Barocke Bekehrungen: Konversionsszenarien im Rom der Frühen Neuzeit [1. Aufl.] 9783839417713

Religiöse Konversionen waren in weiten Teilen Europas in der Frühen Neuzeit an der Tagesordnung. Die damit verbundenen P

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German Pages 342 [334] Year 2014

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Barocke Bekehrungen: Konversionsszenarien im Rom der Frühen Neuzeit [1. Aufl.]
 9783839417713

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Ricarda Matheus, Elisabeth Oy- Marra, Klaus Pietschmann (Hg.) Barocke Bekehrungen

Mainzer Historische Kulturwissenschaften 1 Band 6

Editorial In der Reihe Mainzer Historische Kulturwissenschaften werden Forschungserträge veröffentlicht, welche Methoden und Theorien der Kulturwissenschaften in Verbindung mit empirischer Forschung entwickeln. Zentraler Ansatz ist eine historische Perspektive der Kulturwissenschaften, wobei sowohl Epochen als auch Regionen weit differieren und mitunter übergreifend behandelt werden können. Die Reihe führt unter anderem altertumskundliche, kunst- und bildwissenschaftliche, philosophische, literaturwissenschaftliche und historische Forschungsansätze zusammen und ist für Beiträge zur Geschichte des Wissens, der politischen Kultur, der Geschichte von Wahrnehmungen, Erfahrungen und Lebenswelten sowie anderen historisch-kulturwissenschaftlich orientierten Forschungsfeldern offen. Ziel der Reihe Mainzer Historische Kulturwissenschaften ist es, sich zu einer Plattform für wegweisende Arbeiten und aktuelle Diskussionen auf dem Gebiet der Historischen Kulturwissenschaften zu entwickeln. Die Reihe wird herausgegeben vom Koordinationsausschuss des Forschungsschwerpunktes Historische Kulturwissenschaften (HKW) an der Johannes Gutenberg- Universität Mainz.

RrcARDA MATHEUS, ELISABETH ÜY-MARRA, KLAUS PrETSCHMANN

Barocke Bekehrungen Konversionsszenarien im Rom der Frühen Neuzeit

[ transcript]

(HG.)

Die Drucklegung dieses Bandes wurde mit Mitteln des Forschungsschwerpunkts Historische Kulturwissenschaften (HKW) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gefördert.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:/ jdnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Ricarda Matheus Satz: werksatz - Büro für Typografie und Buchgestaltung, Berlin Druck: Majuskel Medienprodulction GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-r77r-9 Gedruclct auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http:jjwww.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

INHALT

Einleitung .... . . . . .............. . .. . . ........ . ... . .. .. ... . .... .

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RJCARDA MATHEUS , ELTSABETH Ü Y-MA RRA, KLAU S PIETSCHMAN N

Zielgruppen und Institutionen Eine neue Identität- Konversions- und Assimilationsszenarien von Juden und Muslimen

21

MARTNA CAFFTERO

Taufe als Weg in die Freiheit? Konversionen muslimischer Sklaven im frühneuzeitlichen Rom

... . . .

45

NICOLE PRT ESCHTNG

Entscheidungsräume protestantischer Konvertenden Ein Modell . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . .. .. . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . 63 RlCARDA MATHEU S

Reiseziel, Referenzrahmen, Konversionsort: Rom und die deutschen Fürstenkonvertiten ERTC-ÜLTVER MADER

91

Strategien in Politik und Theologie Die römische Kurie und die FürstenkonversionenWahrnehmung und Handlungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 MATTRIAS SCHNETTGER

Glaube, Zweifel und Gewissheit- Konversionen und die Ausbildung der theologischen Apologetik .. . . . .. .. . .. 149 K L AUS UNTER B URGER

Die Konversionsthematik in der Musik und auf der Bühne Konversionssujets in römischen Oratorien . . . . . . . . . . . . . . . 175 KLAUS PTETSCHM ANN

Convertire l'anime. Die Rolle der Musik in der inneren Mission Italiens . ... .. . . . . ... . .... .. . . .. . . . .. . .. . 195 BERTHOL D Ü VER

Die Konversion der heiligen Magdalena als Legitimation von Schauspielkunst .......... .. ....... . .. . ...... .. ..... . .... 237 SEBASTIAN H A UC K

Konversionen und die Kunst des Barock Die Konversion des Saulus/Paulus am Beispiel Parmigianinos, Michelangeles und Caravaggios . ................ . ............... . . .......... 279 EusABETH Ü Y-MA RRA

Conversio Constantini und nachtridentinische Konvertitentaufen im Lateranbaptisterium ..... . ... . .. .. . . . 301 KIRSTEN LEE BIERBAUM

Autorinnen und Autoren ...... . ....... . ......... . ........ . . .. 323 Personenregister ............... .. . .... . . . ......... . . . . . .. . . . . 327 Ortsregister .. .. .. . ... . ....... . . ... ... . ... . ......... . . .... . .... 337

Einleitung RlCARDA MATHEUS, ELISABETH ÜY-MARRA, KLAUS PlETSCHMANN

In jüngerer Zeit erfahren die mit der Vielfalt und Pluralität religiöser Kulturen verbundenen Aspekte in Wissenschaft und Gesellschaft neue Aufmerksamkeit. Besonders religiöse Grenzen und entsprechende Grenzüberschreitungen geraten seit mnd zehn Jahren in den Fokus; unterdessen kann man von der Etabliemng eines eigenständigen Forschungsfeldes ,Konversionen' sprechen, das aufgmnd der Erschließung neuer Quellengattungen sowie der Konjunktur historisch-anthropologischer, kultur- und mentalitätsgeschichtlicher Fragestellungen immer noch im Wachsen begriffen ist. Das Interesse richtet sich dabei nicht nur auf historische Phänomene, sondern Glaubenswechsel und Bekehrungen sind auch ein virulentes Thema der Gegenwart. Erinnert sei an die Konversionen des ehemaligen britischen Premierministers Tony Blair sowie des jetzigen Regierungssprechers Steffen Seibert zum Katholizismus im Jahr 2007. In die Schlagzeilen geraten aber auch Übertritte zwischen den monotheistischen Religionen: So wird etwa in den Medien mit teils warnendem Unterton davon berichtet, dass immer mehr Deutsche zum Islam konvertieren. Umgekehrt löste die von Papst Benedikt XVI. vollzogene ,provokante Taufe' des italienischen Journalisten arabischer Herkunft, Magdi Allam, in der Ostemacht des Jahres 2008 im Petersdom in Teilen der muslimischen Welt erhebliche Irritationen aus. Da Konvertiten von einem System religiöser Weltanschauung zu einem anderen wechseln, erweisen sich Glaubensübertritte als ein attraktives Forschungsfeld, um Fragen des Kulturkontaktes sowie der da-

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Ricarda Matheus, Elisabeth Oy-Marra, Klaus Pietschmann

mit einhergehenden Austausch- und Adaptionsprozesse zu untersuchen. Wer sich mit Konversionen zum Katholizismus beschäftigt, kommt an der Ewigen Stadt als Konversionsort nicht vorbei. Im Zentrum der katholischen Christenheit lassen sich die mit Bekehrungen und Glaubenswechseln verknüpften Phänomene in besonders eindringlicher Weise fassen. Konversionen von Juden, Muslimen und Protestanten zum Katholizismus waren hier gleichsam an der Tagesordnung. Aber auch der künstlerischen Darstellung und Auseinandersetzung mit der Konversionsthematik kommt in der Stadt am Tiber eine Sonderstellung zu. Dieser herausragenden Bedeutung Roms im Kontext von Konversionen wurde am 27./28. Mai 2010 mit einer am Deutschen Historischen Institut in Rom in Kooperation mit der Johannes Gutenberg-Universität Mainz organisierten Tagung Rechnung getragen. Es war den Veranstaltern von Anfang an ein besonderes Anliegen, diese Tagung fächerübergreifend auszurichten. Denn das Forschungsfeld (frühneuzeitlicher) Glaubenswechsel ist höchst komplex und tangiert zahlreiche Disziplinen. So kamen Historiker, Kirchenhistoriker, Theologen, Musikwissenschaftler, Theaterwissenschaftler und Kunsthistoriker zusammen, um über die Grenzen der eigenen Zunft hinweg den wissenschaftlichen Austausch zu pflegen und das Thema der "Barocken Bekehrungen" aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. Der vorliegende Band ist bewusst mit dem Begriff ,Konversionsszenarien' und nicht mit ,Konversionen' überschrieben. Dies Jührt daher, dass sich in der Forschung in den letzten Jahren weitgehend die Auffassung durchgesetzt hat, die nebeneinander bestehenden Ausdrücke Konversion, Glaubenswechsel und Bekehrung- aus heuristischen Gründen und aufgrund einer unterschiedlichen Konnotation in den jeweiligen Fachdisziplinen - inhaltlich und sprachlich genauer voneinander abzugrenzen. Denn während die meisten europäischen Sprachen nur einen, vom lateinischen conversio (Umkehr, Umwandlung) abgeleiteten modernen (Konversions-)Begriff kennen, ist im deutschen Sprachgebrauch ein semantischer Unterschied zwischen den genannten Termini zu konstatieren. Der Ausdruck Bekehrung wird religionsgeschichtlich allgemein interpretiert als innere, fundamentale Umkehr und kann sowohl Bekehrungsvorgänge innerhalb einer Religion bezeichnen als auch solche, die zu einem Religions- oder Konfessionswechsel führen. Die Konversion hingegen wird als Religionswechsel verstanden, der dem Betroffenen die Anerkennung einer neuen religiösen Wahrheit bei gleich-

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Einleitung

zeitigem Widerruf des alten Glaubens abverlangt. Als Glaubens-/Konfessionswechsel wird schließlich zumeist der Übertritt von einer Kirche zur anderen bezeichnet, der auch ohne religiöse Motivation erfolgen konnte. Als konstitutiv wird der formale Akt des Glaubenswechsels angesehen, der mit bestimmten Ritualen und Praktiken, die gegebenenfalls kirchenrechtlich vorgegeben sind, verbunden ist. Diese, hier nur knapp umrissene, explizite Differenzierung sollte jedoch mit Blick auf die zur Debatte stehenden ,Konversionsszenarien' in Rom vermieden werden. Denn einerseits ist es im Einzelfall zumeist nicht möglich, den Grad der religiösen Umkehr eines Individuums zu ,messen' und hinsichtlich der Authentizität zu überprüfen. Andererseits konnte die ästhetisch-künstlerische Umsetzung alttestamentarischer Bekehrungsmotive als Stimulus für frühneuzeitliche Konfessions- oder Religionswechsel dienen. Es soll an dieser Stelle kein Versuch unternommen werden, das gesamte Spektrum übergreifender Aspekte und methodischer Zugänge zum Untersuchungsfeld Konversionen aufzuzeigen, denn hierzu sind in den letzten Jahren bereits eine Reihe von einschlägigen Arbeiten entstanden; die Zusammenstellung einer Auswahl von Sammelbänden, Zeitschriften-Themenheften, Forschungsüberblicken und Monographien am Ende dieser Einleitung verdeutlicht dies. Vielmehr konzentrieren sich die folgenden knappen Überlegungen und möglichen Fragestellungen auf das engere Thema dieses Bandes, auf Konversions- und Bekehrungsszenarien in Rom. Die Gründungen der Casa dei Catecumeni im Jahre 1543 und des Ospizio dei Convertendi 1673 in Rom müssen vor dem Hintergrund einer systematischen Konversionspolitik im Zeitalter der katholischen Reform gesehen werden. Beide Häuser stellen nur einzelne Elemente übergreifender Strategien seitens der Päpste, der Kurie und der katholischen Kirche dar. In diesem Zusammenhang sei verwiesen auf die 1542 institutionell verfestigte römische Inquisition als oberstem Glaubenstribunal und die 1622 etablierte Missionskongregation Propaganda Fide. Betont seien darüber hinaus auch die an der Kurie entwickelten Konversionsstrategien und die durchaus differenzierten Vorgehensweisen der Päpste selbst. Erinnert sei an die Nuntien in den Ländern nördlich der Alpen, aber auch an informelle Netzwerke im Dienste einer aktiven Konversionspolitik, die weit über Rom hinaus reichen konnten. Zu berücksichtigen ist dabei stets der theologische Diskurs, der seit 11

Ricarda Matheus, Elisabeth Oy-Marra, Klaus Pietschmann

dem Trienter Konzil von der Betonung der Autorität, der Einheit und der Kontinuität der katholischen Kirche geprägt wurde. Weil sich dieser Sammelband mit Konversionsszenarien ,in' Rom befasst, tangiert die Thematik auch den Toleranz- und Fremdheitsdiskurs. Schließlich war Rom eine dezidiert katholische Stadt. Woher kamen die potenziellen Konvertiten? Lebten sie schon vor der Konversion in der Ewigen Stadt oder waren es Fremde, die gezielt oder zufallig nach Rom kamen, oder gar dorthin ,gelockt' wurden? Welche sozialen Gruppen gerieten ins Visier römischer Konversionspolitik und inwiefern waren entsprechende Konversionsstrategien und Maßnahmen zielgruppenspezifisch ausgerichtet? Inwiefern lassen sich Glaubenwechsel mit kategorischen Zuschreibungen wie individuell/freiwillig contra strukturell/ erzwungen beschreiben? Unweigerlich drängt sich die Frage nach möglichen Motiven für einen Glaubenswechsel auf. Insbesondere die ältere Forschung entwarf dichotome Deutungsmuster, die Konversionen mit den Kategorien wahr und falsch, echt und unecht, innerlich und äußerlich, religiös und opportunistisch belegten. Von solchen, zumeist moralisch wertenden Zuschreibungen hat sich die jüngere historische Konversionsforschung weitgehend distanziert. Vielmehr rücken die Hintergründe und Rahmenbedingungen von Konversionen in den Mittelpunkt des Interesses. Denn wurde eine Konversion in der Frühen Neuzeit vollzogen, so war dies in der Regel keine individuelle Entscheidung, da der Einzelne in viel höherem Maße als heute in soziale Zusammenhänge und komplexe Beziehungsnetze eingebunden war. Ein Glaubenswechsel zog auch die Veränderung zahlreicher anderer Parameter im Leben des Einzelnen nach sich: Tangiert waren neben den offensichtlich religiös-kulturellen Kontakten zumeist politische, ökonomische, soziale Komponenten. Umgekehrt stellt sich die Frage nach den Auswirkungen der Konversion auf eben diese Bindungen. Welche Zukunftsperspektiven eröffneten sich den Neukatholiken? Wurden sie - und wenn ja: Wie wurden sie - in die neue Glaubensgemeinschaft integriert? Diese Fragen werden von mehreren Autoren in unterschiedlicher Herangehensweise in den ersten beiden thematischen Blöcken des Bandes behandelt. Marina Caffiero untersucht am Beispiel der Konversionen von Juden und Muslimen die Bedingungen und Besonderheiten von Taufen, der so genannten Mischehen sowie der Annahme eines neuen Familiennamens, die die Herausbildung einer neuen Identität nach sich

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Einleitung

zogen. Sie kann aufzeigen, dass die sozialen und symbolischen Elemente eines Konversionsaktes eine entscheidende Rolle bei der Integration und Assimilation der Konvertiten in der christlichen Glaubensgemeinschaft gespielt haben. Ebenfalls mit Konversionen von Muslimen, und zwar der speziellen Gruppe der muslimischen Sklaven, befasst sich Nicole Priesehing in ihrem Beitrag. Sie geht der Frage nach, ob und inwiefern die Taufe für Sklaven auch einen Weg in die Freiheit versprechen konnte und mithin als wesentliche Motivation für deren Glaubenswechsel angesehen werden muss. Beide Autorinnen können sich dabei neben unediertem Archivmaterial besonders auf die in den 1980er Jahren von Wilpertus H. Rudt de Collenberg veröffentlichten Taufregister der römischen Casa dei Catecumeni stützen. Anders als bei Juden und Muslimen wurde die Konversion von Protestanten zur katholischen Kirche nicht durch die Taufe, sondern durch die Abschwörung von der Häresie vollzogen. Lutheraner, Calvinisten und Anglikaner kamen im 17. und 18. Jahrhundert aus ganz Europa zu Tausenden nach Rom und wurden im Ospizio dei Convertendi auf ihre bevorstehende Konversion vorbereitet. Ricarda Matheus unternimmt den Versuch, aus den zahlreichen überlieferten Einzelfällen ein Modell bezüglich der Motivstruktur und der Systematisierung von Lebenskontexten abzuleiten, in denen sich Glaubenswechsel anbahnen konnten, um so die Entscheidungsräume protestantischer Konversionskandidaten zu visualisieren. Eine andere protestantische Zielgruppe nehmen Eric-Oliver Mader und Mattbias Sehnetiger in den Blick: die deutschen Fürstenkonvertiten. Ausgehend von einem bislang wenig beachteten Gutachten des Deutschland-Experten Minuccio Minucci zeigt Mader auf, wie gegen Ende des 16. Jahrhunde1ts Strategien entwickelt wurden, um die ,Marke katholischer Glaube' positiv zu besetzen und für protestantische Herrscher wieder attraktiv zu machen. In diesem Kontext kam Rom als Ziel der Studienfahrt junger Fürstensöhne eine zentrale Rolle zu. Inwiefern diese Taktik tatsächlich zur Anwendung kam und Erfolg nach sich zog, untersucht der Verfasser im zweiten Teil seines Beitrages am Beispiel einiger Fürstenkonversionen des 17. Jahrhunderts. Mattbias Schnettger weist nach, dass man an der Kurie auch im 17. und 18. Jahrhundert an Fürstenkonversionen maßgeblich festhielt Allerdings wurden die Strategien den sich veränderten politischen, sozialen und kulturellen Rah13

Ricarda Matheus, Elisabeth Oy-Marra, Klaus Pietschmann

menbedingungen angepasst, da spätestens seit der Normaljahrsregelung des Westfälischen Friedens die Hotfuungen auf eine Rekatholisierung der Territorien im Zuge einer Fürstenkonversion obsolet geworden waren. Nun setzte man in Rom verstärkt auf die Vorbildfunktion gegenüber Standesgenossen und instrumentalisierte Fürstenkonversionen als Propagandamittel im Kampf gegen den Protestantismus bzw. nutzte sie im Kontext politischer Verhandlungsstrategien. Klaus Unterburger nähert sich dem Phänomen frühneuzeitlicher Konversionen aus theologischer Perspektive. Er analysiert, wie im Kontext konfessioneller und kontroverstheologischer Auseinandersetzungen die Vorstellung von der Vernunft, Aufrichtigkeit und Legitimität des eigenen Glaubens die katholische Theologie, ihre Begründungsstrukturen und ihre Argumentationsweise tiefgreifend in Frage gestellt und verändert hat und zeigt auf, wie diese theologischen Entwicklungen auf die katholische Konfessionskultur und die religiös-seelsorgerische Praxis zmückwirkten. Die Beiträge des dritten und vierten Abschnitts widmen sich den Wechselwirkungen zwischen den Konversionszenarien und der Kunst, und zwar sowohl den bildenden Künsten als auch der Musik und dem Theater. Dieser Zusammenhang hat bislang in der Forschung kaum Beachtung gefunden. Zu fragen ist einerseits nach der Inszenierung von Konversionen in der Kunst und danach, wie Konversionen bildhaft dargestellt wurden. Welche Motive, welche biblischen Figuren und Konversionsszenen wurden gewählt? Für welche Räume wurden die Kunstwerke geschaffen, wer waren die Auftraggeber, wer die Betrachter, wer die Zuhörer? Welche Intentionen waren mit der Wahl der Konversionsthematik verknüpft, welche Reaktionen wurden evoziert? Andererseits gerät die Funktion von Kunst im Konversionsprozess in den Blick. Bekanntlich wurde die Stadt Rom seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert und insbesondere im 17. Jahrhundert systematisch zu einer Bühne katholischer Barockfrömmigkeit umgestaltet. Hatte die sinnlich-ästhetische Begegnung mit dem Katholizismus auch die gewünschte Wirkung auf Häretiker, Juden und Muslime? Inwiefern spielte die viel beschworene Strahlkraft Roms eine Rolle bei Konversionsentscheidungen? Gibt es sogar Zeugnisse für Bekehrung durch Kunst? Klaus Pietschmann untersucht in seinem musikwissenschaftliehen Beitrag Konversionssujets in römischen Oratorien und geht dabei insbesondere der Frage nach, inwiefern sie als Instrumente einer gefühlsori-

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Einleitung

entierten Vermittlung von Glaubensinhalten eingesetzt wurden. Anhand dreier Beispiele zeigt er das breite Spektrum der unterschiedlichen Umsetzungsformen der Konversionsthematik im nachtridentinischen Rom auf. Ebenfalls um die Rolle der Musik bei der Herbeiführung einer inneren Wandlung geht es Berthold Over in seiner Untersuchung zur inneren Mission Italiens. Dabei legt er einen weiter gefassten Konversionsbegriff zugrunde, der auch die allgemeine Hinwendung zu einem besseren Leben einschließt, jedoch die Konversion Andersgläubiger nicht ausschließen muss. Dabei zeigt er auf, dass die Musik ein zweckgebundenes und essentielles Element in der Dramaturgie der Mission war und die Bevölkerung bzw. Zuhörer emotional auf eine innere Umkehr vorbereiten sollte. Während in diesen Fällen Musik zur Förderung von Konversionen eingesetzt wurde, verdeutlicht Sebastian Hauclc, wie das römische Theater und seine Berufsschauspieler die Konversionsthematik flir ihre eigenen Zwecke zu nutzen wussten. Schauspieler und Theater hatten im barocken Rom mit einer teils kategorischen Ablehnung seitens der Kirche zu kämpfen; doch gerade die bewusste Theatralisierung der Konversionsthematik konnte dem Berufsstand als Legitimationsmittel dienen, wie dies am Beispiel der Inszenierung der hl. Magdalena ausgeführt wird. Die letzten beiden Beiträge behandeln den Zusammenhang von Konversionen und den bildenden Künsten im barocken Rom. Elisabeth Oy-Marra geht es in ihrem Beitrag explizit nicht um die Instrumentalisierung von Kunst bei der Herbeiführung von Konversionen, sondern sie zeigt am Beispiel des Bildsujets der Konversion des Paulus auf Gemälden von Parmigianino (Wien), Michelangelo (Vatikan) und Caravaggio (Rom, Santa Maria del Popolo) auf, wie Künstler die Bekehrung als grundlegende Umkehr der Verhältnisse inszenie1ten, die auf eine vollkommene innere Umkehr des Protagonisten schließen lassen sollten. Neben der Konversion des Paulus zählt allgemein die Taufe des Konstantin zu einem der Bildsujets der Bekehrungsthematik schlechthin. Kirsten Lee Bierbaum untersucht mit der Neugestaltung des Lateranbaptisteriums unter Papst Urban VIII. einen der prominentesten Orte, an denen im Rom der Frühen Neuzeit Konvertiten getauft wurden. Sie zeichnet ein Konzept symbolisch-sakraler Raumnutzung nach, dass die im Baptisterium stattfindenden (Konvertiten-)Taufen als eine Wiederholung der Konstantinstaufe erscheinen ließen. 15

Ricarda Matheus, Elisabeth Oy-Marra, Klaus Pietschmann

Dass die Tagung und der nun vorliegende Sammelband zustande kamen, ist in allererster Linie den Autorinnen und Autoren zu verdanken. Danken möchten wir ferner den Mitarbeitern des DHI in Rom flir die tatkräftige Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung der Tagung. Stellvertretend genannt seien Monika Kruse, Paola Fiorini, Susanne Wesely, Jan-Peter Grünewälder und Niklas Bolli. Bei der Erstellung des Registers haben sich Judith Brombacher und Anna-Lisa Lohmeyer verdient gemacht. Finanziell unterstützt wurde die Tagung durch die Gerda Henkel Stiftung, die Drucklegung des vorliegenden Sammelbandes wurde durch die Mittel des Forschungsschwerpunktes Historische Kulturwissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ermöglicht. Allen Personen und Institutionen gilt unser herzlicher Dank.

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Einleitung

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Ricarda Matheus, Elisabeth Oy-Marra, Klaus Pietschmann

DERS., Le bapteme des juifs a Rome de 1614 a 1798 selon les registres de la "Casa dei Catecumeni". Deuxieme Partie: 1676-1 730, in: Archivum Historiae Pontificiae 25 (1987), S. 105- 261. DERS., Le bapteme des juifs a Rome de 1614 a 1798 selon les registres de la "Casa dei Catecumeni". Troisieme Partie: 1730-1 798, in: Archivum Historiae Pontificiae 26 (1988), S. 119-294. DERS., Le bapteme des musulmans esclaves a Rome aux xvnc et XVIIIc siecles, in: Melanges de l' Ecole Fran9aise de Rome. Italie et Mediterranee 10 (1989), I, S.9 - 181, II, S.519 - 670. ScHASER, ANGELIKA, Inclusion et exclusion. La recherche sur les conversions religieuses en Allemagne a l'epoque moderne, in: Religion ou confession. Un bilan franco-allemand sur l'epoque moderne (XVIc-xvnc siecles). Colloque international. Mission historique fran9aise en Allemagne, Göttingen 27.-30. 9. 2006, hg. von PHILIPPE BüTTGENICHRISTOPHE DuHAMELLE, Paris 2010, S. 577-594. SrEBENHÜNER, KrM, Glaubenswechsel in der Frühen Neuzeit. Chancen und Tendenzen einer historischen Konversionsforschung, in: Zeitschrift für historische Forschung 34 (2007), S. 243-272. VöLKEL, MARKus, Individuelle Konversion und die Rolle der ,famiglia'. Lukas Holstenius und die deutschen Konvertiten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 67 (1987), S. 221-28. Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 7,2 (2007): Glaubenswechsel.

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Eine neue Identität- Konversionsund Assimilationsszenarien von Juden und Muslimen* MARINA CAFFIERO

I. Durchlässige Grenzen Die Erforschung der Konversionen von Protestanten, Juden oder Muslimen zum Katholizismus erfordert das Durchdringen eines dichten Gefüges von kulturellen, symbolischen, geographischen und räumlichen Grenzen. Trennende und feindliche Elemente sowie Gegensätzlichkeilen verschiedener Gruppen und Völker stehen dabei oft Formen des Austauschs oder wechselseitige Beziehungen gegenüber. In einer kürzlich erschienenen Studie zum Thema der Grenzen im Mittelmeerraum hat sich Daniel Nordmann ausführlich mit dem Konzept von ,Nähe' und ,Sichtbarkeit' als Grundgedanken ftir die Pluralität und die Ambivalenz der Rezeption von ,Grenze' beschäftigt. Dieses verdeutlicht, dass dem Sich-Verschließen gewisse Zusammenschlüsse, gegenseitige Beeinflussungen und eine Art Anerkennung entsprechen. 1 Auf den Begriff , Unsichtbarkeit' wird später noch einmal zurückzukommen sein. Zunächst ist zu betonen, dass das in diesem Sinne verstandene Paradigma der Grenze seine positive Konnotation teilweise einbüßt, wenn es in einem Kontext von tiefgreifenden Veränderungen der eigenen Identität und Kultur verwendet wird, die nicht das Ergebnis einer freien

* 1

Übersetzung aus dem Italienischen: Dagmar Penna. 2007.

NoRDMANN,

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Marina Caffiero

Entscheidung, sondern eines Zwangs oder Traumas sind, wie es bei Konversionen oftmals der Fall ist. Die mehr oder weniger freiwilligen, jedoch nie befreienden Konversionen von muslimischen Sklaven stellen einen ausgezeichneten Ausgangspunkt für die Untersuchung von Grenzüberschreitungen, Austauschprozessen und insbesondere der Mobilität von materiellen und kulturellen Gütern dar. Im Folgenden möchte ich einige Ergebnisse einer noch nicht abgeschlossenen größeren Studie über Konversionen von Juden und Muslimen im historischen Vergleich vorwegnehmen und mich mit den Bedingungen und den Besonderheiten von Taufen und gemischten Ehen sowie mit der Annahme eines neuen Familiennamens befassen, der entscheidend zur Schaffung einer neuen Identität beiträgt. Damit möchte ich einige Überlegungen zu Assimilationsstrategien, zum Anderssein und zur Alterität anregen. 2 Eine Studie über Konversionen eröffnet die Möglichkeit, über die ,Anderen', über die ,Fremden' im Allgemeinen, das heißt auch über die Nicht-Konvertiten zu reflektieren und datüber, wie sie in der Gesellschaft wahrgenommen wurden. Untersuchungen über Glaubenswechsel, insbesondere über jene von Muslimen und Juden zum Katholizismus, implizieren, in ein dichtes, aber dennoch ,flüchtiges' und durchlässiges Netz von Grenzen einzudringen, in dem es bei aller Verschiedenheit zu Beziehungen und gegenseitiger Beeinflussung kommt. 3 Darüber hinaus eröffnet uns eine solche Untersuchung die Möglichkeit aufzuzeigen, wie und mit welchen Mitteln seitens der Gesellschaft und der vorherrschenden Religion Druck auf diese Personen ausgeübt wurde, um ihre Integration durchzusetzen. Ferner können die unterschiedlichen Reaktionen dieser Personen auf diese Forderungen untersucht werden. Diese reichen von der bedingungslosen Beibehaltung des eigenen Andersseins und der eigenen ,Sichtbarkeit' durch Widerstand und Ableh2

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Zu diesen Thema vgl. bereits CAPPIERO, 2007; DIES., 2009. Im Druck befindet sich DIES., Per una storia comparativa: l'Inquisizione romana nei confronti di ebrei e musulmani in eta modema, in: A dieci anni dall'apertura dell'archi vio della Congregazione per la dottrina della fede: storia e archivi dell'inquisizione, sowie DIEs.; Stranieri visibili e invisibili. Ebrei e musulmani a Roma in eta moderna tra resistenza, assimilazione e mutazioni identitarie. Una comparazione, in: JocELYNE DAKHLJ A/ FERNANDO RoDRIGUEZ MEDIANO (Hg.), L'Etranger invisible. Der Ausdruck ,flüchtig' wird hier in Anlehnung an den von Zygmunt Bauman geprägten Begriff ,liquid' verwendet.

Konversions- und Assimilationsszenarien

nung der Assimilation, 4 über eine langsame Anpassung vor allem durch gemischte Ehen, bis hin zur vollkommenen Integration, d. h. zur , Unsichtbarkeit'. Manchmal handelte es sich aber auch nur um eine scheinbare, vorgebliche Änderung der Identität und des Glaubens, die oft auf Schwindel und Heuchelei beruhte. Alles in allem spiegeln Konversionen einerseits die oft durch Migration ausgelöste oder begünstigte Loslösung von religiösen und gefühlsmäßigen Bindungen und Zugehörigkeiteil wider, andererseits die Fähigkeit der Gesellschaft, die Neuankömmlinge aufzunehmen. Es ist durchaus kein Zufall, dass das letzte Buch von Natalie Zernon Davis über die Geschichte des Leo Africanus, die als Beweis dafür gilt, dass auch in einer von Gewalt geteilten Welt Kommunikation und Offenheit dem Anderen gegenüber möglich sind, von einer Konversion ausgeht. 5 Aus den bisherigen Untersuchungen geht zunächst einmal deutlich hervor, dass die Ankunft oder die Anwesenheit des ,Anderen' und des ,Fremden' in der Vergangenheit nicht notwendigerweise zu einer Destabilisiemng oder zu einem Auseinanderbrechen der gesellschaftlichen Zusammengehörigkeit in der Gemeinschaft des Aufnahmelandes gefuhrt haben. Oft führte diese Präsenz zu Initiativen, die eine gezielte Integration in die Mehrheitsgesellschaft fördern sollten. Dies gilt zumindest für die Stadt Rom, in der viele unterschiedliche Strömungen zusammenkamen. Mit anderen Worten: das Zentturn der katholischen Christenheit war eine multikulturelle Stadt, die - wie heute auch -Ziel sowohl physischer als auch kultureller Transfers war. Auf der Gmndlage meiner Forschungen über die Präsenz von Juden und Muslimen in Rom möchte ich anband des Konversionsphänomens, welches Integrationsfaktoren gewissermaßen wie ein Brennglas abbildet, einige Kernpunkte und Stufen der Eingliedemng der Fremden sowie ihrer ,Sichtbarkeit' oder ,Unsichtbarkeit' herausstellen. Im Oktober 2009 fand eine italienisch-französisch-spanische Konferenz zu dem 4

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Dazu CAFFIERO, 2008. Für eine vergleichende Untersuchung zu den Zwangsbekehrungen verweise ich auf das Themenheft Forzare le anime. Conversioni tra liberta e costrizione in eta moderna der Rivista di storia del cristianesimo I /20 I 0. Z EMON DAvls, 2006, S.260. Über die aus den Konversionen hervorgegangenen kulturellen Hybridisierungen hat unter meiner Leitung die Gruppe von Forschem PRIN 2006-2008 gearbeitet: II Mediterraneo delle tre religoni: identita, conflitti, ibridazioni (secoli XVI-XX).

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Thema "L' etranger invisible" statt, die auf der Grundlage des Begriffs der Unsichtbarkeit die Migrationsprozesse in Europa und die Präsenz der ,Anderen' in ihren verschiedenen Formen zwischen Assimilation und Fremdheit / Konflikt aufzeigen sollte. 6 Im Folgenden soll der Ausdruck , Unsichtbarkeit' im Sinne von Akzeptanz und Assimilation gebraucht werden und nicht im Sinne von , Unsichtbarkeit durch Ignorieren', von Hindurchschauen und Verschweigen, des nicht Sehen-Wollens dessen, was anders und fremd ist.

II. Die Institutionen des Übergangsrituals: Katechumenenhäuser als Mikrokosmos und als Orte religiös-kultureller Begegnung Zu den christlichen Institutionen, die das Ambivalente des ,Fremden' sichtbar machen und dank ihrer reichhaltigen Quellendokumentation die Untersuchung der komplexen Realität von Beziehungen und Überschneidungen, von nach allen Richtungen hin durchlässigen Grenzen und von mehr oder weniger gelungener Integration ermöglichen, gehören die Katechumenenhäuser. Diese Einrichtungen, die Juden, Muslime und manchmal sogar Häretiker aufnahmen, bildeten einen regelrechten Mikrokosmos, in dem religiöse Minderheiten aufeinander trafen, kulturelle und gesellschaftliche Begegnungen stattfanden und die mithin Ausdruck einer beispiellosen räumlichen und mentalen Mobilität waren. Man kann also ohne weiteres sagen, dass das Phänomen der Konversionen mit der enorm hohen Mobilität der Menschen in den letzten Jahrhunderten zusammenhängt (Männer und Frauen, die vor allem aus den unteren Gesellschaftsschichten kamen), und dass wir dank dieses Phänomens in der Lage sind, etwas mehr über deren Migrationsprozesse zu erfahren. Konversionen ve1weisen also auf den Zusammenhang Fremdheit/Mobilität, der bei unserer Untersuchung berücksichtigt werden muss und bei dem Rom eine wichtige Rolle spielt. Die Case dei Catecumeni, denen die Forschung bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat, waren für Katechumenen und Konvertiten bestimmt und in 6

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L'etranger invisible, rencontre organisee par le PRI Transmediterranees (EHESS, Paris) et l'Escuela Espafiola de Historia y Arquelogia en Roma, Roma 16- I 7 ottobre 2009.

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der Frühen Neuzeit in weiten Teilen Italiens sowohl innerhalb (Bologna, Ferrara, Pesaro) als auch außerhalb (Florenz, Venedig, Turin, Modena) des Kirchenstaates verbreitet. 7 Während sie nur in ganz seltenen Fällen im übrigen katholischen Europa zu finden waren, gab es jedoch in mehreren protestantischen deutschen Städten Proselytenanstalten.~ Die Katechumenenheime, die man- wie auch die Ghettos- als typisch italienische Eimichtungen des Papsttums und der Gegemeformation bezeichnen kann, zeigen in der konkreten sozialen Erfahrung, dass die Grenzen des Christentums, im Gegensatz zu jenen des Islam und des Judentums, je nach Konstellation mehr oder weniger überwindbar, anpassbar und elastisch waren. Sie waren, und das gilt ganz besonders ftir das wichtigste, im Jahre 1543 errichtete römische Institut, Zentren eines ,Vermischungsprozesses', der Assimilation und der gegenseitigen kulturellen Durchdringung und bieten damit der Forschung außergewöhnliche Möglichkeiten füi wissenschaftliche Untersuchungen. 9 Die Katechumenenhäuser, in die man auf eigenen Wunsch oder gezwungenermaßen eintrat, beherbeigten Juden, Muslime oder Nichtgläubige, einige auch Häretiker, die- nach einer Phase der religiösen Unterweisung- auf die Aufnahme in die christliche Gemeinschaft vorbereitet werden mussten. Voraussetzung für die Zulassung zur Taufe war eine Zeit der Unterrichtung und der Katechese. Außerdem wurde überprüft, ob Bewerber das Taufsakrament schon empfangen hatten, um eine eventuelle Blasphemie durch eine zweite Taufe zu vereiteln. Zweifelsfälle wurden dem Heiligen Offizium vorgelegt, welches dmüber entschied, ob eine erneute Taufe sub conditione vorgenommen werden oder der Prozess weitergeführt werden sollte. Mittels Verhören und Zeugenbefragungen wurde die Aufrichtigkeit des Konversionswunsches geprüft. Schließlich folgten der Katechismusunterricht und die Vorbereitung auf die Taufe. Innerhalb der Häuser wurden die Katechumenen streng überwacht, und ihre Bewegungsfreiheit war auch außerhalb der Einrichtungen stark ein7 8 9

Für einen allgemeinen Überblick CAFFIERO, 2010b. Proselytenanstalten finden sich etwa in Nümberg, Datmstadt oder Hamburg. Zu letzterer vgl. ßRADEN, 2001. Die am häufigsten untersuchten Case dei Catecumeni sind die von Turin und Rom. Vgl. ftir Turin ALLEGRA, 1996. Mit Blick auf Rom: RocctoLO, 1998; CAFFIERO, 2004. Zu Modena und Florenz siehe AL KALAK, 2009, und MARCONCJNJ, 2009. Für Venedig loLv ZoRATTJNt, 2008. Es fehlt bislang noch eine alle Einrichtungen in Italien erfassende Untersuchung.

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geschränkt. In einigen Fällen wurden die zwangsweise aufgenommenen Katechumenen- meistens handelte es sich um Juden- eingeschlossen und isoliert. Die Katechese und Unterweisung im neuen Glauben wurde nicht allzu streng durchgefülut, meistens von konvertierten Geistlichen, die der Muttersprache der ,Gäste' mächtig waren. Doch während man auf die zwangsweise aufgenommenen Katechumenen während einer vierzig Tage oder noch länger dauernden Isolierung, der so genannten Quarantäne, vor allem moralischen und psychologischen Druck ausübte, um sie von der Annahme der Taufe zu überzeugen, beschränkte man sich bei denen, die freiwillig um die Taufe gebeten hatten, auf die Glaubenslehre und die Predigten. Diese Aufgaben wurden oft anderen Konvertiten und den Dominikanern anvertraut. Letztere waren zudem mit der wöchentlichen Zwangspredigt beauftragt, an der die Juden teilnehmen mussten. Die mindestens zwei Monate dauernde Unterweisung sah das Auswendiglernen des Grundwissens der christlichen Lehre an Hand des Katechismus in valgare von Bellarmino vor. Sie beinhaltete ferner das Erlernen von Gebeten, des Glaubensbekenntnisses, der Zehn Gebote und der Sakramente, sowie die Lektüre von Heiligenviten, die Eucharistische Anbetung, die Teilnahme an den Hochfesten und an den Rosenkranzandachten. Im Laufe der Zeit wurden die Vorschriften und Anordnungen fiir die Unterweisung in der christlichen Lehre und für das Verhalten strenger, auch um die schon Getauften von den noch nicht Getauften getrennt zu halten. Um zu vermeiden, dass die Katechumenen, sobald sie nach ihrer Taufe die ihnen zustehende Unterstützung erhalten hatten, aus Rom flohen und wieder vom Glauben abfielen, wurde den Neugetauften verboten, innerhalb der drei auf die Taufe folgenden Jahre die Stadt zu verlassen. Außerdem waren sie verpflichtet, wöchentlich am Religionsunterricht und an den geistlichen Exerzitien teilzunehmen. Die finanzielle Unterstützung wurde von den Instituten selbst verwaltet und in luoghi di monte investiert. Diese Institute, in denen religiöse und ethnische Minderheiten- unabhängig davon, ob es sich um konvertierte, konversionswillige oder konversionsunwillige Minoritäten handelte - für einen relativ langen Zeitraum aufgenommen und betreut wurden, waren ein Mikrokosmos der Alteiität und der Koexistenz kultureller Verschiedenheit und damit ein Abbild der weit verbreiteten Präsenz religiöser und ,fremder' Minderheiten im Italien der Gegenreformation, vor allem aber im Zentrum des Katholizismus- eine Präsenz von Minderheiten, die das Bild

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der geschlossenen, geordneten, durch Staaten und Kirche streng geregelten Gesellschaft störte. Berücksichtigt man zudem das im Jahr 1673 gegründete Ospizio dei Convertendi, welches Protestanten (,Häretiker'), die nach Rom gekommen und dort geblieben waren, betreute und auf die Konversion vorbereitete, d. h. ein Institut, das ebenfalls die Integration in die Gesellschaft, in die Arbeitswelt und die Kultur der Stadt anbahnen sollte, wird noch deutlicher, welche historische Bedeutung diese Einrichtungen hatten, die in der Gesamtheit ihrer Strukturen und Gäste - und nicht wie bisher jeweils separat - untersucht werden müssten. 10 Ein konkretes Beispiel für die Verbindungen zwischen den einzelnen Konvertitenhäusern und der Notwendigkeit einer parallelen Untersuchung sowie ftir die infolge der großen Mobilität in der Frühen Neuzeit möglichen Begegnungen findet sich in einem Dossier der römischen Inquisition aus dem Jahre 1700. Dieses behandelt den Fall des Sklaven "Abduchacu Mauro, seu nigris coloris Turca", der aus Harnburg nach Civitavecchia geflohen war, um nach Rom weiterzuziehen, und der sich aus Angst vor einer Verhaftung zunächst als Lutheraner ausgab. Einmal entdeckt, bat er jedoch um die Taufe. Die unter Eid stehenden Zeugen, eine ehemalige Jüdin aus Hamburg, die in der Casa dei Catecumeni aufgenommen worden war, und ein schwedischer Lutheraner, der sich in das Ospizio dei Convertendi geflüchtet hatte, erzählen seine Geschichte. 11 Ihre jeweils eigene Vita, gekennzeichnet von Flucht, Reisen, Verstecken und Lügen, war ebenso bewegt wie die des Mannes, für den sie aussagten. Beide, sowohl die Jüdin als auch der Lutheraner, hatten den ,schwarzen Neger' und Pseudolutheraner Abduchacu schon vor ihrer Ankunft in Rom kennengelernt, und alle drei hatten sich schließlich in Rom in der Casa dei Catecumeni wiedergetroffen. Bekanntlich wurden im römischen Katechumenenheim genaue Taufregister geführt, die für den Historiker eine unschätzbare Quelle darstellen. Sie ermöglichen nicht nur die Untersuchung des Konversionsphänomens an sich, sondern auch das der hohen Mobilität, die nicht

I 0 Zum Ospizio dei Convertendi in Rom, das sich auf die Bekehrung von Protestanten spezialisie11 hatte, vgl. PAGANO, 1998; MATHEUS, 2005. Vgl. auch den Beitrag von Ricarda Matheus in diesem Band sowie DIES., 2012. II Archivio della Congregazione per Ia Dottrina della Fede (im Folgenden: ACDF), Sant'Officio, Stanza Storica, DB (Dubia Baptismi), II, 1700 -1 714.

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ausschließlich religiös bedingt war, sowie den Grad der Eingliederung und der Assimilation in die Stadt. Der relevante römische Quellenbestand umfasst zehn Taufregister flir die Jahre von 1614 bis 1818 sowie eine nicht vollständige Dokumentation aus der Zeit vor 1614. In diesen Taufregistern, von Wilpertus H. Rudt de Collenberg hervorragend erfasst und untersucht, wurden persönliche Daten der Katechumenen verzeichnet wie deren Herkunft, Alter, Berufe, Taufnamen, Namen der Paten sowie viele andere wertvolle Informationen über die Nichtkatholiken, die sich in der Stadt des Papstes aufhielten. In den Jahren von 1614 bis 1797 wurden 1958 Juden und 1086 Muslime, insgesamt also 3044 Personen bekehrt. 12 Diese an sich schon beeindruckenden Zahlen werden noch aussagekräftiger, wenn sie - wie ich es versucht habe- durch weitere qualitativ aussagekräftige Quellen ergänzt werden, wie z. 8. durch Dokumente der Diözesen, der Inquisition und der Propaganda Fide-Kongregation. In vergleichender Perspektive fallt anhand der Dokumentation zu Konversionen von Juden und Muslimen sofort eine soziale und symbolische Hierarchie der Konve1titen ins Auge. Die katholischen Behörden legten verschiedene Maßstäbe gegenüber diesen beiden Gruppen an: sie waren den Muslimen gegenüber bei der Kontrolle ihres Übertritts von einer Religion zur anderen wesentlich weniger rigoros als im Falle der Juden. 13 Dieser geringeren Strenge den Muslimen gegenüber entspricht einer geringeren Bedeutung, die ihrer Konversion seitens der kirchlichen Behörden beigemessen wurde. Folglich war man auch bei der Bewertung der Übertritte von Christen zum Islam weniger streng und den so genannten Renegaten gegenüber nachsichtiger. 14 Konversionen von Juden hatten einen erheblich höheren dogmatischen, theologischen und symbolischen Stellenwert als jene der Muslime. Dieser abweichenden Wahrnehmung der ,Verschiedenartigkeit' entsprachen - wie in einer Gegenbewegung - unterschiedliche Stufen der ,Unsichtbarkeit' nach der Konversion. Wenn unter , Unsichtbarkeit' Integration und Assimilation verstanden werden soll, ist zu 12 Diese aus den Taufregistern hervorgehenden Daten wurden den Untersuchungen von Rudt de Collenberg entnommen. V gl. RuoT DE CoLLENBERG 1986, 1987, 1988, 1989. 13 Diese Meinung vertritt Bernard Vincent auch für Spanien. Vgl. YINCENT, 2003. 14 Zum höheren Stellenwert der Konversion der Juden vgl. CAFFIERO, 2004, S.22.

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konstatieren, dass die Juden nach ihrer Konversion eine größere Chance hatten, ,unsichtbar' und ,unauffällig' zu werden, also von der gesellschaftlichen und kulturellen Umwelt Roms völlig integriert zu werden, auch weil die Hälfte aller in den Taufregistern des Katechumenenheimes verzeichneten jüdischen Konvertiten aus Rom stammte. Muslime hingegen, vor allem, wenn sie Farbige oder Sklaven waren, stießen auf erheblich größere, wenn auch nicht unüberwindbare Schwierigkeiten. Sie blieben sichtbar, erkennbar, auch wenn sie mit einer gewissen Nachsicht behandelt wurden, da sie ja schließlich getauft waren. Sie waren nicht nur ihrer Hautfarbe oder Kleidung wegen erkennbar, sondern auch durch die Dokumente, in denen ,schwarz', ,Maure', ,Mohr', oder sogar ,Türke' als Merkmale angegeben waren, was sofort mit einem ,Sklaven' assoziiert wurde. Auch die Tatsache, dass die Muslime, vor allem die Sklaven unter ihnen, nicht vollkommen in die Gesellschaft integriert waren, weist auf die geringe Anerkennung ihrer Konversion hin. Dass die übergroße Mehrheit der getauften Muslime Sklaven waren, muss als völlig normal angesehen werden, da es im Rom der Ftühen Neuzeit keine fest ansässige Gemeinschaft von Muslimen gab wie etwa in Venedig, oder wie es mit Blick auf die Juden in vielen Städten der Fall war. Es existierte auch keine Migration von freien Muslimen, die einzeln oder gruppenweise nach Rom kamen, um zum Christentum zu konvertieren. Im Vergleich zu den Juden gab es auch nur sehr wenige Familienverbände, die gemeinsam konvertieren wollten, auch wenn es hin und wieder vorkam, dass muslimische Ehepaare um die Anerkennung ihrer Ehe nach der Taufe baten. 15 Die größere ,Sichtbarkeit' der Muslime war also an ihr Sklaventum, ihre Stellung innerhalb der Gesellschaft und ihre Unfreiheit gebunden, die wiederum die Möglichkeiten einer Integration stark einschränkten, 15 ACDF, Sant'Officio, St. St., MS-h, cc. n. n.: "Non num, supplica dei neofiti originari di Corona, i coniugi Ussain e Ruchie, Roma, anno 1688." An anderer Stelle werde ich mich mit der wichtigen Frage der Ehen von Muslimen und des Ehedispens, der hier ohne Schwierigkeiten gewährt wurde, sowie der Untersuchung der umfangreichen Dokumentation im ACDF (Dubia di Matrimonio) befassen. Vgl. vorläufig meine Publikationen L 'Jnquisizione romana e i Musulmani: le questioni dei matrimoni misti und Per una storia comparativa: L 'Jnquisizione romana nei confronti di ebrei i musulmani in eta moderna (wie Anm. 2). Nach kanonischem Recht gewährt das Privilegium Paulinum schon verheirateten Konvertiten das Recht auf eine neue Ehe, wenn sich der Ehepartner nicht bekehrt.

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zumal, wie schon andernorts ausgeführt, die Konversion in keiner Weise automatisch eine Befreiung aus der Sklaverei nach sich zog, auch nicht in Rom. 16 Die Register der Casa dei Catecumeni verzeichnen nur eine Auswahl der konvertierten Muslime und Juden, da nicht alle Konvertiten in Rom diese Einrichtung durchlaufen haben. Die Taufe konnte ebenso gut in privaten Häusern, in den einzelnen Pfarreien oder - das gilt ftir die Muslime- sogar auf den Galeeren, die vor Civitavecchia vor Anker lagen und auf denen die Sklaven zum Ruderdienst gezwungen wurden. Es handelt sich jedoch um eine bedeutende Auswahl, die auf eine nicht sehr bekannte, jedoch konsistente Gruppe verweist, die innerhalb der römischen Gesellschaft integriert war, wenngleich der Grad der Eingliederung von getauften Juden und Muslimen als ungleich einzustufen ist.

111. Mobilität und Konversion Das Europa der Frühen Neuzeit ist durch eine hohe Mobilität der Menschen gekennzeichnet, wie auch aus dem im Historischen Archiv des Vikariats Rom aufbewahrten Archivbestand der Posizioni Matrimoniali hervorgeht. 17 Dabei handelt es sich häufig um Männerund Frauen aus verschiedenen Handwerksberufen und mit unterschiedlicher Religion, die ihr unstetes Leben mit ihrer Konversion in Rom aufgaben. Warum war die Anzahl der nicht aus Rom stammenden Taufanwärter in dieser Stadt so hoch? Rom war oft die letzte Etappe eines von langen Irrfahrten und zahlreichen Aufenthalten an verschiedenen Orten gezeichneten 16 In meinem Aufsatz Battesimi, liberta e.frontiere habe ich das Fehlen einer Verknüpfi.mg von Konversion und Sklaventurn behandelt. V gl. CAFFIERO, 2007, sowie auch den Beitrag von Nicole Priesehing in diesem Band. 17 Aus den Suppliken um Ehedispens an den Generalvikar von Rom, die zum Bestand der Posizioni matrimoniali gehören, geht hervor, dass diese Mobilität auch Frauen betraf. Vgl. PJECCHJ ETIJ, 2007. Über die Mobilität in Europa und im Mittelmeerraum gibt es eine umfangreiche Bibliographie. Ich verweise hier nur aufFoNTAINE, 1996, S. 739 - 756 und die Untersuchungen in CAvAClOCCHl (Hg.), 1994, in MoATIJ (Hg.), 2004, und MoATIJ u.a. (Hg.), 2009. Zahlreich sind die Untersuchungen zur Mobilität nach Übersee. Vgl. in unserem Kontext SALJNERO, 2005. Zur Mobilität der Frauen vgl. die Beiträge in CoRsr (Hg.), 1999, und VALERro/SrLVESTRE (Hg.), 1999.

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Lebensweges, wie z. B. im Falle des polnischen Rabbiners Joseph Berez, eines vielgereisten Mannes, der von Polen über Deutschland, Tunis, Vercelli, Genua und Livomo 1775 schließlich nach Rom gelangte. Reisen auf verschlungenen Wegen, Flucht und Zwischenaufenthalte halfen einerseits, eine unbequeme Vergangenheit zu vertuschen, und andererseits, sich im Rahmen einer selbstdarstellerischen Inszenierung eine oft imaginäre und abenteuerliche Lebensgeschichte zu konstruieren, die diese außergewöhnlich hohe Mobilität rechtfertigen und die Aufmerksamkeit der Leitung des Katechumenenheims wecken sollte. Schlauheit oder gar Gerissenheit, Verstellung und Heuchelei halfen bei der Anpassung und gehörten zur Überlebenstaktik. So bleiben uns heute wahre oder falsche Geschichten über abenteuerliche Fahrten auf den Meeren oder auf den großen Handelsstraßen, die - wie auch die Berichte über die Konversionen- nicht unbedingt ungewöhnlich, und ftir die Leitung der Casa dei Catecumeni auch nicht zwingend glaubwürdig sein mussten, die für uns eine Form von Memorialquellen darstellen, die es noch zu entdecken gilt. Man kam also nach Rom, um sich aus völlig unterschiedlichen, materiellen oder nicht-materiellen Gründen taufen zu lassen. Einer davon war sicherlich, dass die Stadt den Konvertiten Unterstützung und Privilegien bot, über die die Fremden bei ihrer Ankunft bestens informiert waren. Doch ist auch- und das gilt für diejenigen, die sich aus Überzeugung taufen lassen wollten - die große symbolische Bedeutung einer Konversion in der Ewigen Stadt in Rechnung zu stellen. Es ist natürlich kaum möglich nachzuweisen, ob die Entscheidung für den Glaubenswechsel nach der Ankunft in Rom getroffen wurde, oder ob die Übersiedelung in die Stadt zu diesem Zweck erfolgte. Die kirchlichen Behörden förderten auf jeden Fall - wie wir noch sehen werden- die Eingliedemng der Neuankömmlinge in die katholische Gemeinschaft durch Eheschließungen, die der Konversion Stabilität und Dauer verleihen konnten. Es besteht also ein enger Zusammenhang zwischen Mobilität und Konversion sowie zwischen Konversion/Taufe und Eheschließung, denn häufig fand die Taufe nur wenige Tage vor der Hochzeit statt. Und auch wenn die Taufe nicht in Rom stattgefunden hatte, wurde die Hochzeit dennoch in Rom gefeiert, vielleicht auch, weil der Ehedispens gewöhnlich ohne große Schwierigkeiten erteilt wurde. Dadurch wurde Rom ftir die Neophyten zur Heiratsstadt schlechthin. 18 Die Ewige Stadt war auf jeden Fall der entscheidende Zielpunkt auf dem metaphorischen oder realen Itinerar, jenem 31

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Weg also, der seinen Ausgang von den verschiedenen Häfen des Mittelmeerraumes genommen hatte. In diesem Zusammenhang muss unterstrichen werden, dass, entgegen der allgemeinen Überzeugung, diese Mobilität nicht ausschließlich ein Privileg der Männer war, denn aus den Quellen geht klar hervor, dass auch Frauen ständig ihren Aufenthaltsort wechselten. Und auch hier besteht ein Zusammenhang zwischen Konversion und Mobilität, d. h. der Glaubenswechsel war ein entscheidender Beweggrund zur Migration, aber auch das Gegenteil war der Fall, denn häufig hatte die Mobilität den Glaubenswechsel zur Folge. Es gibt zahlreiche Beispiele von unabhängigen Frauen, die durch ganz Europa zogen und Identität, Namen, Ehepartner wie auch den Glauben wechselten. 19

IV. Der neue Name als Kennzeichen für die Sichtbarkeit/Unsichtbarkeit Der Moment der Taufe als Aufnahme- und Eingliedemngsritus war für manchen Konvertiten eine zeremonielle und spektakuläre Handlung; sie war ein Moment der ,Sichtbarkeit' und Feierlichkeit, mit dem die ,Neugeburt' und der Eintritt in die neue Gemeinschaft emphatisch begangen wurden. Wenn die Taufe in St. Peter gespendet wurde, bei wichtigen Ereignissen oder Persönlichkeiten durch den Papst selbst, wurde sie mit feierlichen Umzügen und Prozessionen durch die Stadt begleitet. Diese Prozessionen fanden vor allem bei Taufen von gesellschaftlich hoch angesehenen Juden oder freien Muslimen statt, denn der gegenseitige Prestigegewinn, d. h. sowohl des Taufbewerbers als auch des Taufspenders, war der wichtigste Faktor bei den Taufen prominenter Ungläubiger: einerseits die große Ehre und die dem Konvertiten gewährten Privilegien, andererseits die apologetische Erhebung der Kirche und des Papsttums durch den Triumph der konkret in der Tauffeier demonstrierten katholischen Religion. Je wichtiger die Persönlichkeit und der 18 Vgl. BATIAGLIA, 2007-2008. In dieser Arbeit wurden ca. 100 Eheschließungen zwischen Konvertiten und Christen in der Zeit von 1740 bis 1758 anhand der Posizioni matrimoniali des Archivio storico del Vicariato di Roma analysiert. 19 Beispiele für solche Lebensgeschichten von Frauen finden sich in CAPPIERO, 2012.

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soziale Status des Konvertiten waren, desto größer war die Ehre für die Kirche und die Stadt Rom. Die Taufe von Muslimen war, wie bei den Juden, eine symbolisch und apologetisch äußerst wichtige Feier, die den Triumph der römisch-katholischen Kirche über die anderen Religionen zeigte. Die mehr oder weniger bekannten Konvertiten wurden in recht günstige Positionen innerhalb der Gesellschaft der Stadt integriert, wobei ihnen ihre angesehenen Taufpaten behilflich waren, die sie von nun an protegierten und in den Bannkreis ihrer Patronage zogen. Ihre ,Unsichtbarkeit' war jedoch nicht vollständig, sondern hing von einem entscheidenden, prägenden Element der neuen Identität ab: dem Namenswechsel, der gleichzeitig die eigene Identität sowohl verbergen und verhüllen, aber auch ein Mittel zur Schaffung von ,Unsichtbarkeit' und ,Sichtbarkeit' sein konnte. Der Glaubenswechsel bedeutete auch den Wechsel eines äußerst wichtigen Elementes der eigenen Identität, nämlich des Namens (und des Nachnamens). Die Taufe zeigte die konkrete Geburt dieses neuen Menschen durch den Ritus des Namenswechsels an. 20 Der Ritus wird also zum Instrument einer radikalen Veränderung des Individuums, nicht nur durch die Annahme eines neuen Glaubens, eines neuen Status, eines neuen Lebens, einerneuen Familie, sondern auch durch die Annahme eines neuen Namens. Ein Namenswechsel konnte- bedingt durch die starke frühneuzeitliche Mobilität- aber auch unabhängig von einer Konversion stattfinden. Die häufigen Verschiebungen der Landesgrenzen und die politischen Verändemngen im Europa der Frühen Neuzeit, die großen Migrationströme innerhalb des Mittelmeerraumes und die Kolonialisiemng Amerikas, in die Millionen von Menschen involviert waren,2 1 wirkten 20 Hier möchte ich auf die aktuelle Diskussion über die Taufe und den Zusammenhang mit dem Namen verweisen. Vgl. PROSPERI, 2006, sowie CAFFIERO, 2004. 21 Man schätzt, dass zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert ca. 400.000 Personen von Spanien nach Amerika auswanderten; 300.000 Christen wurden im Mittelmeerraum gefangen genommen und wurden abtrünnig. Die Zahl der irischen Emigranten im spanischen Weltreich belief sich auf 100.000 bis 150.000 waren die irischen Emigranten im spanischen Weltreich. Dazu kommen noch die aus Spanien ausgestroßenen Juden und Moriscos und di e Versklavung von ca. einer Millionen Personen auf der iberischen Halbinsel. Neben diesen Migrationen ist die Mobilität der Landbevölkerung in die Städte zu erwähnen. Vgl. SALINERo/VrNCENT, 2010, S. 315.

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sich stark auf dieses Phänomen aus. Außer den religiösen gab es noch zahlreiche andere Gründe für den Namenswechsel, wie den Wunsch zu fliehen und ein neues Leben zu beginnen, die Notwendigkeit, sich in ein neues Umfeld einzuordnen und den Herausforderungen der Migration gerecht zu werden, zu simulieren und zu täuschen um zu überleben und um der Justiz sowie eventuellen Verurteilungen zu entgehen, eine unbequeme Vergangenheit zu verbergen, oder schließlich die Möglichkeit zu haben, anderswo einen neuen Partner zu finden oder eine neue Ehe einzugehen. Bigamie, Polygamie, aber auch Konkubinat hingen mit dem Phänomen Migration zusammen und führten fast immer zu einem NamenswechseL Es geht hier also um Veränderungen der Lebensbedingungen, die nicht unbedingt religiös oder spirituell motiviert waren. Diese ,Strategie der Familiennamen' ermöglichte eine überraschend reibungslose Integration der Einzelnen in das neue Sozialgefüge, erleichterte die neue Zugehörigkeit sowohl auf gemeinschaftlicher als auch auf religiöser Ebene und entsprach dem Wunsch dieser Personen, die eigenen Spuren auszulöschen und damit jedweder Kontrolle gerade der Gesellschaft und jener Institutionen zu entgehen, für die die Namenseindeutigkeit eines Individuums ein Mittel zur Wiedererkennung und Identifizierung war. So sagt die Namensänderung viel über das Leben der Person aus, sie erzählt eine Biographie. Sie zeigt auch, dass man sie als Mittel zur radikalen Veränderung der Identität des Einzelnen und zur Annahme einer neuen, anderen Identität verstand, aber auch als Beginn für die Entwicklung neuer gesellschaftlicher Beziehungen.Z2 Die Konvertiten, besonders die Muslime, waren zur Namensänderung verpflichtet, was durch verschiedene päpstliche Dekrete bestimmt worden war. 23 Dadurch wurde der Name zu einem wichtigen Faktor für die Integration und die Assimilation. Die Bedeutung dieses Aspekts der 22 Die Eigennamenforschung und die Bildung bzw. Ändenmg von Vor- und Nachnamen in der Frühen Neuzeit ist gegenwärtig Gegenstand vieler historischer Forschungsprojekte in ganz Europa. Ich möchte hier lediglich auf den schon zitierten Band SALINERo / TEsTÖN NuNEZ (Hg.), 2010 (mit reichhaltiger Bibliographie) verweisen. Vgl. auch die Konferenz über "I cognomi italiani nell'ambito dell'antroponimia dell'Europa mediterranea", die vom 15. - 17. September 20 I 0 in Pisa stattfand und deren Beiträge zur Zeit publizie11 werden. Zu den von konverti erten Juden und Muslimen angenommenen Namen verweise ich auf CAFFIERo, 2007, sowie demnächst: Dms., Stranieri visibili e invisibili. Zu den Eigennamen siehe auch MITTERAUER, 2001.

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Taufe wurde dadurch noch hervorgehoben, dass häufig angesehene Bürger bei der Taufzeremonie von Juden und anderen Katechumenen Pate standen und den Neugetauften ihren Familien- oder einen bestimmten Namen übertrugen, der jedermaJm bekannt war. Die Namensänderung brachte nicht nur die ,Sichtbarkeit' des Identitätswechsels nach außen mit sich, sondern stellte auch eine Art Patenschaft und Patronage her. Sie gliederte damit den Neophyten in die spirituelle Verwandtschaft des Namensgebers ein und stellte ihn als Klient unter seinen wohlwollenden Schutz (aber auch unter seine Kontrolle). In der Zeit zwischen 1614 und 1797 standen 126 Kardinäle bei jüdischen Katechumenen Pate, die höchste Quote wurde im 17. Jahrhundert erreicht, und eine ganze Reihe von Taufen wurde von den Päpsten selbst gespendet. Bei den Muslimen waren es hingegen nur 39 Kardinäle und es wurde keine Taufe vom Papst persönlich vorgenommen, was deutlich macht, dass ihre Konversion nicht den Stellenwert hatte, den die theologisch, kulturell und symbolisch wichtigere Bekehrung der Juden hatte. Auf der Gmndlage einer von mir gegenwärtig durchgeführten Untersuchung zu den Unterschieden zwischen den Taufen von Juden und Muslimen möchte ich den Blick auf eine allgemein bekannte Tatsache lenken, die von großer Bedeutung ist und einen nachhaltigen Einfluss auf die soziokulturelle Bevölkerungsentwicklung hatte, die aber wohl noch nicht ausreichend erforscht wurde: Paten, Patinnen und Patensöhne und -töchter mit dem gleichen Namen bieten aufschlussreiche Anhaltspunkte für Studien zur römischen Gesellschaft unter onomastischen Fragestellungen. Noch heute finden wir zahlreiche Familien mit vornehmen, historisch bedeutenden Nachnamen, obwohl keine Verwandtschaftsbeziehungen bestehen oder eine Abstammung von bekannten adligen Familien nachweisbar ist. Ihr Familienname 1ührt- jenseits von Adoptionsfallen- oft aus der Zeit, als bei einem ihrer jüdischen oder muslimischen Vorfahren eine wichtige Persönlichkeit Pate gestanden und ihm dabei seinen Namen gegeben hat. So finden wir bei getauften Juden, aber auch bei den Muslimen, häufig Namen wie Barberini, Colonna, Orsini, Patrizi, 23

Siehe dazu die Bulle von Papst Benedikt XIV. aus dem Jahre 1754 Ne Christ.fideles sub Turcarum ditione versantes, ad occultandam Christianae Religionis professionem, Mahumetana Nomina sibi imponant, iisque se compellari patiantur, in: Sanctissimi Domini Nostri Benediciti Papae XIV Bullarium, T. IV, Romae 1757, S. 221-223, die sich ausführlich mit der Namensgebung der konvertierten Muslime beschäftigte.

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Zuccari, Spada, Corsini, Santacroce, Corradini, Albani, Savelli, etc. Dadurch entstand eine parallele Welt von Nichtadligen mit den gleichen Familiennamen, die bis heute in römischen Namensverzeichnissen zu finden sind und zugleich einen Spiegel der multiplen Identitäten des römischen Volkes darstellen. Die religiöse Zusammensetzung der römischen Gesellschaft fuhrt somit aufgrund der hohen Anzahl von Konversionen zu einer ganz eigenen sozialen und demographischen Struktur, die in gewisser Weise modern, ja fast aktuell ist. Sie verleiht der Stadt folglich eine Physiognomie, die komplexer, hybrider, vielschichtiger und gemischter ist, als man es für die vergangeneu Jahrhunderte vermuten würde. Die Onomastik ermöglicht es auch, die unterschiedlichen Verhaltensweisen der römischen Institutionen gegenüber den verschiedenen Ursprungsreligionen der Konvertiten zu begreifen; so scheinen bei den Protestanten keine Namensänderungen bezeugt zu sein, da sie ja schon getauft waren und ihren Namen beibehalten konnten, während diese Änderung für Juden und Muslime erforderlich war. Das zeigt, wie sehr die Taufe als Mittel zu einer radikalen Veränderung der ursprünglichen Identität des Einzelnen verstanden wurde, die mit der neuen Identität absolut unvereinbar war. Zudem ist die Namensänderung ambivalenter Ausdruck der Lebenserfahrungen des Konvertiten, denn sie zog zwei gegensätzliche, soziale Konsequenzen nach sich: Einerseits sanktionierte der neue Name die formale völlige Anpassung des ,nicht mehr Fremden' und war der sichtbare Beweis für die Zugehörigkeit zur neuen Gemeinschaft sowie zur neuen Geistesverwandtschaft, andererseits war er für seinen Träger auch eine öffentliche Bekanntgabe seiner Lebensgeschichte und seines Status als Konvertit. Aus dem Namen ging eine Lebensgeschichte hervor, eine Vergangenheit und vielleicht auch ein unbequemes Geheimnis, das man zu verbergen versuchte, und folglich war die Unsichtbarkeit trotz der totalen Anpassung wieder nur eine Illusion, zumindest einige Generationen lang. Doch ermöglichte die ,Politik der Familiennamen', die noch zu untersuchen sein wird und zu der es gegenwärtig ein italienisches Forschungsprojekt gibt, langfristig eine erstaunlich gute Integration der Anderen in das Sozialgefüge, so dass sich schließlich ihre Spuren verloren. Eine weitere Konsequenz dieser Namenspolitik, deren Tragweite wir noch nicht überblicken können, ist, dass die Mitglieder einer einzigen jüdischen oder muslimischen Familie verschiedene Namen haben konnten, während konvertierte Juden und Muslime -letztere eventuell sogar

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Schwarze und Sklaven- den gleichen Nachnamen erhielten, wenn sie denselben Paten hatten. Wie also konnte man einen konvertierten jüdischen Albani von einem ehemaligen muslimischen Albani unterscheiden, wenn er keine schwarze Hautfarbe hatte? Und wie ist es zu verstehen, wenn ein angesehener jüdischer Neophyt, Giovanni Jona, Dozent flir Hebräisch an der Universität La Sapienza, im Jahre 1654 bei dem 25-jährigen Muslim Amet Pate stand, ohne ihm seinen Namen zu geben?24 Auch dies scheint ein klares Zeichen für Integration zu sein.

V. Die Mischehe: Strategie zur Assimilation Die Taufe bildete die Voraussetzung für den Zugang zu allen anderen Sakramenten, vor allem zur Ehe, die nach der Taufe, vielleicht auch noch mehr als sie, das wichtigste Mittel zur Assimilation und Integration in die neue Gesellschaft war. Deshalb sind Konversionspolitik und Heiratspolitik in der päpstlichen Gesetzgebung, vor allem tmter dem Juristen-Papst Benedikt XIV. (1740-1758), eng miteinander verbunden. In der Förderung der so genannten Mischehen durch die obrigkeitlichen Institutionen - die noch bis heute eine gewisse Aktualität hat - kommen der Grad der Assimilation des ,Fremden' sowie die kulturelle Vermittlerrolle der Konvertiten am besten zum Ausdruck. Mit Mischehen sollen hier nicht Ehen zwischen Personen verschiedener Glaubenszugehörigkeit, z. B. zwischen Katholiken und ,Häretikern' oder Orthodoxen, zwischen Katholiken und Muslimen in den Missionsländern verstanden werden. 25 Vielmehr beziehe ich mich hier auf Ehen zwischen Katholiken und Neophyten verschiedener Glaubensherkunft Auch wenn die Forschungen zu diesem Thema gerade erst begonnen haben, zeichnet sich bereits ab, dass die Frauen eine zentrale Rolle als Verbindungsglieder und Mittlerinnen zwischen den verschiedenen Welten spielten. Auf die Frauen richtete die Kirche ihre Strategie, um die Integration der 24 RuoT DE CoLLENBERG, 1989a, S. 62. 25 Zu den so genannten Ehen alla turchesca zwischen Katholiken und Muslimen in den Missionsländem, vor allem auf dem Balkan, vgl. die in Anm. 2 angegebene Literatur; strengstens verboten, auch unter Androhung der Todesstrafe, waren nicht nur die Eheschließungen, die manchmal trotzdem stattfanden, sondem auch der Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Christen. Dazu CAFFIERO, 2012.

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Konvertiten in die christliche Gesellschaft zu beschleunigen. Die Assimilation durch Konversion und im Anschluss daran durch Heirat schien für die Frauen also einfacher zu sein und wurde zumindest von der Gesellschaft und den verantw01tlichen Instanzen gefördert. Die unverhältnismäßig umfangreiche Dokumentation zu den Konversionen von Frauen gegenüber der Gesamtzahl von Konversionen könnte also mit ihrer wichtigen sozialen und kulturellen Rolle bei den Assimilationsprozessen zusammenhängen. Die Mischehen hatten jedoch auch sehr konkrete und materielle Auswirkungen, denn die Heirat mit einer Neugetauften war für die christlichen Männer auch eine ausgezeichnete Investition, da die konvertierten Frauen ein Recht auf eine doppelte Mitgift (im Vergleich zu nicht konvertierten Frauen) hatten, die von verschiedenen Institutionen bezahlt wurde. Zudem brachte die Ehe neben der Mitgift automatisch wirtschaftliche, steuerliche und berufliche Vorteile mit sich; hinzu kam noch das von der Frau übertragene Recht auf die Bürgerschaft. 26 Das Verbot von Ehen zwischen vor ihrer Konversion unverheirateten Neophyten und die starke Begünstigung gemischter Ehen, wodurch auch schon bestehende Ehen zerstört wurden -mit Ausnahme der protestantischen Ehen, deren Gültigkeit anerkannt wurde - , sollten eine erneute Hinwendung zum jüdischen Glauben bzw. zum Islam oder schlicht eine Meinungsänderung verhindem und gehörten daher zu den wichtigsten Maßnahmen der Kirche zur religiösen und gesellschaftlichen Integration der Konvertiten. Es ist natürlich schwierig, die tatsächlichen Gründe für die Konversion der Männer und Frauen zu erkennen, und zu erfahren, ob sie, wie viele meinen, vorwiegend wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Überlegungen entsprangen, was übrigens auch die Päpste wie Benedikt XIV. selbst glaubten. Dieser nämlich unterschied interessanterweise zwischen der Konversion von Männem und Frauen. Er behauptete, dass Frauen aus wahrer Liebe zu einem Christen den katholischen Glauben annahmen und damit auch eine Kontinuität des Glaubens garantierten, während Männer aus praktischen Gründen konvertierten; sie wollten ihren Gläubigem entkommen, eine Ehefrau loswerden oder hatten andere Motive, die keine Garantie dafür waren, um einen guten Christen abzugeben.27 26 Zu der Mitgift und den anderen Privilegien der jüdischen Konvetiitinnen vgl. CAFFIERO, 2010a; Dms., 2007.

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Interessant ist auch, dass die Heiratsfrage die kirchlichen Behörden veranlasste, sich mit den Bräuchen und Bestimmungen ftir Hochzeiten von Juden und Muslimen zu befassen. Benedikt XIV., der Papst der Frühen Neuzeit, der die meisten Bullen, Dekrete und Enzykliken zur Ehe verfasste, erließ verschiedene Direktiven zur Heirat von Neophyten, bei denen er die entsprechenden jüdischen Vorschriften bis ins Einzelne berücksichtigte, so z. B. den Gebrauch des Ghet oder von Schmähschriften zur Verstoßung der Ehefrau. Aus den von mir untersuchten Fällen geht hervor, dass der Papst über die Verlobung und ihre strenge Einhaltung im Judentum genau Bescheid wusste. Darüber hinaus war er auch über alle Bräuche informiert, die sich von denen der Christen unterschieden. Man gewinnt den Eindruck, dass die Ehe als wichtigstes Mittel zur Eingliederung der Konvertiten galt, besonders der Frauen, auf die diese Konversionspolitik hauptsächlich ausgerichtet war. Doch auch die konvertierten Juden - Männer wie Frauen - waren sich der Bedeutung dieses Instruments bewusst und bedienten sich seiner, so gut sie konnten, um sich besser in das Sozialgefuge integrieren zu können. In den Akten des Heiligen Offiziums, die im Archiv der Glaubenskongregation aufbewahrt werden, und in den Dokumenten des Vikariats findet man eine Reihe von Fällen konvertierter Frauen, die um Dispens fur eine Ehe mit einem Christen baten, obwohl sie einen jüdischen oder muslimischen Ehemann hatten, der jedoch aus verschiedenen Gründen, z. B. weil er verschollen, auf Reisen oder im Gefangnis war, keinen vorschriftsmäßigen Antrag auf eine Konversion stellen konnte, wie es die katholischen Regelungen vorsahen. Das so genannte Privilegium Paulinum - das auch nach heutigem Kirchenrecht noch gültig ist- sah nämlich vor, dass die rechtmäßigen Ehen zwischen ,Ungläubigen' durch favorfidei automatisch als nichtig betrachtet werden konnten, wenn einer der Ehepm1ner getauft wurde und der andere die Taufe oder ein weiteres Zusammenleben sine iniurias creatoris, d. h. ohne Gott und die Religion zu lästern, ablehnte. Der getaufte Partner musste also bei dem anderen nachfragen, ob er zur Taufe oder zum Zusammenleben bereit 27 Die lateinische und italienische Version der Instruktion De Baptismo Judaeorum, sive lnfantium, sive Adultorum bzw. Sopra il Baltesima degli Ebrei o infanti o adulti vom 28. Februar 1747 (Tncipt: Postrema mense) befindet sich in: Sanctissimi Domini Nostri Benediciti Papae XIV. Bullarium, T. II, Romae 1749, S. 186-237. Zu dem Brief und seinen wichtigsten Ausführungen zu Konversionen und Taufen, vgl. CAFFIERO, 2004, S. 76-99.

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sei, und nur wenn dieser ausdrücklich ablehnte, konnte er eine neue Ehe eingehen. Es war auch Benedikt XIV., der die Frage nach dem Hinderungsgrund der disparilas cultus bei Religionsverschiedenheit der Ehepartner aufwarf. Zu diesem Hinderungsgrund wie auch demjenigen der Mischehen - im Sinne von ehelichen Vereinigungen zwischen Personen, die ihren jeweiligen Glauben beibehalten - erließ der Papst eine wichtige Konstitution, Singulari nobis von 1749, in der er nochmals bestätigte, dass die disparilas cultus zwischen einem Christen und einem Ungläubigen, d. h. zwischen einem Getauften und einem Ungetauften, die Ehe ungültig mache, während sie zwischen einem Katholiken und einem ,häretischen' Partner zwar unzulässig, jedoch gültig war. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass diese Bulle aufgrund eines konkreten Falles erlassen wurde: Eine mit einem Juden verheiratete Protestantirr war zum katholischen Glauben übergetreten, wodurch eine Ehe zwischen einer Getauften und einem Ungläubigen entstanden war. Der Papst erklärte diese Ehe in einer sehr detaillierten Begtiindung, die hier nicht näher erörtert werden kann, für nichtig. Wenn sich jedoch beide Ehepartner hätten taufen lassen, hätten sie eine neue Ehe nach katholischem Ritus eingehen können. 28 In einer jüngeren Studie wurden 126 Ehen aus dem Bestand der im Archiv des Vikariats aufbewahrten Posizioni Matrimoniali untersucht, die während des 18-jährigen Pontifikats Benedikts XIV. geschlossen wurden. Es handelt sich um Mischehen, d. h. um Eheverträge zwischen konvertierten Eheleuten unterschiedlicher Glaubensherkunft (vor allem zwischen ,Häretikern' und Katholiken). 29 Diese Untersuchung bietet neue Erkenntnisse zum Einfluss dieser Ehen auf das Gesellschaftsgefüge Roms und die Integration der Konvertiten. Nur in fiinf Fällen handelt es sich um Ehen von ehemaligen Juden mit Katholiken, in zwei Fällen von ehemaligen Muslimen mit Katholiken, die restlichen 119 Fälle betreffen Ehen von Lutheranern und Reformierten mit Katholiken. Auffallend ist jedoch, dass bei diesen Ehen die Endogamie zwischen Nichtrömem bei weitem überwiegt und nur eine kleine Anzahl der Römerinnen und Römer eine solche Ehe eingeht. Die Integration war also, 28 Singulari nobis, in: Sanctissimi Domini Nostri Benediciti Papae XIV. Bullarium, Tom. III, Romae 1753, S.4-13. 29 BATTAGLIA, 2007-2008.

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obwohl sie durch Heiraten gefördert wurde, nicht einfach. Die römischen Frauen heirateten konvertierte Einwanderer nur dann, wenn diese in der Stadt und im Arbeitsleben vollkommen eingegliedert waren. Für die konvertierten Frauen war die Heirat mit einem Otisansässigen einfacher als für die Männer, da sie durch die Aussteuerpolitik unterstützt und begünstigt wurden. Es ist also durchaus denkbar, dass ausländische Frauen oder zumindest Frauen mit einem anderen Glauben sich besser integrierten als Männer. Bereits an anderer Stelle habe ich dargelegt, wie begehrt die jungen, neugetauften Frauen waren, die im dominikanischen Kloster SS. Annunziata lebten. Dies resultierte aus ihrer Mitgift, ihren Privilegien und den Sicherheiten, die sie boten und welche durch die Casa dei Catecumeni garantiert wurden.30 Die jungen Frauen spielten folglich dank ihres wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und symbolischen Wertes auf dem römischen Heiratsmarkt eine herausragende Rolle. Durch das Zusammenleben mit ihren Ehepartnern integrierten sie sich überall im Gesellschaftsgefüge der Stadt. Aus den Eheschließungsgesuchen der zukünftigen Ehemänner geht fast immer deren Wohnsitz hervor. Dies verdeutlicht die sich über die gesamte Stadt erstreckende Vernetzung des Katechumenheims und gibt zugleich Hinweise über den zukünftigen Aufenthaltsort der neugetauften Frauen nach ihrer Heirat. Interessant wäre -nicht nur für Demographen - eine Untersuchung der Pfarrgemeinderegister und der Eheprotokolle, die eine Verortung der Konvertitinnen innerhalb der städtischen Topographie und ihrer ,Sichtbarkeit' oder ,Unsichtbarkeit' ermöglichen könnte. Mit anderen Worten, man müsste versuchen, den Lebensweg dieser Frauen nach ihrer Heirat mit Hilfe der Pfarrregister und der Bruderschaftsbücher weiterzuverfolgen. Zusammenfassend ist zu betonen, dass die gesellschaftliche und symbolische Bedeutung der neugetauften Frauen, die ihren zukünftigen Ehemännern nicht nur eine sichere Mitgift, sondern auch Achtbarkeit und Tugendhaftigkeit boten, Anlass bietet, über die bemerkenswert reibungslose Eingliederung der Konvertiten, vor allem aber der Konvertitinnen, in die christliche Gesellschaft und in die Arbeitswelt zu reflektieren. Im Gegensatz zu dem, was im Italien des 20. Jahrhunderts, d. h. mit dem Erlass der Rassengesetze von 1938, geschah, die Hochzeiten zwischen Juden und Katholiken verboten und die Konversionen bei der Festlegung der 30

CAFFIERO,

2010a; Dms. 2007, S. 312-325.

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Rassenzugehörigkeit nicht berücksichtigten, wurden im Rom der Frühen Neuzeit Konvertiten durch ihre Heirat vollkommen in die christliche Gemeinschaft und in die Gesellschaft der Stadt integriert. Folglich ist die Konversion der Männer und Frauen, auch wenn sie in manchen Fällen utilitaristisch erscheint, da sie durch die Aussicht auf Eheschließung mit einem Christen auf eine Verbesserung der eigenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Position abzielt, die wirkungsvollste Methode für eine dauerhafte Konversion und eine vollkommene Assimilation der ,Fremden', sowohl der Juden als auch der Muslime.

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Taufe als Weg in die Freiheit? Konversionen muslimischer Sklaven im frühneuzeitlichen Rom NICOLE PRIESCHING

Zwischen 1614 und 1798 traten in Rom neben freien Juden und Muslimen auch muslimische Sklaven zum Katholizismus über. Dieser Befund führt zu der Frage, ob die Taufe für die Sklaven einen Weg in die Freiheit darstellte, und ob hier folglich das wesentliche Motiv für diese Konversionen zu suchen ist. Diese Frage ist nicht einfach mit ja oder nein zu beantworten. Das Verhältnis von Konversion und Freiheit stellte sich für die muslimischen Sklaven in Rom durchaus unterschiedlich dar. Dieser Beitrag möchte dieses Verhältnis näher beleuchten. Als Quellengrundlage dienen die Taufregister des römischen Katechumenenhauses für jüdische und muslimische Konvertiten, die Pia Casa dei Catecumeni e Neojiti. 1 Katechumenenhäuser flir jüdische und muslimische Konvertiten gab es in der Frühen Neuzeit in ganz Italien, zum Beispiel in Florenz, Bologna, Ferrara, Venezia, Torino, Modena, Pesaro? In Rom wurde 1543- noch vor dem Ghetto (1555)- von Paul III. mit der Bulle Illius3

2

Die Statistiken der Taufi·egister sind von Wipertus H. Rudt de Collenberg in einer Serie von fünf Artikeln erschienen, wobei sich drei mit den jüdischen und zwei mit muslimischen Konvet1iten im römischen Katechumenenhaus beschäftigen. RuDT DE CoLLENLJERG, 1986- 1989. Zum Archiv des Katechumenenhauses siehe RoccioLo, 1998. CAPPtERO, 2007. In Neapel gab es im 18. Jahrhundert ein Collegia degli Schiavi, welches die Konversion der Galeerensklaven unterstützen sollte.

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Nicole Priesehing

unter dem Einfluss des Ignatius von Loyola die so genannte Pia Casa dei Catecumeni gegründet. Bereits ein Jahr später entstand eine Erzbruderschaft San Giuseppe dei Catecumeni, die sich um die Katechumenen kümmern sollte. Sie bestand ausschließlich aus Laien, stand unter der Autorität eines Kardinalprotektors und erhielt 1580 die neue Kirche Madonna ai Monti. 4 Zum Gebäudekomplex der Pia Casa gehörten mehrere Einrichtungen: Nach der Gründung des Katechumenenhauses für männliche Konvertiten wurde 1562 eine Casa Monasterio oder Casa di Riposa für Konvertitinnen etabliert. 1577 gründete Papst Gregor XIII. das Collegia dei Neofiti, welches sich im Stadtteil von S. Eustachio befand. Hier lebten anfangs 20 Juden und 10 Muslime. 1634 wurden die Casa dei Catecumeni und das Collegia dei Neofiti in ein Gebäude in der Nähe der Kirche Madonna ai Monti zusammengelegt. Es lag damit in der Pfaugemeinde von S. Salvatore ai Monti. 5 Nach Marina Caffiero war die Pia Casa dei Catecumeni der Motor der Konversionspolitik der gegenreformatorischen römischen Kirche. Sie lag im Herzen der Stadt, weit entfernt vom Ghetto, stellte aber stets eine Bedrohung für dieses dar. 6 In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstand in Rom ferner ein Konvertendenhaus (Ospizio dei Convertendi) ftir Protestanten. 7 Finanziell war die Pia Casa gut ausgestattet. So hatte Gregor XIII. die berüchtigte Kopfsteuer für alle Juden erlassen, die nicht zu den Zwangspredigten erschienen. Dieses Geld kam der Pia Casa zugute. Sie verfügte über feste Einnahmen, Dotationen und Privilegien. Die Katechumenen mussten eine tägliche Pension von 30 baiocchi entrichten. 8 Auch eine Tauffeier kostete Geld. Taufkleid, Kerze und Priester mussten bezahlt werden. Die Akten der päpstlichen Flotte9 zeigen, dass die Unkos-

3 4 5 6 7 8 9

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Vgl. NAIWI , 1967, S. 63. In Genua muss es etwas Ähnliches zwischen 1665 und 1667 gegeben haben. Vgl. SARTI, 2001, S.456. CAFFlERo, 2004, S. 22. Dieser Bulle war 1542 die Konstitution Cuoientes vorausgegangen. RuDT DE CoLLENBERG, 1986, S. 91. Ebd., S. 93; vgl. auch DERS., 1989, S. 21. CAFFIERO, 2004, S. 22. V gl. auch den Beitrag von Marina Caffiero in diesem Band. Die Konversionen von Protestanten zum Katholizismus in Rom wurden jüngst in einer Dissertation aufgearbeitet. Vgl. MATHEUS, 2012. RuoT DE CoLLENBERG, 1986, S. 112f. Zur päpstlichen Flotte siehe GuGLIELMOTTI,1886-1893.

Konversionen muslimischer Sklaven

ten der Taufe fUr die Galeerensklaven vom Staat übernommen wurden. So wies der Heilige Stuhl am 5. Februar 1688 53,53 scudi ftir die Taufe von sechs türkischen Sklaven an. 10 Am 30. Juni 1690 wurden vom Papst sieben scudi ftir die Taufe des türkischen Sklaven Giuseppe Bonauguti gezahlt. 11 Am 8. November 1690 bekam der Papst 76,60 scudi zurückerstattet, von denen 56 scudi für die Einkleidung von acht türkischen Sklaven bestimmt gewesen waren, die Christen geworden waren. 12 Am 11. Juli 1744 wurden für den Sklaven genannt La Bussola 7,25 scudifür Kleidung gezahlt, damit dieser die Taufe empfangen könne. 13 Diese Beispiele zeigen, dass in den Akten der päpstlichen Flotte zwar punktuelle Hinweise auf muslimische Sklaven, die konvertiert sind, zu finden sind. Sie reichen aber nicht aus, um ein repräsentatives Bild über die Größendimension dieses Phänomens zu gewinnen. Hier sind die Taufregister der Pia Casa immer noch die wichtigste Quelle.

I. Diemuslimischen Konvertiten im römischen Katechumenenhaus Tabelle 1 gibt zunächst einen Überblick über die Quantität der Taufen aller Konvertiten -jüdischer wie muslimischer, freier wie unfreier:

Tabelle 1: Anzahl der jüdischen und muslimischen Konvertiten 1614 bis 1798 14 Zeitraum

Juden Gesamt

Muslime

Jahresdurchschnitt

Gesamt

Jahresdurchschnitt

1614- 1676

632

10

565

9

1676-1730

693

12,8

331

6

1730- 1798

633

9,3

179

2,6

Total

1958

1075

10 Archivio di Stato di Roma (ASR), Reverenda Camera apostolica (RCA), Soldatesche e galere, b. 376, Entrata e uscita delle galere. 1686a 1688, p. 15. 11 Ebd., 1690 Nerli, 1689- 1691, c. 66v. 12 Ebd., c. 67v. 13 Ebd., 174311744, c. 75.

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Für die Zeit zwischen 1543 und 1614 liegen aufgrundder Quellenlage keine Angaben vor. Insgesamt wurden zwischen 1614 und 1798 im Katechumenenhaus 3044 Menschen unterrichtet und anschließend getauft, von denen 1958 Juden und 1075 Muslime waren. 15 Unter diesen muslimischen Konvertiten waren 1014 Sklaven und 61 Freie. Insgesamt waren es fast doppelt so viele Juden wie Muslime, wobei sich das Verhältnis in der Anfangszeit noch fast die Waage hielt und zunehmend auseinanderfieL Gerade bei den Muslimen muss man insgesamt von einer höheren Konversionszahl ausgehen als dies aus den Registern der Pia Casa, welche die Grundlage für diese Statistik bilden, zu entnehmen ist, denn die Taufregister beziehen sich nur auf die Katechumenen aus der Pia Casa selbst. Dass auch außerhalb eine Unterweisung für die Taufe möglich war, zeigen die Taufregister der einzelnen römischen Pfarreien, in denen auch Taufen von Sklaven verzeichnet sind, die in der Pia Casa nicht erwähnt werden. 16 Nach Caffiero konvertierten nicht alle Muslime, die in Rom ankamen, im Katechumenenhaus, sondern auch in Privathäusern, in den einzelnen Pfarreien oder auf den Galeeren von Civitavecchia. 17 Uns fehlen allerdings bisher die Quellen, um zu über14 Die Tabelle folgt den drei zeitlichen Perioden, die Rudt de Collenberg für seine Darstellung zu jüdischen Konvertiten gewählt hat. Da er bei den muslimischen Konvertiten nur zwischen dem 17. und dem 18. Jahrhundert unterschied, wurden aus Gründen der Vergleichbarkeit die muslimischen Konvertiten für die drei Perioden ausgezählt. 15 Hier finden sich bei Rudt de Collenberg widersprüchliche Angaben. Im ersten Beitrag (RuoT DE CoLLENBERG, 1989) gibt er für das 18. Jahrhundert an, es habe 306 Muslime (281 Sklaven, 25 Freie; 284 Männer, 22 Frauen) gegeben, im Beitrag zum 18. Jahrhundeti (RuoT DE CoLLENBERG, 1989) gibt er j edoch für den gleichen Zeitraum 317 Muslime (292 Sklaven, 25 Freie; 295 Männer, 22 Frauen) an. Die Umrechnung der zwei Zeiträume auf die drei Untersuchungszeiträume für die Juden wurde mit den Daten aus dem ersten Beitrag Rudt de CoIIenbergs vorgenmmnen. Diese Differenz von II Muslimen erklärt, warum in Rudt de Collenbergs drittem Beitrag zu den jüdischen Konvertiten (RuoT DE CoLLENBERG, 1988) aufS. 141 zu lesen ist, dass insgesamt 1086 Muslime getauft worden sind, statt der hier angegebenen 1075 muslimischen Konvertiten. 16 Zum Beispiel jene der Pfarrei S. Lorenzo in Lucina, wo im 17. Jahrhundert vier Sklavinnen der Familie Rospigliosi erwähnt werden, die nach der Taufe den Namen ihrer Besitzer annahmen. RuoT DE CoLLENBERG, 1989, S. 22 Anm.20. 17 CAFFIERO, 2007' S. 821.

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Konversionen muslimischer Sklaven

prüfen, um wie viele Fälle es sich bei den Konversionen außerhalb der Pia Casa gehandelt haben könnte. Das liegt auch daran, dass bisher keine Untersuchungen und Einschätzungen über den Besitz von Privatsklaven in den vornehmen Haushalten Roms existieren. Eine solche Analyse stellt ein wichtiges Forschungsdesiderat dar, dessen Einlösung die Forschung allerdings vor ein gravierendes Quellenproblem stellt: Wo sind Sklaven in den Haushalten der vornehmen römischen Familien verzeichnet? Werden sie auch als solche tituliert oder gehören sie zur Dienerschaft? Wie viele Familiennachlässe müsste man sichten, um ein repräsentatives Bild zu bekommen? Da es sich bei den muslimischen Konvertiten vor allem um Haussklaven handelte, waren auch einige Frauen unter ihnen, wie Tabelle 2 zur Geschlechterverteilung zeigt:

Tabelle 2: Das Geschlecht der muslimischen Konvertiten 18 Zeitraum

Männer

Frauen

Verhältnis

1614-1700

676

93

7:1

1700-1798

284

22

13:1

Hier fällt ein großes Übergewicht der männlichen Konvetiiten auf. Der Anteil der Frauen, die auf dem Markt gekauft oder erbeutet worden waren, nahm offenbar stetig ab. Nach Rudt de Collenberg liegt eine Erklärung darin, dass die Mehrheit der männlichen Sklaven im 18. Jahrhundert von den Galeeren kam. Bei den muslimischen Konvertiten ist grundsätzlich zwischen Sklaven und Freien zu unterscheiden. Im 17. Jahrhundert konvertierten 733 Sklaven und 36 Freie, im 18. Jahrhundert 281 Sklaven und 25 Freie. Die Herkunftsbezeichnung der Muslime bezieht sich deshalb meist nicht auf ihren Geburtsort, sondern auf den Ort, wo sie gefangen genommen wurden. Zieht man die Anzahl der Freien von den Sklaven ab, ergeben sich allein für die Sklaven folgende Herkunftsregionen (Tabelle 3):

18 Die Angaben zum Geschlecht der muslimischen Konvertiten stmmnen für das 17. Jahrhundert aus RuDT DE CoLLENBERG, 1989, S. 26 und für das 18. Jahrhundert ebd., S. 522.

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Nicole Priesehing

Tabelle 3: Die Herkunft der muslimischenunfreien Konvertiten 19 Herkunft

17. Jahrhundert

18. Jahrhundert

Osmanisches Reich (außer Balkan)

34%

20%

Balkan

44%

10%

Nordafrika

4%

60 %

Schwarzafrika

4%

8%

-

2%

Amerika, Asien etc. Anzahl der muslimischen unfreien Konvertiten

733 (100%)

281 (100%)

Im 17. Jahrhundert kam etwa ein Drittel der Muslime aus dem orientalischen Teil des Osmanischen Reiches, ein weiteres Drittel stellten die Muslime aus Dalmatien, Bosnien, Albanien und Nordafrika.Z0 Im 18. Jahrhundert ist eine Verlagemng des Schwerpunktes von orientalischen auf afrikanische Sklaven zu beobachten? 1 Bei den konvertierenden Muslimen handelte es sich vor allem um Privatsklaven: Im 17. Jahrhundert waren es 684 P1ivatsklaven gegenüber 49 Staatssklaven (Galeerensklaven). Im 18. Jahrhundert wurden 210 Privatsklaven und 84 Staatssklaven getauft. 19 Die Angaben zur Herkunft der mus1imischen unfreien Konvertiten wurden der Tabelle von RuDT DE CoLLENBERG, 1989, S. 526 entnommen. Dort werden für das 17. und für das 18. Jahrhundert nur Prozentangaben gemacht. Um diese mit der jeweiligen Gesamtzahl in Beziehung setzen zu können, wurden sie hier in der letzten Zeile der Tabelle hinzugefügt. 20 RuuT UE CoLLENilERG, 1989, S. 29. 21 Von den 35 Sklaven, die als "mauri" oder "negri" bezeichnet wurden, kamen im 18. Jahrhundert 14 aus Schwarzafrika und 10 aus Nordafrika. Vgl. RuDT uE CoLLENilERG, 1989, S. 525. Man kann ferner zwischen staatlichen Sklaven und privaten Sklaven unterscheiden, was allerdings wenig ergiebig ist. So gab es unter den Konvetiiten im 17. Jahrhundert 49 staatliche und 684 private Sklaven. Die privaten Sklaven konnten aber an die päpstliche Regierung vennietet werden, wenn diese z. B. für die Marine Bedarf hatte. So waren viele Galeerensklaven eigentlich Privatsklaven. Die staatlichen Sklaven konnten umgekehrt auch z. T. an Privatleute abgegeben werden. Für das 18. Jahrhundert nennt CoIIenberg 84 Staatssklaven und 210 Privatsklaven. Ebd, S. 533.

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Konversionen muslimischer Sklaven

Bei letzteren handelte es sich um Galeerensklaven, selbst wenn manche von ihnen auch für Arbeiten wie Festungs- und Straßenbau oder Kanalarbeiten eingesetzt wurden. Dies bestätigen auch die Taufregister, auf deren Grundlage es möglich ist, die konvertierenden muslimischen Staatssklaven im 17. und 18. Jahrhundert einzelnen Flotten zuzuordnen (Tabelle 4). 22

Tabelle 4: Die Flottenzugehörigkeit der konvertierenden muslimischen Galeerensklaven Flotte

Anzahl der Sklaven im 17. Jahrhundert

Anzahl der Sklaven im 18. Jahrhundert

Kirchenstaat

11

46

Neapel

13

12

Sizilien

2

6

Spanien

4

1

Toskana

2

-

Genua

4

3

Frankreich

2

1

Malta

1

2

Sardinien

-

4

Venedig

-

Insgesamt

39

1

76

Bei zehn Galeerensklaven aus dem 17. Jahrhundert fehlen die entsprechenden Informationen, zu denen aus dem 18. Jahrhundert kommen noch acht Sklaven der Apostolischen Kammer, deren Tätigkeitsbereich unklar ist. Bei den Sklaven aus dem Kirchenstaat wird in den Registern demnach unterschieden zwischen Galeerensklaven (in triremibus pontificiis) und Sklaven der Apostolischen Kammer (de Camera apostolica). Nur einmal, im Jahr 1700, findet sich die FomlUlierung in triremibus 22 RuoT DE COLLENBERG, 1989, S. 34. Die Angaben zum 18. Jahrhundert ebd., S. 534.

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Camerae apostolicae. In den anderen Fällen wird bei den Galeerensklaven die Flotte hinzugefügt. Die Galeerensklaven der päpstlichen Marine brauchten eine Einverständniserklärung ihres Vorgesetzten, im Allgemeinen des Generalschatzmeisters (tesoriere generale). Nach Rudt de Collenberg handelte es sich bei denjenigen, die von den anderen Flotten kamen, um Flüchtlinge, die sich durch ihre Taufe vor der Verfolgung schützen wollten. 23 Hatten diese Flüchtlinge die Hoffuung, in Rom durch die Taufe frei zu kommen? Oder waren sie wegen irgendwelcher Delikte geflohen und versuchten, sich so der Bestrafung zu entziehen? Da wir keine Angaben über ihr weiteres Schicksal haben, kann hierüber nur spekuliert werden. Vergleicht man die beiden Jahrhunderte, so hat sich die Zahl der Galeerensklaven unter den Konvertiten etwa verdoppelt. Im 17. Jahrhundert machten Galeerensklaven nur 5 Prozent aller Sklaven aus, im 18. Jahrhundert hingegen 40 Prozent. Nichts zeigt den Wandel zwischen den beiden Jahrhunderten deutlicher an. Wie ist diese Entwicklung zu interpretieren? Nahm die Zahl der Privatsklaven insgesamt ab oder nur die Anzahl der Konvertiten unter ihnen? Die Zunahme der Galeerensklaven unter den Konvertiten könnte auch so interpretiert werden, dass die Autoritäten ihre Zustimmung seltener verweigerten. Die Taufregister sind eine überaus wertvolle Quelle, um überhaupt Hinweise auf Sklaven im flühneuzeitlichen Rom zu finden, was ja keineswegs zum allgemeinen Geschichtsbild für die christliche Gesellschaft dieser Zeit gehört. Doch benötigen wir für ihre Interpretation noch weitere Quellenbestände und Forschungen. Dies gilt auch für die Frage, ob muslimische Galeerensklaven mit der Taufe frei wurden oder nicht. Diesem Aspekt widmet sich der folgende Abschnitt.

23

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Vgl. Ruor DE CoLLENBERG, 1989, S. 34: "Les registres ne font pas seulement etatdes galeriens de Ia flotte papale mais aussi d'esclaves d'autres marines qui s' etaient enfuis dans !es etats de L'Eglise et par leur conversion, [ ... ]. "

Konversionen muslimischer Sklaven

II. Wurdenmuslimische Galeerensklaven mit der Taufe automatisch frei? Das Verhältnis von Taufe und Freiheit für den Sklaven lässt sich unterschiedlich ausdifferenzieren. Ein potenzieller Zusammenhang wäre eine automatische Freilassung des Sklaven bei seiner Taufe. Um diese Möglichkeit zu prüfen, ist es notwendig, eine Gegenprobe anband der Akten der päpstlichen Flotte im römischen Staatsarchiv (ASR) anzustellen.24 Leider gibt es dort keine Register über Galeerensklaven wie bei den Taufregistem. Es ist eher ein Glücksfall, wenn man unter dem vielfältigen Material einmal eine Liste findet, in der Galeerensklaven aufgeführt werden. Ein solches Verzeichnis - Rolo dei schiavi delle galere pontificie- existiert vom 15. November 1723. Danach gab es zu diesem Zeitpunkt 149 Sklaven (schiavi delle galere) auf den päpstlichen Galeeren und 183 von der päpstlichen Flotte erbeutete Sklaven (schiavi predati dalle Galere Pontijicie) unter der Autorität von Monsignore Colligola (tesoriere generale) sowie - und das ist in unserem Zusammenhang bedeutsam - elf neojiti (Neugetaufte). Diese werden ausdrücklich zu den Sklaven gezählt. Da sie auch namentlich genannt werden, ist ein Vergleich mit den Taufregistem möglich. 25 Doch von diesen Neophyten findet sich nur einer in den Registem der Pia Casa, ein gewisser Carlo Lamotta. Die anderen zehn scheinen in Civitavecchia getauft worden zu sein und erhielten die Namen Giardini, Palombo, Brancaccio, Vidau, Giusti, Zivallos, Santini, Diderta, Letti und Colligola. 26 Wenn es sich hier nicht um einen Sonderfall handelt, könnte man daraus schließen, dass der Weg über das römische Konvertitenhaus für die Galeerensklaven eher unüblich war. Die Erwähnung des einen Neophyten aus der Pia Casa (Carlo Lamotta) unter den Sklaven der päpstlichen Flotte widerspricht allerdings der These von Rafaella Sarti, wonach die Konvertiten aus dem römischen Konvertitenhaus - im Unterschied zu den Konvertiten, die andernorts unterwiesen worden waren - automatisch frei gelassen worden wären. 27

24 Zu den Quellen mit Bezug zu Nordafrika siehe LoooLONI TuPPUTI , 1989. 25 ASR, Camerale II, Epistolario, busta 31. 26 Zu den Galeerensklaven vgl. RuoT DE CoLLENBERG, 1989, S. 536-539. 27 SARTI, 2001, S.459.

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Festzuhalten bleibt, dass es die Möglichkeit gab, auch außerhalb des Katechumenenhauses eine religiöse Unterweisung zu erhalten. Folgende Notiz könnte ein weiterer Hinweis darauf sein: Am 23. November 1731 wurden 11 scudi für verschiedene Posten ausgegeben, darunter auch für Arbeiten zur Fertigstellung der "scuola nuova di quell'ospedale de'schiavi delle galere" in Civitavecchia? 8 Dies bedeutet, dass es 1731 bereits ein Hospital für Galeerensklaven gab, an das eine ,Schule' angebaut worden war. Was ist unter dieser neuen Schule zu verstehen? Nachdem nur männliche Sklaven unter den Ruderem waren, ist wohl nicht an Sklavenkinder zu denken. Vielleicht war dies der Ort flir die katechetische Unterweisung. Die elf Neugetauften in der päpstlichen Flotte von 1723 blieben weiterhin Sklaven. Eine Aufstellung über die Sklaven der päpstlichen Galeeren aus dem Jahr 1720 bestätigt diesen Befund (Tabelle 5).29

Tabelle 5: Sklaven der päpstlichen Galeeren 1720 Galeere

Anzahl der Sklaven

Anzahl der Neophyten

Galera capitana

75

1

San Francesco

47

1

San Pietro

48

2

San Pio

50

3

Galera dello scarto

37

1

257

8

Total

Somit kommt man auf eine Anzahl von acht Neugetauften unter 257 Sklaven. Dies spricht wiederum dafür, dass getaufte Galeerensklaven nicht frei wurden, sondem als Neugetaufte zu den Galeerensklaven zurückkamen. Dabei stellt sich weitergehend die Frage, ob diese Neugetauften innerhalb der Galeerensklaven eine Sondergruppe mit bestimmten Privilegien dargestellt haben. Es ist jedoch auffällig, dass die Neugetauften auf die Galeeren ve1teilt wurden, so dass nur einer, maximal 28 ASR, Soldatesche e galere, busta 376, Entrata e uscita delle galere. 1730- 1737, p.l3. 29 Die Tabelle wurde erstellt nach den Angaben aus: ASR, Camerale TI. Epistolario. Civitavecchia, busta 26 (21 . Februar 1720).

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Konversionen muslimischer Sklaven

drei dort zu finden waren. Dies verhinderte eine Gruppenbildung. Falls die Neugetauften Privilegien erhalten hätten- zum Beispiel eine größere Essensration - , dann wäre dies wohl mit einer eher unattraktiven Isolation vom Rest der Mannschaft erkauft gewesen. Überhaupt kann man sich die Situation eines Neugetauften auf der Galeere als schwierig vorstellen, denn für seine muslimischen Mitsklaven war er immerhin ein vom Glauben Abgefallener. Aber auch der umgekehrte Fall ist belegt. So berichtet eine Eingabe von 1720, dass der Sklave Selim di Solimano aus Algier, der Sohn eines Renegaten von 19 Jahren, seit drei Jahren die Taufe begehrte, um von den anderen entfernt zu werden. 30 Insofern können auch gruppendynamische Prozesse bei einzelnen zum Konversionswunsch geführt haben (Außenseiterrolle, Rivalitäten und Freundschaften), während für andere gerade der Umgang mit muslimischen Glaubensbrüdern einen gewissen emotionalen Halt darstellte.

111. Führte die Taufe nie zur Freiheit? Die Taufe führte also nicht automatisch zur Freilassung. Doch gilt auch im Umkehrschluss, dass die Taufe nie zur Freiheit gefüh1i hat? Glücklicherweise befinden sich unter den umfangreichen Beständen päpstlicher Rundschreiben im ASR auch einige, die mit Sklaven zu tun haben und hier weiterhelfen können. So betrifft ein solches Dokument aus dem Pontifikat Innozenz' XI. einen Fall, in welchem die Konversion einem Sklaven immerhin zu seiner Freilassung verholfen hat. Es handelt sich um einen Iussuf aus Corone, 21 Jahre alt und seit vier Jahren Sklave, der in das Katechumenenhaus nach Rom kam. Man verlangte einen Ersatzsklaven für ihn und akzeptierte den Einzug des Almosens, das üblicherweise an die neuen Konvertiten gegeben wurde, um einen 30 ASR, Camerale IT. Epistolario. Civitavecchia, busta 25. Vielleicht ist auch folgende Eingabe in diesem Kontext zu verstehen: Am 13. Mai 1720 wird vom Sklaven Mambruc di Mesault aus Tripolis berichtet, der das Verbrechen der Sodomie gestanden hatte und nun Christ werden wollte (ASR, Camerale TI. Epistolario. Civitavecchia, busta 26). Es wäre möglich, dass Mambruc durch dieses Geständnis bei den anderen Sklaven zum Außenseiter geworden ist und deshalb von ihnen getrennt werden wollte. Es könnte aber auch sein, dass er hoffte mit der Konversion eine Strafmilderung zu erwirken.

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solchen Ersatzsklaven zu besorgen. 31 Die Bitte um einen Ersatzsklaven ist vermutlich so zu interpretieren, dass Iussuf nach seiner Taufe freigelassen wurde und nicht mehr auf die Galeere zurückkam. Das Almosen für den Täufling wurde so gewissermaßen als Freikaufgeld akzeptiert. Man hatte Iussuf damit die Erlaubnis gegeben, sich selbst freizukaufen. 32 Das Almosen kam gewöhnlich von den Taufpaten, so dass die Taufe Iussuf überhaupt erst die finanziellen Mittel für seinen Freikauf einbrachte und ihm den Weg in die Freiheit öffnete. Dennoch ist dieser Fall nicht zu verallgemeinem. Nicht jeder Sklave bekam zum Beispiel ein Almosen. So diente der 23-jährige Sklave Amet in der Engelsburg, bis ihm befohlen wurde, wieder zu den Galeeren nach Civitavecchia zurückzukehren. Da er sich weigerte, wurde er ins Gefängnis geworfen (in die Carceres Novae). Als er 1708 getauft wurde, erhielt er keine Almosen, sondem nur ein Gewand und Schuhe. Immerhin wurde er nun zur päpstlichen Garde zugelassen. Sein Pate war der Deutsche Bemardus Baro Schenck. 33 Salvatore Bono berichtet für das 18. Jahrhundert, dass einige Sklaven aus Civitavecchia in das Katechumenenhaus in Rom geflohen waren. 34 Ihm zu folge sei vielen Konversionsanfragen erst stattgegeben worden, nachdem die Sklaven ein Empfehlungsschreiben vorgewiesen hätten. Ansonsten habe man den Absichten der Sklaven misstraut. Papst Pius VI. habe sogar im Mai 1780 angeordnet, einen tunesischen Sklaven namens Ali durch die Erteilung von 80 Stockschlägen auf die Probe zu stellen. Als der Sklave danach immer noch konvertieren wollte, wurde er getauft und erhielt in Erinnerung an die Schläge den Namen Giuseppe Maria Bastoncelli. 35 Demnach war es nicht immer leicht, als muslimischer Sklave in das römische Katechumenenhaus aufgenommen zu werden. Im Vergleich zu den jüdischen Konvertiten wäre zu fragen, ob dieses Misstrauen gegenüber den Konversionsabsichten allgemein oder speziell im Hinblick auf Sklaven gegolten hat. Manche Sklaven nahmen offenbar Schwierigkeiten auf sich, um zu konvertieren. Es bleibt weiterhin die Frage, ob sie aufgrunddieses Schrit31 32 33 34 35

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Vgl. Text des Schreibens bei BERTOLOTII, 1887, S. 3lf. Zum Loskauf siehe GRI ESER, 2009. Vgl. Angabe in den Taufregistem bei RuDT DE CoLLENB ERG, 1989, S. 585. BoNo, 1999, S. 260. Ebd., 261 f.: "[ ... ] fu dunque battezzato e cicevette, in ricordo de1 bastone ehe lo aveva colpito, il nome di Giuseppe Maria Bastoncelli."

Konversionen muslimischer Sklaven

tes irgendwelche Verbesserungen ihrer Lebenssituation- wenn nicht sogar die Freiheit - erwarten konnten. Bei den Privatsklaven konnte Konversion eine bessere Behandlung durch den christlichen Herrn bedeuten. Viele Besitzer hatten vermutlich lieber katholisches Personal in ihrem Haus, zumal eine Konversion auch als Sieg des Katholizismus gefeiert werden konnte. Insofern könnte man sogar vermuten, dass manche Haussklaven zur Konversion ermutigt wurden- ganz im Unterschied zu den Galeerensklaven. Die Galeerensklaven durften sogar ihre Religion ausüben. 36 Hier ist leider nicht der Raum, auf diesen Aspekt näher einzugehen. So muss der Hinweis genügen, dass ein Konversionsdruck auf muslimische Galeerensklaven durchaus zu diplomatischen Schwierigkeiten mit den Herrschern der Barbareskenstaaten führen konnte, was im schlimmsten Fall Repressionen gegen christliche Sklaven in den nordafrikanischen Sklavengefängnissen nach sich zog. 37 Die christlichen Herrscher- hier der Papst- befanden sich insofern im Dilemma, einerseits die Ungläubigen missionieren zu wollen und andererseits das Heil der christlichen Sklaven unter muslimischer Herrschaft nicht zusätzlich zu gefährden. Dass die muslimischen Galeerensklaven nicht bekehrt wurden, lag also nicht daran, dass man sie hätte freilassen müssen - wir haben gesehen, dass dies nicht der Fall war-, sondern dass man die Reaktion der muslimischen Herrscher fürchtete. Anders scheint die Situation der Privat- oder Haussklaven gewesen zu sein, für die der Herrscher keine politische VerantwOitung übernehmen musste. Vielleicht wurde hier die Zurückhaltung gegenüber der Konversion muslimischer Galeerensklaven propagandistisch kompensiert. Zumindest am Ende des 18. Jahrhunderts findet sich eine solche Propaganda, wie der um 1778 gedruckte Bericht der Konvertitirr Bruca zeigt, den Marina Caffiero ausgewertet hat. 38 Danach war Bruca eine muslimische Sklavin aus Tripolis. Sie wurde in 1778 persönlich vom Kardinalvikar in Rom, Marcantonio Colonna, getauft und bekam den Namen Marianna Aloisia de' Giorgi. Ihre kurz darauf veröffentlichte Geschichte zeichnet den Weg dorthin folgendermaßen nach: Elf oder zwölf Jahre zuvor seien ihre Familie und ihr Mann auf einer Reise 36 Zur Religionsausübung von Galeerensklaven in Malta siehe 2002. Zu den italienischen Staaten siehe BoNo, 1999. 37 Vgl. dazu PRJESCHJNG, 2007. 38 CAFFIERO, 2007, S. 829f.

WETTJNGER,

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von Malteser Korsaren gekapert worden. Sie sei dann auf Malta an einen Katholiken verkauft worden, der sie zur Konversion bewegen wollte. Aber erst eine Manenvision habe sie überzeugt. Gleich nach der Taufe sei sie zu einem zweiten Herrn, dem reichen römischen Händler Carlo Giorgi, gekommen. Dieser meinte, flir ihr Seelenheil reiche es aus, wenn sie eine gute Türkin sei. Innerhalb weniger Wochen habe sie eine Vision des Hl. Luigi Gonzaga und der Madonna gehabt, die sie überzeugten, in das Konvertitenhaus nach Rom zu gehen. Dort wurde sie - eigentlich das zweite Mal - auf die Taufe vorbereitet. Offenbar gab es an der ersten Taufe Zweifel. Sie bekam den Namen Marianna Aloisia de' Giorgio. 39 Interessant an dieser Geschichte - unabhängig davon, ob sie sich so zugetragen hat oder nicht - ist die Verbindung von Konversion und Wundem. Damit fügt sich der Text auch in eine Reihe weiterer Fälle von Galeerensklaven aus dem Ende des 18. Jahrhunderts ein. Nach Rudt de Collenberg sei es bei den Wunderberichten der konversionswilligen Sklaven vor allem damm gegangen, die Zweifel an der ,Berufung' der Katechumenen auszuräumen. 40 Dass der Rektor Rovira sich hierüber generell keine allzu großen Illusionen machte, zeigen mehrfach zu beobachtende Zusätze wie: "Ii venne in testa di farsi christiano" [es kam ihm in den Sinn, Christ zu werden, N.P.]. Die schlaueren Sklaven erklärten deshalb, sie hätten einen Ruf vernommen oder glaubten, die Heiligen hätten sie bei ihrem Wunsch getauft zu werden bestärkt. Manche behaupteten, Visionen gehabt zu haben. 41 Die bisher bekannten Wundergeschichten dieser Art stammen aus dem Zeitraum zwischen 1778 und 1798. Im Jahr 1796lässt sich ein bemerkenswert gehäuftes Auftauchen von Wunderberichten unter den 39 Ebd. Nach Caftiero ist der ganze Bericht von der Jesuitenpropaganda der Zeit durchzogen. Der Jesuitenorden war allerdings 1773 aufgelöst worden. Es gibt auch keinen Beleg dafür, diese durchaus vorhandene Propaganda ausschließlich mit den Jesuiten in Verbindung zu bringen. 40 Der Eintritt basierte auf einer ,Berufung', das heißt der Willenserklärung zu konvet1ieren. Die Gültigkeit eines solchen Wunsches war gegeben, wenn derjenige mindestens sieben Jahre alt war. Die jüngeren Kinder brauchten die Zustimmung ihrer Eltern. V gl. RuDT DE CoLLENBERG, 1986, S. 94. Die Sklaven brauchten das Einverständnis ihrer Besitzer, die Galeerensklaven das Einverständnis ihrer Vorgesetzten. 41 BoNo, 1999, S.257 berichtet von solch einem Wunder, als am 19.November 1687 im neuen Gefängnis in Rom der Hl. Francesco Saverio erschien.

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Konversionen muslimischer Sklaven

Sklaven von Civitavecchia beobachten. So sah ein Sklave namens Midil angeblich die Hand der Jungfrau Maria auf einer Statue des Hl. Fermo. Ein Sklave mit Namen Avson gab an, er habe gesehen, wie sich die Hand einer Madonnenstatue bewegt habe; andere behaupteten, sie hätten die sich bewegenden Augen einer Madonnenstatue bemerkt - um nur einige Beispiele zu nennen. 42 Es ist auffallig, dass diese Fälle durchweg aus dem Ende des 18. Jahrhunderts stammen, als sich der Kirchenstaat zunehmend im Konflikt mit dem revolutionären und aufgeklärten Frankreich befand. In diesem Kontext konnten die erwähnten Wunderberichte gegen eine aufgeklärte und als feindlich empfundene Welt instrumentalisiert werden, bezeugten sie doch den Wahrheitsanspruch der katholischen Religion. Insofern ist aus diesen Geschichten keinesfalls zwangsläufig abzuleiten, dass sie für die Aufnahme im Katechumenenhaus tatsächlich notwendig waren. Allerdings wurden auch schon früher Geschichten erzählt - inwiefern diese der Wahrheit entsprachen sei dahingestellt - , um die Ernsthaftigkeit der eigenen ,Berufung' zu unterstreichen. So ersuchte der Sklave Regeppe d' Ametto im Jahre 1720 um die Taufe und gab dabei an, er habe schon fünf Jahre zuvor aus Tunis fliehen wollen, um Christ zu werden. 43 Hier fehlt jedoch der Hinweis auf ein wundersames Eingreifen.

IV. Fazit Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Taufe nicht automatisch zur Freilassung von Sklaven führte und sich aus ihr auch kein Recht auf Freiheit ableiten ließ. Freilassungen waren grundsätzlich vom Einverständnis des Besitzers abhängig. So lässt sich auch erklären, dass manche Sklaven nach einer Konversion frei gelassen wurden. Gerade bei Haussklaven konnte eine Freilassung auch dem Willen des Besitzers entsprechen, der so einen Konversionsanreiz bieten konnte und somit missionarisch tätig wurde. Die Taufe wurde als Triumph der wahren Religion gefeiert. Sie steigerte insofern auch die Ehre des Besitzers, der seinen positiven Einfluss herausstellen konnte. Es erscheint also 42 Vgl. RuDT DE CoLLENBERG, 1989, 535f. 43 ASR, Camerale II. Epistolario. Civitavecchia, busta 26 (25. März 1720).

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Nicole Priesehing

plausibel anzunehmen, dass solche Fälle viel häufiger bei Privatsklaven (Haussklaven) vorkamen als bei den Galeerensklaven, die dem Staat bzw. dem Herrscher gehörten, der auch noch andere Interessen zu berücksichtigen hatte. Dies entspricht auch dem statistischen Befund der Taufregister. Im Falle der Galeerensklaven hätte eine Freilassung zum einen wirtschaftliche Folgen gehabt, denn die christlichen Flotten beklagten stets, dass sie Sklavenmangel hätten. Aber auch ohne Freilassung war es für den Herrscher riskant, wenn zu viele Galeerensklaven konvertierten, da dies diplomatische Verwicklungen nach sich ziehen konnte. So ist Adriano Prosperi zuzustimmen, der betont, die Konversion habe für Sklaven zwar die Freiheit der Seele, aber nicht des Körpers bedeutet. 44 Theologisch war dies durchaus legitim. Die Unterscheidung von innerer und äußerer Freiheit- also der Seele und des Körpers - geht bereits auf die Kirchenväter zurück und rechtfertigte traditionell die Sklaverei überhaupt. 45 Was bedeutet dies ftir die Ausgangsfrage, ob Sklaven durch die Taufe frei wurden? Vor dem Hintergrund einer Etwartungshaltung, dass es doch wenigstens unter Christen keine Sklaven geben dürfe, ist das eine ziemlich moderne Frage.

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Konversionen muslimischer Sklaven

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Entscheidungsräume protestantischer Konvertenden- Ein Modell RTCARDA MATHEUS

Unter der Schlagzeile "Warum wird einer lslamist?" berichtete die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am 21. November 2010 über eine noch unveröffentlichte Studie des Verfassungsschutzes N ordrhein-Westfalen, in deren Mittelpunkt 140 Männer standen, die zum muslimischen Glauben übergetreten waren. 1 In einem aufwendigen Verfahren wurden die Lebensläufe dieser Konvertiten rekonstruiert und analysiert, ein Viertel der Probanden war zudem zu Interviews bereit. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um eine zunehmende Islamisierung und religiöse Radikalisierung versuchen nicht nur deutsche Sicherheitsbehörden, das komplexe Konversionsphänomen zu durchdringen, um Entwicklungen besser prognostizieren zu können, möglichen Bedrohungen präventiv entgegen zu treten und Anschläge zu verhindern? So verschieden die Ausgangslage auch ist, so wenig unterscheidet sich diese Problemstellung in ihrem Erkenntnisinteresse von den im Folgenden diskutierten Aspekten. Auch in der Frühen Neuzeit waren Konversionen zwischen Christentum und Islam keine Seltenheit - und

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Markus Wehner, Warum wird einer Islamist?, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 21. II. 20 I 0, Nr. 46, S. 2. Vgl. etwa den im Sommer 2010 veröffentlichten Tagungsband zu der Veranstaltung des brandenburgischen Verfassungsschutzes: Islamistischer Extremismus, Konve11iten und Terrorismus. Bedrohungen im Wandel. Eine Veranstaltung des Verfassungsschutzes am 26. November 2009 in Potsdam (http://www. verfassungsschutz. brandenburg.de/ sixcms/media.php/405 5/FT %20Islam%20Extr_Konv_TE_l2_08_2010_web.pdf; 9. 10. 2011).

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zwar in beide Richtungen. 3 Weitaus häufiger lassen sich im konfessionell gespaltenen Europa der Vormodeme jedoch Wechsel zwischen den verschiedenen christlichen Bekenntnissen nachweisen. 4 Aktuell wie historisch stellt sich folglich die Frage, weshalb Menschen einen solchen Schritt vollziehen oder vollzogen. In dem hier interessierenden Zusammenhang müsste das Eingangszitat abgewandelt werden zu: "Warum wurde einer Katholik?" Diese Frage nach den Motiven könnte man gewissermaßen als den Dreh- und Angelpunkt, als die ,Gretchenfrage' der Konversionsforschung bezeiclmen. 5 Obgleich bereits häufig gestellt, ist sie doch immer wieder neu zu diskutieren. Kaum einmal ist es möglich, zum Kern dieses Problems vorzudringen und den ,wahren' Beweggründen für einen Glaubenswechsel auf die Spur zu kommen.6 Dies hängt mit einem spezifischen Problem der Konversionsforschung zusammen, und zwar unabhängig davon, welcher Glaubensgemeinschaft die Personen beitreten, oder ob das Phänomen soziologisch, psychologisch oder historisch angegangen wird: In der Regel stehen nur rekonstruktive Quellengattungen aus der Phase nach dem Glaubenswechsel zur Verfügung. Ego-Dokumente wie Konversionsberichte oder -erzählungen dienen dazu, Authentizität zu erzeugen, und dies macht zumeist eine Neuinterpretation des bisherigen Lebensweges erforderlich. Mit anderen Worten: Aufgrund des Rechtfertigungsdrucks gegenüber der alten bzw. des Legitimationsbedürfnisses gegenüber der neuen Religionsgemeinschaft ist die Konstruktion solcher Erzählungen stets methodisch zu reflektieren. 7 3

V gl. aus der umfangreichen Literatur zu diesem Themenfeld stellvertretend für Italien und den Mittelmeerraum BENNASSAR, 1991; CAFFIERO, 2007; LENCI, 2006; ROTHMAN, 2006; RUIJT IJE COLLENBERG, 1989; SCARAPPIA

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Das Thema innerchristlicher Konversionen erfahti seit einigen Jahren nicht nur in der deutschsprachigen Forschung ein enormes Interesse. In Auswahl sei verwiesen auf die Sammelbände Konversion und Konfession, 2007; Les modes de Ia conversion, 2010. Von den jüngeren Monographien seien genannt BocK, 2009; PEPER 2010; MATHEus, 2012. ALAND, 1961 ; BÄuMER, 1991. Kritisch dazu: LEEB, 2007; WtNKELBAUER, 1999; BocK, 2008. Zur grundsätzlichen Skepsis gegenüber der Suche nach den ,wahren ' Motiven StEBENHÜNER, 2007, S. 263; DEVENTER, 2007, S. 22 f. ; Boc K, 2009, S. 320f. Zu Konversionserzählungen als rekonstruktive Gattung vgl. ULMER, 1988. Zu den konstruktivistischen Ansätzen zusammenfassend KNOBLAUCH u. a.,

1993.

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Um sich den individuellen Begleitumständen von Konversionsprozessen und potenziellen Einflussfaktoren auf Konversionsentscheidungen zu nähern, erscheint die Rekonstruktion von Lebensläufen und die Erforschung der soziokulturellen Kontexte vielversprechender, als die Suche nach den vermeintlich wahren Motiven. 8 Damit ist zugleich das zentrale Anliegen der folgenden Ausftihrungen formuliert, die sich auf einen Ausschnitt aus dem insgesamt sehr komplexen Konversionsgeschehen konzentrieren. Außen vor bleibt eine Analyse des Prozesscharakters von Konversionen, die die unterschiedlichen Verlaufsformen in den Blick zu nehmen hätte. Nicht näher eingegangen werden kann zudem auf die Lebensphase nach der Konversion. Fragen der Zukunftsplanung, der neu erworbenen religiösen Identität, der Integration oder Nichtintegration der Konvertiten in die neue Glaubensgemeinschaft bleiben folglich an dieser Stelle unberücksichtigt. Der Beitrag gliedert sich in drei Teile. Zunächst soll knapp das Ospizio dei Convertendi vorgestellt werden, jene zentrale Einrichtung, die 1673 für die Aufnahme und Betreuung protestantischer Konversionswilliger in Rom geschaffen wurde. Die Quellenüberlieferung des Hospizes bildet die wesentliche Grundlage für die Rekonstruktion des sozialen Profils der Probanden sowie für die mikro- und makrogeschichtliche Kontextualisierung von Konversionsentscheidungen. Im zweiten Teil rücken Einzelschicksale und Lebensläufe von Konvertenden und Konvertiten in den Fokus, an denen exemplarisch Faktoren und Faktorenbündel rekonstruiert werden, die einen Übertritt zum katholischen Glauben förderten, ihm aber auch entgegen stehen konnten. In einem dritten Abschnitt sollen diese am römischen Material angestellten Beobachtungen systematisiert werden. Vorgeschlagen wird ein Modell zur Beschreibung und Visualisierung von Einflussfaktoren auf individuelle Konversionsentscheidungen, dessen Übertragbarkeit auf innerchristliche Konversionsphänomene in der Frühen Neuzeit insgesamt zur Diskussion gestellt werden soll.

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1998, S. 18-26; PoLLAC K, 2007, S. 41 - 47. Zu Konversionserzählungen als historischer Quellengattung CARL, 2007, S. 202 - 237. Dieser Ansatz auch bei BocK, 2009, S.258-319; MATHEUS, 2012, Kapitel IV.

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I. Da 5 0 5 p i z i o d e i Co n v e rt e n d i Nachdem bereits im Jahr 1543 die Casa dei Catecumeni ftir die Aufnahme und Taufvorbereitung von Juden und Muslimen in Rom gegründet worden war, verstrichen noch 130 Jahre, bis eine analoge Eimichtung ftir Protestanten zur Verfügung stand. Dabei hatte es an Initiativen zur Betreuung konversionswilliger ,Häretiker' in der Ewigen Stadt seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert nicht gefehlt. 9 Die vergleichsweise späte Gründung des Ospizio dei Convertendi im Jahre 1673 muss unter anderem im Zusammenhang mit dem Westfälischen Frieden gesehen werden. Papst und Kurie hatten einsehen müssen, dass die konfessionelle Spaltung nicht mehr rückgängig zu machen war; auch die lange in Rom gehegten Hoffnungen, über Fürstenkonversionen eine Rekatholisierung protestantischer Territorien zu erreichen, wurden mit der Normaljahrsregelung obsolet. Zudem nahm seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges der Strom der Fremden und Reisenden in die Ewige Stadt immer weiter zu, unter ihnen nicht wenige ,Häretiker' aus den Ländern nördlich der Alpen. Seit dem Pontifikat Alexanders VII. richtete sich das Augenmerk verstärkt auf Einzelkonversionen von Angehörigen aller sozialen Schichten. Zu Beginn der 1670er Jahre initiierte der Oratorianer Mariano Sozzini ein eigenes Hospiz ftir konversionswillige Protestanten. Seine Bemühungen führten am 15. August 1673 zur Gründung des Ospizio dei Convertendi, die päpstliche Approbation erfolgte im Heiligen Jahr 1675. 10 Sozzini arbeitete gemeinsam mit William Leslie, dem Prokurator der katholischen Mission in Schottland und bis 1672 erster Archivar der Congregatio de Propaganda Fide, die Leitlinien des Hospizes aus, und damit Texte, welche die Konversionsstrategien gegenüber Protestanten in Rom maßgeblich prägten. 11 Tausende Lutheraner, Calvinisten und Anglikaner fanden in den folgenden rund 9

Vgl. zu den Konversionsbemühungen in Rom in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts insbesondere Fosr, 2001; ScHMIDT, 2002; FroRANI, 1998; MATHE US, 2010. 10 Zum Ospizio dei Convertendi vgl. PAGANO, 1998; NEVEU, 1971; MATHEUS, 2005; DIES.; 2012; RAUNIO, 2009; STANNEK, 2000. II Die Vorläufer des Ospizio dei Convertendi können wenigstens bis zum Jahr 1600 zurückverfolgt werden. Zudem lässt sich schon unter Filippo Neri, dem Begründer der Reformkongregation der Oratorianer, ein besonderes Engagement für ,Häretiker' nachweisen. Dazu ausführlich MATHEus, 2010.

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200 Jahren in dieser Herberge Unterkunft, und die meisten von ihnen konvertierten am Ende ihres Aufenthaltes zum katholischen Glauben. Die Grafik vermittelt einen Eindruck von der Entwicklung der Gästezahlen des Ospizio dei Convertendi. 12

Abbildung 1: Gesamtzahl der Neuaufnahmen im Ospizio dei Convertendi nach Dezennien 1673 -1900

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1673-1681-1691-1701-1711- lnl-1731-1741- 1751-1761-1771-1781-1191- 1801- 1811-1821-1831-1841- 1851- 11161- 1871-1881-1891-

---~- -- --~--- -- ----- --Diagramm: Ricarda Matheus

Rund 85 Prozent der Konvertenden 13 waren männlich, die meisten zwischen 20 und 30 Jahren alt. Sie kamen aus nahezu allen europäischen Ländern, den größten Anteil stellten jene aus dem Reichsgebiet und den Erblanden der Habsburger, gefolgt von Konvertenden aus England, der Schweiz, aus Frankreich und den Niederlanden. Bei den Protestanten im Ospizio dei Convertendi handelte es sich um Angehörige aller sozialer Schichten, jedoch waren einfache Handwerker und Kaufleute, Soldaten und Seeleute im Vergleich zu Adeligen und Studenten überproportional vertreten. 14 12 Zur Geschichte des Ospizio dei Convertendi ausführlich MATHEUS , 2012, Kapitel li. 13 Zum Begriff ,Konvertenden' ebd., Einleitung. Mit diesem heuristischen Begriff soll zu Ausdruck gebracht werden, dass die Protestanten bei ihrer Ankunft in Rom und im Ospizio dei Convertendi noch keine Konvertiten waren, sondem sich zunächst auf ihre bevorstehende Konversion vorzubereiten hatten.

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Dieses auf den ersten Blick nüchterne Zahlenmaterialliefert mehr als nur Aufschluss über die Entwicklung der Konvertitenzahlen oder das Sozialprofil der Gäste. Konfrontiert man die Ergebnisse der quantitativen Analysen mit makrohistorischen Ereignissen, so drängt sich die Frage auf, inwiefern politische, rechtliche oder wirtschaftliche Rahmenbedingungen strukturelle Anreize boten bzw. Hindernisse für einen Glaubenswechsel darstellten und somit eine Konversionsbereitschaft stimulieren oder unterdrücken konnten. Eine umfassende Diskussion dieses Problems wurde bereits an anderer Stelle vorgenommen, hier soll nur auf ausgewählte Aspekte verwiesen werden. 15 Nur bedingt lassen sich konkrete religionspolitische Ereignisse oder Entwicklungen in den Heimatländern der protestantischen Konvertenden als ursächlich für die Präsenz bestimmter Nationen im Ospizio dei Convertendi ausmachen. Fürstenkonversionen im Reichsgebiet hatten beispielsweise nahezu keine Auswirkungen auf die Konvertitenzahlen in Rom. Korrelationen zwischen religionspolitischen Entwicklungen und den römischen Zahlen lassen sich hingegen am französischen Beispiel nachweisen. Offenbar hoffte eine ganze Reihe von Franzosen, nach der Konversion in die Heimat zurückkehren und ihre Güter wieder in Besitz nehmen zu können, die sie zuvor infolge des Ediktes von Fontainebleau verloren hatten. 16 Auch im Fall der schwedischen Konve1titen ist eine deutliche Sogwirkung aufgrund der Präsenz und Vorbildfunktion der ehemaligen Königin Christina von Schweden und ihrem Hof in der Ewigen Stadt auszumachen. 17 Dass der Einfluss von Faktoren in den Herkunftsländern aufs Ganze gesehen aber relativ schwach war, dürfte auch mit einer ausgesprochen hohen Mobilität der Konversionskandidaten zusammenhängen. Viele Konvertenden waren bereits vor ihrer Ankunft in Rom über Jahre hinweg in Europa und darüber hinaus unterwegs, der Weg in die Ewige Stadt war selten ein direkter. In großer Zahl fanden sich in Rom Handwerker auf Wanderschaft ein, ferner Soldaten und Seeleute, die den Kriegsschauplätzen in Europa hinterher zogen. 18 So spiegeln sich Trup14 Diese Angaben basieren auf der Auswertung von Archivio Segreto Vaticano (im Folgenden ASV), Ospizio dei Convertendi 5 und 7. 15 Vgl. ausfUhrlieh MAT HE US, 2012, Kapitel IIT. 16 Vgl. zu den französischen Gästen bereits NEvEu, 1971. 17 Zu den skandinavischen Konvertiten im Ospizio dei Convertendi nun ausführlich RAUNIO, 2009.

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penbewegungen im Zusammenhang mit Kriegen bzw. Friedensschlüssen deutlich in den Belegungszahlen des römischen Konvertitenhauses wider. Dies gilt insbesondere für den Spanischen Erbfolgekrieg, in dessen Verlauf zahlreiche ,deutsche' Verbände an den Toren Roms vorbei zogen, und etliche Soldaten die Gelegenheit zu einem Abstecher in die Ewige Stadt nutzten. Ferner waren gegen Ende des Krieges viele englische Seeleute und Soldaten im Mittelmeer unterwegs und - so kann vermutet, aber nur selten konkret belegt werden - auf der Suche nach materieller Absicherung und/ oder neuen Beschäftigungsmöglichkeiten bei katholischen Arbeitgebern. Der Rückgang der Konversionszahlen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts spiegelt demzufolge nicht nur Auswirkungen von Aufklärung, religiöser Toleranz und Entkonfessionalisierung in weiten Teilen Europas wider, sondern dürfte auch mit der vergleichsweise langen Friedensphase auf der Aperruinhalbinsel seit dem Ende des Österreichischen Erbfolgekrieges zusammenhängen. Doch welche Möglichkeiten gibt es darüber hinaus, potenzielle Einflussfaktoreil auf den Konversionsprozess des gemeinen Mannes, auf die Angehörigen der unteren und mittleren sozialen Schichten zu rekonstruieren? In der Regel haben sie nicht wie Adelige oder Gelehrte Konversionsberichte, Revokationspredigten oder Rechtfei1igungsschriften hinterlassen, die die Umstände ihrer Konversion erhellen könnten. 19 Im Fall des römischen Ospizio dei Convertendi kann diesem Problem aufgrund einer äußerst günstigen Überlieferungslage systematisch nachgegangen werden. Erhalten hat sich nämlich ein Großteil der Aufnahmeprotokolle von konversionswilligen Protestanten aus der Zeit von 1689 bis 1702. 20 Bei dieser Quellengattung handelt es sich um Niederschriften der Eingangsbefragung, die bei der Ankunft der Konvertenden im Hospiz erfolgte. Zu vergleichen sind sie mit modernen Fragebögen mit offenem Antwortschema. Der Direktor der Herberge sowie ein Katechist, welcher der Sprache der Protestanten mächtig war, befragten 18 Vgl. zum Zusammenhang von Mobilität und Konversionsbereitschaft MATHEUS, 2005; SIEBEN HÜNER, 2008. 19 Diese Quellengattung erfährt in jüngerer Zeit verstärkte Beachtung. Vgl. etwa das Projekt "Digitale Quellenedition: Konversionserzählungen ( 16. - 20. Jahrhunde11)" (http://www .geschkult. fu-berl in.de/e/konversionen; 9. 10. 2011); PEPER, 2010, S. 185 - 229. Für Glaubenswechsel zwischen dem Juden- und dem Christentum bereits CARL, 2007b. 20 ASV, Ospizio dei Convertendi 14.

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diese nach ihren Lebensstationen und versuchten, die Aufrichtigkeit ihres Konversionswunsches auszuloten. 21

II. Konversionskontexte Wer oder was vermochte den Nährboden für einen Glaubenswechsel vorzubereiten? In welchen Bahnen verlief die interkonfessionelle Einflussnahme? Gibt es Szenarien, die als typisch einzustufen sind? Im Folgenden soll eine Annäherung an diese Fragen anband dreier, nahezu beliebig aus dem Fundus der Hospizüberlieferung herausgegriffener Viten erfolgen. Zacharias Lechner kam im Jahr 1701 in das römische Hospiz. Der 20jährige Mann stammte aus Marienberg in Sachsen und verdiente seinen Lebensunterhalt als Schneider. Im letzten Jahr vor seiner Romreise hatte er bei zwei verschiedenen Meistem in Dresden und Schonberg in Mähren gearbeitet. Sein letzter Arbeitgeber war Katholik und hatte sieben Monaten lang versucht, den jungen Lutheraner von der Wahrheit des katholischen Glaubens zu überzeugen. Als der Handwerksmeister nach Rom aufbrach, um die Heiligen Stätten zu besichtigen, nahm er seinen Schützling mit und schickte ihn ins Ospizio dei Convertendi. Rund fünf Wochen später schwor Lechner den lutherischen Lehren ab und konve1tierte zum katholischen Glauben. 22 Dieser knappe Bericht gestattet keine Einblicke in das Innenleben des jungen Schneiders, über seine wahren Konversionsmotive können wir nur spekulieren. Aber das Protokoll enthält einige, mitunter versteckte Hinweise auf die Lebensumstände und Faktoren, die die Konversionsentscheidung beeinflusst haben dürften. Zu nennen wäre insbesondere das soziale Netz, in das er eingebunden war. Seine Heimat und damit seine lutherische familiäre Umgebung hatte er wenigstens ein Jahr zuvor verlassen, die zentrale Bezugsperson war nun ein katholischer Arbeitgeber geworden. Damit war eine wichtige Voraussetzung für das Wachsen von Konversionsbereitschaft geschaffen: die persönliche In21

Zudem haben sich im Archiv der römischen Inquisition Prozessakten und Abschwörungen von Protestanten erhalten, die zuvor im Ospizio dei Convertendi auf ihre Konversion vorbereitet worden waren. Archivio della Congregazione per Ia Dottrina della Fede (ACDF), Stanza storica M-4-g, h. Auch diese gehen in die nachfolgende Auswertung ein. 22 ASV, Ospizio dei Convertendi 14, Nr. 1887.

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teraktion und Kommunikation mit einem Katholiken, das tägliche Zusammenleben und -arbeiten auf engstem Raum. 23 Anders war der Fall des französischen Seidenschneiders Claude Renoir gelagert. Der Calvinist stammte aus Tours, war aber während des Großen Türkenkrieges in die Hände der Feinde gefallen. Neun Jahre seines Lebens fristete er als Sklave, und in dieser Zeit versuchten seine katholischen Mitgefangenen immer wieder, ihn zum Konfessionswechsel zu überreden. Schließlich legte er ein Konversionsversprechen ab, sollte er jemals aus seiner misslichen Lage befreit werden. Nach seiner Freilassung gelangte er tatsächlich mit einem Fischerboot über Griechenland und Venedig nach Rom und wurde von einem französischen Beichtvater ins Ospizio dei Convertendi verwiesen. Nach einem knappen Monat schwor er seinem calvinistischen Glauben ab und wollte in seine Heimat nach Frankreich zurückkehren, um sich dort seinen Besitz zu sichem.24 Auch in seinem Fall können wir über die inneren Motive, die den Mann zu Konversion bewegt haben, nur mutmaßen. Aber grundsätzlich gibt es wenig Grund, an den Fakten seiner Lebensgeschichte zu zweifeln. Wenigstens drei Elemente seines Handlungsrahmens werden deutlich: Als Sklave befand er sich in einer Extremsituation. Er war aus seiner ursprünglichen sozialen Umgebung herausgerissen, ersetzt wurde diese durch ein Umfeld katholischer Leidensgenossen. Seine Konversion muss zudem im Kontext religionspolitischer Rahmenbedingungen und ökonomischer Interessen interpretiert werden, da er nach der Widerrufung des Ediktes von Nantes nur als Katholik Hoffnung auf eine Rückgabe seiner Güter in Frankreich hegen konnte. Ein letztes Beispiel. Von Neapel aus trieb den pfalzischen Soldaten Matthias Silber die Neugier nach Rom: Hier erlebte er die feierlichen Zeremonien der Kmwoche des Heiligen Jahres 1700, die laut seiner Darstellung den Anstoß zur Konversion gaben, "ma vedendo nella settimana santa tanta devotione e principalmente nel mostrare delle sante Reliquie resto molto meravigliato." 25 Anschließend habe ihn ein Geistlicher von der Wahrheit des katholischen Glaubens überzeugt und überredet, ins Ospizio dei Convertendi einzutreten, um dem lutherischen 23 Vgl. aus soziologischer Perspektive PoLLACK, 2007, S. 55. Ob ihn sein Meister lediglich mit guten Argumenten überzeugte oder auch Druck auf ihn ausübte, lässt sich nicht beantworten. 24 ASV, Ospizio dei Convertendi 14, Nr. 1900. 25 ASV, Ospizio dei Convertendi 14, Nr. 1838.

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Glauben abzuschwören. An seinem Fall werden mithin die kulturelle ,Strahlkraft' Roms sowie der Kontakt zu einem Priester als wesentliche Einflussfaktoren deutlich. Diese Beispiele vermitteln einen Eindruck von der Quellengattung sowie des darin enthaltenen Potenzials für die Konversionsforschung. Die Auswertung dieser Protokolle wirft freilich eine Reihe von methodischen Problemen auf. Schließlich bewegten sich die Konvertenden in einem diskursiven Rahmen, in dem sie ihre wahren Antriebe nicht immer preisgeben konnten bzw. wollten. Sie mussten Erwartungshaltungen seitens der katholischen Hospizführung erfüllen, die nur Kandidaten mit vermeintlich glaubwürdigen und ehrlichen Beweggründen aufnehmen wollte. Eine explizite Nennung nichtreligiöser Motive war vor diesem Hintergrund kaum denkbar. 26 Doch auch diejenigen, denen es ernst war mit ihrem Gewissen, mit ihren Glaubenszweifeln, mussten sich eines bestimmten vorgegebenen Vokabulars und spezifischer Argumentationsmuster bedienen. 27 Insofern begegnen in diesen Protokollen zahlreiche stereotype Formulierungen und Topoi, die auf den ersten Blick nicht den Eindruck vermitteln, als könnten aus diesen Quellen individuelle Konversionshintergründe und Einflussfaktoren erschlossen werden. Mittels einer systematischen Auswertung lassen sich jedoch die verschiedenen Inhalts- und Bedeutungsebenen von einander abgrenzen sowie der kommunikative Rahmen abstecken, in dem sich die Konvertenden bewegten. Insgesamt wurden 622 Befragungsprotokolle einer Inhaltsanalyse unterzogen. Dabei handelt es sich um eine "empirische Methode zur systematischen, intersubjektiv nachvollziehbaren Beschreibung inhaltlicher und formaler Merkmale von Mitteilungen"?8 Dieses Verfahren bietet sich besonders für die Untersuchung von seriellen Quellen an, denn es geht weniger um das jeweils einzelne Protokoll, sondern um die in diesen Ego-Dokumenten enthaltenen lnhaltsebenen. Eine Analyse des gesamten Quellenkorpus lässt vergleichbare Konstellationen, Faktoren und kommunikative Stereotypen hervortreten. Gleichzeitig werden aber auch individuelle Schicksale sowie Abweichungen von einer standardisierten Sprechnmm erkennbar. 29 26 Zu ähnlichen Beobachtungen kommt auch PE PER, 20 I 0, S. 185 mit Blick auf gedruckte Konversionsberichte. 27 Vgl. mit analogen Überlegungen CARL, 2007a, S. 221. 28 Zu dieser Methode WEGENER, 2005; FRÜH, 2004; das Zitat ebd., S. 25.

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Oft lässt sich aus den Protokollen weit mehr als nur ein soziokultureller Aspekt herausfiltem, der die Konversionsentscheidung beeinflusste. Wie bei den zitierten Beispielen kamen zumeist mehrere Faktoren zusammen, ihr Zusammenspiel gepaart mit makrohistorischen Bedingungen sowie persönlichen Gewissensfragen führte zu Konstellationen, die individuelle Züge aufweisen und Konversionen zu spezifischen Einzelfällen werden lassen. Ist es vor diesem Hintergrund sinnvoll, Konversionsmuster erkennen oder bestimmte Konvertitentypen identifizieren zu wollen?

111. Vom Einzelfall zum Modell In der Religionssoziologie wurden bereits einige Modelle entwickelt, die den Ablauf bzw. die Typologie von Konversionen beschreiben. An dieser Stelle soll nur auf zwei Konzepte knapp vetwiesen werden. Besonders einflussreich war lange Zeit das in den 1960er Jahren entwickelte so genannte World-Saver-Modell von John Lofland und Rodney Stark. Sie betonen eine Reihe von prädisponierenden Bedingungen und äußeren situativen Faktoren, die in ihrer Gesamtheit flir das Zustandekommen von Konversionen relevant seien. Konversionen werden demzufolge als ein Prozess phasenhaft ablaufender Perspektivwechsel verstanden, bei dem der Betroffene eine Weltsicht zugunsten einer anderen aufgebe. Allerdings zeigte sich, dass dieses Modell den empirischen Befunden nicht stand hielt, es wurde daraufhin relativiert und modifiziert?0 Lewis Rambo schlug zu Beginn der 1990er Jahre ein holistisches, mehrdimensionales Konversionsmodell vor, welches zahlreiche soziale, kulturelle, persönliche und religiöse Komponenten berücksichtigt. Konversionen erfolgten demnach in einem bestimmten Lebensumfeld, in einem sozialen Kontext, der eine bestimmte Glaubensform entweder besonders hemmen oder fördern konnte (context). Eine persönliche Lebenskrise bilde oft den neuralgischen Punkt im Konversionsprozess 29 Vgl. zu dieser Quellengattung die Beiträge im Sammelband Ego-Dokumente, I 996. 30 Vgl. LoFLANDISTARK, 1965. Vgl. zur Modifizierung des Modells S N ow / PHI LI PS, I 980; LOFLAND, 1978; LoFLANo / SKON OVD, 1981. Vgl. zusammenfassend WmsBERGER, 1989, S. 62-113.

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(crisis). Das bisherige Repertoire zur Krisenbewältigung erscheine nicht mehr als ausreichend, um die neue Situation zu bewältigen. Daraufhin begebe sich der Mensch auf die Suche nach Lösungen (quest) und komme dabei in Kontakt mit den Vertretern einer (anderen) religiösen Gemeinschaft (contact). Dieser Kontakt verlaufe positiv, d. h. der Suchende entdecke Berührungspunkte mit den Protagonisten dieser Gemeinschaft. Die Interaktion werde vor allem dann intensiver, wenn dem Suchenden Angebote unterbreitet würden, sich einzubringen und zu integrieren (interaction). An einem gewissen Punkt erfolge die Konversionsentscheidung (commitment), der neue Glaube werde im eigenen Leben verankert und die Zugehörigkeit zur neuen Gemeinschaft verbindlich. Schließlich wirke sich die Neuorientierung zunehmend auf das ganze Leben aus (consequence) . Nach Rambo müssen die hier beschriebenen Phasen zwar nicht in einer bestimmten Reihenfolge durchlaufen werden, ihnen allen komme aber eine gewisse Bedeutung im Konversionsprozess zu. 3 1 In der Geschichtswissenschaft wird die Übertragbarkeit soziologischer und religionswissenschaftlicher Modelle auf Konstellationen der Vormodeme ambivalent beurteilt. Zwar berücksichtigen die meisten dieser Konzepte auch die sozialen Bindungen eines Menschen, letztlich dominie1i aber eine individualistische Perspektive. 32 Zudem wird die Konversion in der Soziologie oft im Sinne eines Damaskuserlebnisses als "radikaler Wandel des individuellen Selbst- und Weltverständnisses" interpretiert, dem Krisenmoment wird im Konversionsprozess- wie auch bei Lewis Rambo- eine hohe Bedeutung zugesprochen. 33 In der Frühen Neuzeit kann aber nur ein Teil der Konversionen mit dem Bedürfnis nach Krisenbewältigung erklärt werden, das Ringen um den rechten Glauben hatte in der posttridentinischen Phase zahlreiche andere Wurzeln. Zudem war das Individuum in weitaus höherem Maße als heute in gesellschaftliche Zusammenhänge eingebunden, auch bestimmten materielle oder politisch-jurisdiktioneHe Konstellationen wesentlich die Handlungsspielräume des Einzelnen. Um diesen Besonderheiten gerecht zu werden, wurden in bewusster Abkehr von dichotomen moralischen Bewertungskategorien Idealtypen 31

RAMBO, 1993. Einen Überblick über die verschiedenen soziologischen Modelle auch bei PoLLACK, 2007, S. 33 - 49; KNOBLAUCH u. a. , 1998, S. 7 - 43. 32 So auch LOTZ-HEUMANN u. a., 2007, S. 2 1f. 33 Zitat bei P oLLACK, 2007, S. 49.

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zur Klassifizierung von Konversionen vorgeschlagen. Thomas Winkelbauer benannte etwa mit ,Gewissen' und ,Karriere' zwei Pole, zwischen denen die individuelle Konversion zu lokalisieren sei. Zugleich betonte er die Vielfalt möglicher Motive und die Schwierigkeit, diese in jedem Einzelfall zu ergründen?4 Heike Bock konnte plausibel machen, dass man generell von einer Mischung religiöser und nichtreligiöser Motive ausgehen müsse, die sich keinesfalls ausschließen. Auch sie plädiert insgesamt für eine stärkere Betonung der ,Konversionskontexte' .35 Eric-Oliver Mader verweist mit Blick auf Fürstenkonversionen auf die unterschiedlichen Ebenen, auf denen sich ein Glaubenswechsel vollzog: Zu berücksichtigen seien sowohl religiös-theologische Komponenten, als auch die politische Eigenlogik von Konversionen. Zudem hätten gerade Adelskonversionen stets auf einer individuellen, privaten Ebene wie auch auf einer öffentlichen Bühne stattgefunden.36 Im Folgenden sollen diese Überlegungen aufgegriffen und auf der Grundlage des in Rom erhobenen Quellenmaterials erweitert, systematisiert und visuell umgesetzt werden. Modelle sind keine Abbildungen der Realität, sondern versuchen in abstrahierender Art und Weise wesentliche Elemente eines Phänomens zu erfassen, zu strukturieren, zu visualisieren. Der folgende Versuch, den Entscheidungsraum von Konvertenden in der Frühen Neuzeit zu beschreiben, bedient sich dabei der assoziativen Kraft physikalischer Metaphern, weshalb zunächst ein knapper Exkurs über ein bekanntes naturwissenschaftliches Phänomen erforderlich ist. Die Erde bewegt sich bekanntlich nach dem 1. Keplerschen Gesetz auf einer ellipsenförmigen Bahn um die Sonne. Die Newtonsehe Gravitationstheorie erklärt zudem, warum auch Satelliten auf Ellipsenbahnen um die Erde kreisen, wobei der Erdmittelpunkt sich in einem der beiden Brennpunkte der Ellipse befindet. Die Gravitationskraft ist wegen der unterschiedlichen Entfernung an verschiedenen Positionen (A-F) auf dieser Bahn unterschiedlich groß. Dies wird in der Grafik (Abb. 2) durch die Pfeillänge ausgedrückt.

34 WINKELBAUER, 1999, S. 12. 35 BocK, 2009, S. 320-377, bes. S. 376. 36 MADER, 2007, bes. S.113f.

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Abbildung 2: Schematische Darstellung der Umlaufbahn eines Satelliten um die Erde c

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Diagramm: Ricarda Matheus

Positionie11 man nun statt der Erde den Menschen, den potenziellen Konvertiten, im Brennpunkt einer solchen Ellipse und ersetzt die möglichen Satellitenpositionen auf der Umlaufbahn durch Faktorenbündel, so gewinnt man ein Grundmodell, welches geeignet scheint, um den Variantenreichtum und das komplexe Zusammenspiel von möglichen Einflussfaktoren auf einen Konversionsentschluss anschaulich zu beschreiben. Jedes der genannten Elemente kann dabei im individuellen Fall jede beliebige Position auf der Begrenzungslinie einnehmen, was deren unterschiedliche Relevanz zum Ausdruck bringt. 37 Im Unterschied zum physikalischen Gravitationsfeld wird dieser Entscheidungsraum nicht alleine durch aufeinander wirkende Kräfte konstituiert, sondern auch durch Handlungsspielräume des Betroffenen bestimmt. Der Konvertend ist also nicht als passives Objekt anzusehen, was im nachstehenden Schaubild durch die Doppelpfeile ausgedrückt werden soll. Zudem führten bestimmte Faktorenkonstellationen auch nicht notwendigerweise zu einer Konversion.

37 Auf die im physikalischen Modell üblicherweise durch Pfeile ausgedrückte Dynamik auf der Ellipsenlinie wurde daher hier bewusst verzichtet.

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Abbildung 3: Einflussfaktoren auf eine Konversionsentscheidung

Diagramm: Ricarda Matheus

Benennen lassen sich meines Erachtens sechs zentrale Faktorengruppen, die sich auf eine individuelle Konversionsentscheidung auswirken konnten. 38 Eine zumeist hohe Bedeutung kommt sozialen Bindungen und Netzwerken wie Ehe, Familie, Freunden, beruflichen Kontakten bzw. Abhängigkeitsverhältnissen zu. Arbeitgeber, Verwandte, (zukünftige) Ehepartner versuchten oftmals über lange Zeiträume hinweg, die späteren Konvertiten von der Wahrheit des katholischen Glaubens zu überzeugen. Dass die Probanden schließlich für die Argumente empfänglich waren, dürfte mit einem Bedürfnis nach Integration in einer neuen Bezugsgruppe zusammen hängen, denn in den hier untersuchten Fällen wurde das vormals protestantische durch ein nunmehr katholisches Umfeld ersetzt. Unter kulturellen Einflussgrößen werden konfessionell geprägte Riten und Zeremonien, spezifische Symbole und Ausdrucksformen von Religion verstanden, also Einflusskomponenten, wie sie beispielsweise von Kirchenräumen, Prozessionen, Musik oder Büchern ausgehen. Auf entsprechende Komponenten verweist das Beispiel des Mattbias Silber. Der Niederländer Franz Groenhagen hatte bereits als Protestant in einer katholischen Kirche als Musiker gedient, und das regelmäßige visuelle 38 Bestätigung finden diese und ähnliche Kategorien auch durch die einschlägige historische Forschung. SIEilENHÜNER, 2007; BocK, 2009; PEPER, 2010; LuRIA, 2005, bes. S. 306.

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und auditive Erleben katholischer Barockkultur soll seine Konversion in Rom ausgelöst haben. 39 Wiederum andere waren durch die Lektüre von kontroverstheologischen Schriften auf Unstimmigkeiten in ihrer früheren Konfession gestoßen, die sie an der Glaubwürdigkeit des Protestantismus zweifeln ließen. Frühneuzeitliche Konversionen konnten mitunter - wie auch bei Claude Renoir- von ökonomischen Interessen geleitet sein. Zwar wird dieses Argument nur selten expressis verbis genannt, aufgrund der biographischen Anhaltspunkte kann aber im Einzelfall ein entsprechendes Kalkül vermutet werden. Auch war ein Glaubenswechsel nicht selten die Voraussetzung für eine Anstellung bzw. Karriere in katholischen Ländern. Dies gilt etwa für Handwerker, die sich nach ihrer Konversion in Rom oder in Italien niederlassen wollten, es trifft aber gleichermaßen für Diplomaten, Adelige oder Gelehrte zu, die sich Aufstiegsmöglichkeiten im Umfeld des Wiener Kaiserhofes sichern wollten. 4°Für manch mittellosen Protestanten in Rom war der Eintritt ins Ospizio dei Convertendi eine Möglichkeit, sich warme Mahlzeiten sowie ein Dach über dem Kopfund damit das Überleben fur einige Wochen zu sichern. Sie konnten zudem darauf hoffen, dass sich die Verantwortlichen des Hospizes nach ihrem Glaubenswechsel um ihre materielle Absicherung und Zukunftsplanung kümmerten: Aufs Ganze gesehen übernahm das Ospizio dei Convertendi für die Neukatholiken die Aufgaben eines Jobcenters, einer Heiratsagentur und einer Suppenküche. Der Umgang mit der eigenen Konfessionszugehörigkeit konnte also pragmatischen Bedürfnissen folgen, wenngleich damit andere Einflussfaktoren und Beweggründe nicht ausgeschlossen werden sollen oder können. Unter der Rubrik Politik / Obrigkeit werden hier die durch die Konfessionalisierungsprozesse vorgegebenen bzw. sich verändernden politischen, religionspolitischen und juristischen Rahmenbedingungen zusammengefasst. Zu berücksichtigen sind auch systematische Konversionsstrategien wie z. B. Missionierung oder Rekatholisierungsmaßnahmen 39 ASV, Ospizio dei Convetiendi 14, Nr. 1865. 40 Den Zusammenhang von Konversionen und Karriereverläufen hat Ines Peper für Angehörige des Reichshofrates, des kaiserlichen Heeres sowie des diplomatischen Dienstes herausgestellt. Vgl. PEPER, 2010, S. 85 - 112. Ein besonders gut dokumentiertes Beispiel für die Instnnnentalisierung von Konversionen als Überlebensstrategie bei THIESSEN, 2000. Vgl. auch HooLER, 1998.

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seitens der kirchlichen, kommunalen oder territorialen Obrigkeiten. Anders als in der Gegenwart konnten sich Menschen in der Frühen Neuzeit weniger von diesen Einflussgrößen emanzipieren. So hingen, um nur einige Stichworte zu nennen, Fragen des Rechtsstatus, der Niederlassungsmöglichkeiten, der freien Berufsausübung oder des öffentlichen Religionsbekenntnisses vom jeweils ,rechten Glauben' ab. Vor diesem Hintergrund gab es viele Gründe, die - je nach Standpunkt - für oder gegen eine Konversion sprechen konnten. Wollte man das Modell zudem auf Angehörige regierender Fürstenhäuser übertragen, so wären in dieser Kategorie auch Staatsräson und dynastisches Kalkül zu berücksichtigen.41 Unter dem Begriff Lebenserfahrungen sollen Faktoren zusammengefasst werden, die man dem Bereich der Psychologie zurechnen könnte: Krisensituationen wie Krankheit oder Verwundung, die wiederum Angst, Schuldgefühle oder Reue auslösen können; Schicksalsschläge, wie Kriegserlebnisse, der Verlust eines nahe stehenden Menschen oder materieller Ruin. Derartige Konstellationen stellten im Untersuchungszeitraum mit immer neuen Kriegen, Hungersnöten oder Seuchen keine Ausnahme, sondern nahezu alltägliche Erfahrungen dar. Gerade in Extremsituationen ergriffen die Menschen jeden rettenden Strohhalm, und so war es nicht selten, dass die Protestanten im Fall ihrer Rettung ein Konversionsgelübde ablegten. Gleichermaßen zu berücksichtigen sind Gefühle wie z. B. Liebe, Verbundenheit oder Dankbarkeit, wenngleich sich diese Elemente in den Quellen expressis verbis nur schwer fassen lassen. Individueller Glauben und das Gewissen bilden ein weiteres gewichtiges FaktorenbündeL Die Konvertenden argumentierten mit dem Alter und der Wahrheit, der Einheitlichkeit und Apostolizität der katholischen Kirche, die sie mit der Neuheit und Zerstrittenheit der protestantischen Lehren konfrontierten. Andere grübelten über die Realpräsenz Christi beim Abendmahl, einige waren von Heiligenkult und Wundem beeindruckt. Viele Konvertenden waren schließlich verunsichert, ob ihr protestantischer Glaube die Rettung der eigenen Seele gewährleistete, sie entschieden sich daher für die vermeintlich sicherere Seite. Entsprechende Konversionsmotive werden in Rom zwar am häufigsten dokumentiert, sie dienten aber zuweilen nur der Rechtfertigung und Überde41

CHRIST,

1973;

D ERS . ,

1994;

MADER ,

2007;

REINHARDT,

1989;

T üCHLE,

1973.

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ckung anderer Motive. 42 Damit soll die grundsätzliche Bedeutung des Gewissens und der Religion ftir den Einzelnen nicht in Frage gestellt werden, doch lassen sich diese Faktoren und ihre tatsächliche Relevanz für die Konversionsentscheidung nur selten angemessen verifizieren.43 Hier stößt historische Wissenschaft an ihre Grenzen, die es zu benennen und zugleich zu akzeptieren gilt. Alle bislang genannten Einflussgrößen konnten - einzeln oder zusammen genommen - die jeweilige Konversionsentscheidung motivieren. Um die entsprechende Bedeutung und Gewichtung einzelner Umstände im Modell angemessen zum Ausdruck btingen zu können, wurde das ellipsenförmige und somit das nicht-zentrierte Gravitationsfeld als Metapher ftir den Entscheidungsraum gewählt. Alle Faktoren oder Faktorenbündel können- analog zu einem Satelliten- auf der , Umlaufbahn' jede beliebige Position einnehmen. Die Pfeillänge bildet zusammen mit der Positionierung den unterschiedlichen Stellenwett ftir die jeweilige Konversionsentscheidung ab. Verstärkend oder abschwächend wirkten zudem Konstellationen, die im Folgenden als Variablen bezeichnet werden. Sie alleine bewirkten in der Regel keinen Konversionsentschluss, sie konnten aber im Zusammenspiel mit den genannten Faktoren relevant werden. Dieser Unterschied wird in der nachstehenden Graphik durch eine eigene ,Umlaufbahn' signalsiert. Sechs Kategorien kristallisieren sich bei der Analyse des römischen Quellenmaterials heraus, lassen sich aber auch bei Konversionsfällen außerhalb des Ospizio dei Convertendi verifizieren. Dazu zählen Alter, Familienstand, Geschlecht, Mobilität, Bildung und sozialer Stand. Einige weitere knapp referierte Beispiele aus der römischen Quellenüberlieferung sollen dies abschließend verdeutlichen. Anna Martha Pohle stammte ursprünglich aus Hoyerswerda in Sachsen und war bereits 36 Jahre alt, als sie in Rom vorstellig wurde. 14 Jahre zuvor sei sie in Berlin in die Dienste ihrer Herrin Canzin getreten und habe vier Jahre später einen Soldaten geheiratet, den sie nach Polen begleitete. Aufgrund ihrer chronischen Krankheiten und Leiden habe dieser sie aber nach einiger Zeit verstoßen und zurück nach Sachsen geschickt. Endlich genesen diente sie der Herzogin von Amheim als 42 Vgl. ausfUhrlieh dazu MATHEus, 2012, Kapitel IV. 43 Zum Zusmmnenhang von Gewissen und Konfessionswahl vgl. BocK, 2007.

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Abbildung 4: Der Entscheidungsraum von Konvertenden

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Diagramm: Ricarda Malheus

Hausmädchen, die sie auf einer Reise nach Venedig und Rom begleitete. Doch auf dem Weg dorthin brannte sie mit dem Kammerdiener, einem gebürtigen Italiener, durch, der ihr unter der Voraussetzung eines Konfessionswechsels die Ehe versprochen habe. 44 Von Glaube oder Gewissen ist in diesem Protokoll nicht die Rede, auch nicht von Politik oder kulturellen Einflussfaktoren. Selbst materielle Überlegungen, die in analogen Fällen in Rechnung zu stellen sind, scheinen keine Rolle gespielt zu haben, schließlich war Anna Martha bei der Herzogin existenziell abgesichert. Deutlich wird hingegen der Einfluss des künftigen Ehemannes, also das soziale Netzwerk, in das die Frau eingebunden war bzw. in das sie integriert werden wollte. In diesem speziellen Fall kann zudem angenommen werden, dass drei weitere Momente die Konversionsentscheidung begünstigten oder verstärkten: das Geschlecht, der Familienstand sowie ihr nicht mehr sehr junges Alter. Diese wären für sich genommen keine Gründe für eine Konversion, niemand konvertierte, nur weil er männlich oder weiblich, verheiratet oder ledig, alt oder jung war. Die individuelle Lebenskonstellation der Frau leistete aber vermutlich dem Drängen des künftigen Ehemanns Vorschub. 45 44 ASV, Ospizio dei Convertendi 14, Nr. 1789.

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Das jugendliche Alter dürfte im Fall des Ernmanuelle Wagner aus Ostheim die Empfänglichkeit ftir die Argumente des katholischen padrone erhöht haben. Der Zwanzigjährige gab bei seiner Ankunft im Hospiz an, bereits seit neun Jahren in den Diensten eines katholischen Schneiders im protestantischen Halle zu stehen. Mit diesem sei er oft in dessen Heimatdorf gezogen und habe dort immer wieder Gelegenheit gehabt, katholische Frömmigkeitspraxis und Liturgie zu beobachten. Diese Erfahrung sowie die beharrlich vorgebrachten Argumente seines Arbeitgebers hätten ihn nach mehreren Jahren zur Konversion bewegt. 46 Wie viele andere in Rom vorsprechende Handwerker, Knechte und Mägde war er schon in sehr jungen Jahren zu seinem katholischen Lehrherrn gekommen. Aus dem ursprünglichen familiären Umfeld gelöst, hatte der Zögling aufs Engste mit seinem Arbeitgeber zusammen gelebt. Der Meister übernahm folglich Erziehungs- und Disziplinierungsfunktionen im sozialen und konfessionellen Bereich, er wurde zur wichtigsten Bezugsperson.47 Die Tatsache, dass das Lehrverhältnis nicht am Herkunftsort des Lehrlings eingegangen wurde, erleichterte den Kontakt mit der anderen Konfessionskultur und ermöglichte so den erfolgreichen Aufbau neuer sozialer Beziehungen.48 An diesem Beispiellassen sich mithin soziale Netzwerke, kulturelle Faktoren sowie nicht näher zu bestimmende Glaubensfragen als Einflussgrößen bestimmen. Seine Mobilität sowie die damit einhergehende Trennung aus den ursprünglichen familiären und sozialen Kontexten sowie sein Alter dürften die Konversionsbereitschaft insgesamt gefördert haben. Auch Bildung bzw. die Verfügungsmöglichkeit über Wissensbestände konnte Konversionsentscheidungen beeinflussen. Wer lesen konnte oder verschiedene Sprachen beherrschte, hatte zumeist auch in konfessionellen und religiösen Fragen einen Informationsvorsprung. Beson45 Unter dem Stichwort Familienstand wären bspw. auch Konstellationen zu berücksichtigen, in denen verheiratete protestantische Pfarrer und Prediger zum katholischen Glauben konvettieren wollten, aber aus Rücksicht auf die familiäre Konstellation vor diesem Schritt zurückschreckten. 46 ASV, Ospizio dei Convettendi 14, Nr. 1874. 47 Dass es sich bei den Konvertenden in den meisten Fällen um Lehrlinge oder doch wenigstens junge Zöglinge handelte, belegen die Altersangaben. 48 So auch HANLON, 1993, S.213; fl.ir Augsburg FRAN