Gruppe – wie sie in Kunstführungen üblich ist – ist mit der Frage, um nicht zu sagen Notwendigkeit, des ›Gleichmachens‹ zu einer Einheit, einem Publikum, um überhaupt sprechen zu können, konfrontiert. Trotz der Herausforderung der offenen Containerbegriffe, des nebulösen Anspruchs der allumfassenden Inklusion von allem und jedem, versuche ich dennoch ein Plädoyer für die angesprochene Reform: Wenn es nach den Empfehlungen und dem Rahmen des Gesetzes geht, dann sollen »professionelle Kompetenzen von PädagogInnen in wissenschaftlich fundierter Theorie und Praxisausbildung entwickelt und in Berufserfahrung vertieft werden« (vgl. ebd.). Das ist prinzipiell begrüßenswert, zumal die Herausforderungen einer von Globalisierung gekennzeichneten Gesellschaft ohne neue Forschungszugänge und den Transfer in die praktische Ausbildung und damit auch Praxis nicht zu bewältigen sind. Das Know-how und die Sensibilität, derer es hier bedarf, ist ohne diese Allianz zwischen Forschung und Praxisfeld nicht zu haben. Theorie, Praxisbezug, Erfahrung: Damit wird im beschriebenen Reformvorhaben ein ernsthafter Versuch unternommen, über das Begriffspaar der professionellen Kompetenzen die Kluft zwischen theoretischer und praktischer Ausbildung zu überwinden und die Bedeutung beider Erfahrungen ernst zu nehmen, ohne sie gegeneinander auszuspielen. Doch auch hier lassen sich weitere Einwände formulieren. Der Begriff der Kompetenz sei ein bedingt tauglicher für Ausbildungssituationen.3 Es gäbe doch kaum eine Programmatik, die den Begriff der 3 | Siehe dazu die Debatte um Kompetenz versus Bildung (vgl. das Schwerpunktheft »Kompetenz – ein neuer Bildungsbegriff?« von ;engagement. Zeitschrift für Erziehung und Schule, H. 3 [2007]). Exemplarisch dazu Alfred Schirlbauers und Volker Ladenthins Kritik an der Inhaltsleere des Kompetenzbegriffs mit Bezug auf Odo Marquards berühmter Kritik an der Philosophie der Gegenwart, Letztere übe sich in der »Inkompetenzkompensationskompetenz«.

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Professionalisierung nicht enthalten würde, wenn es darum gehen soll, politische Ziele und populäre Schlagworte umzusetzen. Auch dieser Einwand ist einsichtig. Professionalisierung scheint ein Schlagwort unserer auf Management und Effizienz setzenden Gesellschaft, eine Denkfigur, ein Deutungsmuster, ein Begriff, ohne den man kaum mehr auszukommen scheint, zu sein, aber der zugleich so offen ist, dass er kaum etwas Substanzielles hergibt. Niemand wird ernsthaft etwas gegen Professionalisierung haben, aber was z. B. pädagogische Professionalisierung oder professionelle Kompetenzen von PädagogInnen wie KunstvermittlerInnen genau seien, das bleibt gleichzeitig vage. Keine Frage, es gibt inzwischen eine Vielzahl von Ansätzen und Denkschulen, die diesen Deutungsspielraum zu nutzen sucht (vgl. Seyss-Inquart 2013). Ebenso gibt es bereits Tendenzen, auf den Begriff der Professionalisierung in der Pädagogik zu verzichten, wie Werner Helsper und Rudolf Tippelt (2011) in ihrer abschließenden Bestandsaufnahme zum Schwerpunktband der Zeitschrift für Pädagogik (57. Beiheft) Pädagogische Professionalität resümieren: Nahezu übereinstimmend […] wird die Adaption des Professionsbegriffs für die Felder pädagogischen Handelns kritisch eingeschätzt und mehr oder weniger deutlich für einen Abschied vom Professionsbegriff plädiert. Er sei zu einem Allerweltsbegriff geworden, alles könne irgendwie professionell gehandhabt und realisiert werden. Zudem passe das – am Modell der freien Berufe, insbesondere des Arztes und Rechtsanwalts gewonnene – klassische Professionsmodell zum einen nicht so recht auf die pädagogischen Berufe und zum anderen seien selbst die klassischen Professionen in einem grundlegenden Umstrukturierungsprozess begriffen, sodass zu fragen sei, ob das Modell der »freien Berufe« zunehmend nicht auch für diese selbst anachronistisch werde. (Ebd., S. 268 f.)

Wenn es einer Abschaffung bzw. näherer Bestimmung bedarf, dann muss der Begriff der Professionalisierung einen Wandel in unserem Verständnis erfahren haben, der auf den ersten Blick nicht unbedingt sichtbar ist. Ein in diesen Zusammenhang passendes und wiederkehrendes Beispiel ist, wie auch oben zitiert, jenes der freien Berufe. Dabei wird stets betont, dass sich die Professionen der Pädagogik von jener der Arztberufe oder Rechtsanwälte unterscheiden. Die Rede von Semiprofessionalität

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ist ein weiteres Indiz für die Fragilität der Deutungsmacht von Professionalisierung (vgl. Oevermann 1996: 70). Schließlich unterscheiden sich pädagogische Situationen stets, da Menschen wie Umstände und Intentionen variieren. Auch nährt die relationale Verbindung von Praxis und Theorie, diese wiederkehrende Herausforderung, die Sehnsucht nach einem professionellen Wissen, das rezeptartig angewandt werden kann. Dieses Wissen muss aber im Augenblick einer routinierten Anwendung scheitern, weil es die berühmte Dignität der pädagogischen Praxis hintergeht. Welche Ebenen schwingen also mit, werden angesprochen und adressiert, wenn wir von Professionalität in pädagogischen Berufen und Kulturvermittlung sprechen? Ewald Terhart etwa sieht im Professionalitätsbegriff einen »modernen Verdichtungspunkt einer ebenso traditionsreichen wie grundsätzlichen, in den unterschiedlichsten Semantiken geführten Auseinandersetzung um das spezifische Aufgabenfeld sowie die besonderen Kompetenzen« (Terhart 1996: 448) des jeweiligen Berufs. In Zeiten der Input-Orientierung wird unter professionellem Handeln von PädagogInnen gewiss etwas anderes verstanden als in Zeiten der Output-Orientierung, wo die Performance der Kinder in den Vordergrund rückt. Wie testet man jedoch kulturelle und künstlerische Bildung? Am Beispiel der Debatten um die Zentralmatura in Bildnerischer Erziehung haben wir schon einen Vorgeschmack erhalten: Weg von den Mappen, hin zum Prüfungsstoff Kunstgeschichte. Auf der anderen Seite ist die mangelnde Professionalisierung insbesondere in der Vermittlung ein Vorwurf, der nicht von der Hand zu weisen ist. Selbst die Grundvoraussetzung einer Profession, die wissenschaftliche Einbettung und Einführung in den Beruf, scheint nicht gegeben zu sein, wie ich im Folgenden aufzeige.

2. D as pädagogisch - professionelle S elbst verständnis in der K unst und V ermit tlung Eine strukturierte Einführung in die Lehre und Vermittlung, das Ref lektieren dieser Praxis, ist keine akademische Tradition, ganz zu Schweigen von Peer-Evaluationen oder Mentoring-Programmen in diesem Bereich. Nicht unähnlich sieht es im Feld der Kunst- und Kulturvermittlung aus.

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Zahllose Kurse, Workshops und strukturierte Programme stehen etwa LehrerInnen und KunstvermittlerInnen zur Verfügung, um sich für britische Museen und Galerien vorzubereiten (vgl. exemplarisch The British Museum, The National Galeries of Scotland). Im deutschsprachigen Raum ist dieser Bereich noch in Entwicklung. Professionelle Kunstvermittlung mit Schwerpunkt Schulen ist im Werden. Da Ausbildungsprogramme noch rar sind, lernen VermittlerInnen ihr Handwerk meist in der Praxis (vgl. Höllwart 2013). Dort ist Raum für die Ref lexion pädagogischen Handelns und die Entwicklung qualitativer Vermittlungskonzepte abhängig von Leitung bzw. persönlicher Eigeninitiative, daher entsprechend selten institutionalisiert. Im Folgenden sollen daher ausgewählte Situationen und zu berücksichtigende Denkfiguren, auf die es den sogenannten Nachwuchs im Kontext von (Massen-)Universitäten wie auch interessierte KollegInnen auf den »relativ jungen Beruf« (Ihrenberger 2007: 49) ›VermittlerIn im Kunst- und Kulturbetrieb‹ vorzubereiten gilt, herausgearbeiteten werden. In beiden Feldern gibt es Gemeinsamkeiten und Überschneidungen. Der Begriff des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie des jungen Berufs verweist auf Generationenverhältnisse, die im wissenschaftlichen Kontext und Kunstbetrieb relevant sind, selten aber explizit angesprochen werden. Schließlich rücken auch methodologische Fragen in den Blick, die sich angesichts von Qualitätsanspruch und Internationalisierung unweigerlich einstellen: Lassen sich ›Bologna‹ und die Imperative ›kompetenzorientiertes Lehren und Lernen‹ sowie ›Vermittlung soll Spaß machen‹ in eine kritische, sozialwissenschaftliche Tradition integrieren? Wie alle einbinden, wenn unter Umständen niemand eingebunden werden will? Wie legt man Vermittlungsinhalte fest und berücksichtigt dabei inhaltliches Interesse und persönliche Bedürfnisse, aber auch Grenzen der meist so unterschiedlichen AdressatInnen? Inwiefern verändert sich die persönliche Lehr- und Betreuungssituation aufgrund der inzwischen selbstverständlich gewordenen Kommunikation via E-Mails, Lernplattformen und Social Media? Die angesprochenen Fragen implizieren eine Veränderung in der Kultur von Lehre und Vermittlung. Es ist anzunehmen, dass jede Generation von Lehrenden und VermittlerInnen diesen Eindruck gewinnen muss. Früher wäre es anders, rückblickend meist besser gewesen, weil es damals mehr Freiraum, mehr Engagement, mehr finanzielle Res-

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sourcen usw. gab (vgl. Dzierzbicka 2010). Eine andere Stilisierung ist das Beschwören eines ›Pioniergeists‹, der unendliche Möglichkeiten verspricht – jedenfalls zu Beginn des Professionalisierungsschubes in der Kunst- und Kulturvermittlung in den 1980er- und 1990er-Jahren (vgl. Schneider 2010). Eine andere Form der Auf bruchsstimmung brachte der fortschreitende Einsatz von Neuen Medien in der Lehre Ende der 1990er-Jahre mit sich. Von enormen Veränderungen ist auch die ›junge‹ Kunst- und Kulturvermittlung in ihrer Publikums- und Kommunikationsarbeit gekennzeichnet. Nicht zuletzt fordern Social media, Apps und zahllose Devices, die den Einstieg ins Internet von unterwegs ermöglichen, eine andere Art der Auf bereitung von Inhalten und Kommunikationsstrukturen (vgl. SmART places).4 Die Folgen auf die Praktiken der Vermittlung und Inklusion sind hier abzuwarten. Gleichzeitig wird den angesprochenen Institutionen nach wie vor bescheinigt, sie würden sich kaum verändern. Die architektonische Gestaltung allein lässt selten Spielraum für das Durchbrechen von Routinen institutioneller Lehre und Vermittlung. Mangels strukturierter Einführung in die Professionen halten sich die ›bewährten‹ Zugänge geradezu hartnäckig. Auch KunstvermittlerInnen sind mangels Vorbilder darauf angewiesen, ›dem Gefühl nach‹ zu handeln und auf bekannte Praktiken und mitunter Klischees zurückzugreifen, nicht selten aus anderen Disziplinen wie der Pädagogik. In diesem Zusammenhang werden freilich auch Probleme der Nachbardisziplin virulent. Wie ist mit den zwangsläufig meist asymmetrisch strukturierten Interaktionen bei einem empathischen Beruf auf ein machtkritisches Selbstverständnis der eigenen Praxis umzugehen? Die Grenze zwischen Bevormundung der TeilnehmerInnen und informativer Inhaltsauf bereitung scheint zunächst im Auge der BetrachterIn zu liegen, wenn sich etwa eine engagierte Kunstvermittlerin fragt, wie mit den alltäglichen und damit selbstverständlich gewordenen bevormundenden Gesten in der Praxis umgegangen werden könnte (vgl. Sorge 2013: 103). So mag es auf den ersten Blick spitzfindig wirken, die Formulierung »Folgen Sie mir jetzt bitte zur nächsten Arbeit« durch »Gehen Sie bitte vor, und schauen 4 | Dahinter steckt die Idee, kulturelle Räume und Technologie sowie Design zusammenzuspannen und Interaktion mit den BesucherInnen über deren eigenen Webinterfaces (Smartphones, Tablets, Notebooks etc.) zu ermöglichen (vgl. dortmunder u  [?] Zentrum für Kunst und Kreativität goes mobile!).

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Sie, ›was passiert‹« zu ersetzen. Für das professionelle Selbstverständnis der VermittlerInnen ist es eine strategische Setzung, die verhindern soll, TeilnehmerInnen über die üblichen Floskeln der Profession, aber auch qua der prononcierten Stellung der VermittlerInnen zu ›belehren‹. Der Akt des Folgens, die VermittlerInnen an der Spitze schaffen eine bestimmte Situation, die in der steten Wiederholung subtil hierarchisch ordnet: die führende Wissende und der Rest, der nachkommt. Der pädagogische Gestus des Zeigens mag in der idealen Vorstellung ein behutsamer sein (vgl. Prange/Strobel-Eisele 2006), in der routinierten Praxis verkommt dieser nicht selten zu einem Kommando. Er kann seine Wirksamkeit entfalten, weil es niemandem mehr auffällt.5 Eine entsprechende Problematisierung gelingt auch Stefan Fürstenberg in seinem Forschungsprojekt Kunstvermittlung zeigen (2011–2013). Auf die Frage nach visuellen und sprachlichen Repräsentationsformen von Kunstvermittlung bleibt sein Blick auf der (An-)Ordnung der Körper in den Räumen haften. Die Distinktion zwischen dem Publikum und den VermittlerInnen ist bei gegenwärtigen Darstellungen von Ausstellungsgesprächen gegenüber der Situation der Unterweisung vor künstlerischen Arbeiten zwar abgeschwächt, dennoch verfügen auch hier die VermittlerInnen über die Autorität der SprecherInnenpositionen inklusive der Macht über die Blickführung und Aufmerksamkeitsbündelung. In Zusammenhang mit Rede- und Zeigegeste wird bei historischen Visualisierungen oft ein Buch zu sehen gegeben, das als Zeichen für Bildung und Wissen gedeutet werden kann. Interessanterweise findet sich dieser Verweis auf Bildung und Wissen in abgeschwächter Form auch in den Repräsentationen von Kunstvermittlung

5 | Wie selbstverständlich ein scharfer Ton nach einer gewissen Zeit wird, lässt sich in nahezu jeder Schule beobachten. Die Art und Weise der Alltagskommunikation ist, wenn man von außen hinzukommt, nur Kleingruppen und dialogische Gespräche gewöhnt ist, gelinde formuliert streng, um nicht zu sagen grob. Die Schulkultur ist mit ihren ständigen Adressierungen von Gruppen und Klassen beim Herstellen von Aufmerksamkeit auf eine Lautstärke und Redundanzen angewiesen, die sich nicht unbedingt in einem anerkennenden Umgang manifestiert. Wenn man die Gelegenheit hatte, in Schulen ethnografisch zu forschen, dann erfasst man rasch, wie das Grobe zum Selbstverständlichen wird. Die Lautstärke, die wiederholten Adressierungen prallen geradezu ab und schrauben sich dergestalt hoch.

Skizzierungen sozialer Inklusionspraktiken wieder, in denen die VermittlerInnen nicht selten Notizzettel oder Broschüren in den Händen halten. (Fürstenberg 2013: 3)

Aus der Perspektive der sozialen Inklusion ist des Weiteren der Umstand bemerkenswert, dass es kaum Untersuchungen gibt, die uns Aufschluss über Lehrende und Vermittelnde geben. Welcher Habitus ist erforderlich, um in den Kultur- und Bildungsinstitutionen erfolgreich tätig zu sein? Greift man diesen Gedanken auf, dann werden es Menschen sein, die ein möglichst breites Repertoire an emotionaler Kompetenz haben, das es ihnen ermöglicht, rasch und in der jeweiligen Situation möglichst viele AdressatInnen ansprechen zu können, ihnen das Gefühl zu geben, es ginge um sie, ihre Interessen und ihr Wissen. Das bedeutet – ungeachtet der allgegenwärtigen Test- und Performancekultur –, dass parallel dazu ganze Scharen existieren (um einen martialischen Begriff zu bemühen), die sich dem Herstellen der Bedingungen für die Aneignung von Wissen und gesellschaftlichen Positionen widmen. Die pädagogisch-professionelle Verantwortung wird so trotz vermeintlicher Beteuerung einer ›kompetenzorientierten‹ Lernkultur mehr denn je bei den Lehrenden und VermittlerInnen verortet. Interessanterweise lassen die institutionellen Rahmenbedingungen dafür immer weniger Raum und Zeit. VermittlerInnen sind nicht dafür zuständig, Ad-hoc-Lösungen für ungelöste, wohlgemerkt gesellschaftliche Anforderungen bereitzustellen. So werden gegenwärtig etwa virulent gewordene Problemlagen auf pädagogische Einrichtungen und Unterstützungssysteme abgewälzt. Völlig unerheblich, ob es sich um Migration oder abnormes Essverhalten handelt, ja selbst die Gefahr des Dschihad soll über die Schule und außerschulische Aktivitäten (zu denen zweifelsohne Kulturvermittlung gezählt wird) aufgefangen werden. Dazu notwendiges Wissen und Kenntnisse sollen bereits in der Ausbildung berücksichtigt werden. Es geht hierbei nicht darum, dass diese Fragen nicht für Bildungsinstitutionen relevant sind. Das Stichwort ist aber »relevant« anstelle von »zuständig sein«. Abzulehnen ist vor diesem Hintergrund die ref lexartige Bezugnahme auf eine vage Professionalität, die sich aller ungelösten Agenden anzunehmen hat. Vom politischen Standpunkt mag diese Forderung verständlich sein, realpolitisch ist sie bemerkenswert, denn gerade gegenwärtig unterliegen Unterrichts- und Vermittlungsprozesse dem Paradigma des kompetenzorientierten Lernens. Nun spricht nichts dagegen, das Individuum samt Kompetenzen in den Mittelpunkt

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zu stellen, insbesondere aus einer pädagogischen Perspektive. Aber genau diese Perspektive ist es auch, welche die gesellschaftliche Frage einmahnt, zumal sie immer die Frage der kompetenten Zukunftsgestaltung aufwirft: Wie wollen wir gemeinsam leben und wie lernen wir das? Vor diesem Hintergrund gilt es, Aspekte von Professionalisierungsprozessen herauszuarbeiten, die Professionsforschung gesellschaftstheoretisch und damit kritisch anlegen (vgl. Liesner/Lohmann 2010; Messerschmidt 2012; Czejkowska 2013; Mecheril 2014; Wrana 2014), indem sie beispielsweise historische wie programmatische Perspektiven mit konkreten Praktiken in einen Bezug setzt und deren Bedingungen untersucht: (Aus-)Bildungsrelevante Herausforderungen können auf diese Weise bearbeitbar und in Form von Lehr-Lern-Arrangements, die daraus entwickelt werden, für Schul- und Vermittlungszusammenhänge fruchtbar gemacht werden. Dazu gehören etwa die performative Herstellung von Differenzen in pädagogischer Praxis, strukturelle Mechanismen und gesellschaftliche Bedingungen des Vermittlungssystems. Diese Ausrichtung betont damit bestimmte Erfahrungen von angehenden und ausgebildeten PädagogInnen und erlaubt, auf diese zu reagieren. Zurückkehrend zum pädagogisch-professionellen Selbstverständnis und den ersten Versuchen, diesen Begriff zu besetzen: Kirsten FuchsRechlin (2010) hat in ihrer empirischen Untersuchung zum professionellen Selbstverständnis von PädagogInnen unter anderem herausgefunden, dass sich die Bedeutung des Studiums für das Ausbilden des beruf lichen Habitus nicht nur auf die Berufseinmündungsphase beschränkt, sondern darüber hinaus. Selbst nach Wechsel der Arbeitsstellen bleiben vergangene Leitbilder einf lussreich. Das sollte uns zu denken geben, denn in eine ähnliche Richtung lassen sich auch Teilergebnisse unserer bisherigen Forschung spezifizieren (vgl. Czejkowska 2013, 2015; Czejkowska/Ortner/Thuswald 2015): Die Parameter, im Sinne von einf lussreichen Größen, auf die Art und Weise, wie sich angehende PädagogInnen als ProfessionalistInnen zu verstehen beginnen, sind zahlreich. Allen Parametern ist gemeinsam, dass pädagogische Professionalisierungsprozesse Zeit und Raum für die Aufarbeitung des bereits in der Ausbildung gemachten Erfahrungswissens, -handelns und -könnens brauchen. Das ist ein entscheidender Moment; ähnlich entscheidend wie die spätere Praxiserfahrung für mögliche Fort- und Weiterbildungsangebote. Denn ungeachtet des Umstandes, ob es sich

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um angehende oder erfahrene PädagogInnen handelt, der Bedarf an Austausch hinsichtlich der stets anderen, neuen und auf eine bestimmte Art doch vergleichbar eingeschätzten Herausforderungen der Praxis ist bemerkenswert. Ähnliches gilt für die Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse. Versteht man Professionen im Sinne des kleinsten gemeinsamen Nenners: Bezug auf und Vermittlung von Wissen, Ausbildung eines bestimmten Berufsethos und Standards der Berufsausübung und -ausbildung, dann ist es notwendig, einen besonderen Raum und strukturierte Ref lexionszeiten bereits in der Ausbildungssituation und darüber hinaus zu verankern. Aus unseren bisherigen Arbeiten lassen sich, wenn man so will, drei für die beruf liche Selbstwahrnehmung der angehenden wie erfahrenen PädagogInnen maßgebliche Bezugslinien definieren, deren Unterscheidung für die Situierung des eigenen Auftrags hilfreich ist: Praxistheorien, Programmatiken und Methodenpools. Wenn man dieser Strukturierung folgt, dann lässt sich festhalten, dass relevante Einf lussgrößen zwischen den drei Bezugspunkten oszillieren und je nach Situation unterschiedlich stark einem der Bezugspunkte zugeordnet werden können, wohlgemerkt vorübergehend. Relevant erscheint mir diese Schlussfolgerung, da sie verdeutlicht, wie sehr angehende und erfahrene PädagogInnen in ihrem Alltag Aushandlungsprozessen ausgesetzt sind. Sie verhandeln mit KollegInnen, mit den ihnen anvertrauten Kindern, SchülerInnen oder Studierenden, mitunter mit Eltern oder Angehörigen, Stakeholdern, mit ihren Vorgesetzten, aber auch mit sich selbst. Sie müssen stets bereit sein, Entscheidungen zu treffen, obgleich sich die Bedingungen, unter denen sie zu entscheiden haben, verändern können. Diese Entscheidungsfähigkeit zu stärken, kann als ein zentrales Anliegen pädagogischer Professionalisierung und damit der Entwicklung eines pädagogisch-professionellen Selbstverständnisses betrachtet werden. Dabei gehen wir davon aus, dass VermittlerInnen im beruf lichen Kontext stets professionell agieren. Die Qualität dieser Professionalität kann allerdings unterschiedlich ausfallen und ist selbstverständlich auch den Bedingungen rundherum geschuldet. Welche Räume der Ref lexion stehen ihnen bzw. stellen sie zur Verfügung?

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3. B ezugspunk te für eine entsprechende (A us -) B ildung von K unst - und K ulturvermit tler I nnen Es gilt als grundlegende Anforderung und zentrales Kennzeichen pädagogischer Professionalität, beruf liches Handeln zu begründen und zu ref lektieren (vgl. Dewe/Radtke 1991, S. 155). Diese Begründungs- und Ref lexionsverpf lichtung ist für die Argumentation, warum PädagogInnen eine wissenschaftliche Ausbildung brauchen, zentral: Durch wissenschaftliche Herangehensweisen würde das nötige Wissen, eine differenzierte Sprache und ein ref lexiver Habitus erworben, der für professionelles Handeln notwendig sei, so das Argument. Gleichzeitig gibt es auch Kritik an einer staatlich kontrollierten Professionalisierung und Verwissenschaftlichung von pädagogischer Tätigkeit: Diese diene auch der Stabilisierung von Herrschaftsverhältnissen, etwa in der gegenwärtigen Ausprägung einer ›Vermarktwirtschaftlichung‹ pädagogischer Tätigkeitsbereiche oder der Individualisierung von Problemlagen (vgl. Heite/ Kessl 2009: 685f.). Catrin Heite und Fabian Kessl argumentieren, dass wissenschaftliche Ausbildungen nicht unbedingt zu einer kritischen Ref lexivität führen und nicht per se »gegen individualisierende und moralisierende Erklärungsansätze immunisieren« (ebd.: 687), vor allem dann nicht, wenn ihnen eine machtanalytische Perspektive fehle. In ähnlicher Weise betont Paul Mecheril mit Verweis auf Pierre Bourdieus Verständnis von Ref lexivität, dass nicht primär die individuellen PädagogInnen im Zentrum der Ref lexion stehen, sondern das pädagogische, kulturelle und alltagsweltliche Wissen, das pädagogisches Handeln und Deuten prägt. Er weist auch darauf hin, dass Ref lexion den PädagogInnen nicht individuell aufgebürdet werden solle, sondern es dafür institutionelle Strukturen und eine kollektive Praxis brauche (vgl. Mecheril 2010: 191). Wie eine Ref lexionspraxis mit machtsensiblem Anspruch aussehen könnte, zeigen die vorliegenden Lehr-Lern-Arrangements (LLA), die im Projekt Facing the Differences erarbeitet wurden und für die Aus- und Weiterbildung von pädagogisch Tätigen konzipiert worden sind (vgl. Ortner 2012; Czejkowska/Ortner/Thuswald 2015). Unter dem Begriff »Lehr-Lern-Arrangement« ist zusammengefasst die Gestaltung von pädagogischen Situationen, die darauf abzielt, Wissen und Kompetenzen zu vermitteln, zur (Selbst-)Ref lexion anzuregen und Bildungsprozesse zu initiieren. Der Begriff »Arrangement« verweist dabei auf die vielfältigen Überlegungen, die bei der Gestaltung von pädagogischen Situati-

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onen von Bedeutung sind; etwa Fragen zu den Zielen, den Inhalten und Methoden, zu den notwendigen Voraussetzungen der Teilnehmenden, zur Organisation von Raum und Zeit, zum verwendeten Material oder zur Gestaltung der Gruppenprozesse; dazu zählen auch die Fragen, wie die TeilnehmerInnen angesprochen werden, welche Haltungen aufseiten der LeiterInnen wichtig sind oder ob die Teilnehmenden am Ende ein Zertifikat oder ein Zeugnis bekommen. Zu all diesen Fragen treffen die LeiterInnen eines LLA − mehr oder weniger bewusste  – Entscheidungen, die an ihren Intentionen orientiert sind. Es werden also bestimmte Bedingungen für Lehren und Lernen geschaffen. Was alle Beteiligten, inklusive der LeiterInnen selbst, in diesem Arrangement genau lernen (werden), entzieht sich jedoch der Kontrolle der LeiterInnen (vgl. Wimmer 2010); trotzdem sind all die Entscheidungen und Überlegungen zum zeitlichen, räumlichen und sozialen Arrangement für das Lernen sowie das Lehren von Bedeutung. Die kurz vorgestellten Lehr-Lern-Arrangements sind konkrete Vorschläge, wie Ref lexionsprozesse in der Aus- und Fortbildung von pädagogisch Tätigen gestaltet werden können. Sie bieten Aus- und WeiterbildnerInnen detaillierte Anleitungen etwa für ein ›Praxis-Ref lexions-Wochenendseminar‹, eine Lehrveranstaltung oder Projekttage. Die LLA greifen dabei Aspekte der oben beschriebenen Methoden auf, die als Forschungs- und als Bildungsmethoden konzipiert und adaptiert wurden. Sie wurden vor allem so adaptiert und didaktisiert, dass sie sich zur Beforschung und Ref lexion von pädagogisch-professionellem Selbstverständnis eignen. In den LLA steht der Bildungsaspekt der Methoden im Vordergrund und nicht die Generierung von Forschungsergebnissen. Nichtsdestotrotz bleibt die Aneignung einer forschenden Haltung ein zentrales Lernpotenzial. Alle vier LLA gehen von konkreten Erfahrungen der TeilnehmerInnen und Handlungsproblemen ihrer pädagogischen Praxis aus. Die LLA kommen damit dem Bedürfnis von (angehenden) PädagogInnen nach, an konkreten schwierigen Situationen zu arbeiten, neue Sichtweisen auf diese zu finden und damit auch neue Handlungsmöglichkeiten denkbar zu machen. Wie aber schon die Titel betonen, bieten sie keine pädagogischen Rezepte an: 1. Selbstbilder skizzieren, 2. In Widersprüchen handeln,

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3. Handeln ohne Richtig-Garantie und 4. Eigenes teilen. Abseits dieser Gemeinsamkeiten  – von eigenen Erfahrungen auszugehen, gemeinsame kollegiale Ref lexion zu üben und die Relevanz von Differenzen und Widersprüchen in den Blick zu nehmen – haben die LLA unterschiedliche inhaltliche bzw. methodische Schwerpunkte und fokussieren sich auf die beruf lichen Bedingungen bestimmter Zielgruppen: Das LLA Handeln ohne Richtig-Garantie greift Interviewmethoden in einer Weise auf, die sich besonders für Ref lexionsprozesse von PädagogInnen in der Berufseinstiegsphase eignen, die oft als sehr herausfordernd erlebt werden. In Widersprüchen handeln orientiert sich an der Kollektiven Erinnerungsarbeit und ist sowohl für die Aus- wie auch die Fortbildung konzipiert. Eigenes Teilen arbeitet mit der Methode des Sich-Verzeichnens und ist vor allem für die Fort- und Weiterbildung von Kunst- und KulturvermittlerInnen konzipiert. Das LLA Selbstbilder skizzieren kombiniert Aspekte von Sich-Verzeichnen, dem pädagogisch-ref lexiven Interview und richtet sich vorrangig an AusbilderInnen, die mit angehenden PädagogInnen arbeiten. Alle vier LLA eignen sich für institutions- und berufsgruppenübergreifende Projekte; für Kooperationen etwa zwischen Bachelors für Kindergartenpädagogik, Kunstvermittlung an Museen, pädagogischen Hochschulen und universitären Lehramtsausbildungen; zwischen ElementarpädagogInnen, KunstvermittlerInnen, LehrerInnen und Sozial­pädagogInnen – Kooperationen, zu denen wir an dieser Stelle explizit ermutigen.6 Der vorliegende Aufsatz ist unter anderem als ein Beitrag zur Positionierungs- und Qualifikationsfrage zu verstehen, die forschungs- und kunstbasierte Lehre sowie pädagogische Professionalisierungstendenzen in der Praxis der Kunst- und Kulturvermittlung ernst nimmt. Im Wesentlichen geht es darum, angehenden PädagogInnen und VermittlerInnen einen Rahmen zu bieten, in dem sie ein pädagogisch-professionelles Selbstverständnis entwickeln können, das gleichermaßen gesellschaftlichen Herausforderungen wie individuellen Ansprüchen gerecht zu werden vermag. Dies ist meines Erachtens nur aus einer kritisch-pro6  |  Die detaillierten Beschreibungen der Phasen und Schritte, als Anleitung für Ausund WeiterbildnerInnen, finden sich auf der Website www.facingthedifferences. at zum freien Download.

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fessionstheoretischen Perspektive möglich. Zu dieser Perspektive zähle ich jene Ansätze, die gesellschaftliche und politische Bedingungen von Lehren und Lernen in den Blick nehmen und als voraussetzend für die Profession thematisieren.

L iter atur Bundesministerium für Wissenschaft, Wirtschaft und Forschung (2016): Erläuterungen [zur Regierungsvorlage] Pädagoginnen- und Pädagogenausbildung NEU; online unter www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Begut/ BEGUT_COO_2026_100_2_855066/COO_2026_100_2_857819. pdf [Zugriff: 15.11.2016]. Czejkowska, Agnieszka (2013): Bitte nicht immer alles in Frage stellen! Zur Entwicklung eines pädagogisch-professionellen Selbstverständnisses. In: Julia Seyss-Inquart (Hg.): Schule vermitteln. Kritische Beiträge zur Pädagogischen Professionalisierung. Wien, S. 27–49. Dies. (2015): zusammen.lernen. Schule entwickeln trotz Innovations- und Veränderungsrhetorik. In: Cathrin Reisenauer/Nadine  Ulseß-Schurda (Hg.): Das Ende der Schule, so wie wir sie kennen. Schlaglichter auf den Umbau der Schule von einer disziplinargesellschaftlichen zu einer kontrollgesellschaftlichen Institution. Innsbruck, S.  79–86 (Schulheft 160 [2015], H. 4). Dies./Ortner, Rosemarie/Thuswald, Marion (Hg.; 2015): facing differences. Materialien für differenzsensible Vermittlung in pädagogischer Aus- und Weiterbildung. Wien (Arts & Culture & Education,  Sonderbd. II). Empfehlung der Expertengruppe (2010): Endbericht; online unter www. ufg.ac.at/fileadmin/media/institute/kunst_und_gestaltung/bildne rische_erziehung/brennpunkt_lehrerinnenbildung/ExpertInnenbe richt_LBneu.pdf [Zugriff: 15.11.2016] Fuchs-Rechlin, Kirsten (2010): »Und es bewegt sich doch …!« Eine Untersuchung zum professionellen Selbstverständnis von Pädagoginnen und Pädagogen. Münster. Fürstenberg, Stephan (2013): Geordnete Körper, verkörperte Ordnungen – über visuelle und sprachliche Repräsentationsmuster von Kunstvermittlung. In: Art Education Research 4, H. 7, o. P.; online unter http://

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W ie soll man denn K ultur vermitteln ? P raxisfelder und M ethoden

Der frische Blick Perspektivwechsel in der Kulturvermittlung Dagmar Frick-Islitzer Neues ist gefragt. Nicht nur in der Kunst, sondern auch immer öfters in anderen Berufsfeldern und im Privatleben. Überall dort, wo Menschen etwas Bestehendes anders haben oder wo sie einen besonderen Bedarf decken wollen, braucht es Ideen. Gerade wir KulturvermittlerInnen sind gefordert, uns unverbrauchte kulturelle Herangehensweisen auszudenken und nicht in konventionellen Vermittlungsmustern zu verharren. Denn gerade von Menschen aus dem Umfeld der Kunst und Kultur wird auch immer wieder Überraschendes erwartet. Dazu setzen wir am besten die »Künstlerbrille« auf. Was ist die »Künstlerbrille«? Stellen wir uns eine Aufgabe vor. Wenn sie neu ist, suchen wir nach einem Lösungsweg und bewegen uns damit auf unbekanntem Terrain. Wenn sie wiederholt auftaucht, wissen wir in der Regel, was zu tun ist. Was aber ist, wenn wir mit der Herangehensweise oder dem Arbeitsprozess unzufrieden sind? In beiden Fällen ist eine neue oder andere Denk- und Handlungsweise nützlich. Das erreichen wir, indem wir die »Künstlerbrille« aufsetzen und damit eine künstlerische Sicht einnehmen. Wir können die Situation aus einem anderen Blickwinkel betrachten und unseren Blick schärfen. Das Gute daran ist, dass wir jederzeit die Brille wieder absetzen können. Und wieder aufsetzen! Mit der »Künstlerbrille« wird aufgezeigt, was wir von KünstlerInnen lernen können.  KünstlerInnen denken anders, neu, quer. Sie spielen, entdecken, experimentieren, verwerfen, kombinieren. Sie haben eine Haltung, die es ihnen erlaubt, zu hinterfragen, Fragen anders zu stel-

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len, Themen und Gegebenheiten nicht als fix anzusehen, sondern aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, Dinge zu beleuchten, zu erforschen, Neues zu erproben. Darin sind KünstlerInnen meisterhaft. Es sind ihre künstlerischen Haltungen, Denkmuster und Arbeitsweisen, die sich Menschen aus anderen Berufsfeldern aneignen können. Der frische Blick kann uns zu ungeahnten Sichtweisen und Erkenntnissen verhelfen, die wir in unserer Arbeit als KulturvermittlerInnen nutzen können. Was heißt Perspektivwechsel aus künstlerischer Sicht? Nehmen wir erst einmal die Perspektive. Das Wort stammt vom lat. perspicere und bedeutet durchschauen, erkennen. Seit der Entdeckung der Zentralperspektive in der Renaissance können Maler und Zeichner den räumlichen Eindruck von dreidimensionalen Objekten auf einer zweidimensionalen Fläche darstellen. Oder werfen wir einen Blick in die Literatur mit ihren Erzählperspektiven. Der/die ErzählerIn nimmt unterschiedliche Positionen ein und verändert so die Blickrichtung. Die Ich-Perspektive mit ihrer beschränkten Innenwelt wirkt dabei ganz anders als die des neutralen Erzählers. Aus Film und Fotografie kennen wir nicht nur die Vogel- und Froschperspektive, die Normal- und Aufsicht, sondern auch die verschiedenen Blickwinkel mit den gewählten Kameraeinstellungen von weit bis ganz groß und detailliert. Alle diese Betrachtungsweisen selektionieren und vermitteln bestimmte Bilder, die der Betrachter schauen und erkennen soll; und zwar von einem bestimmten Standpunkt aus. Es geht um Ansichten und Sichtweisen, die den Horizont je nach Winkelmaß erweitern oder verengen. Lukas Hartmann beschreibt in seinem Roman Bis ans Ende der Meere, wie der Lehrmeister seinen Schüler den richtigen Blickwinkel suchen lässt. »Was siehst du?«, fragte der Lehrmeister. Bei seinen Antworten musste sich der Lehrling auf den ausgewählten Ausschnitt beschränken, sogar mit beiden Händen vor den Augen ein Rechteck formen, in dem die Landschaft bereits wie in einem Rahmen gefasst erschien. Er sah am Anfang oft das Falsche, das Bedeutungslose. Es ging immer auch darum, die richtigen Einzelheiten hervorzuheben, ihre Fülle zu reduzieren (Hartmann 2009: 72). Ausgewähltes Sehen will gelernt sein. Bislang haben wir von fixen Standpunkten aus mit Blickwinkeln gespielt. Holen wir nun die Dynamik dazu. Perspektivwechsel heißt, etwas oder jemanden aus verschiedenen Blickrichtungen zu sehen. Dinge

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oder Menschen zeigen sich nicht immer nach unseren Vorstellungen. Die einfachste Art, etwas zu bewegen, besteht darin, uns zu bewegen, um mehr als einen Eindruck zu bekommen. Wir sind aufgefordert, unseren eingenommenen Standpunkt zu verändern, um in neue Richtungen zu blicken und uns damit einer weiteren Sicht der Dinge zu öffnen. Diese Vorgehensweise beschreibt die Zeichnerin und Bühnenbildnerin Gudrun von Maltzan, wenn sie Bäume porträtiert. Sie sucht sich drei Positionen: zuerst ganz nah am Stamm, dann eine mittlere und eine weit entfernte Position. Ich muss den ganzen Baum vor mir haben – in der Perspektive. Wenn ich dran bin, sehe ich den Baumstamm von einer Kiefer oder eine Linde. Dann sehe ich ungefähr die Blätter. Die sehe ich nachher nicht mehr, nur noch die Masse. Dann kommt die Sonne, die Einwirkung des Lichts dazu. Anfangs versuche ich immer noch, die Blätter zu zeichnen, wenn ich nah bin, damit ich den Baum verstehe, wie er aussieht.1

Eine umfassende Wahrnehmung bedingt also, dass wir unsere Position mehrfach verändern. Stellen wir uns vor, dass wir einer BesucherInnengruppe eine Skulptur näherbringen wollen. Sie lässt sich am besten erkunden, indem wir um sie herumgehen. Im eigenen Tempo erfassen wir sie quasi in einem 360-Grad-Panoramabild. Dazwischen halten wir vielleicht einmal inne, besonders dann, wenn wir ein interessantes Detail oder eine harmonische Ansicht entdecken, was unsere Aufmerksamkeit fesselt. Vielleicht müssen wir uns bücken oder strecken, um das einfallende Licht um oder durch die Skulptur einzufangen. Wir binden unseren Körper in die Erkundung mit ein. Dieses Erfassen des Werkes aus ungewohnten Perspektiven, gekoppelt mit einer leichten physischen Anstrengung, kann zu einem Moment der Überraschung werden, der den BetrachterInnen im Gedächtnis bleibt. Mit jedem Schritt verändern wir unsere Sicht auf das Objekt. Das ist eine Arbeit, die der/die KünstlerIn, der die Skulptur gestaltet, genauso leisten muss wie der/die BetrachterIn. In einem letzten Schritt geht es darum, die gewonnenen Blickwinkel und gewechselten Perspektiven zusammenzufügen. Nur wenn wir

1 | Das Zitat stammt aus einem Gespräch, das die Verf. mit der Künstlerin 2012 in Ahrenshoop geführt hat.

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Unbekanntes mit dem, was wir schon kennen und wissen, verknüpfen, gelangen wir zu neuen Erkenntnissen. Ich sehe oft Dinge aus einem ganz anderen Blickwinkel […] und verknüpfe sie miteinander. Ich denke, das ist die Stärke von KünstlerInnen, dass sie Sachen miteinander verbinden können, wo ein anderer nie auf eine solche Idee kommt,

bestätigt Michael Mittermayer, ein Zeichner und Collagenkünstler aus Vorarlberg.2 Es ist ein anspruchsvoller, kreativer Akt, eine Fragestellung oder Aufgabe perspektivisch anzugehen und die gesammelten Aspekte collagenartig in ein ganzheitliches Bild zu bringen. Gewinnbringend kann ein Austausch mit anderen sein. Das Resultat des oft zeitintensiven Prozesses sind neue Einsichten. Wie evozieren KünstlerInnen Perspektivwechsel beim Publikum?  In der Rezeption von Kunst können wir beispielhaft nachvollziehen, wie KünstlerInnen unseren Blick auf die Welt verändern, indem sie uns Werke und Aktionen zumuten, die für uns unkonventionell, schräg, quer, absurd oder provozierend sind. Gerade weil sie nicht der Norm entsprechen, können sie Denkmuster in uns auf brechen. Spätestens seit der Klassischen Moderne haben KünstlerInnen die Sehgewohnheit ihrer ZeitgenossInnen immer wieder strapaziert. 1907 schockierte Picasso mit seinen Demoiselles d’Avignon und markierte damit den Wendepunkt zum Kubismus. Mit scharfen Pinselstrichen zerhackte er das Bildmotiv in Einzelteile. Er dekonstruierte, indem er die maskenhaften Gesichter von vorne, aber die Nasen seitlich darstellte. Damit zeigte er sie gleichzeitig aus zwei Perspektiven. So etwas hatte die Welt vorher noch nie gesehen. Das war tollkühn und kompromisslos. Es war die radikalste Neuerung seit der Renaissance und führte von der gegenständlichen zur abstrakten Malerei. Sämtliche Konventionen brach Duchamp mit seinen Readymades. 1917 wollte er in der juryfreien Society of Independent Artists in New York ein handelsübliches Urinal um 90 Grad gekippt ausstellen. Signiert war es mit »R. Mutt« und trug den Titel Fountain. Der Vorstand der Society lehnte ab: Das Pissoir sei dort, wo es hingehört, ein sehr

2 | Das Zitat stammt aus einem Gespräch, das die Verf. mit dem Künstler 2014 in Bludenz geführt hat.

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nützlicher Gegenstand, aber es gehöre nicht in eine Kunstausstellung und sei kein Kunstwerk (vgl. Schneede 2001: 80). Diese Beurteilung entsprach voll und ganz alten Sehmustern. Für Duchamp hingegen war die Idee bereits Kunst und begründete damit die Konzeptkunst. Es ging ihm nicht mehr um das Selbermachen. Ausführen könne jeder, meinte er. Mit der Umbenennung von Urinal zu Fountain (zu Deutsch: Springbrunnen, Quelle) verfremdete er das Pissoir und erhob es zum Kunstgegenstand. Die Auswahl und der Name des Objekts sowie die Art der Präsentation waren für Duchamp bereits Kunst. Es ging ihm um die Deutung des Objekts in seinem Umfeld. Das war eine vollkommen neue Herangehensweise an Kunst, die großen Widerstand beim Publikum auslöste. 2012 stellte Paul McCarthy sein Studio in der Neuen Nationalgalerie in Berlin aus und zwar in einer Box, die um einen Viertel gegen den Uhrzeigersinn gedreht war. Ein Fenster gab Einblick auf Tische, Stühle und Regale, Schachteln, Videokassetten und Monitore, Papierstapel, Bilder und Lampen, die an der rechten Seitenwand befestigt waren. Das kreative Chaos einerseits, die rabiate Installation gegen die Schwerkraft andererseits wirkten faszinierend, konnten aber auch irritieren. Um die Gegenstände hingegen wirklich erfassen zu können, tat der gewohnte Blick gut. Wie das geschah, konnte man in der Ausstellung gut beobachten. Die BetrachterInnen neigten ihre Köpfe nach links und verharrten in dieser Position. Um aber den Raum in seiner Surrealität zu erfassen, mussten sie sich wieder aufrichten und den intendierten Blickwinkel des Künstlers einnehmen (vgl. Abbildung unter www.smb.museum/ ausstellungen/detail/paul-mccarthy-the-box.html). Bleiben wir noch beim physischen Perspektivwechsel. 2005 hat der US-amerikanische Regisseur, Bühnenbildner und Multimediakünstler Robert Wilson Mozarts Geburtshaus neu gestaltet. Er zeigt das Musikgenie aus einer ungewöhnlichen Perspektive, nämlich sinnlich, verspielt und humorvoll. So hängen historische Stiche verkehrt herum an den Wänden. Des Weiteren gibt es ein Salzburger Stadtmodell zu sehen, das an der Stuckdecke befestigt ist. »Man muss zwar Respekt haben, wenn man sich einem Phänomen wie Mozart nähert, aber man darf sich auch nicht versklaven lassen. […] Angst, unser Publikum damit vor den Kopf zu stoßen, haben wir nicht«, erläuterte Wilson (Redaktion 2015). Auf die Spitze treibt es der Künstler Michael Rohde. Auf seinen Fotografien zeigt er Wohnungen mit ihren Wänden und Möbeln vom Unter-

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boden her gesehen. Verwirrt blickt der Betrachter auf rohes Mauerwerk, Schrankböden, Gegenstände von ihrer Unterseite. »Der Mensch ist eben so gestrickt, dass er alles sofort einordnen und begreifen möchte«, sagt der Fotograf (Rövekamp 2014). Deshalb irritieren seine Ansichten. Wenden wir uns einem vorletzten Beispiel zu. Kurt Tucholsky hat viel und zu fast jedem Thema geschrieben. Um nicht immer unter demselben Namen publizieren zu müssen, hatte er sich verschiedene Pseudonyme zugelegt. Buchrezessionen und Theaterkritiken verfasste er aus der Sicht von Peter Panter. Unter Theobald Tiger brachte er Kommentare meist in Versform zu Papier. Kaspar Hauser kam als melancholischer, etwas weltfremder Philosoph zum Einsatz. Die politischen Kommentare textete er als Ignaz Wrobel. »Ich mag uns gern«, schrieb Tucholsky über seine erfundenen Identitäten, in die er schlüpfen und aus deren Perspektive er schreiben konnte. Enden wir mit einem aktuellen Perspektivwechsel. Der chilenische Architekt Alejandro Aravena, der die 15. Architekturbiennale in Venedig ausrichtet, hat sich einer Fotografie von Bruce Chatwin bedient, um seine Botschaft zu transportieren. Das Foto zeigt eine Frau auf einer Leiter mitten in der südamerikanischen Wüste. Es war die deutsche Naturforscherin Maria Reiche. Sie untersuchte Wüsten. Um die unterschiedlichen Farben und Verläufe besser zu erkennen, stieg sie auf eine Leiter und verschaffte sich dadurch Abstand und Weitsicht. Auch Aravena, der sich an der Biennale mit den Problemlösungen unserer Zeit befasst, braucht Veränderungen der Perspektive. Der Blick von oben ist bestimmt keine schlechte Ausgangslage (vgl. Burkoff/Kunsmann 2016). KünstlerInnen wollen mit ihren Deutungen und Haltungen konfrontieren und BetrachterInnen auffordern, eine andere Perspektive einzunehmen. Diese kann die Wahrnehmung verschieben, unterwandern, überlagern, umdeuten. Sichtweisen zu vergleichen und sie in ihrer Vielschichtigkeit aufeinander zu beziehen, bringt nicht nur KulturvermittlerInnen und BesucherInnen in rege und mitunter tiefe Diskussionen. In welchen Bereichen der Kulturvermittlung sind Perspektivwechsel angebracht?  In unserer Arbeit haben wir es mit unterschiedlichsten Menschengruppen und Inhalten zu tun. Jede Gruppe will persönlich ›abgeholt‹ und jedem Thema sollen wir inhaltlich gerecht werden. Über allem steht der

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kulturelle Anspruch. Das sind ganz schöne Herausforderungen, denen wir uns stellen und die ref lektiert werden wollen. Fangen wir bei der Zielgruppe an. Die Generation der Babyboomer, die mit Fleiß, Disziplin, Gehorsam zur Pf lichterfüllung erzogen wurde, agiert und reagiert anders als die jungen Generationen Y und Z, die f lexibel, schnell und medienaffin unterwegs sind. Ein altersdurchmischtes Arbeitsteam eines Unternehmens kommt mit einer anderen Erwartungshaltung zu einem Kreativworkshop als eine bunt zusammengewürfelte Gruppe, die sich über einen Verein für Erwachsenenbildung für eine interaktive Kunstführung angemeldet hat. Da keine Gruppe homogen ist, brauchen wir für jede Veranstaltung Wissen und Hintergrundinformationen über die TeilnehmerInnen sowie die Fähigkeit, uns in sie hineinzuversetzen, um sie für uns gewinnen zu können. JedeR TeilnehmerIn will wahrgenommen und mitgenommen werden. Blickwinkelerweiternde Fragen könnten daher lauten: Wo stehen sie? Was können wir ihnen wirklich noch vermitteln? Fragen, die einen Perspektivwechsel initiieren, wären: Was beschäftigt sie? Welche Bedürfnisse bringen sie mit? Was wollen sie von uns annehmen und übernehmen? Die letzte Frage betrifft besonders erfahrene KulturvermittlerInnen, die mit jungem Publikum arbeiten. Am besten fragt man in der Vorbereitungsphase einige VertreterInnen der jeweiligen Zielgruppen, sofern dies möglich ist. Blickwechselgeübt bringen wir in der Regel mehr Offenheit, Respekt und Toleranz für unsere GesprächspartnerInnen auf. Eine empathische Haltung ist dabei hilfreich, wenn wir tiefer blicken wollen. Empathie heißt, aufmerksam hinhören, sich in den anderen einfühlen und nicht werten. So erhalten wir einen Längsschnitt an Meinungen und Einschätzungen, die uns die ›Temperatur‹ einer Gruppe fühlen lässt. Verständnis ermöglicht Beziehung. Je mehr wir sie akzeptieren und je besser wir sie emotional verstehen, desto mehr können wir sie wertschätzen, desto passender können wir sie ansprechen, desto mehr bleibt ihnen von dem haften, was wir vermitteln wollen. Gehen wir zum Inhalt über. Daten und Fakten sind das eine. Beispiele und Geschichten sind das andere, weil sie gerne im Gedächtnis bleiben. Doch was nützt es, wenn wir wissen, dass Matisse und Picasso Konkurrenten waren? Auch wenn wir die Anekdote anschaulich erzählen, dass Picasso in einer Vernissage von Matisse wie vom Blitz getroffen worden sei, als er das Bild Le bonheur de vivre gesehen habe. Er

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habe erkannt, wie zeitgemäß frech und frisch sein Kollege malte. Das habe ihm vor Augen geführt, wie konservativ er selber unterwegs war. Aus Wut und Frustration habe er in derselben Nacht seine Demoiselles d’Avignon hingepfeffert. Damit habe er Matisse besiegen wollen. So weit die Erzählung. So nett und charmant wir sie auch finden mögen – wir sollten uns die Frage stellen, inwiefern sie uns und unser Publikum weiterbringt? Eröffnen sich dadurch neue Perspektiven für das persönliche Umfeld? Was lernen wir für unser Leben? Darum geht es doch schlussendlich. Menschen wollen sich berühren lassen, neue Gedankenanstöße bekommen und daran wachsen. Kunst ist daher eine von vielen Möglichkeiten der Welterschließung. Deshalb lohnt es sich, die Vermittlung aus dem Blickwinkel unserer Lebenswelt zu sehen und aktuelle Fragen anhand künstlerischer und kultureller Werke zu erörtern (vgl. Mandel 2005: 116 f.). Vor Jahren erlebte ich einen beispielhaften Perspektivwechsel bei einem Workshop mit Lernenden, in dem es um Projektmanagement, Zeitmanagement und Präsentationstechniken ging, die mit Kunst erfahrbar gemacht wurden. Das Kunstmuseum Liechtenstein bot mit der Ausstellung Transformation die geeignete Plattform dazu. Die Lernenden sollten Werke auswählen, die sie in ihrer Größe, Form, Farbe oder in ihrem Material interessant fanden. Da sich Objekte oft nicht von selbst erklären, sollten sie hinschauen, darum herumgehen, Fragen stellen und diskutieren. Eines der Objekte war ein einfaches Fahrrad, mit Holzteilen bepackt. Die Lernenden entdeckten eine Motorsäge, die das Vehikel antrieb. Wir können vielleicht die Gesichter der Jugendlichen erahnen. Die meisten wirkten gelangweilt. Doch da meldete sich ein Junge: »Also, das kann ich auch! Da ist doch nichts Besonderes dran, wenn man Holz auf ein Fahrrad bindet. Das soll Kunst sein? – Mmh, aber das mit der Motorsäge, dass man da nicht mehr treten muss, das ist schon genial!« Einige lachten. Dann brachte ihn sein Kollege auf die Idee: »Du könntest doch auch so etwas dem Museum verkaufen.« »Au jaaah, super Idee! Wie viel bezahlt eigentlich das Museum für so ein gebrauchtes Fahrrad? Kann man davon reich werden?« Und plötzlich begann ein Gespräch, das sich langsam weg vom Preis hin zum Inhalt bewegte. Sie erfuhren, dass 2014 der britische Künstler Simon Starling mit diesem Fahrrad durch Südafrika fuhr und Kreisläufe des Lebens untersuchte. Uns ging es erst einmal um die Idee. Wie kommt ein Künstler auf ein solches Unterfangen? Was wollte er damit bezwe-

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cken? Und jetzt konnte der Transfer zu unserer Lebenswelt hergestellt und die Lernenden mit Fragen zu eigener Mobilität und persönlichem Konsum zum Mit- und Nachdenken angeregt werden. Es war für alle spannend, die Kunst auf sich zu beziehen, und die Langeweile war aus den Gesichtern verf logen. Wenden wir uns nun der Ref lexion zu. Ref lektieren heißt Abstand nehmen und in einer ruhigen Stunde Ideen, Konzepte, Zielgruppen und Methoden prüfen. »Professionelle Kulturvermittlung muss sich immer wieder aufs Neue vergewissern, ob ihr Selbstverständnis, ihre Legitimationen und Perspektiven noch aktuell sind.« (Mandel 2005: 119) Manches lässt sich mit Zahlen, Konkurrenzvergleichen oder Publikumserhebungen eruieren, doch vieles bleibt »soft« und schwer greif bar. Es sind Ahnungen, Eindrücke, Stimmungen und Schwingungen, die oft nicht eindeutig zugeordnet werden können, die aber für die Ausrichtung unserer Arbeit wichtig sein können. Sie ins Bewusstsein zu holen, lohnt sich. Je mehr Blickrichtungen wir ref lektieren, desto vollständiger können wir das Abbild der Wirklichkeit erfassen. Dazu ist Distanz nötig. Der tschechische Philosoph und Kommunikationswissenschaftler Vilém Flusser beschreibt, wie man leere Flaschen zweckentfremdet und neuen Funktionen wie Kerzenständer, Blumentöpfe oder Aschenbecher zuführt. Dazu sei die menschliche Fähigkeit, von den Dingen Abstand zu nehmen und sie von vorher nicht eingenommenen Standpunkten aus zu sehen, nötig (vgl. Flusser 1993: 17). Zudem braucht Ref lexion Zeit. In der Hektik des Alltags gehen vage Eindrücke rasch verloren, wenn wir uns nicht Zeit nehmen, sie einzufangen und ehrlich und gewissenhaft über sie nachzudenken. Nicht uninteressant ist es, zu einem späteren Zeitpunkt, wenn sich der eigene Blickwinkel bereits verändert hat, nochmals auf gewisse Themen und Begebenheiten zu blicken. Mit zeitlicher und vor allem emotionaler Distanz erscheinen uns Einzelaspekte oft in neuen Zusammenhängen. Deshalb lohnt es sich, Revue passieren zu lassen. Wie können wir uns diese künstlerische Fähigkeit aneignen? Fast alles, was wir im Leben erlernt haben, lässt sich auf repetitives Handeln zurückführen. Richard Sennett schreibt von »forschender Wiederholung« bei MusikerInnen. Der Prozess des eigenen Beobachtens und der schrittweisen Bewältigung schwieriger Partituren führt dazu, dass MusikerInnen in der Lage sind, ihre Aufmerksamkeit beim Üben über

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lange Zeit aufrechtzuerhalten (vgl. Sennett 2012: 32). Und so ist es auch hier: Wir können das Perspektivwechseln fortlaufend einüben, indem wir immer wieder Gelegenheiten nutzen, die sich uns im Alltag anbieten. Dabei können wir kleine Veränderungen in unserer Wahrnehmung aufmerksam registrieren und als Erfolg verbuchen. Für den österreichischen Zeichner und Collagenkünstler Michael Mittermayer sind offene Sinne ein Schlüssel dazu: »Die Fähigkeit, Perspektiven zu wechseln, hat mit Aufmerksamkeit und Interesse zu tun. Wenn der Mensch neugierig ist, auch wenn er nicht künstlerisch ist, dann bleibt er immer wach.« Je offener wir durchs Leben gehen, desto durchlässiger sind wir für Neues. »So tun als ob« oder sich zu fragen »Was wäre wenn?« sind amüsante Gedankenspiele und bescheren uns ein zeitlich begrenztes Leben im Konjunktiv. So trainieren wir unseren Möglichkeitssinn, den Robert Musil als die Fähigkeit beschreibt, »alles, was ebensogut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist« (Musil 1957: 16). Kurbeln wir also unsere Fantasie an und denken wir in Optionen. »Was geschieht mit mir, wenn ich so tue, als ob ich mutig wäre?« »Was würde ich unternehmen, wenn ich drei Wochen Urlaub bekäme?« »Wie fühlt es sich an, wenn ich nur noch schwarz-weiß sähe?« Wir würden uns vielleicht mutig vorstellen, wie wir bravourös einen Vortrag halten. Wir bekämen 100  Ideen, was wir in der freien Zeit tun könnten. Die fehlenden Farben stimmten uns vielleicht melancholisch, aber danach sähen wir die Welt bestimmt bunt und prächtig. Mit diesen Spielereien bekommen wir den Kopf frei und ganz nebenbei nisten sich manch gute Ideen in unser Gehirn ein. Wenn wir bei einer Aufgabe wirklich nicht weiterkommen, hilft es, beherzt aufzuhören und uns gedanklich und/oder räumlich davon zu entfernen. Perspektivwechsel vollziehen sich an den Rändern oder besser noch außerhalb des eigenen Korridors. Also raus aus den alten Schuhen! Mit großem Erfolg lassen sich Menschen in meinen Workshops aus ihrer gewohnten Umgebung herausführen, wenn es um das Erleben künstlerischer Haltungen wie Offenheit oder unkonventionelles Denken geht. Neue Orte evozieren neue Blickwinkel. Vom anderen Ende zu denken und das Gegenteil zu beschreiben, weitet in der Regel unseren Blick. In der »Verkehrten Welt« jagen die Hasen die Jäger und ihre Hunde. Erproben wir den Umkehrschluss gleich jetzt. Der Perspektivwechsel wird eingeschränkt, wenn wir Neu-

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em und Unbekanntem skeptisch gegenüberstehen, wenn wir in erster Linie nur uns sehen und uns schwer vorstellen können, was andere denken und fühlen, wenn es uns an geistiger Beweglichkeit mangelt und wenn unsere Fantasie vertrocknet. Der Perspektivwechsel wird gar verhindert, wenn wir an Traditionen und Normen unref lektiert festhalten, wenn wir uns nur auf unseren Standpunkt besinnen können, wenn wir ein Unvermögen an den Tag legen, um die Ecke zu denken. Was nützt uns der Perspektivwechsel als KulturvermittlerInnen? In Zeiten, wo Personal und finanzielle Mittel permanent knapp sind und Menschen nicht in Scharen in Museen und Theater strömen, ist die künstlerische Fähigkeit des Perspektivwechsels unabdingbar. Neue und offene Blickwinkel zu schaffen, macht uns zukunftsfähig. Die Kulturvermittlung bietet ein weites Experimentierfeld, neue Methoden und Übungen auszuprobieren. Bekannte Ansätze können erweitert, umformuliert und kombiniert werden. Diese sollten wir prüfen, wie sie beim Publikum ankommen. Für KulturvermittlerInnen ist doch nichts schöner, als Menschen mit einer originellen Anleitung zu überraschen. Damit beglücken wir uns und andere. Rückmeldungen zu erfahrenen Perspektivwechseln sind berührend. »So habe ich das noch nie gesehen!« Wenn sich jemand so äußert, ist der Betroffene meist über sich erstaunt und nicht selten auch ergriffen. Er hat gerade eine neue Erkenntnis gewonnen. Ein Umdenken, Andersdenken oder Wegdenken hat eben in seinem Kopf stattgefunden. Mit dem frischen Denkfutter hat sein Gehirn neue Synapsen – neue Denkwege – gebildet. Sein Wahrnehmungshorizont hat sich um eine oder mehrere Dimensionen erweitert. Er spürt, dass er mit der geschenkten Klarsicht ein weiteres Stück Welt begriffen hat. Das ist ein Moment erlebten Glücks, das auch uns glücklich macht. Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung, meinte einst Antoine de Saint-Exupéry. Der frische Blick lässt uns über den Tellerrand hinausblicken, und zwar so weit, dass Neues unsere Wahrnehmung erhellt, und noch so, dass der Teller nicht aus dem Sehfeld gerät. Probieren Sie den frischen Blick auf Dinge und Menschen aus und genießen Sie neue Aus- und Einsichten!

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L iter atur Burkoff, Stephan/Kunsmann, Jeanette (2016): Alejandro Aravena und die 88 Reporter. Biennale: Wer macht mit und worum geht es. In: BauNetz® vom 26. Februar, online unter http://www.baunetz.de/ meldungen/Meldungen-Biennale_Wer_macht_mit_und_worum_ geht_es_4696183.html [Zugriff: 15.11.2016]. Flusser, Vilém (1993): Dinge und Undinge. Phänomenologische Skizzen. München/Wien. Hartmann, Lukas (2009): Bis ans Ende der Meere. Zürich. Mandel, Birgit (2005): Kulturvermittlung – zwischen kultureller Bildung und Kulturmarketing. Eine Profession mit Zukunft. Bielefeld. McCarthy, Paul (2012): The Box (1999). Staatliche Museen zu Berlin, Friedrich Christian Flick Collection im Hamburger Bahnhof; online unter www.smb.museum/ausstellungen/detail/paul-mccarthy-the-box. html [Zugriff: 15.11.2016]. Musil, Robert (1957): Der Mann ohne Eigenschaften [1930]. Bd. 1: Erstes und zweites Buch. Reinbek bei Hamburg; online unter https://archive. org/details/MusilDerMannOhneEigenschaften [Zugriff: 15.10 2016]). Redaktion (2005): »Etwas Witziges für alle Leute« in Mozarts Geburtshaus. In: Der Standard (Wien) vom 5. Dezember 2005; online unter http://derstandard.at/2265699/Etwas-Witziges-fuer-alle-Leute-in Mozarts-Geburtshaus [Zugriff: 15.11.2016]. Rövekamp, Marie (2014): Räume von unten. Einfach mal die Perspektive wechseln. In: Der Tagesspiegel vom 16. November 2014; online unter http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/sonntag/raeume-von-unten einfach-mal-die-perspektive-wechseln/10981892.html [Zugriff: 15.11. 2016]. Schneede, Uwe M. (2001): Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert. Von den Avantgarden bis zur Gegenwart. München. Sennett, Richard (2012): Zusammenarbeit. Berlin.

Kulturvermittlung in einer bewegten Welt Manuela Mittasch

P rolog Mai 2013 Der Moment, auf den wir nun die letzten 15 Monate hingearbeitet haben, ist da. 1 000 Menschen warten im großen Saal des Festspielhauses St. Pölten darauf, dass der Vorhang aufgeht. Die nächsten 70 Minuten gehören uns. Wir sind 135 Menschen zwischen sieben und 80 Jahren und ProtagonistInnen eines abendfüllenden Bühnenstücks. Es ist der Höhepunkt von alles bewegt. Für diese 70 Minuten sind wir KünstlerInnen, erzählen mit dem, was wir können, unsere Geschichten. Das Festspielhaus St. Pölten, vor allem bekannt als Veranstaltungsort für internationale Tanz-, Musik- und Theateraufführungen, ist in den letzten Monaten ein zweites Zuhause für uns geworden. Saßen wir bisher im Zuschauerraum oder mieden das Haus ganz, nutzten wir nun Bühneneingang, Probebühnen, Garderoben und zum Schluss sogar die große Bühne. Monate voll bewegender Momente und Erlebnisse bleiben in Erinnerung. September 2015 Die ersten Züge gefüllt mit Flüchtlingen treffen am Westbahnhof ein. Sie werden für die nächsten Wochen Symbol für eine der größten Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahrzehnte, die lokale und europäische PolitikerInnen vor große Herausforderungen stellt. Viele Tausende ziehen weiter, viele davon bleiben in Österreich. Ich erinnere mich gut an die vielen Gesichter und Menschen, die Länder, Flüsse und Meere durchquert haben und nun in Österreich zum Stillstand gezwungen werden. Viele warten auf den Asylbescheid,

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auf eine Arbeit, und auf ein neues bewegendes Leben. Die Stimmung in Österreich schwankt zwischen »Willkommenskultur« und großer Ablehnung. September 2016 Ich arbeite mittlerweile mit und für die Menschen, die mit der Hoffnung auf eine sichere Zukunft gekommen sind, und helfe beim Start in ihr neues Leben. Integration ist das Schlagwort, das uns leitet und auch viele AkteurInnen der österreichischen Gesellschaft beschäftigt. Den folgenden Artikel schreibe ich in meiner Mehrfachrolle als Teilnehmerin und Evaluatorin des partizipativen Musik- und Tanzprojektes alles bewegt, als Kultur- und Sozialanthropologin und als Praktikerin in der Flüchtlingsbetreuung. Drei Rollen – zwei Kontexte – und als Verbindung ein Begriff, der dabei immer wieder auftaucht: Kulturvermittlung.

K ulturvermit tlung in einer be wegten W elt Seit vielen Jahren nimmt das Festspielhaus St. Pölten eine Vorreiterrolle im Bereich der Kulturvermittlung in Österreich ein. Kulturvermittlung gilt als zentraler Leitwert für die Identität dieser Institution. Das Festspielhaus möchte ein Ort der Begegnung, der offenen Kommunikation und des emotionalen Erlebens sein. Eine Aufgabe der Kulturvermittlung ist es, den Dialog mit dem Publikum zu fördern, und mit erlebnisorientierten Angeboten das Interesse am und die Bindung zum Haus zu stärken. Das Festspielhaus setzt dabei auf Begegnung, offene Kommunikation und emotionales Erleben, kann man im Markenversprechen lesen (Brainds 2010: 21). Kulturvermittlung vor dem Hintergrund der Flüchtlingsbewegungen wird dagegen oft als ein Vermitteln der deutschen Sprache, westlicher Werte und Grundhaltungen verstanden und gilt neben dem Einstieg in den Arbeitsmarkt als »eine zentrale Voraussetzung für die erfolgreiche Integration von Flüchtlingen und ZuwanderInnen in Österreich« (Österreichischer Integrationsfonds 2016). Wenn es um die Integration neuer ZuwanderInnen in eine Aufnahmegesellschaft geht, fällt im öffentlichen Diskurs schnell der Begriff »Kultur«. Man spricht vom »Dialog der Kulturen«. Jene, die die »Kultur

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der MigrantInnen« als Bedrohung wahrnehmen, fordern eine Anpassung an »unsere Kultur« und unsere Werte. Angehörige einer bestimmten Gruppe von Menschen werden dabei auf kulturelle Merkmale reduziert. Ebenso werden Probleme des Zusammenlebens und Unterschiede in der Gesellschaft mit kulturellen Unterschieden erklärt. Diesen Gedanken liegt allerdings ein aus der Kultur- und Sozial­ anthropologie längst verworfenes Kulturkonzept zugrunde. Dieser Kulturbegriff basierte auf der Vorstellung, dass Kulturen klar unterscheidbare, homogene, in sich abgeschlossene Gemeinschaften darstellen (vgl. Steindl 2008: 3 ff.). In der Kultur- und Sozialanthropologie hat sich folgendes Grundverständnis durchgesetzt: Man unterscheidet zwischen Kultur im weiteren und engeren Sinn. Kultur im weiteren Sinn ist die »Gesamtheit, Totalität einer Gesellschaft in all ihren Manifestationen«. Diese Definition bezieht sich auf das von BeobachterInnen Wahrgenommene, wie schriftliche Quellen, Artefakte oder expressive Kultur. Im Gegensatz dazu bezieht sich Kultur im engeren Sinn auf die Innenansicht der Betroffenen im Speziellen auf ihre kognitive und symbolische Ordnung der Welt, das Weltbild (vgl. Fillitz/Gingrich/Paleczek 1993: II). Kultur ist ein Konzept, das von folgenden Annahmen ausgeht: 1. Kultur wird erlernt und weitergegeben, 2. Kultur wird von mehreren Menschen geteilt, 3. Kulturen entstehen historisch und ändern sich 4. Kultur äußert sich in Merkmalen, Handlungs- und Denkweisen, 5. Die Grenzen von Kultur sind nicht eindeutig (Beer 2012: 55 ff.)

In pädagogischen Settings und Vermittlungsangeboten wird der Begriff Kultur deshalb kritisch hinterfragt und durch das Konzept der Diversität (Vielfalt) ersetzt. Vielfalt wird dabei als Normalität der österreichischen Gesellschaft betrachtet und anerkannt. In der interkulturellen Vermittlungsarbeit geht es konkret darum, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu entdecken, Vorurteile abzubauen und somit auch starre Gruppengrenzen aufzuheben und zu überwinden. In meiner Praxis in der Flüchtlingsarbeit verstehe ich mich selbst als Netzwerkerin, die Menschen der »Aufnahmegesellschaft« und »Neuankömmlinge« miteinander verbindet. Vermittlungsarbeit heißt

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in diesem Zusammenhang, Begegnungsräume zu schaffen, in denen Vorurteile und Ängste abgebaut werden können. Gerne erinnere ich mich bei der Entwicklung von neuen Begegnungsprojekten an meine Erfahrungen als Teilnehmerin von alles bewegt. Ich habe es hier als Beispiel gewählt, weil ich durch die aktive Teilnahme und die Evaluierung des Projektes einen tieferen Einblick in das Projekt gewinnen konnte.

alles bewegt alles bewegt war ein partizipatives Musik- und Tanzprojekt mit BürgerInnen aller Alters- und Bevölkerungsgruppen, das in der Saison 2012/2013 im Rahmen der Kulturvermittlungsarbeit des Festspielhauses St. Pölten stattgefunden hat. Die Kulturvermittlung des Festspielhauses und der künstlerische Leiter orientierten sich dabei stark am Sadler’s Wells Theatre in London, das eine langjährige Tradition im Bereich Community Dance hat und europaweit eine Vorreiterrolle bei partizipativen Projekten einnimmt. Das Konzept entstand in Anlehnung an das partizipative Community-Dance-Projekt Sum of Parts. Das Herzstück des Projektes war der Auf bau von sechs Tanz-Communities und einer Rahmentrommelgruppe unter der Leitung von nationalen und internationalen ChoreografInnen und MusikerInnen über einen definierten Zeitraum von einem Jahr. Insgesamt haben 135 Personen zwischen sieben und 80 Jahren aus Niederösterreich, Wien und Burgenland teilgenommen. Am 11. Mai 2013 gab es als Projektabschluss eine gemeinsame Aufführung mit Livemusik im großen Saal des Festspielhauses St. Pölten vor 1 000 Zuschau­ erInnen. Geleitet wurde das Projekt von der Choreografin Jane Hackett vom Sadler’s Wells Theatre und dem Regisseur und damaligen künstlerischen Leiter des Festspielhauses St. Pölten, Joachim Schloemer. Das einheitliche Projektmotto alles bewegt gab den Rahmen für die künstlerische Arbeit der ChoreografInnen vor.

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Verbindungen schaffen Im Folgenden möchte ich die integrativen Aspekte von alles bewegt hervorheben und beziehe mich dabei auf Teilergebnisse der Evaluierung, die ich 2013 durchgeführt habe (Mittasch 2013). Auch wenn es sich bei alles bewegt nicht um ein Integrationsprojekt per se handelte, verfolgte das Projekt von Anfang an einen inklusiven Ansatz. Mitmachen können alle Der Zugang zu alles bewegt war für alle Menschen offen. Alter, Aussehen, persönlicher Hintergrund, Herkunft und Tanzerfahrungen waren egal, vorausgesetzt, man akzeptierte die Rahmenbedingungen: die Bereitschaft, sich mit anderen gemeinsam auf das Abenteuer einzulassen, und den regelmäßigen Probenbesuch bis zur Aufführung im Mai 2013. Das Projekt sollte in jeder Hinsicht barrierefrei sein. Die Teilnahme war kostenlos, um niemanden aus finanziellen Gründen auszuschließen. Alle Listen und Mappen mit Datenblättern und Feedbackbögen waren nach Vornamen sortiert. Beruf oder Ausbildung wurden bewusst nicht abgefragt, um jemanden, der vielleicht arbeitslos war oder keine Ausbildung hatte, nicht zu beschämen. Alle InteressentInnen konnten bei einem alles bewegt Speed Dating die anwesenden KünstlerInnen in jeweils 30-minütigen Workshops kennenlernen. Ziel war, dass die Personen in den Workshops immer wieder neu durchmischt wurden. Am Ende des Workshop-Tages konnten die TeilnehmerInnen die GruppenleiterInnen selbst wählen. Auch wenn es den KulturvermittlerInnen ein wichtiges Anliegen war, dass Menschen miteinander tanzen bzw. trommeln, die im Alltag aufgrund ihrer Lebensumstände wenige bis keine Berührungspunkte haben, nahmen sie keinen Einf luss auf die Gruppenzusammensetzung.

V ielfalt anerkennen und G renzen überwinden So entstanden sieben Gruppen mit elf bis 25 TeilnehmerInnen. Es gab Communities, die nach erkennbaren Kriterien wie z. B. Alter, Herkunft, Geschlecht heterogener waren als andere. Zu Beginn des Projektes äußerten manche TeilnehmerInnen Bedenken, ob der Altersunterschied z. B. eine Rolle spielt, oder ob Nichttän­

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zerInnen mit den Erfahrungen von erfahrenen Personen mithalten könne. Vor Beginn des Speeddatings merkte man noch besorgte Blicke von Jugendlichen oder Älteren, die die jeweils anderen misstrauisch beäugten. Eine 75-Jährige sprach aus, was viele dachten: »Kann das sein, dass wir mit denen in einer Gruppe landen?« Auf die Antwort »Ja, wenn sie sich in dieselbe Gruppe melden« kam ein besorgtes »Aber das geht doch nicht! Die sind ja viel flexibler als wir Alten!« Am Abend desselben Tages gab sie strahlend die Rückmeldung: »Also jetzt kann ich mir gut vorstellen, mit Jungen in einer Gruppe zu sein, das sind ja ganz liebe Leute.« (Erika Köchl, Kulturvermittlerin, Festspielhaus St. Pölten)

Im Fragebogen wurde die Frage gestellt, wie die TeilnehmerInnen die Vielfalt ihrer Gruppenzusammensetzung erlebten. 71 Prozent der Befragten aus meiner Onlinebefragung betrachten Gruppenvielfalt sogar als größten persönlichen Gewinn. Interessant ist, dass in den besonders heterogenen Gruppen (Simon Mayer/Clint Lutes) die Zufriedenheit mit der Gruppenzusammensetzung besonders groß war. Wir waren ein bunt gemischter Haufen von bewegungsfreudigen Menschen, mit völlig unterschiedlichen Vorkenntnissen: von null Kenntnissen bis hin zur Tanzleiterin und Tanzstudentin! Trotzdem wurden wir in kurzer Zeit zu einer homogenen Gruppe, in der jeder/jede seine/ihre Individualität und Originalität behalten hat, eingesetzt hat und die scheuen Teilnehmer total aus der Reserve gelockt wurden. (Teilnehmerin Gruppe Simon Mayer)

Während z. B. dieser Aspekt bei der relativ altershomogenen und jungen Gruppe von Jasmine Wilson weniger gut bewertet wurde. Manche TeilnehmerInnen hätten sich vor allem in Bezug auf die tänzerischen und körperlichen Fähigkeiten mehr Homogenität gewünscht. »Ich finde, dass alle Jugendliche in einer Gruppe zusammengehört hätten!!!!! Da wäre auch etwas noch Pfiffigeres rausgekommen.« (Teilnehmerin Gruppe Jasmine Wilson) alles bewegt war generationsübergreifend und interethnisch Die TeilnehmerInnen hatten unterschiedliche Tanzerfahrungen, Berufe, Weltbilder. Diese Durchmischung wurde erst im Laufe des Projekts als Poten­zial und Bereicherung wahrgenommen.

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Sich einbringen können Die Herausforderung der künstlerischen Leitung und der ChoreografInnen bestand darin, aus der vorhandenen Vielfalt einen 70-minütigen Abend zu gestalten, der dem künstlerischen Anspruch des Festspielhauses St. Pöltens gerecht werden würde. Der künstlerische Entwicklungsprozess war sehr offen und jede Community hatte den Auftrag, zum Motto alles bewegt eine kurze Choreografie zu gestalten. Manche ChoreografInnen arbeiteten mit vorgefertigtem Material und gaben Richtung und Tempo vor und verwoben dies mit natürlichen Bewegungen aus dem Alltag der TeilnehmerInnen. Andere vermittelten neue Bewegungserfahrungen, in zwei Gruppen wurde der Fokus auf Improvisation, Spiel und die genaue Arbeit an der individuellen Bühnenpräsenz gelegt. Eine andere Gruppe hat sich intensiv mit den Themen Stabilität und Instabilität beschäftigt und diese sowohl körperlich als auch gedanklich ausgelotet. In allen Communities konnten sich TeilnehmerInnen mit ihrem Wissen, Erfahrungswelten, Ideen und Können einbringen. Der Komponist Murat Coskun baute beispielsweise speziell für eine Gruppe unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge aus Afghanistan eine musikalische Passage. Die jungen Tänzer konnten in dieser Sequenz Bewegungen aus dem Volkstanz ihres Herkunftslandes mit Elementen aus dem zeitgenössischen Tanz, die sie sich im Projekt angeeignet hatten, verbinden. Für Doris Uhlich, eine weitere Choreografin, war es wichtig, dass die Persönlichkeiten der TeilnehmerInnen auf der Bühne zum Ausdruck kommen konnten. Basierend auf der Frage, was ein »Jetzt oder nie«-Moment für jedeN EinzelneN bedeuten könnte, entwickelten die TeilnehmerInnen ihren individuellen Auftritt. Gemeinsam etwas erleben und lernen alles bewegt bot den TeilnehmerInnen ein breites Spektrum an Erlebnisund Lernfeldern auf persönlicher, körperlicher und sozialer Ebene. So konnten sie den gesamten künstlerischen Entstehungsprozess von den ersten Ideen bis zur Aufführung miterleben und mitgestalten.

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Abb. 1: Lernerfahrungen (Onlinebefragung TeilnehmerInnen) Persönliche Lernerfahrungen

Körperliche Lernerfahrungen

Kreativität entdecken und entwickeln Eigene Grenzen überwinden Selbstvertrauen stärken Künstlerische Prozesse verstehen Persönliche Entwicklung Taktgefühl/Rhythmus Neue Seiten an sich entdecken

Jeder Mensch kann tanzen Neue Ausdrucksmöglichkeiten Körper spüren Bewegungsrepertoire erweitern Freude an der Bewegung vertiefen Neue Tanztechniken Den Körper achten

Soziale Lernerfahrungen Vertrauen in die Gruppe entwickeln Vertrauen in die Gruppenleitung Toleranz, Verständnis Teamgeist entwickeln Berührungsängste abbauen

Eine große Herausforderung stellte für viele der Auftritt auf der Bühne dar. Die professionellen KünstlerInnen und das Festspielhaus-Team mussten die TänzerInnen lange auf den Moment vorbereiten. Die Angst vor Fehlern und einer eventuellen Blamage war eine große Barriere, die nur durch das Vertrauen in GruppenleiterInnen, in den Zusammenhalt der Gruppe und in die eigenen Fähigkeiten überwunden werden konnte. Ich habe gelernt, dass ein Mensch jeden Alters und vor allem jeder Statur tanzen kann und darf, weil einfach jeder Mensch etwas zu sagen hat – mit seinem Körper als Instrument […], dass Tanzen nicht schön, ästhetisch und richtig sein muss. (Teilnehmerin)

alles bewegt verbinde t alles bewegt hat tragbare soziale Netzwerke hervorgebracht, die über das Projekt hinausgehen. So gaben 92 Prozent der Befragten an, auch nach dem Projekt noch Kontakt zu anderen Mitgliedern bzw. auch zu ihren ChoreografInnen zu haben. The Curry Collective hatte schon Auftritte am Spielfestival, die Golden Tarums Drums trommelte weiter Purple Rain, trifft sich immer noch in regelmäßigen Abständen. alles bewegt war ein einschneidendes und einmaliges Erlebnis für alle Beteiligten. Vor allem ist es der Kulturvermittlung gelungen, das Festspielhaus St. Pölten zu öffnen und den TeilnehmerInnen einen Einblick in

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den künstlerischen Prozess zu gewähren. Dies wurde von 84 Prozent als größter Gewinn betrachtet. Somit hat die Kulturvermittlung etwas umgesetzt, das in Erläuterungen zum Markenkonzept des Festspielhauses als gemeinsamer Traum beschrieben wird: Nichts verbindet mehr als ein gemeinsamer Traum. Beide wollen den eigenen Horizont erweitern, durch die Begegnung eine persönliche Bereicherung erleben, im Dialog Beziehung herstellen, Vorurteile durch neue Sichtweisen ersetzen, fremde Welten mit allen Sinnen bereisen, ein Generationen- und herkunftsübergreifendes Zusammengehören im gemeinsamen Erleben eines kulturellen Ereignisses spüren. (Brainds 2010: 31)

V erbindungen schaffen durch partizipative K ulturvermit tlung alles bewegt ist nicht nur ein Beispiel für gelungene Kulturvermittlungsarbeit im künstlerischen Kontext, sondern auch eine Möglichkeit, Begegnungsmöglichkeiten in einer vielfältigen Gesellschaft zu schaffen. Das Projekt hat Menschen miteinander verbunden, die vorher nichts miteinander zu tun hatten. Vorurteile konnten abgebaut werden. Voraussetzung dafür ist ein barrierefreier Zugang und ein verbindendes Element. Im Falle von alles bewegt war es das Interesse am Festspielhaus St. Pölten, am Tanz oder die Neugierde, etwas Neues auszuprobieren. Wenn allerdings das Interesse fehlt, reicht der offene Zugang nicht aus. Und so stellt sich auch hier die große Herausforderung, neue Zielgruppen zu erreichen. Dazu braucht es Zeit und Arbeit mit MultiplikatorInnen. In der Integrationsarbeit geht es darum, dass Menschen ihren Platz in der Gesellschaft finden, sich als Teil dieser Gesellschaft wahrnehmen und von anderen als Teil der Gesellschaft anerkannt und gesehen werden. Es geht dabei um wichtige Bereiche wie Wohnen, Arbeit, Teilhabe am sozialen Leben und Bildung. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, Grenzen im Kopf, die zu Vorurteilen, Stereotypsierungen und somit auch zu Diskriminierungen und Ausgrenzung führen, abzubauen. Nur dann entsteht ein Zusammenleben, -arbeiten und -wohnen. Projekte, die gemeinsames Erleben ermöglichen, verbinden und es gibt neben

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alles bewegt weltweit sehr viele Beispiele und AkteurInnen der Vermittlungsarbeit aus allen künstlerischen Bereichen, die dazu beigetragen haben, wie etwa Rhythm is it! von Royston Maldoom, Tanz die Toleranz (Caritas), Body Focus Group (Liz King) und das Sadler’s Wells mit seiner langjährigen Community-Dance-Arbeit, um nur einige zu nennen.

E pilog Oktober 2016 Ich höre gerade I follow von Likki Li, und schon sehe ich die Purple Rains wild durch die Proberäume des Festspielhauses ›bouncen‹. Ja, selbst unsere 70-jährigen Frauen ›shaken‹ und ›bouncen‹ wie wild. Ich habe meine Purple Rains schon lange nicht mehr gesehen, dazu ist die Entfernung gerade zu groß. Aber dieses Lied wird mich immer wieder an die gemeinsame Zeit und Erlebnisse im Festspielhaus erinnern, die ich unter anderem ›unserer‹ Choreografin Doris Uhlich und dem gesamten FestspielhausTeam verdanke. Erlebnisse wie diese wünsche ich mir auch für die Menschen, die ich nun berate und begleite, sowie die Menschen, denen sie im Alltag begegnen, denn ich bin davon überzeugt, dass Menschen nur durch Begegnung und gemeinsames Erleben voneinander und miteinander lernen, Vorurteile abbauen können und somit auch ein friedliches Miteinander im Alltag erleben können.

L iter atur Beer, Bettina (2012): Kultur und Ethnizität. In: Dies./Hans Fischer (Hg.): Ethnologie. Eine Einführung. 7., überarb. und erweit. Auf lage. Berlin, S. 53–73. Binder, Susanne/Weidenbauer, Lena (2013): Diversität, Identität und Zusammenleben. In: Missing Link-Asyl & Integration NÖ, Caritas Wien: Vielfalt, Integration, Zusammenleben. Unterrichtsmaterialien für die 7. und 8. Schulstufe. Wien, S. 14. Brainds (2010): Markenstrategie Festspielhaus St. Pölten.

Kultur vermittlung in einer bewegten Welt

Fillitz, Thomas/Gingrich, Andre/Rasuly-Paleczek, Gabriele (Hg.; 1993): Kultur, Identität und Macht. Ethnologische Beiträge zu einem Dialog der Kulturen der Welt. Frankfurt am Main. Mittasch, Manuela (2013): alles bewegt. Tanz Musikprojekt Festspielhaus St. Pölten. Evaluationsbericht. St. Pölten. Österreichischer Integrationsfonds (2016): Wertevermittlung als Basis der Integration; online unter www.integrationsfonds.at/themen/kurse/ werte-und-orientierungskurse [Zugriff: 15.11.2016]. Steindl, Mari (2008): Leben ohne Kultur. In: Zentrum polis – Politik in der Schule (Hg.): Interkultureller Dialog. Interkulturelles Lernen. Wien, S. 3 f.

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Partizipation ermöglichen in der Praxis von Community Dance Romy Kolb im Gespräch mit Susanne Wolfram Romy Kolb arbeitet als freischaffende Tänzerin und Choreografin seit Jahren in verschiedenen sozialen Kontexten mit Laien und hat unter anderem in Wien große Initiativen wie Tanz die Toleranz und SuperSoulMe begleitet und teilweise begründet. Das Unterrichten von und Choreografieren für nichtprofessionelle TänzerInnen macht einen großen Teil ihrer künstlerischen Arbeit aus. In diesem Zusammenhang blickt sie auch auf eine langjährige Kooperation mit dem Festspielhaus St. Pölten zurück, was ausschlaggebend für die Einladung als Workshopleiterin bei der Fachtagung Internationales Symposium Kulturvermittlung im Jahr 2013 war. Anhand von einem praktischen Training bekamen die TeilnehmerInnen des Symposiums für Kulturvermittlung im Workshop einen Einblick, wie man ein Community-Dance-Training anlegen kann. In der Diskussionsrunde im Anschluss gab es Fragen darüber, wie und warum Übungen ausgewählt werden. Die TeilnehmerInnen waren VertreterInnen unterschiedlicher Kulturvermittlungsprojekte – der Großteil hatte bisher Tanz als Kunstform nicht in die Arbeit mit Laien einbezogen. Das Interesse war sehr groß und zeigt, wie wichtig ein reger Austausch und das ständige Ref lektieren und Nacharbeiten ist. Die Schlagworte »Soziale Inklusion, Partizipation, emotionale Intelligenz«, mit denen das erste Symposium Kulturvermittlung untertitelt war, was bedeuten sie für die Arbeit einer Künstlerin, die mit Streetart und urbanen Kunstformen groß geworden ist und die künstlerisch immer über den Tellerrand geschaut hat, in der choreografischen Arbeit mit professionellen TänzerInnen auf der einen und als Tanzpädagogin und Choreografin für Laien auf der anderen Seite?

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Romy Kolb im Gespräch mit Susanne Wolfram

Community Dance ist für mich genau wie die Arbeit mit professionellen TänzerInnen in erster Linie ein künstlerischer Prozess. Ich glaube daran, dass ein qualitativ gut geleitetes Projekt Prozesse wie soziale Inklusion, Partizipation und emotionale Intelligenz implizieren. Sowohl vor meinem Hintergrund als Choreografin im CommunityKontext wie auch als Vertreterin der urbanen Tanzkultur sehe ich Tanz als Werkzeug, um etwa emotionale Intelligenz zu fördern. Der Anspruch an den/die TeilnehmerIn ist sehr hoch und erfordert daher einen inneren wie äußeren Prozess: Äußerlich geht es um Aspekte wie Bewegungsqualitäten, Verbesserung der Koordination und Bühnenpräsenz, innerlich geht es um Einstellung, Rücksichtnahme, Teamwork, Sensibilität, wirkliches Zuhören und vieles mehr. Ich verfolge gemeinsam mit einer Gruppe ein künstlerisches Ziel, und dieses können wir nur dann gemeinsam erreichen, wenn diese Lernprozesse stattfinden. Als LeiterIn geht es in diesem Kontext um das Feingefühl, einzuschätzen, dass man der Gruppe sehr viel zutrauen und sie herausfordern kann, und gleichzeitig nicht zu sehr überfordert. Egal mit welcher Gruppe ich arbeite, vor jedem Start bin ich nervös. Ich weiß nie, was mich erwartet. Ich weiß auch, dass ich das erste Training vorbereiten kann, damit schaffe ich mir ein bisschen Sicherheit. Und gleichzeitig weiß ich, dass ich selten das Vorbereitete verwende, weil es im Community-Kontext nie so kommt, wie man erwartet. Das ist für mich beängstigend und gleichzeitig das Spannende daran. Und es birgt ein großes Potenzial! Oft passiert es, dass mich BetreuerInnen oder LehrerInnen auf eine Gruppe ›vorbereiten‹ wollen. Aber ich möchte der Gruppe ohne Vorurteile begegnen, und das birgt für mich auch die große Chance, dass jemand mal nicht der Klassenclown oder das Problemkind sein muss. Meine Abwehrhaltung zu Vorabinformationen wird oft als Desinteresse gewertet, ich sehe es als den Versuch, vorurteilsfrei in die erste Probe zu starten. Die TeilnehmerInnen spüren das meiner Erfahrung nach auch und genießen es, ein ›unbeschriebenes Blatt‹ sein zu dürfen. Natürlich gibt es auch Informationen, die wichtig sind, im Vorfeld zu klären, wenn es z. B. um gesundheitliche Themen geht. Bei der ersten Probe greife ich dann auf meinen ›Werkzeugkasten‹ zurück. Das sind Werkzeuge, die ich über die Jahre gesammelt habe. Übungen, Improvisationen, Reihenfolgen, Formulierungen, die erprobt in unterschiedlichen Kontexten funktionieren sollten. Je nach Ziel des

Par tizipation ermöglichen in der Praxis von Community Dance

Projektes beginnt bei mir die Vorbereitungsarbeit ab der ersten Probe. Wenn ich ein erstes Gefühl für die Gruppe habe, tüftle ich und bekomme langsam eine Idee, was ich bezwecken möchte, was mir als sinnvoll erscheint, in welche Richtung der Prozess oder die Choreografie gehen soll. Die Ausbildungswege von professionellen TänzerInnen, die im soziokulturellen Feld im sogenannten Community-Dance-Bereich arbeiten wollen, sind sehr unterschiedlich. Eine einheitliche akademische Ausbildung für diesen Bereich gibt es in Österreich nicht. Was sind deine Empfehlungen für den Nachwuchs, sich für die Herausforderungen und speziellen Anforderungen vorzubereiten? Natürlich wünsche ich mir eine akademische Ausbildung für Commmunity Dance in Österreich; solange das Zukunftsmusik ist, denke ich, sind zwei Faktoren besonders wichtig: dass interessierte KünstlerInnen an ihren eigenen Fähigkeiten als TänzerInnen, ChoreografInnen und VermittlerInnen stetig arbeiten, und das langsame Herantasten an die Arbeit in den Communities. Ein guter Einstieg, wie es etwa Tanz die Toleranz praktiziert, ist es, als AssistentIn in einer Gruppe zu beginnen: von verschiedenen ChoreografInnen lernen, unterschiedliche Prozesse und Gruppen begleiten. Davon abgesehen denke ich, braucht es wirklich ein explizites Interesse an Community Dance, und die Fähigkeit, Menschen mit der eigenen Leidenschaft zu inspirieren. An der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien gibt es beispielsweise seit einigen Jahren einen Masterstudiengang Education, der KünstlerInnen aus den Bereichen Musik und darstellende Künste für die Arbeit in verschiedenen sozialen Kontexten wappnet. Wenn du Empfehlungen für das Curriculum abgeben könntest, was müssten die Studierenden, die alle ein künstlerisches Fach bereits abgeschlossen haben, deiner Meinung nach lernen? Ich würde generell Community Dance gerne als fixen Gegenstand im Curriculum sehen: theoretisch wie praktisch. Unter diesem Deckmantel sehe ich Themen wie Choreografieren und Unterrichtsgestaltung in den Communities, aber auch Themen aus Sozial- und Kulturanthropologie, Gender Studies, Konf liktmanagement und Kommunikationstraining und anderes. Abgesehen davon sehe ich auch eine Notwendigkeit, Grundkenntnisse in Projektmanagement und -koordination, den Umgang mit

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Förderanträgen, Budgetierung und Abrechnung von Projekten zu vermitteln, und ein Grundwissen über potenzielle Anlaufstellen und Kooperationspartner betrachte ich als essenziell. Wie sind deine persönliche Herangehensweise und Haltung bei der Arbeit mit Laien? Wie ich Übungen auswähle und warum sie meiner Meinung nach geeignet sind, möchte ich anhand des ausgewählten Beispiels, das thematisch angereichert auch als Einstieg für jede Form der Kulturvermittlung eine gute, respektvolle Gruppendynamik initiieren kann, beschreiben. Es erscheint in der Zusammenarbeit mit Laien deshalb sinnvoll, weil man es in der Kulturvermittlung entweder mit einer Gruppe Menschen zu tun hat, die einander noch gar nicht kennen, oder aber mit einer Gruppe, wie z. B. einer Schulklasse, in der es innerhalb der Gruppe bestimmte festgelegte Rollen gibt, die niemals allen Fähigkeiten und Facetten einer Persönlichkeit gerecht werden können. Vertrauen innerhalb der Gruppe zu schaffen, oder die vorgefertigten Bilder, die in der Gruppe untereinander bestehen, aufzubrechen, ist der beste Nährboden für die Entfaltung der eigenen Kreativität und offenes Lernen. Das garantiert nicht das 100-prozentige Gelingen einer Übung im Community-Kontext, ist sie doch noch von einigen anderen Faktoren abhängig, aber es soll eine Hilfestellung sein. Andere wichtige Faktoren sind etwa das Einhalten eines gewissen Handlungsbogens im Training. Bereits im Training kann man verschiedene Qualitäten und Dynamiken fördern, indem das Training entsprechend gestaltet ist. Oft bewährt hat sich etwa der Wechsel von einer lebhaften, anstrengenden Übung hin zu einer ruhigen und konzentrationsfördernden Fokusübung. Außerdem halte ich das Festlegen, Einfordern und Einhalten bestimmter Regeln als erforderlich für den künstlerischen Prozess. Als Beispiel fixiere ich etwa die Regel, dass der Proberaum sauber und ordentlich sein soll. Damit vermittle ich den TeilnehmerInnen, dass dies ein besonderer Ort ist, der Turnsaal oder der Gemeinschaftsraum wird zur Probebühne, ein Ort, an dem Transformation stattfinden kann. Wie bewertest du die besondere Ästhetik eines nichtprofessionellen Körpers ?

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Im Vorfeld möchte ich meinen künstlerischen Zugang zur Arbeit in Communities erläutern, da er relevant ist für die potenzielle Auswahl von Übungen, die für das Training geeignet sind. Das Ziel des Trainings soll dabei nicht sein, den untrainierten Körper Richtung professionell trainierten Körper zu forcieren. Dieses Prinzip erlaubt die Entwicklung einer Ästhetik, die neben Arbeiten mit professionellen TänzerInnen gleichermaßen Berechtigung hat, sollte die Qualität stimmen! Der nicht auf einen Tanzstil trainierte Körper bringt eine besondere Ästhetik hervor, die ich in meiner Arbeit gemeinsam mit der Gruppe herausarbeite. Auf Basis dieses Verständnisses muss eine Übung in der Praxis gewisse Grundvor­ aussetzungen erfüllen. Natürlich weiß man erst, ob die Übung wirklich funktioniert, wenn man sie mit einer Gruppe umgesetzt hat, dennoch sollte man im Vorfeld für sich klären, ob sie diese Kriterien erfüllt: – Die Übung bietet die Möglichkeit, dass sich die TeilnehmerInnen ausdrücken können, und ermöglicht ihnen positive Erlebnisse. – Die Übung hat das Potenzial, die TeilnehmerInnen dazu zu bringen, ihr eigenes Bestes zu geben und ihre eigene Kreativität zu entdecken. – Die Übung ermöglicht das Zusammenarbeiten und Vertrauenfassen zwischen den TeilnehmerInnen. – Die Übung hilft, feste Strukturen zu lockern und auch den/die zurückhaltende TeilnehmerIn zu ermutigen, Ideen einzubringen. – Die Übung kann zwar eine Struktur vorgeben, sollte allerdings Raum geben für die Verschiedenheit und Individualität der unterschiedlichen Körper. – Darüber hinaus soll die Übung helfen, die Ästhetik der Vielfältigkeit der TeilnehmerInnen herauszustreichen. Arbeite ich mit vorgegebenem Bewegungsmaterial, sprich einer festgelegten Bewegungsabfolge, die ich den TeilnehmerInnen im Training vermittle, achte ich darauf, dass das Material für alle umsetzbar ist, dass es spannend, aber nicht überfordernd ist, und genug Platz gibt für Individualität. Das von mir angeregte Material setzt nicht die Kenntnis irgendeines Stiles voraus! Oft hilft es auch, immer wieder andere oder keine Musik zu verwenden. Einerseits hilft es der Gruppe, eine eigene Musikalität zu finden, die nicht ich, sondern die Gruppe vorgibt, und andererseits kann man dann Musik auch als Mittel einsetzen, um unterschiedliche

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Qualitäten zu erarbeiten. Das Material dient häufig als Einstieg in die Bewegung. Es ist darauf zu achten, dass das Bewegungsmaterial nicht gesundheitsschädlich und an die Zielgruppe angepasst ist. Die praktische Übung im Anschluss bietet den TeilnehmerInnen einen idealen Einstieg, auf tänzerischer Ebene auszuloten, auf welche Körpererfahrungen sie zurückgreifen, lässt ihnen die Freiheit, spontan zu assoziieren, und schafft Vertrauen in der Gruppe. Durch den vorgegebenen Zeitraum bleibt dieser Prozess unbewusst und intuitiv. Kannst du ein Beispiel für eine solche Übungsanweisung geben? Ich nenne die Übung »Der/die ChoreografIn werden« und leite sie folgendermaßen an: Zunächst werden die TänzerInnen in Gruppen zu dritt eingeteilt. Die Gruppeneinteilung findet mit einem Spiel statt, um vorgegebene Gruppenstrukturen aufzulockern. Zum Beispiel können sich alle TeilnehmerInnen durch den Raum bewegen. Der/die KulturvermittlerIn, im Falle von Community-Dance-Projekten einE ausgebildeteR Tän­ zerIn und ChoreografIn, formuliert einige Vorgaben zu Richtungen im Raum, wie etwa »Halt, vier Schritte rückwärtsgehen, drei Schritte nach links gehen«. Jeweils die TeilnehmerInnen, die nun am nächsten beieinanderstehen, kommen in eine Gruppe. Zwei TänzerInnen aus der Gruppe sollen nun spontan je drei Positionen kreieren. Dabei können Vorgaben helfen wie etwa »Ineinander verschlungen sein, ohne sich zu berühren«. Die dritte Person jeder Kleingruppe hat nun die Aufgabe, die drei Positionen miteinander zu verbinden. Wichtig ist es, zu erläutern, dass es eine gewisse Zeitvorgabe gibt und dass der/die ChoreografIn entscheiden darf, wie und ob sich die beiden TänzerInnen, die jeweils drei Posen beigesteuert haben, weiter einbringen. Wenn die TeilnehmerInnen fertig sind, wird das Stück vor den anderen Dreiergruppen gezeigt. Hierbei kann man mit Musik unterschiedliche Stimmungen unterstützen. Im Weiteren kann dann die Gruppe zirkulieren, damit jedeR innerhalb der Dreiergruppe einmal ChoreografIn sein kann. Was passiert/was kann passieren: Diese Übung gibt jedem/jeder TeilnehmerIn die Chance, sich auszudrücken und Ideen gleichermaßen auszuprobieren. Diese Struktur ermöglicht auch einer zurückhaltenden Person, in die Position des/der Kreiierenden zu kommen. Schon oft sind

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wunderbare Duette aus der Übung hervorgegangen, die Grundlage für eine potenzielle Choreografie sein können. Es besteht auch die Möglichkeit, ein passendes Duett für die Choreografie von allen lernen zu lassen. Das zu erkennen, ist im Grunde das künstlerische Ziel dieser Übung. Künstlerisches Ziel der Übung: Wenn die TeilnehmerInnen sich gegenseitig ihre Werke präsentieren, lasse ich alle Duette zumindest zweimal tanzen. Ich möchte den anderen TänzerInnen, die nun Publikum sind, zeigen, wie die Verwendung unterschiedlicher Musik Einf luss auf die Stimmung und Qualität des Duettes hat. Was zunächst ein ernsthaftes Duett war, kann zu einem komischen und unterhaltsamen Stück werden. Implizite Kompetenzen: Das Auf brechen mit der gewohnten Struktur (z. B., wenn man mit einer Schulklasse arbeitet) ermöglicht den TeilnehmerInnen, in eine nicht gewohnte Rolle zu schlüpfen. (Der Klassenclown darf einmal nicht lustig sein.) Um ein Duett zu erarbeiten, muss die Gruppe kooperieren, der/die ChoreografIn bekommt Entscheidungskraft, und die TänzerInnen können sich einbringen, wenn es der/dem ChoreografIn recht ist. Oft habe ich erlebt, dass mit dieser Übung die Art der Gespräche und die Art der Berührung vorsichtiger bzw. umsichtiger werden. Die TeilnehmerInnen sollen gemeinsam eine Lösung finden, je besser die Kooperation funktioniert, desto mehr Spaß macht die Übung. Verbesserungspotenzial: Das Gelingen der Übung ist sehr abhängig davon, die passenden Angaben zu machen, und auch im Training den richtigen Zeitpunkt für die Übung zu wählen. Nach jeder Session mit dieser Übung empfehle ich, nicht nur die Übung, sondern auch die Rahmenbedingungen zu evaluieren. Es kann auch hilfreich sein, vor dieser Übung eine Improvisation anzuleiten, bei der schrittweise das Positionen-Kreieren intuitiv geübt werden kann. Dabei ist darauf zu achten, nicht zu viele Informationen von Anfang an zu geben, sondern diese langsam zu steigern. Es wird aktuell viel und kontrovers über die Transferwirkungen von künstlerischer Arbeit im Bildungsprozess und seine Auswirkung auf gesellschaftliche Zusammenhänge diskutiert. Kannst du aus deiner Erfahrung vor allem mit Gruppen, mit denen du schon länger arbeitest, Veränderungen bei den TeilnehmerInnen erkennen?

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Zuerst möchte ich über ein Projekt vom Sommer 2016 erzählen. Es war zwar kein langes Projekt, aber ein sehr intensives, und die Auswirkungen waren bemerkenswert. Mit Tanz die Toleranz wurde ich eingeladen, zwei kleine Tanzprojekte in Transnistrien zu leiten. Ziel war es, nach je fünf Probetagen eine kleine Performance auf die Beine zu stellen. Nach einer erfolgreichen ersten Performance stellte ich mich mit meinem Team auf eine erste Probe mit der zweiten Gruppe ein: 35 Kinder und Jugendliche von sechs bis 16 Jahre. Sie leben gemeinsam in einem Kinderheim, und der Wunsch war es, dass alle zusammen tanzen. Die erste Probe war für meine Assistentinnen schockierend, die Kinder waren untereinander sehr gewaltbereit, und es war kaum möglich, etwas ohne Streitereien und Raufereien zu machen. Mir wurde nach der ersten Probe klar, dass mein vorrangiges Ziel für dieses Projekt die Veränderung der Berührung der Kinder untereinander ist. Eine Übung wurde am beliebtesten bei den Kindern: Das erste Kind geht in eine Position, das zweite Kind soll die Freiräume der Position vom ersten Kind füllen, mit der einzigen Regel, dass sich niemand berühren darf. Ab Tag zwei blieben einige Kinder freiwillig länger im Training, um dieses »Spiel« weiterzumachen. Es kehrte Ruhe ein, und ich kann nicht in Worte fassen, welche inspirierenden Positionen und kreativen Verbindungen dabei entstanden sind. Auch im Laufe der Proben habe ich den Hauptfokus auf den gewaltfreien Umgang miteinander gelegt. Ich habe viel Zeit investiert, darüber zu sprechen, und war sehr streng, wenn sich jemand nicht daran gehalten hat. Wenn wieder einmal Kritik notwendig war, habe ich die Kinder aber auch immer erinnert, wie schade ich es finde, da sie so viel Potenzial haben. Nach fünf Tagen und einer wunderschönen berührenden Performance mit Hebefiguren, Duetten und Gruppensequenzen und einer tränenreichen Abschlussfeier teilte mir die Heimleiterin mit, dass sie eine positive Veränderung bei den Kindern sieht. Natürlich kann man nicht in fünf Tagen ein essenzielles Gewaltproblem dauerhaft beheben, aber es hat sich etwas getan, und vor allem haben die Kinder und BetreuerInnen eine Handlungsalternative erlebt. Das zweite Projekt, von dem ich erzählen möchte, ist die Dance Class Youth von Tanz die Toleranz, einem Projekt, welches ich immer wieder seit einigen Jahren leite. Das Schöne an diesem Projekt ist, dass es TeilnehmerInnen gibt, die nun immer wieder kommen. Ich könnte von vielen positiven Prozessen berichten, hier ein Beispiel. Vor ei-

Par tizipation ermöglichen in der Praxis von Community Dance

nem Jahr hat ein junger Tänzer in der Jugendgruppe angefangen. Er ist aus seiner Heimat gef lüchtet, spricht ein bisschen Englisch und kennt niemanden in Wien. In der Jugendgruppe hat er Anschluss gefunden. Mittlerweile spricht er so gut Deutsch, dass er mir bei der Übersetzung für andere Flüchtlinge hilft. Er trifft sich außerhalb des Trainings mit anderen TänzerInnen, um das Erlernte zu üben. Er ist Vorbild für die anderen TänzerInnen, weil er sehr fokussiert und motiviert ist. Über das Tanzen hinaus hat er Freunde gefunden. Das Symposium Kulturvermittlung in St. Pölten soll dazu dienen, wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Erfahrungen aus den Bereichen Kulturvermittlung, kulturelle Bildung und Audience Development zu verzahnen und ein breiteres Verständnis für die Arbeit in der Öffentlichkeit zu forcieren. Das sollte sich in den Institutionen, in der Kulturpolitik und in der sozialen Arbeit langfristig niederschlagen. Wie bewertest du das? Ich finde es sehr essenziell, dass Projekte evaluiert und die Wirkungen wissenschaftlich nachgewiesen werden. Die Praxis ist abhängig von einem stetigen Diskurs in der Theorie! Das Bemühen, in St. Pölten Theorie und Praxis in einem künstlerischen Kontext zusammenzubringen – nicht an der Universität, sondern in einer Tanzinstitution  –, finde ich sehr erfrischend. Ich kann den Einf luss auf die Arbeitsbedingungen von KünstlerInnen und KulturvermittlerInnen durch diese wissenschaftliche Legitimation nicht nachweisen, aber gefühlt werden wir mehr und stärker. Ich habe oft erlebt, dass Projekte belächelt und unterschätzt werden: Aussagen wie: ›Nicht schon wieder ein Theaterprojekt für Flüchtlinge‹ sind mir immer wieder begegnet und gleichzeitig bin ich der Meinung, dass es nicht genug davon geben kann. Ich denke, Qualitätssicherung ist ein wichtiges Thema in Praxis und Theorie, und die Sichtbarmachung der Wirkung solcher Projekte. Nur so wird es auch nach dem Abf lauen gewisser Trends weiterhin so notwendige partizipatorische Projekte geben.

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Wozu Baukultur vermitteln? Raumwahrnehmung und Stadtgestaltung für junge Menschen Sabine Gstöttner Baukultur ist die öffentlichste Kulturform und betrifft uns alle. Baukultur, das ist alles, was uns täglich umgibt: die Gebäude, die Straßen, die Plätze, die Parks, die Brücken …. sie ist die Summe aller Leistungen einer Gesellschaft in Bezug auf die Gestaltung ihrer Umwelt. Klima, Tradition, Geschichte und Wesen einer Gesellschaft machen die Baukultur zu dem, was sie ist. Von Bedeutung ist: Wir alle leben und bewegen uns jeden Moment unseres Lebens in Räumen, und diese Räume tragen wesentlich zu unserem Befinden bei. Gebauter Raum – ob als Arbeitsraum, Wohngebäude, Park oder als ganzer Stadtteil – wirkt auf uns. Umgekehrt haben wir Einf luss auf das Aussehen der Architektur, die uns umgibt. Nicht alleine die ArchitektInnen, RaumplanerInnen und LandschaftsplanerInnen sind verantwortlich für die Gestaltung der Räume, in denen wir leben. JedeR Einzelne bestimmt das Aussehen und die Gestaltung unseres Lebensraums mit. Durch bestehende Lebensverhältnisse und Entscheidungen, wie wir wohnen, wie wir unsere Freizeit verbringen oder wie wir uns fortbewegen, haben wir Einf luss auf die räumliche Entwicklung unserer Stadt. Daher ist es wichtig, sich aktiv und bewusst mit dem gebauten Raum – also mit dem, was unsere Baukultur täglich hervorbringt – auseinanderzusetzen. Wissen über Baukultur sollte ein wesentlicher Teil unserer Allgemeinbildung sein.

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Sabine Gstöttner

D ie S tadt br aucht neue O rganisationsmodelle und neue A ushandlungsprozesse für R aum Unsere Möglichkeiten, uns aktiv an der Gestaltung unseres Lebensumfelds zu beteiligen, nehmen zu. Denn die Einbeziehung der NutzerInnen in Planungsprozesse ist der öffentlichen Hand immer wichtiger. Im Falle der Stadt Wien liegt der Grund auf der Hand: Die Stadt Wien wächst. Im Jahr 2025 wird Wien eine Stadt mit zwei Millionen Menschen sein. Dabei nimmt die Zahl der EinwohnerInnen rasant jährlich um 25 000 Menschen zu. In den nächsten zehn Jahren wird Wien um die EinwohnerInnenzahl einer Kleinstadt, wie etwa Graz, wachsen. Die Stadt wird sich verändern, in manchen Teilen der Stadt entsteht sogar etwas wie ein neues Wien. Raum wird knapper, die Gesellschaft vielfältiger. Es braucht unterschiedliche Räume für verschiedene Bedürfnisse. Dabei wird Raum zukünftig nicht nur nebeneinander, sondern auch zeitlich versetzt verschiedene Ansprüche erfüllen müssen. Urbanen Lebensraum zu schaffen, der sehr heterogenen Anforderungen gerecht wird, ist eine große Herausforderung für die Stadtplanung. Um die hohe Lebensqualität in einer Stadt halten zu können, die sich rasch stark verändert, sind neue Planungsprozesse und neue Formen der Kommunikation gefordert. Alle sollen die Möglichkeit haben, mitzureden und informiert zu werden. Die Verantwortung für die Qualität des gebauten Raums ist eine gesamtgesellschaftliche. Wir alle gestalten Baukultur mit und sollten uns dieser Aufgabe bewusst sein! Entscheidend für die qualifizierte Teilhabe der Menschen einer Stadt und für die Möglichkeit, neue Organisationsmodelle und Aushandlungsprozesse für die Stadtentwicklung generieren zu können, ist, dass die Stadt die gemeinsame Verantwortung für den gebauten Raum zulässt und unterstützt.

V ermit tlung von K enntnissen über gebauten R aum Wesentliche Voraussetzung dafür, kompetent in Fragen der Stadtentwicklung mitzuarbeiten, ist die ref lektierte Auseinandersetzung mit Architektur und Stadtplanung. Nur wenn wir lernen, unseren Lebensraum bewusst wahrzunehmen, und uns Kriterien für eine selbstständige und

Wozu Baukultur vermitteln?

kritische Beurteilung unseres Lebensraums zur Verfügung stehen, können wir die richtigen Raumentscheidungen treffen, uns qualifiziert an Planungsprozessen beteiligen und Bauqualität einfordern. Hinterfragen zu können, wie Raum auf mich wirkt, wie Raum strukturiert ist, wie die Planung von (Stadt-)Räumen abläuft, oder allgemein ein bewusster Umgang mit unserer gebauten Umwelt, ist daher eine wesentliche Komponente in unserem Alltag. Die Vermittlung von Kenntnissen über den gebauten und gestalteten Lebensraum zeigt den Menschen ihre Verantwortung dafür auf und macht deutlich, dass wir alle Einf luss auf das Aussehen unseres Lebensraums haben. Der Baukulturvermittlung kommt in dieser Frage eine wichtige Bedeutung zu. Besonders die junge Generation in ihrer Rolle als zukünftige Stadtgestalterin wird zunehmend als wichtige Ansprechpartnerin erkannt. Sowohl mit dem universellen Ziel, durch einen bewussten Umgang mit der gebauten Umwelt die Alltagskompetenz zu steigern, als auch mit dem konkreten Ziel der integrierten Entwicklung von Stadtteilen werden im schulischen, aber auch im außerschulischen Bereich Workshops und Projekte für Kinder und Jugendliche angeboten. Denn: Je früher wir uns aktiv und bewusst mit unserem gebauten Lebensraum auseinandersetzen und dazu Wissen aneignen, umso verantwortungsvoller können wir an Prozessen der Stadtentwicklung teilhaben. Kinder und Jugendliche haben ein hohes kreatives Potenzial und sind bereit, dieses auch einzusetzen. Über die Einbindung von Kindern und Jugendlichen und deren Initiative entstehen stadträumliche Verbesserungen, die nicht nur den Jungen selbst, sondern auch generationenübergreifend den Menschen eines Stadtteils zugutekommen und in diesem Sinn einen Mehrwert für die gesamte Stadtgesellschaft darstellen. Wie schon den Jüngsten Baukultur vermittelt werden kann, zeigen die zwei folgenden Wiener Projekte, in denen Tools für die Beteiligung von Jugendlichen an Prozessen der Stadtentwicklung angewandt werden. Das erste Projekt steht exemplarisch für die Sensibilisierung für das gebaute Lebensumfeld, das zweite Projekt ist ein Beispiel für die integrierte Stadtentwicklung an der Peripherie Wiens.

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Sabine Gstöttner

was schafft raum ? E in V ermit tlungsprogr amm für und J ugendliche

K inder

was schafft raum? ist ein Programm zur Vermittlung von Architektur und Stadtplanung im regulären Schulunterricht. Mit dem Vermittlungsprogramm was schafft raum? soll das Interesse an Architektur und Stadt frühzeitig geweckt werden. Das Programm möchte dabei unterstützen, Kinder und Jugendliche für ihr gebautes Lebensumfeld zu sensibilisieren, ein Verständnis für Planungsprozesse zu vermitteln und so gleichzeitig eine Grundlage für eine qualifizierte Teilhabe an Stadtplanungsprozessen zu schaffen. Ein Vermittlungsprogramm mit Multiplikatoreffekt Die Auseinandersetzung mit Baukultur ist als wichtiger Teil unserer Allgemeinbildung in den Lehrplänen verankert und kann in unterschiedlichen Fächern wie Geografie und Wirtschaftskunde, Geschichte und Sozialkunde, Bildnerische Erziehung oder Technisches bzw. Textiles Werken vermittelt werden. Dennoch wird unser Lebensraum, seine Planung und Gestaltung nur dann zum Bestandteil des Schulunterrichts, wenn LehrerInnen sich persönlich für Architektur, Stadt- oder Freiraumplanung interessieren und sich die Vermittlung dieser Inhalte zutrauen oder sich mit ihren Anliegen direkt an Architektur vermittelnde Einrichtungen wenden. Im Herbst 2007 traten daher der Architekt Irmo Hempel und die Landschaftsplanerin Sabine Gstöttner an die Magistratsabteilung 19, Architektur und Stadtgestaltung heran mit dem Anliegen, die Vermittlung von Architektur und Stadtplanung als Teil des Bildungsangebots in Wiener Schulen zu forcieren. In Folge wurden die beiden beauftragt, ein Vermittlungsprogramm zu Architektur und Stadtplanung für Lehrende zu entwickeln, das sie dazu motiviert und dabei unterstützt, die Kerninhalte unserer Baukultur in den regulären Unterricht einf ließen zu lassen. Als Zielgruppe wurden LehrerInnen der Sekundarstufe I in Wien definiert (allgemeinbildende höhere Schulen und allgemeine Pf lichtschulen), um die zehn- bis 14-jährigen SchülerInnen zu erreichen. Um ein Tool anzubieten, das sich dem Schulalltag anpasst und eine hohe Verwendungstauglichkeit aufweist, wurde es gemeinsam mit Pä-

Wozu Baukultur vermitteln?

dagogInnen im Rahmen eines Arbeitskreises entwickelt. Wichtiger Kooperationspartner war der Stadtschulrat für Wien, der das Projekt inhaltlich unterstützt und bestmöglich unter den Wiener LehrerInnen bewarb. Die Raumübungen wurden in dieser Entwicklungsphase im Unterricht erprobt und diskutiert und im Weiteren für den Gebrauch im regulären Unterricht auf bereitet. Die Mitglieder des Arbeitskreises hatten unterschiedliche Erfahrungen mit der Baukulturvermittlung und unterrichteten unterschiedliche Schulfächer in verschiedenen Schultypen und an verschiedenen Schulstandorten Wiens. Somit konnten heterogene Erfahrungen in die Ausarbeitung einf ließen. Die Entwicklungsphase nahm drei Jahre in Anspruch, ehe das Vermittlungsprogramm veröffentlicht wurde. Die Zusammenarbeit mit Schulen und Lehrenden ist eine wichtige Strategie, um mit dem Angebot viele junge Menschen ansprechen zu können. was schafft raum? versteht Wiener LehrerInnen als wichtige MultiplikatorInnen für die Baukulturvermittlung. Ergebnis ist das Vermittlungsprogramm was schafft raum?, das eine Informations- und Wissensplattform mit Inhalten aus dem Bereich Architektur und Stadtplanung darstellt. Das Vermittlungsprogramm was schafft raum? besteht aus drei Modulen und berührt 16 Themenblöcke mit architektur- und stadtplanerischer Relevanz. Zu jedem Thema existieren zielgruppengerecht für Zehn- bis 14-Jährige didaktisch auf bereitete Arbeitsblätter mit detaillierten Arbeitsanweisungen, Hintergrundinformationen, Bildmaterial und Grundrissen für die Durchführung von Raumübungen und Projekten im Unterricht. Alle Raumübungen und Projekte setzen an dem Lebensalltag der Jugendlichen an und stellen damit einen persönlichen Bezug zu Raum, Architektur und Stadtplanung her. Mit den Arbeitsblättern kann jede Lehrkraft eigenständig und auf den Lehrplan abgestimmt verschieden lange Unterrichtseinheiten durchführen und die Ergebnisse benoten. Die Anwendung der Raumübungen und Projekte empfiehlt sich in den Schulfächern Bildnerische Erziehung, Technisches Werken, Textiles Werken, Geografie und Wirtschaftskunde, Geschichte und Sozialkunde, Biologie und Umweltkunde, Musikerziehung und Deutsch. Die Themen »Architektur und Stadt-

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planung« sind dadurch für den Schulbetrieb als Querschnittsmaterie anwendbar. Alle Unterrichtsprojekte können direkt von der Onlineplattform www.was-schafft-raum.at heruntergeladen werden und eignen sich sowohl in einzelnen Unterrichtseinheiten als auch für den fächerübergreifenden Unterricht. Die Durchführungsdauer der Projekte reicht von einer Unterrichtsstunde bis zu sechs Doppelstunden. Alle Unterrichtsprojekte sind an den Lehrplan angepasst und decken Lehrplan­ inhalte ab. Die Datenbank an Unterrichtsprojekten bildet den Kern des Vermittlungsprogramms. Um PädagogInnen Lust an der Vermittlung von baukulturellen Themen zu machen, gibt es weitere Angebote, wie – Seminare an der Pädagogischen Hochschule Wien, – einen Newsletter mit Veranstaltungs- und Literaturtipps und – eine Roadshow mit Schulworkshops zu verschiedenen baukulturellen Themen. Im Anschluss an die Phase der Entwicklung wurde das Projekt kontinuierlich begleitet und beworben, um die Gruppe jener laufend zu vergrößern, die mit dem Vermittlungsprogramm arbeiten und mit dem Team kooperieren. Auf diesem Weg konnten Rahmenbedingungen geschaffen werden, die eine eigenständige Betreuung des Vermittlungsprogramms ohne weitere Mittel der Stadtplanung Wien gewährleisten. So bietet die Pädagogische Hochschule eine LehrerInnenfortbildung zum Vermittlungsprogramm, die Roadshow findet in den Schulen statt und das Landschaftsplanungsbüro inspirin schickt regelmäßig einen Newsletter zum Projekt aus. Seit Sommer 2015 werden die Inhalte des Vermittlungsprogramms was schafft raum? für die Anwendung in der außerschulischen Kinderund Jugendarbeit adaptiert. Die MA 13 – Bildung und außerschulische Jugendbetreuung unterstützt bei diesem Projekt die Stadtplanungsabteilungen und das VermittlerInnenteam. So sollen künftig auch außerhalb des Schulkontexts junge Menschen erreicht werden und als wichtige AnsprechpartnerInnen für Planungsprozesse fit gemacht werden.

Wozu Baukultur vermitteln?

A ktiv im S tadt teil G emeinsam N achbarschaf t gestalten Das Projekt Aktiv im Stadtteil möchte das soziale Kapital in peripheren Stadtteilen stärken. Mit Ideen zur Aufwertung des Stadtraums, die gemeinsam mit den Menschen aus dem Stadtteil generiert und umgesetzt werden, sollen neue Treffpunkte geschaffen und der soziale Zusammenhalt gestärkt werden. Das Projekt richtet sich an Jugendliche in den Donaustädter Bezirksteilen Essling und Hirschstetten. Persönliche Beziehungen, wie die Nähe zur Familie und ein guter Kontakt zur Nachbarschaft, machen die Identität und damit auch die Lebensqualität am Stadtrand aus. Die Konstanz dieser sozialen Kontakte ist für den persönlichen Rückhalt und die Identifikation der Menschen wichtig. Die Stadt Wien wird im Zuge der Stadterweiterung verstärkt die Randzonen entwickeln. Mit dem Einzug der Stadt in die ursprünglich ländlich organisierten Regionen des Stadtrands und einer raschen räumlichen Veränderung gehen auch soziale Neuerungen der städtischen Randgebiete einher. Zeitgleich zeichnet die Peripherie im Nordosten Wiens eine Weitläufigkeit und eine Entfernung zum Stadtzentrum aus, die auch trotz einer verbesserten Anbindung dieser Stadtteile an den öffentlichen Verkehr das gesellschaftliche Leben prägt. Jugendliche verfügen meist über eine eingeschränkte Mobilität und sind daher auf soziale Kontakte und Angebote im Wohnumfeld angewiesen. Ziel des Projektes ist es, das Engagement der jungen Menschen in Bezug auf ihr unmittelbares Wohnumfeld zu steigern und eine engere Bindung an ihr räumliches und soziales Umfeld zu fördern und den peripheren Stadtraum damit aufzuwerten. Mithilfe von gemeinsamen Aktivitäten im Stadtraum werden das Engagement in Bezug auf den umgebenden Raum gesteigert und Spuren gemeinsamen Tuns hinterlassen. Das Projekt besteht aus drei Arbeitsmodulen: 1. Sozialkapital und Raumanalyse: Erhebung räumlicher und sozialer Daten als Anknüpfungspunkte für die Entwicklung möglicher gemeinsamer Aktivitäten und für die Empfehlungen zur Stärkung des Sozialkapitals in peripheren Stadtteilen.

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2. Umsetzung von Aktivitäten zur Stärkung von Sozialkapital: Jugendliche werden motiviert, eigene Ideen zur Aufwertung des Stadtteils zu finden, und bei der gemeinsamen Umsetzung dieser Ideen unterstützt. Der persönliche Einsatz im Stadtteil soll als lohnenswert erkannt werden. 3. Empfehlungen zur Stärkung des Sozialkapitals in peripheren Stadtteilen . Aus den Erfahrungen, die im Rahmen des Projekts generiert werden, werden Empfehlungen zur Stärkung sozialer Beziehungen in peripheren Stadtteilen ausgearbeitet. Die im Rahmen des Projekts gemeinsam mit der Zielgruppe entwickelten und umgesetzten Ideen für den Stadtteil ermöglichen, das räumliche Potenzial des peripheren Stadtraums sichtbar zu machen. Im Projekt werden neben den tradierten regulativen Instrumenten der Stadtentwicklung impulsgebende und aktivierende Entwicklungsstrategien erprobt. Jugendliche werden als stadtgestaltende Akteure aktiv einbezogen. Die gemeinsamen Aktivitäten geben dem Ort Identität und werten ihn auf bzw. nutzen die Identität des Ortes. Aus Sicht der Stadtentwicklung geht es darum, Ideen zu entwerfen und Ansätze zu finden, die die Attraktivität des Stadtraums an der Peripherie erhöhen. Durch aktivierende, temporäre Aktionen werden eine kreative Atmosphäre und Partnerschaften geschaffen, die auch in konkreten Projekten münden. Daraus entstehen handlungsorientierte Netzwerke, selbstorganisierte Plattformen. Ziel für die Stadtplanung ist es, die Beziehungen zwischen dem Lebensraum und den Menschen zu intensivieren und neue Partnerschaften für die Stadtentwicklung an der Peripherie zu testen. Methodisch kamen für die Ideenfindung Workshops mit Schulklassen und aktivierende Befragungen in den ortsansässigen Jugendzentren und in den Pfarren zum Einsatz. Für die Ausarbeitung und Umsetzung der Ideen fanden Arbeitstreffen mit den Jugendlichen in Kleingruppen und Aktionstage im Stadtteil statt. Insgesamt konnten elf Projekte umgesetzt werden. Die Projekte  sind sehr verschieden und reichen vom gemeinsamen Picknick, über Logos für den Stadtteil, Bänken, die zum Diskutieren anregen, einem Bewegungsangebot für Mädchen bis hin zum Imbisswagen für Streetfood. Im Rahmen jedes Projekts werden laufend Aktionen durchgeführt, sodass ständig Impulse im Stadtteil

Wozu Baukultur vermitteln?

wahrnehmbar sind. Entscheidend ist, dass die Projekte  von Jugendlichen umgesetzt werden und das (Zusammen-)Leben im Stadtteil aufwerten.

D ie umgese t z ten I deen Die SchülerInnen der Neuen Mittelschule Prinzgasse haben Logos für Hirschstetten entwickelt. Symbole für jedes Grätzel in Hirschstetten wurden entworfen, in Stencils umgewandelt und im öffentlichen Raum in den jeweiligen Grätzeln aufgesprüht. Die Symbole waren über den Sommer 2015 sichtbar und wurden im Rahmen einer Veranstaltung im Jugendzentrum einem breiteren Publikum präsentiert. Mit der Aktion Wir machen Hirschstetten bunter organisierten Jugendliche ein Picknick für alle Generationen auf einer Wiese am Heidjöchl direkt neben der U-Bahn-Station. Alle TeilnehmerInnen trugen bunte Kleidung und jeder nahm eine Speise bzw. ein Getränk mit.  Entlang öffentlicher Wege in Hirschstetten bringen Sitzmöglichkeiten Menschen ins Gespräch. Fünf bunte Sitzbänke wurden von SchülerInnen der Neuen Mittelschule Prinzgasse mit auffordernden Botschaften besprüht und sollen PassantInnen ins Gespräch bringen. Fragen und Sprüche, wie etwa »Come, sit and make friends«, »Wie viel kostet eine Reise zum Mond?« oder »Du hörst erst mit lernen auf, wenn du aufgibst!«, sprechen die Hirschstettner an. Denken an alte Zeiten: Eine Gruppe junger Mädchen interviewt Menschen, die schon seit ihrer Kindheit bzw. Jugend in Hirschstetten leben, zum früheren Hirschstetten. Die Interviews wurden aufgezeichnet und als Film bei verschiedenen öffentlichen Veranstaltungen im Stadtteil gezeigt. Graffiti Hirschstetten: Die U-Bahn-Unterführung wurde nach Idee und Konzept einer Gruppe von Mädchen farblich gestaltet. Im Rahmen eines mehrtägigen Workshops mit Unterstützung des Künstlers Manuel Murel wurde der Durchgang mittels Action-Painting und Graffiti künstlerisch freundlicher gemacht. Der Fitnessparcours FitGirls führt Mädchen und Frauen durch Essling. In verschiedenen Abschnitten können Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit trainiert werden. Kurze Vorträge zu Ernährung und richtiger

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Bewegung ergänzen das Programm. Der Parcours ist beschildert und kann auch eigenständig durchgeführt werden. Im Kunstprojekt Essling fragen sammelten Jugendliche Fragen, die die Menschen in Essling bewegen. Im Abstand von zwei Monaten wurde gemeinsam mit den Jugendlichen eine Frage aus dem Fragenpool an mehreren Orten im öffentlichen Raum aufgesprüht. Antworten waren möglich per Mail bzw. per Einwurf in der Apotheke. Seit Frühling 2016 ist der mobile Streetfood-Essling-Stand jeden Freitag in Essling unterwegs. Mit einem extra dafür gestalteten Lastenfahrrad verteilen Jugendliche gemeinsam mit SeniorInnen in Essling Speisen. Mit der Initiative sollen der Stadtraum Esslings lebendiger werden und die Menschen ins Gespräch kommen. Alle EsslingerInnen sind eingeladen, mitzumachen und das Lastenfahrrad für  gemeinnützige Ausfahrten zu buchen. Die Reise durch Essling ist eine Rallye für Familien, die auf die Geschichte von Essling eingeht und Wissen zum Stadtteil vermittelt. Die Rallye besteht aus zehn Stationen und kann seit April 2016 gespielt werden. In der Aktion Gemeinsam in Essling verbringen SchülerInnen Zeit mit Menschen aus einer anderen Generation. Bei diesen Treffen tauschen sich Junge mit Älteren aus und lernen voneinander. Ein ehemaliger Zirkusakrobat bietet im Rahmen von Gemeinsam in Essling kostenlose Zirkusworkshops für Jugendliche, eine pensionierte Schuldirektorin erzählt den Jugendlichen, wie es früher war, und eine Entspannungstrainerin zeigt den jungen EsslingerInnen, wie ihr Nervensystem tickt. Aus all den gemeinsamen Aktivitäten ist ein Netzwerk entstanden, aus dem zukünftig weitere Impulse gesetzt werden sollen, um die Stadtteile Hirschstetten und Essling weiter zu stärken.

Empathie – magische Zutat für Kulturvermittlung und urbane Entwicklung Andreas Fehr Als Design Thinker und »Citymanager« habe ich mich durch die Kernfragestellung »Für wen denn schon Kultur vermitteln?« des Symposiums 2015 sofort angesprochen gefühlt. Sie zielt nämlich direkt auf meine persönliche Veranlagung, nach Sinn und intrinsischen Motiven zu fragen. Und diese aus den verschiedenen Perspektiven der urbanen AkteurInnen zu betrachten. Es war mir daher ein besonderes Anliegen, die Fragestellung »Wie gut kennen wir unsere DialogpartnerInnen und Zielgruppen wirklich?« in meinem Servicedesign-Workshopbeitrag aufzugreifen. Bei der Podiumsdiskussion Stadtentwicklung – Aufgabe der Kulturvermittlung? durfte ich meine Gedanken und Erfahrungen als Citymanager einbringen. Die Frage »Ist Stadt(-teil-)entwicklung ohne Kulturvermittlung überhaupt machbar und welche Modelle der gegenseitigen Wertschätzung werden dafür notwendig?« beinhaltet schon eine magische Zutat der urbanen Entwicklung: Wertschätzung. Sie ist ein zentrales Erfolgskriterium, wenn Menschen gemeinsam urbanen Raum gestalten. Doch beginnen wir mit der Frage, was Servicedesign eigentlich ist. In unserem Alltag kommen wir ständig unbewusst mit Design in Berührung. Denn wir nutzen z. B. Smartphones oder fahren Auto. Beide Produkte werden von ProduktdesignerInnen mitentwickelt. Sie zeigen, wie wichtig es ist, neben einer technischen Entwicklung auch die Art und Weise der Nutzung zu betrachten. Denn jeder Mensch nutzt die ihm zur Verfügung stehenden Konsum- und Gebrauchsgüter oder auch Dienstleistungen anders. EinE TechnikerIn macht sich darüber eher weniger Gedanken. Er/sie fokussiert sich auf technische Neuerungen und die Funktion. Der/die DesignerIn entwickelt nicht nur eine ansprechende Form oder »Verpackung«, sondern überlegt, beobachtet und erforscht, wie Gegenstände intuitiv genutzt werden können. Er/sie

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erforscht dabei auch Bedürfnisse, Stimmungen und Verhaltensweisen, welche die Nutzung beeinf lussen. Durch die Zusammenführung von technischen Lösungen und Gestaltung durch Design entsteht erst ein Produkt, das bei der Nutzung zu einem Erlebnis wird. Digitale Services und Dienstleistungen sollten mit der gleichen Sorgfalt wie technologische Prozesse oder Produkte gestaltet werden. Ziel ist zum einen eine hohe KundInnenzufriedenheit durch ein ungetrübtes Dienstleistungserlebnis und zum anderen ein optimaler Prozessablauf über Unternehmensgrenzen hinweg. Im Fokus der Entwicklung steht das KundInnenbedürfnis. Servicedesign ermöglicht in der Tradition von Produkt- und Interfacedesign den Transfer von analytischen und gestaltenden Design-Methoden in die Welt der Dienstleistung. Den eigenen Service aus der Kundenperspektive zu betrachten und dabei den Prozess ganz bewusst zu gestalten, bringt auf lange Sicht dem/der KundIn und dem Unternehmen entscheidende Vorteile. Servicedesign bietet viele Schnittstellen zur Design-Thinking-Methode, die vor gut 20 Jahren in Stanford entwickelt wurde. Beide Methoden haben einige grundlegende Prozesse und Instrumente gemeinsam. So auch den Ansatz der disziplinübergreifenden Vernetzung von Kompetenzen. Im Zusammenbringen aller AkteurInnen, die an der Erbringung und Nutzung einer Dienstleistung beteiligt sind, liegt die große Stärke dieses Entwicklungsansatzes. Dies führt zu besseren Ergebnissen und einer leichteren Umsetzung. Betrachtet werden Mensch-Mensch- und Mensch-Maschine-Schnittstellen, um die Integration neuer Technologien zugunsten einer nutzungsfreundlichen und kundenorientierten Lösung zu finden. Endergebnis ist ein gestaltetes KundInnenerlebnis, in dem Funktionalität und Emotionalität gleichermaßen berücksichtigt werden, da die emotionale Ebene der Interaktion des Kunden mit den Prozessen und mit den Kontaktpunkten zum Unternehmen systematisch in einem Gestaltungsprozess entwickelt werden. Während des gesamten Prozesses werden Ideen und wichtige Interaktionspunkte sowie Phasen durch Quicktests und Prototypen auf Machbarkeit, Sinnhaftigkeit und Nutzerfreundlichkeit überprüft. So weit der Versuch, Ihnen den Servicedesign-Ansatz näherzubringen. Doch wie passt dies zu Kulturvermittlung und Stadtentwicklung? Ganz einfach. Urbane Lebensräume können als komplexe »Service-Öko-

Empathie

systeme« betrachtet werden, in denen es darum geht, die unterschiedlichen Bedürfnisse der Akteure zu erkennen und zu erfüllen.

U rbane E nt wicklung Wir leben in Zeiten des Wandels. Neue Technologien verändern Arbeitswelt und Privatleben gleichermaßen. Die Globalisierung schreitet voran und schafft dabei neue Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen. Der demografische Wandel wird sichtbarer, (urbane) Lebensräume verändern sich, und die Wechselwirksamkeit komplexer Systeme im Wandel stellen uns vor eine Vielfalt an Herausforderungen. Für einzelne Stadtgesellschaften alleine wird es schwierig, hierfür Lösungen zu finden. Ein Austausch zwischen den AkteurInnen unterschiedlicher Regionen wird immer mehr gefordert und gefördert. Die Kultur- und Kreativwirtschaft nimmt hier eine besondere Rolle ein, da sie eine andere Sicht auf die Probleme unserer Zeit mit sich bringt und durch eine andere Denkweise neue Lösungsperspektiven ermöglicht. Dieter Läpple stellt im Bezug darauf fest, dass die kumulative Dynamik zwischen Arbeitskräftenachfrage und Arbeitskräfteangebot in den letzten Jahrzehnten die Entstehung von Clustern der Wissensökonomie und Kreativwirtschaft – vor allem in den Großstädten – begünstigt. Inzwischen ist die Kreativwirtschaft zu einem wachsenden Teilsegment der städtischen Wirtschaft herangewachsen. Diese Kreativquartiere leisten einen wichtigen Beitrag für das urbane Leben der Stadt. (BBSR 2012)

Durch die zunehmende Attraktivität kreativer Quartiere werden diese auch für internationale Immobilienfonds als Investitionsmöglichkeit interessant. Das Thema Gentrifizierung wird in vielen Städten heiß diskutiert. Aus eigener Erfahrung als Citymanager stehe ich dieser Entwicklung kritisch gegenüber. Denn Investoren ohne örtliche Verwurzelung oder Bezug haben in der Regel wenig Interesse an der lokalen Entwicklung und den Bedürfnissen der Stadtgesellschaft. Quartiersentwicklungen werden dadurch mittelfristig behindert und das Engagement der Stadtakteure ausgebremst. Aktuell sehr gut zu beobachten in Nürnberg und dem Quelle-Areal, einem der größten Leerstände in Europa. Vom Insolvenzverwalter und der Stadt Nürnberg an einen portugiesischen In-

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vestor verkauft, der mangels weiterer InvestitionsinteressentInnen nun erneut sein Entwicklungskonzept überdenkt. Die lokale Kreativszene hat in den vergangenen Jahren das Areal belebt und leider erfolglos versucht, hier eine gemeinsame Entwicklung von Stadt, Unternehmen, Kreativschaffenden und BürgerInnen zu initiieren. Leider waren Stadt und Insolvenzverwalter nicht bereit, hier ein höheres Risiko auf sich zu nehmen und neue Wege zu beschreiten. Andere Projekte, wie z. B. die Tabakfabrik in Linz, wären hier mutige und positive Vorbilder gewesen. Es fehlte das Vertrauen in die wirtschaftliche Tragfähigkeit kreativer Quartiersentwicklung und eine langfristig wirksame Vision zur Investition. Kollaborative Entwicklungsprozesse sind komplex und nicht leicht zu managen. Das könnte ein verstecktes Motiv bei den EntscheiderInnen gewesen sein.

W as vereint S tadtak teur I nnen ? Bei der Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Akteursgruppen von Stadtentwicklung prallen stereotypische Vorurteile aufeinander, die widerlegt werden wollen: – Politik und Verwaltung = bürokratisch, unf lexibel und verschwenderisch; – Bildungs- und Kultureinrichtungen = risikoscheu, schwerfällig und wenig kooperativ; – Soziale Einrichtungen = eigennützig, begrenzt wirksam und unbedeutend; – Unternehmen und DienstleisterInnen = profitgierig, unverantwortlich und pf lichtvergessen; – BürgerIn = rechthaberisch, individualistisch und Veränderung nur nicht in meiner Nachbarschaft! Diese Vorurteile habe ich in meiner Arbeit als Citymanager und auch als Servicedesigner oft erlebt. Doch damit urbane Entwicklung gelingen kann, sollte man eher die positiven Eigenschaften der AkteurInnengruppen in den Vordergrund stellen, die auch so wahrnehmbar, aber nicht allgemeingültig sind (vgl. Siodmok 2014):

Empathie

– Politik und Verwaltung = demokratisch, zuverlässig, bürgerorientiert; – Bildungs- und Kultureinrichtungen = zielgerichtet und vertrauensvoll; – Soziale Einrichtungen = wohltätig, belastbar und dabei unternehmerisch denkend; – Unternehmen und DienstleisterInnen = anpassungsfähig, effizient, erfinderisch; – BürgerIn = leidenschaftlich, empathisch und einfallsreich. In der Zusammenarbeit der StadtakteurInnen ist es daher wichtig, sich der Gemeinsamkeiten bewusst zu werden: – – – – –

Eine Zukunftsvision, auf die man zusammen hinarbeitet, ein Verhaltenskodex und achtsamer Umgang, gegenseitig Verantwortung und Zuverlässigkeit, Auf bau von persönlichen Beziehungen, Kreativität.

Denn Wandel braucht Mut, Begeisterung und Vertrauen, um ihn gemeinsam zu gestalten, sowie Orte, in denen dies passieren kann und alle urbanen AkteurInnen zusammenkommen können. Dabei spielen Kultureinrichtungen eine tragende Rolle. Warum? Urbane Entwicklung, Kultur und Servicedesign Kultur ist die Seele einer jeden Gemeinschaft. Kunst hat die Aufgabe, die Seele zu nähren – indem sie kritisch, ironisch, spielerisch oder schöngeistig die aktuelle Gesellschaft ref lektiert, Geschichte schreibt und Visionen zeichnet. Kultureinrichtungen sind somit wesentliche Bestandteile von regionalen Identitäten. Sie wirken nach innen und außen. Kulturvermittlung befähigt, unterstützt, ermöglicht und gestaltet Kunst und Kultur. Sie bildet somit den Nährboden für die Seele einer Region. Sie ist Schnittstelle zwischen den Bedürfniswelten, Erwartungshaltungen und Entwicklungsfeldern in der urbanen Entwicklung. Das Servicedesign-Mind- und -Toolset kann Kulturvermittlung dabei helfen, die Rolle als zentrale Akteurin zu übernehmen. Denn es trägt die beschriebenen Gemeinsamkeiten in sich.

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Zentrales Element von Servicedesign und allen anderen HumanCentered-Design-Disziplinen ist die Empathie. Denn wenn ich die Perspektive wechseln möchte, muss ich versuchen, zu sehen, zu hören und zu fühlen wie die Person, deren Perspektive ich einnehme. Dies hört sich leichter an, als es ist. Denn wir tragen immer unsere Erfahrungen, Wertvorstellungen und Einstellungen mit uns herum. Die Kunst besteht darin, sich dessen zu entledigen und wie ein Kind, unvoreingenommen eine Situation zu erleben und empathisch auf das Gegenüber zu reagieren. In seine Gedanken- und Gefühlswelt einzutauchen, um sein Problem oder Bedürfnis nicht nur zu verstehen, sondern nachempfinden zu können. Enttäuschungen, Ängste, Unverständnis und Erwartungen werden unterschiedlich wahrgenommen und sind je nach Situation und Kontext anders gelagert. Gefühlsstimmungen und das Unterbewusstsein leiten uns viel intensiver, als wir bewusst wahrnehmen. Das sollten wir uns immer wieder vor Augen führen, wenn wir anderen begegnen und mit oder für sie etwas gestalten!

V er änderung br aucht M ut, E mpathie und E xperimente Nehmen wir den Menschen und seine Bedürfnisse wirklich in den Fokus bei der Entwicklung urbaner Lebensräume, dann müssen wir uns von egoistischen Verhaltensweisen lösen und uns verstärkt davon leiten lassen, was unser Handeln und seine Auswirkungen für unser Umfeld bedeuten. Es gibt dabei keine vorgefertigte Lösung, wir müssen experimentieren. Und zwar kontinuierlich!

L iter atur Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Bonn (2012): Die Attraktivität großer Städte: ökonomisch, demographisch, kulturell – Ergebnisse eines Ressortforschungsprojekts des Bundes. Bonn. Siodmok, Andrea: Service design futures  – how to create ›sociable services‹. Flipchart presentation. 13th March 2014 @CELC; online unter http://de.slideshare.net/asiodmok/service-design-futures-how-to create-sociable-services.

F ür wen denn schon K ultur vermitteln ? D ialoggruppen und F orschung

Die Stadt als Bühne der BürgerInnen Airan Berg im Gespräch mit Susanne Wolfram Theatermacher und Kurator Airan Berg hat im Jahr 2015 das Internationale Symposium Kulturvermittlung in St. Pölten mit dem Vortrag Curiosity killed the cat. But who killed curiosity? eröffnet. In Bergs Nachdenken darüber, wie man die Menschen einer Stadt zu Kreativität und Mitgestaltung zur Teilhabe am kulturellen Leben und der aktiven Gestaltung von Lebensraum animieren kann, steht in Bergs Arbeit vor allem die Frage nach dem Für wen? im Vordergrund. Am Beispiel seiner Arbeit als »Stadtanimator« in verschiedenen Städten, besonders anhand der Bewerbung der süditalienischen Stadt Lecce zur Kulturhauptstadt Europas 2019, hat er in seinem Keynote-Vortrag – musikalisch unterstützt von seinem Freund, dem Akkordeonisten Otto Lechner – deutlich gemacht, dass Kultur und letztlich Kulturvermittlung nicht ohne die Dimension des Wir gedacht werden kann. Im Gespräch erklärt er, warum er sich mit dem Begriff künstlerischer Animateur durchaus wohlfühlt, wie der Anspruch, mit Theater einen gesellschaftlichen Wandel einzuleiten, ihn aus den Häusern und zu den Menschen geführt hat und wie Bürgerinnen und Bürger zur Seele von kulturellen Transformationsprozessen werden, wenn man ihnen mit ernsthaftem Interesse und dem Handwerkszeug eines guten Regisseurs begegnet. Kannst du festmachen, wann dir als Theatermacher, den nach seinem abgeschlossenem Studium der erste beruf liche Weg in New York zu Harold Prince an den Broadway geführt hat, diese gesellschaftliche Dimension von Theater, von Kunst und Kultur so bewusst wichtig geworden ist? Mich hat am Theater immer schon die Frage, wie man mit diesem Medium Veränderung erreichen kann, am meisten interessiert. Man muss

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Airan Berg im Gespräch mit Susanne Wolfram

sich nur die Arbeit von Harold Prince, der zweifelsfrei ein wichtiger Lehrmeister war, sehr genau betrachten. Natürlich hat er Musicals gemacht, aber es waren zum Großteil sehr starke sozialkritische Musicals mit großer gesellschaftlicher Relevanz. Auch während dem Studium an der Brown University, die damals als die liberalste Universität in den USA galt, haben wir uns intensiv mit neuen Theaterformen und Gesellschaft beschäftigt und natürlich habe ich nicht nur Musicals gemacht, bevor ich mit Harold Prince gearbeitet habe. Harold Prince ist ein sehr politischer und gesellschaftskritischer Theatermacher, auch wenn seine Mittel entsprechend seinem Kulturkreis andere sind. Der gesellschaftspolitische Ansatz ist im Theater vorgegeben durch den Umstand, dass es ein Publikum gibt. Es ist die Öffentlichkeit – oder im Englischen »the public« –, ohne die die Kunstform nicht funktioniert. EinE ZuschauerIn wird in der deutschen Sprache immer auf das Zusehen oder »the audience« wird auf das Zuhören reduziert. Beides sind im Grunde sehr aktive Handlungen, bei denen man das Gehirn, den eigenen Erfahrungsschatz nutzt, um das Gesehene und Gehörte individuell zu verarbeiten. Heute gibt es natürlich eine neue Riege von RegisseurInnen, die anders denken, aber gerade als ich begonnen habe, Anfang der 1990er-Jahre in Europa Theater zu machen, wurde auf den Bühnen des deutschsprachigen Raums immer alles sehr explizit ausgesprochen und erklärt, aus mangelndem Vertrauen in die Fantasie und weil man wohl dem Publikum eine Transferleistung nicht zugetraut hat. Es ist kein Zufall, dass ich nach meiner intensiven Auseinandersetzung mit anderen theatralen Erzählformen während längeren Studienaufenthalten auf Bali zurück in Wien gemeinsam mit Martina Winkel das Theater ohne Grenzen und das Puppentheaterfestival Die Macht des Staunens gegründet habe. Puppentheater unterstützt die Rolle eines aktiven Publikums, weil es von der Fantasie der Zusehenden lebt. Wenn das Publikum sich nicht vorstellen will, dass dieses Holzstück ein Mensch ist, dann funktioniert mein Stück nicht. Puppentheater ist, mehr als das damals vorherrschende deutsche Sprechtheater, ein Dialog mit den Menschen. Aus der Arbeit aus diesem Dialog heraus haben sich Projekte an diversen deutschsprachigen Bühnen entwickelt. Die Übernahme der Leitung des Schauspielhauses Wien war dann der nächste Schritt. Dort habe ich versucht, ein multisprachliches Theater anzubieten, das die Wiener Stadtgesellschaft viel mehr als die anderen Theater der Stadt ref lektiert.

Die Stadt als Bühne der BürgerInnen

Interkulturelle Multisprachlichkeit bedeutet mir eine Öffnung des Theaters in alle Richtungen. Da geht es um ein Widerspiegeln der Diversität der Gesellschaft in Themen, Formaten und auch in einer ganz basalen Barrierefreiheit, die Kommunikation erst mal ermöglicht. Indem Theater in den unterschiedlichen Sprachen der Menschen der Stadt angeboten wird, sei es durch GebärdensprachdolmetscherInnen, durch anderssprachige Inszenierungen, Braille-Untertitelungen, Initiativen wie die von mir mitbegründete Aktion Hunger auf Kunst und Kultur, die Menschen in wirtschaftlich prekären Situationen den Theaterbesuch mittels Kulturpass ermöglicht, und Ähnliches, öffnet es sich. Es ging in der ersten Zeit darum, eine Einladung auszusprechen an Menschen, die durch empfundene soziale oder physische Barrieren am Theaterbesuch gehindert wurden, um fortan das Schauspielhaus Wien als Raum der Begegnung zu nutzen. Meine Haltung war immer die eines Theaterleiters, der seine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft wahrnimmt – vor allem als subventioniertes Haus, das ja allen gehört. Wenn wir Aktiengesellschaften wären, würde jeder Bürgerin und jedem Bürger ein kleiner Teil des Theaters gehören, weil sie investieren ja mit ihren Steuergeldern. Das Volk bezahlt das Theater und hat ein Anrecht darauf, daran teilzuhaben, was am Theater passiert. Mein Auftrag als Intendant war es, die Türen so weit wie möglich aufzumachen. Das heißt nicht, dass man nur populäre Dinge spielt, die alle sehen wollen. Das schon genannte Beispiel ist einfach: Indem man Gebärdensprache anbietet, können Menschen, die gehörlos sind, auch buchstäblich aus erster Hand am kulturellen Leben teilhaben. Nach der Intendanz in Wien und zahlreichen Projekten an deutschsprachigen Bühnen im In- und Ausland kam der Ruf nach Linz 2009. Als Kurator für darstellende Kunst leitetest du zahlreiche großangelegte Projekte im öffentlichen Raum, an Schulen und prägtest das Selbstbewusstsein der Stahlstadt als Kulturhauptstadt Europas. In Linz09 ging es nun darum, nicht aus einem Theater heraus oder mit einem bestimmten Festival, sondern als Kulturhauptstadt Schichten der Bevölkerung zu erreichen, die am kulturellen Leben einer Stadt (bisher) nicht teilgenommen haben. Damit war auch die Frage verbunden, wie erreicht man die Menschen, die vielleicht daran teilhaben, mit neuen Mitteln, und lädt zu anderen Formen von Diskurs ein. Das ist uns sehr

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gut gelungen. Ich habe Formate entwickelt, die zum Erfolg dieser Kulturhauptstadt geführt haben. Ich habe dabei so viel über Partizipation und das Funktionieren einer Stadt gelernt, dass ich diese Erfahrungen auch mitgenommen habe und heute damit weiterarbeite. Im Schulprojekt I like to move it, move it in Linz war es schon so, dass die über tausend beteiligten SchülerInnen mitbestimmt haben, worüber sie arbeiten wollen  – auch der Projekttitel kam von den Jugendlichen selbst, die mit unterschiedlichsten ChoreografInnen gearbeitet haben. In Lecce gingen wir dann noch einmal einen Schritt weiter, indem wir Stadt und Stadtentwicklung in den Fokus gerückt haben. Da hieß es zu Beginn nicht: »Das ist ein Schulprojekt und ihr könnt alle mitmachen.« Es gab zunächst keine fertigen Projektkonzepte, sondern eine klare Frage, gerichtet an die Bevölkerung: Was sind eure Themen? Wir lernten in Lecce mit den Mitteln von Theater und Kunst, Plattformen zu schaffen für die Themen der BürgerInnen der Stadt. Dazu bedarf es auch den Mut, den Menschen vorerst zuzuhören und darauf zu vertrauen, dass etwas Gutes rauskommt, wenn man Menschen den Raum lässt, ihre Kreativität aufspüren und ihrer Inspiration folgen zu können. Zurückkommend auf das Puppentheater und ursprüngliche Theaterformen geht es mir in meiner künstlerischen Arbeit immer um das Öffnen von Kanälen in uns, aus einer Zeit, in der wir noch verspielter waren und uns dafür nicht schämen mussten. Theater ist eine Mischung aus Gedachtem und Gefühltem. Darum lieben wir SchauspielerInnen so sehr, weil sie etwas dürfen, was wir glauben nicht mehr zu dürfen: Uns zum Narren zu machen und spielerisch Gedankenwelten zu erschaffen. Das meint die Macht des Staunens. Mit Theater neue Möglichkeiten von emotionalen Reaktionen zu erlauben. Puppentheater weckt bei jedem Menschen Kindheitserinnerungen an das Spielen mit Objekten und das Ausdenken von Geschichten. JedeR von uns eignet sich die Welt ja so spielerisch an, und dann sitzen wir irgendwann im abgedunkelten Zuschauerraum und schauen anderen zu, anstatt dieses Grundbedürfnis nach kreativem Ausdruck bei uns selbst zuzulassen. 1961 in Tel Aviv geboren, kamst du als Elfjähriger mit deinen Eltern nach Wien. Du hast internationale Schulen besucht und später in New York sowie Indonesien Theater(-techniken) und Regie studiert. 1993 hast du gemeinsam mit Martina Winkel das Theater ohne Grenzen in Wien gegründet und ab

Die Stadt als Bühne der BürgerInnen

2011 das Wiener Schauspielhaus als Intendant geleitet. Darauf folgen Linz, Mannheim, Lecce, Brüssel, Helsinki, Zagreb, Hongkong und unzählige weitere Städte, unter anderem Istanbul, die Stadt, wo du heute mit Frau und Tochter lebst. Ungefähr die Hälfte des Jahres arbeitest du weltweit an Kulturprojekten, in den letzten Jahren mit einem starken Fokus auf Stadt(-teil-)entwicklung. Du agierst als Theatermacher und Initiator künstlerischer Prozesse weltweit, und trotzdem hast du mal in einem Interview gesagt: Theater ist immer regional. Was macht das Theater regional? Theater ist an den Orten verankert, an denen es stattfindet, indem es Bezug nimmt auf lokale Seh- und Hörgewohnheiten, auf den Duktus eines Ortes. Riten und kulturelle Codes eines Ortes sind immer regional geprägt. Theater funktioniert überall  – aber es funktioniert nicht überall gleich. Bereits am Wiener Schauspielhaus habe ich ein Artistin-Residence-Programm eingeführt, um einen Blick von außen, durch die Anwesenheit und Arbeit von KünstlerInnen aus anderen Regionen in der Wiener Porzellangasse zu gewährleisten. Das ist der künstlerische Blick, den ich jetzt in den Städten, in denen ich arbeite, einbringen kann, weil ich von außen komme und mich für die verschiedenen Orte an und Menschen, mit denen ich arbeite, interessiere. Ich habe KollegInnen nach Wien geholt, die ihren Blick von außen genutzt haben, um schärfer zu analysieren. Wenn KünstlerInnen gut sind und über ein fundiertes Handwerkszeug verfügen, erkennen sie auch die Geschichten, die notwendig sind, erzählt zu werden. Sie bleiben nicht unbedingt an den Klischees und Gewohnheiten eines Ortes hängen und erweitern und vertiefen daher auch unseren Blick. Sie nehmen Themen an, die wir uns vor Ort nicht trauen würden, aufzugreifen. Ich habe nicht nur in Süditalien von den lokalen Verantwortlichen oft gehört: »Da müssen wir die Finger von lassen, aber du kannst ja was machen, weil du bist nicht von hier.« Ein guter Künstler spürt Tabus auf und fürchtet sich dann nicht, sie im Dialog mit den Betroffenen zu bearbeiten. Partizipative Theaterarbeit und kulturelle Stadtentwicklung muss auf Lebenswelten der Menschen eingehen. Erst dann wird es interessant für die Menschen, mitzumachen, weil sie fühlen, dass sie wirklich gehört und nicht nur als Körper oder Stimme verwendet werden. Eine Opernproduktion zu machen und den Chor mit 300 Laien zu besetzen, kostet vielleicht nichts, wenn es sich um lauter Freiwillige handelt, und auch das ist Empowerment und hat seine Berechtigung.

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Aber man stelle sich vor, mit welcher Kraft diese 300 Menschen über etwas singen würden, das sie wirklich betrifft. Mich interessiert es, diese nächste Stufe zu betreten und zu lernen, was Menschen selbst erzählen wollen. Ich bin nicht gegen sehr strukturierte Formate auf Grundlage geschriebener Texte und komponierter Musik, aber die Arbeitsweise in Lecce war es, von den Themen der BürgerInnen zu Lösungen zu kommen und dann an einer gemeinsamen Form für die Präsentation dieser Lösungen, an einer künstlerischen Umsetzung zu arbeiten. Im gemeinsamen Prozess ergibt sich das Gefühl von Verbundenheit im Thema. Plötzlich ist der/die BürgerIn mit seinem/ihrem Thema nicht mehr alleine, sondern da sind Tausende, die ähnliche Fragestellungen haben. Im Gemeinsamen liegt die Kraft. Du bist ein Theatermacher mit Leib und Seele und du liebst die Menschen. Du hast im Vortrag gesagt, in Wahrheit machst du immer noch Theater, aber die ganze Stadt ist nun die Bühne. Für den Bewerbungsprozess von Lecce 2019 zur Kulturhauptstadt Europas hat das bedeutet, dass 14 000 Menschen deine ProtagonistInnen waren. Harold Prince hat mir gesagt »90 percent of a show is casting«, und für meine Arbeit würde ich das umlegen auf die Gleichung: 90 Prozent der partizipativen Arbeit ist Kommunikation. Und damit ist eine wahrhaftige Kommunikation, die von ehrlichem Interesse getragen wird, gemeint. In Lecce war es meine Aufgabe, in einer Stadt, in der die Skepis gegenüber Kultur und gegenüber Europa gleichermaßen groß war, zunächst die Stimmung umzudrehen und Alliierte zu suchen für das Projekt Lecce19 – Kulturhauptstadt Europas. Kulturhauptstadt Europas zu werden, kann die Politik einer Stadt nicht ohne die Zivilbevölkerung schaffen, und umgekehrt können Bürgerinnen und Bürger ohne Bekenntnis der Verwaltung dieses Ziel nicht erreichen. In Süditalien hieß das, im ersten Schritt eine Brücke zu bauen zwischen zwei Lagern, die sich absolut nicht vertrauten. Die Arbeitslosenrate in der Region liegt bei über 50 Prozent, Textil- und Tabakindustrie sind zusammengebrochen, junge Menschen müssen wegziehen, um Arbeit zu finden, und die politische Verwaltung hat keine Tradition für partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den EinwohnerInnen. Der Bürgermeister von Lecce ist ein Vertreter der Forza Italia, also einer rechtspopulistischen Partei, die man nicht unbedingt mit kul-

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tureller Bildung und sozialer Innovation verbindet. Aber am Ende des Projekts hat mir dieser Mann gesagt, dass eine der wichtigsten Erkenntnisse in seiner politischen Karriere für ihn war, dass Kunstschaffende eine Region oder Stadt besser animieren und mehr Dynamik erzeugen können als irgendjemand sonst. Der Bürgermeister hat mich – ohne mich persönlich zu kennen – auf eine Empfehlung hin eingeladen, die Einreichung zur Kulturhauptstadt zu koordinieren, und er hat mir freie Hand gelassen, weil er selbst eingestehen musste, dass ein politisches System, das kein Vertrauen der Bevölkerung genießt, eine Veränderung der kulturellen Stimmung in der Region nicht alleine bewerkstelligen kann. Entsprechend war es die erste Herausforderung für mich, den Menschen zu erklären, dass ich nicht der Botschafter des Bürgermeisters bin. Auch da hat es geholfen, dass ich von außen gekommen bin. Ich habe während des ganzen Prozesses auch immer an die Verwaltung zurückgemeldet, wie ich die Stadt und die Region wahrnehme. Wichtig ist dabei, dass man klein anfängt. Ich habe in Lecce konkret engagierte und kontroverse Persönlichkeiten aus den unterschiedlichen sozialen Dimensionen einer Stadt gesucht und zu Gesprächen getroffen. Ich habe zahlreiche Gespräche mit einzelnen Personen aus dem Sozialbereich, der Wirtschaft geführt und dann langsam die Kreise erweitert. Gemeinsam mit Studierenden, die an einem Projekt zu smart-City gearbeitet haben, haben wir dann Onlineplattformen eingerichtet. Als das Interesse für das Projekt gestiegen ist und es immer mehr Verbündete gab, haben wir in der ganzen Stadt und später auch in Schulen Begegnungszonen eingerichtet, sogenannte zone della curiosità im öffentlichen Raum. Diese Zonen der Neugierde waren genau wie das Symbol der Sprechblasen als Instrumente gedacht, die Menschen in der Region von Anfang an zu ermutigen, ihre Stimme zu erheben und ihr Recht auf Mitbestimmung geltend zu machen. Und zusammen haben wir für über 14 000 Mitwirkende, die mit uns auf unterschiedlichen Ebenen interagierten, mit »re-inventare eu-topia« einen Übertitel für die Bewerbung zur Kulturhauptstadt gefunden. Das Sich-Neuerfinden, um zu überleben, ist für die Menschen in Lecce und Salento ein Bestandteil ihres Alltags. Die sozialen Probleme in der Region sind so groß, dass es große Utopien braucht, um eine Veränderung herbeizuführen.

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So hat für die BürgerInnen im Grunde alles gewissermaßen mit leeren Sprechblasen und gegenseitiger Neugierde begonnen. Wir haben auf der Straße Zonen markiert und die Menschen sind hineingetreten, weil sie einfach von A nach B wollten, und dann haben wir sie empfangen und ihnen gesagt: »Sie sind soeben in eine Zone der Neugierde eingetreten.« So konnten die Menschen neugierig auf uns und das Projekt sein, und wir waren neugierig auf die Menschen. Ich glaube, dass die Neugierde etwas ist, das uns allen irgendwie eigen ist. Der nächste Schritt waren die Rathausversammlungen, wo wir schließlich mit den Interessierten die Themen geclustert und die acht eutopien für Lecce democratopia, polistopia, profitopia, ecotopia, experientopia, artopia, talentopia und edutopia entwickelt haben. Bald gab es erste Arbeitsgruppen, die zu einzelnen EUtopien etwas entwickelt haben, und wir haben ihnen ExpertInnen und KünstlerInnen für die Umsetzung an die Seite gestellt. Parallel dazu haben sich Schulklassen ganz stark eingebracht, und auch dort bildeten sich Gruppen, die ihre Projekte erarbeitet haben. Eine zone della curiosità war das Internet selbst, und die Studierenden des smart-City-Projekts haben für alle Projekte, die von diversen Arbeitsgruppen aus der Zivilbevölkerung und von über 4 000 SchülerInnen im Klassenverband zu den acht eutopien entwickelt wurden, im Internet dokumentiert und verknüpft. Es gab viele Informationskanäle im virtuellen wie im realen Raum und monatliche Veranstaltungen, um die einzelnen Projekte vorzustellen. Höhepunkt war das Festival mese dell’ eutopia, wo alle Teilnehmenden ihre Stücke, Projekte und Interventionen im öffentlichen Raum präsentiert haben, und ein großes Volksfest der Künste, bei dem Zigtausende Menschen auf unterschiedlichsten Ebenen mitgewirkt haben an den Tagen, als die Kulturhauptstadt-Jury sich vor Ort ein Bild gemacht hat. Wie der Name sagt, war dieses Fest auf einen ganzen Monat im März 2014 anberaumt und wurde durch das Engagement der Teilnehmenden immer wieder ausgeweitet und neu belebt. Wenn man sich im Internet die Videos von dieser Stadt im Kulturhauptstadttaumel ansieht, und diese Zehntausenden Mitwirkenden in ihrem Engagement und ihrer Freude an den neuen Zielen und Werten sieht, drängt sich die Frage nach der Nachhaltigkeit auf. Wie übergibt man die Staffel nach so einer Einreichung, wie können die Menschen die Fackel weitertragen und es schaffen, dass die Energie nicht verpufft – zumal, wenn man wie Lecce den Zuschlag

Die Stadt als Bühne der BürgerInnen

nicht bekommt? du beschreibst dich selbst und die KünstlerInnen, mit denen du arbeitest, als AnimateurInnen für einen Prozess. Wie übergibt man Anima? Natürlich hat die Bewerbung einer Stadt eine andere Dynamik als ein Projekt, das von einer einzelnen Kultur-, Bildungs- oder Sozialeinrichtung ausgeht. Sie ist mit mehr Euphorie oder Enttäuschung verbunden. Gleichzeitig war ich als Person sicherlich nicht die Seele des Projekts, sondern die Seele des Projekts in Lecce waren die vielen Menschen, die mitgemacht haben. Ich versuche in meiner Arbeit immer etwas zu machen, das ich »Train the Trainers« nenne. Ich nehme das Werkzeug nicht mehr mit, wenn ich gehe. Das Werkzeug verbleibt in der Region genau wie die Methoden und das Know-how. Das heißt für mich, dass ich mit lokalen Kultur- und Kunstschaffenden arbeite. Hier ist klar zwischen Kunstschaffenden und Kulturschaffenden zu differenzieren. Jeder Mensch ist ein Kulturschaffender. Kultur kann jede Ausformung von zivilisiertem Zusammenleben sein – da gehört die Nonna, die ihren Garten hegt, genauso dazu wie das Kind, das den Tisch zum Abendessen deckt, oder renommierte Musiker wie der süditalienische Rap-Star Nandu Popu, der im Rahmen der Bewerbung ein Konzert vor Tausenden gegeben hat. In Lecce waren alle Mitwirkende an der europäischen Utopie von einer Kulturhauptstadt. Deshalb wachsen viele Dinge, die wir angesetzt haben, weiter, und die Beziehungen, die sich gebildet haben, werden weiter gepf legt. Während eines Prozesses, der auf so vielen Ebenen gleichzeitig so beherzt stattfindet, ist es nicht einfach, sich bereits auf ein Ziel zu konzentrieren, das hinter der Einreichung und nach 2019 liegt, gerade das ist aber wichtig. Wir sind InitiatorInnen, Medien, VerknüpferInnen, und die Verknüpfungen bleiben an dem Ort, an dem sie sich durch Neugierde, Interesse, Engagement und den Wunsch nach Veränderung gebildet haben. Türen, die aufgestoßen wurden, auch weiter zu frequentieren, ist das, was dann vor Ort geschehen muss. Ein gutes Beispiel für die Unterstützung und Stärkung von regionalen Initiativen ist die langjährige Arbeit der Theaterpädagogin Paola Leone. Die 1975 in Tarent, Apulien, geborene Künstlerin arbeitet seit über zehn Jahren in verschiedenen süditalienischen Gefängnissen. Sie hat Schreibwerkstätten geleitet und Installationen und Projekte rund um die Texte der Insassen inszeniert und mit Haftinsassen Theaterstü-

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Airan Berg im Gespräch mit Susanne Wolfram

cke entwickelt und intern aufgeführt. Im Rahmen der Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas haben wir diese Arbeit in Lecce einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Es ist gelungen, dass die Häftlinge im Stadttheater auftreten konnten. Eine logistische Verantwortung, die die Stadt bereit war, gemeinsam anzunehmen. Diese Arbeit geht weiter. Die Theatergruppe tritt nach wie vor einmal im Monat öffentlich auf, und das Stadttheater ist bei diesen Gelegenheiten immer bis auf den letzten Platz ausverkauft. Die Stadtbevölkerung von Lecce, die Verwaltung und die Kulturpolitik haben sich entwickelt. Das Leben in der Stadt ist bunter und hoffnungsvoller geworden. Stärken stärken und Schwächen schwächen, Kommunikation und gegenseitiges Verständnis steigern – das macht jedeR gute RegisseurIn auf der Probebühne, jedeR ManagerIn im Unternehmen und ein erfolgreicher Stadtanimator in der Stadt, in der er gerade arbeitet. Was auch ein unvermeidbarer und erwünschter Effekt ist, wenn man mit offenem Herzen und wachem Geist in so eine Arbeit hineingeht, und das stimmt für alle Stationen meiner künstlerischen Lauf bahn: Es geht nicht nur darum, etwas dort zu lassen, sondern man nimmt immer etwas mit. Wir alle sind kommunizierende Gefäße. Die Chance, etwas aufzubauen auf dem, was da ist, es zu stärken und gedeihen zu lassen und um neue Impulse und einen frischen Blick zu ergänzen, die Wahrnehmung der Öffentlichkeit und die eigene ein Stück zu verschieben, verspricht den nachhaltigsten Lernerfolg für beide Seiten.

Klassik fürs Hinterland Kulturpolitik in Brasilien als Politik der Kulturvermittlung Chico César im Gespräch mit Constanze Eiselt »Brasilien heißt nicht ausschließlich: Sonne, Strand, wenig Wäsche«, insistiert der brasilianische Musiker, Komponist, Schriftsteller und große Kulturvermittler Chico César. »Ich setze mich dafür ein, dass es als ein Land mit mehr Innerlichkeit gesehen wird, denn wir sind auch sehr tiefgründig und nach innen schauend.« 1964 in Catolé de Rocha  – weit entfernt von den großen Metropolen Brasiliens  – geboren, wächst Chico César in Armut, aber reich an künstlerischen Einf lüssen und Förderern auf. Seine Heimatstadt liegt im kleinen Bundesstaat Paraíba, südlich der Nordost-Nase des südamerikanischen Kontinents. Von der Hauptstadt João Pessoa ist Catolé de Rocha circa 430 Kilometer entfernt. Das sind in Brasilien sechs oder sieben Stunden Fahrtzeit. Richtung Rio de Janeiro/São Paulo sind es circa vier Flugstunden. Die Volksfeste der Region, untermalt von afro-brasilianischen Rhythmen wie Maracatú oder dem akkordeongeprägten Forró, begleiten Chico César als Kind. Er saugt die Eindrücke der Feierlichkeiten und Prozessionen auf, in denen sich schwarze, indianische und portugiesische Religionen begegnen und die besonders in der heißen Weihnachtszeit mit den Folias dos Reis ihren alljährlichen Höhepunkt finden. In den 1960er-Jahren war Catolé de Rocha insofern eine interessante Stadt, als sie sich selber als »cidade que lê« – also »Stadt, die liest« bezeichnet hat. Ursprünglich gab es also ein vergleichbar hohes Bildungsniveau, das in den 1980er- und 1990er-Jahren rapide abgenommen hat. Als Chico César 1995 gemeinsam mit seiner ehemaligen Lehrerin und Mentorin Irmã Iracy das Projekt Casa do Béradêro gründete, hatten

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Chico César im Gespräch mit Constanze Eiselt

Schulbildung und Kulturangebot einen sehr geringen Stellenwert in der Gesellschaft. Die international tätige Kulturmanagerin Constanze Eiselt begleitet Césars Arbeit schon seit vielen Jahren und hat angeregt, für das Internationale Symposium 2015 in St. Pölten Chico César nicht nur als Musiker, sondern auch als Initiator für ein nachhaltiges Community-Musikprojekt einzuladen. Im Gespräch mit dem Musiker erinnert sich Eiselt: 2001 sah das Haus, ein ehemaliges Spital, das ein Arzt der Initiative überlassen hatte, so heruntergekommen aus, dass ich davor stand und dachte: Beim besten Willen ist es nicht vorstellbar, dass man daraus etwas machen kann. Das Gebäude war innen und außen zu einem großen Teil zerstört. Die Idee war, mit so einem Kulturinstitut die Tradition des Nordostens in Brasilien – die wirklich sehr reich ist – durch verschiedene Kunstformen zu bewahren. Chico hat immer gesagt, dass es wirklich wichtig ist zu wissen, woher man kommt, wo man lebt, und was man davon bewahren kann, um eben diese Regionalität am Leben zu behalten. Das Gebäude wurde dann innerhalb von drei Jahren renoviert. Es gibt heute vielfältige Angebote von Musikunterricht, Tanz, Instrumentenbau. Mittlerweile haben sie auch ein Tonstudio, das heißt, man kann dort eine Ausbildung zum Tontechniker machen. Die Bands können dort proben. Gleichzeitig wird viel Wert auf Kunsthandwerk und Folklore gelegt. Es gibt also ein Angebot quer durch alle Kultur- und Kunstsparten.

Constanze Eiselt befragt Chico César im Gespräch über den Bezug seiner Arbeit zum Symposium. Beim Internationalen Symposium Kulturvermittlung 2015 in St. Pölten ist viel über Randgruppen gesprochen worden. Casa do Beradêro heißt übersetzt: »Haus für die, die die am Rand stehen«. Was ist darunter zu verstehen? Das Wort kommt eigentlich aus dem nordöstlichen Slang und bedeutet wörtlich: Der, der am Rand geboren ist/der am Rand aufwächst. Ich selber bezeichne mich auch als Béradêro, weil ich im Umland von Catolé do Rocha geboren wurde. Für uns wiederum waren dann die, die noch weiter entfernt wohnten, auch schon Beradêros. Also das ist einfach eine Wahrnehmungssache. Ich habe später auf meinem ersten Album einen Song mit dem Titel veröffentlicht und dachte, dass das auch ein guter Name für das Projekt ist, um genau eben die Randgruppen reinzuholen ins Zent-

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rum. Und das nicht nur im geografischen Sinn, sondern auch mit dem, womit sie sich beschäftigen. Was genau ist im Nordosten Brasiliens? Wie muss man sich die Armut der Gesellschaft oder der Randgruppen vorstellen? Im Nordosten selber besteht noch eine sehr große Solidarität unter den Familienangehörigen oder auch unter FreundInnen  – besonders in Familien, die in sehr bescheidenen Verhältnissen, ja vielfach in Armut, leben. Das verliert sich dann natürlich, wenn diese Menschen in die großen Städte ziehen, wie das gerade in den 1960er- und 1970er-Jahren ganz stark der Fall war in Brasilien. Damals wurden ganze Landstriche verlassen, um nach São Paulo oder Rio de Janeiro zu gehen. Also vor allem in den »reichen« Süden, wo man dann dementsprechend die Armut noch stärker gespürt hat und sich die zugezogenen Menschen ohne den Zusammenhalt im Nordosten auch einsamer fühlten. Wie war es für dich, in Armut aufzuwachsen? Ich glaube, dass Armut auch eine Chance sein kann, um weiterzukommen im Leben und um zu lernen, denn man muss einfach etwas tun, wenn man nichts hat. Und bei mir war es zum Glück wirklich so, dass meine Familie es wichtig fand, mir Bildung zukommen zu lassen. Wobei es bei uns so eine Art Familienstreit gab. Mein Vater – wir waren sieben Kinder zuhause – war Landarbeiter. Er hätte es natürlich lieber gehabt, wenn die Kinder ihm bei der Landarbeit zur Hand gehen. Meine Mutter hat aber gesagt: Nein, die Kinder kommen in die Schule, die sollen es besser haben als wir. Es war wirklich ein großer Glücksumstand für mich, diese Bildung in einer von deutschen Nonnen gegründeten Schule zu erhalten. Ein anderes Thema, das wir im Symposium behandelt haben, ist das der Migration. Wir gehen in Europa mehrheitlich davon aus, dass Migration etwas Überstaatliches ist, das heißt, Menschen kommen aus anderen Ländern z. B. nach Österreich. In Brasilien ist es hingegen ein sehr großes Thema, dass Menschen innerhalb des eigenen Landes migrieren – vor allem vom Hinterland in die Metropolen.

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Inwieweit kann man durch solche Einrichtungen wie dem Instituto Cultural Casa do Beradêro verhindern, dass die Migration noch zunimmt? Ich glaube prinzipiell, dass Migration Menschenrecht ist. JedeR soll dahingehen dürfen und können, wo er/sie seine Träume und Wünsche leben kann. In Brasilien ist es de facto so gewesen, dass vor allem in den 1960er- und 1970er-Jahren des vorigen Jahrhunderts sehr viele Menschen aus dem Nordosten Richtung São Paulo/Rio de Janeiro, also in den reichen industrialisierten Südosten ausgewandert sind, um eine bessere wirtschaftliche Situation für sich und für ihre Familien zu erarbeiten. Mittlerweile ist es so, dass in den Jahren der Regierung unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und Präsidentin Dilma Vana Rousseff viele Menschen in den Nordosten zurückgekehrt sind. Dies liegt daran, dass es attraktiver geworden ist, dort produzieren zu lassen. Viele Produktionsschienen sind eröffnet und neue Werke gebaut worden, vor allem in der Automobilindustrie. Auf diese Weise kehren Menschen, die ihre Familien verlassen haben, jetzt circa 20 Jahre später wieder in ihre Regionen zurück. So etwas ist möglich, wenn man Bedingungen schafft, die den Menschen auch dort ein gutes Leben ermöglichen, wo sie eigentlich herkommen. Zur eigentlichen Frage. Die Casa do Beradêro war ursprünglich eine Idee, die ich mit FreundInnen gestartet habe, vor allem eben mit meiner Musikschullehrerin, der Nonne Irmã Iracy. Mittlerweile ermöglichen wir Kindern und Jugendlichen dort eine fundierte Ausbildung und eröffnen ihnen damit eine Perspektive, in der Region zu bleiben und Arbeit zu finden. Aber gleichzeitig ist es für uns auch wichtig, unseren SchülerInnen Mobilität zu ermöglichen. Wir unterstützen auch den Wunsch, wegzugehen – sei es innerhalb von Brasilien oder auch international. Wir hatten z. B. den Fall, dass mehrere MusikschülerInnen zum Studium nach Deutschland gegangen sind und die spielen jetzt in Orchestern. Stichwort Orchester. Es ist ja erst nicht sehr naheliegend, mitten im Hinterland von Brasilien den Kindern klassische Musik beizubringen. Es läge – provokativ gesprochen – näher, Trommelworkshops und dergleichen anzubieten. Warum diese Option für Klassik?

Klassik fürs Hinterland

Mir war es wichtig, dass eine Musikform oder eine Kunstform, die sonst der Elite vorbehalten ist, nämlich klassische Musik, allen zugänglich sein sollte. Und es ist ja auch nicht so, dass wir den Kindern gesagt haben, wir spielen jetzt nur Beethoven, Bach und Wagner. Sondern sie sollten mit den klassischen Instrumenten brasilianische Musik spielen: Musik aus dem Nordosten oder auch den anderen Regionen Brasiliens. Für mich ist der interessante Aspekt bei einem Orchester der des sozialen Lernens. Man muss lernen zuzuhören, was die anderen tun, man muss den richtigen Einsatz bekommen, man kann solieren, muss sich aber auch manchmal zurücknehmen. Das sind pädagogisch wertvolle Fähigkeiten, die da entwickelt werden. Kanntest du zu dem Zeitpunkt der Gründung von Casa do Béradêro schon Projekte wie El Sistema in Venezuela, das in Europa ja sehr große Bekanntheit und großes Ansehen genießt? Woraus hast du deine Inspiration genommen für dieses Projekt? Ich hatte von dem Projekt El Sistema gehört, aber meine eigentliche Inspiration kam ganz woanders her, nämlich aus dem Nachbarstaat von Paraíba, aus Pernambuco. Da gibt es eine sehr kleine, arme Stadt – São Caetano –, und dort gab es ein ähnliches Projekt von einem Musiklehrer, der den Kindern Zugang zu klassischer Musik geboten hat. Diese Initiative war schlussendlich das auslösende Moment. Andererseits dient mir als größte Inspiration meine eigene Biografie. Ich hatte das Glück, viele LehrerInnen und MentorInnen zu haben  – und zwar nicht nur in der Schule. Menschen um mich herum haben gesagt: Lies dieses Buch, hör jene Platte, lerne Flöte oder Gitarre zu spielen. Und ich habe das dann wirklich auch alles gemacht, habe alles aufgesogen. Das war für mich prägend. Aus dieser Erfahrung heraus entstand der Gedanke, Menschen mit verschiedenen Interessen und Fähigkeiten zu versammeln, um möglichst viele junge Menschen zu inspirieren. Wenn ich die Chance hatte, diese LehrerInnen als WegweiserInnen zu haben, dann möchte ich solche Menschen vereinen, um möglichst vielen Kindern ebenfalls diese Chance zu geben. Welchen Stellenwert hat Klassik in Catolé do Rocha? Und welche Auswirkungen hatte die Auseinandersetzung der Kinder und Jugendlichen mit klassi-

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schen Orchesterinstrumenten in der Stadt? Inwieweit wurde Klassik bis dahin in der Stadt überhaupt gelebt? Durch die deutschen Nonnen, die in den 1940er-Jahren während des Zweiten Weltkriegs nach Catolé do Rocha gekommen sind, war Klassik in der Stadt schon lange präsent. In Catolé wurde wirklich Klassik gelebt. So wurde beispielsweise täglich um 16 Uhr, zur »Stunde des Engels« – a hora do anjo –, über die Lautsprecher der Stadt Händels Ave Maria gespielt. Das war die Beschallung für die gesamte Stadt. Dies hat allen einen gewissen Zugang zu Klassik verschafft und es mir leichter gemacht, bei diesem Projekt mit Klassik zu arbeiten. Aber noch einmal: Es ist uns nicht darum gegangen, die europäische Klassik zu kopieren, sondern vielmehr darum, den Kindern Zuund Umgang mit diesen aus Europa stammenden Instrumenten zu vermitteln, um damit brasilianische Musik zu spielen. Gab es eigentlich Widerstände oder Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Projekts seitens der Stadt, Politiker oder Behörden? Niemand war jemals dezidiert gegen unsere Initiative. Man hat uns nicht offiziell boykottiert. Aber wie immer, wenn man mit solchen Ideen kommt, gibt es erst einmal ein bisschen Skepsis oder Unverständnis vonseiten vor allem der öffentlichen Stellen der Stadt. Es gab beispielsweise in der Anfangsphase folgenden Fall: Wir haben eine Förderung bekommen – gar nicht mal so viel Geld, 50 000 Reais, aber für uns war das damals viel –, die damals aus rechtlichen Gründen noch nicht an NGOs gezahlt werden durfte, sondern an das Büro des Bürgermeisters überwiesen wurde. Und der hat dann das Geld einfach in ein anderes Projekt gesteckt! Unsere Initiative hat von dieser gewidmeten Förderung überhaupt nichts gesehen. Wir haben das Projekt zwar eingereicht und das Geld bekommen, aber genutzt wurde es dann ganz anders. Dieser Umgang mit Fördermitteln hat uns schnell zu einer Professionalität im Umgang mit der Bürokratie gezwungen, um die Anträge so einzureichen, dass wir das Geld direkt erhalten konnten. Aber auf der anderen Seite gab es von Anfang an wirklich eine sehr große Solidarität, auch aus dem Ausland. Wir bekommen z. B. von Franziskanerschwestern in Deutschland bis heute Spenden. Wir haben Instrumente geschenkt bekommen und ehrenamtliche MitarbeiterInnen

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gewonnen. Sehr schön war auch die Zusammenarbeit mit einem Kulturinstitut in Galicien (Portugal), wo die Kinder, die dieses erste Orchester geformt haben, auf internationle Tournee gehen konnten. Und das war wirklich ein sehr großer Anreiz.1 Gibt es in deiner Funktion als Kulturminister von Paraíba, die du seit 2007 ausübst, eine Verbindung zu deiner Arbeit als Künstler und Kulturvermittler? Konnte der Kulturpolitiker Chico César auf seine Arbeit als Musiker und als Musikvermittler zurückgreifen in seinen Wirkungsmöglichkeiten auf politischer Ebene? So im Sinne: Kulturpolitik als Instrument der Kulturvermittlung auch und besonders bei der Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen? Ich war zuerst zwei Jahre Kultursekretär in João Pessoa, der Hauptstadt von Paraíba, und bin dann auf die Landesebene gegangen. Ich habe vier Jahre lang als Kulturminister meines Heimatstaates Paraíba gearbeitet. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es kein Ministerium für Kultur in meinem Land. Ich musste somit Auf bauarbeit leisten und konnte auf diese Weise von Anfang an den Gedanken der Inklusion und der Kulturvermittlung in meine Programme integrieren. Wir haben z. B. das Projekt PRIMA (Programa de inclusão através da Música e das Artes [»Programm der Inklusion durch die Musik und die Künste«]) entwickelt. Synergien zu dem schon existierenden Schulsystem wurden analysiert und genutzt, um dort Kulturvermittlung und vor allem eben Musikunterricht verstärkt zu implementieren. Das hat dazu geführt, dass jetzt 13 oder 14 neue Orchester und Musikvermittlungsinitiativen – so wie die Casa do Beradêro – in anderen Städten von Paraíba existieren, z. B. in João Pessoa oder in Campina Grande. Unsere Erfahrungen hatten dabei Vorbildwirkung.

1 | Constanze Eiselt hat dieses Projekt mit dem Kulturinstitut in Galicien als Projektmanagerin begleitet und beschreibt es im Gespräch als einmalige Chance für die Kinder und als unvergesslich schönes Erlebnis. Es handelte sich um Kinder, die normalerweise nie die Chance gehabt hätten, nach Europa zu fahren. Zum einen, weil sie das Geld für das Flugticket gar nicht gehabt hätten und es für sie auch keinen Grund gegeben hätte, diese Reise anzutreten. Eiselt berichtet von schönen Begegnungen während dieser Konzertreise. »Es war unglaublich schön, diese Kinder von sieben bis 17 Jahren zu begleiten, und sie haben da wirklich tapfer ihre Konzerte gespielt.«

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Ein zweites Projekt, welches bereits unter Kulturminister Gilberto Gil in der Regierung von Lula da Silva begonnen wurde, habe ich in Paraíba weitergeführt: die sogenannten Pontos de Cultura. Das sind Projekte, die es schon länger gegeben hat und denen nun durch die Regierung eine offizielle Anerkennung sowie die Wertschätzung zuteil wurde, dass es Projekte in Brasilien gibt, die funktionieren. Damit wurde im Sinne der Regionalität und Nachhaltigkeit in Projekte investiert, die man nicht am Papier neu erfunden hat, sondern die von engagierten Menschen bereits ins Leben gerufen wurden. Ich denke, das ist die richtige Art zu fördern, und nicht, einfach irgendetwas Neues hinzusetzen, nur weil wir glauben, wir wüssten besser, was notwendig ist. Was hat sich in der unmittelbaren Nähe der Casa do Beradêro mit dem Projekt verändert? Wenn man so ein Projekt beginnt, dann ist es so, als wenn man einen Stein in den See wirft. Alles verändert sich wellenartig. Zuerst sieht man es dort, wo der Stein hinfällt, aber dann wirft er immer mehr Kreise nach außen. Zunächst haben wir natürlich die Kinder aus der unmittelbaren Nähe des Stadtteils angesprochen. Mittlerweile ist es so, dass Kinder auch von relativ weit weg zu uns kommen, um Unterricht zu haben. Auf der anderen Seite – und das ist auch sehr schön an dem Projekt – sind einige der Kinder der »ersten Generation« nun selbst LehrerIn und geben ihr Wissen an die nächste Generation weiter. Zusätzlich gehen sie auch mit neuen Projekten an die jetzigen »Béradêros«, die heutigen Randgruppen, heran. Sie versuchen, die Kinder draußen abzuholen und ihnen gezielte Angebote zu machen. Insofern: Ja, das Projekt hat tatsächlich für den Stadtteil und die ganze Stadt große Änderungen gebracht. Und ich möchte noch etwas hinzuzufügen: Die Schulnoten der Kinder im Projekt sind durch die Bank weg besser geworden. Die Kinder zeigen ihre Zeugnisse vor und es ist wirklich ein großer Unterschied zu früher. Damit haben sie sehr viel bessere Chancen, einen Studienplatz an einer öffentlichen Universität zu bekommen. Das Bildungssystem in Brasilien ist stark privatisiert. Wenn man nicht viel Geld hat, muss man diverse Auswahlkriterien durchlaufen, und wenn man nicht wirklich ausgezeichnete Noten hat, dann hat man eigentlich keine Chance, an einer öffentlichen Universität angenommen zu werden und somit einen Abschluss und beruf liche Möglichkeiten zu haben.

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Es gibt international viele ähnliche Projekte. Gibt es da einen Austausch? Oder gibt es auch innerhalb von Brasilien ähnliche Projekte? Kommt ihr zusammen, gibt es gemeinsame Fortbildungen oder einen Know-how-Transfer? Der Austausch funktioniert in Brasilien sehr gut. Die Pontos de Cultura, von denen ich vorhin gesprochen habe, verfügen über ein Netzwerk mit dem Namen »Teia« (»Spinnennetz«), dieser Name beschreibt den Ansatz ganz gut. Die Pontos de Cultura veranstalten auf Landes- und Bundesebene regelmäßige Treffen, um von Erfahrungen zu berichten und sie zu evaluieren. Das ist tatsächlich ein sehr wichtiger Austausch, weil stets sehr viel Input kommt. Im Bereich der Musik gibt es mittlerweile Kontakt zu El Sistema und die Einladung seitens des Projektes dort, Kinder nach Venezuela kommen und dort zusätzlich ausbilden zu lassen. Das ist jetzt aber nicht speziell für Casa do Beradêro, sondern eben für diese Pontos de Cultura, wozu auch unser Projekt gehört. Es kann also gut sein, dass einmal jemand aus Catolé do Rocha nach Venezuela fährt. Natürlich gibt es auch Rückschläge. Kinder und Jugendliche sind durch das Fernsehen auch anderen Einf lüssen ausgesetzt. Mir geht es ja sehr stark darum, den Kindern ihre kulturellen Wurzeln und die künstlerische Eigenständigkeit zu vermitteln. Letztes Weihnachten hatten wir eine Veranstaltung, wo alle Gruppen ihre aktuelle Arbeit präsentierten. Und dann kam so ein kleines Mädchen als Beyoncé verkleidet auf die Bühne, mit einem Schild, auf dem »Welcome« stand. Ich saß da und habe die Welt nicht mehr verstanden. Ich habe dieses Erlebnis zum Anlass genommen, eine Richtungskorrektur vorzunehmen. Meinem Team habe ich gesagt: Was die Musik angeht, sind wir auf einem wirklich sehr guten Weg. Aber die Tanzdarbietung war für mich einfach eine billige Kopie von dem, was gerade im Fernsehen läuft, und das wollte ich für das Projekt nicht. Ich habe ihnen klargemacht, dass wir uns wirklich auf brasilianische Werte und Traditionen konzentrieren sollten. Und so gab es diverse Änderungen. Es ist also ein Projekt im Fluss.

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Me:ršprahigkayt in der kulturellen Bildung Eva Kolm Buchstaben füllen den Bildschirm in schneller Abfolge und formen bewegte Schattenrisse von Gesichtern, während aus dem Off Stimmen von SchülerInnen des Österreichischen St. Georgs-Kolleg in Istanbul/ Türkei zu hören sind, die für das »Fest der leisen Töne« (im Rahmen des Programms Österreichische Auslandsschulen – Orte des kulturellen Dialogs, Nachlese auf www.kulturkontakt.or.at/oeas) gemeinsam mit dem Medienkünstler Leo Schatzl das Gedicht AĞACIM – Mein Baum von Orhan Veli in deutscher und türkischer Sprache virtuell umgesetzt haben. Möglich war das im Rahmen eines Förderprogramms von KulturKontakt Austria (KKA). Der Bereich Kulturvermittlung im KKA arbeitet im Auftrag des Bildungsministeriums an der Schnittstelle zwischen Schule, Kunst und Kultur. Partizipative Projekte und Aktivitäten der kulturellen Bildung mit Schulen in ganz Österreich werden konzipiert, beratend und organisatorisch begleitet und gefördert. Die Berücksichtigung von Me:ršprahigkayt in der kulturellen Bildung im Schulkontext spielt dabei im Sinne eines inklusiven Umgangs mit Vielfalt und Unterschiedlichkeit eine wichtige Rolle  – immerhin weist die Statistik den Anteil der SchülerInnen mit nichtdeutscher Umgangssprache in Österreich für das Schuljahr 2014/15 mit 22,2 Prozent aus, für Wien sogar mit 47,5 Prozent (statistik austria: Schulstatistik, erstellt am 14. Dezember 2015). Weltweit verwendet mehr als die Hälfte der Menschen täglich mehr als eine von über 6 000  Sprachen, die österreichische Gesellschaft scheint aber – nicht erst seit der aktuellen Flüchtlingsbewegung nach Europa – große Schwierigkeiten mit der Anerkennung und positiven Nutzung dieser Tatsache zu haben.

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Trotzdem setzen sich PädagogInnen und Kulturschaffende auf vielfältige Weise mit Me:ršprahigkayt auseinander, einen ersten Überblick dazu geben die KKA-Webplattformen Beispiele kunst- und kulturvermittelnder Schulprojekte (vgl. www.kulturkontakt.or.at/beispiele) und Angebote von Kulturschaffenden für Schulen (vgl. www.kulturkontakt.or.at/ angebote) unter dem Stichwort »Sprachliche und kulturelle Vielfalt«. Einige eindrucksvolle Beispiele für mögliche Zugänge aus den letzten Jahren sollen hier vorgestellt werden:

S pr achen be wusst wahrnehmen Aus dem Bereich der Sprachforschung ist die Arbeit mit Sprachenporträts bekannt, die einen kreativen Einstieg in die individuelle Sprachenverwendung ermöglichen: Die eigenen Sprachen werden mit je verschiedenen Farben in Silhouetten hineingemalt, was in der Regel dazu führt, dass fast alle ihr Porträt beschriften bzw. etwas dazu erzählen wollen. Das Sprachenporträt erlaubt den Betroffenen einen ganzheitlichen Blick auf ihre Sprachen  – die Farben bringen Emotion ins Spiel, die Silhouetten Körperlichkeit. Werden sie in der Klasse oder Lerngruppe angefertigt, so entsteht jenes Biotop, in dem über (verdrängte oder unterdrückte) Sprachen (wieder) gesprochen werden kann (vgl. Krumm 2013). Solche Sprachenporträts können einen ersten Zugang zu Sprachenbiografien darstellen, wie sie im Mittelpunkt des Projekts Jetzt aber mal Klartext! Vom Dolmetschen und Tacheles-Reden (im Rahmen des Programms culture connected, vgl. www.culture-connected.at) standen: 1. SchülerInnen des Bundesgymnasiums Bludenz/Vorarlberg erarbeiteten Portfolios zur eigenen Sprachbiografie und zu Vorarlberg als Migrationsland. Sie nahmen an den Workshops Massel und Schlamassel und Tacheles reden mit Kulturvermittlerin Julia Schertler-Dür im Jüdischen Museum Hohenems teil und gingen gemeinsam mit SprachexpertInnen für Türkisch, Bosnisch/Kroatisch/Serbisch und Jiddisch der Herkunft von deutschen und Vorarlberger Wörtern und ihrer Verwandtschaft mit anderen Sprachen nach. »SchülerInnen

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mit einer anderen Erstsprache als Deutsch konnten sich im Rahmen des Projekts verstärkt einbringen.« 1 2. Linguistic landscapes, also Sprachenlandschaften, entstehen durch die Präsenz von Sprachen in Form von Schriften und Zeichen (vgl. http://multilingual.uni-graz.at/projekte/25/linguistic-landscapegraz.html [Zugriff: 15.11.2016]) beispielsweise auf Schildern, Plakaten, Formularen oder Graffitis etwa in der Schule oder in der Schulumgebung. Da Sprachen in unterschiedlichem Maß sichtbar sind, bildet eine Sprachenlandschaft auch das Zusammenleben von Mehrheiten und Minderheiten ab. Mit diesem Umstand haben sich SchülerInnen der Neuen Mittelschule Andau, der Volksschule Andau und der Volkschule Tadten/Burgenland in ihrem Projekt Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum (im Rahmen des Programms Interkulturalität und Mehrsprachigkeit – eine Chance!, Projektdatenbank auf www. schule-mehrsprachig.at) auseinandergesetzt. Die TeilnehmerInnen beschrifteten am Europäischen Tag der Sprachen alle öffentlichen Gebäude (Schule, Friedhof, Post, Gemeindeamt, Kirche, Gasthaus …) ihrer Schulstandorte an der Grenze zu Ungarn mit Plakaten auf Deutsch, Englisch und Ungarisch (Ungarisch zählt neben Kroatisch und Romanes zu den anerkannten Minderheitensprachen im Burgenland, sodass die SprecherInnen z. B. ein Anrecht auf Verwendung ihrer Sprachen im öffentlichen Schriftverkehr haben). Drei Tage später konfrontierten die SchülerInnen die Erwachsenen im Dorf mit einigen Sätzen/Fragen auf Englisch und Ungarisch. Zum Projektabschluss nahmen sie mit einem ungarischen und einem englischen Native Speaker drei Tage lang ein »Sprachenbad«.

S pr achen sichtbar machen Damit sind die SchülerInnen schon einen Schritt weiter gegangen, da sie in die lokale Sprachenlandschaft eingegriffen und Me:ršprahigkayt sichtbar gemacht haben. Auch SchülerInnen des Christian-Doppler-Gymnasiums in Salzburg hatten eine ähnliche Idee und gestalteten mit den Päd1 | Zitate sind, wenn nicht anders ausgewiesen, aus den Projektberichten der KKA entnommen.

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agoginnen Eva Ritter und Saskia Nagy ihre »Schule neu in einer Nacht« (im Rahmen des Programms Interkulturalität und Mehrsprachigkeit): Sie nutzten den Umbau des Gebäudes und hängten in einer Aktionsnacht zweisprachige Schilder (in ihrer Erst- und in der Schulsprache) neben den Räumen auf. SchülerInnen der Volksschule Feldkirch Levis/Vorarlberg gestalteten mit Unterstützung der bildenden Künstlerin Maybritt Chromy Holzbänke und -tische, die von Jugendlichen des Sunnahof Tufers (im Betrieb der Lebenshilfe) hergestellt worden waren, mit »mehrschriftigen« und me:ršprahigen Texten. Die dabei entstandenen Sprachskulpturen laden in der Aula und auf allen Etagen zum Verweilen, Lesen und Miteinander-Reden ein. Buchstaben verschiedener Schriften aus Pappmaschee und Sperrholz stehen bzw. hängen an zentralen Plätzen der Schule, Sesselbezüge und Tischdecken mit Wörtern in verschiedenen Sprachen und Schriften sollen »Lernen in Vielfalt – Mehrsprachigkeit als Geschenk« (im Rahmen des Programms Interkulturalität und Mehrsprachigkeit) visualisieren. Die Volksschule Engelsdorf in Graz/Steiermark wiederum sorgte für ein sprachfreundliches Ambiente, indem sie in ihrem Projekt Sprachenlandschaft Deluxe (im Rahmen des Programms culture connected ) nach einem Besuch der gleichnamigen Ausstellung im treffpunkt-sprachenZentrum gemeinsam mit dem Künstlerinnenduo resanita ihre Schulhofwand mit 350 Farbbomben und aufgesprayten Bezeichnungen der Farben in allen Sprachen, die in der Schule gesprochen werden, gestaltete. Dazu war die Erhebung der Sprachkompetenzen an der Schule (wie auch im vorher beschriebenen Projekt) relevant. Für die Herstellung der 85 Schablonen recherchierten die Kinder gemeinsam die Bezeichnungen der Farben.

S ich mit S pr ache verorten Eine weitere Möglichkeit, die Umgebung zu erforschen und sich in sie einzuschreiben, ist die Arbeit mit Karten. »Hier, da und dazwischen« (im Rahmen des Programms Initiative »Kulturvermittlung mit Schulen in Bundesmuseen«, Nachlese auf www.kulturkontakt.or.at/bundesmuseen), also in der Schule, im Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (mumok) und auf dem Weg zwischen beiden Institutionen haben SchülerIn-

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nen in der Kooperation mit den Kulturvermittlerinnen Beate Hartmann und Mikki Muhr Karten erstellt. Dabei ging es um Wahrnehmung, das Kennenlernen von Möglichkeiten der Kartengestaltung, das Entwickeln einer eigenen Kartensprache und Ref lexionsgespräche über Räume, Kunstwerke und Erlebnisse. In einer Abfolge von gemeinsamen Exkursionen, dem Zeichnen, Herzeigen und Deuten von Karten (persönlichen Freihandskizzen, vergleichbar kognitiven Karten) und der Niederschrift von Karteninhalten kamen die Teilnehmenden zu ganz individuellen (mehrsprachigen) Lösungen und Formulierungen (Muhr 2015). Eine digitale Variante hat das Wiener Neuen Mittelschule Informatik College Hernals im Projekt Meine Stadt – Mein Weg – Unsere neue Schule (im Rahmen des Programms Interkulturalität und Mehrsprachigkeit) gemeinsam mit All inclusive – Verein zur Förderung komplementärer Diversitätsstrukturen umgesetzt: Die SchülerInnen dokumentierten die »Hotpoints« ihrer Schulwege und ihres Freizeit- und Familienlebens mit Fotos und Texten in ihren Erstsprachen in einem digitalen Stadtplan auf http://klassenapp.gesellschaftundvielfalt.eu. »Die muttersprachlichen Texte wurden ohne weitere externe Korrekturen und Eingriffe belassen, sie sind Dokumente gemeinschaftlicher Sprachkompetenz und selbstbewusste Kunstwerke jedes einzelnen Kindes.« Mithilfe einer App für Mobiltelefone gingen sie verschiedene Routen mit ihren Schulkol­ legInnen, LehrerInnen und Eltern ab.

A ls S pr ache xpert I n auf tre ten Die SchülerInnen fungierten dabei als ExpertInnen für ihre Sprachen und erfuhren eine Aufwertung und Stärkung. Mit diesem Umstand haben auch die Regisseurin Alexandra Schöler-Haring und die Musikerin Nicole Marte vom Zentrum für Musikvermittlung in ihrem einwöchigen Projekt Musical macht Schule (im Rahmen des Programms culture connected) mit der Wiener Volksschule Hochsatzengasse gearbeitet: Die SchülerInnen entwickelten die Ideen zur Geschichte in einem Improvisationsworkshop zu den von ihnen in Vorgesprächen genannten Themen »Freundschaft« und »Sprachen« selbst. Liedtexte wurden vertont, entstehende Kompositionen instrumentiert und die Kinder durch Einführungen in Stimmbildung/Schauspiel und Rhythmus bis zur Aufführung des Musicals vor Publikum in der Schule begleitet: Ein Turnsaal f liegt

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mitsamt einer Klasse ins Weltall und landet auf dem Planeten Rex, die Kinder können nur aufgrund ihrer Sprachenkenntnisse mithilfe eines me:ršprahigen Zauberspruchs auf die Erde zurückkehren. Die Wiener Volksschule Ortnergasse 4 hat mit ihrem Pädagogen Christian Schreger und dem Internetprojekt www.weltabc.at (im Rahmen des Programms Interkulturalität und Mehrsprachigkeit) einen multimedialen Weg beschritten: Eine Sammlung scheinbar klarer Begriffe, deren Ausgangspunkt die Sprache Deutsch ist, wird mit weiteren Begriffen in verschiedenen Sprachen assoziiert und durch Fotos illustriert. Zu jedem Wort stehen außerdem abspielbare Audios zur Verfügung. Die erlebte Wirklichkeit von Kindern mit unterschiedlichsten Erstsprachen, die gerade im Prozess des Lernens der deutschen Sprache stehen, rückt in den Vordergrund und belegt zugleich die Unschärfe von Sprache mit ihren bedeutungssicher geglaubten Begriffen. Mitmachen beim WeltABC ist einfach – und erwünscht: Wörter, Bilder, Texte und Audios können ergänzt werden. Die redaktionelle Bearbeitung der via Internet eintreffenden Vorschläge stellt einen Fixpunkt im Deutschunterricht der Klasse dar, ebenso im kurdischen Erstsprachenunterricht. Besonders spannend wird es, wenn plötzlich »fehlende Wörter« entdeckt werden: Wie kann man das fehlende Wort fotografieren?2

Ihre Fertigkeiten bewiesen auch SchülerInnen der Neuen Mittelschule 5  – Otto-Glöckel-Schule in Linz/Oberösterreich: Für Radio Otto (im Rahmen des Programms culture connected) produzierten sie mit Philippa Blochberger und KollegInnen von Radio FRO 105,0 Radiosendungen mit interkulturellem und multilingualem Schwerpunkt. Sie erstellten Beiträge und Sendungskonzepte und präsentierten sie mit me:ršprahigen Moderationen. »Einige Eltern konnten die Sendungen ihrer Kinder live mitverfolgen und riefen auch gleich nach der Sendung an, wie stolz sie auf ihre Kinder sind.«

2 | Ausschnitte aus dem Text von Christian Schreger auf www.medienimpulse.at/ articles/view/582 [Zugriff: 15.11.2016]. Mittlerweile ging eine kurdische Version des WeltABCs online, die über die Audios mit dem deutschen WeltABC verknüpft ist. Zahlreiche Anpassungen mussten gemacht werden, da sich die Grammatiken der kurdischen und der deutschen Sprache deutlich unterscheiden – was me:ršprahige Kinder täglich erleben.

Me:ršprahigkayt in der kulturellen Bildung

L iteracy und L iter atur (vgl . B undesministerium für B ildung 2016) Ebenso einen Einblick in die Radioarbeit erhalten SchülerInnen mit Medienpädagogin Doris Rudlof-Garreis. Sie werden zu KinderbuchreporterInnen in öffentlichen Stadtbibliotheken. Ihre »Buchvorstellungen« (zum Teil im Rahmen des Programms Dialogveranstaltungen) in ihren Erstsprachen werden professionell geschnitten und auf dem Portal www.ohrenklick.at veröffentlicht. Literarische ›Schreibwerkstätten‹ machen mit den Gestaltungsmöglichkeiten von Sprachen vertraut und bieten gerade in me:ršprahigen Kontexten neue, spielerische Zugänge zu Sprache. Die SchülerInnen der Österreichischen Schule »Peter Mahringer«  – HTL Shkodra/Albanien etwa lernten mit der Autorin Andrea Sailer (im Rahmen des Programms ÖBM) kürzere Gedichtformen wie etwa Haiku, Elfchen und Akrostichon kennen und verloren so ihre anfängliche Angst, eigene Gedichte auf Deutsch zu schreiben. Sie erstellten in Einzel-, Gruppen- und Partnerarbeit Parallelgedichte, Gegengedichte und Ergänzungsgedichte zu Themen aus ihrem Lebensumfeld (Schule, Familie, Natur, Stadt, Heimat, Europa, Geschlechterrolle, Gefühle). In einer Abschlussveranstaltung präsentierten sie ihre Lyrik Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen. Die gesammelten Gedichte wurden digitalisiert und als kleines Heftchen an die teilnehmenden SchülerInnen verteilt. Autorin Ana Bilić wiederum entwickelte mit SchülerInnen der Wiener Handelsakademie des bfi Margaretenstraße (im Rahmen des Programms Dialogveranstaltungen) mithilfe ausgewählter Methoden eine Kurzgeschichte von der Idee bis zum fertigen Manuskript: Die Jugendlichen schrieben in mehreren Runden in ihren Erstsprachen nieder, was sie von verschiedenen Texten (Interview, Brief) auf Russisch und Wallachisch verstanden hatten. So lernten sie nicht nur etwas über den Entstehungsprozess von Literatur, sondern erfuhren auch in der Praxis, dass Me:ršprahigkayt beim Literaturschreiben ein Vorteil ist.

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M ehr als W örter Manchmal ist es auch lohnend, sich Sprachen nonverbal anzunähern. Besonders geeignet sind dazu performative Methoden. Die KulturvermittlerInnen des Österreichischen Theatermuseums Christine Gobbi, Stefanie van Felten und Karin Mörtl luden SchülerInnen dazu ein, »[ü]ber den eigenen Schatten [zu] springen« (im Rahmen des Programms ÖBM): Nach dem Besuch einer Schattentheateraufführung und einer Ausstellung zum Thema bauten die SchülerInnen eigene Schattenfiguren und erfanden damit eigene Geschichten. Geräusche, Töne, Fantasie- und Erstsprachen konnten für die Aufführung vor MitschülerInnen und Angehörigen zusätzlich eingesetzt werden. Im Projekt Storytelling through sound (im Rahmen des Programms Artists in Residence go to School) versuchten sich SchülerInnen der Wiener Islamischen Fachschule für Soziale Bildung gemeinsam mit der kroatischen Filmschaffenden Maša Drndić, indem sie Musik mit Gesten darstellten und Partituren mit Wasserfarben zu Musik malten. Die Jugendlichen fotografierten ihre Partituren, die schließlich zu einem Trickfilm zusammengeführt wurden.

V om Ton zum F ilm Im Dialog mit Klang und Rhythmus finden Kinder und Jugendliche vielfältige Anreize, sich mit Sprachen auseinanderzusetzen. Die Poetry-Slammerinnen Mieze Medusa (Sprachbilder – Sprachrhythmen mit dem Wiener Bundesrealgymnasium Reinprechtsdorfer Straße [im Rahmen des Programms Schulkulturbudget]) und Lina Madita Buxbaum (»Multicultural poetry slam« mit dem Bundesrealgymnasium Traun/Oberösterreich [im Rahmen des Programms Dialogveranstaltungen] als Dialogveranstaltung) haben SchülerInnen ermutigt, ihre Texte me:ršprahig zu verfassen und vorzutragen; Bilder, Musik, Gegenstände aller Art und Textbeispiele dienten zur Anregung für die Textarbeit, sprachliche und Performing-Tricks, Körperarbeit und gezielte Atem- und Sprechtechnik zur Vorbereitung auf den Bühnenauftritt. Familienmitglieder der SchülerInnen waren eingeladen, sie bei der Erarbeitung ihrer me:ršprahigen Texte zu unterstützen. Rapperin Esra Özmen & Team haben in ihrem Projekt Voneinander. Miteinander Lernen (im Rahmen des Programms Interkulturalität und

Me:ršprahigkayt in der kulturellen Bildung

Mehrsprachigkeit) mit SchülerInnen der Wiener Berufsschule für Verwaltungsberufe im Freigegenstand Türkisch nicht nur einen sprachlichen und musikalischen Beitrag gestaltet, sondern diesen auch filmisch umgesetzt. Die Jugendlichen entschieden sich für eine türkisch-deutsche Rapversion, mit der sie zum Ausdruck bringen wollten, »dass die Gesellschaft, in der sie leben, sehr vielfältig ist, und dass alle Menschen die Gesellschaft ausmachen«  – nachzuhören und -zusehen auf www. youtube.com unter dem Titel Solution – Wir sind eins. SchülerInnen der Polytechnischen Schule Schwanenstadt/Oberösterreich nahmen für ihren Kurzfilm Understood!? (im Rahmen des Programms Interkulturalität und Mehrsprachigkeit) mit Filmemacher Stefan Ludwig ihre Erfahrung zum Ausgangspunkt, dass sich manche Jugendliche verunsichert und ausgegrenzt fühlen, wenn sich andere in einer für sie unverständlichen Sprache unterhalten. In Szenen im Schulgebäude, am Schulgelände und an Orten der Freizeitgestaltung stellten die TeilnehmerInnen der unverbindlichen Übung Medienarbeit dar, dass Probleme, die durch unterschiedliche Sprachkenntnisse entstehen, auch überwunden werden können, und dass ein positives Miteinander möglich ist – ebenfalls auf www.youtube.com zu sehen.

M e : ršpr ahigk ay t Beim Lesen, Anhören und Ansehen der hier vorgestellten Beispiele wird augenscheinlich, dass es sehr unterschiedliche Herangehensweisen an Me:ršprahigkayt gibt. So erfahren etwa der Fokus auf den Spracherwerb oder die Partizipationsmöglichkeit der SchülerInnen unterschiedliche Gewichtung. Eine tiefergehende Analyse beispielsweise der Kontexte, der Motive der ProjektleiterInnen und der Wirkungen für die teilnehmenden LehrerInnen und SchülerInnen wäre sicher lohnend. Eine Gemeinsamkeit, die sich aus den Rückmeldungen zu den Projekten ablesen lässt, ist die Tatsache, dass es für die SchülerInnen oft ungewohnt war, ihre Erstsprachen einsetzen zu dürfen und zu sollen. Wenn es gelingt, einen wertschätzenden und motivierenden kulturpädagogischen Rahmen zu schaffen, berichten die KünstlerInnen, KulturvermittlerInnen oder PädagogInnen von Kompetenzzuwachs. Darüber hinaus beschrieben sie in vielen Fällen die geglückte Zusammenarbeit mit familiären Angehörigen und FreundInnen der Kinder und Jugendlichen.

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Wird Me:ršprahigkayt als Ressource anerkannt und als Kompetenz gefördert, kann das die SprecherInnen ermutigen und ermächtigen und bestenfalls zu mehr Mitsprache führen – eine wichtige gesellschaftliche und eminent politische Aufgabe.

L iter atur Bundesministerium für Bildung (2016): Leitfaden »Literaturvermittlungsprojekte mit Schulen«. Wien; online unter www.kulturkontakt. or.at/plattform/pdfview.asp?guid={AF6FC36E-E711-42B6-9578-4E8F 355B301A} [Zugriff: 15.11.2016] Krumm, Hans-Jürgen (2010): Mehrsprachigkeit in Sprachenporträts und Sprachenbiographien von Migrantinnen und Migranten. In: Deutsch als Fremdsprache – Deutsch als Zweitsprache in der Schweiz. Rundbrief 61. Muhr, Mikki (2015): sich verzeichnen – mit Karten sich im Zwischenraum orientieren. Eine künstlerische Methode für ref lexive Bildungsprozesse. In: Magazin erwachsenenbildung.at. Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs 15; online unter www.erwachsenen bildung.at/magazin/12-15/meb12-15.pdf [Zugriff: 15.11.2016].

Methoden der BesucherInnenforschung Claudia Bauer-Krösbacher/Stephanie Tischler Quantitative, von einem positivistischen Forschungsparadigma geprägte Forschungsmethoden galten qualitativen lange Zeit als überlegen. Heutzutage werden beide Methoden in der Regel als gleichberechtigt erachtet. Insbesondere in der BesucherInnenforschung werden qualitative Methoden zunehmend als wichtige Instrumente eingesetzt, um ein tieferes Verständnis bestimmter Verhaltensweisen, Bedürfnisse und Erlebnisse von BesucherInnen zu erhalten. Dieser Beitrag stellt unterschiedliche Methoden der quantitativen und qualitativen BesucherInnenforschung vor und zeigt Anwendungsbeispiele im Kulturbereich, wobei der Schwerpunkt auf den qualitativen Methoden liegt.

E inführung Die Festlegung eines Untersuchungsdesigns im Rahmen der BesucherInnenforschung ist eine komplexe Aufgabe, bei der grundlegende Entscheidungen über die anzuwendenden Methoden getroffen werden müssen. Dabei muss zuerst geklärt werden, ob das Untersuchungsziel durch angemessene Auf bereitung und Analyse bereits vorhandener Daten (z. B. durch früher oder von anderen Institutionen gesammelte Daten) im Rahmen der sogenannten Sekundärforschung erreicht werden kann. Ist dies nicht der Fall, so ist eine neue und gezielte Datenerhebung durch Primärforschung notwendig (vgl. Kuß 2012). Im Rahmen der Primärforschung werden zwei Ansätze unterschieden: 1. Bei quantitativen Vorgehensweisen kommen objektiv messende (standardisierte) Verfahren zum Einsatz. Sie werden eingesetzt,

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wenn allgemeingültige Aussagen getroffen werden sollen (vgl. Hussy/Schreier/Echterhoff 2013). 2. Bei qualitativen Untersuchungen geht es nicht darum, quantifizierende und repräsentative Aussagen zu treffen, sondern darum, Zusammenhänge, Arten und Wirkungen von problemrelevanten Variablen kennenzulernen. Dieser Ansatz gilt daher als explorative Methode (Kuß 2012). Als Charakteristika quantitativer Methoden gelten (vgl. Malhotra/Birks/ Wills 2012): – Große Stichproben: Meist erfolgt die Auswahl einer großen Anzahl an repräsentativen Fällen. – Strukturierter Forschungsprozess und Datenanalyse: Der gesamte Forschungsprozess sowie das Erhebungsdesign sind vorab klar definiert. Die Datenerhebung sowie Auswertung sind stark standardisiert und vorab geplant. Es kommen statistische Auswertungsverfahren zum Einsatz. Dem stehen entgegen die Merkmale qualitativer Untersuchungen (vgl. Kuß 2012): – Eingeschränkte vorherige Festlegung des Forschungsprozesses: Die Phasen der Datenerhebung und -analyse wechseln einander ab und beeinf lussen sich gegenseitig. – Kleine, nicht repräsentative Stichproben: Die Zahl der untersuchten Probanden ist meist sehr klein. – Eher verbal beschreibende und interpretierende Analyse: Statistische Auswertungen kommen meist nicht zum Einsatz, im Vordergrund stehen verbal beschreibende und interpretierende Darstellungen der im Untersuchungsprozess gewonnenen Einsichten. – Anwendung freier (nicht oder wenig standardisierter) Formen von Befragungen und Beobachtungen: Bei qualitativen Studien sind typischerweise inhaltlich und methodisch kompetente Interviewer für die Datensammlung nötig, weil sie diese weitgehend selbstständig gestalten müssen.

Methoden der BesucherInnenforschung

Qualitative Forschung zielt auf das Verständnis der Gründe und Motivationen von Verhaltensweisen ab, um grundlegendes Verständnis für ein Problem zu erlangen. Das Ziel quantitativer Forschung hingegen ist es, quantifizierbare Daten und verallgemeinerbare Ergebnisse zu erlangen sowie Hypothesen zu testen. Dies geschieht mit dem Zweck der Generalisierbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse, um abschließende Handlungsempfehlungen zu geben (vgl. Malhotra u. a. 2012).

M e thoden und A nwendungsbeispiele Quantitative Methoden Die Befragung ist die gängigste Methode innerhalb der quantitativen Forschung, um repräsentative Ergebnisse zu erlangen. Unter Repräsentativität ist hier die Generalisierbarkeit der Untersuchungsergebnisse gemeint. Das Um und Auf ist also die Übertragbarkeit von Ergebnissen, die bei einer relativ geringen Anzahl von untersuchten Objekten ermittelt wurden (z. B. 300  Befragte), auf eine entsprechende Grundgesamtheit bzw. Zielgruppe. Eine Totalerhebung (Befragung aller Mitglieder der Grundgesamtheit bzw. Zielgruppe) ist nämlich aufgrund von Kosten- oder Zeitgründen meist nicht möglich (vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder 2009). Daher erfolgt meist die Ziehung einer Stichprobe, die zufallsgesteuert oder bewusst erfolgen kann (vgl. Malhotra 2010). Für die Durchführung quantitativer Befragungen stehen verschiedene Modi wie beispielsweise online, telefonisch oder persönlich zur Verfügung (vgl. ebd.). Allen Befragungsarten gemein ist die sorgfältige Entwicklung und Testung eines standardisierten Fragebogens vor Beginn der Erhebungen, wobei auf eine klare Frageformulierung sowie auf den Einsatz von Skalen besonderes Augenmerk gelegt werden muss (vgl. Veal 2011).

Zufriedenheitsbefragungen Für Studien zur BesucherInnen- bzw. Gästezufriedenheit werden hauptsächlich quantitative Befragungen eingesetzt. Solche Umfragen werden üblicherweise durchgeführt, um die Gesamtzufriedenheit sowie die Zufriedenheit mit bestimmten Teilaspekten  – beispielsweise eines Museumsbesuchs  – zu erheben. Die Teilaspekte orientieren sich oft an den

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sogenannten servqual-Dimensionen, das heißt Servicequalitätsdimensionen, wie sie von Parasuraman u. a. (1988 u. 1991) entwickelt und später von anderen AutorInnen für spezifische Dienstleistungen bzw. für andere Kontexte adaptiert wurden. So haben Frochot und Hughes (2000) auf Basis der servqual-Dimensionen ein Instrument für die Messung der BesucherInnenzufriedenheit mit verschiedenen Elementen von historischen Häusern entwickelt (histoqual). Eine weitere adaptierte Version wurde von Connell und Meyer (2004) mit dem Fokus auf Gärten entwickelt. Einen guten Überblick verschiedener solcher Instrumente sowie deren Anwendung auf Museen bietet Black (2005: 113–119). Je nach Informationsbedarf reicht das Spektrum sogenannter Zufriedenheitsitems in einem Fragebogen von Öffnungszeiten, Erreichbarkeit, Ausstellungsgestaltung, Informationsmaterial, Multimediaangebot (z. B. Audioguide), Orientierung, Freundlichkeit, Kompetenz und Hilfsbereitschaft der MitarbeiterInnen, speziellen Serviceeinrichtungen wie Toiletten und Garderobe, Gastronomie und Shop, Preis-Leistungs-Verhältnis bis hin zu Angeboten und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Im Weiteren wird in BesucherInnenbefragungen meist untersucht, inwiefern die Zufriedenheit die Absicht eines Wiederbesuchs bzw. einer Weiterempfehlung beeinf lusst. Neben soziodemografischen Variablen (z. B. Alter, Geschlecht, Bildung, Herkunft, Begleitung etc.) zur Beschreibung der BesucherInnenstruktur werden in solchen Studien häufig auch die verwendeten Informationsquellen, die Besuchsgründe, die Besuchshäufigkeit, die Dauer des Besuchs sowie das BesucherInnen­ erlebnis erhoben (vgl. beispielsweise Harrison/Shaw 2004 oder McLean 1997). Letzteres gewinnt durch die viel diskutierte Hinwendung unserer Gesellschaft zur »Erlebnisgesellschaft« (Schulze 1992) zunehmend an Bedeutung. Ein von Pine und Gilmore (1999) vorgeschlagener Ansatz unterteilt dieses Erlebnis in vier Bereiche: Entertainment/Unterhaltung, Education/Bildung, Escapist/Realitätsf lucht, Aesthetics/Ästhetik. Um ein ›reichhaltiges‹ Erlebnis zu bieten, sollten alle vier Bereiche angesprochen werden. Einen interessanten Einblick in die Anwendbarkeit dieser Dimensionen für Museen und Musikfestivals für Befragungen bieten Mehmetoglu und Engen (2011). Profiling-Studien und Zufriedenheitsbefragungen sollten regelmäßig als repräsentative Befragungen durchgeführt werden. Daraus gewonnene Erkenntnisse sind wichtig für die weitere Planung und das Marketing der Kultureinrichtung. Selbstausfüllerfragebögen oder Com-

Methoden der BesucherInnenforschung

puterterminals mit Online-Versionen von Fragebögen, welche meist am Ende des Besuchs vorzufinden sind, können nicht als repräsentativ eingestuft werden, da sich hier die Stichprobe selbst selektiert (vgl. French/ Runyard 2011).

Imageerhebungen Das Image eines Tourismus- bzw. Freizeitangebots und insbesondere das Image eines kulturellen Angebots ist ein wichtiger Untersuchungsgegenstand der Gäste- bzw. BesucherInnenforschung. Für das Imagekonzept existieren zahlreiche Definitionen, wobei darunter das Bild oder der Eindruck, den ein Konsument von einem Produkt oder einer Dienstleistung hat, oder auch die Einstellung diesen gegenüber, verstanden wird (vgl. Gabler Wirtschaftslexikon 2016). Gegenstand solcher Imageerhebungen sind im Regelfall die Entstehung des Images (z. B. durch verschiedene Informationskanäle), Motivationen und Besuchsgründe sowie die Bekanntheit des Angebots. Üblicherweise erfolgt die Untersuchung des Images getrennt nach verschiedenen Zielgruppen (z. B. BesucherInnen versus NichtbesucherInnen eines Museums oder TouristInnen versus Einheimische [vgl. etwa Gil/Ritchie 2009]).

Qualitative Methoden Inter views Abhängig von Forschungsfrage, Zweck und Ziel der Forschung kann ein Interview mehr oder weniger strukturiert durchgeführt werden (vgl. Hennink/Hutter/Bailey 2011). Ein Interviewleitfaden dient dazu, sicherzugehen, dass während der Gespräche auch alle relevanten Themen angesprochen werden. Ein typischer Interviewleitfaden hat folgende Struktur: Einleitung, Eingangsfragen, Hauptfragen und abschließende Fragen (ebd.). Vielfach fungiert der Leitfaden jedoch eher als Checkliste. Eine teilstrukturierte Vorgehensweise ermöglicht dem/der ForscherIn, das Interview in eine bestimmte Richtung zu lenken, ohne das Forschungsziel außer Acht zu lassen. Gleichzeitig kann weiteren wichtigen Aspekten und Themen, die sich aus dem Interview ergeben, Raum gegeben werden. So erlaubt diese Vorgehensweise eine Anpassung der Fragen an die Erfahrungen und Kenntnisse der befragten Personen (vgl. Flick 2006). Auch die Auswahl der befragten Personen (Stichprobenziehung, Sampling) richtet sich nach dem Forschungsziel und den Forschungs-

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fragen. Einen guten Überblick verschiedener Samplingmethoden bieten Miles und Huberman (1994: 28). Die Anzahl der zu befragenden Personen wird gewöhnlich nicht vorher bestimmt, sondern ist Ergebnis des Forschungsprozesses. Als Richtlinie gilt, dass so lange interviewt wird, bis Informationssättigung eintritt, das heißt die Information sich zu wiederholen beginnt (vgl. Glaser/Strauss 1967, zit. n. Hennink/Hutter/ Bailey 2011). Als generelle Regel schlagen Hennink, Hutter und Bailey (2011) vor: Je größer die Segmentierung in der Untersuchungspopulation, desto mehr befragte Personen werden benötigt, um Informationssättigung in jedem Segment zu erreichen. Interviews werden in der Regel aufgezeichnet, sind sehr zeitintensiv in der Durchführung und Auswertung und werden meist von professionellen Interviewern durchgeführt. Sie werden häufig für die Evaluierung von Ausstellungen verwendet und sind für Aspekte geeignet, in denen ein tieferes Verständnis des BesucherInnenverhaltens gesucht wird. French und Runyard (2011) empfehlen Interviews, wenn es darum geht, Interesse an der Marke oder die Wahrnehmung, Erlebnis und Wirkung von Ausstellungsobjekten und Programmen besser zu verstehen. Als Stimuli können Bilder, Broschüren, Videos etc. verwendet werden. Auch werden zunehmend kreative, projektive und partizipatorische Techniken wie das Erstellen einer Collage oder einer Zeichnung in der qualitativen Forschung angewandt (vgl. Westwood, 2008). Diese werden gerne von einem Interview begleitet, um Bedeutungszusammenhänge besser zu verstehen und Fehlinterpretationen zu vermeiden. Das Einbinden dieser Techniken ist auch für Fokusgruppen sehr gut geeignet.

E xpertInnengespräche In der qualitativen Forschung werden verbale Daten meist mittels Erzählung oder Leitfadeninterview gewonnen. Eine besondere Form des Leitfadeninterviews ist das ExpertInnengespräch, bei dem der/die Befragte weniger als Person, sondern in seiner Funktion als ExpertIn interessant ist. DieseR ExpertIn gilt dann als RepräsentantIn einer Gruppe. Einem strukturierten Leitfaden kommt bei ExpertInnengesprächen eine besondere Bedeutung zu, da dieser eine starke Steuerungsfunktion hat (vgl. Mayer 2012). Steht bei der Stichprobenziehung in der quantitativen Forschung die statistische Repräsentativität im Vordergrund, so ist es in der qualitativen Forschung die Relevanz der untersuchten Subjekte. Hierbei lassen

Methoden der BesucherInnenforschung

sich zwei grundlegende Ansätze unterscheiden: Eine Stichprobe kann zu Beginn der Untersuchung in Bezug auf bestimmte Merkmale vorab festgelegt werden (z. B. Definition der Kriterien zur Qualifikation als ExpertIn) oder aber während der Untersuchung auf Basis des jeweils erreichten Erkenntnisstands schrittweise ergänzt und erweitert werden. Dies erfolgt insbesondere dann, wenn sich eine genaue Fragestellung erst im Verlauf der Forschungstätigkeit bildet und gleichzeitig der Umfang und die Merkmale der Grundgesamtheit noch weitgehend unbekannt sind. Dies kommt beim Einsatz von ExpertInnengesprächen jedoch eher selten vor. Für ExpertInnengespräche werden üblicherweise Kriterien festgesetzt, nach denen die Stichprobe »absichtsvoll« gebildet wird. Die Kriterien zur Bildung der Stichprobe ergeben sich aus der Fragestellung der Untersuchung, theoretischen Vorüberlegungen sowie anderen Studien. Als ExpertIn gilt dabei üblicherweise jemand, der/die auf einem begrenzten Gebiet über ein klares und abruf bares Wissen verfügt (vgl. ebd.). ExpertInnengespräche erweisen sich in der Praxis vor allem dann als vorteilhaft, wenn Themen behandelt werden, welche in der Literatur entweder noch gar nicht oder noch nicht ausreichend diskutiert wurden. Häufig ist es deren Nähe zum Markt und zu aktuellen und neuen Entwicklungen, weshalb ExpertInnen mit ihren Aussagen wichtige Erkenntnisse liefern können. Bei dieser spezifischen Form von qualitativen Interviews wird der/die ExpertIn »in erster Linie als ›RatgeberIn‹ gesehen, der über ein bestimmtes, dem/der ForscherIn nicht zugängliches Fachwissen verfügt« (Bogner/Littig/Menz 2005: 37). Ein Interview ermöglicht es, weiter und tiefer nachzufragen, beispielsweise nach einer Definition, einer genaueren Erklärung, einem Vergleich oder einem Kontext (vgl. Edlinger/Bauer-Krösbacher 2013).

Fokusgruppen Eine gängige Form der qualitativen Forschung ist die Gruppendiskussion. Darunter wird die gleichzeitige Befragung von mehreren (zumeist sechs bis zehn) Auskunftspersonen verstanden. Die TeilnehmerInnen befinden sich dabei in einer Interaktion und Diskussion. Die Gruppendiskussion selbst wird üblicherweise von einem/einer geschulten DiskussionsleiterIn geführt. Dieser hat darauf zu achten, dass das vorher festgelegte Thema sowie die Fragestellungen komplett abgearbeitet werden, das Gespräch in Gang zu halten sowie die Interaktion zwischen den Gruppenmitgliedern zu stimulieren. Da Fokusgruppen als eher natürliche Gesprächssituati-

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on wahrgenommen werden, werden Hemmungen der TeilnehmerInnen, sich zu äußern, meist schnell abgebaut. Im Rahmen von Fokusgruppen entstehen relativ geringe Kosten pro teilnehmender Person. Diese Gesprächsrunden werden üblicherweise aufgezeichnet (Audio oder Video) und anschließend transkribiert und inhaltsanalytisch ausgewertet. Im Vergleich zu Einzelinterviews ergibt sich der Nachteil, dass weniger Information pro teilnehmender Person eingeholt werden kann (vgl. Kuß 2012). Hinsichtlich der Zusammensetzung der Gruppe ist zu beachten, dass alle TeilnehmerInnen eine Beziehung zum vorgegebenen Untersuchungsthema haben müssen, weil andernfalls keine hinreichend substanziellen Äußerungen zu erwarten sind. Bei der Zusammenstellung der Gruppe stellt sich die Frage nach der Heterogenität bzw. der Homogenität der TeilnehmerInnen: In nach sozialen und psychischen Merkmalen relativ homogenen Gruppen werden häufig ähnliche oder schnell konvergierende Meinungen geäußert. In heterogenen Gruppen hingegen werden die TeilnehmerInnen durch unterschiedliche Erfahrungen und Meinungen meist stärker zur intensiven Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsthema gefordert (vgl. ebd.). Eine Fokusgruppe dauert durchschnittlich ein bis zwei Stunden. Meist werden mehrere Fokusgruppen zu einem bestimmten Thema durchgeführt (vgl. McLean 1997). Ein wesentlicher Vorteil von Fokusgruppen ist die Möglichkeit, f lexibel Fragen zu stellen und auf Gesagtes genauer einzugehen. Fokusgruppen eignen sich hervorragend für Museen, Galerien und andere kulturelle Einrichtungen bei der Entwicklung eines neuen Produkts oder Services (vgl. French/Runyard 2011). Black (2005) schlägt vor, Fokusgruppen nicht nur mit BesucherInnen, sondern auch mit NichtbesucherInnen durchzuführen. Für die Anwendungen von Fokusgruppen empfehlen sich natürlich weitere Themen wie Ursachen für den Besuch/Nichtbesuch, Arten von besuchten kulturellen Attraktionen/Museen, Besuchsmuster, Informationsverhalten, Verbesserungsvorschläge zur Steigerung der Zufriedenheit, soziale Komponenten eines Museumsbesuchs oder die Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen. Weiterhin können in einer Fokusgruppe spezifische Gefühle, Erlebnisse, Einstellungen, Verhalten und Ideen diskutiert werden (vgl. McLean 1997).

Beobachtung Die Beobachtung ist eine Technik der Datenerhebung, bei der keine Kommunikation zwischen dem/der Erhebendem/n und dem Forschungs-

Methoden der BesucherInnenforschung

objekt durch Fragen und Antworten erfolgt. Der/die Aufzeichnungen führende ForscherIn sammelt dabei mittels meist systematischer und zielgerichteter Prozesse Informationen über das Verhalten bzw. die Eigenschaften von Personen, Objekten und Situationen. Gegenstand solcher Beobachtungen können Eigenschaften oder Verhaltensweisen von Personen und von Gruppen sein (vgl. Kuß 2012). Ein wesentlicher Vorteil ergibt sich dadurch, dass reale Verhaltensweisen, und nicht Aussagen über (angebliches) früheres oder beabsichtigtes Verhalten, erfasst werden. Damit kann auch unref lektiertes und daher kaum verbalisierbares Verhalten erfasst werden. Somit werden auch Ergebnisverzerrungen durch Einf lüsse der Frageformulierung vermindert. Der zentrale Nachteil ist, dass die Gründe für beobachtete Verhaltensweisen meist kaum oder nicht erkennbar sind. Die Datenerhebung selbst wird durch die begrenzten Fähigkeiten der BeobachterInnen eingeschränkt, in kurzer Zeit eine Vielzahl von Verhaltensweisen korrekt wahrzunehmen, bestimmten Kategorien zuzuordnen und zu erfassen (vgl. ebd.). Zusätzlich ist zu beachten, dass die Interpretationen von BeobachterIn zu BeobachterIn variieren oder verzerrt sein könnten, da gewonnene Eindrücke stark subjektiv geprägt sind (Kumar 2014). Bei der Beobachtung ist zwischen den teilnehmenden und nichtteilnehmenden Verfahren zu unterscheiden. Bei der teilnehmenden Beobachtung nimmt der/die ForscherIn genauso aktiv an allen Aktivitäten teil wie auch die regulären TeilnehmerInnen. Diese können über diesen Umstand informiert werden, oder aber auch nicht. Bei der nichtteilnehmenden Variante ist der/die ForscherIn nicht in die Aktivitäten der Gruppe involviert, sondern agiert nur als passiveR ZuseherIn oder ZuhörerIn (vgl. ebd.). Beobachtungen bedürfen eines sorgfältigen Blicks auf Details und viel Geduld. So kann durch Beobachtung das BesucherInnenverhalten in einer Ausstellung in Hinblick auf Bewegung durch den Raum, Orientierung, wo bleiben BesucherInnen stehen, Verweildauer in bestimmten Räumen/neben bestimmten Objekten, Auseinandersetzung mit Ausstellungsobjekten, Reaktionen auf Angebote/Hinweistafeln, Lesen von Saaltexten und soziales Verhalten der BesucherInnen studiert werden. Auch in Museumsshops können Beobachtungen für ähnliche Themen angewandt werden. French und Runyard (2011) weisen auch auf die Möglichkeit hin, Beobachtungen durchzuführen, um Erkenntnisse über die Funktionalität und Verwendung der Webseite als Teil eines Redesigns zu

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gewinnen. Bei starken BesucherInnenströmen können Beobachtungen Aufschluss darüber gehen, wo sich sogenannte Bottlenecks befinden, um in der Folge für entsprechende Sicherheitsmaßnahmen sorgen zu können. Durch Beobachtungen lässt sich feststellen, wo und wie lange BesucherInnen vor einem bestimmten Objekt verbringen, aber sie können uns nichts über das »Warum« und dahinterliegende Motivationen und Erlebnisse verraten. Auch wenn es bereits Ansätze dazu gibt, aufgrund von Gesichtsausdrücken Emotionen zu erfassen, so steckt die Forschung hier noch in den Kinderschuhen. Es empfiehlt sich deshalb, Beobachtungen mit anderen Methoden, beispielsweise Interviews, zu kombinieren. Abb. 1: Beispiel eines Museumsbesuchs für Mystery-Guest-Analyse (in Anlehnung an Ambrose/Paine 2012: 56)

Myster y-Guest-Analyse Eine spezielle Form der verdeckten Beobachtung ist die Mystery-GuestAnalyse, bei der der/die ForscherIn bzw. BeobachterIn die Rolle eines/ einer potenziellen KundIn bzw. BesucherIn einnimmt. Üblicherweise erfolgt die Analyse anhand vorab definierter Kriterien (z. B. Freundlichkeit des Verkaufspersonals, Sauberkeit, Barrierefreiheit etc.). Solche Mystery Checks erlauben die Messung von Servicequalität und geben Anhaltspunkte zur Verbesserung, die in nachfolgende MitarbeiterInnentrainings

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Eingang finden sollen (vgl. Bradley 2013). Abbildung 1 zeigt den Ablauf eines Museumsbesuchs und mögliche Bereiche, die durch eine MysteryGuest-Analyse überprüft werden können.

Gästebücher und Comment Cards BesucherInnenbücher  – ähnlich den Gästebüchern in Hotels  – wurden wissenschaftlich bisher eher vernachlässigt, daher findet man in der Literatur nur sehr wenige Information darüber. Eine Analyse von BesucherInnenbüchern einer Gartenattraktion und einer Klosteranlage, welche auf der IMC FH-Krems durchgeführt wurde, zeigte eine deutliche Tendenz zu positiven Äußerungen, die teilweise sehr persönlich verfasst sind. Neben solchen Statements findet man in BesucherInnenbüchern aber auch kurze Gedichte und Zeichnungen. Manche BesucherInnen finden es einfacher, etwas zu zeichnen, und drücken ihr Erlebnis lieber in Form von Bildern aus oder verwenden gängige Symbole wie Smileys, Herzen oder Blumen. Auch wenn sie eine genaue Erfassung des BesucherInnenprofils mittels Fragebogen nicht ersetzen können, geben BesucherInnenbücher Aufschluss darüber, woher die BesucherInnen kommen. Außerdem bieten sie Raum für persönliche, wertende Aussagen wie beispielsweise folgende von einer Besucherin eines Klosters in Niederösterreich: »Nach 15 Jahren diese Anlage so schön reich restauriert wiederzusehen, ein Erlebnis.« Mit solchen Büchern verfügen manche Betriebe über jahre- oder jahrzehntelange lückenlose Aufzeichnungen und somit über das Wissen, wann bestimmte berühmte Persönlichkeiten ihr Haus besucht haben. Nicht zuletzt können positive Äußerungen der BesucherInnen für die gesamte Belegschaft sehr auf bauend wirken und werden auch von anderen BesucherInnen gerne gelesen und im Sinne von »Wer war schon da?« studiert. Comment Cards werden aufgelegt, um sich ein kurzes Feedback seitens der BesucherInnen einzuholen und ihnen die Möglichkeit zu bieten, Verbesserungsvorschläge einzubringen. Oft wird auch eine sogenannte Beschwerdebox aufgestellt, die einen ähnlichen Zweck erfüllt, sich allerdings auf ausschließlich negative Erfahrungen konzentriert.

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Z usammenfassung und A usblick Durch die Verwendung verschiedener, in diesem Beitrag vorgestellter Methoden können wertvolle Erkenntnisse über die Qualität von BesucherInnenerlebnissen gewonnen werden. Durch quantitative Methoden lässt sich beispielsweise feststellen, welche Informationsquellen die BesucherInnen am häufigsten verwenden, wie hoch der Zufriedenheitsgrad mit der Ausstellungsgestaltung ist oder wie sich Alter, Geschlecht und Herkunft der BesucherInnen zusammensetzen. Durch statistische Auswertungsverfahren können Zusammenhänge oder Unterschiede zwischen Variablen genauer geprüft werden. Demgegenüber können qualitative Methoden helfen, das »Warum?« genauer zu untersuchen, um die Ursachen von bestimmten Verhaltensweisen und Entscheidungsprozessen zu verstehen. Sie können Aufschluss darüber geben, welche spezifischen Bedürfnisse bestimmte Segmente haben und wie eine Ausstellung wahrgenommen, erlebt und empfunden wird. Gerade in der heutigen Zeit, da kulturelle Attraktionen gefordert sind, unvergessliche Erlebnisse für die BesucherInnen zu bieten, können Letztere besonders wertvolle Einsichten liefern. Dies kann als Basis für weitere Produktentwicklung, Erlebnisgestaltung und zielgerichtetes Marketing dienen. Abbildung 2 bietet einen zusammenfassenden Überblick der vorgestellten Methoden und gibt eine Bewertung der Methoden hinsichtlich ihrer Durchführung und Komplexitätsgrad an. Methoden der BesucherInnenforschung entwickeln sich laufend weiter. Ein ständiger Blick auf aktuelle Entwicklungen in diesem Bereich ist lohnenswert, da sich durch neue Technologien auch neue Möglichkeiten für die Forschung eröffnen. Als Beispiele seien hier die Verwendung von GPS und Trackingsystemen, insbesondere Eyetracking, und bildgebenden Verfahren angeführt. Gleichzeitig wird die Anwendung verschiedener Technologien für das BesucherInnenerlebnis selbst immer wichtiger und es muss in gezielte Forschung darüber mit einf ließen. Auch Social Media dürfen nicht außer Acht gelassen werden, zumal diese vor allem für die jüngere, heranwachsende BesucherInnenschicht von großer Bedeutung sind. Hier wird wahrscheinlich eine völlig neue Herangehensweise in der BesucherInnenforschung benötigt. Schließlich ist es oft die Kombination verschiedener Methoden, ein sogenannter Methodenmix, welche für die fruchtbarsten Erkenntnisse sorgt.

Typ

Qualitativ

Quantitativ Intern – Extern Intern – Extern

Intern – Extern Intern – Extern Intern – Extern Intern – Extern Intern – Extern Intern

Imageerhebung

Teilstrukturierte Interviews

ExpertInnengespräche

Fokusgruppen

Beobachtung

Mystery-Guest-Analyse

Gästebücher und Comment Cards

Durchführung

Einfach

Einfach – Komplex

Einfach – Komplex

Einfach – Komplex

Einfach – Komplex

Einfach – Komplex

Einfach – Komplex

Einfach – Komplex

Komplexitätsgrad

Bewertung der Methoden

Zufriedenheitsbefragung

Methode

Abb. 2: Bewertung der vorgestellten Methoden (eigene Darstellung)

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Claudia Bauer-Krösbacher/Stephanie Tischler

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Claudia Bauer-Krösbacher/Stephanie Tischler

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Qualitative NichtbesucherInnenforschung Wie GelegenheitsbesucherInnen einen Theaterbesuch erleben Thomas Renz Das wissenschaftliche wie auch betriebliche Interesse an BesucherInnen öffentlich geförderter Kultureinrichtungen (z. B. Theater, Museen oder Konzerthäuser) ist in den letzten Jahren zunehmend gestiegen (vgl. Glogner-Pilz/Föhl 2016). Denn ohne Publikum macht Kunst keinen Spaß. So kommt beispielsweise das Theater an sich in geisteswissenschaftlichen Erklärungsansätzen nicht mehr ohne Rezipierende als konstituierenden Faktor aus (vgl. Balme 1999). Auch aus ökonomischer Sicht gibt es mehr und mehr Gründe für ein Interesse an BesucherInnen. Vor dem Hintergrund tendenziell problematischer finanzieller Ressourcen der öffentlich geförderten Kultureinrichtungen selbst sowie grundsätzlicher Rationalisierungsprobleme im Kulturbetrieb (vgl. Baumol/Bowen 1966) geht es dann darum, Eigeneinnahmen durch Ticketverkäufe zu erhöhen. Dafür bedarf es systematischen Wissens über das Publikum, dessen Struktur und dessen Bedürfnisse. Denn nur wer sein Publikum kennt, kann auch passende Angebote im Rahmen der Marketingaktivitäten entwickeln (vgl. Klein 2001). Schließlich sind es auch kultur- und sozialpolitische Ziele, welche ein Interesse am Publikum begründen. Dann geht es darum, dass die Teilhabe möglichst aller Menschen am öffentlich geförderten Kulturleben forciert werden soll (vgl. Hoffmann 1981) und nicht nur Praxis einer gesellschaftlichen Elite ist. Und für daraus resultierende Aktivitäten der Kulturvermittlung liegt es nahe, besuchsverhindernde Barrieren oder Rezeptionsstrategien der Zielgruppe zu kennen (vgl. Mandel 2008). Dieser Beitrag widmet sich daher dem Phänomen der NichtbesucherInnen öffentlich geförderter Kultureinrichtungen. Es geht also um diejenigen, welche nicht in die großen Kultureinrichtungen kommen.

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Ausgehend von der Feststellung, dass in der jüngeren Vergangenheit vor allem quantitative Forschungszugänge zwar wertvolles Wissen generiert haben, aber eine gewisse Sättigung des Wissens eingetreten ist, wird eine qualitative Forschungsstrategie verfolgt. Konkret setzt sich dieser Beitrag mit der Frage auseinander, wie Menschen, die eigentlich nicht ins Theater gehen, einen solchen seltenen Besuch erleben. Ziel ist es, neben der Darstellung der Kaufentscheidungs- und Rezeptionsprozesse auch mögliche kulturbetriebliche Konsequenzen zu skizzieren.

P ublikumsforschung z wischen quantitativer und qualitativer L ogik Vor dem Hintergrund der Geschichte der empirischen Sozialforschung gibt es keine lange andauernde Tradition der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Publikum öffentlich geförderter Kultureinrichtungen. Nach einigen singulären Studien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfuhr die empirische BesucherInnenforschung an öffentlich geförderten Kultureinrichtungen erst durch ökonomische Zwänge in den 1990er-Jahren einen wesentlichen Aufschwung (vgl. Renz 2012). Dann wurde im Rahmen betrieblicher Marktforschung danach gefragt, wer denn überhaupt in die eigene Einrichtung kommt – oder eben wer nicht kommt. Zudem fanden in den letzten 15 Jahren auch einige nicht an Einrichtungen gebundene Untersuchungen statt, welche das Kulturpublikum an sich fokussierten und auch die gesamte Bevölkerung repräsentierende Ergebnisse generierten (z. B. Keuchel 2003 u. 2012). Obwohl damit eine bemerkenswerte Fülle an Fakten zu BesucherInnen vorliegt (vgl. Glogner-Pilz/Föhl 2016), hat dieses Wissen aus standardisierter Forschung auch einen gewissen Sättigungsgrad erreicht. Für wirklich neue Erkenntnisse ist das problematisch, denn wenn die »ähnlichen Fragen zudem mit gleichen Methoden bearbeitet werden, kommt es zwangsläufig zu analogen Erkenntnissen« (Mandel/Renz 2016: 588). In der empirischen Publikumsforschung dominieren eindeutig quantitative Methoden (vgl. Glogner-Pilz 2012). Ursprünglich geleitet durch eine Übernahme naturwissenschaftlicher Forschungslogik, werden in der quantitativen Logik standardisierte Merkmale (z. B. Alter, Geschlecht, Besuchshäufigkeit) bei möglichst so vielen Personen untersucht, dass repräsentative Aussagen über eine Gruppe (z. B. BesucherInnen eines Theaters, Bevölke-

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rung eines Ortes) möglich sind. Mehrfach quantitativ überprüft wurden insbesondere sozio-demografische Merkmale des Kulturpublikums. Circa 10 Prozent der (deutschen) Bevölkerung zählen zu den KernbesucherInnen öffentlich geförderter Kultureinrichtungen, sie sind tendenziell etwas älter, es gibt mehr Frauen als Männer und alle haben überdurchschnittlich hohe formale Bildungsabschlüsse. Etwa weitere 40  Prozent zählen zu den GelegenheitsbesucherInnen, sie sind ein wenig an Kunst interessiert und verfügen grundsätzlich über Teilhabevoraussetzungen und somit den prinzipiellen Zugang zu entsprechenden Angeboten, beispielsweise durch von Schule oder Elternhaus initiierte Besuche in der Vergangenheit. Ungefähr 50 Prozent der Bevölkerung sind nicht an Kunst, Theater, klassischer Musik und anderen öffentlich geförderten Kulturangeboten interessiert (vgl. Renz 2016). Das ist aus Perspektive einer Kulturpolitik, welche gesamtgesellschaftliche Teilhabe zum Paradigma erklärt (vgl. Hoffmann 1981), durchaus eine Herausforderung. Aus Perspektive der empirischen Publikumsforschung stellen sich vor allem Fragen nach den Gründen für diese vergleichsweise geringe Teilhabe. Allerdings ist sowohl für Kulturwissenschaften als auch für die betriebliche Praxis das Wissen über besuchsverhindernde Gründe überhaupt nicht gestillt. Denn obgleich WissenschaftlerInnen immer wieder die Notwendigkeit empirischer NichtbesucherInnenforschung betonen (vgl. Kirchberg/ Kuchar 2013), existieren nur wenige Studien, die sich explizit mit dieser sonst gerne umworbenen Zielgruppe auseinandersetzen (vgl. Renz 2016). Wie können nun neue Erkenntnisse über NichtbesucherInnen generiert werden? Grundsätzlich bieten sich zwei Lösungen an. Auf theoretischer Ebene könnte es darum gehen, eben neue theoretische Zugänge weiterzuentwickeln und anschließend in einem quantitativen Forschungsprozess auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Das könnte beispielsweise die Integration von Milieuansätzen in überwiegende sozialstrukturalistische Analysen sein (vgl. Allmannritter 2014), denn die Reduzierung der NichtbesucherInnen auf sozio-demografische Merkmale und Besuchshäufigkeiten scheint theoretisch noch nicht zufriedenstellend zu sein. Denn ein standardisiertes Erforschen von (Nicht-) Besu­ c herInnen setzt im Grunde auch eine standardisierte (Nicht-) BesucherIn voraus. Das bedeutet, dass die damit verbundenen sehr komplexen Phänomene stets standardisiert werden müssen, also Komplexität reduziert werden muss, um bei möglichst vielen überprüf bare standardisierte Merkmale und Merkmalsausprägungen zu entwickeln.

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Es mag daher nachvollziehbar sein, dass vor allem bei einem so wenig theoretisch aufgearbeiteten Phänomen wie dem Nichtbesuchen öffentlich geförderter Kultureinrichtungen eine solche Reduzierung auf ›das Wesentliche‹ mit einigen Problemen verbunden ist, da eben dieses ›Wesentliche‹ schlicht noch nicht wirklich bekannt ist. Daher wird im Folgenden ein anderer Weg eingenommen; die Entwicklung neuer Theorien. Empirisch bedeutet das ein Zugriff auf qualitative Forschungsmethoden. Dann werden anders als in der quantitativen Forschung keine bestehenden Annahmen überprüft, vielmehr werden in einem möglichst offenen und unvoreingenommenen Forschungsprozess neue Sichtweisen und Erkenntnisse zum eigenen Gegenstand entwickelt (vgl. Flick 2006). Es soll also unter den Paradigmen von Offenheit und Neuentdeckung darum gehen, einen möglichst freien und nicht durch theoretische Rahmen eingeschränkten Blick auf diejenigen einzunehmen, die eigentlich nicht ins Theater gehen.

G elegenheitsbesucher I nnen von The atern eine qualitative S tudie Die Erforschung von NichtbesucherInnen muss an irgendwelchen Schnittstellen zur Lebensrealität dieser Zielgruppe ansetzen, sonst läuft sie Gefahr, völlig ziellos das Nichts an sich zu erforschen. Erfahrungen in explorativen Studien (z. B. Mandel/Renz 2010) haben gezeigt, dass ein uneingeschränktes Fragen, weshalb Kultureinrichtungen an sich nicht besucht werden, auch zu großem Schweigen führen kann. Weshalb sollte einE NichtbesucherIn auch Antworten auf Fragen geben, die sie selbst überhaupt nicht beschäftigen? Daher erfolgt mit öffentlich geförderten Theatern die erste Restriktion der folgenden qualitativen Untersuchungen in Bezug auf das zu besuchende Objekt. Die Stadt- und Staatstheater bieten sich für eine auch kulturpolitisch motivierte Untersuchung nicht zuletzt deshalb an, da sie im Vergleich zu anderen geförderten Einrichtungen in der Regel aufgrund ihrer Institutionalisierung und den damit verbundenen Betriebskosten den höchsten Förderanteil bekommen. Daher werden sie auch immer wieder als »das Herzstück der öffentlichen Kulturpolitik« (Wagner 2005: 16) bezeichnet. Die zweite Restriktion erfolgt in Bezug auf die Besuchserfahrungen der Befragten. Skizziert wird im Folgenden eine Untersuchung von GelegenheitsbesucherInnen, die

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nach den Erkenntnissen der quantitativen Publikumsforschung eigentlich über sehr gute Teilhabevoraussetzungen verfügen, dennoch Theater nur sehr selten besuchen. Diese Voraussetzungen zeichnen sich statistisch in erster Linie durch einen formal sehr hohen Bildungsabschluss aus. Die zentrale Forschungsfrage lautet: Wie erleben GelegenheitsbesucherInnen ihre seltenen Theaterbesuche? Dazu wurden 24 episodische Interviews geführt und ausgewertet (zur ausführlichen Methodenbeschreibung siehe Renz 2016: 186 ff.). Im Folgenden werden die Aspekte des Kaufentscheidungs- und Rezeptionsprozesses dargestellt.

D er K aufentscheidungsprozess Eine erste wichtige Rolle spielt der Kaufentscheidungs- und insbesondere Informationsprozess. Dieser beschreibt den Zeitraum zwischen der Entscheidung, entweder ein bestimmtes Theaterstück zu besuchen oder zu einem bestimmten Zeitpunkt ins Theater zu gehen, und dem eigentlichen Besuch. Dabei stellt die jeweilige Begleitung das zentrale Besuchsmotiv der (Nicht-)BesucherInnen dar. Bevor mögliche andere Aspekte den weiteren Entscheidungsprozess beeinf lussen, bedarf es entsprechender Personen, die mitkommen bzw. einen mitnehmen: »Also am ehesten, wo ich dann auch ins Theater gekommen bin, hat man mich zu irgendwelchen Sachen hingekriegt, wenn irgendwer anders mitgegangen ist von den Freunden, die ich kannte.« (Student, 27 Jahre) Für die Besuchsentscheidung sind die Menschen, die mit ins Theater gehen, also wesentlich wichtiger als z. B. künstlerische Aspekte oder Gründe im Sinne einer potenziellen Distinktionsfunktion. Alleine ins Theater zu gehen, ist nur dann möglich, wenn das Interesse an künstlerischen Aspekten, wie z. B. dem Theaterstoff oder der Inszenierung, diese anderen Funktionen überwiegen. Obwohl der Anreiz dann von oft außen kommt, sind negativ gewertete Begleitfunktionen, z. B. im Sinne von Zwangs- oder Pf lichtkonnotationen, nicht ersichtlich. Vielmehr bestimmt mindestens eine wohlwollende Neutralität, wenn nicht sogar eine grundsätzliche Offenheit gegenüber dem Gegenstand die Haltung der BegleiterInnen: [Name der LebenspartnerIn] und [Name eines/einer FreundIn] hatten sich das vorgenommen, die haben von dem Stück gehört, und klar, da ich ja generell offen

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Thomas Renz bin für so was, ist auch klar, komm ich mit, logisch, aber ich selbst war nicht der Ausschlaggebende. (Ingenieur, 34 Jahre)

Neben der Offenheit wird an diesem Beispiel auch deutlich, dass die Beschaffung und Bewertung der Informationen von anderen – besuchs­ erfahrenen  – Personen durchgeführt wurde und die Entscheidung für den Besuch eigentlich schon gefallen war, bevor der/die InterviewpartnerIn in diesen Prozess involviert wurde. Mögliche Unsicherheiten und Probleme eines Kaufentscheidungsprozesses sind in solchen Fällen also auch ausgelagert. Sind dann Aspekte des Nebenprodukts wie z. B. Anfangszeiten oder Anfahrtswege geklärt, werden Stück, Genre und Richtung der Inszenierung relevant. Ist der Theaterstoff, also das Stück durch vorherige Auseinandersetzung mit der literarischen Vorlage bekannt, so kann allein dies zum ausschlaggebenden Besuchsgrund werden: »Und ›Nathan der Weise‹, da wollte ich unbedingt rein. Das hatten wir schon in der Schule gelesen, was mich total fasziniert hat. Und das habe ich mir angeguckt.« (Projektmanagerin, 32 Jahre) Der Theaterstoff im Sinne eines solchen Schauspiels oder Dramas ist für den Entscheidungsprozess auch weitaus wichtiger als die Bearbeitung durch das Theater. Problematisch wird dieser hohe Stellenwert des Theaterstoffs, wenn dieser nicht bekannt ist. Wird der/die AutorIn der literarischen Vorlage mit einem bestimmten Genre und damit auch einer Erwartung an eine sich über inhaltliche Spannung selbst vermittelnde Inszenierung verbunden, so kann dies als Information ausreichen, beispielsweise bei ›Edgar Wallace‹ und dessen Krimis. Sind solche Merkmale allerdings unbekannt, dann gewinnt das benannte Genre an Wichtigkeit für die Bewertung der Information. Die Sichtung der Informationen auf den Internetseiten des Theaters zu einem Stück wurde von einem Interviewpartner so beschrieben: »Wir konnten da selber nichts mit anfangen, mit dem Titel. Aber es hieß Komödie.« (Student, 27 Jahre) Die damit assoziierte Richtung der Inszenierung zugunsten von Unterhaltung und lustigen Elementen wurde zum Besuchsgrund. Eine zusätzliche entscheidungsfördernde Funktion hatte der Hinweis auf die Bewertung des unbekannten Stücks: Es »wurde hoch gelobt in den Kritiken«. Da der Interviewpartner über sehr wenig Wissen zum Theater an sich verfügt, gewinnen für ihn Fremdbeurteilungen an zusätzlichem Wert für den Kaufentscheidungsprozess. Die fehlende eigene Theater-

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kompetenz muss also ausgelagert werden, ungeachtet der durchaus problematischen Tatsache, dass eine Theaterkritik eben keine intersubjektiv nachvollziehbare Informationsquelle sein muss.

D er R ezep tionsprozess Hör- und Sehsinn werden in einer Theatervorstellung auf vielfältige Weise angesprochen: Verschiedene Theatermittel wie Requisiten, Bühnenbild, Beleuchtung und Musik gestalten auf unterschiedlichen Ebenen die Atmosphäre. Zudem setzen die SchauspielerInnen als Mittelpunkt der Inszenierung mit ihrer Mimik, Gestik, Bewegung und Stimme verschiedene Mittel ein, um einen oft literarischen Stoff zum Theaterereignis zu machen. Alle diese Angebote an die ZuschauerInnen ermöglichen eine vielfältige Wahrnehmung. Beispielsweise können Bühnenbild oder Musik sehr sinnlich, also ohne intellektuelles Wissen wahrgenommen und somit persönlich gewinnbringend rezipiert werden. Beinhaltet die Theaterinszenierung eine dramatische Handlung im Sinne einer Folge sich aufeinander beziehender Ereignisse, so wird diese in erster Linie über Sprache, weiter auch über eine Veränderung materieller Aspekte wie z. B. des Bühnenbilds und der Kostüme vermittelt. Allerdings hat die Theaterwissenschaft mit Überlegungen zur Theatersemiotik deutlich gemacht, dass das Theater ein »System der Bedeutungsproduktion« (Fischer-Lichte 1990: 234) ist, also eine Vielfalt in der Bedeutungszuschreibung verschiedener Zeichen liegen kann. Es kann also eine zentrale Leistung des Theaters sein, einem literarischen Text anhand verschiedener Zeichen wie z. B. dem Einsatz bestimmter Requisiten eine bestimmte Bedeutung zu verleihen. Diese Bedeutung kann dann durch den/die ZuschauerIn dekodiert werden, was allerdings ein spezielles kulturelles Wissen und auch die grundsätzliche Bereitschaft zu einer solchen intellektuellen Leistung voraussetzt. Die qualitative Forschung macht nun deutlich, dass GelegenheitsbesucherInnen mit wenig Besuchserfahrung als zentralen, wenn nicht sogar einzigen Rezeptionszugang das ›Verstehen‹ des Textes einsetzen. Andere Theatermittel und deren Bedeutung werden weniger oder gar nicht als rezeptionsförderndes Angebot wahrgenommen. Der Erfolg des Besuchs eines Theaterstücks wird also am inhaltlichen Verstehen der Geschichte gemessen, wie dieses Beispiel der Bewertung verschiedener

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Besuche deutlich macht: »Von der Handlung her […] – muss ich ehrlich sagen – da hat man es nicht immer so kapiert.« (Rentner, 69 Jahre) Das Nichtverstehen wird an dieser Stelle nicht an der Inszenierung, also der Darstellung der Interpretation durch das Theater anhand verschiedener Zeichen, sondern allein an der durch den Theaterstoff vorgegebenen Handlung festgemacht. Dies geht einher mit der Delegation einer damit verbundenen Kritik an den/die AutorIn: »Aber so oft war es nicht, dass wir es nicht kapiert haben. Also ich könnte jetzt eigentlich nur Shakespeare sagen. Aber der liegt mir auch nicht.« (Rentnerin, 67 Jahre) Als Grund für ein Nichtverstehen wird also der/die AutorIn des Theaterstoffs genannt, das inhaltliche Begreifen des Theaterstoffs wird zur Grundvoraussetzung einer positiv konnotierten Rezeption. Dementsprechend wichtig wird in solch einem Zugang die Geschichte. Aus Sicht einer Interviewpartnerin »war es […] [ein] gutes Stück und man hat die Geschichte gleich verstanden«. Dies geht beispielsweise auch einher mit dem vorhergehenden Lesen des Theaterstoffs, was wie oben erläutert auch bereits vonseiten der Schule als zentrale Rezeptionsstrategie vermittelt wurde. Dadurch kann die Erwartung entstehen, dass ein Theaterstück eben auch ausschließlich durch ein solches Verstehen der Handlung erfolgreich rezipiert werden kann: »Da geht es einfach nur um, ja um Soldaten. Ja, gelesen habe ich das auch für die Schule. Ja, ja genau. Da war also nicht viel misszuverstehen.« (Ingenieur, 63 Jahre) Das Beispiel macht deutlich, dass allein vom Theaterstoff erwartet wird, dass dieser das Verstehen und damit die Rezeption ermöglicht. Ein solches Verständnis kann auch dazu führen, dass ein Theaterstück, welches die BesucherInnen mit mehr Fragen als Antworten aus dem Stück entlässt, nicht als mögliche Option verstanden wird, obgleich dies z. B. aus theaterwissenschaftlicher Sicht durchaus eine denkbare Konsequenz der Rezeption darstellt (vgl. Fischer-Lichte 2010: 63). Der zitierte Interviewpartner verdeutlicht dies an einem auferlegten Erwartungsdruck an das Verstehen: Man »muss es ganz toll finden« und ein Nichtverstehen wird von ihm selbst nicht akzeptiert. Eine derartige Rezeptionsstrategie geht auf, wenn die Handlung einfach verstanden werden kann und beispielsweise Interpretationen des Einsatzes verschiedener Zeichen keine wesentliche Rolle spielen. In der Besuchserfahrung der GelegenheitsbesucherInnen sind solche dann positiv konnotierten Rezeptionen mit Boulevardstücken, wie z. B. Krimis verbunden:

Qualitative NichtbesucherInnenforschung Das war ein bisschen so im Stil von Miss Marple. So eine Verwechslungskomödie mit einem Mordfall, wo alle denken, dass er oder sie es war, und hinterher ist niemand gestorben, sondern das war bloß ein komatöser Anfall oder so was. (Student, 27 Jahre)

In diesem Beispiel war die verstehende Rezeption mit Spannung und späterer Auf lösung des Problems mittels einer Pointierung verbunden. Das ›Verstehenwollen‹ als zentraler Rezeptionszugang ist aufgegangen und der Besuch wurde als gewinnbringend und positiv konnotiert. Wie dargestellt, zeichnet sich Theater neben dieser vordergründigen Inhaltsebene auch durch eine Bedeutungszuschreibung der in den verschiedenen Bühnenmitteln kodierten Zeichen aus. Eine Inszenierung bedarf somit zusätzlicher Rezeptionsstrategien zu einem bloßen ›Verstehenwollen‹. Dem Theater wird eine solche Interpretationsfreiheit demnach auch zugestanden. Seine Aufgabe wird durchaus auch darin gesehen, dass es »mehr Tiefgang vermitteln« kann. Allerdings wird deutlich, dass GelegenheitsbesucherInnen die damit verbundene notwendige Strategie der Interpretation und Dekodierung nicht immer als positiven Bestandteil des Rezeptionsprozesses verstehen. Vielmehr wird die Interpretationsleistung als Zwang empfunden und kritisiert, dass »man so krass viel interpretieren muss«. Das folgende geschichtliche Beispiel macht deutlich, welche Erwartungshaltung demnach an Theaterstücke herangetragen wird: Also das war damals in den […] 60er-Jahren, wo ich das geschaut habe, und da gab es eigentlich noch nicht solche Theatergruppen, wie es heute gibt, […] die teilweise, was weiß ich, so komische Sachen auf der Bühne machen und dem Zuschauer abverlangen, dass das jetzt irgendwie auch von denen so verstanden wird, wie sie das vielleicht denken. Das war damals noch recht betulich alles und gerade dieses »Des Teufels General« ist eigentlich auch so eine Geradeaus-Geschichte. (Ingenieur, 63 Jahre)

Am zuletzt genannten Beispiel macht der Interviewpartner sein Kriterium für die positive Bewertung von Theater deutlich: Die Geschichte wird »geradeaus« erzählt und dem Zuschauer werden keine Interpretationsleistungen »abverlangt«. Aus der Analyse der Interviews sind zwei Erklärungsansätze für eine solche Haltung ersichtlich. Zum einen zeigen die Aussagen, dass die Interpretation als Rezeptionsstrategie auch eine gewisse Intellektualität voraussetzt. Die Neuinszenierung von Klassi-

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kern, das heißt von literaturgeschichtlich bedeutsamen Theaterstoffen im Sinne von Dramen und Schauspielen, stellt einen wesentlichen Teil des Angebots öffentlich geförderter Theater dar. Ausgehend vom mehrfach erläuterten hohen Stellenwert des Textes in der Rezeption durch GelegenheitsbesucherInnen kann dies zu einer nicht unproblematischen Erwartungshaltung führen. Der Einsatz anderer Theatermittel wie z. B. Requisiten oder Bühnenbild wird dann an der erwarteten Kompatibilität mit dem bekannten Text gemessen. Wenn eine erwartete Texttreue und die tatsächliche Bühnendarstellung dann nicht zusammenpassen, kann eine Enttäuschung entstehen: »Ja, das war modern angelegt. Im Vergleich zu den alten Büchern nicht so am Original dran. Ich fand es doof.« (Student, 27 Jahre) Der Interviewpartner bewertet die Modernisierung entsprechend negativ, da sie nicht den Erwartungen entsprach, welche durch die Lektüre des Textes entstanden ist. Die damit verbundene Ablehnung einer solchen Modernisierung wird immer am Einsatz bestimmter Bühnenmittel, insbesondere Requisiten, Bühnenbild und Kostümen, festgemacht. Anderen Bühnenmitteln, wie z. B. Musik oder Beleuchtung, scheinen hingegen keine Modernisierungsfunktion zugesprochen zu werden. Da eine solche an Gegenstände gebundene Modernisierung sich durch die ganze Inszenierung zieht, kann diese eine erfolgreiche Rezeption durchgehend negativ beeinf lussen: »Wenn ich mir ›Hamlet‹ angucke, dann möchte ich, dass da Leute mit lustigen Puffelhosen rumlaufen, da möchte ich nicht einen Mann im Jogginganzug sehen, das ist kein ›Hamlet‹.« (Projektmanagerin, 32 Jahre) Auch andere InterviewpartnerInnen bestätigen den damit verbundenen Wunsch nach klassischen Inszenierungen ohne Modernisierung mittels Kostümen: Ich brauche jetzt nicht »Die Zauberflöte« mit, weiß ich nicht, schwarzen Ganzkörperanzügen, […] also ich hätte dann gern, was irgendwie meinem Bild davon entspricht, wie das Original so gewesen wäre, weil ich finde, da muss man dann nicht dran rumpfuschen. (Studienrätin, 34 Jahre)

Die Wortwahl macht deutlich, dass der Leistung der Bühnendarstellung zumindest in Bezug auf die Kostüme kein eigenständiger Mehrwert zugestanden wird. Vielmehr wird ein Abweichen vom eigenen Erwartungsbild als »rumpfuschen« am »Original« kritisiert.

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K onsequenzen für K ulturmanagement und künstlerische P roduk tion Was können nun Kulturmanagement und künstlerische Produktion aus solchen Erkenntnissen lernen? Im Marketingmanagement kann es darum gehen, zukünftig (noch) kleinteiligere Zielgruppen zu definieren, um mit einem intensiven Segmentmarketing diese individuell anzusprechen. Im Rahmen betrieblicher Marktforschung könnten zielgruppenspezifische Barrieren individuell für die einzelnen Kulturbetriebe erforscht und abgebaut werden. Allerdings kann es dabei nur um Barrieren gehen, welche auch im Handlungsfeld des Marketings liegen. Entscheidet sich eine Kultureinrichtung bewusst für neue Zielgruppen, so wird dies auch von der Ebene der Führung der Organisation ausgehen. Denn eine solche Entscheidung kostet Ressourcen und ist nicht ausschließlich an das Marketing zu delegieren. Zum einen können durch individuelle NichtbesucherInnenforschung offensichtliche Barrieren (wie z. B. unpassende Öffnungs- bzw. Aufführungszeiten bei berufstätigen Zielgruppen) erkannt und abgebaut werden. Zum anderen können Kooperationen mit Multiplikatoren gesucht werden (z. B. soziale Einrichtungen oder Bildungsinstitutionen). Um diese neuen Zielgruppen auch nachhaltig an die eigene Einrichtung anzubinden, ist eine positive Rezeptionserfahrung unumgänglich. Kulturvermittelnde Angebote  – mit welcher Zielsetzung auch immer  – können diese unterstützen. Solche Aktivitäten werden auch Einf luss auf die Programme der Einrichtungen haben. Allein die Veränderung der Kommunikation wird vermutlich nicht zu einer dauerhaften Integration neuer Zielgruppen führen. Denn bestimmte Sparten und künstlerische Formate sind insofern populärer als andere, da sie den wahrgenommenen Rezeptionsansprüchen der Nicht- und GelegenheitsbesucherInnen eher entsprechen. Im Theater sind das Inszenierungen, welche sich quasi selbst vermitteln. Die Handlung ist ohne notwendige weitere Informationen oder Anregungen nachvollziehbar und eine mögliche Dekodierung theatraler Zeichen ist keine zwangsläufige Voraussetzung für eine gewinnbringende Rezeption bzw. kollidiert zumindest nicht mit den Ansprüchen beispielsweise der BesucherInnen. Im Theater betrifft das vor allem Genres wie z. B. Krimis, Komödien, Musicals, aber auch stellenweise bekannte Klassiker der Literaturgeschichte. Eine strategische Ausrichtung der Angebote an der Zielgruppe dieser GelegenheitsbesucherInnen würde dementsprechende Inszenierungen

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in die Spielplangestaltung integrieren. Denn bei dieser Zielgruppe existiert ein empirisch nachgewiesenes Bedürfnis nach Unterhaltung. Dies kann mit dem Angebot einer öffentlich geförderten Kulturveranstaltung kollidieren, wenn dieses einer zu hohen geistigen Auseinandersetzung bedarf. Es stellt sich also die Frage für öffentlich geförderte Kultureinrichtungen, ob und wie sie auf diese Herausforderungen nach Ansprache neuer Zielgruppen im Sinne eines sozial ausgewogeneren Publikums reagieren und inwiefern sie bereit sind, sich selbst und ihre Angebote in Auseinandersetzung mit neuen BesucherInnen kritisch zu hinterfragen. Kultureinrichtungen können sich bewusst dafür entscheiden, Brücken zu bisherigen NichtbesucherInnen zu bauen. Dann ginge es darum, die Diskrepanz zwischen bewusst und berechtigt anstrengend, komplex und mehrdeutig gestalteter Kunst auf der Seite der ProduzentInnen und den ebenfalls berechtigten Ansprüchen nach Unterhaltung und Erholung auf der Seite der NichtbesucherInnen zu überbrücken.

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The Ramblings of a Man Going Insane Over the Idea That No One Has Ever Taught Anyone Anything Modesto Tamez No one has ever taught you anything. This is a bold statement and for someone like me who has been in an educational setting for over forty years, and a little unsettling. Before I delve into the significance of this statement, I think some background information is needed. I have been a proud card carrying »teacher« for most of my adult life. I am bilingual Spanish/English and also bicultural. Mexico is my point of origin, whereas the United States is my home and largest source of cultural experience. This will become relevant a little later in this article. This article is based on my more than 40 years experience in formal and informal education. There is no research component; what is here comes from experience and observation and from my heart. My first professional experience in an educational setting was as an elementary school Spanish/English bilingual classroom teacher in Chicago. This program had a goal of immersing students into the American culture and language while maintaining their first language and culture. Though there is a lot of research verifying the value in this approach, multiple language education in the United States is not very common. I taught in this type of classroom for a few years, and then I became the physical science teacher in a school where all students learned math and science by doing. Our philosophy was that you learned math and science better by using a hands-on approach. I am now convinced that this is also true for all subjects. There I got to see first-hand how different age levels were similar and different; quite a valuable experience. I began to try similar activities with different levels to look for commonalities. This was a revelation to

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me. The levels were K–8, that is, five to 14 years old. I found in general that kindergarten students were joyful sponges of learning. First graders not as much; after all they knew everything! They could count to one hundred; they knew all the letters, and had even started reading. What else did they need! I am being humorous, but in reality, first grade in the United States is where kids learn all the basics, and this type of education tends to be very linear and not very creative. Once in second grade, students realize that there is indeed so much more to learn and once again they become joyful learning sponges. This continues to about fourth and fifth grade level (nine to eleven year old). At that point hormones rear their ugly head, and this can be an impediment for learning. My first 18 years were spent teaching science to K–12 , all in a formal setting. I had plenty of chances to see the trends I’ve just described, and to try various strategies in reaching each level of student with best effectiveness. About 25 years ago, I began working (actually more like playing) at the Exploratorium in San Francisco. This institution is famous for being one of the first interactive science museums in the world. The museum was established in 1969 by Frank Oppenheimer, the brother of Robert Oppenheimer, famous for being the director of the Manhattan Project, the US effort to build an atomic bomb in the early 1940’s. It was an incredible irony that Frank, a particle physicist who worked with particles invisible to humans, believed that you should only teach about things you can touch, taste, see, smell and hear. He gave the institution a complete title ref lecting his belief: ‘The Exploratorium: Museum of Science, Art and Human Perception.’ My department at the museum was the Teacher Institute, which has the ambitious goal of marrying the deep content of university professor with the pedagogy of a high school teacher. We based our work on the belief that content alone, lecture and reading, can be uninteresting and not very inspirational to the student, whereas conversely, mindless activity without content and ref lection can be a waste of time. Our program is an integration of appropriate pedagogy and rich content. The other aspect distinguishing our program is that art and science are integrated. We teach many courses in which mathematics, science and art are brought together to make a more cohesive and authentic approach. In our department, we typically have half university professors and half high school teachers, all very accomplished. This makes for a

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wonderful place where sharing ideas and skills are not just a day-to-day job, but rather a way of being. Our rule at the Exploratorium is to touch everything. This has made the Exploratorium a magnet for interesting, creative and talented people. The Exploratorium is full of talented scientists, artists, mathematicians, engineers, and craftsmen, all working together on the common goal of bringing science and art to the public using interesting and approachable exhibits. This environment gave me the opportunity to meet, work, play, and converse with some of the great thinkers and doers of our time. This is where I first started to think deeply about how we learn. One of my colleagues, Thomas, was a physics professor, who to my joy, was taught by Richard Feynman, one of the brilliant minds of the 20th century. His work and his books are incredible – he received a Nobel Prize in physics – and additionally he was a wonderfully weird person. I had read everything he had written and asked Thomas to tell me everything he could about Feynman. One story sticks in my mind vividly. Thomas said that as a grad student he was having difficulty understanding the complex theory of QED (quantum electrodynamics). This is what Feynman received his Nobel Prize for. The concept was so difficult that no matter how much Thomas read, he could not understand it. He found out that Feynman was about to give a lecture on QED. Feynman’s lectures were so good that many have been recorded and listened to by millions of students. Thomas recalls that as he was listening to this brilliant Feynman lecture, he began to understand the concept, in fact he was thinking, »It is not as hard as I thought!« He left the lecture a happy man, finally understanding QED! But later that evening, he began to realize that actually he did not understand the concept. He had had a brief glimpse, but it did not stick. It took him many days of doing problems, reading over the texts, and discussing this with his colleagues and teacher before the concept was his. Thus, the brilliant Richard Feynman could not teach him QED. In fact no one could; he had to learn it for himself. One of my tasks at the Exploratorium was to co-direct a National Science Foundation grant to take art and science to communities where the children did not have a place to tinker, build, and experiment. We helped establish 13 after-school science centers in low-income neighborhoods throughout the state of California. We called them Community Science Workshops. This gave me an opportunity to really get in the world of

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informal science, and for five years I was able to observe some very powerful examples of how children learn in non-traditional settings. These Workshops had children of all ages working together on science and art projects, sometimes together with their parents. This was another eye opener; another paradigm for how people learn. My work at the Exploratorium and the Science Workshops gave me a lot to observe and I gained many insights into how we learn. Because of the reputation of the Exploratorium, I began to receive invitations to work in other institutions throughout the world. I have now travelled and worked in over a dozen countries with people of all ages and backgrounds. My observations from these experiences has led me to believe that there is a serious disconnect, on a global level, between the way we learn and how educational systems are run. I started my education in Mexico and at the age of seven immigrated to the United States. Most of my education in both countries was fairly traditional with very few examples of hands-on teaching. What was very valuable for me is that when I immigrated to the United States, I had to learn a new language and a new culture. In retrospect, I remember the joy of the whole process of learning a new language. The strange thing I recall clearly is that there was very little frustration in not knowing certain things and sometimes being clueless. I used to pretend I was on another planet. I remember feeling great power in having the excuse of »no hablo ingles« (I don’t speak English) even when I did understand. I had fun getting away with not having to do certain things just by invoking language ignorance. Day by day, I practiced and tried to make sense of what was happening, but coalescence of the whole language took a long time. The English word lists that my teachers wrote on the chalkboard never really helped me learn new words. What did help were experiences, for example, if someone handed me an apple and I took a bite of the apple and said the word, then this was a new word that I owned. Basically all my language acquisition happened from connecting a new word to an experience and then practicing it. One of the greatest intellectual experiences of my life happened after about a year of being in this new country: in an instant I became bilingual. I vividly remember when thinking in English happened for me the first time. I did not gradually become bilingual, it happened almost instantly. In one instant »pensaba en español« and in the other instant

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I was thinking in English! I still remember the joy of going back and forth from English to Spanish and vice-versa. This was mind-blowing for me, and for days afterwards I would play with this newfound skill. It was a huge leap of language understanding. So it seems to me that first, you hear or see, then you experience, then you practice and finally, after some time, understanding happens. Writing this piece, I realize that I have not thought about this experience for many years. Not only did reminiscing this process of language acquisition give me some evidence for learning by experience, but it also made me look at the rate of how we learn. We do not learn a day’s worth of stuff and then on the second day we learn double that and so on. In fact we may go for a long time not having much understanding and then suddenly make an intellectual leap and then have a firm grasp of something. Thus, I believe that learning is punctuated leaps of understanding. This means that very little understanding happens for some time and then all of a sudden understanding happens. I recently had another personal experience with learning. Four years ago, at the age of 65, I started to take jazz ukulele lessons. This has given me great pleasure, a new connection of synapses in my brain, and yet more insight in how we learn. In learning the uke, I have the opportunity to be a new learner, but this time with full analytical ref lection. As I struggle to learn a music language and gather muscle memory, I am thinking and analyzing the process. I did not have this skill when I was a young boy. My music teacher tells of what the symbols mean, shows me the right hand positions, and stresses the timing of a tune. Often I go home and for days practice a new song with very little happening, and then, in a magnificent instant, I am playing the song. I find it miraculous that the fingers and the mind can be so out of sync for so long, and then instantaneously I am playing a tune. The process is multilayered. With time, notes that were once impossible for you to play become commonplace. With more time, you make another breakthrough and the melody becomes even more lyrical and musical. These advances are always leaping and punctuated, never smooth. This again demonstrates that learning is not gradual but a serious of consecutive, unevenly spaced plateaus. This is crucial to recognize if you are an educator, because if you expect students to progress through linear increase in understanding, you will be disappointed; it may even cause some problems with your

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students. You should be firmly aware that your students will always learn at different rates and always in punctuated leaps. The main thing this means is that you have to be patient. Learning takes time, and learning will happen for different students at different rates. You can always take advantage of the students that took the leap first to help others that haven’t got it yet. You have probably noticed that I have not used the word teaching very much, because it is not about teaching: it is about learning. After decades of »teaching« I began to realize that a teacher is not a purveyor of words, facts and ideas, but a facilitator for learning. This paradigm shift changed everything for me. It was unsettling at first, but then it gave me license to try different approaches and shift my expectations of how and when learning happens. We start learning from our first breath of air; we do it on our own without a teacher. When we leave our mother’s amniotic f luid, we begin to experience the world for ourselves. Our sensors for sight, touch, smell, hearing and taste are our windows to the world. They go on line at different rates; taste has to be one of the most active of the senses at the beginning; babies are constantly putting things in their mouths. This is the beginning of human exploration and trying to make sense of one’s environment. Babies are definitely doing experiments as they go about tasting anything they can put in their mouths. Other senses like vision come in a little later. The fascinating thing about how we see, and then how we perceive, is that it takes time for the brain to make sense the visual images it receives. Size and distance is a great example. In the beginning of a baby’s visual experience, the retinal image, if small, gives a cue to the baby that the object they are looking at is also small. Experience and experimentation eventually lead the baby to conclude that objects don’t change in size; distance makes them appear to do that. This is not taught by parents, but babies all learn this. After having some expertise using their senses, babies try complicated physics experiments. Try watching babies in a baby high chair. They will throw their food, their utensils and anything else on their little table. This is an experiment on the physics of gravity. They are not being malicious; they are merely testing different objects. After some years the brain develops and starts making generalizations. If all the things the baby threw out fall, then they can conclude that all thrown objects will fall. This is Newtonian physics.

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It would take us a very long time to experiment everything we have to learn. We only have a fixed time to live, so the ability to generalize is an important part of the evolutionary process of our brain. The original baby as an ›experimenting being‹ becomes a being that starts generalizing more and experimenting less. As educators, one of our fundamental jobs is to awaken the one-year-old experimenting mind of our students. The other baby trait that is sorely missing for many of our students is the ability to go on even though they fail. The literature is clear that we have a biological imperative to learn through failure. Culturally this practice is dying out, and our learning is suffering for it. We are born creative experimenters and risk takers but our culture and educational institutions many times squelch this. As I noted, I found first graders not as creative and spontaneous as kindergartners. This is not a biological trait, this is because first grade is taught quite differently than kindergarten. Norman Brosterman wrote a wonderful book called Inventing Kindergarten. In this book he explains how the invention of kindergarten by a man named Friedrich Wilhelm August Froebel impacted many of the artists and designers of the late 19th century and the beginning the 20th. Kindergarten was designed to have the children explore and play. Brosterman talks about the »gifts« that were part of Frobel design for kindergarten. The gifts were paints, building blocks, clay and other manipulatives. Kindergarten was a place for children to learn by playing and experimenting. What is happening in the United States today in kindergarten education should be considered a crime! It has been transformed into a pre-first grade where reading is their main goal instead of having the students learn by playing and experimenting. In these rambles of mine, I do not want to give you the impression that I am criticizing teachers or discounting their role in education. I am a proud member and supporter of this of all-important profession! My point is that we as human beings are born as creative, self-learners, experimenters, doers, and solvers of problems. Life is a creative process and every minute is different. Situations and challenges are continuously changing, and we rise to the occasion, learning everything we need to live on. Secure in this knowledge, we should emphasize that the role of the teachers should be that of facilitators, questioners, guides, sources of

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examples. It is a role much like that of coaches. On the same note, the emphasis in educational settings should be less on skill and knowledge acquisition and more on supporting the growth of positive affect, with opportunities for a multitude of authentic, personal experiences for the student to learn from. Great teachers will then be there accompanying the students in these experiences, facilitating this personal process.

AutorInnen

Prof. (FH) Mag. Claudia Bauer-Krösbacher, PhD, lehrt und forscht seit 2004 an der IMC FH Krems. Sie studierte an der Universität Innsbruck und machte ihr Doktorat am Dublin Institute of Technology (DIT). Ihre Forschungsinteressen umfassen Kulturtourismus, Authentizität, Konsumentenverhalten, multivariate und qualitative Forschungsmethoden. Ihre Forschungsergebnisse wurden in zahlreichen Journals und mehreren Büchern publiziert. Airan Berg, in Tel Aviv und Wien aufgewachsen, studierte an der Brown University in Providence, USA. Erste professionelle Theatererfahrungen sammelte er mit Harold Prince am Broadway in New York. Er war weltweit als Regisseur und Theaterleiter tätig (Salzburger Festspiele, Burgtheater Wien, Schillertheater in Berlin, Theaterfestival in Edinburg, freie Bühnen in Indonesien, Singapur, Australien, Neuseeland und den Vereinigten Staaten, Afrika u. v. m.). Er gründete mit Martina Winkel in Wien das Theater ohne Grenzen (ToG) und das Internationale Figurentheaterfestival für Erwachsene Die Macht des Staunens. Von Juli 2001 bis Juli 2007 war Berg künstlerischer Geschäftsführer der Schauspielhaus Wien GmbH und später künstlerischer Leiter des Bereichs darstellende Kunst von Linz09 – Europäische Kulturhauptstadt. Seither hat er zahlreiche europäische Städte auf dem Weg zur Europäischen Kulturhauptstadt beraten und vorbereitet, darunter Mannheim, Marseille, Lecce und einige andere. Chico César, geboren in einem der ärmsten Teile Brasiliens, Paraíba, einem kleinen Bundesstaat im Nordosten Brasiliens, machte mit acht Jahren erste Arbeitserfahrungen im örtlichen Plattenladen, mit zehn Jahren gründete er seine erste Band und im Alter von zwölf Jahren schrieb er die erste Eigenkomposition. Für seine Songtexte lässt sich César genau von

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den Widersprüchlichkeiten seines kargen, staubtrockenen Herkunftsortes, der so reich an Kultur und Musik ist, inspirieren. Bekannt ist der ehemalige Kulturminister von Paraíba auch für seine intensive Auseinandersetzung mit der politischen und gesellschaftlichen Lage Brasiliens. 2001 rief César mit der Casa do Béradêro eine NGO in seiner Geburtsstadt Catolé do Rocha ins Leben, wo mittellose Kinder und Jugendliche die Möglichkeit haben, sich mit Musik, Gesang, Tanz, Capoeira sowie bildender Kunst und Theater zu beschäftigen. Univ.-Prof. Dr. Agnieszka Czejkowska studierte Pädagogik, Soziologie und Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Frauenforschung an der Universität Wien. Nach ihrer Promotion 2005 arbeitete sie drei Jahre lang als Universitätsassistentin am Institut für Bildungswissenschaft. In Oktober 2008 wurde sie auf die Professur für Kunst- und Kulturpädagogik mit besonderer Berücksichtigung der Allgemeinen Erziehungswissenschaft an der Akademie der bildenden Künste in Wien berufen. Sie leitete diverse Forschungsprojekte, unter anderem Feldforschung im Europarat, Straßburg, Transdisziplinäres Forschungs- und Medienprojekt Bildungstopographien? Der Arbeitsmarkt und seine schwer vermittelbaren Jugendlichen, Sparkling Science Projekt Facing the Differences. Widersprüche und Differenzen als konstitutives Moment eines pädagogisch-professionellen Selbstverständnisses. Lehrtätigkeit an der Akademie der bildenden Künste Wien, Universität Wien, FH Campus Wien, Technischen Universität Darmstadt und Dortmund. Wissenschaftliches Counselling in Fragen der Bildungspolitik, Institutionenreform sowie Medien- und Kulturpädagogik. 2011 ging sie als Professorin für PädagogInnenbildung und Schulforschung an die Universität Graz, an der sie 2012 das Institut für Pädagogische Professionalisierung mitgegründet und aufgebaut hat. 2014– 2015 Visiting Research Fellow an der University of Hertfordshire, UK. Mag. Constanze Eiselt wurde 1972 in Dresden geboren. Sie studierte Kunstgeschichte, Lateinamerikanistik und Afrikanistik an der Universität Hamburg, Universidade de São Paulo und an der Humboldt-Universität zu Berlin. Von 1998 bis 2003 war sie Managerin von Chico César, und ab 2003 betreute sie als freie Tourmanagerin zahlreiche Bands und KünstlerInnen in Lateinamerika und in Europa. Zwischen 2009 und 2011 war sie Produktionsleiterin des Festivals Kulturarena in Jena (Deutsch-

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land) und seit dem Jahr 2011 leitet sie die Abteilung Produktion am Festspielhaus St. Pölten. Andreas Fehr lebt seit 15 Jahren seine Begeisterung für außergewöhnliche Dienstleistungen beruf lich aus. Zunächst als Mediengestalter im Bereich Webanwendungen und Usability. Dann, im Anschluss an sein internationales Studium der angewandten Freizeitwissenschaft an der Hochschule Bremen, als Citymanager bei SK Standort & Kommune in Fürth. Seit Juli 2016 befasst er sich als Lead Servicedesigner bei inserEFfECT in Nürnberg mit vernetzter Mobilität und urbaner Entwicklung. Als Mitgründer des Coworking Space Nürnberg befasst er sich seit fünf Jahren intensiv mit der Wirkung von kreativen Räumen und kooperativer Arbeitskultur. Servicedesign ist für ihn sowohl Geisteshaltung als auch wirkungsvolles Instrument zur bedürfnisorientierten Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen. Seit vier Jahren berät und begleitet er mit Michael Sabah als ›Denkpionier‹ Unternehmen, Einrichtungen und NGOs bei der Entwicklung und Optimierung von Dienstleistungen und Services. In seiner Freizeit engagiert er sich bei bluepingu e. V. für ein nachhaltiges Leben in Franken und veranstaltet für den Verein kollaborative Design-Thinking- und Servicedesign-Events wie den Nürnberger CycleHack und die Weltretterjam. Dagmar Frick-Islitzer ist ausgebildete Kulturvermittlerin und bildende Künstlerin. Aber nicht nur. Sie arbeitete über 20 Jahre im Produkt- und Projektmanagement internationaler Industrieunternehmen und leitete das Marketing eines Theaters. 2009 führte sie ihre betriebswirtschaftlichen, künstlerischen und pädagogischen Erfahrungen zusammen und machte sich als Kulturunternehmerin selbstständig. Sie gibt Workshops und Coachings, hält Vorträge für Führungskräfte, Mitarbeitende und Lernende. Dabei verbindet sie stets unternehmensrelevante Themen mit Kunst und künstlerischen Methoden und ermittelt, wie künstlerische Denk- und Arbeitsweisen auf unternehmerische Prozesse übertragen werden können (www.kubus.li; www.kuenstlerbrille.com). Mag. Thomas Gludovatz ist seit 2006 Geschäftsführer des Festspielhauses St. Pölten und der Bühne im Hof. Davor war der Wiener Jurist ab 1998 als Marketingleiter für die Kunsthalle, die Neueröffnung des Karikaturmuseums und die Kunstmeile Krems verantwortlich. 2001 wechselte er

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nach St. Pölten, um als Marketingleiter das von Hans Hollein geplante Landesmuseum Niederösterreich (heute Museum Niederösterreich) zu eröffnen. 2002 wurde er zum Geschäftsführer der NÖ Museum Betriebs GmbH berufen und war in dieser Funktion für das Niederösterreichische Landesmuseum (heute Museum Niederösterreich), die Artothek, den Klangturm St. Pölten und die Neueröffnung des Kunstraumes Niederösterreich in Wien verantwortlich. Thomas Gludovatz ist außerdem seit 2001 mit zahlreichen Aufgaben für die NÖKU-Gruppe betraut. Dazu gehören etwa die Koordination der Marketingagenden (bis 2012) und der Kulturvermittlungsagenden, die Herausgabe des jährlichen Tätigkeitsberichts, die Gründung des Fördervereins Kulturbezirk St. Pölten und vieles mehr. Dipl.-Ing. Sabine Gstöttner absolvierte ein Studium der Landschaftsplanung an der Universität für Bodenkultur Wien. Aktuell Geschäftsführerin des Landschaftsplanungsbüros inspirin (www.inspirin.at) mit den Arbeitsschwerpunkten Objektplanung, urbane Freiraumforschung, Stadtteilarbeit sowie Vermittlung von Architektur und Stadtplanung. Sie ist Vortragende an der Pädagogischen Hochschule Wien und Niederösterreich und Lektorin an der TU-Wien am Institut für Landschaftsarchitektur. Außerdem ist sie Gründungsmitglied von bink, der Initiative Baukulturvermittlung für junge Menschen. Gegenstand ihrer Arbeit sind die Freiräume im urbanen Kontext: private Gärten, öffentlicher Raum, Landschaft am Stadtrand. Mithilfe verschiedener Arbeitsmethoden, wie Planungsstudien, Freiraumforschung, Entwurfsplanung, Interventionen oder Ausstellungen, versucht sie, Räume zu interpretieren und erlebbar zu machen. Wichtig ist ihr das Loslösen von Normen, um zu neuen, unkonventionellen Ergebnissen gelangen zu können. Mag. Romy Kolb studierte Bühnentanz und Religionswissenschaften. Sie lebt und arbeitet in Wien und wirkte bereits an internationalen Tanzprojekten in Österreich, Irland, England, Ungarn, Spanien, Deutschland, Tschechien und Südafrika mit. Romy Kolb ist eine der Pionierinnen und Dozentin im Bereich Community Dance z. B. für das Caritas-Projekt Tanz die Toleranz in Österreich und arbeitet weltweit in verschiedenen Projekten in neuen sozialen Kontexten und im Rahmen von Kulturvermittlungsangeboten verschiedener Kulturinstitutionen wie den Wiener

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Symphonikern oder dem Festspielhaus St. Pölten. Sie ist Mitbegründerin der Organisation »SuperSoulMe«, welche den Community-Preis des Social Impact Awards 2012 gewonnen hat. Mag. Eva Kolm, geboren 1970 in Wien, Kultur- und Sozialanthropologie-/ Pädagogikstudium an der Universität Wien, Ausbildungen zur Kuratorin für Kommunikation im Museums- und Ausstellungswesen, Supervisorin und Kursleiterin für Deutsch als Zweitsprache. 1994 bis 2004 Kulturvermittlung in Museen/Büro für Kulturvermittlung, parallel dazu freiberuf liche Tätigkeit im Bildungs- und Kulturbereich. Seit 2004 Kulturvermittlung/KulturKontakt Austria, zuletzt Projektleitung manucultura. Eine europäische Partnerschaft zur kulturellen Bildung mit Lehrlingen (erasmus+), Österreichische Auslandsschulen – Orte des kulturellen Dialogs, Initiative Kulturvermittlung mit Schulen in österreichischen Bundesmuseen. 1997 bis 1999 war sie Vorsitzende des Österreichischen Verbands der KulturvermittlerInnen im Museums- und Ausstellungswesen. Mag. Friederike Lassy-Beelitz studierte Musikwissenschaft und Kunstgeschichte in Wien und München. Seit 1997 arbeitet sie als Kunstvermittlerin in unterschiedlichen Wiener Museen – seit 2008 hauptberuf lich für die Albertina. Sie ist seit 2010 Präsidentin des Österreichischen Verbands der KulturvermittlerInnen im Museums- und Ausstellungswesen und Lehrbeauftragte an der Pädagogischen Hochschule. Univ.-Prof. Dr. Birgit Mandel studierte Kulturpädagogik in den Schwerpunktfächern Theater, Literatur und Bildende Kunst. Als Mitarbeiterin im Studiengang Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis der Universität Hildesheim mit Schwerpunkt Kulturmanagement promovierte sie 1995. Sie übernahm Lehraufträge an der Universität der Künste Berlin, der Universität Wien, der Hochschule der Künste Helsinki und Belgrad. Sie war in unterschiedlichen Praxisfeldern des Kulturmanagements tätig, unter anderem im Marketing für die Berliner Festspiele GmbH, den Berliner Kultursenat, die Bar jeder Vernunft Berlin und die bundesweite GmbH Wissenschaft im Dialog. Seit 2007 ist sie Professorin für Kulturmanagement und Kulturvermittlung am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim und Studiengangsbeauftragte für die Studien-

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gänge BA Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis und Kulturvermittlung (M. A.). Sie berät Kultureinrichtungen in Deutschland zu Strategien der Kulturvermittlung, des Audience Development und des Kulturmarketings und führt Forschungsprojekte in diesen Bereichen durch. Sie ist Herausgeberin der Forschungswebsite kulturvermittlung-online.de. 2012 wurde sie von der Mitgliederversammlung der Kulturpolitischen Gesellschaft e. V. in den Vorstand gewählt. Mag. Manuela Mittasch, geboren 1969 in Linz. Studium der Kulturund Sozialanthropologie in Wien. Ausbildung zur integrativen Tanzpädagogin (Akademie für Gruppe und Bildung Ried). Manuela Mittasch arbeitet zu den Themen Migration, Ethnizität, Festivalisierung von Kultur und interkulturelles Lernen. 2013 hat sie die Evaluierung des CoummunityProjekts alles bewegt im Auftrag des Festspielhauses St. Pölten durchgeführt. Derzeit tätig als Trainerin für Diversity und im Bereich der Flüchtlings- und Integrationshilfe. Dr. Thomas Renz ist Kultur- und Sozialwissenschaftler. Er lehrt und forscht seit 2010 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim sowie an weiteren Hochschulen und befasst sich mit empirischer Kulturforschung. Nach Abschluss seiner Promotion über kulturelle Teilhabe hat er zuletzt mit der jazzstudie2016 erstmals die sozio-ökonomische Situation von JazzmusikerInnen in Deutschland empirisch untersucht. Zudem ist er Mitautor und Herausgeber des Reports Kirche und Musik, einer 2016 veröffentlichten Studie über KirchenmusikerInnen, welche deren Bedürfnisse zwischen Breitenarbeit und Professionalität ausleuchtet. Neben Veröffentlichungen zu kulturmanagerialen und kulturpolitischen Fragen ist er Mitherausgeber der Forschungsplattform kulturvermittlung-online.de. Demnächst erscheint das von ihm mitverfasste Buch Kulturagenten als Kooperationsstifter, welches die Beziehungen zwischen Kultur- und Bildungseinrichtungen aus organisationstheoretischer Perspektive analysiert. Modesto Tamez arbeitet nach 18 Jahren Berufspraxis als NaturkundeLehrer in amerikanischen Mittelschulen seit fast 30 Jahren als Wissensvermittler am Exploratorium in San Francisco. In seine Verantwortung fällt unter anderem die LehrerInnenfortbildung. Er hat zahlreiche Beiträ-

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ge zu Wissenschaftsvermittlung in internationalen Publikationen veröffentlicht und ist Koautor von Math And Science Across Cultures. Er hat auch an zahlreichen Universitäten in der Bay Area Naturwissenschaften unterrichtet. Als kulturaffiner und neugieriger Mensch, der Musik liebt, hat er die Wissenschaft des Klanges am San Francisco Symphonie Orchester und die Physik des Tanzes am San Francisco Ballett unterrichtet und mit dem dortigen Opernensemble zu Forschungszwecken kooperiert. Mag. Stephanie Tischler ist seit 2013 Lektorin und Forscherin in den Studiengängen für »Tourism & Leisure Management« und »International Wine Business« an der IMC FH Krems. Sie absolvierte das Diplomstudium Betriebswirtschaftslehre mit Vertiefung in Tourismus und Freizeitwirtschaft und Werbewissenschaft/Marktforschung an der Wirtschaftsuniversität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind quantitative Forschungsmethoden, multivariate Analysemethoden und Tourismusmarketing. Mag. Susanne Wolfram arbeitet als Dramaturgin und Kulturvermittlerin seit 1999 an der Schnittstelle von Kunst und Bildung. Sie berät Kultur­ einrichtungen und KünstlerInnen bei partizipativen Projekten in neuen und etablierten sozialen Kontexten sowie in Fragen des Audience Development, ist Dozentin unter anderem an der MUK Musik und Kunst Privatuniversität Wien und forscht zu Themen der kulturellen Teilhabe und Stadt(-teil-)entwicklung. Sie entwickelte und leitete – nach bundesweiter Beraterinnentätigkeit für den Österreichischen Kulturservice (ÖKS bis 2004) und KulturKontakt Austria – zahlreiche Veranstaltungsformate und künstlerische Projekte mit Laien, in den letzten zehn Jahren vorwiegend für das Festspielhaus St. Pölten sowie die NÖKU-Gruppe. Sie hat unter anderem das biennal stattfindende »Internationale Symposium Kulturvermittlung« mitkonzipiert, in den letzten Jahren programmiert und organisiert. Zudem war sie jahrelang Sprecherin der NÖKU-Kulturvermittlung.

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Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Martin Tröndle Die reflexive Kulturorganisation Theorie und Praxis des integrierten Kulturmanagements (unter Mitarbeit von Julian Stahl) November 2017, ca. 220 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2918-7

Carl Christian Müller, Michael Truckenbrodt Handbuch Urheberrecht im Museum Praxiswissen für Museen, Ausstellungen, Sammlungen und Archive Juni 2017, ca. 200 Seiten, kart., ca. 25,99 €, ISBN 978-3-8376-1291-2

Armin Klein, Yvonne Pröbstle, Thomas Schmidt-Ott (Hg.) Kulturtourismus für alle? Neue Strategien für einen Wachstumsmarkt Mai 2017, ca. 330 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3528-7

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Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Patrick S. Föhl, Patrick Glogner-Pilz Kulturmanagement als Wissenschaft Grundlagen – Entwicklungen – Perspektiven. Einführung für Studium und Praxis März 2017, ca. 150 Seiten, kart., ca. 19,99 €, ISBN 978-3-8376-1164-9

Birgit Mandel (Hg.) Teilhabeorientierte Kulturvermittlung Diskurse und Konzepte für eineeNeuausrichtung des öffentlich geförderten Kulturlebens September 2016, 288 Seiten, kart., 27,99 €, ISBN 978-3-8376-3561-4

Andrea Hausmann (Hg.) Handbuch Kunstmarkt Akteure, Management und Vermittlung 2014, 480 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2297-3

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Verena Teissl, Klaus Seltenheim Kulturtourismus in Tirol Chancen und Widerstände in einer Alpenregion Juni 2017, ca. 190 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3786-1

Vera Allmanritter Audience Development in der Migrationsgesellschaft Neue Strategien für Kulturinstitutionen Februar 2017, ca. 320 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3788-5

Carsten Baumgarth, Berit Sandberg (Hg.) Handbuch Kunst-UnternehmensKooperationen Februar 2016, 476 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3026-8

Nora Wegner Publikumsmagnet Sonderausstellung – Stiefkind Dauerausstellung? Erfolgsfaktoren einer zielgruppenorientierten Museumsarbeit 2015, 300 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3229-3

Julia Hilgers-Sekowsky Kooperationen zwischen Museen Hemmnisse in der Zusammenarbeit und ihre Überwindung 2015, 332 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3073-2

Siglinde Lang Partizipatives Kulturmanagement Interdisziplinäre Verhandlungen zwischen Kunst, Kultur und Öffentlichkeit 2015, 242 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3083-1

Simon A. Frank Kulturmanagement und Social Media Neue interdisziplinäre Perspektiven auf eine User-generated Culture im Kulturbetrieb

Michaela Conen Strategisches Management in Museen Mit Change Management und Balanced Scorecard aktiv gestalten

2015, 286 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3375-7

2015, 232 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2843-2

Thomas Renz Nicht-Besucherforschung Die Förderung kultureller Teilhabe durch Audience Development 2015, 324 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3356-6

Reinhold Knopp, Karin Nell (Hg.) Keywork4 Ein Konzept zur Förderung von Partizipation und Selbstorganisation in der Kultur-, Sozial- und Bildungsarbeit 2014, 350 Seiten, kart., zahlr. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2679-7

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