Museen neu denken: Perspektiven der Kulturvermittlung und Zielgruppenarbeit [1. Aufl.] 9783839408025

Fast zwei Jahrzehnte lang haben die deutschen Museen hohe Anpassungs- und Modernisierungsleistungen erbracht - von neuen

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German Pages 282 [284] Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Hülle mit Fülle. Museumskultur für alle – 2.0
Museen im globalen Wandel
Museums, Lifelong Learning and Civil Society
Lernort Museum – neu verortet: Erwachsenenbildung – free-choice-learning, erlebnisorientiertes Lernen
Kontemplativer Musentempel, Bildungsstätte und populäres Entertainment-Center. Ansprüche an das Museum und (neue) Strategien der Museumsvermittlung
Lebenslanges Lernen als neuer gesellschaftlicher Imperativ und der Beitrag der Museen
Learning in Museums. New Perspectives and Policies in the UK
PINK – eigene Wege zur Kunst. Kunstvermittlung für besondere Zielgruppen in der Pinakothek der Moderne
Merkwürdig – Lernen im Museum oder Lernen in Erlebniswelten. Was können Museen von lernbasierten Erlebnisorten lernen?
Content & Kommunikation
Wider die Gegenwartsschrumpfung. Einige Überlegungen zur Zukunft des Museums
Inhalte – Bauen – Zukunft. Perspektiven auf das Neue Landesmuseum in Zürich
»Wegen Umbau geöffnet!« Zur Neupräsentation des Amsterdamer Rijksmuseums
Das offene Museum. Zukunftsperspektiven im LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster
Ansätze zu einer Neuorientierung im LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster: Die Zukunftswerkstatt
Museen im gesellschaftlichen Wandel – Wandel wohin?
Jenseits der Leuchttürme. Museumsentwicklung als Gesellschaftspolitik
Wie können die Museen eine aktive Rolle im gesellschaftlichen Wandel spielen?
Museum à la carte oder: Besucher neu denken!
»Renaissance in the Regions« – Museums and Social Policy in the UK
The Role of Museums in Urban Regeneration
Abschied von Illusionen. Die Voraussetzung für »Museen neu denken«
Zu den Beiträgerinnen und Beiträgern
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Museen neu denken: Perspektiven der Kulturvermittlung und Zielgruppenarbeit [1. Aufl.]
 9783839408025

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Hartmut John, Anja Dauschek (Hg.) Museen neu denken Perspektiven der Kulturvermittlung und Zielgruppenarbeit

2008-01-07 12-51-18 --- Projekt: T802.john_dauschek.museen / Dokument: FAX ID 02bb167666143648|(S.

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) T00_01 schmutztitel.p 167666143656

Publikation der Abteilung Museumsberatung Nr. 26 LANDSCHAFTSVERBAND RHEINLAND Rheinisches Archiv- und Museumsamt

2008-01-07 12-51-18 --- Projekt: T802.john_dauschek.museen / Dokument: FAX ID 02bb167666143648|(S.

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) T00_02 autoreninfo.p 167666143664

Hartmut John, Anja Dauschek (Hg.)

Museen neu denken Perspektiven der Kulturvermittlung und Zielgruppenarbeit

2008-01-07 12-51-19 --- Projekt: T802.john_dauschek.museen / Dokument: FAX ID 02bb167666143648|(S.

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) T00_03 innentitel.p 167666143672

Herausgegeben von Hartmut John und Anja Dauschek im Auftrag des LANDSCHAFTSVERBANDES RHEINLAND – Presseamt – Rheinisches Archiv- und Museumsamt Hergestellt mit einem Druckkostenzuschuss des Saarländischen Museumsverbandes und des Ministeriums für Bildung, Familie, Frauen und Kultur, Saarbrücken

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2008 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Konzeption: Hartmut John, Anja Dauschek Koordination: Hartmut John, Anja Dauschek Redaktion: Hartmut John Umschlaggestaltung: bürger albrecht partner + agentur für kommunikation und design gmbh, Wuppertal Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Kai Reinhardt, Bielefeld Korrektorat: Jennifer Niediek, Adele Gerdes, Bielefeld Herstellung: Justine Haida, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-802-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

2008-01-10 15-46-45 --- Projekt: T802.john_dauschek.museen / Dokument: FAX ID 0099167935868824|(S.

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) T00_04 impressum.p - Seite 4 167935868832

Inhalt

Hartmut John, Anja Dauschek Einleitung ........................................ Hartmut John Hülle mit Fülle. Museumskultur für alle – 2.0

.........................

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Museen im globalen Wandel Gail Dexter Lord Museums, Lifelong Learning and Civil Society

............

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Lernort Museum – neu verortet: Erwachsenenbildung – free-choice-learning, erlebnisorientiertes Lernen Birgit Mandel Kontemplativer Musentempel, Bildungsstätte und populäres Entertainment-Center. Ansprüche an das Museum und (neue) Strategien der Museumsvermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ellinor Haase Lebenslanges Lernen als neuer gesellschaftlicher Imperativ und der Beitrag der Museen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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David Anderson Learning in Museums. New Perspectives and Policies in the UK

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Susanne Kudorfer, Ute Marxreiter PINK – eigene Wege zur Kunst. Kunstvermittlung für besondere Zielgruppen in der Pinakothek der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

2008-01-07 16-03-44 --- Projekt: T802.john_dauschek.museen / Dokument: FAX ID 01ee167677689760|(S.

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Kurt Grötsch Merkwürdig – Lernen im Museum oder Lernen in Erlebniswelten. Was können Museen von lernbasierten Erlebnisorten lernen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Content & Kommunikation Michael Fehr Wider die Gegenwartsschrumpfung. Einige Überlegungen zur Zukunft des Museums . . . . . . . . . . . 133 Andres Furger, Thomas Sieber Inhalte – Bauen – Zukunft. Perspektiven auf das Neue Landesmuseum in Zürich

. . . . . . 153

Peter Sigmond »Wegen Umbau geöffnet!« Zur Neupräsentation des Amsterdamer Rijksmuseums

. . . . . . 182

Hermann Arnhold Das offene Museum. Zukunftsperspektiven im LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster . . . . . . . . . . . . . . 192 Anja Dauschek, Josef Grün Ansätze zu einer Neuorientierung im LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster: Die Zukunftswerkstatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

Museen im gesellschaftlichen Wandel – Wandel wohin? Iris Magdowski Jenseits der Leuchttürme. Museumsentwicklung als Gesellschaftspolitik

. . . . . . . . . . . . 211

Bernd Meyer Wie können die Museen eine aktive Rolle im gesellschaftlichen Wandel spielen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Roger Münch Museum à la carte oder: Besucher neu denken!

2008-01-07 16-03-44 --- Projekt: T802.john_dauschek.museen / Dokument: FAX ID 01ee167677689760|(S.

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Sue Wilkinson »Renaissance in the Regions« – Museums and Social Policy in the UK

. . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

David Fleming The Role of Museums in Urban Regeneration . . . . . . . . . . . . . 257 Harald Siebenmorgen Abschied von Illusionen. Die Voraussetzung für »Museen neu denken« Zu den Beiträgerinnen und Beiträgern

. . . . . . . . . . . . 268

. . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

2008-01-07 16-03-44 --- Projekt: T802.john_dauschek.museen / Dokument: FAX ID 01ee167677689760|(S.

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2008-01-07 12-51-20 --- Projekt: T802.john_dauschek.museen / Dokument: FAX ID 02bb167666143648|(S.

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Anja Dauschek/Hartmut John ➔ Einleitung



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Einleitung

Hartmut John, Anja Dauschek »Museen neu denken! Tragfähige Ansätze & perspektivische Konzepte« war der Titel einer international besetzten Tagung Ende 2004 in Köln – veranstaltet vom Fortbildungszentrum Abtei Brauweiler des Rheinischen Archiv- und Museumsamtes in Kooperation mit dem Museumsdienst Köln. Bei der Detaillierung des Konzeptes, der Planung, Organisation und Durchführung des Programmangebots wurden die Veranstalter wesentlich von Anja Dauschek unterstützt, zu dieser Zeit Leiterin des deutschen Büros der Museumsberatung LORD Cultural Resources, Toronto, heute Leiterin des Planungsstabs für das neue Stadtmuseum Stuttgart. Für den hier vorgelegten Band wurden eine Reihe der seinerzeit gehaltenen Vorträge in aktualisierter – z.T. auch modifizierter – Form übernommen. Andere Beiträge wurden neu aufgenommen. Sie sollen das Leitthema des Buches – Kulturvermittlung und Zielgruppenarbeit wirkungsvoll neu gewendet – noch deutlicher akzentuieren und stärker fundieren. Museen neu denken Der vorliegende Band mit der programmatischen Aufforderung, »Museen neu (zu) denken«, kann weder alle aufgeworfenen Fragen breit diskutieren noch kann er sie beantworten. Aufgezeigt werden jedoch neben theoretischen Betrachtungsansätzen v.a. Projekte, Programme und Erfahrungen aus der Museumspraxis, die eben jenes neue Denken veranschaulichen und dokumentieren. Einige Beiträge kommen aus Großbritannien, wo sich Museen – mit staatlicher Forderung und Förderung zugleich – bereits in verschiedenen, auch traditionell museumsfernen Milieus erfolgreich als gesellschaftlich relevante Einrichtungen verankern konnten. Drei Themenkomplexe werden stellvertretend diskutiert: Museen als Einrichtungen Lebenslangen Lernens, die Frage von Inhalten und deren Kommunikation und schließlich der mögliche Beitrag von Museen zur gesellschaftlichen Entwicklung. Einen weiten Bogen spannen einleitend Hartmut John, Leiter des Fortbildungszentrums Abtei Brauweiler und der Museumsberatung im Rheinland, und Gail Lord, international tätige Museumsberaterin, sowie – den Band beschließend – Harald Siebenmorgen, Direktor des Badischen Landesmuseums: Sie bestätigen und unterstreichen nachdrücklich das Erfolgsmodell des »Kommunikationsmediums Museum«. Gail Lord ist überzeugt, dass Museen, indem sie einen Beitrag zum Kreativitätspotenzial einer Gesellschaft leisten, gleichzeitig das Selbstbewusstsein, die Fähigkeiten und das bürgerschaftliche Engagement des Einzelnen stärken können. Fähigkeiten, die heu-

2008-01-07 12-51-20 --- Projekt: T802.john_dauschek.museen / Dokument: FAX ID 02bb167666143648|(S.

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Hartmut John/Anja Dauschek (Hg.) Museen neu denken

te immer wichtiger werden. Harald Siebenmorgen bestätigt dies und empfiehlt statt langer Worte: Just do it. Lernort Museum: Vermittlung als strategisches Ziel Bildung und Vermittlung sind zentrale Aspekte, wenn Museen zum gesellschaftlichen Ziel des lebensbegleitenden Lernens beitragen wollen. Ellinor Haase, Geschäftsführerin der European Association for Education of Adults (EAEA), stellt den Begriff des »Lebenslangen Lernens« vor, wie er 2000 vom Europäischen Rat in der Lissabon-Strategie beschlossen wurde, um die Europäische Union zu einer dynamischen und wettbewerbsfähigen Wissensgesellschaft zu entwickeln. Dazu können, so Haase, Museen eine Menge beitragen. In Großbritannien wird Vermittlung als strategisches Ziel von Museen bereits seit Ende der 1990er Jahre intensiv und auf nationaler Ebene diskutiert, wie David Anderson, Director of Learning and Education des Victoria & Albert Museums, London, aufzeigt. Als Autor der Studie »A Common Wealth. Education in Museums« prägte er diese Entwicklung entscheidend mit und schuf die Grundlage für Regierungsprogramme wie Renaissance in the Regions, das Sue Wilkinson im dritten Abschnitt des Bandes vorstellt. Wilkinson, Director of Policy & Advocacy der MLA-Museums, Libraries and Archives Council, beschreibt nicht nur, wie mit einer regionalen Struktur und einer entsprechenden Unterstützung im Vermittlungsbereich nachhaltig positive Ergebnisse im Rahmen einer übergeordneten Bildungs- und Sozialpolitik erzielt werden konnten, sondern auch, welchen Beitrag die Museen zur Lebensqualität Einzelner leisten. Entscheidend für den Erfolg von Renaissance in the Regions war und ist, dass sich Museen als gegenwartsbezogene Bildungseinrichtungen verstehen, die in ihren Aktivitäten weit über die Bewahrung des historischen Erbes hinausgehen. Für eine nachhaltige Museumsarbeit gilt deshalb, was Roger Münch, Leiter des Deutschen Zeitungsmuseums, in Abwandlung des Titels fordert, nämlich den Besucher neu zu denken – also das Publikum in den Mittelpunkt der konzeptionellen Überlegungen eines Museums zu stellen. Darüber hinaus muss sich die Museumsbranche mit der Tatsache auseinandersetzen, dass Museen – trotz vielfältiger Bemühungen – nur bestimmte Bevölkerungsgruppen ansprechen. Birgit Mandel, Kulturwissenschaftlerin am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim, führt dies anhand der neuesten Ergebnisse der Besucherforschung aus. Sie plädiert gleichzeitig für ein strategisches Audience Development-Programm nach britischem Vorbild, um Museen für breitere Besucherschichten zu öffnen. Wie die Ansprache museumsferner Milieus erfolgreich funktionieren kann, zeigen Susanne Kudorfer und Ute Marxreiter am Beispiel des Projektes »PINK« an der Pinakothek der Mo-

2008-01-07 12-51-21 --- Projekt: T802.john_dauschek.museen / Dokument: FAX ID 02bb167666143648|(S.

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Hartmut John/Anja Dauschek ➔ Einleitung

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derne in München, das u.a. Jugendliche aus sozialen Brennpunkten anspricht. Lern-Erlebnisse mit moderner Kunst, wie sie bei »PINK« mit nachweisbaren Erfolgen entwickelt wurden, sind auch in anderen Zusammenhängen möglich. Kurt Grötsch diskutiert dies am Beispiel von didaktisch angelegten Erlebnissen in Freizeitparks, die Emotionen, Geschichten und Bilder im Kopf ihrer Besucher entstehen lassen – eine Option für Lern-Erlebnisse in Museen. Content und Kommunikation Michael Fehr leitet mit seinen Überlegungen zur Zukunft des Museums unter dem Titel »Wider die Gegenwartsschrumpfung« den zweiten Abschnitt des Bandes ein. Für Fehr sind Museen gleichermaßen bedroht von digitalen Technologien, steigenden Sammlungskosten, schrumpfenden Haushalten und Events. Auf die Frage, was die Museen in Zukunft angesichts der von Hermann Lübbe postulierten Gegenwartsschrumpfung noch anbieten können, antwortet Fehr mit H.G. Wells: Museen haben das Potenzial einer Zeitmaschine. Sie können ihre Besucher mit unterschiedlichen Zeiten und Räumen in Beziehung setzen und es ihnen so ermöglichen, sich selbst als historische und autonome Subjekte zu verstehen. Wie dies in der zukünftigen Praxis aussehen kann, beantworten die Vertreter von drei Institutionen, die aktuell umfassende Museumsprojekte planen. Im Mittelpunkt des Projekts »Neues Landesmuseum Zürich« stehen die Besucher, und der Ausgangspunkt der Planung ist eine entsprechend differenzierte Definition der zukünftigen Zielgruppen, wie Andres Furger und Thomas Sieber berichten. Statt wie bislang eine teleologisch geprägte Erzählung der Schweiz anzubieten, wird das neue Landesmuseum vielmehr Schlaglichter auf wichtige Themenbereiche der Schweizer Geschichte werfen. Ganz anders die Planung des Rijksmuseums in Amsterdam, das 2008 wiedereröffnet werden soll: Hier steht die Sammlung im Zentrum des Konzepts. Anders als zuvor sollen im neuen Rijksmuseum, so Peter Sigmond, Kunst und Geschichte, also Bildwerke, Kunstgewerbe und historische Objekte nicht mehr wie bisher nach Gattungen getrennt gezeigt werden. Stattdessen werden in einer chronologisch gegliederten Ausstellung niederländische Kunst und Geschichte in einen internationalen Kontext eingebettet, der den Besucher bis ins 20. Jahrhundert und die Gegenwart führt. Der immense Erfolg der Pilotausstellung, die als Interimsangebot während der Bauzeit gezeigt wird, bestätigt dieses Konzept schon vor der Neueröffnung des Museums. Auch das LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster durchläuft aktuell einen Prozess der Neupositionierung, der in einem Neubau Gestalt annehmen wird. Hermann Arnhold, der Leiter des Museums, argumentiert vor

2008-01-10 15-33-38 --- Projekt: T802.john_dauschek.museen / Dokument: FAX ID 0099167935082344|(S.

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Hartmut John/Anja Dauschek (Hg.) Museen neu denken

dem Hintergrund von vier Entwicklungssträngen – der Veränderung des Museumsprofils, neuen Vermittlungsformen, der Öffnung des Museums und der inneren Erneuerung von Museen –, dass sich Museen immer wieder neu erfinden müssen, um ihre kulturelle Relevanz für die breite Öffentlichkeit zu bewahren. Ständige Veränderungen als Konstante – auf diese Herausforderung müssen Museen intern mit Organisationsstrukturen und Arbeitsweisen reagieren. Die Zukunftswerkstatt als ein Instrument der Organisationsentwicklung, von Josef Grün und Anja Dauschek beschrieben, eignet sich dabei als Initialzündung für Veränderungen oder auch als Ausgangspunkt für ein Qualitätsmanagement in Museen. Museen im gesellschaftlichen Wandel Museen sind Orte der gesellschaftlichen Wertediskussion und sollten, so Bernd Meyer und Iris Magdowski, sich den Fragen des gesellschaftlichen Wandels stellen und einen aktiven Beitrag zur öffentlichen Diskussion leisten. Wie dies in der Praxis umgesetzt werden kann, beschreibt David Fleming, Direktor der National Museums of Liverpool – dem einzigen britischen Nationalmuseum außerhalb Londons – am Beispiel Liverpools. Hier waren die Museen eingebunden in einen umfassenden Stadterneuerungsprozess. Vor allem der aktive Kontakt zur Bevölkerung und die stimmigen Angebote können eine social regeneration initiieren und so die urbane Revitalisierung einer Stadt mit voranbringen. Museen können ein solches Ergebnis, so Fleming, jedoch nicht isoliert, sondern nur zusammen mit anderen Einrichtungen erzielen. Das International Slavery Museum, das im August 2007 als Teil der National Museums Liverpool eröffnete, ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie globale historische Prozesse lokal-relevant und aktuell umgesetzt werden können und so zu einer internationalen Diskussion ebenso beitragen wie zur gesellschaftlichen Entwicklung einer Stadt. Eine Hülle mit gesellschaftlich relevanter Fülle zu schaffen, ist – wie einige der Beispiele in diesem Band zeigen – keine unerreichbare Zielsetzung. Entscheidend ist, um mit Harald Siebenmorgen zu schließen, Museen nicht nur neu zu denken, sondern das Gedachte möglichst rasch im Tun zu realisieren. Die Herausgeber danken an dieser Stelle nochmals den Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes für ihre Beiträge. Dieser Dank ist insbesondere auch an jene Beiträgerinnen und Beiträger adressiert, die unserer Einladung, sich an diesem Buchprojekt zu beteiligen, ohne Zögern gern gefolgt sind. Dank gebührt nicht nur ihren Arbeitsleistungen; er schließt auch die Geduld und Nachsicht der Autorinnen und Autoren ein, die sie – wegen der besonderen Entstehungsbedingungen dieses Buchprojekts – aufbringen mussten.

2008-01-07 12-51-21 --- Projekt: T802.john_dauschek.museen / Dokument: FAX ID 02bb167666143648|(S.

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Nicht zuletzt deshalb auch sind die Herausgeber dem transcript Verlag zu besonderem Dank verpflichtet – über das hinaus, was sie dem Verlag für die große verlegerische Umsicht und das besondere Engagement bei der Begleitung und Umsetzung des Projekts zu verdanken haben. Dem Saarländischen Museumsverband e.V. und dem Saarländischen Ministerium für Bildung, Familie, Frauen und Kultur danken wir für die freundliche Gewährung eines Zuschusses zu den Druckkosten.

2008-01-10 15-34-12 --- Projekt: T802.john_dauschek.museen / Dokument: FAX ID 0099167935115848|(S.

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Hülle mit Fülle. Museumskultur für alle – 2.0

Hartmut John Seit seinen institutionellen Anfängen vor gut 200 Jahren war das moderne Museumswesen einem beständigen Wandel unterzogen. Dennoch hat man ihm »Züge eines ›autopoietischen Systems‹« attestiert; man hat dabei auf seine kulturelle Traditionsverhaftung und die überkommenen Strukturen und Organisationsformen verwiesen, die »nahezu unverändert« in ihm »nisten«.1 Ohne Zweifel ist das ›System Museum‹ immer noch in erheblichem Maße durch Selbstreferentialität gekennzeichnet. Aber noch nie in ihrer jüngeren Geschichte haben die Museen bei uns in so kurzer Zeit so hohe Anpassungsund Modernisierungsleistungen erbracht wie in den vergangenen drei Jahrzehnten. Von der »Neuen Kulturpolitik« zum »Neuen Interesse an der Kultur« In den 1970er Jahren wurde den Museen mit viel politischer Verve und eingängigen Programmformeln wie »Kultur für alle« (Hilmar Hoffmann) und »Bürgerrecht Kultur« (Hermann Glaser) die Rolle aktiver, offener, in die Gesellschaft wirkender Lern- und Vermittlungsorte zugewiesen. Aber schon im folgenden Jahrzehnt leitete das sogenannte »Neue Interesse an der Kultur« eine strukturelle Akzentverschiebung und einen Paradigmenwechsel ein.2 Zunehmend weniger sah man nun Kunst und Kultur als Werte ›sui generis‹ an, die ihre Legitimation aus sich selbst beziehen und keiner fremden Begründung bedürfen – Werte, die sich daher auch nicht auf Dienstleistungen reduzieren und als Subsystem anderer Systeme wie dem der Wirtschaft vereinnahmen lassen. Funktionalistischer Betrachtungsweise unterworfen und eingebunden in ökonomische Zusammenhänge, wurden kulturelle Kompetenzen zur Bewältigung und sozial ›verträglichen‹ Gestaltung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modernisierungs- und Innovationsprozesse (»High Tech – High Culture«, Lothar Späth) in Anspruch genommen – makroökonomisch (Stichworte: Wirtschafts-/Standortfaktor Kultur, Stadt- und Regionalmarketing, Kulturtourismus u.a.) und mikroökonomisch (Stichworte: betriebswirtschaftlich ausgerichtete Museumsarbeit, Museumsmarketing/ Besucherorientierung, Sponsoring/Fundraising u.a.).

1 Klein, Hans-Joachim: Zur Einführung, in: Ders. (Hg.): Vom Präsentieren zum Vermitteln (= Karlsruher Schriften zur Besucherforschung, H. 5), Karlsruhe 1994, S. 11. 2 Cornel, Hajo/Knigge, Volkhard (Hg.): Das neue Interesse an der Kultur, Hagen 1990.

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Hartmut John/Anja Dauschek (Hg.) Museen neu denken

Vorzeigbare Ergebnisse bei Anpassung und Modernisierung Viele Museen reagierten sehr dezidiert und qualifiziert auf die Neujustierung des kulturpolitischen Handlungsfelds und die gewandelten Anforderungen und Erwartungen an Museumspraxis. Seit Anfang der 1990er Jahre haben die Museumseinrichtungen vielfach gelernt: • kostenbewusster und zielgerichteter zu planen; • neue Wege der finanziellen Ressourcenmobilisierung zu beschreiten, sich durch die Verbesserung ihrer Erlössituation und die Erschließung zusätzlicher Einnahmequellen finanzielle Spielräume zu erhalten – trotz rückläufiger Mittelzuweisungen der Träger; • management- und marketingorientierte Grundsätze und Instrumente in die Museumsarbeit zu integrieren; • Besucher und Nutzer mehr als Museumskunden zu betrachten und als Gäste zu behandeln; • Programmarbeit und Veranstaltungsangebote stärker an den gewandelten Freizeitgewohnheiten und Unterhaltungsbedürfnissen ihres Publikums auszurichten. Mit anderen Worten: »Mit gleich viel oder weniger Geld und Personal haben sie sich auf die Konkurrenz der Mediengesellschaft eingestellt.«3 Nicht ohne Erfolg und mit durchaus vorzeigbaren Ergebnissen haben viele Museen den Leistungsparametern und Qualitätsvorstellungen ihrer Anspruchsgruppen Rechnung getragen und versucht, deren Erwartungen zu erfüllen. Vereinzelt gab es in diesem Zusammenhang sogar lobende Worte für Museumsmitarbeiter aus Politik und Verwaltung. Ein Effekt hat sich allerdings nicht eingestellt: Akzeptanz und Wertschätzung derjenigen, die politische Verantwortung für die Museen tragen und die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit wesentlich gestalten, haben sich nicht wirklich gewandelt. Im Einzelfall hätten daran wohl auch ein paar tausend Museumsbesucher pro Jahr mehr wenig geändert – ebenso wie eine noch häufigere Berichterstattung in den Medien, deutlichere Erfolge bei der Gewinnung freiwilliger Mitarbeiter, Mäzene und Sponsoren, und möglicherweise nicht einmal die Erhöhung der Aufwanddeckung um einige Prozentpunkte. Auch der gesellschaftliche Stellenwert der Museen ist keineswegs so hoch »wie nie zu vor«, wie Insider der Museumsszene in der Euphorie des Millenniumswechsels hoffnungsfroh verkündeten. Und für die Prognose, ihre

3 Ludwig, Andreas: Auf sicherem Grund, in: Museumsblätter. Mitteilungen des Museumsverbandes Brandenburg, 12/2005, S. 12.

2008-01-07 12-51-21 --- Projekt: T802.john_dauschek.museen / Dokument: FAX ID 02bb167666143648|(S.

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Hartmut John ➔ Hülle mit Fülle. Museumskultur für alle – 2.0

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Bedeutung werde künftig »eher noch steigen«, gab es schon seinerzeit wenig Anhaltspunkte.4 Legitimationsdefizite und Marginalisierung Offenkundig ist, dass es den Museen nicht gelungen ist, Museumskultur zu der erforderlichen Legitimation in der Politik zu verhelfen. Dazu trägt bei, dass Kultur in Deutschland schon seit geraumer Zeit keine ›Konjunktur‹ mehr hat. Auch als Kulturpolitik ist sie einem fortschreitenden Marginalisierungsprozess ausgesetzt. Die Auflösung der meisten, vordem eigenständigen Kulturdezernate, Kulturreferate und Ressorts für Kunst und Kultur bei den Gebietskörperschaften, aber auch bei den kommunalen Spitzenverbänden, ist dafür ein unübersehbares Zeichen. Gravierender aber ist: Die Schleifspuren einer Politik, die über lange Jahre die ›Verschlankung‹ der Organisationsstrukturen vorangetrieben, die Unterhaltsmittel für die Museen verknappt und ›Sparen als Politikersatz‹ betrieben hat, sind in der Museumslandschaft längst nicht mehr zu übersehen. Die Diskrepanz zwischen der finanziellen und strukturellen Fundierung von Museumsarbeit und den Leistungen, die man von ihr erwartet, wird immer eklatanter und prekärer. Inzwischen sind auch im Westen der Republik Museen von Schließungen betroffen oder lassen sich nur mehr mit eingeschränktem Betrieb ehrenamtlich weiterführen. Gitta Connemann, Vorsitzende der EnqueteKommission »Kultur in Deutschland«, warnte schon vor zwei Jahren, künftig könne einem Drittel unserer Museen das Aus drohen – also mehr als 2.000 Häusern.5 Ob ein solcher Alarmismus – auch sonst in den kulturpolitischen Debatten weit verbreitet und häufig mit Larmoyanz verbunden – zielführend und ein hilfreicher Wegbegleiter im ›Reich des Mangels‹ ist, mag man bezweifeln. Natürlich ist Kritik berechtigt: Kurzerhand werden ganze Museumsabteilungen stillgelegt, die Etats für Grundaufgaben der Museumsarbeit wie Restaurierung, Bestandserschließung und wechselnde Ausstellungen vielfach auf ›Null gesetzt‹, Öffnungszeiten reduziert, Dienstreisen der Direktoren über Freundeskreise finanziert und marode Museumsdächer in sammlungsgefährdendem Zustand belassen.

4 Puhle, Matthias: Die Museen und ihr Stellenwert heute, in: Informationen des Sächsischen Museumsbundes e.V., 21/2001, S. 83. 5 Vgl. Vorwort der Vorsitzenden, in: Tätigkeitsbericht der Enquete-Kommission »Kultur in Deutschland«, Deutscher Bundestag, 15. November 2005, EK-K-Kultur AU 15/154, S. 9.

2008-01-07 12-51-21 --- Projekt: T802.john_dauschek.museen / Dokument: FAX ID 02bb167666143648|(S.

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Hartmut John/Anja Dauschek (Hg.) Museen neu denken

Ritualisiertes Jammern und moralische Empörung als Strategieersatz Allerdings ist die Wirkung der Empörungs-Rhetorik und reflexhaft ausgemalten Bedrohungsszenarien von Museumsleuten und Journalisten, die solche Zustände vielstimmig begleiten, eher kontraproduktiv.6 Denn wo auf jede Kürzungs- und Sparrunde stets das ritualisierte Lamento von der ›finalen‹ Zerstörung der Fundamente seriöser Museumsarbeit folgt, nutzt sich dieses ›Instrument‹ sehr schnell ab; die Aufschreie werden zunehmend unglaubwürdig und verhallen bald ungehört. Im Übrigen reicht es längst nicht mehr, »einfach die Wichtigkeit von Kultureinrichtungen zu behaupten und zu versuchen, Kürzungen als moralisch verwerflich zu stigmatisieren. In Krisenzeiten sind solche Behauptungen nicht belastbar«.7 Die ständige Fixierung auf die Probleme und Herausforderungen des Museumsalltags führt schließlich zur Angststarre. Kraft und Energie reichen dann nur noch zum ›Muddling through‹; die kritische Überprüfung und Neuausrichtung von Inhalten, Zielen und Strategien der eigenen Arbeit bleiben auf der Strecke. Und natürlich »mangelt es« dann an »Konzepte[n] – in den und außerhalb der Museen«.8 Möglicherweise befinden sich die Museen hierzulande bereits in einer krisenhaften Entwicklung. Aber wenn dies so ist, dann ist sie nicht nur oder ausschließlich Ausdruck einer »Finanzkrise, die durch politisches ›KaputtSparen‹ verursacht ist«, wie bisweilen behauptet wird.9 Vielmehr steckt hinter der Finanzkrise eine »deutliche Legitimationskrise«.10 Nicht zuletzt deshalb lässt die Politik die öffentlichen Kultureinrichtungen »bei lustloser

6 Vgl. statt vieler Roth, Martin: Schiffe versenkt. Unsere Museen sind bedroht, in: Süddeutsche Zeitung, 19.05.2003; Ders.: Destruktiv und ignorant, in: DIE ZEIT, Nr. 39, 21.09.2006; Dittmar, Peter: Konservativ ist ziemlich revolutionär, in: DIE WELT, 22.10.2003; allg. dazu auch: Klein, Armin: Der exzellente Kulturbetrieb, Wiesbaden 2007, S. 40ff. 7 Voesgen, Hermann: Kalkül und Leidenschaft. Das Museum als Element der Stadtentwicklung, in: Museumsblätter. Mitteilungen des Museumsverbandes Brandenburg, 12/2005, S. 36. 8 Vgl. Lautenschläger, Rudolf: Superlativ in der Museumskrise, in: taz Berlin, Nr. 7288, 19.02.2004, mit Blick auf die staatliche Museumslandschaft Berlins. 9 Vgl. Dittmar, Konservativ ist ziemlich revolutionär, a.a.O., S. 6. 10 Fuchs, Max: Nur gemeinsam sind wir stark! Kulturpolitische Anmerkungen, in: Museen vernetzt. Wege der Zusammenarbeit, 12. Bayerischer Museumstag Weißenburg, 02.-04.07.2003, hg. von der Landesstelle für die Betreuung der nichtstaatlichen Museen in Bayern, München 2004, S. 25.

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Pflichterfüllung einfach allein« und wird sie weiter allein lassen, wie Thomas E. Schmidt die vorherrschende Haltung treffend auf den Punkt brachte.11 Der Schutzschild des Staates wird für Kultur brüchig Wer allein gelassen wird, muss sich selber helfen. Und das um so mehr, als das bisherige System öffentlicher Kulturfinanzierung keine Aussicht auf Fortbestand hat. Die öffentlichen Kulturhaushalte in Deutschland werden auf unabsehbare Zeit nicht mehr so aussehen, wie sie einst ausgesehen haben. Selbst wenn es künftig einmal gelingen sollte, die monströse Verschuldung der öffentlichen Hände merklich abzubauen, perspektivisch tragfähige Lösungen für die zukunftsfeste Gestaltung der großen sozialen Sicherungssysteme zu entwickeln und eine strukturelle Trendwende auf dem Arbeitsmarkt zu bewirken – Staat und Politik werden auch unter noch so blendenden ökonomischen und fiskalischen Rahmenbedingungen kaum mehr geneigt und bereit sein, noch einmal für Kunst und Kultur so viel auszugeben wie in ihren ›Goldenen Jahren‹ Ende des 20. Jahrhunderts. Nachdem der finanzielle und strukturelle Schutzschild des öffentlichen Sektors für Museumseinrichtungen brüchig geworden ist und sie kaum mehr erwarten dürfen, dass ihnen die Politik – wie zu Zeiten der »Neuen Kulturpolitik« – ihre Rolle in der Gesellschaft vorzeichnet, sollten die Museen ihr »Heil« nicht mehr beim Staat suchen. Sie müssen sich »selber helfen«, wie Albertina-Direktor Klaus-Albrecht Schröder seine Kolleginnen und Kollegen auffordert.12 Wofür bin ich als Museum eigentlich da? Weshalb muss es mich geben? Sich selber zu helfen bedeutet zum einen, weniger abhängig zu werden von den ausschließlichen Mittelzuweisungen der öffentlichen Träger – bedeutet somit, mehr im staatsferneren frei gemeinnützigen Dritten Sektor zwischen Staat und Wirtschaft zu agieren. Allerdings herrscht hier auch kein ›Schonklima‹. Sich selber zu helfen heißt aber auch, die eigenen Ansprüche nicht darauf zu reduzieren, den oftmals mühseligen Alltagsbetrieb im Museum am Laufen zu halten; nicht zu versuchen, sich über die Runden zu retten mit einer Mischung aus Improvisationsgeschick, habituellem Fatalismus und der festen Erwartung, dass einem die ›Glückssonne‹ im entscheidenden Moment schon scheinen werde. Vielmehr ist neues, selbstreflexives und radikales – d.h. bis 11 Vgl. Der Vorhang hoch und alle Säle offen, in: DIE ZEIT, Nr. 31, 28.07.2005. 12 Vgl. Museen können den Staat vergessen!, in: Die Presse, 30.08.2007.

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an die Wurzel der Probleme dringendes – Denken das Gebot der Stunde. Denn Museen sind keineswegs »Felsen im gegenwärtig tobenden Sturm der Orientierungslosigkeit der Gesellschaft«.13 Sie benötigen selbst Orientierung. Angesichts der »verwirrende[n] Situation«, so der renommierte Kunstwissenschaftler Hans Belting, dass man heute »nicht mehr erklären kann, wofür Museen so dringend gebraucht werden, und jeder Konsens über den Sinn des Museums verloren geht«,14 ist es mehr denn je an den Museen, sich Fragen zu stellen und Antworten zu geben. Und zwar schlüssige und überzeugende Antworten auf elementare und nur scheinbar selbstverständliche Fragen wie: Wofür bin ich als Museumseinrichtung eigentlich da? Weshalb muss es mich geben? Wofür werde ich gebraucht? Was macht mich einzigartig und unverwechselbar? Was kann ich besser als alle anderen? Was ist das exklusive Versprechen, das ich meinem Publikum machen kann? Kurz: Was ist die ›raison d’être‹ meines Hauses? Nicht Kultur marktfähig machen, sondern den Markt kulturfähig Es geht also darum, Vermögen, Leistungen und Qualitäten der Museen und der Museumskultur in und für Öffentlichkeit und Gesellschaft offensiv und eindrücklich herauszustellen, die Notwendigkeit ihrer Existenz neu zu begründen. Die dringend benötigte Legitimation zur »Sicherung des kooperativen Überlebens« (Gerhard Schulze) wächst den Museen aber nur dann zu, wenn sie ihre ›missions & visions‹ in ein professionelles Beziehungsmarketing einbinden und es zum permanenten Programm erheben. Wer »einfach bei seinen Leisten bleibt«, wird im »Leistungswettbewerb« unterliegen.15 Zunächst gehört dazu die gründliche Analyse und die klare Vorstellung darüber, wie das Museumsumfeld beschaffen ist, mit wem Austauschbeziehungen bestehen (und möglicherweise sollten) und wie das ›Spielfeld‹ aussieht, auf dem man agieren will. Sinn und Zweck dieser Erkundungen ist es nicht, sich den tatsächlichen oder vermeintlichen ›Zwängen des Marktes‹ anzupassen und dem ›Markt zu geben, was des Marktes ist‹. Mit starrem Blick auf die Quote dem Publikum hinterher zu laufen und nur die Erwartungen einer Besuchermehrheit zu erfüllen, ist Populismus und kein Kulturmarketing. Marketing für Kultureinrichtungen mit öffentlichem Auftrag zu betrei13 Slotta, Rainer: Museen als Orte der Bildung – noch zeitgemäß? in: Mitteilungsblatt Museumsverband für Niedersachsen und Bremen e.V., Nr. 68, 3/2007, S. 22. 14 Vgl. Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, 8/2002, S. 649. 15 Köstering, Susanne: Freiheit und Gestaltungsaufgabe. Qualität in der Diskussion, in: Museumsblätter. Mitteilungen des Museumsverbandes Brandenburg, 12/2005, S. 17.

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ben, bedeutet vielmehr, bei der Gestaltung der Produkte – auch inhaltlich schwieriger und ästhetisch anspruchsvoller – die Besucher, soweit möglich, in die eigenen Überlegungen einzubeziehen – mit all ihren Erwartungen, Interessen und lebenspraktischen Erfahrungen. Nicht nur vorhandene Besuchererwartungen und -wünsche zu befriedigen, sondern auch neue, noch nicht entwickelte Bedürfnisse zu wecken und vielleicht sogar zu lenken, mit neuen Programmangeboten verbreitete Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten zu verändern und neues Nachfrageverhalten zu initiieren, ist die dem Kulturbereich angemessene Marketingpraxis. Mit anderen Worten: Es geht nicht darum, »die Kultur marktfähig zu machen, sondern den Markt kulturfähig«.16 Viele Museen sind aber seit den 1990er Jahren eher einem verkürzten Verständnis von Marketing gefolgt. Mehrheitlich haben sie sich darauf beschränkt, Bedürfnisse zu befriedigen, die von anderen geweckt wurden, haben sich von Zielen leiten lassen, die »andere gesetzt haben, wie z.B. den Wachstumsfetischismus stets höherer Besuchszahlen«.17 Dem Museumspublikum ständig ›den Puls fühlen‹ Wenn Museen eine integrale, antizipatorische Marketingstrategie verfolgen wollen, ist dafür die sehr genaue und kontinuierliche Beobachtung ihres gesellschaftlichen und kulturellen Umfelds unerlässlich. In dieser Beziehung haben die Museumseinrichtungen bei uns noch viel Nachholbedarf. Wer kulturelle Entwicklungen, gesellschaftliche Strömungen und Trends wahrnehmen, kritisch analysieren und dann die im Wandel liegenden Chancen, Spielräume und Perspektiven produktiv für sich nutzen möchte, muss noch erheblich »extrovertierter, außenorientierter, noch ›umweltfreundlicher‹« werden und sich »wesentlich aktiver in [die] Umwelten einklinken«, als Museen dies hierzulande bislang tun.18 Im Vordergrund steht und ständig im Blick ist dabei immer das Museumspublikum. Wie setzt es sich zusammen, wie sieht es heute aus – quantitativ und qualitativ? Wie verändert es sich und wer werden wahrscheinlich morgen die Besucher und Nutzer sein? 16 Mandel, Birgit: Kulturvermittlung. Zwischen kultureller Bildung und Kulturmarketing. Eine Profession mit Zukunft, in: Dies. (Hg.): Kulturvermittlung zwischen Kultureller Bildung und Kulturmarketing, Bielefeld 2005, S. 17. 17 Heinrichs, Werner: Die Positionierung der Museen in einem veränderten Umfeld. Anmerkungen zum Kulturmarketing aus der Sicht des Kulturmanagements, in: Museumsblatt. Mitteilungen aus dem Museumswesen Baden-Württembergs, H. 29/2000, S. 9. 18 John, Hartmut: Museumsmanagement. Runderneuerung für ein angestaubtes Berufsbild, in: inform. Museen im Rheinland, 4/1997, S. 20-23.

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Bei dieser ›Tour d’Horizon‹ wird man schon am Anfang mit einem ernüchternden Befund konfrontiert: Kultur- und Museumsbesucher sind zu einem äußerst raren, ›volatiblen‹ und deshalb kostbaren und hart umkämpften Gut geworden. Schon seit Jahren weisen die Publikumszahlen der Museen eine stagnierende Tendenz auf; für einzelne Sparten sind sie rückläufig.19 Dass es sich dabei nicht um eine vorübergehende Wachstumsschwäche handelt, sondern um strukturelle Mobilisierungsprobleme, zeigt der Blick zurück in die 1980er/90er Jahre. Denn inzwischen ist bekannt, dass der sogenannte ›Museumsboom‹ – bezogen auf die Besuchszahlentwicklung – eher ein Phantom war.20 ›Kulturresistenz‹ als Massenphänomen Vergleicht man die Kulturpartizipation der Bevölkerung im zeitlichen Längsschnitt, kommt man an einer Tatsache nicht vorbei: Trotz einer exzessiven, kontinuierlich verstärkten Angebotsorientierung ist es seit den 1990er Jahren nie gelungen, mehr als fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung – möglicherweise auch nur drei bis fünf Prozent – häufig bis regelmäßig zur Wahrnehmung kultureller Angebote zu bewegen. Dabei ist die Tendenz abnehmend und ein weiter Kulturbegriff zugrunde gelegt. Diesen wirklich ›kulturaffinen‹ steht gut die Hälfte ›kulturresistenter‹, (noch) nicht entsprechend mobilisierbarer Bundesbürger gegenüber.21 Und offenkundig werden immer mehr Bürger zu kulturellen Nichtnutzern: »Zwischen Nutzern und Nichtnutzern liegen Welten. Die kulturelle Spaltung (›cultural divide‹) nimmt eher zu als ab«, urteilt der Freizeitforscher Horst W. Opaschowski nach einer aktuellen Repräsentativbefragung des BAT Freizeit-Forschungsinstituts.22 19 Vgl. Statistische Gesamterhebung an den Museen der Bundesrepublik Deutschland. Materialien aus dem Institut für Museumskunde (ab 2006 = Institut für Museumsforschung), Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, H. 53-60, 19992006. 20 Darauf hat wohl zuerst Heiner Treinen aufmerksam gemacht. Vgl. Treinen, Heiner: Das moderne Museum als Massenmedium, in: Klein, Vom Präsentieren zum Vermitteln, a.a.O., S. 29ff.; jetzt mit akribischem Nachweis: Kirchberg, Volker: Gesellschaftliche Funktionen von Museen. Makro-, meso- und mikrosoziologische Perspektiven, Wiesbaden 2005, S. 20ff. 21 Vgl. Keuchel, Susanne: Das Kulturpublikum in seiner gesellschaftlichen Dimension. Ergebnisse empirischer Studien, in: Mandel, Kulturvermittlung, a.a.O., S. 52f.; Sievers, Norbert: Publikum im Fokus. Begründungen einer nachfrageorientierten Kulturpolitik, in: Jahrbuch für Kulturpolitik, 5/2005, S. 48f. 22 Opaschowski, Horst W.: Wachstumsgrenzen des Erlebnismarktes. Folgen für die Kulturpolitik. Vortrag im Rahmen des dritten kulturpolitischen Bundeskongresses

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Die »Leitkultur der Mitte« hat sich verflüchtigt Schon Anfang der 1990er Jahre hatte Heiner Treinen, der Begründer und Nestor der Museumssoziologie in Deutschland, bei seinen Untersuchungen herausgefunden, dass eine »autonome Nachfrage nach Museumsgütern […] nur als Ausnahme für einen sehr kleinen Bevölkerungsteil (existiert)«. Ein »Großteil« der potenziellen Besucher habe »kein Primärbedürfnis nach Museumsbesuchen«.23 Solche Aussagen und Befunde mögen viele noch immer überraschen, verwundern können sie eigentlich nicht. Die in der alten Bundesrepublik gesellschaftlich breit verankerten, kulturell tonangebenden kleinbürgerlichen Sozialmilieus – von dem Soziologen Helmut Schelsky in den 1950er Jahren auf den Begriff der »nivellierten Mittelstandsgesellschaft« gebracht – schrumpfen seit mehr als drei Jahrzehnten kontinuierlich. Seit das Wirtschaftswachstum zurückgeht, die Einkommensschere zwischen oben und unten sich weiter öffnet, der Staat nicht mehr als Absicherungs-›Agentur‹ des Mittelstandes fungiert und dieser von sozialen Abstiegsängsten geplagt wird, haben auch bürgerliche Werte und der bürgerliche Bildungskanon an Verbindlichkeit und Anziehungskraft verloren. Die vormals so prägende, bis in die Unterschichten ausstrahlende bildungsbürgerliche »Leitkultur der Mitte« hat sich weitgehend verflüchtigt.24 Verlässliche und kalkulierbare Kulturnachfrage ist Mangelware Unter solchen Vorzeichen wandeln sich die Präferenzen und Verhaltensmuster derjenigen, die Kulturangebote in Anspruch nehmen. Ein in seinem Nutzerverhalten weithin kalkulierbares, beständiges und verlässliches bildungsbürgerliches Sparten- und Stammpublikum ist inzwischen Vergangenheit. Heute dominiert ein eher »beiläufiger Kulturkonsum« (Andreas J. Wiesand), der mit deutlichen Präferenzen für den Spartenwechsel und die Wahrnehmung spartenübergreifender Angebote korrespondiert.25 Was Heiner Treinen schon Anfang der 1980er Jahre als signifikantes Besucherverhalten in (technischen) Museen erkannt und treffend als »›kulturel»publik. macht. kultur«, 24. Juni 2005 in Berlin (Manuskript), S. 8 (Hervorh. nicht übernommen). 23 Treinen, Das moderne Museum als Massenmedium, a.a.O., S. 30, 33. 24 Vgl. Schnibben, Cordt: Der seufzende Kleinbürger, in: Der Spiegel, 24/2006, S. 58. 25 Keuchel, Das Kulturpublikum in seiner gesellschaftlichen Dimension, a.a.O., S. 53, 59; Dies., Das Kulturpublikum zwischen Kontinuität und Wandel, a.a.O., S. 115, 120; Sievers, Publikum im Fokus, a.a.O., S. 47.

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les Window-Shopping‹« charakterisiert hat,26 ist in der Event- und ›Multioptionsgesellschaft‹ ein Massenphänomen. Kulturkonsumistische Flaneure – »frei vagabundierende Kulturhopper«, wie Opaschowski sie nennt – sind eigenwillig, wollen sich alle Wahlmöglichkeiten offen halten, »mal ein Bildungs-, mal ein Erlebnis- und mal ein vergnügungsorientiertes Kulturverhalten« praktizieren.27 Wo langfristige Zuschauer- und Besucherbindungen an Theater, Konzerthäuser und Museen brüchig werden, gerät konstante, verlässliche – und damit kalkulier- und prognostizierbare – Nachfrage zur Mangelware. Museen müssen somit zwangsläufig unter den Bedingungen relativer Unsicherheit und Kurzfristigkeit arbeiten und über die Nachhaltigkeit ihrer Angebote neu nachdenken. Wie die Museen unter solchen Auspizien ihrem Bildungsauftrag und ihren Ansprüchen an inhaltliche Qualität und wirkungsvolle Vermittlungsarbeit gerecht werden können, ist eine spannende Frage; in der Praxis ist sie überwiegend noch nicht oder nur unzureichend beantwortet. Massenmedium Museum Unabdingbare Voraussetzung ist, dass sich Museumsmitarbeiter und Museumsmitarbeiterinnen von dem immer noch tief verwurzelten Vorurteil verabschieden, ihre Produktionen und Angebote müssten ernst, gravitätisch und gedankenschwer daher kommen, um den ungeteilten Beifall der Adressaten zu finden. Hochkulturelle Offerten traditioneller Prägung sind dem »Massenmedium« Museum nicht angemessen; sie sind deshalb auch nicht zielführend. Denn »Menschen erwarten von Massenmedien vor allem eins, nämlich Unterhaltung«, und zwar in Form »spannungsreicher Daueranregung«.28 Museumsangebote sollten deshalb nicht nur gelegentlich – gleichsam zur ›Auflockerung‹ des Programms – unterhaltsam und erlebnisreich sein. Sie sollten dieses Prädikat ständig verdienen. Damit verzichten Kulturproduzenten keineswegs darauf, Qualitätsansprüche an ihre Arbeit zu stellen. Im Gegenteil: Die Ansprüche steigen eher noch, nur die Qualitätsmaßstäbe verändern sich. Denn das Sperrige, Komplexe und Schwere muss für die Rezipienten und 26 Graf, Bernhard/Treinen, Heiner: Besucher im Technischen Museum. Zum Besucherverhalten im Deutschen Museum München, Berlin 1983, S. 145. 27 Opaschowski, Wachstumsgrenzen des Erlebnismarktes, a.a.O., S. 17. 28 Zu dieser unter Museumspraktiken weithin noch nicht akzeptierten Grundtatsache nach wie vor eindrucksvoll, Treinen, Das moderne Museum als Massenmedium, a.a.O., S. 30, 32; Ders.: Ausstellungen und Kommunikationstheorie, in: MuseumsFragen. Museen und ihre Besucher. Herausforderungen in der Zukunft, Bonn/Berlin 1996, S. 60-71, bes. S. 66ff.

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Nutzer in den Modus des Leichten – nicht Seichten –, des Berührenden und Inspirierenden transponiert werden. Ausstellungen und andere Veranstaltungen der Museen, die keine Aufmerksamkeit erzeugen, keinen »Gesprächsstoff liefern und keine Diskussionen auslöse[n]«, haben einen »schweren Stand«.29 Sie werden öffentlich nicht wahrgenommen und erreichen kaum ihr potenzielles Publikum. Die ›Demarkationslinie‹ zwischen E und U hat sich verflüchtigt Unter dem Vorzeichen des Erlebnis- und Lebensstilparadigmas sind längst »Qualitäten populärer Unterhaltung und Vergnügung, die noch vor wenigen Jahrzehnten als vulgär galten, in den lifestyle von Gruppen mit hohem sozialem Status aufgenommen worden«. Die alten Distinktionsmuster sind zerbrochen, »Kernbestände des populären Geschmacks« werden längst als »legitim anerkannt«.30 Wer heute sechzig und jünger ist, hat bereits eine »Pop-Biographie«.31 Er denkt und orientiert sich nicht mehr an den einstigen Barrieren zwischen Hoch- und Popularkultur. Seit sich Pop als »neue Bühne des Kulturellen etabliert« hat32, seit Popularkultur den »Rang des gesellschaftlich Repräsentativem besitzt«33, sind die Grenzziehungen verwischt, durchmischen sich die einst hermetisch getrennten Sphären der Kultur, orientieren die Adressaten ihr Nutzerverhalten nicht mehr an der obsolet gewordenen ›Demarkationslinie‹ zwischen E- und U-Kultur, zwischen den Kulturprodukten öffentlicher (= ›anspruchsvoll‹) und kommerzieller Anbieter (= ›anspruchslos‹).

29 Opaschowski, Wachstumsgrenzen des Erlebnismarktes, a.a.O., S. 10. 30 Maase, Kaspar: Spiel ohne Grenzen. Von der »Massenkultur« zur »Erlebnisgesellschaft«: Wandel im Umgang mit populärerer Unterhaltung, in: Zeitschrift für Volkskunde, I/1994, S. 13-36, hier: S. 20. 31 Steenblock, Volker: Kultur oder die Abenteuer der Vernunft im Zeitalter des Pop, Leipzig 2004, S. 88. 32 Ebd., S. 94. 33 Maase, Kaspar: Jenseits der Massenkultur. Ein Vorschlag, populäre Kultur als repräsentative Kultur zu lesen, in: Göttlich, Udo (Hg.): Populäre Kultur als repräsentative Kultur: Die Herausforderung der Cultural Studies, Köln 2002, S. 94.

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Entgrenzung von Pop, U und E Damit der Mainstream der »potentiell zutiefst demokratisch[en]« Popkultur und ihre »sozialen, performativen und expressiven Energien«34 nicht an den Museen vorbeirauschen und diese mit ihren Angeboten nur noch ein elitäres Nischenpublikum erreichen – mit allen Folgen für ihre demokratische Legitimierung –, müssen neue Arbeits- und Vermittlungsformate kreiert und erprobt werden. Formate, die auf die Entgrenzung von Pop, U und E setzen, auf die Durchmischung von Nachdenklichem mit Unterhaltsamem, von Klassischem mit Modernem – ›Culture in between‹, die die unterschiedlichen Ausdrucks- und Darstellungsformen von Kunst und Kultur als prinzipiell gleichberechtigt anerkennt. Für solche ›Cross-culture‹- und andere Angebote gibt es im Museum nur eine Trennungslinie: die zwischen Kulturangeboten mit Sinn-, Qualitäts- und Vermittlungsanspruch auf der einen, solchen der ›Zerstreuungs-Kultur‹ und des inhaltsleeren Kulturkonsums auf der anderen Seite. ›Eventomania‹ als Bedrohung von Museumskultur? Wer erkannt hat, dass der ›Klassik-Purist‹ im Museum eher der Ausnahmefall ist, dass Museumskultur ihre Wirkungskraft und die Vielfalt ihrer Darbietungsmöglichkeiten nicht entfalten kann, wenn sie als Hochkultur für eine marginale bildungsbürgerliche Elite eng geführt wird, sollte eigentlich nicht in falsche ›Frontstellungen‹ geraten – beispielsweise gegenüber den angeblichen Auswüchsen einer perhorreszierten Eventkultur. Von manchen wird sie allenfalls als zeitgeistiger »Kontrapost« zur überhöhten »Bedeutung der Museen als Ort der Wissenschaft und Forschung« hingenommen.35 Das Honorarszenario, Kultur sei bei uns inzwischen durch ein »Übergewicht im EventBereich« gekennzeichnet36 und vielen Museen mittlerweile der »Zusammenhang zwischen Erlebnis- und Bildungsauftrag abhanden gekommen«, da sie »fester Bestandteil des Amüsierbetriebs« seien37, der »ihre Identität verwässere«38, ist Ausdruck eines Abwehrreflexes. Er richtet sich auf Entwicklungen 34 Steenblock, Kultur oder die Abenteuer der Vernunft im Zeitalter des Pop, a.a.O., S. 89. 35 So herausgestellt von Marie Claude Morand, Präsidentin von ICOM Schweiz auf dem Bodensee-Symposium 2006 in Schaffhausen der ICOM-Mitgliedsstaaten Deutschland, Österreich und Schweiz. Bericht in: ICOM-Deutschland – Mitteilungen 2007, S. 12. 36 Grosse-Brockhoff, Hans-Heinrich: Wer ein Fundament hat, kann sich in Frage stellen lassen (Interview), in: K. WEST, 9/2005, S. 6. 37 Puhle, Die Museen und ihr Stellenwert, a.a.O., S. 84. 38 Heinrichs, Die Positionierung der Museen, a.a.O., S. 7.

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und Erscheinungen im Museumsbereich, die als »McDonaldisierung« beschrieben worden sind (Stichworte: Effektivität, Berechenbarkeit, Vorhersehbarkeit, Kontrolle und postmoderner Konsum).39 Nur ein flüchtiger Blick auf die Eventszene macht indes deutlich, dass allein die Limitierung ihrer finanziellen Möglichkeiten es Museen verbietet, in Augenhöhe mit den kommerziellen Anbietern auf der ›Event-Welle‹ mit zu schwimmen. Von »eventomania« keine Spur.40 Möglicherweise forderte deshalb NRW-Kultur-Staatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff kürzlich: »Events können und müssen wir mehr und mehr mit privatem Geld von Sponsoren, Spendern, Bürgerinnen und Bürgern und anderen Geldgebern veranstalten.«41 Seit kurzem mischen sich unter die kulturpessimistischen Kassandrarufe ein wenig andere Töne, die auf eine neue Gelassenheit im Umgang mit dem Event-Phänomen hindeuten. Etliche Freizeit- und Trendforscher wähnen inzwischen den Erlebnismarkt an seine Wachstumsgrenzen gestoßen, die überschäumende ›Event-Welle‹ gebrochen.42 »Immer mehr Bürger, denen die Optionsvielfalt über den Kopf wächst und denen die egomane Selbstverwirklichung zweifelhaft erscheint«,43 wendeten sich »atemlos gelangweilt« von der »Spaßkultur und Erlebnisgesellschaft« ab und zunehmend »der Sinnfrage des Lebens zu«.44 Kurzum: Der Wandel von der »Spaß- zur Sinngesellschaft« könne die »Kulturlandschaft von morgen verändern«.45 Zurecht warnt 39 Kirchberg, Volker: Die McDonaldisierung deutscher Museen. Zur Diskussion einer Kultur- und Freizeitwelt in der Postmoderne, in: Tourismus Journal, H. 1/2000, S. 117-144; ders., Gesellschaftliche Funktionen von Museen, a.a.O., S. 49ff. 40 Klein, Hans-Joachim: Between Event and Internet – Why do people visit museums, why don’t they?, Vortrag auf dem VI. World forum for Motor museums, 26.09.-01.10. 1999 (Manuskript), S. 3. 41 Vgl. Kulturpolitik in Nordrhein-Westfalen, in: appassionato. Nachrichten aus dem Beethoven-Haus Bonn, 16/2006. 42 Vgl. Opaschowski, Wachstumsgrenzen des Erlebnismarktes, a.a.O.; Romeiß-Stracke, Felizitas: Was kommt nach der Spaßgesellschaft?, in: Sievers, Norbert: Publikum. Macht. Kultur: Kulturpolitik zwischen Angebots- und Nachfrageorientierung, Essen 2006, S. 125-132; Dies.: Abschied von der Spaßgesellschaft, München/Amberg 2003; Klein, Armin: Buridans Esel. Von der Erlebnisgesellschaft zur Nachhaltigkeit, in: Hessischer Museumsverband e.V. (Hg.): Abschied vom Event? (= Museumsverbandstexte, H. 11), Kassel 2006, S. 13. 43 Romeiß-Stracke, Was kommt nach der Spaßgesellschaft, a.a.O., S. 129. 44 Opaschowski, Wachstumsgrenzen des Erlebnismarktes, a.a.O., S. 2 (Hervorh. nicht übernommen). 45 Ebd., S. 12; vgl. auch Romeiß-Stracke, Was kommt nach der Spaßgesellschaft, a.a.O., S. 30.

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jedoch die Freizeitforscherin Felizitas Romeiß-Stracke die Kulturbetriebe davor, sich auf »die Wiederbelebung alter Kanons in der Sinngesellschaft [zu] freuen und nur ab[zu]warten, dass alles wieder so wird wie früher«. Die »Erlebnisgesellschaft, die dann zur Spaßgesellschaft überdrehte«, habe die »Wahrnehmungsstandards des Kulturpublikums dauerhaft verändert«.46 Events als etabliertes Kulturformat Und nicht nur das. Es besteht auch wenig Grund, die Eventorientierung unserer Gesellschaft als obsolet anzusehen. Funktion und Strukturmerkmale des Eventphänomens sind nicht erfasst, wenn man sich darauf beschränkt, es auf die griffige Formel der ›überdrehten Spaßgesellschaft‹ zu bringen, die sich in einem rasenden Unterhaltungskarussell erschöpft und leer läuft. Vielmehr ist das Eventformat Ausdruck für die Formierung einer hochprofessionellen, sehr effektiven ›Erfahrungs-Ökonomie‹ innerhalb der fortgeschrittenen Erlebnisgesellschaften. Mit professionell gestalteten Events werden positive Erlebnisse mit z.T. beachtlichem künstlerischem Niveau generiert (Erfolgsfaktoren: Einzigartigkeit, Episodenhaftigkeit, Gemeinschaftlichkeit und Beteiligung). Events sind ein »Wirtschaftsgut besonderer Art«.47 Da man zwar Güter und Dienstleistungen, nicht aber »Gefühle und Sinnerlebnisse« kaufen kann – die Nachfrager müssen sie »selbst erzeugen«48, können dies aber oft nur unzureichend –, leisten Events dazu gezielte und wirkungsvolle Unterstützung. Sie helfen Erlebnissuchenden, die subjektiven Eigenaktivitäten zu mobilisieren, die erforderlich sind, um Erlebnisse zu erzeugen. Events als »Stimulation von Erlebnisarbeit«49 haben sich nach Ansicht von Gerhard Schulze als bleibende »neu[e] Kulturform« etabliert, aus der Koppelung mit Produkten gelöst und sind inzwischen »selbst Produkte« geworden.50 »Event zieht – Inhalt bindet«? Events und Eventmarketing werden für eine nicht geringe Zahl von Museen ein festes Angebot-Format ihrer Zielgruppenarbeit bleiben. Nicht nur weil solche Angebote das Publikum dabei unterstützen, die unüberschaubaren 46 Ebd., S. 131. 47 Schulze, Gerhard: Die Zukunft der Erlebnisgesellschaft, in: Nickel, Oliver (Hg.): Eventmarketing. Grundlagen und Erfolgsbeispiele, 2. Aufl., München 2007, S. 313f. 48 Ders.: Die beste aller Welten. Wohin bewegt sich die Gesellschaft im 21. Jahrhundert?, München/Wien 2003, S. 59. 49 Schulze, Die Zukunft der Erlebnisgesellschaft, a.a.O., S. 312. 50 Ebd., S. 317.

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Kulturangebote zu strukturieren, und ihm helfen, eine (geeignete) Wahl zu treffen; nicht nur weil Events der »Ökonomie der Aufmerksamkeit« (Georg Franck) Rechnung tragen und mit dafür sorgen, ›politisch korrekte‹ Besuchszahlen zu generieren; sondern weil es dem Eventpublikum der Museen nachweislich um weit mehr geht als um’s bloße ›Dabeisein‹.51 Besucherstruktur-Analysen ›Langer Museumsnächte‹ und großer Ausstellungsereignisse belegen, dass Events wohl überwiegend kein geeignetes Instrument sind, um museumsferne Bevölkerungskreise in nennenswertem Maße zu Museumsbesuchen zu motivieren und ihr diesbezügliches Nutzerverhalten entscheidend zu beeinflussen. Zudem meiden Stammbesucher Ausstellungsevents tendenziell.52 »Event zieht – Inhalt bindet« ist zwar ein griffiger und einprägsamer Slogan.53 Doch Vorsicht scheint geboten, solange man sich bei der Wirkungsforschung eventorientierter Vermittlungsformen empirisch noch auf so dünnem Eis bewegt. Verknüpft man Events beispielsweise unmittelbar mit den Inhalten einer Ausstellung und konzipiert solche besonderen Museumsergebnisse mit »einem hohen Qualitätsanspruch und dem Bestreben nach Integrität« der Einrichtung, werden sie auch nicht als beliebiges Spektakel wahrgenommen. Dann kann es offenkundig – in noch näher zu untersuchender Weise – auch mit Events gelingen, Museen für kunstund kulturfernere Gruppen zu anregenden Erlebnisorten zu machen.54 Neue Muster der Erlebnisorientierung Um Nichtbesucher zu Besuchern, ein Gelegenheitspublikum zu Stammgästen zu machen, bedarf es erheblich größerer, nachhaltiger Anstrengungen, kreativer Konzepte und kluger Strategien.55 Beim Bemühen, ihre Kulturangebote 51 Vgl. Prehn, Andrea: Schlangestehen für die Kunst – einmal und nie wieder? Über Besucher in Event-Ausstellungen und langen Museumsnächten, in: Hessischer Museumsverband (Hg.): Abschied vom Event?, S. 48. 52 Vgl. Prehn, Schlangestehen für die Kunst, a.a.O., S. 43ff.; auch Hagedorn-Saupe, Monika/Kleinke, Henry/Meinecke, Annett/Thänert, Sabine: Lange Nacht der Museen – eine empirische Untersuchung in Berlin (= Materialien aus dem Institut für Museumskunde, H. 56), Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Berlin 2003. 53 Commandeur, Beatrix/Dennert, Dorothee (Hg.): Event zieht – Inhalt bindet. Besucherorientierung von Museen auf neuen Wegen, Bielefeld 2004. 54 Köhler, Thomas: Events als Instrument der Kulturvermittlung. Das Kunstmuseum Wolfsburg, in: Mandel, Kulturvermittlung, a.a.O., S. 196. 55 Günter, Bernd/John, Hartmut (Hg.): Besucher zu Stammgästen machen! Neue und kreative Wege zur Besucherbindung, Bielefeld 2000; Klein, Armin: Besucherbindung im Kulturbetrieb. Ein Handbuch, Wiesbaden 2003.

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für mehr Menschen anschlussfähig zu machen, dürfen Museen durchaus auf etwas Rückenwind von den ›Strömungen des Zeitgeistes‹ hoffen. Die zeitdiagnostische Metapher vom rasenden, immer schneller rotierenden Stillstand charakterisiert die Entwicklung der Erlebnisgesellschaft nur unzureichend. Bereits erheblich entfernt von der »kollektiven Aufbruchstimmung« und Euphorie der 1970er Jahre, sind die Muster der neuen Erlebnisphilosophie durch eine »Kombination von Selbstverständlichkeit und Distanziertheit bis zur Ermüdung« charakterisiert. Eine »mehrschichtige Dialektik« reflektiert das »herrschende Paradigma der Erlebnisgesellschaft durch Negation«, ohne es zu zerstören. Dabei sind »Ironie, Eigenständigkeit und Zweigleisigkeit« die an Prägnanz zunehmenden Muster. Auch entdeckten viele Menschen, so Gerhard Schulze, nach einer Phase der »rauschhaften Selbstbezüglichkeit« wieder das »Glück der Selbstvergessenheit im Tätigsein und Selbermachen« und erlernten ein wachsendes »Repertoir[e] von Formen im Umgang mit sich selbst«.56 Das »Auskosten gegebener Möglichkeiten« gewinne an Boden gegenüber der »Möglichkeitserweiterung«, »seinsgerichtete Handlungsmuster« koexistierten zunehmend mit »könnengesteuerten«.57 Schneller als in anderen Handlungsfeldern der Gesellschaft werde bei den Medien die »Steigerungslogik« ihrer Ausdrucksmittel zu ihrer »Selbstaufhebung« führen. »Da die Sinnesressource der Steigerung von Ausdrucksmitteln immer knapper wird, muss sich der Selektionsmechanismus der Marktorientierung immer stärker auf den Inhalt verlagern. Zwangsläufig konkurrieren die Anbieter nun nicht mehr durch gegenseitiges Übertrumpfen auf Steigerungspfaden wie Reizintensivierung, Vereinfachung und Zeitverkürzung, sie konkurrieren durch Erfindung, Argument und Information.«58 ›System-Chip‹ Angebotsorientierung Dessen ungeachtet sind die Museen noch mehrheitlich einem wachstumsund angebotsorientierten Denken verhaftet. Dies beruht auf der Erwartung, dass »der Setzung des Angebotes das Interesse und die Nachfrage schon folgen werden«.59 Die sogenannte »Neue Kulturpolitik« der 1970er Jahre mit ihrem empha56 Schulze, Gerhard: Was wird aus der Erlebnisgesellschaft?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 12/2000, S. 4f., www.bpb.de/publikationen/L0749F,0,0,Was_wird_ aus_der_Erlebnisgesellschaft.html (zuletzt besucht am 30.10.2007); vgl. auch ders., Die Zukunft der Erlebnisgesellschaft, a.a.O., S. 319f. 57 Ders., Die beste aller Welten, a.a.O., S. 258ff. 58 Ders., Kulissen des Glücks. Streifzüge durch die Eventkultur, Frankfurt a.M./New York 1999, S. 65f. (Hervorh. nicht übernommen) 59 Sievers, Publikum im Fokus, a.a.O., S. 51.

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tisch propagierten, politisch weithin akzeptierten Postulat einer »Kultur für alle« (Hilmar Hoffmann) hat dem Kulturbereich quasi einen neuen ›SystemChip‹ implementiert, ein Programm, das seitdem – allen konjunkturellen und politischen Wechsellagen zum Trotz – für eine beispiellose Ausweitung und Diversifizierung kultureller Angebote und Programme gesorgt hat. Immer mehr, immer neue ›Kultur‹ zu produzieren, steht seitdem im Mittelpunkt der Anstrengungen. Mehr mit der Kulturproduktion als mit dem Zielpublikum beschäftigt, gehen Museen von der Annahme aus, dass die Besucher schon ins Haus kommen werden, ohne dass es dafür eines besonderen Aufwands bedürfe. Nicht so sehr die Frage, welche Kultur die Adressaten eigentlich wünschen, bewegt in vielen Museen die Gemüter, sondern eher die Überlegung, »wie man die Leute von ihren angeblich falschen Bedürfnissen abbringt« und welche Angebote für Bürger die »richtige Kultur« sind. Das Ergebnis waren vielfach »hervorragend und überzeugend begründete Angebote, über deren Nutzung durch die Bürger man sich aber nur wenig Rechenschaft ablegte«.60 Kulturelle Angebotspolitik führt in die Legitimationskrise Der Slogan »Kultur für alle« enthielt zwar den Anspruch, eine möglichst große Mehrheit der Bevölkerung aktiv in kulturelle Prozesse einzubeziehen. Aber schon 1979 hatte Hilmar Hoffmann, profilierter Vordenker und Protagonist der »Neuen Kulturpolitik«, kritisch angemerkt, die Forderung sei »in Wahrheit nichts anderes als eine Angebotspalette nur für einzelne Gruppen und Teile der Bevölkerung«.61 Und tatsächlich wurde das Ziel, deutlich mehr Menschen eine kulturelle Teilhabe zu ermöglichen, nicht erreicht. »Der enge Zusammenhang zwischen einem konsistenten Bürgertum und ›ihren‹ Kultureinrichtungen wird zur Ausnahme (wie der Zusammenhang zwischen Arbeitern und Arbeiterkultur).«62 Habituelle Kulturnutzung ist nach wie vor Praxis einer gesellschaftlichen Minderheit besser Gebildeter und Verdienender. So kommt es, dass weiterhin ein vergleichsweise »kleiner Kreis von Vielnutzern oder intensiven Erlebnisfragern immer mehr Kulturangebote auf öffentliche Kosten in Anspruch nimmt«.63 Ein bildungsbürgerliches ›Nischen-Milieu‹ lässt sich seine kulturellen Vorlieben, Gewohnheiten und Distinktionsinteressen von der großen 60 Heinrichs, Werner: Kulturpolitik und Kulturfinanzierung. Strategien und Modelle für eine politische Neuorientierung der Kulturfinanzierung, München 1997, S. 32. 61 Hoffmann, Hilmar: Kultur für alle. Perspektiven und Modelle, Frankfurt a.M. 1979, S. 11. 62 Voesgen, Mit Kalkül und Leidenschaft, a.a.O., S. 36. 63 Sievers, Publikum im Fokus, a.a.O., S. 51.

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Mehrheit potenzieller Kulturnutzer mitfinanzieren, denen entsprechende Zugänge zu Kunst und Kultur nicht eröffnet werden. Sozio-kulturelle Ungleichheit wird auf diese Weise zementiert. Wenn die PISA-Studien ein wichtiges Ergebnis hatten, dann den schwer zu widerlegenden Nachweis, wie stark bei uns die soziale Herkunft und Teilhabe an (kultureller) Bildung mit schulischem – und damit auch beruflichem – Erfolg korrelieren. Weiterhin kulturelle Angebotspolitik für eine kleine Minderheit zu machen – »Hülle ohne Fülle«64 – führt unweigerlich in ein Legitimationsdilemma, das Museumskultur nachhaltig schwächt und à la longue gefährdet. Paradigmenwechsel Nachfrageorientierung Natürlich ist das demokratisch-aufklärerische Postulat breiter kultureller Partizipation kein Auslaufmodell. Obsolet sind die bisherigen Konzepte, Instrumente und Strategien ihrer Um- und Durchsetzung. Soll der Kreis derjenigen deutlich vergrößert werden, die »Kultur verstehen, nachvollziehen und selbst ›machen‹, also Kultur wahrnehmen«65, ist ein Paradigmenwechsel unumgänglich: der Wechsel von der Angebots- zur konsequenten Nachfrageorientierung. Dabei richten sich Aufmerksamkeit und Interesse (zunächst) nicht auf Produkte und Programme, sondern auf die Adressaten. »Wir dürfen nicht hinter dem Schalter sitzen bleiben und warten, dass die Leute kommen, wir müssen raus gehen und uns ein neues Publikum suchen«, bringt der ChefDirigent der Berliner Philharmoniker, Simon Rattle, sein durch die britische Kulturpolitik mit geprägtes Verständnis der Beziehungen zum Publikum auf den Punkt.66 Nachfrageorientierte Museumsarbeit nimmt das Publikum ernst – weit ernster als bisher – und dies nicht nur, weil die Macht des Publikums größer ist als je zuvor. Sie erlaubt sich nicht mehr, Besucher als ›kulturelle Mängelwesen‹ zu betrachten, die von Kuratoren und Pädagogen befähigt werden müssen, Kunst und Kultur so zu erfahren und zu verstehen wie die Experten. Sie sieht in ihnen vielmehr kritische Kunden, denen man ›auf Augenhöhe‹ entgegentritt, für die und mit denen man Programmangebote entwickelt, von deren ›Nutzwert‹ sie überzeugt sind. Auch weniger kulturaffine Zielgruppen für Kunst und Kultur zu interessieren, sie zu ermutigen und nachhaltig dabei zu unterstützen, am kulturellen Leben aktiv teilzunehmen und kulturelle Praxis in lebensweltliche Bezüge zu integrieren, muss ein

64 Sievers, Norbert: Hülle ohne Fülle. Eine Diskussionsveranstaltung der Kulturpolitischen Gesellschaft, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 101, II/2003, S. 4f. 65 Scheytt, Oliver: Kultur für alle und von allen – ein Erfolgs- oder Auslaufmodell?, in: Mandel, Kulturvermittlung, a.a.O., S. 26. 66 DIE ZEIT, 22.08.2002.

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Gradmesser für erfolgreiche Museumsarbeit werden. Eingebunden in geschickte Öffentlichkeitsarbeit kann Museen so neue Legitimation zuwachsen. Integrale Ansätze und Instrumente für nachfragegenerierende Vermittlungsformen Nachfrageorientierte Vermittlungsarbeit durch Museen mit dem Anspruch, einen spezifischen und qualifizierten Beitrag zur kulturellen Bildung zu leisten, bedarf erheblich »mehr als gute[r] Vermarktung und Pressearbeit«67. Sie basiert vielmehr auf integralen Kommunikationskonzepten. Diese verbinden Erkenntnisse, Methoden und Instrumente v.a. der Besucher- und Kommunikationsforschung, der psychologischen Lernforschung, der Ausstellungsevaluation und des Kulturmarketings. In die Museumspraxis haben solche Konzepte jedoch noch viel zu wenig Eingang gefunden.68 Eine »durchgreifende und nachhaltige Internalisierung der Aufgaben der Kommunikation mit Adressaten« ist in der Museumspraxis immer noch »überfällig«, wie der renommierte Besucherforscher Hans-Joachim Klein noch jüngst anmahnte.69 Auffällig ist, dass bei uns museumsbezogene Vermittlungs- und Bildungsarbeit noch ganz überwiegend als Museumspädagogik verstanden und organisiert wird. Entsprechend stehen Kinder und Jugendliche – vornehmlich im schulischen Kontext – im Fokus personaler Vermittlung; Museen fungieren als außerschulische Lernorte.70 Als Einrichtungen professioneller Erwachsenenbildung und ›Agenturen‹ lebensbegleitenden Lernens haben sie sich in Deutschland bislang kaum zu profilieren vermocht. Und das, obwohl Wissen und (kulturelle) Bildung unter dem Vorzeichen wirtschaftlicher und medialer Globalisierung und des beschleunigten Strukturwandels zur Wissensgesellschaft gerade bei uns unverzichtbarer Rohstoff aller Wertschöpfungsketten sind; obwohl kulturelle Kompetenz eine Schlüsselkompetenz für die ›Kunst des Lebens‹ ist. Im Gegensatz zu vielen europäischen Ländern, v.a. Großbritannien, fehlen hierzulande nicht nur effektive, niederschwellige »Audience

67 Schnell, Uta: »Lücken schließen« – oder Bedingungen und Kriterien professioneller Kulturvermittlung, in: Mandel, Kulturvermittlung, a.a.O., S. 119. 68 Reussner, Eva M.: Wissensvermittlung im Museum – ein überholtes Konzept?, in: KM Magazin – Das Monatsmagazin von Kulturmanagement Network, Nr. 5, März 2007 (ISSN 1863-9666), S. 23; vgl. auch Klein, Hans-Joachim: Entsachlichung der Museen? Zum Standort und zur Zukunft der Museen, in: Mitteilungsblatt Museumsverband für Niedersachsen und Bremen e.V., Nr. 67/2006, S. 14f. 69 Vgl. ebd. 70 Vgl. ebd.

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Development-Programme«.71 Es fehlen auch weithin die seit langem aus vielen EU-Staaten bekannten Museumsprojekte und -programme zur beruflichen Förderung und Bildung, zur (Re-)Integration und Rehabilitation und Therapieunterstützung für ganz unterschiedliche Erwachsenenzielgruppen: Lehrlinge, Arbeitslose und Frühpensionierte, Ausländer und Frauen, Strafgefangene, Alte und Kranke.72 Kulturelles Lernen von der Publikumsseite her betrachtet Auch sozialen Milieus, die Kunst und Kultur eher fern stehen, Zugänge zu ihren Qualitäten, Potenzialen und Werten zu eröffnen, bedeutet, sich zunächst intensiv mit dem spezifischen Vorwissen, den Erlebnis- und Erfahrungsräumen und individuellen Interessen der Adressaten zu befassen. Wenn Erwachsene neue kulturelle Codes und Repertoires im Museum lernen sollen, geht es weniger darum, Lernangebote für passive Rezeptionsprozesse zu entwickeln, als ›Lerngelegenheiten‹ für ganz andere Formen der Aneignung zu offerieren. Lernprozesse von der Publikumsseite her zu betrachten, heißt für Museen, endgültig Abschied zu nehmen vom Paradigma des organisierten, angeleiteten und begriffsgebundenen Lernens in den ›klassischen‹ Bildungseinrichtungen. Für die Rückgewinnung eines ganzheitlichen »Lernens mit Kopf, Herz und Hand« (Pestalozzi), für die Verbindung kognitiver Lernansätze mit Formen selbstgesteuerten, emotionalen und handlungsorientierten Lernens – in ihrer Effektivität von der modernen Hirn-, Intelligenz- und Lernforschung vielfach bestätigt –, sind Museen wie wenige Kultureinrichtungen prädestiniert. Denn der offene und anregende Kommunikationsort Museum bietet durch die Ansprache aller Sinne und die Förderung des konkreten und 71 Zu den Audience Development-Programmen vgl. Harrach, Viola von: AudienceDevelopment in England, in: Mandel, Kulturvermittlung, a.a.O., S. 65-72; Mandel, Birgit: Audience Development-Programme in Großbritannien – Ein Modell zur Förderung kultureller Teilhabe in Deutschland?, in: Jahrbuch für Kulturpolitik, 5/2005, S. 77-85. Zu den Programmen, Konzepten und Aktivitäten anderer Staaten: vgl. auch Mandel, Kulturvermittlung, a.a.O., S. 73ff. Im Juni 2007 wurde am Institut für Kultur- und Medienmanagement der FU Berlin das Zentrum für Audience Development (ZAD) gegründet. Als transdisziplinäre, anwendungsorientierte Einrichtung beschäftigt es sich mit den konzeptionellen und organisatorischen Voraussetzungen für die Gewinnung, Bindung und Entwicklung von Kulturpublika. Vgl. www.zad.ikm.fu-berlin.de. 72 Vgl. Thinesse-Demel, Jutta (Hg.): Erwachsenenbildung und Museum, Frankfurt a.M. 1999; Dies. (Hg.): Education as a Tool for Museums, Budapest 2001; John, Hartmut/ Thinesse-Demel, Jutta (Hg.): Lernort Museum – neu verortet! Ressourcen für soziale Integration und individuelle Entwicklung, Bielefeld 2004.

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bildlich-symbolischen Denkens ein anerkanntermaßen wirkungsvolles Lernumfeld73 – eine besonders gute Lernumgebung, die »Erkenntnis und Ergötzung, geistige[n] Gewinn und sinnliche[n] Spaß, docere et delectare« miteinander verknüpft.74 Lernen in Erlebniswelten Viel profitieren können Museen dabei von den Erkenntnissen und ermutigenden Erfahrungen des »Lernens in Erlebniswelten« – in Science-Centers, Zoos, Themen- und Freizeitparks, Bandlands u.a. – die vielfach neue, erlebnisorientierte Angebote für ein lebensbegleitendes Lernen aller Generationen und zwischen den Kulturen bieten.75 Kompetenzvorsprung und Wettbewerbsvorteil dieser ›erlebniszentrierten Lernorte‹ liegen nicht zuletzt in der ihnen eigenen Fähigkeit, Aufmerksamkeit und Interesse eines breiten Publikums zu wecken – »Voraussetzung und Anregung für längerfristige interessengesteuerte Lernprozesse zum Erwerb von Kompetenz«.76 In der Informations- und Wissensgesellschaft werden – wie von Georg Franck brillant analysiert – nicht mehr Waren gegen Geld, sondern Aufmerksamkeit gegen Information getauscht. »In der Kultur zählt, wie in der Ökonomie, das Ergebnis. Der höchste Anspruch nützt nichts, wenn die Rezeption ihn nicht aufnimmt.«77 Entscheidend sind nicht die guten Absichten der Kulturvermittler, sondern die Wirkungen, die sie erzielen.

73 Vgl. Anm. 72. 74 Schedler, Roy: Kulturvermittlung ist Aufmerksamkeitsmanagement, in: Mandel, Kulturvermittlung, a.a.O., S. 124 (Hervorh. nicht übernommen). 75 Pine, Joseph B./Gilmore, James H.: The Experience Economy, Boston 1999. Nahrstedt, Wolfgang u.a. (Hg.): Lernort Erlebniswelt. Neue Formen informeller Bildung in der Wissensgesellschaft (IFKA-Schriftenreihe, Bd. 20), Bielefeld 2002; Ders.: Erlebniswelten als Lernorte, in: Nahrstedt, Wolfgang u.a. (Hg.): Lernen in Erlebniswelten. Perspektiven für Politik, Management und Wissenschaft (IFKA-Dokumentation, Bd. 22), Bielefeld 2002; Freericks, Renate u.a. (Hg.): Nachhaltiges Lernen in Erlebniswelten? (IFKA-Dokumentation, Bd. 23), Bielefeld 2005; Dies. u.a. (Hg.): Projekt Aquilo. Aktivierung und Qualifizierung erlebnisorientierter Lernorte Qualifizierung erlebnisorientierter Lernorte (IFKA-Schriftenreihe, Bd. 21), Bielefeld 2005. 76 Nahrstedt, Wolfgang: Interesse wecken – Kompetenz entwickeln: Lernen in Erlebniswelten in: Commandeur/Dennert, Event zieht, a.a.O., S. 29. 77 Francke, Georg: Ökonomie der Aufmerksamkeit, München/Wien 1998, S. 160.

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Plädoyer für professionelles Aufmerksamkeitsmanagement Die Kunst besteht dabei nicht nur darin, punktuelle Aufmerksamkeit – »awareness«, den Zustand wacher Aufmerksamkeit – für ein Museumsangebot zu erzeugen. Sollen wirkungsvolle Lernprozesse initiiert werden, muss das Bewusstsein des Besuchers den Modus einer anhaltenden aktiven Wahrnehmung, gespannten Aufmerksamkeit und gerichteten Interesses – im Sinne von »attention« – erreichen.78 Wenn Museen Kulturvermittlung effektiver und effizienter betreiben wollen, müssen sie sich daher die Kompetenzen für ein professionelles »Aufmerksamkeitsmanagement« aneignen.79 Mit welchen Methoden und Instrumenten man im Ausstellungskontext »attracting power« oder »holding power« bei Besuchern erzielt, hat die amerikanische Besucherund Evaluationsforschung seit den 1960er Jahren systematisch untersucht.80 Hierzulande wurde das Tor dazu in den 1980er Jahren aufgestoßen. Da das Publikum Ausstellungen ganz überwiegend besucht, »um sich unterhalten zu lassen«, muss es auch »auf dieser Ebene angesprochen« werden. Dies hat der Begründer der empirisch fundierten Besucherforschung, der Amerikaner Chandler D. Screven, deutschen Museumsexperten schon vor mehr als 25 Jahren ins Stammbuch geschrieben. Die Besucher dazu zu bringen, »sich den wesentlichen Inhalten von Ausstellungen zuzuwenden«, sei – so das Ergebnis seiner langjährigen Forschungsarbeit – »ebenso wichtig wie die Inhalte selbst«. Folglich müsse die Ausstellung Besuchern vor allem »Spaß« machen. »Welche Art von Lernen auch immer abläuft, es muss auf irgendeine Art vergnüglich und selbst motivierend sein; andernfalls lässt der Betrachter die Ausstellung links liegen.«81 Solche Aussagen lassen sich – praeter propter – auf alle Veranstaltungen im Museum beziehen. Gute, fesselnde Unterhaltung, verstanden als »aktive Form spielerischer, zweckfreier Rezeption von 78 Zu dieser Unterscheidung und den zwei Seiten der Aufmerksamkeit vgl. ebd., S. 28ff., zit. S. 28. 79 Schedler, Kulturvermittlung, a.a.O., S. 124. 80 Shettel, Harris H.: Aktueller Stand der Besucherforschung, in: Museums-Fragen, S. 11-24; Loomis, Ross J.: Museen und Besucherforschung, ebd., S. 26-37. 81 Screven, Chandler D.: Lernen und Motivation von Besuchern in Ausstellungen: Folgerungen für die Planung, in: Graf, Bernhard/Knerr, Günter (Hg.): Museumsausstellungen. Planen. Design. Evaluation, München/Berlin 1985, S. 14 (Hervorheb. nicht übernommen); zum Kontext auch John, Hartmut: Spielen wir noch in der Champions-League? Oder: Plädoyer für professionelle Ausstellungsplanung im Museum, in: Schwarz, Ulrich/Teufel, Philipp (Hg.): Handbuch Museographie und Ausstellungsgestaltung, Ludwigsburg 2001, S. 38-59; Kirchhoff, Heike/Schmidt, Martin (Hg.): Das magische Dreieck. Museumsausstellung als Zusammenspiel von Kuratoren, Museumspädagogen und Gestaltern, Bielefeld 2007.

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(auch massenmedialen) Inhalten, die dem Vergnügen und der individuellen Rekreation« dienen82, gehört zu den wichtigsten Schlüsseln des Besuchererfolgs. Netzwerk kulturelle Bildung Als ›erlebniszentrierte Lernorte‹ dem Publikum Kultur in einer Form darzubieten, die hohe Qualität mit großem Unterhaltungswert verbindet, ist eine Profession, die erst wenige Museen bei uns beherrschen. Zwar müssen sie die dem Kulturort Museum angemessenen Vermittlungs- und Bildungsformen selbst entwickeln und erproben. Effektiv und nachhaltig wird Museumsarbeit an dieser Stelle aber erst, wenn sich die Museen stärker als bisher als Teil des gesellschaftlichen Bildungssystems sehen. Wenn sie sich mit den Bildungseinrichtungen – vor allem auch denen der Erwachsenenbildung – stärker vernetzen und dies öffentlich auch deutlich herausstellen.83 Schon Ende der 1980er Jahre hat die Arbeitsgruppe für empirische Bildungsforschung Heidelberg diese Forderung – Ergebnis einer Untersuchung zum Thema »Bildung im Museum« – als »unabdingbare Voraussetzung« für die Erfüllung der künftigen Anforderungen an die Vermittlungsarbeit herausgestellt.84 Wenn Museen sich deutlich erkennbarer als Akteure auf dem Feld der Bildungspolitik positionieren, stärken sie gleichzeitig ihre politische Legitimation. Denn Bildung ist ohne Zweifel staatliche (Pflicht-)Aufgabe. Daher gibt es für die mit kultureller Bildung zusammenhängenden Aufgaben deutlich stärkere Anknüpfungspunkte in den kulturellen Grundrechten und Erziehungszielen als etwa für die künstlerische oder kunstpädagogische Praxis. Natürlich darf sich professionelle Kulturvermittlung durch Museen nicht nur auf die aktuell für relevant erachteten Zielgruppensegmente kaprizieren. Auf der ›Höhe der Zeit‹ ist und bleibt sie in diesem Bereich nur, wenn die Arbeit mit dem Publikum vorausschauend, perspektivisch-strategisch ausgerichtet ist. Wenn damit auch der Anspruch verfolgt wird, die sich wandelnden Unterhaltungsmuster und Freizeitpraktiken insbesondere der tonangebenden gesellschaftlichen Milieus zu erkennen, zu analysieren und in neue Konzepte und Strategien der Gewinnung, Bindung und Entwicklung von Besuchern einzubringen.

82 Schedler, Kulturvermittlung, a.a.O., S. 126. 83 Vgl. z.B. Reussner, Wissensvermittlung, a.a.O., S. 21; Slotta, Museen als Orte der Bildung, a.a.O., S. 23; und Anm. 84. 84 Nuissl, Ekkehard/Paatsch, Ulrich/Schulze, Christa (Hg.): Bildung im Museum. Zum Bildungsauftrag von Museen und Kunstvereinen, Heidelberg 1988, S. 231.

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Wer besetzt die geräumte bildungsbürgerliche Mitte? Sicher muss man den elaborierten Milieu- und Lebensstildesigns der Marktund Sozialforscher – von ›modernen Performern‹ und ›Konsum-Materialisten‹ bis zu ›Hedonisten‹ und ›Experimentalisten‹ – nicht in jedem Detail der Analyse sozialer Großgruppen folgen. Auch kann man der Validität dieser soziologischen Erklärungsmodelle kritisch gegenüberstehen. Dennoch sollten die Museen genau beobachten, was in der alten (bildungs-)bürgerlichen Mitte der Gesellschaft passiert. Offenkundig haben neue, einflussreiche und virulente Milieugruppen inzwischen ›Leerstellen‹ in der bürgerlichen Mitte besetzt – so beispielsweise die sogenannte ›kreative Klasse‹. Mit dieser Wortschöpfung versuchen der britische Soziologe Charles Landry und der amerikanische Urbanistiker Richard Florida Vertreter recht heterogener Berufsfelder in vornehmlich großstädtischen Milieus begrifflich zu fassen85 – von Modeschöpfern und Software-Entwicklern über Werbefachleute und Filmschaffende bis hin zu Schauspielern, Wissenschaftlern und Journalisten. Die begriffliche Verbindung von ›kreativ‹ und ›Klasse‹ mag soziologisch fragwürdig sein, weil die verbindende ökonomische und politische Interessenlage fehlt; verbindendes Merkmal der Sozialgruppen, die den kreativen Milieus zuzurechnen sind, ist jedoch, dass sie ›Kreativ-Arbeiter‹ und Innovatoren innerhalb kultureller Wertschöpfungsketten sind. Sie produzieren den ›Stoff‹, aus dem die Bilder, Erlebnisse, Träume und Sinnkonstrukte der Gesellschaft generiert werden. Die »Balance zwischen Chaos und Ordnung«86, das Changieren zwischen Bürgerlichkeit und Nonkonformismus, die Suche nach Abwechslung, Spannung und Anregung aus verschiedenen kreativen Sparten und die Ambivalenz aus Individualismus, Hedonismus und protestantischer Arbeitsethik machen die ›kreative Klasse‹ als Zielgruppe für Museen mit großstädtischem Umfeld interessant und vice versa. Gail Dexter Lord kann man daher in ihrer Einschätzung nur zustimmen: »As ›cultural accelerators‹, forums for debate, places for the display and creation of new ideas – museums can be hubs for the creative economy.«87 Auch an der ökonomischen Bedeutung der kreativen Milieus gibt es längst keinen Zweifel mehr. Rund ein Drittel aller Arbeitskräfte in den Ökonomien der fortgeschrittenen Industriestaaten sind schon heute in den ›creative industries‹ beschäftigt. In den USA tragen sie bereits knapp zur Hälfte

85 Landry, Charles: The creative city: A tool kid for urban innovators, London 2006; Florida, Richard L.: The flight of the creative class. The new global competition for talent, New York 2007. 86 Vgl. Interview mit Charles Landry in: Der Spiegel, 34/2007, S. 102. 87 Vgl. den Beitrag von Gail Lord in diesem Band, S. 67-71; zit. S. 70.

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aller Löhne und Gehälter bei.88 Hierzulande sind über 200.000 Unternehmen, die dreimal schneller als die Gesamtwirtschaft wachsen, mit 36 Milliarden Euro an der Bruttowertschöpfung beteiligt. Dies entsprach 2004 einem Anteil von 1,6 Prozent am Bruttoinlandsprodukt, womit die Kulturwirtschaft noch vor der Energiewirtschaft (Anteil 1,5 Prozent) und der Landwirtschaft (Anteil 1,1 Prozent) rangiert.89 Wirkungsmächtiger Trend ›Feminisierung‹ Wenn Museen nicht zum »isolierte[n] Kunstbiotop« verkümmern, sondern sich in ein »soziales Netz« eingebunden sehen wollen, in dem sie zur »Entwicklung sozialer, kreativer kultureller Kompetenzen« beitragen90, müssen sie den sozialen und kulturellen ›Unterströmungen‹ und ›Megatrends‹ der Gesellschaft hohe Aufmerksamkeit schenken. Und natürlich müssen sie ihre Konzepte und Strategien daran ausrichten. Zu den wirkungsmächtigen Trends, die für Museen von erheblicher Bedeutung sind, gehört sicher die ›Feminisierung‹ weiter Bereiche der Gesellschaft – des Konsums, der Mode, der Lebensentwürfe und Lebensstilformen. Treiber dieser Entwicklung ist nicht nur die deutlich höhere Lebenserwartung von Frauen.91 Katalysatorisch wirkt vor allem auch der Faktor Bildung. Hier befinden sich Mädchen und junge Frauen seit einer Reihe von Jahren überall auf der ›Überholspur‹: Als Haupt-, Real-, Oberschülerinnen und Studierende sind sie »flexibler, fleißiger, erfolgreicher als Jungen und jungen Männer«. Und sie sind »durchsetzungswilliger und leistungsstärker als ihre Mütter und Großmütter«.92 Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt denn auch zu dem Ergebnis, junge Frauen hätten »die Bildungsdefizite gegenüber den Männern in den letzten Jahrzehnten nicht nur verringert, sondern die Männer in weiten Bereichen der allgemeinen wie beruflichen Bildung bereits überholt«.93 Besser als viele Jungen haben offenkundig die ›AlphaMädchen‹ begriffen, wie unsere Gesellschaft ›funktioniert‹; sie haben er88 Vgl. Was Städte sexy macht, in: Der Spiegel, 34/2007, S. 100. 89 Sondermann, Michael: Kulturwirtschaft, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 116, I/2007, S. 64ff. 90 So die Forderung von Klaus Zehelein, Intendant der Stuttgarter Oper, in einem Interview mit Bezug auf die Theater, in: Deutsche Bühne, 7/2003, S. 25. 91 Vgl. Die Dominanz der alten Frauen. Zukunftsforum in Köln – Experten sprechen von Feminisierung des Konsums, in: Kölner Stadt-Anzeiger, Nr. 140, 20.07.2007; vgl. auch: Mein Kopf gehört mir, in: Der Spiegel, 24/2007, S. 56-71. 92 So Klaus Hurrelmann, Jugendforscher und Shell-Studien-Autor, zit.n.: Der Spiegel, 24/2007, S. 57. 93 Ebd., S. 58.

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kannt, dass die globalisierte Ökonomie auf gut ausgebildete, motivierte, ehrgeizige Arbeitnehmerinnen dringend angewiesen ist; dass Leistungsbereitschaft und Aufstiegswille Voraussetzungen – wenngleich nicht hinlängliche Bedingungen – für Karriere und persönliche Unabhängigkeit sind. Die schon heute in einigen Sparten mehr Besucherinnen als Besucher zählenden Museen94 müssen sich deutlich sensibler und qualifizierter auf ein wachsendes, gut ausgebildetes und kulturell aufgeschlossenes (potenzielles) weibliches Publikum einstellen. Sie müssen ihre Ausstellungs- und sonstigen Angebote so gestalten, dass sie auch für diese anspruchsvolle Klientel attraktiv sind und ihren besonderen Vorlieben und Interessen entsprechen. Geschlechtsstereotype Prägung – keine unüberwindliche Barriere für den Museumsbesuch Nicht nur bei musealen Vermittlungsinhalten aus »typische[n] Männerwelten wie Militär-, Technik- oder Industriegeschichte« dominiert immer noch der ›männliche Blick‹ und männliches Erkenntnisinteresse. Dies gilt auch für die Darbietung vieler Themen in kulturgeschichtlichen Museen.95 Empirisch ist schon seit längerem belegt, wie wenig ausgeprägt die Sympathie- und Interessenwerte von Mädchen und Frauen in Bezug auf naturwissenschaftlichtechnisch zentrierte Ausstellungs- und Museumsthemen sind.96 Aus Untersuchungen zur Genese genderspezifischer Sozialisationsprozesse ist auch 94 Noch Ende der 1980er Jahre waren männliche Besucher über dreißig »im Museumspublikum aller Museumsarten überrepräsentiert« – Ausnahme: Kunstmuseen mit paritätischen Geschlechterproportionen. (Vgl. Klein, Hans-Joachim: Der gläserne Besucher. Publikumsstrukturen einer Museumslandschaft, Berlin 1990, 152f.) Neuere Einzelanalysen deuten darauf hin, dass sich dieses Bild längst gewandelt hat. Vgl. z.B. Ders./Bock, Julia/Trinca, Monika: Aus Sicht der Besucher: Die Kunsthalle Würth, Künzelsau 2002, 19 (w = 53 %, m = 47 %); Ders.: Gemischtes Doppel. Evaluation Staatliche Kunsthalle und Badisches Landesmuseum (int. Ergebnisbericht), 2002, 25 (w = 51 % bzw. 54 %, m = 49 % bzw. 46 %); Wegner, Nora: Der große Spagat – Besucher in der Schausammlung des Landesmuseums Württemberg und in der »Großen Landesausstellung Das Königreich Württemberg 1806 - 1918 Monarchie und Moderne« (int. Ergebnisbericht), 2007, 8 (w = 55 %, m = 45 %) 95 Vgl. Klein, Hans-Joachim: Museale Darstellung von Industriegeschichte – Zugänge und Barrieren in genderspezifischer Perspektive, in: Museen im Rheinland, 2/2007, S. 11-19, hier: S. 11; Ders./Kunstmann, Kathrin: Kultur- und industriegeschichtliche Darstellungsinhalte in Museen des Landschaftsverbandes Rheinland – Zugänge und Barriere in genderspezifischer Perspektive, Pulheim/Karlsruhe 2005 (ungedrucktes Manuskript). 96 Klein, Museale Darstellung, a.a.O., S. 14.

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bekannt, wie früh und nachhaltig Familie und Schule gesellschaftlich tradierte Rolleninhalte, Erwartungen und Stereotype des ›sozialen Geschlechts‹ prägen, verstärken und auch generativ weitergeben.97 Diese starke und tief verwurzelte geschlechtsstereotype Prägung muss allerdings keine unüberwindliche Barriere für den Ausstellungs- und Museumsbesuch darstellen. Wie eine breit angelegte Besucherinnen-Analyse mit genderspezifischem Frageinteresse jüngst gezeigt hat, behaupten zwar weniger als ein Drittel der befragten Besucherinnen, in technischen Dingen gut Bescheid zu wissen; dennoch nimmt jede zweite für sich in Anspruch, Interesse für technische Zusammenhänge aufzubringen.98 An dieses Interesse können Museen – auch dies zeigt die Studie – gezielt und mit Erfolg anknüpfen. Und zwar dadurch, dass sie bei ›typischen Männerthemen‹ den Fokus der musealen Darstellung weniger auf das technische Objekt mit seinen konstruktiv-funktionalen Details und ingenieurwissenschaftlichen Problemlösungen richten, sondern sich »bevorzugt kontextuellen Zusammenhängen von Technik, Mensch und Umwelt zuwenden«.99 »Kultur für Alte, statt Kultur für alle« »Kultur für Alte, statt Kultur für alle« – auf diese griffige Formel brachte Thomas E. Schmidt in der ›ZEIT‹ den Paradigmenwechsel bei der kulturellen Nutzerorientierung.100 Nach langer ›Inkubationszeit‹ werden die Folgen des demografischen Wandels inzwischen breit diskutiert, wenn auch z.T. emotional aufgeladen und ideologiebefrachtet: für die sozialen Sicherungssysteme, die Infrastruktur, die Arbeits- und Kapitalmärkte und das »Humanvermögen« der Volkswirtschaft.101 Denn einige der seit der Mitte der 1970er Jahre präzise 97 Ebd., S. 11. 98 Ebd., S. 18. 99 Ebd., S. 11. 100 Vgl. DIE ZEIT, 31, 03.08.2005. 101 Vgl. statt vieler Kaufmann, Franz-Xaver: Der demographische Wandel in Deutschland und seine Folgen, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 116 I/2007, S. 34-41; zu Begriff und konkreten Schätzungen des »Humanvermögens« vgl. S. 38; siehe auch ders.: Schrumpfende Gesellschaft – Vom Bevölkerungsrückgang und seinen Folgen, Frankfurt a.M. 2005, S. 77ff.; Esche, Andreas/Große Starmann, Carsten/ Schmidt, Kerstin (Hg.): Wegweiser Demographischer Wandel 2020. Analysen und Handlungskonzepte für Städte und Gemeinden, Gütersloh 2006. Der Band zeigt die Folgen des demographischen Wandels für Städte und Gemeinden mit über 5000 Einwohnern auf. Basis dafür sind eine kleinräumige Bevölkerungsprognose bis 2020 sowie sozioökonomische Indikatoren, mit deren Hilfe 15 Demographietypen entwickelt sowie konkrete Handlungsansätze und -empfehlungen für die Gestal-

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vorhergesagten Auswirkungen dieses Wandels sind inzwischen Realität und gelten als unumkehrbar. Dem gegenüber scheinen die Implikationen des Themas ›Demografie‹ für den Kulturbereich bei den dort Agierenden noch nicht so richtig angekommen.102 Auf wichtige und interessante Fragen fehlen dabei noch weithin die Antworten: Wie werden sich Freizeit- und kulturelles Nutzerverhalten und die Lebensstile älterer Menschen unter den demografischen Vorzeichen verändern? Welche Formen der kulturellen Teilhabe bevorzugen diese Zielgruppen? Wie müssen dementsprechend Art, Umfang und Rahmenbedingungen der kulturellen Angebote und Programme beschaffen sein, um die Erwartungen und Wünsche der Adressaten zu erfüllen? Die mit diesem säkularen Wandlungsprozess zusammenhängenden Fragen sind noch längst nicht in allen Details erforscht. »Über die Jugendlichen von heute wissen wir fast alles, über die Neuen Senioren von morgen fast nichts«, resümiert denn auch Michael Pries vom BAT Freizeit-Forschungsinstitut in Hamburg.103 Die ›Jungen Alten‹ – ein dynamisches Element in Kultur und Gesellschaft Deutlich zeichnet sich jedoch ab, dass schon in den kommenden beiden Jahrzehnten die Bevölkerungsgruppe der Über-60-Jährigen sehr deutlich zunehmen wird – um 20 Prozent im Westen und 30 Prozent im Osten, bei entsprechend signifikanter ›Unterjüngung‹ der Gesellschaft.104 Diese sogenannten ›Jungen Alten‹ gehören einer Generation an, der es so gut geht wie keiner zuvor – materiell, sozial und gesundheitlich. Nicht zuletzt dank des medizinischen Fortschritts können die vielfach »noch Erwerbsfähigen aber nicht mehr Erwerbstätigen«105 das ›Dritte Lebensalter‹ – im Durchschnitt noch gut zwei tung der Prozesse in wichtigen Politikfeldern erarbeitet wurden. Vgl. auch: www. aktion2050.de/wegweiser. 102 Vgl. dazu jetzt Hippe, Wolfgang/Sievers, Norbert: Kultur und Alter – Kulturangebote im demographischen Wandel, Essen 2006; vgl. auch: Kultur und Alter. Eine Tagungsdokumentation. Hg. von NRW Kultursekretariat, Essen 2007; Themenheft Kultur und Alter, Kulturpolitische Mitteilungen, I/2007. 103 Pries, Michael: Leben zwischen Muss und Muse. Trends und Entwicklungen in der älter werdenden Gesellschaft, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 116 I/2007, S. 45. 104 Zahlenmaterial und weitere Hinweise bei Kocks, Martina: Infrastrukturentwicklung im Zeichen der Schrumpfung. Neuordnungen und Dienstleistungen, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 117 II/2007, S. 31ff. 105 Pries, Leben zwischen Muss und Muse, a.a.O., S. 45.

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Jahrzehnte – in guter Verfassung genießen.106 Erstaunlich aktiv, mobil, breit interessiert und formal gebildeter als frühere Generationen107, entsprechen sie den überkommenen Bildern vom Alter kaum mehr; diese sind eher vom Verfall der Kräfte, zunehmender Immobilität, nachlassenden Aktivitäten geprägt, sind mit zunehmender ›Weltabgewandtheit‹ und abnehmender Lernbereitschaft assoziiert. Auch wenn man die sehr unterschiedlichen ›sozialen Lagen‹ – einschließlich des Themas Altersarmut – der Generation der Über-60-Jährigen nicht aus dem Blick verlieren darf, gilt: Insgesamt sind die Lebensverhältnisse dieser Altersgruppe heute von vergleichsweise hoher Qualität und individueller Zufriedenheit bestimmt. Der Anteil des verfügbaren Einkommens, der für Konsum ausgegeben wird, ist in Deutschland in keiner Altersgruppe so hoch wie bei den 65- bis 75-Jährigen.108 Vor dem Hintergrund wachsender Altersarmut und der ungelösten Strukturprobleme in den Systemen der sozialen Altersversicherung darf man allerdings bezweifeln, ob die heutigen Budget-Spielräume der sogenannten »Goldene[n] Generation«109 für Konsum, Freizeit und Kultur auch morgen noch vorhanden sein werden. Fraglich auch, ob sich – als Folge der Bildungsexpansion seit den 1970er Jahren – der Anteil der Kulturinteressierten auf »breiter Ebene« erhöhen wird und der Kulturbereich deshalb insgesamt einer »expansiven Zukunft« entgegen gehen wird, wie einige Freizeitforscher prognostizieren.110 Denn was zunächst plausibel erscheint, erweist sich bei näherem Hinsehen als problematisch. Die unterstellte Korrelation zwischen der Qualität der Bildungsabschlüsse und kultureller Nutzung, zwischen dem Anstieg formaler Bildungsniveaus und einem korrespondierenden Anwachsen des kulturellen Interesses, ist so direkt nicht herzustellen.111 Sich entfalten, statt sich liften lassen! Dennoch: Die Voraussetzungen und Aussichten, dass Museen für breitere Kreise der Gesellschaft zu Orten persönlicher Selbstverwirklichung und der Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben jenseits der Arbeit 106 Vgl. Kaufmann, Der demographische Wandel, a.a.O., S. 40f. 107 Pries, Leben zwischen Muss und Muse, a.a.O., S. 42ff. 108 Ebd.; vgl. auch: Die Alten geben gerne Geld aus, in: Kölner Stadt-Anzeiger, Nr. 164, 18.07.2007. 109 Nolte, Paul: Riskante Moderne. Die Deutschen und der neue Kapitalismus, München 2006, S. 105. 110 Pries, Leben zwischen Muss und Muse, a.a.O., S. 44. 111 Vgl. dazu Ehling, Manfred: Zeit für Freizeit und kulturelle Aktivitäten. Ergebnisse aus Zeitbudgeterhebungen, in: Jahrbuch für Kulturpolitik, 5/2005, S. 87-96.

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werden, scheinen nicht schlecht. Die kulturellen Aktivitäten der Projektwerkstatt für innovative Seniorenarbeit im Evangelischen Erwachsenenbildungswerk Nordrhein oder Projekte wie »mehrkultur55plus« – Teil der breit angelegten Landesinitiative Seniorenwirtschaft NRW – machen sehr deutlich, dass ältere Menschen nach neuen – vor allem auch kulturellen – Erfahrungen und Ausdrucksmöglichkeiten suchen. Auf Selbständigkeit, Selbstorganisation und Eigenverantwortung besonderen Wert legend, wollen sie auch Produzenten, Anbieter oder Mittler von Kunst und Kultur sein. Kurzum: Sie ziehen es vor, sich zu »entfalten, statt liften« zu lassen.112 Dass sich viele hoch motivierte ältere Menschen als belebende Elemente in der Kultur- und Museumsszene schon einbringen (oder noch einbringen möchten), weil für sie Kunst und Kultur ganz offensichtlich wichtige Ausdrucksmittel sind, um die Phase des verlängerten Lebens bewusst zu nutzen und zu gestalten, haben Museen insgesamt noch viel zu wenig erkannt. Ältere Menschen werden noch kaum als Museumszielgruppe begriffen mit besonderen Interessen und Bedürfnissen, Erwartungen und Wünschen an die kulturelle Nutzung. Und wo die Adressaten inzwischen im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, wird zu wenig in kreative Konzepte und Strategien, Vermittlungsangebote und -programme investiert, um dieses Zielgruppensegment aktiver, interessierter und engagierter Kulturnutzer an das Haus zu binden – nicht selten aus der Befürchtung und Sorge, mit einer Neuausrichtung des Programms die Jüngeren zu verlieren, in einen Zielkonflikt zwischen Spezialisierung und Diversifizierung der Angebotspalette zu geraten oder aus Unsicherheit im Umgang mit einem älteren Publikum. Und letztlich mögen etliche Museen auch erkannt und begriffen haben: Anspruchsvolle ältere Menschen und insbesondere auch engagierte Freiwillige erfolgreich an ihre Einrichtungen zu binden und in diese zu integrieren, bedeutet häufig, sich neue Kompetenzen anzueignen, neue Arbeitsstrukturen zu entwickeln und zusätzliche Ressourcen sicherzustellen.113 112 Vgl. Knopp, Reinhold/Nell, Karin (Hg.): Keywork. Neue Wege in der Kultur- und Bildungsarbeit mit Älteren, Bielefeld 2007, bes. S. 77ff.; Sieben, Gerda: Entfalten statt Liften. Erfahrungen aus dem Projekt »mehrkultur55plus«, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 177 II/2007, S. 58-63. 113 Vgl. dazu z.B. Neysters, Silvia: Partizipation und Vernetzung. Botschafterinnen und Botschafter für das museum kunst palast, in: Knopp/Nell, Keywork, a.a.O., S. 149-155; Sautter, Sabine: An der Schnittstelle von Sozialem und Kultur. Bürgerschaftliches Engagement in der zweiten Lebenshälfte, ebd., S. 53-73; Heinze, Rolf G./Strünck, Christoph: Die Verzinsung des sozialen Kapitals. Freiwilliges Engagement im Strukturwandel, in: Beck, Ulrich (Hg.): Die Zukunft von Arbeit und Demokratie, Frankfurt a.M. 2000, S. 171-216; Keupp, Heiner/Kraus, Wolfgang/Straus, Florian: Civics matters: Motive, Hemmnisse und Fördermöglichkeiten bürger-

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Dem gegenüber hat die Wirtschaft – nicht zuletzt auch die Kulturwirtschaft – schon seit geraumer Zeit begriffen, dass der Seniorenmarkt ein Wachstumsmarkt ist, hat altersgerechte Dienstleistungen und Güter – z.B. für den Buch- und Hörbuchmarkt – entwickelt und bewirbt ihn mit intelligentem Marketing. Museen müssen die ›Kommunikationskarte‹ öfter und gezielter spielen Für Museen ist noch eine weitere – bereits heute sichtbare – Folge des demografischen Wandels von Bedeutung, die ungeteilte Aufmerksamkeit verdient: die Veränderungen der Haushalts- und Familienstrukturen. Das ›Verschwinden der Enkel‹ und der ›Mangel an Verwandten‹ wird vermutlich den Bedeutungsrückgang familiärer Strukturen noch forcieren – und damit den Auflösungsprozess traditioneller, vergleichsweise kohärenter Gruppen und die Individualisierung der Gesellschaft. Zukunftsforscher glauben, dass das Modell der Kleinfamilie 2050 »vom Schwarm, der aus dem selbst gewählten Freundeskreis besteht, endgültig abgelöst sein wird«.114 Dass immer mehr Menschen neue soziale Netzwerke suchen, erproben und entwickeln, ist für die Museen eine große, auch perspektivische Entwicklungschance. Museen sind offene, anregende und belebende Orte der Kommunikation und der Interaktion. Gemeinsames Sehen, Hören und Sich-Austauschen, zusammen Agieren und Gestalten – die Aussicht auf ein gemeinsames Kulturerlebnis – übt nachweislich erhebliche Anziehungskraft auf viele Besucher aus und ist ein starkes Motiv für den Museumsbesuch.115 Die ›Kommunikations-Karte‹ noch gezielter und öfter zu spielen, ist für die Museen daher ein Gebot der Klugheit. Barrierefreie Gestaltung von Museen ›rechnet‹ sich Der Weg in die älter und kleiner werdende Gesellschaft ist ein selektiver Prozess. Er erzeugt und verstärkt die Polarisierung zwischen Gewinnern und Verlierern, Privilegierten und Benachteiligten. Weniger umworben, bevorzugt schaftlichen Engagements, ebd., S. 217-268; vgl. auch Netzwerk Freiwillige Mitarbeit im Museum. Kontakt: info@net fmm.de, [email protected]; Website: www.netf mm.de. Vertrieb des netfmm-Newsletter: [email protected] (zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses noch nicht freigeschaltet). 114 Wir werden Deutschland, in: kulturSPIEGEL, 7/2006, S. 10. 115 Vgl. Klein, Hans-Joachim: Kunstpublikum und Kunstrezeption, in: Gerhards, Jürgen, (Hg.): Soziologie der Kunst. Produzenten, Vermittler und Rezipienten, Opladen 1997, S. 352; Ders.: Der gläserne Besucher,S. 231ff.

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und bedient als die Gruppe der Aktiven, Mobilen und Gutsituierten zwischen 55 und 75, wird in der Gesellschaft eine wachsende Zahl sozial und kulturell unterprivilegierter alter Menschen. Dürftige Haushaltseinkommen, fehlende Mobilität, gesundheitliche Einschränkungen und/oder motorische, kognitive oder sozial-emotionale Handicaps erlauben ihnen nicht oder kaum mehr, aktiv am kulturellen Leben teilzunehmen. Museen zu einem offenen, barrierefreien Kulturort zu entwickeln, an dem sich keine dieser unterschiedlichen Zielgruppen gravierend benachteiligt fühlt, ist eine immense Aufgabe. Sie ist eine erhebliche Herausforderung – inhaltlich-konzeptionell, strukturell, organisatorisch und finanziell.116 Anstrengungen und Aufwand, diesen Adressatenkreis für die Museumskultur zu begeistern und zu gewinnen, sind jedoch überaus lohnend. Behinderte erachten den barrierefreien Zugang und die ungehinderte Teilhabe an kulturellen Angeboten und Leistungen nicht nur persönlich als wichtig; sie sehen ihn auch als Indikator für die Integration in die Gesellschaft überhaupt an. Aufmerksamkeit, Interesse und Energie, die Museen in diesem Zusammenhang investieren, ›zahlen‹ sich doppelt aus. Denn sie kommen »nicht ›nur‹ Menschen mit körperlichen und/oder geistigen Handicaps zugute, auch die wachsende Zahl älterer Besucher profitiert davon wesentlich«.117 Kulturelle Perspektiven für Museumsarbeit in schrumpfenden Städten und Regionen erhalten Problematische Begleiterscheinungen und Folgen für die Kultur zeitigen Alterung, Schrumpfung und ›Unterjüngung‹ der Gesellschaft schon heute auch in anderer Hinsicht. Schmerzhafte Einschränkungen, Rück- und Abbau, Verschlechterung bisheriger Standards u.a. im wirtschaftlichen und infrastrukturellen Umfeld der Museen bedürfen aufmerksamer Beobachtung und Analyse. In peripheren ländlichen Räumen, strukturschwachen altindustriellen Regionen, aber auch in fast der Hälfte aller Städte und Gemeinden führt der demografische Wandel bereits zu rückläufigen Einwohnerzahlen118 – und damit auch zu einem Rückgang des potenziellen und tatsächlichen Museums-

116 Vgl. dazu jetzt Föhl, Patrick S./Erdrich, Stefanie/John, Hartmut/Maaß, Karin (Hg.): Das barrierefreie Museum. Theorie und Praxis einer besseren Zugänglichkeit. Ein Handbuch, Bielefeld 2007. 117 Ebd., S. 9. 118 Vgl. dazu Kocks, Infrastrukturentwicklung, a.a.O., S. 31ff.; Göschel, Albrecht: Schrumpfung, demographischer Wandel und Kulturpolitik. Tendenzen und Herausforderungen, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 117 II/2007, S. 35ff.

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publikums. Weite Teile Ostdeutschlands fungieren hier schon heute als Anschauungs- und Experimentierfeld für mögliche großflächige Entwicklungen von morgen. Wo heute bereits Kindergärten und Schulen geschlossen werden und Schulklassen als Museumsbesucher ausfallen, wo städtische Museen in einem entvölkerten Umland ihr regionales Publikum verlieren, mithin kulturelle Infrastruktur immer weniger in Anspruch genommen werden kann, bröckelt nicht nur die politische Legitimation für Museumskultur; es drohen irgendwann auch Schließungen. Museen in schrumpfenden, strukturell problembeladenen Städten und Regionen müssen sich daher verstärkt und intensiv mit Anpassungs- und Rückbaustrategien für ihre Einrichtungen beschäftigen. Nur so können der Museumsarbeit kulturelle Handlungsoptionen, operative und perspektivische Spielräume erhalten werden.119 Die Hypothek »nachholender Integrationspolitik« In Deutschland, wie anderswo in Europa, wird die Bevölkerung aber nicht nur älter und weniger – sie wird auch deutlich ›bunter‹, d.h. kulturell und ethnisch vielfältiger, auch internationaler. Wirtschaftliche und massenmediale Globalisierung, transnationale Mobilität und Migration haben zu einer weiten Ausdifferenzierung unserer Gesellschaft nach ethnischer Herkunft, religiöser Orientierung und kultureller Fundamentierung geführt. In den größeren städtischen Zentren, zumal des Westens, ist die multiethnische Gesellschaft längst empirische Realität. Selbst in mittleren Großstädten wie Nürnberg hat heute ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung seine kulturellen Wurzeln außerhalb Deutschlands;120 in der »multikulturellen Extremlage« Frankfurts121, mit einer Stadtbevölkerung aus 185 Herkunftsnationalitäten und 70

119 Allg. Hinweise dazu bei Kocks, Infrastrukturentwicklung, a.a.O., S. 33f; vgl. dazu auch: Schulze, Doris, Was haben Kultur und Alter miteinander zu tun?, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 117 II/2007, S. 51-53; Patzer, Doris: Ländliche Kulturentwicklungs(planung) und demografischer Wandel, ebd., S. 48-50. 120 Siehe Brehm, Thomas: Zwischen Stadt und Nation. Museumspädagogische Angebote des KPZ für Besucher mit Migrationshintergrund (unveröffentlichtes Manuskript), S. 1 (= Vortrag auf der Fachtagung des AsKI e.V., Das Museum als Integrationsort – Best-Practice-Projekte in Kultureinrichtungen, Frankfurt a.M., 15.07.2007); kostenpflichtiger Download unter www.aski.org/fachtagung07/brehm.pdf. 121 Steen, Jürgen: Heimat und Migration. Der multikulturelle Wandel und der Gegenwartsbezug des Museums, in: Die Heimat als Welt – Die Welt als Heimat. Hg. von der Fachgruppe Stadt- und Heimatgeschichtliche Museen im DMB, Frankfurt 2001, S. 49.

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Religionsgemeinschaften, ist dieser Anteil noch deutlich höher:122 »Globalization, it seems, is happening right in our own neighbourhoods.«123 Als ›Ethno-Nation‹ lässt sich Deutschland schon längst nicht mehr begreifen. Nach Jahrzehnten der »defensive[n] Erkenntnisverweigerung«124 ist nun die Realität kulturell-ethnischer Vielfalt gesellschaftspolitisch breit akzeptiert: Unser Land ist ein Einwanderungsland, wir leben in einer Einwanderungsgesellschaft. Allerdings bleiben kollektives Bewusstsein und Mentalitätsstrukturen noch weithin hinter diesen historischen und sozialen Grundtatsachen zurück. Für eine politische und gesellschaftliche Verständigung darüber, wie partizipatives Zusammenleben in einem multiethnischen und -kulturellen Gemeinwesen gestaltet werden muss, gibt es nun erste Ansätze und Grundlagen – durch den »Nationalen Integrationsplan« der Bundesregierung vom Sommer 2007. Mag ein breiter Konsens über die Notwendigkeit allgemein geteilter Grundwerte und -normen in einer durch soziale und kulturelle Disparitäten weithin geprägten Gesellschaft bestehen; die aufgestauten Versäumnisse der Vergangenheit, die Hypothek »nachholender Integrationspolitik«125 und die vielfach noch verschärfte Integrationsproblematik führen nach wie vor zu gesellschaftlichen Verhärtungen und ideologischen Frontstellungen. Die alten Gegensätze zwischen Kapital und Arbeit werden in der »neuen Klassengesellschaft« eines globalisierten Kapitalismus durch »die Spannungslinien von Migration und Ethnizität« überlagert.126 Kulturkonflikt als gesteigerter 122 Steen, Jürgen: Migration und Lebenswelt oder: Das Museum der Zukunft in erweiterter Sicht, in: Hampe, Henrike (Hg.): Migration und Museum. Neue Ansätze in der Museumspraxis, Münster 2005, S. 31. 123 Müller, Klaus: The Culture of Globalization. Can museums offer a new vision of globalized society?, in: Museum News, May/June 2003, Vol. 82, Nr. 3, American Association of Museums; veröffentlicht auch unter www.kmlink.net (zuletzt besucht am 08.11.2007). 124 Bade, Klaus J.: Die Trias der Integrationspolitik: Präventive, begleitende und nachholende Integration, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 112 I/2006, S. 30. Zum Gesamtkontext: Ders. (Hg.): Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart, München 1992; Treibel, Annette: Migration in modernen Gesellschaften. Soziale Folgen von Einwanderung, Gastarbeit und Flucht, Weinheim/München 1999; Herbst, Ulrich: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland: Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge, München 2001; Clifford, James: Routes. Travel and translation in the late twentieth century, Cambridge/Mass., London 1997. 125 Bade, Die Trias der Integrationspolitik, a.a.O., S. 33. 126 Nolte, Riskante Moderne, a.a.O., S. 96, 103.

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Klassenkonflikt? Auffallend eng sind jedenfalls die »Grenzen des sozialen Aufstiegs, der Partizipation an Bildung, der ökonomischen ebenso wie kulturellen Integration in die Mehrheitsgesellschaft«.127 Diffuse, unausgegorene Vorstellungen, polarisierende Positionen und politisierte, ideologisch aufgeladene Kontroversen um Leit- oder Multikultur, Bedrohung oder Bereicherung durch eine Einwanderungsgesellschaft, machen überdeutlich: Der Weg in die kulturell plurale »Zweite Moderne« (Ulrich Beck) ist steinig und langwierig. Integration ist und bleibt die zentrale Herausforderung, vor der unsere Gesellschaft steht. Sie lässt sich nur als gesellschaftlich übergreifendes Projekt und damit als ›Querschnittsaufgabe‹ bewältigen, an der alle gesellschaftlichen Akteure und Politikfelder mitarbeiten müssen. Kultureller Bildungsarbeit, zu der die Museen einen besonders qualifizierten Beitrag leisten können, kommt dabei nachweislich zentrale Bedeutung zu: »Museums, more than any other institution, have the potential to create real and lasting understanding between cultures. Museums at their best have the special ability to make us feel – where ever we come from – culturally ›at home‹.«128 Museen – insgesamt noch ›migrationsferne‹ Einrichtungen Bislang zählen die Museen allerdings bei uns noch eher zu den ›migrationsfernen‹ Einrichtungen. Interkulturelle Kulturarbeit und Programme für ethnische Minderheiten gehören ganz überwiegend nicht zum »Angebotskern der Museen«.129 Überhaupt steckt interkulturelle Bildung hierzulande noch in den Anfängen. Es bedarf noch ganz erheblicher konzeptioneller, inhaltlicher und methodischer Überlegungen und praktischer Erprobungen, bis Museen mit ihren Vermittlungsinhalten und -formaten für die Zielgruppe der Migranten interessant und attraktiv werden.130 Natürlich haben die Museen seit Ende der 1970er Jahre auf das Migrations-Phänomen reagiert. Vor allem die Museumspädagogik hat im Rahmen 127 Ebd., S. 98. 128 Müller, Culture of Globalization, a.a.O. 129 Walz, Markus, »… dem niemals fiel das Wandern ein«. Die Conditio humana Migration als konzeptionelle Problematik im Geschichtsmuseum, in: Informationen des Sächsischen Museumsbundes e.V., 29/2004, S. 53. 130 Vgl. dazu die Ergebnisse der breit angelegten Studie des Instituts für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft aus dem Jahr 2004 zu Stand, Aufgaben und Perspektiven der interkulturellen Bildungsarbeit in deutschen Städten und Gemeinden, Tutucu, Emine/Kröger, Franz: Brachland, Baustelle und Bausteine. Interkulturelle Kulturarbeit aus der Sicht kommunaler Kultur- und Jugendämter, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 112 I/2006, S. 39ff.

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ihrer Vermittlungsanstrengungen früh Programme für Migranten aufgelegt; die Liste der Ausstellungsprojekte ist durchaus lang.131 Aber solche temporären Angebote richteten sich vielfach eher an Zielgruppen der Mehrheitsgesellschaft und erst 2004 wurde – soweit erkennbar – in einem deutschen Museum eine Immigrationsabteilung eröffnet.132 Als »grundlegende Kategorie der Museumsarbeit«, die ihren Ausdruck nicht zuletzt in weitreichenden Konzepten interkultureller Vermittlungs- und Bildungsarbeit findet, ist Migration im Museumskontext bislang nicht ausgewiesen und ohne Bedeutung.133 Die vieljährigen Diskussionen und intensiven Bestrebungen zur Gründung eines Migrationsmuseums auf nationaler Ebene sind zwar ein weiteres Indiz dafür, dass die Museen in der Realität der Einwanderungsgesellschaft angekommen sind. Gleichzeitig ist die ›Insellösung‹ – das Modell des Migrationsmuseums als neue eigenständige Museumsgattung134 – aber auch Reflex auf signifikante inhaltliche und programmatische Defizite der Heimat-, Stadt- und Regionalmuseen auf diesem Felde. Auch dass der Fachdiskurs auf entsprechenden Tagungen noch immer durch Best-Practice-Projekte angeregt und vorangetrieben werden muss, ist Ausdruck dafür, dass interkulturelle Vermittlung und Bildung in den Museen noch eher Ausnahme denn Regel sind.135

131 Vgl. Steen, Migration und Lebenswelt, a.a.O., S. 32; Korff, Gottfried, Fragen zur Migrationsmusealisierung. Versuch einer Einleitung, in: Hampe, Migration und Museum, a.a.O., S. 11; Goebel, Susanne/Lixfeld, Gisela: Bleibende Ergebnisse des Modellversuchs »Begegnung mit dem Fremden« 1994-1996, in: Museen als Foren zur Vermittlung fremder Kulturen. Hg. von der Landesstelle für Museumsbetreuung Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit dem Museumsverband BadenWürttemberg e.V., Stuttgart 2004, S. 64-70. 132 »Von Fremden zu Frankfurtern – Zuwanderung und Zusammenleben«. Historisches Museum Frankfurt a.M., vgl. Walz, »… dem niemals fiel das Wandern ein«, a.a.O., S. 59, Anm. 13. 133 Vgl. Steen, Migration und Lebenswelt, a.a.O., S. 32; Ders., Heimat und Migration, a.a.O., S. 51. 134 Zum Projekt vgl. Ohlinger, Rainer: Die Bundesrepublik braucht ein Migrationsmuseum – braucht die Bundesrepublik ein Migrationsmuseum? Anmerkungen, Fragen und Thesen, (unveröffentlichtes Manuskript); für den Experten-Workshop Kulturpolitische Strategien in der Einwanderungsgesellschaft – Zur Konzeption eines Migrationsmuseums in Deutschland, Köln, 15.10.2004; zur Genese vgl. Jamin, Mathilde: Deutschland braucht ein Migrationsmuseum. Erfahrungen und Schlussfolgerungen aus einem Ausstellungsprojekt, in: Hampe, Migration und Museum, a.a.O., S. 43-50; aktueller Überblick über Stand und Diskussion vgl. http:// www.domit.de. 135 Vgl. zuletzt AsKI-Tagung »Das Museum als Integrationsort«, (wie Anm. 120).

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Orts- und Stadtmuseen – für Migranten rätselhaft – verschlossen und befremdlich Ist die Mehrzahl der Kunstmuseen noch immer einseitig auf den »Kanon der Klassischen Moderne und Postmoderne europäisch-nordamerikanischer Provenienz« ausgerichtet136, so verstehen sich historische und kulturgeschichtliche Museen noch weithin als repräsentative Orte der kulturellen Selbstsicht und des kulturellen Selbstbildes, der eigenen Geschichte, der historischen Überlieferung und des Gedächtnisses der Mehrheitsgesellschaft. Sie dienen »eher der ausschließlichen Selbstbehauptung und Priorität der eigenen Kultur«.137 Implizit lassen sie sich mehr von einem Kulturbegriff leiten, der Kultur eher mit Isolation und Exklusion als mit Inklusion und Integration verbindet; einem Kulturverständnis, das nicht Zusammenleben und wechselseitige Entfaltung, sondern Eigenleben betont, das mit Kultur eher Homogenität als Diversität, eher Beharrung als Wandel assoziiert.138 Erst in einer »Überschneidungssituation von Eigenkultur und Fremdkultur entsteht das Interkulturelle, das über die Addition der Merkmale beider Kulturen hinaus geht«.139 Migranten dürften unsere orts- und regionalgeschichtlichen Museen ganz überwiegend als fremd – vielleicht auch befremdlich –, rätselhaft-verschlossen, ›exotisch-deutsch‹ empfinden – als ethnologische Museen. So verwundert es nicht, dass schon heute die Unter-25-Jährigen mit Migrationshintergrund – bereits 2010 etwa 50 Prozent der Jahrgangsgruppe – in den öffentlichen Kultureinrichtungen kaum statistisch nachweisbar sind.140

136 Wagner, Bernd: Kulturpolitik in einer multi-ethnischen und multi-kulturellen Gesellschaft, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 112 I/2006, S. 38. 137 Weibel, Peter: Interkulturalität im Medienzeitalter, in: Museen als Foren, S. 35; vgl. dazu ausführlich auch: Kramer, Dieter: Alte Schätze und neue Weltsichten. Museen als Orientierungshilfe in der Globalisierung, Frankfurt a.M. 2005, S. 160ff. 138 Vgl. Thum, Bernd: Das völkerkundliche Museum in der Dynamik der Kulturen, in: Museen als Foren zur Vermittlung fremder Kulturen. Hg. von der Landesstelle für Museumsbetreuung Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit dem Museumsverband Baden-Württemberg e.V., Stuttgart 2004, S. 14f. 139 Weibel, Interkulturalität im Medienzeitalter, a.a.O., S. 37. 140 »Kultur und Alter – Ein kulturpolitisches Thema?«, eine Gesprächsrunde, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 116 I/2007, S. 50 (Norbert Sievers).

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Paradigmenwechsel von der historischen Identitätsstiftung zur kulturellen »Fremdheitsvermittlung« Migration und Migrationsgeschichte gehen »nicht nur die Zugewanderten und deren Nachfahren etwas an, sie sind Teil der Geschichte von uns allen«.141 Migration und Integration, unauflöslich in Realität und Wandel unserer urbanen Lebenswelt verwoben, müssen daher vor allem für die Stadt-, kulturgeschichtlichen und ethnologischen Museen zum zentralen Leitthema und einer perspektivischen Leitlinie ihrer Arbeit werden – in den Strategien des Sammelns, in Dokumentation, Präsentation und Vermittlung. Nehmen sie diese – zugegebenermaßen gewaltige – Herausforderung nicht an, droht ihnen, wie Jürgen Steen zugespitzt angemerkt hat, die fragwürdige Zukunft eines »Ethnokultur- oder lokalen Nationalmuseums«.142 Vor dem Hintergrund kultureller Heterogenität in den Städten, sozialer und räumlicher Segregation, der fortschreitenden Residualisierung von Milieus und der Marginalisierung sozialer Gruppen143, sind Interkulturalität, Multikulturalität und Transkulturalität heute und in langer zeitlicher Perspektive tragende Determinanten für die Arbeit städtischer Museen. Gerade die Sparte der stadt- und ortsgeschichtlichen Einrichtungen kann sehr konkret, anschaulich und eindringlich die Triebkräfte, Begleiterscheinungen und Folgen einer ›glokalisierten‹ Gesellschaft (Roland Robertson) darstellen – einer Gesellschaft in ständiger Transformation, im Spannungsfeld und in Wechselwirkung zwischen Universalisierung und Partikularisierung. Diese Museen können die gesellschaftliche Grunderfahrung von Alterität und Fremdheit, »Kulturen im Plural«, ständige Fremdheits-, Kontakt- und Kontrasterfahrung144 zum starken lebensweltlichen Anknüpfungspunkt ihrer interkulturellen Vermittlung und Bildung machen. Mit einem Paradigmenwechsel von der historischen Identitätsstiftung zur kulturellen »Fremdheitsvermittlung« (Sloterdijk) könnten stadt- und ortsgeschichtliche Museen sich zur ›Leitgattung‹ der kulturgeschichtlichen Museen profilieren.

141 Matter, Max, Migrationsgeschichte(n) im Museum, in: Museen als Foren, S. 63. 142 Steen, Heimat und Migration, a.a.O., S. 51. 143 Siehe Häußermann, Hartmut/Oswald, Ingrid: Zuwanderung und Stadtentwicklung, Wiesbaden 2002; Häußermann, Hartmut/Siebel, Walter/Kronauer, Martin (Hg.): An den Rändern der Städte. Armut und Ausgrenzung, Frankfurt a.M. 2004; Häußermann, Hartmut: Die soziale Stadt. Chancen für die Bewältigung des gesellschaftlichen Wandels, in: EuropaKulturStadt, eine Beilage des Deutschen Kulturrats und der Kulturstiftung des Bundes in politik und kultur, Januar/Februar 2005, V. 144 Korff, Fragen zur Migrationsmusealisierung, a.a.O., S. 13.

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Interkulturelle Neuinterpretation der musealen Objektwelten Schon vor vielen Jahren hat Peter Sloterdijk vorgeschlagen, Museen müssten sich am Konzept der »inneren Ethnologie« orientieren.145 Denn Erfahrungen von Alterität und Fremdheit bestimmen nicht nur das Verhältnis von Mehrheits- und Migrantenkultur. Vielmehr geht es auch um das Fremde, das aus ›unserer Mitte‹ selbst kommt, d.h. um die Entfremdung, Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit, die für die Menschen der Moderne schlechthin konstitutiv erscheinen. Nicht nur dem ›Eigenen im Fremden‹ nachzuspüren, sondern auch dem ›Fremden im Eigenen‹, dem ›Fremden in uns selbst‹, führt zum Perspektivwechsel der Museumsarbeit. Zur Neuinterpretation »scheinbar längst abgehandelter und transparenter Objektwelten« und der »›monokulturellen Tiefenstruktur‹ des Museums«.146 Dabei lässt sich beispielsweise zeigen: Historisch-genetisch wie strukturell waren für Entstehung wie Entwicklung der europäischen Stadt von Anbeginn an die starke kulturelle Vermischung, Ausdifferenzierung und Heterogenität ihrer Gesellschaften prägend. Vielfalt, Lebendigkeit und Reichtum des kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens der mittelalterlichen Stadt waren Ergebnis intensiver Austauschbeziehungen und der Amalgamierung unterschiedlicher kultureller, ethnischer und religiöser Einflüsse, Kräfte und Potenziale. Konstitutiv für den Phänotyp der europäischen Stadt war die Bündelung verschiedener kultureller Fähigkeiten, Kompetenzen und Begabungen. Diese ›multikulturellen‹ Potenziale der Stadt waren seitdem Triebkräfte einer sich arbeitsteilig entwickelnden gewerblichen Produktionsweise – im Gegensatz zur traditionsgebundenen ländlich-agrarwirtschaftlichen Produktionsform. Starke Stadtökonomien wurden gleichzeitig zum Umschlagplatz für Informationen, Innovationen, neue Kenntnisse und Erkenntnisse. Sie beförderten den kulturellen und wissenschaftlichen Austausch und befähigten dazu, den begrenzten Horizont städtischer Mauern zu überschreiten. Urbanes Leben weckte die Neugier und förderte den Mut zum Vorstoß in unentdeckte Räume – geografische und geistig-kulturelle.147

145 Museum. Schule des Befremdens, in: FAZ-Magazin, 17.03.1989, S. 12-18, zit. S. 13. 146 Steen, Migration und Lebenswelt, a.a.O., S. 39. 147 Vgl. Schmieder, Felicitas: Die mittelalterliche Stadt, Darmstadt 2005; Siebel, Walter (Hg.): Die europäische Stadt, Frankfurt a.M. 2004; Ennen, Edith: Die europäische Stadt des Mittelalters, Göttingen 1987.

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Museen als Foren der Dialogkultur Wie wenige Kultureinrichtungen vermögen somit Stadtmuseen deutlich zu machen, dass fremde Kulturen nicht nur konstitutiv zur Stadt gehörten und gehören, sondern seit je wesentlich auch zu ihrem kulturellen Reichtum und ihrer prosperierenden Entwicklung beigetragen haben. Sie können das Bewusstsein dafür schärfen und die Erkenntnis befördern, dass unsere Städte historisch und strukturell stets Orte waren, die sich Menschen verschiedener Kultur, Religion, Ethnien und Sprachen – nicht immer konfliktfrei – geteilt haben. Orte der »Vielheit, Fremdheit und Eigenheit gleichzeitig« – »interkulturelle Heterotopie[n]«.148 Als Foren der Dialogkultur, »Werkstätten der interkulturellen Selbstvergewisserung«149 und »Lehranstalten im Umgang mit dem Fremden«150 könnten die stadt- und kulturgeschichtlichen Museen den »innergesellschaftlichen Kulturaustausch« (Hermann Glaser) im Fluss halten. Sie könnten zum Gegenpol jener gesellschaftlichen und medialen Instanzen werden, die mit einer ›Folklore des Halbwissens‹ zur Entstehung und Verfestigung von Mythen, Klischees und Stereotypen über Migranten und Minderheiten beitragen. Solidarität, Förderung von Toleranz gegenüber dem Anderen, Einübung eines selbstverständlichen Miteinanders und mehr Verständnis durch bessere Kenntnis des Fremden, kurzum: interkulturelle Vermittlungs- und Bildungsarbeit ist eine zentrale programmatische Forderung an die Museen weit über den Tag hinaus – und überdies eine Chance zur nachhaltigen Stärkung ihrer politischen und gesellschaftlichen Legitimation. Sicher kann im Umfeld von Kunst und Kultur »besser als in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen die Akzeptanz kultureller Vielfalt und Anerkennung des Anderen praktisch werden und die Auseinandersetzung über verbindende Werte und unterscheidende kulturelle Orientierung im alltäglichen Leben geführt werden«.151 Aber dies sind und bleiben schwierige, komplexe und langwierige Lernprozesse – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des vielfach nachgewiesenen Zusammenhangs zwischen Schichtzugehörigkeit und Bildungschancen auf der einen, kultureller Partizipation und sozialer Anerkennung auf der anderen Seite. Deutschland belegt hier einen traurigen, vieldiskutierten ›Spitzenplatz‹. Besonders die »Schnittmengen zwischen Mi-

148 Weibel, Interkulturalität im Medienzeitalter, a.a.O., S. 38. 149 Kramer, Alte Schätze, a.a.O., S. 188ff., zit. S. 189. 150 Korff, Fragen zur Migrationsmusealisierung, a.a.O., S. 13. 151 »Die Zukunft der Kulturpolitik ist interkulturell«. Erklärung des Vorstandes der Kulturpolitischen Gesellschaft: http://www.kupog.de/presse/2007-09-14_kultur politik-ist-interkulturell.pdf (zuletzt besucht am 08.11.2007).

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gration und Unterschichtung« sind »erschreckend groß«.152 Die Herausforderungen der kulturellen Integration lassen sich nur als gemeinsame Aufgabe aller im Kunst-, Kultur- und Bildungsbereich und in der Kulturpolitik Tätigen bewältigen. Migranteneliten wollen ihre Bilder und Geschichten in den Museen wieder finden In diesem Zusammenhang gibt es inzwischen aber auch positiv stimmende empirische Befunde. Erstmals hat sich eine Studie – »Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland 2007« – detailliert und differenziert mit den sozialen Lagen und Lebensstilen, kulturellen und religiösen Orientierungen der heterogenen Einwanderergruppen befasst und ist dabei zu aufschlussreichen Ergebnissen gekommen.153 So hat das Institut Sinus-Sociovision nicht nur herausgefunden, dass die Milieuunterschiede innerhalb der Migrantengruppen erheblich größer sind als in der Mehrheitsgesellschaft und die Lebenswelten der Einwanderer mehrheitlich weniger durch Religion und ethnische Herkunft geprägt sind als durch die sozialen Milieus, in denen sie leben. Dass Bildung – wie seit längerem bekannt – eine Schlüsselfunktion für Integration besitzt, zeigt die Sinus-Studie auch mit der Fokussierung auf die Migrations-Aufsteiger und -gewinner. Erstmals wird die wachsende Zahl gut ausgebildeter, hoch motivierter und leistungsorientierter Migranten beschrieben, die sich von den Normen und Werten ihrer Herkunftsländer weitgehend gelöst haben. Gelungene Akkulturation als signifikantes – und auch ermutigendes – neues Gesellschaftsphänomen: eine heterogene, moderne und emanzipierte urbane Elite der dritten Einwanderergeneration – vornehmlich türkischer Provenienz –, die ganz selbstverständlich und selbstbewusst Interkulturalität lebt. Sie strebt nach öffentlicher Anerkennung – jenseits religiöser und kultureller Forderungen – und artikuliert eigene Vorstellungen und Positionen in der Gesellschaft.154 Der Bau der Moschee in Köln-Ehrenfeld ist in diesem Zusammenhang ein unübersehbares Zeichen: ein markantes Signal 152 Nolte, Riskante Moderne, a.a.O., S. 98; vgl. dazu jetzt auch aktuell die Ergebnisse der im Auftrag des Christlichen Kinderhilfswerks »World Vision« von TNS Infratest durchgeführten Erhebung, in: Kölner Stadt-Anzeiger, Nr. 248, 25.10.2007 (»Einmal unten, fast immer unten«). 153 Vgl. dazu und zum Folgenden: Wirtz, Astrid: Gute Bildung fördert die Integration. Erste Milieu-Studie zeigt vielfältigeres Bild der Einwanderer, in: Kölner Stadt-Anzeiger, Nr. 241, 14.10.2007. 154 Siehe dazu auch Leonard, Yvonne: Kulturelle Werte oder Kultur als Konflikt – Vermittlungsstrategien unter veränderten Bedingungen (ungedrucktes Vortragsmanuskript), S. 10ff.; vgl. Anm. 120.

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für Ankunft in der neuen Gesellschaft, verbunden mit dem festen Willen, den beanspruchten kulturellen Raum innerhalb des Gemeinwesens auch zu besetzen. Erstmals erhielt mit Gottfried Böhm der Vertreter einer renommierten, für ihre Kirchenbauten berühmten Architektenfamilie den Auftrag zum Bau einer Moschee. Was hier entstehen soll, ist nicht einfach ein muslimisches Gebetshaus, sondern spektakuläre Repräsentationsarchitektur, wie sie auch sonst für entsprechende Bauaufgaben in der Gesellschaft charakteristisch ist. Die Migranten der dritten Generation haben damit begonnen, ihre eigenen Texte und Bildwelten aufzuzeichnen und zu erfassen. Es dürfte daher nicht mehr allzu lange dauern, bis sie diese Texte, Geschichten und Bilder auch »in den Texturen eines neuen Wertekanons« der Museen wiederfinden wollen.155 Literatur Bade, Klaus J. (Hg.): Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart, München 1992. Bade, Klaus J.: Die Trias der Integrationspolitik: Präventive, begleitende und nachholende Integration, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 112 I/2006, S. 29-35. Brehm, Thomas: Zwischen Stadt und Nation. Museumspädagogische Angebote des KPZ für Besucher mit Migrationshintergrund (unveröffentlichtes Manuskript) (= Vortrag auf der Fachtagung des AsKI e.V., Das Museum als Integrationsort – Best-Practice-Projekte in Kultureinrichtungen, Frankfurt a.M., 15.07.2007); www.aski.org/fachtagung07/brehm.pdf. Clifford, James: Routes. Travel and translation in the late twentieth century, Cambridge/Mass., London 1997. Commandeur, Beatrix/Dennert, Dorothee (Hg.): Event zieht – Inhalt bindet. Besucherorientierung von Museen auf neuen Wegen, Bielefeld 2004. Cornel, Hajo/Knigge, Volkhard (Hg.): Das neue Interesse an der Kultur, Hagen 1990. Ehling, Manfred: Zeit für Freizeit und kulturelle Aktivitäten. Ergebnisse aus Zeitbudgeterhebungen, in: Jahrbuch für Kulturpolitik, 5/2005, S. 87-96. Ennen, Edith: Die europäische Stadt des Mittelalters, Göttingen 1987. Enquete-Kommission »Kultur in Deutschland«, Vorwort der Vorsitzenden, in: Tätigkeitsbericht der Enquete-Kommission »Kultur in Deutschland«, Deutscher Bundestag, 15. November 2005, EK-K-Kultur AU 15/154.

155 Ebd., S. 12.

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Museen im globalen Wandel

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Museums, Lifelong Learning and Civil Society

Gail Dexter Lord This publication documents a conference that I had the pleasure to open. The conference was international and ambitious: it intended to challenge museums and each of us to help museums achieve a more influential role in society – especially with respect to lifelong learning. My role is a modest one: to highlight some themes, to indicate some trends and to provoke – just a little. I am going to highlight five themes: • • • • •

museums are successful communication media; museums are »cultural accelerators«; museums are experiences in three-dimensional space; museums and the creative economy; museums and lifelong learning for everyone.

Firstly: museums are huge success stories. Imagine – the museum is a communication medium that has been functioning continuously for more than 200 years! As technological change has transformed communication industries from print to radio to TV and the Internet, museums have absorbed the technology into their exhibits and work processes from IMAX to websites. Museums have been »early adaptors« of new communication technologies. What is most amazing is that museums seem to absorb these technologies without fundamentally changing – whether you date museums from the cathedral vault or the princely schatzkammer or the great 18th century universal collections, they remain powerful public spaces of representation of the leading ideas of their time – based on the study of the objects that they collect and preserve. Now the ideas represented are not always ›good‹ ideas; sometimes they are very bad ideas like eugenics and imperialism, but museums are places where ideas are presented and contested – and have been for hundreds of years. Today, for example, there are at least fifteen initiatives throughout the world to create museums and galleries of immigration and migration to address one of the most pervasive and contested ideas of our time – the free movement of people throughout the world. What are the implications of success? A culture of continuous growth? Being measured by numbers rather than quality? Ambition? Competition? Higher costs? Success brings challenges such as these, but I urge you to see such problems as problems of success.

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My second observation is that museums are »cultural accelerators«. This is a term I have borrowed from communications theorist Derek de Kherkove.1 Just as the car’s accelerator speeds up the car, museums actually intensify our awareness of technological and social change. Museums accelerate our cultural awareness in three ways: • by collecting objects that demonstrate change – for example, displaying three hundred years of transportation objects from the ox cart to the jet in a few hundred square meters intensifies our awareness of change; • by interpreting change in ways that help us understand it; • by exhibiting works of art – for artists express change in advance of its full impact on the rest of us: works of art are cultural accelerators. Curiously, museums that are still seen by many as static are just the opposite. They are one of our society’s main adaptive strategies for managing change. We see this in countries in Africa and Asia that are undergoing massive change and which are simultaneously building new museums at an incredible rate. The apprehension of change creates the need for museums not only to preserve the past but to help people adapt to the present and future. This theme leads to some of the questions to be considered: • • • •

Why do people still think of museums as static places? Is it an image or marketing problem? Is it that too many museums still operate in an old static mold? Why do museums not develop a vocabulary of relevance?

My third theme has to do with the importance of three-dimensional space as a defining characteristic of museums. That place and space matter was brought to my attention in an unlikely location, the monotonous Microsoft campus near Seattle. I was conducting a workshop with some of the workers to get their views on how they might use a new art museum being planned for a nearby community. One of the participants said: »I spend all day working with a two-dimensional screen. When I get home, I relax in front of another screen. And for entertainment, I watch a bigger screen. For me, threedimensional space is where I can be creative.«

1 Derek De Kherkove: The Skin of Culture: Investigating the New Electronic Reality, Toronto 1995.

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On average, people in technologically advanced societies are spending six hours a day in front of some type of screen, including messaging via cell phone screens. This goes a long way toward explaining why museum space matters so much to so many today. Museum space is emphatically three-dimensional, punctuated by three-dimensional objects. It is a kinesthetic experience, during which our mere movement seems to change the space, and the place somehow changes us. We wander, we graze. Because this is an interpreted space – a place with assigned meanings – we may also be challenged to see things in a new way: to find our own way, figuratively, at least. It is not only the prevalence of the screen that makes us appreciate museum space; it is also the increasing privatization of the public realm through advertising, shopping malls, and corporate office towers that dominate and direct not just our footsteps, but our hearts and minds. We see everywhere the encroachment of the two-dimensional world of billboard posters and giant TV screens. The same shops, brand names, logos and images punctuate urban space the world over. Derelict buildings, historic sites, and contested places have become increasingly important because here, at least, meanings and emotions have not been predetermined by the force of global economics. Does this very spatial quality pose insurmountable challenges for those who are fearful of new and unfamiliar places? The evidence seems to be that magnificent new spaces from the Staatsgalerie in Stuttgart to Bilbao are capturing the attention of a greater public. But there are still many who are intimidated by these spaces. And why has the education room not made it out of the museum basement? I know of several major art museums undergoing huge expansions – but leaving education department completely out of the project. Does education not need beautiful spaces? Do museum educators think in terms of space? My fourth theme is that museums are a critical success factor in what is referred to as the creative economy. The creative economy (sometimes also called the knowledge economy) consists of science, engineering, R&D, technology-based industries, arts, music, culture, design, and the knowledge-based professions of health-care, finance and law. One hundred years ago during the era of the industrial economy, fewer than 10 % of the population was employed in this way. Today it is 25-30 % of employment in advanced industrial nations. It may account for 50 % of wages and salaries. This is as huge an economic transformation as we had from an agricultural to industrial society. The economist Richard Florida has persuasively argued that creative workers gravitate to certain urban environments because the creative economy depends on access to people and ideas – not to land or natural resourc-

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es or raw materials. Creative workers can and do move from place to place in pursuit of the best environments in which to work. Florida identifies the characteristics of cities that support the creative economy as »the Three Ts«2 – talent, tolerance and technology. He has developed measures for these qualities so that cities and countries can be compared and these measures bear an interesting correlation to museums. • Talent is measured in terms of the percentage of the population with a BA degree or more and number of research scientists per 1000 workers; • Tolerance is evaluated in terms of the openness of a community and the degree to which it has modern values, welcomes gays, diversity and self expression; • Technology is measured in terms of the R&D expenditure as a percentage of GDP and the number of high tech patents achieved. Museums are typically employers of highly educated people and they attract visitors from the ranks of the most highly educated. In this sense they can be seen as a ›talent magnet‹ for the creative economy. Museums can also represent openness to diversity and self-expression. (On the other hand, museums can also represent closed and static ways of thinking.) As ›cultural accelerators‹, forums for debate, places for the display and creation of new ideas – museums can be hubs for the creative economy. However, this implies some changes in the ways that museums operate: for example, they need to be dialogic not monologic; and they need to be truly open to diversity and interdisciplinary approaches. It needs to be said that in this new approach to museums there is great potential for conflict especially where there are more conservative governments, boards and patrons. As a result, some museums will benefit from the creative economy, but others will not be part of the new creative economy, except perhaps through cultural tourism. This is a strategic choice that museums need to make now. Some people think that this notion of the creative economy applies only to a small percentage of the population, say thirty percent in cities, and that therefore a museum’s decision to change in the direction of openness, dialogue and interdisciplinary activity impacts only an elite. That would miss a very important point: all human beings are creative – whether or not they work in or earn their living through the creative economy. This relates to my fifth and final theme: that lifelong learning is for everyone – and that mu-

2 Richard Florida/Irene Tinagli: Europe in the Creative Age, Carnegie Mellon Software Industry Center and DEMOS (February 2004).

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seums, because they are open to all – no matter what their level of academic or economic achievement is, can be places of lifelong learning for everyone. To bring forth human creativity is about confidence building, skills training, human networks, civic participation, risk taking and intercultural understanding. The museum experience and museum education activities have great potential in each of these areas. Sociologist Robert Putnam3 has demonstrated that participation in cultural activities is one of the most effective means of creating civil society – by which is meant a society in which people work together to solve problems and create knowledge. An open civil society is the necessary foundation for the creative economy. There is indeed an important link between the creative economy, civil society and lifelong learning. Here I need to touch on my earlier theme of three-dimensional space. Civil society happens in real places – not on TV, nor the Internet. These are just the tools. I propose that the museum occupies a central role in civil society. And because it is a real place it can influence meaningful change to an even greater depth in the creative economy of the future. References De Kherkove, Derek: The Skin of Culture: Investigating the New Electronic Reality, Toronto 1995. Florida, Richard/Tinagli, Irene: Europe in the Creative Age, Carnegie Mellon Software Industry Center and DEMOS (February 2004). Putnam, Robert: Bowling Alone, Toronto 2000.

3 Robert Putnam: Bowling Alone, Toronto 2000.

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Lernort Museum – neu verortet: Erwachsenenbildung – free-choice-learning, erlebnisorientiertes Lernen

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Birgit Mandel ➔ Musentempel, Bildungsstätte und Entertainment-Center



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Kontemplativer Musentempel, Bildungsstätte und populäres Entertainment-Center. Ansprüche an das Museum und (neue) Strategien der Museumsvermittlung

Birgit Mandel Während die Erlebnisparks oder Blockbuster-Ausstellungen wie »Körperwelten« boomen, sich vor Sonderausstellungen wie dem »MoMa in Berlin« spektakuläre Warteschlangen bilden, die »Langen Nächte der Museen« inzwischen deutschlandweit Besuchermassen mobilisieren, führt ein Großteil der 4700 Museen in Deutschland ein Schattendasein – viele der sorgsam gesammelten Schätze bleiben ungesehen, ungenutzt, unvermittelt. Nach dem Prinzip ›The winner takes all markets‹ erleben wir einerseits einen Boom der visuellen Kultur, andererseits geraten die Museen zunehmend unter Legitimationsdruck, weil sie Erwartungen an Besucherzahlen und mediale Reichweiten nicht erfüllen. Zunehmend unklar scheint der Auftrag der Museen: Sollen sie im Kontrast zur allgemeinen Beschleunigung und Eventisierung ein Ort der Stille, der Konzentration und Kontemplation sein? Oder müssten sie sich nicht in einer Zeit, in der lebenslanges Lernen als wichtigstes Prinzip der neuen Arbeitswelt erkannt ist, viel offensiver als Bildungseinrichtung und sinnhafter Ort informellen Lernens positionieren? Oder sollten sie vor allem der Nachfrage der Bevölkerungsmehrheit nach einer erlebnisreichen Freizeitstätte entgegenkommen, damit Akzeptanz und Besucherzahlen stimmen? Wie immer sich die einzelnen Museen entscheiden, es geht kein Weg an einer bewussten Positionierung und (Neu-)Orientierung vorbei. Kultureinrichtungen geraten im Zuge abnehmender bzw. stagnierender öffentlicher Gelder für Kultur unter Legitimations- und finanziellen Druck. Sie sind zunehmend darauf angewiesen, Eigeneinnahmen zu erzielen – bei gleichzeitigem Wegbrechen ihres Stammklientels, des traditionellen Bildungsbürgertums, für das der Kulturbesuch zum selbstverständlichen Bestandteil ihres Lebensstils gehörte. Auch befinden sich öffentliche Museen in Konkurrenz zu anderen Kulturund Freizeitanbietern. Das Publikum macht in seiner Auswahl keinen Unterschied zwischen öffentlichen, gemeinnützigen oder kommerziellen Anbietern, sondern entscheidet sich für das Angebot, das am attraktivsten erscheint. Das Kulturpublikum, das früher im deutschen Kulturbetrieb eher von sekundärem Interesse war, rückt damit in den Fokus der Kultureinrichtungen. Im Gegensatz zur reinen Angebotsorientierung müssen Kultureinrichtungen sich nun verstärkt mit den Interessen, den Motiven, den Bedürfnissen, dem Informations- und Freizeitverhalten von potenziellen Besuchern auseinandersetzen.

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Eine solche Orientierung an den Kulturnutzern ist jedoch keineswegs nur eine aus finanziellen Nöten heraus geborene Notwendigkeit, sondern eine überfällige Aufgabe, um den kulturpolitischen Auftrag öffentlich finanzierter Einrichtungen zu realisieren. Der kulturpolitische Auftrag von Museen wird spätestens seit den 1970er Jahren nicht mehr nur im Sammeln, Bewahren und Erforschen von Objekten, die für eine Gesellschaft von Bedeutung sind, gesehen. Vielmehr geht es auch darum, das in den Objekten manifestierte Wissen möglichst vielen Mitgliedern dieser Gesellschaft zu vermitteln. Im Zuge der sogenannten »Neuen Kulturpolitik« wurde die Sicherung des Rechts aller Bürger auf Kultur1 als Grundpfeiler der Kulturpolitik definiert – wenngleich daraus, anders als in anderen europäischen Ländern, keine verpflichtenden Auflagen für die Kultureinrichtungen abgeleitet wurden. Die Etablierung der Museumspädagogik ist eines der Resultate dieser »Neuen Kulturpolitik« seit den 70er Jahren, doch bis heute beschränkt diese sich oftmals auf die Arbeit mit Kindern. Bislang ging man davon aus, dass die Bereitstellung und hohe Subventionierung eines Angebotes durch die öffentliche Hand ausreiche, um Kultur allen Bürgern zugänglich zu machen – leider zu Unrecht, wie aktuelle Besucherforschungen zeigen. (Hoch-)Kulturveranstaltungen werden von maximal zehn Prozent der Bevölkerung regelmäßig genutzt. Daraus ergibt sich für die Kulturpolitik und die Kulturinstitutionen der dringende Auftrag, sich offensiv um die Zielgruppen zu bemühen, die bislang keinen Zugang zu Kultur gefunden haben. Aktuelle Erkenntnisse der Besucherforschung als Grundlage für die Besucherorientierung von Museen In Deutschland gibt es seit einigen Jahren empirische Erhebungen zum Verhalten, den Erwartungen, Motiven und Interessen von Kulturnutzern und von Nicht-Kulturnutzern. Neben allgemeinen übergreifenden Studien, wie sie vor allem das Zentrum für Kulturforschung erstellt, gibt es diverse spartenspezifische Erhebungen, wobei festzustellen ist, dass der Museumsbereich hier führend ist. Fast alle größeren Museen in Deutschland haben inzwischen eigene Erhebungen für ihre Einrichtung durchgeführt und damit ihr Interesse an den Nutzern deutlich gemacht. Folgende zentrale Ergebnisse lassen sich zusammenfassend aus den verschiedenen Befragungen festhalten:2 1 Vgl. Hermann Glaser/Karl Heinz Stahl: Bürgerrecht Kultur, Frankfurt a.M./Berlin/ Wien 1983; Hilmar Hoffmann: Kultur für alle, Frankfurt a.M. 1979. 2 Vgl. zur folgenden Liste: ARD/ZDF Medienkommission/Frank Bernward (Hg.): Kultur und Medien. Angebote, Interesse, Verhalten, Baden-Baden 1991; Armin Klein: Der

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• Es gibt nur einen kleinen Kreis der sehr Kulturinteressierten: Ca. 10 % bekunden ein starkes persönliches Interesse an Kultur, ca. 3-4 % gehören zu den regelmäßigen Kulturnutzern, obwohl 50 % der Bevölkerung potenziell für Kultur zu mobilisieren wären. • Kulturinteresse und Kulturnutzung ist vor allem an ein hohes Bildungsniveau geknüpft – mit steigender Tendenz. Vor allem junge Leute mit niedriger Schulbildung partizipieren heute kaum noch am Kulturleben. • Die meisten Menschen, die sich für Kunst und Kultur interessieren, sind an mehreren Sparten – also in der Regel umfassend – kulturinteressiert. Es gibt den zunehmenden Trend zum ›Kulturflaneur‹. • Unabhängig vom Alter sind interdisziplinäre, Event-orientierte Veranstaltungsformen, bei denen Geselligkeit und Kommunikation wichtige Bestandteile sind, am beliebtesten. »Lockere Veranstaltungen, wo es auch zu essen und zu trinken gibt«, werden bei der Frage nach bevorzugten Veranstaltungsformen an erster Stelle genannt. • Befragt nach den Erwartungen an einen Kulturbesuch, wird an erster Stelle »gute Unterhaltung« genannt, an zweiter Stelle »etwas live erleben« und an dritter Stelle »gute Atmosphäre«. • Das wichtigste Motiv für den Besuch von (Hoch-)Kulturveranstaltungen ist, unabhängig von Geschlecht, Alter oder Bildungsniveau, der Wunsch nach sozialer Aktivität, nach gemeinsamen Unternehmungen mit Partner oder Freunden. Erst danach werden die Motive »sich weiterbilden, etwas lernen« sowie »neue Kunstformen kennen lernen und ästhetischer Genuss« genannt. Das gilt auch für die Nutzung von Museen: »Mehr soziale als inhaltliche Anlässe bestimmen den Museumsbesuch.«3

Nicht-Besucher. Wer er ist und wie er für Kunst und Kultur gewonnen werden kann, in: Handbuch Kulturmanagement 2002; Institut für Demoskopie: Kulturelles Interesse und Kulturpolitik. Eine Repräsentativumfrage über die kulturelle Partizipation, den Kulturbegriff der deutschen Bevölkerung und die Bewertung der Kulturpolitik, Allensbach 1991; Institut für Zielgruppenkommunikation: Wo bleiben die Besucher? Anlage und Befunde einer qualitativen Untersuchung der Gründe für die Nichtnutzung der Museen und Kunstvereine im Rhein-Neckar-Dreieck im Auftrag des Rhein-NeckarDreiecks e.V., Ladenburg 1999; Birgit Mandel: Einstellungen zu Kultur und ihr Einfluss auf kulturelle Partizipation. Ergebnisse einer Bevölkerungsumfrage in Hildesheim, Juni 2005, www. uni-hildesheim. de/Institut für Kulturpolitik; Zentrum für Kulturforschung: 8. Kulturbarometer. Bundesweite Bevölkerungsumfrage, Bonn 2005, www. kulturforschung.de; Zentrum für Kulturforschung: Untersuchung »Rheinschiene – Kulturschiene. Mobilität, Meinungen, Marketing«, Bonn 2003, S. 291. 3 Annette Noschka-Roos: Referierende Bibliographie zur Besucherforschung, Berlin 1996, S. 34.

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• In der Beliebtheitsskala der Kultursparten liegen Musikveranstaltungen an erster Stelle, gefolgt von Film sowie bereits an dritter Stelle dem Bereich Museen/Ausstellungen. Das Jugendkulturbarometer zeigt einen deutlichen Zuwachs des Interesses an visuellen Kulturformen, an Ausstellungen und bildender Kunst, vor allem im zeitgenössischen Bereich. • Dennoch wird das Museum noch immer eher mit Imageattributen wie »verstaubt«, »langweilig«, »wie in der Kirche« verknüpft, wie andere Untersuchungen zeigen: Ein Museumsbesuch wird mit körperlicher und intellektueller Anstrengung verbunden, nur selten mit Entspannung und Genuss. Besonders bei Nicht-Besuchern in Deutschland wird ein Museumsbesuch mit Lernen und Bildung verknüpft, nicht mit Spaß, Unterhaltung und Freizeit. • Kultur- und bildungsferne Bevölkerungsgruppen, die zugleich zu den immobilsten Gruppen der Gesellschaft gehören, besuchen in der Regel überhaupt keine der traditionellen, öffentlich geförderten Kultureinrichtungen, weil sie sich davon für ihr Leben keinerlei Vorteil oder Gewinn versprechen. • Als Hinderungsgründe für einen Kulturbesuch werden von ihnen vor allem zu hohe Eintrittspreise und mangelnde Angebote in ihrer Umgebung genannt; interessanterweise genießt (Hoch-)Kultur selbst bei denen, die sich nicht dafür interessieren, ein positives Image. Neben finanziellen und physischen Barrieren sind es, wie Besucherstudien aus Großbritannien zeigen, vor allem soziale und psychische Barrieren, die die sozial und bildungsschwachen Gruppen vom Kulturbesuch abhalten, denn Kulturnutzung hat in hohem Maße mit Distinktion zu tun. Mangelnde Bildung, fehlendes Vorverständnis, das Gefühl ›nicht dazu zu gehören‹, Angst, sich unwohl zu fühlen, sich zu blamieren, in den eigenen sozialen Kreisen als sonderbar zu gelten, oder die Sorge, sich zu langweilen, gehören dazu. Möchte man auch die bildungsfernen Bevölkerungsgruppen erreichen, die bislang wenig oder keinen Zugang zum Kulturangebot gefunden haben, reicht die Vorhaltung eines subventionierten Angebotes nicht aus. Um kulturferne Bevölkerungsgruppen muss man sich intensiv bemühen, man muss sie wortwörtlich ›abholen‹, muss sie in ihren alltäglichen Zusammenhängen aufsuchen. Anregende Beispiele für Anreizstrategien, die sich sehr gezielt an eine kulturferne und sozial benachteiligte Bevölkerung richten, bietet der Blick nach Großbritannien.

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Ziele, Methoden und Ergebnisse der Audience Development-Programme in Grossbritannien In Großbritannien ist die Partizipation kulturferner Bevölkerungsgruppen am Kulturleben, anders als in Deutschland, zentrales Ziel öffentlicher Kulturpolitik. Öffentliche Förderung ist immer an offensive Bemühungen der geförderten Kulturinstitutionen geknüpft, neue Besuchergruppen zu erreichen. Dafür hat die Regierung die folgenden, für die Institutionen verbindlichen Ziele aufgestellt: • den Zugang für alle zu einem reichen und variationsreichen kulturellen Leben zu erweitern; • das Bildungspotenzial der nationalen kulturellen Ressourcen zu entwickeln; • die Standards kultureller Bildung und kultureller Vermittlung zu erhöhen; • sicherzustellen, dass jeder die Möglichkeit hat, im Kulturbereich Talente zu entwickeln; • die Rolle von Kunst und Kultur im Kampf gegen soziale Ungleichheit und Ausschluss zu stärken.4 Das Department for Culture, Media and Sports gibt Ziele und Leitlinien der Kulturpolitik in Großbritannien vor, überlässt die Umsetzung jedoch dem Arts Council, der als eine Art öffentliche Agentur mit neun regionalen Filialen die Kulturfördergelder vergibt, inhaltliche und methodische Unterstützung beim Kulturmanagement bietet und Wettbewerbe für innovative Konzepte ausschreibt, über die kulturpolitische Leitlinien realisiert werden sollen. Der Arts Council England bezeichnet und versteht sich als »nationale Kunstentwicklungs-Agentur« und nicht als Verteiler öffentlicher Gelder für Kulturinstitutionen; er hat eine klare, handlungsleitende Mission, aus der konkrete Ziele und Aktionen abgeleitet werden. »Arts Council England believes that involvement with the arts can have a lasting and transforming effect on people’s lifes«, so das »Mission Statement«. Als Erfolgskriterien für die eigene Arbeit benennt der Arts Council u.a.: • mehr Menschen, die sagen, dass Kunst eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielt; • mehr Menschen aus ethnischen und kulturellen Minderheiten, die an den Künsten partizipieren;

4 Vgl. Council of Europe (Hg.): Cultural Policies in Europe, Großbritannien 2002.

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• mehr Schulkinder, die direkten Kontakt zu professionellen Künstlern haben; • mehr Lehrer, im Gesundheitswesen Tätige sowie Jugend- und Sozialarbeiter, die das Potenzial der Künste in ihre Arbeit einbeziehen.5 Von 1998 bis 2003 führte der Arts Council England unter dem Titel »New Audiences for the Arts« ein mit 20 Millionen Pfund finanziertes Sonderprogramm durch, das sich ausschließlich mit der Erschließung neuer Publikumsgruppen für Kunst und Kultur beschäftigte. Der Begriff »Audience Development« meint die gezielte Entwicklung von Publikum für Kultur und lässt sich als eine Verbindung der Strategien von Kulturvermittlung und Kulturmarketing begreifen. Ziele des New Audience-Programms waren: • die Barrieren erkennen und ausräumen, die Menschen davon abhalten, sich mit Kunst zu beschäftigen; • ein Publikum entwickeln, das repräsentativer für die Gesellschaft als Ganzes ist; • erfolgreiche und nicht erfolgreiche Versuche von Kultureinrichtungen, neues Publikum zu erreichen, evaluieren und dokumentieren. Kulturinstitutionen konnten sich mit Best-Practice-Modellen bewerben; die als erfolgreich und innovativ ausgewählten Modelle konnten von den Institutionen mit finanzieller und organisatorischer Unterstützung des Arts Councils umgesetzt werden. Dabei gab es unterschiedliche, zielgruppenorientierte Förderstränge. Zentrale, verstärkt zu erreichende Zielgruppen waren: junge Menschen, Schüler, Familien, ethnische Minoritäten, sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen, ländliche Bevölkerung sowie ältere Menschen. Viele der beteiligten Einrichtungen betrieben vorab eine intensive Besucherforschung. Die Projekte reichten von Literaturvermittlung durch Einsatz von »Hausdichtern« in Krankenhäusern über das erste »Bollywood-Drive-In-Kino« für asiatische Familien bis zu von Künstlern der Tate Gallery entworfenen Haushaltsgegenständen, die über eine populäre Möbelhauskette massenhaft verkauft wurden. Insgesamt wurden durch das New Audiences-Programm 1157 Projekte aller Kunst- und Kulturformen – von klassisch bis alternativ, von zeitgenössisch bis traditionell – gefördert. Die Projekte nutzten eine Vielzahl neuer Wege, um neues Publikum zu erreichen. Einige experimentierten mit neuen Aufführungszeiten, andere arbeiteten an neuen Orten wie z.B. in öffentlichen Ämtern, Krankenhäusern, an 5 Vgl. die Website www.artscouncil.org.uk.

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Busstationen etc. Einige Projekte nutzten die Massenmedien wie Fernsehen und Radio als Mittler, andere arbeiteten eng mit Kommunen oder Schulen zusammen, wieder andere kooperierten mit Clubs und Diskotheken und kommunizierten etwa via SMS mit potenziellem Publikum. Kulturinstitutionen etablierten Kooperationen mit Schulen; eine nationale Auszeichnung für familienfreundliche Kulturinstitutionen wurde eingerichtet. Über eine »Test Drive the Arts«-Kampagne wurden sämtliche nicht verkauften Karten von Theatern über Vorverkaufskassen last minute gratis vergeben an Menschen, die sonst nicht ins Theater gingen. Diejenigen, die die Freikarten erhalten hatten, wurden im Nachhinein nach ihren Eindrücken befragt und zu Nachfolgeveranstaltungen eingeladen. Als Fortsetzung des Audience Development-Programms etablierte der Arts Council ein vertiefendes Programm unter dem Titel »Not for the likes of you«. An diesem Programm nahmen 32 Institutionen teil, die sich nicht nur mit einzelnen Projekten um spezifische Zielgruppen bemühen, sondern ihre gesamte Institution konsequent besucherorientiert ausrichten wollen. Der Titel weist auf eine der zentralen Barrieren bei Menschen außerhalb des Kernkulturpublikums hin: »Not for the likes of you« – ›Kunst und Kultur ist nichts für euch, ist nichts für unsereins!‹ Genau hier sollten die beteiligten Kulturinstitutionen ansetzen und sich konsequent neu positionieren: als publikumszugewandte, offene Häuser, die für unterschiedliche Milieus etwas zu bieten haben. »Der Fokus des Projekts lag darin, wie Institutionen zugänglich für ein breites Publikum werden können, indem sie ihre gesamte Positionierung und Mission ändern, statt nur zielgruppenorientierte Maßnahmen durchzuführen. In dem Projekt ging es darum, den Fokus von der Institution weg auf die potenziellen Nutzer hin zu verlegen. […] Es geht von der Annahme aus, dass normale Menschen zu viel mehr fähig sind, als ihnen die Kulturinstitutionen in der Regel zutrauen. Es geht davon aus, dass jeder das Potenzial hat, kreativ zu sein und dass künstlerische Beurteilungsfähigkeit nicht nur ein paar Auserwählten vorbehalten ist. Das Publikum wird bei allen Planungen der Institution von der ersten Minute an mitbedacht, und bei jeder weiteren Entwicklung wird gefragt, was ein potenzielles breites Publikum daran interessieren könnte und wie man es erreichen könnte.«6

Die konsequent publikumszugewandte Management-, Marketing- und Vermittlungsstrategie führte nicht zur – besonders in Deutschland viel beschworenen – Verflachung der künstlerischen Produktionen. Im Gegenteil: Auch die

6 Morton Smyth: Not for the likes of you, Phase 2 final report, document A, How to reach a broader audience, Arts Council, May 2004, S. 3.

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künstlerische Qualität profitierte von der Auseinandersetzung mit dem Publikum, so eines der zentralen Ergebnisse: »Eine Produktion zu entwickeln, die sowohl künstlerisch innovativ und aufregend ist und zugleich ein breites Publikum anziehen kann, bedeutet, sehr viel genauer und tiefer nachzudenken über Zusammenhänge zwischen Kunst und Leben.«7

Zusammenfassend kommt der Arts Council zu folgendem Fazit seiner Audience-Development-Aktivitäten: • Mit Hilfe der richtigen Anreizstrategien können aus neuen Kulturbesuchern dauerhafte Kulturnutzer werden. • Kunst versteht sich nicht von selbst, doch sie ist vermittelbar. Menschen können für Kunst gewonnen werden – die Auseinandersetzung mit Kunst kann ihr Leben bereichern. • »Wir sind nicht der Ansicht, dass sich das Publikum den Kulturinstitutionen anpassen muss, sondern umgekehrt: Kulturpolitik und Kulturinstitutionen müssen auf das Publikum zugehen. Wir glauben, dass nur solche Institutionen zukunftsfähig sind – auch was die künstlerische Qualität betrifft –, denen es gelingt, ein breites Publikum dauerhaft an sich zu binden.«8 • Nicht das Publikum muss sich der Förderpolitik und den Kulturinstitutionen anpassen, sondern umgekehrt müssen die Politik und die Institutionen auf das Publikum zugehen. Gründe für den geringen Stellenwert von Kulturvermittlung in Deutschland Obwohl auch in Deutschland seit Längerem bekannt ist, dass die Bevölkerungsmehrheit nicht am öffentlich ermöglichten Kulturleben partizipiert, gibt es bislang keine übergreifenden kulturpolitischen Initiativen, daran etwas zu ändern. Die Fördersummen für Maßnahmen der Publikumsentwicklung, Kulturvermittlung sowie Programme kultureller Bildung und Soziokultur sind minimal im Verhältnis zur Förderung künstlerischer Produktion. Kulturvermittler haben in der Hierarchie der Kulturinstitutionen einen geringeren Stellenwert als das künstlerische Personal. Mögliche Gründe dafür liegen darin, dass in Deutschland die auch gesetz7 Smyth, Not for the likes of you, a.a.O., S. 33. 8 Viola von Harrach: Audience Development in England, in: Birgit Mandel (Hg.): Kulturvermittlung – zwischen kultureller Bildung und Kulturmarketing. Eine Profession mit Zukunft, Bielefeld 2005, S. 71.

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lich verbriefte Autonomie der Kunst als zentraler Wert gilt. Maßnahmen, die sich mit Vermittlung an ein breites Publikum befassen, wird tendenziell unterstellt, dass sie die Freiheit der Kunst beeinträchtigen könnten. Kunst als das ›Gute, Wahre, Schöne‹ und per se moralisch Überlegene ist in Deutschland seit der Klassik immer auch Rückzugsmoment des Bildungsbürgertums und legitimiert auf diese Weise die Autonomie der Kunst: Sie spielt sich im Inneren jedes Einzelnen ab, ist Privatangelegenheit und zugleich Abgrenzungsmöglichkeit eines gebildeten Bürgertums gegen andere Gruppen. Die Überzeugung, dass der »Kultur«-Staat seiner Bevölkerung ein Kulturangebot vorhalten muss, führte in Deutschland dazu, dass viele Institutionen in öffentlicher Hand sind, sowie zu einer Konzentration der Mittel auf die Kulturproduktion und einer Vernachlässigung der Nachfragerperspektive. Die »ausfinanzierten« Institutionen lebten mit oder ohne Publikum. Die theoretische und praktische Auseinandersetzung mit Kulturvermittlung und kultureller Bildung beschränkt sich in Deutschland zumeist auf die »kulturelle Bildung« für Kinder und Jugendliche und wird häufig in die Ressorts der Bildungs- und Jugendpolitik delegiert. Hinzu kommt, dass es aufgrund der Kulturhoheit der Länder in Deutschland keine gesamtstaatliche Kulturpolitik gibt, die übergreifende verbindliche Leitlinien zur Förderung der kulturellen Partizipation formulieren könnte. Die Kulturetats der Länder und Gemeinden sind oftmals mit der Finanzierung der Theater und Museen weitgehend erschöpft. Kulturförderung bezieht sich fast ausschließlich auf den Erhalt von Institutionen – und kaum auf die Realisierung programmatischer kulturpolitischer Ziele. Was können wir aus der Kulturpolitik Grossbritanniens für Deutschland lernen? Selbstverständlich lässt sich die Kulturpolitik eines Landes nicht direkt auf ein anderes übertragen, denn sie ist von gewachsenen Traditionen, Werten und Strukturen abhängig. Dennoch kann der Blick ins Ausland eine neue Perspektive auf die eigene Situation und die Steuerungspotenziale öffentlicher Kulturpolitik geben – ebenso wie Anregungen für die Kulturinstitutionen selbst. Was wir in Deutschland von Großbritannien lernen können, ist, den Künsten mehr zuzutrauen und sie nicht in Kunsttempeln zu isolieren, sondern in den Alltag der Menschen einzubringen. Viel zu oft wird bei uns Kunst nur als Selbstzweck betrieben. Natürlich brauchen neue Kunstformen manchmal Freiräume, Zeit und Geld, um sich entwickeln zu können, und sprechen zunächst nur ein kleines Expertenpublikum an. Auf Dauer wird sich öffentliche Kulturförderung jedoch nur dann legi-

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timieren lassen, wenn sie sich neben der Künstlerförderung auch um das Publikum bemüht, damit Kunst positiv auf einer breiteren Ebene in die Gesellschaft hineinwirken kann. Auch in Deutschland existieren bereits vielfältige und z.T. sehr erfolgreiche Modelle der Kulturvermittlung. Anders als in Großbritannien gibt es jedoch keine kulturpolitische Gesamtstrategie, die den Bemühungen um ein neues Publikum mehr Gewicht und gesellschaftliche Bedeutung geben könnte. Die offensive Präsentation und Wertschätzung von Publikumsentwicklungs- und Kulturvermittlungsmaßnahmen sollte auch bei uns selbstverständlicher Bestandteil der Arbeit von Künstlern und Kulturschaffenden sein. Dabei kann es nur eines der kulturpolitischen Ziele sein, mehr Besucher für Kulturveranstaltungen zu gewinnen. Gerade wenn es darum geht, kulturferne Bevölkerungsgruppen zu erreichen, müssen Kulturangebote mobiler werden, müssen sie immer wieder ›sichere‹ Kunstinstitutionen verlassen und im alltäglichen Umfeld arbeiten, um ihr Potenzial in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen zur Entfaltung zu bringen: als Chance, neue Kommunikationsformen zu initiieren und eine neue, verfremdete Sicht auf die für selbstverständlich gehaltenen Dinge zu gewinnen. Kulturvermittlungs- und Kulturmarketingprogramme in der Art der Audience-Development-Programme könnten auch in Deutschland dazu beitragen, offensiv für Kultur zu werben, mehr Menschen am kulturellen Leben zu beteiligen und das positive Potenzial von Kunst und Kultur für die Gesellschaft nutzbar zu machen. Zusammenfassend lassen sich folgende konkrete Strategien zur Gewinnung neuer Publikumsgruppen festhalten: • Besucherforschung und kontinuierliche Evaluation (neugierig sein auf die potenziellen Nutzer, ihre Bedürfnisse, Motive und Fragen); • sich in kunstfernere Menschen hineinversetzen (was interessiert sie, was könnte für sie der Nutzen der Programme sein); • bei den Motiven und Bedürfnissen der Menschen auf einer mittleren Ebene ansetzen; Entwicklung von (niedrigschwelligen) Programmen, die deutlich an den Interessen und Lebenswelten eines potenziellen Publikums orientiert sind und dabei auch kulturferne Bevölkerungsgruppen berücksichtigen; • die Sprache der Menschen sprechen und den typischen Kunstjargon vermeiden; • Programme entwickeln, die lokale Bezüge haben sowie Menschen und Vereine aus der Region einbeziehen (wie z.B. Kunstausstellungen mit Arbeiten von Hobbykünstlern); • Entwicklung von zielgruppenspezifischen Programmen;

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• Anknüpfungspunkte über bereits bekannte Kulturproduktionen geben, Bezüge zu Alltagsthemen herstellen; mit bekannten lokalen Einrichtungen zusammenarbeiten, Prominente als Botschafter gewinnen; • Einbezug populärer Massenmedien als Vermittler; • Aufbau von Kooperationen mit Institutionen aus anderen gesellschaftlichen Bereichen; • Outreach-Programme in den Stadtteil oder in die Kommune hinein durch Kooperationen etwa mit dem Jugendamt, mit Familienzentren oder anderen sozialen Einrichtungen eines Stadtteils oder einer Kommune; • Zusammenarbeit mit Schulen in Form kontinuierlicher Partnerschaften; • zielgruppenspezifische Ansprache möglichst über direkte Kommunikation; Zusammenarbeit mit Mittlern und Multiplikatoren; • angenehme Rahmenbedingungen für neue Besucher schaffen; Serviceorientierung; • ereignisorientierte Formen der Vermittlung entwickeln, die mit außergewöhnlichen Rahmenbedingungen spielen, Menschen auf verschiedenen Sinnesebenen ansprechen und Raum für Kommunikation und eigene Beteiligung lassen; • Besucherbindung durch ein ausdifferenziertes System von Mitgliedschaften; • konsequente Besucherorientierung der gesamten Institution; • Beteiligung aller Mitarbeiter einer Institution. Fazit Das traditionelle Bildungsbürgertum, für das die ›Hochkulturnutzung‹ zum festen Bestandteil ihres Lebens gehörte, wird immer geringer. Zugleich wird gerade bei den nachwachsenden Generationen der Anteil der Niedriggebildeten, die am gesellschaftlichen und kulturellen Leben kaum teilnehmen, immer größer. Diese Situation erfordert von Kulturpolitik und Kulturinstitutionen in Deutschland neue Strategien, um auch bildungsfernen Bevölkerungsgruppen Zugänge zu ermöglichen. Museen, die bereit sind, sich in die Gesellschaft hinein zu öffnen, können davon nur profitieren. Eine konsequent publikumszugewandte Management-, Marketing- und Vermittlungsstrategie führt nicht zu einer – besonders in Deutschland viel beschworenen – Verflachung der künstlerischen Arbeit, sondern im Gegenteil profitiert auch die künstlerische Qualität von der Auseinandersetzung mit dem Publikum – so zeigen es die Ergebnisse der New Audiences-Programme in Großbritannien. Die meisten Menschen erwarten vom Museumsbesuch heute mehr als die Bereitstellung von authentischen Objekten. Die Geduld und Konzentrationsfähigkeit, sich auf einzelne Objekte einzulassen, nimmt ab in einer Welt der

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schnellen Bilderflut. Umso wichtiger ist es, dem Besucher ›Brücken zu bauen‹. Museen müssen sich als lebendige, mehrdimensionale Kommunikationsorte begreifen, damit sie den parallel vorhandenen Bedürfnissen nach Kontemplation und Entspannung, schönen Erlebnissen, guter Unterhaltung und (Weiter-)Bildung gerecht werden. Dabei muss das Museum immer wieder kritisch überprüfen, ob sich die ausgestellten Objekte wirklich sinnfällig ›vermitteln‹ – auch an Menschen ohne Vorbildung –, ob für jede Zielgruppe geeignete Formen der Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt werden und ob alle Maßnahmen darauf ausgerichtet sind, die Menschen ›abzuholen‹. Bei all den neuen, Nachfrage generierenden Strategien geht es nicht darum, im Sinne einer vordergründigen Marketingorientierung einfach nur mehr Besucher in die Museen zu holen. Ziel ist es vielmehr, das Potenzial der Museen für weite Kreise der Gesellschaft zu nutzen und es als einen Erfahrungsund Lernort für unterschiedliche soziale Gruppen zugänglich zu machen. Literatur ARD/ZDF Medienkommission/Bernward, Frank (Hg.): Kultur und Medien. Angebote, Interesse, Verhalten, Baden-Baden 1991. Arts Council England/Johnson, Gill: New Audiences for the Arts. The New Audiences Programmes 1998-2003, London 2004. Glaser, Hermann/Stahl, Karl Heinz: Bürgerrecht Kultur, Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1983. Hoffmann, Hilmar: Kultur für alle, Frankfurt a.M. 1979. Institut für Demoskopie: Kulturelles Interesse und Kulturpolitik. Eine Repräsentativumfrage über die kulturelle Partizipation, den Kulturbegriff der deutschen Bevölkerung und die Bewertung der Kulturpolitik, Allensbach 1991. Institut für Zielgruppenkommunikation: Wo bleiben die Besucher? Anlage und Befunde einer qualitativen Untersuchung der Gründe für die Nichtnutzung der Museen und Kunstvereine im Rhein-Neckar-Dreieck im Auftrag des RheinNeckar-Dreiecks e.V., Ladenburg 1999. Klein, Armin: Der Nicht-Besucher. Wer er ist und wie er für Kunst und Kultur gewonnen werden kann, in: Handbuch Kulturmanagement, Stuttgart 2002. Mandel, Birgit: PR für Kunst und Kultur. Zwischen Event und Vermittlung, Frankfurt a.M. 2004. Mandel, Birgit: Einstellungen zu Kultur und ihr Einfluss auf kulturelle Partizipation. Ergebnisse einer Bevölkerungsumfrage in Hildesheim, Juni 2005, www. uni-hildesheim.de/Institut für Kulturpolitik. Mandel, Birgit (Hg.): Kulturvermittlung – zwischen kultureller Bildung und Kulturmarketing. Eine Profession mit Zukunft, Bielefeld 2005.

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Birgit Mandel ➔ Musentempel, Bildungsstätte und Entertainment-Center

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Noschka-Roos, Annette: Referierende Bibliographie zur Besucherforschung, Berlin 1996 (Materialien aus dem Institut für Museumskunde. Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, H. 44). Smyth, Morton: Not for the likes of you, Phase 2 final report, document A, How to reach a broader audience, Arts Council, May 2004. Von Harrach, Viola: Audience Development in England, in: Birgit Mandel (Hg.): Kulturvermittlung – zwischen kultureller Bildung und Kulturmarketing. Eine Profession mit Zukunft, Bielefeld 2005, S. 65-72. Zentrum für Kulturforschung: 1.-8. Kulturbarometer. Bundesweite Bevölkerungsumfragen, Bonn 1991-2005, www.kulturforschung.de. Zentrum für Kulturforschung/Keuchel, Susanne: Zwischen Eminem und Picasso. Teilergebnisse der Jugendkulturstudie, Zentrum für Kulturforschung 2005.

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Lebenslanges Lernen als neuer gesellschaftlicher Imperativ und der Beitrag der Museen

Ellinor Haase Lebenslanges Lernen ist ein Schlüsselelement zur Erreichung des strategischen Ziels von Lissabon (2000), das besagt, die Europäische Union zur wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wissensgesellschaft der Welt zu machen. Der Europäische Rat erteilte damit allen Mitgliedstaaten, Rat und Kommission das Mandat, lebenslange Weiterbildung für alle zu ermöglichen. Lebenslanges Lernen wird in der Mitteilung der Kommission »Einen Europäischen Raum des Lebenslangen Lernens schaffen« (November 2001) definiert als »alles Lernen während des gesamten Lebens, das der Verbesserung von Wissen und Qualifikationen dient und im Rahmen einer persönlichen, bürgergesellschaftlichen, sozialen bzw. beschäftigungsbezogenen Perspektive erfolgt«. In dieser sehr breiten Definition spiegelt sich das gesamte Spektrum von Lernen wider, das formales, nicht-formales und informelles Lernen umfasst. Lebenslanges Lernen soll also helfen, im persönlichen und beruflichen Leben neuen Herausforderungen begegnen zu können, auf Veränderungen zu reagieren, das eigene Leben selbstverantwortlich zu gestalten und sich aktiv und demokratisch in der Gesellschaft zu engagieren. In einer Eurostat-Umfrage des Statistischen Amts der Kommission im Frühjahr 2003 sagten 90 Prozent der Befragten in Europa, dass Lebenslanges Lernen für sie sowohl persönlich als auch beruflich sehr wichtig sei. Mangelnde Zeit und die mit Weiterbildung verbundenen Kosten seien allerdings ein großes Hindernis; befragt, welche Art von Lernen sie bevorzugten, nannten die meisten informelles Lernen. Lebenslanges Lernen umfasst in der obigen Definition auch das Lernen Erwachsener. Erwachsenenbildung ist allerdings häufig der Bereich, der in Richtlinien, politischen Erklärungen oder Förderprogrammen vernachlässigt wird. Und das, obwohl der weitaus größere Teil der europäischen Bevölkerung Erwachsene sind, die nicht mehr in formale Lernstrukturen eingebunden sind. Zur Begriffserläuterung: Unter formaler Bildung verstehen wir Lernen in Schule, Universität, Berufsschule etc. Nicht-formales Lernen ist strukturiertes, organisiertes Lernen außerhalb von Schulen, Universitäten und Einrichtungen der beruflichen Erstausbildung. Anbieter für nicht-formales Lernen/nicht-formale Bildung sind z.B.

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Volkshochschulen, Gewerkschaften, Kirchliche Bildungsträger etc. Nicht-formales Lernen zielt im Allgemeinen nicht auf den Erwerb von Zertifikaten ab. Erwachsenenbildung gehört im Allgemeinen in den Bereich der nicht-formalen Bildung. Informelles Lernen ergibt sich aus Tätigkeiten am Arbeitsplatz, in der Familie, in der Freizeit. Informelles Lernen geschieht meist zufällig und unbeabsichtigt. Nicht-formales Lernen/nicht-formale Bildung wird von einer Vielzahl von Organisationen und Institutionen angeboten. Soweit es sich nicht um spezielle außerschulische Programme für Kinder und Jugendliche handelt, sprechen wir von Erwachsenenbildung. Erwachsenenbildung ist sehr breit gefasst und unterliegt in den europäischen Ländern, aber auch in den deutschen Bundesländern unterschiedlichen Regeln und Gesetzen. Staatliche Zuständigkeiten gelten nur dort, wo Erwachsenenbildung mit öffentlichen Mitteln finanziert wird, die aufgrund von nachweisbaren Faktoren wie Teilnahmezahl, Unterrichtsstunden, Unterrichtende etc. vergeben werden. Da neben den Einrichtungen, die öffentliche (Teil-)Förderung erhalten, eine fast unüberschaubare Zahl von anderen Organisationen Kurse für Erwachsene anbieten, gibt es nur Ansätze von Statistiken in diesem Gebiet. Fehlende oder unzureichende Daten aber lassen leicht den falschen Eindruck entstehen, Erwachsenenbildung sei ein marginaler Bildungsbereich. In einem sich ständig wandelnden Europa ist Lebenslanges Lernen wichtiger denn je zuvor und besonders wichtig für Erwachsene: Erwachsene treffen Entscheidungen, erziehen und unterrichten Kinder und Jugendliche, schaffen und suchen Arbeitsplätze, bestimmen politische Richtlinien, prägen die Gesellschaft, gestalten und erleben Kultur. Museen, die das Konzept des Lebenslangen Lernens in ihre Arbeit integrieren, tragen dazu bei, die Ziele der Lissabon-Strategie umzusetzen; sie werden sich aber auch neue Zielgruppen erschließen können. Es gibt in vielen Museen Bildungsangebote, die sich in der Regel an Kinder und Jugendliche richten. Die Zusammenarbeit mit Schulen ist weit entwickelt und gehört oft zum Standardrepertoire. Das gilt sehr viel weniger für Erwachsene und ganz besonders für Erwachsene mit mittlerem oder niedrigem Bildungsniveau oder mit anderem kulturellen Hintergrund. Beginnend mit Menschen, die noch nie oder selten in einem Museum waren, weil sie Hemmungen haben, sich in eine ihnen unbekannte und unvertraute Situation zu begeben, unsicher, welches Verhalten von ihnen erwartet wird, sollte man zunächst die äußeren Bedingungen von Museen kritisch be-

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trachten: Gebäude und Eingangstüren suggerieren oftmals Exklusivität und Vertrautheit mit einem bestimmten Verhaltenskodex. Manche dieser Menschen nehmen aber vielleicht an einem Kurs zur Eigenheimfinanzierung, einem Sprach- oder Kunstkurs teil und wären bereit, im Schutz ihrer Gruppe ein Museum zu besuchen. Und sie würden dann vermutlich erste Hemmungen abbauen und auch alleine den Weg ins Museum finden. Angebote für Gruppen sind bisweilen vorhanden, im Allgemeinen eine Führung durch die Ausstellung oder das Haus. Daneben gibt es Vorträge, Aufführungen, Inszenierungen, die sich an Einzelne oder Gruppen wenden; durch ihre Ankündigungstexte sprechen sie in erster Linie Menschen mit entsprechendem Bildungshintergrund und Kulturaufgeschlossenheit an. Besucherinnen, die alleine ins Museum gehen, müssen sich ihren Weg durch das Museum erarbeiten, ohne dass ihnen die Hilfe geboten wird, die sie brauchen: der Bezug zu ihrer Lebenswirklichkeit ist unklar oder nicht vorhanden; die Logik und Sinnhaftigkeit der Ausstellung und der Exponate ist nicht zu erkennen ohne einen bestimmten höheren Wissensstand in Kultur und Bildung; schriftliche Erklärungen zu den Exponaten verlangen oftmals große Konzentration und Vorwissen, manche schriftlichen Darstellungen sind für Menschen mit niedrigerem Bildungsstand oder anderem kulturellen Hintergrund, z.B. im Fall von Migrant/innen, einfach unverständlich; Gleiches gilt für Erklärungen, die mündlich über Kopfhörer geboten werden; es geht um passive Rezeption, nicht um handelndes Verstehen oder interaktives Erfahren; längere Betrachtungen oder gar Austausch über das Gesehene in einer Kleingruppe ist nicht möglich, weil nicht ausreichende Sitzplätze zur Verfügung stehen. Zusammengefasst heißt das, dass der/die Einzelne völlig auf sich gestellt ist, was er/sie von diesem Museumsbesuch mitnimmt; das Museum vermittelt keine ›Botschaften‹ und unterstützt nicht oder unzureichend das Verständnis für das Haus und seine Exponate. Richtet das Museum hingegen seine Arbeit nach dem Konzept des Lebenslangen Lernens aus und versteht sich als Lernort im Sinne des vom Europäischen Rat geforderten offenen Lernumfelds, kann es den genannten Problemen begegnen, neue Zielgruppen erschließen und seine Aufgaben in einer neuen Dimension wahrnehmen. Das Museum kann dann seine oft einzigartige Situation nutzen, um im Rahmen des Lebenslangen Lernens, ganz besonders dem Lernen Erwachsener, im Bereich der aktiven Bürgerschaft und des Zugangs zu Kultur eine hervorragende Rolle zu spielen: das Museum liegt – meist – in zentraler Lage, es ist mit (potenziellen) Einzellernplätzen ausgestattet, multimedial ausgerüstet mit Leseräumen, Internetzugang, Cafés, es werden niedrige oder keine Ge-

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bühren erhoben, kurz, das Museum ist ein einzigartiger Lernort und sollte diese Einzigartigkeit nutzen, um in Kooperation mit anderen Lernen für alle zu ermöglichen. In diesem Sinn lassen sich verschiedene Angebote konzipieren, die dem Museum und seinen Kooperationspartnern Nutzen bringen. Für Einrichtungen der Erwachsenenbildung ist das Museum interessant, weil es Bedingungen bietet, die nach Erkenntnissen der Lernforschung und aus eigener Erfahrung Lernen fördern: • gute Erreichbarkeit wegen zentraler Lage, • eine angenehme Umgebung, die nicht an Schule erinnert und keine negativen Lernerinnerungen aufkommen lässt, • aufgelockerte Sitzordnung, • individuelle Arbeitsplätze, • visuelle, akustische oder sensorische Stimuli, • motivationsfördernde Exponate etc. Lernangebote können thematisch bezogen sein: Mal- und Zeichnkurse im Kunstmuseum, Physik- und Chemiekurse im naturwissenschaftlichen Museum, Mathematikkurse im technischen Museum etc. Sie können ergänzend oder illustrierend sein: Kurse zur Kunstgeschichte und eine Führung im Museum, Geschichtskurse mit einer Exkursion in ein Heimat- oder Bergbaumuseum etc. Oder aber Kurse ohne thematische Bezüge mit dem Museum als Lernort par excellence: Es sei hier auf ein Modellprojekt verwiesen, in dem eine Gruppe von Metzgerlehrlingen im Louvre unterrichtet wurde und eine Kontrollgruppe in den üblichen Unterrichtsräumen. Die Modellgruppe wies signifikant bessere Ergebnisse auf – ein überzeugender Beweis dafür, welchen Einfluss äußere Bedingungen auf das Lernen haben. Die Kooperation mit Einrichtungen der Erwachsenenbildung kann für das Museum von Nutzen sein, wenn angestelltes Personal oder Freiwillige weitergebildet werden sollen z.B. für die Betreuung von Einzelnen und Besuchergruppen; für eine Mitarbeit in Erwachsenenbildungskursen oder für die Übernahme der Museumsaufgaben in Lernkursen. Daneben können Unterrichtende in der Erwachsenenbildung Ankündigungen und Vorbereitungen von Ausstellungen und Veranstaltungen, von Texten zu Exponaten, von Literaturhinweisen etc. mitgestalten, damit auch Lernungewohnte und kulturferne Menschen angesprochen werden. Ausstellungen und Veranstaltungen können in Kooperation vorbereitet werden, Einführungen dazu in Erwachsenenbildungskursen und Unterstüt-

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zung durch Unterrichtende etwa auch bei Museumsveranstaltungen wie ›Lange Nacht der Museen‹, Erlebnismuseum etc. Die Zusammenarbeit des Museums mit anderen Institutionen und Organisationen kann und soll sich gegenseitig ergänzen. Sie kann den Museen neue Besucherinnen bringen, den Einrichtungen der Erwachsenenbildung neue und andere Kooperationen und Themen eröffnen und den Teilnehmenden neue Motivation und Perspektiven vermitteln. Unter dem Leitthema des Lebenslangen Lernens sind weitergehende Ansätze entwickelt worden: Lernende Städte und Lernende Regionen mit dem Ziel, durch Kooperation von vielen verschiedenen Einrichtungen neue und attraktivere Lernorte zu schaffen, mehr und bessere Anleitungen und Hilfe zum Lernen zur Verfügung stellen, diversifizierte und interessante Anreize zum Lernen zu geben, Lernübergänge fließend zu machen. Museen, die sich hier aktiv eingliedern und neue Wege erschließen, werden ihre Zukunft als unverzichtbare Lernorte und Anbieter von Lebenslangem Lernen sichern.

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David Anderson Randolph Churchill, the father of the British Prime Minister Winston Churchill, told the following story about himself. He was walking down the street one day and went past a mother with her young daughter. As he walked by, he heard the little girl say, »Mummy, what’s that man for?« What are museums for? Gail Lord made a cogent argument for museums as centres for creativity, even though our current standards of practice can be criticised from the perspective of adult learning.1 The British Museum and some other »Enlightenment« museums of the eighteenth century claim that they are for the gathering of encyclopaedic knowledge. Through exposure to artefacts from many times and cultures, visitors may generate for themselves truth, or rather many truths. The Didactic Museums of the nineteenth century offered self-improvement. The Connoisseur Museums of the early to mid twentieth century indolently offered their visitors opportunities for passive appreciation, but not (heaven forfend) action. The Commercial Museums of the late twentieth century pursued consumerism and the American Dream; others (funded by the European Union) have nurtured the European Dream. More recently, some institutions have become Social Museums, rooted in their communities. A late entry to the pantheon of museum types, in the United Kingdom at least, is the Intrinsic Museum – an institution which exists without the necessity of purpose of any kind. This model of museum has been eloquently articulated by the Right Honourable Tessa Jowell, the current Secretary of State for Culture, Media and Sport in the United Kingdom in her discussion paper, »Government and the Value of Culture«.2 She wrote, »Too often politicians have been forced to debate culture in terms only of its instrumental benefits to other agendas – education, reduction in crime, improvements in wellbeing […].« And she added: »We have avoided the more difficult approach of investigating, questioning and celebrating what culture does in and of itself.« Others, such as the late Professor John Blacking, have already questioned that culture can do anything in and of itself; for him, culture »exists only in performance« – that is, in living practice. It could also be argued, in response to Tessa Jowell, that one person’s »intrinsic« is another person’s »instrumental«. In other words, the whole debate about the purpose of museums is really a debate about the nature of culture. My own institution, the Victoria & Albert Museum (V&A), was an early ex1 Cf. the contribution of Gail Lord in this volume. 2 Tessa Jowell: Government and the Value of Culture, London 2004.

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ample of a didactic museum. In its day it was a new kind of museum, a conscious exercise in social engineering with a branch in London’s working class East End. Founded after the Great Exhibition of 1851 from the profits of that event, within a decade it attracted a million visitors a year, at a time when there were less than 20 million people in England. It was, then, a phenomenal success, and became a model for local museums across the country. In those days, the Museum’s curators were expected, as a matter of course, to be educators as well, and it was common for them to be despatched from London to the far corners of England to teach adult education courses. From the beginning, the South Kensington Museum, as the V&A was then called, had a threefold mission: to educate designers and makers, to educate consumers, and to educate children – the designers and consumers of the future. William Morris was one of the panel of experts who selected objects for the V&A and did so, he said, principally with a view to their use by students. Henry Cole, the Museum’s first director, said: »This Museum will be like a book with its pages open, not shut.« But, by the 1880s, the Museum’s original purpose had been perverted, and a new breed of connoisseur curators were in control of the institution. In consequence, it slept for 100 years. It largely abandoned its public educational ambitions and its attempt to foster debate on the nature of design in British industry. Something else was lost at this time. The South Kensington Museum was only one of an extraordinary range of publicly funded educational and cultural institutions that were built in the South Kensington area after the Great Exhibition. These also included Imperial College of Science and Technology, the Royal College of Art, the Royal College of Music, the Royal Albert Hall, the Royal Geographical Society, the Science Museum, the Natural History Museum and the Royal Parks – not to mention more recent additions such as the Serpentine Gallery, the Goethe Institut, the Institut français and the Ismaili Centre. The original plan had been that South Kensington would become the world’s leading cultural and educational quarter, where institutions would work together in new ways across disciplinary boundaries – the place where the arts and sciences meet, and where you could experience the full spectrum of human creativity. Until very recently this, too, has never happened in any coordinated way. It has always been difficult for governments to know why they should fund museums. I recall talking to a senior and very well respected economist some years ago. He then worked for the Institute of Public Policy Research, an independent think tank in the United Kingdom, and he had just returned from presenting the economic case for investment in the arts to officials at the Treasury. Economically, he said, the case for investment was very strong. Additional money for the arts would generate a much larger return to the

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public purse from increased tourism, exports by the creative industries, and regeneration of communities. But the Treasury officials rejected his arguments. They could not fault his economics. But it was just not possible, in their universe, for the arts to be economically productive – it was, the economist told me, like Galileo asking the Papacy during the Renaissance to believe that the earth went round the sun. I might have replied to him that if he thought talking to government officials about the arts was difficult, it was nothing like as difficult as asking some museum people to believe that public education in museums is important. That was like asking the Medieval Papacy to believe that humans might fly in machines into the skies. In 1996, I prepared for the United Kingdom Government the final draft of the report »A Common Wealth« on museum education. It was sent (I was told) to a minister of the then Conservative administration. According to the civil servant whose task it was to speak to me about the draft, the minister had not been happy at what he read, and the report would not be published unless radical changes were made. »There are too many references in the report to ›the community‹«, said the civil servant, »and too many references to black and minority ethnic groups«. I told him I could not accept the changes they wanted. Fortunately, either the minister was persuaded to change his mind, or the civil servant was mistaken, the report was publicised a few months later, early in 1997. It is difficult to over-emphazise the change in policy on museum education that occurred when the new Labour government came to power in 1997. The new minister, Chris Smith, changed the name of his department from the Ministry of the Arts to the Department of Culture, Media and Sport – our work now embraced the whole of cultural activity, not just the arts. The lottery was encouraged to divert much more money to education and public access programmes, and not just capital projects. As Chris Smith said, »Without education, there is no culture.« The aim was now to work »for the many, not the few«. We are, now, responsible for helping the government to achieve wider cultural democracy. The new Labour administration has identified some key principles that underline almost all the programmes it has introduced. These include: regionalism, to which even national museums should contribute; equity (of opportunity or outcome? – this has still to be fully resolved); entitlement (with priority for children from the most deprived localities, or for all children?); access – both physical and intellectual; inclusion – which requires institutions actively to overcome barriers to use of cultural institutions and participation – on the principle that everyone has expertise they can contribute to other users, based on each individual’s unique experiences in life and community

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regeneration. These principles do not run counter to the long-standing commitment of museums to excellence. Achieving diversity of audience requires every bit as much investment in research as traditional object knowledge. Many new initiatives have been implemented since 1997. These have included a second edition of »A Common Wealth«; »Renaissance in the Regions«, an initiative to enhance public access to regional museums3; »Creative Partnerships«, which extends opportunities for children in some of the most deprived areas of Britain to participate in arts activities with the support of individual artists or cultural institutions; »Culture Online«, which provides funds for participative online services for schools and other audiences; »Strategic Commissioning«, which funds educational partnerships between national and regional museums; the »Museums and Galleries Education Programme«, which funds innovative education projects museums; and free admission to national museums. Together, these and other projects have cost well over 500 million euros over the last few years. Some people in government and the museum sector have said that museums should not be asked to commit to achieve educational targets because there was no evidence that investment in this aspect of museum work would work. Over the last few years, extensive evaluation of programmes like these has demonstrated, beyond any debate, that high quality education projects in museums have a measurable and significant positive effect on the children and adults who participate. Sue Wilkinson’s »Inspiring Learning for All« offers one source of this evidence. The role and profile of educators in museums and galleries has changed significantly over the last decade (but not yet changed enough). Extra government investment seems to have resulted in a dramatic increase in the numbers of educators in museums – perhaps twice as many, at 2000 individuals, as there were in 1997. Many lottery- and government-funded programmes now require evidence that education is a core component of capital projects, which in turn has meant that educators can have a much stronger role in many gallery developments than before. Major regional museums in particular have seen a massive increase in the number of educators they can employ – in some cases these now exceed the numbers of educators employed by national museums with much larger audiences. The transformation in these regional museums has been dramatic, but the big national museums have been slower to change. They have undoubtedly also received far less money for educational development from government. Is this a cause, or a consequence, of the more ambivalent attitude to education that some national museums still hold? It is clear that some major art museums still resist the pressures to broaden the role of their educational 3 See Sue Wilkinson’s contribution in this volume.

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staff. In these institutions, educators struggle to have a voice in gallery design, collecting policies pay scant regard to wider audience needs, and the word »research« is still used as a shorthand for »collections research«. Audience research is still of marginal significance in these institutions. Because so much of the extra money for museums has been short term and/or project-limited, many education staffs are on temporary contracts. New programmes – however successful – are liable to disappear as the museum that hosted them chases new funding for a different initiative. Government funding has been applied particularly to improvement of museum services for schools; other audiences have generally had a lower priority. This has distorted our work, because schools represent only about ten percent of museum visitors. Despite all of these reservations, we must recognise that the developments of the last decade in the United Kingdom represent a quantum change for the better so far as the educational role of museums is concerned. The new Labour administration, unlike its predecessor, identified early on that creativity and the creative industries are essential for the economic and social health of the country in the twenty first century. It has published two »Creative Industries Mapping Documents« – which measured the size and importance of a wide range of different creative industries – in 1998 and again in 2001. We now know that more than ten percent of the workforce, over 500,000 people, are employed in creative industries in London alone. This is the fastest growing sector of the UK economy, and now one of the largest. Interestingly, the government excluded museums and galleries from their list of creative industries in these Mapping Documents, while including private art sale rooms! Cultural institutions employ large numbers of creative people, and export this expertise as economic value through exhibitions, public actions and other means. We are seedbeds for the development of the new generations of makers, artists and designers. We need to make our case for being a creative industry more effectively, if we wish to be taken seriously by government in this respect. One difficulty we face is that many museums themselves are still not themselves particularly interested in creativity, or in fostering this in their audiences. Another is that definitions of »creativity« are contested. Many definitions appear to place undue emphasis on commercial outcomes. They disregard or undervalue the importance in society of »non-productive« or personal creativity, such as that of a parent who makes up stories at bedtime for his children, or the teenager who customises her own clothes. These economically- and technologically-focused definitions now seem very dated, and bear little relationship to the ecosystem of creativity that integrates the activities of families, schools, universities and voluntary organisations as well as industry. It is all rather reminiscent of the euro-centric definitions of »civilisation«

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that held sway among archaeologists some thirty years ago, which identified the development of cities, writing and settled agriculture as key indicators. Any cultural group that did not match these criteria was »not-civilised«. Orally and spiritually rich traditional cultures, such as those of the indigenous peoples of the Western Highlands of Scotland or Australia, were in consequence regarded as deficient in »civilisation«, and would presumably also score badly on »creativity« as defined by some contemporary commentators. How absurd that would be. Even if one were to accept the narrow definition of creative industries used by the United Kingdom government, museums such as the V&A can demonstrate that they play a major role. About thirty percent of our visitors are currently employed in art and design-related industries, or are students studying these disciplines as part of their training. We also run a range of projects that actively support the creative industries. These include »Style Lounge«, an event for students on occasional wednesday evenings, at which famous and emerging designers and cultural commentators informally present and discuss their work, often with music, films and performances included as part of the programme. Another V&A project which was deliberately designed to foster public creativity was »Sunday Extra«, a series of programmes on eight successive sundays which aimed to transform the museum from a largely passive experience for visitors into one in which there were so many different gallery activities, suited to many different ages, interests, levels of skill and preferred learning styles, that anyone should be able to participate creatively in at least one of them, if not more. The experiment was evidently successful, because over the period of two months word spread about the programme, and numbers of all audiences, but particularly families, increased significantly. The problem for us was that initiatives like this need additional funds if they are to be sustained, and this is not easily found. As societies we face major challenges in the 21st century. The war in Iraq and its aftermath is a reminder of how problematic those challenges can be. Museums now, if they are to be effective as public institutions, must also be culturally diverse, audience research driven, distributed beyond their walls, future-focused, participative, democratically accountable, trans-institutional and supported by a network of strategic partnerships. A tall order in itself. But there is more. A public focus requires that museums should be ethical. The Ethical Museum is certainly one model that has not yet been systematically developed, conceptually or practically. What issues should an Ethical Museum address? Certainly, more than is addressed by the current ICOM Code of Ethics (good though this is) which is more concerned about the avoidance of museological sins than the active responsibility to create public good through our museum

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work. Museums are a way of feeling and thinking, individually and collectively. Their ethics now need to reflect this priority. Without education, there is no culture. And without ethics, museums, like other cultural institutions, can have no sure purpose. References Jowell, Tessa: Government and the Value of Culture, London 2004.

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PINK – eigene Wege zur Kunst. Kunstvermittlung für besondere Zielgruppen in der Pinakothek der Moderne 1

Susanne Kudorfer, Ute Marxreiter Das Projekt PINK wendet sich an Menschen, die aufgrund von körperlichen oder sozialen Einschränkungen bislang wenig Zugang zum Museum hatten. Mit maßgeschneiderten Vermittlungsangeboten spricht das Museum neue Zielgruppen direkt an und arbeitet in der Entwicklung des Programms eng mit sozialen Einrichtungen zusammen. Die Initiative für PINK ging von einem Wirtschaftsunternehmen aus. Mit Blick auf Vorbilder in der internationalen Museumslandschaft soll so kreative und innovative Bildungsarbeit für besondere Zielgruppen gefördert werden. Kunstvermittlung in den Pinakotheken Kunst und Kultur sollen für Menschen jeden Alters und jeder Herkunft erlebbar sein. Die Pinakotheken bieten ihren Besuchern daher ein breites Angebot öffentlicher thematischer Führungen, Kunstgespräche und Workshops. Um jedoch wirklich aktiv auf Menschen zuzugehen, die bisher noch keinen Zugang zum Museum gefunden haben, und spezielle Konzepte für ganz besondere Zielgruppen entwickeln zu können, benötigte der Arbeitsbereich der Kunstvermittlung strukturelle und finanzielle Unterstützung. Der Besucherdienst der Pinakotheken, eine Abteilung mit drei festen und etwa 35 freien Mitarbeitern, konzipiert und organisiert die Angebote für erwachsene Einzelbesucher und Gruppen sowie Freizeitangebote für Kinder. So wurden 2003 über 1100 öffentliche Angebote durchgeführt. Das Team betreut außerdem private Gruppen – im ersten Jahr nach der Eröffnung 2002 waren das allein in der Pinakothek der Moderne 2850 gebuchte Führungen. Mediale Vermittlungsangebote wie Audio-Guides und schriftliche Informationsmaterialien wie Orientierungspläne werden ebenfalls von der Abteilung erstellt. Zudem liegen die Redaktion der Programmzeitung und die Betreuung der Internetauftritte aller Pinakotheken im Aufgabengebiet des Besucherdienstes. PINK spricht neue Zielgruppen an Die öffentlichen Angebote erreichen ein wachsendes Stammpublikum von Menschen, die die Pinakotheken als Ort für ihr »lifelong learning« und die 1 Dieser Beitrag findet sich in leicht veränderter Form ebenfalls abgedruckt im Band »Das barrierefreie Museum«, hg. von Patrick S. Föhl, Stefanie Erdrich, Hartmut John und Karin Maaß, Bielefeld 2007.

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Begegnung mit anderen Kunstinteressierten nutzen. Mit dem Programm PINK wenden wir uns gezielt an Noch-nicht-Museumsbesucher. Im Dezember 2002 konnten wir, das Team der Pinakothek der Moderne, dank der Finanzierung unseres Förderers eine freie Mitarbeiterin aus unserem Team halbtags als Projektleiterin einsetzen und mit der Entwicklung des Konzepts beginnen. Acht Kunstvermittler aus dem Kreis unserer freien Mitarbeiter bilden nun das Team von PINK. Sie haben unterschiedliche Ausbildungen als Pädagoginnen, Kunsthistoriker oder Künstlerinnen und verfügen über Erfahrungen in der Museumspädagogik, Kunsterziehung, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung. Ein ausführliches Fortbildungsprogramm bereitete das Team auf seine neuen Aufgaben vor. Die Zielsetzung der Vermittlungsarbeit wurde ebenso erarbeitet wie Methoden und erste Schritte für die Einzelkonzepte. Außerdem fanden Trainings für Stimme, Körpersprache, Umgang mit Konflikten sowie individuelle Coachings statt. Nach Recherchen zu vorhandenen Angeboten haben sich zu Projektbeginn folgende Zielgruppen für PINK herauskristallisiert: • • • •

Jugendliche aus sozialen Brennpunkten; Blinde und Sehbehinderte; Gruppen aus Senioreneinrichtungen; Gruppen aus Frauenhäusern und anderen Hilfsnetzwerken.

Alle Gruppen werden über soziale Einrichtungen, also Multiplikatoren oder Schnittstellen, angesprochen. Nach einer Testphase wurde PINK am 17. November 2003 mit einem Pressegespräch der Öffentlichkeit vorgestellt. Viele Einrichtungen haben sich daraufhin bei uns gemeldet. Das Angebot spricht sich einerseits herum, andererseits suchen wir aber auch aktiv nach möglichen Adressaten und nehmen Kontakt zu Einrichtungen, Fachstellen und Multiplikatoren auf. Im ersten Jahr konnte PINK so 640 Teilnehmer bei 54 Veranstaltungen erreichen. Die Gruppen kamen z.B. vom Drogennotdienst München, der Katholischen Jugendstelle, der Organisation »Lichtblick Hasenbergl«, verschiedenen Altenservicezentren, dem Frauenobdach »Karla 51«, dem Altenheim Münchenstift, der Stiftung »Pfennigparade«, der Jugendsozialarbeit und aus Förderschulen. Überraschend ist der große Anteil der Jugendlichen. Mit 47 Prozent bildeten sie im ersten Jahr die stärkste Gruppe. Offenbar füllt PINK hier eine Lücke mit einem Angebot, das sonst niemand leistet.

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Massgeschneiderte Angebote Acht thematisch und methodisch unterschiedliche Angebote wurden in enger Zusammenarbeit mit ausgewählten Einrichtungen entwickelt: • • • • • • • •

Kunsturlaub; Tempo Tempo; Nehmen Sie Platz; Raumbild – Bildraum; Sehen und gesehen werden; Farbstürme; Wahlverwandtschaften; Zweiteiler.

Wir hatten bei der Entwicklung sowohl die Zielgruppen, ihre speziellen Interessen und Bedürfnisse als auch die Sammlungen der Pinakothek der Moderne und ihre spezifischen Qualitäten im Auge. Vor jedem ›Einsatz‹ finden intensive Gespräche mit den Betreuern statt, die dazu dienen, Interessen und Vorwissen der Gruppen zu erfragen und das geeignetste Angebot herauszufinden bzw. speziell für die Gruppe zu adaptieren. Von Vorteil für PINK sind sicher die spartenübergreifende Ausrichtung der Pinakothek der Moderne mit Kunst, Architektur, Design und die Popularität, die das Museum seit seiner Eröffnung hat. An einem eintrittsfreien Sonntag – bei schlechtem Wetter – besuchen bis zu 12.000 Menschen die Pinakothek der Moderne. Ein Angebot wie »Tempo Tempo« nutzt z.B. die Attraktivität des Ausstellungsbereichs Automobildesign: Wie wird Bewegung und Geschwindigkeit visualisiert? Die Gruppen beginnen ihren Besuch im Ausstellungsbereich Design bei den stromlinienförmigen Fahrzeugen. Ein Experiment mit einer Videokamera leitet über zur Abteilung Kunst: Auf Bildern des Kubismus und Futurismus ist Bewegung und Geschwindigkeit in Malerei dargestellt. Abschließend werden Bewegungsabläufe zeichnerisch erschlossen und der technische Fortschritt und seine Auswirkungen für die Menschen werden diskutiert. Das Angebot »Raumbild – Bildraum« ist ein gutes Beispiel für die Entwicklung eines PINK-Programms. Gemeinsam mit einer blinden Frau wurde das Museum erkundet. Da in der Sammlung Moderne Kunst kaum Skulpturen präsentiert werden, ist das Team vor die Aufgabe gestellt, Gemälde für Blinde und Sehbehinderte erlebbar zu machen. Wie lassen sich Perspektive und Abstraktion für Blinde vermitteln? Wie lässt sich das spezifisch ›Moderne‹ von Bildern des 20. Jahrhunderts erklären, wenn es die Bezugsgröße der älteren Tafelmalerei nicht gibt? Wie lassen sich visuelle Eindrücke in andere Sinnesqualitäten übertragen?

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Nur ein Bild, das Stillleben »Buch, Mandoline und Obstschale« von Pablo Picasso, wurde für unser Programm ausgewählt. Das Gemälde zeigt Alltagsgegenstände, die allen vertraut sind, und bewegt sich an der Grenze zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Es hat einen klaren Bildaufbau und eine überschaubare Farbpalette. Ein originalgroßes Tastmodell des Gemäldes in Holz wurde angefertigt. Die einzelnen Bildgegenstände sind als Einzelteile herausnehmbar. Für jede Farbe auf dem Bild steht eine bestimmte Oberfläche. Um das zentrale Thema – die Anordnung verschiedener Gegenstände auf einer Bildfläche – erfahrbar zu machen, bekommt jeder Teilnehmer zu Beginn einen Karton, auf dem er geometrische Grundformen frei anordnet. Es entstehen verschiedenste Kompositionen, die zum Tasten für alle Teilnehmer herumgereicht werden. Nach diesem Einstieg geht die Gruppe in den Ausstellungsraum mit dem Stillleben von Picasso, vor dem das Tastmodell aufgebaut ist. So können die Teilnehmer, die noch über Restsehfähigkeit verfügen, auch das Original betrachten. Die Teilnehmer ertasten das Holzbild, jeder sucht sich ein Lieblingsteil, nimmt es aus dem Bild heraus und begründet kurz seine Wahl. Die einzelnen Teile werden in der Gruppe weitergegeben. Auf einem zweiten Tisch werden die Teile, die Gegenstände repräsentieren, wieder zusammengesetzt. Im direkten Vergleich zu einem realen Objekt, z.B. einem Buch, wird dann die Darstellungsweise des Buches im Bild herausgearbeitet. Die Teilnehmer lernen so Picassos Formensprache und seine Interpretation der Objekte kennen, die einerseits der Gegenständlichkeit verpflichtet ist, aber auch die Autonomie der Formen vorantreibt. Abschließend werden alle Teile wieder eingefügt. So erschließt sich die Gesamtkomposition des Bildes sowie die Anordnung der Gegenstände im Bildraum zwischen Tisch, Wand und Hintergrund. In einem abschließenden Gespräch werden Beobachtungen und Erfahrungen ausgetauscht. Für viele Gruppen eignet sich das Programm »Kunsturlaub« – kleine Ferien im Museum: Mit einem Koffer voll Urlaubsutensilien reisen die Teilnehmer in die Landschaften der Expressionisten, zu Max Beckmann ans Meer und zur Capri-Batterie von Joseph Beuys. Das Motiv des Reisens wird unter verschiedenen Aspekten beleuchtet: Das Erleben von Landschaft und Natur spielt eine Rolle, die Teilnehmer sprechen über Heimat und Exil. Und ganz wichtig ist das Aufladen der ›Batterien‹-Energie und Inspiration, die auch ein kleiner Urlaub im Museum bringt. Der »Zweiteiler« hingegen hat sich als ideales Format für Jugendliche erwiesen, die meist ihr ›erstes Mal‹ mit Kunst im Museum erleben. Das Angebot kombiniert einen gestalterisch-praktischen Teil in der sozialen Einrichtung mit einem Kunstgespräch im Museum und wird von zwei Vermittlerinnen durchgeführt, einer bildenden Künstlerin und einer Kunsthistorikerin. Wir nehmen uns einen ganzen Vormittag Zeit, was eine intensive Auseinandersetzung in kleinen Gruppen ermöglicht. In der Arbeit mit zwei Persönlichkei-

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ten erfahren die Jugendlichen die Auseinandersetzung mit Kunst als lebendigen Dialog, der auch konträre Sichtweisen zulässt. Der Einstieg über das praktische Gestalten in der Einrichtung fördert die Aktivität der Jugendlichen auch im Museum. Praxis und Theorie sind so eng miteinander verzahnt. Ziele und Haltung Was kann Kunstvermittlung für die Bildungsarbeit mit besonderen Zielgruppen leisten? Wir halten die Auseinandersetzung mit Kunst nicht nur für einen ›schönen Zeitvertreib‹. Die Begegnung mit einem Kunstwerk kann eine essenzielle Erfahrung sein, die für viele Lebensbereiche brauchbar ist. Kunst ist vielschichtig, komplex und uneindeutig. Sie bietet ein offenes Feld für Assoziationen und Diskussionen. Kunst spricht Gefühle an, fordert das Aushalten von Fremdheit – auch Widerspruch. Kunst gibt zu denken und hat Schnittstellen zu unendlich vielen Gebieten. Kunst hat Tiefe, fordert Hinsehen, Konzentration, Innehalten – und weist auch auf Werte jenseits von Gewinn und Konsum. Gerade in der Persönlichkeitsbildung und der Vermittlung von Schlüsselqualifikationen kann die Auseinandersetzung mit Kunst sehr viel leisten, wenn dies mit Sorgfalt und respektvoller Zuwendung geschieht. Wir versuchen in unserer Vermittlungsarbeit diesem Anspruch gerecht zu werden, gehen von den Interessen und Bedürfnissen der Teilnehmer aus, berücksichtigen ihre Motivation und vorausgegangene Erfahrungen. Das Potenzial des Einzelnen und das der Gruppe soll genutzt werden, was Respekt und Wertschätzung für jeden Besucher voraussetzt. Wir wollen einen eigenen Zugang ermöglichen – und nicht Fachwissen abladen. Austausch und Auseinandersetzung sind uns wichtig. Ein positives, mit Freude verbundenes Lernerlebnis soll ›ankommen‹. Nicht nur die Begegnung mit originalen Objekten, auch die Begegnungen mit den Menschen im Museum soll authentisch sein. Bei größeren Gruppen arbeiten wir deshalb immer zu zweit: Verschiedene Persönlichkeiten bringen ihre jeweiligen Qualitäten und Haltung ein. Je besser ein Museumsbesuch in das ›Davor‹ und das ›Danach‹ eingebettet ist, desto nachhaltiger kann die Erfahrung sein. Partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Einrichtungen und intensiver Austausch mit den Betreuern der Gruppen sind hierzu notwendig. Das Museum kann ein Ort der Begegnung mit verschiedensten Bevölkerungskreisen sein und damit auch zum Abbau von Grenzen und Vorurteilen beitragen. Evaluation Ob diese Ziele erfüllt werden und die gewünschte Qualität auch bei den Teilnehmern ankommt, hängt von unserer Arbeit ab, die wir auf verschiedenen Wegen evaluieren: Die Vermittler reflektieren jede Veranstaltung in einem

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Protokoll; Teilnehmer und Betreuer bekommen Feedbackbögen, die sie in der Regel auch ausfüllen und zurückschicken; ein Kreis von interessierten Beobachtern begleitet das Projekt. Unser Förderer hat außerdem eine soziologische Studie in Auftrag gegeben, die 2005 abgeschlossen wurde. Fokus der Studie ist die Arbeit mit den Jugendlichen. In der Zusammenfassung des Endberichtes kommt das Soziologenteam zu folgenden Ergebnissen: »Die Auswertung unserer Beobachtungen und Befragungen hat ergeben, dass durch die Teilnahme an PINK bei Teilnehmerinnen und Teilnehmern der untersuchten Gruppen zieladäquate Bildungsprozesse angeregt bzw. verstärkt werden konnten. Diese beziehen sich auf • den Abbau zielgruppenspezifischer Hemmschwellen im Umgang mit Kulturinstitutionen • die Überwindung sozialräumlicher Beschränkungen und die Schaffung von Ermöglichungsräumen lebensweltübergreifender sozialer Begegnungen • Förderung von Sozialkompetenz bei den Teilnehmern • Vermittlung positiver selbstwertstabilisierender bzw. -fördernder Erfahrungen • Unterstützung von Selbstreflexion und Förderung kreativer Ausdrucksformen • Vermittlung von kunstbezogenem Bildungs- und allgemeinbildendem Weltwissen.«2

PINK regt bei den Teilnehmern eine Vielzahl von positiven Prozessen an. Für die Pinakotheken und das Vermittlerteam ist dies eine ermutigende Bilanz, die sich auch auf die Arbeit mit den anderen Besuchergruppen bei PINK übertragen lässt und mit deren Rückmeldungen deckt. Aussichten und Entwicklungen Seit der Einführung von PINK im Herbst 2003 wurde die Unterstützung für das Projekt aufgrund der anhaltenden positiven Resonanz bei allen Beteiligten jeweils jährlich verlängert. Trotz dieser kontinuierlichen Förderung hat PINK keine Planungssicherheit. Wir hoffen natürlich und arbeiten daran, dass das Angebot langfristig als fester Bestandteil der Sozial- und Bildungsarbeit des Museums bestehen bleibt, daher muss zur finanziellen Sicherung ein Fundraising-Konzept entwickelt werden. Sowohl die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Unternehmen, das PINK möglich gemacht hat, als auch die Kooperation mit den Einrichtungen, die PINK nutzen, erscheint uns bemerkenswert. Neben den ›Einmal-Be2 Martin Abraham et al.: Zusammenfassung des Endberichts. In: Dies.: Evaluation des Projektes »PINK – eigene Wege zur Kunst« der Pinakothek der Moderne. München 2005, Institut für Soziologie, S. 3.

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suchern‹, die maßgeschneiderte Angebote bekommen, beginnen sich auch engere Beziehungen und längerfristige Projekte in einzelnen Einrichtungen zu entwickeln. PINK gibt Impulse: Die positive Erfahrung mit dem Museumsbesuch regte den Lehrer einer Blockklasse3 an, ein einwöchiges Gestaltungsprojekt für Jugendliche zu planen. Konzipiert und durchgeführt wurde die Projektwoche vom PINK-Team, die Kosten teilten sich die Schule und PINK. Hier wird eine Nachhaltigkeit sichtbar, die ansonsten bei den kurzen Formaten der Programme nicht im Vordergrund stehen kann. Als nachhaltig erweist sich außerdem die Vernetzung und der Erfahrungsaustausch mit Verbänden und Bildungseinrichtungen, auch auf internationaler Ebene. Besonders wichtig ist für uns die Verbindung zum Bereich Sozialwesen an zwei Münchner Fachhochschulen: seit Herbst 2005 führen wir dort regelmäßig praxisorientierte Lehrveranstaltungen für angehende Sozialpädagogen durch, in denen wir der Frage nachgehen, was die Begegnung mit Kunst für Gruppen aus der sozialen Arbeit leisten kann. PINK wurde ein Motor für den gesamten Arbeitsbereich der Kunstvermittlung in den Pinakotheken. Potenziale und Chancen wurden schnell sichtbar. Herausragend ist die Intensität in der Entwicklung, Durchführung und Evaluation der Angebote. Professionalität ist ein wichtiger Punkt: die Arbeit in einem gut ausgebildeten Team, das angemessen bezahlt wird, sich kontinuierlich austauscht, weiterbildet und individuelle Coachings in Anspruch nehmen kann. Die bei PINK erworbene Methoden- und Sozialkompetenz bereichert als Erfahrungsschatz auch die Vermittlungsarbeit mit anderen Besuchergruppen. Als besonders wertvoll empfindet das Team die Sichtweisen der PINK-Teilnehmer/-innen auf die Kunst; so hat z.B. die Arbeit mit Blinden und Sehbehinderten unseren Blick als Sehende auf die Kunstwerke nachhaltig geschärft und verändert. Literatur Abraham, Martin et al.: Evaluation des Projektes »PINK – eigene Wege zur Kunst« der Pinakothek der Moderne. München 2005, Institut für Soziologie.

3 In Bayern werden Jugendliche mit Hauptschulabschluss, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben und noch schulpflichtig sind, in sogenannten »Blockklassen« an Berufsschulen beschult. Die Motivation der Jugendlichen in den Blockklassen ist sehr schlecht, der Anteil an sozial benachteiligten Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist sehr hoch.

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Merkwürdig – Lernen im Museum oder Lernen in Erlebniswelten. Was können Museen von lernbasierten Erlebnisorten lernen?

Kurt Grötsch 1. Auf der Strecke Wenn man die Literatur liest in Bezug auf Museen als Lernorte, könnte man den Eindruck gewinnen, dass der notwendige Diskurs über die Neuen Lernorte diese noch nicht erreicht hat und ihm auf der halben Strecke der E-sprit ausgegangen ist. Veröffentlichungen wie die vorliegende stellen nun Tankstellen dar, in denen nicht nur der think tank neu gefüllt werden kann, die auch eine notwendige Pause liefern, um den Rest der bevorstehenden Reise zu den Neuen Lernorten zu planen – möglicherweise auch neue Landkarten zu erwerben, in denen diese neu verortet sind. Dazu gehört auch ein Koordinatensystem mit vielleicht neuen Bezugspunkten wie Wissensmarketing, Gefühlsmarketing etc. Andere Bezugspunkte müssten verschoben werden, von Besuchern zu Kunden, von Museen zu Dienstleistungsunternehmen, ohne dass deren wesentlicher Auftrag angezweifelt, sondern deren kulturelle Rentabilität optimiert und in einen zeitgemäßen Rahmen gestellt wird. Dazu müsste man Schnittstellenmanagement betreiben – mit vielleicht auch museumsfremden Disziplinen, wie z.B. Freizeitmanagement, Emotion Management1 oder Customer’s Experience Management2. Ein wichtiger Schritt dazu wäre auch die Bereitschaft, mit Inhalten und Sprachen anderer Disziplinen Symbiosen einzugehen. Damit wäre ein erster grundsätzlicher Lernprozess in Gang gesetzt, der Ausgangspunkt für alle anderen Lernprozesse in Museen ist: nämlich das Museum selbst als Learning Organization zu gestalten, sicher lebenslang. Dazu gehört auch, Paradigmen neu zu überdenken und vielleicht auch zu brechen.3 Vorreiter wäre in diesem Zusammenhang das ICOM, das dabei eine wichtige Rolle spielen könnte. Einen Markstein zum Paradigmenwechsel bildete deren neunte Generalkonferenz schon im Jahre 1971. Das Thema »The museum in the service of man today and tomorrow« spiegelt eine Erneuerung der Auffassung über die Aufgaben des Museums wider, eine Auffassung, die sich später radikalisierte unter dem Konzept einer muséologie nouvelle, einer neuen Museologie. Von der jetzt schon wieder etwas älter ge1 Vgl. Kurt Grötsch: Emotionware, unveröffentlichter Vortrag auf der TILE (Trends in Leisure and Entertainment)-Konferenz, Strasbourg 1998; Ders.: Psychologische Aspekte von Erlebniswelten, in: Hans Hinterhuber (Hg.): Industrieerlebniswelten. Vom Standort zur Destination, Berlin 2001, S. 69-85. 2 Vgl. Bernd Schmitt: Customer Experience Management, Hoboken 2003. 3 Julian Spalding: The Poetic Museum, München 2002.

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wordenen neuen Museologie ist es nur ein gewagter, aber kritischer Katzensprung hin zum museotainment, wenn wir feststellen: »Edutainment is everywhere, learnotainment is already there und museotainment is somewhere.«4 Eine Gratwanderung Auf der anderen Seite zeichnet sich ab, dass das Museum auf dem Wege ist, in der sich festigenden Wissensgesellschaft wechselnde, aber nach wie vor wichtige Aufgaben der Wissensvermittlung zu übernehmen. Wie Torsten Junge feststellt, ist es nicht besonders originell, Wissen als Ressource zur Lösung gesellschaftlicher Probleme zu begreifen. Aber: Deren kompetente Repräsentation gerade auch komplexerer Inhalte, wie sie z.B. die Forschung und Entwicklung neuerer Technologien mit sich bringen, ist ein äußerst anspruchsvolles Unterfangen und bietet auch der Idee des Museums neue Chancen, sich von der Glaskasten- und Vitrinenmentalität zu lösen, sich als spannungsreiches Instrument der Didaktik neu zu formieren und sich auf einer pädagogisch-didaktischen Gratwanderung neuen konzeptuellen Abenteuern auszusetzen. Jedoch: Die Wandlung des Selbstverständnisses des musealen Raumes birgt die Gefahr, sich zu sehr an bestimmte populäre Strömungen der gegenwärtigen Eventkultur aus betriebswirtschaftlichen Gründen anzupassen und somit in der Belanglosigkeit zu versinken.5 Angeregt von dem Verdacht von Torsten Junge und von der düsteren Prognose, die Martin Roth schon 1992 in den Raum gestellt hat: »Den Museen droht Belustigung und platte Unterhaltung …«, wollen wir daher 14 Jahre später unsere grauen Zellen über den Spannungsbogen ›Lernen, Unterhalten und Museen‹ wandern lassen, um zu überprüfen, inwiefern Lernen und Unterhaltung, Spaß und Information auch im Museum wertvolle Symbiosen eingehen können. 2. Lernorte versus Erlebnisorte Die zunehmende Eingliederung in einen kommerziellen Kultur- und Freizeitmarkt hat die traditionellen Museen nachhaltig verändert6 – man möchte 4 Kurt Grötsch: Vortrag im Symposium »Museen neudenken«, Köln 2004, Gegenstand des vorliegenden Beitrages. 5 Torsten Junge, Internetrezension des Buches: Gabriele Kindler (Hg.): MuseumsTheater. Theatrale Inszenierungen in der Ausstellungspraxis, Bielefeld 2001, in ICOM, Virtual Library Museen, in: http://www.vl-museen.de/lit-rez/junge02-1.htm. 6 Thomas Dominik Meier/Hans Rudolf Reust (Hg.): Medium Museum. Kommunikation und Vermittlung in Museen für Kunst und Geschichte, Bern/Stuttgart/Wien 2000.

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hinzufügen: ob sie wollen oder nicht. Die traditionellen Lernorte, wie die öffentlichen Schulen und Museen, sind auf dem Weg, ihr Lernmonopol zu verlieren, und befinden sich im verstärkten Konkurrenzdruck mit privaten Lehreinrichtungen und Freizeitangeboten, die das Lernen zunehmend als auch lustvolle Erfahrung in ihr Angebot aufnehmen. So hat sich z.B. in Spanien auf Grund der sich herausgebildeten Mittelschicht schon vor vielen Jahren eine private Bildungsindustrie entwickelt, die – mit Opfern – in die Ausbildung ihrer Kinder investieren kann, da bis jetzt das öffentliche Schulsystem Jahrzehnte hinter dem Bedarf einer sich rasch modernisierenden Gesellschaft hinterherhinkt. Erfolgsfaktoren Freizeitforscher sind nun seit längerer Zeit auf den Spuren des Erfolgs neuer und aufgemöbelter Freizeitszenarien.7 Neben anderen Faktoren haben sich die folgenden als entscheidend für einen Spitzenplatz im Freizeit- und Erlebnismarkt entpuppt – Faktoren, die zudem auch museumstauglich sind, wenn man eine entsprechende Transferleistung sucht und zulässt:8 Zunächst geht es um die Entwicklung von emotional geprägten Marken, die tiefere Kundenbindungen ermöglichen.9 Wenn Automarken schon seit Jahren Emotional Branding oder Emotional Marketing10 etc. betreiben, dürften dem die Museen nicht nachstehen, da ihr Produkt mindestens ebenso viel – wenn nicht mehr – Emotionspotenzial enthält als ein Auto. Freizeitszenarien gelingt es zudem, das Versprechen von der Verwirklichung von Illusionen oder Utopien zumindest im Ansatz einzulösen, so z.B. in dem Disney-Themenpark EPCOT (Experimental Prototype Community of Tomorrow) über die Inszenierung von Traumwelten, achronischen Räumen (cronotopes), d.h. zeitund raumfreien, paradoxen Räumen. Auch Museen, vor allem Kunstmuseen, sollten darüber nachdenken, welches Zeiterleben über die Objekte gesucht wird, z.B. über das Eintauchen in die Aura der Vergangenheit oder durch Entrückung, d.h. Entgrenzen der Zeit. Es geht aber auch um die Normierung von Kulturerfahrungen, die Standards schaffen und planbarere Konsumsituationen ermöglichen, aber auch eine erhöhte Freizeiterfahrung und -bildung (lei7 Horst W. Opaschowski: Das gekaufte Paradies. Tourismus im 21. Jahrhundert, Hamburg 2001; Christian Mikunda: Marketing spüren. Willkommen am Dritten Ort, Bielefeld 2002; Albrecht Steinecke (Hg.): Erlebnis- und Konsumwelten, München 2000; Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft, Frankfurt a.M. 2000. 8 Vgl. dazu Hartmut John (Hg.): Vergleichen lohnt sich – Benchmarking als effektives Instrument des Museumsmanagements, Bielefeld 2003. 9 Vgl. Grötsch, Emotionware, a.a.O. 10 Vgl. Daryl Travis: Emotional Branding, New York 2000.

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sure literacy) der Kunden zur Folge haben. Einen Schritt weiter führt der bewusste Umgang mit dramaturgischen Elementen, die die Zeit-, Dienstleistungs- und Raumerfahrung beim Besuch eines Museums in einen neuen Einklang bringen und entscheidend auf das Besuchserlebnis (visitors’ experience) einwirken, was vor allem Mikunda betont.11 Dienstleistungsinszenierungen, themenkohärente Abläufe und Besuchssteuerung, die insgesamt den Unique Dramatic Purpose nicht nur von kulturellen Einrichtungen oder Freizeitwelten zur Folge haben, sind Teil der Nomenklatur von erfolgreichen Dienstleistungsunternehmen. Dazu gehören auch die Entwicklung von Geschichten oder Storylines, Einbindungen in Kontexte oder Re-Kontextualisierung, Abenteuer, Geschichten, Mythen, die insgesamt ›erlebnislogische‹ Abläufe (Besucherfluss) schaffen und den Aufenthalt in einem Museum im Ansatz emotional steuern können.12 Gelänge dies, dann hätte das Museum unserer Ansicht nach den Quantensprung von einem Museum zu einem Kultur(erlebnis-)szenarium geschafft. Dass Freizeitszenarien sich zunehmend als Mixed-Use Centers darstellen, hat weniger mit der maximalen Ausbeutung eines Gastes zu tun, sondern eher mit dessen spezifischer Lust, neue Konsumvarianten zu erproben, die sich primär aus Kombinationen angestammter Konsumlinien ergeben. Es entstehen Angebot-Cocktails, auf die auch die Museen ein Auge werfen.13 Museums-Cafeterias, Läden, Restaurants, Corporate Events oder »Lange Nächte« nehmen Bezug auf einen multioptionalen Kunden und verwandeln auch Museen in Mixed-Use Centers. Ein anderer wichtiger Punkt für die Stabilisierung von Freizeitszenarien sind Allianzen, wobei neben Marken- und Produktallianzen auch die Besuchserfahrung als Allianz mit den Kunden verstanden wird, was ein Überdenken der Kommunikations- und Personalstrategien zur Folge hat. Auf der Produktseite ermöglicht z.B. das Konzept der Serialität, d.h. die regelmäßig wiederholte Inszenierung von Veranstaltungen und Events, zu denen auch die Biennalen gehören, die Etablierung und Vervielfältigung von Kultur- und Freizeiterfahrungen. Auch die Anwesenheit und die Einbindung von Prominenten (strong names) möbeln das Image auf, wobei dies nicht nur Personen der Boulevard11 Christian Mikunda: Der verbotene Ort oder die inszenierte Verführung, Düsseldorf 1996. 12 Vgl. dazu Elisabeth Erdmann: Treppensteigen in der Toga. Sinnlich-emotionale Erfahrungen im Museum, in: Bernd Mütter/Uwe Uffelmann (Hg.): Emotionen und historisches Lernen. Forschung – Vermittlung – Rezeption, Frankfurt a.M. 1992, S. 153-163. 13 Vgl. dazu Steinecke, Erlebnis- und Konsumwelten, a.a.O.; Hans Hinterhuber (Hg.): Industrieerlebniswelten, Berlin 2001.

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presse, Fußballer oder Schauspieler sein können, sondern auch Wissenschaftler oder Politiker. Sie sind quasi Zeugen der Qualität des Produktes oder qualifizieren es erst durch ihre Anwesenheit und Zeugnisnahme, oft sind sie das soziale oder kulturelle Alibi einer Veranstaltung. In unserem Sozialverständnis ermöglicht zudem die körperliche Präsenz der VIPs den ›Schauder der Nähe‹. Neben all den aufgezeichneten Elementen, die von Mikunda, Steinecke und anderen geortet und geordnet worden sind, kommt dem Emotionen-Management eine besondere Rolle zu, das spätestens seit Mitte der 1990er Jahre als maßgebliches Instrument zur Steuerung von Besuchererlebnis und Kundenbindung zunächst von Hochpreisprodukten (wie Edelmarken im Automobilbereich) eingesetzt worden ist. Dazu setzt sich ebenfalls gegen Ende der 1990er Jahre auch die Erkenntnis durch, dass implizites-explizites, außengesteuertes-innengesteuertes, autotelisches Lernen nicht nur dem bürgerlichen Bildungskodex oder dem beruflichen Fortkommen dient, sondern sich auch als wichtiger Teil der Freizeiterfahrung emanzipiert hat, den Man(n) und Frau durchaus auch lustvoll genießen kann – was 2002 zu der Fachtagung »Lernen in Erlebniswelten« in Hannover führte. Überschneidungen Einige Anbieter von Freizeitangeboten entdeckten vor Jahren schon, dass Lernen wesentlicher Bestandteil des Freizeiterlebens ist und damit auch ein wichtiges Element der Erlebnisgesellschaft ausmacht, da es grundsätzlich das Selbsterleben unserer Besucher ermöglicht – das eigentliche Kernerlebnis der Menschwerdung an sich. Es finden deshalb Überschneidungen statt, die Grenzen zwischen Erlebnis- und Lernort vermischen sich. Traditionelle außerschulische Lernorte, deren Kernnutzen von jeher die Wissensvermittlung darstellte, wie Museen, Botanische Gärten, Zoologische Gärten etc., entdecken als Zusatznutzen, um in der Marketing- und Businesssprache zu bleiben, das Erlebnis14 und den Spaß: die »Langen Nächte der Museen« entstehen, Abenteuermuseen, Museen für Kids, Erlebnisparcours und vieles mehr. Aber eine Großzahl von Museen tut sich vielerorts schwer, damit auch erfolgreich umzugehen. Auf der einen Seite überdeckt immer noch der Schatten des bürgerlichen Bildungsauftrags, dessen schwergewichtige Träger die Museen seit dem 19. Jahrhundert waren, eine Annäherung an die von ihnen lange Zeit tabuisierte Spaß- und Lustgesellschaft – und so macht es eben dieser Schatten schwer zu verstehen, dass die schon 1992 von Schulze umfassend beschriebene Erlebnisgesellschaft tiefgehende Veränderungen auch 14 Vgl. dazu Andreas Urban: Von der Gesinnungsbildung zur Erlebnisorientierung. Geschichtsvermittlung in einem kommunalen historischen Museum im 20. Jahrhundert, Schwalbach/Ts. 1999.

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im Freizeit- und Kulturkonsum einfordert.15 Mag sein, dass zwischenzeitlich auch »Schluss mit lustig«16 geworden ist, aber das Erlebnis als Gegenstand der Freizeiterfahrung hat sich nicht nur im Freizeitverhalten eingegraben. Erlebnis- und Erlebenwollen sowie die damit einhergehenden Erlebniserfahrungen haben unsere Gesellschaft längst umprogrammiert, auch auf einer ethischen und respektvollen Ebene. Es geht nicht mehr länger um Erleben und ›Fun‹ um jeden Preis, sondern um nachhaltiges Erleben. Damit rückt die Lernerfahrung – oder besser: das Lernerlebnis – an einen der vordersten Plätze, wenn nicht an den ersten Platz aller Erlebnismöglichkeiten. Nachhaltiges Erleben und nachhaltiges Lernen gehen damit Symbiosen ein, die Wegweiser auf der langen Fahrt zu den Neuen Lernorten darstellen. Selbstsozialisation Wie auf der erwähnten Fachtagung »Lernen in Erlebniswelten« in Hannover 2002 festgestellt worden ist, entstanden diese Symbiosen in der Kreuzung verschiedener Lernansätze. Für die Weiterbildung wird seit Jahren über das »selbstgesteuerte lebenslange Lernen« diskutiert.17 Die Sozialisationsforschung dagegen thematisiert die »Selbstsozialisation« als zunehmend wichtigen Aspekt im Freizeiterleben.18 Der Erlebnisbegriff wird, lebensphilosophischen Ansätzen folgend,19 als Ausdruck für die Verselbstständigung des Individuums im »Erleben«, »Verstehen« und »Ausdrücken« von Welt diskutiert und nimmt Einfluss auf die didaktischen Ansätze in Freizeitszenarien, die das Selbst als Gegenstand der Freizeit- und Kulturerfahrung ins Zentrum der Beobachtung und des Geschäftes stellen. Diese ›Totalisierung‹ des Selbst scheint auch hinter dem sogenannten »multioptionalen Konsumenten« zu stecken, der es dem Markt immer schwerer macht, ihn einzuschätzen und zu ›berechnen‹ – auch emotional. Dies führt zu neuen Lernformen sowie neuem Lernverhalten der Besucher, besonders dem emotionalen Lernen. Insofern scheint emotionales Lernen auch immer mehr damit zu tun zu haben, dass das Selbst sich auch seine eigenen Gefühle schafft (schaffen muss) und damit umgehen lernen muss. In der Pädagogik rücken daher die Begriffe »In15 Schulze, Erlebnisgesellschaft, a.a.O. 16 Peter Hahne: Schluss mit lustig. Das Ende der Spaßgesellschaft, Lahr 2004. 17 Günther Dohmen (Hg.): Selbstgesteuertes lebenslanges Lernen? Bonn 1997; Ders.: Das lebenslange Lernen. Leitlinien einer modernen Bildungspolitik, hg. vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Bonn 1999. 18 Jürgen Zinnecker: Selbstsozialisation. Essay über ein aktuelles Konzept, in: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung 3, 2000, S. 272-291. 19 Unter anderem Wilhelm Dilthey: Das Erlebnis und die Dichtung (1905), Göttingen 1970.

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formation«, »Beratung«, »Animation« sowie auch »Arrangieren« nach vorn, der vom Lehrer gesteuerte Unterricht kommt in die Diskussion20 und stellt somit auch herkömmliche Lernorte in Frage, die neue Lernformen entwickeln müssen, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollen im Kampf um Kultur- und Lernlustkunden. Lernerfahrungen in Freizeitszenarien Die Frage ist nun, warum sich auch Anbieter von Freizeitszenarien verstärkt den Lernerfahrungen in ihrem Bereich widmen. Die vielfältigen Antworten sind sowohl orientiert am Besuchernutzen als auch am Nutzen der Anbieter, wobei der Nutzen durch Zuwachs von Ansehen (image) oder durch ökonomischen Vorteil entsteht. Damit dies möglich ist, werden neue Ansätze von Marketing eingesetzt, darunter auch Strategien, die wir in einem neuen Fachjargon Learn Branding nennen könnten – und damit hätten wir ein neues Konzept aus der Taufe gehoben. In der Diskussion müssten wir somit zwischen marken- und produktorientierten Lerninteressen unterscheiden, wobei die ersteren die Markenstärke und das Image des Lernanbieters fördern und die zweiten das Produkt- oder Serviceerlebnis verstärken. Freizeitanlagen, die seit einiger Zeit zunehmend über ihre Lerndimension als Produktpotenzial nachdenken, sind in Deutschland z.B. Legoland Günzburg, CentrO in Oberhausen, der Potts Park in Minden, der Heide-Park Soltau – aber auch nicht zu vergessen der Europa-Park in Rust und das Phantasialand in Köln. Denen gegenüber stehen eher am Lernen orientierte Orte, die ihr Erlebnispotenzial nicht nur ausloten, sondern pädagogisch und didaktisch auch ausbauen, allen voran der Zoo Hannover, aber auch Botanika in Bremen und die Zoos in Leipzig und Osnabrück. Auch Museen wie z.B. das Deutsche Hygiene Museum in Dresden oder das Heinz Nixdorf Museum in Paderborn orientieren sich an neuen Lernerlebnismodellen in ihren Einrichtungen,21 wobei sich das Grundkonzept nahezu aller Erlebnisorte daran ausrichtet, Lernen durch erlebnisorientiertes Handeln auszulösen.22 Dieser Ansatz findet sich nun in den Konzepten der zunehmenden Anzahl von Parkschulen, mit denen Themenparks ihr pädagogisches Angebot aufrüsten. a) Lern- und Erlebnismärkte Prinzipiell wirken Lernerfahrungen nachhaltiger im kulturellen, emotionalen und kognitiven Gedächtnis fort als punktuelle (banale) Erlebnisse. Das be20 Wolfgang Nahrstedt (Hg.): Lernen in Erlebniswelten, Bielefeld 2002. 21 Vgl. Renate Freericks (Hg.): Nachhaltiges Lernen in Erlebniswelten, Bielefeld 2005; Dies. (Hg.): Projekt Aquilo, Bielefeld 2005. 22 Vgl. Nahrstedt, Lernen in Erlebniswelten, a.a.O.

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deutet auch, dass Lernerfahrungen in Freizeit- und Kulturszenarien an diese gekoppelt sind und zusammen mit diesen im emotionalen Gedächtnis (›Dort war es super!‹) abgespeichert werden. Lernerfahrungen ›qualifizieren‹ Freizeitszenarien und Erlebnisorte aber auch ethisch, kulturell und sozial – und bewirken eine Imageverschiebung vom banalen Spaßort hin zum kulturell sinnvollen und persönlich bereichernden Freizeitvergnügen. Erfolgreiches Lernen bewirkt zudem Veränderungen in Einstellungen gegenüber der Marke sowie Verschiebungen von Haltungen und Verhalten der Menschen gegenüber dem Anbieter und ist daher interessant für eine höhere Markenloyalität und positive Grundeinstellung in Bezug auf das ›Produkt‹, das auch ein Museum sein kann. b) Produktorientiertes Lerninteresse Die Anbieter von Erlebniserfahrungen haben Lernerfahrungen als Zusatznutzen von Erlebnisszenarien, Freizeitanlagen und Erlebnisorten entdeckt und weben sie verstärkt in ihren Angebotsteppich ein. Sie wissen, dass Lernerfahrungen eine stärkere innere Beteiligung am Erlebnis bewirken und daher erlebnisverstärkend nachwirken. Durch Lernerfahrungen gelingt es ihnen somit, eine Nachhaltigkeit ihres Produktes zu schaffen. Erfolgreiches Lernen macht zudem Spaß und erzeugt Glücksgefühle: »Spaß ist, wenn man etwas kann«, so Elsbeth Stern. Diese zunächst zutreffende Aussage können wir weiter ausdifferenzieren, wenn wir den Unterschied zwischen den uns betreffenden -tainments ausloten. Das erste ›-tainment‹-Schlagwort wäre Infotainment, ein Konzept, das inhaltsbezogen und erzählend, kontextualisierend Information als Unterhaltung darbietet – Geschichten und keine Zahlen also. Das entstehende Erfolgsgefühl in den Kunden wird durch mehr Wissen ausgelöst. Der Weg dazu ist in vielen Fällen ein multisensorialer Input. Ergänzt wird dieses Konzept durch das bekannte Edutainment, das sich mehr auf die didaktische Kompetenz der Erzieher bezieht – im Sinne von Erziehen und Erzogenwerden. Die Medien dazu sind interaktive Systeme, wie auch die Hands-onExhibitions oder Ähnliches. Erfolgsgefühl im Besucher wird durch Verstehen, ›verstehendes Handeln‹ oder ›verstehendes Erleben‹ hervorgerufen, so Friedrich Waidacher. Nicht weit davon entfernt taucht das Learnotainment23 auf, das sich auf das Erleben im Lernprozess des Besuchers selbst bezieht. Es begreift das Lernen als angenehmes Erlebnis und als Erfahrung. Das damit verbundene Erfolgsgefühl entsteht durch die emotionalen Aspekte des Handelns in innenbezogenen Prozessen aus der Perspektive des Benutzers heraus. Hands-on, Edutainment, Adventure Learning und Entdeckungsprozesse (Überraschungen) sind nun Konzepte – und mittlerweile auch Schlagwörter –, die zwar funktionieren, aber vielerorts noch nicht den Kern der Sache treffen. 23 Vgl. Grötsch, Vortrag im Symposium »Museen neudenken«, a.a.O.

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Edutainment-Programme werden immer noch aus der Perspektive der Erziehenden angelegt – im eigentlichen Sinne des Wortes. Das bedeutet, dass educare, also das Erziehen, Spaß macht – und nicht das Lernen. Learnotainment müsste konsequenterweise das Produkt und neue Schlagwort des Angebots eines Lernmarktes sein, der den Erziehungsmarkt langsam, aber sicher aus seiner Pflicht nimmt – zumindest in kulturell orientierten Freizeitangeboten, zu denen auch die Museen gehören. Im Prinzip sind diese -tainments nur Ausdruck einer Vermischung der Genres kultureller Vermittlung, wie es die Professoren Petra Schuck-Wersig und Gernot Wersig feststellen, und führen zu neuen, stressfreien und lustorientierten Lernformen (pleasure-orientated learning forms) und Lernprozessen, die mit neuen Kundenerwartungen einen modifizierten Freizeitlebensstil (leisure life-style) ausmachen. Sich-wohl-fühlen (wellbeing) ist damit nicht nur das Ergebnis eines körperlichen Prozesses, vielleicht in einem Spa, sondern baut sich auch auf emotionales und mentales Erleben auf – wovon Lernerfahrungen letztendlich eine Form sind. Erfolgreiches und angenehmes Lernen führt zu Wohlbehagen, einem angenehmen Selbstgefühl durch am Selbst orientierte mentale Prozesse (self-directed mental processes), was Schulze z.T. verkürzt als Erlebnisrationalität definiert.24 c) Erlebniscluster und Erlebnissysteme Erlebnisorientierte Lebensformen bedingen erlebnisorientierte Lernformen. Die Menschen organisieren ihr Leben in Bezug auf Erlebniscluster. Dies sind zunächst emotionale Wertschöpfungssysteme, wie wir sie in erhaltenen historischen Innenstädten finden, in touristischen Zielorten, Ressorts, komplexen Ferienanlagen, Malls und Themenparks. Diese Cluster schaffen einen (gefühls-)ökonomischen Mehrwert für den Kunden, da sie es ermöglichen, möglichst viele Erlebnisse örtlich konzentriert und zeitlich gestrafft zu konsumieren. Die Kunden werden dadurch zu Erlebniskonsumexperten, da sie nicht nur im Erlebnis selbst Erfahrungen gewinnen, sondern auch lernen, wie sich die verschiedenen Erlebnisorte, zu denen auch Museen gehören, zueinander verhalten. Im kulturtouristischen Kontext ziehen wir es daher vor, von Erlebnissystemen zu sprechen, in denen einzelne Elemente eines Ortes (wie Hotels, Ressorts, Museen, Themenparks) oder touristische Zielorte insgesamt ein Gesamterlebnis oder eine Gesamterfahrung vermitteln. Auch Museen sind daher gut beraten, sich als Erlebnissystem und nicht nur als Lern- bzw. Erlebnisort zu verstehen und zu entwickeln.

24 Schulze, Die Erlebnisgesellschaft, a.a.O.

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3. Museen im Lerndreieck, Lernmuseen Die Museen steuern deshalb zunehmend von der ›Erfahrung Museum‹ (Museum Experience) auf das ›Erlebnismuseum‹ (Experience Museum) zu – ein Kurs, auf dem sie als erlebnisorientierte Lernorte anderen lernorientierten Erlebnisorten begegnen. Daraus entsteht nun ein neues Dreiecksverhältnis zwischen der Institution Schule, Museen und Freizeitszenarien – drei Lernorte, die sich sehr unterschiedlich darstellen. Ist die Schule oft zu begriffs- und wissensbezogen, bietet das Museum eine sinnvolle Alternative, um den Lernund Lehrprozess zu erweitern, während die Freizeitszenarien sich dem Wissensbereich unter dem Aspekt der Erlebnis- und Abenteuerpädagogik annähern und durchaus erfolgreiche didaktische Modelle des Erfahrungs- und Wissenserwerbs entwickeln. Dazwischen tummelt sich eine große Anzahl von Einrichtungen, die sich im spannenden Diskurs zwischen erlebnisbezogenen Lernorten und lernbezogenen Erlebnisorten neu ›outen‹, wobei nur wissensbezogene Lernorte zunehmend schlechte Karten haben.25 Wenn ich etwas gelernt habe, z.B. in einem Museum, komme ich nicht wieder – wozu auch? Wenn ich allerdings etwas erfahren habe, im besten Falle über mich selbst, wenn ich etwas erlebt habe, komme ich immer wieder – ein Phänomen, das in der Nachnutzung der Expo 1992 in Sevilla beobachtet werden konnte.26 Triumph der Lust Wie erwähnt, sah sich die Museumslandschaft eine Zeitlang vom »Triumph der Lust« bedroht, wobei nicht der Wandteppich von van Aelst gemeint ist27, sondern die vermeintlichen Ansprüche einer Spaß- und Fungesellschaft, bis Peter Hahne – für viele entlastend, so möchte man meinen – im Jahr 2004 feststellt, dass es »Schluss mit lustig« geworden sei.28 Kann sein, dass der populäre Autor Recht hat. Er übersieht aber, dass im Rahmen einer Forderung nach mehr Erleben, was durchaus ernste und ernst zu nehmende Aspekte im menschlichen Ich-Konsum hat, fundamentale Weichen im Kultur- und Freizeitkonsum gestellt worden sind, die nicht mehr zurückstellbar sind. Sie verlangen eine Neuorientierung aller Kultureinrichtungen, die ihren Bildungsauftrag am Kunden, an den Besuchern orientieren wollen – und nicht 25 Vgl. dazu Urban, Von der Gesinnungsbildung zur Erlebnisorientierung, a.a.O. 26 Dies wurde drastisch deutlich an dem missglückten Versuch, ein Stück aus dem Gelände der ehemaligen Weltausstellung Expo ’92 in Sevilla herauszuschneiden und mit den verbliebenen Pavillons einen Themenpark zu machen. 27 Gemeint ist nicht der Wandteppich »The Triumph of Lust« von Pieter Coecke van Aelst, gewoben in Brüssel ca. 1532-33. 28 Hahne, Schluss mit lustig, a.a.O.

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an Verordnungen oder gar am Auftrag selbst. Das bedeutet eine Aufweichung, eine Flexibilisierung, ein Überdenken oder gar einen Bruch mit Paradigmen, die bis heute gegolten haben, wie es Spalding in seiner richtungsweisenden Veröffentlichung »The Poetic Museum« fordert.29 Der Bruch und die Schaffung neuer Paradigmen würde in unserem Bereich alle Aspekte des musealen ›Geschäftes‹ betreffen,30 von der architektonischen Raumgestaltung, der Definition der Dienstleistung und deren Abläufe (Dienstleistungsketten), dem szenografischen Raumerlebnis, der Funktion und Präsentation der Exponate bis hin zur Definition von Museum. Diese ist zwar einbetoniert im Bewusstsein, im sozialen und kulturellen Wirken, abgesichert von Verordnungen und Gesetzen. Es schadet aber nicht, grundsätzlich über die Museumsfunktion nachzudenken, da das Nachdenken unter Umständen zu einem Perspektivenwechsel führt und ein neues Verständnis von Althergebrachtem möglich macht. Da viele Museen ja gerade dies in ihren Besuchern bewirken wollen, wäre dieser Ansatz vielleicht hilfreich, wenn es darum geht, Museen neu zu denken. Erlebnisorte dagegen sind unbefangener, vielleicht weil sie ›zweckfrei‹ arbeiten, keinen direkten Bildungsauftrag haben. Sie betreiben Bildung unter dem Aspekt der Steigerung der Attraktivität ihres Angebotes und können Lernen und Bildung daher über die Spaß- und Lusterfahrung in ihr Angebot einbringen. Dadurch wird das Angebot nicht nur attraktiver, sondern auch, wie erwähnt, ethisch und kulturell aufgewertet. Klassische Lernorte dagegen sind an Kulturmodelle gebunden, da sie Lernen vordergründig als Erwerb von Wissen verstehen und deshalb Probleme haben, den Lernprozess als Lustprozess zu verstehen oder zu akzeptieren. Wagemutige Museumsmacher überschreiten dagegen Grenzen und begreifen ihr Angebot in Form und Inhalt als Erlebnis- und Abenteuer-Erfahrung. So sieht z.B. Amsterdams spektakulärste Kinderattraktion aus wie ein gläsernes grünes Schnellboot, das im Hafen vor Anker gegangen ist: NEMO, das Abenteuermuseum. Im selben Boot sitzen dann auch andere Museen, die sich ebenfalls als ›Abenteuer Museum‹ darstellen, wie etwa museumspädagogische Angebote in Rheinland-Pfalz. Der Kampf um Kunden oder Besucher kann aber Museen an den Grenzbereich zwischen Wissensvermittlung, Erleben, Abenteuer und des guten oder schlechten Geschmacks führen – sie stürzen bei der eingangs erwähnten Gratwanderung ab, unabhängig davon, ob es sich um personenbezogene Museen handelt, wie dem »Abenteuermuseum« von Heinz Rox-Schulz, dem 29 Spalding, The Poetic Museum, a.a.O. 30 Vgl. Bernd Günter/Andrea Hausmann (Hg.): Das Museum als besucherorientierter Dienstleistungsbetrieb, Textsammlung, FernUniversität – Gesamthochschule in Hagen, Weiterbildendes Studium »Museumsmanagement« in Kooperation mit der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Hagen 2001.

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»König der Globetrotter«, oder den Erotikmuseen, die neben einigen Objekten eher simple pornografische Sammlungen präsentieren, wie die Erotikmuseen in Barcelona und Paris. Von anderen Museen werden zwischenzeitlich auch drastische Zugeständnisse an die Touristikbranche gemacht,31 was sie an die K(l)ippe einer musealen Rechtfertigung bringt, wie u.U. das ›kuriose‹ »Muschelmuseum« in Nordholz, deren Zielgruppe (standortbedingt) Urlauber und Ausflugsgäste sind. Das Museum stellt fest, dass diese überwiegend »wissenschaftliche Laien« sind und will deshalb neben seiner Bildungsfunktion einen hohen Freizeitwert haben. Die Argumentation überrascht und enthüllt den musealen, merkantilen und konzeptuellen Konflikt weiter Bereiche der musealen Landschaft. Es scheint, dass die Betreiber – aus einem paradigmatisch schlechten Gewissen heraus – den Freizeitwert ihres Museums eher notgedrungen herausstellen, weil ihre Besucher ja durchwegs ›unwissend‹ sind, dieses Unwissen aber mit einem Freizeitwert belohnt werden muss. Irgendwie passt dies nicht zusammen, weil nicht erkannt wird, dass Museen und Lernen, allerdings mit neuen Lernformen, einen überaus hohen endogenen Freizeitwert besitzen, der neuerdings auch mit Begriffen wie Lernmarketing und Lerntourismus gefasst wird. Und das gilt nicht nur für kids, wie die Zielgruppe Kinder in einer neuen und scheinbar zeitgemäßen Sprache erfasst wird, denen der Museumsbesuch als Entdeckungsreise angeboten wird – wie es die Mainzer Museen (Gutenberg-Museum, Landesmuseum, Museum für Antike Schifffahrt, Naturhistorisches Museum) ankündigen: »Museen für Kids«. Der Paradigmabruch zwischen lernergebnisorientierten Museen und lernprozessorientierten Museen liegt in der grundsätzlichen Lernerfahrung. 4. Lerntourismus Eigentlich ist Kulturtourismus schon immer Lerntourismus gewesen.32 Das Kennenlernen anderer Kulturen, die Teilnahme an authentischen Handlungen, das Bestaunen von Monumenten, Überraschungen an und in anderen Verhaltensmustern haben fast immer zu einem Erkenntnisgewinn geführt, der, soweit nicht von organisatorischen Mängeln überschattet, immer als Genuss und Wissensgewinn erlebt wurde. Dieser erste Kultur- und Lerntourismus ging einem anderen wichtigen Lerntourismussegment voraus, dem Sprachlerntourismus, mittlerweile ein enormer Markt. Auf der anderen Seite entdecken immer mehr Destinationsmanager, dass der Wert ihres touristischen Zielortes auch abhängig davon ist, in welchem Umfang sie in der Lage 31 Vgl. dazu Nele Güntheroth/Arnold Vogt (Hg.): Reiseziel: Museum. Freizeitqualität durch Zusammenarbeit von Museen und Touristik, München 2001. 32 Vgl. Grötsch, Vortrag im Symposium »Museen neudenken«, a.a.O.

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sind, ihr (kulturelles, ethnologisches, gastronomisches etc.) Erbe (Heritage Management) erfolgreich zu inszenieren und auch didaktisch so umzusetzen, dass der Besucher die Einzigartigkeit des Ortes oder der Landschaft emotional versteht und begreift, dass der Ort ›merk‹würdig bleibt und sich im emotionalen Gedächtnis verankert – dass also gelernt wird. In diesem Sinne ist die Emotionalisierung während eines Besuches in einem Museum das wohl wichtigste Instrument, um zeitüberdauernde, d.h. nachhaltige Kundenbindung zu schaffen.33 Die Mittel dazu sind u.a. die (Re)kontextualisierung, die Thematisierung, die szenografische Inszenierung oder die emotionale Aufwertung, die Entstehung neuer musealer Formen, aber auch der persönliche Kontakt mit dem Museumspersonal. Das führt dazu, dass, zumindest in Spanien, ungefähr seit dem Jahrtausendwechsel ein Boom an Museumsprojekten entstanden ist, da nahezu jeder Ort dem Besucher seine eigene kulturelle Besonderheit vermitteln will, wobei es nur in wenigen Fällen gelingt, den Ort durch neue museale Projekte auch so aufzuwerten – wie im Falle Bilbao mit dem Guggenheim Museum. Unabhängig davon wird – von der touristischen Erfahrung aus – aus der Sicht der Besucher ein zunehmendes Bedürfnis beobachtet, einfach mehr von einem Zielort wissen zu wollen. Hinweisschilder und Führungen sind letzten Endes zu wenig, um das Wissens- und Lernbedürfnis der Besucher abzudecken. Auch Vitrinenmuseen haben wenig Chancen, den an eine lustvolle Freizeiterfahrung gebundenen Lernbedarf zu befriedigen. Neue Museen wie der Nachbau der Höhle von Altamira, das Archäologische Museum von Alicante, außergewöhnliche Weinmuseen in Jerez oder im La-Rioja-Gebiet entstehen, aber auch spektakuläre Science-Museen wie Domus in La Coruña oder in Valencia. In diesem Sinne zeichnen sich Museen als vielleicht wichtigster neuer Baustein im Bereich des Lerntourismus aus. Aber nicht nur Spanien, sondern auch die vier neuen Beitrittsländer der EU, Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn, entdecken die touristische Nische des Exkursions- und Lerntourismus als Möglichkeit zur nachhaltigen Entwicklung. Es bleibt nur zu beobachten, inwiefern der Lerntourismus in Osteuropa auch die Möglichkeiten der Museen berücksichtigt und einbezieht.

33 Vgl. Bernd Günter/Hartmut John (Hg.): Besucher zu Stammgästen machen! Neue und kreative Wege zur Besucherbindung, Bielefeld 2000; Kurt Grötsch: Emotionales Management und emotionales Lernen in Erlebniswelten, in: Wolfgang Nahrstedt (Hg.): Lernen in Erlebniswelten, Bielefeld 2002.

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5. Lernmarketing oder Lust auf Museen »Lust auf Museum«, so kündet das Städel Museum »Backstage-Führungen« an, vor allem für Studierende der Frankfurter Hochschulen, und begibt sich mit der Ankündigung auf das jetzt schon nicht mehr so dünne Eis des Emotional Branding oder des emotionalen Marketing. Unabhängig davon, ob es sich um Museen für Kids, Abenteuermuseen, Schokoladenmuseen und andere ›kuriose‹ Museen etc. handelt, wird deutlich, dass Museen zunehmend den emotionalen Ertrag (Emotional Benefit), den ein Museumsbesuch schaffen kann, in den Vordergrund ihrer Kommunikationsstrategien schieben und sich damit als erlebnisorientierte Lernorte vorsichtig zu erkennen geben. Auch wenn es Stimmen gibt, die behaupten, dass das Museumsmarketing oder Kulturmarketing anders organisiert sei als das Marketing in anderen Branchen,34 liegt auf der Hand, dass auch Lernen gekauft werden will – und verkauft werden soll. Das bedeutet, dass auch Museen teilnehmen am wirtschaftlichen Austauschprozess ›Geld gegen Leistung‹, der größtenteils von Marketingprinzipien gesteuert und inszeniert wird. In diesem neuen und uralten Tauschgeschäft spielen Erwartungen, Versprechungen, Bedarf und die erhaltene Ware oder Dienstleistungen eingespielte Rollen. Museen bieten Wissen oder Genuss an und versprechen, dass der Besucher entweder mit einem Rucksack neuen Wissens das Gebäude verlässt oder zumindest eine bestimmte Zeit in Erstaunen oder den Aufenthalt (Kunst) genießend verbracht hat. In diesem Sinne stehen die Museen in der Anpreisung ihres Angebotes im Schnittpunkt von Kulturmarketing, Tourismusmarketing, Wissens- oder Lernmarketing. Museumsmarketing für neu verortete Lernorte verlangt auch, Marketing unter dem Gesichtspunkt des Besuchernutzens neu zu verstehen. Museen waren und sind zudem Teil eines sich beschleunigenden Wissensmarktes. Wissen wird nicht nur ein immer wichtigerer Produktionsfaktor, sondern auch ein zunehmend bedeutendes Wirtschaftsgut, das auf Wissensmärkten angeboten werden kann.35 Die Grenzen des Wissensmarktes gegenüber anderen Märkten wie z.B der Kultur und Freizeit lösen sich auf und Teile des Wissensmarktes wandeln sich um in Elemente des Lernmarktes, den zudem, wie schon erwähnt, auch Anbieter des Freizeitmarktes entdecken. Um konkurrenzfähig zu bleiben, geht es also 34 Vgl. Tatjana Frey: Impuls-Statement: Marketing von Lernelementen in Erlebniswelten, Fachtagung 08./09.12.2003, Bremen 2003, in: URL: http://www.steffen-russ ler.de/aquilo/Nachhltiges%20Lernen%20in%20Erlebniswelten.pdf, gesehen am 16.9.2007. 35 Vgl. Nils Rode: Wissensmarketing. Strategische Entscheidungsoptionen für Anbieter von Wissen, Wiesbaden 2001; Annette Lepenies: Wissen vermitteln im Museum, Schriften des Deutschen Hygiene-Museums Dresden, Band 1, Köln u.a.O. 2003.

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darum, nicht mehr nur die Lerninhalte, sondern vor allem die Lernprozesse zu definieren und anzubieten – was auch immer mehr erkannt wird. Zwei Lernprozesse Gegenstand und damit auch das kommunizierbare Produkt eines Museums sind im Prinzip die schon 1992 von Schulze beschriebenen zwei Lernprozesse: »außengesteuertes Lernen« und »innengesteuertes Lernen«.36 Ist das außengesteuerte Lernen über die pädagogischen und objektorientierten Programme der Museen relativ leicht zu beschreiben und zu gestalten, entzieht sich das innengesteuerte Lernen größtenteils dem pädagogischen Zugriff. Das innengesteuerte Lernen allerdings hat sich spätestens seit der grundlegenden Arbeit von Schulze, aber auch von Goleman mit seiner »Emotionalen Intelligenz« und den Arbeiten des Glücksforschers Csikszentmihalyi, ins Zentrum der Freizeiterfahrung geschoben,37 da diese Art von Lernprozessen emotional ergiebiger ist und nachhaltiger im Sein der Personen wirkt als außengesteuerte Lernprogramme. Wir könnten dies die autotelische Revolution nennen, die sich still und leise im Kultur- und Freizeitkonsum unserer Mitmenschen vollzogen hat. Es geht in diesem Sinne um zweckfreies, selbstbezogenes und konkurrenzloses, stressfreies Lernen. Wie schon gesagt: Wenn ich etwas erfahre (über mich), was weder leistungsrelevant, weder imagerelevant noch vergleichbar ist, komme ich mit großer Wahrscheinlichkeit immer wieder zurück an den Ort, an dem ich solch eine Erfahrung machen durfte. Museen haben in diesem Zusammenhang und unter Einbezug von Marketingkriterien ein Produktproblem, da bis jetzt ihr eigentliches Kernprodukt außengesteuerte Lernprozesse waren – mit den damit verbundenen ›Settings‹, etwa den üblichen Ausstellungstechniken und Einrichtungen. Sie müssten nun aber neue Verfahren, Einrichtungen und Infrastrukturen ins Leben rufen, die die Lernprozesse selbst ins Zentrum der musealen Erfahrung schieben, was eine museumsdidaktische Herausforderung mit sich bringt, die auch nach außen dargestellt werden kann. Es geht also darum, den Schritt vom Wissens- zum Lernmarketing zu vollziehen. Museen müssen sich daher strategischen Entscheidungsoptionen stellen und sich in der Spannbreite von Anbietern von Wissen bis hin zu Anbietern erfahrungsbetonter Lernprozesse positionieren. Unserer Ansicht nach unterscheidet sich die Vermarktung von Wissen38 nicht grundlegend von der Vermarktung anderer Güter und Dienstleistungen, 36 Schulze, Die Erlebnisgesellschaft, a.a.O. 37 Daniel Goleman: Emotionale Intelligenz, Wien 1996; Mihaly Csikszentmihalyi: Dem Sinn des Lebens eine Zukunft geben, Stuttgart 1995. 38 Rode, Wissensmarketing, a.a.O.

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wenn die Museen in der Lage sind, ihr Angebot als Dienstleistung bzw. Erfahrungsleistung zu gestalten und zu kommunizieren. Die Konzepte ›Abenteuer Museum‹ oder Ähnliches greifen jetzt schon zu kurz, da sie in einem außergewöhnlichen Konkurrenzkampf mit Abenteuer- und Experience-Angeboten im Freizeitmarkt stehen, in dem über Adventure- oder Experience-Cards ganze Regionen und Länder als Emotions- und Abenteuermarkt angeboten werden. Lernmarketing müsste griffig Alternativen dazu suchen, wenn auch die Kombination ›Abenteuer und Museum‹ zum Versuch reizt, diesen Mix auch so zu verkaufen. Allerdings ist damit die Erwartungshaltung und das damit verbundene Enttäuschungsrisiko hoch – abenteuerlich hoch, möchte man meinen –, vor allem, wenn man davon ausgeht, dass es im Freizeit-, Urlaubs- und Tourismusbereich zu einer regelrechten Abenteuer- und Experience-Inflation gekommen ist. Nahezu jeder Zielort, nahezu jedes Hotel bietet zur Zeit Emotion, Gefühl und Experience an – Abenteuer gibt es von den Alpen bis zum Meer, im Norden und im Süden, überall. 6. Ein Aschenputtel – die Museumsdidaktik Wenn sich der Verstand einschaltet … ist das Vergnügen am Ende. Um dieses Dilemma zu lösen, dem lernorientierte Erlebnisorte oder erlebnisorientierte Lernorte gegenüberstehen, müsste unserer Ansicht nach die Museumsdidaktik eine überragende Rolle spielen, da sie zudem um ein zentrales Thema kreist, nämlich um die von Schulze definierte Erlebnisrationalität. Aber ein Überflug über die einschlägige Literatur und Veröffentlichungen zeigt, dass – mit Ausnahmen39 – ein Großteil der Autoren zwar über Museumspädagogik spricht, das Konzept der Museumsdidaktik jedoch kaum erscheint. Diese fristet sozusagen ein Aschenputteldasein im Haus der Pädagogik, ist aber unserer Ansicht nach die eigentliche Prinzessin, die die wesentlichen Aussagen zur Verortung neuer Lernorte treffen und die Handwerkszeuge zur Neugestaltung der Lernorte liefern könnte. Bieten Museen wie das Museion in Bozen museumsdidaktische Initiativen an, bildet das Museo di Storia Naturale in Ferrara, Italien, in museumsdidaktischen Kursen Museumspersonal aus, bleibt das Konzept einer Museumsdidaktik in der 2004 erschienenen und richtungsweisenden, wichtigen Veröffentlichung 39 Unter anderem: Annette Noschka-Roos: Besucherforschung und Didaktik. Ein museumspädagogisches Plädoyer, Opladen 1994; Wolfgang Jacobmeyer: Labor, Schaubühne, Identitätsfabrik, Musentempel, Lernort. Die Institution Museum als didaktische Herausforderung, in: Bernd Mütter et al. (Hg.): Geschichtskultur. Theorie – Empirie – Pragmatik, Weinheim 2000, S. 142-155; Werner Jank/Hilbert Meyer: Lehren und Lernen zwischen Didaktik und Ästhetik, Didaktische Modelle, Berlin 2002.

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»Museen als Lernorte – neu verortet«40 unerwähnt – ›Kein Anschluss unter dieser Nummer!‹, möchte man meinen. Während man sich in der übergeordneten Distanz, der Museumspädagogik, weitgehend einig ist über eine neue Museumspädagogie mit der schon etwas abgegriffenen »Neuen Museologie«, scheinen didaktische Ansätze als verlängerte Arme der Pädagogik noch entwicklungsfähig. Werden auf der einen Seite Aspekte der Abenteuerpädagogik in den vielen Erlebnisparkschulen mit Bezügen auf die Praxis einer Erlebnisdidaktik behandelt, so z.B. in verschiedenen Zoos mit den »Scouts«, die den Zoobesuch in ein erlebendes Abenteuer verwandeln, sind in der Welt der Museen solche Ansätze eher noch die Ausnahme. So bedeutet z.B. Museumspädagogik im Ludwig Museum (Koblenz), »aktuelle Kunst allen interessierten, jungen und jung gebliebenen Menschen als wunderbaren Lernort anzubieten«, so der Internetauftritt des Museums. Was uns dabei interessiert, ist, wie ein solches Versprechen didaktisch umgesetzt wird. Welches sind die Mittel und die Vorgehensweisen, um ein Museum in einen wunderbaren Lernort zu verwandeln? Es geht also in dem von uns vertretenen Ansatz nicht mehr darum, ein Museum als Lernanbieter zu verstehen, »bei dem man nebenbei noch Spaß und Entspannung haben kann«,41 sondern grundsätzlich darum, den Lernprozess selbst als emotional positiven und vielleicht auch lustvollen Prozess zu erleben, was jetzt schon einige wenige Museen ganz bewusst bei ihrem Außenauftritt in den Vordergrund stellen. »Die Programme für verschiedenste Alters- und Wissensstufen und die Begleitung durch qualifizierte AusstellungsvermittlerInnen garantieren lustvollen Wissenserwerb und Horizonterweiterung für EuropäerInnen von morgen«, so das Museum Arbeitswelt in Steyr in seinem Internetauftritt. Mit diesem lustvollen Wissenserwerb also hätten wir aber ebenfalls ein Versprechen zu einer neuen Museumsdidaktik. Darüber hinaus formt der gesamte Besuchsablauf in einem Museum, als Dienstleistungskette42 verstanden, den Gesamteindruck und die Zufriedenheit eines Besuchers oder Kunden beim Verlassen des Lernortes. Auch diese Kette muss erlebnisdidaktisch43 oder erlebnislogisch geordnet bzw. inszeniert sein,44 um die Einzelerfahrungen zu einem sinnvollen emotionalen Ganzen zu formen. In diesem Sinn kommen sowohl der Museumsdidaktik als 40 Hartmut John/Jutta Thinesse-Demel (Hg.): Lernort Museum – neu verortet, Bielefeld 2004. 41 Frey, Impuls-Statement: Marketing von Lernelementen in Erlebniswelten, a.a.O., S. 1f. 42 Vgl. dazu Günter/Hausmann, Das Museum als besucherorientierter Dienstleistungsbetrieb, a.a.O. 43 Vgl. John H. Falk/Lynn D. Dierking: Learning from Museums. Visitor Experiences and the Making of Meaning, Walnut Creek 2000. 44 Vgl. dazu Gabriele Kindler (Hg.): MuseumsTheater, Bielefeld 2001.

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auch dem Customers Experience Management45 eine entscheidende Bedeutung zu, wenn dem Kunden ein emotionaler und kultureller Mehrwert sowie Wissensnutzen vermittelt werden soll. Im Prinzip handelt es sich hierbei um einen integrierten und holistischen Ansatz. Die Brücke zwischen einer kulturellen Erfahrung in Kunstmuseen und Wissens- oder Erkenntniserfahrung wie in den Science Centers wird nun nicht mehr zwischen den pädagogischen Ansätzen geschlagen werden müssen, sondern zwischen den verschiedenen didaktischen, pragmatischen Vorgehensweisen, in denen man sich überlegt, mit welchen Mitteln und Verfahren tatsächlich erlebnisreiche Lernorte geschaffen werden können, also das emotionale Potenzial der Besucher, Gäste und Kunden aktiviert werden kann. In diesem Sinn müssten Museen Orte sein, wo sich die Menschen neu finden oder wieder erfinden können. Ausstellungsgegenstände, exposita, stellen das Koordinatennetz dar, bilden Energiefelder, in denen das Selbst(er)finden möglich wird. Raumerfahrungen, empathische Räume, materielle oder digitale, virtuelle Choreografien schaffen einen vierten Raum, der über den von Mikunda46 postulierten Dritten Raum hinausgeht: Er ist uchronisch. In Bezug auf die erwähnte Raumerfahrung müssten wir kurz von der Erlebnisarchitektur unserer Gäste sprechen, die sich zusammensetzt aus Elementen körperlichen Erlebens, aus Hitze- und Kälteerfahrungen, Anstrengung und Schweiß, mentalen, emotionalen, sozialen, körperlichen und spirituellen Aspekten. Jeder Mensch baut sich im Laufe seines Lebens seine innere Erlebnisarchitektur auf, möchte deren Funktionieren ständig erproben und in der Freizeit erweitern, solange er nicht zu den Privilegierten gehört, die an ihr auch während der Berufstätigkeit bauen können. Wie der Bau eines Eigenheims verlangt auch die Konstruktion der inneren Erlebnisarchitektur Einsatz und Engagement des Individuums. Erleben will deshalb gelernt sein – und die Erlebnishungrigen müssen demnach auch erlebnisermöglichende Fertigkeiten, d.h. experience skills, erwerben. Die Grundlage dazu ist aber, in Anlehnung an die Emotionale Intelligenz47, die Ausbildung einer Erlebnisintelligenz – oder: Experience Intelligence. Zu dieser Erlebnisintelligenz gehören auch und wesentlich die Lernerlebniserfahrungen, die in Museen gemacht werden und gemacht werden wollen. Auch Museumsbesucher sind in diesem Sinne erlebniserwachsen geworden. Unser Ansatz der musealen Didaktik, wie wir es im Flamenco Tanz Museum in Sevilla versuchen, ordnet die Gegenstände, in unserem Falle die Botschaft, die Bilder in einem nachvollziehbaren Zusammenhang – ein Vorgehen, das man im Freizeitbereich unter gewissen anderen Umständen auch als 45 Schmitt, Customer Experience Management, a.a.O. 46 Mikunda, Marketing spüren. Willkommen am Dritten Ort, a.a.O. 47 Goleman, Emotionale Intelligenz, a.a.O.

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Thematisierung oder Kontextualisierung, Rekontextualisierung oder »rückgebundene Neufindung« bezeichnet. Erkenntnisgewinn, Überraschung und Witz können dabei wohl nicht (oder nicht ausschließlich) durch Rekonstruktion ursprünglicher, originärer Strukturen, sondern besser durch Vergleiche, Gegenüberstellungen und Chronologien gefördert werden.48 Didaktik ist in diesem Sinne die Summe aller Vermittlungsstrategien, die im Kopf und Gefühl der Besucher das Museum eigentlich erst schaffen. 7. Vom Edutainment zum Learnotainment Museen neu zu denken, bedeutet: neue Perspektiven schaffen, Paradigmenwechsel vollziehen und Brüche riskieren. Der Umbruch im Verständnis von Neuen Lernorten vollzieht sich nur langsam und in Teilen. Während viele Museumsmacher ihre Museen und Ausstellungen – gerade Science-Museen, aber auch Kindermuseen – aus der Perspektive des erwachsenen Museografen gestalten (etwa unter dem Ansatz: ›Was könnte Kinder denn so interessieren?‹), also Edutainment im klassischen Sinne betreiben, würde der von uns geforderte Paradigmenwechsel für die Gestaltung von Museen und Ausstellungen aus der Perspektive des emotionalen Bedürfnisses und der ersehnten Lernerfahrung (Neugierde und Überraschung) der Kinder und Erwachsenen handeln. In diesem Ansatz vereinigen sich überraschenderweise strategische Marketingüberlegungen, die immer kundenorientiert sind – mit didaktischen Konzepten. So hat beispielsweise das Children’s Museum in Boston zur Konzipierung einer Ausstellung über Japan seine Kinderbesucher befragt, was sie denn über dieses Land wissen wollten. Das Ergebnis war, dass das Museum ein typisch japanisches Kinderzimmer geschaffen hat, in dem alle die Gegenstände inszeniert wurden, die die imaginären drei Kinder, die dieses Zimmer bewohnten, benutzten. Das ist Learnotainment, ähnlich wie Philippe Starck seine emblematischen Hotels, vom Kopfkissen aus, kreisförmig nach außen konzipiert. Uwe Brückner, Dozent an der Universität Zürich, würde dies »form follows content« nennen, gemäß seiner szenografischen Leitlinien, wie er es am Westfälischen Museum für Archäologie in Herne deutlich machen konnte. Es geht also weniger um Lehrleistungen aus der Perspektive der Betreiber, sondern eher um die lustvollen Lernerfahrungen aus der Sicht oder im Erleben der Besucher.

48 Vgl. Paul Bruns: Wo Museum draufsteht ist auch Museum drin, in: Ornament und Verbrechen, in: URL: www.ornament-und-verbrechen.de, Ausgabe 11.0 vom 01. 03.2003.

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8. Lernnutzen in Freizeitszenarien Während sich Überraschung und Selbstentdeckung im Laufe eines Besuches einer Freizeiteinrichtung ereignen, findet eine Vielzahl von Lernprozessen statt: innengesteuerte, teilweise unbewusst wahrgenommene, aber auch inszenierte, von außen gesteuerte. Ausgehend von der Fachtagung in Hannover 2002 hat sich nun eine Fülle von Erklärungsmodellen entwickelt, die systematisch die verschiedensten Lernprozesse bündeln, untersuchen und analysieren. Unserer Ansicht nach ereignen sich die folgenden Lernprozesse während des Besuchs eines Freizeit- und Kulturszenariums, die Teil der eigenen inneren Erlebnisarchitektur, aber auch der Freizeitbildung sind: • Auf der einen Seite werden Fertigkeiten (skills) entwickelt, die notwendig sind, um Freizeit- und Kulturangebote auch genießen zu können. Dazu gehören: erlebnisfördernde Disziplin, umweltbewusstes Verhalten (z.B. in Zoos oder Naturschutzgebieten), überlebensnotwendige Fertigkeiten (z.B. beim Fallschirmspringen) oder Wissen, was man z.B. in Science Centers alles tun und lassen kann oder darf. • Faktisches Lernen und die Fähigkeit, sich Information anzueignen, sowie auch thematisches Lernen machen es möglich, dass die Menschen z.B. Inhalte annehmen, sich im Lernprozess erfahren, z.B. in Science Centers, Museen, Brandlands oder Naturlehrpfaden. Gleichzeitig ›lernen‹ sie aber auch die Infrastruktur der Anlagen, ihre Botschaften. Sie kennen ›ihren‹ Themenpark und ›ihr‹ Museum und sind vertraut mit ihm. • An dritter Stelle kommt soziales Lernen oder Verhaltensänderung im sozialen Netz. Die Besucher, Benutzer oder Kunden bilden soziale Verhaltensmuster aus, z.B. im Spiel oder im Erleben in der Familie. Sie können Vertrauen aufbauen, Verhältnisse oder Rollen festigen oder umbauen, sie können die Familie als Team erleben und diese vielleicht als Erlebnisgemeinschaft verstehen. ›Verbindende‹ Kommunikation in der Besuchergruppe und mit anderen wird dadurch ermöglicht. • Nicht nur für Museen, auch für Themenparks und Malls ist das visuelle Lernen von entscheidender Bedeutung, wobei nicht nur Forminhalte, etwa Kunstwerke ›gelernt‹ werden, sondern auch Formträger, d.h. Festarchitektur, emblematische Gebäude, Attraktionen, Symbole, Farben und Harmonie im Rahmen empathischer Gebäude oder Mediatektur. • Wichtig für nahezu alle Museen ist das konzeptuelle Lernen, d.h. das Lernen und Verstehen von Zusammenhängen, das Lernen von übergreifenden Themen, die Möglichkeit zum Vergleichen – aber auch kulturelles Lernen. Auch Themenparks versuchen sich in dieser Disziplin, wenn sie ihre Storylines themenbezogen anlegen, wie z.B. die Isla Mágica in Sevilla, wenn dort versucht wird, den Besuchern Fragmente der Entdeckungsge-

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schichte Lateinamerikas aus einer spanischen und regionalen Sicht nahezubringen, da von Sevilla aus jahrhundertelang der Verkehr mit dem ›neuen‹ Kontinent geregelt wurde. Das schematische Lernen ermöglicht es den Besuchern, Abläufe zu lernen, etwa den Spannungsverlauf im Barocktheater, die innere Logik eines Horrorhauses, die Standards von Themenparks und Science Centers mit den sich wiederholenden Attraktionen und mechanischen Hands-on-Exhibitions. Die Besucher lernen Verhaltensnormen und bilden sich ›mentale Landkarten‹ oder Mind Maps über den emotionalen Ablauf eines Besuches eines Kulturszenariums. Dieses schematische Lernen wird ergänzt durch ein metakognitives Lernen, das es möglich macht, dass die Besucher die Qualität und Organisation einer Freizeitanlage oder eines Lernortes wahrnehmen und bewerten. Sie kennen und vergleichen die Prozess- oder Dienstleistungsqualität, haben konkrete Erwartungen und lassen sich aber auch überraschen, wenn etwas Anderes, Neues die gewohnten Abläufe verändert. Dazu kommt das Lernen von Einstellungen und Werten, die in einem Freizeit- oder Kulturszenarium direkt und indirekt vermittelt werden, und zwar nicht nur über die Inhalte von Ausstellungen und Programmen, wie z.B. über die Toleranz, sondern auch über die Grundwerte einer Erlebniswelt und deren Grundphilosophie, die sich z.B. in der Form des Umgangs mit Kunden bzw. Besuchern äußert: Gleichheit, Respekt, Sicherheit, Sauberkeit etc. An letzter Stelle kommt, nicht weil es unwichtig ist, sondern weil es den Besuch einer Freizeitanlage abschließt, das emotionale Lernen. Dieses führt zur Ausbildung emotionaler Verhaltensmuster in Bezug auf den Erlebnisort und (Selbst-)Erkenntnissysteme im Umgang mit sich selbst und mit den Emotionen Anderer.

9. Des Merkens würdig Mit der Lupe betrachtet betreiben Museen Erinnerungsmanagement – und zwar nicht durch die Tatsache, dass sie über ihre Objekte und Exponate Zeit einfrieren, sondern dadurch, dass sie im emotionalen Gedächtnis ihrer Besucher Selbst-Erfahrungen schaffen. Gelingt es ihnen, im Kopf der Besucher jeweils eigene Geschichten und Bilder, Assoziationen und Irritationen entstehen zu lassen,49 d.h. das emotionale Potenzial ihrer Besucher (arousal) zu aktivieren, dann verankern sie die gemachten Erfahrungen direkt im emotionalen Gedächtnis der Besucher, das länger nachwirkt und alle anderen, eher sachlichen Erinnerungen im Ton des erinnerten Gefühles einfärbt. Memorabi49 Vgl. Bruns, Wo Museum draufsteht ist auch Museum drin, a.a.O.

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lia, Souvenirs, die dem Gast zur Verfügung stehen, sind im Grunde Erinnerungsveranlasser, die ihm wie die Madeleine in der »Suche nach der verlorenen Zeit« helfen, sich an eine ›schöne‹ Zeit im Museum zurückzuerinnern. Lustvoll erfahrene Lernprozesse oder Lernerlebnisse sind in diesem Zusammenhang besonders wertvolle Gedächtnisinseln im Strom des emotionalen und abstrakten Erinnerns. Festhalten Wir mögen deshalb festhalten, in Anlehnung an die Standarddefinition von Pine in Bezug auf Erlebnis und Museumsbesuch,50 dass ein Erlebnis ein Ereignis im individuellen Leben eines Menschen ist, das sich vom Alltag des Erlebenden so sehr unterscheidet, dass es ihm lange im Gedächtnis bleibt. Erlebnisse können traumatisierender (Opfer eines Verbrechens), befriedigender (z.B. Sex) oder aufregender (ein Abenteuer, eine Reise oder ein Besuch in einem Abenteuermuseum) Natur sein. Diese zunächst einfache Definition beschreibt eigentlich die Grundstrukturen einer Erfahrung im Freizeitoder Kulturbereich, da sie den Menschen aus seinem Alltag entfernt, ihm merkwürdige Erfahrungen ermöglicht, die prinzipiell im emotionalen Gedächtnis abgespeichert werden – ein Ort, an dem sich nicht nur Träume,51 sondern auch immer mehr erlebnisorientierte Lernorte einfinden. Literatur Bruns, Paul: Wo Museum draufsteht ist auch Museum drin, in: Ornament und Verbrechen, in: URL: www.ornament-und-verbrechen.de, Ausgabe 11.0 vom 01.03.2003. Csikszentmihalyi, Mihaly: Dem Sinn des Lebens eine Zukunft geben, Stuttgart 1995. Dilthey, Wilhelm: Das Erlebnis und die Dichtung (1905), Göttingen 1970. Dohmen, Günther (Hg.): Selbstgesteuertes lebenslanges Lernen? Bonn 1997. Dohmen, Günther: Das lebenslange Lernen. Leitlinien einer modernen Bildungspolitik, hg. vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Bonn 1999. Erdmann, Elisabeth: Treppensteigen in der Toga. Sinnlich-emotionale Erfahrungen im Museum, in: Bernd Mütter/Uwe Uffelmann (Hg.): Emotionen und historisches Lernen. Forschung – Vermittlung – Rezeption, Frankfurt a.M. 1992, S. 153-163.

50 Joseph Pine: The Experience Economy, Boston 1999. 51 Rolf Jensen: The Dream Society, New York 1999.

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Content & Kommunikation

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Michael Fehr ➔ Einige Überlegungen zur Zukunft des Museums



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Wider die Gegenwartsschrumpfung. Einige Überlegungen zur Zukunft des Museums

Michael Fehr Vier Splitter zur Lage Gibt man die Begriffe »Museum« und »digital« in die Internet-Suchmaschine »Google« ein, so erhält man in 0,18 Sekunden mehr als 98 Millionen Ergebnisse; die Begriffskombination »Museum« und »Internet« bringt es in ebenso kurzer Zeit auf ungefähr 136 Millionen Einträge; und fragt man nach »virtual« und »Museum«, so werden immerhin noch 43 Millionen mögliche Verbindungen angezeigt. Halten wir dagegen, dass weltweit um die 50.000 materielle Museen existieren, so stehen wir vor einem Zahlenverhältnis von mindestens 250:1 virtueller zu materiellen Museen, was umso erstaunlicher ist, als das Internet erst seit etwa zehn Jahren relativ einfach zugänglich ist. Doch wie immer man diese Zahlen bewertet, und ganz unabhängig davon, was sich hinter den überaus zahlreichen links verbirgt: Festhalten kann man in jedem Fall, dass zwischen Museen und dem Internet als dem beherrschenden digitalen Medium offensichtlich eine große Affinität besteht. Zum Ende des Jahres 2004 fand in Berlin eine Tagung statt, die der Frage gewidmet war, was denn der Ort und die Funktion wissenschaftlicher Bilder heute sei. Dabei ging es nicht um das Bild als Form und Vergegenständlichung von Reflexionen, sondern um das Bild als einer Form von Daten, die nach bestimmten Vorschriften gewonnen wurden. Insbesondere ging es um bildliche Repräsentationen von Fakten außerhalb des optischen Raums, also um Übersetzungen von Phänomenen, die wir mit unseren Sinnen zwar nicht wahrnehmen können, die aber doch sogenannte harte Fakten zur Anschauung bringen, die ihrerseits wiederum die Grundlage für Experimente und technische Anwendungen oder – allgemeiner gesagt: Anlässe für zweckorientiertes Handeln sind oder werden. Bemerkenswert an diesem – im Übrigen von Kunsthistorikern initiierten – Treffen war aus meiner Sicht vor allem Dreierlei: erstens der Umstand, dass, obwohl diese Veranstaltung in einem Museum, dem als »Hamburger Bahnhof« besser bekannten »Museum für Gegenwart Berlin«, stattfand, der Begriff »Museum« in keinem der zahlreichen Beiträge vorkam und dass kein einziges der von den Referenten vorgestellten Bilder in seinen oder anderen musealen Beständen zu finden sein dürfte; zweitens die Tatsache, dass alle gezeigten und besprochenen Bilder mit Hilfe von Computern gewonnen und generiert worden, also digitale Bilder waren; und zum Dritten, dass die Naturwissenschaftler als ziemlich selbstbewusste Bildproduzenten auftraten, die sich um den von den Kunsthistorikern mehr oder weniger offen geäußerten Vorwurf, sie gäben sich keine Rechenschaft über die Wirkung, den Status und den Wahrheitsgehalt der von ihnen produ-

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zierten Bilder, nicht nur recht unbekümmert zeigten, sondern wohl keine Einwände gegen deren Ausstellung in Museen gehabt hätten. Ohne dass dies explizit thematisiert worden wäre, wurde weiterhin deutlich, dass die naturwissenschaftliche Bildproduktion im Wesentlichen außerhalb des Kontextes der kulturellen Bildproduktion, nämlich in Laboratorien, stattfindet, und dass es zur Zeit nahezu keine tragenden Brücken zwischen der wissenschaftlichen und der kulturellen Bildproduktion gibt. Bilder wie die, die hier verhandelt wurden und die für unser zukünftiges Leben vermutlich ziemlich wichtig werden dürften, werden also – zumindest vorläufig – nicht in Museen zu sehen sein. Ein weiteres Phänomen, das mir bedeutsam erscheint, sehe ich im Umstand, dass in den letzten fünf Jahren digital gestützte Informationsmöglichkeiten in allen möglichen Formen und Formaten geradezu massenhaft Einzug in die Museen gehalten haben und in manchen Häusern bereits die Exponate buchstäblich in den Hintergrund drängen. So z.B. im neu eingerichteten Rheinischen Landesmuseum in Bonn, wo sie selbst wie Exponate auftreten, oder im »Wellcome-Wing« des Londoner National Science Museum, wo sie die Exponate ganz ersetzen. Einen anderen Aspekt des Verhältnisses zwischen Museen und digitalen Medien kann man sich durch eine grobe Berechnung anschaulich machen: Nimmt man an, dass die Museen im Durchschnitt jeweils etwa 10.000 Objekte verwalten – das ist wirklich eine sehr statistische Zahl, denn naturkundliche Museen kommen leicht auf Sammlungen mit einer Million und mehr Stücke, während manche Kunstmuseen nur über einige hundert Exponate verfügen –, so kann man von insgesamt rund 500 Millionen musealisierten Objekten ausgehen – wahrscheinlich sind es deutlich mehr. Diese Zahl setzt aber nicht nur die museumsrelevanten Einträge im Internet in Relation, sondern lässt den enormen Aufwand erahnen, der die Verwaltung, also der geordnete und systematische Umgang mit den musealisierten Gegenständen, bedeutet: eine Aufgabe, zu deren Lösung sich der Einsatz von digitalen Speichermedien als sehr nützlich erweisen kann – wenn denn die Bestände einmal digital erfasst sein sollten. Doch wächst mit der Digitalisierung der Bestände die Gefahr, dass die Menschen sich immer weniger mit den Dingen selbst, jedoch zunehmend mit ihren digitalen Abzügen beschäftigen werden. Die sich verändernde Position der Museen in Deutschland hat Hanno Rauterberg kürzlich folgendermaßen beschrieben: »In Frankreich oder in den USA treten die Museen weit selbstbewusster auf. Dort besteht man auf Schenkung oder Stiftung und lässt sich nicht als Durchlauferhitzer missbrauchen. In Deutschland hingegen ist es schon öfter vorgekommen, dass Bilder und Skulpturen wieder abgezogen wurden, nachdem sie dank der öffentlichen Präsentation mächtig an Wert gewonnen hatten. Und selbst dort, wo dies nicht geschieht, ge-

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fährdet eine Übermacht der Privaten leicht die Autorität der Museen. Früher waren sie es, die darüber bestimmten, was als Kunst zu gelten habe und was nicht. Heute entscheiden das immer stärker die Sammler und ihre Galeristen. […] Diese Art von Ausverkauf und Unterwerfung ist die eigentliche Bedrohung für das deutsche Museum. Es verhökert seine Erfahrung und Würde, es biedert sich an mit Mode- und Autoschauen, mit Galadiners und langen Trubelnächten und verspielt so sein größtes Kapital: seine Glaubwürdigkeit. Nicht, dass es falsch wäre, um ein großes Publikum zu werben und auch ungewöhnliche Finanzierungswege zu gehen. Doch der Boom der Neueröffnungen, die Vervielfachung des Angebots droht aus dem Museum einen Allerweltsort zu machen – und zerstört damit seine Macht. Gerade die zeitgenössische Kunst ist ja auf seine auratisierende Kraft angewiesen, sie braucht die musealen Weihen, die aus dem Kaufhausflaschentrockner einen Kunstflaschentrockner machen. Für das Museum ist also nichts so kostbar wie seine Andersartigkeit. Es darf die Gesetze des Marktes und die Ökonomie der Aufmerksamkeit nicht ignorieren – und muss sich ihnen doch widersetzen.«1

Da haben wir also einige Schlaglichter auf die widersprüchliche Situation, in der sich zumindest die von den Gemeinden und Ländern finanzierten Museen, und hier vor allem die kunst- und kulturhistorischen Museen, in Deutschland befinden. Sie erscheinen von allen Seiten bedroht – durch die digitalen Technologien als Grundlage sowohl für einen global funktionierenden, jederzeit zu geringen Kosten zugänglichen universellen Speicher, durch ein virtuelles Universalmuseum also,2 als auch Grundlage für neue Formen der Produktion und Darstellung von Bildern, nicht zuletzt auch solchen, die in analogen Medien hergestellt wurden; durch die Konkurrenz aller Formen der Event-Kultur und schließlich durch die Armut ihrer Träger, deren Konsequenzen Rauterberg benennt. Auch wenn man einzelne Formulierungen seines Textes als etwas klischeehaft empfinden mag, so haben sie doch allemal einen wahren Kern und charakterisieren durchaus zutreffend die z.T. dramatischen Umstände, in denen sich einzelne Häuser befinden. Mithin, wenn davon die Rede ist, dass die Übermacht der Privaten die Autorität der Museen gefährde und diese Gefahr liefen, als Durchlauferhitzer für private Investitionen missbraucht zu werden, dass sie ihre Erfahrung und Würde verhökerten und dabei seien, ihr größtes Kapital, ihre Glaubwürdigkeit, zu verspielen, so dass sie ihre Macht und Kraft verlören, Gegenstände dem Alltag zu entreißen und zu nobilitieren, so trifft dies wohl nicht nur für Kunstmuseen zu. Noch ist damit kein Hinweis gegeben, wie die Museen sich ihre Andersartigkeit auch 1 Hanno Rauterberg: Die Boom-Krise, in: Die Zeit Nr. 44/2004, in: URL: http://her mes.zeit.de/pdf/archiv/2004/44/Museum_2fEinleitung.pdf. 2 Vgl. Michael Fehr: No file – no error. Das Kunstmuseum als eine Grenze des Internet, in: http://www.hamburger-kunsthalle.de/_aext/fehr.htm.

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unter den Gesetzen des Marktes bewahren, gar möglicherweise entwickeln und ausbauen könnten. Einmal mehr stehen wir also vor den Fragen, die uns hier in Deutschland spätestens seit den 1970er Jahren immer wieder bewegt haben: Was eigentlich ist ein Museum, was könnte, was sollte es in der Zukunft sein? Welche Rolle spielen die Museen im kulturellen Kontext für die Gesellschaft, für gesellschaftliche Gruppen und für die Individuen? Wie sind sie im Verhältnis zu anderen kulturellen Einrichtungen und Institutionen oder mit Bezug auf die Massenmedien einzuordnen? Wo liegen ihre besonderen Stärken, ihre Schwächen und ihre Besonderheiten? Was können ihre Inhalte sein, welche eigentümlichen Formen der Kommunikation sind ihnen eigen und ließen sich in ihnen und mit ihnen entwickeln? Dieser Beitrag hat nicht den Anspruch, Fragen dieser Art beantworten zu können. Doch möchte ich mich ihnen stellen: im ersten Teil durch einige Überlegungen zur Rolle des Museums in unserer Gesellschaft; im zweiten Teil zu einem Spezifikum – neudeutsch: Alleinstellungsmerkmal – des Museums, das es zu verspielen droht; im dritten Teil durch einige Beispiele aus der eigenen Praxis. Content, Context, Contest Museen, so wie wir sie kennen und betreiben, sind ein Phänomen der dynamisch expandierenden westlichen Industriegesellschaften. Das geradezu exponentielle Wachstum des Museumswesens und die Verbreitung der Musealisierung auf immer weitere Lebensbereiche, die im letzten Jahrhundert zu verzeichnen waren und noch immer als sogenannter Museumsboom andauern, sind jedoch durchaus erklärungsbedürftig. Denn die modernen Gesellschaften sind nicht nur durch das Schwinden von Tradition und den Verlust an Traditionsbewusstsein gekennzeichnet, sondern auch durch ein Phänomen, das Hermann Lübbe als »Gegenwartsschrumpfung« charakterisiert hat.3 Gemeint ist damit der Umstand, dass in Abhängigkeit von der zunehmenden Menge an wissenschaftlichen und technischen Innovationen pro Zeiteinheit, also mit zunehmender Innovationsverdichtung, die Anzahl der Jahre abnimmt, innerhalb derer wir auf die Konstanz gegebener Verhältnisse bauen können. Und zwar gilt dies sowohl im Hinblick auf die Vergangenheit als auch auf die Zukunft: Nicht nur der Zeitraum, innerhalb dessen wir in eine Vergangenheit zurückblicken können, deren Strukturen unserer gegenwärtigen Lebenswelt ähneln, wird immer kürzer, sondern komplementär dazu nimmt auch die Anzahl der Jahre ab, innerhalb derer wir mit einer Zukunft rechnen 3 Hermann Lübbe: Schrumpft die Gegenwart? Über die veränderte Gegenwart von Zukunft und Vergangenheit, Luzern 2000, S. 11-43.

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können, die in wesentlichen Hinsichten unseren gegenwärtigen Lebensverhältnissen noch gleicht. Zum Beispiel: Als ich vor gut 50 Jahren aufwuchs, war der Besitz eines PKWs durchaus noch eine Besonderheit, hatte man vom Fernsehen gerade mal gehört und war die Vorstellung, dass unser Leben einmal von Fax, Computer und Internet bestimmt sein könne, allenfalls eine mehr oder weniger glaubhafte Utopie – kaum weniger exotisch wie heute, komplementär dazu, für Jugendliche die Vorstellung, dass ein Leben ohne diese mehr oder weniger nützlichen Dinge mehr als ein Vegetieren sein könne. Die Konsequenzen, die sich aus der Gegenwartsschrumpfung ergeben, sind allerdings vielfältig. Für die Wahrnehmung der Geschichtszeit hat Reinhard Koselleck sie folgendermaßen formuliert: Erfahrungsraum und Zukunftshorizont werden inkongruent. Die Erfahrungen, die wir oder unsere Väter machen konnten, eignen sich fortschreitend weniger als Basis für Urteile über das, womit unsere Kinder und Kindeskinder für die Zukunft zu rechnen haben werden. Ein anderes Phänomen, scheinbar widersprüchlich dazu, ist, dass mit der evolutionären Dynamik die Menge an veralteten Gegenständen dramatisch zunimmt. Denn komplementär zur Innovationsrate wächst auch die Veraltensrate und damit die Anzahl der Dinge, die noch gegenwärtig und möglicherweise noch gebrauchsfähig sind, doch aufgrund von technischen oder ästhetischen Innovationen als veraltet gelten, aufgrund dessen nicht mehr in die Lebens- und Produktionszusammenhänge einbezogen werden und als Müll im Sinne der Mülltheorie von Michael Thompson4 gelten können. Die wachsende Menge an Müll ist aber die Voraussetzung für die wachsende Präsenz der Vergangenheit in den modernen Zivilisationen und damit für die beispiellosen Bemühungen unserer Gesellschaften, Vergangenes gegenwärtig zu halten – mit einem Wort: für die historische Kultur als einer spezifisch modernen Kultur (Lübbe). Doch muss man mit Lübbe fragen, warum eigentlich »wir uns diese Vergangenheitsvergegenwärtigung so viel kosten lassen und die entsprechenden Mittel nicht zukunftsbezogenen Zwecken zuwenden«.5 Lübbe beantwortet diese – nicht zuletzt auch für das Museumswesen – zentrale Frage mit einer für ihn typischen Formel: »Die Leistungen des historischen Bewusstseins sind Leistungen zur Kompensation eines änderungstempobedingten Vertrautheitsschwundes. Die Nötigkeit dieser Leistungen nimmt modernitätsabhängig zu. […] Und diese Nötigkeit ist keine andere als 4 Michael Thomson: Mülltheorie. Über die Entstehung und den Verfall von Werten, Essen 2004. 5 Lübbe, Schrumpft die Gegenwart? A.a.O., S. 13.

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Hartmut John/Anja Dauschek (Hg.) Museen neu denken die, die unter den Bedingungen der Gegenwartsschrumpfung expandierende Vergangenheit mit eben dieser Gegenwart verknüpfbar zu halten.«6

Oder, in anderen Kategorien, aber nochmals mit Lübbes Worten gesagt: »Die Leistungen des historischen Bewusstseins kompensieren Gefahren temporaler Identitätsdiffusion.«7 Eine andere Konsequenz der zunehmenden Innovationsverdichtung ist der individuell wie institutionell erfahrene Zeitdruck, unter den man im Versuch, den zunehmenden Informationsanfall zu verarbeiten, gerät. Eine wesentliche Folge der Unmöglichkeit, alles, was wahrnehmbar wäre, tatsächlich auch wahrzunehmen, ist aber der Zwang zur Selektion, also der Zwang zur Auswahl aus den vorhandenen Beständen wie der aktuellen Produktion. Hieraus, also aus dem Zwang zur Selektion, resultiert das Phänomen zunehmender Individualisierung dessen, was von einzelnen Individuen wahrgenommen wird. In der Folge nimmt allerdings nicht nur die relative Menge dessen ab, was als Teil eines verbindlichen kulturellen Kanons gelten kann, sondern erscheint auch das jeweils individuell Selektierte als zunehmend beliebig. Als Konsequenz ergibt sich, nochmals in einer Formel von Herrmann Lübbe ausgedrückt: »Im Kontrast zur wachsenden Menge des nur noch selektiv Rezipierbaren und damit gemeinkulturell nicht mehr als verbindlich Zumutbaren konstituiert sich das kulturelle Phänomen des Klassischen im spezifisch modernen Sinn: Klassisch ist, was sehr alt, nachweislich auch gegenwärtig wirksam und in ebendiesem Sinn unbeschadet seines Alters nicht veraltet ist.«8

Mit diesen Annahmen lässt sich nun der gesellschaftliche Ort des typischen Museums ziemlich eindeutig bestimmen: Seine Aufgabe besteht erstens darin, den für sein jeweiliges Wissensgebiet klassischen Kanon möglichst genau und umfassend zu bestimmen und zu repräsentieren, und zweitens darin, die entsprechenden Hervorbringungen der jüngeren Vergangenheit bis zur Gegenwart mit diesem Kanon durch den Aufbau entsprechender Sammlungen, aber auch durch Ausstellungen und pädagogische Veranstaltungen zu verknüpfen. Mit anderen Worten: Das moderne Museum ist eine Institution des historischen Bewusstseins und hat mit Bezug auf die aktuellen, durch die wachsende Innovationsverdichtung weiterhin und zunehmend gefährdete individuelle wie kollektive Identitätsbildung die Funktion, den innovationsbedingten Vertrautheitsschwund in der Gegenwart zu kompensieren. Dies erklärt meiner Ansicht nach ziemlich eindeutig den zunehmenden 6 Ebd., S. 18. 7 Ebd. 8 Ebd., S. 19.

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Boom von Ausstellungen der sogenannten Klassischen Moderne, deren Vertreter genau die Erfahrungen der Identitätsdiffusion in modernen Industriegesellschaften zu formulieren verstanden – und auch als Kubismus, Futurismus, Fauvismus, Expressionismus oder Abstrakte Kunst nicht bedrohlich erscheinen, weil die entsprechenden Werke über eine lineare Gesichtskonzeption auf den Kanon einer Klassischen Klassik zurückbezogen werden können und dabei dessen wesentliche Elemente: den Begriff des Originals, den der Identität und des Werks, nicht nur nicht in Frage stellen, sondern bestätigen und selbst noch am anonymen Industrieprodukt erneuern. Wider die Gegenwartsschrumpfung: die Museumszeit Das Museum als Zeitmaschine Wenn man unter einer Zeitmaschine eine Apparatur versteht, die, auf der Idee eines einfachen, linearen Zeitstrahls aufbauend, es einer Versuchsperson gestattet, sich an einem Ort beliebig durch die Zeitdimension zu bewegen, dann kann man, wenn man diese Denkfigur auf die Museen bezieht, zu zwei recht unterschiedlichen Einschätzungen kommen: entweder, mit dem Hinweis darauf, dass insoweit dem Aufbau vieler Museen in der Tat ein entsprechend simples, lineares Schema zugrunde liegt, sie zutreffend als Zeitmaschinen in diesem Sinne charakterisiert werden können; oder auf der Grundlage der Einsicht, dass gerade der Roman von H.G. Wells, dem wir die Idee der »Zeitmaschine« verdanken, deutlich macht, dass das Museum etwas ganz anderes als eine Zeitmaschine sein kann: So ist denn ein veritables, wenn auch fast vollständig verfallenes Universalmuseum nicht nur einer der zentralen Schauplätze des Romans, sondern versteht es der durch die Zeit reisende Held, dessen Sammlungen erfolgreich als Ressource für seinen Versuch zu nutzen, die ihm entwendete Zeitmaschine wieder in Besitz zu nehmen und damit in die Gegenwart zurückkehren zu können. Voraussetzung dafür ist aber wiederum, dass der Held des Romans die Musealisierung ignoriert und die Sammlungen des »Palastes aus grünem Porzellan« – so wird das Museum im Roman angesprochen – unter praktischen Gesichtspunkten, als Speicher von möglicherweise noch oder wieder relevantem Wissen bzw. als eine Art Werkzeugschrank wahrnimmt, und schließlich die luftdicht verschlossenen Vitrinen, in denen sich Streichhölzer aus dem 19. Jahrhundert über 800.000 Jahre lang gebrauchsfähig erhalten haben, zerschlägt, um mit ihnen ein Feuer zu legen, mit denen er seine Feinde vertreiben kann. »Ich kann Ihnen nicht die ganze Geschichte dieses langen Nachmittags erzählen. Ich müsste mein Gedächtnis sehr anstrengen, um meine Entdeckungen in genauer Reihenfolge wiederzugeben. Ich erinnere mich an eine lange Galerie rostender Rüstungen und

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Hartmut John/Anja Dauschek (Hg.) Museen neu denken an mein Zögern, ob ich nicht meine Eisenstange gegen eine Streitaxt oder ein Schwert eintauschen sollte. […] Es gab eine Unzahl von Gewehren, Pistolen und Flinten. Die meisten hatten sich in Rosthaufen verwandelt, aber es gab auch welche aus einem neuartigen Metall, die noch gut erhalten waren. […] In einer Ecke war alles zerschmettert und verkohlt, wahrscheinlich, nahm ich an, durch die Explosion einiger der Ausstellungsstücke. In einem anderen Saal fand sich eine große Sammlung von Götzenbildern aus aller Herren Länder. Hier konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, meinen Namen einem Ungeheuer aus Speckstein – südamerikanischer Herkunft –, das mir besonders gefiel, auf die Nase zu schreiben. […] Wir stiegen danach eine breite Treppe empor und kamen in eine Galerie, die offenbar einmal der technischen Chemie gewidmet gewesen war. […] Abgesehen von einem Teil, über dem das Dach eingebrochen war, befand sich der Raum in gut erhaltenem Zustand. Eifrig musterte ich jede unbeschädigte Vitrine. Schließlich fand ich in einem dieser tatsächlich luftdicht verschlossenen Behälter eine Schachtel Streichhölzer. Gespannt probierte ich sie aus. Sie waren vollkommen in Ordnung.«9

Mit der Ausstellung gegen das Museum Komplexere Ordnungssysteme lassen sich nur in mehreren Dimensionen entwickeln. Entsprechend sind Darstellungen komplexer Taxonomien auf räumliche Strukturen angewiesen. Das Museum ist die klassische Form, in der solche Ordnungen an und mit Naturalien und Artefakten entfaltet und zur Anschauung gebracht werden können. Ihre Voraussetzung ist die Ästhetisierung der entsprechenden Objekte, d.h. ihr Herausnehmen aus allen wie immer bestimmbaren gesellschaftlichen, natürlichen oder funktionalen Zusammenhängen – und aus der Zeit: Alle Dinge, die in einem Museum versammelt sind, stammen immer von anderen Orten, haben in der Regel schon aufgrund dieser Translozierung ihre ursprüngliche Funktion verloren und werden in ihm nicht nur in ein und denselben zeitlichen Rahmen gestellt, sondern in ihrem jeweiligen materiellen So-Sein fixiert. An den so buchstäblich entrückten, von allen ursprünglichen Beziehungen und Bezügen befreiten Objekten treten dann ihre jeweils spezifischen Eigenschaften und Qualitäten besonders hervor und werden zum Anlass und Ansatzpunkt für die neuen, künstlich geschaffenen Kontexte, die mit ihnen konstruiert werden und die sie konstituieren. Museen sind, so verstanden, Orte, an denen Wissen produziert und zur Anschauung gebracht werden kann. In diesem Zusammenhang ist die Ausstellung ein Instrument, mit dessen Hilfe der Bestand eines Museums temporär erweitert werden kann, um im Museum gespeichertes Wissen zu überprüfen, zu differenzieren oder zu erweitern. Zwar werden Ausstellungen noch immer mit einem bestimmten Erkennt9 H.G. Wells: Die Zeitmaschine (1895), München 2003, S. 109-111.

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nisinteresse begründet, doch wird heutzutage mit kaum noch einer Ausstellung Wissen produziert. Trotz anders lautender Legitimationslyrik dienen vor allem größere Ausstellungen hauptsächlich der Repräsentation und Vermarktung von vorhandenem Wissen oder von Werten und haben sich im Übrigen als ein wirkungsvolles Instrument erwiesen, mit dem – angeblich im Interesse der Besucher – komplexe museale Präsentationsformen temporär aufgebrochen, ersetzt und zunehmend häufiger so weit aufgelöst werden, dass diese in vielen Häusern nicht mehr von den temporären Veranstaltungen unterschieden werden können. Auf der Strecke bleibt dabei die eigentümliche Zeitstruktur, die Museen als ästhetische Orte auszeichnet – die Museumszeit. Denn eine Ausstellung ist als eine Veranstaltung auf Zeit nicht nur das genaue Gegenteil dessen, wofür Museen als Institutionen des Dauerhaften stehen, vielmehr werden mit der Ausstellung als zeitlich begrenzter Veranstaltung die durch ihre Musealisierung in spezifischer Weise der Zeit enthobenen Dinge in einen zeitlichen Rahmen, die Ausstellungszeit, und damit unter einen Zeitdruck gestellt, den das Museum nicht kennt. Dieser Zeitdruck, unter den natürlich auch die Ausstellungsbesucher geraten, liefert auch die Begründung für die Zerlegung räumlich angelegter Taxonomien in lineare Strukturen und deren Reorganisation im Sinne einer (in der Regel einfachen) Chronologie, an der entlang die Exponate in Linie gebracht werden. Mit anderen Worten: Der Besuch eines noch nicht in dieser Weise modernisierten Museums – mein bestes Beispiel für ein solches Museum ist das Sir Soane’s Museum in London – ist davon bestimmt, dass man sich darin frei in allen Richtungen und in selbst bestimmter Geschwindigkeit bewegen kann: Es gibt in ihm keine festen Routen, die Betrachtungszeiten können individuell gestaltet werden, und man kann gegebenenfalls auch zurückgehen und schon gesehene Exponate noch einmal oder unter anderem Blickwinkel betrachten. Ausstellungen haben im Vergleich dazu den Charakter einer Zeitmaschine, also einer Apparatur im Sinne von H.G. Wells, die, auf der Idee eines einfachen, linearen Zeitstrahls aufbauend, es einer Versuchsperson gestattet, sich an einem Ort durch die Zeitdimension zu bewegen. Es ist nun zu beobachten, dass die Ausstellungsmaschine nicht nur immer häufiger eingesetzt, sondern fast durchweg schon als die einzige Form angeboten wird, wie temporär zusammengestellte Objekte-Sammlungen besichtigt werden können. Zugleich wird die Geschwindigkeit, in der diese Maschinen laufen, ständig erhöht bzw. es wird den Betrachtern mehr oder weniger eindeutig vorgegeben, wie viel Zeit ein Ausstellungsbesuch in Anspruch nehmen darf. Denn nur so kann die Nutzungsfrequenz, also die Anzahl der Besucher pro Haus und Zeiteinheit, erhöht und damit das Ziel, die Einnahmesituation zu verbessern, erreicht werden. Immer eindeutiger nähern sich die entsprechenden Managementmethoden und die einschlägigen Bauten und

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Vorrichtungen in Museen denen an, mit denen die Besuchermassen in Freizeit- und Unterhaltungsparks erfolgreich bewältigt werden.10 Der Trend, Museen über die Veranstaltung von Ausstellungen in Massenmedien umzudefinieren, ist allerdings nicht nur am Hantieren mit den großen Besucherzahlen, sondern auch an einem weiteren, womöglich weitaus wichtigeren Merkmal erkennbar: so z.B. an der ›Verfilmung‹ der Sammlungen mit Hilfe von Audio-Guides und der zunehmenden Kolonisierung der musealen Exponate in den Formaten der elektronischen Medien – wo diese nicht gleich an ihre Stelle treten oder sie ersetzen. Mehr noch als die Überfüllung der Häuser wirft der allfällige Umbau der musealen Präsentationen allerdings Fragen nach der Qualität des Museumsbesuchs auf und danach, was die Leute eigentlich in den medialisierten Museen suchen und finden sollen, das nicht leichter oder ebenso gut über Printmedien oder das Fernsehen, im Internet oder auf einer Reise erfahren werden könnte. Annäherung an eine Utopie: die Museumszeit Abgesehen davon, dass man sich eine Zeitmaschine (und damit eben auch eine Ausstellung) im Museum ausgestellt vorstellen kann, ist die vor über 100 Jahren von Wells erdachte Konstellation zwischen Zeitmaschine und Museum von Interesse – und dies in mehrfacher Hinsicht. Denn vor dem Hintergrund der Idee der auf einem einfachen Zeitstrahl operierenden Apparatur – oder eben der Ausstellung – kann die sehr viel komplexere zeitliche Struktur, die in Museen entwickelt werden kann, besonders plastisch zur Anschauung kommen. Dabei möchte ich im Folgenden nur die drei Aspekte ansprechen, die mir in diesem Zusammenhang besonders wichtig erscheinen. Ich überschreibe sie, erstens, das Museum als Alternative zur Zeitmaschine, zweitens, das Museum als Ort der Darstellung von Zeit und Zeitvorstellungen, und schließlich, drittens, das Museum als Produzent von Zeit. Es spricht im Übrigen für den Roman von Wells, dass sich alle drei Aspekte aus ihm entwickeln lassen: 1. So kann man mit Wells das Museum als Gegenstück zur Zeitmaschine verstehen, insoweit es selbst – anders als diese – einem Alterungsprozess unterworfen ist. Und zwar bringt Wells die komplexe Zeitlichkeit des Museums zur Anschauung, indem er den Palast aus grünem Porzellan als gewissermaßen aus der Zeit gefallen, nämlich als weitgehend zerstörtes und im Innern völlig mit Staub überdecktes Museum, also als ein Haus, das nicht mehr betrieben wird, erscheinen lässt. Eine solche eigene Zeitlichkeit muss dagegen für die Zeitmaschine konzeptionell ausgeschlossen werden, da sie als ein 10 So kann man etwa im Londoner Tower die Kronjuwelen nur von einem relativ schnell laufenden Rollband aus betrachten.

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Vehikel, das den Helden (die Besucher) durch die Zeiten transportiert, selbst nicht dieser Dimension unterworfen sein kann, also sich weder verjüngen noch veralten darf. Anders ausgedrückt: Ein Museum kann nur solange als Museum fungieren, wie es als Teil einer jeweiligen Gegenwart verstanden und erhalten wird – und nicht, wie die Wells’sche Zeitmaschine, daraus verschwindet. Nur wenn es in einem jeweiligen Hier und Jetzt betrieben wird, kann das Museum seine Sammlungen vor dem Verfall bewahren, also Zeugen aus anderen Zeiten und von anderen Orten wahrnehmbar machen. Dieser Gedanke schließt keineswegs aus, dass das Museum als Institution – ich sage hier lieber: als Gehäuse – altert, sondern, ganz im Gegenteil, dass es sich entwickelt und wächst: Auch dafür hat Wells mit der »Galerie des technischen Fortschritts« ein wunderbar klares Bild gefunden. Diese Galerie beschreibt er als eine aus dem Museum heraus ins Unterirdische hinab führende, mit allen möglichen Maschinen bestückte Rampe, auf der der technische Fortschritt als ein linearer Abstieg entlang des jeweils durch den Fortschritt Überwundenen dokumentiert und damit die Zukunft der Zeit, in der der Roman spielt, noch überboten und zugleich als eine höchst ungewisse Zeit erfahrbar gemacht wird. 2. Parameter für die Zeit, die der mit der Zeitmaschine Reisende durcheilt, ist einerseits der Raum, ja der Ort, an dem die Zeitmaschine steht, und andererseits die normale, biologische Zeit des Reisenden selbst: Die Konstanz beider Parameter ist die Voraussetzung für das, was heute Event genannt und dem Dauerhaft-Stetigen des Museums abgetrotzt wird. Mit anderen Worten: Die Zeitmaschine setzt das Newton’sche Weltbild voraus und stellt dessen Zeitbegriff in keiner Weise in Frage. Im Hinblick auf das Museum kann man jedoch feststellen, dass diese Zeitvorstellung zwingend nur für das Museumsgehäuse gilt, keineswegs aber für die in ihm versammelten Objekte. Ganz im Gegenteil: Das Museumsgehäuse definiert einen Raum, in dem kein bestimmter Zeitbegriff herrscht, sondern die Zeitbegriffe, die den jeweiligen Exponaten zugrunde liegen, und die zeitlichen Epochen, aus der sie jeweils stammen, zur Geltung kommen können. Als ein in diesem Sinne zeitloser Raum ist das Museum der gesellschaftliche Ort, an dem wir erfahren können, dass Zeit ein kulturelles Konstrukt ist, dass Zeit als Kronos, Kairos oder Aion vorgestellt wird, dass es lineare, zyklische und spiralförmige Zeitgestalten gibt, die Zeit die Form eines Flusses, eines Baumes oder eines Pfeils annehmen kann und unterschiedliche Zeiten unterschiedliche Zeitmaschinen hervorgebracht haben: vom Jungbrunnen des 16. Jahrhunderts über die Wells’sche Zeitmaschine bis zum »Chronovisor«, die der Jesuitenpater Ernetti in den 1950er Jahren entwickelte. In dieser Funktion, über seine Exponate Zeit darstellen zu können, erweist sich das Museum aber als ein Kind der Bildenden Künste und dabei insbesondere der Malerei, in der es als einer prinzipiell zweidimensionalen Veranstaltung immer schon sowohl um die Darstellung

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von Raum und Räumen als auch die Darstellung von Handlungen und damit von zeitlichen Prozessen und Phänomenen gegangen ist. 3. Auch für meine letzte Behauptung, dass das Museum Zeit produzieren kann, gibt Wells’ Roman ein schönes Beispiel: Die Zeitreise in die ferne Zukunft führt den Helden in eine Epoche, in der die Menschheit degeneriert ist und sich auf einer Entwicklungsstufe befindet, die der des späten Tertiär entspricht; folglich erscheinen die in dem verfallenen Museum versammelten Stücke aus früheren Zeiten zumindest teilweise als Zeugnisse einer höher entwickelten Kultur. Das Paradox, dem wir hier begegnen – einer linearen Reise zu ihrem eigenen Anfang –, löst der Zeitreisende, indem er, wie schon erwähnt, die im Museum erhaltenen Zeitkapseln aufschlägt und ihren Inhalt praktisch benutzt, mit anderen Worten, indem er sich durch den Gebrauch der Exponate seine eigene Zukunft schafft. Hierin liegt aber der entscheidende Hinweis auf das Potenzial des Museums als eines Zeitlabors: Indem es uns die Möglichkeit bietet, anhand der Exponate unterschiedliche Zeiten und Räume miteinander in Beziehung zu setzen und uns in einem gleichermaßen zeitlosen wie von allen möglichen Zeiten und Zeitgestalten bestimmten Raum zu bewegen, eröffnet es uns die Möglichkeit, unsere eigene Zeit zu bestimmen und zu gewinnen – oder, anders ausgedrückt: uns sowohl als autonome wie historische Subjekte zu begreifen. Muße »The museum (and its ancillary epistemological technologies such as history or art history) are heirs to an ancient European tradition of using things to think with; to reckon with; and of using them to fabricate and factualize the realities that in our modernity they so coyly and convincingly present themselves as simply re-presenting. Museums, in short, are modernity’s pragmatic artifice, and the active, mediating, enabling instrument of all that we have learned to desire we might become. It is time to begin to understand exactly what we see when we see ourselves seeing museums imagining us.«11

Verstehen lernen, was wir sehen, wenn wir uns selbst dabei beobachten, wie wir Museen, die ein Bild von uns entwerfen, wahrnehmen: Das ist Preziosis Kernaussage. Sie hört sich kompliziert an und ist in der Tat eine komplexe, jedoch nur mit Bezug auf Museen neue Denkfigur, im Hinblick auf den Bereich der Bildenden Kunst umschreibt sie hingegen geradezu eine Kernerfahrung. Denn wie immer man ein Kunstwerk wahrnimmt: In seine Betrachtung ist unweigerlich die Konfrontation mit einer solchen Wahrnehmungs- und Er11 Donald Preziosi: Haunted by Things. Utopias and Their Consequences, Vortrag gehalten am 3.3.2001, Hohenhof Hagen.

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fahrungsstruktur eingeschlossen und kann zumindest eines zu Bewusstsein kommen: dass »man nicht durch das Auge nehmen [kann], ohne zugleich zu geben«. Diese fundamentale Wechselbeziehung, die Georg Simmel in seiner »Soziologie der Sinne« für die Wahrnehmung zwischen Individuen beobachtete,12 gilt cum grano salis auch für die Wahrnehmung von Bildern und Objekten, die für die Anschauung gemacht sind – und ist bei deren digitalen Abzügen, wenn überhaupt, dann nur sehr bedingt möglich. Denn um ein solches Bild oder Objekt wahrnehmen zu können, muss ich es ansehen und mich ihm aussetzen, muss ich mich ihm öffnen, mich ihm ausliefern – kann ich seiner nur habhaft werden, indem ich es auf mich wirken lasse. Natürlich kann sich im Verhältnis zwischen Individuum und Bild niemals die lebendige dialogische Beziehung einstellen, die die Wahrnehmung von Auge zu Auge so eigentümlich und einzigartig macht. Sie bleibt das ideale, allerdings flüchtige Modell für die visuelle Interaktion. Doch kann am Verhältnis zwischen Individuum und Bild das lebendige Wahrnehmungsverhältnis zwischen Individuen rekonstruiert und reflektiert werden – und das nicht nur an Bildern, die, wie z.B. Diego Velázquez’ »Les Meninas«, die zwischenmenschliche Interaktion zum Thema haben. Denn das wichtigste Moment dieser Interaktion, die grundsätzliche Bereitschaft des Anschauenden, sich in der Anschauung dem Angeschautem hinzugeben, bleibt auch für die Auseinandersetzung mit nicht-gegenständlicher Kunst eine conditio sine qua non. Eben dies aber: die echte Interaktion zwischen Anschauendem und Angeschauten zu ermöglichen und wieder zum Thema zu machen, das ist die Forderung, die ich an das Museum richte – und die ich in neueren, zu Kunst- und Kulturbahnhöfen umgemodelten bzw. als solche gebauten Häusern kaum noch einlösbar finde. Oder, auf andere Weise gesagt: Um verstehen lernen zu können, was wir sehen, wenn wir uns selbst dabei beobachten, wie wir Museen, die ein Bild von uns entwerfen, wahrnehmen, müssen wir etwas zurück zu gewinnen und im Museum wieder zu etablieren versuchen, das heute ganz und gar aus der Mode gekommen ist: Muße – als die Grundbedingung für ästhetische Erfahrung. Das Beispiel Karl Ernst Osthaus-Museum Kurz nachdem ich 1988 die Leitung des Karl Ernst Osthaus-Museums übernommen hatte, legte ich dem Kulturausschuss der Stadt Hagen ein Programm zur Neuorientierung des Museums vor, das nach einem fast zweijährigen Diskussionsprozess 1991 beschlossen und damit zur Grundlage der weiteren Arbeit wurde bzw. die bis dahin geleistete Arbeit legitimierte. Dieses 12 Georg Simmel: Soziologie der Sinne (1907), in: Ders.: Soziologische Ästhetik, hg. von Klaus Lichtblau, Bodenheim 1998, S. 139.

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Programm sah im Wesentlichen die Festlegung von vier thematischen Schwerpunkten vor, die durch Ausstellungen und andere Veranstaltungen entfaltet und durch Ankäufe in den Sammlungen dokumentiert werden sollten. Diese Schwerpunkte wurden, bis auf einen, dem von der Geschichte des Karl Ernst Osthaus-Museums ausgehenden Schwerpunkt »Museum der Museen«, aus dem Werk von Künstlern entwickelt: »Bewusstsein von Geschichte« entstand in Auseinandersetzung mit dem Werk von Sigrid Sigurdsson, »natural relations« auf Anregung von herman de vries und »Triviale Maschinen« als Reflexion auf die künstlerische Auseinandersetzung mit Holografie. In den folgenden Jahren haben wir uns ziemlich konsequent an dieses Programm13 gehalten, es allerdings um den Schwerpunkt »Gender« erweitert. Im Unterschied zu den ersten Schwerpunkten, die Nischen oder ›Marktlücken‹ mit Bezug auf die öffentlichen Sammlungen in der näheren und weiteren Umgebung zu besetzen versuchten und insofern auch mit Bezug auf die bestehende Sammlung mehr oder weniger Neuland waren, wurde dieser Schwerpunkt über eine Analyse der Bestände definiert, die die Grundlage für verschiedene Ausstellungen mit Exponaten aus der Sammlung wurde. Mit der Definition der verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkte ergaben sich auch unterschiedliche methodische Ansätze, die wir – (ab 1992) meine Kollegin Dr. Birgit Schulte und ich – als Chance begriffen, neue oder andere Fragestellungen und Präsentationsformen zu erproben und auf diese Weise das Museum weiterzuentwickeln. Allerdings war es nicht so, dass wir unser etwas anderes Verhältnis zum Museum von heute auf morgen aufbauen konnten. Es entwickelte sich vielmehr als allmähliche Entdeckung von unterschiedlichen Möglichkeiten, die sich auf unterschiedliche Aspekte des Museums und unsere spezifische Situation bezogen und die wir zunächst immer in Ausstellungen erprobten. Die wichtigsten Stationen waren dabei die Ausstellungen »Silence« und »Revision« (1988), durch die die Sammlungsgeschichte thematisiert werden konnte, die Ausstellung »open box«, in der die Idee des Künstler-Museums auf das Kunstmuseum bezogen wurde, die Ausstellung »Henry van de Velde – ein europäischer Künstler in seiner Zeit« (1992), mit der unsere mehr oder weniger systematische Beschäftigung mit der Hagener Kunstgeschichte begann und die die Rekonstruktion der von van de Velde entworfenen Inneneinrichtung des alten Museum Folkwang aus dem Jahre 1902 umfasste, die Ausstellung »Platons Höhle« (1994), bei der das Museum gegenüber den elektronischen Medien als spezifischer Wahrnehmungsraum 13 Eine Erzählung zum Aufbau der Sammlung zwischen 1988 und 1995 findet sich, neben einem Märchen zur Geschichte des Karl Ernst Osthaus-Museums als der Nachfolgeinstitution des Museum Folkwang Hagen, in: Michael Fehr (Hg.): Open Box. Künstlerische und wissenschaftliche Reflexionen des Museumsbegriffs, Köln 1998, S. 12-42.

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thematisiert werden konnte, die Doppelausstellung »Vis à Vis« (1996), die unsere Sammlungen unter der Maxime der Guerilla-Girls: »Do Women have to be naked to get into the Museum«, analysierte und Ausgangspunkt für weitere Revisionen der Sammlungsbestände wurde, und schließlich die Ausstellung »Das Schöne und der Alltag« (1998), mit der ein vergessenes Museum, das »Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe«, das Karl Ernst Osthaus 1909 gegründet hatte und das bis 1917 erfolgreich als Museum des Deutschen Werkbundes fungierte, aus unseren Archiven rekonstruiert werden konnte. Eine Art Zusammenfassung unserer sowohl retrospektiv wie prospektiv angelegten Versuche, die Osthaus’sche Museumsidee neu zu interpretieren, stellte schließlich die Ausstellung »Museutopia – Schritte in andere Welten« im Jahr 2002 dar, die einerseits den vorläufigen Abschluss unserer langjährigen Rekonstruktionen der noch vorhandenen Zeugen des »Hagener Impuls« markierte14 und andererseits die Frage nach der zukünftigen Rolle des Museums aufwarf. Die politische erzwungene Veräußerung eines Bildes aus der Sammlung, die allerdings zumindest in finanzieller Hinsicht ins Positive gewendet werden konnte, ermöglichte es, ab 1998 mit Blick auf das damals schon geplante Emil-Schumacher-Museum einen weiteren Sammlungsschwerpunkt aufzubauen: eine Sammlung internationaler nicht-gegenständlicher Malerei, die zunächst in einer größeren Ausstellung erprobt wurde und jetzt etwa 200 Werke umfasst.15 Die Sammlung als epistemologische Baustelle Das 1991 offiziell in Kraft gesetzte Ausstellungs- und Sammlungsprogramm ersetzte die bisherige Aufgabe einer nicht näher bestimmten »Dokumentation des Kunstgeschehens«16 durch die Orientierung auf inhaltliche Frage14 Es handelt sich dabei um verschiedene Gebäude, darunter den 1906-1908 von Henry van de Velde als Gesamtkunstwerk erbauten Hohenhof, das 1905-1907 von Peter Behrens erbaute Krematorium in Hagen-Delstern und ein Haus der 19081912 von Richard Riemerschmid geplanten Arbeitersiedlung Walddorf, sowie um zahlreiche Ausstellungen und Dokumentationen, die Künstlerinnen und Künstlern um Osthaus gewidmet waren. 15 Zum Hintergrund siehe: Michael Fehr: Die Farbe (Rot) hat mich. Zur Ausstellung im Karl Ernst Osthaus-Museum, in: Ders. (Hg.): Die Farbe hat mich. Positionen zur nicht-gegenständlichen Malerei, Essen 2000, S. 275-281. 16 Mit dem neuen Programm versuchte ich einerseits dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Sammlung zeitgenössischer Kunst des Karl Ernst Osthaus-Museums wenig profiliert und auf regionale Künstler beschränkt war – und selbst in diesem Feld keine herausragenden Arbeiten bot, und andererseits, dass die Ankaufs-

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stellungen, denen ohne Rücksicht auf mediale, nationale oder kommerzielle Gesichtspunkte nachgegangen werden sollte. Dabei stellte sich bald heraus, dass die verschiedenen inhaltlichen Fragestellungen im Schwerpunkt »Museum der Museen« einen gemeinsamen Nenner finden und aufeinander bezogen werden konnten. Die inhaltliche Orientierung des Programms führte zunehmend dazu, dass künstlerische Arbeiten in unseren Blick gerieten, die im Kanon des Kunstmarkts keine Rolle spielten oder in ihm als nicht-kommerzielle oder nicht-handelbare Projekte nicht auftauchen konnten; also dazu, dass wir direkt mit Künstlerinnen und Künstlern zusammenarbeiteten und mit ihnen gemeinsam Projekte entwickelten, die auf die spezifischen Bedingungen des Museums angepasst waren oder für die die Ausstellungsräume entsprechend umgestaltet wurden. Das Museum geriet so für mehrere Jahre buchstäblich zu einer Baustelle, nicht zuletzt auch deshalb, weil wir von 1991 bis 1992 die von Henry van de Velde entworfene Inneneinrichtung rekonstruieren konnten und damit sehr eigenwillig gestaltete Ausstellungsräume erhielten, in die sich zeitgenössische Kunstwerke nicht ohne Umstände integrieren ließen. Die Lösung dieses Problems ergab sich 1994 mit dem Aufbau der Filiale des »Museum of Jurassic Technology«, dessen Vitrinen wir – nach langen Überlegungen und erfolglosen Versuchen – schließlich in einem Stil à la van de Velde konzipierten. In den darauf folgenden Jahren wurden sowohl fast alle vorhandenen wie fast alle neuen Ausstellungsmöbel in diesem Stil (um)gebaut. In dem Maße, wie wir gemeinsam mit Künstlerinnen und Künstlern die Ständigen Sammlungen entwickelten, geriet das Museum an den Rand der offiziellen, vom Kunstmarkt beherrschten Kunstszene und wurde von den entsprechenden Meinungsführern als irrelevanter Sonderfall ignoriert. Andererseits war aber der Zuspruch von Künstlern und Museumsfachleuten ermutigend und konnten wir bei den (in Hagen immer wenigen) Besuchern sehr positive, ja überschwängliche Reaktionen feststellen – was uns bis heute darin bestärkt hat, der Richtung des einmal eingeschlagenen Weges zu folgen. Fast alle unsere Ausstellungen führten zu mehr oder weniger umfangreichen Erweiterungen unserer Sammlungen und sind in ihrer ständigen Präsenmittel des Museums mit jährlich 40.000 DM äußerst begrenzt waren und bleiben würden. Neben zeitgenössischer Kunst (ab 1945) umfassen die Sammlungen des Karl Ernst Osthaus-Museums unter anderem einen großen Bestand zum Werk von Henry van de Velde, eine kleinere, aber qualitätsvolle Sammlung zur deutschen klassischen Moderne, eine sehr umfangreiche Sammlung zum Werk von Christian Rohlfs sowie eine große Sammlung zum Frühwerk von Emil Schumacher. Diese Sammlungsbereiche konnten – aufgrund fehlender finanzieller Ressourcen – nicht systematisch ausgebaut werden. Allerdings ergaben sich auch hier in den letzten Jahren durch Schenkungen und Zuwendungen wesentliche Zuwächse.

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tation im Altbau des Museums abzulesen. So entstand über die Jahre ein zunehmend komplexes Ensemble von Kunstwerken und Architektur, das – dies ist zumindest das Ziel unserer Arbeit – auf unterschiedliche Weise wahrgenommen werden kann und die Entfaltung unterschiedlicher Diskurse an ein und demselben Bestand ermöglicht. Zum Abschluss dieses Beitrags möchte ich hierzu einige Bemerkungen machen: 1. Fülle und Leere: Die Ausstellungsflächen im Altbau des Karl Ernst Osthaus-Museums, dem Gebäude des alten Museum Folkwang, erstrecken sich über drei Etagen und sind mit etwa 900 Quadratmetern für ein Kunstmuseum als relativ klein zu bezeichnen. Es kommt hinzu, dass das Gebäude nur wenig Wandflächen bietet; im Grunde entspricht nur ein Raum, der Bildersaal, klassisch musealen Ansprüchen. Dennoch stehen in diesem Gebäude den Besuchern – zählt man den Bestand im Einzelnen durch – weit mehr als 20.000 Objekte, Bilder und Dokumente zur Betrachtung zur Verfügung – und dies, ohne dass man das Gefühl entwickelte, dass das Gebäude vollgestopft sei. Die Präsentation derart vieler Gegenstände auf dieser relativ kleinen Fläche wurde in erster Linie dadurch möglich, dass das vor allem in Kunstmuseen übliche lineare Hängeprinzip vollständig aufgegeben und – oftmals ausgehend von künstlerischen Vorgaben – eine Vielfalt unterschiedlicher Präsentationsformen und -mittel eingesetzt wurde: Abgesehen von Gemälden wurde – wie schon angedeutet – für fast alle ausgestellten Arbeiten eine eigene, allerdings häufig auf den Architekturstil des Hauses anspielende Präsentationsform entwickelt, die von Archivschränken, Vitrinen, Regalen und anderen Einbauten bis zu ganzen Räumen reicht. Im Unterschied zum Anstaltscharakter vieler Museen für moderne und zeitgenössische Kunst (»White Cube« – »White Clinic«) haben die 15 Räume, in denen die Ständige Sammlung des Karl Ernst Osthaus-Museums gezeigt wird, einen jeweils ganz eigenen Charakter, der in manchen Fällen als spezifische Rahmung zum Teil der ausgestellten Kunstwerke wird. Dies ist insbesondere im Obergeschoss des Museums erfahrbar, wo um einen sakral anmutenden, von einem doppelten Deckendurchbruch bestimmten »Vorraum« der klassisch angelegte »Bildersaal«, ein intimer (mit Möbeln und Teppich ausgestatteter) »Salon«, ein großes und fast leeres, als Herrschaftsraum aufgeputztes »Büro« und ein an allen vier Wänden mit wandhohen Regalen bestückter »Archivraum« angeordnet sind. Wie untereinander unterscheiden diese Räume sich gänzlich von der das gesamte Erdgeschoss einnehmenden, weitgehend leeren, durch einen Säulenwald und einen Springbrunnen bestimmten »Brunnenhalle« und schließlich vom katakombenhaften Untergeschoss, dessen höhlenartiger Charakter durch die reduzierte Beleuchtung, dunkelrote Vorhänge und schwer überschaubare Einbauten noch betont wird. Ohne dass der Besucher auch nur ein Objekt zu betrachten hätte, bewegt er sich daher beim Durchgang durch das Haus in konzeptionell wie atmosphärisch höchst unterschied-

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lichen Räumen, die ihre Inhalte und die ihnen jeweilig angemessene Wahrnehmungsform gewissermaßen schon als Stimmung mitteilen.17 2. Autonomie und Komplexität: Die Grundidee, die wir beim Ausbau und der Einrichtung der Ständigen Sammlung verfolgen, ist die des Gemeinschaftskunstwerks. Dieser Begriff ist als Gegenbegriff zu dem des Gesamtkunstwerks, der umfassenden Gestaltung aus einer Hand, wie sie gerade für den Jugendstil typisch war, zu verstehen: Uns geht es um den Aufbau eines Ensembles, das den einzelnen Werken ihren autonomen Charakter belässt, sie andererseits jedoch in Bezug zu anderen Werken wahrnehmbar macht und so formale und/oder inhaltliche Bezüge herstellen lässt, in denen sich die Bedeutungen der einzelnen Werke wechselseitig erhöhen. Technisch wird dies dadurch erreicht, dass die einzelnen Werke jeweils einen Platz so besetzen, dass ihre Wahrnehmung, zumindest von bestimmten Standpunkten im Raum aus, ungestört, gewissermaßen für sich, möglich ist, jedoch schon ein Schritt zur Seite oder auch nur die Wendung des Kopfes ein anderes Werk in den Blick geraten lässt. Es geht also um eine Präsentation, die anstelle des (isolierenden) Kojenkonzepts oder des (monografischen) Künstler-Raums das Prinzip der möglichen Zusammenschau setzt. Die praktische Folge dieser Präsentationsform ist, dass die Besucher in den verschiedenen Ausstellungsbereichen bzw. gegenüber verschiedenen Teilen der Sammlungen ganz unterschiedliche Haltungen einnehmen und sich auf unterschiedliche Weise durch die Räume bewegen, sich also – gewissermaßen automatisch – eine Differenzierung des Wahrnehmungsverhaltens einstellt, die, auch wenn sie nicht bewusst wird, allein schon für sich genommen als anregend (und als alternative Erfahrung mit Bezug auf übliche Museumsbesuche) empfunden wird. Mit anderen Worten: Insoweit die Präsentationsform den Besuchern 17 Es liegt auf der Hand, dass, so wirkungsvoll ein solch differenzierter und gleichermaßen auf die Architektur wie auf die ausgestellten Werke bezogener Präsentationsmodus sein kann, seine Realisierung das Risiko in sich birgt, nicht ohne Umstände verändert werden zu können, er also auf Dauer angelegt sein muss. Anders gesagt: Mit dem Wachsen der Sammlung wird es – unter der Voraussetzung gleich groß bleibender Ausstellungsflächen – immer komplizierter, weitere Kunstwerke in die Ständige Sammlung aufzunehmen. Dies war für uns allerdings bis dato nur ein theoretisches Problem, da sich immer wieder Möglichkeiten ergaben, den Bestand durch innere Differenzierung und durch Werke, die von Künstlern speziell für normalerweise als nicht bespielbar geltende Raumsituationen, wie zum Beispiel das Treppenhaus, geschaffen wurden, auszubauen. Allerdings muss man hier auch festhalten, dass bei einer konventionellen Hängung in diesem sehr schwierigen Gebäude allenfalls 50 bis 60 ›normale‹ Bilder gezeigt werden und viele Werke der aktuellen, zum Teil ja sehr raumgreifenden Kunstproduktion (wie z.B. Installationen) überhaupt nicht präsentiert werden könnten.

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vorschlägt, sich frei im Raum zu bewegen, und sie nicht dazu zwingt, Flächen abzuschreiten, entspricht die Wahrnehmungsform im Karl Ernst Osthaus-Museum formal gesehen weniger der, die in Kunstmuseen üblich ist, als der, die man bei der Besichtigung von mittelalterlichen oder barocken Kirchen beobachten kann: dem Umherschreiten mit Blicken nach allen Seiten des Raumes (einschließlich des Blicks nach oben), dem Sich-Zuwenden zu und Endecken von Details, dem Sich-Umwenden und dem Verweilen an bestimmten Orten im Raum – freilich ganz ohne das Ziel, Erhabenheitsgefühle zu induzieren oder ein bestimmtes, alles übergreifendes inhaltliches Thema zu entfalten. Ziel ist vielmehr, das Wahrnehmen selbst zum Thema und unterschiedliche Wahrnehmungsmodi als Bedingung für verschiedene Formen der Erkenntnis und des Erwerbs oder der Mitteilung von Wissen erfahrbar zu machen. 3. Rückbezüglichkeit und Ironie: Zielvorstellung unserer Arbeit ist, das Museum nicht als einen Ort der Repräsentation oder eines normativen Bildungskanons erscheinen zu lassen, sondern als einen Ort, der »in einer spielerisch-ironischen Entfaltung des Museumsgedankens und als Integration von künstlerischen und wissenschaftlichen Arbeiten seinen Besuchern das Erleben von künstlerischen Arbeiten als lustvolles Entdecken von ungewöhnlichen oder eigentümlichen Ideen zu historischen und aktuellen Phänomenen und Fragestellungen aus allen Lebensbereichen ermöglicht«.18

Der beschriebene Aufbau der Sammlung kann meiner Ansicht nach dafür die materielle Grundlage bieten, insofern er ein Überangebot an Informationen und Wahrnehmungsmöglichkeiten bereithält, das Fakten und Fiktionen gleichwertig behandelt und deshalb nicht normativ ausgelegt oder erschöpfend erklärt werden kann (und soll), sondern den Besuchern die Möglichkeit bietet, die verschiedenen Teile und Bereiche der Sammlungen sowie die verschiedenen (möglichen) Beziehungen zwischen ihnen individuell zu erkunden und zu bewerten und so sein jeweils eigenes Museumserlebnis zu haben, oder, auf einen Begriff gebracht, in der Haltung eines Sammlers, also mit selbstbestimmter Neugier, das Haus und seine Inhalte wahrzunehmen und zu begutachten. Dass dies tatsächlich funktioniert, kann ich an dieser Stelle natürlich nur behaupten; belegen lässt es sich allerdings durch die Beobachtung des Besucherverhaltens und am Umstand, dass viele Besucher nach dem Besuch erklären, zu wenig Zeit für den Besuch eingeplant zu haben und das Haus erneut besuchen zu wollen.19

18 Zitat aus dem ›Mission-Statement‹ des Karl Ernst Osthaus-Museums. 19 In diesem Zusammenhang möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass der Besuch des Sir Soane’s Museum in London mir in dieser Hinsicht die wichtigsten Anregun-

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4. Paradigmenwechsel: Der womöglich entscheidende Aspekt, durch den sich das Karl Ernst Osthaus-Museum von anderen Kunstmuseen unterscheidet, ist, auf einen Punkt gebracht, wohl der Umstand, dass es als Gemeinschaftsprojekt von Künstlern, Wissenschaftlern und Kuratoren – darin einem Kunstwerk vergleichbar – eine eigene innere Verbindlichkeit entwickelt hat, die ihm zwar eine gewisse konzeptionelle Unabhängigkeit verleiht, es jedoch für bestimmte Bereiche der Kunstszene und für ein bestimmtes Publikum schwer akzeptabel macht. Die Konsequenzen des letzten Umstands werden in einem anderen Zusammenhang zu diskutieren sein. Literatur Fehr, Michael (Hg.): Open Box. Künstlerische und wissenschaftliche Reflexionen des Museumsbegriffs, Köln 1998. Fehr, Michael: Die Farbe (Rot) hat mich. Zur Ausstellung im Karl Ernst Osthaus-Museum, in: Ders. (Hg.): Die Farbe hat mich. Positionen zur nicht-gegenständlichen Malerei, Essen 2000, S. 275-281. Fehr, Michael: No file – no error. Das Kunstmuseum als eine Grenze des Internet, in: http://www.hamburger-kunsthalle.de/_aext/fehr.htm. Lübbe, Hermann: Schrumpft die Gegenwart? Über die veränderte Gegenwart von Zukunft und Vergangenheit, Luzern 2000. Preziosi, Donald: Haunted by Things. Utopias and Their Consequences, Vortrag gehalten am 3.3.2001, Hohenhof Hagen. Rauterberg, Hanno: Die Boom-Krise, in: Die Zeit Nr. 44/2004, in: http://her mes.zeit.de/pdf/archiv/2004/44/Museum_2fEinleitung.pdf. Simmel, Georg: Soziologie der Sinne (1907), in: Ders.: Soziologische Ästhetik, hg. von Klaus Lichtblau, Bodenheim 1998. Thomson, Michael: Mülltheorie. Über die Entstehung und den Verfall von Werten, Essen 2004. Wells, H.G.: Die Zeitmaschine (1895), München 2003.

gen gegeben hat und im Übrigen genau in diesem Sinne perfekt ›funktioniert‹ (was in Hagen sicherlich – noch – nicht der Fall ist).

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Inhalte – Bauen – Zukunft. Perspektiven auf das Neue Landesmuseum in Zürich

Andres Furger, Thomas Sieber Mit unserem Beitrag wollen wir das Projekt »Neues Landesmuseum Zürich« (NLM) vorstellen.1 Dieses große Projekt – um nicht zu sagen: ›Jahrhundertprojekt‹ – umfasst die Sanierung des bestehenden Gebäudes aus dem Jahre 1898, die Erweiterung durch einen Neubau und die konzeptionelle Erneuerung des Ausstellungsprogramms. Dieser umfassende Erneuerungsprozess des Schweizerischen Landesmuseums Zürich (SLM) wird nach dem derzeitigen Stand der Finanz- und Bauplanung der Eidgenossenschaft in rund zehn Jahren vollendet sein. Das SLM Zürich ist der Hauptsitz der MUSEE SUISSE Gruppe (MSG), die im Auftrag der Schweizerischen Eidgenossenschaft das national bedeutsame, mobile Kulturgut sammelt, bewahrt, erforscht, ausstellt und vermittelt.2 In den vergangenen Jahrzehnten ist die Gruppe der »Schweizer Nationalmuseen« auf insgesamt acht Häuser gewachsen, die mehrheitlich neu eröffnet bzw. umfassend saniert worden sind. Das seit über 100 Jahren in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof Zürich liegende Flaggschiff der MSG weist einen erheblichen Nachholbedarf in Bezug auf die infrastrukturelle Sanierung und museologische Erneuerung auf, will es seinen Auftrag als zeitgemäße und besucherorientierte Plattform für die Präsentation, Reflexion und Diskussion der Schweizer Kulturgeschichte erfüllen.

1 Der vorliegende Beitrag ist die überarbeitete und um Anmerkungen ergänzte Fassung unserer Power-Point-Präsentation im Rahmen der Tagung »Museen neu denken!«. Die Überarbeitung des Beitrages für den Tagungsband hat den visuellen Diskurs der Präsentation zu einem sprachlichen Diskurs mit einigen illustrativen Bildern werden lassen. Unser Beitrag basiert auf der konzeptionellen Entwicklungsarbeit der »Projektleitung M21« (Kathleen Bühler, Andres Furger, Anita Gut, Christine Keller, Christof Kübler, Ellen Schoner und Thomas Sieber) sowie der erweiterten Projektleitung »M21+«. Den Mitgliedern dieser Gremien sei an dieser Stelle für ihre inhaltlichen Beiträge und ihr großes Engagement gedankt. 2 Für einen Überblick über Auftrag, Struktur und Profil der MUSEE SUISSE Gruppe siehe neben den Jahresberichten vor allem Andres Furger: Das Schweizerische Landesmuseum Zürich auf dem Weg ins 21. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 57, 2000, S. 95-101.

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Abbildung 1: Das Schweizerische Landesmuseum Zürich zwischen Platzspitz-Anlage und Hauptbahnhof

Quelle: Schweizerisches Landesmuseum Zürich

Dieser Handlungsbedarf ist umso dringender, als die MSG in Kürze über ein zentrales Sammlungszentrum für ihre rund eine Million Objekte umfassenden Sammlungen verfügen wird, das die fachgerechte Aufbewahrung, die nachhaltige Konservierung, die interdisziplinäre Forschung und die effiziente Bewirtschaftung optimieren wird.3 Mit der schrittweisen Eröffnung des Sammlungszentrums (SZA) wird das quantitative und qualitative Potenzial der Sammlungen besser erschlossen. Damit dieses sichtbarer werden kann, muss das in Bezug auf das inhaltliche Profil, die Ausstellungsfläche und die Ausstrahlungskraft bedeutendste Haus der MSG saniert, erweitert und erneuert werden. Im Folgenden konzentrieren wir uns auf die inhaltlichen Grundlagen dieses Prozesses: In sechs Perspektiven wird ein Bild vom derzeitigen Stand der konzeptionellen Arbeit gezeichnet, das die Tragfähigkeit und Zukunftsorientiertheit unserer Ansätze diskutierbar machen soll. In einem ersten Schritt wollen wir den Erneuerungsbedarf mit einem Rückblick auf die Museumsgeschichte deutlich machen. 3 Vgl. dazu Schweizerisches Landesmuseum Zürich: Jahresbericht 2003, v.a. S. 3341, sowie die entsprechenden Informationen unter www.musee-suisse.com.

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Rückblick – Geschichte, Identität und Nation Die Geschichte des SLM Zürich ist untrennbar mit der Geschichte der Entität »Schweiz« verbunden.4 Bei beiden wird versucht, eine möglichst unverwechselbare und stabile Identität herzustellen, in deren Zentrum die Begriffe »Nation«, »Kultur« und »Geschichte« stehen.5 Die in Wissenschaft und Gesellschaft seit rund 30 Jahren intensiv geführte Debatte über Identität(en) hat eines deutlich gemacht: Es gibt keine Identität jenseits von Sprache, von Bildern, von kulturellen Repräsentationen. Oder um es in den Worten des britischen Kulturwissenschaftlers Stuart Hall zu formulieren: »Identität ist eine Erzählung vom Selbst (narrative); sie ist die Geschichte (story), die wir uns vom Selbst erzählen, um zu erfahren, wer wir sind.«6 Im Kontext einer Gesellschaft im Zeichen von Globalisierung, Pluralisierung und Mediatisierung ist in den vergangenen Jahren eine diskursive Explosion der Debatte über Identität(en) zu beobachten. Diese verweist auf die starke Erschütterung traditioneller Identitäten, die an soziale Kollektivitäten wie »Religion«, »Klasse«, »Geschlecht« und »Nation« gebunden waren und durch wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Entwicklungen destabilisiert worden sind. Dies gilt insbesondere für das im 19. Jahrhundert etablierte Konzept namens »nationale Identität« und betrifft auch jene narrativen Repräsentationen, die sich seit über 100 Jahren im SLM manifestieren: die Erzählung über die Nation »Schweiz« und die Erzählung über die Institution »Schweizerisches Landesmuseum«. Ausgehend von drei Ereignissen soll nun dargestellt werden, wie sich diese Identitätsgeschichten artikuliert und verändert haben.

4 Zur Geschichte des SLM vgl. vor allem François de Capitani: Das Schweizerische Landesmuseum Zürich – Gründungsidee und wechselvolle Geschichte, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 57, 2000, S. 1-16; Hanspeter Draeyer: Das Schweizerische Landesmuseum Zürich. Bau und Entwicklungsgeschichte 1889-1998, Zürich 1999. 5 Vgl. dazu ausführlicher den Text »Im Blick – Nationale Geschichte und Identität im Landesmuseum« (Thomas Sieber), der Bestandteil der internen Studie »Neues Landesmuseum Zürich. Inhalte Bauen Zukunft. Museumskonzept 2014« (unveröffentlichtes Typoskript, Zürich 2004) ist, die demnächst auszugsweise in der »Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte« publiziert werden wird. 6 Aus der umfangreichen Literatur zum Konzept »Identität« vgl. grundlegend Stuart Hall: Ethnizität: Identität und Differenz, in: Jan Engelmann (Hg.): Die kleinen Unterschiede. Der Cultural Studies-Reader, Frankfurt a.M./New York 1999, S. 83-98, hier S. 95.

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Als das Landesmuseum am 26. Juni 1898 seine Türen öffnete, standen die Ur- und Frühgeschichte sowie die spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Epoche im Zentrum seiner Sammlungen und Ausstellungen. Das SLM und seine Ausstellungen erzählten eine lückenhafte, keineswegs aber zufällige Geschichte vom Werden der Schweiz.7 An ihrem Ende stand die durch den historischen Neubau symbolisierte und materialisierte Gründung des Bundesstaates im Jahre 1848, an ihrem Anfang die vorgeschichtliche Epoche der sogenannten Pfahlbauer.8 Mit der Entdeckung der Überreste von Pfahlbausiedlungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte man endlich würdige Vorfahren für eine gemeinsame Erzählung vom nationalen Selbst gefunden. Für die Zeit zwischen den Dorfgemeinschaften der freien Pfahlbauern und der Gemeinschaft der freien Bürger im jungen Bundesstaat präsentierte dieses Geschichtsbild die Zeit des 15. und 16. Jahrhunderts. Diese Erzählung vom nationalen Selbst prägte um 1900 nicht nur das Landesmuseum. In der zeitgenössischen Geschichtsschreibung fand »der gesunde, aufs Ideale gerichtete Geist der Nation« im Bundesstaat von 1848 seine Vollendung:9 Nun war die Geschichte von der Überwindung der sprachlichen, konfessionellen und politischen Gegensätze an ihr Ziel gelangt – die Erzählung vom nationalen Selbst hatte ihr (vorläufiges) Ende gefunden. Im Medium der Ausstellung endete diese teleologische Erzählung in der sogenannten Waffenhalle, in dem unter dieser Halle gelegenen Piedestal be-

7 Zur Geschichte des Schweizer Bundesstaates vgl. Andreas Ernst/Albert Tanner/ Matthias Weishaupt (Hg.): Revolution und Innovation. Die konfliktreiche Entstehung des schweizerischen Bundesstaates von 1848, Zürich 1998; Manfred Hettling u.a.: Eine kleine Geschichte der Schweiz: der Bundesstaat und seine Traditionen, Frankfurt a.M. 1998. 8 Zur Bedeutung der Pfahlbauer vgl. François de Capitani: Nationale Identität im Wechselspiel zwischen Geschichte, Monument und Museum. Das schweizerische Beispiel, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 55, 1998, S. 25-33; Hanspeter Draeyer: Die besten Schädel arischer Rasse als Katalysator für die Gründung des Schweizerischen Landesmuseums Zürich, in: Schweizerisches Landesmuseum Zürich (Hg.): Die Erfindung der Schweiz 1848-1998. Bildentwürfe einer Nation. Sonderausstellung im Schweizerischen Landesmuseum Zürich, Juni bis Oktober 1998, Zürich 1998, S. 158-169. 9 Beispielhaft für diese Historiografie, die die nationale Geschichte als Vorgeschichte der Gründung des Bundesstaates erzählte, ist Karl Dändlikers »Geschichte der Schweiz«, die nur jene Bereiche integrierte, die sich als »Vorzeichen einer besseren Zukunft« erzählen ließen: Karl Dändliker: Geschichte der Schweiz mit besonderer Rücksicht auf die Entwicklung des Verfassungs- und Kulturlebens von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, 3 Bde., Zürich 1883-1888, hier Bd. 2, S. 662.

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gann der Rundgang mit der Ur- und Frühgeschichte. Von dieser »nationalen Vorgeschichte« führte der Gang durch rund 40 Ausstellungsräume mit Objekten und eingebauten historischen Zimmern, die in nahezu chronologischer Ordnung den aufsteigenden Weg zur kulturellen Blüte im 16. Jahrhundert nachzeichneten. Doch erst in der Waffenhalle fand dieser Gang durch die materialisierte Erzählung vom Werden der Schweiz seine doppelte Vollendung. Abbildung 2: Die Ersteinrichtung der Waffenhalle des SLM Zürich um 1900

Quelle: Schweizerisches Landesmuseum Zürich

Erstens wurden hier in dichter, meist offener Aufstellung Rüstungen, Fahnen, Waffen und Trophäen präsentiert, die das Bild der wehrhaften Eidgenossenschaft mit Exponaten in Szene setzten, die mehrheitlich aus den Zeughäusern des 16. und 17. Jahrhunderts stammten. Und zweitens evozierte die Halle durch ihre Größe, ihre einer neugotischen Kathedrale nachempfundenen Raumgestaltung und die präsentierten Standesscheiben der Kantone das Erleben einer »Ruhmeshalle der Nation«. Hier fehlte – wie in den Ausstellungen und Sammlungen des Museums überhaupt – die jüngere Vergangenheit, insbesondere aber die konfliktreiche Gründungsgeschichte des Bundesstaates. Diese Geschichte wird nicht repräsentiert, ist jedoch präsent: als Endpunkt einer langen, zielgerichteten und erfolgreichen nationalen Geschichte im kol-

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lektiven Erinnerungsraum und Erfahrungshorizont der Besucherinnen und Besucher. Diese Kontinuität zwischen Vergangenheit und Gegenwart im Zeichen einer linearen und teleologischen Geschichtsauffassung ist charakteristisch für den Diskurs und die Praxis des Ausstellens im Zeichen einer nationalen Identität, die das Große, das Gemeinsame, das Unverwechselbare, das Harmonische und das Eigene betont. Die für die Zeit um 1900 charakteristische Nähe zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen nationaler und musealer Erzählung vom nationalen Selbst förderte und forderte keine Distanz – sondern Identifikation. Dieser identifizierende Blick auf die nationale Geschichte und Kultur der Ersteinrichtung sollte das Museum bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts prägen. Abbildung 3: Die neu eingerichtete Dauerausstellung in der Waffenhalle um 1960

Quelle: Schweizerisches Landesmuseum Zürich

Die Eröffnung der neu eingerichteten Waffenhalle am 29. November 1956 ist ein wichtiger Markstein in der Erneuerung der Ersteinrichtung, die nach dem Auszug der in einem Flügel des Museums einquartierten Kunstgewerbeschule im Jahre 1933 begann. Am sichtbarsten wird dieser Veränderungsprozess in der Waffenhalle und ihrem Piedestal. Mit der Verlagerung der Ur- und Frühgeschichte in die Räume im ehemaligen Kunstgewerbeflügel wurde der Anfangspunkt der musealen Identitätsgeschichte zur Leerstelle, während ihr

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Endpunkt umgedeutet wurde. Aus der »Kathedrale der Nation« wurde in den Worten des damaligen Direktors »ein sachlicher Ausstellungsraum«, in dem die Bewaffnung zur Zeit der Befreiungskriege und der Burgunderkriege im 14. und 15. Jahrhundert »in stark aufgelockerter Darstellungsweise und mit strenger Beschränkung auf das Wesentliche« präsentiert wurde.10 Die Umnutzung der beiden Ausstellungsräume, die konstitutiv für die inszenierte nationale Geschichte waren, erschütterte die Grundidee des Museums und zerstörte den Plot der Erzählung vom nationalen Selbst. Diese Entwicklung war nicht etwa Ausdruck einer neuen Erzählung der nationalen Geschichte und Identität. Seit Ende des 19. Jahrhunderts hatte diese die großen politischen Ereignisse und den tiefen gesellschaftlichen Wandel in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ohne substanzielle Veränderung überstanden. Die Stabilität der narrativen Repräsentation vom nationalen Selbst in den Topoi »Réduit« und »Sonderfall« beruhte in erster Linie auf ihrer großen Anpassungsfähigkeit: Ein reicher Fundus an Texten, Bildern und Objekten aus der Geschichte konnte im permanenten ›Recyclingverfahren‹ neu zusammengesetzt werden.11 Diese Kontinuität dürfte dazu beigetragen haben, dass die Ausstellungen in der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht mehr identisch sein mussten mit der mächtigen nationalen Identitätsgeschichte. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Neueinrichtung der Waffenhalle dann nicht nur als Erschütterung oder gar Zerstörung der Grundidee des Museums, sondern auch als Befreiung von den Zwängen der nationalen Repräsentationsgeschichte verstehen. In den neu gestalteten Ausstellungsbereichen wird nun ein Modus der Distanz sichtbar, der das Kontinuum von Vergangenheit und Gegenwart stört und die Identifikation erschwert. Damit wurde – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn – Raum geschaffen für den distanzierten Umgang mit der mythischen Erzählung der nationalen Identität. Dass dieses Potenzial noch lange Zeit nicht ausgeschöpft worden ist, reflektiert die »longue durée« dieser alten Geschichte.12 Wie präsent diese auch in der Nachkriegszeit noch 10 Zur Modernisierung des SLM vgl. Fritz Gysin: Ziele und Aufgaben des Schweizerischen Landesmuseums Zürich und sein Verhältnis zur Schweizerischen Volkskunde, in: Schweizerisches Landesmuseum Zürich: Jahresbericht 1938-1943, S. 197-233; Schweizerisches Landesmuseum Zürich: Jahresbericht 1949/1950, S. 10. 11 Vgl. dazu Jakob Tanner: Die Krise der Gedächtnisorte und die Havarie der Erinnerungspolitik. Zur Diskussion um das kollektive Gedächtnis und die Rolle der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges, in: Traverse. Zeitschrift für Geschichte 1, 1999, S. 16-37; Ders.: Nationale Identität und kollektives Gedächtnis, in: Helena Kanyar/Patrick Kury (Hg.): Die Schweiz und die Fremden 1798 – 1848 – 1998. Begleitheft zur Ausstellung, Basel 1998, S. 22-36. 12 Zum Begriff vgl. Fernand Braudel: Histoire et sciences sociales. La longue durée, in: Annales E.S.C. 13, 1958, S. 725-753.

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war, zeigt beispielhaft die Rezeption der 1955 eigens für die Waffenhalle geschaffenen »Kriegergruppe mit knechtischen Harnischen des 16. Jahrhunderts«, die dem Publikum »das Tragen des Harnisches und die Führung von Langspiess und Halbarte eindrücklich erläutern« sollte.13 In der Wahrnehmung des Publikums symbolisierte diese neue didaktische Darstellungsform aber bis weit in die 1980er Jahre hinein das Kontinuum einer wehrhaften und neutralen Schweiz. Dieses Beispiel zeigt die seit der Mitte des 20. Jahrhunderts wachsende Kluft zwischen der Erzählung vom nationalen Selbst und dem Ausstellungsdiskurs. Indem sich das Museum von der Repräsentation der nationalen Identitätsgeschichte löste und zum Ort der wissenschaftlich-didaktischen Präsentation von Geschichte mit dem Schwerpunkt Kunstgeschichte wurde, gewann das SLM eine neue, distanzierte Perspektive für die Betrachtung der Vergangenheit. Gleichzeitig entfernte es sich jedoch von seiner für die Gesellschaft zentralen Aufgabe: die Erzählung vom nationalen Selbst in der Gegenwart zu verankern und im Licht der Vergangenheit zu reflektieren. Abbildung 4: Die Sonderausstellung »Sonderfall? Die Schweiz zwischen Réduit und Europa« in der Waffenhalle (1992)

Quelle: Schweizerisches Landesmuseum Zürich

13 Zu Intention und Rezeption dieser Figurinen vgl. Schweizerisches Landesmuseum Zürich: Jahresbericht 1954/1955, S. 8f. sowie Draeyer: Das Schweizerische Landesmuseum Zürich. Bau und Entwicklungsgeschichte 1889-1998, a.a.O., S. 74f.

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Am 19. August 1992 wurde in der Waffenhalle die Sonderausstellung »Sonderfall? Die Schweiz zwischen Réduit und Europa« eröffnet. Ihr Ausgangspunkt war die damalige Befindlichkeit der Schweiz, die in der Begleitpublikation wie folgt zusammengefasst wird: »Die Schweiz ist […] auf der Suche nach einer neuen Rolle in der Welt, nach einem neuen Selbstverständnis. Keine leichte Aufgabe für ein Land, das stolz ist auf Tradition und Kontinuität und geprägt von Selbst- und Sonderfall-Bewusstsein.«14 Mit der Metapher vom »Sonderfall« thematisierte die Ausstellung »die Frage nach der Eigenart dieses Landes, seiner Gesellschaft, seiner Menschen« im Spannungsfeld zwischen Isolation und Integration. In ihrem Zentrum stand die Geschichte der Schweiz zwischen 1930 und 1990. Die insbesondere anhand von Exponaten der Alltagskultur, der angewandten und der bildenden Kunst geführte Auseinandersetzung mit dem Selbstbild der Schweiz fand bezeichnenderweise auf einer »zweiten Ebene« statt, die mit Hilfe eines Gerüsts in die Waffenhalle eingezogen wurde: Die Halle mit ihrer Dauerausstellung wurde so gleichsam zum historischen Unterbau und zu einem bis in die Gegenwart wirkenden Resonanzraum für die nationale Identitätserzählung. Mit dieser Sonderausstellung aktualisiert das Museum aber auch sein Selbstverständnis: In der Wahl ihres Gegenstandes schloss die Ausstellung an das Museum der Identifikation um 1900, in der Art der Präsentation an das Museum der Distanzierung um 1950 an. Neu – und für die Identität des Museums entscheidend – ist, dass die Jetztzeit in doppelter Weise präsent wurde: als Ausgangspunkt für die thematisierten Fragen und als materieller Gegenstand der Ausstellung. Anders als in den ersten Jahrzehnten der Museumsgeschichte konnte nun allerdings keine kohärente und homogene Geschichte vom nationalen Selbst mehr präsentiert werden. Auch in der Schweiz wurde diese durch die seit Mitte der 1970er Jahre auftretenden wirtschaftlichen und politischen Veränderungen erschüttert. Da sich das nationale Selbstverständnis in der Schweiz in erster Linie aus der Geschichte und in zweiter Linie aus der Politik nährte, wurde diese Destabilisierung durch historisch-politische Ereignisse vertieft, die wichtige Bestandteile dieser Erzählung tangierten. In diesem Zusammenhang ist insbesondere an die Ende der 1980er Jahre auf breiter Ebene ausgelöste Debatte über die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg zu erinnern.15 Diese schloss unmittelbar 14 Walter Leimgruber: Zur Konzeption der Ausstellung, in: Ders./Gabriela Christen (Hg.): Sonderfall? Die Schweiz zwischen Réduit und Europa. Begleitband zur Ausstellung im Schweizerischen Landesmuseum Zürich, Zürich 1992, S. 15-17, hier S. 15. 15 Die bis heute nachwirkende Debatte wurde durch die von der Schweiz zur Mobilmachung im Zweiten Weltkrieg veranstalteten »Diamant-Gedenkfeiern« (1989) ausgelöst und durch die Existenz nachrichtenloser Vermögen seit Mitte der 1990er Jahre intensiviert.

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an den Fundus der Bilder, Objekte und Texte der nationalen Identitätsgeschichte an und erschütterte das geschichtslastige Selbstverständnis der Schweiz fundamental. Mit der »Sonderfall«-Ausstellung ist das SLM zu einer Plattform für die in der Gegenwart verwurzelte Präsentation, Reflektion und Diskussion der Formen und Bedingungen nationaler Identität geworden. Zahlreiche Sonderausstellungen thematisierten in der Folge diese Auseinandersetzung mit Aspekten nationaler Identität – z.B. »Die Erfindung der Schweiz« (1998), »Remember Swissair« (2002) oder »Der Bergier-Bericht. Die Schweiz, der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg« (2004). Doch nicht nur diese explizit an die nationale Identitätsproduktion und die aktuellen Diskurse anknüpfenden Ausstellungen zeigen das neue Selbstverständnis des SLM. Auch Präsentationen zu so unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen wie Naturwissenschaften, Literatur, alltägliche Lebenswelten oder Design haben Phänomene in ihrer Bedeutung für die kulturgeschichtliche Entwicklung der Schweiz beleuchtet sowie die Funktion dieser kulturellen Diskurse und Praktiken für die Herstellung kultureller Identitäten thematisiert.16 Diese Ausstellungen gehen von einem umfassenden Begriff von Kultur aus, der von den Konzepten der Kultursemiotik, der Kulturanthropologie und der britischen »Cultural Studies« beeinflusst ist.17 In dieser Perspektive ist »Kultur« das genuine Medium für die Produktion, Distribution, Konsumption und Repräsentation jener gemeinsamen Bedeutungen, die Individuen und Gruppen miteinander teilen und Grundlage jeder Erzählung vom kollektiven Selbst sind. Die in den vergangenen zehn Jahren gezeigten Sonderausstellungen stellen mittelbar oder unmittelbar Verbindungen her zwischen den Bildern, Texten und Objekten aus dem Fundus der schweizerischen Identitätsgeschichte und Fragestellungen aus der Kultur der Gegenwart. Mit diesem in der Gegenwart verwurzelten, differenzierten Blick wird das Museum zu einem Ort, an dem die Erzählung vom nationalen Selbst im Licht der Vergangenheit reflektiert und in der Gegenwart weitererzählt wird. Auch wenn es heute keinen 16 Als Beispiele seien genannt: »Modedesign Schweiz 1972-1997« (1997), »Höllenreise durch mich selbst – Hesse. Siddhartha. Steppenwolf.zh« (2002), »Der gespiegelte Mensch« (2004) und »bling bling – Traumstoffe aus St. Gallen« (2004/ 2005). 17 Für einen kritischen Überblick zur Entwicklung der Geschichtswissenschaft und zur aktuellen Debatte vgl. Gadi Algazi: Kulturkult und die Rekonstruktion von Handlungsrepertoires, in: L’Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 11, 2000, S. 105-119; Jan Engelmann (Hg.): Die kleinen Unterschiede. Der Cultural Studies-Reader, Frankfurt a.M./New York 1999; Georg G. Iggers: Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert, Göttingen 1993.

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selbstverständlichen Plot dieser Erzählung mehr gibt, sich ihre Motive und Akteure vervielfältigt haben, bleibt diese doch untrennbar mit der Identität und dem gesellschaftlichen Auftrag des SLM verbunden. Denn: Ohne die Präsentation von Geschichte(n) – sei es die der Nation, der Regionen, der sozialen Gruppen oder der eigenen Institution – kann die Bildung zukunftsfähiger Identitäten nicht gelingen. Einsicht – Gesellschaft und Museum im Wandel Die Gründungs- und Entwicklungsgeschichte des SLM zeigt, wie eng das Selbstverständnis des SLM mit der Identität bzw. der Identitätspolitik der Schweiz verbunden ist und wie das Museum auf den gesellschaftlichen Wandel reagiert hat. Wer das »Museum neu denken« will, muss seinen gesellschaftlichen Kontext und seinen öffentlichen Kultur- und Bildungsauftrag verstehen und gegebenenfalls neu interpretieren. Deshalb möchten wir an dieser Stelle einige Merkmale des gesellschaftlichen Wandels beleuchten, die für die Museumsentwicklung von Bedeutung sind. Wer die gegenwärtige Gesellschaft beschreibt, kommt nicht ohne Begriffe wie »Globalisierung«, »Pluralisierung«, »Mediatisierung«, »Hybridisierung« oder »Virtualisierung« aus. Sie beschreiben politische, ökonomische, soziale und kulturelle Phänomene des rasanten Wandels von der Industrie- zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft. Mit Blick auf Profil, Programm und Positionierung eines kulturhistorischen Museums konzentrieren wir uns an dieser Stelle auf zwei Aspekte: Mit den Begriffen »Pluralisierung und Hybridisierung« wird erstens das für die Gegenwart charakteristische Neben- und Miteinander von Werten, Haltungen, Deutungsmustern, Lebensformen und Lebensstilen bezeichnet. Diese Pluralität zeigt sich sowohl in den Perspektiven, Konzepten und Fragestellungen der scientific community in den Geistes- und Sozialwissenschaften als auch in den kulturellen Praktiken der vielfältigen gesellschaftlichen Gruppen. Ein kulturhistorisches Museum wie das SLM muss diese gesellschaftliche Wirklichkeit zum zentralen Bezugspunkt seines Selbstverständnisses machen. Indem wir neben der Geschichte die Geschichten, neben der nationalen Identität die kulturellen Identitäten wahrnehmen, bekennt sich das SLM zu einem pluralen Verständnis der gesellschaftlichen Wirklichkeit und ihrer musealen Repräsentation. Zweitens sind die Mediatisierung und Virtualisierung unserer Weltbezüge wichtige Merkmale einer Gesellschaft im Zeichen der digitalen Medien. Die rasante Vermehrung der aktuell verfügbaren Texte, Bilder und Interaktionsmöglichkeiten durch computerbasierte Verfahren und die Entstehung einer global vernetzten Informationsgesellschaft haben der Frage nach der Authentizität, der Aussagekraft, mithin der »Wahrheit« von Texten und Bildern neue

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Aktualität verliehen.18 In diesem gesellschaftlichen Kontext sollte ein kulturhistorisches Museum die »Aura der physischen Dinge« verteidigen und sich als Ort einer reflektierten Bild- und Objekterfahrung profilieren.19 Abbildung 5: Blick in die zeitgenössische visuelle Kultur: Michel Jaffrenou, This is not a picture, Mix-media, 2002

Quelle: Bruno Latour und Peter Weibel (Hg.): Iconoclash: Beyond the Image Wars in Science, Religion and Art, Karlsruhe 2002, S. 479.

Das Werk des Medienkünstlers Michel Jaffrenou (s. Abb. 5), das Bilder aus unterschiedlichen Bereichen und Epochen vereinigt, vermittelt einen spektakulären und zugleich reflektierten Einblick in unsere visuelle Kultur, in der sich das SLM positionieren muss.20

18 Für einen Überblick über die aktuelle Debatte zur »Piktorialisierung« von Wissenschaft und Gesellschaft siehe Peter Weibel (Hg.): Vom Tafelbild zum globalen Datenraum. Neue Möglichkeiten der Bildproduktion und bildgebender Verfahren, Ostfildern-Ruit 2001; Bettina Heintz/Jörg Huber (Hg.): Mit dem Auge denken. Strategien der Sichtbarmachung in wissenschaftlichen und virtuellen Welten, Zürich 2001. 19 Vgl. dazu Hans Belting: Orte der Reflexion oder Orte der Sensation, in: Peter Noever (Hg.): Das diskursive Museum, Ostfildern-Ruit 2001, S. 82-94, hier S. 90. 20 Das Bild war Bestandteil der im Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe gezeigten Ausstellung »Iconoclash. Jenseits der Bilderkriege« (2002); vgl. da-

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Zahlreiche Tagungen und Beiträge in Zeitschriften zeugen von der unter dem Eindruck des gesellschaftlichen Wandels und der sich verändernden politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geführten Debatte über die Zukunft der (kulturhistorischen) Museen.21 Wir beschränken uns auf zwei Gesichtspunkte: In seiner Geschichte ist das kulturhistorische Museum erstens immer ein Wissensspeicher zur Sammlung und Bewahrung von mobilem, materiellem Kulturgut gewesen, das als Quelle primären Wissens erforscht, ausgestellt und vermittelt worden ist.22 Bereits mit dem Einzug technischer Bildherstellungsverfahren, vor allem aber mit der rasanten Verbreitung der Massenmedien und des World Wide Web im Zeichen der sogenannten digitalen Revolution ist die Bedeutung des Museums als Ort des Speicherns und Vermittelns von Wissen geschwunden. Doch sogar wenn das kulturhistorische Museum seine praktisch-realistische Funktion verloren haben sollte, so bleibt es doch das Archiv der materiellen Referenzwerte für die von ihm abgezogenen, frei flottierenden Wissenselemente. Als Archiv der physischen Dinge sollte es diese nun aber als materielle Medien verstehen, die zwischen dem Betrachter, der sie sieht, und dem Unsichtbaren, aus dem sie kommen, vermitteln.23 In dieser Perspektive sammeln kulturhistorische Museen Objekte, die in letzter Konsequenz erst durch die Fragen der betrachtenden und befragenden Subjekte zu Zeichen mit Verweis- und Aussagekraft werden. Auf dieser Grundlage müssen kulturhistorische Museen verstärkt zu Orten der systematischen und kritischen Reflexion der Konstruktion von Bedeutung und der Produktion von Wissen werden. Kulturhistorische Museen

zu Bruno Latour/Peter Weibel (Hg.): Iconoclash: Beyond the Image Wars in Science, Religion and Art, Karlsruhe 2002, hier S. 479-482. 21 Aus der großen Zahl der Veröffentlichungen zu dieser internationalen Diskussion vgl. neben den bereits erwähnten Publikationen z.B. Gottfried Korff: Museumsdinge. Deponieren – Exponieren, Köln/Weimar/Wien 2002; Richard Sandell (Hg.): Museums, Society, Inequality, London/New York 2002; Sharon McDonald (Hg.): The Politics of Display. Museum, Science, Culture, London 2001 sowie o.V.: L’avenir des musées. Actes du colloque organisé au musée du Louvre les 23, 24 et 25 mars 2000, Paris 2001. 22 Vgl. dazu z.B. Moritz Csáky/Peter Stadel (Hg.): Speicher des Gedächtnisses. Bibliotheken, Museen, Archive, Wien 2000 sowie den Beitrag von Michael Fehr im vorliegenden Band. 23 Vgl. dazu immer noch grundlegend Krysztof Pomian: Zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem: die Sammlung, in: Ders.: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Berlin 1988, S. 13-72, hier v.a. S. 44f.; Ders.: Archäologische Museen: Kunst, Natur, Geschichte, in: Ders.: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, a.a.O., S. 91-108, hier v.a. S. 94f.

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waren zudem schon immer zentrale »lieux de mémoire«.24 In den vergangenen Jahrzehnten ist – nicht nur in der Schweiz – eine Multiplikation der Gedächtnisorte und der auf Erinnerung bezogenen Diskurse, Bilder und Identifikationssymbole zu beobachten. In einer derart »atomisierten Gedächtnislandschaft« muss sich das kulturhistorische Museum aber klarer positionieren.25 Im Kontext der Erinnerungspolitik wird das Museum zu einer wichtigen Plattform des Vermittelns zwischen den für die historische Sinnbildung zentralen Bedeutungssystemen: die im Modus der Distanz operierende Geschichte und das im Modus der Synchronizität organisierte kollektive Gedächtnis. Vor diesem Hintergrund kann das kulturhistorische Museum der Gegenwart nicht mehr bloß zentraler Ort für die Repräsentation von Geschichte sein, sondern muss vermehrt zu einem in der Gegenwart und ihren Fragen verwurzelten Ort des selbstreflexiven Diskurses über Geschichte und Gedächtnis werden. Blickwechsel – Kulturauftrag und Besucherorientierung Will das Neue Landesmuseum Zürich (NLM) zu einem gesellschaftlichen Reflexionsraum für die Gegenwart als Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft werden, so muss es seinen Kultur- und Bildungsauftrag neu interpretieren. Gemäß seinem öffentlichen Auftrag hat es sich an die gesamte in der Schweiz lebende Bevölkerung zu richten.26 Dieser umfassende Anspruch bedeutet für die museale Vermittlungsarbeit in erster Linie, dass sie die heterogene Bevölkerung möglichst präzise kennen lernen und verstehen muss. In diesem Zusammenhang geben Besucher- und Nichtbesucherbefragungen Aufschluss über Erwartungen an das Museum und über den Erfahrungs- und Bildungshorizont des Publikums.27 Auf dieser Grundlage lassen sich die Er-

24 Vgl. dazu die grundlegenden Werke von Pierre Nora: Les lieux de mémoire, Bd. 1-3, Paris 1984-1992; Ders.: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Berlin 1990. 25 Vgl. dazu Tanner: Die Krise der Gedächtnisorte und die Havarie der Erinnerungspolitik, a.a.O., S. 17. 26 Zum Zielpublikum des SLM sind grundsätzlich auch die temporär in der Schweiz weilenden Personen wie Touristen, Pendler oder Reisende zu zählen. 27 Vgl. dazu exemplarisch die zur Ausstellung »Die Erfindung der Schweiz« (1998) verfasste Untersuchung von Christina Beste und Werner Fröhlich: Neue Spuren im Weltbild der Schweizer. Eine Sonderausstellung des Schweizerischen Landesmuseums Zürich weist den musealen Weg, aktuelle politische Fragen in kulturhistorischem Kontext zu spiegeln, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 57, 2000, S. 61-94; grundlegend Hans Joachim Klein: Im Meinungsspiegel. Wie das Schweizerische Landesmuseum Zürich von Bevölkerung und Tou-

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wartungen und Erfahrungen bestimmter Besuchergruppen ermitteln und in die Konzeption und Umsetzung der musealen Produkte und Dienstleistungen integrieren. Für die strategische Planung der Vermittlungsarbeit, insbesondere in Bezug auf die inhaltliche, dramaturgische und inszenatorische Konzeption von Ausstellungen, wird zudem der kultursoziologische Milieu-Ansatz einbezogen.28 Mit diesem Konzept lässt sich die Bevölkerung in verschiedene soziokulturell definierte Gruppen unterteilen, die wiederum in Beziehung zu den unterschiedlichen Besuchergruppen des Museums gesetzt werden können. Für das größte Publikumssegment der Einzelbesucher lassen sich beispielsweise drei Milieus mit unterschiedlicher Lebensorientierung und differierenden kulturellen Praktiken unterscheiden, auf die das programmatische Profil und die strategische Positionierung der Vermittlungsarbeit reagieren muss.29 Neben dieser grundsätzlichen Orientierung konzipiert das Museum seine Produkte und Dienstleistungen aber weiterhin mit Blick auf spezifische Marktsegmente wie »Familien«, »Rentnerinnen und Rentner«, »Schulklas-

risten wahrgenommen wird, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 57, 2000, S. 17-59. 28 Vgl. dazu grundlegend Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, 8. Aufl. Frankfurt a.M. 2000; o.V.: Die Sinus-Milieus. Wer sind die Zuschauer? Wie leben sie? Was schauen sie? Was konsumieren sie?, in: Publisuisse Impact Dossier, November 2003. Vgl. zum Folgenden auch den Tagungsband Beatrix Commandeur/Dorothee Dennert (Hg.): Event zieht – Inhalt bindet. Besucherorientierung von Museen auf neuen Wegen, Bielefeld 2004. 29 Das erste Milieu bilden Personen mit eher traditionellen Werten und inhaltlichen Präferenzen wie »Natur und Landschaft«, »Volkstümliche Musik und Heimatfilme« sowie »Religion«. Der ausgeprägte Stolz auf »die Schweiz« und »das Eigene« bestimmt die Erwartungen an das SLM, das in der Regel im sozialen Rahmen der Familie oder des Vereins besucht wird. Zum zweiten Milieu gehören Menschen mit einer urbanen, modernen und eher toleranten Grundorientierung, die vielfältige kulturelle Interessen haben und das Museum in der Regel mit der Partnerin bzw. dem Partner oder aber mit der Familie besuchen. Zum dritten Milieu sind kreative und individualistische Jugendliche und junge Erwachsene zu zählen, die sich möglichst frei entfalten wollen, die neue Erfahrungen, Erlebnisse und Spontaneität schätzen und mit den traditionellen Mitteln der musealen Vermittlung nur schwer zu erreichen sind; vgl. dazu ausführlich das Konzept »Vermittlung« (Anita Gut, Salome Maurer, Thomas Sieber) in der internen Studie »Neues Landesmuseum Zürich. Inhalte Bauen Zukunft. Museumskonzept 2014« (unveröffentlichtes Typoskript, Zürich 2004).

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sen«, »Fachleute«, »Sammlerinnen und Sammler« sowie »Touristinnen und Touristen«. Auf dieser Grundlage werden die Bedürfnisse, Interessen, Erwartungen und Wahrnehmungskonventionen der verschiedenen Besuchergruppen in die Konzeption des Ausstellungs- und Vermittlungsprogramms des NLM einbezogen. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage nach dem angemessenen Einsatz von (neuen) Medien in den Ausstellungen zu diskutieren. Das Museum ist zwar ein Medienverband, darf aber auf keinen Fall zu einem additiven Nebeneinander möglichst vieler, möglichst neuer Medien werden. Im Zentrum seiner Vermittlungsarbeit standen und stehen die Objekte als materielle Medien. Welche zusätzlichen medialen Vermittlungsformen die Exponate im Rahmen einer Ausstellung begleiten und kontextualisieren sollen, gilt es jeweils sorgfältig abzuwägen. Dabei muss insbesondere gewährleistet werden, dass ihr Einsatz die Interaktion zwischen Dingen, Betrachtenden und Raum unterstützt. Im Kontext der gesellschaftlichen Entwicklung im Zeichen von Mediatisierung und Virtualisierung sind es nämlich diese Kernmerkmale, die dem Museum gerade durch seine Alterität eine neue Aktualität verleihen können.30 Die Integration und Weiterentwicklung der Vermittlung als horizontale Querschnittsperspektive der Museumstätigkeit basiert auf den vom International Council of Museums (ICOM) definierten Funktionen eines Museums:31 Die Produkte und Dienstleistungen des NLM ermöglichen individuelles Studium aus persönlichem Antrieb (»study«), fördern kollektive Bildung in einem institutionellen Rahmen (»education«) und bieten Unterhaltung, Erlebnis und Erholung (»enjoyment«). Nur mit diesem systematischen, reflektierten und integralen Verständnis der Besucherorientierung als »service au public« kann das NLM seinen öffentlichen Kultur- und Bildungsauftrag erfolgreich und nachhaltig erfüllen. Bereits heute zeichnet sich ab, dass die sogenannte Besucherorientierung in Zukunft weit über den hier skizzierten Horizont hinausgehen muss. Wenn das NLM seine gesellschaftliche Rolle wahrnehmen und sein kulturelles Potenzial ausschöpfen will, müssen seine Besucherinnen und Besucher zur Partizipation eingeladen werden: »[M]useums […] must create environments which invite visitor participation, and respect the capabilities of children and adults as interpreters and creators of museum content […].«32 Dieses erweiterte Verständnis des Besuchers als Interpret und Schöpfer mu-

30 Vgl. dazu Belting: Orte der Reflexion oder Orte der Sensation?, a.a.O. 31 Vgl. dazu Art. 2 der ICOM-Statuten unter www.icom.museum/statutes.html (22.12. 2004). 32 David Anderson: Participation attracts – Participation binds, in: Beatrix Commandeur/Dorothee Dennert (Hg.): Event zieht – Inhalt bindet. Besucherorientierung von Museen auf neuen Wegen, Bielefeld 2004, S. 19-27, hier S. 26.

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sealer Inhalte soll in die Konzeption der Ausstellungen für das NLM einfließen. Erst in dieser Perspektive gewinnt die oft im Zeichen von Markt und Marketing stehende Rede von der verstärkten Besucherorientierung an intellektueller Substanz, museologischer Verbindlichkeit und gesellschaftlicher Nachhaltigkeit. Bei der Konzeption der Produkte und Dienstleistungen des NLM orientierten wir uns an der Vorstellung von selbstbewussten und neugierigen Besucherinnen und Besuchern, die ihren Museumsaufenthalt auf Grund ihrer Bedürfnisse, Interessen und Vorkenntnisse nach dem Baukastenprinzip zusammenstellen: Sie wollen nicht belehrt werden, sondern in einem umfassenden Sinn lernen. Neben Bildung suchen sie im Museum auch Ruhe und Unterhaltung. In diesem Zusammenhang muss das Museum in Zukunft vermehrt auch authentische, soziale Erlebnisse ermöglichen. Vor diesem Hintergrund lässt sich die aktuelle Bedeutung des Museums in Bezug auf drei grundsätzliche Erfahrungen beschreiben, »die uns in der heutigen Zeit abhanden kommen: auf die Erfahrung der Dinge, auf die Erfahrung der Orte und endlich auf die Selbsterfahrung in einer Situation, in der wir in der Öffentlichkeit […] mit uns allein sind und die Erfahrungen des Alltags überschreiten«.33 Mit welchem Ausstellungsprogramm das NLM zu diesem Medium der (Selbst-)Erfahrung von Dingen, Raum und Zeit werden will, soll nun dargestellt werden. Anblick – Architektur und Ausstellungsprogramm Das NLM wird ein aus sanierten alten und neu gebauten Teilen bestehender Gebäudekomplex sein.34 Das aus einem Wettbewerb hervorgegangene Siegerprojekt von »Christ & Gantenbein« ist bestrebt, sensibel und selbstbewusst zugleich am bestehenden, historischen Bau von Gustav Gull aus dem Jahre 1898 weiterzubauen. Durch den neuen Baukörper – der sich zwischen den Flüssen Sihl und Limmat zur bestehenden Parkanlage auf dem sogenannten Platzspitz erstrecken soll – erhält das Museum einerseits eine zeit-

33 Belting: Orte der Reflexion oder Orte der Sensation?, a.a.O., S. 89. 34 Zur Bedeutung der Museumsarchitektur vgl. die Beiträge zum Themenheft »Die schöne Hülle. Museumsarchitektur«, Museumskunde Bd. 68, 2/2003; zur Architektur des SLM vgl. André Meyer: Museale Architektur am Beispiel des Schweizerischen Landesmuseums in Zürich, in: Karl Stüber/Andreas Zürcher (Hg.): Festschrift Walter Drack zu seinem 60. Geburtstag. Beiträge zur Archäologie und Denkmalpflege, Stäfa/Zürich 1977, S. 211-221; zum Erweiterungsprojekt der Architekten Emanuel Christ und Christoph Gantenbein (Basel) vgl. die entsprechenden Texte unter: www.musee-suisse.com.

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gemäße Infrastruktur und eine seiner Bedeutung als Nationalmuseum angemessene architektonische und städtebauliche Präsenz. Andererseits wird das Museum über eine nahezu verdoppelte Ausstellungsfläche und neue Räume mit moderner Raumqualität verfügen. Abbildung 6: Aufsicht des geplanten Gebäudekomplexes am Platzspitz (Situationsplan Christ & Gantenbein 2004)

Quelle: Schweizerisches Landesmuseum Zürich

Im Folgenden konzentrieren wir uns auf die im NLM vorgesehenen sieben Ausstellungsbereiche. Verbunden werden diese durch eine gemeinsame Dachlandschaft und eine Erschließungszone auf dem gleichen Geschoss. Jeder Bereich soll eine charakteristische und differenzierende Identität in Bezug auf das inhaltliche Profil, die umgesetzten Vermittlungsansätze, die szenografische Gestaltung und die evozierte Atmosphäre aufweisen. Da insbesondere die architektonischen, dramaturgischen und szenografischen Aspekte erst in den kommenden Monaten und Jahren in enger Kooperation mit Architekten, Dramaturgen bzw. Szenografen und den für das Bauprojekt verantwortlichen Bundesstellen entwickelt und präzisiert werden können, beschränken wir uns an dieser Stelle auf einige formale und inhaltliche Merkmale zum Kernprofil der vorgesehenen Ausstellungen. Letztere lassen sich auf der Grundlage der vorgesehenen Laufzeiten in zwei temporäre Ausstellungsformate (»Wechselausstellungen«) und in fünf dauerhafte Ausstel-

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lungsprodukte (»Dauerausstellungen«) unterteilen.35 Auf der Basis dieser typologischen Differenzierung sollen nun in einem ersten Schritt die permanent präsentierten Bereiche zusammenfassend vorgestellt werden. Zu den ständig angebotenen Ausstellungen gehören die Präsentationen mit den folgenden Arbeitstiteln: »Highlights & Schausammlungen«, »Historische Räume«, »Zeitgeschichte«, »Züricher Turm« und »Kindermuseum«. Die letzten beiden Bereiche mit einer deutlich kleineren Ausstellungsfläche sind im einen Fall durch eine klar definierte Zielgruppe – Kinder und ihre erwachsenen Begleitpersonen – und im anderen durch einen vergleichsweise klar definierten Gegenstand – die Geschichte von Stadt und Region Zürich – charakterisiert. Während sich das »Kindermuseum« insbesondere durch die der Zielgruppe angemessene Wahl der Themen, der Präsentations- und Interaktionsformen auszeichnet, wird der »Züricher Turm« zum ersten Mal in der über 100-jährigen Geschichte des Museums einen Überblick über die historische Entwicklung von Stadt und Kanton Zürich bieten. Mit dieser Ausstellung wird nicht nur der Standort des Museums, sondern es werden auch jene Gemeinwesen thematisiert, welche die Gründung des SLM ermöglicht und dessen Entwicklung durch Sammlungsbestände sowie vielfältige materielle Unterstützung gefördert haben. Wie diese Bereiche, so basieren auch die drei erstgenannten auf den Sammlungsbeständen des SLM. Die Ausstellungen »Highlights & Schausammlungen«, »Historische Räume« und »Zeitgeschichte« sind zudem in der Geschichte des Museums verankert und führen seinen traditionellen Auftrag fort, einen möglichst umfassenden Überblick über Geschichte und Kultur des empirischen Raumes »Schweiz« zu bieten. In zeitlicher Hinsicht bieten die sogenannten »Highlights« ausgehend von herausragenden Objekten bzw. Objektgruppen einen Gang durch die Kulturgeschichte von der Ur- und Frühgeschichte bis zum Ende des 20. Jahrhunderts.

35 Die durchschnittliche Laufzeit einer sogenannten Dauerausstellung muss heute deutlich geringer veranschlagt werden, als dies noch in den 1980er Jahren der Fall gewesen ist. Diese müssen deshalb so konzipiert bzw. strukturiert werden, dass sie mit geringem Aufwand partiell erneuert werden können. Der Zyklus der vollständigen Erneuerung dürfte abhängig von Gegenstand und Präsentationsform sowie mit Blick auf die personellen und finanziellen Ressourcen zwischen fünf und zehn Jahren betragen; vgl. dazu Christine Keller/Christof Kübler/Thomas Sieber: Neues Landesmuseum Zürich. Basiskonzept Ausstellungen M21, Zürich 2004, unveröffentlichtes Typoskript, S. 9f.

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Abbildung 7: Grundriss mit der derzeitigen Verortung der Ausstellungsbereiche

Dieser Bereich im sogenannten Bahnhofsflügel mit der Ruhmeshalle vereinigt Exponate, die mit Blick auf ihre kultur-, kunst- und sammlungsgeschichtliche Bedeutung sowie ihre nationale und internationale Wertigkeit von hoher Relevanz sind und zudem ein großes Potenzial in Bezug auf ihre ästhetische, inszenatorische und narrative Qualität aufweisen. In engem Bezug zu dieser auf dem ersten Geschoss gezeigten Präsentation stehen die Schausammlungen im Erdgeschoss mit homogenen Beständen zu Gebieten wie »Pfahlbauer und Archäologie«, »Skulpturen und Altäre«, »Möbel und Intérieurs« oder »Kostüme und Trachten«. Im Anschluss an diesen Bereich folgen im Westflügel die »Historischen Räume«, welche die Geschichte des Museums in einzigartiger Weise erlebbar machen. Hier sind die für die Ersteinrichtung des Museums eingebauten historischen Zimmer, Kapellen und weitere fest mit der Bauhülle verbundene Objekte zu sehen, die integraler Bestandteil der historistischen Architektur und der historisierenden Präsentation um 1900 waren. Indem die im Verlauf des 20. Jahrhunderts erfolgten Eingriffe so weit

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als möglich eliminiert werden, soll hier der Charakter von Bau und Ersteinrichtung sowie das diesem zugrunde liegende Verständnis von Geschichte, Kultur und Nation sicht- und wahrnehmbar gemacht werden. Ergänzt wird diese Ausstellung durch eine kontextualisierende und reflektierende Vermittlungsebene, die das Postulat eines »selbstreflektierenden Museums« einlöst, ohne in den authentischen bzw. authentisierenden Modus der Präsentation einzugreifen.36 Mit der Ausstellung zur Zeitgeschichte erhalten das Landesmuseum und die Schweiz zum ersten Mal eine dauerhafte Präsentation ihrer jüngeren und jüngsten Geschichte. Dieser Bereich – der als einziger der permanenten Ausstellungen im Neubau angesiedelt ist – strebt keine Gesamtschau des 20./21. Jahrhunderts an, sondern eine thematisch strukturierte Darstellung wichtiger gesellschaftlicher Entwicklungen. Die Schweizer Kulturgeschichte wird nicht als Totale ins Bild gerückt, sondern als Serie von ›close-ups‹, von Spots auf wichtige Themenbereiche. Ermöglicht werden soll gleichsam ein Streifzug durch die jüngere Kulturgeschichte der Schweiz in einem Netz von ›ThemenInseln‹, die jeweils ein in der Gegenwart relevantes Phänomen in seiner historischen Dimension beleuchten und das Spezifische an der Entwicklung in der Schweiz hervorheben. Integraler Bestandteil dieser Präsentation sind sowohl die Naturwissenschaften als Ort der Produktion von Erkenntnissen und Bildern über ›den Menschen‹ und ›die Welt‹, als auch die visuellen Künste als Medium der Repräsentation, Produktion und Distribution von Kultur. Diese thematisch strukturierte Ausstellung, die von einer Makrochronologie mit einem Überblick über die wichtigsten Ereignisse in der Schweiz und in der Welt begleitet wird, will die Besucherinnen und Besucher in ihrem Erfahrungs- und Erwartungshorizont abholen und ihnen zugleich neue Ein- und Ausblicke eröffnen. Indem sich das Ausstellungskonzept nicht am ›Entweder-oder‹, sondern am ›Sowohl-als-auch‹ orientiert, soll gleichsam eine dichte »Zusammenschau der Dinge« realisiert werden: mit unerwarteten Kontexten, spannenden Bezügen und vielfältigen Perspektiven auf die jüngere Kulturgeschichte der Schweiz. Ebenfalls in den Räumen des Erweiterungsbaus verortet sind die beiden temporären Formate »Sammlungsausstellungen« und »Themenausstellungen«, mit denen das SLM sein in den vergangenen 25 Jahren erfolgreich etabliertes Programm zeitlich begrenzter Sonderausstellungen zu wichtigen Sammlungsbeständen bzw. Themen weiterführt. Die Sammlungsausstellungen, in deren Fokus die vom SLM betreuten Sammlungen stehen, machen seinen öffentlichen Sammlungsauftrag und seine Leistungen als Kompetenz36 Vgl. dazu am Beispiel des Kunstmuseums Lásló Földényi: (-MUSEUM)2 = ?, in: Peter Noever (Hg.): Das diskursive Museum, Ostfildern-Ruit 2001, S. 66-81, hier v.a. S. 78ff.

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zentrum für die wissenschaftliche und konservatorische Bewahrung und Erforschung mobilen Kulturguts transparent. Die wechselnden Präsentationen erlauben es zudem, den Besucherinnen und Besuchern viele Objekte und Objektgruppen zugänglich zu machen, die bislang kaum sichtbar wurden und auch in Zukunft nur im neuen Sammlungszentrum der MUSEE SUISSE-Gruppe (MSG) für ein beschränktes (Fach-)Publikum sichtbar werden. Dieses Format soll zudem eine Plattform für die Präsentation von Sammlungsbeständen bieten, die eine kantonale bzw. regionale kulturhistorische Relevanz haben und das für das Werden der Schweiz charakteristische Zusammenspiel zwischen lokaler, regionaler, kantonaler und nationaler Identität beleuchten können. Von herausragender Bedeutung für das Profil und die öffentliche Akzeptanz bzw. Resonanz des NLM sind die thematischen Sonderausstellungen in einem großzügigen Saal des Neubaus. Hier werden Ausstellungen zu Themen von nationaler und internationaler Bedeutung gezeigt, die zur Bildung und Erneuerung kultureller Identitäten und nationaler Identität beitragen können. Diese Ausstellungen orientieren sich an gesellschaftlich relevanten Phänomenen, Problemen und Perspektiven und können damit auch über die im Landesmuseum vorhandenen Kompetenzen und Sammlungsbestände hinausgehen. In diesem Rahmen arbeitet das NLM eng mit nationalen und internationalen Partnern aus dem Museums- und Hochschulbereich zusammen. Insbesondere die Kooperation mit anderen National- bzw. Landesmuseen soll zu Ausstellungen führen, welche die Schweiz in ihrem engen und wechselseitigen Austausch mit Europa und der Welt zeigen.37 An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass das NLM neben den sieben Ausstellungsbereichen über ein neues Studienzentrum verfügen soll, in dem die bislang nur ungenügend vernetzten Dienstleistungsbereiche wie Bibliothek, Dokumentation und Medienzentrum sowie zahlreiche Studiensammlungen wie »Münzen«, »Grafik« oder »Historische Fotografie« räumlich und konzeptionell verbunden werden. Mit diesem öffentlichen »Study-Center« und den Ausstellungsprofilen reagieren wir nicht nur auf die in Besucherbefragungen und Marktstudien erhobenen Herausforderungen an ein 37 Mit den »Labor-Ausstellungen« sieht das Konzept zudem ein temporäres Ausstellungsformat vor, das keine verbindliche Verortung aufweist, sondern in allen Ausstellungsbereichen als zeitlich begrenzte Präsentationen mit eher experimentellem, explorativem, evaluativem, aktuellem und/oder impressionistischem Profil realisiert werden soll. Mit diesem Format können mit geringem Ressourcenaufwand Interventionen zu fokussierten Themen und für beschränkte Zielgruppen angeboten werden, welche die Verankerung des Museums in der Gegenwart und sein Erneuerungspotenzial fördern; vgl. dazu den Text »Laborausstellungen« (Kathleen Bühler) in: Neues Landesmuseum Zürich. Inhalte Bauen Zukunft. Museumskonzept 2014 (unveröffentlichtes Typoskript, Zürich 2004).

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zeitgemäßes kulturhistorisches Museum, sondern orientieren uns auch an den in den vergangenen Jahren auf internationaler Ebene entwickelten »Best Practices« für Museen mit vergleichbarer Größe und ähnlichem Profil.38 Zudem schreiben wir die Geschichte des SLM und die Geschichte der Nation Schweiz fort, die im Zeichen einer tief verwurzelten kulturellen Vielfalt auf eine differenzierte und gemeinsame Sicht auf die Vergangenheit als Resonanz- und Reflexionsraum für Gegenwart und Zukunft angewiesen sind. Ausblick – Ausstellen und Sammeln Die oben skizzierten Ausstellungen beruhen auf Sammlungen mit unterschiedlichem Profil in Bezug auf Epochen und Gattungen. Mit Blick auf die Sammlungsbestände zur jüngeren Zeitgeschichte werden strukturell und pragmatisch begründete Defizite und konzeptionelle Herausforderungen sichtbar, auf die es zu reagieren gilt. Diese sollen im Folgenden in einem knappen Ausblick thematisiert werden: Ausstellen und Sammeln sind in der Geschichte des Museums immer aufeinander bezogene Praktiken gewesen: Durch das Sammeln als »Modus der Potenzialität« entstehen Sammlungen – durch das Ausstellen als »Modus der Aktualität« werden in den Sammlungen inhärente Potenziale aktualisiert.39 Mit Blick auf die Geschichte des SLM und seine derzeitigen Sammlungsbestände lässt sich dieser grundlegende Zusammenhang präzisieren. Die nicht nur für die Gegenwart unseres Museums charakteristische Kluft zwischen dem Potenzial der Sammlungen und deren Aktualisierung im Medium der Ausstellungen ist im Verlauf der Geschichte gewachsen: Auf der einen Seite kann ein immer kleinerer Teil der Sammlungsbestände ausgestellt werden, auf der anderen Seite ist ihr inhaltliches Potenzial für Ausstellungen mit neuen Fragestellungen kleiner geworden. In diesem Zusammenhang überrascht es nicht, dass es die seit den 1980er Jahren realisierten Sonderausstellungen sind, die maßgeblich zur Erweiterung bestehender bzw. zur Schaffung neuer Sammlungsgebiete geführt haben. Hier zeigt sich, welch große Bedeutung Sonderausstellungen mit neuen Themen für die Aktualisierung der Sammlungen haben. Obwohl die Sammlungsbestände zum 19. und 20. Jahrhundert seit den 1980er Jahren überproportional wachsen, bilden diese heute noch keine ausreichende Grundlage für eine angemessene museale Repräsenta38 Vgl. dazu die Beiträge in Hartmut John (Hg.): »Vergleichen lohnt sich!« Benchmarking als effektives Instrument des Museumsmanagement, Bielefeld 2003, sowie im Themenheft »Benchmarking im Museum«, Museumskunde Bd. 69, 1/2004. 39 Vgl. dazu Gottfried Korff: Speicher und/oder Generator. Zum Verhältnis von Deponieren und Exponieren im Museum, in: Moritz Csáky/Peter Stadel (Hg.): Speicher des Gedächtnisses. Bibliotheken, Museen, Archive, Wien 2000, S. 41-56.

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tion der jüngeren Kulturgeschichte im NLM. Deshalb hat das Landesmuseum einerseits seine Sammlungstätigkeit und Anschaffungspolitik prioritär auf die Aufnahme von Objekten seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ausgerichtet und in diesem Zusammenhang auch konkrete Sammlungsaufträge realisiert.40 Andererseits sind konzeptionelle Grundlagen für die »Sammlung 20./21. Jahrhundert« erarbeitet worden. Insbesondere für das 20. und 21. Jahrhundert ist die Praxis des Sammelns jedoch mit einer rasant wachsenden und sich stark differenzierenden Warenwelt konfrontiert, die das potenzielle Sammlungsgut massiv erweitert hat.41 Das explosive Wachstum von Produktmenge und Produktpalette, die schwindende Gebrauchsdauer der Produkte und ihr schneller Funktions- und Gestaltwandel haben dazu beigetragen, dass die Grenze zwischen ›wertvoll‹ und ›wertlos‹ durchlässiger geworden ist. Auch sind neue Produkte in Form immaterieller Dienstleistungen hinzugekommen, die heute die ökonomische Wertschöpfung dominieren. Die Ausweitung der sammlungswürdigen Objektgruppen resultiert nicht zuletzt aus neuen Perspektiven der Wissenschaft und aktuellen Fragestellungen der Gesellschaft. In diesem Zusammenhang müssen insbesondere zwei zentrale Fragen diskutiert werden: Auf welcher konzeptionellen Grundlage sammeln wir? Welche Sammlungspolitik begleitet die »Sammlung 20./21. Jahrhundert«? Grundsätzlich sammeln wir Objekte, die als materielle Medien über ein großes Potenzial für die argumentative und assoziative, narrative und sinnliche Repräsentation der Kulturgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts und deren Diskursivierung verfügen. Auf dieser Grundlage ist die Frage nach dem topografischen und konzeptionellen Bezugsrahmen dieser Epochensammlung zu klären. Letztere sollte auf dem empirischen Raum »Schweiz« beruhen und sich damit von der Vorstellung verabschieden, dass dieser mit der Nation »Schweiz« bzw. mit der Summe ihrer Bürgerinnen und Bürger identisch sein könnte. Erst mit dieser Perspektive lässt sich die materielle Kultur der jüngeren Zeitgeschichte, die von supranationalen politischen Rahmenbedingungen, globalen wirtschaftlichen Verflechtungen, internationalen gesellschaftlichen Entwicklungen und vielfältigen kulturellen Austauschprozessen der 40 Mit dem 2003 initiierten Projekt »Objektjäger« wurden beispielsweise gezielt Objekte der Alltagskultur des 20. Jahrhunderts gesucht und gesammelt; vgl. dazu den bilanzierenden Bericht von Christof Kübler, der im Erwerbungsbericht »Die Sammlungen 2002/2003« erscheinen wird. 41 Vgl. dazu und zum Folgenden Thomas Sieber: Das Museum der Zukunft, in: Basler Magazin Nr. 24, politisch-kulturelle Wochenend-Beilage der Basler Zeitung Nr. 137 vom 15.06.2002; Ders.: Das Museum und die Mülltonne, in: Daniel Hagmann (Hg.): Das Museum der Zukunft. Ein Experiment zum Basler Jubiläumsjahr 2001 (Basler Neujahrsbüchlein der Basler Zeitung), Basel 2001, S. 63-65.

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Schweiz mit dem Ausland geprägt ist, in angemessener Weise sammeln. Mit der vom Historischen Seminar der Universität Zürich im Auftrag des SLM verfassten Strukturanalyse zum 20. Jahrhundert liegt eine Grundlage für die Erarbeitung eines Sammlungskonzepts vor, die den empirischen Raum »Schweiz« in die Bereiche »Staat und Politik«, »Wirtschaft«, »Gesellschaft«, »Kultur« und »Medien« gliedert und wichtige historische Prozesse auf den Ebenen »Themen und Tendenzen«, »Ereignisse« und »Wichtige Personen« systematisch zu erfassen versucht.42 Auf dieser Basis muss nun das Konzept für die »Sammlung 20./21. Jahrhundert« erarbeitet werden, das sich gleichsam an einem Netz von »Knotenpunkten« orientiert, das die Kulturgeschichte im empirischen Raum »Schweiz« repräsentiert und strukturiert sowie als Matrix für die Definition von Sammlungsschwerpunkten dienen kann. Mit welchem Konzept wir die jüngere Kulturgeschichte auch immer sammeln und mit welchen Ressourcen wir dieses anspruchsvolle Vorhaben realisieren können, eine Einschränkung ist bereits heute klar: Das SLM wird das identifizierte Sammlungspotenzial weder abdecken können noch abdecken wollen. Auch deshalb setzt sich das SLM ein für die Entwicklung einer komplementären Sammlungsstrategie der kulturhistorischen Sammlungen in der Schweiz.43 Unser Engagement für eine koordinierte und kooperative Sammlungspolitik dieser Institutionen, die durch Konzeption, Konzentration und Kooperation nicht nur an Profil, sondern auch an finanziellem Gestaltungsraum gewinnen können, ist deshalb zentraler Bestandteil unserer Sammlungspolitik für das 20. und 21. Jahrhundert. Ausgehend von bereits existierenden Schwerpunkten wie »Fotografie«, »Mode und Design« oder »Alltagskultur« baut das SLM seine »Sammlung 20./21. Jahrhundert« auf, mit der die Grundlage für die permanente Ausstellung zur Zeitgeschichte und für Sonderausstellungen geschaffen wird. Übersicht – Profil und Programm Mit dem hier summarisch vorgestellten Profil und Programm knüpft das NLM in vielfältiger Weise an seine Geschichte an und reagiert auf die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und museologischen Tendenzen. Auch wenn 42 Vgl. dazu Philipp Sarasin u.a.: Was war wichtig in der Schweiz im 20. Jahrhundert? Eine Strukturanalyse im Hinblick auf die »Sammlung 20. Jahrhundert« des Schweizerischen Landesmuseums Zürich, Zürich 2004, unveröffentlichtes Typoskript, v.a. S. 5-7. 43 In diese Richtung zielt die jüngst von einer Arbeitsgruppe des Verbandes Museen Schweiz (VMS) unter der Leitung von Christof Kübler (Kurator Neuere Kulturgeschichte am SLM) lancierte Umfrage zu den Sammlungsschwerpunkten im Bereich 20./21. Jahrhundert.

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es heute keinen selbstverständlichen Plot der Erzählung vom nationalen Selbst mehr gibt und sich ihre Motive und Akteure vervielfältigt haben, bleibt sie doch untrennbar mit dem Auftrag des Landesmuseums verbunden. Das Landesmuseum soll zu einem neuen Ort werden, an dem diese Erzählung im Licht der Vergangenheit reflektiert und in der Gegenwart weitererzählt wird – für und mit den Menschen, die in der Schweiz leben, arbeiten oder diese besuchen. Die Präsentation von Geschichten und die Reflexion von Geschichte sind für den Prozess einer (selbst-)reflexiven Bildung kollektiver und zukunftsfähiger Identitäten konstitutiv. Erst mit diesem Selbstverständnis kann das SLM seine in den »Grundsätzen für das Profil Neues Landesmuseum Zürich« postulierte aktive Rolle in der Gesellschaft wahrnehmen:44 »Das NLM […] fördert eine differenzierte Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Gegenwart. Es vermittelt ein offenes Geschichtsbild, das die Identifikation mit der Schweiz und die Partizipation an ihrer zukunftsorientierten Veränderung unterstützt.« Damit kann es einen wichtigen Beitrag zur Bildung kultureller Identitäten und nationaler Identität leisten, die für gesellschaftliche Integration und Innovation gleichermaßen unverzichtbar sind. Auf dem langen Weg der Sanierung, Erweiterung und Erneuerung werden wir noch zahlreiche politische und konzeptionelle Herausforderungen zu bewältigen haben. Umso wichtiger ist es, dass wir diesen Prozess selbstbewusst, zielorientiert und im intensiven Austausch mit unseren Fachkolleginnen und Fachkollegen, unseren Zielgruppen und unseren »Stakeholders« gestalten. Auch deshalb sind Plattformen wie die Tagung »Museen neu denken!« wichtige Zwischenhalte, die Impulse vermitteln und Netzwerke stabilisieren können und so dazu beitragen, dass das NLM zu einem »Erlebnisort mit einer unverwechselbaren Atmosphäre« wird, der »mit seinen Ausstellungen und vielfältigen Dienstleistungen Besucherinnen und Besuchern Bildung, Unterhaltung und Begegnung bietet.«45 Literatur Algazi, Gadi: Kulturkult und die Rekonstruktion von Handlungsrepertoires, in: L’Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 11, 2000, S. 105-119. Anderson, David: Participation attracts – Participation binds, in: Beatrix Commandeur/Dorothee Dennert (Hg.): Event zieht – Inhalt bindet. Besucherorientierung von Museen auf neuen Wegen, Bielefeld 2004, S. 19-27. 44 Vgl. dazu und zum Folgenden die acht vom Kader des SLM in einem gemeinsamen Prozess entwickelten und im Oktober 2004 verabschiedeten Grundsätze unter: www.musee-suisse.com/presse (März 2005). 45 Ebd.

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Belting, Hans: Orte der Reflexion oder Orte der Sensation, in: Peter Noever (Hg.): Das diskursive Museum, Ostfildern-Ruit 2001, S. 82-94. Beste, Christina/Fröhlich, Werner: Neue Spuren im Weltbild der Schweizer. Eine Sonderausstellung des Schweizerischen Landesmuseums Zürich weist den musealen Weg, aktuelle politische Fragen in kulturhistorischem Kontext zu spiegeln, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 57, 2000, S. 61-94. Braudel, Fernand: Histoire et sciences sociales. La longue durée, in: Annales E.S.C. 13, 1958, S. 725-753. Bühler, Kathleen: Laborausstellungen, in: Neues Landesmuseum Zürich. Inhalte Bauen Zukunft. Museumskonzept 2014, interne Studie, Zürich 2004, unveröffentlichtes Typoskript. Keller, Christine/Kübler, Christof/Sieber, Thomas: Neues Landesmuseum Zürich. Basiskonzept Ausstellungen M21, Zürich 2004, unveröffentlichtes Typoskript, S. 9f. Commandeur, Beatrix/Dennert, Dorothee (Hg.): Event zieht – Inhalt bindet. Besucherorientierung von Museen auf neuen Wegen, Bielefeld 2004. Csáky, Moritz/Stadel, Peter (Hg.): Speicher des Gedächtnisses. Bibliotheken, Museen, Archive, Wien 2000. Dändliker, Karl: Geschichte der Schweiz mit besonderer Rücksicht auf die Entwicklung des Verfassungs- und Kulturlebens von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, 3 Bde., Zürich 1883-1888. de Capitani, François: Nationale Identität im Wechselspiel zwischen Geschichte, Monument und Museum. Das schweizerische Beispiel, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 55, 1998, S. 2533. de Capitani, François: Das Schweizerische Landesmuseum Zürich – Gründungsidee und wechselvolle Geschichte, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 57, 2000, S. 1-16 Draeyer, Hanspeter: Das Schweizerische Landesmuseum Zürich. Bau und Entwicklungsgeschichte 1889-1998, Zürich 1999. Draeyer, Hanspeter: Die besten Schädel arischer Rasse als Katalysator für die Gründung des Schweizerischen Landesmuseums Zürich, in: Schweizerisches Landesmuseum Zürich (Hg.): Die Erfindung der Schweiz 1848-1998. Bildentwürfe einer Nation. Sonderausstellung im Schweizerischen Landesmuseum Zürich, Juni bis Oktober 1998, Zürich 1998, S. 158-169. Engelmann, Jan (Hg.): Die kleinen Unterschiede. Der Cultural Studies-Reader, Frankfurt a.M./New York 1999. Ernst, Andreas/Tanner, Albert/Weishaupt, Matthias (Hg.): Revolution und Innovation. Die konfliktreiche Entstehung des schweizerischen Bundesstaates von 1848, Zürich 1998.

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Földényi, Lásló: …(-MUSEUM)2 = ?, in: Peter Noever (Hg.): Das diskursive Museum, Ostfildern-Ruit 2001, S. 66-81. Furger, Andres: Das Schweizerische Landesmuseum Zürich auf dem Weg ins 21. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 57, 2000, S. 95-101. Gut, Anita/Maurer, Salome/Sieber, Thomas: Vermittlung, in: Neues Landesmuseum Zürich. Inhalte Bauen Zukunft. Museumskonzept 2014, interne Studie, Zürich 2004, unveröffentlichtes Typoskript. Gysin, Fritz: Ziele und Aufgaben des Schweizerischen Landesmuseums Zürich und sein Verhältnis zur Schweizerischen Volkskunde, in: Schweizerisches Landesmuseum Zürich: Jahresbericht 1938-1943, S. 197-233 Hall, Stuart: Ethnizität: Identität und Differenz, in: Jan Engelmann (Hg.): Die kleinen Unterschiede. Der Cultural Studies-Reader, Frankfurt a.M./New York 1999, S. 83-98. Heintz, Bettina/Huber, Jörg (Hg.): Mit dem Auge denken. Strategien der Sichtbarmachung in wissenschaftlichen und virtuellen Welten, Zürich 2001. Hettling, Manfred u.a.: Eine kleine Geschichte der Schweiz: der Bundesstaat und seine Traditionen, Frankfurt a.M. 1998. Iggers, Georg G.: Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert, Göttingen 1993. John, Hartmut (Hg.): »Vergleichen lohnt sich!« Benchmarking als effektives Instrument des Museumsmanagement, Bielefeld 2003. Klein, Hans Joachim: Im Meinungsspiegel. Wie das Schweizerische Landesmuseum Zürich von Bevölkerung und Touristen wahrgenommen wird, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 57, 2000, S. 17-59. Korff, Gottfried: Museumsdinge. Deponieren – Exponieren, Köln/Weimar/Wien 2002. Korff, Gottfried: Speicher und/oder Generator. Zum Verhältnis von Deponieren und Exponieren im Museum, in: Moritz Csáky/Peter Stadel (Hg.): Speicher des Gedächtnisses. Bibliotheken, Museen, Archive, Wien 2000, S. 41-56. Latour, Bruno/Weibel, Peter (Hg.): Iconoclash: Beyond the Image Wars in Science, Religion and Art, Karlsruhe 2002. Leimgruber, Walter: Zur Konzeption der Ausstellung, in: Ders./Gabriela Christen (Hg.): Sonderfall? Die Schweiz zwischen Réduit und Europa. Begleitband zur Ausstellung im Schweizerischen Landesmuseum Zürich, Zürich 1992, S. 15-17. McDonald, Sharon (Hg.): The Politics of Display. Museum, Science, Culture, London 2001. Meyer, André: Museale Architektur am Beispiel des Schweizerischen Landesmuseums in Zürich, in: Karl Stüber/Andreas Zürcher (Hg.): Festschrift Walter Drack zu seinem 60. Geburtstag. Beiträge zur Archäologie und Denkmalpflege, Stäfa/Zürich 1977, S. 211-221.

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Museumskunde: Themenheft »Die schöne Hülle. Museumsarchitektur«, Bd. 68, 2/2003. Museumskunde: Themenheft »Benchmarking im Museum«, Bd. 69, 1/2004. Nora, Pierre: Les lieux de mémoire, Bd. 1-3, Paris 1984-1992. Nora, Pierre: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Berlin 1990. o.V.: L’avenir des musées. Actes du colloque organisé au musée du Louvre les 23, 24 et 25 mars 2000, Paris 2001. o.V.: Die Sinus-Milieus. Wer sind die Zuschauer? Wie leben sie? Was schauen sie? Was konsumieren sie?, in: Publisuisse Impact Dossier, November 2003. Pomian, Krysztof: Archäologische Museen: Kunst, Natur, Geschichte, in: Ders.: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Berlin 1988, S. 91-108. Pomian, Krysztof: Zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem: die Sammlung, in: Ders.: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Berlin 1988, S. 13-72. Sandell, Richard (Hg.): Museums, Society, Inequality, London/New York 2002. Sarasin, Philipp u.a.: Was war wichtig in der Schweiz im 20. Jahrhundert? Eine Strukturanalyse im Hinblick auf die »Sammlung 20. Jahrhundert« des Schweizerischen Landesmuseums Zürich, Zürich 2004, unveröffentlichtes Typoskript. Schulze, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, 8. Aufl. Frankfurt a.M. 2000. Schweizerisches Landesmuseum Zürich: Jahresbericht 1949/1950. Schweizerisches Landesmuseum Zürich: Jahresbericht 1954/1955. Schweizerisches Landesmuseum Zürich: Jahresbericht 2003. Sieber, Thomas: Das Museum und die Mülltonne, in: Daniel Hagmann (Hg.): Das Museum der Zukunft. Ein Experiment zum Basler Jubiläumsjahr 2001 (Basler Neujahrsbüchlein der Basler Zeitung), Basel 2001, S. 63-65. Sieber, Thomas: Das Museum der Zukunft, in: Basler Magazin Nr. 24, politisch-kulturelle Wochenend-Beilage der Basler Zeitung Nr. 137 vom 15.06.2002. Sieber, Thomas: Im Blick – Nationale Geschichte und Identität im Landesmuseum, in: Neues Landesmuseum Zürich. Inhalte Bauen Zukunft. Museumskonzept 2014, interne Studie, Zürich 2004, unveröffentlichtes Typoskript. Tanner, Jakob: Nationale Identität und kollektives Gedächtnis, in: Helena Kanyar/Patrick Kury (Hg.): Die Schweiz und die Fremden 1798 – 1848 – 1998. Begleitheft zur Ausstellung, Basel 1998, S. 22-36. Tanner, Jakob: Die Krise der Gedächtnisorte und die Havarie der Erinnerungspolitik. Zur Diskussion um das kollektive Gedächtnis und die Rolle der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges, in: Traverse, Zeitschrift für Geschichte 1, 1999, S. 16-37. Weibel, Peter (Hg.): Vom Tafelbild zum globalen Datenraum. Neue Möglichkeiten der Bildproduktion und bildgebender Verfahren, Ostfildern-Ruit 2001.

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»Wegen Umbau geöffnet!« Zur Neupräsentation des Amsterdamer Rijksmuseums

Peter Sigmond Wer neulich Amsterdam einen Besuch abgestattet hat, konnte vielerorts den Slogan »Wegen Umbau geöffnet« sehen. Das Rijksmuseum wird renoviert und 2008 in neuer Gestalt seine Tore wieder öffnen. Bis dahin werden die Prunkstücke aus dem 17. Jahrhundert, wie z.B. Rembrandts »Nachtwache«, in dem nach unserem Hauptsponsor benannten Philipsflügel zu sehen sein. Darüber hinaus werden wichtige Teile der Sammlung in zehn anderen Museen gezeigt. So bleibt die Sammlung auch während der Umbau- und Restaurierungsarbeiten für Besucher zugänglich. Bevor ich auf die Restaurierung des Rijksmuseums, seine neue Gestaltung und unsere damit verbundenen Erwartungen eingehe, will ich kurz die Gründe nennen, die die Restaurierung des Gebäudes notwendig gemacht haben. Zunächst möchte ich mich jedoch dem Rijksmuseum als Organisation zuwenden: Seit 1995 ist das Rijksmuseum eine Stiftung, an deren Spitze, mit Hauptdirektor, geschäftlichem Leiter und Sammlungsleiter, eine dreiköpfige Geschäftsführung und ein Aufsichtsrat stehen. Im Auftrag des niederländischen Staates verwaltet die Stiftung einen Teil der staatlichen Sammlung. Dazu werden im Vierjahresrhythmus Zielvereinbarungen getroffen, auf deren Grundlage die Höhe der Fördermittel festgesetzt wird. Die Stiftung mietet das Gebäude vom Staat. Die Einkünfte aus dem Verkauf von Eintrittskarten, den Ausstellungen, den Museumsshops sowie den Gaststätten- und Versorgungseinrichtungen des Museums gehören der Stiftung. Darüber hinaus kann die Stiftung mit Sponsoren zusammenarbeiten. Das Museum hat demnach eine große Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit. Die Fördermittel belaufen sich derzeit auf etwa 60 Prozent des Gesamthaushalts. Die Sammlung umfasst etwa 1,2 Millionen Gemälde, Zeichnungen, Fotos und sonstige Kunstgegenstände. Das Museum beschäftigt ca. 350 Mitarbeiter. Das scheint zwar viel, ein Großteil der Arbeitskräfte entfällt allerdings auf das Überwachungspersonal. Dass das Museum durchaus nicht überbesetzt ist, sieht man daran, dass zu dem wissenschaftlichen Stab der Gemäldeabteilung, die 6000 Gemälde verwaltet und das Kerngeschäft des Museums darstellt, ganze vier Konservatoren gehören. Das Museum hat täglich geöffnet und zählt jährlich mehr als eine Million Besucher, davon 70 Prozent aus dem Ausland.

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Warum ist die Restaurierung notwendig? Das Gebäude, das der Architekt P.J. Cuypers 1885 am damaligen Stadtrand Amsterdams baute, drohte nach mehr als 100 Jahren aus den Nähten zu platzen. Durch den Bau von Büroräumen, Werkstätten, Depots und technischen Räumen wurde die Ausstellungsfläche immer kleiner. In den zwei großen Innenhöfen wurden im Laufe der Jahre Etagen angelegt, um dann doch mehr Platz für die Ausstellung von Kunstobjekten und ein Auditorium zu schaffen. So musste das ursprünglich klare Konzept Cuypers’ allmählich vollständig weichen. Zudem war das Gebäude veraltet. Öffentliche Einrichtungen wie Toiletten, Fahrstühle, Garderoben und der Museumsshop genügten nicht mehr den Anforderungen der Zeit. Auch elektrische Leitungen und die Klimaanlagen bedurften dringend einer Erneuerung. Deshalb hat der Staat für den Umbau und die Restaurierung des Gebäudes 270 Millionen Euro bereitgestellt. 30 Millionen Euro davon stammen von der Stiftung, die sie teilweise selbst erwirtschaftet und teilweise von Sponsoren erhalten hat. Das Museum und seine Ausstellung sollen so gestaltet werden, dass sie den Anforderungen des 21. Jahrhunderts genügen und jährlich 1,5 bis 2 Millionen Besucher empfangen können. Das neue Gewand des Gebäudes Der Umbau steht unter dem Motto: ›In Cuypers’ Sinne‹. Das soll aber nicht heißen: ›Zurück zu Cuypers‹ oder ›Zurück ans Ende des 19. Jahrhunderts‹, will man doch keine vollständige Restauration des Gebäudes. Das spanische Architektenbüro Cruz&Ortiz hat sich dafür entschieden, vor allem die architektonische Klarheit des ursprünglichen Gebäudes wieder zu erschaffen. Alle Büroräume und Depots sollen aus dem Gebäude verschwinden und die Innenhöfe sollen wieder hergestellt werden. Ziel ist es, das Gebäude so wieder vollständig der Kunst zurückzugeben. Dort, wo keine Kunstgegenstände ausgestellt sind, werden die ursprünglichen Dekorationen Cuypers’ wieder angebracht. Auch in der Museumseinrichtung wird das Gebäude sichtbar werden. Damit will man den Museumsbesuch zu einem Besuch der Sammlungen und des Gebäudes machen. Das beste Beispiel dafür ist die sogenannte Aduard-Kapelle. Cuypers richtete mehrere Räume speziell für die Ausstellung eines bestimmten Teils der Sammlung ein. Davon ist heute nicht mehr viel zu sehen, zumal wir in den meisten Räumen andere Objekte ausstellen möchten, als zu Cuypers’ Zeiten dort gezeigt wurden. Die Aduard-Kapelle ist eine typische, im 19. Jahrhundert geschaffene Rekonstruktion einer frühmittelalterlichen Kapelle aus Nord-Groningen, in der Gegenstände aus dem Mittelalter ausgestellt wurden. Sie ist einer der wenigen Museumsteile, in denen Cuypers’ Geist noch am nachhaltigsten zu spüren ist. Im neu

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gestalteten Rijksmuseum befindet sich dieser Teil zufällig in dem Museumsbereich, der dem 19. Jahrhundert gewidmet sein wird. So dient der Raum dann als schönes Beispiel des Historismus des 19. Jahrhunderts. Erwähnenswert ist auch, dass das Gebäude zwei Neubauten erhalten wird, und zwar einen Turm für die Bibliothek und einen Pavillon für die asiatische Kunst. Schließlich wird der Haupteingang des Museums zum Portal verlegt, einem Stück öffentlichen Weges, wo jetzt – und auch künftig – Radfahrer und Spaziergänger entlangpilgern. Von dort gelangt man hinunter in einen Bereich, der die beidseitigen Innenhöfe miteinander verbindet. Die überdachten Innenhöfe werden große Aufenthaltshallen, in denen ein Restaurant und ein Museumsshop untergebracht werden. Hier wird sich auch der Eingang zum Museum und seinen Sammlungen befinden. Wir legen viel Wert darauf, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen – das Gebäude spielt dabei eine wichtige Rolle. Wir stehen vor der anspruchsvollen Aufgabe, ein Museum zu gestalten und einzurichten, das 2008 und noch lange danach den Wünschen der Besucher genügen soll. In einer sich immer schneller ändernden Welt, in der neue Ideen und Tendenzen einander überholen, Nachrichten einander jagen und Zappen zur Kultur geworden ist, ist das nicht einfach. Das gilt z.B. für die Technik, in der Automatisierung und Informatisierung enorme Möglichkeiten bieten, gerade auch für Museen. Potenzielle Besucher gewöhnen sich an die raschen Entwicklungen, die für sie zu einem Teil des neuen Lebensstils geworden ist. Waren Jugendliche vor ein paar Jahren noch begeistert, wenn sie in einem Museum einen Monitor sahen, so laufen sie heutzutage gelangweilt daran vorbei, weil das angebotene Programm weit hinter der Software hinterherhinkt, die sie zu Hause haben. So ist er keine Attraktion mehr, sondern ein ›Tool‹, von dem man einfach erwartet, dass es ihn gibt. Vergleicht man die Entwicklung der Automatisierung mit der des Flugzeugs, so sind wir meines Erachtens jetzt bei den Fokker-Dreideckern von von Richthofen angelangt. In dem Wissen, dass inzwischen, keine 90 Jahre später, Satelliten auf dem Mars landen, ist es schwierig, Pläne für öffentliche Informationsangebote zu machen, zumal sie Unmengen von Geld verschlingen. Soll man also ein Museum für Menschen schaffen, die zappen wollen, oder für Besucher, denen Besinnlichkeit am Herzen liegt? Oder für beide? Wir glauben, dass es eine Mischung geben wird von Informieren im Museum sowie Informieren in der Schule oder zu Hause im Internet. Gefühl für Ästhetik und Bewusstsein für Zeit Unser wichtigster Ausgangspunkt ist der, dass Kunst- und Kunstgewerbeobjekte sowie historisch bedeutsame Gegenstände nicht getrennt voneinander,

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sondern in ihrem gegenseitigen Zusammenhang gezeigt werden sollen. Oft sind es dieselben Gegenstände. Dazu sind wir in der Lage, weil das Rijksmuseum von alters her ein Museum für Kunst und Geschichte ist und es in den Niederlanden kein nationales Kunstmuseum bzw. kein nationales historisches Museum gibt. In dieser Hinsicht unterscheiden wir uns von der National Gallery in London, dem Louvre in Paris oder dem Deutschen Historischen Museum in Berlin. Es gibt zwar Museen mit gemischten Ausstellungen – Nationalmuseen der Größe des Rijksmuseums aber wagten sich bislang nicht an eine derartige Präsentation ihrer Sammlungen. In diesem Sinne gibt es für uns unseres Wissens kein Vorbild, an dem wir uns orientieren können. Diese für unser Museum revolutionäre Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen. Bislang präsentierte das Museum seine Sammlungen getrennt in den Abteilungen Gemälde, Bildhauerkunst und Kunstgewerbe sowie Niederländische Geschichte. Vielleicht schwer zu glauben, aber wahr ist, dass die Abteilung Bildhauerkunst und Kunstgewerbe die bei Weitem größte Fläche in Anspruch nahm. Mit einigem Abstand folgten die Abteilung Gemälde und die Abteilung Niederländische Geschichte. Die Trennung zwischen Kunst und Geschichte wurde in den 1920er Jahren von dem damaligen Direktor Schmidt Degener vorgenommen. Das brachte zwar eine gewisse Klarheit, führte allerdings dazu, dass zahlreiche Kunstgegenstände aus ihrem historischen Kontext gerissen und Ensembles getrennt und über mehrere Abteilungen verteilt wurden. Obwohl ich hier nicht generalisieren möchte, ließ man sich bei der Präsentation davon leiten, wie ein Sammler seine Ausstellung zeigt, nämlich sortiert nach Typologie, Stil, Sorte und Maler. Die Abteilung Niederländische Geschichte hingegen präsentierte die Objekte in ihrem historischen Zusammenhang und stellte geschichtliche Ereignisse in chronologischer Abfolge dar. Jeder weiß, dass jede Art der Einteilung seine Vor- und Nachteile hat. Unserer Ansicht nach spricht diese Einteilung das Gros des heutigen Publikums jedoch nicht mehr an. Nach dem zwanzigsten fast identischen Ausstellungsstück ermüdet der Betrachter, zumal es der Präsentation oft an Spannung mangelt. Darüber hinaus verzeichneten insbesondere die Räume der Gemäldeabteilung einen starken Besucherandrang, weil alle Besucher Rembrandts »Nachtwache« sehen wollten. Die anderen Säle des Museums wurden hingegen weniger frequentiert. Künftig möchten wir bewusst von dem Erzählen der Stilgeschichte als Leitmotiv Abschied nehmen. Ihr wird zwar weiterhin Platz eingeräumt, aber bei der Anordnung der Kunstobjekte wird der Schwerpunkt auf die zeitliche Dimension, die historische Erzählung gelegt. Sie bietet zugleich die Möglichkeit, auch Menschen darzustellen und Menschen, uns selbst also, in den Mittelpunkt zu rücken. Wir glauben, dass diese Darstellungsform den Betrachter

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viel stärker anspricht, weil sie einen höheren Wiedererkennungswert hat. Unser Leitmotiv lässt sich mit den Worten ›Gefühl für Ästhetik und Bewusstsein für Zeit‹ zusammenfassen, die wir beim Betrachter wecken möchten. Ausgangspunkt für die neue Präsentationsform ist und bleibt die Sammlung im buchstäblichsten Sinn: Wir werden ausschließlich Originalstücke zeigen – keine Repliken oder nachgestellte Szenen. Die Ausstellungsstücke stehen somit im Mittelpunkt und erzählen entweder ihre eigene Geschichte oder sind Teil oder Darstellung einer Geschichte, die das Museum erzählen möchte. Geleitet von der Tradition des Kunstmuseums fiel uns die Entscheidung, nur Originalstücke auszustellen, leicht. In historischen Museen wird rasch auf Repliken oder Ähnliches zurückgegriffen, um ›Löcher‹ in der Geschichte zu stopfen oder die Funktionsweise bestimmter Gegenstände zu demonstrieren. In Kunstmuseen ist die Verwendung von Repliken hingegen undenkbar. Dort wird unter keinen Umständen beispielsweise ein Faksimile eines Werks von Rembrandt ausgestellt, nur weil ein wichtiges Werk aus seinem Œuvre fehlt. Existenzrecht und Bedeutung eines Museums beruhen unseres Erachtens im Gegensatz zu anderen Einrichtungen auf seiner Sammlung an Originalwerken. Dass echte Objekte eine besondere Anziehungskraft ausüben, gilt nicht nur für Kunstwerke, sondern auch für historische Gegenstände. Die unmittelbare Nähe der Vergangenheit weckt Emotionen, die der niederländische Historiker Johan Huizinga trefflich als »historische Sensation« beschrieb. Diese Emotionen können den Betrachter ebenso überwältigen, wie kirchliche Reliquien bei Gläubigen religiöse Gefühle auslösen können. Die Entscheidung, Kunst und Geschichte gemeinsam zu präsentieren, hat zur Folge, dass die neue Ausstellung chronologisch vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert geordnet sein wird: niederländische Kunst und Geschichte in einem internationalen Kontext. An die Stelle der Abteilungen Gemälde, Bildhauerkunst und Kunstgewerbe sowie Niederländische Geschichte treten die Abteilungen bzw. Etagen Mittelalter, 16., 17., 18., 19. und 20. Jahrhundert. So kann der Besucher die Geschichte und Kunst in ihrer chronologischen Abfolge nachempfinden oder aber, und das ist wahrscheinlicher, sich je nachdem, wie viel Zeit er zur Verfügung hat, für einen oder zwei Zeiträume, z.B. das 17. und das 19. Jahrhundert, entscheiden. Das 20. Jahrhundert ist ein neues Element im Rijksmuseum. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts sammelte das Museum Kunstobjekte der jeweiligen Zeit. Wegen der steigenden Zahl der Museen und der damit einhergehenden zunehmenden Differenzierung hat die Abteilung Gemälde das Sammeln zeitgenössischer Kunst eingestellt. Diese Aufgabe hat in Amsterdam beispielsweise z.T. das Stedelijk Museum übernommen. Das Sammeln von Objekten der Bildhauerkunst und des Kunstgewerbes wurde einige Jahrzehnte später eingestellt. Nur die Abteilung Niederländische Geschichte sammelt bis zum heutigen Tag Ausstellungsgegenstände.

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Allerdings darf unseres Erachtens in einer chronologischen Ausstellung das 20. Jahrhundert nicht fehlen, zumal wir eine Verbindung zur Gesellschaft der heutigen Generationen herstellen möchten und aus historischer Sicht nicht erklärt werden kann, warum die Ausstellung um 1900 endet. Diese Entscheidung hat nicht zu Unrecht vor allem in der Kunstwelt zahlreiche Fragen aufgeworfen. Wie kann das Rijksmuseum moderne Kunst zeigen, obwohl es über keine eigene Sammlung verfügt? Warum will das Rijksmuseum moderne Kunst zeigen, obwohl es doch schon so viele andere zeitgenössische Museen gibt? Einige Fragen möchte ich im Folgenden beantworten. Das Rijksmuseum möchte keinesfalls ein Duplikat anderer Museen werden und moderne Kunst lediglich als Kunst zeigen. Die Räume, die sich auf das 20. Jahrhundert beziehen, stehen nicht für sich allein, sondern bilden eine Fortsetzung der Kunst- und Geschichtsausstellung der vorangegangenen Jahrhunderte. Die in diesem Rahmen gezeigten Kunstobjekte werden in einem völlig anderen Licht dargestellt, als es in modernen Kunstmuseen üblich ist. Ihr gesellschaftlicher und historischer Hintergrund wird den Ausschlag dafür geben, welche Objekte wir ausstellen. Wir verfolgen keineswegs das Ziel, eine Übersicht der Entwicklungen der zeitgenössischen Kunst in den Niederlanden zu geben. Dafür gibt es bereits andere Einrichtungen. Dennoch möchten wir Werke einiger international renommierter Künstler der Niederlande zeigen, denn das erwarten die Besucher des Rijksmuseums. Aber wir zeigen sie in einem anderen Kontext, und wir widmen uns nicht den Œuvres. Für diese Ausstellung werden wir auf Leihgaben des Instituut Collectie Nederland und anderer Museen angewiesen sein, denn wir beabsichtigen nicht den Erwerb vieler Werke. Im Übrigen möchten wir auch der Nationale Fotocollectie viel Platz einräumen. Wahrscheinlich werden zur Gewährleistung einer gewissen Aktualität viele Objekte getauscht. Wir glauben, dass es uns so besser gelingen wird, uns als nationales Museum für Kunst und Geschichte in der aktuellen Debatte zu profilieren und dafür eine Plattform zu bieten. Sollten wir künftig doch einmal Fußballweltmeister werden, muss es möglich sein, die begehrte Trophäe in der Ehrengalerie des Rijksmuseums zu zeigen! Wie gemischt ist gemischt? Weil die Auffassungen über Kunst und Geschichte weit auseinander gehen, wurden und werden darüber intern und extern zahlreiche Debatten geführt. Es kostet viel Zeit und Energie, einander in Gesprächen zu verdeutlichen, was wir wollen, wo der Schwerpunkt liegt und wie die Ausstellungen in den einzelnen Sälen aussehen sollen. Kunst und Geschichte sind zwei Welten mit

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jeweils eigenen Werturteilen, Vorurteilen und eigenem Sprachgebrauch. Wenn beispielsweise als Auswahlkriterium der Begriff Qualität herangezogen wird, bedeutet das für einen Kunsthistoriker etwas völlig anderes als für einen Historiker. Für den einen impliziert Qualität kunsthistorische Qualität und für den anderen historische Qualität. Dass ein Ausstellungsstück mehrere Qualitäten haben kann, wird dabei schnell aus dem Auge verloren. Der vergoldete und emaillierte Becher des Künstlers Nicolaas Lookemans, den Admiral Michiel de Ruyter 1667 als Geschenk für seine erfolgreiche Fahrt nach Chatham erhielt, wo die niederländische Flotte einen für die Niederlande legendären Sieg über die Engländer errang, hat beispielsweise beide Qualitäten. Welche der beiden Qualitäten in der Ausstellung den Vorrang erhält, hängt von der Rolle ab, die der Becher in ihr spielen soll. Und dafür gibt es mehrere Möglichkeiten: eine Schatzkammer aus dem 17. Jahrhundert, ein Stilensemble oder ein de-Ruyter-Ensemble. So lassen sich, bis hin zur »Nachtwache«, zahlreiche Beispiele für Objekte anführen, die mehrere Qualitäten haben und somit in mehreren Kontexten in der Ausstellung gezeigt werden können. Darüber muss neu nachgedacht werden. Wird das Bewusstsein für Zeit in starkem Maße durch die chronologische Präsentation hervorgerufen, so wird das Verständnis für Zeit und Gegenstände geweckt, indem ihre Funktion mehr in den Vordergrund gerückt wird. In der Vergangenheit war das Material beispielsweise der Ausgangspunkt für die Ausstellung von Silberobjekten aus dem Mittelalter. Künftig wird man sich in Bezug auf das Mittelalter eher für eine Präsentation entscheiden, in deren Mittelpunkt Elemente wie Kirche, Feudalität oder die Stadt stehen. So wird Kirchensilber gemeinsam mit anderen kirchlichen Objekten in einer Abteilung Kirche ausgestellt. Silberschmuck von Edelleuten erhält gemeinsam mit Waffen und Gildebechern einen Platz bei anderem Kleinod städtischer Beamter des Mittelalters. Wir glauben, dass die Ausstellungsstücke so besser erkannt werden und mehr über die Gesellschaft, in der sie verwendet wurden, aussagen. Wichtig ist, dass die Objekte in der Präsentation weiterhin angemessen zur Geltung kommen, handelt es sich doch fast ausschließlich um wichtige Kunst- und Kunstgewerbegegenstände. Die Vermischung darf nicht dazu führen, dass sie als Kunstobjekt an Bedeutung verlieren. Der Genuss des Anschauens steht im Vordergrund. Vermischung heißt nicht, dass in allen Sälen Gemälde, Skulpturen oder andere Gegenstände des Kunstgewerbes oder der Geschichte gemeinsam ausgestellt werden. Dennoch werden in vielen Räumen wahrscheinlich ausschließlich Gemälde oder Kunstgewerbegegenstände zu sehen sein. Sie werden jedoch immer in ihrem logischen historischen Zusammenhang dargestellt, sodass der Betrachter sie besser einordnen kann. Ich könnte mir z.B.

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vorstellen, dass ein Saal eingerichtet wird, der sich den Entdeckungsreisen der Niederländer und der niederländisch-asiatischen Handelskontakte widmet. Damit erhalten die Ausstellungsstücke, bei denen es sich größtenteils um Kunstgegenstände und Gemälde handelt, eine historische Dimension. Der nächste Saal könnte dann beispielsweise mit chinesischem und asiatischem Porzellan Gegenstände des Kunstgewerbes zeigen, oder das sogenannte chinesische Exportporzellan. Diesem Saal könnte sich daraufhin ein Saal mit Delfter Blau anschließen, das es schließlich ohne die Kontakte zu Asien nie gegeben hätte. Auch die Verwendung wertvoller Holzarten wie Ebenholz in der Möbelkunst oder der Einsatz von Blumenmotiven in Textilien bedürfen auf einmal keiner weiteren Erklärung. Das Gleiche gilt für den Aufstand, der den sogenannten Achtzigjährigen Krieg einläutete und für die Entstehung der heutigen Niederlande ebenso bedeutsam war wie für die Gestaltung der Gesellschaft des 17. Jahrhunderts – und damit für die in dieser Zeit geschaffene Kunst. Diese geschichtlichen Ereignisse spiegeln sich im gesamten Kunstschaffen wider. Widmet man beispielsweise einen Saal diesem Aufstand, erklären sich nachher viele Dinge von selbst. Warum Rembrandt z.B. gerade Schützen malte, wird deutlich, wenn davor erklärt wurde, dass bewaffnete Bürger während des Aufstands die Städte verteidigten. Zugleich können so neue Perspektiven dafür gewählt werden, wie Kunst Bedeutung verliehen und dargestellt wird. Andererseits befördert der chronologische Ansatz gewiss auch Überraschungen ans Tageslicht, wie z.B. den schlichten Beamtenschreibtisch des ehemaligen Ministerpräsidenten Willem Drees, der als Begründer des heutigen Sozialsystems gilt und in den 1950er Jahren als Musterbeispiel an Genügsamkeit und Gediegenheit galt. Das ist auch die Zeit, in der sich Karel Appel und die Künstlergruppe COBRA in ihren wüsten und farbenfrohen Gemälden gegen die konservative Wiederaufbaumentalität der Nachkriegszeit auflehnen. Wir glauben, dass diese Präsentationsform die Ausstellungsstücke und Gemälde zugänglicher macht und die Besucher besser verstehen lässt, warum bestimmte Werke in einer bestimmten Zeit geschaffen wurden. Zugleich werden sie die Gesellschaft, in der das Werk geschaffen wurde, besser verstehen, einen Bezug zu unserer Zeit herstellen und so ein historisches Verständnis entwickeln. Die neue Präsentationsform bringt es mit sich, dass die Ausstellungsobjekte nach strengen Kriterien ausgewählt und weniger Objekte gezeigt werden. Ein Begriff oder ein Thema wird den Ausgangspunkt bilden. Anschließend wird der Frage nachgegangen, wie dieses Thema mithilfe einiger Gegenstände für den Besucher möglichst klar und treffend gestaltet werden kann. Häufig heißt das: möglichst wenig und keine identischen Ausstellungs-

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stücke. In der Vergangenheit wollte man doch meist viele Stücke ausstellen und so eine Übersicht über bestimmte Stile schaffen oder möglichst viele Teile einer bestimmten Sammlung zeigen. Grundsätzlich ist auch dieser Ansatz gerechtfertigt, denn Sammlungen gehören nun mal nicht in Depots, wo sie der Öffentlichkeit verborgen bleiben. Eine Lösung für dieses Problem bot in den vergangenen Jahrzehnten das sogenannte offene Depot, in dem die Besucher sich – kontextfrei – die Objekte anschauen konnten, die nicht in den Sälen ausgestellt waren. Wir wissen, dass im neuen Rijksmuseum insbesondere große Teile der Kunstgewerbe- und Keramiksammlung verborgen bleiben werden, weil sie in der chronologischen Präsentation keinen Platz erhalten. Neben der chronologischen Ausstellung wird es zwei weitere Präsentationen geben. In zwei Türmen werden sogenannte Schatzkammern eingerichtet, in denen einige Stücke der wichtigen Sammlungen in großer Zahl ausgestellt werden. Ausgangspunkt dieser Ausstellungen ist die Erscheinungsform der Stücke. So wird es z.B. eine Schatzkammer mit Kunstgewerbeobjekten wie Porzellan, Töpferarbeiten und Schmuck, eine Schatzkammer für unsere 1600 maritimen Stücke und eine Waffenkammer geben. Darüber hinaus werden wir eine Studiensammlung für Möbelkunst und eine Studiensammlung für die Malerei des 17. Jahrhunderts zusammenstellen. Bei diesen Studiensammlungen handelt es sich um Depotausstellungen, die zu festgesetzten Zeiten oder auf Anfrage besucht werden können. Zur Vervollständigung meiner Ausführungen über die Präsentationsformen noch ein Wort zum heutigen Philipsflügel, der speziell für Wechselausstellungen eingerichtet werden wird: Das Kupferstichkabinett und die Abteilung Fotografie erhalten dort jeweils einen eigenen Raum. Bei der gesamten Umgestaltung ist nachdrücklich darauf zu achten, dass die Kunstobjekte auch in der mehr historisch ausgerichteten Ausstellung weiterhin als Kunstobjekte betrachtet werden können und die würdevolle Präsentation erhalten, die ihnen zusteht. Die Besucher müssen sie als solche wiedererkennen. In dem Innenarchitekt Wilmotte, der auch Teile des Louvre gestaltet hat, haben wir einen Architekten gefunden, der dieser Aufgabe nachweislich gerecht werden kann. Obwohl die Präsentation im Mittelpunkt steht und die Öffentlichkeit das Museum selbstverständlich seiner Ausstellungsstücke wegen besucht, will man im neuen Museum auch den sogenannten begleitenden Aktivitäten viel Aufmerksamkeit schenken. So wird ein Aktivitätenzentrum eingerichtet, in dem die Abteilung Museumspädagogik Veranstaltungen für Jung und Alt organisieren kann. Zudem wird es ein Auditorium mit mehreren Tagungsräumen und einen umfassenden Museumsshop geben. Außerdem werden zwei Café-Restaurants eingerichtet, von denen eines über den Museumplein auch für Nichtmuseumbesucher zugänglich sein wird. Der Bibliothekssaal mit der

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Aduard-Kapelle, einer der Räume, die noch am meisten dem Zeitgeist Cuypers’ entsprechen, wird als öffentlicher Lesesaal für alle Besucher eingerichtet. Für Freunde des Rijksmuseums (die es im Übrigen bislang zumindest noch nicht in organisierter Form gibt) wird es einen gesonderten, nur ihnen zugänglichen Raum geben, in dem sie sich kurz ausruhen oder andere treffen können. All diese Entwicklungen werden in dem Wissen angeregt, dass der Besuch des Museums nicht nur das Betrachten kunsthistorisch und geschichtlich bedeutsamer Gegenstände ist, sondern auch einen Ausflug in eine andere Welt darstellt.

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Das offene Museum. Zukunftsperspektiven im LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster

Hermann Arnhold Die schon seit mehr als zehn Jahren geführte Diskussion über die notwendige Neudefinition von Museen in einer Zeit, in der sich die Ansprüche an Kunst und Kultur z.T. drastisch verändern, hält an. Dabei geraten die ehemals bildungsbürgerlichen Kultureinrichtungen immer stärker unter großen Veränderungsdruck. Die Situation der Museen hat sich in den letzten 20 Jahren grundlegend verändert. Neben den klassischen kunst- und kulturgeschichtlichen Museen mit ihren über lange Zeiträume gewachsenen, vielschichtigen Sammlungen entstand in den letzten Jahren eine Vielzahl neuer, ›monografischer‹ Museen, die meistens auf eine Stiftung von Sammlern zurückgehen, so etwa das Paul-Klee-Zentrum in Bern oder das Grafik-Museum Pablo Picasso in Münster, um nur zwei Beispiele zu nennen. Einerseits verlieren Häuser mit einem klassischen Angebot aus Sammlung und wechselnden Ausstellungen zunehmend an Besucherinteresse und kommen außer durch große oder spektakuläre Sonderschauen in der öffentlichen Wahrnehmung wenig oder gar nicht mehr vor. Andererseits ziehen gerade die in den letzten Jahren neu gebauten Museen, in denen sich neue, ganz verschieden akzentuierte architektonische Lösungen mit neuen, sich stärker am Publikum orientierenden Museumskonzeptionen verbinden, viele Besucher an und erfreuen sich großen öffentlichen Interesses. Welche Entwicklungen sind heute für Museen relevant angesichts der Widersprüchlichkeit erfolgreicher Museumsneugründungen und -bauten und zugleich leerer öffentlicher Kassen und sinkender Besucherzahlen in den traditionellen Häusern? Vier Entwicklungen seien hier genannt: die Veränderung des Museumsprofils, neue und intensivierte Vermittlungsformen, die Öffnung des Museumsraums und die mit allen Aspekten verbundene innere Erneuerung von Museen. Erneuerung des Profils Das kulturelle Angebot in den Städten und Regionen ist generell größer und vielseitiger geworden, und die neuen Medien haben die Erwartung an schnelle Veränderungen geweckt. Sie ermöglichen eine vermeintlich unendlich freie Auswahl von Bildern und Inhalten zu jeder Zeit und an jedem Ort. Ein vielfach diskutierter Effekt dieser Medien ist die zunehmende Schnelligkeit in der Wahrnehmung der jeweils aktuellen Themen, Bilder und Trends. Diese moderne Bild- und Kulturrezeption hat zu einer tiefgreifenden Veränderung der

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öffentlichen Wahrnehmung der Museen insgesamt und des Besucherverhaltens im Besonderen geführt. Vor diesem Hintergrund muss man sich fragen: Welchen Wert hat das Museum für uns heute? Für das LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster gilt: Das klassische Museum, als der Ort der Bewahrung, Erforschung und Vermittlung von Kunst und Kultur, lebt – und ist wichtiger denn je. Die Museen müssen jedoch, wenn sie überleben wollen, den Veränderungen Rechnung tragen und über ihre Kernaufgaben – Sammeln, Bewahren, Forschen, Vermitteln – hinaus ihr Profil und ihre Eigenheiten neu schärfen, zugleich aber ihre Vermittlungsangebote ausweiten und diversifizieren, um den vielschichtigen Bedürfnissen der Besucher gerecht zu werden. An die Stelle des Museums, das sich bisher nur als Gralshüter seiner gewachsenen Sammlung, des kulturellen Gedächtnisses der Gesellschaft, verstand, tritt das ›offene Museum‹: ein Ort des Schauens, des Entdeckens, des Lernens und der menschlichen Begegnung. Bei diesem Wandel kommt es darauf an, den realen Mehrwert des Museums, sein Potenzial – nämlich seine gewachsene Sammlung und seine Kompetenz und Beweglichkeit, auf die aktuellen kulturellen Themen der Zeit mit Ausstellungen reagieren zu können – auszuschöpfen sowie das spezifische Profil des Museums von den anderen Formen des kulturellen Angebots und auch von der sogenannten Eventkultur abzusetzen – und offensiver nach außen zu tragen. Dies können wir nur erreichen, indem wir mit neuen Initiativen und kreativen Ideen leidenschaftlich um das Interesse der Öffentlichkeit werben. Zugleich ist die architektonische Öffnung des Museumsraums, die wir mit dem geplanten Neubau des LWL-Landesmuseums (2008-2011) verbinden, ein Zeichen dieser Veränderung. Das LWL-Landesmuseum hat als Grundlage der Neuausrichtung, die nach außen und innen wirksam werden soll, ein neues Leitbild entwickelt. Die Initiative zu diesem Prozess war das Ergebnis eines Zukunfts-Workshops. Die Erarbeitung eines Leitbildes fördert die Orientierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach innen und akzentuiert nach außen: wofür das Museum steht, wie es sich von anderen Sammlungen unterscheidet und welches Profil es sich selbst zuschreibt. Ein Leitbild fragt: Vor welchen Herausforderungen stehen wir, und wie gelingt es uns gemeinsam, sie erfolgreich zu meistern? Zentrale Aussage des neuen Leitbildes des LWL-Landesmuseums ist: Das Museum ist ein Ort des Schauens, des Entdeckens und des Lernens, ein Forum der Begegnung mit Kunst und Kultur. Die Relevanz des Leitbildes für den Alltag und die gemeinsame Arbeit erweist sich erst, wenn aus ihm konkrete Ziele abgeleitet und Antworten auf die Frage entwickelt werden können, wie und womit diese Ziele erreicht werden sollen.

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Veränderte Vermittlungsformen Liegt die Zukunft der Rezeption von Kunst und Kultur eher abseits der etablierten Museen in den neuen Medien, wie beispielsweise dem Internet mit seinem schier unerschöpflichen Reichtum an Bildern? Oder ist es etwa nur das zum Event gemachte kulturelle Großereignis, das hohe Besucherzahlen vorweisen kann? Mit dem Titel »Event zieht – Inhalt bindet« beschäftigte sich 2003 eine Tagung der deutschen Museumspädagogen in Bonn.1 Konkret ging es um die Frage, »ob wir auf gewandelte Formen der Wahrnehmung mit neuen Formen der Vermittlung reagieren und das Lernen im Museum aus der engen Konnotation mit beschwerlicher Wissensaneignung herauslösen und selbst zum Erlebnis machen müssen«.2 Es geht den Museen auf dem Weg zwischen Event und Inhalt inzwischen nicht mehr nur darum, ihr Publikum zu halten, sondern sie müssen Anstrengungen unternehmen, verloren gegangene Besucher zurück- bzw. Besuchergruppen neu für die Angebote des Museums zu gewinnen. Besucherstatistiken ergeben, dass insbesondere die jüngere Generation der 15- bis 30-Jährigen – nimmt man die ›organisierten‹ Besuche der Schulklassen davon aus – den Weg ins Museum nicht mehr ohne Weiteres findet. Die Barriere, die ›gefühlte‹ Distanz zum Museum wird größer. Auch lässt sich »allein mit spektakulären Aktionen [wie Langen Nächten] kein Publikum auf Dauer binden […]. Es geht darum, durch kontinuierliche und qualitative Angebote das Museum auch jenseits von kurzfristigen Veranstaltungen attraktiv zu halten. Das bedeutet aber auch, an den gewandelten Interessen und Wahrnehmungen der BesucherInnen anzusetzen und nicht starr an traditionellen Lehr- und Lernmethoden festzuhalten. Dies erreichen die Museen vor allem durch spannende Ausstellungen und daraus resultierende phantasievolle Angebote für verschiedene Besucherschichten.«3

Um das Museum mit neuem Leben zu füllen, brauchen wir also neue Vermittlungsformen, neue Herangehensweisen, die eine Neuorientierung des Museums nach innen und außen bedeuten. Die Kunst ›gegen den Strich zu bürsten‹ – dies kann man durch ungewöhnliche Themenstellungen erreichen, so etwa in der Konfrontation und Zusammenschau von alter und neuer Kunst,

1 Beatrix Commandeur/Dorothee Dennert (Hg.): Event zieht – Inhalt bindet. Besucherorientierung auf neuen Wegen, Bielefeld 2004. 2 Ebd., S. 9. 3 Ebd.

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um den Blick für das Besondere und die Eigenheiten zu schärfen. Dies hat das LWL-Landesmuseum etwa 2005 in der Ausstellung »Zwischen Tür und Angel« in einer Kooperation mit der Kunstakademie Münster versucht. Neben den klassischen Aufgabenfeldern geht es künftig um eine stärkere und zugleich neue Besucherorientierung: Das Museum ist in jeder Hinsicht ein Forum der Begegnung und ein Erlebnisort im besten Sinne. Kunst und Kultur müssen wieder erlebbar gemacht werden, Kunstwerken und historischen Zeugnissen muss eine Stimme verliehen werden, die zu den Besuchern spricht, die Geschichten erzählt, Fragen stellt, polarisieren und auch provozieren kann! Oft fehlt den Besuchern die ›Brücke‹ zum Verständnis, und gerade junge Menschen fühlen eine große Hemmschwelle gegenüber dem Museum, das sie als einen elitären, realitätsfernen, verstaubten Ort kennen. Es bedarf also neuer, niedrigschwelliger und kreativer Vermittlungsangebote, wie etwa die »Kunstpause mit Lunch« im LWL-Landesmuseum: eine Kurzführung zur Mittagszeit. In diesen unkomplizierten Formaten der Vermittlung zeigt sich bereits exemplarisch einer der inhaltlichen Schwerpunkte der Neuorientierung des LWL-Landesmuseums. Dieser liegt ganz klar in einer neuen und verstärkten Besucherorientierung und in den damit verbundenen museumspädagogischen Angeboten. Die Vielfalt und das breite Spektrum unserer Sammlung – 1000 Jahre europäische Kunst und Kulturgeschichte mit Sammlungsschwerpunkten im Mittelalter, im Barock sowie in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts – suchen ihresgleichen in der Region. Diesen Reichtum gilt es durch unterschiedliche Vermittlungsformen wieder in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu heben. Das dazu entwickelte und stets aktualisierte Programm richtet sich bewusst an alle Altersgruppen, insbesondere aber an junge Menschen, Familien und an die ältere Generation. Die Idee eines Museums als Ort der Begegnung sollte nicht nur in museumspädagogischen Programmen und ausstellungsbegleitenden Veranstaltungen, sondern auch in seiner Architektur und einem großzügigen Servicebereich erlebbar werden. Öffnung des Museumsraums Die neuen Museen räumen dem Servicebereich, der auch unabhängig von einem Besuch der Sammlung genutzt werden kann, großen Umfang ein und markieren sich so als Kultur- und Freizeiteinrichtung, die zugleich Kunstgenuss und Bildungsangebote vermittelt. Diese neuen Institutionen erzielen hohe Besucherzahlen nicht allein durch den Reiz des Neuen. Sie bieten den Interessierten ein oft spezialisiertes und damit in gewisser Weise besonderes, exklusives und einmaliges Angebot, das sich zudem nicht nur einfach

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darbietet, sondern intensiv und auf vielfältige Art – von der qualifizierten Führung bis zum museumsspezifischen Geschenkartikel – vermittelt wird. Im neuen Kunstmuseum Stuttgart (von Hascher und Jehle, 2005 eröffnet)4, im Paul-Klee-Zentrum in Bern (von Renzo Piano, 2005 eröffnet) oder auch dem Aargauer Kunsthaus in Aarau (von Herzog & de Meuron, 2003 eröffnet)5 ist das den Ausstellungsräumen vorgeschaltete Foyer, früher ein Durchgangsraum, durch Café und Museumsshop zu einem öffentlichen Ort geworden, der Publikum anzieht und unaufdringlich zu einem Besuch des Museums animiert. Der große Publikumserfolg bestätigt dieses Funktionskonzept. Der für 2008 geplante Neubau des LWL-Landesmuseums in Münster sieht ebenfalls einen großzügigen, offen einladenden und zugleich unkompliziert funktionierenden Eingangsbereich vor. Mit seinen beiden Innenhöfen, einer davon offen, der andere überdacht, will es vielfältige Möglichkeiten zum Verweilen bieten und eine freundliche, unprätentiöse Atmosphäre schaffen. Schon jetzt hat das LWL-Landesmuseum im bestehenden Gebäude mit relativ einfachen Eingriffen in die Foyergestaltung neue Akzente gesetzt: Das Café tritt nun stärker nach außen in Erscheinung und kann auch außerhalb der Öffnungszeiten der Sammlung genutzt werden. Kasse und Museumsshop wurden innerhalb des Foyers an einen optisch und logistisch günstigeren Standpunkt verlagert und eine optimierte Beschilderung verbessert die Besucherführung. Die neu geschaffene, ans Foyer angrenzende Studiogalerie ist der Ort für kleinere Ausstellungsformate und bietet nun die Möglichkeit, immer wieder auch Teile der Sammlung neu zu fokussieren. Das Museum und seine Partner Die leeren öffentlichen Kassen zu beklagen, hilft nicht aus der finanziellen Mangelwirtschaft. Um die Ausstellungs- und auch die Erwerbungsaktivitäten auf eine konstante und solidere Grundlage zu stellen und neue Gestaltungsspielräume zu gewinnen, ist es für das Museum bereits jetzt wichtig, das sogenannte ›private Standbein‹ zu verstärken: Hier sind die Freundeskreise von zentraler Bedeutung, die – in Deutschland inzwischen bundesweit mit mehr als 50.000 Mitgliedern organisiert6 – die Museen in ihren Aktivitäten unterstützen. Sie

4 Marion Ackermann (Hg.): Kunstmuseum Stuttgart, Architektur, Köln 2005. 5 Rémy Zaugg/Beat Wismer/Stephan Kunz (Hg.): Das Aargauer Kunsthaus, Aarau/ Baden 2003. 6 Vgl. Bundesverband der Fördervereine deutscher Museen für bildende Kunst: www.bundesverband-der-foerdervereine.de; www.jungefreundekunstmuseen.de.

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bieten Kunst- und Kulturinteressierten exklusivere und individualisiertere Formen der Begegnung mit dem Museum: Previews, Ausstellungseröffnungen und Kunstreisen, Begegnungen mit Künstlerinnen und Künstlern, Reisen zu anderen Ausstellungen und Museumsfeste gehören zu den Höhepunkten für die Mitglieder. Nach dem Vorbild der Hamburger Kunsthalle haben sich am LWL-Landesmuseum in Münster im Jahr 2003 die »Jungen Freunde« gegründet. Als Teil des klassischen ›traditionellen‹ Freundeskreises richtet sich ihr ›junges‹ Angebot speziell an Auszubildende und junge Familien, an Studierende, Berufstätige und alle, die die aktuelle Kultur aktiver und in unkomplizierter Form erleben wollen. Unter anderem stehen regelmäßige Treffen im Museum, Galerie- und Atelierbesuche, Künstlergespräche und Ausstellungsbesuche auf dem Programm. Die Informationen zu den Veranstaltungen erfolgen über das Internet und geworben wird mit modernen und unkonventionellen Printmedien. Förder- oder sogenannte »Stifterkreise«, wie z.B. am Jüdischen Museum in Berlin, und auch Stiftungen, etwa die Stiftung der Hamburgischen Kunstsammlungen, deren Mitglieder die Museen mit einem höheren finanziellen Engagement als die Mitglieder der Freundeskreise unterstützen und im Gegenwert eine größere Exklusivität bei den Angeboten und den Aktivitäten des Museums erhalten, sind neben den klassischen Freunden ein weiterer wichtiger zukunftsweisender Faktor in der privaten Unterstützung der Museen. Einige Museen, wie die Hamburger Kunsthalle, haben durch ihre Umwandlung in öffentliche Stiftungen oder GmbHs neue Gestaltungsspielräume gewonnen. Die Unabhängigkeit von den Hemmnissen der staatlichen Bürokratie bringt aber auch eine stärkere Eigenverantwortung im Umgang mit den nun eigenen finanziellen Ressourcen mit sich. Diese Ressourcen sind oft so begrenzt, dass die Museen nun verstärkt ökonomische Elemente, wie höhere Eintrittsgelder oder öffentlichkeitswirksame »Events«, in ihre Arbeit mit einbeziehen. Die Erlöse aus Vermietungen des Vortragssaales und anderer Museumsräume für gesellschaftliche Anlässe verschiedenster Art, aus Beteiligungen an der Museumsbuchhandlung und am privat betriebenen Museumsrestaurant werden dann zu wichtigen Bestandteilen des Budgets. Neuorientierung des Museums innen und aussen Die beschriebene Neuorientierung des Museums bedingt und braucht geradezu eine Erneuerung nach und von innen, ohne die das breitere Betätigungsfeld des Museums nicht ausgefüllt werden kann. Ein wesentlicher Teil der Bemühungen der letzten drei Jahre bestand deshalb auch darin, die inneren Strukturen des Landesmuseums zu überdenken und – wenn nötig – zu verändern. Ausgangspunkt dafür war ein zweitägiger Workshop im Herbst

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2005 mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus allen Abteilungen des Museums. Neue Kommunikations- und Teamstrukturen beziehen alle Abteilungen in diesen Erneuerungsprozess aktiv mit ein. Die Konzeption von Ausstellungen und Projekten erfordert Teams, in denen nicht nur die wissenschaftlichen Referenten, sondern auch andere wichtige Museumsabteilungen beteiligt sind, so z.B. Restauratoren, Techniker oder die Mitarbeiter aus dem Servicebereich an Empfang und Kasse. Diese Projektgruppen erreichen Synergien gerade durch die unterschiedlichen Perspektiven und Aufgabenfelder der Mitglieder. Nicht zuletzt stärken sie das Wir-Gefühl und die Identifikation mit dem Haus und seinen öffentlichen Aufgaben. Wichtige Maßnahmen einer solchen Zusammenarbeit, die die innere Organisationsstruktur stärken, die Projekte vitalisieren und im Ergebnis erfolgreicher machen, sind sogenannte Workshops während der Vorbereitungsphase eines Projekts, auch unter Einbeziehung externer Berater. Sowohl bei einigen Ausstellungsprojekten als auch in der täglichen Arbeit haben diese schon positive Ergebnisse erbracht. Aus der Privatwirtschaft kommend und für viele Museen noch immer ungewöhnlich, fördert darüber hinaus die Erarbeitung eines Leitbildes die Orientierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach innen und akzentuiert nach außen, wofür das Museum steht, wie es sich von anderen Sammlungen unterscheidet und welches Profil es sich selbst zuschreibt. Einer gemeinsamen Leitidee entsprechend, geht es um die Entwicklung von Absichten und um Perspektiven für die nächsten Jahre. Ein Leitbild fragt: Vor welchen Herausforderungen stehen wir, und wie gelingt es uns gemeinsam, sie erfolgreich zu meistern? Die Relevanz des Leitbildes für den Alltag und die gemeinsame Arbeit erweist sich erst, wenn aus ihm konkrete Ziele abgeleitet und Antworten auf die Frage entwickelt werden können, wie und womit diese Ziele erreicht werden können. Zentrale Aussage unseres Leitbildes ist: Das Museum ist ein Ort des Schauens, des Entdeckens und des Lernens, ein Forum der Begegnung mit Kunst und Kultur. Die hier nur angedeuteten neuen Organisationsstrukturen sind von vitaler Bedeutung für die Bewältigung der großen Herausforderungen einer notwendigen Neuorientierung des Museums. Das Museum muss, wenn es seine kulturelle Relevanz für die breite Öffentlichkeit zurückgewinnen bzw. bewahren will, sich immer wieder neu erfinden.

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Literatur Ackermann, Marion (Hg.): Kunstmuseum Stuttgart, Architektur, Köln 2005. Bundesverband der Fördervereine deutscher Museen für bildende Kunst: www.bundesverband-der-foerdervereine.de; www.jungefreundekunstmu seen.de. Commandeur, Beatrix/Dennert, Dorothee (Hg.): Event zieht – Inhalt bindet. Besucherorientierung auf neuen Wegen, Bielefeld 2004. Zaugg, Rémy/Wismer, Beat/Kunz, Stephan (Hg.): Das Aargauer Kunsthaus, Aarau/Baden 2003.

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Ansätze zu einer Neuorientierung im LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster: Die Zukunftswerkstatt

Anja Dauschek, Josef Grün Ein Leitungswechsel und der für 2008 geplante Neubau des LWL-Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Münster sowie die damit verbundene Frage, welche Prioritäten sich das Museum für die nächsten Jahre mit Blick auf die Wiedereröffnung im Jahr 2011/12 setzt, waren der Anlass für die Frage nach einer Neuorientierung. Als Startschuss für die innere und äußere Neuausrichtung führte das Museum eine extern moderierte, zweitägige interne ›Werkstatt‹ mit rund 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aller Abteilungen des Museums durch. Das Design dieser Werkstatt orientierte sich an dem von Marvin Weisbord entwickelten Modell der Zukunftskonferenz.1 Neue Organisationsstrukturen sind von vitaler Bedeutung für die Neuorientierung eines Museums. Angesichts veränderter Rahmenbedingungen und neuer Anforderungen wird die bewusste Steuerung der Entwicklung eines Museums eine zentrale Leitungsaufgabe. Dies umfasst neben der aktiven Mitgestaltung des relevanten Umfeldes vor allem auch die Anpassung der Organisationsstrukturen und des Organisationsaufbaus. Die Fragen hierzu lauten: • Machen die organisatorische Aufteilung und die daraus abgeleiteten Zuständigkeiten wirklich noch Sinn? • Sind die derzeit existierenden Abteilungen und Bereiche im Sinne einer übergreifenden Besucherorientierung mit immer wieder neuen Projekten und Ausstellungen sinnvoll zugeschnitten und sind die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten (A, K, V) entsprechend eindeutig geklärt? • Können Ausstellungen im Sinne eines bereichsübergreifenden Projektmanagements besser initiiert, geplant, gesteuert und umgesetzt werden? Eine Organisationsentwicklung kann in Museen insbesondere zwei Veränderungen initiieren: • die Verstärkung der Außenorientierung und die Auseinandersetzung mit den vorhandenen und gewünschten Zielgruppen; • die Einführung und Etablierung eines Qualitätsmanagements.

1 Marvin Weisbord/Sandra Janoff: Future Search – Die Zukunftskonferenz. Wie Organisationen zu Zielsetzungen und gemeinsamem Handeln finden, Stuttgart 2001.

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Im LWL-Landesmuseum in Münster wurde eine Zukunftskonferenz als Einstieg zur Neuorientierung des Museums durchgeführt. Eine weitergehende systemisch angelegte Organisationsentwicklung zielt darauf ab, möglichst viele Mitarbeiter/-innen des Museums auf diese ›Reise der Veränderung‹ mitzunehmen. Die Grundfragen an das Museum sollten nicht nur in kleinen Expertenworkshops im Leitungskreis gestellt werden, sondern gemeinsam mit den involvierten Interessengruppen bearbeitet werden – mit der Leitungsebene, den Mitarbeiter/-innen und im besten Falle auch dem Träger und Vertretern von Besuchergruppen. Drei Voraussetzungen sind für jede Form der Entwicklung einer Organisation wichtig: eine Formulierung des Veränderungsbedarfes, eine klare Sicht der Realitäten und ein gemeinsam getragenes Ziel für die Zukunft. Eine Zukunftskonferenz als Einstieg in den Entwicklungsprozess Die Durchführung einer Zukunftskonferenz ist eine geeignete Arbeitsform, um einen markanten Aufbruch in Richtung Veränderung zu setzen. Zukunftskonferenzen sind sowohl in der Wirtschaft als auch im Non-Profit-Bereich ein Dialog-, Planungs- und Mobilisierungsinstrument, das insbesondere in Veränderungssituationen von Organisationen erfolgreich eingesetzt wird. Ein wesentliches Ziel von Zukunftskonferenzen liegt darin, durch die gemeinsame Arbeit an möglichen Zukunftsszenarien möglichst viele der von den anstehenden Veränderungen Betroffenen auf ein neues gemeinsames Ziel hin zu aktivieren. Idealtypisch kommen in einer Zukunftskonferenz Repräsentanten aller Ebenen und aus allen Teilen der Organisation mit den für die Organisation wichtigsten externen Repräsentanten – z.B. Trägern, Besuchern, Kooperationspartnern – zusammen. Insbesondere die frühzeitige Einbindung der ›Kunden‹ ist ein entscheidender Erfolgsfaktor. Die Besucher – aktuelle und potenzielle – offensiv in einen solchen Prozess einzubinden, ist für beide Seiten ungewöhnlich und ungeübt. Dennoch führt gerade diese Intervention aus der selbstbezogenen Organisationssicht heraus und bringt neue Ideen und Verbindlichkeiten. Ein wesentlicher Vorteil einer Zukunftskonferenz ist, dass mit einer Maßnahme viele Akteure gewonnen und in die Verantwortung genommen werden können. Eine Zukunftskonferenz erzeugt eine Aufbruchstimmung, erhöht das Verantwortungsgefühl und mobilisiert die Teilnehmer aus allen Ebenen der Organisation. Die durchgeführte Zukunftskonferenz des LWL-Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte war eine interne ›Werkstatt‹ – noch ohne die direkte Einbindung und Beteiligung des relevanten Umfeldes (Träger, Besucher, Multiplikatoren). Diese Sicht wurde ›indirekt‹ über sogenannte Expertenstatements eingebracht.

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Ablauf einer Zukunftskonferenz Die Dynamik des Ablaufes einer Zukunftskonferenz ist ein Modell eines Organisationsentwicklungsprozesses insgesamt. Unabhängig davon, ob nun mit einer Zukunftskonferenz gestartet wird, sind die im Folgenden dargestellten Schritte von der realistischen Bestandsaufnahme zu Projekten der Verbesserung die notwendigen Etappen eines Organisationsentwicklungsprozesses: 1. Bestandsaufnahme: ein klares Bild der Realität schaffen Um eine von möglichst vielen Führungskräften und Mitarbeiter/-innen getragene, offene und klare Sicht der Realität zu entwickeln, sollte eine Analyse der Stärken, Probleme, Risiken und Chancen einer Organisation erfolgen. Dies kann z.B. anhand der Leitfragen einer »SWOT-Analyse« (Strengths, Weaknesses, Opportunities, Threats) geschehen: • Was sind unsere aktuellen Stärken? Worauf sind wir stolz? Worauf können wir aufbauen? • Wo besteht schon erkannter Verbesserungsbedarf? Welche Probleme haben wir? • Welche Chancen ergeben sich für uns durch die Veränderung des relevanten Umfeldes, des Verhaltens der Geldgeber, der Veränderung der Marktund Konkurrenzsituation? • Welche Gefahren und Bedrohungen sehen wir auf uns zukommen, insbesondere, wenn wir jetzt nicht reagieren und Veränderungen vornehmen? In diesem Schritt ist es wichtig, zu erfahren, warum die Museumsleitung einen Veränderungsbedarf sieht. Ein zweiter Aspekt in der Analyse ist eine Überprüfung des eigenen Selbstverständnisses, das eventuell bereits in einem Leitbild formuliert ist. (Die Checkliste »Organisationsdiagnose« im Anhang bietet hier einen ersten Einstieg.) 2. Visionieren Im zweiten Schritt soll dann ein möglichst begeisterndes Bild einer möglichen Zukunft entworfen werden. Hier kann man sich anhand von Beispielen guter Praxis anderer von anderen Museen inspirieren lassen. In Szenarien kann ein Bild ›Wir im Jahr 20XX‹ entstehen und es können geeignete und weniger geeignete Strukturen, Spielregeln und Verhaltensweisen für die erfolgreiche Reise in die Zukunft diskutiert werden.

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3. Maßnahmen planen Im dritten Schritt werden konkrete Maßnahmen geplant – für die gesamte Organisation, für einzelne Abteilungen oder auch für einzelne Mitarbeiter. Es werden konkrete Projekte geplant, wie z.B. die Entwicklung eines Leitbildes. Dies war z.B. ein Ergebnis der Zukunftskonferenz des LWL-Landesmuseums. 4. Verbindliche Vereinbarungen treffen In einem letzten Schritt werden klare Vereinbarungen getroffen, um die Veränderungsziele zu realisieren. Es werden klare Verantwortlichkeiten der jeweiligen Beteiligten und Akteure definiert. Wesentlich ist es, hier die Rolle der Leitung nochmals ausdrücklich festzuhalten. Beispiel eines Veränderungsprojekts: Formulierung eines Leitbildes Das LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte definierte als eines von vier Veränderungsprojekten am Ende der Zukunftskonferenz die Neuformulierung eines Leitbildes. Ein Leitbild hat mehrere Ebenen: Zum einen dient es der Orientierung für Führung und Mitarbeiter/-innen, zum zweiten ist es eine Verpflichtung auf die aktuellen Ziele und Strategien (»Committment«) und zum dritten ist es ein Versprechen an die Besucher. Ein Leitbild sollte die folgenden Fragen beantworten: • Die Verpflichtung nach außen: Wozu verpflichten wir uns unseren Besuchern? Welchen Nutzen wollen wir für sie erbringen? • Und die Verpflichtung nach innen: Was werden wir dazu tun? Kernpunkte eines Leitbildes können anhand folgender Leitfragen erarbeitet und entwickelt werden – für Museen wird dabei die Entwicklung eines neuen Selbstverständnisses als dienstleistende Kulturorganisation immer wichtiger: • Was ist unser Selbstverständnis? (›Wir sind …‹) • Unsere Ziel- und Nutzenverpflichtung: Welchen Nutzen wollen wir für die Besucher/Träger und andere ›Kunden‹ (aktuelle und potenzielle) stiften? • Was sind unsere Produkte und Dienstleistungen? • Was ist unser Qualitätsversprechen und wie sichern und steigern wir die Qualität? • Wie arbeiten wir, wie qualifizieren wir uns, wie entwickeln wir uns weiter?

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Hartmut John/Anja Dauschek (Hg.) Museen neu denken

• Wer sind unsere Kooperationspartner und wie bauen wir strategische Kooperationen auf und nutzen sie? • Welche Anforderungen haben wir an unsere Partner und ›Lieferanten‹? Ein gemeinsam erarbeitetes und getragenes Leitbild setzt eine erste intensive Kommunikation über die Sichtweisen zur eigenen Arbeit im Museum voraus. Damit wird neben der inneren Vergewisserung auch die Außenorientierung im Sinne einer Kunden- und Zielgruppenorientierung auf eine breitere Basis gestellt. Ein gemeinsam getragenes Leitbild ist auch die Grundlage für ein Qualitätsmanagement. Dieser Beitrag schließt deshalb mit einem Ausblick auf die Zukunftsaufgabe Qualitätsmanagement. Ausblick: Zukunftsaufgabe Qualitätsmanagement Wird Qualität im Sinne eines modernen Qualitätsmanagements als die Erfüllung von Kundenanforderungen verstanden, dann sind Informationen über Wünsche und Anforderungen der Besucher/Kunden der zentrale Ausgangspunkt für alle weiteren Entwicklungsschritte. Ein systematisches Qualitätsmanagement konzentriert sich nicht auf die fachliche und sachliche Qualität einer einzelnen Ausstellung oder Sammlung, dieser wird auch weiterhin immer durch die Standards der jeweiligen Fachdisziplinen bestimmt. Ein Qualitätsmanagementsystem hat die Qualitätsfähigkeit einer Organisation im Blick mit der Leitfrage: Definieren und organisieren wir die Erbringung unserer Leistungsprozesse so, dass nur gute Produkte und Dienstleistungen dabei herauskommen können? Unter den Qualitätsmanagementsystemen bietet insbesondere das EFQM-Modell eine gute Grundlage für die Durchführung einer Struktur-, Prozess- und Kulturanalyse. Dieses Modell bietet die Möglichkeit, schon in der Analysephase ein Instrument einzuführen, mit dessen Hilfe nach Abschluss der Organisationsentwicklungsphase die neue Struktur, die neuen Prozesse und die neu etablierten Regeln stabilisiert und weiterentwickelt werden können. Das EFQM-Qualitätsmanagement ist von der Anlage her in hohem Maße kunden- und projektorientiert und auf die dynamische Weiterentwicklung der erzielten Ergebnisse hin ausgerichtet.2

2 Vgl. zum Folgenden EFQM (Hg.): Das EFQM-Modell für Excellence, Brüssel, zu bestellen unter www.efqm.org; EFQM (Hg.): Excellence bewerten – Eine praktische Anleitung zur Selbstbewertung, Brüssel, zu bestellen unter www.efqm.org.

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Das Modell der EFQM Die EFQM (European Foundation for Quality Management) vertritt und fördert die Idee des umfassenden Qualitätsmanagements. Das Kernstück dieses Weges zu kontinuierlicher Qualitätsverbesserung ist das Excellence-Modell der EFQM (EFQM-Modell für Spitzenleistungen). Das Excellence-Modell ist das Raster, anhand dessen die EFQM das Qualitätsmanagement in Organisationen überprüft. Das Modell hat neun Kriterien: Führung, Politik und Strategie, Mitarbeiterorientierung, Partnerschaften und Ressourcen, Prozesse, kundenbezogene Ergebnisse, mitarbeiterbezogene Ergebnisse, gesellschaftsbezogene Ergebnisse und Schlüsselergebnisse der Organisation. Abbildung 1: Das aktuelle EFQM-Modell mit seinen neun Kriterien. Die Prozentzahlen geben das jeweilige Gewicht an, mit dem die einzelnen Kriterien zur Gesamtbewertung beitragen. BEFÄHIGER

ERGEBNISSE Mitarbeiterbezogene Ergebnisse 9%

Mitarbeiter 9%

Führung 10%

Politik und Strategie 8% Partnerschaften und Ressourcen 9%

Prozesse 14%

Kundenbezogene Ergebnisse 20%

Schlüsselergebnisse 15%

Gesellschaftsbezogene Ergebnisse 6%

INNOVATION UND LERNEN

Quelle: www.deutsche-efqm.de

Der Ansatz beruht auf der Philosophie, dass eine Organisation herausragende Resultate erreichen kann, wenn Kundenorientierung die zentrale Orientierungsposition einnimmt und auf dieser Grundlage die internen Prozesse ablaufen, d.h. alles, was das Museum unternimmt, um Anforderungen von Besuchern und Träger zu erfüllen. Dazu müssen Führung, Politik und Strategie, Mitarbeiterorientierung und Ressourcen optimal gestaltet, umgesetzt und ständig verbessert werden. Grundlage des »Modells für Excellence« sind die drei Säulen: Menschen

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Hartmut John/Anja Dauschek (Hg.) Museen neu denken

– Prozesse – Ergebnisse, die in den neun Kriterien konkretisiert werden. Das Modell liefert damit einen Bezugsrahmen, der alle wesentlichen Aspekte in der Unternehmensführung einer Organisation beschreibt. Die Zahlen im EFQM-Modell geben die Gewichtung für jedes Kriterium an und dokumentieren damit, welche Bedeutung die einzelnen Elemente des Modells aus Sicht der EFQM haben. So werden z.B. die Prozesse mit 14 % deutlich höher bewertet als Politik und Strategie mit 8 %. Die herausragende Bedeutung der Kundenzufriedenheit lässt sich an den 20 % ablesen, während die gesellschaftliche Verantwortung mit 6 % bewertet wird. Diese Gewichtungen sind das Ergebnis eines Abstimmungsprozesses, an dem EFQM-Mitglieder und zahlreiche europäische Institutionen beteiligt waren. Das Modell wird einer jährlichen Überprüfung unterzogen und gegebenenfalls angepasst. Bei der Umsetzung des Modells wird von der EFQM Nachdruck darauf gelegt, dass umfassendes Qualitätsmanagement nicht nach einem einfachen Rezept angewandt werden kann. Notwendig ist vielmehr eine Grundhaltung – zunächst der Geschäftsführung und Leitung und im weiteren Verlauf des Qualitätsentwicklungsprozesses auch der gesamten Organisation und damit aller Mitarbeiter/-innen. Diese Haltung kommt in einer deutlichen Kunden-, Prozess- und Ergebnisorientierung zum Ausdruck. Um Qualitätsmanagement als Unternehmensphilosophie einzuführen und zu fördern, hat die EFQM die Methode der Selbstbewertung entwickelt, bei der systematisch aus der Erfahrung gelernt wird. In der Selbstbewertung identifizieren die Mitarbeiter Stärken und Verbesserungspotenziale ihrer Organisation bzw. Abteilung. Im Konsensverfahren erarbeitete Ergebnisse sind dann Grundlage für Verbesserungen und Erneuerungen, die gemeinsam umgesetzt werden. Damit bietet das EFQM-Modell großen und kleinen Museen einen relativ einfach zu bewältigenden Einstieg in das Thema Qualitätsmanagement – ein Thema, das angesichts der neuen und höheren Ansprüche an Museen für die Zukunft bestimmend sein wird.

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Anhang: Checkliste »Organisationsdiagnose« 3 Wenig

+/-

Ja

Identität Kennen wir die Bedürfnisse und Anforderungen unserer Nutzer? Überprüfen wir diese Annahmen regelmäßig? Haben wir ›Bilder‹ von unseren aktuellen und den potenziellen Nutzern? Haben wir ein klares Selbstverständnis (wozu wir da sind)? Ist dies im Alltag auch von Bedeutung? Haben wir das Image, das wir in unserer relevanten Umwelt wünschen? Konzepte, Strategien Ist die grundsätzliche Strategie klar? Werden Veränderungen im Umfeld wahrgenommen und aufgenommen? Korrespondiert die Strategie mit unseren vorhandenen Stärken? Strukturen Ist das Museum ›marktgerecht‹ strukturiert? Sind die Organisationsbereiche angemessen miteinander vernetzt? Kommunizieren die Bereiche ausreichend miteinander? Werden die Strukturen neuen Anforderungen entsprechend verändert? Mitarbeiter/-innen Treffen die Fähigkeiten, das Wissen und Können die zukünftigen Anforderungen? Wie sind Einstellung, Verhalten und Motivation zur Leitung? Gibt es eine aktive und gezielte Personalentwicklung? Wird mit Reibungen und Konflikten produktiv umgegangen? Sind die Aufgaben, die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten klar geregelt? Führung Übernehmen alle Führungskräfte Verantwortung für die Weiterentwicklung des Museums als Ganzem? Übernehmen die Führungskräfte eindeutig die Aufgabe der Mitarbeiterführung? Werden z.B. Mitarbeitergespräche und Zielvereinbarungen durchgeführt? Werden notwendige Entscheidungen zeitnah und transparent getroffen?

3 Quelle: Friedrich Glasl/Trude Kalcher/Hannes Piber: Professionelle Prozessberatung, Bern u.a.O. 2005.

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Hartmut John/Anja Dauschek (Hg.) Museen neu denken Wenig

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Prozesse und Abläufe Sind die wichtigen (Kern-)Prozesse klar und eindeutig beschrieben? Werden kontinuierlich Standards zur Optimierung der Prozesse entwickelt und weiterentwickelt (z.B. Entwicklung und Etablierung von Projektmanagement: von der Idee zur Ausstellungseröffnung)? Technische, räumliche und finanzielle Ressourcen In welchem Zustand sind Gebäude, Anlagen und Ausstattung? Nutzen wir verfügbare Hard- und Software? Wie akquirieren wir Drittmittel und Sponsorengelder?

Literatur EFQM (Hg.): Das EFQM-Modell für Excellence, Brüssel, zu bestellen unter www.efqm.org. EFQM (Hg.): Excellence bewerten – Eine praktische Anleitung zur Selbstbewertung, Brüssel, zu bestellen unter www.efqm.org. Glasl, Friedrich/Kalcher, Trude/Piber, Hannes: Professionelle Prozessberatung, Bern u.a.O. 2005. Weisbord, Marvin/Janoff, Sandra: Future Search – Die Zukunftskonferenz. Wie Organisationen zu Zielsetzungen und gemeinsamem Handeln finden, Stuttgart 2001.

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Museen im gesellschaftlichen Wandel – Wandel wohin?

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Jenseits der Leuchttürme. Museumsentwicklung als Gesellschaftspolitik

Iris Magdowski Was für ein Paukenschlag! Michael Eissenhauer, Präsident des Deutschen Museumsbundes und Direktor der Staatlichen Museen in Kassel, regte kürzlich den Rückbau der Museumslandschaft in Deutschland an.1 Man müsse sich auf lebensfähige Museumsstrukturen verständigen, forderte er. Eine solche Aussage eines führenden Museumsrepräsentanten und einer so wichtigen Organisation wie dem Deutschen Museumsbund wäre noch vor einem Jahrzehnt undenkbar gewesen. Aber nun weicht die Euphorie offenbar der Ernüchterung. Nachdem das öffentliche Geld knapp geworden ist und viele öffentlichen Leistungen auf dem Prüfstand stehen, hat ein Perspektivwechsel von der angebots- zur nachfrageorientierten Kulturpolitik stattgefunden. Daran müssen sich heute auch die Museen messen lassen. Nach den statistischen Erhebungen des Instituts für Museumskunde gibt es in Deutschland derzeit mehr als 6000 Museen, in der Mehrzahl kleine und mittlere Häuser.2 In der kulturpolitischen Diskussion spielen diese kleineren Häuser eine untergeordnete Rolle: Man blickt auf die großen Kunstmuseen mit ihren spektakulären Sonderausstellungen und vergisst, dass alle Kunstmuseen zusammen nur einen Anteil von zehn Prozent in der deutschen Museumslandschaft ausmachen. Vielfalt der deutschen Museumslandschaft Unsere Museumslandschaft besteht nicht nur aus ›Leuchttürmen‹. Den Löwenanteil haben volks- und heimatkundliche Museen mit knapp 50 Prozent, gefolgt von kulturgeschichtlichen Spezialmuseen (ca. 15 %) sowie naturwissenschaftlichen und technischen Museen (fast 12 %).3 Da es sich bei den volks- und heimatkundlichen Museen in der Mehrzahl um Häuser mit bis zu 5000 Besuchern pro Jahr handelt, können hier rückläufige Besucherzahlen existenzbedrohend wirken. Wie das Institut für Museumskunde im Erhebungsjahr 2003 festgestellt hat, war gerade an diesen Häusern der Besucherrückgang am größten, was z.T. witterungsbedingt war, aber auch auf fehlende

1 Michael Eissenhauer im 4. Potsdamer Gespräch 2005 zur »Situation der Museen in Deutschland«. 2 Vgl. Materialien des Instituts für Museumskunde, Heft 58, Statistische Gesamterhebungen 2003, Ziff. 1.2. 3 Vgl. Materialien des Instituts für Museumskunde, a.a.O., Abb. 6.

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Ausstellungsattraktionen wie z.B. Sonderausstellungen zurückzuführen ist, die nicht geleistet werden konnten.4 Die Grundvoraussetzungen für einen professionellen Museumsbetrieb erfüllen viele dieser kleinen Häuser nicht, weshalb verbindliche Museumsstandards gefordert werden. Sie sollen dazu beitragen, dass der klangvolle Titel »Museum« das wert ist, was er verspricht.5 Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, welche Perspektiven das Gros der Museen in Deutschland hat. Wer kann und darf darauf eine Antwort geben? Auf Fachtagungen zur ›Zukunft der Museen‹ treten in der Regel Referenten aus den international renommierten Häusern auf, zu deren Aufgabenspektrum das überregionale fachpolitische Engagement gehört. Bei ihnen, den professionellen Lobbyisten der Museumszunft, setzt man voraus, dass sie stellvertretend für alle tragfähige Ansätze und perspektivische Konzepte entwickeln, obwohl die Rahmenbedingungen und Probleme in ihren Häusern Lichtjahre von denen der kleinen Museen entfernt sind. So bescheinigt das Institut für Museumskunde den international bekannten Museen in Metropolen, die einen hohen Tourismus-Anteil aufweisen, vom allgemeinen Trend des Besucherrückgangs verschont geblieben zu sein.6 Leuchttürme und Markenzeichen des Kulturbetriebes Die großen Häuser, die mit einem Anteil von 3,8 Prozent an der Gesamtzahl der Museen insgesamt 36,6 Prozent der Besuche generieren, d.h. in jedem Jahr ca. 36 Mio. Museumsbesuche verbuchen,7 stehen in einem internationalen Wettbewerb um Leihgaben, attraktive Sonderausstellungen, Zuwendungen bedeutender Sammler und Fundraising. Das Heimatmuseum in der Provinz ist dagegen vielleicht nur auf der Suche nach einem klareren Profil und stringenter Sammlungsstrategie. Es braucht Freiräume und Ressourcen, um nicht jedes lieb gewonnene Familienandenken aus Rücksicht auf die ›einflussreichen Honorationen vor Ort‹ der Museumssammlung einverleiben und ausstellen zu müssen. Für den einzigen hauptamtlichen Museumsmitarbeiter, der mit einem Mini-Etat die Sammlung pflegt, Ausstellungen konzipiert und jedes Jahr ein paar tausend Besucher betreut, bleibt keine Zeit für feinsinnige Überlegungen, geschweige denn Pu-

4 Vgl. Materialien des Instituts für Museumskunde, a.a.O., Abb. 7. 5 Vgl. dazu York Langenstein: Qualitätsstandards und Qualitätssicherung in einer heterogenen Museumslandschaft, in: Museumskunde, Bd. 69, 2/2004, S. 14ff. 6 Vgl. Materialien des Instituts für Museumskunde, a.a.O., Ziff. 1.1. 7 Vgl. Materialien des Instituts für Museumskunde, a.a.O., Abb. 4.

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blikationen zur Zukunft der von ihm mitgestalteten deutschen Museumslandschaft. Die sarkastische Redewendung ›Zu viel zum Sterben, zu wenig zum Leben‹ ist für viele kleine und mittlere Museen bittere Realität. Um die Leuchttürme der Museumslandschaft brauchen wir uns nicht zu sorgen. Sie sind die Markenzeichen des Kulturbetriebes, agieren mittlerweile wie mittelständische Unternehmen und leben von ihrer internationalen ›Marktpräsenz‹. Sie brauchen ihre wissenschaftliche Arbeit nicht zu vernachlässigen, denn sie gehört zum allseits geschätzten Profil des Hauses. Sammeln und Bewahren, verbunden mit der Präsentation herausragender Museumsexponate, stehen bei ihnen im Vordergrund. Was sie zuweilen fürchten, ist das Diktat der großen Zahlen, mit denen die Verantwortlichen die Zuwendungen an ihre Häuser politisch legitimieren. Aus der Marktforschung weiß man relativ gut, was beim Publikum ankommt. Der Mainstream wird zur ›sicheren Bank‹, auf die man setzt. Daneben gibt es fachlich hochinteressante, betriebswirtschaftlich aber eher unattraktive Ausstellungen, die zum wissenschaftlichen Renommee des Hauses beitragen. Zugleich brilliert das Museum mit einer erfolgreichen Vermittlungsarbeit und Vermarktungsstrategie für den Standort. Die Symbiose von Stadt- und Museumsmarketing wird für beide Partner zum Erfolgsfaktor. Vom Vermittler zum kulturellen Dienstleister Museen gelten als kulturelle Dienstleister, die auf hohem Niveau Besucherwünsche wecken und befriedigen. Eine solche Vorstellung begeistert nicht nur Politiker. Bereits Anfang der 1920er Jahre hatte Joseph Cotton Dana, Direktor des Newark Museums, der aus der Bibliotheksszene der Industriestadt Newark bei New York stammte, gefordert, dass öffentliche Museumssammlungen ähnlich wie Bücherhallen die Allgemeinheit durch umfangreiche Vermittlungsarbeit einbeziehen. Sein Museumsmodell führte in der nordamerikanischen Museumslandschaft zur Abkehr vom reinen Patronatsmuseum. Heute haben sich die idealtypischen Modelle eines traditionellen Patronatsmuseums und eines vermittlungsorientierten Museums einander angenähert. Die Glaubenskriege sind schon lange beigelegt, Museen verstehen sich als Bildungseinrichtungen und messen ihren Erfolg an der Vermittlungsarbeit und Besucherresonanz. Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik Öffentliche Museen sind demokratische Bildungseinrichtungen. Zwar verdanken viele von ihnen ihre Existenz dem Sammeleifer der Fürsten – wie das Beispiel von August dem Starken in Sachsen eindrucksvoll belegt. Doch sobald die Museen ihre Tore für die Bevölkerung öffnen durften, war jeder will-

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kommen. Im Museum muss sich kein Besucher mit seinem Wissensstand legitimieren. Er kann die vermittelten Bildungsinhalte mit oder ohne museumspädagogische Unterstützung entsprechend seinem Wissens- und Bildungsstand erfahren und genießen.8 Demokratische Bildungseinrichtung ohne Breitenwirkung? Trotzdem kommen die Museen und ihre Sammlungen nicht an die Breitenwirkung von Volkshochschulen und Bibliotheken heran. Zeitgenössische Kunst ist sperrig, mitunter provokant, auf jeden Fall nicht everybody’s darling. Naturwissenschaftliche und technische Museen benötigen physikalische oder technische Grundkenntnisse, wenn die visuellen Reize, die sie vermitteln, mit einem gewissen Erkenntniswert einhergehen sollen. Die Museen können ihren Bildungsauftrag deshalb nur durch eine intensive Vermittlungsarbeit erfüllen. Das bindet Personalressourcen – und kostet Geld. Es ist das große Verdienst des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, die Wissensvermittlung ins Zentrum der Museumsarbeit gestellt und beispielhaft weiterentwickelt zu haben. So wird der Museumsbesucher zum Zeitzeugen historischer Ereignisse und schärft seine Urteilsfähigkeit, wenn es darum geht, aus der Geschichte zu lernen – und dies alles auf eine narrative, spielerisch anmutende Weise. Museen sollen zu »Kompetenzzentren« werden, regt Hermann Schäfer 9 an. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden – ganz im Gegenteil. Doch die damit verbundenen Konzentrationsprozesse, die Schäfer fordert, haben auch ihre Schattenseiten. Was nützt es etwa der Bevölkerung im 200 Kilometer entfernten Münsterland, wenn in Bonn herausragende Ausstellungen die neuere deutsche Geschichte beleuchten. Im Zweifel ist dem potenziellen Museumsbesucher die mehrstündige Anreise zu teuer und zu weit. Da nützt dann auch der freie Eintritt nichts. Nur eine vergleichsweise kleine Schar von besonders interessierten, besonders mobilen Bildungsbürgern und Kulturtouristen reist den Ausstellungen hinterher. Diese Tendenz wird sich angesichts steigender Energie- und Mobilitätskosten noch verstärken. Das mag anders sein bei Kunstausstellungen mit Exponaten, die aus der gesamten Welt zusammengetragen wurden und nur an einem einzigen Ort in

8 Vgl. Christiane Zangs: Qualitätsgeleitete Bildungsarbeit – Utopie oder Notwendigkeit auch an kleineren und mittleren Museen, in: museumskunde 2/2004, S. 30 mit weiteren Nachweisen. 9 Hermann Schäfer: Konzepte der Besucher- und Nutzerorientierung, Vortrag auf dem 3. Kulturpolitischen Bundeskongress, Berlin, 23.-24.6.2005; Ders.: Der Besucher, die große Unbekannte, in: Jahrbuch für Kulturpolitik 2005, Bd. 5, S. 393ff.

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Deutschland zu sehen sind. Ein zeithistorisches Museum kann damit jedoch nicht aufwarten. Konzentrationsprozesse und regionale Offensiven Will man attraktive Museumsangebote fernab der großen Ballungsräume und Oberzentren ermöglichen und auf Konzentrationsprozesse aus Kosten- und Qualitätsgründen nicht verzichten, so müssen die großen leistungsfähigen Museen Ausstellungsangebote für die Region konzipieren, die der kulturellen Verödung entgegenwirken und den Menschen eine Teilhabe ermöglichen. Im musikalischen Bereich hat beispielsweise das Land Baden-Württemberg ganz gezielt die von ihm geförderten international renommierten Musikeinrichtungen für die Provinz in die Pflicht genommen – mit großem Erfolg. Ähnliche Denkansätze hat es in Sachsen gegeben. Dort wollte die Landesregierung große Teile der Antiken-Sammlung von Dresden nach Chemnitz verlagern. Die von August dem Starken aufgebaute Sammlung hätte allerdings ihren historisch angestammten Platz in Dresden verlassen müssen, was den Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen, Martin Roth, zu heftigem Protest veranlasste. Demografischer Wandel und bildungspolitischer Paradigmenwechsel Die Konzentration von Museen auf wenige Standorte muss auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung kritisch hinterfragt werden. Die Mobilität älterer Menschen nimmt ab, abgesehen davon, dass die Energieund Mobilitätskosten in Zukunft weiter steigen werden. Bei der jungen Generation ist zu berücksichtigen, dass in der Bildungspolitik ein Paradigmenwechsel zugunsten des schulischen Ganztagsangebots stattgefunden hat, das nun durch Projekte der kulturellen Bildung bereichert werden soll. Außerschulische Angebote wie das Ausstellungsprogramm der Museen und ihre museumspädagogische Arbeit liefern wichtige Impulse für den Schulalltag. Schon jetzt haben Kinder im ländlichen Raum weniger außerschulische Bildungsmöglichkeiten, weil sich in dünn besiedelten Regionen Bildungsangebote wie z.B. der Musikschulunterricht für die Anbieter ganz einfach ›nicht rechnen‹. Wer die Landflucht beklagt und Wanderungsbewegungen in die Ballungsräume und Metropolen stoppen will, muss alles daran setzen, die Infrastruktur im ländlichen Raum zu erhalten. Die rückläufigen Bevölkerungszahlen müssen deshalb vorrangig ein Nachdenken über räumliche, aber auch personelle Konzentrationsprozesse vor Ort auslösen. Volkshochschule, Bibliothek, Musikschule, Museum – in

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einer überschaubaren Kommune auf engstem Raum nebeneinander angesiedelt – sollten zusammenrücken und Dienstleistungs- und Verwaltungsaufgaben durch Synergieeffekte bezahlbar halten. Wenn allerdings ein benachbartes Oberzentrum die komplette kulturelle Infrastruktur vorhält, kann weniger auch mehr sein. Chancen im ländlichen Raum – (Kultur-)tourismus Tendenziell verstärken wird sich der Trend zu Kurzurlauben mit kulturellem Freizeitprogramm. In den letzten Jahren haben sich viele kleinere Museen in den Tourismus-Offensiven für den ländlichen Raum einen festen Platz erobert. Sie sind zwar nicht Anlass für den Besuch der Freizeitregion, tragen aber mit einem interessanten Ausstellungsangebot zum Gelingen eines solchen Urlaubs bei. Man sollte über die Verbindung von Erlebniswelten und den im Museum erfahrbar gemachten Bildungsinhalten nicht die Nase rümpfen. In einem solchen erlebnisorientierten Museumsbesuch steckt mehr Wissensvermittlung als in Computerspielen und seichter Fernsehunterhaltung, mit denen junge Menschen ansonsten einen großen Teil ihrer Freizeit ausfüllen. Gesellschaftliche Relevanz von Museen Kultur für alle? Teilhabe aller? Die Zeitbudgeterhebungen des Statistischen Bundesamtes, bezogen auf den Zehnjahreszeitraum von 1991-2001, haben ergeben, dass es in dieser Zeit kein signifikantes Wachstum des kulturellen Interesses gegeben hat. Nur fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung bilden den Kern der kulturellen Vielnutzer.10 Das Bildungsbürgertum als Nutzer der Museumsangebote steht nach wie vor an erster Stelle. Doch dieses Bildungsbürgertum verflüchtigt sich. An seine Stelle tritt die Lifestyle-Generation, die in den Fokus nimmt, was trendy ist. Auch im Museum! Hierzu zählen »Lange Nächte« ebenso wie opulente Previews mit italienischem Caterer, Weltmusik oder Sommerfest.

10 Vgl. Norbert Sievers: Zwischen Angebot und Nachfrage. Das Janusgesicht der Kulturpolitik, in passagen, Pro Helvetia Kulturmagazin, Heft 40, 2005/6, S. 2-7, insb. S. 4; Manfred Ehling: Zeit für Freizeit und kulturelle Aktivitäten, in: Jahrbuch für Kulturpolitik 2005, Bd. 5, S. 87-97.

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Museen als Lernorte interkultureller Kompetenz Die sozialen Milieus verändern sich. In den deutschen Großstädten besteht die junge Generation bereits zu 40 Prozent aus Kindern mit Migrationshintergrund. »Beheimatung durch Kultur, Kulturorte als Lernorte interkultureller Kompetenz« lautet ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in Auftrag gegebenes Forschungsprojekt. Das Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft als Träger des Projekts hat Bilanz gezogen. Nach einer im Jahre 2005 bei den kommunalen Kulturämtern durchgeführten Befragung steht fest, dass ca. 70 Prozent der Migranten in den Museen keine kulturelle Verortung verspüren.11 Die kultur- und stadtgeschichtlichen Museen sowie die Heimatmuseen könnten diesem Zustand abhelfen – mit sachlichen Informationen, Offenheit und Interesse für die kulturellen Wurzeln der Migranten, ihren Entbehrungen und Verwerfungen, die sie als Fremde in unserem Land erfahren haben. Dazu gehört auch die Leitkultur-Diskussion über den verbindlichen Wertekanon unserer Zivilgesellschaft, der Rechte und Pflichten für alle in Deutschland lebenden Menschen festschreibt. Es mag auf den ersten Blick irritieren, wenn ein traditionelles heimat-, stadt- oder kulturgeschichtliches Museum in eine aktuelle gesellschaftspolitische Diskussion eingreift. Aber gibt es einen besseren Ort für die sachliche Aufarbeitung dieses neuen Kapitels deutscher Geschichte? Als zentrale Orte der Bewahrung und Dokumentation authentischer und historischer Zeugnisse der Menschheit kommt den Museen eine wegweisende Funktion in der Gesellschaft zu. Das Museum versteht sich deshalb heutzutage als Bestandteil – und nicht als außenstehender Beobachter – der Gesellschaft. Was das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland jüngst mit der Ausstellung »Flucht, Vertreibung und Integration« zur Aufarbeitung der Nachkriegsgeschichte geleistet hat, ist vorbildlich: ein Konzept, das Emotionen weckt und sich zu der gesellschaftlichen Funktion des Museums als Ort der Vermittlung und Bildung bekennt – kurzweilig und informativ … und ohne paternalistischen Gestus. Einen ähnlichen Weg könnten auch kleinere stadtgeschichtliche Museen und Heimatmuseen mit gut ausgewählten Spezialthemen beschreiten. Sie würden zu einem Kristallisationspunkt in der Integrationsarbeit: aktuell, ansprechend und wirkungsvoll. Geschichtliche Museen übernehmen mit ihrer 11 Vgl. Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft: Kulturorte als Lernorte interkultureller Kompetenz, Bericht zum Stand der Arbeiten auf der Grundlage der Befragung der kommunalen Kulturämter (Mai 2005).

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historischen Aufarbeitung Verantwortung für die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft. Sie liefern einen Orientierungsrahmen für den gesellschaftlichen Konsens. Wenn heute Migranten und ihre Organisationen als wichtigste interkulturelle Begegnungsstätten Bibliotheken, Volkshochschulen und Migrantenvereine nennen, gibt es für die Museen eindeutig Nachholbedarf. Dabei eröffnet die lokale Verwurzelung eines stadtgeschichtlichen oder heimatgeschichtlichen Museums, flankiert durch entsprechende qualifizierte Vermittlungsarbeit und ehrenamtliches Engagement, gute Möglichkeiten für die Integration von Migranten in die Stadtgesellschaft. Bereits jetzt leisten einige große Museumseinrichtungen Beiträge zur Kulturarbeit im Einwanderungsprozess. Das Badische Landesmuseum spricht beispielsweise mit der Neueinrichtung der Sammlung »Karlsruher Türkenbeute« ganz gezielt Menschen mit Migrationshintergrund an. Es will Brücken bauen, Zusammenhänge der Kulturen darstellen und für die einheimische Bevölkerung in der Auseinandersetzung mit dem Fremden Aufklärungs- und Vermittlungsarbeit leisten. In der Kommunikation setzt man auf türkische Medienpartner, themengebundene Museumsfeste und Inszenierungen. Themenreisen laden zur Bekanntschaft mit der Welt der Osmanen ein. Ausgehend von dieser Ausstellung richteten Grundschülerinnen und -schüler im Rahmen des Pilotprojektes »Schule@museum« eine Website ein, die zum Dialog mit der osmanischen Kultur einlädt. Die interkulturelle Arbeit wird nun durch die Sonderausstellung »Typisch deutsch? Fremdes und Vertrautes aus der Sicht von Migranten« fortgeführt. Der Blick auf fremde Kulturen, der bislang die Arbeit des Museums bestimmte, wird um den Blick der Migranten und Fremden auf unsere Kultur erweitert. Dazu wurden typische deutsche Gewohnheiten und Alltagsgegenstände von Migranten ausgewählt und kommentiert. Der Chat zum Thema »Interkultureller Dialog« und die von den Teilnehmern eingebrachten Beiträge machen deutlich, dass Unverständnis und Vorurteile noch weit verbreitet sind. Eine solche Chance nutzen noch nicht alle Museen. Als die K 20 Kunstsammlung NRW die Ausstellung »Henri Matisse Figur Farbe Raum« präsentierte, ging es um ein zentrales Motiv dieses Pioniers der Moderne: die Frau im Interieur. Ein Teil der Ausstellung widmete sich den berühmten Odaliskendarstellungen: Haremsdamen, die zeitweise ein Modethema in der westlichen Gesellschaft waren und zu Beginn des 20. Jahrhunderts die erotischen Fantasien beflügelten. In den Gemälden werden westlich-barocke und orientalische Pracht vereint. Wiederum Chancen für einen interessanten interkulturellen Aspekt! Von einem Interesse daran war im Begleitprogramm der Ausstellung jedoch nichts zu spüren.

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Museen im Spannungsfeld zwischen Globalität und kultureller Identitätssuche Ein gesellschaftliches Phänomen dieses Jahrhunderts ist die Globalität. Wir leben in einer Weltgesellschaft, in der geschlossene Räume fiktiv sind. Kein Land, keine Gruppe kann sich gegeneinander abschließen. Die Globalisierung hat Prozesse erzeugt, in deren Folge transnationale Akteure die Souveränität der Nationalstaaten durch Netzwerke unterlaufen. Die Globalisierung hat auch Ängste ausgelöst, die zu einer Gegenbewegung der kulturellen Identitätssuche und Fragmentierung führten. Museen sind auch im 21. Jahrhundert ein wichtiger Baustein des nationalen Bewusstseins und Nationalstolzes – weltweit. Daraus erwächst ihnen eine herausragende Bedeutung. Sie können als Repräsentanten des nationalen Bewusstseins auftreten und sich mit den Zeugnissen der Vergangenheit als nationale, regionale oder lokale Schatzkammern verstehen. Als Hüter eines Schatzes umgibt sie eine ehrfurchtgebietende Aura. Sie können aber auch die Auseinandersetzung mit den Zeugnissen der Vergangenheit programmatisch für Erkenntnis- und Lernprozesse der Gegenwart einsetzen. Von Künstlern sagt man, dass sie die Seismografen unserer Gesellschaft sind. Im Umgang mit den Zeugnissen der Vergangenheit sind Museen so etwas wie eine moralische Instanz der Gesellschaft, ein Korrektiv für ihre Erosionen. In vielfältigen Formen dokumentieren sie ihre Entwicklungsprozesse – und darin liegt ihre ganz besondere Chance. Globalisierung, europäischer Integrationsprozess oder Einwanderungsgesellschaft – das Museum ist der Ort, an dem Erkenntnisse und Meinungen zusammengeführt und für ein breites Publikum aufbereitet werden, wo die Wissenschaft ihren Elfenbeinturm verlässt und politische Sonntagsreden verblassen. Die Institution Museum ist weltumspannend präsent – vom Nahen Osten bis nach Südamerika, von Europa bis nach China. Auch wenn sie mitunter für politische Repräsentationszwecke instrumentalisiert wird – sie bleibt der Ort, an dem den Menschen bewusst wird, wie viel man aus der Geschichte lernen kann. Museen sind Orte der Begegnung, ihre Konzentration auf einige wenige Standorte würde ihren Wirkungsgrad als Institution deutlich verringern. Weder der Bürgergesellschaft noch den politisch Verantwortlichen kann daran gelegen sein.

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Hartmut John/Anja Dauschek (Hg.) Museen neu denken

Literatur Ehling, Manfred: Zeit für Freizeit und kulturelle Aktivitäten, in: Jahrbuch für Kulturpolitik 2005, Bd. 5, S. 87-97. Eissenhauer, Michael im 4. Potsdamer Gespräch 2005 zur »Situation der Museen in Deutschland«. Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft: Kulturorte als Lernorte interkultureller Kompetenz, Bericht zum Stand der Arbeiten auf der Grundlage der Befragung der kommunalen Kulturämter (Mai 2005). Langenstein, York: Qualitätsstandards und Qualitätssicherung in einer heterogenen Museumslandschaft, in: museumskunde, Bd. 69, 2/2004, S. 14ff. Materialien des Instituts für Museumskunde, Heft 58, Statistische Gesamterhebungen 2003. Schäfer, Hermann: Der Besucher, die große Unbekannte, in: Jahrbuch für Kulturpolitik 2005, Bd. 5, S. 393ff. Schäfer, Hermann: Konzepte der Besucher- und Nutzerorientierung, Vortrag auf dem 3. Kulturpolitischen Bundeskongress, Berlin, 23.-24.6.2005. Sievers, Norbert: Zwischen Angebot und Nachfrage. Das Janusgesicht der Kulturpolitik, in: passagen, Pro Helvetia Kulturmagazin, Heft 40, 2005/6, S. 2-7. Zangs, Christiane: Qualitätsgeleitete Bildungsarbeit – Utopie oder Notwendigkeit auch an kleineren und mittleren Museen, in: Museumskunde, Bd. 69, 2/2004, S. 30.

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Bernd Meyer ➔ Wie können die Museen eine Rolle im Wandel spielen?



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Wie können die Museen eine aktive Rolle im gesellschaftlichen Wandel spielen?

Bernd Meyer Da ich kein ausgewiesener Museumsfachmann bin, steht es mir nicht zu, der Zunft der Museumsmanager wohlfeile Ratschläge zu geben und etwas zu erzählen, was sie selbst viel besser wissen oder schon hundert Mal diskutiert haben. Ich kann auch keine Handreichung oder ›Check-Liste‹ bieten. Ich will vielmehr versuchen, mich dem Thema – von gesellschaftspolitischen Problemen ausgehend – etwas allgemeiner zu nähern. Auch wenn das nach Klischees oder Schlagworten klingt: Ein erheblicher Teil unserer heutigen Probleme hängt mit der Globalisierung zusammen. So wird immer von einer Krise der Museen gesprochen und damit in erster Linie deren Finanzkrise gemeint, die wiederum der Krise der öffentlichen Haushalte geschuldet ist. Aber schon das Wort »Krise« ist in diesem Zusammenhang problematisch. Eine Krise ist etwas Vorübergehendes, das man überwinden kann und muss. Bei den Haushalten der Kommunen, die in Deutschland häufig Träger vor allem mittelgroßer Museen sind, wird es aber nie wieder so sein, wie es einmal war. Politiker aller staatlichen Ebenen suggerieren – obwohl sie es besser wissen – der Öffentlichkeit und ihren Wählern unverdrossen, sie hätten die Macht und die Möglichkeiten, durch Reformen Einfluss auf die Entscheidungen von Wirtschaft und Kapital zu nehmen. In Wirklichkeit versuchen sie nur, wenigstens einen Teil des in der Tat wohl in der Welt einmaligen deutschen Modells einer sozialen Marktwirtschaft zu retten. Noch tiefer geht das Problem, dass sich die deutsche Nachkriegsdemokratie viel stärker als in anderen Ländern mit einer wohlfahrtsstaatlichen Politik (zu der in den Augen vieler Kulturbeweger auch die Kultur gehört, man spricht bei uns häufig von Kulturversorgung, von Kultur als Daseinsvorsorge, was ja durchaus etwas mit Fürsorge zu tun hat) verbunden hat, die – nicht erst seit heute – nicht mehr finanzierbar ist. Schon in den 60er Jahren haben besonnene Politiker im Bund, aber auch in den Städten, warnend darauf hingewiesen, dass dieser Weg auf Gedeih und Verderb mit einer Vollbeschäftigung verbunden sei. Diese wird es aber nie mehr geben. Wer auf den Segen konjunktureller Erholung hofft, um sich wieder nach alten und scheinbar bewährten Mustern zu finanzieren, steht auf verlorenem Posten. Eine Entwicklung dürfte aus heutiger Sicht unumkehrbar sein: die wachsende Dominanz des Marktes gegenüber der öffentlichen (Leistungs-)Politik und der Umbau des Systems öffentlicher Dienstleistungen. Vor allem vor dem Hintergrund einer dauerhaften Finanzschwäche der Kommunen wird es immer schwieriger, einen Konsens über Notwendigkeit und Umfang öffentlicher Kulturaufgaben herzustellen. Sich auf gute Argumente und die Politik zu verlassen, ist nicht ausreichend. Notwendig ist ein öffentlicher Diskurs mit den

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interessierten Bürgerinnen und Bürgern und deren Interesse an einer Partizipation am kulturellen Geschehen in der Stadt. Kürzlich habe ich an den »Ludwigshafener Gesprächen« teilgenommen, bei denen Professor Benjamin Barber von der University of Maryland, USA, Berater von Bill Clinton, über »Die Bedeutung von Demokratie für die Gestaltung der Globalisierung« gesprochen hat.1 Für Barber – ich fand schon sehr bemerkenswert, dass ein Amerikaner zu diesem Ergebnis kommt – ist die eigentliche Gefahr des globalen Wirtschaftsliberalismus der Angriff auf die Demokratien in der Welt, auf die »res publica«, in der über die Belange der Menschen nach dem Gemeinwohl und den demokratischen Regeln des Ausgleichs entschieden wird – und nicht nach den Gesetzen des Marktes, der bekanntlich keine Moral kennt, und des Kapitals, das keine Heimat hat. Dagegen müssen wir Widerstand leisten. Was heißt das für die Museen? Es bedeutet, dass Museen darauf bestehen müssen, Teil der »res publica« zu sein und zu bleiben. Was nicht zu der Haltung führen darf, sie seien eine ausschließlich aus öffentlichen Mitteln zu finanzierende ›hoheitliche Aufgabe‹! Das heißt nicht, dass wir uns nicht auch als Dienstleister verstehen, dass wir nicht sinnvolle Rechts- und Organisationsformen nutzen, um uns mehr Freiheit zu verschaffen, dass wir nicht private Ressourcen, sei es als materielle oder finanzielle Stiftungen oder persönliches freiwilliges Engagement, nutzen. Aber Museen müssen Teil der »res publica« bleiben (auch wenn es zahlreiche rein private Museen gibt und geben soll). Und auch Stifter müssen sich als Teil dieser »res publica« begreifen und danach handeln. »Res publica« bedeutet mehr als nur Gegenstand von Parteipolitik zu sein, es bedeutet eine öffentliche Angelegenheit zu sein, an deren öffentlicher Diskussion viele teilhaben und teilnehmen: Partizipation, so der Berliner Stadtsoziologe Hartmut Häußermann, ist Bestandteil eines zeitgemäßen Begriffs von Urbanität. Aber es bedeutet natürlich auch, weiterhin Gegenstand von Beratungen und Entscheidungen in den Gremien der repräsentativen Demokratie zu sein und zu bleiben! Kultur und Museen dürfen nicht von der politischen Agenda der Räte und Stadtverordnetenversammlungen verschwinden, nur weil sie in die Rechtsform eines Eigenbetriebs oder einer Stiftung überführt wurden. Nicht heraus aus der Politik, sondern hinein in die Politik – das muss die Devise sein – mit den ›richtigen‹ Argumenten und gewichtigen Verbündeten (denn, das habe ich eingangs gesagt: Allein auf die Politik können wir uns nicht verlassen). 1 Von Barber stammt das ausgezeichnete, 2003 erschienene Buch »Imperium der Angst. Die USA und die Neuordnung der Welt« (München).

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Das ist aber auch ein Problem: Eine Schwäche kulturpolitischer Legitimationsstrategien ist die Tatsache, dass Kultureinrichtungen von deren Akteuren oder von Kulturpolitikern oft pauschal gesellschaftliche Leistungen zugeschrieben werden, die sie entweder nicht erbringen können oder die nur sehr schwer nachweisbar sind. So verschleißen sich mit der Zeit die Argumente – bis zur allgemein beklagten politischen Wirkungslosigkeit. Deshalb verlangt die Auseinandersetzung mit dem gestellten Thema mehr Nüchternheit in der Einschätzung realer Möglichkeiten der Museen, als sie in manchen Fachpapieren zu finden sind. Unbestritten ist jedoch, dass die Museen in einem gesellschaftlichen Kontext stehen, zu dem sie sich verhalten müssen, und dass sie nicht nur reagieren dürfen, sondern agieren müssen, um ihren öffentlichen Stellenwert (public standing) zu behaupten oder zu verbessern. Und damit müssen sie sich auf gesellschaftliche Veränderungen einstellen. Was heißt eigentlich »gesellschaftlicher Wandel«? In der Öffentlichkeit, den Medien und der Politik ist dieser Begriff mit Schlagworten und Klischees verbunden, die oft wenig hinterfragt werden: Die Rede ist von einer nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch kulturellen Globalisierung und der realen und virtuellen Entgrenzung von Lebensräumen und -zusammenhängen, der gleichzeitigen Herausbildung globaler und lokaler Identitäten, von gesellschaftlicher Ausdifferenzierung durch Pluralität und Heterogenität, Segregation und Entsolidarisierung, demografischem Wandel, Werteverfall, Migration und kultureller wie ethnischer Vielfalt. Bevor man die Möglichkeiten einer Positionierung von Museen unterschiedlicher Kategorien in der heutigen Gesellschaft zu beschreiben versucht, wäre es notwendig, dieses Konglomerat aus dem Blickwinkel der Kultur kritisch zu sortieren und auch von Klischees zu befreien. Das kann ich natürlich hier nicht leisten. Ich muss mich auf einige wenige Aspekte beschränken, die meiner Meinung nach für die Museen von Bedeutung sein könnten. Ich will das in Form einiger Stichworte versuchen. Zunächst: Die Voraussetzungen sind sehr unterschiedlich, je nachdem, welcher Museumstyp gemeint ist: das Museum zeitgenössischer Kunst, das kulturhistorische Museum, das Technikmuseum, das naturwissenschaftliche Museum etc. Vor allen Verallgemeinerungen steht die Notwendigkeit zu sagen, wovon jeweils die Rede ist. Stichwort »Kultur als Standortfaktor« Klingt inzwischen abgedroschen und gilt als wirkungslos. Aber: Die zunehmende Konkurrenz bzw. der wachsende weltweite Wettbewerb betrifft nicht nur Unternehmen bzw. den Wirtschaftssektor. Auch Städte und Regionen stehen vermehrt im Wettbewerb untereinander, nicht nur um die Ansiedelung von Wirtschaftsunternehmen, sondern in der Zukunft um ihre wichtigste Res-

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source: den Standortfaktor »Mensch«. Man denke an die jüngste Debatte über die Gleichheit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik, die in meinen Augen eine unehrliche Debatte war. Es wird in Deutschland Regionen geben, in welche die Menschen ziehen, in denen sich die Wirtschaft konzentriert – und auch die Förderung. Im Grunde gab es das schon immer, aber jetzt wird dieser Prozess dramatisch – nicht nur in Ostdeutschland. Es gibt Städte, in denen der ICE hält, und andere, an denen sogar die Regionalzüge vorbeifahren. Die angesichts demografischer Entwicklungen unausweichlichen Prozesse schrumpfender Städte, in denen es Sieger und Verlierer geben wird, rücken die Attraktivität und Lebensqualität der Städte als lange Zeit von der Kulturlobby überstrapazierte Standortfaktoren wieder stärker in den Vordergrund. Ich denke, dass hier nach wie vor für die Museen Chancen liegen. Das Gleiche gilt aber auch für Städte und Regionen, die auf andere Potenziale setzen müssen, um Menschen ›zu halten‹. Museen können Bestandteil ganz unterschiedlicher Lebensentwürfe sein. Das darf man aber nicht nur als kulturpolitisches Legitimationsargument benutzen. Man muss es in praktische Arbeit und konkrete Projekte umsetzen: im großen überregionalen Museum durch eine zeitgemäße Präsentation (was ist das?) oder Weiterentwicklung (ich denke z.B. an die Science Center), die Aufsehen erregt, oder überregional beachtete Ausstellungen (wahrlich kein neuer Gedanke!); im kleineren Museum in der sogenannten »Provinz« (schon wieder so ein Begriff, über den sich stundenlang streiten ließe) durch interdisziplinäre Mitwirkung an Projekten (oder auch deren Initiierung), die zu einer Neubewertung von Lebensräumen führen können. Vor wenigen Jahren habe ich mich etwas mit dem sogenannten »Goldberg-Projekt« befasst, ein vom Institut für Geschichte der TU Berlin unter Leitung von Prof. Reif entwickeltes Projekt. Es handelt sich hierbei um eine Kleinstadt am gleichnamigen See in Mecklenburg-Vorpommern – einer von Entvölkerung akut bedrohten Region. Extreme Arbeitslosigkeit ist hier das Hauptproblem, ohne Existenzsicherung durch Arbeit gibt es keine Alternativen. Und wer als Jugendlicher keine Lehrstelle finden kann, muss ganz einfach seinen Heimatort verlassen. Aber es bleibt natürlich die Frage, wie hoch diese Existenzsicherung sein muss, wie hoch der sogenannte Lebensstandard sein muss, wie der Einzelne also »Lebensqualität« definiert. Menschen in einer Region über eine Neubewertung des Umfeldes trotz geringerer Fortkommenschancen zu halten, neue, auch kulturelle Initiativen zu unterstützen, die durchaus auch Existenzen begründen können, wofür es in den ländlichen Gebieten der neuen Länder zahlreiche Beispiele gibt – das ist auch eine Herausforderung für die Museumskultur. Im »Goldberg-Projekt« steht sie jedenfalls an zentraler Stelle.

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Stichwort »Wertewandel bzw. Werteverfall« Es gibt ein Phänomen: Unsere säkularisierte Welt wird von Menschen bevölkert, die auf der einen Seite die Vielfältigkeit der Lebensformen, philosophischen Theorien, Werthaltungen und religiösen Überzeugungen bejahen. Dem damit verbundenen, auch persönlichen Freiheitszugewinn wird als angemessenem Zustand der bürgerlichen Gesellschaft durchaus zugestimmt. Auf der theoretischen Ebene hat es der moderne Mensch gelernt, die »Einheit der Vernunft in der Vielfalt ihrer Stimmen« zu erkennen.2 In der konkreten Lebenswelt sieht die Sache freilich anders aus: Der Einzelne ist mit der Vielzahl der unterschiedlichen Werthaltungen und Welterklärungsmuster, die alle in sich stimmig erscheinen, überfordert. Gerade diese Bestimmtheit, mit der die einzelnen Sichtweisen auftreten, führt zur Verunsicherung hinsichtlich des eigenen Standpunktes. Die Welt und ihre Kategorien ›verschwimmen‹. Die Reaktion: ›Ich versteh’ die Welt nicht mehr‹, führt zur Abwehrhaltung, zur Dogmatisierung, zur Forderung nach einer Wertediskussion. Die Feststellung eines Wertewandels bzw. die Behauptung eines Werteverfalls wirft die Grundsatzfrage auf, ob es überhaupt der öffentliche Auftrag von Kultur sein kann oder darf, Werte zu vermitteln. »Eine Kultur«, so Thomas E. Schmidt in der ZEIT am 31.10.2001, »die sich an verbindlichen Werten ausrichten müsste, kann in der Tat bei Bedarf staatlich mobilisiert werden. […] Diese Werte des Westens, die seiner Kultur angeblich ein so unverwechselbares Profil verleihen und sie in der Auseinandersetzung mit konkurrierenden Kulturen und mit der hervorkriechenden Dekadenz stärken, diese Werte sind das am allerwenigsten Verlässliche. Werte bezeichnen keinen der Debatte entzogenen Grund, sondern sind diskursive Phänomene, die im Streit der Meinungen nur immer wieder in die Position von Beurteilungsmaßstäben der kulturellen Wirklichkeit rücken – und von daher revisionsfähig und -bedürftig sind wie jede Art von öffentlich vorgetragener Ansicht.«

Auch darüber lässt sich stundenlang streiten. Aber dass Museen nicht mehr Orte sein können, in denen Werte (nehmen wir das »christliche Abendland«, nach Iso Camartin ein »kontinuierliches Wechselbad von zivilisatorischer Bemühung und Rückfall in die Barbarei«) ohne Hinterfragung tradiert werden, scheint mir ein wichtiger Aspekt unseres Themas zu sein. Museen müssen zu Orten werden, in denen Wertvorstellungen nicht nur vorgestellt, sondern zur Diskussion gestellt werden. 2 So der Titel eines Vortrags von Jürgen Habermas 1987 auf dem 14. Deutschen Kongress für Philosophie in Gießen.

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Umstritten ist ja schon die Frage, ob und inwieweit wir es überhaupt mit einem Wertewandel zu tun haben. Ulrich Beck sieht jedenfalls positiv in der jüngeren Generation eher »Kinder der Freiheit«3, die konsequent die gesellschaftliche Entwicklung der Selbstautorisierung des Individuums vorantreiben. Horst W. Opaschowski hingegen konstatiert bereits wieder den Übergang »vom Zeitalter der Individualisierung zum Zeitalter des gemeinsamen Lebens«. Andererseits beschwört Richard Sennet in seinem 1998 erschienenen Buch »The Corrosion of Character« (deutsch: »Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus«) die Gefahr, dass die neuen Formen globalisierter Wirtschaft »jene Charaktereigenschaften [bedrohen], die Menschen aneinander binden und dem Einzelnen ein stabiles Selbstgefühl vermitteln«,4 d.h. die soziale Kompetenz der Menschen. Für Sennet führt das »ungeduldige Kapital«, der Wunsch nach rascher Rendite, zu einem »Regime der kurzfristigen Zeit«, begleitet von einem Wandel der modernen Unternehmensstrukturen.5 Wie kann der Einzelne, wie kann eine Gesellschaft langfristige Ziele verfolgen, so fragt Sennet, »wenn man in einer ganz auf das Kurzfristige ausgerichteten Ökonomie lebt? Wie können Loyalitäten und Verpflichtungen in Institutionen aufrecht erhalten werden, die ständig zerbrechen oder immer wieder umstrukturiert werden? Wie bestimmen wir, was in uns von bleibendem Wert ist, wenn wir in einer ungeduldigen Gesellschaft leben, die sich nur auf den unmittelbaren Moment konzentriert?«6

Wie passen überhaupt noch langfristige Tugenden wie Verlässlichkeit oder Loyalität, wenn die Grunderfahrung der flexiblen Gesellschaft ist: »bleib in Bewegung, geh keine Bindungen ein und bring keine Opfer«?7 Wenn das so ist, und ich sehe dafür durchaus Anzeichen bei persönlichen Beobachtungen, dann verändert offensichtlich die moderne globalisierte Wirtschaft die Menschen als Wesen mit sozialer Kompetenz. Das muss Auswirkungen auf die städtische Gemeinschaft haben. Und dagegen müssen wir etwas tun. Menschen in den verschiedensten Lebenslagen und ganz unterschiedlichen Alters sind mit Fragen konfrontiert wie:

3 Ulrich Beck: Kinder der Freiheit, Frankfurt a.M. 1997. 4 Richard Sennett: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin 1998, S. 31. 5 Ebd., S. 26. 6 Ebd., S. 12. 7 Ebd., S. 29.

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• Was muss ich können? • Was wird von mir verlangt, nicht nur im Beruf, auch in der Familie und in meinem sozialen Umfeld? • Wie kann ich wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenhänge besser verstehen? Welche Konsequenzen muss ich daraus für mich persönlich ziehen? • Wie kann ich persönliche Autonomie gewinnen und bewahren? Das ist eine enorme Herausforderung für die Kommunalpolitik, vor allem für eine Bildungspolitik des lebenslangen Lernens, wie sie schon 1995 die Denkschrift »Zukunft der Bildung, Schule der Zukunft« der Bildungskommission NRW formuliert hat, nämlich auf relevante Lebenserfahrungen und Lebensprobleme bezogene Lernprozesse zu ermöglichen, anzuregen und zu unterstützen, eine »reflektierte Selbststeuerung« von Bildungs- und Lernprozessen zu fördern, die sich auf alle Situationen erstrecken, »in denen wir Wirklichkeit erfahren, erkennen und gestalten«: »persönliche Identität und soziale Bindung; Tradition und Weltbilder; Natur, gestaltender Umgang mit ihr und Ökologie; Sprachen und Kommunikation; Wirtschaft, Arbeit und Beruf; Demokratie und Partizipation«.8 Ziel nicht nur staatlicher, sondern auch der kommunalen, mit allen bildungsrelevanten Institutionen verantworteten, Bildungspolitik wäre somit eine umfassende ›Befähigung‹ der Menschen. Ich glaube, die Angelsachsen verwenden dafür das eindrucksvolle Wort »Empowerment«. Ich denke, dass sich hier für viele Museen Anknüpfungsmöglichkeiten bieten, sich noch mehr und gezielter an diesen Bildungsprozessen zu beteiligen – wenn man bereit ist, für diese Aufgaben Prioritäten zu setzen. Museen als Orte der Bildung Museen sind Orte der Bildung – in einem viel weiteren Sinn als nur der Vermittlung von Sammlungsbeständen durch Museumspädagogik. Es mag ja richtig sein, dass Information und Wissen im Überfluss vorhanden sind. Was aber zunehmend fehlt, sind Ordnungssysteme mit Bezug zum individuellen Leben. Entscheidend scheint mir zu sein, bei den Versuchen, mit neuen Ordnungssystemen neuen Rezeptionsgewohnheiten Rechnung zu tragen, die wachsende Fragmentierung von Wissen und Erfahrung nicht auch noch in die Museen hinein zu verlängern, sondern neue Synthesen zu suchen. Sehr wichtig finde ich, was Gail Lord in Bezug auf die Zwei- und Dreidi8 Bildungskommission NRW: Zukunft der Bildung, Schule der Zukunft, Düsseldorf 1995.

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mensionalität unserer Wahrnehmung sagt.9 Der zunehmend zweidimensionalen Wahrnehmung der Wirklichkeit kann und muss das Museum, bei aller Nutzung moderner, interaktiver Medien, die Aura des dreidimensionalen Originals entgegenhalten. Das ist ähnlich wie beim Theater, das letztlich nur von der unmittelbaren Begegnung mit dem Lebendigen lebt und diese immer den Medien voraus haben wird – als bewusstes Gegenbild zur Medienrealität, das nicht in deren Nachahmung eine Zukunft hat. Übrigens beschäftigt sich Sennet in seinem Buch »Der flexible Mensch« auch mit der Rolle der Zeit für die Menschen: »Der Pfeil der Zeit ist zerbrochen; er hat keine Flugbahn mehr in einer sich ständig umstrukturierenden, routinelosen, kurzfristigen Ökonomie.« Die Menschen sind nicht mehr Herr ihrer Zeit. Globalisierung, so Robert Levine in »A Geography of Time« (»Eine Landkarte der Zeit. Wie Kulturen mit der Zeit umgehen«), bedeutet Kolonisierung der Zeit, Unfreiheit.10 Indem wir lernen, bewusst in unterschiedlichen Geschwindigkeiten zu leben, gewinnen wir Freiheit. Kann die Kultur, können Museen »Gegenwelten« zur Unruhe unserer Zeit sein, der »Desorganisation der Zeit«, die nach Sennet der Grund für die heutige »entwürdigende Oberflächlichkeit« ist? Das greift tief in Fragen der Museumskonzeption und -organisation, in die Gratwanderung zwischen Aktionismus und Überausstattung mit interaktiven Medien und Orten der Stille und Konzentration, ja der Meditation, die etwas mit Wiedergewinnung der Herrschaft über die eigene Zeit zu tun hat. So wie Levine uns rät, mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten zu leben, kann auch ein Museum ein Ort mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten sein. Deshalb bin ich auch kein Gegner von Ereigniskultur. Vergessen wir schließlich nicht, dass die Kunst auf Wahrnehmung angewiesen ist, zumindest wenn sie öffentliche Finanzierung beanspruchen will. Und diese Wahrnehmung hat sich unter dem Eindruck der Medien, einer wachsenden Freizeitindustrie und einer immer lauter und ästhetisch gestylter auftretenden Konsumwelt verändert. Gerhard Schulze hat das überzeugend beschrieben: Appelle an den Verbraucher betonen inzwischen immer stärker den Erlebniswert der Angebote. »Das Leben schlechthin ist zum Erlebnisprojekt geworden. Zunehmend ist das alltägliche Wählen zwischen Möglichkeiten durch den bloßen Erlebniswert der gewählten Alternative motiviert.«11 1850 schrieb Friedrich Schleiermacher: »Das Heraustreten des Festlichen kann nur geschehen durch die Kunst.« Will sagen: Erst die Kunst adelt das Ereignis. Muss 9 Vgl. den Beitrag von Gail Lord in diesem Band. 10 Robert Levine: Eine Landkarte der Zeit. Wie Kulturen mit der Zeit umgehen, München 1999. 11 Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt a.M./New York 2000, S. 13.

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man diesen Satz heute genau umdrehen: ›Das Heraustreten (die Wahrnehmung) der Kunst kann nur geschehen durch das Festliche (das Ereignis)‹? Wie auch immer: Heute ist das Ereignis geradezu überlebenswichtig für die Kunst wie für die ganze Breite der städtischen Kultureinrichtungen: im Kampf um das Wahrgenommenwerden durch ein Publikum, durch die Medien und – in Abhängigkeit davon – durch die Politik, die über die Zuteilung von Ressourcen zu befinden hat, und ihrerseits, wie es Schulze beschrieben hat, sich der »arbeitsmarktpolitischen Bedeutung öffentlicher Erlebnisproduktion«12 bewusst ist. Stichworte »Pluralität, Heterogenität, Integration« Wenn, wie zu erwarten ist, Multi-Ethnizität in der Zukunft noch stärker ein bestimmendes Charakteristikum von Stadtgesellschaft sein wird, bedeutet dies eine enorme Herausforderung für alle öffentlichen Einrichtungen. Wie wir kürzlich wieder in den Niederlanden erfahren haben, ist die Balance von Segregation und Integration zu einem zentralen Thema moderner Stadtgesellschaften geworden, nicht nur (es gibt überall auch wachsende Konflikte zwischen den Generationen), aber zur Zeit besonders aktuell und kritisch zwischen der (keineswegs homogenen) Mehrheitsgesellschaft und den (ebenso wenig in sich geschlossenen) Minderheiten. Es gibt keine konfliktfreien Gesellschaften, schon gar nicht in den Städten. Julian Nida-Rümelin, unserer früherer Kulturstaatsminister, hatte zweifellos recht mit seiner Feststellung: »Die Koexistenz unterschiedlicher Kulturen muss nicht konfliktfrei sein.« Die Herausforderung an die Politik in einer pluralen, demokratischen und offenen Gesellschaft besteht nicht nur darin, wie sie Koexistenz organisiert, sondern auch darin, wie sie Differenz organisiert. Das Leitmotto könnte lauten: Verbindendes suchen und Trennendes zulassen. Integration und Segregation: Beides gehört zur Realität städtischer Gesellschaften. Hartmut Häußermann und Walter Siebel haben das immer wieder offensiv dargestellt: »Der Prototyp des Städters ist der Fremde. Stadt lässt sich definieren als Ort des Zusammenlebens von Fremden. Physische Nähe bei sozialer Distanz als Charakteristikum der Stadt bedingt die kulturelle Produktivität der Stadt, aber auch ihre Konfliktträchtigkeit. Wie die Konflikte der modernen Großstadt gebändigt werden können, ohne ihre Urbanität zu beschädigen, ist eine der Grundfragen von Stadttheorie und Stadtpolitik.«13

12 Schulze, Erlebnisgesellschaft, a.a.O., S. 500. 13 Hartmut Häußermann/Walter Siebel: Integration und Segregation – Überlegun-

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Zusammen mit Städten wie Toronto, Amsterdam, Stockholm und britischen Städten begegnet Wien seit 2002 dieser Entwicklung mit ihrer sogenannten »Diversitätspolitik«. Diversitätsorientierte Städte sehen Zuwanderer nicht mehr primär als eine Zielgruppe von sozialpolitischen Maßnahmen, sondern in der ethnischen Vielfalt eine kulturelle und wirtschaftliche Ressource, eine Quelle von Wirtschaftswachstum, Wissenstransfer, Innovationsbereitschaft und Kreativität. Deshalb setzt eine Stadt wie Stuttgart mit ihren zahlreichen global agierenden Wirtschaftsunternehmen ganz bewusst auf die Inter- und Multinationalität ihrer Bevölkerung, deren Ausbildung, Qualifizierung und Bildung ein wichtiges Ziel von Stadtpolitik ist. Die Stadt Wien konfrontiert als Ausgangspunkt notwendiger Veränderungen Politik und Verwaltung mit einem Katalog von Fragen, die sich auch bei uns die Museen stellen sollten: • Ist die Vielfalt der Stadt Teil unseres Selbstverständnisses? • Kommunizieren wir ausreichend, dass die Stadt und ihre Einrichtungen für die Gesamtheit der Einwohnerschaft da sind und deren Diversität bejahen? • Wie weit entspricht unser Angebot noch den Bedürfnissen aller Bürger? • Sind wir als Anbieter von Diensten für alle gleich zugänglich? • Haben wir einen Mitarbeiterstab, der mit allen Kunden gleichermaßen kommunizieren kann? • Können sich alle Mitarbeiter in die Lage und die Probleme der Klienten hineindenken? • Ist das Personal der Gemeinde repräsentativ für die Gemeinde? • Machen wir deutlich genug, dass Diskriminierungen auf Grund von Herkunft und Sprache immer und unter allen Umständen inakzeptabel sind? • Signalisieren wir den neuen Bürgern, dass uns ihre Meinung wichtig ist? • Ermöglichen wir ihre Mitsprache? • Geben wir Zuwanderern die Gelegenheit, sich überall dort zu artikulieren und mitzuarbeiten, wo sie von den Maßnahmen vielleicht anders betroffen sind, als wir es annehmen würden? • Was muss getan werden, damit in einer durch Migration stark veränderten Stadt die Verwaltung und die lokale Politik selbst den Bedürfnissen einer kulturell vielfältigen Bürgerschaft weiterhin entsprechen? Zugegeben, vieles trifft auf den ersten Blick auf die Museen nicht zu. Aber bei genauerem Hinsehen ist manches durchaus relevant. Letztlich geht es um die Herausforderung, sich als Kultureinrichtung nicht nur von eigenen Ideen leiten zu lassen, sondern sich intensiv mit der jeweiligen zu einer alten Debatte, in: Deutsche Zeitschrift für Kommunalwissenschaften 2001/1, S. 68-79, S. 3.

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gen Stadtgesellschaft auseinanderzusetzen. Die Marktanalyse ist Ausgangspunkt jeder Marketingstrategie. Was weder bedeutet, sich jedem Massengeschmack anzupassen, noch, Kultur für alles und jeden zu betreiben. Es bedeutet, wach zu sein für jede Form gesellschaftlicher Veränderungen und sich die Frage zu stellen, ob und in welcher Form reagiert werden soll. Ich verwende manchmal das Bild von den Museen als Inseln im Strom der Zeit – aber nicht als isolierte Orte, sondern mit wachen Antennen nach draußen. Literatur Barber, Benjamin: Imperium der Angst. Die USA und die Neuordnung der Welt, München 2003. Beck, Ulrich: Kinder der Freiheit, Frankfurt a.M. 1997. Bildungskommission NRW: Zukunft der Bildung, Schule der Zukunft, Düsseldorf 1995. Häußermann, Hartmut/Siebel, Walter: Integration und Segregation – Überlegungen zu einer alten Debatte, in: Deutsche Zeitschrift für Kommunalwissenschaften 2001/1, S. 68-79. Levine, Robert: Eine Landkarte der Zeit. Wie Kulturen mit der Zeit umgehen, München 1999. Schulze, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt a.M./New York 2000, S. 13. Sennett, Richard: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin 1998.

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Museum à la carte oder: Besucher neu denken!

Roger Münch Stellen Sie sich vor, Sie gehen mit Ihrer Familie zum Essen. Im Restaurant angekommen, führt Sie der Kellner an einen langen Tisch, der auf Ihrer Seite mit weißer Tischdecke, Kristallgläsern und feinem Tafelsilber eingedeckt ist, auf der anderen Seite jedoch sitzen Ihre Kinder an einer abwaschbaren Tischplatte mit kleinen Plastikgäbelchen. Sie entscheiden sich für das achtgängige Menü, die Kinder futtern Chickenbällchen mit Pommes; Ihre Schwiegereltern haben sich für Sauerbraten mit Klößen entschieden. Aus dem Hintergrund klingt dezent Klaviermusik, die ab und zu vom Heulen und Geknatter aus der Videospielecke übertönt wird. Jeder Gastronom würde bei diesem Szenario nur den Kopf schütteln. Aber von den Museumsleuten und Ausstellungsmachern wird genau das erwartet. Doch der Reihe nach … Gerne komme ich dem Wunsch der Herausgeber nach, für das Kapitel »Museen im gesellschaftlichen Wandel« über unsere Erfahrungen im Deutschen Zeitungsmuseum zu berichten. Wir haben interessante Präsentationsund Vermittlungsformen ausprobiert, bieten Angebote zum erlebnisorientierten Lernen, erweitern ständig unsere museumspädagogischen Programme und lassen uns von den Ideen des »Public Understanding of Science and Humanities« (PUSH) inspirieren. Ganz im Sinne von Kenneth Hudson, dem Gründer des European Museum Forum, steht auch für uns die »Public Quality«, die öffentliche Wirksamkeit eines Museums, im Vordergrund. In diesem Beitrag möchte ich mich jedoch auf unsere Erfahrungen mit den unterschiedlichen Besuchergruppen konzentrieren und in Anlehnung des Titels der vorliegenden Publikation die These aufstellen: ›Besucher anders denken!‹ In den ersten Jahren seit der Eröffnung 2004 haben wir unsere Besucher genau beobachtet sowie intensiv befragt und konnten dadurch unsere bestehende Besuchertypologie korrigieren und erweitern. Selbst wenn wir hier vielleicht Eulen nach Athen tragen, konnte ich mit unserer Terminologie noch manchen alten Museumshasen zum Schmunzeln bringen. In diesem Sinne sind die folgenden Ausführungen auch eher als Anregungen zum Nachund Weiterdenken gedacht. Die Besucher sind unsere Kunden Auch wenn es trivial klingt: Die Besucher bezahlen uns. Nicht mit den Eintrittsgeldern, das wissen wir alle, sondern mit ihren Steuern. Die Museen gehören deshalb den Menschen. Die Kollegen im schweizerischen Kanton Wallis haben diese simple Erkenntnis mit einem französischen Wortspiel auf den Punkt gebracht: »Les musées sont à vous, A Musées Vous!«

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Abbildung 1: Plakat aus dem Wallis

Die Besucher haben das Recht, sich zu amüsieren, aber auch zu überprüfen, ob und wie ihre Steuergelder im Kulturbereich eingesetzt werden. Und das ist gut so! Zwar müssen wir Museumsleute unsere internen Strukturen beachten und bedienen, doch für mich hat die Befriedigung des Besuchers höchste Priorität. Unser Haus ist eines von mehreren Museen, das unter dem organisatorischen Dach der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz geführt wird. Als Stiftung des öffentlichen Rechts werden wir zum größten Teil aus Landesmitteln alimentiert. Hinzu kommen die obligatorischen Drittmittel und die Unterstützung durch Sponsoren. Über die Stiftung wacht ein Kuratorium, das wiederum von einem Beirat bei der Arbeit unterstützt wird. Für den Aufbau und die Weiterentwicklung des Deutschen Zeitungsmuseums hat man darüber hinaus einen eigenen Beirat berufen, der mit Vertretern aus den Bereichen Zeitung, Wissenschaft und Museen kompetent besetzt wurde. Alle Mitglieder dieser

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Gremien sind dann mit unserer Arbeit zufrieden, wenn wir Erfolg haben. Der Erfolg von Zeitungen und Zeitschriften wird an der verkauften Auflage gemessen, der Erfolg von Radio- und Fernsehsendungen an der Einschaltquote; bei Filmpremieren entscheiden die Einspielergebnisse über Top oder Flop. Bei Museen sind dies die Besucherzahlen. Viele Besucher sind also gleichzusetzen mit Erfolg, der uns wiederum finanzielle Spielräume verschafft, um unsere Aufgaben noch besser, noch interessanter zu erledigen. Aber wie können wir den unterschiedlichen Besuchergruppen gerecht werden? Was erwarten die Besucher heute vom Museum? Wie viel Zeit bringen sie mit? Womit können wir junge Menschen begeistern, Familien unterhalten, die ältere Generation überzeugen? Wie erreichen wir neue Besuchergruppen? Müssen Museen langweilig sein? So lautete die provozierende Frage von Petra Schuck-Wersig und Gernot Wersig, die sich 1986 gemeinsam Gedanken hierzu gemacht haben.1 Nein, lautete unsere Antwort – und wir engagierten die Autorin, das Team des Deutschen Zeitungsmuseums bei der Aufbauarbeit zu unterstützen. Nach mehr als zwei Jahren können wir nun Bilanz ziehen und unsere ursprüngliche Konzeption auf den Prüfstand stellen. Wie war die Ausgangslage? Im saarländischen Wadgassen, zwischen Völklingen und Saarlouis gelegen, sollte in der ehemaligen Prämonstratenserabtei ab 1997 die Aufbauarbeit für das Zentrum für Druck- und Buchkultur mit dem Deutschen Zeitungsmuseum beginnen. Während einer Neuorientierungsphase der saarländischen Museumslandschaft (1999-2003) hatten wir erstmals in Wadgassen die Möglichkeit, im Rahmen der Planung des Hauses für Technik und Kommunikation, Erfahrungen mit Ausstellungen und Besucherwünschen zu sammeln. Die wechselvolle Vorgeschichte bis zur offiziellen Eröffnung des Deutschen Zeitungsmuseums im Mai 2004 möchte ich mir hier jedoch ersparen und verweise die geneigten Leser auf meine Zusammenfassung.2 In unserer Dauerausstellung präsentieren wir auf zwei Etagen mit rund 500 Quadratmetern Fläche eine Reise durch die Welt der Zeitung, von Gutenbergs Erfindung bis zu den neuesten Entwicklungen im Medien- und Kommunikationsbereich. Beim Rundgang durch die Geschichte werden in sogenann1 Petra Schuck-Wersig/Gernot Wersig: Die Lust am Schauen oder müssen Museen langweilig sein? Berlin 1986. 2 Roger Münch: Desertum florebit quasi lilium. Ein historischer Streifzug durch die wechselvolle Entstehungsgeschichte einer Kultureinrichtung zwischen Wunsch und Wirklichkeit, in: Villa wadegozzinga, Wadegotia, Wadgassen: 1100 Jahre Wadgassen (902-2002), Wadgassen 2002, S. 109-119.

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ten »Schaufenstern« einzelne Themen oder Exponate mittels Inszenierungen präsentiert. Vertiefende Informationen sowie die empfindlichen Exponate sind in den Schubladen von »Zeitungsschränken« untergebracht. An alten Druckpressen und Maschinen können sich die Besucher, unter Anleitung von fachkundigem Personal, mit den technischen Artefakten vertraut machen und die Technik im wahrsten Sinne des Wortes (be)greifen. Verschiedene Handson-Stationen animieren zum Mitmachen und spielerischen Lernen. Auditive und audiovisuelle Medien ergänzen die schriftlichen Informationen. Für Sonderausstellungen stehen weitere 500 Quadratmeter zur Verfügung, verteilt auf drei Ebenen im Südflügel des Gebäudes. Diese im Vergleich zur Fläche der Dauerausstellung recht großzügigen Räumlichkeiten erlauben es uns, auch zwei Sonderausstellungen gleichzeitig durchzuführen. Eine Fachbibliothek, Seminarräume sowie ein Festsaal für rund 250 Personen ergänzen die Infrastruktur. Eine professionell eingerichtete Küche mit großem Kühlraum erlaubt auch die adäquate kulinarische Versorgung der Gäste bei Großveranstaltungen. Hierfür haben wir dem Betreiber des Festsaals, der Gemeinde Wadgassen, Teile der ursprünglichen Ausstellungsfläche überlassen. Diese Zusammenarbeit hat sich als sehr fruchtbar erwiesen, da wir mit der multifunktionalen Nutzung die zahlreichen Gäste auch auf unser Museum aufmerksam machen können. Somit bieten wir den Besuchern die Möglichkeit, das Deutsche Zeitungsmuseum nicht nur als ›MuseumsOrt‹ und ›LernOrt‹, sondern auch als ›KommunikationsOrt‹ kennen und schätzen zu lernen. Mit dieser dreiteiligen Konzeption haben wir eine ideale Basis für unser Besuchermarketing geschaffen, das ständig weiterentwickelt und ausgebaut wird. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund der räumlichen Lage sowie der inhaltlichen Ausrichtung zu verstehen. Eingebettet in eine reizvolle Flusslandschaft, direkt an der Saar gelegen, befindet sich unser Haus in einer ländlichen Umgebung. Spontanbesucher, wie sie in urbanen Regionen häufiger anzutreffen sind, fallen dadurch weg. Wer uns besuchen möchte, plant die Anfahrt rechtzeitig – und auch nur dann, wenn er sich für das Medium Zeitung interessiert. Aus diesen Überlegungen heraus gab es nur zwei Alternativen: Entweder den ›Weißen Tod‹ zu riskieren – also eine reine FlachwareAusstellung – oder: das ›Bunte Leben‹ zu bieten. Wir haben uns für die zweite Variante entschieden und sind damit gut gefahren. Die Reaktionen unserer Besucher geben uns Recht. Die häufigste Aussage, die wir im Gästebuch finden oder nach den Führungen hören, lautet, fast schon entschuldigend vorgetragen: »So interessant hatten wir uns das Museum nicht vorgestellt!« Eine sichere Bank Gleich zu Beginn unserer Besuchertypologie soll der ›klassische‹ Museumsbesucher genannt und gleichzeitig geehrt werden. Ihn vergleichen wir, um im

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Bilde unseres eingangs erwähnten Restaurantbesuchs zu bleiben, mit dem Stammkunden, der auch einmal gewagte kulinarische Experimente mitmacht: eine treue Seele von Mensch, gebildet, medial vernetzt, engagiert und an allen Aktivitäten des Museums interessiert. Meist auch Mitglied des Fördervereins, regelmäßig in Kommunikation mit den Museumsleuten, Vorschläge unterbreitend, konstruktive Kritik äußernd, bildet er das Rückgrat in der Besucherstatistik. Um ihn müssen wir uns dennoch immer wieder bemühen, denn Stammkunden wollen ständig gepflegt und betreut werden – und das auf hohem Niveau. Der Verleger Ernst Rowohlt betonte in Interviews häufig die Wichtigkeit der intensiven Betreuung seiner Autoren, die er als »Autorenpflege« bezeichnete. So haben wir im Team auch den Begriff der »Besucherpflege« geprägt. Unser Stammkunde wird regelmäßig gepflegt, denn er ist ein »qualitativer« Besucher, der sich selbst bei 38 Grad Hitze ins Auto setzt und zur Vernissage am Sonntagvormittag, zur schönsten Brunchzeit, nach Wadgassen fährt. Merci! Quantitative und qualitative Besucher Der Wunsch, viele Besucher ins Museum zu locken, ist legitim. Trotzdem müssen wir uns manchmal vorwerfen lassen, dieser Wunsch würde zwangsläufig mit einer Verflachung des Angebots oder gar einer Trivialisierung einhergehen. Eines steht fest: Publikumswirksame Ausstellungen sprechen eine große Zahl von interessierten Besuchern an. Wir nennen sie – ohne eine Wertung damit zu verbinden – die »quantitativen« Besucher. Diese Massen brauchen wir, um unser Ranking innerhalb der Museumslandschaft zu festigen. Die Verweildauer kann hier zwischen 30 und 60 Minuten variieren. Diese sogenannten ›Blockbuster‹-Ausstellungen sprechen eine breite Bevölkerungsgruppe an, sind aber immer auch auf einem hohen Niveau. »Der Alltagsmensch ist ein Lustmensch, kein Asket, er möchte Spaß haben, der durchaus auch anspruchsvoll sein kann, ihn fordern kann.«3 Andererseits müssen und wollen wir auch spezielle, manchmal sogar sehr spezielle Themen behandeln. Bei diesen Ausstellungen kommt es uns erstens auf die Pflege unserer »qualitativen« Besucher an und zweitens auf die Abrundung unseres Programms. Auch Buchverlage nehmen manchmal bestimmte Titel in ihr Verlagsprogramm auf, selbst wenn diese nicht gerade hitverdächtig sind, um damit ihr Profil sinnvoll zu ergänzen und inhaltlich abzurunden. Mit solchen Ausstellungen erreichen wir nur wenige Besucher, die aber eine sehr hohe Verweildauer vorweisen, intensiv die Ausstellungstexte 3 Schuck-Wersig/Wersig, Die Lust am Schauen oder müssen Museen langweilig sein? A.a.O., S. 34.

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studieren, selbstverständlich den Katalog kaufen und unser Museum im Bekanntenkreis weiterempfehlen. Die Statistiken unterscheiden jedoch nicht zwischen qualitativen und quantitativen Besuchern. (Ich kenne nur einen Museumskollegen, der mir ernsthaft versicherte, nur die wirklich interessierten Besucher als Besucher in seiner Statistik aufgeführt zu haben!) Bei der Bewertung, ob ein Museum oder eine Ausstellung erfolgreich ist, wird leider immer nur die Anzahl der quantitativen Besucher als Messlatte herangezogen. Museum on Tour Eine wichtige Komponente beim Erschließen von neuen Besucherschichten sind die Aktionen, die wir außerhalb des Museums durchführen. Wenn die Menschen nicht ins Museum kommen, kommt das Museum zu ihnen. Unter dem Titel »Museum on Tour« fahren wir gezielt zu Veranstaltungen im ganzen Saarland. Mit unserer mobilen Druckerei können wir Workshops und Präsentationen zu unterschiedlichen Themenbereichen und für wechselnde Gelegenheiten organisieren. Abbildung 2: Museum on Tour

Ob Stadtfeste, Jubiläumsveranstaltungen, Bücherbörsen, das Kulturmeilenfest oder die Kinder- und Jugendbuchmesse – überall können wir das Interesse und die Begeisterung für die alten handwerklichen Techniken des Setzens, Druckens und Papierschöpfens nutzen, um die Menschen über unsere Muse-

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umsarbeit zu informieren. Dies ist umso wichtiger, da sich viele unter einem Deutschen Zeitungsmuseum nichts Genaues vorstellen können. Und nicht nur für die junge Generation wirken die Begriffe »Museum« und leider auch »Zeitung« wenig anregend. Im Rahmen dieser Aktionen in Bibliotheken, Schulen und Kindertagesstätten, bereits lange vor der offiziellen Museumseröffnung, konnten erste Kontakte mit Lehrern und Erziehern aufgebaut und gepflegt werden. Lebenslanges Lernen, auch für Lehrer Aus diesen Kontakten mit Schulen entstand allmählich auch eine weitere wichtige Säule im Kommunikationsprozess mit unseren potenziellen Besuchern. In enger Zusammenarbeit mit dem Landesinstitut für Pädagogik und Medien wurden in den letzten Jahren zahlreiche Veranstaltungen der Lehrerfortbildung entwickelt und in unserem Haus durchgeführt. Während dieser ein- und mehrtägigen Workshops können wir den Lehrkräften, neben der reinen Fortbildung, vor allem unsere museumspädagogischen Programme ausführlich vorstellen. Altersgerecht nach den einzelnen Sekundarstufen aufgebaut, orientiert an den hiesigen Lehrplänen, stellen sich die Lehrerinnen und Lehrer die unterschiedlichen Angebote à la carte zusammen. Oder sie folgen unseren langjährig erprobten ›Menüvorschlägen‹, um wieder im kulinarischen Bild zu bleiben. Dabei wird von unserer Seite sehr großer Wert auf die vorbereitende Planung eines Besuchs gelegt. Das detaillierte Briefing vorab mit den Lehrkräften (inhaltliche Ausrichtung und Wünsche, Zeit- und Kostenbudget etc.) vermindert die Reibungsverluste und erhöht die Zufriedenheit bei Lehrern und Schülern. »Und bist Du nicht willig …« Die schwierigste Gruppe für jedes Museum sind die sogenannten »Zwangsbesucher«, zu denen primär die Schüler gehören. Die Ankündigung eines Lehrers (oder sollte man »Drohung« sagen?), ins Deutsche Zeitungsmuseum zu gehen, stößt bei den meisten Schülern auf wenig Gegenliebe. Für immer mehr Jugendliche gehört die Zeitung leider nicht mehr zum Alltagsleben, bei dem Begriff »Museum« denken viele, auch ältere Menschen, mit Grausen an vollgestopfte Vitrinen. Der Ausflug ins Deutsche Zeitungsmuseum ist also vorab bereits negativ belastet. Während des Besuchs können wir jedoch meist sehr schnell feststellen, dass wir mit unserer Intensivbetreuung erfolgreich sind. Zum einen teilen wir die Klasse in zwei gleichstarke Gruppen zu je 10 bis 15 Teilnehmern. Die erste Gruppe beginnt mit der klassischen Führung durch die Dauerausstellung, die zweite kann nach dem Prinzip des learning by doing an historischen Pressen oder Gerätschaften einen Workshop auspro-

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bieren. Nach 45 Minuten wird eine kleine Pause eingeschoben, danach werden die Gruppen getauscht. Das bedeutet zwar, dass wir für eine Klasse zwei Mitarbeiter zur Verfügung stellen müssen, garantiert uns aber die Zufriedenheit der Lehrerschaft. Der reibungslose und stressfreie Ablauf der Exkursion ist der Garant dafür, dass ein Besuch im Deutschen Zeitungsmuseum im Kollegenkreis weiterempfohlen wird. Die Kundenzufriedenheit ist nur durch die beständige Qualität des Angebots zu erreichen. Dazu gehört beispielsweise auch, dass eine Doppelbelegung mit zwei Klassen parallel vermieden wird. Wer jemals den Geräuschpegel von rund 60 Schülern auf engstem Raum genießen durfte, weiß, was gemeint ist. Doch sind die Zwangsbesucher nicht nur bei Schülern festzustellen, sondern auch bei Erwachsenen. Vor allem die Zielgruppe der 24- bis 40-Jährigen, der YOCOS (YOung COSmopolitans), ist im Museum unterrepräsentiert. Es wird schwer werden, für die jungen Angestellten, Unternehmer und Studierenden dieser Altersgruppe neue, erfolgversprechende Angebote zu entwickeln. Um jedoch möglichst frühzeitig die auch als »No-Gos« bezeichneten Zwangsbesucher zu »Yes-Gos« umzupolen, bieten wir Veranstaltungen bereits für Kindergärten an. Abbildung 3: Museumspädagogik mit Kindergarten-Kindern

Natürlich setzen wir hierbei keine klassische Führung ein, sondern nutzen verstärkt die haptischen Reize von Papier, sowohl im nassen Zustand – beim Papierschöpfen – als auch bei Bastelarbeiten. Je früher wir unseren allerkleinsten Besuchern, über die Verfeinerung ihrer taktilen Fähigkeiten, den

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Museumsbesuch interessant gestalten, umso positiver beurteilen sie einen späteren Besuch im Klassenverband. Die klassischen Kindergeburtstage im Museum runden hier das Programm ab. Der Kunde ist König Im Auftrag eines großen deutschen Druckmaschinenherstellers hatte ich das Vergnügen, anlässlich der DRUPA 1995 den Messeauftritt in einem sogenannten »History Center« vorzubereiten. Bereits in den ersten Gesprächen wurde mehrfach der Begriff »Total Customer Care« benutzt. Die absolute Befriedigung des Kunden stand im Vordergrund – eine einfache, aber im Geschäftsleben existenzielle Voraussetzung für den Erfolg. Und im Museum? Hier sollten die Besucher auch Könige sein! Es gilt, Wünsche zu erkennen und zu befriedigen, neue Bedürfnisse zu wecken, durchaus auch zu fordern, aber nicht zu überfordern. »Wir überschätzen oft den Besucher, in dem wir ihn zu dem machen wollen, was wir selber sind. Und wir verspekulieren uns gewaltig, wenn wir glauben, der Besucher wolle nun endlich im Museum zum Wissenschaftler werden und dessen Problemstellungen und Erkenntnisse nachvollziehen. Nein – den Besucher interessiert es nicht, in welchem Museum ein Vergleichsstück zu unserem vorhanden ist und was jede Öse auf einem ungestalteten antiken Blech bedeutet haben könnte.«4

Stimmt genau. Auch wenn uns im Deutschen Zeitungsmuseum renommierte Publizistikprofessoren vorgeworfen haben, bei der Auswahl unserer Exponate die Bedeutung der Zeitung im 17. Jahrhundert vernachlässigt zu haben – die meisten unser Besucher monieren das nicht. Für uns steht nicht die Museumsdirektoren-, sondern die Kundenzufriedenheit an oberster Stelle: Unsere Besucher dürfen sich nicht langweilen. Sie sollen mit dem Gefühl nach Hause gehen, dass sich der Besuch gelohnt hat, und den Wunsch verspüren, wiederzukommen. (Wenn sie dann noch wissen, wann die erste Zeitung erschienen ist, freut sich natürlich der Museumsdirektor.) Wann hat sich aber, aus der Sicht des Kunden, der Besuch in unserem Museum gelohnt? Ein Blick auf das heutige Konsumverhalten macht eines ganz deutlich: Die Zeiten, als es Kunden gab, die ausschließlich im Feinkostgeschäft kauften, sind schon lange vorbei. Nicht wenige Nobelkarossen werden bei Aldi- und Lidl-Märkten auf den Parkplätzen gesichtet. Der Verbraucher ist nicht erst seit der »Geiz-ist-geil«-Kampagne bei der Wahl seiner Ein4 Harald Siebenmorgen: Abschied von Illusionen. Die Voraussetzung für »Museen neu denken!«, in diesem Band.

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kaufsquelle wählerischer geworden. Den reinen Feinkostkäufer oder den reinen Discountkäufer im klassischen Sinn gibt es nicht mehr. Bei den Freizeitund Kulturangeboten verhält es sich ähnlich. Deshalb kann der Besucher sich bei uns das Museum à la carte zusammenstellen. Wie tief er inhaltlich und zeitlich in das Thema Zeitung einsteigen will, bestimmt er bei jedem Besuch neu. Ein ganzes ›Menü‹? Nur ein Hauptgericht? Vielleicht lieber zwei Vorspeisen? Ein Espresso oder einen Digestif – oder gar beides? Deshalb entwickelten wir mit unserem Ausstellungsteam die entsprechenden Angebote für unsere drei Hauptgruppen von Besuchern, die »Jogger«, die »Spaziergänger« und die »Bildungstouristen«: Der »Jogger« rennt förmlich durch das Haus, nimmt (hoffentlich) die Überschriften unserer Infostelen wahr, die eine oder andere Installation, schnuppert in den Werkstätten Druckfarbe und Schmieröl, bevor er, nach einem flüchtigen Blick auf den Museumsshop, in Richtung Parkplatz verschwindet. Ein solcher Museumsbesuch dauert in der Regel keine 20 Minuten und wird häufig mit dem Zuruf quittiert: »Ich muss unbedingt noch mal kommen und alles in Ruhe anschauen!« Abbildung 4: Blick in die Lesegesellschaft

Der »Spaziergänger« schlendert gemächlich von Raum zu Raum, beginnt manchmal den Einführungstext zu lesen, schmunzelt entzückt über die Inszenierungen oder betrachtet einzelne Exponate mit interessierter Miene, murmelt bei den Druckmaschinen etwas von der ›guten alten Zeit‹, kauft einen

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Satz Postkarten und äußert sich meist wohlwollend: »Das hätte ich so nicht erwartet!« Der »Bildungstourist«, kaum ins Foyer eingetreten, fragt sofort nach dem Ausstellungskatalog, stellt dann im ersten Raum des Rundgangs bereits Fragen zur Zukunft und Bedeutung der Zeitung im 21. Jahrhundert, ergänzt die Antworten durch Kurzreferate, studiert intensiv die Exponatbeschriftungen, stellt Lücken in der historischen Abfolge fest und äußert zahlreiche Wünsche für kommende Sonderausstellungen. Die Fachbesucher Alle Museumsdirektoren freuen sich über den Fachbesucher. Wer aber ist Fachbesucher? In unserem Fall war das relativ klar. »Die Journalisten«, so dachten wir anfangs. Natürlich konnten wir viele Journalisten, nicht nur aus dem Printbereich, sondern auch aus Rundfunk und Fernsehen, als Besucher verzeichnen. Aus diesen Besuchen und Gesprächen erhielten wir viele Anregungen, die wir teilweise in der Dauerausstellung umsetzten. Aber auch Ideen für Sonderausstellungen konnten in enger Abstimmung und mit tatkräftiger Unterstützung realisiert werden. So beispielweise die Präsentation des »European Newspaper Award« oder die »Kunst des SPIEGEL«. Neben den Ausstellungen entwickelten wir auch Veranstaltungen, die thematisch in unser Haus gehören. Ein Seminar für die Volontäre aus Zeitungsverlagen gibt uns nicht nur die Möglichkeit, die Zeitungsgeschichte zu vermitteln, sondern die jungen Journalisten mit der Funktion und Arbeitsweise eines Museums vertraut zu machen. Dies ist für uns ein wichtiges Anliegen, da sich gerade die Berichterstattung über Ausstellungen und Museen häufig als eine Kompilation von Texten aus Pressemitteilungen und Flyern erweist. Oder: Wenn der Journalist das jeweilige Fachgebiet selbst studiert hat, werden die Artikel auch zu fundierten kunstwissenschaftlichen, technischen, historischen oder architektonischen Abhandlungen ausgebaut. Über die eigentliche Ausstellung erfährt der Leser oft zu wenig. Ein Restaurantkritiker schreibt ja auch nicht nur über die Qualität der Speisen, sondern über deren raffinierte Zubereitung, das angenehme Servicepersonal, das gemütliche Ambiente, den sachkundigen Sommelier und den jovialen Patron. Auch das Preis-Leistungs-Verhältnis wird nicht verschwiegen. Doch zurück zu unseren Fachbesuchern. Aus den Gesprächen mit Vertretern des hiesigen Journalistenverbands entwickelte sich eine Veranstaltung, die unter dem Titel »Journalisten als Zeitzeugen« regelmäßig eine feste Fangemeinde ins Museum lockt. Die Interviews mit anschließender Diskussion werden darüber hinaus aufgezeichnet und stehen somit als Bausteine einer noch zu schreibenden Berufsgeschichte der Journalisten zur Verfügung. Während des anschließenden obligatorischen Umtrunks kann die Besucherbin-

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dung an unser Haus gefestigt werden. Neben den journalistischen Fachbesuchern begrüßen wir aber auch Gruppen, die ebenfalls mit dem Thema Zeitung verbunden sind. An der technischen Herstellung von Printmedien interessiert, kommen auch ehemalige oder noch praktizierende ›Jünger der Schwarzen Kunst‹ zu uns. Diese sehr traditionsbewusste Klientel schätzt die lebendige Darstellung der grafischen Techniken in unserem Werkstattbereich und die Möglichkeit, wieder die alten Maschinen und Gerätschaften zu bedienen, zu erklären und vorführen zu können. Ganz in der Tradition des ›arbeitenden‹ Museums haben wir eine Plattform für Setzer, Drucker, Lithografen und Künstler geschaffen, die sowohl Workshops durchführen als auch für Vorführungen zur Verfügung stehen. Abbildung 5: Künstler-Workshop für Lithografie

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Ganz nebenbei entstand aus diesen Aktivitäten eine DVD-Reihe, die im Schulunterricht eingesetzt und im Museumsshop verkauft wird. Weitere Gruppen von Fachbesuchern kommen aus den Bereichen, die mit dem Vertrieb von Presseerzeugnissen sowie dem Anzeigenwesen zu tun haben. Selbst mit Fachbesuchern aus artfremden Bereichen können, wenn man entsprechende Themen anbietet, sehr gute Kooperationen entwickelt werden. So veranstalteten wir im Rahmen der Ausstellung »50 Jahre Bravo« für die saarländischen Kinder- und Jugendärzte den Kongress »Jugendmedizin für Einsteiger«. Neben der Möglichkeit, unsere jugendliche Zielgruppe direkt in den Arztpraxen über die Ausstellung informieren zu können, standen zwei engagierte Ärzte jede Woche einmal für die Aktion »Dr. Sommer live« zur Verfügung. Innerhalb weniger Tage waren alle Veranstaltungen belegt, bei denen die Fragen der Schüler zu Themen rund um Liebe und Sexualität kompetent beantwortet wurden. Manus manum lavat. Sponsorenbetreuung Sehr eng verbunden mit der Fachbesucher-Thematik sind auch unsere Veranstaltungen mit und für Sponsoren zu verstehen. Neben den exklusiven Vorabbesichtigungen für Mitglieder des Fördervereins und den klassischen Events für die Kunden unserer Sponsoren haben wir auch eine weitere Plattform entwickelt. In unseren Bemühungen, eine langfristige Partnerschaft jenseits der üblichen ›Geld-gegen-Sponsorenlogos-auf-Plakaten‹-Philosophie aufzubauen, wurden die Veranstaltungen im Rahmen der Kooperationen zwischen den Schulen und unseren Hauptsponsoren, den Zeitungsverlagen, erweitert. Unter den Labels »Zeitung in der Grundschule« und »Schule macht Zeitung« bieten wir einen idealen ›KommunikationsOrt‹ für die Abschlussveranstaltungen mit Workshops und Preisverleihungen. Damit versuchen die Verlage, ihre potenziellen jungen Leser zu motivieren, auch zukünftig das Medium Zeitung positiv zu bewerten. Wir können selbstverständlich uneingeschränkt hinter dieser Absicht stehen, da wir ebenfalls das Zeitunglesen, das Lesen generell, aber auch die verantwortungsbewusste Mediennutzung fördern wollen. Ganz nebenbei bieten uns diese Nachmittagsveranstaltungen die Chance, den meist anwesenden Eltern, Großeltern und Lehrern unser Museum in einem interessanten Ambiente, mit Limonade und Gummibärchen-Buffet, zu präsentieren. Und die sehr ausführliche Berichterstattung in der Zeitung ist ein gern gesehener Nebeneffekt. Sind solche Aktionen erst einmal fest verankert und erprobt, erweitert sich ganz zwangsläufig das Themenspektrum dieser Veranstaltungen. Der Schritt hin zur Präsentation von neuen Kinder- und Jugendbüchern, mit Schülerlesungen und -rezensionen, durchgeführt und gesendet vom hiesigen Kulturradio, über die Unterstützung der landesweiten Aktion »Zeitschriften in

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die Schulen«, gefördert von der Stiftung Lesen und der Stiftung Pressegrosso, bis hin zur Prämierung der besten saarländischen Schülerzeitungen, ist optimal geeignet, unser Haus als ›KommunikationsOrt‹ zu etablieren. »Mit 66 Jahren …« Hier irrte sich der Schlagersänger Udo Jürgens gewaltig. Nicht erst mit 66 Jahren fängt das Leben so richtig an. Bereits viel früher kommt die ›Generation 50 plus‹ (auch ›Silver Generation‹ oder ›Best Agers‹ genannt) dazu, ihr Leben zu genießen. Ja: im besten Alter, wohlhabend bis vermögend, gesundheitlich rundum versorgt, unternehmungslustig – so suggerieren uns die Marktforscher diese Besuchergruppe. Doch was müssen wir dieser Gruppe bieten, um sie ins Museum zu locken? Einen ersten Hinweis über deren Erwartungen erhalten wir meist am Ende einer Führung. Die beiden am häufigsten geäußerten Wünsche waren, generell einen Blick in die Sammlung werfen zu dürfen, sowie die Frage nach Zeitungen zu einem speziellen Ereignis oder aus einer bestimmten Region. Angeregt von diesen durchaus verständlichen Wünschen haben wir die Idee eines begehbaren Depots neu durchdacht. Zumal auch wir beim Besuch von Kollegen in anderen Museen sehr gerne einen Blick in deren Lager- und Archivräume werfen. Unter dem Arbeitstitel »Schatzkammer« planen wir im Dachgeschoss unseres Gebäudes eine Kombination aus Schubladen- und Regalsystemen, in denen wir eine große Auswahl von Flachware sowie dreidimensionalen Exponaten zu einer Art Zeitreise durch die letzten 50 Jahre zusammenstellen. Vor allem wird bei der Zusammenstellung auf eine reizvolle visuelle Präsentation Wert gelegt, die ohne abschließbare Vitrinen auskommen muss. Im Vordergrund steht das haptische Erlebnis, alte Zeitungen in die Hand zu nehmen und darin blättern zu dürfen. Ergänzt durch auditive und audiovisuelle Exponate, in dem darüber hinaus architektonisch besonderen Ambiente zwischen den alten Dachbalken, versuchen wir, den Besuchern das Gefühl eines besonderen, exklusiven Erlebnisses zu vermitteln. Die Museumsmitarbeiter haben bei einer solchen Führung auch die Möglichkeit, einmal ihre Lieblingsexponate zu zeigen, Hintergrundinformationen und besondere ›Schicksale‹ von Artefakten zu schildern oder schlicht eine Sammlung von eigentümlichen und skurrilen Sammlungsgegenständen vorzustellen. Ein erster Probelauf durch die in einem Außendepot gelagerte Sammlung von Druckpressen und -maschinen verlief sehr positiv. Gary Comer, der Firmengründer von »Lands’ End«, soll einmal gesagt haben: »Kümmere dich nicht, ob es das Beste für das Unternehmen ist. Sorge dich darum, was das Beste für den Kunden ist.«

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So werden wir auch weiterhin versuchen zu ergründen, was das Beste für unsere Besucher im Deutschen Zeitungsmuseum in Wadgassen sein könnte. Literatur Münch, Roger: Desertum florebit quasi lilium. Ein historischer Streifzug durch die wechselvolle Entstehungsgeschichte einer Kultureinrichtung zwischen Wunsch und Wirklichkeit, in: Villa wadegozzinga, Wadegotia, Wadgassen: 1100 Jahre Wadgassen (902-2002), Wadgassen 2002, S. 109-119. Schuck-Wersig, Petra/Wersig, Gernot: Die Lust am Schauen oder müssen Museen langweilig sein? Berlin 1986. Siebenmorgen, Harald: Abschied von Illusionen. Die Voraussetzung für »Museen neu denken!«, in diesem Band.

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»Renaissance in the Regions« – Museums and Social Policy in the UK

Sue Wilkinson This article explores the role of the Museum, Library and Archives Council’s (MLA) in promoting museums in England as places of learning and agents of social change. This is a key agenda both for MLA nationally and for our Regional Agencies. The aspect of our work which I will focus on is how we made this case to government through the »Renaissance in the Regions« report and the work we have been doing since then with »Renaissance« funding. »Renaissance in the Regions« has been a highly successful initiative. It convinced government of the need for national investment in regional museums – something which was largely unprecedented in the UK. Dr Stuart Davies lead the consultation for the report and wrote it. I came in to implement the programme and to make the case for future funding. The alignment of museums to the learning and social policy agendas has been critical to the success of »Renaissance in the Regions«. Without a commitment to broaden access to museums and to see supporting learning as a core function of the programme it would have been much more difficult to bid for central government funding. However, it is important to stress that this commitment was not a cynical ploy designed to lever in additional funding but part of a deep-rooted commitment to using museums collections to support learning, access and inclusion. Our view has been that publicly funded institutions have a duty to use their resources to enrich the lives of everyone. Clearly there is still a long way to go with these agendas, but they have been at the heart of the case we have made to government. They have had the support of our colleagues in the »Renaissance« funded museums and they have been rooted in evidence of both delivery and impact. In today’s society there is intense competition for resources and it is not enough for museums seeking additional investment from government whether at national or local level solely to argue their role in preserving the past and safeguarding the nation’s heritage for the future. The arguments for the intrinsic value of museums are important but museums have to serve the present as well. Structures in England Museum and Gallery Policy in England is formulated by the Department of Culture, Media and Sport (DCMS) which is headed by the Secretary of State, Tessa Jowell. The Department provides direct funding for the 17 National

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Museums. It also funds the Museum, Library and Archive Council which is the lead strategic agency for museums, archives and libraries in England. One of the key issues for DCMS is that whilst it is responsible for cultural policy it does not directly fund most museums in the country. Most museums are funded through local authority structures that are accountable to locally elected councillors. In addition many museums are independent trusts, some are attached to and funded through Universities and regimental museums are funded by the Ministry of Defense. This means that whilst DCMS is responsible for policy for museums it has (or had until »Renaissance«) little direct ability to control what museums other than the directly funded nationals do. To achieve its aims it has always had to work with and through a range of other bodies and government departments. The same is true of MLA. Whilst DCMS is our funding and sponsoring body, we have close working relationships with the Department for Education and Skills and our relationship with the Department of Communities and Local Government and with organisations like the Local Government Association is critical to our work. For DCMS to decide to invest revenue funding in regional museums was a major shift in policy. Let us look at why that happened and what we have been doing since to try and persuade the department to increase its investment. DCMS had invested in regional museums before the »Renaissance in the Regions« campaign started but it had done so through special challenge funds designed to focus on particular issues or particular problems. The fund for museums with designated collections (i.e. museums in the regions with collections which have been designated as being of national importance) focused on care of collections and access issues, the education challenge fund on the need to improve the way in which museums support learning and the Information and Communication Technology (ICT) challenge fund on the digitisation of collections. There was therefore a precedent for DCMS using funding to deal with some of the problems facing museums in the regions. The difference with the »Renaissance« programme is that it is providing revenue funding to Regional Museums. It is acknowledging that the problems are too big and too important to be solved by providing bits of project funding and that what is needed is sustained and long term investment. How has this been achieved? The »Renaissance in the Regions« report was commissioned by the then Secretary of State, Chris Smith, in 2001 following a seminar held at the Royal Academy about regional museums in crisis. The need for the report therefore came out of a great deal of lobbying, by Directors of both national and regional museums, to a Secretary of State interested in museums and with a clear philosophy about access for the many not the few. The report itself set out to do three things – to identify the problems facing museums, to propose solutions to those problems and critically to argue

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the benefits which would accrue to society through solving these problems. In other words »Renaissance« did not argue that the problems of regional museums should be solved only because of the importance of the objects in the collections and the scholarship and research associated with those objects (though it did say those things), it said, and provided the evidence to substantiate such claims, that this investment would mean that people’s lives would be enriched and improved and that government targets – particularly those around education and inclusion – could be delivered through high quality and well funded museums. The report was developed through extensive consultation with the museums’ sector. Its publication was followed by a period of intense lobbying. In October 2002 the government announced that it would invest 70 million pounds in delivering the report – a significant sum, but not enough to solve all the problems outlined in the report. In 2005 we bid to double the level of investment and provided a solid body of evidence to show what the benefits to society will be. We received an additional 77 million pounds for the programme. By 2007-8 45 million pounds per annum will be being invested in regional museums. »Renaissance in the Regions« proposed a new structure for regional museums. It suggested that there would be enormous benefits from bringing together some of the key museums in each of the nine English regions to work together in a loose consortium to provide high quality services both to people in the regions and those coming in from outside. The arguments for these consortia or Hubs as they are called were arguments about partnership based working, the benefits of sharing skills and expertise, the added efficiencies which would come from museums working together. Some criteria was established for identifying the sorts of museums which should be in this Hub and each region then put together a proposal which was assessed by an independent committee. The funding announced for »Renaissance« in October 2002 was not enough to carry out all the recommendations of the report or to deliver all the benefits it had outlined. The MLA Board therefore had to decide whether to spread the money evenly but thinly across all nine Hubs or whether to invest substantially in some of them in order to show what could be achieved and use this to make the case to government for further investment. The decision was made to go for depth not breadth and therefore after a further process of assessment three Hubs, in the North East, the South West and the West Midlands were chosen to receive accelerated funding (these are called Phase 1 Hubs) whilst the other six (Phase 2 hubs) received much smaller amounts to start preparations in the hope of more funding from Spending Round SR2004. It was a risky decision but what it did do was to allow us to make a very strong case for the need for equity across the country which can only be achieved through

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further investment. This case was made strongly as part of the spending round for 2004. SR2004 continued and increased investment in the programme and, at present, the Phase 2 Hubs are at 60 percent of full funding. We are now in the process of making the case for full funding again. The Hub structure has now been in place since 2002. The sense we have had since then has been that it has brought museums together in a working relationship which has had benefits over and above the new funding. It has also provided a structure which has improved links between national and regional museums and between regional museums and central government. This was confirmed by the 2005 evaluation of the programme. There was however much anxiety when the Hub structure was created from those museums not included in it. There were concerns about how the benefits of investment would flow to smaller museums and what would be in it for them. A substantial strand of the »Renaissance« programme has therefore focused on the wider museums community and on dealing with some of the issues for them which were uncovered in the report. The main purpose of this publication is to look at learning and social policy. Therefore I want to look at the arguments we used and are still using to persuade government of the benefits of investment in regional museums and at the policy context within which we have pitched our work. There are, as we all know, sound reasons for investing in museums as institutions. All the arguments we have made for »Renaissance in the Regions« have made clear the importance of high quality museums to learning, community, tourism and economic agendas. However they can only deliver what people need and want if they have well managed, well documented collections and skilled staff, an understanding of the needs of the individuals communities they serve and political support. Eight priority areas were identified for the »Renaissance« funded Hubs for the period 2002-6. These were: • creating a comprehensive service to schools; • reaching a wider community; • developing a programme for the re-display of the permanent collections which combines high quality scholarship, excellent interpretative and design techniques; • enhancing the care, management and conservation of the collections; • improving access to knowledge and information; • developing the workforce; • reaching/implementing existing standards and frameworks; • ensuring that the Hubs operate in the most effective and efficient way to deliver high quality services to users. Of these areas four are focused on issues to do with collections care. Nearly 7

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million pounds will be spent by Phase One Hubs on the display, care and management of collections during 2004/06 and during the same period 311 new full time equivalent posts will be established in Hubs, and of those some 118 are directly related to caring for and managing collections. These priority areas were narrowed down for the period 2006-8 to three areas encompassing all of the above – collections, workforce and users. Nevertheless, as I stressed at the beginning, caring for and managing collections is only part of the job. It is not an end in itself. We collect, conserve and manage collections so that people can use them, enjoy them, be inspired by them and learn from them. As we have developed the funding bids we have tended to concentrate on how through this investment museums will be better placed and better able to serve the present. We have been able to do this because museums in the UK have been working in these areas for a very long time. Regional museums in the UK have an impressive track record in developing innovative and exciting programmes which reach out to people from all sections of the community and have a demonstrable impact on their quality of life. Our bids have therefore been able to drawn on best practice from across the country to show how regional museums can deliver against national, regional and local government targets in a number of areas, but particularly in the areas of learning, social policy and regeneration. DCMS, the body which funds »Renaissance in the Regions«, made it very clear that their investment is intended to build capacity and support scholarship so that more people can enjoy the benefits of the great collections in regional museums. The Public Service Agreement targets which were set for the programme said that »Renaissance« would be judged by its ability to deliver against the learning and social policy agendas. The activities in both areas are presented below.

Learning When the Labour Government came to power in 1997 Tony Blair famously said that his three priorities were »education, education and education« and made it clear that that was where the money was going to go. Museums have always been involved in supporting learning through their exhibitions, publications, programmes and outreach work but as David Anderson’s report »A Commonwealth« showed back in 1997 provision in museums was patchy and education was seen as an add-on rather than a core service. That report was critical in changing both the way in which many museum directors thought about education and the way in which it was funded and resourced. The campaign to get government to do something about that report started a process which »Renaissance« is continuing.

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The change has been gradual but when one looks back to the publication of a Commonwealth one can see how profound it has been. Since its publication DCMS and DfES (Department of Education and Skills) have appointed people to work on museum education, MLA has a policy directorate which gives a high priority to learning, and all the MLA funded regional agencies who are part of the MLA Partnership have learning and access staff. The new accreditation scheme which sets minimum standards for museums now has standards for access and learning for the first time. The Museums Association reviewed its definition of a museum to put people at the beginning of that definition rather than at the end and more and more museums began appointing education officers and investing in services designed to support learning. Moreover we now have a quality framework for learning »Inspiring Learning for All« and a means of measuring the impact museums have on learning. All of this meant that we had an evidence base which we could use to make the case for funding regional museums. It is an evidence base which »Inspiring Learning for All«1 has made even stronger and which significantly shaped the bid we made to Spending Round SR2004. When the government gave us the 70 million for »Renaissance« it marked 12.2 million for work with schools and set us a target of increasing schools’ use of the »Renaissance« funded hubs by 25 percent. The nature of the funding timetable meant that no sooner had the Hubs received money and started delivering programmes than we in MLA had to collect evidence of the impact of their work so that we could work out together the bid for the next tranche of money which will enable all nine Hubs to be funded to the level of the those currently in phase 1. The collection of data has been as critical to the process of making the case for regional museums as the work itself. I will talk about data collection in each of the three areas highlighted but I cannot emphasise enough how important it has been in making the case for museums. The quality of the work itself is not enough. Politicians and funders need to know about the work and to be confident in the claims it is making. We have therefore had to put in place stringent mechanisms both for ensuring that we know the baseline we started from in 2002 and for collecting evidence of what has happened since then. The »Inspiring Learning for All« framework and in particular the generic learning outcomes have been incredibly important in this process. They have provided a rigorous methodology for reporting on the impact the »Renaissance« funded hubs have had on school children’s learning. In October 2003 we asked the three Phase 1 Hubs to collect evidence from teachers and pupils about the impact they have had on children’s learning. We commissioned the University of Leicester to work with the Hubs to 1 See www.inspiringlearningforall.gov.uk.

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develop a questionnaire which they could hand out to teachers and pupils over a period of two months. 22,000 children and 900 teachers completed the questionnaire. In addition 68 teachers were involved in focus groups. The headline results from that research have proved very powerful in conversations with DfEs: • There was a 28 % increase in schools use of the Hub museums – investment in museums therefore does mean that they can offer more programmes to schools and clearly schools want what museums can offer. • 27 % of visits were being made from schools located in wards which are amongst the highest 10 % on the child poverty index. • 45 % of the teachers visiting those Phase One Hubs are doing so for the first time. • 73 % of the teachers believe that their pupils are learning new subject specific facts thanks to their museum visit. • 94 % of teachers attending a museum activity see it directly linking to the National Curriculum. • Creativity, inspiration and enjoyment are the key outcomes for teachers (81 %). • 72 % of teachers said they felt that the museum visit had led to increase in knowledge and understanding. • 94 % Key Stage 2 children felt they had learnt new things. • 58 % Key Stage 3 children think a museum visit makes school work more inspiring. In addition to this work we asked all the Hubs to use 2003/4 to carry out research with teachers, pupils, local education authorities and other providers in order to ensure that the programmes they were proposing to deliver through »Renaissance« would be based on a sound understanding of user needs. In 2005 we repeated the survey of schools and teachers. This time we worked with 69 museums and interviewed 1,643 teachers and 26,971 school children. The research report »What did you learn at the museum today? Second Study« provided a further raft of information about the impact of museums on learning and about the range and type of schools visiting museums. For example, 32 percent of schools visiting »Renaissance« funded museums are located in the 20 percent most deprived wards in the country. Social Policy Social policy is very closely linked to the education and skills agenda. Under the Labour government social policy has focused on an inclusion agenda – on

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trying to identify why some people are excluded from mainstream society and to tackle the combination of circumstances which lead to this. In 1997 a social exclusion unit attached to the cabinet was set up to coordinate policy in this area. It defined social exclusion as »a shorthand label for what happens when individuals or areas suffer from a combination of linked problems such as unemployment, poor skills, low incomes, poor housing, high crime environments, bad health and family breakdown«.

Each government department was tasked with creating a policy action team to look at the contribution it could make to tackling this agenda. DCMS set up its own team and out of the work of that team came policy guidance for national and local authority funded museums. The report said that museums can play a role in »generating social change by engaging with and empowering people to determine their place in the world, educate themselves to achieve their own potential, play a full part in society and contribute to transforming it in the future«. The report went on the say that an »important principle of social inclusion is engaging and involving those at risk of exclusion […], reaching across the social divide.« This was the first time that the social role of museums had been so clearly recognised by government or that museums had been so clearly tasked with reaching out to the people who historically made very little use of their collections. Health, housing, employment etc. are big agendas and many people would argue that there is little that museums can do to tackle some of these problems. This is why the cultural contribution to social policy has therefore tended to focus on reaching out to under-represented groups. However there is a growing body of evidence to suggest that museums can contribute to the big agendas outlined a moment ago. Although museums’ work in this areas has been dogged by the absence of a rigorous methodology for measuring the impact museums and gallery programmes have on people’s lives there has been research by (amongst others) Francois Mattarasso (1997), Jocelyn Dodd, Richard Sandell and the Group for Large Local Authority Museums. This research appears to show that museums and galleries can work with people at risk of exclusion and can use their collections to support people in developing new skills and greater self confidence, which in turn can lead to improved employment prospects; they can help to motivate people so that they feel better equipped to tackle new challenges, they can support community cohesion. MLA has now developed a set of generic social outcomes to begin to capture the impact of the work of museums on communities.

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It is against this background that the »Renaissance in the Regions« report was written and the funding bids developed. One of the success measures for the programme is around participation and in particular the programme is required to report on how it has increased participation from groups who have not traditionally been well represented in museums – people from social class C2DE and people from black and ethnic minorities. All the »Renaissance« funded hub museums have targets for increasing the number of people who visit and for increasing the number of people from these target groups. A rigorous system of data collection has been introduced for all the Hub museums which captures information about the number of people visiting the museums, and about the use of collections outside the museum. In addition a coordinated exit poll is commissioned each year to measure visitor profiles, visiting characteristics, motivations and preferences and levels of satisfaction. The first baseline study was conducted between October and November 2003; over 15,000 visitors were exit polled by professional polling companies. This survey is repeated each year. All the data MLA collects at the moment is quantitative, it can only provide proxy indicators for our work in the area of social policy – in other words an understanding of the class profile. Ethnicity, educational attainment etc. of museum and gallery audiences acts as a surrogate for the degree of reach into the population achieved by museums. The next stage of the research will focus on what impact the museums have on those people’s lives. What this data allows us to do is to talk about the reach and impact of the programme: • In 2004/05 and 2005/6 a total of over 900,000 adults from C2DE and BME priority groups visited Hub museums. • Since 2002/3 there has been a 50 % increase in contact between schoolaged children and Hub museums. The Phase 1 Hubs increased their contact with school-aged children by 120 % compared with just a 20 % increase by the Phase 2 Hubs. • 32 % of these children come from schools in 10 % of the most deprived wards in Britain. Visits have been encouraged and new partnerships formed. • 96 % of visitors to regional Hub museums said they were satisfied with their visit (2005 survey). • 55 % of all visitors visited for the first time in the last 12 months (2005 survey). In the 2003 survey visitors were asked about the impact of their visit:

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• Regional Hub museums are particularly effective at inspiring curiosity among their visitors (86 % said so) and in imparting new knowledge and understanding. • Around two thirds of a sample of over 15,000 visitors to regional Hub museums said they felt inspired by their visit, whilst three in five said that their visit had ›moved‹ them. • In the same survey – conducted in autumn 2003 – more than nine in ten visitors agreed that regional Hub museums are places where their children can learn things they do not in the classroom and that museums and galleries play a vital role in helping to preserve our heritage. Almost four in five also agreed that regional museums help them to understand more about their local area and its people. All of this has been used in funding bids to argue for the capacity of museums to reach out to people across the whole of society and to develop programmes and resources which people need, want and value as a contribution to providing a good quality of life. It has also been used to shape the bid to government for more investment in regional museums. Drawing on the evidence base created through data collection by the Hubs and by MLA nationally we have been able to show what the government would be getting, if it sustains and increases its investment in the »Renaissance« programme so that it can be rolled out to all nine English regions. Conclusion Robert Kennedy famously said that »[t]he gross national product does not allow for the health of our children, the quality of their education or the joy of their play. It does not include the beauty of our poetry or the strength of our marriages, the intelligence of our public debate or the integrity of our public officials. It measures neither our wit nor our courage, neither our wisdom nor our learning, neither our compassion nor our devotion to our country. It measures everything, in short, except that which makes life worthwhile.«

The task with »Renaissance« has been to meet this challenge, to identify and measure the contribution museums and galleries make in order to make people’s lives worthwhile. I think we are now building up an evidence base which makes this case and which firmly positions our institutions as ones which contribute to making life worthwhile. I think this is a critical task for anyone who works in museums. Only by showing how museums serve the present can we be sure that they will survive to preserve the past and hold collections in trust for the future.

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The Role of Museums in Urban Regeneration

David Fleming Consider a city once so wealthy it dominated the trade of the world’s greatest trading nation, and the trade in some of the world’s most important commodities, such as cotton. A city that once was, with London and New York, one of the three greatest cities of the whole industrial age, where, at the end of the 19th century, was registered one seventh of all the world’s shipping. Consider a city where the unemployment rate is almost twice the national average, where the percentage of permanently sick or disabled adults is more than twice the national average, which has the highest rate of smoking-related deaths in the country. A city where the percentage of households without central heating is more than three times the national average, where the percentage of households with no car is twice the national average, where the crime rate for all categories of crime is higher than the national average, and is especially high for robbery and burglary. A city so poor it has 27 of the 33 most deprived electoral wards in the country. These two brief descriptions are, in fact, of the same city – Liverpool, in England. Famous for its football and the Beatles, this city’s history has been like a roller coaster ride, from obscurity, to stupendous achievement and wealth, to 50 years of relentless economic and social decline, to its present status as a city powering its way up the economic league table. This is what happens to cities. They boom, they decline, they regenerate. I intend to consider the role of museums in the ongoing regeneration of Liverpool, but first I shall examine some of the claims made for cultural activity in general and museums in particular in terms of the regeneration of our cities. In the UK in 2004 the Government launched a consultation report, »Culture at the heart of regeneration«, to help identify the importance of cultural activity. For a number of years now there has been a growing recognition in the UK that cultural activity is key to urban regeneration, though it has to be said that there is scepticism about this, and persuasive evidence is not easy to come by. I shall return to this. It was in 1993 that I first spoke publicly of the role of the museum as an agent of social change in a paper with this title at the UK Museums Association’s Annual Conference. I said then: »My aim in this paper is to explore the largely uncharted territory of the museum as social engineer, which can play a positive role in helping improve the quality of life in our deteriorating urban environment. This is the most serious social issue facing us

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Hartmut John/Anja Dauschek (Hg.) Museen neu denken today and we ignore it at our peril. Museums have to find a new agenda, not merely to save themselves in an unstable financial climate […] but to fulfil their destiny. This proactive role is becoming more clearly understood and articulated by British social history curators, but it is a role barely conceived of by many museum directors, still less by the private sector or politicians, and not at all by the society at large.«

I went on to lament, as I still lament, the narrow appeal of museums, although it is true that, today, this is changing in the UK thanks to the coming through of a new generation of more socially aware museum staff. I remember that an audience of fewer than ten people were sufficiently interested in this topic to hear my address, this at a conference attended by about 700 people. At that time, in 1993, I was working in the English city of Newcastle upon Tyne, which had recently experienced poverty-driven street riots. A national newspaper at the time wrote of Newcastle that it had endured: »[…] the worst of hammering by Britain’s industrial decline, Whitehall policy-makers and recession. The end of the coalmines, of shipbuilding and (almost) of the armaments industry has dealt the city a near fatal blow. Within living memory it was still shipping coal to all parts of the world, building a quarter of the world’s ships, and arming a whole host of ›friendly‹ countries. Today, apart from 800-odd still making Centurion tanks, all that has gone. […] [D]espite frantic efforts from planners, developers and other assorted social engineers to re-create a decent environment for the post-riot, post-industrial age, there are disturbing ways in which Newcastle insistently resembles Berlin in the uneasy years before Hitler came to power. Irreducible poverty, irreversible unemployment (sometimes running into and even beyond the third generation) plus a brash criminality and a big business black economy […]«.

Newcastle then – and, of course, still now – showed all the signs of urban decline I cited earlier in Liverpool: unemployment, poor housing, poor health, and crime. In 1997 I was asked by Newcastle City Council to draw up a draft »Culture Strategy« for the city. It was my job to persuade sceptical socialist councillors that, in their efforts to regenerate their city, and to improve the social and economic conditions of the poorer people living in Newcastle, cultural activity was not irrelevant, but crucial. Indeed, so sceptical were the left wing councillors that they described themselves provocatively as »Philistines for Labour«, convinced as they were that culture and social regeneration do not mix. In the document my colleague Alex Saint and I drew up, entitled »Towards a Cultural Strategy«, we agreed that culture can: • boost the image of the city and the region and thereby help attract inward

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investment to provide new jobs and retain highest calibre employees and businesses; establish roles for new spaces, or for redundant spaces to improve the environment, and promote an image of urban distinctiveness; create jobs and lever new sources of funding in the creation of new facilities or improvement of existing ones, and thereby improve access, choice and opportunity; engender high spend cultural tourism and so support and develop associated industries and jobs; win resources from a wide range of sources; generate community identity and pride, cohesion – and improve neighbourhood environments; work within (isolated) neighbourhoods to built confidence, introduce new opportunities, help tackle issues such as crime or harassment, and generally improve the internal social fabric and the external image; support the achievement of educational standards and attainment targets, promote lifelong learning and self-development across all ages and social backgrounds: raising individuals’ aspirations for learning, training and employment; celebrate the cultural diversity of all communities in the city, and so promote involvement, understanding and tolerance; encourage the emergence of new entrepreneurial cultural industries and talents (particularly for young unemployed people); bring together a range of partners and agencies to meet a diverse yet complementary range of objectives – this is the key role of cultural activity in urban regeneration: only through partnerships and the matching agendas can real achievements be made.

We concluded that: • A mixed diet of culture enables people to improve themselves. • To deny people access to the widest range of cultural activity is to lock them into narrow ways of thinking, to prevent them from exercising choice, and to restrict their ambition and aspiration. For example, many of the young people in Newcastle have plenty of disadvantages to overcome, without having their problems compounded through their having access only to a narrow range of cultural activity. This document was well received by the Council, which acknowledged both that it needed a proper cultural strategy, which appreciated the value of cultural activity in regeneration, and that it would need to recast its cultural spending if it hoped to make progress. Less than a decade later Newcastle,

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with its neighbour Gateshead, just across the River Tyne, has developed a reputation for investing in culture, which is probably unmatched in the rest of England. Today we can find plenty of acknowledgements of the value of cultural activity in urban regeneration. There is evidence that inward investors favour and remain loyal to those cities which take their culture seriously; that lively cultural activities at the city centre discourage crime and anti-social behaviour, and encourage the development of vacant and derelict downtown property; that culture is a vital element in a city’s drawing power; that culture is the basis on which civic pride and city identity is built; that culture projects create a legacy; that high quality design as seen as a key ingredient in urban competitiveness; that a high quality cultural offer is a basic requisite of an internationally successful city. Two recent UK documents focus on museum’s role in regeneration. The »Strategy for North West Museums« contains the diagram in figure 1. Figure 1: Strategy for North West Museums Urban and Rural Renaissance

Heritage Assets

* Museums play a key role as catalysts for participants in regeneration.

* Many Museums and Galleries are important heritage buildings and house collections that are national treasures or that contribute to regional distinctiveness.

The Cultural Economy * Museums and Galleries are a key economic driver of region’s cultural economy.

Image and Branding * Renowned museums with high brand status contribute to the positive image of regions, cities and other destinations.

Community Identity

THE BENEFITS

* Museums are important repositories of objects and memories that have meaning for communities.

Social Inclusion and Cohesion

Catalysts for Learning

* Museums play an increasingly important part in the drive for an inclusive society.

* Museums are the forefront of learning and skills agendas.

»A Manifesto for Museums« cites museum developments in Trafford, Manchester, Birmingham, Bristol, Sheffield, London and Bradford as having made important contributions to urban regeneration. The Manifesto says that museums act as »civic and community spaces«, as »catalysts for creativity«, as

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»centres for research and innovation«, as »centres of learning«, as »agents for social change«. Let us look more closely at museums and economic regeneration. Tate Modern in London is said to have generated £100m worth of economic activity and 3,000 jobs in the first year. The Guggenheim Bilbao is also said to have generated over £100m worth of spending in the city during 2001 alone – on accommodation, catering, shopping, transport and leisure, as well as in the museum itself. Such statistics are hard to come by, not least because it can be difficult to disentangle the impact of museum development from that of accompanying regenerating factors, such as other cultural activity, transport infrastructure or shopping. The contrasting views about the impact of becoming European City of Culture in 1990 had on the city of Glasgow illustrates the problems of defining the economic consequences of culture. Some say that the award had little lasting effect; others claim the award sparked a lasting renaissance. What is clear is that Glasgow’s image is now very different from what it was in the 1980s, and the role of the creative economy in this transformation seems unarguable. And so we return to Liverpool, once one of the world’s greatest cities, then a city in such a calamitous decline one of its writers said that it had been »murdered«; and now a city which will be the European Capital of Culture in 2008. Liverpool fell so fast and so far after the Second World War that its poverty was recognised by two six year rounds of European Regional Development Fund Objective 1 provision, and its regeneration still lags behind that of other major northern English cities such as Leeds and Manchester. However, when I came to work in Liverpool in 2001 it was clear that the regeneration process was underway, with a number of major investment schemes planned, unemployment falling slowly, and property prices beginning to rise. In fact culture, and particular museums, had been at the heart of Liverpool’s regeneration efforts for almost 20 years. My organisation, National Museums Liverpool (NML), runs eight museums and galleries. We became a national institution in 1986 and we are the only national museum service in England based wholly outside London. We are the biggest cultural employer in the north of England with over 600 staffs, and an annual turnover of £25m. The creation of our Merseyside Maritime Museum in the historic but derelict Albert Dock complex in 1986 kick-started the regeneration of Liverpool’s waterfront, which was further boosted by the opening of Tate Liverpool in 1988 in a neighbouring building. Indeed, the redevelopment of Liverpool docks was a high profile cultural regeneration which set the tone for the

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1980s, and other cities such as Birmingham and Manchester put in place cultural development strategies for the first time. Since that time the Albert Dock has become an important tourist destination, and the UK’s biggest free Maritime festival attracts 500,000 visits every year over a single weekend. Our Conservation Centre, a European Museum of the Year winner in 1998, was created in the mid 1990s in the Queen’s Square area of the city – then derelict, now a thriving part of Liverpool’s retail heart. Currently we are nearing completion of a £45m capital development programme across three of our museums. The bulk of this work has taken place in the Liverpool Museum and the Walker Art Gallery which, together with Liverpool’s Central Library and St. George’s Hall, form one of the world’s finest groups of neo-classical buildings in an area now known as Liverpool’s Culture Quarter. Once an island of beautiful but deteriorating buildings surrounded by urban decay and dereliction, the Cultural Quarter is set to take its place at the centre of the Capital of Culture programme. And we have further plans. We intend in 2007 to create a new museum, the International Slavery Museum, which will occupy yet another Grade 1 listed building in the Albert Dock, and which will tell the story of how Liverpool became the capital of transatlantic slavery in the 18th century. We shall also examine contemporary issues of racism and diversity, which have their roots in the slave trade. Our biggest scheme of all is to build an entirely new structure right in the centre of Liverpool’s world-class waterfront, to be opened as the Museum of Liverpool as the centrepiece of the city’s 2008 projects. More of this later. In terms of helping transform Liverpool’s image as a decayed, crime-ridden city to be avoided at all costs, the museums have played a central role. It was the quality of the museums and their collections, which helped tip the balance in Liverpool’s favour when it came to deciding which of the competing twelve British cities should be the UK’s nomination as European Capital of Culture. Since winning this nomination in 2003, Liverpool’s regeneration has taken off in a spectacular way. Unemployment is falling faster than anywhere else in the UK, its population has begun to increase again, and property prices have boomed. Add to all this the securing of World Heritage Site status for the city centre and the docks, and you can sense how important the transformation of Liverpool’s image is through its culture and heritage. Liverpool, already a magnet for growing numbers of tourists to see its magical buildings, its world class museums, its burgeoning nightlife and, of course, Penny Lane, Strawberry Field, the Yellow Submarine and the childhood homes of John Lennon and Paul McCartney. Liverpool is about to join the premier league of European city destinations, with all the economic benefits that will bring. It is important to understand that museums can play a role in economic

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regeneration only if they match their efforts to those of other agencies, their strategies to those of other agencies – museums cannot work in isolation. There is another side to urban regeneration. One which surely is greatly influenced by economic revival, but which is often neglected in analyses of regeneration phenomena, which have tended to concentrate on the impact of big capital projects. I speak of social regeneration, or, if you prefer, community renewal. As we see a shift in regeneration strategies towards seeing people as the principal asset through which renewal can be achieved, so we see a growing akknowledgement of the role in this of cultural activity and programming. Moreover, there are issues concerning large cultural developments. For one thing, they can be very expensive, and will be way out of reach for many smaller towns and cities – Tate Modern cost £130m, the Guggenheim Bilbao £64m. They often require significant revenue funding – they do not come without financial strings attached. Most worrying of all, they may not connect with local people and local needs and, once the initial impact has worn off, they may become not much more than a drain on local resources. By contrast, cultural programmes can be inexpensive, can be implemented relatively quickly, are flexible, and can have a high impact for low risk. My major caveat to this is that genuine, sustainable community renewal, especially in our most disadvantaged communities, is a long term challenge. There are no quick fixes, despite what funding bodies often expect. My own approach to this is that you must plan over a long period, perhaps as long as a whole generation, if you really want to make a difference in cities as depressed as Newcastle and Liverpool. This, of course, is not easy to achieve in the face of funding uncertainties and personnel changes. What is crucial is that there is a philosophy and a policy to set a long term agenda. This is what I argued for in Newcastle, and when I left the museums there after ten years as director I reckoned that we were no more than half way through our programme of contributing to social change through our programming. In Liverpool we have adopted a »Statement of Aims and Beliefs« which has set a new tone for our work that I hope will be built upon, so that our successors in 10, 15 or 20 years time can develop our legacy. In essence we believe that social change through learning is the fundamental purpose of museums. I spoke earlier of the power of culture to effect social change, in terms of developing confidence and pride, and of promoting lifelong learning, and understanding, and tolerance. Cultural activity is capable of engaging everyone, no matter how disengaged or alienated they may be, and it can generate self-expression, creativity, and self-respect. I could give you a host of examples of programmes which we have under way in Liverpool, but I shall restrict myself to just three: First, a project which is called »Engaging Refugees and Asylum Seekers«.

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This is a partnership initiative funded by two Government departments (Department of Culture, Media and Sports/DCMS and Department for Education and Skills/DfES) in which NML and three other museum services in Sunderland, Salford and Leicester explore the potential for museums to offer learning, social and cultural opportunities to refugees and asylum seekers, of whom 4,000 have settled in Liverpool, representing more than 70 nationalities. The first phase of the project tested approaches to learning activity in museums and developed resources for each venue which would support future activity – for example bilingual guides to the gallery, resources for language tutors, and on-gallery sound guides in different languages. Evaluation of the programme by the research Centre for Museums and Galleries at the University of Leicester found the following: »A teenage asylum seeker in Liverpool found repeated use of the National Museums as a curriculum resource meant that […] he began to feel a sense of place and belonging. He was part of a group of teenagers from many different countries, all with traumatic experiences in their recent past. Working together at the museum gave them all a common experience to talk about as they begin to remap their lives and remodel their individual identities to take them forward into a new phase of their lives.«

Some of the pupils and their tutor described the impact of the use of the museums on the student’s learning: • learning about the city and the countryside, both orientating themselves geographically and gathering historical information; • learning about English culture; • social interaction and relationships are encouraged; • deeper relationships with the lecturers and other adults were facilitated; • the motivation to find out more was stimulated. The programme had been extended with further funding from DCMS and DfES. In phase two, which ran to March 2006, the project explored ways of engaging with refugees and asylum seekers under 19 years of age, and identified ways to work with schools and parents to support their children’s learning and the integration of families into the community. Another project is »Celebrating Diversity« – initially a three-year outreach project which has enabled NML to create new educational resources, develop culturally diverse festival celebrations, try out new marketing methods for formal education groups and individuals, and to develop opportunities for community groups to work with us via the internet. Specifically, »Celebrating Diversity« seeks to strengthen NML’s relationship with four groups: Liver-

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pool’s minority ethnic communities, young people, families, and people who are socially excluded. »Celebrating Diversity« comprised seven strands of activity: • »Live Links on the Road« (the Conservation Centre working in community settings); • »World Cultures« (events to encourage interest in the new World Cultures gallery, which opened in 2005); • »Electronic Outreach« (developing community use of the NML website); • »The VIP Programme« (activities for »specific ethnic minorities and socially excluded groups«, e.g. free food and drink in museums); • »Partnerships in Education« (courses and secondments for teachers and others involved in lifelong learning); • »Popular Publications« (leaflets, guides and activity packs for children and adults, particularly encouraging cross-generational use of NML); • »The Adult Learning Programme« (basic skills sessions using the collections as source material). A third project is our »Slavery Remembrance Initiative«. As I have mentioned, Liverpool was the world’s most active transatlantic slaving port at the time of the abolition of the British slave trade in 1807. In 1994, NML opened a museums gallery devoted to the city’s role in the slave trade, entitled »Against Human Dignity«. This remains the only comprehensive exploration of transatlantic slavery anywhere in the world. Since 1999 NML has organised events to mark Slavery Remembrance Day, August 23rd, developing from the community outreach programme based around the slavery gallery. Recently we set up the Liverpool Slavery Remembrance Initiative, a partnership of National Museums Liverpool, Liverpool City Council, and individuals and representatives of organisations from the local black community. The partnership aims to promote the marking of Slavery Remembrance day on 23rd August each year, and the need for improved opportunities to learn about slavery, whether thought schools or adult and community learning programmes. Our approach to Slavery Remembrance Day seeks both to commemorate the lives of the enslaved Africans, and to celebrate the resistance, rebellion and revolution which ended slavery, highlighting the role of the enslaved in their own liberation. In 2004, our emerging partnership to deliver Slavery Remembrance Day has developed significantly. A steering group has been meeting regularly to discuss a wide range of subjects related to the development of the Slavery Remembrance Programme in Liverpool, and how to raise the national profile of Slavery Remembrance Day.

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Key achievements include: • delivery of a highly successful events programme to mark Slavery Remembrance Day on 23rd August 2004, funded jointly by National Museums Liverpool and Liverpool City Council; • the passing of two Liverpool City Council Motions which established 23rd August as a civic occasion and called for continuing education programmes in the city; • Louise Ellman MP’s tabling of an Early Day Motion signed by 147 members of Parliament, which recognises National Museums Liverpool’s work on Slavery Remembrance Day and calls for national recognition of 23rd August. Here are a few quotes from participants in our Slavery Remembrance Day Events Programme in 2004: »It was profound, emotive, and extremely interesting.« »It was a warm, moving and thought provoking day. I learnt a lot, and think that the Transatlantic Slavery Gallery is really wonderful. There is hope for the future.« »Great day to recall the positive energy of our ancestors.« »Very moving, lovingly presented. Well done, I will certainly attend in future years.« »It is an important occasion for Liverpool. To move forward the city needs to be educated in order to understand.«

The Liverpool Slavery Remembrance Initiative delivered four key events and an associated community learning programme to commemorate the International Day for the Remembrance of Slavery and its Abolition: • »The Burden of Memory«, a memorial lecture delivered by the leading French and Haitian art historian Florence Alexis; • »People of Faith Mark Slavery Remembrance Day«, a service for people of all faiths to call for racial and social justice, led by Merseyside Interfaith Group; • »Liverpool Commemorates Slavery Remembrance Day«, an event held on the Pier head in Liverpool, combining keynote speakers and performers from the local black community; • »The Slavery Remembrance Day Dinner«, designed to strategically raise the regional profile of Slavery Remembrance Day with the regional business community. The steering group is now considering an extensive list of suggested projects and education programmes to mark Slavery Remembrance Day. There is con-

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siderable potential for the Slavery Remembrance Day programme to grow over the next few years into an all year round initiative, supported across the city by large organisations, learning organisations and community groups. Priorities for the steering group include: • to ensure that slavery remembrance is built into the Capital of Culture programme in 2008; • to influence the national agenda, including the national adoption of Slavery Remembrance Day, building to high profile and spectacular public events for 2007 and 2008; • other initiatives, including a city trail, memorial, theatre events, training of community advocates. We have appointed consultants to produce a strategy and business plan for the Liverpool Slavery Remembrance Initiative. This will articulate a clear business case and strategy for the growth of the Initiative, which we will be able to use as an advocacy document with potential founders, to ensure that slavery remembrance is properly integrated into the city’s forward planning to 2008 and beyond, with adequate funding and partnership support, so that all communities in Liverpool, including the black community, are able to understand the slave trade, and the impact it has had on our ability to live together today. In conclusion, I believe wholeheartedly in the value of culture in general, and museums in particular, in helping effect urban regeneration; and especially I am convinced both by the value of long-term, sustained community programming by museums, and by the economic benefits capital projects are capable of bringing. But I must stress that we need more hard evidence if we are to make the case to politicians and society at large. We have insufficient evaluation and rather too much wishful thinking. We must also accept that there are failures, and cases which are not clear cut. Some capital schemes have been too ambitious in their projections; some have failed to secure community ownership; some have simply been ill-conceived, opportunistic rather than fitting into a long term regeneration strategy. There are those who reject the idea that museums should even be involved in trying to help bring about social change through learning. Over the years I personally have been attacked many times in print. My favourite one read: »Fleming should have become a politician or a social worker rather than a museum director.« We must resist such negativity and hostility.

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Harald Siebenmorgen Mein Thema lautet »Das Badische Landesmuseum im gesellschaftlichen Wandel« – und nicht: »Die Museen im gesellschaftlichen Wandel«, denn ich habe nicht die Absicht, dass ich andere Museen wie ein Prediger an unserem Wesen genesen lassen will. Wir haben unseren eigenen Weg gefunden: Andere suchen und finden andere Wege. Trotzdem will ich mit einer allgemeinen Information beginnen: Der »Museumsführer Baden-Württemberg« verzeichnete 2004 in fünfter Auflage über 1250 Museen. Die erste Auflage war 1980 erschienen und enthielt Informationen über ca. 380 Museen in Baden-Württemberg – eine Verdreifachung in ca. 20 Jahren. Wen wundert es übrigens, wenn diese Expansion, die wohl die gleichzeitige Zuwachsquote des Bruttosozialprodukts erheblich übersteigen dürfte, Folgekostenprobleme verursacht. Ich bin nicht gegen Neugründungen, wenn sie einem Gegenwarts- und vor allem Zukunftsbedarf entsprechen, aber man muss dann auch eine Einrichtung, die sich als Institution überlebt hat und die ihre gesellschaftliche Bedeutung eingebüßt hat, schließen können. Deswegen wird ja nicht das Sammlungsgut der Schuttmulde anheim gegeben; in der Regel wird es in einem solchen Fall einer anderen Institution angeschlossen.1 Oft erheben sich Stimmen, die befürchten, mit der Schließung einer Institution – trotz dreier neuer, die andernorts entstehen – sei heute geradezu der ›Untergang des Abendlandes‹ gekommen. Medien werden mobilisiert und schlagen auf ›Borniertheit‹ und ›Banausentum‹ ein, und für jedes von Schließung bedrohte Museum findet sich ein prominenter Politiker, der sich wie weiland Winkelried in die Bresche wirft: »Dieses Museum darf nicht sterben!« So wird sich keine Zukunftspolitik der Museen machen lassen. Es bedarf zunächst einmal der Hinterfragung etablierter Überzeugungen, von Voluntarismen, denen die Verantwortlichen erliegen, und von selbstreferenziellen Mechanismen, denen viel geopfert wird – oft unbewusst, manchmal aber auch geboren aus dem Narzissmus der ›Macher‹, die nur mehr um sich selbst und ihre gleich gesonnene Branche kreisen, mit dem eingestandenen Drang zur Selbstversenkung und Karriereprofilierung, zur déformation professionelle, zum zirkulären Kastendenken.

1 Wenn ich mir die Geschichte des Badischen Landesmuseums, vor allem bis 1945, anschaue, war das ein ständiges Kommen und Gehen von abgeschafften, anderen Museen angeschlossenen oder für ausgegliederte Neugründungen abgewanderten Sammlungskomplexen.

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Zunächst einmal: Es ist ›Voluntarismus‹, wenn wir immer glauben, die Welt wäre so (oder müsse so werden), wie wir sie uns wünschen, wenn wir also Wunsch und Wirklichkeit verwechseln: ›Museen so viel wie möglich und mit Geld und Stellen im Übermaß‹. ›Es muss in Zukunft …‹ – eine stereotype Formulierung zu glauben, was nicht ist, wird noch werden. Nichts ›wird mehr‹: In der öffentlichen Meinung ist längst von ›zu viel Kultur‹, ›zu viel Museen‹, vom ›geordneten Rückzug‹ die Rede, und Bürgerinitiativen bilden sich häufiger eher gegen als für neue Museen. Da nützt es nicht, sich als Märtyrer für verkannte Ideale zu fühlen oder die Schlechtigkeit der Welt zu beklagen. Und wir werden lernen, dass wir unsere Zielsetzungen nicht an unseren eigenen Absichten, sondern an den Erwartungen unserer Auftraggeber orientieren müssen. Viele haben es immer noch nicht begriffen, dass ihre Unterfinanzierung nicht ›gottgewollte‹ Sparnotwendigkeit ist, sondern bewusste Zurücksetzung durch den Träger, der einem Museum keine besondere Bedeutung beimisst – denn für das, was man wichtig und erfolgreich findet, ist ja genug Geld da. Mancher Museumsträger traut sich nur nicht, dem Museum das offen ins Gesicht zu sagen, sondern verschanzt sich hinter dem finanziellen Zwang. Um auf die ›wundersame‹ Museumsvermehrung der letzten Jahrzehnte zurückzukommen: Man darf sich keineswegs in der Illusion wiegen, alle oder auch nur die Mehrzahl dieser Museen seien von Seiten der Gründer ins Leben gerufen worden, weil sie den Bedarf des Forschens, Konservierens oder wohl auch des zusätzlichen Sammelns entdeckt hätten und Abhilfe schaffen wollten. So gut wie alle diese Neugründungen besitzen eine kulturpolitische Aufgabe: Sie sollen das Kulturleben einer Kommune mit Ausstellungen, Eröffnungen und Veranstaltungen bereichern, dem Stadtmarketing mit der Ausbildung einer besonderen ›historischen Identität‹ der Gemeinde beispringen, das Stadtimage profilieren, den Tourismus ankurbeln, als viel beschworener ›weicher Standortfaktor‹ die Wirtschaft stärken. Sammeln? Erhalten? – Ja, man muss ja etwas ›zum Anbieten haben‹. Die Museen sind für ihre Museumsträger ganz gewiss kein Selbstzweck. Und Versuche, Museen gegen die Absichten des Trägers auszurichten und zu führen, dürften in der Regel entweder mit Kündigungen oder, wo dies nicht möglich, ohnmächtiger Wut bis zur Resignation der Träger führen. Dafür sind verschiedentliche Beispiele in Baden-Württemberg bekannt. Nun wird gegenüber der Schnelligkeit des Ausstellungs- und Veranstaltungsgeschehens der Museen stets der archivalische bzw. »Erhaltungsauftrag« ins Feld geführt. Wie gesagt, er stellt nur selten den Beweggrund zum Gründen und Halten von Museen dar, und es würden gewiss 20 oder 30 Museen statt 1200 in Baden-Württemberg ausreichen, um diesen Auftrag genauso – oder vermutlich durch die Konzentration der Kräfte noch deutlich besser – zu erfüllen. Es wird – im Prinzip zu Recht – an die vergleichbaren Aufgaben

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unserer Schriftgut-Archive appelliert. Richtig. Nur: Es fehlt an einem vergleichbaren »Museumsgesetz«, das diesen Teil der Museumsaufgaben als »Pflichtaufgaben« ausweist. Die Zahl der Archive ist sehr viel kleiner. Und ob es in Anbetracht der Vielzahl, der sich überschneidenden Aktivitäten und der oft schwierigen Zuordnungen möglich sein würde, für jedes Museum einen genauen Sammel- und Darstellungsauftrag nachzuweisen, ist sehr zu bezweifeln. Bei den vielzähligen Sammelaktivitäten des Badischen Landesmuseums gibt es kein Gebiet, das nicht auch von anderen Museen aktiv besammelt und für sich reklamiert wird. Und reines Sammeln und Erhalten, das könnte auch in irgendeinem Stadtrandgebäude vonstatten gehen, anstatt oft in prominenten historischen Gebäuden (unser Karlsruher Schloss ist z.B. das vielfach begehrteste Gebäude in der ganzen Stadt) oder aufwendigen Neubauten, wenn es aufs Publikum nicht ankommt und man tun und lassen möchte, was man will. Akzeptieren wir also: ›Konkurrenz belebt das Geschäft.‹ Niemand wird heute mehr einen hoheitlich definierten Schutzraum um ein Museum ziehen, sondern wir sind – spätestens seit 1989 –, ob uns das gefällt oder nicht, in die freie Marktwirtschaft entlassen und sollten diese Rolle, die ein gutes Stück ›Dienstleistungsdenken‹ mit sich bringt, auch innerlich akzeptieren. Theodor W. Adorno hat einmal sinngemäß gesagt, das Publikum ›habe das Recht, dass man ihm verweigert, was es mit Nachdruck fordert‹. (Walter Benjamin forderte allerdings auch, Ausstellungsverantwortliche müssten »vom fahrenden Volk« als unerreichtem Meister der Popularisierer lernen!) Respekt. Aber damit lässt sich kein Museum führen, das nun einmal auf hohe, möglichst steigende Besucherzahlen angewiesen ist. Mittlerweile wird heute vielen das bewusst, was die Direktorin des Düsseldorfer Stadtmuseums, Susanne Anna, unlängst gesagt hat: »Es ist höchste Zeit, dass Museen den Anspruch aufgeben, sie wüssten ja wohl am besten, was gut für ihre Besucher ist.« Das Museum vor der Zeit der ›großen Öffnung‹ in den 1970er Jahren verstand sich als ›Bildungsanstalt‹, aus dem der Besucher ›belehrter‹, gleichsam ›gebessert‹ wieder herauskommt. Es war ein Schauplatz zur Aufrechterhaltung hehrer traditioneller Bildungsideale, deren Stellenwert in der gesellschaftlichen Wirklichkeit in der Bedeutungslosigkeit verschwand. Die 68er haben diesen ›paternalistischen‹ Umgang mit dem Besucher im Grunde in gleicher Weise weiterpraktiziert und nur die Zielsetzung in Richtung gesellschaftlicher Veränderung via ›Menschheitsverbesserung‹ ausgetauscht. Spätestens jedoch mit der Einführung des Eintrittsgeldes (in Baden-Württembergs meisten staatlichen Museen 1995) wurde aber der Besucher mündig: Er rückte in die Rolle des aktiven Entscheiders, was er für sein Geld zu sehen, erleben und zu lernen wünscht von seinem professionellen, institutionellen Vormund, sprich: dem Museum. Da sortiert sich – anders vielleicht, als wir es

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uns wünschen – rasch, was der Besucher, der ›Kunde‹ – man sagte gar schon, recht hässlich: der ›Verbraucher‹ – will oder nicht. Zu den ›Voluntarismen‹ zähle ich auch die Meinung, das Ziel der Museumsvermittlung müsse es sein, dass der Besucher ein möglichst vielseitiges Verstehen, die ›Polyvalenz‹ eines ausgestellten Objektes, erlerne. Ja – wie denn? Im Badischen Landesmuseum sind 15.000 Objekte ausgestellt. Wenn ein Besucher vielleicht zweieinhalb Stunden für den Aufenthalt mitbringt, hat er pro Objekt genau eine Sekunde. Da bin ich doch froh, wenn er wenigstens einen Blick auf ein Exponat geworfen und eine Betrachtungsweise – in der Regel im inszenierten thematischen Kontext – eingenommen hat. Wir überschätzen oft den Besucher, in dem wir ihn zu dem machen wollen, was wir selber sind. Und wir verspekulieren uns gewaltig, wenn wir glauben, der Besucher wolle nun endlich im Museum zum Wissenschaftler werden und dessen Problemstellungen und Erkenntnisse nachvollziehen. Nein – den Besucher interessiert es nicht, in welchem Museum ein Vergleichsstück zu unserem vorhanden ist und was jede Öse auf einem ungestalteten antiken Blech bedeutet haben könnte. Wissenschaft kann immer nur eine – wenn auch wichtige – dienende Rolle im ›Endprodukt‹, das das Museum erstellt und auf dem Markt anbietet, spielen: die Ausstellung, der Katalog dazu, die sonstigen Publikationen, die Begleitveranstaltungen. Die Zielgruppe der scientific community ist ja entschieden zu klein und hat ganz andere Bedürfnisse, um damit die Ausstellungsarbeit vor den Kulissen definieren zu können. Freilich: Mancher gibt seinem Ausstellungsprojekt gerne ein wissenschaftliches Mäntelchen, um das immer noch obsolet erscheinende Schielen auf den Besuchererfolg zu vergrämen. Doch im Ernst: Strömen die Menschen in eine Nolde-, Munch- oder Altägypten-Ausstellung, weil man hier die Exponate ›in einer neuen Perspektive‹, sei es »Munch und die Frauen«, »Munch und der Norden«, »Munch und Deutschland«, kennen lernen möchte? Sie wollen gar kein Munch-Wissenschaftler werden, sondern haben Lust, diese Bilder, sinnvoll und populär erschlossen, anschauen zu können. »Wenn meine Rembrandts im Museum hängen, kommt kein Mensch, hänge ich sie in der Kneipe auf der anderen Straßenseite ins Hinterzimmer und nenne das ›Rembrandt-Ausstellung‹, dann strömt das Volk«. Diesen Seufzer soll der Berliner Generaldirektor Wilhelm von Bode schon vor mehr als 100 Jahren getan haben. Es ist ein Dilemma für diejenigen Museen, deren Standort touristisch nicht sonderlich ausgewiesen ist, dass die »Dauerausstellung« zunehmend bedeutungsloser geworden ist und sich alles auf den Sonderausstellungsbetrieb konzentriert. Das Badische Landesmuseum hat über mehr als zehn Jahre hinweg großes Engagement für eine neu und anspruchsvoll aufgemachte »Sammlungsausstellung« (so nennen wir dies, um die Worte »Dauer« und »ständig« zu vermeiden) aufgewendet

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und hat innerhalb von ein, zwei Jahren die gesamte Präsentation im Karlsruher Schloss erneuert. Wie viele größere Häuser in Deutschland haben dies auch? Aber es bleibt zu konstatieren, dass trotz aller Marketinganstrengungen die Relation des Besucheraufkommens zwischen Sonder- und Dauerausstellung von 80 zu 20 auf höchstens 70 zu 30 zu verschieben ist. Hier haben wir glücklicherweise in den letzten acht Jahren Sonderausstellungen mit über oder an die 100.000 Besucher zustande gebracht. Wie hat das Badische Landesmuseum in den letzten Jahren auf die neuen Herausforderungen reagiert? Nach verbreiteten Effizienzanalysen und einer »Leitbild«-Erarbeitung haben wir ab 2003 einen sogenannten »Landesbetrieb« mit Doppelspitze und kaufmännischer Buchführung eingerichtet. Im Organigramm stellt – der Rolle entsprechend – die Wissenschaft nur noch eine Abteilung dar – neben Kommunikation, Betriebsdiensten und Management. Früher waren es drei. Auch in der Überzeugung, dass in einem Landesmuseum mit außerordentlich breiten, fast universalen Aufgabengebieten (von der Steinzeit über die antiken Hochkulturen, der abendländischen Kulturgeschichte über die islamischen Kulturen bis zur angewandten Kunst und der Alltagskultur der Gegenwart) ohnedies nicht mehr die Fachleute für alle Bereiche zur Verfügung stehen, schließen wir Kooperationsabkommen mit Universitäten und Forschungsinstituten (Karlsruhe, Heidelberg, Freiburg, Tunis), um den Wissenschaftstransfer zu uns und umgekehrt den Praxis- bzw. museumsspezifischen Transfer in die Universität zu gewährleisten. Neu ist die Kommunikationsabteilung mit Fachleuten für Medien, Marketing, Museumspädagogik und Eventmanagement. In einem eigenen Referat sind unsere »Betriebe gewerblicher Art«, die uns viel Geld erbringen, angesiedelt: der Museumsshop, die Themengastronomie im ausstellungsbezogenen speziellen Ambiente, unser »Zentrum für Evaluation und Besucherbefragung« (ZEB), das Aufträge aus dem ganzen deutschsprachigen Raum akquiriert, die Saalvermietung und die Eventveranstaltungen von eigenen Museumsfesten und »langen Nächten« – bis zur Fremdvergabe z.B. für Hochzeiten oder Firmenveranstaltungen. Ja, wir veranstalten Events. Ich habe die Diskussion um das Für und Wider von Events nie verstanden, denn die exponiertesten – und absurdesten – Events sind doch die Ausstellungseröffnungen, die schließlich jedes Museum praktiziert. In einer südwestdeutschen Stadt, so erzählt man, und wenn die Geschichte nicht stimmen sollte, ist sie zumindest gut erfunden, sollte einmal eine Ausstellung über einen russischen Dichter eröffnet werden. Die Einladungen waren verschickt, aber die Ausstellung steckte im Zoll fest und war nicht rechtzeitig da. Da entschloss man sich, die Eröffnung durchzuführen und so zu tun, als ob nichts wäre. Böse Zungen behaupten, mehr als 90 Prozent der Eröffnungsgäste hätten gar nicht gemerkt, dass die Ausstellung selbst gar nicht da gewesen sei. Ein Museumsleiter aus dem Alemannischen

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erzählte mir, er habe zu »Fasnet« zum vierten Mal im vierten Jahr dieselbe Ausstellung neu eröffnet – und niemand, schon gar nicht die Presse, habe es bemerkt. Ich habe es selbst immer wieder erlebt: Bei Eröffnungen bleibt ein Großteil der Besucher an der Bewirtung ›kleben‹, ohne die Ausstellung selbst überhaupt eines Blickes gewürdigt zu haben. Man verabschiedet sich dann, dass man ›unbedingt noch einmal wiederkommen‹ müsse. Beim frommen Wunsch bleibt es dann. Besonders willkommen sind jene Vernissagenbesucher, die zeitlich genau abpassen, wann die Eröffnungsreden vorbei sein dürften, um erst dann zu Small Talk bzw. Speis und Trank zu erscheinen. Verleihen hier, bei dieser allgemein praktizierten Gewohnheit, die man absurderweise keineswegs »Event« zu nennen pflegt, die Museen, wie ein beliebtes Thema der Museumsforschung heißt, ihren inhaltlichen Aufgaben »nachhaltiges Gewicht«? Bei den Abendvorträgen mit 30 Besuchern im Begleitprogramm bestbesuchter Ausstellungen, in denen den Tag über vielleicht über 1000 Personen gekommen waren? Also zumindest muss man »Event« und »Bildung« jeweils etwas anders zu definieren suchen, als eine hilflose traditionelle Selbstverharrung beschwören will. Das Badische Landesmuseum praktiziert »Events«, über die man sich heute so gerne entrüstet (wir sagen an der Grenze zu Frankreich allerdings lieber »événement« dazu – schon ist man in ruhigerem Fahrwasser, denn jedes elsässische Dorf besitzt eine »salle des événements« bzw. ein »maison polyvalente«). Dazu gehört, dass zu jeder großen Ausstellung eine Themengastronomie, ein entsprechend auf das Thema zugeschnittenes Shopangebot, Schauspieler- und Kostümführungen gehören. Abends kann es dann beispielsweise Angebote von »Exklusivführungen« für Gruppen (20 bis 30 Personen) geben, die ca. 40 Euro pro Person zu zahlen bereit sind. Sie bekommen: Führung mit Schauspielerauftritt, Aktionsangebot, anschließendes themenbezogenes Menü mit Musik oder Vorführungen. Wenn der Bedarf danach in der Bevölkerung bei einem zahlungskräftigen Publikum (das oft noch viel mehr bei Open-Air-Opern, die im Sommer vor dem Karlsruher Schloss stattfinden, ausgibt) besteht, sehe ich keinen Grund, ihm nicht zu gehorchen. Und wenn der Bedarf nicht mehr besteht, sind diese »Events« wieder vorbei. So einfach ist das. Und nebenbei sei gesagt, dass das Badische Landesmuseum auch einiges (bis zum freien Eintritt am Freitagnachmittag) anbietet, um auch dem ›schmalen Geldbeutel‹ den Museumsbesuch möglich zu machen. Der Status als »Eigenbetrieb« bedeutet, dass dem Museum die Haushaltsmittel als Globalzuschuss zufließen und frei für Sach- und Personalaufwendungen (bei festen Stellen mit Obergrenze) verfügbar sind. Sie werden in Rücklagen übertragen und durch eigene Einnahmen in voller Höhe vermehrt. Wir praktizieren Kosten-Leistungs-Rechnung auf Kostenstellen und Control-

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ling. Es ist kaum zu glauben, welche finanziellen Spielräume auf einmal erschlossen werden, wenn man nicht nur Mittel nach Haushaltsplan ausgibt, sondern Ausgaben als Investition betrachtet und betriebswirtschaftlich strukturiert. Den Besucher als Nutzer unserer Einrichtungen ernst zu nehmen (und ich behaupte einmal, der Begriff »Besucherorientierung« heute hat durchaus etwas mit dem der »gesellschaftlichen Relevanz« der 68er Zeiten zu tun), macht sich unmittelbar auf dem Konto bemerkbar. Und dieses schafft uns Spielräume, die gerade das Gegenteil dessen bewirken, was viele befürchten: Gerade dadurch haben wir die Spielräume, neben massenwirksamen Großausstellungen auch intellektuell anspruchsvolle mit weitaus geringeren Besucherzahlen zu leisten, neben populären Katalogen auch wissenschaftliche und künstlerisch elitäre Publikationen für kleine Nachfragekreise herauszubringen. Der Wind in der Branche ist rauer geworden. Sponsoring wird zunehmend eingesetzt, wo der »Rückwert« für das Unternehmen messbar und effizient ist. Die ›öffentliche Hand‹ gründet vielleicht zwar weiter neue Häuser, aber kürzt zunehmend im laufenden Betrieb. Der Begriff »Selbstfinanzierung« kursiert schon durch die Etatdebatten. Es macht Sinn, sich weithin eigenständig zu machen – heraus aus der selbstgenügsamen Kulturreflektivität, hin zum Selbstbewusstsein des »kulturschaffenden Betriebes«, wie ein Theater oder Orchester. Das setzt aber auch ein anderes Selbstbewusstsein der Museumsbeschäftigten voraus, weg vom kontemplierenden Wissenschaftler hin zum selbstbewussten ›Kulturmacher‹, der mit dem Medium »Ausstellung« über eine ganz eigene und spezifische Artikulationsform auf dem Markt der Kulturangebote verfügt. Dies müsste aber freilich auch wieder eine völlig andere Ausbildung unseres Museumsnachwuchses nach sich ziehen, als es der ›in der Wolle gefärbte‹ Wissenschaftler mit Praxis-Schnellbleiche heute darstellt: Kompetenz in visueller bzw. Ausstellungskommunikation, künstlerische Fantasie, Gestaltungskompetenz, Dialogbereitschaft, Wissen um die Probleme der Zeit. Wir brauchen Museumsentgrenzungen – und neue Vernetzungen –, die uns von der ausschließlichen »Objektkompetenz« zur »Themenkompetenz« emanzipieren. Und die Rückkehr zur Beschäftigung mit Themen anstatt mit uns selbst, mit unserem Selbstverständnis und unseren Problemen. Schluss mit der Debatte! Unseren Stellenwert, unseren Rang im kulturellen und gesellschaftlichen Dialog können wir am besten wahrnehmen, wenn wir wieder anfangen, unseren Beitrag zu den großen Themen der Zeit zu leisten: historisches Erbe, interkulturelle Diskurse, Rolle der Religion, der Kunst, Technik, Ethik und Gerechtigkeit. Das Badische Landesmuseum nimmt sich z.B. verstärkt der transkulturellen Problemstellungen mit den islamischen Kulturen an, speziell unserer »Fremdwahrnehmung«, dem Blick des Anderen auf uns, dem »Okzidentalis-

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mus«. Ein Beispiel für ein drängendes Thema. So bin ich – nach einigen eher allgemeinen Ausführungen – wieder zum eigenen Haus und dessen Problemen und Lösungen zurückgekehrt. Und – es mag tröstlich sein: Schon frühere Museumsgenerationen haben sich mit ähnlichen Problemen befasst. Mein Karlsruher Vorgänger Ernst Wagner hat schon 1906 einmal postuliert: »Das Museum hat nicht den Ehrgeiz, ein wissenschaftliches Institut sein zu wollen, sondern stellt sich schlicht in den Dienst der Volksbildung.«

Rudolf Schnellbach, ein weiterer Vorgänger, schrieb in den 1950er Jahren über die Intention seiner Neueinrichtung des Karlsruher Schlosses nach dem Krieg: »Man kann ein Museum nicht neu aufstellen, indem man nur davon ausgeht, was einmal war. Die Modernität einer künftigen Aufstellung wird keine tote Welt der Vergangenheit zeigen, sondern versuchen, zur Lösung der Fragen unserer Gegenwart beizutragen und das Belehrende unterhaltsam darzustellen.«

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David Anderson studierte irische Geschichte an der Universität Edinburgh. Er arbeitete als Lehrer und dann als Museumspädagoge am Royal Pavilion, Art Gallery and Museums in Brighton, dem National Maritime Museum in Greenwich sowie dem Victoria & Albert Museum, wo er nun als Direktor für museales Lernen und Interpretation fungiert. Er ist Autor von A Common Wealth: Museums and Learning in the United Kingdom (1997, zweite Auflage 1999) und weiteren Veröffentlichungen. Zudem ist er Mitvorstand der South Kensington Cultural Group. Dr. Hermann Arnhold studierte Kunstgeschichte, Romanistik und Theologie in Freiburg i.Br. und an der Sorbonne in Paris. Er hat als Kurator und Projektleiter gearbeitet und ist seit August 2004 Direktor des LWL-Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Münster. Er hat die Skulptur Projekte 2007 in Münster mitkuratiert. Dr. Anja Dauschek studierte Sozialwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Museum Studies an der George Washington University, Washington D.C. Sie promovierte im Fach Volkskunde an der Universität Hamburg. Die ausgebildete Moderatorin und Organisationsentwicklerin ist seit 2007 als Leiterin des Planungsstabes verantwortlich für den Aufbau eines Stadtmuseums in der Landeshauptstadt Stuttgart. Davor war sie von 2000-2006 als leitende Beraterin bei der international arbeitenden Museumsberatung LORD Cultural Resources tätig und baute u.a. das LORD-Büro Berlin auf. Anja Dauschek lehrt im Bereich Museumsmanagement an den Universitäten Berlin, Hamburg, Karlsruhe und Basel. Prof. Dr. Michael Fehr promovierte in Kunstgeschichte bei Max Imdahl. Nach mehreren Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Museum Bochum sowie an der Gesamthochschule Universität Wuppertal leitet er seit 1987 das Karl-Ernst-Osthaus-Museum der Stadt Hagen. Seit 1999 ist er Lehrbeauftragter am Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn; seit 2003 Vorsitzender des Werkbund-Archivs e.V., Berlin. David Fleming arbeitete für verschiedene Museen in Hull, Leeds und York und ist Direktor des Tyne & Wear Museums. Seit 2001 ist er zudem Direktor der Nationalen Museen in Liverpool. Er ist Mitglied verschiedener regionaler und nationaler Kommissionen, Arbeitsgruppen und öffentlicher Körperschaften, so u.a. Vorsitzender des National Museum Director’s Conference UK Affairs Committee und ehemaliger Präsident der Museum Association des Vereinigten Königreiches.

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Dr. Andres Furger studierte ur- und frühgeschichtliche Archäologie, Geschichte und Anthropologie und promovierte im Fach Ur- und Frühgeschichte. Nach Tätigkeiten als Assistent an der Universität Basel (1975-1981) sowie als Konservator und stellvertretender Direktor am Historischen Museum Basel (19811986) ist er seit 1987 Direktor der Museumsgruppe Musée Suisse/Schweizerisches Landesmuseum mit Hauptsitz in Zürich, welche seitdem drei weitere Museen übernommen und neueröffnet hat. Seit 1999 plant Andres Furger das erweiterte und neu konzipierte Landesmuseum in Zürich in der Rechtsform einer Stiftung. Dr. Kurt Grötsch arbeitet als Dozent und ist in leitender Position im Bereich Universität/Erwachsenenbildung für romanische Literatur und Deutsch als Fremdsprache in Deutschland, Frankreich und Spanien tätig. Seit 1993 ist er Generaldirektor für Marketing des Themenparks Parque de los Descubrimientos in Sevilla. 1998 war er Gründungsdirektor des Unternehmens »trillennium« in Sevilla, das auf die Entwicklung von Projekten der »Experience-Economy« (wie der Entwicklung von historischen Stadtkernen, Natur- und Themenparks) spezialisiert ist. In diesem Zusammenhang wirkte er bei der Umsetzung von Ideen und künstlerischen Konzepten im Projektteam für den Themenpark der Expo Hannover 2000 mit und beschäftigt sich aktuell mit der Entwicklung des Basiskonzepts für das Museum für Flamenco-Tanz in Sevilla. Josef Grün, Dipl.-Volkswirt, Wirtschaftspädagoge und Supervisor, ist Mitinhaber der Beratungsfirma für Organisationsentwicklung und Coaching Consult Contor in Köln. Er arbeitet seit 1986 als Berater und Coach im Profit- wie Non-Profit-Bereich. Die Beratung und Begleitung der Einführung und Umsetzung von Projektmanagement und Qualitätsmanagement auf der Basis des EFQM-Modells im Kulturbereich (z.B. Theater und Museen) und sozialen Dienstleistungsorganisationen ist ebenso wie das Engagement in der Ausbildung von Supervisoren ein besonderer Fokus der beraterischen Arbeit. Dr. Ellinor Haase war Abteilungsleiterin Romanische Sprachen und Kreatives Gestalten an der Volkshochschule Bochum und Leiterin eines Projekts des IIZ/DVV (Institut für Internationale Zusammenarbeit des Deutschen Volkshochschul-Verbands e.V.) zum Wiederaufbau der Erwachsenenbildung in Rumänien. Seit 2001 ist sie Generalsekretärin des EAEA (European Association for the Education of Adults – Europäischer Erwachsenenbildungsverband). Dr. Hartmut John ist Leiter der Abteilung Museumsberatung und des Fortbildungszentrums Abtei Brauweiler im Rheinischen Archiv- und Museumsamt.

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Susanne Kudorfer studierte Kunstgeschichte, Pädagogik und Sozialpsychologie und bildete sich zur Kommunikationswirtin fort. Von 1991-1997 war sie mit der Konzeption und Durchführung museums- und kulturpädagogischer Projekte im Kinder- und Jugendmuseum München befasst; 1998 baute sie die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen auf. Seit 2001 ist sie Leiterin des Besucherdienstes der Pinakothek München mit den Schwerpunktbereichen Kunstvermittlung, Programmredaktion, Internet und Besucherinformation. Gail Dexter Lord, Kunstkritikerin, studierte Geschichte und Kunstgeschichte an der University of Toronto. Seit 1981 leitet sie gemeinsam mit ihrem Mann Barry Lord die internationale Museumsberatung LORD Cultural Resources Planning & Management. Schwerpunkte der Beratung sind: Marketing und Image, Besucherorientierung, nachhaltige Museumsarbeit, Kulturtourismus, Rolle von Museen im größeren gesellschaftlichen Kontext. Dr. Iris Magdowski, Rechtsanwältin und Kulturbürgermeisterin a.D., ist Vizepräsidentin der Kulturpolitischen Gesellschaft und Vorstandsmitglied der Schillerstiftung von 1859. Die Gastprofessorin der TU Wuhan, China, hat verschiedene Lehraufträge im Kulturmanagement. Dr. Birgit Mandel, Kulturwissenschaftlerin und Kulturmanagerin, verantwortet den Bereich Kulturmanagement und Kulturvermittlung im Institut für Kulturpolitik des Studiengangs Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis der Universität Hildesheim und lehrt an der Universität der Künste Berlin sowie an der Universität Wien. Sie forscht in den Bereichen Audience Development, Kulturbesucherforschung, Kultur-PR, Kultur und Arbeitsmarkt sowie Theorie des Kulturmanagements und veröffentlicht im Bereich Kultur und Kommunikation sowie Kultur und Arbeitsmarkt. Ausgewählte Publikationen: PR für Kunst und Kultur. Zwischen Event und Vermittlung, Frankfurt a.M. 2004; Kulturvermittlung. Zwischen kultureller Bildung und Kulturmarketing. Eine Profession mit Zukunft (Hg.), Bielefeld 2005; Die Neuen Kulturunternehmer. Ihre Motive, Visionen und Strategien, Bielefeld 2007. Ute Marxreiter, M.A., ist Theaterwissenschaftlerin und Kunsthistorikerin. Sie ist in der freien Theater-, Film- und Performancearbeit sowie als Trainerin in der Erwachsenenbildung tätig. Seit 2002 entwickelte und leitet sie das Projekt PINK für die Pinakothek der Moderne in München. Seit 2006 ist sie im Team des Palais Pinakothek und leitet das Junge Palais. Sie entwickelte das Kinder- und Jugendprogramm »Aushecken« der »documenta12« mit. Ute Marxreiter lehrt Museumspädagogik an der Fachhochschule München und an der katholischen Stiftungsfachhochschule.

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Prof. Dr. Bernd Meyer war von 1973-1992 Kulturdezernent der Stadt Regensburg, danach bis 2004 Dezernent für Kultur, Schule und Sport beim Deutschen Städtetag und beim Städtetag in Nordrhein-Westfalen. Seit 2001 ist er Professor im Fachbereich Kulturarbeit an der Fachhochschule Potsdam. Dr. Roger Münch war von 1997-2000 Direktor des Zentrums für Druck- und Buchkultur im Haus der Druckmedien (Stiftung Saarländischer Kulturbesitz) in Wadgassen und von 2000-2003 im Rahmen einer Teilabordnung Vorstandsassistent der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz. Seit Januar 2003 ist er Direktor des Deutschen Zeitungsmuseums (Stiftung Saarländischer Kulturbesitz) in Wadgassen. Prof. Dr. Harald Siebenmorgen war nach dreijähriger Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Städtischen Reiss-Museum Mannheim von 19811986 stellvertretender Leiter der niedersächsischen Landesausstellung »Stadt im Wandel« in Braunschweig. 1986-1991 leitete er das Hällisch-Fränkische Museum und die Städtische Galerie in Schwäbisch Hall. Seit 1992 ist er Direktor des Badischen Landesmuseums Karlsruhe. Thomas Sieber, Kulturwissenschaftler und Kulturmanager, studierte Geschichte, Germanistik und Höheres Lehramt in Basel und Hamburg. Von 1998-2001 war er Leiter der Abteilung Bildung & Vermittlung am Historischen Museum Basel und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Universität Basel. Von 2001-2003 leitete er die Abteilung Weiterbildung + Entwicklung an der Hochschule für Gestaltung und Kunst (HGK) Basel und lehrte im Bereich Kulturwissenschaften. Von 2002-2004 war er Leiter der Executive Master Design | Art + Innovation an der Hochschule für Gestaltung und Kunst (HGK) Basel. Thomas Sieber arbeitet seit Ende 2003 als Kurator am Schweizerischen Landesmuseum Zürich und ist Mitglied der Projektleitung »Neues Landesmuseum Zürich«. Dr. Peter Sigmond, Historiker, arbeitet als Herausgeber. Er war Direktor der Rijks Archiefschool in Den Haag, wo er sich als Mitglied des International Council on Archives intensiv mit Frage- und Problemstellungen der Einführung computergestützter Arbeitsmethoden im Archivwesen beschäftigte. 1989 leitete er das Königlich Niederländische Armeemuseum in Delft. Seit 1995 ist er im Rijksmuseum Amsterdam beschäftigt – zunächst als Leiter der Abteilung Niederländische Geschichte, seit 2001 als Direktor der Sammlungen.

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Sue Wilkinson, Lehrerin, hat in Cambridge studiert. Sie hat am Londoner Tower gearbeitet, wo sie die innovative South Eastern Museum Education Unit initiierte, die Unterstützung und Beratung für über 500 Museen leistete. Zurzeit ist sie Direktorin der Abteilung Learning, Access, Renaissance and Regions des MLA (Museum, Libraries and Archives Council), der nationalen strategischen Einrichtung für Museen. Für diese Einrichtung entwickelte sie einen Best-Practice-Leitfaden für Lernen in Museen.

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Kultur- und Museumsmanagement Thomas Knubben, Petra Schneidewind (Hg.) Zukunft für Musikschulen Herausforderungen und Perspektiven der Zukunftssicherung öffentlicher Musikschulen November 2007, 310 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-619-9

Laura J Gerlach Der Schirnerfolg Die »Schirn Kunsthalle Frankfurt« als Modell innovativen Kunstmarketings. Konzepte – Strategien – Wirkungen Oktober 2007, 242 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-769-1

Carmen Mörsch, Landesverband der Kunstschulen Niedersachsen (Hg.) Schnittstelle Kunst – Vermittlung September 2007, 390 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-732-5

Patrick S. Föhl, Stefanie Erdrich, Hartmut John, Karin Maaß (Hg.) Das barrierefreie Museum Theorie und Praxis einer besseren Zugänglichkeit. Ein Handbuch August 2007, 518 Seiten, kart., 46,80 €, ISBN: 978-3-89942-576-5

Reinhold Knopp, Karin Nell (Hg.) Keywork Neue Wege in der Kultur- und Bildungsarbeit mit Älteren Juni 2007, 262 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-678-6

Marc Grellert Immaterielle Zeugnisse Synagogen in Deutschland. Potentiale digitaler Technologien für das Erinnern zerstörter Architektur Juni 2007, 606 Seiten, kart., zahlr. Abb., 37,80 €, ISBN: 978-3-89942-729-5

Birgit Mandel Die neuen Kulturunternehmer Ihre Motive, Visionen und Erfolgsstrategien März 2007, 146 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN: 978-3-89942-653-3

Heike Kirchhoff, Martin Schmidt (Hg.) Das magische Dreieck Die Museumsausstellung als Zusammenspiel von Kuratoren, Museumspädagogen und Gestaltern März 2007, 172 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN: 978-3-89942-609-0

Roswitha Muttenthaler, Regina Wonisch Gesten des Zeigens Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen Januar 2007, 268 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-580-2

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

Kultur- und Museumsmanagement Petra Schneidewind Betriebswirtschaft für das Kulturmanagement Ein Handbuch 2006, 204 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-546-8

Werner Heinrichs Der Kulturbetrieb Bildende Kunst – Musik – Literatur – Theater – Film

Brigitte Kaiser Inszenierung und Erlebnis in kulturhistorischen Ausstellungen Museale Kommunikation in kunstpädagogischer Perspektive 2006, 448 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN: 978-3-89942-452-2

2006, 294 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-532-1

Viktor Kittlausz, Winfried Pauleit (Hg.) Kunst – Museum – Kontexte Perspektiven der Kunstund Kulturvermittlung 2006, 308 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-582-6

Tobias Wall Das unmögliche Museum Zum Verhältnis von Kunst und Kunstmuseen der Gegenwart 2006, 312 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-522-2

Sonja Vandenrath Private Förderung zeitgenössischer Literatur Eine Bestandsaufnahme 2006, 254 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-417-1

Stiftung Niedersachsen (Hg.) »älter – bunter – weniger« Die demografische Herausforderung an die Kultur 2006, 232 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-505-5

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

2008-01-07 12-51-20 --- Projekt: T802.john_dauschek.museen / Dokument: FAX ID 02bb167666143648|(S.

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