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German Pages 364 Year 2015
Sandra Petermann Rituale machen Räume
Sandra Petermann (Dr. phil.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Geographischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Stadt- und Sozialgeographie.
Sandra Petermann
Rituale machen Räume Zum kollektiven Gedenken der Schlacht von Verdun und der Landung in der Normandie
Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich 09 (Chemie, Pharmazie und Geowissenschaften) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2006 als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2007 transcript Verlag, Bielefeld zugl. Dissertation Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2006 Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung & Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Sandra Petermann, Soldatenfriedhof von Bayeux, 2004 Lektorat & Satz: Sandra Petermann Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-750-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
I N H AL T I
EINFÜHRUNG: EINE NEUE ORDNUNG VON ORT UND ZEIT
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II
FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE PERSPEKTIVEN
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1 Forschungsstand 2 Ritualtheorien und Raumkonzeptionen 2.1 Rituale 2.1.1 Rituale – Riten – Zeremonien 2.1.2 Dimensionen und Merkmale von Ritualen 2.1.3 Grundtypen von Ritualen und Ritualtheorien
2.2 Räume und Orte 3 Gedenkräume 3.1 Erinnerung und Gedächtnis 3.1.1 Erinnerung – Gedächtnis – Gedenken 3.1.2 Gedächtnisformen
3.2 Gedenkrituale 3.3 Gedenkorte und Gedenkstätten 3.3.1 Friedhof und Beinhaus 3.3.2 (Krieger-)Denkmal und Monument 3.3.3 Museum
4 Politische Räume 4.1 Polity – Policy – Politics 4.2 Politische Rituale 4.2.1 Die Neo-Durkheimsche Schule – eine kritische Perspektive 4.2.2 Funktionen politischer Rituale 4.2.3 Militärrituale
4.3 Politische Mythen und Symbole 4.4 Politische Orte 5
Sakrale Räume
5 8 8 8 11 12 14 17 19 19 20 24 27 28 29 31 34 35 36 37 38 41 42 45 46 V
5.1 Sakralität – was ist das? 5.1.1 Die ontologisch-essentialistische Perspektive 5.1.2 Die konstruktivistische Perspektive 5.1.3 Die phänomenologische Perspektive
5.2 Sakrale Rituale 5.2.1 Liturgische Rituale 5.2.2 Pilgerreisen und Wallfahrten
5.3 Sakrale Zeichen und Symbole 5.4 Sakrale Orte 6 Historische Räume 6.1 Historische Rituale 6.2 Historische Orte 7 Theoretisch-konzeptionelles Raster zur Analyse der Fallbeispiele 7.1 Rituale und Räume 7.2 Analysedimensionen der Gedenkräume 7.2.1 Politische Räume der Ideologie 7.2.2 Sakrale Räume des Glaubens 7.2.3 Historische Räume des Wissens
7.3 Diskussion des theoretisch-konzeptionellen Analyserasters
46 47 48 51 53 53 57 61 62 66 66 70 70 70 71 73 74 75 76
III
AUSWAHL DER FALLBEISPIELE, VORGEHENSWEISE UND METHODIK
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IV
RITUALE UND RÄUME DER SCHLACHT VON VERDUN
87
1 Schlachtfelder von Verdun 1.1 Akteure des Gedenkens 1.1.1 Interessengruppen auf den Schlachtfeldern 1.1.2 Ritualteilnehmer 1.1.3 Akteure im Tourismussektor 1.1.4 Touristen
1.2 Orte des Gedenkens 1.2.1 Die Rechte Maasseite 1.2.2 Die Linke Maasseite 1.2.3 Saint-Mihiel und Les Eparges 1.2.4 Verdun-Stadt 1.2.5 Die Sakrale Straße
2 Gedenkräume der Schlacht von Verdun 2.1 Gedenken an die Schlacht von Verdun 2.1.1 Offizielle Gedenkrituale
VI
88 90 90 93 99 103 105 107 120 122 123 125 125 127 129
2.1.2 Sportlich-spielerische Gedenkrituale 2.1.3 Gedenktourismus auf den Schlachtfeldern von Verdun 2.1.4 Räume des Gedenkens
2.2 Politisierung des Gedenkens und der Schlachtfelder von Verdun 2.2.1 Politische Rituale 2.2.2 Politische Mythen und Symbole 2.2.3 Politische Räume der Ideologie
2.3 Sakralisierung des Gedenkens und der Schlachtfelder von Verdun 2.3.1 ‚Gott mit uns‘ – Glaube, Tod und Erster Weltkrieg 2.3.2 Sakrale Rituale 2.3.3 Christliche Symbole und Zeichen 2.3.4 Sakrilege 2.3.5 Sakrale Räume des Glaubens
2.4 Historisierung des Gedenkens und der Schlachtfelder von Verdun
V
142 143 151 153 153 164 165 167 167 169 176 177 178 182
RITUALE UND RÄUME DER ALLIIERTEN LANDUNG IN DER NORMANDIE
185
1 Landungsstrände in der Normandie 1.1 Akteure des Gedenkens
185 187 189 193 198 200 203 205 206 215 216 218 223
1.1.1 Interessengruppen an den Landungsstränden 1.1.2 Ritualteilnehmer 1.1.3 Akteure im Tourismussektor 1.1.4 Touristen
1.2 Orte des Gedenkens 1.2.1 Der Sektor der britischen Luftlandetruppen 1.2.2 Sword Beach 1.2.3 Juno Beach 1.2.4 Gold Beach 1.2.5 Omaha Beach 1.2.6 Utah Beach
2 Gedenkräume der alliierten Landung 2.1 Gedenken an die alliierte Landung 2.1.1 Offizielle Gedenkrituale 2.1.2 Kommunale Gedenkrituale 2.1.3 Die Gedenkrituale aus Perspektive der Teilnehmer 2.1.4 Sportliche Gedenkrituale 2.1.5 Gedenktourismus auf den Landungsstränden der Normandie
224 225 226 239 242 250 251 VII
2.1.6 Räume des Gedenkens
2.2 Politisierung des Gedenkens und der alliierten Landungsstrände 2.2.1 Politische Rituale 2.2.2 Politische Mythen und Symbole 2.2.3 Politische Räume der Ideologie
2.3 Sakralisierung des Gedenkens und der alliierten Landungsstrände 2.3.1 ‚Gott mit uns‘ – Glaube, Tod und Zweiter Weltkrieg 2.3.2 Sakrale Rituale 2.3.3 Christliche Symbole und Zeichen 2.3.4 Sakrilege 2.3.5 Sakrale Räume des Glaubens
2.4 Historisierung des Gedenkens und der alliierten Landungsstrände 2.4.1 Historische Rituale 2.4.2 Historische Artefakte 2.4.3 Historische Räume des Wissens
255 257 257 270 271 273 274 275 279 280 281 285 286 289 290
VI
ZUSAMMENFASSENDE DISKUSSION DER FALLBEISPIELE: GEDENKEN AN DIE SCHLACHT VON VERDUN UND DEN D-DAY
293
VII
RITUALE MACHEN RÄUME
307
VIII EIN PLÄDOYER FÜR DAS RITUELLE KRIEGSGEDENKEN Literaturverzeichnis Danksagung
VIII
311 313 349
ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1:
Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14:
Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19:
Abbildung 20:
Abbildung 21:
Abbildung 22: Abbildung 23:
Verallgemeinernde Darstellung des unterschiedlichen Verständnisses der Begriffe Ritual, Ritus und Zeremonie Vereinfachte Darstellung der Grundtypen verschiedener Ritualtheorien Raster zur Analyse von Gedenkräumen Raster zur Analyse von politischen Räumen der Ideologie Raster zur Analyse von sakralen Räumen des Glaubens Raster zur Analyse von historischen Räumen des Wissens Raumkonstruktionen durch Gedenkrituale Ausgewählte Fallbeispiele in Frankreich Die Schlachtfelder der Maas Die bekanntesten Gedenkorte der Rechten Maasseite Das Beinhaus von Verdun (ohne Anbauten) Das Memorial von Verdun Ablösungsritual am Beinhaus (2004) Touristenzahlen des Memorials und der Befestigungswerke (Zitadelle, Vaux und Douaumont) von 1971– 1977 und 1990–2003 Innen- und außenpolitische Themen der verbalen Riten im Gedenken an die Schlacht von Verdun Die Landungsstrände der Normandie Museen, Soldatenfriedhöfe und Befestigungswerke an den Landungsstränden der Normandie Das Memorial von Caen Anzahl der offiziellen D-Day-Zeremonien von 1945– 2004 an unterschiedlichen Gedenkorten (mit > fünf Nennungen) Touristenzahlen der besucherstärksten Museen (Arromanches, Bayeux, Caen) und des amerikanischen Soldatenfriedhofes von Colleville 1990–2003 Innen- und außenpolitische Themen der verbalen Riten im Gedenken an die alliierte Landung in der Normandie Räume des Gedenkens an die Schlacht von Verdun Räume des Gedenkens an die alliierte Landung in der Normandie
10
14 72 73 74 75 77 80 106 107 110 115 138 146
156 188 204 211 229
253
263
303 304
IX
TABELLENVERZEICHNIS Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7:
Pole des kommunikativen und kulturellen Gedächtnisses Gliederung der katholischen Messfeier Die Phasen einer Pilgerreise Die Rote Zone von Verdun und deren Nutzung als Staatsforst Einflussreiche Akteure auf den Schlachtfeldern von Verdun Zeremonien des Gedenkens an den Ersten Weltkrieg in Verdun (2004) Einflussreiche Akteure an den Landungsstränden der Normandie
24 55 59 89 92 128 192
VERZEICHNIS DER TEXTBLÖCKE Textblock 1: Textblock 2: Textblock 3:
Die Geschichte des Museums Ansichten von ausgewählten Vertretern der ontologischen Perspektive Das Museum als Kirche der Aufklärung und ‚säkulare’ Pilgerdestination
32 47 64
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ABMC ANSBV
ANSM ASMBN
AVA CDT
CNSV
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American Battle Monuments Commission (Amerikanisches Amt für Kriegerdenkmäler) Association Nationale du Souvenir de la Bataille de Verdun et de la Sauvegarde de ses Hauts-Lieux (Nationalverband zum Gedenken der Schlacht von Verdun und dem Erhalt seiner Gedenkorte) Association Nationale le Saillant de Saint-Mihiel (Nationalverband der Frontausbuchtung von Saint-Mihiel) Association des Sites et Musées de la Bataille de Normandie (Vereinigung der Stätten und Museen der Normandieschlacht) Amis des Vétérans Américains (Freunde der amerikanischen Veteranen) Comité Départemental du Tourisme (Tourismusausschuss auf Ebene des Departements) Comite National du Souvenir de Verdun (Nationalausschuss zur Erinnerung an Verdun)
CODECOM CRT CWGC DAWA DIREN
FEDER FNADT
IHTP NVA ONAC SAEML SAEM SETEL SIVOM VDK
Communauté de Communes (Verbandsgemeinde) Comité Régional du Tourisme (Tourismusausschuss auf Ebene der Region) Commonwealth War Graves Commission (Kriegsgräberamt des Commonwealth) Deutsches Atlantikwall-Archiv Direction Régionale de l’Environnement de BasseNormandie (Regionale Umweltabteilung der Unteren Normandie) Fonds Européen de Développement Régional (Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung) Fonds National d’Aménagement et de Développement du Territoire (Nationaler Fonds für Raumordnung und -entwicklung) Insitut d’Histoire du Temps Présent (Institut für Gegenwartsgeschichte) Normandy Veterans Association (Verband der Normandieveteranen) Office National des Anciens Combattants et des Victimes de Guerre (Staatsamt für Veteranen und Kriegsopfer) Société Anonyme d’Économie Mixte Locale (Aktiengesellschaft lokaler Wirtschaftsunternehmen) Société Anonyme d’Économie Mixte (Aktiengesellschaft von Wirtschaftsunternehmen) Société d’Études du Tourisme et des Loisirs (Firma für Tourismus- und Freizeitforschung) Syndicat Intercommunal à Vocations Multiples (Zweckverband von Gemeinden) Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge
XI
I
EINFÜHRUNG: EINE NEUE ORDNUNG
VON
ORT
UND
ZEIT
1918. Nach vier langen Kriegsjahren, die durch den wissenschaftlichtechnischen Fortschritt ein neues Ausmaß der Zerstörung und des Tötens bewirkten und alle Dimensionen vorheriger Konflikte sprengten, lagen weite Teile Europas in Schutt und Asche. Der Erste Weltkrieg war nach abklingender anfänglicher Siegesstimmung und Euphorie nicht nur für die Frontsoldaten mit psychischem und physischem Leid und vielfältigen Verlusten verbunden. Schon damals redeten die Menschen vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen von einer Zeitenwende, einem epochalen Bruch, einer historischen Zäsur. Viele Bürger der vom Krieg betroffenen europäischen Staaten hegten die Hoffnung, dass sie sich bald von Unsicherheit, Chaos, den Auswirkungen der Kriegswirren und der Zerstörung befreien und die kriegsbedingten Traumata hinter sich lassen könnten. Fast jede Familie bemühte sich, das unvorstellbare, das grauenvolle Gesicht des Krieges aus ihrer Erinnerung zu verbannen oder auf eine andere Art und Weise damit umzugehen. Vor allem in der breiten Masse, aber auch teilweise in Kreisen führender Politiker riefen kraftlose bis energische Stimmen die Parolen ‚Nie wieder Krieg!‘ – ‚Plus jamais ça!‘. Kriegsverlierer wurden entwaffnet, Reparationszahlungen geleistet, Eide geschworen. Doch noch keine 20 Jahre später wütete trotz aller Bekundungen und Erfahrungen in Europa der nächste Krieg, dessen traumatische Folgen für einen Großteil der Bevölkerung durch die Repressionen des Regimes der Nationalsozialisten und die flächenhaften Bombardierungen der Alliierten noch stärker waren. Erneut hörte man nach Kriegsende an vielen Orten die bereits bekannte Forderung nach einer friedlichen Zukunft. Doch wie sollte man dieses Ziel dauerhaft erreichen und mit dem bis dahin Unvorstellbaren des Ersten und Zweiten Weltkrieges umgehen? Welche Strategien waren sinnvoll und möglich? Neben erns1
RITUALE MACHEN RÄUME
ten Ermahnungen und versuchtem Vergessen gab es eine weitere Möglichkeit, das entstandene Chaos und hinterlassene Grauen zu verarbeiten: Die Menschen schufen durch das Gedenken an den Krieg eine neue Ordnung von Ort und Zeit. Eine Strukturierung der Orte durch ihre Gestaltung als Gedenkstätten und die Zuweisung von Bedeutungen umfasste nicht alle vom Krieg verwüsteten Regionen Europas, und im Laufe der Jahre verschwand in weiten Teilen das sichtbare Erbe der Kriege durch den Wiederaufbau bzw. Neubau von Siedlungen oder die Anlage von Agrarflächen. Maßgeblich zeigte sich die Strukturierung der Orte durch die Errichtung von Kriegerdenkmälern in den Heimatorten der Soldaten und die Gestaltung von Gedenkstätten in der Nähe von ehemaligen Schlachtfeldern. An einigen besonders herausragenden Kriegsschauplätzen entstanden geordnete Gedenkensembles in Form von Museen, Mahnstätten, Friedhöfen und Kirchen, die der kriegstraumatisierten Gesellschaft beim Umgang mit den Geschehnissen und der Nachwelt bei der Interpretation der Geschichte bis heute dienen. Aus diesem Grund treffen sich an den Gedenkstätten seit Kriegsende die unterschiedlichsten sozialen Gruppen, um der Vergangenheit zu gedenken. Allerdings reichte die Strukturierung der Orte allein nicht aus, um im Angesicht der durch Verwüstung und Chaos geprägten Vergangenheit eine sichere Zukunft zu gestalten: Es fehlte eine neue Ordnung der Zeit. Sie basiert auf unterschiedlichen Bedeutungszuschreibungen historischer Ereignisse. Ruhmesvolle Geschichtsdaten wurden in einen Kanon der gedenkwürdigen Ereignisse aufgenommen, unehrenhaften Geschehnissen wurde die Aufnahme verweigert. Die Strukturierung der Zeit erfolgte allerdings maßgeblich durch geregelte und gelenkte Handlungen der Menschen. Das sich jährlich wiederholende, offizielle rituelle Gedenken an bestimmte historische Ereignisse strukturiert den Jahresrhythmus und den Alltag der Menschen bis heute und dient ihnen als eine Orientierungshilfe in ihrem Leben. Die Gestaltung von Zeit und Ort im Zuge des Gedenkens hatte Auswirkungen auf die Nachkriegsgenerationen, denn ihnen eröffneten sich hierdurch neue Räume. Doch um welche Räume handelt es sich dabei? Wie wirkt sich die Ordnung von Ort und Zeit auf die Raumkonstruktion(en) aus? Welche Rolle spielen Rituale bei der Erzeugung von Räumen? Für die Beantwortung dieser im Zentrum der Arbeit stehenden Fragen ist es notwendig, Orte, Menschen sowie deren Rituale eingehender zu betrachten. Hieran anlehnend sind verschiedene Fragenkomplexe zu beantworten. Die ersten Fragen beschäftigen sich mit der Ordnung der Orte bzw. Gedenkstätten und münden in eine Deskription der heutigen Situation. Dies erfolgt aus einer handlungstheoretischen Perspek2
EINFÜHRUNG: EINE NEUE ORDNUNG VON ORT UND ZEIT
tive, welche die ‚materielle Struktur‘ der Kriegsschauplätze als Spuren der Handlungen einzelner Akteure analysiert. Folglich lautet die Frage: Welche Akteure sind (durch welche Handlungen und mit welchen Zielsetzungen) maßgeblich für die Gestaltung und Strukturierung der heutigen Kriegsschauplätze verantwortlich? Im Fokus des zweiten Fragenkomplexes stehen die Besucher der Kriegsschauplätze sowie deren Wahrnehmungen. Es ergeben sich die Fragen: Wer besucht aus welchen Motiven die ehemaligen Kriegsschauplätze und wie werden die Schlachtfelder heute wahrgenommen? An dritter Stelle geht es um die Ordnung der Zeit und es wird nach den an den Kriegsschauplätzen vollzogenen Ritualen gefragt. Welche Rituale werden dort mit welchen Sinnzuschreibungen von wem organisiert und aufgesucht? Und welche Bedeutung haben sie für die Ritualteilnehmer als ordnender Faktor? Das übergeordnete Ziel der Arbeit besteht darin, durch eine aus den Wissenschaftsdisziplinen der Geographie, Ethnologie, Religionswissenschaft, Politik, Geschichte und Literaturwissenschaft gewonnene theoretische Perspektive zu zeigen, wie an einem Ort durch Rituale des Gedenkens verschiedene soziale Räume entstehen. Innerhalb der Geographie kann die Studie in der handlungsorientierten konstruktivistischen Sozialgeographie verortet werden, da sie ein tätiges und sinngerichtetes menschliches Verhalten untersucht, alle analytischen Kategorisierungen nicht als Abbild einer Realität, sondern als eine mögliche Interpretation versteht sowie die Konstruktion von Räumen thematisiert, die Bestandteil der sozialen Kommunikation sind. Zudem integriert die Arbeit sowohl Elemente der politischen und historischen Geographie als auch der Religionsgeographie.
3
II
FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE
PERSPEKTIVEN Kaum ein Begriff ist so voll von Vieldeutigkeiten wie der Begriff ‚Ritual‘. (MICHAELS 2003: 3)
Place. It really is a messy concept, and it is no wonder that introductory texts have generally eschewed easy definitions of it. (STAEHELI 2003: 167)
Die Beantwortung der Fragestellungen und die Auswertung des Datenmaterials erfolgt mit Hilfe unterschiedlicher Perspektiven auf die Phänomene Raum und Ritual. Die verzahnte Darstellung verschiedener Raum- und Ritualkonzepte mit möglichen Sackgassen und Umwegen nimmt im vorliegenden Kapitel relativ viel Platz ein, da die Thematik trotz ihrer Bedeutung für die Geographie im Fach bislang kaum Gehör gefunden hat und dieses Manko mittels eines Streifzuges durch die wichtigsten thematisch relevanten Ritualtheorien behoben werden soll.
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Forschungsstand
Über den Zusammenhang von Raum und Ritual wurde bislang erstaunlich wenig geschrieben. Dies überrascht aus zweierlei Gründen: Zum einen, da die handlungstheoretischen Raumkonzepte inzwischen durchaus als ein grundlegender Bestandteil der Kulturgeographie angesehen werden und dennoch das symbolhafte wiederholte Handeln in Form von Ritualen unbeachtet blieb; zum anderen, da sich die Geographie als Raum-
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RITUALE MACHEN RÄUME
wissenschaft versteht und ‚der Raum‘ als Schlüsselbegriff sowie zentrales Erkenntnisinteresse des Faches (WEICHHART 1999: 74) entsprechend gut erforscht sein müsste. Gut dokumentiert ist dagegen der allgemeine interdisziplinäre Forschungsstand zu den Phänomenen von ‚Raum‘ und ‚Ritual‘. Allein schon um einen umfassenden Überblick über die Ritualliteratur zu erlangen, ist eine ‚wissenschaftliche Odyssee‘ durch verschiedene Forschungsbereiche (u. a. Ethnologie, Psychologie, Religionswissenschaft, Soziologie, Theologie) notwendig. Einen guten Einstieg bieten beispielsweise die Sammelwerke von BELLIGER & KRIEGER (1998), CADUFF & PFAFF-CZARNECKA (1999), GRIMES (1996) und SCHÄFER & WIMMER (1998). Nicht anders stellt sich die Literaturlage bezüglich des Raumes dar: Zahlreiche Aufsatzsammlungen und Monographien über unterschiedliche Raumkonzepte wurden auch hier schon geschrieben. Beispielhaft seien JAMMER (1980), LÖW (2001), WERLEN (1995a) und WERTHEIM (2000) angeführt. Ebenso wurden die einzelnen ‚gedenkenden‘, politischen und sakralen Raum- bzw. Ritualkonzepte eingehend in der Literatur aufgearbeitet, weniger umfangreich dagegen ist die Quellenlage zu historischen Ritualen und Räumen. Hinsichtlich der Gedenk- bzw. Erinnerungsräume ist auf die Arbeiten von A. ASSMANN (1999a) sowie NORA (1997a) hinzuweisen. Die geographischen Publikationen zur Thematik sind relativ überschaubar. Zwar gibt es Berührungspunkte hinsichtlich der Gedenkstätten (BIERSCHENK 2001: 59); wenig wurde allerdings über die ‚immateriellen‘ Komponenten der Gedenkräume geschrieben. Ausnahmen stellen die Arbeit von KONG über ‚Deathscapes in Geography‘ (1999) sowie der Aufsatz über ‚Places of Memory‘ von TILL (2003) dar, der die Sakralisierung und Politisierung von Gedenkorten und -räumen thematisiert. Gedenkrituale, insbesondere im Zusammenhang mit Kriegsereignissen, werden u. a. in der Arbeit von WINTER & SIVAN (1999) ausführlich thematisiert. Die Frage nach ‚dem Heiligen‘ (CALLOIS 1988, COLPE 1977), seiner Präsenz in der Gegenwart (BERGER 1981, KAMPER & WULF 1987a) und seiner Verortung (BAUDY 2000, COLPE 1987, LANCZKOWSKI 1985, WERBLOWSKY 1996) beschäftigt schon seit Langem die unterschiedlichsten Wissenschaftsdisziplinen. Von geographischer Seite aus müssen die Arbeiten von TUAN (1978) genannt werden, welche sich insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren mit der Bedeutung von sakralen Orten und Räumen beschäftigt haben. Erstaunlich ist, dass für die deutsche Religionsgeographie die Konstruktion von sakralen Räumen nicht von erhöhtem Belang ist. Insgesamt entstanden in den letzten Jahren nur wenige geographische Arbeiten über die Bedeutung von Religion und sakralen Räumen (KONG 2001), was im Zusammenhang 6
FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE PERSPEKTIVEN
mit dem prognostizierten Schwinden der Religion stehen könnte.1 Sakrale Rituale dagegen spielen besonders in der theologischen, religionswissenschaftlichen und ethnologischen Forschung eine wichtige Rolle und beschäftigen sich mit unterschiedlichen Ritualtheorien und -formen. Innerhalb der Religionsgeographie wurde vor allem das Phänomen der Pilgerreisen untersucht, wobei die Arbeiten oftmals leider nur aus Beschreibungen der infrastrukturellen Ausstattung der Pilgerorte sowie Fremdenverkehrsanalysen bestehen. Während es zu politischen Ritualen eine Fülle an Literatur gibt, existieren zu handlungszentrierten politischen Räumen vergleichsweise wenige Publikationen. Ausnahmen, die politische Räume nicht lediglich als Staats- und Regierungseinheiten auffassen, bilden ein Aufsatz von MASSEY (2003) und die Habilitationsschrift von REUBER (1999), der am Beispiel der zwar ‚klassisch anmutenden‘ Gemeindegebietsreform raumbezogene politische Konflikte aus handlungstheoretischer Sicht und in Folge dessen strategische Raumbilder thematisiert. Historische Rituale und Räume werden in der Literatur kaum thematisiert und beschränken sich auf Publikationen zu Reenactments (z. B. von ALLRED 1996, CULLEN 1995). Hinsichtlich der Literatur über die Kriegsschauplätze der Maas und Normandie gibt es viele Publikationen maßgeblich aus historischer Perspektive (beispielsweise jüngere Publikationen zu Verdun von BERNÈDE (2002) und PÉRICARD (2001), zur Normandie von BERNAGE (2001a, 2001b), KEUSGEN (2000) und MARET & PARIS (2004)). Thematisch relevant für die vorliegende Studie im Falle von Verdun sind die Veröffentlichungen von CANINI (1986a, 1986b), PROST (1977, 1997) und BARCELLINI (1986, 1995, 1996a), die sich mit der Entwicklung der Gedenkzeremonien auseinander gesetzt haben. Ebenso haben sich verschiedene Wissenschaftler mit den Gedenkfeierlichkeiten des D-Days beschäftigt. Hier ist auf die Arbeiten von BARCELLINI (1999) sowie auf DESQUESNES (1995) zu verweisen. Zudem erschien eine Aufarbeitung der Mediendarstellung des D-Days im Zuge der 50-Jahrfeier von KLEIN (1996).
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Einen Überblick über den Forschungsstand der englischsprachigen religionswissenschaftlichen Publikationen bis in die 1980er Jahre bietet SOPHER (1981).
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RITUALE MACHEN RÄUME
2
Ritualtheorien und Raumkonzeptionen Rituale kommen ohne den Raum nicht aus. Sie können Räume öffnen, sie können Orte verschließen. […] Sie gehören wie der Raum zum menschlichen Leben. (ESCHER & WEICK 2004: 251f)
‚Raum und Ritual‘ – es handelt sich hier um zwei Begriffe, über die schon tausende Seiten gefüllt wurden. Fast genauso viele unterschiedliche Definitionen und Auffassungen scheinen in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen sowie innerhalb einer Fachrichtung zu existieren. Auch in der Alltagssprache sind Raum und Ritual durchaus gängige Begriffe. Aus der Vielzahl an Perspektiven resultieren nicht wenige (z. T. vermeintlich) gegenläufige Ansichten und Missverständnisse. Aufgrund des inflationären Gebrauchs der Begriffe2 liegt die – vor allem in Bezug auf das Ritual formulierte – Forderung, sich von ihnen zu lösen bzw. darauf zu verzichten, nicht fern (GOODY 1977, MICHAELS 2003). Diesem Ansinnen wird in der vorliegenden Studie nicht gefolgt.
2.1 Rituale Statt auf die Begriffe zu verzichten, erscheint es sinnvoll, zu Beginn der Arbeit die ‚wichtigsten‘ Termini zu benennen und einzuordnen. Hierunter fallen hinsichtlich des Wortfeldes ‚Ritual‘ Begriffe wie Ritus und Zeremonie. Um das Phänomen eingrenzen zu können, ist es zudem notwendig, anstelle einer einzig gültigen (und unmöglich erscheinenden) Ritualdefinition die in der Literatur herausgearbeiteten wichtigsten Merkmale bzw. Elemente von ‚säkularen‘ und ‚religiösen‘ Ritualen zu beleuchten und auf Grundtypen einzugehen.
2.1.1 Rituale – Riten – Zeremonien Nicht einmal die etymologische Herleitung des Wortes ‚Ritual‘ ist gesichert. Denkbar sind zwei Ursprünge: Zum einen besteht die Möglichkeit, dass sich ‚Ritual‘ aus der altindischen Sprache Sanskrit ableitet und mit ‚Ordnung, Wahrheit‘ in Verbindung steht. Zum anderen ist eine Herleitung aus der indogermanischen Sprache vorstellbar, wobei hier die Anlehnung an ‚fließen‘ gegeben ist (HÖDL 2003, MICHAELS 2003).3
2 3
8
Zum Gebrauch von ‚Raum‘ und ‚Ritual‘ im Internet und in der Tagespresse siehe MICHAELS (2003: 3) und WESEL (2003a: 194ff). Häufiger wird auf die etymologische Verbindung zur indogermanischen Wurzel verwiesen (GEBAUER & WULF 1998, PLATVOET 1998).
FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE PERSPEKTIVEN
Rituale sind stilisierte und symbolisch geformte Handlungen der Grenzüberschreitung (SOEFFNER 1991) und wurden in der Religionswissenschaft und Sozialanthropologie häufig mit religiösen oder magischen Handlungen und Aspekten verbunden (MOORE & MYERHOFF 1977, WINN 1996). Dem entspricht in der Theologie die Verwendung des Begriffes Ritus (COLPE 1992). Für den Theologen WENHART (2000: 44) sind „Riten (lat. ritus = ‚Brauch, festgelegte Form‘) [...] standardisierte, sozial gebilligte und glaubensmäßig sanktionierte regelhaft wiederholbare kultisch-religiöse Handlungsabläufe, die mehr oder weniger genau festgelegt erscheinen“, während Rituale im Gegensatz zu Riten profanen Charakter aufweisen (WENHART 2000: 47). GEBAUER & WULF (1998: 136) dagegen schlagen vor, Rituale mit Transzendenzbezug (also aus theologischer Perspektive Riten) als ‚Liturgie‘ zu bezeichnen. Zeremonien werden häufig komplementär zu Ritualen mit religiösem Inhalt als säkulare, formalisierte und zeichenhafte Handlungen verstanden (ARGYLE 1979: 165, DÖRRICH 2002: 34). Das Wort ‚Zeremonie‘ betont vor allem das Vorgehen nach einer festgelegten Ordnung. Laut GEBAUER & WULF (1998: 136) sind an Zeremonien viele Menschen beteiligt, „[...] die sich einem gemeinsamen Ziel unterordnen und sich für eine gemeinsame Sache engagieren“. Zeremonien sind feierlich, demonstrieren eine Zusammengehörigkeit und dienen dem Ausdruck von Macht. „Zeremonien spielen im politischen Leben eine wichtige Rolle und sind typisch für den Grenzbereich des Politischen und Religiösen, überall dort, wo politische Macht religiös sanktioniert wird [...] oder sich in politischen Symbolisierungen und Abläufen eine mehr oder minder starke religiöse Codierung findet“ (HÖDL 2003: 678). Auch GOFFMAN (1998: 323) vertritt die Ansicht, dass im Vollzug der Zeremonien „[...] leicht bestimmte Arten religiöser Gefühle [...]“ hervorgerufen werden. In ihnen wird Respekt für Ämter, Geschichte und Ziele ausgedrückt (GRIMES 1998). Als Beispiele geben GEBAUER & WULF (1998: 136) Einweihungen und Amtseinführungen, Zeremonien bei Nationalfeiertagen und Gedenktagen an. TURNER (1989) dagegen sieht Zeremonien lediglich im säkularen Kontext verankert. Seiner Ansicht nach unterscheiden sich Zeremonien von Ritualen klar durch das Fehlen einer Schwellenphase4: „Sie ist die wesentliche antisäkulare Komponente im Ritual 4
TURNER (1982) geht in Anlehnung an VAN GENNEP (1909) von der Dreiteiligkeit der Übergangsrituale (präliminale Phase der Loslösung, liminale Phase des Übergangs und postliminale Phase der Wiedereingliederung) aus. Die liminale Phase wird mit Paradoxie und Mehrdeutigkeit verbunden (SCHOMBURG-SCHERFF 1997: 334) und durch ein Phänomen gekennzeichnet, das TURNER (1974: 202) ‚soziale Antistruktur‘ nennt. Dieses entsteht, da durch die Gemeinschaft eine alternative Struktur zur ‚normalen‘, alltäglichen Sozialstruktur möglich ist. Somit verweist die Liminalität auf nicht-
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RITUALE MACHEN RÄUME
per se – ganz gleich, ob man es ‚religiös‘ oder ‚magisch‘ nennt. Eine Zeremonie ist indikativisch, ein Ritual transformativ“ (TURNER 1989: 128). Dieses Verständnis der unterschiedlichen Begriffe ist kritisch zu betrachten. Ihm liegt die Annahme zugrunde, dass es eine deutlich erkennbare Trennung zwischen säkularen und religiösen bzw. zwischen profanen und sakralen Bereichen gibt. Zudem wird missachtet, dass menschliches Handeln Sakralität kreiert (siehe Kapitel II/5.2 ‚Sakrale Rituale‘), dass also während des Vollzuges Zeremonien zu Riten werden können. Folgt man der Argumentation TURNERS, so entsteht die antistrukturelle, zweideutige und kreative Schwellenphase – die Phase also, in welcher sich der Mensch ‚betwixed-and-between‘ befindet – in religiösen Kontexten. Wenn jedoch menschliches Handeln beispielsweise in Form von Ritualen Sakralität erzeugen kann, warum soll durch ein Übergangsritual aus einem säkular-profanen Bereich kein sakraler Raum entstehen können? Aufgrund dieser Einwände können die Übergänge zwischen ‚Zeremonie‘ und ‚Ritual‘ im Rahmen einer konstruktivistischen Sozialwissenschaft als fließend angesehen5 und folglich beide Begriffe synonym verwendet werden. Ritus wird anlehnend an STAAL (1979) und ESCHER & WEICK (2004) als eine Untereinheit des Rituals verstanden. Das Ritual kann sich somit aus mehreren Riten zusammensetzen (siehe Abbildung 1). Abbildung 1: Verallgemeinernde Darstellung des unterschiedlichen Verständnisses der Begriffe Ritual, Ritus und Zeremonie
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Theologie
Säkular/Profan
Religiös/Sakral
Ritual
Ritus
Klassische 2
Religionswissenschaft und Ethnologie
Ritual Zeremonie
Ritus Liturgie
Säkular/Profan
Zeremonie Ù
Konstruktivistische 3
Sozialwissenschaft
Ritus
Ritus
Religiös/Sakral
Ritual Ritus
Ritus
alltägliche, paradoxe und teilweise absurde Ritualanteile (MICHAELS 1998b).
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FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE PERSPEKTIVEN
2.1.2 Dimensionen und Merkmale von Ritualen Immer wieder wurden in der wissenschaftlichen Literatur verschiedene Ritualdimensionen herausgearbeitet, die als charakteristisch – wenn nicht sogar unabdingbar – für Rituale angesehen werden. Mögliche Kriterien für eine Abgrenzung der habitualisierten von rituellen Handlungen sollen hier an zwei Beispielen dargestellt werden, die einerseits anhand von ‚säkularen‘, andererseits von ‚religiösen‘ Ritualen erarbeitet wurden. Zum einen handelt es sich um die in der Einleitung ihres Buches ‚Secular Ritual‘ formulierten Ritualdimensionen nach MOORE & MYERHOFF (1977). Sie sind für die vorliegende Arbeit erhellend, da sie ausdrücklich auf die impliziten und expliziten Aussagen von Ritualen verweisen. Zum anderen erscheint eine nähere Betrachtung der durch den Indologen MICHAELS (1998a, 1998b, 1999) herausgearbeiteten Ritualmerkmale sinnvoll, da er unter anderem die Transformation der Teilnehmer als notwendiges Merkmal erläutert.6 MOORE & MYERHOFF (1977: 16f) erkennen bei den von ihnen untersuchten ‚säkularen‘ Ritualen fünf Elemente: Zunächst existiert eine explizite Absicht, das heißt die Rituale werden mit einer deklarierten und expliziten Intention inszeniert (z. B. um einen Feiertag zu feiern). Inwiefern die Rituale als ihren Zielen angemessen gedeutet werden, hängt von ihrer Performance und der zugrunde liegenden Doktrin oder Ideologie ab. In den Ritualen werden zweitens explizite Symbole, Mitteilungen und Anspielungen präsentiert. Zudem können Zeremonien drittens implizite Statements beinhalten, die tiefe Widersprüche zu dem sozialen oder kulturellen System ausdrücken (beispielsweise Ungewissheiten und Konflikte) oder entgegengesetzt bei deren Bewältigung helfen. Viertens verändern sich die Sozialbeziehungen der Beteiligten hinsichtlich ihrer sozialen Rolle, Identität und Haltung gegenüber anderen Personen. Im letzten Punkt verweisen MOORE & MYERHOFF darauf, dass Zeremonien eine kulturell ordnende Funktion haben und dem Menschen helfen, sich im ‚Chaos des Lebens‘ zurechtzufinden. MICHAELS (2003, 1999, erstmals bei MICHAELS 1998a) betont in seinen Aufsätzen ebenfalls fünf Merkmale, die für Rituale konstituierend sind. Vorhanden sein müssen erstens eine ‚ursächliche Veränderung‘, zweitens ein ‚förmlicher Beschluss‘, drittens ‚formale Handlungskriterien‘, viertens ‚modale Handlungskriterien‘ und fünftens die 5 6
Gegen eine klare Trennung von Ritual und Zeremonie wenden sich auch DÖRRICH (2002: 35f und 50f) und WIMMER & SCHÄFER (1998: 29). Andere Elemente nennt beispielsweise PLATVOET (1998: 175ff) im Zuge seiner provisorischen ‚operationellen‘ Ritualdefinition. Eine sinnvolle Zusammenstellung von Ritualelementen im Kontext einer politologischen Ritualperspektive ist bei WESEL (2003a: 206f) zu finden.
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RITUALE MACHEN RÄUME
‚Veränderung von Identität, Rolle, Status sowie Kompetenz‘. Beleuchten wir diese fünf Punkte etwas genauer. Eine zeitliche, räumliche, körperliche oder altersbedingte Veränderung bildet den Anlass für Rituale: „Wo keine Grenzüberschreitung, keine Veränderung, kein Wechsel stattfindet, gibt es keine Rituale“ (MICHAELS 1999: 30). Dies bedeutet jedoch nicht, dass jeder Wandel ein Ritual nach sich zieht. Häufig werden sie allerdings dann vollzogen, wenn es sich um einen Wechsel zwischen zwei gegensätzlichen Positionen bzw. Zuständen handelt (z. B. Diesseits/Jenseits). Für die Durchführung eines Rituals ist ein Beschluss in Form eines Schwurs oder Versprechens sowie ein bestimmtes ‚Framing‘ durch Zeichen wie Glockenläuten, Gesten oder Kleidungswechsels erforderlich. Dies ist notwendig, um eine Abgrenzung zwischen alltäglichen und habitualisierten Handlungen zu markieren. Häufig ist der Beschluss durch den Gebrauch einer bestimmten, nicht-alltäglichen Sprache gekennzeichnet. Hinsichtlich der formalen Kriterien unterscheidet MICHAELS vier relevante Punkte: Die Handlungen müssen erstens förmlich, feststehend und repetitiv, zweitens unwiderruflich sein, drittens in der Öffentlichkeit stattfinden und viertens durch Liminalität gekennzeichnet sein. Des Weiteren sind drei modale Kriterien von Bedeutung: die auf die Gemeinschaft bezogenen Funktionen des Rituals (Solidarität, Hierarchie, Kontrolle, Normierung) sowie die auf eine transzendente Welt und das Subjekt verweisenden Ritualfunktionen. Schließlich, und dies ist für MICHAELS das fünfte notwendige Merkmal, muss durch das Ritual eine Veränderung für die Teilnehmer eintreten – sei es in Form von neu erworbener Kompetenz oder neuem Sozialstatus.
2.1.3 Grundtypen von Ritualen und Ritualtheorien Es bestehen viele unterschiedliche Möglichkeiten, Rituale (und deren Theorien) zu klassifizieren. Hinsichtlich ihrer Anlässe unterscheidet BELL (1997: 94) in einem „[...] pragmatic compromise between completeness and simplicity“ sechs Ritualtypen: 1. Übergangsrituale bzw. Lebenskrisenrituale, 2. kalendarische und erinnernde Rituale, 3. Rituale des Austauschs und der Kommunikation (Opferrituale), 4. Rituale zur Wende einer Notsituation oder Wiederherstellung der kosmischen Ordnung, 5. Fasten- und Feierrituale sowie 6. politische Rituale (hierzu auch BOWIE 2000: 156, HÖDL 2003: 680ff).7
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GEBAUER & WULF (1998: 130) leiten ebenso eine Typologie von Ritualen nach ihren Anlässen ab, kommen aber mit leichten Abweichungen im Vergleich zu BELL zu folgenden Typen: Übergangsrituale, Rituale der Amtseinführung, der Intensivierung, der Rebellion, jahreszeitlich bedingte Rituale und Interaktionsrituale.
FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE PERSPEKTIVEN
BERGESEN (1998: 52ff) dagegen unterscheidet die Rituale nach ihren Handlungsebenen. So gibt es Ritualtheorien, die sich mit Mikroriten (z. B. persönlichen Sprachcodes, die den Alltag der Individuen strukturieren), mit Mesoriten (z. B. Interaktionsriten, welche die innere Differenzierung einer Gesellschaft ordnen) und mit Makroriten (z. B. größere öffentliche Zeremonien, welche die kollektive Identität einer Gemeinschaft bestimmen) beschäftigen. Da im Kontext der vorliegenden Untersuchung vor allem die Meso- und Makroriten von Bedeutung sind, sollen diese zwei Kategorien kurz vorgestellt werden: Bei Mesoriten handelt es sich häufig um Gebärden der Ehrerbietung und des Benehmens (BERGESEN 1998: 60ff). Sie halten eine Gemeinschaft zusammen sowie bestätigen bzw. reproduzieren ihre interne Struktur und Hierarchie. Sie lassen sich in Vermeidungs- und Darbietungsrituale unterscheiden. Makroriten wie religiöse Feste oder nationale Feiertage „[...] beziehen sich auf die Gemeinschaft als Ganzes und drücken die spezifisch kollektive Identität und die moralischen Werte der Gemeinschaft aus“ (BERGESEN 1998: 63). Zu unterscheiden sind hier zwei Ritualformen: jene der geschlossenen Zeremonien und jene der Statusübergänge. Hinsichtlich der Sakralität, Veränderlichkeit und Mobilisierung von Teilnehmern sind laut BERGESEN (1998: 66ff) Divergenzen zwischen Mikro- und Makroritualen zu diagnostizieren. Erstens stellt er bezüglich der Sakralität fest, dass je „[...] mehr ein Ritus zu den Makroriten gehört, desto mehr besteht eine Differenzierung zwischen dem Ritus und dem ausführenden Akteur. Oder ähnlich: Je mehr es sich um einen Makroritus handelt, desto heiliger ist die rituelle Handlung“ (BERGESEN 1998: 67). Die Veränderbarkeit von Ritualkomplexen nimmt zweitens von Mikro- zu Makroriten ab: Zwar sind sie durch historische Trends und auftretende Katastrophen umzuformen, doch ist es dem Individuum kaum möglich, den Ritus alleine zu verändern. Beim Aufsteigen der ‚Ritualleiter‘ nimmt drittens „[...] die Anzahl beteiligter Personen progressiv ab, während zur gleichen Zeit die rituellen Handlungen immer breitere Sektoren des sozialen Terrains bestätigen“ (BERGESEN 1998: 74). Anlehnend an MICHAELS (1998b, 1999) kann die Vielzahl von verschiedenen Ritualtheorien des 20. Jahrhunderts in drei Grundtypen8 eingeteilt werden: funktionalistische, konfessionalistische bzw. essentialis8
Zu einer ähnlichen Einteilung kommen GEBAUER & WULF (1998: 140), die zunächst Ritualtheorien im Zusammenhang mit Religion, Mythos und Kultus (also in MICHAELS Worten essentialistische Ritualtheorien), dann jene Theorien zur Analyse von Strukturen und Werten einer Gesellschaft und schließlich Ritualtheorien zur Analyse des Geschehens als Text nennen.
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RITUALE MACHEN RÄUME
tische und formalistische Theorien (siehe Abbildung 2). Die funktionalistische Perspektive betrachtet und erklärt den Zweck und die Funktion von Ritualen durch eine entweder psychologische oder soziologische Brille. Bei psychologischen Theorien wird die Angstreduktion durch Rituale vornehmlich in Krisensituationen betont. In soziologischen Theorien wird weniger der Krisenaspekt als vielmehr der Bündnischarakter von Ritualen hervorgehoben: Sie wirken unter anderem solidarisierend, hierarchisierend und stabilisierend. Abbildung 2: Vereinfachte Darstellung der Grundtypen verschiedener Ritualtheorien
Grundtypen
Fokus
Vertreter
psychologisch
Funktion: Angstreduktion
Sigmund Freud, Bronislaw Malinowski
soziologisch
Funktion: Bündnisstärkung
Emile Durkheim, Alfred Radcliffe-Brown
konfessionalistisch/ essentialistisch
Sinn: Manifestation des Heiligen
Mircea Eliade, Rudolf Otto
formalistisch
Form: Ritualtechniken
Frits Staal, Iwar Werlen, Mary Douglas
funktionalistisch
Konfessionelle bzw. essentialistische Ritualtheorien sehen Rituale als Manifestationen des Heiligen, die eine transzendente und mythisierte Sphäre schaffen. Schließlich gibt es noch formalistische Ritualtheorien, welche die reine Aktivität bzw. formale Struktur der Rituale betrachten. Hierbei betonen sie – oft ohne die Frage nach dem Sinn von Ritualen zu stellen – ihre Technik und untersuchen beispielsweise die rituelle Sprache, Symbolik, Kommunikation und Performance. Da alle Theorien funktionalistisch, konfessionalistisch oder formalistisch ausgerichtet sind – oder oftmals eine Mischform darstellen9 –, sind die Ritualteilnehmer je nach Perspektive zweck-, sinn- oder formorientiert (MICHAELS 1999: 26).
2.2 Räume und Orte Es gibt „[...] sehr verschiedene Raumbegriffe: Da ist der Raum als Ausschnitt auf der Erdoberfläche, der Raum als Land oder als Landschaft [...]; da ist der Raum als isotrope Ebene, auf der es Standortmuster und 9
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Laut HÖDL (2003: 667) sind die meisten der bedeutenden Ritualtheorien strukturfunktionalistisch ausgerichtet.
FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE PERSPEKTIVEN
Interaktionsbeziehungen gibt, die mathematisch-geometrisch beschreibbar sind; da ist der phänomenologische Raum, in den hinein sich das subjektive Bewußtsein erstreckt; da ist der Raum im kantischen Sinne als eine (Prä-)Kategorie des erkennenden Subjektes, als Verortungsfläche, d. h. als Ordnungsraster der wahrgenommenen Phänomene“ (POHL 1993: 259). Doch ihrer nicht genug: Neben den von POHL aufgezählten Raumbegriffen und -konzepten gibt es noch weitere Auffassungen von dem, was ein Raum ist bzw. was Räume sind.10 Ungeachtet dieser Vielzahl von teilweise bis in die Antike zurückreichenden Auffassungen und Meinungen über ‚den Raum‘ soll der Fokus in der vorliegenden Arbeit auf einem handlungstheoretischen Raumverständnis liegen. Nach HARD (1999: 150) weist das Phänomen Raum zwei Versionen auf. Zum einen gibt es eine gesellschaftsexterne, zum anderen eine gesellschaftsinterne Komponente des Raumes.11 Gesellschaftsexterne Raumphänomene sind seiner Auffassung nach die klassischen, physischmateriellen Untersuchungsgegenstände der traditionellen Geographie wie das ‚Land‘, die ‚Landschaft‘ oder der ‚Naturraum‘. Im Folgenden wird für die rein ‚materielle‘ Raumkomponente der Begriff ‚Ort‘ verwendet.12 „‚Ort‘ ist die Stelle, der Platz, das Wohnviertel, die Stadt, die 10 Für weitere Darstellungen der verschiedenen Raumkonzepte sei beispielhaft auf die Arbeiten von BOLLNOW 2000, GREGORY 2000, JAMMER 1980, LÖW 2001, RITTER & GRÜNDER 1992, WARDENGA 2002 und WERLEN 1995a verwiesen. 11 Die Begriffe ‚gesellschaftsintern‘ und ‚gesellschaftsextern‘ sind kritisch zu betrachten. Denn auch physisch-materielle Orte werden subjektiv durch den Menschen wahrgenommen bzw. erlebt und mit Bedeutungen versehen. Sie stehen somit nicht außerhalb des gesellschaftlichen Kontextes. Eine ähnliche Unterscheidung wie HARD findet LÄPPLE (1993), der den gesellschaftlichen Raum vom physischen Raum abgrenzt. Er diagnostiziert vier verschiedene Komponenten von gesellschaftlichen Räumen. Erstens gibt es das physisch-materielle Substrat, das aus Orten und Menschen besteht, zweitens die gesellschaftlichen Interaktions- und Handlungsstrukturen bei der Erzeugung, Nutzung und Aneignung des materiellen Substrats, drittens ein institutionalisiertes normatives Regulationssystem als Vermittler zwischen Handelndem und materiellen Substrat und viertens ein mit dem Materiellen verbundenes Zeichen-, Symbol- und Repräsentationssystem (LÄPPLE 1993: 44f). 12 Hiermit folge ich im Verständnis der Begrifflichkeit DANGSCHATS (1996). Die englische Übersetzung ‚place‘ wird von vielen Autoren gegensätzlich zu der von mir verwendeten Auffassung gebraucht. Beispielsweise sehen ADAMS & HOELSCHER & TILL (2001) ‚place‘ in Zusammenhang mit materiellen und symbolischen Qualitäten. STAEHELI (2003: 159) verweist auf fünf Konzeptualisierungen von ‚place‘: Ort als 1) physische Lokalität, 2) kultureller/sozialer Platz, 3) Umgebung/Milieu, 4) zeitlich konstruiert und 5) sozialer Prozess. Im vorliegenden Begriffsverständnis wäre also nur der erste Entwurf (physische Lokalität) adäquat zur Beschreibung von ‚Ort‘.
15
RITUALE MACHEN RÄUME
Region, das Land etc. Der ‚Ort‘ hat also immer genau bezeichenbare Grenzen, Ausdehnungen, zähl- und bewertbare Inhalte, Gebrauchswert und Tauschwert [...]“ (DANGSCHAT 1996: 104). Oder mit BÉDARD (2002: 51) ausgedrückt ist der Ort im Gegensatz zum Raum kein ideelles Konstrukt: „Il est un support précis et délimité, un instituant matériel spatialisé qui se situe à un croisement d’abscisses et d’ordonnées géodésiques grâce auxquelles on peut lui attribuer des coordonnées longitudinales et latitudinales“. Natürlich werden die Orte subjektiv-selektiv wahrgenommen und fließen so in die individuelle Raumkonstruktion ein. Die physische Umwelt beinhaltet für jeden Akteur unterschiedliche Symbolik, „[…] jeder Akteur nimmt entsprechend seiner eigenen Biographie, seinen Normen und alltagsweltlichen Rahmenbedingungen eine eigene subjektive Inwertsetzung der vorhandenen Ressourcen vor“ (REUBER 1999: 327). Gesellschaftsinterne Räume dagegen sind (soziale) Räume der Handlung (KLÜTER 1986, WERLEN 1995a, 1995b, 1997, 2002). In der Handlungstheorie wird davon ausgegangen, „[...] daß alle nicht rein natürlichen Gegebenheiten als beabsichtigte/unbeabsichtigte Folgen von Handlungen zu interpretieren sind“ (WERLEN 1995a: 228f). Zentrale Fragestellungen beziehen sich darauf, „[...] wer unter welchen Bedingungen und aus welchen Interessen wie über bestimmte Räume kommuniziert und sie durch alltägliches Handeln fortlaufend produziert und reproduziert“ (WARDENGA 2002: 8). Nach WERLEN ist der Raum demnach „[...] als eine Gegebenheit zu betrachten, die der mentalen Welt angehört und dementsprechend kognitiver Art ist“ (WERLEN 1995a: 223). So verweisen beispielsweise CRANG & THRIFT (2000) in ihrer Einleitung zum Sammelband ‚Thinking Space‘ auf sechs verschiedene Raumarten: Räume der Sprache, Eigenraum und der Raum des Anderen, Räume der Namensvertauschung, bewegte Räume, Erfahrungsräume und Räume des Schreibens. Anlehnend an CASSIRER (1997: 174) ist der Raum auch als Schema des Verstandes zu verstehen, mittels dessen Wirklichkeit strukturiert wird: „Was wir ‚den‘ Raum nennen: Das ist nicht sowohl ein eigener Gegenstand, der sich uns unmittelbar darstellt, der sich uns durch irgendwelche ‚Zeichen‘ zu erkennen gibt; sondern es ist vielmehr eine eigene Weise, ein besonderer Schematismus der Darstellung selbst“. Für das gesellschaftsinterne Raumverständnis wird in
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FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE PERSPEKTIVEN
der vorliegenden Studie der Begriff ‚Raum‘ bzw. ‚Räume‘ verwendet.13 Somit können an einem Ort – je nach Wahrnehmung, Kommunikation und Handlung – unterschiedliche Räume entstehen. Im Kontext des handlungstheoretischen Raumverständnisses wurde bislang nicht über Rituale, sondern lediglich über Routinen geschrieben (z. B. GIDDENS 1995: 336, WERLEN 1995a: 176ff). Bei Routinen handelt es sich – im Unterschied zu Ritualen – nicht um symbolische Ausdrucksformen mit transformierender Kraft. Eine Ausnahme stellt der Aufsatz „‚Raum und Ritual‘ im Kontext von Karten kultureller Ordnung“ von ESCHER & WEICK (2004) dar, der die drei Ritualdimensionen ‚Programm und Planung‘ (räumliche Ordnung), ‚Routine und Ritus‘ (zeitliche Ordnung) sowie ‚Strategie und Symbol‘ (Ordnung durch Symbole) als Analyseraster für die handlungsorientierte Geographie (planerisches, routiniertes und strategisches Handeln) vorschlägt. Eine wichtige Folgerung dieses Ansatzes liegt in der Forderung, dass sich die Geographie unter anderem mit der Verortung und räumlichen Wechselwirkungen der Rituale beschäftigen soll (ESCHER & WEICK 2004: 265). Die vorliegende Studie greift diesen Gedanken auf.
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Gedenkräume Commémorer, c’est se souvenir du passé avec les yeux du présent. (BARCELLINI 1999: 1)
Glaubt man vielen Wissenschaftlern, so erlebt die Erinnerung momentan in der Gesellschaft eine Hochkonjunktur. „Wir leben in einer Zeit, in der die Erinnerung wie noch niemals zuvor zu einem Faktor öffentlicher Diskussion geworden ist. An die Erinnerung wird appelliert, um zu heilen, zu beschuldigen, zu rechtfertigen. Sie ist zu einem wesentlichen Bestandteil individueller und kollektiver Identifikationsstiftung geworden und bietet einen Schauplatz für Konflikt ebenso wie für Identifikation“ (ANTZE & LAMBEK 1997: VII). Seit einem halben Jahrhundert wird aufgrund der ‚Begeisterung für die Vergangenheit‘ (LEPELTIER 2004: 46) immer wieder von der Epoche des Gedenkens (‚ère de la commémoration‘) (LECLANT 1999, LEPELTIER 2004, NORA 1997b) oder gar dem Heißhunger nach Gedenken (‚boulimie commémorative‘) (NORA 1997b) gesprochen. Entsprechend stark beschäftigen sich Wissenschaftler mit 13 WEICHHART (1993: 235, 1999: 78) schlägt für die Beschreibung der Beziehungen zwischen physisch-materiellen Gegenständen den Begriff der ‚Räumlichkeit‘ vor. Es handelt sich hier nicht um einen Raum als Gegenstand, sondern vielmehr um einen Raum als Eigenschaft, als Attribut.
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RITUALE MACHEN RÄUME
der Erinnerung (z. B. A. ASSMANN 1999a: 16, BORSDORF & GRÜTTER 1999: 1, NORA 1990c: 11, PATZEL-MATTERN 2002: 9). In der Fülle von Monographien und Aufsätzen sei an dieser Stelle nur kurz auf zwei bedeutende Werke verwiesen. Eine grundlegende Arbeit zu Gedächtnisorten hat der Historiker und Verleger NORA (1997a) ab den 1980er Jahren verfasst. In seinem Ansatz geht er nicht ausschließlich auf gebaute Strukturen ein, sondern widmet sich in Anlehnung an die Mnemotechnik14 auch den immateriellen Komponenten der Gedächtnisorte15 der französischen Nation. Wichtige Voraussetzungen für die Herausbildung von nationalen Gedächtnisorten sind ein Bruch mit der Vergangenheit sowie der allgemeine Wille, etwas im Gedächtnis festzuhalten (NORA 1990c: 11 und 26f) und anderes zu vergessen.16 Der zweite sehr bekannte Beitrag geht auf A. ASSMANN (1999a) zurück, die sich aus literaturwissenschaftlicher Perspektive mit Erinnerungsräumen und dem kulturellen Gedächtnis beschäftigt hat. Neben den Funktionen und der Speicherung des kulturellen Gedächtnisses stellt sie auch dessen Medien (Sprache, Schrift, Bild, Körper und Orte) dar. Orte sind ihrer Ansicht nach von herausragender Bedeutung für die Konstruktion von Erinnerungsräumen, da sie Kontinuität und Dauer verkörpern und als Auslöser der Erinnerungen fungieren (A. ASSMANN 1999a: 299, hierzu auch MEUSBURGER 2004: 47).17 14 Die von Cicero geschilderte Mnemotechnik verknüpft als Eselsbrücke jeden Gedanken mit einem Möbelstück in einem Haus und erstellt somit „[...] ein Verzeichnis der loci memoriae [...]“ (NORA 1990b: 7). Genaueres über die Gründungslegende der Mnemotechnik kann bei J. ASSMANN (1991: 337f) nachgelesen werden. Neben Orten können auch Gegenstände zu ‚Mnemotopen‘, zu Gedächtnishilfen, werden (KREFTING 2001: 127). 15 Seine Gedächtnisorte, die nach der hier angewandten Terminologie (siehe Kapitel II/2.2 ‚Räume und Orte‘) Gedächtnisräume sind, umfassen Gedenkstätten (Kriegerdenkmäler, Pantheon der großen Männer, Notre Dame de Paris), Embleme, Gedenkfeiern und Devisen (Trikolore, 14. Juli, Liberté-Egalité-Fraternité), Rituale (Salbung des Königs von Reims), Museen (Louvre) und Texte (Erklärung der Menschenrechte, napoleonischer Code Civil) (NORA 1990a). Ausführlich wird das Werk NORAS u. a. bei BOCK (2000) diskutiert. 16 NORAS Werk, das als ‚Kathedrale des nationalen Gedächtnisses‘ bezeichnet wurde (LEPELTIER 2004: 48), blieb natürlich nicht unkritisiert. Beispielsweise wurde angeführt, dass er nur in der Nationalgeschichte positiv besetzte Orte des Gedenkens, nicht aber Orte des nationalen Vergessens angeführt habe (LEPELTIER 2004: 48). Andere Kritikpunkte betreffen die Auswahl seiner Beispiele oder die Unterscheidung in ‚wahres‘ und ‚geschichtliches‘ Gedächtnis (TILL 2003). 17 Eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit den Gedenkorten und -räumen spielt natürlich auch das Vergessen, und zwar auf zwei Ebenen. Zum einen ist es wichtig zu betrachten, was vergessen wird. Zum anderen, so be-
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FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE PERSPEKTIVEN
3.1 Erinnerung und Gedächtnis Entsprechend der intensiven Beschäftigung mit den Phänomenen Erinnerung und Gedächtnis werden viele unterschiedliche Ansichten vertreten bzw. Formen diagnostiziert.
3.1.1 Erinnerung – Gedächtnis – Gedenken Die Begriffe Erinnerung und Gedächtnis werden häufig synonym und kaum systematisch oder einheitlich verwendet (PATZEL-MATTERN 2002: 23).18 Der folgende Sprachgebrauch schließt sich dem geschichtswissenschaftlichen Verständnis von WISCHERMANN (1996b: 15) an, der das Gedächtnis im Kontext von überindividuellen Zusammenhängen, die Erinnerung dagegen im Kontext persönlicher Perspektiven und Erfahrungen versteht. Weit weniger Wissenschaftler beschäftigen sich explizit mit dem Begriff und den Inhalten des Gedenkens. WINTER & SIVAN (1999: 9f) verwenden bei ihrer Betrachtung über den Umgang mit Kriegsgeschehtont MACHO, wird erinnert, dass ohne Gedenken vergessen würde. „Erinnert wird, daß ein erinnerungswürdiges Ereignis unweigerlich in Vergessenheit geriete, würde es nicht – durch einen Stein, durch einen Ritus, durch einen Feiertag – dem Vergessen regelrecht abgetrotzt“ (MACHO 1997: 216). 18 So bezeichnet beispielsweise im Etymologischen Wörterbuch der Ausdruck Erinnerung einen im Gedächtnis bewahrten Eindruck, ein Andenken (PFEIFER 2003: 294). Das Wort Gedächtnis dagegen beschreibt das Erinnerungsvermögen (PFEIFER 2003: 407). Für A. ASSMANN (1999a: 27ff) dagegen stellt die Erinnerung einen Teil des Gedächtnisses dar. Sie unterteilt das Gedächtnis in zwei Bereiche: in das Verfahren des Speicherns (ars) und den Prozess des Erinnerns (vis). Unter Speichern versteht sie jeden Vorgang, der „[...] die Identität von Einlagerung und Rückholung anzielt“ (A. ASSMANN 1999a: 28) und nennt beispielhaft die Mnemotechnik sowie das Auswendiglernen von Wissensgegenständen. Erinnern ist dagegen kein vorsätzlicher Schritt, vielmehr erinnert einen etwas, „[…] dessen man sich erst nachträglich bewusst wird“ (A. ASSMANN 1999a: 29). In Anlehnung an JÜNGER (1957: 48) verweist A. ASSMANN (1999a: 29) darauf, dass Erinnerungen mit persönlichen Erfahrungen in Zusammenhang stehen und sich deswegen im Zuge des Erinnerungsprozesses verändern. Folglich kommt A. ASSMANN, wenn auch auf anderem Wege, ebenfalls wie WISCHERMANN (1996a) zu dem Schluss, dass die Erinnerung eine individuelle und persönliche Perspektive bzw. Projektion darstellt. Eine ähnliche Begrifflichkeit von Gedächtnis und Erinnern wie A. ASSMANN führt KREFTING an. Allerdings sieht sie – im Unterschied zu A. ASSMANN – das Gedächtnis nicht als Überbegriff für speichern und erinnern an, sondern setzt es mit dem Speicherprozess selbst als eine Art Registrierapparat gleich. Dagegen sind Erinnerungen „[...] die ins Gedächtnis eingegrabenen Spuren des Erlebten, die als Eindrücke unter dem Einfluß und der Art und Weise des Erlebten stehen“ (KREFTING 2001: 127).
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RITUALE MACHEN RÄUME
nissen im 20. Jahrhundert statt des Begriffs des kollektiven Gedächtnisses den des Gedenkens, da sie verschiedene Kleingruppen und Handlungen in den Fokus ihrer Ausführungen stellen.19 Gedenken stellt für sie eine Verbindung zwischen den extremen Positionen von persönlichen Erinnerungen und sozial determiniertem Gedächtnis dar. Unter Gedenken wird in der Studie ein vorsätzlicher Akt verstanden, in dem die Vergangenheit durch den Spiegel persönlicher Erinnerungen und beeinflusst durch Aspekte des kollektiven Gedächtnisses vergegenwärtigt wird.
3.1.2 Gedächtnisformen Das wissenschaftliche Interesse am Gedächtnis hat sich in der Vergangenheit umfassend mit kollektiven Betrachtungsweisen auseinander gesetzt und verschiedene Formen herausgearbeitet. Hierbei sind seit den 1920ern vier wesentliche und viel zitierte Typen entstanden, die im Folgenden näher erläutert werden: Das kollektive und soziale sowie das kulturelle und kommunikative Gedächtnis. Die Einteilung in diese Gedächtnisformen ist umstritten und nicht eindeutig20 (J. ASSMANN 1999: 15), es existieren neben den genannten noch zahlreiche andere Möglichkeiten der Typisierung.21 19 Auch KOSELLECK (2003: 58) wendet sich gegen den Begriff des kollektiven Gedächtnisses, da es „[...] kein kollektives Subjekt [gibt], das sich erinnern könnte“. Hierbei ist jedoch anzumerken, dass im Konzept des kollektiven Gedächtnisses nicht davon ausgegangen wird, dass es ein kollektives Gedächtnis bzw. ein kollektiv denkendes Subjekt gibt. Vielmehr verweist HALBWACHS auf unterschiedliche kollektive Gedächtnisse verschiedener Gruppen. Ebenso betont NORA (1990c: 13), dass das kollektive Gedächtnis zugleich vielheitlich und individualisiert sei. Allerdings, soweit sei der Kritik zugestimmt, stehen bei der Betrachtung des kollektiven Gedächtnisses homogenisierende Tendenzen des Kollektivs im Vordergrund. 20 Schon allein die Einordnung in Über- und Unterformen wird problematisch. J. ASSMANN (1997) sieht kulturelles und kommunikatives Gedächtnis als Unterformen des kollektiven Gedächtnisses an. In seinem Aufsatz ‚Kollektives und kulturelles Gedächtnis‘ von 1999 gliedert er das Gedächtnis in die zwei Hauptformen, ‚individuell‘ und ‚sozial‘, wobei dann das kollektive und kulturelle Gedächtnis Unterformen des sozialen Gedächtnisses darstellen. TILL (2003) splittet das soziale Gedächtnis in das kulturelle, öffentliche und kollektive Gedächtnis auf. 21 NORA (1990c: 18f) unterscheidet beispielsweise das wahre, unmittelbare Gedächtnis vom geschichtlich-vermittelnden Gedächtnis. A. ASSMANN (1999a) verweist in ihrer Arbeit über das kulturelle Gedächtnis u. a. auf das semantische (Lern- und Bildungsgedächtnis) sowie auf das Erfahrungsgedächtnis. PETHES & RUCHATZ (2001) nennen in ihrem interdisziplinären Lexikon u. a. das autobiographische, deklarative, episodische, explizite/implizite, kommunikative, prospektive und sensorische Gedächtnis.
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FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE PERSPEKTIVEN
3.1.2.1 Das kollektive und soziale Gedächtnis Als Begründer der kollektiven Gedächtnistheorie gilt der französische Philosoph und Soziologe HALBWACHS.22 In seinem Buch ‚Les cadres sociaux de la mémoire‘ (1925) und dem 1950 posthum veröffentlichten Werk ‚La mémoire collective‘ setzt er sich unter anderem am Beispiel von Familie, religiösen Gruppen und Gesellschaftsklassen mit dem Gedächtnis von Körperschaften und Gruppen auseinander (HALBWACHS 1966, OEXLE 1995). HALBWACHS knüpft hierbei an seinen Lehrer DURKHEIM an, der davon ausgeht, dass die individuelle Wahrnehmung und Handlung maßgeblich von einer überindividuell organisierten sozialen ‚Wirklichkeit‘ beeinflusst wird (hierzu auch PATZEL-MATTERN 2002: 25, WINTER & SIVAN 1999: 23). Folglich vertritt er die These, dass das Gedächtnis keine Gegebenheit, sondern eine Konstruktion sei, die durch Kommunikation und Interaktion auf der Grundlage eines gegenwärtigen gesellschaftlichen Bezugsrahmens (‚cadres sociaux‘), bestehend aus „[...] Orten, Sprache, Gebäuden, Normen, Sitten und Institutionen [...]“ (KREFTING 2001: 127), entstünde. Oder in den Worten von J. ASSMANN (1999: 14f): „Nur innerhalb der sozialen und kulturellen Rahmen seiner Gesellschaft kann der Einzelne sich an Vergangenes erinnern und nur das wird seiner Erinnerung zugänglich, was sich innerhalb dieses Rahmens an Vergangenheit rekonstruieren läßt“. Aus diesem Grund ist das kollektive Gedächtnis mehr als die Summe der individuellen Erinnerungen. Interessant bei HALBWACHS’ (1966: 163ff) Ansatz ist auch die starke Bedeutung des Ortsbezugs für die Erinnerung.23 Ab den 1920er Jahren, also relativ zeitgleich mit HALBWACHS, prägt der deutsche Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler WARBURG bei seiner Studie über das europäische Bildgedächtnis den Begriff des sozialen Gedächtnisses (siehe GOMBRICH 1992: 323ff). In Bildern, die er als ‚Ausdruckssymbole‘ bezeichnet, manifestiert sich die kulturelle Identität des ‚Lebenskreises‘, der sie geschaffen hat (OEXLE 1995: 24, WINTER & SIVAN 1999: 21ff). Für ihn umfasst das soziale Gedächtnis „[...] jene Bilder und Gesten, deren ursprünglicher Inhalt zwar nicht mehr bewusst 22 Mit HALBWACHS’ gedächtnistheoretischem Werk hat sich beispielsweise NAMER (1987a) intensiv auseinander gesetzt. Zusammenfassungen seiner Hauptaussagen sind u. a. in den Werken von J. ASSMANN (2001, 1997, 1988) zu finden. 23 Ein Vorteil von HALBWACHS’ Theorie ist darin zu sehen, dass durch sie nicht nur die Erinnerung, sondern auch das Vergessen erklärt werden kann. „Wenn ein Mensch – und eine Gesellschaft – nur das zu erinnern imstande ist, was als Vergangenheit innerhalb der Bezugsrahmen einer jeweiligen Gegenwart rekonstruierbar ist, dann wird genau das vergessen, was in einer solchen Gegenwart keine Bezugsrahmen mehr hat“ (J. ASSMANN 1991: 347).
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sein mag, die aber als sinnhafter Fundus die Artikulation eines Kulturkreises prägen“ (PATZEL-MATTERN 2002: 30). Das soziale Gedächtnis ist laut WARBURG immer dort zu erkennen, wo es mittels Symbolen ein geschichtliches Ereignis markiert (PATZEL-MATTERN 2002: 30). Im Gegensatz zu HALBWACHS, der das Gedächtnis als Kulturphänomen beschreibt, betrachtet WARBURG die Kultur als Gedächtnisphänomen (J. ASSMANN 2001: 248). „Warburg sprach von ‚mnemischen Wellen‘, die von der Vergangenheit ausgehen und jede Gegenwart prägen, auch von ‚Engrammen‘ und prägenden Impulsen, Halbwachs umgekehrt von Rekonstruktionen, die von der Gegenwart ausgehend in die Vergangenheit zurückgriffen“ (J. ASSMANN 2001: 248). Erneut aufgegriffen wurde der Ansatz des sozialen Gedächtnisses von BURKE (1991), der Geschichte als soziales Gedächtnis interpretiert und fünf Überlieferungsarten von Erinnerungen hervorhob: mündliche Zeugnisse, historische Dokumente (Aufzeichnungen und Memoiren), Bilder (Gemälde, Fotos, Filme, Monumente), Gedenkrituale sowie Gedenkorte. Gemeinsam ist diesen Überlieferungsarten, dass sie nicht nur dem Gedenken dienen, sondern auch die Wahrnehmung künftiger Ereignisse und Situationen verändern. Eng mit den Gedächtnismedien ist auch die Zuschreibung von Symbolen bzw. die Mythenbildung und das ‚Helden-Machen‘ verbunden (BURKE 1991: 295f). Wichtig in BURKES Aufsatz ist zudem der Verweis auf die nebeneinander bestehenden und teilweise rivalisierenden sozialen Gedächtnisse, die immer wieder Gegenstände von Auseinandersetzungen sind. In der Abgrenzung des sozialen vom (im folgenden Kapitel vorgestellten) kulturellen und kommunikativen Gedächtnis ergeben sich nach BURKE vier Medien der sozialen Vergangenheitsbildung: nicht zu Zwecken der Traditionsbildung gefestigte Interaktionen, Aufzeichnungen, Bilder und gebaute Umwelt (WELZER 2001: 16), die ‚unabsichtlich‘ Informationen über die Vergangenheit transportieren.
3.1.2.2 Das kulturelle und kommunikative Gedächtnis Das kulturelle Gedächtnis ist ein Konzept von J. ASSMANN (1988), das auf den Überlegungen HALBWACHS zum kollektiven Gedächtnis aufbaut. Allerdings wird das Gedächtnis nicht über Alltagskommunikation vermittelt, sondern aktiv konstruiert (hierzu auch OEXLE 1995: 30ff, WISCHERMANN 1996c: 65f). Das kulturelle Gedächtnis umfasst den „[…] jeder Gesellschaft und jeder Epoche eigentümlichen Bestand an Wiedergebrauchs-Texten, -Bildern, und -Riten […], in deren ‚Pflege‘ sie ihr Selbstbild stabilisiert und vermittelt, ein kollektiv geteiltes Wissen vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) über die Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewußtsein von Einheit und Eigenart stützt“ 22
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(J. ASSMANN 1988: 15).24 Wichtig für das kulturelle Gedächtnis ist vor allem die Speicherung, Abrufung und Mittelung von identitätssicherndem Wissen einer Gruppe (J. ASSMANN 1997: 56f). Als primäre Organisationsformen für die Übermittlung des kulturellen Gedächtnisses sieht J. ASSMANN (1997: 57) Feste und Riten an: „Feste und Riten sorgen im Regelmaß ihrer Wiederkehr für die Vermittlung und Weitergabe des identitätssichernden Wissens und damit für die Reproduktion der kulturellen Identität. Rituelle Wiederholungen sichert die Kohärenz der Gruppe in Raum und Zeit“. Demnach erfolgt das Gedenken von alltagsfernen, schicksalhaften Ereignissen durch so genannte ‚Erinnerungsfiguren‘, das heißt durch „[...] kulturelle Formung (Texte, Riten, Denkmäler) und institutionalisierter Kommunikation (Rezitation, Begehung, Betrachtung) […]“ (J. ASSMANN 1988: 11). Das kommunikative Gedächtnis dagegen beinhaltet personengebundene Erinnerungen der rezenten Vergangenheit und ist durch Unspezialisiertheit, thematische Offenheit, Unorganisiertheit und Rollenreziprozität gekennzeichnet (J. ASSMANN 1988: 10). Es beinhaltet „[…] die eigensinnige Verständigung der Gruppenmitglieder darüber […], was sie für ihre partikulare Vergangenheit im Wechselspiel mit der identitätskonreten Großerzählung der Wir-Gruppe halten und welche Bedeutung sie dieser beilegen“ (WELZER 2001: 15). J. ASSMANN (1997) hat die gegensätzlichen Pole des kommunikativen und kulturellen Gedächtnisses anschaulich in einer Tabelle zusammengefasst (siehe Tabelle 1).25
24 Das kulturelle Gedächtnis zeichnet sich durch sechs Merkmale aus: durch die Abgrenzung der Gruppe nach außen (Gruppenbezogenheit oder Identitätskonkretheit), Rekonstruktivität, kulturelle Formung (Texte, Bilder, Riten), Organisiertheit (zeremonialisierte Kommunikationssituationen, spezialisierte Gedächtnisträger), Wertung von wichtigen und unwichtigen Symbolen (Verbindlichkeit) und Reflexivität (J. ASSMANN 1988: 13ff, siehe auch MENKOVIC 1998: 11, OEXLE 1995: 30). 25 Es ist wichtig zu bemerken, dass das kommunikative und das kulturelle Gedächtnis nur analytisch voneinander zu trennen sind, in der Praxis sind sie interdependent (WELZER 2001: 15).
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Tabelle 1: Pole des kommunikativen und kulturellen Gedächtnisses Kommunikatives Gedächtnis
Kulturelles Gedächtnis
Inhalt
Geschichtserfahrungen im Rahmen individueller Biographien
Mythische Urgeschichte, Ereignisse in einer absoluten Vergangenheit
Formen
Informell, wenig geformt, naturwüchsig, entstehend durch Interaktion und Alltag
Gestiftet, hoher Grad an Geformtheit, zeremonielle Kommunikation, Fest
Medien
Lebendige Erinnerung in organischen Gedächtnissen, Erfahrungen und Hörensagen
Feste Objektivationen, traditionelle symbolische Kodierung/Inszenierung in Wort, Bild, Tanz usw.
80–100 Jahre, mit der GegenZeitstruktur wart mitwandernder Zeithorizont von 3–4 Generationen Träger
Unspezifisch, Zeitzeugen einer Erinnerungsgemeinschaft
Absolute Vergangenheit einer mythischen Urzeit Spezialisierte Traditionsträger
Quelle: J. ASSMANN (1997: 56)
3.2 Gedenkrituale Gedenkrituale schaffen einen äußeren Rahmen, in dem die Erinnerung an bestimmte Situationen, Momente und Orte leichter hervorgerufen werden kann (WINTER & SIVAN 1999: 15). Sie sind durch einige Gemeinsamkeiten gekennzeichnet (DUJARDIN 1993: 228). Gedenkrituale werden willentlich implementiert und haben einen bestimmten (selektiven) Fokus, der ein Ereignis oder eine Person betrifft (NAMER 1999: 175). Die zeitlich begrenzte und auf Wiederholung ausgelegte Beziehung zum Gegenstand des Gedenkens ist durch Andacht gekennzeichnet. Zudem erfolgt das Gedenkritual weniger aufgrund einer kollektiven Initiative, es ist vielmehr der Öffentlichkeit gewidmet. Öffentliche Gedenktage haben vor allem eine Ordnung stiftende Funktion, welche die Synchronisierung von Subjekten bewirkt (PROSS 1991: 101).26 Dreh- und Angelpunkt des Gedenkens und seiner sozialen Funktion ist der handelnde Mensch (WINTER & SIVAN 1999: 10 und 26 WAGNER-PACIFICI & SCHWARTZ (1991: 417) haben in ihrer Studie über das Vietnam Veteran Memorial herausgefunden, dass Menschen vor allem Rituale im Zuge der Auseinandersetzung mit kontroversen Sichten auf eine schmerzhafte Vergangenheit benötigen. „[…] people may need more ritual to face a painful and controversial part of the past than to deal with a painful part of the past about whose cause and meaning there is agreement. Rituals, however, do not resolve historical controversies; they only articulate them, making their memory public and dramatic“.
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29ff), da gerade durch Handlungen soziale Bindungen gestärkt werden. „Par le partage de l’émotion, par la mise en mouvement des corps – l’esthétique –, le geste commémorative est aussi un moment d’institution du lien social, un puissant creuset d’‹ invention des traditions ›“ (GARCIA 2000: 13). Die sozialen Funktionen von Gedenkzeremonien und Symbolen, die traditionelle Glaubensinhalte erhalten und feiern, werden schon von DURKHEIM (1984: 498ff) thematisiert. Sie helfen Überzeugungen lebendig zu erhalten, „[…] zu verhindern, daß sie aus dem Gedächtnis schwinden, d. h. im ganzen genommen, die wesentlichen Elemente des kollektiven Bewusstseins wiederzubeleben. Durch sie [die Gedenkrituale] erneuert die Gruppe periodisch das Gefühl, das sie von sich und von ihrer Einheit hat“ (DURKHEIM 1984: 505). Auch GARCIA (2000: 12) sieht die Einheit stärkende Funktion von Gedenkritualen und betont ebenso wie J. ASSMANN im Kontext des Totengedenkens27 seine Gemeinschaft und Identität stiftende Rolle: In „[…] der erinnernden Rückbindung an die Toten vergewissert sich eine Gemeinschaft ihrer Identität“ (J. ASSMANN 1997: 63). Dies trifft insbesondere auf das rituelle Kriegs- bzw. Schlachtengedenken zu, denn hier wird gemeinsam der schmerzhaften Erfahrungen der Vergangenheit (WINTER & SIVAN 1999: 10) und insbesondere der Toten gedacht.28 Allgemein existieren drei unterschiedliche Anlässe für Feste und Gedenktage des Krieges: der Empfang der rückkehrenden Soldaten von der Front, Einweihungsfeiern von Denkmälern und Jahresfeiern der Schlachten mit Kranzniederlegungen (MENKOVIC 1998: 57ff; zum Schlachtengedenken im Mittelalter siehe auch GRAF 1989). In der Literatur wurden unterschiedliche Funktionen der Gedenkrituale herausgearbeitet, die auf die Gegenwart und Zukunft gerichtet sind (GARCIA 2000: 12, GIGNOUX 1988: 10, NAMER 1999: 175ff). Im gegenwärtigen Kontext steht die stabilisierende Wirkung der sozialen und politischen Ordnung im Vordergrund (auch DAVALLON 1993: 201f,
27 Das Totengedenken stellt laut J. ASSMANN den Ursprung der Erinnerungskultur dar. Es beinhaltet sowohl kommunikative als auch kulturelle Komponenten des Gedächtnisses (Riten, Institutionen) und weist sowohl prospektive als auch retrospektive Dimensionen auf (J. ASSMANN 1997: 60ff). Zentrales Element für die Gemeinschaftsbildung beim Totengedenken bildet das gemeinsame Mahl, das dem religiösen Kontext (Abendmahl) entstammt, aber auch bei säkularen Feierlichkeiten von Bedeutung ist (BUTZER 2001: 595, VERRET 1994: 434; mehr zur Begräbnisliturgie im Kapitel II/5.2.1.2). 28 DUCHESNE-GUILLEMIN (1988: 16) verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass das Gedenken u. a. an besondere (Kriegs-)Helden dazu führen kann, dass sie einen quasi-göttlichen Status erlangen.
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GARCIA 2000: 12f).29 Im Fokus der sozialen Ordnung stehen der Gemeinschaftsaspekt und die Bewältigung von Trauer und Tod, während hinsichtlich der politischen Ordnung die Rolle der Nation thematisiert wird. „Ceremonies of dedication or commemoration simultaneously focus on the achievement […] of the nation symbolized by the presidential faces, and the needs of the present generation for inspiration and guidance in facing the problems of the day, although at any particular ceremony one focus might override the others“ (GLASS 1995: 162). Oder in den Worten von MOSSE (1993: 13): „Letztlich ging es darum, eine an sich unerträgliche Vergangenheit erträglich zu machen – nicht nur, um Trost zu spenden, sondern vor allem, um die Nation zu rechtfertigen, in deren Namen der Krieg geführt worden war“. Die Realität des Krieges wurde bei den Feierlichkeiten ebenso wie bei der Gestaltung der Gedenkmonumente (siehe Kapitel II/3.3.2 ‚(Krieger)Denkmal und Monument‘) ausgeblendet. Zusammenfassend verweist MENKOVIC (1998: 58) im Zusammenhang des auf die Gegenwart ausgerichteten periodischen Gedenkens im Rahmen von Festen auf vier Erklärungsansätze: Flucht vor der Realität, Anlass zur Selbstbesinnung, Aufhebung von Alltagszwängen und Instrument der Herrschaft. Neben den Auswirkungen auf die Gegenwart ist eine moralische und pädagogische Ordnungsfunktion der Zukunft zu verzeichnen. Unter dem Motto ‚Aus der Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft lernen‘ wird an die Werte einer bestehenden Gemeinschaft erinnert, die zudem auf die nachkommenden Generationen übertragen werden. Ebenso wird die kosmologische Ordnung im Spannungsfeld zwischen Vergangenheit und Zukunft gefestigt, indem das gegenwärtige und zukünftige Schicksal der Gemeinschaft vor Augen geführt wird (GIGNOUX 1988: 10). Bei öffentlichen Gedenkzeremonien sind abgesehen vom kulturellen Gedächtnis zugleich individuelle Erinnerungen von Bedeutung: „Those who make the effort to remember collectively bring to the task their private memories“ (WINTER & SIVAN 1999: 9f). Sie stehen jedoch ebenso vor allem bei privaten Ritualen im Vordergrund. Sie finden vornehmlich auf Friedhöfen statt und sind „[…] a ritual of separation, wherein touching a name indicates not only what has been lost, but also what has not been lost. Visitors to such memorials frequently leave
29 Schon an dieser Stelle wird deutlich auf die Vermischung von Gedenken und Politik hingewiesen. Zur politischen Legitimierung mittels Gedenkfeiern siehe Kapitel II/4 ‚Politische Räume‘.
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flowers, notes, objects, which serve as a focus of a ritual exchange. The dead have given everything; the living, symbolically or tangibly, offer something in return“ (WINTER & SIVAN 1999: 38).30
3.3 Gedenkorte und Gedenkstätten Die Erinnerung bedarf der Gedenkorte und -artefakte. Denn sie ist laut ARENDT nur durch die ‚Handgreiflichkeit des Dinghaften‘ möglich: „Ohne Erinnerung und die Verdinglichung, die aus der Erinnerung selbst entspringt, weil die Erinnerung die Verdinglichung für ihr eigenes Erinnern bedarf [...] würde das lebendig gehandelte, das gesprochene Wort, der gedachte Gedanke spurlos verschwinden [...]“ (ARENDT 1960: 87f). Dies trifft natürlich auch auf ehemalige Schlachtfelder zu, denn die „[…] Ereignisse und Taten einer großen aber dunklen Vergangenheit bedürfen der Beglaubigung durch Orte und Gegenstände“ (A. ASSMANN 1999a: 55). Hier kann anhand von Relikten, die Bezugspunkte des kulturellen Gedächtnisses sind, das kollektive Gedächtnis und die individuelle Erinnerung reaktiviert und ‚verortet‘ werden.31 Im Mittelpunkt dieses Kapitels soll nicht ein allgemeiner Überblick über die Vielzahl existierender Gedenkorte stehen. Vielmehr werden Orte ausgesucht, die im Kontext von Kriegsereignissen des 20. Jahrhunderts von Bedeutung sind. Es handelt sich um Stätten, die sich auf unterschiedlichste Weisen mit dem Tod von Soldaten und Zivilisten und den Kampfgeschehnissen auseinander setzen. Friedhöfe gelten als ‚traditionelle‘ Orte des Todes und der Trauer. Seit dem Ersten Weltkrieg gebührt jedem Soldaten ein eigenes Grab, die Massengräber vorheriger Zeit entsprechen nicht mehr dem ‚individuellen Ruherecht‘ (KOSELLECK 1979: 271, 1995: 226). Zugleich konnte diese zum Völkerrecht gewordene Norm durch die Technisierung des Krieges und die daraus resultierenden Folgen, die verschollenen und nicht identifizierbaren Toten, nicht eingehalten werden. „Die technischen Vernichtungsmittel waren so sehr perfektioniert worden, dass den Toten zu finden oder beizusetzen, wie 30 Das Hinterlassen der Artefakte an Gräbern oder Denkmälern wird auch von RICHARDSON (2001: 267ff) thematisiert, der es sowohl in Anlehnung an ‚Die Gabe‘ von MAUSS als einen reziproken Austausch betrachtet als auch in Bezug auf DOUGLAS als einen Akt der menschlichen Solidarität. 31 Unabhängig davon, um welche Gedenkorte es sich handelt und ob an ihnen öffentliche oder private Rituale des Kriegsgedenkens vollzogen werden, wird von unterschiedlichen Autoren (beispielsweise DAVIES 1994, KOHL 2003, KOSELLECK 1994, MENKOVIC 1998, MOSSE 1993, NEWHOUSE 1998, OEXLE 1995, RESHEF 1988, SHEENAN 2002, TILL 2003 und WARNER 1962) immer wieder ihr Bezug zu Sakralität und zur Zivilreligion thematisiert (zu sakralen Räumen siehe Kapitel II/5).
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das Gesetz es vorschrieb, nicht mehr möglich war“ (KOSELLECK 1995: 226). Aus diesem Grund wurde auf weitere Versionen zurückgegriffen, um der Toten zu gedenken. Einerseits verwandelte man die „[...] Stätten des Todes schlicht in Gedenkstätten […], indem sie so belassen wurden, wie sie beim Waffenstillstand vorgefunden wurden“ (KOSELLECK 1995: 226). Andererseits errichtete man auf den ‚Todesfeldern‘ oder jenseits der ehemaligen Schlachtfelder (z. B. auf öffentlichen Plätzen und städtischen Friedhöfen) gewaltige Denkmäler (AGULHON 1986: 42, BECKER 1994a: 317, JEISMANN & WESTHEIDER 1994: 30ff), in welche die Namen der vermissten Gefallenen eingraviert wurden. Neben diesen Orten, die vornehmlich dem Toten- und Schlachtengedenken gewidmet sind, existieren noch Stätten vor allem zur Erinnerung an historische Ereignisse: die Museen.
3.3.1 Friedhof und Beinhaus Friedhöfe sind durch Mauern, Zäune oder Hecken umgrenzte (eingefriedete) Orte zur Bestattung der Toten und Trauer um die Verstorbenen. Der Friedhof ist mit seinen Bedeutungszuweisungen vornehmlich für die Nachfahren und Kameraden der Soldaten wichtig, da besonders hier durch die ‚Präsenz‘ des Toten die Aufarbeitung seines Todes stattfinden kann. Aus diesem Grund liegt die wohl wichtigste Funktion eines Friedhofes in der Verortung des Toten in seinem Grab. Da das Grab im Zuge der Trauerhandlungen zu einem Symbol für den Toten wird, gilt erst mit „[…] dem Verschwinden des Grabsteins […] der Tote als endgültig und unwiderruflich vergessen“ (HORN 2001: 185). Allerdings verweist der Friedhof mit seinen Grabsteinen nicht nur auf eine jenseitige bzw. transzendente Welt,32 sondern konfrontiert den Menschen ebenso mit den Ängsten vor seinem eigenen Tod und seiner Zukunft (WARNER 1962: 18). Im Gegensatz zum Friedhof, wo die sterblichen Überreste begraben sind, werden in den Beinhäusern die Gebeine der Toten zur Schau gestellt. Ihre wichtigste Funktion liegt darin, dass der Betrachter sich den erbarmungswürdigen Zustand der Toten vor Augen führen muss: „Die Beinhäuser waren présentoirs, dazu bestimmt, angeschaut zu werden“
32 Der Friedhof ist als Ruhestätte der Toten nicht nur ein Gedenkort, sondern auch ein durch die Präsenz der Toten geweihter sakraler Ort (A. ASSMANN 1999a: 324, 1999b: 72f). WARNER (1962: 19) dagegen sieht den sakralen Charakter von Friedhöfen nur dann gegeben, wenn er dauerhaft für Begräbnisse genutzt wird. Seinem Verständnis nach fungieren folglich Soldatenfriedhöfe, die den Toten bestimmter Kriege eine letzte Ruhestätte geben, nicht als Orte sakraler, sondern historischer, erinnernder Rituale.
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(ARIÈS 1995: 81). Zudem dienen sie als ‚Ersatzorte‘ des Trauerns für Hinterbliebene, falls Soldaten im Krieg nicht mehr identifiziert werden konnten. Egal ob am Grab, im Beinhaus oder an einem gepflanzten Gedächtnisbaum: Gerade für Kriegswitwen, -waisen und -veteranen ist durch den gewaltsamen und oft als sinnlos eingestuften Tod der Väter, Ehemänner und Kameraden das verortete Trauern trotz der häufig großen Entfernung des Gedenkortes zum Wohnort von großer Bedeutung. Denn vor allem aufgrund des jungen Alters der Gefallenen und des brutal unterbrochenen Lebens ist jeder Tod ein Skandal – am meisten jedoch der Tod im Krieg (BÉDARIDA 1986: 12, auch MOSSE 1993: 115).
3.3.2 (Krieger-)Denkmal und Monument Weitere Orte des Kriegsgedenkens sind Denkmäler und Monumente, die im Laufe der Jahre ganz unterschiedlich definiert wurden.33 Im folgenden Sprachgebrauch werden sowohl das Monument als auch das Denkmal als Bedeutungsträger und als „[...] ein in der Öffentlichkeit errichtetes und für die Dauer bestimmtes Werk verstanden, das an Personen oder Ereignisse erinnert und auch aus dieser Erinnerung einen Anspruch seiner Urheber, eine Lehre oder einen Appell an die Gesellschaft ableiten oder begründen soll“ (MITTIG & PLAGEMANN 1972: 6). Kriegerdenkmäler entstehen häufig als Nationaldenkmäler.34 Sie sollen die Nation als Ganzes in Verbindung mit Repräsentationswerten und Ideen darstellen (HARDTWIG 1999: 171, MENKOVIC 1998). Die Ehrung einfacher Soldaten in Form von Kriegerdenkmälern35 setzte in Mitteleu33 YOUNG (1997: 30) unterscheidet in einem weit gefassten Sinne zwischen Denkmal und Monument. Unter Denkmälern fasst er alle Handlungen und Objekte zusammen, die dem trauernden oder feierlichen Gedenken dienen (z. B. Gedenkfeiern, Gedenkbücher, Gedenkskulpturen). Monumente sind folglich als Unterkategorie von Denkmälern zu verstehen, welche alle „[…] Objekte, Skulpturen und Installationen [umfassen], die an eine Person oder an eine Sache erinnern“ (YOUNG 1997: 30). In anderen Definitionen wird ‚Denkmal‘ mit dem Gedenken an den Tod oder Trauer verbunden, während ‚Monument‘ mit Triumph und Helden assoziiert wird (DANTO 1986: 151, STURKEN 1991). 34 NIPPERDEY (1968) hat sich mit den im Deutschland des 19. Jahrhunderts errichteten Nationaldenkmälern beschäftigt und fünf verschiedene Typen (national-monarchisch, historisch-kulturell, nationaldemokratisch, Denkmalskirchen, Denkmal der nationalen Sammlung) herausgearbeitet. Seiner Ansicht nach haben die Nationalmonumente durchgängig die Tendenz zur Sakralisierung ihrer Inhalte und sind aufgrund ihrer überzeitlichen Dimension mit Mythologisierungen verbunden. 35 Hinsichtlich der Kriegerdenkmäler besteht eine umfangreiche Terminologie, wobei keine exakten Unterscheidungen existieren: Heldendenkmal, Kriegsdenkmal, Siegeszeichen, Mahnmal, Kriegsgrabmal, Heldenfriedhof.
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ropa mit der ‚levée en masse‘ und der allgemeinen Wehrpflicht ein, vor allem aber durch die veränderte Kriegsführung und Stellung der Soldaten im Ersten Weltkrieg (JEISMANN & WESTHEIDER 1994: 25, MENKOVIC 1998: 23). „Der Erste Weltkrieg führte zu einem Höhe- und Wendepunkt des politischen Totenkultes. […] Der Massenhaftigkeit des Sterbens in den Schützengräben entsprach die Omnipräsenz von Erinnerungsmalen“ (JEISMANN & WESTHEIDER 1994: 28).36 Die für die Gefallenen errichteten Kriegerdenkmäler tragen sowohl eine weltliche (Fama) als auch eine religiöse (Pietät) Komponente (A. ASSMANN 1999a: 22ff) und erfüllen die Funktionen „[…] der Identifikation, Legitimation, Repräsentation, Antizipation, Interpretation und Information“ (SPIELMANN 1989: 113). Vornehmlich sind sie Sinnstifter und Identifikationsobjekte (KOSELLECK 2003: 61). Neben der Erinnerung des Todes bzw. der Gefallenen stellen sie die Frage nach der Rechtfertigung sowie Sinnhaftigkeit des Krieges, idealisieren die Gefallenen als bürgerliches Vorbild, sakralisieren ihren Tod als Opfertod, dienen den Witwen, Waisen sowie Veteranen als Hilfe, die Nachkriegssituation zu ertragen und stärken das Nationalgefühl (A. ASSMANN 1999a: 43, BECKER 1994a: 315 und 321, 1994b: 37, KOSELLECK 1979: 262). Doch Denkmäler ermöglichen nicht nur die Sinngebung und Identifikation, sie sind zudem ein Versammlungsort, an dem Menschen eine gemeinsame Vergangenheit konstruieren. „In Ermangelung gemeinsamer Glaubenshaltungen oder Interessen zwingt Kunst an öffentlichen Plätzen eine sonst uneinheitliche Bevölkerung dazu, unterschiedlichen Wertvorstellungen und Idealen einen gemeinsamen Rahmen zu geben. Indem Monumente gemeinsame Orte der Erinnerung schaffen, schaffen sie gleichzeitig die Illusion gemeinsamer Erinnerung“ (YOUNG 1997: 33, 1992: 223). Aus diesen Ausführungen leitet sich ab, dass das Gedenkobjekt ohne die Zuschreibungen, Wahrnehmungen und Handlungen der Menschen bedeutungsleer bleibt. Oder Der Sprachgebrauch ist maßgeblich historisch bedingt: Im 18. und 19. Jh. sprach man von ‚Siegesmonumenten‘, 1914–15 von ‚Heldendenkmälern‘ und ab 1945 vor allem von ‚Mahnmalen‘ (MENKOVIC 1998: 10f). Mahnmale unterscheiden sich von anderen Gedenkobjekten durch einen weiterreichenden moralischen Anspruch (SAAR 2001: 360). Im Allgemeinen werden drei unterschiedliche Aspekte im Kriegerdenkmal dargestellt: Der Krieg (Frontkämpfer), das Hinterland (Zivilisten) und das Weinen (Scherz und Glaube) (BECKER 1994a: 317, 1994b). Die Illustration des Krieges erfolgt in aseptischer Weise – ohne Dreck, Blut und Leid. 36 Nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte sich die ikonische Landschaft der Denkmäler erneut. Die schon bestehenden Monumente des Ersten Weltkrieges wurden durch Hinzufügen von Totentafeln der Jahre 1939–45 ergänzt. Die heroische Konnotation und die Aufforderung, sich mit dem Sinn des Kriegstodes zu identifizieren, entfielen häufig (KOSELLECK 1979, 1995).
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in den Worten von SPIELMANN (1989: 113): „Das Denkmal bedarf, um Denkmal zu sein und zu bleiben, der rituellen Perzeption. Über das Objekt selbst läßt sich das Denkmal nicht definieren, nur über seine Funktion in der Öffentlichkeit“. Somit unterliegen seine Formen und Sinnzuschreibungen einem zeitlichen Wandel. „Daher zerrinnen Identitäten, die ein Denkmal evozieren soll: Teils weil sich die sinnliche Empfangsbereitschaft der angebotenen Formensprache entzieht, – teils weil die einmal gestalteten Formen eine andere Sprache zu sprechen beginnen als ihnen anfangs eingestiftet war“ (KOSELLECK 1979: 274). Insofern verändert sich mit der Zeit ihre Aussagekraft: „Die Formensprache der Kriegerdenkmäler ist veraltet, ohne zu sprechen aufzuhören“ (KOSELLECK 1979: 275).37 Aufgrund dieser Veränderungen lassen sich an „[…] Standort, Stil und Symbolsprache […] die jeweils zeitgenössischen Perspektiven auf und Bewertungen von Vergangenheit ablesen“ (BIERSCHENK 2001: 59).
3.3.3 Museum Laut KORFF (1999: 339) besteht die Aufgabe des Museums darin, die Erinnerung zu veranlassen. Die Erinnerung kann im Museum in unterschiedlicher Dimension verlaufen. Zum einen ist das Museum ein Ort und Speicher des kollektiven Gedächtnisses (WAIDACHER 1999: 47). Es soll – ebenso wie das Monument – „[...] einer geregelten Erinnerung [dienen], insofern [es] eine ganz bestimmte Sichtweise der Vergangenheit zu fixieren trachtet“ (KULENKAMPFF 1991: 28; eigene Hervorhebung).38 Zum anderen entwickelt sich das Museum durch die subjektive Wahrnehmung seiner Besucher „[...] zu einem höchst individuellen Gedächtnisort“ (FEHR 1999: 342). Es existieren viele Versuche, das Phänomen ‚Museum‘39 zu definieren, laut KLEIN (1997) ist jedoch keine existierende Definition geeignet, das instabile und von der jeweiligen Gesellschaft abhängige Konzept des 37 Dies kann jedoch im Extremfall soweit führen, dass die Bedeutungszuschreibungen der Denkmäler nicht mehr von nachkommenden Generationen entziffert werden können und dass deshalb ihre Sprache nicht mehr verstanden wird. 38 Durch die Möglichkeit, bestimmte Sichtweisen auf die Museumsinhalte in Form einer geregelten Erinnerung zu bestimmen, bekleidet der Kurator bzw. Museumsdidaktiker eine gewisse gesellschaftliche Machtposition. In diesem Zusammenhang liegt es deshalb nah, auf die politische Dimension der Museen und die Überschneidung von Gedenkräumen und politischen Räumen hinzuweisen (siehe auch Kapitel II/4.4 ‚Politische Orte‘). 39 Als Museum werden im Etymologischen Wörterbuch des Deutschen sowohl die Sammlung von künstlerischen, wissenschaftlichen und technischen Gegenständen aus Vergangenheit und Gegenwart als auch das Ausstellungsgebäude für solche Gegenstände bezeichnet. Der Begriff leitet
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Museums universell gültig zu umschreiben.40 Dies scheitert nicht zuletzt an den unterschiedlichen Typen von Sammlungen, die im Laufe der Geschichte entstanden sind (siehe Textblock 1). Textblock 1: Die Geschichte des Museums In der Annahme, dass Menschen schon immer Dinge gesammelt und um sich angeordnet haben, sind sich viele Autoren einig (CAMERON 1972, STURM 1991, WAIDACHER 1999, 2001). Als erste Sammlungen der Menschheit sind Grabbeigaben aus dem Neolithikum nachgewiesen, wo die Gegenstände je nach sozialem Status und Geschlecht des beigesetzten Toten differenziert wurden. Ein weiteres frühgeschichtliches Beispiel sind die Opfergaben in griechischen und römischen Tempelanlagen (POMIAN 1988: 23). In Europa tauchten ungefähr im 6. Jahrhundert die ersten Schatzkammern auf, bei denen zwei Typen unterschieden werden können: die kirchlich-sakralen und die fürstlich-profanen Sammlungen (POMIAN 1994b: 108). In den kirchlichen Schatzkammern wurden vorwiegend Kultgegenstände wie Kruzifixe, Messgewänder und Reliquien aufbewahrt, während weltliche Fürsten vor allem zeremonielle Gegenstände (z. B. Kronen, Szepter, Prunkgewänder) sammelten (POMIAN 1988, KOHL 2003). Ab dem 13./14. Jahrhundert entstanden vor allem bei Gebildeten und an fürstlichen Höfen Privatsammlungen. Statt Zeremonial- und Ritualgegenstände als Insignien der Macht, Sakralität und des Reichtums wurden nun antike Wertstücke wie Münzen und Vasen gesammelt. Von nun an sollten durch die Sammlung vor allem Wissen, Geschmack und Vorlieben demonstriert werden. Im 16. Jahrhundert entstand eine neue Sammlungsart: die Kunst-, Wunder- bzw. Raritätenkammern als Ausdruck einer ‚enzyclopädischen Wissbegier‘ (POMIAN 1994b: 113). Zugänglich waren diese Kuriositätenkabinette nur erwählten Personenkreisen (KOHL 2003). In den Kammern lagerten antike und zeitgenössische Kunstwerke, Naturobjekte, Gegenstände aus vergangenen Zeiten, fernen Ländern oder Abweichungen vom Gewöhnlichen und Raritäten. Die ausgestellten Gegenstände waren weder schön noch wertvoll, ihre Bedeutung lag vielmehr darin, dass sie die ‚Alltagserfahrung transzendierten‘ (KOHL 2003: 234) oder gegensätzlich ausgedrückt: Sie öffneten die Schöpfung für die Erkenntnis (POMIAN 1994b: 113). Ab dem 18. Jahrhundert interessierten sich dann die Sammler mit dem Aufkommen der neuen Wissenschaft für das Gewöhnliche und fertigen eine ‚Bestandsaufnahme der Ressourcen‘ an (POMIAN 1994b: 116). Die moderne Institution des Museums entstand aus den königlichen und fürstlichen Kunstsammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts (DUNCAN 1991, KOHL 2003, POMIAN 1988). Seit Mitte des 18. Jahrhunderts öffneten die Herrscher ihre Sammlungen zumindest für Bürger mit besonderer Empfehlung. Die Ausstellungsart zielte darauf ab, Verehrung zu erzeugen. SHEEHAN (1994: 858) und KOHL (2003: 246) vergleichen in dieser Zeit das Betreten einer Kunstsammlung mit dem Betreten eines Heiligtums, indem sie Goethe beim Besuch der Kurfürstengalerie von Dresden zitieren: „Ich trat in dieses Heiligtum, und meine Verwunderung überstieg jeden Begriff, den ich mir gemacht
sich ab von lat. mnjsƝum (Ort für Kunst und Gelehrsamkeit) und ist gleichbedeutend mit dem griech. mnjsƝìon (den Schutzgöttinnen der Künste sowie der Wissenschaft geweihte Haine, Grotten und Tempel; Musensitz, Musentempel). Das Stammwort griech. mnjsa (Muse) bedeutet im übertragenen Sinne: Kunst, künstlerische Tätigkeit (PFEIFER 2003: 901). 40 Eine umfassende Analyse der verschiedenen Museumsdefinitionen liefert MENSCH (1992: 2ff).
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FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE PERSPEKTIVEN hatte. Dieser in sich selbst wiederkehrende Saal, in welchem Pracht und Reinlichkeit bei der größten Stille herrschten, die blendenden Rahmen, alle der Zeit noch näher, in der sie vergoldet wurde, der gebohnte Fußboden, die mehr von Schauenden betretenen, als von Arbeitenden benutzten Räume gaben ein Gefühl von Feierlichkeit, einzig in seiner Art, das um so mehr der Empfindung ähnelte, womit man ein Gotteshaus betritt, als der Schmuck so manchen Tempels, der Gegenstand so mancher Anbetung hier abermals, nur zu heiligen Kunstzwecken aufgestellt schien“ (GOETHE o. J.: 83). Die Geburtsjahre des modernen, unabhängigen und öffentlich zugänglichen Museums werden in die Zeit der Aufklärung, meist zwischen 1753 und 1769, gelegt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die Auswirkungen der Französischen Revolution auf die Museen deutlich zu spüren. Die Zahl der Museen und deren thematische Differenzierung nahmen zu. Zudem wurde das Museum zum Eigentum nicht nur einzelner Stadtbewohner, sondern der ganzen Nation (POMIAN 1994b: 119). Es wurde also zu einem Ort, der mit der Nationalgeschichte verbunden war. Doch auch die Auswirkungen der Säkularisierung waren deutlich zu spüren: Kirchen wurden ihrer Kunstgegenstände beraubt und in säkularisierten Kirchen wurden Kunstwerke ausgestellt (KOHL 2003: 247). Zugleich wird der Wert der Kunst und deren Unabhängigkeit von politischen Einflüssen sowie sozialem Druck betont. Viele sprachen vom ‚religiösen Charakter der Kunst‘ (SHEEHAN 1994: 861). Für die Künstler selbst war die Kunst nicht einfach wie Religion, sie selbst war ein ‚religiöser Akt‘ und eine ‚Quelle der Erlösung‘ (SHEEHAN 2002: 78). In dieser Zeit, als die meisten Museen als Monumentalbauten nach dem Vorbild antiker Tempel errichtet wurden, fungiert das Museum als Ort für die Glaubensausübung an die ‚spirituelle Kraft der Kunst‘ (SHEEHAN 1994: 861). So wurde im Museum ein neuer, gemeinsamer Kult – ein die traditionellen Religionen ersetzender Kult – gefeiert (POMIAN 1988: 69f).
Museumsdefinitionen können – ausgehend vom Fokus der Akteursbetrachtung – in zwei Hauptkategorien unterschieden werden: Einerseits handelt es sich um Definitionen aus der Sichtweise der Museumseigentümer oder -leiter, andererseits wird der Blickwinkel der Besucher in den Vordergrund gestellt. Als Beispiel für die erste Kategorie hat sich die weltweit anerkannte Definition im Artikel zwei der Statute des Internationalen Museumsrates (ICOM) von 1989 durchgesetzt: „A Museum is a non-profit making, permanent institution in the service of society and its development, and open to the public, which acquires, conserves, researches, communicates, and exhibits, for purposes of study, education and enjoyment, material evidence of people and their environment“ (zit. in WAIDACHER 2000: 1). Stellvertretend für die zweite Kategorie liefert der niederländische Soziologe NUYENS (1981: 151, zit. in MENSCH 1992: 1) eine alternative, in den wissenschaftlichen Kreisen der Museologie eher selten rezipierte Definition: „A museum is a place which invites, in a special way, to contemplation and musing about our humanly strive after truth, goodness and beauty. This contemplation and musing brighten at one side the notion of our nullity and transitoriness, but reinforce at the other side the experience of our mysterious relationship and linking with the Imperishable“. Das Museum wird hier also als ein Ort 33
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der Betrachtung und Andacht gesehen, als ein Ort, an dem der Mensch nach Wahrheit, Frömmigkeit und Schönheit strebt. An diesen beiden Definitionen wird deutlich, dass das Museum in einem Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Betrachtung und spiritueller Kontemplation steht.
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Politische Räume Wo immer es um die Relevanz der Sprache geht, kommt Politik notwendigerweise ins Spiel […]. (ARENDT 1960: 10)
Klassischerweise werden in der deutschen politischen Geographie mit dem Konzept der ‚politischen Räume‘41 Begriffe wie Staat, Territorium und Grenze assoziiert (beispielsweise ANTE 1981, BOESLER 1983, KÖSTER 1992). Gegen jenes Raumverständnis richten sich zum Beispiel AGNEW (1987), MASSEY (1994) und SOJA (1998), da sie es als zu starr bewerten (STAEHELI 2003). Dieser Ansicht folgend spielen in der vorliegenden Arbeit bei politischen Raumkonstruktionen politische Handlungen und insbesondere Rituale eine wichtige Rolle. Im Kontext des politischen Gedenkens ist sowohl die Erinnerungsals auch die Geschichtspolitik von Bedeutung, wobei keine klare begriffliche Trennung zwischen den beiden Feldern existiert. Laut HAHN (2001: 447) setzt die Erinnerungspolitik ein, „[…] wenn die Annahmewahrscheinlichkeit politischer Entscheidungen durch das Medium der Erinnerung erhöht werden soll, indem aktuelle politische Macht sich durch den Aufruf der Vergangenheit invisibilisiert […]“. Die Geschichtspolitik untersucht die Geschichte als politisches Ereignis vor allem aus Sicht der politischen Akteure (WOLFRUM 1999: 57) und kann als eine Unterform der Erinnerungspolitik gesehen werden. Sie beschäftigt sich mit der öffentlichen Konstruktion von Geschichts- und Identi41 In der ‚traditionellen‘ politischen Geographie wurde der politische Raum erstmals bei RATZEL (1897) – zumindest nach Ansicht vieler historischer Arbeiten (BÜCHNER 1999, WOLKERSDORFER 2001: 97) – thematisiert (KÖSTER 1992: 122). Die ‚aktuelle‘ politische Geographie dagegen beschäftigt sich mit dem Spannungsverhältnis von Gesellschaft, Raum und Macht und hat zwei Forschungsperspektiven herausgebildet: die Schule der kritischen Geopolitik (‚Critical Geopolitic‘), die sich methodisch überwiegend der Diskursanalyse bedient, und die geographische Konfliktforschung, die sich handlungsorientiert versteht. Primär werden hier geopolitische Leitbilder und Diskurse sowie Konflikte auf lokaler und regionaler Ebene analysiert (siehe beispielsweise für die ‚neue‘ politische Geographie im deutschsprachigen Raum: WOLKERSDORFER 2001, REUBER & WOLKERSDORFER 2001, 2003).
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tätsbildern beispielsweise durch Rituale und Diskurse (BOCK & WOLF1999b: 9) und ist ein „[…] Versuch, politische Entscheidungen historisch zu legitimieren (und auf diese Weise gegen Kritik zu immunisieren) und damit dem Kritiker politischer Entscheidungen zugleich die Frage nach der eigenen Legitimation von Positionen zu stellen“ (STEINBACH 1999: 25). LARAT (2000: 187) spricht in diesem Zusammenhang von der ‚Instrumentalisierung des kollektiven Gedächtnisses‘, wobei er unter Instrumentalisierung „[…] die intendierte Verwendung bestimmter historischer Ereignisse oder Figuren als Mittel, um eine gewisse Wirkung auf die Gegenwart zu erreichen, z. B. durch Sinngebung oder Bedeutungsübertragung“ versteht. Wichtig ist hierbei abgesehen von der Erinnerung natürlich auch das, was vergessen wird (LARAT 2000: 189).42 RUM
4.1 Polity – Policy – Politics In der modernen politischen Theorie werden drei Dimensionen der Politik unterschieden (DRUWE 1994: 163ff): Polity, Policy und Politics. Der erste Begriff Polity umfasst Institutionen, Werte und Normen der Politik und fragt unter anderem nach der Entstehung von politischen Systemen, Parteien und Parlamenten. Die zweite Dimension beschäftigt sich mit politischen Inhalten und Feldern wie beispielsweise der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Als drittes analysiert die Politics-Dimension politische Prozesse, die aus dem Verhalten von Individuen und Gruppen resultieren. Der hiesige Ansatz stützt sich auf die Dimension der Politics und basiert auf der Auffassung, dass politische Räume entstehen, wenn Menschen Handlungen ausführen, „[…] deren Ziel die Erlangung (Opposition) oder effektive Ausübung (Regierung) von Macht zur Produktion von gesellschaftlich bindenden Entscheidungen ist“ (HAHN 2001: 447); das heißt, wenn Menschen ‚Politik machen‘. Hierunter wird weitaus mehr 42 Im Kontext der Geschichtspolitik ist ebenso die Vergangenheitspolitik zu nennen, die von BOCK & WOLFRUM (1999: 9) als die zweite Seite derselben deutschen Medaille, der umkämpften Vergangenheit, bezeichnet wird. Unter Vergangenheitspolitik wird die Aufarbeitung einer diktatorischen Geschichte verstanden, die sich aus den Elementen der Bestrafung, Disqualifikation und Restitution zusammensetzt (BOCK & WOLFRUM 1999: 8, siehe auch BOCK 2000: 37) und maßgeblich praktisch-politische Maßnahmen bezeichnet. Beiden Ansätzen ist gemeinsam, dass in ihnen „[…] politische Legitimation durch Vergegenwärtigung von Vergangenheit hergestellt wird […]“ (BOCK 2000: 38). Als weiterführende Literatur zum Thema der politischen Nutzung der Vergangenheit sei beispielhaft auf HARTOG & REVEL (2001), LEVI (2001), STEINBACH (1997) und TILL (2003) verwiesen.
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als die von BOESLER (1983: 138) angeführten fünf Grundformen staatlicher Tätigkeit (Verfassungsgebung, Gesetzgebung, Regierung, Verwaltung und Rechtsprechung) verstanden. Vielmehr manifestiert sich die Politik räumlich durch unterschiedliche Formen der Machtausübung (MASSEY 2003: 46), den Wettstreit um Macht (im Krieg, in Debatten), deren Repräsentation sowie deren Kontrolle bzw. Überwachung (VERRET 1994: 425).
4.2 Politische Rituale Lange Zeit bestand die Annahme, dass Rituale vornehmlich in der religiösen Welt verortet sind und keinen Bestandteil der säkularen – oder gar politischen – Welt bilden (siehe Kapitel II/2.1.1 ‚Rituale – Riten – Zeremonien‘). Diese Hypothese wurde allerdings in den letzten Jahrzehnten verworfen und immer mehr Wissenschaftler vertreten die Ansicht, dass Rituale ein grundlegendes Element der Politik sind (ABÉLÈS 1993: 78, BOHOLM 1996b: 2f, BOHOLM 1996c: 158; zu Trauer- und Gedenkritualen als Bestandteil der politischen Kultur BRUMLIK 1992: 191). Es existieren sowohl politische Rituale, an denen die Masse direkt teilnimmt (z. B. groß inszenierte ‚Liturgien‘ (BIZEUL 2000: 18, RIVIÈRE 1988) wie patriotische Feiern, Staatszeremonien, Wahlkämpfe, politische Diskussionen), als auch Rituale, bei denen die Masse nur indirekt durch die Medien partizipiert (wie parlamentarische Gedenkstunden und Gipfeltreffen).43 Auf den Zusammenhang zwischen Politik und Ritual haben als eine der ersten schon EVANS-PRITCHARD und FORTES verwiesen (TURNER 1974: 184). In der Zwischenzeit sind zahlreiche Publikationen erschienen, die sich mit dem breiten Themenkomplex der politischen Rituale und Symbolik beschäftigen (beispielsweise ABÉLÈS 1988, 1993, BENNETT 1980, BIZEUL 2000, BLOCH 1975, BOHOLM 1996b, BRYAN 2000, EDELMAN 1990, EUSKIRCHEN 2004, KERTZER 1992, 1998, LUKES 1975, RIVIÈRE 1988). Prinzipiell können die Werke in zwei Denkrichtungen eingeteilt werden: erstens in die der Argumentation DURKHEIMS folgende Schule, welche die Konsens stiftende und integrierende Wirkung politischer Rituale betont (siehe auch KERTZER 1992: 80); zweitens in die durch LUKES (1975) formulierte Perspektive, die politische Rituale vornehmlich als Möglichkeiten der Machtausübung versteht. 43 Schon die Verwendung des Wortes Liturgie im Kontext von politischen Ritualen verweist auf eine Verbindung der Politik zur Religion. Laut BOHOLM (1996a: 5) liegen politische Rituale an der Schnittstelle zwischen diesen zwei Domänen (ABÉLÈS 1988: 392, BENTHIEN 2001: 530, FIRTH 1981, HÖDL 2003: 686, SOEFFNER 1992: 188, WARNER 1962: 5).
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4.2.1 Die Neo-Durkheimsche Schule – eine kritische Perspektive Ein Vertreter44 der Durkheimschen Argumentation ist WARNER (1962: 25 und 30), der sich mit dem Memorial Day beschäftigt, dem USamerikanischen nationalen Trauertag für im Krieg gefallene Soldaten.45 Er geht davon aus, dass die „[…] Memorial Day ceremonies and subsidiary rites (such as those of Armistice or Veterans’ Day) of today, yesterday, and tomorrow are rituals of a sacred symbol system which functions periodically to unify the whole community, with its conflicting symbols and its opposing, autonomous churches and associations“ (WARNER 1962: 8). In den Zeremonien, deren vereinendes Symbol die Toten sind, wird die Angst des Menschen vor dem Tod mit einem System sakraler Glaubensinhalte konfrontiert (WARNER 1962: 8). Im Zuge der kollektiven Handlung, die das subjektive Wohlergehen, das Gruppengefühl sowie die individuelle Stärke innerhalb der Gruppe erhöht, entsteht eine sakrale Einheit (sacred unity) und der Ritualteilnehmer erfährt einen Triumph über den Tod (WARNER 1962: 8). Oder anders formuliert: Die Gedenkorte, allen voran die Friedhöfe, „[…] permit opposing organizations, often in conflict, to subordinate their ordinary opposition and to co-operate in expressing jointly the larger unity of the total community through the use of common rites for their collective dead“ (WARNER 1962: 32f). Hierin handelt es sich um ein für DURKHEIM zentrales Ritualelement: Rituale dienen der gesellschaftlichen Integration von Werten und Individuen. Darauf aufbauend leitet die NeoDurkheimsche Schule im Hinblick auf politische Rituale vier verschiedene Behauptungen ab: Politische Rituale sind sowohl Zeichen, Ausdruck, Mechanismus und Konstitutiv der Werteintegration (LUKES 1975: 296). Zudem wird die Meinung vertreten, dass der Konsens über die gesellschaftlichen Werte das Sozialsystem im Gleichgewicht hält (LUKES 1975: 297). LUKES (1975: 297f) selbst vertritt die Meinung, dass der Wertekonsens wenig über den Zusammenhalt einer Gesellschaft ausdrückt. Gerade in liberalen Demokratien – und hier bezieht sich LUKES beispielhaft
44 Als weitere Vertreter der Neo-Durkheimschen Perspektive nennt LUKES (1975) in seinem Aufsatz ‚Political Ritual and Social Integration‘ BELLAH (1968), der sich mit der Zivilreligion in den USA auseinander setzt, SHILS & YOUNG (1953) im Zuge der Betrachtung von Krönungsritualen in England und VERBA (1965), der über das Attentat auf J. F. Kennedy schrieb. 45 Der Memorial Day wurde nach dem Ende des Bürgerkrieges eingeführt, um den damals Getöteten Respekt zu erweisen. Erst im Zuge der Weltkriege wurde er zu einem Gedenktag für alle im Krieg Gefallenen (WARNER 1962: 6).
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auf Nordirland – gibt es keinen einheitlichen Wertekonsens. Zudem zeigt er, dass politische Rituale auch zu einer Stärkung einzelner Sozialgruppen (und nicht der Gemeinschaft) führen können (LUKES 1975: 300). Aus diesem Grund schlägt LUKES vor, „[…] [to] go beyond the somewhat simplistic idea of political ritual expressing-producingconstituting value integration seen as the essence of social integration […] and take up instead the fertile idea that ritual has a cognitive dimension […], though placing it […] within a class-structured, conflictual and pluralistic model of society“ (LUKES 1975: 301). Zukünftig sollte der Fokus auf die Mechanismen gerichtet sein, durch welche die Politik – u. a. in Form von Ritualen – Menschen beeinflusst (LUKES 1975: 302, EDELMAN 1990). Politische Rituale funktionieren also „[…] systematically and consistently to the benefit of certain persons and groups at the expense of others“ (BACHRACH & BARATZ 1970: 43, zit. in LUKES 1975: 305).
4.2.2 Funktionen politischer Rituale Da es, wie in der kritischen Perspektive auf die Neo-Durkheimsche Schule angedeutet, keine eindimensionale Wirkungsrichtung politischer Rituale gibt, ist es sinnvoll, die verschiedenen Funktionen politischer Rituale aufzuzeigen (auch WESEL 2003a: 211, 2003b: 17 und 24). BIZEUL (2000: 21ff) hat vier Hauptfunktionen von politischen Ritualen (und Mythen) herausgearbeitet, die teilweise auch schon im vorangegangenen Kapitel thematisiert wurden. Seiner Auffassung nach sind politische Rituale sinnstiftend, integrativ, legitimierend (und manipulierend) sowie emanzipatorisch.46 Sinn stiften politische Rituale dadurch, dass sie dem Menschen zur Ordnung der ‚Wirklichkeit‘ und einer Orientierung in ihr dienen. In Anlehnung an LANGNER (1979: 159f) sieht BIZEUL (2000: 22) politische Rituale als Mechanismen, „[…] die dem Verlangen nach ‚Sicherheit in der Wirrnis der Welt‘ und ‚nach einem Weltbild, das alle Erfahrung ausfüllt und jedem einzelnen Orientierung gewährt inmitten der furchtbaren Mächte der Natur und der Gesellschaft‘ entstammen“. Denn politische Rituale repräsentieren „[…] stability and continuity acted out and reenacted: visible continuity“ (BENNETT 1980: 174). Oder wie RIVIÈRE 46 Da politische Rituale sowohl positiv als auch negativ bewertete Aspekte beinhalten, spricht BIZEUL (2000: 32) von ihrer Janusköpfigkeit. In eine ähnliche Richtung argumentiert KOZIOL (1992: 305), indem er politische Rituale als „[…] a vehicle for competition as well as for consensus“ bezeichnet. KERTZER (1992: 80) verweist auf die Tatsache, dass politische Rituale Solidarität ohne Konsens schaffen können, die Wahrnehmung kanalisieren, die Bildung von politischen Organisationen begünstigen und deren Legitimität begründen.
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(1988: 179f) es in seinem Werk über die ‚Liturgies Politiques‘ formuliert: Sie antworten auf ein grundlegendes Bedürfnis der Menschen nach moralischer Orientierung im Chaos. Durch ihre Orientierungsfunktion wirken Rituale, und hier kommen wir auf die Perspektive DURKHEIMS zu sprechen, integrierend. Politische Rituale sind unentbehrlich, „[…] um in einer politischen Gemeinschaft über alle kulturellen und ethnischen Unterschiede hinweg einen ‚Gemeinsamkeitsglauben‘ (Max Weber) durch symbolische Handlungen, die identitätsstiftend und solidarisierend wirken, zu aktivieren und dadurch die ‚politische Vergemeinschaftung‘ (Max Weber) in den modernen Gesellschaften voranzutreiben“ (BIZEUL 2000: 23). Allerdings resultiert hieraus nicht eine Gleichschaltung der Teilnehmer, sondern eine erhöhte Interaktion zwischen verschiedenen sozialen Akteuren (BIZEUL 2000: 24). Politische Rituale sind größtenteils, wie am Beispiel der Wahlen verdeutlicht, ein Bestandteil der aktiven Beteiligung der Bürger am politischen Handeln. „Wie jedes Ritual [...] lenken Wahlen die Aufmerksamkeit auf die gemeinsamen sozialen Grundwerte und darauf, daß es wichtig und offenbar auch vernünftig ist, die eingeschlagene Politik zu unterstützen [...]. Ohne derartige Mittel vermag sich kein Gemeinwesen zu halten und sich den Rückhalt oder das stillschweigende Einverständnis seiner Mitglieder zu sichern“ (EDELMAN 1990: 3). Häufig werden politische Rituale auch „[…] gezielt zur Legitimation real-existierender politischer Machtverhältnisse sowie der Akkumulation ökonomischen und symbolischen Kapitals eingesetzt“ (BIZEUL 2000: 25; zur Bestätigung existierender Machtverhältnisse, von Werten und Prioritäten durch politische Rituale auch RIVIÈRE 1988: 176f). Wenn auch vornehmlich in totalitären Staaten, so werden ebenso in demokratischen Staatsformen politische Rituale zu Zwecken der Legimitation und Durchsetzung bestimmter politischer Absichten verwendet (DÖRRICH 2002: 53, BRYAN 2000: 19, GOETHALS 1998, RIVIÈRE 1988, TONKIN & BRYAN 1996: 16).47 Denn durch „[…] politische Akte, Reden und Gesten wird das Massenpublikum emotional in die Politik hineingezogen, aber zugleich auch gegenüber politischen Veränderungen gefügig gemacht“ (EDELMAN 1990: 13). Dies wird durch den von ABÉLÈS (1988: 393) in Anlehnung an SMITH (1979) genannten ‚snare for thought‘ (gedanklichen Fallstrick) hervorgerufen. Er bewirkt, durch die Kombination von Formalisierung und emotionaler Beteiligung, dass die Ritualteil47 Auf die wichtige Rolle der Massenmedien zur politischen Legitimation geht ABÉLÈS (1988) ein. Seiner Ansicht nach konstruieren politische Rituale eine historische Form der Legitimität, „[…] an image of the elected person which is reflected, in inevitably distorted form, in the mirrors of mass media“ (ABÉLÈS 1988: 398).
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nehmer Dinge akzeptieren und an sie glauben, ohne sie zu hinterfragen (auch KERTZER 1998: 388, RIVIÈRE 1988: 176 und 181). Ein weiterer zentraler Faktor für die Manipulation ist die Verwendung von Symbolen, die Emotionen wecken (Verdichtungssymbole). Denn wo sie eingesetzt werden, überprüft der Mensch seine Erfahrungen nicht mehr andauernd (EDELMAN 1990: 5). Nicht zuletzt aufgrund der Möglichkeit zur Beeinflussung sind diese Symbole politisch umkämpft und ihr Management stellt einen Kernpunkt der Politik dar (GOETHALS 1996: 265). Allerdings sind Grenzen der Wirkfähigkeit, Legitimation und Manipulation gegeben: Auch Rituale können aus einem schwachen keinen starken Führer machen oder Konsens erzwingen (KOZIOL 1992: 307). Trotz der integrativen und manipulativen Funktion von politischen Ritualen vertritt BRYAN (2000: 22) deswegen folgende Meinung: „The role of ritualisation in the political field, in the formation of ethnic and national groups, and in the legitimisation of the state, is dynamic. Not only can rituals be used to oppose power but even within state-organised events there may develop forms of resistance to power“. Was allgemein auf politische Rituale zutrifft, gilt insbesondere auch für die rituelle Erinnerung der Vergangenheit. Insbesondere gemeinsame Trauermomente bei Gedenkfeiern und Staatsbegräbnissen sind „[…] eines der stärksten emotionalen Mittel zum Aufbau einer politischen Gemeinschaft […]“ (TOBIA 2000: 68): „[…] die Staatsbürger [sollen] sich als Angehörige der Nation erleben und sich vor allem emotional mit ihrem Repräsentanten identifizieren“ (ACKERMANN 2000: 90). Neben der integrativen Funktion, welche zu einem nicht unbeachtlichen Teil durch die Verwendung von Symbolen entsteht, ermöglichen die Feierlichkeiten politische Strategien der Positionierung und Anerkennung (DAVALLON 1993: 202, hierzu auch RIVIÈRE 1988: 236). Schon allein die Entscheidung, eine Gedenkzeremonie zu initiieren, ist ein wichtiger Ausdruck von Macht (DUCHESNE-GUILLEMIN 1988: 20). Und diese Möglichkeit – schenkt man WINTER & SIVAN (1999: 38) Glauben – nimmt der Staat nur allzu gerne wahr: „[…] the state remains relevant […] as a major producer and choreographer of commemoration“. Denn das rituelle Gedenken bietet ein Mittel, „[…] die politische Deutung der Kriegs- und Todeserfahrung zu modifizieren und den gegenwärtigen Legitimationsbedürfnissen anzupassen“ (JEISMANN & WESTHEIDER 1994: 43). Hilfreich und wichtig für eine erfolgreiche politische Instrumentalisierung der Gedenkfeier sind die Teilnahme der Bevölkerung sowie eine angemessene Vermittlung in den Massenmedien. Darüber hinaus hängt der Erfolg natürlich auch von den ‚Gedenkgesten‘, beispielsweise den Ansprachen und symbolischen Handlungen, ab (DAVALLON 1993: 203). 40
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4.2.3 Militärrituale Im Gegensatz zur Literaturfülle über politische Rituale im Allgemeinen existieren aus soziologisch-politischer Perspektive nur vereinzelt Studien über die militärische Komponente von politischen Ritualen. Erwähnenswert ist hier die Doktorarbeit von EUSKIRCHEN (2004), der sich unter dem Titel ‚Militärrituale – Die Ästhetik der Staatsgewalt‘ u. a. mit Ritualtheorien und verschiedenen Typen von Militärritualen beschäftigt. Da Militärrituale auch bei der vorliegenden Studie der Gedenkzeremonien eine Rolle spielen, sollen an dieser Stelle ihre wichtigsten Charakteristika kurz vorgestellt werden. Rituale wie beispielsweise militärische Initiationsrituale, protokollarische Imponierrituale, Ehren- und Trauerrituale, militärische Erinnerungs- und Gedenkrituale wirken – wie alle öffentlich inszenierten Rituale – nicht nur nach innen, sondern ebenso nach außen (EUSKIRCHEN 2004: 26). Aus diesem Grund stellen sie ein System für die Selbstrepräsentation und Herrschaftssicherung des modernen Nationalstaates dar. Zusammenfassend definiert EUSKIRCHEN (2004: 27) Militärrituale wie folgt: „Militärrituale sind eine zur Regelform gewordene ‚Ablaufsganzheit‘, das heißt, so unterschiedlich die verschiedenen zu untersuchenden Militärrituale sein mögen, gemeinsam ist ihnen, daß sie stereotypisiert und eingespielt sind, daß die teilnehmenden und initiierenden Akteure das Ritual und seinen Inhalt sozial billigen, außerdem sind die Militärrituale historisch variabel und damit frei ausgestaltbar. Das Religiöse ist dem Militärritual nicht inhärent, obgleich eine Anrufung an etwas Überindividuelles, Abstraktes in Form des Staates, der Gemeinschaftsstiftung und der vorgegebenen sinnvollen Aufgehobenheit in einem großen Ganzen dennoch stattfindet […]“. Zentrales Element der militärischen Erinnerungs- und Gedenkrituale sind Kranzniederlegungen an Gedenkstätten, oftmals unter Beteiligung von Staatsgästen. Der Ursprung von Kranzniederlegungen ist nicht bekannt. Wichtig dabei ist die Symbolik des Kranzes, der niedergelegt wird. Einerseits steht er vor allem bei Ehrungen und Totenfeiern als Signatur des Kreises für die Dauerhaftigkeit, andererseits ist der Kranz im christlichen Kontext ein Symbol des Sieges über die Dunkelheit (BIEDERMANN 1989: 244f). Zudem verdeutlicht der Begräbniskranz, dass das alte Leben verlassen und ein neues begonnen wird (COOPER 1986: 97). Auch die Schweigeminute, also das gemeinsame ritualisierte Schweigen von zeitlich fixierter Dauer, ist ein bedeutungsvoller Bestandteil des gedenkenden Militärrituals. Wie EUSKIRCHEN (2004) schon allgemein für Militärrituale herausgearbeitet hat, so finden wir auch in diesem Ritus ein sakrales Element. Denn durch „[…] das ‚einende Schweigen‘ […] wird eine Atmosphäre produziert, wie sie ähnlich aus 41
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religiösen Kontexten bekannt ist, wo das kontemplative Schweigen als Vorbereitung zum Kontakt mit dem Göttlichen dient […]“ (BENTHIEN 2001: 530).
4.3 Politische Mythen und Symbole Die Wechselbeziehung zwischen politischen Ritualen und politischen Mythen wird häufig betont (KERTZER 1998: 377, auch BENNETT 1980: 167, BIZEUL 2000: 18, EDELMAN 1990, MEYER 1992: 57f, VOIGT 1989: 9).48 Die großen politischen rituellen Inszenierungen „[…] werden von Mythen erzeugt, Mythen können aber ihrerseits ohne Liturgien nicht lange bestehen“ (BIZEUL 2000: 19). Somit sind sie zwei Seiten einer Medaille – der Mythos als episches Element und das Ritual als dramatisches Element (CASSIRER 1985: 41). Konkret heißt das laut RIVIÈRE (1988: 13), dass politische Rituale durch Mythen glaubhaft gemacht und legitimiert werden und sie durch die Wiederholung den Mythos aktualisieren sowie reproduzieren.49 Doch was sind politische Mythen? DÖRNER (1996: 43, zit. in BIZEUL 2000: 16) liefert in seinem Buch ‚Politischer Mythos und symbolische Politik‘ eine prägnante Definition. Seiner Meinung nach sind politische Mythen „[…] narrative Symbolgebilde mit einem kollektiven, auf das grundlegende Ordnungsproblem sozialer Verbände bezogenen Wirkungspotential“. BENNETT (1980: 167) vergleicht die Mythen mit den Gläsern einer Brille, durch die der Mensch die Welt betrachtet. Sie zeugen „[…] vom Ursprung einer politischen Ära und eines abgegrenzten politischen Raums. Kurz, [sie erzählen] von der Entstehung einer politischen Gemeinschaft, von einer ‚Kosmogonie‘“ (BIZEUL 2000: 17). Zusätzlich zur integrativen Komponente, die auf die politische Gemeinschaft bezogen ist, weist der politische Mythos auch eine sakrale Komponente auf: „Meist ist er sogar von einer wirklichen Mystik getragen und erzeugt so die für das Sakrale typischen, sich gegenseitigen ergänzenden Gefühle des tremendum und des fascinosum. Nationale Mythen erzählen von der Aufopferungsbereitschaft der Vorfahren für das Gemeinwesen“ (BIZEUL 2000: 17). 48 Mit politischen Mythen haben sich u. a. FRANK, BLUMENBERG, CASSIRER, FOUCAULT und BOURDIEU auseinander gesetzt (DÖRNER 1996). Insgesamt bestehen laut TUDOR (1972: 91) vier Typen politischer Mythen: politische Gründungsmythen, eschatologische Mythen, national revolutionäre Mythen und rassistische Mythen. Ihre Funktionen sind laut BIZEUL (2000) mit jenen politischer Rituale zu vergleichen (siehe Kapitel II/4.2.2 ‚Funktionen politischer Rituale‘). 49 Zu einer kritischen Stellungnahme der engen und komplementären Verbindung zwischen Ritual und Mythos siehe RIVIÈRE (1988: 13f) und WESEL (2003a: 204).
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Ein wichtiges Beispiel eines politischen Mythos stellt die Nation dar, die „[…] als Konstrukt zur Legitimierung des modernen bürokratischen Flächenstaates und zur Sicherung der Massenloyalität gesehen“ (BOCK 2000: 35) werden kann.50 Die Nation wird durch die Geschichte sowie die Orte definiert, an denen sie sich abgespielt hat (HÜBNER 1985: 349). Wichtig hierbei sind herausragende Ereignisse wie beispielsweise Schlachten, Friedensverträge oder Staatsgründungen, die drei Merkmale erfüllen. Erstens setzten sie eine gemeinsame Identität voraus und beinhalten einen Appell zur Wiederholung, zweitens können sie substanziell erfahren werden und einen ‚heiligen Schauer‘ bewirken. Drittens handelt es sich bei dem ‚fleischlichen Genuss der Vergangenheit‘ im Zuge beispielsweise des Aufsuchens solcher historischen Orte um eine numinose Erfahrung, da hier die Welt der Toten im Leben wirksam wird (HÜBNER 1985: 350f).51 Die Hauptfunktion der Nation liegt in ihrer integrierenden Wirkung u. a. mittels Symbolen, Riten und Denkmälern (BOCK 2000: 35). Wichtig für politische Handlungen und im mythischen Geflecht sind weiterhin Symbole (KERTZER 1988: 366 und 377, hierzu auch DAVALLON 1993: 209 und 213, VOIGT 1989: 14ff). „Politische Symbole stellen konzentriert diejenigen besonderen Bedeutungen und Emotionen heraus, die sich die Angehörigen einer Gruppe schaffen und wechselseitig verstärken“ (EDELMAN 1990: 9). Als Teil der politischen Deutungskultur, die verschiedene politische Interpretationsangebote liefert, kann sich ein Symbol auf mehrere Gegenstände beziehen (EDELMAN 1990: 9, SARCINELLI 1989: 293). Symbolhafte Zeichen und symbolisches Handeln stehen jedoch nicht lediglich stellvertretend für Objekte selbst, sondern sind „[…] Vehikel für die Vorstellung von Gegenständen“ (LANGER 1979: 69). In diesem Zusammenhang spricht MEYER (1992: 55) von Symbolen als ‚Instrumente der Inszenierung von Schein‘. Diese Instrumente sind nicht statisch, sondern unterliegen Veränderungen bzw. 50 Einen besonderen Platz in der Konzeption der Nation nimmt RENAN (1882) mit seiner Schrift ‚Qu’est-ce qu’une nation?‘ ein, da er neben der zu mythischer Überformung neigenden Erinnerung auch die Komponente des Vergessens einbezieht: „Das Wesen einer Nation ist, daß alle einzelnen vieles gemeinsam haben und daß sie alle vieles vergessen können“ (RENAN 1947–61: 892, zit. in ANDERSON 1993: 15). Für eine umfassende Auseinandersetzung mit der Thematik sei auf das Werk von ANDERSON (1993) verwiesen. Er betrachtet die Nation als „[…] eine vorgestellte politische Gemeinschaft […]. Vorgestellt ist sie deswegen, weil die Mitglieder selbst der kleinsten Nation die meisten anderen niemals kennen, ihnen begegnen oder auch nur von ihnen hören werden, aber im Kopf eines jeden die Vorstellung ihrer Gemeinschaft existiert“ (ANDERSON 1993: 15). 51 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt RIEMENSCHNITTER (2003: 270) in ihrem Konzept nationaler heiliger Räume.
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einem Lebenszyklus: „[…] it can come into exist-ence; it can rise and fall in symbolic value; it can migrate between groups or, more accurately, the distribution of rights in it can change; and it can go out of existence“ (HARRISON 1995: 270). Die Funktion politischer Symbolik liegt laut SARCINELLI (1989: 296) in drei Bereichen. Erstens vereinfacht sie komplexe Informationen und ermöglicht somit eine bessere Orientierung (auch KERTZER 1998: 367). Zudem kann die symbolische Politik52 die Unzufriedenheit, Gleichgültigkeit und den Vertrauensverlust der durch die Komplexität unserer Gesellschaft überforderten Menschen kompensieren (MEYER 1992: 66). Aus diesem Grund, so argumentiert MEYER (1992: 58), muss symbolische Politik in der heutigen Welt beträchtlich zunehmen, damit der Mensch die wachsende Komplexität der Strukturen und Geschehnisse zum Beispiel durch mediale Fremd-Erfahrungen bewerkstelligen kann. Zweitens werden sie verwendet, um bestimmte (gemeinsame) Weltsichten und Vorstellungen zu erzeugen und durchzusetzen (KERTZER 1998: 268f, MEYER 1992: 67, SARCINELLI 1989: 296). Drittens bewirken sie beim Betrachter kaum rationale Auseinandersetzungen mit den Inhalten, sondern erzeugen bei ihm vornehmlich Emotionen und Assoziationen (auch HARRISON 1995: 270). Denn obwohl letztlich die Menschen selbst alte Symbole abändern und neue erzeugen (KERTZER 1998: 368), erscheinen die Symbole als etwas Gegebenes, als eine Art des Weltverständnisses. Symbole des politischen Mythos der Nation sind beispielsweise Flaggen (als Zeichen der Dauerhaftigkeit, nationalen Autorität und Einheit), Hymnen, Uniformen, Gedenkfeiern, nationale Feiertage, Grabmäler von Unbekannten Soldaten, nationale Schutzpatronen (z. B. Deutscher Michel, Marianne) und Nationalembleme (z. B. Adler, Hahn) (HARRISON 1995: 262, RIVIÈRE 1988: 231ff).
52 Symbolische Politik ist von politischer Symbolik zu unterscheiden (MEYER 1992: 60f, SARCINELLI 1989: 295f). Politische Symbolik (wie beispielsweise optische, akustische oder sprachliche Reize, mit denen Politik vermittelt wird) ist noch nicht als symbolische Politik zu bezeichnen. Nach SARCINELLI (1989: 295) meint symbolische Politik „[…] den konkreten Gebrauch politischer Symbolik, also prozeßhaftes Handeln und dessen mögliche politisch-strategische Verwendungszusammenhänge im Kommunikationsverlauf […]“. Diese Definition kritisiert MEYER (1992: 60f), da Kommunikation ohne Symbole nicht möglich ist und folglich Politik nicht ohne die Verwendung von Symbolen auskommt. Stattdessen befürwortet er folgende Definition: „Symbolische Politik ist symbolisches Handeln zu politischen Zwecken. Aber nicht das Handeln mit Symbolen, sondern als Symbol“ (MEYER 1992: 62). Als Beispiel nennt er den Kniefall Brandts vor dem Ehrenmal des jüdischen Ghettos in Warschau 1970.
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4.4 Politische Orte Fragt man nach politischen Orten, hört man häufig Begriffe, die mit dem Sitz von politischen Systemen, Parteien und Parlamenten in Zusammenhang stehen. Jene Orte spielen im Kontext der Arbeit allerdings keine Rolle. Stattdessen sind all die Plätze von Bedeutung, an denen oder mit denen Gruppen und Individuen ‚Politik machen‘. Folglich Orte, deren symbolische Besetzung von politischer Bedeutung ist oder Orte, an denen politische Aussagen und Entscheidungen durch existierende Bedeutungszuschreibungen ein höheres Gewicht bekommen bzw. historisch legitimiert werden. Auch REICHEL (1995) geht in seinem Standardwerk zur Erinnerungspolitik im Kontext der nationalsozialistischen Vergangenheit davon aus, dass es bei der öffentlichen Geschichtserinnerung immer „[…] um die symbolische Besetzung von Gedächtnisorten und die Aneignung bzw. Nutzung der Ressource Geschichte für die eigene Traditionsbestimmung und Herrschaftslegitimierung [...]“ (REICHEL 1995: 325) geht. Demnach entfaltet sich für REICHEL die für die Politik unentbehrliche Manipulation der Erinnerung nicht nur im Kontext der (selektiven) Geschichtsschreibung und -bilder und in der Dimension der Gedenk- und Trauerrituale, sondern auch ganz maßgeblich im Kontext der Gedächtnisorte und Gedenkstätten. Wichtig sind hier Monumente, welche die Fähigkeit besitzen, den unterschiedlichen Wertevorstellungen und Idealen einer Gesellschaft einen gemeinsamen Rahmen zu geben. Sie spielen für die nationale Identitätsbildung und somit die Politik eine wichtige Rolle. Schon der Bau von Denkmälern und die Führung von Gedenkstätten sind ein Politikum (TILL 2003: 297). „Mit ihm streben die politischen Akteure als Denkmalsetzer an, ein zeit- und gruppenspezifisches oder gruppenübergreifendes Geschichtsbild […] buchstäblich festzuschreiben, sei es zur Legitimation ihrer eigenen Ziele, sei es zur ideellen Verpflichtung und demonstrativen Integration ihrer Anhänger […]“ (REICHEL 1995: 48, hierzu auch YOUNG 1997: 33). Ebenso Museen, allen voran die nationalen Geschichtsmuseen, sind eng mit Erinnerung und Politik verbunden:53 „Museum policy can no longer make undisputed claims for the privileges of neutrality and universality. Representation is a political act. Sponsorship is a political act. Curation is a political act. Working in a museum is a political act“ (AMES 1991: 13, zit. in KAHN 1995: 324). Zusätzlich zu den erbauten Gedenkorten des Monuments und des Museums können auch die ehemaligen Schlachtfelder selbst zu politischen Orten werden. 53 Mit dem Themenfeld ‚Museum als Ort der Politik‘ haben sich u. a. DUNCAN (1991), DUNCAN & WALLACH (1980), KAHN (1995) und WERNER (2001) auseinander gesetzt.
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Sakrale Räume Das ‚Heilige‘ ist kein Gegenstand, der in feste Zuständigkeiten gehört, [...] sondern eine ebenso unausweichliche wie überfordernde Frage, die fast nur schiefe Antworten zulässt. (KAMPER & WULF 1987b: 2)
Seit Menschengedenken gibt es Diskussionen über die Existenz von sakralen Kräften und mögliche Begegnungen des Menschen mit dem Übernatürlichen. Ob, wo und wie diese Aufeinandertreffen stattfinden, ist nicht nur Gegenstand religiöser Diskurse, sondern auch zahlreicher wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Häufig wird die These vertreten, dass ‚das Heilige‘ im Zuge der Säkularisierung, der heutigen Lebensverhältnisse und der ‚Entzauberung der Welt durch die Wissenschaft‘ aus dem modernen Leben des Menschen verschwunden sei (LIPPE 1987: 413, TUAN 1978: 94, WEBER 1958: 309). Heute existieren deswegen immer weniger Hierophanien im Sinne ELIADES, immer weniger Orte, wo sich ‚das Numinose‘ OTTOS oder ‚die Macht‘ von VAN DER LEEUWS manifestiert.54 „Das Heilige schwindet oder ist geschwunden. Das Heilige ist erloschen und es taucht, so, nicht wieder auf“ (LIPPE 1987: 413). Im Gegenzug existiert der Standpunkt, dass die Welt trotz aller Techniken und Wissensnetze nicht völlig entsakralisiert (FOUCAULT 1999), das Heilige folglich weiterhin aktuell sei (KAMPER & WULF 1987b). Dies zeigt sich in der Sehnsucht des modernen Menschen nach einer nicht konfessionsgebundenen Religiosität und Spiritualität, in dessen Folge Räume entstehen, die durch menschliches Handeln auf Transzendenz verweisen und somit als sakrale Räume bezeichnet werden können (CHIDESTER & LINENTHAL 1995, KONG 2001, PACE 1989).
5.1 Sakralität – was ist das? Bei der Beantwortung der Frage nach dem Heiligen und Sakralen existieren keine eindeutigen Antworten, sondern zwei grundlegende Definitionslinien, die um eine dritte vereinende Perspektive ergänzt werden. Zum einen handelt es sich um die Auffassung, dass Sakralität von Gott gegeben sei und sich in der hiesigen Welt an bestimmten Orten manifestiert. Zum anderen existiert die Auffassung, dass Sakralität ein Konstrukt sei, das durch menschliche Handlungen entsteht. Analog dieser Unterscheidung besteht die Trennung zwischen der Ontologie und der Konstruktion sakraler Räume, wobei der konstruktivistische Aspekt vor 54 Zu den Werken von ELIADE, OTTO und VAN DER LEEUWS siehe Kapitel II/5.1.1 ‚Die ontologisch-essentialistische Perspektive‘.
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allem in der theologischen Literatur eine untergeordnete Rolle spielt (CHIDESTER & LINENTHAL 1995: 6, KONG 2001: 218). Da für die vorliegende Studie die ontologisch-essentialistische Perspektive lediglich in Zusammenhang mit sakralen Symbolen als bedeutsam erachtet wird, soll sie in knapper Form wiedergegeben werden.
5.1.1 Die ontologisch-essentialistische Perspektive Die ontologisch-essentialistische Position zielt auf den Charakter des Heiligen und damit auf seine immanenten und transzendenten Merkmale ab. Das Heilige wird als faszinierend, heilend, unheimlich, erschreckend, Ehrfurcht gebietend oder mächtig dargestellt. Grundlegende Vertreter dieser Diskussionsrichtung sind der deutsche Theologe und Religionswissenschaftler OTTO mit seinem erstmals 1917 publizierten Buch ‚Das Heilige‘, der rumänische Religionshistoriker, Essayist und Romancier ELIADE (1956) mit dem Werk ‚Le Sacré et le Profane‘ und der niederländische Religionsphilosoph VAN DER LEEUW mit dem 1933 erschienenen Werk ‚Phänomenologie der Religion‘ (siehe Textblock 2). Textblock 2: Ansichten von ausgewählten Vertretern der ontologischessentialistischen Perspektive OTTO (1997: 5ff) prägte 1917 bei der Beschreibung des Heiligen den Begriff des Numinosen (von lat. numen, ‚Gott‘) und rief durch sein Werk weltweites Echo hervor. Auf ihn beziehen sich noch vierzig Jahre später zahlreiche Wissenschaftler. OTTO analysierte in seinem Hauptwerk ‚Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen‘ die verschiedenen Formen der religiösen Erfahrung und beschrieb das Gefühl, welches das Heilige hervorruft als ‚schauervolles Geheimnis‘ (mysterium tremendum). Hierbei unterschied er vier verschiedene Wesenszüge, die im Heiligen vereint sind (1997: 13ff), allerdings nicht zeitgleich auftreten müssen: das Moment des Schauervollen, des Übermächtigen, des Energischen und des Mysteriums. Im Moment des Schauervollen wird das Gefühl der Furcht, der Scheu und des heiligen Schauers angesprochen. Zu diesem Gefühl des Schauervollen gesellt sich im Moment des Übermächtigen die Macht, Gewalt und Übergewalt. Das Numinose ist zudem energiegeladen, es drückt sich aus in Lebendigkeit, Leidenschaft und Kraft. Im Moment des Mysteriums wird das Fremdartige, Unverstandene bzw. Unfassbare benannt, folglich das ‚Ganz Andere‘. ELIADE geht von dem Grundsatz aus, dass das Heilige zum Profanen einen Gegensatz bildet. Das Heilige offenbart sich dem Menschen an bestimmten Orten und in bestimmten Gegenständen in Form von Hierophanien. Laut ELIADE können wir somit sakrale Räume auch ohne menschliches Zutun in der Natur (Bäume, Steine) finden. Wichtig bei dieser Betrachtung ist die Tatsache, dass sich – ebenso wie das Heilige und das Profane – so auch der heilige bzw. kraftgeladene und bedeutungsvolle Raum scharf vom profanen bzw. amorphen Raum abgrenzt. Während der profane Raum in sich homogen und strukturlos ist, beinhaltet der heilige Raum einen festen Punkt, ein Zentrum (ELIADE 1998: 23f). Jede Hierophanie kann als Nabel des Kosmos, als Kreuzung von Himmel, Erde und Unterwelt angesehen werden. Nach SHINER (1972: 426) gibt es bei ELIADE fünf Merkmale von
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RITUALE MACHEN RÄUME sakralen Räumen: Sie markieren einen Bruch im bisher homogenen Raum; diese Brüche ermöglichen eine räumliche Orientierung; das Zentrum des sakralen Raumes ist ebenso eine Verbindung zwischen den Kosmen (axis mundi oder omphalos); durch die Weihung des horizontalen und vertikalen Zentrums wird eine Welt gegründet; diese Gründung wird als Wiederholung des Schöpfungsaktes der Götter angesehen. Durch die Durchbrechung und Verbindung der kosmischen Ebenen wird ein Übergang „[...] von einer Seinsweise zur anderen“ ermöglicht (ELIADE 1998: 58). Zusammenfassend lassen sich drei grundlegende Axiome bei ELIADE für die Analyse von sakralen Räumen erkennen: Der sakrale Raum steht erstens außerhalb des homogenen und gewöhnlichen Raumes, ermöglicht zweitens das Bewegen auf verschiedenen Realitätsebenen und ist drittens eine Manifestation des Heiligen, eine Hierophanie (CHIDESTER & LINENTHAL 1995: 16). Der von ELIADE proklamierte Gegensatz zwischen dem Heiligen und dem Profanen ist häufig der Ausgangspunkt für eine kritische Auseinandersetzung mit seinem Werk, da sich das Sakrale und Profane durchaus überlappen können (SHINER 1972, LANE 2002, SMITH 1978a). Die Arbeit von VAN DER LEEUW (1956) beinhaltet sowohl die gottgegebene als auch versteckt die menschengeschaffene Perspektive des sakralen Raumes. Im ersten Teil seines Buches schildert VAN DER LEEUW die Objekte der Religion, in denen sich ‚die Macht‘ des Heiligen manifestiert (Steine, Bäume, Wasser, Feuer, Tiere etc.). Im zweiten Abschnitt stellt er ihre Subjekte (der heilige Mensch, die menschliche Seele, die Gemeinschaft) dar. Er erarbeitet laut CHIDESTER & LINENTHAL (1995: 7) eine Liste von sakralen Orten, die sich relativ genau in ihrer Metaphorik entsprechen: Heim, Tempel, Siedlung, Pilgerstätte und menschlicher Körper. Zudem entwickelt VAN DER LEEUW eine zweite Serie von Entsprechungen (Homologien), die für die ersten Begriffe stehen können: Feuerstelle (Heim), Altar (Tempel), Heiligtum (einer Siedlung), Schrein (einer Pilgerstätte) und Herz (eines menschlichen Körpers). Somit kommt er ähnlich wie ELIADE zu dem Ergebnis, dass in jedem Zentrum eines jeden sakralen Ortes ein weiteres Zentrum existiert. Im dritten Kapitel stellt VAN DER LEEUW die Wirkung von Objekt und Subjekt aufeinander dar. In diesem Zusammenhang thematisiert er den sakralen Raum, den er folgendermaßen definiert: Der „[...] heilige Raum ist ein Ort, der zur Stätte wird, indem sich an ihm die Wirkung der Macht wiederholt oder vom Menschen wiederholt wird. Er ist die Stelle des Kults“ (VAN DER LEEUW 1956: 446). Obwohl er die rituelle Komponente des Kultes – also den Menschen als Akteur bei der Herstellung des sakralen Raums – anspricht, stellt er kurz danach fest, dass die „[...] geheimnisvolle Lage eines Ortes, sein schaudervoller Charakter [...]“ für die Sakralität genügt: Der „[...] Mensch tut zur Natur nichts hinzu“ (VAN DER LEEUW 1956: 446). Zwar hat VAN DER LEEUW keine Theoretisierung und Schematisierung von sakralen Räumen vorgenommen, doch haben sich seine Entsprechungen als Basisvokabular für die Analyse von sakralen Orten etabliert (CHIDESTER& LINENTHAL 1995: 7).
5.1.2 Die konstruktivistische Perspektive Die kulturell-konstruktivistische Position geht in ihren Ursprüngen zurück auf die französischen Ethnologen MAUSS (1902) und VAN GENNEP (1909). MAUSS betont in seiner Abhandlung über die Magie, dass die Haltung der Gesellschaft magische Kräfte verleihe (LÉVI-STRAUSS 1989: 13f). Ebenso betont VAN GENNEP (1909) in seinen ‚Rites de pas48
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sage‘, dass nichts von sich aus heilig ist und das Heilige erst in Verbindung mit menschlichem Handeln entsteht. Somit ist das Heilige für sie ein ‚symbolischer Nullwert‘ (LÉVI-STRAUSS 1989: 40), der an sich bedeutungsleer ist und erst durch den Menschen mit Bedeutung gefüllt wird. Trotz der namhaften Vorgänger wird innerhalb dieser Denkrichtung am häufigsten auf die Arbeit ‚Les formes élémentaires de la vie religieuse‘ (1968) des französischen Soziologen und Philosophen DURKHEIM verwiesen, der das religiöse Phänomen in zwei Kategorien aufteilt: Glaubensüberzeugungen bzw. Vorstellungen und Handlungsweisen (DURKHEIM 1984: 62). DURKHEIM sieht Glauben und religiöse Handlungen ebenso wie MAUSS und VAN GENNEP als das Resultat menschlicher Beziehungen und sozialer Kräfte und nicht als eine spirituelle Realität an (COLEMAN & ELSNER 1995: 199). Er unterstreicht, dass der Mensch sich „[...] ständig heilige Dinge erschafft“ (DURKHEIM 1984: 293), dass also ehemals profane Dinge durch die Gesellschaft geheiligt werden können. Die Gruppe von Wissenschaftlern, welche die Position vertreten, dass sakrale Räume durch menschliche Wahrnehmungen und Handlungen entstehen, geht also davon aus, „[...] [that] there is nothing that is inherently sacred or profane. These are not substantive categories, but rather situational or relational categories, mobile boundaries which shift according to the map being employed. There is nothing that is sacred in itself, only things sacred in relation“ (SMITH 1982: 55). Anders gesprochen sind sakrale Räume immer potenziell vorhanden; sie müssen nur durch die Gesellschaft erzeugt, wahrgenommen und erhalten werden (SHERRILL 1995: 319). Einige Wissenschaftler gehen noch weiter und behaupten, „[...] [that sacred space] is not merely discovered, or founded, or constructed; it is claimed, owned, and operated by people advancing specific interests“ (CHIDESTER & LINENTHAL 1995: 15). Sakrale Räume sind ihrer Meinung nach umkämpft, ebenso wie ‚das Heilige‘ selbst (CHIDESTER & LINENTHAL 1995, SEARS 1998). Als Antwort auf die Frage, warum sakrale Räume umkämpft werden, liefern CHIDESTER & LINENTHAL (1995: 18f) zwei Gründe. Zum einen verweisen sie auf die Tatsache, dass Räume immer umkämpft werden und es unvermeidbare Konflikte über Orte und Räume in menschlichen Beziehungen gibt. Somit sehen sie Konflikte als ein notwendiges Merkmal der Räumlichkeit an. Dieser Gedanke lässt sich auf die Aussage von FOUCAULT (1984: 252) zurückführen, die besagt, dass der Raum ein zentraler Bestandteil für die Ausübung von Macht sei.55 55 Hier fällt natürlich sofort eine Vermischung mit politischen Raumkonstruktionen auf (siehe Kapitel II/4 ‚Politische Räume‘). Diese Überlappung entspricht zwar der Verbindung zwischen Religion und Politik im
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Zum anderen werden dem Raum im Zuge seiner Sakralisierung durch unterschiedliche Personengruppen eine Vielzahl von differierenden Bedeutungen, Zeichen und Symbolen zugesprochen. Bei den Konflikten um sakrale Räume geht es also – im Gegensatz zu ‚nicht-sakralen‘ Räumen – nicht vorwiegend um knappe Ressourcen, sondern vielmehr um die entstandenen symbolischen Überbauten, um den Besitz des symbolischen Kapitals. Die signifikanten Aspekte des heiligen Raumes sind somit „[...] hierarchical power relations of domination and subordination, inclusion and exclusion, appropriation and dispossession“ (CHIDESTER & LINENTHAL 1995: 17). CHIDESTER & LINENTHAL (1995: 19f) entwickeln vier Strategien für die Produktion und Reproduktion von sakralen Räumen. Als erstes ist die Strategie der Aneignung zu nennen, die besagt, dass Macht angewendet wird, um sich sakrale Orte anzueignen und ihren Besitz zu legalisieren. Da keine Aneignung endgültig sein kann, sind Konflikte über das Eigentum und seine Kontrolle für sakrale Orte ‚endemisch‘. Der Status eines Ortes lässt sich daran festmachen, ob Menschen bereit sind, sich über seine symbolische Bedeutung zu streiten (GLASS 1995: 178). Der Raum ist dann am heiligsten, wenn es die härtesten Kämpfe um ihn gibt: „[...] a space or place is perhaps revealed at its most sacred when people are willing to fight, kill, or die over its ownership and control“ (CHIDESTER & LINENTHAL 1995: 19). Die Strategie des Ausschlusses zielt auf die Erhaltung der Heiligkeit eines Ortes durch die Abgrenzung von Innen und Außen und somit den Ausschluss von Personen aus dem Inneren ab. Drittens führen CHIDESTER & LINENTHAL die Strategie der Umkehrung an, die besagt, dass die bisher bestehende räumliche und soziale Ordnung umgedreht wird, so dass aus dem Inneren das Äußere sowie aus dem Peripheren das Zentrale etc. wird. Als vierte Strategie nennen sie die der Hybridisierung der bisher bestehenden, konventionellen Raumbeziehungen, durch die Heterotopien (Andere Räume) im Sinne FOUCAULTS (1999) entstehen. Als Beispiel für diese Vermischung geben sie Pearl Harbor an. Hier handelt es sich zugleich um einen Nationalpark, ein patriotisches Monument und einen Soldatenfriedhof. CHIDESTER & LINENTHAL haben so die Axiome ELIADES auf drei Ebenen völlig umgestoßen. Erstens heben sich bei ihnen die sakralen Orte auch von dem gewöhnlichen Umfeld ab, doch nicht im absoluten Sinne ELIADES. Für sie sind sie von wirtschaftlichen, sozialen und politischen Kräften durchdrungen. Zweitens handelt es sich bei sakralen Räumen nicht um mythologische Kategorien, sondern um hierarchische Sinne einer Zivilreligion (siehe Kapitel II/7.3 ‚Diskussion des theoretischkonzeptionellen Analyserasters), erschwert aber eine klare Trennung der Phänomene.
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Machtkategorien von Dominanz und Unterordnung, von Inklusion und Exklusion. Drittens wenden sie sich von der Annahme ab, dass das Heilige sich manifestiert, da dies die symbolische Arbeit bei der Erzeugung eines sakralen Raumes verdeckt. Sakrale Orte werden von dominierenden politischen und wirtschaftlichen Interessen ausgebeutet und es bestehen gewaltsame Kämpfe um deren Macht und Reinheit (CHIDESTER & LINENTHAL 1995: 18).
5.1.3 Die phänomenologische Perspektive Ein Verfechter der vereinigenden phänomenologischen Position ist LANE (2002). Er vertritt die Meinung, dass sakrale Orte mehr sind als lediglich eine menschliche Konstruktion, räumt jedoch sofort ein, dass es ein schwieriges Unterfangen sei, die ontologisch-essentialistischen und konstruktivistischen Perspektiven zu vereinen. Jeder Position diagnostiziert er die Missachtung wichtiger Aspekte für das Verständnis sakraler Räume: „Those who rightly insist on the cultural construction of all placed experience too often ignore the web of interconnectedness that extends deeply into the natural world. On the other hand, those who would emphasize the autonomous, even magical qualities of places that reveal the sacred too easily disregard the social, economic, and political forces that inevitably determine negotiations about their use“ (LANE 2002: 5). Zudem, so kritisiert LANE die konstruktivistische Perspektive weiter, wird die Bedeutung der Orte selbst nicht beachtet und Orte lediglich als neutrale und unwichtige Objekte behandelt. Allerdings erkennt LANE auch Vorteile der konstruktivistischen Perspektive, die er maßgeblich in den sozialwissenschaftlichen Methoden für die Analyse der sakralen Orte sieht.56 Die Konstruktivisten, so LANES Einschätzung, analysieren sakrale Räume von einer Außenperspektive, er dagegen betrachte sie von innen, also aus der Perspektive der Menschen, die Ansprüche auf die vielseitige Nutzung und symbolische Bedeutung erheben (LANE 2002: 6). Was ihn maßgeblich fasziniert, sind die „[...] ambiguity, and mystery of people’s deeply personal experience of place [...]“ (LANE 2002: 6). LANE betont, dass sakrale Räume vor allem ‚storied-places‘, also geschichtenumrankte Orte seien. Orte werden als sakral angesehen, „[...] because of the stories that are told about them. [...] The places become valued in proportion to the number and power of stories that are attached to them“ (LANE 2002: 16).
56 Bei der Bewertung der konstruktivistischen Perspektive bezieht sich LANE maßgeblich auf die Werke von CHIDESTER & LINENTHAL (1995) sowie auf SEARS (1998).
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LANE entwickelt in seiner Arbeit vier Axiome für die Studie von sakralen Orten, die vor allem die individuelle Wahrnehmung eines Ortes betreffen (LANE 2002: 38). 1. Der sakrale Ort wird nicht ausgesucht, er sucht sich selbst aus. Hier tritt er in ELIADES Fußstapfen und betont die Initiative des Heiligen, sich selbst zu zeigen. 2. Der sakrale Ort ist ein gewöhnlicher Ort, welcher durch Rituale als sakral wahrgenommen wird: „It becomes recognized as sacred because of certain ritual acts that are performed there, setting it apart as unique“ (LANE 2002: 19). 3. Der sakrale Ort wird existenziell durch einen anderen Bewusstseinszustand wahrgenommen: „The identification of sacred place is thus intimately related to states of consciousness“ (LANE 2002: 19). Doch wie erreicht man diese Bewusstseinsebene? Vielleicht ist es, so LANE (2002: 30), der „[...] process of ‚making strange‘ [...]“, der den Zugang ermöglicht und der in bestimmten Lebensphasen durch Initiationsrituale und Annäherungsgesten erfolgt. 4. Der sakrale Raum ist sowohl lokal als auch global anzutreffen, da Gott allgegenwärtig ist. LANE hebt also hervor, dass ein sakraler Raum „[...] is not simply a unique site magically ‚possessed‘ by chthonic forces. Nor is it a topographical wax nose that can be culturally twisted into anything one makes of it“ (LANE 2002: 52). Er kommt zu dem Ergebnis, dass sakrale Orte über eine eigene Stimme verfügen und mit ihr auch sprechen. Die Menschen hören diese Stimme dann durch ihr kulturell konditioniertes Ohr (LANE 2002: 56). Somit unterstreicht LANE die individuelle Wahrnehmung des Numinosen oder ‚ganz Anderen‘ durch das Individuum, die von Kultur und Ort abhängig ist. „The joining of these three terms – place, culture, sacredness – allows us to recognize what it is that attracts people to some places so remote that few human beings have ever had the opportunity of seeing them“ (LANE 2002: 57). Die Vereinigung der ontologisch-essentialistischen und konstruktivistischen Perspektive kann aus Sicht der Verfasserin nicht gelingen. LANE hat lediglich seine ontologisch-essentialistische Perspektive um den Aspekt der individuellen Wahrnehmung des Numinosen erweitert und einen verstärkten Akzent auf die rituelle Komponente im Sakralisierungsprozess gelegt. Auch der Ansicht, dass den Orten eine (heilige) Bedeutung inhärent sei, kann aus Sicht der Autorin nicht zugestimmt werden. Vielmehr nehmen sie als Bedeutungsträger Einfluss auf die Konstruktion von Räumen (siehe II/7.1 ‚Rituale und Räume‘). Der grundlegende Unterschied der beiden Perspektiven – nämlich einmal die 52
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Ansicht, dass das Heilige real existiert und es sich in Gegenständen und Menschen zeigt, und zum anderen die Überzeugung, dass das Numinose eine menschliche Konstruktion ist – ist so fundamental, dass sie nicht zu vereinigen sind. Wichtig erscheint allerdings, dass – unabhängig der eingenommenen Perspektive – die an den als sakral erachteten Orten vollzogenen Handlungen sehr ähnlich sind und so beide Konzepte aus postmoderner Sicht anschlussfähig sind.
5.2 Sakrale Rituale Rituale werden oftmals als charakteristische Bestandteile der religiösen Praxis, als das Herzstück religiöser Erfahrung verstanden (ZULEHNER 2000: 16). Sie lassen sakrale Räume entstehen: „Erst die Markierung macht [...] aus einem faszinierenden Ort eine heilige Stätte. Dazu gehören die rituelle Einweihung, eine dauerhafte Kennzeichnung und meist auch regelmäßig wiederholte Riten“ (BAUDY 2000: 1551). Rituale wie beispielsweise Anbetungen, Opferungen, Gebete oder Pilgerfahrten werden an unterschiedlichen Orten (z. B. Kirche, Heiligtum, Haus, auf einem offenen Feld), von unterschiedlichen sozialen Einheiten (Individuen, Familien, Dorfgemeinschaften etc.) und für unterschiedlich lange Zeit vollzogen (SINGH 1988). Laut SMITH sind sich verändernde Haltungen bzw. Einstellungen der Teilnehmer charakteristisch für Rituale und sogar ihr zentrales Ziel. Die Veränderung bestehender und gemeinsamer Bedeutungszuschreibungen ist laut SMITH (1996a, 1996b) eine Möglichkeit, einen Raum heilig werden zu lassen. Aus diesem Grund ist es wichtig zu berücksichtigen, unter welchen Umständen ein ‚dies‘ zu einem ‚das‘ wird; wie also – salopp gesprochen – aus einem ‚normalen Rindvieh‘ eine ‚heilige Kuh‘ wird.57
5.2.1 Liturgische Rituale Liturgie, so ADAM (1985: 13), ist „[...] die Aktionsgemeinschaft des Hohenpriesters Jesus Christus und seiner Kirche zur Heilung der Menschen und zur Verherrlichung des himmlischen Vaters“. Da es sich um eine Aktionsgemeinschaft handelt, bezeichnet dieser Vorgang folglich einen Austausch bzw. Dialog zwischen Gott und den Menschen, einen ‚heiligen Austausch‘ (ADAM 1985: 13). Oftmals wird die Liturgie auch mit dem Kult gleichgesetzt. „Kult im weiteren Sinne umfasst die Gesamtheit der Reaktionen des gläubigen Menschen auf die von ihm erlebten Manifestationen des Übersinnlichen [...]. Kult in engerer und eigent57 Da sich die vorliegende Arbeit mit dem christlichen Kulturkreis beschäftigt, wird im folgenden Kapitel nur auf christliche Rituale in Mittel- und Westeuropa eingegangen.
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licherer Bedeutung unterscheidet sich von sakraler Tätigkeit im weiteren Sinne durch die spezifische Haltung der Ehrfurcht, der inneren Unterwerfung und Hingabe gegenüber transzendenten Gewalten“ (WENHART 2000: 44). Um göttliche Gnade zu erhalten, wird Gott in Liturgie und Kult „[...] in Lobpreis und Dank, in Zeichen und Symbolen, in Gesang und Musik und in den verschiedenen Opferhandlungen“ (ADAM 1985: 14) verehrt. Im Mittelpunkt der Liturgie steht die Eucharistiefeier. Neben dieser zentralen Feierlichkeit beinhaltet die Liturgie die großen (z. B. Taufe, Firmung, Bußsakrament, Weihesakrament und Ehesakrament) und kleinen (Weihungen und Segnungen verschiedener Art) Sakramente, die Verkündigung des Gotteswortes in Lesung und Predigt, das Stundengebet der Kirche sowie besondere gottesdienstliche Versammlungen (Andachten, Feierstunden, Prozessionen) (ADAM 1985: 16).
5.2.1.1 Die Eucharistiefeier Die Messfeier besteht aus zwei miteinander eng verbundenen Teilen, dem Wortgottesdienst und der Eucharistiefeier, die von einer Eröffnung und einem Abschluss umrahmt sind. Der Ablauf der katholischen Messfeier58 ist Tabelle 2 zu entnehmen. Grundsätzlich sind im Gottesdienst zwei Handlungsdimensionen vorhanden: das Heilsmysterium und das zwischenmenschliche Handeln. In der ersten Dimension wendet sich Gott durch Christus der Gemeinde zu und teilt sich ihr mit. Durch die Begegnung von Gott und den Menschen verwirklicht sich das Heilsmysterium. „Dieser Vorgang läßt sich im wesentlichen nur vom Glauben her erfassen und entzieht sich deshalb weitgehend der empirischen Beobachtung“ (ADAM 1985: 60). Im Gegensatz hierzu lassen sich die zwischenmenschlichen Handlungen als Kommunikationsprozess erkennen und beobachten. Die Kommunikation erfolgt durch den Kommunikator (Sprecher), der durch verbale und nonverbale Signale Informationen an den Kommunikanten (Hörer) vermittelt (ADAM 1985: 60). Aus diesem Grund ist es für die empirische Arbeit wichtig, die Kategorien ‚Sender‘, ‚Empfänger‘ und ‚Zeichen‘ zu untersuchen. Während im Kontext der Zeichen und Symbole im protestantischen Gottesdienst der Schwerpunkt auf das gesprochene Wort gelegt wird, wird in der katholischen Liturgie den symbolischen Formen (wie beispielsweise der ‚Sprache des Raumes‘, Lichtführung, Farbgebung der Wände und in Fenstern, Gestik und Bewegungen, Kerzen, Geräte, Glocken- und Orgelklang sowie dem Schmuck und der Kleidung) ein bestimmendes Eigengewicht zugesprochen (JETTER 1978: 163). 58 Das Beispiel der katholischen Feierlichkeiten wurde gewählt, da es für die Fallbeispiele mehr Relevanz besitzt als protestantische Gottesdienste.
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Tabelle 2: Gliederung der katholischen Messfeier Bestandteile
Inhalte und Handlungen
Eröffnung
Einzug mit Gesang, Verehrung des Altars mit Kuss und Inzens (Beräuchern mit Weihrauch), Kreuzzeichen, Begrüßung der Gemeinde, Einführung, Bußakt, Kyrie, Gloria, Tagesgebet
Wortgottesdienst Lesungen, Zwischengesänge, Evangelium, Homilie (Auslegung der heiligen Texte), Credo (Glaubenbekenntnis), Fürbitten Eucharistiefeier Gabenbereitung Herbeibringen der Gaben, Bereitungsgebet, Inzens, Händewaschung, Gabengebet Hochgebet Präfation (Preisung des Vaters und Dank für Erlösung) mit Sanctus, Wandlungsepiklese (Rufen des Heiligen Geistes, um Brot und Wein in Fleisch und Blut Jesus umzuwandeln), Einsetzungworte, Anamnese (Gedächtnis des gesamten Heilwerkes Christi), Opfergebet, Kommunionsepiklese (Bitte um fruchtreichen Empfang der heiligen Speise) mit Gebet um Einheit, Fürbittgebete mit Heiligengedächtnis, Doxologie (Lobspruch) Kommunion Vaterunser mit Embolismus und Akklamation (Gebet mit Bitte um Erlösung von dem Bösen), Ritus des Friedens, Brotbrechung und Mischung, Agnus Dei (Gebetshymnus), Vorbereitungsgebet, Kommunionsempfang, Danksagung und Schlussgebet Abschluss
Pfarrliche Mitteilungen, Segen, Entlassung, Altarkuss, Rezess (Priester begibt sich in Sakristei)
Quelle: nach ADAM (1985: 136)
5.2.1.2 Die Begräbnisliturgie Trauer- und Bestattungsrituale helfen den Hinterbliebenen bei der Aufarbeitung des oftmals als schrecklich und grauenvoll wahrgenommenen Verlustes einer Person (NASSEHI & WEBER 1989: 248). „Sie ermöglichen es dem Menschen [...] sinnhaft […] zu reagieren, Trost und innere Sicherheit zurückzugewinnen, die durch die Katastrophe des Verlustes eines Angehörigen bedroht oder zerstört wurde und ohne die innerliche Stützung durch rituelle Akte zur völligen Desorganisation der Persönlichkeit führen kann“ (HAHN 1968: 100). Da die Kirche selbst in der ‚säkularisierten‘ modernen westlichen Welt fast ausschließlich für die
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Begräbniszeremonie zuständig ist, soll hier zunächst der rituelle Ablauf der christlichen Trauerfeier59 dargestellt werden und anschließend kurz auf die Ähnlichkeit zu Übergangsriten verwiesen werden. Die Begräbnis- und Trauerfeier stellt den rituellen Höhepunkt im Geschehen zwischen dem Tod einer Person und der Grabschließung dar (NÖLLE 1997: 60)60. Hierbei existieren drei Grundtypen (ADAM 1985: 233), die unterschiedlich viele Stationen im Begräbnisablauf beinhalten. Falls sich die Feierlichkeit an mehreren Stationen vollzieht, so findet die Ortsverlagerung in Form eines Trauerzuges statt. Hierbei schreiten die Trauernden hinter dem von Friedhofsangestellten auf einem Rollwagen gezogenen Sarg zum Grab (NÖLLE 1997: 63). Am Grab spricht der Zelebrant ein Gebet oder persönliche Worte des Abschieds. Vor Einsenken des Sarges wird in der katholischen Liturgie der Sarg zum Schutz vor Dämonen mit Weihwasser besprengt (NÖLLE 1997: 63, ADAM 1985: 233) oder mit Weihrauch geehrt. Die Trauergemeinde verabschiedet sich durch Blumen- und Erdwurf vom Toten. Anschließend macht der Priester ein Kreuzzeichen über dem Grab oder steckt ein Kreuz in den Boden (ADAM 1985: 233). Häufig werden noch Fürbitten für den Toten, die trauernden Angehörigen und alle Anwesenden gelesen. Ein abschließendes Segenswort beendet die Trauerfeier am Grab. Nicht selten werden Begräbnisrituale aus anthropologischer Perspektive als Übergangsrituale interpretiert (DAVIES 2002, VAN GENNEP 1996, NÖLLE 1997). Während VAN GENNEP (1996: 530) bei Begräbniszeremonien primär die Loslösungs- und Umwandlungsriten für die Hinterbliebenen betont (siehe auch VAN GENNEP 1999: 142ff), interpretiert NÖLLE (1997: 62) in Anlehnung an ELIADE Begräbnisrituale als ‚Rites de Passage‘ sowohl für die Verstorbenen als auch Überlebenden. Natürlich gibt es noch zahlreiche andere Erklärungsansätze für Begräbnisund Trauerrituale. Aus soziologischer Perspektive ist beispielsweise die Arbeit von BAUMAN (1992) zu nennen, der die Funktion von religiösen Begräbnisritualen nicht zuletzt darin sieht, den Eindruck zu vermitteln, dass der Tod kontrollierbar sei. 59 In der protestantischen Begräbnisfeier wird mehr auf das Leben des Verstorbenen eingegangen als in der katholischen Liturgie. In letzterer wird zwar auch des Verstorbenen selbst gedacht, allerdings spielen der Tod und die Auferstehung Jesus Christus, seine erwartete Wiederkehr sowie die Auferstehung der Toten eine zentrale thematische Rolle. Durch diese christliche Hoffnung sollen die Angehörigen in ihrer Trauerarbeit unterstützt werden (ADAM 1985: 232, NÖLLE 1997: 62f). 60 Für einen Einblick in die verschiedenen wissenschaftlichen (vor allem anthropologischen) Erklärungsansätze der ‚Death Rituals‘ sei hier auf die Monographien von BEN-AMOS (2000), DAVIES (2002) und METCALF & HUNTINGTON (1991) verwiesen.
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5.2.2 Pilgerreisen und Wallfahrten Je nach Sprachgebrauch existieren unterschiedliche Definitionen von Pilger- und Wallfahrten. Unter dem englischen Begriff ‚pilgrimage‘, der sowohl Pilger- als auch Wallfahrten vereint, versteht PACE (1989: 229) „[...] a type of collective action, with which people identify and for which they mobilize with the strength of their attachment to a place held to be theopanic [...]“. Ähnlich wird im Französischen nicht zwischen den Reisen der Pilger und Wallfahrer (pèlerinage) unterschieden. Anders im Deutschen: „Wallfahrten sind außerliturgische, gemeinschaftliche und daher in der Regel prozessionsweise, in regelmäßigen Zeitabständen (meist alljährlich zu einem bestimmten Termin) unternommene Bittoder Bußgänge zu bestimmten Gnadenstätten [...]“ (DÜNNINGER 1961 & 1962, zit. in PLÖTZ 1991: 31f). Der Unterschied zur Pilgerreise besteht darin, dass die Wallfahrt nicht der Privatfrömmigkeit angehört, reich an ‚spektakulären Gemeinschaftsriten‘ ist (HERBERS 1991: 30, PLÖTZ 1991: 32) und durch die relativ kurze Dauer dem Naherholungsverkehr (und nicht dem Fremdenverkehr) zuzurechnen ist (RINSCHEDE & SIEVERS 1985: 188). Eine ‚vernünftige‘ Arbeitsdefinition der Pilgerreise setzt sich, in Anlehnung an STODDARD (1994: 18), aus drei Komponenten zusammen: Pilgerfahrten beinhalten 1) eine Bewegung, die sich in der Reise ausdrückt, 2) eine Motivation für diese Reise, die einen religiösen oder spirituellen Hintergrund hat und 3) ein Ziel, also ein Ort, der als sakral wahrgenommen und eingestuft wird.
5.2.2.1 Erklärungsansätze Die vorhandene Literatur zu Pilgerreisen ist äußerst umfangreich; es existieren viele Betrachtungen aus akademischer, persönlicher, konfessioneller und kirchlicher Perspektive (COLEMAN & ELSNER 1995: 7). An dieser Stelle soll das Augenmerk auf wissenschaftliche Studien gelenkt werden, die zum großen Teil von Historikern und Religionsgeographen, Religionswissenschaftlern und Theologen sowie Ethnologen verfasst wurden. Vornehmlich deskriptiv haben bislang Historiker, Religionsgeographen, Religionsfunktionalisten und Theologen gearbeitet (READER 1993a: 14). Sie beschäftigen sich beispielsweise mit Darstellungen von Pilgerreisen in unterschiedlichen Kulturkreisen, der geographischen Verteilung der Pilgerstätten, den funktionsräumlichen Auswirkungen der Pilgerreisen auf die Pilgerorte oder dem Beziehungsgeflecht zwischen den Pilgern, ihrer Herkunft und sozialen Gruppierung (BOWMAN 1988: 20, COLEMAN & ELSNER 1995: 198, RINSCHEDE & SIEVERS 1985: 183, SOPHER 1981: 516). Die Ansicht, dass Pilgerreisen die Möglichkeit geben, ‚das Heilige‘ zu treffen, stellt einen klaren Gegensatz zur ethnologi57
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schen Perspektive dar, die beispielsweise die Anbetung von sakralen Gegenständen in Zusammenhang mit der Bildung einer Gruppenidentität betont. Was somit im allgemeinen Forschungsansatz bei sakralen Räumen festzustellen ist, nämlich dass Ethnologen versuchen „[...] to define the sacred through the filter of society, scholars such as ELIADE [...] have sought to affirm the existence of the sacred beyond society“ (COLEMAN & ELSNER 1995: 200), ist auch bei der Herangehensweise an das Phänomen der Pilgerreise zu beobachten. Die grundlegende und einflussreichste Theorie der Pilgerreisen wurde von VICTOR und EDITH TURNER (1978) aufgestellt. Sie beinhaltet sowohl religiöse als auch sozialwissenschaftliche Sichtweisen. TURNER & TURNER argumentieren, dass die Pilger auf ihrer Reise die gewohnten sozialen Strukturen hinter sich lassen und in eine Welt der Antistruktur61 eintreten. „Everyday norms of social status, hierarchy and interaction are ideally abandoned in favour of the development of spontaneous association and shared experiences“ (COLEMAN & ELSNER 1995: 201). Dadurch, dass der Pilger aus seinem sozialen Kontext enthoben wird, erfährt er auf der Pilgerreise einen temporären sozialen Tod (COLEMAN & ELSNER 1995: 201). „In this sense they are ‚dying‘ from what was and are passing into an equivocal domain occupied by those who are (in various ways) ‚dead‘ to quotidian existence in social systems“ (TURNER 1979: 122). Laut TURNER & TURNER (1978: 30) stellt die Pilgerreise einen Weg dar „[...] to a liminal world where the ideal is felt to be real, where the tainted social persona may be cleansed and renewed“. Die Veränderungen des nach Heil Suchenden zwischen dem Beginn und dem Ende seiner Pilgerreise können in folgenden Übergangsphasen interpretiert werden (siehe Tabelle 3). OSTERRIETH (1989: 147ff) hat diese Phasen am Beispiel von mittelalterlichen Pilgerfahrten herausgearbeitet. In der Phase der Loslösung trennte sich der Pilger von seiner Identität und seinem Status. Er legte seine alten Kleider ab, schrieb seine Wünsche nieder und bereitete sich auf die Reise vor. Kurz bevor der Pilger seinen Heimatort verließ, nahm er noch an einer religiösen Zeremonie teil, die das Ende dieser ersten Phase markierte. Mit seiner Abreise trat sein symbolischer sozialer Tod ein und der Prozess der Wiedergeburt begann. Auf der Reise musste er eine ihm unbekannte Gegend durchqueren (TUAN 1978: 89) sowie sich vielen Problemen und Gefahren stellen, die ihn näher zu Gott brachten. In Gebeten und Andachten, durch das Hören von Predigten und Heiligenerzählungen, durch das Aufsuchen von Heiligtümern und Reliquien gab er sich Gott hin. Der Prozess von Tod und Wiedergeburt „[...] is fi61 Siehe Fußnote 4.
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nalized at the sacred place marking the end of the pilgrimage. The journey is the means of acquiring competence for the final stage [...]“ (OSTERRIETH 1989: 152), also für die Begegnung mit Gott, welche die Transformation der Pilgerreisenden vervollständigte. Tabelle 3: Die Phasen einer Pilgerreise Pilgerreise Vorbereitungen der Abreise Phasen des Übergangsrituals nach Loslösung VAN GENNEP & TURNER Phasen der Pilgerfahrt nach OSTERRIETH
Loslösung
Begegnung mit dem Numinosen
Feiertag und Rückkehr
Transformationsphase bzw. Liminale Phase
Eingliederung in einen neuen Status
Reise
Bewusst- Vereinigung Vereinigung mit dem mit dem seinsProfanen schwelle Numinosen
Wie sehr der Pilger auch heute noch von Transformation und der Konfrontation mit dem exotischen Neuen betroffen ist, hängt von seiner Reiseart ab. „Pilgrims who travel in a group of likeminded companions may not need to deal directly with the challenge of the exotic“ (COLEMAN & ELSNER 1995: 207). Im Mittelalter kamen die Pilger meist anlässlich eines Feiertages am Zielort an, gingen zur Beichte und in eine Messe. „Together, they participated in the great religious ceremonies, overwhelmed by the massive expectations, the general piety, and overawed by the presence of the sacred“ (OSTERRIETH 1989: 153). Freude und Glücksgefühl über die vollzogene Erlösung drückten sich in zahlreichen Festen, Umtrünken, Gesängen und in gegenseitiger Beglückwünschung aus. Bevor der Pilger die Heimreise antrat, legte er sich noch zahlreiche Gegenstände wie Abzeichen und Medaillen zu.62 Diese erfüllen mehrere Zwecke: Erstens bezeugen sie seine erfolgreiche Pilgerfahrt und zeichnen ihn als einen neuen Menschen aus, zweitens sind sie Träger von sakraler Kraft, die auf diese Art und Weise in die Heimat mit zurückgenommen werden kann, und drittens fungieren sie als Souvenirs. „By 62 Auch im Kontext von Gedenkzeremonien werden für die Teilnehmer wichtige Artefakte produziert, von DAVALLON (1993: 215) ‚objets de mémoire‘ genannt. Diese Objekte, die als Erinnerungsträger für ‚authentische‘ Erlebnisse fungieren, können in zwei Kategorien unterschieden werden. Erstens gibt es käufliche Souvenirs, deren materielle Dimension mit individuellen Geschichten aufgeladen wird, und zweitens eng mit lebensgeschichtlichen Übergängen verbundene, nicht käuflich zu erwerbende Gedenkobjekte (BINDER 2001: 547).
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bringing back hallowed objects, the pilgrim served as a link between the sacred grounds and his native community“ (OSTERRIETH 1989: 154). So oft und so gerne auf TURNERS Dreiphasen-Theorie in den wissenschaftlichen Abhandlungen über Pilgerreisen verwiesen wird, nicht selten wird sie ebenso kritisiert. Vor allem seine Betonung der in der liminalen Phase entstehenden Communitas,63 also der Erzeugung eines Verbundenheits- und Gemeinschaftsgefühls unter den Pilgern, wird vielfach beanstandet (EADE & SALLNOW 1991: 5, READER 1993a: 12). Statt der in TURNERS Augen stattfindenden Auflösung von sozialen Grenzen und Unterschieden,64 argumentieren EADE & SALLNOW (1991: 5) für deren Verstärkung und diagnostizieren Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen an der Pilgerstätte. Zudem wird TURNER vorgeworfen, dass er die Bedeutung der Pilgerreise für das Individuum missachte (MORINIS 1992) und die Pilger als eine undifferenzierte Masse wahrnehme (AZIZ 1987, zit. in READER 1993a: 12f). Eine Verbindung zwischen individuellen Beweggründen und der kollektiven Dimension von Pilgerfahrten liefert PACE (1989) im Zuge der Frage, warum Pilgerreisen trotz ihres Rückgangs nach der Aufklärung bis heute bestehen blieben. Die kollektive Aktivierung erfolgt um einen so genannten ‚resourceful actor‘, beispielsweise als sakral angesehene Personen, Objekte, Relikte, Heiligtümer oder den Ort einer Erscheinung. Er ist dafür verantwortlich, dass die Bedürfnisse nach persönlicher Erlösung zu einem kollektiven Ziel werden: „It is the dynamic between collective goods and selective incentives which frequently appears to characterize the phenomenon of pilgrimage in modern and contemporary times“ (PACE 1989: 230). Zusammenfassend interagieren nach PACE bei Pilgerreisen drei unterschiedliche Phänomene: Erstens existieren individuelle Bedürfnisse nach Erlösung bzw. Erfolg im Leben, zweitens gibt es sakral eingestufte Personen oder Gegenstände, um die sich kollektive Handlungen organisieren, und drittens besteht ein System, in dem der Wandel von Eigeninteressen in einen gemeinsamen Nutzen stattfindet (PACE 1989: 231). Warum sich der moderne Mensch in der vermeintlich kirchen- und religionsfernen westlichen Gesellschaft auf eine Pilgerreise begibt, führt PACE (1989: 243) auf zwei Phänomene zurück: die (historisch konsolidierte) religiöse Sozialisierung und Organisation von Massengefühlen sowie das Bedürfnis der Gesellschaft nach Sakralität.
63 TURNER & TURNER (1978: 250) verstehen unter Communitas eine Qualität der vollständigen Kommunikation und Gemeinschaft zwischen definierten und festgelegten Einheiten. 64 Allerdings räumt TURNER in seinem Aufsatz ‚Pilgrimage as social processes‘ (1974: 171) ein, dass bei Pilgerreisen keine absolute Communitas entstünde.
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5.2.2.2 Die Transformation eines Konzeptes: von der Pilgerreise zum Tourismus Pilgerreisen hatten ihre Blütezeit im Mittelalter. Seit dem 12. Jahrhundert nahmen die Pilgerfahrten aus zwei Gründen zu: Einerseits konnte der Pilger durch sie für sein Seelenheil sorgen, andererseits schrieb man Reliquien vermehrt übernatürliche Kräfte zu und der Pilger versprach sich von einem Besuch ihrer Aufbewahrungsorte Heil und Erlösung (HERBERS 1991: 23, OSTERRIETH 1989: 145). Zu den bedeutendsten christlichen Pilgerdestinationen im hohen Mittelalter zählten Jerusalem, Rom und Santiago de Compostela (HERBERS 1991, OSTERRIETH 1989, RÉMY 1989). Die klassischen Pilgerreisen endeten für viele Gläubige nach der Französischen Revolution, da die Revolutions- und Koalitionskriege die Reisen erschwerten und die Infrastruktur (Klöster, Herbergen) zerstört war (HERBERS 1991: 30). Auch die Aufklärung ließ sowohl Pilger- als auch Wallfahrten stark zurückgehen. Heute existieren zusätzlich zu den ‚klassisch-religiösen‘ Reisen ‚säkulare‘ Pilgerfahrten, wobei bei ihnen die Grenzen zum Tourismus oftmals verschwimmen. Beide Phänomene „[...] provide escape from the anxities (and comforts) of everyday life; freedom from ordinary social relationships, hierarchies, and restraints; and hence evoke playfulness and a feeling of liberation. They both promise spiritual renewal through contact with a transcendent reality [...]“ (SEARS 1998: 6). Auch COHEN (1979: 189ff) erkennt Ähnlichkeiten zwischen Touristen und Pilgern. Mit der traditionellen Pilgerreise, neben der seiner Einschätzung nach noch kulturelle sowie politische Pilgerfahrten existieren, sieht er die existenzialistische Art und Weise des Reisens am Engsten verwandt. 5.3 Sakrale Zeichen und Symbole In einem sakralen Raum sind ‚heilige Zeichen‘ anzutreffen, die als Stütz- oder Orientierungspunkte im homogenen Raum dienen (ELIADE 1998: 28). Oftmals genügen sie dem Menschen, um auf die Heiligkeit eines Ortes hinzuweisen (ELIADE 1998: 27). Im Folgenden sind einige Beispiele aus dem christlichen Kulturkreis angeführt, die im Kontext der Arbeit von Bedeutung sind. Wichtiges Zeichen, wenn auch nicht unabdingbares Merkmal, eines sakralen Ortes ist die Schwelle. Sie dient dazu, das Eintreten bewusster zu gestalten; die Wahrnehmung des Unterschiedes zwischen Innen und Außen wird durch sie verstärkt (KAPELLARI 1998: 40). „Schwellen unterbrechen Wege, die man sonst vielleicht zu gedankenlos, zu freudlos ginge“ (KAPELLARI 1998: 44). Beim Überschreiten der Schwelle hat der Eintretende Zeit, sich auf die Begegnungen vorzubereiten, die nach sei61
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nem Zutritt geschehen werden. Die Schwelle ist zugleich eine Grenze oder Schranke, die zwei Bereiche trennt, und ein Ort, an dem die zwei Welten zusammentreffen (ELIADE 1998: 26). Die besondere Bedeutung von Schwellen kann man z. B. auch anhand zahlreicher Riten erkennen: Nach der Hochzeit wird die Braut über die Schwelle getragen oder beim Betreten von Heiligtümern müssen Frauen und Männer die Schwellen küssen (ELIADE 1998, VAN GENNEP 1996, SCHIMMEL 1995, SOEFFNER 1992: 125). Ebenso wie die Schwelle, so zeigt auch die Tür eine Aufhebung der räumlichen Kontinuität an. Je nach ihrer Größe kann sie erhabene oder demütigende Gefühle beim Betreten des heiligen Ortes hervorrufen. Ein weiteres, nur allzu bekanntes sakrales Symbol, das in jeder Kirche und auf jedem Friedhof zu finden ist, ist das Kreuz. Auch wenn es den Betrachter vordergründig an das Leid Christi und damit verbundene Angst und Schrecken erinnert, so ist es zugleich ein Zeichen der Tröstung und Zuversicht. Sterbliche Überreste (Reliquien) sind ebenso als sakrale Zeichen zu deuten, da durch die römische Kirche festgelegt wurde, dass die Gebeine der Heiligen zu verehren sind und eine Berührung der Reliquien oder ein Blick auf das Grab heilsam sind (HOFFMANN 1999: 282, PETER 2001: 483, POMIAN 1988: 30). Der Turm verbindet als vertikale Achse den Himmel mit der Erde und ermöglicht so, dass entweder Gott zu den Menschen kommt oder die Menschen zu Gott aufsteigen können. Der Kirchturm verweist somit als Zeichen der Transzendenz über das Irdische hinaus. Des Weiteren führt KAPELLARI (1998) noch beispielhaft Zahlen, Farben (Gold als Farbe der Ewigkeit), Worte und Klänge als Zeichen für das Heilige an. Wichtig in diesem Zusammenhang ist das Licht, das auch als Hauptsymbol des Heiligen bezeichnet wird. Oder wie WEIGHTMAN (1996: 59) es ausdrückt: „Light is fundamental to religious experience, and its symbolism pervades the geography of sacred landscape“. Beispielsweise verweisen JURKOVICH & GESLER (1997: 457) darauf, dass u. a. das Pilgerziel Medjugorje durch die Wahrnehmung von Licht für die Pilger sakral wird. Im Gegenzug steht die Dunkelheit für den Tod und bewirkt etwas Geheimnisvolles, was nicht minder essenziell für die Idee des Heiligen ist (TUAN 1978: 89f, WEIGHTMAN 1996: 59).
5.4 Sakrale Orte Sakrale Orte gibt es weltweit. Zunächst werden in der ontologischen Perspektive zahlreiche Landschaftselemente, an denen sich das Göttliche manifestiert, als sakrale Orte bezeichnet (BÄUMER 2003: 691, BAUDY 2000: 1551, LANCZKOWSKI 1985: 673). Hierunter fallen beispielsweise 62
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Quellen, Flüsse, Bäume, Haine, Steine, Höhlen, Grotten und Berge. Berge können als Eintrittstore ins Paradies fungieren (WERBLOWSKI 1996: 15) oder werden mit der Gottheit selbst gleichgesetzt und als deren Sitz angesehen (LANCZKOWSKI 1985). Bäume sind ein Symbol des Austauschs und der Verbindung der Lebenswelt der Menschen mit dem Transzendenten (LIPPE 1987: 422). Flüsse und Quellen dagegen stehen für Reinheit und Fruchtbarkeit, sie spenden Leben. Ihre Überquerung steht symbolisch für das Bild der Erlösung (BÄUMER 2003). Daneben existieren noch durch Menschen errichtete sakrale Bauwerke wie z. B. Kirchen oder Tempel. In ihnen muss durch Proportion, Massenverteilung und plastische sowie farbliche Ausgestaltung eine Atmosphäre geschaffen werden, die zur Konzentration auf das geistig-liturgische Geschehen führt (MARX 1995). Häufig erfolgt eine visuelle Abgrenzung der heiligen Orte gegenüber ihrer Umwelt durch errichtete Dornhecken, Steinsetzungen oder Mauern. Aus konstruktivistischer Perspektive gilt dann ein Ort als heilig, „[...] wenn andere Gläubige dies anerkennen und sich dort zu Sakralhandlungen versammeln“ (BAUDY 2000: 1552). Im Fokus dieser Argumentationslinie kann jeder Ort durch gemeinsam vollzogene Rituale und Handlungen sakralisiert werden. Für die Handlungen spielen natürlich auch die Bedeutungszuschreibungen der Gläubigen sowie deren Wahrnehmungen eines Ortes eine wichtige Rolle (CHIDESTER & LINENTHAL 1995: 12f, KRAATZ 2000: 1548, SHERRILL 1995: 313). Beispiele für sakrale Orte aus Sicht der Konstruktivsten sind ehemals als säkular einge stufte Orte, die heute von Pilgerreisenden aufgesucht werden.65 Genannt seien an dieser Stelle nur kurz zwei im Kontext der Arbeit wichtige neue Pilgerdestinationen. Erstens handelt es sich um nationale Heiligtümer wie staatliche Gedenkorte für Tote (COLEMAN & ELSNER 1995: 214). „[...] the nation’s principal tourist attractions continue to function, like temples or sacred cities or cosmic mountains, as places where, in Mircea Eliade’s words, there is an ‚irruption of the sacred into the world‘“ (SEARS 1998: 210). Hierunter fallen zum Beispiel Grabstätten von Politikern wie das Mausoleum Lenins auf dem Roten Platz in Moskau (LANE 1981) oder das Lincoln Memorial in Washington D. C. (ZELINSKY 1990). Insgesamt existieren in den USA unzählige Museen, Geburtsorte und Schlachtfelder, die als nationale Heiligtümer bezeichnet werden können (ZELINSKY 1990: 256). Aber auch Grabstätten von Musikern wie Elvis Presley in Graceland ziehen vermehrt Touristen und Pilger an (KING 1993, MARLING 1996). READER (1993a: 2, siehe auch SELLARS & WALTER 65 Zu Pilgerreisen und Wallfahrten siehe Kapitel II/5.2.2.
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1993, WALTER 1993) verweist darauf, dass Tod und Tragödie eine zentrale Rolle für die Entwicklung von Pilgerorten spielten. Vor allem die Gräber von Märtyrern und Heiligen sowie die Grab- und Gedenkstätten im Krieg umgekommener Menschen stellen schon immer einen Magneten für Pilger dar (READER 1993a: 17). Zweitens ist neben den nationalen Heiligtümern das Museum ein weiteres konventionelleres Ziel ‚säkularer‘ Pilgerreisen (COLEMAN & ELSNER 1995: 216) (siehe Textblock 3). Textblock 3: Das Museum als Kirche der Aufklärung und ‚säkulare‘ Pilgerdestination Obwohl der säkularen Welt der Wissenschaft zugeordnet, ist die Geschichte des Museums mit einer religiösen Komponente verbunden (siehe Textblock 1). In den Kunst- und Wunderkammern erhielt die göttliche Schöpfung Einzug in den Mikrokosmos der Sammelstube und der Sammler wurde durch die Betrachtung seiner Gegenstände dem Alltag enthoben, so dass hier ein Ort der religiösen Andacht entstand (KOHL 2003, POMIAN 1994b: 113). Die Kunstsammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts wurden mit Heiligtümern verglichen, die darauf abzielten, Verehrung zu erzeugen. Die Zeit der Aufklärung und Säkularisierung änderte dann das Verhältnis des Menschen zu seinen Sammlungen: Mit Hilfe von öffentlichen Museen sollte gegen den Aberglauben und die Unwissenheit der Menschen gekämpft werden. Seit dieser Zeit wird zwischen religiösen und säkularen Institutionen unterschieden: Kirchen und Tempel sind religiöse Stätten, die sich von säkularen Orten wie Museen und Gerichten unterscheiden. Mit jeder Seite – der religiösen und säkularen – werden unterschiedliche ‚Wahrheiten‘ assoziiert. Die ‚religiöse Wahrheit‘ wird zu einer Angelegenheit des subjektiven Glaubens herabgestuft, während sich die ‚wirkliche Wahrheit‘ auf Institutionen der Vernunft und empirischen Überprüfung wie Museen, Universitäten und Gerichtsäle bezieht (DUNCAN 1991, 1995). Trotz dieser Unterscheidung wurden Kunstmuseen im Zeitalter der Französischen Revolution zu sakralen Räumen und zu ‚Schreinen für den Kult der Kunst‘ (SHEENAN 2002: 78). Ab Anfang des 19. Jahrhunderts erfuhren neue, zweckbestimmte Museen einen Aufschwung, währenddessen die Kunst zu einem weltlichen Glaubensbekenntnis bzw. einer weltlichen Religion wurde (NEWHOUSE 1998: 9 und 46f, POMIAN 1994a). Eine soziologische Perspektive auf die Nähe des Museums zur Kirche führt CAMERON (1972: 195) an, da das Museum – ebenso wie die Kirche – als ein Ort dient, an dem die subjektive Wahrnehmung mit der gesellschaftlich legitimierten Version verglichen werden kann. Auch wenn immer wieder Einwände gegen die Ansicht der Museen als Kultstätte der Moderne laut werden, so ist diese These vom ‚Museum als Kathedrale des 20. Jahrhunderts‘ (NEWHOUSE 1998: 49) mehr als nur eine Metapher (KOHL 2003: 253). Denn das Museum ist ein sakraler Raum, „[...] der die Gelassenheit und den Glanz, die Ehrfurcht und Ehrerbietung, die Gelegenheit zu Kontemplation und Aufklärung vermittelt, die für die condition humaine so wesentlich sind“ (HUXTABLE 1999: 89). Architektur Die sakrale Botschaft wird am Auffälligsten in Form der Architektur kommuniziert. Ab den 1830ern erbaute man die meisten Museen in Europa entweder nach dem Vorbild romanischer oder mittelalterlicher Kirchen oder antiker Tempel (KOHL 2003, SHEEHAN 2002, STURM 1991). Von außen kommend ist das Museumsinnere durch Schwellen und Treppen von der Außenwelt, der profanen Welt, getrennt.
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FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE PERSPEKTIVEN Der Innenraum schafft eine Aura der Verehrung für das Ehrfurchtgebietende und Erhabene. Ebenso wie der dem Gottesdienst geweihte Raum von außen kommende Ablenkung verhindert, um so die uneingeschränkte Konzentration auf die Liturgie zu ermöglichen, wurden Museen Anfang des 19. Jh. von der alltäglichen Lebenswelt des Menschen abgesondert errichtet (NEWHOUSE 1998: 47). Im 20. Jahrhundert wurde der Museumsraum immer anonymer und abstrakter. Nach der Ära der Nationalsozialisten, die Museen in nationale Schreine, in ‚religiöse Erbauungs- und Verehrungsstätten‘ (VON HOLST 1934: 7) verwandeln wollten, letztlich allerdings kaum bedeutende Museen errichteten, wendete sich die Architektur dem abstrakten Raum zu. O’DOHERTY (1986, 1996) bezeichnet ihn als die ‚weiße Zelle‘ oder den ‚weißen Würfel‘, der nach gleichen strengen Regeln wie mittelalterliche Kirchen errichtet wurde. Dies geht soweit, dass NEWHOUSE (1998: 50) die Architektur als beinahe göttliche Herausforderung betrachtet. Doch nicht nur die strengen Bauvorschriften erinnern an den Kirchenraum, sondern auch die durch die Architektur unterstützte Wirkung der Gegenstände (DUNCAN 1995: 110). Objekte Wenn – wie oben dargestellt – die Kunst die Religion ablöst, übernehmen die ausgestellten Gegenstände die Funktion sakraler Objekte. Ebenso wie sie sind Museumsstücke von Tabus umgeben. Sie werden von profanen Dingen getrennt und ihre Berührung ist verboten. Sakrale Objekte gelten weltweit als Mittler zwischen Menschen und überirdischen Mächten. Ebenso sind Sammlungs- und Museumsstücke Vermittler zwischen einer sichtbaren und einer unsichtbaren, fernen Welt. Auch in heutiger Zeit weisen Museumsgegenstände transzendente Züge auf, da sie auf das NichtGegenwärtige und Nicht-Sichtbare verweisen (KOHL 2003). Ein weiterer transzendenter Bereich wird bei der Betrachtung dieser Gegenstände berührt, denn bei ihrem Anblick wird der Museumsbesucher mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert. Aus diesen Gründen kommt KOHL (2003: 260) zu dem Ergebnis, dass Museumsobjekte für die ‚Welt des Transzendenten‘ stehen. Sie werden zu Objekten eines Kultes, während dessen sich die Gesellschaft selbst anbetet (KOHL 2003: 260). Rituale Das Museum wird während des Museumsbesuches zu einem rituellen Ort (GRIMES 1992). Ebenso wie ehemals die Tempelbesucher sind heute die Museumsgänger bereit, sich in eine besondere Empfängnisbereitschaft zu versetzen: Das Museum ist für bestimmte Arten des Nachdenkens und Lernens reserviert (DUNCAN 1991). DUNCAN (1991) vergleicht die im Museum benötigte Qualität der Aufmerksamkeit mit der Liminalität von VAN GENNEP und TURNER. Während des Besuches werden die räumlichen, zeitlichen und sozialen Erfahrungen des alltäglichen Lebens abgestreift und durch Ordnung, Überschaubarkeit und Konsens stiftende Rituale ersetzt (OFFE 2000: 298f). Das Betreten des Museums über Treppen und Schwellen sowie das Durchschreiten von Arkaden und Vorhöfen ermöglicht dem Besucher – ebenso wie beim Gang zum Altar in der Kirche – eine rituelle Passage: er verlässt die Alltagswelt und betritt einen liminalen rituellen Raum des Museums. Hierdurch wird er darauf vorbereitet, dass im Raum des Museums besondere Regeln gelten (OFFE 2000): Den Gegenständen hat er mit Respekt gegenüberzutreten, ihr Berühren ist untersagt und wird mittels Vitrinen oder Absperrungen verhindert. Diesen Regeln folgen Verhalten und Körpersprache der Besucher. Ähnlich wie bei einem Kirchenbesuch bewegt sich der Museumsgänger andächtig, langsam und still, konzentriert sich auf das Sehen und hält sich an den vorgegebenen Weg: Museumsbesucher folgen, einer rituellen Prozession ähnlich (DUNCAN & WALLACH 1980: 458), einer strukturierten Route durch die Museumsthematik.
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RITUALE MACHEN RÄUME
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Historische Räume
Das Wissen von der Geschichte des Krieges – angefangen beim allgemeinen Kampfverlauf über die Aufstellung einzelner Regimenter bis hin zu Details der von den Soldaten eingesetzten Utensilien – bildet die Grundlage für die Erzeugung historischer Räume.66 Es wird auf verschiedene Weisen erworben bzw. vermittelt. Zum einen existieren historisch inszenierte Rituale, die unter dem Motto ‚living history‘ das Leben an der Front und einzelne Kampfhandlungen nachstellen. Diese auf Simulation beruhende Geschichtserfahrung und -vermittlung ist als ‚Reenactment‘ vor allem in den USA bekannt und stößt zunehmend auch in Europa auf Interesse. Zum anderen wird die Geschichte der Kriege in spezialisierten historischen Museen thematisiert, die je nach Ausrichtung reine Fakten vermitteln oder ebenso das emotionale Nachvollziehen der Besucher evozieren möchten. In beiden Fällen will der Akteur die Geschichte verstehen und nachvollziehen sowie teilweise sogar nacherleben. Historische Räume werden auf der Basis von historischem Wissen folglich durch historisch inszenierte Re-enactments auf ehemaligen Schlachtfeldern sowie Besuche in Geschichtsmuseen konstruiert.
6.1 Historische Rituale Sich in bestimmte Personen und vergangene Situationen hineinzuversetzen bzw. das erneute Durchleben vergangener Erlebnisse wird nicht nur in den Geschichtswissenschaften67 zum besseren Verständnis der Historie sowie zur Aneignung von Wissen angewandt, sondern bietet auch ei-
66 MEUSBURGER (2004: 35) unterscheidet verschiedene Wissenskategorien: Neben dem technischen und wissenschaftlichen Wissen existieren beispielsweise das symbolische und narrative Wissen, das vermittelte kollektive Gedächtnis und Mentalitäten. Für die Erzeugung historischer Räume spielt vor dem Hintergrund des kollektiven Gedächtnisses vor allem das ‚Faktenwissen‘ sowie das symbolische und durch Zeitzeugen und Experten vermittelte narrative Wissen eine bedeutende Rolle. 67 Dieser Ansatz, sich gedanklich oder handelnd in den ‚Körper‘ anderer zu versetzen, geht auf das von COLLINGWOOD 1945 verfasste Buch ‚Idea of History‘ zurück. COLLINGWOOD betrachtet das Re-enactment nicht nur als eine Methode der Geschichtswissenschaft zur Erklärung individuellen Handelns, sondern allgemein als die Methode, die Gedanken und Einstellungen anderer zu erforschen (STUEBER 2002: 27). Natürlich blieb diese Herangehensweise in den Geschichtswissenschaften aus epistemologischen und ontologischen Gründen nicht unkritisiert (zu COLLINGWOODS Arbeit auch NIELSEN (1981), eine kritische Auseinandersetzung mit dem Werk ist bei STUEBER (2002) nachzulesen).
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FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE PERSPEKTIVEN
nen Ansatzpunkt in der Traumatherapie.68 In den Vereinigten Staaten hat das Nachstellen von Kriegen eine große Popularität erlangt. Schon die Veteranen des US-amerikanischen Bürgerkrieges haben ihre alten Uniformen ausgegraben und anlässlich des Schlachtengedenkens Militärlager errichtet (TURNER 1990: 123). In Mode kam das Re-enactment in den 1980er Jahren und anlässlich der 125-Jahrfeier versammelten sich 1988 rund 12.000 Soldaten und 100.000 Zuschauer in Gettysburg (CULLEN 1995: 173). Mitte der 1990er Jahre wird geschätzt, dass mindestens 30.000 Personen regelmäßig an Re-enactments des Bürgerkrieges teilnehmen (HALL 1994: 7). Zwar steckt diese Entwicklung in Europa vergleichsweise in den Kinderschuhen, doch treffen sich immer mehr Reenactment-Begeisterte auf den ehemaligen Schlachtfeldern in Frankreich. Das Re-enactment von Kriegsgeschehnissen, häufig als wundersames Hobby und Ausdruck der Nostalgie bezeichnet, erfüllt die in Kapitel II/2.1.2 erläuterten Ritualdimensionen und stellt somit ein Ritual dar, durch das sich die Menschen ihrer Vergangenheit versichern.69 Die Beteiligten begeben sich anlässlich des Kriegs- und Schlachtengedenkens an den Ort der Kampfgeschehnisse, kleiden sich in die historischen Uniformen unterschiedlicher Kampfeinheiten und versuchen möglichst exakt die Lebensumstände der Frontsoldaten nachzuleben und deren Kampfhandlungen nachzustellen. Zu diesem Zweck werden Lager nachgebaut, Lazarette errichtet und Schlachten in Anlehnung an das Drehbuch der Geschichte nachgespielt. Hierbei wird genau darauf geachtet, dass alles – angefangen bei den Kleidungsstücken und dem Haarschnitt über die Alltags- und Kampfutensilien bis hin zur Sprache und Ausdrucksart – der Zeit entspricht bzw. ‚authentisch‘ ist (ALLRED 1996, 68 Das unbewusst und ungesteuert verlaufende Re-enactment (zu vergleichen beispielsweise mit Albträumen) spielt bei Opfern traumatischer Erfahrungen eine große Rolle. Indem man diese Re-enactments als eine Wiederholung des Traumas selbst versteht, bietet es die Möglichkeit zu seiner Aufarbeitung. Zudem kann durch das bewusst ‚richtige‘ Wiederholen eines als ‚falsch‘ bewerteten traumatischen Prozesses die Heilung einsetzen (hierzu beispielsweise BLOOM 1996). 69 Auf Elemente religiöser Rituale in der Inszenierung von US-amerikanischen Kriegsereignissen geht ALLRED (1996) ein. Er berichtet, dass nach dem Ende der inszenierten Schlacht die vermeintlich Toten und Überlebenden beider Fronten aufstehen, sich die Hände reichen sowie Andenken und Erfahrungen austauschen. Nachdem anschließend ein Signal ertönt, schweigen die Zuschauer und alle Darsteller knien sich zum gemeinsamen Gebet nieder. „What we have here is all the elements of a religious ritual, complete with the approach of the sacrifice, the act itself, the resurrection and reconciliation, the prayer, the ceremonial exit of the participants, and even a hymn“ (ALLRED 1996: 10).
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RITUALE MACHEN RÄUME
CULLEN 1995, HALL 1994, TURNER 1990).70 Voraussetzungen für die zeitgemäße Kleidung und angemessenen Verhaltensweisen sind natürlich der Besitz der entsprechenden Artefakte sowie das Wissen über die damaligen Lebensumstände und Gepflogenheiten. Die Re-enactmentDarsteller sind Amateur-Historiker (CULLEN 1995: 178) und beziehen ihre detaillierten Informationen aus historischen Fotografien, Büchern und Videos (ALLRED 1996: 3, FISHER 2003: 5f). Hinsichtlich des USamerikanischen Bürgerkrieges beschreibt CULLEN (1995: 196) den typischen Re-enactment-Darsteller folgendermaßen: „[…] [he] is likely to have accumulated an impressive amount of factual information on any number of pertinent subjects – where a regiment was at a particular moment, who supplied weapons for either side at a given time, the career trajectory of relatively obscure officers, and so on. On questions such as these, the typical buff is likely to know at least as much as – no, more than – the typical professional“. Das ‚theoretische Faktenwissen‘ ist Basis und Katalysator für das ‚praktische Erlebniswissen‘, das die Darsteller im Zuge des Re-enactments erlangen (ALLRED 1996: 6). Oder anders ausgedrückt: Je mehr Faktenwissen die Darsteller sich aneignen, desto intensiver ist ihre Erfahrung und ihr daraus abgeleitetes Erlebniswissen. Die individuellen Motivationen der Darsteller für die Teilnahme an Re-enactments sind mannigfaltig: Die Darsteller interessieren sich für die Geschichte und möchten der Gefallenen und Veteranen gedenken sowie ihren Respekt ausdrücken, Wissen an die Zuschauer vermitteln und persönlich hinzulernen, Kriegsromantik erfahren und sich als Held fühlen können sowie aus der Realität und alltäglichen Langeweile fliehen (ALLRED 1996: 5ff, CULLEN 1995: 176ff, HALL 1994: 8, TURNER 1990: 126ff). Die Re-enactments bieten ihnen die Möglichkeit einer Zeitreise in vergangene Tage, die Gelegenheit, sich selber besser kennen zu lernen, sowie die Chance zu Kreativität und Selbstausdruck (ALLRED 1996: 5, CULLEN 1995: 193ff, TURNER 1990: 126ff). TURNER (1990: 130) fasst die Beweggründe folgendermaßen zusammen: „For some it is a political statement, for others an affirmation of cultural identity, a complex and intriguing game, an opportunity to go camping and get drunk with friends, an alternative to a dreary existence, a ‚thing to do‘ in a social set, or a fascinating window on a world they know from books 70 Die Begeisterung und Leidenschaft für die geforderte ‚Authentizität‘ betrifft mehr als das Aussehen: Der Darsteller muss auch ‚richtig denken‘ und möglichst zu einer Gestalt der damaligen Zeit werden (ALLRED 1996: 4). Personen, die nicht den geforderten Ansprüchen nach ‚Authentizität‘ entsprechen, werden im Jargon der Re-enactment-Darsteller als ‚farb‘ bezeichnet (ALLRED 1996: 3, HALL 1994: 8, TURNER 1990: 127). Die Herausbildung einer eigenen Sprache kann als Zeichen für die Existenz eines starken Gruppengefühls gedeutet werden.
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FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE PERSPEKTIVEN
and photographs but have never participated in as an experienced reality“ (TURNER 1990: 130). Zentrales Element des Re-enactments ist jedoch das Erleben eines starken Gemeinschaftsgefühls und der Kameradschaft (ALLRED 1996: 6, CULLEN 1995: 182 und 188, TURNER 1990: 133). Das gemeinsame Essen und Arbeiten sowie die Diskussionen und Gespräche vor dem Hintergrund der geteilten Kampfhandlungen und -erlebnisse verbinden die Darsteller zu einer Einheit, einer ‚romanticized folk community‘ (TURNER 1990: 133), die sie in ihrem sonstigen Leben vermissen (CULLEN 1995: 182). Auf gesellschaftlicher Ebene ist die Nachfrage nach Re-enactments durch zwei Ansätze zu erklären. Erstens werden sie als negative Antwort auf die komplexe und sozial isolierte Welt der Postmoderne verstanden (HALL 1994: 8), denn während der Re-Inszenierung von Kriegen sieht sich der Darsteller von der Komplexität und Ambiguität seiner alltäglichen Lebenswelt befreit und lediglich mit reduzierten Handlungsmöglichkeiten konfrontiert. Ebenso wie nostalgische Bewegungen kann das Nachstellen von historischen Schlachten somit als eine Reaktion auf die durch Unzufriedenheit und Angst geprägte Gegenwart der Darsteller verstanden werden (HALL 1994: 9). Zweitens vermutet ALLRED (1996: 7), dass sie einen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte und zum Heilungsprozess kollektiver Schuld leisten. Die Katharsis – um in den Worten ALLREDS (1996) zu sprechen – findet auf zwei Ebenen statt. Einerseits dadurch, dass Teilnehmer und Zuschauer aus der Tragödie und den begangenen Fehlern lernen, andererseits dadurch, dass die emotionalen Konflikte der Teilnehmer zumindest vorübergehend während der Inszenierung gelöst werden und die Darsteller hierdurch ‚gereinigt‘ werden (ALLRED 1996: 10f). „The re-enactor hopes to be taught by the anguish of the nation’s bloody transformation and payment for past sins; at the same time, he hopes to purge his own soul of the anxiety of his own existence in an age of angst and what appears to be the depletion of commonly held ideals – the kind of ideals that impelled the soldiers […] on the battle“ (ALLRED 1996: 10). Neben den Re-enactments tragen des Weiteren die einem Ritual gleichenden Besuche in Geschichts- und Friedensmuseen zur Erzeugung historisch inszenierter Räume bei.71 Auch bei diesen Besuchen spielt der Erwerb bzw. die Vermittlung historischen Wissens eine bedeutende Rolle. Durch das so erworbene Wissen ist es dem Besucher möglich, die vergangene Zeit besser nachzuvollziehen und verstehen zu können sowie – ebenso wie beim Re-enactment – aus der Tragödie zu lernen.
71 Zum Museumsbesuch als Ritual siehe Textblock 3; zum Museum als Gedenkort siehe Kapitel II/3.3.3.
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RITUALE MACHEN RÄUME
6.2 Historische Orte Historische Orte auf ehemaligen Kriegsschauplätzen gibt es viele. Als Bühne der nachgestellten Kampfhandlungen dienen die ehemaligen Schlachtfelder selber. Hilfreich hierbei ist, wenn sie möglichst wenig zu Gedenkstätten verändert wurden und stattdessen weitgehend ‚authentisch‘ belassen wurden. Die Darsteller der Inszenierungen bringen zudem die benötigten Tiere (beispielsweise Pferde und andere Zugtiere) und Artefakte (wie Panzer, Versorgungstransporter, Kübelwägen etc.) mit, um eine Intensivierung ihrer Erfahrungen zu ermöglichen. Als zweiter historisch inszenierter Ort kann das Geschichtsmuseum (Kriegsoder Friedensmuseum) betrachtet werden. Je nach Ausrichtung wird Wissen über die historischen Abläufe, die Militärgeschichte und Kriegsgeschehnisse oder die Friedenserziehung und Konfliktursprünge vermittelt. Teilweise werden diese Museen auch als Interpretationszentren verstanden, in denen nicht die reine Wissensvermittlung im Vordergrund steht, sondern über Emotionen die direkte Betroffenheit und ein Nachempfinden verursacht werden soll.
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Theoretisch-konzeptionelles Raster zur Analyse der Fallbeispiele
Aufbauend auf den zuvor erläuterten theoretischen Perspektiven verschiedener Wissenschaftsdisziplinen über Rituale und Räume wird in diesem Kapitel das theoretisch-konzeptionelle Analyseraster verdeutlicht, auf dessen Basis die methodische Vorgehensweise ausgewählt und das empirische Datenmaterial ausgewertet wurde.
7.1 Rituale und Räume Die Analyse der Fallbeispiele erfolgt nicht aus der Perspektive eines einzigen Grundtypus der Ritualtheorie. Zwar liegt der Schwerpunkt auf der funktionalistischen Perspektive, doch werden auch Aspekte anderer Typen (wie z. B. die symbolische Dimension der Formalisten) aufgegriffen. Diese Vermischung verschiedener Perspektiven dient einer möglichst umfassenden Betrachtung der Gedenkrituale. Anlehnend an die sowohl aus säkularen als auch religiösen Ritualen hergeleiteten Merkmale sind in der vorliegenden Studie folgende Elemente für das Ritualverständnis unabdingbar: Rituale werden mit einer expliziten Absicht gefeiert und implementiert, nachdem der Mensch eine ursächliche Veränderung erfahren hat. Sie werden ausdrücklich beschlossen und sind durch Förmlichkeit, Wiederholung, Öffentlichkeit und Liminalität ge70
FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE PERSPEKTIVEN
kennzeichnet. Rituale sind Träger von sowohl impliziten, unausgesprochenen Bedeutungen als auch von expliziten Aussagen und Symbolen und bewirken eine Transformation der Teilnehmer. Ihre Funktionen sind subjektiver, gemeinschaftlich-gesellschaftlicher und/oder transzendenter Natur und ordnen für den Menschen seine oft als chaotisch erfahrene Welt. Die Komponenten des von mir verwendeten Raumverständnisses können in vier Punkten zusammengefasst werden. Erstens entstehen Räume in Verbindung zu Orten. Allerdings müssen sich Räume nicht an konkreten Orten entfalten, sie können nur in sprachlicher oder gedanklicher Kommunikation zu ihnen stehen. Orte sind zweitens als Bedeutungsträger durch gesellschaftliche Zuschreibungen und die subjektivselektive Wahrnehmung von Individuen Teil der Konstruktion von Räumen und folglich ein konstitutives Element der Raumkonstruktion. Drittens werden Räume durch menschliche Handlungen konstruiert. Unter Handlungen werden jegliche als ‚sinnvoll‘ betrachtete menschliche Aktivitäten72 verstanden, angefangen von einmaligen Handlungen über Routinen bis hin zu Ritualen. Eine wichtige Tätigkeit im Hinblick auf die Erzeugung von Räumen ist die Kommunikation (z. B. von kollektiven Gedächtnisinhalten), durch die Bedeutungszuschreibungen gefestigt und auch für am Ort abwesende Personen zugänglich gemacht werden. Durch Rituale entstehen viertens besonders bedeutungsgeladene Räume. Dies ist auf die oben beschriebenen Ritualmerkmale zurückzuführen, die Rituale von alltäglichen Handlungen abgrenzen.
7.2 Analysedimensionen der Gedenkräume Das die Gedenkräume betreffende Analyseraster der Arbeit mit seinen einzelnen Komponenten ist in Abbildung 3 schematisch dargestellt. 73
72 Unter ‚sinnvollem‘ oder ‚sinnhaft orientiertem‘ Handeln versteht BAHRDT (1994: 32) jene Aktivitäten, die über sich hinaus greifen und dazu dienen, ein gesetztes Ziel zu erreichen. Hiermit ist nicht die Zweckrationalität im Sinne WEBERS (1956: 12f) gemeint, die beinhaltet, dass Zweck und Mittel voneinander deutlich zu trennen sein müssen sowie dass die Handelnden die optimalen Mittel zum Erreichen des Zweckes abwägen und anschließend umsetzen. 73 Zur Erläuterung der einzelnen Begriffe siehe Kapitel II/3.1 ‚Erinnerung und Gedächtnis‘.
71
RITUALE MACHEN RÄUME
Abbildung 3: Raster zur Analyse von Gedenkräumen Sozialer Rahmen
(sozial determiniertes) Gedächtnis
kollektiv individuell (= Erinnerung) kommunikativ
kulturell
Öffentliches Gedenken zum Beispiel
Gedenkrituale
Gestaltung der Gedenkorte
Handlung Privates Gedenken zum Beispiel
Individuelles Gedenken
Raumkonstruktion
Gedenktourismus
Gedenkräume
Die dargelegten Theorien zu Raum und Ritual lassen den Schluss zu, dass bei einer Beschäftigung mit dem Gedenken vor allem die Aktivitäten der Besucher und der Gestalter der Gedenkorte betrachtet werden müssen. Gedenkräume entstehen – allgemein beeinflusst durch das kollektive Gedächtnis und individuelle Erfahrungen – durch die an menschliche Handlungen gebundene Vergegenwärtigung von Vergangenem. Diese Vergegenwärtigung kann an den ehemaligen Schlachtfeldern in Form von öffentlichem als auch privatem Gedenken stattfinden, wobei unter öffentlichem Gedenken beispielsweise der offizielle Vollzug von Gedenkritualen sowie die Gestaltung der Gedenkorte fallen. Unter das private Gedenken werden individuelles Gedenken sowie der Gedenktourismus gefasst. Das Hauptaugenmerk bei der Analyse der Fallbeispiele wird auf den Ritualen liegen. Somit sind zwei Elemente für die Konstruktion von Gedenkräumen besonders wichtig: Gedenkzeremonien in Form von Jahresfeiern bestimmter Schlachten und Gedenkorte mit ihren Bedeutungszuschreibungen. Die Rituale schaffen einen Rahmen für das allgemeine Gedenken an Geschichtsereignisse sowie die individuelle Erinnerung an bestimmte Kriegssituationen und gefallene Kameraden. Neben den Ritualen sind, wie oben angemerkt, als zweiter Faktor die Orte für die Analyse der rituellen Gedenkräume wichtig. Hierbei ist zu beachten, dass nicht die Orte selbst die Räume beeinflussen, sondern vielmehr ihre Funktionen und 72
FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE PERSPEKTIVEN
Bedeutungszuschreibungen (als Orte der Bestattung und des Trauerns, der Identifikation, der Sinnstiftung, der Legitimierung, der Information und des Wissens). Für die Analyse des Gedenkens sind nicht nur Gedenkräume von Bedeutung. Durch die Interaktionen unterschiedlicher Personengruppen sowie die Verwendung bestimmter Symbolik und Mythen werden weitere Räume erzeugt. Es handelt sich hier um sakrale, politische und historische Räume. Alle Raumkategorien überlappen sich in unterschiedlicher Intensität und vermischen sich untereinander von einer kaum wahrnehmbaren bis hin zu einer starken Kombination. Es bleibt zu betonen, dass die vorgenommene Trennung zwischen den verschiedenen Raumkategorien analytischer Natur ist.
7.2.1 Politische Räume der Ideologie Bei der Untersuchung von politischen Räumen spielen vor dem Hintergrund von Erinnerungen und kollektivem Gedächtnis sowie der Verwendung von politischen Mythen und Symbolen politische Rituale eine herausragende Rolle. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor besteht dann, wenn die Gedenkorte symbolisch besetzt werden und/oder im Spannungsfeld ideologischer Machtansprüche stehen (siehe Abbildung 4). Abbildung 4: Raster zur Analyse von politischen Räumen der Ideologie Sozialer Rahmen
Erinnerung & kollektives Gedächtnis Politische Mythen
Politische Symbole
Ideologie – Machtausübung und Manipulation
Handlung
Durchführung politischer Rituale
Symbolische Besetzung von Gedenkorten Gedenkpolitik
Raumkonstruktion
Politische Räume der Ideologie
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RITUALE MACHEN RÄUME
7.2.2 Sakrale Räume des Glaubens Sakrale Räume entstehen – vor dem Hintergrund individueller Erinnerungen und des kollektiven Gedächtnisses sowie beeinflusst durch sakrale Symbole und Mythengeflechte74 – durch sakrale Rituale sowie bedingt durch den Kampf um symbolisch und durch differierende Bedeutungen besetzte Gedenkorte (siehe Abbildung 5). Abbildung 5: Raster zur Analyse von sakralen Räumen des Glaubens Sozialer Rahmen
Erinnerung & kollektives Gedächtnis Sakrale Mythen
Sakrale Symbole
Glaube Sakrale Rituale
Handlung Pilgerreisen Wallfahrten
Elemente liturgischer Rituale
Begräbnis
Raumkonstruktion
Messe
Symbolische Besetzung von Gedenkorten
Kampf um Besitz des symbolischen Kapitals
Sakrale Räume des Glaubens
Sakrale Rituale, oftmals als ein Kernbereich religiöser Erfahrung und des Glaubens betrachtet, sind im Kontext der Fallstudien hinsichtlich liturgischer Rituale (Eucharistie- und Begräbnisfeiern) sowie Pilgerreisen bzw. Wallfahrten von Relevanz. Auf eine Pilgerreise gehen vor allem Veteranen und deren Hinterbliebenen, um an den Todesorten von Kameraden und Familienangehörigen der Gefallenen oder Verstorbenen zu gedenken. Wallfahrtsähnliche Reisen werden dagegen von Veteranenverbänden und Regimentern angeboten und durchgeführt. Liturgische Rituale spielen für die Gedenkzeremonien aus zwei Gründen eine wichtige Rolle. Erstens beginnen oder enden die offiziellen Gedenkfeierlichkeiten häufig mit einer Messe in Form eines Wortgottesdienstes. Zweitens ähnelt der Ablauf der Gedenkzeremonien in Ausschnitten der Begräbnis- oder Gottesdienstliturgie. Die religiös-rituellen Bestandteile 74 Sakrale Mythen spielen im Kontext der Fallbeispiele zwar nur eine untergeordnete Rolle, dennoch beeinflussen sie im Allgemeinen die Konstruktion sakraler Räume.
74
FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE PERSPEKTIVEN
von Zeremonien zum Gedenken von Kriegsgeschehnissen und -toten sowie die Verwendung sakraler Symbolik erzeugen somit einen Transzendenzbezug und wecken spirituell-religiöse Emotionen. Ausgehend davon, dass Gedenkorte Träger von Bedeutungen und Symbolen sind und daraus divergierende Machtansprüche unterschiedlicher Akteure resultieren, kommt es zu einem von CHIDESTER & LINENTHAL (1995) so genannten ‚umkämpften‘ sakralen Raum. Diese zweite in der Literatur diskutierte Definitionslinie für sakrale Räume wird im Rahmen der Studie jedoch nicht als alleiniges Kriterium sondern lediglich als weiteres Indiz für die zugesprochene Sakralität eines Ortes und deren Vermischung mit politischen Räumen gewertet.75
7.2.3 Historische Räume des Wissens Als dritte analytische Kategorie müssen historische Räume betrachtet werden (siehe Abbildung 6). Abbildung 6: Raster zur Analyse von historischen Räumen des Wissens Sozialer Rahmen
Erinnerung & kollektives Gedächtnis Sakrale Mythen & Symbole
Politische Mythen & Symbole
Wissen Verwendung historischer Artefakte
Handlung
Historische Rituale
Re-enactment
Raumkonstruktion
Historische Inszenierung von Orten
Museumsbesuch
Historische Räume des Wissens
Der Schlüssel für die Betrachtung dieser Raumkonstruktion ist die Aneignung oder der Besitz von Wissen und die Verwendung oder Präsentation von Artefakten. Wissen und Artefakte werden in historischen Ritualen und der historischen Inszenierung von Orten (beispielsweise bei Mu75 Auf die Überschneidung dieses Ansatzes mit dem politischer Räume wurde bereits im Kapitel II/5.1.2 ‚Die konstruktivistische Perspektive‘ hingewiesen. Genauer wird noch bei der Diskussion des Analyserasters in Kapitel II/7.3 darauf eingegangen.
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RITUALE MACHEN RÄUME
seen) transportiert. Sie ermöglichen und intensivieren im Vollzug der historischen Rituale und bei rituell durchgeführten Museumsbesuchen die Konstruktion von historischen Räumen.
7.3 Diskussion des theoretisch-konzeptionellen Analyserasters Im Zentrum der Raumkonstruktionen steht der Mensch. Den Rahmen für seine Konstruktion von Gedenkräumen bildet das sozial determinierte Gedächtnis, das sich aus individuellen Erinnerungen und kollektiven Gedächtnisinhalten zusammensetzt. In ihm vermittelt werden die als bedeutungsvoll eingestuften historischen ‚Fakten‘ der Kriege. Hierdurch erfolgt eine erste Filterung der Ereignisse; relevanten Orten sowie Artefakten wird durch die Vermittlung des Gedächtnisses gesellschaftlich Bedeutung zugesprochen. Durch die Auswahl einzelner Orte und Artefakte für rituelle Handlungen erfolgt je nach Akteur entweder eine Festigung der gesellschaftlichen Relevanz oder eine individuelle Bedeutungszuschreibung. Objekte und Orte sind folglich gesellschaftliche und individuelle Bedeutungsträger.76 Beeinflusst durch das kollektive Gedächtnis mit seinen verschiedenen Werte- und Normenvorstellungen handelt der Mensch an (mit Bedeutungszuschreibungen versehenen) Orten und Artefakten und erzeugt dadurch verschiedene Räume. Innerhalb der Handlungen nehmen die Rituale einen speziellen Stellenwert ein, da sie durch die Verwendung von Symbolen und die Bezugnahme auf Mythen besonders bedeutungsgeladene Räume erzeugen. Der spezielle Raumcharakter entsteht auch in Folge dessen, dass Rituale keine individuell sondern kollektiv durchgeführten Handlungen darstellen. Im gemeinsamen Vollzug der Gedenkgesten entstehen im Zusammenspiel mit Mythen und Symbolen stark emotionsgeladene Gedenkräume, die je nach mythisch-symbolischem Referenzsystem und Handlungsintention der Ritualteilnehmer als ‚Katalysator‘ für weitere Raumkonstruktionen dienen. Insgesamt existieren sechs Überlappungen der unterschiedlichen Raumkonstruktionen. Drei davon entstehen durch das Vermischen von Gedenkräumen mit politischen, sakralen und historischen Räumen, drei weitere durch das gegenseitige Überlappen der politischen, sakralen und historischen Räume (siehe Abbildung 7). 76 Mit zeitlichem Abstand zu den Kriegen nimmt die individuelle zugunsten gesellschaftlicher Bedeutungszuschreibung ab. Dies ist dadurch zu erklären, dass individuelle Bedeutungszuschreibungen vor allem aus persönlichen Kriegserfahrungen resultieren und mit dem Tod vieler Veteranen verblassen. Spätestens mit dem Ableben ihrer Familienangehörigen treten die individuellen Bedeutungszuschreibungen völlig in den Hintergrund.
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FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE PERSPEKTIVEN
Abbildung 7: Raumkonstruktionen durch Gedenkrituale
Die erste mögliche Vermischung findet zwischen Gedenkräumen und politischen Räumen statt. Aufgrund der in der Ritualausführung erzeugten Emotionen können die Gedenkinhalte leicht manipuliert und Gedenkzeremonien zur Machtausübung im Kontext einer Ideologie instrumentalisiert werden (siehe Kapitel II/4.2.2 ‚Funktionen politischer Rituale‘). Zudem erfolgt eine Vermischung der zwei Raumkonstruktionen auch auf der nicht-rituellen Handlungsebene, wenn einerseits Gedenkorte in ihrer Entstehungsphase zu Medien politischer Mythen und Symbole gemacht werden und andererseits Politik mit Orten der Geschichte, Erinnerung und des Todes betrieben wird. Als zweites vermischen sich im Kontext der Sakralisierung von Gedenkinhalten Gedenkräume und sakrale Räume. Das rituelle Gedenken wird vielfach als Handlung des Glaubens gesehen (RESHEF 1988: 354), der Totenkult mit einer Religion verglichen (OEXLE 1995: 56f). Doch auch die Gedenkorte selbst, allen voran die Stätten, an denen der massenhafte Tod in Form von Friedhöfen und Denkmälern sichtbar ist, sind eine Quelle spiritueller Erfahrung. Denn das Leiden und der Tod des ‚geopferten‘ Soldaten wird mit dem Leid und der Auferstehung Christi gleichgestellt und die Erfahrungen im Kriege religiös transzendiert (DAVIES 1994: 154ff, GRAF 2000: 310, 77
RITUALE MACHEN RÄUME
MENKOVIC 1998: 26). Drittens überlappen sich Gedenkräume mit historischen Räumen durch die unterschiedliche Intensität des vorausgesetzten historischen Wissens und die inszenierte (rituelle) Verwendung von Artefakten. Zwar können auch Gedenkorte nur von Personen detailliert gelesen werden, die ihre Inhalte schon kennen (A. ASSMANN 1999b: 66) und folglich über ein bestimmtes Wissen verfügen, doch reicht dieses Basiswissen nicht für die Konstruktion von historisch inszenierten Räumen aus. Notwendig hierfür ist die Vermittlung und Aneignung von detaillierten Informationen sowie die Präsentation und Verwendung historischer Artefakte. In wohl keiner anderen Raumkonstruktion spielt – vor allem im Zusammenhang des Re-enactments – die Inszenierung eine vergleichbare Rolle. Viertens vermischen sich politische mit sakralen Räumen beispielsweise durch die als Referenzsystem verwendeten Mythen und Symbole.77 So werden beispielsweise in politischen Ritualen religiöse Symbole verwendet. Auch kann der politische Mythos der Nation als eine religiöse Erfindung verstanden werden. Mit dem Ziel, eine existenzielle Identität zu erzeugen, greifen ihre Erschaffer auf religiöse Symbole und sakrale Rituale zurück (GRAF 2000: 301). Sogar die Politik selbst wird einem sakralen Glauben gleichgesetzt und als Zivilreligion verstanden. Sie ist eingebettet in Zeremonien, Mythen und Symbole sowie Glaubensinhalte, deren Ziel in der Legitimierung der sozialen Ordnung besteht (RESHEF 1988). Im Kontext nicht-ritueller Handlungen kommt es durch das Umkämpfen sakraler Räume (siehe Kapitel II/5.1.2 ‚Die konstruktivistische Perspektive‘) aufgrund divergierender Machtansprüche zu Überlappungen mit politischen Räumen. Die fünfte Überlappungsmöglichkeit besteht zwischen historischen und sakralen Räumen. Sie erfolgt maßgeblich durch die Verwendung sakraler Symbolik und Zeichensprache sowie religiöser Ritualelemente für die Inszenierung des historischen Wissens und die Gestaltung historischer Orte. Auch spielt das Wissen über die historischen Ereignisse und das massenhafte Töten an bestimmten Orten eine entscheidende Rolle dafür, welche Orte als sakral angesehen werden und vorzugsweise als Bühne für die Inszenierung von Schlachten ausgesucht werden. Sechstens vermischen sich politische Räume mit historischen Räumen. Ebenso wie im zuvor geschilderten Fall tritt das Überlappen durch die Verwendung politischer Symbole im Zuge der rituellen historischen Inszenierungen sowie durch die enge Verflechtung von Wissen mit Macht (MEUSBURGER 2004: 38) auf.
77 Zur Nähe von Politik und Religion siehe auch Kapitel II/4.2 ‚Politische Rituale‘.
78
III
AUSWAHL DER FALLBEISPIELE, VORGEHENSWEISE UND METHODIK
Die im Nachkriegseuropa angestrebte neue Ordnung von Ort und Zeit sowie die daraus resultierenden Raumkonstruktionen und Fragenkomplexe nach Akteuren, Orten und Ritualen werden beispielhaft anhand von je einem Schlachtfeld aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg in Frankreich dargestellt bzw. beantwortet. Frankreich wurde als ‚nationales Untersuchungsfeld‘ ausgewählt, da das Land von beiden Weltkriegen stark betroffen war und es sich aufgrund einer ausgeprägten Erinnerungskultur sowie zahlreicher Gedenkzeremonien für die Untersuchung anbietet. Als Beispiele für einen Kriegsschauplatz aus dem Ersten Weltkrieg dienen die Schlachtfelder von Verdun (1916), Fallbeispiele für den Zweiten Weltkrieg sind die Kriegsschauplätze der alliierten Landung in der Normandie (1944) (siehe Abbildung 8). Die Auswahl der Fallbeispiele liegt jeweils in der als herausragend erachteten Stellung der Schlachten für den weiteren Kriegsverlauf begründet und der daraus resultierenden großen Bedeutung für das bestehende und immer wieder reformulierte kollektive Gedächtnis. Die Vorgehensweise und Methodik der Untersuchung ergeben sich aus den in der Einleitung formulierten Fragestellungen und den diskutierten theoretischen Perspektiven. Sie betreffen erstens den zirkulär angelegten Forschungsablauf und zweitens die Wahl einer sinnvollen Mischung aus geowissenschaftlichen, qualitativen und in eingeschränktem Umfang aus quantitativen Erhebungsmethoden. Vor allem in der explorativen Phase gleicht das Vorgehen einem einerseits systematischen, andererseits intuitiven Sammeln von Daten. In dieser Phase wurden erste Eindrücke des Schlachtfelds von Verdun und der Kriegsschauplätze der alliierten Landung in der Normandie gesammelt, die bestehenden Verteidigungsanlagen und Museen besucht und 79
RITUALE MACHEN RÄUME
Abbildung 8: Ausgewählte Fallbeispiele in Frankreich
dokumentiert sowie erste Gespräche mit Akteuren auf den Schlachtfeldern geführt. Im Zuge der Aufenthalte1 wurden die Daten mittels eines Methodenmixes erhoben – von FLICK (2002: 330) in Anlehnung an DENZIN (1989) als ‚methodologische Triangulation‘ bezeichnet (siehe auch DIEKMANN 1995: 451, MAYRING 1996: 121). Allgemein ist zu beachten, dass der Untersuchungsverlauf nicht als linearer Ablauf, sondern als zirkuläre Forschung zu verstehen ist: Die Auseinandersetzung mit der Thematik und den erhobenen Daten führte zu einer anhaltenden Reflexion der eigenen Methoden und Theorien sowie einer permanenten 1
80
Insgesamt erfolgten im Zeitrahmen von Mai 2002 bis November 2004 je vier Forschungsreisen nach Verdun und in die Normandie sowie drei Aufenthalte in Paris. Zusammengenommen umfassten diese einen Zeitraum von knapp fünf Monaten.
AUSWAHL DER FALLBEISPIELE, VORGEHENSWEISE UND METHODIK
Feintarierung der Fragestellungen. Denn, so STRAUSS (1998: 32f): „Man muß sich […] im klaren sein über die temporalen Aspekte oder Phasen der Forschungsarbeit, über das offene Ende sogar der ‚besten Forschung‘ in jeder Disziplin, über die immense Bedeutung der eigenen Erfahrungen als Forscher und über die Kontexte, in denen die Forschungen durchgeführt wurden“. In der vorliegenden Studie besteht die methodische Triangulation erstens aus den geowissenschaftlichen Methoden der Kartierung und der Auswertung von Kartenmaterial. In diesem Zusammenhang wurden die bestehenden Einrichtungen auf den Kriegsschauplätzen erfasst und dokumentiert sowie Kartierungen zweier Museen angefertigt. Zweitens werden Methoden der qualitativen Sozialforschung wie problemzentrierte Interviews, Experteninterviews, Gruppendiskussionen, teilnehmende Beobachtungen und Dokumentenanalyse verwendet. Gerade für die Analyse von Ritualen bietet sich die Verbindung von teilnehmender Beobachtung, qualitativer Interviewführung und Dokumentenanalyse an (siehe auch PRESTON 1992: 32, RIVIÈRE 1988: 147f, MORINIS 1992: 24ff, RINSCHEDE & SIEVERS 1985: 191). Insgesamt wurden 105 Interviews von sehr unterschiedlicher Länge (minimal fünfzehn Minuten bis maximal fünf Stunden) geführt. Drittens wurde im August 2003 – ohne den Anspruch auf Repräsentanz – eine standardisierte Befragung von 494 ‚Schlachtfeldtouristen‘ in Verdun durchgeführt, um einen Einblick in die Aktivitäten und Wahrnehmungen der Besucher zu erhalten sowie um eine 1992 erfolgte quantitative Befragung (Studie RENIMEL) von rund 370 Personen zu kontrastieren. Problemzentrierte Interviews wurden vor allem mit den wichtigsten Akteuren der vorliegenden Studie geführt, den Teilnehmern an Gedenkzeremonien. In dieser Gesprächsform soll der Befragte – obwohl inhaltlich durch den Interviewer auf eine bestimmte Thematik ausgerichtet – möglichst frei zu Wort kommen (MAYRING 1996: 50). Der Interviewer verwendet einen Leitfaden, der sich aus Fragen und Erzählanreizen zusammensetzt (FLICK 2002: 135). Die Interviews müssen drei Kriterien erfüllen: Sie erfolgen problemzentriert sowie gegenstands- und prozessorientiert (FLICK 2002: 135). Folgende Themenschwerpunkte waren Inhalt der Interviews mit den Teilnehmern: Erstens wurde die Biographie der Gesprächspartner thematisiert, um eventuell Rückschlüsse auf die Motivationsgründe für ihre Teilnahme ziehen zu können sowie eine zeitliche Einordnung in ihren Lebenskontext vornehmen zu können. Zweitens wurde der Fokus auf die Teilnahme an den Gedenkzeremonien und deren Wahrnehmung gerichtet. Drittens ging es um die Wahrnehmung der Schlachtfelder, wobei 81
RITUALE MACHEN RÄUME
hier die Frage nach deren Sakralität im Vordergrund stand. Der Zugang zu den Teilnehmern gestaltete sich überwiegend problemlos. Die anfänglichen Bedenken, dass die Interviewpartner ablehnend darauf reagieren könnten, dass eine Deutsche die Untersuchung durchführt, wurden schnell zerschlagen. Fast das Gegenteil kann behauptet werden: Teilweise erschien die deutsche Nationalität (sowie in dieser von älteren Männern geprägten Domäne die Tatsache, eine Frau zu sein) von Vorteil und viele Gesprächspartner betonten immer wieder positiv die Bedeutung, dass Franzosen und Deutsche nun in Frieden leben und als Verbündete agieren. Für das Fallbeispiel von Verdun wurden mittels dieser Methodik fünfzehn Teilnehmer in einer Länge von dreißig Minuten bis fünf Stunden interviewt, wobei ein Austausch in schriftlicher Form erfolgte. Die Mehrheit der Interviewpartner sind Mitglieder der Vereinigung ‚Ceux de Verdun‘, welche die Gedenkzeremonien im Juni teilweise organisieren und einen Großteil der Teilnehmer stellen. Die Kontakte wurden während der Rituale geknüpft, die Interviews – aufgrund der zeitlichen Verpflichtungen während der Gedenktage – teilweise Wochen und Monate später geführt. Während der Feierlichkeiten selbst waren nur kurze Gespräche möglich, über die Gedächtnisprotokolle angefertigt wurden. Zu den anderen Gedenkteilnehmern erfolgte die Kontaktaufnahme überwiegend willkürlich im ‚Schneeballsystem‘, indem sie während bereits erfolgter Interviews als interessante Gesprächspartner genannt und daraufhin kontaktiert wurden. Zudem stand eine Adressenliste der für die Erinnerungspolitik zuständigen Abteilung des Conseil Général zur Verfügung. Über die Gedenkzeremonien in der Normandie wurden 48 Teilnehmer befragt, wobei hier aufgrund der Dynamik vor Ort 29 Interviews in sehr fokussierter und kurzer Form (10–30 Minuten) sowie zwei in schriftlicher Form erfolgten. Die restlichen 17 Interviews dauerten zwischen einer halben Stunde und drei Stunden. Die große Zahl an kurzen Interviews hängt damit zusammen, dass die Teilnehmer zum Großteil aus dem Ausland (Großbritannien und USA) anreisten, sich nur wenige Tage vor Ort aufhielten und diese Zeit schon im Vorfeld genau durchgeplant hatten. Häufig nahmen gerade die Veteranen aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters an Gruppenreisen teil, die kaum zeitlichen Spielraum zuließen. Neben den Interviews mit Gedenkteilnehmern wurden ebenso mittels problemzentrierter Interviews die Touristen als zweite Gruppe wichtiger Akteure auf den Schlachtfeldern befragt. Hier standen Besuchsmotivation, Verhalten und Wahrnehmung der Schlachtfelder im Fokus der Gespräche. Auf dem Schlachtfeld von Verdun wurden elf Touristen aus 82
AUSWAHL DER FALLBEISPIELE, VORGEHENSWEISE UND METHODIK
Deutschland, Holland, Norwegen, Frankreich, Argentinien, Großbritannien und Ungarn in kurzen problemorientierten Gesprächen befragt. In der Normandie wurden mit sechs Touristen Interviews sowie eine Gruppendiskussion geführt. Die Kürze der Gespräche resultiert vor allem daraus, dass der Großteil der Touristen sich im Vorfeld kaum mit ihrem Reise- oder Etappenziel auseinander gesetzt hatte und entsprechend wenig zu berichten wusste. Schon allein die Nennung der verschiedenen besuchten Orte barg für die Touristen teilweise Schwierigkeiten. Auch die Schilderung ihrer Wahrnehmungen erfolgte überwiegend kurz und knapp. Ergiebig erwies sich die Gruppendiskussion, bei der die Wahrnehmung der Schlachtfelder thematisiert wurde und vielfältige Eindrücke herausgearbeitet werden konnten. Um eine weitere Perspektive auf das Verhalten und die Wahrnehmung der Touristen zu erhalten, wurden zusätzlich Experteninterviews mit Reiseleitern und Touristenführern durchgeführt. In dieser Interviewform wird der Gesprächspartner mittels eines Leitfadens in seiner Eigenschaft als Experte für eine bestimmte Thematik befragt (MEUSER & NAGEL 1991). Bei Experten handelt es sich um Personen, die „[…] in irgendeiner Weise Verantwortung […] für den Entwurf, die Implementierung oder die Kontrolle einer Problemlösung oder […] über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen und Entscheidungsprozesse […]“ (MEUSER & NAGEL 1991: 443) verfügen. Inhaltlich standen bei den im Tourismus Arbeitenden deren Aufgabengebiete sowie Einschätzung und Wahrnehmung der Touristen im Vordergrund des Gespräches. Auch Initiatoren und Betreiber von Museen wurden mittels dieser Methodik befragt, wobei überwiegend ihre Strategien und Pläne, Beurteilungen der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Akteure sowie ihre Einschätzungen von Touristen und Zeremonieteilnehmern thematisiert wurden. Im Kontext des Schlachtfeldes von Verdun wurden zwölf Expertengespräche geführt, während auf den Landungsstränden der Normandie 13 Akteure interviewt wurden. Die teilnehmende Beobachtung ist eine weitere Standardmethode der qualitativen Feldforschung. Statt lediglich passiv-registrierend zu beobachten, nimmt der Forscher aktiv an den Handlungen teil. Hierdurch erhofft er, mehr von der ‚Innenperspektive‘ der Situation zu erfahren und näher an seinen Forschungsgegenstand zu gelangen (FLICK 2002: 206ff, MAYRING 1996: 61ff). Gerade im Kontext von Ritualen bietet sich diese Form der Beobachtung an, da sich hier verschiedene ‚sichtbare‘ Phänomene verbinden und von besonderer Bedeutung sind: Orte, Akteure, Aktivitäten, Gegenstände (häufig mit symbolhaftem Charak83
RITUALE MACHEN RÄUME
ter), Handlungen, Zeit, Ziele und Gefühle (zu den Dimensionen sozialer Situationen siehe FLICK 2002: 209, zur Analyse von Ritualen auch RIVIÈRE 1988: 148f). Die Beobachtungen wurden in einem Feldforschungsbuch festgehalten. Als letzter Bestandteil des qualitativen Forschungsdesigns ist die Analyse von Dokumenten zu nennen. Hier handelt es sich um Akten der Organisatoren über die Gedenkrituale, Zeitungsartikel der lokalen Presse über die Gedenkzeremonien der Schlacht von Verdun sowie des D-Days in der Normandie. Im Falle Verduns wurden die anlässlich der Gedenkzeremonie im Juni erschienenen Artikel der lokalen Tageszeitung ‚L’Est Républicain‘ jährlich ab 1920 berücksichtigt, im Falle der Normandie jene der ‚Ouest France‘ ab 1945, jedoch lediglich in einem Turnus von fünf Jahren. Des Weiteren vervollständigen Abschriften der während der ‚großen‘ Zeremonien alle zehn Jahre gehaltenen Präsidentenreden die Untersuchung der politischen Rituale. Die Dokumente wurden inhaltlich nach politischen und religiösen Aussagen sowie organisatorischen Gesichtspunkten analysiert. Die Perspektive auf den Tourismus vervollständigen unveröffentlichte Studien über den Gedenktourismus in Verdun und der Normandie sowie Meinungsbücher von Museen und Friedhöfen, in welchen die Besucher ihre Gedanken eintragen. Zusätzlich wurde von Studierenden der Johannes GutenbergUniversität Mainz in Verdun eine standardisierte Befragung von knapp 500 Touristen durchgeführt. Da diese allerdings innerhalb einer einzigen Woche im August 2003 erfolgte und auch hinsichtlich der Fragebogenzahl nicht der benötigten Menge entspricht, sind die daraus gewonnenen Daten nicht repräsentativ. Anstatt allgemeine Rückschlüsse zuzulassen, sollen sie lediglich den qualitativen Datenkorpus ergänzen. In den Interviews wurde zunächst allgemein nach den Motivationen für einen Schlachtfeldbesuch und die Organisation der Reise, die Wahrnehmung einzelner besuchter Institutionen sowie allgemein des Schlachtfeldes gefragt und abschließend die sozialstatistischen Daten erfasst. Die Auswertung der Interviews lehnt sich an das Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse nach MAYRING (2003) an. Dieses Analyseverfahren ist für Textmaterial jeglicher Herkunft möglich, wobei anhand einer aus den Theorien gewonnenen Kategorisierung eine Reduktion des Datenmaterials erreicht werden soll. Die Inhaltsanalyse nach MAYRING (2003: 46ff, insbesondere 54) kann folgendermaßen kurz umschrieben werden: In einem ersten Schritt wird das Material ausgewählt, das für die Fragestellung interessant ist; anschließend wird die Erhebungssituation analysiert (konkrete Entstehungssituation, an Erhebung Beteiligte etc.) sowie das Material formal charakterisiert (z. B. Transkriptionen von Tonband84
AUSWAHL DER FALLBEISPIELE, VORGEHENSWEISE UND METHODIK
aufnahmen). Im vierten Schritt wird die Richtung der Analyse festgelegt (z. B. Wahrnehmung und Bedeutungszuschreibungen der Orte), während im fünften Punkt die Fragestellung theoriegeleitet weiter differenziert wird. Hieran schließt sich die Wahl der Analysetechnik(-en) (Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung) (siehe MAYRING 2003: 58). Nachdem nun also das vorliegende Material vom Forscher gesichtet und ein Kategoriensystem angelegt wurde, beginnt im vorletzten Schritt die Analyse des Datenmaterials. In der letzten Phase werden die Untersuchungsergebnisse in Hinsicht auf die Fragestellungen interpretiert und individuelle Einzelfalldarstellungen fallübergreifend verallgemeinert. Für die Auswertung der vorliegenden Daten wurden einige der aufgezeichneten Interviews vollständig in der Originalsprache transkribiert und anschließend mit der Technik der zusammenfassenden Inhaltsanalyse paraphrasiert und in ein an den Fragestellungen orientiertes Kategoriensystem eingefügt. Textpassagen anderer Interviews wurden später direkt in dieses Raster transkribiert oder zusammengefasst niedergeschrieben. Diese Interviewraster wurden anschließend mit Hilfe des Computerprogramms MAXQDA codiert. Die Interpretation des Datenmaterials erfolgt vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Methodenverbindung, der mittels zusammenfassender Inhaltsanalyse ausgewerteten Interviews und in Kenntnis der umfangreichen – wenn auch bei weitem nicht aller – Literatur hinsichtlich der theoretischen Perspektiven. All diese Perspektiven fließen in die Interpretation ein, ohne dass sie die einzig möglichen wären. Die Darstellung der empirischen Untersuchungsergebnisse erfolgt in Kapitel IV (‚Rituale und Räume der Schlacht von Verdun‘) und V (‚Rituale und Räume der alliierten Landung in der Normandie‘). Anstatt die Textpassagen in der Originalsprache im Text wiederzugeben, werden die Inhalte im Fließtext paraphrasiert oder von der Verfasserin übersetzt (kursiv gedruckt) dargestellt. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird für Personenbezeichnungen die maskuline Form gewählt. Dies lässt sich auch durch die überwiegend männlichen Gesprächspartner begründen.
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IV
RITUALE UND RÄUME DER SCHLACHT VON VERDUN
Verdun. Dieser in das kollektive Gedächtnis der Franzosen und Deutschen eingravierte Name steht symbolisch für den Ersten Weltkrieg und den heldenhaften Widerstand der Franzosen gegen die deutsche Offensive im Jahr 1916. Zahlreiche Schlachtfelder in der Umgebung von Verdun prägen die Landschaft. Neben den bekanntesten und von Touristen am häufigsten frequentierten, nordöstlich der Stadt Verdun liegenden Kampfstätten (Rive Droite) fanden herausragende Schlachten nordwestlich von Verdun (Mort-Homme, Côte 304) sowie südlich von Verdun bei Saint-Mihiel statt. Auch wenn an diesen Orten oftmals ebenso erbittert gekämpft wurde wie an der Hauptverteidigungslinie östlich von Verdun, werden sie heute von den Besuchern weitaus weniger beachtet. Da das Hauptaugenmerk der Fallstudie auf dem im Juni gefeierten rituellen Gedenken der Schlacht von Verdun liegt, welches das weiteste Vorrücken der Deutschen auf der östlichen Maasseite markiert, wird auch die vorliegende Publikation zu diesem fokussierten Blick auf die Rive Droite beitragen. Dem soll jedoch in Teilgebieten entgegengesteuert werden: Nachdem neuerdings ein Tourismuskonzept für das ganze Departement Maas (Meuse) mit dem Ziel implementiert wurde, ein Netzwerk aller Akteure in der Region zu etablieren und die bisher weniger beachteten Gedenkorte zu stärken, öffnet sich im Hinblick auf den Gedenktourismus bei Verdun die Perspektive auf die oben angeführten Schlachtfelder des Argonnerwalds und von Saint-Mihiel. Um den Kontext für den Leser verständlich machen zu können, werden diese Gedenkorte in Kapitel IV/1.2.2 bis IV/1.2.5 kurz vorgestellt.
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RITUALE MACHEN RÄUME
1
Schlachtfelder von Verdun
Aufgrund des Schlieffenplans, der die Umgehung der französischen Festungswerke der Verteidigungslinie Sedan–Vogesen sowie einen Vormarsch der deutschen Truppen nach Paris über Luxemburg und Belgien vorsah, spielte der Festungsgürtel von Verdun während der ersten beiden Jahre des Ersten Weltkrieges keine nennenswerte Rolle (KRECH 2000, LINNENKOHL 1990). Dies änderte sich im Februar 1916, als deutsche Truppen unter der Führung von Generalstabschef General Erich von Falkenhayn aus östlicher Richtung einen Angriff auf die Verteidigungswerke vor Verdun – mit dem bis dahin in der Militärgeschichte größten Aufgebot an Artillerie – durchführten. Am 21. Februar 1916 begann die größte Schlacht des Ersten Weltkrieges, die rund 300 Tage und Nächte andauern und knapp 720.000 französischen und deutschen Soldaten das Leben kosten sollte. In den zehn Monaten bis Mitte Dezember 1916 wurden etwa 60 Mio. Artilleriegranaten, davon Hunderttausende Gas- und Phosphorgranaten sowie Flammenwerfer eingesetzt (RODIER 1998: 111). Nicht zuletzt der massive Einsatz von Kriegsmaterial und die langanhaltenden Kämpfe um einige Meter Boden haben dazu beigetragen, dass die ‚Schlacht von Verdun‘ von den Überlebenden immer wieder als ‚Hölle von Verdun‘ beschrieben wurde. In ihrem Alltag an der durch die andauernde Bombardierung bald einer Mondlandschaft gleichenden Front wurden die Soldaten beider Nationen ständig mit Kälte oder Hitze, Durst, Staub, Lärm, Angst, Ungeziefer und Ratten sowie dem Gestank von aufgedunsenen Leichen und Tierkadavern konfrontiert. Gegen Ende der Kampfhandlungen war die Umgebung von Verdun durch die anhaltende Bombardierung regelrecht umgepflügt und die unzähligen Granattrichter haben der Landschaft ein neues, narbiges Gesicht gegeben. Unter dieser Narbenschicht liegen die sterblichen Überreste von zahlreichen Gefallenen und unzählige Blindgänger (Bomben, Geschütz-, Gewehr-, und Handgranaten) begraben, deren durch die Verwitterung gezeichneten, aber dennoch scharfen Explosionskörper teilweise bis heute durch Erdbewegungen an die Oberfläche befördert werden. Rund 15.500 Hektar der Kriegsschauplätze bei Verdun werden aufgrund der im Erdreich verbliebenen Explosionskörper und den damit verbundenen Gefahren und Kosten für eine Neubesiedlung und Kultivierung bis heute nicht intensiv bewirtschaftet. Im April 1919 wurden sie – vielleicht nicht zuletzt auch begründet durch den Respekt vor den unbekannt auf dem Schlachtfeld
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RITUALE UND RÄUME DER SCHLACHT VON VERDUN
begrabenen Gefallenen – als Rote Zone1 (Zone Rouge) deklariert. Ihr Großteil wurde ab 1925 aufgeforstet und trägt heute über der kriegsversehrten Hügellandschaft den Staatsforst von Verdun (siehe Tabelle 4). Diejenigen Gebiete der Roten Zone, die heute nicht vom Staatswald bedeckt sind, beherbergen Überreste des Krieges oder Militärcamps zur Ausbildung von Soldaten. Lediglich 200 Hektar wurden als Historisches Monument (monument historique) klassifiziert (DOMANGE o. J.). Tabelle 4: Die Rote Zone von Verdun und deren Nutzung als Staatsforst Gebiet Rote Zone
Fläche Staatsforst (ha)
Verdun-Douaumont (Rechte Maasseite)
10.185 Verdun
9.600
Mort3.244 Homme
2.885
Les Eparges
747 Eparges
662
Argonne-Lachalade
996 Lachalade
958 Zurückgestuft
Apremont (St.-Mihiel)
500 Apremont
522 Zurückgestuft
Mort-Homme
Summe
15.672 Summe
Fläche Bemerkungen (ha) Heutiger Staatsforst in der Roten Zone: 13.147 ha
14.627
Quelle: nach FLAMMARION (1993: 26) Namensgeber für die ‚Zone Rouge‘ war nicht, wie man erwarten könnte, das dort geflossene Blut, sondern vielmehr der Rotstift, mit dem ihre Grenzen 1919 auf der Landkarte eingezeichnet wurden (PARENT 2004: 9). Dennoch ist sie eine Zone der Stille und des Respekts vor den Toten: Hier darf man – wenn auch nicht immer von den Besuchern respektiert – nicht Radio hören, zelten und picknicken. Dies verwundert insofern nicht, als es sich bei der Roten Zone um einen großen Friedhof handelt. Da Erosion und Vegetation die kriegsgezeichnete Region retouchiert haben, fällt es manchem Besucher schwer, sich auf dem ehemaligen Schlachtfeld die Kampfgeschehnisse zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorzustellen. Genutzt wird der Staatswald der Roten Zone von einigen Bürgern aus Verdun und Umgebung als Naherholungsgebiet, doch vor allem ist er ein Ort des Gedenkens – sei es in Form von Gedenkritualen oder Gedenktourismus. Fast 90 Jahre nach der Schlacht von Verdun ist somit aus dem einer Mondlandschaft gleichenden Kriegsschauplatz ein lebendiger Gedenkort geworden, der viele verschiedene Facetten birgt. 1
Als Rote Zone werden in Frankreich insgesamt rund 120.000 Hektar ehemaliger Frontlinie des Ersten Weltkrieges von Belgien bis östlich von Nancy bezeichnet (PARENT 2004: 9).
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RITUALE MACHEN RÄUME
1.1 Akteure des Gedenkens Am wichtigsten Gedenkort der Neuen Geschichte Frankreichs versammeln sich zahlreiche Akteure, welche die Gestaltung und Nutzung des Kriegsschauplatzes mitbestimmen und beeinflussen. Im Rahmen einer analytischen Trennung können insgesamt vier Akteurstypen gebildet werden, deren Aufgabenbereiche sich teilweise überschneiden. Es handelt sich erstens um die Interessengruppen, die unterschiedliche Gedenkstätten auf dem Schlachtfeld betreiben und somit direkt Einfluss auf die Gestaltung des Gedenkortes nehmen. Die zweite Gruppe bilden Ritualteilnehmer, die maßgeblich aus Angehörigen von patriotischen Vereinen und Regimentsvereinigungen sowie aus Politikern und Bewohnern der Region bestehen. Im Hinblick auf den Gedenktourismus sind sowohl drittens die Akteure im Tourismussektor als auch viertens die Touristen selbst von Bedeutung.
1.1.1 Interessengruppen auf den Schlachtfeldern Grundeigentümer der Zone Rouge ist der französische Staat, der durch verschiedene Institutionen auf die Gestaltung der Schlachtfelder Einfluss nimmt. Zunächst ist hier das staatliche Forstamt (Office National des Fôrets) zu nennen, das die Aufgabe hat, die Wälder in der Zone Rouge zu pflegen. Ohne die Zustimmung des Forstamtes können keine Veränderungen in diesem Gebiet vorgenommen werden. Die militärischen Festungen dagegen unterstehen dem Verteidigungsminister bzw. dem Militärabgeordneten des Departements. Bis Ende 2002 wurden die Festungen von Douaumont und Vaux sowie die Unterirdische Zitadelle vom Fremdenverkehrsamt von Verdun verwaltet, seit Anfang 2003 hat die Departementvertretung (Conseil Général) die Leitung übernommen. Ein drittes Aufgabengebiet besteht für den Staat in der Pflege der französischen Soldatenfriedhöfe, die durch das Ministerium für Veteranen und Kriegsopfer (Ministère des Anciens Combattants et Victimes de Guerre) – genauer gesagt durch den 1918 ins Leben gerufenen Gräberdienst (Service des Sépultures) – unterhalten werden (BARCELLINI 1986: 76).2 Der Staat wird beim Erhalt der Militärfriedhöfe durch unterschiedliche Verbände wie beispielsweise den Souvenir Français unterstützt. Die Aufgabe des nach dem Deutsch-Französischen Krieg gegründeten Souvenir Français liegt einerseits im Unterhalt von Gräbern und Monumen2
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Der Artikel 225 des Versailler Vertrages vom 28.06.1919 legt den alliierten Regierungen und der deutschen Staatsführung nahe, die Kriegsgräber auf französischem Boden zu respektieren und zu unterhalten, wobei die deutschen Friedhöfe zunächst unter der französischen administrativen Vorherrschaft blieben.
RITUALE UND RÄUME DER SCHLACHT VON VERDUN
ten, anderseits organisiert der Verein auch Gedenkveranstaltungen. Anders gestaltet sich dies bei den deutschen Soldatenfriedhöfen, die außerhalb der Zone Rouge liegen und vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge3 (VDK) gepflegt werden. Die American Battle Monuments Commission4 (ABMC) unterhält zwei amerikanische Soldatenfriedhöfe, die sich ebenfalls außerhalb der Roten Zone befindet. Der 1972 gegründete Nationalverband zum Gedenken der Schlacht von Verdun und dem Erhalt seiner Gedenkorte (Association Nationale du Souvenir de la Bataille der Verdun et de la Sauvegarde de ses HautsLieux, kurz: ANSBV) ist ein weiterer wichtiger Akteur auf dem Schlachtfeld. Der ANSBV ist eine Tochtervereinigung des Nationalausschusses zur Erinnerung an Verdun (Comité National du Souvenir de Verdun, kurz: CNSV), der 1951 unter der Schirmherrschaft des damaligen Staatspräsidenten Vincent Auriol offiziell gegründet und im Februar 1962 unter dem Gründungspräsidenten Maurice Genevoix als gemeinnütziger Verein anerkannt wurde. Dem eigentlich bereits 1926 ins Leben gerufenen und bis 1951 eher ‚schlafenden‘ CNSV unterliegt heute die Führung des Memorials von Verdun (Mémorial de Verdun) (BARCELLINI 1996a: 87). Der Verwaltungsrat des ANSBV setzt sich aus Amtsträgern (Präfekt des Departements Maas, Präsident des Conseil Général der Maas, Oberkommandant des 6. Wehrbereichs, Kommandant der Truppen in Verdun, Bürgermeister von Verdun) und gewählten Mitgliedern zusammen. Sein Aufgabenbereich liegt – in Zusammenarbeit mit den oben angeführten Institutionen und Verbänden – im Erhalt und Schutz der Gedenkstätten des ‚Freilichtmuseums‘ von Verdun durch verschiedene Projekte wie beispielsweise die Instandsetzung von Wanderpfaden und Rastplätzen sowie die Freilegung von mit Vegetation überdeckten Kratern.5
3
4
5
Der VDK wurde kurz nach dem Beenden des Ersten Weltkrieges am 12.12.1919 von Persönlichkeiten wie Paul von Hindenburg und Konrad Adenauer gegründet. Als privater Verein kümmert er sich um die Erfassung, Pflege und den Erhalt von deutschen Kriegsgräbern sowie um die Betreuung von Angehörigen in Fragen der Kriegsgräber. Die Finanzierung erfolgt über Mitgliedsbeiträge, Geldsammlungen und staatliche Subventionen. Die ABMC wurde 1923 gegründet und ist im Gegensatz zum Volksbund eine staatliche Einrichtung, die außerhalb Amerikas 24 Friedhöfe und 25 Denkmäler verwaltet. Ihre Aufgaben bestehen allgemein im Gedenken der Taten der amerikanischen Armee sowie im Errichten und Unterhalt von Friedhöfen und Gedenkmonumenten (ABMC o. J.). Die Informationen stammen, falls nicht anderweitig gekennzeichnet, aus unveröffentlichten Arbeitsberichten des ANSBV.
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RITUALE MACHEN RÄUME
Die Pflege der neun Villages Detruits in der Zone Rouge unterliegt den ‚Gemeindeausschüssen‘ (commissions municipales) der Zerstörten Dörfer. Sie umfassen neben dem Bürgermeister bzw. Präsidenten des Gemeindeausschusses zwei Mitglieder, die bis 1982 vom Präfekten und seitdem vom Conseil Général ernannt werden. Eine Ausnahme bilden die Bürgermeister von Douaumont und Vaux, die von den in der Umgebung wohnenden ehemaligen Gemeindemitgliedern bzw. deren Nachfahren gewählt werden. In einem Gemeindeverband (Syndicat Intercommunal à Vocations Multiples, kurz: SIVOM), der 1987 durch einen Erlass der Präfektur errichtet wurde, sind die Vertreter der Zerstörten Dörfer zusammengeschlossen. Als weiterer Akteur tritt das Komitee des Beinhauses (Comité de l’Ossuaire) auf, das aus zwölf ehrenamtlichen Mitgliedern besteht und 1932 als gemeinnütziger Verein anerkannt wurde. Permanente Mitglieder sind der Bischof von Verdun, der Oberkommandant der Truppen in Verdun und bislang ein Veteran des Ersten Weltkrieges. Insgesamt existieren auf den Schlachtfeldern von Verdun rund 60 Vereine bzw. Interessengruppen, wobei neben den oben genannten Institutionen (siehe Tabelle 5) auch noch der Nationalverband der Frontausbuchtung von Saint-Mihiel (Association Nationale le Saillant de SaintMihiel, kurz ANSM) als einflussreicher Akteur zu nennen ist. Tabelle 5: Einflussreiche Akteure auf den Schlachtfeldern von Verdun Institution
Zuständigkeitsbereiche (zusätzlich zum Erhalt des Gedenkens)
Staatliche Institutionen
Forstamt: Pflege des Waldes Verteidigungsminister/Militärabgeordneter: Erhalt der Verteidigungsanlagen Ministerium für Veteranen und Kriegsopfer/Gräberdienst: Pflege französischer Soldatenfriedhöfe ABMC: Pflege amerikanischer Soldatenfriedhöfe
VDK
Pflege deutscher Soldatenfriedhöfe
CNSV
Führung und Instandhaltung des Memorials
ANSBV
Erhalt und Schutz von Gedenkstätten auf den Schlachtfeldern
BeinhausKomitee
Führung und Instandhaltung des Beinhauses
Gemeindeausschuss der Zerstörten Dörfer
Pflege und Erhalt der Zerstörten Dörfer
ANSM
Erhalt und Schutz von Gedenkstätten im Sektor Saint-Mihiel
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RITUALE UND RÄUME DER SCHLACHT VON VERDUN
Diese Vielzahl an Interessenverbänden macht eine Zusammenarbeit zwischen ihnen kompliziert, da viele von ihnen in Konkurrenz zueinander stehen oder die Vorsitzenden teilweise schwierige persönliche Beziehungen zueinander haben. Durch einen eigens vom Conseil Général eingerichteten Arbeitsbereich ‚Gedenkpolitik‘ (Mission Politique de la Mémoire) soll dieser Missstand aufgehoben und ein übergreifendes Netzwerk aller Akteure auf dem Schlachtfeld geknüpft werden (siehe Kapitel IV/1.1.3 ‚Akteure im Tourismussektor‘).
1.1.2 Ritualteilnehmer Das rituelle Gedenken an die Schlacht von Verdun findet alljährlich an einem Sonntag um den 23. Juni statt. Abgesehen von den runden Jahrestagen alle fünf und zehn Jahre, die aufgrund der Anwesenheit des Premierministers oder Staatschefs viele Besucher6 anziehen, nehmen heute rund 150–200 Personen an der Gedenkzeremonie teil. Fünf Personengruppen können hier unterteilt werden: Patriotische Vereine, Regimentverbände, Verdun-Veteranen, Amtsträger (Politiker und Militär) sowie Bewohner aus der Umgebung.7 Die größte Gruppe stellen die patriotischen Vereine dar, allen voran der Verband Jene von Verdun – ihre Nachkommen und Freunde (Ceux de Verdun – leurs Descandants et leurs Amis).8 Gegründet wurde der Verein 1938 unter dem Namen ‚Ceux de Verdun‘, die Namenserweiterung, durch die sowohl Nachkommen als auch Freunde der VerdunSoldaten in den Verein Aufnahme fanden, wurde 1971 vollzogen. Die Gründungsväter Jacques Péricard (Journalist und Schriftsteller) und Gustave Durassié (Verleger und Herausgeber) haben frankreichweit alle Veteranenverbände von Verdun angeschrieben, um auf den Verein aufmerksam zu machen. Ceux de Verdun umfasste also anfangs alle ehemaligen Soldaten Frankreichs, die im Sektor von Verdun gekämpft haben. 6
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1996 waren nach der Abreise des Präsidenten abends noch rund 500 Personen am Beinhaus anwesend. Denn wenn ein Präsident kommt, zieht das die Masse an. Ein Staatspräsident ist selten zu sehen. Bei dieser Einteilung bestehen Überschneidungen vor allem zwischen patriotischen Vereinen, Regimentverbänden und Veteranen. Viele Veteranen waren Mitglieder in patriotischen Vereinen oder Regimentverbänden und können somit als Bestandteil der ersten zwei Personengruppen gezählt werden. Da sie jedoch eine bedeutende Rolle in den Gedenkzeremonien gespielt haben und von den anderen Teilnehmern in ihrer Funktion als ehemaliger Soldat von Verdun anstelle eines Vereinsmitglieds wahrgenommen wurden, sind sie hier als separate Gruppe aufgeführt. ‚Ceux de Verdun‘ war ehemals ein Verein für Verdun-Veteranen, doch seit der Öffnung für alle Interessierten kann er als patriotischer Verein gezählt werden. Heutzutage sterben viele Veteranenvereine aus, die sich nicht einem breiteren Publikum öffnen.
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Neben dem Hauptsitz des Vereins in Paris bestand in jedem Departement eine Ortsgruppe (Amicale). In ihnen hatten die Verdun-Veteranen die Möglichkeit, das an der Front erlebte Gemeinschaftsgefühl wieder aufleben zu lassen und sich auszutauschen. Die Hauptaktivitäten von Ceux de Verdun bestanden damals in der Verehrung der heldenhaften Taten der Verteidiger von Verdun sowie in sozialen Belangen, da eine Reise auf den Kriegsschauplatz in der Zwischen- und Nachkriegszeit durch die schlechten Transportbedingungen relativ beschwerlich war. Dies änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, als regelmäßige Pilgerfahrten nach Verdun ins Vereinsprogramm aufgenommen wurden (Statute 1975). Im Laufe der Zeit hat sich Ceux de Verdun in einen Verein verwandelt, der sich maßgeblich aufgrund seines fortgeschrittenen Alters immer weniger aus Veteranen, dafür aber aus Geschichtsinteressierten und Sammlern zusammensetzt. Strukturell besteht Ceux de Verdun aus Ehrenmitgliedern (sie werden aufgrund ihrer Verdienste ausgezeichnet, die sie dem Verband oder Verdun erwiesen haben), zahlenden Mitgliedern (Personen, die durch eine großzügige Geldspende dem Gedenken von Verdun helfen), aktiven Mitgliedern (Soldaten, die zwischen dem 31.07.1914 und 11.11.1918 im Sektor von Verdun gekämpft haben) und assoziierten Mitgliedern (Witwen und Nachkommen der Veteranen, Veteranen anderer Kriege sowie alle, die den Auftrag von Ceux de Verdun weiterführen möchten) (Statute von 1984). Anstatt der ehemals über 90 Lokalgruppen existierten im Jahr 2004 noch rund 25 Amicales mit insgesamt rund 2.000 Mitgliedern.9 Das Durchschnittsalter der Mitglieder liegt mit über 60 Jahren relativ hoch. Noch heute bestehen die Ziele von Ceux de Verdun in einer Verewigung der Gedenkpflicht an die Veteranen und deren Aufopferung in der Schlacht von Verdun. Dies wird auf unterschiedlichen Wegen erreicht: durch die Organisation und Teilnahme an Gedenkzeremonien10, die Vergabe der Medaille von Verdun11, 9
Je nach Interviewpartner variiert die Mitgliederzahl zwischen 2.000 und 5.000 Personen. Realistisch erscheint die am niedrigsten angegebene Zahl. Der Amicale Maas gehören rund 300 Mitglieder an. 10 Die wichtigsten Gedenkzeremonien, welche durch den Verein organisiert werden, sind die oben erwähnte Gedenkfeier im Juni und die Flammenzeremonie im November. 11 Die Medaille von Verdun wurde im November 1916 nach der Eroberung des Befestigungswerkes von Douaumont ins Leben gerufen, um die Veteranen zu ehren, die im Sektor von Verdun gekämpft haben. Im Jahr 2003 erhielten ungefähr 198.000 Veteranen die Medaille. Da auch Hinterbliebene für ihre Vorfahren die Medaille beantragen können, werden heute immer noch ca. 50 Medaillen pro Jahr nach eingehender Prüfung der Unterlagen gegen ein Entgelt von 30 Euro vergeben. Die Namen der VerdunKämpfer sind in dem Rathaus liegenden Goldenen Buch der VerdunSoldaten sowie im Register des Siegesmonuments eingetragen.
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jährliche Pilgerfahrten auf das ehemalige Schlachtfeld, Publikationen von Zeitzeugenberichten in der vierteljährlich erscheinenden Vereinszeitung ‚Der Kämpfer von Verdun‘ (Le Combattant de Verdun) sowie historische Nachforschungen im Auftrag von Familien. Die Finanzierung dieser Aktivitäten erfolgt durch Mitgliedsbeiträge, Spenden sowie durch Zuwendungen der Stadt Verdun und der Departementvertretung. Aufgrund des Ablebens des letzten Veteranen im Frühjahr 2003 und der sinkenden Mitgliederzahlen wird die Zukunft des Vereins häufig diskutiert. Deswegen ist es dem Verband wichtig, die ‚Flamme des Gedenkens‘ an die junge Generation weiterzugeben und Jugendliche in die Zeremonien zu integrieren. Eine weitere wichtige Vereinigung und zudem der älteste VeteranenVerband wurde nach der Parole der Verdun-Soldaten benannt: On ne passe pas. Er wurde 1920 in Verdun gegründet, um alle Veteranen des Ersten Weltkrieges zusammenzuschließen. Später hat er auch Veteranen anderer Kriege aufgenommen. Die Besonderheit des Vereins besteht darin, dass er das Siegesmonument in der Stadt Verdun verwaltet (Bezahlung von Strom, Versicherungen etc.) und ebenso wie Ceux de Verdun den Antrag auf eine Medaille von Verdun bearbeitet. Der aus rund 50 Mitgliedern bestehende Verband finanziert sich, abseits der Mitgliedsbeiträge, durch Zuwendungen der Stadt Verdun. Weitaus mehr Mitglieder, nämlich landesweit 320.000 Personen, weist die Vereinigung Föderation Maginot (Fédération Nationale André Maginot des Anciens Combattants et Victimes de Guerre) auf.12 Im Departement Maas zählt sie rund 2.300 Personen. Sie wurde 1888 durch Veteranen des Deutsch-Französischen Krieges unter dem Namen ‚Brüderliche Union‘ (Union fraternelle) gegründet und erst 1961 nach dem ehemaligen Minister und langjährigen Vereinspräsidenten Maginot umbenannt. Die Aktivitäten werden maßgeblich durch Mitgliedsbeiträge und eine Beteiligung an der Staatslotterie finanziert und stützen sich heute auf vier Pfeiler: die Verteidigung der Rechte und der Ehre der Veteranen und Kriegsopfer, die Subvention von wohltätigen Veranstaltungen, die Bewahrung des Gedenkens an die Veteranen – vor allem gegenüber der jungen Generation – und soziale Tätigkeiten für Veteranen. Konkret bedeutet dies zum Beispiel, dass die Vereinigung Kriegswitwen, Veranstaltungen und patriotische Vereine finanziell unterstützt und Altenheime errichtet.
12 Wenn nicht anderweitig gekennzeichnet, stammen die hier aufgeführten Informationen von der Internetseite der Vereinigung.
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Weniger einen patriotischen Verein als vielmehr ein Hilfswerk für Kriegswaisen stellt die Nationale Föderation der Kinder der für Frankreich Gefallenen (Fédération Nationale des Fils des Morts pour la France, kurz: Les Fils des Tués) dar.13 1927 auf Anregung von Péricard gegründet und 1947 als gemeinnütziger Verein anerkannt, nimmt sie Waisen aller Konflikte (1. Weltkrieg, 2. Weltkrieg, Indochina-Krieg, Algerienkrieg, Terroranschläge etc.) auf und bietet seit 1999 auch deren Nachkommen die Möglichkeit, dem Verein beizutreten. Strukturell besteht der unter der symbolischen Schirmherrschaft des Unbekannten Soldaten stehende Verein aus 45 Vereinigungen auf Departement-Ebene sowie seinem föderativen Organ und umfasst landesweit ca. 6.000 Mitglieder. Wie in vielen patriotischen Verbänden auch nimmt die Mitgliederzahl der ‚Fils des Tués‘ aufgrund des fortgeschrittenen Alters der AltMitglieder und der Tatsache, dass heute nur wenige Franzosen durch Kriege und Terroranschläge zu Waisen werden, immer weiter ab. Die Ziele des Vereins bestehen darin, die Bindungen zwischen den Mitgliedern der Vereinigung zu stärken, so dass eine ‚Familie der für Frankreich Gefallenen‘ entstehen kann, die Rechte der Waisen vor allem hinsichtlich der Sozialhilfe zu verteidigen und das Gedenken an die im Krieg Gefallenen aufrecht zu erhalten. Aus diesen Zielen leiten sich auch die Hauptaktivitäten ab: Im Auftrag seiner Mitglieder vertritt der Verband deren Rechte vor staatlichen Ämtern (z. B. beim Staatsamt für Veteranen und Kriegsopfer (Office National des Anciens Combattants et des Victimes de Guerre, kurz: ONAC)), führt Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (Mutuelles) sowie Solidaritätskassen und unterstützt in besonderen Fällen auch die Mitglieder durch Spenden und Darlehen. Auf lokaler Ebene gliedern sich die Aktivitäten in drei Bereiche: Moralische Handlungen (Aufrechterhalten des Gedenkens, Teilnahme an patriotischen Zeremonien), soziale Handlungen (Hilfe bei Behördengängen, Besuch von Alten und Kranken, etc.) und Handlungen auf Vereinsebene (Teilnahme an Versammlungen, Übernahme von kleinen Aufgaben). Kurz zusammengefasst kann die Organisation mit drei Worten umschrieben werden: Solidarität, gegenseitige Hilfe und Gedenken. An den Gedenkzeremonien nehmen auch immer Mitglieder von Regimentverbänden wie beispielsweise Sidi Brahim teil. Der Verein wurde nach einer entscheidenden Schlacht in Nordafrika 1845 benannt und beherbergt auch die während des Ersten Weltkrieges kämpfenden Jagdbataillone, die ‚Blauen Teufel‘ (Diables Bleus). Der Verein ist in eine Föderation und 50 Amicales gegliedert, wobei die Lokalgruppe von Ver-
13 Falls nicht anderweitig gekennzeichnet, gehen die Informationen auf eine Eigendarstellung des Vereins zurück.
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dun heute rund 60 Mitglieder umfasst. Die Mitglieder sind Regimentsangehörige und müssen nicht unbedingt Kriegserfahrung nachweisen können. Wichtig ist vielmehr, dass sich die Mitglieder durch eine ‚Jägergesinnung‘ (esprit chasseur) auszeichnen, die sich durch Truppengeist, Schnelligkeit, Unternehmungsgeist, Geschicklichkeit, Disziplin, absolute Ergebenheit und Aufopferung charakterisieren lässt. Die Aktivitäten der Lokalgruppe von Verdun sind vor allem auf das Gedenken des Beginns der Verdun-Schlacht im Februar 1916 und den Widerstand des Jägerbataillons von Oberst Driant im Caures-Wald gerichtet. Aber auch bei anderen patriotischen Gedenkzeremonien sind zumindest der Präsident und Vizepräsident sowie der Fahnenträger anwesend. Allgemein bleibt festzuhalten, dass Regimentverbände an die Orte, an denen ihr Bataillon gekämpft hat, oder zu Monumenten ihrer Bataillone eine besondere Bindung haben. Eine Personengruppe, die zum letzten Mal im Jahr 2002 bei der Juni-Zeremonie in Verdun repräsentiert war, ist die der VerdunVeteranen. Ehemals in Massen zu den Zeremonien nach Verdun gefahren, hat sich die Zahl der noch lebenden Frontkämpfer im November 2004 auf 16 Männer reduziert, die heute nicht mehr in der Lage sind, nach Verdun zu kommen. Viele der Veteranen waren ehemals in Vereinen wie Ceux de Verdun organisiert und hatten hierin ein Forum gefunden, ihre teilweise traumatischen Erfahrungen mit Leidensgenossen zu teilen. Besonders im Rentenalter sind viele ehemalige Soldaten den Vereinigungen beigetreten, um alte Kameraden wiederzutreffen. Anscheinend spielte oft der Einstieg in den Ruhestand einen auslösenden Faktor für einen Vereinsbeitritt: Nach Verlust von Arbeit, Arbeitskollegen und Arbeitsrhythmus besteht bei vielen die Hoffnung, im Verband ein neues Lebensziel und eine sinnvolle Aufgabe zu finden. Und was bleibt, das ist auch hinsichtlich der Erinnerung interessant, sind eher die positiven als die negativen Aspekte. Man vergisst die Momente, in denen man wirklich hat viel durchmachen müssen. Davon spricht man nicht viel. Dagegen tauchen die guten Momente wieder in der Erinnerung auf. […] Eine Art Katharsis für [die Veteranen]. Andere haben von dieser Wirkung keinen Gebrauch gemacht und sind nie Kombattantenverbänden beigetreten. Stattdessen haben sie ein Leben lang über ihre Kriegserlebnisse geschwiegen oder erst in betagtem Alter im Familienkreis davon berichtet (DIEZ 2004, HAHN 2003). Neben französischen Veteranen waren auch immer wieder deutsche Verdun-Soldaten bei den Zeremonien anwesend. Besondere Aufmerksamkeit wurde ihnen – nach einer ersten Beteiligung in der Zwischenkriegszeit 1936 – in den 1980er Jahren zuteil, als eine Versöhnung über den Gräbern stattfand. Eine in der Erinnerung herausragende Position hat der letzte an den Gedenkzeremonien 97
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teilnehmende Veteran und ehemalige Präsident von Ceux de Verdun, General Bourgeois. Bis zu seinem Tod im Alter von 106 Jahren war Bourgeois im Dienste des Gedenkens an den Ersten Weltkrieg aktiv. Bei Kriegsausbruch meldete er sich freiwillig, legte sein Examen an der Militärschule ab und wurde dann im Alter von 18 Jahren an die Front in den Argonnerwald geschickt. Da die Schlacht von Verdun bereits begonnen hatte, wurde seine Truppe an diesen Frontabschnitt verlegt, und Bourgeois wirkte im Oktober 1916 bei der Wiedereinnahme der Douaumont-Festung mit. Nach weiteren Kampfeinsätzen kam er in deutsche Kriegsgefangenschaft nach Eutin. Nach dem Krieg entschloss er sich, in der Armee zu bleiben, und schlug die Militärkarriere ein. Seine Aufgaben führten ihn ins außereuropäische Ausland und schließlich während des Zweiten Weltkrieges zurück nach Frankreich. Nachdem er in den 1950er Jahren in den Ruhestand gegangen und mit seiner Familie nach Paris gezogen war, hatte er mit Veteranenverbänden Kontakt aufgenommen und wurde schließlich Mitglied bei Ceux de Verdun. In seinen letzten Lebensdekaden hat das Gedenken an Verdun und die Kameradschaft zwischen den Verdun-Veteranen einen immer höheren Stellenwert eingenommen: Im Alterungsprozess bekommen bestimmte Dinge immer mehr Bedeutung und erstarren schließlich in der Unvergänglichkeit. [Das rituelle Gedenken] wurde langsam immer mehr zu einer Pflicht, nicht zu einer Art Selbstbeobachtung, aber zu einem privilegierten Moment, in dem sich sein ganzes Leben zusammenfasst. In diesem wichtigen Ereignis, das die Schlacht von Verdun war. Je mehr Jahre vergingen, desto mehr hat er das Ereignis mythifiziert. Insgesamt war es ein Leben, das anfangs voll und ganz den militärischen Pflichten, später der Kameradschaft und Versöhnung zwischen den deutschen und französischen Veteranen gewidmet war. Neben den Veteranen gibt es noch Amtsträger, die an den Gedenkzeremonien teilnehmen. Anlässlich der großen Jahrestage alle fünf und alle zehn Jahre kommen zum einen ranghohe Regierungsvertreter wie der Premierminister und Staatspräsident, zum anderen – wie jedes Jahr – Lokalpolitiker. Doch nicht nur durch ihre Präsenz, sondern auch durch die Organisation der Gedenkzeremonien spielen die Kommunalverwaltung und der dahinter stehende Bürgermeister der Stadt Verdun eine wichtige Rolle. Das Militär sendet heute nur noch wenige Vertreter zu den jährlichen Feierlichkeiten; lediglich zu den runden Jahrestagen gibt es ein größeres Militäraufgebot. Dies hängt u. a. damit zusammen, dass in Verdun heute nur noch wenige Regimenter stationiert sind.14 Die 14 Neben den französischen Einheiten waren bis 1968 auch amerikanische Truppen in Verdun stationiert, welche an den Militärparaden ebenfalls teilnahmen.
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noch verbliebenen Jäger- und Panzerregimente sind zudem häufig bei Auslandseinsätzen im Kosovo, Tschad oder in Zentralafrika. Als letzte Teilnehmergruppe sind die Bewohner von Verdun und seiner Umgebung zu nennen, die heute jedoch ein relativ geringes Interesse an den Gedenkzeremonien zeigen. Obwohl sie in der lokalen Presse über die anstehenden Feierlichkeiten der Kommune informiert werden, sind sie weder in Verdun noch auf dem Schlachtfeld zahlreich bei den Zeremonien vertreten. Begründet wird dies durch die Masse an Zeremonien und Kranzniederlegungen, die im Jahresverlauf in der Gegend stattfinden. Die Beteiligung von muslimischen und jüdischen Einwohnern von Verdun ist allerdings hervorzuheben, die vor allem bei der Abendzeremonie am Beinhaus in Erscheinung tritt.
1.1.3 Akteure im Tourismussektor Im strukturschwachen Departement Maas gibt es vier verschiedene Akteursgruppen, die neben den Interessengruppen auf dem Schlachtfeld auf der Angebotsseite im Tourismussektor aktiv sind. In schwankender Intensität, aber seit einigen Jahren immer stärker engagiert sich der Staat, vertreten auf Ebene des Departements durch den Conseil Général. Im Jahr 1989 hat das Department im Auftrag des Regionalrats (Conseil Régional) für eine Bewertung der ehemaligen Kriegsschauplätze eine Studie von der Firma Eurologiques unter federführender Leitung von Serge Renimel (Studie RENIMEL) anfertigen lassen. Motiviert wurde diese Entscheidung von der Idee des Regionalrates, ein vom Historial in Péronne15 inspiriertes, sehr großes Museum errichten zu wollen, welches das Zentrum des musealen Gedenkens und der öffentlichen Wahrnehmung des Ersten Weltkrieges wieder von Péronne auf die Schlacht von Verdun rücken sollte. Aus diesem Grund hat das Departement 1992 die Sammlung Diors erstanden, die heute teilweise im Weltzentrum für Frieden (Centre Mondial de la Paix, des Libertés et des Droits de l’Homme) ausgestellt wird. Mit Hilfe der aus der Studie gewonnenen Erkenntnisse wurde das ‚Programm 14–18‘ mit einem Finanzvolumen von umgerechnet rund 20 Mio. Euro entwickelt (MINGASSON 1999: 24). Einzuschätzen als eine Angstreaktion vor sinkenden Besucherzahlen hatte es zum Ziel, die ehemaligen Schlachtfelder besser in Wert zu setzen, den Besucherempfang, die Beschilderung und Information zu verbessern sowie mehrere kleine Museen zu unterschiedlichen Thematiken auf den Kampfstätten zu eröffnen. Zur Umsetzung dieser Ziele wur15 Das 1992 eröffnete Historial de Péronne ist ein mehr auf die Sozial- und weniger auf die Militärgeschichte des Ersten Weltkrieges spezialisiertes Museum, das sich im Departement Somme befindet und international großes Ansehen genießt.
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de ein Arbeitsplan entwickelt, der immer wieder an die Ergebnisse einer geplanten Langzeitstudie über die Besucherakzeptanz angepasst werden sollte. In dieser Form wurde jedoch das Programm nie umgesetzt. Nach einer dreijährigen Pause wurden die Bestrebungen wieder aufgenommen und eine zweite Studie durch den Staatsrat16 in Auftrag gegeben, die 1999 abgeschlossen wurde (Rapport Mingasson). Diese zweite Studie war wahrscheinlich durch die Möglichkeit motiviert, über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE, französisch: Fonds Européen de Développement Régional, kurz: FEDER) eine finanzielle Unterstützung für die strukturschwache Region zu beantragen. Der Rapport Mingasson unterstreicht die Bedeutung von Verdun für das nationale Gedenken und die regionale Wirtschaft, bleibt aber aufgrund von Veränderungen in den politischen Reihen ohne spürbare Konsequenzen. Im Jahr 2003 hat letztendlich das Departement einen Arbeitsbereich Gedenkpolitik (Mission Politique de la Mémoire) mit zwei Mitarbeiterstellen eingeführt. Sein Hauptziel ist zunächst die Vernetzung aller Akteure auf den Schlachtfeldern der Maas, so dass die Touristen an jedem Ort Informationen über alle Kriegsschauplätze des Departements finden können und ihre Aufenthaltsdauer in der Region erhöht wird. Diese Netzwerkbildung ist sehr schwierig, da die Interessengruppen bislang eigenständig gearbeitet haben und sich oftmals nicht wohlgesonnen gegenüber stehen. Zudem sollen die Schlachtfelder der Argonne und von Saint-Mihiel – im Gegensatz zum häufig frequentierten Verdun – besonders unterstützt werden, was sich natürlich gegen das Interesse der Akteure in Verdun richtet. Des Weiteren werden alle Kriegsschauplätze im Departement analysiert und in einer Datenbank mit Angaben über ihren Zustand und Besucherpotenziale erfasst, ein internationaler Wissenschaftskreis etabliert, die Sammlung Diors verwaltet sowie einige Projekte im Kontext des Programms 14–18 finanziert. Ein zusätzliches, wichtiges Aufgabengebiet und Mitauslöser für die Einrichtung des Arbeitsbereiches Gedenkpolitik besteht in der Leitung der drei Befestigungswerke (Douaumont, Vaux und Unterirdische Zitadelle), die von 1990 bis 2002 in der Verantwortung des Fremdenverkehrsvereins Verdun lag. Diese Veränderung wurde dadurch möglich, dass der Staat die Befestigungswerke auf dem ‚touristischen Markt‘ angeboten hatte. Neben anderen privaten und öffentlichen Institutionen bewarb sich das Departement im Jahr 2002 mit einem Dossier auf diese Ausschreibung und gewann den Wettbewerb gegen die Stadt Verdun und das dortige Fremdenverkehrsamt (Office de Tourisme bzw. Syndicat d’Initiative).
16 Der Staatsrat ist das juristische Beratungsorgan der Regierung und oberstes Verwaltungsgericht in Frankreich.
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Mit der Stadt und dem Fremdenverkehrsamt wurden zwei weitere wichtige Akteure im Tourismussektor genannt. Die Stadt Verdun hat seit dem Ersten Weltkrieg eine wiederholte Image-Wandlung durchgeführt. Zunächst als Heroische Stadt (cité héroïque) und Stadt des Krieges (ville de la guerre) bekannt, wurde sie in den 1960er Jahren unter den Einflüssen der deutsch-französischen Versöhnung17 und durch die Rede des damaligen Bürgermeisters zur Hauptstadt des Friedens (capitale de la paix). Dieses mit dem Krieg in Verbindung stehende Image möchte der aktuelle Bürgermeister von Verdun hinter sich lassen. Schon heute findet man nur noch wenige Hinweise auf den Ersten Weltkrieg – sei es in Form von Monumenten oder Souvenirgeschäften – in der Stadt. Stattdessen wurden Springbrunnen und ein kleiner Jachthafen angelegt. Sie sagen ‚jetzt haben wir genug, wir möchten ein anderes Gesicht der Stadt Verdun zeigen‘. Und das ist meiner Meinung nach ein kolossaler Fehler, welchen sie den einen oder anderen Tag teuer bezahlen werden. […] Ich habe dem Bürgermeister geschrieben […] und er hat mir geantwortet, dass wir heute wahrhaftig im Jahr 2000 angekommen sind und dass wir unser Gesicht zeigen müssen. Dass eine traurige Stadt nicht allzu lange bestehen kann, etc. Ich glaube, wenn man morgen nicht mehr von Verdun sprechen wird, trägt die Stadt einen Großteil der Verantwortung hierfür. Jedoch ist es nicht lediglich eine Entscheidung der Politiker, auch die Bevölkerung von Verdun steht einem Image-Wechsel des schwarzen, tristen Verduns überwiegend positiv gegenüber. Einen Sonderfall stellte die Stadt Verdun bis 2003 hinsichtlich ihres Verhaltens gegenüber dem Fremdenverkehrsbüro dar. Entgegen der sonst üblichen Praxis, dass eine Stadt sein Touristenbüro subventioniert, flossen in Verdun so gut wie keine Gelder. Stattdessen hat das Fremdenverkehrsamt seine Einkünfte über die Vermarktung und Eintrittserlöse der Befestigungswerke gesichert. Dies hat dazu geführt, dass der in Verdun ankommende Tourist als erstes und vorwiegend über diese drei kostenpflichtigen Angebote informiert wurde und kaum über andere Besichtigungsalternativen. Nach der Übergabe der Befestigungswerke ist das Fremdenverkehrsbüro dem Conseil Général unterstellt und erfüllt seitdem seine ursprüngliche Funktion, die Touristen über die Kriegsschauplätze im Departement zu informieren. Eine weitere Aufgabe des Büros liegt in der Organisation und Durchführung von Führungen. Aus diesem Grund arbeiten beim Tourismusbüro Fremdenführer, die entweder bei organisierten Busreisen für die Zeit der Führung über das Schlacht-
17 Am 22. Januar 1963 wurde von de Gaulle und Adenauer der ElyséeVertrag unterschrieben.
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feld zusteigen oder die nachmittags Individualtouristen in Minibussen über das Schlachtfeld führen. Die Betreuung von Busreisen stellt bislang den Schwerpunkt der Arbeit des Fremdenverkehrsbüros dar. Offiziell vom Conseil Général geschulte und eingesetzte TouristenführerInnen gibt es auf dem Schlachtfeld von Verdun bislang nicht. Stattdessen sind die meisten Führer beim Fremdenverkehrsamt beschäftigt und unterstehen seit 2003 der Departementvertretung. Die von den FührerInnen begleiteten Touren richten sich nach den Wünschen der in Verdun Station machenden Busunternehmer. Im Vorfeld muss der TourOperator in einem Formblatt angeben, welche Orte aufgesucht werden sollen. Die Anzahl der besuchten Gedenkstätten richtet sich nach der eingeplanten Verweildauer – pro Ort werden ca. 45 Minuten bis zu einer Stunde kalkuliert. Die Rechte Maasseite und die Stadt Verdun stehen im Vordergrund der auf Französisch, Deutsch und Englisch angebotenen Führungen. Die Qualität der Führungen hängt stark vom Eigenengagement der Touristenführer ab, eine Ausbildung als staatlich geprüfter Fremdenführer wird nicht verlangt. Vielleicht aus diesem Grund wird immer wieder über die schwankende Qualität der Führungen berichtet. Auf den Ersten Weltkrieg und Verdun spezialisierte Tour-Anbieter gibt es in Frankreich nicht.18 Die einzige selbstständig arbeitende Führerin auf den Schlachtfeldern der Maas ist eine Deutsche, die in Verdun seit über 20 Jahren in diesem Beruf arbeitet und anfangs für das Fremdenverkehrsbüro tätig war. Entgegen der anderen Führer bietet sie keine Kurzführungen während eines Zwischenstopps an, da ihrer Meinung nach in unter drei Stunden die Schlacht von Verdun nicht vermittelt werden kann. Auch leitet sie Touren auf die umliegenden und vom Touristenbüro selten angesteuerten Schlachtfelder (Linke Maasseite, Les Eparges etc.). Die erzählten Inhalte stimmt sie auf ihre Gäste ab: Wenn sie Soldaten führt, stehen technische und militärische Informationen im Vordergrund, ansonsten betont sie eher – allerdings mit sehr viel Bedacht – die menschliche Seite des Krieges. Eine weitere Möglichkeit, Informationen über das Schlachtfeld während des Besuches zu erhalten, bietet der 1982 gegründete Verein ‚Connaissance de la Meuse‘. Unter Zuhilfenahme eines Tonträgers und Kopfhörers kann der Tourist individuell das Schlachtfeld erkunden und muss dennoch nicht auf Zusatzinformationen verzichten, die über die Inhalte der gedruckten Reiseführer hinausgehen.
18 Touren auf das Schlachtfeld von Verdun werden von einigen Touranbietern angeboten, welche allerdings nicht auf diese Schlacht spezialisiert sind, sondern in der Regel verschiedene Schauplätze des Ersten und Zweiten Weltkrieges in Europa besuchen.
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1.1.4 Touristen Verlässliche Zahlen über die das Schlachtfeld besuchenden Touristen sind aufgrund des Freiluftcharakters der Gedenkstätte rar. Die Studie von Eurologiques19 ist als einzige repräsentativ und nennt eine Zahl von rund 500.000 Besuchern20 für das Jahr 1992 (RENIMEL & QUEMIN 1992b: 1). 80 % der Verdun-Besucher reisten zu diesem Zeitpunkt aus Frankreich, Deutschland und den Beneluxstaaten an. Frankreich stellte erwartungsgemäß mehr als die Hälfte der Besucher. Im August 2003 kamen rund 38 % der Touristen aus Deutschland, 29 % aus Frankreich, 12 % aus den Niederlanden, 7 % aus Großbritannien und lediglich 4, 3 % aus Belgien. Auf die südeuropäischen Länder Spanien und Italien entfielen zusammen lediglich rund 1,5 %.21 Hinsichtlich ihrer Reiseart können die Touristen in zwei Besuchergruppen unterteilt werden: Gruppenreisende und Individualreisende. In Gruppen besuchen vor allem Schüler, Rentner und Militärs das Schlachtfeld; individuell besichtigen heute viele Familien und Urlauber die ehemaligen Kriegsschauplätze. Die prozentuale Verteilung der Gruppen- und Individualreisenden ist schwierig einzuschätzen; die Studie RENIMEL spricht im Jahr 1992 – entgegen der Auskünfte des Tourismusbüros, die von zwei Dritteln Gruppenreisen ausgehen – von 20 % Gruppen- und 80 % Individualreisenden.22 Vor allem im Sommer sind organisierte Busreisen nur marginal vertreten. Im Herbst allerdings stellen sie rund zwei Drittel der Schlachtfeldtouristen (RENIMEL & QUEMIN 1992b: 5).
19 Die Studie wurde vom 28.07.–11.11.1992 durchgeführt und verwendet einen Methodenmix aus Zählungen sowie quantitativen und qualitativen Befragungen. Mit standardisierten Fragebögen wurden in diesem Zeitraum 368 Besucher interviewt, qualitative Gespräche wurden mit 42 Touristen und Akteuren geführt (RENIMEL & QUEMIN 1992b, 1992c). Zudem wurde noch eine Erhebung mittels Express-Fragebogen durchgeführt. 20 Somit zählt Verdun hinsichtlich der Besucherzahlen, wenn man die Metropolen außer Acht lässt, zu den zehn wichtigsten Touristenattraktionen. 21 Diese im Rahmen einer Lehrveranstaltung an der Universität Mainz erhobenen Zahlen geben aufgrund des kurzen, einwöchigen Befragungszeitraumes im August 2003 lediglich einen groben Anhaltspunkt und können nicht direkt mit den Ergebnissen der Studie RENIMEL verglichen werden (siehe Kapitel III ‚Auswahl der Fallbeispiele, Vorgehensweise und Methodik‘). 22 Diese Angaben wurden im August 2003 sogar noch übertroffen: Von 494 Befragten besichtigten lediglich 4 % als Teil einer organisierten Reise das Schlachtfeld. Die restlichen Besucher kamen vor allem mit Familie und Partner überwiegend per Pkw (87 %), aber auch per Wohnwagen (4 %), Motorrad (3 %) oder Fahrrad (1 %).
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Rentnergruppen kommen hauptsächlich im Herbst und Frühjahr nach Verdun. Für sie ist das Schlachtfeld nur ein zwei- bis dreistündiges Etappenziel auf ihrer meist einwöchigen Rundreise und nicht der ursächliche Grund ihrer Reise. Viele der Gruppen halten in Verdun, da die Stadt und das Schlachtfeld unweit der Autobahn liegen und so einen idealen Zwischenstopp darstellen. Ihre historischen Kenntnisse scheinen in der Regel sehr bescheiden zu sein. Schulgruppen sind im Gegensatz zu den Rentnergruppen auf die Reise vorbereitet. Dies hängt damit zusammen, dass für französische Schüler eine Reise nach Verdun Pflichtbestandteil der vierten Gymnasialklasse ist. Doch das war nicht immer so: Früher schien die nationale Bildung den Ersten Weltkrieg und die Schlacht von Verdun eher stiefmütterlich zu behandeln. Inzwischen fest im französischen Lehrplan verankert, kommen die Schüler meist im Oktober/November auf das Schlachtfeld. Doch auch Schulgruppen anderer Nationalitäten fahren regelmäßig nach Verdun. Ebenso wie die Rentnergruppen sind die Schüler häufig anfangs aufgrund des Pflichtcharakters eher desinteressiert. In der Regel sind sie jedoch einfach zu begeistern und das Interesse wird am einfachsten dadurch geweckt, dass man den Krieg und die Geschehnisse aus der Perspektive der Soldaten erklärt. Die Aufenthaltsdauer der Gruppen variiert sehr stark. Teilweise bleiben manche deutsche Klassen bis zu drei Tage, andere verweilen auf der Durchreise nur wenige Stunden. Hinsichtlich der Individualreisenden zeigte die Studie RENIMEL in den 1990er Jahren, dass Verdun für viele Sommerurlauber entgegengesetzt zu den Erwartungen keinen kurzen Zwischenstopp auf der Reiseroute darstellt, sondern die Motivation in der Besichtigung des ehemaligen Kriegsschauplatzes lag (RENIMEL & QUEMIN 1992b: 18). Zudem kamen erstaunlicherweise viele Südeuropäer im Hochsommer nach Verdun, was allerdings im Sommer 2003 nicht festzustellen war. Die Schlachtfeldakteure sprechen heute sogar vom ‚Tourismus der SommerTranshumanz‘: nämlich dann, wenn der ganze Norden in den Süden fährt, sich an den französischen Stränden, in Spanien oder Italien niederlässt und [in Verdun] anhält, weil es irgendwie in der Nähe der Autobahn liegt. Die Ergebnisse der Erhebung im August 2003 bestätigen auf den ersten Blick eher die Wahrnehmung der Schlachtfeldakteure, denn rund 62 % der Touristen geben an, dass das Schlachtfeld nicht ihr wichtigstes Reiseziel darstellt. Andererseits betont die Tatsache, dass selbst in der Hauptreisezeit immerhin noch knapp 37 % Verdun als wichtigstes Reiseziel nennen, die Bedeutung Verduns nicht als Zwischen- und Rastetappe, sondern als eigenständige Tourismusdestination. Neben den Sommerurlaubern gibt es den Schlachtfeld-Besuch im Familienverbund, während dem die Eltern ihren Kindern die Geschichte nä104
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her bringen möchten. Knapp 70 % der Besucher verweilten im August 2003 lediglich einen Tag auf dem Schlachtfeld und in Verdun (31 % sogar weniger als einen halben Tag); über zwei Tage blieben rund 11 %.23 Viele Individualreisende nehmen, wenn sie nicht auf eigene Faust die Umgebung erkunden wollen, an den von ReiseleiterInnen des Touristenbüros geführten Nachmittagstouren teil. Im Gegensatz zu den Rentnergruppen zeichnen sich die Individualreisenden laut Information der Touristenführer durchschnittlich durch ein wesentlich höheres Interesse an den vermittelten Informationen aus. Nicht in der strengen Definition als Touristen zu betrachten und dennoch sehr wichtig für die Einschätzung der Wahrnehmung der Gedenkstätte, sind die Bewohner aus der Umgebung, die in regelmäßigen Abständen das Schlachtfeld besuchen – teilweise, um es Freunden und Bekannten zu zeigen.
1.2 Orte des Gedenkens Das Departement Maas ist durch Kriege stark gezeichnet und fast jeder Punkt auf einer Landkarte der Region könnte als Gedenkort fungieren. Dass dem nicht so ist, liegt u. a. daran, dass viele Orte heute durch eine andere Nutzung geprägt sind und nicht mit Kriegerdenkmalen markiert wurden. Demnach sind sie für viele nachkommende Generationen – ebenso ehemalige Kampfstätten wie heute als Gedenkstätten deklarierte Orte – nicht mehr als Kriegsschauplätze zu erkennen. Da die Schlachtfelder der Maas (siehe Abbildung 9) vor allem auf der Rechten Maasseite in einzigartiger Form erhalten ist, stellt sich die Situation in Verdun, der Sahnetorte unter den Gedenkorten, anders dar. Hier findet der Besucher allein am Ostufer der Maas eine fast vollständige Typologie von allem, was der Erste Weltkrieg hinterließ. Es gibt den Boden, ein stark von den Kämpfen von 1916 gezeichnetes Schlachtfeld. Es war auch ein befestigtes Gebiet mit Festungswerken, Befestigungsanlagen, die erhalten geblieben sind. Man kann hier die ganze Entwicklung sehen. Verdun ist auch ein Ort des Gedenkens mit mehreren hundert Gedenkmonumenten, sei es das Beinhaus, die Kapellen der Zerstörten Dörfer. Es gibt hier auch ein Museum. Hier kann man herkommen, verstehen, etwas fühlen und auf dem Spuren der Veteranen wandern. Es ist ein sehr begrenztes Gebiet.
23 Die kurze Aufenthaltsdauer vieler Touristen kann auf die mangelnde touristische Vermarktung der verschiedenen Schlachtfelder im Departement Maas zurückgeführt werden. Aus diesem Grund wissen viele Besucher nicht, welche Stätten es in der Umgebung noch zu besichtigen gibt.
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Abbildung 9: Die Schlachtfelder der Maas
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1.2.1 Die Rechte Maasseite Das Ostufer der Maas ist vor allem durch das Beinhaus von Douaumont mit dem vorgelagerten französischen Soldatenfriedhof24, das Memorial von Verdun sowie viele Monumente geprägt.25 Neben diesen Orten dienen verschiedene Befestigungswerke – allen voran das Fort de Vaux und das Fort de Douaumont – sowie die Zerstörten Dörfer dem Gedenken an die Schlacht von Verdun (siehe Abbildung 10). Abbildung 10: Die bekanntesten Gedenkorte der Rechten Maasseite
24 Weitere Soldatenfriedhöfe liegen in anderen Kampfzonen. Insgesamt befinden sich auf den Schlachtfeldern 38 französische Friedhöfe mit 72.000 Gräbern, 33 deutsche Begräbnisstätten mit 48.000 Gräbern und zwei amerikanische Gräberanlagen mit 24.000 Gräbern. Im Versailler Vertrag wurde festgesetzt, dass die deutschen Friedhöfe entgegen der letzten Ruhestätten anderer Nationen schwarze Kreuze (Symbol für Schande) tragen und abseits der Schlachtfelder liegen müssen (HERWIG 2002: 317). 25 Sowohl das Beinhaus als auch das Memorial werden aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung für die Raumkonstruktionen besonders detailliert dargestellt.
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1.2.1.1 Beinhaus von Douaumont und nationaler Soldatenfriedhof Die Idee des Beinhauses entstand einige Monate nach dem Waffenstillstand im Jahr 1919 während eines Schlachtfeldbesuchs von Bischof Ginisty (Bischof von Verdun), General Valentin (Kommandant der Truppen von Verdun) und Prinzessin Henri de Polignac (Kriegswitwe) (o. V. 1932: 3). Kurz darauf wurde ein Ausschuss für die Errichtung des Beinhauses gegründet, und während einer Versammlung am 16. Februar 1919 anlässlich des dritten Jahrestages des Schlachtbeginns erhielt Ginisty in Paris für den Bau alle benötigten Genehmigungen und vor allem auch die Zustimmung der Witwen und Hinterbliebenen. Da jedoch die Finanzierung sowie der Bau des Beinhauses Jahre in Anspruch nehmen sollten, wurde gleich nach Kriegsende eine provisorische Kapelle unweit des heutigen Beinhauses errichtet. Sie beherbergte Särge, die den Sektoren der Schlachtfelder zugeordnet waren und in denen die nach Fundort aufgeteilten sterblichen Überreste der nicht mehr zu identifizierenden Soldaten ruhten (MANGENOT 1997: 1). Genau drei Monate nach der Einweihung, im Dezember 1919, gestattete ein Ministerialbeschluss den Bau des Beinhauses und ein internationaler Wettbewerb wurde daraufhin ausgeschrieben, an dem sich 56 Architekten beteiligten. Die Erwartungen an den Entwurf des zukünftigen Beinhauses können in sieben Punkten zusammengefasst werden (MANGENOT 1997: 1). 1. Das Beinhaus soll aus drei Bereichen bestehen: dem Beinhaus, einer katholischen Kapelle sowie einem Ensemble für den protestantischen, jüdischen und muslimischen Glauben. 2. Das Beinhaus beherbergt 52 Gräber für die nach Fundort sortierten Gebeine und ist konfessionslos (allerdings sind Abbildungen von Kreuzen bzw. Kriegskreuzen erlaubt). Es muss sich in die Landschaft einfügen. 3. Der katholische Altarraum kann an das Beinhaus angrenzen, muss sich jedoch von ihm abheben. Die Messe kann unter freiem Himmel gefeiert werden. 4. Die katholische Kapelle soll aufgrund der Bedeutung und Wichtigkeit hinsichtlich der vielen im Kampf getöteten Katholiken für den Gesamteindruck ausschlaggebend sein. 5. Die Kultbauten für die Protestanten, Juden und Muslime sollen sich ebenfalls vom Beinhaus abheben, wobei der muslimische Bereich eine besondere rituelle Ausrichtung gegen Mekka benötigt. 6. Es wird ein ‚Totenlicht‘ (laterne des morts) erwartet. 7. Ein Friedhof für 20.000 Gräber soll sich südöstlich des Beinhauses erstrecken. 108
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Gewinner des Wettbewerbes waren die Architekten Léon Azéma, Jacques Hardy und Max Edrei.26 Bevor jedoch mit dem Bau begonnen werden konnte, musste zunächst die Finanzierung gesichert werden. Aus diesem Grund rief Ginisty in ganz Frankreich zu Spenden auf und forderte von allen patriotischen Vereinen und Familien der Verschollenen, für die Errichtung des Gebäudes Geld bereit zu stellen. Alle Spender wurden in das Goldene Buch des Beinhauses eingetragen. Je nach Spendenhöhe wurde den Geldgebern als Gegenleistung eine von Marschall Pétain unterzeichnete Urkunde zugestellt, Steingravuren für sie angefertigt oder ganze Grabnischen im Innenraum des Beinhauses als Dankeszoll an sie vermacht. Durch die hohe Spendenbereitschaft in Frankreich und im Ausland (u. a. in Belgien, der Schweiz, Kanada und den USA) sowie durch das enorme Engagement der Mitglieder des BeinhausKomitees konnten 14 Mio. Francs gesammelt werden. Die darüber hinaus benötigte Finanzierung von einer Million Francs wurde vom französischen Staat übernommen (PROST 1997: 1768). Das zukünftige Beinhaus sollte nach den Wünschen des Marschalls Pétain auf dem Kamm zwischen dem Befestigungswerk von Douaumont und dem Thiaumont-Werk errichtet werden, wo mit die härtesten Kämpfe der Schlacht stattgefunden hatten (MANGENOT 1997: 1). Zudem bot die erhöhte Lage auf dem Gemeindegebiet von Fleury den Vorteil, dass das Beinhaus vom ganzen Schlachtfeld aus zu sehen sein würde. Noch vor dem Ende der Wettbewerbsausschreibung wurde im August 1920 der Grundstein des Beinhauses gelegt. Baubeginn war drei Jahre später im September 1923. Am 18. September 1927 überführte man die bislang in der provisorischen Kapelle lagernden Särge in das teilweise fertig gestellte Beinhaus. Entgegen der Vorgaben wurden beim Bau des Beinhauses lediglich der so genannte Kreuzgang und die Kapelle realisiert (siehe Abbildung 11). Die Einweihung des Gebäudes erfolgte am 7. August 1932 mit einer offiziellen Zeremonie durch den Staatspräsidenten. Der Kreuzgang ist 137,50 m lang und 14 m breit und wird von einem Tonnengewölbe nach oben abgeschlossen. Im Gang befinden sich Ausbuchtungen mit je zwei bis drei Granitgrüften, unter denen in den Kellerräumen die Gebeine der 130.000 überwiegend durch Sprengkörper getöteten Soldaten ruhen. Die Ausbuchtungen ähneln kleinen Kapellen (MANGENOT 1997: 4) und sind durch zwei Stufen vom Bodenniveau erhöht. Jede Gruft trägt den Namen des Sektors, aus dem die Gebeine 26 Laut PROST (1997: 1769) wurde der Vorschlag von Azéma aus funktionellen Gründen gewählt, da er erstens über einen großen Innenraum verfügte, der als Ort für wichtige Zeremonien fungieren konnte, zweitens eine Trennung der Gebeine von der Kathedrale vorsah und drittens eine etappenweise Realisierung ermöglichte.
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Abbildung 11: Das Beinhaus von Verdun (ohne Anbauten)
stammen. An den beiden Enden des Ganges befinden sich Granitschilde, die während der Gedenkzeremonien entzündet sind. Neben dem Eingang in das Beinhaus stehen in Nischen eingelasse Statuen, die den ‚Soldat von Verdun‘ sowie die ‚Stille und Ergebenheit‘ abbilden. Der Boden des Kreuzganges ist mit Steinplatten bedeckt, die in seiner Mitte und an den Enden stilisierte Abbildungen nationaler Auszeichnungen formen (PIERRON 1996: 6). Die Wände des Ganges sind sehr schlicht gehalten und tragen lediglich Gedenkgravuren (Namen von Gefallenen, Regimenter etc.). Die Kapelle ist 23,50 m lang und 15 m breit und stößt im Südosten mit einer Teakholz-Tür an den Kreuzgang. Sie setzt sich aus einem halbrunden Altarraum sowie einem Hauptschiff zusammen, die durch einige Stufen voneinander abgesetzt sind. Im Chorraum befinden sich Kirchenfenster, die von Desvallières, dem Vater eines im Krieg gefallenen Soldaten, entworfen wurden. Oberhalb des Eingangsbereiches des Beinhauses – der Kreuzung von Kapelle und Kreuzgang – ragt ein Turm 46 m in die Höhe. An seinem Ende sind eine Glocke und vier in den Farben rot und weiß rotierende Scheinwerfer angebracht, die während der Gedenkzeremonien in Gang gesetzt werden. An den Außenmauern des Turmes sind vier Kreuze eingemeißelt, die als Sinngebung für die Aufopferungen der Soldaten fungieren sowie in Anlehnung an die vier Himmelsrichtungen die weltliche Ausbreitung des Dramas symbolisieren. In seiner zylindrisch-konischen Form repräsentiert der Turm die häufigste Todesursache der Gefallenen: eine Granate. Zudem kann der Turm als ‚Laterne des Morts‘ interpretiert werden: Das Totenlicht hängt in Frankreich häufig in der Mitte des Friedhofes erhöht an einer Säule. 110
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Die im Erdboden versinkenden Gewölbe der Kreuzgänge sollen nach Angaben von Azéma die im Kellerraum liegenden Gebeine betonen (PIERRON 1996: 8) und können im Zusammenspiel mit dem Turm als Knauf eines in den Boden gerammten und nicht mehr genutzten Schwertes interpretiert werden.27 Die schmiedeeiserne Eingangstüre bildet das Wort PAX, ein nach unten gerichtetes Schwert sowie an beiden Seiten Palmenzweige ab. Die Außenmauer der Kreuzgänge trägt auf ihrer südöstlichen Seite gemeißelte Verzierungen. Über den Betonglasfenstern und an den Rundbögen beim Turm sowie an den beiden Enden des Kreuzganges sind die Wappen derjenigen Städte und Länder angebracht, die für den Bau des Beinhauses gespendet haben.28 Ein französischer Soldatenfriedhof, der 1929 eingeweiht wurde und 16.142 Toten eine letzte Ruhestätte bietet, schließt sich durch eine Straße getrennt südöstlich des Beinhauses an. Auf ihm befindet sich neben christlichen Gräbern auch ein Block mit nach Mekka ausgerichteten Grabsteinen muslimischer Gefallener. Des Weiteren befinden sich auf dem Gelände des Beinhauses ein israelisches sowie ein muslimisches Denkmal. Anlässlich der 50-Jahrfeier wurde ein erster Parkplatz von der Armee hinter dem Beinhaus angelegt. Den zweiten, aktuellen Parkplatz erbaute man ebenso wie die unterirdische Toilettenanlage für die 60Jahrfeier. Ein Projektions- sowie ein kleiner Verkaufsraum entstanden 1983 hinter dem Beinhaus, um die Einnahmequellen des Beinhauses zu erweitern und den steigenden Ansprüchen an visuelle Darstellungen gerecht zu werden. 1996 wurde das Beinhaus als historisches Monument (monument historique) eingestuft (Comité de l’Ossuaire o. J.: 12). Seitdem wird die Sanierung des Gebäudes staatlich subventioniert. Zugleich unterliegt der Bau strengeren denkmalschützenden Bestimmungen. Das Beinhaus ist im Laufe der Jahre zum Symbol für Verdun geworden: Dort wird dem Besucher wirklich bewusst, dass Verdun schrecklich war. Es fungiert als Grabstätte aller vermissten Soldaten sowie durch die eingravierten Namen der Toten und Regionen als Goldenes Buch der Schlacht von Verdun und ist die am häufigsten besuchte Stätte in ganz Lothringen.29 Viele Besucher haben erst dann das Gefühl, 27 KOSELLECK (1979: 265) interpretiert das Beinhaus als eine Mischung zwischen Krypta und Bunker, das den Gefallenen durch den Turm einen Aufstieg in den Himmel bildlich zusichert. 28 Insgesamt sind 147 Wappenschilder in die Außenfassade eingemeißelt. Neben den 20 ausländischen und sechs Städten des ehemaligen französischen Kolonialreiches sind Wappen von französischen Städten aus 65 Departements dargestellt (PIERRON 1996: 9). 29 Nachdem 1993 ein Zähler am Eingang des Beinhauses angebracht wurde, können ungefähre Angaben über die Besucherzahlen gemacht werden. Anschließend an das Rekordjahr des 70. Jahrestages (381.961) sanken die
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in Verdun zu sein, wenn sie das Beinhaus sehen. Somit ist es nicht nur das Herzstück des Gedenkens an die Schlacht von Verdun, sondern auch das Herzstück des touristischen Marketingproduktes der Schlachtfelder: Es ist das, was die Leute suchen. Es ist die einzige physische Repräsentation.
1.2.1.2 Memorial von Verdun Sieben Jahre nach der Einweihung des Beinhauses, im Mai 1939, beschlossen die Teilnehmer am Kongress der Fédération Maginot als Reaktion auf die Idee eines Veteranen den Bau eines ‚Hauses des VerdunKombattanten‘ (Maison du Combattant de Verdun) in Verdun. Dieses Vorhaben, das einen Ehrensaal, eine Bibliothek und ein Informationsbüro vorsah, wurde durch den Zweiten Weltkrieg unterbunden (CNSV 1996: 99). Im Jahr 1956 trug Léon Rogez offiziell die Idee eines Museums (Mémorial de Verdun) während der Jahrestagung anlässlich der Pilgerfahrt nach Verdun vor. Drei Jahre später wurde diese Idee während der Nationalversammlung von Ceux de Verdun unter der Leitung von Gustave Durassié gegenüber dem eher als Empfangszentrum konzipierten Kombattantenhaus favorisiert (LOISEAU 1984: 13). Diese Entscheidung kann durch drei Punkte begründet werden: Erstens kamen viele Besucher nach Verdun, welche die Schlacht verstehen wollten, zweitens waren die Veteranen zugleich davon enttäuscht, dass die Gedenkorte relativ schlecht gepflegt wurden und drittens bemühte man sich aus diesem Grund, durch das Memorial die Erinnerungen der Soldaten an die Schlacht fortdauern zu lassen (CNSV 1996: 100). Im gleichen Jahr wurde Maurice Genevoix (Schriftsteller und Veteran) zum Schirmherrn des Projektes, das bis zu seiner Realisierung noch einige Jahre warten musste. Die Ortswahl für den Museumsbau fiel 1960 auf das Bahnhofsgelände des Zerstörten Dorfes Fleury, das sich verkehrsgünstig an der Kreuzung wichtiger Straßen des Schlachtfeldes befindet und somit von vielen Besuchern auf ihrem Weg zum Beinhaus passiert wird.30 Zudem liegt es in Sichtweite des Beinhauses, ohne von ihm abzulenken. Auch eine symbolische Komponente ist mit der Entscheidung für diesen Ort verbunden: Bei Fleury fanden besonders erbitterte Kämpfe statt und das Dorf wurde mehr als 16 Mal erobert und zurückerobert. Zudem verZahlen auf unter 250.000 und betrugen 2004 242.610 Personen. Es wird davon ausgegangen, dass ca. 70 % der Schlachtfeldbesucher das Beinhaus betreten. Diese Zahl bestätigte sich im Sommer 2003, als rund 77 % der Befragten das Beinhaus besuchten. 30 Das Memorial ist neben dem Beinhaus das einzige Gebäude, das in der Zone Rouge errichtet wurde. Es hat hierfür eine außerordentliche Baugenehmigung erhalten, da es sich um ein Vorhaben ehemaliger Soldaten handelte.
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lief ungefähr hier die Frontlinie des maximalen Vorstoßes der Deutschen. Das Jahr 1963 wurde durch die Grundsteinlegung markiert. Die Finanzierung des Memorials erfolgte maßgeblich durch Spenden, die einem Aufruf von Genevoix an 38.000 französische Kommunen, alle Departementvertretungen, Präfekten und Unterpräfekten, die 1.200 größten Firmen aus Industrie, Handel und Finanzen sowie die Präsidenten patriotischer Vereine folgten (LOISEAU 1984: 14). Während der Bauphase stand zusätzlich neben der Baustelle eine kleine Baracke, in der die Besucher über das Schlachtfeld und das Museum informiert sowie um Spenden gebeten wurden. Als Architekt wählte man den in Verdun und Paris arbeitenden Charles Legrand. Nach seinem plötzlichen Tod folgten kurz nach Baubeginn weitere Architekten. Die Innengestaltung unterlag Jacques Barre (Innenarchitekt) sowie Marcel Santi (Militärzeichner, Verdun-Veteran). Feierlich eingeweiht wurde der Bau, nachdem die Eröffnung ursprünglich für 1965 und anschließend anlässlich der 50-Jahrfeier 1966 geplant war, am 17. September 1967 durch den Minister der Frontveteranen (Ministre des Anciens Combattants). Viele Exponate, die heute ausgestellt werden, sind Gaben, die im Laufe der Jahre von ehemaligen Soldaten des Ersten Weltkrieges überreicht wurden. In den 1980er Jahren ließ der damalige Direktor des Memorials die Präsentationstechnik modernisieren und den ehemaligen Konferenzsaal für Filmvorführungen ausrüsten. Aktuell diskutiert die Museumsleitung erneut Projekte für eine Erweitung des Museumsgebäudes, die eine Glaskonstruktion an der Frontfassade vorsehen. Das Gebäude ist im Vergleich zum Straßenniveau abgesenkt, so dass der Museumseingang auf Höhe des ersten Stockes liegt. Der dreistöckige und rechteckige Bau zeichnet sich durch sehr klare Formen und Linien aus. Das große Eingangstor erreicht man über einen breiten Weg mit acht Stufen. An der Außenfassade seitlich des dreigeteilten Tores sind Tafeln angebracht, in die Zitate von Paul Valery und Maurice Genevoix, zwei Mitgliedern der Akademie für französische Sprache und Literatur (Académie Française), eingraviert sind.31 Über dem Portal steht in großen Lettern ‚Mémorial de Verdun 1914–1918‘ geschrieben. Nach 31 Auf der linken Seite steht folgender Spruch von Valery: ‚Alle kamen nach Verdun, wie um hier ich weiß nicht welche höchste Weihe zu empfangen. Es war, als würden sie über den Heiligen Weg zu einer beispiellosen Gabenbereitung an den furchtbarsten Altar marschieren, den je der Mensch errichtet hat‘. Auf der rechten Seite befindet sich folgende Aussage von Genevoix: ‚Dieses Memorial wurde von den Überlebenden von Verdun zum Gedenken an ihre in der Schlacht gefallenen Kameraden errichtet, damit diejenigen, welche an den Orten ihrer Aufopferung in sich gehen und nachdenken, das Ideal und den Glauben begreifen, welche sie anspornten und aufrecht hielten‘.
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dem Eintritt in das Museum eröffnet sich dem Besucher eine große, weitgehend schmucklose Halle, in der sich sowohl die Kasse als auch ein Laden mit Souvenirs und thematisch relevanten Publikationen befinden (siehe Abbildung 12). Nach dem Passieren der Kasse befindet sich der Besucher in der Ausstellungshalle. Zu seiner Rechten stehen an der nördlichen Seitenwand Glasvitrinen, in denen in chronologischer Form der Weltkrieg unter Hervorhebung der Verdun-Schlacht präsentiert wird. An der Stirnseite der Ausstellungshalle befinden sich Vitrinen mit deutschen und französischen Uniformen sowie ein Projektionsraum, in dem ein 20minütiger Film in vier Sprachen vorgeführt wird. Er verdeutlicht den Besuchern unter dem Titel ‚Auf den Schritten der Soldaten‘ (Sur les pas des combattants) die unmenschlichen Umstände, unter denen die Soldaten beider Nationen zu leiden hatten. An der südlichen Seitenwand wird in Glasvitrinen der Kriegsalltag in Frontnähe, das Ringen um den Sieg, die Seiten wechselnde Hoffnung und die Zeit nach 1916 bis zum Kriegsende thematisiert. In der Mitte des Raumes ist der Boden zum Erdgeschoss geöffnet, und es bietet sich dem Besucher ein Blick auf eine Rekonstruktion des Schlachtfeldes nach zehnmonatigem Kampf. An der Ostseite läuft auf einer Großleinwand oberhalb der Nachbildung ein Film, der mittels Karten über den Schlachtverlauf informiert. Zwischen den an den Wänden stehenden Glasvitrinen und der Rekonstruktion werden in Schaukästen und auf Klapptafeln zusätzliche Informationen und Modelle präsentiert. An der durch ein Kriegkreuz verzierten Decke hängen ein deutsches und ein französisches Flugzeug sowie der Korb eines Fesselballons. Im Untergeschoss dominieren Materialgalerien an den Nord- und Südwänden die Ausstellung, in denen beispielsweise ein Feldlazarett und eine Feldküche aufgebaut sind und außerdem Kanonen, Maschinengewehre und Granaten sowie ein auf der Sakralen Straße eingesetzter Laster zu betrachten sind. An der Westseite, unterhalb des Projektionsraumes, gibt es eine Ausstellung zur Rolle der Frauen im Ersten Weltkrieg. Im Osten, unter der Eingangshalle, werden dem Besucher Informationen über die Zerstörten Dörfer sowie Gedenkmonumente geboten. Das zweite Obergeschoss ist nicht öffentlich zugänglich. Hier befinden sich neben Büroräumen eine Bibliothek sowie der Dokumentationsdienst des Memorials.
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Abbildung 12: Das Memorial von Verdun
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Das Memorial soll dem Erhalt des Gedenkens an die Schlacht von Verdun dienen. Es möchte zudem an die Wurzeln der europäischen Geschichte erinnern und zur Annäherung der europäischen Nationen beitragen. Es betrachtet sich als ‚Tempel des Nachdenkens und der Andacht‘ (o. V. 2000: 4). Das Museumskonzept basiert seit seinem Bestehen auf der hohen Zahl an Exponaten. Das Memorial erinnert ein wenig an einen Dachboden oder an einen Trödel- oder Antikladen, wo die Objekte teilweise übereinander gestapelt werden. Es ist ein wenig aus der Mode gekommen, aber auf eine reizende Art und Weise. Die Museumsleitung wollte diesen Aspekt beibehalten, da es auch der Wille der Veteranen war. Diese Konzeption stößt nicht bei allen Besuchern auf wohlwollende Reaktionen. Neben der Ausstellung der Exponate ist ein zweiter wichtiger Grundpfeiler des Memorials die pädagogische Ausrichtung, die seit Anfang der 1970er Jahre eine besondere Beachtung findet (CNSV 1996: 102, o. V. 1986: 101). Sie zielt sowohl auf die erwachsenen Besucher als auch auf Schüler ab. Aus diesem Grund werden für die Lehrer der Schulklassen, die das Memorial kostenlos besichtigen können, pädagogische Informationsunterlagen zur besseren Vorbereitung ihres Besuches bereitgestellt. Zudem gibt es eine ‚Genevoix-Klasse‘, in der die Schüler an den von Genevoix beschriebenen Kriegsschauplätzen aus Perspektive des Schriftstellers und einfachen Soldaten mit dem Krieg konfrontiert werden sollen (siehe Kapitel IV/1.2.3). Wichtig hierbei ist nicht nur die Verbindung von historischen und literarischen Gesichtspunkten des Gedenkens, sondern auch die Anwesenheit der Schüler an den tatsächlichen Orten des Geschehens. Die Genevoix-Klasse soll also die weitgehend auf Materialausstellung basierende Museographie des Memorials durch eine Betonung der menschlichen Aspekte bereichern. Die Unterstützung von wissenschaftlichen Forschungsprojekten bildet den dritten Schwerpunkt. Hierfür gibt es nicht nur eine umfangreiche Bibliothek mit angeschlossenem Archiv, sondern auch einen Dokumentationsdienst. Des Weiteren veranstaltet das CNSV wissenschaftliche Konferenzen und publiziert deren Tagungsergebnisse. Auch wenn die Besucherzahlen32 des Memorials hinter denen des Beinhauses liegen, ist seine Bedeutung vor allem wegen der zahlreichen Schülergruppen nicht zu unterschätzen. 32 Lediglich hinsichtlich der kostenlosen Eintritte gibt es genaue Besucherstatistiken. Seit 1972, als ca. 13.000 Personen kostenlos Zutritt gewährt wird, steigen sie permanent an. 1991 werden knapp unter 50.000 gezählt, anschließend sinken sie wieder ein wenig ab und liegen im Jahr 2002 bei rund 51.000. 2004 sind sie auf 63.022 angestiegen. Anfang der 1990er Jahre entfallen rund 40.000 Eintritte auf Schüler und 8.000 auf Militärgruppen. Im Sommer 2003 geben von 455 Personen rund 67 % an, das Memorial besucht zu haben.
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1.2.1.3 Denkmäler Neben Beinhaus und Memorial liegen auf der Rechten Maasseite des Schlachtfeldes von Verdun zahlreiche Denkmäler, die dem Besucher mehr oder minder geläufig sind. Das wohl bei den Touristen bekannteste Monument ist der Bajonettgraben (Tranchée des Baïonettes), der sich unweit des Beinhauses befindet. Es handelt sich hier um ein – über einem verschütteten Schützengraben erbautes – großes, kreuzförmiges Betondach, das auf mächtigen kurzen Säulen ruht und von einem amerikanischen Mäzen finanziert wurde. Der Bajonettgraben wurde 1920 als erstes Monument auf der Rechten Maasseite, allerdings damals unter dem Namen Gewehrgraben (Tranchée des Fusilles), eingeweiht. Wie kam es zu dieser Namensänderung? Im Jahr 1919 reisten Veteranen auf das Schlachtfeld und wunderten sich über Gewehrspitzen, die aus dem Boden ragten. Sie beschlossen, an diesem Orte eine Gedenkstätte zu errichten. Im Laufe der Jahre bekam der Ort, nicht zuletzt durch die Presse, einen patriotischen Anstrich. Eine Legende entstand, die besagt, dass ein Bataillon des 137. Infanterieregiments dort in Stellung ging und mit aufgepflanzten Bajonetten einen Angriff mit Granaten und Kanonen abwehren wollte. Durch eine Reihe schwerwiegender Granateneinschläge wurde der Graben angeblich auf eine lange Strecke völlig zusammengedrückt, so dass die Soldaten lebendig in ihrer eingenommenen Position verschüttet wurden und nur noch die aufgereihten Bajonettspitzen aus der Erde ragten (ZIESE & ZIESE-BERINGER 1928: 182). Dieser vermeintlich heldenmütige Verteidigungswille gegen die deutsche Übermacht ging in das kollektive Gedächtnis ein und die Öffentlichkeit war nicht gewillt, die Tatsache zu akzeptieren, dass keiner der Soldaten, weder mit aufgepflanztem Bajonett noch aufrecht stehend, verschüttet wurde (BARCELLINI 1996a: 80). Vielmehr ist man heute der Auffassung, dass deutsche Soldaten die französischen Gefallenen im Abschnitt dieses Laufgrabens begruben und mit Gewehrspitzen anstelle von Kreuzen die Gräber markierten. Des Weiteren befinden sich noch zahlreiche Denkmäler auf dem Schlachtfeld (Monument Maginot, Monument der Kapelle Sainte Fine, Monument des 3. Bataillon des 74. Infanterieregiments, Monument der Jäger von Oberst Driant etc.), die auf Initiative von Regimentsverbänden oder Persönlichkeiten erbaut wurden. Sogar der Touring-Club in Frankreich ließ in den 1920er Jahren so genannte ‚Bornes‘ (Gedenksteine) errichten. Auch von deutscher Seite wurde in den 1940er Jahren der Bau eines Gedenkmonuments gefordert, wobei diese Idee nicht umgesetzt
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wurde.33 Zudem ließen seit 1920 die Familien der gefallenen Soldaten kleine Denkmäler errichten. Es gibt überall Monumente. Das ist eine Besonderheit von Verdun. Auf anderen Schlachtfeldern findet man das nicht. Und folglich kamen Leute, um vor ihnen andächtig zu verharren und der Toten zu gedenken. Sehr häufig nennt man die kleinen Monumente Mausoleen. Sie wurden nicht an demselben Ort errichtet, an dem der Soldat gefallen ist. Auch wenn die direkten Nachfahren der Soldaten nicht mehr leben, sind die Denkmäler auch heute noch wichtig. Denn durch sie wird aus dem ehemaligen Schlachtfeld ein herausragender Gedenkort (Haut Lieu de Mémoire) und ohne sie würde es lediglich als Wald wahrgenommen werden.
1.2.1.4 Befestigungswerke Fünf Jahre nach der Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg begann Frankreich in der Umgebung von Verdun mit dem Bau von später insgesamt 20 Forts und 40 Zwischenwerken, die kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges durch dicke Betonwände verstärkt wurden (KRECH 2000: 8). Auf der Hauptverteidigungslinie lagen u. a. die Befestigungsanlagen Douaumont und Vaux, die im Jahr 1916 zum Schauplatz erbitterter Kämpfe wurden. Das Douaumont-Fort galt seiner Zeit als das modernste und stärkste Befestigungswerk der Welt (KRECH 2000: 13). Schon am fünften Tag nach der deutschen Offensive vom 21.02.1916 nahmen die Deutschen die strategisch sehr wichtige Anlage ein. Im Mai 1916 ereignete sich ein Unglück, als im Gefechtsgang lagernde französische Artilleriegranaten aus ungeklärten Gründen explodierten und über 600 deutsche Soldaten in den Tod rissen. Die Toten wurden in zwei Kasematten gelegt, deren Eingänge zugemauert wurden. Erst am 24. Oktober 1916 fiel das Fort wieder in französische Hände. Insgesamt sind 100.000 Franzosen vor Douaumont gefallen (KRECH 2000: 29). Heute ist das Fort aber vor allem aufgrund der vielen Todesopfer in seinem Inneren ein für die deutschen Besucher wichtiger Ort. Zu ihrem Gedenken ist eine kleine Kapelle errichtet worden.
33 Laut eines von Ingo Haar (Berlin) im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes entdeckten Schriftstücks von 1941, das mir dankenswerter Weise von Herrn Wolfgang Freund zur Verfügung gestellt wurde, wurde eine ‚Weihestätte der deutschen Erinnerung‘ mit dem vermeintlichen Ziel der Aussöhnung beider Völker in Verdun angedacht. Ob es bei diesem Projekt wirklich um die Ehrung der Soldaten und Versöhnung der Nationen ging und nicht vielmehr um den Einfluss auf die Gedenkhoheit über Verdun, bleibt fraglich.
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Das Fort de Vaux blieb bis zum 7. Juni in französischer Gewalt. Nach sechs Tagen erbitterter Kämpfe musste der kommandierende Major den Widerstand aufgrund fehlenden Trinkwassers und des desolaten Zustands seiner Männer aufgeben. Sofort nach der Kapitulation und der darauf folgenden deutschen Übernahme der Befestigungsanlage erfolgten erste Versuche, das Fort zurückzuerobern. Schließlich beschloss die deutsche Führung im November 1916 die kampflose Räumung der Anlage, da sich der Frontverlauf verändert hatte (KRECH 2000: 29). Das Fort de Vaux ist für viele Franzosen das Sinnbild des menschlichen Widerstandes bis zur letzten Minute (résitance humaine jusqu’au bout). Wenn man den Leuten beispielsweise erzählt, dass die Leute des Kommandanten Raynal im Fort de Vaux nichts mehr zu trinken hatten, dass sie die Mauern lecken mussten oder in ihre Helme urinierten [um etwas zu trinken zu haben]. Das bewirkt etwas [in den Menschen], aber niemand stellt sich den Lärm der Explosionen vor, niemand das Gas. […] Niemand spricht von diesem Gestank. Auch im Inneren des Vaux-Forts gibt es ein Kreuz sowie eine symbolische Kapelle. Das Kreuz wurde errichtet, um die Besucher daran zu erinnern, dass auch innerhalb der Befestigungsanlage viele Soldaten starben. Die Kapelle entstand 1925 auf Initiative einiger Veteranen zum Gedenken an ihre Kameraden und wurde in den 1950er Jahren verlegt. Lediglich Blumen werden hier zum Gedenken an das Leid vieler Soldaten niedergelegt, Messen werden nicht gefeiert.
1.2.1.5 Zerstörte Dörfer Die Kommunen Beaumont-en-Verdunois, Bezonvaux, Cumières-leMort-Homme, Douaumont, Fleury-devant-Douaumont, Haumont-prèsSamogneux, Louvement-Côte-du-Poivre, Ornes und Vaux-devantDamloup liegen in der Roten Zone und vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges wohnten hier knapp 3.000 Personen (CANINI 1993: 116). Nachdem sie im Kampfverlauf teilweise völlig zerstört wurden, konnten sie nach Ende des Krieges aufgrund der Explosionsgefahren nicht wieder aufgebaut werden. Acht der neun zerstörten Dörfer liegen auf der Rechten Maasseite (Ausnahme: Cumières); alle bis auf das Dorf Vaux blieben so genannte Phantomgemeinden (communes fantômes). Auch wenn heute oftmals nicht einmal mehr die Überreste stehen, verschwanden die weitgehend unbewohnten ‚heiligen Ruinen‘ (ruines sacrées) niemals von den Landkarten. In der Zwischenkriegszeit wurden in jedem Dorf eine Kapelle und ein Kriegerdenkmal errichtet, auf dem die Namen der aus dem jeweiligen Dorf stammenden und für ihr Vaterland Gefallenen geschrieben stehen. Das erste Monument entstand 1924 in der Kommune von Vaux. Heute präsentiert sich dem Besucher dort, wo ehemals Dörfer 119
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und Ruinen standen, ein eher idyllisches Bild; eine Zeitreise um 90 Jahre erscheint schwierig. Sie wäre ohne die aufgestellten Schilder, die den Besucher auf die ehemalige Lage der Bäckerei, der Bauernhöfe, der Post etc. hinweisen, kaum mehr möglich. Doch so verwaist, wie der unkundige Betrachter annehmen könnte, sind diese Dörfer nicht. Bis in unsere Tage werden Dorffeste gefeiert und manchmal ehemalige Dorfbewohner bzw. deren Nachfahren auf den Friedhöfen der Gemeinden begraben. Auch die Ausschüsse der Zerstörten Dörfer (siehe Kapitel IV/1.1.1 ‚Interessengruppen auf den Schlachtfeldern‘) zeugen vom Leben der Gemeinden und besitzen in Frankreich einen einzigartigen administrativen Status.
1.2.2 Die Linke Maasseite Die Gedenklandschaft der Linken Maasseite ist vor allem durch zum Teil weit auseinander liegende Denkmäler gekennzeichnet. Zu besichtigende Befestigungswerke oder Museen sind rar und befinden sich oft abseits der Verbindungsstraßen. Der Tote Mann (Mort-Homme) und die Höhe 304 (Côte 304) gelten für viele Besucher aufgrund der hohen Verluste als wichtigste Orte auf dem Westufer der Maas. Abgesehen von den Schlachten am Toten Mann und auf der Höhe 304 verweisen andere Gedenkorte auf Schlachten, die nicht im Jahr 1916, also im Jahr der Schlacht von Verdun, stattgefunden haben. Aus diesem Grund sollen sie nur kurz vorgestellt werden. Die Doppel-Erhöhung des Mort-Homme wurde im März 1916 von deutschen Truppen eingenommen, die sich zunächst auf der nördlichen Kuppe eingruben. Zwei Monate später konnte nach erbitterten Kämpfen auch die Südkuppe erobert werden. Da es aufgrund des gut einzusehenden Hochplateaus viele Verluste schon allein beim Anmarsch der deutschen Truppen zu diesen Stellungen gab, baute die deutsche Armee ab dem Sommer 1916 drei unterirdische Annäherungswege. Der Kronprinztunnel z. B. war 900 m lang und mit Küchen und Verbandsplätzen ausgestattet. Bei einem Großangriff im Sommer 1917 verlor die deutsche Armee die Stellung dennoch wieder an die Franzosen. Insgesamt verlor der Mort-Homme im Laufe der Gefechte zehn Höhenmeter. Heute steht unweit der deutschen Verteidigungslinie am Mort-Homme ein ungewöhnliches Denkmal: Es handelt sich um ein auf seinem Grab stehendes Skelett. Mit der rechten Hand hält es sein Leichentuch in die Höhe und auf dem linken Arm liegt eine Fahne. Am Sockel des Monuments steht in großen Lettern in Anlehnung an die Devise der Soldaten (On ne passe pas) die Worte ‚Ils n’ont pas passé‘ (Sie sind nicht durchgekommen) und ein Schriftzug ist angebracht, der an den Tod der hier gefallenen Soldaten der 69. Division erinnert. Weiter unten steht ein klassi120
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sches Monument in Form eines Obelisken, das die Aufopferung der Soldaten ins Gedächtnis ruft. Unweit entfernt befindet sich ein kleines Holzkreuz, das 1984 von Veteranen im Namen der deutschfranzösischen Versöhnung errichtet wurde. Der zweite herausragende Gedenkort in der Nähe des Toten Mannes ist die Höhe 304 (304 m ü. NN), die im Frühjahr 1916 zwei Monate lang äußerst hart umgekämpft wurde und anschließend Austragungsort eines Stellungskrieges war. Auf dem während der Kämpfe um sieben Meter abgetragenen Hügel steht heute ein Obelisk, der an die hier kämpfenden französischen Einheiten erinnert. Ein Schauplatz des Minenkrieges im Jahr 1915 wurde die Anhöhe von Vauquois. Die Einnahme von Vauquois war aus strategischen Gründen für die Eroberung von Verdun wichtig und ab 1914 wurde vier Jahre lang um die Anhöhe gekämpft. Zunächst bauten die Deutschen den Ort zu einer Festung aus, die immer wieder von französischer Seite angegriffen wurde. Als sich im Jahr 1915 die Schlacht zu einem Stellungskrieg wandelte, begann der Ausbau von unterirdischen Stollen. Auf deutscher Seite wurde im Lauf der Zeit eine unterirdische Kaserne errichtet, die 2.200 Mann beherbergen konnte. Der Stellungskrieg brachte auch den Minenkrieg mit sich: Französische Soldaten gruben sich unterhalb der deutschen Galerien ein, mit dem Ziel, sie mittels Sprengstoff einstürzen zu lassen. Im Laufe der Zeit wurde die Anhöhe von Vauquois regelrecht mit Spreng-, Lausch- und Gegenstollen durchlöchert. Heute zum Historischen Monument erklärt, sind ein Teil der deutschen und französischen Stollen in einer Führung begehbar. Auf der Anhöhe befindet sich zudem ein 1926 eingeweihtes Monument zum Gedenken an die Soldaten und Gefallenen von Vauquois. An seinem Ende hängt ein Totenlicht, das von vier symbolischen Schwertern des Glaubens und des Mutes eingefasst ist. Darunter ist ein abgesägter Maronenbaum abgebildet, der ehemals im Dorf stand und von den Deutschen gefällt wurde, da er der französischen Artillerie als Orientierungspunkt diente. Am Boden steht ein Soldat, der in der rechten Hand eine Granate und in der linken sein Gewehr hält. Diese Szene soll an die schweren Infanteriekämpfe im Jahr 1915 erinnern und symbolisiert die unnachgiebige Verteidigung des Vaterlandes (Les amis de Vauquois et de sa région o. J.: 51). Ein anderer Gedenkort ist die Stätte Haute-Chevauchée, unweit derer sich der Unterstand des Kronprinzen und der Kaisertunnel befinden. Der Unterstand diente dem Kronprinzen als Kommandozentrale und der Kaisertunnel wurde erbaut, um die Kommunikation mit der Front zu sichern. Der Tunnel wurde 1915 gegraben und beinhaltet unter anderem ein kleines Lazarett, Baracken, ein Kraftwerk und Lagerhallen. Heute befindet sich ein 1922 eingeweihtes und den Toten der Argonnen121
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Schlacht gewidmetes Monument-Beinhaus an der Haute-Chevauchée. An seinem oberen Ende stützt ein in ein Kreuz übergehendes Schwert den Kopf eines Soldaten. An den Seiten des Monuments sind die französischen, italienischen und amerikanischen Regimenter eingraviert, die an der Argonnen-Schlacht teilgenommen haben. Unter dem Sockel des Monuments ruhen in einer Krypta die Gebeine tausender unbekannter Soldaten (DEZINOT 1998: 43). Zum Gedenken an die amerikanische Offensive 1918 im Argonnerwald/Maas und insbesondere an die Regimenter aus dem Staat Pennsylvania wurde auf der Anhöhe von Montfaucon von den Amerikanern ein 57 m hoher Turm errichtet. Auf der Spitze des 1937 eingeweihten Turms steht eine Freiheitsstatue, zu deren Füßen sich eine Plattform befindet, die über Treppen erreicht werden kann. Am Fuße des Turms wird der Besucher in einem kleinen Saal über den Angriff informiert. Die Anhöhe ist im Besitz der USA. Rund zehn Kilometer hiervon entfernt liegt der größte Amerikanische Soldatenfriedhof in Europa, Romagne-sousMontfaucon, auf dem in einer parkähnlichen und sehr gepflegten Anlage 14.246 Soldaten unter weißen Marmorkreuzen begraben liegen. Auf dem Friedhofsgelände befindet sich oberhalb des Gräberfeldes eine Kapelle, an die sich in zwei Seitenflügeln eine Wand der Vermissten anschließt. Auch der Friedhof ist amerikanisches Staatsgebiet (DEZINOT 1998: 38f).
1.2.3 Saint-Mihiel und Les Eparges Im September 1914 wurde von den Deutschen die Frontausbuchtung von Saint-Mihiel (Saillant de Saint-Mihiel) durch die Einnahme der Stadt Saint-Mihiel und des Forts Camp des Romains erobert, was zur Folge hatte, dass wichtige Verkehrsverbindungen (Wasserweg, Straßen und Eisenbahn) nach Verdun durchbrochen waren. Die Versuche von französischer Seite, diesen strategisch wichtigen Punkt wieder einzunehmen, blieben weitgehend erfolglos. Erst im Sommer 1918 konnte das Gebiet durch eine Offensive unter Leitung der Amerikaner zurückerobert werden. An die Schlacht von 1914 erinnern im Staatsforst von Apremont ein Monument sowie zahlreiche Schützengräben in relativ schlichter Form. In größerem Stil dagegen wird die erfolgreiche amerikanische Offensive durch einen amerikanischen Soldatenfriedhof mit 4.153 Gräbern, eine Gedenkstätte und ein Besucherzentrum ins Gedächtnis gerufen. Ebenso seit September 1914 wurde die kleine Anhöhe Les Eparges südöstlich von Verdun nach ihrer Eroberung durch die Deutschen zu einer Festung mit zahlreichen Laufgräben ausgebaut. Im Februar 1915 versuchten französische Truppen das Gelände zurückzuerobern, worauf122
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hin die deutsche Seite erfolgreich einen Gegenangriff startete. Ab April 1915 begann der Minenkrieg. Im Sommer 1918 fiel das Gebiet durch die amerikanische Offensive wieder in französische Hände. Von den erbitterten Kämpfen um Les Eparges berichtet der Schriftsteller Maurice Genevoix in seinem Buch ‚Ceux de 14‘, das als Grundlage für die vom Memorial in Verdun durchgeführten ‚Classes Genevoix‘ dient (siehe Kapitel IV/1.2.1.2). Am Fuße der Anhöhe liegt heute ein Friedhof mit über 2.000 Gräbern und einem Beinhaus. Des Weiteren befinden sich auf dem Weg zum Gipfel noch Monumente zu Ehren der Vermissten und verschiedener Regimenter.
1.2.4 Verdun-Stadt Im Jahr 1929 wird in Verdun das Siegesmonument (Monument de la Victoire) feierlich eingeweiht, dessen Idee schon zwölf Jahre zuvor durch einen sich im Pariser Exil befindenden Stadtrat geboren wurde (BLANCHARD 1929: 1). Nach Kriegsende nahm die Vorstellung konkrete Formen an: Anstatt lediglich eines einzelnen Kriegsereignisses und eines lokalen Sieges sollte der Widerstand und Sieg der französischen Nation gefeiert werden (BARCELLINI 1996a: 81). 1921 wurde das Projekt des Architekten Chesnay und des Bildhauers Boucher auserkoren. Die Wahl des Ortes für seine Errichtung fiel auf den ehemaligen Standort der Kirche Sainte-Marie-Madeleine am Madeleine-Platz, der sich hinter der alten Stadtmauer auf einer Anhöhe im Stadtzentrum befindet. In einer kriegsbedingten Bresche der Stadtmauer wurde die monumentale Treppe erbaut, auf welcher der Besucher zum Treppenabsatz und Sockel des Monuments emporsteigt. Vor ihm liegt das schmiedeeiserne Eingangstor zu einer Krypta und über ihm erhebt sich ein pylonähnlicher Turm, an dessen Ende sich die Statue eines sich auf sein Schwert aufstützenden Kämpfers befindet. In der Krypta liegt das Goldene Buch34 von Verdun mit einem Namensverzeichnis aller Soldaten, die hier gekämpft haben. Die topographische Lage, die massiven Formen und die Symbolik des sich aufstützenden und trotzenden Kämpfers verkörpern das Konzept der siegreichen und heldenmütigen Schlacht von Verdun (BARCELLINI 1996a: 81). Noch bevor das Siegesmonument fertig gestellt werden konnte, wurde 1928 das Kriegerdenkmal (Monument aux Enfants de Verdun Morts pour la France) eingeweiht. Es bildet fünf Schulter an Schulter stehende und den Weg versperrende Soldaten verschiedener französischer Einheiten und symbolisiert die Devise ‚On ne passe pas‘ der Verdun-Soldaten. 34 Am 2. Juli 1915 wurde ein Gesetz erlassen, das die Einführung eines Buches vorsah, in das die Kommune die für das Vaterland Gefallenen (Français morts pour la France) eintragen kann (BARCELLINI 1986: 76).
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Zwischen der Stadt und dem Schlachtfeld des Ostufers liegt im ehemaligen Stadtviertel Faubourg-Pavé ein Soldatenfriedhof, der zwischen 1919 und 1926 durch die Verlegung von 5.722 Toten entstand. In seiner Mitte steht erhöht ein großes Kreuz, um das sieben Gräber angelegt sind. Es handelt sich hierbei um die Grabstätten von sieben Unbekannten Soldaten, die 1920 bei der Wahl des heute unter dem Triumphbogen in Paris ruhenden Unbekannten Soldaten nicht auserkoren wurden. Im Jahr 1968, in den Zeiten der deutsch-französischen Annäherung und Versöhnung, wurde der bislang den Friedhof zierende Spruch ‚Opfer der deutschen Grausamkeit‘ (victimes de la barbarie allemande) entfernt (BARCELLINI 1996a). Hierin zeigt sich deutlich, wie die politische Aussage eines Denkmals von der Nachwelt verändert und umgedeutet werden kann. Im Zentrum des Befestigungsgürtels von Verdun steht die im Herzen der Stadt liegende Zitadelle. Die im 19. Jahrhundert in den Stein gehauene Unterirdische Zitadelle besteht aus Galerien und diente während des Krieges als logistische Zentrale. In ihr gab es Büros, Offiziersstuben, einen Festsaal, Krankenstationen, eine Kapelle und sogar eine Bäckerei. 1920 wurde in der Unterirdischen Zitadelle der oben erwähnte Unbekannte Soldat auserwählt. Seit 1992 kann der Besucher mittels einer Miniaturbahn eine halbe Stunde durch einige der Galerien fahren und durch virtuelle Animationen und einer Licht- und Tonschau einen Eindruck von den Lebensumständen im Jahr 1916 erhalten. Die oberirdische Zitadelle ist bislang nicht als Gedenkort in Wert gesetzt. Allerdings bestehen Pläne des derzeitigen Bürgermeisters von Verdun, dort ein großes Projekt mit Gedenkstätte, Restaurants und Tagungsräumen zu realisieren. Neben dem Memorial existiert im Stadtzentrum von Verdun eine zweite Einrichtung, die sich mittels einer Ausstellung mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigt: Das 1994 eingeweihte Weltzentrum für Frieden (Centre Mondial de la Paix des Libertés et des Droits de l’Homme). Untergebracht in einem Palast aus dem 18. Jahrhundert versteht es sich selbst nicht als ein Museum, sondern vielmehr als Interpretations- und Kulturzentrum. Neben der permanenten Ausstellung zum Thema ‚14–18 Einbildungen und Wirklichkeiten‘ (14–18 Imaginaires et Réalités) kann der Besucher dort auch temporäre Ausstellungen besichtigen sowie an zahlreichen Kolloquien, Konzerten und Seminaren teilnehmen. Das Weltzentrum für Frieden wird von nur relativ wenigen Individualreisenden besichtigt – ihr Großteil nimmt mit dem zentral auf dem Schlachtfeld gelegenen Memorial Vorlieb. Aus diesem Grund soll das Weltzentrum nach Ansicht des Bürgermeisters von Verdun spätestens Ende 2006 geschlossen werden. Doch nicht nur deswegen: auch ‚ein Kulturkrieg um das Erinnern‘ führt laut ALTWEGG (2005: 35) zu dieser Entscheidung. 124
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1.2.5 Die Sakrale Straße Die erfolgreiche Verteidigung Verduns und der lange französische Widerstand beruhen zum Großteil auf der rotierenden Versorgung der Kampfzone (Noria-System) mit frischen Truppen und mit neuem Kriegsmaterial, die über die Sakrale Straße (Voie Sacrée) abgewickelt wurde. Auf diesen 60 Kilometern von Bar-le-Duc nach Verdun wurden pro Woche 90.000 Menschen und 50.000 Tonnen Kriegsmaterial an die Front und Verletzte zurück ins Hinterland gebracht (CANINI 1996: 2). Insgesamt 8.000 Fahrzeuge fuhren in einem Abstand von durchschnittlich 14 Sekunden nach Verdun. Im April 1916 taufte der Schriftsteller und Politiker Maurice Barrès diese Straße auf den Namen Voie Sacrée (Ministère de la Défense o. J.). Symbolische Kilometersteine in Form kleiner Obelisken, auf deren Ende ein lorbeerbekränzter Helm ruht, säumen ihren Weg nach Verdun. Im Jahr 1922 wurde sie durch den ehemaligen Staatspräsidenten Poincaré eingeweiht und ein Jahr später zur Nationalstraße ernannt. 1967 wurde ein Museum der Sakralen Straße in der Gemeinde Nixeville errichtet. Heute ist sie die einzige Route Nationale in Frankreich, die keine Nummer trägt. Allerdings ist ihr Status durch die Dezentralisierungsbestrebungen der französischen Regierung bedroht: Da die Nationalstraßen in den Aufgabenbereich der Departements übertragen werden sollen, rüsten sich jetzt schon Interessenverbände, um für die einzigartige Stellung der Sakralen Straße zu kämpfen.
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Gedenkräume der Schlacht von Verdun
Das Kriegsgedenken kennt viele Gesichter und Formen. Zugleich auf Vergangenheit und Zukunft gerichtet, wird es häufig als Erbe der vorherigen Generationen, als Informationsquelle über die eigene Existenz, als die in Frankreich viel zitierte zu erfüllende Pflicht (devoir de mémoire), als nostalgische Ader sowie als Anhaltspunkt für die Orientierung des Menschen interpretiert. Unabhängig davon, ob Erbe, Informationsquelle, Pflicht, Nostalgie oder Orientierungsmöglichkeit: Jede Gruppe interpretiert den Krieg im Lichte ihrer eigenen Traditionen, ihrer eigenen Ideale und Glaubensinhalte (auch PROST 1977: 51). Das Gedenken an die Schlacht von Verdun hat seit Ende des ‚Großen Krieges‘ (grande guerre) mehrere Interpretations- und Transformationsphasen35 durchlaufen (BARCELLINI 1996a, PROST 1997). Gleich nach Ende der Schlacht von Verdun im Jahr 1916 entstanden parallel zwei Arten des Gedenkens. Zum einen gab es die Erinnerungen der Ver35 Es handelt sich hierbei um nicht klar abzugrenzende Phasen, die teilweise ineinander übergehen oder nebeneinander bestehen.
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dun-Veteranen, die maßgeblich in Frontbriefen, Memoiren und Erzählungen transportiert wurden und die Kriegserlebnisse alles andere als glorifizierend darstellten. Sie bildeten die Grundlage für das Gedenken der ‚wahren‘ Erlebnisse und an die gefallenen Kameraden. Zum anderen handelt es sich um das offizielle nationale Gedenken, das zunächst vor allem in der Zwischenkriegszeit hauptsächlich durch Politiker, die öffentliche und lokale Elite formuliert und durch die Presse und in Alltagsgesprächen kommuniziert wurde sowie Ausdruck eines patriotischen Stolzes war. Ab Mitte der 1920er, maßgeblich aber nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1970er, kann das trauernd-erinnernde Gedenken der Pilger – sei es der Veteranen selbst oder ihrer Familien – als dritte Stufe gerechnet werden. Vor allem ab Mitte der 1960er beginnt erneut eine Zeitspanne, die durch Politiker – diesmal allerdings im Zeichen der deutsch-französischen Annäherung – getragen wird: das versöhnende Gedenken. Als die jüngste Phase des Gedenkens kann das historischpädagogische Gedenken gewertet werden, das nach dem Ende der oralen Überlieferungen in den Familien durch den Tod der Veteranen den Nachkriegsgenerationen Wissen über den Ablauf der Schlacht von Verdun vermittelt. Diese unterschiedlichen Gedenkformen manifestieren sich u. a. in den im Kapitel IV/1.2 dargestellten Gedenkorten. Paradebeispiele für das national-patriotische Gedenken sind sowohl das Siegesmonument in der Stadt Verdun als auch der Bajonettgraben der Zone Rouge. Als in Stein gehauener Ausdruck des trauernd-erinnernden Gedenkens präsentierten sich das Beinhaus sowie zahlreiche kleinere Kriegerdenkmäler. Als Repräsentanten des historisch-pädagogischen Gedenkens können sowohl das Memorial als auch das Weltzentrum für Frieden und die Zitadelle gewertet werden. In der vorliegenden Publikation ist das Augenmerk in hohem Maße auf das sich vor Ort vollziehende Gedenken in Form von Ritualen gelenkt. Um dieses vom nicht-rituellen Gedenken besser abgrenzen zu können, wird zudem auf eine weitere wichtige Art des Gedenkens eingegangen: den Gedenktourismus.36
36 Zudem könnte man das Gedenken in Literatur, Film und Internet, das pädagogisch-bildende Gedenken im Schulunterricht, das spielerische Gedenken in Computer- und Brettspielen sowie das artifizielle Gedenken in Form von Gedenkmedaillen untersuchen. Diese Gedenkarten finden aber nicht an den Orten selbst statt und sind deswegen nicht Thema der vorliegenden Arbeit.
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2.1 Gedenken an die Schlacht von Verdun In Sektor von Verdun (von Argonnerwald bis Saint-Mihiel) gibt es pro Jahr rund 70–80 offizielle und inoffizielle Gedenkzeremonien. Im engeren Umkreis von Verdun sind es alleine knapp 30 Veranstaltungen, wobei hierunter nicht nur Feierlichkeiten der Schlacht von Verdun, sondern auch jene zum Gedenken an den Ersten und Zweiten Weltkrieg fallen. Die im Kontext der Schlacht von Verdun wichtigsten Feierlichkeiten stellen die Zeremonie zu Beginn der Kämpfe im Februar37, die Jahrestage der Schlacht im Juni und die Flammenzeremonie im November38 dar (siehe Tabelle 6). Im lokalen Kontext sind auch allein schon durch ihre hohe Anzahl die Zeremonien der Zerstörten Dörfer39 von Bedeutung.
37 Die vom RATP (Régie Autonome des Transports Parisiens) veranstaltete Gedenkfeierlichkeit anlässlich des Beginns der Verdun-Schlacht findet seit 1927 statt (PROST 1997: 1770) und beinhaltet eine Kranzniederlegung am Kriegerdenkmal, einen Empfang im Rathaus und eine Nachtwache auf dem Schlachtfeld, während der die französischen und deutschen Teilnehmer in einem Fackelzug vom Zerstörten Dorf Fleury über den französischen Soldatenfriedhof ins Beinhaus marschieren und hier mit einer Mitternachtsmesse das Ritual beschließen. Ehemals reisten drei bis vier Busse allein aus Paris an. Heute findet die Zeremonie in kleinem Rahmen statt. 38 Die Flammenzeremonie beginnt am 30. Oktober mit dem Entzünden der Gedenkflamme am Triumphbogen in Paris, die anschließend zu Fuß im Staffellauf vom Sportverband des Innenministeriums zum Siegesmonument von Verdun getragen wird. Vom 1. bis zum 10. November werden allabendlich Zeremonien in der Krypta des Monuments abgehalten. Am 10. November tragen die Mitglieder von Ceux de Verdun und On ne passe pas die Fackel vom Siegesmonument über das Kriegerdenkmal und den Friedhof Faubourg-Pavé zum Beinhaus. Am Tag des Waffenstillstandes selbst finden Feierlichkeiten in der Kathedrale, der Krypta und am Kriegerdenkmal statt. Die Heilige Flamme wird symbolisch wieder nach Paris getragen, faktisch wird sie ausgeblasen. Diese Form der Gedenkzeremonie existiert seit 1982 (SAUVAGNAC 1993: 123). Die Gedenkflamme allerdings brennt schon seit 1923 im Triumphbogen und 1938 wurde sie erstmals nach Verdun, allerdings ins Beinhaus, getragen (SAUVAGNAC 1993: 121). 39 Am Tag des Schutzheiligen des Dorfes feiern die ehemaligen Dorfbewohner und deren Nachfahren ein Fest. Alle drei Jahre gibt es in drei der acht Zerstörten Dörfer (da Vaux eine Gemeinde besitzt, stellt es eine Ausnahme dar) eine offizielle Zeremonie mit Vertretern aus Politik und Militär, in den anderen Jahren sind es private Dorffeiern. Die Zeremonien beinhalten in Anwesenheit der Fahnenträger, Präsidenten von patriotischen Vereinigungen sowie der Nachkommen der Dorfbewohner eine Kranzniederlegung und Ansprachen am Kriegerdenkmal des Zerstörten Dorfes, eine Messe in der Dorfkapelle sowie einen anschließenden Umtrunk.
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Tabelle 6: Zeremonien des Gedenkens an den Ersten Weltkrieg in Verdun (2004) Datum
Gedenkzeremonie
14.02.2004 Gedenken an den Beginn der Schlacht von Verdun durch den Pariser Verkehrsverbund RATP (Kriegerdenkmal, Rathaus, Schlachtfeld) 22.02.2004 Gedenken des Widerstandes der Jägerbataillone zu Beginn der Schlacht von Verdun durch Sidi-Brahim (Vacherauville, Bois des Caures) 12.04.2004 Gedenken an den Beginn der Eparges-Schlacht durch Souvenir Français von Fresnes (Eparges) 08.05.2004 Gedenkmarsch des Freiheitsweges und der Sakralen Straße 20.06.2004 Gedenken des 88. Jahrestages der Schlacht von Verdun (Kathedrale, Kriegerdenkmal, Rathaus, Schlachtfeld) 27.06.2004 Gedenken an die Schlacht im Argonnerwald durch die Freunde von Vauquois und das Gedenk-Komitee (Haute Chevauchée) 04.07.2004 Offizielles Gedenken an die Zerstörten Dörfer (Fleury) 01.08.2004 Gedenken an die Zerstörten Dörfer (Louvemont) 29.08.2004 Gedenken an die Zerstörten Dörfer (Ornes) 05.09.2004 Gedenken an die Zerstörten Dörfer Bezonvaux) 12.09.2004 Gedenken an die Schlacht des 29. Jägerbataillons durch Sidi Brahim (La Vaux Marie) 19.09.2004 Gedenken an die Zerstörten Dörfer (Haumont) 26.09.2004 Offizielles Gedenken an die Zerstörten Dörfer (Beaumont) 10.10.2004 Gedenken an die Zerstörten Dörfer (Douaumont) 24.10.2004 Gedenken an die Rückeroberung des Forts Douaumont 30.10.2004 Entzünden der Heiligen Flamme (Flamme Sacrée) in Paris 01.11.2004 Ankunft der Flamme in Verdun 11.11.2004 Gedenken an den 86. Jahrestag des Waffenstillstandes
Quelle: Rathaus von Verdun Da sich die vorliegende Studie mit dem Gedenken an die Schlacht und nicht mit dem Schlachtbeginn bzw. Waffenstillstand beschäftigt, liegt das Augenmerk auf der Analyse der Juni-Zeremonie. Allgemein kann das Juni-Gedenken in zwei unterschiedliche Ritualtypen unterteilt werden: die offiziellen alljährlichen Gedenkrituale, die heute neben den lokalen Persönlichkeiten und patriotischen Verbänden nur noch relativ wenig Leute anziehen, und die nationalen Zeremonien, die alle fünf bzw. zehn Jahre stattfinden und Tausende von Teilnehmern anlocken.
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2.1.1 Offizielle Gedenkrituale Die offiziellen Feierlichkeiten setzten bereits in den 1920er Jahren ein. Sie waren im Gegensatz zu individuell durchgeführten Schlachtfeldbesuchen vieler Veteranen und Hinterbliebener weniger Zeichen der persönlichen Erinnerung, sondern anfangs vielmehr Ausdruck der nationalen Gesinnung des siegreichen Frankreichs.
2.1.1.1 Initiative und Anfänge Die Initiative und Idee, alljährlich der Schlacht von Verdun zu gedenken, ging von der Stadt Verdun aus. Der städtische Ausschuss für Tourismus, Feierlichkeiten und Theater (Commission Municipale du Tourisme, des Fêtes et du Théâtre) beschäftigte sich auf Anfrage des Stadtrates von Verdun im Jahr 1920, also zu einem Zeitpunkt, als Verdun noch in Ruinen lag, mit einer festlichen Gedenkzeremonie (CANINI 1986a: 97). Drei mögliche Termine für das rituelle Gedenken wurden diskutiert: Zur Auswahl standen der Beginn der Schlacht von Verdun am 21. Februar, doch wurde dieser Termin aus klimatischen Gründen verworfen. Die zweite Möglichkeit fiel auf den 24. Oktober, die Rückeroberung des Befestigungswerkes Douaumont, doch erschien das Datum nicht repräsentativ genug für die Verdun-Schlacht. Letztendlich einigten sich die Organisatoren auf den 23. Juni, den Beginn der ultimativen Offensive der deutschen Armee, da sich hier besonders gut der heldenhafte Widerstand des französischen Militärs zeigte. Neben dem aussagekräftigen Datum sprachen auch die guten frühsommerlichen Witterungsverhältnisse für den 23. Juni (CANINI 1986a: 98) und bewegten den Stadtrat zu dieser Terminwahl. Doch entgegen der Erwartungen und Planungen wurde dieses Datum als fixer Termin – egal ob er auf einen Wochentag oder auf das Wochenende fällt – nicht lange beibehalten. Schon im April 1922 sahen sich die Veranstalter aufgrund von Organisationsschwierigkeiten (die Kinder waren in der Schule und offizielle Vertreter kaum verfügbar) und daraus resultierenden geringen Teilnehmerzahlen gezwungen, diese Entscheidung dahingehend zu revidieren, dass der Gedenktag immer an einem – dem 23. Juni nahe gelegenen – Sonntag stattfinden muss (CANINI 1986a: 98). Die erste Jahresfeier wurde am 23.06.1920 abgehalten. An ihr nahmen der Staatspräsident Poincaré, der damalige Pensionsminister Maginot, der nach Kriegsende zum Marschall ernannte Pétain, die Abgeordneten der Departements Maas und Mosel, zivile und öffentliche Persönlichkeiten sowie Hunderte Veteranen aus den angrenzenden Departements teil. Der eindeutige Ehrengast unter ihnen war Marschall Pétain, dessen Anwesenheit auch auf den in der Stadt ausgehängten Plakaten 129
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angekündigt wurde. Andere wichtige Militärs wie beispielsweise die Generäle Foch und Hirschauer sowie Politiker ließen sich entschuldigen und schickten Vertreter (CANINI 1986a: 100), da sie der Veranstaltung noch relativ wenig Bedeutung beimaßen. Am Vorabend der Gedenkfeier fand ein Fackelzug durch die in Ruinen liegende Stadt statt, der von Glockenläuten und Artilleriesalven begleitet wurde. Der 23. Juni begann um 8 Uhr 30 mit katholischen, protestantischen und jüdischen Gedenkmessen. Um 10 Uhr gab es einen Militärmarsch vom Rathaus zum Friedhof Fauboug-Pavé, wo die offiziellen Gäste um 10 Uhr 45 nach einem Empfang am Bahnhof ankamen. Nach der Niederlegung eines Palmenzweiges und der Schweigeminute verließ der Umzug den Friedhof und kehrte zum Rathaus zurück, wo das Mittagessen schon auf die geladenen Gäste wartete. Am frühen Nachmittag fand um 13 Uhr 45 vor der Oberirdischen Zitadelle von Verdun eine kurze Militärparade statt, anschließend besichtigten die Gäste um 14 Uhr 30 schnell die vom Krieg beschädigte Kathedrale, den Kreuzgang sowie den Bischofssitz. Eine halbe Stunde später wurden der Grundstein des Siegesmonuments gelegt, einige Ansprachen gehalten sowie ein Marsch der Fahnenträger über die Hauptstraße in Richtung Rathaus absolviert. Im Rathaus weihten die Persönlichkeiten eine Gedenktafel aus Marmor ein, in welche die Namen der für Frankreich gefallenen Bürger von Verdun eingraviert wurden, und trugen sich in das Goldene Buch der Stadt ein. Der erste Gedenktag ging zu Ende und war besonders stark durch das andächtige Gedenken an die Toten auf dem Friedhof, zwei Einweihungszeremonien (Grundsteinlegung des Siegesmonuments, Einweihung der Gedenktafel) sowie verschiedene Militärmärsche und -prozessionen gekennzeichnet.
2.1.1.2 Veränderung der Gedenkrituale In den folgenden Jahren entwickelte sich ein relativ fester Ritualablauf, der sich allerdings bis in die heutige Zeit mehrfach verändert hat. Unterschieden werden muss in den Programmablauf des Vortages und des Gedenktages selbst. Die Veränderungen der Vortagszeremonie können in drei Zeitspannen unterteilt werden: Die erste Phase dauert bis 1969, die zweite von 1970 bis 1984 und die dritte von 1985 bis 1996.40 In der ersten Phase nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurden am Vorabend des Gedenktages am Bahnhof von Verdun die aus Paris kommenden Fahnen der französischen Regimenter empfangen und in einem feierlichen Um40 Die Eckpunkte der Phasen sind durch eine langsame Veränderung der Gedenkrituale und meist nicht durch plötzliche Umbrüche gekennzeichnet. Aus diesem Grund sind die Zeitabgrenzungen lediglich als Anhaltspunkte zu verstehen.
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zug vom Bahnhofsplatz über das Saint-Paul-Tor zum Rathaus getragen. Am frühen Abend gab es Konzerte der Militärmusik am Siegesmonument oder an der Promenade de la Digue. Der Tag wurde am späten Abend durch einen Musikzug und/oder Fackelzug von Hunderten Personen durch die erleuchtete Innenstadt von Verdun abgerundet. Eine zweite, spätere Route der Fahnenträger (ca. 1970–1984) führte vom Gouvernement-Platz über das Saint-Paul-Tor und das Kriegerdenkmal zum Rathaus. Die Verlagerung des Ausgangspunktes resultierte wahrscheinlich aus zwei Veränderungen: Zum einen kamen immer mehr Fahnenträger nicht mehr mit dem Zug, sondern mit dem Auto in Verdun an und benötigten vermehrt Parkplätze. Zum anderen stieg insgesamt in dieser Zeit die Anzahl der am Umzug beteiligten Personen und der weitläufige Startpunkt an der Gendarmerie erschien sinnvoll. Während die Fahnenprozessionen zum Rathaus an Bedeutung zunahmen, existierten in der zweiten Phase keine abendlichen Fackel- und Musikzüge mehr in der Stadt. Ab 1985 wurde der verkürzte Prozessionsweg vom Chaussée-Tor zum Rathaus gewählt. Nach der 80-Jahrfeier im Jahr 1996 fielen die Vortagszeremonien völlig weg. Bedeutende Orte während der samstäglichen Zeremonien waren das Rathaus, ab 1932 das Siegesmonument und ab 1958 das Kriegerdenkmal von Verdun. Die sonntäglichen Zeremonien können ebenso grob in drei Phasen eingeteilt werden: die Zwischenkriegszeit, die Phase von 1946 bis 1996 und schließlich die Zeitspanne von 1997 bis heute. Der Gedenktag selbst begann mit Kanonenschlägen und feierlichem Glockengeläut. Nachdem die vom Krieg zerstörten Gebäude wieder aufgebaut waren, fanden in den Morgenstunden nach Konfessionen getrennte Gedenkmessen in der Kathedrale, der reformierten Kirche und der Synagoge statt. Im Anschluss an die Messe wurden die geladenen Persönlichkeiten im Rathaus empfangen, wo sich Politiker und Militärs feierlich ins Goldene Buch der Stadt eintrugen. Um die Mittagszeit gab es ein Bankett zunächst im Buvignier-Gymnasium und später im städtischen Festsaal oder der Markthalle. Dritter wichtiger Gedenkort neben den Gotteshäusern sowie dem Rathaus war in dieser Zeit der Soldatenfriedhof von FaubourgPavé, wo eine Zeremonie vor den Gräbern der sieben Unbekannten Soldaten stattfand. Ansprachen, Aufmärsche und Konzerte inszenierte man in dieser ersten Phase entweder an der Promenade de la Digue, im Parc de Londres oder in der Nähe der Oberirdischen Zitadelle. Die Feierlichkeiten von 1929 unter dem Motto ‚Wiedergeburt von Verdun – zerstört in 10 Monaten, aufgebaut in 10 Jahren‘ (Fêtes de la Renaissance de Verdun – détruit en 10 mois, rebâti en 10 ans), die sich der Einweihung des Siegesmonuments verschrieben, bildeten einen ersten Höhepunkt des rituellen Gedenkens in der Zwischenkriegszeit. 131
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Ab dieser Zeit besuchte der offizielle Zug am frühen Nachmittag das Siegesmonument, wo die Zeremonien einen Besuch der Krypta, das Freilassen von Brieftauben, offizielle Ansprachen und eine Militärparade umfassten. Häufig wurden bei dieser Gelegenheit auch Auszeichnungen an Veteranen verliehen. Anschließend führte der Fußmarsch vom Siegesmonument zum Kriegerdenkmal, wo Blumen niedergelegt wurden, und weiter zum Nationalfriedhof von Faubourg-Pavé. Nach diesen ersten Jahren, in denen die Stadt das Herzstück bzw. Epizentrum des Gedenkens darstellte und ihr Image der Cité Héroïque vor allem durch das Aufsuchen der patriotischen Denkmäler gefestigt wurde, erweiterten sich die Zeremonien langsam um zusätzliche Gedenkorte auf dem Schlachtfeld, allen voran das 1932 fertig gestellte Beinhaus. Dies hing maßgeblich mit dem Willen der Veteranen zusammen, die an den Orten der Kämpfe ihren gefallenen Kameraden die Treue beweisen und ihrer gedenken wollten (CANINI 1986a: 100). Zudem wurden, nachdem das Gelände in den ersten Kriegsjahren teilweise wieder begehbar gemacht wurde, viele Gebäude und Kapellen errichtet sowie Monumente und Gedenktafeln eingeweiht. Nach und nach erfolgte somit eine Ausweitung der Gedenkorte auf das Schlachtfeld, die allerdings nicht durchgehend zu Bestandteilen der offiziellen Zeremonien wurden. Nachdem von 1939–1944 keine Zeremonien stattfanden, wurde in der Phase nach dem Zweiten Weltkrieg der Gedenktag nicht mehr durch die Gedenkmessen, sondern durch die Nationalversammlung von Veteranenverbänden (zunächst von On ne passe pas, anschließend von Ceux de Verdun) im Staatstheater eröffnet.41 Daraufhin folgten bis in die 1970er Jahre hinein die nach Konfessionen getrennten Gedenkmessen, die nach und nach ökumenisch in der Kathedrale gefeiert wurden. Feste Orte des rituellen Gedenkens sind weiterhin das Rathaus für den Empfang der Gäste, einen Eintrag ins Goldene Buch der Stadt und einen Umtrunk, das Siegesmonument mit einem Besuch der Krypta, Ansprachen und Militärparaden, bis Ende der 1950er Jahre der Friedhof FaubourgPavé mit zunächst dem Gedenkritus für die Unbekannten Soldaten und später lediglich Kranzniederlegungen sowie ab Ende der 1960er das Kriegerdenkmal mit ebenfalls Kranzniederlegungen. Die feierlichen Prozessionen veränderten sich in dieser Phase mehrmals. Während in der ersten Phase ab 1930 der Zug vom Siegesmonument über das Kriegerdenkmal zum Friedhof im Stadtteil Faubourg-Pavé verlief, begann in der folgenden Zeitspanne nach einigen wechselhaften Jahren die Prozes41 Die Versammlung wurde nach einigen Jahren wieder abgeschafft, da deren Teilnehmer zu spät zur Gedenkmesse erschienen und dadurch den Bischof verstimmten.
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sion ab den 1950er Jahren an der Kathedrale und passierte auf ihrem Weg ins Rathaus das Siegesmonument und das Kriegerdenkmal. Ab 1985 reduzierte sich die Strecke und der Umzug formierte sich erst am Chaussée-Tor. Die Nachfolge des Ritus auf dem Friedhof von FaubourgPavé trat das Beinhaus an. Dort wurde auf Initiative der Vereinigung von Ceux de Verdun die Zeremonie der Ablösung42 (cérémonie de la relève) eingeführt. Sie startete anfangs bei Einbruch der Dunkelheit ca. 2 km vom Beinhaus entfernt vor der Kapelle Sainte-Fine, von wo aus ein feierlicher Fackelmarsch – das Memorial und das Zerstörte Dorf Fleury passierend – zum Beinhaus erfolgte. Auf dem Nationalfriedhof wurde der Toten gedacht und nach einer Kranzniederlegung an dem Fahnenmast im Zentrum des Friedhofes hinterließen die Teilnehmer die Gedenkflammen bei den Gräbern der Vorfahren und Kameraden. Nach diesem Fackelzug fand eine Andacht in der Kapelle des Beinhauses statt. Ab den 1980er Jahren startete bei Einbruch der Dunkelheit eine verkürzte Prozessionsroute – vielleicht bedingt durch die zunehmende Gebrechlichkeit der Veteranen – vor dem Beinhaus und passierte den muslimischen und israelischen Gedenkstein, wo Blumengestecke niedergelegt wurden. In der letzten Phase ab 1997 bis heute konzentrieren sich die Gedenkriten am Vormittag auf nur noch drei Orte in der Stadt: auf die Kathedrale mit einer ökumenischen Gedenkmesse, das Kriegerdenkmal mit einer Kranzniederlegung und kurzen Ansprache sowie das Rathaus mit einem Empfang und Umtrunk. Das Ritual am Siegesmonument entfällt, da in Verdun nicht mehr genügend Truppen für eine ansehnliche Parade stationiert sind. Die Gedenkprozession mit Militärmusik verkürzt sich auf die Strecke vom Kriegerdenkmal zum Rathaus. Der Nachmittag bleibt ohne festes Programm und erst bei Einbruch der Dunkelheit treffen sich die Zeremonieteilnehmer am Beinhaus, um an den israelischen und muslimischen Gedenksteinen Kränze niederzulegen, die Gedenkflammen über den Friedhof zu den Gräbern zu tragen und die Totenwache in der Kapelle des Beinhauses zu vollziehen.
2.1.1.3 Die (inter-)nationalen Gedenkzeremonien und runden Jahrestage Die ersten Jahre nach dem Ersten Weltkrieg waren durch das Bemühen geprägt, die Gedenkzeremonien als Freundschaftstage zusammen mit einigen Alliierten abzuhalten. So gab es 1922 den franko-luxemburgischen, 1923 den franko-belgischen und 1925 den franko-britischen 42 Die Zeremonie trägt diesen Namen, da sie sowohl an die gefallenen Kameraden als auch an den Moment erinnert, als sich die an die Front gehenden und davon zurückkehrenden Soldaten kurz begegnen.
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Gedenktag (CANINI 1986a: 104). In der Zwischenkriegszeit wurden die runden Gedenkzeremonien von Marschall Pétain und Luftwaffenministern präsidiert. Dies änderte sich kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges, als sich das Ansehen Pétains aufgrund der Kollaboration mit den Nationalsozialisten (Vichy-Regime) drastisch reduzierte und er zum Tode verurteilt wurde. Zwar wandelte de Gaulle das Urteil in eine lebenslange Haftstrafe im Exil auf einer Atlantikinsel um, doch Pétain verschwand nicht nur physisch aus den Gedenkritualen. An seiner Stelle übernahmen andere Militärs den Ehrenvorsitz. Seit 1956 stehen die zehnjährigen Schlachtenjubiläen unter der Schirmherrschaft des jeweiligen Staatspräsidenten (1956: Coty, 1966: de Gaulle, 1976: Giscard d’Estaing, 1986: Mitterrand, 1996: Chirac), alle fünf Jahre hat der Premierminister die Präsidentschaft inne.43 Während die Stadt Verdun noch in den Zwischenkriegsjahren Austragungsort für die runden Jahrestage war, änderte sich dies ab den 1950er Jahren: Verdun selbst spielte im nationalen Erinnerungsprogramm nur noch eine relativ unbedeutende Rolle. Dies zeigte sich deutlich 1966 während der 50-Jahrfeier: Am späten Samstagnachmittag kam de Gaulle um kurz nach 17 Uhr am Bahnhof von Verdun an, wo er vom Bürgermeister und Präfekten der Maas empfangen und ihm eine militärische Ehrung erteilt wurde. Kurz darauf legte er einen Kranz am Kriegerdenkmal nieder, begrüßte am Siegesmonument die Veteranendelegationen und nahm die Gedenkflamme aus Paris entgegen. Anschließend gab es einen Empfang im Rathaus mit Ansprachen des Bürgermeisters und des Staatspräsidenten. De Gaulle erhielt eine Friedensmedaille, trug sich ins Goldene Friedensbuch der Stadt ein und besuchte kurz das kleine, im Rathaus beheimatete Museum. Nach dem Abendessen in der Unterpräfektur fuhr de Gaulle gegen 22 Uhr zum Beinhaus, wo ihn die Fahnenregimenter und Veteranen schon erwarteten. Es folgten vor dem Beinhaus eine halbstündige Lichtund Tonschau, die an die Schlacht von Verdun erinnerte, sowie Gebete verschiedener Glaubensrichtungen. Der Hauptgedenktag stand ganz im Zeichen des Beinhauses: Um kurz vor 10 Uhr nahm de Gaulle nach einem Empfang durch den Bischof und den Präsidenten des Beinhauskomitees an einer Gedenkmesse vor dem Beinhaus teil, besichtigte anschließend das Innere des Gebäudes und trug sich auch hier in das Goldene Buch44 ein. Kurz darauf empfing ihn das Militär und absolvierte zu 43 Ausnahmen bilden die Zeremonien des Jahres 1961, als an zwei Tagen zuerst der Präfekt des Departements und anschließend der Staatspräsident de Gaulle nach Verdun kamen, und des Jahres 1971, als der Vorsitz auf ein Mitglied der Académie Française und den Präfekten der Maas fielen. 44 Im Goldenen Buch des Beinhauses tragen sich bis heute alle offiziellen Gäste des Beinhauses ein. Von politischer Seite aus handelt es sich um die
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seinen Ehren ein Militärritual inklusive Truppenparade. De Gaulle überreichte einigen Veteranen Auszeichnungen und hielt eine Ansprache. Zusammengerechnet verweilte der Staatspräsident am Samstag und Sonntag über vier Stunden auf dem Schlachtfeld, genauer gesagt am Beinhaus, und lediglich eine gute Stunde an Gedenkorten in der Stadt. In den folgenden Jahren nahm die Aufenthaltsdauer der Staatspräsidenten in Verdun und auf dem Schlachtfeld, also die in Zeit gemessene Bedeutungszuschreibung, stark ab. Anlässlich der 60-Jahrfeier übernachtete der Präsident nicht mehr vor Ort, sondern reiste direkt am Gedenktag an. Giscard d’Estaing blieb am Sonntag nur knapp 40 Minuten in der Stadt und 2,5 Stunden auf dem Schlachtfeld. Bei der 80-Jahrfeier reiste Chirac direkt zum Beinhaus, verweilte dort lediglich eine knappe Stunde und aß dann sehr kurz mit 15 Jugendlichen aus den Ländern der Europäischen Union – und nicht mit den wenigen noch lebenden Veteranen – in Verdun zu Mittag. Obwohl die Anwesenheit des Regierungsvertreters bei den runden Jahrestagen immer kürzer wird, zieht er immer noch – nicht zuletzt durch den Medienrummel – viele Zuschauer auf das Schlachtfeld. Zudem wird dem Besucher ein großes Begleitprogramm geboten: 1996 beispielsweise gab es einen Zug, in dessen 13 Wagons unter dem Motto ‚Verdun 1916 – 300 Tage, 300 Nächte‘ versucht wurde, die Schlacht von Verdun mit Hilfe einer Ausstellung verständlich zu machen. Nach seiner Eröffnung in Verdun fuhr der Zug zehn Tage durch den Osten Frankreichs und beendete seine Tour im Ostbahnhof von Paris. Zu den internationalen Gedenkzeremonien sind auch Feierlichkeiten wie das Versöhnungsritual von Kohl und Mitterand im September 1984 zu zählen, das zwar nicht im Kontext des Juni-Gedenkens der Schlacht stattfand, aber dennoch an die Schlacht von Verdun erinnerte.
2.1.1.4 Alljährliche Riten heutiger Gedenkzeremonien Anhand der Gedenkzeremonien von 2003 und 2004, die weitgehend identisch abliefen, aber im Jahr 2003 durch eine ins Gedenkritual integrierte Verabschiedung eines Militärs aus seinem Amt einen besonderen Fokus beinhaltete, werden die einzelnen Ritualkomponenten zur besseren Veranschaulichung etwas näher vorgestellt. Die Sonderstellung im Jahr 2003 zeigte sich gleich zu Beginn des Gedenktages, als der KomSchirmherren der Gedenkzeremonien, um Botschafter aus aller Welt sowie um die Präfekten und Unterpräfekten der Region anlässlich ihres Amtsantritts. Auch für das Militär ist der Eintrag ins Goldene Buch verpflichtend. Sowohl bei der Amtsübernahme als auch bei der Verabschiedung des Kommandochefs der in Verdun stationierten Truppen erfolgt dieses Ritual.
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mandochef der Truppen in Verdun am Fahnenmast auf dem Friedhof von Verdun ein Blumengesteck niederlegte und sich ins Goldene Buch eintrug. Danach verlief die Zeremonie wie gewöhnlich. Um halb elf versammelten sich Gläubige, Pilger, Politiker und offizielle Persönlichkeiten in der Kathedrale von Verdun, um gemeinsam die sonntägliche Messe zu feiern. Eine historische Erinnerung zu Beginn der Messe, die Predigt mit Bezugnahme auf den Ersten Weltkrieg und das Jahr 1916 sowie die Weihung der französischen Nationalfahne integrierten das Schlachtengedenken in die ansonsten traditionell ausgeführte ökumenische Messfeier. Den nächsten Standpunkt stellte das Kriegerdenkmal dar, an dem ein kurzes Militärritual die Gedenkzeremonie einläutete und im Jahr 2003 auch militärische Auszeichnungen überreicht wurden. Es folgte eine kurze Ansprache des Nationalpräsidenten von Ceux de Verdun, der anlässlich seines Jahrestages im Jahr 2003 zunächst an den Vertrag von Verdun erinnerte, der ab 843 das Karolingerreich unter Karl dem Großen in drei Bereiche geteilt hatte und einen wichtigen Markstein für die Entstehung des späteren Frankreich und Deutschland darstellt. Im Anschluss daran erwähnte der Redner die historischen Geschehnisse des Ersten Weltkrieges, das Leid der Soldaten in der Hölle von Verdun, die Absurdität des Zweiten Weltkrieges sowie die Römischen Verträge, aus denen 1957 die Europäische Gemeinschaft hervorging. Zuletzt thematisierte die Ansprache die deutsch-französische Versöhnung ab den 1960er Jahren. 2004 verschrieb sich die Ansprache vor allem einer historischen Erinnerung und zeichnete die Entwicklung Europas vom Zweiten Weltkrieg und der alliierten Landung in der Normandie über den Kalten Krieg bis zur heutigen, auf Menschenrechten basierenden Europäischen Union auf. Nach der Ansprache wurden Blumengestecke durch offizielle politische, militärische und religiöse Vertreter sowie Persönlichkeiten von Gedenkvereinigungen am Fuße des Kriegerdenkmals niedergelegt. Bevor 2003 einige Tauben freigelassen wurden, beendeten in beiden Jahren das feierliche Totensignal (sonnerie aux morts), eine darauf folgende Schweigeminute sowie der Refrain der französischen Nationalhymne den Ritus am Kriegerdenkmal, dem nur rund 30 bis 40 Teilnehmer beiwohnten. Wichtig sind neben den Ansprachen und der symbolischen Bedeutung des Kriegerdenkmals auch die Aufstellung bzw. Bewegung der Ritualteilnehmer, da ihre Entfernung zum Denkmal Aufschluss über ihre Bedeutungszuschreibung zulässt. Die Zuschauer befanden sich hinter einer Absperrung in einiger Entfernung zu dem Ort, an dem sich das Ritual abspielte. In kürzester Distanz zum rituellen Zentrum standen die Fahnenträger, welche die in Verdun kämpfenden Regimenter und Soldaten symbolisierten: Sie befanden sich in zwei Reihen senkrecht-seitlich zum Denkmal und nahmen so den Platz ein, den 136
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sonst der Chor in einer religiösen Messe zugewiesen bekommt (PROST 1977: 61). An sie anschließend stellten sich die Militärmusiker auf. Der Redner trug seine Ansprache mit dem Rücken zum Monument und seinem Publikum zugewandt vor. Für die Kranzniederlegung platzierten sich auf gleicher Höhe die Autoritäten mit dem Rücken zu den Zuschauern in einer Linie parallel zum Denkmal und schritten gemeinsam zum Fuße des Monuments. Nachdem sie die Blumengestecke niedergelegt hatten, entfernten sie sich wieder vom rituellen Mittelpunkt. Anschließend an die Kranzniederlegung bildete sich ein Festzug, an dessen Spitze sich die Militärkapelle und offizielle Persönlichkeiten, gefolgt von den weiteren Ritualteilnehmern, zum Rathaus bewegten. Im Innenhof des Rathauses löste sich der Prozessionszug auf und dessen Teilnehmer begaben sich für einen Empfang durch den Bürgermeister inklusive Ansprache und Umtrunk in den Ehrensaal des Gebäudes. 2003 war der Empfang durch die Verabschiedung des Kommandochefs geprägt, 2004 thematisierte der Bürgermeister in seiner freien Rede sowohl die bevorstehende 90-Jahrfeier 2006 als auch eine kürzlich zurückliegende deutsch-französische Freundschaftsgeste.45 Ein Ehrentrunk (vin d’honneur) beendete die Veranstaltung im Rathaus. Erst in der Abenddämmerung fand die Zeremonie zum Gedenken an die Schlacht von Verdun mit dem Ablösungsritual ihre Fortsetzung (siehe Abbildung 13). Um halb zehn formierte sich ein von Fahnenträgern angeführter Prozessionszug, der sich vor dem Beinhaus auf Höhe des Parkplatzes sammelte (Station 1) und – begleitet vom Glockenläuten des Beinhauses und über dem Schlachtfeld rotierenden rot-weißen Lichtern – zu seiner zweiten Station, dem muslimischen Denkmal, marschierte. Hier wurde durch den Präsidenten von Ceux de Verdun ein Blumengesteck niedergelegt, es ertönte das Totenhorn und eine Schweigeminute folgte. Anschließend rezitierten die sunnitischen Vertreter der muslimischen Glaubensrichtung Koransuren und trugen Fürbitten vor. Der Prozessionszug setzte sich daraufhin wieder in Bewegung und schritt weiter zum israelischen Denkmal (Station 3). Auch hier wurde ein Blumengesteck niedergelegt, das Totenhorn gespielt und eine Schweigeminute abgehalten. Den Ritus am jüdischen Denkmal abschließend, sprach ein Rabbi das Gedenkgebet. Die Prozession sammelte sich daraufhin wieder und marschierte bis zur Kreuzung der Präsidenten (carrefour des Présidents) (Station 4), wo alle Ritualteilnehmer auf die Dunkelheit und den Beginn des Fackelmarsches warteten, der die Flammenträger auf den Nationalfriedhof von Douaumont führte. Nachdem die Treppen zum Friedhof passiert wurden, 45 Ein Nachfahre eines deutschen Weltkriegsveteranen hatte eine im Krieg aus einem französischen Haushalt entwendete Standuhr wieder zurückgegeben.
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Abbildung 13: Ablösungsritual am Beinhaus (2004)
teilte sich die Prozession in zwei Züge, die rechts und links des Mittelganges zum Fahnenmast des Friedhofs emporstiegen. Hier wurde erneut ein Blumengesteck niedergelegt und rot-weiße Feuerwerk-Fontänen entzündeten sich (Station 5). Die Prozessionsteilnehmer gingen nun zu einem von ihnen ausgesuchten Grab und steckten im Gedenken an den dort Beerdigten ihre Fackel in den Boden (Station 6). Laut Aussagen der Ritualorganisatoren soll vom Fackelträger eine Art Patenschaft für das Grab übernommen werden, so dass er beim nächsten Besuch wieder die gleiche Grabstätte aufsucht und des darin liegenden Gefallenen gedenkt. Dies wird jedoch nicht von allen Beteiligten befolgt, da vielen gerade das Gedenken an unterschiedliche Gefallene sinnvoller erscheint. Um 22 Uhr 30 begann in der Kapelle des Beinhauses in Anwesenheit der Fahnenträger eine Totenwache (Station 7). Der Bischof von Verdun begrüßte die Teilnehmer, und anschließend wurden Gebete von katholischen, protestantischen, muslimischen und jüdischen Geistlichen vorgetra-
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gen.46 Nach jedem Gebet entzündeten Jugendliche eine Kerze und trugen anschließend Fürbitten vor.47 Ein Höhepunkt der Gedenkmesse stellt für viele Teilnehmer das von den Friedenssängern (chanteurs de la paix) vorgetragene Lied ‚Aux Morts de Douaumont‘ dar.48 Nach Abschluss der Gedenkmesse versammelten sich alle Teilnehmer im Kreuzgang, an dessen Enden die Gedenkflammen brannten, und passierten – das Lied zu Ehren des Unbekannten Soldaten singend – die Granitgrüfte. 2003 wurden zudem zwei von einem Mitglied von Ceux de Verdun gestiftete Gedenktafeln eingeweiht sowie vom Kommandochef und seiner Frau ein Kranz an der Statue des Weltkriegssoldaten niedergelegt. Zum Abschluss kamen alle Teilnehmer in der Mitte des Kreuzganges zusammen und sangen gemeinsam im Kreis stehend das Lied ‚Es ist lediglich ein Abschied‘ (Ce n’est qu’un au revoir).49 Auffallend ist, dass bei der Ablösungszeremonie in diesen zwei Jahren wesentlich mehr Anweisungen für die Ritualteilnehmer erfolgten als noch 2001. Die zunehmenden Belehrungen werden damit begründet, dass man neuen Teilnehmern den Zeremonieablauf erklären möchte. Zudem sollen die sich unterhaltenden Personen diszipliniert und zur Ruhe ermahnt werden.
2.1.1.5 Die Rituale aus Perspektive der Teilnehmer Eng mit dem Ablauf der Gedenkrituale verbunden sind die Wahrnehmungen der Teilnehmer sowie ihre Motivationen, Emotionen, Zukunftsvisionen und die von ihnen angeführten kritischen Aspekte. 46 Die Teilnahme der muslimischen und jüdischen Glaubensrichtungen an der Gedenkmesse erfolgt erst seit drei Jahren. Im Jahr 2004 gab es Schwierigkeiten bei der muslimischen Beteiligung, da mit dem Beginn der Prozessionen nicht auf die Muslime gewartet wurde. Daraufhin erschien auch keiner der verspätet eingetroffenen Muslime zur Gedenkmesse. 47 Die Beteiligung der Jugendlichen geht auf die Initiative von Ceux de Verdun zurück, welche die Botschaft des Gedenkens an die künftige Generation übergeben und diese dadurch inspirieren möchten. 48 Die von Abt Rouge vertonte Melodie des Totensignals wird lediglich im Beinhaus aufgeführt. Der Text stammt von Monseigneur Petit und gedenkt der Helden von Douaumont: ‚Oh Tote, oh tote Helden von Douaumont, hört unser Rufen in der Nacht. Oh lebendige Tote! Oh Christus, lieber Gott, hier sind ‚Ceux de Verdun‘, weiht ihre Totenwache, ihre Rückkehr. Oh Christus. Starker Gott. Schlaft in Frieden. Unsere großen Toten von Verdun und der Himmel wird das Vaterland beschützen. Oh tote Freunde! Oh Tote, oh Tote aller Fronten, hört unser Rufen in der Nacht. Oh Tote, wir sind es!‘. 49 Der Liedtext wurde von Jacques Sevin geschrieben und ist nicht im militärischen Kontext verankert. Es markiert Übergänge und handelt vom Abschied der Toten sowie dem Versprechen, mit Hilfe Gottes wiederzukehren.
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Die jährlichen Gedenkzeremonien Die primäre Motivation für eine Teilnahme an den Zeremonien ist das Anliegen, der Schlacht und der Gefallenen zu gedenken – manchmal verknüpft mit dem Wunsch, dass so etwas nie wieder passieren darf. Das Ritual verbindet für die Teilnehmer das Gedenken mit Respekt und Freundschaft. Für andere ist es nicht mehr lediglich ein Anliegen, sondern vielmehr eine Pflicht, sich zu erinnern (devoir de mémoire). Manche Teilnehmer können allerdings gar nicht genau formulieren, warum sie partizipieren, sie folgen vielmehr einem Gefühl. Am meisten emotional berührt fühlen sie sich von der nächtlichen Ablösungszeremonie am Beinhaus, da hier durch die hier ruhenden Toten eine besonders starke Verbindung der Gedenkenden zu den Gefallenen und Vorfahren besteht. Das stimmt, die Tatsache, in das Beinhaus zu gehen, in das Dunkle, mit den zwei Lichtern am Ende [des Kreuzganges], die kleine religiöse Zeremonie, die Tatsache, das einzigartige gesungene Totenlied zu hören, das ist eine Besonderheit von Verdun. Das kann man nur hier machen und nicht woanders. […] Die Sache, aus der Kapelle zu treten und die zwei Gänge gemeinsam zu durchqueren, hintereinander, und vor jeder Gruft vorbeizugehen, das ist wirklich bewegend. Und dann auch noch die Sache, dass wir uns alle in der Halle versammeln und das Lied ‚Ce n’est qu’un au revoir‘ singen. Das ist sehr emotional. […] Meiner Meinung nach ist es der einzige Ort, wo man wirklich etwas fühlen kann. Bei vielen Leuten verstärken sich über die Jahre hinweg die tiefen Gefühle während der Beinhaus-Zeremonie, so dass sie sie keinesfalls versäumen möchten: Das was ich um nichts in der Welt vermissen möchte, ist die Zeremonie am Sonntagabend, die man die Ablösung nennt. Diese Zeremonie mit den Fackeln. Darüber geht nichts. Den ganzen Rest kann man weglassen. Die Zeremonie wird folglich im Gegensatz zu den vielen Kranzniederlegungen in Frankreich etwas als Einzigartiges empfunden. Innerhalb der einzelnen sonntäglichen Gedenkriten stellen das Ertönen des Totenhorns sowie die Schweigeminuten wichtige Situationen dar. Doch was in der persönlichen Erinnerung am meisten verhaftet bleibt, sind mit den Veteranen geteilte Momente. Neben all den positiven Zuschreibungen und Erinnerungen wird jedoch auch Kritik an den jährlichen Gedenkritualen geäußert. Sie kommt maßgeblich von Personen, die entweder nicht in die Gemeinschaft der Teilnehmer integriert sind oder sich zu einer Teilnahme verpflichtet fühlen. In ihren Augen läuft diese Art des Gedenkens ins Leere und stellt entweder lediglich ein unbewohntes Schneckenhaus bzw. inhaltsleeres Ritual oder eine Karikatur dar. Dies hängt vor allem auch mit dem Ableben der Veteranen zusammen, welche die Zukunft der Gedenkzeremonien in Verdun ungewiss werden lässt. Zwar sind einige Personen der 140
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Meinung, dass man mit dem Tod der letzten Verdun-Veteranen die Zeremonien beenden sollte, doch existieren zumindest bis zur 100Jahrfeier 2016 Pläne für deren Fortbestand. Die runden Jahrestage Die runden Jahrestage finden in der Öffentlichkeit allein schon durch die Berichterstattung der Medien wesentlich mehr Aufmerksamkeit als die alljährlich stattfindenden Gedenkzeremonien. Entsprechend stellen sie sich für viele Teilnehmer als die wichtigeren und bedeutenderen Gedenkrituale dar: Sie erfolgen auf nationalem Niveau, vereinen mehr Menschen, sind besser vorbereitet, die Militärbeteiligung ist höher, es gibt mehr Empfänge und mehr Sicherheitspersonal ist anwesend. Interessant ist, dass die Schirmherrschaft von Staatspräsident und Premierminister an den runden Jahrestagen in der Wahrnehmung der Teilnehmer schon seit Beginn der Gedenkrituale festzustehen scheint. Die Zeitspanne vor 1956, als vornehmlich Militärs die Präsidentschaft innehatten, wird nicht erinnert.50 Im Gedächtnis verhaftet bleiben hinsichtlich der runden Jahrestage vor allem die Anwesenheit der Veteranen sowie des Staatspräsidenten. So auch 1956, als die Feierlichkeiten unter der Präsidentschaft von Coty sehr viele Veteranen nach Verdun lockten. Sie kamen in Sonderzügen und das Militär übernachtete in Zelten auf dem Schlachtfeld, um den Verdun-Soldaten eine Übernachtungsgelegenheit in den Kasernen bieten zu können. 1966 war gezeichnet von starken Organisationsproblemen. In den Medien wurde schon Monate vor der Zeremonie bekannt gegeben, dass alle Hotels der Region ausgebucht seien und selbst 100 km von Verdun entfernt kein Zimmer mehr frei wäre. Durch diese Berichterstattung ließen sich viele Veteranen abschrecken. Dennoch waren die Straßen von Verdun mit ehemaligen Soldaten überfüllt. Während der Gedenkzeremonie am Ende des Monats Mai war es noch sehr kalt, so dass das Militär die Anweisung bekam, für die Veteranen einen erwärmten Wein zur Verfügung zu stellen. Dies macht deutlich, dass alles versucht wurde, den ehemaligen Soldaten eine Freude zu machen und Ehre zu erweisen. Die 60-Jahrfeier unter Giscard d’Estaing blieb relativ wenig in Erinnerung. Lediglich seine Verweildauer auf dem Schlachtfeld von vier Stunden sowie die abnehmende Veteranenbeteiligung wird erwähnt. Das Jahr 1986 war durch eine relativ einfache und kurze Zeremonie des Präsidenten, die Anwesenheit verhältnismäßig vieler Veteranen aufgrund ihrer Einladung von Mitterrand sowie die Versöhnung 50 Dies hängt natürlich nicht nur mit der Bedeutungszuschreibung zusammen, sondern auch mit dem Lebensalter der Interviewpartner, welche zu dieser Zeit noch Kinder und Jugendliche waren.
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über den Gräbern von deutschen und französischen Veteranen geprägt. In Erinnerung bleiben beispielsweise Szenen, in denen sich die Veteranen in den Armen lagen, da sie entweder in der gleichen Division oder gegeneinander gekämpft hatten. Ein weniger positives Bild hinterließ der Besuch von Chirac 1996, der sich nur sehr kurz auf dem Schlachtfeld aufhielt sowie seinen Fokus von den Veteranen abwandte und auf die junge Generation richtete. Dennoch wird positiv hervorgehoben, dass die Gedenkfeierlichkeiten in einem europäischen Kontext stattgefunden haben. Für viele kontroverse Diskussionen sorgte 2006 ein von Chirac eingeweihtes, neues muslimisches Gedenkmonument und die von ihm in seiner Ansprache thematisierte schnelle und unrühmliche Kooperation Pétains mit den Nationalsozialisten im Juni 1940. Insgesamt bleiben die nationalen Gedenkzeremonien nicht unkritisiert. Für einige alljährliche Teilnehmer stehen sie nicht im Zeichen des Gedenkens, sondern ähneln eher einem Galaabend, zu dem man geht, um zu sehen und gesehen zu werden sowie um sagen zu können, in Verdun gewesen zu sein.
2.1.2 Sportlich-spielerische Gedenkrituale Vor allem in der jüngeren Vergangenheit sind, begründet durch die sinkende Teilnehmerzahl an traditionellen Zeremonien und ein gestiegenes Interesse an Läufen und Wanderungen, immer mehr sportliche Gedenkrituale ins Leben gerufen worden, die im Juni unter dem Motto des Gedenkens an die Schlacht von Verdun zu Fuß oder mit dem Fahrrad die Gedenkorte erkunden. Hierunter fallen einerseits Gedenkmärsche wie der Lauf auf der Sakralen Straße, an dem im Jahr 2004 rund 200 Personen teilnahmen, oder der ‚Große Preis des Schlachtfeldes und von Faubourg-Pavé‘ (Grand-prix des Champs-de-Bataille et du Faubourg-Pavé). Eine noch stärkere Verbindung zum Gedenken als lediglich in Form des Mottos und der Route stellt der Rundweg ‚Die Wege der Schlacht‘ (Les chemins de la bataille) dar. Diese vom ANSBV 2002 initiierte Strecke führt nicht nur an verschiedenen Gedenkorten vorbei, sondern liefert den Teilnehmern durch ein so genanntes Routenheft die wichtigsten historischen Informationen. Die unterschiedlich langen Wegstrecken (von 10 km bis 40 km) werden für Wanderer sowie Radfahrer ausgearbeitet und befinden sich jährlich abwechselnd in unterschiedlichen Regionen des westlichen und östlichen Maasufers. Diese Art des Gedenkens soll im Gegensatz zu den bestehenden klassischen Gedenkritualen mehr spielerisch sein und richtet sich vornehmlich an jüngere Leute. Eine weitere Möglichkeit, alljährlich der Schlacht von Verdun zu gedenken, ist der Besuch der seit 1995 aufgeführten Licht- und Tonschau ‚Aus den Flammen … zum Licht‘ (des flammes … à la lumière) 142
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im ehemaligen Steinbruch von Haudainville, der während des Ersten Weltkrieges als Munitionsdepot genutzt wurde. An sechs Wochenenden im Juni und Juli spielen 300 Schauspieler und 600 ehrenamtliche Deutsche und Franzosen in mehr als einer Stunde die Entwicklung von der Belle Epoque zum Ersten Weltkrieg und insbesondere der Schlacht von Verdun – unter Zuhilfenahme von 900 Kostümen und 1.000 Lichtprojektoren – nach. Im Zentrum der Aufführung, die von einigen Teilnehmern der Gedenkrituale alljährlich besucht werden, steht neben der Erinnerung an die Schlacht von Verdun eine Reflexion über die gegenwärtigen Konflikte in der Welt. Die Botschaft der Licht- und Tonschau ist jene der Hoffnung, die sich gegen die Gleichgültigkeit der Menschen wendet und für ein individuelles Engagement einsetzt (Connaissance de la Meuse 2005: 6).
2.1.3 Gedenktourismus auf den Schlachtfeldern von Verdun Länger noch als die Gedenkrituale der Schlacht von Verdun existieren Reisen auf die Kriegsschauplätze von Verdun. In der jüngeren Literatur von LENNON & FOLEY (2000) auch ‚Dark Tourism‘ oder von SEATON (1999) ‚Thanatourism‘ genannt, gibt es das Phänomen des Schlachtfeldtourismus schon seit den Alten Griechen (CHRISTEN 1994: 7). Wenn auch in der Literatur häufig wenig beachtet, tragen sie signifikant zu den Einnahmen der Tourismusbranche bei (SHARPLEY 2003: 3 zit. in URRY 2004: 209, V. L. SMITH 1996: 248) und stellen eine weitere Form des Kriegsgedenkens vor Ort dar. Verdun bewahrt, so formuliert GABER (1998: 95), das Gedenken an 1914–1918 und der Militärtourismus trägt einen nicht unerheblichen Teil zur lokalen Wirtschaft bei, da die Schlachtfelder zu den am stärksten frequentierten Orten der ganzen Region Lothringen zählen.51
2.1.3.1 Von den Anfängen bis in die Gegenwart Schon seit den ersten Kriegsmonaten fuhren Politiker, Diplomaten und Generäle, aber auch Maler, Schriftsteller, Journalisten und Fotografen an die Westfront und besichtigten die Schlachtfelder (BRANDT 2003: 110). Nach Kriegsende kamen Individualreisende, die entweder mit Hilfe der schon ab 1917 erscheinenden Reiseführer52 die Region aufsuchten oder selbst vor Ort gekämpft hatten und deswegen keines Führers bedurften. Sie kamen auf das Schlachtfeld von Verdun, um hier ihrer Freunde und
51 Dies zeigt sich auch an den jährlich publizierten Statistiken des Regionalen Tourismusausschusses (Comité Régional du Tourisme). 52 Als erstes erschienen Führer des Unternehmens Michelin, welche unmittelbar auch in englischer Sprache publiziert wurden (BRANDT 2003: 111).
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Familienangehörigen oder ihrer eigenen Erfahrungen zu gedenken. Nicht der patriotische, sondern der menschliche Aspekt stand im Vordergrund ihres Besuches. Aber auch schon organisierte Reisegruppen, vor allem des Anbieters Thomas Cook, fuhren an die Westfront (BARCELLINI 1996b: 114, MOSSE 1993: 186). Auch von Basel aus wurden organisierte Schlachtfeldtouren mit dem Auto angeboten, während derer sich der Besucher ein ‚unerhört großartiges Gesamtbild von Grauen und Schrecken‘ machen konnte (LOHMANN 2000: 22). Diese ‚Reklamefahrten‘ wurden 1921 vom österreichischen Publizist und Schriftsteller Karl Kraus aufs Schärfste angeprangert (BRANDT 2003: 107). Kraus warf ihren Organisatoren Geschäftemacherei sowie ihren Teilnehmern eine Schändung des vergossenen Blutes und Voyeurismus vor (KRAUS 1921: 98). Auch ZIESE & ZIESE-BERINGER (1928: 62) finden für sie keine positiven Worte und nennen die in ihren Augen respektlosen Touristen ‚Gefühlshyänen des Schlachtfeldes‘. Diese Beschreibungen trafen allerdings auf nur sehr wenige Reisende zu, denn die meisten von ihnen kamen auf das Schlachtfeld, um die Gräber der Gefallenen zu besuchen. Aus diesem Grund ermöglichte der französische Staat nach Kriegsende jedem Angehörigen eine kostenlose Eisenbahnfahrt pro Jahr nach Verdun (BRANDT 2003: 111). Anders wurde in Deutschland verfahren, wo es keine vergleichbaren Angebote gab (MOSSE 1993: 186). Für diejenigen, die aus finanziellen Gründen nicht in der Lage waren, ihrer Angehörigen vor Ort zu gedenken, bot der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge die Möglichkeit zu einer virtuellen Reise in Form von Grabstein-Fotografien (BRANDT 1994: 21). „Die Touristen ließen eine ‚blühende Schlachtfeldindustrie‘ (Ernst Glaeser) entstehen, die von der erneuten Anlage und künstlichen Erhaltung von Schützengräben und Unterständen (für deren Besuch Eintrittsgelder erhoben wurden) bis zum Verkauf von Stahlhelmen, Granaten oder anderen Souvenirs reichte, die auf den Schlachtfeldern gefunden wurden“ (MOSSE 1993: 188). Angesichts der steigenden Besucherzahlen wurden Exkursionen vor allem auf die Rechte Maasseite organisiert und nach der Anreise mit dem Zug konnten vor Ort Pferdewägen, Autos mit Chauffeur und Fahrräder gemietet werden. Im Zuge der steigenden Motorisierung wurde 1932 sogar sonn- und feiertags die Straße zwischen dem Beinhaus und dem Ort Bras aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens gesperrt (AURIOL o. J.: 3). Nach dem enormen Ansturm in der Zwischenkriegszeit nahm die Zahl der Besucher während des Zweiten Weltkrieges kurzzeitig ab und das örtliche Fremdenverkehrsbüro befürchtete, dass das Ansehen von Verdun geschmälert sei und der Schlachtfeldtourismus abnehme (DOMANGE 1979: 50). Doch diese Sor144
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ge bewahrheitete sich nicht. DOMANGE (1979: 51) gibt unter Berufung auf die Lokalzeitung L’Est Républicain an, dass 1946 immerhin rund 24.000 Besucher pro Jahr in Verdun ankamen. Im Jahr 1954 lag die Zahl noch geringfügig höher. Auch in den Folgejahren reisten viele Veteranen zusammen mit ihren Familien nach Verdun. In den kommenden Jahrzehnten stieg die Besucherzahl kontinuierlich an und noch heute – auch nach dem Ableben vieler Weltkriegs-Veteranen – ist Verdun ein gefragtes Reiseziel. Genaue Zahlen über die Veränderung der Touristenzahlen im ‚Freilichtmuseum‘ des Schlachtfeldes existieren nicht. 53 Lediglich die Anzahl der im Memorial und den Befestigungswerken registrierten Besucher liefert einen Anhaltspunkt über die Veränderung der Touristenzahlen54 (siehe Abbildung 14). Es zeigt sich, dass im Vergleich zu den 1970er Jahren die Zahlen in den 1990ern relativ gleich geblieben sind. Zu Beginn des neuen Jahrtausends pendelten sich die Besucherzahlen knapp über 400.000 ein. Markante Anstiege sind jeweils in den Jahren und im Anschluss an die Zehnjahresfeiern zu verzeichnen, die Fünfjahresfeiern verändern das Besucheraufkommen kaum. Die meisten Touristen besuchten Anfang der 1990er Jahre ca. zwei bis vier Gedenkorte. An erster Stelle stand das Beinhaus (85 %), darauf folgten das Memorial (80 %) sowie die Befestigungswerke (wie Fort de Vaux, Douaumont etc.) (65 %). Mit 51 % landete die Unterirdische Zitadelle auf Rang vier der am häufigsten frequentierten Stätten (RENIMEL & QUEMIN 1992b: 16). Die Linke Maasseite wurde nur sehr vereinzelt besucht. Auch heute noch besitzt diese Beschreibung Aktualität und ruft teilweise heftige Kritik hervor.55 So beklagt sich ein langjähriger Ver-
53 Im regionalen Entwicklungsschema für den Tourismus in Lothringen wird eine Zahl von 700.000 Besuchern im Jahr 2001 genannt (Conseil Régional de Lorraine o. J.: 6). 54 Es muss betont werden, dass die Zahlen lediglich als Richtwert für eine Veränderung zu verstehen sind, da beispielsweise Mehrfacheintritte gezählt werden und das Beinhaus nicht in der Erfassung enthalten ist. 55 Im August 2003 fuhren lediglich 11 % auf die Linke Maasseite. Die Konzentration der Besucher auf das Rechte Maasufer wird nicht nur als touristisches Problem erkannt – hieraus resultieren auch Schwierigkeiten bei der Erklärung des Stellungskrieges von Verdun. Wenn die Touristen ankommen, besichtigen sie das Memorial. Sie besichtigen das Memorial, verstehen nicht ganz was in Verdun passiert ist, noch weniger im Departement. Es gibt überhaupt keine Informationen über Saint-Mihiel und Argonnen. Dann fahren sie zum Beinhaus […]. Das Ziel vom Beinhaus besteht nicht darin, dass die Leute verstehen was passiert ist. Das Beinhaus ist ein hervorragendes Gebäude, aber es [erklärt nichts]. Dann fahren sie zum Fort
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Abbildung 14: Touristenzahlen des Memorials und der Befestigungswerke (Zitadelle, Vaux und Douaumont) von 1971–1977 und 1990–2003 600.000
Anzahl der Touristen
500.000
400.000
300.000
200.000
100.000
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
1991
1990
1977
1976
1975
1974
1973
1972
1971
0
Datenquellen: DOMAGNE (1979), Tourismusbüro von Verdun dun-Besucher und Hobby-Historiker darüber, dass die meisten Touristen nur das Merchandising-Produkt, also die vermarkteten Orte des Schlachtfeldes, sehen würden. Jene Orte also, die von den Händlern des Tempels angepriesen werden. Die touristische Saison in Verdun dauert fast das ganze Jahr und hängt wenig von Ferienzeiten sowie schönen Witterungsverhältnissen ab. Dennoch stechen im Jahresverlauf zwei Zeitphasen durch vermehrte Besucherzahlen ins Auge: von Februar bis Mai/Juni und um den 11. November. Doch auch an den verlängerten Wochenenden um Pfingsten und Maria Himmelfahrt sowie im September/Oktober kommen viele Touristen auf den ehemaligen Kriegsschauplatz.
2.1.3.2 Der Schlachtfeldbesuch aus Perspektive der Touristen Im Laufe der Jahre, so die in Verdun häufig formulierte These, haben sich die Motivationen der Schlachtfeld-Besucher grundlegend verändert. Während die Angehörigen und Kameraden der Gefallenen auf das Schlachtfeld kamen, um andächtig der Toten zu gedenken, kommen die heutigen Touristen, um etwas über die Geschichte zu lernen oder sich de Douaumont. […] wir haben jetzt keine Erklärung und die Leute haben nicht ganz genau verstanden was in Verdun passiert ist, wissen nicht was der Erste Weltkrieg in unserem Departement bedeutet und fahren weg. Sie haben zwei bis drei Stunden, vielleicht vier Stunden in unserem Departement verbracht und dann fahren sie weg, ohne verstanden zu haben. Sie fahren weg und sie haben nicht das Ziel oder die Lust wiederzukommen. Sie wissen auch nicht, dass wir so viele Sachen haben.
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kulturell zu bilden. Die RENIMEL-Studie fand heraus, dass die primäre Motivation für 34 % der Touristen in der Besichtigung der Gedenkorte liegt, 29 % kommen, um dem Weltkrieg und der Schlacht zu gedenken. Die Rangfolge ändert sich allerdings in den Sommermonaten, wenn viele Touristen auf der Durchreise in Verdun anhalten (RENIMEL & QUEMIN 1992b: 18). Im August 2003 gaben rund 61 % auf die offene Frage nach dem Grund ihres Besuches an, das Schlachtfeld aus allgemeinem, geschichtlichem, kulturellem, militärischem oder beruflichem Interesse zu besuchen. Es gibt Touristen […] die interessieren sich dafür. Oder haben ein Buch gelesen, [einen] Film [gesehen] oder haben davon gehört und das interessiert sie dann: ‚Ja in Verdun, das muss ja eine unheimliche Schlacht gewesen sein‘. Jeder weiß davon. Und dann sind sie halt daran interessiert, zu sehen, wie das vor sich ging. Und deswegen kommen die Leute hierher. 14 % deklarierten es als Zwischenstopp auf ihrer Reise zu einem anderen (Urlaubs-)ziel und 11 % kamen, weil entweder Vorfahren in Frankreich bzw. Verdun gekämpft hatten oder sie explizit der Geschichte und der Toten gedenken möchten:56 Wir kommen jedes Jahr, weil wir von der Zeit 14/18 begeistert sind und das hier Teil der Frontlinie ist. Wir haben schon den ganzen Frontverlauf von 14/18 angesehen. Diesmal sind wir bis nach Reims gefahren. Und wir fahren an den Vogesen vorbei. […] Verdun ist Teil der Gedenkorte und wir kommen jedes Jahr, um nicht zu vergessen. Auf dem Schlachtfeld selbst sind die Besucher mit vielfältigen Gefühlen konfrontiert. Am deutlichsten spüren sie die Präsenz der Geschichte. Sie fühlen sich im Angesicht von Krieg und Tod traurig, bedrückt, beeindruckt, nachdenklich, betroffen, entsetzt, erstaunt, bestürzt und wütend. Diese Reaktionen entstehen auch, wenn sich die Reisenden auf den Besuch vorbereitet haben und viel über den Krieg wissen, denn das hier ist halt Wirklichkeit, Realität. Aber auch Freude macht sich breit, dass diese Zeiten des Krieges vorbei sind und nun die Völker Europas in Frieden leben. Aus diesem Grund fühlen sie sich auf dem Schlachtfeld beruhigt und hoffnungsvoll. Jedoch gaben auch einige Befragte an, nichts zu spüren (2,5 %). Besonders beeindruckt und bewegt zeigten sich die Touristen vom Beinhaus (knapp 40 %) und von den Be56 Weitere Motivationen für den Besuch bestehen beispielsweise darin, das Schlachtfeld der Familie oder Freunden zeigen zu wollen (5 %) oder der Besuch von Freunden, Familie oder Bekannten in der Region (2 %). In den qualitativen Interviews der Studie RENIMEL kristallisieren sich ebenfalls verschiedene Motivationen heraus: berufliche Gründe, die geographische Nähe zum Urlaubs- oder Wohnort, das individuelle Gedenken an gefallene Familienmitglieder, Verdun als Teil des kollektiven Gedächtnisses, die Sensibilisierung der Besucher und kulturelle Gründe (RENIMEL & QUEMIN 1992b: 32ff).
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festigungsanlagen auf dem Schlachtfeld (22 %) – also von jenen Orten, wo der Tod sowie das Leben der Soldaten besonders präsent sind. Auf den folgenden Plätzen folgen das Memorial (8 %), die vom Krieg gezeichnete Landschaft (6,3 %) sowie die Soldatenfriedhöfe (3,6 %). Während des Aufenthaltes auf dem Schlachtfeld und an seinen Gedenkorten beschäftigen sich 73 % der Besucher mit dem Wert des Lebens und 58 % sehen sich durch die Präsenz des Todes, das Wissen über die Grausamkeit des Krieges und seine Unerklärbarkeit, den Wert und die Vergänglichkeit des Lebens sowie die auf dem Schlachtfeld verdeutlichte Endlichkeit des Seins mit dem Jenseits konfrontiert.57 Diese beiden Angaben deuten darauf hin, dass der Kriegsschauplatz von Verdun für sie keine reine Tourismusdestination ist, sondern in seiner Bedeutung weit darüber hinausgeht. Für viele ist er […] zwar nicht sakral, aber es ist definitiv ein Ort, den du anders behandelst als irgendeinen kulturellen Bereich. Weil er von dieser historischen Bedeutung ist. Häufig entspricht das Verhalten der Touristen dieser Einschätzung. Wenn man beispielsweise eine Gruppe junger Schüler betrachtet – egal ob sie Deutsche, Franzosen, Engländer etc. sind – sie sind ein wenig undiszipliniert. […] sie lachen, sie singen etc. […] Aber wenn man sie – unabhängig von ihrer Nation – hinter [das Beinhaus] führt, wenn sie die kleinen Fenster sehen, dann ist absolute Stille. Und das lässt tief blicken. Vorher ist es eine Exkursion […]. Und nun sind die Kerle stark bewegt. Das bewegt sie mehr, als die Kanonen zu sehen. Und das gleiche trifft auch auf junge Soldatengruppen zu. Sie kommen an, machen Späße, spielen Karten, haben heimlich etwas getrunken etc. Sie kommen an, sie steigen aus, sie lachen und es sind Jungs, die cool erscheinen wollen. […] Zehn Minuten später: [Stille]. Das funktioniert hundertprozentig […]. Dennoch gibt es auch immer wieder Personen, die sich – vor allem in der Nähe des Beinhauses – nicht angemessen verhalten. So wurde schon beobachtet, dass Kinder auf die Grabsteine des Friedhofes kletterten und die Eltern nichts dagegen unternahmen, da sie eine lange Autofahrt hinter sich hatten und die Kinder sich austoben sollten. Und auch das Verhalten im Inneren des Beinhauses hat Verärgerung erregt. Deswegen haben wir das Fotografieren im Inneren verboten. Warum? Weil wir Leute gefunden haben, die sich auf den Boden vor die Grüfte knien wollten, um Erinnerungsfotos zu schießen.
57 Diejenigen Besucher, die sich nicht konfrontiert sehen, geben häufig als Grund an, dass sie nicht an das Jenseits oder an ein Leben nach dem Tod glauben bzw. nicht durch den Kriegstod eines Vorfahren persönlich betroffen seien.
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Die Erwartungen der Besucher an das Schlachtfeld von Verdun werden teilweise davon bestimmt, was sie in den Medien – egal ob in Film, Literatur oder auf Fotos – vermittelt bekommen. Was sie erwarten, ist übrigens ihre große Enttäuschung, wenn sie ankommen. […] Sie erwarten, dass es nur den Boden gibt. Sie haben eine Vorstellung, die auf den Luftbildaufnahmen der Zeit beruht. In Aussicht auf die ‚Hölle von Verdun‘ beklagen folglich einige Besucher, dass das Schlachtfeld inzwischen von Vegetation bedeckt sei. Ich meine wenn du all das Grün und die Bäume siehst – es sieht einfach nicht aus als wären hier Tausende gestorben. So sieht es einfach nicht aus. Das ist so schön eingewachsen, da ist so schöner Wald. Wenn nicht überall diese Monumente rumstehen würden, bräuchte man inzwischen auch viel Fantasie, um sich das auch vorzustellen. […] man muss wirklich viele Bücher gelesen haben, man braucht Vorstellungskraft, um da noch etwas zu sehen. Hieraus leiten viele eine fehlende ‚Authentizität‘ bzw. ‚Realität‘ des Ortes ab. Dies leuchtet auch im Zusammenhang mit den Aussagen eines Schlachtfeldakteurs ein: Die Leute besichtigen [oftmals ahnungslos und ohne Vorbildung] die Unterirdische Zitadelle, das Fort de Vaux und das Fort de Douaumont. Man macht eine Fahrt zum Beinhaus, wo man ihnen nichts erklärt. Und sie haben von der ‚Hölle von Verdun‘ gelesen, von den Leuten, die in Löchern gelebt haben, es gab die Bomben, all die Bombardierungen, nur Verwundete, die man nicht evakuieren konnte. Da sagen [die Touristen]: ‚das ist ein Scherz, das sind Spaßvögel‘. Die meisten Besucher allerdings, nämlich rund 23 %, sind mit dem Angebot so zufrieden, wie es ist. Rund 25 % wünschen sich eine Erweiterung und Verbesserung der auf dem Schlachtfeld gebotenen Wissensquellen und Informationen – sei es in Form einer verbesserten Präsentationstechnik, mehrsprachigen Informationstafeln und Führungen (die nicht in der Stadt, sondern auf dem Schlachtfeld zu buchen sind), einem Leseraum oder kompetenten Gesprächspartnern. In diesem Zusammenhang wünschen sich auch rund 4 % der Befragten eine verbesserte Zugänglichkeit von weiteren Befestigungsanlagen sowie deren Instandhaltung. Auch die mangelhafte Beschilderung und der nicht vorhandene intraregionale Informationsfluss über das Schlachtfeld von Verdun werden kritisiert: Wir waren wirklich überrascht, dass Touristeninformationen an anderen Orten nichts von Verdun gesagt hatten. In den Hotels auch nichts. Wir haben schon angefangen zu glauben, dass dies hier ein anderes Verdun sei. Im Kontext der ‚living history‘ wünschen sich einige Besucher (2,5 %) sogar Nachstellungen von Kriegssituationen und Kampfgeschehnissen mittels Schauspielern, Gerüchen sowie einer Licht- und Tonschau. Diese Forderung steht im völligen Kontrast zu der Meinung derjenigen Besucher, die sich insgesamt gegen eine Attraktivitätssteige149
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rung des Kriegsschauplatzes wenden (6 %). Nein, ich glaube, das ist attraktiv genug. Wen das interessiert, der kommt hierher. Wen es nicht interessiert, der braucht auch nicht hierher zu kommen. […] Und ich denke, das sollte so bleiben. Ein Schlachtfeld müsse sich nicht attraktiv präsentieren; vielmehr – so wird gefordert – solle es unangetastet bleiben und eine Begrenzung der Besucherzahlen sowie der Souvenirgeschäfte eingeführt werden. Abgeleitet aus dem Verhalten und den Verbesserungsvorschlägen, kann eine Differenzierung des Tourismus vorgenommen werden, der zwei extreme Pole aufweist: Zum einen existiert ein […] einfacher Tourismus. Wie man den Eifelturm sieht, sieht man auch die Schlachtfelder […]. Das ist fast eine Attraktion, eine touristische Sehenswürdigkeit. Zum anderen gibt es Touristen, die maßgeblich wegen des Gedenkens nach Verdun kommen und bereit sind, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Deswegen habe ich auch das Wort Tourismus nicht so gerne. […] Das ist meistens eine Wallfahrt oder Interesse an der Geschichte.
2.1.3.3 Die Schlacht von Verdun geht weiter Der Tourismus ist für das Departement Maas ein sehr bedeutender Wirtschaftsfaktor und wird als wirtschaftliche, kulturelle und medienwirksame Lokomotive der peripher liegenden Region bezeichnet. Obwohl im Endeffekt alle vom Tourismus profitieren, gibt es – wie schon in den Kapiteln IV/1.1.1 und IV/1.1.3 dargestellt – zahlreiche Akteure auf den Schlachtfeldern und im Tourismussektor, die nicht problemlos und strategisch sinnvoll miteinander kooperieren (siehe auch MINGASSON 1999: 19). Ein Stein im Getriebe des Gedenktourismus ist der derzeitige Bürgermeister von Verdun und Abgeordnete des Departements, der seine Stadt nicht mehr dem Krieg, Frieden oder Gedenken verschreiben will, sondern vielmehr eine Image-Änderung zur ‚Stadt des Lebens‘ (ville de vie) anstrebt. Mit dieser Position stößt er in einem Gebiet, das so stark durch den Krieg gezeichnet wurde, auf starken Widerwillen und Widerstand. Dies geht so weit, dass der Abgeordnete und Bürgermeister von anderen wichtigen Akteuren auf dem Schlachtfeld verabscheut und gehasst sowie als Diktator bezeichnet wird. Auch wenn diese Kritik nicht immer so vehement geäußert wird, stößt sein Verhalten sehr häufig auf Unverständnis: Unsere gewählten Vertreter haben nichts verstanden. […] Weder die finanzielle oder emotionale Seite, noch die Seite des Gedenkens. Beispielsweise ist wohl auf ihn zurückzuführen, dass das Departement für die Touristen keine ausreichende (und für die Kommune kostenlose) Ausschilderung des Schlachtfeldes in der Stadt aufstellen 150
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kann und dass zu Beginn seiner Legislatur die Arbeit eines deutschen Autors über Verdun verhindert wurde. Doch nicht allein auf seinen Schultern ruht die fehlende Kooperation und mangelnde Professionalität. Neben vielen weiteren, vor allem auf dem Ostufer der Maas angesiedelten Akteuren hat auch das lokale Fremdenverkehrsbüro lange Jahre zu den Konflikten beigetragen, da es einerseits – so der häufig formulierte Vorwurf – nur die von ihm betriebenen Befestigungswerke vermarktet hat. Andererseits wird das Touristenbüro verdächtigt, die ihm vom Staat auferlegten Konventionen hinsichtlich der Forts nicht eingehalten zu haben (MINGASSON 1999: 29f).58 Seit ab 2001 erneut der politische Wille besteht, die Zusammenarbeit aller Akteure zu verbessern, kämpft der Arbeitsbereich ‚Gedenkpolitik‘ seit 2003 gegen die Skepsis und Blockaden vieler Akteure an: Das hier ist ein Kampf mit den Partnern. […] Es gab mehrere Versuche, aber jedes Mal war es ein Misserfolg. Es ist jedes Mal gescheitert wegen den Blockaden von Partnern. […] Jetzt ist der politische Wille da, und […] ich denke, es ist jetzt der letzte Versuch. Wenn wir es nicht schaffen, oder wenn das politische Leben auf einmal verschwindet, dann ist es vorbei. Hierin besteht aber nicht die einzige Schwierigkeit für die Umsetzung der Netzwerkbildung. Auch die fehlende politische Kontinuität und der maximale Planungshorizont bis 2007 erschweren das Vorgehen. Entgegen der Annahme, dass sich durch die Historisierung des Gedenkens die Wogen der Erinnerung glätten und beruhigen werden, ist das Gedenken somit bis heute ein großes politisches sowie ideologisches Streit- und Kampfobjekt. Nicht zuletzt durch diese permanenten Auseinandersetzungen bleibt die Metapher aktuell, dass auf dem Boden des Gedenkens die Schlacht von Verdun bis heute andauert. Mehr noch: In Verdun steht man im Auge der Zyklone im Streit um das Gedenken.
2.1.4 Räume des Gedenkens Die Menschen schreiben im Gedenken an die Schlacht von Verdun dem ehemaligen Kriegsschauplatz eine besondere Bedeutung zu – unabhängig ob in Form des rituellen Gedenkens oder des Gedenktourismus oder durch die Gestaltung der Gedenkorte. Ohne diese Zuschreibung würde das Schlachtfeld von Verdun von seinen Besuchern nicht als herausragender Ort (haut lieu) wahrgenommen werden. Zugleich unterstützt die den Kriegsschauplätzen und seinen Artefakten über Jahrzehnte zuge-
58 Diese sehen vor, dass 20 % der Einnahmen zu 70 % in die Sanierung und Instandhaltung der Werke und zu 30 % in die Schlachtfelder fließen müssen.
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sprochene gesellschaftliche Bedeutung eine Aufrechterhaltung des Gedenkens, da durch die Verortung der Bedeutungszuschreibungen relativ dauerhafte Anhaltspunkte und Markierungen erzeugt wurden.59 Trotz dieser Fixpunkte unterliegt das Gedenken nicht nur hinsichtlich seiner Ausrichtung (national-patriotisch, trauernd, versöhnend, historisch-pädagogisch) mehreren Transformationsphasen. Auch in den häufig als starr bewerteten Gedenkritualen gab es seit ihrem Bestehen vor allem hinsichtlich der involvierten Orte (und somit der präsenten Symbole) sowie ihrer Funktion zahlreiche Veränderungen. Allgemein kann festgehalten werden, dass die patriotisch-national besetzten Orte nur noch sporadisch aufgesucht werden und sich das rituelle Gedenken heute vor allem am Beinhaus und Kriegerdenkmal abspielt, also an Gedenkorten, an denen an die Soldaten von Verdun erinnert wird. Auch hinsichtlich ihrer Funktion haben sich die Rituale durch das Ableben der Veteranen und ihrer direkten Hinterbliebenen verändert. Während sie den Veteranen bei der Therapie ihrer Traumata hilfreich waren und den Angehörigen bei der Trauerarbeit dienten, fungieren sie heute als Hilfe für eine Orientierung im Leben der Menschen. Die alljährlichen Wiederholungen der trotz ihrer Veränderungen als gleichmäßig und stabil erfahrenen Gedenkrituale machen aus Verdun einen rituell besetzten Raum. Dies trifft allerdings nicht auf das gesamte Schlachtfeld zu, sondern nur auf die Orte – allen voran das Beinhaus –, an denen die Rituale stattfinden. Denn im Gegensatz zum Schlachtfeld selbst, auf das viele Ritualteilnehmer lieber alleine kommen, da sie dann besser gedenken und nachdenken können, erhöht im Beinhaus die gemeinschaftliche Erfahrung des Rituals die gefühlte Gegenwart der Toten. Außerhalb der Rituale spürt man nicht die gleiche Präsenz der toten Soldaten. Man weiß, dass sie da sind, aber es ist nicht das Gleiche. Es ist weniger emotional. Während des Rituals im Beinhaus haben selbst Männer, die sonst nicht zu Gefühlsäußerungen neigen, durch die verstärkt wahrgenommene Gegenwart der Toten und die emotional sensibilisierend wirkende Integration in die Gemeinschaft der Ritualteilnehmer schon wie kleine Jungen geweint. Zudem ermöglicht das positive Gefühl der rituellen Vergemeinschaftung, dass der als bedrückend wahrgenommene Ort auf das Individuum weniger quälend wirkt. Vor allem die An-
59 Da der Erste Weltkrieg nicht in Deutschland stattgefunden hat und die Gräber der Soldaten im Ausland liegen, so ein Interviewpartner, ist der Erste Weltkrieg im Gedächtnis der Deutschen nicht mehr so stark verankert. Dass es sich hierbei nicht um den einzigen Grund handelt, ist offensichtlich. Auch der besondere Stellenwert des Zweiten Weltkrieges hat das Kriegsgedenken an 1914–18 in den Hintergrund gedrängt.
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wesenheit ehemaliger Verdun-Soldaten in ihrer Funktion als Identifikationsfigur verstärkt die Integration, das Gemeinschaftsgefühl und die Akzeptanz der vermittelten Werte. Außerhalb des Kontextes der rituellen Erfahrung müssen die Besucher über Wissen von den Ereignissen und dem massenhaften Tod auf dem Schlachtfeld verfügen, um es emotional erfahren zu können. Ich habe immer die gleichen Gefühle. Mir geht es beispielsweise immer auf dem Schlachtfeld gut. Ich sehe die Veteranen vor mir, ich erlebe es erneut. Weil ich die Schlacht von Verdun in- und auswendig kenne, kann ich sagen ‚hier hat dieses Bataillon gekämpft, hier ist das passiert‘. Ich lasse die Schlacht an mir vorbeiziehen. Sofern dies der Fall ist, benötigen die Besucher häufig nicht mehr die geführte rituelle Gemeinschaft, um die herausragende Bedeutung des Ortes zu spüren, ihm eine besondere Kraft zuzusprechen und ihn dekodieren zu können.
2.2 Politisierung des Gedenkens und der Schlachtfelder von Verdun Wie am Beispiel der Akteure auf dem Schlachtfeld und im Tourismussektor gezeigt werden konnte, ist das Gedenken maßgeblich auch eine politische Angelegenheit. Viel offensichtlicher als im Machtkampf zwischen den Akteuren auf dem Schlachtfeld und im Tourismussektor präsentiert sich die Politik mit dem Gedenken sowohl in den jährlich wiederkehrenden als auch insbesondere in den Gedenkritualen anlässlich der runden Jahrestage, die sich verschiedener politischer Symbole und Mythen bedienen.
2.2.1 Politische Rituale Auch wenn von einigen Beteiligten aufs Heftigste der politische Charakter der Gedenkzeremonien bestritten wird, ist die Politik allein schon durch Anwesenheit der gewählten Volksvertreter bei den Ritualen greifbar. Sowohl auf nationaler Ebene als auch auf regionaler und lokaler Ebene kann es sich ein Politiker kaum erlauben, nicht an den Gedenkzeremonien der Schlacht von Verdun zu partizipieren oder gar an deren Abschaffung zu denken: Jeder Politiker […] muss darauf achten, dass er niemandem weh tut, dass er an allen Ritualen teilnimmt. Deswegen wäre es für einen Präsidenten sehr gewagt zu sagen, dass man [die Zeremonien] einstellen wird. Die Anwesenheit der Politiker wird nur zu einem geringen Anteil auf seinen Willen zum Gedenken zurückgeführt: Vielleicht ist es auch eine innere Verpflichtung, aber [einem] Politiker unterstelle ich mal, dass er in erster Linie aus politischem Kalkül sagt: ‚Ich muss dort [hin], […] ich möchte wiedergewählt werden‘. In einer 153
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Region, die davon lebt, wo sonst nichts ist. Wenn sich einer in Verdun hinstellen würde, ein Bürgermeister von Verdun […] und sagt: ‚Leute hört mal auf, können wir nicht auf andere Ziele losgehen?‘. Der wäre bei der nächsten Wahl sicherlich nicht mehr dabei bzw. er hätte erhebliche Verluste, weil sie ihm das übel nehmen würden. Hinzu kommt, dass das Gedenken in Frankreich in enger Verbindung zur Lokalpolitik steht, da viele Mitglieder in patriotischen Vereinen ebenso einen politischen Posten besetzen. Doch nicht nur allein die Anwesenheit der Politiker induziert den politischen Charakter der Rituale. Auch deren Handlungen während der Gedenkzeremonie der Schlacht von Verdun markieren politisches Terrain. Hierunter fallen jährlich wiederholte nonverbale und verbale politische Riten. Zu nonverbalen Riten zählen Einträge des Politikers ins Goldene Buch der Stadt, Kranzniederlegungen an verschiedenen Gedenkorten, Überreichen von militärischen Auszeichnungen und Militärparaden. Neben diesen politischen Gedenkgesten prägen verbale Riten, nämlich die Ansprachen der Politiker, besonders stark das politische Ritual.
2.2.1.1 Nonverbale Riten Nonverbale Riten dienen in der Regel zur Ehrerweisung an die Stadt, die gefallenen oder überlebenden bzw. vermissten oder identifizierten Soldaten oder an das Militär. Der Eintrag ins Goldene Buch der Stadt, der nicht nur Politikern, sondern auch den die Zeremonien präsidierenden Generälen zusteht, findet in relativ knapper Form im Ehrensaal des Rathauses statt. Seine Bedeutung ist im Vergleich zu den anderen Handlungen als relativ gering einzuschätzen. Die direkte Öffentlichkeitswirksamkeit ist allein schon durch die begrenzte Kapazität des Rathaus-Saales eingeschränkt und lediglich die lokalen Printmedien berichten ausführlicher von diesem Ereignis. Zudem beruht der politische Charakter des Ritus maßgeblich auf der Anwesenheit des Politikers im Zentrum der lokalen Machtausübung, im Rathaus. Politische Inhalte werden in dieser Form der Ehrerweisung eines Politikers an die Stadt, die sich mit einer immer länger werdenden Namensliste schmücken kann, nicht vermittelt. Die Kranzniederlegungen der Politiker finden vor allem an zwei Orten statt: am Kriegerdenkmal und am Beinhaus. Lediglich in der Zwischenkriegszeit wurden Blumengestecke am Nationalfriedhof von Faubourg-Pavé und nach dem Zweiten Weltkrieg vereinzelt Blumen an Monumenten wichtiger nationaler und lokaler Persönlichkeiten (z. B. Maginot, Schleiter) niedergelegt. Im Gegensatz zu den Einträgen ins Goldene Buch der Stadt handelt es sich hier um eine Ehrerweisung des 154
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Regierungsvertreters an die im Monument verewigte(n) Person(en). Konkret heißt dies beim Kriegerdenkmal die ehrenvolle Anerkennung der ‚heldenmütigen‘ Soldaten von Verdun, die Rücken an Rücken die Devise ‚On ne passe pas‘ umgesetzt haben, auf dem Friedhof von Faubourg-Pavé stellvertretend für alle Vermissten die Ehrung der sieben Unbekannten Soldaten und später beim Beinhaus aller im Krieg getöteten und nicht mehr zu identifizierenden Soldaten, die in den Grüften oder immer noch auf dem Schlachtfeld ruhen. Die dritte Form der Ehrung stellt die Verleihung von militärischen Auszeichnungen durch den Politiker entweder an ehemalige VerdunSoldaten oder an in Verdun stationierte Militärs dar. Hierin wird die staatliche und politische Anerkennung der überlebenden Helden sowie der heutigen Armee und ihrer Taten offenkundig. Zudem treten die französischen Streitkräfte durch ihre Auszeichnung in Verdun symbolisch in die Fußstapfen der Helden von Verdun. Die einzige Art der Ehrerbietung und Achtung, die sich auf anwesende Politiker selbst und hiermit auf den durch sie repräsentierten französischen Staat bezieht, sind Militärrituale in Form von Paraden. Ein Regierungsvertreter nimmt die Parade ab, die sich aus verschiedenen Bestandteilen wie beispielsweise der Hab-Acht-Stellung und dem feierlichen Aufmarsch in Waffen zusammensetzt. Nachdem das Siegesmonument 1929 eingeweiht war, ist dies gerade durch seine patriotische Symbolik der hierfür prädestinierte Ort. Im Laufe der Jahre haben die Militärrituale in Verdun an Bedeutung verloren und werden heute nur noch anlässlich der runden Jahrestage in größerem Umfang abgehalten.
2.2.1.2 Verbale Riten Der für die Konstruktion des politischen Raumes wohl wichtigste Ritus besteht in den politischen Ansprachen zum Gedenken an die Schlacht.60 Sie wurden im Laufe der Geschichte an fünf Orten gehalten: erstens im Rathaus, wo die Ansprachen eher dem Empfang der Ehrengäste dienen und der Gast selbst nur relativ kurz zu Wort kommt, zweitens in der Zwischenkriegszeit am Ort des mittäglichen Banketts (BuvignierSchule, Festsaal, Markthalle), drittens ab den 1930ern am Siegesmonument, viertens in heutiger Zeit am Kriegerdenkmal und fünftens während der runden Jahrestage am Beinhaus. Auffallend ist eine klare Hierarchie der Orte, an deren oberstem Ende das Beinhaus steht. Hier darf 60 Wenn nicht anders gekennzeichnet, stammen die älteren Redetexte bis 1976 aus dem Stadtarchiv von Verdun, die neueren Texte der Staatspräsidenten und der Premierminister sind bei der ‚Documentation Française‘ in Paris oder teilweise online unter www.ladocumentationfrancaise.fr einzusehen.
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lediglich der Staatspräsident Ansprachen halten, selbst der Premierminister weicht auf das Siegesmonument oder das Kriegerdenkmal aus. Wichtig neben der Örtlichkeit sind natürlich die in der Rede des Politikers oder Militärs vermittelten Inhalte, die sich im Laufe der Jahre beträchtlich verändert haben. Im Allgemeinen setzen sich die Reden aus einem historischen Teil, der über die Jahre hinweg relativ konstant bleibt, und einem sich wandelnden politischen Abschnitt zusammen. Im historischen Teil wird an die Geschehnisse im Krieg und in der Schlacht sowie an das Leid und den Heldenmut der Soldaten erinnert und den gefallenen und überlebenden Soldaten Ehre zugesprochen. Im zweiten Teil richtet sich der Redner an das Land, indem er verschiedene aktuelle Thematiken anspricht (auch CANINI 1986a: 101f) (siehe Abbildung 15). Dieser zweite Abschnitt wird im Folgenden näher beleuchtet. In den ersten Zwischenkriegsjahren thematisierten die Sprecher vor allem den Wiederaufbau der Stadt, der finanziell durch einzelne Staaten wie Luxemburg und Großbritannien unterstützt wurde, und die von Deutschland zu leistenden Reparationszahlungen. Vor dem Hintergrund der Kriegszerstörungen und dem noch nicht abgeschlossenen Wiederaufbau erinnerte beispielsweise der ehemalige Staatspräsident Poincaré 1926 die Bevölkerung daran, dass nur durch Arbeit die wirtschaftliche Situation des Landes verbessert werden könne. Als der Wiederaufbau 1929 weitgehend abgeschlossen war und Verdun als ‚aus den Ruinen auferstanden‘ galt, wurden zunehmend die von Deutschland geforderten Abbildung 15: Innen- und außenpolitische Themen der verbalen Riten im Gedenken an die Schlacht von Verdun Abrüstung Konstruktion Europas
F/B Bündnispolitik
Innenpolitik
Versailler Vertrag
Vormachtstellung UdSSR Position Frankreichs in internationaler Politik
Pétain Einheit
Einheit
Nationale Ehre/Vichy Staatsreform Wiederaufbau 1920
156
Algerienkrieg
Z w e i t e r
Außenpolitik
W e l t k r i e g
F/D Freundschaft
26
36
Wiederaufbau 46
56
66
76
86
96
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Reparationszahlungen als Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden thematisiert. So betonte Poincaré 1929 während des Banketts, dass sich die Bevölkerung – sofern die Versailler Verträge respektiert würden und die Reparationszahlungen in dem von der französischen Regierung geforderten Umfang geleistet würden – zufrieden zeigen und für den Frieden arbeiten würde (o. V. 1929: 2). Der Staatspräsident Doumergue unterstrich im gleichen Jahr, dass es zwischen Frankreich und Deutschland nur Frieden geben könne, wenn die Versailler Verträge absolut eingehalten und der Katalog mit Vorsichtsmaßnahmen respektiert würde (o. V. 1929: 2). Zwei Jahre später, als Deutschland die Reparationszahlungen nicht mehr im geforderten Umfang leistete und dies von alliierter Seite ungesühnt blieb, war Frankreich von den Alliierten enttäuscht und betrachtete Belgien als einzigen treuen Bündnispartner: Der Geist der Solidarität, der unsere Alliierten von gestern antrieben, ist nur noch ein Mythos. Der Egoismus hat all seine Rechte zurückerobert. Nur das noble und tapfere Belgien, während des Krieges von einem skrupellosen Angreifer mit den Füßen getreten, erpresst und gedemütigt, blieb uns treu im Geiste des Sieges und ein ernsthafter Freund unseres Landes (o. V. 1931: 3). Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vermischten sich die Erfahrungen beider Kriege und in den Ansprachen zeigte sich deutlich das Bewusstsein, dass der Frieden oftmals als sehr fragil und trügerisch wahrgenommen wurde. Aus diesem Grund sah sich General de Lattre de Tassigny61 1946 gezwungen, über den Sieg zu wachen, den Frankreich nun zum zweiten Mal errungen hatte und seinen Blick auf die Zukunft zu richten: Gedenktage wie diese haben nur einen Sinn, wenn wir neben der Erinnerung an die Vergangenheit hinaus auch klar die Rufe der Zukunft hören können. In den folgenden Jahren wurden auf innenpolitischem Niveau die Kriegsverluste, wirtschaftliche und soziale Unruhen, die Staatsreform sowie der Wiederaufbau thematisiert. Im Hinblick auf die Außenpolitik stand die Vormachtstellung der Sowjetunion in zwei Dritteln Europas und einem Großteil Asiens auf dem Gesprächsplan. Vor diesem Hintergrund wurde 1953 auch die notwendige Anwesenheit Frankreichs bei der Neuordnung der Welt betont und gleichzeitig die Hoffnung auf ein freies Europa thematisiert. Auch erste Friedensbekundungen, in denen man Verdun als andauernde Festung der Freiheit und des Friedens bezeichnete, fanden in dieser Zeit statt.
61 Durch die Präsidentschaft de Tassignys, dem Kommandanten der Ersten Freien Französischen Division (DFL), einer Einheit, die sich nach dem Aufruf von de Gaulle im Jahr 1940 gebildet hatte, wurde eine Verbindung zwischen den Vichy-Kämpfern und den Verdun-Veteranen hergestellt.
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Im Jahr 1954 trat auf die außenpolitische Bühne Frankreichs ein Konflikt, der für die nächsten Jahre den politischen Teil der Ansprachen bestimmen sollte: der Algerienkrieg. Zunächst nur an bestimmte herausragende Ereignisse wie das Massaker von Melouza und Hongrie erinnernd und die französischen Soldaten in Algerien ehrend, dienten die Ansprachen Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre dazu, den zunehmend kritisierten Krieg zu legitimieren. So betonte 1960 der damalige Minister der Streitkräfte (Ministre des Armées) die Ideale, die den Algerienkrieg in seinen Augen rechtfertigten: das Ideal der Brüderlichkeit, des Respekts und des Friedens. Der Algerienkrieg wurde folglich als friedensbereitende Maßnahme für eine bessere Welt der Brüderlichkeit und des gegenseitigen Respekts, und nicht als Kolonial- oder Eroberungskrieg, definiert. Interessant ist auch, dass in einigen Reden kurz vor der Thematisierung des Algerienkrieges auf den Widerstand gegen NaziDeutschland, der sich in Dünkirchen62 sowie in den französischen Widerstandskämpfern zeigte, hingewiesen wurde. Dies erweckt den Anschein, dass man in Algerien den vermeintlich gerechtfertigten Kampf für eine ‚bessere Welt‘ in die Fußstapfen des politischen Widerstandes der Franzosen gegen den Nationalsozialismus stellen wollte. Im Rahmen der 45-Jahrfeier wurden 1961 neben den Problemen in Algerien hinsichtlich der beabsichtigen Dekolonialisierung auch die zunehmend vom Ostblock ausgehende potenzielle Gefahr thematisiert. Vor diesem Hintergrund der Verunsicherung beschwor de Gaulle die Einheit der Franzosen, die maßgeblich durch die gespaltene Meinung über den Algerienkrieg stark ins Wanken gekommen war. Gerade in Verdun, dem Symbol des geeinten Frankreichs, bekam dieser Appell eine besonders ermahnende Note. Doch de Gaulle sprach auch innenpolitische Probleme wie die soziale und wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere die Probleme bei der landwirtschaftlichen Modernisierung, an. Fünf Jahre später standen die Gedenkfeierlichkeiten des 50. Jahrestages unter einem anderen Zeichen und Verdun wurde in der Ansprache des damaligen Bürgermeisters zum Symbol und zur Hauptstadt des Friedens. Die Zeremonie war maßgeblich durch die Anwesenheit von de Gaulle geprägt, der in seiner Rede drei Themen auf nationalem und 62 Nach dem schnellen und erfolgreichen Vormarsch der deutschen Truppen durch Belgien stießen sie im Mai 1940 vor dem Seehafen Dünkirchen in Frankreich auf erheblichen Widerstand britischer und französischer Einheiten. Dank dieses Widerstandes konnten – sonst der Deutschen Übermacht hoffnungslos ausgeliefert – rund 370.000 alliierte Soldaten auf dem Seeweg nach England evakuiert werden. Sie bildeten später die Basis für die Bildung von britischen und französischen Einheiten, die nach dem D-Day 1944 einen beachtlichen Beitrag zur Befreiung Frankreichs leisten sollten (SCRIBA o. J.).
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internationalem Niveau ansprach. Zunächst ging es um die Persönlichkeit Pétains, den hoch gelobten Feldherrn von 1914–18 und den verachteten Staatschef von 1939–45. Dies lässt sich dadurch erklären, dass de Gaulle 15 Jahre nach dem Tod Pétains endgültig die Erfüllung seines letzten Wunsches ablehnte: eine Beisetzung auf dem Nationalfriedhof von Douaumont. „Die schlimmen moralischen Wunden der Nation durch das Vichy-Regime sind fast verheilt: wer könnte die Verantwortung dafür übernehmen, sie wieder aufreißen zu lassen?“ (MAMY 1966: 11). Das Beinhaus, das Herz des Schlachtfeldes und des geeinten Frankreichs, durfte durch die umstrittene und entzweiende Gestalt Pétains nicht entweiht bzw. getrübt werden. Anschließend richtete sich de Gaulle an das deutsche und französische Volk.63 Drei Jahre nach Abschluss des Elysée-Vertrages erkannte er in Verdun offiziell die Leiden der Soldaten beider Nationen an und wünschte sich eine direkte und privilegierte Kooperation mit Deutschland, mit jenem Land, mit dem Frankreich bis 843 im Reich von Karl dem Großen vereint war. In einem Europa, das sich nach entsetzlichem Schmerz vereinen, als Heimstätte der Zivilisation reorganisieren und als Führer einer auf die Zukunft ausgerichteten Welt auftreten muss, sehen diese zwei sich gegenseitig ergänzenden Völker und Nachbarn die Möglichkeit, die in Verdun seit der Teilung des Reichs von Karl dem Großen vor 1.123 Jahren versperrt war, sich für gemeinsame Handlungen zu öffnen. In einem dritten Punkt wandte sich de Gaulle an alle Menschen der Welt und betonte, dass Frankreich seine Aufgabe nicht in der Dominierung anderer, sondern in einer Hilfestellung für Gleichgewicht, Fortschritt und Frieden sehe. In den nächsten Jahren prägten die Friedensthematik und deutschfranzösische Versöhnung maßgeblich die Ansprachen. 1976 betonte Staatspräsident Giscard d’Estaing, dass die Schlacht sowie das Schlachtfeld aus kriegerischen Franzosen friedliebende Landsleute gemacht habe, da sich hier die Sinn- und Nutzlosigkeit des Kampfes besonders stark zeige. Zudem ermögliche das Schlachtfeld von Verdun die Einsicht, wie wichtig Einheit und Brüderlichkeit seien. Hier entspränge auch der Wille zur Versöhnung der beiden Nachbarländer. Es ist hier, dass man sich in der Nacht der Schützengräben das ‚nie wieder‘ zumurmeln musste, das aus unserem Volk mit kriegerischem Instinkt ein dem Frieden verbundenes Volk gemacht hat. Es ist hier, im die deutsche Armee schlagenden und ihren Führern eine tödliche Verwundung berei63 Laut MAMY (1966: 11) wünschte der deutsche Kanzler Erhard eine Einladung zu den Gedenkzeremonien nach Verdun, um die Versöhnung der beiden Völker zu feiern. Dies wurde mit der Begründung abgelehnt, so MAMY, dass eine gemeinsame Feierlichkeit vor Ort zu viel verlangt gewesen wäre von den Veteranen.
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teten Gemetzel, dass sich die Unermesslichkeit, die Grausamkeit und die Nutzlosigkeit der Bruderkämpfe zeigt, die sich die europäischen Völker lieferten. Und es ist zweifelsohne hier, dass nach dem düsteren Abenteuer des Nationalsozialismus der Elan entsprang, der es Frankreich und Deutschland ermöglichte, sich für immer zu versöhnen. Es ist schließlich hier, dass wir verstehen können, wie sehr die Einheit, die gemeinsamen Anstrengungen, die Brüderlichkeit für Frankreich notwendig, wie unnütz und kräftezehrend die Auseinandersetzungen und wie tief, leicht und robust die Tatkraft des französischen Volkes sind. Anlässlich der 65Jahrfeier wurde 1981 in der Stadt eine Friedensmauer eingeweiht, die Zeichnungen von Kindern aus Verdun und Cunéo trug.64 Die Ansprachen standen ebenso im Zeichen des Friedens, der Versöhnung und der Konstruktion eines gemeinsamen Europas. Doch auch außerhalb Europas, so der Minister der Frontveteranen (Ministre des Anciens Combattants), ziele eine ‚verantwortungsvolle Politik‘ auf eine kontrollierte Abrüstung sowie eine Integration der ‚Dritten Welt‘ in die sich einigende Welt. Dies ist vor dem Hintergrund des 1979 geschlossenen NATODoppelbeschlusses, der die Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen in Deutschland vorsah, und den daraus resultierenden Abrüstungsverhandlungen zu Beginn der 1980er Jahre zu verstehen. Wie in der Ansprache des Bürgermeisters verkündet, wollten sich die Friedensstädte Bastogne, Cunéo und Verdun um den Sitz einer Internationalen Abrüstungskonferenz bewerben, während der ein Besuch des Beinhauses vorgesehen war. Verdun sei nun laut Aussagen des Ministers der Frontveteranen nicht mehr allein die Hauptstadt des Friedens, sondern ebenso die Hauptstadt der Abrüstung (ANTOINE & VANNSON 1981: 2). Dennoch, und entgegen dieser Wünsche, stellte der sozialistische Premierminister am Vortag fest, dass Frankreich zur Verteidigung und Abschreckung auch technische Mittel, insbesondere Atomwaffen, benötige: Der Sinn der Verteidigung besteht auch darin, dem Land und seinen Streitkräften die technischen Mittel zur Konfrontation zu bieten. Deswegen hat sich die Regierung in vollem Umfang der atomaren Abschreckung, seiner Logik und Nutzung verschrieben. Fünf Jahre später war von Auf- oder Abrüstung keine Rede mehr. Nach dem Treffen von Kohl und Mitterrand 1984 auf dem deutschen Soldatenfriedhof von Consenvoye und vor dem Beinhaus von Verdun (siehe Kapitel IV/2.2.1.3 ‚Deutsch-französische Versöhnungszeremonien‘) standen auch 1986 die Gedenkzeremonien ganz im Zeichen des Friedens. In seiner relativ kurzen Ansprache betonte Mitterrand im Ge64 Verdun bildet zusammen mit Cunéo (Italien) und Bastogne (Belgien) eine Union der Friedensstädte. Die Friedensmauer wurde inzwischen abgerissen.
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denken an Robert Schuman und Jean Monnet, den Gründungsvätern Europas, dass Frieden Mut verlange. Adressiert an die Verantwortlichen der EU-Länder sagte er: Errichtet Europa, vollendet das Werk. […] Verliert keinen Augenblick. Die Geschichte wartet. Der Frieden auch. Eine zweite Lehre richtete sich an das französische Volk, dem er ins Bewusstsein rief, dass ein Sieg in Verdun nur möglich war, da sich Frankreich in dieser Stunde der größten Gefahr vereint habe. Heute sei diese Einheit beispielsweise notwendig für den Respekt von Minderheiten und deren Integration. Die Politik benötige von Seiten der Bürger und Verantwortlichen Vertrauen. Er schloss seine Ansprache mit der Betonung, dass dieses Plädoyer für Europa und die Einheit Frankreichs in Verdun eine besondere Bedeutung verliehen bekäme. Auch in den folgenden Jahren änderte sich dieser Schwerpunkt nicht. Die Premierministerin Cresson verwies als erste weibliche Regierungsvertreterin während eines runden Jahrestages auf das Treffen von Kohl und Mitterrand in Verdun und deren Versprechen eines versöhnten Europas. Verdun wurde zu einem Ort der Verwurzelung für die Hoffnung der Bürger Europas, Verdun, die Hauptstadt des versöhnten Europas, Verdun, Hauptstadt des Friedens. Von diesem brüderlichen Akzent, so Cresson, zeugen auch das Memorial sowie das Weltzentrum für Frieden. Verdun ist auch heute noch von ungeahnter Aktualität. Jene [Aktualität] einer gerechteren und solidarischeren Welt. Jene einer neuen Weltordnung, die auf den Selbstbestimmungsrechten der Völker basiert. Jene der französisch-deutschen Freundschaft. Jene des auf das dritte Jahrtausend zuschreitenden Europas. Chirac verlieh 1996 den Feierlichkeiten einen wenn nicht gerade neuen, aber dennoch besonderen Anstrich. Schon seit Jahren war die Konstruktion Europas ein wichtiger Bestandteil der politischen Botschaften, jedoch nie zuvor stand sie so im Mittelpunkt des Geschehens. Dies ging so weit, dass Chirac nicht, wie all seine Vorgänger, die Veteranen in den Mittelpunkt der Zeremonien stellte. Stattdessen lud er 15 auserwählte Jugendliche aus den Ländern der Europäischen Union zum Mittagessen in einem kleinen Restaurant in Verdun ein. Auch seine Ansprache handelte nach einem langen historischen Teil von der europäischen Vereinigung, die auf den Schultern de Gaulles und Adenauers stehe. Die Realisierung der Europäischen Union benötigt, wir erleben es, mehr Zeit. Deswegen bitte ich Sie, die junge und Zukunft verkörpernde Generation heute, wo wir uns andächtig auf diesem Boden versammeln, der für immer durch die Grässlichkeiten der Kämpfe mit unsicherem Ausgang gezeichnet ist, sich für die Vollendung der Einheit einzusetzen, in der jeder seinen Platz hat und alle für den Frieden, die Sicherheit, das Wachstum, die Gerechtigkeit und die Solidarität der Völker von Eu161
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ropa arbeiten. Die letzte bedeutende Wende der politischen Aussagen wurde 2001 vollbracht. Zunächst referierte Premierminister Jospin lange über die Bedeutung und Notwendigkeit einer Gedenkpolitik, die es ermögliche, aus der Geschichte für die Zukunft zu lernen und so besser den Friedensweg auf dem europäischen Kontinent gehen zu können. Auch die deutsch-französische Versöhnung bekam einen weiter gefassten Anstrich, indem Jospin von der europäischen Versöhnung sprach, die aus dem Gedenken an Verdun schöpfe. Doch dies betraf nicht allein die Versöhnung, sogar Verdun selbst wandelte sich vom nationalen zum europäischen Symbol: Die Gedenkpflicht ist ein Werk des Friedens. Verdun, nationales Symbol, aber auch europäisches Symbol, muss weiterhin die Gedenkflamme und den Willen eines friedvollen Europas speisen.
2.2.1.3 Deutsch-französische Versöhnungszeremonien Zwei Gedenkzeremonien der deutsch-französischen Versöhnung, die nicht im Rahmen der Juni-Zeremonien stattfanden, haben sich mehr oder minder stark in das Gedächtnis der Nationen eingraviert.65 Zum einen handelt es sich um ein weniger bekanntes Veteranen-Treffen im Juli 1936, zum anderen um das weltweit bekannte Treffen von Kohl und Mitterrand im September 1984. Aufgrund ihrer politischen Bedeutung sollen sie im Folgenden kurz dargestellt werden. Der erste Anlauf zur deutsch-französischen Versöhnung fand am 12. und 13. Juli 1936 statt, als sich in Verdun rund 20.000 Veteranen trafen (PROST 1997: 1770, auch POMME 1993: 99), unter ihnen eine Delegation von 500 deutschen Weltkriegssoldaten, die mit einem Sonderzug aus Deutschland anreisten. Das Datum markiert das Scheitern des deutschen Angriffs und daraufhin den Übergang von Generalstabschef Falkenhayn zur Defensive. Für die Deutschen eine Niederlage, wird der 12. Juli im französischen Gedenken mit der Rettung Verduns gleichgesetzt. Zudem, so BRANDT (2000: 221), war bei der Wahl des Gedenktages wichtig, dass sich zum Zeitpunkt des 12. Juli die französische Armee in der Offensive befand. Vier Jahre nachdem das Beinhaus offiziell eingeweiht wurde, trafen sich um 20 Uhr die Veteranen vor der Kapelle Saint-Fine, ca. zwei Kilometer vom Beinhaus entfernt (PROST 1997: 1770). Gemeinsam schritten sie schweigend zum Nationalfriedhof von Douaumont, wo sich die deutschen Veteranen auf den Rasenflächen des Friedhofes postierten und sich die französischen Kameraden neben den Grab65 Neben diesen beiden großen Versöhnungszeremonien fanden auf Ebene der Veteranen über Jahrzehnte hinweg auch zahlreiche Verbrüderungen statt und tiefe Freundschaften entstanden zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern.
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kreuzen aufstellten (BRANDT 2000: 222). Ein Friedensschwur66 wurde verlesen, dem sich alle Veteranen mit den Worten ‚Ich schwöre‘ anschlossen. Über einem von Scheinwerfern des Beinhauses erleuchteten Schlachtfeld ertönte Beethovens ‚Eroica‘, bevor ein Kanonenschlag die Schweigeminute eröffnete. Mit ihm erloschen die Scheinwerfer und lediglich die am Triumphbogen in Paris entzündete und auf der Sakralen Straße nach Verdun getragene Gedenkfackel brannte weiter. Die Feier ging mit einem Trompetensignal zu Ende, woraufhin die Scheinwerfer das Schlachtfeld und den Friedhof wieder erleuchteten. Ziel der deutschen Teilnahme an dieser vermeintlich apolitischen Zeremonie ohne Nationalhymne, Militärparade und offizielle Ansprache war, so BRANDT (2000: 222ff), die öffentliche Bekundung der Friedensbereitschaft Deutschlands und Hitlers. Ob diese Aussage ernst gemeint war oder ob sie vielmehr als Beschwichtigungsmaßnahme für folgende aggressive und revanchistische Aktionen der Nationalsozialisten zu deuten ist, bleibt bis heute unklar (BRANDT 2000: 226). Maßgeblich durch zahlreiche Berichterstattungen sowie durch den immerwährenden Bezug auf dieses Freundschaftsritual67 ist die Zeremonie von 1984 zwischen Kohl und Mitterrand am Friedhof von Douaumont in den Köpfen unserer Zeit wesentlich präsenter als das Versöhnungsritual von 1936.68 Das Foto der beiden vor einem mit den Fahnen beider Länder bedeckten Sarg stehenden, sich an der Hand haltenden Männer ging um die Welt und wurde oftmals in der Presse belächelt (SOEFFNER 1992: 181). Grund hierfür war natürlich nicht die versöhnend-freundschaftliche Aussage des Rituals, sondern vielmehr das ungleiche Paar der beiden Protagonisten sowie die Tatsache, dass im europäischen Kulturkreis Händehalten lediglich bei Paarbeziehungen (z. B. zwischen Brautleuten, Liebespaaren, in Familien und bei Freundinnen) oder bei kollektiven Veranstaltungen (wie bei Menschenketten oder auf 66 „Weil diejenigen, die hier und anderwärts liegen, in den Frieden der Toten eingetreten sind, nur um den Frieden der Lebenden zu begründen, und weil es uns unheilig wäre, künftighin zuzulassen, was die Toten verabscheut haben, deswegen schwören wir, den Frieden, den wir ihrem Opfer verdanken, zu bewahren und zu wollen“ (BRANDT 2000: 222). 67 Die Referenz auf die Geste erfolgt nicht immer im Kontext von Gedenken und Völkerverständigung. Einen ungewöhnlichen und scherzhaften Bezug stellt ein Werbeplakat des ersten französischen TV-Senders für Homosexuelle her. Über dem Foto von den sich an den Händen haltenden Politikern steht der Slogan ‚Es gibt auch noch etwas anderes als Sex im Leben eines Paares‘ (Il n’y a pas que le sexe dans la vie de couple). 68 Natürlich spielen hierfür auch die zurückliegende Zeit von fast 70 Jahren sowie der das Gedächtnis fokussierende Zweite Weltkrieg bzw. die daran anschließende Zeit des selektiven Vergessens und Verdrängens eine nicht zu missachtende Rolle.
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Kirchentagen) üblich ist (SOEFFNER 1992: 184). Im Ritual selbst wird die zu Grabe getragene Feindschaft zwischen Frankreich und Deutschland, die Trauer um die Gefallenen beider Nationen und die aus Krieg und Trauer gewachsene Freundschaft der beiden Völker verdeutlicht (SOEFFNER 1992: 182). Auch wenn die Gedenkfeierlichkeiten in der Berichterstattung und Wahrnehmung maßgeblich auf diese versöhnende Geste der beiden Regierungsrepräsentanten reduziert wird, waren sie durch das Händehalten nicht beendet. In der Nähe des Beinhauses wurde ein Ahornbaum in Anwesenheit mehrerer Tausend junger Franzosen und Deutscher gepflanzt (RODIER 1998: 113) und die Politiker besuchten das Memorial (BARCELLINI 1996a: 90), vor dem seitdem neben der französischen auch die deutsche und europäische Flagge wehen (POMME 1993: 99, RODIER 1998: 113). Auch wenn die beiden Versöhnungsrituale in völlig unterschiedlichen Kontexten stattfanden: Beide markierten einen Bruch zur bisherigen politischen Landschaft und beide erzielten im Ritual eine Vereinigung der Ritual-Ausführenden bzw. deren Teilnehmer.
2.2.2 Politische Mythen und Symbole Der französische Mythos der Nation postuliert, dass Frankreich ein Produkt der Ewigkeit sei, da sein Ursprung im zeitlos existierenden Gallien liege. Zudem beinhaltet er den zivilisatorischen Auftrag, die Menschen aufzuklären (CITRON 2000: 24). Frankreich soll, so das staatliche Selbstverständnis, die Errungenschaften der französischen Revolution, der Aufklärung und der Menschenrechte in die Welt tragen und als Vorbild für andere Staaten fungieren. Eng damit in Verbindung steht auch der Mythos der Größe, der Ideologie der ‚Grande Nation‘, aus der sich bis in heutige Zeiten die Führungsansprüche Frankreichs ableiten lassen. Dieser Mythos des großen und starken Frankreichs drohte durch die deutsche Offensive auf Verdun beschädigt zu werden, letztendlich wurde er allerdings durch den Sieg Frankreichs gesichert: Verdun (ver-) stärkte durch seine für die Deutschen unüberwindbare Befestigungsanlage den Fortbestand des französischen Nationalmythos. Doch auch Verdun selbst wurde im Laufe der Zeit durch viele Erzählungen und Legenden zu einem narrativen Symbolgebilde, das durch eine Verklärung der ‚größten Schlacht der Geschichte‘ gekennzeichnet ist und vielen Hinterbliebenen bei der Aufarbeitung ihrer Trauer behilflich war (TREVISAN 2001: 20). Der Mythos Verdun bezieht sich auf viele verschiedene Symbole, wovon die wichtigsten hier genannt werden sollen. Schon in den ersten Tagen der Schlacht wird Verdun zu einem nationalen Symbol für Patriotismus, Mut und Tapferkeit (PROST 1997: 1757). Später wandelt es sich 164
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zu einem Symbol, das die Unsterblichkeit des Landes ausdrückt und damit den schon im Nationalmythos bestehenden Ewigkeitsanspruch unterstreicht. In die Verdun-Symbolik fließt zudem ein, dass Frankreich niemals seine Ideale der Freiheit aufgeben und immer fähig bleiben werde, sich gemeinsam gegen Feinde zur Wehr zu setzen. Diese einigende Komponente der Symbolik wird in den Ansprachen der Schirmherren in den Zeremonien besonders häufig betont. Wie im Kapitel ‚Verbale Riten‘ (IV/2.2.1.2) gezeigt wurde, ist Verdun jedoch inzwischen nicht nur ein nationales Symbol, sondern zudem ein Symbol auf europäischer Ebene. Hier versinnbildlicht es in seiner ungeheuren Kraft der Identitätsstiftung (KRUMEICH 1996: 153) die immerwährende Möglichkeit zur Versöhnung und Freundschaft ehemals verfeindeter Nationen und steht für alle Länder als Inbegriff für mörderisches und sinnloses Kriegsgeschehen. Vor dem Hintergrund der im kollektiven Gedächtnis verankerten und auf Verdun bezogenen Mythen und Symbole wird durch die Präsenz zweier wichtiger politischer Symbole Frankreichs (zur Symbolik der Französischen Republik siehe AGULHON 2000) der politische Raum markiert. Als erstes ist hier die Trikolore der Revolution von 1789 zu nennen, Frankreichs heutige Nationalflagge. Im Hinblick auf den Ersten Weltkrieg wurden ihre Farben als das durch den Staub der Kämpfe gefärbte Blau,69 das durch den Staub der Etappen getönte Weiß und das durch das Blut der Märtyrer getränkte Rot interpretiert (LEMERLE 1917, 1926: 33, zit. in BECKER 1994c: 127f). Alljährlich in der morgendlichen Zeremonie in der Kathedrale geweiht, weht die Nationalfahne in heutiger Zeit zudem während der Kranzniederlegung am Kriegerdenkmal, im Innenhof des Rathauses sowie auf dem Nationalfriedhof von Douaumont. Ehemals war sie zusätzlich während der Zeremonie am Siegesmonument zu sehen. Ein weiteres politisches Symbol stellt die Marseillaise als Nationalhymne der Franzosen dar. Sie wird im Rahmen der Kranzniederlegungen am Kriegerdenkmal gespielt.
2.2.3 Politische Räume der Ideologie Verdun, ein Ort der Identität für fast alle Franzosen, ist ein Spielball ideologischer Interessen und verleiht den an ihm vollzogenen Handlungen eine besondere Bedeutung. Als nationales Symbol für Tapferkeit und Mut, für die Unsterblichkeit des Vaterlandes, des geeinten Frankreichs sowie inzwischen als europäisches Symbol für sinnloses Kriegsgeschehen und die immerwährende Möglichkeit zur Versöhnung machen sich diese Eigenschaft lokale und nationale Politiker sowie Militär69 Die Uniformen der französischen Soldaten trugen diese Farbe.
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angehörige nicht nur im Rahmen der Juni-Zeremonie zu Nutze. Vor allem das im Herzen des Gedenkens stehende Beinhaus trägt zur Legitimierung ihrer Handlungen erheblich bei: Anlässlich ihrer Amtseinführung kommen hierher Präfekten und Unterpräfekten sowie die in Verdun stationierten Kommandoführer der französischen Einheit. Aber auch internationale Botschafter und Regierungschefs suchen diesen Ort auf und hinterlassen ihre Spuren im Goldenen Buch. Doch vor allem während der Gedenkzeremonien an die Schlacht von Verdun zeigt sich die Konstruktion und Interpretation der Geschichte sowie deren politische Instrumentalisierung. Besonders deutlich wird dies in den verbalen Handlungen ihrer Schirmherren: Von ihnen werden Deklamationen, Mahnungen und Gelübde geäußert. In ihren Ansprachen wandeln sich die Zuschreibungen an Verdun von der heldenmütigen Stadt des Widerstandes über die Hauptstadt der Abrüstung hin zur Hauptstadt des Friedens sowie des versöhnten Europas. Was JEISMANN & WESTHEIDER (1994: 43) im Hinblick auf Kriegerdenkmäler festgestellt haben – nämlich dass der Grad der kollektiven Instrumentalisierung zunimmt, je geringer die individuelle Betroffenheit ist – kann in Verdun (noch?) nicht nachgewiesen werden. Schon seit Beginn der Zeremonien werden innenpolitische Probleme wie der Wiederaufbau, die Kriegsverluste, wirtschaftliche und soziale Unruhen sowie der Umgang mit der Vichy-Vergangenheit und außenpolitische Themen angesprochen. Von außenpolitischer Bedeutung sind anfangs die von Deutschland zu leistenden Reparationszahlungen, die Vormachtstellung der UdSSR und die Gefahr des Ostblocks, später der Algerienkrieg, der mit dem nationalen Mythos verbundene zivilisatorische Auftrag Frankreichs in einer neuen Weltordnung und für die Weltpolitik (siehe Abbildung 15). Am längsten und deutlichsten zeigt sich die Instrumentalisierung des Schlachtengedenkens im Hinblick auf die deutsch-französische Versöhnung. Man wird sich klar, dass schließlich das Gedenken an den Ersten Weltkrieg hier auf den Schlachtfeldern im politischen Rahmen der Annäherung verwendet wird. Um die Annäherung zu symbolisieren, um ihr Kraft zu geben. Vor allem das Treffen von Kohl und Mitterrand war sehr, sehr wichtig. Man erinnert die historischen Geschehnisse, man erinnert daran, was passiert ist, aber zugleich sieht man, dass dies alles einen Sinn ergibt, […] das geht über den Krieg hinaus. Weil es eine Überlegung über die zwischenstaatlichen Beziehungen ist. Letztendlich reicht das Gedenken aber weiter als die deutsch-französische Versöhnung: Man hält Ansprachen, man vereinigt Menschen, die ehemaligen Gegner, die versöhnende, freundschaftliche Reden halten, die die Zukunft ihrer Länder auch im europäischen Rahmen sehen. Verdun ist aus
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heutiger Perspektive der ideale Ort für den Frieden. Irgendwie merkwürdig: Hier gab es so viele Tote auf so wenigen Kilometern, und es ist der perfekte Ort, wo man über den Frieden sprechen kann.
2.3 Sakralisierung des Gedenkens und der Schlachtfelder von Verdun Neben der politischen Instrumentalisierung der Rituale des Gedenkens an die Schlacht von Verdun, die im Kontext einer weltlichen Ideologie verankert ist, erfolgt auch eine auf die Welt des Glaubens ausgerichtete Sakralisierung der Schlachtfelder und des Gedenkens.70 In Hinsicht auf die Kriegsschauplätze verwundert dies insofern kaum, da schon allein der Tod eines Anderen auf Transzendenz, also eine natürliche Einstellung übersteigende und aufs Jenseits referierende Erfahrungsmöglichkeit, verweist (NASSEHI & WEBER 1989: 246). Die Sakralisierung der durch massenhaftes menschliches Töten blutgetränkten Gebiete erscheint somit als eine logische Konsequenz dieser Vergegenwärtigung des Todes, die bewirkt, dass viele Besucher dort die unheimliche und übernatürliche Präsenz der Seelen unzähliger Gefallener spüren (auch V. L. SMITH 1996: 257). Voraussetzung hierfür ist, dass das ehemalige Schlachtfeld – ebenso wie das Heilige selbst – einen Eindruck der Unveränderlichkeit und Einzigartigkeit erzeugt (siehe MOSSE 1993: 135). Die Sakralisierung erfolgt jedoch nicht nur in Bezug auf die Schlachtfelder. Auch die Gedenkrituale selbst greifen auf religiöse Symbole sowie Mythen zurück und bedienen sich christlicher Liturgie.
2.3.1 ‚Gott mit uns‘ – Glaube, Tod und Erster Weltkrieg Die Sakralisierung des Krieges selbst ist eine wichtige Grundlage für die transzendenten Bedeutungszuschreibungen an Orte des Krieges und seines Gedenkens. Begriffe wie die ‚Hölle von Verdun‘ oder das ‚Martyrium der Soldaten‘ sind nicht nur leere Worthülsen, sondern Bestandteil einer regelrechten Kriegsreligion, die sich aus dem Glauben der jüdischchristlichen Lehre und des Vaterlandkultes zusammensetzt (BECKER 1994c: 8). Doch bereits im Vorfeld des Ersten Weltkrieges erfolgte sowohl auf deutscher als auch auf französischer Seite eine Vermischung von Politik und Glauben zur politischen Legitimierung des bevorstehenden Krieges. Der Kaiser des deutschen Volkes verfasste im August 1914 einen Erlass, 70 Die Überlappungen zwischen Ideologie und Glauben manifestieren sich zum Beispiel in der Entstehung einer Zivilreligion. Die Überschneidungen im Hinblick auf den Ersten Weltkrieg werden im Kapitel ‚‚Gott mit uns‘ – Glaube, Tod und Erster Weltkrieg‘ (IV/2.3.1) diskutiert.
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der von den Kanzeln aller protestantischen Kirchen verlesen werden sollte. In ihm betonte er, dass er sich der Gerechtigkeit des Krieges vor Gott gewiss sei und bat Gott, die Waffen der Soldaten zu segnen und ihnen in der Schlacht beizustehen (KRUMEICH 2000: 277). Neben der Instrumentalisierung des Glaubens für kriegerische Ziele wurde der das Vaterland verteidigende Patriotismus von französischer Seite selbst zu einer religiösen oder pseudo-religiösen Angelegenheit erhoben, die den Kampf des christlichen (katholischen) Frankreichs gegen das satanische (protestantische) Deutschland zu legitimieren habe (BECKER 1994c: 15ff, KRUMEICH 2000: 276). Religion und Vaterland sind vereint (AUDOUIN-ROUZEAU 1996: 13). Dies zeigt sich beispielsweise in der Sakralen Einigkeit (Union Sacrée), die von Staatspräsident Poincaré in den ersten Kriegsstunden zur nationalen Verteidigung Frankreichs ausgerufen wurde und alle vorherigen innenpolitischen Querelen zwischen den politischen Gruppierungen vergessen ließ (BECKER 1988: 21ff). Sogar von amerikanischer Seite aus wurde der Erste Weltkrieg als religiöser Krieg verstanden, in dem die alliierten Streitkräfte für eine bessere Welt kämpften (GARDNER 1918: 73, zit. in BECKER 1994c: 15f). Der Krieg wird zur Überwindung von Angst vor Tod und Sterben im Laufe der Jahre zu einem Ausdruck der Volksfrömmigkeit, zur ‚heiligen Pflicht‘ der Verteidigung des Vaterlandes (MOSSE 1993: 98). „Bereits die Zahl der Kriegstoten erforderte weit größere Anstrengungen, den Tod im Krieg nicht in Erscheinung treten zu lassen und zu transzendieren, als sie bis dahin jemals unternommen wurden“ (MOSSE 1993: 10). Die Gefallenen opfern sich für Gott und Kaiser auf71 und erlangen hierdurch göttliche Gnade (BECKER 1994c: 26f, MOSSE 1993: 97). Bei ihrer Aufopferung begleiteten sie zahlreiche Militärgeistliche (VANDEPUTTE 1996: 11), die auch hinter der Front den Soldaten seelsorgend zur Seite standen und sich schließlich um ihre Bestattungen kümmerten. Teilweise wird der Erste Weltkrieg wie ein immenser Karfreitag betrachtet, während dem die Soldaten ebenso wie Jesus physisches und psychisches Leid sowie Durst ertragen mussten (BECKER 1994c: 31). Es ist der Soldat in der Uniform des Poilus72, er ist also blau gekleidet, er hat seine Kokarde, um zu zeigen wer er ist. Und er ist in der gleichen Situation wie Jesus am Karfreitag. Er wird gemartert, er ist wie die Heiligen. Die Soldaten werden häufig in so genannten Kirchenfenstern des Gedenkens (vitraux commémoratifs) mit dem gekreuzigten und leidenden Jesu dargestellt (PÉCHÉ 1998). Wenn nicht als Karfreitag erachtet, so wurde der 71 Dieser Gesinnung wird folgender Ausspruch eines deutschen Soldaten gerecht: „Ich kenne keinen schöneren Tod, als mit Gott für Kaiser und Reich zu sterben“ (zit. in WIESENER o. J.: 209). 72 Spitzname des französischen Soldaten im Ersten Weltkrieg.
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Erste Weltkrieg häufig auch als Bestrafung für die vorangetriebene Säkularisierung interpretiert (BECKER 1994c: 33). Obwohl sich nach der Aufklärung zunehmend eine religiöse Gleichgültigkeit in Frankreich verbreitete, lässt sich die ‚Kriegsfrömmigkeit‘ damit begründen, dass die Menschen in den unsicheren Zeiten der Schlachten nach spirituellem Halt und daraus resultierender Sicherheit suchten. Neben der Sakralisierung des Krieges selbst fanden die Franzosen an der Front und im Hinterland die ersehnte Sicherheit zudem in häufigen Anrufungen der Heiligen Mutter Maria, der Nonnenschwester Theresa von Lisieux und Nationalheiligen sowie im Tragen von Heiligenbildchen (BECKER 1994c). Verdun selbst steht als Synonym für die Reinheit des Kampfes: Hier verteidigte sich Frankreich als weißer Engel gegen die teuflischen Barbaren und kämpfte einen gerechten Krieg (AUDOUIN-ROUZEAU 1996: 13). Schon im Krieg wurde das Schlachtfeld zu einem sakralen Ort des Opfers und der Weihe und der Aufstieg an die Front von Verdun über die Sakrale Straße glich einer Art Initiation (PROST 1997: 1762).
2.3.2 Sakrale Rituale Nicht nur im Krieg, sondern auch im Gefallenenkult ist die Religion und die Verehrung ein zentraler Bestandteil (MOSSE 1993: 14 und 112f). Das Gedenken an den Krieg wurde „[…] zu einem heiligen Erlebnis umgedeutet, das der Nation eine neue Tiefe der religiösen Empfindung gab und überall präsente Heilige und Märtyrer, Stätten nationaler Andacht und ein zum Nacheifern aufforderndes Erbe lieferten“ (MOSSE 1993: 13). Die Interpretation des Gedenkens als eine unantastbare, sakrale Handlung zeigt sich beispielsweise in der Diskussion, die in Frankreich auf den Vorschlag folgte, einige Gedenkzeremonien abzuschaffen und das Gedenken aller Kriege an einem Tag zu vereinheitlichen. Das ist ein wenig wie in der Religion, es gibt Fanatiker, man rührt nichts an […]. Es ist wie bei religiösen Ritualen. Ein religiöses Ritual in dem Maße wie es ist, es will göttlich sein, es muss eine Repräsentation der Größe sein, der Erhöhung, der Höhe sein, also wie eine katholische Messe […]. Das Gedenken weist nicht nur durch seine Deutung als sakrales Ereignis Ähnlichkeiten zum Gebet auf. Integriert in den christlichen Glauben (‚Tut dies zu meinem Gedächtnis‘) basiert es ebenso wie das Gebet auf der Wiederholung seiner Ausführung. Es gibt Leute, die lieben es zu beten, es gibt Leute, die lieben es, sich hinzuknien, es gibt Leute, die lieben es, ohne Unterbrechung Gebete, Kniebeugen und Gedenkzeremonien zu wiederholen. […] sie lieben es, in der Wiederholung zu leben, in der ewigen Wiederholung, sie beten, gedenken, weinen. […] für mich ist das das Gleiche. In diesem sich alljährlich wiederholenden, rituellen 169
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Gedenken werden diejenigen historischen Ereignisse herausgehoben, welche die tiefsten und fundamentalsten Werte der Gesellschaft darstellen, und in diesem Sinne entsteht ein Register der ‚sacred history‘ (V. L. SMITH 1996: 254). Zugleich konfrontieren sich die Ritualteilnehmer mit dem Märtyrertum der Soldaten, dem Jenseits und dem Glauben: Sie sind mit dem Martyrium dieser Leute konfrontiert und empfinden ihre Leiden nach. […] Das geht über einen hinaus. Das erhebt einen ins Jenseits. Aber in welches? Die einen glauben an eines, die anderen an ein anderes. Aber sie glauben etwas. Vor allem aber für die Veteranen erfüllt das Gedenken noch eine andere Funktion: Es stellt für sie eine Möglichkeit zur Katharsis, zur kultischen Reinigung und Befreiung von seelischen Konflikten und inneren Spannungen dar. Zusammenfassend kann das Verhältnis von Glauben und Gedenken mit den Worten eines Ritualteilnehmers auf den Punkt gebracht werden: Wer Gedenken sagt, sagt notgedrungen Religion. Neben den Bedeutungszuschreibungen, die den Krieg und sein Gedenken als heilig kennzeichnen, sind also vor Ort für die Konstruktion eines sakralen Raumes vor allem Handlungen als Ausdruck des Glaubens wichtig. Besonders von Bedeutung sind hierfür sakrale Rituale, die sich zum einen in liturgischen Ritualkomponenten wie beispielsweise den Gedenkmessen zu Beginn und zum Abschluss der Gedenkzeremonien sowie in deren Ähnlichkeit mit der religiösen Begräbnisliturgie manifestieren. Zum anderen unternehmen Ritualteilnehmer zu denen von ihnen als sakral erachteten Schlachtfeldern regelmäßige Pilgerfahrten.
2.3.2.1 Liturgische Riten Die Integration von christlichen Liturgieelementen in offizielle Zeremonien des Gedenkens ist in einem laizistischen Staat wie Frankreich zunächst erstaunlich, lässt sich jedoch durch die Vermischung von Krieg und Religion zu Beginn des 20. Jahrhunderts erklären. Während der morgendlichen Gedenkmesse in der Kathedrale, die während des Ersten Weltkrieges massiv zerstört und erst in den Folgejahren wieder aufgebaut wurde, und der nächtlichen Messe im Beinhaus ist die religiöse Konnotation des Gedenkens und der Austausch bzw. Dialog zwischen der Gemeinschaft der Ritualteilnehmer und Gott am offensichtlichsten. Der die Feierlichkeiten eröffnende Gedenkgottesdienst, dem Vertreter der katholischen und protestantischen Glaubensrichtung vorstehen, entspricht in seinem Aufbau einer klassischen Messfeier inklusive Eröffnung, Wortgottesdienst, Eucharistiefeier und Abschluss. Das Tagesgebet und die Predigt stehen im Zeichen des Gedenkens an die Schlacht von Verdun. Häufig erinnern Bischof und Pfarrer 170
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an das Leid sowie die Opferung der Soldaten und übermitteln Friedensbotschaften. Nach der Aufforderung der Gläubigen zur Geste ‚Friede sei mit euch‘ wird die Botschaft auch auf zwischenmenschlicher Ebene kommuniziert. Die Gedenkmesse vereint somit die Hoffnung auf eine bessere und friedliche Zukunft auf Erden (siehe auch MAAS (1991: 94) zum Gedenken in Frankreich nach dem Deutsch-Französischen Krieg). Die einzige Besonderheit in der Liturgiefeier stellt die Präsenz und Weihung der französischen Nationalflagge sowie einiger Regimentsfahnen dar. Hierin verdeutlicht sich die religiöse Bedeutungszuschreibung politischer Symbole. Die ökumenische Nachtmesse von Katholiken, Protestanten, Juden und Muslimen in der Kapelle des Beinhauses beinhaltet keine Eucharistiefeier und findet folglich in einem kürzeren Zeitrahmen statt. Auch die Teilnehmer sind andere: Während sich in der Kathedrale die Glaubensgemeinschaft von Verdun mit den Teilnehmern der Gedenkfeierlichkeiten vermischen, bleiben die Ritualteilnehmer auf dem Schlachtfeld unter sich und erleben so ein höheres Gemeinschaftsgefühl. Dieses Gefühl wird vor allem auch durch das gemeinsame Singen und Umrunden der Grüfte im Anschluss an die Messe verstärkt. Der wichtigste Unterschied jedoch besteht im Ort selbst: Ich glaube im Beinhaus, die Geschichte der Patenschaft für ein Grab, die Geschichte, sich zwischen all den toten Körpern zu befinden. 130.000 Tote im Inneren. […] Die Stille und dann die Tatsache, dass man den Körpern näher ist. Irgendwie ist man den Leuten näher, die ihr Leben verloren haben. Die Tatsache, sich in der Mitte des Beinhauses, im Zentrum des Beinhauses zu vereinen und ‚Es ist lediglich ein Abschied‘ zu singen, das bewegt enorm. […] Also in der Kathedrale – gut, es ist ein religiöses Bauwerk, es befindet sich im Stadtzentrum. Auch wenn sie [im Krieg] gelitten hat […] ist sie etwas ganz anderes. Hier im Beinhaus befindet man sich inmitten der Leichname, man befindet sich auf den Schlachtfeldern […]. Wenn man es von der religiösen Seite her betrachtet ist es das Gleiche. Denn sowohl in der Kathedrale als auch im Beinhaus feiert man die Toten. Aber die Symbolik ist nicht die Gleiche. Und für mich ist es im Beinhaus wichtiger als in der Kathedrale. Durch die Verbindung von Religion und Gedenken entwickeln die Gedenkrituale zudem Parallelen zur Begräbnisliturgie (PROST 1997: 1768).73 Auffallend in Verdun war bzw. ist dies an mehreren Stellen: zum einen in der einem Trauerzug gleichenden Prozession zum Kriegerdenkmal oder zum Nationalfriedhof, zum anderen in der abendlichen
73 Zu den Gedenkritualen anlässlich des Waffenstillstandes und ihrer religiösen Konnotation siehe auch PROST (1977).
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Prozession zu dem muslimischen und israelischen Monument und dem sich anschließenden Fackelzug über den Nationalfriedhof zum Beinhaus. Angeführt wird der Zug im Falle der innerstädtischen Märsche durch Militärmusiker, am Beinhaus übernehmen diese Aufgabe die Fahnenträger. Charakteristisch für die Trauerzüge ist, dass sie – wenn nicht an die Gräber der Soldaten selbst – an deren Denkmäler und symbolische Grabstätten führen. Die im Anschluss folgenden Kranzniederlegungen können in diesem Kontext als offizielle Geste der Verabschiedung der Trauergemeinde von den Toten gedeutet werden.
2.3.2.2 Pilgerreisen nach Verdun Nicht nur der Gedenktourismus, sondern auch Pilgerreisen zu den Orten des gewaltsamen Todes sowie des Wirkens der als heilig erachteten Soldaten existieren schon kurz nach Kriegsende. Die Unterscheidung von Touristen und Pilgern ist nicht immer einfach und von mehreren Autoren wurden unterschiedliche Kriterien herausgearbeitet, um die Personengruppen voneinander abzugrenzen.74 Aus all diesen Definitions- und Unterscheidungsmerkmalen sind im Licht der vorliegenden Arbeit maß74 MOSSE (1993: 189) zum Beispiel betont, dass Pilger – im Unterschied zu Touristen, die bestimmte Anforderungen an die Bequemlichkeiten der Reise stellen und keine Ortskenntnisse aufweisen – keine Mühen scheuen, um den Kriegsschauplatz aufzusuchen, sie wenige Ansprüche hinsichtlich des Reisekomforts haben, sich vor Ort auskennen und pietätvoll verhalten. Die Ernsthaftigkeit ihrer Reise ist für diese Personengruppe charakteristisch (MOSSE 1993: 190). WALTER (1993: 85f), der sich u. a. mit organisierten Schlachtfeldtouren auseinandersetzt und diese auch eher in der Sphäre des Religiösen als im Bereich des Tourismus verankert sieht, verwendet für seine Argumentation sechs Merkmale zur Unterscheidung beider Gruppen: 1. die Reiseanbieter selbst nehmen diese Unterteilung vor, 2. die Pilger haben vor allem ein Ziel: den Besuch eines Grabes oder Denkmals, 3. das Reiseziel wird durch die dort begrabenen Gefallenen von der Gesellschaft legitimiert, 4. wie mittelalterliche Wallfahrten auch, so haben die Schlachtfeldbesuche oftmals Volksfestcharakter, 5. das Schlachtfeld und die Gräber werden als sakral angesehen und 6. wird der Pilger durch die Gegenwart der sterblichen Überreste der als heilig erachteten Gefallenen geheilt und erfährt sich als Ganzes. Allerdings verweist WALTER (1993: 86f) auch auf drei Unterschiede zu klassischen Pilgerfahrten: Die heilende Wirkung des Schlachtfeldes ist erstens weniger spirituell, sondern vielmehr psychologisch zu begründen, und dies bewirkt, dass sich bei den Schlachtfeldpilgern keine institutionalisierte Solidarität einstellen wird, wie bei den meisten mittelalterlichen Reisen. Zweitens ist der Weg zum als sakral erachteten Ort für die Pilger nicht mehr so beschwerlich und sie müssen ihre Heimat nicht wie einst für eine lange und gefährliche Reise verlassen. Auch erweitern moderne Schlachtfeldfahrten nicht wie ehemals den Horizont des Pilgers, da der moderne Pilger bereits als Tourist relativ viel von der Welt gesehen hat.
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geblich drei Punkte von Bedeutung: Die Pilger kommen – unabhängig davon, ob sie nun ein bestimmtes Grab aufsuchen wollen oder symbolisch aller Gefallenen und der Schlacht gedenken möchten – an einen von ihnen als sakral erachteten Ort, verhalten sich dort in angemessener, pietätvoller Weise und kehren verändert und bereichert an ihren Heimatort zurück. Dieser Definition folgend können Personen, die als ‚Tourist‘ das Schlachtfeld besichtigen, es während des Besuches als sakral wahrnehmen und daraufhin ihr Verhalten anpassen. Damit verbunden ist dann eine andere Eigenwahrnehmung, so dass sie den Ort als Pilger verlassen. Einige Besucher fühlen sich auch, obgleich sie nicht um einen Vorfahren trauern, als Pilger. Ja, ich fühle das wie eine Pilgerfahrt. Es ist das Gedenken. […] ich habe Geschichte studiert, ich sehe das vielleicht ein wenig anders. Insgesamt, so formuliert ein anderer Urlauber, sind [Schlachtfeldtouristen] […] ein wenig [wie Pilger]. Es gibt nichts mehr, wohin man heutzutage pilgert. […] Es gibt Menschen, die über das Leben nachdenken und an solche Orte gehen. Dass sie jedoch in der Minderheit sind, konnte in Kapitel IV/2.1.3 (‚Gedenktourismus auf den Schlachtfeldern von Verdun‘) gezeigt werden. Das als sakral erachtete Schlachtfeld und die Präsenz der in der Schlacht um Verdun gefallenen Märtyrer ziehen schon seit den 1920ern jährlich Pilger an. Begonnen wurden die Reisen meist von Witwen und Hinterbliebenen der Gefallenen. Aber auch Verdun-Veteranen und ihre Familien kamen vor allem mit dem Zug nach Verdun und stiegen dann oft in Taxen und Busse um, um auf das Schlachtfeld zu gelangen. Sie sind gekommen, um sich daran zu erinnern, was sie durchlebt haben. Was sie erlitten haben. Da die Transportbedingungen jedoch trotz der Zugverbindung noch sehr schlecht waren, reisten vorwiegend Personen aus der nördlichen Region Frankreichs an. Zunächst kamen diese individuell Reisenden auf das Schlachtfeld, […] um sich an den Ort zu begeben, an dem sie gekämpft haben oder die Grabstätte eines Kameraden zu finden, der während der Kämpfe gefallen ist. Nach und nach wurde das organisiert. Zuerst hat das damalige Fremdenverkehrsamt […] einiges organisiert, um zu verhindern, dass die Leute überall ein wenig auf dem Terrain herumrennen. Weil der Boden war sehr gefährlich, das darf man nicht vergessen. Im Laufe der Jahre fuhren immer mehr Pilger nach Verdun, doch nachdem der Zenit in den 1960/70er Jahren überstiegen war, sank ihre Zahl kontinuierlich. Heute, so die Meinung vieler Akteure, kommen nur noch sehr wenige bis keine Pilger auf das ehemalige Schlachtfeld von Verdun, da mindestens schon zwei Generationen zwischen den Veteranen und Hinterbliebenen liegen. Heute kann man, um ehrlich zu sein, nicht mehr von Pilgerreisen reden. […] Die Pilger-
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reisen waren vor 25 Jahren. An dieser Einschätzung wird deutlich, dass vor Ort als ‚wahre Pilger‘ lediglich die Veteranen selbst und deren direkte Hinterbliebene anerkannt werden. Entgegen dieser Einschätzung gibt es auch immer noch – wenn auch hinsichtlich der an ihnen teilnehmenden Personen eher als nebensächlich einzustufende – Pilgerreisen, die vor allem von patriotischen Vereinen organisiert werden.75 Allgemein werden [die Pilgerreisen] von Vereinen organisiert, die von Veteranen gegründet wurden. Ich denke […] an Ceux de Verdun […]. Also Leute, welche die Enkel oder Urenkel sind und welche diese Art der Familientradition, nach Verdun zurückzukommen, aufrechterhalten. Nicht mit dem Ziel, in der Geschichte zu wandeln, sondern mit den Ziel, das Andenken zu ehren oder einem Ereignis zu gedenken. Meistens ist es an ein Familienmitglied, ein Regiment bzw. eine Vereinigung gebunden, die das Gedenken an ein bestimmtes Regiment erhält. Die Pilgerfahrten von Ceux de Verdun sind in heutiger Zeit in zwei Gruppen organisiert. Die meisten Teilnehmer reisen in Form einer Busgruppe, eine zweite und wesentlich kleinere Gruppe mit dem Auto. Die Busgruppe startete beispielsweise 2003 freitags in Orléans und fuhr nach einer Übernachtung in Paris, wo weitere Mitglieder von Ceux de Verdun hinzustießen, am Samstagvormittag nach Saint-Mihiel, wo einige Gedenkorte aufgesucht wurden. Am Samstagabend trafen sich alle Teilnehmer zu einem gemeinsamen Abendessen im Restaurant ‚Abri des Pèlerins‘ auf dem Schlachtfeld von Verdun, unweit des Beinhauses. Hierbei wird ein alter Ritualbestandteil aufgegriffen, der das Gemeinschaftsgefühl unter den Teilnehmern stärken soll: die sonntäglichen Versammlungen der Mitglieder vor der Gedenkmesse im Theater von Verdun, die damals aufgrund von Terminschwierigkeiten eingestellt wurden. Doch nicht nur das Treffen selbst, auch der Ort knüpft an ehemalige Pilgerreisen an: Ab den 1920ern konnten sich in dieser Schutzhütte die Pilger, allen voran die Veteranen, stärken und ausruhen. Im Anschluss an das Abendessen besuchte ein Teil der Gruppe die Licht- und Tonschau der Schlacht von Verdun. Der Sonntagmorgen stand im Zeichen der offiziellen Zeremonien in der Kathedrale, am Kriegerdenkmal und im Rathaus. Am Nachmittag besuchte die Busgruppe das Rathaus von Souilly, in dem der Kommandoposten des Sektors von Verdun während des Krieges untergebracht war. Gegen Einbruch der Dunkelheit ver75 Neben den bis heute existierenden Fahrten von Ceux de Verdun können beispielhaft noch jene der ANSBV genannt werden, die bis zu Beginn der 1980er Jahre im September stattfanden und später in den Juni verlegt wurden. Die Pilgerfahrt ab 1982 dauerte von Samstag bis Dienstag und startete in Paris. In ihrem Ablauf glich sie den Busreisen von Ceux de Verdun.
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sammelten sich die Teilnehmer am Beinhaus, um an der Ablösungszeremonie teilzunehmen. Am folgenden Morgen verließ die Gruppe Verdun und fuhr nach einem Museumsbesuch in Varennes en Argonne zurück in die Hauptstadt. Die Pilgerfahrt 2003 zeichnete sich durch ein ungewöhnlich vielfältiges und langes Programm aus. In den vorherigen Jahren reiste der Bus lediglich zu den offiziellen Zeremonien an. Auch die Einladung und Integration von zwei Schülern in die Pilgerfahrt stellten ein Novum sowie einen Versuch dar, die Flamme des Gedenkens an die junge Generation weiterzureichen. Die zweite und kleinere Gruppe reiste ehemals mit dem Zug aus dem Süden Frankreichs an, doch da dies aufgrund gesundheitlicher Probleme des Leiters nicht mehr möglich und auch die Gruppe relativ klein ist, wird inzwischen auf das Auto zurückgegriffen. In ihrem Programm und Aufbau ähnelt sie im Kern schon seit Jahrzehnten dem vorher beschriebenen Ablauf der Busreise: Die Anreise erfolgt am Freitag, der Samstag ist dem Besuch einiger Gedenkorte gewidmet und der Sonntag steht im Zeichen der offiziellen Gedenkzeremonien sowie der Nachtwache am Beinhaus. Darüber hinaus verlängert sich das Programm noch um zwei Tage, an denen weitere Orte des Gedenkens besucht werden und der Leiter den Teilnehmern Wissen über die Geschichte, die Bedeutung des Gedenkens sowie lokale kulinarische Spezialitäten vermittelt. An der Aufspaltung dieser zwei Gruppen, die auch während der gemeinsamen Zeit in Verdun nicht zusammen im Bus die Gedenkorte anfahren sowie in verschiedenen Hotels untergebracht sind, zeigt sich, dass es sich bei den Pilgern von Ceux de Verdun nicht um eine homogene Pilgerschaft handelt. Dennoch bildet sich im Zuge des Rituals eine Gemeinschaft heraus, die zwar nicht den Anforderungen einer Communitas im Sinne von TURNER & TURNER (1978) entspricht – also der völligen Gemeinschaft und Kommunikation –, aber dennoch Ähnlichkeiten mit der kirchlichen Kommunion aufweist: Es gibt eine Art Kommunion […] wie in der Kirche – eine Vereinigung zwischen den Pilgern. Das ist der Kern dieser Pilgerfahrt. […] Und auf jeden Fall haben jene, die hierher kommen, alle das gleiche Ziel: Sehen, verstehen, versuchen aufzudecken, was das Leid der Poilus von Verdun bedeutete. Und das erzeugt eine Verbindung zwischen uns. Teilweise wird diese Ansicht noch spezifiziert und die Pilgerfahrt mit der Erstkommunion verglichen: Das ist […] ein bisschen wie die Leute, die ihre Erstkommunion haben […], es ist eine Zeremonie mit dem Kind, das seine Erstkommunion hat und da ist die Familie, die sich vereint, es gibt ein großes Essen etc. In dieser Sichtweise entspricht der Weltkriegssoldat dem Kind, das die Kommunion empfängt und anlässlich dessen sich die Familie der Pilger versammelt. Die Analogie zur christlichen Gemeinschaft wird dahingehend 175
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abgerundet, dass sich der Leiter der kleinen Gruppe zu seiner Tätigkeit ebenso berufen fühlt wie ein Pfarrer: Ich bin zum Gedenken gekommen wie ein Pfarrer in die Religion eintritt. Das ist so. Das erklärt sich nicht.
2.3.3 Christliche Symbole und Zeichen Wie bereits in den vorhergehenden Kapiteln ersichtlich, wurden in die Gedenkrituale viele christlich-religiöse Zitate eingebaut. Christliche Symbole beherrschen mehr als klassische Symbole den Gefallenenkult, da sie die Hoffnung auf eine Überwindung des Todes wecken (MOSSE 1993: 94). Doch nicht nur in den Ritualen werden christliche Riten integriert, auch an den Gedenkorten selbst findet man zahlreiche religiöse Verweise.76 Ein auf dem Schlachtfeld fast schon allgegenwärtiges Symbol mit religiöser Konnotation stellt das Kreuz dar, das nicht nur auf den Friedhöfen, sondern auch an den anderen Gedenkorten anzutreffen ist. Entweder ist es in stilisierter Form (Schwert und Kreuz gehen ineinander über) abgebildet oder befindet sich, wie beispielsweise beim Beinhaus, in die Fassade eingraviert. Ein weiteres wichtiges Symbol ist jenes der Schwelle. Sowohl bei der Krypta des Siegesmonuments als auch beim Beinhaus führt der Weg zu seinem Eingang über eine relativ große und mächtige Treppenanlage, die das Monument von der Umgebung abgrenzt. Zudem kann die Schwelle in Form einer großen Freifläche vor dem Kriegerdenkmal dargestellt sein, die ebenso eine Trennung zwischen Gehweg und Monument markiert. Auch die monumentalen Eingangstüren von Beinhaus und Krypta im Siegesmonument verweisen auf eine Aufhebung der räumlichen Kontinuität und rufen ehrfürchtige Gefühle beim Betreten der Orte hervor. Die sterblichen Überreste der Verdun-Veteranen liegen im Untergeschoss des Beinhauses und werden durch kleine Glasscheiben an der Rückseite des Gebäudes von fast allen Besuchern betrachtet. Im Gegensatz zu den in den Kirchen aufgebahrten Reliquien der Heiligen handelt es sich bei ihnen um anonymisierte Knochen der als Märtyrer angesehenen und verehrten Soldaten. Auch die vertikale Verbindung zum Himmel beispielsweise in Form eines Turmes, ein Verweis auf das Überirdische, ist nicht nur beim Beinhaus gegeben. Ebenso erfüllt das erhaben platzierte Siegesmonument mit seiner beachtlichen Höhe diese Funktion. Doch auch die Farben und Klänge sind Zeichen des Heiligen. Vor allem im Beinhaus wird dies besonders
76 In diesem Kapitel werden die christlichen Symbole nur anhand der für die Gedenkrituale relevanten Gedenkorte dargestellt. Da ihre Präsenz in der Kathedrale offensichtlich ist, wird auf sie nicht weiter eingegangen.
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deutlich: Der Besucher taucht, sobald er die Treppen und Eisentüre passiert hat, in ein orangefarbenes Licht, das an das mit dem Gold der Ewigkeit vermischte rote Blut der Soldaten erinnert. Nicht nur an den Gedenkorten verweisen Symbole auf den christlichen Glauben, auch während der Rituale werden verschiedene religiöse Zeichen verwendet. Zu nennen sind hier einerseits die Schweigeminute im Zuge der Kranzniederlegung, die als weltliche Umsetzung eines Gebetes zu deuten ist (PROST 1977: 54), andererseits die Präsenz der weißen Tauben, die häufig nach der Kranzniederlegung am Kriegerdenkmal oder ehemals nach den Zeremonien am Siegesmonument in den Himmel steigen und als Symbol des Heiligen Geistes und des Friedens gelten. Hinsichtlich der Zeremonie am Beinhaus ist ebenso die Uhrzeit von Bedeutung. Die Zeremonie beginnt in der Abenddämmerung, der Zeit des Überganges vom Licht zum Dunkel, die im christlichen Glauben ebenso wie die Morgendämmerung durch Gebete und Rituale gekennzeichnet ist (BÄUMER 2003: 698). Auch das aus den Scheinwerfern des Beinhauses erstrahlende Licht, das während der Ablösungszeremonie über das in Dunkelheit gehüllte Schlachtfeld rotiert, ist als Hauptsymbol des Heiligen während der Rituale von immenser Bedeutung.
2.3.4 Sakrilege Vergehen gegen das als sakral erachtete Schlachtfeld von Verdun zeigen sich auf mehreren Ebenen. Zum einen geht es um unangemessenes Verhalten auf dem Schlachtfeld und seinen Gedenkorten, zum anderen um verbale Äußerungen über den ehemaligen Kriegsschauplatz. Vor allem im Beinhaus und auf dem davor liegenden Soldatenfriedhof kommt es gelegentlich zu Fehlverhalten, welche die Verärgerung der beobachtenden Personen nach sich zieht. So berichtete – wie schon erwähnt – beispielsweise ein seit über 20 Jahren regelmäßig nach Verdun reisender Pilger fassungslos und aufgebracht von einem Kind, das auf ein Kreuz kletterte und nicht von seinen Eltern diszipliniert wurde. Auch unangemessene Kleidung wie Fahrradbekleidung oder kurze Hosen bzw. laute Gespräche im Beinhaus werden gerügt: Dort gibt es eine Stimmung, die bewirkt, dass man gezwungen ist, sich korrekt zu verhalten. Ebenso werden bestimmte Äußerungen über das Schlachtfeld von Verdun als Sakrileg gewertet. Beispielsweise sprach ein Interviewer während der empirischen Erhebungen für die Studie RENIMEL vom Gedenkpark Verdun. Allein das Wort ‚Park‘ bewirkte, dass die […] Leute in die Luft gegangen sind. Das war tatsächlich eine Reaktion … ich war der Zerstörer eines Heiligenbilds, ein Ikonoklast. Das war eine religiöse Reaktion, ich hatte ein Tabu verletzt. Ein Sakrileg. […] Weil ‚Park‘ ist
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ein säkulares Wort, das heißt ein Wort der nichtreligiösen Welt. Ein Park, das ist ein Park der Attraktionen, ein Park der Entdeckung, ein Botanischer Park – aber nicht des Gedenkens! Wenn auch nicht im Kontext eines Sakrilegs, doch ebenso scharf von einigen Pilgern kritisiert, wird die touristische Inwertsetzung und Vermarktung des Schlachtfeldes. Eine Schlachtfeldführerin zweifelte, ob ihre Führungen auf die Gedenkorte der Schlacht von Verdun angemessen seien:77 […] etwa ein Jahr nachdem ich mich selbstständig gemacht hatte […] habe ich mich gefragt: darf ich [mit den Führungen] Geld verdienen? […] Darf ich das machen? […] ich habe mir wirklich die Frage gestellt, ob ich weitermachen soll. Ob das nicht irgendwie, ich will nicht das Wort ‚versündigen‘ sagen, ich habe nicht an Sünde gedacht […], einfach ob das richtig ist. Auch wenn sich die Führerin gegen das Wort ‚versündigen‘ wendet, hat sie dennoch die Befürchtung, den Ort zu entweihen bzw. die Ruhe der Toten für ihren Lebensunterhalt zu stören. Und dann ist es einmal vorgekommen, es war schon morgens, […] da hatte ich das Gefühl […] dass da jemand kommt. Und das war ein Soldat […]. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob es ein Franzose oder ein Deutscher war und [er] hat mich in den Arm genommen. […] habe ich mich wohl gefühlt, wie im Himmel! […] ganz einfach so leicht, so, ich weiß auch nicht, das lässt sich nicht erklären. […] Und es war ein Soldat. Und dann wusste ich: Ich darf weitermachen, wenn ich das mit Respekt mache.
2.3.5 Sakrale Räume des Glaubens Das verortete rituelle Gedenken an Verdun ist nicht nur ein Spielball ideologisch-politischer Interessen. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts bestand eine enge Verbindung zwischen nationaler Politik, der Bereitschaft zur Gewaltanwendung sowie religiöser Heilserwartung (KRUMEICH & LEHMANN 2000: 1). Allein schon der Sprachgebrauch in dieser Zeit (‚Sakrale Einheit‘, ‚Heilige Flamme des Gedenkens‘, ‚Sakrale Straße‘, ‚Verdun ist aus den Ruinen auferstanden‘ etc.) verweist auf die Existenz einer Zivilreligion sowie die bestehende Sakralisierung des ehemaligen Kriegsschauplatzes und des Gedenkens. Bis heute hat sich die Beziehung zwischen nationalen und religiösen Elementen auf dem Schlachtfeld von Verdun nicht nur in der Sakralisierung des Bodens, der
77 Diese Äußerung ist sehr ernst zu nehmen und erfolgte unaufgefordert gegen Ende des Gespräches. Die Thematik einleitend erklärte die Interviewpartnerin, dass sie noch etwas zu erzählen habe, damit ihre Wahrnehmung des Schlachtfeldes richtig und vollständig dargestellt sei.
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vom Blut der für das Vaterland geopferten Soldaten getränkt ist, gehalten. Auch ist die christliche Symbolik vieler Monumente und die christliche Liturgie im rituellen Gedenken ein Spiegel dieses Verhältnisses. Ein Ausdruck der Sakralisierung des Schlachtfeldes besteht in der dort verspürten Aura und Mystik. Verdun ist im Gegensatz zu anderen [Orten] ein wenig besonders. […] Weil Verdun hat schon immer eine Aura, eine ganz besondere Sache […]. Oder kurz und prägnant ausgedrückt: [...] also das ist ein Ort, der ist nicht wie andere Orte. Die Andersartigkeit des Ortes führen die Pilger teilweise auf die besondere Stille des Ortes zurück: Ich finde es gibt dort eine besondere Atmosphäre. Es gibt dort etwas, das [zu einem] spricht. Es ist die Stille, die spricht. Es gibt dort eine Stille, die man nicht woanders findet. Andere begründen den Charakter des Ortes mit einer gefühlten Anwesenheit der Toten bzw. Märtyrer. Ich fühle eine Präsenz um mich herum, […] ich fühle, dass ich nicht alleine bin. Und dann stelle ich mir auch vor, dass an dem Ort, wo ich laufe, Soldaten aus ihren Schützengräben empor kamen, die sich haben töten lassen, die verwundet wurden. Und dann die, die im Boden blieben, die beim Rufen nach ihrer Mutter gestorben sind, egal ob auf deutscher Seite oder französischer Seite. Nicht selten werden Geschichten erzählt, welche die transzendente Präsenz der Gefallenen zum Gegenstand haben. Beispielsweise berichtet ein Pilger davon, dass er – während er zum ersten Mal eine Fahrt auf dem Schlachtfeld ohne Ortskenntnisse und Kartenmaterial organisierte – das Gefühl hatte, ihn führe jemand über das Schlachtfeld. Ich habe mich kein einziges Mal verfahren […] als würde mich jemand führen. […] vielleicht [war es] irgendwie mein [in Verdun gefallener] Großvater im Himmel. Man weiß nie. Eine weitere ähnliche Erzählung verweist auf einen merkwürdigen Zufall, der ebenfalls einem Pilger widerfahren ist. Er musste die Suche nach Informationen über in Verdun kämpfende Soldaten mangels Informationen vor Ort einstellen. Auf seiner Rückreise nach Paris fuhr der Befragte spontan von der Autobahn in Reims ab und ging, ohne zu wissen warum, zielstrebig in die Kathedrale. Dort erfuhr er von einem Pfarrer, dass in der Sakristei die benötigten Informationen zu finden seien. Als er den gesuchten Bericht aufschlug, öffnete er eine Seite, auf welcher der Ort geschrieben stand, an dem er in Verdun seine Suche beendet hatte. Auch er führt seine unerklärbare Abfahrt von der Autobahn und seinen direkten Weg in die Kathedrale von Reims auf die Hilfe der gefallenen Soldaten zurück. Neben den scheinbar durch Geisterhand geführten Personen macht sich die gefühlte Gegenwart der Toten auch anders bemerkbar: Mir ist eine ganz schreckliche Sache auf der Höhe 304 passiert. Es war der Wind, der in den Büschen wehte, aber ich hatte den Eindruck, dass dort jemand seufzte. Ich hatte wirklich 179
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den Eindruck, dass dort jemand ist. Und ich hatte so Angst, das hat mich so bewegt, dass ich zum Auto gegangen bin. Und dann höre ich auf einmal [wieder das Seufzen] ‚aaah‘. Ich habe mich umgedreht und es war immer noch der Wind der wehte und niemand war da. Aber auf dem Boden habe ich Moos entdeckt, das den Anschein erweckte, etwas runder zu sein. Ich habe mich runtergebeugt, gekratzt und einen Totenkopf gefunden. Ich hatte noch nie im meinem Leben derartig Angst. Er hob den Schädel auf und brachte ihn an den für ihn bestimmten Ort, ins Zentrum des Schlachtfeldes, ins Beinhaus. Nach diesem Erlebnis war der bis dahin nicht gläubige Mann von einem Leben nach dem Tod überzeugt: Seitdem ich mich mit Verdun beschäftige, habe ich zu häufig den Beweis [hierfür] gesehen. Auch Leute, die auf dem Schlachtfeld arbeiten, berichten von der Andersartigkeit des Ortes. [...] so lange wir arbeiten auf den Schlachtfeldern, da sind wir nie müde. Da sind wir nie müde. [...] Glauben Sie, da renne ich auch herum – bergauf, bergab, in Tunnels und überall – ich spüre keine Müdigkeit, aber sobald die Arbeit fertig ist, da werde ich müde. Was man im Kontext der Müdigkeit auch einfach mit einer Passion für seinen Beruf oder einer angespannten Situation erklären könnte, bekommt bei der Fortführung der Erzählung eine andere Note. Wie oft bin ich hingefallen – ich habe mir noch nie was gebrochen. […] im Vaux Fort […] [bin ich] ausgerutscht und mit dem Kopf hinten gegen den Stein [geschlagen]. Oh und die dachten alle: ‚Jetzt hat sie einen Schädelbruch‘. Ich bin aufgestanden und hatte nichts […] – das war wie ein Luftkissen hinter meinem Kopf. Egal ob Führer oder Schutzengel, die Aura des Ortes bewirkt bei vielen Pilgern auch, dass das Schlachtfeld als Quelle für Kraft fungieren kann. Beispielsweise fahren Leute aus der Umgebung von Verdun, wenn es ihnen schlecht geht, auf das Schlachtfeld. Das gibt mir wieder Kraft. Ich weiß nicht, dass ist blöd zu sagen, aber es gibt dort […] eine Kraft, die einen auflädt, wenn man an [die Gefallenen] denkt. […] Wenn es mir stimmungsmäßig nicht gut geht, fahre ich nach oben und dort geht es mir besser. Diese fast schon Gespenstergeschichten ähnelnden Erzählungen zeugen vom übernatürlichen Charakter des Ortes und leugnen nicht nur die Endgültigkeit des Todes auf dem Schlachtfeld, sondern können auch mit der Auferstehung Christi in Verbindung gebracht werden sowie die Nation mit Hoffnung erfüllen (MOSSE 1993: 99). Nicht nur im Kontext von Pilgerreisen, auch hinsichtlich des Tourismus verweisen Leute auf einige irrationale, unerklärbare Phänomene in Verdun und nennen die Wetterresistenz beim Schlachtfeldbesuch und Personen, die ‚schon immer‘ vorhaben, Verdun zu besuchen und sich dann mit dem ‚Virus von Verdun‘ infizieren. Dies erstaunt nicht, denn 180
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schon seit jeher ist „[…] das Heilige mit ‚hervorragenden Orten‘ (hauts lieux) verbunden. […] Noch heute wirkt diese Heraushebung bestimmter Orte weiter, die zu Attraktionen des Tourismus geworden sind und von riesigen Menschenströmen besucht werden“ (KAMPFER & WULF 1987: 18). Durch ihre Aura der Sinnverdichtung und Intensität werden die Besucher angelockt und berührt (KAMPFER & WULF 1987: 18). Dass die Schlachtfelder als sakral oder heilig angesehen werden, ist in den Augen mancher völlig logisch und normal. CHAUNU (1996: 24) ist beispielsweise dieser Meinung und begründet seinen Standpunkt damit, dass wenn mehr als 700.000 Tote auf einem so kleinen Gebiet wie dem Schlachtfeld von Verdun liegen, dieser Boden zu einem sakralen Boden, einem fast schon heiligen Boden wird. Für uns ist es sakral, weil hier viele Leute gestorben sind, getötet wurden, gelitten haben. Für uns ist es sakral. Beim Schlachtfeld handelt sich also um einen riesigen Friedhof, auf dem heute noch die sterblichen Überreste von 100.000 bis 150.000 Soldaten liegen. Und ein Friedhof ist, um die logische Kette zu schließen, per Definition ein sakraler Ort. Ausdruck dieser als sakral erachteten Erde sind neben den vielfältigen christlichen Symbolen kleine Urnen, die mit heiliger Schlachtfeld-Erde gefüllt sind und früher verkauft wurden, um den Bau des Beinhauses zu finanzieren. Auch zu Einweihungen von Kriegerdenkmälern außerhalb Verduns wurde und wird manchmal Erde des Schlachtfeldes angefragt, um eine Verbindung zwischen dem Symbol der Gefallenen und ihrer letzten Ruhestätte herzustellen. Auch wenn an anderen Orten des Schlachtfeldes wie beispielsweise in den Befestigungswerken Vaux und Douaumont viele Toten liegen und kleine Kapellen errichtet sind – der sakralste Punkt des Schlachtfeldes ist das Beinhaus. Vor allem während der Zeremonien ist es aufgrund der Masse der dort ruhenden Gefallenen ein sakraler Ort ‚par excellence‘. In ihm und vor seinen Toren auf dem Nationalfriedhof sieht man all diese Toten, all diese Kreuze. Man sagt sich ‚Oh mein Gott‘. Und man sieht, dass sie so jung waren. Fast alle waren sehr jung. Hier findet der Mensch etwas Konkretes, Greifbares: die bis in die Ewigkeit vereinten Gebeine der ehemaligen Kriegsgegner und heutigen Märtyrer. Zudem repräsentiert es symbolisch die Geschehnisse in Verdun und vereint in den dort gehaltenen Gedenkmessen alle Kulte. Das Beinhaus und Verdun sind einige der wenigen Orte in der Welt, wo das Irrationale einen Sinn hat.
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RITUALE MACHEN RÄUME
2.4 Historisierung des Gedenkens und der Schlachtfelder von Verdun Da ohne Wissen über ein Ereignis diesem keine politische und sakrale Bedeutung zugesprochen werden kann, ist mit der Politisierung und Sakralisierung des Gedenkens eng das Wissen über die Schlacht von Verdun verbunden. Eine Vermischung von Glauben und Wissen zeigt sich beispielsweise in einem als sakral erachteten Buch ‚Verdun 1916‘ von Jacques Péricard, das die Kriegsereignisse aus Perspektive der Soldaten anhand zahlreicher persönlicher Erinnerungen, Fotos und Dokumente thematisiert. Für uns [die Hobby-Historiker und Sammler] ist es eine Bibel. Es ist wie die Bibel, weil es mit all den Dokumenten und Zeugnissen gemacht wurde. Und alles niedergeschrieben. Das ist sehr, sehr wichtig. Die Historisierung des Gedenkens zeigt sich auf unterschiedlichen Ebenen und findet nicht zwangsläufig im Kontext der Rituale des Gedenkens an die Schlacht von Verdun statt. Im Kontext ritueller Handlungen am wichtigsten sind die Nachstellungen ehemaliger Schlachtenszenen, die allerdings in Verdun kaum durchgeführt wurden. Lediglich im Jahr 1984 fand eine Militärparade in historischen blauen Uniformen von 1914–1918 mit ca. 50 Armeemitgliedern statt und ein Militärlager wurde von rund 30 Sammlern nachgebaut. Ein offizielles Re-enactment der Schlacht von Verdun und auch allgemein des Ersten Weltkrieges ist in Verdun nicht verbreitet. Dies wird vor allem auf technische Schwierigkeiten zurückgeführt: Ein Kampf in den Schützengräben ist nicht leicht nachzustellen und im Krieg von 1914–18 gab es kaum Militärlager, die relativ einfach nachgebaut werden können. Auch dürfte es unmöglich sein, in der Roten Zone die Erlaubnis zu bekommen, einen Schützengraben für diese Zwecke zu verwenden bzw. auszuheben. Zudem liegt der Krieg schon relativ lange zurück, so dass die zur ‚Authentizität‘ benötigten Gegenstände schwieriger und kostspieliger zu erwerben sind. Falls es Nachstellungen des Krieges auf dem Schlachtfeld von Verdun gibt, so finden sie inoffiziell und nur im Kreis der Eingeweihten statt. Im Zusammenhang mit nicht-rituellen Handlungen erfolgt das historisierende Gedenken vor allem auf den Schlachtfeldern durch Sammler, die ebenso auf eine etwas andere Art und Weise am Gedenken interessiert sind. Es ist eine Art und Weise zu gedenken. […] Man lässt seine Objekte und Dokumente weiter leben. Die von KRUMEICH (1996: 163) als Schlachtfeldfanatiker oder ‚Verdunläufer‘ bezeichneten Sammler konzentrieren sich auf unterschiedliche Gegenstände, von Dokumenten bis hin zu Uniformen und Waffen, und begeben sich je nach Schwer182
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punkt an unterschiedlichen Orten auf die Suche nach den begehrten Objekten. Eine Möglichkeit sind Militärbörsen, die allerdings in Verdun nicht mehr stattfinden; sogar kleine, auf Schlachtfeldexperten spezialisierte Läden in der Stadt sind heute kaum mehr zu finden. Ein anderer Weg, um an die gewünschten Objekte zu gelangen – sofern es sich um Waffen handelt – ist der nicht risikoarme Gang auf das Schlachtfeld, das sie systematisch auf der Suche nach Objekten abschreiten. Die sammeln halt gerne so altes Zeug, was manchmal auch […] sehr gefährlich ist. [...] Wenn sie [in baufällige Befestigungswerke] reingehen […]. Es gibt auch fast jedes Jahr tödliche Unfälle. Weil die Leute die Gefahr nicht sehen [...]. Und wenn einem so [eine Granate] in der Hand explodiert, dann kann man danach Stücke von den Bäumen kratzen, aber genauso ist es. Dieses Risiko wird in Kauf genommen und macht sogar einen Teil des Reizes aus, ergänzt durch das Interesse an vornehmlich technischen Details der Artefakte. Das Memorial von Verdun stellt viele historische Gegenstände aus und ist für die Sammler ein Ort, an dem sie die ‚Authentizität‘ der gefundenen oder erstandenen Objekte überprüfen können. Hierher kommen sie in einem privaten Ritual, um ihr Wissen zu erweitern und ihre neuen Errungenschaften zu identifizieren. Die Museen ermöglichen allen Sammlern, […] die Realität zu identifizieren. Es ist für sie durch ihre Funktion als Warenlager von Uniformen und Waffen ein Ort der Wahrheit, ihr Nirwana. Dadurch, dass im Memorial viele Gaben von Veteranen ausgestellt sind, kann die Zuschreibung als Heiligtum auch aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden: Das Memorial erhält die Soldaten für immer am Leben und macht sie so unsterblich (GENEVOIX 1968: 14). Neben seiner Funktion als Nirwana und Heiligtum dient es vielen Menschen beim Stillen ihres Wissensdurstes. Wenn man hier herkommt, dann will man etwas erfahren und man weiß, dass das nicht immer angenehm für einen selbst ist. […] Und dann hören sie, wie es den Menschen hier wirklich ging, unter was für Umständen sie hier gelebt, gekämpft und gestorben sind, das ist wichtig für die Leute, dass die das genau wissen und dann gehen sie eben um eine Erfahrung reicher und nicht um irgendeinen Heiligenschein oder so was. Auch wenn sich die Konstruktion der historischen Räume des Wissens in Verdun vielfach auf nicht-rituelle Handlungen stützt und maßgeblich der Gang auf das Schlachtfeld oder in das Museum für die Sammler und Hobby-Historiker zu einem persönlichen Ritual wird, so stellt dennoch die Aufarbeitung des massenhaften Todes durch das Wissen eine dritte wichtige Komponente im Umgang mit der Vergangenheit und für die Konstruktion von Räumen dar.
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V
RITUALE DER
RÄUME ALLIIERTEN LANDUNG UND
IN DER
NORMANDIE
D-Day1 1944, die Landung und Invasion in der Normandie mit dem Decknamen ‚Overlord‘, war nach der deutschen Niederlage in Stalingrad eine wichtige Voraussetzung für die Befreiung Europas von der Diktatur des Nationalsozialismus. So, wie man beim Ersten Weltkrieg an Verdun denkt, assoziiert man in Frankreich mit dem Zweiten Weltkrieg die Normandie. Aus diesem Grund stellen die Landungsstrände neben den Schlachtfeldern von Verdun die herausragendsten Gedenkorte der neuen Geschichte Frankreichs dar. Wie in Verdun, so ist auch der Küstenabschnitt der Unteren Normandie (Basse-Normandie) stark durch die Spuren des Krieges sowie des Gedenkens an die alliierte Landung geprägt.
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Landungsstrände in der Normandie
Nicht die ganze Normandie, lediglich rund 120 km des Küstenbereichs und des angrenzenden Hinterlandes der Unteren Normandie waren Schauplatz der größten Seelandung der Militärgeschichte (KRECH 2000: 78). Diese seit dem Treffen von Roosevelt, Churchill, de Gaulle und General Giraud mit ihren Stabchefs in Casablanca im Januar 1943 beschlossene Militäraktion zur Eröffnung einer zweiten Front in Europa wurde monatelang bis ins letzte Detail geplant. Um die Befestigungswerke des Atlantikwalls zu zerstören und das deutsche Verteidigungssystem zu schwächen, wurden schon in den zwei Monaten vor der Lan1
Die Abkürzung D-Day steht nicht wie häufig angenommen für ‚Debarquement‘ oder ‚Decision‘, sondern entspricht der britischen Übersetzung des deutschen Ausdruckes ‚Tag X‘ bzw. des französischen Begriffes ‚Jour J‘.
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RITUALE MACHEN RÄUME
dung rund 9.000 Flüge unternommen, während derer ca. 23.000 Tonnen Explosionsmaterial abgeworfen wurden (DESQUESNES 1993: 72). Nachdem der Seeangriff wegen schlechten Wetterbedingungen kurzfristig um einen Tag hatte verschoben werden müssen, landeten im Morgengrauen des 6. Juni 1944 rund 132.800 Soldaten (davon ca. 75.300 im britischen Sektor und 57.500 im US-amerikanischen2 Sektor) an der Normandieküste. Weitere 23.500 (15.500 Amerikaner und 8.000 Briten und Kanadier) sprangen im Vorfeld der Landung mit dem Fallschirm über dem Gebiet ab (PLOIX 1964: 13, FLORENTIN 2003: 37). Auf den Landungsstränden und im angrenzenden Hinterland zwischen Quinéville und der Mündung des Flusses Orne wurden allein am 6. Juni rund 10.000 Soldaten verwundet, rund 3.000 ließen dort ihr Leben (PLOIX 1964: 17, FLORENTIN 2003: 37). Vor allem die Soldaten am Omaha Beach waren mit dem massenhaften Tod ihrer Kameraden konfrontiert: In dem Wasser, da schwammen Körperteile, das Meer war rot vom Blut. Purpurrot. Am verlustreichen Omaha Beach verloren allein in der ersten Angriffswelle 96 % der Männer ihr Leben (VON KEUSGEN 2000: 181f), insgesamt starben hier am 6. Juni von ca. 34.250 landenden rund 4.000 Soldaten (BERNAGE 2001a: 65). Alles in allem wurden in der Schlacht um die Normandie bis zum 29. August rund 438.000 alliierte und deutsche Soldaten verletzt oder getötet (DESQUESNES 1993: 228, FLORENTIN 2003: 42). Die Entscheidung der Schlacht zugunsten der Alliierten kann auf die gute Zusammenarbeit der Land-, Luft- und Seestreitkräfte unter dem Oberkommando von General Eisenhower zurückgeführt werden (KRECH 2000: 97). Aber auch die militärische Übermacht der Alliierten trug zu diesem Ausgang bei: In den 87 Tagen der Kampagne landeten mehr als 2 Mio. Männer mit mehr als 438.000 Fahrzeugen und rund 3 Mio. Tonnen Material in der Normandie (FLORENTIN 2003: 41). Die Übermacht der Alliierten gegenüber den deutschen Streitkräften macht sich beispielsweise im Verhältnis der Kampfflugzeuge (61:1), der Flottenzerstörer (16:1), der Panzer- und Sturmgeschütze (3:1) und der Landstreitkräfte (3:1) bemerkbar (GRECKO 1978: 307, zit. in KLEIN 1996: 37). Im Sektor des Omaha Beach zeigt sich die alliierte Überlegenheit besonders deutlich: Hier trafen etwa 34.250 amerikanische Soldaten auf den erbitterten Widerstand von – je nach Quellenangabe – 350 bis ca. 2.000 deutschen Verteidigern (BERNAGE 2001a: 65, VON KEUSGEN 2000: 183).
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Wenn im Folgenden verkürzend von amerikanisch oder Amerikanern gesprochen wird, bezieht sich diese regionale Einordnung immer auf die Vereinigten Staaten von Amerika.
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RITUALE UND RÄUME DER ALLIIERTEN LANDUNG IN DER NORMANDIE
Die Landungsstrände lassen sich in fünf Abschnitte unterteilen. In den amerikanischen Sektor fallen von West nach Ost Utah Beach (von Quinéville bis zur Mündung des Flusses Vire) und Omaha Beach (von der Mündung des Vire bis kurz vor Port-en-Bessin). Im britischkanadischen Sektor liegen Gold Beach (von Port-en-Bessin bis zur Mündung des Flusses Provence), Juno Beach (vom Fluss Provence bis SaintAubin) sowie Sword Beach (von Saint-Aubin bis zur Mündung des Orne) (PLOIX 1964: 8). Im Hinterland sind vor allem die Landebereiche der amerikanischen und britischen Fallschirmjäger von Bedeutung: die Gebiete von Sainte-Mère-Eglise bis Carentan und östlich der Linie CaenOuistreham (siehe Abbildung 16). Die Strände und die angrenzenden Bereiche sind heute von Explosionskörpern befreit und weite Küstenabschnitte – vor allem im britisch-kanadischen Sektor – dicht besiedelt. Ohne die zahlreichen Gedenkmonumente, Museen und Friedhöfe wären hier die Kampfzonen nur noch schwer auszumachen. Präsenter ist die alliierte Landung im amerikanischen Sektor: Vor allem am Pointe du Hoc hat man das Terrain so belassen, wie es nach der Bombardierung und Einnahme der Steilküste vorgefunden wurde. Auch das dünner bis kaum besiedelte Hinterland der Strände des Omaha und Utah Beach bewahren ihre Geschichte deutlich. 61 Jahre nach der alliierten Landung ist die Küste der Unteren Normandie einerseits ein Wohnsitz vieler Franzosen und Briten sowie andererseits aufgrund der reizvollen Landschaft eine beliebte Urlaubsregion. Zudem beherbergt sie viele Orte des Gedenkens.
1.1 Akteure des Gedenkens Die Gestaltung und Nutzung der Landungsstrände der Normandie und ihres Hinterlandes liegt hinsichtlich des Gedenkens in vier verschiedenen Händen. Erstens gibt es neben den Grundeignern (dem Staat, den Kommunen und dem Küstenschutz) verschiedene Interessengruppen, die sich an den Kriegsschauplätzen befinden und Friedhöfe oder Museen betreiben bzw. für die Errichtung von Monumenten verantwortlich sind. Eine zweite Akteursgruppe bilden die Ritualteilnehmer, die sich maßgeblich aus dem Landungskomitee, Politikern und Militärangehörigen sowie vielen Veteranen, Sammlern und Anwohnern zusammensetzen. Im Kontext des Gedenktourismus von Bedeutung sind drittens die Akteure im Tourismussektor sowie viertens die Touristen selbst.
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Abbildung 16: Die Landungsstrände der Normandie
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1.1.1 Interessengruppen an den Landungsstränden Eigner der Landungsstrände sind in weiten Teilen der Staat und die angrenzenden Kommunen. Ausnahmen stellen die relativ kleinen und verteilt liegenden Gebiete im Eigentum des Küstenschutzes (Conservatoire du Littoral) dar.3 Hierunter fallen die Küstenbatterien von Merville, die Trichtermündung des Flusses Orne, die Sumpfgebiete von Graye-surMer und Ver-sur-Mer, die Fonderies, die Batterien von Longues, Mont Castel, Omaha Beach, Pointe du Hoc, die Veys-Bucht, Beaugillot und Utah Beach (Conservatoire du Littoral 2004). Hinsichtlich der Fläche stellt Omaha Beach mit 176 ha die größte Schutzzone der Landungsstrände dar. Der Küstenschutz ist eine staatliche Verwaltungseinrichtung (établissement public national à caractère administratif), die der Aufsicht des Umweltministers untersteht und 1975 ins Leben gerufen wurde. Seine Entscheidungsinstanz ist ein Leitungsgremium (conseil d’administration), das sich einerseits aus gewählten Vertretern des Landes, der Region und des Departements und andererseits aus Repräsentanten der involvierten Verwaltungen und Umweltschutzverbände zusammensetzt. Es entscheidet über die Politik der Einrichtung und den Ankauf von schützenswerten Regionen. Die Verwaltung der Gebiete vertraut der Küstenschutz seinen Partnern (Vereine, Umweltschutzverbände, Unternehmen) an, nachdem er hierfür einen Plan entwickelt hat. Des Weiteren treten die Vereinigten Staaten von Amerika in Erscheinung, denen vom französischen Staat das Terrain des amerikanischen Soldatenfriedhofs von Colleville und des Pointe du Hoc vermacht4 wurde. Das Gleiche trifft auf die britischen und kanadischen Friedhöfe des Commonwealth zu. Der polnische Friedhof ist in französischer Hand und wird inzwischen – nachdem er zunächst vom polnischen Veteranenverein und später von der Friedhofskommission Urville (Comité du Cimetière Polonais d’Urville) geleitet wurde – durch den französischen Gräberdienst (Service des Sépultures) verwaltet (DIREN 1999: 46). Geleitet werden die amerikanischen Friedhöfe von der American Battle and Monument Commission (ABMC) (siehe Kapitel IV/1.1.1 ‚Interessengruppen auf den Schlachtfeldern‘), die britischen und kanadischen Kriegsgräberstät3
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Die Organisation besitzt insgesamt im Departement Calvados 14 Gebiete mit einer Gesamtfläche von 896 ha und im Departement Manche 30 Bereiche mit einer Fläche von 3.901 ha (Conservatoire du Littoral 2004). Hier liegen widersprüchliche Aussagen vor. Während ein Interviewpartner vom amerikanischen Territorium sprach, betont der Service des Sépultures Français nach einer schriftlichen Anfrage vom 16.05.05, dass weder die alliierten Länder noch Deutschland Grundeigentümer der Soldatenfriedhöfe seien, sondern lediglich eine Verwaltungshoheit besäßen. Anzunehmen ist, dass es sich um eine symbolische Überreichung des Bodens an die jeweilige Nation gehandelt hat.
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ten unterstehen der Commonwealth War Graves Commission5 (CWGC). Von deutscher Seite aus ist der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) tätig (siehe Kapitel IV/1.1.1), der aufgrund von zahlreichen in britisch-kanadischen Friedhöfen begrabenen deutschen Soldaten eng mit dem CWGC zusammenarbeitet. Im Gegensatz zu den amerikanischen und britisch-kanadischen Organisationen gestaltet der VDK seine Soldatenfriedhöfe individuell unterschiedlich (siehe Kapitel V/1.2 ‚Orte des Gedenkens‘). Als Betreiber von Gedenkstätten sind Kommunen, Vereine und Privatpersonen zu nennen, die Museen führen bzw. Denkmäler errichten. Eine wichtige Organisation ist das Landungskomitee (Comité du Débarquement), das es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Gedenken an die alliierte Landung von 1944 durch den Bau und die Errichtung von Museen, Monumenten, Stelen, Gedenktafeln und die Organisation von Zeremonien aufrecht zu erhalten. Es betreibt das Museum von Arromanches, das Memorial Pegasus sowie bis Ende 2003 das MemorialMuseum General de Gaulle in Bayeux und unterstützt zahlreiche Projekte. Beispielsweise steuerte das Landungskomitee finanzielle Hilfen für den Bau weiterer Museen (Museum der Schlacht von Tilly, Airborne Museum in Sainte-Mère-Eglise, Utah Beach Museum, Museum des 4. Kommandos in Ouistreham, Museum der Ranger in GrandcampMaisy, Museum in der Batterie von Merville und Museum Roule in Cherbourg) bei sowie für die Verbesserung der kommunalen Infrastruktur (Straßenbau, Sanierung bzw. Wiederaufbau der Turmspitze einer Kirche in Caen und Anlage von Parkplätzen an Gedenkorten). Gegründet wurde das Komitee ein knappes Jahr nach der Landung am 22. Mai 1945 durch Raymond Triboulet, den ersten Unterpräfekten des befreiten Frankreichs in Bayeux. Seit dem 11. Januar 1947 ist es als gemeinnütziger Verein (association loi de 1901) eingetragen. Das Landungskomitee setzt sich aus insgesamt 120 Ehrenmitgliedern, ordentlichen und wohltätigen Mitgliedern zusammen. Ehrenmitglieder sind die sieben Botschafter der alliierten Länder (Großbritannien, USA, Kanada, Belgien, Niederlande, Polen und Norwegen), als ordentliche Mitglieder werden die 60 Bürgermeister der Kommunen an der Landungsküste, die Parlamentarier der Departements Manche und Calvados, die Mitglieder der De5
Die CWGC wurde 1917 gegründet und unterhält in Europa Soldatenfriedhöfe aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Folgende Ziele werden vom Ausschuss verfolgt: Jeder Tote soll individuell begraben und die Grabsteine bzw. Gedenkmonumente für die Ewigkeit angelegt werden. Sie weisen ein einheitliches Äußeres auf, so dass die bestatteten Gefallenen nicht hinsichtlich von Rang, Glaube und ethnischer Zugehörigkeit unterschieden werden können.
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partementvertretung (Conseil Général) der von der Landung betroffenen Kommunen und Amtsträger wie der Unterpräfekt von Bayeux, Militärabgeordnete und der Direktor des Fremdenverkehrsamtes bestellt. Die ehemaligen Bürgermeister der betroffenen Kommunen sind wohltätige Mitglieder. Geführt wird das Komitee von einem Ausschuss, der alljährlich einen Vorstand (bureau) benennt. Das Landungskomitee finanziert seine Projekte maßgeblich durch den Verkauf von Teilen des künstlichen Hafens am Omaha Beach an den Staat, durch die ungewöhnlich hohen Einnahmen aus den Museen6 sowie bis 1981 durch eine jährliche staatliche Subvention in geringer Höhe von rund 2.250 Euro. Wenn auch nicht direkt an den Landungsstränden sondern in Caen platziert, tritt das Leitungsgremium des besucherstarken Memorials in Caen als weiterer wichtiger Akteur auf. Eigentümer des Gebäudes und seiner Einrichtung ist die Stadt Caen, die Führung des Friedensmuseums und Interpretationszentrums unterliegt einer halböffentlichen Aktiengesellschaft lokaler Einrichtungen und Wirtschaftsunternehmen (Société Anonyme d’Economie Mixte Locale, kurz SAEML) (Mémorial de Caen 2003). Die Anteilseigner setzen sich zusammen aus lokalen Einrichtungen (Stadt Caen, Region, Departement), der regionalen Industrie (z. B. Carrefour S.A.), Banken (z. B. Crédit Agricole), Tourismuseinrichtungen (z. B. das Busunternehmen Verney, die Hotelgruppe Dupont-Esnée und der Asterix-Park in Plailly) und ausländischen Stiftungen (American Foundation, British Foundation, Canadian Foundation). Die Aktienmehrheit von 51 % liegt in den Händen der Stadt Caen (BEUVE 2003a und 2003b, Mémorial de Caen 2003). Die Geschäftsführung durch die SAEML des Memorials wurde 1988 in einem Vertrag mit 15-jähriger Laufzeit bis Ende 2003 festgelegt. Im Dezember 2003 wählte die hierfür eingerichtete Kommission, die aus Mitgliedern des Stadtrates bestand, ein neues Leitungsgremium. Vier Firmen hatten sich beworben, zwei von ihnen – die bisherige Aktiengesellschaft und die Firma ‚Culture Espaces‘ – wurden von der Entscheidungskommission in die engere Wahl für eine neue ‚Legislatur‘ von nunmehr sieben Jahren genommen. Die auf die Führung historischer Museen spezialisierte Firma ‚Culture Espaces‘ (BEUVE 2003a) drohte allerdings im September 2003, ihr Angebot zurückzuziehen, da sie sich in einem unfairen Wettbewerb zur SAEML sah (BEUVE 2003b). Unabhängig davon, ob diese Drohung wahr gemacht wurde: bis zur nächsten Ausschreibung im Jahr 2010 verbleibt 6
Beispielsweise hat das Museum in Arromanches bei vergleichsweise niedrigen Kosten im Jahr 2002 einen Umsatz von rund 1,6 Mio. Euro und das Museum von Ranville rund 320.000 Euro erwirtschaftet. Zusammen mit dem De Gaulle-Museum beläuft sich der Umsatz (ohne die Erträge des Souvenirverkaufs einzurechnen) auf ca. 1,95 Mio. Euro.
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das Memorial weiterhin unter der bislang bestehenden Geschäftsführung. Das Memorial ist ein wichtiger Arbeitgeber der Stadt mit wachsenden Beschäftigungszahlen. Während 1989 hier noch 75 fest Angestellte gearbeitet haben, stieg deren Zahl 2001 auf 100 und 2003 auf 140 (Mémorial de Caen 2004). Neben der Leitung des Museums unterhält das Memorial zudem ein internationales wissenschaftliches Netzwerk (Beraterteam von internationalen Historikern, Verträge mit großen historischen Museen) und organisiert zudem Veranstaltungen von lokalem bis internationalem Niveau zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, zur Geo- und Friedenspolitik oder zur Verteidigung der Menschenrechte (z. B. Internationale Treffen des Memorials zur Konfliktprävention (Rencontres internationales du Mémorial pour le prévention des conflits) sowie den Internationalen Plädoyer-Wettbewerb der Gymnasiasten (Concours Internationale de la Plaidoirie des Lycéens)). In seiner Mediathek steht den Besuchern eine umfassende Buch- und Filmsammlung über den Zweiten Weltkrieg sowie über aktuelle Konflikte kostenlos zur Verfügung. Zudem bietet es für Touristen geführte Touren zu den Landungsstränden an. Neben dem Staat, dem Küstenschutz, den Friedhofsverwaltungen der alliierten Nationen, dem Landungskomitee und dem Leitungsgremium des Memorials von Caen (siehe Tabelle 7) sind viele Kommunen, (Regiments-)Vereine und Privatpersonen durch die Leitung weiterer und kleinerer Museen und die Errichtung unzähliger Denkmäler auf den ehemaligen Kriegsschauplätzen der Normandie aktiv. Tabelle 7: Einflussreiche Akteure an den Landungsstränden der Normandie Institution
Zuständigkeitsbereiche (zusätzlich zum Erhalt des Gedenkens)
Staatliche Institutionen
Küstenschutz: Pflege und Schutz der ihm unterstehenden Gebiete Ministerium für Veteranen und Kriegsopfer: Pflege französischer Soldatenfriedhöfe ABMC: Pflege amerikanischer Soldatenfriedhöfe CWGC: Pflege britischer und kanadischer Soldatenfriedhöfe
VDK
Pflege deutscher Soldatenfriedhöfe
Landungskomitee
Führung von Museen (Arromanches, Ranville), Errichtung von Monumenten, Gedenktafeln und Stelen
SAEML Memorial
Führung des Memorials von Caen
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1.1.2 Ritualteilnehmer Die Rituale werden von vielen Personen besucht, deren genaue Zahl aufgrund des weitläufigen Landebereiches und Schlachtfeldes nicht genau zu benennen ist. Jährlich kommen Tausende Menschen anlässlich des Gedenkens an den D-Day am 6. Juni in die Normandie. An runden Jahrestagen steigt diese Zahl in die Hunderttausende. Unabhängig von den Teilnehmerzahlen besuchen sehr unterschiedliche Personengruppen die Gedenkrituale. Neun unterschiedliche Gruppen können typologisiert werden. Das Leitungsgremium des Landungskomitees tritt nicht nur als Akteur auf dem Schlachtfeld in Erscheinung. Am 21. Mai 1947 wurde unter Triboulet, der inzwischen Parlamentsabgeordneter war, ein Gesetz ratifiziert, das in seinem ersten Artikel neben der Konservierung und Gestaltung von Gedenkorten den nationalen Charakter der Zeremonien zum Gedenken an den D-Day festlegt. Im gleichen Jahr verabschiedete das Landungskomitee seine Satzung, in der zunächst ein Bestehen des Vereins für 25 Jahre festgelegt wurde. 1955 veränderte man das Statut dahingehend, dass die Existenzdauer des Vereins auf insgesamt 60 Jahre, also bis 2007, verlängert wurde (BLANDIOT 2003: 9). Von staatlicher Seite wird eine Hilfe durch den Präsidenten des Ministerrates garantiert (Artikel 9). Offiziell von der Regierung für die Planung und Durchführung der alljährlichen Gedenkzeremonien beauftragt, erfüllt das Landungskomitee seit seinem Bestehen mit Unterstützung der französischen Streitkräfte diese Aufgabe. An runden Jahrestagen organisiert eine hierfür ins Leben gerufene Institution, die teilweise auf die personellen Ressourcen des Komitees zurückgreift, die internationalen, binationalen und nationalen Zeremonien. Die Mitglieder des Landungskomitees sowie die offiziellen Vertreter der Jubiläums-Organisation treten jedoch nicht nur als Organisatoren der Zeremonien, sondern auch als Ritualteilnehmer in Erscheinung. Amtsträger stellen die zweite Personengruppe. Neben Politikern der lokalen, regionalen und nationalen Ebene (Präfekten, Abgeordnete, Parlamentarier, Minister, der Premierminister sowie der Staatspräsident) ist auch das Militär bei den offiziellen und kommunalen Gedenkritualen vertreten: zum einen für Militärparaden während der offiziellen jährlichen und runden Jahrestage, zum anderen bei Nachstellungen von historischen Ereignissen wie dem Fallschirmsprung über Sainte-Mère-Eglise und das Erklimmen des Pointe du Hoc. Darüber hinaus werden von der französischen Regierung noch Kampfflugzeuge zur Verfügung gestellt, die während der Zeremonien die Landungsküste überfliegen und Kriegsschiffe, die vor den Landungsstränden kreuzen. Die Militärparaden der alljährlichen Zeremonien begründen sich durch ihren nationalen Charak193
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ter und werden von französischen Streitkräften absolviert, an runden Jahrestagen nehmen Armeeeinheiten der alliierten Nationen teil. Die amerikanischen Eliteeinheiten der Airborne und der Ranger stellen die herausragenden historischen Kampfgeschehnisse nach. An dritter Stelle ist die wahrscheinlich wichtigste Teilnehmergruppe zu nennen: die Veteranen des D-Days, also die britischen, kanadischen, amerikanischen, belgischen, niederländischen, norwegischen, polnischen, französischen und deutschen Soldaten, die im Juni 1944 in der Normandie landeten. Auch wenn einige deutsche Veteranen anlässlich der Jahrestage in die Normandie fahren, sind sie – mit der Begründung, dass sie nicht die Gewinner sondern Verlierer des D-Days waren – nur relativ selten bei den Zeremonien anwesend. Vielmehr nutzen sie die Möglichkeit, sich mit anderen Veteranen außerhalb der Feierlichkeiten zu unterhalten und die ehemaligen Orte ihrer Kampfeinsätze aufzusuchen. Durch ihre Anzahl und mediale Präsenz prägen dagegen die amerikanischen und britischen Soldaten die Gedenkrituale besonders stark. Auch wenn einige schon vor 1969 bei den Ritualen anwesend waren, nehmen die amerikanischen Veteranen in größerem Umfang erst ab der 25-Jahrfeier an den Gedenkzeremonien teil. Oftmals war es ihnen durch Beruf und Verpflichtungen über lange Jahre hinweg nicht möglich, in die Normandie zu kommen. Dies änderte sich für viele mit ihrer Pensionierung, als ihnen mehr Zeit und finanzielle Mittel zur Verfügung standen. Die Befürchtung, dass die Veteranen schon 1984 – anlässlich des 40-jährigen Jubiläums – zum letzten Mal in die Normandie gekommen waren, hat sich nicht bestätigt. Sie wissen es noch immer sehr zu schätzen, dass sie nicht nur anlässlich der Rituale in der Normandie sehr gut empfangen werden, und pflegen häufig enge Kontakte mit den Anwohnern der Region. Man gesteht ihnen jegliche ‚Narrenfreiheit‘ zu und die Anwohner versuchen, ihnen möglichst in allen Belangen entgegen zu kommen und ihre Wünsche zu erfüllen. Nicht nur aus diesem Grund pilgern, wenn auch eine Zahl nicht genau zu benennen ist, viele Veteranen regelmäßig zu diesem Anlass in die Normandie: Es gibt eine bestimmte Gruppe, die jedes Jahr kommt. Jedes Jahr. Aber viele sind gestorben. Viele sind krank. Sie sind verdammt alt geworden. Vor allem auf der Ebene ihrer Einheiten wurden viele von ihnen während der Vorbereitungszeit auf ihren Einsatz und während der Kämpfe enge Freunde, und ihr altersbedingtes Ableben wird wie der Verlust eines Familienmitgliedes wahrgenommen. Selten reichen die freundschaftlichen Kontakte zu anderen Soldaten der alliierten Landung über die Grenzen ihrer Einheit und Nation hinaus. In den Kommunen der Normandie, die sie befreit haben, sind sie sehr bekannt und oftmals hat man Straßen nach ihnen benannt. Vor allem wenn sie sich in der Region dauerhaft niederlas194
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sen, werden sie zu Stars oder einem lokalen Emblem. Eine besondere Rolle innerhalb der D-Day-Veteranen spielen sowohl in der Fremd- als auch der Eigenwahrnehmung die amerikanischen Fallschirmjäger: Die Paratrooper sind einzigartig. […] Sehr einzigartig, sie sind sehr eng [miteinander verbunden]. Sehr eng. Die anderen sind nur gewöhnliche [Menschen]. Diese aus jungen Soldaten bestehende Eliteeinheit absolvierte ein außerordentlich hartes Training, während dessen sich unter ihnen ein besonderer Kampf- und Gruppengeist herausbildete. Der Soldat ist dein Freund. Wenn er in deiner Nähe ist und ich ein großes Problem habe, wird er da sein, um dir zu helfen. Wenn ich nur ein Stück Brot habe und er nur so viel hat, gibt er mir die Hälfte. So sind die Fallschirmjäger. Eng, sie sind sehr eng. Die reguläre Armee ist nicht so. […] Wir schützen uns gegenseitig, wir kümmern uns um uns. Diese während der Ausbildung erlernte Kameradschaft wird während des Kampfes intensiviert und übersteigt das Vertrauensverhältnis familiärer Beziehungen. Insgesamt hängt die herausragende Position der Fallschirmjäger nicht nur mit ihrem Status als Eliteeinheit, sondern auch mit ihrer relativ geringen Personenzahl und ihrer Präsenz in den Medien (z. B. die Steven Ambrose Verfilmung von ‚Band of Brothers‘) zusammen. Immer weniger der über 80-jährigen Veteranen reisen heute individuell und auf eigene Faust zu den Zeremonien der alliierten Landung in die Normandie. Einerseits nutzen sie spezialisierte Reiseveranstalter, organisierte Reisen ihrer Regimentgruppen oder Veteranenvereinigungen. Zu nennen sind hier beispielsweise auf britischer Seite die Normandy Veterans Association (NVA), die teilweise in Zusammenarbeit mit dem Landungskomitee Gedenkzeremonien organisiert, oder die auf die Pilgerfahrten der Regimentsvereinigung des 5. Bataillons der königlich-britischen Streitkräfte (The Royal Green Jackets) spezialisierte Institution ‚Last Out, First In‘. Letztere existiert seit 2002 unter der Federführung eines Generals der britischen Armee, der von ehrenamtlich arbeitenden Vortragenden unterstützt wird. Häufig kommen die Veteranen zu den Gedenkzeremonien auch in Begleitung ihrer Familien und direkten Nachkommen. Nicht selten drängen ihre Söhne und Töchter sie zu der Reise oder – falls sie krankheitsbedingt hierzu nicht mehr in der Lage sind – ihre Nachfahren kommen stellvertretend für sie in die Normandie. An den Orten, wo ihre Verwandten gekämpft haben, versuchen sie ihre persönliche Geschichte zu rekonstruieren. Falls ihre Väter und Großväter – immer seltener handelt es sich um Brüder und Ehemänner – im Krieg gefallen sind, trauern sie an ihren Gräbern. Vor allem die Witwen haben teilweise bis heute noch nicht verkraftet, dass [ihr Mann] nicht mehr wiederkommt. Es erweckt immer die Erinnerung an diesen Jungen, den sie gekannt haben. Denn 195
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sie reden nie von einem Greisen, der weiße Haare hat. […] Ich glaube die brauchen das, um weiterzuleben, dass sie noch Kraft zum Leben haben. Eine weitere wichtige Gruppe innerhalb der Ritualteilnehmer stellen die Kommunen – vor allem in Nähe der Landungsstrände – dar. Für ihre Bewohner ist der 6. Juni und die Befreiung von der Okkupation der Nationalsozialisten ein Freudentag, für den sie den Veteranen zutiefst dankbar sind. […] die Geschichte der alliierten Landung ist etwas sehr wichtiges für die Normandie-Bewohner, für unsere Geschichte. Aus diesem Grund empfangen und beherbergen sie ihre Befreier und würdigen sie in vielen kommunalen Zeremonien. Diese Gastfreundschaft7 beeindruckt und beglückt viele Veteranen. Neben Anwohnern und Veteranen nehmen an den kommunalen Gedenkfeierlichkeiten in kleinem Rahmen der Bürgermeister sowie eventuell einige andere lokale Politiker teil. Als sechste Personengruppe sind patriotische oder gedenkende Vereinigungen zu nennen, die ebenfalls als Teilnehmer der Gedenkrituale auftreten. Teilweise stellen die Verbände auch Fahnenträger für die Gedenkrituale. Beispielhaft sollen hier zwei Vereine genannt werden, die teilweise selbst Gedenkrituale organisieren. Zunächst gibt es die Vereinigung ‚Blumen der Erinnerung‘ (Fleurs de la Mémoire), deren Gründung auf die Idee eines amerikanischen Veteranen zurückgeht, der sich angesichts seines hohen Alters Sorgen über das Gedenken seiner gefallenen Kameraden machte und ihrem Vergessen Einhalt gebieten wollte. Umgesetzt wurde die in Holland schon seit 1946 bestehende Idee der individuellen Blumenniederlegung an von Anwohnern aus der Region ‚adoptierten‘ amerikanischen Soldatengräbern8 von einem befreundeten französischen Ehepaar, das den gemeinnützigen Verein gründete. Die Departementsvertretung ist der offizielle Sitz des hinsichtlich seiner Mitgliederzahlen (1.600 Personen) sehr starken und aufgrund seiner Sozial- und Altersstruktur heterogenen Vereins. Das Niederlegen von Blumen an den Gräbern der gefallenen Soldaten ist mindestens einmal pro Jahr für die Mitglieder verpflichtend und gleicht einem stillen Aufruf zu Frieden und Demokratie. Um das Gedenken auch an die jungen Genera7
8
Da viele Veteranen während ihres Aufenthaltes privat bei Gastfamilien untergebracht sind, entstehen über die Jahre hinweg häufig fast schon familiäre Gefühle. Oftmals geht die Gastfreundschaft in tiefe Freundschaftsbande über, so dass oftmals Anwohner die Veteranen auch in ihrem Heimatland besuchen. Die Konzentration auf amerikanische Gräber hängt mit der Rolle der amerikanischen Soldaten in der Befreiung des Departements Manche zusammen, aus dem das Ehepaar stammt. Auch die große Entfernung der amerikanischen Veteranen zu der letzten Ruhestätte ihrer gefallenen Kameraden war ein ausschlaggebendes Kriterium für diese Beschränkung.
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tionen weiterzugeben, gibt es Partnerschaften mit den Bildungseinrichtungen der Region. Auch wenn sich die Patenschaft bzw. Adoption der ca. 4.350 Gräber (Oktober 2003) gegen eine Konzentration des Gedenkens im Juni wendet und für seine Ausweitung auf das ganze Jahr plädiert, veranstaltet die Vereinigung am 6. Juni auf dem amerikanischen Soldatenfriedhof in Colleville eine Gedenkzeremonie. Auch an den offiziellen Gedenkzeremonien des Landungskomitees nehmen viele Vereinsmitglieder teil. Der Erfolg von Fleurs de la Mémoire wird von den französischen Gründungseltern auf die individuelle Komponente des Blumenniederlegens und die persönliche Patenschaft für ein Grab zurückgeführt, die in unserer individualisierten Gesellschaft auf starken Zuspruch stößt. Eine zweite wichtige Vereinigung ist der Verein ‚Freunde der amerikanischen Veteranen‘ (Amis des Vétérans Américains, kurz: AVA), der 1969 von der Frau des damaligen Bürgermeisters von Sainte-Mère-Eglise gegründet wurde. 1984 wurde der Vereinsname erweitert (Freunde der amerikanischen Veteranen und der französischamerikanischen Freundschaft). Die Zielsetzung der Vereinigung leitet sich aus ihrem Namen ab: In Sainte-Mère-Eglise werden enge Freundschaften zu amerikanischen Veteranen gepflegt und der Verein kümmert sich beispielsweise um Privatunterkünfte für ihre Beherbergung während der Gedenkzeremonien. Der Verein zählt 170 Mitglieder und arbeitet eng mit dem Rathaus des Ortes zusammen. Zudem betreibt der jetzige Präsident eine Bar in Sainte-Mère-Eglise, die ein wichtiger Treffpunkt vieler amerikanischer Veteranen ist. An siebter Stelle sind Regimentsgruppen zu nennen, die einerseits der Toten gedenken und andererseits ihr Regiment und seine Traditionen weiterleben lassen möchten. Sie verstehen sich als eine Gruppe von ähnlich denkenden Menschen, die Ähnliches erlebt haben. Aus diesem Grund umschreiben sie das Regiment auch als eine Art Familie, die ihre Mitglieder über viele Jahre ihres Lebens begleitet. Der achten Gruppe gehören Hobby-Historiker, Sammler und Reenactment-Anhänger an. Die Hobby-Historiker sind Teil eines relativ geschlossenen Kreises, der untereinander in regem Kontakt steht und viele Informationen austauscht. Dies geht so weit, dass deren Mitglieder teilweise den Eindruck erwecken, in der damaligen Zeit zu leben und jedem scheinbar noch so unbedeutenden Detail nachforschen. Viele Informationen erhält der Hobby-Historiker über Gespräche mit Veteranen. Dies trifft auch auf Sammler und Anhänger des Re-enactments zu, die in historischen Uniformen gekleidet mit Vehikeln des Zweiten Weltkrieges durch die Gegend fahren und Szenen der alliierten Landung nachstellen.
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Als letzte Gruppe sind Touristen zu nennen. Manche von ihnen halten sich zufällig in der Region auf, andere kommen vor allem anlässlich der runden Jahrestage in die Normandie, weil sich dann die Gelegenheit bietet, die Staatspräsidenten zu sehen. Insgesamt bleibt festzustellen, dass im Laufe der letzten Jahre die Zahl der Touristen durch die mediale Präsenz der Gedenkrituale proportional stark gestiegen ist.
1.1.3 Akteure im Tourismussektor Auf den Landungsstränden und Schlachtfeldern der Normandie, die in den drei Departements der Region Basse-Normandie (Calvados, Manche und Orne) liegen, treten neben den Interessengruppen im Tourismussektor vier Akteursgruppen auf. Die Ziele des Regionalen Tourismusausschusses (Comité Régional du Tourisme de Normandie) liegen in der Festigung und Diversifizierung des touristischen und kulturellen Angebotes der Normandie vor allem hinsichtlich des amerikanischen Klientels (VERLYNDE & PETIT 1997: 88). Zudem ist die Vereinigung der Stätten und Museen der NormandieSchlacht (Association des Sites et Musées de la Bataille de Normandie, kurz ASMBN) zu nennen, die 1993 im Vorfeld der 50-Jahrfeier des D-Days auf Initiative der drei betroffenen Departements gegründet wurde (GAY 1997: 88). Der Zusammenschluss der Stätten und Museen der Normandie-Schlacht war einerseits motiviert durch die Zielsetzung, das Gedenken an die Schlacht zu erhalten und einen direkten, attraktiven und pädagogisch sinnvollen Zugang zur Geschichte zu ermöglichen. Andererseits verfolgte man ein ökonomisches Bestreben, den aktuellen Erfolg der Stätten und Museen auch in Zukunft erhalten zu können (SETEL 1993a: 1). Deswegen setzt sich die Vereinigung unter einem gemeinsamen Banner u. a. für die Qualitätssicherung und ein aufeinander abgestimmtes touristisches und kulturelles Angebot im Kontext der Normandie-Schlacht sowie eine verbesserte Inwertsetzung der Ressourcen (z. B. Museographie und Szenographie) ein (GAY 1997: 88, SETEL 1993a: 4, VERLYNDE & PETIT 1997: 90) und verwirklichte schon kurz nach ihrer Gründung die Erarbeitung und Ausschilderung eines pädagogisch sinnvollen Rundweges durch die Departements der Basse Normandie. Auch wurde eine über den Rundweg informierende, kostenlose Broschüre in sechs Sprachen entworfen. Die Finanzierung der umgesetzten Ziele erfolgt maßgeblich durch Mitgliedsbeiträge, Entlohnungen für Leistungen der Vereinigung und Subventionen (SETEL 1993a: 6). Auch stellten die Departements Calvados (zwei Drittel), Manche (ein Viertel) und Orne insgesamt eine Summe von umgerechnet knapp 12 Mio. Euro als Anschubfinanzierung bereit (DESQUESNES 1995: 153). Die ASMBN 198
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setzt sich aus aktiven, assoziierten und Ehrenmitgliedern zusammen. Aktive Mitglieder müssen bestimmte Anforderungen erfüllen9 und ein Qualitätsabkommen über die Empfangs- und Besuchsbedingungen, das kulturelle Angebot und das Umstrukturierungsprogramm der Stätten und Museen unterzeichnen (SETEL 1993a: 3, SETEL 1993b). Diejenigen Gedenkorte, die (noch) nicht das Qualitätsabkommen unterschrieben haben und der Vereinigung angehören, werden als assoziierte Mitglieder geführt. Die Vereinigung umfasst zudem Personen und Strukturen, die als Ehrenmitglieder beratend zur Seite stehen (SETEL 1993a: 3). Die Touristenbüros der Kommunen vor Ort treten im Tourismussektor lediglich in ihrer beratenden Funktion in Erscheinung. Der regionale Tourismusausschuss der Normandie beschäftigt offizielle und diplomierte Fremdenverkehrsführerinnen. Diese Qualifikation ist für die Reiseleitung von Touristen allerdings keine notwendige Voraussetzung und viele lokale Reiseveranstalter und -führer sind in der Region vertreten. Zahlreiche Veranstalter fahren nicht mehr mit großen Reisebussen die Sehenswürdigkeiten an, sondern wählen hierfür auf Kleingruppen ausgelegte Minibusse. Überwiegend in Caen oder Bayeux stationiert gibt es zahlreiche Tour-Anbieter (Memorial Caen, Battlebus, Normandy Sightseeing Tours, Overlordtour, Normandy Tours, D-Day Tours, VictoryTours etc.), die in den letzten Jahren auf diese Transportart zurückgriffen. Die Firma Battlebus war laut Angaben eines Mitarbeiters mit fünf fest angestellten Guides im Jahr 2004 der größte Anbieter der Region. Zur Auswahl stehen Tages- und Halbtagestouren zu verschiedene Sektoren der Landungsstände, die je nach Anbieter geringfügig hinsichtlich der Preise und angesteuerten Ziele variieren.10 Beispielsweise führen die Tagestouren des Memorials in Caen an den Küstenabschnitt von Arromanches bis zum Pointe du Hoc. Der Reiseveranstalter Overlordtour tauscht bei seinen Tagestouren den Bereich um Arromanches gegen die Besichtigung von Utah Beach. Zusätzlich gibt es eine ‚Band of Brothers Tour‘, die sich einen Tag lang lediglich im amerikanischen Sektor der ‚Easy Company‘ aufhält. Während der Tour soll eine Verbindung zwischen der Fiktion des von Steven Spielberg gedrehten Filmes und der 9
Aufgeteilt in Stätten und Museen von lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Bedeutung müssen die Einrichtungen Mindestanforderungen hinsichtlich ihrer Arbeitsweise, Museographie, Szenographie, ihrer Integration in das Gesamtkonzept der Thematik und ihres Engagements für die Vereinigung ASMBN erlangen, um in die Qualitätscharta aufgenommen zu werden (SETEL 1993b: 16ff). 10 Die Informationen basieren auf den Informationsblättern der jeweiligen Tour-Anbieter. Einziger Veranstalter von geführten Touren im kanadischen Sektor ist Normandy Sightseeing Tours. Bestandteil fast aller Touren ist ein Besuch in einem auf der Route liegenden Museum.
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‚Realität‘ vor Ort hergestellt werden. Halbtagestouren der verschiedenen Touranbieter spezialisieren sich meist auf einen Sektor. Neben den lokalen Reiseveranstaltern existieren viele internationale und nationale Busunternehmen, die ebenfalls die Landungsstrände ansteuern und häufig auf den Schlachtfeldtourismus der Region spezialisiert sind. Beispielhaft zu nennen wären hier mit Sitz in den USA Stephen Ambrose Historical Tours, Historic Tours, Normandy Battlefield Tours, Grand Circle und MilSpec Tours. Doch auch Unternehmen wie der amerikanische Reiseveranstalter Rick Steves, der auf ein- bis dreiwöchige Europareisen spezialisiert ist, verbringen während ihrer Rundreise eine kurze Zeit an den Landungsstränden. Ebenso britische Anbieter von Schlachtfeldtouren (Holts Tours, Perception Travel, Tours International, War History 1944) führen die Landungsstrände der Normandie als Ziel ihres Reiseprogramms. Von Paris aus fahren französische Reiseveranstalter wie Cityrama, Paris Touringscope, France Tourisme und Paris Vision im Rahmen von Tagesfahrten zu den Landungsstränden. Eine besondere Art der Reiseveranstalter stellen auf Angehörige des amerikanischen Militärs spezialisierte Unternehmen dar, die von Deutschland aus Touren u. a. zu den Landungsstränden unternehmen (z. B. Enjoy Tours und Martin’s Militärgeschichtliches Reisen). Auffälligerweise gibt es keine deutschen Reiseveranstalter, die auf eine deutsche Klientel ausgerichtete Schlachtfeldfahrten anbieten.
1.1.4 Touristen Auch wenn nach dem 50. Jahrestag häufig prognostiziert wurde, dass die Besucherzahlen aufgrund des Ablebens vieler Veteranen sinken werden, ist diese Entwicklung bislang nicht abzusehen. Allerdings liegen für die Normandie keine genauen Zahlen über die die Landungsstrände besuchenden Touristen vor. Lediglich hinsichtlich des gesamten Departements Calvados sind Zahlen verfügbar, die seit 2001 steigende Touristenankünfte verbuchen (CDT du Calvados 2002–2005). Auf den Landungsstränden selbst wurde lediglich eine Tourismusstudie im Vorfeld der 50-Jahrfeier der alliierten Landung 1994 von der Firma ‚SETEL France‘ (Société d’Etudes du Tourisme et des Loisirs, kurz: SETEL) durchgeführt. Diese Studie von 1992 umfasst knapp 6.000 quantitative Interviews mittels Fragebögen in britischer und französischer Sprache (VERLYNDE & PETIT 1997: 89).11 Zum damaligen Zeitpunkt waren 56 % 11 Für die Studie wurden ab Mitte Juli und ab Anfang September für jeweils zwei Wochen 100.000 Fragebögen in 21 Museen der drei Departements der Basse-Normandie ausgelegt. In der ersten Periode kamen 9.000 Fragebögen zurück, von denen 5.867 auswertbar ausgefüllt waren. Der Rücklauf der September-Phase belief sich lediglich auf 2.000 Bögen und floss auf-
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der befragten Touristen Franzosen, die restlichen 44 % entfielen zu 17 % auf Briten, 8 % Belgier, 4 % Niederländer, 4 % Amerikaner, 2 % Deutsche und knapp 1 % Kanadier (SETEL 1993d). Hier fällt die geringe Zahl der deutschen Besucher auf, die potenziell auf zwei Phänomene zurückzuführen ist: erstens die immer noch bestehende Unsicherheit gerade der älteren Generationen im Umgang mit der deutschen Geschichte und zweitens die teilweise mangelhaften britischen und französischen Sprachkenntnisse, die vor einem Ausfüllen des Fragebogens abschrecken.12 Staatsangehörige anderer Nationen repräsentieren die fehlenden 8 % (SETEL 1993d). 70 % der Interviewten besuchten 1992 die Landungsstrände zum ersten Mal, was auf ein relativ junges Alter der touristischen Destination schließen lässt (VERLYNDE & PETIT 1997: 89). Die Aufenthaltsdauer der Befragten variiert von einer Übernachtung (knapp 27 %) über zwei bis vier Übernachtungen (36 %) bis hin zu über vier Übernachtungen (37 %), wobei auffallend ist, dass Niederländer, Briten, Belgier und Deutsche am häufigsten länger als zwei Tage, nicht selten sogar mehr als vier Tage, verweilen. Amerikaner und Kanadier dagegen bleiben mit rund 35 % häufig nur einen Tag, überwiegend zwei bis vier Tage (SETEL 1993d). Hinsichtlich ihrer Reiseart können die Touristen auf den Landungsstränden der Basse Normandie in zwei Gruppen unterteilt werden: Individual- und Gruppenreisende. Im Juli 1992 entfielen 96,3 % auf individuelle und 3,7 % auf Reisende in der Gruppe. Die Individualurlauber besichtigten zu diesem Zeitpunkt die Gedenkorte der Landungsstrände entweder alleine (rund 6 %) oder im Verbund von Familie (75,5 %) und Freunden (14,7 %) (SETEL 1993d). Häufig nahmen individuell mit dem (Miet-)Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln in die Normandie gereiste Touristen die Möglichkeit wahr, eine geführte Besichtigung der Landungsstrände bei den dargestellten Reiseunternehmern zu buchen. Das Alter des ‚typischen individuell reisenden Touristen‘13 lag beispielsweise beim Veranstalter Battlebus bei durchschnittlich 46 bis 48 Jahren, wobei sehr häufig Rentner und relativ viele 30-jährige das TourAngebot wahrnahmen. grund mangelnder Repräsentativität nicht in die Auswertung ein (SETEL 1993d). Aufgrund der zeitlich begrenzten Befragungsdauer von zwei Wochen geben die Ergebnisse lediglich Einblick in die Situation im Juli 1992 und können nicht auf die gesamte touristische Saison der Normandie übertragen werden. 12 Die Zahl von zwei Prozent relativiert sich, wenn man sie mit der Zahl der deutschen Reisegruppen vergleicht, die mittels eines offiziellen Touristenführers die Region besuchten. 13 Aufgrund ihrer Diversität kann man nur sehr bedingt von ‚typischen Touristen‘ reden.
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Gruppenreisende profitieren im Gegensatz zu individuell reisenden Touristen von niedrigeren Reisekosten und umfassen neben Schüler-, Rentner-, Kreuzfahrt- und Europareisegruppen der alliierten Nationen auch Kongressteilnehmer großer Konferenzen in Deauville, die an organisierten Tagesausflügen teilnehmen. Auch Armeeangehörige besuchen im Regimentverband die Landungsstrände, um sich die Taktik der damaligen Militäraktion vor Augen führen zu können. Der Tourismusausschuss des Departements Calvados (Comité Départemental du Tourisme du Calvados (CDT du Calvados)) zählte 322 Gruppenreisen im Jahr 2003, die mittels offizieller Touristenführer vor allem im Mai und Juni sowie im September die Region erkundeten (CDT du Calvados 2004: 1 u. 5).14 35 % dieser Touren werden von Gruppen aus Frankreich, 23 % aus Deutschland, 11 % aus Großbritannien, 10 % aus Italien, 6 % aus den USA und 4 % aus den Niederlanden gebucht (CDT du Calvados 2004: 7). Rund 40 % der gebuchten Touren in der Manche und im Calvados beinhalteten die Besichtigung der Landungsstrände, im Departement Calvados alleine belief sich die Zahl auf 48 % (CDT du Calvados 2004: 8). Für viele französische Schüler stellt der Besuch der Landungsstrände und insbesondere des Memorials in Caen eine Pflicht dar. Aber auch Schulgruppen aus ganz Europa besuchen in den letzten Jahren vermehrt die Landungsstrände. Zudem gibt es auch auf Kinder und Jugendliche spezialisierte Reisen und Austauschprogramme beispielsweise des britischen Veranstalters PGL, die während ihres Aufenthaltes in der Region mit Jugendlichen ab 14 Jahren zumindest das Memorial besuchen. Rentnergruppen aus Frankreich kommen vor allem im Frühling und Herbst für einen Zwischenstopp an die Landungsstrände. Wenn auch nicht explizit auf das pensionierte Publikum ausgerichtet, prägen hauptsächlich Rentner bei Reiseveranstaltern aus den USA (z. B. Grand Circle) das Klientel. Die amerikanischen Gruppenreisenden sind sehr anspruchsvoll und nächtigen häufig in den großen Hotels der Region. Amerikanische Veteranen des D-Days nehmen nur selten an diesen organisierten Reisen teil,15 eher noch sind Veteranen anderer Kriege anzutreffen. Unterschiede zwischen Teilnehmern an organisierten Busreisen amerikanischer Veranstalter und den Teilnehmern an lokalen Landungstouren im amerikanischen Sektor können nicht hinsichtlich ihres Verhaltens, sondern lediglich bezüglich ihrer durchschnittlich niedrigeren Er14 Seit 1998 variiert diese Zahl relativ wenig. Lediglich 1999 (55-Jahrfeier) und 2002 waren vermehrt Gruppenreisen zu verzeichnen (CDT du Calvados 2004: 2). 15 In Gruppen reisen Veteranen vor allem mit spezialisierten Reiseveranstaltern anlässlich der Gedenkrituale in die Normandie (siehe Kapitel V/2.3.2.2 ‚Pilgerreisen in die Normandie‘).
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wartungshaltung und geringeren Vorbildung festgestellt werden. Allgemein als Gruppe gesehen lesen sie nicht darüber. Sie erwarten den Besuch des Friedhofes [von Colleville] und die Besichtigung einiger Verteidigungswerke [...]. Wenn man ihnen einige Orte zeigt [...] sind sie begeistert. Das ist [für sie] fantastisch. Für deutsche Reisegruppen ist die Normandie oftmals nur ein kurzer Zwischenstopp auf ihrem Weg zum Reiseziel. Dies liegt nach Vermutungen einer Fremdenverkehrsführerin nicht nur am geringen Interesse der Deutschen, sondern auch am immer noch vorhandenen Schuldgefühl vieler Besucher. Kreuzfahrttouristen gehen im Hafen von Cherbourg vor Anker und können zwischen Tagesausflügen zum Mont Saint Michel, nach Bayeux oder zu den Landungsstränden wählen. Während Passagiere der Queen Mary, Queen Elizabeth oder der Normandy bei den Reiseleitern recht beliebt sind und besonders auf dem Soldatenfriedhof von Colleville von ihren Gefühlen überwältigt werden, stoßen die deutschen Kunden bei manchen Touristenführern aufgrund ihrer Ungeduld und ihres mäßigen Interesses auf relativ großes Unverständnis.
1.2 Orte des Gedenkens An den Landungsstränden und Kriegsschauplätzen der Schlacht um die Normandie ist die Landschaft heute von zahlreichen Monumenten, Befestigungsanlagen, Museen und Soldatenfriedhöfen gezeichnet (siehe Abbildung 17). Kaum ein zweiter Landstrich, glaubt man GSTEIGER (1996: 51), ist ähnlich stark vom Zweiten Weltkrieg geprägt wie die Normandie. Wenn man hier am Strand oder im Hinterland spazieren geht, sind überall Militärfriedhöfe, und all die Überreste von der Landung […]. 1994 wurden von Barfleur bis zum Antifer-Cap nördlich von Le Havre 216 Stelen, Monumente und Tafeln zum Gedenken an die alliierte Landung und die Schlacht um die Normandie gezählt (FOUDA 1994: 50), und in den letzten zehn Jahren sind noch etliche hinzugekommen.16 Errichtet wurden sie überwiegend vom Landungskomitee, den Kommunen und Veteranenverbänden. Auch gibt es elf Küstenbatterien, die allerdings nicht alle öffentlich zugänglich sind (QUELLIEN 2002: 18ff). Über 30 Museen der Region thematisieren die Schlacht um die Normandie: 23 im Departement Calvados, sechs in der Manche, vier im Departement Orne und eines in der Eure. Zudem liegen 28 alliierte und deutsche Soldatenfriedhöfe in den Departements Calvados (22), Manche (4), Orne (1) und Eure (1) (DIREN 1999: 3, FOUDA 1994: 50), 16 Allein in den Strandabschnitten der alliierten Landung erwähnt QUELLIEN (2002) in seiner Publikation 231 Gedenktafeln, Monumente und Stelen.
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Abbildung 17: Museen, Soldatenfriedhöfe und Befestigungswerke an den Landungsstränden der Normandie
Entwurf: S. Petermann Kartogr.: K. Schmidt-Hellerau & S. Petermann
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RITUALE UND RÄUME DER ALLIIERTEN LANDUNG IN DER NORMANDIE
die insgesamt knapp 118.000 Grabstätten zählen (DIREN 1999). Viele Besucher können gar nicht verhindern, dass diese Kriegslandschaft, die Monumente, Befestigungswerke, Friedhöfe und Museen sie beeindrucken. Ich meine: Wo kannst du hingehen und einen ganzen Tag damit verbringen, einen Teil der Geschichte zu verstehen – mit solch wunderbaren Orten wie dem Pointe du Hoc, dem deutschen Friedhof, dem amerikanischen Friedhof, Sainte-Mère-Eglise, dem Bunkersystem beispielsweise am Utah Beach, der Batterie von Longues-sur-Mer? Im Folgenden wird aufgrund ihrer Relevanz für die Thematik der vorliegenden Arbeit ein besonderes Augenmerk auf die vorhandenen Museen und Friedhöfe gelenkt. Am Beispiel des jeweils größten Soldatenfriedhofes der Region werden die nationalen Charakteristika kurz dargestellt.17
1.2.1 Der Sektor der britischen Luftlandetruppen Kurz nach Mitternacht am 6. Juni 1944 landete die 6. britische Luftlandedivision18 östlich der Orne-Mündung und führte ihren Auftrag aus, die Region zu besetzen und eine potenzielle deutsche Gegenoffensive aus dem Osten zu verhindern. Nur wenige Minuten nach ihrer Landung konnte ein der Luftdivision angeschlossenes Infanteriebataillon die Hebebrücke von Bénouville (später Pegasus-Bridge genannt) einnehmen und ihren Befehlsstand in einem nahe gelegenen Café der Familie Gondrée einrichten, das sich bis heute im Familienbesitz befindet und ein wichtiger Treffpunkt für britische D-Day-Veteranen und Gedenktouristen ist. Neben 47 Gedenkmonumenten und -tafeln sind das Museum Memorial Pegasus, die Batterie von Merville und der britische Soldatenfriedhof von Ranville wichtige Gedenkorte des Sektors. Das Museum Memorial Pegasus ist der 6. britischen Luftlandedivision gewidmet und bedient sich des Emblems der britischen Luftlandetruppen bei seiner Namensgebung. Feierlich eröffnet wurde das Museum am 4. Juni 2000 durch Prinz Charles. Seine Finanzierung übernahmen u. a. das Landungskomitee, der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (Fonds Européen de Développement Régional, kurz: FEDER), der Conseil Régional der Unteren Normandie, der Conseil Général des Departements 17 Sofern nicht anderweitig gekennzeichnet, stammen die Informationen über die Gedenkorte in den folgenden Kapiteln aus eigenen Beobachtungen und Hinweisschildern vor Ort. 18 Dieser Division gehörten neben den britischen Soldaten ein kanadisches Bataillon von Fallschirmjägern (ca. 600 Männer), die französischen Streitkräfte unter Kommandant Kieffer sowie eine belgische und eine niederländische Brigade an (Mémorial Pegasus o. J.).
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Calvados, der Nationale Fonds für Raumordnung und -entwicklung (Fonds National d’Aménagement et de Développement du Territoire, kurz: FNADT), die französische und britische Regierung, der Airborne Assault Normandy Trust sowie die Städte Caen und Troarn. Die sehr informative und nüchtern präsentierte Ausstellung ist in 16 thematische Blöcke gegliedert und spiralförmig um eine Art ‚Amphitheater‘ mit Geländerelief und Filmprojektionen angelegt. Das Ausstellungsgebäude selbst gleicht in seiner Außenform dem Abzeichen der britischen Luftwaffe. Außerhalb des Gebäudes können auf einem Gelände von 12.000 m² sowohl die 1993 demontierte und wieder aufgebaute berühmte Pegasus-Brücke als auch seit 2004 der Nachbau eines Gleitflugzeuges bewundert werden. Ein weiteres Museum zu Ehren der britischen Luftwaffe befindet sich seit 1982 in einer alten Kasematte der Batterie von Merville (FLORENTIN 2003: 68, QUELLIEN 2002: 127, TANTER 1998: 11). Die Ausstellung umfasst Textdokumente, Bilder, Karten, Waffen und Munition, Uniformen und eine Reliefdarstellung des Ortes. Eigentümer der Anlage ist der Küstenschutz, der in Kooperation mit dem Airborne Assault Normandy Trust die Stätte erhalten und mit Hilfe des Landungskomitees und der Gemeinde Merville-Franceville das Museum eingerichtet hat (FLORENTIN 2003: 68). Schon kurz nach dem Betreten des Geländes legen dem Besucher einige Kreuze nahe, dass es sich hier nicht nur um ein Befestigungswerk und Museum handelt, sondern auch um einen Ort des Respekts. Unweit des Memorials Pegasus liegt der dritte herausragende Gedenkort im Sektor der britischen Luftlandetruppen: der britische Soldatenfriedhof von Ranville, auf dem in 2.562 Grabstätten britische, kanadische, australische, belgische, deutsche und unbekannte Soldaten ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.
1.2.2 Sword Beach Als letzte Einheit der alliierten Streitkräfte landete die 3. britische Infanteriedivision auf den Stränden des Sword Beach zwischen Hermanville und Colleville-Montgomery (FLORENTIN 2003: 76). Ziel dieser Einheit war es, das im Hinterland liegende Caen einzunehmen. Abgesehen von 43 Denkmälern, Gedenktafeln und -fenstern gibt es zwei britische Soldatenfriedhöfe in Hermanville und Douvres-laDélivrande, zwei Museen in Ouistreham (Museum des 4. Kommandos und das Atlantikwallmuseum) sowie ein Museum in der Nähe von Douvres-la-Délivrande (Radarmuseum) (QUELLIEN 2002: 102). Den bedeutendsten Gedenkort hinsichtlich seiner touristischen Beachtung aber stellt das Memorial von Caen dar.
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Der britische Friedhof in Hermanville zählt neben 986 britischen Gräbern auch 13 kanadische, drei australische und drei französische Grabstätten von Soldaten, die überwiegend am 6. Juni 1944 oder kurz danach beim Vormarsch nach Caen gefallen sind (DIREN 1999: 31). Sein Pendant in Douvres beheimatet 1.123 Gräber. Neben Briten und Kanadiern liegen hier auch 180 Deutsche, ein Pole und ein unbekannter Soldat (DIREN 1999: 30). Das Museum des 4. Kommandos, das – wie der Name schon verrät – die sechs britischen und zwei französischen Truppen des 4. Kommandos ehrt und ihrer gedenkt, befindet sich heute unweit des Kasinos von Ouistreham (QUELLIEN 2002: 113). Das Museum wurde im Anschluss an eine Ausstellung anlässlich der 25-Jahrfeier 1969 eröffnet und 1983 in die heutigen Räume im Erdgeschoss eines Wohngebäudes überführt. Im Museum sind Textdokumente, Bilder, Waffen und Uniformen sowohl des 4. Kommandos als auch von deutscher Seite ausgestellt. Eigentümer des Museums ist eine 1975 gegründete gemeinnützige Vereinigung, deren Präsidentschaft momentan der Bürgermeister von Ouistreham innehat. Das sich in fußläufiger Nähe befindende Atlantikwallmuseum ist in einem fünfstöckigen Hochleitstand zu besichtigen und thematisiert maßgeblich die Bauwerke des Atlantikwalls und ihre technischen Details. Ausstellungsgegenstände sind neben dem Gebäude selbst Fotos und Textdokumente, Waffen, Uniformen und Gebrauchsgegenstände der Soldaten. Auch Nachbauten von Karten-, Funk- und Telefonzimmern und einer Lazarettstation sind zu bewundern. Das Atlantikwallmuseum wurde vor ca. zwölf Jahren eröffnet und befindet sich in Privatbesitz. Das Radarmuseum liegt im Grenzbereich der zwei Sektoren Sword und Juno Beach und wird ihnen folglich je nach Autor unterschiedlich zugeordnet (QUELLIEN 2002: 102, FLORENTIN 2003: 120). Unabhängig davon, welchem Sektor es angehört, präsentiert diese sehr große Radarstation die Geschichte der Radar- und Telekommunikationstechnik, deutsche und alliierte Funkmess- und Funkführungsverfahren sowie die Grundzüge der elektronischen Kampfführung im Zweiten Weltkrieg (DAWA 2002: 72, FLORENTIN 2003: 121). Geführt wird das Radarmuseum vom Memorial in Caen. Das hinsichtlich der Größe, Baukosten und Besucherzahlen wohl aufwendigste Museum der Region ist das Friedensmuseum in Caen (Mémorial de Caen – Un musée pour la Paix). Die Idee eines Museums in Caen wurde zu Beginn der 1970er Jahre vom damaligen Bürgermeister Jean-Marie Girault aufgegriffen, dem heutigen ‚Vater des Memorials‘. Doch schon 1947 dachte der damalige Bürgermeister von Caen an die Errichtung einer Gedenkstätte in der so stark vom Krieg gezeichne-
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ten Stadt (MAISONNEUVE 2001: 16).19 Es dauerte allerdings bis in die 1980er Jahre, bis die Idee gereift und ein idealer Platz für das Friedensmuseum – sein heutiger Standort – gefunden war. Er liegt – unweit des Viertels Saint-Germain-la-Blanche-Herbe, wo erbitterte Kämpfe der britisch-kanadischen Truppen gegen die deutschen Verteidiger von Caen stattfanden – an einem geschichtsträchtigen Ort oberhalb einer unterirdisch gelegenen Führungszentrale des Kommandanten der deutschen Truppen General Richter. Nach den Stadtratswahlen von 1983, durch die Girault im Amt bestätigt wurde, rief er eine Leitungsgruppe (groupe de pilotage) ins Leben, die bis zur Einweihung des Museums 135 Mal tagen sollte. In dieser Leitungsgruppe konkretisierte sich das Museumskonzept zunehmend und bald stand fest, dass es die Gesamtheit der Schlacht um die Normandie darstellen würde (deswegen auch der ursprüngliche Name ‚Musée de la Bataille de Normandie‘) und erklären soll, wie ähnliche Gründe heute ähnliche Konflikte und Kriege hervorrufen können. Trotz zum Teil heftiger Kritik am Projekt durch seine politischen Gegner wurde der symbolische Grundstein des Memorials20 durch den damaligen Premierminister Jacques Chirac gelegt. Als Architekt des Memorials wurde Jacques Millet21 erwählt, die Szenographie übernahm nach einigen Unruhen und Schwierigkeiten mit der zuerst ausgesuchten Firma Yves Devraine.22 Die feierliche Eröffnung des Memorials fand am 6. Juni 1988 nach einer kurzen Bauphase von zwei Jahren unter der Schirmherrschaft von Staatspräsident François Mitterrand statt und bescherte den Bewohnern von Caen kurz darauf kostenlose Eintrittstage in das Memorial. Seine Finanzierung wurde von der Stadt Caen (rund 19 Die Stadt wurde 1944 durch 10.000 t Bomben und 60.000 Granaten zu 70 % bis 80 % zerstört und häufig als ‚Amboss des Sieges‘ bezeichnet (CARTRON 1987: 13, LE CACHEUX 1989: 21, MAISONNEUVE 2001: 16, PÉRISSÈRE 1997: 193). 20 Der Grundstein wird heute – ebenso wie die 1986 von Griechenland, Luxemburg, Belgien, Polen, Großbritannien, Kanada, Norwegen, der BRD, Tschechoslowakei und DDR sowie von den Niederlanden und den USA gestifteten Grundsteine – in einer Glasvitrine links vor dem Haupteingang des Memorials ausgestellt. 21 Jacques Millet ist ein Architekt aus Caen, dessen Eltern die alliierte Landung selbst erlebt hatten. Er überzeugte 1984 im Alter von rund 34 Jahren die Jury von seinem Projekt in einem zweiphasig durchgeführten, regionalen Wettbewerb und ließ vier Konkurrenten hinter sich (MAISONNEUVE 2001: 17). 22 Den auf nationaler Ebene ausgetragenen Szenographie-Wettbewerb, an dem sechs Szenographen beteiligt waren, gewann die Firma ‚Récréatique‘. Da das später angefertigte Modell der Innengestaltung nicht den Vorstellungen der Führungsgruppe und maßgeblich von M. Girault entsprach, wurde der Vertrag mit dem Unternehmen gekündigt und der 49-jährige Künstler Yves Devraine bekam den Zuschlag.
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9,5 Mio. Euro), der Region (ca. 4 Mio. Euro), dem Staat (etwa 2,75 Mio. Euro) und dem Departement (ca. 800.000 Euro) übernommen (Mémorial de Caen 2003). Nachdem häufig die Konzeption des Memorials dahingehend kritisiert wurde, dass es sich eher um ein Kriegs- als um ein Friedensmuseum handle, beschloss Jean-Marie Girault im Jahr 1989 die Eröffnung einer Galerie der Friedensnobelpreisträger in der ehemaligen deutschen Kommandozentrale (MAISONNEUVE 2001: 25), die am 6. Juni 1991 eingeweiht wurde. Doch auch weitere Veränderungen waren schnell geplant. Um der Gefahr entgegenzuwirken, ein abgekapselter historischer Ort und ein ‚Veteranen-Museum‘ zu werden, das nach dem Ableben dieser Generation kaum mehr in der Lage sein würde, Besucher anzuziehen, wurde vom leitenden Direktor eine inhaltliche Ausdehnung angedacht. Umgesetzt wurde diese Idee 1998, als zehn Jahre nach der Einweihung des Gebäudes an seiner Erweiterung gebaut wurde. Die neuen Räumlichkeiten präsentieren den Besuchern die Verknüpfung von Geschichte und Aktualität: Hier geht es einerseits um jüngere und jüngste Ereignisse und Konflikte wie den Kalten Krieg, den Fall der Berliner Mauer und das Attentat in New York vom 11. September 2001, andererseits werden die Friedfertigkeit im Denken unterschiedlicher Kulturen und verschiedene Ansätze für den Frieden unter dem Titel ‚Welten für den Frieden‘ thematisiert. Die Finanzierung der neuen, ebenfalls von Millet entworfenen Räumlichkeiten übernahm die Europäische Union (ca. 6 Mio. Euro), die Stadt Caen (ca. 4 Mio. Euro), der französische Staat (ca. 2,5 Mio. Euro), die Region und das Departement (zu je ca. 1,25 Mio. Euro). Die nun folgende Darstellung der Museumsarchitektur und -konzeption bezieht sich lediglich auf den ersten und ursprünglichen, dem Weltkrieg und D-Day gewidmeten Bereich. Der Besucher schreitet auf das Gebäude über eine lange, leicht ansteigende Promenade zu. Zu seiner Rechten stehen ungefähr auf halbem Wege 19 Fahnen der am Zweiten Weltkrieg beteiligten Nationen, zu seiner Linken wehen die Fahnen Frankreichs und der Europäischen Union. Einige Meter hinter ihnen befindet sich eine gebogene Vitrine mit den anlässlich der Grundsteinlegung überreichten zwölf Steinen. Vor dem weiter auf den Eingang zuschreitenden Besucher baut sich eine fensterlose Wand aus weißem Kalkstein von 70 m Länge und 12 m Höhe auf, die durch einen Spalt aus Glas in der Mitte gebrochen ist. In diese mächtige Außenfassade des Museums ist der Ausspruch von Paul Dorey ‚Der Schmerz hat mich gebrochen, die Brüderlichkeit hat mich wieder aufgerichtet, aus meiner Wunde ist ein reißender Strom der Freiheit entsprungen‘ (La douleur m’a brûlée, la fraternité m’a relevée de ma blessure, de ma blessure a failli un fleuve de liberté) graviert. Beim Durchschreiten der gläsernen und etwas zurückgesetzten kleinen Ein209
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gangstüre wird der Besucher mit seinem Spiegelbild konfrontiert. Dieser enge und lang gezogene Eingang symbolisiert den schmalen und aufopferungsvollen Weg in Richtung Frieden (PÉRISSÈRE 1997: 196, QUÉTEL 1993: 21). Nachdem er zwei Schiebetüren passiert hat, steht der Besucher in einer 2.500 m² großen Eingangshalle, deren Glasdach durch große weiße Tuchbahnen abgehängt ist. Dennoch dringt an manchen Stellen bei entsprechender Witterung die Sonne durch die Bahnen und durchflutet die Halle von oben mit Licht. Doch auch von der Rückseite des Gebäudes dringt Licht durch die großen Glasfronten in das Innere der Eingangshalle. „Sie ermöglicht es den Besuchern, ihre Alltagssorgen hinter sich zu lassen und sich so angemessen auf den Besuch vorzubereiten. Hier können die Besucher sich sammeln, um besser nachdenken und verstehen zu können“ (PÉRISSÈRE 1997: 196). Inspiriert wurde der Architekt bei der Planung dieses niedrigen und lang gestreckten Baus von der alliierten Landung selbst: […] ich habe [die Landung] als etwas Horizontales gesehen zwischen dem Meer, dem Boden, der Kampflinie zwischen einem Land und dem anderen, dem Konflikt. Für mich stellt das Projekt die Schlacht um die Normandie dar. […] Man hat eine Stadt, eine Region zerstört. Deswegen ist das Gebäude für mich ein zerbrochener Stein. Und von dort aus sind die Truppen für die Befreiung Europas ausgeströmt. Dieser zerbrochene Stein ist ein Bild des Krieges aber auch ein Bild des Friedens durch seine Öffnung an der Rückseite. Und dann das Licht, das von hinten in das Innere der Halle strömt. Für den Bau des Museums wurden vier Materialien verwendet. Die Mauern und tragenden Elemente des Museums bestehen aus Beton. Die Außenfassade ist mit Kalksteinen aus der Region Caens verkleidet, einem qualitativ sehr hochwertigen Material, aus dem alle Kirchen der Stadt errichtet wurden. Glas und Metall dominieren die Rückwand und die Decke des Gebäudes. Der symbolhafte Charakter des Gebäudes zeigt sich auch in den verwendeten Materialien und betrifft vor allem den vorher über Jahrzehnte nicht mehr abgebauten Kalkstein aus Caen sowie die lichtdurchlässigen Glasfronten. Die Materialien bewirken neben der Monumentalarchitektur eine auf die Einfachheit reduzierte, spirituelle Dimension des Gebäudes. Der Innenbereich der Eingangshalle wurde von Yves Devraine entlang einer funktionalen Nord-Süd-Achse (Souvenirgeschäft, Garderobe, Kassen, Kinderbetreuung und Ausgang zu den Gartenanlagen) und einer symbolischen West-Ost-Achse (Spirale/Zylinder, Glaspyramiden als Sichtverbindung ins Untergeschoss und ehemals das ‚Observatorium des Friedens‘) gestaltet. Der Zylinder stellt ein – wie eine Thora gerolltes – Pergamentpapier dar, dessen Außenhaut Schriftzüge und Zeichnungen
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aus verschiedenen Epochen trägt. Durch das Betreten des Pergamentes beginnt der Besucher seine Reise durch die Geschichte und die Ausstellungsräume des Memorials (siehe Abbildung 18). Abbildung 18: Das Memorial von Caen
Das Innere der Spirale stellt einen starken Gegensatz zur hellen und freundlichen Außenseite dar. Nachdem der Betrachter eine in den schwarzen Fußboden eingelassene goldene Tafel überschritten hat, die den Namen des ersten Ausstellungsteils ‚Der gescheiterte Frieden‘ (La faillite de la paix) trägt, beginnt er seine Zeitreise mit der Bilanz des Ersten Weltkrieges: acht Millionen Tote. In dem nach unten führenden Spiralgang wird die Zwischenkriegszeit mit all ihren Illusionen (Versailler Friedensvertrag, Völkerbund, die Goldenen 1920er) und autoritären Re211
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gimes (unter Stalin, Mussolini und Hitler) thematisiert und mittels einer Zeitleiste chronologisch geordnet. Rund ein Drittel der Ausstellungsfläche an der 75 m langen Rampe ist dem Aufstieg Hitlers gewidmet (PÉRISSÈRE 1997: 198). Im Heruntergehen verdunkelt sich nicht nur die Wandfarbe, auch ihre Struktur verändert sich: Zunächst glatt, wird sie zunehmend rau und birgt schließlich große Löcher und Risse. In den Löchern befinden sich kleine Monitore, die Videoausschnitte beispielsweise der Reichsparteitage zeigen. In den Augen von Yves Devraine gleicht die Mauer dem menschlichen Gehirn, in dessen Windungen sich die Bilder der damaligen Zeit tief eingegraben haben. Im Zentrum des Zylinders befindet sich eine Kugel, welche die Erde darstellt und verdeutlichen soll, dass es sich trotz der hier dargestellten bedeutungsschweren Geschehnisse im Vergleich zur Größe des Planeten um Mikroereignisse gehandelt hat. Nach diesem Abstieg in den Abgrund des Nationalsozialismus betritt der Besucher das Innere des Planeten: Das ist Dante, das ist die Hölle. Im Zentrum dieser durch am Boden fließendes schwarzes Wasser dargestellten Hölle wird Hitler statt in einer Fotografie mittels einer Videoprojektion in erhöhter Position abgebildet. Diese Darstellungsart wurde von Devraine gewählt, da sie Hitler mittels Licht – dem Träger von Zeit und Geschichte – projiziert. Akustisch unterstützt wird die unangenehme Atmosphäre der so genannten Echohalle durch eine verzerrt wiedergegebene Aufnahme der Stimme Hitlers, untermalt von Kriegsgeräuschen.23 Mit dem Verlassen der Echohalle passiert der Besucher die zweite im jetzt grauen Steinboden eingelassene Tafel (Frankreich, die dunklen Jahre – La France des années noires) sowie zwei schräg stehende Wände, an denen die Kriegserklärung angebracht ist, und betritt somit den zweiten Geschichtsabschnitt. Hinter dem durch die Wände entstehenden Zickzackeingang öffnet sich eine relativ dunkle, niedrige und verschachtelt angelegte Räumlichkeit, in der die Phasen des Frankreichfeldzuges und der Kollaboration Frankreichs mittels zahlreicher Fotos, Plakate, Gebrauchsgegenstände, Videos und Rundfunkansprachen thematisiert werden. Der sich hieran anschließende Widerstand ist museographisch durch eine gebrechlich wirkende Ziegelwand dargestellt: Der deutsche Besatzer hat eine Mauer gebaut und man beginnt, sie zu zerstören. Das ist der Widerstand. Der dem Besucher vorgezeichnete Weg geht weiter, entweder über den ‚Umweg‘ der filmischen Präsentation der Schlacht um England oder direkt zur Okkupation. Dieser beschwerliche Weg voller Leid ist szenisch – durch in ihn ragende Vitrinen und Schautafeln –
23 Die Geräuschkulisse ist schon bei Betreten des Spiralganges zu hören und nimmt beim Hinabschreiten des Spiralganges an Lautstärke zu.
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in einer Art düsterem Engpass umgesetzt. Er führt den Besucher unweigerlich zu einer überdimensional großen Fotografie, die zwei junge, von deutschen Soldaten gehängte Partisanen abbildet. Bevor dieser jedoch vor dem Foto steht, überschreitet er ein auf den Boden projiziertes, Hoffnung erweckendes Zitat des im Dezember 1941 hingerichteten Gabriel Péri: ‚Ich werde sofort eine glückliche Zukunft vorbereiten … Lebe wohl und es lebe Frankreich‘ (Je vais préparer tout à l’heure des lendemains qui chantent ... Adieu et que vive la France). Es handelt sich hier um ein symbolisches Ensemble der Unterdrückung, der Hoffnung und der Erlösung eines gehängten jungen Menschen. Deportation und der Holocaust sind Themen des folgenden Zimmers. Der Fußboden wechselt wieder von grau zu schwarz und mittels einer großen Texttafel wird zunächst auf die von den Nationalsozialisten errichteten Konzentrationslager eingegangen (PÉRISSÈRE 1997: 202). Ansonsten unterstreichen wenige Objekte die Thematik, lediglich ein einzelner Kinderschuh präsentiert sich dem Betrachter und in der Raummitte stehen mit Steinen gefüllte Glassäulen, die kleine fragile Zeichnungen von Hingerichteten tragen. Das dünne Papier versinnbildlicht die andauernde Zerbrechlichkeit der Kommunikation und Menschlichkeit. Das Zimmer ist sehr düster gehalten und eine tief abgehängte, schwarz reflektierende Decke mit kleinen Lichtern symbolisiert den (Sternen-)Himmel. Ich habe mit vielen Lagergefangenen diskutiert und am Morgen oder Abend haben sie während des Appells in den Himmel gesehen. Entlang der Wände befinden sich zwölf Portraits von in Konzentrationslagern hingerichteten Häftlingen, die beim Vorübergehen aufleuchten und dann wieder im Dunkel verschwinden. Ich wollte den Blick der Menschen zeigen, ihre Augen. Eines Kindes, eines Greisen, eines Juden, eines Sinti. Die Augen. Am Boden leuchten kleine elektrische Kerzen im Gedenken an die Verstorbenen. Mit dem Verlassen des Themenbereiches Deportation und Genozid überschreitet der Besucher eine dritte in den Boden eingelassene Metallplatte mit dem Schriftzug ‚Weltkrieg, totaler Krieg‘ (guerre mondiale, guerre totale) und erfährt kurz darauf einen völligen Bruch in der Darstellungsweise und Thematik. In einer als Schleuse fungierenden, weiß und strahlend wirkenden Kammer vernimmt der Zeitreisende Auszüge von Reden Stalins, Churchills und Roosevelts und wird Zeuge von den Vorbereitungen der Alliierten für ihren militärischen Angriff. In der Raummitte steht eine Mine, eine Anspielung auf die sich beispielsweise in Pearl Harbour und Stalingrad zeigende explosive Welt. Eine Trennwand grenzt die Kammer ab. Hinter ihr eröffnet sich eine große, helle Halle aus Betonwänden, in welcher der Krieg mittels Technik und Wissenschaft die Menschen aus der zuvor erfahrenen Hölle wieder ans Licht führt. Hier werden die materiellen Aspekte und die Effizienz des Krie213
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ges gezeigt: Man betritt die Realität: der Atlantikwall, die Blockhäuser, der Beton. Die großen Weltkriegs-Schlachten von England, Stalingrad und El-Alamain werden ebenso thematisiert wie die Vorbereitungen der alliierten Landung. Während im bisherigen Ausstellungsbereich nur wenige Objekte zu sehen waren, präsentieren sich hier neben zahlreichen Modellen von Flugzeugträgern, U-Booten und Flugzeugen auch Uniformen und Waffen. Der Besucher betritt die erlösende technischindustrielle Welt und ist durch die Glaspyramiden mit der Eingangshalle im Erdgeschoss, der Gegenwart, verbunden. Bevor der Rundgang durch die Geschichte beendet ist, kann er sich noch zwei Filme ansehen. Erstens den Film ‚D-Day‘ (Jour J), der die Ereignisse sowohl aus Perspektive der Alliierten als auch der Deutschen in chronologischer Reihenfolge vom 11. Mai bis zum 6. Juni 1944 zeigt. Den Abschluss der Zeitreise durch den Zweiten Weltkrieg bildet der zweite Film mit dem Titel ‚Hoffnung‘ (Espérance), der thematisch über diese Epoche hinausgeht und sich kritisch mit neueren Krisen und Konflikten des 20. Jahrhunderts auseinandersetzt. Die Verteidigung der Menschenrechte und Freiheit sowie die Übermittlung von Friedenbotschaften sind ebenfalls thematischer Bestandteil des Filmes. Seit seinem Bestehen wurden die verschiedenen Zimmer und Räumlichkeiten des Memorials teilweise mehrfach umgestaltet. Beispielsweise veränderte man den Beginn des Themenbereiches ‚Frankreich, die dunklen Jahre‘ sowie den der Deportation und dem Genozid gewidmeten Bereich (MAISONNEUVE 2001, PÉRISSÈRE 1997). Auch in der Eingangshalle wurden vor allem im Rahmen der 50-Jahrfeier des D-Days Umgestaltungen vorgenommen: Das so genannte Friedensobservatorium (observatoire de la paix) verschwand ebenso wie die Fahnen der am Krieg beteiligten Nationen. Maßgeblich die Erweiterungen im Jahr 2002 haben das Memorial völlig verändert und eine nicht immer unkritisierte thematische Ausdehnung auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts bewirkt (LE BRETHON 2002: 9, QUÉTEL 1992, 1993 und 2002). Entgegen vieler Geschichtsmuseen, die überwiegend auf der Präsentation von historischen Gegenständen beruhen, rückt das Memorial durch seine Szenographie die Emotionalität in den Mittelpunkt des Besuches. Die emotionale Atmosphäre ist wichtig, um die Aufmerksamkeit der Besucher für einen langen Zeitraum zu erhalten. Ohne Emotionen schwindet nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern auch das Verständnis: Das Gefühl ist der einzige Vermittler des Begreifens. Man kann immer Bücher lesen, Bilder ansehen etc. und nichts verstehen. Aber manchmal verhilft einem ein Gefühl dazu, dass man etwas nicht im intellektuellen Sinn verstehen, aber spüren kann. Devraine versteht sich selbst als ein
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Produzent von Zeit und Raum, der nicht ein intellektuelles Verständnis der Geschichte vermitteln, sondern ein erneutes Erleben der Vergangenheit ermöglichen möchte (BROWER 1999: 88). Das Memorial von Caen ist das am stärksten frequentierte Geschichtsmuseum der Region. Jährlich kamen vor seiner Erweiterung um die 400.000 Personen, an runden Jahrestagen gab es Spitzenwerte von rund 600.000 (1994) und 560.000 (2004). Im Jahr 2002 bestanden 45 % der Besucher aus Gruppen (30 % Schulgruppen, 15 % Erwachsenengruppen), die restlichen 55 % besuchten individuell das Memorial (Mémorial de Caen 2004). Nach seiner Erweiterung zieht es heute trotz der sehr hohen Eintrittspreise von 17,50 € noch mehr Personen an als früher. Dies erstaunt, da aufgrund des Preisniveaus vielmehr eine Reduktion der Besucher zu erwarten gewesen wäre.
1.2.3 Juno Beach Mit einiger Verspätung aufgrund des hohen Seeganges ging die 3. kanadische Infanteriedivision, unterstützt von britischen Einheiten, an Land. Ebenfalls mit dem Ziel Caen zu befreien, setzten sie ihren Fuß auf französischen Boden (LECOUTURIER 2000: 35f, QUELLIEN 2002: 80) und mussten gegen den steigenden Meeresspiegel, der die an der felsigen Küste angebrachten Minen zunehmend verbarg, sowie gegen die deutsche Artillerie ankämpfen (FLORENTIN 2003: 103). Der Sektor zwischen der Flussmündung der Provence und dem Städtchen Saint-Aubin-sur-Mer ist nicht durch große Küstenbatterien gekennzeichnet, sondern vielmehr durch knapp 40 Monumente und den kanadischen Soldatenfriedhof in Bény-Reviers (QUELLIEN 2002: 82). Erst am 6. Juni 2003 wurde das erste Museum zu Ehren der kanadischen Truppen eingeweiht, das Juno Beach Centre. Es unterstreicht nicht nur die Rolle der Kanadier beim Verlauf des Zweiten Weltkrieges, sondern thematisiert ebenso die heutige kanadische Gesellschaft. Die Idee entstammt einer Gruppe kanadischer Veteranen, Kriegswitwen und -waisen und wurde durch die Kommune Courseulles, den Conseil Général du Calvados und den Conseil Régional der Unteren Normandie, der Präfektur der Unteren Normandie, der kanadischen Veteranenvereinigung ‚Veteran’s Affairs‘, der kanadischen Provinzen Ontario und British Columbia sowie der Walmart-Kette in Kanada finanziert (FLORENTIN 2003: 115, Juno Beach Centre 2003: 2). Die Architektur des Gebäudes soll an das Symbol Kanadas erinnern: ein Ahornblatt. 632 m² sind der permanenten Ausstellung gewidmet, 165 m² ermöglichen temporäre Expositionen (Juno Beach Centre 2003: 3). Der permanente Bereich beginnt mit der alliierten Landung in der Normandie, thematisiert dann die Situation Kanadas vor dem Zweiten Weltkrieg und folgt im chronologischen Ab215
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lauf der geschichtlichen Entwicklung bis zur Befreiung Europas. Es folgt ein schmales Zimmer zum Gedenken an die Gefallenen und Überlebenden des Krieges und eine mit Computern ausgestattete Räumlichkeit zum weiteren Studium der historischen Ereignisse. Die verschiedenen Facetten des heutigen Kanadas schließen den permanenten Ausstellungsbereich. Auf dem Vorplatz des Museums steht eine Skulptur des kanadischen Bildhauers Colin Gibson mit dem Titel ‚Gedenken und Erneuerung‘ (remembrance and renewal) (Juno Beach Centre 2003: 5).
1.2.4 Gold Beach Nach der Ausschaltung der Batterie von Longues erreichten die Männer der 50. Infanteriedivision und 8. Panzerdivision den Landungsabschnitt zwischen Port-en-Bessin und Ver-sur-Mer. Sie sollten möglichst schnell die Steilhänge von Arromanches und die im Hinterland liegende Stadt Bayeux einnehmen (FLORENTIN 2003: 129, LECOUTURIER 2000: 45, QUELLIEN 2002: 60). Zudem musste in Arromanches eine künstliche Hafenanlage errichtet werden, die eine Versorgung der alliierten Truppen solange ermöglichen sollte, bis die französischen Häfen eingenommen waren (LECOUTURIER 2000: 48). 40 Monumente, Gedenktafen und Kirchenfenster, drei Küstenbatterien (Longues, Mont-Fleury, Marefontaine), fünf Museen sowie zwei britische Friedhöfe in Bayeux und Bazenville erinnern heute im Sektor Gold Beach an die alliierte Landung, ihre Erfolge und Verluste (QUELLIEN 2002: 62f). Das älteste und hinsichtlich seines Ansehens bedeutendste Museum unter ihnen ist das vom Landungskomitee geleitete24 Landungsmuseum (Musée du Débarquement) in Arromanches. Vor der Eröffnung des Memorials von Caen war es das am stärksten frequentierte Museum der Region. Heute besichtigen knapp 350.000 Besucher jährlich seine der Landung und insbesondere der künstlich errichteten Hafenanlage ‚Mulberry B‘ gewidmete Ausstellungshalle.25 Seine Lage in Arromanches direkt am Meer mit Blick auf die Reste von ‚Mulberry B‘ beeindruckt viele Besucher. Nach seiner Eröffnung im Jahr 1952 wurde das Museum am 6. Juni 1954 durch den französischen Staatspräsidenten Coty feierlich eingeweiht. Seitdem können hier anhand eines animierten Modells und eines Films der Bau und die Funktion der Hafenanlage nachvollzogen werden. Zudem wird durch Fotos und Objekte an die be24 2007 wird die Leitung des Museums voraussichtlich an die Stadt Arromanches übergeben. Dies wiederum lässt die Zukunft der Gedenkzeremonien, die durch den vom Museum erwirtschafteten Gewinn finanziert werden, nach 2007 ungewiss werden. 25 Im Jahr der 60-Jahrfeier (2004) haben knapp 415.000 Personen das Museum besichtigt (CDT du Calvados 2005).
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teiligten alliierten Nationen erinnert und mittels eines Dioramas kann der Ablauf der alliierten Landung rekonstruiert werden. Unweit vom Landungsmuseum liegt ‚Arromanches 360°‘, von dessen Mitte aus der Betrachter der Projektion des Films ‚Der Preis der Freiheit‘ (Le Prix de la Liberté) auf kreisförmig angebrachten Kinoleinwänden folgen kann. Das seit dem 50. Jahrestag 1994 bestehende Kino wurde auf Initiative des Conseil Régional gegründet und wird ebenso wie das Memorial in Caen von einer SAEM geführt. Der hier gezeigte 18-minütige Film vereint Archivbilder der alliierten Landung und aktuelle Aufnahmen der Region. Im Westen von Gold Beach, in der Nähe des Städtchens Porten-Bessin, liegt das von Jacques Lemonchois privat geführte Museum von Unterwasserwracks der Landung (Musée des Épaves sous-marines du Débarquement). Die originelle Sammlung umfasst Exponate, die Lemonchois überwiegend im Auftrag der französischen Regierung vom Meeresgrund vor den Landungsstränden geborgen hat. Im Osten des Küstenabschnittes Gold Beach befindet sich in Ver-sur-Mer das kleine Museum ‚Amerika-Gold Beach‘ (Musée América-Gold Beach), das nicht nur die Landung im Küstenabschnitt Gold, sondern auch den ersten durchgeführten Postflug aus den Vereinigten Staaten nach Frankreich thematisiert. In Bayeux selbst stehen dem Besucher zwei Museen zur Auswahl: das Gedenkmuseum der Normandie-Schlacht (Musée Mémorial de la Bataille de Normandie) und das Museum zum Gedenken an General de Gaulle (Musée Mémorail du Général de Gaulle). Ersteres wurde 1981 von der Stadt Bayeux in einem eigens hierfür errichteten Gebäude mit einer Fläche von 2.000 m² eröffnet und in verschiedene Abschnitte untergliedert (VON KEUSGEN 2000: 186). Im Saal ‚Overlord‘ wird in chronologischer Reihenfolge der Kampfverlauf vom D-Day bis zur Einkesselung der deutschen Armee in Falaise im August 1944 mittels Uniformen, Modellen, Zeitungsartikeln, Bildern und Textdokumenten sowohl der alliierten als auch der deutschen Seite thematisiert. Der Saal ‚Eisenhower‘ dagegen zeigt überwiegend Kriegsmaterial der Artillerie. Zudem existiert ein Projektionsraum, in dem ein 38-minütiger Archivfilm über die Schlacht der Normandie gezeigt wird. In einem historischen Gebäude aus der Renaissance, Sitz der ersten Amtsträger des 1944 befreiten Frankreichs, ist das zweite Museum von Bayeux eingerichtet. Ursprünglich vom Landungskomitee geleitet, ist es vor kurzem in kommunale Hand übergegangen. Im Erdgeschoss werden die wichtigsten Etappen im Leben von de Gaulle seit seiner Kindheit thematisiert, im Obergeschoss fokussiert sich die Thematik auf sein Wirken in der Normandie. Zudem hat der Besucher die Möglichkeit, sich einen 1991 gedrehten Film über de Gaulle anzusehen.
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In Bayeux befindet sich zudem mit 4.648 Gräbern der größte britische Soldatenfriedhof des Zweiten Weltkrieges in Frankreich, der elf Nationalitäten (3.935 Briten, 466 Deutschen, 181 Kanadiern, 25 Polen, 17 Australiern, acht Neuseeländern, sieben Russen, drei Franzosen, zwei Tschechen, zwei Italienern, einem Südafrikaner und einem unbekannten Soldaten) eine letzte Ruhestätte bietet (DIREN 1999: 28). Die Commonwealth-Friedhöfe des Zweiten Weltkrieges sind alle in einem ähnlichen Design errichtet (CWGC 2003). Die Soldaten liegen in individuellen Gräbern, in deren Grabsteine das nationale Emblem oder Regimentabzeichen, ihr Rang und Name, die Einheit, ihr Todestag und Alter sowie das entsprechende religiöse Symbol graviert sind. Darunter werden manchmal persönliche Botschaften der Familien am Boden des Grabsteines eingemeißelt (CWGC 2003). In den Friedhöfen ist zudem ein steinernes Opferkreuz als Symbol für den christlichen Glauben und in den größeren Anlagen mit über 1.000 Toten ein altarähnlicher Gedenkstein mit den eingravierten Worten ‚Their Name Liveth for Evermore‘ aufgestellt. Eine Steinmauer grenzt den Friedhof von der Umgebung ab. In Bayeux steht gegenüber dem Eingang außerhalb der Friedhofsmauer noch eine Gedenkstätte mit den Namen von 1.808 vermissten Commonwealth-Soldaten.
1.2.5 Omaha Beach Der Küstenabschnitt Omaha Beach zwischen Port-en-Bessin und der Flussmündung der Vire ist durch Steilklippen und einen fünf Kilometer langen Sandstrand charakterisiert. Aufgrund des Seeganges verfehlten viele Einheiten am 6. Juni 1944 das ihnen zugewiesene Ziel und an manchen Sektoren landeten mehrere Einheiten, andere blieben unbetreten. Die erste Angriffswelle der 1. und 29. amerikanischen Infanteriedivision erreichte den Strand zwischen Colleville und Vierville mit dem Ziel, die im Hinterland liegende Stadt Saint-Lô einzunehmen (BERNAGE 2001a: 60, BERNAGE 2001b: 87, FLORENTIN 2003: 156, QUELLIEN 2002: 34). Kurz darauf folgte eine zweite Welle, die zu den immer noch von den deutschen Widerstandsnestern auf dem Strandabschnitt festgehaltenen Soldaten der ersten Attacke stießen (BERNAGE 2001a: 60, BERNAGE 2001b: 102). Einige Kilometer westlich betraten die Soldaten der amerikanischen Eliteeinheit ‚Ranger‘ den Boden unterhalb der 30 m hohen und durch eine Küstenbatterie hervorragend gesicherten Steilklippe des Pointe du Hoc (BERNAGE 2001a: 70, LECOUTURIER 2000: 66). Ihre Einnahme gelang trotz vorher erfolgter intensiver Bombardierung des 25 ha großen Terrains erst am Mittag des 8. Juni (LECOUTURIER 2000: 66f). Der amerikanische Sektor ist insgesamt durch größere Monumente als der britisch-kanadische Sektor gekennzeichnet. Im Sektor Omaha 218
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Beach erinnerten im Jahr 2002 rund 26 Gedenktafeln, Monumente und Kirchenfenster, drei Küstenbatterien (Pointe du Hoc, Les Perruques, La Martinière), zwei große Friedhöfe mit amerikanischen und deutschen Gefallenen sowie vier Museen26 an den unerbitterlichen Einsatz und die schweren Verluste der amerikanischen, aber auch deutschen Truppen (QUELLIEN 2002: 36f). Auch die bis heute stark durch Bombardierungen gezeichnete Landschaft am Pointe du Hoc verdeutlicht die Ereignisse des Jahres 1944. Der 70 ha große amerikanische Soldatenfriedhof von Colleville-surMer liegt direkt oberhalb des Strandes ‚Omaha la sanglante‘ (das blutige Omaha) und trägt die Grabsteine von 9.386 Gefallenen (DIREN 1999: 5f, FOUDA 1994: 50f).27 Zudem erinnert eine ‚Wand der Vermissten‘ (wall of missing) an 1.557 nicht mehr zu identifizierende amerikanische Soldaten. Auf dem Friedhofsgelände befinden sich eine Gedenkstätte (memorial), eine Kapelle, ein Besucherzentrum, das Wohngebäude des Friedhofverwalters, ein großer Parkplatz sowie Toilettenanlagen. Auf seinem Weg zum Friedhof passiert der Besucher vom Parkplatz aus – nachdem er von einem Schild zu Ruhe und Respekt ermahnt wurde (‚Visitor/look how many of them they were/look how young they were/they died for your freedom/hold back your tears and keep silent‘) – zu seiner Linken das Besucherzentrum bzw. Informationsgebäude und betritt dann von Osten her die Friedhofsanlage. Zu seiner Rechten liegen das Memorial und dahinter der Garten und die Wand der Vermissten, über seine linke Schulter erblickt er hinter einem rechteckigen Wasserbecken und den im Wind wehenden amerikanischen Nationalfahnen lange Reihen weißer Kreuze. Die Hauptwege des Friedhofes sind in Form eines lateinischen Kreuzes angelegt, an dessen Schnittpunkt die Friedhofskapelle liegt. Am westlichen Ende der Anlage stehen zwei die Vereinigten Staaten und Frankreich repräsentierende Statuen (ABMC o. J.: 7). Das Friedhofs-Memorial besteht aus einem halbrunden Säulengang, an dessen Enden sich kartographische Darstellungen des D-Days und der sich daran anschließenden Befreiung Europas befinden. In der Mitte der Loggia steht eine ca. 7 m hohe Bronzeskulptur mit dem Titel ‚The Spirit of American Youth Rising from the Waves‘ (Der aus den Wellen emporsteigende Geist der amerikanischen Jugend). Die aus Kalkstein erbaute, kreisrunde Kapelle in der Schnittstelle der Friedhofs26 Ein fünftes Museum liegt in Surrain, konnte jedoch während der empirischen Aufenthalte nicht geöffnet angetroffen werden. Die Vermutung liegt nahe, dass es entweder zwischenzeitlich oder dauerhaft geschlossen hat. 27 Der erste provisorische amerikanische Soldatenfriedhof am Omaha Beach lag zwischen Saint-Laurent und Vierville. Heute erinnert ein Gedenkstein an seinen Standort.
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wege birgt in ihrem Inneren u. a. einen Altar aus schwarzem und vergoldetem Marmor mit dem Schriftzug ‚I give unto them eternal life and they shall never perish‘ (Ich verleihe ihnen ewiges Leben und niemals sollen sie sterben). Auch das Deckenmosaik springt dem Besucher sofort ins Auge. Es zeigt einen Engel, ein Flugzeug, Kriegsschiffe, einen zum Kampf bereiten und einen toten Soldaten sowie zwei weiß gekleidete Figuren. Letztere stellen zum einen die Vereinigten Staaten von Amerika dar, die den in den Kampf ziehenden Soldaten segnen, und zum anderen Frankreich, das um den für seine Befreiung gefallenen Soldaten trauert (ABMC o. J.: 17). Das Gräberfeld umfasst zehn Grabparzellen mit präzise nach Westen, nach Amerika, ausgerichteten Grabsteinen aus weißem Marmor, die auf dem makellos gepflegten Rasen ein Gefühl des Friedens, der Erhabenheit und Präsenz Gottes bewirken sollen (ABMC o. J.: 22, DIREN 1999: 9, FOUDA 1994: 53). Der 1956 eingeweihte Friedhof erfährt in jüngster Vergangenheit eine grundlegende Veränderung: Östlich des Gartens der Vermissten wird seit dem symbolischen Baubeginn Ende August 2003 ein Empfangs- und Interpretationszentrum von ca. 9.000 m² Größe gebaut. Die Baukosten des zweigeschossigen Gebäudes (Unter- und Erdgeschoss) in Höhe von ca. 28 Mio. Euro werden durch die Vereinigten Staaten getragen. Mit dem Thema ‚Vertrauen, Mut, Aufopferung‘ wird das Zentrum an die geschichtlichen Ereignisse des D-Days, die amerikanische und alliierte Logistik und den französischen Widerstand erinnern. Bestandteil des Interpretationszentrums soll auch ein Film mit dem Titel ‚Tell the truth‘ (Sag die Wahrheit) mit Augenzeugenberichten von Veteranen sein. Laut Aussagen des Friedhofverwalters soll dieser Film, entgegen der vielen schon geschriebenen und manchmal überspitzten Bücher über die Ereignisse, einem Regierungsbuch gleich ‚die Wahrheit‘ des D-Days vermitteln. Das Interpretationszentrum wurde am 6. Juni 2007 eröffnet und soll rund 2 Mio. Friedhofsbesucher pro Jahr für die Thematik sensibilisieren.28 Ursprünglich lagen die jetzt in Colleville begrabenen amerikanischen Gefallenen in verschiedenen provisorischen Friedhöfen der Region und erst in den Jahren nach 1945 wurden sie umgebettet oder ins Heimatland überführt.29 Einer dieser vorübergehenden Bestattungsorte ist der heutige deutsche Soldatenfriedhof von La Cambe mit 21.222 28 2001 kamen rund 2.058.800 Besucher nach Colleville. Laut den Unterlagen des Soldatenfriedhofes sank die Zahl nach dem Anschlag vom 11. September 2001 und im Vorfeld der 60-Jahrfeier auf 1.361.600 (2002) und 1.229.150 (2003). In einem Gespräch gibt der Verwalter des Friedhofes allerdings für 2003 eine Zahl von 400.000 an. 2004 lag sie bei rund 1.800.000 Besuchern. 29 Insgesamt wurden 60 % der gefallenen amerikanischen Soldaten auf Wunsch ihrer Familien in die USA überführt.
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deutschen Gefallenen.30 Offiziell eingeweiht wurde der größte Militärfriedhof der Region am 21. September 1961, nachdem die durch Erweiterung und Begradigung anfallenden Arbeiten 1958 durch ein internationales Jugendlager unter dem Motto ‚Versöhnung über den Gräbern‘ bewältigt wurden (VDK 2003: 9). Im Gegensatz zu der normierten Friedhofsarchitektur der Commonwealth-Staaten und der USA werden die deutschen Soldatenfriedhöfe individuell gestaltet. Der Besucher betritt den Friedhof durch ein kleines, enges Tor – Symbol für den schwierigen und einsamen Übergang der Soldaten vom Leben zum Tod – im flachen, gedrungenen Eingangsgebäude. Zu seiner Rechten liegen der so genannte Listenraum, in dem die Namen der hier Bestatteten aufbewahrt werden, und eine kleine Kapelle, zu seiner Linken befindet sich ein Aufenthaltsraum. Noch im Eingangsgebäude stehend, eröffnet sich dem Besucher ein Blick auf den in der Mitte des Friedhofgeländes errichteten Tumulus, auf dessen Spitze ein von zwei Personen flankiertes Kreuz steht. Der von einem Mauerring eingefasste, sechs Meter hohe Totenhügel wurde über einem Sammelgrab aufgeschüttet.31 Das Gräberfeld gliedert sich in 49 Blöcke. Statt vertikal errichteter Grabsteine sind dunkle, quadratische Platten in den Boden eingelassen und nennen den Namen von mindestens zwei Toten.32 Begründet werden die Grabplatten mit der Integration der Friedhofsarchitektur in die flache Landschaft der Normandie. Vereinzelt stehende Ensembles aus fünf gedrungenen Grabkreuzen und Baumgruppen von Buchen und Eichen lockern als Symbol für die Ewigkeit die Grabreihen auf. Der Friedhof wird vom Umland durch eine Steinmauer sowie durch aufgeschüttete Wälle und eine hainartige Bepflanzung abgegrenzt.33 1996 eröffnete der VDK gegenüber dem Eingangsgebäude einen Friedenspark, dem ein Interpretationszentrum über die Auswirkun30 Die genauen Zahlen der in La Cambe bestatteten Soldaten differierten je nach Quelle. 31 Eine Besonderheit dieses Sammelgrabes besteht darin, dass hier nicht nur vermisste und unidentifizierbare Soldaten begraben liegen. Aufgrund eines Fehlers wurden in der ersten Phase des Friedhofes, als Briten die Umbettung vieler individuell bestatteter Soldaten betreuten, die Identifikationsschilder an den Gefallenen zu früh abgenommen, so dass man die Namen nicht mehr den Leichnamen zuordnen konnte. 32 Die von einer deutschen Firma hergestellten Grabplatten sind ein Ausdruck der Nähe zum Heimatland. Auch das Kreuz auf dem Tumulus ist durch das verwendete Lavagestein aus der Eifel ein Zeichen der Verbundenheit zu Deutschland, das für die Angehörigen der Gefallenen sehr wichtig ist. Auch bringen die Besucher häufig etwas aus der Heimat mit, wie z. B. ein mit Erde des ehemaligen Wohnortes gefülltes Säckchen. 33 Diese Form der Abgrenzung wurde in Anlehnung an die in der Normandie typischen Wälle mit Rasenböschungen (bocage) gewählt.
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gen und Folgen von kriegerischen Auseinandersetzungen anhand vieler Beispiele angeschlossen ist. Am Eröffnungstag wurden 21 für den Frieden gestiftete Ahornbäume im Friedenspark gepflanzt, deren Anzahl im Jahr 2003 schon auf 1.200 Exemplare angewachsen war (VDK 2003: 11). Jeder Baumstifter kann eine Plakette mit einer eingravierten Nachricht – beispielsweise in Form von Friedensbotschaften oder Erinnerungen an einen gefallenen Vorfahren – am Baum befestigen. Oftmals dienen die Bäume als Ersatzgrab für die vermissten Soldaten, als Ort der Trauer für die Angehörigen. Diese Idee des Friedensparks als eine freiere Form des Gedenkens und als Mahnmal gegen den Krieg stammt aus den USA. La Cambe wurde im Jahr 2004 von mehr als 200.000 Personen besucht. Die Museen im Sektor Omaha Beach wirken im Kontrast zu den riesigen Soldatenfriedhöfen eher klein und bescheiden. Das neueste unter ihnen ist das ‚Big Red One‘ zu Ehren der am Omaha Beach gelandeten 1. Infanteriedivision, das im April 2004 seine Pforten öffnete. Das Museum ist im Privatbesitz eines 25-jährigen Sammlers aus Cherbourg, der vorher ein kleines Archivmuseum (Musée des Archives) besaß. Die Ausstellung umfasst vier thematische Schwerpunkte: die Zeit der Division in Großbritannien, den 6. Juni 1944, die Befreiung von St.-Lô und schließlich den Strandabschnitt Omaha Beach. Unweit hiervon entfernt befindet sich das Museum ‚Omaha – 6. Juni 1944‘ in Saint-Laurent-surMer. Die 1981 eröffnete und 2004 erweiterte Privatsammlung thematisiert die deutsche Besatzung von Vierville und Saint-Laurent sowie die alliierte Landung im Sektor. Ausgestellt werden vor allem Militärfahrzeuge, Uniformen, Waffen und Gebrauchsgegenstände der deutschen und amerikanischen Soldaten. Textdokumente, Karten und Fotografien geben zusätzliche Informationen. In Vierville-sur-Mer ist in einem ehemaligen amerikanischen Militärgebäude das Museum ‚D-Day Omaha‘ untergebracht. Mittels zahlreicher Waffen, Fahrzeuge und Uniformen thematisiert der Privatbesitzer den Zweiten Weltkrieg, den Atlantikwall und natürlich die alliierte Landung am Omaha Beach. Das vierte, 1990 eingeweihte Museum in Grandcamp widmet sich ausschließlich der amerikanischen Eliteeinheit der Ranger (Musée des Rangers), die sich in der Eroberung des Pointe du Hoc verdient gemacht haben. Mittels zahlreicher Textdokumente und Fotografien sowie eines 18-minütigen Filmes kann der Besucher die Geschichte der Ranger seit ihrer Gründung 1942 bis zur Einnahme des Pointe du Hoc nachvollziehen.
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1.2.6 Utah Beach Die Landung der amerikanischen 101. und 82. Luftlandedivision westlich der Vire-Mündung sowie der 4. Infanteriedivision am MadeleineStrand stellen zwei markante Ereignisse im Bereich des Utah Beaches dar. Die Fallschirmjäger hatten den Auftrag, das Hinterland des Strandabschnittes der Madeleine einzunehmen und Sainte-Mère-Eglise zu erobern (LECOUTURIER 2000: 71). Die übergeordnete Aufgabe der Infanterie bestand in der Eroberung von Cherbourg, der Einnahme von Stellungen an der Küste und der Errichtung eines soliden Brückenkopfes (BERNAGE 2001a: 78, FLORENTIN 2003: 187, LECOUTURIER 2000: 71). Mit lediglich 200 Toten ist Utah Beach der verlustärmste und erfolgreichste Sektor der alliierten Landung. Der sich von westlich der Vire-Mündung bis nach Quineville erstreckende Strandabschnitt beheimatet 36 Monumente, Gedenktafeln und Kirchenfenster, zwei Küstenbatterien (Saint-Marcouf, Azeville), vier Museen und den deutschen Soldatenfriedhof Orglandes. Unter den Monumenten ist aufgrund seiner Größe und rituellen Nutzung während der offiziellen Zeremonien das Denkmal-Ensemble direkt am MadeleineStrand besonders hervorzuheben. Eine wichtige Rolle als Ort des Gedenkens nimmt zudem die Gemeinde Sainte-Mère-Eglise durch ihre Funktion als Treffpunkt der amerikanischen Fallschirmjäger ein. Der Grundstein des Airborne-Museums in Sainte-Mère-Eglise wurde am 6. Juni 1962 durch einen General der 82. Luftlandedivision gelegt (QUELLIEN 2002: 31), zwei Jahre später wurde es anlässlich der 30Jahrfeier offiziell eingeweiht. Wie der Name des Museums schon verrät, steht die Ausstellung ganz im Zeichen der Luftlandedivision und deren Kämpfe vor Ort. Auf seinem Gelände stehen verschiedene Militärfahrzeuge, Waffen und Flugzeugteile sowie inzwischen zwei Ausstellungsgebäude, die architektonisch einen runden und einen deltaförmigen Fallschirm darstellen. Das erste Gebäude beinhaltet neben zahlreichen mit Waffen, Gebrauchsobjekten, Modellen und Dokumenten bestückten Vitrinen einen von den Amerikanern verwendeten Lastensegler. Im zweiten und neueren Gebäude steht ein C-47 Flugzeug (FLORENTIN 2003: 204, TANTER 1998: 41). Hier kann der Besucher auch anhand von Filmen und interaktiven Säulen Informationen über die amerikanischen Luftlandetruppen erhalten. Das 1962 eröffnete Landungsmuseum am Utah Beach (Musée du Débarquement) ist an einem symbolträchtigen und historischen Ort, einem deutschen Blockhaus direkt am Utah Beach untergebracht und wird von der Kommune Sainte-Maire-du-Mont geführt. 1964 und 1984 wurde es erweitert. Seine gegenwärtige Gestalt erhielt es 1994, als es anlässlich der 50-Jahrfeier von Grund auf erneuert wurde (FLORENTIN 2003: 213f, 223
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TANTER 1998: 43, QUELLIEN 2002: 31). In seinem Inneren werden zahlreiche Textdokumente, Karten, Fotografien und von Veteranen gespendete Gegenstände sowie Modelle und ein Diorama des Ortes im Jahr 1944 gezeigt. Ebenso kann in einem Kinosaal ein historischer Film angesehen werden. Vor dem Museum befinden sich Landungsfahrzeuge, Kampfwagen und Geschütze. In Quinéville, am äußersten Ende des Sektors, liegt das ‚FreiheitsMuseum‘ (Musée de la Liberté), das einzige ‚waffenlose‘ Museum der Region. Es wird seit seiner Eröffnung 1993 von einem gemeinnützigen Verein geführt und greift auf zahlreiche Bilder, Flugblätter, Zeitungen und Propaganda-Plakate zurück, um den Alltag während der Besatzung darzustellen. Den Höhepunkt im Hinblick auf die Museumspräsentation stellt ein Nachbau eines Straßenzuges dar. Ein 52-minütiger Film rundet den Besuch des Museums ab (QUELLIEN 2002: 31). Das jüngste und im Juni 2005 feierlich eröffnete Museum in Utah Beach ist das Dead Man’s Corner Museum in Sainte-Côme-du-Mont. Es beherbergt eine Sammlung von deutschen und amerikanischen Gegenständen der Luftlandetruppen und ist Bestandteil eines großen Projektes des Historischen Zentrums von Carentan (Carentan Historical Center), das sich als historische, kulturelle und erzieherische Einrichtung versteht. Die gleiche Institution plant für 2007 die Eröffnung des ‚Hell’s Corner Airborne Memorial Museum‘ in Carentan.
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Gedenkräume der alliierten Landung
Das Gedenken an die alliierte Landung kennt viele Facetten und muss verschiedenen Ansprüchen gerecht werden. Es soll als mahnende Erinnerung der Vergangenheit dienen und zugleich als ein auf die Zukunft gerichteter Botschafter fungieren. Manche fordern einen rituellen und sich wiederholenden Charakter des Gedenkens, andere sehen in dieser vermeintlich starren und verkrusteten Verpackung die Gefahr, dass so nur Zeitzeugen und nicht die nachkommenden Generationen angesprochen werden. Einig sind sich aber alle in der Ansicht, dass die Weitergabe des Gedenkens an die jungen Generationen von Bedeutung ist, vor allem in der potenziell präventiven Funktion des Gedenkens. Dennoch sind auch viele der Meinung, dass das Gedenken nur kurzzeitig die Menschen zum Nachdenken anregen und keine langfristigen Veränderungen bewirken kann. Trotz dieser Bedenken wird von den unterschiedlichen beteiligten Personen inzwischen das Gedenken als Chance der Völkerverständigung verstanden.
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Aus der Bandbreite der im Kapitel V/1.2 ‚Gedenkorte‘ geschilderten unterschiedlichen Stätten können verschiedene Phasen des Gedenkens an die alliierte Landung abgeleitet werden. Zu nennen ist erstens das trauernd-erinnernde Gedenken der hinterbliebenen Angehörigen gefallener D-Day-Soldaten und der Veteranen, das sofort nach Kriegsende einsetzte und bis heute in abnehmender Intensität andauert. Es hat, neben teilweise patriotischen Einfärbungen, die unzähligen Soldatenfriedhöfe und Regimentsdenkmäler hervorgebracht. Zweitens gibt es das patriotische Gedenken der unterschiedlichen Nationen, das bis Anfang der 1980er Jahre auftrat und die heroischen Taten der einzelnen Staaten in den Vordergrund rückte.34 National-patriotisch sind beispielsweise das amerikanische Denkmalensemble am Madeleine-Strand (Utah Beach) und das Monument des Kommandos Kieffer in Ouistreham (Sword Beach). Abgelöst wurde es zunehmend vom versöhnend-vereinigenden Gedenken, das seinen Höhepunkt in der 60-Jahrfeier 2004 hatte. Als in Stein gehauenes versöhnend-vereinigendes Gedenken präsentiert sich das Memorial von Caen. Das historisch-pädagogische Gedenken besteht schon seit den 1950er Jahren und rückt nicht erst – wie man erwarten könnte – mit dem anstehenden Generationswechsel und Ableben der Veteranen zunehmend in den Vordergrund. Ausdruck dieses Gedenkens sind die Museen – angefangen vom Landungsmuseum in Arromanches der 1950er Jahre bis hin zum 2005 eröffneten Museum ‚Dead Man’s Corner‘.
2.1 Gedenken an die alliierte Landung In der Unteren Normandie gibt es zahlreiche Gedenkrituale, die alljährlich anlässlich des D-Days und der sich daran anschließenden Befreiung Frankreichs gefeiert werden. Angefangen bei Einweihungen von Denkmälern und Museen über Nachstellungen von Militärschlachten und -lagern sowie der Verleihung von Medaillen bis hin zu organisierten abendlichen Festessen – so unterschiedlich die Zeremonien auch sein mögen, sie ehren alle die ‚wichtigsten‘ Ritualteilnehmer: die in die Normandie zurückkehrenden Soldaten des D-Days. Alle Feiern, jede Party, all die gehaltenen Reden, alle ausgetauschten Geschenke sind dazu da, [die Veteranen] zu ehren und damit sie sich gut fühlen. Für das, was sie vor 60 Jahren durchlebt haben.
34 Das patriotische Gedenken ist von französischer Seite aus durch die zahlenmäßig geringe Beteiligung an der Landung, die schnelle Kapitulation Frankreichs 1940 und das Vichy-Regime nur relativ schwach ausgebildet. Stärker ausgeprägt ist es auf der amerikanischen Seite.
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ROUSSO (1986: 49ff) hat in seinem Artikel ‚Cet obscur objet du souvenir‘ hinsichtlich des Zweiten Weltkrieges eine hierarchisch gegliederte Liste verschiedener Gedenkrituale herausgearbeitet, in der in abnehmender Wichtigkeit Gedenkrituale an lokale Geschehnisse, militärische Aktionen und Tote bzw. Märtyrer stehen. Diese drei Ebenen fallen im Gedenken an den D-Day in zahlreichen Kommunen zusammen und überlagern sich: Am 6. Juni werden erstens das lokale Ereignis in der betreffenden Kommune der Landungszone, zweitens das militärische Ereignis des D-Days und der Befreiung der Normandie und drittens eine Andachtszeremonie für die gefallenen Soldaten gefeiert. Aber auch wenn die Rituale nicht in den befreiten Kommunen, sondern an den zuvor beschriebenen Gedenkorten stattfinden, überlagern sich die zwei letzteren Kategorien. Schon allein in dieser Hinsicht stellt das rituelle Gedenken am 6. Juni und den Folgetagen in der Normandie eine Besonderheit dar.
2.1.1 Offizielle Gedenkrituale Das rituelle Gedenken an den D-Day unterscheidet sich von jenem an die Schlacht von Verdun durch seinen nationalen Charakter und die staatliche Involvierung (BARCELLINI 1986: 78ff). Dies zeigt sich zum einen direkt im Gesetzeserlass vom 21. Mai 1947 (siehe Kapitel V/1.1.2 ‚Ritualteilnehmer‘), zum anderen indirekt im von der Regierung mit der Organisation und Durchführung der Feierlichkeiten betrauten Landungskomitee.
2.1.1.1 Initiative und Anfänge Beim Gedenken an die alliierte Landung musste man sich nicht, wie etwa in Verdun, auf einen symbolischen Tag einigen – der 6. Juni war klar durch die historischen Ereignisse vorgegeben. Noch bevor 1947 das Landungskomitee zum offiziellen Organ für die Planung und Durchführung der Gedenkfeierlichkeiten ernannt wurde, organisierte es seit seiner Gründung im Mai 1945 die ersten Feierlichkeiten im britisch-kanadischen und amerikanischen Sektor (BAPTISTE & BAPTISTE 2003: 422). Kriegsschiffe patrouillierten entlang der Küste, Flugzeuge überflogen die Strände und Artilleriesalven begleiteten die Ankunft der offiziellen Gäste (die Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada und Großbritannien, der Kommissar der französischen Republik, die Vertreter der französischen Minister für Krieg, Marine und Luftwaffe sowie zahlreiche Amtsträger der Region) am Flughafen von Caen (o. V. 1945: 2).35 Am Vormittag hielt man, nachdem das geplante Nach35 Die der Auswertung zugrunde liegenden Zeitungsartikel der Ouest-France konnten dankenswerter Weise in den ‚Archives Départementales du Cal-
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stellen der Landung kanadischer Truppen in Bernière-sur-Mer ausgefallen war, eine französisch-amerikanische Zeremonie in Saint-Laurent ab (o. V. 1945b: 1, o. V. 1945c: 1). Um 11 Uhr 30 wurden die geladenen Persönlichkeiten zu einem Empfang und anschließenden Bankett nach Bayeux geladen. Anschließend veranstaltete man dort eine kleine Militärparade, die Nationalhymnen wurden gespielt und viele Kinder aus der Region formten für die Befreier Frankreichs ein Ehrenspalier (o. V. 1945a: 2). Am Nachmittag gab es in Arromanches nach einem feierlichen Aufmarsch französischer Streitkräfte in Waffen und dem Überreichen von Medaillen (Kreuz der Ehrenlegion, Kriegskreuz mit Siegespalme) von Seiten der britischen Marine-Infanteristen ebenfalls eine militärische Ehrung am Strand. Im Anschluss hieran folgten um 14 Uhr die auf der Steilküste versammelten Zuschauer mittels auf der Klippe aufgebauter Lautsprecher der auf dem Strand gefeierten britischen Gedenkmesse mit abschließender Segnung des Meeres (BAPTISTE & BAPTISTE 2003: 424, o. V. 1945a: 2). Nachdem die Nationalhymnen ertönt waren, hielten der britische Botschafter und der britische Oberst Ansprachen. Gegen 15 Uhr verließen die geladenen Gäste den Küstenabschnitt und fuhren entweder zu den Zeremonien nach Sainte-Marie-du-Mont oder über die Küste zurück nach Caen (o. V. 1945a: 2). Arromanches war durch die dort abgehaltenen militärischen und geistlichen Ehrungen sowie die Präsenz aller offiziellen Gäste das Zentrum der ersten Gedenkzeremonie. 1946 standen die Feierlichkeiten in Courseulles-sur-Mer unter der Schirmherrschaft des französischen Innenministers im Mittelpunkt des Geschehens.
2.1.1.2 Veränderung der Gedenkrituale In den Jahren von 1947–53 konzentrierten sich die durch das Landungskomitee organisierten Gedenkzeremonien an den D-Day nicht mehr lediglich auf einen Tag, sondern fanden alljährlich am 5. und 6. Juni sowohl im britisch-kanadischen als auch amerikanischen Sektor statt.36 Im Anschluss an die 10-Jahresfeier 1954 reduzierte sich das alljährliche Gedenken auf den 6. Juni und fand abwechselnd in einem der beiden Sektoren statt. Dieses Rotationsprinzip wurde aufgrund der großen Ausdehnung der Landungsstrände eingeführt (BLANDIOT 2003: 13). Doch nicht nur das Rotationsprinzip zeugt von Dynamik. Um mehrere Orte am Gedenktag aufsuchen zu können, gibt es einen mit Autos vados‘ eingesehen werden (Standnummern 2MI_JX_181, M15654, M15649, 13TI/176/10, 13TI/176/29, 13TI/176/85, 13TI/176/145, 13TI/176/205, 13TI/176/265, 13TI/176/325, 13TI/176/385). 36 Wenn nicht anderweitig gekennzeichnet, stammen diese Informationen aus Einladungskarten und Unterlagen im Archiv des Landungskomitees.
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formierten Prozessionszug der Ehrengäste und Amtsträger zu verschiedenen Gedenkorten der Landungsstrände. Im amerikanischen Sektor stehen vor allem der amerikanische Soldatenfriedhof von Colleville, Omaha Beach (mit Saint-Laurent und Vierville), der Pointe du Hoc, Utah Beach (amerikanisches Denkmalensemble am Madeleine-Strand) und Sainte-Mère-Eglise auf dem Programm. Die Orte des rituellen Gedenkens im britisch-kanadischen Bereich sind zahlreicher, fokussieren aber auf den britischen Friedhof von Bayeux, die kanadische Grabstätte in Bény-Reviers, Arromanches, Courseulles, den Bereich der britischen Luftlandetruppen bei Ranville, Bénouville und Ouistreham. Aus der Anzahl der offiziellen Zeremonien an den unterschiedlichen Gedenkorten im Laufe der Jahre wird deutlich, welchen von ihnen durch das Landungskomitee die meiste Bedeutung zugeschrieben wird (siehe Abbildung 19). Der Besuch mehrerer Gedenkorte ist notwendig, da ein Konkurrenzdenken zwischen den verschiedenen Orten befürchtet wird: Das ist genau geplant, da sie leider gezwungen sind viele Kilometer für ihre Anwesenheit zurückzulegen […]. Sie können nicht an einen einzigen Ort gehen, da es sonst nicht direkt lokale Rivalitäten geben würde, aber fast. Durch die Organisation der Gedenkrituale als Prozessionszug sind bei den Teilnehmern der vom Landungskomitee organisierten Feierlichkeiten zwei Gruppen zu unterscheiden. Zum einen gibt es Personen (Mitglieder des Landungskomitees, teilweise auch Veteranen), die Teil des Festzuges sind und an der Gesamtheit aller Gedenkgesten partizipieren. Zum anderen erwarten lokale Akteure (Militärangehörige, Veteranen und deren Familien, patriotische Vereinsmitglieder, Anwohner und Touristen) vor dem jeweiligen Gedenkort die Ankunft des Konvois. Der Zug startet meist in Bayeux, dem Sitz des Landungskomitees, und führt dann – bis auf sieben Ausnahmen, als an einem Tag beide Bereiche besucht wurden – entweder auf den amerikanischen oder britischkanadischen Sektor. Als erste Station wird ein Friedhof angefahren (Bayeux, Bény-Reviers oder Colleville), auf dem die Amtsträger zusammen mit Veteranen Kränze niederlegen. Es schließt sich eine Schweigeminute und das Läuten der Totenglocken an. Idealtypisch folgt im amerikanischen Sektor die Fahrt nach Saint-Laurent und Vierville, wo im Gedenken an die tragische Schlacht und die vielen am Omaha Beach gefallenen Soldaten an den Denkmälern in Strandnähe Kränze niedergelegt werden. Nächster Standort ist mit dem Pointe du Hoc ein weiterer stark umkämpfter Ort, an dem auch Kränze niedergelegt werden. Später fährt der Konvoi entweder direkt oder – in seltenen Fällen – über eine Zwischenstation in Sainte-Mère-Eglise zum Madeleine-Strand am Utah Beach. Am amerikanischen Staatsmonument findet seit seiner Einwei228
Abbildung 19: Anzahl der offiziellen D-Day-Zeremonien von 1945–2004 an unterschiedlichen Gedenkorten (mit >fünf Nennungen)
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hung 1984 gegen Nachmittag die abschließende Zeremonie mit Hissen der Nationalfahnen, offiziellen Ansprachen, Kranzniederlegungen und einem feierlichen Aufmarsch der Truppen statt. Wenn der Weg auf die britisch-kanadische Seite führt, gibt es weitaus weniger eine ‚typische‘ Route als im amerikanischen Sektor. Prinzipiell plant das Landungskomitee nach dem Friedhofsbesuch meist Gedenkriten an drei unterschiedlichen Orten bzw. Stränden. Häufig wird nach einigen Stationen im Landungsbereich Gold Beach der Küstenbereich Juno Beach aufgesucht. Falls Gold Beach entfällt, führt der Weg entweder direkt zu Juno und Sword Beach, oder er startet im Sektor der Luftlandetruppen und führt anschließend zum Sword Beach. An den Gedenkmonumenten der Landungsstrände wird meist lediglich ein Kranz niedergelegt, erst die abschließende Zeremonie umfasst wieder das Hissen der Nationalflaggen, Ansprachen und eine Militärparade. Im Gegensatz zum amerikanischen Sektor, wo dies klassischerweise am Utah Beach stattfindet, gibt es auf der britisch-kanadischen Seite keinen festgelegten Ort für die große Schlusszeremonie. Am häufigsten hat sie bislang in Ouistreham stattgefunden. Im Allgemeinen ist es so, dass hierfür Orte mit herausragender Bedeutung im Kampfgeschehen und mit besonderer Symbolik für die Gedenkrituale ausgesucht werden. Die Veränderungen der Gedenkrituale in den letzten 59 Jahren betreffen die Ortswahl, die vorsitzenden Persönlichkeiten, die beteiligten Nationen, die Gedenkgesten und die Involvierung der beteiligten Personengruppen. Neben den Gedenkorten in situ wurden im Laufe der Jahre immer wieder neu errichtete Gedenkorte in den Prozessionszug integriert. Dies hängt maßgeblich mit dem Datum ihrer Einweihung bzw. Fertigstellung zusammen. So wurde beispielsweise der Friedhof von Colleville zwei Jahre nach seiner Einweihung zum festen Bestandteil des Prozessionszuges im amerikanischen Sektor. Auch die Schirmherren der Gedenkzeremonien wechselten im Laufe der Jahre: Waren es in den Jahren nach 1949 vornehmlich die großen Helden des D-Days selbst (z. B. Generäle Montgomery, Koenig, Eisenhower, Ridgway und Crerar), wurden sie später von Ministern und Botschaftern abgelöst.37 Im Laufe der Jahre kommen immer mehr Länder hinzu, die der alliierten Landung gedenken.38 Diese Transformation steht wahrscheinlich erstens 37 1948 stellte eine große Ausnahme hinsichtlich der Schirmherrschaft dar, da Staatspräsident Auriol die Gedenkzeremonien präsidierte. Auch das Jahr 1997 fällt aus dem Rahmen: Zum ersten Mal in der Geschichte der Gedenkfeierlichkeiten war kein Minister anwesend (Archiv des Landungskomitees). 38 Vor allem anlässlich der runden Jahrestage treten neue Staaten auf die Bühne des Gedenkens (siehe nächstes Kapitel).
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mit dem Schwinden der militärischen Protagonisten und zweitens mit dem politischen Willen in Verbindung, die alliierten Regierungen in die Gedenkzeremonien einzubeziehen (BLANDIOT 2003: 15f). Auch die Gedenkgesten haben sich im Laufe der Zeit etwas, wenn auch nur in verhältnismäßig geringem Umfang, verändert. Zunehmend integrierte das Landungskomitee in den offiziellen Programmablauf der letzten Jahre musikalische Einlagen von Männer- oder Jugendchören. Auch wurden Kinder stärker mit in die Gedenkrituale einbezogen. Anstatt wie früher den Persönlichkeiten die zur feierlichen Niederlegung bestimmten Blumen zu überreichen, kommt es heute zunehmend vor, dass die Kinder diese Aufgabe selbst übernehmen. Zudem partizipiert in jüngerer Vergangenheit manchmal das Landungskomitee an den von Veteranenverbänden (z. B. Normandy Veterans Association und Royal British Legion) durchgeführten Zeremonien auf dem britischen Soldatenfriedhof und in der Kathedrale von Bayeux.
2.1.1.3 Die runden Jahrestage Anlässlich der runden Jahrestage alle fünf und zehn Jahre finden die Feierlichkeiten am 5. und 6. Juni in beiden Sektoren statt. Begründet werden die Zwischengeburtstage mit ihrer Bedeutung für die Veteranen und dem Wunsch, allen Beteiligten mit den offiziellen Zeremonien eine Freude zu machen. Die zehnjährigen Gedenkrituale wurden bis 1984 vom Landungskomitee selbst organisiert. Seit der 40-Jahrfeier plant die französische Regierung die am 6. Juni stattfindende internationale sowie die binationalen Zeremonien selbst. Die Feierlichkeiten des 5. Juni werden weiterhin vom Landungskomitee ausgerichtet und dauern oftmals bis in die Nacht hinein. 1974 und 1994 fanden sie am Strand von Versur-Mer mit einem symbolischen Marsch der Streitkräfte vom Meer in Richtung Hinterland statt. Prinzipiell werden die Gedenkorte des Vorabends komplementär zu jenen des Folgetages gewählt. Neben der internationalen Feierlichkeit und den binationalen Zeremonien gibt es am 6. Juni noch nationale Veranstaltungen, welche die alliierten Nationen an Orten feiern, die von ihnen als charakteristisch und aussagekräftig bewertet werden. Die fünfjährigen Gedenkrituale präsidieren in der Regel französische Minister, und als offizielle Gäste werden alliierte Botschafter oder deren Militärattachés empfangen. Ausnahmen stellen die Jahre 1949 und 1989 dar. Im Mittelpunkt der Zeremonien von 1949 stand der Schirmherr General Montgomery, der insgesamt drei Tage in der Normandie blieb und in zahlreichen Städten der Region von den Normandie-Bewohnern begrüßt und gefeiert wurde (o. V. 1949: 1 u. 4). 1989 prägte der hohe Be-
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such von Königin Elisabeth die Feierlichkeiten, die das von der Normandy Fellowship Veterans gestiftete Kirchenfenster in der Kathedrale von Bayeux einweihte. Die Präsidentschaft der zehnjährigen Gedenkzeremonien hatte 1954 Staatspräsident Coty inne. Von alliierter Seite aus partizipierten Botschafter und Generäle der sieben beteiligten Nationen (USA, Kanada, Großbritannien, Belgien, Luxemburg, Niederlande und Norwegen). Die Hauptzeremonie mit Empfang der Staatsgäste, Nationalhymnen, militärischen Ehrungen, Ansprachen, Kranzniederlegung und Militärparade fand am Madeleine-Strand (Utah Beach) statt (o. V. 1954a: 2, ORY 1954: 1). Entgegen der Erinnerung vieler Ritualteilnehmer, die von einer kontinuierlichen Teilnahme der französischen Staatspräsidenten sprechen, kamen 1964 und 1974 anlässlich der Gedenkrituale keine französischen oder alliierten Präsidenten in die Normandie. In beiden Jahren vertraten französische Minister sowie alliierte Botschafter und Generäle die jeweiligen Regierungen bei der Hauptzeremonie am Utah Beach. 1984 kamen zum ersten Mal zu einem zehnjährigen Jubiläum die Regierungschefs sowohl Frankreichs als auch der alliierten Länder. Waren es 1954 noch sieben Nationen, so zählte man 1984 schon elf an den Zeremonien beteiligte Staaten. Neu hinzu kamen Polen, die Tschechoslowakei, Griechenland und Dänemark (o. V. 1984a: 5, o. V. 1984b: 8, o. V. 1984c: 2f). Die internationale Zeremonie fand – wie schon anlässlich der letzten drei runden Jahrestage – am Utah Beach statt und begann mit einem Sprung von blau, rot und weiß gekleideten Fallschirmjägern sowie einer Aufstellung der Truppen auf dem von der Ebbe freigelegten Strand (BLANDIOT 2003: 39). Die geladenen Gäste nahmen mit Blick zum Strand auf der Ehrentribüne Platz und erwarteten den mit 21 Kanonenschüssen angekündigten französischen Staatspräsidenten. Nachdem die Nationalhymnen der alliierten Länder gespielt wurden, hielten der französische Staatspräsident Mitterrand und der amerikanische Präsident Reagan je 15minütige Ansprachen. Bevor die internationale Zeremonie nach rund einer Stunde mit einem Gruppenbild der beteiligten Staatschefs am Utah Beach endete, assistierten sie bei der am Strand vollzogenen Militärparade (BLANDIOT 2003: 39f). Neben der internationalen Zeremonie fanden noch drei binationale Gedenkrituale (Frankreich/USA, Frankreich/Großbritannien, Frankreich/Kanada) und zwei nationale französische Feierlichkeiten statt (Archiv des Landungskomitees). 1994 wurde dann für die rund zweistündige internationale Zeremonie ein anderer Ort gewählt: Omaha Beach, genauer gesagt SaintLaurent-sur-Mer. Die sechs binationalen (Frankreich mit USA, Großbritannien, Kanada, Niederlande, Norwegen und Polen) und neun nationa232
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len Gedenkrituale (fünf britische, zwei amerikanische, eine kanadische und eine französische) fanden überwiegend auf Soldatenfriedhöfen und an für die Nationen jeweils bedeutsamen Gedenkorten statt (Archiv des Landungskomitees). Beispielsweise wurde die norwegische Zeremonie am norwegischen Monument in Villons-les-Buissons und die dänische Feierlichkeit am dänischen Denkmal in der Nähe von Utah Beach abgehalten. Da der Staatspräsident nicht bei allen Zeremonien anwesend sein konnte, vertraten ihn bei manchen Zeremonien der Premierminister oder andere Minister. Insgesamt wurden am 6. Juni 1994 16 offizielle Zeremonien veranstaltet, an denen rund 15 Repräsentanten aus zwölf Ländern partizipierten. Zu den bislang teilnehmenden alliierten Regierungsvertretern stießen diesmal Politiker aus Australien und Neuseeland sowie aus den nun eigenständigen Staaten Tschechien und Slowakei hinzu. Abwesend waren Dänemark und Griechenland (o. V. 1994a: 10, o. V. 1994b: 3). Die offiziellen Gäste saßen während der internationalen Zeremonie auf einer erhöhten Tribüne mit Blickrichtung zum Strand, dem Signalmonument39 und dem davor platzierten Podest der Staatschefs. Die zahlreich eingeladenen Veteranen befanden sich im Zentrum des Geschehens zwischen Tribüne und Podium. Das Programm der internationalen Zeremonie war gedrängter als bei der 40-Jahrfeier 1984. Die Gedenkgesten umfassten einen Aufmarsch der Marine und Luftwaffe, Ansprachen einiger Veteranen, das Totengeläut mit anschließender Schweigeminute, das Hissen der acht Nationalfahnen, offizielle Ansprachen und eine Militärparade (BLANDIOT 2003: 40f). Neben den offiziellen Gästen waren rund 30.000 Veteranen, 100.000 Touristen, 15.000 französische Gendarmen und Soldaten sowie 5.000 ausländische Soldaten in der Region (DESQUESNES 1995: 155, KLEIN 1996: 38). Letztere zwei nahmen an Militärparaden teil, überwachten die Autostraßen zu den Gedenkorten und den darüber liegenden Luftraum, kontrollierten Zugangsbeschränkungen, errichteten alle acht Kilometer einen Beobachtungsposten, durchsuchten den Kanal von Caen bis zur Meeresmündung nach Minen und standen zum Schutz des offiziellen Prozessionszuges zur Verfügung (DESQUESNES 1995: 155f). Der Tag endete nach all den offiziellen Gedenkzeremonien mit einer Licht- und Tonschau unter dem Titel ‚Im Namen der Männer‘ (Au Nom des Hommes) und dem Aufstieg von Luftballons in den nächtlichen Himmel (DESQUESNES 1995: 172f). 39 Die Signalmonumente wurden vom Landungskomitee in Bénouville, Ouistreham, Bernières, Graye, Port-en-Bessin, Saint-Laurent, Isigny, Carentan, Sainte-Mère-Eglise und Saint-Martin-de-Varreville (Utah Beach) errichtet. Auf allen Denkmälern gedenken die Worte ‚Ici le 6 juin 1944, l’héroïsme des forces alliées libère l’Europe‘ (Hier hat am 6. Juni 1944 der Heldenmut der alliierten Streitkräfte Europa befreit) an den D-Day.
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Die Gedenkrituale im Jahr 2004 übertrafen hinsichtlich ihrer offiziellen Beteiligung alle bisher gekannten Dimensionen.40 Dies resultierte nicht nur aus der Anzahl der geladenen Gäste – es reisten 21 Repräsentanten aus 15 Ländern in die Normandie –, sondern vor allem aus der offiziellen Einladung des deutschen Bundeskanzlers und des russischen Staatspräsidenten. Neben der internationalen Zeremonie in Arromanches fanden acht binationale Zeremonien (Frankreich mit USA, Großbritannien, Kanada, Belgien, Deutschland, Holland, Norwegen und Polen) und neun nationale Zeremonien (zwei amerikanische und je eine australische, deutsche, britische, kanadische, norwegische, polnische und französische) statt. Die Sicherheit der Staatsgäste nahm einen noch nie erreichten Stellenwert ein: Zum 60. Jahrestag fand laut Aussagen des Verteidigungsministeriums die größte Militäroperation Frankreichs seit dem Zweiten Weltkrieg statt.41 Über 30.000 französische Soldaten und 15.000 Polizisten waren vor allem in dem 40 km breiten und 120 km langen Sperrgebiet anwesend (KOHL 2004). Allein für die internationale Zeremonie in Arromanches waren, so vermutet man, 20.000 Sicherheitskräfte vor Ort. Der Luftraum und die Küste wurden von MirageJägern, AWACS-Aufklärungsflugzeugen, Boden-Luft-Raketen, Minensuchbooten und rund einem Dutzend weiterer Kriegsschiffe abgesichert. Ebenso wurden Gegenmittel für den Fall eines terroristischen Angriffs mit chemischen Waffen bereitgestellt (LEICK & PALMER & WIEGREFE 2004: 47, VEILLE 2004) und in Krankenhäusern der Region vorsorglich zusätzliche Betten verfügbar gemacht. Auch richtete Frankreich kurzzeitig wieder Grenzkontrollen ein. Zusätzlich zu den Sicherheitskräften kamen schätzungsweise rund 15.000 geladene Gäste, 8.000 Veteranen und eine Million Besucher in die Normandie (KLINGBEIL 2004). Am 5. Juni wurde nachmittags unter der Federführung des Landungskomitees und in Anwesenheit von Prinz Charles auf dem Gelände des Memorial Pegasus ein Lastengleiter eingeweiht. Am frühen Abend veranstaltete das Landungskomitee am Omaha Beach eine Gedenkzeremonie, bestehend aus dem Hissen der Nationalfahnen, offiziellen Ansprachen, Kranzniederlegungen und einer Militärparade. Nach der Einweihung einer Gedenkskulptur direkt am Omaha Beach und einem feierlichen Bankett klang der Abend mit einem Konzert und einem Feuerwerk ent40 Die Informationen basieren, wenn nicht anderweitig gekennzeichnet, auf den Fernsehberichterstattungen des französischen Senders TF1 und des deutschen Senders ZDF sowie aus Beobachtungen vor Ort. 41 Das enorme Aufgebot an Streitkräften ist vor allem im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. Septembers 2001 auf das World Trade Center in New York und der sich daran anschließenden Unsicherheit vor weiteren Terroranschlägen zu sehen.
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lang der gesamten Küste aus. Die internationale Zeremonie in Arromanches am 6. Juni 2004 fand auf der Klippe oberhalb der Stadt mit Blick auf den künstlichen Hafen von Mulberry statt. Nachdem der Schotterboden mit einer Kautschuklasur verfestigt worden war, wurden um einen Paradeplatz drei große Tribünen für die Veteranen und geladenen Gäste sowie zehn vertikale Leinwände hinter dem Rednerpodium aufgestellt. Zwischen 13 und 15 Uhr gab es eine Parade mit Militärmusik der alliierten Streitkräfte. Nachdem die offiziellen Gäste in drei Bussen und die Staatschefs in mehreren Dutzend Pkws angekommen waren und 15 Minuten später auch der amerikanische Staatspräsident Arromanches erreicht hatte, nahmen die Staatsoberhäupter auf der Ehrentribüne Platz.42 Die Zeremonie begann kurz darauf mit der französischen Nationalhymne und 21 von einer Fregatte abgefeuerten Kanonenschlägen. Anschließend marschierten rund 140 Veteranen hinter Trägern von 14 Fahnen der beteiligten Nationen ein. 14 von ihnen ehrte Staatspräsident Chirac symbolisch mit der höchsten militärischen Auszeichnung Frankreichs aus, der Medaille der Ehrenlegion. Um ca. 16 Uhr 30 stellte sich der französische Staatschefs an das auf dem Paradeplatz errichtete Mikrofon und hielt vor den rund 7.000 Gästen eine Ansprache. Im Anschluss daran gab es eine Parade der französischen und alliierten Landstreitkräfte, der Luftwaffe und der Marine. Nach dem Aufmarsch zu Boden, in der Luft und zur See endete der militärische Teil der Gedenkzeremonie mit einer kurzen Schweigeminute und einem Hornsignal zu Ehren der Soldaten sowie mit einer aufgeführten Inszenierung.43 Integriert in die Vorstellung waren eine Ansprache einer 25-jährigen Frau, die symbolisch die Flamme des Gedenkens für die junge Generation übernahm, eine Rede des französischen Widerstandskämpfers Jacques Vico, eine Gesangseinlage der Sängerin Patricia Kaas, das Überreichen von Blumen an die zuvor mit der Medaille der Ehrenlegion ausgezeichneten Veteranen und eine Ansprache des Direktors des Friedensmuseums von Caen
42 Die Sitzanordnung der einzelnen Persönlichkeiten lässt Aufschlüsse über die ihnen im Rahmen der Zeremonien zugeschriebene Bedeutung zu. In der Mitte der ersten Reihe der Ehrentribüne saß Staatspräsident Chirac. Auf die Bühne blickend rechts von ihm folgten seine Frau, Präsident Bush und dessen Frau sowie Präsident Putin. Direkt links neben ihm saßen Queen Elisabeth, ihr Mann Prinz Philipp und die Königin Beatrix. In der zweiten Reihe waren hinter Frau Chirac und Bush der deutsche Bundeskanzler sowie rechts daneben der britische Premierminister platziert. 43 In der Aufführung wurde mittels Musik und Gesang sowie der auf die Leinwände projizierten historischen Bilder an die Ereignisse von den Vortagen der alliierten Landung bis zur Befreiung Frankreichs erinnert. Während des Gedenkens an die Bombardierung überflog eine Staffel aus vier verschiedenen zum Teil historischen Kampfflugzeugen Arromanches.
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mit der Aufforderung, niemals zu vergessen. Die Zeremonie wurde durch die Danksagung der Schauspieler und der kurzen Flugschau einer französischen Staffel an die Befreier der Normandie beendet. Hinsichtlich der binationalen Feierlichkeiten standen die Gedenkzeremonien von Chirac und Bush auf dem amerikanischen Soldatenfriedhof von Colleville44 und die deutsch-französische Zeremonie von Chirac und Schröder vor dem Memorial in Caen45 im Rampenlicht der Aufmerksamkeit. Letztere wird immer wieder mit der Freundschaftsgeste zwischen Mitterrand und Kohl in Verdun von 1984 verglichen. Insgesamt ist festzustellen, dass die runden Jahrestage im Laufe der Jahre hinsichtlich ihres Programms und der daran teilnehmenden Amtsträger immer größer bzw. bedeutender wurden und ihren Höhepunkt in der 60-Jahrfeier 2004 nahmen.
2.1.1.4 Alljährliche Riten der heutigen Gedenkzeremonien Zur besseren Veranschaulichung der alljährlich stattfindenden Gedenkrituale wird die 59. Jahresfeier des D-Days exemplarisch dargestellt. Der genaue Ablauf wurde – wie immer – im Vorfeld minutiös vom Landungskomitee geplant und fast ebenso exakt durchgeführt. Dennoch kam es zu Programmänderungen. Den Ehrenvorsitz der Gedenkfeierlichkeiten übernahmen 2003 Hamlaoui Mekachera (Minister der Kriegsveteranen und Kriegsopfer), der amerikanische Botschafter in Frankreich, Edward Leach, und der französische Premierminister Jean-Pierre Raffarin. Unter den offiziellen Gästen waren des Weiteren u. a. die französische Ministerin für berufliche Gleichstellung, der Botschafter von Großbritannien, der Präfekt der Unteren Normandie, des Calvados und der Manche, der Unterpräfekt von Vire und Bayeux, der Präsident des Landungskomitees und die Mi44 Nach dem Hissen der amerikanischen Nationalfahnen und dem Ertönen des Signalhorns schritten Bush und Chirac über einen ausgerollten roten Teppich zur Kranzniederlegung und anschließend, von Kanonenschüssen unterbrochen, zu den Rednerpulten. Danach ertönten die Nationalhymnen der beiden Länder und zum Abschluss der Zeremonie überflogen Kampfflugzeuge den Soldatenfriedhof. 45 Die deutsch-französische Zeremonie verlief folgendermaßen: Zunächst verneigten sich Chirac und Schröder vor der französisch-deutschen Brigade, die im Anschluss daran sowohl die deutsche als auch die französische Nationalhymne spielten. Auf ihrem Weg in das Innere des Memorials reichten sie vielen Kindern und Jugendlichen die Hände. In der Eingangshalle enthüllten Chirac und Schröder eine an diesen historischen Moment erinnernde Gedenkgravur und trugen sich ins Goldene Buch des Friedensmuseums ein. Anschließend traten sie wieder aus dem Memorial heraus und hielten auf der Promenade ihre Ansprachen. Eine musikalische Einlage beendete die deutsch-französische Zeremonie in Caen.
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litärattachés der britischen, norwegischen, belgischen, niederländischen, kanadischen und polnischen Botschaften in Frankreich sowie weitere lokale Politiker und Armeeangehörige. Bevor der Gedenktag um 9 Uhr 15 in der Kathedrale von Bayeux mit einem Gedenkgottesdienst der Royal British Legion eröffnet wurde, versammelten sich die offiziellen Teilnehmer und geladenen Gäste auf einem unweit der Kathedrale gelegenen Parkplatz. Die Gedenkmesse begann mit dem Einzug der Fahnenträger und Geistlichen und wurde vom Bischof von Bayeux und einem britischen Militärgeistlichen gehalten. In den Wortgottesdienst waren das Totengedenken mit Schweigeminute und die britische Nationalhymne integriert. Der Auszug der Fahnenträger und Geistlichen beendete die Gedenkmesse. Die zweite Gedenkgeste fand beim Monument der Befreiung in Bayeux statt. Hier erwartete das Militär um 10 Uhr den offiziellen Prozessionszug, nachdem dieser sich auf dem Parkplatz Ornano formiert und in Bewegung gesetzt hatte.46 Das Militär begrüßte die Gäste in Habachtstellung und mit der Präsentation der Gewehre. Die vor dem Monument stehende Gedenkflamme wurde durch den Repräsentanten der französischen Regierung, den Präsidenten des Landungskomitees und den Bürgermeister von Bayeux entzündet. Im Anschluss daran legten neun Amtsträger Blumengestecke vor dem Denkmal nieder. Es folgte das Totensignal, eine Schweigeminute und die Marseillaise. Während des Aufbruchs der Amtsträger verabschiedete das Militär sie erneut durch Habachtstellung und die Präsentation der Waffen die offiziellen Gäste. Nachdem sich der Prozessionszug wieder in Bewegung gesetzt hatte, wurde als nächstes Ziel der amerikanische Soldatenfriedhof von Colleville angefahren. Die Fahrzeuge hielten um 10 Uhr 30 in der Nähe des Besuchereingangs, und von dort aus schritten die Gäste zum Memorial des Friedhofs. Begrüßt wurden sie durch die gleichen militärischen Gesten wie schon am vorherigen Standort. Wenige Minuten später gab es eine ökumenische Gedenkmesse der katholischen, protestantischen, orthodoxen und jüdischen Glaubensrichtungen. Kinder und Jugendliche reichten den Amtsträgern 20 Blumengestecke, die im Anschluss daran vor dem Wasserbecken des Friedhofes mit Blick auf das Gräberfeld niedergelegt wurden. Wie schon bei der vorangegangenen Gedenkgeste 46 Angeführt wurde der 35 Fahrzeuge umfassende Prozessionszug durch die Gendarmerie. In den ersten Autos saßen der Minister der Kriegsveteranen und der Präfekt des Calvados, die Ministerin für berufliche Gleichstellung, der Präsident des Landungskomitees, die britischen und amerikanischen Botschafter, der Vizepräsident des Conseil Général, der Kommandant des nordwestlichen Bereichs, der Seepräfekt, weitere lokale Politiker und Militärattachés der alliierten Botschaften.
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folgten das Totensignal, eine Schweigeminute und diesmal die Nationalhymnen der acht alliierten Länder. In Habachtstellung und mit gezückten Waffen wurden die Amtsträger wieder verabschiedet. Der Ablauf an den nächsten Stationen um 11 Uhr 20 in SaintLaurent, 11 Uhr 35 in Viervielle und 12 Uhr 30 bzw. 12 Uhr 40 in Sainte-Mère-Eglise ähnelte im Großen und Ganzen den soeben beschriebenen Gedenkgesten. Lediglich die Gedenkmesse entfiel und die von der Militärmusik gespielten Hymnen sowie die Anzahl der niedergelegten Gestecke variierten. Nach einem offiziellen Mittagessen in Sainte-MèreEglise, das länger als geplant dauerte und aufgrund dessen die Kranzniederlegung am Monument Leclerc in Saint Martin de Varreville um 14 Uhr 45 ausfallen musste, fuhr der Prozessionszug direkt zum MadeleineStrand. Noch vor seiner Ankunft gegen 15 Uhr präsentierte der Oberoffizier dem Kommandochef seine Truppe und die Marseillaise wurde gespielt. Nach ihrem Eintreffen begrüßte der Kommandochef die offiziellen Gäste und geleitete sie zu ihren Stühlen gegenüber dem Denkmal der Vereinigten Staaten. Wieder erklang die Marseillaise, der Kommandochef und die Amtsträger grüßten die Nationalfahne und eine Truppenparade wurde vollzogen. Eine Staffel mit vier Flugzeugen überflog daraufhin das amerikanische Monument und die Ritualteilnehmer am Utah Beach. Im Anschluss daran wurden die Nationalfahnen der USA, Belgiens, Kanadas, Großbritanniens, Norwegens, der Niederlande, Polens und Frankreichs gehisst und zugleich die entsprechenden Nationalhymnen der jeweiligen Länder gespielt. Es folgten Ansprachen vom Präsidenten des Landungskomitees, vom amerikanischen Botschafter und vom französischen Minister für Kriegsveteranen. Der Präsident des Landungskomitees erinnerte an die historischen Ereignisse im Juni 1944 und ehrte die alliierten Befreier sowie die französischen Widerstandskämpfer. Durch das geteilte Leid der amerikanischen Soldaten und der ansässigen Bevölkerung, so führte er weiter aus, sei eine unvergängliche Freundschaft zwischen den beiden Staaten entstanden. Nun, fast 60 Jahre nach der alliierten Landung, sei die Flamme des Gedenkens an die junge Generation übergeben, die auch weiterhin die Veteranen und deren Nachfahren in ‚ihrer‘ Normandie empfangen würden. Der amerikanische Botschafter begann seine Ansprache mit der Erinnerung an das von den amerikanischen, britischen, kanadischen, französischen und alliierten Truppen erbrachte Opfer, um Europa von der Tyrannei zu befreien. Sie kamen nicht, so betonte er – wie schon Präsident Bush im Mai 2002 auf dem Soldatenfriedhof von Colleville –, um zu erobern, sondern um zu befreien. Ihre Landung sei ein wichtiger Meilenstein der amerikanisch-französischen Freundschaft, die schon seit Jahrhunderten bestünde und auch weiterhin andauern werde, da sie für beide Nationen 238
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von großer Bedeutung sei. Bevor er seine kurze Ansprache abschloss, betonte er, dass aufgrund dieser Freundschaft die Welt ein besserer Ort sei. Auch der Minister der Kriegsveteranen ehrte die anwesenden und gefallenen D-Day-Soldaten und betonte die Schuld Frankreichs gegenüber den die Freiheit bringenden Kampftruppen. Neben einer historischen Erinnerung standen auch die amerikanisch-französische Freundschaft und das Versprechen, niemals zu vergessen, im Zentrum der Ausführungen. Im Anschluss an die Ansprachen wurden 17 Blumengestecke niedergelegt, drei davon von amerikanischen Veteranen. Im Protokoll folgten das Totengeläut, die Schweigeminute und die Marseillaise. Entgegen des Programmablaufs konnten die offiziellen Gäste aufgrund der nun folgenden Einweihungszeremonie in Courseulles nicht mehr warten, bis die abschließende Truppenparade beendet war, und mussten vorzeitig die Zeremonie verlassen. Die feierliche Eröffnung des Juno Beach Centre wurde um 17 Uhr 30 in das offizielle Programm des Landungskomitees integriert. Sie begann mit der Ankunft des französischen und kanadischen Premierministers per Helikopter und deren Begrüßung. Nach einer kurzen Einführung durch einen Erzähler wurden die kanadische und die französische Nationalhymne gespielt und Ansprachen des kanadischen sowie französischen Premierministers folgten. Sie thematisierten die historischen Ereignisse der Landung und der tragischen Landung in Dieppe im August 1942, die Rolle der kanadischen Armee im Ersten Weltkrieg und bei der alliierten Landung sowie die kanadischfranzösische Freundschaft. Das Juno Beach Centre sei, so bemerkte der französische Premierminister, Ausdruck dieser Verbundenheit und Freundschaftsbande. Kurz darauf wurde die Einweihungstafel sowie die auf dem Vorplatz des Museums stehende Skulptur enthüllt. Im Gedenken an die kanadischen Verluste ertönte das Totensignal, eine Schweigeminute und Kranzniederlegung folgten. Nach dem Überflug von Spitfire-Flugzeugen wurde das Juno Beach Centre durch das feierliche Durchschneiden des Einweihungsbandes offiziell eröffnet. Nachdem die britischen, kanadischen und französischen Nationalhymnen verstummt waren, defilierten D-Day-Veteranen zum Abschluss des offiziellen Zeremonieteils. Der Gedenktag endete mit einem Umtrunk.
2.1.2 Kommunale Gedenkrituale Neben den offiziellen bzw. staatlichen Gedenkritualen […] organisiert jedes Dorf, jede Kommune, jede Stadt trotz allem ihre eigene Zeremonie. Weil die Veteranen an die Orte ihrer Landung oder ihrer Kämpfe zurückkommen, wo sie dieses oder jenes Dorf befreit haben. Im Allgemeinen hat jede Kommune, jede Gemeinschaft den Kontakt zu dem Regiment aufrechterhalten, das sie befreit hat. Durch den Vormarsch der 239
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alliierten Truppen finden die kommunalen Zeremonien nicht nur am 6. Juni statt, sondern je nach Datum der Befreiung bis in den August hinein. In der Regel organisiert der Gemeindevorstand, unterstützt durch Bürger und kommunale Vereinigungen, die Befreiungszeremonien, um sich bei den Veteranen zu bedanken und sie zu ehren. Die Teilnehmerzahl ist abhängig von der Größe des Dorfes. Es gibt kleine Dörfer wo fast das ganze Dorf anwesend ist. Es gibt ein oder zwei Veteranen, die mit dem Bürgermeister und seinem Stellvertreter gekommen sind und dann von insgesamt 20 Bewohnern vielleicht 15 Personen. Die Zeremonien bestehen oftmals aus einem ‚formellen‘ Teil mit einer kleinen Ansprache zur Ehrung der anwesenden Veteranen und zur Erinnerung an die historischen Ereignisse, aus Kranzniederlegungen, dem Totensignal, einer Schweigeminute und je nach der Herkunft der befreienden Truppen aus den entsprechenden Nationalhymnen sowie einem sich meist daran anschließenden ‚informellen‘ Teil mit Ehrenumtrunk (vin d’honneur), Banketts und Dorffesten. Das französische Militär ist nur in Ausnahmefällen beteiligt, stattdessen schmücken zahlreiche Fahnenträger die formellen Riten. Zum Gelingen der Dorffeste und Festessen tragen viele Anwohner aktiv durch ihre Unterstützung bei: Im amerikanischen Sektor werden amerikanische Tänze und Lieder aufgeführt, man stellt Geschenke für die Veteranen her und bereitet landestypische Gerichte und Kuchen zu. Die meist mit einfachen Mitteln erzeugten Freundschaftszeichen berühren die Veteranen und ihre Frauen sehr. Zusätzlich zu den offiziellen und inoffiziellen Handlungen bereichern noch zahlreiche kulturelle Veranstaltungen wie Konferenzen und Ausstellungen den Gedenktag. Anlehnend an DESQUESNES (1995: 173ff) sind in den Befreiungsfeierlichkeiten die Bereiche der Erinnerung (überwiegend im ‚formellen‘ Teil), Freude (vor allem im ‚informellen‘ Teil) und des Verstehens (durch das Rahmenprogramm und das Treffen der Veteranen) vertreten. Am Beispiel von Ouistreham und den umliegenden Kommunen kann verdeutlicht werden, wie ein Regiment über Jahre hinweg die Verbindung zu den Orten seiner Kämpfe aufrechterhält. Noch 60 Jahre nach der alliierten Landung absolvieren die Veteranen des Kommandos Kieffer über zwei Tage verteilt einen regelrechten ‚Parcours‘ zu den unterschiedlichen Gedenkorten ihrer Landung, an denen jeweils Kränze niedergelegt werden. Am 5. Juni 2003 begaben sie sich am Vormittag zum Kriegerdenkmal nach Saint-Aubin d’Arquenay, nachmittags folgten der britische Soldatenfriedhof und der kommunale Friedhof von Ranville, das Kriegerdenkmal von Ouistreham sowie der britische Soldatenfriedhof von Hermanville-sur-Mer. Am Morgen des 6. Juni wurde nach 240
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Kranzniederlegungen am Denkmal von Marschall Montgomery in Colleville-Montgomery und am Monument des 4. Kommandos eine Gedenkmesse am Strand von Colleville-sur-Orne unter freiem Himmel gefeiert. Hieran anschließend folgten weitere Kranzniederlegungen in den Gemeinden Ouistreham und Bénouville. In allen Orten waren die Bürgermeister und Bewohner der jeweiligen Gemeinden zur Ehrung der Veteranen anwesend. Auch Sainte-Mère-Eglise feiert seit Ende des Zweiten Weltkrieges die Befreiung der Kommune am 6. Juni. In der ersten Phase von 1945 bis in die 1960er Jahre organisierte das kommunale Festkomitee die Befreiung in Sinne einer traditionellen lokalen Feierlichkeit. Zu diesem Zeitpunkt waren nur wenige Amerikaner anwesend, dennoch kamen immer einige Veteranen und Militärangehörige. So auch 1945, als eine Delegation amerikanischer Fallschirmjäger und lokaler Amtsträger am kommunalen Friedhof und an zwei heute nicht mehr bestehenden Soldatenfriedhöfen der Gefallenen gedacht hatten. Am Vorabend waren neben den lokalen Politikern auch der Kommandierende der amerikanischen Truppen und rund 30 in der Region stationierte amerikanische Soldaten geladen (o. V. 1945a: 2). In der zweiten Phase ab den 1960er bis in die frühen 1980er Jahre unterlag die Organisation einem neuen Komitee und die Feierlichkeiten wandelten sich zunehmend zu einem Fest der Fallschirmjäger. Es kamen immer mehr Amerikaner sowohl individuell als auch in Gruppen organisiert. Teilweise entsandte das amerikanische Militär kleine Einheiten von zwölf bis 15 Personen, die zusammen mit französischen Fallschirmjägern aus demonstrativen Zwecken Sprünge aus dem Helikopter absolvierten. Ab 1985 übernahm die Kommune von Sainte-Mère-Eglise die Planung und Durchführung der Zeremonien, die hierdurch einen offiziellen, aber dennoch fröhlich-ausgelassenen Charakter angenommen hatten. Jedes Jahr springen unweit der Stadt und von Tausenden Zuschauern beobachtet die amerikanischen und teilweise französischen Soldaten, manchmal mit historischen Fallschirmen, aus den im Zweiten Weltkrieg eingesetzten Flugzeugen. Neben den rund 100 (bei den jährlichen Zeremonien) bis über 650 (bei den runden Jahrestagen) Soldaten wagen bis in die heutige Zeit immer noch einige DDay-Veteranen den Sprung.47 Doch Sainte-Mère-Eglise ist nicht nur ein Austragungsort der Fallschirmsprünge, sondern auch ein wichtiger Treffpunkt für Veteranen und Mitglieder der ‚Airborne-Familie‘. Ehemals verabredete man sich im Hotel-Restaurant ‚John Steele‘48 oder in 47 Im Jahr 2004 haben noch sechs Veteranen den Sprung einen Tag nach den aktiven Fallschirmjägern gewagt. 48 Das Hotel-Restaurant wurde nach dem amerikanischen Fallschirmjäger benannt, der in der Nacht zum 6. Juni 1944 an der Kirchturmspitze des Or-
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der ‚Liberation Bar‘, heute kommen viele der 330 Veteranen und amerikanischen Fallschirmjäger in die ‚Stop Bar‘.49 Oftmals besuchen sie während ihres Aufenthaltes nur die kommunalen Zeremonien des Ortes und die Gräber ihrer Kameraden. Der Zukunft der Befreiungszeremonie in Sainte-Mère-Eglise wird positiv entgegen geblickt, da intensive Freundschaftsbande zwischen den Gästen und Bewohnern entstanden sind und Sainte-Mère-Eglise für viele der Amerikaner und Franzosen als die erste von den Fallschirmjägern befreite Stadt und ‚Airborne-Town‘50 ein ganz besonderer Ort ist.
2.1.3 Die Gedenkrituale aus Perspektive der Teilnehmer Die persönliche Perspektive der Ritualteilnehmer – ihre Eindrücke und Wahrnehmungen, ihre Motivationen und Emotionen, die von ihnen als wichtig oder sehr bewegend erinnerten Momente, ihre Vorstellungen über die Zukunft der Gedenkrituale, aber auch kritische Äußerungen – sind eine Grundlage für die den Raumkonstruktionen zugrunde liegenden Handlungsstrukturen und Sinngebungen.
2.1.3.1 Die jährlichen Gedenkzeremonien Die Antworten auf die an die Ritualteilnehmer gerichtete Frage, warum sie an den Zeremonien teilnehmen, fielen sehr unterschiedlich und vielseitig aus. Während einige ihr Erscheinen nicht erklären konnten und auf eine Sucht oder fast schon mysteriöse Anziehungskraft des Ortes verwiesen, fassten andere ihre Motivationen in klare Worte. Je nach Ritualteilnehmer können die Antworten in unterschiedlichen Kategorien zusammengefasst werden. Eine Motivation, die alle Teilnehmer verbindet, ist der mehr oder minder intensiv ausgeprägte Wille, der historischen Geschehnisse und der Aufopferung der Soldaten zu gedenken und sie nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Auch besteht der Wunsch – allerdings weniger als tes hängen blieb und in luftiger Höhe die Kämpfe um Sainte-Mère-Eglise beobachtete und überlebte. An ihn erinnert heute noch ein dort angebrachter Fallschirm mit darunter hängender Puppe. Noch zur 50-Jahrfeier verabredeten sich viele Veteranen in der John Steele-Bar. Kurz darauf hat der Besitzer gewechselt. 49 Die Stop Bar wurde unter diesem Namen in den 1970er Jahren eröffnet und wird heute vom Präsidenten der Freunde der amerikanischen Veteranen geführt. Aufgrund einer Sonderkonzession kann die Bar am 6. Juni bis spät in die Nacht geöffnet bleiben. 50 Maßgeblich zum Image von Sainte-Mère-Eglise als Stadt der Fallschirmspringer und erste befreite Stadt hat in den Nachkriegsjahren der Bürgermeister Alexandre Renauld verholfen. Auch die Gedenkfenster in der Kirche des Ortes und der Film ‚The Longest Day‘ haben stark zu diesem Image beigetragen.
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gemeinsamer Beweggrund sondern vielmehr als eine dem rituellen Gedenken zugrunde liegende Hoffnung –, dass so etwas nie wieder passieren darf und die Gedenkrituale zumindest in geringem Maße einen Beitrag hierzu leisten können. Für die Veteranen ist die Rückkehr an den Ort ihrer Kriegs- und Kampferlebnisse während der Gedenkzeremonien oftmals eine bittersüße Angelegenheit. Der bittere Geschmack entsteht erstens durch die schmerzvolle Erinnerung an die von ihnen durchlebten leidvollen Momente während ihres Einsatzes in der Normandie sowie durch das Gedenken an ihre auf dem Schlachtfeld gefallenen Kameraden. Viele von ihnen kommen seit Jahrzehnten an die Kampforte und Soldatenfriedhöfe der Region zurück. Ich komme, um meine hier begrabenen Kameraden zu ehren und ihrer zu gedenken. Ich komme jetzt seit 20 Jahren […], seit 20 Jahren jedes Jahr. Das erste Mal kam ich 1984 und seitdem komme ich jedes Jahr. Ich konnte nur ein Jahr nicht kommen, als mein Enkel in Barbados heiratete. Das ist der einzige Grund, warum ich ein Jahr ausgelassen habe. Aber sonst komme ich jedes Jahr. Allein schon die Tatsache, dass jedes Jahr oft lange Reisen in Kauf genommen werden, gibt Auskunft über die Bedeutung und Wichtigkeit des Gedenkens an die gefallenen Freunde. Oh ja, es ist sehr wichtig. Mein bester Kumpel liegt im Friedhof von Ranville […]. Wenn man durch das Tor geht in der ersten Reihe, das erste Grab ist mein bester Freund. Er ist am 24. Juni in Ranville gefallen. Ich lebte zehn Minuten entfernt von dem Ort, an dem er wohnte. […] Wir sind oft zusammen abends ausgegangen. […] Wir waren wunderbare Freunde. Auch wenn seit der Landung schon viele Jahre vergangen sind, suchen manche Veteranen noch bis heute die Grabstätten ihrer Kameraden. Neben dem Gedenken an enge Freunde legen manche Veteranen auch Blumen an den Gräbern von unbekannten Soldaten und ihrer ehemaligen Feinde nieder. Ich komme her und lege Blumen nieder auf den Gräbern der Gefallenen. Auch an deutschen Gräbern. Und viele Leute hinterlassen Kreuze an Grabsteinen mit der Aufschrift ‚Known to God‘ […]. Ebenso schmerzvoll kann der Besuch der ehemaligen Kampforte sein, der oftmals einen zweiten Grund für den Besuch der Normandie darstellt (PAINTON 1984: 28). Ein drittes Motiv besteht in den die Veteranen teilweise über Jahre plagenden Schuldgefühlen für die von ihnen angerichteten Verwüstungen und verursachten Todesfälle sowie die daraus resultierende Bitte an die Anwohner um Verzeihung. Neben dem bitteren ist auch der süße Geschmack der Rückkehr auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Erstens haben die Veteranen eine Möglichkeit, Franzosen wieder zu finden, die ihnen durch irgendwelche Gesten und Handlungen während ihres Kampfeinsatzes in Frankreich über Jahre hinweg in Erinnerung geblieben sind. 243
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Viele [Franzosen] haben ihnen einen Gefallen getan, sie versteckt, ihnen geholfen, ihnen zu essen gegeben. Es gab viele Kontakte. [Die Veteranen] hatten wirklich Lust, zurückzukommen, da [diese Gesten] ihr Leben nachhaltig prägten. […] Viele […] hatten das Bedürfnis, die Leute, die sie damals gekannt und die ihnen geholfen hatten, wieder zu sehen […]. Allerdings veranlassen nicht nur positive Ereignisse und Erinnerungen die Suche nach alten Bekannten. So erzählt beispielsweise ein amerikanischer Veteran von einer französischen Familie, deren durch eine Mine getöteten Sohn er damals in die Küche der Eltern getragen hatte. Und das ist eine Erinnerung, die du niemals vergisst. Deswegen kam ich zurück und ich wollte wissen, wer die Familie war und ich wollte ihnen sagen, dass es mir Leid tut. Weißt du, ich wollte mit ihnen reden. Es berührt mich immer noch. […] Ich habe die Familie schließlich gefunden […]. Zweitens werden ihre Taten und Leiden durch die Ritualteilnehmer und auf nationalem Niveau von ganz Frankreich – oftmals weitaus mehr als in ihrem Heimatland – anerkannt. Durch diese gemeinsam erfahrene Bestätigung können sie zeitweise ihrer Einsamkeit bzw. der oft jahrelang erfahrenen Anonymität ihres bisherigen Lebens entkommen und zu Vorbildern und Helden werden. Zudem erfüllt es viele von ihnen mit Stolz und hilft ihnen dabei, den Tod und das erlebte Grauen als sinnhaft zu empfinden. […] diese Helden haben die Schlachten gewonnen und sie nicht anzuerkennen beinhaltet die Botschaft, dass ihre Heldentaten unerwünscht und bedeutungslos waren. Diese Möglichkeit zur Anerkennung und Sinngebung bietet sich natürlich den deutschen Veteranen nicht: Wenn erst einmal die Schlacht verloren ist, sind keine Helden zu würdigen. Neben der durch die Anwohner vermittelten Anerkennung sind drittens auch die Gastfreundschaft der Franzosen und die sich im Laufe der Jahre entwickelten Freundschaften für die Veteranen von großer Wichtigkeit. Wir haben Franzosen getroffen, die uns zuerst alles gezeigt haben. Wir wurden Freunde vom ersten Tag an. Und wir pflegten die Freundschaft. Das ist das Gefühl, wenn wir jetzt hierher kommen. Ich kann es nicht erwarten, die Familie zu sehen. Weil wir jetzt schon seit vielen Jahren kommen. […] Ich komme, weil ich die Menschen liebe. An vierter Stelle bieten die Gedenkrituale eine Möglichkeit, die Kameradschaft der Kriegsjahre wieder aufleben zu lassen und alte Freunde zu treffen. In Gesprächen über die positiven und lustigen Erlebnisse während der Landung und der sich daran anschließenden Schlacht um die Normandie lebt die einst an der Front verspürte Kameradschaft wieder auf, die das Leid hat erträglich werden lassen. Beispielsweise erinnern sie sich bei einem Bier in der Stop Bar in Sainte-Mère-Eglise oder im Café Gondrée unweit der Pegasus Bridge an den ungewohnten Geschmack von frischer warmer Kuhmilch, den ersten Schluck Calva244
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dos und die hübschen französischen Mädchen. Und immer wieder wird in Erzählungen die Erinnerung an die inzwischen verstorbenen Kameraden aufrechterhalten. Verbunden mit dem Treffen alter Freunde ist fünftens eine Zeitreise in die oftmals als wichtigste und aufregendste Zeit ihres Lebens bezeichnete Jugend. Die Veteranen erinnern sich an die Kraft und Gesundheit der damaligen Tage und die Reise in die Normandie dient ihnen heute als Jungbrunnen. Die Rückkehr in die beste Zeit ihres Lebens kann sechstens zumindest unterbewusst auch therapeutische Beweggründe und Auswirkungen haben. Für mich ist es irgendwie eine emotionale Angelegenheit. Es geht um den Krieg und die […] Menschen, die man hier zurückgelassen hat. Um es anders auszudrücken: Den Tod und die Zerstörung, in die wir involviert waren. Und das sind die Erinnerungen, die wir haben. […] Es war für mich sehr therapeutisch, zurückzukommen. Meine eindrucksvollste Erinnerung war Pont l’Abbé […], wo wir durchmarschierten: Alles war zerstört. Und das war alles in meinem Kopf. Als ich 25 Jahre später zurück kam, wurde das Bild zerstört. Die schlechten Bilder verklingen. Du erinnerst dich an sie, aber nicht mehr so lebendig. Deswegen war es gut für mich, zurückzukommen. Neben der Überprägung von schlimmen Erinnerungen durch die von den Spuren des Krieges weitgehend befreite Normandie profitieren die Veteranen auch von der friedlichen Atmosphäre während der Gedenkrituale, an denen viele verschiedene Nationen beteiligt sind. Auch versöhnten sich ehemals verfeindete Soldaten schon lange vor der offiziellen Teilnahme Deutschlands an den Gedenkritualen 2004. Diese positiven Erfahrungen veränderten die in die Heimat zurückkehrenden Veteranen: Sie fühlen sich besser und erleichtert. Ein siebter Grund an den Gedenkzeremonien teilzunehmen, liegt in der Repräsentation ihres Heimatlandes bei den kommunalen Zeremonien. Was sie – und viele andere Ritualteilnehmer – im Allgemeinen kaum zur Ritualteilnahme motiviert, ist die Präsenz von Politikern. Die Nachfahren der D-Day-Soldaten besuchen die Gedenkrituale ebenso aus unterschiedlichen Gründen. Einerseits gibt es das sich immer weiter verbreitende Hobby der Ahnenforschung. Viele Leute kommen hierher, die keine Ahnung vom Militär haben, aber plötzlich herausfinden, dass ihr Großvater in der Somme oder hier gefallen ist. Sie kommen her, um die Psychologie des Krieges zwischen den Nationen zu verstehen. Bei den Nachfahren, die nicht erst mehr oder minder zufällig herausfinden, dass ihre Väter hier gekämpft haben, sondern die gerade aus diesem Grund in die Normandie kommen, sehen die Beweggründe etwas anders aus. Für sie ist es wichtig, die Kampfstätten ihrer Väter zu sehen sowie die Bekannten und Freunde ihrer Väter zu treffen und mit ihnen zu reden. Denn nur von ihnen fühlen sie sich bei ihrem manchmal 245
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schmerzvoller als erwarteten Besuch verstanden. Über die Verbindung zu den Freunden sind sie entweder ihren inzwischen verstorbenen Vätern näher oder sie können – falls sie noch leben, aber nicht mehr in der Lage sind zu reisen – ihnen die Normandie und ihre gefallenen oder noch lebenden Kameraden durch Erzählungen näher bringen. Regimentsangehörige kommen neben der Anerkennung und Ehrung ihrer Vorbilder vor allem zu den Gedenkritualen, um ‚denselben Boden‘ betreten zu können wie sie und um in die familiäre Atmosphäre ihres Regiments einzutauchen. Nicht nur für die Veteranen, auch für die Regimentsangehörigen stellt die vor allem in Sainte-Mère-Eglise empfundene Kameradschaft eine grundlegende Motivation für die Ritualteilnahme dar. Ich glaube, [Sainte-Mère] ist die einzige Stadt in Frankreich, wo man sie findet. Für einige Regimentsangehörige sind die Gedenkrituale schon fast ein Hobby, das sie sehr genießen. Die aktiven Mitglieder der 82. amerikanischen Luftlandedivision betrachten es dagegen als ihre Pflicht, durch die Teilnahme an den Zeremonien das Erbe ihrer Vorgänger aufrecht zu erhalten. Den Anwohnern ist das Gedenken wichtig, da die ganze Normandie während des Krieges viel gelitten hat. Sie möchten ihre Befreier sehen, ihnen danken und sie ehren. Aber auch die Tatsache, dass die Veteranen Jahr für Jahr im Juni in die Normandie zurückkehren und dabei glücklich sind, bewegt die Franzosen stark und intensiviert die schon bestehenden Bindungen. Hobby-Historiker und Re-enactor kommen vor allem aufgrund ihres Interesses am Krieg und in der Hoffnung, die Geschehnisse besser verstehen zu können. Ein Schlüssel hierzu sind die Erzählungen der Veteranen und Zeitzeugen. Mehr und mehr Amerikaner spüren ein dringendes Bedürfnis zu kommen, bevor die letzten Veteranen gestorben sind. Sie möchten anwesend sein, wenn Veteranen hier sind, um aus erster Hand ihre Geschichten zu hören. Diese Geschichten müssen nicht von dramatischen Ereignissen erzählen; wichtig ist lediglich zu hören, was für die Männer damals wichtig war. Sie möchten wissen, dass sie einen Beitrag geleistet haben dazu, die Erzählungen aus erster Hand zu bewahren, so dass sie einen persönlichen Anteil und eine Verantwortung tragen, die Erinnerungen lebendig zu erhalten. Je mehr die HobbyHistoriker durch ihre Gespräche mit Veteranen und die Rekonstruktion der Geschichte wissen, umso interessanter wird es für sie, immer wieder in die Normandie zu fahren. Weil man einfach mit diesen Leuten dann reden kann. Die Gedenkzeremonien sind für die Beteiligten ein emotionales Ereignis. Dies betrifft, wie schon anhand ihrer Motivationen und ihrer zuvor als bittersüß beschriebenen Rückkehr in die Normandie ersichtlich, 246
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vor allem die Veteranen. Emotional besonders stark angesprochen werden diejenigen – so ein Anwohner der Region –, die zum ersten Mal die Erfahrung machen. Und dabei kann es sich, wie oben ersichtlich, um belastende und traurige Gefühle ebenso handeln wie um befreiende, positive und stolze Emotionen. Ein weiteres Gefühl, das sich oftmals erst nach der Rückkehr in die Heimat bemerkbar macht, erwähnen nicht nur die Veteranen, sondern auch die anderen Ritualteilnehmer: Sie fühlen sich energievoller, stärker und besser in der Lage, sich mit den unangenehmen Seiten ihres Alltagslebens zu arrangieren. Dies hängt für einige Ritualteilnehmer damit zusammen, dass hier ihre Prinzipien gestärkt werden, an die sie glauben. Innerhalb der Gedenkzeremonien sind die wichtigsten Momente für viele Veteranen das Ertönen der Nationalhymne, die Kranzniederlegungen und die Schweigeminute. Häufig sind für die jüngeren Ritualteilnehmer weniger die Gedenkgesten an sich als vielmehr ihre Begegnungen mit den Veteranen und die geteilten Momente von Bedeutung. Der wichtigste Teil der Zeremonie (die Kranzniederlegung vor dem Monument bei der Kirche [von Sainte-Mère-Eglise]) bestand darin, in den Augen und Gesichtsausdrücken der Veteranen das erneute Erleben ihre Erfahrungen sehen zu können. Ich konnte dort Traurigkeit ebenso ablesen wie eine Art von ‚ich bin sehr dankbar, dass ich diese Tage überlebt habe‘. Ein anderer berichtet von einer Zeremonie, während der ein Unwetter hereinbrach und viele Teilnehmer – bis auf die Veteranen – Schutz unter den nahe stehenden Bäumen suchten. Die Veteranen blieben unerschütterlich, fast schon wie in Habachtstellung auf ihren Stühlen sitzen und ich fand, dass dies gut verdeutlicht, warum sie tatsächlich da waren. […] nicht mal ein Wolkenbruch konnte sie von dem ablenken, warum sie gekommen waren. Der Zukunft der Gedenkrituale blicken einige Teilnehmer mit Unsicherheit und etwas Sorge entgegen. In den kommenden Jahren wird es immer weniger Veteranen möglich sein, zu den Zeremonien zu kommen. Rollstühle werden sich einer großen Nachfrage erfreuen. Aber wir werden kommen. Wir werden weniger und weniger. Und irgendwann wird dann der Moment gekommen sein, dass keine Überlebenden mehr an den Zeremonien teilnehmen können. Wenn einmal der Tag leider gekommen ist, dass es keine Veteranen mehr gibt, was unvermeidbar ist, weiß ich nicht, wie das sein wird. Der Ansicht eines Anwohners folgend wird zwar das kommunale rituelle Gedenken weiterhin bestehen bleiben, doch die Zukunft der offiziellen Zeremonien steht seiner Meinung nach in den Sternen. Dass sie jedoch ganz eingestellt werden, kann sich keiner vorstellen – sei es aufgrund der fortwährenden Dankbarkeit der
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Franzosen, die auch an die jungen Generationen übertragen wurde, oder des wirtschaftlichen Potenzials der Gedenkrituale für die Region. Kritische Stimmen werden nur in verhaltenem Ton laut und thematisieren vor allem den starren Ablauf und den sich immer wiederholenden, gleichförmigen Charakter der alljährlichen Gedenkrituale.
2.1.3.2 Die runden Jahrestage Viele Ritualteilnehmer kommen zu den runden Jahrestagen aufgrund der starken Präsenz von Veteranen. Vor allem für Regimentsangehörige, Hobby-Historiker und Re-enactor ist die Anwesenheit der Veteranen von großer Bedeutung, da diese für sie eine einzigartige Quelle des Wissens darstellen. Für viele Touristen und Schaulustige aus der näheren und ferneren Umgebung spielt natürlich auch die Möglichkeit, die Staatschefs zu sehen, eine entscheidende Rolle. Das ist meine erste Chance, den Präsidenten von Frankreich und den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu sehen. Das ist irgendwie ironisch [...]: es ist einfacher Bush hier zu sehen, als zu Hause. Die runden Jahrestage vor 1984 spielen in der Erinnerung der langjährigen Ritualteilnehmer nur eine untergeordnete Rolle. Teilweise ist für sie nur die 50-Jahrfeier präsent, schon bei der 40-Jahrfeier sind sie sich hinsichtlich der anwesenden Regierungsvertreter häufig nicht mehr sicher. Allerdings erinnert sich ein Veteran daran, dass auch schon 1984 sehr viele, wenn nicht sogar zu viele Menschen in der Normandie waren. 1994 war nicht minder viel los und von den Zeremonien blieben vor allem einige Erinnerungen an Begegnungen mit Veteranen, Gesten der Versöhnung zwischen ehemals verfeindeten Soldaten und die Polemik über die Einladung des deutschen Bundeskanzlers Kohl im Gedächtnis. Im Jahr 2004 war natürlich die Teilnahme des deutschen Bundeskanzlers an den Gedenkzeremonien ein bestimmendes Thema. Viele Ritualteilnehmer bewerten seine Anwesenheit positiv und teilweise sogar als Verstärker des Heilungsprozesses alter Wunden. Ich glaube, das Erscheinen von Gerhard Schröder gestern war wichtig. Er war 1944 ein Kind im Alter von einigen Monaten. Sein Vater fiel im August oder September 1944. Und zum ersten Mal […] repräsentiert [der deutsche] Kanzler ein Land, das nicht durch den Nationalsozialismus belastet ist. Unabhängig von der Präsenz der Politiker und dem daraus resultierenden politischen Charakter der runden Jahrestage handelt es sich bei diesen – und insbesondere 2004 – um ein emotionales Ereignis. Sicher, es ist eine politische Angelegenheit, aber auch ein gefühlsbetontes Ereignis. Voller Emotionen. [2004] ist das letzte Mal, dass wir alle [Veteranen] sehen. Man sagt sich auf Wiedersehen. Man hört sie an. ‚Danke. Danke für das was ihr getan habt‘. Die Tatsache, dass 2004 viele Vete248
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ranen zum letzten Mal partizipieren konnten, bewirkte, dass sich durch das umfangreiche Rahmenprogramm mit Feuerwerk, Bällen und Konzerten die Gedenktage zu richtigen Festen entwickelten. Dies unterscheidet sie auch von den alljährlichen Feierlichkeiten: […] es gibt mehr Leute, es kommen mehr Amerikaner, es ist einfach eine große Feier. Ein vereinendes, brüderliches Fest. Ein bisschen wie die olympischen Spiele. Weil alle dabei waren. Es war ein Fest unter dem Stern des Gedenkens, aber auch der Freude. Alle Veteranen waren da, Deutsche, Russen, Norweger, Engländer. Die Sonne schien, die Fahnen wehten, die Farben erstrahlten und es gab viele Emotionen. All diese Veteranen […], die ehemaligen Soldaten […] waren stolz darauf, dort zu sein. Bewegt, stolz, aber zufrieden darüber zu sprechen, zu erzählen, dass man ihnen zuhört. Kritische Äußerungen betreffen häufig Schwierigkeiten, die aufgrund der weiträumigen Sicherheitsabsperrungen der Veranstaltungsorte bei internationalen, binationalen und nationalen Zeremonien entstehen. Da sich einige Veteranen nicht um eine Fahrerlaubnis bemüht hatten bzw. gar nicht von dieser Notwendigkeit wussten, konnten sie 2004 nicht mit dem Auto zu den Gedenkzeremonien ihrer Wahl zu fahren. Allerdings war es ihnen auch nicht möglich, auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen, da für ihre Nutzung ebenso ein Berechtigungsschein ausgestellt sein musste.51 Aus diesem Grund verbrachte ein in Bayeux nächtigender Veteran den 6. Juni nur in der Stadt – vormittags bei einer Gedenkzeremonie auf dem Soldatenfriedhof und nachmittags bei einem Gebet in der Kathedrale. Auch die Vielzahl von parallel durchgeführten Gedenkritualen hat Probleme hervorgerufen, da man sich im Vorfeld auf eine Zeremonie festlegen musste und dann im entsprechenden Strandabschnitt durch die Verkehrsbehinderungen mehr oder minder festsaß. Andere Teilnehmer mieden die großen Gedenkzeremonien nicht nur wegen der Transportschwierigkeiten und strengen Sicherheitskontrollen, sondern auch aufgrund der Unmassen von Teilnehmern. Es ist lächerlich. Sie blockieren die Stadt, man kann nicht zu Fuß gehen, die Bars und Restaurants sind zu voll und man kann sich nicht mit seinen Freunden unterhalten. Aus diesem Grund gab es auch schon Monate vor der 60-Jahrfeier Schwierigkeiten, eine Unterkunft in der Nähe der Landungsstrände zu bekommen. Manche Reiseveranstalter hatten aus diesem Grund schon fünf Jahre zuvor Hotels an der Küste reserviert. Viele Gruppenreisen wurden auf weit entfernte Hotels in Cherbourg oder Trouville verwiesen, von denen aus täglich mehrere
51 Angeblich konnten sich rund 3.000 Veteranen nicht fortbewegen, da sie nicht registriert waren.
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Stunden Fahrt in Kauf genommen werden mussten. Ebenso verärgerte der Fokus auf die amerikanischen Veteranen einige britische und kanadische Veteranen. Ein weiterer Kritikpunkt besteht darin, dass die Feierlichkeiten nicht mehr in Zusammenhang mit dem Gedenken an die alliierte Landung stehen, sondern vielmehr eine kommerzielle Angelegenheit seien. Weißt du, es dreht sich alles ums Geld. Es geht nicht um die Feier, es geht darum, Geld zu machen. Oder in den Worten eines anderen Veteranen: Es ist jetzt zu kommerziell. Ich mag das nicht. Die kommerzielle Seite des Gedenkens zeigt sich zum Beispiel in den zahllosen Merchandising-Produkten, die man anlässlich der runden Jahrestage kaufen kann, und den aus den Boden schießenden Souvenirgeschäften.52 Die Produktpalette reicht von entsprechend etikettiertem Rotwein und Camembert über Kleidung mit dem Logo des Jahrestages bis hin zu den berühmten, im Krieg zur Kommunikation der Soldaten verwendeten Knackfröschen.
2.1.4 Sportliche Gedenkrituale Neben offiziellen und kommunalen Gedenkritualen werden seit einigen Jahren auch verschiedene sportliche Gedenkrituale durchgeführt. Hierunter fallen beispielsweise die in Sainte-Mère-Eglise unter dem Motto der alliierten Landung durchgeführten Rundfahrten per Mountain-Bike oder der so genannte Freiheitsmarathon (Marathon de la Liberté). Letzterer wird seit 1988 vom Sportclub der Stadt Caen, der Kommune selbst und dem Memorial organisiert und hat laut Aussagen der Veranstalter zum Ziel, Sport und Geschichte im Gedenken an die alliierte Landung zu verbinden53 und ein Zeichen für den Frieden zu setzen. Durch diese Verbindung möchte man vor allem eine Möglichkeit finden, die jüngeren Generationen anzusprechen und mit der Thematik zu konfrontieren. Der Freiheitsmarathon wurde anfangs nicht im Juni, sondern im September durchgeführt und begann seine Laufbahn mit 200 Teilnehmern. Heute findet er am Sonntag nach dem 6. Juni statt. Im siebten Jahr seines Bestehens nahmen 1994 am Marathon schon rund 5.600 Läufer teil. 2004 konnte diese Zahl nicht erreicht werden und ‚nur‘ rund 3.000 Personen gingen an den Start der 42,195 km.54 Der symbolische Parcours 52 In Sainte-Mère-Eglise entstanden anlässlich der 60-Jahrfeier vier neue, teilweise in alten Garagen untergebrachte Andenkenläden, die Militärgegenstände und Souvenirartikel teuer verkaufen. 53 Die Informationen entstammen, wenn nicht anderweitig gekennzeichnet, den Informationsbroschüren der Veranstalter. 54 Begründet wurde dieser Rückgang mit der Tatsache, dass 2004 im Gegensatz zu 1994 nicht nur ein Marathon in der Region stattgefunden hat. Dies spricht wiederum dafür, dass viele Teilnehmer nicht den Marathon antreten, um zu gedenken.
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beginnt in Courseulles und führt anschließend für ca. 5 km am Juno Beach und 10 km an Sword Beach entlang. In Ouistreham biegt der Weg ins Landesinnere ab und die Läufer folgen dem Kanal zwischen Caen und der Meeresmündung, der sie direkt zur Pegasus Bridge führt. Einige Zeit später verlassen die Läufer den Kanal und der Weg führt sie über Blainville, Biéville und Cambes en Plaine zum Zielort, dem Memorial in Caen. Neben dem Marathon existieren seit 1989 noch ein Lauf von 14,7 km Länge (Pegasus) und seit 2002 ein 8,6 km-Lauf für Frauen (La Rachombelle).55 Das Startzeichen für die Läufe gab bei allen drei Strecken ein Zeitzeuge der alliierten Landung. 2004 wurde dies beim Marathon von einem ehemaligen Soldaten des Kommandos Kieffer, beim Pegasus-Lauf von einem britischen Veteranen und bei La Rachombelle von einer ehemaligen Krankenschwester der Sanitätseinheit sowie einer Kollegin aus Caen übernommen. Das gleiche Jahr wurde auch deswegen als herausragend bezeichnet, da sich zum ersten Mal neben Teilnehmern aus 13 weiteren Nationen ein deutscher Läufer angemeldet hatte. Solche sportlichen Gedenkveranstaltungen stoßen trotz der Involvierung von prominenten Zeitzeugen nicht bei allen Ritualteilnehmern auf positive Reaktionen, da man ihnen häufig den gedenkenden Charakter abspricht und lediglich kommerzielle Interessen vermutet.
2.1.5 Gedenktourismus auf den Landungsstränden der Normandie Wenn es Krieg gibt, gibt es anscheinend auch Tourismus (V. L. SMITH 1998: 206). Kriege markieren ohnegleichen das Leben und das Zeitempfinden des Menschen und entweder die Orte des massenhaften Sterbens selbst oder Denkmäler und Museen ziehen unaufhaltsam Besucher an (SEATON 1999: 131, URRY 2004: 209ff). Auch in der Normandie stellen die Touristen eine nicht zu unterschätzende Einkommensquelle für die periphere Region dar. Kritische Stimmen sehen dies jedoch weniger als Chance und stellen die Tourismusindustrie als reine Geldmacherei dar, die nicht mit dem Gedenken an Tote zu vergleichen ist. Dennoch existiert eine Verbindung zwischen Gedenken und Tourismus, da die starke Entwicklung des Gedenktourismus in der Normandie aus den von 1945 bis heute stattfindenden Ritualen des Gedenkens an die alliierte Landung resultiert. Sie ziehen nicht nur die Aufmerksamkeit der Medien auf sich, sondern auch außerhalb der Zeremonien zahlreiche Besucher auf die 55 La Rachombelle ehrt die französischen Frauen, die sich im Zweiten Weltkrieg in einer von den Amerikanern gegründeten Sanitätseinheit engagierten und die Zweite Panzerdivision von General Leclerc begleiteten. Zudem gibt es noch einen 5 km-Lauf für Schüler und einen abgesteckten Parcours für Inlineskater.
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Landungsstrände. Die Franzosen haben es halt geschafft, im D-Day Tourismus auch die Generationen nach den Veteranen anzusprechen. Und […] durch die Architektur […] etwas Einzigartiges zu schaffen, was von touristischem Interesse ist. Und […] mit den [Spiel-]Filmen […] wird es auch weiter am Leben gehalten.
2.1.5.1 Das Tourismuskonzept Über den Gedenktourismus an den Landungsstränden in den ersten Nachkriegsjahren ist nur wenig bekannt und publiziert. Anzunehmen ist, dass sich die Tourismusentwicklung in der Normandie entsprechend dem von WEAVER (2000) erarbeiteten Entwicklungszyklus von Kriegsschauplätzen als Tourismusdestination vollzog. Dieser beinhaltet einen kontinuierlichen Anstieg der Touristenzahlen ab Kriegsende bis zu einem durch die Gedenkzeremonien induzierten Plateau, wobei erneut Spitzenwerte anlässlich der runden Jahrestage zu verzeichnen sind (WEAVER 2000: 153ff). Ein wichtiger Initiator des Gedenktourismus in der Normandie ist das Landungskomitee durch die Gründung des ersten Museums in Arromanches. Einen weiteren wichtigen Impuls hat die 50-Jahrfeier des D-Days 1994 gegeben, zu dessen Anlass als Basis für ein einheitliches Tourismuskonzept eine Studie über den Gedenktourismus durchgeführt wurde. Hintergrund der Studie bildete die Beobachtung, dass die Anzahl der Personen, die aufgrund des Gedenkens die Landungsstrände besuchten, immer geringer wurde oder anders ausgedrückt: dass sich in den 1990ern eine Wandelung der Besucher von Pilgern zu Touristen vollzog. Auf diese Veränderung glaubte der Conseil Général auf Anraten des Tourismusausschusses reagieren zu müssen und initiierte einen Angebotswechsel der drei Departements Calvados, Manche und Orne vom Pilger-Tourismus zum historisch-kulturellem Tourismus (L’HOMMETHIOLLIER 1994: 73). Hierbei wurde viel Wert auf die Besonderheit der Orte gelegt, an denen die Normandie-Schlacht stattgefunden hat und die den Besucher besonders berühren (SETEL 1993c: 1). Zugleich betonte man einen historischen Zugang zur Thematik, der mit Respekt und Andacht erfolgen soll (SETEL 1993c: 3). Neben zahlreichen Verbesserungen der Angebotsstruktur war ein wichtiges Produkt der Studie die Implementierung eines historischen Parcours, der anhand von acht Etappen die geschichtlich bedeutsamen Orte der alliierten Landung und der sich daran anschließenden Schlacht um die Normandie thematisiert. Der Besucher kann je nach Zeitplanung entweder alle Themen abfahren oder sich einzelne Abschnitte aussuchen. Die departementübergreifenden Investitionen in ein einheitliches Emblem, das eine Möwe abbildet und den Schriftzug ‚Normandie Terre252
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Liberté‘ trägt, hat sich ebenso gelohnt wie die Inwertsetzung der Orte und der Museen: Das anvisierte Ziel von 4 Mio. Besuchern pro Jahr wurde erreicht (POTTIER 2004: 62). Diese Zahl ist insofern besonders beachtlich, da sie rund ein Drittel des Gedenktourismus in ganz Frankreich darstellt. Wie man anlässlich des 50. Jahrestages erkennen kann, ist diese Zahl allerdings nach oben hin offen: 1994 kamen 9 Mio. Touristen in die Region (L’HOMME-THIOLLIER 1994: 72). Allein knapp 3,5 Mio. Gäste wurden in den drei Museen von Arromanches, Bayeux und Caen sowie auf dem amerikanischen Soldatenfriedhof von Colleville gezählt (siehe Abbildung 20). Auffallend sind auch der Ausschlag im Jahr 2001 und der drastische, durch den 11. September bedingte Rückgang der Touristen im Jahr 2002. Abbildung 20: Touristenzahlen der besucherstärksten Museen (Arromanches, Bayeux, Caen) und des amerikanischen Soldatenfriedhofes von Colleville 1990–2003 4.000.000 3.500.000
Anzahl der Touristen
3.000.000 2.500.000 2.000.000 1.500.000 1.000.000 500.000 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003
Quelle: CDT du Calvados Die zunehmend touristische Vermarktung der Landungsstrände resultiert, glaubt man einigen Gesprächspartnern, aus der schon 1994 diagnostizierten Veränderung der Pilger- zur Tourismusdestination. Ich denke, es wird sich verändern. Ich glaube, die Intensität der Emotionen wird verschwinden. Wir sind heute [an den Landungsstränden] gestanden und haben Leuten zugehört, die [auch] dort waren. Sie sprachen über ihre Freunde, die dort getötet oder verwundet wurden. Und das wird sich, glaube ich, ändern. In fünf Jahren [...] kann ich nur noch sagen: ‚Die Leute, die ich gekannt habe, haben dies getan‘. Mit dem Verschwinden der Veteranen könnte auch eine zunehmende Konzentration der Besucher auf die Museen erfolgen. Bislang stellt das Memorial von 253
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Caen – nachdem es 1994 das Landungsmuseum in Arromanches von Platz eins abgelöst hat – mit über 400.000 Gästen das besucherstärkste Museum der Region dar. An dritter Stelle unter den Museen folgt das Museum der Normandie-Schlacht in Bayeux. Bei den Soldatenfriedhöfen rangiert die amerikanische Begräbnisstätte auf Platz eins. Auf sein deutsches Pendant kommen nur rund ein Zehntel der Besucher (CDT du Calvados). Die Hochsaison in der Normandie konzentriert sich auf die Sommermonate Juli und August. Aber schon ab März steigt die Zahl der Besucher kontinuierlich an und im Mai und Juni sowie im September und Oktober reisen vor allem Amerikaner an die Landungsstrände. Ab November bis in den Frühling hinein stehen wiederum die meisten Hotels leer und die Normandie wird nur noch von sehr wenigen Touristen aufgesucht. Lediglich Wochenendausflügler aus dem nur rund zwei Stunden entfernt liegenden Paris kommen ganzjährig in die Normandie.
2.1.5.2 Der Besuch der Landungsstrände aus Perspektive der Touristen Dem Besuch der Landungsstrände messen die Touristen – zumindest für den Moment der Reise – eine hohe Bedeutung bei. Neben dem Gedenken an Krieg und Vorfahren kommen die Besucher auch aus zahlreichen anderen Gründen an die Landungsstrände der Normandie. Für viele stellen die Landungsstrände einen Zwischenstopp oder ein sehenswertes Muss während ihrer Urlaubsreise in der Normandie dar, das allerdings nicht ihre Reise veranlasst hat. Diejenigen, die gezielt die Landungsstrände besichtigen, sind oftmals auf der Suche nach ‚Authentizität‘ (DÉOTTE 1994: 120) und entsprechend begeistert, wenn sie die ‚wahren‘ Orte beispielsweise auf einer organisierten Tour sehen: […] wir versuchen, so nahe an die Gebiete heranzukommen, von denen wir glauben, dass es [dort] passiert ist. Wenn wir also über John Steele sprechen, sehen wir auf die Kirche von Sainte-Mère-Eglise […]. [Weil] es dort passierte. Du weißt [davon] und du erzählst und [die Touristen] sehen auf den Boden [und denken]: wow, dort! Aber auch individuell sind sie auf der Suche nach ‚Authentizität‘: Sie kommen zu den Stätten, um mit eigenen Augen zu sehen, wo eine solche Aufopferung stattgefunden hat. Durch das Betreten der Kriegsschauplätze und insbesondere der Friedhöfe öffnen sich den Besuchern die Augen und es wird ihnen bewusst, welche Blutbäder hier stattgefunden haben. Doch die vermeintliche ‚Authentizität‘ stellt auch für Militärenthusiasten und Geschichtsinteressierte mit ihrem Interesse an Waffen bzw. Details der Geschichte einen wichtigen Beweggrund dar. Eine weitere grundlegende Besuchsmotivation ist für viele Touristen der Wunsch, die Geschichte besser verstehen 254
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zu können. Sie versuchen zu verstehen, sie versuchen, sich selbst zu bilden. Aber ohne viele Bücher lesen und ansehen zu müssen. Um Dinge wirklich zu sehen […] und sie zu einem allgemeinen Bild zusammenzufügen. Einen Anlass hierfür stellen häufig die in den Medien verbreiteten runden Jahrestage dar: Für mich war der Anlass diese Feier der 60 Jahre. Und da habe ich mir gedacht: das musst du dir mal ein bisschen genauer unter die Lupe nehmen. Die meisten Touristen sind emotional berührt, wenn sie die ehemaligen Kriegsschauplätze der Normandie besichtigen. Die Gefühle reichen von Beeindruckung über Dankbarkeit und Nachdenklichkeit bis hin zu Traurigkeit. Es ist ein ernstes, düsteres Gefühl. Man muss sich irgendwie vorstellen, wie es gewesen wäre, damals dort gewesen zu sein. Am meisten bewegt sie der amerikanische Soldatenfriedhof von Colleville. Ich glaube, das wichtigste Gefühl für mich ist, dass so viele Menschen hier gestorben sind. Für nichts. Natürlich für die Freiheit. Aber letztendlich wurden sie durch ihre Länder geopfert. Das ist das Gefühl, das ich habe. Und ich glaube, es ist sinnlos. Doch auch der Unterschied zwischen dem deutschen Friedhof der Verlierer von La Cambe und der amerikanischen Begräbnisstätte der Gewinner beschäftigt viele. Das Verhalten der Touristen variiert zwischen zwanglosen und respektvollen Handlungen. Vor allem der Verwalter des amerikanischen Soldatenfriedhofes äußert Kritik an der häufigen Missachtung der Friedhofsregeln. Ein junger Deutscher bewertet dagegen den unverkrampften Umgang der Franzosen mit dem historischen Erbe positiv.
2.1.6 Räume des Gedenkens Die Normandie ist nicht nur für D-Day-Veteranen ein besonderer Ort, deren Besitz sie zeitweise für sich selbst beanspruchen: Die ganze Zeit, während der noch Veteranen am Leben sind, gehört die Normandie uns. […] Weil wir sie befreit haben. Die herausragende Bedeutung der ehemaligen Kriegsschauplätze für die Veteranen macht sich beispielsweise bei der Vergabe von Gedenkmedaillen bzw. Auszeichnungen und Gedenkritualen zu ihren Ehren bemerkbar, die an den Orten ihrer Kämpfe stattfinden müssen. Auch für andere Zeitzeugen und folgende Generationen sind die ehemaligen Kriegsschauplätze der Region außerordentliche Orte der Mahnung und ein Stück Geschichte, aus der man lernen sollte. Darüber hinaus wurden sie im Laufe der Zeit zu Orten der Begegnung, der Verständigung, der Freundschaft und schließlich der Versöhnung. Grund hierfür sind die auf die Landungsstrände projizierten Bedeutungszuschreibungen, die sich in Anlehnung an Mythen u. a. durch die Gedenkrituale und die hierin verwendeten Symbole permanent erneuern oder verändern. Die Zuschreibungen bewirken, dass nicht nur 255
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viele Ritualteilnehmer, sondern auch Touristen das Bedürfnis haben, die Kriegsschauplätze in der Normandie aufzusuchen. Die zahlreichen Monumente, Friedhöfe und Museen sind visuelle Markierungen und in Stein gehauene Geschichte, die dem Besucher mehr oder minder dauerhaft als Erinnerungsobjekte dienen und die vielfältigen Geschehnisse ausdrücken. Ihre Geschichten spiegeln häufig die Transformationsphasen des Gedenkens vom trauernd-erinnernden über das patriotische und versöhnend-vereinigende bis hin zum historisch-pädagogischen Gedenken wider. Auch das rituelle Gedenken an die alliierte Landung hat sich seit seinem Bestehen mehrfach vor allem hinsichtlich der Gedenkorte, der Schirmherren, der beteiligten Nationen, der einzelnen Gedenkriten, der Ritualteilnehmer sowie einer zunehmenden internationalen Bedeutung verändert. Die kommunalen Gedenkrituale anlässlich der Befreiung der Dörfer und Städte erfahren aufgrund des zeitnahen Ablebens vieler Veteranen einen zunehmend hohen Stellenwert sowohl für die D-DaySoldaten als auch für die Anwohner selbst. Das jährlich an unterschiedlichen Orten durchgeführte Gedenken an die alliierte Landung erzeugt einen rituell besetzten Raum. Er erstreckt sich nicht über alle Landungszonen gleichermaßen, und insofern erstaunt es kaum, dass nur für sehr wenige Personen die ganze Küste ein Träger herausragender Bedeutungen ist. Besonders wichtige Orte des rituellen Gedenkens sind die Startpunkte der offiziellen Gedenkrituale: die Friedhöfe der ehemals kriegsführenden Nationen. Auch für die Veteranen und Franzosen sind sie die wichtigsten Orte der Region. Grund hierfür ist für viele das auf den britischen und kanadischen Grabstätten angegebene, meist jugendliche Alter der Soldaten, die für die Befreiung der Normandie ihr Leben gaben. Ausschlaggebend für die Veteranen sind natürlich auch ihre hier bestatteten Kameraden und der Gedanke, in der Normandie selbst begraben liegen zu können. Doch nicht nur die alliierten Friedhöfe, auch der deutsche Soldatenfriedhof von La Cambe, der nicht in die offiziellen Gedenkrituale eingebettet ist, wird als bedeutungsvoller und wichtiger Ort wahrgenommen, da er gerade im Zusammenspiel mit Colleville die Absurdität des Krieges gut veranschaulicht. Beides sind herausragende Orte der Ehrfurcht und Ehrerbietung. Zurückzuführen ist dies bei beiden Beispielen neben der großen Anzahl der hier bestatteten Gefallenen auf die imposante Friedhofsarchitektur – einmal im strahlenden Design des Siegers, das andere Mal in der dunklen Ausgestaltung des Verlierers. Du willst ja die Leute beeindrucken. Du willst ja deinem Volk, das furchtbar gelitten hat, etwas geben, an dem es sich festhalten kann. Im Fall des amerikanischen Soldatenfriedhofes trägt zudem das stündliche Glockenläuten zum erhabenen Gefühl des Friedhofes bei. Neben den Friedhöfen sind auch die Landungssträn256
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de im amerikanischen Sektor, allen voran Omaha Beach, von besonderer Bedeutung. Aus diesem Grund empfinden es auch einige Ritualteilnehmer als unangemessen, dass das sich an den Strand anschließende Gelände in der Nachkriegszeit durch Häuser verbaut wurde. Verwunderlich ist allerdings, dass im amerikanischen Sektor nicht Omaha Beach, sondern Utah Beach den klassischen Schluss- und damit Höhepunkt der Gedenkrituale darstellt. Dies kann bislang nur auf organisatorischpraktische Beweggründe zurückgeführt werden. Weiter lässt sich aus der Tatsache, dass Omaha Beach seltener den rituellen Höhepunkt darstellt als Utah Beach, folgern, dass das offizielle Gedenken hinsichtlich seiner Ortswahrnehmung die im kollektiven Gedächtnis existierenden Bedeutungszuschreibungen nicht verändern kann. Anzunehmen ist, dass dies wahrscheinlich auch in einem Zusammenhang mit der Vielzahl der häufig parallel verlaufenden Gedenkrituale steht. Auffallend ist zudem, dass von den Befragten als besonders herausragende Orte nur sehr selten Stätten im britisch-kanadischen Sektor genannt werden. Ausnahmen stellen die Pegasus Bridge und der Friedhof von Ranville dar. Dies lässt sich vermutlich auf die geringeren Verluste der britisch-kanadischen Truppen zurückführen. Die Gedenkrituale verändern den Charakter eines Ortes und lassen einen bzw. mehrere Räume entstehen. Beispielsweise betonte eine Ritualteilnehmerin nach der amerikanisch-französischen Gedenkzeremonie 2004 in Colleville, dass sich der Ort nicht mehr wie ein Friedhof anfühlt. Dies ist auf die Präsenz der Politiker und der zahlreichen Zuschauer sowie auf den Wandel des Ortes beispielsweise durch die Bestuhlung zurückzuführen.
2.2 Politisierung des Gedenkens und der alliierten Landungsstrände Sobald sich das Gedächtnis und die Erinnerung in der Landschaft – beispielsweise durch den Bau von Museen und Monumenten – konkretisiert, spielt die Politik eine Rolle (siehe PONCELET 2003). Dies trifft auch in besonderem Maße auf das rituelle Gedenken an die alliierte Landung zu, bei dem seine politische Dimension in Bezugnahme auf politische Symbole und Mythen vor allem in nonverbalen und verbalen Riten sowie Militärritualen in Erscheinung tritt.
2.2.1 Politische Rituale Viele Veteranen meiden das Thema Politik in ihren Gesprächen, andere Ritualteilnehmer sind der Meinung, dass die aktuellen Regierungen und ihre Politik in keiner Weise das rituelle Gedenken an den 6. Juni 1944 257
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beeinflussen. Und dennoch ist die Politik präsent. Die Gedenkrituale sind, auch wenn sie in ihrer Intention keine politischen Angelegenheiten sein müssen, maßgeblich an den runden Geburtstagen eine große Show für Politiker, während derer sie den Ruhm für sich beanspruchen und Veteranen lediglich wie schöne Autos ausgestellt werden. Schon allein aus diesem Grund gibt es bei den runden Jahrestagen einen politischen Hintergedanken. […] Es gibt die hochgestellten Persönlichkeiten, die sich zeigen, herausgeputzt für diesen Moment, von denen man die restliche Zeit zwischen den runden Jahrestagen nichts [über das Gedenken] hört. Hieraus resultiert vielleicht auch eine den Politikern unterstellte geheuchelte Anteilnahme und ihre für viele Ritualteilnehmer als unwichtig und überflüssig eingeschätzte Anwesenheit. Vor allem traut man den Politikern der Nachkriegsgeneration kein tatsächliches Verständnis der Ereignisse und der Bedeutung des Gedenkens zu. Allerdings, so stellt ein kritischer Ritualteilnehmer fest, wäre ihr Fernbleiben ein doppelschneidiges Schwert: Wenn die Politiker nicht kämen, würden wir sie kreuzigen. Deswegen müssen sie, glaube ich, kommen. Aber sie machen das aus politischen Gründen […] Ich sage nicht, dass sie keinen Respekt haben, wenn sie genügend Zeit haben, um sich zurückzulehnen und darüber nachzudenken. Aber es steht nicht oben auf ihrer Liste. Dort steht: ‚Wann muss ich meine Rede heute halten?‘, ‚wann fliegt der Helikopter?‘ […]. Und auch allein die Medienpräsenz – der 50. Jahrestag war 1994 das weltweit größte eintägige Medienevent (V. L. SMITH 1998: 218) – trägt dazu bei, dass ein Fernbleiben der geladenen Staatschefs fast schon unmöglich wird. Abgesehen von der Anwesenheit der einzelnen Politiker ist auch die Einladung verschiedener Nationen im Laufe der Zeit zu einem Politikum geworden. Beispielsweise wurde Polen aufgrund seiner vor 1989 kommunistischen Staatsform und seiner Position auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs sowie den daraus resultierenden organisatorischen Problemen nicht zu den alljährlichen Zeremonien eingeladen und nahm an ihnen erstmals 1997 teil. Auch die eventuelle Beteiligung Deutschlands war seit der 40-Jahrfeier 1984 ein brisantes Thema, das vor allem in der Presse ausdauernd diskutiert wurde und erst 2004 anlässlich der 60-Jahrfeier beigelegt werden konnte. 1984 wurde Kohl von Mitterrand im September als versöhnender Ausgleich für das politische Aufsehen um seine Teilnahme nach Verdun eingeladen (BARCELLINI 1996a: 90, KLEIN 1996: 39) (siehe Kapitel IV/2.2.1.3 ‚Deutsch-französische Versöhnungszeremonien‘). Anlässlich der 50-Jahrfeier entbrannte die Debatte über die deutsche Beteiligung an den D-Day-Zeremonien erneut – heftiger denn je (FISCHER 2004). Lange Zeit wurde es in unterschiedlichen Medien so dargestellt, dass Helmut Kohl den französischen Staats258
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präsidenten um eine Einladung in die Normandie gebeten habe, diese ihm jedoch von Mitterrand verwehrt wurde. Diese Darstellung, so weiß man später, entsprach nicht den Gegebenheiten und ließ Kohl in der Position des abgewiesenen Freundes erscheinen (DESQUESNES 1995: 162, auch JACKSON 1994: 33, LEICK & PALMER & WIEGREFE 2004: 49). Eine Presseerklärung Mitterrands im März 1994, in der er öffentlich klarstellte, dass der deutsche Bundeskanzler nie um seine Einladung zur 50Jahrfeier gebeten habe, beendete zwar die politische Diskussion (KLEIN 1996: 39), jedoch nicht die medial vermittelte Polemik. Ebenso wie 1984 fand auch 1994 ein die deutsch-französische Freundschaft bekundendes Treffen, jedoch auf weniger symbolträchtigem Boden, statt: Zwei Tage nach der Gedenkfeier zur alliierten Landung kamen Mitterrand und Kohl im Rahmen eines Jugendfestes nach Heidelberg. Relativiert wird dieses eher unspektakuläre Zusammentreffen allerdings durch die Partizipation von deutschen Truppen beim Aufmarsch anlässlich des französischen Nationalfeiertages am 14. Juli auf der Champs-Elysées in Paris (BARCELLINI 1999, DESQUESNES 1995: 165, KLEIN 1996: 39).
2.2.1.1 Nonverbale Riten Die öffentlichen Zeremonien umfassen, wie im Kapitel ‚Offizielle Gedenkrituale‘ (V/2.1.1) ersichtlich, viele unterschiedliche nonverbale Gedenkgesten zu Ehren der beteiligten Amtsträger, der Soldaten und Nationen. In politischer Dimension bedeutsam sind offizielle Prozessionszüge während der alljährlichen Gedenkrituale, Kranzniederlegungen, das Verleihen von militärischen Auszeichnungen sowie das Hissen und Salutieren von Fahnen der alliierten Nationen. Bei den runden Jahrestagen fallen vor allem die binationalen und internationalen Zeremonien und das damit verbundene Treffen der Staatsoberhäupter der kriegsbeteiligten Nationen ins Gewicht. Des Weiteren gibt es noch Militärrituale wie der feierliche Aufmarsch in Waffen, Truppenparaden und die Nachstellung militärischer Schlachten durch die Armee. Der offizielle Prozessionszug weckt Erinnerungen an mittelalterliche Herrscherprozessionen und inszeniert die an ihm beteiligten Amtsträger.56 Auch wenn Unterschiede besonders im Hinblick auf die Teilnehmenden (statt Königen die Botschafter der alliierten Länder) und die Fortbewegungsart (statt der Pferde Autos) offensichtlich sind, fallen vor allem Parallelen hinsichtlich der Prozessionsordnung auf. Ebenso wie im mittelalterlichen Ritual führen die wichtigsten Persönlichkeiten, die alli56 Die Idee basiert auf einem Vortrag von Gerald Schwedler zum Thema ‚Herrscherprozessionen zwischen politischem und sakralem Zeremoniell‘ im Rahmen der Jahrestagung des Sonderforschungsbereiches 619 ‚Prozessionen zwischen Religion und Politik‘ im Februar 2005 in Bad Herrenalb.
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ierten Botschafter, weder den Prozessionszug an, noch beenden sie ihn. Allerdings sind sie nicht wie in mittelalterlichen Prozessionen im letzten Drittel, sondern im ersten Drittel nach der Gendarmerie, den französischen Amtsträgern der Region und dem Präsidenten des Landungskomitees verortet. Die Militärattachés werden in der Mitte des Prozessionszuges platziert. Die Prozessionsroute richtet sich nach den zu besuchenden Gedenkorten und wählt den kürzesten Weg zwischen ihnen.57 Wenn die Strecke durch Ortschaften hindurchgeht, säumen häufig Anwohner die Straße und winken dem Autokorso bzw. seinen Teilnehmern zu. Eine zweite Form der Ehrerweisung der anwesenden Politiker wird durch das Militär übernommen. Es handelt sich hier um Aufmärsche der Truppen und das Präsentieren der Waffen sowie um eine die Gedenkgeste beendende Truppenparade, die während der den Gedenktag abschließenden Zeremonie stattfindet. Auch die internationalen Zeremonien während der runden Jahrestage stellen die politischen Amtsträger auf höchstem Niveau ins Rampenlicht und erinnern durch ihre hochkarätige Besetzung an ehemalige Herrscher- oder heutige Gipfeltreffen. […] das verstärkt die Bindungen, sicherlich. Das ist […] symbolisch. Ein herausragendes Beispiel nonverbaler Riten ist das Treffen und Umarmen von Staatspräsident Chirac und Bundeskanzler Schröder 2004 vor dem Memorial in Caen. Diese Geste der Versöhnung weckte bei den Ritualteilnehmern Assoziationen zur Gedenkzeremonie von Kohl und Mitterrand 1984 in Verdun, die als symbolische Politik in die Geschichtsbücher einging. Die Ehrerbietung an die Soldaten des D-Days findet durch Kranzniederlegungen und die Verleihung von militärischen Auszeichnungen statt. Kränze bzw. Blumengestecke werden an verschiedenen Monumenten (Monumenten für bestimmte Einheiten unterschiedlicher Nationen, Kriegerdenkmäler) niedergelegt und ehren die dort verewigten Einheiten. Aber auch der ideelle Wert der Befreiung und Freiheit wird durch Kranzniederlegungen an den Signalmonumenten und dem Freiheitsmonument in Bayeux geehrt. Auf den Friedhöfen der Alliierten werden die Gefallenen der jeweiligen Nationen durch Kranzniederlegungen anerkannt.58 Die Gestecke werden von Politikern auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene sowie von Veteranen in einer bestimmten Abfolge 57 Aus diesem Grund wird nicht eine vielleicht symbolisch bedeutsamere Route, sondern in Teilbereichen die schnelle Verbindung über die Nationalstraße gewählt. 58 Auf dem deutschen Soldatenfriedhof von La Cambe legten im Juni 2004 auch Neonazis einen Kranz im Gedenken der Waffen-SS nieder, der jedoch sofort von den Zuständigen entfernt wurde. Dies verdeutlicht den schwierigen Umgang mit manchen Kapiteln der deutschen Vergangenheit und auch einen Streit über die Interpretationshoheit der Geschichte.
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linienartig vor dem Monument aufgereiht. Zunächst legen lokale Politiker und Veteranen die seitlichen Blumengestecke nieder, der Bürgermeister der betreffenden Kommune und die ranghöchsten Gäste platzieren im Anschluss daran ihre Kränze in der Mitte der Reihe. Bei der Verleihung von militärischen Auszeichnungen stehen wiederum die Soldaten des D-Days im Fokus der Ehrung und Anerkennung. So auch beispielsweise im Jahr 2004 während der internationalen Zeremonie von Arromanches, als Staatspräsident Chirac vierzehn Veteranen mit der Medaille der Ehrenlegion auszeichnete. Den Anfang machte ein tschechischer Veteran und dann folgten in alphabetischer Reihenfolge, stellvertretend für alle an der Landung und der Schlacht um die Normandie beteiligten Veteranen, je ein ehemaliger Soldat der entsprechenden Nation.59 Das Schlusslicht bildete ein französischer Kämpfer. Die Gesten der Ehrerweisung an die Nationen, die ihre Soldaten für die alliierte Landung bereitstellten, beziehen sich auf die Nationalfahnen der sieben am D-Day beteiligten alliierten Länder und die Trikolore Frankreichs. Einerseits werden sie in der den Gedenktag abschließenden Zeremonie feierlich mit Untermalung der jeweiligen Nationalhymne gehisst, andererseits wird ihnen durch die offiziellen Gäste salutiert. Aber auch das Nachstellen von historischen Ereignissen wie das Erklimmen des Pointe du Hoc, das Stürmen eines Blockhauses durch das amerikanische Militär60 oder die Fallschirmsprünge bei Sainte-MèreEglise in Kooperation mit den französischen Einheiten unterstreichen, dass das heutige amerikanische Militär immer noch zu den gleichen heroischen Taten fähig ist wie einst die Truppen 1944. Die Fallschirmsprünge finden weitaus regelmäßiger statt als die Kampfnachstellungen am Pointe du Hoc, die beispielsweise an den runden Jahrestagen von 1974 bis 2004 durch die amerikanischen Rangers in Anwesenheit von Veteranen durchgeführt wurden. Jedes Jahr kommen Fallschirmspringer der 101. und 82. Luftlandedivision nach Sainte-Mère-Eglise (siehe Kapitel V/2.1.2 ‚Kommunale Gedenkrituale‘) und springen über einem Gebiet namens La Fière ab, das rund fünf Kilometer entfernt des Ortes liegt. Das erste Springen unter starker Beteiligung aktiver amerikanischer Soldaten fand 1984 auf Initiative des seit 1961 regelmäßig in die Normandie kommenden Veteranen Bob Murphy statt, der schon 1962 59 Warum der tschechische Veteran zuerst geehrt wurde, ist nicht ganz klar. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass Tschechien mit ‚la république tchèque‘ übersetzt wird und deswegen vom Schema anderer Länderbezeichnungen abweicht. 60 Das amerikanische Militär nimmt auch vor und nach den Fallschirmsprüngen bei Sainte-Mère-Eglise an einigen kommunalen Zeremonien der Region Manche als Ehrengast teil.
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zusammen mit anderen Veteranen seinen Fallschirmsprung von 1944 wiederholte. Erst ab 1989 kamen regelmäßig alle fünf Jahre zahlreiche amerikanische Fallschirmjäger. Die Nachstellungen durch das Militär ziehen viele Zuschauer an. Viele von ihnen kommen nicht primär, um die jungen Soldaten und damit das amerikanische Militär zu ehren, sondern vielmehr, um die ausgelassene Stimmung unter den Wartenden mit Bratwurst und Bier zu genießen und dem Schauspiel auf der Wiese sitzend beizuwohnen. Im Gegensatz dazu möchten die Veteranen mit den jungen Fallschirmjägern reden und teilweise anschließend bei der kleinen Zeremonie am Iron Mike teilnehmen.
2.2.1.2 Verbale Riten Die Ansprachen der Politiker sind für die Konstruktion der politischen Räume ein besonders ausschlaggebender Faktor.61 Seit dem Bestehen der Gedenkzeremonien haben sich die in den Reden transportierten Themen hinsichtlich der Innen- und Außenpolitik Frankreichs erheblich gewandelt. Relativ konstant allerdings bleibt ihr Aufbau: Bevor auf die politischen Inhalte eingegangen wird (siehe Abbildung 21), widmet der Redner einen Großteil seiner Ansprache der Ehrung von Mut und Selbstlosigkeit der alliierten und französischen Soldaten. Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges betonten 1945 die in Arromanches gehaltenen Ansprachen der französischen Politiker und alliierten Diplomaten die bedeutende Rolle der Alliierten bei dem Sieg über die deutschen Truppen (o. V. 1945b: 1). Auch ehrte der britische Botschafter den Mut der französischen Widerstandskämpfer und formulierte seine Hoffnung auf eine Weiterführung des nun bestehenden Bündnisses, um schließlich auch Japan schlagen zu können. Er beendete seine Rede, indem er darauf drang, vereint bleiben zu müssen, um einen dauerhaften Frieden herbeiführen und zum weltweiten Fortschritt beitragen zu können (o. V. 1945a: 2).
61 Wenn nicht anderweitig gekennzeichnet, wurden die älteren Redetexte der alliierten Sprecher von den entsprechenden Botschaften zur Verfügung gestellt, die neueren Texte der französischen Staatspräsidenten sind bei der ‚Documentation Française‘ in Paris oder teilweise online unter www.ladocumentationfrancaise.fr einzusehen. Die Reden der amerikanischen Staatschefs können in den vom United States Government Printing Office publizierten Public Papers of the President of the United States nachgelesen werden. Die Ansprache des deutschen Bundeskanzlers 2004 ist verfügbar unter www.bundeskanzler.de. Redetexte der alljährlichen Gedenkzeremonien wurden von den entsprechenden Institutionen nicht archiviert und kaum in Zeitungen abgedruckt, so dass sie folglich nicht in die Auswertung einfließen können.
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Abbildung 21: Innen- und außenpolitische Themen der verbalen Riten im Gedenken an die alliierte Landung in der Normandie USA/RUS Abrüstung Konstruktion Europas
Außenpolitik
F/D Freundschaft F/D Polemik Beteiligung USA/UdSSR Versöhnung F/USA Freundschaft F/USA Nationale Ehre F Rolle in internationaler Politik
Innenpolitik
B ü n d n i s p o l i t i k
d e r
A l l i i e r t e n USA Machtlegitimierung
F Nationale Ehre/Vichy-Vergangenheit F Einheit F Wiederaufbau 1945
1954
1964
1974
1984
1994
2004
Auch der physische und wirtschaftliche Wiederaufbau des Landes war eine wichtige Thematik der Nachkriegstage. 1948, als der französische Staatspräsident Auriol die Gedenkzeremonien präsidierte, formulierte er zwei Wünsche – die erneute Bildung einer nationalen Einheit und den für den Wiederaufbau des Landes notwendigen Konsens der Politiker (BLANDIOT 2003: 58).62 Wir haben die Zeit, um unsere Kontroversen wieder aufzugreifen. Ein Ziel [jedoch] vereint uns: der Wiederaufbau von Frankreich durch die nationale Verbundenheit (o. V. 1948: 8). Und er führte weiter in Anlehnung an den Ersten Weltkrieg aus: Wenn wir in drei Jahren mehr wiederaufbauen konnten als sechs Jahre nach dem anderen Krieg, wäre es kriminell, uns wegen sekundären oder inopportunen Probleme zu entzweien, unserer – wenn auch legitimen – Ungeduld nachzuhängen oder an unseren alten Querelen wieder Geschmack zu finden; wir setzten damit kurz vor seiner Beendigung unseren Aufbau aufs Spiel, wir erleichtern uns von unserem Schmerz im letzten Moment während wir uns im steilen Aufstieg befinden und das Ziel fast schon erreicht ist (o. V. 1948: 8). Zudem ging Auriol auch auf die Rolle Frankreichs im Kontext der internationalen Politik ein, die er aus dem 62 Hintergrund dieser geforderten Konsensbildung war eine Bedrohung der aktuellen Regierung durch – von der kommunistischen Partei PCF angestiftete – Kundgebungen gegen die geplante Kostenverteilung für die Finanzierung des Wiederaufbaus und des großen Wahlerfolges der 1947 gegründeten Partei von General de Gaulle (BLANDIOT 2003: 60).
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französischen Widerstand und den humanen und physischen Kriegsschäden ableitete. Frankreich hat seine Ruinen und Toten als Zeugen seiner Ehre und seiner Treue. Es hat das Recht, es hat die Pflicht, sich um seine Sicherheit und die anderer Nationen zu sorgen. Es hat das Recht und die Pflicht, die Gefahren einer internationalen Politik zu verkünden, die nicht seine Warnungen und Erfahrungen berücksichtigt und unter dessen furchtbaren Konsequenzen es als erstes zu leiden hätte. Es hat das Recht und die Pflicht zu fragen, […] worauf sich die Sieger verständigt haben, um gemeinsam ihren Verpflichtungen nachzukommen. Indem das mit Offenheit ausgesprochen wird, glaubt Frankreich die Achtung und die Freundschaft all seiner Alliierten zu verdienen (Le Monde 06./07.06.1948: 8). Auch im Folgejahr 1949 thematisierten der Bürgermeister von Caen und der Schirmherr der Veranstaltungen, Marschall Montgomery, erneut den Wiederaufbau und darüber hinaus, wie schon in den Vorjahren, die Bedeutung der alliierten Einheit (o. V. 1949: 4). Von 1954 bis 1984 basierten die Gedenkzeremonien auf dem erstmals 1941 formulierten gaullistischen Konzept der nationalen Ehre, das die Geschichte uminterpretierte und durch den ‚Krieg der 30 Jahre‘ ein siegreiches Frankreich konstruierte (BARCELLINI 1999, BLANDIOT 2003: 66ff, RIOUX 1986: 90). Die Landung von 1944 und der sich daran anschließende Sieg ist diesem Konzept nach das Ergebnis eines in der Marne-Schlacht 1914 beginnenden und von der französischen Armee geführten dreißigjährigen Krieges. Diese 1954 von Staatspräsident Coty initiierte Sichtweise ordnete folglich de Gaulle in die Reihe der ehrwürdigen Feldherren des Ersten Weltkrieges ein (GAUSSEN 1984, NAMER 1987b). Zudem retouchiert es durch seine optimistische Sichtweise – Frankreich hat nur eine Niederlage in einem jahrzehntelangen Krieg erfahren – das als Schmach empfundene Vichy-Regime bzw. die Kooperation Frankreichs mit den Nationalsozialisten (BARCELLINI 1999). Das für das Gedenken des ‚Krieges der 30 Jahre‘ ins Leben gerufene Nationalkomitee (Comité National des Deux Anniversaires) stufte 1954 insgesamt 20 Zeremonien als national bedeutsam ein, darunter beispielsweise den in Algier gefeierten Jahrestag des Sieges von Garigliano am 11. Mai, die Landung der Alliierten am 6. Juni in der Normandie sowie die der Franzosen am 15. August in der Provence, die Befreiung von Paris im August, die Marne-Schlacht am 11. September und die Befreiung Straßburgs am 21. November.63 Das Programm für 1964 schrumpfte auf fünf Veranstaltungen zusammen, wobei die alliierte Landung aus
63 Die Informationen stammen aus Dokumenten, die im ‚Archive Départementales du Calvados‘ zugänglich sind.
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dem Kalender entfernt wurde (BARCELLINI 1999). Zehn Jahre später war der 6. Juni wieder im Programm enthalten, 1984 fand zum letzten Mal das doppelte Gedenken an den ‚Krieg der 30 Jahre‘ (1914–1944) statt (BARCELLINI 1999). Doch das waren nicht die einzigen Themen dieser Jahre. 1954 betonte Coty zudem den 50. Jahrestag der seit 1904 bestehenden Entente Cordiale zwischen Großbritannien und Frankreich und den 40. Jahrestag des ersten gemeinschaftlichen Kämpfens der zwei Nationen gegen einen gemeinsamen Feind (o. V. 1954b: 2). 1964 unterbrach de Gaulle die kurze Tradition der Anwesenheit des französischen Staatspräsidenten bei den runden Jahrestagen des D-Days. Grund hierfür war eine misstrauische Reaktion Washingtons auf die Anerkennung Chinas durch Frankreich (POTTIER 2004: 62), die de Gaulle dazu veranlasste, seinem Missmut über die amerikanische Vormachtstellung Ausdruck zu verleihen und die Unabhängigkeit Frankreichs durch sein Fernbleiben zu unterstreichen (GROSSER 1984: 1). Ein weiterer Grund für die Verweigerung seiner Teilnahme war laut ROUIL (2004: 3) die Tatsache, dass die Alliierten seine Teilnahme am D-Day 1944 unterbunden hatten und die Landung somit kein französischer Sieg gewesen sei. Auf Grund dieser Verstimmungen beteuerte der de Gaulle bei den Zeremonien vertretende Minister der Frontveteranen Sainteny, dass Frankreich mehr denn je der Schicksalsgemeinschaft treu bleiben werde, welche die westliche Welt seit 20 Jahren verbinde (BARCELLINI 1999, NEEL 1964: 4). Die Divergenzen, die manchmal zwischen alliierten Nationen bestehen können […], sind nicht das anzustrebende Ziel, das der Verteidigung von Frieden und Freiheit innewohnt. Mit den Worten des französischen Premierministers betonte und versicherte er, dass die französisch-amerikanische Solidarität […] nicht erst seit heute oder seit dem 6. Juni 1944 besteht; es gibt sie seit ungefähr 200 Jahren und sie hat sich in all den großen Tagen gezeigt, und sie zeigt sich und wird sich jedes Mal wieder zeigen, wenn eines der beiden Länder bedroht wird oder ihm Unheil widerfährt. Neben der beidseitigen Verärgerung betonte Frankreich, wie schon in den 1950er Jahren, seine Rolle bei der Landung und auch schon im Vorfeld der Militäraktion. Die symbolische Fusion der übereinstimmenden Handlungen des kämpfenden Frankreichs und der französischen inneren Streitkräfte, eine neue Sakrale Union, an die viele von uns die Sehnsucht bewahrt haben: grandiose Durchführung einer Mission, die vier Jahre zuvor durch das Hellsehen von General de Gaulle definiert und bis zum Sieg durch seine unerbitterliche Hartnäckigkeit geleitet wurde; historische Verbindung des Wunsches eines Führers und des Patriotismus eines Volkes. Fünf Jahre später, als de Gaulle einige Monate nach der Mai-Revolution nicht mehr an der Macht und die Rote Armee ein Jahr zuvor in der Tschechoslowakei 265
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einmarschiert war, war die Verstimmung zwischen Frankreich und Amerika passé und die Freundschaft wiederhergestellt. Aus diesem Grund erinnerte die Ansprache des Ministers der Veteranen an den im Februar 1969 erfolgten Besuch des amerikanischen Staatspräsidenten Nixon in der Normandie (BARCELLINI 1999). Ich nehme diese Gelegenheit wahr, um erneut allen hier anwesenden und repräsentierten Bürgern zu sagen, wie sehr wir uns gefreut hatten, [Nixon] zu empfangen und festzustellen, dass unsere Freundschaftsbande enger waren als je zuvor (zit. in BARCELLINI 1999). Auch 1974 nahm an den Gedenkzeremonien in der Normandie kein französischer Staatspräsident teil. Vertreten wurde er durch Verteidigungsminister Soufflet, der im Auftrag seiner Regierung die Alliierten ehrte und ihnen 30 Jahre nach dem D-Day die Treue Frankreichs weiterhin garantierte (CHAMPION 1974: 9). Erst 1984 war wieder ein französischer Staatspräsident bei den Zeremonien anwesend. Mitterrand verwies in seiner Ansprache anlässlich der internationalen Zeremonie am Utah Beach – nach der Ehrung der Veteranen und des französischen Widerstandes sowie eines Grußwortes an die freien Menschen Deutschlands und Italiens – auf die inzwischen bestehende Freundschaft der ehemaligen Erbfeinde Frankreich und Deutschland. Der damalige Feind war nicht Deutschland, sondern die Macht, das System und die Ideologie, die sich des Landes bemächtigt hatten. Salutieren wir vor den deutschen Toten, die in diesem Kampf gefallen sind. Ihre Söhne bezeugen wie die unsrigen den Beginn von neuen Zeiten. Die gestrigen Gegner haben sich versöhnt und bauen zusammen ein Europa der Freiheit. Die Konstruktion Europas fließt somit erst 1984 – obwohl sie schon durch die Montanunion in den 1950er Jahren begonnen hat – inhaltlich in die Gedenkzeremonien ein.64 Neben dem französischen Präsidenten waren auch erstmals Regierungschefs der alliierten Länder anwesend. Der amerikanische Präsident Ronald Reagan65 ließ in seiner Ansprache während der amerikanischfranzösischen Zeremonie am Omaha Beach indirekt einen amerikanischen D-Day-Veteranen und dessen Tochter zu Wort kommen und verlieh seinen Worten somit eine sehr individuelle Komponente. Nachdem 64 Von da an erwähnen auch die Minister in den alljährlichen Gedenkritualen häufig die Konstruktion Europas. 65 Im Vorfeld des 6. Juni, genauer gesagt am 24. April 1984, wurde der französische Botschafter in den Vereinten Staaten von Amerika darauf hingewiesen, dass die Teilnahme Reagans an den Zeremonien auf zwei Gesichtspunkte abziele: Erstens solle sie seine Größe als Staatsmann einige Monate vor der Wahl untermauern und zweitens solle sie die guten Beziehungen zwischen den Alliierten und allgemein zwischen den westlichen Industrieländern demonstrieren (BARCELLINI 1999).
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er seinen Zuhörern verdeutlicht hatte, dass sie sich an einem Ort befänden, um den viele Soldaten erbittert am Morgen des 6. Juni gekämpft hatten, betonte er den Sieg der Demokratie durch die alliierten Befreier. Deutlich politischer stellte sich seine Rede dar, die er im Rahmen der amerikanischen Zeremonie am Monument der Ranger auf dem Pointe du Hoc gehalten hatte. Ein Jahr nachdem Pershing-Raketen in Europa als Reaktion auf die auf Westeuropa gerichteten russischen SS20-Raketen stationiert wurden, signalisierte Reagan seine Bereitschaft zur Versöhnung der USA mit der UdSSR. In Wahrheit gibt es keine Versöhnung, die wir mehr begrüßen würden, als die Aussöhnung mit der Sowjetunion, so dass wir zusammen das Risiko eines Krieges für jetzt und immer mindern können. Dies jedoch formulierte er erst, nachdem er darauf hingewiesen hatte, dass die Sowjettruppen unnachgiebig, uneingeladen und unerwünscht über 40 Jahre nach dem Krieg das Zentrum Europas für sich beansprucht hatten. Amerika, so führte Reagan weiter aus, warte auf eine Willensbekundung der UdSSR hinsichtlich eines gemeinsam zu beschreitenden Weges des Friedens. Es muss eine Veränderung geben, die uns erlaubt, unsere Hoffnung in Handlung umzuwandeln. Zehn Jahre später fand die internationale Zeremonie am Omaha Beach statt. Mitterrand betonte erneut den gemeinsamen Weg des Friedens der ehemals verfeindeten Nationen Deutschland und Frankreich in ein gemeinsames Europa, der eine Vorbildfunktion für heute verfeindete Staaten in Afrika oder im ehemaligen Jugoslawien darstellen soll. Möge sich überall ein Dialog des Friedens unter den Ländern unserer Welt, den Völkern, unter der Führung der Vereinten Nationen einrichten, die selbst aus unserem Sieg geboren wurden. Das erfordert noch viel Mut, vielleicht viel Geduld. Aber ja, ‚let’s go‘. Lasst es uns anpacken. Auch stand die 50-Jahrfeier im Kontext der Abrüstung, da der amerikanische Präsident Clinton forderte, die tödlichsten Waffen der Welt einzudämmen. Diese Abrüstungsforderung reichte allerdings nicht allzu weit: Obwohl es die UdSSR nicht mehr gäbe und die schon 1944 vereint kämpfenden Nationen heute wieder Partner in Frieden und Demokratie seien, so führte er weiter aus, müsse man die Waffen bereithalten und starke Allianzen führen. Der Friedensauftrag geht weiter, der Kampf [um weltweiten Frieden] dauert an. Der ‚Längste Tag‘ ist noch nicht vorbei. Neben dem geeinten Europa, der Friedens- bzw. Abrüstungsthematik und dem Betonen der weiterhin benötigten Allianzen gab es 1994 ein weiteres Thema, das die Ansprachen prägte: die Legitimierung der Macht Clintons durch eine konstruierte Abstammung von den Helden des D-Days. Wir sind die Kinder Ihrer Opfer. Wir sind die Töchter und Söhne, die Sie aus den Fängen der Tyrannei befreit haben. Wir sind hinter dem Schutzschild der starken Allianzen aufgewachsen, die Sie 267
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durch Ihr Blut auf diesen Stränden erkämpft haben, an den Küsten des Pazifiks und in den darüber liegenden Himmeln. Vor den versammelten Veteranen versprach Clinton in Anspielung auf die Pfadfinder (pathfinder) der Luftlandetruppen weiter, dass er zu den neuen Pfadfindern gehöre und betonte erneut, ein Kind der Aufopferung der D-Day-Soldaten zu sein. Der einzige Redner, der die vorher heftig diskutierte Teilnahme Deutschlands indirekt aber dennoch sehr klar und kritisch erwähnte, war der damalige Präsident des Landungskomitees und ehemalige Politiker Triboulet am Vorabend des 6. Juni in Ver-sur-Mer.66 Im Laufe der [vergangenen] 50 Jahre habe ich häufig den Rat erhalten, unsere Einladungen auch auf andere europäische Länder zu erweitern: Wir haben es nicht gemacht und wir hatten Recht. Unsere ehrliche Berufung besteht darin, das Gedenken an einen herausragenden alliierten Sieg zu erhalten. Durch diese Entscheidung, so fuhr er fort, würde es ermöglicht, dass die Türen für politische Streitigkeiten bei der Konstruktion Europas bei den Gedenkzeremonien verschlossen blieben. 2004 im Rahmen der 60-Jahrfeier, an der erstmals ein deutscher Bundeskanzler teilnahm, prägten neben Ehrungen der Soldaten und historischen Erinnerungen drei Themen die Ansprachen: die europäische Einheit, die deutsch-französische Freundschaft und Versöhnung sowie die Bekräftigung der amerikanisch-französischen Freundschaft vor dem Hintergrund des Irakkrieges. Bühne für das Thema der europäischen Einheit waren die internationale Zeremonie in Arromanches und die deutsch-französischen Zeremonien in Caen. Chirac betonte in Arromanches zunächst, dass alle ehemals verfeindeten Nationen heute in Stille, Andacht und Gedenken vereint seien und dass der Wind des Friedens, der Versöhnung und der Freiheit inzwischen über dem vereinten Europa wehe. Inspiriert durch de Gaulle und Adenauer, so argumentierte er weiter, könne nichts mehr die Bewohner Europas aufhalten, sich weiterhin […] gegenseitig zu nähern, sich zu versöhnen, sich wiederzuvereinen. Chirac unterstrich […] mit Nachdruck [den] gemeinsamen Willen, zusammen den Weg des um seine Werte vereinten Europas zu verfolgen, eines Europas, das mit sich selbst, seiner Geographie und seiner Geschichte versöhnt ist. Auch in Caen wurde dieses Thema wieder von Chirac und Schröder aufgegriffen und ein vereintes Europa gefordert, das mit einer einzigen Stimme sprechen und handeln könne. Das fähig ist, seine historischen Erfahrungen und seine humanistischen Werte in den Dienst einer internationalen, gerechteren, solidarischeren sowie gegenüber der Menschenwürde, der Verschiedenartigkeit der Kulturen und Völker respektvolleren Ordnung zu stellen. Zentrales Thema in 66 Während dieser Zeremonie waren keine Staatsoberhäupter anwesend.
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Caen war jedoch die deutsch-französische Freundschaft und Versöhnung, durch die der Aufopferung der Soldaten ein Sinn gegeben wird. Was wir unseren Toten schulden, ist ihrer Aufopferung einen Sinn zu geben, indem wir uns entschlossen für den einzig richtigen Weg engagieren, der den Frieden in Europa sichert: den der Versöhnung unserer Länder […]. Durch die mustergültige und beispielhafte Versöhnung, die allen Menschen zeigen solle, dass im Hass keine Zukunft liege und es immer einen Weg zum Frieden gäbe, sei es nun möglich, dass an diesem Tag des Gedenkens und der Hoffnung […] die Französinnen und Franzosen Sie mehr denn je als einen Freund [empfangen]. Sie empfangen Sie als Bruder. Die in Caen thematisierte Demonstration der Einheit Europas und die Betonung der Menschenwürde muss im Zusammenhang mit der Distanzierung Frankreichs und Deutschlands von der amerikanischen Irakpolitik gesehen werden und begründet den dritten Themenschwerpunkt der Gedenkzeremonien von 2004. Um diesen besser einordnen zu können, wird kurz auf einige Ereignisse im Vorfeld der Gedenkzeremonien eingegangen. Der Präsident der USA versuchte, den Irakkrieg mit einer Analogie zwischen dem D-Day und der Invasion des Iraks bzw. den aus dem D-Day gewonnenen Erfahrungen zu legitimieren.67 Bei einem Besuch der 101. Airborne Division betonte Bush beispielsweise, dass der Geist von 1944 die Soldaten in den Irak getragen habe, um eine Nation – ebenso wie knapp 60 Jahre zuvor – von der Tyrannei zu befreien (GIBBS 2004: 38). Diese Äußerung führte zu Verärgerungen auf beiden Seiten, die darin gipfelten, dass die New York Post am 10.02.2003 Frankreich beschuldigte, die Aufopferung der amerikanischen D-Day-Soldaten – und damit der Nation selbst – vergessen zu haben: ‚Aufopferung. Sie starben für Frankreich, aber Frankreich hat vergessen‘ (o. V. 2003: 1). Diese Verstimmungen sollten nun im Zuge der Gedenkzeremonien beseitigt werden, indem Chirac betonte, dass die französisch-amerikanische Freundschaft unberührt bleibe.68 Heute wie gestern wird diese [französisch-amerikanische] Freundschaft, die auf 67 Dies war nicht das erste Mal, dass ein amerikanischer Präsident diese Analogie eingesetzt hatte – bislang aber nicht zu kriegerischen Zwecken. Reagan sandte in Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und seinen größten Tag, den D-Day, Friedenstruppen in den Libanon, Clinton argumentierte ebenso zur Verteidigung der Beteiligung der USA im Kosovo (GIBBS 2004: 42). 68 Im Jahr 2004 gaben, vielleicht aus den Verstimmungen resultierend, erstmals 82 % der Franzosen an, dass sie die Deutschen für verlässliche und sehr verlässliche Verbündete halten. Weitaus weniger, nämlich nur 63 %, hatten eine ebenso gute Meinung von den Briten und lediglich 55 % von den USA. Noch 1994 lag Deutschland zusammen mit Großbritannien bei rund 65 % kurz hinter den USA (o. V. 2004).
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Vertrauen […] und gegenseitigen Respekt gebaut ist, unberührt bleiben. Amerika ist für immer unser Verbündeter, eine starke Verbundenheit und Solidarität, die auf diesen schrecklichen Stunden [des D-Days] basiert. Bush antwortete darauf, dass Amerika wieder für seine Freunde – und damit ist Frankreich gemeint – in den Krieg ziehen würde: Amerika ehrt alle Befreier, die hier in edelster Sache gekämpft haben. Und Amerika würde es wieder für unsere Freunde tun.
2.2.2 Politische Mythen und Symbole Die Krise des Patriotismus nach dem Ersten Weltkrieg, erzeugt durch das unsägliche Leid in der französischen Gesellschaft und verstärkt vor allem durch die schnelle Kooperation des Landes mit den Nationalsozialisten im Vichy-Regime und die zum Sieg über Hitler benötigte Hilfe der Alliierten im Zweiten Weltkrieg, hat Auswirkungen auf die ‚nationale Frage‘ des Landes (AGULHON 1995: 60f). AGULHON (1995: 63) kommt zu dem Ergebnis, dass „[…] Frankreich als Ideal, als Projekt, als ‚Geist‘ (‚esprit‘) heute eher dabei ist, sich aufzulösen“, dass also der Mythos der Grande Nation (siehe Kapitel IV/2.2.2 ‚Politische Mythen und Symbole‘) zumindest teilweise verblasse. In Zukunft könnte dieser, wenn noch einige bedeutende Reden während der Gedenkrituale gehalten wurden und mehrere Jahre verstrichen sind, von einem anderen Mythos ergänzt werden, der dann in die europäische Mythenlandschaft zu integrieren ist: dem des D-Days als Gründungsmoment der Europäischen Nation. Diese Hypothese stützt sich auf die Annahme, dass eine gemeinsame Vergangenheitskonstruktion für die Herausbildung einer europäischen Identität und Integration notwendig ist und der D-Day durch die zahlreiche Beteilung europäischer Nationen an der Landung dafür hervorragend geeignet ist. Doch bislang stellt der D-Day in Europa noch keinen Mythos dar und überschaubar sind die ihm zugesprochenen Bedeutungsinhalte. Kurz nach Kriegsende wurde es für die Franzosen ein mehr oder minder gefeiertes Sinnbild ihres Widerstandes gegen die nationalsozialistische Okkupation. Erst 2004 entwickelte er sich zu einem Symbol für den Kampf um Freiheit, Demokratie und Menschenrechte und wurde als ein Symbol des Verzeihens und des Lebens interpretiert. Durch die offizielle Beteiligung Deutschlands und Russlands wurde er vor allem in den Medien häufig als Symbol für das Ende des Zweiten Weltkrieges gedeutet. Einen anderen Stellenwert nimmt der D-Day in der amerikanischen Mythenlandschaft ein: Eingebettet in den Mythos vom ‚guten und gerechten Krieg‘ (PAUWELS 2001) wird der D-Day mit entsprechendem Bedeutungsinhalt aufgeladen und zur Legitimierung von Friedens- und Kampfeinsätzen herangezogen. Der Grundstein für den Mythos des für 270
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Recht und Freiheit kämpfenden ‚guten Krieges‘ wurde 1941 in der Atlantik-Charta festgelegt, in der die Ziele des Kampfes gegen die Nationalsozialisten festgeschrieben wurden: Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit, Freiheit von materiellen Mängeln und Ängsten (PAUWELS 2001: 17). Beruhend auf der Charta und transportiert in offiziellen Bekundungen von Politikern sowie in Printmedien, Fernsehen und Filmen, hat sich – häufig auch entgegen vieler Aussagen von amerikanischen Soldaten – der Mythos zunehmend gefestigt und wird inzwischen von vielen Leuten als ‚Wahrheit‘ anerkannt. Entsprechend wird er von den Politikern zu ihren Gunsten eingesetzt: Ich sag mal in Amerika ist es ein riesen Thema. Vor allem jetzt unter Bush. Nachdem dem die Felle wegschwimmen, […] wird natürlich auch so etwas in Amerika mehr gepusht. Weil das ist halt […] eine Erfolgsstory, die man berichten kann. In die öffentlichen Gedenkzeremonien des D-Days werden zwei politische Symbole integriert: Nationalhymnen und Nationalfahnen. Dies trifft sowohl auf die französischen als auch auf die alliierten Flaggen zu, die entweder einfach während des Rituals am Fahnenmast wehen oder die während der Zeremonie am Ende des Gedenktages feierlich gehisst, von den entsprechenden Nationalhymnen untermauert und von den jeweiligen Militäreinheiten salutiert werden. Durch ihre aktive Inszenierung im Ritual verstärkt sich die politische Aussagekraft und Bedeutungsbeimessung der Gedenkzeremonie. Aber auch an den Gedenkorten selbst sind politische Symbole allgegenwärtig. Beispielsweise weht auf den Soldatenfriedhöfen – ausgenommen den deutschen Begräbnisstätten – die Nationalfahne des jeweiligen Landes.
2.2.3 Politische Räume der Ideologie Die Landungsstrände der Normandie sind bis heute ein Gegenstand politischer Interessen, an denen sich der amerikanische Mythos des ‚best war ever‘ (ADAMS 1994) manifestiert. Doch nicht nur aus der amerikanischen Perspektive handelt es sich hier um einen besonderen Ort. Angelehnt an die Idee eines gerechten und guten Krieges ist er inzwischen für alle Kriegsbeteiligten ein Symbol für den Kampf für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte sowie des Verzeihens.69 Für die Franzosen 69 Die Interpretation des D-Days als Befreiung der Deutschen und Europas vom menschenverachtenden System des Nationalsozialismus und nicht als militärische Niederlage nimmt ihren Anfang mit der berühmten Rede Richard von Weizsäckers im Jahr 1985 (FREI 2004). Auch KRECH (2000: 98) greift diese Interpretationsmöglichkeit immer wieder auf und führt sie weiter: „Ohne ‚Overlord‘ hätte es möglicherweise keine Europäische Union der demokratischen Staaten Westeuropas gegeben, aus der eine ganz Europa umfassende Gemeinschaft werden soll“. Genährt aus verschiedenen Quellen hat diese Sichtweise heute Einzug in die Wahrnehmung der
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repräsentiert er zudem den französischen Widerstand gegen die nationalsozialistische Besetzung. Vor diesem Hintergrund lässt es sich leicht nachvollziehen, dass die dort vollzogenen Handlungen eine besondere Aussage- und Wirkkraft bekommen. Auffällig sind die selektive Interpretation der Geschichte und deren politische Instrumentalisierung vor allem im Kontext der Gedenkrituale an die alliierte Landung in der Normandie. Im Laufe der Jahre haben die Ansprachen der Politiker nicht nur dazu gedient, den Veteranen durch ihre Ehrung einen Sinn für die erlebten Qualen und Leiden zuzusprechen, sondern vor allem zur Legitimierung von innen- und außenpolitischen Zielen Frankreichs und der USA.70 Darunter fallen hinsichtlich der Außenpolitik die Bündnispolitik zwischen den Alliierten (anfangs gegen Japan, später gegen UdSSR, China und schließlich gegen den Terrorismus), die Abrüstungspolitik gegen Ende des Kalten Krieges, die deutsch-französische Freundschaft, die Konstruktion Europas und schließlich die amerikanisch-französische Freundschaft. Das Gedenken wurde zudem für die Innenpolitik Frankreichs (Ehrung des französischen Widerstandes, Konsensbildung mit politischen Oppositionsparteien im Rahmen des physischen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus und der Wiederherstellung der nationalen Ehre) und der USA (Legitimierung der Macht durch die Staatsoberhäupter) instrumentalisiert. Eine Vielzahl der Gedenkzeremonien beginnt in Bayeux. Dies hängt einerseits mit dem Sitz des Landungskomitees zusammen, doch sind noch andere Gründe denkbar. Das im Hinterland liegende Bayeux war nicht von der alliierten Landung betroffen und wurde auch nicht in der sich daran anschließenden Schlacht um die Normandie beschädigt. Stattdessen ist die Stadt für die hier von de Gaulle am 14. Juni 1944 gehaltene Ansprache berühmt (BARCELLINI 1999), in der er die Rolle des französischen Widerstandes und der Kampftruppen thematisierte und durch die er die Autorität seiner provisorischen Regierung zementierte. Somit wurde Bayeux zum Zentrum des kämpfenden Frankreichs und Ritualteilnehmer erhalten: Und heute geht es noch weiter, man sagt, das Debarquement [sei der] Beginn der Befreiung Europas vom Faschismus oder Hiltlerismus. Das alles kriegt dann eine andere Dimension, so hat sich auch Herr Schröder in seiner Ansprache ausgedrückt, was sehr gut war. 70 Erstaunlicherweise konnte eine politische Instrumentalisierung der Gedenkzeremonien nicht für Großbritannien und Kanada festgestellt werden. Ein möglicher Grund hierfür ist, dass die mediale Aufmerksamkeit – auf der die Auswertung zumindest teilweise beruht – ganz klar dem amerikanischen Bündnispartner gilt und die öffentliche Wahrnehmung der anderen Alliierten in den Schatten stellt. Doch auch die vorliegenden Redetexte der Commonwealth-Staaten unterstützen diese These.
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de Gaulle zur entscheidenden Figur. Dies zeigt sich auch im Freiheitsmonument der Stadt, das seit 1958 in die alljährlichen und runden Gedenkrituale integriert ist und auf dem de Gaulle als zentrale Persönlichkeit der alliierten Landung erscheint (BARCELLINI 1999). Für die Legitimation politischer Aussagen französischer Politiker ist aus diesem Grund Bayeux besonders wichtig. Bedeutend für die Legitimation der Statements amerikanischer Politiker ist insbesondere Omaha Beach und der dort liegende Soldatenfriedhof von Colleville sowie der Pointe du Hoc, wobei die Aussagen auf ‚Bloody Omaha‘ einen besonderen Stellenwert einnehmen.
2.3 Sakralisierung des Gedenkens und der alliierten Landungsstrände Überlappende Raumkonstruktionen lassen sich nicht nur zwischen Gedenkräumen und politischen Räumen der Ideologie, sondern auch hinsichtlich sakraler Räume des Glaubens konzeptualisieren. SEATON (1999: 139ff) zum Beispiel beantwortet die Frage, warum einige Kriegsschauplätze für die Menschen so attraktiv sind, am Beispiel von Waterloo mit der Sakralisierung der Orte. Durch verschiedene Markierungen – wie die Benennung eines ehemals namenlosen Gebietes, durch seine Hervorhebung und Abgrenzung zu anderen Orten, durch seine Konservierung und durch Reproduktionen (in Filmen, Ansprachen, Ausstellungen, Aufführungen, Straßen- und Kneipennamen, Monumenten und Museen) – wird das ehemalige Schlachtfeld bedeutungsvoll und zu einem quasi-heiligen Objekt (SEATON 1999: 139ff). Doch die Sakralisierung muss nicht immer die Schlachtfelder an sich betreffen. SEARS (1998: X) erkennt beispielsweise ebenfalls im Vietnam Memorial in Washington einen sakralen Raum. Sowohl Schlachtfelder wie Waterloo als auch Kriegerdenkmäler wie das Vietnam Memorial verweisen als Bedeutungsträger auf den Tod und somit das Jenseits. Insofern erstaunt es auch nicht, dass die Landungszonen des D-Days ebenfalls sakralisiert werden und von vielen – jedoch nicht allen – Besuchern als geheiligter Boden betrachtet werden: Ich glaube, für die Touristen ist es [im Allgemeinen] kein [sakraler Raum]. Der Tourist ist eher am Kriegsmaterial, an Panzern interessiert; daran, welche Nation die stärkste ist – wie in einem Boxkampf: Es gibt den Stärksten, es gibt den Schwächsten. Den Intelligentesten. Aber für die Veteranen ist es sakral. Egal ob es Deutsche, Amerikaner, Engländer, Kanadier oder Polen sind. Sie sind sich wirklich darüber im Klaren, dass die Leute gestorben sind, um sich vom Nationalsozialismus zu befreien. Aber Herr Jedermann, nein, er denkt bestimmt nicht an die toten 273
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Soldaten. Allerdings darf nicht unerwähnt bleiben, dass nicht alle Touristen die Schlachtfelder in der oben beschriebenen Weise wahrnehmen. Vor allem die amerikanischen Besucher scheinen eine Ausnahme zu bilden. Die Sakralisierung des Gedenkens und der Landungsstrände resultiert aus einer schon lange bestehenden Vermischung von Krieg und Religion, die den Soldaten auch im Zweiten Weltkrieg mit auf ihren Weg in die Schlacht gegeben wurde. Doch auch die Gedenkzeremonien selbst beinhalten religiöse Riten und Symbole und vermitteln so die Sakralität des Ortes. Dass dies erfolgreich geschieht, sieht man beispielsweise an den als Sakrilegen empfundenen, unangemessenen Handlungen vor Ort.
2.3.1 ‚Gott mit uns‘ – Glaube, Tod und Zweiter Weltkrieg Auch der Zweite Weltkrieg – vielleicht nicht ganz so ausgeprägt wie der Erste Weltkrieg – war getragen von einem Glauben an Gott: In ganz Europa hat die Religion eine große Rolle gespielt, bei der Landung im Jahr 1944 und danach gab es noch dieses religiöse Gefühl, das sehr, sehr stark war […]. Nicht nur in Europa, ebenso in den USA nahm der Glaube einen hohen Stellenwert ein, und von amerikanischer Seite aus wurde der D-Day als ein Kampf zum Schutz der Religion interpretiert. Diese Haltung zeigt sich beispielsweise im Gebet des Präsidenten Roosevelt anlässlich der alliierten Landung in der Normandie: Allmächtiger Gott: Unsere Söhne, der Stolz unserer Nation, haben heute ein mächtiges Unternehmen begonnen, einen Kampf zum Schutze unserer Republik, unserer Religion und unserer Zivilisation sowie um ein leidendes Volk zu befreien (zit. in ROSENMAN 1950: 152). Kurz darauf bat er Gott, die amerikanischen Soldaten zu segnen und ihnen im Kampf beizustehen, der kein Eroberungsfeldzug sei, sondern eine Militäraktion zur Befreiung der europäischen Völker. Einige [Soldaten] werden niemals wiederkehren. Vater, schließe sie in deine Arme und nehme sie, die heroischen Diener, in dein Himmelreich auf (zit. in ROSENMAN 1950: 153). Kurz vor Ende des Gebetes verglich Roosevelt die Landung mit einem gemeinschaftlichen Kreuzzug (united crusade) und unterstellte damit, dass es sich um einen ‚heiligen Krieg‘ handele. Auch König George VI kleidete in seiner Radioansprache die alliierte Landung in religiöse Gewänder: Nach fast fünf Jahren […] des Leidens müssen wir unseren kreuzzugartigen Vorstoß, mit dem wir in den Krieg eintraten und seine dunkelsten Stunden kennen lernten, erneuern. Wir und unsere Alliierten sind sicher, dass unser Kampf gegen den Teufel und für eine Welt geführt wird, in der Tugend und Ehre die Grundpfeiler des menschlichen Lebens
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in jedem Land sind (GEORGE VI 1944). Die Nation und das Königreich Großbritannien – und damit seine Armee – seien, so George VI, ein Instrument Gottes zur Erfüllung seiner hohen Ziele. Aus den Worten Roosevelts und Georges IV wird klar, dass die Repräsentanten der alliierten Nationen den D-Day als eine göttliche Mission definierten, die ausgeführt wurde, um die Welt vor dem Teufel des Nationalsozialismus zu retten. Dass auch die Franzosen – zumindest in der Retrospektive – ein Teil dieser sakralen Mission waren, zeigt sich darin, dass in den 1950er Jahren in Anlehnung an den Ersten Weltkrieg und im Hinblick auf die Widerstandskämpfer von einer sakralen Einheit gesprochen wurde (siehe Kapitel V/2.2.1.2 ‚Verbale Riten‘). Auch in den Medien wurde thematisiert, dass das wahre Vaterland der Menschen lediglich spirituelle Grenzen kenne und alle D-Day-Soldaten – inklusive der Franzosen – in den Krieg zogen, um ihre geistige Heimat zu verteidigen (BÉSUS 1954: 1). Sie haben das Meer überquert, so führt BÉSUS weiter aus, weil viele Seelen in Europa in Gefahr waren und Amerika, Kanada und Großbritannien deswegen nicht mehr in Frieden leben konnten. Sie folgten nicht etwa den Worten eines Bündnisvertrages, sondern einem tieferen, einem mysteriöseren Ruf. „Es war wie ein Ritt der Kreuzritter zu neuen heiligen Orten, die in Gefahr waren“ (BÉSUS 1954: 1). Die Soldaten zogen – ausgestattet mit einer Bibel und unterstützt durch die Seelsorge von Militärgeistlichen, einem Opferritual ähnlich – in einen ‚Kreuzzug‘ gegen den Teufel. Diejenigen, die von der göttlichen Mission nicht zurückkehrten, werden häufig als Märtyrer verehrt und in Kirchenfenstern verewigt. In der Kirche von Sainte-Mère-Eglise gibt es beispielsweise zwei Kirchenfenster, die von den Veteranen der 82. Luftlandedivision gestiftet wurden. Eines von ihnen bildet seitlich der Mutter Gottes, die das Jesuskind auf den Armen trägt, die über Sainte-Mère-Eglise landenden Fallschirmspringer ab, welche die Stadt und anschließend Frankreich befreiten.
2.3.2 Sakrale Rituale Auch in den Ansprachen während der Gedenkzeremonien wird die Thematik eines durch den Glauben motivierten und göttlich sanktionierten Krieges immer wieder aufgegriffen. So auch 1984, als Reagan davon sprach, dass der Erfolg der Soldaten durch den Glauben an Gott ermöglicht wurde und Gott ihr Alliierter gewesen sei. Zehn Jahre später erwähnte Clinton in seinen Reden nicht mehr die Verbindung zwischen der Militäraktion und Religion, sondern bereits das Ergebnis der Sakra-
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lisierung: den geheiligten Boden. Doch nicht nur die Thematik der Ansprachen, auch die Art des Sprechens selbst hat bei vielen Politikern schon etwas Weihevolles bzw. Kirchliches an sich. Kriege werden schon seit Jahrtausenden religiös thematisiert und legitimiert (RÜPKE 1994: 58, WIßMANN 1994). Schon allein aus diesem Grund überrascht es kaum, dass das Gedenken sich häufig dem Glauben nähert (COHEN 2004: 61) und in ihm religiöse Riten eingebunden sind. Wie RÉMOND (2004: 74) anlässlich der 60-Jahrfeier des D-Days festgestellt hat, ist auch das Gedenken an die Befreiung Frankreichs in eine wahre Liturgie des Gedenkens eingebettet, welche die Ritualteilnehmer von ihren Fehlern reinwaschen und befreien kann (COHEN 2004: 61).
2.3.2.1 Liturgische Riten Ebenso wie in die Gedenkrituale der Schlacht von Verdun, so sind auch in die offiziellen nationalen Gedenkzeremonien des D-Days Gottesdienste bzw. Gedenkmessen integriert, die alle Gebete für den Frieden und die Ruhe der Seelen der auf dem Boden Frankreichs gefallenen Soldaten vereinen sollen. Der Grund hierfür, so eine Ritualteilnehmerin, liege darin, dass die Trennung von Kirche und Staat nicht in der Lage gewesen sei, die tiefe moralische Verwurzelung der Europäer und Amerikaner im Glauben aufzulösen. Folglich verwundert sie der Beginn des Gedenktages mit einer religiösen Zeremonie entweder in der Kathedrale von Bayeux oder auf einem Friedhof in keiner Weise – ganz im Gegenteil: Er erscheint ihr völlig logisch und von einem moralischen Gesichtspunkt aus bedeutsam. Ich glaube, die Zeremonien sind sehr wichtig, da sie würdevoll sind und einem definitiv das religiöse Element geben. Die ökumenische Gedenkmesse in der Kathedrale von Bayeux, die in den letzten Jahren immer zusammen mit einer britischen Veteranenvereinigung gefeiert wurde, begann 2003 nach der Begrüßung durch den Bischof von Bayeux und einen britischen Militärgeistlichen mit einem Kirchenlied. Es folgte eine Lesung aus dem Paulusbrief an die Römer durch den britischen Boschafter in Frankreich, eine Ansprache des britischen Geistlichen und das Gedenken an die im Krieg und insbesondere im Juni und den Folgemonaten des Jahres 1944 Gefallenen. Der britische Botschafter legte einen Kranz nieder und anschließend sprach der Vizepräsident eine Strophe des Gedichtes mit dem Titel ‚The Fallen‘ von Laurence Binyon.71 Nachdem das Totensignal ertönt und die Schweigeminute mit einem kurzen Signalton beendet war, wurden von 71 „They shall grow not old as we that left grow old/Age shall not weary them, nor the years condemn/At the going down of the sun, and in the morning/We will remember them.“
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den Geistlichen und der Gemeinde dem zukünftigen Wohlergehen der Veteranen verpflichtende Worte gesprochen. Nach einem Gebet im Gedenken an die Männer und Frauen der britischen See-, Luft- und Landstreitkräfte, einem weiteren Kirchenlied und der britischen Nationalhymne segneten die Geistlichen die Gemeinde. Kurz darauf endete die Gedenkmesse mit dem Auszug der Fahnenträger und Geistlichen. Ein anderer Ort für die in die offiziellen Gedenkrituale integrierten Gedenkmessen sind die Soldatenfriedhöfe der Region, auf denen ein relativ kurzer ökumenischer Wortgottesdienst gefeiert wird. Doch auch kommunale Feierlichkeiten wie beispielsweise in Ranville beinhalten Gottesdienste. In der Stadt werden die Veteranen empfangen, die in Anwesenheit vieler Fahnen schwingender und auf Bonbons der Veteranen wartender Schulkinder von dort aus zum Friedhof marschieren. An der Begräbnisstätte werden religiöse Texte verlesen. Neben den Messfeiern ist zumindest ansatzweise noch ein weiteres liturgisches Element in die Gedenkzeremonien integriert: die Begräbnisliturgie. In der Normandie ist sie im Trauerzug von Gedenkort zu Gedenkort zu finden – sofern man den Prozessionszug nicht allein politisch als Herrscherprozession deutet. Durch Kranzniederlegungen verabschieden sich die Repräsentanten der Trauergemeinde an den symbolischen oder faktischen Begräbnisstätten von den Gefallenen.
2.3.2.2 Pilgerreisen in die Normandie Auch wenn einige Touristen von den Landungsstränden der Normandie sagen, sie seien sakraler Boden, bezeichnen sie sich jedoch in der Regel nicht als Pilger (zur Abgrenzung zwischen Touristen und Pilgern siehe Verdun-Kapitel IV/2.3.2.2 ‚Pilgerreisen nach Verdun‘). Genaue Informationen über die historische Entwicklung der Pilgerreisen an die Landungsstrände der Normandie liegen nicht vor. Anzunehmen ist, dass die Pilgerfahrten erst vergleichsweise spät einsetzten. An der alliierten Landung waren nur wenige Franzosen beteiligt und folglich kamen selten französische Angehörige in die Normandie, um die Grabstätten ihrer Familienmitglieder zu besuchen. Den kürzesten Weg unter den Alliierten hatten die Briten, doch dürfte zunächst aufgrund der damaligen Reiseschwierigkeiten auch die Überquerung des Kanals eine kostspielige und organisatorisch aufwendige Angelegenheit gewesen sein. Ganz zu schweigen von den amerikanischen und kanadischen Veteranen und Hinterbliebenen, die wohl erst in größerem Umfang nach Europa reisen konnten, als die Flugpreise durch die Einführung der Jumbojets erschwinglich wurden und sie durch den Eintritt in den Ruhestand ihren geregelten Lebenszyklus verließen. Ab den 1980ern kamen viele vor allem anlässlich der runden Jahrestage zu den 277
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Feierlichkeiten. Heute können sie häufig im Zuge ihres betagten Alters und ihrer erhöhten Immobilität wegen ihre Pilgerreisen nicht mehr individuell durchführen, sondern müssen zunehmend auf Reiseanbieter zurückgreifen, die ‚Wallfahrten‘ zu den unterschiedlichsten Gedenkorten anbieten. Auch wenn man im Tourismussektor der Normandie von einer Ablösung der Pilger durch historische Touristen spricht, pilgern heute noch immer Tausende Veteranen, deren Hinterbliebene und Regimentsangehörige in die Normandie. Unverzichtbarer Bestandteil ihrer Reise, die mehr darstellt als einen einfachen Besuch, ist der Gang auf einen Friedhof, auf dem Kameraden, Vorfahren oder Vorbilder begraben liegen. Es gibt welche, die sehe ich jedes Jahr, es ist glaube ich eine Pilgerfahrt gegenüber ihren Kameraden, wenn sie in die Normandie kommen. [Zum Beispiel] Robert […], das erste was er nach seiner Ankunft in Paris und auf dem Weg nach Sainte-Mère macht […]: Er hält in Colleville an, legt Blumen auf den Gräbern seiner Kameraden nieder und fährt danach nach Sainte-Mère-Eglise. Jedes Jahr ist das so. Neben der Verantwortung gegenüber den Kameraden besteht auch eine gefühlte Verpflichtung gegenüber den Familienmitgliedern. Für viele beantwortet der Besuch der Begräbnisstätte oder der Kampforte […] Fragen über einen Vater, den sie nie gekannt haben, einen Ehemann, der Briefe über Orte schrieb, die sich die Ehefrauen und Kinder nur vorstellen konnten. Sie kommen, um sich an einen geliebten Menschen, der im Krieg gefallen ist, zu erinnern, sie kommen, um eine Nähe zu ihrem geliebten Menschen zu spüren, indem sie das sehen wollen, was er vor seinem Tod gesehen hat. Auch wenn die Verwandten nicht gefallen, sondern erst Jahre später verstorben sind, verstärkt die Pilgerreise die Erinnerung der Angehörigen an die geliebte Person. Zu religiösen Pilgerfahrten gibt es sowohl Parallelen als auch Unterschiede. In den Augen eines Anwohners haben die Pilgerreisen in die Normandie entgegen religiöser Fahrten nach Mekka für die Veteranen keinen verpflichtenden Charakter. Es ist für sie keine zu erfüllende Pflicht, sie haben Lust, die Orte wieder zu sehen, die Freunde wieder zu sehen, die Familie wieder zu treffen. Auch wenn es durchaus zutrifft, dass die geknüpften Freundschaften ein wichtiger Motivationsgrund für die Reisen sind, so verkennt der Interviewte allerdings, dass das Gedenken von den Veteranen durchaus als Pflicht und Versprechen wahrgenommen wird. Als ich damals die Normandie verlassen habe, habe ich versprochen, dass ich alles in meiner Kraft stehende tun werde, dass an die zurückgelassenen Männer gedacht wird. Wir haben uns sehr gemocht, wir waren sehr eng. Und darum komme ich wieder: in Erinnerung jener Gefährten. Oder wie es ein britischer Veteran formulierte: Es 278
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gibt Freundschaften, die ich im zivilen Leben nicht aufbauen konnte. Und einige von ihnen, mit denen ich befreundet war, sind gefallen und liegen hier auf dem Friedhof von Ranville. Und ich versäume es nie, zu einem bestimmten Grab auf dem Friedhof von Ranville zu gehen. […] Ich bringe immer ein kleines hölzernes Kreuz mit. Die Kreuze werden nicht nur an den Gräbern der eigenen Freunde aufgestellt; auch wenn Veteranen aufgrund ihres Alters nicht mehr in der Lage sind, selbst in die Normandie zu kommen, legen Kameraden in ihrem Auftrag Kreuze nieder. Eine weitere Ähnlichkeit zu traditionellen Pilgerfahrten besteht in ihrer heilenden, therapeutischen Wirkung: Nicht nur Veteranen und Hinterbliebene, auch Regimentsangehörige geben an, psychisch verändert und gestärkt von den Pilgerfahrten zurückzukehren (siehe Kapitel V/2.1.3.1 ‚Die jährlichen Gedenkzeremonien‘). Hierzu trägt neben der spirituellen Dimension auch der ausgelassen-fröhliche Teil der Pilgerfahrten bei, der auch schon im Mittelalter durch Märkte und Feste am Pilgerziel vorhanden war (TURNER & TURNER 1978: 36f, SEARS 1998: 9). Hier kommt zusammen: einmal natürlich der Angehörige mit dem Grabbesuch, das Gedenken, die Erinnerung. Auf der anderen Seite natürlich auch, ich sag mal ein touristischer Faktor. […] Wie gesagt: Leben und Sterben liegen eng beieinander. Eine Vermischung von ‚Profanem‘ mit ‚Sakralem‘ besteht auch in der Kommerzialisierung der Pilgerorte. Diese Entwicklung ist auch in der Normandie festzustellen, wo im Zuge der 60-Jahrfeier Souvenirgeschäfte aus dem Boden sprossen und unzählige ‚Gedenkartikel‘ produziert wurden (siehe Kapitel V/2.1.3.2 ‚Die runden Jahrestage‘). Die Kommerzartikel und das ‚Profane‘ können, wie JURKOVICH & GESLER (1997: 463) am Beispiel des bosnischen Wallfahrtortes Medjugorje festgestellt haben, als Gegenpol des ‚Sakralen‘ und somit zur seiner Heraushebung dienen. Zudem werden ausgewählte Souvenirartikel zusammen mit anderen Erinnerungsstücken aus der Normandie in der Heimat von vielen Pilgern zu Reliquienschreinen errichtet. Der Status der Veteranen allerdings stellt einen Unterschied zu religiösen Pilgerreisen dar, da sie teilweise selbst wie Heilige verehrt werden und für Regimentsangehörige einen Anlass zur Pilgerfahrt darstellen können.
2.3.3 Christliche Symbole und Zeichen Christliche Symbole und Zeichen sind auf den Landungsstränden vorzufinden und in die Gedenkrituale integriert. Ein fast schon allgegenwärtiges christliches Symbol ist das Kreuz, das ebenso wie der Davidstern auf allen Soldatenfriedhöfen und an vielen Gedenkorten zu finden ist. Einen besonderen Stellenwert hat das Lothringerkreuz, das de Gaulle auf Anraten eines Admirals 1940 als Zeichen für das Freie Frankreich übernahm, 279
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um so den Kampf gegen das Hakenkreuz Hitlers aufnehmen zu können. Es wurde beispielsweise in monumentaler Form in der Nähe von Courseulles vom Landungskomitee errichtet und erstreckt sich hoch in den Himmel. Die Schwelle, ein weiteres, häufig anzutreffendes religiöses Symbol, ist besonders ausgeprägt beim amerikanischen Soldatenfriedhof, dessen Haupteingang Besucher über eine kilometerlange Allee erreichen. Ein Ort, an dem besonders viele christliche Zeichen und Interpretationsmöglichkeiten aufeinander treffen, ist das Memorial in Caen. Die schwellenartige Promenade zum Museumseingang, der sich zum Himmel hin öffnende Eingangsbereich, der Abstieg in das Dunkel der Hölle während der nationalsozialistischen Herrschaft bzw. Okkupation und der durch den Krieg gebrachte Aufstieg ins Licht des Friedens ruft christliche Assoziationen hervor. Ebenso werden in vielen Museen der Landungsstrände die historischen Gegenstände von den Besuchern wie Reliquien verehrt. In die Gedenkrituale der alliierten Landung werden nur relativ wenige religiöse Symbole integriert. Lediglich die Schweigeminute kann als weltlicher Ausdruck eines Gebetes gewertet werden.
2.3.4 Sakrilege Vor allem Omaha Beach ist ein Ort, den Menschen zu respektieren haben: Wenn sie bestimmte Verhaltensregeln ignorieren, evozieren sie empörte Beschwerden. Die Nutzung von ‚Bloody Omaha‘ als Badestrand stößt vor allem viele Amerikaner vor den Kopf: Es gibt welche, die sind Amerikaner, die sind tatsächlich geschockt, wenn sie im Sommer sehen, dass es Leute gibt, die am Omaha Beach baden. Mehr noch als die Nutzung als Badestrand hat im Jahr 2002 ein geplantes Miesmuschelzuchtprojekt zweier Fischer am Omaha Beach den heftigen Widerstand von Anwohnern bewirkt. Es gibt Orte in der Normandie, die man nicht berühren darf, das Meer vor Omaha Beach, solche Orte. […] Es ist ein extrem symbolischer Ort […], es ist sogar das Symbol des 6. Juni, es ist das Gemetzel, das dort auf der einen wie auf der anderen Seite stattgefunden hat. Auch viele Veteranen waren mehr als schockiert und haben sich an Protestaktionen beteiligt. Die Planung sah Miesmuschelbänke zwischen Vierville und Saint-Laurent vor, doch wurde das Vorhaben, nachdem fast 850 Protestmails geschrieben und zusätzlich knapp 700 Unterschriften geleistet wurden, nach einer Beschlussfassung des Präfekten eingestellt (ELIE 2002). Als offizieller Grund wurde eine Unvereinbarkeit des historischen Erbes auf nationalem und internationalem Niveau mit der vorgesehenen Nutzung angegeben (ELIE 2002). 280
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Schon viele Jahre zuvor, 1984, hatte ein anderes Projekt die Empörung vieler Anwohner hervorgerufen: Anlässlich des 40. Jahrestages plante eine Firma, den Sand vom Omaha Beach – als Symbol der am Omaha Beach Gefallenen – in kleine Säckchen abzupacken und als Souvenirartikel an die Ritualteilnehmer zu verkaufen. Das hat mich wirklich geschockt. Zunächst hat man kein Recht, dies zu tun. Man darf den Sand nicht dazu verwenden – er gehört allen, der Sand – der Sand, auf dem die Soldaten gestorben sind. Also für mich war das ein Sakrileg […], für mich war das ein Sakrileg. […] Man darf nicht alles mit dem Sand der Landungsstrände machen. Ob das Projekt umgesetzt oder abgeändert wurde, ist nicht klar. Fest steht aber, dass der geneigte Ritualteilnehmer kleine Beutelchen mit dem Schriftzug ‚Gutes Geschenk um es mit nach Hause zu nehmen – Sand von den Landungsstränden – 25 Francs‘ erstehen konnte (PAINTON 1984: 32). Auch die kommerzielle Nutzung des D-Days auf Etiketten – beispielsweise von Camemberts und Weinflaschen der Region – wird als Skandal und fast schon Sakrileg bewertet.
2.3.5 Sakrale Räume des Glaubens Die Landungsstrände und das Gedenken an die alliierte Landung unterliegen seit 1944 einer andauernden Sakralisierung, die ihren Anfang in der Vermischung von Krieg und Religion zu Beginn der Militäraktion nahm und seitdem durch Bedeutungszuschreibungen, religiöse Riten und Symbole genährt wird. Dennoch wird von den Ritualteilnehmern eine Unterscheidung zwischen explizit religiös-sakralen Stätten wie beispielsweise einer Kirche und anderen sakralen Orten vorgenommen. Die Orte der Landung sind auch […] ein sakraler Raum, aber nicht religiös. […] Um religiös zu sein, muss man an einen Gott glauben. Sakral […]: es ist spirituell, aber nicht religiös. Zumindest trifft diese Charakterisierung auf nichtgläubige Menschen zu. Das heißt, der Ort hat eine andere Wertigkeit, eine andere Dimension und nicht nur die Dimension der Gegend, einer schönen Gegend, es ist wirklich etwas Spirituelles. Für einige ist es religiös. Für die Gläubigen ist es religiös, für die anderen nicht. Das ist sakral, so wie man sagt, dass das Vaterland sakral ist. Vor allem religiöse Menschen scheuen sich häufig erst einmal, den Begriff ‚sakral‘ oder ‚geheiligt‘ zu verwenden. […] ich weiß nicht, ob ich den Begriff [sakral] verwenden würde, aber man muss wissen, dass es so viele Soldaten gegeben hat, die gefallen sind, die ihr Blut auf diesen Stränden gelassen haben […]. Ich weiß nicht, ob man wirklich sakral sagen kann, aber es ist etwas Wichtiges. Oder, wie ein anderer Interviewpartner formulierte: Ich bin ein relativ gläubiger Christ und deshalb weiß ich, was für mich sakral ist. Aber das ist ein Gedenkort. […] Hier gibt es die Kreuze natürlich und den jüdischen Stern. Das hat eine 281
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religiöse Dimension. Aber sakral würde ich das nicht bezeichnen. Sakral ist für mich ein Kirchenraum. Wenn sie allerdings darüber nachdenken, stimmen sie zu – manchmal über den Umweg, dass ihnen im Gespräch später selber auffällt, dass sie an bestimmten Orten Handlungen als Sakrilege empfinden: Also für mich war es ein Sakrileg […]. Also Sakrileg – sakral. Der am häufigsten genannte Grund für die Sakralität der Landungsstrände ist das dort verflossene Blut:72 So viele sind hier gestorben, das ist der Punkt. Aus diesem Grund erscheint es nur logisch, dass gerade die Orte, an denen die sterblichen Überreste der Soldaten begraben sind, als besonders sakral wahrgenommen werden. Wenn du auf einem Friedhof bist, ist [der Boden] geheiligt. Wo alle [Toten] versammelt sind […]. Auf den Friedhöfen – und allen voran auf dem amerikanischen Soldatenfriedhof von Colleville – verlieren die Besucher komplett die Zeit aus den Augen; besonders die Veteranen und Hinterbliebenen können zu den gefallenen Kameraden oder Familienmitgliedern eine Verbindung aufnehmen. Doch nicht nur das Blut und die sterblichen Überreste, auch die hier verstreute Asche inzwischen verstorbener Veteranen trägt zur Sakralisierung der Orte und insgesamt der Landungsstrände bei (o. V. 1994c: 4). Für die Veteranen werden die Orte ihrer ersten Kämpfe im Laufe der Jahre zu einem zunehmend geheiligten Boden, da die ersten Kriegshandlungen sie mehr prägten als alle folgenden Kampfeinsätze, sich Legenden bildeten und die dort stattfindenden Gedenkrituale den sakralen Charakter der Orte im Laufe der Jahre immer wieder unterstrichen und hervorhoben. […] jeder hat mehr oder minder an einem bestimmten Ort gekämpft, aber nicht alle wurden in gleicher Weise geheiligt. Man hat Legenden darum […] konstruiert. Nicht zuletzt aufgrund der lebenslangen Bedeutung des ersten Kampfes wird er als ‚Feuertaufe‘ bezeichnet: Für mich [war es] der erste Kampf. Ich habe hier die Feuertaufe erhalten. Ein weiterer Grund, warum sie die Landungsstrände als sakral erachten, ist eine Verbindung zu ihrer weit zurückliegenden, als glücklich und erfüllt erinnerten Jugend. Viele Anwohner teilen diese Ansicht, da an diesen Stränden 1944 ein Wunder passierte, das ihnen die 72 Von Ritualteilnehmern, welche die Landungsstrände nicht als sakralen Raum betrachten, wurde häufig entgegnet, dass die Gefallenen allein keinen Ort sakral machen könnten – schließlich müsse dann ganz Europa als solches definiert werden. Zudem wurden rationale Gründe angeführt, dass man die Landungsstrände nicht als heilig erklären dürfe, da hieraus aufgrund von Handlungen, die an sakralen Orten verboten seien, Nutzungskonflikte resultieren würden. Ein weiteres Gegenargument gegen die Sakralisierung der Orte bestand darin, dass die Landung und die Befreiung Europas eine aus ökonomischen Gründen geführte Militäraktion gewesen sei – und kein ‚gerechter Krieg‘.
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Freiheit brachte. Für die anderen Ritualteilnehmer, die selbst nicht aktiv an der Landung beteiligt waren, ist das Wissen darüber, dass hier Tausende Soldaten den Tod gefunden haben, eine wichtige Voraussetzung für die Sakralisierung der Landungsstrände. Wir waren gestern am Strand. Es ist ein sehr, sehr schöner Strand. Aber weil du weißt, was dort passiert ist […], kannst du nicht deine Schaufeln und Eimer auspacken und spielen, was du auf einem normalen Strand machst. Du gehst nur dort und überlegst, warum das alles passiert ist. Ein Ausdruck der Sakralisierung ist eine dem Kriegsschauplatz zugesprochene Aura bzw. Mystik, die sich ansatzweise schon darin zeigt, dass einige Ritualteilnehmer ihre wiederholte Rückkehr nicht erklären können und auf einen ‚Magnetismus‘ zurückführen (siehe Kapitel V/2.1.3.1 ‚Die jährlichen Gedenkrituale‘). Auch wird der erste Besuch der Landungsstrände als ‚magischer‘, unbeschreibbarerer Moment charakterisiert. Diese Aura bewirkt, dass sich manchem Ritualteilnehmer beim Anblick der Strände die Haare sträuben und unheimliche Zufälle bzw. Unerklärbares passiert. Beispielsweise erzählte ein Veteran davon, dass er auf der Suche nach einer deutschen Familie eines gefallenen Soldaten war, den er als Letzter lebend gesehen hatte und dessen Pass er gerne an die Hinterbliebenen zurückgeben würde. Merkwürdigerweise hatte der deutsche Soldat am gleichen Tag Geburtstag wie die Frau des Finders und der letzte Eintrag in das Dokument erfolgte am Todestag seines Vaters. Eine weitere Anekdote betrifft einen gehbehinderten Veteranen, der während der Gedenkzeremonien ‚Flügel verliehen‘ bekommen hat. In dem Moment, als er während einer Zeremonie die Parade seiner Kameraden sah, […] hat er seinen Parka abgelegt, ist [von der Tribüne] herunter gestiegen. Aber man muss gesehen haben, wie er gegangen ist: Er ist heruntergestiegen, er ist gesprungen und er ist mit den anderen [Veteranen] marschieren gegangen. […] Es war stärker als er. Er musste – mit einem Sprung war er verschwunden. […] Er hatte Flügel. Er ist verschwunden. Es war unglaublich. Neben den Friedhöfen, denen sehr häufig aufgrund ihrer Funktion als Begräbnisstätte ein sakraler Charakter zugesprochen wird, betrifft die Sakralisierung vornehmlich noch vier andere Orte: Omaha Beach, Sainte-Mère-Eglise (mit den ‚Hotspots‘ von La Fière und der Stop Bar), die Pegasus Bridge mit dem Hotspot des Café Gondrées und zumindest ansatzweise das Memorial von Caen. An den ersten drei Orten ist die Landschaft relativ unverbaut: Das ist ja hier alles wie noch vor 60 Jahren. Das spielt ja auch eine Rolle. Auffallend ist, dass es sich bei SainteMère-Eglise und Ranville bzw. der Pegasus Brücke um die ersten Orte handelt, die während der Militäraktion befreit wurden. Vielleicht trägt
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auch dieser Faktor neben der als beruhigend empfundenen Landschaft dazu bei, dass an diesen Orten […] die Leute auch immer so ein bisschen stiller und ein bisschen nachdenklicher [sind]. Omaha Beach ist aufgrund der schweren Verluste nicht nur für die Infanteristen ein sakraler Ort: Weil dort haben die Alliierten am meisten gelitten, man spricht von 3.000 Toten. […] Und dieser Strand ist für mich sakral geblieben. Omaha Beach wird als der zentralste Punkt der Landung, als sein Symbol angesehen. Zwei weitere wichtige Orte der Landung, die ebenso entscheidend für den Schlachtverlauf waren, sind die Orte der alliierten Luftlandetruppen. Sainte-Mère-Eglise ist für die amerikanischen Fallschirmjäger – gleich ob D-Day-Veteranen oder aktive Soldaten der Luftlandetruppen – ein sakraler Ort. Es ist ein Heiligtum für die ‚Airborne‘, die ganze Stadt. Oder anders ausgedrückt, ist heute […] Sainte-Mère-Eglise das Mekka der Fallschirmjäger, es ist das amerikanische Mekka in Frankreich, alles was man will. Auch eine Parallele zu christlichen Heiligtümern wird gezogen: Sainte-Mère-Eglise sei das ‚Lourdes der Landung‘ (Le Lourdes du Débarquement) (LAURENT 2004: 38). Den Grund hierfür erläutert ein D-Day-Veteran: Es ist sakral, weil wir hier gelandet sind, weil wir hier gekämpft haben, Hunderte und Hunderte sind hier gestorben. Dieses Land ist für die Luftlandetruppen, die amerikanischen Luftlandetruppen, ein sakrales Gebiet. Das ist der Ausdruck, den wir verwenden. [Von] einer Generation […] der 82. amerikanischen Luftlandedivision […] zur nächsten. Beispielsweise machten aus diesem Grund die Fallschirmjäger auf ihrem Weg zurück aus dem Irakkrieg nach Amerika einen Zwischenstopp in Paris und kamen am 6. Juni nach Sainte-Mère. Noch vor Jahrzehnten war die dem Ort beigemessene Bedeutung unter den jungen Soldaten wohl noch nicht so hoch und erfolgte erst ab ihrer Teilnahme an den Fallschirmsprüngen ab 1984. Anlässlich der Jahrestage erzählten die militärischen Vorgesetzten ihnen von den erbitterten und heldenhaften Taten ihrer Vorgänger, so dass die jungen Soldaten heute die ganze Geschichte kennen. Man hat also eine Art Mythos erzeugt, aber ein Mythos, der sich für sie erhärtete, da sie [hier] auch wirklich wie Könige empfangen wurden […] und nicht nur als ob sie im Rahmen eines Manövers […] in Frankreich oder anderswo waren. Im Ausbildungscamp ‚Fort Bragg‘ der 82. Luftlandedivision in North Carolina wurde der Ort sogar ‚dupliziert‘ und ein Bereich ist nach der Stadt benannt: Ein Sektor des Camps heißt SainteMère-Eglise. Sie haben eine Abwurfzone, wo die aktiven Fallschirmjäger springen […], der Sainte-Mère-Eglise heißt. Innerhalb von SainteMère-Eglise gibt es zwei Hotspots: die als ‚Ruhmeshalle‘ für einen in der Region lebenden D-Day-Veteranen ausgebaute Stop Bar und die einige Kilometer außerhalb liegende Landungszone La Fière, wo 1944 284
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viele amerikanische Soldaten umkamen, bevor sie überhaupt den Boden erreichten, oder mit ihrem schweren Gepäck bei der Überquerung des dort fließenden Flusses ertranken. Hierher […] wollen alle jungen Fallschirmjäger kommen und springen. Sie machen das nicht am Utah Beach oder Omaha Beach. […] Es ist hier. Hier!! Von ähnlicher Bedeutung ist ein Sprung für die britischen Luftlandedivisionen in der Nähe des Pegasus Brücke und das teilweise von den Veteranen als Kultstätte verehrte Café Gondrée: […] es ist sehr wichtig, es war das erste Haus in Frankreich, das befreit wurde. Sie sehen es als Heiligtum an, dieses Café ist für die Leute sehr wichtig. Ein vierter als sakral zu interpretierender Ort, der weder am 5. bzw. 6. Juni ein Ort erbitterter Kämpfe noch der ersten Befreiungen war, ist das Memorial von Caen. Allerdings – und das stellt den Unterschied zu den bisher präsentierten Orten dar – wird es selten von den Veteranen und Ritualteilnehmern selbst als Heiligtum oder sakraler Ort bezeichnet. Stattdessen beeindruckt es die Besucher durch die sakrale Symbolsprache wie beispielsweise durch den Abstieg in die Hölle und den Aufstieg ins Licht bzw. in den Frieden, es erhöht ihr Bewusstsein und erhebt ihr Herz und ihre Seele, da es zum Nachsinnen verhilft (GSTEIGER 1996: 51). Zudem erzeugt die Museographie beim Besucher eine gespannte Erwartungshaltung, und er taucht in das Geheimnisvolle der Krümmungen und Rundungen, der Sackgassen und des diffusen Lichts ein. Sie sind tief ergriffen, tief ergriffen. Sie sind sehr durch die Szenographie gefangen, berührt. Vielleicht aufgrund dieses mystisch-rätselhaften Charakters vergleicht eine Besucherin es mit dem Beinhaus von Verdun. Allerdings verliere das Memorial in Caen im Vergleich zum Beinhaus nicht etwa, wie man annehmen könnte, dadurch an Qualität, dass es keine Begräbnisstätte für die Gefallenen sei, sondern dadurch, dass es in die Stadt eingebunden und ein Ort des Lebens sei. Doch sobald man es betreten habe, stellten sich die gleichen Gefühle ein.
2.4 Historisierung des Gedenkens und der alliierten Landungsstrände Das Wissen über die historischen Geschehnisse ist eine Voraussetzung für die Erzeugung von politischen und sakralen Räumen, seine größte Bedeutung jedoch erfährt es bei der Konstruktion von historischen Räumen. Neben Pilgern interessieren sich auch noch Hobby-Historiker für die Kriegsschauplätze, die mit Büchern und Karten in den Händen oder im Schlepptau von Zeitzeugen und Veteranen durch das Gelände streifen und versuchen, jedes noch so kleine Detail der Schlacht am Ort des Ge285
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schehens nachzuvollziehen (siehe auch V. L. SMITH 1996: 257 und 1998: 219). Für sie ist das minuziöse Wissen über die historischen Geschehnisse ebenso wie für die Sammler von Militärutensilien, Reenacter und Museumsbesucher der Schlüssel für den Zugang zur Geschichte. Das Schloss zum Öffnen der Geschichtstüre finden sie in historischen Militärutensilien bzw. Artefakten, die als Vermittler zwischen den Welten fungieren. Die Historisierung des Gedenkens und der Landungsstrände erfolgt durch historische Rituale, in die – wie eben schon angedeutet – verschiedene Artefakte und Symbole integriert sind.
2.4.1 Historische Rituale Egal, ob durch das Nachstellen von Kriegsschlachten bzw. den Nachbau von Militärlagern oder durch einen Besuch in den zahlreichen Geschichts-, Kriegs- oder Friedensmuseen in der Region – historische Rituale machen die Geschichte lebendig. Das ist auch eine ganz andere Sache, weil man Geschichte live erlebt. Man sieht einfach mal Geschichte, wie es damals war. Und das fand ich schon sehr gut gemacht. Man kann sich mal vorstellen: Wie haben die damals gelebt? Zudem stellen sie eine etwas andere Art des Gedenkens dar, die nicht so ernst wie Kranzniederlegungen abläuft: Und ich denke mal, dass diese Leute, die hierher kommen mit den ganzen Militärfahrzeugen […], ich sag das jetzt mal ganz kindlich: Wenn die [Gefallenen] […] vom Himmel runtergucken würden, [würde es ihnen] besser gefallen […] als diese offiziellen Kranzniederlegungen und Rhabarberrhabarberrhabarber. Begeistert sind viele Re-enactors – gleich, ob im Militärcamp oder außerhalb – von der […] Mischung aus Grusel, Faszination und einfach auch nur Ferien. So eine Mischung empfinde ich. Ich sag immer, so ein bisschen Yin und Yang. Einerseits faszinierend, andererseits auch abstoßend. Die Faszination und Begeisterung betrifft nicht nur die gespürten Gegensätze, sondern auch die friedliche, offene und unkomplizierte Atmosphäre zwischen den Darstellern und Sammlern während des ‚Happenings‘. Das Sammeln von Militärgegenständen von der alliierten Landung und aus den Zweiten Weltkrieg begann wahrscheinlich schon kurz nach Kriegsende. Viele Bewohner der Region zogen, mit Metalldetektoren bestückt, auf die Felder, suchten nach Militärgegenständen und erlebten spektakuläre Funde. Die ‚Beute‘ wurde im Wohnhaus oder in Scheunen untergebracht. Es waren alle Sammler […] jeder sagte: Ich habe ein Museum, ich habe ein Museum. Und noch heute eröffnen sich hinter so mancher unscheinbaren Haustüre wahre Schatzkammern: In einem Keller liegt beispielsweise die Frontpartie eines Lastenseglers aufgebahrt und die ehemalige Waschküche wurde ausgebaut und zu einem reich 286
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bestückten Raritätenkabinett umfunktioniert. Das Sortiment reicht von 60 Jahre alten Zahnbürsten, Kaugummis, Scheren und Arzneimitteln über Uniformen, Gasmasken und Granaten bis hin zu Jeeps und Krankenwagen. Die Geschichte in den Händen zu halten, ist nach Aussagen vieler Sammler – oder wie sich selbst betrachten: Konservatoren – für das Verständnis der Geschichte viel besser, als lediglich darüber zu lesen oder zu sprechen (CARLINSKY 1996: 226). Zudem kommen, einem Ritual gleich, auch viele Sammler von Militärgegenständen extra in die Normandie gereist, um auf den anlässlich der Gedenkrituale stattfindenden Militärbörsen möglichst günstig einzukaufen oder Objekte tauschen zu können. Auch das Nachspielen von Todesszenen hat in Europa im religiösen Kontext durch die Osterspiele (beispielsweise in Oberammergau) eine lange Tradition (SEATON 1999: 131). Das Re-enactment von historischen Schlachten dagegen gibt es in Europa erst seit einigen Jahrzehnten. An ihm nehmen meist in Vereinen organisierte Sammler von Militärgegenständen teil, die aus ganz Europa anreisen, um vor Ort in nachgebauten Militärcamps für die Dauer der D-Day-Feierlichkeiten zu leben, in Militärkonvois mit historischen Fahrzeugen durch die Gegend zu fahren und/oder die Kampfszenen und Schlachten entweder an den Landungsstränden selbst, oder aber in Befestigungsanlagen nachzuspielen. Wie sich eine Ritualteilnehmerin erinnert, wurden Re-enactments anlässlich der 40-Jahrfeier 1984 zum ersten Mal in nennenswerter Anzahl durchgeführt. In Cherbourg rollte beispielsweise am 4. Juni eine Parade mit rund 300 historischen amerikanischen Militärfahrzeugen durch die Stadt und die Zeitung berichtete über die perfekte Nachahmung (o. V. 1984d: 1). Die Zuschauer waren begeistert, als sie die auf den Fahrzeugen thronenden und die amerikanischen Befreier imitierenden Sammler sahen, und fühlten sich in das Jahr 1944 versetzt (o. V. 1994e: 5). „In einem Konzert aus Sirenen, Hupen und Schreien haben die Soldaten die in der Erinnerung verbliebene Geste wiederholt: der den Franzosen zugeworfene Kaugummi […]“ (o. V. 1994e: 5). Eine ähnliche Parade gab es auch in Bayeux, während der die auf den Fahrzeugen stehenden Sammler das Victory-Zeichen mit ihren Händen formten. Fünf Jahre später fand eine Parade von 6.000 Sammlern mit rund 2.000 Militärfahrzeugen statt, die sechs Camps in Bayeux errichtet hatten und den Ort vorübergehend in eine Garnisonsstadt verwandelten (o. V. 1989: 11). In den Folgejahren entwickelten sich die Feierlichkeiten um den 6. Juni für die Militaria-Sammler und Re-enactor zu einer festen und sich perfektionierenden Institution, und manchmal sind sich die Zuschauer nicht mehr sicher, ob sie die echten oder die imitierenden Befreier vor Augen haben. Anzutreffen sind sie vor allem im amerikanischen und weniger 287
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im britischen Sektor. Der Boden für die Militärlager wird ihnen häufig von den Kommunen zur Verfügung gestellt. Im Jahr 2004 wurde zum Beispiel von sechs Vereinen – zu Ehren eines amerikanischen Sanitäters –das Camp Cecil Breeden in Vierville aufgebaut. Das Leben im Camp soll so ‚authentisch‘ und ‚original‘ wie möglich ablaufen. Die Reenactment-Darsteller tragen historische Uniformen und den gleichen Haarschnitt wie die Soldaten in den 1940er Jahren, schlafen auf den Feldbetten der damaligen Zeit, entfernen die Aufkleber von Essenskonserven, bevor sie sie mit ins Lager bringen, gehen um 22 Uhr mit dem Zapfenstreich zu Bett, dürfen nachts das Lager nicht verlassen und müssen es abwechselnd bewachen. Den Bewohnern des Militärcamps ging es nicht darum, Krieg zu spielen oder in einer anderen Epoche zu leben. Sie wollten die Geschichte lebendig präsentieren und dadurch einen Beitrag leisten, Kriege in Zukunft zu verhindern. Wenn es einmal keine Zeitzeugen mehr gibt, möchten sie den Besuchern zeigen, wie sich die Lebensbedingungen in den Kriegszeiten darstellten. Ein weiterer Grund für die Teilnahme an historischen Militärcamps ist das Gruppen- und Kameradschaftsgefühl unter den ‚Soldaten‘. Die Nachstellungen von Schlachten am Strand oder in Befestigungsanlagen finden in der Normandie – entgegen ihren Vorbildern in den USA – ohne offizielles Publikum statt. Lediglich Eingeweihte und Passanten, die zufällig vorbei kommen, beobachten als Zuschauer die nachgestellten Kampfhandlungen. Als Darsteller treten Militärsammler auf und ihre getragene Uniform bestimmt zunächst maßgeblich die Rolle, in die sie schlüpfen. Am Strand werden verbotenerweise Stellungen ausgehoben und mittels Pyrotechnik für entsprechende Detonationen und Geräuschkulissen gesorgt. Bei den Befestigungsanlagen müssen weniger Vorbereitungen getroffen werden. Im Jahr 2004 wurde beispielsweise bei Saint-Marcouf in der Anwesenheit von rund 40 Leuten für eine halbe Stunde die Eroberung der Verteidigungsanlagen nachgespielt. Wir haben gestern so Reenactment-Gruppen gesehen. […] [die hatten] original Maschinengewehre mit Platzpatronen, alles. […] Man konnte es nicht so richtig nachvollziehen, die sind ein bisschen hektisch durchs Bild gelaufen. Amerikaner, Deutsche. Die Reaktionen der Zuschauer waren unterschiedlich. Teilweise applaudierten sie, teilweise wurde die mangelhafte akustische Umsetzung der 130-Millimeter-Geschütze kritisiert. Eine weitere Möglichkeit, sich mit der Geschichte aktiv auseinanderzusetzen, stellt das Nachlaufen von historischen Strecken dar, wie es beispielsweise im Jahr 2003 von Sainte-Marie-du-Mont nach Sainte-Mère-Eglise stattgefunden hat. Die Teilnehmer müssen die vorgegebene Distanz in entsprechendem Schuhwerk, mit Marschgepäck und ohne moderne Hilfsmittel zurücklegen, um möglichst gut die körperliche Anstrengung 288
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der D-Day-Soldaten nachvollziehen zu können. Ebenso das Fallschirmspringen der Veteranen in den 1960er Jahren kann als eine Art des Reenactments bezeichnet werden, auch wenn hieran nur ein relativ kleiner Personenkreis teilnahm und auch kein Wert auf historische Artefakte gelegt wurde. Die Reaktionen auf die Re-enactments sind sehr unterschiedlich. Einige Zuschauer finden es faszinierend, spektakulär und interessant, die historischen Jeeps, Zelte und Uniformen zu sehen. Die Veteranen sind gegenüber den Darstellern häufig wertneutral eingestellt, betrachten das Re-enactment als eine Form der Unterhaltung oder nehmen es sogar als Kompliment: Sie spielen Soldaten. Nun, zuerst war es verwirrend. Und dann habe ich verstanden: Sie imitieren uns. Ich werde es als Kompliment auffassen. Nicht so positiv bewerten es viele Anwohner der Region. Obwohl die Geschichtsbegeisterten schon wiederholt beim Landungskomitee um Erlaubnis für die Teilnahme ihres Militärkonvois an den offiziellen Zeremonien gebeten haben, wurde ihnen der Wunsch bislang nicht erfüllt. Eine grundlegende Kritik betrifft die vermessene Annahme, man könne die Gefühle der D-Day-Soldaten durch das Tragen von Uniformen und Fahren von Jeeps nachempfinden. Stattdessen handele es sich in den Augen einiger Anwohner um eine Art unseriöse Folklore, die zudem überflüssig und unnötig sei. Nicht nur unangemessen, sondern auch fast schon beleidigend sei zudem die Tatsache, dass sich die Darsteller der Militärkonvois wie die Befreier selbst feiern lassen, was auch kritische Bemerkungen der Veteranen nach sich zieht. Der einem Ritual gleichende Besuch der Geschichtsinteressierten und Militärbegeisterten in den zahlreichen Geschichts-, Kriegs- oder Friedensmuseen in der Region wird ebenfalls zu einer Reise in die Geschichte. Die in ihnen ausgestellten Artefakte ermöglichen die Vermittlung zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Diese Funktion übernimmt im Memorial von Caen für lange Strecken die Szenographie, die eine emotionale Beteiligung des Besuchers erzeugt und zu einem Nacherleben der Vergangenheit verhelfen möchte. Dass dies gelingt, kann im Besucherbuch nachgelesen werden: Ein sehenswertes Museum und eine neue Art, Geschichte erlebbar zu machen, beurteilte ein französischer Besucher am 08.07.1988. Oder, wie einige Jahre später am 02.06.1996 geschrieben steht: Es ist ein Ort des Nachdenkens und der Meditation … man verlässt es als veränderte Person.
2.4.2 Historische Artefakte Die Konstruktion von historischen Räumen basiert auf historischen Artefakten, die zugleich politische und sakrale Symbole sein können (z. B. alte Nationalfahnen, Frontbibeln der Soldaten, Anhänger in Kreuzform). 289
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Egal ob aktiv im Re-enactment eingesetzt, in Museen ausgestellt oder in privaten Wohnhäusern verwahrt, die Objekte sind für den Betrachter Vehikel für die Fahrt in die Geschichte und ermöglichen ihm eine starke Verbindung mit der Vergangenheit. Letztendlich habe ich mir einen dieser Overalls [der Fallschirmjäger] gekauft. […] Ich versuche an [die Veteranen] zu denken und dann gehe ich allein auf diese Felder und bin dort und denke nur darüber nach, was dort passiert ist. Wie sich […] [mein Vater] gefühlt hat und wie sich die anderen Männer gefühlt haben. Was passiert ist. Doch öffnen die Objekte und das Wissen über sie nicht nur eine Türe in die Geschichte und Vergangenheit, auch die Tore der Gemeinschaft der Re-enactment-Darsteller und Sammler werden durch sie geöffnet. Ich habe eine Uniform halt mitgenommen, mit Gamaschen und allem drum und dran. Und aufgrund dieser Uniform, weil ich sie ja oft trug, am Strand, gerade unten in Colleville, konnte ich überall mitfahren. Also es hielten Leute an, die haben gewunken, oder wenn ich halt jemanden fragte. […] Wie gesagt, weil ich auch dementsprechend gekleidet war, es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich richtig gekleidet war. Je detaillierter die Kenntnisse und je ‚authentischer‘ die historischen Artefakte, desto besser ist es dem Besitzer möglich, der Geschichte Leben einzuhauchen, und desto mehr Anerkennung und Aufmerksamkeit erfährt er.
2.4.3 Historische Räume des Wissens Das Sammeln von historischen Gegenständen als Voraussetzung für das Re-enactment sowie das Nachstellen des Frontalltages, der langen und anstrengenden Märsche, der Schlachten und der Siegesprozessionen durch die Städte der Region sind für die Teilnehmer vergleichbar mit einem Kult (FONLUPT 2004: 13). Sie stellen eine weitere Art und Weise der Konfrontation mit der Geschichte dar, die allerdings entgegen sonstiger Kulthandlungen nicht über die Dimension des Glaubens, sondern maßgeblich über die Ebene des Wissens verläuft. Die historischen Rituale sind nicht in die offiziellen oder kommunalen Gedenkrituale integriert und verlaufen weitgehend parallel zu ihnen. Allerdings nehmen einige Re-enactment-Darsteller als Zuschauer an kommunalen Zeremonien teil – vor allem wenn sie die Möglichkeit sehen, sich mit ihren Vorbildern zu unterhalten. Die Teilnehmer an den Re-enactments benötigen für das Gelingen ihrer Inszenierungen nicht immer Zuschauer. Notwendig sind diese für die Militärkonvois bzw. -prozessionen durch die befreiten Kommunen, die davon leben, dass begeisterte Zuschauer den Weg säumen und den ‚Befreiern‘ zuwinken. Anders stellt sich die Situation bei der Nachstellung von Schlachten dar, die eher – wahrscheinlich aufgrund von rechtlichen Schwierigkeiten – 290
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informell verlaufen und einen kleineren Zuschauerkreis umfassen. Die errichteten Militärlager sind zu bestimmten Zeiten für Besucher geöffnet und gleichen einem Freiluftmuseum, in dem sich die Besucher über die damaligen Lebensumstände in Gesprächen mit den Darstellern informieren können. Die lauteste Kritik an den Re-enactments richtete sich bei vielen Befragten gegen die Befreiungsprozessionen, da bei diesen Inszenierungen die Darsteller den nur den Veteranen selbst zustehenden Dank der Anwohner und die ihnen erwiesene Ehrung für sich beanspruchen. Die Nachstellungen der Schlachten hingegen bleiben unkritisiert, da sie vielen Ritualteilnehmern aufgrund ihres informellen Charakters nicht bekannt sind. Ein markanter Unterschied zu den anderen Gedenkritualen besteht darin, dass sie nicht an Gedenkmonumenten oder auf Friedhöfen stattfinden, sondern entweder an den Orten des D-Days selbst (Strände, Befestigungsanlagen), auf ihnen zugewiesenen Grünflächen im Hinterland der Strände oder auf den Hauptstraßen der Kommunen. Je unangetasteter, je ‚authentischer‘ der Ort – gerade für das Nachstellen der Schlachtenszenen – desto vollkommener verläuft die Historisierung des Gedenkens bzw. der Kriegsschauplätze. Und nicht minder groß ist seine Aura, die bei manchem Re-enactment-Darsteller ein Aufstellen der Haare bewirkt: Dann ist man am Widerstandsnest 62 […]. Und es ist auch von der Landschaft her beeindruckend. […] Und wenn man da sich dann mal hinsetzt, gerade gegen Abend, wenn es ein bisschen ruhiger ist, bei diesen Bunkerstellungen, wo die Leute auch gesessen haben, man guckt dann runter auf den Strand, da kriegt man schon so Haarsträuben.
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VI
Z USAMMENFASSENDE D ISKUSSION DER F ALLBEISPIELE: G EDENKEN AN DIE S CHLACHT VON V ERDUN UND DEN D-D AY
Die Kriegsschauplätze der Schlacht um Verdun und der alliierten Landung am D-Day in der Normandie sind heute Orte des Gedenkens, an denen durch die rituellen Handlungen der Menschen Gedenkräume, politische Räume der Ideologie, sakrale Räume des Glaubens und historische Räume des Wissens entstehen. Die in den beiden Fallbeispielen dargestellten ehemaligen Schlachtfelder waren nicht nur Austragungsorte völlig verschiedener Weltkriegsschlachten, auch ihr Ausmaß und ihre Lage unterscheiden sich grundlegend voneinander. Während sich die Zone Rouge in Verdun auf ein relativ überschaubares und zusammenhängendes Gebiet beschränkt, hinter dem die anderen Schlachtfelder des Departements Maas in der öffentlichen Perzeption an Bedeutung verlieren, gliedern sich die Landungsstrände der Normandie in sechs relativ gleichberechtigt nebeneinander bestehende Bereiche, wobei der amerikanische Sektor häufig als bedeutsamer wahrgenommen wird. Eine herausragende Besonderheit Verduns stellt neben dem Beinhaus von Douaumont die bis heute nicht besiedelte und lediglich extensiv als Forst bewirtschaftete Zone Rouge dar. In der Normandie liegen solche der Nutzung weitgehend entzogenen Bereiche über den ganzen Küstenabschnitt verstreut, sind von relativ geringer Größe und nicht wie in Verdun durch markante Schilder in Signalfarben ausgewiesen. Auch das Beinhaus findet in seiner Funktion und Bedeutung in der Normandie kein Pendant. Allein schon aus diesen Gründen werden die ehemaligen Schlachtfelder der Maas und der Unteren Normandie von den Besuchern unterschiedlich wahrgenommen.
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RITUALE MACHEN RÄUME
Seit Kriegsende hat die Gestaltung der Gedenkstätten durch Monumente, Museen und Friedhöfe verschiedenen Akteuren unterlegen, deren Strategien und Sinnzuschreibungen das Gedenken bis heute beeinflussen. Nicht selten liegen sie im Wettstreit um die Deutungshoheit der Vergangenheit und Einflussnahme auf aktuelle Entwicklungen. In Verdun sind staatliche Institutionen wie das Forstamt und das Verteidigungsministerium sowie private Institutionen wie der Nationalverband zum Gedenken der Schlacht von Verdun und dem Erhalt seiner Gedenkorte für pflegerische Maßnahmen in der Zone Rouge zuständig. Um den Erhalt der Soldatenfriedhöfe kümmern sich das Ministerium für Veteranen und Kriegsopfer, das Amerikanische Amt für Kriegerdenkmäler und private Verbände wie der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Zudem gibt es in den einzelnen Sektoren wie Saint-Mihiel oder dem Argonnerwald weitere Interessenverbände, die sich den Erhalt und Schutz von Gedenkstätten zur Aufgabe gemacht haben. Eine Sonderstellung hat der Gemeindeausschuss der Zerstörten Dörfer inne, da es sich hierbei nicht um einen Verein, sondern um eine ernannte oder gewählte Institution handelt, die sich der Zerstörten Dörfer annimmt. Zwei weitere wichtige Akteure sind der Nationalausschuss zur Erinnerung an Verdun und das Beinhaus-Komitee, denen die Führung und Instandhaltung des Memorials und Beinhauses unterliegen. In der Normandie treten staatliche Institutionen zum Schutz und zur Pflege bestimmter Küstenabschnitte nur in ausgewiesenen Teilbereichen der Landungszone auf. Die restlichen Strandabschnitte und das daran angrenzende Hinterland sind überwiegend in kommunalem Besitz. Das Amerikanische Amt für Kriegerdenkmäler, das Kriegsgräberamt des Commonwealth und das Ministerium für Veteranen und Kriegsopfer pflegen die französischen und alliierten Soldatenfriedhöfe. Die deutschen Friedhöfe werden vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge unterhalten. Als weiterer wichtiger Akteur auf den Landungsstränden tritt das Landungskomitee auf, das verschiedene Museen führt (darunter hinsichtlich der Besucherzahlen das zweitstärkste Museum der Region in Arromanches) sowie Monumente, Gedenktafeln und Stelen errichtet. Zudem gibt es zahlreiche Kommunen, Interessenverbände oder Privatpersonen, welche die weiteren Museen der Landungszonen führen. Eine besondere Bedeutung unter ihnen hat das Leitungsorgan des Memorials von Caen aufgrund der hohen Besucherzahlen. Zusammenfassend fällt auf, dass in der Normandie im Vergleich zu Verdun zwar heute ebenfalls viele einflussreiche Akteure vorhanden sind, diese sich jedoch hinsichtlich ihrer Organisationsstruktur und Zusammenarbeit deutlich voneinander unterscheiden. In der Normandie sind die Akteure überwiegend in einem Dachverband organisiert und stimmen ihre Angebote sowie strategischen Handlungen 294
ZUSAMMENFASSENDE DISKUSSION DER FALLBEISPIELE
zumindest grob aufeinander ab. In Verdun dagegen konkurrieren sie in weitaus stärkerem Maße um ihren Einfluss, so dass teilweise von einem ‚Kulturkrieg um das Erinnern‘ gesprochen wird. Die Besucher der Kriegsschauplätze können in Anwohner, Touristen und Ritualteilnehmer unterschieden werden. Anwohner kommen entweder auf die Schlachtfelder aufgrund eines Besuches ortsfremder Freunde und Bekannte oder anlässlich der Gedenkrituale. Touristen können im Hinblick auf ihre Reiseart in Gruppen- und Individualreisende unterschieden werden. In Verdun besuchen in Form von Gruppenfahrten vor allem Schüler, Rentner und Militärangehörige die Schlachtfelder, in der Normandie kommen zusätzlich Kreuzfahrttouristen, Kongressteilnehmer und zahlreiche Reisegruppen aus den am Krieg beteiligten Ländern an die Landungsstrände. Individuell reisen viele Touristen nach Verdun und an die Landungsstrände der Normandie, die in der Region Urlaub machen oder sich auf der Durchfahrt zu ihrem Reiseziel befinden. Doch sind die beiden Kriegsschauplätze nicht nur ein Zwischenstopp oder ein Etappenziel: Sie spielen eine bedeutende Rolle als eigenständige Tourismusdestinationen von Urlaubern, die häufig im Familienverbund reisen. Dies zeigt sich beispielsweise an den hohen Besuchszahlen ausgewählter Gedenkorte, die im Falle Verduns bei schätzungsweise jährlich rund 500.000 und in der Normandie bei durchschnittlich ca. 2,5 Mio. Touristen liegen. Je länger das jeweilige Kriegsereignis zurückliegt, desto weniger kommen die Touristen des Gedenkens an die Kriege und der Toten wegen, sondern maßgeblich aus Interesse an Geschichte und Bildung. Analog hierzu nehmen sie die Schlachtfelder immer seltener als Ort der Trauer als vielmehr als Ort der Geschichte wahr, weshalb eine pädagogisch ansprechende Präsentation der Geschehnisse immer wichtiger wird. In der Konfrontation mit den historischen Geschehnissen an den Gedenk- und Mahnstätten der großen Militäraktionen fühlen sie sich oft bedrückt, beeindruckt, nachdenklich und im Falle der Normandie auch dankbar für die Befreiung vom Nationalsozialismus. Die Ritualteilnehmer stellen die dritte das Schlachtfeld aufsuchende Personengruppe dar. Diese nimmt seit kurz nach Kriegsende an Ritualen des Gedenkens teil, die anlässlich eines festgelegten Datums stattfinden und sich entweder an herausragenden Ereignissen oder an den Militäraktionen selbst orientieren. Je nach Fallbeispiel setzen sich die Ritualteilnehmer aus unterschiedlichen Personengruppen zusammen. In Verdun sind es inzwischen überwiegend Mitglieder von patriotischen Vereinen (Ceux de Verdun, On ne passe pas, der Föderation Maginot, der Nationalen Föderation der Kinder der für Frankreich Gefallenen), die häufig Nachfahren der Verdun-Soldaten umfassen, sowie Angehörige von Regimentverbänden (Sidi Brahim), Politiker auf lokalem, regionalem und 295
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nationalem Niveau bzw. Militärangehörige sowie eine geringe Anzahl von Bewohnern und Touristen. Heute sind keine Verdun-Veteranen mehr bei den Zeremonien anwesend. Anders in der Normandie: Dorthin kommen zwar auch Amtsträger auf politischer und militärischer Ebene, patriotische oder gedenkende Vereinigungen (wie die Fleurs de la Mémoire oder die Amis des Vétérans Américains), Regimentgruppen oder das Leitungsgremium des Landungskomitees, doch nehmen in großem Umfang noch Veteranen und deren Familien und Nachkommen sowie Hobby-Historiker, Sammler und Re-enactment-Anhänger an den Festivitäten teil. Zudem ist die Zahl der anwesenden Anwohner und Touristen weitaus höher als in Verdun. Die im Vergleich zur Normandie geringeren Teilnehmerzahlen in Verdun sind maßgeblich auf zwei Faktoren zurückzuführen, die dazu beitragen, dass viele Personen die Sinnhaftigkeit der Gedenkrituale in Frage stellen: die größere zeitliche Entfernung zum historischen Ereignis und die inzwischen verstorbenen Veteranen. Aus diesem Grund ist es meines Erachtens notwendig, das Gedenken an die vergangenen historischen Geschehnisse mit einer auch noch zukünftig bedeutsamen und als wichtig erachteten Botschaft zu füllen. In Hinblick auf die unterschiedlichen Ritualtypen und Grundformen der Ritualtheorie fällt auf, dass sich die untersuchten Gedenkrituale ehemaliger Weltkriegsschlachten nicht in eine Kategorie einordnen lassen. Zwar zum Teil – anlehnend an BELL (1997) – als kalendarische und erinnernde Rituale des Gedenkens intendiert, bestehen die offiziellen Zeremonien aus religiösen, politischen und militärischen Riten des Gedenkens. Hierunter fallen Gedenkmessen zur Eröffnung des Gedenktages, prozessionsartige Umzüge, Kranzniederlegungen mit Totensignal, Schweigeminute und Nationalhymne(n) an verschiedenen Monumenten bzw. Friedhöfen, Ansprachen von Militärs, Politikern oder Organisatoren sowie militärische Aufmärsche und Empfänge mit Umtrunk oder Bankett. Die kommunalen Zeremonien in der Normandie bestehen meist – eingebettet in ein unterhaltendes Rahmenprogramm – aus Kranzniederlegungen mit anschließendem Ehrentrunk. Sportliche Gedenkrituale umfassen Wanderungen und Marathonläufe, die jeweils unter einem bestimmten mit den Militäraktionen in Verbindung stehenden Motto angekündigt werden. Historische öffentliche Rituale wie Re-enactments finden in nennenswertem Umfang lediglich in der Normandie statt, historische private Rituale wie Museumsbesuche sind an beiden Gedenkorten weit verbreitet. Die Organisation der offiziellen Zeremonien erfolgt einerseits im Fall von Verdun durch die Stadt in Zusammenarbeit mit einem patriotischen Verein und in der Normandie von dem hierfür von der Regierung ins Leben gerufenen Landungskomitee. Zudem veranstaltet 296
ZUSAMMENFASSENDE DISKUSSION DER FALLBEISPIELE
fast jede Kommune eine Befreiungszeremonie in der Landungszone. In beiden Fällen gibt es zudem sportliche Gedenkrituale, die von privaten Vereinen und Organisationen getragen werden. Die untersuchten Gedenkrituale bewegen sich in BERGESENS (1998) Verständnis zwischen Meso- und Makroritualen. Das gemeinsame Ausführen von Gedenkgesten und das Teilen von Emotionen – hervorgerufen maßgeblich durch die Anlehnung an Mythen und die Verwendung von Symbolen – bewirken, dass die sozialen Funktionen des Gedenkens verstärkt werden. Sie betreffen sowohl die gemeinschaftliche als auch die individuelle Ebene. Gedenkrituale ermöglichen durch ihre regelmäßige Wiederkehr die Wiederbelebung von Elementen des kollektiven Gedächtnisses sowie die Weitergabe von Wissen, das die Reproduktion der kulturellen Identität sichert. Sie ermöglichen es den Individuen, sich mit den vermittelten Werten zu identifizieren und tragen so zur Synchronisierung von Subjekten sowie zur Stiftung von Ordnung bei. Wichtig ist zudem ihre Rolle in der Herausbildung eines Gemeinschaftsgefühls, das vor allem durch das Teilen gemeinsamer Erfahrungen während der Zeremonien gestärkt wird. Sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf individueller Ebene befördern Rituale die Aufarbeitung von individuellen und kollektiven Kriegstraumata und ermöglichen es so, die Vergangenheit für den Einzelnen erträglich zu machen und Trost zu spenden. Zudem bieten sie auf individueller Ebene dem Menschen einerseits eine Möglichkeit zur Selbstbesinnung, andererseits aber auch zur Aufhebung bestehender Alltagszwänge und zur Flucht aus ihren individuellen Realitäten. All diese auf die Vergangenheit und Gegenwart bezogenen sozialen Funktionen werden durch die pros-pektive Möglichkeit eines moralischen und pädagogischen Lernens für die Zukunft vervollständigt. Durch das rituelle Gedenken an die Schlacht von Verdun und den D-Day entstehen, wie in den zwei vorherigen Kapiteln gezeigt, an den ehemaligen Schlachtfeldern Räume des Gedenkens. Sowohl bei der Schlacht von Verdun als auch der alliierten Landung in der Normandie ist die Konstruktion der Gedenkräume durch das trauernd-erinnernde, das national-patriotische, das versöhnend-vereinigende und das historisch-pädagogische Gedenken beeinflusst. Allerdings fällt hinsichtlich der Normandie auf, dass das national-patriotische Gedenken hier schwächer ausgeprägt ist als in Verdun und überwiegend im amerikanischen Sektor auftritt. Auch setzte das historisch-pädagogische Gedenken schon wesentlich früher ein als in Verdun. Gründe hierfür könnten nicht nur die geringere französische Beteiligung an der alliierten Landung und die Kooperation der Franzosen mit den Nationalsozialisten im Zweiten
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Weltkrieg sein, sondern auch die zeitnah nach Ende des Zweiten Weltkrieges einsetzende Konstruktion Europas als politisch dominierende neue Raumabstraktion. Neben der offensichtlichen Intention der Rituale, der Toten und der Schlachten zu gedenken, sind andere implizite Sinnzuschreibungen mit dem Gedenken verbunden. Ihren Ausdruck finden sie in politischen, religiösen und historischen Riten, durch die politische, sakrale und historische Räume konstruiert werden. Allerdings erlangen die Raumkonstruktionen je nach Intention und Ausrichtung der Feierlichkeiten eine unterschiedlich stark ausgeprägte Bedeutung für die Handelnden. Die Konstruktion von politischen Räumen der Ideologie erfolgt vor dem Hintergrund politischer Mythen und Symbole durch nonverbale und verbale politische Riten. Sie sind ebenso wie Gedenkrituale integrierend und sinnstiftend. Beide bewirken die Integration von Werten und Individuen sowie die Erzeugung einer Gemeinschaft (siehe Kapitel II/4.2.1 ‚Die Neo-Durkheimsche Schule – eine kritische Perspektive‘). Zudem sind sie dem Menschen bei seiner moralischen Orientierung behilflich und dienen ihm dabei, Ordnung und Sinn in seinem Leben zu stiften. Ein wichtiger Unterschied zu Gedenkritualen liegt darin, dass politische Rituale bestehende oder angestrebte Machtverhältnisse legitimieren sowie zur Durchsetzung politischer Absichten manipulierend eingesetzt werden. Die Manipulation kann deswegen relativ einfach erfolgen, da in Bezugnahme auf Mythen und durch die Kombination von Symbolen mit formalisierten Handlungen eine emotionale Beteiligung erzielt wird, die dazu führt, dass im Ritual vermittelte Botschaften kaum hinterfragt werden. Infolgedessen können als Gedenkzeremonien intendierte politische Rituale zur Rechtfertigung vergangener, aktueller und zukünftiger politischer Verhaltens- und Vorgehensweisen sowie als Herrschaftsinstrument herangezogen werden. In Verdun stellen die nonverbalen politischen Riten eine Ehrerweisung an die Stadt, die gefallenen oder überlebenden bzw. vermissten oder identifizierten Soldaten oder an das Militär dar. Die verbalen politischen Riten thematisieren innenpolitische Probleme wie den Wiederaufbau, die Kriegsverluste, die wirtschaftlichen und sozialen Unruhen sowie nach dem Zweiten Weltkrieg den Umgang mit der Vichy-Vergangenheit. In der Normandie drücken die Akteure in den nonverbalen Gedenkgesten die Anerkennung der beteiligten Amtsträger, der Soldaten bzw. Veteranen und Nationen aus. Die innenpolitischen Themen ähneln jenen der Gedenkrituale in Verdun (Wiederaufbau, Umgang mit der Vichy-Vergangenheit), wobei die Rolle des französischen Widerstandes eine größere Bedeutung hat. In der Normandie verwenden im Gegensatz zu Verdun auch andere alliierte Länder die Rituale zur Legitimierung ihrer Macht. Die außenpoliti298
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schen Themen kreisen in chronologischer Reihenfolge in Verdun um Reparationszahlungen, die Vormachtstellung der UdSSR und die vom Ostblock ausgehende Gefahr, den Algerienkrieg, den mit dem nationalen Mythos Frankreichs verbundenen zivilisatorischen Auftrag in einer neuen Weltordnung bzw. für die Weltpolitik sowie die deutsch-französische Versöhnung und die Konstruktion Europas. In der Normandie geht es maßgeblich um die Bündnispolitik der Alliierten gegen eine als gefährlich eingestufte Bedrohung, die Abrüstungspolitik am Ende des Kalten Krieges, die deutsch-französische Freundschaft, die Konstruktion Europas und schließlich die amerikanisch-französische Freundschaft. Bei den politischen Riten zeigt sich besonders deutlich, dass das Gedenken immer ein Spiegelbild von bestimmten Geschichtsinterpretationen darstellt. Die die Gedenkhoheit innehabenden Gruppen heben gewisse Ereignisse oder Personen hervor, während sie andere verschweigen. Dies zeigt sich in beiden Fallbeispielen. Während sich das Gedenken an den Ersten Weltkrieg in Frankreich auf eine einende Person stützt – den ‚gerechten‘ Weltkriegssoldaten, den Poilu – schwingt aus französischer Perspektive beim Gedenken an den Zweiten Weltkrieg immer die Gefahr mit, an den Treuebruch und die Schande des Vichy-Regimes erinnert zu werden (BACHELIER 1986: 63). Dies ist jedoch in der Normandie aufgrund der internationalen Dimension der Militäraktion und der Involvierung des Kommando Kieffers und der im Ritual gedachten Widerstandskämpfer weniger der Fall. Stattdessen wird das Gedenken auf die Rolle der Alliierten und die positiven Aspekte der französischen Vergangenheit gelenkt. Auch hinsichtlich der politischen Mythen, die den Ritualen zugrunde liegen und die immer wieder in ihnen transportiert werden, unterscheiden sich die beiden Fallbeispiele. Bei Verdun handelt es sich maßgeblich um den Mythos der Grande Nation Frankreichs, in der Normandie ist dieser Mythos schon verblasst und vom amerikanischen Mythos des ‚best war ever‘ überlagert. Statt dem Vaterland wird in der Normandie die Freiheit verteidigt. Entsprechend verschieden ist auch die Symbolik. Verdun selbst steht in Frankreich für ganz unterschiedliche Dinge: Patriotismus, Mut und Tapferkeit, die Unsterblichkeit des Landes sowie auf europäischer Ebene ebenso für die fortwährende Möglichkeit zur Versöhnung und Freundschaft ehemals verfeindeter Nationen, aber auch für einen mörderischen und sinnlosen Krieg. Im Vergleich zu Verdun stellt die Normandie keine eigenständige Metapher dar und erhält ihre Symbolkraft hauptsächlich durch die Militäraktion selbst: Auf französischer Seite steht der D-Day in der Normandie maßgeblich für den Widerstand gegen die nationalsozialistische Okkupation und auf Seiten der Alliierten für Mut und Tapferkeit sowie eine gerechte und gute Militäraktion. Zudem ist die Normandie im Laufe der Jahre zu einem Sym299
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bol des Verzeihens und des Lebens geworden sowie mit dem 60. Jahrestag der alliierten Landung zu einem Symbol für das Ende des Zweiten Weltkrieges. Die im Ritual verwendeten politischen Symbole – Nationalfahne und Nationalhymne – gleichen sich in beiden Fallbeispielen, jedoch werden sie in der Normandie aktiver in Szene gesetzt und betreffen nicht nur Frankreich. Die Orte der herausragendsten politischen Rituale sind vor allem jene mit den höchsten Todeszahlen bzw. der erbittertsten Kämpfe: Das Beinhaus Verduns und in der Normandie Omaha Beach mit dem amerikanischen Soldatenfriedhof sowie der Pointe du Hoc. Auch nimmt Bayeux als Zentrum des kämpfenden Frankreichs eine wichtige Position ein. Das verwundert nicht, denn gerade diese Orte werden symbolisch besetzt oder von verschiedenen Akteuren mit Machtansprüchen belegt. So spielen sie als Bühne der Rechtfertigung, Legitimierung und Instrumentalisierung von aktuellen politisch-militärischen Entscheidungen eine Rolle. Denn wo beispielsweise einst Staaten für die Befreiung eines unterdrückten Volkes gekämpft und unter hohen Verlusten gesiegt haben und heute Gedenkrituale politischer Natur stattfinden, ist es für den ehemals unterdrückten Staat (und Organisator der Gedenkrituale) schwierig, in dieser Situation ‚ähnliche‘ Kriege der Befreiung in heutiger Zeit als nicht rechtens zu bewerten. Der Glaube spielt für die Ordnung der Nachkriegswelt sowohl in Verdun als auch in der Normandie eine bedeutende Rolle. Sakrale Riten wie Gedenkmessen sind in die Gedenkzeremonien eingebettet und konstruieren sakrale Räume. Die ehemaligen Kriegsschauplätze können daher auch als Pilger- und Wallfahrtdestinationen für die Veteranen selbst oder deren Nachfahren und Regimentsangehörige verstanden werden. Wichtig im Kontext von sakralen Riten sind der Austausch zwischen einer Gottheit bzw. einer dem Jenseits zugeordneten, verstorbenen Personen und dem Ritualteilnehmer sowie die Entstehung von Liminalität. Die durch die Antistruktur geprägte Liminalität tritt besonders ausgeprägt im Kontext der Pilger- und Wallfahrten zu ehemaligen Kriegsschauplätzen auf. An diesen als sakral erachteten Orten werden die individuellen Beweggründe der Pilgerreisenden (z. B. Verarbeitung von individuellen Kriegstraumata, Treffen mit Freunden) in einen kollektiven Nutzen umgewandelt (z. B. Verarbeitung von gesellschaftlichen Kriegstraumata, Lernen aus der Geschichte). Hinsichtlich der christlichen Symbolik sind die Gedenkorte der Schlacht von Verdun reichhaltiger ausgestattet als die der alliierten Landung in der Normandie. Auffallend ist dort jedoch die Verdichtung religiöser Konnotationen im Memorial von Caen, einem an sich ‚säkularen‘ Interpretationszentrum der Geschichte. Der bedeutendste sakrale Ort auf den Schlachtfeldern von Verdun ist zweifelsohne das Beinhaus. In der Normandie gibt es kein ver300
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gleichbares absolutes Zentrum. Stattdessen existieren vier verschiedene herausragende Orte: Bloody Omaha, die heldenhaft durch die amerikanischen Fallschirmjäger eroberte Stadt Sainte-Mère-Eglise, die von den britischen Luftlandetruppen eingenommene Pegasus Bridge und zumindest ansatzweise das Memorial von Caen. Auffallend ist jedoch, dass im Vergleich zu Verdun dem Boden der Normandie nicht die gleiche Aura zugesprochen wird sowie dass nur wenige mystische Geschichten und Legenden erzählt werden. Das lässt sich dadurch begründen, dass die Landungsstrände der Normandie im Gegensatz zu Verdun heute fast keine sterblichen Überreste der Gefallenen bergen und weite Teile wieder intensiv von Menschen bewirtschaftet und bewohnt werden. Die vor allem von amerikanischen Wissenschaftlern vertretene Argumentationslinie für sakrale Räume – nämlich diejenige, dass sakrale Räume umkämpfte Räume sind und ihre Sakralität an der Intensität der dort auftretenden Konflikte um die Deutungshoheit über die Vergangenheit zwischen den unterschiedlichen Akteuren abzulesen ist – betrifft ebenso besonders Verdun und weniger die Normandie und unterstreicht den herausragenden sakralen Charakter der Schlachtfelder von Verdun. Auch Wissen trägt durch die Konstruktion historischer Räume zur Aufarbeitung des massenhaften Todes bei. Die ehemaligen Kriegsschauplätze dienen als Bühne für die rituelle Re-Inszenierung historischer Schlachten. Die Re-enactments erfüllen die wesentlichen Ritualkriterien. Sie werden mit einer bestimmten Intention (beispielsweise um einen Schlachtentag zu feiern) aufgeführt und regelmäßig, meist zu diesen kalendarischen Anlässen, öffentlich und förmlich wiederholt. Das Frontleben und die Schlacht werden explizit zum Gedenken und in Respekt vor den Taten der Gefallenen und Überlebenden re-inszeniert. Implizit sind sie u. a. ein Ausdruck der zunehmend chaotischer und komplexer werdenden Lebenswelt der Darsteller und Teilnehmer. In ihrer Inszenierung werden viele politische und sakrale Symbole sowie viele bedeutungsgeladene Artefakte verwendet. Teilweise ähneln Handlungsabschnitte religiösen und politisch-militärischen Ritualen. Die Darsteller erfahren während der Re-Inszenierung ein starkes Gruppengefühl und ihr zeitweises ‚Leben in der Vergangenheit‘ stellt eine Anti-Struktur zu ihrer Alltagswelt dar. Voraussetzung für das intensive Erleben der liminalen Phase während der Re-Inszenierung ist ein möglichst detailliertes Wissen über die damaligen Kampfhandlungen. Die historisch inszenierten Rituale des Re-enactments helfen den Teilnehmern, im Zuge ihrer kurzzeitigen Flucht aus der ‚Realität‘, die Komplexität ihrer Lebenswelt zu strukturieren. Somit stiften auch sie Ordnung und helfen bei der Verarbeitung von historischen Schuldgefühlen. Eine weitere Möglichkeit, sich Wissen über die Geschichte anzueignen und sich mit ihr zu kon301
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frontieren, bieten die den entsprechenden Schlachten gewidmeten Geschichtsmuseen. Während ihres als Ritual zu interpretierenden Besuchs, der sich durch eine bestimmte Art der Aufmerksamkeit, des Nachdenkens und Lernens auszeichnet und einen Gegenpol zur täglichen Lebenswelt darstellt, lernen die Interessierten in strukturierter, geordneter und überschaubarer Weise etwas über die Geschichte. Der Besucher passt sein Verhalten und seine Körpersprache den im Museum geltenden Regeln an. Häufig gleicht das Betreten und Durchschreiten des Museumsgebäudes einer rituellen Passage, das mit dem Verlassen des Museums endet. In Verdun erfolgt die Konstruktion historischer Räume maßgeblich durch private Rituale wie Museumsbesuche oder das Sammeln von historischen Gegenständen auf dem Schlachtfeld. Öffentliche Rituale des Re-enactments bzw. Militärparaden in historischen Uniformen gab es anlässlich der Jahrestage bislang nur in einem einzigen Jahr. Eine größere Rolle spielt das rituell erworbene und vermittelte Wissen in der Normandie. Seit ihrem Entstehen in den 1980er Jahren steigt die Teilnehmerzahl an Re-enactment-Darstellungen kontinuierlich an und die Konstruktion von historischen Räumen des Wissens in der Normandie gewinnt eine zunehmend größere Bedeutung. Neben den öffentlichen historischen Ritualen anlässlich der Jahrestage kommen, ebenso wie in Verdun, natürlich auch ganzjährig Menschen in die Normandie, um in privat durchgeführten Ritualen die Museen der Region zu besuchen. Unabhängig von der erzeugten Raumkonstruktion bleibt zusammenfassend festzuhalten, dass die Rituale des Gedenkens über die Kanäle der Politik, des Glaubens und des Wissens eine Möglichkeit für die Nachwelt darstellen, die Geschichte der Weltkriege zu verarbeiten und eine neue Ordnung der Zeit zu implementieren. Auch wenn durch die Gedenkzeremonien der Schlacht von Verdun und des D-Days die gleichen Raumkategorien entstehen: die Konstruktion der politischen Räume der Ideologie, der sakralen Räume des Glaubens und der historischen Räume des Wissens erfolgt durch verschiedene Akteure sowie vor dem Hintergrund unterschiedlicher Sinnzuschreibungen und in differierender Intensität. In Verdun sind sieben Akteursgruppen an den Raumkonstruktionen beteiligt, die im Vollzug der Gedenkriten neben expliziten Sinnzuschreibungen (Gedenken an Krieg und Gefallene) auch implizite Sinnzuschreibungen wie beispielsweise die Legitimierung von Innen- und Außenpolitik bzw. Militäreinsätzen, die Machtdemonstration der Streitkräfte, die persönliche, nationale oder religiöse Anerkennung der Taten und die Aufarbeitung von Geschehnissen vornehmen. Die vorherrschen-
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de Dimension bei der Strukturierung von Ort und Zeit ist in Verdun die Konstruktion sakraler Räume, gefolgt von politischen und historischen Räumen (siehe Abbildung 22). Abbildung 22: Räume des Gedenkens an die Schlacht von Verdun
Die Bedeutung von historischen Räumen ist auffallend gering, was darauf zurückgeführt werden kann, dass sie lediglich über Museumsbesuche konstruiert werden. In der Normandie sind elf Akteursgruppen an den Zeremonien und somit an den Raumkonstruktionen beteiligt. Die impliziten Sinnzuschreibungen der Gedenkrituale der alliierten Landung in der Normandie sind facettenreicher als in Verdun: hinzu kommen Dimensionen wie die Sinnstiftung für begangene Taten, die Reise in eine vergangene Jugend, die Versöhnung mit ehemaligen Feinden und die Danksagung an die Befreier Frankreichs. Dies hängt mit dem erweiterten anwesenden Personenkreis (zusätzlich sind das Landungskomitee, Veteranen und direkte Nachfahren sowie Sammler beteiligt), den Riten des Re-enactments und der Art der Militäraktion zusammen. Die Dimensionen der unterschiedlichen Raumkonstruktionen sind in der Normandie insgesamt relativ ausgeglichen (siehe Abbildung 23). 303
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Abbildung 23: Räume des Gedenkens an die alliierte Landung in der Normandie
Die Konstruktion der politischen Räume der Ideologie ist vor allem durch die internationale Bedeutung der Gedenkzeremonien am stärksten ausgeprägt. Kurz dahinter folgen in ähnlichem Ausmaß sakrale und historische Räume, wobei die Konstruktion sakraler Räume weniger umfassend erfolgt als in Verdun. Dagegen ist die Konstruktion historischer Räume durch die Existenz der Re-enactments bedeutungsvoller als in Verdun. Die schematischen Darstellungen gleichen lediglich Momentaufnahmen, da die Gedenkrituale einem immerwährenden Veränderungsprozess unterliegen. Auch die Zukunft der Feierlichkeiten ist sowohl hinsichtlich der Verdun-Schlacht als auch des D-Days fragwürdig. PROST (1986: 27f) diagnostizierte schon in den 1980er Jahren bei den alljährlich stattfindenden Gedenkritualen aufgrund ihres sinkenden Festcharakters einen relativ niedrigen gesellschaftlichen Status: Wenn abends nicht mehr getanzt und gefeiert würde, so PROST, sei die Existenz und Zukunft der Gedenkzeremonien bedroht. Diese Schlussfolgerung begründete er mit der identitätsstiftenden Rolle der Volksfeste (PROST 1986: 28), die heute allerdings in unseren auf Individualisierung beru304
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henden Gesellschaften überflüssig seien. Dem widerspricht jedoch die grundlegende Funktion von Ritualen, nämlich die zunehmend als komplex wahrgenommene Umwelt zu ordnen und den Menschen zu verorten. Gerade weil die Menschen heute nicht mehr so in ihrer Gesellschaft und Umwelt verankert sind, benötigen sie wieder Rituale. Die zunehmende Nachfrage nach spielerischen Gedenkritualen oder anderen Formen des rituellen Gedenkens, die nicht nur aus formalen Bestandteilen wie Kranzniederlegungen und Ansprachen bestehen, sondern mehr Ritualteilnehmer aktiv einbinden, spricht ebenfalls dafür, dass auch der individualisierte Mensch ein Bedürfnis nach Verortung und Ordnung verspürt. In einer aktiven Involvierung der Ritualteilnehmer liegt die Chance von Riten wie jener der Ablösungszeremonie am und im Beinhaus von Verdun: Statt einer Aufspaltung in Zuschauer und Ausführende nehmen alle Anwesenden – soweit sie keine körperlichen Beschwerden haben – am Fackelmarsch und der Umrundung der Granitgrüfte teil, was die emotionale Vergemeinschaftung erhöht und so zum Fortbestand des Gedenkrituals beiträgt. Damit die Gedenkzeremonien in Zukunft nicht aufgrund mangelnder Teilnahmebereitschaft eingestellt werden, ist es wichtig, dass die heutigen und nachfolgenden Generationen einen Sinn in den historischen Geschehnissen und eine Bedeutung für ihr jetziges und zukünftiges Leben erkennen. Alleine schon aus diesem Grund ist es sinnvoll, dass im rituellen Gedenken die historischen Ereignisse in einen größeren gesellschaftlichen und politisch relevanten Kontext eingebunden werden. Oder wie BARCELLINI (1986: 75) es ausgedrückt hat: Wenn das affektive Gedenken der Zeitzeugen schwindet und nicht durch ein lernendes Gedenken der nachfolgenden Generationen ersetzt wird, ist es dazu verbannt, langsam aus dem gesellschaftlichen Leben zu schwinden.
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VII R I T U A L E
MACHEN
RÄUME
Die jährlich wiederkehrenden und trotz der Änderungen der Schirmherrschaften, der einzelnen Gedenkriten und -orte, der Teilnehmer und der Interpretationsarten als stabil erfahrenen Gedenkzeremonien machen aus den ehemaligen Schlachtfeldern einen rituell besetzten Raum. Neben der expliziten Intention der Rituale, der Toten und Weltkriegsschlachten zu gedenken, enthalten sie zahlreiche politische, religiöse und historische Riten, die von den Ritualteilnehmern mit impliziten Botschaften und Sinnzuschreibungen verbunden werden. Im Zuge des Gedenkens erzeugten so die Nachkriegsgenerationen durch die Strukturierung von Zeit und Ort neben Gedenkräumen politische, sakrale und historische Raumkonstruktionen, die in den Sphären der Ideologie, des Glaubens und des Wissens gründen. Die Kriege wurden durch politische Entscheidungen der entsprechenden Staaten ausgelöst und folglich hat die politisch-nationale Bewältigung des Todes und Sterbens einen hohen Stellenwert bei den Raumkonstruktionen inne. Die Konstruktion von politischen Räumen der Ideologie erfolgt auf der Basis von politischen Mythen und Symbolen. Sie bilden die Grundlage dafür, dass die Geschichte in den Gedenkritualen rückblickend interpretiert sowie politisch instrumentalisiert wird. Die Instrumentalisierung verläuft besonders erfolgreich, da die rituelle Vergemeinschaftung eine emotionale Atmosphäre erzeugt, in der die Teilnehmer die expliziten und impliziten Botschaften leichtfertig akzeptieren. Welche Themen und Personen von wem warum in den Vorder- oder Hintergrund gerückt werden, wird kaum noch hinterfragt. Auffallend ist, dass das zentral im Gedenkritual stehende historische Ereignis von verhältnismäßig geringer Bedeutung ist: Trotz unterschiedlicher Militäraktionen verläuft die Instrumentalisierung ähnlich und betrifft sowohl die Innen- als auch Außenpolitik der am Ritual beteiligten Länder. 307
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Zusätzlich zur Ideologie bietet auch der Glaube an transzendente Kräfte dem Menschen seit jeher Halt. Dies trifft nicht nur auf die Kriegstage selbst zu, sondern auch in den Nachkriegsjahren bieten die Transzendenzerfahrungen und der Glaube an gemeinsame Werte eine Möglichkeit zur Konfliktbewältigung. Dazu werden Gedenkhandlungen und Gedenkorte sakralisiert. Dies erfolgt durch Bedeutungszuschreibungen, religiöse Ritualbestandteile sowie die Verwendung religiöser Symbole. Doch nicht jeder Ort wird in gleichem Maße sakralisiert: Sakralisierung muss als ein dynamischer und infiniter Prozess verstanden werden, der auch Ausprägungen von Desakralisierung und Säkularisierung aufweisen kann. Insofern können verschiedene Orte zu jeweils verschiedenen Zeiten in unterschiedlichem Ausmaß sakralisiert sein. Dass eine Desakralisierung bei den Weltkriegschlachten (noch) nicht feststellbar ist, hängt wahrscheinlich mit der relativ kurzen Zeitspanne zwischen den Kriegen und der Gegenwart sowie einer noch nicht eingesetzten intensiven Folgenutzung der Schlachtfelder zusammen. Wenn somit die Zeitspanne noch nicht so groß ist und eine extensive Nutzung noch ehemalige Schlachtfelder erkennen lässt, werden die Friedhöfe und Gedenkorte in unserem säkularen Zeitalter selbst für aufgeklärte, nichtgläubige Menschen zu Heiligtümern. Dies trifft vor allem auf Orte zu, denen man noch die Narben der Vergangenheit ansieht, und auf Stätten, an denen viele Soldaten gefallen oder begraben sind. Früher pilgerten die Menschen zu Heiligtümern, an denen die Knochen von Heiligen begraben lagen, heute finden sie eine Spiritualität oder religiöse Wirkung durch den Besuch eines Schlachtfeldes oder Friedhofes. Diese Orte vermitteln dem Menschen, dass es – so wie es dem Sinn des Sakralen entspricht – eine höhere Dimension gibt, auf die er sich berufen und verlassen kann. Bei der Ordnung von Zeit und Ort spielt auch das Wissen und damit die historischen Raumkonstruktionen eine wichtige Rolle: Der aufgeklärte Mensch versucht hiermit den Tod rational zu erfassen und zu bewältigen. Der Wissenserwerb während des Museumsbesuches stellt v. a. für Sammler und Hobby-Historiker ein privates Ritual des Gedenkens dar. Im Museum lässt der Besucher seinen Alltag hinter sich und taucht in die geordnet und überschaubar präsentierte Welt der Geschichte ein. Schon allein das Betreten durch den schwellenartigen Eingang sowie der mehr oder minder festgelegte Rundgang durch die Ausstellungsräume des Museums gleichen einer rituellen Passage, die den Besucher in eine besondere Art des Nachdenkens und Lernens versetzt. Zudem dienen die Gedenkstätten und Kriegsschauplätze als Bühne für die Re-Inszenierung historischer Schlachten und des Frontlebens, die anlässlich der Jahrestage stattfinden. Voraussetzung für die Konstruktion historischer Räume
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ist in beiden Fällen neben dem Wissen auch der Zugang zur Geschichte über historische Artefakte. Im Gegensatz zu nicht-rituellen Raumkonstruktionen sind an der Erzeugung von Räumen durch sich jährlich wiederholende und gemeinsam rituell vollzogene Gedenkgesten viele Menschen involviert. Obwohl sie durchaus unterschiedliche Meinungen über die Rituale vertreten können, teilen sie weitgehend die Raumkonstruktionen. Dies hängt damit zusammen, dass Rituale auf Mythen referieren und Symbole integrieren, so dass im Zusammenspiel mit kollektiv durchgeführten Gesten bei den Ritualteilnehmern eine hohe emotionale Beteiligung erfolgt. Die in der liminalen Phase von vielen Menschen geteilte Emotionalität birgt sowohl Potenziale für eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit als auch Gefahren für eine relativ leichte Manipulation der Ritualteilnehmer mit den implizit im Ritual vermittelten Botschaften. Hieran knüpfen die drei den Raumkonstruktionen zugrunde liegenden Sphären der Ideologie, des Glaubens und des Wissens an, die es zusätzlich zum Ritual vermögen, dem durch den kriegerischen Massenmord verunsicherten Menschen das Gefühl von Sicherheit zu verleihen und das Chaos zu ordnen. Sie helfen ihm bei der Aufarbeitung seiner belasteten und traumatischen Vergangenheit: Auf sie kann er sein erschüttertes Vertrauen lenken. Doch allein schon das rituelle Gedenken verleiht dem Menschen einen gefestigten Rhythmus, der ordnend auf sein Leben wirkt. Unabhängig also davon, ob die Gedenkrituale politisierende, sakralisierende oder historisierende Ereignisse sind: Sie stellen einen Bruch zum Alltag dar und strukturieren das Leben. Zugleich sind sie Feste, es wird nicht gearbeitet. Egal ob die Gedenkzeremonien religiös, politisch oder historisch ausgerichtet sind oder lediglich als soziale Angelegenheit wahrgenommen werden: Sie verleihen dem Leben einen Takt, sie verleihen dem Leben einen Rhythmus. Aus diesem Grund erscheint es nicht verwunderlich, dass die ‚klassischen‘ Gedenkrituale langfristig vor allem Menschen ansprechen, die beispielsweise mit der Aufgabe ihres Berufslebens und dem Eintritt in das Rentenalter ihren rhythmusgebenden Faktor des Alltags verloren haben. Aus einer anderen Perspektive gesehen, können die Rituale auch als öffentliche Tranquilizer fungieren, die dazu dienen, die Mitglieder einer Gesellschaft zu beruhigen. Eine Ursache für die stabilisierende, ordnende Wirkung der Gedenkrituale ist das gemeinschaftliche Gedenken der Ritualteilnehmer an Kriege und Tote. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine die gesamten Teilnehmer umfassende Communitas im Sinne TURNERS entsteht. Auch die potenziell transformierende Wirkung der Gedenkrituale auf die Teilnehmer durch den Rückzug aus den alltäglichen zeitlichen und örtlichen Bezügen in eine 309
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andere Welt gemeinsam vollzogener Handlungen sowie das Teilen der vorwiegend in Anlehnung an Mythen und Symbole hervorgerufenen Emotionen trifft nicht auf alle Personen zu. Je nach persönlicher Involvierung in das Geschehen – im Allgemeinen abnehmend vom Kriegsveteranen bis zum mehr oder minder zufällig anwesenden Touristen – handelt es sich beim Gedenkritual um eine den Menschen verändernde und erhöhende oder interessante und gefällige Angelegenheit. Insgesamt basiert die Konstruktion der Räume des Gedenkens darauf, dass die Menschen den jeweiligen Schlachten – beeinflusst durch das kollektive, soziale und kommunikative Gedächtnis – eine herausragende, erinnerungswürdige Bedeutung zumessen, die auf die jeweiligen Kampforte projiziert und von den Besuchern wahrgenommen wird. Die Bedeutungszuschreibungen ändern sich allerdings im Laufe der Jahre und finden ihren Ausdruck in den vollzogenen Ritualen, die wiederum auf sie rückwirken. Die Strukturierung der Gedenkorte und -rituale ist somit ein zirkulärer Prozess, in dem Strukturen nicht nur produziert, sondern auch reproduziert werden. Aus den verschiedenen herausgearbeiteten Phasen des Gedenkens seit Kriegsende – das trauernd-erinnernde, das national-patriotische, das versöhnend-vereinigende und das historisch-pädagogische Gedenken – resultiert im Laufe der Zeit eine Transformation der Gedenkstätten von Räumen der Trauer und Mahnung zu Räumen der Begegnung, Freundschaft und Versöhnung. Direkt nach Kriegsende existierten parallel das trauernd-erinnernde sowie das national-patriotische Gedenken. Das national-patriotische Gedenken bedient sich überwiegend der emotionalen Raumabstraktion des Vaterlandes, das sich über die Abgrenzung zum Fremden, zum Ausland, definiert. Erst wenn die Raumabstraktion ‚Vaterland‘ nicht mehr im Vordergrund des Gedenkens steht oder durch eine andere Raumabstraktion (z. B. durch jene ‚Europas‘) abgelöst wird, kann eine Versöhnung der ehemaligen Kriegsgegner erfolgen.
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VIII E I N P L Ä D O Y E R FÜR DAS RITUELLE
KRIEGSGEDENKEN
In der vorliegenden Studie wurde gezeigt, wie die Strukturierung von Ort und Zeit einen Beitrag dazu leisten konnte, dass gesellschaftliche und individuelle Kriegstraumata im Nachkriegseuropa des 20. Jahrhunderts überwunden werden konnten. Zudem wurde deutlich, dass Rituale Räume machen und Rituale bislang eine kaum beachtete Rolle in der Sozialgeographie spielen. Im Zentrum der Raumkonstruktionen stehen Menschen, die durch Rituale Räume des Gedenkens, politische Räume der Ideologie, sakrale Räume des Glaubens und historische Räume des Wissens erzeugen und sich somit auf Sphären stützen, die neben der strukturierenden Funktion von Ritualen zusätzlich dem Individuum bei der Aufarbeitung von Kriegstraumata helfen. Sie strukturieren sein Dasein und verleihen ihm die Sicherheit eines geordneten Lebens. Zudem vermögen sie es, einen Sinn für das erlebte Leid zu geben und ein Zeichen dafür zu setzen, dass die als grausam empfundene Zeit des Krieges nun beendet ist. Um eine neue Ordnung von Zeit und Ort produzieren zu können, benötigt die Gesellschaft jedoch Gruppen, die das Gedenken lenken und strukturieren. Somit sind die Gedenkzeremonien immer Ausdruck einer selektiven Geschichtsinterpretation aus Sicht der die Gedenkhoheit bestimmenden Gruppen und Institutionen. Häufig handelt es sich dabei auch um staatliche Institutionen, die eine offizielle Geschichtsinterpretation repräsentieren. Einzelne historische Ereignisse und Helden werden hervorgehoben, andere verschwiegen. Aus diesem Grund ist das Gedenken auch jeweils ein Spiegel dessen, was vergessen oder unterdrückt wird. Mit zunehmendem zeitlichem Abstand von den Kriegsjahren wird allerdings der Gegenstand der Erinnerung für die Interpretationen der Geschichte weniger wichtig als der aktuelle Bezug der Ereignisse zur 311
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Gegenwart bzw. Zukunft. Denn auch wenn mit den Veteranen noch lange nicht das Gedenken an die Kriegstage stirbt: Sobald die Gedenkrituale als inhaltsleere, aussagelose Karikaturen ohne Bezug und Relevanz zur Gegenwart verstanden werden, ist ein Ende des rituellen Gedenkens absehbar. Zwar kann argumentiert werden, dass das Kriegsgedenken in Mitteleuropa 60 Jahre nach der Beilegung der letzten Kampfhandlungen bereits seine Aufgabe, die Neuordnung der chaotischen Nachkriegszeit, erfüllt habe und somit obsolet geworden sei. Jedoch vergibt sich damit unsere Gesellschaft die Chance, bestehende Gedenkrituale mit neuen Inhalten und Sinndimensionen zu füllen und sie dann weiterhin zur Identifikationsstiftung für Menschen heranzuziehen, die nicht mehr im gleichen Maße wie noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Gesellschaft und Umwelt verankert sind bzw. sich oftmals von ihrer komplex erscheinenden Lebenswelt überfordert sehen. Aus diesem Grund erscheint es fast schon unabdingbar, die Schlachtfelder Europas als Referenzorte einer neuen Raumabstraktion, nämlich eines geeinigten Europas, mit Bedeutung zu versehen und diese Interpretation der Geschichte in das Kommunikationssystem der Gedenkrituale einfließen zu lassen – so dass auch in Zukunft Gedenkrituale Räume machen und diese Räume weiterhin nicht nur ein Bestandteil der Geschichte Europas, sondern auch seiner Geographie sind.
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DANKSAGUNG Die Studie hätte ohne die Mitwirkung und Kooperation zahlreicher Personen und Institutionen nicht fertig gestellt werden können. An erster Stelle bedanke ich mich bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die nicht nur für die Druckkosten der vorliegenden Arbeit aufkam, sondern mir zudem – durch ein Stipendium im Rahmen des Graduiertenkollegs ‚Raum und Ritual‘ an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz – drei Jahre finanzieller Sicherheit und die Chance zu interdisziplinärem Austausch ermöglichte. Ganz besonders herzlich bedanke ich mich bei Prof. Dr. Anton Escher, der mich schon während meines Studiums förderte und mir im Anschluss daran die Möglichkeit zur Promotion eröffnete. Ohne seine geistige und finanzielle Unterstützung sowie ohne seine konstruktive Kritik und inspirierenden Ideen wäre diese Arbeit mit Sicherheit nicht möglich gewesen. Ebenso möchte ich mich außerordentlich bei Frau Dr. Ute Wardenga und Herrn Prof. Dr. Hans Wißmann bedanken, die als Gutachtende zur Verfügung standen. Die empirischen Studien im Departement Maas und in der Unteren Normandie wären ohne die Hilfe und Unterstützung vieler Personen nicht möglich gewesen. Sie haben mir nicht nur bereitwillig Auskunft gegeben und Archive für mich geöffnet – viele von ihnen haben mich freundschaftlich und schon fast familiär für die Zeit meiner Forschungsaufenthalte aufgenommen. Dies trifft nicht nur auf Jean-Claude Auriol zu, der mir seit dem ersten Moment unserer Begegnung auf dem Parkplatz des Beinhauses zusammen mit Danielle mit Rat und Tat bei meinen Recherchen zur Seite stand, sondern auch auf die anderen Mitglieder von Ceux de Verdun, die Ritualteilnehmer weiterer Vereine und die Akteure auf den Schlachtfeldern. Auch in der Unteren Normandie wurde ich von meinen Interviewpartnern mit offenen Armen aufgenommen und tatkräftig unterstützt. Insbesondere sei hier Liliane Bouillon-Pasquet gedankt, die mir so viel Vertrauen entgegenbrachte, dass sie mir für meine Recherchen den Schlüssel für das Archiv des Landungskomitees überließ. Besonders prägend und bewegend waren natürlich die Gespräche mit Mitgliedern
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der französischen Widerstandsbewegung und den britischen, kanadischen und US-amerikanischen D-Day-Veteranen, die – ebenso wie meine französischen Interviewpartner – verdeutlicht haben, dass alte Feindschaften nicht mehr bestehen. Mein Dank geht natürlich auch an die 20 Studierenden des Geographischen Instituts, die mir bei der Erhebung der quantitativen Daten in Verdun geholfen haben. An der Fertigstellung des Manuskripts haben viele Freunde und Kollegen mitgewirkt. Besonders danken möchte ich Christian Steiner, Christoph Weick, Georg Glasze, Jonas Strecker, Martin Fetzer und Robert Franken, die den Text Korrektur gelesen, die logischen Knoten meines Denkens gelöst, widerspenstige Syntax gezähmt und konstruktive Kritik geäußert haben. Eine große Hilfe waren Anna Pohling, Jenny-Claire Kersting, Matthias Lahr und Sabine Sälzer, die Interviews für mich transkribiert bzw. historische Dokumente und Dias gescannt haben. Ohne die spontane Bereitschaft von Mathias Brunnbauer, mir bei der Auswertung der quantitativen Daten unter die Arme zu greifen, säße ich wahrscheinlich heute noch verzweifelt vor dem Computer. Des Weiteren gilt mein Dank Kathrin Samstag und Karola Schmidt-Hellerau, die geduldig (!) zahlreiche Karten und Abbildungen für mich zeichneten. Dass aus dem Manuskript der Dissertation eine publikationsfähige Druckvorlage wurde, ist auf die eifrige Mitarbeit von Katrin Kurten und Kathrin Samstag zurückzuführen, die das Lektorat und Layout für mich in weiten Teilen übernommen haben. Die Dissertation wurde von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz mit einem Preis und von der Stadt Verdun mit der Internationalen Friedensmedaille von Verdun ausgezeichnet. Hierfür ein herzliches Dankeschön. Mein ganz persönlicher und tiefer Dank richtet sich an meine Familie und Freunde, die immer für mich da waren und sind. Mit ihnen konnte ich in den nicht ausbleibenden Durststrecken einer Promotion ausspannen, abschalten und lachen, mit ihnen habe ich in den luftigen Höhen der Berge meine Nase in den Wind gehalten und durch sie wurde mir zum Glück immer wieder klar, was im Leben wirklich wichtig ist.
Je vous remercie!
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Sozialtheorie Patricia Purtschert, Katrin Meyer, Yves Winter (Hg.) Die Sicherheitsgesellschaft Zeitdiagnostische Beiträge zu Foucaults »Geschichte der Gouvernementalität« Dezember 2007, ca. 220 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-631-1
Johannes Angermüller Nach dem Strukturalismus Theoriediskurs und intellektuelles Feld in Frankreich Oktober 2007, ca. 280 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-810-0
Anette Dietrich »Weiße Weiblichkeiten« Konstruktionen von »Rasse« und Geschlecht im deutschen Kolonialismus Oktober 2007, ca. 360 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-807-0
Tanja Bogusz Institution und Utopie Ost-West-Transformationen an der Berliner Volksbühne Oktober 2007, ca. 320 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-782-0
Andreas Pott Orte des Tourismus Eine raum- und gesellschaftstheoretische Untersuchung Oktober 2007, ca. 300 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-763-9
Daniel Suber Die soziologische Kritik der philosophischen Vernunft Zum Verhältnis von Soziologie und Philosophie um 1900 Oktober 2007, ca. 550 Seiten, kart., ca. 38,80 €, ISBN: 978-3-89942-727-1
Susanne Krasmann, Jürgen Martschukat (Hg.) Rationalitäten der Gewalt Staatliche Neuordnungen vom 19. bis zum 21. Jahrhundert September 2007, ca. 220 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-680-9
Jörg Döring, Tristan Thielmann (Hg.) Spatial Turn Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften September 2007, ca. 350 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-683-0
Jochen Dreher, Peter Stegmaier (Hg.) Zur Unüberwindbarkeit kultureller Differenz Grundlagentheoretische Reflexionen August 2007, 304 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-477-5
Markus Holzinger Die Einübung des Möglichkeitssinns Zur Kontingenz in der Gegenwartsgesellschaft August 2007, ca. 320 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-543-7
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Sozialtheorie Sandra Petermann Rituale machen Räume Zum kollektiven Gedenken der Schlacht von Verdun und der Landung in der Normandie August 2007, 352 Seiten, kart., zahlr. Abb., 33,80 €, ISBN: 978-3-89942-750-9
Benjamin Jörissen Beobachtungen der Realität Die Frage nach der Wirklichkeit im Zeitalter der Neuen Medien Juli 2007, 282 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-586-4
Susanne Krasmann, Michael Volkmer (Hg.) Michel Foucaults »Geschichte der Gouvernementalität« in den Sozialwissenschaften Internationale Beiträge Juni 2007, 314 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-488-1
Hans-Joachim Lincke Doing Time Die zeitliche Ästhetik von Essen, Trinken und Lebensstilen Mai 2007, 296 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-685-4
Anne Peters Politikverlust? Eine Fahndung mit Peirce und Zizek Mai 2007, 326 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-655-7
Nina Oelkers Aktivierung von Elternverantwortung Zur Aufgabenwahrnehmung in Jugendämtern nach dem neuen Kindschaftsrecht März 2007, 466 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN: 978-3-89942-632-8
Ingrid Jungwirth Zum Identitätsdiskurs in den Sozialwissenschaften Eine postkolonial und queer informierte Kritik an George H. Mead, Erik H. Erikson und Erving Goffman Februar 2007, 410 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN: 978-3-89942-571-0
Christine Matter »New World Horizon« Religion, Moderne und amerikanische Individualität Februar 2007, 260 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-625-0
Thomas Jung Die Seinsgebundenheit des Denkens Karl Mannheim und die Grundlegung einer Denksoziologie Februar 2007, 324 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-636-6
Petra Jacoby Kollektivierung der Phantasie? Künstlergruppen in der DDR zwischen Vereinnahmung und Erfindungsgabe Januar 2007, 276 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-627-4
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de