Risikoentscheidungen im Gentechnikrecht: Beurteilungsspielräume der Verwaltung gegenüber den Gerichten? [1 ed.] 9783428513017, 9783428113019

Wenn die Verwaltung über die Zulassung oder die Untersagung einer Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen entschei

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German Pages 368 Year 2004

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Risikoentscheidungen im Gentechnikrecht: Beurteilungsspielräume der Verwaltung gegenüber den Gerichten? [1 ed.]
 9783428513017, 9783428113019

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 946

Risikoentscheidungen im Gentechnikrecht Beurteilungsspielräume der Verwaltung gegenüber den Gerichten?

Von

Sandra Schmieder

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

SANDRA SCHMIEDER

Risikoentscheidungen im Gentechnikrecht

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 946

Risikoentscheidungen im Gentechnikrecht Beurteilungsspielräume der Verwaltung gegenüber den Gerichten?

Von

Sandra Schmieder

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Konstanz hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-11301-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Mutter

Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Verfassungs- und Verwaltungsrecht von Prof. Dr. Martin Ibler an der Universität Konstanz. Sie wurde im März 2003 vom Juristischen Fachbereich der Universität als Dissertation angenommen. Prof. Dr. Martin Ibler hat die Arbeit betreut und war Erstgutachter, Zweitgutachter war Prof. Dr. Dieter Lorenz. Die Arbeit befindet sich auf dem Stand vom Februar 2003. Für die Drucklegung habe ich noch den Entwurf eines Bundesgesetzes und zwei neue EG-Verordnungen eingearbeitet, die das Gentechnikrecht erheblich ändern werden: Das Gesetz zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht wird die Zuständigkeiten des Robert Koch-Instituts (RKI) auf das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) übertragen. Das bisher federführende RKI wird fortan bei Freisetzungen und beim Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen nur noch als Benehmensbehörde im Genehmigungsverfahren beteiligt sein (vgl. BT-Drs. 15/1222, 15/688 i. d. F. der Drs. 15/1341). Das Gesetz trägt dem Organisationserlass des Bundeskanzlers vom 22. Oktober 2002 Rechnung, durch den die federführende Zuständigkeit für die Gentechnik vom Bundesministerium für Gesundheit auf das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft übertragen wurde. Weiterhin wird bei Freisetzungen und beim Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen nicht mehr das Umweltbundesamt (UBA) Einvernehmensbehörde sein, sondern das Bundesamt für Naturschutz und Reaktorsicherheit. Das Gesetz wurde vom Bundestag am 3. Juli 2003 beschlossen. Da der Bundesrat die Übertragung der Einvernehmenskompetenz vom UBA auf das Bundesamt für Naturschutz und Reaktorsicherheit ablehnt und er daher am 26. September den Vermittlungsausschuss angerufen hat, war das Gesetz bis zur Drucklegung noch nicht verkündet (siehe BT-Drs. 15/1643). Es ist aber angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag zu erwarten, dass das Gesetz, das ein Einspruchsgesetz ist, in der vom Bundestag beschlossenen Fassung in Kraft treten wird. Die vorliegende Arbeit geht daher bereits vorausschauend von dieser neuen Gesetzeslage aus; die bisherige wird in Klammern oder in den Fußnoten dargestellt. Die EG-Verordnungen 1829/2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, einschließlich der Verordnung 1830/2003 über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von genetisch veränderten Organismen und über die Rückverfolgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebensmitteln

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Vorwort

und Futtermitteln sowie zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG wurden am 18. Oktober 2003 verkündet. Sie ändern das Inverkehrbringen und die Kennzeichnung genetisch veränderter Lebensmittel und lösen insoweit die Novel Food-VO (258/97/EG) ab. Das Gentechnikrecht zu untersuchen war auch wegen dieser zahlreichen Gesetzesänderungen eine große Herausforderung. Während meiner Arbeit konnte ich stets einen Doktorvater hinter mir wissen, der für Fragen und Ratschläge jederzeit zur Verfügung stand, der mir aber andererseits alle Freiheiten ließ, um eigene Ideen und Lösungen zu entwickeln. Herrn Prof. Dr. Ibler gilt daher mein ganz persönlicher Dank. Auch möchte ich mich herzlich bei dem Zweitgutachter, Herrn Prof. Dr. Dieter Lorenz, bedanken. Durch seine rasche Begutachtung hat er maßgeblich dazu beigetragen, dass das Promotionsverfahren noch vor Beginn meines LL. M.-Programms an der University of California (Berkeley) abgeschlossen werden konnte. Meine Eltern und meine Großeltern möchte ich, stellvertretend für alle, die mich seit Beginn meines Studiums begleitet und unterstützt haben, besonders erwähnen. Außerdem danke ich Caroline Grafe, Ruja Ignatova und Fabian Maier, die die Arbeit Korrektur gelesen haben. Doron Rubin, Hannah Mentrup und Johannes Klatt haben wertvolle Hilfe für die Drucklegung geleistet. Schließlich bedanke ich mich bei den Firmen KWS Saat und insbesondere der ALTANA Pharma AG für ihre großzügigen Druckkostenbeiträge. Widmen möchte ich diese Arbeit meiner Mutter. Berkeley, den 22. Oktober 2003

Sandra Schmieder

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Hintergrund, Ziel und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Hintergrund der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Kontrollgegenstände: Risikoentscheidungen nach dem Gentechnikgesetz . . . . . . I. Biotechnologie und Gentechnik – Begriffe und Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gene, Proteine und DNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Von der DNA zum Protein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Umprogrammierung der Protein-Produktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Isolierung und Synthetisierung von Fremd-DNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gentransfer: direkte oder vektorvermittelte Transformation . . . . . . . . . . . . . c) Selektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Chancen und Nutzen der Gentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gentechnik und Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Krankheitsbekämpfung durch Gentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bessere Produkte durch die Gentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anbauvorteile durch die Gentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gentechnik als Hilfsmittel in der Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Umweltschutz durch Gentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Naturwissenschaftliche Risiken der Gentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Immanente Risiken der Gentechnik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besondere Risiken bei Freisetzungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Spezifische Risiken beim Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Produkte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtliche Folgerungen aus der Annahme naturwissenschaftlicher Risiken IV. Die rechtliche Steuerung der Gentechnik in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungsgegenstand des Gentechnikgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelungssystem des GenTG – Zahlen einzelner Vorhaben . . . . . . . . . . . . . b) PflSchG, Arzneimittel-, Novel Food-VO und VO über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel als leges speciales für das Inverkehrbringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Ausschlussklausel des § 2 III GenTG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Organisation des Gesetzesvollzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zuständige Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern . . . . . . . . . . . . . bb) Organisations- und Personalstruktur in den Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS) . . . . . .

26 26 28 30 32 33 33 38 38 38 39 41 43 44 45 46 46 48 50 52 52 54 57 58

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Inhaltsverzeichnis aa) Zusammensetzung der ZKBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Sachverständige und sachkundige Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtsstellung der Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Aufgaben und Bedeutung der ZKBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsnatur der ZKBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aufgaben von Behörden – Entscheidung über Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Risikobegriff als Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Risikoermittlung am Maßstab des „Stands der Wissenschaft (und Technik)“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Risikobewertung und Risikoabwehr am Maßstab des „Stands der Wissenschaft (und Technik)“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abwehr von Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abwehr weiterer Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verpflichtung zur Risikoabwehr kraft grundrechtlicher Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zulässigkeit von Restrisiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Risikovorsorge zwischen Gefahren und Restrisiken . . . . . . . . . . . . . (a) Das sog. dreistufige Risikomodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Das sog. zweistufige Risikomodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Das Risikomodell des Gentechnikgesetzes: zweistufiges-synergetisches Risikokonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die einzelnen Behördenentscheidungen nach dem Gentechnikgesetz . . . . . . . a) Zulassungsentscheidungen bei gentechnischen Vorhaben im geschlossenen System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zulassung genehmigungspflichtiger Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gang des Genehmigungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Materielle Prüfungspflichten von Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zulassung anmeldepflichtiger Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zulassungsfreie Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Genehmigung des Freisetzens gentechnisch veränderter Organismen . . . aa) Gang des Genehmigungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Materielle Prüfungspflichten von Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Genehmigung des Inverkehrbringens gentechnisch veränderter Organismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gang des Genehmigungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Materielle Prüfungspflichten von Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Nachträgliche behördliche Anordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Befugnisse der Zulassungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Befugnisse der Überwachungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Materielle Prüfungspflichten der zuständigen Behörde . . . . . . . . . . . . . V. Allgemeine Merkmale von Risikoentscheidungen nach dem Gentechnikgesetz

C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen nach dem Gentechnikgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Prozessflut und gerichtliche Kontrolldichte – Hintergrund und Begriff des Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beurteilungsspielräume in Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklung von Beurteilungsspielräumen durch die Literatur . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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a) Die Ursprünge von Beurteilungsspielräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Entwicklung im Anschluss an Bachof, Jesch und Ule . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der heutige Stand der Diskussion – die wesentlichen Strömungen . . . . . . . . . . a) Die herrschende Ansicht: Die Normative Ermächtigungslehre . . . . . . . . . . b) Die Lehre vom prozessualen Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beurteilungsspielräume ablehnende Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anerkennung von Beurteilungsspielräumen durch die Rechtsprechung . . . . . a) Annerkennung von Beurteilungsspielräumen durch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Rechtsprechung des BVerfG zu Beurteilungsspielräumen . . . . . . . . . . . III. Anerkennung eines Beurteilungsspielraums bei Risikoentscheidungen nach dem Gentechnikgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Der Stand der Wissenschaft (und Technik)“ als Einfallstor für einen Beurteilungsspielraum im Gentechnikrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entwicklung des gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums ausgehend vom Atomrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Entwicklung des atomrechtlichen Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . b) Übertragung des atomrechtlichen Beurteilungsspielraums auf das Gentechnikrecht durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anerkennung eines Beurteilungsspielraums durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Arten gentechnikrechtlicher Entscheidungen, bei denen ein Beurteilungsspielraum anerkannt wurde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtsschutzsuchende, gegenüber denen ein Beurteilungsspielraum zugelassen wurde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Handlungsformen der Exekutive, bei denen ein Beurteilungsspielraum anerkannt wurde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Argumentation der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verbleibende gerichtliche Kontrollkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Wesensmerkmale eines Beurteilungsspielraums – Übertragbarkeit auf weitere Fälle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anerkennung eines Beurteilungsspielraums durch die gentechnikrechtliche Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit und weiterer Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Vereinbarkeit der gentechnikrechtlichen Kontrollpraxis mit Art. 19 IV GG? . . . I. Eingriff in Art. 19 IV GG durch Beurteilungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Schutzbereich des Art. 19 IV GG – die Anforderungen an eine wirksame gerichtliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einschränkung des Art. 19 IV GG durch Annahme eines Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fehlende Kontrollmacht der Gerichte mangels Rechtsbindung der Verwaltung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kontrollbeschränkungen als bloßes Problem des materiellen Rechts? . . . c) Fazit: Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum beschränkt Art. 19 IV GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtfertigung eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums? . . . . . . . . . 1. Rechtfertigungsanforderungen des Art. 19 IV GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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177 180 181 182 183 185 185

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Inhaltsverzeichnis 2. Differenzierung nach dem Anknüpfungspunkt eines Beurteilungsspielraums? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ansätze zur Rechtfertigung eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gerichte können gentechnikrechtliche Risikoentscheidungen nicht prüfen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fehlende Justiziabilität gentechnikrechtlicher Entscheidungen? . . . . (1) Eigenart der Entscheidungsmaterie als Kontrollschranke? . . . . . . (a) Exekutabilität gentechnikrechtlicher Normen . . . . . . . . . . . . . . . (b) Das Prinzip der „einzig richtigen Entscheidung“ . . . . . . . . . . . . (2) „Unvertretbarkeit“ gentechnikrechtlicher Entscheidungen? . . . . . bb) Fehlende Eignung von Gerichten zur Kontrolle wissenschaftlicher Fragen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Eigene Wissenslücken der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kontrolle wissenschaftsabhängiger Fragen in anderen Rechtsgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Kontrolle „außerrechtlicher Fragen“ im Zivil- und im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Kontrolle im Chemikalien-, Arzneimittel- und Pflanzenschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Kontrolltiefe des VG Freiburg, des VGH Mannheim und des VG München . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Fazit: Volle Kontrolle trotz Wissenschaftsabhängigkeit des Gentechnikrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kein zügiger Rechtsschutz ohne Beurteilungsspielräume? . . . . . . . . . . b) Gerichte dürfen gentechnikrechtliche Risikoentscheidungen nicht prüfen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gerichte verstoßen gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung, wenn sie voll prüfen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das Argument der Doppelverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Das Argument der Verwaltungsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Das Argument vom Funktionsvorbehalt der Exekutive . . . . . . . . . . (4) Das Argument der politischen Verantwortbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gerichte verkennen den Willen des Gesetzgebers, wenn sie voll prüfen – Letztentscheidungsrecht der Exekutive kraft normativer Ermächtigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Normative Ermächtigung zur Letztentscheidung im Gentechnikgesetz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Normative Ermächtigung zur Letztentscheidung in der GenTSV? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Schaffung eines Letztentscheidungsrechts durch den Verordnungsgeber? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die Befugnis zur „Legaleinstufung“ (§ 5 VI GenTSV) als normative Ermächtigung des Gesetzgebers? . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Fazit: kein Letztentscheidungsrecht der Exekutive kraft normativer Ermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

187 189 190 190 190 191 192 194 195 196 197 197 198 200 203 204 206 206 206 207 209 211

212 212 215 215 217 219

Inhaltsverzeichnis c) Kontrollschranken aus anerkannten Fallgruppen des Beurteilungsspielraums auch im Gentechnikrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gentechnikrechtliche Entscheidungen als beschränkt kontrollierbare Planungsentscheidungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gentechnikrechtliche Entscheidungen als beschränkt kontrollierbare Prognoseentscheidungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Fehleranfälligkeit von Prognoseentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Erweiterung des Prognosewissens bei voller Kontrolle . . . . . . . . . (3) Kontrolle von Prognosen in anderen Rechtsgebieten . . . . . . . . . . . (4) Fazit: Kein Prognosespielraum im Gentechnikrecht . . . . . . . . . . . . cc) Gentechnikrechtliche Entscheidungen als beschränkt kontrollierbare Risikoentscheidung – Vergleich zum Atomrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtliche Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Tatsächliche Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Fazit: Kein dem atomrechtlichen Beurteilungsspielraum vergleichbarer Beurteilungsspielraum im Gentechnikrecht . . . . . . . . dd) Gentechnikrechtliche Entscheidungen als beschränkt kontrollierbare Entscheidungen unter Beteiligung sachverständiger, weisungsabhängiger Ausschüsse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vergleichbarkeit der ZKBS mit Gremien, bei denen ein Beurteilungsspielraum anerkannt wird? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Vergleichbarkeit mit den Ausschüssen nach dem DDR-RiG, dem ArchitektenG und dem BörsenG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Vergleichbarkeit mit den Sortenausschüssen? . . . . . . . . . . . . . . . (c) Vergleichbarkeit mit der Bundesprüfstelle und Gremien im Medienrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Beratung statt Entscheidung als zusätzlicher Unterschied gegenüber diesen Gremien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Fazit: Keine Vergleichbarkeit mit anderen Gremienentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die ZKBS als neuer Fall eines Gremienvorbehalts? . . . . . . . . . . . . (a) Gremienvorbehalte bei unzureichend demokratischer Legitimation des Gremiums? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Demokratiedefizit der ZKBS? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Anforderungen an die demokratische Legitimation von Entscheidungsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Institutionell-funktionelle demokratische Legitimation der ZKBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Personelle demokratische Legitimation der ZKBS . . . . . (dd) Sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation der ZKBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Fazit: (Dennoch) kein Beurteilungsspielraum durch ZKBS-Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Grundrechtsschutz als Kontrollschranke? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Dynamischer Grundrechtsschutz als Kontrollschranke? . . . . . . . . . . . . bb) Standardisierter, flexibler Grundrechtsschutz durch Verwaltungsvorschriften als Kontrollschranke? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 219 220 221 223 223 226 229 229 229 233 237

238 238 239 240 241 246 246 246 248 249 249 252 252 253 257 258 260 263

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Inhaltsverzeichnis cc) Kein „Mehrwert“ gerichtlichen Rechtsschutzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Eigenwert des Gerichtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der gentechnikrechtliche Verfahrensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Relevanz von Verfahrensfehlern für den Erfolg einer Klage e) Rechtsunsicherheit durch volle gerichtliche Kontrolle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis: Verstoß eines Beurteilungsspielraums gegen Art. 19 IV GG . . . . . . . . .

E. Vereinbarkeit eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums mit den materiellen Grundrechten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Eingriff durch Gerichte in die materiellen Grundrechte durch Annahme eines Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsschutzgehalte der materiellen Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Grundrechtsrelevanz gentechnikrechtlicher Risikoentscheidungen . . . . . a) Wesentliche Beinträchtigung Dritter in ihren Rechten aus Art. 2 II 1, 12 I, 14 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beeinträchtigung von Betreibern in ihren Rechten aus Art. 5 III 1 2. Var., 12 I, 14 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums? . . . . . . . . . . III. Die Grundrechtsrelevanz eines Beurteilungsspielraums am Beispiel der Einkreuzungsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtsprechung zum Rechtsschutz gegen Einkreuzungen des OVG Münster und des VG Schleswig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewertung der Entscheidungen im Hinblick auf die Zulässigkeit eines Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Grundrechtsfeindliche Wirkungen eines Beurteilungsspielraums am Beispiel der Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit: Verletzung materieller Grundrechte durch Annahme eines Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Vereinbarkeit eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums mit Art. 20 a GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schmälerung von Art. 20 a GG durch Annahme eines Beurteilungsspielraums . II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums? . . . . . . . . . . 1. Rechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weniger genaue Kontrolle von Staatszielbestimmungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG als Grundrechtsschranke . . . b) Verwirklichung der Staatszielbestimmung des Art.20 a GG durch richterliche Vollkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit: Verkennung von Art. 20 a GG durch einen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Vereinbarkeit eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums mit der verfassungsrechtlichen Rolle von Gerichten? – Verstoß gegen Art. 92, 97 GG . . . . . . I. Vereinbarkeit eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums mit der Unabhängigkeit von Gerichten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vereinbarkeit eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums mit der Aufgabe der Gerichte zur Präzisierung und Fortentwicklung des Rechts? . . . . . . . . . . III. Vereinbarkeit eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums mit der Aufgabe der Gerichte, die Akzeptanz der Gentechnik zu stärken? . . . . . . . . . . . . . . . . . .

265 265 266 272 273 276 278 278 279 280 280 283 284 285 285 286 292 295 296 296 298 298 299 300 300 303 304 305 307 310

Inhaltsverzeichnis

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1. Größere Akzeptanz der Gentechnik durch volle gerichtliche Kontrolle . . . . . 311 2. Aufgabe der Rechtsprechung zur Stärkung der Akzeptanz der Gentechnik . 313 IV. Fazit: Verstoß eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums gegen die Art. 92, 97 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 H. Vereinbarkeit eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums mit dem Europarecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verstoß eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums gegen den effet utile? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Pflicht von Gerichten zur richtlinienkonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . 2. Anerkennung von Beurteilungsspielräumen durch den EuGH – ein Gegenargument? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum im Lichte der Rechtsprechung des EuGH zum Inverkehrbringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis: Verstoß eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums gegen das Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.

316 316 316 317 321 326

Ergebnis der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

J. Zusammenfassung der Arbeit in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. Abt. a. E. a. F. AMG Amtsbl. ArchG AtG Az BBA ber. BFAV BGenTGKostV BMBF BR-Drs. Bt BT-Drs. BVL DDR-RiG d. h. DKFZ DNA EG- Arbeitnehmerschutz-RiL EPA ET f. ff. FBW FDA FFA Fn. Freisetzungs-RiL GenTAnhV GenTAufZV GenTBeTV GenTG

andere Ansicht am angegebenen Ort Abteilung am Ende alte Fassung Arzneimittelgesetz Amtsblatt Architektengesetz Atomgesetz Aktenzeichen Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft berichtigt Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere Bundeskostenordnung zum Gentechnikgesetz Bundesministerium für Bildung und Forschung Bundesratsdrucksache Bacillus thuringiensis Bundestagsdrucksache Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Richtergesetz der Deutschen Demokratischen Republik das heißt Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg Desoxyribonucleinsäure Richtlinie 2000/54/EG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit Environmental Protection Agency Energiewirtschaftliche Tagesfragen folgende fortfolgende Filmbewertungsstelle Wiesbaden Food and Drug Administration Filmförderungsanstalt Fußnote Richtlinie über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt Gentechnik-Anhörungsverordnung Gentechnik-Aufzeichungsverordnung Gentechnik-Beteiligungsverordnung Gentechnikgesetz

Abkürzungsverzeichnis GenTG-ÄndG GenTNotV GenTSV GenTVfV GNG GVBl. GVO HBV HStR i. d. F. i. E. IfSG insbes. i. S. von IUR i.V. mit KTA LAG li mi mRNA m. w. N. n. F. PflSchG Rdn. re RKI RSK Rspr. s. S. S1 S2 S3 S4 SaatVerkG SSK st. Rspr. System-RiL tRNA UBA UGB-E UIG UTR

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Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes Gentechnik-Notfallverordnung Gentechnik-Sicherheitsverordnung Gentechnik-Verfahrensverordnung Gesetz über die Neuordnung zentraler Einrichtungen des Gesundheitswesens Gesetz und Verordnungsblatt Gentechnisch veränderter Organismus Hepatitis-B-Virus Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland in der Fassung im Ergebnis Infektionsschutzgesetz insbesondere im Sinne von Informationsdienst Umweltrecht in Verbindung mit Kerntechnischer Ausschuss Länderausschuss für Gentechnik links Mitte messenger-RNA mit weiteren Nachweisen neue Fassung Pflanzenschutzgesetz Randnummer rechts Robert Koch-Institut Reaktorsicherheitskommission Rechtsprechung siehe Seite Sicherheitsstufe 1 Sicherheitsstufe 2 Sicherheitsstufe 3 Sicherheitsstufe 4 Saatgutverkehrsgesetz Strahlenschutzkommission ständige Rechtsprechung EG-Richtlinie über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen Transport-RNA Umweltbundesamt Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch Umweltinformationsgesetz Umwelt- und Technikrecht

16 v. vgl. w. N. ZKBS ZKBSV

Abkürzungsverzeichnis vom vergleiche weitere Nachweise Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit Verordnung über die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit

Einleitung Im Jahre 1944 entschlüsselte der amerikanische Forscher Oswald T. Avery die Zusammensetzung der Gene. 1 Er entdeckte die DNS 2 oder gebräuchlicher DNA als den Baustein erblicher Information und legte damit den Grundstein für weitere bahnbrechende Erkenntnisse auf dem Gebiet der Gentechnik. 1974 gelang es Stanley Cohen und Frederick Boyer, DNS neu zu kombinieren, auf ein Bakterium zu übertragen und dieses antibiotikaresistent zu machen. 3 Dieses Experiment hat bewiesen, dass es möglich ist, Gene gezielt zu manipulieren und fremden Organismen durch Implantation gentechnisch veränderter DNA bestimmte Eigenschaften zuzuweisen. Die Gentechnik als neue zukunftsweisende Technologie war geboren. Zugleich wurde eine kontrovers geführte Diskussion in Gang gesetzt um Chancen und Risiken der Gentechnik. 4 Ihren vorläufigen Endpunkt fand diese Diskussion in Deutschland mit dem Erlass des Gentechnikgesetzes im Jahr 1990.5 Trotz bestehender Risiken 6 hatte sich der deutsche Gesetzgeber für die Zulassung der Gentechnik entschieden. Gleichwohl verstummten die Stimmen nicht, die auf Gesundheitsgefahren und Missbrauchsmöglichkeiten hinwiesen. Insbesondere wurden moralische Bedenken geäußert, bis hin zur Forderung, sämtliche gentechnische Projekte zu verbieten 7. Auch heute noch wird Kritik an der Gentechnik geübt8, obwohl fundamentalistische Positionen einer nüchternen Betrachtungsweise gewichen sind. Besorgnis 1 Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 9. Das erste Makromolekül DNA war zwar schon 1871 vom Schweizer Forscher Friedrich Miescher entdeckt und beschrieben worden. Doch gelang erst Oswald T. Avery und seinen Mitarbeitern der Nachweis, dass DNA der Träger genetischer Information ist. 2 = Desoxyribonucleinsäure. 3 Rolf D. Schmid, Biotechnologie und Gentechnik, Rdn. 2, 4. 4 Günter Altner, in: Hesse/Kreibich/Zöpel (Hrsg.), Zukunftsoptionen – Technikentwicklung in der Wissenschafts- und Risikogesellschaft, S. 53 (57): „Wir machen Gentechnologie ... und Wissen nicht was wir tun.“, (61): Hier ist ein Einhalt geboten. 5 Vgl. Kapitel B. IV. 1. 6 Zu ihnen Kapitel B. II. 7 Stellungnahme des BUND v. 08.02.2002 zur Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung gentechnisch hergestellter Lebens- und Futtermittel, im Rahmen der Anhörung durch das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft – „Diskurs Grüne Gentechnik“, S.2 (http://www.gruene-gentechnik.de/diskurs/): „aufgrund des Vorsorgeprinzips muss... ein Verbot für die Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen und die Verwendung von gentechnisch veränderten Organismen in Lebensmitteln und Futtermitteln erfolgen“. 8 Vgl. Meike Jörgensen/Gerd Winter, ZUR 1996, 293 (li): „Die Debatte um die Gentechnik hat an Schärfe nichts verloren ..., andererseits wecken neue Studien über die Übertragbarkeit von Genen Ängste ...“.

2 Schmieder

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Einleitung

weckt nicht nur die Anwendung der Gentechnik am Menschen mittels Verfahren wie der Somatischen Gentherapie, der Keimbahntherapie, der Xenotransplantation oder der Gen-Diagnostik. 9 Umstritten sind auch gentechnische Versuche an Tieren und Pflanzen im Rahmen der sog. „grünen Gentechnik“10, besonders in der Lebensmittelherstellung. 11 Kritiker mahnen weiterhin zur Vorsicht und weisen darauf hin, dass die Gentechnik eine noch nicht vollends erforschte Technologie ist und der Gesetzgeber daher erst Recht gezwungen ist, wirksame Regelungen zu schaffen, um die Allgemeinheit umfassend vor Schäden zu bewahren. 12 Allerdings ist trotz aller Skepsis gegenüber der Gentechnik zu bedenken, dass der Staat auch die Forschungs- und Wettbewerbsfähigkeit von Wissenschaftlern und Unternehmen (Art. 5 III 1 2. Var., 12 I GG) achten muss. 13 Grundsätzlich sind gentechnische Verfahren daher zuzulassen – indes nicht, ohne von Betreibern Sicherheitsvorkehrungen zu verlangen. 14 Effektiven Schutz bieten Sicherheitsvorkehrungen aber nur, wenn deren Einhaltung genügend überprüft wird.15 Sieht ein Gesetz Genehmigungen vor oder ähnliche Überwachungsverfahren, hat der Staat Behörden geschaffen, die kontrollieren. Auch stehen Gerichte zur Verfügung, die im Fall eines Rechtsstreits zwischen Bürger und Verwaltung „letztverbindlich“ darüber entscheiden können, ob gesetzlich geforderte Sicherheitsstandards beachtet wurden.16 Gerichte können fehlerhaftes Handeln der Behörde korrigieren, wenn dieses nach An9 Rüdiger Marquardt, in: Biotechnologie als interdisziplinäre Herausforderung, S. 39 (55). Zur Anwendbarkeit des Gentechnikgesetzes auf solche Methoden vgl. aber Kapitel B.IV. 2. c). 10 Zur Begriffsbildung „grüne Gentechnik“ (Landwirtschaft, Lebensmittelerzeugung) und „rote Gentechnik“ (Humangentechnik, medizinisch orientierte Gentechnik einschließlich der Entwicklung von Therapeutika und Molekulardiagnostika), die auf die politische Auseinandersetzung zurückgehen soll, vgl. Michael Ronellenfitsch, VerwArch 93 (2002), 295 (298 f.) und Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 7 (re). 11 Rüdiger Marquardt, in: Biotechnologie als interdisziplinäre Herausforderung, S.39 (55); Pressemitteilung Nr. 076 des Deutschen Bundestages v. 20.3.2002; Broschüre „Grüne Gentechnik“ des Max-Plank-Instituts für Züchtungsforschung, April 2000, S. 27; Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 68 f.; Zweiter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen mit dem Gentechnikgesetz, abgedruckt in Eberbach/Lange/Ronellenfisch, GenTG, S. 56 f. 12 Vgl. die Darstellungen bei Wolfgang Graf Vitzthum/Tatjana Geddert-Steinacher, Standortgefährdung: „Die im Gentechnikgesetz und der Gentechniksicherheitsverordnung getroffene detaillierte Regelung der Sicherheitsaspekte greift aus der Sicht von Skeptikern der Gentechnik zu kurz.“, S. 14. 13 Vgl. BT-Drs. 11/5622, S. 21 (li, 2. Absatz); Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“, BT-Drs. 10/6775, S. 283 (li, ff.); Arno Scherzberg, AöR 84 (1993), 484 (489); Karlheinz Ladeur, NuR 1987, 60 (66, re). 14 BT-Drs. 11/5622, S. 21 (li, 1. Absatz, 22, li, zu § 1); Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“, BT-Drs. 10/6775, S. 1 (XVIII, li); I. Broer zur Entwicklung der Gentechnik in der Landwirtschaft auf der Frühjahrstagung des Wissenschaftsverbunds UmWelt (WVU) der Universität Rostock am 11.05.2001, s. dazu den Bericht von Guy Beaucamp, NuR 2001, 450 (re). 15 s. auch Udo Matzke, Gentechnikrecht, S. 28. 16 BVerfGE 88, 40 (57); vgl. auch BVerfGE 61, 82 (111); 84, 34 (49).

Einleitung

19

sicht des Gerichts rechtswidrig ist. Dann können sie die angegriffene Behördenentscheidung verwerfen und ihre Beurteilung an die Stelle der Verwaltungsentscheidung setzen. 17 Dazu sind Gericht grundsätzlich berechtigt. Einerseits verleiht ihnen die Gewaltentrennung des Grundgesetzes das Recht und die Pflicht, die Exekutive zu kontrollieren 18, andererseits weist die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV GG Gerichten die „Letztentscheidungskompetenz“ gegenüber der Verwaltung zu. 19 Art. 19 IV GG verpflichtet Gerichte (i.V. m. Art. 1 III GG), umfassenden Rechtsschutz zu gewähren, wenn die öffentliche Gewalt subjektive öffentliche Rechte Einzelner verletzt. 20 Ein solch umfassender Rechtsschutz setzt voraus, dass Gerichte gegenüber der Verwaltung die Rechtsmacht besitzen, sich über deren Entscheidungen hinwegzusetzen. 21 Indes könnte fraglich sein, ob dieses Verhältnis zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit auch im Gentechnikrecht gilt. Denn die Gentechnik ist eine besondere, hoch komplexe Materie, die zu Entscheidungen an den Grenzen menschlicher Erkenntnis zwingt. 22 Daher könnte es Gerichten unmöglich sein, gentechnikrechtliche Entscheidungen voll zu prüfen – und Unmögliches kann von Gerichten nicht verlangt werden, auch nicht von Verfassungs wegen.

BVerfGE 88, 40 (57). Roland Jarosch, DÖV 1974, 123 (126, li). 19 Z. B. BVerfGE 88, 40 (57); 61, 82 (111); Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 239; Peter Becker, Festschrift für H. Simon, S. 623 (625); Guy Beaucamp, JA 2002, 314 (315, li). 20 Vgl. BVerfGE 61, 82 (111); 40, 272 (275) st. Rspr. 21 Siehe Kapitel D. I. 1. 22 Rüdiger Breuer, NuR 1994, 157 (162, li). 17 18

2*

A. Hintergrund, Ziel und Gang der Untersuchung I. Hintergrund der Untersuchung Wenn Behörden über die Zulassung oder Untersagung eines gentechnischen Vorhabens entscheiden, müssen sie sich mit einer Vielzahl naturwissenschaftlicher Fragen befassen. Spenderorganismen, Empfängerorganismen, Vektorsysteme und gewünschte gentechnisch veränderte Organismen sind zu bewerten, in Risikogruppen einzuordnen und sicherheitsrechtlich so einzustufen, dass bei Beachtung entsprechender Sicherheitsmaßnahmen ein Risiko für die in § 1 Nr. 1 GenTG genannten Schutzgüter ausgeschlossen ist (vgl. z. B. §§ 11 I Nr. 4 GenTG, 4 ff. GenTSV). Auch die gerichtliche Kontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen setzt daher ein Mindestmaß an wissenschaftlichem Sachverstand voraus. Doch haben Richter regelmäßig keine naturwissenschaftliche Vorbildung. Deshalb könnte bezweifelt werden, dass Gerichte in der Lage sind, gentechnikrechtliche Streitigkeiten letztverbindlich zu beurteilen. Denn schon bei recht einfachen gentechnischen Arbeiten wie der Untersuchung einer „Adenovirus vermittelten Überexpression des Proteins S100A1 und Calcium-Homöostase-Proteinen in einem rekonstruierten Herzmuskelgewebsverband“ besitzen Gerichte nicht den nötigen wissenschaftlichen Sachverstand, um die molekulargenetischen Prozesse eigenständig nachvollziehen zu können. Behaupten ließe sich daher, dass Gerichte bei der Kontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen an ihre Funktionsgrenzen stoßen. Hieraus könnte der Schluss gezogen werden, dass die Letztentscheidung über gentechnische Vorhaben – „kraft Natur der Sache“ – den zuständigen, spezialisierten und besonders sachkundigen Fachbehörden vorbehalten ist, denen mit der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS) zudem ein hochkarätig besetztes Expertengremium beratend zur Seite steht (vgl. §§ 4, 5 GenTG). Rechtstechnisch ließe sich ein solcher „Behördenvorbehalt“ erreichen, indem man der entscheidenden Behörde einen gerichtsresistenten Einschätzungsspielraum einräumte. Zumindest die Rechtsprechung tut dies in ständiger Judikatur. 1 Auch begrüßt die herrschende Lehre nahezu einstimmig einen gerichtsresistenten Entscheidungsfreiraum der Verwaltung in Bezug auf die Einschätzung der nach dem Stand von Wissenschaft (und Technik) bestehenden Risiken (vgl. §§ 11 I Nr. 4, 16 I Nr. 2, Nr. 3, 16 II GenTG). 2

Vgl. nur BVerwG, NVwZ 1999, 1232; ausführlich hierzu siehe Kapitel C.III. 2. b). Vgl. z. B. Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, 1998, S. 327; Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, § 11 Rdn. 207; a. A.: 1 2

I. Hintergrund der Untersuchung

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Doch fragt sich, ob Gerichte denn überhaupt von ihren Kontrollpflichten entbunden werden dürfen: Hindert nicht vielmehr das Verfassungsrecht daran, kontrollfreie Beurteilungsspielräume von Behörden anzuerkennen und so das Verhältnis zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit umzukehren? Gegen die Anerkennung von Letztentscheidungsrechten der Verwaltung könnte vor allem die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV GG sprechen. 3 Denn Art. 19 IV GG enthält die Grundsatzentscheidung des Verfassungsgebers für einen lückenlosen Rechtsschutz gegen Akte hoheitlicher Gewalt, d. h. Art. 19 IV GG verlangt grundsätzlich eine uneingeschränkte gerichtliche Kontrolle von Behördenentscheidungen. 4 Zudem könnten die materiellen Grundrechte Eingriffe in die Gerichtskontrolle untersagen, weil ihre Durchsetzung bei einer nur beschränkten Gerichtskontrolle leidet. Insbesondere die Rechte aus Art. 2 II 1 GG könnten gegen einen kontrollfreien Spielraum von Behörden gegenüber Gerichten streiten. 5 Gentechnische Versuche bergen z. B. Gesundheitsrisiken für die in einem Labor Arbeitenden. 6 Auch ist nicht auszuschließen, dass die Gesundheit von Nachbarn durch eine gentechnische Anlage oder einen Freilandversuch beeinträchtigt wird, wenn die nötigen Sicherheitsvorkehrungen nicht beachtet werden. 7 Ebenso kann ein in den Verkehr gebrachtes gentechnisch verändertes Produkt für Verbraucher riskant sein, sollte es Allergien, toxische Wirkungen oder eine Resistenz gegen Antibiotika auslösen. 8 Des Weiteren stehen die Rechte Dritter aus Art. 12 I GG und Art. 14 I GG auf dem Spiel, wenn gentechnische Freisetzungen über ihr Anbaugebiet hinauswirken. 9 Etwa kann ein Biolandwirt zur Aufgabe seines Betriebs gezwungen werden, weil sich gentechnisch veränderte Saat in seine ursprünglich gentechnikfreie Ernte eingekreuzt hat und er seine Produkte deshalb nicht mehr als „naturrein“ vermarkten kann. 10 Matthias Kapteina, Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 174 f. und 178; Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 ff.; w. N. in Kapitel C. III. 2. c). 3 Vgl. Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 257, der Beurteilungsspielräume kategorisch ablehnt. 4 BVerfGE 28, 10 (15 f.); 64, 261 (279); 84, 34 (49 f.); Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rdn. 182 f. 5 Matthias Kapteina, Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 175; a. A.: Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (28, re). 6 BT-Drs. 11/5622, S. 20 (li, 1. Absatz); Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“, BT-Drs. 10/6775, S. 1 (XVIII, li); vgl. auch den Anhang III zur GenTSV, der Sicherheitsmaßnahmen für den Labor- und Produktionsbereich vorsieht. 7 BT-Drs. 11/5622, S. 20 (li, 1. und 3. Absatz); vgl. auch VG Neustadt, IUR 1992, 165 (166, li, mi). 8 Vgl. zur Wahrscheinlichkeit solcher Befürchtungen, Kapitel B. III. 9 Vgl. zur Gefahr von Einkreuzungen in Wildtypen und Kulturpflanzen, Kapitel B. III. und zur Betroffenheit der Schutzbereiche der Art. 12, 14 GG Kapitel B. IV. 5. b) bb). 10 Vgl. hierzu die Fälle VG Berlin ZUR 1996, 41 (42, li) – Rückgang des Verkaufs von Biolandprodukten; OVG Berlin, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 14 zu § 16 GenTG, S. 1 (2 f.) – Klage einer Bioland-Gärtnerin. Ausführlich zu diesen Urteilen Kapitel E.I. 2. a), IV.

22

A. Hintergrund, Ziel und Gang der Untersuchung

Besonders die neuere Rechtsprechung zum Schutz Dritter vor Zufallseinkreuzungen scheint aus Sicht eines wirksamen Grundrechtsschutzes bedenklich. So wird Bauern, die durch Einkreuzung transgener Saat unfreiwillig zu Betreibern eines gentechnischen Vorhabens geworden sind, das Inverkehrbringen ihrer Ernte verboten 11, oder sie werden zu deren Vernichtung verpflichtet 12. Wird ihnen zuvor die gerichtliche Abwehr der Freisetzung der gentechnisch veränderten Organismen durch einen Beurteilungsspielraum von Behörden erschwert, ist zu bezweifeln, ob überhaupt noch eine wirkungsvolle Verteidigung subjektiver Rechte möglich ist. Doch scheinen Beurteilungsspielräume von Behörden gegenüber Gerichten nicht nur aus Sicht Drittbetroffener problematisch. Auch kann ein gerichtsfreier Entscheidungsspielraum für den Betreiber eines gentechnischen Vorhabens von Nachteil sein. Denn dessen grundrechtlich geschützte Forschungs- und Berufsausübungsfreiheit (Art.5III1 2.Var., Art.12I GG) drohen entwertet zu werden 13, wenn Behörden wegen unbegründeter Sicherheitsbedenken etwa zum vermeintlichen Schutz von Verbrauchern z. B. die Genehmigung eines gewinnträchtigen Forschungsvorhabens verweigern 14 oder ein gentechnisches Projekt zur Entwicklung eines Wirkstoffs gegen AIDS untersagen, Gerichte dagegen aber machtlos sind, weil sie die Behördenentscheidung solange nicht korrigieren können, wie sie diese nur einer weniger scharfen Kontrolle unterziehen dürfen. Eine kritische Betrachtung des gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums hat daher trotz dessen Drittklagen abweisenden, betreiberfreundlichen Wirkung 15 nichts mit Technologiefeindlichkeit zu tun. 16 Vielmehr fordert auch ein effektiver Betreiberschutz, den Beurteilungsspielraum zu hinterfragen.17 OVG Münster NVwZ 2001, 110. VG Schleswig ZUR 2001, 409. 13 Matthias Kapteina, Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 175; a. A.: Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (28, re); vgl. auch referierend Michael Kloepfer, Umweltrecht, § 8 Rdn. 54: „Rechtspolitisch wird die Diskussion um Kontrollbeschränkungen im Umweltrecht vielfach von der Vorstellung überschattet, dass ... [die Reduktion der gerichtlichen Kontrolldichte] automatisch den Interessen der Anlagenbetreiber entspräche.“. 14 Dies könnte vor allem nach der Verlagerung der Zuständigkeit für Freisetzungen und das Inverkehrbringen vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung auf das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernäherung und Landwirtschaft zu erwarten sein, vgl. dazu den Organisationserlass des Bundeskanzlers v. 22.10.2002 (BGBl. I S. 4206) und das Gesetz zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht vgl. BR-Drs. 600/03 BTDrs. 15/1222, 926 i. d. F. Drs. 15/1341 und das Vorwort dieser Arbeit. 15 So André Bönsel, Chancen und Risiken der Gentechnik – Bericht über eine Tagung des Wissenschaftsverbunds Umwelt (WVU) –, UPR 2001, 266 (267, li); vgl. auch Kloepfer, Umweltrecht, § 8 Rdn. 54. 16 Anders wohl VG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 3 zu § 13 GenTG, 1 (15) – Denn auf die Forderung der Kläger, einen strengeren Prüfungsmaßstab anzulegen, antwortete das Gericht wie folgt: „...Im übrigen ist auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber jedenfalls durch die Schaffung des Gentechnikgesetzes sich für die Zulassung gentechnischer Arbeiten ... entschieden hat. Diese Entscheidung darf nicht durch Beurteilungskriterien ausgehöhlt werden, die eine Genehmigung gentechnischer Arbeiten in der Praxis ausschließen.“. (Hervorhebungen nicht im Original). 17 Vgl. dazu vor allem Kapitel E. V. 11 12

III. Gang der Untersuchung

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II. Ziel der Arbeit Diese wenigen Beispiele zur Tragweite gentechnikrechtlicher Entscheidungen und zum verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz dürften verdeutlicht haben, dass die Kontrolldichte gentechnikrechtlicher Entscheidungen näher erforscht werden muss. Mögen Beurteilungsspielräume von Behörden gegenüber Gerichten im deutschen Verwaltungsrecht auch vielfach akzeptiert sein 18, belegt dies nicht schon deren Rechtmäßigkeit. Vielmehr müssen Kontrollfreiräume vor der Verfassung Bestand haben. Die häufige Anerkennung von Beurteilungsspielräumen hindert also keineswegs daran, das Thema „Beurteilungsspielräume“ am Beispiel des Gentechnikrechts erneut aufzugreifen. Im Gegenteil. Die mitunter kritiklose Hinnahme von Beurteilungsspielräumen der Verwaltung gegenüber Gerichten – gerade auch in einem so grundrechtssensiblen Rechtsgebiet wie dem Gentechnikrecht – fordert besonders dazu auf, die Daseinsberechtigung von Beurteilungsspielräumen zu hinterfragen. Das gilt vor allem, weil Behördenentscheidungen im Gentechnikrecht faktisch von Beratungsgremien wie der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS) gefällt werden, deren demokratische Legitimation zweifelhaft scheint. 19 Ziel der Arbeit ist es daher, die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Entscheidungsspielräumen von Behörden für das Gentechnikrecht zu untersuchen. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob europarechtliche Bedenken gegen Beurteilungsspielräume bestehen 20, denn das Gentechnikgesetz wird maßgeblich durch EG-Richtlinien bestimmt, durch die System 21 – und die Freisetzungsrichtlinie 22, aber auch durch die Arbeitnehmerschutz-Richtlinie 23.

III. Gang der Untersuchung Obwohl die Arbeit die gerichtliche Kontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen bewerten will, widmet sie sich eingehend dem Gentechnikrecht und den hier 18 Vgl. zu Beurteilungsspielräumen in Literatur und Rechtsprechung allgemein Kapitel C. II. und speziell zu Beurteilungsspielräumen im Atom- und Gentechnikrecht, Kapitel C.III. 19 Vgl. Kapitel D. II. 3. c) dd) (2) (a) ff. 20 Siehe Kapitel H. 21 Richtlinie 90/219/EWG vom 23.04.1990 über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen (ABl. EG Nr. L 117, S. 1), zuletzt geändert durch Richtlinie 98/81/EG vom 26.10.1998 zur Änderung der Richtlinie 90/219/EWG über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen (ABl. EG Nr. L 330, S. 13). 22 Richtlinie 90/220/EWG vom 23.04.1990 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt (ABl. EG Nr. L 117, S. 15), aufgehoben durch Richtlinie 2001/18/EG vom 12.03.2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG (ABl. EG Nr. L 106, S. 1); zu den Änderungen siehe auch Kapitel B. IV. 1. 23 Richtlinie 2000/54/EG vom 18.09.2000 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit (ABl. EG Nr. L 262, S. 21).

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A. Hintergrund, Ziel und Gang der Untersuchung

entscheidenden Aufgaben von Behörden. Hauptgrund hierfür ist, dass die Zulässigkeit von Kontrollfreiräumen nur dann beurteilt werden kann, wenn klar ist, was Gerichte kontrollieren sollen. Dies verlangt, das Gentechnikrecht als Rechtsgrundlage gentechnikrechtlicher Behördenentscheidungen so präzise wie möglich zu beschreiben. Hinzu kommt, dass sich das Gentechnikgesetz durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes vom 16.08.2002 24 grundlegend geändert hat. Das macht es noch wichtiger, sich genau mit den einzelnen Behördenentscheidungen zu befassen, vor allem mit solchen Änderungen, die für die Diskussion eines Beurteilungsspielraums wichtig sind. Daher stellt Kapitel B. die Risikoentscheidungen im Gentechnikrecht eingehend dar. Die wissenschaftlichen Grundlagen der Gentechnik, ihre naturwissenschaftlichen Risiken und ihre Chancen werden erklärt. Sodann wird das Wesen gentechnikrechtlicher Entscheidungen als Risikoentscheidungen herausgearbeitet. Will man die Vereinbarkeit der richterlichen Kontrollpraxis mit höherrangigem Recht untersuchen, muss aber nicht nur der Kontrollgegenstand, die Behördenentscheidung genau bekannt sein, sondern auch die Vorgehensweise von Gerichten. Kapitel C. erläutert daher den Begriff des Beurteilungsspielraums und skizziert seine Entwicklung und Bedeutung, insbesondere für gentechnikrechtliche Entscheidungen. Nach diesen Vorarbeiten wird untersucht, ob ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum mit dem Grundgesetz vereinbar ist: Stehen ein effektiver Gerichtsschutz aus Art. 19 IV GG (Kapitel D.), ein effektiver Grundrechtsschutz (Kapitel E.) und ein effektiver Umweltschutz, wie ihn Art.20 a GG verlangt (Kapitel F.), einer begrenzten gerichtlichen Kontrolle entgegen? Insofern gilt es, sich ausführlich mit den einzelnen Argumenten auseinander zu setzen, die für einen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum vorgetragen werden (Kapitel D.). 25 Auch sind besondere Defizite des gentechnikrechtlichen Rechtsschutzes herauszuarbeiten, die aus Sicht eines wirksamen Grundrechtsschutzes für eine Vollkontrolle streiten (Kapitel E.). 26 Weiter ist zu fragen, ob nicht auch die besondere Bedeutung der Rechtsprechung als unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Gewalt gem. Art. 92, 97 GG einem gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum entgegen steht. Dies wird in einem eigenen Kapitel G. geprüft, um den Einfluss eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums auf die rechtsprechende Gewalt deutlich aufzuzeigen. Nicht nur die Rolle der Rechtsprechung als „Hüter subjektiver Rechte“ wird erhellt, sondern Kapitel G. untersucht allgemein, ob ein Beurteilungsspielraum im Gentechnikrecht mit der Stellung der Rechtsprechung im Verfassungsgefüge des Grundgesetzes vereinbar ist: Verträgt sich die Bindung von Gerichten an Verwaltungsentscheidungen tatsächlich mit den Art. 97 I, 20 III GG? Können Gerichte ihre Aufgabe, das Recht zu präzisieren und fortzuentwickeln, noch wahrnehmen, wenn sie nur beschränkt kon24 25 26

BGBl. I S. 3220. Vgl. Kapitel D. II. 3. Vgl. Kapitel E., insbesondere IV. und V.

III. Gang der Untersuchung

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trollieren? Und wird die Rechtsprechung durch einen Beurteilungsspielraum nicht auch in verfassungswidriger Weise daran gehindert, durch eine volle Kontrolle zur stärkeren Akzeptanz gentechnischer Vorhaben in der Gesellschaft beizutragen? Kapitel H. prüft darüber hinaus, ob der gentechnikrechtliche Beurteilungsspielraum europarechtsverträglich ist. Hierzu geben Anlass der „effet utile“, als Pflicht zur bestmöglichen Richtlinienumsetzung 27, und die jüngste Rechtsprechung des EuGH 28 zu den Kontrollpflichten nationaler Gerichte bei der Genehmigung des Inverkehrbringens gentechnisch veränderter Organismen im EG-Beteiligungsverfahren (§ 16 III GenTG) 29. Am Ende der Arbeit soll schließlich die eingangs gestellte Frage beantwortet werden: sind Beurteilungsspielräume im Gentechnikrecht rechtmäßig? Oder zwingen die in den Kapiteln D.–H. gewonnenen Ergebnisse zur Aufgabe der bislang „beurteilungsspielraumfreundlichen“ Rechtsprechung?

27 28 29

Vgl. Kapitel H. I. EuGH, NVwZ 2001, 61. Vgl. Kapitel H. II.

B. Kontrollgegenstände: Risikoentscheidungen nach dem Gentechnikgesetz I. Biotechnologie und Gentechnik – Begriffe und Grundlagen Die Biotechnologie wird oft als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts bezeichnet. 1 Diese Bezeichnung trifft vor allem auf die Gentechnik zu als Teilgebiet der Biotechnologie. Während sich die Biotechnologie allgemein mit biologischen Systemen beschäftigt, befasst sich die Gentechnik speziell mit der spezifischen Veränderung des Erbguts von Organismen. 2 Ihr Ziel ist es, einem Organismus bestimmte Eigenschaften zuzuweisen bzw. dessen Funktionen zu verändern. Eine Pflanze soll sich mit Hilfe eines Gens aus Bakterien selbst gegen Schädlinge schützen, eine andere Blütenfarbe ausprägen oder ein Bakterium soll artfremde Stoffe in großen Mengen produzieren, um z. B. genügend Medikamente herstellen zu können. Biologisch verbergen sich hinter den Eigenschaften von Organismen meist bestimmte Proteine. Diese sind verantwortlich für Stoffwechselreaktionen in der Zelle, die dann zur Ausprägung eines Merkmals oder Stoffes führen. 3 Ansatzpunkt der Gentechnik ist, die Zellen eines fremden Organismus, des sogenannten Wirts, so umzuprogrammieren, dass auch diese die Proteine mit den gewünschten Eigenschaften produzieren. Das ist möglich, weil Proteine aller Organismen aus Aminosäuren bestehen und deren Bauplan, die Gene, jeweils nach demselben Prinzip aufgebaut sind, dem genetischen Code. 4 Diese Universalität erlaubt, im Unterschied zu klassischen Züchtungsverfahren, Eigenschaften über Artgrenzen hinweg gezielt zu übertragen, ohne zugleich unerwünschte Eigenschaften zu übernehmen.5 Auch lassen sich kranke Gene eines Organismus durch entsprechende gentechnische Veränderungen abschalten. 6

1 K.-D. Jany/C. Kiener, Der Internist 2002, 840 (840, mi); Horst-Dieter Schlumberger, in: Gentechnologie in Deutschland, S. 165 (169). 2 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 73. 3 Vgl. dazu Horst Bayrhuber/Ulrich Kull/Ulrich Bäßler/Albert Danzer (Hrsg.), Linder, Biologie, S. 358 (li, ff.) und S. 368 (li). 4 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 14 (re); Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“, BT-Drs. 10/6775, S. 19 (re). 5 K.-D. Jany/C. Kiener, Der Internist 2002, 840 (840, re). 6 Broschüre „Grüne Gentechnik“ des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung, S.24; vgl. zur methodischen Bewirkung eines solchen knock out mit Hilfe der Antisense-Technik, Rolf D. Schmid, Biotechnologie und Gentechnik, S. 238 f.

I. Biotechnologie und Gentechnik – Begriffe

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Aus der biologischen Forschung ist die Gentechnik deshalb heute nicht mehr wegzudenken. 7 Darüber hinaus wird vom Einsatz der Gentechnik in vielen Wirtschaftszweigen ein nachhaltiger Strukturwandel erwartet. 8 So etwa in der Biomedizintechnik, der pharmazeutischen und der chemischen Industrie, der Lebensmittelindustrie, aber auch in der Umweltsanierung beim Schadstoffabbau. Der Einsatz der Gentechnik lässt daher neue Arbeitsplätze erhoffen. Bereits in den letzten beiden Jahren stieg die Mitarbeiterzahl bei den Biotech-Firmen um jeweils 30 %; seit 1999 wurden mehr als 6.000 neue Arbeitsplätze geschaffen 9. In den nächsten 10 Jahren soll sich diese Zahl verfünffachen. 10 Zudem wird erwartet, dass in den Branchen, die von der Biotechnologie abhängig sind, in Deutschland 250.000 Personen mehr beschäftigt werden können. 11 2001 waren bereits 365 Biotech-Firmen mit durchschnittlich 39 Mitarbeitern auf dem Markt. 12 Im internationalen Vergleich belegt Deutschland damit hinter den USA und Großbritannien Platz 3. 13 Entsprechendes gilt für die Patente für gentechnische Erfindungen: nur die USA und Japan liegen noch vor Deutschland. 14 Bei den Patenten auf gentechnisch hergestellte Arzneimittel rangiert Deutschland sogar auf Platz 2. Hier konnte Deutschland seine Vorreiterrolle in Europa ausbauen. 15 Hinzu kommen steigende Umsätze durch den Einsatz der Gentechnik.16 Der Siegeszug der Gentechnik als Wirtschaftszweig, der in den USA 1982 mit der Vermarktung von bakteriell hergestelltem Humaninsulin durch die Firma Genentech begann 17, hat also auch in Deutschland Einzug gehalten. 18 Gentechnikunternehmen haben sich wegen politischer wie rechtlicher Unsicherheiten zwar in der Nahrungsmittelproduktion noch nicht durchgesetzt 19, wohl aber bei Arzneimitteln und Medizinprodukten. 7 Vgl. Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 287; Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 87; BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 79 (re). 8 Edelgard Bulmahn, in: Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 7. 9 Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S.9 (Tabelle 1–1). 10 Wolfgang Stöffler (BMBF), in: Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 93 (li). 11 Wolfgang Stöffler (BMBF), in: Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 93 (li). 12 Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S.12 (li), 11 (li). 13 Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S.89 (li); Christina Steinkopff, FAZ v. 24.09.2002, S. B 1. 14 Deutsches Patent- und Markenamt, Jahresbericht 2001, S. 20, Abb. 9. 15 Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V., Statistics 2002, Die Arzneimittelindustrie in Deutschland, S. 34. 16 Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V., Statistics 2002, Die Arzneimittelindustrie in Deutschland, S. 33: Der Umsatz gentechnisch hergestellter Arzneimittel stieg 2001 um 21 % auf rund 1,3 Mrd. E. 17 Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S.48 (li). Dieses wurde 1976 entwickelt und 1982 zugelassen. 18 Vgl. auch K. Uhlenbrock, in: Raem/Braun/Fenger/Michaelis/Nikol/Winter (Hrsg.), GenMedizin, S. 661 (669). 19 Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 63 (li); Rüdiger Marquardt, in: Biotechnologie als interdisziplinäre Herausforderung, S. 39 (52); Feike

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B. Kontrollgegenstände

Ermöglicht haben diesen Wirtschaftsboom grundlegende molekularbiologische Erkenntnisse. Ihre Darlegung hilft, die Anwendungsmöglichkeiten der Gentechnik besser nachzuvollziehen. Auch erlaubt nur ihre Kenntnis eine sachliche Diskussion der Risiken der Gentechnik, der sicherheitsrechtlichen Fragen und der Gerichtskontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen. Das Gentechnikgesetz und die Gentechniksicherheitsverordnung (GenTSV) enthalten viele Fachbegriffe wie „Genom“ (§ 5 III 1 GenTSV), „Rekombinationstechnik“ (§ 3 Nr. 3 a a) GenTG), „Nukleinsäure“ (§ 3 Nr. 3 a a) GenTG, § 5 III 1 Nr. 2 GenTSV), „Vektor“ (§ 3 Nr. 15 GenTG), „Regulationssequenz“ (§ 5 III Nr. 1 GenTSV) oder „Genprodukt“ (§5 III Nr. 3 GenTSV). Die Untersuchung der Gerichtskontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen verlangt daher, dass die einzelnen naturwissenschaftlichen Begriffe bekannt sind. 20 Insbesondere scheinen spätere Aussagen zur Fähigkeit von Richtern, gentechnikrechtliche Entscheidungen zu kontrollieren, 21 nur dann glaubhaft, wenn die molekularbiologischen Grundlagen vom Verfasser selbst verstanden sind. Auch ist Wissen über das natürliche Zusammenspiel der Gene erforderlich, um in Kapitel D. bewerten zu können, ob die Gentechnik mit der Atomenergie vergleichbar ist – ein Argument, das gerne gebraucht wird, um einen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum zu begründen. 22 Im folgenden Teil der Arbeit werden daher die Grundbegriffe der Gentechnik erläutert. Erklärt wird, wie Gentechniker einen Organismus verändern. Außerdem wird die Proteinsynthese beschrieben, der Anknüpfungspunkt des Gentechnikers, um die Stoffproduktion eines Organismus zu steuern.

1. Gene, Proteine und DNA Gene enthalten die Erbinformation eines Organismus. Die Gesamtheit aller Gene eines Organismus wird Genom genannt. 23 Das Hefegenom enthält schätzungsweise ca. 6.400 Gene, das menschliche Genom 140.000. 24 Speichermedium ist die DNA (Desoxyribonucleinsäure). Die einzelnen Gene sind auf mehreren DNA-Molekülen abgelegt. Die DNA wiederum ist bei den meisten Lebewesen, den Eukaryoten, in Chromosomen im Zellkern gelagert, so etwa bei Hefen, Pflanzen, Tieren und Menschen. Bei Bakterien, den Prokaryoten, die im Unterschied zu Eukaryoten keinen Zellkern besitzen, befindet sich die DNA dagegen als freies Knäuel im Zellinnern. 25 Sijbesma, Leiter von EuropaBio (EU-Dachverband, der rund 1200 Unternehmen vertritt), FAZ v. 15.10.2002, S. 21 (mi); Joachim Müller-Jung, FAZ v. 17.01.2003, S. 32; siehe zudem unten II., IV. 2. a). 20 Vgl. Kapitel D. II. 3. a) bb) (3); Kapitel H. II. 21 Kapitel D. II. 3. a) bb). 22 Kapitel D. II. 3. c) cc). 23 Rolf. D. Schmid, Biotechnologie und Gentechnik, S. 214 (re). 24 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 24 (li), 39. 25 Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 4, 6.

I. Biotechnologie und Gentechnik – Begriffe

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Ein Gen enthält den Bauplan bzw. die Struktur für ein Protein 26, es „codiert für“ ein Protein 27. Das Gen beschreibt, welche und in welcher Reihenfolge die Aminosäuren, als Bausteine der Proteine, zu verknüpfen sind. Insgesamt gibt es nur 20 verschiedene Aminosäuren, doch lassen sich daraus fast beliebig viele Kombinationen herstellen. Z. B. besteht das Protein Insulin aus zwei sehr kurzen Ketten von Aminosäuren, eine mit 21, eine mit 30 Aminosäuren.28 Dagegen werden für das Protein Faktor VIII, das für die Blutgerinnung wichtig ist, 2.331 Aminosäuren miteinander verknüpft. 29 Die Abfolge der einzelnen Aminosäuren ist auf der DNA genau festgelegt, ebenso der Anfang und das Ende der Aminosäuren-Kette. Ein Gen hat mehrere Informationsbereiche: den Promotor, über den die Umschreibung des Gens in eine Boten-RNA (messenger-RNA, m-RNA 30) ein- und ausgeschaltet wird; das StartCodon, das den Anfang des Gens definiert, das Strukturgen, das die eigentliche Information für das Protein enthält, das Stop-Codon, welches das Ende des Strukturgens angibt und den Terminator, der den Schluss der mRNA bestimmt. 31 Die DNA besteht aus Zucker (Desoxyribose), Phosphor und ringförmigen Stickstoffverbindungen, den vier Basen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. 32 Die Verbindung aus einem Phosporbaustein, einem Zuckermolekül und einer Base wird Nukleotid genannt. Durch die Aneinanderreihung von Nukleotiden entstehen zwei Einzelstränge, die an den Basen durch Wasserstoff-Brückenbindungen zusammengehalten werden. Dabei paart sich Adenin mit Thymin und Guanin mit Cytosin. So entsteht eine Doppelstrang-Struktur, die einer Strickleiter ähnelt: Zucker und Phosphor bilden die Holme, die paarweise verbundenen Basen die Sprossen. Der Doppelstrang ist zu einem Doppelhelix gedreht. Um die gesamte Erbinformation eines Organismus in einer Zelle einlagern zu können, ist der Doppelstrang noch weiter spiralisiert und verdichtet. 33 Dadurch kann die gesamte, sehr lange DNA eines Organismus in einer Zelle gespeichert werden. 34 Entwunden ist z. B. die DNA von 26 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 28. Gene werden daher auch Strukturgene genannt. 27 Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S.19; auch die GenTSV spricht von „kodieren... für“, vgl. § 5 III 3 GenTG. 28 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 13 (li). 29 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 13 (li). 30 Die mRNA ist der DNA eng verwandt. Organisch unterscheidet sie sich aber dadurch, dass sie nicht den Zucker Desoxyribose, sondern Ribose enthält und an Stelle der Base Thymin die Base Uracil. Außerdem ist die mRNA beweglicher als die DNA, weil sie nur einzelsträngig ist und auch viel kürzer, da sie in der Regel nur den genetischen Code für ein Protein enthält (Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 51 ff., 67). 31 K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 1.3; Werner Buselmaier, Biologie, S. 208. 32 Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 10. 33 Auf eine Windung kommen dabei 10 Nukleotidpaare, siehe Horst Bayrhuber/Ulrich Kull/ Ulrich Bäßler/Albert Danzer (Hrsg.), Linder, Biologie, S. 356 (li). Vgl. weitergehend zur Drehung und Windung der DNA und der Entstehung sog. Supercoils Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 21. 34 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 20.

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B. Kontrollgegenstände

Escherichia coli, einem in der Gentechnik oft als Wirtsorganismus verwendeten Darmbakterium 35, 1000mal so groß wie die ganze Bakterienzelle. Die DNA einer menschlichen Zelle wird insgesamt 2 m lang. Dabei entspricht ihr Informationsgehalt, der auf 3 Mrd. Basenpaaren (bp) abgelegt ist, einem Inhalt von 3000 Büchern mit je 1000 Seiten à 1000 Buchstaben. 36 Verantwortlich für den Informationsgehalt der DNA sind die einzelnen Basen. 37 Die genetische Information wird durch deren Abfolge bestimmt. Dabei enthalten drei Nukleotide zusammen den genetischen Code für eine Aminosäure. Diese drei Nukleotide werden als Codon bezeichnet; ebenfalls wird der Begriff Triplett gebraucht. 38 Da zur Bildung jedes Tripletts 4 Basen zur Verfügung stehen, sind insgesamt 4³ = 64 verschiedene Tripletts möglich. Davon kodieren 61 für bestimmte Aminosäuren. 39 Bei nur 20 vorkommenden Aminosäuren folgt daraus, dass es für eine Aminosäure mehrere Definitionen gibt: eine Aminosäure kann von bis zu sechs verschiedenen Tripletts bestimmt werden. 40 Daher lässt sich zwar von einem Triplett sicher auf eine bestimmte Aminosäure schließen, nicht aber von einer bestimmten Aminosäure auf ein bestimmtes Triplett. 41 Das schließt sichere Aussagen über die Folgen eines gentechnischen Eingriffs von vorneherein aus; Behörden und Gerichte können daher nur Prognosen treffen. 42

2. Von der DNA zum Protein Nicht nur der genetische Code ist bei allen Organismen derselbe 43, sondern auch der Weg von der DNA zum Protein. Der Prozess der sog. Proteinsynthese läuft prinzipiell bei jedem Organismus gleich ab – sei er Bakterium, Pflanze oder Säuger 44. Um die Auswirkungen eines gentechnischen Eingriffs abzuschätzen, ist die Kennt35 Rolf D. Schmid, Biotechnologie und Gentechnik, S. 218 (re); Robert Koch-Institut, Gesundheit schützen, Risiken erforschen, S. 64. 36 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 20. 37 Das muss so sein, weil Zucker- und Phosphor als Bausteine der Holme auf dem ganzen Nukleotidstrang gleich bleiben, vgl. Horst Bayrhuber/Ulrich Kull/Ulrich Bäßler/Albert Danzer (Hrsg.), Linder, Biologie, S. 356 (li). 38 Werner Buselmaier, Biologie, S. 207. 39 Werner Buselmaier, Biologie, S. 208. Bei den Tripletts UAA, UAG, UGA konnte keine Aminosäure zugeordnet werden. Diese „Nonsens-Tripletts“ sind Stop-Codons. Durch sie wird die Proteinbiosynthese zum Stehen gebracht (siehe dazu auch unter 2.). 40 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 13 (li); Rolf D. Schmid, Biotechnologie und Gentechnik, S. 216 (re). 41 Horst Bayrhuber/Ulrich Kull/Ulrich Bäßler/Albert Danzer (Hrsg.), Linder, Biologie, S. 363 (li). Es wird daher auch davon gesprochen, dass der genetische Code „degeneriert“ sei. 42 Vgl. Kapitel D. II. 3. c) bb). 43 Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 83. 44 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 14 (re). Zum zusätzlichen Schritt des Spleißens bei Eukaryotischen Zellen sogleich (siehe auch Fn. 57).

I. Biotechnologie und Gentechnik – Begriffe

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nis der natürlichen Vorgänge im Empfängerorganismus ebenso wichtig wie die noch zu klärende Frage, wie Gene umprogrammiert werden45. 46 Die Proteinsynthese wird durch sog. Regulator-Gene, wie Operatoren, ausgelöst. 47 Diese reagieren auf Veränderungen außerhalb der Zelle. Benötigt der Organismus ein Protein, z. B. ein Enzym, mit dem er in der Umwelt vorkommende Nährstoffe verarbeiten kann, so können sich diese Nährstoffe am Operator anlagern und zusammen mit dem Promotor das Gen aktivieren. So wird die Enzymversorgung in Gang gesetzt. Ist das Enzym dagegen in ausreichender Menge vorhanden, wird die Proteinsynthese durch Anlagerung des Repressors, z. B. des Umsetzungsprodukts des Enzyms aus dem Nährstoff, an den Operator unterbunden. Enthält ein Organismus durch gentechnische Veränderung solche Operatorgene, kann ein Protein in großer Menge produziert werden. Ist dieses Protein z. B. gesundheitsschädlich, ist das Risiko eines gentechnischen Vorhabens größer. Die Funktion und Wirkungsweise von Regulatoren muss daher verstanden werden, um die Risiken eines gentechnischen Vorhabens einzuschätzen (vgl. § 5 III 1 Nr. 1 GenTSV). 48 Sind die Gene aktiv, so erfolgt die Proteinsynthese im Wesentlichen in zwei Schritten: der Transkription („Überschreibung“ in eine Boten- bzw. mRNA) und der Translation („Übersetzung“ der mRNA in das Protein). 49 Den gesamten Vorgang der Umsetzung genetischer Information in Proteine nennt man Genexpression, das fertige Protein Genprodukt. 50 Proteine werden nicht am Lagerort der DNA gebaut, sondern an den Werkstätten der Zelle, im Zellplasma, an den Ribosomen. Die Information, die das Gen enthält, muss erst dorthin verbracht werden. 51 Der Transport zu den Ribosomen erfolgt durch Botenmoleküle, die mRNA. 52 Zur Synthese der mRNA wird die DNA am Anfangsort eines Gens ähnlich wie ein Reißverschluss aufgebrochen. Dies geschieht durch das Restriktionsenzym RNA-Polymerase. 53 Die Anfangsbruchstelle ist dabei für die RNA-Polymerase anhand des Promotors, dem Startzeichen des gewünschten Gens, erkennbar 54, das Ende wird entsprechend durch den Terminator erkannt 55. An Siehe dazu 3. Vgl. § 5 IV GenTSV: danach ist eine Gesamtbewertung des Vektor-Empfänger-Systems vorzunehmen. Wichtig ist daher auch, dass man weiß, welche Eigenschaften des Empfängers durch die gentechnische Veränderung betroffen werden, siehe dazu unten III. vor 1. 47 Vgl. Horst Bayrhuber/Ulrich Kull/Ulrich Bäßler/Albert Danzer (Hrsg.), Linder, Biologie, S. 373 (li, ff.); Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“, BTDrs. 10/6775, S. 19 (re, f.). 48 Zur Beurteilung der Risiken von Antibiotikaresistenz-Markergenen vgl. III. 3. 49 Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 51. 50 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 32. 51 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 31. 52 Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 51 ff., 67. 53 Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 53 f. 54 Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 54, 331. Der Operator, der die Genaktivität auslöst (s. o.), sitzt unmittelbar hinter dem Promotor. Ist der Operator inaktiv, kann die DNA damit 45 46

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B. Kontrollgegenstände

den aufgebrochenen DNA-Strang lagern sich passende Gegenstück, sog. Anticodone, aus dem Zellplasma an. Durch diesen Übersetzungsvorgang von DNA auf mRNA, die sog. Transkription 56 wird ein Negativ des abgelesenen, codogenen DNA-Strangs hergestellt. Dieser wird dann zu den Ribosomen verbracht. 57 An den Ribosomen werden die Proteine gebaut; hier werden die Gene in Proteine „übersetzt“. 58 Die mRNA wird an den Ribosomen Aminosäure für Aminosäure bis zum Abbruch durch ein Stop-Codon abgelesen.59 Entsprechend dem Code der mRNA werden Aminosäuren aus dem Zellraum herangetragen und zwar durch kleine DNA-Transport-Einheiten, die sog. t-RNA, die auch die Anticodone enthalten. 60 Für jede Aminosäure gibt es mindestens eine spezifische tRNA. 61 Die tRNA kann sich mit dem Anticodon an die mRNA anlagern, weil das Anticodon aus einem Triplett besteht, das den Gegencode der mRNA enthält. 62 Dieser Code entspricht zugleich dem Ausgangscode des abgelesenen, codogenen DNA-Strangs. Dadurch werden letztlich die Aminosäuren durch Peptidbindungen zum fertigen Protein verknüpft, die für das gewünschte Protein auf dem codogenen DNA-Strang abgelesen wurden. 3. Umprogrammierung der Protein-Produktion Um ein Protein in einem fremden Organismus herzustellen, muss der natürliche Ablauf der Proteinsynthese so gelenkt werden, dass der Code dieses Proteins bei der Transkription abgelesen wird. Hierzu sind mehrere Schritte erforderlich.

nicht durch die RNA-Polymerase aufgebrochen werden. Denn diese kann nicht an den Promoter gebunden werden. Siehe dazu Horst Bayrhuber/Ulrich Kull/Ulrich Bäßler/Albert Danzer (Hrsg.), Linder, Biologie, S. 374 (re); Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 117. 55 Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 59; Werner Buselmaier, Biologie, S. 209. 56 Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 51. 57 Der Weg dorthin erfolgt bei Prokaryoten (Bakterien) ohne weitere Zwischen-Aktionen. Bei allen anderen Lebewesen, den Eukaryoten, wird die mRNA auf dem Weg zu den Ribosomen zunächst noch durch Zurechtschneiden verkleinert (Werner Buselmaier, Biologie, S. 205, 209). Introns, die keine genetische Information enthalten, werden weggeschnitten, die Exons, die für einzelne Aminosäuren kodieren, werden zusammengefügt, die mRNA wird „gespleißt“, Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S.319 (vor allem Abb. 11.9). In höheren Organismen kann der Anteil an Introns 90 % betragen (Rolf D. Schmid, Biotechnologie und Gentechnik, S. 216 [li]). Gleichwohl machen diese „leeren“ Stellen Sinn, denn ihre Reihenfolge und Häufigkeit macht die Einzigartigkeit eines Individuums aus, vgl. Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 76. 58 Horst Bayrhuber/Ulrich Kull/Ulrich Bäßler/Albert Danzer (Hrsg.), Linder, Biologie, S. 358 (re); Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 51. 59 Werner Buselmaier, Biologie, S. 211. 60 Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 67. 61 Werner Buselmaier, Biologie, S. 210. 62 Werner Buselmaier, Biologie, S. 210.

I. Biotechnologie und Gentechnik – Begriffe

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a) Isolierung und Synthetisierung von Fremd-DNA Zuerst muss die zu übertragende Fremd-DNA, die für das gewünschte Protein codiert, gewonnen werden, entweder durch Isolierung oder Synthetisierung. Bei der Isolierung entnimmt man die zu übertragende Fremd-DNA unmittelbar aus der DNA des Spenderorganismus. Die DNA des Spenderorganismus wird zunächst „freigelegt“. 63 Dann bricht man sie an der gewünschten Stelle auf. Dies geschieht durch Restriktionsenzyme 64, welche eine bestimmte Nukleotidsequenz auf der DNA erkennen und diese an den definierten Stellen schneiden. 65 Bei der Synthetisierung stellt man die Fremd-DNA dagegen synthetisch her. Diese Methode wird vor allem eingesetzt, um kleine DNA-Abschnitte zu gewinnen 66 oder solche, die in der Natur selbst nicht vorkommen. Damit die Fremd-DNA in den Zielzellen des Wirts funktionsfähig ist, muss ihr Anfangs- und Endbereich, der Kontrollbereich, der den Ablesevorgang steuert, an den Wirtsorganismus angepasst werden. 67 Denn der Informationsgehalt des Strukturgens, der die eigentliche Information für das Protein enthält68, kann zwar von jedem Organismus gelesen werden, doch ist der Kontrollbereich von Lebewesen zu Lebewesen unterschiedlich. Daher muss die Fremd-DNA enzymatisch mit solchen Promotor- und Terminator-Sequenzen als Anfangs- und Endbereich versehen werden, die von den Zellen des Wirts erkannt werden. b) Gentransfer: direkte oder vektorvermittelte Transformation Die präparierte Fremd-DNA muss nun in die Zielzelle des Wirts gebracht (transformiert) werden. Wie kann das geschehen? Zur Transformation 69 bieten sich verschiedene Verfahren an: einerseits direkte technische Methoden, andererseits (klassische) biologische Methoden, bei den aus der Natur bekannte ÜbertragungsmethoZu diesem Verfahren siehe Rolf D. Schmid, Biotechnologie und Gentechnik, S. 220 (li). In der Natur dienen Restriktionsenzyme dazu, artfremde DNA zu zerstören. Siehe hierzu Rolf D. Schmid, Biotechnologie und Gentechnik, S. 220 (re). 65 Eine weitere Möglichkeit besteht darin, mRNA aus den Zellen zu isolieren. Bei eukaryotischen Zellen wird die „reife“, schon gespleißte mRNA isoliert. Mit Hilfe der PolymeraseKettenreaktion (PCR) wird dann synthetisch die gewünschte doppelsträngige, DNA, die sog. cDNA (copy-DNA), hergestellt, siehe Rolf D. Schmid, Biotechnologie und Gentechnik, S. 218 (re). 66 Rolf D. Schmid, Biotechnologie und Gentechnik, S. 218 (li). 67 K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 1.3. 68 Siehe oben I. 1. 69 Es wird dabei weiter zwischen Transduktion und Transfektion unterschieden. Das Einführen von DNA in Bakterien wird als Transduktion bezeichnet (Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Gentechnik, §3 Rdn.70), das Einführen in höhere Zellen, z.B. Säugerzellen, dagegen als Transfektion (Klaus Minol/Ute Urmann, in: Gassen/Minol, Gentechnik, S. 156 [177]). 63 64

3 Schmieder

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B. Kontrollgegenstände

den von Bakterien oder Viren gentechnisch nachgeahmt werden. Die Wahl des Verfahrens wird vor allem von den Eigenschaften des Wirts bestimmt. 70 Direkte Methoden eines Gentransfers sind z. B. die Elektroporation oder die Mikroinjektion. 71 Bei der Elektroporation bewirken kurze elektrische Impulse, dass die „nackte“ Fremd-DNA direkt in die Wirtszelle eindringen kann, z. B. in die Protoplasten von Pflanzenzellen. 72 Bei der Mikroinjektion wird die Fremd-DNA dagegen mittels einer feinen Kapillare in eine befruchtete Eizelle geschossen.73 Dieses Verfahren wird vor allem zur Zucht transgener Tiere eingesetzt. Da der Einbau nach dem Zufallsprinzip erfolgt, müssen in der Regel 50–500 Kopien der Fremd-DNA in eine Zelle eingeschleust werden, um einen Gentransfer zu bewirken. 74 Bei der klassischen Transformationsmethode wird die Fremd-DNA nicht direkt, sondern biologisch mit Hilfe eines DNA-Moleküls, z. B. einem Virus als Vektor, in die fremde Zelle eingebracht. Dazu wird die Fremd-DNA zunächst außerhalb der Zelle, in vitro, mit Hilfe von Enzymen 75 mit dem Vektor verknüpft 76 (in-vitro Rekombination oder Neukombination von DNA 77). Anschließend wird die neukombinierte virale DNA mit Hüllproteinen des Virus zusammengegeben, so dass sich aus der DNA und den Hüllproteinen ein Viruspartikel bilden kann. Dieser Viruspartikel kann dann sehr effizient geeignete Wirtszellen infizieren. Aufgabe des Vektors ist es, die Fremdt-DNA in der Wirtszelle zu etablieren. Daher bezeichnet man Vektoren auch gerne bildhaft als „Gen-Fähren“. Durch sie verbleibt die Fremd-DNA wie ein fremder „Passagier“ in der Wirtszelle. Fachspezifisch gebraucht man indes den Begriff „Klonierungsvektor“. 78 „Klonieren“ steht dabei für Peter Brandt, Transgene Pflanzen, S. 4. Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 54. Andere Methoden sind gerade bei Pflanzen das Beschießen von Zellen mit der Genkanone (Biolitischer Gentransfer), der Gentransfer mit Fettkügelchen (sog. Lipotfektion) oder die Kalziumpräzipitation, vgl. dazu Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 52 ff.; Rolf D. Schmid, Biotechnologie und Gentechnik, S. 232 (re). 72 Kristina Sinemus, in: Gassen/Minol, Gentechnik, S. 389 (400). 73 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 88; BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 49. 74 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 88 f. 75 Vgl. zu den Enzymen zur Bearbeitung von DNA, z. B. Nucleasen zum Schneiden und Ligasen und Polymerasen zum Verknüpfen, Rolf D. Schmid, Biotechnologie und Gentechnik, S. 222 f. 76 Dazu wird die Fremd-DNA mit Anfangs-und Endbereichen versehen, die die Restriktionsenzyme des Vektors erkennen. Denn an solchen korrespondierenden Schnittstellen lagern sich DNA-Teile zusammen. Vgl. dazu das Beispiel bei Horst Bayrhuber/Ulrich Kull/Ulrich Bäßler/Albert Danzer (Hrsg.), Linder, Biologie, S. 384 (re). 77 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 39; Klaus Minol/Ute Urmann, in: Gassen/Minol, Gentechnik, S. 156. 78 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 38. Der Begriff „Klonieren“ steht dabei für das Erzeugen von Zellen mit fremdem Erbgut (Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 291; Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 38). 70 71

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die Aufgaben des Vektors, als Transportmittel zu dienen, den Erhalt der Fremd-DNA in der Zelle zu gewährleisten und dort z. B. die Proteinexpression auszulösen. 79 Bei Bakterien und Hefen wird die Fremd-DNA wie ein kleiner Satellit neben die DNA der Wirtszelle platziert. Dort vermehrt sie sich mit dem Vektor weiter und produziert das fremde Gen, weil der Vektor eine eigene Startstelle, einen sog. origin, für die Replikation trägt. 80 Bei pflanzlichen, tierischen und menschlichen Zellen, die ihre DNA nicht wie Bakterien dezentralisiert speichern, muss die Fremd-DNA dagegen in der Regel fest in die DNA der Chromosomen der Wirtszelle integriert werden. Nur so wird die Fremd-DNA vom Wirt als Bestandteil seiner DNA verstanden und bei der Zellteilung mitvererbt. Der Einbau des Fremd-Gens erfolgt dabei an einer beliebigen Stelle im Genom des Wirts, bevorzugt an Reparaturstellen der Wirts-DNA. Gegebenenfalls kann es auch zu einem mehrfachen Einbau kommen. 81 Soll dagegen kein fremdes Protein in einem anderen Organismus hergestellt werden, sondern will man ein defektes Gen eines Organismus austauschen oder abschalten, z.B. um das Reifen von Tomaten zu verzögern 82, muss man den „richtigen Genort“ für den Einbau der in vitro-veränderten DNA finden. Dies ist prinzipiell möglich, aber kompliziert. Es wird versucht, die Affinität von DNA zu nutzen, sich an homologen, übereinstimmenden Stellen zusammenzulagern und ähnliche Teile auszutauschen (sog. Crossing over). 83 Der Einbau kann wie gewünscht gelingen, doch ist er nicht sicher voraussagbar. Das macht gentechnische Verfahren prognosebedürftiger als andere Technologien. 84 Nahezu ideal als Vektoren geeignet sind Plasmide 85, kleine ringförmige DNAMoleküle, meist von Bakterien. 86 Sie haben oft die Besonderheit, dass sie nicht nur an die Nachkommen ihrer Wirtszellen weitergegeben werden, sondern dass sie auch in direktem Kontakt zu anderen Zellen treten oder in besonderen Fällen sogar in Pflanzenzellen übertragen werden. So integriert z. B. das Ti-Plasmid des Bakterium 79 Nicht gemeint ist also die Herstellung von genetisch identischen Organismen, die mit dem ähnlichen Begriff des „Klonens“ umschrieben wird. Siehe Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 291; Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 38. Allerdings wird auf das Klonen auch im Zusammenhang mit der Klonierung zurückgegriffen, z. B. um Kopien der Fremd-DNA herzustellen, Kopien des rekombinanten Vektors oder der klonierten Zelle für weitere Experimente oder die Produktion eines Proteins im großen Maßstab. Denn DNA immer wieder neu zu isolieren und abermals in den Vektor zu klonieren, würde ggf. zu anderen Ergebnissen führen und wäre aufwendiger, als identische Kopien herzustellen. Auch dient das Klonen der Erstellung von Genbanken. Vgl. Hans Günter Gassen, in: Gassen/Minol, Gentechnik, S. 209 ff. 80 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 13 (re). 81 K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 1.6.3. 82 So bei der sog. Anti-Matsch-Tomate, siehe dazu unten II. 3. 83 Vgl. zum Ganzen Klaus Minol/Ute Urmann, in: Gassen/Minol, S. 156 (174 ff.); K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 1.3; Rolf D. Schmid, Biotechnologie und Gentechnik, S. 158 (li). 84 Siehe Kapitel D. II. 3. c) cc) (2) zum Vergleich mit der Atomtechnologie. 85 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 41. 86 Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“, BT-Drs.10/6775, S.24 (li, 2. Absatz).

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B. Kontrollgegenstände

Agrobacterium tumefaciens in das Pflanzengenom verwundeter Pflanzen und löst dort die von Bauern gefürchtete Wurzelhalsgallenerkrankung aus. Diese Vorgehensweise des Plasmids macht sich die Gentechnik bei der Herstellung zweiblättriger transgener Pflanzen zu eigen, z. B. bei Tomaten, Kartoffeln oder Gurken. 87 Andere gute Vektoren sind Viren. Bei Bakterien wird z. B. der Bakteriophage l eingesetzt. 88 Für die Arbeit mit höheren Zellen, z. B. mit menschlichen Zelllinien in der Krebsforschung 89, bietet sich das DNA-Virus Adeno-Virus an oder eine Gruppe der RNA. 90 Dabei nutzt die Gentechnik die natürliche Eigenart von Viren, andere Zellen zu befallen und ihre DNA bzw. ihre RNA in fremde Zellen einzuschleusen. Zum Transport größerer DNA-Abschnitte werden Vektoren eingesetzt, die aus Plasmiden und Viren zusammengesetzt sind, z. B. die aus dem Bakteriophagen l und einem Plasmid kombinierten Cosmide. 91 Oft bringt der gewählte Vektor aber von Natur aus nicht alle Voraussetzungen mit, die der Gentechniker braucht. Deswegen müssen Vektoren vor ihrem Einsatz erst entsprechend umgerüstet werden. Beispielsweise zerbrechen manche Plasmide leicht. 92 Oder sie haben nicht die Schnittstellen für die Restriktionsenzyme, die eine Passagier-DNA braucht, um in der DNA des Wirts eingebaut zu werden. 93 In solchen Fällen muss ein Plasmid vor seinem Einsatz als Vektor zuerst selbst gentechnisch verändert werden. Außerdem müssen Gefahren, die von einem Vektor für den Wirt ausgehen, zunächst beseitigt werden. So kann das Bakterium Agrobacterium tumefaciens erst eingesetzt werden, wenn die tumorinduzierenden Gene entfernt worden sind. 94 Auch müssen Viren entschärft (attenuiert) werden: sie sollen zwar angriffslustig sein, aber den Wirt nicht schädigen. 95 87 K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 1.3; Peter Brandt, Transgene Pflanzen, S. 4 f. Bei einkeimblättrigen Pflanzen (z. B. bei Mais, Weizen und Gerste) ist dieses Verfahren indes nicht anwendbar); hier hilft nur der direkte Gentransfer mit der Particle-Gun. Siehe K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 1.3. 88 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 43. In der Natur befällt der Bakteriophage Bakterienzellen, integriert sich dort in die DNA, löst sich wieder (z. B. durch Hitze) und reißt dabei bakterielle DNA mit. Diese überträgt er dann in die Zellen, die er als nächstes befällt. 89 Dazu, dass die Somatische Gentherapie an menschlichen Zellen vom Anwendungsbereich des GenTG nicht ausgeschlossen ist, vgl. unten. IV. 2. c). 90 Klaus Minol, in: Gassen/Minol, Gentechnik, S. 341 (346 ff.); Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 46 f., 98 ff.; Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“, BT-Drs. 10/6775, S. 26 (re, f.). 91 Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 289. 92 Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 289. 93 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 42. 94 Horst Bayrhuber/Ulrich Kull/Ulrich Bäßler/Albert Danzer (Hrsg.), Linder, Biologie, S. 386 (li). 95 Rolf D. Schmid, Biotechnologie und Gentechnik, S. 232 (re).

I. Biotechnologie und Gentechnik – Begriffe

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Da sich die Produktion von Proteinen mit reinen Klonierungsvektoren nicht gezielt steuern lässt, müssen Vektoren außerdem zum Expressionsvektor aufgerüstet werden. 96 Regulatorsequenzen müssen eingebaut werden, z. B. der Milchzucker Lactose, mit dem sich die Produktion eines Fremdgens (Proteins) gezielt an- und abschalten lässt. 97 Mit Hilfe des präparierten Vektors, dem gegebenenfalls noch Marker-Gene zugefügt wurden, wird die Passagier-DNA schließlich in die Wirtszelle eingeschleust. Plasmide gelangen direkt durch Öffnungen in der Zellmembran in den Wirt; 98 dabei werden sie z. B. durch physikalische Methoden unterstützt. Die Elektroporation hilft hier, indem sie die Zellmembran durch kurze elektrische Pulse durchlässiger macht. 99 Virale Vektoren, Phagen oder Cosmide, bringen die Passagier-DNA dagegen ohne weitere Unterstützung mit Hilfe natürlicher Rezeptoren durch Infektion in die fremde Zelle. 100 Das Gefährdungspotential des Vektors ist mit in die Risikobewertung einer gentechnischen Arbeit einzustellen, dies gilt insbesondere für seine Auswirkungen auf den Empfängerorganismus (vgl. § 5 IV 2 GenTSV). Mit den genannten Methoden können im Prinzip alle Zellen gentechnisch verändert werden, sowohl Bakterien-, Pflanzen- und Säugerzellen 101. Eine Züchtung transgener Pflanzen gelingt allerdings nur, wenn die Passagier-DNA in solche Zellen eingeschleust wird, aus denen sich wieder eine ganze Pflanze züchten lässt. 102 Auch können transgene Tiere nur hergestellt werden, wenn ein Gen stabil in alle Körperzellen transferiert wird. 103 Schon lebende Tiere können daher nicht komplett transgen gemacht werden, sondern die Fremd-DNA muss in Embryonen oder in befruchtete Eizellen injiziert werden. 104

Wolfgang Schumann, in: Gassen/Minol, Gentechnik, S. 126 (131 ff.). Vgl. zur Repressor- und Operatoraktivierung, Horst Bayrhuber/Ulrich Kull/Ulrich Bäßler/Albert Danzer (Hrsg.), Linder, Biologie, S. 382 (re). 98 In Betracht kommt z. B. die Konjugation (Übertragung durch Ausbildung einer Plasmabrücke zwischen den Zellen). 99 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 52 f. 100 Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“, BT-Drs. 10/6775, S. 24 f. 101 Ausführlich zu den bei Pflanzen anwendbaren Methoden Peter Brandt, Transgene Pflanzen, S. 4 ff. 102 Im Prinzip ist bei Pflanzen eine Regeneration einer Pflanze aus jeder Zelle möglich, weil Pflanzenzellen totipotent sind, d. h. aus ihnen kann ein kompletter Organismus und nicht nur ein bestimmtes Gewebe entwickelt werden, Kristina Sinemus, in: Gassen/Minol, Gentechnik, S. 389 (391 f.). Allerdings konnte eine Regeneration von Pflanzen aus Protoplasten bislang nur bei Reis und Mais gezeigt werden, Kristina Sinemus, Biologische Risikoanalyse gentechnisch hergestellter herbizidresistenter Nutzpflanzen, S. 61. 103 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 31; Heiner Niemann/Dieter Paul, in: Gentechnologie in Deutschland, S. 35 (36). 104 Heiner Niemann/Dieter Paul, in: Gentechnologie in Deutschland, S. 35 (37); Klaus Minol/Ute Urmann, in: Gassen/Minol, Gentechnik, S. 156 (185). 96 97

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B. Kontrollgegenstände

c) Selektion Schließlich muss durch Selektionsverfahren festgestellt werden, ob der Gentransfer gelungen ist. Dass die Fremd-DNA aufgenommen wird, und dass sie sich etabliert, ist ein seltenes Ereignis, sowohl für den DNA-Transfer ohne als auch mit Vektor. Um die Zellen zu erkennen, die die Fremd-DNA aufgenommen haben, werden daher Resistenzgene, z. B. gegen Antibiotika, als Marker verwendet. 105 Diese sind in vielen Plasmiden schon natürlich im Vektor enthalten 106, falls nicht, werden sie künstlich eingebaut. Das macht gentechnische Methoden besonders riskant, vor allem für den Menschen. Denn es ist möglich, dass Antibiotikamarkergene auf ihn beim Verzehr gentechnisch veränderter Produkte übertragen werden, so dass mit Antibiotika später Krankheiten nicht mehr wirkungsvoll bekämpft werden können. 107

II. Chancen und Nutzen der Gentechnik Einsatzfelder der Gentechnik sind vor allem die Medizin und die Lebensmittelherstellung. Insoweit wird von der „roten“ und „grünen Gentechnik“ gesprochen. Daneben findet die Gentechnik, als sog. „graue Gentechnik“, Anwendung in der Gebrauchsgüterindustrie und im Umweltschutz. 108 Die Beispiele, wie die Gentechnik unser Leben in diesen Bereichen verbessern kann, sind zahlreich und beeindruckend. Da die positiven Effekte einer gentechnischen Anwendung bei der Risikobewertung gentechnischer Vorhaben mit zu berücksichtigen sind, sollen nachfolgend zumindest einige Einsatzmöglichkeiten der Gentechnik veranschaulicht werden. 109 1. Gentechnik und Diagnostik Breite Anwendung findet die Gentechnik in der Diagnostik. Mit ihr lassen sich Vaterschaftstests durchführen, Unfallopfer identifizieren und Straftäter überführen; schon winzige Mengen DNA genügen. 110 Ferner helfen gentechnische Methoden, Produktpiraten aufzuspüren, indem Produkte mit DNA-Markierungen fälschungssicher gemacht werden. 111 Auch kommen gentechnische Diagnoseverfahren in der 105 Klaus Minol/Ute Urmann, in: Gassen/Minol, Gentechnik, S. 156 (180 ff.). Zum Nachweis gibt man dem Nährboden, auf dem die Zielzellen wachsen, ein bestimmtes Antibiotikum zu. Nur die Zielzellen, die die Fremd-DNA mit dem Antibiotika-Resistenzgen aufgenommen haben, überleben. 106 So in Plasmiden, siehe dazu oben b). 107 Siehe unten III. 3. 108 Zu den Begriffen vgl. Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 7 (re). 109 Siehe unten IV. 4. c) bb) (2) und V. 110 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 75 f.; BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 100 (re). 111 Wolf Bertling, in: Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 72.

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Lebensmitteldiagnostik zum Einsatz. Z. B. werden Rinderbestände ohne BSE gentechnisch erfasst. 112 Damit kann dem Verbraucher eine BSE-freie Herkunft von Rindfleischprodukten zugesagt werden. 113 Vor allem aber erlaubt die Gentechnik Krankheiten zu diagnostizieren, so z. B. Aids, Hepatitis oder Erbkrankheiten wie das Down-Syndrom. Sogar schon im pränatalen Stadium ist eine Diagnose möglich. 114 Außerdem können Gen-Chips hergestellt werden, mit denen die Wirkung von Medikamenten genau beobachtbar ist. 115 2. Krankheitsbekämpfung durch Gentechnik Darüber hinaus eröffnet die Gentechnik vielfältige Chancen, Krankheiten zu bekämpfen. Z. B. verspricht die Somatische Gentherapie Erfolg bei der Behandlung von Krebs. 116 Die Somatische Gentherapie ist der Organ- oder Gewebetransplantation ähnlich. Bei ihr wird gentechnisch verändertes Material auf Körperzellen übertragen, im Unterschied zur Keimbahntherapie, die darauf abzielt, das Erbgut dauerhaft zu verändern. 117 Mit Hilfe der Somatischen Gentherapie lassen sich z. B. Zellen eines Hirntumors zerstören, indem man Gewebezellen, die ein Suizid-Gen enthalten, in das Gehirn einpflanzt. 118 Auch kann man Zellen gegen HIV-Infektionen resistent machen. 119 Allerdings wird die Gentherapie in Deutschland noch nicht rou112 Außerdem erfolgt der Nachweis von Lebensmittel, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten, mit Hilfe der Polymerasen-Kettenreaktion. Vgl. K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 3; Maria Mayr, FAZ v. 24.09.2002, S. B 4. 113 Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 69; Maria Mayr, FAZ v. 24.09.2002, S. B 4 (mi). 114 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 38 (li). 115 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 76 ff. 116 Vgl. dazu, dass Adeno-Viren Krebsherde zersetzen FAZ v. 07.07.2003, S. 32. 117 Zur Definition siehe die Richtlinien zum Gentransfer in menschliche Körperzellen, abgedruckt, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Teil II, F., S. 109 (1.). Zu den Methoden der Gentherapie in vivo und ex vivo vgl. Klaus Cichutek, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Teil II, A. II. Einf. Rdn. 1, Abb. 1: Möglich ist beispielsweise die Behandlung von Zellen zum Ersatz von Genen bei gestörter Genfunktion (Substitutionstherapie) oder zur Unterdrückung pathogener Genaktivitäten bei Krebs oder Virusinfekten (sog. Suppresionstherapie), Richtlinien zum Gentransfer in menschliche Körperzellen, abgedruckt, in: Eberbach/Lange/ Ronellenfitsch, GenTG, Teil II, F., S. 109. Allerdings ist das Gentechnikgesetz nicht auf die Gentherapie anwendbar, siehe unten IV. 2. c). 118 Das Suizid-Gen befällt sodann sich teilende Zellen, also ausschließlich die Tumorzellen. Dort löst das Suizid-Gen die Produktion eines Enzyms aus, das nach Zugabe eines bestimmten Medikaments in ein Zellgift umgewandelt wird. Dadurch wird die „Selbstzerstörung“ der Tumorzellen bewirkt. 119 Hans-Jürgen Thiesen auf der Tagung des Wissenschaftsverbunds Umwelt (WVU), siehe dazu den Bericht von André Bönsel, UPR 2001, 266 (li, f.). Zu Gentransfer-Studien vgl. auch Tätigkeitsbericht der ZKBS 2001, Bundesgesundheitsblatt 2002, 643 (646, li, re); A. Haniel/ H.-P. Hofschneider, in: Raem/Braun/Fenger/Michaelis/Nikol/Winter (Hrsg.), Gen-Medizin, S. 333.

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B. Kontrollgegenstände

tinemäßig angewandt. Dafür herrscht noch zu viel Unsicherheit 120; vor allem nachdem aus den USA bekannt geworden ist, dass Patienten bei der Somatischen Gentherapie gestorben sind 121. Rege eingesetzt werden aber bereits transgene Tiere. Mit ihnen untersuchen Forscher Krankheitsverläufe. Besonders gentechnisch krankgemachte Mäuse werden verwendet, weil sie dem Menschen physiologisch sehr ähnlich sind. 122 Solche Tierversuche führten bereits zu vielen Erkenntnissen über Alzheimer, Creutzfeld-Jakob, Multiple Sklerose oder Diabetes. 123 Bekannt geworden ist vor allem die Onkomaus zur Erforschung von Krebs. 124 Mit gentechnischen Methoden wird versucht, Impfstoffe gegen Aids zu entwickeln. 125 Zudem nutzt man die Gentechnik, um „knappe“ menschliche Proteine, die für viele Medikamente benötigt werden, industriell herzustellen. Gerade Bakterien, die leicht zu vermehren sind, werden hierzu eingesetzt. Z. B. wird in Eschericha coli (Ecoli)-Bakterien Humaninsulin künstlich gewonnen. 126 Nur so lässt sich heute der Weltbedarf von jährlich 5–6 Tonnen Humaninsulin decken, der bei herkömmlicher Gewinnung die Schlachtung von 50 Schweinen pro zuckerkrankem Menschen erforderte. Bei ca. 400.000 Zuckerkranken allein in Deutschland wären das jährlich 20.000.000 Schweine. 127 Außerdem lässt gentechnisch hergestelltes Humaninsulin weniger Abwehrreaktionen befürchten als Rinder- oder Schweineinsulin. 128 Lässt sich ein menschliches Protein nicht in Bakterien produzieren, werden tierische Zelllinien verwendet. So wird z. B. das Protein Erythropietin, das Sauerstoffarmut bei Nierenpatienten lindert, in Hamsterzellen (CHO-Zellen) produziert.129 Auch hilft in Hamsterzellen gewonnene menschliche DNA Mukoviszidose-Patienten. Das daraus hergestellte Medikament bewirkt, dass der zähe Schleim, der die Atemwege der Pa120 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 38 (li); Hans-Jürgen Thiesen auf der Tagung des Wissenschaftsverbunds Umwelt (WVU), siehe dazu den Bericht von André Bönsel, UPR 2001, 266 (re). 121 Klaus Cichutek, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Band 3, Teil II. Einf., Rdn. 62; siehe dazu auch DER SPIEGEL, 20/2001, S.72 ff.; siehe zudem die Meldung „Fatale Gentherapie“ der FAZ v. 13.01.2003, S. 34: Eine deutsche Studie, bei der retroviral veränderte Blutstammzellen verwendet werden, wurde gestoppt. 122 Vgl. BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 28 (re, f.). 123 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 87 ff. 124 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 28 (re, f.); vgl. auch den Bericht im SÜDKURIER v. 05.12.2002, S. 13 (re). 125 Vgl. Robert Koch-Institut, Gesundheit Schützen, Risiken erforschen, S. 64. 126 Auch wird Interleukin-2, das Krebszellen bekämpft, in Bakterien gewonnen, vgl. BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 88. 127 Vgl. BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 85 (re). 128 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 85 (re). 129 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 80 (re, f.). Wegen des verbesserten Sauerstofftransports, den das Protein bewirkt, wird das hergestellte Medikament aber oft auch zum Doping im Sport missbraucht. Höhentraining wird so auf einfache Weise imitiert.

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tienten verstopft, verdünnt wird und damit besser abgehustet werden kann.130 Heute sind viele gentechnisch erzeugte Medikamente auf dem Markt, die Schmerzen Krebskranker lindern, die Herzinfarkten und Lungenembolien vorbeugen oder die vor einer Hepatitis B und C schützen. 131 Die Ausbringungsmenge an gewünschten Proteinen ließe sich weiter durch „Gen-Farming“ erhöhen. 132 Man könnte transgene Tiere züchten, um in deren Milch pharmazeutisch benötigte Enzyme zu produzieren. Einige Tausende Schafe deckten z. B. den weltweiten Bedarf an menschlichem a 1 Antitrypsins, das Lungenkrankheiten bekämpft. Eine Herstellung von Medikamenten im Wege des „Gen-Farming“ könnte zudem ökologisch und ökonomisch interessant sein. 133 3. Bessere Produkte durch die Gentechnik Ferner könnten transgene Tiere genutzt werden, um allergieärmere Milch zu gewinnen, Milch, die sich besonders rasch zu Käse verarbeiten lässt 134 oder Fleisch mit besseren Nährwerten 135. Bei Pflanzen sind solche verbesserten Produkteigenschaften, die unter dem Stichwort „functional food“ diskutiert werden 136, bereits marktreif. Ein bekanntes Beispiel ist die Flavr Savr TM Tomate. 137 In den USA wird diese Tomate seit 1994 vertrieben. Sie wird vor allem zur Herstellung von Tomatenpüree und Ketchup verwendet. 138 Bei ihr ist es den Gentechnikern gelungen, ein Enzym zu blockieren, wodurch sich das Weichwerden hinauszögern lässt. Die Tomate kann deshalb voll ausreifen und bleibt trotzdem für den Transport fest. 139 Dies ist für den Verbraucher von Interesse, aber auch für den Landwirt, weil sich dieser BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 89. Vgl. dazu die Produktübersicht in BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 80 ff.; Jens Katzek, in: Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 65 (li, 3. Absatz) nennt die Zahl von 85 Medikamenten; vgl. außerdem zu den vielfältigen Einsatzbereichen rekombinanter Proteine die Übersicht der durch die U.S. Food and Drug Administration (FDA) zugelassenen rekombinanten Proteine bei A. Duschl/W. Sebald, in: Gen-Medizin, S. 363 (366 ff.). 132 Auch wird von „Gene-Pharming“ gesprochen, vgl. dazu Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 94. 133 Heiner Niemann/Dieter Paul, in: Gentechnologie in Deutschland, S. 35 (44 ff.); BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 48; Genforschung und Patentierung, Stellungnahme der Senatskommission für Grundsatzfragen der Genforschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, abgedruckt in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Teil II, F., S. 4. 134 SÜDKURIER v. 27.01.2003, S. 13. 135 Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 59 (re) und S. 60 (Tabelle 3–2). 136 Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 70 (li). 137 Bei dieser ist die Erbinformation des Enzyms Polygalacturonase durch gentechnische Veränderung ausgeschaltet. Daher wird sie auch als „Anti-Matsch-Tomate“ bezeichnet (Alfred Hagen Meyer, Lebensmittelrecht, S. 7); vgl. auch SÜDKURIER v. 13.04.2002, S. 22. 138 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 43 (li). 139 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 43 (li). 130 131

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für die Ernte mehr Zeit lassen kann. In Deutschland und der gesamten EU wird aber weder diese Tomate als Urprodukt vermarktet noch anderes Obst und Gemüse. 140 Als Ursache hierfür werden Vorbehalte einzelner Mitgliedsstaaten gegenüber gentechnischen Produkten angeführt. Zudem wird behauptet, Unternehmen sehen von einer Marktzulassung ab, weil Verbraucher glauben, gentechnisch veränderte Lebensmittel brächten ihnen keine Vorteile, sondern nur den Landwirten. 141 Vorbehalte anderer EG-Mitgliedstaaten gegenüber der Gentechnik mögen tatsächlich ein Grund dafür sein, dass über viele beantragte Genehmigungen seit 1996 immer noch nicht entschieden ist. 142 Dass Vorteile für den Verbraucher fehlen, lässt sich indes nicht als Vermarktungshemmnis anführen. Denn ein gutes Aroma, ein verbesserter Nährstoffgehalt und ein geringeres Allergiepotential sind sehr wohl Produkteigenschaften, die den Verbraucher interessieren. Verbraucherorganisationen fordern diese Eigenschaften sogar regelmäßig. Vor allem könnte Verbrauchern gefallen, dass transgene Lebensmittel Krankheiten auf angenehme Weise vorbeugen, etwa Eier ohne Cholesterin oder Früchte mit mehr Vitamin C 143. Ein bereits marktfähiges Beispiel ist der sog. „Goldene Reis“. Im Unterschied zu konventionellem Reis enthält er auch Vitamin A. 144 Pflanzte man ihn in Südost-Asien an, wo Reis meist alleinige Ernährungsgrundlage ist, könnte die oft tödlich endende Augenkrankheit Xerophtalmie bekämpft werden, von der fünf Millionen Kinder betroffen sind. 145 Was Unternehmen von einer regen Vermarktung gentechnisch veränderter Lebensmittel abhält, sind daher nicht die fehlenden Vorteile für Verbraucher, sondern es ist vor allem das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber gentechnisch veränderten Lebensmitteln. 146 Unternehmen verzichten daher auf eine Vermarktung, weil sie einen Imageverlust fürchten, wenn bekannt würde, dass sie auch Gentechnik-Produkte vertreiben. 147

K.-D. Jany/C. Kiener, Der Internist 2002, 840 (840, li, f.). Marianna Schauzu auf der Frühjahrstagung des Wissenschaftsverbunds Um-Welt (WVU) der Universität Rostock am 11.5.2001, vgl. den Bericht von Guy Beaucamp, NuR 2001, 450 (re). 142 Vgl. Tätigkeitsbericht der ZKBS 2001, Bundesgesundheitsblatt 2002, 643 (645, li); zur Zurückhaltung Europas gegenüber der Gentechnik vgl. auch FAZ v. 06.03.2003, S.34 und FAZ v. 25.06.2003, S. 1 und SN 1. 143 Vgl. dazu Hildegard Kaulen, FAZ v. 13.01.2003, S. 30. 144 Ernst H. Reimerders/Dirk A. Toet/Andrea Martin, in: Biotechnologie als interdisziplinäre Herausforderung, S. 261 (272 f.). 145 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 107. 146 Heinz Saedler/Wolfgang Schuchert, in: Biotechnologie als interdisziplinäre Herausforderung, S. 244 (2459 f.); Detlef Groß, Die Produktzulassung von Novel Food, S. 30; Ernst H. Reimerders/Dirk A. Toet/Andrea Martin, in: Biotechnologie als interdisziplinäre Herausforderung, S. 261 (275 f.). 147 Vgl. dazu K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 1.4.1.1. 140 141

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4. Anbauvorteile durch die Gentechnik Durch die Zucht transgener Pflanzen können die Erntemenge gesteigert und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduziert werden. Z.B. können Pflanzen resistent gemacht werden gegen Fraßschädlinge, Pilze, Bakterien, Viren, Herbizide, Trockenheit, Kälte oder schlechte Bodenbedingungen.148 Beispielsweise ist es in den USA üblich, in Kulturpflanzen Gene einzubringen, die gezielt gegen Totalherbizide schützen. 149 Dies erlaubt, auf mehrmaliges und prophylaktisches Spritzen zu verzichten. Auch können gut abbaubare Herbizide eingesetzt werden.150 Das nützt dem Landwirt, der Umwelt und jedem Einzelnen. 151 Darüber hinaus ließen sich Fraßschäden ohne chemische Pflanzenschutzmittel vermeiden, indem gentechnisch veränderte Baculoviren als „natürliche“ Insektenkiller, als Pflanzenschutzmittel, versprüht würden. 152 Noch ökonomischer ist aber die Idee, die Pflanzen selbst insektenresistent zu machen. 153 Dabei nutzt die Gentechnik die natürliche Fähigkeit bestimmter Bakterien, Insekten zu töten. So löst das Bakterium thuringiensis im Darm von Larven ein Protein auf, das für diese sehr giftig ist. Wird das Gen für dieses Protein, das sog. Bt-Gen, in Pflanzen kloniert, schützt sich die Pflanze selbst vor einem weitgehenden Fraßbefall und braucht keine Pflanzenschutzmitteln mehr. 154 In den USA hat sich dieses Verfahren bei Mais und Baumwolle bereits gut bewährt. 155 Ein weltweiter Anbau gentechnisch veränderten Maises könnte Fraßschäden an 40 Millionen Tonnen Mais verhindern; eine Menge, mit der sich die Cheopspyramide 17-mal füllen ließe. 156 Ohne Insektenfraß bei Reis könnten jährlich 51 Millionen Menschen mehr ernährt werden. 157 Auch könnte die Gentechnik Viruserkrankungen bei Pflanzen bekämpfen, denn hier fehlen geeignete chemische Mittel. 158 Mit Hilfe der Gentechnik könnte daher die wachsende Weltbevölkerung mit Getreide versorgt werden, obwohl die weltweite Anbaufläche durch 148 Heinz Saedler/Wolfgang Schuchert, in: Biotechnologie als interdisziplinäre Herausforderung, S. 244 (247 ff.); Broschüre „Grüne Gentechnik“ des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung, April 2000, S. 16. 149 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 115 f. Zum Einsatz kommt etwa die Sojabohne Roundup Ready TM des Saatgutherstellers Monsanto. 150 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 103 (re, f.). 151 A. A. Jutta Dürkop/Wolfgang Dubbert/Ingrid Nöh, Texte des Umweltbundesamts 1/1999, S. 94, die den Einsatz selektiver Herbizide aus Umweltsicht bevorzugen. 152 Jutta Dürkop/Wolfgang Dubbert/Ingrid Nöh, Texte des Umweltbundesamts 1/1999, S. 112. 153 Pflanzenschutzmittel sind meist auch ineffektiv, denn sitzt die Larve (bei Mais des Maiszünslers, bei Reis des Yellow Stem Borer, eines gelben Schmetterlings) einmal fest, ist jedes Spritzmittel unwirksam. So Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 104 f., 112. 154 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 104 f. 155 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 104 (li). 156 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 112. 157 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 104. 158 Jutta Dürkop/Wolfgang Dubbert/Ingrid Nöh, Texte des Umweltbundesamts 1/1999, S. 100 ff.

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Rodung und Erosion immer mehr zurückgeht. 159 Außerdem ließen sich mehr Milch, Fleisch, Fisch, und Geflügel produzieren, indem Tieren rekombinante Wachstumshormone injiziert werden. Gerade bei Lachs- und Forellenarten scheint eine gentechnisch bewirkte Produktionssteigerung erfolgsversprechend. 160

5. Gentechnik als Hilfsmittel in der Industrie Ein weiteres großes Anwendungsfeld der Gentechnik ist die Herstellung von Enzymen für die Lebensmittelproduktion, die Waschmittelbranche und die Konsumgüterindustrie. Enzyme werden zur Produktion anderer Stoffe benötigt, weil sie dafür erforderliche chemische Reaktionen in Gang setzen.161 Gentechnisch hergestellte Enzyme machen Brotteig luftiger 162 und helfen, kalorienarmes Bier herzustellen 163. Auch wird das Enzym Chymosin, das Käse dick macht, heute nicht mehr konventionell aus Kälbermägen gewonnen, sondern gentechnisch, und zwar in größerer Reinheit. 164 Hiermit hergestellter Käse wird auch in Deutschland verkauft 165, in den USA und in Großbritannien ist er sogar als vegetarischer Käse beliebt, weil dafür kein Kalb geschlachtet werden musste. 166 Außerdem sind gentechnisch hergestellte Enzyme in Waschmitteln heute nicht mehr wegzudenken. Gleiches gilt für die Textilindustrie, die Leder verarbeitende Industrie und die Papierherstellung. 167 Gentechnisch hergestellte Enzyme glätten po159 Jutta Dürkop/Wolfgang Dubbert/Ingrid Nöh, Texte des Umweltbundesamts 1/1999, S. 73 ff.; Ernst H. Reimerders/Dirk A. Toet/Andrea Martin, in: Biotechnologie als interdisziplinäre Herausforderung, S. 261 (262 ff.); vgl. auch Feike Sijbesma, Leiter von EuropaBio (EUDachverband, der rund 1200 Unternehmen vertritt), FAZ v. 15.10.2002, S. 21 (re); zum Einsatz der Gentechnik, um den Hunger in Entwicklungsländern zu bekämpfen, vgl. auch DIE ZEIT v. 03.07.2003, S. 16 (unten). 160 Heiner Niemann/Dieter Paul, in: Gentechnologie in Deutschland, S. 35 (40 f., 46 f.). 161 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 104 (li). 162 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 120 ff. Das Backenzym Novozym 677 der Firma Novartis ist z. B. auch in Deutschland auf dem Markt. 163 K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 1.4.1.1. Vgl. zudem die Übersicht in Tab. 10. Zu weiteren Beispielen vergleiche auch http://www.transgen.de, Anwendung Enzyme (Stand am 13.01.2003: letzte Aktualisierung, 12.10.2001). 164 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 46 (li), 105 (re). 165 Die Zulassung von Chymosin wurde im März 1997 in Deutschland durch Allgemeinverfügung gem. § 47 a LMBG genehmigt. K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 1.4.1.1. 166 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 120. Auch darf der so hergestellte Käse als koscher ausgewiesen werden, vgl. BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 105 (re). 167 Ferner ist die Synthese von Vitamin C und Vanillin mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen möglich. Doch hat diese wirtschaftlich noch keine große Bedeutung. K.-D. Jany/ R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 1.4.1.1.

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röses Gewebe, enthaaren Leder und bleichen Jeans oder Papier. 168 Des Weiteren werden Enzyme für Forschungslabors in großen Mengen und hervorragender Qualität gentechnisch hergestellt, so z. B. Ligasen, um DNA zu verbinden oder Restriktionsenzyme, um sie zu schneiden. 169 Vor allem lassen sich mit Hilfe gentechnischer Verfahren maßgeschneiderte Enzyme produzieren. 170 Durch die gentechnische Herstellung von Enzymen können Kosten von bis zu 90 % gespart werden. 171 6. Umweltschutz durch Gentechnik Die Gentechnik nützt der Umwelt, weil gentechnisch hergestellte Enzyme umweltfreundlicher sind als konventionelle. Z. B. waschen Waschmittel mit gentechnisch hergestellten Enzymen nicht nur intensiver, sondern sie benötigen auch weniger Tenside und weniger Energie, weil sie bei geringeren Temperaturen wirken. 172 Jeans lassen sich mit gentechnisch hergestellten Enzymen bleichen, ohne dass Bims als Abfallprodukt anfällt. 173 Die Gentechnik kann der Umwelt auch dadurch helfen, weil sie erlaubt, Rohstoffe künftig nachzuzüchten. 174 Beispielsweise könnte transgenes Holz anstelle von erdölhaltigen Kunststoffen im Flugzeugbau eingesetzt werden 175 oder aus Kartoffeln ließen sich Folien herstellen 176. Nachwachsende Rohstoffe, die eine weitere Ausbeutung natürlicher Ressourcen verhinderten, könnten damit Wirklichkeit werden. 177 Außerdem lassen sich Mikroorganismen mit Hilfe der Gentechnik noch effizienter zur Reinigung von Böden und Gewässern einsetzen. 178 Derzeit werden Pflanzen entwickelt, die Böden regenerieren oder die Luft reinigen (Phytofermediation 179). Durch 168 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S.123 ff.; Dieter Brauer, in: Gentechnologie in Deutschland, S. 95 (106 f.). 169 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 105 (li, f.). 170 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 106 (re, ff.). 171 K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 1.4.1.1.; Marianna Schauzu, ZUR 1999, 3 (re). 172 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 123; Hans Günther Gassen, in: Gentechnologie in Deutschland, S. 15 (28). 173 Mechthild Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 125. 174 Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 60 (re); Mathias Fladung auf der Tagung des Wissenschaftsverbunds Umwelt (WVU), siehe dazu den Bericht von André Bönsel, UPR 2001, 266 (re); Rüdiger Marquardt, in: Biotechnologie als interdisziplinäre Herausforderung, S. 39 (53). 175 Mathias Fladung auf der Tagung des Wissenschaftsverbunds Umwelt (WVU), siehe dazu den Bericht von André Bönsel, UPR 2001, 266 (re). 176 Jutta Dürkop/Wolfgang Dubbert/Ingrid Nöh, Texte des Umweltbundesamts 1/1999, S. 87. 177 Jutta Dürkop/Wolfgang Dubbert/Ingrid Nöh, Texte des Umweltbundesamts 1/1999, S. 83 ff. 178 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 52 (re). 179 BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 52 (re).

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dieses Verfahren ließen sich Böden schonend und einfach wieder ertragsfähig machen, und der Smog in Großstädten könnte umweltverträglich bekämpft werden. 180

III. Naturwissenschaftliche Risiken der Gentechnik Fällt das Wort „Gentechnik“, denken viele aber nicht an die Chancen, die unter II. dargestellt wurden, sondern sie fürchten Schäden für Laborarbeiter, unbeteiligte Dritte und die Umwelt. Diese Befürchtungen werden vor allem durch Zukunftsszenarien in der Presse geschürt. Auch wenn die Darstellung in den Medien überwiegend differenziert und vielfältig erscheint 181, verunsichern Schlagwörter wie „Genfraß“ 182 oder der Hinweis auf erhebliche Risiken. 183 Zudem verwirren widersprüchliche Mitteilungen die Öffentlichkeit und machen diese misstrauisch. 184 Aus naturwissenschaftlicher Sicht besteht jedoch zu Horrorszenarien kein Anlass, auch wenn nachteilige Folgen durch den Einsatz der Gentechnik nicht völlig ausgeschlossen werden können. Die Diskussion um die naturwissenschaftlichen Risiken der Gentechnik muss vielmehr differenziert betrachtet werden, wobei insbesondere zu berücksichtigen ist, mit welchen Organismen gearbeitet wird und welche Gene verändert, hinzugefügt oder entfernt werden, und welche Eigenschaften des Empfängerorganismus betroffen sind. Für Behörden und für Gerichte ist ein neutraler Umgang mit den Risiken der Gentechnik besonders wichtig, weil nur so eine Risikobewertung möglich ist, die beides berücksichtigt, die Risiken eines gentechnischen Vorhabens, aber auch dessen Vorteile, insbesondere für den Betreiber. 185 1. Immanente Risiken der Gentechnik? Die Arbeit mit den meisten gentechnisch veränderten Organismen ist nicht gefährlicher als der Einsatz konventioneller biotechnischer Methoden. 186 Z. B. kann die Infektion mit HIV oder dem Lassa-Virus eine Gemeingefahr auslösen, während der Kontakt mit apathogenem Escherichia coli (K 12) als Empfängerorganismus für neu zusammengesetzte Gensequenzen gesundheitlich unbedenklich ist.187 Bakteriophagen, deren Wirtsspezifität auf Bakterien beschränkt geblieben ist, sind für den Men180 Vgl. zur Aufnahme von Stickstoff aus der Luft, Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 21. 181 Vgl. dazu die Untersuchungen von Beate Schneider und Lars Harden, in: Biotechnologie als interdisziplinäre Herausforderung, S. 135 (148 ff.). 182 DER SPIEGEL 7/1996, S. 160. 183 Mit dieser Einschätzung auch K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 1.1. 184 Peter Brandt, Transgene Pflanzen, S. 255. 185 Siehe unten IV. 4. c) bb) (2) und V. Zur Gerichtskontrolle siehe Kapitel D. II. 3. a) bb) (4) und Kapitel G. III. 186 Gerd Hobom, in: Gentechnologie in Deutschland, S. 137 (139). 187 Vgl. Gregor Buschhausen-Denker/Dieter Deitenbeck, in: Buschhausen-Denker/Deitenbeck (Hrsg.), Sicherheit in der Gentechnik, S. 50.

III. Naturwissenschaftliche Risiken der Gentechnik

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schen ungefährlich, wenn sie als Vektoren eingesetzt werden. 188 Aber auch wenn in gentechnischen Anlagen mit gefährlicheren gentechnisch veränderten Organismen gearbeitet wird, scheinen die Risiken bei entsprechenden Schutzvorkehrungen gering und weitgehend beherrschbar. 189 So hat sich in den letzten 30 Jahren seit Beginn der Gentechnik kein einziger spezifisch gentechnischer Unglücksfall ereignet. 190 Zudem ist der Anbau transgener Pflanzen nicht stets riskanter als die konventionelle Pflanzenzüchtung. 191 Insbesondere macht die Gentechnik aus einem harmlosen Organismus durch die Übertragung apathogener Gene nicht plötzlich einen hochgradig gefährlichen Organismus. 192 Auch kann von konventionellen Lebensmitteln ein ähnlich großes allergenes und toxisches Gesundheitsrisiko ausgehen als von transgenen Lebensmitteln. 193 Die in Soja, Mais und Raps neu eingeführten Gene scheinen z.B. nicht allergen. 194 Zudem werden die Eigenschaften vieler Produkte (z. B. von Kartoffeln oder Rapsöl) nicht durch einen Gentransfer verändert. 195 Allerdings wäre es falsch, aus den bisher fehlenden Negativerkenntnissen zu schließen, dass von der Gentechnik gar kein Risiko ausgeht. Besonders der Vergleich mit herkömmlichen Forschungen darf nicht über die Risiken gentechnischer Arbeiten hinwegtäuschen. 196 Vor allem ist zu bedenken, dass die Gentechnik einen Eingriff 188 Gregor Buschhausen-Denker/Dieter Deitenbeck, in: Buschhausen-Denker/Deitenbeck (Hrsg.), Sicherheit in der Gentechnik, S. 63. 189 Vgl. BT-Drs. 11/5622, S. 20 (li, 2. Absatz). 190 Horst-Dieter Schlumberger, in: Gentechnologie in Deutschland, S. 165 (175); Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 46. 191 Vgl. Jutta Dürkop/Wolfgang Dubbert/Ingrid Nöh, Texte des Umweltbundesamts 1/1999, S. 69 zur Beeinträchtigung der Rassen- und Sortenvielfalt; Alfred Pühler/Inge Broer/Mathias Keller, in: Gentechnologie in Deutschland, S.125 (133); vgl. auch Barbara Weber, Evolutionsbiologische Argumente in der Risikodiskussion am Beispiel der transgenen herbizidresistenten Pflanzen, S. 110 f., obwohl sie insgesamt von weitreichenden Risiken transgener Pflanzen ausgeht und daher deren Anbau ablehnt (S. 111); DIE ZEIT v. 03.07.2003, S. 16 (oben). 192 Dieter Brauer, in: Gentechnologie in Deutschland, S. 95 (115). 193 K.-D. Jany/C. Kiener, Der Internist 2002, 840 (840, li); Peter Brandt, Transgene Pflanzen, S. 223 f.; Marianna Schauzu, ZUR 1999, 3 (5, li) speziell zur transgenen Sojabohne. In den USA wurde zwar die Entwicklung einer transgenen Sojabohne mit einem erhöhten Nährwert durch Übertragung von Genen der Paranuss wieder eingestellt, weil diese hoch allergen war. Doch wurzelte das allergene Potential nicht in der gentechnischen Veränderung, sondern im bekannten Allergierisiko der Paranuss (vgl. Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 50). 194 K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 1.6.5.; vgl. aber die Studie der U.S.-amerikanischen Umweltbehörde EPA zur Allergenität des Gen-Maises Star-Link (http://www.transgen.de, Sicherheit, Gentechnik macht Allergien, Stand: 13.01.2003: letzte Aktualisierung, 22.12.2002). 195 Dieter Heublein, NuR 2002, 719 (723, li). 196 So aber Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 35 ff., insbes. S. 45 ff., für transgene Pflanzen. Gentechnikspezifische Risiken seien nicht erkennbar. Daher sei eine Regulierung „irrational“ (S. 49). Allerdings überzeugt dieser Schluss nicht. Vielmehr müsste umgekehrt gefragt werden, ob nicht auch konventionelle Forschungsarbeiten einer umfassenden Risikobewertung bedürften. So auch Andreas Fisahn/Gerd Winter, Texte des Umweltbundesamts 20/1999, S. 198.

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B. Kontrollgegenstände

in die Erbsubstanz darstellt. 197 Daher fehlt es im Unterschied zu herkömmlichen Forschungen noch mehr an Risikowissen. Durch eine sorgfältige Risikobewertung und entsprechende Schutzmaßnahmen lassen sich Risiken zwar minimieren, doch kann ein Risiko für Laborarbeiter, für unbeteiligte Dritte und für die Umwelt nicht mit letzter Gewissheit verneint werden 198, auch wenn mit gut charakterisierten, gentechnisch veränderten Organismen gearbeitet wird. 199 Trotz Impfungen können Arbeiter infiziert werden. 200 Auch ist es möglich, dass gentechnisch veränderte Organismen, die über die Abluft oder das Abwasser nach draußen gelangen oder von Laborpersonal über Kleidung oder Schleimhäute freigesetzt werden, auf unbeteiligte Dritte übertragen werden. 201 Zudem kann Pollen über die Klappen von Gewächshäusern entweichen und sich im Ökosystem verbreiten. 202 2. Besondere Risiken bei Freisetzungen? Auswirkungen auf das Ökosystem lassen vor allem Freisetzungen erwarten. Besonders die fehlende Rückholbarkeit macht Sorge, denn die Artenvielfalt, der sog. Genpool, droht quantitativ und qualitativ verändert zu werden. Transgene Tiere könnten z. B. in andere ökologische Nischen eindringen oder ihr Fortpflanzungsverhalten ändern. 203 Außerdem ist beim Anbau transgener Pflanzen ein vertikaler Gentransfer zu erwarten, indem transgene Saat auf verwandte nicht-transgene Pflanzen übertragen wird. Ausgelöst wird ein vertikaler Gentransfer durch Pollenflug oder durch eine Verschleppung des Pollens durch Insekten (z. B. durch Bienen). 204 Heimische Wildtypen können so verdrängt werden. 205 Z. B. ist bei Raps nachgewiesen, dass die ReSo auch Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 55. Vgl. K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 1.6. 199 Vgl. Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 56; Gregor Buschhausen-Denker, in: Buschhausen-Denker/Deitenbeck (Hrsg.), Sicherheit in der Gentechnik, S. 43 (50). 200 Arno Scherzberg, VerwArch 84 (1993), 484 (486 f.), der vor allem darauf hinweist, dass die Langzeitfolgen von Laborinfektionen noch nicht abschließend beurteilt sind. 201 Vgl. Gregor Buschhausen-Denker, in: Buschhausen-Denker/Deitenbeck (Hrsg.), Sicherheit in der Gentechnik, S. 43 (48). 202 Allgemein zu den nicht völlig vermeidbaren Lecken im Sicherheitssystem gentechnischer Anlagen, Arno Scherzberg, VerwArch 84 (1993), 484 (487 f.); Martin Beckmann auf dem Trierer Kolloquium des Instituts für Umwelt- und Technikrecht, siehe den Tagungsbericht von Tanja Barton, NuR 2003, 23 (24, re). 203 Jutta Dürkop/Wolfgang Dubbert/Ingrid Nöh, Texte des Umweltbundesamts 1/1999, S. 118. 204 Kristina Sinemus, Biologische Risikoanalyse gentechnisch hergestellter herbizidresistenter Nutzpflanzen, S. 157; Broschüre „Grüne Gentechnik“ des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung, April 2000, S. 20. 205 Ingrid Nöh, ZUR 1999, 12 (15, re); Heinz Saedler/Wolfgang Schuchert, in: Biotechnologie als interdisziplinäre Herausforderung, S. 244 (252). 197 198

III. Naturwissenschaftliche Risiken der Gentechnik

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sistenz gegen das Herbizid BASTA auf verwandte Kreuzblüter übertragen wird. 206 Bei transgenen Kartoffeln, Mais oder Soja ist ein solcher vertikaler Gentransfer dagegen ausgeschlossen, weil diese Pflanzen in Mitteleuropa keine entsprechenden Kreuzungspartner haben. Doch kann es auch bei diesen Pflanzen unerwünschte Effekte geben: Sie können verwildern, d. h. sie können ihre durch langjährige Züchtung erworbenen Eigenschaften verlieren, wenn sich gentechnische Organismen ungewollt verbreiten. 207 Methoden, um einen vertikalen Gentransfer auszuschließen, sind theoretisch vorhanden. Doch sind sie unpraktikabel, wie die Möglichkeit, den Pollenflug durch eine Sterilität männlicher Kreuzungspartner zu verhindern 208, oder die Methoden sind noch unausgereift, so z. B. die Idee, fremde Proteine lediglich in den Chloroplasten auszuprägen, die nicht im Pollen vorkommen. 209 Neben einem vertikalen Gentransfer muss befürchtet werden, dass sich beim Anbau virus-resistenter Pflanzen neue Virusvarianten bilden. 210 Entsprechende Sicherheitsvorkehrungen, wie die Entschärfung (Attentuierung) der verwendeten Stämme, sind daher unerlässlich, um Auswirkungen auf andere Pflanzen und die Allgemeinheit zu verhindern. 211 Auch muss ein horizontaler Gentransfer bei der Risikoabschätzung mitbedacht werden 212, bei dem Erbmaterial von einem Individuum auf Organismen anderer Art übertragen wird. 213 Dadurch kann die Bodenmikroflora geändert werden 214 oder es kann zu toxischem Wirkungen und Immunitäten kommen. Z. B. ist es möglich, dass 206 K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 1.6.2.; siehe zur Genübertragung auf Wildpopulationen bei Raps und Rüben auch Kristina Sinemus, Biologische Risikoanalyse gentechnisch hergestellter herbizidresistenter Nutzpflanzen, S. 145 ff. 207 Tätigkeitsbericht der ZKBS 2001, Bundesgesundheitsblatt 2002, 643 (651, li); K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 1.6.2. 208 Denn der Pollenaustrag wird benötigt, um die Linie für die Saatgutproduktion weiterzuführen. Auskunft Robert Koch-Institut, 20.09.2002; vgl. FAZ v. 07.05.2003, S. 34. 209 Vgl. dazu auch Heinz Saedler/Wolfgang Schuchert, in: Biotechnologie als interdisziplinäre Herausforderung, S. 244 (252); Peter Brandt, Transgene Pflanzen, S. 13; Jutta Dürkop/ Wolfgang Dubbert/Ingrid Nöh, Texte des Umweltbundesamts 1/1999, S. 173; FAZ v. 12.02.2003, Beitrag von Joachim Müller-Jung. 210 Peter Brandt, Transgene Pflanzen, S. 224 ff.; Jutta Dürkop/Wolfgang Dubbert/Ingrid Nöh, Texte des Umweltbundesamts 1/1999, S. 103. 211 Heinz Saedler/Wolfgang Schuchert, in: Biotechnologie als interdisziplinäre Herausforderung, S. 244 (253). 212 Vgl. Heinz Saedler/Wolfgang Schuchert, in: Biotechnologie als interdisziplinäre Herausforderung, S. 244 (252); Ingrid Nöh, ZUR 1999, 12 (15, li); Inge Broer/Alfred Pühler, Stabilität von HR-Genen in transgenen Pflanzen und ihr spontaner horizontaler Gentransfer auf andere Organismen, S. 44. 213 Kristina Sinemus, Biologische Risikoanalyse gentechnisch hergestellter herbizidresistenter Nutzpflanzen, S. 148. 214 Kristina Sinemus, Biologische Risikoanalyse gentechnisch hergestellter herbizidresistenter Nutzpflanzen, S. 151 f.

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Ackerbegleitflora zerstört wird. 215 Der Pollen herbizid-resistenten Bt-Maises kann vielleicht Nicht-Schädlinge wie die Raupen des Monarchfalters töten. Nach dem derzeitigen Wissensstand scheint dieses Risiko zwar vernachlässigbar, doch gibt es noch keine eindeutigen Ergebnisse. 216 Besonders die Wirkung vieler Gene ist noch zu wenig bekannt, als dass sich negative Auswirkungen mit hundert prozentiger Sicherheit ausschließen lassen. Die Funktion der meisten Gene ist unerforscht, nicht nur des menschlichen Genoms, sondern auch des planzlichen: erst 15% der Funktionen ihrer Gene sind bekannt 217. Auch kann der Integrationsort von Genen nicht zielsicher vorhergesagt werden. 218 Selbst bei besonders gut untersuchten Organismen wie Escherichia coli versteht man das Zusammenspiel der Gene noch nicht vollkommen. 219 Zudem kommt es auch in intakten Genomen und Biosystemen stets zu Mutationen und Rückmutationen, deren Häufigkeit und Folgen unvorhersehbar sind. Gerade die Langzeitfolgen der Gentechnik auf das Ökosystem sind deshalb nicht genau abschätzbar. 220 3. Spezifische Risiken beim Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Produkte? Eine Gefährdung lässt sich auch beim Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen nicht sicher verneinen 221, mag sie auch recht klein scheinen. 222 Befürchtet wird insbesondere ein horizontaler Gentransfer von AntibiotikaresistenzMarkergenen, wenn gentechnisch veränderte Lebensmittel verzehrt werden, z. B. transgene Pflanzen, Tiere, die mit transgenen Pflanzen gefüttert wurden oder Joghurt, der gentechnisch veränderte Milchsäurebakterien enthält. Eine Übertragung Ingrid Nöh, ZUR 1999, 12 (14, re). Tätigkeitsbericht der ZKBS 2001, Bundesgesundheitsblatt 2002, 643 (650, re); Heinz Saedler/Wolfgang Schuchert, in: Biotechnologie als interdisziplinäre Herausforderung, S. 244 (252). 217 Arno J. Krotzky, in: Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 64. 218 K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 1.3 und 1.6.3; Kristina Sinemus, Biologische Risikoanalyse gentechnisch hergestellter herbizidresistenter Nutzpflanzen, S. 129; siehe zudem oben I. 3. c). 219 Erst die Funktion von etwa 2/3 der Proteine ist derzeit erforscht. Rolf D. Schmid, Biotechnologie und Gentechnik, S. 182 (li). 220 Jutta Dürkop/Wolfgang Dubbert/Ingrid Nöh, Texte des Umweltbundesamts 1/1999, S. 161 f.; Barbara Weber, Evolutionsbiologische Argumente in der Risikodiskussion am Beispiel der transgenen herbizidresistenten Pflanzen, S. 106, 108; vgl. auch Ingrid Nöh, ZUR 1999, 12 (re). 221 Vgl. Alexander Meier, Risikosteuerung im Lebensmittel- und Gentechnikrecht, S. 5; Kristina Sinemus, Biologische Risikoanalyse gentechnisch hergestellter herbizidresistenter Nutzpflanzen, S. 122 f. 222 Vgl. ZKBS-Empfehlungen „Biologische Sicherheit von Antibiotika-Resistenzgenen“ abgedruckt in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Teil I, G., Nr. 47, S. 5: „Wenn überhaupt die Übertragung eines Antibiotika-Restistenzgens aus dem Genom einer transgenen Pflanze in das eines Bakteriums eintreten sollte ...“. 215 216

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der Antibiotikaresistenz-Gene erscheint sehr unwahrscheinlich. Erstens wird in der Nahrung enthaltene DNA im Verdauungstrakt weitestgehend abgebaut. Zweitens werden transgene Pflanzen mit Kontrollregionen ausgestattet, die in Darmbakterien nicht abgelesen werden können; dadurch wird eine Herstellung von Antibiotikaresistenz-Genen unterbunden. Drittens verwenden Ärzte zumindest in der Humanmedizin überwiegend Antibiotika 223, deren Wirkung nicht durch Markergene beeinträchtigt wird. 224 Gleichwohl ist eine Übertragung der Antibiotikaresistenz-Gene auch bei einem verantwortungsbewussten Umgang mit Antibiotika möglich. 225 Vor allem für den Menschen wäre ein Gentransfer gefährlich. Ein medikamentöser Einsatz von Antibiotika könnte bei einer späteren Erkrankung nicht die gewünschte Wirkung zeigen und eine Behandlung erschweren. Um dieses Risiko zu vermeiden, haben sich die Mitgliedstaaten der EG dazu verpflichtet, die Verwendung von Antibiotarestistenzmarkern bis 2009 schrittweise einzustellen. 226 Methoden, um auf Antibiotikaresistenz-Markergene bei der Herstellung transgener Pflanze zu verzichten, existieren bereits. Etwa werden einfache Zuckermoleküle zum Nachweis des Gentransfers eingesetzt 227 oder man entfernt Antibiotikaresistenz-Gene durch andere Gene aus der transgenen Pflanze (sog. Gene-Switch-Technologie) 228. 229 Für einen alltäglichen Einsatz sind solche Verfahren aber noch nicht ausgereift. Bis 2009 müssen Antibiotikaresistenzen bei der Risikobewertung transgener Pflanzen daher noch berücksichtigt werden. 230 Des Weiteren ist das allergene Potential transgener Pflanzen zu bedenken. Grundsätzlich bergen transgene Pflanzen zwar kein größeres allergenes Potential als kon223 Wegen starker Nebenwirkungen wird etwa auf den Einsatz von Kanamycin verzichtet, K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 1.6.1. Ampicillin kommt dagegen in der Humanmedizin häufig zum Einsatz. Daher rät das Umweltbundesamt von einer Verfütterung und einem Verzehr roher Pflanzen mit Ampicillinresistenzgenen ab, Jutta Dürkop/Wolfgang Dubbert/Ingrid Nöh, Texte des Umweltbundesamts 1/1999, S. 80 f. 224 Marianna Schauzu, ZUR 1999, 3 (5, re, f.); K.-D. Jany/C. Kiener, Der Internist 2002, 840 (843, mi, ff.). 225 Marianna Schauzu, ZUR 1999, 3 (5, re, f.); K.-D. Jany/C. Kiener, Der Internist 2002, 840 (843, mi); Jutta Dürkop/Wolfgang Dubbert/Ingrid Nöh, Texte des Umweltbundesamts 1/1999, S. 80; vgl. dazu insbesondere die Forschungsergebnisse von Walter Doerfler/Rainer Schubbert, Dt. Ärztebl. 94 (1997) A3465 ff.: Bei Mäusen wurde verfütterte Fremd-DNA des Bakteriophagen M 13 in Milzzellen bis zu 10 Tage nach der Fütterung nachgewiesen. Sogar die Nachkommen dieser Mäuse enthielten in einigen Zellen Fremd-DNA. Daher halten die Autoren auch beim Menschen einen Gentransfer für möglich, plädieren aber für umfassende, weitere Forschungen, um endgültige Empfehlungen abzugeben. 226 Art. 4 II der Freisetzungs-RiL 2001/18/EG (ABl. EG 2001 Nr. L 106, S. 1); zu ihr siehe auch IV. 1. 227 Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 68 (re). 228 Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 61 (li). 229 Vgl. des Weiteren zu alternativen Methoden bei transgenen Kartoffeln, Tätigkeitsbericht der ZKBS 2001, Bundesgesundheitsblatt 2002, 643 (649, re). 230 A. A. K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 1.3; vgl. auch unten zur Risikobewertung bei Freisetzungen und beim Inverkehrbringen IV. 5. b) bb), c) bb).

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B. Kontrollgegenstände

ventionelle Pflanzen. Doch können auch durch ihren Verzehr Allergien ausgelöst werden, gerade wenn sie ein neues Protein herstellen.231 Ebenso sind toxische Reaktionen auf Herbizidresistenzen möglich 232 oder auf Honig aus dem Pollen transgener Pflanzen 233. 4. Rechtliche Folgerungen aus der Annahme naturwissenschaftlicher Risiken Die Gentechnik birgt also Risiken, doch schließt das ihren Einsatz nicht aus. Erforderlich ist ein verantwortungsvoller Umgang. Dazu gehört eine sorgfältige Risikoprüfung und die Anordnung entsprechender Vorsorgemaßnahmen, um den Eintritt von Schäden so weit irgend möglich auszuschließen. Hierfür sind rechtliche Rahmenbedingungen notwendig, die durch Zulassungsverfahren sicherstellen, dass die Risiken eines Vorhabens umfassend bewertet werden und dass Behörden Eingriffsbefugnisse für erforderliche Schutzmaßnahmen erhalten.

IV. Die rechtliche Steuerung der Gentechnik in Deutschland Bis 1990 war die Gentechnik in Deutschland nicht speziell geregelt. Für die Zulassung gentechnischer Vorhaben wurde daher auf das BImSchG zurückgegriffen. 234 Außerdem bewertete man gentechnische Vorhaben anhand der „Richtlinien zum Schutz vor Gefahren durch in vitro-neukombinierte Nukleinsäuren“. 235 Verbindlich waren diese nur für staatlich betriebene Forschungsprojekte. 236 Bei privaten Unternehmen musste auf die Zusage des Privaten vertraut werden, die Richtlinien im Wege der freiwilligen Selbstbindung zu beachten. Diese dürftige gesetzliche Ausgestaltung wurde wegen der Risiken der Gentechnik als ungenügend kritisiert. Daher setzte der Bundestag im Juni 1984 die Enquê231 Vgl. K.-D. Jany/C. Kiener, Der Internist 2002, 840 (842, li, f.); BMBF, Biotechnologie – Basis für Innovationen, S. 45 (li). 232 Kristina Sinemus, Biologische Risikoanalyse gentechnisch hergestellter herbizidresistenter Nutzpflanzen, S. 154 und S. 155 Tabelle C 6. 233 Peter Brandt, Transgene Pflanzen, S. 233. 234 § 4 BImSchG. 1988 waren gentechnische Anlagen in den Katalog genehmigungsbedürftiger Anlagen aufgenommen worden, vgl. Nr. 4.11. des Anhangs zur Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen i. d. F. vom 15.07.1988 (BGBl. I S. 1059). Vgl. zur Rechtslage nach dem BImSchG auch Florian Gerlach, Das Genehmigungsverfahren zum Gentechnikgesetz, S. 24 ff. 235 Abgedruckt in Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“, BTDrs. 10/6775, S. 383 ff.; vgl. dazu auch Florian Gerlach, Das Genehmigungsverfahren zum Gentechnikgesetz, S. 23 f. 236 Abschnitt C, Nr. 2 (1) der Richtlinien; siehe außerdem Dieter Brauer, in: Gentechnologie in Deutschland, S. 95 (119); Nicola Krekeler, Die Genehmigung gentechnischer Anlagen und Arbeiten nach dem GenTG, S. 19 f.

IV. Die rechtliche Steuerung in Deutschland

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te-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnik“ ein, um ein Gentechnikgesetz auszuarbeiten. 237 Die Kommission befasste sich sehr eingehend mit den wissenschaftlichen Grundlagen der Gentechnik und legte schließlich ein umfassendes Dossier vor, in dem sie die rechtliche Zulassung der Gentechnik in Deutschland bei entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen befürwortete. 238 Bei den Parteien stieß sie damit überwiegend auf Zustimmung. 239 Nur die GRÜNEN lehnten ein Gentechnikgesetz kategorisch ab. 240 Detailfragen über die Ausgestaltung der einzelnen Zulassungsverfahren versprachen dennoch eine langwierige, zähe Auseinandersetzung zwischen CDU/CSU, FDP und SPD. Letztlich wurde das Gentechnikgesetz aber doch recht rasch erlassen.241 Merklich beschleunigt wurde das Gesetzgebungsverfahren durch den aufsehenerregenden 242 Beschluss des VGH Kassel vom 6. November 1989. 243 Das Gericht hatte die Inbetriebnahme einer Anlage der Hoechst AG zur gentechnischen Herstellung von Humaninsulin untersagt, weil es der Auffassung war, das BImSchG genüge nicht als Rechtsgrundlage für den Betrieb gentechnischer Vorhaben. 244 Obwohl Art. 5 III 1 2. Var. GG zum Betrieb der Anlage berechtigte 245, meinte der VGH, der Betrieb der Anlage müsse spezialgesetzlich genehmigungspflichtig sein; das Fehlen eines gesetzlichen Genehmigungserfordernisses in einem eigenen Gentechnikgesetz verstoße gegen den Vorbehalt des Gesetzes und verletze die Anlagengegner in ihrem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. 246 Der Bundestag sah sich deshalb unter Druck gesetzt, die Zulassung gentechnischer Vorhaben auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. 247 Hinzu kam, dass der Erlass der umsetzungsbedürftigen 237 Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“, BT-Drs. 10/6775, S. 1 ff. 238 Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“, BT-Drs. 10/6775, Abschnitt A Zusammenfassung der Empfehlungen, S. VII ff. 239 Vgl. zu den einzelnen Positionen der Parteien BT-Drs. 11/6778, S. 32 (re, ff.). 240 BT-Drs. 11/6778, S. 35 (li). 241 Nachdem die Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ ihren Abschlussbericht im Januar 1987 dem Bundestag zugeleitet hatte, wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung am 12.07.1989 verabschiedet (BT-Drs. 11/5622). Schon am 20.06.1990 trat das Gentechnikgesetz in Kraft (BGBl. I S. 1080). Ausführlich zur Entstehungsgeschichte des Gentechnikgesetzes siehe Ezra Zivier, Rechtsprobleme des Gentechnikgesetzes, S. 18 ff. 242 Florian Gerlach, Das Genehmigungsverfahren zum Gentechnikgesetz, S.38 ff.; Michael Ronellenfitsch, VerwArch 93 (2002) 295 (302); Horst-Dieter Schlumberger, in: Gentechnologie in Deutschland, S. 165 (169 f.). 243 VGH Kassel, NJW 1990, 336 ff. Die Fraktionen von CDU und FDP brachten bereits eine Woche nach diesem Beschluss einen dringlichen Antrag im hessischen Landtag ein, um die Verabschiedung des Gentechnikgesetzes zu beschleunigen. Vgl. Ezra Zivier, Rechtsprobleme des Gentechnikgesetzes, S. 21. 244 VGH Kassel, NJW 1990, 336 (337, li, ff., 339, li). 245 Gegen den Beschluss des VGH daher auch statt vieler Jürgen Fluck, UPR 1990, 81 (83, re, ff.). 246 VGH Kassel, NJW 1990, 336 (339, li, f.). 247 Mit umfassender Bewertung, ob der Gesetzgeber den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts genügt hat, Friederike Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, S. 172 ff. Zur

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EG-Richtlinie über gentechnische Arbeiten im geschlossenen System (SystemRichtlinie) unmittelbar bevorstand. Auch sollte die Freisetzungs-Richtlinie in Kürze verabschiedet werden. 248 Zudem wurde die Entscheidung des Bundesrates über das Gesetz vorangetrieben, weil Bedenken bestanden, ob der Regierungsentwurf nach den Wahlen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen noch mehrheitsfähig sein könnte. 249 1. Rechtsgrundlagen Außer durch das Gentechnikgesetz, als zentraler Rechtsgrundlage, ist die Gentechnik heute durch zahlreiche Rechtsverordnungen geregelt. Im Wesentlichen sind dies die Gentechnik-Sicherheitsverordnung (GenTSV) 250, die GentechnikVerfahrensverordnung (GenTVfV) 251, die Gentechnik-Anhörungsverordnung (GenTAnhV) 252, die Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung (GenTAufZV) 253 und die Verordnung über die Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBSV) 254. Hinzu kommen die Bundeskostenordnung zum Gentechnikgesetz (BGenTGKostV) 255, die Verordnung über die Beteiligung des Rates, der Kommission und der Behörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum im Verfahren zur Genehmigung von Freisetzungen und Inverkehrbringen sowie im Verfahren bei nachträglichen Maßnahmen nach dem Gentechnikgesetz (Gentechnik-Beteiligungsverordnung – GenTBetV) 256 und die Gentechnik-Notfallverordnung (GenTNotV). 257 Wichtig sind außerdem die Organismenlisten, die bislang vom RKI und künftig * vom Erforderlichkeit einer formell-gesetzlichen Grundlage bei Freisetzungen Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 109. 248 Zu diesen beiden Richtlinien vgl. sogleich unten IV. 1. 249 Vgl. dazu Michael Kloepfer/Kilian Delbrück, DÖV 1990, 897 (898, li). 250 Vom 24.10.1990 (BGBl. I S. 2340) zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht (vgl. BT-Drs. 15/996, S. 5 und das Vorwort dieser Arbeit). 251 Vom 24.10.1990 (BGBl.I S. 2378) zuletzt geändert durch Art.2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes v. 16.08.2002 (BGBl. I S. 3220 [3227 f.]). 252 Vom 24.10.1990 (BGBl. I S. 2375) i. d. F. der Bekanntmachung vom 04.11.1996 (BGBl. I S. 1649). 253 Vom 24.10.1990 (BGBl.I S. 2338) zuletzt geändert durch Art.5 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes vom 16.08.2002 (BGBl. I S. 3220 [3243 f.]). 254 Vom 30.10.1990 (BGBl. I S. 2418) zuletzt geändert durch Art. 1 § 6 des Gesetzes zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht (s. Fn. 250). 255 Vom 9.10.1991 (BGBl. I S. 1972), zuletzt geändert durch Art. 1 § 4 des Gesetzes zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht (s. Fn. 250). 256 Vom 17.05.1995 (BGBl. I S. 734), zuletzt geändert durch Art. 1 § 2 des Gesetzes zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht (s. Fn. 250). 257 Vom 10.12.1997 (BGBl. I S. 2882), zuletzt geändert durch Art.1 § 5 Gesetzes zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht (s. Fn. 250). * Siehe das Gesetz zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht (BR-Drs. 600/03, BT-Drs. 15/1222, 15/996, S. 5, § 31.) und das Vorwort dieser Arbeit.

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Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft als Verwaltungsvorschriften erlassen werden (§ 5 VI GenTSV). 258 Auch wird das deutsche Gentechnikrecht durch EG-Recht bestimmt. Bei der Frage, wie genau Gerichte gentechnikrechtliche Behördenentscheidungen kontrollieren müssen, wird dies zu berücksichtigen sein 259. Neben der Freisetzungs-RiL 260, der System-RiL 261 und der Richtlinie über Biologische Arbeitsstoffe 262 nahm die Novel Food-VO 263 maßgeblichen Einfluss auf die rechtliche Behandlung gentechnischer Vorhaben. Zusätzlich erweiterten Etikettierungs-Verordnungen die Kennzeichnungspflichten für Lebensmittel über Art. 8 Novel Food-VO 264 hinaus. Nicht nur Lebensmittel, die unter die Novel Food-VO fielen, waren daher zu kennzeichnen, sondern auch Lebensmittel, die Zusatzstoffe oder Aromen enthalten, die genetisch verändert sind oder aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt wurden. 265 Zudem wurde die Kennzeichnungspflicht durch die Etikettierungs-Verordnung 1139/98/EG auf transgenen Mais und transgene Sojapflanzen erstreckt, die noch vor Erlass der Novel Food-VO zur Verarbeitung in der EU zugelassen wurden. 266 Allerdings wurden diese Vorschriften durch die Verordnung über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel harmonisiert; das Inverkehrbringen und die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebens- und Futtermittel erfolgt nun einheitlich nach der Verordnung über genetisch veränderte Lebensmittel und Futter258 Aktuelle Fassung vom 01.03.2001 (www.rki.de, Gentechnik, ZKBS). Zu ihnen siehe auch IV. 5. a) aa) (2). 259 Siehe Kapitel D. II. 3. c) b) (2) und vor allem Kapitel H. 260 Richtlinie 90/220/EWG vom 23.04.1990 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt (ABl. EG Nr. L 117, S. 15), aufgehoben durch Richtlinie 2001/18/EG vom 12.03.2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG (ABl. EG Nr. L 106, S. 1). 261 Richtlinie 90/219/EWG vom 23.04.1990 über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen (ABl. EG Nr. L 117, S. 1), zuletzt geändert durch Richtlinie 98/81/EG vom 26.10.1998 zur Änderung der Richtlinie 90/219/EWG über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen (ABl. EG Nr. L 330, S. 13). 262 Richtlinie 2000/54/EG vom 18.09.2000 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit (ABl. EG Nr. L 262, S. 21). 263 Verordnung 258/97/EG vom 27.01.1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten (ABl. EG Nr. L 43, S. 1). 264 Vgl. dazu ausführlich Detlef Groß, Die Produktzulassung von Novel Food, S. 386 ff. 265 Verordnung 50/2000/EG vom 10.01.2000 über die Etikettierung von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten, die genetisch veränderte oder aus genetisch veränderten Organismen hergestellte Zusatzstoffe und Aromen enthalten (ABl. EG Nr. L 6, S. 15). 266 Vom 26.05.1998 über Angaben, die zusätzlich zu den in der Richtlinie 79/112/EWG aufgeführten Angaben bei der Etikettierung bestimmter aus genetisch veränderten Organismen hergestellter Lebensmittel vorgeschrieben sind (ABl. EG Nr. L159, S.4) in der Fassung der Änderungs-Verordnung 49/2000/EG vom 10.01.2000 (ABl. EG Nr. L 6, S.13). Vgl. dazu auch Abschnitt 2 der Durchführungsverordnung Neuartige Lebensmittel- und LebensmittelzutatenVerordnung; weiterführend Alexander Meier, Risikosteuerung im Lebensmittel- und Gentechnikrecht, S. 119 f. und Detlef Groß, Die Produktzulassung von Novel Food, S. 384 f.

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mittel. 267 Ergänzt wird diese Verordnung durch die Verordnung über die Rückverfolgbarkeit von gentechnisch veränderten Organismen. Diese Verordnung enthält Informationspflichten für Betreiber gentechnisch veränderter Lebens- und Futtermittel, um eine fortlaufende Überwachung zu ermöglichen. 268 Der Schutz biotechnologischer Erfindungen wird außerdem in der Biopatent-Richtlinie geregelt. 269 Seit seinem Erlass wurde das Gentechnikgesetz zwei Mal grundlegend geändert. Dabei wurden auch die einschlägigen Rechtsverordnungen neu gefasst 270. Die erste Reform des Gentechnikgesetzes erfolgte 1993 durch das Erste Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes 271, die zweite durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes vom 16. August 2002 272. Beide Gesetzesänderungen waren europarechtlich motiviert, weil die System- und die Freisetzungsrichtlinie erneuert worden waren. 273 Darüber hinaus sollten die Gesetzesänderungen nationalen Forderungen nach Entbürokratisierung gerecht werden. 274 Zudem wurde im Zweiten Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes die bisherige Unterscheidung zwischen gentechnischen Anlagen und Arbeiten zu Forschungszwecken und gewerblichen Zwecken aufgegeben. 275 Außerdem hat der Bundestag im Juli 2003 die Änderung der Zuständigkeiten für das Genehmigungsverfahren über die Freisetzung und das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen beschlossen; der Bundesrat hat zugestimmt. 276 Welche Auswirkungen diese Reformen des Gentechnikgesetzes auf die gerichtliche Kontrolle haben, wird in den Kapiteln C. 277 und D. 278 untersucht. Zudem werden die Anforderungen der neuen Freisetzungs-RiL 2001/18/EG279 zu bedenken sein, wenn geprüft wird, ob ein Beurteilungsspielraum von Behörden 267 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel v. 22.09.2003 (Abl. EG Nr. L 268, S. 1). 268 Verordnung (EG) Nr. 1830/2003 über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von genetisch veränderten Organismen und über die Rückverfolgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebensmitteln und Futtermitteln sowie zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG. 269 Richtlinie 98/44/EG v. 06.07.1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (ABl. EG Nr. L 213, S. 13). Zu den Umsetzungsbestrebungen in Deutschland, vgl. DIE ZEIT v. 03.07.2003, S. 16 (oben). 270 Siehe dazu die Nachweise bei den einzelnen Verordnungen im vorangegangen Absatz. 271 Vom 16.12.1993 (BGBl. I S. 2066). 272 BGBl. I S. 3220. 273 Vgl. zum Ersten Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes Michael Ronellenfitsch, VerwArch 93 (2002) 295 (304); und zur Zweiten Änderung, die wegen der Änderung der System-Richtlinie erforderlich wurde, Carola Riemann, BT-Drs. 14/9089, S. 55 (re). 274 Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 65, und zu den Einzelheiten der Reform Joachim Knoche, BayVBl. 1994, 673. Zur Bewertung der Änderung vgl. Kapitel D. II. 3. d) cc) (2) m. w. N. 275 Carola Riemann, BT-Drs. 14/9089, S. 55 (re). 276 Siehe BT-Drs. 15/1643, IV. 3. a) aa) und das Vorwort dieser Arbeit. 277 Siehe Kapitel C. III. 2. b) dd). 278 Siehe Kapitel D. II. 3. d) cc) (2). 279 ABl. EG 2001 Nr. L 106, S. 1.

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gegenüber Gerichten europarechtswidrig ist. 280 Diese Richtlinie, die eigentlich schon bis zum 17. Oktober 2002 umzusetzen war 281, zwingt zu einer weiteren Änderung des Gentechnikgesetzes. Nach ihrem Art. 15 IV können gentechnisch veränderte Organismen nur noch für einen Zeitraum von höchstens 10 Jahren in Verkehr gebracht werden. Auch dürfen inverkehrgebrachte Produkte nach dem 31. Dezember 2004 keine Antibiotikaresistenzmarker mehr enthalten. Für freigesetzte gentechnisch veränderte Organismen gilt dies ab dem 1. Januar 2009 (Art. 4 II Freisetzungs-RiL). Außerdem müssen für freigesetzte und inverkehrgebrachte Organismen künftig Überwachungspläne erstellt werden (Art. 5 I c) und Anhang III bzw. Art. 13 II e), 20 und Anhang VII Freisetzungs-RiL). Zudem wird eine Kennzeichnung bei allen gentechnisch veränderten Produkten und nicht nur bei Lebensmitteln erforderlich (Art. 13 II f) und g), Anhang IV Freisetzungs-RiL). Dabei sollen für Produkte, die z. B. durch die Einkreuzung transgener Saat, zufällig unvermeidbare Spuren gentechnisch veränderter Organismen enthalten, Schwellenwerte festgelegt werden, unterhalb derer keine Kennzeichnung nötig ist (vgl. Art. 21 FreisetzungsRiL). Für Lebens- und Futtermittel aus gentechnisch veränderten Organismen haben sich die EG-Kommission, das Europäische Parlament und der Ministerrat auf einen Schwellenwert von 0,9 % geeinigt. 282 Bleiben die gentechnisch veränderten Bestandteile unterhalb dieses Wertes und sind sie zufällig und technisch unvermeidbar in das Futter- oder Lebensmittel gelangt, so bedarf es keiner Kennzeichnung. 283 In der Freisetzungs-RiL 2001/18/EG wurde außerdem klargestellt, dass für genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel fortan keine Genehmigung für ein Inverkehrbringen nach den Art. 13–21 der Freisetzungs-RiL erforderlich ist, sofern diese nur unvermeidbare Spuren von gentechnisch veränderten Organismen bis zu 0,5 % enthalten. 284 2. Regelungsgegenstand des Gentechnikgesetzes Das Gentechnikgesetz soll den rechtlichen Rahmen für gentechnische Anwendungen schaffen. Der Gesetzgeber hat sich damit zu den Chancen der Gentechnik Siehe Kapitel H. I. 2. Vgl. Art. 34 I der RiL. 282 Zunächst war sogar geplant, dass eine zulässige Beimischung nur bei 0,5% vorliegen sollte, s. FAZ v. 27.05.2003, S. 13 (mi) und FAZ v. 03.07.2003, S. 11 (mi). Zu den Beratungen siehe auch FAZ v. 04.03.2003, S. 19. 283 Vgl. Art. 12 II, Art. 47 der VO (EG) Nr. 1829/2003 und http://www.transgen.de/Recht/ GVO-Lebensmittel-RL.html. 284 Vgl. Art. 43 der VO (EG) Nr. 1829/2003 über genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel: Danach wird in die Freisetzungs-RiL ein neuer Art. 12 a eingefügt.; siehe hierzu auch IV. 5. b) bb) und Kapitel E. IV. 1. Zu ähnlichen Änderungsvorschlägen der Bestimmungen über die Sortenreinheit in den Saatgutrichtlinien siehe außerdem die Vorschläge der EG-Kommission zur Änderung der Richtlinien 66/400, 66/401, 66/402/, 66/403, 69/208 und 70/458, dazu Dieter Heublein, NuR 2002, 719 (721, re): bei Raps sollen 0,3 % gentechnisch veränderter Organismen geduldet werden, bei Tomaten, Rüben, Chicorée, Mais, Kartoffeln und Bauwolle 0,5 % sowie bei Sojabohnen 0,7 %. 280 281

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bekannt. 285 Jedoch hat er dies nicht getan, ohne Mensch, Natur und Sachgüter angemessen vor den Risiken der Gentechnik zu schützen. Die Förderung der Gentechnik steht damit unter dem Vorbehalt, dass Leben und Gesundheit von Menschen, Tieren, Pflanzen sowie die sonstige Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge und Sachgüter nicht geschädigt werden. Das Gentechnikgesetz ist also vorrangig ein Schutzgesetz und erst in zweiter Linie ein Fördergesetz (vgl. § 1 Nr. 1 GenTG). 286 Anknüpfungspunkt des Gentechnikgesetzes ist die Arbeit mit gentechnisch veränderten Organismen und deren Abgabe. 287 Gem. § 3 Nr. 1 GenTG sind Organismen biologische Einheiten, die fähig sind, sich zu vermehren oder genetisches Material zu übertragen. Gentechnisch verändert ist ein Organismus, wenn dessen Material in einer Weise verändert worden ist, wie sie unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt (§ 3 Nr. 3 GenTG). a) Regelungssystem des GenTG – Zahlen einzelner Vorhaben Im Einzelnen regelt das Gentechnikgesetz gentechnische Arbeiten in gentechnischen Anlagen (§§ 2 I Nr. 1, 2 GenTG), die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen (§ 2 I Nr. 3 GenTG) und das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Produkte (§ 2 I Nr. 4 GenTG). Im Jahr 2001 waren 3931 gentechnische Anlagen zugelassen, in denen mehr als 6100 gentechnische Arbeiten durchgeführt wurden.288 Überwiegend handelt es sich dabei um Arbeiten zu Forschungszwecken; nur 1118 Arbeiten sind als gewerbliche Arbeiten gemeldet. 289 Derzeit sind 121 Freisetzungen genehmigt, einschließlich nachgemeldeter Standorte gibt es 585 Freilandversuche. 290 Die freigesetzten Organismen reichen von Mikroorganismen, Mais, Raps, Kartoffeln und Zuckerrüben, über Sojabohnen, Kaffee und Tabak bis hin zu Lilien, Erdbeeren und Kiwis. 291 Die Organismen sind resistent gegen Viren, Insekten, Herbizide, Schwermetalle und Druckstellen, haben verbesserte Produkt- und Verarbeitungseigenschaften oder eine andere Blüten- oder Samenfarbe. 292 Allerdings gingen die Freisetzungsanträge in den letzten beiden Jahren 285 Vgl. BT-Drs. 11/6778, S. 36 (li): „Die menschlichen Lebensbedingungen und die Natur können auch dadurch gefährdet werden, dass eine Technologie nicht angewandt wird.“ 286 Ausführlich zum Rangverhältnis von Schutz- und Förderzweck Nicola Krekeler, Die Genehmigung gentechnischer Anlagen und Arbeiten nach dem GenTG, S. 48 ff. 287 Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 49. 288 www.rki.de, Gentechnik, Gentechnik in den Bundesländern (Stand: 03.02.2003: letzte Aktualisierung, 13.03.2001). 289 www.rki.de, Gentechnik, Gentechnik in den Bundesländern (Stand: 03.02.2003: letzte Aktualisierung, 13.03.2001). 290 www.umweltbundesamt.de, Daten und Fakten. Biologische Sicherheit/Gentechnik, Statistik zu Freisetzungen (Stand: 03.02.2003: letzte Aktualisierung 21.11.2002). 291 www.umweltbundesamt.de, Daten und Fakten, Biologische Sicherheit/Gentechnik, Statistik zu Freisetzungen (Stand: 03.02.2003: letzte Aktualisierung 21.11.2002).

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zurück. 293 Betreiber fürchten eine Zerstörung ihrer Versuchsfelder und Rechtsstreite mit umliegenden Bauern, falls sich ihre gentechnisch veränderten Organismen auf deren Felder ausbreiten. Ändert sich die Einstellung von Verbrauchern gegenüber der Gentechnik nicht und wird keine adäquate Lösung für die Einkreuzungsproblematik gefunden 294, besteht deshalb die Gefahr, dass Firmen ihre Forschungsvorhaben in gentechnikfreundlichere Länder verlagern, etwa in die USA oder nach Kanada. 295 Daher gilt es in Kapitel G. ausführlich zu prüfen, ob und wie eine Gerichtskontrolle helfen könnte, zur Akzeptanz gentechnikrechtlicher Behördenentscheidungen beizutragen. 296 292 293 294 295 296 Akzeptanzprobleme herrschen auch bei der Genehmigung des Inverkehrbringens gentechnisch veränderter Organismen. Doch ist die Rechtsunsicherheit hier noch größer als bei Freisetzungen. Erst zwei gentechnisch veränderte Produkte wurden in Deutschland genehmigt. Dabei handelt es sich um verterinärmedizinische Impfstoffe für Schweine. 297 Weitergehend sind in der EU gentechnisch veränderte Nelken auf dem Markt, gentechnisch veränderter Raps, Mais, Tabak, Radicchio und Soja. Doch ist der Verwendungszweck dieser Pflanzen beschränkt. Sie dürfen nur zur Saatguterzeugung in den Verkehr gebracht werden oder zur Weiterverarbeitung. 298 Eine Vermarktung als Urprodukt und ein kommerzieller Anbau sind dagegen nicht zulässig. 299 Auch lässt die Genehmigung vieler, seit 1996 anhängiger Anträge, immer noch auf sich warten. 300 Vorbehalte anderer Mitgliedstaaten gegen gentechnisch veränderte Produkte verzögern eine Entscheidung im EG-Beteiligungsverfahren 301. 302 Keine 292 www.umweltbundesamt.de, Daten und Fakten, Biologische Sicherheit/Gentechnik, Statistik zu Freisetzungen (Stand: 03.02.2003: letzte Aktualisierung 21.11.2002). 293 Tätigkeitsbericht der ZKBS 2001, Bundesgesundheitsblatt 2002, S. 643 (re, f.); FAZ v. 25.06.2003 SN 1 (mi). 294 Siehe hierzu auch unten IV. 5. b) bb) und Kapitel E. IV. 295 Vgl. Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S.63; Feike Sijbesma, Leiter von EuropaBio (EU-Dachverband, der rund 1200 Unternehmen vertritt), FAZ v. 15.10.2002, S. 21 (mi). 296 Siehe Kapitel G. III. 297 www.umweltbundesamt.de, Biologische Sicherheit/Gentechnik, Statistik zu Freisetzungen (Stand: 03.02.2003: letzte Aktualisierung 21.11.2002). Die Anträge wurden noch gestellt, bevor die Verordnung 2309/93/EWG zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. EG Nr. L 214, S. 1) erlassen worden war. Daher war für die Genehmigung des Inverkehrbringens noch das GenTG einschlägig. Heute würde das GenTG bei der Zulassung von Impfstoffen und Arzneimittel durch diese Verordnung verdrängt, vgl. dazu sogleich unten IV. 2. b). 298 K.-D. Jany/C. Kiener, Der Internist 2002, 840 (841, mi); Broschüre „Grüne Gentechnik“ des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung, April 2000, S. 26. 299 Vgl. www.rki.de, Gentechnik, Freisetzungen und Inverkehrbringen, Liste der in der EU inverkehrgebrachten Produkte (Stand: 03.02.2003: letzte Aktualisierung, 13.03.2001). 300 Tätigkeitsbericht der ZKBS 2001, Bundesgesundheitsblatt 2002, 643 (650, li). 301 Zum genauen Ablauf dieses Verfahrens siehe IV. 5. c) aa). 302 Vgl. Eckard Rehbinder, ZUR 1999, 6 (11, li); Jutta Dürkop/Wolfgang Dubbert/Ingrid Nöh, Texte des Umweltbundesamts 1/1999, S. 143.

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Einwände gab es nur bei der Zulassung gentechnisch veränderter Nelken. 303 Dies dürfte mit dazu beigetragen haben, dass 2001 keine neuen Anträge auf ein Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen gestellt wurden. 304 Insgesamt sieht das Gentechnikgesetz ein gestuftes Freigabesystem für gentechnisch veränderte Organismen vor, ohne die Einhaltung dieses Stufenverfahrens (sog. step-by-step) aber zur ausdrücklichen Zulassungsvoraussetzung zu machen 305. Während gentechnische veränderte Organismen in gentechnischen Anlagen, nach außen abgeschlossen, im sog. geschlossenen System, erzeugt und verändert werden (§§ 8 I, 3 I Nr. 4 GenTG), werden sie bei Freisetzungen gezielt an einen überschaubaren, kontrollierbaren Personenkreis verbracht (vgl. § 3 Nr. 5 GenTG). So sollen die Auswirkungen des gentechnisch veränderten Organismus auf die Umwelt getestet werden. Beim Inverkehrbringen entlässt ein Betreiber gentechnisch veränderte Organismen schließlich aus seinem Kontrollregime (vgl. § 3 Nr. 6 GenTG). Dabei erklärt § 2 I Nr. 4 GenTG das Gentechnikgesetz (nur) für anwendbar, wenn es um das Inverkehrbringen von Produkten geht, die aus gentechnisch veränderten Organismen bestehen oder solche enthalten. Das ist beispielsweise der Fall, wenn zur Saatguterzeugung zugelassener Mais selbst gentechnisch verändert wird 306. Dagegen ist das Gentechnikgesetz unanwendbar, wenn Produkte in den Verkehr gebracht werden, die nur bei ihrer Herstellung mit gentechnisch veränderten Organismen in Berührung gekommen sind oder die aus gentechnisch veränderten Produkten hergestellt wurden, die selbst aber keine gentechnisch veränderten Organismen mehr enthalten. Bei Lebensmitteln dürfte die Zahl solcher Produkte bei 60–70 % liegen. 307 Vom Geltungsbereich des Gentechnikgesetzes wird weder das Inverkehrbringen gentechnisch hergestellter Enzyme erfasst, 308 noch unterliegen Produkte, die mit solchen Enzymen hergestellt wurden, dem Gentechnikgesetz. Keiner Genehmigung nach dem Gentechnikgesetz bedarf daher z. B. das Inverkehrbringen von Käse, der mit gentechnisch veränderten Enzymen hergestellt wurde. 309 Auskunft Robert Koch-Institut, 20.09.2002. Tätigkeitsbericht der ZKBS 2001, Bundesgesundheitsblatt 2002, 643 (650, li). 305 VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 7 zu § 16, S. 5; Hirsch/SchmidtDidczuhn, GenTG, § 16 Rdn. 3 ff.; Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 67. 306 Vgl. K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 4.2.2. 307 K.-D. Jany/R. C. Kiener, Der Internist 2002, 840 (841, mi). 308 K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 2.3. 309 Vgl. K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 3.4. Enzyme für die Lebensmittelherstellung, auch gentechnisch hergestellte, dürfen in Deutschland und den Ländern der EG genehmigungsfrei auf den Markt gebracht werden (vgl. § 11 III 1 LMBG), es sei denn sie unterliegen besonderen Rechtsvorschriften, wie z. B. Chymosin der Käse-Verordnung (vgl. §§ 47 a LMBG, 21 Käse-Verordnung in der Bekanntgabe der Neufassung vom 14.04.1986; BGBl. I S. 412, zuletzt geändert am 08.06.1999, BGBl. I S. 1261). 303 304

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Ebenso wenig ist das Inverkehrbringen von Medikamenten, die gentechnisch gewonnene Enzyme enthalten, nach dem Gentechnikgesetz genehmigungspflichtig. Indes bedeutet dies nicht, dass diese Erzeugnisse den Geltungsbereich des Gentechnikgesetzes überhaupt nicht berühren. Vielmehr unterliegt die gentechnische Herstellung der inverkehrgebrachten Enzyme dem Gentechnikgesetz. Dadurch wird das Inverkehrbringen zumindest vorgeprüft: die Gesundheitsrisiken für Patienten und Verbraucher werden zwar noch nicht beurteilt, wohl aber jene für Laborarbeiter. Auch werden die Auswirkungen auf die Umwelt bedacht, falls gentechnisch veränderte Organismen durch die Luft oder das Abwasser ungewollt freigesetzt werden. Darüber hinaus wird über die Risiken gentechnisch hergestellter Enzyme für Arzneimittel und Medizinprodukte im Zulassungsverfahren nach der Arzneimittel-VO 2309/93/EWG entschieden. 310 Gentechnisch veränderte Lebensmittel, die aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt worden sind, diese jedoch nicht mehr enthalten, unterfielen bislang dem Regelungsregime der Novel Food-VO (vgl. Art. 1 II b) Novel Food-VO). Nunmehr werden sie von der Verordnung 1829/2003/EG über genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel erfasst. Zulassungsbedürftig ist also etwa Bier, das mit gentechnisch veränderten Hefebakterien hergestellt wurde, Püree aus gentechnisch veränderten Tomaten und Öl aus gentechnisch verändertem Raps. Nicht unter den Anwendungsbereich der Verordnung 1829/2003/EG fallen indes Produkte, die nur mit gentechnisch gewonnenen Enzymen hergestellt werden. Käse, bei dessen Herstellung gentechnisch gewonnenes Chymosin eingesetzt wird, unterliegt also auch nicht der Verordnung 1829/2003/EG. Denn dieser Käse ist weder „aus“ einem gentechnisch veränderten Organismus hergestellt noch wurde er „mit“ einem gentechnisch veränderten Organismus geschaffen. Da gentechnisch gewonnenes Chymosin keine gentechnisch veränderten Organismen enthält, sondern natürlichem Chymosin entspricht, ist Käse aus gentechnisch gewonnenem Chymosin vielmehr nur ein Produkt, das „mit Hilfe“ der Gentechnik hergestellt wurde. Auch fallen gentechnisch hergestellte Enzyme im Regelfall nicht unter die Verordnung 1829/2003/EG. 311 b) PflSchG, Arzneimittel-, Novel Food-VO und VO über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel als leges speciales für das Inverkehrbringen Des Weiteren ist das Gentechnikgesetz für das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen nicht einschlägig, wenn andere Vorschriften eine ver310 Vgl. Art. 3 I, Anhang Teil A, zweiter Spiegelstrich der Verordnung 2309/93/EWG zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Humanund Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. EG Nr. L 214, S. 1). Die Zulassung erfolgt durch die Kommission (Art. 10 II, 32 II, 73) nach Bewertung des Antrags durch die Europäische Arzneimittelbehörde (EMEA), vgl. Art. 4 I, 5 ff., 27 ff., 49, 50 I. 311 Einen guten Überblick über die neue Rechtslage bietet http://www.transgen.de/Recht/ GVO-Lebensmittel-RL.html.

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gleichbare Risikoabschätzung gewährleisten (§ 2 I Nr. 4, 2. HS GenTG). Der Anwendungsbereich des Gentechnikgesetzes ist insoweit stark durch vorrangige Spezialvorschriften verkleinert. 312 Auch wenn Zulassungsentscheidungen nach ihnen keine Entscheidungen nach dem Gentechnikgesetz sind, ist ihre Kenntnis für diese Arbeit wichtig. Das gilt vor allem dort, wo Entscheidungen nach diesen Spezialvorschriften von Gerichten voll kontrolliert werden, nicht aber vergleichbare gentechnikrechtliche Entscheidungen. 313 Das Gentechnikgesetz wird z. B. verdrängt, wenn Pflanzenschutzmittel, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten, nach dem Pflanzenschutzgesetz zugelassen werden. 314 Gentechnisch veränderte Baculoviren, die als „natürlicher“ Insektenkiller vermarktet werden sollen, bedürfen daher keiner Genehmigung nach dem Gentechnikgesetz, wenn sie zuvor im Freilandversuch getestet wurden (vgl. Art.1 III Pflanzenschutz-RiL). 315 Denn auch das Pflanzenschutzgesetz kennt eine spezifische Umweltverträglichkeitsprüfung, die sowohl den Bewertungsanforderungen des Gentechnikgesetzes entspricht als auch den Anforderungen der Freisetzungs-RiL.316 Auch ist das Gentechnikgesetz nicht einschlägig für die Zulassung gentechnisch veränderter Arzneimittel und Impfstoffe. Vielmehr erfolgt die Zulassungsentscheidung hier nach der Arzneimittel-VO 2309/93/EWG. 317 312 So für die Zulassung von Lebensmitteln Alexander Meier, Risikosteuerung im Lebensmittelrecht und Gentechnikrecht, S. 183. 313 Siehe hierzu Kapitel D. II. 3. a) bb) (2) (b) und II. 3. c) bb) (3); siehe außerdem zur möglichen Übertragung des gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums auf Entscheidungen nach der VO über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, Kapitel C.III. 2. b) dd). 314 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 2 Rdn. 15; Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S.152. Bisher kam es zu einem solchen Fall allerdings noch nicht (Auskunft Biologische Bundesanstalt, 30.09.2002). 315 Richtlinie 91/414/EWG vom 15.07.1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (ABl. EG Nr. L 230, S. 1); vgl. auch Erwägungsgrund (26) der neuen Freisetzungs-RiL 2001/18/EG, in dem die Pflanzenschutz-RiL als „anderer einschlägiger Rechtsakt“ aufgeführt wird, der die Zuständigkeit für genetisch veränderte Pflanzenschutzmittel auf die für den Vollzug des Pflanzenschutzrechts zuständigen Behörden verlagert. 316 Vgl. § 15 I Nr. 3 e) PflSchG und die Erwägungsgründe der Richtlinie 91/414/EWG vom 15.07.1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (ABl. EG Nr. L 230, S. 1 [2]). Da die Zulassung nach dem PflSchG bereits auf 10 Jahre begrenzt ist (§ 16 I PflSchG), Kennzeichnungspflichten (§ 20 PflSchG) und Berichtspflichten des Zulassungsinhabers vorsieht (§ 15 a PflSchG), entspricht das PflSchG auch den Anforderungen der neuen Freisetzungs-RiL 2001/18/EG. Die Kennzeichnungspflicht ließe sich zudem gem. § 20 V PflSchG durch Rechtsverordnung gentechnischspezifisch i. S. von Art. 26 Freisetzungs-RiL anpassen. 317 Gem. Art. 3 I, Anhang Teil A, 1. Spiegelstrich der Verordnung 2309/93/EWG gilt diese Verordnung für Arzneimittel, die durch Rekombination von DNS hergestellt wurden. Die Art. 6 II, 28 IV verlangen eine Umweltverträglichkeitsprüfung entsprechend der FreisetzungsRiL, wenn das Arzneimittel gentechnisch veränderte Organismen enthält. Auch sieht die Verordnung 2309/93/93 vor, dass die Zulassung auf fünf Jahre beschränkt ist (Art.13I, 35I), sie enthält Unterrichtungspflichten (Art. 15 II, 37 II) und Kennzeichnungspflichten (Art. 19 I, 3. Spiegelstrich, 31I, 3. Spiegelstrich). Daher entspricht sie auch den Anforderungen der FreisetzungsRiL 2001/18/EG. Gem. Art. 12 II der Freisetzungs-Richtlinie 2001/18/EG kann sie daher eine

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Außerdem bedürfen Lebensmittel, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten oder aus solchen hergestellt wurden, keiner Marktfreigabe nach dem Gentechnikgesetz. Das Inverkehrbringen gentechnisch veränderten Gemüses zum Konsum oder zur Weiterverarbeitung unterfällt nicht dem Gentechnikgesetz. Bislang fand die Novel Food-VO Anwendung (vgl. Art. 9 I 2). 318 Seit Oktober 2003 gilt hierfür die Verordnung 1829/2003/EG, die ab Frühjahr 2004 angewendet wird. 319 Die Novel Food-VO sah unterschiedliche Verfahren für ein Inverkehrbringen vor. Entweder bedurfte es einer Genehmigung, oder es bedurfte einer Anzeige des Inverkehrbringens bei der Kommission (sog. Notifizierungsverfahren). Nur anzeigepflichtig war etwa die Vermarktung von Stärke und Öl, die aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt wurden, weil diese Produkte unter Art.1 I b) Novel Food-VO fallen (Art.3IV, Art.5 Novel Food-VO). 320 Für Produkte, die selbst gentechnisch veränderte Organismen enthalten, genügte die bloße Anzeige indes nicht. Denn solche Produkte waren keine „substantiell äquivalenten Lebensmittel“ i. S. der Novel FoodVO. Für das Inverkehrbringen von gentechnisch verändertem Gemüse oder Joghurt mit gentechnisch veränderten Milchsäurebakterien war daher das Genehmigungsverfahren durchzuführen (vgl. § 3 II Novel Food-VO). Dazu musste sich der Antragsteller an die für Freisetzungen national zuständige Behörde richten.321 Diese erstellte einen Prüfbericht über das betreffende Produkt und leitete ihn an die Kommission weiter. Die anderen Mitgliedstaaten wurden informiert und konnten Einwände erheben. Wurden keine Einwände erhoben, erteilte die national zuständige Behörde die Genehmigung, die als transnationaler Verwaltungsakt gemeinschaftsweit wirkte. 322 Genehmigung nach dem GenTG bzw. nach Art. 12 ff. Freisetzungs-RiL ersetzen (vgl. auch Erwägungsgrund 31). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte dies auch schon eine Zulassung nach dem AMG können (BT-Drs.11/5622, S.22 [re, 2. Absatz zu §2]); a.A., weil im AMG eine entsprechende Umweltverträglichkeitsprüfung fehlt, Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 2 Rdn. 15 und Matthias Herdegen, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 2 Rdn. 20 ff. Zum Zulassungsverfahren nach der VO vgl. Karl Feiden, in: Winter/Fenger/Schreiber (Hrsg.), Genmedizin und Recht, S. 87 ff. 318 Detlef Groß, Die Produktzulassung von Novel Food, S. 302; Alexander Meier, Risikosteuerung im Lebensmittelrecht und Gentechnikrecht, S. 102 mit Fn. 263. 319 Vgl. Art. 49 VO 1829/2003/EG. 320 K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmittel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, 2.6, Tabelle 8: Stärke aus gentechnisch verändertem Mais oder Öl aus gentechnisch verändertem Soja befindet sich auch auf dem deutschen Markt (1.4.); ausführlich zum Notifizierungsverfahren siehe außerdem Detlef Groß, Die Produktzulassung von Novel Food, S. 310 ff. 321 Bisher war in Deutschland das Robert Koch-Institut zuständig (§ 1 I der Durchführungsverordnung Neuartige Lebensmittel- und Lebensmittelzutaten-Verordnung). Künftig entscheidet das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit im Benehmen mit dem Robert Koch-Institut (Vgl. § 14 I 1 i.V. mit dem Organisationserlass des Bundeskanzlers v. 22.10.2002, BGBl. I S. 4206 und § 2 II 2 GenTG in der vom Bundestag beschlossenen Fassung, vgl. BR-Drs. 15/1222 i. d. F. Drs. 15/1341). 322 Alexander Meier, Risikosteuerung im Lebensmittel- und Gentechnikrecht, S.115; Detlef Groß, Die Produktzulassung von Novel Food, S. 291 ff.

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B. Kontrollgegenstände

Wurden jedoch Einwände erhoben, verlor die national zuständige Behörde die Verfahrensherrschaft. Über die Genehmigung entschied dann die EG-Kommission (vgl. Art. 7, 13 Novel Food-VO). 323 Nach der neuen Verordnung 1829/2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel wird nicht mehr differenziert nach genehmigungspflichtigen und nur anzeigepflichtigen Produkten. Vielmehr müssen nun alle Produkte ein Genehmigungsverfahren durchlaufen. Über den Antrag entscheidet die Kommission nach Prüfung des Antrags durch die Europäische Lebensmittelbehörde. Die national zuständige Behörde leitet den Antrag nur noch weiter, hat aber keine eigenen Zulassungsbefugnisse mehr. 324 Schon bei Geltung der Novel Food-VO war der Anwendungsbereich des Gentechnikgesetzes beim Inverkehrbringen gentechnisch veränderten Organismen wegen der vielen produktspezifischen, spezielleren Verfahren beschränkt. Unter dem Anwendungsbereich der Verordnung 1829/2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel wird der Geltungsbereich der Vorschriften über das Inverkehrbringen nach dem Gentechnikgesetz noch kleiner werden.325 Denn einer Genehmigung nach dem Gentechnikgesetz bedarf nun auch nicht mehr der Vertrieb transgener Pflanzen als Futtermittel, sondern nur noch das Inverkehrbringen transgenen Saatguts zum Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen und das Inverkehrbringen transgener Organismen zur industriellen Weiterverarbeitung für die Verbrauchsgüterherstellung. c) Die Ausschlussklausel des § 2 III GenTG Zudem ist der wohl umstrittenste Bereich gentechnischer Anwendungen nicht im Gentechnikgesetz geregelt, nämlich die Anwendung gentechnischer Organismen am Menschen. Dieser Bereich wird durch § 2 III GenTG ausdrücklich ausgenommen. 326 Nicht zum Regelungsgegenstand des Gentechnikgesetzes zählen daher die Keimbahntherapie, die Gen-Diagnostik und die Somatische Gentherapie. Solche Arbeiten werden durch das Embryronenschutzgesetz geregelt, das Arbeitsschutzgesetz und das Berufsrecht der Ärzte. 327 Für die Somatische Gentherapie hat sich die Detlef Groß, Die Produktzulassung von Novel Food, S. 179, 299 ff. Vgl. dazu auch http://www.transgen.de/Recht/GVO-Lebensmittel-RL.html. 325 Siehe auch Johannes Caspar, DVBl. 2002, 1437 (1441, re, ff.). 326 Amtliche Begründung des GenTG BT-Drs. 11/6778, S. 36 (re), bezugnehmend auf den Regierungsentwurf BT-Drs. 11/5622, S.23 (li) und auf die Begründung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes BT-Drs. 12/5145, S. 2 (1. Spiegelstrich unter B.), S. 11 (re, 3. Zu § 2), abgedruckt auch in Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, § 2 GenTG, Rdn. 3, 6 c; Matthias Herdegen, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 2 Rdn. 28 ff.; S. Beljin/O. Engsterhold/H. Fenger/M. H. J. Schmitz, in: Raem/Braun/Fenger/Michaelis/Nikol/Winter (Hrsg.), Gen-Medizin, S. 525 (544 f.). 327 Vgl. die Übersicht von Stefan F. Winter, in: Winter/Fenger/Schreiber (Hrsg.), Genmedizin und Recht, S. 52 (57 ff.). 323 324

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Bundesärztekammer verpflichtet, nach den Richtlinien zum „Gentransfer in menschliche Körperzellen“ zu verfahren. 328 Indes erstreckt sich die Ausschlussklausel des § 2 III GenTG nicht auf die Grundlagenforschung an menschlichen Keimbahn- oder Körperzellen 329, wie etwa die Untersuchung menschlicher Zellen zur Entwicklung von Gentherapien gegen AIDS. 330 Ebenso sind die Arbeiten, die einer Gentherapie vorausgehen, Arbeiten i. S. des Gentechnikgesetzes. 331 Einer Zulassung nach dem Gentechnikgesetz bedarf also beispielsweise das Herstellen der für die Gentherapie notwendigen GentransferArzneimittel. Auch unterfällt die gentechnische Umprogrammierung kranker menschlicher Zellen im Reagenzglas als gentechnische Arbeit der Zulassungspflicht nach dem Gentechnikgesetz. Dagegen ist die Behandlung mit GentransferMedikamenten nach dem Gentechnikgesetz ebenso wenig zulassungsbedürftig wie die Rückübertragung der in vitro gentechnisch umprogrammierten Zellen auf den Menschen. Gleiches gilt, wenn bei der Zelltherapie die Zellen nicht in vitro umprogrammiert werden, sondern wenn gentechnisch verändertes Material in vivo, also direkt auf den Patienten, übertragen wird. 332 3. Organisation des Gesetzesvollzugs a) Zuständige Behörden aa) Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern Der Vollzug des Gentechnikgesetzes ist grundsätzlich Ländersache (Art. 83 GG). Nur bei der Genehmigung von Freisetzungen und des Inverkehrbringens gentechnisch veränderter Organismen werden Bundesbehörden tätig. Die Genehmigungen erteilte bislang das Robert Koch-Institut als selbständige Bundesoberbehörde (§ 14 I GenTG). 333 Künftig ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsi328 Beschluss des Vorstandes der Bundesärztekammer, abgedruckt, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Teil II, F., S. 108 f. 329 Matthias Herdegen, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 2 Rdn. 34, 38. 330 Tätigkeitsbericht der ZKBS 2001, Bundesgesundheitsblatt 2002, 643 (646, li). 331 Beschluss des Länderausschusses Gentechnik Nr. 1 zu § 2 II GenTG „Abgrenzung somatische Gentherapie – Gentechnikgesetz“, abgedruckt, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Teil I, H., S. 2 (3. a); kritisch Michael Ronellenfitsch, VerwArch 93 (2002), 439 (446), der durch die Ausklammerung der Humangenetik aus dem GenTG Sicherheitslücken befürchtet. 332 Ggf. kann der Behandlungsraum zulassungsbedürftig sein, z. B. wenn die gentechnisch veränderten Organismen dort (länger) gelagert werden oder wenn eine Entsorgung erforderlich wird. Auch ist der Transport zulassungsbedürftig. Beschluss des Länderausschusses Gentechnik Nr. 1 zu § 2 II GenTG „Abgrenzung somatische Gentherapie – Gentechnikgesetz“, abgedruckt, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Teil I, H., S. 2 (3. b) und Klaus Citchutek, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Band 3, Teil II. Einf., Rdn. 40. 333 Artikel 1 § 2 I des Gesetzes über die Neuordnung zentraler Einrichtungen des Gesundheitswesens – GNG v. 24.06.1994 (BGBl. I 1994 S. 1416).

5 Schmieder

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B. Kontrollgegenstände

cherheit (BVL) zuständig. 334 Vom BVL werden weitere Bundesoberbehörden eingeschaltet: die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA), das Bundesamt für Naturschutz (bisher das UBA) 335 und die Bundesforschungsanstalt für Viruserkrankheiten bei Tieren sowie das Paul-Ehrlich-Institut. Sie geben entweder Stellungnahmen ab oder handeln als Einvernehmensbehörden (§ 16 IV GenTG). 336 Außerdem ist das früher für Freisetzungen und ein Inverkehrbringen federführend zuständige Robert Koch-Institut nach der Änderung des Gentechnikgesetzes durch das Gesetz zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht als Benehmensbehörde in das Verfahren miteinbezogen (§ 16 IV 1 GenTG). Es ist insbesondere zu mikrobiologischen Fragen zu hören. 337 Die Zulassung gentechnischer Anlagen und Arbeiten im geschlossen System obliegt dagegen ausschließlich den Ländern (vgl. § 31 GenTG). Zudem fällt die Überwachung sämtlicher gentechnischer Vorhaben in die Kompetenz der Länder (§§ 25, 26 GenTG). Dabei müssen die Länder auch Freisetzungsvorhaben 338 und das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Produkte kontrollieren, die von der zuständigen Bundesoberbehörde (bisher vom Robert Koch-Institut, künftig vom BVL) genehmigt wurden. Aufgabe der Länder ist hier insbesondere, den Markt zu beobachten und zu prüfen, ob gentechnische verändertes Saatgut freigesetzt oder gehandelt wird, obwohl dafür keine Genehmigung besteht (vgl. § 26 I 2 GenTG). 339 Bei ihrer Tätigkeit werden die Länder durch den Länderausschuss für Gentechnik (LAG) unterstützt. 340 Er gibt durch allgemeine Stellungnahmen wichtige Impulse zu Problemfällen, mit denen sich die einzelnen Behörden regelmäßig zu befassen haben. Diese Stellungnahmen sind nicht verbindlich, sondern haben nur empfehlenden Charakter. 341 Sie harmonisieren zwar den Gesetzesvollzug 342, doch können sie Behörden nicht daran hindern, anders zu entscheiden als Behörden anderer Bundesländer. Ebenso wenig wird dies die amtliche Sammlung nach § 28 a GenTG können. 334 § 14 I 1 GenTG i. d. F. des Gesetzes zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht (vgl. den vom Bundestag beschlossenen Regierungsentwurf (BT-Drs. 15/996, S. 3, § 1 4.) i.V. mit dem Organisationserlass des Bundeskanzlers v. 22.10.2002 (BGBl. I S. 4206). Zur möglichen Auswirkung dieser Änderung auf die Gerichtskontrolle vgl. Kapitel C. III. 2. b) dd)). 335 Siehe das Gesetz zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht (BRDrs. 600/03, BT-Drs. 15/1222, 15/996, S. 3, § 1 5. b) und das Vorwort dieser Arbeit). 336 Zu der Hinzuziehung dieser Behörden im einzelnen siehe unten 5.b) aa) und c) aa). 337 Vgl. http://www.bundestag.de/presse/hib/2003/2003-108/08.html. 338 Vgl. dazu ausführlich Gerhard Roller/Ralf Jüllich, ZUR 1996, 74 ff. 339 Vgl. dazu die Entscheidungen OVG Münster NVwZ 2001, 110; VG Schleswig ZUR 2001, 409 und unten 5. d) und Kapitel E. IV. 340 Der LAG beruht auf einem Konsens der Umweltministerien. Seine formelle Konstitutierung wurde auf der 35. Umweltministerkonferenz (UMK) am 22./23. November 1990 beschlossen. Der LAG wird der UMK zugeordnet. Vgl. Ergebnisprotokoll des Länderausschusses Gentechnik (LAG) vom 16.04.1991, Az: 24-8829 Abt. Grundsatz, Ökologie im Umweltministerium Baden-Württemberg, S. 1, 3 f. 341 Zweiter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen mit dem Gentechnikgesetz, abgedruckt in Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, S. 33. 342 Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 181 Fn. 38.

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Sie sammelt Verfahren zur Probenahme und Untersuchung von Proben und wird vom BVL nach Stellungnahme der ZKBS veröffentlicht. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll sie den Gesetzesvollzug vereinheitlichen. 343 Dieses Gesetzesziel kann aber nicht erreicht werden, indem die Länderbehörden an die Inhalte dieser Sammlung gebunden werden. Das BVL ist den zuständigen Ländern nicht übergeordnet, so dass es für sie keine verbindlichen Anordnungen erlassen darf. Daher ist die amtliche Sammlung nach § 28 a GenTG keine Verwaltungsvorschrift. Es kann also nur darauf vertraut werden, dass die Länder diese Sammlung ihren Entscheidungen zu Grunde legen und damit – wie vom Gesetzgeber gewollt – einheitlich entscheiden. Ein gleichförmiger Vollzug des Gentechnikgesetzes kann aber auch mit ihr nicht erzwungen werden. Dies wird in Kapitel D. mitzubedenken sein, wenn untersucht wird, ob die Rechtssicherheit einen Beurteilungsspielraum fordert, um Gerichte davon abzuhalten, Risiken anders einzuschätzen als Behörden. 344 bb) Organisations- und Personalstruktur in den Ländern Landesintern sind die Zuständigkeiten sehr unterschiedlich. In manchen Ländern nimmt eine Behörde zentral für das ganze Land Zulassungs- wie Überwachungsaufgaben wahr, etwa in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Sachsen, Hamburg und grundsätzlich auch in Hessen. 345 Der zentrale Vollzug hat Vorteile, weil der Sachverstand in einer Behörde gebündelt wird und daher Reibungsverluste durch Abstimmung mit anderen Gentechnikbehörden wegfallen. Gleichwohl gibt es immer noch viele Länder, in denen die Zuständigkeit in unterschiedlichster Weise gespalten ist. Z. B. ist in Mecklenburg-Vorpommern das Sozialministerium für die Zulassung zuständig, während die Überwachung durch vier Ämter für Arbeitsschutz und technische Sicherheit erfolgt.346 In Niedersachsen ist schon die Zulassung gentechnischer Anlagen und Arbeiten geteilt. Zulassungsbehörde ist entweder die Bezirksregierung Hannover oder die Bezirksregierung Braunschweig. Überwachungsaufgaben übernehmen 10 staatliche Gewerbeaufsichtsämter. Bayern ist gentechnikrechtlich in zwei Bezirke geteilt. Zulassung und Überwachung erfolgen je Bezirk zentral durch die Regierungen von Oberbayern und Unterfranken. Bei der Entnahme von Proben und deren Untersuchung werden die Bezirksregierungen vom Bayerischen Landesamt für Umweltschutz unterstützt, bei der technischen Überwachung des Schutzes der Beschäftigen helfen Gewerbeaufsichtsämter. 347 Stellungnahme des Bundesrates zum 2. GenTG-ÄndG, BT-Drs. 14/8767, S. 10 (li). Kapitel D. II. 3. e). 345 Auskünfte der zuständigen Behörden, September 2002; Vgl. außerdem die Übersicht bei Udo Matzke, Gentechnikrecht, 5.1., S. 617 ff.; und Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 181 Fn. 39. 346 Auskunft Sozialministerium, Mecklenburg-Vorpommern, 05.09.2002. 347 Auskunft Regierung von Oberbayern, 15.10.2002. 343 344

5*

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B. Kontrollgegenstände

Unabhängig von der landesinternen Aufgabenverteilung stehen den zuständigen Landesbehörden regelmäßig eigene Naturwissenschaftler zur Verfügung. In Bayern sind im Landesamt für Umweltschutz und in den Bezirksregierungen Unterfranken und Oberbayern je zwei promovierte Naturwissenschaftler tätig. 348 In RheinlandPfalz 349 und Baden-Württemberg 350 befassen sich jeweils sieben mit gentechnikrechtlichen Fragen. In Brandenburg sind vier Naturwissenschaftler und eine Ingenieurin mit dem Vollzug des Gentechnikgesetzes betraut 351, in Hamburg sind es fünf Vollzeit- und 2 Teilzeitkräfte 352. Hessen verfügt über sechs Naturwissenschaftler in Marburg; hinzu kommen 2 ½ Stellen in Wiesbaden. 353 Ausnahme ist Bremen. Dort hilft kein Naturwissenschaftler bei der Erfüllung gentechnikrechtlicher Aufgaben. 354 Auch in Thüringen arbeitet in der für die Zulassung gentechnischer Anlagen und Arbeiten zuständigen Behörde kein einziger Naturwissenschaftler. 355 Daher muss bezweifelt werden, ob Fachbehörden über gentechnische Risiken besser entscheiden können als Gerichte. 356 b) Die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS) Ein wichtiges Gremium beim Vollzug des Gentechnikgesetzes ist die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS). Sie wurde 1978 gegründet und hat seither eine Schlüsselrolle bei der Bewertung gentechnischer Vorhaben 357. Während ihre Empfehlungen vor Erlass des Gentechnikgesetzes nur im Wege der freiwilligen Selbstverpflichtung von Forschern und Behörden berücksichtigt wurden, sind die Stellungnahmen der ZKBS nun zwingender Teil des Zulassungsverfahrens. Das heißt, die Zulassungsbehörden müssen sie bei ihrer Entscheidung berücksichtigen (siehe §§ 10 VII, 12 IV 3, 16 V 2 GenTG). 358 Außerdem berät die ZKBS die Bundesregierung und die Länder in sicherheitsrelevanten Fragen der Gentechnik (§ 5 Satz 1 GenTG) und veröffentlicht allgemeine Stellungnahmen zu häufig durchgeführten gentechnischen Arbeiten (§ 5 Satz 3 GenTG) 359. Aufgaben und Zusammensetzung der ZKBS sind in den §§ 4, 5 GenTG beschrieben. Wann die ZKBS eingeAuskunft Regierung von Unterfranken, 09.09.2002. Auskunft Landesamt für Umweltschutz und Gewerbeaufsicht, 20.09.2002. 350 Deren Arbeitszeit entspricht der von 5,5 Vollzeitkräften. Auskunft Regierungspräsidium Tübingen, 03.09.2002. 351 Auskunft Landesamt für Verbraucherschutz und Landwirtschaft, 09.09.2002. 352 Auskunft Behörde für Umwelt und Gesundheit, 23.09.2002. 353 Auskunft Regierungspräsidium Gießen, 13.09.2002. 354 Auskunft Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales, 12.09.2002. 355 Auskunft Thüringer Landesverwaltungsamt, 18.09.2002. 356 Siehe Kapitel D. II. 3. a) bb) (1). 357 Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 228 f.; vgl. Michael Kloepfer/Kilian Delbrück, DÖV 1990, 897 (900, re); Michael Görke, Organisations- und Vollzugsprobleme im Bereich des Gentechnikrechts, S. 25. 358 Siehe dazu ausführlich unter IV. 3. b) bb). 359 Siehe auch IV. 3. b) bb). 348 349

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schaltet werden muss, regeln die einzelnen Zulassungsverfahren. Zudem existiert mit der ZKBS-Verordnung (ZKBSV) eine Rechtsverordnung, die besonders das Verfahren der ZKBS näher erläutert. aa) Zusammensetzung der ZKBS (1) Sachverständige und sachkundige Personen Gem. § 4 I GenTG setzt sich die ZKBS aus 16 Personen zusammen. Zehn davon sind Sachverständige, sechs sachkundige Personen. Die Sachverständigen rekrutieren sich aus den Bereichen Mikrobiologie, Zellbiologie, Virologie, Genetik, Hygiene, Ökologie und Sicherheitstechnik. Sechs davon müssen auf dem Gebiet der Neukombination von Nukleinsäuren arbeiten (vgl. § 4 I 2 Nr. 1 GenTG). Die sachkundigen Personen stammen aus Gewerkschaften, dem Arbeitsschutz, der Wirtschaft, dem Umweltschutz, dem Verbraucherschutz und der forschungsfördenden Organisationen (§ 4 I 2 Nr. 2 GenTG). Diese Zusammensetzung soll eine Entscheidung gentechnischer Fragen auf höchstem wissenschaftlichen Niveau gewährleisten. Insbesondere die Besetzung mit Wissenschaftlern, die sich speziell mit der Neukombination von Nukleinsäuren befassen, soll sicherstellen, dass in die Risikobewertungen der ZKBS stets neuste internationale wissenschaftliche Erkenntnisse einfließen (§ 4 I 2 Nr. 1 1. HS GenTG). 360 Des Weiteren haben auch die sachkundigen Personen ihr Fachwissen und ihre Erfahrungen aus der Gentechnik in die Beratungen einzubringen. 361 Gleichzeitig sollen sie ein gewisses Gegengewicht zu den Sachverständigen schaffen. 362 Ein gesellschaftspolitischer Diskurs über Chancen und Risiken der Gentechnik ist indes nicht beabsichtigt. Die sachkundigen Personen sollen die Voten der Sachverständigen lediglich kritisch gegenlesen. Ziel ist, die Sachverständigen durch die Beteiligung anderer Personen dazu anzuhalten, die Risiken eines Vorhabens ausführlich darzulegen, Chancen und Risiken objektiv zu bewerten und ihre Voten allgemeinverständlich zu formulieren. Gegebenenfalls müssen die Sachverständigen ihre Einschätzungen weiter erklären und noch genauer begründen. 363 Die ZKBS zeichnet sich damit nicht durch einen interessenpolitischen Diskurs aus, sondern durch ihre fachpluralistische Besetzung. 364 Daher lässt sie sich wohl 360 Vgl. auch den Tätigkeitsbericht der ZKBS 2001, Bundesgesundheitsblatt 2002, 643 (645, mi). 361 BT-Drs. 11/5622, S. 24 (re, Zu den §§ 4 und 5, 2. Absatz). 362 Udo di Fabio, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 4 Rdn. 23, 34 und Kapitel D. II. 3. c) dd) (1) (c). 363 Zur Begründungspflicht der ZKBS siehe § 14 I 3 ZKBSV. 364 Arnim Karthaus, ZUR 2001, 61 (61, re, 62, li); Rainer Wahl, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, §§ 4, 5 GenTG Rdn. 36; vgl. auch Udo di Fabio, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 4 Rdn. 26, 32. Ausführlich zur Abgrenzung zu interessenpluralistisch besetzten Gremien siehe außerdem unten D. II. 3. c) dd) (1) (c).

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nicht mit Gremien wie der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften vergleichen, deren Entscheidungen Gerichte nur beschränkt kontrollieren dürfen. 365

(2) Rechtsstellung der Mitglieder Gem. § 4 II GenTG werden die Mitglieder der ZKBS vom Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ernannt.366 Sie sind unabhängig und nicht an Weisungen gebunden (§ 4 III 1 GenTG). Sie sind weder Beamte im statusrechtlichen Sinne noch staatliche Bedienstete. Auch sind sie keine Ehrenbeamte 367, die sich von Beamten im statusrechtlichen Sinne nur dadurch unterscheiden, dass ihnen keine Besoldungs- und Versorgungsansprüche zustehen 368. Denn um den Status eines Ehrenbeamten zu erlangen, wäre die Ernennung hierzu erforderlich. 369 § 3 I 1 ZKBSV sieht aber keine Ernennung zum Ehrenbeamten vor, sondern stellt klar, dass die Mitglieder der ZKBS ehrenamtlich tätig werden. Die amtliche Begründung der ZKBSV bestätigt dies. 370 Die Mitglieder der ZKBS stehen deshalb lediglich in einem öffentlich-rechtlichen Auftragsverhältnis. 371 Der öffentlich-rechtliche Charakter des Auftragsverhältnisses folgt aus der Rechtsnatur der ZKBS. Sie erfüllt öffentlich-rechtliche Aufgaben, wenn sie die Bundesregierung oder Behörden berät 372. Daher ist auch das Rechtsverhältnis ihrer Mitglieder öffentlich-rechtlich zu qualifizieren, obgleich diese gem. § 4 III 1 GenTG unabhängig entscheidende Privatpersonen bleiben. Das Rechtsverhältnis der ZKBS-Mitglieder wird durch § 4 III GenTG geregelt, durch die ZKBSV und durch die Befangenheitsvorschriften des § 20 f. VwVfG. Ergänzend gelten die Vorschriften über die ehrenamtliche Tätigkeit der §§ 81 ff. VwVfG. 373 Diese Regelungen verpflichten die Mitglieder der ZKBS zur gewissenhaften und unparteiischen Amtsausübung. Da sie in den Vollzug des GentechnikgeSiehe zum Vergleich der ZKBS mit anderen Gremien ausführlich Kapitel D.II. 3. c) dd). Vor der Änderung des Gentechnikgesetzes durch das Gesetz zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht wurden die Mitglieder vom Bundesministerium für Gesundheit ernannt (vgl. § 4 II GenTG i. d. F. v. 16.08.2002). 367 So auch Rainer Wahl, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, §§4, 5 GenTG Rdn. 41; Vgl. zur Rechtsstellung nicht-staatlicher Mitglieder staatlicher (Entscheidungs)gremien allgemein auch Matthias Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, S. 399. 368 Philip Kunig, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 627 (663 Rdn. 66). 369 Rolf Stober, Der Ehrenbeamte in Verfassung und Verwaltung, S. 157. 370 Abgedruckt in Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 3 ZKBSV Rdn. 3. 371 Anders wohl Udo di Fabio, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 4 Rdn. 44, der von einem „ehrenamtlichen Beamtenverhältnis auf Zeit“ spricht; wieder anders Rainer Wahl, in: Landmann/Rohmer, GenTG, §§ 4, 5 Rdn. 41: „Zwischenstellung“: weder das Rechtsinstitut des Beauftragten noch eines Ehrenbeamten auf Zeit sei passend. 372 Ausführlicher zur Rechtsnatur der ZKBS siehe IV. 3. b) cc). 373 Amtliche Begründung der ZKBSV, abgedruckt in Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, vor § 1 ZKBSV Rdn. 3 und § 3 ZKBSV Rdn. 3. 365 366

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setzes eingeschaltet werden, sind sie an Recht und Gesetz gebunden. 374 Sie sollen sachlich und persönlich unabhängig entscheiden (§§ 4 III 1 GenTG, 83 I VwVfG) und sie sind zur Verschwiegenheit (§§ 4 III 2 GenTG, 10 V ZKBSV, 84 VwVfG) und Neutralität verpflichtet (§§ 4 III 1 GenTG, 83 I VwVfG). bb) Aufgaben und Bedeutung der ZKBS Gem. § 5 Satz 1 GenTG prüft und bewertet die ZKBS sicherheitsrelevante Fragen nach den Vorschriften des Gentechnikgesetzes. Sie gibt hierzu Empfehlungen ab, durch die sie an den Behördenentscheidungen über die Zulassung einzelner Vorhaben mitwirkt (§§ 11 VII, 12 IV, 16 V GenTG). 375 Auf diese Weise prägt die ZKBS die behördlichen Risikobewertungen. Dies gilt für gentechnische Arbeiten in gentechnischen Anlagen, für Freisetzungen und für ein Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen. Darüber hinaus berät sie die Bundesregierung beim Erlass von Rechtsverordnungen und sicherheitsrelevanten Verwaltungsvorschriften (§ 5 Satz 1 GenTG und §§ 7 I 2, 30 I, V GenTG, 5 VI GenTSV). Sie berichtet der Öffentlichkeit jährlich über ihre Arbeit (§ 5 Satz 3 GenTG). Auch veröffentlicht sie allgemeine Stellungnahmen zu häufig durchgeführten gentechnischen Arbeiten mit jeweils zugrunde liegenden Kriterien der Vergleichbarkeit im Bundesgesundheitsblatt (§ 5 Satz 4 GenTG). Ferner erkennt sie biologische Sicherheitsmaßnahmen an (§6 III GenTSV) 376. Diese Kompetenz findet ihre Stütze in § 5 Satz 1 GenTG, der allgemeinen Befugnis der ZKBS, sicherheitsrelevante Fragen zu prüfen und zu bewerten. 377 Die ZKBS agiert zentral für das ganze Bundesgebiet sowohl bei der einzelfallbezogenen Risikobewertung von Behörden als auch bei der Normkonkretisierung. Durch diese Doppelfunktion hebt sie sich von Gremien ab, die in anderen Gebieten des Umweltrechts als Sachverständige herangezogen werden. 378 Ihre Schlüsselfunktion zeigt sich besonders darin, dass die zuständige Behörde verpflichtet ist, die Stellungnahmen der ZKBS zu berücksichtigen (§§ 10 VII 3, 12 IV 3, 16 V 2 i. V. mit § 10 VII 3 GenTG). Zudem dürfen Landesbehörden bei gentechnischen Vorhaben im geschlossenen System nur dann von der Risikobewertung der ZKBS abweichen, wenn sie ihre Gründe schriftlich darlegen (§§ 10 VII 4, 12 IV 4 GenTG). Damit haben die Stellungnahmen der ZKBS eine „qualifizierte Empfehlungszuständigkeit“. 379 Bis zur Änderung des Gentechnikgesetzes durch das Zweite Gesetz zur Rainer Wahl, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, §§ 4, 5 GenTG Rdn. 51. Siehe dazu im einzelnen die Darstellungen der einzelnen Verfahrensabläufe unten IV. 5. 376 Siehe hierzu auch IV. 5. a) aa) (2). 377 Wolfram Eberbach/Franz-Josef Ferdinand, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 6 GenTSV Rdn. 53. 378 Arnim Karthaus, ZUR 2001, 61 (li). Zur Unterscheidung zu den Gremien im Atomrecht siehe Kapitel D. II. 3. c) cc) (1). 379 So Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 221; ähnlich Matthias Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (182): „qualifizierte Form der Empfehlung mit Begründungspflicht im Abweichungsfall“. 374 375

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Änderung des Gentechnikgesetzes galt die Darlegungspflicht auch bei Freisetzungen und beim Inverkehrbringen, weil § 16 V 2 GenTG a. F. noch auf § 11 VIII 3 GenTG, den heutigen § 10 VII 4 GenTG, verwiesen hatte. 380 Hinter dem Berücksichtigungszwang und der Darlegungspflicht steht die Ansicht des Gesetzgebers, dass die Stellungnahmen der ZKBS wegen ihrer Fachkompetenz grundsätzlich richtig sind. Daher sollen Behörden diese ihrer Risikobewertung zu Grunde legen. Wie die Zahlen bisher erfolgter Abweichungen belegen, sind die Landesbehörden bei gentechnischen Arbeiten im geschlossenen System nur vereinzelt vom Votum der ZKBS abgewichen. 381 Das bisher für Freisetzungen und ein Inverkehrbringen zuständige Robert Koch-Institut hatte sogar keine Genehmigungsentscheidung entgegen der Stellungnahme der ZKBS getroffen. 382 Das mag daran gelegen haben, dass die ZKBS und das Robert Koch-Institut eng verzahnt waren und ihre Stellungnahmen von Mitarbeitern des Robert Koch-Instituts vorbereitet wurden (vgl. § 8 II ZKBSV a. F.). Dieses enge, im Gesetz angelegte Verhältnis zwischen Zulassungsbehörde und ZKBS hat sich auch nach Übertragung der Entscheidungskompetenz auf das BVL durch das Gesetz zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht nicht geändert. Denn die ZKBS hat ihre Geschäftsstelle nun beim zuständigen BVL, von dem sie wie bislang vom Robert Koch-Institut bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben unterstützt wird. Entscheidend für eine Übernahme der Empfehlung der ZKBS durch das Robert Koch-Institut war aber, dass diese dem Robert Koch-Institut wegen ihres wissenschaftlich hohen Niveaus als Garantie für eine richtige Risikoeinschätzung erschien. Von einer solchen Garantiefunktion ist auch künftig auszugehen, auch wenn nun das BVL und nicht mehr das Robert Koch-Institut für Freisetzungen und ein Inverkehrbringen zuständig ist. Verbraucheraspekte mögen durch diese Zuständigkeitsverlagerung künftig stärker in den Vordergrund treten 383, doch wird eine Entscheidung über eine Freisetzung oder ein Inverkehrbringen kraft der Zulassungsvoraussetzungen des § 16 I GenTG eine wissenschaftliche Entscheidungen bleiben. Daher ist auch künftig zu erwarten, dass sich sämtliche Zulassungsentscheidungen maßgeblich am wissenschaftlichen Votum der ZKBS orientieren, auch wenn durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes zudem die Darlegungslast für ein Abweichen vom ZKBS-Votum bei Freisetzungen und beim Inverkehrbringen weggefallen ist. 384 Das BVL könnte theoretisch ohne schriftliche Begründung vom Votum der ZKBS abweichen. Doch ist nicht zu erwarten, dass es dies auch tut. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es den wissenschaftlichen Stellungnahmen der ZKBS, die Siehe zu dieser Änderung auch Kapitel D. II. 3. c) dd) (2) (b) (dd). So das RP Tübingen in zwei Fällen, vgl. dazu VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224; VG Freiburg, ZUR 2000, 216; VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13; vgl. außerdem VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 1 zu § 7, S. 1, 5. 382 Arnim Karthaus, ZUR 2001, 61 (64, re). 383 Siehe dazu auch Kapitel E. I. 2. b). 384 Siehe dazu auch Kapitel D. II. 3. c) dd) (2) (b) (dd). 380 381

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der Gesetzgeber immer noch berücksichtigt wissen will, „faktische Bindungswirkung“ beimisst, so wie bisher das Robert Koch-Institut. Der Begriff „faktische Bindungswirkung“ wird gerne von Rechtsprechung und Literatur gebraucht, um die lenkende Rolle der ZKBS zu beschreiben. 385 Er ist allerdings präzisierungsbedürftig. Klarzustellen ist: er trifft nur insoweit zu, als damit die Dominanz der ZKBS gekennzeichnet wird, nicht aber soweit damit eine Drucksituation oder ein unausweichlicher Rechtfertigungszwang heraufbeschworen wird. 386 Denn in der Praxis werden die Voten der ZKBS nicht deshalb übernommen, weil Behörden die Stellungnahmen der ZKBS von Gesetzes wegen berücksichtigen müssen oder weil sie die Darlegungspflicht scheuen. Vielmehr machen sich die zuständigen Behörden die Stellungnahmen der ZKBS zu eigen, da sie von ihnen überzeugt sind. Insofern wäre es falsch, den Begriff der „faktischen Bindungswirkung“ mit eingeengter Entscheidungskompetenz oder unausweichlichem Zwang zur Übernahme des Votums zu übersetzen. Sofern die Risikobewertung der ZKBS überzeugt oder wenn es nur kleine Unstimmigkeiten gibt, die im Ergebnis nicht zu einer anderen Sicherheitseinstufung zwingen, besteht für die zuständige Behörde kein Anlass, vom Votum der ZKBS abzuweichen. Hingegen ist die Behörde wegen ihrer Gesetzesbindung (Art. 20 III GG) lediglich dort verpflichtet, sich gegen das Votum der ZKBS zu stellen, wo dieses schlechterdings untragbar ist. Nur dann muss sie gegebenenfalls einen erhöhten Begründungsaufwand in Kauf nehmen. Die Umschreibung „faktische Bindungswirkung“ fängt daher die Behördenpraxis zutreffend ein, indem sie ausdrückt, dass die ZKBS nicht so unverbindlich berät wie dies normalerweise ein externer Sachverständiger tut. Insoweit hat der Begriff seine Richtigkeit: denn faktisch ist es nicht allein die Behörde, die beschließt, sondern die ZKBS wirkt meist verfahrensentscheidend mit, so dass faktisch die Behörde mit der ZKBS entscheidet. 387 Allerdings ginge es zu weit, aus dieser faktischen „gesetzessystematisch und inhaltlich herausgehobenen Rolle“ der ZKBS 388 ein Verbot für die zuständige Behörde herzuleiten, im Streitfall von deren Stellungnahme abzuweichen. In diese Rich385 VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (227, re): „faktische Autorität“; Hirsch/SchmidtDidczuhn, GenTG, § 5 Rdn. 5 und schon BR-Drs. 387/1/89, S. 168 (li); Martin Vomhof, Rechtsprobleme der Einbindung von sachverständigen Gremien in das Umwelt- und Technikrecht, S. 71, 164: „faktische Bindungswirkung“; so auch Udo di Fabio, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 5 Rdn. 16, 19; vgl. auch Arnim Karthaus, ZUR 2001, 61 (64, re): „qualifizierte Empfehlungszuständigkeit“, „was rechtlich als Beratung firmiert, ist inhaltlich zumindest Mitentscheidung“. 386 In diese Richtung aber Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 289, der die Begründungspflicht zudem als „entscheidende Hürde“ bezeichnet (S. 290); ähnlich Rüdiger Breuer, UTR 14 (1991) 37 (58), der von einem „subtilen rechtlichen Druck“ spricht. 387 Vgl. dazu Winfried Brohm, HStR II, § 36 Rdn. 31: „Insofern ‚beraten‘ in der Regel diese Gremien nicht die Behörde, sondern sie ‚beraten mit‘ der Behörde“. 388 So Michael Kloepfer/Kilian Delbrück, DÖV 1990, 897 (900, re).

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tung deutete das VG Karlsruhe. 389 Doch widerspricht ein solches Verbot den §§ 10 VII 3, 4; 12 IV 3, 4; 16 V 2 GenTG. Danach ist ein Abweichen immer zulässig, sofern eine andere Sicherheitseinstufung (gut) begründbar ist. Auch berechtigt eine mitentscheidende Rolle der ZKBS nicht dazu, weitergehende verfahrensrechtliche Anforderungen für die Behörde aufzustellen, wenn sie vom Votum der ZKBS abweichen möchte. Eine erneute Vorlagepflicht der behördlichen Risikobewertung an die ZKBS, wie sie vom VG Freiburg verlangt wurde 390, findet in den Formulierungen des Gentechnikgesetzes daher keine Stütze. 391 Durch solche zusätzlichen Pflichten der zuständigen Behörden würde verkannt, dass die ZKBS keine Gentechnik-Super-Behörde ist, sondern dass sie trotz ihrer herausragenden Rolle nur eine dienende Funktion hat. 392 Dies folgt daraus, dass der Gesetzgeber die Kompetenz über die Zulassung eines gentechnischen Vorhabens im Verhältnis zwischen ZKBS und der zuständigen Behörde nicht der ZKBS zugewiesen hat, sondern der Behörde. Insofern wird von einem „Letztentscheidungsrecht“ der Behörde gesprochen.393 Dieser Begriff wird allerdings oft auch in anderem Zusammenhang gebraucht. Er soll Gerichte daran hindern, Behördenentscheidungen voll zu kontrollieren. 394 Das Letztentscheidungsrecht der zuständigen Behörden könnte also nicht nur gegenüber der ZKBS wirken, sondern auch gegenüber Gerichten. Hierfür könnte sprechen, dass die zuständigen Fachbehörden regelmäßig besonders kompetent sind, gentechnische Risiken zu bewerten und ihre Entscheidungen durch die Stellungnahmen der ZKBS gestärkt werden. 395 Ob sich so tatsächlich ein kontrollfreier Spielraum der Fachbehörden begründen lässt, kann indes nicht gesagt werden, ohne dies verfassungsrechtlich zu prüfen. 396

VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13, S. 7 f. Vgl. VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (217, re) unter Verweis auf das betreffende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes; siehe dazu auch Wilhelm Treiber, Sonderbeilage VBlBW 4/2000, 6 (9, li). 391 Sabine Schlacke, ZUR 2001, 393 (396, li, f.); Harald Ginzky, ZUR 2000, 220 (221, re), der die Vorlagepflicht im Ergebnis aber wegen der herausragenden Rolle der ZKBS begrüßt. 392 VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (228, li). 393 VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (228, li); Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 239; Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 289; Rainer Wahl, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, §§ 4, 5 GenTG Rdn. 19; Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 5 Rdn. 5; Arnim Karthaus, ZUR 1996, 61 (65, re); ders., Risikomanagement, S. 224. vgl. auch Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (26, re); Michael Görke, Organisations- und Vollzugsprobleme im Bereich des Gentechnikrechts, S.30; a. A. Gerd Winter, Grundprobleme des Gentechnikrechts, S. 54: für die Zulassungsbehörden sind die Stellungnahmen „rechtlich partiell bindend“. Siehe auch Kaptitel D.II. 3. d) (2) (b) (dd). 394 Siehe Kapitel C. I. 395 So Michael Görke, Organisations- und Vollzugsprobleme im Bereich des Gentechnikrechts, S. 31. 396 Kapitel D. II. 3. a) bb) (1) und 3. c) dd) (2). 389 390

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cc) Rechtsnatur der ZKBS Die Rechtsnatur der ZKBS ist strittig. Gem. § 4 I 1 GenTG wird sie „beim“ BVL eingerichtet. 397 Sie ist diesem organisatorisch angegliedert 398, weil sie dort ihre Geschäftsstelle hat (§8 I ZKBSV). Gleichwohl ist die ZKBS nicht Teil des BVL, ebenso wenig wie sie bisher Teil des RKI war. 399 Sie ist allerdings auch keine eigene Behörde 400, da nicht sie außenwirksam gegenüber dem Betreiber entscheidet, sondern die jeweils zuständige Behörde. 401 Zudem ist die ZKBS keine Beliehene. 402 Weil ihre Mitglieder gem. § 4 III 1 GenTG unabhängig und nicht an Weisungen gebunden sind, fehlt es an einer Staatsaufsicht als Voraussetzung und Wesensmerkmal einer Beleihung 403. Die Rechtsnatur der ZKBS lässt sich daher zurückgehend auf Otto Bachof 404 am besten als teilrechtsfähige Verwaltungsstelle mit verbandsmäßiger Struktur qualifizieren 405, die in den gentechnikrechtlichen Verwaltungsverfahren mitentscheidend tätig wird. Die ZKBS ist staatlich eingesetzt, nimmt öffentliche Aufgaben wahr und ist durch Gesetz und Rechtsverordnung näher ausgestaltet. 406 Vor allem ist die Beteiligung der ZKBS wesentlicher Teil des behördlichen Entscheidungsprozesses. Die mitentscheidenden Stellungnahmen der ZKBS im Rahmen der einzelnen Behördenentscheidungen sind folglich (Mit-)ausübung öffentlicher Gewalt 407; gegen ihre Stellungnahmen muss daher inzident Gerichtsschutz möglich sein408. 397 Vor der Änderung des Gentechnikgesetzes durch das Gesetz zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht, siehe dazu IV. 3. a) aa) und das Vorwort dieser Arbeit, war die ZKBS beim Robert Koch-Institut eingerichtet (vgl. § 4 I GenTG i. d. F. v. 16.08.2003). 398 So auch Rainer Wahl, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, §§ 4, 5 GenTG Rdn. 22. 399 Zur Frage, wie sich dies auf die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation der ZKBS auswirkt, siehe Kapitel D. II. 3. c) dd) (2) (b) (dd). 400 Udo di Fabio, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 4 Rdn. 10, doch beschreibt er die ZKBS als „behördenähnlich“ (Rdn. 21). 401 Udo di Fabio, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 4 Rdn. 10; Hirsch/SchmidtDidczuhn, § 4 GenTG Rdn. 3. 402 Im Ergebnis wie hier Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 4 Rdn. 3 und Udo di Fabio, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 4 Rdn. 10, doch wird der Status als Beliehene mit der Begründung abgelehnt, dass die ZKBS nicht außenwirksam entscheidet. Dazu, ob die ZKBS trotz fehlender Beleihung sachlich-inhaltlich demokratisch legitimiert ist, siehe Kapitel D. II. 3. c) dd) (2) (b) (dd). 403 OVG NW, NVwZ 1997, 806 (807, re); Michael Sachs, in: Sachs, Art. 20 Rdn. 39; Frank Bansch, Die Beleihung als verfassungsrechtliches Problem, S. 151 ff. 404 Otto Bachof, AöR 83 (1958), 208 (221, 245, 271 f.). 405 Udo di Fabio, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 4 Rdn. 18; Rainer Wahl, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 4, 5 GenTG Rdn. 23; Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 99; Arnim Karthaus, ZUR 2001, 61 (63, li). 406 Arnim Karthaus, ZUR 2001, 61 (63, li). 407 Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 99; vgl. auch Christian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen, S. 64: allgemein zur Einordnung von Vorentscheidungsgremien als Träger öffentlicher Gewalt i. S. von Art. 19 IV; a. A. wohl Hirsch/Schmidt-Didczuhn, § 4 GenTG Rdn.3, die ausführen, die ZKBS nehme keine hoheitlichen Funktionen wahr. Zur Begründung wird angeführt: die ZKBS sei keine Behörde

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4. Aufgaben von Behörden – Entscheidung über Risiken Die Aufgaben von Behörden beim Vollzug des Gentechnikgesetzes lassen sich knapp mit „Risikoverwaltung“ beschreiben. 409 Gleich, ob über die Sicherheit einer gentechnischen Anlage, eines Freisetzungsvorhabens oder eines Inverkehrbringens gentechnisch veränderter Organismen zu entscheiden ist, müssen Behörden Risiken beurteilen, um vor den möglichen Gefahren gentechnischer Verfahren und Produkte zu schützen und dem Entstehen solcher Gefahren vorzubeugen (§ 1 Nr. 1 GenTG). 410 Der Ablauf solcher Risikobewertungen soll unter 5. anhand der einzelnen Behördenentscheidungen dargestellt werden. Zuvor gilt es indes, den Begriff des Risikos als Rechtsbegriff näher zu erläutern. Denn das Gentechnikrecht definiert den Begriff des Risikos nicht, auch wenn es die Bewertung von Risiken verlangt (vgl. §§ 6 I 1, 7 GenTG). Insbesondere sagt es nicht, welche Risiken zur Untersagung eines Vorhabens berechtigen. Doch ist gerade diese Bestimmung entscheidend. Erst sie erlaubt festzustellen, vor welchen Umständen Dritte und die Umwelt – notfalls auch durch Gerichte – zu schützen sind. a) Der Risikobegriff als Rechtsbegriff Das Wort Risiko stammt aus dem Italienischen und bedeutet dort Wagnis oder Gefahr. 411 Schon im 15. Jahrhundert wurde der Begriff in der europäischen Kaufmannssprache gebraucht, um eine unsichere Unternehmung zu bezeichnen, mit der ein Verlust verbunden sein könnte. 412 So wird ein Risiko nach allgemeinem Sprachgebrauch auch heute noch definiert. 413 Überträgt man diese Definition in die Systematik des Sicherheitsrechts, lässt sich der Begriff des Risikos als eine bedrohliche Situation für geschützte Rechtsgüter beschreiben, deren Eintritt nicht auszuschließen ist. Beispielsweise kann eine gentechnische Anlage die Gesundheit von Menschen schädigen oder Umweltschäden verursachen, wenn gefährliche gentechnisch veränderte Organismen durch die Abluft freigesetzt werden. Wesentliches Element eines Risikos ist damit Unsicherheit. 414 Daher verlangt die Bestimmung eines Risikos stets Prognosen. Maßgebliche Berechnungsgrößen sind die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens und der zu erwartende Schadensumfang. 415 Insoweit und treffe keine Entscheidungen mit Außenwirkung. – Für die Ausübung öffentlicher Gewalt ist dies aber nicht zwingend erforderlich (siehe insoweit die Ausführungen im Text). 408 Siehe Kapitel D. II. 3. c) dd) (3). 409 Vgl. Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 136. 410 Vgl. auch Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 89. 411 Duden, Das Fremdwörterbuch, S. 712 (re). 412 Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 46 m. w. N. 413 Duden, Das Fremdwörterbuch, S. 712 (re). 414 Arno Scherzberg, VerwArch 84 (1993), 485 (498); Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 60 ff. 415 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 6 Rdn. 18.

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orientiert sich der rechtliche Risikobegriff an der naturwissenschaftlichen Risikodefinition. 416 Zudem lehnt sich die Risikoformel am Begriff der Gefahr an, die sich ebenfalls aus dem Produkt der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und dem Umfang des möglichen Schadens errechnet. 417 Gefahr und Risiko sind aber nicht deckungsgleich. Eine Gefahr verlangt, dass der Eintritt eines Schadens bei ungehindertem Verlauf einer Situation mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. 418 Die nur entfernte Möglichkeit eines schädigenden Ereignisses ohne ausreichende Erkenntnisse über die Einzelheiten des zu regelnden Sachverhalts und über die maßgeblichen Kausalverläufe begründet noch keine Gefahr. 419 Wohl aber liegt hier ein Risiko vor. Denn für die Annahme eines Risikos muss sich der Eintritt eines Schadens nicht durch ein hinreichend gesichertes Regelwissen über Wirkungszusammenhänge und Schadensabläufe nachweisen lassen.420 Ein Schaden muss nur möglich sein. 421 Beim Risikobegriff sind damit die Anforderungen an die Schadenswahrscheinlichkeit gegenüber einer Gefahr abgesenkt. 422 Manchmal kann zwar auch für eine Gefahr schon eine geringe Wahrscheinlichkeit genügen. Doch muss diese Wahrscheinlichkeit dann durch einen großen Schaden kompensiert werden. 423 Um bei Schadensabläufen, die nahezu ausgeschlossen sind, eine Gefahr zu bejahen, bedarf es folglich eines extrem hohen Schadens. Ein Risiko besteht dagegen unabhängig von der Schadensgröße, auch wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit gegen null tendiert oder ein Schaden, nach dem Stand der Wissenschaft und Technik wohl nicht zu erwarten ist, sich letztlich aber auch nicht völlig ausschließen lässt 424. Der Risikobegriff als Rechtsbegriff trägt damit den empirischen Unsicherheiten neuer 416 Detlef Groß, Die Produktzulassung von Novel Food, S. 359. Zur heutigen Anerkennung des Risikobegriffs als Rechtsbegriff siehe ebenfalls Detlef Groß, Die Produktzulassung von Novel Food, S. 359 und Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 51 jeweils m. w. N. 417 Vgl. Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, §4 Rdn. 7; Michael Herdegen, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Einl. Rdn. 15. 418 BVerwG, DÖV 2003, 81 (82, re); BVerwGE 45, 51 (57); Volkmar Götz, Allgemeines Polizeirecht, Rdn. 140 m. w. N. 419 BVerwG, DÖV 2003, 81 (82, re); Volkmar Götz, Polizeirecht, S. 220, 223; Rüdiger Breuer, NVwZ 1990, 211 (213, li). 420 Vgl. Michael Herdegen, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 1 Rdn. 16; Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 105, der insoweit von einer fehlenden „gefahrdogmatisch erforderlichen Beurteilungssicherheit“ spricht; Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 65. 421 Hirsch/Schmidt-Didczhun, GenTG, § 6 Rdn. 17; Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 105; Arnim Karthaus, Risikomanagement, S.65; vgl. auch §2 Nr. 5 UGB-KomE, abgedruckt im Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch, S. 109; Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 76 ff. lehnt indes die Beschreibung als mögliche Schäden unterhalb der Gefahrenschwelle ab. Risiken sind seiner Ansicht zufolge daher kein „minus“ einer Gefahr, sondern ein „aliud“, weil bei Risiken ein „gesicherter Erfahrungsschatz“ fehlt. 422 Vgl. BVerwG, DÖV 2003, 81 (83, li). 423 BVerwGE 62, 36 (39); vgl. außerdem Michael Herdegen, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Einl. Rdn. 15. 424 Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rdn. 6.

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Technologien Rechnung, die allein mit den Ermächtigungsgrundlagen des Gefahrenabwehrrechts nicht adäquat zu bekämpfen wären. 425 Nicht einmal über die Konstruktion des Gefahrenverdachts als Eingriffsgrundlage für ein sicherheitsrechtliches Einschreiten könnte nämlich die Ungewissheit ordnungsrechtlich bewältigt werden, die der Gentechnik immanent ist. 426 Zwar zeichnet sich auch ein Gefahrenverdacht durch einen herabgesetzten Wahrscheinlichkeitsgrad aus, weil bei ihm nach allgemeiner Ansicht schon die Möglichkeit einer Gefahr zum Einschreiten berechtigen soll. 427 Doch erlaubt ein Gefahrenverdacht grundsätzlich nur vorläufige Maßnahmen, um die Gefahrenlage weiter zu erforschen. 428 Indes ist eine wirksame Bekämpfung von Risiken durch solche bloße Gefahrerforschungsmaßnahmen nicht möglich. 429 Vielmehr müssen hierfür endgültige Schutzvorkehrungen angeordnet werden. Die rechtliche Steuerung von Risiken hat daher zu Recht eine eigene Ausprägung in der ordnungsrechtlichen Dogmatik erfahren. Allerdings ist mit der systematischen Einordnung des Risikobegriffs noch nicht geklärt, welche Rechte und Pflichten Behörden in einer konkreten Entscheidungssituation haben. Für die gerichtliche Kontrolle muss aber bekannt sein, wie Behörden bei der Risikobekämpfung vorgehen und wann genau ein gentechnisches Vorhaben untersagt werden muss bzw. in welchen Fällen Schutzmaßnahmen angeordnet werden dürfen. Nur mit der allgemeinen Risikodefinition lässt sich dies nicht beantworten. Vielmehr muss hierzu der allgemeine Risikobegriff anhand der Bestimmungen des Gentechnikrechts gentechnikspezifisch verfeinert werden. Dabei ist am Ablauf einer Verwaltungsentscheidung anzuknüpfen und zunächst zu fragen, welche Risiken Behörden zur Beurteilung eines Vorhaben ermitteln müssen. So425 Rainer Wahl, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, §6 GenTG Rdn.15; Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 65; Fritz Ossenbühl, NVwZ 1986, 161 (163, li); Rainer Wahl/Ivo Appel, in: Prävention und Vorsorge, S. 1 (88 f., 92 f.); Arno Scherzberg, VerwARch 84 (1993), 484 (497); Rudolf Steinberg, in: Risikomanagement im öffentlichen Recht, S. 17; Hans-Heinrich Trute, in: Risikomanagement im öffentlichen Recht, S. 55; zur fehlenden Unterscheidung zwischen Gefahr und Risiko im Europäischen Umweltrecht vgl. außerdem Arnim Karthaus, Risikomanagement, S.55 ff. (57); Siegmar Pohl, Die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, S. 106. 426 Im Ergebnis ebenso Arno Scherzberg, VerwArch 84 (1993), 484 (496 f.), jedoch mit der Begründung, dass der Gefahrenverdacht nur den nach der allgemeinen Lebenserfahrung bestehenden Unsicherheiten Rechnung trägt und nicht den naturwissenschaftlichen Unsicherheiten; für eine Gleichsetzung von Gefahrenverdacht und Risiko dagegen Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 106; Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 76, Fn. 159. 427 Vgl. Volkmar Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rdn. 154. Für eine Einbeziehung des Gefahrenverdachts in die Gefahrenabwehr dagegen zutreffend Frauke HansenDix, Die Gefahr im Polizeirecht, im Ordnungsrecht und im technischen Sicherheitsrecht, S. 177 ff. 428 Volkmar Götz, Polizeirecht, S. 227; Volkmar Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rdn. 155; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizeirecht, § 4 Rdn. 59. 429 Vgl. auch Matthias Kapteina, Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 70.

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dann ist zu bestimmen, welche Risiken erlaubt sind. In diesem Zusammenhang sind die Begriffe der Risikovorsorge und des sozialadäquaten sog. Restrisikos in ihrem gentechnikrechtlichen Verständnis zu erläutern. Auch soll die Unterscheidung zwischen Gefahr und Risiko an Hand gentechnikrechtlicher Beispiele weiter verdeutlicht werden. b) Risikoermittlung am Maßstab des „Stands der Wissenschaft (und Technik)“ Die Risikobewertung erfolgt durch Risikoermittlung und Risikobewertung. 430 Die Pflicht der Behörden zur Risikoermittlung folgt aus dem Amtsermittlungsgrundsatz der §§ 24, 26 VwVfG bzw. der entsprechenden LVwVfGe. 431 Auch wenn die Risikoermittlung wissenschaftsabhängig ist, obliegt sie nicht externen Naturwissenschaftlern. Deren Aufgabe ist lediglich, naturwissenschaftlich-technische Zusammenhänge und Abläufe unabhängig von der Zulassungsfrage eines konkreten Vorhabens zu erforschen, neue Erkenntnisse über gentechnische Risiken zu sammeln und diese zu beschreiben. Ihre Aufgabe ist also, Risiken im Vorfeld der Risikoermittlung zu analysieren. 432 Dagegen gehört es zu den Aufgaben der zuständigen Behörde und ihrer Wissenschaftler, sich im Zusammenwirken mit dem Betreiber die für eine Entscheidung erforderlichen Kenntnisse zu verschaffen. 433 Welche Risiken zu ermitteln sind, ergibt sich aus den einzelnen Entscheidungsnormen. Gentechnikrechtliche Entscheidungen ergehen anhand unbestimmter Rechtsbegriffe. Es ist zu fragen, ob nach dem „Stand der Wissenschaft“ (§ 16 II GenTG) bzw. nach dem „Stand der Wissenschaft und Technik“ bei Anordnung der „notwendigen“ bzw. „erforderlichen“ Schutzvorkehrungen „schädliche Einwirkungen“ auf die in § 1 Nr. 1 GenTG genannten Schutzgüter „zu erwarten sind“ (§§ 11 I Nr. 4, 16 I Nr. 2, Nr. 3 GenTG). Der Stand der Wissenschaft (und Technik) beschreibt dabei den Entwicklungsstand fortschrittlichster Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen, die nach Auffassung führender Fachleute aus Wissenschaft (und Technik) auf der Grundlage neuester wissenschaftlich vertretbarer Erkenntnisse im Hinblick auf das gesetzlich vorgegebene Ziel für erforderlich gehalten werden und welche die Erreichung dieses Ziels als gesichert erscheinen lassen.434 Behörden müssen dazu sämtliche Risiken ermitteln, die nach Ansicht der Wissenschaft derzeit zu er430 VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (217, li); Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 68 ff. und S. 90 ff.; Ivo Appel, NuR 1996, 227 (232, li); Rainer Wahl/Ivo Appel, in: Prävention und Vorsorge, S. 1 (109). 431 Vgl. Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 128. 432 Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 48; zur Abgrenzung zwischen Risikoforschung und Risikoermittlung als Elemente eines Risikomanagements Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 90; vgl. ausführlich zum Begriff des Risikomanagements Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 72 ff. 433 Hans-Heinrich Trute, in: Risikomanagement im öffentlichen Recht, S. 55 (89 f.). 434 BVerfGE 49, 89 (136); Hirsch/Schmidt-Didczhun, GenTG, § 6 Rdn. 23.

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warten sind. 435 Dabei ist die gesamte Breite bisheriger wissenschaftlicher Erfahrungen zu Grunde zu legen, nicht nur die jeweils herrschende Meinung. 436 Zudem verlangt die Ermittlung der nach dem Stand der Wissenschaft (und Technik) erforderlichen Schutzverkehrungen mehr, als den bloßen Stand der Technik zu erforschen. Es sind nicht nur alle neusten technologischen Einsichten über erprobte Schutzvorkehrungen zu ermitteln, über die schon gesichertes Wissen vorliegt. Vielmehr sind auch Forschungsergebnisse heranzuziehen, die noch vage sind, und die in die technische Praxis noch keinen Eingang gefunden haben. 437 Auch sind nicht nur Erkenntnisse aus dem Gebiet der Technik bedeutsam, sondern aus sämtlichen naturwissenschaftlichen Disziplinen 438, wie z. B. der Virologie, der Mikrobiologie, der Immunologie und der Ökologie. Den Stand der Wissenschaft (und Technik) zu ermitteln, verlangt also umfangreiche Recherchen, umfangreicher als beim Stand der Technik. 439 Im einzelnen müssen Behörden Ergebnisse aus bisherigen Risikostudien sammeln und derzeitige Erfahrungen im Umgang mit den zu bewertenden Organismen heranziehen. Dazu müssen sie die einschlägige Fachliteratur studieren, im Internet nach neusten wissenschaftlichen Auffassungen recherchieren und gegebenenfalls externen Sachverstand einholen. Ziel muss sein, alle Risiken zu erfassen, die von einem gentechnischen Vorhaben für die in § 1 Nr. 1 GenTG genannten Schutzgüter ausgehen. Beispielsweise ist die krankheitserregende Wirkung von Organismen (Pathogenität) zu ermitteln oder die Wahrscheinlichkeit, dass sich gentechnisch veränderte Organismen in der Umwelt etablieren. Erforderlich ist, dass jeder erdenkliche, selbst ein fernliegender Schaden bedacht wird 440, mag er am Ende auch nicht dazu führen, dass ein Vorhaben versagt wird. Sogar hypothetische Risiken, die nicht auf einem umfassenden Erfahrungswissen beruhen, sondern nur auf theoretischen Überlegungen, müssen berücksichtigt werden. 441 Nur wenn solche Risiken mit bewertet werden, ist eine umfassende Einschätzung möglich, die dem Schutz von Leben und Gesundheit von Mensch, Tier, Pflanzen und der sonstigen Umwelt angemessen Rechnung trägt. Die Ermittlungspflicht von Behörden endet deshalb erst dort, wo Risiken nach dem Stand der Wissenschaft (und Technik) ausgeschlossen sind oder nur auf ungesicherten, nicht mehr plausiblen Vermutungen beruhen und daher rein spekulativ sind. 442 435 Rainer Wahl/Ivo Appel, in: Prävention und Vorsorge, S. 1 (110); Arno Scherzberg, VerwArch 84 (1993), 484 (499). 436 Hirsch/Schmidt-Didczhun, GenTG, § 6 Rdn. 24. 437 Hirsch/Schmidt-Didczhun, GenTG, § 6 Rdn. 25. 438 Peter Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 165. 439 Hirsch/Schmidt-Didczhun, GenTG, § 6 Rdn. 25 f.; Udo die Fabio, Risikoentscheidungen, S. 126. 440 VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (218, re); Hirsch/Schmidt-Didczhun, GenTG, § 6 Rdn. 18; Ivo Appel, NuR 1996, 227 (232, re, f.). 441 Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 163. 442 Vgl. VG Gießen, NVwZ-RR 1993, 534 (537, re, 583, li); Hirsch/Schmidt-Didczhun, GenTG, § 6 Rdn. 19; Alexander Meier, Risikosteuerung im Lebensmittel- und Gentechnikrecht, S. 169.

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Bei der Risikoermittlung ist der Begriff des Risikos also weit, als Oberbegriff für sämtliche mögliche Schadensereignisse zu verstehen. 443 Erst bei der anschließenden Risikobewertung ist nach der Größe eines Risikos zu fragen und zu entscheiden, ob bestimmte Risiken hingenommen werden dürfen. 444 Ganz ohne Wertungen erfolgt indes auch die Risikoermittlung nicht 445, weil sie von den Sicherheitsauffassungen des entscheidenden Sachbearbeiters gelenkt wird. So wird dieser nur dann Anlass zu eigenen Recherchen sehen, wenn die Risikobeurteilung des Betreibers lückenhaft ist oder falsch scheint. 446 Um dies festzustellen, muss er zwangsläufig eine überschlägige Risikobewertung vorwegnehmen. Zudem hängt der Umfang der Sachverhaltserforschung davon ab, wie groß er das zu erwartende Risiko einschätzt. Auch lassen sich mögliche Schäden nicht exakt beziffern. Besonders bei drohenden Umweltschäden fällt dies schwer. 447 Behörden müssen deshalb bei der Risikoermittlung einen vorsichtigen Ansatz verfolgen, um für die eigentliche Risikobewertung eine breite Entscheidungsbasis zu schaffen. Die üblichen Grenzen der Amtsermittlung gelten aber auch im Gentechnikrecht. Behörden müssen nicht „ins Blaue hinein“ ermitteln 448, reinen Spekulationen ohne begründeten wissenschaftlichen Verdacht brauchen sie nicht nachzugehen. 449 Auch wird die Pflicht von Behörden zur Sachverhaltserforschung begrenzt 450 durch die Darlegungs-, Vorsorge- und Nachweispflichten von Betreibern (§§ 6 I, 10 II 2 Nr. 5, 12 II 1, 15 I Nr. 3 und Nr. 4 GenTG). 451 Behörden genügen in der Regel dem Untersuchungsgrundsatz, wenn sie den Betreiber dazu auffordern, fehlende Unterlagen nachzureichen. 452 Tatsachen, die einen Antrag stützen, müssen sie nur dort ermitteln, wo solche offensichtlich nahe liegen. 453 Umstände, die einer Zulassung entgegenstehen könnten, müssen sie dagegen eigenständig und umfassend erforschen. Behörden dürfen die Unterlagen des Betreibers ihrer Risikobewertung nur zu Grunde legen, sofern diese glaubhaft 443 VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (218, re); Rainer Wahl, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 6 GenTG Rdn. 31; Ivo Appel, NuR 1996, 227 (232, re, f.). 444 Ivo Appel, NuR 1996, 227 (233, li). 445 Vgl. auch Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 113; Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S.91; ferner Dietrich Murswiek, VVDStRL 48 (1990) 207 (219). 446 Vgl. auch Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 130, der die Behörde weniger als Motor der Sachverhaltsermittlung sieht, denn als Steuerungszentrum, das die ordnungsgemäße Sachverhaltsermittlung durch den Betreiber überwacht und ggf. Unterlagen nachfordert. 447 Vgl. Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 79. 448 Vgl. BVerfGE 59, 87 (103). 449 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 6 Rdn. 19; Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 87. 450 Vgl. allgemein zu diesem Grundsatz Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 24 Rdn. 21. 451 Matthias Herdegen/Hans-Georg Deder, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 15 Rdn. 40. 452 Matthias Herdegen/Hans-Georg Deder, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 15 Rdn. 40. 453 Matthias Herdegen/Hans-Georg Deder, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 15 Rdn. 40.

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und lückenlos sind. Andernfalls müssen sie selbst (weiter-)ermitteln 454, um Mensch und Umwelt vor den Risiken der Gentechnik so zu schützen, wie dies § 1 Nr. 1 GenTG verlangt. 455 Der Schutzzweck des Gentechnikgesetzes verhindert damit, dass Behörden durch die Mitwirkungspflichten des Betreibers von ihren Ermittlungspflichten entbunden werden. 456

c) Risikobewertung und Risikoabwehr am Maßstab des „Stands der Wissenschaft (und Technik)“ Der zweite Schritt einer Risikobewertung, die Risikoabschätzung im engeren Sinne, zwingt Behörden zur normativen Beurteilung, ob ein Vorhaben trotz der ermittelten Risiken für bestimmte Rechtsgüter zugelassen werden darf. Denn die Frage „wie sicher ist sicher genug“ kann nicht allein anhand technisch-wissenschaftlicher Regeln getroffen werden 457, sondern sie setzt voraus, dass mögliche Schäden und betroffene Rechtsgüter von Betreibern und Dritten verfassungsverträglich zueinander in Bezug gesetzt werden. Auch wenn schon in die Risikoermittlung Wertungen eingeflossen sind 458, findet also bei der anschließenden Risikobewertung der eigentliche Wertungsprozess statt. 459 Bei der Bewertung bestehender Risiken und der Anordnung entsprechender Schutzmaßnahmen hat sich die Behörde ebenfalls am aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik (§ 11 I Nr. 4, vgl. § 16 I Nr. 2 GenTG), bzw. am Stand der Wissenschaft (§ 16 II GenTG) zu orientieren. Den Stand der Wissenschaft (und Technik) zu beachten heißt: die erforderlichen bzw. notwendigen Schutzvorkehrungen sind nicht nur danach zu bestimmen, was derzeit technisch machbar ist, sondern es muss auch gefragt werden, welche Vorkehrungen nach den neusten wissenschaftlichen Ergebnissen erforderlich wären. Sind Schutzmaßnahmen nach dem Stand der Wissenschaft möglich, aber derzeit noch nicht realisierbar, darf ein Vorhaben nicht genehmigt werden. 460 Ein schon genehmigtes Vorhaben muss untersagt werden, wenn eine Genehmigung nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr erteilt werden dürfte. 461 Dies folgt aus der Dynamik des Stands der Wissenschaft (und Vgl. Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 226. Vgl. VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (217, re): „Es bleibt vielmehr – zumal im Recht der Risiko- und Gefahrenabwehr – beim Amtsermittlungsgrundsatz (§§ 24, 26 LVwVfG).“ 456 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 11 Rdn. 43. 457 Vgl. Arno Scherzberg, VerwArch 84 (1993), 484 (504 f.); Rudolf Steinberg, in: Risikomanagement im öffentlichen Recht, S. 17 (28 f.). 458 Siehe oben IV. 4. b). 459 Rüdiger Breuer, NuR 1994, 157 (160, re); Detlef Groß, Die Produktzulassung von Novel Food, S. 372. 460 BVerfGE 49, 89 (136); 53, 30 (59); Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 6 Rdn. 25: ein Vorhaben muss „unterbleiben“. 461 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 26 Rdn. 11; vgl. auch IV. 5. d) cc). 454 455

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Technik). Die Sicherheitsmaßnahmen müssen während des gesamten Betriebs des Vorhabens dem Stand der Wissenschaft (und Technik) entsprechen. 462 Fraglich ist indessen, bei welchen Risiken ein Vorhaben untersagt werden muss oder entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden müssen. Sind nur bei „Gefahren“ Schutzmaßnahmen nötig oder schon dann, wenn z.B. nur die bloße Möglichkeit eines nicht sicher auszuschließenden horizontalen Gentransfers besteht? Kann also etwa das Unterpflügen transgener Pflanzen untersagt werden, nur um das Risiko einer an sich schon unwahrscheinlichen Übertragung der Fremd-DNA auf Bodenorganismen zu minimieren? Oder beeinträchtigte die Anordnung einer solchen nur vorsorgenden Maßnahme die Forschungs- oder Berufsfreiheit des betroffenen Betreibers unverhältnismäßig? Auch fragt sich: wie müssen Behörden entscheiden, wenn trotz bester Sicherheitsvorkehrungen nicht ausgeschlossen werden kann, dass Laborarbeiter infiziert werden oder dass Organismen entweichen? Dürfen solche, letztlich jeder technischen Arbeit immanente Schadensszenarien, als „Restrisiken“ akzeptiert werden? Oder muss eine gentechnische Arbeit deshalb untersagt werden? aa) Abwehr von Gefahren Wie im Sicherheits- und Umweltrecht allgemein 463 ist auch speziell im Gentechnikrecht anerkannt, dass bei Gefahren ordnungsrechtlich einzuschreiten ist. Dies verlangt die Zwecksetzung des Gesetzes (§ 1 Nr. 1 GenTG). 464 Da eine Gefahr den Eintritt eines Schadens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwarten lässt 465, kann man eine Gefahr auch als ein zugespitztes Risiko beschreiben, das durch Erfahrungswissen über den Schadensablauf abgesichert ist.466 Drohen also von einem gentechnischen Vorhaben Gefahren, weil gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse eine Schädigung von Rechtsgütern erwarten lassen, so müssen Behörden entsprechende Schutzvorkehrungen anordnen, und zwar unabhängig davon, wie stark der Betreiber hierdurch finanziell belastet wird. Dabei gelten die allgemeinen Grundsätze. Nach der anerkannten Relativitätsformel darf der nötige Wahrscheinlichkeitsgrad umso geringer angesetzt werden, je höherrangiger das potentiell betroffene Rechtsgut und je folgenschwerer der zu erwartende Schaden ist. 467 Dies gilt sowohl Vgl. Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 6 Rdn. 36. Detlef Groß, Die Produktzulassung von Novel Food, S. 362; Rüdiger Breuer, NVwZ 1990, 211 (213, li) für technische Anlagen. 464 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 1 Rdn. 22; Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 53. 465 Vgl. nur BVerwGE 62, 36 (38 f.); weitere Nachweise zur Definition der Gefahr siehe oben IV. 4. a). 466 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 1 Rdn. 22; Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 78; vgl. auch Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 95, der Gefahren als „qualifizierte Risiken“ bezeichnet. 467 BVerwG, DÖV 2003, 81 (84, li); BVerwGE 62, 36 (39); Volkmar Götz, Polizeirecht, S. 220, 223 ff.; Rüdiger Breuer, NVwZ 1990, 211 (213, li). 462 463

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für das „Ob“ des Einschreitens, als auch für die auszuwählende Maßnahme. Gegebenenfalls ist ein Vorhaben ganz zu untersagen; so etwa wenn dessen Zulassung wegen der Größe des abzusehenden Schadens schlechterdings unvertretbar wäre. Zu denken ist hier zum Beispiel an die Untersuchung allgemeingefährlicher gentechnisch veränderter Lassa-Viren in einem Labor, das nicht den notwendigen Sicherheitsstandards entspricht. bb) Abwehr weiterer Risiken Indes sind gentechnikrechtliche Wirkungszusammenhänge meist nicht so genau überschaubar, dass sich ein Schaden mit so großer Wahrscheinlichkeit prognostizieren lässt, dass noch von einer „hinreichenden Wahrscheinlichkeit“ gesprochen werden kann. 468 Da sich die Wirkung gentechnisch veränderter Organismen nicht genau voraussagen lässt und über Langzeitfolgen noch zu wenig empirisches Wissen vorliegt, besteht vielmehr oft nicht mehr als die vage Vermutung eines Schadens. 469 Beispielsweise kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich auch gut untersuchte Organismen durch Mutationen ungewollt weiterentwickeln, doch kann diese bloße Möglichkeit nicht als Beinahe-Schaden i. S. einer Gefahr bezeichnet werden. Ebenso wenig kann bei der geringen Wahrscheinlichkeit einer Übertragung von Antibiotikaresistenzen auf den Menschen beim Verzehr transgener Produkte von einer Gefahr gesprochen werden. Dürften Behörden im Gentechnikrecht also nur Gefahren abwehren, könnten Schutzmaßnahmen wegen der geringen Wahrscheinlichkeit möglicher Schäden nur angeordnet werden, wenn ein sehr großer Schaden erkennbar wäre. Doch ist auch die Schadensgröße regelmäßig unsicher. Wie bereits bei der Erläuterung des Risikobegriffs gezeigt 470, böte das Gefahrenabwehrrecht deswegen keine ausreichenden Mittel, den Einzelnen angemessen vor naturwissenschaftlichen Risiken der Gentechnik zu schützen. (1) Verpflichtung zur Risikoabwehr kraft grundrechtlicher Schutzpflichten Das BVerfG hat in mehreren Entscheidungen anerkannt, dass der Staat nicht nur zur Abwehr von Gefahren, sondern auch von Risiken verpflichtet ist, die von Dritten ausgehen. 471 Insbesondere zum Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat es festgestellt, dass Grundrechtsgefährdungen im Vorfeld von Grundrechts468 Vgl. Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 6 Rdn. 15, 20; Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 52; Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 81. 469 Vgl. Wolfgang Richter, Gentechnologie als Regelungsgegenstand des technischen Sicherheitsrechts, S. 68; Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 61. 470 Siehe IV. 4. a). 471 BVerfGE 49, 89 (140); 53, 30 (59).

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beeinträchtigungen unter besonderen Voraussetzungen Grundrechtsverletzungen gleich kommen. 472 Diese Rechtsprechung zu Art. 2 II 1 GG lässt sich auf andere Grundrechte übertragen 473, z. B. auf den Schutz des Eigentums aus Art. 14 I GG 474 oder auf die Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG. Die grundrechtlichen Schutzpflichten leitet das BVerfG vor allem aus den Grundrechten als Teil der objektiven Wertordnung ab. 475 Doch belässt es das Gericht nicht bei einer objektiv-rechtlichen Schutzpflicht des Staates, sondern es erlaubt dem Einzelnen, sich auf die grundrechtlichen Schutzpflichten zu berufen und ihre Durchsetzung zu verlangen. 476 Die objektivrechtlichen Schutzpflichten werden also subjektiviert, um den Sinn der Grundrechte als Rechte des Einzelnen zu erhalten. 477 In der Literatur werden dagegen auch andere dogmatische Konstruktionen vertreten, um einen Anspruch des Einzelnen auf staatlichen Schutz vor der Gefährdung durch Dritte, insbesondere durch Private 478, zu begründen. Von manchen wird auf Art. 1 Satz 1 GG zurückgegriffen, wonach der Staat verpflichtet ist, die Menschenwürde zu schützen. Diese Schutzpflicht wird auf die Art. 1 III GG nachfolgenden Freiheitsgrundrechte ausgedehnt.479 Andere rekurrieren auf das fundamentale Staatsziel der Sicherheitsgewähr und leiten hieraus ein subjektives Recht auf staatlichen Schutz vor Gefährdungen ab. 480 Auch wird versucht, die grundrechtlichen Schutzpflichten gänzlich aus dem Abwehrgehalt der Grundrechte zu gewinnen. 481 Das geschieht, indem das Verhalten des Risikoverursachers dem Staat als „Mitverursacher“ zugerechnet wird, weil er das störende Verhalten nach bestimmten Gesetzen zugelassen hat.482 Dies legt dem Staat die Pflicht auf, gegen störende Dritte einzuschreiten. 483 Welcher dogmatischen Begründung 472 Vgl. BVerfGE 49, 89 (141); 51, 324 (346 f.); 52, 214 (220 f.); 66, 39 (58); BVerfG NJW, 1997, 2509 (2509, re). 473 Johannes Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 81 ff. 474 BVerfG NJW 1998, 3264 (3265, li, f.) – Waldsterben zu Art. 14. 475 BVerfGE 49, 89 (142); 53, 30 (57). 476 Vgl. z. B. BVerfG, NJW 1997, 2059 (2509, re). Mit dieser Einschätzung der Rechtsprechung auch Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, S.412; vgl. auch Jürgen Fluck, UPR 1990, 81 (83, re, ff.). 477 Vgl. BVerfGE 50, 290 (337); Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 414; Johannes Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 64 ff. 478 Erst recht kann der Einzelne die Abwehr von Risiken verlangen, wenn das Risiko nicht von privaten Dritten ausgeht, sondern der Staat selbst Risikoverursacher ist, so etwa wenn der Staat selbst Forschungsinstitute unterhält. Siehe Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 144. 479 Günter Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 1 I Rdn. 16, Art. 1 III Rdn. 102; so auch Hans-Heinrich Trute, in: Risikomanagement im öffentlichen Recht, S. 55 (61 f.); kritisch zum Rekurs auf die Menschenwürde Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 413; Josef Isensee, HStR V, § 111 Rdn. 80; Johannes Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 66 f. 480 Josef Isensee, HStR V, § 111 Rdn. 84; Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 50 ff. 481 Mit eingehender Darstellung der Problematik Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 129 ff. 482 Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 229 f. 483 Vgl. Jürgen Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 213; Dietrich Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 91 ff., 107 f.

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der Schutzpflichten der Vorzug zu geben ist, muss hier indes nicht entschieden werden, denn für das Umwelt- und Technikrecht ist anerkannt, dass der Einzelne, dessen Rechte betroffen sind, nicht nur einen Anspruch darauf hat, dass der Staat gegen Gefahren einschreitet, sondern auch gegen bloße Risiken. 484 An die Wahrscheinlichkeit einer Rechtsgutsverletzung, die zum Einschreiten berechtigt, sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerwiegender die Schäden eines Vorhabens eingeschätzt werden; 485 insoweit gilt für die Risikoabwehr das gleiche wie für die Gefahrenabwehr. 486 Diese allgemeinen Grundsätze finden auch im Gentechnikrecht als Teilgebiet des Umwelt- und Technikrechts Anwendung. Behörden müssen also nicht nur gentechnische Gefahren abwehren, sondern sie sind auch dazu verpflichtet, Risiken unterhalb der Gefahrenschwelle durch entsprechende Schutzvorkehrungen zu bekämpfen. 487 (2) Zulässigkeit von Restrisiken Ein potentiell Betroffener kann indes nicht verlangen, dass von einem gentechnischen Vorhaben gar keine Risiken ausgehen. Vielmehr müssen Restrisiken hingenommen werden, die nur theoretisch bestehen, bei denen „nach praktischer Vernunft“ ein Schadenseintritt aber nicht mehr vorstellbar ist. 488 Lehnte man auch bei solchen, letztlich jeder Technik immanenten Risiken die Zulassung eines gentechnischen Vorhabens ab, müsste die Gentechnik ganz verbannt werden. Dadurch würde verhindert, dass Forscher und/oder Unternehmer berufliche Interessen verwirklichen, Eigentum wie gewollt nutzen und neue Erkenntnisse über die Gentechnik sammeln 489. Mit der Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers für die Förderung der Gentechnik (vgl. § 1 Nr. 2 GenTG) und den Grundrechten der Forschungs-, der Be484 Michael Herdegen, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Einl. Rdn. 25; Peter Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 124; Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 135 f.; Arno Scherzberg, VerwArch 84 (1993), 484 (509 f.); vgl. allgemein auch Johannes Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 108. 485 Vgl. BVerfGE 49, 89 (138). 486 Siehe IV. 4. c) aa). 487 Vgl. BVerwG, DÖV 2003, 81 (83, li); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 14 zu § 16 GenTG, S. 7; Michael Herdegen, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Einl. Rdn. 36; Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 98 f.; Thomas Groß, VerwArch 88 (1997), 89 (107); Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 72, 79 f.; Matthias Kapteina, Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 12 – keine Vorsorgemaßnahmen verlangt Kapteina indes für das Eigentum. 488 Vgl. allg. BVerfGE 49, 89 (143); speziell für das Gentechnikrecht VG Hamburg, ZUR 1994, 322 (323, re); VG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 3 zu § 13, S. 14; VG Neustadt, IUR 1992, 165 (168, re); Thomas Schomerus, IUR 1992, 170 (170, re, f.); Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 83. 489 Vgl. auch Karl-Heinz Ladeur, NuR 1987, 60 (66, re) speziell für das Erfordernis von Freilandversuchen.

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rufs- und der Eigentumsfreiheit (Art. 5 III 1 2. Var., 12, 14 GG) wäre es daher unvereinbar, den Ausschluss sämtlicher Risiken zur Zulassungsvoraussetzung zu machen. 490 Wenn Behörden über die Risiken eines gentechnischen Vorhabens entscheiden, dürfen sie daher nicht fordern, dass sämtliche Risiken ausgeschlossen sind, sondern sie müssen prüfen, ob die von einem Vorhaben ausgehenden Risiken hinnehmbare Restrisiken sind. Wann ein hinnehmbares Restrisiko vorliegt, kann nicht mit einem fixen Grenzwert angegeben werden. 491 Ab welcher Wahrscheinlichkeit noch von einem hypothetischen, hinnehmbaren Restrisiko gesprochen werden kann, ist daher einzelfallspezifisch in Abhängigkeit kollidierender Verfassungsgüter zu bestimmen. Dabei sind vor allem die Forschungs-, die Berufs- und die Eigentumsfreiheit des Betreibers zu berücksichtigen. 492 Daneben können Grundrechte Dritter zu beachten sein, insbesondere Art. 2 II 1 GG und auch umweltrechtliche Belange aus Art. 20 a GG. 493 Art. 2 II 1 GG ist etwa in die Abwägung einzustellen, wenn ein gentechnisches Vorhaben der Herstellung neuartiger Medikamente dient oder wenn Pflanzen freigesetzt werden, die durch verbesserte Nährwerte die Nahrungsversorgung in Ländern der Dritten Welt verbessern sollen 494. Art. 20 a GG ist mit zu berücksichtigen, wenn gentechnische Verfahren genutzt werden, um insektenresistene Pflanzen zu entwickeln. Zur Entscheidung, ob ein Vorhaben zugelassen darf, ist also stets eine normativ-wertende Abwägung zwischen den Risiken der Gentechnik, den grundrechtlich geschützten Interessen des Betreibers495 und den Vorteilen für die in Art. 20 a GG geschützte Umwelt erforderlich. Insoweit ist zwischen den Chancen und Risiken der Gentechnik abzuwägen. 496 Lässt sich die Wahrscheinlichkeit eines Schadens durch Schutzmaßnahmen soweit minimieren, dass nur noch eine sehr kleine, gegen null gehende Wahrscheinlichkeit verbleibt, so ist ein gentechnisches Vorhaben zuzulassen, weil weitere Schutzmaßnahmen vor den Grundrechten des Betreibers nicht mehr gerechtfertigt werden können. Eine nur allgemeine Ungewissheit über das Zusammenspiel der Gene darf daher die Realisierung eines gentechnischen Vorhabens ebenso wenig hindern wie die fehlende Voraussehbarkeit etwa möglicher Langzeitwirkungen freigesetzter Organismen 497 oder die bei Beach490 Michael Herdegen, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Einl. Rdn. 37, indes nur für Art. 5 III GG; zu Art.14 GG, vgl. Matthias Kapteina, Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 127 f. 491 Gegen eine Grenzwertfestsetzung mangels rationaler Begründbarkeit auch Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 86 und Rüdiger Breuer, NuR 1994, 157 (165, re); ders., NVwZ 1990, 211 (214, li). 492 Vgl. auch Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 162. 493 Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 118, 182 f. 494 Karl-Heinz Ladeur, NuR 1992, 254 (260, re). 495 Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 85; vorsichtiger Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S.119 – „wohl“; Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 99 für die Forschungsfreiheit. 496 Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 95. 497 So auch für die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 88.

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tung entsprechender Sicherheitsvorkehrungen äußerst geringe Wahrscheinlichkeit eines Gentransfers. 498 Solche und ähnliche Risiken sind als sozialadäquate Restrisiken von jedermann mit zu tragen. Denn sie sind untrennbares Gegenstück des wissenschaftlichen Fortschritts, der niemals die absolute Gewähr dafür bietet, dass keine Schäden eintreten. 499 (3) Risikovorsorge zwischen Gefahren und Restrisiken Als Zwischenergebnis ist damit festzuhalten, dass Behörden im Gentechnikrecht einerseits nicht nur bei Gefahren einzuscheiten haben, andererseits aber bestimmte Restrisiken dulden dürfen und gegebenenfalls sogar müssen. Im Übrigen sind Behörden gem. § 1 Nr. 1 GenTG verpflichtet, dem Entstehen von Gefahren vorzubeugen. Sie müssen dazu auch Risiken unterhalb der Gefahrenschwelle bekämpfen und Risikovorsorge betreiben. 500 Allerdings ist der Vorsorgebegriff mehrdeutig. 501 Ob Behörden nur zur Risikovorsorge nach Ermessen verpflichtet sind, oder ob sie gegen Risiken wie gegen Gefahren zwingend einschreiten müssen, wird im Risikoverwaltungsrecht kontrovers beurteilt. (a) Das sog. dreistufige Risikomodell Das sog. dreistufige Risikomodell unterscheidet zwischen Gefahren, (sonstigen) Risiken und Restrisiken. Es wird vor allem im Immissionsschutzrecht vertreten (vgl. § 5 I 2 BImSchG). 502 Teilweise wird es auch auf das Gentechnikrecht übertragen. 503 Kennzeichen des dreistufigen Risikomodells ist, dass Behörden nur bei Gefahren zum Einschreiten verpflichtet sein sollen, nicht aber bei Risiken im Vorfeld einer Gefahr. Hier steht Behörden ein weiter Entscheidungsspielraum zu. Rechte des Betreibers und Dritter sind vergleichsweise frei gegeneinander abzugrenzen, vorsorgende – risikominimierende – Maßnahmen soll ein Dritter nur unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit von Aufwand und Nutzen verlangen können. 504 Für die Gerichtskontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen wird hieraus gefolgert, Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 101. BVerfGE 49, 89 (143). 500 Hirsch/Schmidt-Didczhun, GenTG, § 6 Rdn. 16; Detlef Groß, Die Produktzulassung von Novel Food, S. 365. 501 Vgl. Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 62. 502 Jarass, BImSchG, § 5 Rdn. 60 ff. 503 Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 65. Das VG Gießen, NVwZ-RR 1993, 534 (537, li, ff.) knüpft zwar ebenfalls am BImSchG an, doch liegt das daran, dass die Anlagengenehmigung noch nach altem Recht ergangen war. Denn im übrigen ging auch das VG von einem zweistufigen Risikomodell aus (vgl. VG Gießen, NVwZ-RR 1993, 534 [538, re]). 504 Jarass, BImSchG § 5 Rdn. 60 ff.; Rüdiger Breuer, NVwZ 1990, 211 (213, re, 218, li); Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 65. 498 499

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dass Gerichte zu Gunsten der Betreiber einen Beurteilungsspielraum von Behörden respektieren sollen. 505 (b) Das sog. zweistufige Risikomodell Dem dreistufigen Risikomodell steht ein zweistufiges Risikokonzept gegenüber. Dieses wurde im Atomrecht entwickelt. 506 Es unterscheidet sich vom dreistufigen darin, dass es keine Vorsorgetätigkeit kennt, die Behörden zur abwägenden Risikovorsorge unter Berücksichtigung des erforderlichen Aufwands berechtigt. Vielmehr wird oberhalb der hinzunehmenden Restrisiken eine einheitliche Verpflichtung der Behörde angenommen, Abwehrmaßnahmen gegen Gefahren und Risiken zu ergreifen. 507 (c) Das Risikomodell des Gentechnikgesetzes: zweistufiges-synergetisches Risikokonzept Das Gentechnikgesetz legt sich nicht ausdrücklich auf ein bestimmtes Risikokonzept fest. Wortlaut, Struktur und Regelungszweck des Gesetzes sprechen indes für ein einheitliches Modell der Risikoabwehr, das auch Maßnahmen im Bereich der Risikovorsorge zwingend verlangt. 508 So spricht § 1 Nr. 1 GenTG einheitlich davon, dass vor möglichen Gefahren gentechnischer Verfahren und Produkte zu schützen und dem Entstehen solcher Gefahren vorzubeugen ist. 509 Es wird also nicht – wie bei einem dreistufigen Risikomodell – zwischen verpflichtender Gefahrenabwehr und einer Vorsorge nach Ermessen unterschieden. Auch muss die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer gentechnischen Anlage gem. § 11 I Nr. 4 GenTG nicht nur bei einer Gefahr untersagt werden, sondern schon dann, wenn schädliche Auswirkungen zu erwarten sind. 505 Vgl. Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 64; zur Diskussion, ob Abwägungen und die Bedeutung von Betreiberrechten tatsächlich zur Annahme eines Beurteilungsspielraums zwingen, siehe Kapitel D.II. 3. a) aa) (b) und II. 3. d). 506 BVerfGE 49. 79 (140, 143); BVerwGE 72, 300 (316); vgl. auch die Darstellung bei Ivo Appel, NuR 1996, 227 (230, li, f.). 507 Ivo Appel, NuR 1996, 227 (231, li). 508 BVerwG, NVwZ 1999, 1233 (1233, re); VG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 3 zu § 13, S. 14; VG Neustadt, IUR 1992, 165 (168, mi); VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (217, li); Michael Herdegen, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 1 Rdn. 15, 20; Rainer Wahl, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 6 GenTG Rdn. 26; Ivo Appel, NuR 1996, 227 (231, re, f.); Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 81; Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 79; Detlef Groß, Die Produktzulassung von Novel Food, S. 369; Michael Kniesel/Wolfgang Müllensiefen, NJW 1999, 2564 (2570, re); Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 157; Matthias Kapteina, Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 91, 94. 509 Vgl. auch Rainer Wahl, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 6 GenTG Rdn. 28.

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Auch kann nur ein zweistufiges Schutzkonzept angemessen berücksichtigen, dass wegen der Ungewissheit der Gentechnik selten trennscharf abgegrenzt werden kann zwischen eindeutigen Gefahren und weniger wahrscheinlichen Risiken. 510 Zudem schafft § 7 GenTG die vier Sicherheitsstufen nicht indem er zwischen Gefahr und Risiko differenziert, sondern dadurch, dass er zwischen verschiedenen Risiken – von „keinem zu erwartenden Risiko“ bis zu „einem hohen Risiko“ – unterscheidet. Daran knüpft er abgestufte Eingriffsbefugnisse (vgl. § 7 I 2 GenTG i.V. mit den Anhängen III–V der GenTSV). Dies belegt erneut, dass dem Gentechnikgesetz ein umfassendes zweistufiges Schutzkonzept zu Grunde liegt. 511 Behörden müssen im Gentechnikrecht daher auch zur Risikovorsorge Schutzmaßnahmen zwingend ergreifen. Das gilt für Freisetzungen und das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen ebenfalls. 512 Die §§ 16 I Nr. 3, 16 II GenTG scheinen zwar den Schutzzweck zurückzudrängen, weil sie nur dann zu einer Verweigerung einer Genehmigung zwingen, wenn unvertretbare Schäden zu erwarten sind. Die Vertretbarkeitsklausel der §§ 16 I Nr. 3, II GenTG soll aber nicht das Schutzniveau des Gentechnikgesetzes relativieren, indem ein weiter Entscheidungsspielraum für eine Zweck-Nutzen-Abwägung i. S. einer umfassenden Bedürfnisprüfung eröffnet wird 513, die über die Abwägung widerstreitender Verfassungsgüter zur Bestimmung des hinnehmbaren Restrisikos hinausgeht. 514 Vielmehr trägt die Vertretbarkeitsklausel nur der Tatsache Rechnung, dass mit Freisetzungen und dem Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen Schäden zwangsläufig verbunden sind. 515 Z. B. ist es beim Anbau transgener insektenresistenter Pflanzen gerade beabsichtigt, Schädlinge zu vernichten. Dies dient der Umwelt, weil so auf den Einsatz von chemischen Insektiziden verzichtet werden kann. 516 Gleichzeitig wird in den Naturhaushalt eingegriffen, wenn Schädlinge getötet werden. So betrachtet liegt ein Schaden vor. 517 Enthielte § 16 GenTG in Absatz 1 Nr. 3 und Absatz 2 keine Vertretbarkeitsklausel, dürfte daher keine Genehmigung erteilt werden, denn die Vernichtung von Schädlingen ist kein theoretisches Restrisiko. Vielmehr wird es dazu mit Sicherheit kommen. Sinn und Zweck der Vertretbarkeitsklausel ist somit, Freisetzungen und ein Inverkehrbringen trotz unvermeidbarer Schäden zu er510 Michael Herdegen, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Einl. Rdn. 15; Hirsch/ Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 5 Rdn. 19. 511 Rainer Wahl, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 6 GenTG Rdn. 27; Hans-Heinrich Trute, in: Risikomanagement im öffentlichen Recht, S. 55 (98). 512 Vgl. Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 5 Rdn. 19; vgl. auch Alexander Meier, Risikosteuerung im Lebensmittel- und Gentechnikrecht, S. 171 für das Inverkehrbrigen. 513 Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 130 und S. 131 f.; Karl-Heinz Ladeur, NuR 1992, 254 (260, li); ebenso Thomas Groß, VerwArch 88 (1997), 89 (101 f.). 514 Vgl. zum Begriff des Entscheidungsspielraums und seiner Folgen für die Gerichtskontrolle oben IV. 4. c) bb) (3) (3.1). 515 BT-Drs. 11/5622, S. 29 zu § 15. Vgl. hierzu auch Kapitel G. II. 516 Siehe oben II. 4. 517 Meike Jörgensen/Gerd Winter, ZUR 1994, 293 (295, li).

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möglichen, indem diese mit den Vorteilen des Vorhabens aufgewogen werden. 518 Das zweistufige Risikomodell des Gentechnikgesetzes wird dadurch etwas modifiziert. 519 Im übrigen bleibt die Behörde aber auch bei der Freisetzung und beim Inverkehrbringen zur bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge verpflichtet. 520 Hiervon geht auch die Rechtsprechung aus 521, die nicht zwischen den Begriffen „schädlich“ und „unvertretbar“ trennt, sondern ohne weiter zu differenzieren prüft, ob die bestehenden Risiken hinnehmbar sind 522. Erforderlich ist also, dass Behörden Schutzvorkehrungen anordnen, soweit sich ein mögliches, wenn auch sehr unwahrscheinliches Schadensereignis durch entsprechende Schutzvorkehrungen weiter minimieren lässt. Das Risiko eines horizontalen Gentransfers berechtigt Behörden daher beispielsweise dazu, ein tiefes Umpflügen transgener Pflanzen zu verbieten. Auch muss die zuständige Behörde Vorsicht walten lassen und entsprechend schärfere Schutzmaßnahmen anordnen, wenn Zweifel über die Erforderlichkeit zusätzlicher Schutzmaßnahmen bestehen (vgl. § 7 I a 1 GenTG). Auf diese Weise trägt das zweistufige Risikomodell des Gentechnikgesetzes vorzüglich den vielen empirischen Unsicherheiten Rechnung, die dazu zwingen, den Schwerpunkt der Behördentätigkeit von der eindeutigen Gefahrenabwehr zur Risikovorsorge zu verlagern. Allerdings hat der Einzelne keinen Anspruch auf Maßnahmen, die über dieses vorsichtige Maß bestmöglicher Risikovorsorge hinausgehen. Überzogene Vorsorgemaßnahmen „ins Blaue hinein“, deren Erforderlichkeit nur auf rein spekulative, wissenschaftlich nicht gesicherte Vermutungen gestützt wird 523 oder auf eine sehr geringe, wissenschaftlich zu vernachlässigende Eintrittswahrscheinlichkeit, können 518 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 16 Rdn. 20 sprechen von einem Ausgleich von „Zielkonflikten“; ebenso Wolfgang Graf Vitzthum/Tatjana Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, S. 100; ähnlich Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 128 f., der von „kompensatorischen Effekten“ spricht; ähnlich Karl-Heinz Ladeur, NuR 1992, 254 (260, re), der die Kompensation aber nur auf das Schutzgut Umwelt beschränkt; dagegen zutreffend für eine weite Interpretation Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 172 ff.; zur Vereinbarkeit eines „kompensatorischen Verständnisses“ der Vertretbarkeitsklausel mit der Freisetzungs-RiL vgl. im übrigen Conrad von Kameke, Gemeinschaftliches Gentechnikrecht, S. 97 f. und Karl-Heinz Ladeur, NuR 1992, 254 (260, re). 519 Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 175 f. 520 Meike Jörgensen/Gerd Winter, ZUR 1994, 293 (295, li, f.); Rüdiger Breuer, UTR 14 (1991) 37 (73 f.); im Ergebnis ebenso, doch für eine Berücksichtigung zwangsläufiger Schäden schon im Bereich des Restrisikos, Matthias Kapteina, Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 113. 521 Besonders deutlich VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 150 (152, li). 522 VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 150 (152, li) und OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, re) sprechen von hinzunehmenden Restrisiken; OVG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 14 zu § 16, S. 3 ff. wählt die Bezeichnung unvertretbares Risiko; nur nach schädlichen Einwirkungen fragen, ohne die hinnehmbaren Risiken genau zu benennen, VG Berlin, ZUR 1996, 41 (43, mi); VG Berlin, ZUR 1996, 147 (148, mi). 523 Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 163 f.

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nicht verlangt werden. 524 Es besteht weder ein subjektiv-öffentlich rechtlicher Anspruch auf solche Maßnahmen, noch hat die Behörde eine objektiv-rechtliche Pflicht, solche Maßnahmen vorzunehmen. Hier werden dem Grundsatz der bestmöglichen Risikovorsorge Grenzen gesetzt durch den Förderzweck des Gentechnikgesetzes, hinter dem insbesondere die Grundrechte des Betreibers aus Art. 5 III 1 2. Var., 12, 14 GG stehen. Dies gilt auch dann, wenn mehrere gleich geeignete Schutzmaßnahmen ein Risiko minimieren können. Hier gebietet eine verfassungskonforme (verhältnismäßige) Handhabe der Vorsorgepflicht, dass die Behörde zwischen gleich geeigneten Schutzmaßnahmen diejenige auswählen muss, die den Betreiber am wenigsten belastet. Welche Schutzmaßnahmen objektiv-rechtlich geleistet werden müssen und subjektiv-rechtlich verlangt werden können, hängt entscheidend von den Risiken der im Einzelfall verwendeten Organismen ab. Bei der Bestimmung des Risikos eines gentechnischen Vorhabens darf sich eine Behörde aber nicht nur auf eine Addition der Einzelrisiken der verwendeten Organismen beschränken. 525 Vielmehr verlangt eine bestmögliche Risikovorsorge, dass die möglichen Wechselbeziehungen zwischen den Organismen mitberücksichtigt werden. Denn das Gentechnikgesetz verfolgt kein additives Risikomodell, das ein höheres oder anderes Risiko durch Neukombination von DNA bestreitet. 526 Vielmehr liegt dem Gentechnikgesetz ein synergetischer Ansatz zu Grunde, der auch für die Gentechnik typische unerwartete Effekte mitberücksichtigt haben will. 527 Indes darf hieraus nicht geschlossen werden, dass das Schutzkonzept des Gentechnikgesetzes auf gentechnikspezifische Risiken begrenzt ist. 528 Eine solche Beschränkung wird von manchen aus der Zuständigkeitsregelung des § 22 II GenTG gefolgert 529, andere verweisen auf den Förderzweck des Gentechnikgesetzes 530. Jedoch widerspräche es § 1 Nr. 1 GenTG, die Risikovorsorge auf gentechnikspezifische Risiken zu beschränken, zumal dieser Behörden zur umfassenden Vorsorge verpflichtet. 531 Behörden müssen auch solche Risiken begegnen, die bei der Anwendung jeder Technologie entstehen, die ihren Ursprung aber nicht unbedingt in der Gentechnik haben. So sind Vorkehrungen gegen Missbrauch zu treffen und gegen Vgl. Detlef Groß, Die Produktzulassung von Novel Food, S. 371. Amtliche Begründung der GenTSV, abgedruckt in Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 4 GenTSV Rdn. 7. 526 Vgl. die Nachweise bei Rüdiger Breuer, NuR 1994, 157 (158, li). 527 Im Ergebnis auch Matthias Kapteina, Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 89; offen Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 88 f.; Siegmar Pohl, Die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, S. 95. 528 Matthias Kapteina, Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 108; Harald Ginzky, ZUR 1996, 151 (151, re, f.). VG Berlin, ZUR 1996, 147 (149, re, f.). 529 VG Berlin, ZUR 1996, 147 (149, re, f.). 530 Hans-Georg Dederer, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 273. 531 Vgl. auch Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 160. 524 525

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menschliches Versagen. Beispielsweise sieht Anhang III A. I. Nr. 17 der GenTSV vor, dass Schutzkleidung zu tragen ist. 532 Ferner sind Betriebsanweisungen zu erlassen, die Informationen über bestimmte Schutzimpfungen enthalten; bei Unfällen mit humanpathogenen Organismen müssen diese sofort greifbar sein (vgl. § 12 II 4 GenTSV). Mit einer Begrenzung des gentechnikrechtlichen Schutzkonzepts auf rein gentechnikspezifische Risiken könnten solche Maßnahmen von einem Betreiber nicht verlangt werden, denn sie werden auch beim Umgang mit gefährlichen natürlichen Organismen gefordert. 533 Zudem sprechen die Vorschriften der GenTSV gegen eine ausschließliche Berücksichtigung gentechnikspezifischer Risiken (vgl. §§ 4, 5 GenTSV). Denn diese Normen verlangen, dass auch die Risiken von nicht gentechnisch veränderten Empfänger- und Wirtsorganismen beurteilt werden. Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck des Gentechnikgesetzes stehen daher einer Begrenzung der Risikoabwehr auf gentechnikspezifische Risiken entgegen. Nach alledem ist festzuhalten: Dem Gentechnikgesetz liegt ein zweistufiges 534 synergetisches Risikokonzept zu Grunde, das zur bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge sämtlicher nicht nur gentechnikspezifischer Risiken verpflichtet, die über die hinnehmbaren, sozialadäquaten Restrisiken hinausgehen 535. 5. Die einzelnen Behördenentscheidungen nach dem Gentechnikgesetz Die beschriebenen Anforderungen an eine Risikobewertung sind bei den einzelnen Entscheidungen zu erfüllen. Das gilt für Zulassungsentscheidungen im geschlossenen System (a), für Freisetzungen (b), für das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen (c) sowie für nachträgliche behördliche Anordnungen (d). a) Zulassungsentscheidungen bei gentechnischen Vorhaben im geschlossenen System Die Zulassung gentechnischer Vorhaben im geschlossenen System geht von zwei Grundsätzen aus. Erstens: Gentechnische Arbeiten sind in gentechnischen Anlagen durchzuführen (§§ 8 I 1 GenTG). Zweitens: Gentechnische Arbeiten sind in Sicherheitsstufen einzugruppieren (§ 7 GenTG). Dabei werden vier Sicherheitsstufen unterschieden. Sie reichen von Sicherheitsstufe 1 „kein zu erwartendes Risiko“, über „ein geringes Risiko“ in Sicherheitsstufe 2 und ein „mäßiges Risiko“ in Sicherheitsstufe 3 bis zu einem „hohen Risiko oder einem begründeten Verdacht“ in Sicher532 Vgl. auch Hermann Wehlmann, in: Winter/Fenger/Schreiber (Hrsg.), Genmedizin und Recht, S. 633 (636, Abb. 1). 533 Vgl. § 19 der Gefahrstoffverordnung vom 15. November 1999 (BGBl. I S. 2233). 534 VG Freiburg, ZUR 2000, 216, 217 (li). 535 Michael Görke, Organisations- und Vollzugsprobleme im Bereich des Gentechnikrechts, S. 65.

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heitsstufe 4 (vgl. § 7 I GenTG). Entsprechend diesen Sicherheitsstufen wird weiter getrennt zwischen genehmigungspflichtigen gentechnischen Anlagen und Arbeiten (aa), nur anmeldepflichtigen Vorhaben (bb) und zulassungsfreien Vorhaben (cc). Riskantere Arbeiten bedürfen einer Genehmigung, während bei Arbeiten mit einem geringen Risiko eine Anmeldung als schwächere Form staatlicher präventiver Kontrolle genügt. Bei gentechnischen Arbeiten, bei denen kein Risiko zu erwarten ist, ist ein präventives Kontrollverfahren sogar ganz entbehrlich. Die Begriffe gentechnische Arbeit und gentechnische Anlage sind in § 3 I Nr. 2, Nr. 4 GenTG legaldefiniert. Gentechnische Arbeiten sind vor allem die Erzeugung und Verwendung gentechnisch veränderter Organismen. Auch die Lagerung und Entsorgung gentechnisch veränderter Organismen ist eine gentechnische Arbeit (vgl. § 3 I Nr. 2 b) GenTG). Gentechnische Anlagen sind Einrichtungen, in denen mit gentechnisch veränderten Organismen gearbeitet wird und die durch biologische, chemische und/oder physikalische Schranken so beschaffen sind, dass ein Kontakt der verwendeten Organismen mit der Umwelt begrenzt wird (§ 3 I Nr. 4 GenTG). Durch die Kombination von biologischen, chemischen und physikalischen Schranken, einschließlich arbeitsorganisatorischer Maßnahmen soll gewährleistet werden, dass es zu keinen unbeabsichtigten oder unkontrollierten Auswirkungen von Organismen auf Mensch, Umwelt und Sachgüter kommt. Ziel ist also der sichere Einschluss der Organismen. Daher wird für die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen in gentechnischen Anlagen auch der Begriff „containment“ gebraucht. Als biologisches containment kommt zum Beispiel die Entwicklung von „Sicherheitsstämmen“ in Betracht. Darunter versteht man die Verwendung von Spenderorganismen, die nicht auf den Menschen übertragen werden und die sich auch nicht in der Umwelt ausbreiten, weil sie außerhalb des Labors nicht überleben können. 536 Als physikalische Schranken eignen sich Schadstofffilter, Schleusen oder Abwassersterilisationsanlagen. 537 Chemische Schranken sind etwa Desinfektionsvorrichtungen. 538

aa) Zulassung genehmigungspflichtiger Vorhaben Welche Sicherheitsvorkehrungen für gentechnische Anlagen und Arbeiten der Sicherheitsstufe 3 und 4 erforderlich sind, ist in einem Genehmigungsverfahren zu prüfen (§§ 8 I, III, 9 III GenTG). Das Genehmigungserfordernis ist ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. 539 Der Betreiber darf sein Vorhaben nur durchfüh536 Anhang II der GenTSV; Gregor Buschhausen-Denker, in: Buschhausen-Denker/Deitenbeck (Hrsg.), Sicherheit in der Gentechnik, S. 43 (50). 537 Z. B. Anhang III, II. Nr. 8, III. Nr. 3 der GenTSV. 538 Z. B. Anhang III, II. Nr. 7; vgl. dazu auch Innes Fenner/Walter Siezen, in: BuschhausenDenker/Deitenbeck (Hrsg.), Sicherheit in der Gentechnik, S. 134 (135 ff.). 539 Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, §8 Rdn.32 und §10 Rdn. 53; ders., auf dem 18. Trierer Kolloquium zum Umwelt- und Technikrecht, siehe den Tagungsbericht von Thorsten Mangold, UPR 2003, 64 (re).

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ren, sofern er eine Genehmigung erhalten hat. Wenn aber die Genehmigungsvoraussetzungen des § 11 GenTG erfüllt sind, hat er einen Anspruch auf Genehmigung. Die Genehmigungspflicht gilt für erstmalige Arbeiten der Sicherheitsstufe 3 und 4 (§§ 8 I, III GenTG) sowie für weitere gentechnische Arbeiten dieser Sicherheitsstufen (§ 9 III GenTG). Bei erstmaligen Arbeiten ist eine Anlagengenehmigung erforderlich, bei weiteren Arbeiten genügt eine sog. Tätigkeitsgenehmigung, die rascher ergeht und deren Beantragung weniger aufwendig ist (vgl. §§ 10 VI 1, III GenTG). Dagegen bedarf die wesentliche Änderung der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebs einer gentechnischen Anlage, in der gentechnische Arbeiten der Sicherheitsstufe 3 oder 4 durchgeführt werden, einer erneuten Anlagengenehmigung (§ 8 IV 1 GenTG). Fakultativ findet ein Genehmigungsverfahren statt, wenn der Betreiber einer gentechnischen Anlage, in der Arbeiten der Sicherheitsstufe 2 durchgeführt werden, eine Anlagen- oder Tätigkeitsgenehmigung beantragt (§ 8 II 2, 9 II 2 GenTG). Auch wenn das Anmeldeverfahren 540 unbürokratischer ist, kann eine Genehmigung von Vorteil sein, weil diese mehr Rechtssicherheit bietet und Konzentrationswirkung hat (vgl. § 22 I GenTG). (1) Gang des Genehmigungsverfahrens Das Genehmigungsverfahren beginnt mit dem Antrag des Betreibers (§ 10 I GenTG). Dem Antrag sind die in den § 10 II, III GenTG genannten Unterlagen beizufügen. Darin muss der Betreiber insbesondere das Risikopotential seines Vorhabens genau beschreiben (§§ 10 II Nr. 5, III 2 Nr. 1; 6 GenTG). Gem. § 10 V 1 GenTG hat die zuständige Landesbehörde bei erstmaligen gentechnischen Arbeiten innerhalb von 90 Tagen schriftlich über den Antrag zu entscheiden. Bei weiteren gentechnischen Arbeiten verkürzt sich die Frist auf 45 Tage (§ 10 VI 1 GenTG). Diese kurze Frist gilt auch bei Arbeiten der Sicherheitsstufen 2, für die eine Genehmigung beantragt wurde, wenn sie einer bereits von der ZKBS eingestuften Arbeit vergleichbar sind (§§ 10 V 2, VI 2 GenTG). Vor der Entscheidung über die Genehmigung muss die Behörde grundsätzlich eine Stellungnahme der ZKBS zur sicherheitstechnischen Einstufung der gentechnischen Arbeit einholen (§ 10 VII 1 GenTG). Nur bei Arbeiten der Sicherheitsstufe 2, die einer bereits von der ZKBS eingestuften Arbeit vergleichbar sind, entfällt diese Pflicht (§§ 10 V 2, 2. HS, VI 2, 2. HS GenTG). Bis die ZKBS ihr Votum abgegeben hat, ruhen die behördlichen Entscheidungsfristen (§§ 10 V 4, VI 3 GenTG). Hat die ZKBS ihre Stellungnahme erteilt, so ist diese bei der Entscheidung über die Genehmigung zu berücksichtigen. Will die zuständige Landesbehörde vom Votum der ZKBS abweichen, so darf sie das 541, doch muss sie dies besonders begründen (§ 10 VII 4 GenTG). 540 541

Zu diesem sogleich unter bb). Siehe dazu IV. 3. b) bb).

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Soweit wegen der Konzentrationswirkung der gentechnikrechtlichen Genehmigung auch baurechtliche, naturschutzrechtliche oder infektionsschutzrechtliche Fragen nach dem IfSG (Infektionsschutzgesetz)542 zu klären sind, müssen neben der Stellungnahme der ZKBS auch Stellungnahmen der jeweils zuständigen Fachbehörden eingeholt werden (vgl. § 10 VII 5 GenTG). Diese Stellungnahmen haben zwar keine Bindungswirkung 543, doch wird so weiterer Sachverstand in die Behördenentscheidung getragen. Dadurch wird das gentechnikrechtliche Verfahren „komplex“. Dies könnte für die Gerichtskontrolle von Bedeutung sein. Gerichte könnten gentechnikrechtliche Behördenentscheidungen nur „verfahrensrechtlich“ darauf hin kontrollieren dürfen, ob die Stellungnahmen der jeweils zuständigen Fachbehörden eingeholt und berücksichtigt wurden. 544 Eine weitergehende inhaltliche Prüfung könnte ihnen untersagt sein, weil diese möglicherweise das sachverständige Zusammenwirken der einzelnen Behörden gefährdet. Ob dem tatsächlich so ist, muss in Kapitel D. am Maßstab der Rechtsschutzgarantie geprüft werden. 545 Eine weitere Verfahrensanforderung ist das Anhörungsverfahren. Ein solches ist bei Vorhaben zu gewerblichen Zwecken durchzuführen (§ 18 I 1 GenTG). 546 Für Arbeiten der Sicherheitsstufe 2 gilt dies allerdings nur dort, wo ein Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG erforderlich ist (§ 18 I 2 GenTG). Im Anhörungsverfahren werden Einwendungen in einem Erörterungstermin diskutiert (§§ 5, 6 GenTAnhV). Allerdings gilt dies nur für rechtzeitig erhobene Einwendungen. Werden Einwendungen zu spät eingelegt, wird der Dritte mit seinen Einwendungen präkludiert (§ 5 I 2 GenTAnhV), auch in einem späteren Gerichtsverfahren. 547 Die Möglichkeit, schon im Verwaltungsverfahren Einwendungen zu erheben, ist für den Dritten damit nicht nur vorteilhaft. Das ist mit zu bedenken, wenn in Kapitel D. untersucht wird, ob der gentechnikrechtliche Verfahrensschutz den gerichtlichen Rechtsschutz zurückdrängen darf. 548 (2) Materielle Prüfungspflichten von Behörden Eine Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des § 11 GenTG vorliegen. Dabei ist unter anderem zu prüfen, ob die Sicherheitsvorkehrungen getroffen sind, die nach dem Stand der Wissenschaft und Technik notwendig 542 Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG), BGBI. I 2000 S. 1045. Das IfSG hat das Seuchengesetz neu geregelt. 543 Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 10 Rdn. 134. 544 Vgl. zum Kontrollprogramm bei Annahme eines Beurteilungsspielraums Kapitel C. III. 2. b). cc). 545 Siehe dazu Kapitel D. II. 3. a) aa) (2). 546 Zur Vereinbarkeit dieser Regelung mit den Zwecken des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes vgl. D. II. 3. d) cc) (2). 547 Z. B. OVG Berlin, ZUR 1994, 206 (207, mi, ff.). 548 Kapitel D. II. 3. d) cc) (2).

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sind, so dass schädliche Einwirkungen auf die in §1 Nr. 1 GenTG genannten Rechtsgüter nicht zu erwarten sind (vgl. § 11 I Nr. 4 GenTG). Um dies festzustellen, muss die Behörde zunächst alle möglichen Risken ermitteln, die für die Beurteilung des Antrags von Bedeutung sind (vgl. § 10 I GenTVfV). Dies geschieht ausgehend von der vom Betreiber eingereichten Beschreibung des Vorhabens. Sodann ist zu fragen, ob das Risiko des Vorhabens durch Schutzmaßnahmen so minimiert werden kann, dass nur noch ein hinnehmbares Restrisiko verbleibt. 549 Ist dies der Fall, muss die Genehmigung erteilt werden. Insoweit gilt: je höher der zu erwartende Schaden, desto höher die zu wählende Sicherheitsstufe. 550 Die Einzelheiten regelt die GenTSV. Ihr § 4 nennt die Grundlagen der Risikobewertung und der Sicherheitsseinstufung. Ziel ist die Eingruppierung der gentechnischen Arbeit in eine bestimmte Sicherheitsstufe, für die in den Anhängen II–VI der GenTSV ein Katalog von Sicherheitsmaßnahmen vorgesehen ist. Um die erforderliche Sicherheitsstufe zu ermitteln, ist eine Gesamtbewertung der gentechnischen Arbeit nötig, die im wesentlichen auf der Risikobewertung der einzelnen, verwendeten Organismen basiert (§ 4 I GenTSV). 551 Wie in den einleitenden naturwissenschaftlichen Ausführungen näher dargelegt 552, sind Spenderorganismen, eingebaute FremdDNA, Wirts- bzw. Empfängerorganismen, Vektoren und gentechnisch veränderte Organismen zu bewerten (vgl. § 4 Nr. 1 GenTSV). Sie sind Risikogruppen zuzuordnen (§ 5 I 2 GenTSV), nach denen sich schließlich bestimmt, welche Sicherheitsstufe für die gentechnische Arbeit erforderlich ist (vgl. z. B. § 7 II Nr. 1 a) aa) GenTSV) 553. In die Risikogruppe 1 sind Organismen einzustufen, die gut bekannt sind und die bisher für Mensch, Tier und Umwelt nicht bedrohlich waren. 554 Nach dem Stand der Wissenschaft und Technik stellen solche Organismen kein Risiko dar. 555 Der Risikogruppe 2 sind dagegen Organismen zuzuweisen, von denen ein geringes Risiko ausgeht. 556 Das sind Organismen, die bei unzureichender Hygiene oder bei sonstigem unsachgemäßen Umgang leichtere Krankheiten verursachen wie eine Darminfektion – so etwa Ecoli – oder eine Grippe – wie das Influenza-Virus. 557 In die RisiVG Freiburg, ZUR 2000, 216 (218, re). Vgl. die amtliche Begründung zu § 7 GenTG, abgedruckt in Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 7 Rdn. 1: „Die Sicherheitsstufen werden mit den Ziffern 1 bis 4 gekennzeichnet, wobei die ansteigende Ziffer dem ansteigenden Risikopotential entspricht“; ähnlich Rainer Wahl, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 7 GenTG Rdn. 30: je größer das Risikopotential, desto größer die erforderlichen Sicherheitsanforderungen. 551 Vgl. Johanna Bergmann, in: Buschhausen-Denker/Deitenbeck (Hrsg.), Sicherheit in der Gentechnik, S. 55 (63). 552 Vgl. I. 2. 553 Zur Sicherheitseinstufung siehe ausführlich im weiteren Text. 554 Gregor Buschhausen-Denker, in: Buschhausen-Denker/Deitenbeck (Hrsg.), Sicherheit in der Gentechnik, S. 43 (52). 555 Udo Matzke, Gentechnikrecht, 4.6. S. 526. 556 Udo Matzke, Gentechnikrecht, 4.6., S. 526. 557 Vgl. Gregor Buschhausen-Denker, in: Buschhausen-Denker/Deitenbeck (Hrsg.), Sicherheit in der Gentechnik, S. 43 (52); Udo Matzke, Gentechnikrecht, 4.6., S. 526. 549 550

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kogruppe 3 gehören Organismen, von denen ein mäßiges Risiko ausgeht. 558 Dies ist der Fall, wenn die Organismen bei Beschäftigten schwere Krankheiten hervorrufen können. 559 Eine Sonderstellung nehmen dabei solche Organismen ein, die nicht auf dem Luftweg übertragen werden können, wie das Hepatitis-B-Virus (HBV) oder das HIV-Virus. 560 Diese Organismen sind in Übereinstimmung mit Anhang III der Arbeitnehmerschutz-Richtlinie 561 der Risikogruppe 3* zuzuordnen; gegebenenfalls können hier geringere Schutzmaßnahmen genügen.562 In die Risikogruppe 4 sind schließlich solche Organismen einzugruppieren, die sowohl für die Beschäftigten als auch für die Bevölkerung hoch gefährlich sind und gegen die keine wirksame Therapie bekannt ist. 563 Darunter fallen etwa das Lassa- und das Ebola-Virus. 564 Die Zuordnung zu den einzelnen Risikogruppen muss anhand allgemeiner Bewertungskriterien vorgenommen werden, denn es gibt keine Grenzwerte, um das Risiko von Organismen zu bestimmen. Einzelne Bewertungskriterien sind in Anhang I Nr. 1 der GenTSV aufgeführt (vgl. § 5 I GenTSV). Bei der Risikobeschreibung von Spender- und Empfängerorganismen helfen indes die sog. Organismenlisten. Sie enthalten „Legaleinstufungen“ von Mikroorganismen nach dem geltenden EG-Arbeitsschutzrecht sowie von Organismen, die den Risikogruppen nach den allgemeinen Kriterien gemäß § 5 I 1 GenTSV (i.V. mit Anhang I Nr. 1) zugeordnet wurden (§ 5 VI GenTSV). Vor der Änderung der GenTSV im Jahre 1995 565 hatten die Organismenlisten Verordnungsqualität. 566 Mit § 5 VI GenTSV schuf der Verordnungsgeber indes die Befugnis, die Organismenlisten als Verwaltungsvorschriften zu erlassen. Ziel war, die Listen flexibler an den Stand der Wissenschaft und Technik anpassen zu können. 567 Daher wurde § 5 VI GenTSV so gefasst, dass das vor Erlass des Gesetzes zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht für die Gentechnik zuständige Bundesgesundheitsministerium die Organismenlisten nach Anhörung der ZKBS ohne Zustimmung des Bundesrates erlasUdo Matzke, Gentechnikrecht, 4.6. S. 526. Gregor Buschhausen-Denker, in: Buschhausen-Denker/Deitenbeck (Hrsg.), Sicherheit in der Gentechnik, S. 43 (52). 560 Udo Matzke, Gentechnikrecht, 4.6. S. 527; vgl. dazu auch VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (218, li, f.); VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (225, re, f.). 561 Richtlinie 2000/54/EG vom 18.09.2000 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit (ABl. EG Nr. L 262, S.21), Anhang III, einführende Bemerkungen Nr. 8 (S. 29). 562 Organismenlisten, Legende am Ende, aktuelle Fassung vom 01.03.2001 (www.rki.de, Gentechnik, ZKBS); vgl. auch VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (225, li, 227, re). 563 Gregor Buschhausen-Denker, in: Buschhausen-Denker/Deitenbeck (Hrsg.), Sicherheit in der Gentechnik, S. 43 (52). 564 Udo Matzke, Gentechnikrecht, 4.6. S. 527. 565 V. 14.03.1995, BGBl. I 1995 S. 285 (286, Artikel 1 4. b). 566 Sie waren im Anhang I Teil B der GenTSV a. F. enthalten, vgl. GenTSV v. 24.10.1990 (BGBl. I S. 2340). 567 Vgl. BR-Drs. 717/1/94, S. 5; Rainer Wahl, in: Landmann/Rohmer, § 7 GenTG Rdn. 21, 43; Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 101. 558 559

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sen konnte. 568 Diese Regelung war aber unzulässig. Denn § 30 V GenTG als höherrangiges, formelles Recht erlaubt „allgemeine Verwaltungsvorschriften“ nur, wenn sie von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassen werden. Dies gilt auch für solche Verwaltungsvorschriften die zur Durchführung der nach dem Gentechnikgesetz erlassenen Rechtsverordnungen geschaffen werden. Der Bundesregierung war es daher durch § 30 V GenTG verwehrt, in der GenTSV eine abweichende, nur materielle Regelung zu schaffen. § 5 VI GenTSV war daher bislang mit § 30 V GenTG unvereinbar. Im Zuge der Zweiten Änderung des Gentechnikgesetzes wurde der Widerspruch beider Normen aber beseitigt. Durch Art.3 Nr. 5 d) aa) hat der verordnungsändernde Gesetzgeber in §5 VI GenTSV den Begriff „Legaleinstufung“ neu aufgenommen. 569 Auf diese Weise präzisierten Bundestag und Bundesrat nicht nur die Befugnis des Bundesgesundheitsministeriums zum Erlass der Organismenlisten nach § 5 VI a. F. GenTSV, sondern sie erklärten konkludent, dass sie den Erlass von Verwaltungsvorschriften abweichend von § 30 V GenTG billigen. Mit Art. 3 Nr. 5 d) aa) des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes hat der parlamentarische Gesetzgeber also ein formelles Spezialgesetz geschaffen, dass i.V. mit § 5 VI GenTSV auch das Bundesgesundheitsministerium zum Erlass von Verwaltungsvorschriften berechtigte – im Unterschied zu § 30 V GenTG ohne Zustimmung des Bundesrates. Durch das Gesetz zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht wurde diese Kompetenz auf das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Lebensmittelsicherheit übertragen.570 Die Organismenlisten werden von manchen als antizipierte Sachverständigengutachten bezeichnet. 571 Andere sprechen von normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften, um noch stärker zum Ausdruck zu bringen, dass die Listenzuordnung Ergebnis sachverständiger Beratung ist und die Organismenlisten der weiteren Risikobewertung zu Grunde zu legen sind. 572 Beiden Umschreibungen ist gemeinsam, dass sie die Organismenlisten als besondere Vorschriften kennzeichnen wollen. Es soll hervorgehoben werden, dass sie die Risikobewertung von Behörden maßgeblich lenken und generalisieren. Diese Bedeutung der Organismenlisten könnte auch bei der Gerichtskontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen zu beachten sein. Da die Organismenlisten wichtige Auslegungskriterien enthalten, binden sie möglicherweise Gerichte. Hierfür könnte ihre standardisierende Wirkung sprechen 573, 568 Dem Vorschlag des Gesundheitsausschusses, die Länder zumindest anzuhören, wurde insofern nicht Rechnung getragen. Siehe dazu BR-Drs. 717/1/94, S. 5. 569 BGBl. I 2002 S. 3220 (3229, re). 570 Siehe § 3 des Gesetzes zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht id. F. des Regierungsentwurfs (BT-Drs. 15/1222, 15/996, S. 5). 571 Vgl. Wolfram Eberbach, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Einl. GenTSV Rdn. 49; referierend siehe auch Christian Tünnesen Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 286. 572 Vgl. Udo Matzke, Gentechnikrecht, 2.2 Anhang I GenTSV, S. 145 Fn. 75; Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 109 ff. 573 Zur Diskussion dieses Ansatzes siehe Kapitel D.II. 3. d) bb).

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aber auch ihre Qualifikation als „Legaleinstufungen“ durch die Neufassung der GenTSV 574. Ähnliches könnte für die Risikobewertung des Vektors gelten, weil Behörden hier ebenfalls vorgefasste Standards verwenden, indem sie (per Internet) auf allgemeine Stellungnahmen der ZKBS zu einzelnen Vektoren zurückgreifen. 575 Zudem beabsichtigt die ZKBS eine „Vektorenliste“ mit Beschreibungen und Bewertungen der einzelnen Vektoren zu erstellen. 576 Eine solche „Vektorenliste“ 577 könnte man aber ebenso wenig als Verwaltungsvorschrift einstufen wie die einzelnen Stellungnahmen der ZKBS. Weder die allgemeinen Stellungnahmen der ZKBS erfüllen die Voraussetzungen des § 5 VI GenTSV oder des § 30 V GenTG noch eine „Vektorenliste“. Vor allem ist die ZKBS den zuständigen Landesbehörden und dem BVL nicht übergeordnet, so dass es keine (auch nicht behördenintern) verbindliche Anweisungen für diese erlassen kann. Die „Vektorenbeschreibungen“ – gleich ob als Einzelstellungnahmen oder in einer Liste – sind daher nur sachverständige, unverbindliche Empfehlungen, die der Wissensvermittlung dienen. Neben Empfänger-, Spenderorganismen und Vektoren müssen die Risiken des gentechnisch veränderten Organismus bewertet werden. Dies geschieht weitgehend ohne standardisierende Vorgaben anhand der allgemeinen Bewertungskriterien des Anhangs I Nr. 2–4 der GenTSV (vgl. § 5 I 2 GenTSV). Die „vergleichbaren Fälle“ der ZKBS, z. B. zum Gentransfer mit Hilfe von Adenovirus Typ 5 578, helfen nur partiell, weil erst nach Bewertung des gentechnisch veränderten Organismus beurteilt werden kann, ob dieser ein „vergleichbarer Fall“ ist. Maßgebend für die Risikobewertung des gentechnisch veränderten Organismus sind seine Eigenschaften. Diese ergeben sich vor allem aus dem Gefährdungspotential des Empfängerorganismus, der Herkunft der Fremd-DNA sowie aus Art und Herkunft des verwendeten Vektors. Weitere zu bewertende Eigenschaften des gentechnisch veränderten Organismus sind dessen Stabilität in der Umwelt, dessen Aktivität zur Ausprägung (Expression) des gewünschten Proteins, dessen toxische und allergene Wirkungen, dessen Fähigkeit Krankheiten auszulösen (Pathogenität), dessen Übertragbarkeit auf den Menschen und dessen Wechselwirkungen mit anderen Organismen bei einer ungewollten Freisetzung (vgl. Anhang I Nr. 2–4 der GenTSV). Zur Beurteilung dieser Eigenschaften ist maßgeblich auf bisherige ErSiehe Kapitel D. II. 3. b) bb). Auskunft RP Tübingen, 27.01.2003. 576 Auskunft RP Tübingen, 27.01.2003. 577 Eine „Vektorenliste“ ist abgedruckt bei Udo Matzke, Gentechnikrecht, 4.4., S.517 ff. Die jeweils aktuelle Version ist auch abrufbar über www.rki.de, Gentechnik. Allerdings hilft diese „Vektorenliste“ lediglich dem Betreiber bei der Antragstellung, weil dort genannte Vektoren nicht ausführlich beschrieben werden müssen (Udo Matzke, Gentechnikrecht, 4.4., S. 517). Eine Beschreibung und Bewertung der dortigen Vektoren, die für Behörden hilfreich wäre, enthält die Liste aber nicht. 578 Abgedruckt in Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, G. ZKBS-Empfehlungen, Nr. 48. Zu den „vergleichbaren Fällen“ siehe auch Kapitel D. II. 3. d) cc) (2). 574 575

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fahrungen mit diesem oder ähnlichen gentechnisch veränderten Organismen zurückzugreifen. Im übrigen sind Vorhersagen erforderlich, wie sich die Übertragung der Fremd-DNA im Empfängerorganismus auf die Gesundheit von Laborarbeitern, Drittbetroffenen und die Umwelt auswirkt. Grundsätzlich gilt dabei: das Gefährdungspotential des Empfängerorganismus ist vollständig in die Risikobewertung einzubeziehen (§ 5 IV 1 GenTSV). Das heißt, die Risikogruppe des gentechnisch veränderten Organismus darf nicht geringer sein als diejenige des Empfängerorganismus. 579 Entstammt die übertragene Fremd-DNA einem Spenderorganismus, der in eine höhere Risikogruppe als der Empfängerorganismus einzuordnen ist, so ist auch der gentechnisch veränderte Organismus einer entsprechend höheren Risikogruppe zuzuweisen (vgl. § 5 III 1 GenTSV). Etwas anderes gilt nur, wenn der übertragene Fremd-DNA-Abschnitt im Spenderorganismus nicht oder nicht allein für dessen Risiko verantwortlich ist (vgl. § 5 III 2 GenTG). Wird also beispielsweise ein DNA-Abschnitt aus einem Spenderorganismus der Risikogruppe 1 in einen Empfängerorganismus der Risikogruppe 2 übertragen, so ist der gentechnisch veränderte Organismus in die Risikogruppe 2 einzugruppieren. 580 Wird dagegen ein DNA-Abschnitt der Risikogruppe 3 auf einen Empfängerorganismus der Risikogruppe 2 übertragen, so muss der gentechnisch veränderte Organismus der Risikogruppe 3 zugewiesen werden. Anders wäre dies, wenn die übertragene Fremd-DNA nachweislich nicht für das Gefährdungspotential des Spenderorganismus verantwortlich wäre 581 (arg. e § 5 III 1, 2 GenTSV). Darüber hinaus kann das Risiko des gentechnisch veränderten Organismus weiter herabgestuft werden, wenn biologische Sicherheitsmaßnahmen gem. § 6 GenTSV angewendet werden (vgl. § 5 V GenTSV). Eine solche Sicherheitsmaßnahme ist etwa die Entfernung der Fortpflanzungsorgane bei Pflanzen (Anhang II der GenTSV B. Nr. 1 a), die Sterilisation von Tieren (§ 6 II 2 GenTSV) oder die Verwendung anerkannter Vektor-Empfänger-Systeme, die in Anhang II Teil A der GenTSV beispielhaft aufgeführt sind und bei der Gesamtbewertung nach § 4 GenTSV zu berücksichtigen sind (§ 6 I GenTSV). Biologische Sicherheitsmaßnahmen werden von der ZKBS anerkannt (§ 6 III 1 GenTSV) und regelmäßig im Bundesgesundheitsblatt bekannt gemacht, sofern der Betreiber nicht widerspricht (§ 6 III 2 GenTSV). Darüber hinaus fasst das BVL die innerhalb eines Jahres neu anerkannten und bekanntgemachten biologischen Sicherheitsmaßnahmen in einer Liste zusammen, die es gem. § 6 VI GenTSV im Bundesanzeiger veröffentlicht. 582 Die Anerkennungen der ZKBS nach § 6 III GenTSV sind für Behörden allerdings nicht verbindlich, weil die Behörden im Verhältnis zur ZKBS die Letztentscheidungskompetenz haben. 583 Die Siehe auch Udo Matzke, Gentechnikrecht, 4.6. S. 527. Udo Matzke, Gentechnikrecht, 4.6. S. 529, Tabelle 2 Nr. 3. 581 Udo Matzke, Gentechnikrecht, 4.6. S. 529, Tabelle 2 Nr. 4. 582 Vor der Änderungen der Zuständigkeiten im Gentechnikrecht erfolgte die Veröffentlichung durch das Robert Koch-Institut im Bundesgesundheitsblatt (vgl. § 6 VI GenTSV a. F.). 583 Siehe dazu IV. 3. b) bb); vgl. auch Udo di Fabio, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 5 Rdn. 21: sie können nur faktische Bindungswirkung auslösen. 579 580

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Anerkennungen sind daher nur sachverständige Empfehlungen i. S. von § 5 Satz 1 GenTG 584, die Behörden bei der Risikobewertung helfen. Die Rechtsnatur der Listen nach § 6 VI GenTSV ist indes noch ungeklärt. Möglicherweise sind sie Verwaltungsvorschriften. Indem das BVL die von der ZKBS anerkannten biologischen Sicherheitsmaßnahmen zusammengefasst und veröffentlicht hat, könnten diese zu Vorschriften geworden sein, die für die Landesbehörden zwingend sind. Für biologische Sicherheitsmaßnahmen nach Absatz 1, die Vektor-Empfänger-Systeme, spricht hiergegen aber § 6 I 2 GenTSV. Dieser verweist auf Anhang II Teil A der GenTSV, der anerkannte Vektor-Empfänger-Systeme beispielhaft aufzählt. Halbsatz 2 führt weiter aus, dass diese Aufzählung bei der Gesamtbewertung nach § 4 GenTSV zu berücksichtigen ist. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass anerkannte biologische Vektor-Empfängersysteme solange nicht bindend sind als sie nicht zur GenTSV gehören. Auch können die Listen des § 6 VI GenTSV nicht als allgemeine Verwaltungsvorschriften qualifiziert werden, soweit sie Sicherheitsmaßnahmen nach Absatz 2 aufführen. Erstens erlaubt § 30 V GenTG einen Erlass von Verwaltungsvorschriften – von den Organismenlisten abgesehen 585 – nur mit Zustimmung des Bundesrates. Zweitens ist das BVL keine den zuständigen Landesbehörden übergeordnete Behörde, sondern eine selbständige Bundesoberbehörde.586 Es kann daher die Risikobewertung der Landesbehörden nicht durch bindende Verwaltungsvorschriften steuern. Die Listen des § 6 VI GenTSV sind daher ebenfalls nur sachverständige Äußerungen des BVL, die die Landesbehörden unverbindlich beim Vollzug des Gentechnikgesetzes unterstützen. Ausgehend von der Risikogruppe des gentechnisch veränderten Organismus ist die gentechnische Arbeit schließlich in eine der vier in § 7 I GenTG genannten Sicherheitsstufen einzugruppieren (§ 7 I GenTSV). Dabei ist grundsätzlich die Sicherheitsstufe zu wählen, die der Risikogruppe des gentechnisch veränderten Organismus entspricht. 587 Ein gentechnisches Vorhaben, bei dem mit gentechnisch veränderten Organismen der Risikogruppe 1 gearbeitet wird, ist also der Sicherheitsstufe 1 zuzuordnen, ein Vorhaben, bei dem die gentechnisch veränderten Organismen der Risikogruppe 2 entstammen, der Sicherheitsstufe 2 und so weiter (vgl. § 7 I GenTSV i.V. mit § 7 I Nr. 1, Nr. 2 GenTG). Eine Ausnahme gilt für Organismen der Risikogruppe 3*. Da eine Übertragung über den Luftweg ausgeschlossen ist, können hier auch Sicherheitsmaßnahmen der Sicherheitsstufe 2 genügen. 588 Ob dies der Fall ist, ist durch eine ausführliche Gesamtbewertung der Arbeit festzustellen. Denn 584 Dazu, dass die Anerkennungen nach § 6 III GenTSV auf § 5 S. 1 GenTSV fußt, vgl. auch Wolfram Eberbach/Franz-Josef Ferdinand, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 6 GenTSV Rdn. 53. 585 Zu dieser Ausnahme siehe die Ausführungen zu den Organismenlisten in diesem Abschnitt. 586 Vgl. § 4 I GenTG. 587 Vgl. auch VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (225, li). 588 Vgl. VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (226, li); nach Ansicht der ZKBS sollen regelmäßig Sicherheitsvorkehrungen der Sicherheitsstufe 2 genügen, vgl. Udo Matzke, Gentechnikrecht, 4.6., S. 535.

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nach § 4 I GenTSV darf das Risiko einer gentechnischen Arbeit nicht allein anhand der Risiken der einzelnen Organismen bestimmt werden, sondern es muss stets die gesamte gentechnische Arbeit überprüft werden.589 Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob auf Grund der besonderen Umstände der Arbeit eine höhere Sicherheitsstufe zu wählen ist als sie die Risikobewertung des gentechnisch veränderten Organismus ergeben hat. § 4 I GenTSV verlangt dabei, dass Behörden einzelfallspezifisch auch sonstige für die Sicherheit der gentechnischen Arbeit bedeutsame Eigenschaften in ihre Risikobewertung einstellen, so etwa den organisatorischen Ablauf oder die Qualifikation von Laborarbeitern (vgl. § 4 I Nr. 2 GenTSV). Erst nachdem auch solche Umstände mitberücksichtigt worden sind, kann also endgültig gesagt werden, welche Sicherheitsvorkehrungen nötig sind, um die Risiken des Vorhabens auf die tolerierbaren Restrisiken zu senken. Dabei ist die Behörde zu einem vorsichtigen Vorgehen verpflichtet. Hat sie Zweifel, ob die Schutzvorkehrungen der ermittelten Sicherheitsstufe tatsächlich genügen, so hat sie die Arbeit vorsorglich in die nächst höhere Sicherheitsstufe einzustufen (vgl. § 7 I a 1 GenTG). bb) Zulassung anmeldepflichtiger Vorhaben Behörden müssen anmeldepflichtige Vorhaben ebenso sorgfältig prüfen wie genehmigungspflichtige Vorhaben. Dies folgt aus § 12 VII 1 GenTG. Dieser verweist für das Anmeldeverfahren auf die für das Genehmigungsverfahren maßgeblichen Voraussetzungen und ermächtigt die zuständige Behörde zur Untersagung der angemeldeten gentechnischen Arbeiten, wenn die in § 11 Nr. 1 bis 6 GenTG genannten (Genehmigungs-)Voraussetzungen nicht oder nicht mehr gegeben sind. 590 Wesentlicher Unterschied des Anmeldeverfahrens zum Genehmigungsverfahren ist aber: es ist keine Genehmigung der zuständigen Behörde erforderlich, um mit dem Vorhaben beginnen zu können (vgl. § 12 V GenTG). Anmeldepflichtige Vorhaben stehen also im Gegensatz zu genehmigungspflichtigen Vorhaben nicht unter einem präventivem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. 591 Das Anmeldeverfahren ist aber nur bei gentechnischen Anlagen und Arbeiten mit einem geringen Gefährdungspotential statthaft. Anmeldepflichtig sind gentechnische Anlagen und erstmalige gentechnische Arbeiten der Sicherheitsstufen 1 und 2 (§ 8 II 1 GenTG) und weitere gentechnische Arbeiten der Sicherheitsstufe 2 (§ 9 II 1 GenTG). Für die Anmeldung gentechnischer Arbeiten der Sicherheitsstufe 1 sind dabei Erleichterungen vorgesehen. Z. B. müssen der Anmeldung keine Notfallpläne beigefügt werden (vgl. §§ 12 II 1, 10 II 2 Nr. 7 GenTG). Vgl. VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (219, li). Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, §12 Rdn.16, 22; S. Beljin/O. Engsterhold/H. Fenger/ M. H. j. Schmitz, in: Raem/Braun/Fenger/Michaelis/Nikol/Winter (Hrsg.), Gen-Medizin, S.525 (550). Zur Frage, wie weit Behörden im Anmeldeverfahren auch andere öffentlich-rechtliche Vorschriften prüfen müssen (§ 11 I Nr. 6 GenTG), siehe Kapitel D. II. 3. d) cc) (2). 591 S. Beljin/O. Engsterhold/H. Fenger/M. H. j. Schmitz, in: Raem/Braun/Fenger/Michaelis/ Nikol/Winter (Hrsg.), Gen-Medizin, S. 525 (550). 589 590

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Einer Stellungnahme der ZKBS bedarf es im Unterschied zum Genehmigungsverfahren nur bei Anlagen und Arbeiten der Sicherheitsstufe 2, sofern diese nicht mit einer bereits von der ZKBS eingestuften Arbeit vergleichbar sind (§ 12 IV 1 GenTG). Allerdings gilt auch für das Anmeldeverfahren, dass die Behörde die Stellungnahme der ZKBS berücksichtigen muss und nur mit schriftlicher Begründung hiervon abeichen darf (§ 12 IV 3, 4 GenTG). Nach Eingang der Anmeldung hat die Behörde zu prüfen, ob das angemeldete Vorhaben den gesetzlichen Voraussetzungen genügt (vgl. § 12 III GenTG). Die Behörde kann folgende Entscheidungen treffen: sie kann dem früheren Beginn der angemeldeten Arbeit ausdrücklich zustimmen (§ 12 V 1 GenTG) und gegebenenfalls Nebenbestimmungen anordnen (vgl. § 12 VI GenTG) 592, sie kann die Zustimmungsfiktion des § 12 V 2 GenTG eintreten lassen oder sie kann die Durchführung einer gentechnischen Arbeit untersagen (§ 12 VII 1 GenTG). Allerdings ist das „kann“ des § 12 VII 1 GenTG kein Ermessens-„kann“, das der Behörde einen weiten Spielraum für Zweckmäßigkeitserwägungen eröffnet. 593 Vielmehr folgt aus der Schutzpflichten von Behörden für Mensch und Umwelt (§ 1 Nr. 1 GenTG), dass Behörden untersagen müssen, wenn die materiellen Voraussetzungen des § 11 GenTG nicht erfüllt sind. Das „kann“ des § 12 VII 1 GenTG ist daher ein bloßes Kompetenz-„kann“. Es gewährt den Behörden nur die Möglichkeit, unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gegebenenfalls durch (mildere) Auflagen und Bedingungen eine Untersagung abzuwenden.594 Liegen die Voraussetzungen des § 11 I Nr. 1–6 GenTG nicht oder nicht mehr vor und können rechtmäßige Zustände auch nicht durch Auflagen oder Bedingungen hergestellt werden, muss die Behörde die Arbeit untersagen. Das ist bei der Untersuchung der Gerichtskontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen mit zu bedenken, wenn später für § 12 VII GenTG gefragt wird, ob die richterliche Kontrolldichte unter Verweis auf ein weites Versagungsermessen von Behörden eingeschränkt werden kann. 595 Stimmt die Behörde dem Betrieb einer Arbeit vor Ablauf der Fristen des § 12 V 1 GenTG zu, berechtigt sie den Betreiber, vorzeitig mit seiner Arbeit zu beginnen. 596 Doch hat diese Berechtigung nur verfahrensrechtlichen Inhalt. Es wird lediglich erklärt, dass der Betreiber das Anmeldeverfahren ordnungsgemäß durchlaufen hat. 597 Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 12 Rdn. 76. Vgl. Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 12 Rdn. 24; a. A. wohl Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 12 Rdn. 96: da kein subjektives öffentliches Recht auf Einschreiten besteht, unterliege der Erlass einer Unersagungsverfügung dem Opportunitätsprinzip. – Gegen diese Ansicht spricht aber die im Text genannte Schutzpflicht von Behörden. 594 Zur Berücksichtigung eines Vertrauens des Betreibers auf die Fortführung des Betriebs, wenn die Behörde vorher zugestimmt hat oder die Zustimmungsfiktion eingetreten ist, siehe sogleich unten. 595 Siehe Kapitel D. II. 3. c) cc) (1). 596 Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 12 Rdn. 76. 597 Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 12 Rdn. 88. 592 593

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Die Zustimmung enthält also keine abschließende, d. h. keine bindende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der gentechnischen Arbeit. Sie hat also keine gestattende Genehmigungswirkung, sondern ist nur ein Verwaltungsakt, mit dem die Behörde im Einzelfall auf die Einhaltung der in § 12 V 1 GenTG genannten Fristen verzichtet. Günther Hirsch/Andrea Schmidt-Didczuhn sehen dies anders. 598 Würde man aber der Zustimmung eine gestattende Wirkung zuerkennen, hätte sie dieselben Rechtswirkungen wie eine Genehmigung. Dagegen spricht die Systematik des Gentechnikgesetzes, zwei Verfahren, das Genehmigungs- und das Anmeldeverfahren, zu schaffen. Hinzu kommt, dass nur die Genehmigung Konzentrationswirkung hat, nicht aber auch die Zustimmung (§ 22 I GenTG). 599 Des Weiteren bleibt die Behörde im Anmeldeverfahren trotz ausdrücklicher Zustimmung berechtigt, eine gentechnische Arbeit gem. § 12 VII GenTG zu untersagen. Dadurch wird klar gestellt, dass die Zustimmung im Unterschied zur Genehmigung keinen Bestandsschutz entfaltet. 600 Vielmehr steht sie unter dem Vorbehalt einer Untersagung, wenn die Vorraussetzungen des § 11 GenTG später entfallen. Im Unterschied zu einer gentechnikrechtlichen Genehmigung muss die Zustimmung daher nicht erst gem. § 48 oder § 49 VwVfG aufgehoben werden, sondern die Behörde kann die Durchführung der Arbeit sofort gem. § 12 VII GenTG untersagen. Dies gilt auch bei einer fingierten Zustimmung nach Eintritt der Zustimmungsfiktion. 601 Die allgemeine verwaltungsrechtliche Dogmatik, wonach ein gestattender Verwaltungsakt zunächst zurückgenommen oder widerrufen werden muss, um ein Vorhaben untersagen zu dürfen, wird hierdurch nicht durchbrochen, weil die Zustimmung – wie gezeigt – keine gestattende Wirkung hat. Es überzeugt daher, in § 12 VII GenTG eine Spezialvorschrift für das Anmeldeverfahren zu sehen, die den allgemeinen Vorschriften der §§ 48 ff. VwVfG vorgeht. 602 Dieses Ergebnis lässt sich durch § 20 I GenTG untermauern, der nur für Genehmigungen von einer Rücknahme oder einem Widerruf spricht, nicht aber bei einer (ausdrücklichen oder fiktiven) Zustimmung. Entscheidet die Behörde nicht innerhalb der in § 12 V 1 GenTG genannten Fristen über die Arbeit (durch Zustimmung oder Untersagung), wird die Zustimmung fingiert. Die Zustimmungsfiktion tritt bei erstmaligen Arbeiten der Sicherheitsstufe 1 und weiteren Arbeiten der Sicherheitsstufe 2 nach 30 Tagen ein, bei der erstmaligen Anmeldung von Arbeiten der Sicherheitsstufe 2 nach 45 Tagen (§ 12 V 1 GenTG). Die Zustimmungsfiktion dient dem Betreiber, weil er mit seinem Vorha598 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 12 Rdn. 3, 25 (bis auf die Konzentrationswirkung) – durch die Möglichkeit zur Zustimmung sei das Anmeldeverfahren dem Genehmigungsverfahren angenähert. 599 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 12 Rdn. 25. 600 Vgl. Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 12 Rdn. 95, der von Bestandskraft spricht. 601 Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 12 Rdn. 79. 602 Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 12 Rdn. 79; a. A. Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 12 Rdn. 3, die die §§ 48, 49 VwVfG anwenden und § 12 VII GenTG für die Fälle entbehrlich halten, in denen die gesetzlichen Voraussetzungen nachträglich entfallen.

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ben beginnen kann, obwohl die Behörde noch nicht über das Vorhaben entschieden hat. 603 Sie ersetzt den Verwaltungsakt der Zustimmung, mit dem die Behörde auf die Einhaltung der Fristen des § 12 V 1 GenTG verzichtet 604. Daher ist die Zustimmungsfiktion ein fiktiver Verwaltungsakt. 605 Dessen Regelungsgehalt ist die Feststellung, dass die Fristen des § 12 V 1 GenTG verstrichen sind, ohne dass bisher ein Fehlen der Voraussetzungen § 11 I Nr. 1–6 GenTG festgestellt wurde. Die fiktive Zustimmung hat also ebenso wenig gestattende Wirkung wie die ausdrückliche Zustimmung. Die Zustimmungsfiktion wird gelegentlich als „Herzstück“ des Anmeldeverfahrens verstanden; die Fristvorgaben seien nur „Ordnungsvorschriften ohne Sanktion“. 606 Dies überzeugt aber nicht. Vielmehr ist auch im Anmeldeverfahren eine ausdrückliche Zustimmung der Behörde gewollt. Das folgt aus § 12 V 2 GenTG. Der Fristablauf bewirkt, dass eine Zustimmung fingiert wird. Die Zustimmung ist damit der maßgebliche Anknüpfung des Gesetzgebers, die Fiktion soll die gleichen Wirkungen haben wie die fingierte Maßnahme. Auch widerstrebte es Sinn und Zweck der Zustimmungsfiktion, Behörden „zur Entscheidung durch Liegenlassen“ zu berechtigen. Die Zustimmungsfiktion soll nicht Behörden entlasten, sondern dem Betreiber ermöglichen, seine Arbeit zügig zu beginnen. 607 Dass Behörden vor Ablauf der Frist entscheiden sollen, zeigt auch § 12 III GenTG. Denn er verpflichtet Behörden, Antragsunterlagen unverzüglich zu prüfen und zu beurteilen, weil ein effektiver Grundrechtsschutz des Betreibers eine möglichst zügige Bearbeitung und eine fristverkürzende Zustimmung verlangt. Hat die Behörde der Durchführung einer gentechnischen Arbeit vor Fristablauf zugestimmt, muss sie berücksichtigen, dass sie hierdurch einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat. Der Betreiber vertraut auf die positive Entscheidung der Behörde, obgleich er damit rechnen muss, dass sein Vorhaben gegebenenfalls später nach § 12 VII GenTG untersagt wird. Außerdem muss die Anmeldebehörde bedenken, dass sie ebenfalls Vertrauen weckt – wenn auch weniger stark – wenn sie die Fiktion des § 12 V 2 GenTG eintreten lässt. Untersagt die Behörde die gentechnische Arbeit nicht innerhalb der Fristen des § 12 V 1 GenTG, muss der Betreiber zwar damit rechnen, dass die Behörde sein Vorhaben noch nicht vollständig geprüft hat, dennoch wird er unter Umständen glauben, dass die Behörde die Zustimmungsfiktion hat eintreten lassen, weil sein Vorhaben rechtmäßig ist. Vgl. Joachim Knoche, BayVBl. 1994, 673 (675, li). Siehe dazu den vorhergehenden Abschnitt. 605 Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 12 Rdn. 78; Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 12 Rdn. 3. Zum Rechtsschutz siehe Kapitel C. III. 2. b) dd). 606 Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 12 Rdn. 71, 75. 607 Vgl. Joachim Knoche, BayVBl. 1994, 673 (675, li), der das Handeln der Behörde sogar als rechtswidrig qualifiziert. 603 604

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Das Vertrauen des Betreibers, das durch eine ausdrückliche oder fiktive Zustimmung begründet wurde, schließt eine Untersagung nicht aus, doch verpflichtet es Behörden, sorgfältig zu prüfen, ob mildere Auflagen oder Bedingungen nach §12 VI GenTG in Betracht kommen, um rechtmäßige Zustände herzustellen. Darüber hinaus ist zu erwägen, das Vertrauen des Betreibers durch einen Schadensersatzanspruch zu schützen, falls die Behörde vor ihrer Zustimmung bzw. vor Ablauf der Fiktionsfrist hätte erkennen können, dass die Arbeit zu riskant ist und deshalb untersagt werden muss. Ein Schadensersatzanspruch des Betreibers ließe sich gegebenenfalls auf § 839 BGB i.V. mit Art. 34 GG stützen. Die Amtspflichtverletzung könnte mit § 12 III GenTG begründet werden, der Behörden dazu zwingt, die Anmeldung zu prüfen. Daraus ließe sich die weiterreichende Amtspflicht ableiten, eine erkanntermaßen rechtswidrige Arbeit bzw. eine pflichtwidrig unerkannt rechtswidrige Arbeit unverzüglich zu untersagen. Von ihrer Rechtsnatur her sind Entscheidungen im Anmeldeverfahren wie gentechnikrechtliche Anlagen- und Arbeitsgenehmigungen als Risikoentscheidungen zu qualifizieren. Bei einer Untersagung und einer Anordnung von Nebenbestimmungen wird explizit über die nach dem Stand der Wissenschaft und Technik erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen entschieden. Bei der Zustimmung erlaubt die Behörde den vorzeitigen Betrieb einer gentechnischen Arbeit, weil keine Untersagungsgründe (§ 12 VII GenTG) erkennbar sind und deshalb die nach dem Stand der Wissenschaft und Technik bestehenden Risiken hinnehmbar erscheinen. Bei der Zustimmungsfiktion trifft die Behörde eine konkludente Risikoentscheidung, wenn sie sich entschließt, die Zustimmungsfrist verstreichen zu lassen, weil sie meint, die Risiken des Vorhabens fordern bislang keine Untersagung. Tritt die Zustimmungsfiktion ohne vorherige Prüfung der Behörde ein, regelt § 12 V 2 GenTG kraft Gesetzes, dass die Risiken eines angemeldeten Vorhabens auch „ungeprüft“ hingenommen werden. Allenfalls könnte bezweifelt werden, ob die Zustimmungsfiktion eine Risikoentscheidung einer Behörde ist. Dies scheint zumindest fraglich, wenn sich die Behörde nicht positiv entschieden hat, die Zustimmungsfiktion zu verstreichen lassen. Da die Zustimmungsfiktion kraft Gesetzes eintritt, könnte sie eine Risikoentscheidung des Gesetzgebers sein. Dies wäre für die Gerichtskontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen relevant, weil Regelungen des Gesetzgebers möglicherweise weniger stark geprüft werden dürfen. 608 Gegen eine Einordnung der Zustimmungsfiktion als Risikoentscheidung des Gesetzgebers spricht aber, dass der Gesetzgeber den Eintritt der Frist selbst als Zustimmung der Behörde bestimmt hat. Damit hat er die Zustimmungsfiktion zur Behördenentscheidung gemacht. Würde die fiktive Zustimmung folglich Gegenstand eines Gerichtsstreits, wäre wie bei anderen Behördenentscheidungen von dem Grundsatz auszugehen, dass Gerichte Maßnahmen der Verwaltung umfassend prüfen müssen, es sei denn Behörden hätten einen Beurteilungsspielraum. 609 Siehe Kapitel D. II. 2. Zum Gerichtsschutz gegen Zustimmung und Zustimmungsfiktion siehe Kapitel C. III. 2. b) dd). 608 609

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cc) Zulassungsfreie Vorhaben Weitere gentechnische Arbeiten der Sicherheitsstufe 1 sind weder anmelde- noch anzeigepflichtig (§ 9 I GenTG), folglich auch nicht mitteilungs- und genehmigungspflichtig. Im Unterschied zu anmeldepflichtigen Vorhaben der Sicherheitsstufe 2 610 kann für sie auch nicht freiwillig eine Genehmigung beantragt werden (arg. e § 9 II 2 GenTG). Einer bloßen Mitteilung bedürfen „weitere“ gentechnischen Arbeiten der Sicherheitsstufen 2 und 3, die ein Betreiber, der entsprechende Arbeiten schon angemeldet hat oder die schon genehmigt sind, in einer anderen Anlage durchführen will. § 9 V GenTG enthält außerdem eine Mitteilungspflicht für „weitere“ Arbeiten der Sicherheitsstufen 2, 3 und 4, die von einer internationalen Hinterlegungsstelle zum Zwecke der Erfüllung der Erfordernisse nach dem Budapester Vertrag zur Hinterlegung von Mikroorganismen für die Zwecke von Patentverfahren durchgeführt werden. Bei diesen Vorhaben erfolgt also keine präventive Sicherheitsprüfung. Vielmehr kann gegen sie nur repressiv vorgegangen werden. Die Untersagungsbehörden können nachträgliche Anordnungen gem. § 26 GenTG erlassen, die den weiteren Betrieb einer gentechnischen Arbeit untersagen. Dies ist möglich, wenn die getroffenen Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr dem Stand der Wissenschaft und Technik entsprechen (vgl. § 26 I 2 Nr. 1 und Nr. 4 GenTG). 611 b) Genehmigung des Freisetzens gentechnisch veränderter Organismen Einer Genehmigung des BVL bedarf, wer gentechnisch veränderte Organismen freisetzt (§ 14 I Nr. 1 GenTG). Gem. § 3 Nr. 5 GenTG ist unter einer Freisetzung das gezielte Ausbringen von gentechnisch veränderten Organismen in die Umwelt zu verstehen, soweit noch keine Genehmigung für das Inverkehrbringen zum Zweck des späteren Ausbringens in die Umwelt erteilt wurde. Im Unterschied zur Arbeit mit gentechnisch veränderten Organismen im geschlossenen System ist bei Freisetzungen gerade gewollt, dass der gentechnische veränderte Organismus in die Umwelt verbracht wird. Organismen werden daher vor allem freigesetzt, um deren Wirkungen auf das Ökosystem zu untersuchen. 612 Doch verlangt die Definition des § 3 Nr. 5 GenTG nicht, dass die Freisetzung zu Forschungszwecken erfolgen muss. Vielmehr sind auch Freisetzungen zu kommerziellen Zwecken von § 3 Nr. 5 GenTG erfasst. Allerdings haben kommerzielle Freisetzungen derzeit in Deutschland (noch) keine Bedeutung. 613 610 611 612 613

Siehe IV. 5. a) aa) (1). Vgl. zu solchen Maßnahmen unten d. Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 102. Vgl. zu den aktuellen Zahlen bei Freisetzungen IV. 2. a).

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aa) Gang des Genehmigungsverfahrens Um dem BVL (bislang dem RKI) eine umfassende Risikobewertung zu ermöglichen, hat der Betreiber im Rahmen der Antragstellung umfangreiche Unterlagen beim BVL einzureichen (vgl. § 15 GenTG i.V. mit § 5 und Anlage 2 der GenTVfV). Insbesondere sind genaue Angaben erforderlich zur Zielsetzung der Freisetzung und zum Standort 614, zur Konstruktion des gentechnisch veränderten Organismus, der Eigenschaften der verwendeten Organismen und dazu, wie die gentechnische Veränderung bewirkt werden soll 615. Außerdem ist ausführlich darzulegen, welche Wirkungen des gentechnisch veränderten Organismus auf die Umwelt zu erwarten sind. 616 Dabei sind die Schutzvorkehrungen zu nennen, die vorgesehen sind, um fortlaufend zu verhindern, dass sich gentechnisch veränderte Organismus durch Insekten oder Wind ausbreiten (vgl. § 15 I Nr. 4, Nr. 5 GenTG) 617. Das BVL hat den Antrag des Betreibers auf seine Vollständigkeit zu prüfen und innerhalb einer Frist von drei Monaten zu entscheiden (vgl. §16 III 1, 1. HS GenTG). Im Unterschied zur Anlagengenehmigung hat die Entscheidung des BVL keine Konzentrationswirkung (vgl. arg. e § 22 I GenTG). Vor der Genehmigung ist stets das Einvernehmen mit dem Bundesamt für Naturschutz (bislang des UBA) 618 und der Biologischen Forschungsanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) herzustellen (§ 16 IV 1, 1. HS GenTG). Bei der Freisetzung transgener Wirbeltiere und gentechnisch veränderter Mikroorganismen muss die Entscheidung zudem im Einvernehmen mit der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere (BFAV) ergehen (§ 16 IV 1, 2. HS GenTG). Das bisher federführend zuständige Robert Koch-Institut ist nun als Benehmensbehörde zu hören: es ist stets eine Stellungnahme des Robert Koch-Instituts einzuholen (§ 16 IV 1 GenTG). Unerlässlich ist zudem eine Stellungnahme der ZKBS. Gem. § 16 V 1 GenTG muss jedes Freisetzungsvorhaben vor der Entscheidung des BVL durch die ZKBS bewertet werden. Bindend ist das Votum der ZKBS jedoch nicht. 619 Außerdem ist eine Stellungnahme der zuständigen Landesbehörde einzuholen (§ 16 IV 2 GenTG), die das BVL (bzw. bislang das RKI) aber ebenfalls nicht bindet. 620 614 Vgl. Anlage 2, Abschnitt A, Teil II, A. und Abschnitt B., Teil IV und V GenTVfV. Abschnitt B regelt die Freisetzung höherer Pflanzen. 615 Vgl. Anlage 2, Abschnitt A, Teil I und Abschnitt B, Teil I–III GenTVfV. 616 Vgl. Anlage 2, Abschnitt A, Teil II C.–E. und Abschnitt B, Teil VII GenTVfV. 617 Und 2, Abschnitt A, Teil III und Abschnitt B, Teil VI. 618 Vgl. zu dieser umstrittenen Änderung BT-Drs. 15/1643 und das Vorwort dieser Arbeit. 619 Siehe IV. 3. b) bb). 620 Vgl. zur entsprechenden alten Rechtslage, als noch das Robert Koch-Institut entschied, Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 176.

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Sofern Aufgabenbereiche weiterer Stellen durch die Freisetzung berührt sind, müssen diese beratend hinzugezogen werden (§§ 16 V 2, 10 VII 5 GenTG). Zudem hat das BVL (bislang das RKI) den Genehmigungsantrag binnen 30 Tagen nach Eingang der EG-Kommission zu übermitteln (§ 16 VI i.V. mit § 1 I GenTBetV). So soll den Mitgliedstaaten die Möglichkeit gegeben werden, Bemerkungen abzugeben (§ 1 II 1 GenTBetV). Das BVL (bisher das RKI) muss diesen Bemerkungen aber nicht folgen. Bei Organismen, deren Ausbreitung nicht begrenzbar ist, ist außerdem ein Anhörungsverfahren durchzuführen, es sei denn, es findet nur ein vereinfachtes Verfahren statt (vgl. § 18 II 1 GenTG). 621 Das Anhörungsverfahren beginnt mit Auslegung der Antragsunterlagen durch das BVL (bisher durch das RKI) bei der Gemeinde, in der die Freisetzung vorgesehen ist (§ 4 I GenTAnhV). Es erlaubt Betroffenen, schriftlich oder zur Niederschrift Einwendungen gegen das Vorhaben zu erheben (§ 5 I 1 GenTAnhV). Ein darüber hinausgehender Erörterungstermin wie bei gentechnischen Vorhaben im geschlossenen System findet bei Freisetzungen seit 1993 nicht mehr statt (§ 18 III 3 GenTG, § 11 GenTAnhV). 622 Das Recht, Einwendungen zu erheben, ist wie bei gentechnischen Anlagen 623 auf einen Monat beschränkt (§ 5 I 1 GenTAnhV). Macht der Einzelne innerhalb dieser Frist von seinem Einwendungsrecht keinen Gebrauch, wird er also ebenfalls im weiteren Verwaltungs- und Gerichtsverfahren mit seinen Einwendungen präkludiert, sofern diese nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen (§ 5 I 2 GenTAnhV). 624 Dass die Präklusion auch bei Freisetzungen gilt, wird mit zu berücksichtigen sein, wenn erörtert wird, ob das gentechnikrechtliche Verfahren bereits genügend Rechtsschutz gewährt, so dass es möglicherweise keiner zusätzlichen Vollkontrolle durch Gerichte bedarf. 625 bb) Materielle Prüfungspflichten von Behörden In materieller Hinsicht muss das BVL (bisher das RKI) bei Freisetzungen prüfen, ob Betreiber und Projektleiter zuverlässig sind, ob gewährleistet ist, dass alle nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden und dass nach dem Stand der Wissenschaft im Verhältnis zum Zweck der Freisetzung keine unvertretbaren schädlichen Einwirkungen auf die in §1 Nr. 1 GenTG bezeichneten Rechtsgüter zu erwarten sind (vgl. § 16 I Nr. 1–3 GenTG). Liegen diese Voraussetzungen vor, so hat der Betreiber Anspruch auf die beantragte Genehmigung. 626 Das BVL ist also (ebenso wenig wie bisher das RKI) nicht dazu berechtigt, eine allgemeine, über die konkrete Risikobewertung des geplanten Ein621 622 623 624 625 626

Vgl. zum vereinfachten Verfahren auch Kapitel D. II. 3. d) cc) (2). Zur Bewertung dessen siehe ebenfalls Kapitel D. II. 3. d) cc) (2). Siehe IV. 5. a) aa) (1). Weitergehend hierzu vgl. Kapitel D. II. 3. d) cc) (2). Siehe Kapitel D. II. 3. d) cc) (2). Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 109.

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zelvorhabens hinausgehende, Technologiefolgenabschätzung durchzuführen, die prüft, ob die Freisetzung wirtschaftlich ist und gesellschaftlich – insbesondere verbraucherpolitisch – verträglich 627. 628 Vielmehr muss es sich auf eine Risikobewertung beschränken, die ausschließlich die Folgen des Einzelvorhabens nach derzeitigen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen bewertet. Als Planungsentscheidungen, die Behörden einen kontrollfreien Planungsspielraum gewähren, dürften gentechnikrechtliche Freisetzungsentscheidungen daher nicht zu qualifizieren sein. 629 Der Grundsatz einer bestmöglichen Risikovorsorge verpflichtet das BVL ebenso wie bisher das RKI, im Rahmen einer einzelfallbezogenen Abwägung zu prüfen, ob die Risiken, die von der Freisetzung ausgehen, als sozialadäquate Restrisiken hinzunehmen sind. Insoweit ist eine umfassende Risikoermittlung 630 und Risikobewertung am Maßstab des „Stands der Wissenschaft und Technik“ erforderlich, die über den Sicherheitsstand bei konventionellen Freisetzungen hinausgeht. 631 Scheinen die getroffenen Schutzvorkehrungen angesichts des Risikos der Freisetzung im Lichte einer bestmöglichen Risikovorsorge unzureichend, ist zu untersuchen, ob das Risiko durch entsprechende Schutzvorkehrungen auf das Maß der hinzunehmenden Restrisiken abgesenkt werden kann. In diesem Fall ist die Genehmigungsentscheidung mit entsprechenden Nebenbestimmungen zu versehen; das „kann“ des § 19 Satz 1 GenTG ist dann auf Null reduziert. Beispielsweise darf zur Ausdünnung des Pollenflugs transgener Saat angeordnet werden, dass konventionelle Pflanzen derselben Sorte als Mantelsaat angebaut werden oder ein Isolationsabstand eingehalten wird. Weitergehend kann das BVL bestimmen, dass der Betreiber Blüten entfernt oder eintütet, um einen Pollenaustrag zu unterbinden 632 oder dass er Schutzzäune aufstellt, die eine Verschleppung des Pollens durch Tiere verhindern. Zudem kann das BVL, so wie bisher das RKI, dem Betreiber für die Zukunft eine tiefe Bodenbearbeitung verbieten, um die Wahrscheinlichkeit eines horizontalen Gentransfers auf Bodenbakterien weiter zu minimieren. Auch kann es anordnen, dass der Boden nach der Ernte ausgewaschen wird. Außerdem hat es zu erwägen, ob die Ausbreitung der gentechnisch veränderten Organismen begrenzt werden kann, wenn der Betreiber in die gentechnisch veränderten Organismen Replikationsdefekte oder Suizid-Gene einbaut oder sterile Pflanzen aussät. 633 Sind nachteilige Einwirkungen auf Dritte und Zu dieser Definition des Begriffs siehe Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 13 Rdn. 39. Vgl. zur alten Rechtslage, nach der noch das Robert Koch-Institut zuständig war: Hirsch/ Schmidt-Didczuhn, GenTG, §16 Rdn.25; Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 194; Wolfgang Graf Vitzthum/Tatjana Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, S. 100. 629 Siehe hierzu Kapitel D. II. 3. c) aa). 630 Vgl. Matthias Herdegen/Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 15 Rdn. 37. 631 Vgl. Alfred Pühler/Inge Broer/Mathias Keller, in: Gentechnologie in Deutschland, S.125 (133). 632 Tätigkeitsbericht der ZKBS 2001, Bundesgesundheitsblatt 2002, 643 (651, li). 633 Vgl. Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 194; weitergehend Peter Brandt, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 18 Rdn. 11 ff. 627 628

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die Umwelt allerdings trotz solcher Vorsorgemaßnahmen nicht auf ein hinnehmbares Maß zu reduzieren, muss das BVL (wie bislang das RKI) eine Genehmigung versagen. Gleiches gilt, wenn eine Sicherheitsbeurteilung ohne vorausgegangene Versuche im geschlossenen System nicht möglich ist.634 Zudem darf die Freisetzung von Organismen, die Antibiotikaresistenzmarker enthalten, vom 1. Januar 2009 an nicht mehr genehmigt werden. Dies verbietet Art. 4 II der Freisetzungs-RiL 2001/18/EG, die der deutsche Gesetzgeber allerdings noch umzusetzen hat.635 Im einzelnen orientiert sich die Risikobewertung maßgeblich am Risikopotential der verwendeten Organismen. 636 Zwar gilt die GenTSV für die Risikobewertung bei Freisetzungen ebenso wenig wie die Organismenlisten (vgl. § 1 Satz 2 GenTSV). 637 Doch können die in der GenTSV kodifizierten allgemeinen Kriterien auch bei Freisetzungen herangezogen werden 638, weil sie Risiken bewerten, die bei jedem gentechnischen Vorhaben auftreten können. Allerdings ist Wesen einer Freisetzung, dass die Organismen nicht abgeschottet im geschlossenen System verwendet werden. 639 Die Auswirkungen der gentechnisch veränderten Organismen auf die Umwelt müssen daher verstärkt untersucht werden. Besonders die Wechselwirkungen mit anderen Organismen und die Verbreitungswege der freigesetzten Organismen sind in die Risikobewertung einzubeziehen. Nach dem Stand aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse sind zu prüfen: 640 die Eigenschaften des gentechnisch veränderten Organismus wie etwa die Überlebens-, Vermehrungs- und Ausbreitungsfähigkeit, die Möglichkeit eines vertikalen oder horizontalen Gentransfers, die Fähigkeit zur stabilen Integration in der Umwelt, die Mutagenität, Toxität oder Allergenität seiner Gen- und Stoffwechselprodukte, seine Pathogenität und die Wahrscheinlichkeit von Positionseffekten, in Folge derer ein Protein stärker gebildet wird. Des Weiteren ist die Stellung des gentechnisch veränderten Organismus im Ökosystem zu untersuchen, wobei dessen Zusammenspiel mit anderen Organismen ebenso zu bewerten ist, wie dessen Beteiligung an wichtigen Stoff- und Energiekreisläufen. 641 Außerdem sind die möglichen schädlichen Wirkungen für die menschliche, tierische oder pflanzliche Gesundheit abzuschätzen, die schädlichen Vgl. Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 16 Rdn. 7. Zu ihr vgl. auch Kapitel B. IV. 1. 636 VG Berlin, ZUR 1996, 147 (150, li). 637 Udo Matzke, Gentechnikrecht, 2.2 GenTSV, S. 119 Fn. 3. Es gelten nur die Vorschriften über die Projektleiter, Beauftragte für die Biologische Sicherheit und die Bußgeldvorschriften. 638 Ivo Appel, NuR 1996, 227 (232, re, Fn.40). In der Praxis wird auch gelegentlich auf diese Kriterien zurückgegriffen (Auskunft des Regierungspräsidium Tübingens und des Robert Koch-Instituts September 2002). 639 VG Berlin, ZUR 1996, 147 (150, li). 640 Vgl. Anlage 2, Abschnitt A und B GenTVfV, insbes. Abschnitt A, Teil I und II und Abschnitt B Teil II und III; Jutta Dürkop/Wolfgang Dubbert/Ingrid Nöh, Texte des Umweltbundesamts 1/1999, S. 163. 641 Positionseffekt bedeutet, dass der Integrationsort im Empfängergenom die Expression (Ausprägung) des Transgens bestimmt, siehe Barbara Weber, Evolutionsbiologische Argumente in der Risikodiskussion am Beispiel der transgenen herbizidresistenten Pflanzen, S. 217. 634 635

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Wirkungen durch einen Eingriff in bio-geochemische Stoffkreisläufe, die Änderung von Organismenbeziehungen, die Veränderung der biologischen Vielfalt und Auswirkungen auf den Ressourcenverbrauch, wie etwa die Bodenerosion. Gerade die Beurteilung der dauerhaften Folgen für die Umwelt fällt dabei schwer, zumal Einbürgerungsprozesse lange brauchen und gesicherte Erkenntnisse auf Grund der Komplexität des Naturhaushalts meist fehlen. Das macht die Feststellung, ob bei einer Freisetzung unvertretbare schädliche Einwirkungen zu erwarten sind und damit mehr als nur ein hinnehmbares Restrisiko vorliegt, besonders wertungsabhängig und prognosehaltig. Gerichte könnten deshalb einen nicht voll überprüfbaren Beurteilungsspielraum der über Freisetzungen entscheidenden Behörde (früher des Robert Koch-Instituts, künftig des BVL) anerkennen müssen. 642 Für einen solchen Spielraum könnte auch sprechen, dass die Bestimmung des hinnehmbaren Restrisikos dadurch erschwert ist, weil unklar ist, wie die drittschützende Norm des § 16 I Nr. 3 GenTG auszulegen ist und wann „unvertretbar schädliche Einwirkungen“ vorliegen. 643 Zum Begriff „unvertretbar“ wurde bereits ausgeführt, dass nur solche Schäden hingenommen werden dürfen, die zwangsläufig mit der Freisetzung verbunden sind, so etwa die Vernichtung von Schädlingen bei der Freisetzung insektenresistenter transgener Pflanzen. 644 Welche Rechtsgutsbeeinträchtigungen indes im weiteren ein Einschreiten verlangen, weil sie „schädlich“ sind, ist in dieser Arbeit noch nicht weiter präzisiert worden. Rechtsprechung 645 und die überwiegende Literatur 646 legen den Begriff der Schädlichkeit sehr eng aus. Eine Einwirkung soll nur schädlich sein, wenn die Saat des Dritten ganz oder zum Teil durch Einkreuzungen zerstört oder ungenießbar geworden ist oder wenn durch ihren Verzehr gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten sind. 647 Die „bloße Anwesenheit einer ‚fremden‘ Nukleinsäuresequenz“ soll dagegen noch keine schädliche Einwirkung sein. 648 Art. 14 GG sei nicht verletzt, obgleich der Dritte am Vertrieb seiner Pflanzen als „naturrein“ gehindert wird. 649 Dies wird damit begründet, dass eine „schädliche Einwirkung“ auf das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum eine gewisse Intensität voraussetzt. 650 Zudem könnten geringfügige Verunreinigungen durch naturfremde Zusätze auch sonst 642 Kapitel C. III. 2. b) aa) (1) und zur Diskussion eines Prognosespielraums, Kapitel D. II. 3. c) bb). 643 Dazu, dass diese Formulierung Einfallstor für einen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum sein kann, siehe Kapitel C. III. 1. 644 Siehe IV. 4. c) bb) (3) (3.3). 645 Vgl. nur VG Berlin, ZUR 1996, 147 (148, re, 149, mi) und w. N. in den folgenden Fußnoten. 646 Matthias Kapteina, Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 108; Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, §16 Rdn.99 f.; a.A. Harald Ginzky, ZUR 1996, 151 (152, li). 647 VG Berlin, ZUR 1996, 147 (150, mi). 648 VG Berlin, ZUR 1996, 147 (150, li). 649 VG Berlin, ZUR 1996, 147 (150, re, f.). 650 VG Berlin, ZUR 1996, 147 (150, re); vgl. auch OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (41, li).

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nicht ausgeschlossen werden 651. Außerdem könne dort nicht von einer Eigentumsverletzung und deshalb von einem Schaden gesprochen werden, wo die Pflanzen durch die Einkreuzung transgener Saat (kostenlos) einen Selektionsvorteil erhalten, so etwa durch das Einkreuzen herbizidresistenter Saat, weil nun nicht mehr gespritzt werden muss. 652 Weiter wird ausgeführt, dass die Qualifikation geringer Verunreinigungen als schädliche Einwirkung die Genehmigung von Freilandversuchen unmöglich machen würde und daher dem Gesetzeszweck zuwiderliefe.653 Ferner seien die nachteiligen Auswirkung auf die Vermarktung des Produkts unbeachtlich, weil das Gentechnikgesetz nicht auch die Berufsfreiheit schütze, sondern nur die abschließend in § 1 Nr. 1 GenTG aufgezählten Rechtsgüter. 654 Allerdings überzeugt es nicht, schädliche Einwirkungen und einen Verstoß gegen die Eigentums- und Berufsfreiheit zu verneinen, wenn sich gentechnisch veränderte Saat in konventionelle Saat einkreuzt, die als Bioprodukt vermarktet werden soll. Richtig ist, dass nicht jede Belästigung bereits eine Eigentumsverletzung darstellt. Doch schützt Art. 14 GG gerade auch gegen solche sachbezogenen Einwirkungen, die eine Sache für die Zwecke des Eigentümers weniger verwendbar machen. 655 Ist der von der Einkreuzung Betroffene ein Biobauer und will er seine Pflanzen als „naturrein“ veräußern, so wird im dies bereits bei einer geringen Einkreuzungsrate verwehrt. Denn bei transgener Saat handelt es sich nach den Richtlinien von privaten Erzeugerverbänden 656 und nach dem Verständnis von Verbrauchern eben nicht mehr um ein Bioprodukt. Da die Saat nun gentechnisch veränderte Organismen enthält, unterliegt ihr Inverkehrbringen vielmehr der Genehmigungspflicht des § 14 I Nr. 2 GenTG 657, weil der Schwellenwert, der eingekreuzte Organismen bis zu einem Prozentsatz von 0,5 % genehmigungsfrei stellt, derzeit noch nicht in Kraft ist. Zwar wurde durch die Verordnung 1829/2003/EG über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel eine entsprechende Bestimmung (Art.12 a) in die Freisetzungs-RiL 2001/18/EG eingefügt. 658 Solange diese lediglich betreiberschützende – und damit nicht unmittelbar anwendbare – Vorschrift aber noch nicht in nationales Recht umVG Berlin, ZUR 1996, 147 (151, li). Vgl. OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, re, f.). 653 VG Berlin, ZUR 1996, 147 (149, mi). 654 OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (41, li); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 14 zu § 16 GenTG; VG Berlin, ZUR 1996, 41 (43, re); VG Berlin, ZUR 1996, 147 (148, re); zustimmend insoweit Harald Ginzky, ZUR 1996, 151 (151, mi). 655 VG Berlin, ZUR 1996, 147 (150, re). Zur Abgrenzung zu Art. 12 siehe auch Kapitel E. I. 2. a). 656 Vgl. 2.1. der Satzung von BIOLAND e.V., in dem sich 3.500 Bauern, Gärtner, Winzer und Imker zusammengeschlossen haben, um den organisch-biologischen Landbau zu fördern (Fundstelle: http://www.bioland.de). BIOLAND ist der größte der neun ökologischen Anbauverbände in Deutschland. 657 OVG Münster, NVwZ 2001, 110 (110, re); Detlef Groß, ZLR 28 (2001), 243 (254); Jörg Friedrich, NVwZ 2001, 1129 (1130, li); a. A. Matthias Herdegen/Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 14 Rdn. 47 a; Hans-Georg Dederer, NuR 2001, 64 (64, re, ff.); Ralf Müller-Terpitz, NVwZ 2001, 46 (47, li, ff.). 658 Siehe Art. 43 der Verordnung 1829/2003/EG. 651 652

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gesetzt ist, gehen Untersagungsbehörden aber zu Recht von einer „Nulltoleranz“ aus. Bringt der Biobauer folglich die gentechnisch veränderte Saat ohne eine entsprechende Genehmigung auf den Markt, droht ihm nach geltendem Recht die Untersagung des Inverkehrbringens oder gar die Anordnung, die Saat zu vernichten (§§ 26 I 2 Nr. 1, 3 GenTG) – gleich wie geringfügig die gentechnische Veränderung ist. 659 Aber auch wenn der Biobauer das Inverkehrbringen genehmigen lässt, kann er seine Produkte nicht mehr wie bisher als „naturrein“ veräußern. Zumindest kann er kein entsprechendes Gütesiegel eines privaten Erzeugerverbandes mehr erhalten, wie das BIOLAND-Warenzeichen. 660 Der Biobauer kann damit nicht weiter damit rechnen, dass ihn der Verband unterstützt, z. B. indem sein Betrieb auf der homepage von BIOLAND oder in Verbraucherinformationsbroschüren als BIOLAND-Betrieb angepriesen wird. Vielmehr muss er damit rechnen, dass ihm das Prädikat, ein BIOLAND-Betrieb zu sein, aberkannt wird und der Verband ihm verbietet, seine Erzeugnisse als Bioprodukte zu verkaufen. 661 Wenn der Anteil der eingekreuzten Organismen über einem Schwellenwert von 0,9 % liegt, ist der Biobauer außerdem verpflichtet, die gentechnische Veränderung seiner Saat kenntlich zu machen (vgl. Art. 12 der Verordnung 1829/2003/EG). 662 Angesichts solcher nachteiligen Rechtsfolgen kann schon mit Blick auf Art. 14 GG nicht nur von einer unwesentlichen hinnehmbaren Belästigung gesprochen werden. Zudem sind die Auswirkungen auf die in Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit bei der Bewertung, ob schädliche Auswirkungen vorliegen, entgegen überwiegender Ansicht mit zu berücksichtigen. Zwar führt § 1 Nr. 1 GenTG die Berufsausübung nicht ausdrücklich als Schutzgut auf, doch darf Art. 12 GG nicht als Prüfungsmaßstab ausgeklammert werden. Auch wenn der Gesetzgeber drittschützende Normen enger fasst, bleiben die Grundrechte bei der Risikobewertung zu beachten. 663 Dies gilt besonders dort, wo eine Beeinträchtigung schwerwiegend ist, doch nicht erst dann. 664 Für die rechtliche Bewertung des Einkreuzungsrisikos bedeutet dies: Ist der Angrenzer eines Freisetzungsvorhabens Biobauer, ist besonders zu berücksichtigen, dass der Vertrieb von Bioprodukten einen eigenen Marktzweig darstellt. Grundsätzlich stellen Einkreuzungen 659 Vgl. dazu die Entscheidungen des OVG Münster, NVwZ 2001, 110 ff., VG Schleswig, ZUR 2001, 409 ff. und die Verfügung des Umweltbundesamtes Hagen, die dem (noch nicht rechtskräftigen) Urteil des VG Gelsenkirchen v. 14.11.2002 (Az 8 K 6854/00) zu Grunde lag; siehe dazu auch Kapitel E. IV. 660 Vgl. 9.2.6 der BIOLAND-Richtlinien i.V. mit 2.1. (Fundstelle: http://www.bioland.de). 661 Zur Möglichkeit solcher Sanktionen (Aberkennung, Rückstufung, Abmahnung) siehe 9.3.2. der BIOLAND-Richtlinien i.V. mit dem von BIOLAND herausgegebenem Sanktionskatalog (Fundstelle: http://www.bioland.de). Siehe auch die Darstellungen von Eckart AbelLorenz, ZUR 2000, 30 (31, re, f.). 662 Vor in Kraftreten der Verordnung über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel wäre eine Kennzeichnung nach Art.21 II der Freisetzungs-RiL 2001/18/EG erforderlich gewesen (zur Möglichkeit, Kennzeichnungspflichten anzuordnen, obwohl die Freisetzungsrichtlinie noch nicht in Kraft ist, siehe IV. 5. c) bb). 663 Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 123 m. w. N. 664 BVerwGE 87, 37 (43 f.); Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 123; anders wohl aber VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 14 zu § 16 GenTG, S. 7.

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ein sozialadäquates Restrisiko dar 665. Drohen aber Untersagungen oder Vernichtungsanordnungen und ist ein beträchtlicher Umsatzrückgang zu erwarten, den die Genehmigungsbehörde (das BVL bzw. vormals das Robert Koch-Institut) durch seine Genehmigung sehenden Auges mitveranlasst hat 666, liegt mehr als nur ein geringfügiges, hinnehmbares sozialadäquates Restrisiko vor. Deshalb muss das Freisetzungsvorhaben an dieser Stelle untersagt werden, falls nicht durch entsprechende Schutzmaßnahmen – wie Sicherheitsabstände – verhindert werden kann, dass es zu veräußerungsschädlichen Einkreuzungen kommt. 667 Durch eine solche an den Grundrechten aus Art.12 und 14 GG ausgerichtete Auslegung des Begriffs der „schädlichen Einwirkung“ werden die Genehmigungsvoraussetzungen zwar verschärft, doch werden damit Freisetzungen nicht unmöglich. Denn dem Betreiber wird es nicht verwehrt, auf andere Standorte auszuweichen und dort sein Vorhaben zu realisieren. Außerdem werden Betreiber durch die strengere Auslegung des Begriffs der „schädlichen Einwirkung“ nur vordergründig benachteiligt. Tatsächlich dient es dem Betreiber, wenn die Belange von Biobauern bei der Genehmigung eines Freisetzungsvorhabens adäquat berücksichtigt werden. Rechtsstreitigkeiten lassen sich vermeiden, wenn die Genehmigung nur erteilt wird, sofern die Eigentums- und Berufsfreiheit des angrenzenden Biobauern dies zulässt. Zugleich wird das Misstrauen gegenüber gentechnischen Vorhaben abgebaut, wenn Belange von Biobauern adäquat berücksichtigt werden. Damit wird die Rechts- und Planungssicherheit geschaffen, die Betreiber benötigen, um auch in Deutschland bestens forschen zu können. c) Genehmigung des Inverkehrbringens gentechnisch veränderter Organismen Das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen bedarf ebenfalls einer Genehmigung (§ 14 I Nr. 2, Nr. 3 GenTG). Im Unterschied zur Freisetzung werden die gentechnisch veränderten Organismen beim Inverkehrbringen an Dritte abgegeben und damit aus dem Herrschaftsbereich des Betreibers entlassen.668 Wie gezeigt, ist der Anwendungsbereich des Inverkehrbringens nach dem Gentechnikgesetz aber sehr beschränkt, weil vielfach speziellere Verfahren für die Marktzulassung gentechnisch veränderter Produkte existieren. 669 Einer Genehmigungspflicht nach dem Gentechnikgesetz unterliegt daher weder die Marktzulassung gentechnisch veränderter Arznei- und Pflanzenschutzmittel noch die Vermarktung transgener Lebens- und Futtermittel. Zulassungsbedürftig sind nur das Inverkehrbringen Vgl. oben IV. 4. c) bb) (2). Zur Zurechnung von Konsumentenverhalten auf den Staat als mittelbarer Eingriff, wenn dieses Verhalten „vorhersehbar“ ist, BVerwGE 87, 37 (44 f.) und Thorsten Koch, Der Grundrechtsschutz des Drittbetroffenen, S. 287 f. 667 Siehe auch Kapitel E. IV. 1. 668 Vgl. § 3 Nr. 6 GenTG. 669 Siehe IV. 2. b). 665 666

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transgenen Saatguts und das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen zur industriellen Weiterverarbeitung für die Verbrauchsgüterherstellung. Die Vermarktung transgenen Saatguts verlangt zudem – wie bei konventionellem Saatgut – eine Sortenzulassung nach dem Saatgutverkehrsgesetz. 670

aa) Gang des Genehmigungsverfahrens Über die Genehmigung für das Inverkehrbringen entscheidet das BVL (§ 14 I Nr. 2, Nr. 3 GenTG). Der Genehmigungsantrag muss gem. § 15 III GenTG sämtliche Unterlagen enthalten, die das BVL (bisher das RKI) * zur umfassenden Risikobewertung des Inverkehrbringens benötigt. Insbesondere ist eine genaue Beschreibung der gentechnisch veränderten Eigenschaften des Produkts erforderlich, seines Anwendungszwecks, seiner räumlichen Verbreitung und seiner möglichen Auswirkung auf die in § 1 Nr. 1 GenTG genannten Rechtsgüter (vgl. § 15 III Nr. 2–4 GenTG). Über den Antrag ist binnen dreier Monate zu entscheiden (§ 16 III 1 1. HS GenTG). Ähnlich wie beim Freisetzen 671 sind vor Erteilung der Genehmigung die ZKBS und andere Behörden zu beteiligen. Die Öffentlichkeit wird beim Inverkehrbringen aber nicht beteiligt. Will das BVL (bisher das RKI) den Antrag genehmigen, muss es diesen spätestens 90 Tage nach Antragstellung an die EG-Kommission weiterreichen und das EG-Beteiligungsverfahren einleiten (§ 16 III 1 2. HS GenTG). Auf diese Weise erhalten die anderen Mitgliedstaaten Gelegenheit zu Einwänden. Dies ist erforderlich, weil Genehmigungen über das Inverkehrbringen als transnationale Verwaltungsakte 672 gemeinschaftsweit wirken. 673 Erhebt ein Mitgliedstaat innerhalb einer First von 60 Tagen Einwände, darf das BVL, ebenso wie bisher das RKI, die Genehmigung daher nicht einfach gem. § 16 II GenTG erlassen, sondern es muss versuchen, sich mit der zuständigen Behörde dieses Staates zu einigen (§§3 I, III GenTBeTV). Kommt keine Einigung zu Stande, muss die EG-Kommission oder der Rat über die Antragsbescheidung beschließen (vgl. § 3 IV 2 GenTBetV). 674 Stimmt die EG dem Inverkehrbringen zu, hat das BVL diesen Beschluss umzusetzen und die Genehmigung zu erteilen (§ 3 IV 2 GenTBetV). Wird der Antrag indes abgelehnt, muss das BVL die 670 Heinz Saedler/Wolfgang Schuchert, in: Biotechnologie als interdisziplinäre Herausforderung, S. 244 (256). * Zur Änderung der Zuständigkeit vgl. das Vorwort dieser Arbeit. 671 Vgl. IV. 5. b) aa). 672 Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 155; a. A. Johannes Caspar, DVBl. 2002, 1437 (1438, re), der von einem mehrstufigen gemeinschaftlichen Verwaltungsakt spricht, da die Mitwirkungshandlungen auf Gemeinschaftsebene beim Inverkehrbringen sehr stark seien; ähnlich Ulrich Lienhard, NuR 2002, 13 (16, li). 673 Art. 15 Freisetzungs-RiL 90/220/EWG und entsprechend Art. 22 Freisetzungs-RiL 2001/18/EG. 674 Ausführlich zum Verfahren auf EG-Ebene Johannes Caspar, DVBl. 2002, 1437 (1438).

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Genehmigung versagen (§ 3 VI GenTBetV). An die Entscheidungen der EG-Kommission oder des Rates ist das BVL grundsätzlich 675 gebunden. Insofern unterscheidet sich die Genehmigung des Inverkehrbringens von derjenigen zur Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, bei der die EG-Mitgliedstaaten nur unverbindliche Bemerkungen abgeben können 676. Auch wenn das BVL, wie bisher das RKI, nach außen entscheidende Behörde ist, steht ihm grundsätzlich kein Entscheidungsspielraum zu. Vielmehr muss es die Entscheidung der EG-Kommission bzw. des Rates umsetzen. Anders ist dies nur, wenn nach der Entscheidung der EG-Kommission oder des Rates neue Risiken bekannt geworden sind, die im gemeinschaftsrechtlichen Zulassungsverfahren noch nicht berücksichtigt worden waren. Hier ist das BVL – ebenso wie bislang das RKI – sogar zur Prüfung verpflichtet, ob die hinzugetretenen neuen risikorelevanten Erkenntnisse eine Versagung der Genehmigung verlangen. 677 Das Inverkehrbringen berechtigt den Betreiber dazu, sein Produkt gemeinschaftsweit zu vermarkten. Allerdings gilt die Genehmigung nur für 10 Jahre. Dies folgt aus Art. 15 IV der Freisetzungs-RiL 2001/18/EG. 678 Diese Richtlinie ist zwar in Deutschland noch nicht umgesetzt, doch ist das BVL (wie bisher das RKI) dazu verpflichtet, seine Genehmigungen im Sinne der Freisetzungs-RiL zu befristen.679 Das könnte zwar bezweifelt werden, weil Richtlinien grundsätzlich nicht zum Nachteil Einzelner angewendet werden dürfen, wenn sie noch nicht umgesetzt worden sind. 680 Doch erfährt dieser Grundsatz nach der Rechtsprechung des EuGH eine Ausnahme, wenn eine Richtlinienbestimmung janusköpfig ist, da sie Betreiber belastet, aber zugleich Dritte und/oder die Umwelt schützt. 681 Ist eine solche Richtlinienbestimmung unbedingt und hinreichend genau, müssen nationale Behörden sie trotz bestehender Nachteile für Betreiber von Amts wegen beachten. 682 Die Befristungsregelung trägt der Ungewissheit Rechnung, die mit dem Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Produkte für das Ökosystem und die Gesundheit von Verbrauchern verbunden ist. Sie bedarf als konkrete, unbedingte und hinreichend genaue Regelung auch keiner Ausgestaltung durch den nationalen Gesetzgeber. Nach der Rechtsprechung des Zu den Ausnahmen sogleich im Text und Kapitel H. II. Vgl. IV. 5. b) aa). 677 Vgl. EuGH, NVwZ 2001, 61 (64, re, 47.); Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 188. 678 Zu ihr vgl. auch Kapitel B. IV. 1. 679 Vgl. dazu auch den Zweiten Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen mit dem Gentechnikgesetz, abgedruckt in Eberbach/Lange/Ronellenfisch, GenTG, S. 20, wonach sich Deutschland bereits vor dem Inkrafttreten der Richtlinie bereit erklärt hat, deren tragenden Grundsätze im Hinblick auf den Grundsatz der Vorsorge in den Zulassungsverfahren anzuwenden, soweit dies rechtlich möglich ist. 680 Rudolf Streinz, Europarecht, Rdn. 402. 681 EuGH, Rs. C-431/92, Slg. 1995, I-2189 Rdn. 24 f., 39 – Großkrotzenburg zur UVPPflicht; dazu Gerd Winter, ZUR 2002, 313 (313, li, 314, re). 682 Vgl. auch die Schlussanträge des Generalanwalts Michael B. Elmer zu EuGH, Rs. C-431/92, Slg. 1995, I-2189 (2198 ff., insbes. 2198, Nr. 11 und 2200, Nr. 13). 675 676

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EuGH darf das BVL also schon jetzt das Inverkehrbringen nicht mehr unbefristet genehmigen, obwohl die Richtlinie noch umzusetzen ist. 683 Für dieses Ergebnis spricht auch, dass Einwände der Mitgliedstaaten und Sanktionen der EG (z. B. im Wege eines Vertragsverletzungsverfahrens) vorbestimmt wären, wenn das BVL jetzt noch unbefristete Genehmigungen erteilte. Die Mitgliedstaaten und die EG dürften nicht bereit sein, gemeinschaftsweit wirkende unbefristete Genehmigungen zu dulden, obwohl die Freisetzungs-RiL eine Befristung vorsieht. Dem BVL wären daher die „Hände gebunden“, weil es ein Inverkehrbringen nur dann genehmigen darf, wenn das EG-Beteiligungsverfahren mit einer Einigung zwischen den Mitgliedstaaten endet oder die Kommission bzw. der Rat dem Inverkehrbringen zustimmt (vgl. §§ 3 IV GenTBetV). Bestünde das BVL folglich auf einer unbefristeten Genehmigung, könnte im Ergebnis gar keine Genehmigung erteilt werden. Daher dient eine befristete Genehmigung auch den Interessen des Betreibers. Denn eine befristete Genehmigung ist besser als gar keine, zumal sie gem. Art. 19 der Freisetzungs-RiL verlängert werden kann. bb) Materielle Prüfungspflichten von Behörden Maßgebliche Prüfungsnorm für ein Inverkehrbringen ist der drittschützende 684 § 16 II GenTG. Danach ist eine Genehmigung für ein Inverkehrbringen zu erteilen, wenn nach dem Stand der Wissenschaft im Verhältnis zum Zweck des Inverkehrbringens unvertretbar schädliche Einwirkungen auf die in § 1 Nr. 1 bezeichneten Rechtsgüter nicht zu erwarten sind. Im Unterschied zu gentechnischen Vorhaben im geschlossenen System und zur Freisetzung stellt § 16 II GenTG nicht auch auf den Stand der Technik ab. Dies ergibt sich aus der Natur des Inverkehrbringens, bei dem technische Schutzmaßnahmen wie Schleusen oder sonstige bauliche Maßnahmen von vorneherein ungeeignet sind. Grundlegende Änderungen hinsichtlich der Risikoermittlung und der Risikobewertung ergeben sich aus der bloßen Verpflichtung auf den „Stand der Wissenschaft“ aber nicht. Denn inhaltlich setzt auch die Genehmigung für ein Inverkehrbringen eine wertende, einzelfallabhängige Entscheidung darüber voraus, ob die Risiken, die von dem Produkt ausgehen, unter Berücksichtigung seiner Zwecksetzung sozialadäquat sind. 685 Vertretbar sind dabei nur solche Schäden, die zwangsläufig mit dem Inverkehrbringen verbunden sind, so etwa die Vernichtung von Schädlingen beim Anbau transgenen Saatguts.686 Darüber hinaus sind die zu erwartenden Vorteile des Inverkehrbringens mit den möglichen schädlichen Einwirkungen für die Umwelt und für Dritte abzuwägen. Dabei ist maßgeblich 683 Dies galt auch schon für das Robert Koch-Institut, das bis zur Änderung des Gentechnikgesetzes durch das Gesetz zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht zuständig war (vgl. BR-Drs. 600/03 und das Vorwort dieser Arbeit). 684 Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 234 ff. m. w. N. 685 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 16 Rdn. 30. 686 Siehe IV. 4. c) bb) (3) (3.3).

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auf Erkenntnisse zurückzugreifen, die im geschlossenen System und in Feldversuchen gewonnen wurden. Fehlen solche Erkenntnisse, dürfte eine Genehmigung zu versagen sein, weil die Ungewissheit zu groß ist und damit mehr als nur ein hinnehmbares Restrisiko vorliegt. Für eine darüber hinausgehende Bedürfnisprüfung, eine Technologiefolgenabschätzung, die prüft, ob die Freisetzung wirtschaftlich ist und gesellschaftlich verträglich 687 oder die Berücksichtigung sozio-ökonomischer Nachteile, die entstehen könnten, weil Landwirte an die Hersteller transgenen Saatguts gebunden werden 688, lassen die Genehmigungsvoraussetzungen des § 16 II GenTG keinen Raum. 689 Insbesondere erlaubt die Begrenzung der Genehmigungsvoraussetzungen auf nicht bestehende „unvertretbar schädliche Einwirkungen“ keine Versagung einer Genehmigung, weil bereits ähnlich wirksame konventionelle Produkte auf dem Markt sind. 690 Im einzelnen orientiert sich die erforderliche Bewertung des Risikos des Inverkehrbringens eines transgenen Produkts an der Risikobewertung bei Freisetzungen. Gerade das allergene Potential des Produkts und dessen toxische Wirkungen für die Gesundheit von Verbrauchern sowie dessen Wirkungen auf das Ökosystem sind zu berücksichtigen. Produkte, die Antibiotikaresistenzmarker enthalten, dürfen nach dem 31. Dezember 2004 nicht mehr zugelassen werden (Art.4 Freisetzungs-RiL). 691 Bestehende Risiken sind, soweit dies möglich ist, durch risikominimierende Maßnahmen zu bekämpfen, um ein Inverkehrbringen genehmigen zu können. Risikominimierend sind etwa ein Produkt als „allergieauslösend“ zu kennzeichnen oder den Markt daraufhin zu beobachten, ob sich Risiken realisieren, über die noch Ungewissheit herrscht. 692 Solche Maßnahmen dürfen dem Betreiber zur Pflicht gemacht werden. 693 Die Freisetzungs-RiL 2001/18/EWG 694, die eine Kennzeichnung transgener Produkte und deren Beobachtung am Markt über die Verordnungen 1829/2003/EG und 1830/2003/EG 695 hinaus auch für andere Produkte als genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel verlangt 696, ist zwar noch nicht umgesetzt. Ausführlicher zum Begriff siehe IV. 5. b) bb). Siehe dazu Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 143. 689 Siehe nur Wolfgang Graf Vitzthum/Tatjana Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, S. 100 und oben schon zur Freisetzung, IV. 5. b) bb) m. w. N. 690 Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 141; a. A. Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 16 Rdn. 29. 691 Zur Regelung bei Freisetzungen, bei denen ein Zulassungsverbot ab dem 1. Januar 2009 besteht oben IV. 5. b) bb). 692 Ähnlich Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 136, 137. 693 Vgl. auch Dieter Heublein, NuR 2002, 719 (722, li). 694 Zu ihr vgl. auch Kapitel B. IV. 1. 695 Zum Inhalt dieser beiden Verordnungen (Zulassung, Kennzeichnung, Überwachung für die Rückverfolgbarkeit) siehe IV. 1. 696 Zur Kennzeichnungspflicht vgl. Art. 13 II f) und g), Anhang IV Freisetzungs-RiL und zur Pflicht zur Erstellung von Überwachungsplänen siehe Art. 13 II e), 20 und Anhang VII Freisetzungs-RiL. 687 688

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Doch verpflichtet das Gentechnikgesetz Behörden zur bestmöglichen Risikovorsorge. Daher berechtigt auch schon das derzeitige Gentechnikgesetz dazu, Betreibern Kennzeichnungs- und Produktbeobachtungspflichten aufzuerlegen. Im übrigen verlangt der EuGH, dass noch nicht umgesetzte drittschützende Richtlinieninhalte auch von nationalen Behörden zu beachten sind, auch dann, wenn diese für den Betreiber nachteilig sind. 697 d) Nachträgliche behördliche Anordnungen Für repressive Anordnungen hält das Gentechnikgesetz mit den §§ 19 Satz 3, 12 VI, VII, 20, 25, 26 GenTG ein umfassendes Eingriffssystem bereit. Gem. § 25 I GenTG sind die zuständigen Überwachungsbehörden der Länder (z. B. die Ämter für Arbeitsschutz und technische Sicherheit in Mecklenburg-Vorpommern) für die Überwachung gentechnischer Vorhaben zuständig. Daneben dürfen auch die Zulassungsbehörden der Länder nachträgliche Maßnahmen erlassen (z. B. das Sozialministerium Mecklenburg-Vorpommern und das Regierungspräsidium Tübingen). Durch die repressiven Eingriffsmöglichkeiten wird der Bestandsschutz von Zulassungsentscheidungen beschränkt, um auf neuste wissenschaftliche Erkenntnisse reagieren zu können. 698 Sowohl Maßnahmen der Zulassungs- wie der Überwachungsbehörde dürfen ohne vorherige Stellungnahme der ZKBS ergehen. Weder die Befugnisnormen der Zulassungsbehörde (§§ 19, 20 GenTG) noch die Eingriffsermächtigungen der Überwachungsbehörde nach § 26 GenTG verpflichten dazu, die ZKBS vor einer Entscheidung heranzuziehen. aa) Befugnisse der Zulassungsbehörden Die Zulassungsbehörden können beispielsweise nachträgliche Anordnungen gegenüber genehmigungspflichtigen, genehmigten, anmeldepflichtigen und angemeldeten Vorhaben erlassen (§§ 19 Satz 3, 12 VI GenTG), die Durchführung gentechnischer Vorhaben einstweilig untersagen (§ 20 GenTG) oder Genehmigungen widerrufen oder zurücknehmen (§ 20 I GenTG i.V. mit §§ 48, 49 der VwVfG 699). 700 Nachträgliche Anordnungen sind erforderlich, aber auch ausreichend, wenn nur eine Anpassung der im Genehmigungsbescheid vorgesehenen Sicherheitsmaßnah697 EuGH, Rs. C-431/92, Slg. 1995, I-2189 Rdn. 24 f., 39 – Großkrotzenburg zur UVPPflicht; vgl. IV. 5. c) aa) zur ähnlichen Problematik bei der Befristung der Genehmigung für ein Inverkehrbringen. 698 Vgl. BT-Drs. 11/5622, S. 29 (zu § 17, Absatz 2); Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 120 für die Genehmigung. 699 Handeln die Länder gelten deren VwVfG, handelt das Robert Koch-Institut als Zulassungsbehörde (bei Freisetzungen und beim Inverkehrbringen) gilt das VwVfG des Bundes. 700 Gerhard Roller/Ralf Jüllich, ZUR 1996, 74 (74, re, 75, li).

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men an den aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik notwendig ist. 701 Auch genügt eine einstweilige Einstellung, wenn unklar ist, ob die Voraussetzungen für die Durchführung des jeweiligen Vorhabens gegeben sind (§§ 20 I, II GenTG). Sind demgegenüber unvertretbare Risiken dauerhaft nicht auszuschließen, ist der Widerruf oder die Rücknahme einer Genehmigung geboten. Allerdings sind der bloße Widerruf oder die Rücknahme noch keine vollstreckungsfähigen Verwaltungsakte. Dass ein gentechnisches Vorhaben nicht fortgesetzt wird, kann daher nicht mit ihnen allein durchgesetzt werden. Vielmehr bedarf es hierzu einer weitergehenden Untersagungsverfügung der Überwachungsbehörden der Länder. 702 Wird also eine gentechnische Anlage, Arbeit oder Freisetzung trotz Widerruf oder Rücknahme der Genehmigung weiter durchgeführt, muss die Überwachungsbehörde den Betrieb gem. § 26 I 2 Nr. 1 GenTG untersagen. Beim Inverkehrbringen ist eine auf § 26 I 3 GenTG gestützte Untersagungsverfügung zu erlassen. Ein nur anmeldepflichtiges Vorhaben ist demgegenüber von der Zulassungsbehörde nach § 12 VII GenTG zu untersagen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich ändert.703 § 12 VII GenTG enthält insofern eine Spezialregelung für die Untersagung anmeldepflichtiger Vorhaben 704. Bei der Entscheidung über eine Untersagung muss die Zulassungsbehörde aber stets den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Sie hat daher zu prüfen, ob auch eine einstweilige Einstellung oder ob nachträgliche Auflagen genügen, um die Risiken des Vorhabens wirkungsvoll zu bekämpfen. 705 Nachträgliche Auflagen können bei genehmigungspflichtigen Vorhaben nach § 19 Satz 3 GenTG angeordnet werden, bei nur anmeldepflichtigen Vorhaben gem. § 12 VI 2. HS GenTG i.V. mit § 19 Satz 3 GenTG 706. bb) Befugnisse der Überwachungsbehörden Nach der Generalklausel des § 26 I 1 GenTG sind die Landesbehörden berechtigt, alle denkbaren Maßnahmen zu erlassen, die erforderlich sind, um Verstöße gegen Vorschriften des Gentechnikrechts zu beseitigen und zu verhindern. 707 Insbesondere Hans-Heinrich Trute, in: Risikomanagement im öffentlichen Recht, S. 55 (76). Vgl. Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 20 Rdn. 7. 703 Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 12 Rdn. 94; a. A. Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 12 Rdn. 23, die sich für den Widerruf der (fiktiven) Zustimmung gem. § 26 I 2 Nr. 1 GenTG aussprechen. 704 Daher überzeugt es nicht, wenn Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 12 Rdn. 23 vertreten, der Widerruf der (fiktiven) Zustimmung sei auf § 26 I 2 Nr. 1 GenTG zu stützen (siehe dazu auch bereits oben IV. 5. a) bb). Hinzu kommt: der bloße Widerruf ist kein vollstreckungsfähiger Verwaltungsakt, so dass mit dem Widerruf oder einer Rücknahme alleine ein weiterer Betrieb nicht unterbunden werden könnte. 705 Hans-Heinrich Trute, in: Risikomanagement im öffentlichen Recht, S. 55 (78). 706 A. A. Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 19 Rdn. 20, der § 12 VI (bzw. § 12 VII 2 GenTG a. F.) für verzichtbar hält, weil gem. § 19 Satz 3 GenTG nachträgliche Auflage zur (fiktiven) Zustimmung in Betracht kommen. 707 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 26 Rdn. 3. 701 702

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dürfen sie einschreiten, wenn die erforderliche Anmeldung oder Genehmigung unterblieben ist, ein Grund zur Rücknahme oder zum Widerruf einer Genehmigung besteht oder wenn gegen Nebenbestimmungen oder nachträgliche Auflagen nach § 19 GenTG verstoßen wurde (§ 26 I 2 Nr. 1–3 i.V. mit Satz 3 GenTG). Beispielsweise kann das Inverkehrbringen transgener Saat gem. § 26 I 3 GenTG untersagt werden, wenn ein Inverkehrbringen nicht genehmigt wurde. 708 Auch kann angeordnet werden, dass solche Saat zu vernichten ist, sofern dies nötig ist, um Risiken bestmöglich zu bekämpfen. 709 Gegenüber genehmigten oder angemeldeten Vorhaben dürfen die Überwachungsbehörden grundsätzlich nur Anordnungen treffen, die nicht endgültig über die Zulassung des Vorhabens entscheiden. Sie sind deshalb auf vorübergehende Schutzmaßnahmen beschränkt, wenn sie andernfalls in die Zuständigkeit der Zulassungsbehörden eingreifen. 710 Die Untersagungsbehörde darf daher eine gentechnische Anlage endgültig stilllegen, wenn gegen eine Auflage der Zulassungsbehörde verstoßen wird und die Zulassungsbehörde für diesen Fall die Stilllegung vorgesehen hat. 711 Dagegen darf die Überwachungsbehörde eine von der Zulassungsbehörde erteilte Genehmigung nur vorläufig widerrufen, da die Entscheidung über die Genehmigung der Zulassungsbehörde obliegt. 712 Für die Kontrolle zulassungsfreier Vorhaben im geschlossenen System sind ausschließlich die Überwachungsbehörden der Länder zuständig. Dies folgt daraus, dass es bei zulassungsfreien Vorhaben rechtstechnisch überhaupt keine Zulassungsbehörde gibt, die zur Anordnung nachträglicher Maßnahmen berechtigt sein könnte. Hinzu kommt: die Überwachungsbehörden arbeiten typischerweise vor Ort. Daher sind sie besser für eine Kontrolle zulassungsfreier Vorhaben geeignet als die Zulassungsbehörden, die sich überwiegend auf Grund der Akten von der Sicherheit eines Vorhabens überzeugen. Für die Untersagung zulassungsfreier Vorhaben gelten daher § 26 I 2 Nr. 1 und Nr. 4 GenTG. Danach kann ein Vorhaben untersagt werden, wenn sich bei der Überwachung herausstellt, dass die vorhandenen sicherheitsrelevanten Einrichtungen und Vorkehrungen nicht mehr ausreichen, um schädliche Einwirkungen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik auszuschließen.

OVG Münster, NVwZ 2001, 110 ff. VG Schleswig, ZUR 2001, 409 (412, li ff.). 710 Vgl. Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 25 Rdn. 3; Gerhard Roller/Ralf Jüllich, ZUR 1996, 74 (74, re, 75, li); Ezra Zivier, Rechtsprobleme des Gentechnikrechts, S. 39 ff., insbes. S. 50 ff., 59 ff. 711 Gerhard Roller/Ralf Jüllich, ZUR 1996, 74 (79, re). 712 Gerhard Roller/Ralf Jüllich, ZUR 1996, 74 (79, li). 708 709

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B. Kontrollgegenstände

cc) Materielle Prüfungspflichten der zuständigen Behörde Wird gegen ein Vorhaben nicht nur deshalb eingeschritten, weil eine Genehmigung oder eine Anmeldung fehlt oder weil eine Auflage missachtet wurde, so verlangt jede repressive Maßnahme eine Gesamtabwägung darüber, ob nach dem Stand der Wissenschaft (und Technik) schädliche bzw. unvertretbare schädliche Einwirkungen auf die Rechtsgüter Dritter und die Umwelt zu erwarten sind. Erforderlich ist also ebenfalls eine Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen der §§ 11 I Nr. 3, 4 GenTG bzw. der §§ 16 I, II GenTG. Nach den §§ 19, 20, 26 GenTG „kann“ dabei eingeschritten werden, wenn Schutzvorkehrungen nach dem Stand der Wissenschaft (und Technik) erforderlich sind, um schädliche Auswirkungen eines Vorhabens zu verhindern. 713 Liegen aber mehr als hinnehmbare Risiken vor, gewährt das zweistufige Risikomodell des Gentechnikgesetzes Behörden kein Ermessen, sondern es verlangt, dass diese Risiken vollständig bekämpft werden. 714 Der Wortlaut „kann“ ist daher wie ein „Muss“ zu lesen, wenn die materiellen Anforderungen an ein gentechnisches Vorhaben nicht erfüllt sind. Die §§ 19, 20, 26 GenTG berechtigen Behörden daher lediglich zur Prüfung, ob mildere Maßnahmen als eine Untersagung zur Risikoabwehr genügen. Gegebenenfalls muss die Überwachungsbehörde, bevor sie ein Vorhaben untersagt, den Betreiber auffordern, sein Vorhaben anzumelden bzw. einen Genehmigungsantrag mit den notwendigen Informationen einzureichen.

V. Allgemeine Merkmale von Risikoentscheidungen nach dem Gentechnikgesetz Jede gentechnikrechtliche Behördenentscheidung fordert also, dass Behörden auf der Grundlage einer umfassenden Risikoermittlung entscheiden, ob sich das Risiko eines gentechnischen Vorhabens durch die Anordnung von Schutzvorkehrungen auf ein hinnehmbares bzw. vertretbares (Rest-)risiko reduzieren lässt. Gentechnikrechtliche Behördenentscheidungen sind daher Risikoentscheidungen. 715 Sie verlangen stets eine normativ-wertende Entscheidung, die Schutz- und Förderzweck des Gentechnikgesetzes beachtet. 716 Dabei sind mögliche Beeinträchtigungen der Grundrechte Dritter auf Leben und körperliche Unversehrtheit, auf Eigentum und eine ungestörte Berufsausübung abzuwägen mit den grundrechtlich geschützten Interessen 713 Koch/Ibelgaufts, GenTG, § 26 Rdn. 19; Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 19 Rdn. 25, § 26 Rdn. 4. 714 Vgl. 4. c) bb) (3) (3.3). 715 Udo die Fabio, Risikoentscheidungen, S. 136. 716 Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, § 1 Rdn. 25 Fn. 19; vgl. auch Michael Görke, Organisations- und Vollzugsprobleme im Bereich des Gentechnikrechts, S. 175.

V. Allgemeine Merkmale von Risikoentscheidungen

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des Betreibers aus Art. 5 III 1 2. Var., 12, 14 GG, den möglicherweise positiven Effekten für die Grundrechte potentieller Patienten und für die Umwelt (Art. 20 a GG). Gelegentlich wird vertreten, dass die Eigentumsfreiheit und die Umwelt in der Abwägung keinen so großen Stellenwert hätten als das Recht auf körperliche Unversehrtheit. 717 Das Recht auf Leben und Gesundheit stellt innerhalb des Grundgesetzes einen „Höchstwert“ dar. Hieraus darf aber nicht geschlossen werden, dass Eigentum und Umwelt stärker eingeschränkt werden dürfen. Den Eigentumsschutz von vorneherein zu begrenzen, widerspräche dem Stellenwert des Eigentumsgrundrechts. Art.14 GG wird zwar durch die Sozialpflichtigkeit des Art.14II GG beschränkt, doch wäre eine einseitige Bevorzugung von Allgemeinwohlbelangen mit der grundgesetzlichen Anerkennung des Privateigentums unvereinbar 718. Soweit das Eigentum für die Sicherung der persönlichen Freiheit des Eigentümers wichtig ist, genießt es besonderen Schutz. 719 Daher kann aus der Sozialpflichtigkeit nicht gefolgert werden 720, Art. 14 GG sei „a priori schwächer als andere grundrechtliche Gewährleistungen“. 721 Ebenso wenig lässt sich aus Art. 20 a GG ableiten, die Umwelt habe eine weniger starke Stellung als das Recht auf Leben und Gesundheit.722 Art. 20 a GG schützt die natürlichen Lebensgrundlagen und ist deshalb auch für den Einzelnen eine herausragend wichtige Norm. 723 Das Gentechnikgesetz erkennt dies an und differenziert nicht zwischen den Schutzobjekten Mensch und Umwelt.724 Auch Art. 20 a GG muss daher in der Risikoabschätzung besonders berücksichtigt werden. Wegen der überragenden Bedeutung des (Grundrechts-)Schutzes des Menschen und des Schutzes der Umwelt genießt der Schutz vor den Risiken der Gentechnik Vorrang gegenüber ihrer Förderung. 725 Es ist bestmöglicher Schutz durch eine einzelfallspezifische Risikobewertung zu gewähren; nicht aber darf die Realisierung eines Vorhabens durch überzogene Schutzvorkehrungen gehindert werden. Dieses Spannungsverhältnis ist bei der Grenzziehung zwischen den zu bekämpfenden Risiken und den hinnehmbaren, theoretisch ausgeschlossenen, rein hypothetischen Restrisiken unter Zuhilfenahme des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit 726 aufzulösen. Das verlangt Wertungen. 727 Dieses Wertungserfordernis ist ein WesenskriteArnim Karthaus, Risikomanagement, S. 120 f. BVerfGE 52, 1 (29), 71, 230 (247); vgl. auch BVerfGE 81, 208 (220): das Wohl der Allgemeinheit ist auch Richtschnur (Hervorhebung nicht im Original). 719 BVerfGE 102, 11 (17); 100, 226 (241); H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 14 Rdn. 43. 720 Siehe auch Kapitel E. IV. 1. 721 So aber Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 120 f. 722 So aber Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 120 f. 723 Siehe dazu auch Kapitel F. II. 2. b). 724 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 1 Rdn. 17. 725 Vgl. Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 120 f. 726 VG Freiburg, ZUR 2000, 216, 217 (li); vgl. auch Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 114 ff. 727 Udo di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, S. 125; vgl. Christian TünnesenHarmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 286. 717 718

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B. Kontrollgegenstände

rium gentechnikrechtlicher Risikoentscheidungen. Zudem ist keine absolut sichere Aussage über das Risiko eines gentechnischen Vorhabens möglich, weil eindeutige empirische wissenschaftliche Erkenntnisse fehlen. 728 Gentechnikrechtliche Risikoentscheidungen verlangen daher stets Prognosen 729 Mit einer gentechnikrechtlichen Risikoentscheidung, die typischerweise für Dritte und für das Ökosystem unumkehrbare Folgen haben kann, übernimmt der Staat auch große Verantwortung. Regelmäßig bedarf es für eine solche bedeutende Risikoentscheidung naturwissenschaftlicher Kenntnisse. 730 Dazu greift der Staat auf sachverständige Stellen zurück: stets entscheiden Fachbehörden, die meist mit Naturwissenschaftlern besetzt sind. Gegebenenfalls werden weitere hochqualifizierte Bundesbehörden wie die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) und das Robert Koch-Institut zur Beurteilung der Risiken herangezogen. Außerdem sind die Zulassungsentscheidungen nach dem Gentechnikgesetz maßgeblich durch die Stellungnahmen der ZKBS, eines hochkarätigen Expertengremiums, beeinflusst. Insoweit zeichnen sich gentechnikrechtliche Risikoentscheidungen durch ein kooperatives Zusammenwirken von staatlichen Behörden und privatem Sachverstand aus. 731 Insgesamt lassen sich gentechnikrechtliche Risikoentscheidungen daher als „komplex“ beschreiben, weil sie nicht einfach nach einem „wenn-dann-Schema“ gefällt werden können, sondern schwierig zu treffen sind und meist im Diskurs mit anderen Stellen ergehen. In jedem Fall müssen sich die zuständigen Behörden zu einem Ergebnis durchringen – gleich wie wissenschaftsabhängig ein Sachverhalt ist, wie prognosehaltig und wie viele Wertungen nötig sind, um die nach dem Stand von Wissenschaft (und Technik) erforderlichen Schutzvorkehrungen zu bestimmen. Denn es gehört zur Aufgabe von Behörden, abstrakt-generelle Regelungen auszulegen und den Einzelfall wertend zu entscheiden (Art. 20 II 2 GG).

Udo die Fabio, Risikoentscheidungen, S. 123. Udo die Fabio, Risikoentscheidungen, S. 123. 730 Zur Wissenschaftsabhängigkeit gentechnikrechtlicher Entscheidungen vgl. auch Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 137. 731 Vgl. Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 137. 728 729

C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen nach dem Gentechnikgesetz I. Prozessflut und gerichtliche Kontrolldichte – Hintergrund und Begriff des Beurteilungsspielraums In Kapitel B. wurde gezeigt, dass Behörden bei gentechnikrechtlichen Entscheidungen zu einer umfassenden Risikobeurteilung verpflichtet sind. Unabhängig davon, wie schwer ein Vorhaben zu beurteilen ist, müssen sie prüfen, abwägen und schließlich die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen anordnen. Wegen der ebenfalls in Kapitel B. vorgestellten Komplexität gentechnikrechtlicher Behördenentscheidungen erscheint fraglich, ob Gerichte im Fall eines Rechtsstreits eine vergleichbar intensive Kontrolle vorzunehmen haben und alle Schritte der Risikobewertung der Verwaltung bis ins letzte Detail nachvollziehen müssen. Zu diesen praktischen Schwierigkeiten kommt hinzu, dass Gerichte heute unter einer erheblichen Arbeitsbelastung leiden 1. Richter sind knapp 2, gleichzeitig gehen immer mehr neue Verfahren ein 3. Gerichtliche Verfahren dauern daher immer länger 4. So etwa musste auf eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung in der Hauptsache im Jahr 2001 durchschnittlich 17,5 Monate gewartet werden. 5 2000 waren es noch 17,2 Monate und 1998 sogar nur 15,9 Monate. 6 Selbst ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes dauerte durchschnittlich 2,8 Monate 7, obwohl in 99,1 % der Fälle keine BeVgl. Ernst Kutscheidt, NWVBl. 1995, 121 (125). Vgl. z. B. zur Personalsituation in Niedersachsen NordÖR, 194 (196f.) – trotz verbesserter Einstellungspraxis kann kurz- und mittelfristig nicht jede freie Richterstelle besetzt werden. 3 2001 waren am Jahresanfang bereits 179.214 Klagen anhängig, 116.861 kamen hinzu. Seit 1997 ist die Zahl der am Jahresende noch anhängigen Klagen mehr oder weniger konstant über 170.000. Vgl. hierzu die Arbeitsunterlage Verwaltungsgerichte 2001 des Statistischen Bundesamtes, S. 7. 4 Siehe hierzu Monika Böhm, DÖV 2000, 990 ff. 5 Arbeitsunterlage Verwaltungsgerichte 2001 des Statistischen Bundesamtes, S.17. Die Angabe bezieht sich auf Entscheidungen der allgemeinen Kammern der Verwaltungsgerichte (also ohne Asylkammern). 6 Arbeitsunterlage Verwaltungsgerichte 2001 des Statistischen Bundesamtes, S.17. Die Angabe bezieht sich auf Entscheidungen der allgemeinen Kammern der Verwaltungsgerichte (also ohne Asylkammern). 7 Arbeitsunterlage Verwaltungsgerichte 2001 des Statistischen Bundesamtes, S. 32: 2000 dauerte ein Verfahren noch 3,6 Monate (Arbeitsunterlage Verwaltungsgerichte 2001 des Statistischen Bundesamtes), also 12 % länger, doch hatten Gerichte 2001 auch 12 % weniger Fälle zu bearbeiten (2000: 55.675; 2001: 49.627). 1 2

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

weisaufnahme erfolgte 8. Die Situation im Gentechnikrecht scheint zudem verschärft, weil eine umfassende Kontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen nicht möglich ist, ohne Sachverständige zu hören. Denn Richter besitzen grundsätzlich nicht den nötigen naturwissenschaftlichen Sachverstand, um gentechnikrechtliche Vorhaben ohne Rückgriff auf Gutachter zu bewerten. Sachverständigengutachten einzuholen braucht aber weitere Zeit, ebenso die ausführliche Lektüre und Bewertung der Gutachten. Eine gerichtliche Entscheidung wird so aber hinausgezögert bzw., wenn vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden soll, eventuell sogar unmöglich. 9 Daher scheint es berechtigt, dass gerade bei solch komplizierten umweltrechtlichen Behördenentscheidungen nach Lösungen gesucht wird, wie Gerichte schneller kontrollieren können. Besonders beliebt ist der Vorschlag, dass Gerichte ihre übliche „Kontrolldichte“ lockern. 10 „Kontrolldichte“ meint dabei im Anschluss an Peter Lerche die Genauigkeit der gerichtlichen Kontrolle 11; manche sprechen auch von „Kontrollschärfe“ 12 oder „Kontrollintensität“ 13. Gerichte sollen also weniger gründlich, dafür aber rascher prüfen. 14 Insbesondere wenn ein Gesetz offen formuliert ist und bei seiner Anwendung durch Wertungen ausgefüllt werden muss, sollen sich Gerichte auf eine überschlägige „summarische“ Richtigkeitskontrolle 15 beschränken. Dies wird dadurch umschrieben, dass verlangt wird, der Verwaltung „Beurteilungsspielräume“ 16 oder „Letztentscheidungsrechte“ 17 bei der Anwendung wertungsbedürftiger unbestimmter Rechtsbegriffe einzuräumen. Auch wird von sog. „Beurteilungsermächtigungen“ 18 oder „Einschätzungsprärogativen“ 19 zu Gunsten der Verwaltung gesprochen, ganz allgemein von „Verwaltungsvorbehalten“ 20 oder gar blumig von einem Arbeitsunterlage Verwaltungsgerichte 2001 des Statistischen Bundesamtes, S. 34. Vgl. z. B. VG Berlin NVwZ-RR 1994, 151 (152, li). 10 Vgl. z. B. Monika Böhm, DÖV 2000, 990 (995, re); Ulrich Smeddinck, DÖV 1998, 370 (377, re); Dieter Wilke, Jura 1992, 186 (189, re, 193, re); Rainer Wahl, NVwZ 1991, 409 (412); Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch, S. 532. 11 Peter Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 335, 337. Überwiegend wird Peter Lerche als „Erfinder“ des Begriffs angeführt: vgl. z. B. Klaus Stern, NWVBl. 1994, 241 (244 Fn. 43); Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 62 (Fn. 42); nach Dieter Wilke, Jura 1992, 186 (187 Fn. 11 a) soll der Begriff zurückgehen auf Konrad Redeker, DÖV 1971, 757 ff. 12 Diesen Begriff bevorzugt etwa Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 62. 13 Vgl. referierend Ernst Kutscheidt, NWVBl. 1995, 121 (122, li). 14 Ernst Kutscheidt, NWVBl. 1995, 121 (122, li). 15 Vgl. VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 150 (152, li). 16 Otto Bachof, JZ 1955, 97 (98); Carl Hermann Ule, in: Gedächtnisschrift für W. Jellinek, S. 309; Joachim Schmidt-Salzer, Der Beurteilungsspielraum, S. 78 f. 17 Z. B. Christian Starck, in: Festschrift für H. Sendler, S. 167 (174). 18 Hugo Kellner, DÖV 1962, 572 (578, li); Hans-Jürgen Papier, HStR VI, §154 Rdn. 66; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 114 Rdn. 15; vgl. auch: BVerwGE 59, 213 (218); 62, 330 (331, 340); 72, 195 (200). 19 Hans J. Wolff, Verwaltungsrecht I, 7. Aufl., 1968, § 31 I c 4., S. 167. 20 Reinhard Mußgnug, VVDStRL 43 (1985), 239 f.; Christian Bamberger, VerwArch 93 (2002), 217 (222). 8 9

I. Prozessflut und gerichtliche Kontrolldichte

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„der Verwaltungsgerichtsbarkeit verbotenen Land“ 21. Ferner werden Umschreibungen gebraucht wie „Prognoseermächtigungen“ 22, „administrative Standardisierungsspielräume“ 23 oder die „Figur der exekutivischen Verantwortung für die Risikoermittlung und -abschätzung“ 24. Radikale Vorschläge gehen sogar so weit, eine nur begrenzte Kontrolle praktisch bei allen unbestimmten Rechtsbegriffen gesetzlich zu verankern, indem z. B. ein neuer § 114 a VwGO 25 geschaffen wird oder eine entsprechende materiellrechtliche Norm wie sie z. B. im Entwurf eines Umweltgesetzbuches vorgesehen ist (vgl. § 43 UGB-E) 26. Insgesamt sind die Beschreibungen von „Kontrollfreiräumen“ vielfältig. 27 Unterschiede zwischen den einzelnen Modellen sind jedoch allenfalls in Nuancen erkennbar; in ihrer Zielrichtung unterscheiden sie sich aber nicht. Überwiegend wird zum Ermessen abgegrenzt, das nur auf der Rechtsfolgenseite einer Norm EntscheidungsBernd Sommer, NJW 1970, 1061 (1062, re). Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rdn. 198 f.; Dieter Lorenz, Verwaltungsprozessrecht, § 5 Rdn. 35. 23 Rüdiger Breuer, NuR 1987, 49 (53, li); Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 108. 24 Rainer Wahl, NWwZ 1991, 409 (410, li). 25 Dies wurde z.B. vorgeschlagen vom Bundesratsausschuss für Innere Angelegenheiten bei der Beratung des Regierungsentwurfs der Verwaltungsgerichtsordnung (BT-Drs. 2/462). § 114 a II VwGO sollte danach lauten: „Ist die Verwaltungsbehörde durch einen unbestimmten Rechtsbegriff eingeschränkt oder gebunden, so liegt Rechtswidrigkeit nur insoweit vor, als die Beurteilung dieser Begriffe dem Sinn des Gesetzes widerspricht.“ Siehe dazu kritisch Otto Bachof, JZ 1955, 97 (97, re, 101 f.); Carl Hermann Ule, Gedächtnisschrift für W. Jellinek, S. 309 (330). Auch empfahl die „Unabhängige Kommission des Bundes zur Rechts- und Verwaltungsvereinfachung“ (Waffenschmidt-Kommission) vom 04.02.1985, der Verwaltung einen von Gerichten zu beachtenden Handlungsspielraum bei Prognose- und wissenschaftsabhängigen Entscheidungen einzuräumen. Kritisch dazu Gerd Schmidt-Eichstädt, DVBl. 1985, 645 (649 f.). Ebenso schlug Mecklenburg-Vorpommern 1993 Bund und Ländern vor, die gerichtliche Kontrolle von „Abwägungen, Prognosen oder Wertungen“ durch einen neuen § 114 a VwGO zu beschränken. Auch dieser Vorschlag wurde aber wegen seiner Weite abgelehnt, z. B. von Wolfgang Ewer, NVwZ 1994, 140 (141 f.). 26 Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch, S. 124 f.; § 43 UGB-KomE lautet: „Überprüfung von Prognosen und Bewertungen: Bei der Anwendung der umweltrechtlichen Vorschriften sind behördliche Prognosen und Bewertungen, die technischen oder naturwissenschaftlichen Sachverstand voraussetzen, im gerichtlichen Verfahren nur darauf zu überprüfen, ob 1. das für die Prognose oder Bewertung vorgeschriebene Verfahren eingehalten worden ist und 2. die behördliche Prognose oder Bewertung nachvollziehbar ist, insbesondere ob die Sachverhaltsermittlung und -feststellung zutreffend und vollständig ist, ob die einschlägigen technischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse in Betracht gezogen worden sind und die Bewertungsmaßstäbe der Sache angemessen sind.“ Vgl. dazu Rüdiger Breuer, UTR 45 (1998), 161 (181 f., 184, 197 ff., 201 f.), der diesen Vorschlag ablehnt, weil die gerichtliche Kontrolle pauschal beschränkt wird. 27 Vgl. im übrigen zur verwirrenden und kaum überschaubaren Begriffswahl: Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 430 ff. 21 22

9 Schmieder

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

freiräume der Verwaltung begründen soll. 28 „Gerichtsresistente Räume“ 29 im Tatbestand einer Norm, die bei der Anwendung wertungsbedürftiger unbestimmter Rechts- bzw. Gesetzesbegriffe 30 bestehen sollen, wie z. B. bei der Eignung einer Schrift zur Jugendgefährdung (§ 1 I GjS 31) oder der „nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Vorsorge“ (§7II Nr.3 AtG), werden demgegenüber mit dem Begriff des Beurteilungsspielraums oder synonymen Umschreibungen gekennzeichnet, wie sie zuvor genannt wurden. Verwendet der Gesetzgeber vieldeutige wertungsbedürftige unbestimmte Rechtsbegriffe, soll also nicht – wie üblich – festgestellt werden, wie der Fall beurteilt worden wäre, wenn der Richter an Stelle der Behörde als erster entschieden hätte. 32 Sondern weil mehrere Rechtsanwender bei der Anwendung solcher Begriffe zu unterschiedlichen gleichwohl vertretbaren Ergebnissen kommen können, wird nur „ein Weniger“ geprüft 33. Voll kontrollierbar soll die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs sein, da es zu Rechtsunsicherheit führte, wenn jede Behörde einen unbestimmten Rechtsbegriff anders auslegen dürfte. 34 Auch wird die Tatsachenermittlung einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle unterzogen, nicht aber die für die Rechtmäßigkeitsfrage entscheidende Subsumtion unter den wertungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriff. 35 Hier hätten Gerichte den „Beurteilungsspielraum“ der Behörde zu respektieren. Folge eines „Beurteilungsspielraums“ ist also, dass er die Gerichtskontrolle von Wertungsfragen – ähnlich wie die gerichtliche Kontrolle des Ermessens nach §114 Satz 1 VwGO – auf die Prüfung beschränkt, ob „Beurteilungsfehler“ vorliegen. 36 Stellt das Gericht fest, dass die Behörde den Sachverhalt richtig ermittelt hat, die Verfahrensvorschriften eingehalten, allgemeine Bewertungsmaßstäbe beachtet und keine sachfremden Erwägungen an28 Otto Bachof, JZ 1955, 97 (98, li); Hans-Jürgen Papier, HStR VI, §154 Rdn. 63; anders dagegen die Vertreter des „Tatbestandsermessens“ die nicht zwischen dem Standort des Spielraums differenzieren. So z. B. Christian Starck, in: Festschrift für H. Sendler, S. 167 (169 ff.); w. N. unten II. 1. b). 29 Vgl. Dieter Wilke, Jura 1992, 186 (192, re). 30 Eigentlich wäre es präziser von „unbestimmten Gesetzesbegriffen“ zu sprechen (so auch Otto Bachof, JZ 1955, 97 [98, re]; Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rdn. 28). Denn Begriffe des „Rechts“ (wie etwa „Rechtsmittel“ oder „Amtsermittlungsprinzip“) sind unbestimmte Rechtsbegriffe genau genommen nicht. Sondern sie sind Begriffe der Technik, der Wissenschaft oder z. B. der Pädagogik (so auch Roland Jarosch, DÖV 1974, 123 [124, li]). Was die Begriffe zum „Rechtsbegriff“ macht, ist nur ihre Verwendung in einem Gesetz. Jedoch hat sich der Ausdruck „unbestimmter Rechtsbegriff“ als terminus technicus eingebürgert, weshalb dieser im folgenden trotz seiner Ungenauigkeit gebraucht werden soll. 31 Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften, BGBl. I 1985, 1503 ff. 32 Vgl. BVerwGE 39, 197 (205); Hans-Uwe Erichsen, DVBl. 1985, 22 (26, li). 33 Mit dieser Feststellung: Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 430. 34 Hans-Jürgen Papier, DÖV 1986, 621 (624, li). 35 Z. B. Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rdn. 191 ff.; BVerwGE 39, 197 (203); dagegen schon für einen Beurteilungsspielraum bei Auslegung der Norm: z.B. Dietrich Jesch, AöR 82 (1957) 163 (178 ff., 234). 36 Vgl. Jan-R. Sieckmann, DVBl. 1997, 101 (102, li); Christian Bamberger, VerwArch 93 (2002), 217 (232).

II. Beurteilungsspielräume

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gestellt hat 37, so ist die Behördenentscheidung rechtmäßig und vom Gericht zu bestätigen. 38 Da dieses eingeschränkte Kontrollprogramm bei sämtlichen Spielarten von „Kontrollfreiräumen“ gilt 39, kann die gängige Bezeichnung „Beurteilungsspielraum“ als Oberbegriff für alle Kontrollbeschränkungen verstanden werden, die sich Gerichte bei der Anwendung wertungsbedürftiger unbestimmter Rechtsbegriffe auferlegen sollen. 40 Wenn in der folgenden Skizze der Entwicklung und Anerkennung von Kontrollfreiräumen durch Literatur und Rechtsprechung und in der weiteren Arbeit nur knapp von „Beurteilungsspielräumen“ gesprochen wird, so sind damit doch sämtliche Spielarten gerichtsresistenter Beurteilungsfreiräume der Verwaltung bei wertenden Behördenentscheidungen gemeint.

II. Beurteilungsspielräume in Literatur und Rechtsprechung 1. Entwicklung von Beurteilungsspielräumen durch die Literatur a) Die Ursprünge von Beurteilungsspielräumen Der Begriff des „Beurteilungsspielraums“ wurde 1955 von Otto Bachof entwickelt. 41 Daneben prägte Carl Hermann Ule das Dogma von nur begrenzt kontrollierbaren unbestimmten Rechtsbegriffen durch seine „Vertretbarkeitslehre“. 42 Hintergrund war die ausufernde Annahme von Ermessensentscheidungen durch das BVerwG. Selbst Begriffe wie die „Zumutbarkeit eines Zwangsmieters“ 43 oder die „Interessen des öffentlichen Verkehrs“ (§ 9 I PersBefG) 44 kontrollierte das BVerwG seiner Zeit nur auf Ermessensfehler. Solches Vorgehen wollten Otto Bachof und Carl Hermann Ule bekämpfen, indem sie deutlich zwischen Ermessen als Freiheit des Handelns und unbestimmten Rechtsbegriffen als Voraussetzung behördlicher Maßnahmen trennten und den „Beurteilungsspielraum“ bei vereinzelten unbestimmten Rechtsbegriffen als eigene Kategorie eines weniger weiten Kontrollfreiraums schufen. 45 Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rdn. 192. Otto Bachof, JZ 1955, 97 (99, re, 100, li, 102, re, 7.). 39 Vgl. Eberhard Schmidt-Aßmann/Thomas Groß, NVwZ 1993, 617 (624, re). 40 So auch Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 268; Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrechtsrecht, § 7 Rdn. 32, die Beurteilungsspielräumen insgesamt aber ablehnend gegenüber stehen, siehe dazu II. 2. b) c). 41 Otto Bachof, JZ 1955, 97 (98, li). 42 Carl Hermann Ule, Festschrift für W. Jellinek, S. 309 (318 f., 326). 43 BVerwG, nicht veröffentlichter Beschl. v. 12.06.1953 – I B 12.53; siehe hierzu die Darstellung bei Bachof, JZ 1955, 97 (101, li). 44 BVerwG, JZ 1954, 575 (576, li). 45 Otto Bachof, JZ 1955, 97 (98, li, 101, li, f.); ders., Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht, S. 232; Carl Hermann Ule, Gedächtnisschrift für W. Jellinek, S. 309 (312 f., 37 38

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

Doch war die Idee begrenzt kontrollierbarer unbestimmter Rechtsbegriffe damals nicht neu. Ansätze in diese Richtung finden sich im deutschen Rechtsraum schon Ende des 19. Jahrhunderts in Österreich. Dort wurde die Frage, wie tief Gerichte wertende Behördenentscheidungen kontrollieren sollen, erstmals ausgiebig erörtert. 46 Anlass der Diskussion war der Erlass einer Verwaltungsgerichtsordnung, welche Rechtsschutz gegen die Verwaltung durch unabhängig Verwaltungsgerichte garantieren sollte. 47 Allerdings wurde das „freie Ermessen der Verwaltungsbehörden“ einer gerichtlichen Kontrolle entzogen. Dies stellt § 3 lit. e) des Gesetzes über den österreichischen Verwaltungsgerichtshof vom 22. Oktober 1875 ausdrücklich klar 48. Mit „Ermessen“ war dabei nicht nur die Wahlfreiheit zwischen Rechtsfolgen gemeint, wie der Begriff heute ganz überwiegend verstanden wird 49. Sondern gemeint war ein weites Beurteilungsermessen, das nicht weiter unterschied zwischen Beurteilungsspielräumen auf der Tatbestandsseite einer Norm und einem beschränkt kontrollierbaren Handlungs- und Entschließungsermessen auf der Rechtsfolgenseite. 50 Von der Gerichtskontrolle ausgenommen wurden daher sowohl Entscheidungen, die Zweckmäßigkeitserwägungen verlangten wie Entscheidungen, bei denen Behörden vage Gesetzesbegriffe ausfüllen mussten. Schlicht alle Behördenentscheidungen, die Wertungen erforderten, wie z. B. die Beurteilung der „Feuergefährlichkeit“ einer Anlage, der „Wahrscheinlichkeit“ einer Gefahr oder der „besonderen Umstände eines Falles“, wurden deshalb nicht überprüft. 51 Besonders radikal verteidigte Edmund Bernatzik diese Ermessenspraxis des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs. 52 Dagegen griff Friedrich Tezner die Rechtsprechung scharf an, weil es Rechtsverweigerung sei, den Einzelnen abzuweisen, wenn er die Kontrolle unbestimmter Gesetzesbegriffe verlange. 53 Deshalb müs315 f.): Der unbestimmte Rechtsbegriffe liege in der Mitte zwischen „absoluter Bindung“ und Ermessen als „absoluter Freiheit“. Die Entscheidung nach einem unbestimmten Rechtsbegriff sei daher keine Entscheidung, die dem „Willensentschluss“ der Behörde überlassen ist (S.325). 46 Mit dieser Einschätzung auch Horst Ehmke, „Ermessen“ und „unbestimmter Rechtsbegriff“ im Verwaltungsrecht, S. 12. 47 Vgl. Friedrich Tezner, Die deutschen Theorien der Verwaltungsrechtspflege, S. 238. 48 Österr. RGBl. Nr. 36 für 1876. Gem. § 2 I konnte sich dagegen jedermann mit der Behauptung, durch eine gesetzwidrige Entscheidung oder Verfügung in seinen Rechten verletzt zu sein, an den Gerichtshof wenden. 49 Vgl. dazu z. B. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rdn. 55. 50 So auch Hanns Jürgen Weigel, Beurteilungsspielraum oder Delegationsbegriff?, S. 67. 51 Vgl. refererierend Friedrich Tezner, Das Freie Ermessen der Verwaltungsbehörden, S. 16. 52 Edmund Bernatzik widersprach einem rechtlich ungebundenem Ermessen und erkannte nur ein pflichtgemäßes, sog. „technisches“ oder „diskretionäres“ Ermessen an (ders., Rechtsprechung und materielle Rechtskraft, S. 41). Das war ein wesentlicher Fortschritt in der damaligen Verwaltungsrechtslehre. Doch schränkte er die Ermessenskontrolle stark ein, indem er diese auf eine „dolose oder culpose Pflichtverletzung“ beschränkte (S. 46). Im übrigen sollten die Verwaltungsgerichte den „subjektiven Empfindungen“ der Verwaltung (S. 43) bzw. „der Meinung des Urteilenden“ folgen (a. A. O., S. 44). Insofern sollten sie „keine Entscheidungsgewalt besitzen“ (S. 46). 53 Vgl. Friedrich Tezner, Das Freie Ermessen der Verwaltungsbehörden, S. 17, 3.

II. Beurteilungsspielräume

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se der Begriff des Ermessens eingeengt werden. 54 Gleichwohl trat auch Tezner dafür ein, kontrollfreie Räume bei wertenden Behördenentscheidungen anzuerkennen 55, wenn auch deutlich moderater als sein Gegenspieler Bernatzik. Nach Ansicht Tezners sollten Verwaltungsgerichte die Ausfüllung wertungsbedürftiger unbestimmter Rechtsbegriffe zwar kontrollieren, doch sollten sie sich auf das Urteil beschränken, ob die Behördenerwägung „vertretbar ist, ob sie gedanklich möglich ist und ob sich das, was die Behörde ausspricht, ‚hören lässt‘“ 56. Gewiss waren die Auffassungen Bernatziks und Tezners noch stark geprägt vom sogenannten monarchischen Prinzip 57, nach dem der Monarch grundsätzlich das letzte Wort haben sollte 58. Doch wurde schon damals mit „neuen Ideen“ argumentiert wie z.B. der Funktionentrennung zwischen der Verwaltung und der Verwaltungsgerichtsbarkeit 59 oder einer zu befürchtenden Doppelverwaltung durch voll kontrollierende Gerichte 60. Zudem lag den Lehren Bernatziks und Tezners der Ansatz zu Grunde, dass dort, wo ein Gesetz keine klaren Strukturen vorgebe, die Verwaltung als sachverständige Stelle zur eigenen rechtsschöpferischen Entscheidung berechtigt sei61. Dieser Ansatz findet sich auch in der Weimarer Zeit wieder. 62 Ähnlich wie der österreichische Verwaltungsgerichtshof legten manche deutsche Verwaltungsgerichte den Begriff des Ermessens weit aus und erstreckten ihn auf wertende Entscheidungen nach vagen unbestimmten Rechtsbegriffen. Während z. B. das Hamb. Vgl. Friedrich Tezner, Das Freie Ermessen der Verwaltungsbehörden, S. 103. Friedrich Tezner, Das Freie Ermessen der Verwaltungsbehörden, S. 105: „Das Bedürfnis der Verwaltung nicht bloß nach Gesetzes-, sondern auch nach Gerichtsfreiheit entspricht ihrem Wesen und ist darum unvergänglich“; ders., Die deutschen Theorien der Verwaltungsrechtspflege, S. 290: die Zuständigkeit zur Rechtsschutzgewährung höre dort auf, wo ein „anständiger und loyaler Verwaltungsbeamte“ in diesem Sinne gehandelt habe. 56 Friedrich Tezner, Das Freie Ermessen der Verwaltungsbehörden, S. 160: Verwaltungsgerichte sollten daher „nicht schon deshalb zur Behebung eines Verwaltungsaktes schreiten dürfen, weil auch das Entgegengesetzte möglich, die entgegengesetzte Anschauung vertretbar ist“. 57 Vgl. zum monarchischen Prinzip auch Hans Heinrich Rupp, Grundfragen, S. 201; Hermann Soell, Das Ermessen der Eingriffsverwaltung, S. 68 ff. 58 Vgl. Friedrich Tezner, Das Freie Ermessen der Verwaltungsbehörden, S. 29: „Freies Ermessen sollte somit die uneinnehmbare Bastion des autoritären Absolutismus innerhalb des konstitutionellen Staatsrechtes sein.“; und ders., S. 51: „Nahe liegt der Vergleich der Ermessensakte ... mit den der parlamentarischen Mitbestimmung entrückten Prärogativen des konstitutionellen Monarchen, ...“. 59 Vgl. Friedrich Tezner, Das Freie Ermessen der Verwaltungsbehörden, S. 105, 158: „Die Kontrolle der Verwaltung hat stets im Hinblick auf die Aufgabe der Verwaltung zu erfolgen“; vgl. dazu aus der gentechnikrechtlichen Rspr. z. B. OVG Berlin, ZUR 1994, 206 (208, li); VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (225, re). 60 Edmund Bernatzik, Rechtsprechung und materielle Rechtskraft, S. 46; vgl. dazu aus der gentechnikrechtlichen Rspr. z. B. VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13, S. 3. 61 Vgl. etwa Edmund Bernatzik, Rechtsprechung und materielle Rechtskraft, S. 43 f. 62 Auch beherrschte diese Ansicht die deutsche Verwaltungsrechtslehre zu Beginn des 20. Jahrhunderts, so Rudolf v. Laun, Das freie Ermessen und seine Grenzen, S. 21 m. w. N. 54 55

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

OVG 63 dehnbare Begriffe wie „Bedürfnis“ und „öffentliches Interesse“ als Rechtsfragen voll kontrollierte, verstand der Bay. VGH diese als Ermessensfragen 64. Da Art. 13 I Ziff. 3 des Gesetzes vom 8. August 1878 die Zuständigkeit des VGH in Ermessenssachen ausschloss 65, gewährte der VGH vielfach keinen Gerichtsschutz gegen wertende Behördenentscheidungen. Die Literatur bekräftigte dieses Vorgehen zum Teil, weil wertende Entscheidungen der Auffassung der entscheidenden Behörde überlassen bleiben müssten 66. Weiter wurde vertreten, dass wertende Behördenerwägungen „Gefühlssachen“ seien. 67 Zudem entwickelte Walter Jellinek die Lehre von den „Wertbegriffen“, die Behörden zum Handeln nach freiem Ermessen berechtigten. 68 Auch wenn Walter Jellinek auf diese Weise maßgeblich dazu beitrug, dass der Ermessensbegriff verkleinert und die Kontrolldichte verstärkt wurde 69, so wirkte doch auch bei ihm die Idee fort, dass wertende „rechtsschöpferische“ Behördenentscheidungen nicht voll nachprüfbar sein sollten 70. Als 1949 das Grundgesetz erlassen wurde, war die Idee eines weit verstandenen Bewertungsvorrechts der Verwaltung jedoch nicht mehr haltbar. Vielmehr musste diese Idee vor dem historischen Hintergrund aufgegeben werden, dass es Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt im Dritten Reich faktisch nicht mehr gegeben hatte und deshalb Art. 19 IV GG in das Grundgesetz aufgenommen wurde, um einen lückenlosen Rechtsschutz zu gewährleisten. 71 In den folgenden Jahren wurde daher betont, dass Gerichte zur vollen Überprüfung sämtlicher Behördenentscheidungen verpflichtet seien. Besonders entschieden bekämpfte Hermann Reuss die Praxis deutscher Gerichte, die an alte Zeiten anknüpfend auch das „kognitive Ermessen“ bei der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe nur jener Fehlerkontrolle unterwarf wie sie für das „volitive Ermessens“ als Wahlfreiheit zwischen mehreren Handlungsmöglichkeiten entwickelt worden war. 72 Auch musste nach 1949 von der Vorstellung Abstand genommen werden, dass die Verwaltung Erbin des monar63 Hamb. OVG, Entscheidungen der Hamburgischen Verwaltungsgerichte, Bd. I (1927), Nr. 17, 69 (70) – v. 30.01.1923 – zum öffentlichen Interesse als gesetzliche Voraussetzung für ein polizeiliches Einschreiten; ähnlich eng war die Ermessenskontrolle des Thür. OVG, vgl. dazu Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S.298 und des Sächs. OVG, vgl. dazu Günter Dürig, JZ 1958, 535 (536, re). Auch hat das Preuß. OVG selbst in der Hitlerzeit unbeirrt an der vollen gerichtlichen Kontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe festgehalten, vgl. dazu Paul van Husen, DVBl. 1953, 70 (71, li). 64 BayVGH, Entsch. Slg. Bd. 17 (1896), 83 (84 f.) – v. 27.11.1895 – zum Bedürfnis für die Verlegung einer Gastwirtschaft; mit weiteren Beispielen aus der Rspr. des BayVGH Rudolf v. Laun, Das freie Ermessen und seine Grenzen, S. 28. 65 Vgl. dazu BayVGH, Entsch. Slg. Bd. 17 (1896), 83 (85). 66 Walter Jellinek, VVDStRL 2 (1925), 8 (65). 67 Schlesinger, PrVBl. 44 (1922–1923), 199 (201, li). 68 Walter Jellinek, Deutsches Verwaltungsrecht, S. 32. 69 Walter Jellinek, VVDStRL 2 (1925), 8 (64). 70 Siehe auch Walter Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeit, S. 36 f.; ähnlich auch Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, S. 165. 71 Vgl. Hermann Reuss, DVBl. 1953, 585 (588, re).

II. Beurteilungsspielräume

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chischen Prinzips sei. 73 Denn nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus konnte die Schmälerung subjektiver Rechte nicht länger mit einem Bewertungsvorrecht von Behörden bei der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe als Voraussetzung behördlichen Handelns gerechtfertigt werden. 74 Ein Spielraum von Behörden beim Rechtsfolgeermessen wurde dagegen als zulässig erachtet, weil er sich nur auf die 72 73 74 75 Abschätzung der Rechtsfolgen bezog. 75 Trotz dieser grundsätzlichen Abkehr von kontrollfreien Spielräumen der Verwaltung bei der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe geriet die Auffassung, dass Gerichte auch bei anderen als Ermessensentscheidungen nicht zur vollen Kontrolle berechtigt sein sollten, aber nicht in Vergessenheit 76, sondern, wie bereits erwähnt, griff Otto Bachof das Thema 1955 wieder auf. Unter der Bezeichnung „Beurteilungsspielräume“ entwickelte er die Doktrin, dass dort, wo der Gesetzgeber die Verwaltung durch die Verwendung unbestimmter Rechts- bzw. Gesetzesbegriffe zu Wertungen gezwungen habe, die nicht durch Rückgriff auf gesicherte Erfahrungen ausgefüllt werden können, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer „Beurteilungsspielraum“ der entscheidenden Behörde anzuerkennen sei. 77 Zur Begründung führte Bachof an, dass es bei der Anwendung solcher unbestimmter Rechtsbegriffe, bei Wertbegriffen, im Unterschied zu den Erfahrungsbegriffen aus „normlogischen Gründen“ nicht nur eine „richtige“ Lösung gebe.78 Denn hier seien Wertungen erforderlich, weshalb immer mehrere Entscheidungen möglich seien, ohne dass eine Entscheidung davon aber unrichtig sein müsse. 79 Dieses rechtstheoretische Argument untermauerte Bachof damit, dass die Verwaltung oft die größere Sachkunde und Erfahrung besitze, um jene Wertungsentscheidungen zu treffen, die der unbestimmte Gesetzesbegriffe umschreibe. 80 Zudem gab Bachof zu bedenken, 72 Hermann Reuss, DVBl. 1953, 585 (589); Die Pflicht von Gerichten zur vollen gerichtlichen Kontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe betonten auch Paul van Husen, DVBl. 1953, 70 (72, li); Günter Dürig, JZ 1953, 535 (536, li). 73 Hans Heinrich Rupp, Festschrift für W. Zeidler, S. 455 (461). 74 Vgl. Walter Jellinek, Verwaltungsrecht, Nachtrag 1950, S. 7. 75 Otto Bachof, JZ 1955, 97 (98, li). 76 Vgl. hierzu Carl Hermann Ule, VerwArch 76 (1985), 1 (17): „Die Verwaltung wehrte sich mit Vehemenz gegen den Einbruch der Verwaltungsgerichte in ihren... ureigenen Bereich... die Kritik der Verwaltung richtete sich... gegen die von Verwaltungsgerichten in Anspruch genommene volle Nachprüfung der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ...“; Hans Heinrich Rupp, Festschrift für W. Zeidler, S. 455 (463): „Als nämlich nunmehr die Verwaltungsgerichte daran gingen, auch die verwaltungsbehördliche Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe voll zu überprüfen, entdeckte die Verwaltungsrechtswissenschaft, dass dies nicht im Sinne der Erfinder sei.“ 77 Otto Bachof, JZ 1955, 97 (99, re; 100, re). 78 Otto Bachof, JZ 1955, 97 (100, re). 79 Otto Bachof, JZ 1955, 97 (99, re). Bachof führt als Beispiel insbesondere das Polizeirecht an (vgl. S. 100). 80 Otto Bachof, JZ 1955, 97 (100, li). Bachof verwirft auch den möglichen Einwand, mit Hilfe von Sachverständigen wären Gerichte ebenso gut zur Entscheidung geeignet. Denn deren Meinungen seien oft „widersprüchlich“ (S. 100, li).

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

dass auch die Verwaltung eine eigenständige Staatsgewalt sei mit eigenem Verantwortungsbereich. Dies hätten Gerichte anzuerkennen, indem sie ihre Kontrollbefugnis überall dort beschränkten, wo nicht nur Erfahrungsbegriffe auszulegen seien. 81 Mit vergleichbaren Argumenten entwickelte Carl Hermann Ule fast zeitgleich seine Vertretbarkeitslehre, die dem Ansatz Friedrich Tezners 82 aus dem Jahre 1924 recht nahe kam. Aus der Verwendung eines sog. „normativen“ nicht nur „faktisch (deskriptiven)“ unbestimmten Rechtsbegriffs durch den Gesetzgeber schloss Ule, dass Gerichte die Wertung der Behörde solange als rechtmäßig hinzunehmen hätten, wie diese noch „vertretbar“ 83 sei, weil sich die Würdigung der Behörde dann im Rahmen des unbestimmten Rechtsbegriffs halte. In solchen Grenzfällen sollte es Verwaltungsgerichten verwehrt sein, ihr Urteil an die Stelle der Behördenentscheidung zu setzen. 84 Auch Dietrich Jesch votierte für eine begrenzte gerichtliche Kontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe. Dabei knüpfte er an die bildhafte Vorstellung an, dass Entscheidungen im „Begriffshof“ eines unbestimmten Rechtsbegriffs vage und daher schwer nachvollziehen seien. 85 Während Bachof und Ule ihre Ergebnisse aber auf den Willen des Gesetzgebers stützten, der Verwaltung die Letztentscheidung zu überlassen, begründete Jesch seine Lehre vom Beurteilungsspielraum vor allem prozessual 86. Im Bereich der Leistungsverwaltung billigte zwar auch Jesch durch das materielle Recht eröffnete Beurteilungsspielräume. 87 Doch lehnte er dies für den Bereich der Eingriffsverwaltung kategorisch ab, weil hier Art. 19 IV GG in Verbindung mit dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung eine volle gerichtliche Kontrolle fordere. 88 Insofern akzeptierte Jesch kontrollfreie Räume nur dort, wo es aus praktischen Gründen unmöglich war, dass sich Gerichte die Erfahrung und die Otto Bachof, JZ 1955, 97 (100, li). Friedrich Tezner, Das Freie Ermessen der Verwaltungsbehörden, S. 160: Verwaltungsgerichte sollten daher „nicht schon deshalb zur Behebung eines Verwaltungsaktes schreiten dürfen, weil auch das Entgegengesetzte möglich, die entgegengesetzte Anschauung vertretbar ist“. 83 Der Begriff der „Vertretbarkeit“ wird aber im Zusammenhang mit Beurteilungsspielräumen auch anders verstanden. Als „unvertretbar“ werden höchstpersönliche Fachurteile bezeichnet, die wegen der höchstpersönlichen Zuständigkeit eines Amtswalters von Gerichten nicht voll überprüft werden können (Unvertretbarkeitsargument), siehe BVerwGE 62, 330 (337); Hans Julius Wolff, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl., 1994, § 31 Rdn. 18. Auch wird der Begriff im Zusammenhang mit der Unwiederholbarkeit von Entscheidungen gebraucht (siehe Kapitel D. II. 3. a) aa) (2). 84 Carl Hermann Ule, Festschrift für W. Jellinek, S. 309 (326). 85 Dietrich Jesch, AöR 82 (1957), 163 (172 ff., 234) in Anlehnung an Philipp Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914, S. 46, 173. 86 Dietrich Jesch, AöR 82 (1957), 163 (241 f., insbes. 243); Rudi-Müller Glöge, Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle administrativer Immissionsprognosen, S. 107 Fn. 275 nennt Dietrich Jesch neben Walter Schmidt-Salzer als Hauptvertreter der prozessualen Lehre vom Beurteilungsspielraum. 87 Dietrich Jesch, AöR 82 (1958), 163 (247). 88 Dietrich Jesch, AöR 82 (1957), 163 (243 ff.). 81 82

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Spezialkenntnisse aneigneten, die zur Auflösung verwickelter Sachverhaltsstrukturen nötig gewesen wären. 89 b) Die Entwicklung im Anschluss an Bachof, Jesch und Ule Mit ihren Lehren hatten Bachof, Jesch und Ule eine lebhafte Diskussion über die verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte entfacht. 90 Gerade in den 60er und 70er Jahren erschien eine Flut von Beiträgen zum „Verhältnis der Verwaltung zur Verwaltungsgerichtsbarkeit“ und der damit verbundenen Frage, wie genau Verwaltungsgerichte wertende Behördenentscheidungen kontrollieren dürfen. Aber auch in der Folgezeit blieb die Thematik ein „Zentralthema der Verwaltungsrechtspflege“ 91 – und sie ist es bis heute geblieben. 92 Einige dieser Ansätze gilt es im folgenden darzustellen, besonders jene, die im Gentechnikrecht bei der Begründung des gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums wiederkehren 93. Diese sollen zunächst in ihrer „Urform“ skizziert werden, um schließlich in Kapitel D. zu bewerten, ob sie auch im Gentechnikrecht eine Beschränkung der Gerichtskontrolle rechtfertigen können. Zudem soll ihre Darstellung aufzeigen, wie stark die Idee, Beurteilungsspielräume zu schaffen, in Literatur und Rechtsprechung verwurzelt ist. Schon früh in die Kontrolldiskussion eingebracht hatte sich Hans Julius Wolff 94. In Anlehnung an Bachof sprach auch Wolff zunächst von einem „Spielraum“ 95 bzw. einem „Beurteilungsspielraum“ 96 der Verwaltung bei unbestimmten Rechtsbegriffen. In der siebten Auflage seines Lehrbuchs schränkte er den Begriff Beurteilungsspielraum dann aber ein auf sog. „Einschätzungsbegriffe“. 97 Damit meinte er unbestimmte Rechtsbegriffe, bei denen Behörden schätzen müssten, insbesondere bei Dietrich Jesch, AöR 82 (1957), 163 (232, 241 f.). Vgl. zur „Lebhaftigkeit“ der Diskussion z. B. Rainer Wahl, NVwZ 1991, 409 (409, li): „die nicht enden wollende Diskussion um die Kontrolldichte“, „Dauerdebatte“; Redeker/ v. Oertzen, VwGO, § 114 Rdn. 15 sprechen von einem „Zentralthema der Verwaltungsrechtspflege“ und führen über 70 Beiträge an, die von 1975 – 1997 erschienen sind (Rdn. 18 und 34); juris enthält aus jüngerer Zeit (1990–2003) allein 57 Aufsätze mit dem Titel „Beurteilungsspielraum“. 91 Das Thema war sogar Diskussionspunkt auf der Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer 1976, vgl. hierzu die Referate von Rupert Scholz und Eberhard Schmidt-Aßmann mit dem gleichnamigen Titel „Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit“, VVDStRL 34 (1976) 145 ff., 221 ff. 92 Vgl. Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, passim. 93 Vgl. III. 2. b) bb). 94 Hans Julius Wolff, Verwaltungsrecht I, 1. Aufl., 1956, § 31 I c), S. 116. 95 Hans Julius Wolff, Verwaltungsrecht I, 1. Aufl., 1956, § 31 I c), S. 116 und ders., Verwaltungsrecht I, 2. Aufl., 1958, § 31 I c), S. 129. 96 Hans Julius Wolff, Verwaltungsrecht I, 3. Aufl., 1956, § 31 I c) 2., S. 134; ders., Verwaltungsrecht I, 4. Aufl., 1961, § 31 I c), S. 140; ders., Verwaltungsrecht I, 5. Aufl., 1963, § 31 I c) 2., S. 144; ders., Verwaltungsrecht I, 4. Aufl., 1968, § 31 I c) 2., S. 148. 97 Hans Julius Wolff, Verwaltungsrecht I, 7. Aufl., 1968, § 31 I c), S. 167. 89 90

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der Bewertung zukünftiger Entwicklungen oder bei einem Verweis auf „ungesicherte außerrechtliche Maßstäbe“. Hier sollte ein kontrollfreier Spielraum von Behörden gerechtfertigt sein, weil Gerichte die Gründe der Verwaltung ungeachtet der Hilfe von Sachverständigen nicht „selbständig nachvollziehen“ und „deshalb auch nicht widerlegen“ könnten. Dieses Ergebnis umschrieb Wolff mit dem Begriff der „Einschätzungsprärogative“. 98 Daneben entwickelte Hugo Kellner 99 die „Faktorenlehre“, wonach bestimmte Behördenerwägungen, die einer Entscheidung nach unbestimmten Rechtsbegriffen vorgelagert sind, ebenfalls nur eingeschränkt kontrollierbar sein sollten. Als Beispiel nannte Kellner die behördliche Verkehrspolitik, die in den Begriff des „öffentlichen Verkehrsinteresses“ rezipiert sei und deshalb nicht Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle sein könne. Fritz Ossenbühl votierte hingegen dafür, das Problem mehr aus staatsrechtlicher als aus rechtsmethodischer Sicht zu behandeln. Daher verlangte er, eine Typologie beschränkt kontrollierbarer, weil der Exekutive vorbehaltener administrativer Beurteilungsermächtigungen zu entwickeln. 100 Als einschlägige Fallgruppen nannte Ossenbühl unvertretbare Entscheidungen, verbindliche Wertungen durch besondere Verwaltungsorgane, die sachverständig und pluralistisch besetzt sind, Prognoseentscheidungen, und gestaltende (Plan-)entscheidungen. 101 Der besonderen Natur von Prognoseentscheidungen widmeten sich auch Michael Nierhaus und Peter J. Tettinger. Nicht jede Prognoseentscheidung sollte einen Beurteilungsspielraum rechtfertigen. 102 Doch wurde ein Prognosesspielraum verlangt bei planerisch-programmatischen Prognosen 103 oder bei der Bewertung komplexer Sachverhalte, welche die Einbeziehung vielfältiger Wirkungszusammenhänge forderten 104. Hanns Jürgen Weigel lehnte dagegen sämtliche Ansätze zur Anerkennung von Beurteilungsspielräumen ab, weil sie mit dem Demokratieprinzip unvereinbar seien. 105 Weigel entwarf daher einen abweichenden, die richterliche Kontrollmacht aber ebenfalls verkürzenden Ansatz. Wertende unbestimmte Rechtsbegriffe sollten als „Delegationsbegriffe“ verstanden werden. So sollte ihre Anwendung im Einzelfall nur am Maßstab des Art. 80 GG kontrolliert werden können. 106 Weigels Ansätze Hans Julius Wolff, Verwaltungsrecht I, 7. Aufl., 1968, § 31 I c), S. 167. Hugo Kellner, DÖV 1962, 572 (582, li); ders., NJW 1966, 857 (863, re). 100 Fritz Ossenbühl, DVBl. 1974, 309 (311, li). 101 Fritz Ossenbühl, DVBl. 1974, 309 (311 ff.). 102 Peter J. Tettinger, DVBl. 1982, 421 (425, li, 427, li); Michael Nierhaus, DVBl. 1977, 19 (23, li). 103 Peter J. Tettinger, DVBl. 1982, 421 (426, re); Michael Nierhaus, DVBl. 1977, 19 (23, re, f.). 104 Peter J. Tettinger, DVBl. 1982, 421 (425, re); Michael Nierhaus, DVBl. 1977, 19 (23, li). 105 Hanns Jürgen Weigel, Beurteilungsspielraum oder Delegationsbegriff?, S. 168 ff. 106 Hanns Jürgen Weigel, Beurteilungsspielraum oder Delegationsbegriff?, S. 172 ff. 98 99

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setzten sich aber nicht durch. Vielmehr wurde die Lehre vom Beurteilungsspielraum konsequent weiter entwickelt. Im Anschluss an das Whyl-Urteil des BVerwG 107 geriet sogar eine neue Spielart des Beurteilungsspielraums in den Fokus der Diskussion. Auch „normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften“ sollten als „ausgeübte Beurteilungsermächtigung“ die Gerichtskontrolle beschränken können 108. Im Unterschied zu norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften sollten solche Verwaltungsvorschriften für Gerichte verbindlich sein. 109 Gerade im Umwelt- und technischen Sicherheitsrecht, das auf „außerrechtliche Regelwerke“ technischer und wissenschaftlicher Art angewiesen ist, fand diese Idee denn auch zahlreiche Anhänger; so etwa 110 Michael Gerhardt 111, Hermann Hill 112 und Udo Di Fabio 113. Außerdem wurde die alte Theorie vom Tatbestandsermessen wieder aufgegriffen. Z. B. forderten Walter Schmidt 114, Klaus Obermayer 115, Gerd Schmidt-Eichstädt 116 und Christian Starck 117 von der Unterscheidung zwischen Ermessen und Beurteilungsspielräumen „Abschied zu nehmen“ und die Gerichtskontrolle auch bei wertungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriffen auf der Tatbestandsseite einer Norm auf eine Ermessenskontrolle zu beschränken. 118 Die herrschende Lehre nahm diesen Vorschlag aber zu Recht nicht an. 119 Mit dem Argument, dass Ermessen zur Freiheit tendiere, unbestimmte Rechtsbegriffe dagegen zur Bindung, trennte sie BVerwGE 72, 300 (315 ff.) – Whyl – v. 19.12.1985. Udo di Fabio, DVBl. 1992, 1338 (1340, re); Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften waren 1986 auch Gegenstand des Verwaltungsrichtertags in Saarbrücken, vgl. dazu Michael Gerhardt, NJW 1989, 2233 (223, re). 109 Z. B. Michael Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2234, re); a. A.: Hans-Joachim Koch, ZUR 1993, 103 (106 f.); Rüdiger Breuer, DVBl. 1978, 28 (34), sofern die Verwaltungsvorschriften keine planerisch-politische Wertung erfordern und sie nicht von einem sachverständig und pluralistisch zusammengesetzten Gremium erlassen worden sind. 110 Siehe auch Robert Uerpmann, BayVBl. 2000, 705 (709, re). 111 Michael Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2234, re, der hier auch zum „antizipierten Sachverständigengutachten“ als „eine Art Beweisregel“ abgrenzt, 2237, li). 112 Hermann Hill, NVwZ 1989, 401 (403, re, 407 f.). 113 Udo di Fabio, DVBl. 1992, 1338 (1340, re). 114 Walter Schmidt, NJW 1975, 1753 (1755). 115 Obermayer, VwVfG, 1. Aufl., 1983, § 40 Rdn. 39. 116 Gerd Schmid-Eichstädt, AöR 98 (1973), 173 (176 ff., 190, 193 ff.). 117 Christian Starck, Festschrift für H. Sendler, S. 167 (169, 176, 181). 118 Vgl. auch Meyer/Borgs-Maciejewski, VwVfG, 2. Aufl., 1982, § 40 Rdn. 18 ff.; Michael Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 114 (Stand Mai 1997) Rdn. 4; Ulrich Smeddinck, DÖV 1998, 370 (374, 377, li); und Horst Ehmke, „Ermessen“ und „unbestimmter Rechtsbegriff“ im Verwaltungsrecht, S. 34 f., 45 ff., der eine einheitliche Kontrolle von Ermessen und unbestimmten Rechtsbegriffen aber nicht durch die Erstreckung der Ermessensfehlerlehre auf unbestimmte Rechtsbegriffe erreichen will (a. a. O., S. 42), sondern der das übliche Kontrollprogramm auf „eine judizielle Rechtskontrolle“ beschränken möchte (a. a. O., S. 43 f., 45). 119 Vgl. z. B. Hans-Jürgen Papier, HStR VI, § 154 Rdn. 63. 107 108

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

weiterhin strikt zwischen einem nach § 114 VwGO nur eingeschränkt kontrollierbarem Verwaltungsermessen und grundsätzlich voll kontrollierbaren unbestimmten Rechtsbegriffen. 120 Auf diese Weise wurde gewährleistet, dass die Lehre vom Beurteilungsspielraum begrenzt blieb. 121 Daher konnten sich auch gelegentliche Versuche nicht durchsetzen, Gerichte von sämtlichen wertenden Behördenentscheidungen mit wissenschaftlich-technischem Einschlag fernzuhalten122. 2. Der heutige Stand der Diskussion – die wesentlichen Strömungen Die Auffassung, dass Beurteilungsspielräume Ausnahmen sind, beherrscht auch die heutige verwaltungsrechtliche Literatur. Grundsätzlich wird betont, dass unbestimmte Rechtsbegriffe voll kontrolliert werden müssen. 123 Dies wird oft damit begründet, dass es bei unbestimmten Rechtsbegriffen im Gegensatz zum Ermessen als Wahlfreiheit zwischen mehren Verhaltensweisen immer nur eine richtige Entscheidung gibt. 124 a) Die herrschende Ansicht: Die Normative Ermächtigungslehre Nach herrschender Ansicht soll der Gesetzgeber die richterliche Kontrolle aber in bestimmten Fällen innerhalb der Grenzen zurücknehmen dürfen, die ihm durch die Grundrechte, den Gesetzesvorbehalt und den Bestimmtheitsgrundsatz gesetzt sind. 125 Diese vor allem von Eberhard Schmidt-Aßmann geprägte „normative Er120 Z. B. Joachim Schmidt-Salzer, Der Beurteilungsspielraum, S.52 f.; Ernst Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band I, Allgemeiner Teil, § 5, S. 89 ff., 95, 100; so auch schon Otto Bachof, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht, S. 231 f.; Carl Hermann Ule, Gedächtnisschrift für W. Jellinek, S. 309 (312 f., 315 f., 325). Grundlegend auch Rudolf von Laun, Das Freie Ermessen und seine Grenzen, S. 62 f., 258 ff. 121 Vgl. Konrad Redeker, DÖV 1971, 757 (757, re); Rüdiger Breuer, UTR 45 (1998), 161 (181); und auch schon Otto Bachof, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht, S. 232. 122 So aber Rupert Scholz, Festschrift zum 125 jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, S. 691 (712); a. A. Jörn Ipsen, VVDStRL 48 (1990), 177 (200 f.). 123 Vgl. z. B. Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 19 IV Rdn. 95; Guy Beaucamp, JA 2002, 314 (315, li). 124 Wolf-Rüdiger Schenke, in: BK, Art. 19 IV Rdn. 337; Ulrich Battis, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 171; Rudi Müller-Glöge, Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle administrativer Immissionsprognosen, S.109; Hugo Kellner, DÖV 1961, 572 (576, li, 578, li); Fritz Ossenbühl, DÖV 1972, 401 (402, re); Fritz Czermak, DVBl. 1966, 366 (366, re); grundlegend bereits Hellmuth Loening, DVBl. 1952, 200 (re); Hermann Reuß, DVBl. 1953, 585 (587); 649 (449, re, 651, li); a. A.: Carl Hermann Ule, AöR 76 (1985), 1 (19); ders., Festschrift für W. Jellinek, S. 309 (323 f.); Otto Bachof, JZ 1955; Dietrich Jesch, AöR 82 (1958), 163 (172 ff., 221); Gerd Schmidt-Eichstädt, AöR 98 (1973), 173 (179); BVerwGE 39, 197 (203) – das Theorem der nur einen richtigen Entscheidung wird hier als Fiktion bezeichnet. 125 Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rdn. 185 unter Verweis auf BVerfGE 61, 82 (111, 114) – Sasbach; Eberhard Schmidt-Aßmann/Thomas Groß, NVwZ 1993, 617 (621, 620, li).

II. Beurteilungsspielräume

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mächtigungslehre“ ist heute entscheidende Basis für Beurteilungsspielräume.126 Da Art. 19 IV GG dem Gesetzgeber nicht verbiete, die Reichweite subjektiver öffentlicher Rechte zu bestimmen 127, wird ein Beurteilungsspielraum anerkannt, wenn das materielle Recht anordnet, dass nicht Gerichte letztverantwortlich entscheiden sollen, sondern die zuständige Behörde. 128 Eine ausdrückliche Kontrollbeschränkung wie im Kartellrecht (§ 71 V 2 GWB 129) wird dabei nicht verlangt. Ausreichend ist, dass der streitentscheidenden Norm durch Auslegung entnommen werden kann, dass der Gesetzgeber einen Kontrollfreiraum schaffen wollte. 130 Neben dem Wortlaut der Norm können hierfür die Normstruktur sprechen, das Gesetzesprogramm, die Art des Verwaltungsverfahrens 131, aber auch die Komplexität des Rechtsgebiets 132. Zwar sollen die Unbestimmtheit eines Begriffs, die Ungewissheit einer Entscheidung oder die Eigengesetzlichkeit der geregelten Materie aus sich heraus keinen Beurteilungsspielraum rechtfertigen. 133 Doch werden solche Kriterien als Nachweis für eine normative Ermächtigung gewertet, vor allem wenn eine Entscheidung Prognosen und naturwissenschaftliche Kenntnisse verlangt. 134 Auch soll die Höchstpersönlichkeit oder die Komplexität einer Entscheidung belegen, dass die Verwaltung das letzte Wort hat, weil Gerichte solch „unvertretbares“ Behördenhandeln nicht re126 So Rainer Wahl, NVwZ 1991, 409 (410, re mit Fn. 10), der Eberhard Schmidt-Aßmann als denjenigen anführt, der die normative Ermächtigungslehre maßgeblich in die Dogmatik eingeführt hat; siehe des Weiteren Peter Michael Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 19 IV Rdn. 516; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 19 Rdn. 48; Walter Krebs, in: v. Münch/Kunig, Art. 19 Rdn. 65; Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 19 IV Rdn. 102; Konrad Redeker, NVwZ 1992, 305 (307, li); Christian Bamberger, VerwArch 93 (2002), 217 (223) und wenn auch enger Hans-Jürgen Papier, DÖV 1986, 621 (624, re, 626, re). 127 Eberhard Schmidt-Aßmann/Thomas Groß, NVwZ 1993, 617 (619, 621, li). 128 Siehe z. B. Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rdn. 191; Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 19 IV Rdn. 92, 94; Hugo Kellner, DÖV 1961, 572 (583, re); ders., NJW 1966, 857 (862, re). 129 §71 V 2 GWB lautet: „Die Würdigung der gesamtwirtschaftlichen Lage und Entwicklung ist ... der Nachprüfung des Gerichts entzogen.“. 130 Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rdn. 184; Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 19 IV Rdn. 517; Hans-Jürgen Papier, Die Stellung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im demokratischen Staat, 1979, S. 33 f.; für eine engere Fassung der normativen Ermächtigungslehre angelehnt an die Wesentlichkeitsrechtsprechung des BVerfG dagegen Olaf Reidt, DÖV 1992, 916 (919, re, f.). 131 Udo Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 279 Fn. 44 und S. 281; Peter Michael Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art.19 IV Rdn.516; vgl. auch Hermann Hill, NVwZ 1989, 401 (403, re). 132 Rüdiger Breuer, NVwZ 1988, 104 (108, 111); Rainer Wahl, NVwZ 1991, 409 (411, re). 133 Eberhard Schmidt-Aßmann/Thomas Groß, NVwZ 1993, 617 (621, re, 623, li); Christian Hofmann, NVwZ 1995, 740 (742, li); Christian Bamberger, VerwArch 93 (2002), 217 (227, 253). 134 Wolf-Rüdiger Schenke, in: BK, Art. 19 IV Rdn. 351; Kopp/Ramsauer, VwGO, § 114 Rdn. 37 ff.; Dieter Czajka, DÖV 1982, 99 (107, re, f.); ders., in: Recht und Technik im Spannungsfeld der Kernenergiekontroverse, S. 182 (194 ff.); Rüdiger Breuer, NuR 1994, 157 (162, li); Ralph A. Kroh, DVBl. 2000, 102 (106, re); Rainer Wahl, NVwZ 1991, 409 (411 mit Fn.20).

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

konstruieren könnten. 135 Je offener die Norm und je schwieriger die Rekonstruktion der Verwaltungsentscheidung, desto geringer soll die richterliche Kontrolle sein. 136 Zudem wird der staatstheoretische Ansatz, das Gewaltenteilungsprinzip zwinge zur Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle, in den Dienst der normativen Ermächtigungslehre gestellt. 137 Etwa wird aus einer besonderen Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens ein Beurteilungsspielraum hergeleitet 138, insbesondere dann, wenn der Gesetzgeber sachverständige Gremien zur Entscheidung (mit)herangezogen hat 139. b) Die Lehre vom prozessualen Beurteilungsspielraum Die normative Ermächtigungslehre ist aber nicht unbestritten. Angegriffen wird sie von den Vertretern der „prozessualen Lehre vom Beurteilungsspielraum“, z. B. 140 von Walter Schmidt-Salzer 141 und Hartmut Maurer 142. Beide kritisieren, dass die normative Ermächtigungslehre den Rechtsschutz durch eine Vielzahl von Sachgründen begrenzt. Mit Art. 19 IV GG sollen Kontrollbeschränkungen aber nur dort vereinbar sein, wo Gerichte an ihre Funktionsgrenzen stoßen. 143

135 Udo Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 279 mit Fn. 44, der als Beispiel komplexe Verwaltungsverfahren anführt; Hugo Kellner, DÖV 1962, 572 (577) zur Beurteilungsermächtigungen bei Prüfungen, hier zur „Befähigung zum Richteramt“ nach §9 DRiG; vgl. auch Dieter Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers, S. 26 f., der zudem fordert, dass die Entscheidung durch eine unabhängige Stelle erfolgen müsse. 136 Siehe nur Rainer Wahl, NVwZ 1991, 409 (411 ff.). 137 Vgl. z. B.: Helmuth Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 (779, li); Fritz Ossenbühl, NVwZ 1982, 465 (469, re); dezidiert: Everhard Franßen, Festschrift für W. Zeidler, S. 429 (443 ff.). 138 Z. B. Helmuth Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 (779, re); Christian Starck, Festschrift für H. Sendler, S. 167 (174); Rainer Wahl, NVwZ 1991, 409 (414, li). 139 Z. B. Konrad Redeker, DÖV 1971, 757 (760, li); Fritz Ossenbühl, DVBl. 1974, 309 (313, li); Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 281 f., 286; Rüdiger Breuer, UTR 45 (1998), 161 (201); Martin Vomhof, Rechtsprobleme der Einbindung von sachverständigen Gremien, S. 151 ff; Christian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen, 1988, S. 175 ff., 286. 140 Grundlegend Dietrich Jesch, AöR 82 (1957), 163 (232, 241 f.); Siehe außerdem Guy Beaucamp, JA 2002, 314 (318, re, 319 li). 141 Walter Schmidt-Salzer, Der Beurteilungsspielraum, S. 76 f., 79. 142 Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rdn. 56 ff. 143 Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rdn. 62; ders., Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, 2. Band, S. 467 (490); Walter Schmidt-Salzer, Der Beurteilungsspielraum, S. 78 f.

II. Beurteilungsspielräume

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c) Beurteilungsspielräume ablehnende Ansichten Andere, wie Fritz Czermak 144, Horst Bauer 145, Hans Heinrich Rupp 146, Jörn Ipsen 147, Martin Ibler 148, Peter Becker 149 und auch Ferdinand Kopp 150 sind noch strenger. 151 Sie lehnen gesetzlich vorgegebene Kontrollbeschränkungen dezidiert ab, weil effektiver Rechtsschutz i. S. von Art. 19 IV GG solche verbiete, besonders dort, wo Grundrechte intensiv geschmälert werden. Die von der herrschenden Lehre für Beurteilungsspielräume vorgetragenen Argumente werden daher verworfen, und zwar auch dann, wenn eine Entscheidung technisch-wissenschaftlichen Sachverstand erfordert 152. Vor allem wird dem Ansatz widersprochen, dass eine wirkungsvolle Verwaltungstätigkeit a priori gerichtsresistente Räume fordert. 153 Hingegen wird vertreten, dass die Beweiswürdigung ausreichend Möglichkeiten eröffnet, um das „Spannungsverhältnis“ zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit zu lösen. 154

Fritz Czermak, NJW 61, 1905 (1906, re; 1907, re); ders., JuS 1968, 399 (402 f.); ders., NJW 1992, 2612 (2613). 145 Horst Bauer, Gerichtsschutz als Verfassungsgarantie, S. 136 f. 146 Hans Heinrich Rupp, Grundfragen, S. 212 ff.; ders., Festschrift für W. Zeidler, S. 455 (467): Nur im Prüfungsrecht will Rupp eine Ausnahme zulassen. Die Chancengleichheit stünde hier ausnahmsweise einer vollen gerichtlichen Kontrolle entgegen; a. A. Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz im Verwaltungsrecht, S. 376. 147 Jörn Ipsen, AöR 107 (1982), 259 (292 f.); ders., VVDStRL 48 (1990), 177 (200 f.). 148 Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 256 ff.; ders., Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 426 f., 458 f. 149 Peter Becker, Festschrift für H. Simon, S. 623 (625 f., 662). 150 Ferdinand Kopp, VwVfG, 6. Aufl., 1996, § 40 Rdn. 34; ders., DÖV 1996, 317 (321, re, 322, re). 151 Grundlegend auch Hermann Reuß, DVBl. 1953, 649 (650, re, 651 li); ders., DVBl. 1953, 585 (589, re); Ernst Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band I, Allgemeiner Teil, § 5, S. 90 Fn. 1: „Neben Rechtsanwendung und Ermessen kann es kein Drittes geben“ denn „der Justizstaat, wie ihn das Grundgesetz (Art.19 Abs. 4) aufgerichtet hat, fordert den umfassenden Rechtsschutz“; restriktiv auch Jan-R. Sieckmann, DVBl. 1997, 101 (107, re), der einen Beurteilungsspielraum nur zur Grundrechtsoptimierung zulassen will; und Max Emanuel Geis, JZ 1993, 792 (794, re), der eine dogmatische Neuausrichtung des Beurteilungsspielraums verlangt, die den grundrechtlichen Einfluss stärker berücksichtigt. 152 Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 286; Jörn Ipsen, AöR 107 (1982), 259 (292 f.); ders., VVDStRL 48 (1990), 177 (200 f.). 153 Ferdinand O. Kopp, DÖV 1966, 317 (322); Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 259. 154 Ferdinand O. Kopp, DÖV 1966, 317 (322); Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz im Verwaltungsrecht, S. 424, 427; Fritz Czermak, JuS 1968, 309 (403). 144

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

3. Anerkennung von Beurteilungsspielräumen durch die Rechtsprechung a) Annerkennung von Beurteilungsspielräumen durch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist indessen der herrschenden Lehre gefolgt. 155 Auch sie betont, dass unbestimmte Rechtsbegriffe grundsätzlich der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegen. 156 Gleichwohl belässt sie der Verwaltung bei bestimmten Entscheidungen „Bewertungsfreiräume“ kraft einer gesetzlichen Beurteilungsermächtigung. 157 Schon früh anerkannt wurden solche Bewertungs- bzw. Beurteilungsspielräume bei Prüfungs- und prüfungsähnlichen Entscheidungen158 und bei beamtenrechtlichen Beurteilungen 159. 1971 erweiterte das BVerwG seine Rechtsprechung, indem es auch Indizierungsentscheidungen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften nur auf ihre Vertretbarkeit prüfte. 160 Die Literatur sagte daher schon eine Abkehr vom Grundsatz der vollen gerichtlichen Kontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe voraus. 161 Doch haben sich solche Vorhersagen nicht bewahrheitet. Vielmehr erkennt die Rechtsprechung Beurteilungsspielräume auch heute nur bei besonderen Fallgruppen an. Neben den Prüfungsentscheidungen162, prüfungsähnlichen Entscheidungen 163 und beamtenrechtlichen Beurteilungen 164, sind dies Entscheidungen wertender Art durch weisungsfrei arbeitende Ausschüsse, die pluralistisch 165 oder mit Sachverständigen besetzt sind 166, außerdem Prognoseund Risikoentscheidungen vor allem im Umwelt- und Wirtschaftsrecht 167 und in 155 Vgl. BVerwGE 5, 153 (162) zum Begriff der „Eignung“ unter Berufung auf die Lehren von Ule, Bachof und Jesch. 156 BVerwGE 35, 69 (74); 94, 307 (309); 100, 221 (225). Damit sind die Gerichte von ihrer anfänglichen Judikatur abgewichen, unbestimmte Rechtsbegriffe als Ermessensbegriffe zu verstehen (siehe dazu oben II. 1. a)). 157 Vgl. BVerwGE 81, 12 (17) – Paraquat – wenn hier auch ein Beurteilungsspielraum abgelehnt wurde. 158 BVerwGE 19, 128 (132 f.). 159 BVerwGE 21, 127 (131). 160 BVerwGE 39, 197 – Einschätzungsprärogative der Bundesprüfstelle zur Indizierung jugendgefährdender Schriften. 161 Fritz Ossenbühl, DÖV 1972, 401 (401, re); Otto Bachof, JZ 1972, 208 (209, re). 162 BVerwGE 99, 74 (77); 104, 203 (206). 163 BVerwG, NJW 2000, 1280 (1282, li) – zum pädagogischen Interesse nach Art. 7 V. 164 BVerwGE 21, 127 (131); 60, 245 (249 ff.); 80, 224 (225 f.); 97, 128 (129); 106, 263 (266 ff.). 165 BVerwGE 39, 197 (204) – Einschätzungsprärogative der Bundesprüfstelle zur Indizierung jugendgefährdender Schriften; siehe hierzu auch BVerwGE 91, 211 (215 ff.) – Opus Pistorum. 166 BVeErwG 59, 213 (218) – Beurteilungsermächtigung des Eintragungsausschusses nach § 4 ArchitG BW; BVerwGE 62, 330 (331, 340) – Beurteilungsermächtigung der Sortenausschüsse des Bundessortenamts; BVerwGE 72, 195 (200) – Beurteilungsermächtigung des Börsenvorstands. 167 BVerwGE 82, 295 (299 ff.) – Beeinträchtigung der öffentlichen Verkehrsinteressen durch Neuzulassung von Taxen; BVerwGE 72, 300 (316 f.); 81, 185 (190 ff.) – nach dem Stand der

II. Beurteilungsspielräume

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Anlehnung an die Faktorenlehre Kellners auch bei Entscheidungen über einzelne, einem unbestimmten Rechtsbegriff vorgegebene Faktoren 168. b) Die Rechtsprechung des BVerfG zu Beurteilungsspielräumen Das BVerfG steht Beurteilungsspielräumen deutlich restriktiver gegenüber als die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung. 169 In ständiger Rechtsprechung betont es, dass Gerichte zur umfassenden Kontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe verpflichtet sind. 170 Nur in wenigen Fällen ist es von dieser klaren, rechtsschutzfreundlichen Rechtsprechung abgewichen und hat dem Gesetzgeber erlaubt, durch die Ausgestaltung des materiellen Rechts Einfluss auf die Kontrolldichte zu nehmen. So hat es z. B. einen Bewertungsspielraum gebilligt bei Prüfungsentscheidungen171 und bei der Bewertung jugendgefährdender Schriften durch die Bundesprüfstelle (GjS) 172. 173 Auch hat das Gericht bei der Feststellung eines pädagogischen Interesses nach Art. 7 V GG einen Beurteilungsspielraum zugelassen.174 Doch muss dieser Fall als Sonderfall eingeordnet werden. 175 Denn im Unterschied zu allen sonstigen Fallgruppen, bei denen Rechtsprechung und herrschende Lehre einen Beurteilungsspielraum anerkennen, folgt das Letztentscheidungsrecht der Verwaltung hier unmittelbar aus der Verfassung und nicht nur aus einer normativen Kompetenzzuweisung des einfachen Gesetzgebers; die Verfassung selbst kann der gleichrangigen Garantie des Art. 19 IV GG aber Grenzen setzen. 176 Zudem ist das BVerfG streng, wenn es einen Beurteilungsspielraum zulässt. So hat es den Bewertungsspielraum im Prüfungsrecht und bei der Indizierung jugendgefährdender Schriften gegenüber der früheren Rechtsprechung des BVerwG stark eingeengt. Für das Prüfungsrecht hat es dies damit begründet, dass eine zu starke Kontrollbeschränkung der Gerichte die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV GG und Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gem. § 7 II Nr. 3 AtomG; vgl. aber auch BVerwGE 39, 197 (203 f.) – Einschätzungsprärogative der Bundesprüfstelle zur Indizierung jugendgefährdender Schriften. 168 BVerwGE 26, 65 (76 f. u.) – Stellenplanung als Vorgabe für das dienstliche Bedürfnis; vgl. auch BVerwGE 62, 86 (101) – hier wurde allerdings ein Beurteilungsspielraum abgelehnt (bezüglich der Aufnahme eines Krankenhauses in den Krankenhausbedarfsplan). 169 Abgelehnt wurde ein Beurteilungsspielraum z. B. in: BVerfGE 11, 168 (191 f.); 15, 275 (282); 64, 261 (279); 103, 142 (157 ff.). 170 Vgl. BVerfGE 84, 34 (51) – Juristische Staatsprüfung. 171 BVerfGE 84, 34 (53) – Juristische Staatsprüfung; BVerfGE 84, 59 (77) – Medizinische Staatsprüfung. 172 BVerfGE 83, 130 (147 f.) – „Josefine Mutzenbacher“. Vgl. hierzu auch D. II. 3. c) dd) (1) (c). 173 Auch wurde ein Beurteilungsspielraum angenommen bei der Prüfung der Verfassungstreue durch den Dienstherrn: vgl. BVerfGE 39, 334 (354). 174 BVerfGE 88, 40 (56, 61) – zum pädagogischen Interesse nach Art. 7 V. 175 Vgl. Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 269. 176 Vgl. Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 269. 10 Schmieder

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

das materielle Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) verletze 177. Vergleichbar hat es bei der Indizierung jugendgefährdender Schriften die Bedeutung der Kunstfreiheit (Art. 5 III 1 2. Var. GG) hervorgehoben und hieraus abgeleitet, dass der Beurteilungsspielraum wegen der Grundrechtsrelevanz der Indizierungsentscheidung verkleinert werden müsse. 178 Im übrigen scheint das Gericht Bewertungsspielräume auf die Fälle beschränken zu wollen, in denen Gerichte an ihre Funktionsgrenzen stoßen.179 Prinzipiell ist dies aus Sicht des Gerichts auch bei komplexen Entscheidungen vorstellbar, die wegen der besonderen Dynamik der geregelten Materie schwierig sind. 180 Doch hat es sich hierzu bislang noch nicht ausdrücklich geäußert181 – vor allem nicht zu einem Beurteilungsspielraum bei wissenschaftsabhängigen Risikoentscheidungen nach dem Gentechnikgesetz 182.

III. Anerkennung eines Beurteilungsspielraums bei Risikoentscheidungen nach dem Gentechnikgesetz 1. „Der Stand der Wissenschaft (und Technik)“ als Einfallstor für einen Beurteilungsspielraum im Gentechnikrecht Nach der referierten Bewertung von Beurteilungsspielräumen durch Literatur und Rechtsprechung scheint ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum grundsätzlich denkbar. Denn gentechnikrechtliche Risikoentscheidungen sind wie gezeigt wertungsbedürftig, prognosehaltig, wissenschaftsabhängig und sie werden überwiegend durch die Stellungnahmen der ZKBS als sachverständiges Expertengremium bestimmt. 183 Auch scheint ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum nach der restriktiven Rechtsprechung des BVerfG nicht von vorneherein ausgeschlossen, weil gentechnikrechtliche Entscheidungen wegen ihrer Wissenschaftsabhängigkeit und Prognosebedürftigkeit vage und schwierig sind. Unbeschadet dieser beurtei177 BVerfGE 84, 34 (49, 54 f.) – Juristische Staatsprüfung; BVerfGE 84, 59 (77 ff.) – Medizinische Staatsprüfung. 178 BVerfGE 83, 130 (148) – „Josephine Mutzenbacher“. 179 Mit ähnlicher Bewertung der Rspr. des BVerfG Guy Beaucamp, JA 2002, 314 (317, li). 180 BVerfGE 84, 34 (49, 54 f.) – Juristische Staatsprüfung; BVerfGE 61, 82 (111, 114 f.) – Sasbach; BVerfGE 85, 36 (58) – Definition der Ausbildungskapazität mittels Zahlen und Formeln. 181 Die Aussagen erfolgten vielmehr nur obiter dicta, vgl. etwa BVerfGE 49, 89 (136) – Kalkar; 61, 82 (111, 114 f.) – Sasbach; BVerfGE 83, 130 (148) – „Josephine Mutzenbacher“; BVerfGE 84, 34 (50) – Juristische Staatsprüfung; BVerfGE 53, 30 (81 f.) – Mülheim-Kärlich; vgl. auch Michael Kloepfer, Umweltrecht, § 8 Rdn. 52: „Freilich sind auch mit der SasbachEntscheidung des BVerfG keineswegs alle Zweifelsfragen gelöst“. 182 Vgl. auch BVerfGE 80, 257 (265): wo das Atomrecht hinsichtlich der Zulässigkeit normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften als „Sonderfall“ bezeichnet wird. 183 Vgl. Kapitel B.

III. Anerkennung eines Beurteilungsspielraums

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lungsspielraum-indizierenden Eigenschaften erforderte die Existenz eines Beurteilungsspielraums aber auch gesetzessystematisch, dass die streitentscheidenden Normen des Gentechnikgesetzes wertungsbedürftige unbestimmte Rechtsbegriffe enthielten. Denn nach sämtlichen Lehren vom Beurteilungsspielraum sind Normen, die wegen ihrer geringen Regelungsdichte Wertungen erfordern, gesetzestechnische Grundlage für einen Beurteilungsspielraum. 184 In Kapitel B. wurden die einzelnen Behördenentscheidungen nach dem Gentechnikgesetz beschrieben. Es wurde gezeigt, dass jede Risikoentscheidung erfordert, das als sozialadäquat bzw. als vertretbar hinnehmbare Restrisiko zu bestimmen, wobei stets der Stand der Wissenschaft zu berücksichtigen ist. So etwa muss bei einem Antrag auf Genehmigung einer gentechnischen Anlage geprüft werden, ob die nach dem „Stand der Wissenschaft (und Technik)“ für diese Sicherheitsstufe „notwendigen Vorkehrungen“ getroffen sind, so dass „schädliche Einwirkungen nicht zu erwarten sind“ (§ 11 I Nr. 4 GenTG). Das gleiche Prüfungsprogramm besteht, wenn die zuständige Behörde erwägt, eine Untersagungsverfügung zu erlassen oder Nebenbestimmungen anzuordnen 185, weil sie glaubt, dass die vom Betreiber getroffenen Sicherheitsmaßnahmen nicht (mehr) dem entsprechen, was nach dem „Stand der Wissenschaft und Technik“ „notwendig“ ist. Ebenso muss bei der Genehmigung einer Freisetzung beurteilt werden, ob „unvertretbar schädliche Einwirkungen“ zu erwarten sind, wenn die nach dem Stand der Wissenschaft und Technik „erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen“ beachtet sind (§ 16 I Nr. 2 und Nr. 3 GenTG). Auch dürfen gentechnisch veränderte Organismen gem. § 16 II GenTG nur dann in Verkehr gebracht werden, wenn nach dem „Stand der Wissenschaft“ keine „unvertretbar schädlichen Einwirkungen“ zu erwarten sind. Jede gentechnikrechtliche Entscheidung erfolgt also anhand der Begriffe „Stand der Wissenschaft“ bzw. „Stand der Wissenschaft und Technik“, „notwendige bzw. erforderliche Sicherheitsvorkehrungen“ und „nicht zu erwartende schädliche“ bzw. „unvertretbar schädliche Einwirkungen“. Die entsprechenden Entscheidungsnormen enthalten damit nicht nur einen, sondern sogar mehrere auslegungsbedürftige unbestimmte Rechtsbegriffe. Diese geben generalisierend die Tatbestandsvoraussetzungen wieder, weil der Gesetzgeber nicht alle denkbaren Einzelentscheidungen durch beispielhafte Aufzählung hätte regeln können. 186 Dass der Gesetzgeber der Verwaltung ein flexibles Regelungssystem an die Hand geben wollte, zeigt sich besonders daran, dass er den 184 Z. B. Otto Bachof, JZ 1955, 97 (99 f.); Eberhard Schmidt-Aßmann/Thomas Groß, NVwZ 1993, 617 (621, li); Konrad Redeker, NVwZ 1992, 305 (306, re, 307, li); Jan-R. Sieckmann, DVBl. 1997, 101 (101, re); vgl. auch Hans-Joachim Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensermächtigungen im Verwaltungsrecht, S. 84: die Vagheit der gesetzlichen Begriffe ist entscheidend; Christian Bamberger, VerwArch 93 (2002), 217 (226 f., 233). 185 Rechtsgrundlagen wären §§ 12 VII, 19, 26 GenTG, siehe Kapitel B. IV. 5. a) bb) und 5. d). 186 Im Regierungsentwurf waren die Sicherheitsstufen allerdings noch präziser formuliert, siehe BT-Drs. 11/5622, S. 7 (re, f.). Doch hat sich der Gesetzgeber gegen diese Lösung entschieden, BT-Drs. 11/6778, S. 40 (re, Zu Artikel § 11 Absatz 2 Nr. 4) – und zwar gegen die Auffassung der SPD-Fraktion (vgl. BT-Drs. 11/6778, S. [31, re]), die sogar für eine Regelung ohne unbestimmte Rechtsbegriffe plädierte.

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

zukunftsorientierten Begriff „Stand der Wissenschaft (und Technik)“ gewählt hat. Hierdurch hat er sämtliches aktuelles Fachwissen in den Tatbestand der einzelnen Entscheidungsnormen rezipiert und so zur Grundlage der jeweiligen Behördenentscheidung gemacht. 187 Gleichzeitig hat der Gesetzgeber durch den Gebrauch dieser „Rezeptionsbegriffe“ die wesentliche Arbeit den entscheidenden Verwaltungsbehörden aufgebürdet. Denn sie müssen für jeden Einzelfall den Stand der Wissenschaft (§ 16 II GenTG) bzw. den Stand der Wissenschaft und Technik (vgl. §§ 11 I Nr. 4, 16 I Nr. 2 GenTG) ermitteln und danach die „zu erwartenden schädlichen bzw. vertretbaren Einwirkungen“ bestimmen. Dies könnte es rechtfertigen, die Entscheidung über schädliche bzw. unvertretbar schädliche Einwirkungen nach dem Stand der Wissenschaft (und Technik) zum Einfallstor für einen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum werden zu lassen. Doch ließe sich einwenden, dass die Begriffe „schädlich“ und „unvertretbar“ unbestimmte Rechtsbegriffe sind, bei denen regelmäßig kein Beurteilungsspielraum besteht. 188 Was „schädlich“ und „unvertretbar“ ist, lässt sich durch Auslegung bestimmen, auch wenn die Begriffe nur ein äußerst geringes Maß an inhaltlicher Kontur darüber enthalten, wo die Grenze zwischen Erlaubtem und Verbotenem im Einzelfall zu ziehen ist. 189 Doch werden die Begriffe „schädlich“ und „unvertretbar“ in den gentechnikrechtlichen Entscheidungsnormen nicht losgelöst gebraucht, sondern sie sind mit dem wissenschaftsabhängigen Rezeptionsbegriff des „Stands der Wissenschaft (und Technik)“ gekoppelt. Der Schwerpunkt der Risikobewertung liegt damit in der Einschätzung, ob gerade nach dem Stand der Wissenschaft (und Technik) schädliche bzw. unvertretbare Einwirkungen zu erwarten sind und nicht in der abstrakten Bestimmung, was „schädlich“ und „unvertretbar“ ist. Daher lässt sich auch bei der Frage, ob die gentechnikrechtlichen Entscheidungsnormen einen unbestimmten Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum enthalten, nicht zwischen den einzelnen unbestimmten Rechtsbegriffen trennen. 190 Vielmehr muss die gesamte am Stand der Wissenschaft (und Technik) durchzuführende Risikobewertung ins Visier genommen werden. Entscheidend ist also, ob gerade die Einschätzung zu erwartender Schäden, die am Maßstab des „Stands der Wissenschaft (und Technik)“ getrof187 Vgl. VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 1 zu § 7, S. 5; so auch der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Gentechnikgesetz, BT-Drs. 11/5622, S. 27 (re); Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 163 f. 188 VG Berlin, ZUR 1996, 147 (148, re) – für den Begriff des Schadens; im übrigen trennt die Rechtsprechung nicht zwischen den Begriffen „schädlich“ und „unvertretbar“, sondern sie prüft die „Vertretbarkeit“ bei der „Schädlichkeit“ mit: VG Berlin, ZUR 1996, 41 (43, mi); ebenfalls für eine volle Überprüfbarkeit der Begriffe Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 13 Rdn. 97 und § 16 Rdn. 57; Michael Kloepfer, Umweltrecht, § 16 Rdn. 46; Christian TünnesenHarmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 124 f.; für eine volle Überprüfbarkeit der Vertretbarkeitsklausel S. Beljin/O. Engsterhold/H. Fenger/M. H. J. Schmitz, in: Raem/Braun/ Fenger/Michaelis/Nikol/Winter (Hrsg.), Gen-Medizin, S. 525 (553); a. A. Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 328; Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 193. 189 Sabine Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikgesetz, S. 253. 190 So auch Karl-Heinz Ladeur, NuR 1992, 254 (259, li).

III. Anerkennung eines Beurteilungsspielraums

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fen werden muss, normtheoretischer Anknüpfungspunkt für einen Beurteilungsspielraum sein kann. 191 Hiergegen könnte sprechen, dass der „Stand der Wissenschaft (und Technik)“ genau ermittelbar ist und deshalb die danach zu fällenden gentechnikrechtlichen Entscheidungen nur eine einzige unbestreitbar „richtige“ Rechtsanwendung zulassen. Daher könnten sie nach der Terminologie Bachofs nur Entscheidungen anhand eines Erfahrungsbegriffs sein 192 bzw. nach der Vertretbarkeitslehre Ules nur Entscheidungen anhand eines faktischen (deskriptiven) unbestimmten Rechtsbegriffs 193. Ein Beurteilungsspielraum könnte dann nicht angenommen werden, weil sich solche Begriffe empirisch belegen lassen und Behörden daher nur die festgestellten Tatsachen unter den unbestimmten Rechtsbegriff subsumieren müssen, ohne weitere Wertungen vornehmen zu müssen. 194 Den Stand der Wissenschaft zu ermitteln erfordert mehr als nur den Stand der Technik zu erforschen 195, weil sich die Behörde nicht auf hinreichend bekannte Risiken und technisch Machbares beschränken darf, sondern auch solche Meinungen mitberücksichtigen muss, die nicht durch praktische Erfahrungen gesichert sind. 196 Dennoch lässt sich der Stand der Wissenschaft (und Technik) im Grunde eindeutig feststellen, denn es ist bei genügendem Arbeitseinsatz und gründlicher Recherche möglich, alle Meinungen zu einem bestimmten naturwissenschaftlichen Problem zusammenzustellen, besonders heute, wo Recherchemedien wie das Internet 197 zur Verfügung stehen. Wie in Kapitel B. gezeigt, ist es aber mit der eindeutigen Ermittlung des Stands der Wissenschaft (und Technik) nicht getan. 198 Vielmehr muss die Behörde nun entscheiden, welcher konkreten Einschätzung sie aus der Gesamtheit des Stands der Wissenschaft (und Technik) den Vorzug gibt. Das heißt, sie muss bewerten, bei welchen Sicherheitsvorkehrungen die Risiken eines gentechnischen 191 Vgl. auch Michael Kloepfer, Umweltrecht, § 16 Rdn. 46; Hirsch/Schmidt-Didzchun, GenTG, § 6 Rdn. 23, wonach der „Stand der Wissenschaft und Technik“ der zentrale Maßstab für die erforderliche Sicherheitsmaßnahme ist; Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 225. 192 Otto Bachof, JZ 1955, 97 (100, li). 193 Carl Hermann Ule, Festschrift für W. Jellinek, S. 309 (318). 194 Carl Hermann Ule, Festschrift für W. Jellinek, S. 309 (318) – Ule umschreibt dies damit, „dass sich hier zwischen Begriffsbestimmung und Subsumtion kein Werturteil schiebt“; ähnlich auch Dieter Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers, S. 26. 195 Christian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen, S. 89 qualifiziert diesen Begriff als „deskriptiven“ unbestimmten Rechtsbegriff. 196 Vgl. BVerfGE 49, 89 (135 f.) – Kalkar; Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 6 Rdn. 26; Udo Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 126; Rüdiger Breuer, NVwZ 1988, 105 (109, re). 197 Dass vom Internet als Recherchemedium rege Gebrauch gemacht wird, konnte bei einem Besuch im Referat Gentechnikaufsicht des Regierungspräsidiums Tübingens in Erfahrung gebracht werden. 198 Siehe vor allem Kapitel B. IV. 4. c) bb) (2), (3) (3.3), 5. Vgl. auch Christian TünnesenHarmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 91; Dietrich Murswiek, VVDStRL 48 (1990), 207 (219).

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

Vorhabens i. S. der gesetzlichen Bestimmungen als sozialadäquate Restrisiken hinzunehmen sind. Je nachdem, welcher Ansicht die Behörde folgt, kann die Entscheidung nach dem Stand der Wissenschaft (und Technik) daher anders ausfallen 199, obwohl der Stand der Wissenschaft (§ 16 II GenTG) bzw. der Wissenschaft und Technik (§§ 11 I Nr. 4, 16 I Nr. 2 GenTG) eindeutig ermittelt werden konnte. Außerdem sind selbst Stellungnahmen von Wissenschaftlern selten eindeutig, weil gentechnische Wirkungszusammenhänge schwierig zu beurteilen sind. Deshalb beruhen auch Ansichten von Wissenschaftlern immer auf Prognosen, die zwangsläufig mit subjektiven Risikoeinschätzungen verbunden sind. Hinzu kommt, dass es Fälle geben kann, in denen ein naturwissenschaftliches Problem noch ungelöst ist und damit überhaupt noch kein gesicherter Stand der Wissenschaft besteht. Die zuständige Behörde muss hier dennoch – „auf unsicherer Grundlage“ – entscheiden. 200 Gleiches gilt, wenn unter Naturwissenschaftlern Streit herrscht, so dass das Risiko einer gentechnischen Arbeit nicht eindeutig bestimmbar ist.201 Gerade hier werden einzelfallbezogene Abwägungen der entscheidenden Behörde erforderlich: Schutz- und Förderzweck müssen gegeneinander abgewogen werden 202, wobei die betroffenen Grundrechte maßgeblich zu berücksichtigen sind203. Aus alledem folgt, dass gentechnikrechtliche Risikoentscheidungen nicht nur Entscheidungen anhand eines deskriptiven unbestimmten Rechtsbegriffs sind. Hingegen sind sie ausfüllungsbedürftige klassische Entscheidungen anhand des unbestimmten Rechtsbegriffs 204 des „Stands der Wissenschaft (und Technik)“. Nach den Lehren vom Beurteilungsspielraum könnten gentechnikrechtliche Risikoentscheidungen daher mit einem Beurteilungsspielraum verknüpft sein. 2. Entwicklung des gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums ausgehend vom Atomrecht Für die in § 7 II Nr. 3 AtG enthaltene Koppelung der unbestimmten Rechtsbegriffe des „Stands der Wissenschaft und Technik“ und der „erforderlichen Vorsorge“, die den gentechnikrechtlichen Entscheidungsnormen stark ähnelt, hat das BVerwG schon 1985 einen Beurteilungsspielraum anerkannt.205 Trotz der restriktiven Hal199 Zur Wertungsbedürftigkeit des Begriffs auch Hans-Uwe Erichsen, DVBl. 1985, 22 (25, re, f.); Udo Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 126 f. 200 Hierauf weist auch hin Ralph A. Kroh, DVBl. 2000, 102 (103, li). 201 Vgl. dazu VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (218 ff.): Die Luftübertragbarkeit der gentechnisch veränderten Organismen (hier HBV-Adenodefektviren) wurde von der ZKBS und vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg (DKFZ) unterschiedlich beurteilt. 202 Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 107. 203 Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 262. 204 VG Gießen, NVwZ-RR 1993, 534 (538, re); so auch Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 6 Rdn. 23. 205 BVerwGE 72, 300 (315) – Whyl. – v. 19.12.1985: „Die Struktur des in § 7 II 2 Nr. 3 AtG verwendeten Vorsorgebegriffs lässt es nicht zu, ihn im herkömmlichen Sinne als unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum zu bezeichnen.“

III. Anerkennung eines Beurteilungsspielraums

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tung des BVerfG zur Zulässigkeit von Kontrollfreiräumen wird diese Rechtsprechung nicht nur fortgeführt, sondern es wird sogar diskutiert, den atomrechtlichen Beurteilungsspielraum auf andere Bereiche des Umweltrechts zu erstrecken 206. Dies zeigt § 43 UGB-E besonders deutlich. Dieser würde die gerichtliche Kontrolle bei unbestimmten Rechtsbegriffen für das gesamte Umweltrecht durch Gesetz beschränken. 207 Damit würde man de lege ferenda einen ausdrücklichen Beurteilungsspielraum bei sämtlichen komplexen umweltrechtlichen Entscheidungen schaffen. Indes hätte § 43 UGB-E für das Gentechnikrecht nur klarstellende Funktion. Denn ohne dass § 43 UGB-E bislang geltendes Recht geworden ist, gehen Rechtsprechung und Literatur bereits heute von der Existenz eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums aus. Dabei gilt das Atomrecht als Vorbild 208, weshalb die Rechtfertigung des gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums stark an die dortige Argumentation angelehnt ist. Für die noch zu klärende Frage, ob der atomrechtliche Beurteilungsspielraum im Gentechnikrecht analog angewendet werden kann, ist daher die Entwicklung im Atomrecht kurz aufzuzeigen (a). Das ist auch deshalb wichtig, weil dort versucht wird, den Beurteilungsspielraum mit Aussagen des BVerfG zu stützen, die schließlich auch in der gentechnikrechtlichen Rechtsprechung wiederkehren. 209 Im Anschluss an die Entwicklung im Atomrecht wird dann die Gerichtskontrolle im Gentechnikrecht genauer betrachtet (b). a) Die Entwicklung des atomrechtlichen Beurteilungsspielraums Entsprechend dem Grundsatz, dass unbestimmte Rechtsbegriffe voll kontrolliert werden müssen, wurden atomrechtliche Genehmigungsentscheidungen in den 70er Jahren umfassend gerichtlich geprüft. 210 Auch wenn die Bewertung von Sachverständigengutachten bisweilen schwierig sein könnte 211, sahen sich Gerichte verpflichtet, wissenschaftliche Streitfragen über die „nach dem Stand der Wissenschaft und Technik“ „erforderliche Vorsorge“ (§ 7 II Nr. 3 AtG) durch eine sorgfältige eigene Beweisaufnahme zu klären 212. 206 Dieter Wilke, Jura 1992, 186 (189, re); vgl. dazu auch Martin Vomhof, Rechtsprobleme der Einbindung von sachverständigen Gremien, S. 15. 207 Siehe dazu auch oben I. 208 Vgl. bereits Rainer Wahl, NVwZ 1991, 409 (410, li), der das Atomrecht als „Leitfall und Leitbereich der Figur von der exekutivischen Verwantwortung für die Risikoabschätzung“ bezeichnet und „das Gentechnikrecht als einen weiteren potentiellen Anwendungsfall“ einordnete. 209 Siehe hierzu insbesondere Kapitel D. II. 3. d) aa). 210 BVerwG DVBl. 1972, 678 (680, re); ausdrücklich VG Freiburg, NJW 1977, 1645 (1648) – Kernkraftwerk Whyl; VG Würzburg, NJW 1977, 1649 (1650, li) – Kernkraftwerk Grafenrheinfeld; vgl. dazu Karl-Heinz Weber, Regelungs- und Kontrolldichte im Atomrecht, S. 31 ff.; Wilfried Fiedler, ET 1982, 580 (580, mi, f.) und die empirische Untersuchung von Dieter Grimm, Richterliches Handeln und technisches Risiko, S. 38 ff. 211 Vgl. BVerwG, DVBl. 1972, 678 (680, re). 212 BVerwG, DVBl. 1972, 678 (680, re, 681, re).

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

In den folgenden Jahren rückte die Rechtsprechung jedoch von diesem Grundsatz immer mehr ab. Ausgehend vom Kalkar-Beschluss des BVerfG 213 erkannte sie sog. norminterpretierende und normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften an und entwickelte das Dogma vom nur beschränkt kontrollfähigen einzelfallbezogenen Beurteilungsspielraum bei Risikoentscheidungen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik. Eigentlich hatte das BVerfG im Kalkar-Beschluss nur festgestellt, dass es dem Gesetzgeber erlaubt sei, den unbestimmten Rechtsbegriff „Stand der Wissenschaft und Technik“ zu gebrauchen und so die Letztentscheidung über die Errichtung von Atomkraftwerken an die Exekutive zu delegieren. 214 Doch wurden die Ausführungen des BVerfG auf das Verhältnis der Exekutive zur Judikative übertragen. 215 Bereits im Steag/Voerde Urteil 216 des BVerwG waren Tendenzen in diese Richtung erkennbar. Doch hatte das BVerwG die norminterpretierende Verwaltungsvorschrift „TA Luft“ dort noch zurückhaltend als „bedeutsame Quelle“ für die gerichtliche Beweiserhebung eingestuft, indem sie diese als antezipiertes Sachverständigengutachten qualifizierte. 217 Den entscheidenden Schritt hin zu einem Letztentscheidungsrecht der Verwaltung tat dann aber das VG Schleswig in seiner Brokdorf-Entscheidung 218. Das Gericht sah in technischen Verwaltungsvorschriften nicht nur eine mögliche Erkenntnisquelle, sondern es hielt sich unter Berufung auf den Kalkar-Beschluss des BVerfG sogar an die Grenzwerte der einschlägigen Verwaltungsvorschriften gebunden. Dies begründete es mit dem besonderen Sachverstand von Behörden zur Beurteilung naturwissenschaftlicher Fragen, der in den Verwaltungsvorschriften als Ergebnis eines komplexen mehrstufigen Verfahrens seinen Niederschlag gefunden hätte. 219 Zudem führte das Gericht aus, dass für die Zulassung von Atomkraftwerken nicht die Verwaltungsgerichte die Verantwortung trügen. Solche politisch brisanten Entscheidungen seien vielmehr der Exekutive vorbehalten. 220 Außerdem stellte das Gericht verfahrensökonomische Überlegungen an. Es verwies z. B. darauf, dass eine eigene Ermittlung durch Gerichte Zeit kostet und Personal knapp ist. 221 Mit diesen Argumenten beschränkte es seine Kontrollbefugnis im wesentlichen auf eine Verfahrenskontrolle. Damit bestätigte es die verbreitete Auffassung, dass Gerichte an ihre Grenzen stoßen, wenn sie Sicherheitskonzepte von Kernkraftwerken überprüfen müssen. BVerfGE 49, 89 – Kalkar – v. 08.08.1978. BVerfGE 49, 89 (136 ff.). 215 BVerwGE 70, 300 (317); Siehe z. B. auch Hermann Hill, NVwZ 1989, 401 (403, li). 216 BVerwGE 55, 250 ff. – Steag/Voerde – v. 17.02.1978. 217 BVerwGE 55, 250 (256), im Anschluss an Rüdiger Breuer, DVBl. 1978, 28 (34 ff.). Diese Einordnung stieß in der Literatur allerdings auf Kritik, da es sich bei Verwaltungsvorschriften nicht nur um ein Gutachten, sonder zugleich um eine politisch-wertende Entscheidung handle, vgl. hierzu Hermann Hill, NVwZ 1989, 401 (402, li). 218 VG Schleswig NJW 1980, 1296 – 17.03.1980. 219 VG Schleswig NJW 1980, 1296 (1298, re). 220 VG Schleswig NJW 1980, 1296 (1297, li). 221 VG Schleswig NJW 1980, 1296 (1298, re). 213 214

III. Anerkennung eines Beurteilungsspielraums

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Von dieser Argumentation ließ sich das BVerwG überzeugen. In seiner Whyl-Entscheidung 222 griff es die Ansätze des VG Schleswig auf. Wie das VG Schleswig meinte das BverwG: die Verantwortung für die Risikoermittlung- und bewertung sei nach der Normstruktur des § 7 II Nr. 3 AtG der Exekutive zugewiesen. 223 Daher sei es nicht Sache der Gerichte, die Risikoabschätzung der Exekutive durch eine eigene Bewertung zu ersetzen 224. Vielmehr dürften Gerichte nicht „auf jeden objektiven Zweifel Rücksicht nehmen“, sondern sie müssten ihre Kontrollbefugnis darauf beschränken, ob die Bewertung der Genehmigungsbehörde willkürlich sei.225 Das gelte besonders, wenn die Grenzwerte normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften beachtet wurden, weil solche Verwaltungsvorschriften für Gerichte verbindlich seien. 226 Auch das BVerwG löste damit das Verhältnis der Verwaltung zur Verwaltungsgerichtsbarkeit dogmatisch durch eine Selbstbeschränkung der Verwaltungsgerichte. Dabei sah es sich durch den Sasbach-Beschluss des BVerfG 227 bestätigt, dem es entnahm, dass eine begrenzte Kontrolle von Behördenentscheidung bei entsprechender normativer Ermächtigung nicht gegen Art. 19 IV GG verstoße. 228 Damit war der atomrechtliche Beurteilungsspielraum geschaffen. In der WhylEntscheidung wurde dieser zwar noch zusätzlich gestützt durch das Element normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften als Ausdruck eines administrativen Standardisierungsrechts. Doch verdeutlichen weitere Urteile des BVerwG, dass der atomrechtliche Beurteilungsspielraum auch unabhängig von einer Standardisierung durch Verwaltungsvorschriften bestehen soll. 229 Danach verfügt die Genehmigungsbehörde kraft der Normstruktur des § 7 II Nr. 3 AtG im Atomrecht auch bei eigenen Risikoabschätzungen über einen Beurteilungsspielraum.230 b) Übertragung des atomrechtlichen Beurteilungsspielraums auf das Gentechnikrecht durch die Rechtsprechung An die im Atomrecht anerkannte Rechtsprechung knüpfte schließlich das VG Neustadt 1991 an, als es über die Drittklage gegen eine Anlage zur gentechnischen Herstellung des Pharmaproteins TNF (Tumornekrosefaktor) zu entscheiden hatte. 231 Ohne sich tiefer mit der Problematik der gerichtlichen Kontrolldichte auseinanderBVerwGE 72, 300 ff. – Whyl – 19.12.1985. BVerwGE 72, 300 (316). 224 BVerwGE 72, 300 (316). 225 BVerwGE 72, 300 (317). 226 BVerwGE 72, 300 (320). 227 BVerfGE 61, 82 (111, 115). 228 Vgl. BVerwGE 72, 300 (317) bezugnehmend auf BVerfGE 61, 82 (114, 115). 229 BVerwGE 81, 185 (190 ff.); BVerwG NVwZ 1998, 628 (629, li). 230 BVerwGE 78, 177 (180) – Brokdorf; 80, 207 (217) – Mühlheim-Kärlich; 81, 185 (192); Michael Bertrams, DVBl. 1993, 687 (695, re); i.E. auch Dieter Wilke, Jura 1992, 186 (191, re); ablehnend z. B. Rüdiger Breuer, UTR 45 (1998), 161 (170 f., 219 ff.); Peter Becker, Festschrift für H. Simon, S. 623 (656). 231 VG Neustadt, IUR 1992, 165. 222 223

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

zusetzen 232, übertrug es das eingeschränkte Kontrollprogramm des Atomrechts auf das Gentechnikrecht. Allerdings war die Genehmigung für die Anlage noch nach altem Recht erteilt worden. 233 Deshalb erfolgen die Ausführungen des VG Neustadt nicht zu einer Risikoentscheidung nach dem Gentechnikgesetz, sondern zu einer Genehmigungsentscheidung nach dem BImSchG234. Die Aussagen des Gerichts sind aber ersichtlich auf eine gentechnikspezifische Risikobewertung gemünzt. 235 Nicht also für das Immissionsrecht sollte ein Beurteilungsspielraum geschaffen werden, sondern das Gericht wollte die Kontrolldichte bei Entscheidungen über gentechnische Risiken begrenzen. 236 Daher kann bereits diese frühe Entscheidung des VG Neustadt als Geburtsstunde des gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums bezeichnet werden. aa) Anerkennung eines Beurteilungsspielraums durch die Rechtsprechung Seit dem Urteil des VG Neustadt geht die gentechnikrechtliche Rechtsprechung einmütig davon aus, dass den jeweils entscheidenden Behörden bei der Beurteilung der nach dem Stand der Wissenschaft und Technik erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen ein Beurteilungsspielraum zusteht. 237 Auch wird von einem „Bewertungsvorrecht“ der Verwaltung gesprochen 238, einer „Entscheidungsprärogative“ 239, einer „Entscheidungskompetenz“ 240 der zuständigen Verwaltungsbehörde, einem „eigenverantwortlichem Spielraum“ 241 oder einer „Einschätzungsprärogative“, die weiter definiert wird „als die aus einer normativen Ermächtigung abgeleitete exekutivische Verantwortung für die Risikoermittlung und Risikoabschätzung“ 242. Durch solche Umschreibungen haben Gerichte ihre Kontrollbefugnis bislang in einer Vielzahl instanzgerichtlicher Entscheidungen zurückgenommen – meist in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes 243, doch ist die Kontrollbeschränkung nicht bloße Folge der VG Neustadt, IUR 1992, 165 (168, re, 169, li). VG Neustadt, IUR 1992, 165 (166, li). 234 § 4 BImSchG i.V. mit § 2 I Nr. 1 und Nr. 4.11 a des Anhangs der 4. BImSchV. 235 Vgl. VG Neustadt, IUR 1992, 165 (167, re, 168, re). 236 Vgl. auch Rüdiger Breuer, UTR Rüdiger Breuer, UTR 45 (1998), 161 (169 mit Fn. 24, 181 mit Fn. 82). 237 Z. B. BVerwG, NVwZ 1999, 1232 (1233, re); OVG Berlin, ZUR 1994, 206 (208, li); VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (225, re); VG München, Urt. v. 02.05.2002, Az M 3 K01.6310 (unveröffentlichtes Urteil), S. 16; VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 1 zu § 7, S. 3. 238 VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13, S. 6 f. 239 OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, li). 240 OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, li). 241 VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 150 (152, li). 242 VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (217, li). 243 Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes: VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 150 (152, li); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 13 zu § 16, S. 8 f.; VG Berlin, ZUR 1996, 41 (43, li); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 1 zu § 7, S. 3 f.; VG 232 233

III. Anerkennung eines Beurteilungsspielraums

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summarischen Prüfung im vorläufigen Rechtsschutz, sondern sie ist auf einen Beurteilungsspielraum zurückzuführen. 244 Gerichte haben daher bislang nur selten erwogen, die Risikobewertung der Behörde wegen inhaltlicher Mängel aufzuheben. 245 Die Rechtsprechung zum Beurteilungsspielraum bestätigte das BVerwG im Jahr 1999 246 – wie schon in der Whyl-Entscheidung „legitimierte“ es damit einen Beurteilungsspielraum höchstrichterlich. Gegenstand der Entscheidung des BVerwG war eine Risikobewertung einer gentechnischen Anlage im Anlagegenehmigungsverfahren. Indessen ist damit nur ein Fall der vielen Sachverhalte genannt, in denen die Instanzgerichte bereits einen Beurteilungsspielraum angenommen haben. Um die Dimension des gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums aufzuzeigen, ist es daher wichtig, auch die bisher ergangenen instanzgerichtlichen Entscheidungen darzustellen. Dies soll überblicksartig anhand von drei Ordnungskriterien geschehen. Erstens wird dargelegt, bei welchen der in Kapitel B. beschriebenen Behördenentscheidungen ein Beurteilungsspielraum angenommen wurde (aa) (1). Zweitens wird gezeigt, gegenüber welchen Rechtsschutzsuchenden die Rechtsprechung einen Beurteilungsspielraum gebilligt hat (aa) (2). Drittens wird erläutert, auf welche Handlungsform der Exekutive ein Beurteilungsspielraum gestützt wurde (aa) (3). Fortgesetzt wird die Rechtsprechungsanalyse, indem die Argumentation der Rechtsprechung erläutert wird (bb). Abschließend werden die verbleibenden gerichtlichen Kontrollkompetenzen dargestellt (cc). Berlin, ZUR 1996, 147 (148, mi, re); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr.9 zu § 16, S. 1 f.; VG Freiburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 7 zu § 13, S. 2; VG Gießen, NVwZ-RR 1993, 534 (538 f.); VG Hamburg, ZUR 1994, 322, re; VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13, S. 6 f.; VG Neustadt, IUR 1992, 165 (168 f.); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 1 zu § 7, S. 3; OVG Berlin, ZUR 1994, 206 (208, li); OVG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 14 zu § 16, S. 3; OVG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 8 zu § 16, S. 1 f.; OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40); OVG Hamburg, ZUR 1995, 93 (94, re). Klagen: VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (217, li); VG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 3 zu § 13, S. 14; VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (225, re); OVG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 4 zu § 13, S. 4; VG Stuttgart, Urt. v. 17.07.1997, Az 8 K 2653/95 (unveröffentlichtes Urteil), S. 26; VG München, Urt. v. 02.05.2002, Az M 3 K01.6310 (unveröffentlichtes Urteil), S. 16. 244 Vgl. z. B. VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 150 (152, li); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 13 zu § 16, S. 8 f.; VG Berlin, ZUR 1996, 41 (43, li); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 1 zu § 7, S. 3 f. (5): der Beurteilungsspielraum wird als allgemeiner Grundsatz dargestellt, der den Gerichtsschutz im Gentechnikrecht allgemein – und nicht nur den vorläufigen Rechtsschutz – beschränkt. Auch wird deutlich zwischen dem Beurteilungsspielraum und der Interessenabwägung bei der summarischen Prüfung getrennt: diese wird zusätzlich vorgenommen. 245 Zu Freisetzungen führt das VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 9 zu § 16, S. 2 aus, dass „das VG Berlin und das OVG Berlin in den Entscheidungen zum Gentechnikrecht, beginnend mit dem Jahre 1991, regelmäßig keine Abwägungsdefizite oder sonstige Verstöße gegen § 16 I GenTG feststellen“ konnten. Angedeutet, aber i. E. offengelassen wurde eine Aufhebung wegen inhaltlicher Mängel vom VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 1 zu § 7, S. 1, 5. 246 BVerwG, NVwZ 1999, 1232 (1233, re, f.).

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

(1) Arten gentechnikrechtlicher Entscheidungen, bei denen ein Beurteilungsspielraum anerkannt wurde Die Rechtsprechung hat einen Beurteilungsspielraum anerkannt für die Risikobewertung gentechnischer Anlagen nach den Vorschriften der §§ 6 II GenTG, 13 I Nr. 3, Nr. 4 GenTG a. F. Diese Vorschriften entsprechen den §§6 II GenTG, 11 I Nr. 3, Nr. 4 GenTG n. F. Im einzelnen lagen den Gerichtsentscheidungen folgende Behördenentscheidungen zu Grunde: – Genehmigungsentscheidungen für gentechnische Vorhaben im geschlossenen System. 247 Dabei ergingen die meisten Entscheidungen zu Arbeiten der Sicherheitsstufe 2. 248 – Untersagungsverfügungen gem. § 12 VII GenTG (= § 12 XI GenTG a. F.) bezüglich anmeldepflichtiger weiterer gentechnischer Arbeiten, bei denen strittig war, ob sie in die Sicherheitsstufe 2 oder 3 einzustufen waren 249 – und die Anordnung von Nebenbestimmungen gem. § 19 GenTG 250. Darüber hinaus wurde ein Beurteilungsspielraum bejaht bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen (§ 16 I Nr. 3 GenTG). 251 Die Entscheidungen ergingen alle zum alten Recht, nach dem für Freisetzungen noch das Robert Koch-Institut zuständig war. 252

247 Gem. § 13 I Nr. 3, Nr. 4 GenTG a. F. (= § 11 I Nr. 3, Nr. 4 GenTG) i.V. mit § 7 GenTG i.V. mit § 4 ff. GenTSV. 248 BVerwG, NVwZ 1999, 1232 (1232, re); OVG Hamburg, ZUR 1995, 93 (93, re, 94, li); OVG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 4 zu § 13, S. 4; VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr.1 zu §7, S.5; VG München, Urt. v. 02.05.2002, Az M3 K01.6310 (unveröffentlichtes Urteil), S. 16 (Sicherheitsstufen 1–3, siehe S. 5); VG Gießen, NVwZ-RR 1993, 534 (539, re, die Anlage wäre in die Sicherheitsstufe 1 einzuteilen gewesen, gleichwohl wurde eine Genehmigung erteilt, da die Anlage noch nach dem BImSchG genehmigt wurde); VG Hamburg, ZUR 1994, 322 (323, li); VG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 3 zu § 13, S. 1; VG Neustadt, IUR 1992, 165 (169, li, Genehmigung erfolgte noch nach dem BImSchG, daher erfolgen keine Ausführungen zur Sicherheitsstufe). 249 VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (224, re, f.); VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (216, re); VG Freiburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 7 zu § 13, S. 1; VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13, S. 2. 250 VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 1 zu § 7, S. 3 f., 5. 251 OVG Berlin, ZUR 1994, 206 (208, li); OVG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 8 zu § 16, S. 1 f.; OVG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 14 zu § 16, S.3; OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, li, f.); VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 150 (152, li); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 13 zu § 16, S. 8 f.; VG Berlin, ZUR 1996, 41 (43, li); VG Berlin, ZUR 1996, 147 (148, mi, re); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 9 zu § 16, S. 1 f.; VG Stuttgart, Urt. v. 17.07.1997, Az 8 K 2653/95 (unveröffentlichtes Urteil), S. 26. 252 Zur Verlagerung der Zuständigkeit auf das BLV siehe Kapitel B. IV. 3. a) aa) und das Vorwort dieser Arbeit.

III. Anerkennung eines Beurteilungsspielraums

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(2) Rechtsschutzsuchende, gegenüber denen ein Beurteilungsspielraum zugelassen wurde Die meisten Prozesse waren Anfechtungsklagen Dritter bzw. Anträge nach §§ 80, 80 a VwGO. 253 Dabei lässt sich zwischen zwei Fallgruppen unterscheiden. Zum einen klagten Dritte gegen gentechnische Vorhaben, weil sie Gesundheitsschäden fürchteten durch eine unbeabsichtigte Freisetzung gentechnisch veränderten Materials über die Luft oder eine Infektion durch Betriebspersonen.254 Zum anderen versuchten Betreiber von Bioland-Betrieben das Freisetzen gentechnisch veränderter Organismen abzuwehren, weil sie ihre betriebliche Existenz (Art. 12, 14 GG) 255 beeinträchtigt sahen und meist auch ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II 1 GG) 256. Darüber hinaus wurde die Kontrolldichte bei Klagen von Betreibern zurückgenommen, die damit argumentierten, dass ihre Forschungsfreiheit aus Art. 5 III 1 2. Var. GG verletzt sei. 257

253 BVerwG, NVwZ 1999, 1232; OVG Berlin, ZUR 1994, 206 (207, re, f.); OVG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 8 zu § 16, S. 2; OVG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 14 zu § 16, S. 1; OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (37, re); OVG Hamburg, ZUR 1995, 93 (93, re); OVG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 4 zu § 13, S. 1 f.; VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 150 (150, re); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 13 zu § 16, S. 1; VG Berlin, ZUR 1996, 41 (41, re); VG Berlin, ZUR 1996, 147 (148, mi, re); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 9 zu § 16, S. 2; VG Gießen, NVwZ-RR 1993, 534 (534, re); VG Hamburg, ZUR 1994, 322 (322, li); VG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 3 zu § 13, S. 1; VG Neustadt, IUR 1992, 165 (165, li, f.); VG München, Urt. v. 02.05.2002, Az M 3 K01.6310 (unveröffentlichtes Urteil), S. 3. 254 Z. B. OVG Berlin, ZUR 1994, 206 (207, re, f.); OVG Hamburg, ZUR 1995, 93 (93, re); VG Neustadt, IUR 1992, 165 (166, li, mi); OVG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 4 zu § 13, S. 5; VG München, Urt. v. 02.05.2002, Az M 3 K01.6310 (unveröffentlichtes Urteil), S. 3, 7 ff. 255 Z. B. OVG Berlin, ZUR 1994, 206 (207, re, f.); OVG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 14 zu § 16, S. 6; VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 13 zu § 16, S. 2; VG Berlin, ZUR 1999, 41 (42, li); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 9 zu § 16, S. 3; VG Stuttgart, Urt. v. 17.07.1997, Az 8 K 2653/95 (unveröffentlichtes Urteil), S. 3; OVG Berlin, ZUR 1999, 37 – hier wurde zudem die Verletzung von Verfahrensrechten gerügt, weil nur ein vereinfachtes Verfahren ohne Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt worden war. 256 OVG Berlin, ZUR 1994, 206 (207, re); OVG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 14 zu § 16, S. 6; VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 150 (151, li); VG Berlin, Eberbach/ Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 13 zu § 16, S. 2; VG Berlin, ZUR 1999, 41 (42, li); VG Stuttgart, Urt. v. 17.07.1997, Az 8 K 2653/95 (unveröffentlichtes Urteil), S. 3 f. 257 VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224; VG Freiburg, ZUR 2000, 216; VG Freiburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 7 zu § 13, S. 2, VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 6 zu § 13, S. 1, 8; VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 1 zu § 7, S. 5.

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

(3) Handlungsformen der Exekutive, bei denen ein Beurteilungsspielraum anerkannt wurde Die Rechtsprechung berücksichtigt, dass Risikoverwaltung auf vielfältige Weise stattfindet: z. B. wenn die Bundesregierung Rechtsverordnungen wie die GenTSV erlässt, wenn das Bundesministerium für Gesundheit Verwaltungsvorschriften mit wissenschaftlichem Inhalt schafft und wenn einzelne Behörden über die Zulassung eines konkreten gentechnischen Vorhabens entscheiden. Die Rechtsprechung nimmt dementsprechend einen Beurteilungsspielraum an, wenn die Bundesregierung die Risikobewertung durch generell-abstrakte Regelungen standardisiert. 258 Rechtsverordnungen wie die GenTSV 259, sollen Gerichte binden, weil sie den Begriff „Stand der Wissenschaft und Technik“ präzisieren. 260 Zudem wird dem Bundesgesundheitsministerium ein Standardisierungsrecht zugestanden, wenn es auf verwaltungsinterner Ebene Verwaltungsvorschriften wie die Organismenlisten (§ 5 VI GenTSV) erlässt. 261 Werden die GenTSV und die Organismenlisten im Einzelfall durch die zuständige Behörde angewandt, so bewirken diese Standardisierungsrechte, dass Gerichte die danach ergangene Risikobewertung der Behörde grundsätzlich hinzunehmen haben. In der Einzelentscheidung gewinnen die Standardisierungsrechte also dadurch Wirksamkeit, dass ein Beurteilungsspielraum der zuständigen Fachbehörde anerkannt wird. Darüber hinaus nimmt die Rechtsprechung auch dort ein Bewertungsvorrecht der zuständigen Behörden an, wo keine konkretisierenden Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften vorhanden sind oder trotz solcher Vorschriften eine Einzelfallbeurteilung notwendig ist. 262 So etwa sollen Behörden bei Arbeiten in gentechnischen Anlagen auch dann einen Beurteilungsspielraum haben, wenn sie das Risikopotential eines gentechnisch veränderten Organismus abschätzen müssen 263; hierzu kann nicht auf die Organismenlisten zurückgegriffen werden, weil diese nur gentechnisch unveränderte Spender- und Empfängerorganismen enthalten (vgl. § 5 VI GenTSV, der nur auf § 5 I 1 GenTG verweist). Auch wird der Genehmigungs258 VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu §13, S.2, 4; OVG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 4 zu § 13, S. 6. 259 Ermächtigungsgrundlage für ihren Erlass ist § 7 I 2 GenTG. 260 VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13, S. 3; VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 1 zu § 7, S. 4. 261 VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 6 zu § 13, S. 3; anders noch für die Genrichtlinien VG Gießen, NVwZ-RR 1993, 534 (539, re, f.), dazu, dass die Organismenlisten als normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften anzusehen sind Udo Matzke, Gentechnikrecht, 2.2 Anhang I GenTSV, S. 145 Fn. 75. 262 So ausdrücklich das VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 6 zu § 13, S. 3 f.; VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 1 zu § 7, S. 3 f.; BVerwG, NVwZ 1999, 1232 (1234, li); VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (218, re, 219, li). 263 VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 1 zu § 7, S. 3.

III. Anerkennung eines Beurteilungsspielraums

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behörde bei der Gesamtbewertung einer gentechnischen Arbeit, die unabhängig von der Bewertung der einzelnen Organismen erforderlich ist (§§ 4, 5, 7 GenTSV 264), ein Letztentscheidungsrecht zuerkannt. 265 Weiterhin bejaht die Rechtsprechung einen einzelfallbezogenen Beurteilungsspielraum bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen 266, auch wenn die Vorschriften über die Risikobewertung der GenTSV und die Organismenlisten hier nicht anwendbar sind (vgl. § 1 Satz 2 GenTSV) 267. bb) Die Argumentation der Rechtsprechung Um einen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum zu rechtfertigen, führt die Rechtsprechung eine Vielzahl von Argumenten an, die sie zum Teil unterschiedlich miteinander kombiniert. Besonders die Vergleichbarkeit zum Atomrecht soll einen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum erklären.268 Ebenso wie im Atomrecht wird an die Normstruktur der streitentscheidenden Normen angeknüpft. Auch im Gentechnikrecht soll der Rezeptionsbegriff des „Stands der Wissenschaft und Technik“ den Willen des Gesetzgebers belegen, der zuständigen Behörde ein Letztentscheidungsrecht zuzuweisen. 269 Weiterer wichtiger Argumentationsstrang ist der Verweis auf die Funktionsgrenzen der Gerichte. Einerseits seien Gerichte zur vollen Kontrolle nicht kompetent, weil gentechnische Risikoentscheidungen notwendigerweise in einer Situation der Ungewissheit gefällt werden müssten. 270 Andererseits könnte kein zügiger Rechtsschutz gewährt werden, wenn Gerichte selbst auch Beweis erhöben. 271 Zudem verfügten Gerichte nicht über den nötigen naturwissenschaftlichen Sachverstand, um die Risikobewertung selbständig zu prüfen. 272 264 Amtliche Begründung der GenTSV, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 4 GenTSV Rdn. 7. 265 VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 1 zu § 7, S. 3, 5. 266 Z. B. OVG Berlin, ZUR 1994, 206 (208, li); OVG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 8 zu § 16, S. 1 f.; VG Stuttgart, Urt. v. 17.07.1997, Az 8 K 2653/95 (unveröffentlichtes Urteil), S. 26. 267 Siehe hierzu Kapitel B. 5. b) bb). 268 Z. B. BVerwG NVwZ 1999, 1232 (1233, re); OVG Berlin, ZUR 1994, 206 (208, li); OVG Hamburg, ZUR 1995, 93 (94, mi, re); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 14 zu § 13, S. 4; VG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 3 zu § 13, S. 14; VG Stuttgart, Urt. v. 17.07.1997, Az 8 K 2653/95 (unveröffentlichtes Urteil), S. 26. 269 Vgl. z.B. BVerwG, NVwZ 1999, 1232 (1233, re); OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, li); OVG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 4 zu § 13, S. 4; OVG Hamburg, ZUR 1995, 93 (94, mi, re); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 1 zu § 7, S. 4 f. 270 BVerwG NVwZ 1999, 1232 (1234, li). 271 Vgl. VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 151 (152, li); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 13 zu § 16, S. 8. 272 BVerwG, NVwZ 1999, 1233 (1234, li); OVG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 14 zu § 16, S. 4; VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 151 (152, li); VG Berlin, ZUR 1996, 41 (43, re).

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

Außerdem wird staatstheoretisch argumentiert und betont, dass es nicht Aufgabe von Gerichten sei, in die Streitigkeiten von Wissenschaftlern einzutreten und das Verwaltungsverfahren gleichsam auf zweiter Stufe zu wiederholen.273 Vielmehr sei die Risikoermittlung und – abschätzung von Verfassungs wegen nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung der Exekutive vorbehalten. 274 Dafür spreche auch, dass die Risikobewertung naturgemäß mit Prognosen verbunden sei. 275 Auch seien gentechnikrechtliche Entscheidungen politische Entscheidungen, wofür die Verwaltung die Verantwortung tragen müsste. 276 Gerichte hätten daher nicht die Wertung der Behörde durch eine eigene Wertung zu ersetzen, sondern sie hätten sich auf eine Vertretbarkeitskontrolle zu beschränken. 277 Darüber hinaus führt die Rechtsprechung an, dass eine volle gerichtliche Kontrolle den Willen des Gesetzgebers verkennen würde, gerade der Exekutive ein Bewertungsvorrecht einzuräumen. 278 Dass die Verwaltung eine Einschätzungsprärogative haben soll, zeigt sich in der Bezugnahme auf den Stand der Wissenschaft (und Technik). Damit wollte der Gesetzgeber die Risikobewertung flexibel an den jeweils neusten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse anpassen 279, um durch eine strenge Risikobewertung 280 bestmöglichen Grundrechtsschutz durch bestens ausgerüstete Stellen zu gewährleisten 281. Auch belege die besonders komplexe Ausgestaltung des gentechnikrechtlichen Verwaltungsverfahrens, an dem viele kompetente Fachbehörden mitwirken, dass die Genehmigungsbehörde letztverbindlich entscheiden soll. 282 Insbesondere trage die ZKBS, die der Gesetzgeber regelmäßig beteiligt wissen wolle 283, weiteren auch internationalen naturwissenschaftlichen 273 VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13, S. 3; VG Neustadt, IUR 1992, 165 (169, li); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 1 zu § 7, S. 4. 274 Z. B. OVG Berlin, ZUR 1994, 206 (208, li); VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (225, re); OVG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 4 zu § 13, S. 4; OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, re); VG Hamburg, ZUR 1994, 322 (322, re). 275 VGH Mannheim, NVwZ 2002, 2254 (225, re); vgl. auch OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, re); VG Stuttgart, Urt. v. 17.07.1997, Az 8 K 2653/95 (unveröffentlichtes Urteil), S. 26. 276 Vgl. OVG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 4 zu § 13, S. 4: vgl. auch OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, re). 277 OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, re); VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (225, re); VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13, S. 3. 278 OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, li): alle Zweifel hinsichtlich der Risikobewertung der Behörde gelten zu lassen, würde die vom Gesetzgeber zugewiesene Einschätzungsprärogative der Genehmigungsbehörde „verkennen“; OVG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 4 zu § 13, S. 4: die gesetzgeberische Entscheidung darf nicht „unterlaufen werden“. 279 Vgl. VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 6 zu § 13, S. 2 f., insbes. S. 4. 280 OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, li). 281 VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (217, li); OVG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 4 zu § 13, S. 4; VG Stuttgart, Urt. v. 17.07.1997, Az 8 K 2653/95 (unveröffentlichtes Urteil), S. 26. 282 OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, li); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 9 zu § 16, S. 1 f. 283 VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (217, re).

III. Anerkennung eines Beurteilungsspielraums

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Sachverstand in den Entscheidungsprozess 284. Damit sei ein der Komplexität der Entscheidungsmaterie angemessenes Verwaltungsverfahren geschaffen, dass es im Hinblick auf Art. 19 IV GG erträglich mache, die Gerichtskontrolle zurückzunehmen. 285 Überdies sei den Interessen des Rechtssuchenden bereits dadurch genügt, dass vorgelagerter Rechtsschutz gewährt werde, indem der Einzelne die Behörde durch Einwendungen „rechtzeitig und wirkungsvoll“ auf Rechtsfehler hinweisen könne. 286 cc) Verbleibende gerichtliche Kontrollkompetenzen Unter Verweis auf den Beurteilungsspielraum unterlässt es die Rechtsprechung, eine eigene Risikobewertung vorzunehmen und diese gegebenenfalls an Stelle der Risikobewertung der Verwaltung zu setzen. Die Begriffe der „schädlichen“ bzw. der „schädlich unvertretbaren“ Einwirkungen sollen zwar voll gerichtlich überprüfbar sein 287, nicht aber die Prognose darüber, ob schädliche bzw. unvertretbar schädliche Einwirkungen bestehen 288. Die Kontrolle der Risikoabschätzung beschränkt sich vielmehr auf eine Willkür- 289 bzw. eine Vertretbarkeitskontrolle 290. Gleiches gilt für die Risikoermittlung. 291 Insoweit trägt die Rechtsprechung den in Kapitel B. aufgezeigten Schwierigkeiten Rechnung, dass sich Risikoermittlung und Risikoabschätzung allenfalls theoretisch voneinander trennen lassen, bei der Risikobewertung im Einzelfall aber beide Stufen der Risikobewertung ineinander greifen. 292 Die Gerichtskontrolle der Risikobewertung wird somit insgesamt auf eine Rechtskontrolle reduziert 293, die sich eigener inhaltlicher Wertungen enthält. Angelehnt an das allgemeine Kontrollprogramm bei Beurteilungsspielräumen 294 beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle folglich darauf, ob Verfahrens- oder willkürliche Ermittlungsfehler vorliegen 295. Geprüft wird, ob die „wissenschaftlichen 284 BVerwG, NVwZ 1999, 1232 (1234, li); OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, li); VG Berlin, ZUR 1996, 41 (43, re); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 9 zu § 16, S. 2; vgl. zum Gewicht der Empfehlungen der ZKBS auch VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 6 zu § 13, S. 7; VG Berlin, ZUR 1996, 41 (43, re): die Stellungnahmen der ZKBS setzten auch für die „gerichtliche Überprüfung behördlicher Entscheidungen einen wichtigen Maßstab“. 285 VG Berlin, ZUR 1996, 147 (148, mi). 286 VG Berlin, ZUR 1996, 147 (148, mi, re). 287 VG Berlin, ZUR 1996, 147 (148, re). 288 VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 1 zu § 7, S. 5. 289 OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, re). 290 VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 13 zu § 16, S. 9. 291 VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13, S. 3; VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (217, li). 292 Siehe Kapitel B. IV. 4. b). 293 VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13, S. 3. 294 Siehe dazu oben I. 295 Vgl. VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (217, re).

11 Schmieder

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

Standards willkürfrei ermittelt wurden (d. h. ob die Wissenschaft herangezogen wurde)“ 296, z. B. ob sich die zuständige Behörde „des Sachverstands der ZKBS bedient“ hat 297 oder ob die Stellungnahmen anderer Fachbehörden berücksichtigt wurden (z. B. des Paul-Ehrlich-Instituts gem. § 16 IV 3 GenTG oder der zuständigen Baurechtsbehörde, § 10 VII 5 GenTG) 298. Darüber hinaus fragt die Rechtsprechung, ob die herangezogenen wissenschaftlichen Standards wie die GenTSV und die Organismenlisten konservative, d. h. vorsichtige Annahmen enthalten und von allen wissenschaftlich vertretbaren Erkenntnissen – und nicht nur von einer herrschenden Meinung – ausgehen, weder veraltet noch widerlegt, wissenschaftlich erschüttert oder wegen der Besonderheiten des Einzelfalls unanwendbar sind 299. Die Kontrolle der Risikobewertung begrenzt sich darauf, ob die Behörde „die Bewertung der Risiken unter Hinzuziehung des vorhandenen Sachverstands willkürfrei vorgenommen hat“. 300 Auch wenn von Gerichten verlangt wird, die wissenschaftliche „Tatsachenbasis ausreichend zu ermitteln“ 301, setzen sie sich nicht gründlich mit wissenschaftlichen Fragen auseinander. 302 Sie prüfen regelmäßig nicht 303 ausführlich, ob die Behörde den Stand der Wissenschaft und Technik auch tatsächlich hinreichend ermittelt hat. Sondern sie verweisen lediglich darauf, dass die ZKBS als sachverständige Stelle hinzugezogen und die GenTSV als anerkannter Stand von Wissenschaft und Technik berücksichtigt wurde. 304 Liegen abweichende Auffassungen von Wissenschaftlern vor, gehen Gerichte nur oberflächlich auf sie ein 305, erst Recht holen sie kein „Obergutachten“ ein 306. Zudem führen Gerichte selten aus, ob die Behörde den gesetzlich vorgegebenen Weg der Risikoermittlung und -bewertung (§§ 7 GenTG, 4 ff. VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (217, li., 219, re). VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 150 (152, li); VG Berlin, ZUR 1996, 41 (43, mi); VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (217, re). 298 Verfahrensfehler führen grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit einer stattgebenden oder ablehnenden Entscheidung. Sie können aber bis zum Abschluss eines Verwaltungsprozesses geheilt werden, bis dahin ist ein Prozess gem. §94 VwGO auszusetzen (Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 121). 299 VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (217, li., f.). 300 Z. B. VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13, S. 4; VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 13 zu § 16, S. 9; VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 150 (152, li); VG Gießen, NVwZ-RR 1993, 534 (539, li); VG Hamburg, ZUR 1994, 322 (322, re). 301 Z. B. VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 13 zu § 16, S. 9; VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13, S. 4; VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 150 (152, li). 302 Mit einer ähnlichen Einschätzung Ralph A. Kroh, DVBl. 2000, 102 (103, li, f.). 303 Zu den wenigen Ausnahmen siehe sogleich im folgenden Absatz. 304 Vgl. z. B. VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 150 (152, li). 305 Mit einer ähnlichen Einschätzung der Rspr. auch Thomas Schomerus, IUR 1992, 170, mi (171, mi) in Bezug auf das Urteil des VG Neustadt, IUR 1992, 165. 306 So Wilhelm Treiber, Richter am Verwaltungsgericht Freiburg, Sonderbeilage VBlBW 4/2000, 6 (8, re). 296 297

III. Anerkennung eines Beurteilungsspielraums

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GenTSV) eingehalten hat. 307 Hingegen stellen sie rasch auf den Beurteilungsspielraum ab und unterlassen, sich genau mit den Einwendungen des Rechtssuchenden auseinander zu setzen. 308 Inhaltlich prüfen sie die Risikobewertung nur daraufhin, ob die Wertungen der Behörde „nachvollziehbar sind“. 309 Dabei messen sie der Risikobewertung der Behörde gegenüber der Ansicht des Rechtsschutzsuchenden Vorrang bei. 310 Damit verbunden stellen sie hohe Anforderungen an die Darlegung einer willkürlichen Verkennung drittschützender Normen und einer Verletzung von Grundrechten. 311 Herausragende Gegenbeispiele für eine genaue gerichtliche Kontrolle sind allerdings die Entscheidungen des VGH Mannheim 312, des VG Freiburg 313 und des VG München 314. Diese Gerichte würdigten die wissenschaftlichen Ausführungen der Behörde, der ZKBS und externer Sachverständiger ausführlich. Das VG München bestellte sogar einen eigenen Sachverständigen, um sich Klarheit über die bestehenden Risiken zu verschaffen. 315 Alle Gerichte behandelten die naturwissenschaftlichen Streitfragen sehr ausführlich. Ihre Kontrolle wirkt daher wie eine Vollkontrolle. 316 Das VG Freiburg und der VGH Mannheim prüften die Richtigkeit der Behördenentscheidung, indem sie in Anlehnung an die Gefahrprognose im Polizeirecht eine selb307 VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (227, li, re). VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (218 li, f.); VG Gießen, NVwZ-RR 1993, 534 (539, li, f.); das VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 1 zu § 7, S. 2 f. stellt die Risikobewertung nur abstrakt dar, subsumiert aber nicht. 308 Vgl. OVG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 14 zu § 16, S. 4: „Die Rechtmäßigkeit der Feststellungen und Bewertungen der Genehmigungsbehörde... Diese Feststellungen kann und darf der Senat nicht naturwissenschaftlich in Frage stellen.“; OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, re): „Das Risiko ist jedoch nach der maßgebenden Einschätzung der Antragsgegnerin äußerst gering und deshalb hinnehmbar...“; VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 150 (152, re): „Zu den weiteren Einwendungen des Ast.... wird im angefochtenen Genehmigungsbescheid ausführlich Stellung genommen. Die Kammer folgt insoweit der Begründung des Genehmigungsbescheids und sieht dementsprechend von einer weiteren Darstellung der Gründe ab (§ 117 V VwGO).“; so auch VG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 3 zu § 13, S. 15; VG Berlin, ZUR 1996, 41 (43, re): „Vor diesem Hintergrund [dem Beurteilungsspielraum] hat die Kammer keinen Anlass zu der Annahme, dass... die Genehmigungsbehörde die Entscheidung unter Verkennung des Standes der Wissenschaft auf unzureichender oder falscher Tatsachengrundlage getroffen hat“; VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 9 zu § 16, S. 2, unter Verweis auf frühere Entscheidungen, wo „regelmäßig keine Abwägungsdefizite“ festgestellt werden konnten; vgl. auch VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13, S. 6: „Aufgrund dieser Stellungnahme der ZKBS kann nicht davon ausgegangen werden ...“. 309 OVG Berlin ZUR 1994, 206 (208, li); VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 150 (152, li). 310 Deutlich VG Berlin, Az VG 14A255.95, S.24 f., 27, abgedruckt in ZUR 1996, 147. W. N. siehe in den vorherigen drei Fußnoten. 311 VG Berlin, ZUR 1996, 147 (149, mi, ff.). 312 VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (226, re, 227). 313 VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (219, re, 220). 314 VG München, Urt. v. 02.05.2002, Az M 3 K01.6310 (unveröffentlichtes Urteil), S. 18 ff. 315 VG München, Urt. v. 02.05.2002, Az M 3 K01.6310 (unveröffentlichtes Urteil), S. 13. 316 Mit dieser Einschätzung auch Ralph A. Kroh, DVBl. 2000, 102 (106, li).

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

ständige Risikoeinschätzung vornahmen. 317 Dennoch betonten alle drei Gerichte, dass gentechnikrechtliche Entscheidungen nur begrenzt kontrollierbar sind. 318 Daraus darf geschlossen werden, dass die Gerichte im Zweifel an ihrer beschränkten Aufhebungsbefugnis festgehalten hätten. Wären die Risikobewertungen der Behörden nach Auffassung der Gerichte unzureichend gewesen, hätten sie diese gleichwohl nicht durch eine eigene Entscheidung ersetzt, sondern nur, wenn die Behördenentscheidung schlechterdings nicht mehr haltbar gewesen wäre. Trotz ihrer Kontrolltiefe stellen die Entscheidungen des VGH Mannheim und der VG Freiburg und München daher keine Abkehr vom Rechtsinstitut des Beurteilungsspielraums dar. Für diese Einschätzung spricht auch, dass die Entscheidungen des VG Freiburg und des VGH Mannheim auf einem atypischen Sachverhalt beruhen. Nicht wie gewöhnlich hatte ein Betreiber oder ein Dritter eine Entscheidung der zuständigen Behörde angegriffen, die im Einklang mit der ZKBS ergangen war. Vielmehr war die ZKBS wie der Betreiber der Ansicht, dass die getroffenen Sicherheitsvorkehrungen genügten. Nur das Regierungspräsidium Tübingen als zuständige Landesbehörde war anderer Ansicht. Deswegen hatte es einen externen Gutachter bestellt und schließlich entgegen der Stellungnahme der ZKBS eine Untersagungsverfügung erlassen (§ 12 VII GenTG) 319. Die Gerichte mussten somit nicht nur über eine Betreiberklage entscheiden, sondern zugleich über den seltenen Fall eines „gentechnikrechtlichen Organstreits“. 320 Nach dem Kontrollprogramm bei Beurteilungsspielräumen hatten sie zu prüfen, ob das Regierungspräsidium Tübingen verfahrensfehlerfrei und willkürfrei gehandelt hat, indem es von der Stellungnahme der ZKBS abgewichen war. Streitentscheidend war daher, ob das Regierungspräsidium seine Gründe i. S. des § 12 IV 4 GenTG 321 ausreichend dargelegt hatte. 322 Ohne sich mit den Risiken der gentechnischen Arbeit gründlich auseinander zu setzen und selbständig zu bewerten, welche Sicherheitsvorkehrungen notwendig waren, konnten die Gerichte dies aber nicht feststellen. Beide Gerichte gaben also das eingeschränkte Prüfprogramm bei Beurteilungsspielräumen nicht auf323, sondern sie setzten dessen Prinzip der bloßen Verfahrens- und Willkürkontrolle konsequent um. 324 317 VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (226, re, 227); VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (218, re, 220, re). 318 VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (225, re); VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (217, li); VG München, Urt. v. 02.05.2002, Az M 3 K01.6310 (unveröffentlichtes Urteil), S. 16. 319 = § 12 XI a. F. 320 Vgl. hierzu auch VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13, S. 6 f., das den Streit aber wegen der herausragenden Rolle der ZKBS zu deren Gunsten entschied. 321 = § 12 V 3 a. F. 322 Wilhelm Treiber, Sonderbeilage VBlBW 4/2000, 2 (8, re, 9, li). 323 VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (217, re): „Gerade weil die gerichtliche Kontrolldichte begrenzt ist, erlangen solche Fehler besondere Relevanz für die Richtigkeit des Inhalts der Entscheidung.“; vgl. dazu auch Martin Vomhof, Rechtsprobleme der Einbindung von sachverständigen Gremien, S. 155; Rüdiger Breuer, UTR 14 (1991), 37 (73): in einem solchen Fall müsse die Kontrolldichte trotz Anerkennung eines Beurteilungsspielraums erhöht werden.

III. Anerkennung eines Beurteilungsspielraums

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dd) Wesensmerkmale eines Beurteilungsspielraums – 324 Übertragbarkeit auf weitere Fälle? Die Vielfalt gentechnikrechtlicher Entscheidungen mag nahe legen, nicht nur von „einem“ Beurteilungsspielraum zu sprechen, sondern von vielen Beurteilungsspielräumen, gerade weil oft unterschiedliche Grundrechtspositionen betroffen sind. Doch unterscheidet die Rechtsprechung nicht. Vielmehr nimmt sie nur „einen Beurteilungsspielraum“ an, gleich welche gentechnikrechtliche Entscheidung angegriffen wird, wer klagt und ob konkretisierende Vorgaben in Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften bestehen. Alle diese unter aa) herausgearbeiteten Fälle werden also gleich behandelt. Vor allem wird bei der Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums nicht weiter differenziert. Maßgebend ist allein die Entscheidung über Risiken, weshalb ein Beurteilungsspielraum „unabhängig davon besteht, in welchem Verfahren (Anmelde- oder Genehmigungsverfahren, Betreiber oder Drittanfechtungsverfahren) sich die Frage der gentechnischen Risikobeurteilung stellt“. 325 Als Ergebnis der vorstehenden Rechtsprechungsanalyse können aber folgende Wesensmerkmale eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums festgehalten werden. – Erstens durchzieht er die gesamte Verwaltungsentscheidung: er beschränkt Gerichte sowohl bei der Kontrolle standardisierender Rechtsverordnungen, normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften als auch bei der Kontrolle der eigenen Risikobewertung der Behörde. Da jede Risikobewertung einer Behörde eine einzelfallsspezifische Gesamtbewertung des gentechnischen Vorhabens verlangt 326, knüpft er aber niemals nur an ein Standardisierungsrecht der Exekutive an. Vielmehr ist er immer auch ein Beurteilungsspielraum der entscheidenden Behörde im Einzelfall. – Zweitens soll ein Beurteilungsspielraum unabhängig davon sein, wer durch eine gentechnikrechtliche Risikoentscheidung betroffen ist: der Betreiber oder ein Dritter. – Drittens soll er Gerichte immer dann beschränken, wenn eine Risikoentscheidung an den Stand der Wissenschaft (und Technik) anknüpft. Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum ist damit nicht von vorneherein auf bestimmte Anwendungsfälle zugeschnitten. Vielmehr wird er gerade durch die Anknüpfung an den Stand der Wissenschaft und Technik übertragbar auf andere gentechnikrechtliche Risikoentscheidungen, die in Kapitel B. dargestellt wurden, die bislang aber noch nicht Gegenstand eines Gerichtsprozesses gewesen sind. 324 Vgl. VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (227, re); VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (218, li, 219, re). 325 VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (225, re). 326 Vgl. Kapitel B. IV. 4. c), 5., V.

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

Zu erwägen ist, dass die Rechtsprechung einen Beurteilungsspielraum anerkennen wird, wenn ein Betreiber bei anmeldepflichtigen gentechnischen Arbeiten, z. B. einer S 2-Anlage, die Behörde auf vorzeitige Zustimmung verklagt (§ 12 V 1 GenTG). Sofern eine Behörde vor Ablauf der Fiktionsfrist erkannt hat, dass ein Vorhaben rechtmäßig ist, hinderten die Grundrechte des Betreibers aus Art. 5 III 1 2. Var., 12, 14 GG die Behörde, den Betreiber länger als erforderlich von der Durchführung seiner Arbeiten abzuhalten. Ein Betreiber wäre daher klagebefugt (§ 42 II VwGO). 327 Zudem wäre eine Verpflichtungsklage auf vorzeitige Zustimmung abweichend von § 75 VwGO zulässig. Weil die Fristen des § 12 V 1 GenTG nur 30 bzw. 45 Tage betragen, wäre die Dreimonatsfrist des § 75 VwGO gentechnikrechtsspezifisch zu verkürzen. 328 Wie in Kapitel B. gezeigt, ist die vorzeitige Zustimmung auch eine Risikoentscheidung, die am Maßstab des Stands der Wissenschaft und Technik gefällt wird. Die Zustimmung hat zwar keine gestattende Wirkung. 329 Einer vorzeitigen Betriebsaufnahme darf die Behörde wegen ihrer Schutzpflichten aus § 1 Nr. 1 GenTG aber nur zustimmen, wenn sie zuvor festgestellt hat, dass die Risiken der Arbeit nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft und Technik hinnehmbar sind. Insofern scheint in der Tat ein Beurteilungsspielraum der Behörde gegenüber der richterlichen Kontrolle der Zustimmung denkbar. Allerdings dürfte der praktische Anwendungsbereich eines solchen Beurteilungsspielraums gering sein. Da innerhalb der kurzen Fristen des § 12 V 1 GenTG von 30 bzw. 45 Tagen nicht einmal vorläufiger (vorbeugender) Rechtsschutz erreicht werden kann, ist davon auszugehen, dass Betreiber nicht auf eine vorzeitige Zustimmung klagen, sondern den Ablauf der Fiktionsfristen des § 12 V 1 GenTG abwarten, nach denen sie sowieso mit dem Betrieb ihrer Arbeit beginnen können. Deshalb wird ein Beurteilungsspielraum bei Verpflichtungsklagen auf Zustimmung zum vorzeitigen Betrieb einer anmeldepflichtigen Arbeit ein rein theoretischer Fall bleiben. Häufiger könnte ein Beurteilungsspielraum bei der Zustimmung vorkommen, wenn diese durch Dritte angefochten wird. Insofern erschiene sogar ein Beurteilungsspielraum bei der fiktiven Zustimmung des § 12 V 2 GenTG möglich, denn diese ist wie die ausdrückliche Zustimmung eine Risikoentscheidung 330. Doch scheitert eine Übertragung der Rechtsprechung zum Beurteilungsspielraum bei Anfechtungsklagen Dritter gegen die (fiktive) Zustimmung schon an der Zulässigkeit einer Klage. Dem Dritten fehlt ein Rechtsschutzbedürfnis. Da weder Zustimmungsfiktion noch ausdrückliche Zustimmung eine Genehmigung der Behörde darstellen, gibt es keinen Verwaltungsakt, der den Betrieb der Anlage auf Dauer unbedenklich erklärt. 331 Um eine Feststellung über die (Un-)Bedenklichkeit zu erreichen, müsste 327 Allgemein zur Zulässigkeit der Verpflichtungsklage siehe Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, § 12 Rdn. 100. 328 Vgl. zur ähnlichen Vorgehensweise bei der Entscheidungsfrist des § 5 II UIG, André Turiaux, UIG, § 5 Rdn. 34. 329 Siehe Kapitel B. IV. 5. a) bb). 330 Siehe Kapitel B. IV. 5. a) bb). 331 Siehe Kapitel B. IV. 5. a) bb).

III. Anerkennung eines Beurteilungsspielraums

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der Dritte daher Verpflichtungsklage erheben, um eine Untersagungsverfügung zu erstreiten 332. Denkbar ist aber, dass ein Beurteilungsspielraum bei der (fiktiven) Zustimmung im Rahmen einer Amtshaftungsklage (§ 839 BGB i.V. mit Art. 34 GG) anerkannt wird. Ein Amtshaftungsprozess, bei dem die (fingierte) Zustimmung nur begrenzt kontrolliert wird, scheint z. B. möglich, wenn eine Behörde Vertrauen des Betreibers geweckt hat, weil sie dem Betrieb einer gentechnischen Arbeit zunächst zugestimmt hat, die Durchführung der Arbeit dann aber untersagt, obwohl sie schon im Zeitpunkt der Zustimmung hätte erkennen müssen, dass die Arbeit nicht zugelassen werden darf. 333 Die (fiktive) Zustimmung könnte hier nur begrenzt kontrollierbar sein. Zudem scheint bei der Zustimmungsfiktion ein Beurteilungsspielraum vorstellbar, wenn ein Betreiber auf Feststellung klagt, dass die Zustimmungsfiktion eingetreten ist. Eine solche Klage kann ausnahmsweise zulässig sein, wenn der Eintritt der Fiktion streitig ist, etwa weil die Behörde noch das Ruhen der Fristen nach § 12 V 3 GenTG annimmt, obwohl der Betreiber fehlende Unterlagen bereits nachgereicht hat. 334 Zu solchen Feststellungsklagen über die Zustimmungsfiktion dürfte es aber ebenso selten kommen wie zu den beschriebenen Amtshaftungsklagen. Ein Beurteilungsspielraum bei der ausdrücklichen und der fiktiven Zustimmung im Anmeldeverfahren bleibt daher insgesamt ein Nebenschauplatz eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums. Weitreichende praktische Wirkung hätte ein Beurteilungsspielraum indessen, wenn er auf repressive Behördenentscheidungen gegen sämtliche gentechnische Vorhaben erstreckt würde. 335 Dies ist zu erwarten, sofern die Entscheidungen darauf gestützt sind, dass die Sicherheitsvorkehrungen eines Vorhabens nicht mehr dem nach dem Stand der Wissenschaft und Technik „notwendigen bzw. erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen“ genügen. Dies gilt für eine Einstellungsverfügung nach § 20 I GenTG i.V. mit § 49 II 1 Nr. 3 LVwVfG, für einen Widerruf oder eine Rücknahme einer Anlagen-, Arbeits- oder Freisetzungsgenehmigung gem. § 20 I GenTG i.V. mit §§ 48, 49 II 1 Nr. 3 LVwVfG 336 und auch für Anordnungen der Überwachungsbehörde gem. § 26 I 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 4 GenTG, wie eine Untersagungsverfügung. 332 Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, § 12 Rdn. 98; a. A. Hirsch/ Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 12 Rdn. 26 – jedoch gehen sie davon aus, dass Zustimmung und Zustimmungsfiktion grundsätzlich dieselben Wirkungen wie eine Genehmigung haben, dagegen siehe aber Kapitel B. IV. 5. a) bb). Zum Beurteilungsspielraum bei Verpflichtungsklagen auf Erlass einer Untersagungsverfügung siehe außerdem weiter unten in diesem Abschnitt. 333 Vgl. Kapitel B. IV. 5. a) bb). 334 Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, § 12 Rdn. 97. 335 Zu diesen Entscheidungen siehe Kapitel B. 5 d). 336 Angedeutet wurde dies auch vom VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13, S. 8.

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die Rechtsprechung auch für das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen einen Beurteilungsspielraum anerkennt. Dazu fehlte ihr bislang die Gelegenheit, weil das Inverkehrbringen noch nicht Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Klage war. Grund hierfür dürfte sein, dass Betreiber vielfach noch vor der Marktzulassung gentechnisch veränderter Produkte zurückschrecken, zumal deutsche Verbraucher der Gentechnik skeptisch gegenüber stehen. 337 Hinzu kommt, dass der Anwendungsbereich des Gentechnikgesetzes beim Inverkehrbringen von vorneherein geschmälert ist: weder Pflanzenschutzmittel, Arzneimittel, noch Lebens- und Futtermittel, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten, werden nach dem Gentechnikgesetz zugelassen.338 Die zugelassenen Produkte beschränken sich deshalb auf unbedenkliche, in der Bevölkerung nicht umstrittene gentechnisch veränderte Impfstoffe für Tiere. 339 Daher wurde bisher weder eine auf die drittschützende Norm des § 16 II GenTG gestützte Verbraucherklage erhoben, noch musste ein Betreiber die Zulassung mittels einer Versagungsgegenklage erkämpfen. Sollte es aber in Zukunft zu einem Gerichtsstreit über ein Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Produkte kommen, ist davon auszugehen, dass die Rechtsprechung die Risikobewertung beim Inverkehrbringen ebenfalls nur begrenzt kontrollieren wird. Denn auch die Risikobewertung beim Inverkehrbringen fußt auf dem wissenschaftsabhängigen, unbestimmten Rechtsbegriff des „Stands der Wissenschaft“ (§ 16 II GenTG). 340 Einschränkend ist aber klarzustellen, dass dieser Ausblick nur für solche Klagen über ein Inverkehrbringen gilt, für die deutsche Gerichte zuständig sind. Wegen der europarechtlichen Ausgestaltung des Zulassungsverfahrens beim Inverkehrbringen 341 gentechnisch veränderter Produkte ist dies nicht für alle gentechnisch veränderten Produkte der Fall, die in Deutschland auf den Markt kommen. Deutsche Gerichte sind nur zuständig, wenn das BVL als national zuständige Stelle (bislang das RKI) über ein Inverkehrbringen entschieden hat. Zulassungsentscheidungen von Behörden anderer Mitgliedstaaten sind der deutschen Gerichtsgewalt hingegen entzogen. Sie entfalten zwar in Deutschland Rechtswirkung, da sie transnationale Verwaltungsakte sind (vgl. § 14 V GenTG) 342. Doch sind deutsche Gerichte für Klagen gegen sie nicht zuständig, weil ausländische Behörden auch dann keine öffentliche Gewalt i. S. von Art. 19 IV GG ausüben 343, wenn ihre Entscheidungen transnational wirken und in Deutschland (Grund-)Rechte schmälern. Vielmehr müssen deutsche Betreiber oder Drittbetroffene vor den Gerichten im Mitgliedsstaat der ausländi337 Jens Katzek, in: Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 64 (re, f.). 338 Vgl. oben Kapitel B. IV. 2. b). 339 Siehe Kapitel B. IV. 2. a). 340 Vgl. auch Sabine Schlacke, ZUR 2001, 393 (395, re), die sogar von einer „Einschätzungsprärogative in gentechnik-rechtlichen Anlagen-, Freisetzungs- und Vermarktungsgenehmigungsverfahren“ spricht. 341 Vgl. dazu Kaptitel B. 5. c) aa). 342 Siehe auch Kapitel B. 5. c) aa). 343 Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 54.

III. Anerkennung eines Beurteilungsspielraums

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schen Zulassungsbehörde klagen. Das ist verfassungsrechtlich zulässig, auch wenn Gerichtsschutz dadurch unbequemer wird und gegebenenfalls weniger intensiv. Das Grundgesetz versagt einer europarechtsbedingten Übertragung von Rechtsprechungskompetenzen erst dann die Gefolgschaft, wenn die Grenzen des nach Art. 23 I, 79 III GG Übertragbaren überschritten sind, weil der Wesensgehalt von Grundrechten berührt wird. 344 Diese hohen Schranken werden durch die Vergemeinschaftung des Gerichtsschutzes beim Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen nicht durchbrochen, weil auch die anderen Mitgliedstaaten Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt durch unabhängige Gerichte gewähren 345. Auch wenn deren Rechtsschutz mitunter vom Gerichtsschutz in Deutschland abweicht, bleibt eine Korrektur rechtsverletzender Behördenentscheidungen durch eine gerichtliche Kontrolle möglich. 346 Damit wird zumindest das Minimum an Gerichtsschutz gewährt, das der verfassungsfeste, nicht übertragbare Kern 347 der Gerichtsschutzgarantie verlangt. Erschwernisse durch Sprachbarrieren, längere Wege, aber auch ein qualitativ geringerer Gerichtsschutz in anderen Staaten werden daher als zwangsläufige Folgen der Schaffung eines europäischen Binnenmarktes von Art. 19 IV GG hingenommen. Solange ausländische Gerichte bei Entscheidungen über ein Inverkehrbringen 348 zumindest eine Vertretbarkeitskontrolle durchführen 349, verlangt Art. 19 IV GG daher nicht, dass Klagen gegen Zulassungsentscheidungen anderer Mitgliedstaaten von deutschen Gerichten überprüft werden. Mangels Zuständigkeit der deutschen Gerichte lässt sich folglich die Rechtsprechung zum Beurteilungsspielraum nicht auf Entscheidungen über ein Inverkehrbringen übertragen, die von Behörden anderer Mitgliedstaaten getroffen werden. Aus ähnlichen Gründen wird die Rechtsprechung auch keinen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum anerkennen können, wenn ein gentechnisch verändertes Produkt nicht nach dem Gentechnikgesetz in Verkehr gebracht wird, sondern im ge344 Die Schranken, die für die Abgabe von Rechtsprechungskompetenzen an die EG oder EG-Organisationen gelten (wie z. B. auf die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes) gelten hier entsprechend. Vgl. zu diesen Schranken Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 55, 376. 345 Siehe dazu die ausführliche Übersicht bei Eckhard Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, S. 192 ff., mit abschließender Bewertung, vor allem der Kontrollintensität, auf den S. 233 ff. 346 Vgl. zur Kontrolldichte in anderen Rechtsordnungen der EG Eckhard Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, S. 192 ff. (236): administrative Handlungsspielräume werden zunehmend eingegrenzt; vgl. auch Peter Michael Huber, in: v. Mangoldt/Klein/ Stark, Art. 19 Rdn. 540: es entspricht einer gemeineuropäischen Rechtsüberzeugung, dass gerichtlicher Rechtsschutz gegenüber Akten der Verwaltung ein Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips ist. 347 Zu ihm siehe Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 314. 348 Bislang ist eine Klage zum Inverkehrbringen bekannt, die in Frankreich von Greenpeace erhoben wurde (vgl. dazu Kapitel H. II.). Im übrigen kam es in anderen Mitgliedstaaten noch zu keinen Klagen (Auskunft Robert Koch-Institut, 20.09.2002). Zur beschränkten gerichtlichen Kontrolle wissenschaftlich-technischer Fragen in anderen Mitgliedstaaten vgl. aber Kapitel H. I. 2. 349 Siehe hierzu eine Entscheidung des irischen High Courts zur Freisetzung, Kapitel H.I. 2.

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

meinschaftlichen Genehmigungsverfahren nach der neuen Verordnung 1829/2003/ EG über genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel oder noch nach der früher für genetisch veränderte Lebensmittel geltenden Novel Food-Verordnung (vgl. Art.1II a) Novel Food-VO 350). Nach der alten Novel Food-Verordnung entschied die Europäische Kommission oder der Europäischer Rat über die Zulassung eines gentechnisch veränderten Lebensmittels (vgl. Art. 7 I i.V. mit Art. 13 IV lit. a), IV UAbs. 2 Novel Food-VO). 351 Nach der neuen Verordnung 1829/2003/EG über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel entscheidet die EG-Kommission, nachdem die Europäische Lebensmittelbehörde die Sicherheit des Lebens- oder Futtermittels geprüft hat (vgl. Art. 7). Auch hier entscheidet also keine nationale Stelle. Ein Rechtsstreit über die Zulassung eines gentechnisch veränderten Lebensmittels 352, etwa der Flavr SavrTM Tomate, unterfiele daher nicht der Kontrolle deutscher Gerichte, weil kein Träger deutscher öffentlicher Gewalt gehandelt hat – gleichgültig, ob nach altem Recht der Novel Food-Verordnung oder nach neuem Recht der Verordnung 1829/2003/EG über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel entschieden wurde. Rechtsschutz könnte der Einzelne daher nur vor dem EuG durch Nichtigkeitsklage (Art. 230 IV EGV) erlangen. 353 Anders wäre dies, würde über das Inverkehrbringen in keinem Gemeinschaftsverfahren entschieden. Dann wären deutsche Gerichte zuständig. Nach der alten Novel Food-Verordnung konnte die nationale Behörde selbst über das Inverkehrbringen eines gentechnisch veränderten „neuartigen“ Lebensmittels entscheiden, wenn kein anderer Mitgliedstaat Einwände gegen die Zulassung erhoben hatte (vgl. Art. 4 II Spiegelstrich 1 Novel Food-VO). 354 Dieser Fall war aber nicht vorgekommen und wäre auch bei Fortgeltung der alten Novel Food-Verordnung kaum zu erwarten gewesen. Nach der neuen Verordnung 1829/2003/EG über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel entscheidet über die Zulassung stets die Europäische Kommission. Die neue Verordnung wird für deutsche Gerichte daher nur im Zusammenhang mit repressiven Überwachungsmaßnahmen zum Kontrollmaßstab (vgl. Art. 34 i.V. mit Art.54 I der VO (EG) Nr. 178/2002 355), wenn deutsche Behörden nach Inverkehrbringen eines Produkts einschreiten, um Sicherheitsdefizite zu bekämpVgl. zu ihr Kapitel B. IV. 2. b) und IV. 5. c). aa). Rainer Wahl/Detlef, Groß, DVBl. 1998, 2 (7). 352 Bislang liegen aber auch noch keine Gerichtsentscheidungen zu Vermarktungsgenehmigungen nach der Novel Food-VO vor, Sabine Schlacke, ZUR 2001, 393 (393, li). Nicht einmal ist ein Verfahren über die Genehmigung von Lebensmitteln mit einer Entscheidung beendet (Tätigkeitsbericht der ZKBS 2001, Bundesgesundheitsblatt 2002, 643 (645, li)); Jens Katzek, in: Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 64 (re). 353 Detlef Groß, Die Produktzulassung von Novel Food, S. 196 f.; Rainer Wahl/Detlef, Groß, DVBl. 1998, 2 (13, li); Klaus Ferdinand Gärditz, ZUR 1998, 169 (176, li). 354 Rainer Wahl/Detlef, Groß, DVBl. 1998, 2 (6, re). Auch können dem Antragsteller Auflagen gemacht werden (vgl. dazu dies., a. a. O., 2 [8, li]). 355 Verordnung zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit v. 28.01.2002 (Abl. EG Nr. L 31, S. 1). 350 351

III. Anerkennung eines Beurteilungsspielraums

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fen. 356 Soweit deutsche Gerichte aber dann Handlungen deutscher Behörden beurteilen, könnte sogar an eine Übertragung des gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums auf Entscheidungen nach der Verordnung 1829/2003/EG gedacht werden. Auch diese verlangt nämlich eine Risikobewertung unter Beachtung des Stands „der Wissenschaft und Technik“ (vgl. Art. 6 III a) i.V. mit Art. 5 III b) ff.). 357 Da die Eingriffsvoraussetzungen der Verordnung 1829/2003/EG an ein Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier oder für die Umwelt anknüpfen (Art.4 I, 16 I), geht die neue Verordnung 1829/2003/EG nicht (ebenso wenig wie die alte Novel Food-Verordnung) vom polizei- und ordnungsrechtlichen Gefahrenbegriff i. S. der deutschen Terminologie aus 358, der anerkanntermaßen voll gerichtlich überprüfbar ist 359. Vielmehr ist der Risikobegriff der Verordnung 1829/2003/EG weiter, weil er nicht nur Abwägungen und Prognosen aufgrund relativ gesicherter Grundlage verlangt, sondern vorsorgenden Schutz aufgrund oft umstrittener wissenschaftlicher Erkenntnisse. 360 Daher dürfte zu erwarten sein, dass deutsche Gerichte einen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum auch bei Entscheidungen über gentechnische Risiken annehmen, die die nationale Behörde nach der Verordnung 1829/2003/EG trifft. Zumindest aus europarechtlicher Sicht bestehen insoweit keine Bedenken. 361 Aus nationaler Sicht ist hinzuzufügen, dass die Änderungen des Gentechnikgesetzes wegen der Übertragbarkeit eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums nicht dazu führen werden, dass die Rechtsprechung ihre Auffassung zum Beurteilungsspielraum aufgeben wird. Bei gentechnischen Arbeiten im geschlossenen System hat sich das Zulassungsverfahren durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes zwar grundlegend geändert 362, doch betrifft dies den gentechnikrechtlichen Rechtsschutz nur insoweit, als sich die Klagearten ändern. 363 356 Zur früheren Rechtslage nach Art. 12 Novel Food-VO vgl. Christine Godt, NJW 2001, 1167 (1170 f.). 357 Zur alten Rechtslage nach der Novel Food-VO vgl. Eckard Rehbinder, ZUR 1999, 6 (10, re, f.); mit beispielhafter Darstellung mehrerer Sicherheitsprüfungen Marianna Schauzu, ZUR 1999, 3 (4 ff.). 358 Vgl. zur Novel Food-Verordnung Rainer Wahl/Detlef Groß, DVBl. 1998, 2 (9, li); Sabine Schlacke, ZUR 1996, 285 (289, re). 359 BVerwGE 81, 12 (17); Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rdn. 27; anders aber Drews/Wacke/ Vogel/Martens, Polizeirecht, S. 266. 360 Vgl. zum Gefahrenbegriff der Novel Food-Verordnung Detlef Groß, Die Produktzulassung von Novel Food, S. 356, 375 ff.; Rainer Wahl/Detlef Groß, DVBl. 1998, 2 (9, li); Eckard Rehbinder, ZUR 1999, 6 (11, li), der eine Parallele zur Abwägung nach § 16 II GenTG zieht; vgl. zur Differenzierung zwischen der Kontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe, die nur Gefahren abwehren wollen und solchen, die auch den Bereich der Vorsorge umfassen Conrad Pfaundler, UPR 1999, 336 (338, re, f.). 361 Vgl. zur alten Rechtslage nach der Novel Food-VO Wilfried Berg, in: Streinz, „Novel Food“, S. 111 (127 ff., 129); Detlef Groß, Die Produktzulassung von Novel Food, S. 356 ff. 362 Zur Bewertung der Änderungen siehe auch Kapitel D. II. 3. d) cc) (2). 363 Zum für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt im Gentechnikrecht, der auch bei Anfechtungsklagen „dynamisch“ auf den Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung abstellt, siehe Kapitel D. II. 3. d) aa).

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C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

Während eine gentechnische Anlage der Sicherheitsstufe 2 bislang durch Anfechtung der Genehmigung bekämpft werden musste, wird ein Dritter künftig Verpflichtungsklage auf Untersagung der angemeldeten Arbeiten erheben müssen (vgl. § 12 VII 1 GenTG) 364, es sei denn, der Betreiber hätte eine Anlagengenehmigung beantragt (§§ 8 II 2, 9 II 2 GenTG). Eine Verpflichtungsklage ist auch anzustrengen, wenn die Behörde dem Betrieb vorher zugestimmt hat (§ 12 V 1 GenTG) oder die Zustimmungsfiktion des § 12 V 2 GenTG eingetreten ist. 365 Eine Anfechtung der Zustimmung oder des „fiktiven Verwaltungsakts“ der Zustimmungsfiktion ist nicht ausreichend, aber auch nicht erforderlich, weil eine (fiktive) Zustimmung im Unterschied zu einer Genehmigung keine gestattende Wirkung hat, sondern nur einen verfahrensrechtlichen Inhalt. 366 Eine Verpflichtungsklage auf Erlass einer Untersagungsverfügung müsste außerdem bei weiteren Arbeiten zu gewerblichen Zwecken erhoben werden, so z. B. um die industrielle Herstellung von Enzymen für die Pharma- und Konsumgüterindustrie zu bekämpfen. Eine Anfechtungsklage kommt hier nach Änderung des Gentechnikgesetzes nicht mehr in Betracht, weil es bei weiteren Arbeiten der Sicherheitsstufe 2 keiner Arbeitsgenehmigung mehr bedarf 367; also kann davon ausgegangen werden, dass künftig solche Genehmigungen nicht mehr erteilt werden. Allerdings ist auch die durch Verpflichtungsklage zu erstreitende Untersagungsverfügung nach § 12 VII 1 GenTG eine Risikoentscheidung am Maßstab des „Stands der Wissenschaft und Technik“. 368 Insofern wird die Pflicht von Gerichten, wissenschaftsabhängige Behördenentscheidungen zu kontrollieren, im Unterschied zur Rechtslage vor Erlass des Zweiten Gentechnikänderungsgesetzes nicht verändert. Dies gilt auch für ein nachträgliches Einschreiten gegen nun zulassungsfreie weitere Arbeiten der Sicherheitsstufe 1 (vgl. § 9 I GenTG) 369. Während deren Rechtmäßigkeit früher bei der Kontrolle einer Untersagungsverfügung nach § 12 XI GenTG a. F. geprüft wurde 370, geschieht dies nun im Wege des Rechtsschutzes gegen Maßnahmen der Überwachungsbehörden gem. § 26 I 2 Nr. 1 oder Nr. 4 GenTG. 371 Streitentscheidend bleibt aber auch hier das nach dem „Stand der Wissenschaft und Technik“ zu erwartende Risiko, das nach der Rechtsprechung gerade Einfallstor für einen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum sein soll. Vgl. Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, § 12 Rdn. 98, 100. So aber Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 12 Rdn. 26 – jedoch gehen sie auch davon, dass Zustimmung und Zustimmungsfiktion grundsätzlich dieselben Wirkungen wie eine Genehmigung haben – zur Diskussion dieses Ansatzes siehe Kapitel B. IV. 5. a) bb). 366 Siehe Kapitel B. IV. 5. a) bb). 367 So aber gem. § 10 II GenTG a. F. 368 Siehe Kapitel B. IV. 5. a) bb). 369 Bericht der Abgeordneten Carola Reimann zur Zweiten Änderung des Gentechnikgesetzes, BT-Drs. 14/9089, S. 55 (Übersicht auf S. 55). 370 Dies folgt daraus, dass weitere S 1-Arbeiten früher anmeldepflichtige Vorhaben waren (vgl. § 9 I GenTG a. F.). 371 Siehe Kapitel B. IV. 5. d) cc). 364 365

III. Anerkennung eines Beurteilungsspielraums

173

Außerdem wird die Zuständigkeitsverlagerung bei Freisetzungen (vom Robert Koch-Institut auf das BVL) durch das Gesetz zur Änderung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht nicht dazu führen, dass die Rechtsprechung bei Freisetzungen keinen oder einen wesentlich anderen Berurteilungsspielraum anerkennt. Die Freisetzungsentscheidung wird eine wissenschaftlich geprägte Entscheidung einer sachverständig besetzten Behörde bleiben. Daher wird der wissenschaftliche Teil der Entscheidung voraussichtlich auch künftig von der Gerichtskontrolle ausgespart bleiben. Zudem könnte der möglicherweise stärkere verbraucherpolitische Gehalt der Entscheidung Gerichte noch stärker als bisher zur Annahme eines Beurteilungsspielraums veranlassen; denn sie könnten argumentieren, verbraucherpolitische Entscheidungen seien politische Entscheidungen, die erst Recht der Gerichtskontrolle entzogen sein müssten. 372 c) Anerkennung eines Beurteilungsspielraums durch die gentechnikrechtliche Literatur Die reduzierte Gerichtskontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen wird von der Literatur überwiegend begrüßt. Nahezu einmütig nimmt auch sie einen Beurteilungsspielraum bei Entscheidungen an, die eine Risikobewertung nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erfordern. 373 Gerichte sollen an die Risikobewertung der Exekutive sowohl gebunden sein, wenn die Sicherheitseinstufung durch VerordVgl. zu dieser Argumentation Kapitel C. III. 2. b) bb) und Kapitel D. II. 3. b) aa) (4). Für Arbeiten in gentechnischen Anlagen: Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/ Ronellenfitsch, GenTG, § 11 Rdn. 208 f.; ders., VerwArch 93 (2002), 439 (450); Hirsch/ Schmidt-Didczhun, GenTG, § 13 Rdn. 94 ff.; Rainer Wahl, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 13 Rdn. 42; Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Kap. 10 Rdn. 119; Michael Kloepfer, Umweltrecht, § 16 Rdn. 46; Ralph A. Kroh, DVBl. 2000, 102 (106, re); Rüdiger Breuer, UTR 45 (1998), 161 (182 f.); ders., UTR 14 (1991), 37 (67); ders., NuR 1994, 157 (162, re, f.); Sabine Schlacke, ZUR 2001, 393 (395, re); Wilhelm Treiber, Sonderbeilage VBlBW 4/2000, 6 (8, re). Für Freisetzungen: Hirsch/Schmidt-Didczhun, GenTG, §16 Rdn.56 f; Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 92; ders, in: Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 327 f.; Michael Kloepfer, Umweltrecht, § 16 Rdn. 46; Ivo Appel, ZUR 1999, 41 (43, li); Florian Gerlach, Das Genehmigungsverfahren zum Gentechnikgesetz, S. 123; Michael Kniesel/Wolfgang Müllensiefen, NJW 1999, 2564 (2568, li); Sabine Schlacke, ZUR 2001, 393 (395, re); Rüdiger Breuer, NuR 1994, 157 (169, re); Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 189 ff.; Ulrike Voß, NuR 2001 69 (72, re); Siegmar Pohl, Die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, S. 262 ff. (270). Für das Inverkehrbringen: Rüdiger Breuer, UTR 14 (1991), 37 (73); Florian Gerlach, Das Genehmigungsverfahren zum Gentechnikgesetz, S. 123; Sabine Schlacke, ZUR 2001, 393 (395, re) und auch Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 232, 223 ff. Allgemein für die gerichtliche Kontrolle der Risikobewertung: Koch/Ibelgaufts, GenTG, § 6 Rdn. 53; Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 109 ff., insbes. S. 113 f.; Arnim Karthaus ZUR 2001, 61 (62, li); Michael Görke, Organisations- und Vollzugsprobleme im Bereich des Gentechnikrechts, S. 31 mit Fn. 196. 372 373

174

C. Die gerichtliche Kontrolle von Risikoentscheidungen

nungsrecht vorgegebenen ist 374, wenn standardisierende Verwaltungsvorschriften vorliegen 375 als auch bei einer eigenständigen Einschätzung durch die zuständige Behörde 376. Die Argumentation gleicht derjenigen der Rechtsprechung. Karl-Heinz Ladeur verfolgt einen etwas anderen Ansatz. Er spricht sich gegen einen Beurteilungsspielraum aus, weil Behörden bei ihrem „Vertretbarkeitsurteil“ über die nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu erwartenden „schädlichen Einwirkungen“ ebenso wenig gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse in Anspruch nehmen könnten wie Gerichte. 377 Doch qualifiziert Ladeur gentechnikrechtliche Entscheidungen als Planungsentscheidungen. 378 Auf diese Weise eröffnet er der zuständigen Behörde einen „Spielraum für planerisches Ermessen“.379 Daher kommt auch Ladeur zu dem Ergebnis, dass gentechnikrechtliche Entscheidungen nicht voll gerichtlich kontrollierbar sein sollen. Michael Görke will die Rechtsprechung zum Beurteilungsspielraum bei der Risikobewertung sogar auf die Frage erstrecken, ob eine gentechnische Anlage i. S. von § 3 I Nr. 4 GenTG vorliegt. 380 Die Stimmen, die einen Beurteilungsspielraum kritisieren, sind selten.381 Dezidiert abgelehnt wird die Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle bislang nur von Matthias Kapteina 382 und Guy Beaucamp 383. Im Unterschied zu Beaucamp begründet Kapteina seine Ansicht aber nicht nur mit einem Verstoß des Beurteilungsspielraums gegen Art. 19 IV GG, sondern er sieht auch die materiellen Grundrechte von Betreibern und Dritten verletzt, wie die Forschungsfreiheit und das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 5 III 1 2. Var., 2 II 1 GG) 384. Auch meint Kapteina, dass Art. 20 a GG eine umfassende Kontrolle des Abwägungsergebnisses der Behörde verlange. 385

374 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 7 Rdn. 11; Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 109. 375 Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 110 ff. 376 Z. B. Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 11 Rdn. 61; Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 112 ff. 377 Karl-Heinz Ladeur, NuR 1992, 254 (261 f.). 378 Karl-Heinz Ladeur, NuR 1992, 254 (261, li). 379 Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rdn. 208 ff. 380 Michael Görke, Organisations- und Vollzugsprobleme im Bereich des Gentechnikrechts, S. 155 ff. (164). 381 Joachim Wolf, Umweltrecht, Rdn. 590; Ivo Appel, ZUR 1999, 41 (43); für Freisetzungen auch Michael Ronellenfitsch, VerwArch 93 (2002), 439 (450, 457). 382 Matthias Kapteina, Die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, S. 174 ff. 383 Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (25, re, ff.). 384 Matthias Kapteina, Die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, S. 174 ff. 385 Matthias Kapteina, Die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, S. 174 ff.

IV. Fazit und weiterer Gang der Untersuchung

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IV. Fazit und weiterer Gang der Untersuchung Für den weiteren Gang der Arbeit kann festgehalten werden: Die gentechnikrechtliche Rechtsprechung geht im Einklang mit der herrschenden Lehre davon aus, dass Risikoentscheidungen nach dem Gentechnikgesetz mit einem Beurteilungsspielraum verknüpft sind. Dabei kann sie sich insbesondere auf die Rechtsprechung des BVerwG zum Atomrecht stützen. Auch die verwaltungsrechtliche Literatur steht überwiegend hinter ihr. Denn zurückgehend auf die Lehren Bachofs und Ules nimmt diese für die Fallgruppe der Risiko- und Prognoseentscheidungen einen Beurteilungsspielraum an. Das gilt vor allem dort, wo an der Entscheidung weisungsfrei arbeitende Gremien beteiligt sind. Zudem sieht sich die gentechnikrechtliche Rechtsprechung nicht durch die strenge Rechtsprechung des BVerfG gehindert, einen Beurteilungsspielraum anzunehmen. 386 Im Gegenteil – sie glaubt sich gerade durch das BVerfG bestätigt: Sie meint, dieses hätte in der Sasbach-Entscheidung und im Kalkar-Beschluss für den Parallelfall des Atomrechts ein Letztentscheidungsrecht der Verwaltung bei komplexen naturwissenschaftlichen Risikoentscheidungen gebilligt. 387 Ob ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum tatsächlich verfassungsrechtlich zulässig ist, wird allerdings erst seine Untersuchung am Maßstab des Art. 19 IV GG, der materiellen Grundrechte, des Art.20 a GG und der Art. 92, 97 GG zeigen müssen. Nur dann wäre es auch möglich, einen solchen Spielraum bei allen gentechnikrechtlichen Risikoentscheidungen anzunehmen, die in Kapitel B. dargestellt wurden.

386 OVG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 8 zu § 16, S. 2 unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG zum Prüfungsrecht (BVerfGE 84, 34 ff.). 387 Zur Sasbach-Entscheidung: OVG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 4 zu § 13, S. 3; VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13 GenTG, S. 4; VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 1 zu § 7, S. 4. Und auch zum Kalkar-Beschluss: OVG Hamburg, ZUR 1995, 93 (94, mi, f.); OVG Hamburg, Eberbach/ Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 4 zu § 13, S. 3; VG Hamburg, ZUR 1994, 322 (322, re); VG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 3 zu § 13, S. 14.

D. Vereinbarkeit der gentechnikrechtlichen Kontrollpraxis mit Art. 19 IV GG? Im folgenden soll geprüft werden, ob die in Kapitel C. dargestellte gerichtliche Kontrolldichte gentechnikrechtlicher Risikoentscheidungen mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV GG vereinbar ist. Dabei sollen die Behördenentscheidungen in die Untersuchung einbezogen werden, für die die Rechtsprechung zwar bisher noch keinen Beurteilungsspielraum anerkannt hat, für die das aber im Fall eines Gerichtsstreits zu erwarten ist. 1 Nach allgemeiner Grundrechtsdogmatik ist ein staatliches Verhalten, das in Grundrechte eingreift, verfassungsgemäß, wenn es durch die Schranken des Grundrechts gedeckt ist und auch sonst verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Dieses anerkannte grundrechtsdogmatische Konzept, das zwischen Schutzbereich, Eingriff und verfassungsrechtlicher Rechtfertigung unterscheidet, lässt sich auch für die Prüfung des Beurteilungsspielraums am Maßstab der Rechtsschutzgarantie nutzen. 2 Allerdings wird oft bestritten 3, dass Art. 19 IV GG einen eigenen 4 wehrfähigen Schutzbereich mit verfassungsrechtlich fixiertem Gehalt hat. Dies geschieht dadurch, dass Art. 19 IV GG „nur“ als dienendes 5, primäres Leistungsgrundrecht bezeichnet wird 6, dessen Inhaltsbestimmung maßgeblich der Ausgestaltungsmacht des Gesetzgebers überlassen ist 7. Doch ist Art. 19 IV GG nicht ein bloßes Nebenrecht, das hilft, materielle subjektive Rechte gerichtlich durchzusetzen. Vielmehr ist Art. 19 IV GG „Krönung“ 8 und „Schlussstein des Rechtsstaats“ 9 als ein selbständiKapitel C. III. 2. b) dd). Vgl. BVerfGE 101, 106 (zum Schutzbereich: 122, sub I. 2., zum Eingriff: S. 124, sub. I. 3., zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung: S. 124 ff.); Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 17; a. A. offenbar Hartmut Maurer, Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, S. 467 (474). 3 Deutlich Hartmut Maurer, Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, S. 467 (474). 4 Dieter Lorenz, Festschrift für C.-F. Menger, S. 143 (145), der von einer „inhaltlichen Eigenbedeutung“ des Art. 19 IV spricht. 5 Ulrich Ramsauer, in: AKGG, Art. 19 IV Rdn. 33. 6 Ulrich Ramsauer, in: AKGG, Art. 19 IV Rdn. 34; vgl. auch H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 19 Rdn. 22, 36; Hartmut Maurer, Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, S. 467 (474). 7 Peter Michael Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 19 IV Rdn. 379; vgl. auch BVerfGE 27, 297 (310): der Rechtsweg wird nur im Rahmen der jeweils geltenden Prozessordnung eröffnet; in neueren Entscheidungen wird diese Formulierung aber nicht mehr gebraucht, sondern von einem wirkungsvollen Rechtsschutz (BVerfGE 60, 253 [269]) oder einem effektiven Rechtsschutz (BVerfGE 101, 106 [129]) gesprochen. 8 Godehard JoS. Ebers, Festschrift für W. Laforet, S. 269 (271). 1 2

I. Eingriff in Art. 19 IV GG durch Beurteilungsspielräume

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ges Grundrecht 10 mit festem Kern 11, der sogar durch eine Einrichtungsgarantie gesichert wird 12. Daher sind Angriffe auf die Rechtsschutzgarantie ebenso abwehrrechtlich zu prüfen wie Eingriffe in die anderen Grundrechte. 13 Die folgende Untersuchung hat daher zunächst zu klären, ob Gerichte in den Schutzbereich des Art. 19 IV GG eingreifen, wenn sie ihre Kontrolle bei der Prüfung gentechnikrechtlicher Risikobewertungen auf eine Vertretbarkeitsprüfung beschränken (I.). Das verlangt, die Anforderungen an „Rechtsschutz“ und „Kontrolle“ i. S. von Art. 19 IV GG zu bestimmen. Dabei wird sich zeigen, ob die Wirksamkeit der gerichtlichen Kontrolle bei Annahme eines Beurteilungsspielraums hinter den Anforderungen des Art. 19 IV GG zurückbleibt und ob deshalb ein Eingriff in Art. 19 IV GG bejaht werden muss. In diesem Fall wäre weiter zu prüfen, ob sich dieser Eingriff verfassungsrechtlich rechtfertigen lässt (II.). Hier wäre auch die restriktive Haltung des BVerfG gegenüber Beurteilungsspielräumen zu berücksichtigen.14

I. Eingriff in Art. 19 IV GG durch Beurteilungsspielräume 1. Der Schutzbereich des Art. 19 IV GG – die Anforderungen an eine wirksame gerichtliche Kontrolle Art. 19 IV GG verleiht dem Einzelnen einen Anspruch darauf, dass ihm bei der Verletzung eines seiner Rechte durch einen Akt öffentlicher Gewalt der Rechtsweg offen steht. Gentechnikrechtliche Behördenentscheidungen sind Akte öffentlicher Gewalt. Sie können subjektive Rechte verletzen. Verletzt sein können Dritte, Nachbarn oder Laborarbeiter in ihren Grundrechten aus Art. 2 II 1, 14, 12 GG oder in ihrem einfachgesetzlichen Schutzanspruch auf eine bestmögliche Risikovorsorge 15. Auch könnte ein Betreiber in seiner verfassungsrechtlich geschützten Berufs- oder Forschungsfreiheit beeinträchtigt sein, wenn eine gentechnikrechtliche Behördenentscheidung sein Vorhaben hindert. Da die Möglichkeit einer Rechtsverletzung für eine Eröffnung des Rechtswegs ausreicht 16 und der Begriff der Rechtsverletzung im Richard Thoma, Recht – Staat – Wirtschaft, S. 9. Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 1; Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 19 IV Rdn. 30; Walter Krebs, in: v. Münch/Kunig, Art. 19 Rdn. 47. 11 Hierzu rechnen die Mindest-Rechtsschutzstandards, z. B. lückenloser, zügiger, gründlicher und vorläufiger Rechtsschutz, vgl. dazu Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 36, 168. 12 Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 169; ders., in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 19 ff.; Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art.19 IV Rdnr. 14; Walter Krebs, in: v. Münch/Kunig, Art. 19 Rdn. 49. 13 Vgl. Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 47 ff. 14 Siehe Kapitel C. II. 3. b). 15 Vgl. Kapitel E. I. 16 Vgl. Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 107. 9

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12 Schmieder

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

Zweifel weit auszulegen ist 17, muss der Rechtsweg gegen gentechnikrechtliche Behördenentscheidungen offen stehen. Das heißt: behauptet ein Einzelner substantiiert, er werde durch eine gentechnikrechtliche Behördenentscheidung in seinen Rechten verletzt, so müssen staatliche, unabhängige Gerichte über gentechnikrechtliche Behördenentscheidungen urteilen. Wie in Kapitel C. gezeigt, tun Gerichte dies auch. 18 Allerdings ist fraglich, ob die Art und Weise, wie sie Rechtsschutz gewähren, Art. 19 IV GG genügt. Um dies festzustellen, muss die knappe Forderung, „so steht ihm der Rechtsweg offen“ präzisiert werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts garantiert Art. 19 IV GG nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes; der Einzelne hat einen substantiellen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. 19 Die Rechtsschutzgarantie erschöpft sich nicht nur in der Gewährleistung des Zugangs zu den Gerichten 20, sondern sie bestimmt auch die Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens. Um wirkungsvoll zu sein, muss der Gerichtsschutz „zweckgerichtet, geeignet und angemessen sowie für den Rechtsschutzsuchenden zumutbar sein“. 21 Dabei ist zu berücksichtigen, dass Art. 19 IV GG ein subjektives Rechtsschutzmodell zu Grunde liegt. 22 Dies ergibt sich maßgeblich aus dem Wortlaut der Norm, der durch seine Formulierung „wird jemand... in seinen Rechten verletzt“ den Einzelnen zum zentralen Anknüpfungspunkt macht. Auch spricht die Stellung von Art. 19 IV GG im Grundrechtsteil dafür, dass Art. 19 IV GG subjektivrechtlich ausgerichtet ist. 23 Denn die Grundrechte sind gerade darauf ausgerichtet, dem Einzelnen zu dienen. 24 Außerdem belegt die Entstehungsgeschichte, dass Art. 19 IV GG ein subjektives Rechtsschutzmodell enthält. 25 Art. 19 IV GG wurde geschaffen, um subjektive Rechte des Einzelnen wieder gerichtlich durchsetzbar zu machen.26 In der NS-Zeit wurde der Einzelne als Subjekt verachtet 27, weshalb es faktisch keinen GeMartin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 154. Kapitel C. III. 2. b). 19 BVerfGE 35, 263 (274); 61, 82 (111); 84, 34 (49); st. Rspr. 20 A. A. Gerd Schmidt-Eichstädt, AöR 98 (1973), 173 (190); Hanns Jürgen Weigel, Beurteilungsspielraum oder Delegationsbegriff?, S. 177. 21 BVerfGE 60, 253 (269); 77, 275 (284). 22 Z. B. Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rdn. 8, der von Art. 19 IV als einer „Bastion der Individualität“ spricht; Peter Michael Huber, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 19 IV Rdn. 355; Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 108 ff.; ders., Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 167 ff. 23 Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 169. 24 Vgl. Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 122, der die Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte par excellence bezeichnet. 25 Werner Matz, JöR Bd. 1 N. F. (1957), S. 184. 26 Vgl. dazu auch Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S.352, der die Aufnahme von Art. 19 IV in den Grundrechtskatalog als Wechsel mit Verfasssungsrang bezeichnet, vom objektiven Rechtsschutz-System des Dritten Reichs zu einem System subjektiven Rechtsschutzes. 27 Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 333 ff. 17 18

I. Eingriff in Art. 19 IV GG durch Beurteilungsspielräume

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richtsschutz gegen Verwaltungshandeln gab, das subjektive Rechte schmälerte 28. Nochmals sollte eine solch menschenverachtende Degradierung des Einzelnen zum Objekt nicht möglich sein. Daher wurde der gerichtliche Schutz subjektiver Rechte nicht nur wie in Art. 107 der Weimarer Verfassung durch einen objektivrechtlichen Programmsatz festgeschrieben, sondern er wurde zum Grundrecht und damit zum einklagbaren Recht gemacht. 29 Schließlich zeigt die Verknüpfung zwischen dem Tatbestand des Art. 19 IV GG „wird jemand ... in seinen Rechten verletzt“ und seiner Rechtsfolge „so steht ihm der Rechtsweg offen“, dass Art. 19 IV GG dem Einzelnen dienen soll. Hat der Einzelne aus den Grundrechten oder auf Grund einfachen Rechts einen Anspruch, vom Staat ein Tun, Dulden oder Unterlassen zu verlangen 30, so haben Gerichte die Pflicht, diesen Anspruch gegenüber den anderen Gewalten durchzusetzen. Das verlangt, dass sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Gerichtsschutzes stets vergegenwärtigt, weshalb subjektive Rechte gewährt werden. Sie sollen gewährleisten, dass der Einzelne als Individuum unabhängig bleibt und sich selbst verwirklichen kann. 31 Subjektive Rechte sollen also den Einzelnen stärken. Das bedeutet für einen Gerichtsschutz, der diese Rechte durchsetzen soll, dass auch er stark sein muss. Effektivem Rechtsschutz i. S. von Art. 19 IV GG genügt daher nicht „irgendein Rechtsschutz“, sondern nötig ist ein „wirkungsvoller Rechtsschutz“ 32 i. S. eines „bestmöglichen Rechtsschutzes“. 33 Dies verlangt, dass Gerichte Behördenentscheidungen kontrollieren 34; wie genau, ist wiederum im Lichte des subjektiven Rechts zu bestimmen. 35 Eine Kontrolle, bei der Gerichte nur beobachteten, widerspräche schon dem Wortsinn einer Kontrolle. Denn in Abgrenzung zum Beobachten meint Kontrollieren mehr als nur Beobachten. 36 „Kontrollieren“ umfasst 28 Siehe zum Verwaltungsrechtsschutz im NS-Staat ausführlich Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 308 ff. 29 Vgl. Horst Bauer, Gerichtsschutz als Verfassungsgarantie, S. 106. 30 Vgl. zum Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rdn. 2. 31 Hartmut Maurer, Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, S. 467 (475). 32 BVerfGE 60, 253 (269). 33 Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 167; gegen den Begriff „bestmöglicher“, „optimaler“ Rechtsschutz Horst Bauer, Gerichtsschutz als Verfassungsgarantie, S. 46 – allerdings setzt Bauer diesen Begriff mit ausgedehntem, grenzenlosem Rechtsschutz gleich, was mit „bestmöglichem Rechtsschutz“ aber nicht gemeint ist (vgl. unten II. zur Einschränkbarkeit von Art. 19 IV GG und BVerwGE 67, 206 [209]). 34 Vgl. Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 239. 35 BVerfGE 84, 34 (49); OVG Hamburg, WissR 2000, 78 (81): den Gerichten ist eine zureichende Entscheidungsmacht einzuräumen, um Rechtsverletzungen wirksam abhelfen zu können (unter Berufung auf BVerfGE 61, 82 [111]); Christian Bamberger, VerwArch 93 (2002), 217 (235); allgemein zur Ausgestaltung des Gerichtsschutzes: Ulrich Ramsauer, in: AKGG, Art. 19 IV Rdn. 33; Dieter Lorenz, Festschrift für C.-F. Menger, S. 143 (145); ders., Der Rechtsschutz des Bürgers, S. 151; Christian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen, S. 73 f. 36 Vgl. Duden, Synonymwörterbuch, S. 73, re: beim Stichwort „kontrollieren“ wird nicht nur „beobachten“ als Synonym aufgeführt, sondern auch Begriffe wie „inspizieren“ und „be-

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

immer auch das Recht des Kontrolleurs, eine eigene Entscheidung zu treffen 37. Ziel ist, das Verhalten des Kontrollierten zu lenken und es gegebenenfalls zu korrigieren 38. Dies schließt aus, dass Gerichte an die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen der Behörde gebunden werden. 39 Ebenso wenig genügt eine nur überschlägige Bewertung der Behördenentscheidung für einen wirksamen Gerichtsschutz subjektiver Rechte. Denn nur wenn Gerichte als unabhängige Instanz umfassend prüfen, ob die Erwägungen der Behörde zutreffen 40 und sich auf dieser breiten Grundlage ein eigenes Urteil bilden, ist der Grundstein dafür gelegt, dass der Einzelne letztlich sein Recht erhält. Beschränkte sich die gerichtliche Kontrolle aber auf eine bloße Urteilbildung, bliebe der Gerichtsschutz subjektiver Rechte „auf halbem Wege“ stehen. Daher verlangt Art. 19 IV GG, dass Gerichten darüber hinaus die Befugnis verliehen wird, über den Kontrollgegenstand entscheiden zu dürfen. Das wird besonders wirksam erreicht, wenn Gerichte den Kontrollgegenstand selbst verwerfen oder korrigieren dürfen. Zumindest aber muss ein Gericht berechtigt sein, die Rechtswidrigkeit des Kontrollgegenstands festzustellen. 41 Jedes „Weniger“ liefe auf einen lediglich bestätigenden Rechtsschutz hinaus, was dem Bild eines Gerichtsschutzes, der subjektive Rechte durchsetzen soll, geradezu widerspräche. Daher weist Art. 19 IV GG im Verhältnis von Verwaltung und Gerichtsbarkeit dem jeweils entscheidenden Gericht die Letztentscheidungskompetenz über rechteschmälerndes Verwaltungshandeln zu. 42 Damit untrennbar verbunden berechtigt bzw. verpflichtet Art. 19 IV GG Gerichte, Behördenentscheidungen umfassend zu prüfen 43. 2. Einschränkung des Art. 19 IV GG durch Annahme eines Beurteilungsspielraums Indem die gentechnikrechtliche Rechtsprechung die Kontrolle der Risikoermittlung und Risikoabschätzung auf eine Willkürkontrolle reduziert 44, bleibt sie hinter der von Art. 19 IV GG geforderten Kontrolle zurück. Denn nicht Gerichte entscheiden insoweit letztverbindlich, sondern sie überlassen dies der Verwaltung. Nach allanstanden“ (a. a. O., S. 420, li); auch wird Kontrolle weitergehend mit „Herrschaft“ umschrieben (vgl. Duden, Fremdwörterbuch, S. 444 [li]). 37 Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 52. 38 Walter Krebs, Kontrolle, S. 44. 39 BVerfGE 15, 27 (282); 84, 34 (49). 40 BVerfGE 78, 214 (226); 84, 34 (49); BVerwGE 35, 69 (74); 94, 307 (309); 100, 221 (225). 41 Vgl. zu den von Art. 19 IV geforderten Sanktionen Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 195. 42 BVerfGE 88, 40 (57): „Letztentscheidungsrecht“; vgl. auch BVerfGE 61, 82 (111): „zureichende Entscheidungsmacht, um ... Rechtsverletzung abzuhelfen“; BVerfGE 84, 34 (49): „grundrechtlich gebotene Korrektur“; vgl. auch Hans-Jürgen Papier, HStR VI, § 154 Rdn. 2: „Bei subjektiven Rechtsverletzungen der öffentlichen Gewalt ist das ‚letzte Wort‘ des Richters unverbrüchlich gewährleistet.“. 43 BVerfGE 101, 106 (124). 44 Siehe Kapitel C. III. 2. b) cc).

I. Eingriff in Art. 19 IV GG durch Beurteilungsspielräume

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gemeiner Grundrechtsdogmatik müsste deshalb ein Eingriff in Art. 19 IV GG bejaht werden. Doch wird die rechtsschutzverkürzende Wirkung von Beurteilungsspielräumen zum Teil verneint, weil das Maß der gerichtlichen Kontrolle dem Maß der Rechtsbindung des Kontrollierten folge und damit schon begrifflich keine gerichtliche Kontrolle stattfinden könne, wo die Verwaltung durch die Zuerkennung eines Letztentscheidungsrechts von ihrer Rechtsbindung entbunden sei 45 (a). In engem Zusammenhang damit steht der Ansatz, dass die Kontrolldichte lediglich ein Problem des materiellen Rechts darstellt 46 (b). So wird angeführt, dass Art. 19 IV GG keine weitergehenden Anforderungen an die gerichtliche Kontrolle stellen könne, wenn die Reichweite des materiellen Rechts bereits durch ein der Exekutive zugewiesenes Letztentscheidungsrecht beschränkt werde. Denn Art. 19 IV GG schaffe selbst keine Rechte, sondern setze diese voraus. 47

a) Fehlende Kontrollmacht der Gerichte mangels Rechtsbindung der Verwaltung? Wer behauptet, es könne dort keine Gerichtskontrolle stattfinden, wo eine hinreichende Rechtsbindung der Exekutive fehlt, schließt automatisch von der gelockerten Rechtsbindung auf die Zulässigkeit einer geringeren Kontrolle. Dieser Schluss ist aber verkürzt. 48 Denn ob die gelockerte Rechtsbindung rechtsschutzkonform ist, wird ungeprüft vorausgesetzt. Auf diese Weise wird verschleiert, dass der Grundsatz der vollen gerichtlichen Kontrolle bereits mit der gesetzlichen Anordnung eines Entscheidungsfreiraums beschnitten wird, auch wenn sich diese Schmälerung erst in der späteren Kontrollsituation zeigt. 49 Der Eingriff in Art. 19 IV GG liegt also schon im Vorfeld, nämlich in dem Gesetz, das die Gesetzesbindung des Kontrollierten regelt und auf diese Weise die Gerichtskontrolle begrenzt. An Art. 19 IV GG ist aber auch der Gesetzgeber gebunden. 50 Daher kann von einer zulässigen Kontroll45 Hans-Jürgen Papier, HStR VI, § 154 Rdn. 61; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth Art 19 Rdn. 48; Bernhard Stüer, DVBl. 1974, 314 (318, re, f.); Fritz Ossenbühl, DVBl 1974, 309, 312 (re); Christian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen, S. 152. 46 Z. B. Wolf-Rüdiger Schenke, in: BK, Art. 19 IV Rdn. 351; Hans-Jürgen Papier, HStR VI, § 154 Rdn. 61; Christian Bamberger, VerwArch 93 (2002), 217 (236). 47 Christian Bamberger, VerwArch 93 (2002), 217 (235 f.) unter Verweis auf BVerfGE 78, 214 (226); 83, 182 (194 f.); Christian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen, S. 149, 151. 48 Vgl. auch Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 19 IV Rdn. 95, der von einem Zirkelschluss spricht. 49 Vgl. auch Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 258, der diesen Vorschlag als Umgehung der Rechtsschutzgarantie bezeichnet. 50 Dies ist ganz herrschende Ansicht. Vgl. nur H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 19 IV Rdn. 37. Strittig ist indes, ob der Gesetzgeber öffentliche Gewalt i. S. von Art. 19 IV GG ist, so dass gegen ihn ein Rechtsweg gegeben sein muss. Vgl. zu dieser Diskussion Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 82 ff. m. w. N.

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

schranke mangels Rechtsbindung des Kontrollierten erst gesprochen werden, wenn eine Prüfung am Maßstab von Art. 19 IV GG ergeben hat, dass die Rücknahme der Rechtsbindung verfassungsgemäß ist. 51 b) Kontrollbeschränkungen als bloßes Problem des materiellen Rechts? Indessen könnte die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums nur eine materiellrechtliche Frage sein, so dass hierin allenfalls ein Eingriff in die materiellen Grundrechte läge, z. B. wenn das materielle Recht durch die Zurückdrängung des Gerichtsschutzes unverhältnismäßig beschränkt würde. 52 Wie in Kapitel C. gezeigt, wird ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum damit begründet, dass der Gesetzgeber der Verwaltung kraft der besonderen Normstruktur gentechnikrechtlicher Entscheidungsnormen einen Beurteilungsspielraum eröffnet habe. 53 Diese Auffassung beruht auf der dogmatischen Konstruktion, dass Art. 19 IV GG dem Gesetzgeber nicht verwehrt, die Gerichtskontrolle über die Reichweite subjektiver Rechte zu lenken. 54 Daher wird in der normativen Ermächtigung der Exekutive zur Letztentscheidung selbst kein Eingriff in Art. 19 IV GG gesehen, der sich an dessen Rechtfertigungsanforderungen messen lassen müsste.55 An der normativen Ermächtigungslehre ist gutzuheißen, dass sie sich gegen eine generelle Kontrollbeschränkung bei sämtlichen Wertungsentscheidungen wendet 56 und Letztentscheidungsrechte nur einzelfallspezifisch dem jeweils einschlägigen materiellen Recht entnimmt 57. So ließen sich die Besonderheiten eines jeden Rechtsgebiets sachgerecht berücksichtigen. Doch darf auch bei dieser materiellen Lösung nicht übersehen werden, dass bereits die „Art. 19 IV GG vorgelagerte“ Anknüpfung am materiellen Recht, den Schutzbereich des Art. 19 IV GG in rechtfertigungsbedürftiger Weise schmälert. 58 Denn durch ein Letztentscheidungsrecht, das 51 So auch Udo Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 288 Fn. 72; vgl. außerdem BVerfGE 88, 40 (61), wonach eine Verringerung der Rechtsbindung der Exekutive mit der Folge eines Letztentscheidungsrechts von Gerichten nur zu respektieren ist, wenn diese ihrerseits „verfassungsrechtlich unbedenklich“ ist. 52 Vgl. Wolf-Rüdiger Schenke, in: BK, Art. 19 IV Rdn. 351; Matthias Kapteina, Die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, S. 162. 53 Z. B. BVerwG NVwZ 1999, 1232 (1233, re); OVG Berlin, ZUR 1994, 206 (208, li); w. N. in Kap. C. III. 2. b) aa) und bb). 54 Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rdn. 191. 55 Wolf-Rüdiger Schenke, in: BK, Art. 19 IV Rdn. 351; Christian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen, S. 145, 148 f. 56 Vgl. zu solchen Ideen oben Kapitel C. I. 57 Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 19 IV Rdn. 94; Klaus Grupp, Festschrift für W. Blümel, S. 139 (154). 58 Vgl. dazu, dass Gerichte Art. 19 IV verletzen, wenn sie zu Unrecht einen nicht umfassend nachprüfbaren Entscheidungsspielraum der beklagten Verwaltungsbehörde annehmen BVerfGE 84, 31 (49 ff); 84, 59 (77 ff.); 88, 40 (61); vgl. auch BVerwGE 72, 195 (206); Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 312.

I. Eingriff in Art. 19 IV GG durch Beurteilungsspielräume

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aus den entscheidungserheblichen Normen gelesen wird, wird angeordnet, wie genau die gerichtliche Kontrolle im Streitfall sein soll. Auch wenn die Tiefe der gerichtlichen Kontrolle durch die zu schützenden materiellen Rechte mitbestimmt wird 59, so legen primär nicht die materiellen Grundrechte die Kontrollpflichten von Gerichten fest, sondern Art. 19 IV GG. Eine genaue gerichtliche Kontrolle gehört zu den von Art. 19 IV GG geforderten Mindeststandards an Rechtsschutz.60 Wenn daher die Gerichtskontrolle durch die materiellrechtliche Anordnung eines Letztentscheidungsrechts zurückgenommen wird, so ist schon diese Rücknahme ein Eingriff Art. 19 IV GG, der an dessen Schranken gemessen werden muss. 61 c) Fazit: Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum beschränkt Art. 19 IV GG Damit ist festzuhalten: Gleich, welche dogmatische Konstruktion gewählt wird, wird intensiv das Recht des Einzelnen beschnitten, sich von einem rechtsverletzenden Hoheitsakt zu befreien, wenn die Gerichtskontrolle auf die Auslegung der Norm und die Ermittlung des Sachverhalts beschränkt wird. Gerade die Subsumtion unter unbestimmte Rechtsbegriffe ist besonders fehleranfällig, vor allem dort, wo die Entscheidung wie die Risikobewertung im Gentechnikrecht, Abwägungen und Prognosen erfordert. Besonders dort kann eine fehlerhafte Subsumtion subjektive Rechte beeinträchtigen. Wird die Kontrolle der Subsumtion folglich durch Annahme eines Beurteilungsspielraums zurückgenommen, so verzichten Gerichte auf einen wichtigen Teil der Rechtswidrigkeitsprüfung. Voller Rechtsschutz wird damit nicht gewährt, denn eine Aufhebung der Behördenentscheidung kann nur noch erreicht werden, wenn die Behörde willkürlich gehandelt hat oder ein Verfahrensfehler vorliegt. 62 Verwaltungsrechtsschutz heißt aber nicht „Verfahrensschutz“ 63 und „Schutz nur vor groben Pflichtverletzungen der Verwaltung“, sondern Verwaltungsrechtsschutz i. S. von Art. 19 IV GG verlangt Schutz vor jeder rechteverletzenden Verwaltungstätigkeit. Neben dem Wortlaut des Art. 19 IV GG und seinem Zweck ergibt sich dies aus seiner Entstehungsgeschichte. Art. 19 IV GG wurde als „formelles Hauptgrundrecht“ 64 geschaffen, um in jedem Fall einen umfassenden Gerichtsschutz zu BVerfGE 101, 106 (122); Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 367. Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 168, 239 ff.; Walter Krebs, in: v. Münch/Kunig, Art. 19 Rdn. 65. 61 Vgl. BVerfGE 88, 40 (56 ff.); 103, 142 (157 f.); siehe auch Christian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen, S. 107 f.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 40 Rdn. 6; Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 448 f.; a. A. Eberhard Schmidt-Aßmann/Thomas Groß, NVwZ 1993, 617 (622, li). 62 Kritisch daher auch Guy Beaucamp, NuR 2002, 332 (334, li). 63 Vgl. dazu Jörn Ipsen, AöR 107 (1982), 260 (292), der zutreffend darauf hinweist, dass eine Verwaltungsentscheidung auch dann rechtswidrig sein kann, wenn alle Verfahrensvorschriften beachtet worden sind. 64 Friedrich Klein, VVDStRL 8 (1950), 67 (88, 123); vgl. auch Horst Bauer, Gerichtsschutz als Verfassungsgarantie, S. 106, 21 m. w. N. 59 60

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

gewährleisten 65. Von daher widerstrebt eine Beschränkung des Gerichtsschutzes auf einen Willkürschutz auch den Vorstellungen des Verfassungsgesetzgebers. 66 Berücksichtigt man zudem, dass ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum, wie er heute von den meisten Gerichten praktiziert wird 67, von der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung flankiert wird, wonach Verfahrensfehler nur dann zur Aufhebung einer Behördenentscheidung zwingen sollen, wenn sie sich auf das subjektive Recht des Einzelnen ausgewirkt haben 68, so wird die Chance, dass der Einzelne vor Gericht Recht bekommt, weiter verkleinert. 69 Überdies wird die Rechtsprechung zum gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum auch auf die Risikoermittlung erstreckt. 70 Sogar die Sachverhaltsermittlung bleibt partiell unkontrolliert. 71 Faktisch wird die Gerichtskontrolle gentechnikrechtlicher Risikobewertungen damit sogar noch hinter die Kontrollbefugnis eines Revisionsgerichts gegenüber einem Tatsachengericht zurückgedrängt. 72 Revisionsgerichte dürfen in ähnlicher Weise wie bei der Anerkennung eines Beurteilungsspielraums nur Verfahrensfehler rügen. Ebenfalls werden sie an tatsächliche Feststellungen gebunden, sofern das Tatsachengericht nicht gegen allgemeine Denkgesetze oder Auslegungsgrundsätze verstoßen hat 73 (vgl. § 137 II VwGO). Doch dürfen Revisionsgerichte zumindest die Wertungen des Tatsachengerichts umfassend rechtlich würdigen; das gilt auch für Wahrscheinlichkeitsprognosen 74. Demgegenüber beschränkt ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum Gerichte schon in erster Instanz auf eine weniger sorgfältige Vertretbarkeitskontrolle von Prognosen, die sich üblicherweise in 65 Vgl. Friedrich Klein, VVDStRL 8 (1950), 67 (89); Hermann Reuss, DVBl. 1953, 585 (588, re). 66 Vgl. zur rechtsschutzverkürzenden Wirkung von Beurteilungsspielräumen auch Helmuth Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 (779, li); Fritz Czermak, JuS 1968, 399 (402, re): die „formelhafte Feststellung, eine Überschreitung ‚des‘ Beurteilungsspielraums ... [sei] ... nicht erkennbar ... ist praktisch eine Verweigerung des Rechtsschutzes.“ 67 Siehe Kapitel C. II. 2. b) aa) und cc). 68 Für das Gentechnikrecht OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (38, f.); allgemein auch BVerwGE 64, 325 (332) und H.-D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 19 Rdn. 28. 69 Kritisch gegenüber einem gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum daher auch Ivo Appel, ZUR 1999, 41 (43) und Guy Beaucamp, NuR 2002, 332 (334, li). Siehe hierzu auch unten II. 3. d) cc) (3). 70 Siehe Kapitel C. III. 2. b) cc). 71 Vgl. allgemein zur Beschränkung der Ermittlungspflichten bei Beurteilungsspielräumen auch Kopp/Schenke, VwGO, § 86 Rdn. 4 i.V. mit § 114 Rdn. 23 ff. 72 Vgl. zur Ähnlichkeit des Kontrollprogramms bei Beurteilungsspielräumen mit der Revision auch Hans Julius Wolff, Verwaltungsrecht I, 5. Aufl., 1963, § 31 I 2., S. 145 – Indes versteht Wolff die Kontrolldichte bei Anerkennung einer Einschätzungsprärogative wohl weiter. Denn ab der 7. Aufl., 1968, § 31 I 2., S. 167, in der Wolff den Begriff des Beurteilungsspielraums durch den der Einschätzungsprärogative ersetzte (siehe dazu oben Kapitel C. II. 1. b)]), geht er nicht mehr auf den Vergleich zur Revision ein. 73 Kopp/Schenke, VwGO, § 137 Rdn. 24. 74 BVerwG NVwZ 1992, 984 (986, li) – zur Kontrolle von Wahrscheinlichkeitsprognosen im Chemikalienrecht.

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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der Feststellung erschöpft, eine unvertretbare Entscheidung der Behörde sei nicht zu erkennen. 75 Durch einen solchen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum wird Art. 19 IV GG folglich empfindlich verkürzt. 76

II. Rechtfertigung eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums? 1. Rechtfertigungsanforderungen des Art. 19 IV GG Der Eingriff in Art. 19 IV GG durch den gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum könnte gerechtfertigt sein, denn Art. 19 IV GG schließt Eingriffe in seinen Schutzbereich nicht von vorneherein aus. 77 Vielmehr erlaubt er wie jedes andere vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht Schmälerungen seines Schutzbereichs zu Gunsten kollidierenden Verfassungsrechts. 78 Beispielsweise kann die Verkürzung des Rechtsschutzes gerechtfertigt sein, um eine funktionsfähige Rechtspflege zu erhalten. 79 Weiterhin kann die Funktionsfähigkeit der Verwaltung (Art. 20 II, 83 ff. GG) eine Beschränkung des gerichtlichen Rechtsschutzes rechtfertigen80, z. B. durch das Mittel der Bestandskraft von Verwaltungsakten 81. Zudem kommen als Rechtfertigungsgründe kollidierende Grundrechte Dritter 82 in Betracht und aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) abgeleitete allgemeine Belange wie Rechtssicherheit und Rechtsfrieden 83. Manche Autoren differenzieren indessen hinsichtlich der Zulässigkeit von gerichtsschutzschmälernden Regelungen weiter. Sie fragen danach, ob der Gesetzge75 Z. B. VG Berlin, ZUR 1996, 41 (43, re): „Vor diesem Hintergrund hat die Kammer keinen Anlass zu der Annahme, dass ... die Genehmigungsbehörde die Entscheidung unter Verkennung des Standes der Wissenschaft ... getroffen hätte“; besonders deutlich VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 9 zu § 16, S. 2, das eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums ablehnt unter Verweis auf frühere Entscheidungen, weil auch dort „regelmäßig keine Abwägungsdefizite“ festgestellt werden konnten. 76 Zur Weite des gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums vgl. auch Thomas Schomerus, IUR 1992, 170 (171, mi). 77 BVerfGE 60, 253 (267); 101, 106 (124); BVerwGE 67, 206 (209); gegen eine Abwägungsfähigkeit von Art. 19 IV indessen Hans-Ulrich Evers, Zur verfassungsändernden Beschränkung, S. 29 (97 f.). 78 BVerfGE 60, 253 (267); Volker Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 33, 39; Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 316; Christian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen, S. 122. 79 BVerfGE 60, 253 (270 f.); Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 318, 320. 80 BVerfGE 60, 253 (270 f.); BVerwGE 67, 206 (209); Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 19 IV Rdn. 88. 81 BVerfGE 27, 297 (310); Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 337. 82 BVerfGE 101, 106 (124); Volker Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 33. 83 BVerfGE 60, 253 (267); Horst Bauer, Gerichtsschutz als Verfassungsgarantie, S. 44.

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

ber den Gerichtsschutz „nur“ ausgestaltet oder ob er ihn beschränkt.84 Diese Unterscheidung ist zu begrüßen, soweit damit das Ziel verfolgt wird, den Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Gerichtsschutzes in die Schranken zu verweisen, die ihm durch die Verpflichtung auf einen wirkungsvollen Rechtsschutz 85 und durch den Charakter des Art. 19 IV GG als Einrichtungsgarantie gesetzt werden 86. Soweit mit dieser Unterscheidung aber die Anforderungen an den Gesetzgeber bei der bloßen Ausgestaltung gelockert werden sollen 87, ist dies mit der Dogmatik des Art. 19 IV GG unvereinbar. Art. 19 IV GG unterscheidet nicht zwischen erleichterten Zugriffsmöglichkeiten bei der Ausgestaltung und sonstigen Beschränkungen, die der Rechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht bedürfen. Auch ist diese Unterscheidung praktisch kaum durchführbar, weil eine Ausgestaltung des Gerichtsschutzes meist mit einer Beschränkung des Gerichtsschutzes einhergeht 88. Denn bei der Ausgestaltung müssen allgemeine Interessen mitberücksichtigt werden89, die regelmäßig dazu zwingen, rechtsschutzeröffnende Regelungen gleichzeitig mit Schrankenregelungen zu versehen. So eröffnen z. B. die Generalklauseln der §§40 I 1 VwGO, 13 GVG, 33 FGO, 51 SGG, 23 EGGVG den Zugang zu den Gerichten bei Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt; zugleich wird der Zugang aber durch Zulässigkeitsvoraussetzungen begrenzt, um eine Überlastung von Gerichten zu verhindern und um die Funktionsfähigkeit der Verwaltung zu erhalten 90. Daher verlangt jede Maßnahme, die den Schutzbereich des Art. 19 IV GG verkürzt, eine Rechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht, mag sie auch primär darauf abzielen, den Gerichtsschutz auszugestalten 91. Das heißt, der Gesetzgeber darf zwar Regelungen schaffen, die das bestehende Rechtsschutzsystem gestalten, die es ändern, die den Rechtsschutz kanalisieren oder die bestehende Kontrollmöglichkeiten beschränken. 92 Doch muss er dabei stets als Schranken-Schranke die Bedeutung des Art. 19 IV GG als formelles Hauptgrundrecht zum Schutz subjektiver Rechte beach84 Z. B. H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 19 Überschrift vor Rdn. 35, 51; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdn. 1023. 85 Dies sind z. B. rechtzeitiger, lückenloser, gründlicher Rechtsschutz, vgl. dazu Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 168 m. w. N. und Verweisen. 86 Michael Dolderer, Festschrift für W. Brohm, S. 245 (250). 87 So Christian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen, S. 145 f., der für Eingriffe kollidierendes Verfassungsrecht verlangt (a. a. O., S. 122), für Ausgestaltungen, die bereits den Begriff des Rechts verändern, „Sachgerechtigkeit“ genügen lässt (S. 161). Genügen soll, dass der Gesetzgeber die Auswirkungen auf Art. 19 IV „im Auge behält“. 88 Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 319. 89 Vgl. Horst Bauer, Gerichtsschutz als Verfassungsgarantie, S. 44 ff. 90 BVerfGE 60, 253 (269); Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 320, 328. 91 Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 319; vgl. auch BVerfGE 60, 253 (267, unter 2., erster Satz). 92 Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 114 Rdn. 38: Der Gesetzgeber darf durch Regelungen von der Vollkontrolle abweichen; vgl. auch Horst Bauer, Gerichtsschutz als Verfassungsgarantie, S. 138.

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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ten. 93 Beschränkungen des Gerichtsschutzes müssen deshalb erstens Ausnahmen bleiben. 94 Zweitens darf durch die Beschränkung des Gerichtsschutzes die Erlangung von Gerichtsschutz nicht unzumutbar erschwert werden95. Einschränkungen des Gerichtsschutzes sind deshalb nur unter strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zulässig 96. Für die Annahme eines Beurteilungsspielraums bedeutet dies: eine solche ist solange verfassungswidrig, wie keine den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips genügende Begründung durch kollidierendes Verfassungsrecht gefunden ist, die eine Ausnahme vom Grundsatz der Vollkontrolle rechtfertigt. 97 2. Differenzierung nach dem Anknüpfungspunkt eines Beurteilungsspielraums? An den dargelegten Rechtfertigungsanforderungen des Art. 19 IV GG muss sich die Rechtsprechung zum Gentechnikrecht messen lassen, wenn sie einen Beurteilungsspielraum anerkennt. Möglicherweise könnte es aber zulässig sein, danach zu differenzieren, an welcher Handlungsform 98 der Beurteilungsspielraum anknüpft 99. Etwa könnte ein Beurteilungsspielraum, der aus der Anwendung der GenTSV als standardisierende Rechtsverordnung gefolgert wird, eher zu rechtfertigen sein als einer, der auf die Anwendung der Organismenlisten als normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften oder die Risikobewertung im Einzelfall gestützt wird. Soweit eine Standardisierung durch Rechtsverordnung erfolgt, könnte die Einschränkung der Kontrollkompetenz der Gerichte damit begründet werden, dass der Erlass von Rechtsverordnungen der Rechtsetzung des parlamentarischen Gesetzgebers ähnelt. Das Parlament besitzt, mit Art. 19 IV GG vereinbar, eine im Demokratieprinzip (Art. 20 II 1, III GG) wurzelnde Einschätzungsprärogative. 100 Diese 93 Vgl. dazu auch Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Schoch/Schmidt/Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl Rdn. 2; Ulrich Ramsauer, in: AKGG, Art. 19 IV Rdn. 30, 35: das Art. 19 IV beschränkende Gesetz ist seinerseits im Lichte des Art. 19 IV auszulegen. 94 Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 325; Christian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigen Sachverständigenausschüssen, S. 92 f. 95 BVerfGE 40, 272 (275); 65, 76 (90); 78, 88 (99); 101, 106 (125). 96 BVerfGE 101, 106 (125). 97 Vgl. OVG Hamburg, WissR 2000, 78 (80); Christian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen, S. 92; Guy Beaucamp, JA 2002, 314 (315, li); Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rdn. 24 b; vgl. auch Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 19 IV Rdn. 100. 98 Siehe dazu die Darstellung in Kapitel C. III. 2. b) aa) (3). 99 So Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 109; ähnlich Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 270. 100 Z. B. BVerfG DVBl. 2002, 328 (329, re); Peter Michael Huber, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 19 IV Rdn. 517; Walter Krebs, in: v. Münch/Kunig, Art. 19 Rdn. 65; Wolf-Rüdiger Schenke, in: BK, Art. 19 IV Rdn. 370.

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

folgt daraus, dass der Gesetzgeber meist unterschiedliche politische Ansichten zum Ausgleich bringen muss. Daher darf er Mittellösungen finden, die bei objektiver Betrachtung auch anders hätten ausfallen können. Das Demokratieprinzip hat zwar nicht stets uneingeschränkt Vorrang vor der Rechtsschutzgarantie 101, doch rechtfertigt die zentrale Bedeutung, die das Demokratieprinzip dem parlamentarischen Gesetzgeber zuweist, dass Gerichte 102 ihre Kontrollkompetenz partiell zurücknehmen, indem sie eine Einschätzungsprärogative des demokratisch legitimierten Gesetzgebers respektieren 103. Wenn nun der parlamentarische Gesetzgeber der Exekutive erlaubt, eine Rechtsverordnung zu erlassen, so gibt er seine Entscheidungsprärogative in den Grenzen des Art. 80 GG (bzw. der entsprechenden Bestimmungen der Landesverfassungen) an die Exekutive weiter. 104 Folgerichtig darf auch der Exekutive beim Erlass von Rechtsverordnungen ein gewisser Einschätzungsspielraum zuerkannt werden. 105 Im Verhältnis zu dem des parlamentarischen Gesetzgebers ist der Prognosespielraum der Exekutive zwar kleiner, weil dieser nur in den Grenzen des Art. 80 I 2 GG besteht. 106 Doch müssen Gerichte die Einschätzungen der Exekutive innerhalb dieser Grenzen befolgen. 107 Da Rechtsverordnungen „Recht“ i. S. von Art. 20 III GG sind, dürfen Richter beispielsweise an in Rechtsverordnungen enthaltene Standardisierungen und Grenzwerte gebunden werden. Im Ergebnis hat dies aber für die Zulässigkeit eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums keine ausschlaggebende Bedeutung. Denn wie die Analyse eines solchen Spielraums gezeigt hat, basiert er niemals nur auf der Anwendung standardisierender Rechtsverordnungen. Vielmehr knüpft er immer daran an, dass Risiken einzelfallspezifisch bewertet werden müssen. 108 Daher ist für seine Zulässigkeit entscheidend, ob ein Beurteilungsspielraum, der auf die Anwendung der OrganismenVgl. Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 253. Gemeint ist sowohl der einzelne Richter bei der Inzidentkontrolle eines Gesetzes ebenso wie das über eine konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 entscheidende Bundesverfassungsgericht. 103 Das BVerfG hat es bisher vermieden, sich auf eine strenge inhaltliche Kontrolle, eine Vertretbarkeitskontrolle oder eine Evidenzkontrolle festzulegen (BVerfGE 50, 290 [332 f.]; 88, 87 [97]). 104 Vgl. Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rdn. 217; Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 254. 105 BVerfGE 29, 198 (211); BVerwGE 70, 318 (328 ff.); Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rdn. 217; Walter Krebs, in: v. Münch/Kunig, Art. 19 Rdn. 65; Kopp/ Ramsauer, VwVfG, § 40 Rdn. 5; Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 282; Wolf-Rüdiger Schenke, in: BK, Art. 19 IV Rdn. 377 ff.; Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rdn.63; Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art.19IV Rdn.91; ders., JZ 1993, 772 (780, re, f.). 106 Vgl. BVerfGE 13, 248 (255 ff.); 42, 374 (387 f.). 107 Im Ergebnis ebenso Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 111 f., der allerdings das entscheidende Kriterium für die Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolldichte in der organisatorischen und verfahrensmäßigen Absicherung des Zustandekommens technischer Normen durch Einbeziehung der ZKBS sieht. 108 Siehe Kapitel C. III. 2. b) dd). 101 102

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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listen gestützt wird und der einzelfallspezifisch aus der Pflicht zur Risikobewertung am Maßstab des Stands der Wissenschaft und Technik gefolgert wird, den Rechtfertigungsanforderungen des Art. 19 IV GG genügt. Dies ist ausführlich zu prüfen, weil insoweit keine Parallele zur Einschätzungsprärogative der Exekutive beim Erlass von Rechtsverordnungen gezogen werden kann. Denn der bloße Vollzug eines formellen Gesetzes durch Verwaltungsvorschriften oder durch einzelfallspezifische Risikobewertungen verlangt kein ebensolches (Mit-)Gestalten wie der Erlass einer Rechtsverordnung. 109 Auch ist die Steuerung der Risikobewertung durch normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften nicht mit dem Erlass standardisierender Rechtsverordnungen vergleichbar. Erstens werden Verwaltungsvorschriften nicht auf Grund von Art. 80 GG erlassen. Zweitens sind sie reines Innenrecht, das Gerichte nicht wie eine Rechtsverordnung bindet. 110 Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum ist daher gleichermaßen rechtfertigungsbedürftig, ob er nun mit der Anwendung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften begründet wird oder ob er einzelfallspezifisch auf die Ausfüllung des Stands der Wissenschaft (und Technik) gestützt wird. 111 Deswegen muss bei der folgenden Bewertung der vorgetragenen Rechtfertigungsgründe auch nicht jeweils zwischen diesen beiden Spielarten eines Beurteilungsspielraums unterschieden werden. 3. Ansätze zur Rechtfertigung eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums Versucht man, die für einen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum vorgetragenen Argumente 112 zu systematisieren, so lassen sich folgende Rechtfertigungsansätze herausarbeiten. 1. Gerichte können gentechnikrechtliche Entscheidungen nicht prüfen, weil sie bei der Kontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen an ihre Funktionsgrenzen stoßen. Grund für einen Beurteilungsspielraum soll also ein Mangel an Kontrollmöglichkeit sein. (a). 2. Gerichte dürfen gentechnikrechtliche Entscheidungen nicht prüfen, weil dies mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung unvereinbar ist (b) aa). Außerdem verletze eine volle gerichtliche Kontrolle den Willen des demokratisch legitimierten GeA. A. Udo Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 280. Siehe hierzu auch unten II. 3. d) bb). 111 A. A. Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 112, der eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolle bei Verwaltungsvorschriften „kaum“ Bedenken ausgesetzt sieht, wenn eine genügende organisatorische und verfahrensmäßige Absicherung hinsichtlich ihres Zustandekommens besteht (S. 109 ff.); a. A. auch Rainer Wahl, NVwZ 1991, 409 (414, li), der für die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums im Einzelfall höhere Voraussetzungen stellt als den Standardfall normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften; ähnlich wie hier aber Helmuth Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 (780, li, f.). 112 Zu ihnen Kapitel C. III. 2. b) bb) und c). 109 110

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setzgebers, weil dieser der Verwaltung ein Letztentscheidungsrecht zuerkannt habe (b) bb). 3. Gerichte dürfen nicht voll prüfen, weil sie dies auch in vergleichbaren Fällen nicht dürfen (c). So etwa nicht bei Planungsentscheidungen (c) aa), Prognoseentscheidungen (c) bb), Risikoentscheidungen im Atomrecht (c) cc) und Entscheidungen wertender Art durch weisungsfrei arbeitende Ausschüsse, die pluralistisch oder mit Sachverständigen besetzt sind (c) dd). 4. Gerichte dürfen nicht voll kontrollieren, weil ein dynamischer Grundrechtsschutz eine Letztentscheidung durch Gerichte verbietet. Dem wird hinzugefügt, dass es aus Gründen eines dynamischen Grundrechtsschutzes keiner vollen gerichtlichen Kontrolle bedürfe, weil das gentechnikrechtliche Verfahren schon genügenden Rechtsschutz gewähre (d). 5. Gerichte dürfen auch deshalb nicht voll kontrollieren, weil unterschiedliche gerichtliche Risikobewertungen die Rechtssicherheit gefährden (e). Diese Rechtfertigungsansätze werden meist unterschiedlich miteinander kombiniert. 113 Wenn auch ein Ansatz den Beurteilungsspielraum nicht belegen können soll, so sollen doch mehrere Ansätze im Verbund für einen Beurteilungsspielraum streiten. 114 Allerdings überzeugt diese Argumentation nicht. Denn wenn ein einzelnes Kriterium für sich genommen nicht tauglich ist, einen Beurteilungsspielraum zu rechtfertigen, so kann es dies auch nicht neben anderen. Vielmehr kann eine Kombination mehrer Kriterien einen Beurteilungsspielraum nur dann begründen, wenn jedes einzelne Kriterium geeignet ist, Art. 19 IV GG zu beschränken. Deshalb werden die dargestellten Rechtfertigungsansätze im folgenden auch nicht gekoppelt als Gesamtmodell untersucht, sondern jeder einzelne Ansatz wird gesondert daraufhin geprüft, ob er einen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum in verfassungsrechtlich zulässiger Weise rechtfertigen kann. a) Gerichte können gentechnikrechtliche Risikoentscheidungen nicht prüfen? aa) Fehlende Justiziabilität gentechnikrechtlicher Entscheidungen? (1) Eigenart der Entscheidungsmaterie als Kontrollschranke? Wie in Kapitel B. gezeigt, bestimmen Behördenentscheidungen im Gentechnikrecht das bei einem konkreten gentechnischen Vorhaben hinzunehmende Restrisi113 Vgl. z.B. BVerwG, NVwZ 1999, 1232; OVG Berlin, ZUR 1999, 37; VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13. 114 So Matthias Kapteina, Die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, S. 172, 174; in diese Richtung auch Guy Beaucamp, JA 2002, 314 (317, li).

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ko. 115 Dies verlangt Wertungen und Abwägungen und mitunter Entscheidungen an den Grenzen menschlicher Erkenntnis, weil selbst Naturwissenschaftler die komplexen Wirkungszusammenhänge der Gentechnik nicht mit absoluter Sicherheit voraussagen können. 116 Daher könnten gentechnikrechtliche Entscheidungen nicht voll justiziable, also teilweise kontrollunfähige Entscheidungen sein. 117 Der Gerichtsschutz selbst als kollidierendes Verfassungsrecht rechtfertigt deshalb eventuell einen Kontrollfreiraum, da Unmögliches von Gerichten nicht verlangt werden kann. 118 (a) Exekutabilität gentechnikrechtlicher Normen Der Verweis auf die eingeschränkte Kontrollfähigkeit gentechnikrechtlicher Normen ist schon deshalb nicht stichhaltig, weil die Behörde anhand dieser Normen eine „volle“ Entscheidung getroffen hat. Das zeigt, dass gentechnikrechtliche Normen tatsächlich exekutabel sind. Außerdem kann rechtstheoretisch erst dann vom Fehlen der Exekutabilität, der Anwendbarkeit und Ausführbarkeit einer Norm gesprochen werden, wenn diese so unbestimmt ist, dass die Norm nichtig ist.119 Das ist indessen bei den unbestimmten Rechtsbegriffen des Gentechnikgesetzes nicht der Fall, weil sich diese trotz ihrer Offenheit, ihrer Zukunftsgeprägtheit und ihrer Wissenschaftsabhängigkeit durch Auslegung präzisieren lassen. Wenn Entscheidungsnormen aber tatsächlich wie rechtstheoretisch exekutabel sind, lässt sich nicht überzeugend begründen, weshalb die darauf beruhenden Behördenentscheidungen trotz ihrer „Komplexität“ und „besonderer Dynamik“ nicht justiziabel sein sollen.120 Auch die Begriffe des „Stands der Wissenschaft“ und des „Stands der Wissenschaft und Technik“ sind nämlich keine nur eingeschränkt kontrollfähigen „außerrechtlichen“ Rezeptionsbegriffe. 121 Durch sie wird zwar das jeweils aktuelle naturwissenschaftliche Fachwissen in die Behördenentscheidungen des Gentechnikgesetzes transportiert. Doch rechtfertigt dieser gesetzgebungstechnische Rückgriff auf „außerrechtliche“ Faktoren 122 nicht die Annahme eines Kontrollhindernisses. 123 Denn Kapitel B. IV. 4., 5., V. Vgl. die Beschreibung der biologischen Risiken in Kapitel B. III. m. w. N. 117 Rüdiger Breuer, NuR 1994, 157 (162, li). 118 In diese Richtung auch BVerwG NVwZ 1999, 1232 (1234, li). 119 Vgl. dazu Hermann Reuß, DVBl. 1953, 649 (654, re): „Die Frage der Justiziabilität der unbestimmten Rechtsbegriffe ist mithin identisch mit der Frage ihrer Rechtsnormqualtiät.“. 120 Vgl. zum Zusammenhang Exekutabelität-Justiziabilität auch VG Wiesbaden, NJW 1988, 356 (361, re); Horst Bauer, Gerichtsschutz als Verfassungsgarantie, S. 137. 121 Vgl. Christian-Tünnesen Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 92: „Technische Regelungsfragen laufen letztlich immer auf die Frage ‚Wie sicher ist sicher genug?‘ hinaus und sind damit keine außerrechtlichen Fachfragen“; vgl. auch BVerwGE 77, 285 (287) – zur Bestimmung der nach dem „Stand der Technik“ zumutbaren Grenzen von Straßenlärm (§ 41 BImSchG); anders i.E. auch nicht BVerwGE 55, 295 (299): obwohl das BVerwG von einer „außerrechtlichen Fachfrage“ spricht, fordert es eine Entscheidung durch das Tatsachengericht. 122 So aber Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rdn. 202 ff. in Anlehnung an die Faktorenlehre Hugo Kellners, DÖV 1962, 572 (582, li); ders., NJW 1966, 857 (863, re). Siehe dazu auch Kapitel C. II. 1. b). 115 116

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mit Aufnahme in die gentechnikrechtlichen Entscheidungsnormen wurde der Stand der Wissenschaft (§ 16 II GenTG) bzw. der Stand der Wissenschaft und Technik (§§ 11 I Nr. 4, 16 I Nr. 2 GenTG) verrechtlicht, wodurch er wie jeder andere Gesetzesbegriff zum Gegenstand gerichtlicher Kontrolle wurde. 124 Um eine eingeschränkte Justiziabilität des Stands der Wissenschaft (und Technik) vor Art. 19 IV GG zu begründen, bedürfte es mithin einer Rechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht und nicht nur des Verweises auf die Verwendung dieses Rezeptionsbegriffs 125. (b) Das Prinzip der „einzig richtigen Entscheidung“ Des Weiteren schwingt in der Argumentation, gentechnikrechtliche Entscheidungen seien nur eingeschränkt justiziabel, das Dogma mit, dass nur dort voll kontrolliert werden kann, wo lediglich eine „einzige richtige Entscheidung“ möglich ist126. In der Tat gibt es im Gentechnikrecht oft keine punktgenaue Ja-oder-Nein-Lösung, weil je nach Abwägung mehrere Entscheidungen denkbar sind und damit stets eine gewisse Schwankungsbreite von Entscheidungen möglich ist 127. Dies bringt auch § 7 I a 1 GenTG zum Ausdruck, wonach eine gentechnische Arbeit bei Zweifeln, ob eine Sicherheitsstufe dem bestehenden Risiko angemessen ist, in eine höhere Sicherheitsstufe einzustufen ist. Rein rechtlich gesehen gibt es zwar immer nur eine Lösung, weil die „notwendigen Sicherheitsvorkehrungen“ entweder eingehalten sind oder nicht; oder es liegen „schädliche Einwirkungen“ vor oder nicht. Allerdings ist dieses rechtstechnisch eindeutige Ja-oder-Nein jeweils mit persönlichen Wertungen verbunden. 128 Denn welche Sicherheitsvorkehrungen „nach dem Stand der Wissenschaft und Technik erforderlich bzw. notwendig“ sind und welche Einwirkungen „schädlich“ bzw. „vertretbar“ sind, wird vom Sicherheitsgefühl des jeweiligen Rechtsanwenders mit be123 Vgl. auch Walter Krebs, Kontrolle, S. 79; ähnlich kritisch Volkmar Götz, VVDStRL 34 (1976), 275 (298); Guy Beaucamp, JA 2002, 314 (315, re); a. A. Bernhard Stüer, DVBl. 1974, 314 (318, re). 124 VG Wiesbaden, NJW 1988, 356 (361, re); Dietrich Jesch, AöR 82 (1957), 163 (178); Fritz Czermak, JuS 1968, 399 (404, li). 125 Vgl. allg. Christian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen, S. 139; Klaus Grupp, Festschrift für W. Blümel, S. 139 (148, 150). 126 Udo Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 286; Rüdiger Breuer, UTR 14 (1991), 37 (60). 127 Vgl. auch BVerwGE 39, 197 (203): Die Vorstellung, dass bei der Anwendung des Begriffs der Eignung zur Jugendgefährdung nur eine richtige Lösung möglich sei, erweist sich als eine Fiktion. Von der Sache her sind mehrere Lösungen, ist eine „Bandbreite der Entscheidungsmöglichkeiten“ (Konrad Redeker, DÖV 1971, 757 [762, li]) denkbar, die das Recht in gleicher Weise als vertretbar ansehen kann; Hans-Joachim Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensermächtigungen im Verwaltungsrecht, S. 79: rein semantisch betrachtet, eröffnen unbestimmte Rechtsbegriffe dem Rechtsanwender einen Entscheidungsspielraum. Dies entkräfte das Prinzip der nur einen richtigen Entscheidung. 128 Vgl. Kapitel C. III. 1.

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stimmt 129. Dieses beeinflusst sowohl die Begriffsbildung und damit die Auslegung als auch die Entscheidung anhand der unbestimmten Rechtsbegriffe im konkreten Fall, also die Subsumtion 130. Zudem wird bereits die Risikoermittlung von den Sicherheitsauffassungen des entscheidenden Sachbearbeiters gelenkt131. Allerdings macht die Schwankungsbreite, die daraus resultiert, gentechnikrechtliche Entscheidungen nicht kontrollunfähig. 132 Vielmehr können persönliche Sicherheitsauffassungen am Sicherheitsniveau des Gentechnikgesetzes gemessen werden. Dieses ist nicht dreistufig, das heißt es erlaubt keine Risikovorsorge nach freiem Ermessen der Behörde. 133 Vielmehr müssen Behörden alle Risiken, die oberhalb der hinnehmbaren Restrisiken liegen, bekämpfen. Dazu ist stets abzuwägen zwischen den Rechten Dritter, Betreibern und Art. 20 a GG; zu einer vergleichsweise freien Kosten-Nutzen-Abwägung sind Behörden nicht berechtigt. 134 Daher enthalten die betroffenen Grundrechte genügende Vorgaben, um die Richtigkeit der Risikoabwägung zu prüfen. 135 Gerichten fehlt es damit nicht an Kontrollmaßstäben, wie gerne behauptet wird 136. Ebenso wenig fallen Handlungsnormen der Verwaltung und Kontrollmaßstäbe der Gerichte auseinander 137, sondern sie decken sich 138. Denn an Recht und Gesetz und insbesondere an die Grundrechte und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 139 ist auch die Verwaltung gebunden (Art. 20 III, 1 III GG). Gerade mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip steht Gerichten daher ein Mittel zur Verfügung, das eine Rechtmäßigkeitskontrolle von Abwägungen erlaubt. 140 Zudem können die Maßstäbe des Naturschutz129 Vgl. auch Roland Jarosch, DÖV 1974, 123 (124 f.): „Werte sind ... nicht exakt messbar. Deren Beurteilung hängt von der jeweiligen ... Einstellung stark ab. ... Man kann bei Abwägungen in den meisten Fällen mit guten Gründen verschiedener Ansicht sein“ (125, li). 130 Zu den Begriffen „Auslegung“ und „Subsumtion“ Karl Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 26. 131 Siehe Kapitel B. IV. 4. b) und c). Vgl. außerdem zur „Wechselwirkung zwischen Sachverhaltsfeststellung bzw. – auswahl und Begriffsermittelung und – interpretation“ Dietrich Jesch, AöR 82 (1957), 163 (188, 226 f.); Karl Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 113. 132 A. A. Udo Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 279. 133 Siehe Kapitel B. IV. 4. c) bb) (3) (3.3). 134 Siehe Kapitel B. IV. 4. c) bb) (3) (3.3) und IV. 4. c) bb) (2). 135 Vgl. zur Vertretbarkeitsklausel des § 16 I Nr. 3, II GenTG, Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 16 Rdn. 23; Armin Karthaus, Risikomanagement, S. 181 ff. 136 So aber Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 284 in Fn. 56. 137 Allgemein für das Umweltrecht so aber Michael Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2336, re). 138 Vgl. dazu auch allgemein Hans-Jürgen Papier, DÖV 1986, 621 (625, li): „Das materielle Verwaltungsrecht ist für die Behörde Verhaltensnorm, für den Richter Beurteilungsnorm. Es nimmt eine Doppelfunktion als Handlungs- und Kontrollmaßstab ein.“. 139 BVerfGE 69, 161 (169); H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rdn. 88; vgl. auch VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (217, li), das die Risikobewertung gentechnischer Anlagen als eine „dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichtete Risikobeurteilung“ bezeichnet; ähnlich Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 279: „das Ergebnis der Vertretbarkeitsprüfung ... [bei der Freisetzung] muss dem Gebot ‚praktischer Konkordanz‘ entsprechen“. 140 Vgl. zur Bedeutung einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle von Abwägungen auch BVerfGE 83, 130 (148).

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rechts herangezogen werden, um die Auswirkungen gentechnisch veränderter Organismen auf die Umwelt zu prüfen. 141 Das macht gentechnikrechtliche Entscheidungen justiziabel, da diese stets eine Abwägung zwischen den zu erwartenden schädlichen Wirkungen für Mensch und Umwelt und der Bedeutung des Vorhabens für den Betreiber verlangen. 142 Außerdem ist es typische Aufgabe von Gerichten, über Zweifelsfragen zu entscheiden. 143 Daher sind Gerichte zur Kontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen geradezu prädestiniert. Damit erübrigt sich letztlich auch der Streit um „die eine richtige“ Entscheidung als Voraussetzung für eine volle Gerichtskontrolle 144. Denn auch die Anerkennung einer faktischen Schwankungsbreite möglicher Entscheidungen schließt nicht aus, dass Gerichte voll judizieren 145.

(2) „Unvertretbarkeit“ gentechnikrechtlicher Entscheidungen? Weiter wird vertreten, dass gentechnikrechtliche Entscheidungen wegen ihrer „Komplexität“ nicht reproduziert werden können. Deshalb sollen sie nicht voll kontrollfähige, „unvertretbare“ (unwiederholbare) 146 Entscheidungen sein. 147 Dies wird mit dem „Kooperationsprozess“ zwischen Betreiber, der entscheidenden Behörde, der ZKBS und gegebenenfalls weiterer Stellen wie dem Bundesamt für Naturschutz bzw. früher dem UBA und den zuständigen Fachbehörden begründet. Dieser Kooperationsprozess sei darauf ausgerichtet, eine einvernehmliche Problemlösung im Wege der Beratung zu finden (vgl. § 2 GenTVfV). Insofern zeichne sich das gentechnikrechtliche Verfahren durch eine „quasi eigene – vom Gesetz angeordnete – Systembildung aus, die rechtliche, wissenschaftliche und politische Rationalität Vgl. Eckard Rehbinder, ZUR 1999, 6 (8, li). Kapitel B. IV. 4 c) bb), 5., V. Vgl. zur Gesamtabwägung bei der Freisetzung auch die Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drs. 11/5622, S. 29 (li. Zu § 15). 143 BVerfGE 2, 380(395 f.); „Die Letzterkenntnisbefugnis ... [der Gerichte] ... besteht zu einem wesentlichen Teil gerade in der Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe und in der Subsumtion von Grenz- und Zweifelsfällen unter diese Begriffe“; so auch VG Wiesbaden, NJW 1988, 357 (360, re); ähnlich Hermann Reuß, DVBl. 1953, 649 (651, re): die „rechtsausfüllende Funktion ist aber keine dem Richter fremde Tätigkeit“. 144 So auch allg. Christian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen, S.90; Fritz Ossenbühl, DVBl. 1974, 309 (310, li), der den Streit um das „Prinzip der einzigen rechtmäßigen Entscheidung“ als „Scheinproblem“ bezeichnet und zu Recht darauf hinweist, dass die Kernfrage eine andere ist, nämlich wem in Zweifelsfällen das „Recht zur Letzterkenntnis“ zusteht (S. 310, re). 145 Vgl. BVerwGE 35, 69 (73): Die Unbestimmtheit des Begriffs ist nicht entscheidend für eine eingeschränkte Kontrolle, sondern die Frage, ob das Gericht seine Deutung an die Stelle derjenigen der Verwaltung setzen darf; vgl. auch Joachim Schmidt-Salzer, Der Beurteilungsspielraum der Verwaltungsbehörden, S. 46. 146 Vgl. zum Begriff „Unvertretbarkeit“: Fritz Ossenbühl, DVBl. 1974, 309 (312, li): Unvertretbar sind solche Entscheidungen, die der Richter mangels Beurteilungsgrundlagen keinesfalls so treffen kann wie die Verwaltung selbst (Stichwort „Unwiederholbarkeit“). Vgl. aber auch zum Verständnis der „Unvertretbarkeit“ nach Ule, Kapitel C. II. 1. a). 147 Udo Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 279 Fn. 44, 280. 141 142

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bewusst zusammenführe“. 148 Eine rationale Nachprüfung Punkt-für-Punkt sei deshalb nicht möglich. 149 Dieser Ansicht ist entgegenzutreten. Auch wenn die Gentechnik eine „komplexe“, schwierige Materie ist und an einer Entscheidung regelmäßig eine Vielzahl von Stellen beratend und (mit)entscheidend mitwirken, kann der Entscheidungsprozess vor Gericht anhand der Antragsunterlagen, der Behördenaufzeichnungen, der sachverständigen Stellungnahmen der ZKBS und gegebenenfalls weiterer externer Sachverständigengutachten nachgestellt werden. 150 Daher lässt sich aus dem Begriff des „Kooperationsprozess“ allenfalls die Forderung ableiten, dass Behörden und die ZKBS ihre Begründungspflichten ordnungsgemäß erfüllen 151 und dass genügend Aufzeichnungen gemacht werden 152, auch über interne Besprechungen und Ferngespräche 153. Nicht aber rechtfertigt der „Kooperationsprozess“ den Schluss, dass Gerichte an ihre Funktionsgrenzen stoßen, weil sie den gemeinschaftlichen Prozess der Entscheidungsfindung nicht rekonstruieren können. bb) Fehlende Eignung von Gerichten zur Kontrolle wissenschaftlicher Fragen? Fehlt es Gerichten im Vergleich zur Exekutive aber vielleicht am nötigen naturwissenschaftlichen Sachverstand, um die Risikobewertung angemessen zu beurteilen? 154 Schließlich muss bei der Zulassung eines gentechnischen Vorhabens das Risiko von Empfängerorganismen, Spenderorganismen, gentechnisch veränderten OrUdo Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 280 Fn. 44. Udo Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 279 f. 150 So auch Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (26, li). 151 Vgl. zu den Begründungspflichten der Behörde §§ 12 Satz 1 GenTVfV i.V. mit § 10 VII BImSchG, § 14 I Nr. 4 GenTVfV. Die Begründungspflicht der ZKBS ergibt sich aus §§ 14 I 3, 14 I 4, 12 I 1 ZKBSV; vgl. dazu auch, Joachim Grebe im Rahmen der Sachverständigenanhörung durch den Unterausschuss für Gentechnik im Gesetzgebungsverfahren zum GenTG, BTDrs. 11/6778, S. 28 (re, 2. Absatz). 152 Vgl. zu den Pflichten des Betreibers, Aufzeichnungen zu machen (§ 6 III 1 GenTG i.V. mit §§ 1 ff. GenTAufzV) und Änderungen anzuzeigen (§ 21 GenTG). 153 Für die bayerischen Vollzugsbehörden sehen dies die §§ 18 II 1, 19 Satz 1 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern (AGO) v. 12.12.2000 (GVBl., S. 873) sogar ausdrücklich vor; siehe zur Vorgängerregelung des § 15 der Allgemeine Dienstanordnung [ADO] v. 01.09.1971 [GVBl., S. 305]) auch Martin Schröder, Gentechnikrecht in der Praxis, S. 131. 154 Z. B. BVerwG, NVwZ 1999, 1233 (1234, li); OVG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 14 zu § 16, S. 4; VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 151 (152, li); VG Berlin, ZUR 1996, 41 (43, re); Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 279 f., trotz der Hinzuziehung Sachverständiger; Hirsch/Schmidt-Didczhun, GenTG, §13 Rdn.95; Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 327; Thomas Schomerus, IUR 1992, 170 (172, mi); Michael Ronellenfitsch, VerwArch 93 (2002), 439 (450), der von einem „Beurteilungsspielraum kraft Fachkunde“ spricht; Siegmar Pohl, Die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, S. 263 f. 148 149

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ganismen und gegebenenfalls auch von Vektoren bewertet werden. Dabei spielen sich schon bei einfachen Vorhaben komplizierte Prozesse ab, die ohne naturwissenschaftlichen Sachverstand nicht verstanden werden können. Doch folgt daraus nicht, dass Gerichte solche Entscheidungen nicht auch voll kontrollieren können. (1) Eigene Wissenslücken der Verwaltung Wissenslücken in der Gentechnologie können nicht nur Gerichte, sondern auch Verwaltungsbehörden treffen. 155 Das gilt besonders für solche Behörden, in denen für den Vollzug des Gentechnikgesetzes keine Naturwissenschaftler verantwortlich sind, etwa in Bremen 156. Auch scheint eine Beurteilung komplizierter Fälle ohne zusätzlichen externen Sachverstand nicht möglich, wenn Chemiker, Verfahrenstechniker, Informatiker oder Ingenieure gentechnische Arbeiten prüfen müssen.157 Denn ihnen fehlt es wie Gerichten ebenfalls am biologischen Sachverstand eines Mikrobiologen, Virologen oder Immunologen. Zudem können auch Behörden, die zur Klärung wissenschaftlicher Fragen gut gerüstet sind, auf externen Sachversand angewiesen sein, um ihre Entscheidung zu untermauern. So zog das Regierungspräsidium Tübingen, das über neun Wissenschaftler aus unterschiedlichen Teilgebieten der Gentechnik verfügt, für die Risikobewertung von HBV-Adenodefektviren, die in der biomedizinischen Hepatitis B-Virus-Forschung eingesetzt wurden, einen externen Gutachter hinzu und machte sich dessen Sicht zu eigen158. Insofern kann der pauschale Verweis, die Exekutive sei besser zur Entscheidung wissenschaftsabhängiger Fragen geeignet, nicht überzeugen, um einen Beurtei155 Vgl. Karl-Heinz Ladeur, NuR 1992, 254 (259, li); Hermann Plagemann/Rainer Tietzsch, „Stand der Wissenschaft“ und „Stand der Technik“ als unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 31. 156 Auskunft Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales, 12.09.2002. Auch ist in Thüringen in der für die Zulassung gentechnischer Anlagen und Arbeiten zuständigen Behörde kein Naturwissenschaftler tätig; Naturwissenschaftler arbeiten nur in den für die Überwachung zuständigen Behörden (Auskunft Thüringer Landesverwaltungsamt, 18.09.2002). 157 In Mecklenburg-Vorpommern sind im Sozialministerium als Zulassungsbehörde eine Biologin mit 30 % und eine Chemikerin zu 25 % ihrer Arbeitszeit mit dem Vollzug des Gentechnikgesetzes befasst; Überwachungsaufgaben werden von zwei Physikern, einem Informatiker und einer Verfahrenstechnikerin mit einem Teil ihrer Arbeitszeit in den Ämtern für Arbeitsschutz und technische Sicherheit als Überwachungsbehörden wahrgenommen (Auskunft Sozialministerium, Mecklenburg-Vorpommern, 05.09.2002). In Niedersachsen sind für die Bezirksregierungen Hannover und Weser-Ems ein vollzeitbeschäftigter Ingenieur und zwei teilzeitbeschäftigte Biologinnen für gentechnikrechtliche Fragen zuständig (Auskunft Bezirksregierung Hannover, 12.02.2002). Auch in Sachsen-Anhalt ist mit dem Vollzug des Gentechnikgesetzes im Regierungspräsidium Magdeburg nur eine Biologin betraut, hinzu kommen vier Chemieräte bei den Staatlichen Gewerbeaufsichtsämtern, die aber auch noch andere Aufgaben wahrnehmen (Auskunft Regierungspräsidium Magdeburg, 06.09.2002). Siehe außerdem Kapitel B. IV. 3. a) bb). 158 So VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (227, re); vgl. zu diesem Fall auch VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (218 ff.).

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lungsspielraum zu rechtfertigen. Vielmehr sind Behörden, wenn Wissenslücken bestehen, ebenso auf externe Sachverständige angewiesen wie Gerichte. 159 (2) Kontrolle wissenschaftsabhängiger Fragen in anderen Rechtsgebieten Weiter angreifbar wird die These vom Fehlen der richterlichen Kompetenz zur Bewertung gentechnikrechtlicher Risiken, berücksichtigt man, dass Gerichte in anderen Rechtsgebieten zur vollen Kontrolle wissenschaftsabhängiger Sachverhalte verpflichtet sind. (a) Kontrolle „außerrechtlicher Fragen“ im Zivil- und im Strafrecht So müssen Gerichte in Zivil- und in Strafprozessen häufig über „außerrechtliche Fragen“ entscheiden. 160 Anführen lässt sich hier die Auslegung und Anwendung der Generalklausel des § 242 BGB im Zivilrecht 161 und, als besonders anschauliches Beispiel, die Feststellung der Schuldfähigkeit im Strafrecht nach den §§ 20, 21 StGB. Da diese zugleich Voraussetzung für eine psychiatrische Behandlung während einer Unterbringung ist (vgl. § 63 StGB), besteht nicht nur das Risiko eines rechtswidrigen Freispruchs, wenn die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB unzutreffend bejaht werden, sondern hinzu tritt die Gefahr, dass ein allgemeingefährlicher Täter frei kommt. Auch wenn der Richter nicht selbst über die notwendige Sachkunde verfügt, um die Schuldfähigkeit festzustellen, so befreit ihn dies nicht von einer eigenen Entscheidung. 162 Vielmehr ist er verpflichtet, Anhaltspunkten für eine Schuldunfähigkeit nachzugehen, eine Art Verdachtsdiagnose zu erstellen und sich sodann auf der Grundlage von Sachverständigengutachten ein genaues eigenes Bild über die Schuldfähigkeit zu machen. 163 Dabei muss er sich mit unterschiedlichen psychiatrischen Diagnosekriterien befassen, die sich stetig weiterentwickeln. 164 Vom Strafrichter wird also verlangt, sich in medizinische Erläuterungen einzudenken, Widersprüche in den Gutachten aufzudecken und nötigenfalls weitere Gutachten einzuholen, um letztlich auf Basis eines nicht absolut gesicherten dynamischen wissenschaftlichen Kenntnisstandes eine Einschätzung vorzunehmen, der 159 Zur Einholung von Sachverständigengutachten durch Gerichte und deren Fähigkeit, sie zu kontrollieren, siehe auch unten (3) und (4). 160 Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rdn. 58; Guy Beaucamp, JA 2002, 314 (316, li); Dietrich Jesch, AöR 82 (1957), 163 (235 f.); Klaus Grupp, Festschrift für W. Blümel, S. 139 (146); Hans-Joachim Koch, ZUR 1993, 103 (106, li); Hans Heinrich Rupp, Grundfragen, S. 220; Wolf-Rüdiger Schenke, in: BK, Art. 19 IV Rdn. 338; Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 286; Hermann Reuß, DVBl. 1953, 585 (589, re). 161 Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rdn. 58. 162 Claudia Keiser, Jura 2001, 376 (381, li). 163 Claudia Keiser, Jura 2001, 376 (382, li). 164 Claudia Keiser, Jura 2001, 376 (382, re).

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in Bezug auf die Freiheit des Täters und den Schutz Dritter eine vergleichbare Grundrechtsrelevanz zukommt wie gentechnikrechtlichen Entscheidungen. Gegen den Ansatz, aus Kontrollsituationen in der ordentlichen Gerichtsbarkeit Rückschlüsse für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu ziehen, wird zwar oft eingewandt, dass ein Vergleich nicht möglich sei, weil Straf- und Zivilrichter keine Hoheitsakte kontrollieren. 165 Doch trägt dieser Einwand nicht. Verfassungsrechtlich steht die Einheit der Rechtsprechung (Art. 92, 95 GG) einem besonderen Rechtsprechungsbegriff für die Verwaltungsgerichtsbarkeit entgegen. 166 Auch überzeugte ein verwaltungsgerichtsspezifischer Rechtsprechungsbegriff nicht, weil Zivilgerichte z. B. im Amtshaftungsprozess ebenfalls Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt gewähren 167. Gleiches gilt für Strafgerichte, wenn sie bei Eröffnung des Hauptverfahrens die Wertungen der Staatsanwaltschaft über einen hinreichenden Tatverdacht kontrollieren 168. Außerdem kann aus der Kontrolle von Hoheitsakten nicht per se auf eine geringere Kontrolldichte bei wissenschaftsabhängigen Fragen geschlossen werden. Das zeigt die volle Kontrolle solcher Fragen durch Verwaltungsrichter im Arzneimittel-, im Chemikalien- und im Pflanzenschutzrecht. 169 Verwaltungsrichter befinden sich also bei der Kontrolle wissenschaftsabhängiger Fragen in einer vergleichbaren Situation wie Zivil- und Strafrichter. Daher ist es erlaubt, aus Kontrollsituationen im Zivil- oder Strafrecht Rückschlüsse für das Gentechnikrecht zu ziehen. Wenn dort eine volle Kontrolle wissenschaftsabhängiger Fragen durchführbar ist – wie besonders bei der Feststellung der Schuldfähigkeit – muss dies auch im Gentechnikrecht so sein. (b) Kontrolle im Chemikalien-, Arzneimittel- und Pflanzenschutzrecht Außerdem wird die These, dass Verwaltungsrichter nicht zur Beurteilung wissenschaftlicher Entscheidungen in der Lage sind, dadurch widerlegt, dass Gerichte auch andere wissenschaftsabhängige Verwaltungsentscheidungen umfassend beurteilen. So wird z. B. kein Kontrollfreiraum angenommen, wenn Verwaltungsgerichte im Arzneimittelrecht bei der Prüfung der Zulassungsversagungsgründe gem. § 25 II Nr. 2, Nr. 4 AMG 170 zu bewerten haben, ob ein Arzneimittel „nach dem jeweils ge165 Hanns Jürgen Weigel, Beurteilungsspielraum oder Delegationsbegriff?, S. 14; vgl. auch Roland Jarosch, DVBl. 1954, 521 (522, re, f.). 166 Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rdn. 58. 167 Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 173; ein weiteres Beispiel dafür, dass Zivilgerichte Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt gewähren können, sind Justizverwaltungsakte nach § 23 EGGVG. 168 Zum Rechtsschutz gegen Hoheitsakte der Staatsanwaltschaft und ihrer Hilfsorgane siehe Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 93 ff. 169 Zu ihnen sogleich unten, im nächsten Abschnitt (b). 170 Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln in der Neufassung vom 11.12.1998 (BGBl. I S. 3586) zuletzt geändert durch Art. 2 G vom 21.08.2002 (BGBl. I S. 3352).

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sicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ausreichend geprüft worden ist“ und „ob dem Arzneimittel die vom Antragsteller angegebene therapeutische Wirksamkeit fehlt oder diese nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse vom Antragsteller unzureichend begründet ist“. 171 Auch im Chemikalienrecht müssen Verwaltungsgerichte voll kontrollieren, ob von einem Stoff „Risiken für Mensch und Umwelt“ ausgehen (vgl. § 12 II ChemG 172). 173 Gleiches gilt im Pflanzenschutzrecht, wenn zu prüfen ist, ob ein Pflanzenschutzmittel gem. §15I Nr.3 PflSchG 174 „nach dem Stande der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Technik bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung oder als Folge einer solchen Anwendung ... b) keine nicht vertretbaren Auswirkungen auf die zu schützenden Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse hat ... d) keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier und auf das Grundwasser hat und e) keine sonstigen nicht vertretbaren Auswirkungen, insbesondere auf den Naturhaushalt...“ (vgl. § 15 I Nr. 3 PflSchG). 175 Alle diese Entscheidungen sind gentechnikrechtlichen Entscheidungen vergleichbar. Wie das Arzneimittelrecht 176, das Chemikalienrecht 177 und das Pflanzenschutzrecht 178 ist das Gentechnikrecht Risikoverwaltungsrecht. 179 Auch sind diese Entscheidungen ähnlich komplex wie gentechnikrechtliche Risikoentscheidungen. 180 Beispielsweise kann eine Zulassungsentscheidung nach dem Arzneimittelgesetz ebenfalls zur Bewertung gentechnischer Aspekte zwingen: so 171 OVG Berlin, v. 25. 11.1999, Az 5 B 11.98 (Fundstelle juris), S.6 (3. Absatz) – Arzneimittelzulassung; OVG Berlin, v. 16.9.1999, Az 5 B 34.97 (Fundstelle juris), S. 11 (3. Absatz i.V. mit S. 7, 6. Absatz) – Widerruf eines Arzneimittels; Kloesel/Cyran, AMG, § 25 Nr. 20. 172 Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen in der Neufassung vom 20.06.2002 (BGBl. I S. 2090) zuletzt geändert durch Art. 7 § 1 G vom 06.08.2002 (BGBl. I S. 3082). 173 Vgl. BVerwG, NVwZ 1992, 984 (985, re) – ob ein Beurteilungsspielraum besteht, wurde hier für den Begriff eines „erheblichen Verdachts einer Umweltgefahr“ offengelassen. 174 Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen in der Neufassung vom 14.05.1998 (BGBl. I S. 971, 1527, 3512) zuletzt geändert durch Art. 4 § 1 G vom 06.08.2002 (BGBl. I S. 3082). 175 BVerwGE 81, 12 (17) – Zulassung des Pflanzenschutzmittels Paraquat; Lorz, PflSchG, § 15 Nr. 2 cc), S. 55. 176 Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 166, 293. 177 Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 138; für eine Vergleichbarkeit gentechnikrechtlicher Entscheidungen mit dem Chemikalienrecht auch Rüdiger Breuer, NuR 1994, 157 (168, li). 178 Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 155 f., 164, 278. 179 Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 136 f.; vgl. auch dazu, dass alle diese Entscheidungen Risikoentscheidungen sind, die wissenschaftsabhängig und daher schwierig zu treffen sind und sich durch eine erhebliche Beurteilungsunsicherheit auszeichnen, S. 279. Daher fordert Di Fabio für diese Rechtsgebiete auch die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums (S. 297 f.). 180 Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 155 f., 164, 278; Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 2 Rdn. 12, 13, 15, die besonders die Vergleichbarkeit mit dem Pflanzenschutzrecht hervorheben (Rdn. 15); a. A. Karl-Heinz Ladeur, NuR 1992, 254 (260, li, f.); vgl. aber auch Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 139, 143; weiterhin Michael Kniesel/Wolfgang Müllensiefen, NJW 1999, 2564 (2565, li), die vor allem die Parallelen zwischen dem Chemikalienbzw. Gefahrstoffrecht und dem Gentechnikrecht betonen; ähnlich Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Kapitel 10, Rdn. 33, die das Gentechnikrecht wie das Chemikalienrecht (Kapitel 11, Rdn. 14 f.) zum Gefahrstoffrecht zählen.

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etwa bei der Zulassung gentechnisch hergestellter Arzneimittel, insbesondere wenn Gentherapie-Produkte zur klinischen Prüfung zugelassen werden, die medikamentös einen Gentransfer bewirken sollen (vgl. § 40 AMG). 181 Ferner sind die Entscheidungen des Chemikalienrechts, des Arzneimittel- und des Pflanzenschutzrechts wie gentechnikrechtliche Entscheidungen mit Unsicherheit verbunden. 182 Außerdem sind sie von vergleichbarer Tragweite für den Antragsteller, dem die Zulassung versagt wird und für Dritte, die bei einer fehlerhaften Beurteilung der Risiken irreversibel in ihren Grundrechten aus Art.2II1 GG beeinträchtigt werden können, entweder als Arbeiter in einem chemischen Labor, als Abnehmer eines Pflanzenschutzmittels oder als Patient eines Arzneimittels. Wenn Gerichte also im Arzneimittel-, im Pflanzenschutz- und im Chemikalienrecht mit Hilfe von Sachverständigen letztverbindlich entscheiden können sollen 183, muss dies auch im Gentechnikrecht gelten. 184

(3) Kontrolltiefe des VG Freiburg, des VGH Mannheim und des VG München Dass sich Gerichte anhand von Sachverständigengutachten tatsächlich auch vertieft in gentechnikrechtliche Sachverhalte einarbeiten und diese eigenständig beurteilen können, belegen die Urteile des VG München 185, des VG Freiburg und des VGH Mannheim eindrucksvoll. Insgesamt erklärten zwar alle drei Gerichte, dass sie am Rechtsinstitut des Beurteilungsspielraums festhalten 186, doch führten sie faktisch eine eingehende Richtigkeitskontrolle durch. 181 Vgl. S. Beljin/O. Engsterhold/H. Fenger/M. H. J. Schmitz, in: Raem/Braun/Fenger/Michaelis/Nikol/Winter (Hrsg.), Gen-Medizin, S. 525 (543); Klaus Citchutek, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Band 3, Teil II. Einf., Rdn.37 f. Zu den möglichen Gentherapieprodukten siehe Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Somatische Gentherapie“, abgedruckt, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Teil II, F. S. 92. Zuständig ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Handelt es sich um Impfstoffe oder Blutzubereitungen ist das Paul-Ehrlich-Institut zuständig (vgl. § 77 AMG). 182 Vgl. zum Arzneimittelrecht OVG Berlin, v. 25.11.1999, Az 5 B 11.98 (Fundstelle juris), S. 1 (1. Absatz): „Die noch nicht sicher geklärte Wirkweise dieses synthetischen Derivats eines körpereigenen Zellmembranbausteins ...“, S. 3 (2. Absatz): „Die Tumorbiologie sei jedoch noch zu wenig abgeklärt, um für einen individuellen Tumor dessen Wachstumsverhalten vorhersagen zu können.“ 183 Vgl. OVG Berlin, v. 25.11.1999, Az 5 B 11.98 (Fundstelle juris), S. 3 (3. Absatz), S. 3 f. (S. 3, 4. Absatz, f.), S. 6 (4. Absatz, ff.), S. 10, 4. und 5. Absatz); BVerwG NVwZ 1992, 984 (985, li, f.); BVerwGE 81, 12 (17); OVG Berlin, v. 16.09.1999, Az 5 B 34.97 (Fundstelle juris), S. 3 (3. Absatz), S. 9 (2. Absatz, 3. Absatz, ff.), vor allem S. 10 (4. Absatz). 184 Insoweit sei auch auf die Auskunft eines Richters am VG Berlin verwiesen, der meinte „dass wissenschaftsabhängige Probleme im AMG zum täglichen Brot des Richters gehören“ und es im Grunde keinen Unterschied mache, ob Risiken im AMG oder im GenTG geprüft werden müssten; vgl. auch allgemein zur Möglichkeit von Verwaltungsgerichten, sich durch Sachverständige den erforderlichen Sachverstand zu verschaffen Guy Beaucamp, JA 2002, 314 (316, re). 185 VG München, Urt. v. 02.05.2002, Az M 3 K01.6310 (unveröffentlichtes Urteil), S. 18 ff.

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Insbesondere das VG Freiburg und der VGH Mannheim befassten sich sehr genau mit der Risikobewertung. Hierzu sahen sie sich verpflichtet, weil das Regierungspräsidium T204 übingen von der Stellungnahme der ZKBS abgewichen war. Es musste daher über das Risiko eines HBV (Hepatitis-B-Virus)-Adenodefektvirus entschieden werden, das durch Rekombination zwischen HBV und dem Adenodefektivirus als Vektor entstanden war. Das Adenovirus, das als Wildtyp leicht durch die Luft übertragen wird, war entschärft worden, um eine Hepatitis B-Infektion von Arbeitern durch die Luft zu verhindern. Dazu waren in das Adenovirus Replikationsdefekte eingebaut worden. Doch war strittig, ob das Adenovirus diese komplementieren könnte. 187 Obwohl beide Gerichte mit gentechnikrechtlichen Entscheidungen noch keine Erfahrung hatten, würdigten sie die divergierenden Sachverständigengutachten zu dieser Frage ausführlich und nahmen in Anlehnung an den im Polizeirecht anerkannten Grundsatz: „je höher das betroffene Rechtsgut, desto geringer die Anforderung an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts“ eine eigene Risikobewertung vor 188. Damit ist unmittelbar durch gentechnikrechtliche Urteile bewiesen, dass Gerichte mit Hilfe Sachverständiger gentechnikrechtliche Risikobewertungen umfassend kontrollieren können. Zugleich entkräften diese Entscheidungen das denkbare Gegenargument, Gerichte könnten keine externen Sachverständigen finden 189, weil das Expertenwissen über die Gentechnik „dünn gesät“ sei 190. Mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg (DKFZ) hatte das Regierungspräsidium Tübingen einen hochkarätigen, der ZKBS ebenbürtigen externen Sachverständigen herangezogen. 191 Das VG München konnte ebenfalls einen Naturwissenschaftler als Sachverständigen gewinnen. 192 Zugegebenermaßen wird es für Gerichte nicht immer einfach sein, einen fachlich geeigneten und zugleich unabhängigen Sachverständigen zu bestellen; vor allem weil zwischen Wissenschaftlern oft Meinungsverschiedenheiten, Freundschaften oder Abhängigkeiten bestehen, die eventuell einer objektiven Begutachtung entgegenstehen können. Insbesondere wächst die Schwierigkeit, einen geeigneten Gutachter zu finden, je spezieller und komplexer das zu beurteilende wissen186 VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (225, re); VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (217, li); VG München, Urt. v. 02.05.2002, Az M 3 K01.6310 (unveröffentlichtes Urteil), S. 16; siehe auch oben Kapitel C. III. 2. b) cc). 187 VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (226, re). 188 VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (227, li, f.); VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (218, re, 220, re). 189 In diese Richtung VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 150 (152, li): „die hierfür unter Umständen notwendige Einholung scheidet – soweit es bei dieser Materie überhaupt möglich wäre – im Eilverfahren von vorneherein aus.“; ebenso VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 13 zu § 16, S. 8. 190 Martin Vomhof, Rechtsprobleme der Einbindung von sachverständigen Gremien in das Umwelt- und Technikrecht, S. 68. 191 Vgl. VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (227, re); VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (220, li). 192 VG München, Urt. v. 02.05.2002, Az M 3 K01.6310 (unveröffentlichtes Urteil), S. 13.

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schaftliche Problem wird. Doch steht in Deutschland mittlerweile ein großes Potential an Spitzenkräften zur Verfügung. 193 An Hochschulen und bei der Max-PlanckGesellschaft arbeiten Wissenschaftler mit Elitenniveau: 194 Im Fach Biotechnologie gab es 2000 33 Lehrstühle, die Zahl der Habilitierten im Fachgebiet Mirkobiologie steigt konstant, 2001 kamen 16 neue Habilitationen hinzu.195 Überdies hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung in den letzten Jahren erheblich in die Genomforschung investiert, wodurch deutsche Forscher mit an die Weltspitze gerückt sind. 196 Zudem sind in deutschen Biotechnik-Unternehmen zahlreiche hochqualifizierte Wissenschaftler beschäftigt, die z. B. an Wirkstoffen gegen Krebs forschen 197, die die Funktionen von Pflanzengenen identifizieren 198 und die Technologien entwickeln, um Antibiotikaresistenz-Markergene aus transgenen Pflanzen zu entfernen 199. Insgesamt stieg die Mitarbeiterzahl in Forschung und Entwicklung in den Jahren 2000 und 2001 um jeweils über 30 %. 200 Außerdem könnte auf Gutachter aus dem deutschsprachigen Ausland zurückgegriffen werden. 201 Schließlich scheidet eine Wahl zum Sachverständigen auch nicht schon deshalb aus, weil eine (abstrakte) Konkurrenzsituation zwischen Betreiber und Sachverständigen besteht. Denn eine solche liegt zwangsläufig immer vor, weil Sachverständigenauskünfte zwingend durch einen Wissenschaftler erfolgen müssen, der auf dem einschlägigen Gebiet tätig ist, wenn sie eine tragfähige, insbesondere auch praxisbezogene, Entscheidungsgrundlage bilden sollen. 202 193 Grußwort von Edelgard Buhlmann, Bundesministerin für Bildung und Forschung, in: Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S.4 (li); Horst-Dieter Schlumberger, in: Gentechnologie in Deutschland, S. 165 (171); K. Uhlenbrock, in: Raem/ Braun/Fenger/Michaelis/Nikol/Winter (Hrsg.), Gen-Medizin, S. 661 (669). 194 Peter Stadler, in: Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 91 (li). Die hohe Qualifikation zeigt sich auch in einem regen Technologietransfer von Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Diese bieten jungen Biotechnologie-Unternehmen, sog. „Start-ups“, Technologiekonzepte an. Siehe dazu Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S.30 f; Michael Rheinnecker, in: Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 76 (li). 195 1998 waren es 19 neue Habilitationen, 1999 22 und 2000 17. Auskunft Statistisches Bundesamt Deutschland, Hochschulstatistik (10.09.2002). 196 Rudi Balling, in: Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 36 (re) und Wolfgang Stöffler (BMBF), in: Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S.93 (re); vgl. außerdem BMBF, Faktenbericht Forschung 2002, S. 267. 197 Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 52. 198 Arno J. Krotzky, in: Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 64. 199 Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 61 (li). 200 Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 9 (Tabelle 1-1). Zudem stieg die Zahl der Auslizenzierungen. Ein Technologietransfer findet also nicht nur aus akademischen Einrichtungen in Unternehmen statt. Siehe dazu Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 28 f. 201 Vgl. zu Erfolgen schweizer Genomforscher bei der Entzifferung des Genoms der Reispflanze, Ernst & Young, Neue Chancen, Deutscher Biotechnologie-Report 2002, S. 66 (re). 202 VG Freiburg, ZUR 2000, 216, Urteilsbegründung (im Original), S. 18.

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(4) Fazit: Volle Kontrolle trotz Wissenschaftsabhängigkeit des Gentechnikrechts Dass es schwierig ist, gentechnikrechtliche Behördenentscheidungen zu kontrollieren, berechtigt also nicht dazu, Gerichten eine volle Kontrolle zu versagen, indem eine Befassungsschranke in Form eines Beurteilungsspielraums aufgestellt wird. Nur diese Ansicht steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG, zumal das Gericht hohe Anforderungen an den Rechtfertigungsansatz stellt, dass Gerichte an ihre Funktionsgrenzen stoßen. Dabei verweist es ausdrücklich darauf, dass Sachverständige herangezogen werden können, um zu beurteilen, ob schwierige Behördenentscheidungen rechtmäßig sind. 203 Fehlt es einem Gericht trotz der Stellungnahmen des Betreibers, der Behörde und der ZKBS an Wissen, um einzuschätzen, ob die Risikobewertung richtig ist, so verlangt Art. 19 IV GG, dass weitere Sachverständigenhilfe eingeholt wird. Nicht nur § 86 I VwGO fordert hier, dass Gerichte von Amts wegen ermitteln 204, sondern auch das Verfassungsrecht 205. Denn nur mit weiterer Sachverständigenhilfe wird das Gericht auch bezüglich inhaltlicher Fragen entscheidungsfähig. Indes fordert Art. 19 IV GG nicht, dass Gerichte, nachdem sie Sachverständige konsultiert haben, „richtiger“ entscheiden als die Verwaltung. Auch dies hat das BVerfG zutreffend klargestellt. 206 Vielmehr genügt es, dass Gerichten durch Sachverständige fachliche Zusammenhänge verständlich gemacht werden, so dass sie die Folgen eines Vorhabens einschätzen und Bewertungsmängel erkennen können. Denn schon derart wird es ihnen möglich, konträre Standpunkte zu würdigen und selbständig zu urteilen, ob eine behördliche Risikobewertung rechtmäßig ist. 207 Wenn Richtern Grundbegriffe der Gentechnik geläufig sind und Gutachten die Wirkung gentechnischer Organismen und die Risiken im konkreten Fall erhellen, können sie sich folglich eine eigene Überzeugung bilden. Im Ergebnis ist daher allein die Forderung berechtigt, dass Gutachten nachvollziehbar begründet werden 208. Zugleich ist zu erwägen, Richter im Umgang mit gentechnikrechtlichen Sachverständigengutachten zu schulen. Das könnte durch Fortbildungen geschehen, die erklären wie Gutachten methodisch aufgebaut sind, die Fachbegriffe erläutern und über grundlegende wissenschaftliche Zusammenhänge, BVerfGE 84, 34 (55); 88, 40 (58 ff.). Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 86 Rdn. 9, zu den Einschränkungen bei Beurteilungsspielräumen aber § 86 Rdn. 4 i.V. mit § 114 Rdn. 23 ff.; vgl. zur eingeschränkten Sachverständigenhinzuziehung bei Beurteilungsspielräumen auch VGH Kassel, NJW 1987, 1436 (1439, re): die Hinzuziehung von Sachverständigen „verbietet sich“. 205 Zur Verfassungsgebotenheit des Amtsermittlungsgrundsatzes vgl. Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 243. 206 BVerfGE 88, 40 (59); vgl. auch Kopp/Schenke, VwGO, § 86 Rdn. 9. 207 Vgl. BVerfGE 88, 40 (59); a. A. Thomas Schomerus, IUR 1992, 170 (171, mi). 208 Vgl. BVerfGE 88, 40 (60). Zur Begründungspflicht der ZKBS und der Behörden siehe bereits oben II. 3. a) aa) (2). 203 204

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wie sie in Kapitel B. dargestellt worden sind 209, informieren. Derart würde das legitime Ziel des Art. 19 IV GG, Kontrollschwierigkeiten zu bekämpfen, für den Rechtsschutzsuchenden angemessener erreicht als durch einen Beurteilungsspielraum. Daher ist der gentechnikrechtliche Beurteilungsspielraum auch ein unverhältnismäßiges Mittel, um zu erreichen, dass Gerichte zur Kontrolle wissenschaftsabhängiger Fragen fähig bleiben.

cc) Kein zügiger Rechtsschutz ohne Beurteilungsspielräume? Indes könnte gegen eine gerichtliche Kontrolle mit Hilfe Sachverständiger eingewandt werden, dass diese zu viel Zeit braucht, um so zügig zu entscheiden wie dies Art. 19 IV GG verlangt. 210 Bisweilen muss bei Klagen im Gentechnikrecht in erster Instanz drei Jahre auf eine Entscheidung in der Hauptsache gewartet werden 211, Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes dauern mitunter ein Jahr. 212 Die gebotene Auflösung des Zielkonflikts gründlicher – zügiger Rechtsschutz könnte deshalb zur Zurücknahme der Kontrolldichte zwingen. 213 Doch setzte dies voraus, dass die Schwierigkeit gentechnikrechtlicher Entscheidungen tatsächlich auch Ursache der langen Verfahrensdauer wäre. Die zunehmende Prozessdauer hat jedoch andere Gründe.214 Gerichte brauchen so lange, weil wenige Richter immer mehr und auch immer kompliziertere Verwaltungsentscheidungen prüfen müssen. Das ist aber ein allgemeines und nicht ein spezifisch gentechnikrechtliches Problem, so dass hiermit ein Beurteilungsspielraum gerade im Gentechnikrecht nicht gerechtfertigt werden kann. Vielmehr müsste dann bei allen Entscheidungen, die auf Wertungen fußen – und das sind die meisten 215 – weniger tief kontrolliert werden. Siehe Kapitel B. I. Vgl. VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 151 (152, li); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 13 zu § 16, S. 8; Rainer Wahl, NVwZ 1991, 409 (412, li, f.); vgl. zu diesem Einwand allgemein auch, indes mit a. A. Hermann Plagemann/Rainer Tietzsch, „Stand der Wissenschaft“ und „Stand der Technik“ als unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 33. 211 Auskunft VG Berlin (06.09.2002): Eine 1996 eingereichte Klage wurde erst 1999 entschieden; ein Verfahren, bei dem im September 1998 Klage erhoben wurde, soll im ersten Halbjahr 2003 entschieden werden (Az, 14 a 315/98); das VG Stuttgart benötigte über 21 Monate für eine Entscheidung in der Hauptsache: Urt. v. 17.07.1997, Az 8 K 2653/95 (unveröffentlichtes Urteil), Klageerhebung 22.06.1995 (S. 16), Klageabweisung 17.07.1997 (S. 2). 212 Auskunft VG Berlin (06.09.2002); nur 3 Monate benötigte das VG Freiburg, Eberbach/ Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 7 zu § 13, Az 1 K 1703/98, Antragseingang 21.08.1998, Beschluss 30.11.1998. 213 Vgl. zu diesem Ansatz z.B. Eckard Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, S. 463. W. N. in Kapitel C. I. 214 So auch Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rdn. 61; und Fritz Czermak, NJW 1992, 2612 (2612, re) für das Prüfungsrecht. 215 Vgl. Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 21 ff. 209 210

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Außerdem zeigen die Urteile des VG München, des VG Freiburg und des VGH Mannheim, dass auch eine gründliche Kontrolle schwieriger gentechnikrechtlicher Behördenentscheidungen nicht länger braucht als eine überschlägige Vertretbarkeitskontrolle. 216 Während sonst mindestens zwei Jahre auf eine Entscheidung in der Hauptsache gewartet werden musste, benötigte das VG Freiburg nur 11 Monate 217, das VG München nicht einmal 5 Monate 218 und auch der VGH kam in nur 15 Monaten zu seiner Berufungsentscheidung. 219 Genaue Aussagen über den Zusammenhang zwischen Kontrolldichte und Verfahrensdauer lassen sich aus diesen Zeitangaben indes nicht herleiten. Dazu müssten sämtliche Sachverhalte identisch sein, die Besetzung der Kammern und die Arbeitsbelastung der Gerichte. Gerade der unterschiedliche Klageanfall von Gerichten schließt aber aus, die Urteile des VG Freiburg und des VGH Mannheim mit Urteilen des VG Berlin zu vergleichen, zumal das VG Berlin eines der am stärksten belasteten Verwaltungsgerichte ist. 220 Doch lässt die zügige und zugleich tiefe Kontrolle des VG München, des VG Freiburg und des VGH Mannheim zumindest den Schluss zu, dass eine gründliche Kontrolle eine zügige Kontrolle nicht hindert. Außerdem ist zu sehen, dass es Gerichte Zeit kostet, die Grenzen des Beurteilungsspielraums abzustecken. 221 Auch deshalb kann der Wunsch nach Beschleunigung der Kontrolle durch Beurteilungsspielräume nicht erfüllt werden. Überdies kommt die Argumentation, dass zügiger Rechtsschutz einer vollen gerichtlichen Kontrolle entgegen steht, aus Sicht des Rechtsschutzsuchenden einer Rechtsschutzverweigerung gleich. Denn statt zügigem bekommt er nur selten Rechtsschutz, weil Gerichte einen Beurteilungsspielraum der Behörde anerkennen und sie daher eine Aufhebung der Behördenentscheidung regelmäßig ablehnen. 222 Besser wäre es für den Kläger daher, länger zu warten und nach eingehender gerichtlicher Prüfung unter Hinzuziehung Sachverständiger eine realistische Chance auf eine Aufhebung der Behördenentscheidung zu erhalten als zügig nur „das fast Nichts“ einer überschlägigen Vertretbarkeitskontrolle. 216 Vgl. außerdem zur Möglichkeit einer ausführlichen Kontrolle im Eilverfahren, Thomas Schomerus, IUR 1992, 170 (171, re) in der Anmerkung zur Entscheidung des VG Neustadt, IUR 1992, 165. 217 VG Freiburg, ZUR 2000, 216, Az 1 K 1599/98, Klageerhebung 06.08.1998, Klageabweisung 23.06.1999. 218 VG München, Urt. v. 02.05.2002, Az M 3 K01.6310 (unveröffentlichtes Urteil), Klageerhebung 27.12.2001, Verkündung des Urteils am 02.05.2002. 219 VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224, Az 10 S 2786/99 Berufungsbegründung 07.02.2000, Zurückweisung der Berufung 04.05.2001. 220 Vgl. dazu Arbeitsunterlage Verwaltungsgerichte 2001 des Statistischen Bundesamtes, S. 8: im Jahr 2001 waren beim VG Berlin zu Jahresbeginn 24.627 Verfahren anhängig, in ganz Baden-Württemberg nur 16.117. Die Durchschnittsdauer eines Verfahrens lag in Berlin bei 23,1 Monaten, in Baden-Württemberg bei 12,9 Monaten (a. a. O., S. 18). 221 Dies übersieht Michael Görke, Organisations- und Vollzugsprobleme im Bereich des Gentechnikrechts, S. 164 mit Fn. 844, der eine Zeit- und Kostenersparnis bei einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung annimmt. 222 Siehe Kapitel C. III. 2. b) aa).

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b) Gerichte dürfen gentechnikrechtliche Risikoentscheidungen nicht prüfen? aa) Gerichte verstoßen gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung, wenn sie voll prüfen? Fraglich könnte aber sein, ob Gerichte gentechnikrechtliche Entscheidungen auch voll kontrollieren dürfen. Dies wäre ihnen verwehrt, wenn sie hierdurch unzulässigerweise in den Funktionsbereich der Exekutive eingriffen 223 und durch eine spielraumfreie Prüfung den in Art. 20 II 2 GG verankerten 224 Grundsatz der Gewaltenteilung verletzten. (1) Das Argument der Doppelverwaltung Zur Begründung eines Verstoßes gegen die Gewaltenteilung wird angeführt, dass eine volle gerichtliche Prüfung wertungsabhängiger, wissenschaftsgeprägter unbestimmter Rechtsbegriffe zu einer „Doppelverwaltung“ führe. 225 Gäbe man Gerichten das Recht, ihr eigenes Urteil an die Stelle der Bewertungen der Behörde zu setzen, ließe man zu, dass Gerichte eigenständig ermittelten, auslegten und werteten, wodurch das „Verwaltungsverfahren gleichsam auf anderer Ebene wiederholt“ 226 würde. Wollte man jedoch überzeugend behaupten, dass Gerichte bei einer Vollkontrolle in den Funktionsbereich der Exekutive eingriffen, müssten Gerichte bei der Kontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen tatsächlich Aufgaben der Verwaltung wahrnehmen. Gerichte verwalten aber nicht, denn sie treffen keine Erstentscheidung 227, sondern sie vollziehen die Behördenentscheidung lediglich kontrollierend nach 228. Verwaltungsverfahren und gerichtliche Kontrolle unterscheiden sich erheblich 229; sowohl in ihrem Ziel als auch in ihren Methoden 230. Ziel des Verwaltungsverfahrens ist es, über sämtliche Anträge zu entscheiden und flächendeckend für 223 Z. B. OVG Berlin, ZUR 1994, 206 (208, li); OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, re); VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (225, re); OVG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 4 zu § 13, S. 4. 224 BVerfGE 95, 1 (15). 225 VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13, S. 3; VG Neustadt, IUR 1992, 165 (169, li); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 1 zu § 7, S. 4. 226 VG Neustadt, IUR 1992, 165 (169, li). 227 Vgl. dazu Christian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen, S. 70: „Erstinterpretationskompetenz“ und nachträgliche segmentarische gerichtliche Kontrolle, m. w. N. 228 Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rdn. 61. 229 Vgl. Peter Becker, Festschrift für H. Simon, S. 623 (662); Ferdinand O. Kopp, BayVBl. 1980, 263 (266, li); Joachim Schmidt-Salzer, Der Beurteilungsspielraum der Verwaltungsbehörden, S. 12. 230 Hanns Jürgen Weigel, Beurteilungsspielraum oder Delegationsbegriff?, S. 122.

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eine Einhaltung öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu sorgen. Zu diesem Zweck ziehen Behörden Verwaltungsvorschriften heran, berücksichtigen interne Weisungen und gleichen den neuen Fall mit bisher entschiedenen Fällen ab 231. Demgegenüber beurteilen Gerichte nicht jedes Verwaltungshandeln, sondern sie prüfen nur punktuell, wenn ein Einzelner mit der Behauptung Gerichtsschutz verlangt, in subjektiven Rechten verletzt zu sein. 232 Während die Verwaltung auf Grund ihres Verfassungsauftrags also vor allem dem öffentlichen Wohl dienen soll 233, ist es primäre Aufgabe von Gerichten, subjektive Rechte zu schützen 234. Hinter dieser Aufgabenzuweisung steht die Erwägung, dass es der Verwaltung wegen ihrer Verpflichtung auf das Allgemeinwohl und der damit einhergehenden politischen Abhängigkeit tendenziell schwerer fällt als Gerichten, neutral zu entscheiden 235. Wenn Gerichte folglich dort umfassend kontrollieren, wo die Verwaltung den Boden des Rechts verlässt, weil sie ungerechtfertigt subjektive Rechte schmälert, so erfüllen sie keine fremde Verwaltungsaufgabe, sondern sie handeln als „Hüter subjektiver Rechte“ kraft der ihnen durch Art. 19 IV GG zugewiesenen eigenen Kontrollkompetenz. Als Ergebnis dieser Kontrolle geben sie dem Rechtsschutzsuchenden das, was er allein durch eine behördliche Prüfung nicht erhält, nämlich eine Kontrollentscheidung durch unabhängige staatliche Gerichte, die wegen der Unabhängigkeit der Rechtsprechung in besonderem Maße die Gewähr bietet für eine neutrale und sachlich richtige Entscheidung. Also kann nicht von einer „Doppelverwaltung“ durch Gerichte und einem Verstoß gegen die Gewaltenteilung gesprochen werden, wenn Gerichte voll kontrollieren. (2) Das Argument der Verwaltungsverantwortung Der Beurteilungsspielraum wird außerdem mit der These begründet, dass die Verwaltung die „Verantwortung“ für gentechnikrechtliche Risikoentscheidungen zu tragen habe. 236 Damit verbunden wird die Befürchtung geäußert, eine volle Gerichtskontrolle „lähme“ die Verwaltung und behindere eine kraftvolle Aufgabenerfüllung. 237 Doch spricht schon das Wesen von Verantwortung gegen die Ableitung eines Beurteilungsspielraums aus der „Verwaltungsverantwortung“. Denn „Verantwortung“ Vgl. Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 280. Vgl. Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rdn. 61. 233 Ferdinand O. Kopp, BayVBl. 1980, 263 (264, li); Hanns Jürgen Weigel, Beurteilungsspielraum oder Delegationsbegriff?, S. 122. 234 Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 175. 235 Hanns Jürgen Weigel, Beurteilungsspielraum oder Delegationsbegriff?, S. 122; Wolf-Rüdiger Schenke, in: BK, Art. 19 IV Rdn. 341; vgl. auch Hermann Reuß, DVBl. 1953, 585 (589, re). 236 Z. B. OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, re); VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (225, re). 237 Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 91. 231 232

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bedeutet nicht nur „Zuständigkeit“ 238, sondern „Verantwortung tragen“. 239 Das wiederum heißt „zur Verantwortung gezogen werden können“ und „mit Sanktionen rechnen müssen“ 240. Dies setzt notwendigerweise voraus, dass einer anderen Instanz gegenüber Rechenschaft abgelegt wird. 241 Doch fragt sich, wo die Verantwortlichkeit bleibt, wenn die Exekutive ohne anschließende volle gerichtliche Kontrolle über so wichtige Teile einer Behördenentscheidung wie die Risikobewertung weitgehend frei entscheiden können soll. Zwar besteht zwischen Verwaltungsvollzug und Verwaltungskontrolle ein Zusammenhang, indes nicht, wie er durch die These von der „Verwaltungsverantwortung“ dargestellt wird. Richtig ist, dass die Verantwortung der Verwaltung wächst, wenn sie schwierige unbestimmte Rechtsbegriffe anwenden muss. Nicht aber folgt daraus ein Weniger an Kontrolle. 242 Denn solchermaßen würde der einzelne Rechtsschutzsuchende gerade bei besonders fehleranfälligen Entscheidungen darauf verwiesen, „dass schon alles gut gehen wird“. Dies widerspräche aber der Aufgabe von Gerichten, subjektive Rechte zu schützen und zu diesem Zweck, gerade bei schwierigen „komplexen“ Entscheidungen, (Kontroll-)Verantwortung zu übernehmen. 243 Ein Mehr an Verwaltungsverantwortung heißt daher auch ein Mehr an Gerichtskontrolle: Gerichte müssen dann besonders sorgfältig kontrollieren. Die Tatkraft der Verwaltung wird durch eine solche Vollkontrolle nicht „gelähmt“. Dieser Einwand wird gelegentlich vorgetragen 244, doch ist er zurückzuweisen. Denn voll kontrollieren bedeutet nicht, dass der Richter die Verwaltung gängelt, indem er ungefragt auf Fehlersuche geht und die Verwaltungsentscheidung auch dann aufhebt, wenn mehrere Entscheidungen gleich gut vertretbar sind. 245 Rechtmäßiges Verwaltungshandeln wird durch eine starke gerichtliche Kontrolle nicht gehindert. 246 Hingegen wird der Richter die Behördenentscheidung nur dann aufheben, wenn er davon überzeugt ist, dass die Risikobewertung der Behörde die Grenze der vertretbaren Restrisiken überschreitet. Hält sich die Risikobewertung aber unterhalb dieser Schwelle Rupert Scholz, VVDStRL 34 (1976), 145 (156). Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 455 ff. 240 Walter Krebs, Kontrolle, S. 44. 241 Vgl. Walter Krebs, Kontrolle, S. 44. 242 Vgl. auch Michael Lingemann, Die Gefahrenprognose als Basis eines polizeilichen Beurteilungsspielraumes?, S. 94 f. 243 Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 286; vgl. auch ders., Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 454; Peter Becker, Festschrift für H. Simon, S. 623 (624), der von einer „Verantwortungsgemeinschaft“ von Gerichten und der Verwaltung spricht; kritisch zum Argument der Verwaltungsverantwortung auch Wolf-Rüdiger Schenke, in: BK, Art. 19 IV Rdn. 343. 244 Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 91. 245 Hans Heinrich Rupp, Grundfragen, S. 220: Der Richter wird sich „davor hüten, die andere Meinung vorschnell und selbstgerecht für gesetzwidrig zu erklären, sondern er wird versuchen, sich in die Situation beider Streitteile hineinzuversetzen, sich ihrer Verantwortung, die er ihnen nicht abnehmen kann, bewusst zu werden, um dann mit ganz anderen Augen an die Lösung heranzugehen“. 246 Hermann Reuß, DVBl. 1953, 649 (654, li, f.). 238 239

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und ist sie plausibel, weil die Behörde zwischen gleich geeigneten Möglichkeiten sachgerecht ausgewählt hat, wird das Gericht das Votum der Behörde akzeptieren. 247 Z. B. würde ein Richter die Genehmigung einer Freisetzung bestätigen, die mit der Anordnung erteilt wurde, einen Isolationsabstand zum Nachbarfeld einzuhalten, obwohl auch die Errichtung einer künstlichen Schranke durch Anbau entsprechender nicht-transgener Pflanzen als Mantelsaat als gleich geeignete Sicherheitsvorkehrung in Betracht gekommen wäre. 248 Auch wenn der Richter persönlich die Anpflanzung einer Mantelsaat favorisiert, wird er die Behördenentscheidung respektieren, weil die Abstandslösung gleich geeignet ist, um die notwendige Sicherheit zu gewährleisten und den Betreiber auch nicht stärker belastet 249. Eine derart verstandene gerichtliche Kontrolle, die zwar die Risikobewertung umfassend prüft, sich dabei aber auf die Verletzung subjektiver Rechte konzentriert, gefährdet eine effektive Verwaltungstätigkeit nicht. Im Gegenteil – sie kann helfen, Prüfungsmaßstäbe zu entwickeln und unbestimmte Rechtsbegriffe richtig auszulegen. Das gilt etwa für die nach dem Stand der Wissenschaft und Technik notwendigen bzw. der nach dem Stand der Wissenschaft und Technik erforderlichen „Schutzvorkehrungen“ (§ 11 I Nr. 3, 16 I Nr. 2 GenTG), für den Begriff „schädlichen Einwirkungen“ (§§11 I Nr. 3, 16 I Nr. 3, II GenTG) und die Unvertretbarkeitsklauseln der §§ 16 I Nr. 3, II GenTG. 250 Eine volle gerichtliche Kontrolle kann außerdem Defizite im Gesetzesvollzug aufdecken. Sie hilft damit, Fehler der Verwaltung künftig zu vermeiden. 251 So wird das Verantwortungsbewusstsein der Verwaltung geschärft. Eine volle gerichtliche Kontrolle hindert also eine effektive Verwaltungstätigkeit nicht, sondern fördert sie. (3) Das Argument vom Funktionsvorbehalt der Exekutive Weiterer Rechtfertigungsansatz im Zusammenhang mit der Argumentation, „Gerichte dürften gentechnikrechtliche Risikoentscheidungen nicht prüfen“, ist die These vom „Funktionsvorbehalt“ der Exekutive. So soll sich aus der Wissenschaftsabhängigkeit der Risikobewertung ergeben, dass die Entscheidung über gentechnische Risiken der Exekutive vorbehalten sei und Gerichte deshalb nicht ihre eigene Bewertung an die Stelle der Behörde setzen dürften.252 247 Vgl. Wolf-Rüdiger Schenke, in: BK, Art. 19 IV Rdn. 342; Hans Heinrich Rupp, Grundfragen, S. 220 spricht insoweit von einer „Taktfrage“. 248 Tätigkeitsbericht der ZKBS 2001, Bundesgesundheitsblatt 2002, 643 (651, li) und Kapitel B. IV. 5. b). bb). 249 Beim Anbau der Mantelsaat sind deren Kosten zu berücksichtigen, bei der Abstands-Lösung geht Anbaufläche verloren, wodurch Einbußen drohen können. 250 Vgl. dazu ausführlich auch Kapitel G. II. 251 Vgl. Helmut Goerlich, ThürVBl. 1993, 1 (7, li, 8, re, f.), der insoweit von einer „edukatorischen Kontrolle“ spricht; ähnlich Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 260; ders., Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 187: „vorsorgend-erzieherische Funktion“. 252 Z. B. VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (225, re); OVG Berlin, ZUR 1994, 206 (208, li); OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, re); VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (225, re); OVG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 4 zu § 13, S. 4.

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Auch die „Funktionsvorbehalt“-These versucht also, den Beurteilungsspielraum mit einem Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip darzutun. Wie die unter (1) und (2) dargestellten Doppelverwaltungs- und Verantwortungs-Thesen lässt aber auch sie außer Acht, dass sich bei der Kontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen nicht nur die Verwaltung und die Rechtsprechung gegenüberstehen, sondern dass diese beiden Gewalten um den rechtsschutzsuchenden Bürger ergänzt sind. 253 Deshalb darf die grundgesetzliche Gewaltenteilung nicht losgelöst von Art. 19 IV GG bestimmt werden, sondern sie muss stets berücksichtigen, dass Gerichte subjektiven Rechtsschutz gewähren sollen. 254 Hauptzweck der Gewaltenteilung ist insofern nicht, Kompetenzen einzelner Hoheitsträger zum Schutz anderer Hoheitsträger zu begrenzen 255, sondern ihre wesentliche Funktion ist, jeglichen Machtmissbrauch zum Nachteil des Einzelnen zu verhindern. 256 Das gilt besonders dort, wo der Gesetzgeber unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet, deren Komplettierung er auch der Verwaltung überlassen hat. 257 Wenn Gerichte kontrollieren und die Behördenentscheidung kraft ihres Letztentscheidungsrechts aufheben, greifen sie daher nicht unzulässig in einen ihrer Kontrollkompetenz verwehrten Funktionsbereich der Exekutive ein. Vielmehr praktizieren sie Gewaltenteilung par excellence, weil sie die Exekutive dort mäßigen, wo diese subjektive öffentliche Rechte des Einzelnen verletzt. Das Gewaltenteilungsprinzip würde also verkannt, benutzte man es, um eine volle gerichtliche Kontrolle zu unterbinden. 258 Selbst wenn das Grundgesetz keine absolute Trennung der Gewalten kennt 259, erlaubt es keine Einschnitte, die das System der gegenseitigen Kontrolle, der Hemmung und der Mäßigung der Gewalten zum Nachteil des Einzelnen aufbrechen und zur Übermacht einer Gewalt führen. 260 Eine solche Übermacht wird durch Annahme eines BeurteiMartin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 259. Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S.458; Dietrich Jesch, AöR 82 (1957), 163 (236); auf den Zusammenhang zu Art. 19 IV hinweisend auch Roman Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rdn. 36, 59, insbes. Rdn. 77. 255 Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 259. 256 BVerfGE 9, 268 (279); H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rdn. 23; Eberhard Schmidt-Aßmann, HStR I, § 24 Rdn. 49; vgl. auch Roman Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rdn. 36, der die Dritte Gewalt als „eigentliche Garantie der Gewaltenteilungsidee ...“ bezeichnet und ders., a. a. O., Rdn. 59: „Die ausgeprägten Kontrollbefugnisse der Dritten Gewalt gegenüber den beiden anderen Gewalten, vor allem gegenüber der vollziehenden Gewalt, sind jedenfalls eine jener Besonderheiten, durch die sich die Gewaltenteilung des GG von der anderer westlicher Verfassungsordnungen grundlegend unterscheidet.“. 257 VG Wiesbaden, NJW 1988, 357 (361, re); Roswitha Hillers, VR 1989, 116 (120, re); Günther Korbmacher, DÖV 1965, 696 (701, li); Hermann Reuß, DVBl. 1953, 585 (589, re). 258 VG Wiesbaden, NJW 1988, 356 (361, re): „Gewaltenteilung wird durch die gerichtliche Kontrolle nicht vereitelt, sondern verwirklicht.“; vgl. auch die bildhafte Umschreibung von Hermann Reuß, DVBl. 1953, 585 (589): „Die Einschränkung der Richtermacht zugunsten der Verwaltung ... wäre eine Selbstauslieferung an den Leviathan Staat.“. 259 BVerfGE 95, 1 (15); BVerwGE 93, 287 (288 f.). 260 Vgl. BVerfGE 9, 268 (280): erlaubt sind nur „gewisse Gewichtsverlagerungen“, aber kein „Übergewicht über die andere Gewalt“ (S. 279); Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 458; Eberhard Schmidt-Aßmann, HStR I, § 24 Rdn. 49. 253 254

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lungsspielraums aber gerade geschaffen, da der Einzelne den Eingriffen der Exekutive ohne genügende Verteidigungsmittel ausgesetzt wird, weil Gerichte ihres Kontrollauftrags zum Schutz subjektiver Rechte weitgehend enthoben werden. Auch die These vom Funktionsvorbehalt der Exekutive kann deshalb nicht rechtfertigen, dass bei der Risikoermittlung und Risikoabschätzung ein Beurteilungsspielraum anerkannt wird.

(4) Das Argument der politischen Verantwortbarkeit Zur Verstärkung des Arguments, die Exekutive müsste die (Letzt-)Verantwortung für gentechnikrechtliche Risikoentscheidungen tragen, wird zum Teil auch auf politische Elemente dieser verwiesen: 261 Der „Inhalt der Risikoabschätzung“ könne „letztendlich nur politisch verantwortet werden“. 262 Doch können politische Elemente einen Beurteilungsspielraum nicht rechtfertigen. 263 Weder Entscheidungen im Wahlverfahren 264 noch politische Entscheidungen der Regierung 265 sind der vollen Gerichtskontrolle des Art. 19 IV GG entzogen. Daher können es erst recht nicht vergleichsweise einfache gentechnikrechtliche Behördenentscheidungen sein, die zwar die politische Grundsatzentscheidung für die Zulassung der Gentechnik wieder geben, darüber hinaus aber keine gesamtstaatliche Wirkung haben, wie etwa die Beurteilung der „gesamtwirtschaftlichen Vorteile“ durch den Bundesminister für Wirtschaft bei der kartellrechtlichen Fusionskontrolle (vgl. § 42 I 1 GWB) 266.

261 OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, re); OVG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GemTG, Nr. 4 zu § 13, S. 4; vgl. auch Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 93; allgemein zu Risikoentscheidungen siehe BVerwG, DÖV 2003, 81 (83, li); Wolf-Rüdiger Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdn. 762. 262 Z. B. OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, re); Siegmar Pohl, Die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, S. 263 f. 263 Vgl. allg. auch Guy Beaucamp, JA 2002, 314 (316, re); Martin Ibler, in: BKGG, Art.19IV Rdn. 286. 264 Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 75; Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 19 IV Rdn. 40; Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rdn. 34. 265 Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 73; dagegen für eine Beschränkung der Kontrolldichte Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rdn. 81 ff.; Wolf-Rüdiger Schenke, JZ 1988, 317 (320). 266 OLG Düsseldorf, Beschluss des Kartellsenats, Kart 25/02 (V), v. 02.08.2002, S. 35 f. (Fundstelle: http://www.olg-duesseldorf.nrw.de) – Untersagung der Fusion zwischen E.ON AG und Ruhrgas AG – nach verbreiteter Auffassung soll dem Bundeswirtschaftsminister ein weiter Beurteilungsspielraum hinsichtlich der „gesamtwirtschaftlichen Vorteile“ und des „überragenden Interesses der Allgemeinheit“ zustehen; so auch Ulrich Mestmäcker/Winfried Veelken, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 42 Rdn. 41; Wernhard Möschel, BB 2002, 2077 (2083, re., f.).

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Zudem geht der Verweis auf die politische Verantwortlichkeit der Exekutive 267 von der Fehlvorstellung aus, die Exekutive werde für jede Behördenentscheidung politisch zur Verantwortung gezogen. Die Exekutive ist rechtstechnisch stärker vom politischen Willen des Volkes abhängig als Gerichte. Während Gerichte unabhängig und nur gem. Art. 20 III, 97 GG an Recht und Gesetz gebunden sind, wird die Exekutive durch Wahlen mitbewertet. Allerdings stellt die Kontrolle durch Wahlen nur eine Globalkontrolle dar. Hinzu kommt, dass die Wahlentscheidung Einzelner oft von parteipolitischen Vorlieben geprägt ist und nicht selten von Erwägungen geleitet wird, die sich einer rationalen Begründung entziehen. Die politische Verantwortlichkeit der Exekutive für eine einzelne Behördenentscheidung, wie etwa für eine gentechnische Freisetzung oder die Genehmigung eines gentechnischen Labors, tritt damit in den Hintergrund, es sei denn, die Presse hat eine Einzelentscheidung zum Wahlkampfthema gemacht. In den meisten Fällen ist aber eine politische Verantwortlichkeit der Exekutive für die Einzelentscheidung nicht nachweisbar. Auch deswegen lässt sich der gentechnikrechtliche Beurteilungsspielraum nicht mit einer größeren politischen Verantwortlichkeit der Exekutive begründen.

bb) Gerichte verkennen den Willen des Gesetzgebers, wenn sie voll prüfen – Letztentscheidungsrecht der Exekutive kraft normativer Ermächtigung? (1) Normative Ermächtigung zur Letztentscheidung im Gentechnikgesetz? Vielleicht könnte aber eine volle gerichtliche Kontrolle dem Willen des Gesetzgebers widersprechen 268, so dass Gerichte Zurückhaltung üben müssen, um das Demokratieprinzip (Art. 20 I, II 1 GG) zu wahren. Ein solcher gesetzgeberischer Wille müsste sich aber in Form einer normativen Ermächtigung in den gentechnikrechtlichen Entscheidungsnormen nachweisen lassen.269 Eine eindeutige Regelung wie im Entwurf eines Umweltgesetzbuchs findet sich im Gentechnikrecht nicht. Gem. § 43 UGB-E sollen Gerichte „Prognosen und Bewertungen, die technischen oder naturwissenschaftlichen Sachverstand voraussetzen“ nur beschränkt kontrollieren dürfen OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, re). Z. B. OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, li): alle Zweifel hinsichtlich der Risikobewertung der Behörde gelten zu lassen, würde die vom Gesetzgeber zugewiesene Einschätzungsprärogative der Genehmigungsbehörde „verkennen“; OVG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 4 zu § 13, S. 4: die gesetzgeberische Entscheidung darf nicht „unterlaufen werden“. 269 Vgl. BVerfGE 88, 40 (56 ff.), wo vorbildlich geprüft wird, ob die Auslegung des Art. 7 V GG eine Beschränkung der Kontrollintensität von Gerichten rechtfertigt; und BVerfGE 103, 142 (157 f.) für Art. 13 II GG; Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 19 IV Rdn. 92; Eberhard Schmidt-Aßmann/Thomas, Groß, NVwZ 1993, 617 (621, li). 267 268

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(vgl. § 43 UGB-E) 270. Auch hat sich der Gesetzgeber des Gentechnikgesetzes in den Beratungen zum Gentechnikgesetz nicht ausdrücklich zur Kontrolldichte geäußert, im Unterschied zum Gesetzgeber des BImSchG 271. Doch versuchen Rechtsprechung und herrschende Lehre, den Willen des Gesetzgebers, Gerichte zu beschränken, aus der Verwendung des Rezeptionsbegriffs des Stands der Wissenschaft (und Technik) abzuleiten, aus der „Komplexität“ und Wertungsabhängigkeit des Gentechnikrechts sowie aus der besonderen Ausgestaltung des gentechnischer Entscheidungsverfahrens. 272 Gerade die Beteiligung der ZKBS als sachverständige Beratungskommissionen soll Indikator für ein Letztentscheidungsrecht sein.273 Hinzu komme, dass der Gesetzgeber Fachbehörden und sonstige kompetenten Stellen, wie z. B. die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft beteiligt hat. Damit habe er sich für ein Kooperationsmodell entschieden, das gentechnikrechtliche Risiken im Dialog bestmöglich bekämpfen soll. 274 Dieses Kooperationsmodell würde entwertet, wenn Gerichte ihr Urteil als Ergebnis einer umfassenden Kontrolle an das der entscheidenden Behörde setzen dürften. 275 Insbesondere würde der Arbeitsaufwand der ZKBS geringgeschätzt, wenn Gerichte die Behördenentscheidungen, die auf deren Stellungnahmen beruhen, aufheben könnten. 276 Solche Befürchtungen äußert der Gesetzgeber des Gentechnikgesetzes aber nicht. Wenn auch im Rahmen der Gesetzesberatungen viele Rechtsprobleme diskutiert wurden 277 und dazu sachverständige Verwaltungs- und Verfassungsrechtler gehört wurden 278, findet sich in den Gesetzesmaterialien kein Hinweis auf eine nur eingeschränkte Gerichtskontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen. Nicht einmal wird die Schwierigkeit angedeutet, über gentechnische Risiken zu entscheiden, obwohl mit ihr begründete Kontrollfreiräume schon bei Schaffung des Gentechnikge270 Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch, S. 124 f.; Vgl. dazu Kapitel C. I. 271 BT-Drs. 7/179, S. 31 (re, Zu § 6): „Die Verwaltungsgerichte können in vollem Umfang nachprüfen, ob die Genehmigungsbehörde die festgestellten Tatsachen richtig unter die genannten Rechtsbegriffe subsumiert hat.“. 272 Z. B. BVerwG, NVwZ 1999, 1232 (1233, re); OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, li, f.); OVG Hamburg, ZUR 1995, 93 (94, mi, re); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 1 zu § 7, S. 4 f.; Udo Di Fabio, Risikoentscheidungen, S.294; Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S.327; Ralph A. Kroh, DVBl. 2000, 102 (103, li, 106, re). 273 Z. B. BVerwG, NVwZ 1999, 1232 (1234, li); OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, li); VG Berlin, ZUR 1996, 41 (43, re); Udo Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 294; Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung, S. 113 f. 274 Vgl. Udo Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 280 f. 275 Vgl. Udo Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, S. 281; Wolfgang Graf Vitzthum/Tatjana Geddert-Steinacher, Standortsicherung, S. 117. 276 Vgl. Udo Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 281. 277 BT-Drs. 11/6778, S. 30 (re): z. B. die Öffentlichkeitsbeteiligung, die Zusammensetzung der ZKBS, die Ausgestaltung des Überwachungskonzepts und die Haftungsproblematik. 278 Vgl. die Liste der gehörten Sachverständigen BT-Drs. 11/6778, S. 23 (li, f.).

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setzes diskutiert wurden 279. Lediglich in der Begründung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes fällt der Begriff „Beurteilungsspielraum“. 280 Doch beschreibt er dort nur den „Beurteilungsspielraum“ der Genehmigungsbehörde, den diese im Verhältnis zur ZKBS haben soll, wenn beurteilt werden muss, ob eine gentechnische Arbeit der Sicherheitsstufe 2 einem bereits von der ZKBS bewerteten Fall vergleichbar ist (vgl. § 12 IV 1 GenTG 281). Um ein gesetzlich gewolltes Letztentscheidungsrecht der Verwaltung aus den Entscheidungsnormen des Gentechnikgesetzes abzuleiten, blieben also nur der Verweis auf die Verwendung des Rezeptionsbegriffs des „Stands der Wissenschaft (und Technik)“ in den Entscheidungsnormen, die besondere Ausgestaltung des Verfahrens und die „Komplexität“ der Gentechnik. Doch lässt sich aus der bloßen Normstruktur kein konkludentes Letztentscheidungsrecht folgern. Durch den Begriff der „Wissenschaft (und Technik)“ wollte der Gesetzgeber gewährleisten, dass die Behörde immer den neusten Stand der Wissenschaft berücksichtigt. 282 Auf eine weniger intensive Gerichtskontrolle kann hieraus aber nicht geschlossen werden.283 Eher ließe sich umgekehrt behaupten, dass der Gesetzgeber eine volle Gerichtskontrolle wollte, um sicherzustellen, dass einer Behördenentscheidung auch tatsächlich der aktuellste Stand der Wissenschaft (und Technik) zu Grunde gelegt wird. Daher kann auch aus der Hinzuziehung kompetenter Stellen kein Letztentscheidungsrecht abgeleitet werden. Denn ein Wille des Gesetzgebers, die Grundrechte durch ein gutes Verwaltungsverfahren zu stärken, sie aber im gleichen Atemzug durch eine schlechtere Gerichtskontrolle zu schwächen, erschiene widersprüchlich. Ebenso wenig kann deshalb die „Komplexität“ des Gentechnikrechts ein Weniger an gerichtlicher Kontrolle rechtfertigen. 284 Gerade komplizierte Entscheidungen sind fehleranfällig, weshalb diese besonders gut kontrolliert werden müssen, um (Grund-)Rechte des Einzelnen wirksam zu schützen. 285 Zudem bedeutete es mehr ein „Hineinlesen“ als ein „Herauslesen“, aus solch vagen Indizien wie der Verwendung unbestimmter Begriffe, der Normstruktur, der Komplexität oder der Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens ein Letztentschei279 Vgl. nur VG Schleswig NJW 1980, 1296 (1298, re) – Brokdorf; BVerwGE 72, 300 (316) – Whyl, jeweils zu § 7 II Nr. 3 AtG. 280 BT-Drs. 12/5145, S. 13 (re, 10. Zu § 11). 281 Dort zu § 11 VI 2, 1. HS GenTG a. F. 282 Vgl. BT-Drs. 11/5622, S. 27 (re, Zu § 12). 283 Vgl. Helmuth Schulze Fielitz, in: Dreier, Art. 19 IV Rdn. 92. 284 A. A. Rüdiger Breuer, UTR 14 (1991), 37 (73) unter Hinweis auf die Erläuterung in der Amtlichen Begründung der Bundesregierung, dass bei einer Freisetzungsgenehmigung eine „Gesamtabwägung“ erforderlich ist (BT-Drs. 11/5622, S. 29 [li, Zu § 15]). 285 Ähnlich Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 454, der auch darauf hinweist, dass die „Komplexität“ schon in der Reformdiskussion um die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Jahr 1910 als wichtiger Grund genannt wurde, die Kontrolle durch Verwaltungsgerichte beizubehalten (S. 453 m. w. N.); vgl. hierzu auch bereits oben II. 3. b) aa) (2) und unten II. 3. c) bb) (1), 4).

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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dungsrecht herzuleiten. 286 Mit dem Grundsatz vom Gesetzesvorbehalt des Art. 20 III GG ist ein solches „Hineinlesen“ aber nicht vereinbar, wenn auf diese Weise subjektive Rechte geschmälert werden. 287 Hier bedarf es vielmehr einer ausreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage 288, gerade wenn ein vorbehaltloses Grundrecht 289 wie Art. 19 IV GG beschränkt wird 290. Überdies ist Folge eines „Hineinlesens“, dass die Mutmaßung eines Letztentscheidungsrechts dem jeweiligen Gericht überlassen wird. Damit erhält das Gericht die Macht, sich autonom von seiner grundrechtlichen Kontrollpflicht aus Art. 19 IV GG freizustellen. 291 Das verstößt aber gegen Art. 1 III GG, demzufolge auch Gerichte an die Grundrechte und damit auch an Art.19 IV GG gebunden sind. (2) Normative Ermächtigung zur Letztentscheidung in der GenTSV? (a) Schaffung eines Letztentscheidungsrechts durch den Verordnungsgeber? Möglicherweise könnte sich aus der ausdrücklichen Verwendung des Begriffs „Beurteilungsspielraum“ in der Begründung zu § 4 GenTSV 292 ein Letztentscheidungsrecht gewinnen lassen. 293 Doch wird der Begriff „Beurteilungsspielraum“ in dieser Begründung nicht so verstanden wie er in Kapitel C. als Umschreibung für Kontrollfreiräume eingeführt wurde. 294 Vielmehr soll er hier nur den Entscheidungsspielraum von Behörden „bei der Gesamtbewertung der für die Sicherheit bedeutsamen Eigenschaften“ im Verhältnis zum Gesetzgeber kennzeichnen. 295 Aus einem Entscheidungsspielraum der 286 Kritisch daher auch Guy Beaucamp, NuR 2002, 332 (334, li); Martin Ibler, in: BKK, Art. 19 IV Rdn. 258; ders., Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 450 zur Normstruktur. 287 A. A. aber BVerwGE 5, 162 f.; Christian Starck, Festschrift für H. Sendler, S. 167 (176); Horst Sendler, NJW 1986, 1084 (1086, li). 288 BVerfGE 80, 103 (107); 80, 137 (161). 289 BVerfGE 83, 130 (142); H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Vorb. Vor Art. 1 Rdn. 48. 290 Dietrich Jesch, AöR 85 (1957), 163 (249); a. A. Eberhard Schmidt-Aßmann/Thomas Groß, NVwZ 1993 617 (622, li). 291 Kritisch daher auch Eberhard Schmidt-Aßmann/Thomas Groß, NVwZ 1993, 617 (623, li); zustimmend aber wohl Dieter Wilke, Jura 1992, 186 (187, re, 193, re). 292 Amtliche Begründung der GenTSV, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 4 GenTSV Rdn. 7. 293 In diese Richtung aber VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13, S. 4 zu §§ 7 I, 4, 5 GenTSV: „Vielmehr hat er [der Verordnungsgeber] das ihm vom Gesetzgeber eingeräumte Bewertungsvorrecht zum Teil an die zuständige Behörde ‚weitergegeben‘.“ 294 Kapitel C. I. 295 „Damit wird zwar ein Beurteilungsspielraum erschlossen, dem jedoch in den §§5 und 6 Grenzen gesetzt sind:“ (Amtliche Begründung der GenTSV, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch,

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

Exekutive gegenüber dem Gesetzgeber kann aber nicht automatisch auf einen Kontrollfreiraum gegenüber Gerichten geschlossen werden. 296 Hierfür sprechen auch die weiteren Ausführungen: Die Bewertung gentechnischer Risiken berge „nicht mehr Unsicherheit“ als Beurteilungen in „allen anderen Lebensbereichen..., die aus der Summierung von Quantitäten (hier: den Risikopotentialen) auf eine Qualität“ (hier: die Sicherheitsstufen) 297 schließen müssen. 298 Diese Aussage deutet nicht auf eine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle hin. Vielmehr lässt sich mit ihr eher begründen, dass gentechnikrechtliche Entscheidungen nicht schwieriger sind als wertende Beurteilungen in anderen Lebensbereichen und daher von Richtern ebenfalls voll kontrolliert werden sollen. Vor allem aber stünde einem auf die GenTSV gestützten Letztentscheidungsrecht der Exekutive gegenüber Gerichten entgegen, dass normative Letztentscheidungsrechte gerade auf den Willen des parlamentarischen Gesetzgebers rückführbar sein müssen. Dies ist erforderlich, um Einschnitte in Art. 19 IV GG so gering wie möglich zu halten. 299 Daher könnte die Bundesregierung als Verordnungsgeber der GenTSV Behörden nur dann einen Beurteilungsspielraum „normativ eröffnen“, wenn sie hierzu vom parlamentarischen Gesetzgeber ermächtigt worden wäre. Gem. Art. 80 I 2 GG muss eine solche Ermächtigung ausdrücklich erfolgen.300 Die allgemeine Ermächtigung zum Erlass der GenTSV (§ 7 II 2 GenTG) genügt diesen engen Grenzen 301 nicht. Vielmehr müsste die Bundesregierung vom Gesetzgeber des Gentechnikgesetzes ausdrücklich – jedenfalls aber mit einwandfreier Deutlichkeit – dazu befugt worden sein, den Behörden in der GenTSV einen Beurteilungsspielraum zuzuweisen. 302 Wegen der Bedeutung der Unabhängigkeit der Rechtspflege müsste eine solche Ermächtigung besonders klar formuliert sein.303 Im Gentechnikgesetz findet sich aber keine Norm, die unverkennbar auf eine Befugnis der Bundesregierung als Verordnungsgeber der GenTSV hinweist, den zuständigen Fachbehörden ein Letztentscheidungsrecht zuzuweisen. GenTG, § 4 GenTSV Rdn. 7); und „Die Komponenten der der Sicherheitseinstufung zugrunde liegenden Gesamtbewertung sind so genau wie möglich umrissen. Der verbleibende Spielraum ...“ (Amtliche Begründung der GenTSV, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 4 GenTSV Rdn. 10). 296 Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 449; vgl. auch oben. II. 3. b) aa) (2) und dazu, dass sich aus einer geringeren Rechtsbindung der Behörde nicht per se ein Letztentscheidungsrecht begründen lässt, oben I. 2. a). 297 Klammerzusatz auch im Original. 298 Vgl. Amtliche Begründung der GenTSV, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 4 GenTSV Rdn. 10. Klammerzusätze auch im Original. 299 BVerfGE 88, 40 (56); H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 19 Rdn. 48, 36; Eberhard Schmidt-Aßmann/Thomas Groß, NVwZ 1993, 617 (621, li, f.); Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 19 IV Rdn. 92; Rainer Wahl, NVwZ 1991, 409 (411, li). 300 BVerfGE 2, 307 (335); 23, 62 (72). 301 Dazu Bodo Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 80 Rdn. 1. 302 BVerfGE 2, 307 (334 f.); wohl auch BVerfGE 23, 62 (72 f.). 303 Vgl. BVerfGE 2, 307 (335).

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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(b) Die Befugnis zur „Legaleinstufung“ (§ 5 VI GenTSV) als normative Ermächtigung des Gesetzgebers? Allerdings könnte der parlamentarische Gesetzgeber die Exekutive in der GenTSV zur Letztentscheidung ermächtigt haben. Dies könnte durch das 2. GenTG-ÄndG (Art. 3 Nr. 5. d) aa) geschehen sein, indem der Begriff der „Legaleinstufung“ in § 5 VI der GenTSV eingefügt wurde. § 5 VI GenTSV i. d. F. des 2. GenTG-ÄndG ermächtigte das Bundesministerium für Gesundheit, eine Liste zu erlassen mit „Legaleinstufungen“ von Mikroorganismen nach dem geltenden EGArbeitsschutzrecht sowie von Organismen, die den Risikogruppen nach den allgemeinen Kriterien gemäß § 5 I 1 (i.V. mit Anhang I Nr. 1) GenTSV zugeordnet sind. Durch das Gesetz zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht wurde diese Kompetenz auf das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernäherung und Landwirtschaft übertragen. Die Änderungen des § 5 VI GenTSV gehen unmittelbar auf den Gesetzgeber zurück: durch das 2. GenTG-ÄndG hat der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates nicht nur das Gentechnikgesetz geändert, sondern auch die GenTSV. 304 Damit hat der parlamentarische Gesetzgeber Verordnungsrecht korrigiert. Ob dies zulässig war, könnte fraglich sein. Ermächtigt der Gesetzgeber die Regierung gem. Art. 80 I GG zum Erlass einer Rechtsverordnung, entäußert er sich aber nicht seines Gesetzgebungsrechts. 305 Daher darf er sich sein Gesetzgebungsrecht „zurückholen“ und Gesetze erlassen, die eine Rechtsverordnung ersetzen 306. Auch darf er – wie vorliegend geschehen – „in einen Rechtsetzungsakt des Verordnungsgebers eindringen“ und einzelne Teile von Rechtsverordnungen korrigieren 307. Die Rechtssicherheit wird hierdurch nicht gefährdet. Eine Rechtsbindung des Einzelnen besteht „hier wie dort“, weil dieser an Rechtsverordnungen und formelles Gesetz gleichermaßen gebunden ist. 308 Zudem hat der Gesetzgeber gegenüber der Bundesregierung als Verordnungsgeber Rechtsklarheit geschaffen, weil er sie durch Art. 6 2. GenTG-ÄndG ermächtigt hat, zum einheitlichen Verordnungsrang zurückzukehren und auch seine Korrekturen aufzuheben. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil hierfür ein sachlicher Grund bestand.309 Wird die GenTSV künftig durch den Verordnungsgeber geändert, regelt dieser die Risikobewertung, so wie dies das Gentechnikgesetz vorsieht (vgl. § 7 I 2 GenTG). Das Verhältnis von Gesetz und Rechtsverordnung wird daher durch die Rückkehr zum Art. 3 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des GenTG, BGBl. I 2002 S. 3220 (3228). Bodo Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 80 Rdn. 14. 306 BVerfGE 22, 330 (346). 307 Manfred Lepa, AöR 105 (1980), 337 (350 ff.). 308 Manfred Lepa, AöR 105 (1980), 337 (351). Rechtsunterschiede ergeben sich indes beim Rechtsschutz: Während ein Gericht eine Rechtsverordnung im Rahmen seiner (Inzident-)kontrolle aufheben dürfte, gilt bei formellen Gesetz Art. 100 I GG (siehe Christoph Külpmann, NJW 2002, 3436 (3437, re, ff., insbes. S. 3439)). 309 BVerfG, NJW 1998, 669 (670, li); Fritz Ossenbühl, HStR III, § 64 Rdn. 22 m. w. N.; Ulrich Ramsauer, in: AKGG, Art. 80 Rdn. 41 a. 304 305

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

einheitlichen Verordnungsrang nicht verändert, sondern wiederhergestellt. Die Änderung der GenTSV durch den parlamentarischen Gesetzgeber war daher verfassungsrechtlich zulässig. 310 Insoweit wäre es also möglich, ein gesetzgeberisches Letztentscheidungsrecht der Exekutive auf § 5 VI GenTSV zu stützen. Durch die Kompetenz zur „Legaleinstufung“ müsste der verordnungsändernde Gesetzgeber dem Bundesgesundheitsministerium durch das 2. GenTG-ÄndG bzw. dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft durch das Gesetz zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht dann aber auch tatsächlich das Recht vermittelt haben, für Gerichte zwingende Normen zu schaffen. Hierfür könnte das Wort „Legal“ sprechen. Diese Formulierung weckt Assoziationen zu Art. 20 III GG, der Gerichte an Recht und Gesetz bindet. Legte man den Begriff der „Legaleinstufung“ aber i. S. einer Bindung von Gerichten aus, erlaubte man dem Gesetzgeber, die Exekutive durch die bloße Verwendung dieses Begriffs zur Rechtssetzung zu ermächtigen; das Bundesgesundheitsministerium hätte verbindliches Recht schaffen dürfen, sogar in Form von Verwaltungsvorschriften. Das verstieße aber gegen die grundgesetzliche Gewaltenteilung, wonach die unmittelbare Staatsverwaltung nur in den engen Grenzen des Art. 80 GG Recht setzen darf, und zwar nur in Form von Rechtsverordnungen. Außerdem stehen die Begründungen des 2. GenTG-ÄndG einer Auslegung des Begriffs der „Legaleinstufung“ als Recht zur Bindung von Gerichten entgegen. Denn Bundestag und Bundesrat haben nur erklärt: die Änderung des § 5 VI GenTG soll klarstellen, dass die Organismenliste im wesentlichen der EG-Arbeitsschutzrichtlinie 2000/54/EG, Anhang III entstammt. 311 Der Begriff der Legaleinstufung ist daher nicht an Art. 20 III GG angelehnt, sondern an die Terminologie der Arbeitsschutzrichtlinie, die von „gemeinschaftlichen Einstufungen“ spricht. 312 Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob ein Recht zur „Legaleinstufung“ in einer Rechtsverordnung tatsächlich als normativ eröffnetes Letztentscheidungsrecht des parlamentarischen Gesetzgebers gewertet werden darf. Dafür spricht, dass der Gesetzgeber diesen Begriff geschaffen hat, dagegen, dass er ihn in eine Rechtsverordnung eingebettet hat. Allerdings soll die bloße Stellung einer vom Parlament erlassenen Norm innerhalb einer Rechtsverordnung keinen Verordnungsrang dieser Norm begründen. Vielmehr soll sie auch dann ihren Charakter als formelles Gesetz behalten. 313 Allerdings hat der Gesetzgeber in Art. 6 des 2. GenTG-ÄndG, wie auch 310 Vgl. Brun-Otto Bryde, in: v. Münch/Kunig, Art. 80 Rdn. 5; Manfred Lepa, AöR 105 (1980), 337 (350 ff.); Olaf Konzak, DVBl. 1994, 1107 (1109, re). 311 BT-Drs. 14/8230, S. 33 (re, Zu Nummer 5 (§ 5), Zu Buchstabe c, Zu Doppelbuchtabe aa); siehe auch BR-Drs. 33/02, S. 68 (Zu Buchstabe c), Zu aa). 312 Richtlinie 2000/54/EG vom 18.09.2000 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit (ABl. EG Nr. L 262, S.21), Anhang III, (S. 29). 313 Manfred Lepa, AöR 105 (1980), 337 (351 f.); Olaf Konzak, DVBl. 1994, 1107 (1109, re, f.).

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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in Art. 6 des Gesetzes zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht, in zulässiger Weise 314 erklärt, es solle zum einheitlichen Verordnungsrang zurückgekehrt werden. 315 Damit wollte er spätere Änderungen der GenTSV durch Erlass gesetzesändernder Rechtsverordnungen ermöglichen. 316 Wäre das Recht zur „Legaleinstufung“ aber ein formelles Gesetz mit gewöhnlicher Gesetzeskraft, könnte es nicht durch Rechtsverordnung aufgehoben oder modifiziert werden. 317 Aus der Rückkehr zum Verordnungsrang nach Art. 6 2. GenTG-ÄndG ist daher zu schließen, dass die Änderungen der GenTSV durch das 2. GenTG-ÄndG und durch das Gesetz zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht nach dem Willen des Gesetzgebers nicht die Rechtsnatur eines formellen Gesetzes haben, sondern als Gesetz unter „Verordnungsvorbehalt“ 318 wie eine Rechtsverordnung wirken. Daher kann das heutige Recht des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Lebensmittelsicherheit zur „Legaleinstufung“ nach § 5 VI GenTSV n. F. ebenso wenig als ein durch den parlamentarischen Gesetzgeber zugewiesenes normatives Letztentscheidungsrecht qualifiziert werden wie das frühere Recht des Bundesministeriums für Gesundheit zur „Legaleinstufung“ nach § 5 VI GenTSV a. F. (3) Fazit: kein Letztentscheidungsrecht der Exekutive kraft normativer Ermächtigung Nach alledem ist als weiteres Zwischenergebnis festzuhalten: ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum kann nicht auf einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers gestützt werden. Eine volle Gerichtskontrolle widerspricht also nicht dem Demokratieprinzip. c) Kontrollschranken aus anerkannten Fallgruppen des Beurteilungsspielraums auch im Gentechnikrecht? Um die verfassungsrechtlich garantierte Funktionsfähigkeit der Rechtspflege zu erhalten, damit auch bei einer steigenden Zahl von Klagen weiterhin effektiver Gerichtsschutz gewährt werden kann, könnte jedoch möglicherweise ein Beurteilungsspielraum begründet werden 319, indem die in Kapitel C. beschriebenen anerkannten Fallgruppen von Beurteilungsspielräumen auf das Gentechnikrecht übertragen werSiehe oben in im Text. Art. 6 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des GenTG, BGBl. I 2002 S. 3220 (3244) und Art.6 des Gesetzes zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht, s. BT-Drs.15/996, S. 6. 316 Vgl. BT-Drs. 14/8230, S. 39 (re, Zu Artikel 6). 317 Manfred Lepa, AöR 105 (1980), 337 (352). 318 So Brun-Otto Bryde, in: v. Münch/Kunig, Art. 80 Rdn. 3; Fritz Ossenbühl, HStR III, § 64 Rdn. 22; vgl. auch Christoph Külpmann, NJW 2002, 3436 (3439, re). 319 Dazu, dass der effektive Gerichtsschutz selbst Art. 19 IV GG beschränken kann, siehe Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 318. 314 315

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

den. Gentechnikrechtliche Risikoentscheidungen könnten z. B. beschränkt kontrollierbare Planungsentscheidungen sein (aa) oder Prognoseentscheidungen (bb). Auch könnte ein Beurteilungsspielraum in Anlehnung an den atomrechtlichen Beurteilungsspielraum begründet werden (cc). Oder die Rechtsprechung zu wertenden Entscheidungen sachverständiger oder pluralistisch besetzter Gremien könnte auf das Gentechnikrecht angewandt werden (dd). Dies setzte – unabhängig von der Frage, ob bei diesen Entscheidungen ein Beurteilungsspielraum mit Art. 19 IV GG vereinbar ist – zunächst voraus, dass gentechnikrechtliche Risikoentscheidungen den Entscheidungen dieser Fallgruppen vergleichbar wären. aa) Gentechnikrechtliche Entscheidungen als beschränkt kontrollierbare Planungsentscheidungen? In der Literatur wird die Auffassung vertreten, gentechnikrechtliche Entscheidungen seien Planungsentscheidungen und dürften deshalb nur wie diese320 auf Abwägungsfehler hin kontrolliert werden. 321 Doch ist für planerische Abwägungen bei gentechnikrechtlichen Entscheidungen kein Raum. 322 Der gesellschaftspolitische Nutzen oder Schaden eines Vorhabens darf die Entscheidung über die Zulassung eines Vorhabens ebenso wenig lenken 323 wie das gesamtstaatliche Interesse, den Technologiestandort Deutschland zu sichern. Müsste z. B. befürchtet werden, dass die deutsche Gentechnik im internationalen Vergleich hinterherhinkt – was derzeit indes nicht der Fall ist 324 – dürfte dies nicht zum Anlass genommen werden, um ein Vorhaben, dessen Sicherheit zweifelhaft ist, dennoch zuzulassen. 325 Vielmehr müsste es untersagt werden, weil das Gentechnikgesetz Behörden zuvörderst zum Schutz des Menschen und der Umwelt verpflichtet (vgl. § 1 Nr. 1 GenTG). 326 Auch darf eine allgemeine Technologiefolgenabschätzung, die über die Folgen des einzelnen Vorhabens hinausreicht, nicht die Zulassung eines gentechnischen 320 BVerwGE 34, 301 (308); 55, 220 (226); 82, 260 (265); Helmuth Schulze-Fielitz, Art.19IV Rdn. 90; Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rdn. 34; kritisch zu kontrollfreien Planungsfreiräumen indes Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 267. Vgl. dazu auch C. II. 1. b). 321 Karl-Heinz Ladeur, NuR 1992, 254 (261, li, f.); Arno Scherzberg, VerwArch 84 (1993), 484 (508). 322 Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 11 Rdn. 39; ders., VerwArch 93 (2002), 295 (313). 323 BR-Drs. 387/1/89, S. 225; Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 103; Hirsch/Schmidt-Didczhun, GenTG, § 16 Rdn. 25, 30 und § 13 Rdn. 39; Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 132; a. A. Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 180, 188 f.; vgl. auch Walter Doerfler, in: Gentechnologie in Deutschland, S. 157 (163). 324 Vgl. Kapitel B. I. 325 Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 180. 326 Siehe Kapitel B. V.

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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Vorhabens bestimmen. 327 Z. B. dürfte ein Freisetzungsvorhaben nicht deshalb unterbunden werden, weil eine Gemeinde gentechnische Vorhaben auf ihrer Gemarkung als sozial unverträglich ablehnt und deshalb Einwendungen geltend macht.328 Vielmehr muss ein gentechnisches Vorhaben zugelassen werden, wenn keine Sicherheitsdefizite vorliegen bzw. es muss untersagt werden, wenn „schädliche“ bzw. „unvertretbar schädliche Einwirkungen“ nicht zu erwarten sind. Auch wenn hierbei stets eine verfassungskonforme Bestimmung des hinnehmbaren Restrisikos erforderlich ist 329, sind die Zulassungsnormen des Gentechnikgesetzes gebundene Normen 330. Diese klare gesetzgeberische Entscheidung für einen Zulassungsanspruch bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen 331 der §§ 11 I, 16 I, II GenTG darf nicht durch ein weitergehendes Recht von Behörden zur planerischen Abwägung ausgehöhlt werden. 332 Denn im Unterschied zum Baurecht formuliert das Gentechnikrecht keine Planungsziele und Planungsleitsätze. 333 Ein in die Entscheidungsnormen des Gentechnikgesetzes hineingelesener Planungsfreiraum geriete nicht nur mit Art. 19 IV GG, sondern auch mit dem Grundsatz vom Gesetzesvorbehalt des Art. 20 III GG in Konflikt.

bb) Gentechnikrechtliche Entscheidungen als beschränkt kontrollierbare Prognoseentscheidungen? Gentechnikrechtliche Entscheidungen könnten aber nur beschränkt gerichtlich kontrollierbar sein, weil sie Prognoseentscheidungen sind.334 Die Rechtsprechung 327 Hirsch/Schmidt-Didczhun, GenTG, § 16 Rdn. 25 und § 13 Rdn. 39; Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 103 unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des GenTG, Rdn. 36; Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 132. 328 Michael Görke, Organisations- und Vollzugsprobleme im Bereich des Gentechnikrechts, S. 37 f. Ebenso wenig soll eine Gemeinde eine Klage unter Berufung auf Art. 28 auf eine Beeinträchtigung von Fremdenverkehrsinteressen stützen können, vgl. Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 11 und Nr. 12 zu § 13 Rdn. 28. Vgl. zur nicht zu berücksichtigenden Frage, ob ein Vorhaben gesellschaftlich wünschenswert oder sinnvoll ist auch VG Berlin, NVwZRR 1994, 150 (152, re). 329 Siehe Kapitel B. IV. 4. c) bb) (2), IV. 330 Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (26, re); Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 131. 331 BT-Drs. 11/5622, S. 27 (re, Zu § 12, 2. Absatz); Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/ Lange/Ronellenfitsch, GenTG, §11 Rdn.39; Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 109. 332 Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 103; Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 132. 333 Vgl. Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 279; Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 131; Matthias Kapteina, Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 139. 334 VGH Mannheim, NVwZ 2002, 2254 (225, re); vgl. auch OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, re); VG Stuttgart, Urt. v. 17.07.1997, Az 8 K 2653/95 (unveröffentlichtes Urteil), S. 26; grund-

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

erkennt bei Prognoseentscheidungen im Wirtschafts- 335 und Umeltrecht 336 einen Beurteilungsspielraum an, weil hier über künftige Vorgänge auf ungewisser Grundlage entschieden werden muss. Gentechnikrechtliche Entscheidungen erfordern in der Tat Prognosen, weil sich die Wirkungen gentechnisch veränderter Organismen gerade bei Freisetzungen, die das Ökosystem dauerhaft und besonders nachhaltig treffen können 337, nicht sicher voraussagen lassen. 338 Wie die Ausführungen zu den naturwissenschaftlichen Risiken gezeigt haben, ist etwa noch unklar, was passiert, wenn herbizidresistenter gentechnisch veränderter Raps freigesetzt wird, zugleich ein Markergen enthält, das ihn antibiotikaresistent macht. 339 Wird dieser Raps wilden Raps durch Auskreuzung verdrängen? Wird es also zu einem vertikalen Gentransfer kommen? Wird vielleicht sogar die Antibiotikaresistenz beim Verzehr durch horizontalen Gentransfer an den Menschen weitergegeben? Käme der Raps in diesem Fall in die Nahrungskette, könnte dies dazu führen, dass Antibiotika Kranke nicht mehr heilen können. 340 Ausgeschlossen ist regelmäßig weder ein vertikaler noch ein horizontaler Gentransfer, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, vor allem für einen horizontalen Gentransfer, gering ist. 341 Gleichwohl müssen diese Szenarien bei der Zulassung berücksichtigt werden. 342 Auch ist prognostisch nur dann zuverlässig festzustellen, ob ein gentechnisch veränderter Organismus bei Menschen, Tieren oder Pflanzen Krankheiten hervorrufen kann, sofern ein als grundsätzlich nicht pathogen bekannter Organismus der Selbstklonierung unterworfen wird. 343 Von daher ließe sich die Rechtsprechung zu den Prognoseentscheidungen möglicherweise auf das Gentechnikgesetz übertragen.

legend Peter J. Tettinger, DVBl. 1982, 421 (425, re); Michael Nierhaus, DVBl. 1977, 19 (23, li), vgl. dazu Kapitel C. II. 1. b). 335 BVerwGE 82, 295 (299 ff.) – Beeinträchtigung der öffentlichen Verkehrsinteressen durch Neuzulassung von Taxen. 336 BVerwGE 72, 300 (316 f.); 81, 185 (190 ff.) – zur nach dem Stand der Wissenschaft und Technik erforderlichen Vorsorge gem. § 7 II Nr. 3 AtomG. 337 Siehe Kapitel B. IV. 5. b) bb). 338 Vgl. BT-Drs. 11/5622, S. 20 (li, 2. Absatz, ff.); Heinz Saedler/Wolfgang Schuchert, in: Biotechnologie als interdisziplinäre Herausforderung, S. 244 (253); Arno Scherzberg, VerwArch 84 (1993), 484 (486, f.). 339 Siehe zur Funktion von Markergenen und ihren Risiken Kapitel B. I. 3. c) und III. 3. 340 Siehe Kapitel B. III. 3. 341 Vgl. Kapitel B. III. 342 Eckard Rehbinder, ZUR 1999, 6 (8, li); vgl. auch die ZKBS-Empfehlungen „Biologische Sicherheit von Antibiotika-Resistenzgenen“ abgedruckt in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Teil I, G., Nr. 47, S. 5 ff. 343 Vgl. den Bericht der Abgeordneten Carola Reimann zur Zweiten Änderung des Gentechnikgesetzes, BT-Drs. 14/9089, S. 55 (58, li, Zu Nummer 3 c Buchstabe c, 2. Absatz).

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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(1) Fehleranfälligkeit von Prognoseentscheidungen Indessen bestehen erhebliche Bedenken, bei prognosebedürftigen Entscheidungen weniger genau zu kontrollieren. Denn Entscheidungen auf ungewisser Grundlage sind fehlerträchtiger als Entscheidungen, bei denen eine präzise Abschätzung der Rechtsfolgen möglich ist. 344 Um den Einzelnen wirksam zu schützen, muss es bei vagen Prognoseentscheidungen also erst Recht eine Kontrollinstanz geben, die nach dem Grundsatz „vier Augen sehen mehr als zwei“345 bei Zweifeln hinsichtlich der behördlichen Risikobewertung ein weiteres Gutachten einholt und die Behördenentscheidung, wenn sie unzureichend ist, gegebenenfalls aufhebt. 346 (2) Erweiterung des Prognosewissens bei voller Kontrolle Auch spricht die Prognosehaltigkeit gentechnikrechtlicher Entscheidungen eher für als gegen eine volle Gerichtskontrolle, weil eine genaue Gerichtskontrolle helfen kann, das noch begrenzte prognostische Risikowissen zu erweitern. 347 Ansatzpunkt für diese These ist die gerichtliche Kontrolle der Betreiberpflichten des § 6 GenTG. Da gentechnikrechtliche Zulassungsentscheidungen immer ein gewisses Maß an Unsicherheit enthalten, muss ein Betreiber, um dennoch bestmöglich vor den Risiken der Gentechnik zu schützen, das Risiko seines Vorhabens nicht nur vorher umfassend bewerten, sondern er muss die Risikobewertung ständig überarbeiten (§ 6 I GenTG). Zudem muss er die nach dem „Stand von Wissenschaft und Technik“ notwendigen Sicherheitsmaßnahmen einer geänderten Risikobewertung unverzüglich anpassen (§6 II 1 GenTG). Das heißt, ein Betreiber muss sein Vorhaben stets überwachen 348 und über dessen Durchführung Aufzeichnungen führen (§ 6 III GenTG i.V. mit § 1 GenTAufzV) 349. Da die Betreiberpflichten in § 6 I b) GenTG und § 6 II 1 GenTG wie die entsprechenden Zulassungstatbestände der §§ 11 I Nr. 4, 16 I Nr. 2, II GenTG auf den „Stand von Wissenschaft (und Technik)“ Bezug nehmen 350, werden auch sie von einem gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum erfasst. 351 344 Vgl. auch Karl-Heinz Ladeur, NuR 1992, 254 (259, li, f.); Peter Becker, Festschrift für H. Simon, S. 623 (662). 345 Duden, Redewendungen, S. 823 (re). 346 Vgl. auch BVerfGE 103, 142 (157): Allein prognostische Elemente einer Entscheidung rechtfertigen noch keine Kontrollbeschränkung der Gerichte. 347 Dazu wie wichtig es ist, Prognosewissen zu sammeln, um die Ungewissheit zu bekämpfen, vgl. auch Siegmar Pohl, Die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, S. 46 f. 348 Hans-Georg Dederer, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 84, 90. 349 Vgl. dazu auch Rüdiger Breuer, UTR 14 (1990), 37 (60); Gerhard Roller/Ralf Jülich, ZUR 1996, 74 (78, li) sprechen insoweit von einer „Risikokommunikationspflicht“. 350 So auch Hirsch/Schmidt-Didczuhn, § 6 GenTG Rdn. 23 ff. 351 BVerwG, NVwZ 1999, 1232 (1233, re, f.) – zu § 6 II GenTG a. F.; OVG Hamburg, ZUR 1995, 93 (94, mi) – zu § 6 I und § 6 II GenTG a. F.; OVG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 4 zu § 13, S. 2 (3) – zu § 6 GenTG a. F., insbesondere zu § 6 II GenTG.

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

Indes sind die Betreiberpflichten für den Rechtsgüterschutz wichtige Normen, denn sie tragen der Prognosehaltigkeit gentechnikrechtlicher Entscheidungen Rechnung. Durch sie wird ein Betreiber zur fortlaufenden Beobachtung gezwungen, wodurch zumindest im Ansatz Risikoforschung betrieben wird. 352 Da die Betreiberpflichten sich nur auf sein Vorhaben und dessen konkrete Risiken beziehen 353, kann hierdurch zwar nicht ebenso viel neues Wissen hinzu gewonnen werden wie bei einer Risikoforschung, bei der auch Vergleiche mit anderen Vorhaben angestellt werden 354 und vom eigentlichen Versuch räumlich und zeitlich unabhängig weitere Auswirkungen des gentechnisch veränderten Organismus zu erforschen sind 355. Doch trägt auch eine auf den Versuchszweck beschränkte Begleitforschung dazu bei, das Wissen über die Wirkungen der Gentechnik zu erweitern. Wie wichtig dieser Zweck dem Gesetzgeber ist, zeigt die Zweite Änderung des Gentechnikgesetzes. Die Betreiberpflichten wurden verstärkt, indem sie präziser auf eine fortlaufende Überwachung zugeschnitten wurden. 356 Flankierend verpflichtet § 25 VI GenTG i.V. mit § 25 II GenTG den Betreiber zur Vorlage der (aktualisierten) Risikobewertung nach § 6 I GenTG. Kommt der Betreiber dieser Pflicht nicht nach, ermächtigt §25 I GenTG die zuständige Überwachungsbehörde, jederzeit die Vorlage zu verlangen und nicht nur bei unerwarteten Vorkommnissen oder bei Änderungen wie früher (vgl. § 25 II GenTG a. F. i.V. mit § 21 I, II, III GenTG a. F.). Damit kann der Betreiber stärker als bisher zur fortlaufenden Beobachtung seines Vorhabens gezwungen werden; zugleich hilft § 25 VI GenTG, das Risikowissen der Behörden zu erweitern. Darüber hinaus steuert §25 VI GenTG die empirische Risikoforschung des BVL als nun für die Gentechnik zuständige Bundesoberbehörde 357. Denn die Überwachungsbehörden müssen ihre Informationen an das BVL weiterleiten (vgl. § 28 GenTG). Dadurch kann das BVL seinen Datenbestand über gentechnische Arbeiten stets aktuell halten (§ 29 GenTG). Gem. § 28 a GenTG veröffentlicht das BVL zudem eine amtliche Sammlung von Verfahren zur Probenahme und Untersuchung von Proben, die im Rahmen der Überwachung von gentechnischen Arbeiten, gentechnischen Anlagen, Freisetzungen von gentechnisch veränderten Organismen und dem Inverkehrbringen durchgeführt oder angewendet werden. Eine fortlaufende Information über den Vollzug des Gentechnikgesetzes durch die einzelnen Überwachungsbehörden könnte dem BLV bei dieser neuen 352 Vgl. auch Arnim Karthaus, Risikomanagement, S.231; Gerhard Roller/Ralf Jülich, ZUR 1996, 74 (78, li). 353 Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 115; Gerhard Roller/Ralf Jülich, ZUR 1996, 74 (78, li). 354 Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 115. 355 Vgl. Meike Jörgensen/Gerd Winter, ZUR 1996, 293 (297, re). 356 Vgl. dazu die Gesetzesbegründung BT-Drs. 14/8230, S. 26 (re, Zu Nummer 6 (§ 6)); zur Kritik an der alten engeren Fassung der Betreiberpflichten: Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltgutachten 1998, BT-Drs. 13/10195, S. 306 (re), Rdn. 884; Meike Jörgensen/Gerd Winter, ZUR 1996, 293 (297, re); Eckard Rehbinder, ZUR 1999, 6 (9, li, re); ferner Dietrich Murswiek, VVDStRL 48 (1990), 207 (218). 357 Früher, vor der Änderung des Gentechnikgesetzes durch das Gesetz zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht, war auf Bundesebene das Robert Koch-Institut die für die Gentechnik zuständige Behörde, s. Kapitel B. IV. 3. a) aa).

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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Aufgabe helfen, allgemeine Methoden zur experimentellen Überwachung gentechnischer Vorhaben zu entwickeln 358. Auch das belegt die Bedeutung der Betreiberpflichten des § 6 GenTG als Einfallstor für eine wirkungsvolle Risikovorsorge. Hinzu kommt, dass die Freisetzungs-RiL 2001/18/EG 359 für Freisetzungen und für das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen genaue Informationspflichten auferlegt, die über die allgemeinen Anforderungen des § 6 GenTG 360 und über die in § 15 I Nr. 5, III Nr. 5 GenTG vorgesehenen Pflichten zur Beschreibung der geplanten Überwachungsmaßnahmen hinausgehen. Die Freisetzungs-RiL verlangt, dass ein Betreiber Überwachungspläne erstellt und zwingt ihn dazu, nicht nur Kontrollvorkehrungen bereitzuhalten, sondern sein Vorhaben systematisch zu beobachten, sog. Monitoring (Art. 5 I c) und Art. 13 II e), 20 mit Anhang VII). 361 Indes ist die Freisetzungs-RiL 2001/18/EG bisher vom deutschen Gesetzgeber nicht umgesetzt worden. 362 Ob ihre Bestimmungen trotzdem schon angewendet werden dürfen, scheint fraglich, weil die Informations- und Monitoringpflichten nicht nur Dritte schützen, sondern zugleich den Betreiber belasten.363 Der EuGH neigt allerdings dazu, nationale Behörden zu verpflichten, auch Richtlinieninhalte zu prüfen, die den Betreiber belasten, wenn sie hinreichend genau sind.364 Bei der im Anhang VII der Freisetzungs-RiL präzise geregelten Überwachung handelt es sich um solche hinreichend genauen Richtlinienbestimmungen. Das bedeutet, dass die Betreiberpflichten des § 6 GenTG bis zur Umsetzung der Freisetzungsrichtlinie europarechtskonform erweiternd zu lesen sind, und dass der Betreiber danach die Durchführung seines Vorhabens so überwachen muss, wie es die Richtlinie vorgibt. Diese europarechtliche Komponente erhöht die Bedeutung einer spielraumfreien gerichtlichen Kontrolle, ob der Betreiber seine nach dem Stand von Wissenschaft und Technik notwendigen Pflichten erfüllt hat. Denn das Europarecht verlangt hier zusätzlich, dass sämtliche staatlichen Stellen auf den Betreiber Einfluss nehmen, um 358 Siehe zu diesem Zweck des § 28 a GenTG, Stellungnahme des Bundesrates zum 2. GenTG-ÄndG, BT-Drs. 14/8767, S. 10 (li). Ziel ist letztlich, die Untersuchungsmethoden in den Ländern zu vereinheitlichen, um einen bundeseinheitlichen Vollzug und auch mehr Rechtssicherheit zu erreichen. Siehe hierzu auch Kapitel B.IV. 3. a) aa) und Kaptitel D. II. 3. e). 359 Zu ihr vgl. auch Kapitel B. IV. 1. 360 Dazu, dass die Pflichten aus § 6 GenTG nicht nur für Errichtung und Betrieb gentechnischer Anlagen und für die Durchführung gentechnischer Arbeiten, sondern auch bei Freisetzungen und beim Inverkehrbringen gelten, Matthias Herdegen/Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 15 Rdn. 49 und Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 63; Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 15 Rdn. 3. 361 Vorgesehen sind eine allgemeine überwachende Beobachtung („general surveillance“) und ein fallspezifisches Monitoring: Zweiter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen mit dem Gentechnikgesetz, abgedruckt in Eberbach/Lange/Ronellenfisch, GenTG, S. 19, 46 f.). 362 Gem. Art. 34 I der RiL war die Richtlinie bis zum 17.10.2002 umzusetzen. 363 Befürwortend Gerd Winter, ZUR 2002, 313 (313, re, 314, li). 364 EuGH, Rs. C-431/92, Slg. 1995, I-2189 Rdn. 24 f., 39 – Großkrotzenburg zur UVPPflicht; vgl. auch die Schlussanträge des Generalanwalts Michael B. Elmer, EuGH, Slg. 1995, I-2189 (2198 ff., insbes. S. 2198, Nr. 11 und S. 2200, Nr. 13).

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

eine bestmögliche Risikovorsorge zu erhalten. Eine volle Gerichtskontrolle kann insoweit helfen, weil sie verhaltenssteuernd auf den Betreiber einwirkt. Prüfen Gerichte Behördenentscheidungen nämlich sorgfältig darauf hin, ob der Betreiber alles nach dem Stand der Wissenschaft (und Technik) erforderliche getan hat, können Drittklagen im Unterschied zur bisherigen beurteilungsspielraumfreundlichen Gerichtspraxis eher einmal Aussicht auf Erfolg haben.365 Ein Betreiber muss dann häufiger mit behördlichen Maßnahmen rechnen, wenn er seine Kontrollpflichten nicht erfüllt. Drohen können Anordnungen der Überwachungsbehörde, um die Verletzung der Betreiberpflichten zu beseitigen und künftig zu verhüten (vgl. § 26 I 1 GenTG). Z. B. kann ein Betreiber verpflichtet werden, seine Risikobewertung zu überarbeiten (vgl. § 26 I 1 GenTG i.V. mit § 6 I GenTG) und die notwendigen Schutzvorkehrungen dem Stand von Wissenschaft und Technik anzupassen (§ 26 I 1 GenTG i.V. mit § 6 II 1 GenTG). Auch kommt – noch schärfer – eine gerichtliche Aufhebung oder ein behördlicher Widerruf einer Genehmigung in Betracht (§§20 I 1 GenTG i.V. mit § 49 II 1 Nr. 3 VwVfG) 366. Es liegt daher nahe, dass sich ein Betreiber bei einer vollen Gerichtskontrolle der Behördenentscheidungen seinerseits verstärkt dazu verpflichtet fühlt, sein Vorhaben bestmöglich zu beobachten und genaue Aufzeichnungen zu machen. Durch eine volle Gerichtskontrolle kann also mittelbar die Erweiterung des noch begrenzten prognostischen Risikowissens gefördert werden. Einen nur beschränkt kontrollierbaren Prognosespielraum zu befürworten, wäre deshalb verfehlt – und zwar auch rechtspolitisch. (3) Kontrolle von Prognosen in anderen Rechtsgebieten Des Weiteren ist gegen einen Prognosespielraum einzuwenden, dass Prognosen auch bei anderen Behördenentscheidungen getroffen werden müssen, ohne dass deshalb ein Prognosespielraum angenommen wird. Z.B. wird die Gefahrenprognose im Polizeirecht umfassend gerichtlich kontrolliert 367. Allerdings wird oft argumentiert, das Polizeirecht sei nicht mit dem Gentechnikrecht vergleichbar, weil polizeirechtliche Entscheidungen einfach sind und sie der Richter im Unterschied zum komplizierten Gentechnikrecht mit seinem allgemeinen Erfahrungsschatz lösen kann. 368 Diese Einschätzung mag zutreffen, vergleicht man die Entscheidung, ob transgener Raps freigesetzt werden darf, mit der Beurteilung, ob ein polizeirechtliches Ein365 Vgl. zum Zusammenhang zwischen den geringen Erfolgsaussichten von Drittklagen und der Annahme eines Beurteilungsspielraums auch Guy Beaucamp, NuR 2002, 332 (333, re). 366 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 6 Rdn. 43. 367 BVerwG, DVBl. 1980, 506; BVerfGE 103, 142 (157) – zum Begriff „Gefahr im Verzug“ nach Art. 13 II GG; für den atomrechtlichen Gefahrenbegriff, der sich am „Stand der Wissenschaft und Technik“ orientiert, vgl. auch Conrad Pflaundler, UPR 1999, 335 (336, li, 339, re); gegen einen Prognosespielraum daher auch Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rdn. 24 a (S. 1305); Guy Beaucamp, JA 2002, 314 (317, li). 368 Vgl. Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 278: Risikoentscheidungen hätten den engen Bereich der Gefahrdogmatik verlassen und hätten eine eigene Rechtsstruktur, welche einem Vergleich auf die volle Überprüfbarkeit der Gefahrenprognose entgegenstehe.

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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schreiten zulässig ist, wenn nach einem Tankwagenunglück Öl ins Grundwasser zu sickern droht. Die Prüfung der gentechnikrechtlichen Prognose ist schwieriger, weil sich ein Richter stärker mit weniger gesicherten naturwissenschaftlichen Fragen befassen muss. Auch sind gentechnikrechtliche Prognosen wegen der naturwissenschaftlichen Wissenslücken noch unsicherer. Es drohen daher mehr Bewertungsfehler als bei Prognosen des allgemeinen Polizeirechts. Allerdings ändern diese Unterschiede nichts daran, dass ein Richter in qualitativer Hinsicht eine Prognoseentscheidung kontrollieren muss 369. Lediglich in quantitativer Hinsicht muss er bei gentechnikrechtlichen Prognosen mehr leisten, da von ihm verlangt wird, sich in wissenschaftliche Fragestellungen einzudenken. Wie gezeigt, rechtfertigt aber die starke Wertungsbedürftigkeit gentechnikrechtlicher Entscheidungen ebenso wenig einen Beurteilungsspielraum wie deren Wissenschaftsabhängigkeit. 370 Daher kann mit diesen Eigenarten auch nicht belegt werden, dass Gerichte gentechnikrechtliche Prognosen weniger gut kontrollieren könnten als polizeirechtliche. Außerdem gibt es im (besonderen) Polizeirecht ebenfalls Prognosen, die technisch-wissenschaftlicher Art sind, und bei denen trotzdem kein Beurteilungsspielraum angenommen wird. 371 Das ist ganz herrschende Meinung für Anlagengenehmigungen nach dem BImSchG 372, die dem Stand der Technik entsprechen müssen (vgl. §§ 6 I Nr. 1, 5 I Nr. 2 BImSchG) 373. Aber auch für Entscheidungen, die am Stand der Wissenschaft (und Technik) anknüpfen 374 und die deshalb noch prognosehaltiger sind als Entscheidungen nach dem Stand der Technik, ist anerkannt, dass sie voll kontrollierbar sind. 375 Das gilt wie oben beschrieben 376 z. B. für Entscheidungen im Arzneimittelrecht 377 (vgl. § 25 II Nr. 2, Nr. 4 AMG) 378. Auch wurde die Pflicht zur 369 Vgl. auch Klaus Grupp, Festschrift für W. Blümel, S. 139 (147); Dietrich Murswiek, VVDStRL 48 (1990), 207 (219). 370 Oben II. 3. b) aa), bb). 371 Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 278. 372 Dazu, dass das Immissionsschutzrecht zum Polizeirecht gehört, siehe Volkmar Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rdn.42, 45, der in seiner Aufzählung der Gesetzgebung auf dem Gebiet des Polizei- und Ordnungsrecht auch das BImSchG nennt; vgl. außerdem Jarass, BImSchG, Einl. Rdn. 4: Teil des Sicherheitsrechts. 373 BVerwGE 55, 250 (253 f.); 85, 368 (379); Jarass, BImSchG, § 3 Rdn. 97, § 5 Rdn. 116/117; Rüdiger Breuer, UTR 45 (1998), 161 (171); Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (26, re, f.); vgl. zudem BT-Drs. 7/179, S. 31 (re, 1. Absatz zu § 6). 374 Vgl. dazu, dass die Formulierung „Stand der Wissenschaft und Technik“ weitergeht Jarass, BImSchG, § 3 Rdn. 95. 375 Insofern wäre der Einwand, das BImSchG knüpfe „nur“ am „Stand der Technik“ an, nicht gerechtfertigt. In diese Richtung aber Arno Scherzberg, VerwArch 84 (1993), 484 (489) und Rainer Wahl, UTR 14 (1991), 7 (10 f.) speziell für Freisetzungen. 376 Siehe II. 3. a) bb) (2) (b). 377 Auch das Arzneimittelrecht zählt zum Polizeirecht, siehe Volkmar Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rdn. 42, 45. 378 OVG Berlin, v. 25.11.1999, Az 5 B 11.98 (Fundstelle juris), S. 6 (3. Absatz) – Arzneimittelzulassung; OVG Berlin, v. 16.09.1999, Az 5 B 34.97 (Fundstelle juris), S. 11 i.V. mit S. 7 – Widerruf eines Arzneimittels.

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

vollen Gerichtskontrolle vom BVerwG für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln nach § 15 I Nr. 3 PflSchG 379 in der sog. Paraquat-Entscheidung höchstrichterlich bestätigt. 380 Gerade dieses Urteil spricht entschieden gegen einen gentechnikrechtlichen Prognosespielraum. Denn bei der Zulassung eines Pflanzenschutzmittels muss nicht nur eine Risikobewertung vorgenommen werden, die nach Wortlaut und Struktur der entscheidungserheblichen Norm denjenigen des Gentechnikgesetzes vergleichbar ist. 381 Vielmehr ist anerkannt, dass es wegen § 2 I Nr. 4 2. HS GenTG keiner gentechnikrechtlichen Genehmigung mehr für das Inverkehrbringen bedarf, wenn ein Pflanzenschutzmittel, das gentechnisch veränderte Organismen enthält, nach dem PflSchG zugelassen worden ist. 382 Käme es hier zu einem Gerichtsstreit, würden Gerichte also auch über gentechnische Risiken spielraumfrei entscheiden, z. B. würden sie die Wirkungen eines gentechnisch veränderten Pflanzenschutzmittels auf den Naturhaushalt prüfen. Wenn sie aber in solch einem Fall die Richtigkeit von Prognosen kontrollieren können, lässt sich nicht widerspruchsfrei erklären, weshalb dies unmöglich sein soll, wenn die Entscheidung nach Normen des Gentechnikgesetzes erfolgt. Die Paraquat-Entscheidung macht aber nicht nur einen Prognosespielraum beim Inverkehrbringen widersprüchlich, sondern auch bei Freisetzungen und bei der Zulassung von gentechnischen Arbeiten im geschlossenen System.383 Hier kann ein Prognosespielraum erst Recht nicht überzeugen, weil die Wirkungen gentechnisch veränderter Organismen auf den Menschen und die Umwelt wegen des örtlichen Bezugs des Vorhabens klarer sind als beim Inverkehrbringen und daher weniger Unsicherheiten bestehen als beim Inverkehrbringen. Das gilt vor allem für Arbeiten im geschlossenen System und hier besonders für niedrige Sicherheitsstufen, bei denen die verwendeten Organismen am besten bekannt sind und die Risiken daher am einfachsten bestimmt werden können. 379 Dazu, dass auch das Pflanzenschutzrecht dem Polizeirecht zugerechnet werden kann, vgl. Volkmar Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rdn. 841, der ein Verbot nach dem PflSchG als spezialgesetzliche, ordnungsrechtliche Verbotsnorm anführt; siehe außerdem Lorz, PflSchG, Vorb. 4, S. 3, der das Pflanzenschutzrecht auch als Gesundheitspolizei bezeichnet. 380 BVerwGE 81, 12 (17). 381 So auch Udo Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 276 unter 2.; Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (26, li); a. A. Karl-Heinz Ladeur, NuR 1992, 254 (260, li, f.). 382 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 2 Rdn. 15; Matthias Herdegen, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 2 Rdn. 25; Kloepfer, Umweltrecht, § 16 Rdn. 17. Für das AMG und das ChemG ist dies indes umstritten: ablehnend für das AMG Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 2 Rdn. 12, Matthias Herdegen, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 2 Rdn. 22; Kloepfer, Umweltrecht, § 16 Rdn. 17, weil das AMG nur eine auf den Menschen bezogene Risikoabschätzung enthalte; anders für das AMG aber die Begründung zum Regierungsentwurf des GenTG, BT-Drs. 11/5622, S.22 (re, 2. Absatz zu §2); ebenfalls ablehnend für das ChemG Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 2 Rdn. 13, weil das ChemG nur eine Anmeldung und keine Genehmigung kenne; a. A. Matthias Herdegen, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 2 Rdn. 19. 383 A. A. Karl-Heinz Ladeur, NuR 1992, 254 (260, li, f.).

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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(4) Fazit: Kein Prognosespielraum im Gentechnikrecht Auch der Prognoseanteil gentechnikrechtlicher Entscheidungen kann also keinen Beurteilungsspielraum rechtfertigen – gleichgültig ob es sich um ein Inverkehrbringen, eine Freisetzung oder eine Arbeit der Sicherheitsstufe 1, 2, 3 oder 4 handelt. Die Annahme eines Beurteilungsspielraums überzeugt weder, wenn der Prognoseanteil einer Entscheidung gering ist (wie z. B. bei einer Arbeit der Sicherheitsstufe 1) noch, wenn er größer ist, wie etwa bei einer Freisetzung oder einer S 3-Arbeit, bei der mit noch wenig charakterisierten gentechnisch veränderten Organismen gearbeitet wird. Je kleiner das prognostische Risikowissen, desto größer die Gefahr, dass die Prognose fehlerhaft ist und daher subjektive Rechte verletzt werden, wodurch das Bedürfnis nach einer besseren Kontrolle wächst. cc) Gentechnikrechtliche Entscheidungen als beschränkt kontrollierbare Risikoentscheidung – Vergleich zum Atomrecht? Möglicherweise lässt sich jedoch der im Atomrecht anerkannte Beurteilungsspielraum 384 auf das Gentechnikrecht übertragen. 385 Dann müssten Atomrecht und Gentechnikrecht insoweit vergleichbar sein. Nur so würde auch bei einer Übertragung der atomrechtlichen Rechtsprechung der Regel entsprochen, dass grundsätzlich für jedes Rechtsgebiet gesondert darüber entschieden werden muss, ob ein Beurteilungsspielraum besteht 386. (1) Rechtliche Unterschiede Die ähnliche Normstruktur atomrechtlicher und gentechnikrechtlicher Entscheidungsnormen deutet auf eine Vergleichbarkeit beider Rechtsgebiete hin. Jeweils wird der Rezeptionsbegriff des „Stands von Wissenschaft (und Technik)“ gebraucht, um die Behörde zur Berücksichtigung neuster wissenschaftlicher Erkenntnisse zu zwingen (vgl. §§ 7 II Nr. 3 AtG, § 11 I Nr. 4, 16 I Nr. 2, II GenTG). Doch rechtfertigt diese Übereinstimmung noch keine Übertragung des atomrechtlichen Beurteilungsspielraums auf das Gentechnikrecht.387 Denn ein Beurteilungsspielraum besteht nicht schon immer dann, wenn eine Norm den Begriff des „Stands von Wissenschaft (und Technik)“ zur Entscheidungsgrundlage macht. Gegenbeispiele Siehe hierzu C. III. 2 a). So BVerwG NVwZ 1999, 1232 (1233, re); OVG Berlin, ZUR 1994, 206 (208, li); OVG Hamburg, ZUR 1995, 93 (94, mi, re); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 14 zu § 13, S. 4; VG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 3 zu § 13, S. 14; VG Stuttgart, Urt. v. 17.07.1997, Az 8 K 2653/95 (unveröffentlichtes Urteil), S. 26. 386 BVerwGE 5, 153 (162); siehe auch Ralph A. Kroh, DVBl. 2000, 102 (103, re, f.); und schon oben I. 2. b). 387 Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (26, re, f.). 384 385

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sind auch hier das Arzneimittel- und das Pflanzenschutzrecht 388, wo Gerichte Behördenentscheidungen am Maßstab des „Stands von Wissenschaft und Technik“ umfassend kontrollieren (vgl. §§ 25 II Nr. 2, Nr. 4 AMG 389, § 15 I Nr. 3 PflSchG 390). Über die sprachliche und strukturelle Ähnlichkeit hinaus finden sich im Atomund Gentechnikrecht keine Gemeinsamkeiten, die eine Übertragung des atomrechtlichen Beurteilungsspielraums rechtfertigen könnten. Vielmehr bestehen erhebliche rechtliche Unterschiede zwischen beiden Rechtsgebieten. Insbesondere kennt das Gentechnikrecht kein Versagungsermessen. 391 Z. B. „darf“ der Betrieb eines Atomkraftwerks untersagt werden, weil die Entsorgung radioaktiver Abfälle nicht mehr gesichert ist, obwohl die Entsorgung abgebrannter Brennstäbe nicht zu den Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 II Nr. 3 AtG gehört. 392 Im Gentechnikrecht ist für Erwägungen außerhalb der gesetzlich beschriebenen Zulassungsvoraussetzungen dagegen kein Raum, weil die gentechnikrechtlichen Entscheidungsnormen gebundene Normen sind. Deshalb „ist“ ein Vorhaben zuzulassen, wenn die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind. Das gilt für die Genehmigungsvorschriften der §§ 11 I, 16 I, II GenTG 393 und für die Entscheidungen bei nur anmeldepflichtigen Vorhaben 394. Auch die Normen, die ein nachträgliches Einschreiten gegen ein gentechnisches Vorhaben in das Ermessen der Zulassungs- bzw. der Aufsichtsbehörde stellen (§§ 12 VII, 19, 20, 26 GenTG), kennen kein dem Atomrecht vergleichbares Versagungsermessen. Die zuständige Behörde muss hier ebenfalls einschreiten, wenn die bestehenden Risiken über das hinnehmbare Restrisiko hinausreichen 395, zumal ihr Vgl. II. 3. a) bb) (2) (b). OVG Berlin, v. 25.11.1999, Az 5 B 11.98 (Fundstelle juris), S. 6 (3. Absatz) – Arzneimittelzulassung; OVG Berlin, v. 16.09.1999, Az 5 B 34.97 (Fundstelle juris), S. 11 (3. Absatz i.V. mit S. 7, 6. Absatz) – Widerruf eines Arzneimittels; Kloesel/Cyran, AMG, § 25 Nr. 20. 390 BVerwGE 81, 12 (17) – Zulassung des Pflanzenschutzmittels Paraquat; Lorz, PflSchG, § 15 Nr. 2 cc), S. 55. 391 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 13 Rdn. 51 f.; Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 11 Rdn. 38; Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/ Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 110; Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Kapitel 10, Rdn. 119. 392 Vgl. Joachim Wolf, Umweltrecht, Rdn.651; Gerd Winter, Krit. Justiz 29 (1986), 23 (31 f.) jeweils zur Genehmigung eines Kraftwerks. Nachdem der Ausstieg aus der Atomenergie durch Gesetz vom 22.04.2002 (BGBl. I S. 1351) mit Wirkung vom 27.04.2002 gesetzlich geregelt wurde, werden jedoch keine neuen Genehmigungen mehr für Atomkraftwerke mehr erteilt (vgl. § 7 I 2 AtG). Daher wird sich die Entsorgungsfrage nunmehr auf die Prüfung des Versagungsermessens im Rahmen der Widerrufsvoraussetzung des § 17 III Nr. 2 AtG verlagern. 393 Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, §11 Rdn.39; HansGeorg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 44 f.; a. A. Joachim Wolf, Umweltrecht, Rdn. 589. 394 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 12 Rdn. 19 und Kapitel B. IV. 5. a) bb). 395 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 12 Rdn. 24, § 26 Rdn. 5; a. A. wohl Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 12 Rdn. 96 mit der Begründung, dass kein subjektives öffentliches Recht auf Einschreiten besteht. – Gegen diese Ansicht spricht aber, dass die Schutzpflicht von Behörden zum Einschreiten gegen Vorhaben zwingt, die nicht den materiellen Prüfkriterien entsprechen. (siehe hierzu Kapitel B.IV. 5. a) bb). 388 389

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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Entschließungsermessen dann wegen ihrer umfassenden Schutzpflicht auf Null reduziert ist. 396 Ein weiterer markanter Unterschied zwischen Atom- und Gentechnikrecht besteht in der Einbindung sachverständiger Gremien. Im Gentechnikrecht prüft und bewertet die ZKBS zentral sicherheitsrelevante Fragen, gibt hierzu Empfehlungen ab und berät die Bundesregierung und die Länder in sicherheitsrelevanten Fragen der Gentechnik (vgl. § 5 S. 1 GenTG). Demgegenüber werden im Atomrecht mehrere Beratungsgremien tätig. 397 Neben der Reaktorsicherheitskommission (RSK) 398 und der Strahlenschutzkommission (SSK) 399 befasst sich der Kerntechnische Ausschuss (KTA) 400 mit der Sicherheit atomtechnischer Anlagen. Wie die ZKBS arbeiten diese Gremien weisungsfrei. 401 Auch sind alle diese Gremien wie die ZKBS öffentlich-rechtliche Ausschüsse. 402 Im Unterschied zur ZKBS sind die atomrechtlichen Gremien aber nicht vom parlamentarischen Gesetzgeber geregelt worden. 403 Die §§ 4, 5 GenTG erläutern die ZKBS ausführlich, insbesondere sind die Befugnisse der ZKBS genau festgelegt. Die Gremien des Atomrechts wurden dagegen durch ministerielle Organisationerlasse geschaffen. 404 Befugnisse und ZusammenSiehe auch Kapitel B. IV. 5 d) bb). Zu diesem Unterschied auch Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 249. 398 Satzung der Reaktorsicherheitskommission (RSK-S) vom 22.12.1998, BAnz. 1999, Nr. 5, S. 201 f. 399 Satzung der Strahlenschutzkommission (SSK-S) vom 22.12.1998, BAnz. 1999, Nr. 5, S. 202 f. 400 Bekanntmachung über die Bildung eines Kerntechnischen Ausschusses vom 01.09.1986, BAnz. 1986, Nr. 183, geändert durch die Bekanntmachung über die Änderung der Bekanntmachung über die Bildung eines Kerntechnischen Ausschusses vom 23.12.1986, BAnZ 1987, Nr. 18; Neufassung der Bekanntmachung vom 20.07.1990, BAnz. 1990, Nr. 144. 401 Zur RSK: § 4 I 2 RSK-S; Rüdiger Nolte, Rechtliche Anforderungen an die technische Sicherheit von Kernanlagen, S. 99. Martin Vomhof, Rechtsprobleme der Einbindung von sachverständigen Gremien in das Umwelt- und Technikrecht, S. 102 Fn. 90. Zur SSK: § 4 I 2 SSK-S; Martin Vomhof, Rechtsprobleme der Einbindung von sachverständigen Gremien in das Umwelt- und Technikrecht, S. 102 Fn. 90. Zum KTA: Martin Vomhof, Rechtsprobleme der Einbindung von sachverständigen Gremien in das Umwelt- und Technikrecht, S. 131 i.V. mit S. 41 f. 402 Zur RSK: Rüdiger Nolte, Rechtliche Anforderungen an die technische Sicherheit von Kernanlagen, S. 100. Zur SSK: Martin Vomhof, Rechtsprobleme der Einbindung von sachverständigen Gremien in das Umwelt- und Technikrecht, S. 119 i.V. mit S. 39 f. Zum KTA: Rüdiger Nolte, Rechtliche Anforderungen an die technische Sicherheit von Kernanlagen, S. 105. 403 Vgl. Martin Vomhof, Rechtsprobleme der Einbindung von sachverständigen Gremien in das Umwelt- und Technikrecht, S. 39; Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Kapitel 10 Rdn. 146; Thomas Groß, Das Kollegialprinzip, S. 246; Michael Kloepfer/Kilian Delbrück, DÖV 1990, 897 (900, re). 404 Für die RSK siehe die Bekanntmachung des BMI über die Bildung einer Reaktor-Sicherheitskommission v. 16.12.1990, i.d.F. der Bekanntmachung v. 15.12.1980, BAnz. 1982, Nr. 10, 396 397

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

setzung ergeben sich aus den Satzungen der SSK 405 und der RSK 406 und aus der Bekanntmachung über die Bildung eines Kerntechnischen Ausschusses 407. Hinzu kommt, dass keines der atomrechtlichen Gremien eine derart herausragende Rolle hat wie die ZKBS im gentechnikrechtlichen Verfahren. Der KTA hat keinen der ZKBS vergleichbaren Einfluss, weil er nur allgemeine Regeln erlässt, nicht aber an der Einzelentscheidung beteiligt ist 408. Gleiches gilt für die SSK, die ebenfalls nur allgemeine Stellungnahmen zu sicherheitsrechtlichen Fragen abgibt.409 Nur die RSK beurteilt Einzelprojekte 410. Doch kann sie ebenfalls nicht mit der ZKBS verglichen werden. Denn die RSK kann die Genehmigungsentscheidung der zuständigen Behörde nur über die Bundesaufsicht des Bundesumweltministeriums lenken. 411 Zudem ist das Bundesumweltministerium weder verpflichtet, die RSK einzuschalten, noch ist es an deren Votum gebunden, falls es sich zur Einschaltung der RSK entschließt. 412 Dagegen ist im Gentechnikrecht die zuständige Behörde gesetzlich verpflichtet, die ZKBS zu beteiligen (§§ 10 VII, 12 IV, 16 V GenTG). Hinzu kommt ein erhöhter Begründungszwang, wenn die Behörden von einer Stellungnahme der ZKBS abweichen will. Obwohl die Stellungnahmen der RSK die behördliche Genehmigungsentscheidung im Wege der Bundesaufsicht nach Art. 85 III GG maßgeblich mitprägen 413, besitzt die RSK daher keine derart verselbständigte Rechtsstellung gegenüber den beteiligten Behörden wie die ZKBS.414 Die Befugnis der RSK gem. § 11 I, V RSK-S beschränkt sich vielmehr auf eine unverbindliche, untergeordnete Beratungstätigkeit. Dies verdeutlicht besonders § 11 I RSK-S. Danach sind die Aufgaben zwischen der RSK und den zuständigen Behörden klar getrennt: die RSK gibt nur naturwissenschaftliche und technische Empfehlungen ab S. 1. Für die SSK siehe die Bekanntmachung des BMI über die Bildung einer Strahlenschutzkommission v. 17.05.1974, BAnz. 1974, Nr. 92, S. 1. Für den KTA siehe die Bekanntmachung über die Bildung eines Kerntechnischen Ausschusses v. 01.09.1972, BAnz. 1972, Nr. 173, S. 3. Siehe auch Rüdiger Nolte, Rechtliche Anforderungen an die technische Sicherheit von Kernanlagen, S. 98, 102 f. 405 Satzung der Strahlenschutzkommission (SSK-S) vom 22.12.1998, BAnz. 1999, Nr. 5, S. 202 f. 406 Satzung der Reaktorsicherheitskommission (RSK-S) vom 22.12.1998, BAnz. 1999, Nr. 5, S. 201 f. 407 Neufassung der Bekanntmachung vom 20.07.1990, BAnz. 1990, Nr. 144. 408 §§ 2, 7 der Bekanntmachung über die Bildung eines Kerntechnischen Ausschusses; Rüdiger Nolte, Rechtliche Anforderungen an die technische Sicherheit von Kernanlagen, S. 103. 409 § 2 SSK-S. 410 § 2 RSK–S. 411 Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 250. 412 Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 250. 413 Thomas Groß, Das Kollegialprinzip, S. 90; Alexander Roßnagel, Parlamentslehre, S. 450 (453). 414 Vgl. auch Martin Vomhof, Rechtsprobleme der Einbindung von sachverständigen Gremien in das Umwelt- und Technikrecht, S. 129; a. A. Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 251, der zwar rechtliche Unterschiede einräumt, aber de facto keine solchen sieht.

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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(Satz 1), trifft aber keine rechtliche Bewertungen (Satz 2). Folglich muss sich das Atomrecht nicht genauer mit der Problematik befassen, ob ein Beurteilungsspielraum zulässig ist, wenn Wertungsentscheidungen von weisungsfreien und daher gegebenenfalls unzureichend demokratisch legitimierten Gremien (mit)getroffen werden. 415 Im Gentechnikrecht muss diese Frage jedoch wegen der gesetzlich vorgesehenen, entscheidungslenkenden Mitwirkung der ZKBS bei der Risikobewertung erörtert werden. 416 Auch deshalb kann ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum nicht einfach mit einer Anleihe im Atomrecht begründet werden. 417 (2) Tatsächliche Unterschiede Zu den rechtlichen Unterschieden zwischen Atom- und Gentechnikrecht treten erhebliche tatsächliche Unterschiede. Schon die Anwendungsbereiche beider Technologien sind sehr verschieden. Anwendungsfelder der Atomtechnologie sind insbesondere die Stromgewinnung 418 und die Medizin 419, z. B. der Betrieb von Röntgeneinrichtungen 420. Demgegenüber ist die Gentechnik viel weiter einsetzbar und daher aus Forschung und Wirtschaft viel weniger wegzudenken. Sie hilft z. B. bei der Herstellung von Arzneimitteln, der Entwicklung herbizidresistenter Nutzpflanzen, der Produktion von Nahrungsmitteln, der Herstellung von Konsumgütern und Waschmitteln. 421 Ein weiterer Unterschied zwischen Atom- und Gentechnikrecht ist, dass die Atomtechnologie anlagenbezogen ist. 422 Die Gentechnologie beschränkt sich indessen nicht auf Arbeiten im geschlossenen System. Vielmehr werden gentechnisch veränderte Organismen bei Freisetzungen und beim Inverkehrbringen gezielt in die Umwelt verbracht. Das Risikopotential freigesetzter und in den Verkehr gebrachter gentechnisch veränderter Organismen unterscheidet sich von dem radioaktiver Strahlung. Die Wirkungszusammenhänge gentechnisch veränderter Organismen sind diffus, gerade wenn eine Ortsgebundenheit fehlt. 423 Daher sind die sicherheits415 Vgl. Precht Fischer, Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 89 f., der auf die demokratische Legitimation der einzelnen Gremien nicht weiter eingeht, sondern die Übertragung der Gremienrechtsprechung auf das Atomrecht bereits deshalb ablehnt, weil die behördlichen Entscheidungen von den Gremien nur beeinflusst und nicht getroffen werden. 416 Siehe dazu sogleich unten II. 3. c) dd) (2). 417 Vgl. zur Bedeutung des gesetzlich vorgesehenen Einflusses des Gremiums für die Annahme eines Beurteilungsspielraums auch Thomas Groß, Das Kollegialprinzip, S. 326. 418 Ulrike Riedel auf der Tagung des Forschungszentrum Technikrecht am 06.11.2000, vgl. dazu den Tagungsbericht von Anne Kathrin Fenner, NuR 2001, 84 (85, li). 419 Auch wird radioaktive Strahlung in der Forschung genutzt. 420 Vgl. dazu die Röntgen-VO i. d. F. der Bekanntmachung vom 30.07.1989 (BGBl. I S. 1963), zuletzt geändert durch Art. 1 V v. 18.06.2002 (BGBl. I S. 1869). 421 Siehe zu den Chancen und zum Nutzen der Gentechnik Kapitel B.II. 422 Rüdiger Breuer, NuR 1994, 157 (166, li). 423 Rüdiger Breuer, NuR 1994, 157 (166, li); vgl. auch Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 78 f., der aber dennoch deutliche Parallelen zur atomrecht-

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

technischen Fragen, die sich bei Freisetzungen und beim Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen stellen, andere als bei anlagengebundenen Zulassungsentscheidungen im Atomrecht 424. Aber auch die Risikobewertung gentechnischer Arbeiten im geschlossenen System kann trotz des bestehenden Anlagenbezugs nicht mit atomrechtlichen Sicherheitsbewertungen verglichen werden. Beide Technologien sind zu verschieden. 425 Entscheidend ist, dass die Risiken der Atomenergie relativ gut bekannt sind – anders als die der Gentechnologie. 426 Bei einem Reaktorunfall ist mit erheblichen Gesundheits-, Lebens- und Umweltschäden zu rechnen. 427 Auch weiß man, dass bereits geringe Dosiswerte radioaktiver Strahlung Blutkrebs hervorrufen können oder mutagene Wirkungen. 428 Dagegen sind über die Folgen der Gentechnik nur weniger eindeutige Aussagen möglich, weil die Verbreitungspfade und Wirkungsweisen gentechnisch veränderter Organismen trotz wachsender experimenteller Erkenntnisse immer noch zu wenig erforscht sind. 429 Deshalb können selbst die Wirkungen gut charakterisierter Organismen nicht vollständig analysiert werden 430, insbesondere nicht die Folgen für das Ökosystem bei einer unbeabsichtigten Freisetzung 431. Letztlich kann ein biologisches Risiko nie völlig ausgeschlossen werden, weil positive Erfahrungen nicht ohne weiteres auf andere Sachverhalte übertragen werden könlichen Regelung sieht, S. 117; vgl. zu den möglichen Wechselwirkungen auch Kristina Sinemus, Biologische Risikoanalyse gentechnisch hergestellter herbizidresistenter Nutzpflanzen, S. 99. 424 Rüdiger Breuer, NuR 1994, 157 (166, li); Rudolf Steinberg, Risikomanagement im öffentlichen Recht, S. 17 (99). 425 Vgl. auch Hans-Georg Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 87, der die Risiken im Atomrecht als „technikanwendungsspezifische“ bezeichnet, diejenigen der Gentechnik als „technikspezifische“; zur größeren Unsicherheit bei Freisetzungen und beim Inverkehrbringen vgl. zudem BVerwG, NVwZ 1999, 1232 (1234, li). 426 Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 117, der aber gleichwohl eine Parallele zwischen beiden Rechtsgebieten ziehen will. 427 Vgl. zu den Folgen der Atomunfälle von Tschernobyl, Tokaimura und Sellafield, Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Kapitel 9, Rdn. 37 ff. 428 Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Kapitel 9, Rdn. 56; vgl. zur Berechnung des Krebs- und des genetischen Risikos (auch im Zeitverlauf) Hans Michaelis/Carsten Salander, Handbuch Kernenergie, S. 575 ff. 429 Ulrike Riedel auf der Tagung des Forschungszentrum Technikrecht am 06.11.2000, vgl. dazu den Tagungsbericht von Anne Kathrin Fenner, NuR 2001, 84 (85, li); Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 20 ff.; Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Kapitel 10, Rdn. 18, 22; Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“, BT-Drs. 10/6775, S. 211 (re, 2.4.3, 3. Absatz); Alexander Meier, Risikosteuerung im Lebensmittelrecht und Gentechnikrecht, S.5; a.A. wohl Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (27, re, f.), der den wissenschaftlichen Erfahrungsschatz auf dem Gebiet der Gentechnik eher reichhaltiger einzuschätzen scheint, weil die Zahl der weltweit laufenden gentechnischen Projekte größer ist. 430 BT-Drs. 11/5622, S. 20 (li, 3. Absatz); vgl. auch Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S.76; Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 85; Zu den biologischen Risiken siehe auch Kapitel B. III. 431 Siehe Kapitel B. III.

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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nen. 432 Hauptgrund hierfür ist, dass die Organismen, mit denen in einem gentechnischen Labor gearbeitet wird, lebendes Material sind.433 Während sich radioaktive Strahlung natürlich abbaut, sind gentechnisch veränderte Organismen fähig, sich zu vermehren, sich in der Umwelt auszubreiten und zu mutieren434. Die Aktivität eines Organismus als Krankheitserreger (Virulenz) kann durch eine einzige Mutation stark verändert werden, z. B. kann ein Organismus seine Gefährlichkeit verlieren oder er kann plötzlich z. B. Tiere oder Menschen schädigen, obwohl er das vorher nicht konnte. 435 Hinzu kommt, dass sich der Integrationsort eines neu eingeführten Genabschnitts nicht vorhersagen lässt. 436 Auch können schon kleinste Veränderungen in der Genstruktur unüberschaubare Folgen haben. 437 Diese Unsicherheiten erschweren die Anwendung von Methoden, mit denen üblicherweise die Anlagensicherheit bestimmt wird. Dies gilt etwa für mathematische Methoden wie die deterministische und die probabilistische Risikoanalyse. 438 Bei diesen Methoden wird, ausgehend von Störfällen, mit Hilfe von Ereignisablaufdiagrammen berechnet, wie häufig bestimmte Schadensereignisse zu erwarten sind. Während die deterministische Methode vom größten anzunehmenden Störfall ausgeht, dem GAU 439, knüpft die probabilistische Risikoanalyse an eine Vielzahl repräsentativer Störfälle an 440. Die probabilistische Risikoanalyse erlaubt also im Unterschied zur deterministischen Risikoanalyse, Wechselwirkungen zwischen mehreren Anlagenkomponenten zu berücksichtigen. Das macht eine präzisere Bestimmung des Risikos von gewöhnlichen Störfällen möglich. 441 Im Gentechnikrecht fehlt es aber bislang an sicheren Eintrittswahrscheinlichkeiten und repräsentativen Schadensereignissen, um eine Risikoentscheidung auf probabilistische oder deterministische Risikostudien zu stützten. Zumindest derzeit kann daher mit diesen Methoden das Risiko einer genBT-Drs. 11/5622, S. 20 (li, 3. Absatz); Arno Scherzberg, VerwArch 84 (1993), 485 (493). Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 18. 434 Vgl. zu Mutationen in der DNA Rolf Knippers, Molekulare Genetik, S. 263 f. 435 Vgl. den Bericht der Abgeordneten Carola Reimann zur Zweiten Änderung des Gentechnikgesetzes, BT-Drs. 14/9089, S. 55 (58, li, Zu Nummer 3 c Buchstabe c, 2. Absatz): „Eine einzige Mutation kann zur Avirulenz führen, Rückmutationen wieder zur Virulenz (Aktivität als Krankheitserreger). Der Austausch von Virulenzfaktoren kann zum Verlust der Virulenz gegen einen Wirt und Gewinn der Virulenz gegen einen anderen Wirt führen. Avirulenz des Organismus ...“ schließt Virulenz nicht aus, „weil auch die – zufällige/unbeabsichtigte – Übertragung von komplementierenden Faktoren zwischen avirulenten Stämmen einer Spezies zu einem virulenten gentechnisch veränderten Organismus führen kann.“. 436 K.-D. Jany/R. Greiner, Gentechnik und Lebensmitttel, Berichte der Bundesforschungsanstalt für Ernäherung, 1.3 und 1.6.3. und Kapitel B.III. 437 Matthias Kapteina, Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 87. 438 Vgl. auch Siegmar Pohl, Die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, S. 41, 43 f., 155 m. w. N., 158. 439 Zur näheren Erläuterung des Begriffs siehe Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 72 ff. 440 Zur näheren Erläuterung der Methode siehe Rüdiger Breuer, NuR 1994, 157 (163, re, ff.); Hans-Werner Rengeling, Probabilistische Methoden bei der atomrechtlichen Schadensvorsorge, S. 20 f., 107 ff. 441 Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 73. 432 433

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technischen Anlage nicht bestimmt werden. Vor allem können mit ihnen Risiken nicht einzelfallspezifisch bewertet werden. 442 Auch die Chaostheorie lässt keine genauen Voraussagen über die Größe des biologischen Risikos zu, denn mit ihr kann nur nachgewiesen werden, dass und unter welchen Bedingungen etwas unvorhersehbar ist, nicht aber wie groß die Unsicherheit ist.443 Darüber hinaus sind probabilistische Risikoanalysen, wie etwa stochastische Werkstoffanalysen, nur begrenzt einsetzbar, um die erforderlichen physikalischen Schutzeinrichtungen („physikalisches containment“) 444 einer gentechnischen Anlage zu ermitteln. 445 Denn welche baulich-technischen Vorkehrungen erforderlich sind (z. B. Schadstofffilter oder Schleusen), setzt als Berechnungsgröße die Kenntnis des biologischen Risikos der gentechnischen Anlage und damit der verwendeten Organismen voraus. Doch lässt sich dieses wie gesagt bislang nicht genau berechnen. Die Festlegung der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen einer gentechnischen Anlage verlangt daher stets Bewertungen und Prognosen. 446 Dabei können bisherige Risikostudien und Fehlerbäume (mit denen die Eintrittswahrscheinlichkeit von Störfällen dargestellt wird) helfen, doch kann mit ihnen nicht allein das hinnehmbare Risiko bestimmt werden. 447 Im Atomrecht erlauben dagegen deterministische und probabilistische Risikoanalysen exakte Aussagen über die erforderliche Sicherheit.448 Die Anlagensicherheit kann berechnet werden, weil die Halbwertzeit radioaktiver Strahlung bekannt ist 449. Zudem sind Werkstoffe und Einrichtungen, die einen zuverlässigen Einschluss radioaktiver Strahlung gewährleisten sollen, gut analysiert. 450 Auch liegen genügend Erkenntnisse vor über die Strahlenempfindlichkeit von Organen und Ge442 Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 76 f.; Hans-Heinrich Trute, Risikomanagement im öffentlichen Recht, S.55 (99); siehe aber auch Rüdiger Breuer, NuR 1994, 157 (167, re, f.), der in Zukunft Aussicht darauf sieht, probabilistische Risikoanalysen auch bei der Bestimmung des spezifisch biologischen Risikos zu verwenden. Zur fehlenden Möglichkeit bei Freisetzungen, Eintrittswahrscheinlichkeiten bestimmter Risikoaspekte in absehbarer Zeit anzugeben, siehe aber auch Kristina Sinemus, Biologische Risikoanalyse gentechnisch hergestellter herbizidresistenter Nutzpflanzen, S. 101 ff., 119 f., 196); vgl. auch dazu, dass synergetische Effekte bei einer mathematischen Berechnung des Risikos (versucht z. B. im PROSAMO-Projekt) zu wenig berücksichtigt werden und solche Verfahren ungeeignet sind, um Langzeitfolgen abzuschätzen (Kristina Sinemus, a. a. O., S. 138 f., 157). 443 Matthias Kapteina, Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 87. 444 Siehe hierzu Kapitel B. IV. 5. a). 445 A. A. Rüdiger Breuer, NuR 1994, 157 (167, re); Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 78; vorsichtiger Hans-Heinrich Trute, Risikomanagement im öffentlichen Recht, S. 55 (99). 446 Vgl. Hans-Heinrich Trute, Risikomanagement im öffentlichen Recht, S. 55 (99). 447 Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 85. 448 Rüdiger Breuer, NuR 1994, 157 (163, re, f.); Rüdiger Nolte, Rechtliche Anforderungen an die technische Sicherheit von Kernanlagen, S. 28, 31; Hans Michaelis/Carsten Salander, Handbuch Kernenergie, S. 649 ff. 449 Vgl. Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Kapitel 9, Rdn. 51 ff. 450 Vgl. Hans-Werner Rengeling, Probabilistische Methoden bei der atomrechtlichen Schadensvorsorge, S. 134 (zu 2. Anlagentechnische Untersuchungen), S. 149 ff. (insbes. S. 152).

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weben. 451 Zudem lässt sich der Grad der Einwirkung ionisierender Strahlen452 auf Organismen, die sog. Strahlenexposition, berechnen. 453 Gleiches gilt für die Ausbreitung radiologischer Strahlung auf die Umwelt.454 Im Unterschied zum Gentechnikrecht lässt sich die Frage des sicheren Einschlusses daher mit Hilfe von Grenzwert-Modellen beantworten 455, so etwa den Dosisgrenzwerten der §§ 44, 45 StrlSchV. Sicherheitsfragen im Atomrecht sind damit vorbehaltlich rechnerischer Schwankungswerte 456 und der Unsicherheitsgröße „Mensch“ eindeutiger zu beantworten als im Gentechnikrecht; daraus darf aber nicht „erst recht“ auf einen Beurteilungsspielraum im Gentechnikrecht geschlossen werden, denn auch Entscheidungen, die mit großer Unsicherheit verbunden sind, müssen voll gerichtlich kontrolliert werden. 457 (3) Fazit: Kein dem atomrechtlichen Beurteilungsspielraum vergleichbarer Beurteilungsspielraum im Gentechnikrecht Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass gentechnikrechtliche Risikobewertungen wegen ihrer Eigenarten nicht mit Zulassungsentscheidungen im Atomrecht vergleichbar sind. Vielmehr ähnelt die Bewertung gentechnischer Risiken derjenigen chemischer Stoffe 458 im Arzneimittel-, im Chemikalien- und im Pflanzenschutzrecht, wo Gerichte voll kontrollieren. 459 Daher kann der gentechnikrechtliche Beurteilungsspielraum nicht durch Rückgriff auf den atomrechtlichen Beurteilungsspielraum gerechtfertigt werden. 460

451 Siehe zur Biologischen Wirkung ionisierender Strahlung beim Menschen Hans Michaelis/Carsten Salander, Handbuch Kernenergie, S. 649 ff.; vgl. Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Kapitel 9, Rdn. 61. 452 Strahlung ist ionisierend, wenn sie elektrisch neutrale Atome in einen geladenen Zustand versetzen kann. Siehe dazu Hans Michaelis/Carsten Salander, Handbuch Kernenergie, S. 560. 453 Hans Michaelis/Carsten Salander, Handbuch Kernenergie, S. 563 ff. 454 Hans Michaelis/Carsten Salander, Handbuch Kernenergie, S. 590 ff. 455 Rüdiger Breuer, NuR 1994, 157 (167, re, f.); Wolfgang Graf Vitzthum, ZG 7 (1992), 243 (260, Fn. 64). 456 Vgl. zu den Schätzunsicherheiten, objektiven und subjektiven Annahmen Hans Michaelis/Carsten Salander, Handbuch Kernenergie, S. 664 ff. 457 Vgl. oben II. 3. c) bb) (1) und (4). 458 Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 76. 459 Vgl. dazu oben II. 3. a) bb) (2) (b). 460 So im Ergebnis auch Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (28, li); Joachim Wolf, Umweltrecht, Rdn. 591.

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dd) Gentechnikrechtliche Entscheidungen als beschränkt kontrollierbare Entscheidungen unter Beteiligung sachverständiger, weisungsabhängiger Ausschüsse? Indes könnte erwogen werden, die Fallgruppe der Wertungsentscheidungen sachverständiger oder pluralistisch besetzter Gremien auf das Gentechnikrecht zu übertragen, weil die ZKBS als Expertengremium durch ihre Stellungnahmen maßgeblich an den gentechnikrechtlichen Entscheidungen mitwirkt.461 (1) Vergleichbarkeit der ZKBS mit Gremien, bei denen ein Beurteilungsspielraum anerkannt wird? Bekanntestes Beispiel für einen Beurteilungsspielraum bei Gremienentscheidungen sind die Indizierungsentscheidungen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften 462 (seit April 2003 Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien 463). Darüber hinaus hat die Rechtsprechung einen Beurteilungsspielraum bejaht für die Eintragung in die Architektenliste durch den Eintragungsausschuss nach dem Architektengesetz des Landes Baden-Württemberg 464, die Entscheidung über die Börsenzulassung durch den Börsenvorstand 465, die Entscheidungen der Richterauswahlausschüsse nach dem DDR-RiG 466, die Entscheidungen der Sortenausschüsse des Bundessortenamtes 467, die Bewertung von Filmen durch die Filmbewertungsstelle Wiesbaden (FBW) 468 und die Filmförderungsanstalt (FFA) 469 sowie für die Entscheidungen der Medienräte der Landesmedienanstalten470. 461 Vgl. BVerwG, NVwZ 1999, 1232 (1234, li); VG Berlin, ZUR 1996, 41 (43, re); Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 113; Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S.294, 286; Rüdiger Breuer, UTR 45 (1998), 161 (182); Wolfgang Graf Vitzthum/ Tatjana Geddert-Steinacher, Standortsicherung, S. 117. 462 BVerwGE 39, 197 (203 ff.); 91, 211 (215 f.). 463 Vgl. § 17 I JuSchG. Das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte (BGBl. I 1985, 1502), das die Indizierung jugendgefährdender Schriften durch die Bundesprüfstelle regelte und dieser ihren Namen gab, wurde durch § 30 I JuSchG v. 23.07.2002 (BGBl. I S. 2731) i.V. mit dem Staatsvertrag der Länder über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien v. 01.04.2003 (GBl. BW S. 93), ersetzt. 464 BVerwGE 59, 213 (218). 465 BVerwGE 72, 195 (200). 466 BVerwGE 99, 371 (377 f.). 467 BVerwGE 62, 330 (339 f.) – für die Frage, ob der angemeldeten Sorte „landeskultureller Wert“ zukommt; die zuvor erforderliche Feststellung der wertbestimmenden Eigenschaften einer Sorte ist dagegen voll gerichtlich nachprüfbar BVerwGE 72, 339 (341 f.). 468 VGH Kassel, NJW 1987, 1436 (1438, li, 1439, li); VGH Kassel, NJW 1998, 1426 (1427, li); VG Wiesbaden, NJW 1988, 356 (364, li, f.) – indes mit abweichender Begründung; gegen einen Beurteilungsspielraum noch BVerwGE 23, 194 (200 f.) mangels Vergleichbarkeit mit dem Prüfungsrecht (doch lag diese Entscheidung noch vor Beginn der Gremienrechtsprechung des BVerwG durch BVerwGE 39, 197 [204]). Vgl. zum Beurteilungsspielraum der FFA auch Chris-

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

239

Diese (Gremien-)Rechtsprechung ist immer noch aktuell, auch wenn das BVerwG den Beurteilungsspielraum bei Gremienentscheidungen in Folge der MutzenbacherEntscheidung des BVerfG 471 verkleinert hat 472. Allerdings erkennt das BVerwG einen Beurteilungsspielraum nur noch für die „eigentlichen Abwägungen“ einer Entscheidung an. 473 Außerdem stützt es einen Beurteilungsspielraum weniger auf die Fachkompetenz eines Gremiums. Ausschlaggebend sind vielmehr andere Erwägungen. Z. B. nimmt es einen Spielraum an, wenn eine Entscheidung eine staatsferne, pluralistische Meinungsbildung fordert, weil die Presse- und Kunstfreiheit betroffen ist. 474 Diese Rechtsprechungsänderung gilt es im folgenden mit zu berücksichtigen, vor allem wenn untersucht wird, ob der Beurteilungsspielraum der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften auf die ZKBS übertragen werden kann.475 (a) Vergleichbarkeit mit den Ausschüssen nach dem DDR-RiG, dem ArchitektenG und dem BörsenG? Den Beurteilungsspielräumen des Eintragungsausschusses nach dem Architektengesetz, des Börsenvorstandes und der Richterwahlausschüsse ist gemeinsam, dass sie für eine Entscheidung über die berufliche Eignung einer Person anerkannt wurden (vgl. §§ 3 III, 4, 16 ArchG BW. 476, §§ 7 I, IV 1 Nr. 1 BörsG a. F. 477, § 9 I DDRRiG 478). 479 Der Beurteilungsspielraum wurde ähnlich wie im Prüfungsrecht damit tian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen, S. 225 ff. und Hartlieb, Handbuch des Film-, Fernseh- und Videorechts, Kapitel 33 Rdn. 1. 469 VG Berlin, DVBl. 1974, 375 (376, re, f.) und OVG Berlin, NJW 1988, 365 (366, re) in Anlehnung an die Rechtsprechung zur Bundesprüfstelle (BVerwGE 39, 197 [204]). Vgl. zum Beurteilungsspielraum der FBW auch Christian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen, S.223 ff. und Hartlieb, Handbuch des Film-, Fernseh- und Videorechts, Kapitel 56 Rdn. 7. 470 BayVGH, NJW 1997, 1385 (1386, li). 471 BVerfGE 83, 130 (148 f.). 472 BVerwGE 91, 211 (215 ff.) – „Opus Pistorum“. 473 BVerwGE 91, 211 (216). 474 BVerwGE 91, 211 (217). 475 Siehe (c). 476 Vgl. Architektengesetz BW i. d. F. v. 05.10.1999 (GBl. S. 269). 477 Der Entscheidung lag das BörsG i.d.F. des Börsengesetzes v. 28.04.1975 (BGBl. S.1013) zu Grunde. Danach oblag die Leitung und Zulassung zur Börse dem Börsenvorstand als Kollegialorgan (vgl. §§ 3 I, 7 I). Nach dem BörsG in der Fassung der Bekanntmachung vom 26.06.2002 (BGBl. I S. 2010) entscheidet die Geschäftsführung der Börse, die gem. § 12 I 1 BörsG auch aus einer Person bestehen kann, über die Börsenzulassung (§16 I BörsG). 478 Richtergesetz der Deutschen Demokratischen Republik (DDR-RiG) v. 05.07.1990 (BGBl. I S. 637), das nach Anlage I Kap. III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 8. o) zum Einigungsvertrag – EV – vom 23.09.1990 (BGBl. II S. 885 ff.) für den Fortbestand der Richterverhältnisse der amtierenden Richter der DDR weitergilt und für die Übernahme in ein Richterverhältnis bis zum 15.04.1991 eine erneute Berufung durch den Minister der Justiz nach Zustimmung von Richterwahlausschüssen vorsah (vgl. § 12 I DDR-RiG i.V. mit DRiG Anhang EV III Nr. 8. o)).

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

begründet, dass persönliche Eigenschaften und fachliche Fähigkeiten eines Bewerbers eingeschätzt werden mussten. 480 Deshalb lassen sich diese drei Entscheidungen unter dem Oberbegriff „Beurteilungsspielraum bei prüfungsähnlichen Gremien“ zusammenfassen. 481 Die ZKBS ist indessen kein prüfungsähnliches Gremium. Denn sie beurteilt nicht die Zuverlässigkeit einer Person, sondern sie bewertet Risiken gentechnischer Vorhaben aus naturwissenschaftlicher Sicht (vgl. § 5 S. 1 GenTG). Die Bewertung gentechnischer Risiken lässt sich nicht mit Prüfungsentscheidungen vergleichen. Während Entscheidungen über gentechnische Risiken naturwissenschaftlichen Gesetzen folgen, die bislang nur noch nicht voll durchschaut sind, hängt die Beurteilung von Personen u. a. von deren Verhalten ab. Eine Bewertung des Verhaltens geschieht aber nicht anhand von naturwissenschaftlichen Maßstäben, sondern sie obliegt „willkürlich“ der freien Entscheidung des Prüfers. Daher sind Urteile über gentechnische Risiken „objektivierbarer“ als Urteile über Personen. (b) Vergleichbarkeit mit den Sortenausschüssen? Möglicherweise lässt sich aber die Rechtsprechung zur eingeschränkten Kontrolle der Entscheidungen der Sortenausschüsse auf die Beteiligung der ZKBS im gentechnikrechtlichen Verfahren übertragen. Der Beurteilungsspielraum der Sortenausschüsse wurde vor allem damit begründet, dass sie besonders sachverständig sind, um Entwicklungen wertend und vorausschauend zu beurteilen. 482 Nach der referierten neuen Rechtsprechung des BVerwG kann aber mit der bloßen Fachkompetenz heute kein Beurteilungsspielraum mehr gerechtfertigt werden.483 Insoweit kann die Rechtsprechung zu den Sortenausschüssen nicht auf die ZKBS übertragen werden. Allerdings stützte das BVerwG den Beurteilungsspielraum der Sortenausschüsse auch damit, dass diese „zumindest im Widerspruchsverfahren in einem justizähnlichen Verfahren“ entscheiden. 484 § 41 SaatVerkG verweist für das Verfahren der Sortenausschüsse (§ 38 I Nr. 1 SaatVerkG) und der Widerspruchausschüsse (§ 38 I Nr. 2 SaatVerkG) auf das förmliche Verwaltungsverfahren nach den §§ 63 bis 69 und 71 des VwVfG. 485 Sowohl 479 BVerwGE 59, 213 (218) – genügende fachliche Qualifikation zur Eintragung in die Architektenliste; BVerwGE 72, 195 (200 f.) – Eignung an der Börse Handel zu treiben; BVerwGE 99, 317 (377) – Eignung von Richtern der ehemaligen DDR zur Einstellung in ein neues Richterverhältnis. 480 BVerwGE 72, 195 (200); 59, 213 (217); 99, 317 (377). 481 Vgl. auch BVerwGE 59, 213 (217), wo die Prüfungsrechtsprechung zitiert wird. 482 Vgl. BVerwGE 62, 330 (340). 483 Siehe (1). 484 BVerwGE 62, 330 (339). 485 Gesetzliche Grundlage der Sortenzulassung ist das Saatgutverkehrsgesetz (SaatVerkG), Abschnitt 2 Sortenordnung. Vgl. SaatVerkG vom 20.08.1985 (BGBl. I S. 1633), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21.03.2002 (BGBl. I S. 1146).

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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Sortenausschüsse wie Widerspruchausschüsse entscheiden als Prüfabteilungen des Bundessortenamtes (§ 38 I SaatVerkG) über die Sortenzulassung (§ 38 II, III SaatVerkG). Die Mitglieder der Sortenausschüsse gehören alle dem Bundessortenamt an (§ 39 S. 2 SaatVerkG). Von den acht Mitgliedern der Widerspruchausschüsse sind drei Mitglieder des Bundessortenamtes und fünf ehrenamtliche Beisitzer (§ 40 I 1 SaatVerkG). Ein Mitglied des Bundessortenamtes muss zudem rechtskundig sein (§ 40 I 2 SaatVerkG). Die ZKBS-Mitglieder sind dagegen keine Beamten von Gentechnikbehörden. Kein Mitglied muss rechtskundig sein. Auch unterscheidet sich das Verfahren vor der ZKBS von demjenigen der Sortenausschüsse. Es ist zwar ebenfalls eine Anhörung des Antragstellers oder Anmelders möglich (§ 4 II ZKBSV), im Unterschied zum förmlichen Verwaltungsverfahren der Sortenausschüsse ist diese aber nicht zwingend (§ 66 VwVfG). Zudem müssen die beteiligten Behörden nicht geladen werden. Die in § 4 II GenTG genannten Bundesministerien sowie die zuständigen obersten Landesbehörden haben nur das Recht, Vertreter zu den Sitzungen der ZKBS zu entsenden (§ 4 II ZKBSV). Eine mündliche Verhandlung, wie sie § 67 VwVfG fordert, findet vor der ZKBS also nicht statt. Für einen Beurteilungsspielraum der ZKBS könnte also nicht angeführt werden, sie treffe ihre Entscheidungen in einem „justizähnlichen Verfahren“. Es fehlte daher schon an der Vergleichbarkeit, um einen möglichen Beurteilungsspielraum der Sortenausschüsse auf das Gentechnikrecht zu übertragen. Unbeschadet dessen bestehen grundsätzliche Bedenken, aus einem „justizähnlichen Verfahren“ einen Beurteilungsspielraum von Behörden gegenüber Gerichten abzuleiten. Ein „justizähnliches Verfahren“ ist bestenfalls ein Argument, um ein Widerspruchsverfahren entfallen zu lassen (vgl. z. B. § 70 VwVfG, § 74 I 2 VwVfG, §§ 10 VIII, 16 VII GenTG), nicht aber kann es die Gerichtskontrolle verringern. Denn sonst entschiede die Exekutive in eigener Sache, obwohl Art. 19 IV GG ihre Kontrolle durch Richter verlangt.

(c) Vergleichbarkeit mit der Bundesprüfstelle und Gremien im Medienrecht? Eventuell könnte aber ein Beurteilungsspielraum der ZKBS in Anlehnung an die Rechtsprechung zur Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften oder der Gremien im Medienrecht angenommen werden. Das BVerwG hat für die Indizierung jugendgefährdender Schriften einen Beurteilungsspielraum anerkannt. 486 Rechtsgrundlagen zur Indizierung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte waren bislang die §§ 1 ff. GjSM 487. Die Indizierung erfolgte früher durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (§§ 9 III, BVerwGE 39, 197 (203 ff.); 91, 211 (215 f.). Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte i. d. F. v. 12.07.1985 (BGBl. I S. 1502), zuletzt geändert durch Gesetz v. 15.12.2001 (BGBl. I S. 3762). 486 487

16 Schmieder

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

11 I GjSM). An deren Stelle ist im April 2003 die neue Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien getreten. 488 Diese entscheidet weitergehend als die alte Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, auch über die Indizierung jugendgefährdender (Tele-)medien (vgl. §§ 17 II, 18 I, 19 V JuSchG). Im übrigen wurde das Erscheinungsbild der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften aber beibehalten. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien ist ebenfalls eine außenwirksam entscheidende Behörde (§§ 17 I, 19 V JuSchG), der Vertreter aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen angehören, z. B. der Kunst, der Literatur, des Buchhandels, der Jugendhilfe, der Lehrerschaft, der Kirchen und anderer Religionsgemeinschaften (§ 19 II JuSchG). Daher ist auch zu erwarten, dass der Beurteilungsspielraum der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften im Gewande eines Beurteilungsspielraums der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien fortgeschrieben werden wird, zumal das BVerwG diesen gerade mit der interessen-pluralistischen Zusammensetzung der Bundesprüfstelle begründet (vgl. § 9 II GjSM). 489 Charakteristisch für eine interessen-pluralistische Zusammensetzung 490 soll dabei sein: die Meinungsvielfalt, die sich in den Entscheidungen der Bundesprüfstelle widerspiegelt sowie die Beeinflussung durch Verbände und sonstige gesellschaftliche Gruppen. Eine solche interessen-pluralistische Zusammensetzung findet sich in ähnlicher Weise bei den Medienräten der Landesmedienanstalten und bei den Gremien der Filmförderungsanstalt (FFA) und der Filmbewertungsstelle Wiesbaden (FBW). Auch bei ihnen verbindet sich vermuteter Sachverstand mit gesellschaftlicher Repräsentanz. 491 So gehören den Medienräten der Landesmedienanstalten, die z. B. über die Zuteilung von Einspeisungskapazitäten mitentscheiden 492, Vertreter unterschiedlichster gesellschaftlicher Organisationen an, beispielsweise der Kirchen, der Gewerkschaften, des Handwerks, der Industrie, der Jugendverbände und des Naturschutzes (vgl. § 41 LMedienG BW 493). 494 Der Verwaltungsrat und die Vergabekom488 Vgl. § 30 I JuSchG v. 23.07.2002 (BGBl. I S. 2731) i.V. mit dem Staatsvertrag der Länder über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, der am 01.04.2003 in Kraft getreten ist (GBl. BW S. 93). 489 BVerfGE 39, 197 (204); 91, 211 (217). 490 Vgl. zur Vielschichtigkeit des Begriffs Pluralismus Carl Creifelds, Rechtswörterbuch, S. 1044 (re) und Christian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen, S. 179 f. 491 Für die FFA: VG Berlin, DVBl. 1974, 375 (377, li); OVG Berlin, NJW 1988, 365 (366, li). Für die FBW: VGH Kassel, NJW 1987, 1436 (1438, li); a. A. VG Wiesbaden, NJW 1988, 356 (363, re); ohne Aussage zur pluralistischen Zusammensetzung unter besonderem Hinweis auf die Subjektivität des Ausschussvotums und die besondere Erfahrung der Ausschüsse VGH Kassel, NJW 1998, 1426 (1427, li, 1428, li). Für die Medienräte: BayVGH, NJW 1997, 1385 (1386, li). 492 BayVGH, NJW 1997, 1385. Weiter entscheiden die Medienräte über die Rücknahme und den Widerruf von Übertragungskapazitäten und Zeitgrenzen für Ausstrahlungen (vgl. z. B. § 42 II LMedienG BW). 493 Landesmediengesetz v. 19.07.1999 (GBl. S. 273, ber. S. 387), zuletzt geändert durch Gesetz v. 19.12.2000 (GBl. S. 753).

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mission der Filmförderungsanstalt (FFA) sind besetzt mit Mitgliedern der Verbände der Medienwirtschaft und mit Personen, die von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung gewählt bzw. bestimmt werden (§§ 6 I, 8 FFG). 495 Der Verwaltungsrat besteht zudem aus Vertretern der Kirchen (§ 6 I Nr. 12 FFG). Ähnlich interessen-pluralistisch setzen sich die Ausschüsse der Filmbewertungsstelle Wiesbaden (FBW) zusammen, die darüber entscheiden, ob ein Film ein Prädikat erhält (vgl. § 6, 7, 11 VA-FBW 496) 497. Mitglieder sind Vertreter folgender Berufsgruppen: Filmwissenschaftler, Rechtsanwälte, Filmtheaterbesitzer, Journalisten, Theologen, Pädagogen und Regierungsangestellte. 498 Auch die Entscheidungen der FBW beruhen damit auf einem Konsens vieler, zum Teil gegenläufiger Ansichten; gleichfalls sind sie bestimmt durch den Einfluss gesellschaftlicher Gruppen. Zudem sollen die Mitglieder gem. § 7 II 2 VV-FBW aus unterschiedlichen Bundesländern kommen. Dadurch werden die Entscheidungen der FBW auch in regionaler Hinsicht pluralisiert. 499 Früher sah die Rechtsprechung eine interessen-pluralistische Besetzung als Indiz für eine sachverständige Entscheidung. Sie begründete einen Beurteilungsspielraum daher auch mit den Fachkenntnissen der Bundesprüfstelle, die sich mit Elementen gesellschaftlicher Repräsentanz verbinde. 500 Wie gezeigt, sieht das BVerwG die besondere Sachkunde aber heute nicht mehr als schlagendes Argument für einen Beurteilungsspielraum. 501 Vielmehr führt das Gericht an, dass eine pluralistische Meinungsbildung zum Schutz der Grundrechte der Presse und der Kunst erforderlich sei, auch um eine gewisse Staatsferne zu sichern. 502 Das VG Wiesbaden entschied ähnlich, als es einen Beurteilungsspielraum der Filmbewertungsstelle (FBW) 494 Dazu Thomas Groß, Das Kollegialprinzip, S. 76 ff. m. w. N.; zu einem Beurteilungsspielraum der Landesmedienanstalten bei der Zulassung zum Rundfunk s. auch Christian Bamberger, VerwArch 93 (2002), 217 (240 ff., zum Kriterium der Pluralität, insb. 242 ff.). 495 Gesetz über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films (Filmförderungsgesetz – FFG) vom 06.08.1998 (BGBl. I S. 2046) i. d. F. der Bekanntmachung v. 06.08.1998 (BGBl. I S. 2053). Früher gehörten der Kleinen Kommission, die entsprechend der heutigen Vergabekommission über die Zulassung entschied ebenfalls noch zwingend Vertreter der Kirchen an (§ 9 IV Nr. 3 FFG des Gesetzes über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films v. 22.12.1967 [BGBl. I S. 1352], geändert durch Gesetz v. 09.08.1971 [BGBl. I S. 1251]). 496 Rechtsgrundlage für die Begutachtung von Filmen sind die Verwaltungsvereinbarung über die Filmbewertungsstelle Wiesbaden (VV-FBW) i. d. F. vom 01.01.1994 (HessSt Anz. 1993 S. 3122) und die Verfahrensordnung für die Ausschüsse der Filmbewertungsstelle (VAFBW) vom 01.01.1994 (HessSt Anz. 1993 S. 3124). 497 Die Mitglieder des Hauptausschusses und der Bewertungsausschüsse werden von den einzelnen Kultusministerien der Länder vorgeschlagen und vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst berufen (Art. 5 VV-FBA). Vgl. zur pluralistischen Besetzung der Gremien der FFB auch Hartlieb, Handbuch des Film-, Fernseh- und Videorechts, 3. Aufl., 1991, Kapitel 56 Rdn. 4; a. A. VG Wiesbaden, NJW 1988, 356 (363, re). 498 Vgl. die Liste der „BeisitzerInnen der Ausschüsse der FBW (2000–2002)“ (Quelle FBW Wiesbaden). 499 VGH Kassel, NJW 1987, 1436 (1438, li). 500 BVerwGE 39, 197 (204). 501 Siehe oben (1). 502 BVerwGE 91, 211 (217).

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anerkannte. Es verwarf die Sachkunde als Rechtfertigungsgrund 503 und argumentierte mit der Kunstfreiheit, die eine Letztentscheidungsbefugnis durch ein pluralistisch zusammengesetztes Gremium verlange. 504 Es sprach daher von einem Beurteilungsspielraum i. S. eines „Kunstfreiraums“. 505 Im Gentechnikrecht ließe sich mit der heutigen Rechtsprechung zu den interessen-pluralistisch zusammengesetzten Gremien also nur dann noch ein Beurteilungsspielraum begründen, wenn die ZKBS nicht nur ein interessen-pluralistisches Gremium wäre, sondern eine Entscheidung über gentechnische Risiken gerade eine interessen-pluralistische Meinungsbildung der ZKBS forderte. Die ZKBS ist indessen nicht durch einen Interessenpluralismus gekennzeichnet. Obwohl auch an ihren Entscheidungen Interessenvertreter der Wirtschaft, der Gewerkschaften, des Arbeitsschutzes, des Umweltschutzes, des Verbraucherschutzes und der forschungsfördernden Organisationen mitwirken (§ 4 I 2 Nr. 2 GenTG), ist die ZKBS ein Sachverständigengremium. 506 Dass „sachkundige Personen“ beteiligt werden, hat, wie bereits der Gesetzeswortlaut klarstellt, weniger gesellschaftlich-repräsentative Funktion, sondern hierdurch soll weitere Fachkunde in die Stellungnahmen der ZKBS getragen werden. 507 Hinzu kommt, dass Sachverständige und damit Wissenschaftler in der Mehrzahl sind (§ 4 I 2 GenTG). 508 Auch stammen der Vorsitzende der ZKBS und dessen Stellvertreter aus diesem Kreis der Sachverständigen (§ 5 S. 1 ZKBSV). Überdies kann die Tagesordnung gem. § 10 III 2 ZKBSV nicht gegen das Votum der Sachverständigen geändert werden, denn die 6 Stimmen der sachkundigen Personen genügen nicht für die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit. Auch ist die ZKBS gem. § 11 I ZKBSV nur beschlussfähig, wenn mindestens zehn stimmberechtigte Mitglieder anwesend sind, von denen mindestens sechs Sachverständige sein müssen. Des Weiteren müssen Beschlüsse gem. Nr. 7.1 Satz 1 der ZKBS-Geschäftsordnung mit Stimmenmehrheit gefasst werden. 509 Dadurch wird gewährleistet, dass kein Beschluss ohne Zustimmung von mindestens zwei Sachverständigen zustande kommt. 510 In den Bewertungen der ZKBS spiegeln sich daher vor allem Ansichten von Naturwissenschaftlern und sonstiger sachverständiger Personen wider, VG Wiesbaden, NJW 1988, 356 (362, re). VG Wiesbaden, NJW 1988, 356 (364, li, f.). 505 VG Wiesbaden, NJW 1988, 356 (364, re.). 506 Rainer Wahl, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, §§ 4, 5 GenTG Rdn. 36; vgl. auch Udo di Fabio, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 4 Rdn. 32: „zentrales wissenschaftliches Fachgremium“. Siehe dazu auch schon Kapitel B. IV. 3. b) aa) (1). 507 BT-Drs. 11/5622, S. 24 (re, Zu den §§ 4 und 5, 2. Absatz); Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S.258 f.; dazu auch Thomas Groß, Das Kollegialprinzip, S. 269. Der Vertreter der Gewerkschaften 2001 hat z. B. einen Lehrstuhl für Genetik inne, vgl. Tätigkeitsbericht der ZKBS 2001, Bundesgesundheitsblatt 2002, 643 (648, Tabelle 4). 508 Vgl. dazu auch Udo di Fabio, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 4 Rdn. 35. 509 Keine Veröffentlichung vorhanden. Die Geschäftsordnung kann aber bei ZKBS eingesehen werden. 510 Martin Vomhof, Rechtsprobleme der Einbindung von sachverständigen Gremien in das Umwelt- und Technikrecht, S. 70. 503 504

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nicht aber ein breites Spektrum unterschiedlicher gesellschaftlicher Ansichten über die Risiken der Gentechnik. Außerdem spricht gegen eine interessen-pluralistische Entscheidungsstruktur der ZKBS, dass die Interessen Betroffener (z. B. Angrenzer, Verbraucher) immer noch unterrepräsentiert sind511, obwohl diese jüngst durch die Erweiterung der ZKBS um einen Vertreter des Verbraucherschutzes gestärkt worden sind 512. Auch der Umweltschutz ist für eine interessen-pluralistische Zusammensetzung zu schwach vertreten. Neben dem Umweltvertreter aus dem Kreis der sachkundigen Personen gehören der ZKBS als Sachverständige zwar zwei Ökologen an, die Umweltrisiken der Gentechnik tendenziell kritischer beurteilen als gentechnikanwendende Virologen oder Mikrobiologen. 513 Doch wird dadurch kein ausreichendes umweltrechtliches Gegengewicht zu den 6 Wissenschaftlern geschaffen, die sich mit der Neukombination von Nukleinsäuren befassen (vgl. § 4 I 2 Nr. 1 2. HS GenTG). 514 Deshalb ist die ZKBS trotz gewisser pluralistischer Elemente 515 kein interessen-pluralistisch besetztes Gremium vergleichbar der Bundesprüfstelle oder den medienrechtlichen Gremien. 516 Vielmehr ist sie ein Gremium „professionellen Typs“ 517, das auf einen Austausch fachlicher Ansichten ausgerichtet ist 518. Zudem fordert die Entscheidung über gentechnische Risiken durch die ZKBS nicht viele Meinungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen519, sondern sie verlangt, dass sachlich richtig entschieden wird 520. Dazu ist vor allem herausragender, auch internationaler Sachverstand erforderlich. 521 Daher könnte der Gesetzgeber einen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum auch nicht einfach schaffen, indem er die Zusammensetzung der ZKBS änderte und sie zum interessen-pluralistischen Gremium machte. 511 Arnim Karthaus, ZUR 1996, 61 (62, li, 65, li); Florian Gerlach, Das Genehmigungsverfahren zum Gentechnikgesetz, S. 102 f.; vgl. auch Monika Böhm, Der Normmensch, S. 234 f.; bezüglich der Umweltinteressen Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 126. 512 Vgl. Zweites Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes v. 16.08.2002 (BGBl. I S. 3220 [3222, li]). 513 Vgl. auch Arnim Karthaus, ZUR 1996, 61 (62, re), der von „einer gewissen Kontroversität“ spricht; ähnlich Thomas Groß, Das Kollegialprinzip, S. 269. 514 Vgl. auch Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 4 Rdn. 7: damit soll ein entscheidender Einfluss sichergestellt werden. 515 Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 260 spricht von einem Kompromiss zwischen der Einrichtung eines reinen Expertengremiums und der eines „Repräsentations- bzw. Konsensgremiums“. 516 Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (26, li, f.) – gegen eine Vergleichbarkeit mit der Bundesprüfstelle; Wolfgang Graf Vitzthum/Tatjana Geddert-Steinacher, Standortsicherung, S. 113 – gegen eine Vergleichbarkeit mit Rundfunkräten, doch wird die pluralistische Zusammensetzung der ZKBS bejaht (a. a. O., S. 111); vgl. auch Arnim Karthaus, ZUR 1996, 61 (64, re): „keine Vertretungskörperschaft“. 517 Arnim Karthaus, ZUR 2001, 61 (61, re). 518 Arnim Karthaus, ZUR 2001, 61 (62, li). 519 Vgl. Wolfgang Graf Vitzthum/Tatjana Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, S. 113. 520 Wolfgang Graf Vitzthum/Tatjana Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, S. 112. 521 Vgl. Wolfgang Graf Vitzthum/Tatjana Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, S. 112 f.

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Damit ist als weiteres Zwischenergebnis festzuhalten, dass ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum nicht mit einer Anleihe bei der Bundesprüfstelle oder den medienrechtlichen Gremien gerechtfertigt werden kann.522 (d) Beratung statt Entscheidung als zusätzlicher Unterschied gegenüber diesen Gremien Gegen eine Übertragung der Rechtsprechung zu den vorgestellten Gremien mit Beurteilungsspielraum auf das Gentechnikrecht, spricht außerdem, dass die ZKBS nicht rechtlich verbindlich entscheidet, sondern nur beratend an den Behördenentscheidungen mitwirkt. 523 Damit grenzt sich die ZKBS weiter von den anerkannten Fällen eines Gremienvorbehalts ab. 524 Auch wenn durch die Pflicht von Behörden, die Stellungnahmen der ZKBS zu berücksichtigen und ein Abweichen darzulegen 525 eine faktische, oft verfahrensentscheidende Bindungswirkung erzielt wird, bleiben die zuständigen Landesbehörden bzw. das BVL (bzw. bisher das Robert Koch-Institut) von Gesetzes wegen Entscheidungsträger. 526 Daher fehlt es im Gentechnikrecht im Unterschied zu den bisher anerkannten Fällen eines Gremienvorbehalts an einer organisationsrechtlich eindeutigen Zuweisung des Letztentscheidungsrechts an das hinzugezogene Gremium. (e) Fazit: Keine Vergleichbarkeit mit anderen Gremienentscheidungen Da die ZKBS keines der charakteristischen Merkmale eines anerkannten Gremiums mit Beurteilungsspielraum erfüllt, kann die bisherige Gremienrechtsprechung nicht auf das Gentechnikrecht erstreckt werden. (2) Die ZKBS als neuer Fall eines Gremienvorbehalts? Allerdings schließt die nur faktisch mitentscheidende Rolle der ZKBS nicht von vorneherein aus, gleichwohl einen Gremienvorbehalt anzuerkennen und einen neuen Fall wertender Behördenentscheidungen mit Beurteilungsspielraum zu entwi522 So im Ergebnis auch Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (26); Matthias Kapteina, Die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, S. 175; gegen eine Vergleichbarkeit der Entscheidungen der Bundesprüfstelle mit der Entscheidungen im Technik- und Umweltrecht auch Jörn Ipsen, AöR 107 (1982), 259 (291); ähnlich Martin Vomhof, Rechtsprobleme der Einbindung von sachverständigen Gremien in das Umwelt- und Technikrecht, S. 153. 523 Siehe nur VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (228, li) und Kapitel B.IV. 3. b) bb) m.w. N. 524 Auch bei den Entscheidungen der Richterwahlausschüsse war der Bundesminister der Justiz zumindest an ablehnende Entscheidungen des Richterwahlausschusses gebunden (§ 12 I DDR-RiG). Vgl. dazu BVerwGE 99, 371 (374). 525 §§ 10 VII 3, 4, 12 IV 3, 4, 16 V 2 GenTG. 526 Vgl. Kapitel B. IV. 3. b) bb) m. N.

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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ckeln. 527 Auch bei einer nur faktischen Entscheidungsmacht könnte ein Beurteilungsspielraum geboten sein, um sicherzustellen, dass sich der hochkarätige Sachverstand des Gremiums gegenüber der Ansicht von Richtern durchsetzt. Dies ließe sich dadurch erreichen, dass die Stellungnahmen der ZKBS, die sich in den Risikobewertungen der Behörden widerspiegeln, nur begrenzt kontrolliert werden. 528 Dogmatisch könnte diese Konstruktion eines Beurteilungsspielraums als „faktischer Gremienvorbehalt“ umschrieben werden. Allerdings sieht sich auch dieser Ansatz kritischen Einwänden ausgesetzt. Zunächst ist fraglich, ob damit ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum bei allen Risikobewertungen gerechtfertigt werden kann. Problematisch könnte dies dort sein, wo die ZKBS keine einzelfallspezifische Empfehlung abgibt, sondern die Behördenentscheidung nur durch eine frühere Stellungnahme beeinflusst. Das trifft zu für die Arbeiten der Sicherheitsstufe 2, die einer von der ZKBS bereits eingestuften Arbeit vergleichbar sind (§ 12 IV 1 GenTG). Auch gilt dies für die Anmeldung gentechnischer Arbeiten der Sicherheitsstufe 1, die zwar seit 1993 nicht mehr durch die ZKBS bewertet werden, für die aus der Zeit vor 1993 aber genügend Bewertungen der ZKBS vorliegen. Begründete man eine weniger genaue Kontrolle der Risikobewertung aber damit, dass sich die besondere Sachkunde der ZKBS durch die Vorbewertungen zumindest mittelbar in der Behördenentscheidung widerspiegelt, könnte ein Beurteilungsspielraum hier ebenfalls mit einem faktischen Gremienvorbehalt gerechtfertigt werden. Indessen ist dies ausgeschlossen, wenn die Behörde bei ihrer Entscheidung von der Stellungnahme der ZKBS abgewichen ist. Die Behörde mag sich ausführlich mit der Ansicht der ZKBS auseinandergesetzt haben, doch genügt die bloße Befassung nicht, um darauf einen Kontrollfreiraum zu stützen. 529 Deshalb könnte der Beurteilungsspielraum, der z. B. 530 in den Entscheidungen des VG Freiburg und des VGH Mannheim anerkannt wurde 531, nicht mit einem faktischen Gremienvorbehalt gerechtfertigt werden. Denn das RP Tübingen war dem Votum der ZKBS gerade nicht gefolgt. 527 So auch Martin Vomhof, Rechtsprobleme der Einbindung von sachverständigen Gremien in das Umwelt- und Technikrecht, S. 153; Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 281 mit Fn. 50 und 294; Wolfgang Graf Vitzthum/Tatjana Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, S. 117; a. A. Michael Kloepfer, Umweltrecht, § 8 Rdn. 49 und Thomas Groß, Das Kollegialprinzip, S. 326, die eine (Letzt-)Entscheidung durch das Gremium fordern. Einem „faktischen Gremienvorbehalt“ steht auch BVerwG, DVBl. 1991, 49 (re) nicht entgegen, da ein Beurteilungsspielraum dort nur für die Beratung durch einen Ausschuss abgelehnt wurde, der lediglich gem. § 36 I GewO zum Öffentlichen Sachverständigen bestellt war. 528 Michael Görke, Organisations- und Vollzugsprobleme im Bereich des Gentechnikrechts, S. 31, 177. 529 A. A. Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 112 f.: ausreichend ist der Nachweis der Berücksichtigung und Auswertung der Empfehlung durch die Behörde; ähnlich Rüdiger Breuer, UTR 14 (1991), 37 (68). 530 Vgl. auch VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 1 zu § 7 S. 1 (Nr. 3). Vgl. dazu Matthias Herdegen, Festschrift für K. Boujong, S. 869 (881). 531 VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224; VG Freiburg, ZUR 2000, 216.

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

Erst recht wäre ein faktischer Gremienvorbehalt untauglich, um bei repressivem Einschreiten von Behörden 532 einen Beurteilungsspielraum zu rechtfertigen533, weil hier überhaupt keine Mitwirkung der ZKBS vorgesehen ist (vgl. §§ 19, 20, 26 GenTG). Zur Begründung eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums ist die Konstruktion eines faktischen Gremienvorbehalts also nur begrenzt tauglich. Ein faktischer Gremienvorbehalt könnte anerkannt werden, wenn die ZKBS im konkreten Einzelfall oder früher eine Stellungnahme abgegeben hat und die zuständige Behörde diese Stellungnahme z. B. einer Freisetzungs- oder Anlagengenehmigung zugrunde legt. Da die ZKBS als faktisch mitentscheidendes Gremium möglicherweise unzureichend demokratisch legitimiert ist, könnten allerdings auch gegen einen Gremienvorbehalt in diesen Fällen Bedenken bestehen. 534 (a) Gremienvorbehalte bei unzureichend demokratischer Legitimation des Gremiums? Wirken unzureichend demokratisch legitimierte Stellen an einer Behördenentscheidung mit, erlaubt Art. 19 IV GG keinen Kontrollfreiraum, sondern verlangt gerade die Aufhebung dieser Behördenentscheidung 535 – gleichgültig ob der Kläger Adressat der Behördenentscheidung ist oder ob ein Dritter geklagt hat. Denn bei einem Verstoß gegen das Demokratieprinzip des Art. 20 II GG wird nicht nur gegen rein objektives Recht verstoßen, sondern auch gegen weitere Normen, die gerade dem Schutz Einzelner dienen sollen. 536 Durch das Demokratieprinzip wird die Zahl von Eingriffsberechtigten auf solche beschränkt, die ihre Eingriffsmacht auf den Willen des Volkes zurückführen können.

Siehe Kapitel B. IV. 5. d). Zur vergleichbaren Lage im Arzneimittelrecht bei der Kontrolle von Entscheidungen im Nachmarktverfahren siehe Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 295 f., der sich aber trotzdem gegen eine volle Kontrolle ausspricht. 534 Michael Reinhardt auf dem 18. Trierer Kolloquium zum Umwelt- und Technikrecht vom 22.–24. September 2002: Schutz der Umwelt durch und vor Biotechnologie (siehe dazu den Tagungsbericht von Thomas Bartholmes, ZUR 2003, 57 (57, re)). 535 Vgl. zur Aufhebung rechtswidriger Behördenentscheidungen wegen der (Verfassungs-) Rechtswidrigkeit des Gremienvotums auch Hans-Jürgen Papier, Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1981, S. 81 (97); Thomas Groß, Das Kollegialprinzip, S. 327. 536 Vgl. zur grundrechtsstärkenden Wirkung der Einbeziehung von Kommissionen im Umweltrecht auch BVerfGE 53, 30 (78) – „Mülheim-Kärlich“. 532 533

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(b) Demokratiedefizit der ZKBS? (aa) Anforderungen an die demokratische Legitimation von Entscheidungsträgern Das Demokratieprinzip soll sicherstellen, dass das Volk einen effektiven Einfluss auf staatliche Entscheidungen behält. 537 Art. 20 II GG verlangt daher, dass sich Entscheidungsmacht staatlicher Stellen durch eine ununterbrochene Legitimationskette auf das Volk zurückführen lässt. 538 Nach dem Demokratieverständnis des BVerfG setzt sich die demokratische Legitimation aus mehreren Elementen zusammen: erforderlich ist eine institutionell-funktionelle, eine personelle und eine sachlich-inhaltliche Legitimation. 539 Dies gilt, sobald die Mitwirkung einer Stelle über eine unverbindliche, bloße beratende Teilhabe hinausgeht und sich zur Mitentscheidung verdichtet. 540 Bringt ein Gremium nur unverbindlich wissenschaftliche Fakten ein, wie die ZKBS beim Erlass der Organismenlisten, bei dem sie nur anzuhören ist (§ 5 VI GenTSV), so muss es nicht demokratisch legitimiert sein, und zwar auch dann nicht, wenn es die staatliche Entscheidung beeinflusst 541. Prägt ein Gremium aber – wie die ZKBS bei behördlichen Risikoentscheidungen – staatliche Einzelabwägungen über faktisch bindende Stellungnahmen mit, weil Behörden diese regelmäßig übernehmen 542, muss es demokratisch legitimiert sein. 543 Würde hier keine demokratische Legitimation verlangt, könnten Behörden als Entscheidungsträger vorgeschoben werden, obwohl tatsächlich weisungsfreie Gremien entschieden, die nicht zur Rechenschaft gezogen werden können. Das Demokratieprinzip würde dann aber umgangen. 544 Auch darf keine Ausnahme vom Prinzip der demokratischen Legitimation gemacht werden, wenn wegen der Komplexität einer Materie eine Beurteilung durch Experten gefordert ist. Solche Entscheidungsfreiräume kraft Natur der Sache werBVerfGE 83, 60 (71); 93, 37 (66). BVerfGE 47, 253 (275); 77, 1 (40). 539 BVerfGE 93, 37 (66 f.); vgl. auch BVerfGE 68, 1 (88); Ernst-Wolfgang Böckenförde, HStR I, § 22 Rdn. 14 ff. 540 BVerfGE 83, 60 (74) unter Verweis auf Walter Schmitt Glaeser, VVDStRL 31 (1973), 179 (183 f.); ferner BVerfGE 93, 37 (68); BVerwG, NVwZ 1999, 870 (873, re); noch weiter Eberhard Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (373), der auch für schlichte Mitwirkungsformen als Einflussnahmechancen eine demokratische Legitimation verlangt. 541 In diese Richtung wohl auch Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 5 Rdn. 15, der eine bloße Beratungstätigkeit der ZKBS nicht weiter problematisiert. 542 Ausführlicher zur faktischen Bindungswirkung siehe Kapitel B. IV. 3. b) bb). 543 Winfried Brohm, HStR II, § 36 Rdn. 31, 38; Martin Vomhof, Rechtsprobleme der Einbindung von sachverständigen Gremien in das Umwelt- und Technikrecht, S. 165; Thomas Groß, Das Kollegialprinzip, S. 245 f.; Friederike Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht S. 184; ferner Hans-Joachim Koch, NuR 2001, 541 (544, li); a. A. Matthias Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, S. 44 ff., 104 f.; Arnim Karthaus, ZUR 2001, 61 (65, li); ders., Risikomanagement, S. 222 f. 544 Thomas Groß, Das Kollegialprinzip, S. 245. 537 538

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den unter dem Stichwort „ministerialfreie“ bzw. „weisungsfreie“ Räume kraft „speziellen Sachverstands“ 545 diskutiert 546; andere sprechen von „Ausklammerungen“ oder „Legitimationsverschiebungen“ 547. Gleich welche Umschreibung gebraucht wird, sind Legitimationsfreiräume kraft Natur der Sache aber verfassungsrechtlich unzulässig. 548 Sie sind mit der Bedeutung subjektiver Rechte in einem demokratischen Rechtsstaat unvereinbar. Wo Rechte Dritter geschmälert werden, müssen in einem demokratischen Rechtsstaat Kontrollmechanismen vorhanden sein, gleich welcher Träger öffentlicher Gewalt entscheidet. So unterliegen nach dem Grundgesetz selbst Verfassungsorgane der gerichtlichen Kontrolle (z. B. Art. 93 I Nr. 1 und Nr. 2 GG 549). Sogar der demokratisch legitimierte Gesetzgeber wird vorbehaltlich eines gesetzgeberischen Entscheidungsfreiraums umfassend kontrolliert, indem kraft Art. 19 IV GG jeder Richter zur Inzidentkontrolle auch formeller Gesetze verpflichtet ist (selbst wenn er es wegen Art. 100 GG nicht selbst verwerfen darf). 550 Das Grundgesetz zeichnet sich folglich dadurch aus, dass jeder Träger öffentlicher Gewalt, sogar der unmittelbar demokratisch legitimierte Gesetzgeber, einer Gerichtskontrolle untersteht, gleichgültig welche Sachfragen zu entscheiden sind. Wollte man die ZKBS unkontrolliert lassen, weil wissenschaftliche Fragen naturgemäß durch unabhängige Sachverständige entschieden werden müssen, so würde dieses in sich stimmige Verfassungskonzept einer Gerichtskontrolle sämtlicher öffentlicher Funktionsträger durchbrochen. Zudem widerspräche es dem Demokratieprinzip, wenn gerade bei grundrechtssensiblen Entscheidungen Ausnahmen vom Erfordernis demokratischer Legitimation kraft Natur der Sache zugelassen würden. Dies belegt die Wesentlichkeitsrechtsprechung des BVerfG. 551 Danach dürfen wesentliche Entscheidungen nicht einmal der demokratisch legitimierten Exekutive überlassen werden, sondern sie müssen vom unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgeber getroffen werden. Das gilt auch für Fragen, die wissenschaftlichen Sachverstand erfordern. Z. B. musste der 545 Martin Vomhof, Rechtsprobleme der Einbindung von sachverständigen Gremien in das Umwelt- und Technikrecht, S. 182 f., 185. 546 Christian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen, S. 193 ff., 198; Martin Vomhof, Rechtsprobleme der Einbindung von sachverständigen Gremien in das Umwelt- und Technikrecht, S. 174 ff., 185; Carl Peter Fichtmüller, AöR 91 (1966), 297 (342 f.); vgl. auch Matthias Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, S.104 f. – indes beschränkt dieser den Begriff auf außenwirksam entscheidende Stellen. 547 Eberhard Schmidt-Aßmann, VVDStRL AöR 116 (1991), 329 (384 ff., 387), der den Begriff „ministerialfreier Raum“ nur bei einer Verdünnung der Legitimation innerhalb der hierarchischen Verwaltung verwenden will. 548 Vgl. Michael Sachs, in: Sachs, Art. 20 Rdn. 41: „grundsätzlich bedenklich“; Janbernd Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 55 ff.: weder die Einbeziehung eines Kollegialorgans noch spezielles Sachwissen rechtfertigt Weisungsfreiheit. 549 Untersuchungsausschüsse werden zudem durch Verwaltungsgerichte kontrolliert, wenn sie subjektive öffentliche Rechte verletzen, siehe Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 79. 550 Vgl. Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 82 ff., insb. 84 und 200. 551 Vgl. nur BVerfGE 49, 89 (126 f.); 83, 130 (142); 84, 212 (226); 88, 103 (116).

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Bundestag 1990 darüber entscheiden, ob die Gentechnik zugelassen werden darf, was eine eingehende Aufarbeitung der wissenschaftlichen Grundlagen erforderte.552 Die Bedeutung der parlamentarischen Verantwortlichkeit endet also nicht dort, wo Fragen bedeutend oder komplex werden, sondern sie besteht gerade hier, vor allem wenn eine Entscheidung subjektive Rechte berührt. Insofern wäre es widersprüchlich, wegen der Komplexität der Gentechnik und des großen Sachverstands 553 der ZKBS auf eine demokratische Legitimation zu verzichten. Vielmehr ist, angelehnt an die Wesentlichkeitsrechtsprechung des BVerfG, gerade dann eine demokratische Legitimation geboten, wenn ein Gremium bei der Erfüllung seiner Aufgaben subjektive Rechte, insbesondere Grundrechte, (mit-)schmälert. 554 Manche Autoren vertreten allerdings auch vom herkömmlichen Demokratieverständnis des BVerfG abweichende, alternative Legitimationsmodelle. Diese lassen eine pluralistische Zusammensetzung eines Gremiums als Vertretungskörperschaft ausreichen 555, oder sie sehen in der Neutralität der Mitglieder und einer transparenten Entscheidungsfindung eine Art. 20 II GG genügende Rückkopplung zum Volk 556. Unbeschadet der Vereinbarkeit dieser Legitimationsmodelle mit Art. 20 II GG lässt sich mit ihnen aber nicht die demokratische Legitimation der ZKBS belegen. Denn die ZKBS erfüllt schon nicht die Anwendungsvoraussetzungen dieser Modelle. Da die ZKBS von Sachverständigen beherrscht wird 557, fehlt es an einem pluralistischen Element, das eine parlamentarische Rückkopplung ersetzen könnte. 558 Außerdem sind die Sitzungen der ZKBS nicht öffentlich (vgl. § 10 I 1 ZKBSV), so dass auch keine dem Gebot der Transparenz genügende Öffentlichkeitskontrolle stattfindet. 559 Demokratisch legitimiert wäre die ZKBS daher nur, wenn sie im Sinne des Demokratieverständnisses des BVerfG institutionell-funktionell, personell und sachlich-inhaltlich demokratisch legitimiert wäre, faktisch bindende Stellungnahmen abzugeben. 560 Dies ist im folgenden zu prüfen.

Siehe dazu den Beschluss des VGH Kassel, NJW 1990, 336 ff. Dazu, dass Professionalität die demokratische Legitimation nicht ersetzen, sondern nur zusätzlich stützen kann, Andreas Voßkuhle/Gernot Sydow, JZ 2002, 673 (680, re, 682, re) für die demokratische Legitimation des Richters. 554 Vgl. BVerfGE 93, 37 (72) für die betriebliche Mitbestimmung. 555 Vgl. zu solchen auf dem Gedanken der Partizipation beruhenden Demokratiemodellen Brun-Otto Bryde, in: Herausgeforderte Verfassung, S. 223 (228 ff.); Ernst Thomas Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S.407; kritisch zu ihnen Eberhard Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (378 f.). 556 Hans-Heinrich Trute, DVBl. 1996, 950 (956, li). 557 Siehe II. 3. c) dd) (1) (c). 558 Arnim Karthaus, ZUR 2001, 61 (65, li); ders., Risikomanagement, S. 223. 559 Dietrich Murswiek, VVDStRL 48 (1990), 207 (220 f.); vgl. auch Udo di Fabio, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 4 Rdn. 57. 560 Bedenken hinsichtlich der demokratischen Legitimation der ZKBS äußerte auch Michael Reinhardt auf dem 18. Trierer Kolloquium des Instituts für Umwelt- und Technikrecht, siehe den Tagungsbericht von Tanja Barton, NuR 2003, 23 (24, li). 552 553

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(bb) Institutionell-funktionelle demokratische Legitimation der ZKBS Die funktionell-institutionelle demokratische Legitimation verlangt, dass Bestand und Aufgaben einer Institution durch die Verfassung oder ein Parlamentsgesetz geregelt werden. 561 Insoweit bestehen bei der ZKBS keine Bedenken: kraft § 4 GenTG hat der parlamentarische Gesetzgeber die ZKBS selbst eingerichtet. Auch werden ihre Aufgaben in § 5 GenTG aufgezählt und beschrieben. Daneben hat der Gesetzgeber die Mitwirkung der ZKBS in den einzelnen Entscheidungsnormen des Gentechnikrechts geregelt (§§ 10 VII, 12 IV, 16 V GenTG). Zudem wird in diesen Normen die herausragende Rolle der ZKBS betont, indem Behörden dazu verpflichtet werden, die Stellungnahmen der ZKBS zu berücksichtigen und die Gründe für ein Abweichen schriftlich darzulegen. Außerdem ist das Verfahren der ZKBS in der ZKBSV näher geregelt (vgl. §§ 9 ff. ZKBSV). Im Unterschied zu anderen umweltrechtlichen Gremien, wie z. B. der Reaktor-Sicherheitskommission, fußt die Tätigkeit der ZKBS damit auf gesetzlichen Grundlagen.562 (cc) Personelle demokratische Legitimation der ZKBS Die personelle demokratische Legitimation verlangt darüber hinaus, dass ein Amtsträger sein Amt durch Wahl erhält oder dass er durch einen seinerseits personell legitimierten Amtsträger berufen wird. 563 Gem. §4II1 GenTG werden die Mitglieder der ZKBS vom Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (bisher vom Bundesministerium für Gesundheit *) im Einvernehmen mit weiteren in §4 II 1 GenTG genannten Bundesministerien berufen. Über die Berufung der ZKBS-Mitglieder entscheiden also demokratisch-verantwortliche Minister. Insofern könnte die personelle demokratische Legitimation der ZKBS zu bejahen sein. Doch bedarf die personelle demokratische Legitimation einer eingehenderen Prüfung, wenn dem Berufungsverfahren ein Vorschlagsrecht gesellschaftlicher Gruppen vorangestellt ist. 564 Ein solches Vorschlagsrecht ist in § 2 I 2 ZKBSV angeordnet. Bei den Berufungen der Sachverständigen sind Vorschläge des Wissenschaftsrats einzuholen, bei Berufungen sachverständiger Personen Vorschläge aus den in § 4 I 2 Nr. 2 GenTG genannten „Bereichen“: der Gewerkschaften, der Wirtschaft, der Arbeitsschutz-, Umwelt- und Verbraucherverbände und der forschungsfördernden Organisationen. Indes ist weder in der ZKBSV noch im Gentechnikgesetz geregelt, dass diese Vorschläge binden. 565 Die Letztentscheidung über die Berufung verbleibt somit in BVerfGE 68, 1 (88); Horst Dreier, in: Dreier, Art. 20 Rdn. 105. Siehe II. 3. c) cc) (1) m. w. N. 563 BVerfGE 68, 1 (88); 93, 37 (67). * Vgl. zu dieser Änderung das Vorwort dieser Arbeit. 564 Martin Vomhof, Rechtsprobleme der Einbindung von sachverständigen Gremien in das Umwelt- und Technikrecht, S. 170. 565 Vgl. auch Udo di Fabio, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 4 Rdn. 42. 561 562

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den Händen der in § 4 II 1 GenTG genannten Bundesministerien. Die Mitglieder der ZKBS sind damit auch personell demokratisch legitimiert. (dd) Sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation der ZKBS Problematisch erscheint allerdings die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation der ZKBS. Nach diesem Element demokratischer Legitimation muss sich nicht nur die Bestellung eines Amtsträgers als solche auf den Willen des Volkes zurückführen lassen, sondern bei jeder einzelnen Maßnahme muss ein Handeln „im Geist der Volksvertretung“ sichergestellt sein. 566 Das wird grundsätzlich dadurch gewährleistet, dass Behörden an die Gesetze gebunden werden (Art. 20 III GG). Gleichzeitig unterstehen sie einer Aufsicht durch höhere Behörden.567 Zudem sichert Art. 33 V GG eine treuhänderische, sachliche und verantwortliche Dienstausübung. 568 Insoweit enthält auch Art. 33 V GG eine demokratische Komponente. 569 Durch die dauerhafte Einbindung in staatliche Treueverhältnisse werden Beamte besonders wirksam gezwungen, den Willen des demokratischen Gesetzgebers umzusetzen und subjektive Rechte zu achten. Entsprechendes gilt, wenn Entscheidungen nicht durch staatsunmittelbare Behörden getroffen werden, sondern Aufgaben auf Beliehene ausgelagert werden. 570 Auch ein Beliehener ist an Recht und Gesetz gebunden. Ihm werden durch den Beleihungsakt nicht einfach Befugnisse überantwortet, sondern hierdurch wird er zum staatlichen Funktionsträger, der zur Wahrung der staatlichen Ordnung verpflichtet ist (Art. 20 III GG) 571 und zwar unabhängig davon, ob für einen Beliehenen die Treupflichten des Art. 33 V GG gelten 572. Zugleich wird der Beliehene einer staatlichen Aufsicht unterstellt. Denn nur wenn sich staatsunmittelbare Behörden eine hinreichende Überprüfungskompetenz vorbehalten, ist die Auslagerung von Entscheidungskompetenzen auf Private mit Art. 20 II GG vereinbar. 573 Die Aufsicht ist hier 566 Ernst-Wolfgang Böckenförde, HStR I, § 22 Rdn. 21 f. unter Verweis auf Lorenz von Stein, Die Verwaltungslehre, Teil 1, 1. Halbbd., 1869, S.345 ff., der von einem Handeln im „Geist der Gesetzgebung“ spricht. 567 BVerfGE 93, 37 (67); Ernst-Wolfgang Böckenförde, HStR I, §22 Rdn. 21 f.; Horst Dreier, in: Dreier, Art. 20 Rdn. 114. 568 Vgl. Eberhard Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (362) unter Verweis auf Josef Isensee, HStR III, § 57 Rdn. 60 ff. 569 Vgl. Monika Jachmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 33 Rdn. 33; Eberhard Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (362): „in der Verfassung mitgedachte Rahmenbedingung personeller Legitimation“; vgl. auch Udo di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (266 f.). 570 Zur demokratischen Legitimation von Beliehenen Karl-Peter Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rdn. 168; Horst Dreier, in: Dreier, Art. 20 Rdn. 115. 571 Frank Bansch, Die Beleihung als verfassungsrechtliches Problem, S. 105. 572 Für die Geltung Philip Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 20 Rdn. 20; a. A. Matthias Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominalverwaltung, S. 61. 573 OVG NW, NVwZ 1997, 806 (807, re); Michael Sachs, in: Sachs, Art. 20 Rdn. 39; Frank Bansch, Die Beleihung als verfassungsrechtliches Problem, S. 151 ff.

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notwendiges Korrelat zur Delegation von Entscheidungsmacht auf staatsmittelbare Funktionsträger. Die ZKBS ist indes nicht Teil des BVL (ebenso wenig wie sie bislang Teil des RKI war *), sie ist keine Behörde und auch kein Beliehener. 574 Eine Staatsaufsicht durch staatsunmittelbare Behörden findet nicht statt 575, obgleich das Demokratieprinzip grundsätzlich eine Rechts- und Fachaufsicht fordert 576, die beobachtet, prüft und Entscheidungen gegebenenfalls berichtigt 577. Weder das BVL noch die zuständigen Landesbehörden können die Stellungnahmen der ZKBS durch rechts- und fachaufsichtliche Maßnahmen oder disziplinarrechtliche Sanktionen lenken. 578 Denn sie stehen nicht hierarchisch über der ZKBS. Vielmehr sind die Mitglieder der ZKBS nicht an Weisungen gebunden (vgl. § 4 III 1 GenTG). Daher ist es auch dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Lebensmittelsicherheit (wie früher dem Bundesministerium für Gesundheit) und den sonstigen in § 4 II GenTG genannten Ministerien verwehrt, die Risikobewertungen der ZKBS im Einzelfall zu steuern. Darüber hinaus stehen die Mitglieder der ZKBS in keinem beamtenrechtlichen Treueverhältnis. Sie sind keine Ehrenbeamte, die ähnlich wie Beamte im statusrechtlichen Sinn an die Grundsätze des Art. 33 V GG gebunden sind. 579 Vielmehr üben sie nur ein Ehrenamt aus (§ 3 I 1 ZKBSV), auf das lediglich die Befangenheitsvorschriften der §§ 20 f. VwVfG und die Vorschriften der §§ 81 ff. VwVfG Anwendung finden. 580 Hierdurch werden sie zwar auch zu Neutralität, Verschwiegenheit und Gesetzestreue gezwungen (vgl. auch § 4 III 2 GenTG), doch wird auf diese Weise keine Art. 33 V GG vergleichbare aufsichtsähnliche Bindung erzielt. Denn die Ausübung eines Ehrenamts, das nur in monatlichen Sitzungen zur öffentlichen AufSiehe zur Veränderung der Zuständigkeit das Vorwort dieser Arbeit. Siehe Kapitel B. IV. 3. b) cc). 575 Denkbar scheint lediglich ein Gegenvorstellungsrecht durch das Robert Koch-Institut und die zuständigen Landesbehörden, soweit sich die ZKBS „ultra vires“ außerhalb ihrer Aufgaben bewegt oder sich nicht an die Verfahrensvorschriften der ZKBSV hält (ähnlich Hirsch/ Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 4 Rdn. 14; Rainer Wahl, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, §§ 4, 5 GenTG Rdn. 43). 576 Vgl. BVerfGE 93, 37 (67): grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung; Horst Dreier, in: Dreier, Art. 20 Rdn. 114; Wolfgang Kahl, Die Staatsaufsicht, S. 483; Bodo Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rdn. 10: insb. Rechtsaufsicht. 577 Zum Begriff der Aufsicht, der nicht nur die Befugnis umfasst, zu beobachten und zu prüfen, sondern auch auf das Verhalten des Beaufsichtigten Einfluss zu nehmen, Wolfgang Kahl, Die Staatsaufsicht, S. 358, 415, 421. 578 Vgl. auch Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 4 Rdn. 14, allerdings sehr allgemein: auch staatlicherseits kann die Arbeit der Kommission (grds.) nicht beeinflusst werden; noch allgemeiner Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 4 Rdn. 47: „frei von Behördeneingriffen“. 579 Rolf Stober, Der Ehrenbeamte in Verfassung und Verwaltung, S. 135. 580 Kapitel B. IV. 3. b) aa) (2) m. w. N. *

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gabenerfüllung verpflichtet 581, wirkt nicht ebenso prägend auf das Selbstverständnis eines Amtsträgers wie eine dauerhafte Einbindung in die hierarchisch strukturierte Verwaltung. Eine sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation der ZKBS im herkömmlichen Sinn besteht damit nicht. Allerdings folgt hieraus nicht ohne weiteres ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip. Dem Gesetzgeber steht ein gewisser Spielraum zu, wie er ein Entscheidungsverfahren ausgestaltet, und ob er dabei Private mit in den staatlichen Entscheidungsprozess einbezieht. 582 Insbesondere ist nicht die Form der demokratischen Legitimation entscheidend, sondern deren Effektivität. 583 Nicht jede Abweichung von den herkömmlichen Anforderungen an eine demokratische Legitimation begründet deshalb einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip. 584 Vielmehr müsste dem Gesetzgeber geradezu vorgeworfen werden können, er habe das Demokratieprinzip verkannt. 585 Doch ist das hier nicht der Fall. Der Gesetzgeber hat die ZKBS nicht völlig (kontroll-)frei gestellt. Wie bereits, erwähnt hat er die ZKBS-Mitglieder durch die §§ 20 f., 81 ff. VwVfG zur gewissenhaften Amtsausführung verpflichtet. 586 Zudem wirken an der Entscheidung über eine Freisetzung und über ein Inverkehrbringen andere sachverständige Bundesbehörden mit, z. B. die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft als Einvernehmensbehörde oder das bislang für Freisetzungen und ein Inverkehrbringen federführende Robert Koch-Institut als Benehmensbehörde (vgl. § 16 IV GenTG). Eine Übermacht der ZKBS muss deshalb nicht befürchtet werden. 587 Überdies nehmen die Landesbehörden regelmäßig als Vertreter der zuständigen Landesministern an den Sitzungen der ZKBS teil (vgl. § 4 I ZKBSV). Durch ihre Anwesenheit kontrollieren sie die Entscheidungen der ZKBS mit, indem sie die ZKBS – zwar nicht rechtlich, doch faktisch – zu einer sachlich richtigen und gut begründeten Entscheidung zwingen. Vor allem ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber die Letztentscheidungskompetenz über die Zulassung einer gentechnischen Arbeit zwischen Behörde und der ZKBS nicht der ZKBS zugewiesen hat 588, sondern dass er nur eine „qualifizierte Form der Empfehlung mit Be581 Grundsätzlich tagt die ZKBS im monatlichen Turnus. 2001 fanden aber nur acht Sitzungen statt. Vgl. dazu den Tätigkeitsbericht der ZKBS 2001, Bundesgesundheitsblatt 2002, 643 (645, re). 582 BVerfGE 93, 37 (73); BVerwG, NVwZ 1999, 870 (873, li); Karl-Peter Sommermann, v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rdn. 178: es muss nur durch institutionelle und prozessuale Vorkehrungen sichergestellt werden, dass staatliche Organe zur eigenen Willensbildung fähig bleiben; ähnlich Hans-Heinrich Trute, DVBl. 1996, 950 (956, li). 583 BVerfGE 93, 37 (66 f.); BVerwG, NVwZ 1999, 870 (873, li). 584 Vgl. auch Horst Dreier, in: Dreier, Art. 20 Rdn. 108: einer „all zu schematischen Handhabung“ ist kein „Vorschub zu leisten“. 585 Ähnlich Winfried Brohm, HStR II, § 36 Rdn. 41: „eine Grenze ergibt sich erst bei grundlegenden Strukturveränderungen“. 586 Siehe dazu Kapitel B. IV. 3. b) cc). 587 Vgl. Arnim Karthaus, ZUR 2001, 61 (65, re), ders., Risikomanagement, S. 224: die Beteiligung anderer Stellen wirkt als „begrenzendes Korrektiv“. 588 Siehe nur VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (228, li) und Kapitel B.IV. 3. b) bb) m.w. N.

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

gründungspflicht im Abweichungsfall“ geschaffen hat 589. Für die Freisetzung und das Inverkehrbringen hat der Gesetzgeber des 2. GenTG-ÄndG die Darlegungspflicht sogar abgeschafft. 590 Diese Gesetzesreform verdeutlicht weiter, dass der Gesetzgeber die Letztentscheidung über Gefahrenabwehr und Risikovorsorge nicht der ZKBS zugewiesen wissen will, sondern demokratisch legitimierten staatlichen Behörden. Weil sie die Verantwortung für die jeweilige Risikoentscheidung tragen, sind sie verpflichtet, Stellungnahmen der ZKBS vor ihrer Übernahme sorgfältig auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu prüfen und gegebenenfalls von ihr abzuweichen 591. Hierzu sind sie auch in der Lage 592: Das BVL, das über Freisetzungen und das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen entscheidet, ist ebenfalls mit Wissenschaftlern besetzt. 593 Zudem verfügen die Landesbehörden, die für die Zulassung gentechnischer Arbeiten im geschlossenen System zuständig sind, regelmäßig über eigenen wissenschaftlichen Sachverstand. 594 Fehlt eine eigene Fachkompetenz, helfen externe Gutachter. 595 Damit verbleibt die Entscheidungsmacht über gentechnikrechtliche Risiken bei staatlichen Stellen. Daher fordert die (Mit-)Entscheidung der ZKBS keine ebenso so stringente demokratische Überwachung durch ein klassisches Aufsichtsinstrumentarium wie bei einer selbst entscheidenden Stelle.596 Insofern ist festzuhalten: Zwar bleibt die demokratische Legitimation der ZKBS hinter derjenigen der hierarchisch strukturierten Verwaltung zurück. Doch sichert die Gesetzesbindung der ZKBS-Mitglieder im Verbund mit aufsichtsersetzenden Kontrollmechanismen in ausreichender Weise, dass auch in sachlich-inhaltlicher Sicht eine Art. 20 II GG genügende Rückkopplung an den Willen des Volkes gewährleistet ist. Insbesondere wird die ZKBS durch die behördliche Überprüfung ihrer Stellungnahmen überwacht. Daher liegt trotz der schwächeren demokratischen Legitimation der ZKBS kein Verstoß gegen das Demokratieprinzip vor, der einem Beurteilungsspielraum von vorneherein entgegenstünde, weil eine Entscheidung mit ZKBS-Beteiligung dann verfassungswidrig wäre und daher stets aufgehoben werden müsste. So Matthias Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (182). Siehe dazu Kapitel B. IV. 3. b) bb). 591 Michael Görke, Organisations- und Vollzugsprobleme im Bereich des Gentechnikrechts, S. 30 ff. (32), der zur Begründung auch noch auf den Schutzzweckgedanken des § 1 Nr. 1 GenTG hinweist. 592 So auch Michael Görke, Organisations- und Vollzugsprobleme im Bereich des Gentechnikrechts, S. 32; a. A. wohl Rainer Wahl, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, §§ 4, 5 GenTG Rdn. 20, der auf ein mangelndes eigenes Beurteilungsvermögen der Behörden hinweist, ohne dies aber weiter zu begründen. 593 Vgl. BT-Drs. 15/1341, D.: Die entsprechenden Ressourcen im Robert Koch-Institut (14 Personen, davon ein Mediziner, Auskunft Robert Koch-Institut, 20.09.2002) sollen auf das BVL übertragen werden. 594 Siehe Kapitel B. IV. 3. a) bb) zur Besetzung der zuständigen Landesbehörden. 595 Vgl. VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (219, re) und II. 3. a) bb) (1). 596 Vgl. allgemein BVerfGE 91, 228 (244); 93, 37 (72); Eberhard Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (377); Diana Zacharis, Jura 2001, 446 (449, re). 589 590

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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(3) Fazit: (Dennoch) kein Beurteilungsspielraum durch ZKBS-Beteiligung Aber auch wenn die geringere demokratische Legitimation der ZKBS gentechnikrechtliche Behördenentscheidungen nicht von vorneherein rechtswidrig macht und schon deshalb einen Gremienvorbehalt hindert, steht sie einem gerichtsresistenten Entscheidungsvorbehalt der ZKBS entgegen. Denn demokratische Legitimation und gerichtliche Kontrolle dürfen nicht zugleich geschwächt sein. Gegebenenfalls kann eine weniger starke demokratische Kontrolle zu einer stärkeren gerichtlichen Kontrolle zwingen 597; auch darf eine parlamentarische Kontrolle den Gerichtsschutz ausnahmsweise ersetzen (vgl. Art. 19 IV 3 i.V. mit Art. 10 II GG). Ist aber schon die demokratische Legitimation dünn, darf nicht noch die gerichtliche Kontrolle geschmälert werden; dies gilt erst recht, wenn behördliche Kontrollen so schwach sind wie gezeigt. 598 Dieser Argumentation scheint auch das BVerfG zu folgen. Darauf deuten Ausführungen in Entscheidungen zum G 10-Gesetz hin und in der Entscheidung zur Anerkennung eines pädagogischen Interesses nach Art. 7 V GG. Jeweils hat das BVerfG eine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle zugelassen; allerdings nur, weil ausreichend parlamentarische Kontrollelemente vorhanden waren. In den Entscheidungen zum G 10-Gesetz hat das Gericht es als mit Art. 19 IV GG vereinbar erachtet, dass Gerichtsschutz gegen die Anordnung von Abhörmaßnahmen ausgeschlossen ist (vgl. Art. 19 IV 3 i.V. mit Art. 10 II GG). 599 Begründet wurde dies damit, dass eine Kontrolle durch zu diesem Zweck geschaffene parlamentarische Kontrollgremien erfolgt. 600 In der Entscheidung zum besonderen pädagogischen Interesse nach Art. 7 V GG erkannte das Gericht einen Beurteilungsspielraum an. Doch fügte es hinzu, dass die Exekutive der „parlamentarischen Kontrolle, nicht aber der gerichtlichen“ unterliege. 601 Diese Ausführungen des BVerfG sprechen dafür, dass Kontrollschranken für Gerichte allenfalls dann haltbar sind, wenn eine voll wirksame, auf den Willen des Volkes zurückführende Kontrolle besteht. Überträgt man diese Gedanken auf die ZKBS, so folgt daraus, dass die Stellungnahmen der ZKBS nicht auch noch gerichtsfrei gestellt werden dürfen, indem ein inzidenter Gremienvorbehalt anerkannt wird. Denn die ZKBS wird weder durch eigens dafür geschaffene parlamentarische Kontrollorgane überprüft noch ist es dem Gesetzgeber möglich, die unabhängige Arbeit der ZKBS (vgl. § 4 III 1 GenTG) z. B. durch ein Abberufungsrecht zu lenken. Auch wird die Rückkopplung zum Volk nicht durch eine 597 Vgl. BVerfGE 49, 89 (135) – zur Zunahme der Kontrollpflichten bei der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe durch den Gesetzgeber. 598 Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 276; Guy Beaucamp, JA 2002, 314 (318, li, f.); vgl. auch Rudi Müller-Glöge, Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle administrativer Immissionsprognosen, S. 88; Precht Fischer, Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 86. 599 BVerfGE 30, 1 (25); 100, 313 (364). 600 BVerfGE 30, 1 (23); 100, 313 (364). 601 BVerfGE 88, 40 (61).

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

Staatsaufsicht mit Einwirkungsbefugnissen gesichert. Gleichwohl übt die ZKBS als öffentlich-rechtlicher Ausschuss öffentliche Gewalt aus, indem sie durch ihre Stellungnahmen Behördenentscheidungen mitprägt, ja oft sogar faktisch lenkt. 602 Deshalb müssen die Risikobewertungen der ZKBS, die möglicherweise subjektive Rechte des Betreibers oder Dritter (mit)schmälern, bei der Gerichtskontrolle der Behördenentscheidung inzident umfassend geprüft werden. Täte man dies nicht, gäbe man subjektive öffentliche Rechte Einzelner dem Votum eines weisungsfrei entscheidenden öffentlich-rechtlichen Funktionsträgers preis, der – was erschwerend hinzukommt – von Gentechnikbefürwortern dominiert wird 603. 604 Mit Art. 19 IV GG wäre dies unvereinbar 605, es sei denn, kollidierende Verfassungsgüter erzwängen gerade eine Kontrollbeschränkung. Das ist aber nicht der Fall. Denn ein Kontrollvorbehalt ist weder zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege erforderlich, noch verlangt eine effektive Verwaltungstätigkeit oder ein vorrangiger Wille des Gesetzgebers eine Kontrollbeschränkung von Gerichten 606. Ebenso wenig tut dies – wie noch zu zeigen sein wird – ein „dynamischer Grundrechtsschutz“ oder das im Rechtsstaatprinzip wurzelnde Gebot der Rechtssicherheit.607 Ein inzidenter Gremienvorbehalt der ZKBS ließe sich deshalb nur einfachgesetzlich mit der besonderen Rolle der ZKBS im gentechnikrechtlichen Entscheidungsprozess begründen. Doch genügt ein solcher nur unterverfassungsrechtlicher Rechtfertigungsansatz nicht, um Art. 19 IV GG zu beschränken. 608 Daher kann für die ZKBS auch keine neue Form eines Gremienvorbehalts anerkannt werden, mit deren Hilfe ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum im Ansatz gerechtfertigt werden könnte. d) Grundrechtsschutz als Kontrollschranke? Eventuell könnten aber die materiellen Grundrechte der gerichtlichen Kontrolldichte im Gentechnikrecht Schranken ziehen und einen Beurteilungsspielraum erlauben. Könnte möglicherweise zu Gunsten der Betreiber gentechnikrechtlicher 602 Siehe Kapitel B. IV. 3. b) cc). Vgl. auch allgemein zur Einordnung von Vorentscheidungsgremien als Träger öffentlicher Gewalt i. S. von Art. 19 IV Christian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen, S. 64. 603 Siehe II. 3. b) dd) (1) (c). 604 Kritisch daher auch Dietrich Murswiek, VVDStRL 48 (1990), 207 (220 f.). 605 Vgl. auch Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 276; ähnlich Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rdn. 45, der befürchtet, die Rechtsschutzgarantie könnte durch die Schaffung solcher Gremien unterlaufen werden. 606 Siehe oben II. 3. b). 607 Siehe dazu unten II. d) und e). 608 So zur FBW VG Wiesbaden, NJW 1988, 356 (364, li); allg. zur Rechtfertigung von Beurteilungsspielräumen mit der Einbeziehung von Gremien Christian Greipl, Art. 19 IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen, S.120, der aber dann, wenn durch die Gremien spezifische wissenschaftliche Fachkompetenz fruchtbar gemacht werden soll, einen Beurteilungsspielraum aus Gründen der Sachgerechtigkeit für mit Art. 19 IV vereinbar hält (a. a. O., S. 174).

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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Vorhaben ein Beurteilungsspielraum anzuerkennen sein? 609 Soweit Grundrechtskollisionen zwischen Betreibern und Dritten (z. B. Biolandwirten, deren Art. 12 GG geschmälert ist oder Angrenzern, die eine Gesundheitsverletzung rügen) gelöst werden sollen, muss die Risikobewertung bei der gerichtlichen Kontrolle nicht ausgespart werden. Denn widerstreitende Grundrechte lassen sich auch bei einer vollen Kontrolle im Rahmen der Bestimmung des hinnehmbaren Restrisikos sachgerecht gewichten. 610 Insbesondere kann die Bedeutung der Forschungsfreiheit für einen Betreiber und dessen Wettbewerbsfähigkeit, gerade auch im internationalen Vergleich, berücksichtiget werden. 611 Außerdem stellt sich in Gerichtsverfahren gegen gentechnische Vorhaben meist nicht die Frage, ob eine Arbeit überhaupt nicht durchgeführt werden darf, sondern es ist nur strittig, welche Schutzmaßnahmen eingehalten werden müssen. 612 Gerichte drohen auch deshalb nicht zum Hindernis für Forscher zu werden, wenn sie voll prüfen. Insofern ist ein gerichtsresistenter Beurteilungsspielraum auch nicht zur Sicherung des Technologiestandorts Deutschland erforderlich. Allerdings könnte ein optimaler Grundrechtsschutz Dritter für eine Kontrollbeschränkung von Gerichten streiten. 613 So könnte argumentiert werden, dass ein dynamischer, flexibler Drittschutz, der sich an neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert, torpediert würde, wenn Gerichte Behördenentscheidungen aufheben dürften, die auf anerkannten wissenschaftlichen Standards beruhen. Diese Argumentation wird in zahlreichen Gerichtsentscheidungen angedeutet, indem ein Beurteilungsspielraum angenommen wird, weil die Verwaltung „für die Verwirklichung des Grundsatzes der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge besser ausgerüstet ist als Gesetzgebung und Rechtsprechung“. 614

So Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 64. Vgl. die folgenden Entscheidungen, auch wenn hier jeweils ein Beurteilungsspielraum angenommen wurde: VG Neustadt, IUR 1992, 165 (170, li); VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 1 zu § 7, S. 6; VG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 13 zu § 16, S. 12. 611 Vgl. zur „Standortsicherung durch Rechtsprechung“ Matthias Herdegen, Festschrift für K. Boujong, S. 869 (881 f.). 612 vgl. VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (227, re). 613 Vgl. zu diesem Ansatz BVerwGE 91, 211 (217) – für die Bundesprüfstelle und VG Wiesbaden, NJW 1988, 356 (364, re) – für die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums bei der Filmbewertung. 614 BVerwG, NVwZ 1999, 1233 (1233, re); VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 6 zu § 13, S. 3; VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (217, li); VG Stuttgart, Urt. v. 17.07.1997, Az 8 K 2653/95 (unveröffentlichtes Urteil), S. 26; OVG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 4 zu § 13, S. 4: die hohen Sicherheitsanforderungen dürfen nicht durch weitere Beurteilungskriterien unterlaufen werden. 609 610

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aa) Dynamischer Grundrechtsschutz als Kontrollschranke? Darf ein Gericht einen Kläger aber wirklich mit dem Argument abweisen, eine volle Kontrolle widerspräche einem bestmöglichen, „dynamischen“ Grundrechtsschutz, obwohl er meint, dieser Schutz sei defizitär? Dann gäbe man dem Kläger „Steine statt Brot“. Denn man verweigerte ihm, sein grundrechtlich geschütztes Rechtsschutzinteresse durchzusetzen, um seine materiellrechtlich geschützten Interessen zu verteidigen. Bestmöglicher „dynamischer“ Grundrechtsschutz würde so gerade nicht gewährt. Zudem würde man das BVerfG missverstehen, wenn man den Kalkar-Beschluss, in dem sich das BVerfG für einen bestmöglichen „dynamischen Grundrechtsschutz“ ausgesprochen hat 615, gegen den Einzelnen wendete. In dieser Entscheidung hat das BVerfG den Begriff des „dynamischen Grundrechtsschutzes“ geprägt. Als dynamisch wurde der Grundrechtsschutz deshalb bezeichnet, weil er sich an den jeweils neusten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse anlehnt. 616 Dies sei bei technischen Anlagen erforderlich, um den Einzelnen bestmöglich vor Gefahren und Risiken zu schützen. 617 Gleichzeitig stellte das Gericht klar, dass die Exekutive zur fortlaufenden Anpassung der Risikovorsorge besser gerüstet ist als die Legislative. Daher habe sie und nicht der Gesetzgeber im Einzelfall zu entscheiden. 618 Ob die Exekutive aber auch gegenüber der Judikative einen Entscheidungsvorrang haben soll, hat das Gericht ausdrücklich offen gelassen. 619 Nichtsdestotrotz werden die Aussagen des BVerfG zum „dynamischen Grundrechtsschutz“ dazu verwendet, um ein Kontrollverbot von Gerichten bei wissenschaftsabhängigen Fragen zu stützen.620 Dies hat bereits die knappe Skizze zur Entwicklung des atomrechtlichen Beurteilungsspielraums gezeigt. 621 Allerdings deuten die Aussagen des BVerfG eher umgekehrt darauf hin, dass zu Gunsten eines dynamischen Grundrechtsschutzes nicht nur bestmöglich verwaltet, sondern auch bestmöglich kontrolliert werden soll. So führte das Gericht aus, dass durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe die Schwierigkeiten der verbindlichen Konkretisierung und der laufenden Anpassung an die wissenschaftliche und technische Entwicklung mehr oder weniger auf die administrative und – soweit es zu Rechtsstreitigkeiten kommt – auf die judikative Ebene verlagert werden. Dem fügte es hinzu, dass Behörden und Gerichte das Regelungsdefizit der normativen Ebene ausgleichen müssen. 622 Dies spricht eher für eine volle Gerichtskontrolle aus Gründen eines dynamischen Grundrechtsschutzes als gegen sie. BVerfGE 49, 89 (140). BVerfGE 49, 89 (139 f.). 617 BVerfGE 49, 89 (137, 139) – hier für die Atomenergie. 618 BVerfGE 49, 89 (140). 619 BVerfGE 49, 89 (136). 620 OVG Hamburg, ZUR 1995, 93 (94, mi, f.); OVG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 4 zu § 13, S. 3; VG Hamburg, ZUR 1994, 322 (322, re); VG Hamburg, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 3 zu § 13, S. 14. 621 Vgl. Kapitel C. III. 2. a). 622 BVerfGE 49, 89 (135) – Hervorhebungen aber nicht auch in der Entscheidung. 615 616

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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Diese allgemeine Deutung des Kalkar-Beschlusses lässt sich für das Gentechnikrecht gentechnikspezifisch weiter untermauern. Da auch der gentechnikrechtliche Rechtsgüterschutz dynamisch ausgestaltet ist 623, muss ein Betreiber die erforderlichen Schutzvorkehrungen nicht nur im Zeitpunkt der Zulassung eines Vorhabens einhalten, sondern „dynamisch“ während des gesamten Betriebs seines Vorhabens 624. Kommt es zu einem Gerichtsprozess, verlangt diese dynamische Ausgestaltung, dass Gerichte auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abstellen und hierfür prüfen, ob die erforderlichen Schutzvorkehrungen noch bzw. jetzt gegeben sind. Das gilt für eine Verpflichtungsklage 625 eines Betreibers auf Genehmigungserteilung und für eine Verpflichtungsklage eines Dritten, der ein Einschreiten gegen ein (rechtswidriges) Vorhaben verlangt. Bei Anfechtungsklagen geht die herrschende gentechnikrechtliche Meinung davon aus, dass die Sachlage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich ist.626 Diese Faustregel muss im Gentechnikrecht jedoch gebrochen werden, weil der Rechtsgüterschutz materiellrechtlich „dynamisch, akualitätsbezogen“ ausgestaltet ist.627 Auch bei einer Drittanfechtungsklage oder einer Anfechtungsklage eines Betreibers, z. B. gegen eine Untersagungsverfügung 628, ist daher auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen. Gegen schutzwürdige Interessen des Betreibers wird dadurch nicht verstoßen. Durch die dynamische Ausgestaltung der Betreiberpflichten ist das Vertrauen in die Fortwirkung einer einmal gefällten Zulassungsentscheidung – ähnlich wie bei Dauerverwaltungsakten – von vorneherein eingeschränkt. Außerdem sprechen Rechtsschutzeffektivität und Prozessökonomie bei Drittanfechtungsklagen dafür, auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen. 629 Diesen beiden Belangen liefe es zuwider, wenn der Dritte, um zwischenzeitliche Änderungen zu bekämpfen, zusätzlich eine Verpflichtungsklage erheben müsste, z. B. auf Rücknahme einer Genehmigung (§ 48 VwVfG) oder die Anordnung von Nebenbestimmungen (§ 19 S. 3 GenTG). Im übrigen lässt sich das Bestandsschutzinteresse eines Betreibers angemessen durch verstärkte Hinweisund Aussetzungspflichten des Gerichts berücksichtigen (vgl. §§ 86, 94 VwGO). Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 90. Michael Kloepfer, Umweltrecht, § 16 Rdn. 21. 625 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 13 Rdn. 65; Rainer Wahl, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 13 GenTG Rdn. 69. 626 Redeker/v. Oertzen, § 108 Rdn. 25; Michael Kloepfer, Umweltrecht, § 8 Rdn. 39 ff.; Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 11 Rdn. 211; Hirsch/ Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 13 Rdn. 88: sind indes Genehmigungshindernisse zwischenzeitlich weggefallen, soll auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt werden dürfen (Rdn. 89); so auch BVerwGE 72, 300 (311 f.) für das Atomrecht und Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rdn. 46, 53. 627 So auch VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (220, li); offengelassen, aber in der Tendenz wohl ebenso vom VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (225, li, 226, re: die gutachterlichen Stellungnahmen „seit Ergehen des angefochtenen Urteils ...“ konnten eine Komplementation von Replikationsdefiziten ausschließen.). 628 VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (220, li). 629 Vgl. dazu H. D. Jarass, NJW 1983 2844 [2849, re] – für das Immissionschutzrecht. 623 624

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

Durch solche ließe sich auch vermeiden, dass Gerichte an der „Verwaltung vorbei agieren“. 630 Könnte ein von einem Dritten angefochtenes Vorhaben z. B. in einer höheren Sicherheitsstufe zugelassen werden oder genügte die Anordnung von Nebenbestimmungen, dürfte eine Genehmigung wegen des Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht einfach vom Gericht aufgehoben werden. Vielmehr wäre das Verfahren auszusetzen, um dem Betreiber und der Behörde Gelegenheit zu gegeben, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, damit das Vorhaben so reibungslos wie möglich fortgesetzt werden kann. 631 Hierfür spricht auch der Rechtsgedanke des § 113 III 2 VwGO, der einstweilige, sachdienliche Regelungen durch Gerichte vorsieht, wenn eine erneute Behördenentscheidung abgewartet werden muss. Wenn das Gentechnikgesetz folglich so auszulegen ist, dass Gerichte „dynamisch“ auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abstellen, so müssen sie bei sämtlichen gentechnikrechtlichen Klagen prüfen, ob seit der letzten Behördenentscheidung Änderungen eingetreten sind, die zu einer anderen Risikobeurteilung führen. Das setzt voraus, dass Gerichte eine umfassende eigenständige Risikoermittlung vornehmen, um festzustellen, ob sich die Grundlagen der Risikobewertung geändert haben, weil z.B. neue Informationen über die betreffenden gentechnisch veränderten Organismen vorliegen oder weil sich die äußeren Bedingungen eines Vorhabens geändert haben, so dass die Behördenentscheidung, jedenfalls aber die Stellungnahme der ZKBS, nicht mehr aktuell ist. Soweit solche Änderungen bestehen, muss des Weiteren geprüft werden, ob diese im Ergebnis zu einer anderen Entscheidung zwingen als sie die Behörde gefällt hat. Dies gelingt aber nicht, wenn die Risikobewertung – bei Anerkennung eines Beurteilungsspielraums – nur überschlägig auf willkürliche Mängel geprüft wird. Hier bleibt Gerichten vielmehr nur die Wahl, die Behördenentscheidung „auf Verdacht“ für rechtswidrig bzw. rechtmäßig zu erklären bzw. eine Zulassung „unvollständig geprüft“ zu erteilen oder zu versagen. Das entspricht aber weder den grundrechtlich geschützten Interessen Dritter (Art. 2 II 1, 12, 14 GG) noch den durch die Art. 5 III 1 2. Var. und Art. 12 GG geschützten Interessen des Betreibers. Denn durch solche unzureichend kontrollierte Entscheidungen wird Anlass zu weiteren Rechtsbehelfen gegeben, die den Rechtsstreit um die Zulässigkeit eines Vorhabens verlängern. Das wiederum widerstrebt der Schaffung von Rechtsfrieden und damit dem von Art.19IV GG geforderten Gebot, Rechtsstreitigkeiten zügig endgültig zu klären. 632 Auch ein „dynamischer Grundrechtsschutz“ kann deshalb den gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum nicht rechtfertigen. Vielmehr ist eine Gerichtskontrolle für einen „dynamischen Grundrechtsschutz“ um so notwendiger, je weiter sich die Vgl. zu diesem Einwand Michael Kloepfer, Umweltrecht, § 8 Rdn. 40. Eine bloße Teilaufhebung käme hier nicht in Betracht, weil sich die Zulassungsentscheidung nicht eine „Zulassung überhaupt“ und das „Vorhandensein risikoabhängiger Schutzvorkehrungen“ aufspalten lässt. 632 Vgl. BVerfGE 60, 253 (269): Art. 19 IV gebietet Rechtssicherheit auch dort, wo sie über gerichtliche Verfahren herbeigeführt werden soll, binnen angemessener Zeit. 630 631

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Stellungnahmen der ZKBS und die hierauf fußenden Behördenentscheidungen durch Zeitablauf von einem „dynamischen Grundrechtsschutz“ entfernen. bb) Standardisierter, flexibler Grundrechtsschutz durch Verwaltungsvorschriften als Kontrollschranke? Im Gentechnikrecht wird gelegentlich argumentiert, eine volle gerichtliche Kontrolle gefährde eine fortlaufende Standardisierung des Rechts durch Verwaltungsvorschriften. 633 Dieses Argument wird gerne zur Begründung von Beurteilungsspielräumen im Umweltrecht gebraucht und mit dem Begriff normkonkretisierender, Gerichte bindende Verwaltungsvorschriften umhegt. 634 Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften sollen Gerichte binden dürfen, weil sie naturwissenschaftliche Standards enthalten, die unter Beteiligung hochqualifizierten Sachverstands zustande gekommen sind. 635 Sie unterscheiden sich damit von norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften, die für nachgeordnete Behörden nur Interpretationshilfen sind und eine einheitliche Anwendung der Gesetze gewährleisten sollen. 636 Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften soll es, wie gezeigt, auch im Gentechnikrecht geben 637. Die Organismenlisten des § 5 VI GenTSV werden als für Gerichte bindende Verwaltungsvorschriften verstanden, weil sie eine Vielzahl schon vorbewerteter Empfänger- und Spenderorganismen enthalten und bei ihrer Erarbeitung die ZKBS maßgeblich mitwirkt (vgl. § 5 VI GenTSV). 638 Indessen kann das Risiko eines gentechnischen Vorhaben nicht allein mit den Organismenlisten bestimmt werden. Bei gentechnischen Arbeiten im geschlossen System ist dies nicht möglich, weil zu einer Risikoabschätzung vor allem die Bewertung der gentechnisch veränderten Organismen gehört, mit denen gearbeitet wird (§ 4 Nr. 1 c) und e) GenTSV). Solche Bewertungen enthalten die Organismenlisten aber nicht. 639 Außerdem muss über die Beurteilung der einzelnen Organismen hinaus immer die Gesamtarbeit ins Visier genommen werden: wie in Kapitel B. beschrieben640, muss etwa berücksich633 Vgl. VG Karlsruhe, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Nr. 6 zu § 13, S. 2 ff., insbes. S. 3 („Kompetenz zur Normkonkretisierung durch Verwaltungsvorschriften“) und S.4 („Einfallstor für fortlaufende wissenschaftliche Erkenntnisse“). Zum Gedanken der Flexibilisierung siehe auch die Begründung des Regierungsentwurfs zum GenTG, BT-Drs. 11/5622, S. 21 (re, 4. Absatz); Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 111, 104. 634 Grundlegend BVerwGE 72, 300 (315 ff.); und aus neuerer Zeit auch BVerwGE 114, 342 (344 f.); und z. B. Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 19 IV Rdn. 103; zu weiteren Nachweisen s. oben Kapitel C. II. 1 b); kritisch indes Hans-Joachim Koch, ZUR 1993, 103 (106, re); Helmuth Goerlich, ThürVBl. 1993, 1 (4, li). 635 Michael Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2237, li); Wolf-Rüdiger Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdn. 762. 636 Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 24 Rdn. 9. 637 Vgl. Kapitel B. IV. 5. a) aa) (2), Kapitel C. III. 2. b) aa) (3). 638 Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 110 f. 639 Siehe Kapitel B. IV. 5. a) aa) (2). 640 Kapitel B. IV. 5. und V.

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tigt werden, wer mit den Organismen arbeitet, gelerntes Personal oder unerfahrene Studenten. Stets ist also eine einzelfallspezifische Risikobewertung erforderlich (§ 4 GenTSV). 641 Bei Freisetzungen und beim Inverkehrbringen, bei denen die Organismenlisten nicht gelten (vgl. § 1 S. 2 GenTSV) 642, kann ohnehin nur einzelfallspezifisch entschieden werden. Das Gentechnikrecht ist also nur partiell durch Verwaltungsvorschriften standardisiert. Dies spricht dagegen, einen gentechnischen Beurteilungsspielraum mit dem Argument zu rechtfertigen, dass Gerichte durch eine Vollkontrolle die flexible Standardisierung des Gentechnikrechts durch Verwaltungsvorschriften gefährdeten. Hinzu kommt, dass Verwaltungsvorschriften nur Innenrecht sind. Behörden dürfen an Verwaltungsvorschriften gebunden werden, um einen gleichförmigen Gesetzesvollzug zu gewährleisten. 643 Gleiches gilt aber nicht für Gerichte 644, denn ihre Gesetzesbindung aus Art. 20 III GG umfasst nicht auch die Bindung an Verwaltungsvorschriften 645. Art. 19 IV GG verbietet daher, dass Gerichte Verwaltungsvorschriften als bindend beachten müssen. 646 Zwar dürfen Gerichte bei der Subsumtion unbestimmter Rechtsbegriffe die Organismenlisten als sachverständige Grundlage heranziehen. Mehr als eine unverbindliche Hilfsfunktion darf ihnen dabei aber nicht beigemessen werden, und zwar auch dann nicht, wenn der Gesetzgeber sie als „Legaleinstufungen“ bezeichnet 647. Das gilt erst recht für sonstige „standardisierende“ wissenschaftliche Aussagen, die das Gentechnikrecht neben den Organismenlisten kennt, die aber keine allgemeinen Verwaltungsvorschriften sind, so z. B. die Methodensammlung nach § 28 a GenTG, die Verfahren zur Probenahme und Untersuchung von Proben enthält 648, die „Vektorenbeschreibungen“ der ZKBS, (bzw. eine künftige „Vektorenliste“, die alle Einzelbeschreibungen zusammenfasst) 649 sowie die von der ZKBS neu anerkannten biologischen Sicherheitsmaßnahmen, die das BVL (bisher das RKI) jährlich veröffentlicht (§ 6 VI GenTSV) 650. Diese Empfehlungen dienen nur der Wissensbildung von Behörden. Da sie keine Verwaltungsvorschriften sind, binden sie nicht einmal Behörden. 651 Erst recht können sie daher nicht für Gerichte verbindlich sein. 641 Vgl. auch Rainer Wahl, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, §7 GenTG Rdn.22, 43: die Bindungswirkung der Organismenlisten ist deshalb eingeschränkt. 642 Kapitel B. IV. 1. und 5. b) bb) und Kapitel C. III. 2. b) aa) (3) m. w. N. 643 Vgl. BVerwGE 114, 342 (344 f.). 644 Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 210; ders., Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 68. 645 BVerfGE 78, 214 (227); H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rdn. 38. 646 Vgl. Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 285; vgl. auch Hans-Joachim Koch, ZUR 1993, 102 (107, li). 647 Siehe dazu oben II. 3. b) bb). 648 Siehe Kapitel B. IV. 3. a) aa). 649 Siehe Kapitel B. IV. 5. a) aa) (2). 650 Siehe Kapitel B. IV. 5. a) aa) (2). 651 Siehe Kapitel B. IV. 3. a) aa) und 5. a) aa) (2).

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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Darüber hinaus sind Belange wie „Flexibilität“ und „Standardisierung“ keine originären Verfassungswerte, sondern rechtspolitische Interessen, die allenfalls im Verbund mit anderen Verfassungsgütern den Gerichtsschutz beschränken können. Wie gezeigt, streitet aber weder ein „dynamischer Grundrechtsschutz“ noch ein effektiver Vollzug des Gentechnikgesetzes für einen Beurteilungsspielraum.652 Auch deshalb sind „Flexibilitäts- und Standardisierungserwägungen“ nicht geeignet, um die gerichtliche Kontrolle zu beschränken. cc) Kein „Mehrwert“ gerichtlichen Rechtsschutzes? Weiter soll gegen eine umfassende Kontrolle sprechen, dass es eines solchen „Mehrs“ nicht bedürfe, weil bereits vorgelagerter Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren gewährt werde. 653 Durch das stark formalisierte gentechnikrechtliche Verfahren, das Sachverstand und Öffentlichkeit einbindet und die Geltendmachung von Einwänden erlaubt, sei den Rechtsschutzinteressen Einzelner bereits ausreichend genügt. 654 (1) Eigenwert des Gerichtsschutzes Der Argumentation, ein Verfahrensschutz könne einen Gerichtsschutz entbehrlich machen, muss widersprochen werden. 655 Sie geht davon aus, dass Rechtsschutz durch Verfahren und Gerichtsschutz eins sind. Dagegen spricht aber schon die Grundrechtssystematik. Grundlage des Rechtsschutzes durch Verfahren sind die materiellen Grundrechte 656, Grundlage des Gerichtsschutzes ist indes Art. 19 IV GG 657. Gerichtsschutz ist deshalb immer zusätzlich gefordert; und zwar unabhängig davon, ob ein verwaltungsverfahrensrechtlicher Rechtsschutz existiert und wie gut dieser ausgestaltet ist. 658 Zudem zeigt sich der funktionale Eigenwert gerichtlichen Rechtsschutzes darin, dass sich Gerichte im Unterschied zur Verwaltung gezielt auf Siehe II. 3. b) und d) aa). VG Berlin, ZUR 1996, 147 (148, mi, re); siehe auch Siegmar Pohl, Die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, S. 265. 654 Vgl. OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, li, f.); Ivo Appel, ZUR 1999, 41 (43, li, f.); allg. zu Risikoentscheidungen auch Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 284 unter Hinweis auf die Mülheim-Kärlich-Entscheidung (BVerfGE 53, 30 [64 f.]), obschon Di Fabio einräumt, dass diese zu Beurteilungsspielräumen keine Stellung nimmt. 655 VG Berlin, ZUR 1996, 147 (148, mi, re); siehe allgemein auch z.B. Joachim Burmeister, in: Entwicklungstendenzen im Verwaltungsverfahrensrecht und in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 55 (56, 96 f.). 656 Grundlegend BVerfGE 53, 30 (65 ff., 76) – Mülheim-Kärlich; BVerfGE 69, 315 (355) m. w. N.; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rdn. 11; Michael Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, §11 Rdn.31, der die materiellen Grundrechte i.V. mit Art. 19 IV GG nennt. 657 Vgl. Dieter Lorenz, Jura 1983, 393 (396 f.); ders., AöR 105 (1980), 623 (630 f., 647). 658 Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 287; Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 446. 652 653

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

die Beachtung subjektiver Rechte konzentrieren können. 659 Hinzu kommt, dass Gerichte als unabhängige Organe freier entscheiden können als die dem öffentlichen Interesse verpflichtete Verwaltung. 660 Auch ein Verwaltungsverfahren mit vielen Rechtsbehelfen kann den gerichtlichen Rechtsschutz deshalb nicht ersetzen.661 (2) Der gentechnikrechtliche Verfahrensschutz Ob gerade im Gentechnikrecht das Verwaltungsverfahren wirksam Rechtsschutz bieten kann, ist überdies zweifelhaft: Der Einzelne kann zwar, wenn ein Anhörungsverfahren stattfindet, Einwendungen erheben. Doch dient dies nicht nur seinem Rechtsschutz, weil er die Behörde auf Fehler hinweisen kann 662. Vielmehr ist er zur Einlegung von Einwendungen gezwungen. Denn unterlässt er sie, wird er gem. § 18 III 1 GenTG i.V. mit § 5 I 2 GenTAnhV formell und materiell präkludiert. Weder im weiteren Verwaltungsverfahren noch vor Gericht wird er dann noch gehört. 663 Insofern ist auch auf die Rechtsprechung des BVerfG zur materiellen Präklusion hinzuweisen. Das Gericht hält eine materielle Präklusion zwar noch mit Art. 19 IV GG vereinbar 664, doch sieht es damit die Grenze dessen erreicht, was Art. 19 IV GG erlaubt. 665 Jede weitere Verschlechterung des Gerichtsschutzes – z. B. durch Anerkennung eines Beurteilungsspielraums – muss daher vermieden werden. 666 Außerdem ist zu sehen, dass der verfahrensrechtliche Schutz im Gentechnikgesetz immer weiter zurückgedrängt wurde. 667 Ein Anhörungsverfahren mit Erörterungstermin, in welchem gerade Misstrauen gegen die Gentechnik abgebaut werden könnte 668, ist seit der GenTG-Novelle 1993 nur noch für die Sicherheitsstufen 3 und 4 vorgesehen und bei Anlagen der Sicherheitsstufe 2, bei denen ein Genehmigungsver659 Vgl. dazu bereits oben II. 3. b) (1) zum Argument der „Doppelverwaltung durch Gerichte“ m. N. 660 Vgl. dazu bereits oben II. 3. b) (1) zum Argument der „Doppelverwaltung durch Gerichte“ m. N. 661 So auch Matthias Kapteina, Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 176, der besonders auf die Unabhängigkeit von Gerichten abstellt. 662 So aber VG Berlin, ZUR 1996, 147 (148, mi, re). 663 Z. B. OVG Berlin, ZUR 1994, 206 (207, mi, ff.); m. w. N. Sabine Schlacke, ZUR 2001, 393 (394, re, f.); kritisch zu den Anforderungen, die von Gerichten an Einwendungen gestellt werden, Thomas Schomerus, ZUR 1993, 229 (229, li) in seiner Anmerkung zu VG Berlin, ZUR 1993, 227 = NVwZ-RR 1993, 150 (151, li). 664 BVerfGE 61, 82 (116); 88, 118 (124); BVerfG, NVwZ 1983, 28 (re). 665 Vgl. BVerfGE 88, 118 (126 f.) – hier zum Justizgewährleistungsanspruch des Art. 2 I, der jedoch „ebenso wie Art. 19 IV 1 GG“ den Rechtsweg eröffnet (a. a. O., S. 123). 666 In diese Richtung BVerfGE 88, 118 (127 f.) – für eine materielle Präklusion und eine zu hohe Darlegungslast. 667 Vgl. schon die Überschrift „Verfahrensstraffung“ in BT-Drs. 12/5145, S. 10 (re). 668 Vgl. zu den bestehenden Wissens- und Kommunikationsdefiziten auch Heinz Saedler/ Wolfgang Schuchert, in: Biotechnologie als interdisziplinäre Herausforderung, S. 244 (257).

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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fahren nach § 10 BImSchG erforderlich ist (vgl. § 18 I 2 GenTG, § 1 Nr. 2 und Nr. 3 GenTAnhV) 669. Auch gilt das Erfordernis eines Anhörungsverfahrens nur für Anlagen zu gewerblichen Zwecken. 670 Von derzeit 3931 zugelassen Anlagen unterfallen nicht einmal 20 der Anhörungspflicht 671, also weniger als 1 %. Praktisch findet also bei gentechnischen Anlagen keine Öffentlichkeitsbeteiligung statt. Zudem ist zu erwarten, dass das Anhörungsverfahren bei Systemanwendungen ganz abgeschafft wird. Denn §18 I GenTG, der immer noch zwischen Anlagen zu Forschungszwecken und zu gewerblichen Zwecken unterscheidet, ist nicht mehr systemkonform, nachdem diese Unterscheidung durch das 2. GenTG-ÄndG aufgegeben wurde 672. Daher ist zu erwarten, dass § 18 I GenTG demnächst gestrichen wird; selbst die Systemrichtlinie 90/219/EWG stünde dem zumindest nicht entgegen. 673 Zudem entspräche dies der schwachen Bedeutung, die der Gesetzgeber der Öffentlichkeitsbeteiligung bei den übrigen gentechnischen Vorhaben beimisst. So findet beim Inverkehrbringen von jeher keine Öffentlichkeitsbeteiligung statt. 674 Außerdem ist der Anhörungsrechtsschutz bei Freisetzungen stark geschmälert. Insbesondere wurde der Erörterungstermin 1993 abgeschafft (§ 18 III 3 1. HS GenTG, § 11 GenTAnhV) 675, obwohl Freisetzungen in erheblichem Maße Rechte Dritter berühren, so etwa die Berufs- und Eigentumsfreiheit angrenzender Bauern 676. Auch wird das „Minus“ eines fehlenden Erörterungstermins nicht durch ein zusätzliches verwaltungsrechtliches Vorverfahren kompensiert, wodurch der Einzelne seine Einwendungen zumindest beim Bundesministerium für Gesundheit als zuständiger Widerspruchsbehörde vortragen könnte 677. Bedarf für ein verwaltungsgerichtliches Vorverfahren sieht der Gesetzgeber vielmehr nur dort, wo überhaupt kein Anhörungsverfahren stattfindet (§ 16 VII GenTG). 678 Hinzu kommt, dass immer mehr Standorte im sog. vereinfachten VerBT-Drs. 12/5145, S. 2 (5. Spiegelstrich unter B., S. 10, re, c)). Obwohl das Zweite Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes darauf abzielte, Anlagen zu gewerblichen Zwecken und zu Forschungszwecken gleichzustellen (BT-Drs. 14/8230, S. 25, re, Schwerpunkte des Gesetzes, 1. Spiegelstrich unter 1.), ist diese Unterscheidung bestehen geblieben. 671 Zu gewerblichen Zwecken werden nur eine S 3-Anlage betrieben und insgesamt 18 S 2-Arbeiten (Fundstelle: http//www.rki, Stand am 03.02.2003: 13.03.2001). 672 Vor allem die Nummern 5 und 6 des §3 GenTG a.F., die Arbeiten zu Forschungszwecken und zu gewerblichen Zwecken definierten, wurden aufgehoben. Vgl. dazu BT-Drs. 14/8230, S. 25, re, Schwerpunkte des Gesetzes, 1. Spiegelstrich unter 1. und den Bericht der Abgeordneten Carola Reimann, BT-Drs. 14/9089, S. 55 (re). 673 Die RiL sieht eine Öffentlichkeitsbeteiligung nicht zwingend vor, sondern überlässt die Schaffung eines solchen Verfahrens den Mitgliedstaaten (vgl. Art. 13). Nur in den Erwägungsgründen der RiL wird davon gesprochen, dass „eine Anhörung zweckmäßig sein könnte.“ 674 Kritisch dazu Meike Jörgensen/Gerd Winter, ZUR 1996, 293 (298, li). 675 Kritisch dazu Rolf-Dieter Drescher, ZUR 1994, 289 (298). 676 Vgl. hierzu insbesondere Kapitel E. IV. 677 Vgl. dazu, dass § 68 I 2 Nr. 1 VwGO auf das Robert Koch-Institut als selbständige Bundesoberbehörde keine Anwendung findet, Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 201. 678 BT-Drs. 12/5145, S. 15 (li, Zu Buchstabe d); Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/ Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 206. Gleiches gilt für die Entbehrlichkeit eines Wider669 670

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

fahren nachgemeldet werden – obwohl gegen dieses Verfahren Bedenken bestehen 679, weil es nur auf eine Entscheidung der EG-Kommission (Nr. 6 der Entscheidung 94/730/EG) gestützt wird und nicht auf eine Rechtsverordnung, wie dies das Gentechnikgesetz vorsieht (vgl. § 14 IV GenTG). Nichtsdestotrotz ist dieses Verfahren gängige Praxis. 121 bislang erteilten Freisetzungsgenehmigungen stehen 464 nachgemeldete Standorte gegenüber. 680 Bei der Nachmeldung fällt aber nicht nur der Erörterungstermin weg, sondern es findet überhaupt kein Anhörungsverfahren statt (§ 14 IV i.V. mit § 18 II 1 GenTG, § 1 S. 2 GenTAnhV). 681 Das wird von Betreibern gerne dazu genutzt, die Erstanmeldung in einer Region (meist in den neuen Bundesländern) einzureichen, die sie für besonders gentechnikfreundlich halten, und später die Freisetzungsfläche durch einfache Nachmeldung auf anderer Gegenden auszuweiten. Dadurch wird den Betroffenen die Möglichkeit genommen, frühzeitig und damit besonders wirksam Einwendungen geltend zu machen. Vielmehr wird er darauf verwiesen, erst nach Genehmigung der Freisetzung Widerspruch zu erheben (§ 16 VII GenTG). Auch wenn Behörden im Widerspruchsverfahren voll kontrollieren 682, wird hierdurch weniger Rechtsschutz gewährt als wenn schon vorbeugend die Genehmigung gehindert werden kann. Weiter wurde der verfahrensrechtliche Rechtsschutz dadurch reduziert („entbürokratisiert“ und „beschleunigt“), dass die ZKBS seit 1993 in der Sicherheitsstufe 1 gar nicht mehr im Einzelfall beteiligt werden muss 683 und in der Sicherheitsstufe 2 spruchsverfahrens bei gentechnischen Arbeiten im geschlossenen System (§ 10 VIII GenTG). Siehe dazu Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 208. 679 OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (38, f.); Michael Kniesel/Wolfgang Müllensiefen, NJW 1999, 2564 (2567, re, f.); Ivo Appel, ZUR 1999, 41 (42 li, ff.); Meike Jörgensen/Gerd Winter, ZUR 1996, 293 (293, re); Ulrike Voß, NuR 2001, 69 (71, re). 680 www.umweltbundesamt.de, Biologische Sicherheit/Gentechnik, Freisetzungsanträge in Deutschland (Stand: 03.02.2003: letzte Aktualisierung: 21.11.2002). 681 Vgl. auch den Zweiten Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen mit dem Gentechnikgesetz, abgedruckt in Eberbach/Lange/Ronellenfisch, GenTG, S. 39. 682 Widerspruchsbehörde bei Freisetzungen ist das BVL (früher das RKI) selbst (vgl. §73 I 1 Nr. 2 VwGO). § 68 I 2 Nr. 1 VwGO gilt nicht, weil das BVL (ebenso wenig wie früher das RKI) keine oberste Bundesbehörde ist, sondern eine selbständige Bundesoberbehörde (Artikel 1 § 2 I des Gesetzes über die Neuordnung zentraler Einrichtungen des Gesundheitswesens – GNG v. 24.06.1994 (BGBl. I 1994 S. 1416).), vgl. auch Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 201. Im übrigen wird über Widersprüche im Gentechnikrecht ausschließlich von Behörden entschieden, die auch sonst (als Zulassungsbehörden) über gentechnikrechtliche Sachverhalte entscheiden. Für Widersprüche gegen Zulassungsentscheidungen sind die Zulassungsbehörden selbst zuständig, entweder weil die nächsthöhere Behörde ein Landesministerium ist (so in Baden-Württemberg) oder weil Ministerien selbst Zulassungsbehörden sind (so in Mecklenburg-Vorpommern), vgl. § 68 I 2 Nr. 1 VwGO. Sofern die Zuständigkeiten zwischen Zulassungs- und Überwachungsbehörden geteilt sind (siehe Kapitel B. IV. 3. a) bb), entscheiden über Widersprüche gegen Entscheidungen der Überwachungsbehörden die Zulassungsbehörden (z. B. die Bezirksregierung Braunschweig über Entscheidungen der Gewerbeaufsichtsämter). Siehe dazu die einzelnen GenTZuVO abgedruckt in Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Teil E. 683 BT-Drs. 12/5145, S.2 (3. Spiegelstrich unter B.), S.10 (re, a)); Joachim Knoche, BayVBl. 1994, 673 (674, re).

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

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nur noch, wenn die einzustufende Arbeit keiner bereits von der ZKBS eingestuften gentechnischen Arbeit vergleichbar ist (vgl. §§ 10 V 2, 2. HS, 12 IV 1 GenTG 684). 685 Im Jahr 2001 wurden von 541 bei den Landesbehörden gemeldeten Arbeiten nur 23 durch die ZKBS einzeln bewertet, im Jahr 2000 waren es bei insgesamt 670 Arbeiten nur 19 gewesen. 686 Die Landesbehörden entscheiden daher meist allein. Bedenklich erscheint dies vor allem bei Arbeiten der Sicherheitsstufe 2, die risikoreicher sind als die der Stufe 1 und die an die Grenze der Stufe 3 heranreichen können. Die Behörde soll auch hier allein entscheiden dürfen, wenn „ein vergleichbarer Fall“ vorliegt. Was „ein vergleichbarer Fall“ ist, ist aber nicht immer klar. 687 Zur Klärung dieser Frage sollen die Vergleichskriterien des Länderausschusses für Gentechnik helfen, z. B. dass ein Spenderorganismus zu höheren Risikogruppen wechselt. 688 Daneben werden „vergleichbare Fälle“ gentechnischer Arbeiten an einzelnen Vorhaben durch die ZKBS beschrieben und im Bundesgesundheitsblatt veröffentlicht (§ 5 S. 4 GenTG), etwa zum Gentransfer mit Hilfe von Adenovirus Typ 5. 689 Dadurch wird der Begriff der „Vergleichbarkeit“ weiter geschärft. Dennoch bleibt die Behörde bei ihrer Entscheidung letztlich allein: Die Vergleichskriterien des Länderausschusses für Gentechnik (LAG) sind zu allgemein gefasst, um eindeutige Entscheidungshilfen zu geben. Und die vergleichbaren Fälle der ZKBS entbinden die Behörde nicht von der schwierigen Beurteilung, ob ihr Fall tatsächlich mit einer von der ZKBS bewerteten Arbeit vergleichbar ist. 690 Grenzfälle, die an sich von der ZKBS begutachtet werden müssen, können so an dieser vorbeigehen, wodurch das Risiko einer falschen Sicherheitseinstufung vergrößert wird. Der verfahrensrechtliche Rechtsschutz des Gentechnikgesetzes wurde außerdem durch das 2. GenTG-ÄndG geändert. Das Sicherheitskonzept gentechnischer Anlagen wurde noch stärker auf eine bloße Anmeldepflicht verlagert, als dies bereits das 684 Zur alten Regelung der §§ 11 VI 2 2. HS, 12 VIII 4 2. HS vgl. BT-Drs. 12/5145, S. 2 (3. Spiegelstrich unter B.), S. 10 (re, b)), S. 13 (re). 685 Zur drittschützenden Funktion der ZKBS siehe Wolfgang Graf Vitzthum, ZG 7 (1992), 243 (255). 686 Tätigkeitsbericht der ZKBS 2001, Bundesgesundheitsblatt 2002, 643 (645, re, f. und 649, Tabelle 5). 687 Vgl. dazu auch den Tätigkeitsbericht der ZKBS 2000, Bundesgesundheitsblatt. 2001, S. 929 (932, li): „Fünf der eingereichten Arbeiten wurden an die Landesbehörden zurückgegeben, da sie mit bereits von der ZKBS eingestuften gentechnischen Arbeiten vergleichbar waren.“ und Rolf-Dieter Drescher, ZUR 1994, 289 (294, li), der von einem „erheblichen Rechtsunsicherheitsfaktor“ spricht. 688 Abgedruckt in Udo Matzke, Gentechnikrecht, 4.10, S. 593 ff. (594, 2. a) 2.). 689 Abgedruckt in Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, G. ZKBS-Empfehlungen, Nr. 48. Wenn z. B. die gesamte genomische Information von Ad 5 in einen Empfängerorganismus der Risikogruppe 1 eingeführt wird, ist der gentechnisch veränderte Organismus der Risikogruppe 2 zuzuordnen. Gentechnische Arbeiten mit gentechnisch veränderten Organismen, die die genannten Kriterien erfüllen, sind vergleichbar und der Sicherheitsstufe 2 zuzuordnen (a. a. O., S. 5, 3., 3.2). 690 Vgl. zum diesem „Beurteilungsspielraum der Behörde“ auch BT-Drs. 12/5145, S. 13 (re, 10. Zu § 11).

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

Erste Änderungsgesetz 1993 getan hatte. 691 Eine wesentliche Wirkung ist, dass nun auch bei der Erstanmeldung einer gentechnischen Arbeit der Sicherheitsstufe 2 nach Ablauf von 45 Tagen angefangen werden darf, ohne dass die Behörde die Risiken vorher bewertet haben muss (vgl. § 12 V 1, § 12 V 2 GenTG). Früher musste hingegen die Freigabe durch die Behörde abgewartet werden, weil erstmalige Arbeiten der Sicherheitsstufe 2 genehmigungspflichtig waren (vgl. § 8 I und § 8 II GenTG a. F.). Auch wurde die Frist, nach der die Zustimmungsfiktion eintritt, bei S 1 Anlagen und Arbeiten von drei Monaten 692 auf 30 Tage drastisch reduziert (§ 12 V 1 GenTG). Behörden müssen nun rascher arbeiten, wollen sie den Eintritt der Zustimmungsfiktion verhindern und einen „ungeprüften“ Betrieb eines gegebenenfalls rechtswidrigen Vorhabens unterbinden. Ob ihnen dies in den knappen Fristen stets gelingt, ist zu bezweifeln. Denn von der Verfahrensbeschleunigung sind fast alle pro Jahr durchzuführenden Verfahren betroffen. 693 Erschwerend kommt hinzu, dass das Prüfprogramm im Anmeldeverfahren erweitert wurde. So müssen Behörden nunmehr auch prüfen, ob dem Betrieb sonstige öffentliche Vorschriften entgegenstehen, die zu einer Untersagung zwingen. Denn § 12 VII GenTG als Ermächtigungsgrundlage, der eine Untersagung trotz seines Wortlauts „kann“ verlangt, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen nicht (mehr) gegeben sind 694, verweist nun auch auf Absatz 1 Nr. 6 der Genehmigungsvoraussetzungen des § 11 GenTG 695. Ob mit „anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften“ auch diejenigen gemeint sind, die zugleich in einem entsprechenden Spezialverfahren (z. B. in einem Baugenehmigungsverfahren) von den zuständigen Behörden geprüft werden, scheint fraglich. Denn die Konzentrationswirkung des § 22 I GenTG gilt für (bloße) Anmeldeverfahren nicht, so dass es z. B. bei der Zuständigkeit der Baubehörde für baurechtliche Fragen verbleibt. Um diese Zuständigkeitsaufteilung nicht zu unterlaufen, dürfte die weite Formulierung „andere öffentlich-rechtliche Vorschriften“ auf solche Vorschriften zu reduzieren sein, die keinem Spezialverfahren unterliegen, wie etwa polizei-, verkehrsrechtliche und gegebenenfalls naturschutzrechtliche. Hierfür spricht zudem, dass § 12 II 1 GenTG nicht auf § 10 II 1 GenTG verweist und ein Betreiber damit bei der Anmeldung nicht die Unterlagen einreichen muss, die für andere behördliche Entscheidungen erforderlich sind. 696 Aber auch wenn andere öffentlich-rechtliche Vor691 Die Genehmigungspflicht gentechnischer Arbeiten der Sicherheitsstufe 1 wurde damals aufgehoben, BT-Drs. 12/5145, S. 12 (Nr. 7 Zu § 8). 692 § 12 VII 3 GenTG a. F. 693 Das Regierungspräsidium Tübingen hatte 2000 190 Verfahren durchzuführen; davon betrafen 185 die von der Verfahrensbeschleunigung erfassten Sicherheitsstufen 1 und 2. 2001 zeigt sich ein ähnliches Bild: von 211 Verfahren waren 206 S 1 und S 2-Arbeiten und Anlagen (Auskunft Regierungspräsidium Tübingen, 03.09.2002). In Berlin sind von 403 gentechnischen Anlagen 399 den Sicherheitsstufen 1 und 2 zuzuordnen (Auskunft Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit, 13.09.2002). 694 Siehe Kapitel B. IV. 5. a) bb). 695 § 12 XI 1 GenTG verwies dagegen nur auf die Nrn. 1–5 der Genehmigungsvoraussetzungen. 696 Ferner spricht § 10 V 3 GenTG dafür, dass im Anmeldeverfahren nicht die öffentlichrechtlichen Vorschriften geprüft werden müssen, auf die sich bei Genehmigungen die Konzen-

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schriften, die in einem Spezialverfahren geprüft werden, nicht von den Gentechnikbehörden zu kontrollieren sind, hat die Neuregelung ihren Prüfumfang erhöht. Im Verbund mit den verkürzten Fristen wird dies erst Recht dazu führen, dass oft die Zustimmungsfiktion des § 12 V 2 GenTG eintreten wird und ein Betreiber den Betrieb seines Vorhabens „ungeprüft“ aufnimmt. Zu einer solch „ungeprüften“ Betriebsaufnahme wird es außerdem bei weiteren gentechnischen Arbeiten der Sicherheitsstufe 1 kommen, die zu gewerblichen Zwecken durchgeführt werden. Denn bei ihnen darf nun ohne jegliche Anmeldung oder Anzeige angefangen werden (vgl. § 9 I GenTG), während dies bislang nur bei Arbeiten zu Forschungszwecken der Fall war (arg. e § 9 I GenTG a. F.). Der bisher präventive Verfahrensschutz, der besonders durch die Genehmigungspflicht ein größtmögliches Maß an Sicherheit bot697, wurde somit hin zu einem überwiegend repressiven Untersagungs- und Überwachungsschutz verschoben 698. Ob dadurch dasselbe Sicherheitsniveau garantiert werden kann, scheint fraglich. Zumindest ohne weiteres Personal dürfte nicht gleich gut präventiv geprüft und repressiv überwacht werden können. Selbst Landesbehörden, die wie das Regierungspräsidium Tübingen ohne große Reibungsverluste arbeiten, weil sie Wissenschaftler unterschiedlicher Fachgebiete auf dem Gebiet der Gentechnologie zentral vor Ort haben 699, dürfte es schwer fallen, die Zulassungsverfahren ebenso gründlich, aber schneller durchzuführen, wenn ihre Mitarbeiter außerdem im ganzen Land die nur aufzeichnungspflichtigen weiteren S 1 Arbeiten überwachen sollen. Erst Recht dürfte dies in Ländern schwierig sein, in denen nur ein einziger Amtswalter das Gentechnikgesetz vollzieht. 700 Schließlich werden kompliziertere Fälle kaum rascher, aber ebenso gründlich bearbeitet werden können, wenn sich in einem Land die gentechnikrechtlichen Zuständigkeiten auf viele Behörden verteilen, die nicht selbst über entsprechend breit ausgewiesene Fachkräfte verfügen. 701 trationswirkung des § 22 I GenTG erstreckt. Denn bei einem solch erhöhten Prüfaufwand sieht § 10 V 3 GenTG eine Fristverlängerung vor (hier für den Fall, dass ein Betreiber einer S 2-Anlage gem. § 8 II 2 GenTG die Genehmigung gewählt hat). 697 Vgl. BT-Drs. 11/6778, S. 39 (li, zu Artikel 1 § 8, 1. Spiegelstrich) – zur Anlagengenehmigung; zur größeren Wirksamkeit präventiver Kontrollinstrumente im Vergleich zu einer Anzeigepflicht s. auch Matthias Kapteina, Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 134. 698 Positiver indes die Einschätzung der Bundesregierung in der Begründung des Entwurfs zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes, BT-Drs. 14/5929, S. 2 (3. Absatz): das Grundprinzip der präventiven Kontrolle werde nicht aufgegeben. 699 Siehe Kapitel B. IV. 3. a) bb). 700 Etwa befasste sich in Sachsen 2001 nur eine Mitarbeiterin mit dem Vollzug des Gentechnikgesetzes. Sie hatte 42 Anträge zu bearbeiten. (Auskunft Sächsisches Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft, 19.09.2002). Auch in Bremen ist nur ½ Mitarbeiter mit dem Vollzug des Gentechnikrechts befasst, doch erwartet man dort keine Schwierigkeiten, weil die Verfahrenszahlen im einstelligen Bereich liegen (Auskunft Senator für Arbeit, Frauen, Jugend und Soziales, 17.09.2002). 701 Siehe Kapitel B. IV. 3. a) bb).

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D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

Der Verfahrensschutz Dritter im Gentechnikrecht ist also nicht optimal. Das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß eines Grundrechtsschutzes durch Verfahren scheint damit zwar noch nicht unterschritten. 702 Doch braucht dies hier letztlich nicht entschieden zu werden. Denn jedenfalls kann bei einem solch reduzierten Verfahrensschutz nicht überzeugend behauptet werden, auf einen vollen Gerichtsschutz dürfe wegen einer kompensierenden Wirkung des Verfahrensschutzes verzichtet werden. (3) Die Relevanz von Verfahrensfehlern für den Erfolg einer Klage Die These, ein starker Verfahrensschutz dürfe eine volle inhaltliche Kontrolle ersetzen, offenbart einen weiteren Widerspruch, wenn man die Rechtsprechung zur Relevanz von Verfahrensfehlern berücksichtigt. 703 Einerseits soll die starke Ausgestaltung des gentechnikrechtlichen Verfahrens eine geringere inhaltliche Kontrolle rechtfertigen. Andererseits führen sogar Verstöße gegen drittschützende Verfahrensvorschriften nicht zum Erfolg einer Klage, weil ein auf Verfahrensfehler gestütztes Rechtsschutzbegehren nur Erfolg haben soll, wenn sich die Nichtbeachtung der Verfahrensvorschrift auf materiellrechtliche Rechtspositionen auswirkt704. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist die Entscheidung des OVG Berlin zur Nachmeldung weiterer Standorte im vereinfachten Verfahren. Das Gericht erklärte dieses Verfahren für rechtswidrig, weil in Deutschland eine gem. § 18 II 1 i.V. mit § 14 IV GenTG erforderliche Regelung durch Rechtsverordnung fehle. 705 So werde dem Einzelnen ohne ausreichende gesetzliche Grundlage die Möglichkeit genommen, im Rahmen einer Öffentlichkeitsbeteiligung Einwendungen zu erheben. Daher bejahte das OVG einen Verstoß gegen eine drittschützende Verfahrensvorschrift. 706 Doch folgerte es hieraus nicht die Rechtswidrigkeit der Freisetzungsgenehmigung. Vielmehr sei die Entscheidung rechtmäßig, weil nicht erkennbar sei, dass sich die unterlassene Öffentlichkeitsbeteiligung auf die Genehmigungsentscheidung ausgewirkt habe. Dies begründete das Gericht damit, dass die Prüfung einer Freisetzung nicht auch standortabhängige Aspekte umfasse. 707 Eine solche Auslegung der Ge702 Allgemein für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit Matthias Herdegen, in: Eberbach/ Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Einl. Rdn. 43; speziell zur Präklusion Michael Kniesel/Wolfgang Müllensiefen, NJW 1999, 2564 (2569, li); speziell zum Ausschluss einer Öffentlichkeitsbeteiligung bei Forschungsvorhaben Nicola Krekeler, Die Genehmigung gentechnischer Anlagen und Arbeiten nach dem GenTG, S. 60, 120; speziell für den Wegfall des Erörterungstermins und das Widerspruchsverfahren bei Freisetzungen: Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/ Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 206. 703 Ähnlich Ivo Appel, ZUR 1999, 41 (43, li), der von „Unstimmigkeiten“ spricht, der im Ergebnis aber trotzdem einen Beurteilungsspielraum befürwortet. 704 BVerwGE 61, 256 (275); OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (39, re, f). 705 OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (38, re, f.); vgl. ferner VG Berlin, NVwZ-RR 1994, 150 (151, re) – zum fehlenden Einfluss eines Verstoßes gegen Befangenheitsvorschriften auf das Entscheidungsergebnis. 706 OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (39, re, f.). 707 OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, li).

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

273

nehmigungsanforderungen überzeugt aber nicht, denn der Standort einer Freisetzung ist entscheidend, um festzustellen, ob Gesundheits- und Eigentumsbeeinträchtigungen von Angrenzern zu erwarten sind und damit „schädliche Einwirkungen“ i. S. von § 16 I Nr. 3 GenTG vorliegen. 708 Das OVG verkannte damit, dass die Genehmigung hätte anders ausfallen können, wenn der Antragsteller vor der Genehmigung gehört worden wäre und eine mögliche Verletzung seiner Rechte (Art. 12 I, 14 GG) durch einen Pollenaustrag hätte geltend machen dürfen. Durch die enge Auslegung der Prüfungsanforderungen des § 16 I Nr. 3 GenTG nahm es dem Kläger folglich die Möglichkeit zu erfolgversprechenden Einwendungen gegen die Freisetzung. Damit entwertete es die Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung. Zugleich mißachtete es § 46 VwVfG, der einen Verfahrensfehler nur für unbeachtlich erklärt, wenn er sich offensichtlich nicht auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt hat. Hierauf ging das OVG nicht einmal ein. Die reduzierte Inhaltskontrolle durch einen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum wurde daher nicht durch ein Mehr an Verfahrenskontrolle ausgeglichen, sondern auch der Rechtsschutz durch Verfahren wurde geschwächt. Das widerspricht dem Ansatz, die Rücknahme der materiellen Kontrolldichte durch eine stärkere Kontrolle des Verwaltungsverfahrens zu kompensieren. Solchermaßen erhält der Einzelne sein Recht weder durch eine starke Inhaltskontrolle, noch durch eine wirksame Verfahrenskontrolle. Mit Art. 19 IV GG ist das erst Recht nicht vereinbar. 709 e) Rechtsunsicherheit durch volle gerichtliche Kontrolle? Möglicherweise gebietet aber die Rechtssicherheit, dass Gerichte eine volle Kontrolle der Risikobewertung unterlassen. Wenn Gerichte Risiken eigenständig und umfassend bewerten, wächst die „Gefahr“ abweichender Ergebnisse. Dies war im Atomrecht vor Anerkennung eines Beurteilungsspielraums der Fall, weil Gerichte unterschiedliche Schwerpunkte bei der Risikobeurteilung setzten. So lehnte das VG Würzburg die Erforderlichkeit eines Berstschutzes im Fall Kernkraftwerk Grafenrheinfeld ab, weil die Wahrscheinlichkeit eines Berstens kleiner als 10 –6/10 –7 je Betriebsjahr war. 710 Demgegenüber gewichtete das VG Freiburg in einem ähnlichen Fall die irreversiblen Folgen für die Anwohner stärker und verlangte trotz der geringen Wahrscheinlichkeit einen Berstschutz. 711 Zu solchen abweichenden Beurteilungen könnte es auch im Gentechnikrecht kommen, besonders bei nichtanlagenbezogenen Freisetzungen und beim Inverkehrbringen, wo die Wirkungszusammenhänge noch weniger überschaubar sind. Außerdem könnte eine eigenständige Risikoabschätzung von Gerichten die „Gefahr“ bergen, dass Richter ihre persönliche Einstellung zur Gentechnik zu stark einfließen lassen. Darunter könnte die Voraussehbar708 709 710 711

Gegen die Ansicht des OVG siehe auch Ivo Appel, ZUR 1999, 41 (43, li). Ähnlich Guy Beaucamp, NuR 2002, 332 (334, li). VG Würzburg, NJW 1977, 1649 (1651, re, 1652, re). VG Freiburg, NJW 1977, 1645 (1647, re, f.).

18 Schmieder

274

D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

keit des Kontrollergebnisses leiden. Zudem könnte die Hinzuziehung externer Sachverständiger durch das Gericht die einheitlichen Bewertungsmaßstäbe der ZKBS verzerren, die Behörden ihren Entscheidungen zu Grunde legen. 712 Im Interesse einer voraussehbaren Rechtspflege könnte deshalb eine Beschränkung von Gerichten auf eine Verfahrens- und Vertretbarkeitskontrolle erlaubt sein. Denn Rechtssicherheit ist eine Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und damit ein Verfassungsgut, das dem Art. 19 IV GG Schranken setzen darf. 713 Gegen die Argumentation „Rechtssicherheit contra vollem Gerichtsschutz“ sprechen aber verschiedene Gründe: Dass Gerichte in gleichgelagerten Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ist kein typisch gentechnikrechtliches Phänomen. Abweichende Urteile sind jedem Rechtsgebiet immanent, vor allem solchen, die unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten. Doch ist die Rechtsunsicherheit, die damit einhergeht, kein rechtstechnisches Unglück, das zur Annahme eines Beurteilungsspielraums zwingt. Vielmehr gehört diese Rechtsunsicherheit zu unserem Gerichtssystem714, das gerade kein case-law-System ist, welches Gerichte an Präzedenzfälle anderer Gerichte bindet. Vielmehr basiert unser Gerichtssystem auf der einzelfallabhängigen Streitentscheidung durch von einander unabhängige Gerichte. 715 Dieses System vertraut darauf, dass unbestimmte Rechtsbegriffe im Laufe der Zeit durch eine ständige Rechtsprechung präzisiert werden. 716 Ein rechtsstaatlich unerträgliches Auseinanderklaffen einzelner Gerichtsurteile wird dabei durch die Rechtsbindung aus Art. 20 III GG vermieden, insbesondere durch die Bindung an das Willkürverbot 717. Daneben helfen höchstrichterliche Entscheidungen, Auslegungsfragen zu klären und wirken so auf eine Vereinheitlichung der unterinstanzlichen Rechtsprechung hin. Auch das schafft Rechtssicherheit. 718 Außerdem ist der Gedanke, das Gentechnikgesetz verlange einheitliche Entscheidungen, schon durch das Gentechnikgesetz selbst durchbrochen. Bereits der Vollzug des Gentechnikgesetzes durch die Länder bringt zwangsläufig ein gewisses Maß an Uneinheitlichkeit mit sich. 719 Die Empfehlungen des LAG (Länderausschuss für Gentechnik) tragen zwar dazu bei, den Vollzug des Gentechnikgesetzes Udo Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 280. BVerfGE 60, 253 (267); Horst Bauer, Gerichtsschutz als Verfassungsgarantie, S. 44. 714 BVerfGE 87, 273 (279): die Rechtspflege ist „konstitutionell uneinheitlich“. 715 Vgl. Roman Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 97 Rdn. 34 – eine Bindung kommt nur ausnahmsweise in Betracht (z. B. durch §§ 17 II GVG, 31 II BVerfGG oder ein bestandskräftiges Urteil); Bodo Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 97 Rdn. 5 und H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 3 Rdn. 10. 716 Vgl. Martin Ibler, Rechtspfegender Rechtsschutz, S. 28 f., 36. 717 BVerfGE 87, 273 (278 f.) – dagegen verletzt ein Gericht nicht Art. 3 I GG, wenn es von der Auslegung derselben Norm durch ein anderes Gericht abweicht. 718 Martin Ibler, Rechtspfegender Rechtsschutz, S. 70. 719 Zur uneinheitlichen Entscheidungspraxis der Länder bei der Überwachung des Gentechnikgesetzes siehe Gerhard Roller/Ralf Jüllich, ZUR 1996, 74 (74, li). 712 713

II. Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums?

275

zu harmonisieren, doch können Behörden von ihnen jederzeit abweichen. 720 Die Methodensammlung, die das BLV künftig entwickelt (vgl. § 28 a GenTG), wird ebenfalls helfen, den Vollzug zu vereinheitlichen und Rechtssicherheit zu erhalten. 721 Da die Behörden der Länder aber nicht an sie gebunden sind, wird auch sie keinen bundeseinheitlichen Vollzug sicherstellen können. 722 Hinzu kommt, dass in manchen Ländern mehrere Behörden entscheiden. Z. B. sind in Niedersachsen die Bezirksregierungen Braunschweig und Hannover für die Zulassung gentechnischer Anlagen und Arbeiten zuständig und zehn Gewerbeaufsichtsämter für die Überwachung. 723 Auch lässt der Gesetzgeber zu, dass Behörden vom Votum der ZKBS abweichen (vgl. §§ 10 VII 4, 12 IV 4, 16 V 2 GenTG). 724 Der Gesetzgeber hat also keine zentrale Behörde für gentechnikrechtlichen Fragen geschaffen, die für einen bundeseinheitlich gleichförmigen Gesetzesvollzug sorgt. 725 Auch sind Zulassung und Überwachung gentechnischer Anlagen und Arbeiten landesintern oft unterschiedlichen Behörden zugewiesen, so z. B. in NordrheinWestfalen und in Niedersachsen. 726 Darüber hinaus erlauben sowohl die §§ 19, 20 GenTG als auch § 26 GenTG, nachträglich gegen gentechnische Vorhaben einzuschreiten, um die erforderliche Sicherheit zu gewährleisten. 727 Dabei berechtigen die §§ 19, 20 GenTG die Zulassungsbehörde zum Handeln, § 26 GenTG ermächtigt die zuständige Aufsichtsbehörde. 728 Gerade beim Inverkehrbringen und bei Freisetzungen klaffen Zulassung und Aufsicht folglich auseinander. Über die Zulassung entscheidet das BLV (früher das Robert Koch-Institut), während die Aufsicht in die Zuständigkeit der Überwachungsbehörden der einzelnen Länder fällt. 729 Diese Kompetenzverteilung mag einer optimalen Bekämpfung von Sicherheitsdefiziten dienen, nicht aber werden Einheitlichkeit und Voraussehbarkeit gefördert, wenn mehrere Behörden gegen ein gentechnisches Vorhaben einschreiten können. Kapitel B. IV. 3. a) aa). Siehe Kapitel B. IV. 3. a) aa). 722 Siehe Kapitel B. IV. 3. a) aa). 723 Weitere Beispiele für eine geteilte Zuständigkeit sind Bayern, Berlin und NordrheinWestfalen. Siehe dazu den Überblick bei Udo Matzke, Gentechnikrecht, 5.1, S. 617 ff. 724 VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (227, re); kritisch der Tätigkeitsbericht der ZKBS 1993 (www.rki.de): Abweichungen durch eine einzelne Landesbehörde seien unakzeptabel, weil sie aus Sicht der ZKBS zu Rechtsunsicherheit führen. 725 Vgl. VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (228, li); für eine zentrale Bewertung durch die ZKBS plädierten indes Jürgen Hahn und Werner Goebel als Vertreter der Deutschen Forschungsgemeinschaft bei der Sachverständigenanhörung durch den Unterausschuss für Gentechnik im Gesetzgebungsverfahren zum GenTG, BT-Drs. 11/6778, S. 28 (re, 3. Absatz). 726 Udo Matzke, Gentechnikrecht, 5.1, S. 619 f. 727 Siehe Kapitel B. IV. 5. d). 728 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 19 Rdn. 1, § 20 Rdn. 7, § 26 Rdn. 2. Vgl. auch Kapitel B. IV. 5. d). 729 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 25 Rdn. 3; Gerhard Roller/Ralf Jüllich, ZUR 1996, 74 ff. und ausführlich zur erforderlichen genauen Abgrenzung der Kompetenzen, gerade auch aus Gründen der Rechtssicherheit, Ezra Zivier, Rechtsprobleme des Gentechnikrechts, S.39 ff., insbes. S. 50 ff., 59 ff. 720 721

18*

276

D. Vereinbarkeit mit Art. 19 IV GG?

Zudem muss nicht befürchtet werden, dass Bewertungsmaßstäbe verzerrt werden, wenn externe Sachverständige eingeschaltet werden. Denn auch für sie gilt als Maßstab das Gentechnikgesetz. Wie Behörden und die ZKBS müssen sie den Stand der Wissenschaft (und Technik) ermitteln und die Risiken eines Vorhabens bewerten. Auch ziehen externe Sachverständige identische Hilfsmittel heran, wie z. B. die Organismenlisten, Vergleichskriterien, die von der ZKBS erarbeitet worden sind, und neueste (internationale) wissenschaftliche Äußerungen730 aus Fachzeitschriften sowie aus dem Internet. Ebenso wenig rechtfertigt die besondere Stellung der ZKBS, die sich regelmäßig in den Behördenentscheidungen niederschlägt 731, den Schluss, dass Gerichte auf die Hinzuziehung weiteren Sachverstandes verzichten müssten. Denn das Gentechnikgesetz enthält keine abschließenden Regelungen über die Sachverhaltsermittlung. Für die Sachverhaltsermittlung von Behörden hat das VG Freiburg daher festgestellt, dass diese nach allgemeinen Regeln befugt sind, andere Stellungnahmen als die der ZKBS einzuholen. Wie gewöhnlich gelte der Amtsermittlungsgrundsatz (vgl. §§ 24, 26 LVwVfG BW.). 732 Wenn aber schon Behörden nicht auf die Stellungnahmen der ZKBS beschränkt sind, kann dies erst Recht nicht für Gerichte gelten. Dafür spricht auch, dass die §§ 10 VII 3, 4; 12 IV 3, 4; 16 V 2 GenTG, die Behörden zur Berücksichtigung der ZKBS-Stellungnahmen zwingen, ausschließlich an Behörden adressiert sind und nicht an Gerichte. Für Gerichte bleibt es also beim Amtsermittlungsgrundsatz des § 86 I VwGO. Dieser verpflichtet gerade im Risikoverwaltungsrecht, selbständig zu ermitteln, um sich die Kenntnisse zu verschaffen, die zur Gewährung eines wirksamen Rechtsschutzes im Sinne von Art. 19 IV GG erforderlich sind. Das mag dazu führen, dass Gerichte von den Voten der ZKBS und/oder der Behörde abweichen. Doch ist dies mit dem Gebot der Rechtssicherheit vereinbar: denn im Zweifel genießt ein wirksamer Gerichtsschutz Vorrang vor einer einheitlichen Entscheidungspraxis – sowohl vor derjenigen der zuständigen Behörde wie vor derjenigen der ZKBS.

III. Ergebnis: Verstoß eines Beurteilungsspielraums gegen Art. 19 IV GG Keines der für einen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum vorgetragenen Argumente kann also einen solchen Spielraum rechtfertigen. Daher verletzen Gerichte Art. 19 IV GG von Laborarbeitern, Dritten und Betreibern (Wissenschaftlern VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (220, li). Siehe Kapitel B. IV. 3. b) bb). 732 VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (217, re); zustimmend Harald Ginzky, ZUR 1996, 220 (221, re). 730 731

III. Ergebnis

277

und/oder Unternehmern), wenn sie die Risikobewertung als wichtigsten Teil gentechnikrechtlicher Behördenentscheidungen durch Annahme eines Beurteilungsspielraums bei der gerichtlichen Kontrolle aussparen. Die derzeitige Gerichtspraxis, die Behörden bei gentechnikrechtlichen Risikoentscheidungen einen Kontrollfreiraum gewährt und Gerichte insoweit an die Sicht der Verwaltung bindet, muss sich also ändern. Kraft Art. 19 IV GG muss hier voll kontrolliert werden. Gerichte müssen künftig eine eigene Risikobewertung vornehmen. Das heißt, sie müssen die Risiken eines Vorhabens eigenständig einschätzen, und sie müssen prüfen, ob die Einschätzung der Behörde mit der des Gerichts übereinstimmt. Dazu müssen sie den Sachverhalt umfassend ermitteln, und sie müssen die Risikobewertung der Behörde anhand der einschlägigen Normen des Gentechnikgesetzes und der GenTSV nachvollziehen. Auf diese Weise müssen sie feststellen, ob die Behörde die Grenzziehung zwischen den Restrisiken, die durch Schutzmaßnahmen abzuwehren sind, und den hinnehmbaren Restrisiken unter Abwägung des Schutz- und Förderzwecks des Gentechnikgesetzes in verfassungskonformer Weise vorgenommen hat. 733 Dabei dürfen Gerichte den Vortrag des Klägers nicht einfach als unsubstantiiert abtun, weil sie der Behördeneinschätzung und der Stellungnahme der ZKBS tendenziell mehr Glauben schenken. Vielmehr müssen sie Behördenerwägungen und die Stellungnahme der ZKBS genauso kritisch behandeln wie den Klägervortrag. Bleiben Zweifel, welche Risikoeinschätzung zutrifft, müssen Gerichte selbst Gutachter bestellen. Da die Bestimmung des zulässigen Restrisikos stets Prognosen verlangt, haben sich Gerichte bei der Kontrolle der Risikobewertung an der Überprüfung der Gefahrenprognose im Polizeirecht zu orientieren. 734 Sie müssen das Vorgehen der Behörde also nach dem Grundsatz bewerten, dass um so geringere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadens zu stellen sind, je größer die schädlichen Wirkungen eines gentechnischen Vorhabens sein können.

733 734

Vgl. VG Freiburg, ZUR 2000, 216 (218, re). Vgl. VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (227, li, f.).

E. Vereinbarkeit eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums mit den materiellen Grundrechten? Außer gegen Art. 19 IV GG könnte die Annahme eines Beurteilungsspielraums gegen materielle Grundrechte verstoßen, sowohl von Drittbetroffenen wie von Betreibern. Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum könnte unvereinbar sein mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, dem Grundrecht auf Leben (Art. 2 II 1 GG), der Berufsfreiheit (Art. 12 I GG), der Eigentumsfreiheit (Art. 14 I GG) und der Forschungsfreiheit (Art. 5 III 1 2. Var. GG). Dies wäre der Fall, wenn Gerichte durch die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums in den Schutzbereich dieser Grundrechte eingriffen und dieser Eingriff nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt wäre.

I. Eingriff durch Gerichte in die materiellen Grundrechte durch Annahme eines Beurteilungsspielraums Wenn Gerichte bei einer Drittklage nicht voll prüfen und deshalb eine Klage abweisen, könnte das subjektive öffentliche Recht Dritter verletzt sein, umfassend vor den schädlichen Einwirkungen gentechnischer Vorhaben geschützt zu sein. Dieses Recht ergibt sich einfach-gesetzlich aus § 1 Nr. 1 GenTG i.V. mit den jeweiligen Zulassungsvoraussetzungen für gentechnische Vorhaben. Danach müssen Behörden bei jeder Risikoentscheidung über ein gentechnisches Vorhaben prüfen, ob schädliche Einwirkungen nach dem Stand der Wissenschaft bzw. nach dem Stand der Wissenschaft und Technik ausgeschlossen sind. 1 Zugleich könnten Grundrechte verletzt sein, wenn gegen schädliche Einwirkungen gentechnischer Vorhaben nur ein unzureichender Rechtsschutz gewährt wird. Art. 2 II 1 GG könnte in ungerechtfertigter Weise beeinträchtigt sein, wenn Gesundheitsschäden drohen und Gerichte trotzdem eine volle Kontrolle versagen. Die in Art. 12 und 14 GG geschützte Berufs- und Eigentumsfreiheit von Biobauern könnte ebenfalls geschmälert sein, wenn Gerichte einen Beurteilungsspielraum der Behörde annehmen, obwohl Einkreuzungen absehbar sind. Gerichte könnten außerdem in die Forschungs-, Berufs- und/oder Eigentumsfreiheit (Art. 5 III 1 2. Var., 12 I, 14 I GG) eines Betreibers eingreifen, wenn sie die Rechtmäßigkeit einer Untersagungsverfügung oder die Versagung einer Genehmigung nur überschlägig prüfen. 1

Vgl. Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 1 Rdn. 13.

I. Eingriff durch Gerichte

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Allgemein könnte also gesagt werden, dass Gerichte gegen diese materiellen Grundrechte verstoßen, wenn sie gentechnikrechtliche Behördenentscheidungen nicht umfassend kontrollieren. Denn sie achten dann das betreffende Grundrecht nicht so, wie sie das von Verfassungs wegen müssen. Vielmehr setzen sie den Eingriff durch die Behördenentscheidung fort und verfestigen deren mögliche Rechtsverletzung. 1. Rechtsschutzgehalte der materiellen Grundrechte Eine Verletzung materieller Grundrechte durch den gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum setzte allerdings voraus, dass die gerichtliche Kontrolle auch zum Gewährleistungsbereich der als verletzt behaupteten Grundrechte gehörte. Indes ist die gerichtliche Kontrolle grundsätzlich nicht dem Schutzbereich eines jeden Grundrechts als zusätzliche Schutzfunktion zur Seite gestellt. Vielmehr ist die Gerichtskontrolle speziell in Art. 19 IV GG geregelt. Dies könnte gegen eine Verletzung der materiellen Grundrechte durch einen unzureichenden Gerichtsschutz sprechen. Wenn der Gesetzgeber aber wegen Art. 19 IV GG keinen Beurteilungsspielraum der Verwaltung anordnen darf, der (Grund-)Rechte verkürzt, kann er einen solchen auch nicht festsetzen, ohne gegen das jeweilige materielle Grundrecht zu verstoßen („Einheit der Grundrechtsordnung“). Insofern besteht zwischen Art. 19 IV GG und den materiellen Grundrechten ein Zusammenhang. Darüber hinaus können Gerichte durch eine geringe Kontrolle die materiellen Grundrechte schmälern, weil die Grundrechte eigene Rechtsschutzgehalte haben, welche die Anforderungen an die gerichtliche Kontrolle verstärken können. 2 Deshalb sieht das BVerfG zu Recht die materiellen Grundrechte als verletzt, wenn Gerichte bei „grundrechtsrelevanten“ Fragen Behörden einen Beurteilungsspielraum zubilligen.3 Mit „grundrechtsrelevanten“, „wesentlichen“ Fragen sind dabei nicht alle staatlichen Maßnahmen gemeint, die den Schutzbereich der Grundrechte berühren, sondern nur solche, die die Grundrechtsausübung intensiv treffen. 4 Die Annahme eines Beurteilungsspielraums beeinträchtigt also nicht nur Art.19 IV GG, sondern auch die materiellen Grundrechte, wenn ein Gericht dort nicht voll prüft, wo eine Behördenentscheidung erheblich in die Grundrechtsausübung eingreift. 5 Denn in solchen Fällen verkennt das Gericht, dass die materiellen Grundrechte den Anspruch aus Art. 19 IV GG auf eine volle gerichtliche Kontrolle verschärfen und dass daher noch intensiver geprüft werden muss. Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum wäre daher unvereinbar mit den materiellen Grundrechten, wenn gentechnikrechtliche Behördenentscheidungen die materiellen Grundrechte besonders schmälerten. 6 Dies ist im folgenden zu prüfen. 2 Vgl. BVerfGE 83, 130 (148); 84, 34 (49, 55); 59 (78); Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (28, li); Konrad Redeker, NVwZ 1992, 305 (305, li); Max-Emanuel Geis, NVwZ 1992, 25 (29, li). 3 BVerfGE 84, 34 (51, 54 f.); 83, 130 (145, 148). 4 Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (28, li, f.). 5 Vgl. auch Helmuth Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 (776, li). 6 So auch Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (28, re).

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E. Vereinbarkeit mit den materiellen Grundrechten?

2. Die Grundrechtsrelevanz gentechnikrechtlicher Risikoentscheidungen a) Wesentliche Beinträchtigung Dritter in ihren Rechten aus Art. 2 II 1, 12 I, 14 I GG Die Grundrechte von Laborarbeitern, Angrenzern oder Konsumenten aus Art. 2 II 1 GG auf Leben und körperliche Unversehrtheit sind beeinträchtigt, wenn die Sicherheitsmaßnahmen eines gentechnischen Vorhabens ungenügend sind und deshalb schädliche Einwirkungen drohen. 7 Diese Beeinträchtigung ist dem Staat als Eingriff zuzurechnen, weil er durch die Zulassung des Vorhabens Mitverantwortung 8 für die Sicherheit des Vorhabens übernommen hat. Die Wahrscheinlichkeit eines Schadens – wie etwa eines horizontalen Gentransfers – ist oft gering. Doch sind die Grundrechte aus Art. 2 II 1 GG so existentiell wichtig, dass trotz einer geringen Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens stets eine wesentliche Grundrechtsbetroffenheit zu bejahen ist. 9 Insbesondere ist zu bedenken, dass eine gentechnische Veränderung im Organismus der betroffenen Menschen nicht steuerbare Prozesse in Gang setzen kann; die Gesundheit des Einzelnen kann damit irreversibel geschädigt sein. Wenn Gerichte ihre Kontrollbefugnis zurücknehmen, obgleich ein Kläger behauptet, durch ein gentechnisches Vorhaben gesundheitlich beeinträchtigt zu sein, enthalten sie sich folglich der Kontrolle grundrechtswesentlicher Fragen. Damit liegt nicht nur ein Eingriff in Art. 19 IV GG vor, sondern auch in Art. 2 II 1 GG, wenn Gerichte zum Nachteil Drittbetroffener einen Beurteilungsspielraum annehmen, obwohl dieser Risiken für Leben und Gesundheit geltend macht. 10 Weiterhin könnte ein Beurteilungsspielraum im Gentechnikrecht gegen die Berufs- und Eigentumsfreiheit Dritter aus Art. 12, 14 GG verstoßen. Gerade bei Freisetzungsvorhaben ist eine Betroffenheit in Art. 12, 14 GG zu erwarten, weil es dort verstärkt zur Einkreuzung gentechnisch veränderter Organismen auf konventionelle Organismen kommen kann. Eigentum kann so ungewollt gentechnisch verändert werden. Geschieht dies, werden Angrenzer in ihrem Interesse betroffen, vor solchen ungewollten Immissionen verschont zu bleiben. Dieses Nichtstörungsinteresse hat Eigentumswert. 11 Zudem berechtigt Art. 14 GG zur Nutzung des Eigentums im eigenverantwortlichen privaten Interesse. 12 Auch die gentechnikfreie Nutzung von Ei7 Vgl. S. Beljin/O. Engsterhold/H. Fenger/M. H. J. Schmitz, in: Raem/Braun/Fenger/Michaelis/Nikol/Winter (Hrsg.), Gen-Medizin, S. 525 (536). 8 Vgl. BVerfGE 53, 30 (58). 9 Friederike Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, S. 175; ähnlich Matthias Kapteina, Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 175; a. A. Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (28, re). 10 A. A. Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (28, re) – mit der Behauptung, dass Lebens- und Gesundheitsgefahren für unbeteiligte Dritte, die über ein als sozialadäquat hinzunehmendes Restrisiko hinausgehen, nicht nachgewiesen konnten, ohne diese Ansicht aber weiter zu begründen; insbesondere fehlen Ausführungen zur Größe des Schadens. 11 Thorsten Koch, Der Grundrechtsschutz des Drittbetroffenen, S. 335 ff., 504 (These 19). 12 BVerfGE 52, 1 (30 f.); vgl. auch BVerfGE 101, 54 (75).

I. Eingriff durch Gerichte

281

gentum wird daher von Art. 14 I GG geschützt. Die ungewollte Einkreuzung, die durch die Freisetzungsgenehmigung veranlasst wird, stellt deshalb eine Eigentumsbeeinträchtigung dar. 13 Angesichts der Behördenmaßnahmen, die gegen ungewollt gentechnisch veränderte Organismen erlaubt sind, ist diese Eigentumsbeeinträchtigung auch erheblich, gleich ob die Einkreuzungsrate prozentual nur gering ist. Unabhängig von der Zahl der eingekreuzten Organismen droht dem Eigentümer nämlich eine Vernichtungsanordnung, weil seine Saat nun ohne entsprechende gentechnikrechtliche Genehmigung und ohne Schutzvorkehrungen angebaut wird. 14 Verschärft wird die Beeinträchtigung, wenn der Dritte Biolandwirt ist.15 Denn einem Biolandwirt kommt es gerade auf die Nutzung seines Eigentums als „naturrein“ an. Er könnte durch die behördlichen Anordnungen, mit denen er bei einer Einkreuzung rechnen muss, daher in seinen Grundrechten aus Art. 14 GG und aus Art. 12 GG beeinträchtigt sein. Beide Grundrechte sind hier einschlägig.16 Die Genehmigungspflicht, der die freigesetzte und schließlich in Verkehr gebrachte Saat nunmehr unterliegt 17, lässt sich einerseits als Inhalts- und Schrankenbestimmung i. S. des Art. 14 I GG verstehen. Andererseits können die Vertriebsschwierigkeiten, die sich aus der Einkreuzung ergeben, auch als Berufsausübungsbeschränkungen gelesen werden. Einen Eingriff in Art. 14 I GG könnte man damit begründen, dass dem Biolandwirt durch die Einkreuzung eine Veräußerung seiner Saat als „naturrein“ unmöglich oder erschwert wird. Bioverbände lassen gentechnisch veränderte Produkte nach den Richtlinien für ökologische Landwirtschaft nicht zu 18, Verbraucher, die Ökoprodukte wollen, kaufen gentechnisch verunreinigte Produkte nicht, weshalb der Umsatz des Biolandwirts zurückgeht. Entgegen der Ansicht des VG Berlin 19 sind diese Belastungen des Biolandwirts, mittelbare, staatliche Eingriffe der für Freisetzungen zuständigen Behörde (bisher des Robert Koch-Instituts, nun des BVL) 20. Die Nichtzulassung als Bioprodukt und die Kaufzurückhaltung der Verbraucher sind dem Robert Koch-Institut bzw. nun dem BVL zuzurechnen, wenn es die Genehmigung für das Freisetzungsvorhaben erteilt, obwohl es eine Einkreuzung auf 13 A. A. Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (28, re), weil sich Eigentumsbeeinträchtigungen weitgehend ausschließen ließen (ohne nähere Begründung). 14 VG Schleswig, ZUR 2001, 409 ff.; Verfügung des Umweltbundesamtes Hagen (vgl. dazu das noch nicht rechtskräftige Urteil des VG Gelsenkirchen v. 14.11.2002, Az 8 K 6854/00). 15 Siehe auch Eckart Abel-Lorenz, ZUR 2000, 30 (31, li). 16 Vgl. auch VG Berlin, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 13 zu § 16, S. 12 – indes lehnt das VG Berlin im Ergebnis – mangels Eingriffs – eine Verletzung beider Grundrechte ab. 17 Vgl. OVG Münster, NVwZ 2001, 110 (110, re); Detlef Groß, ZLR 28 (2001), 243 (254); Jörg Friedrich, NVwZ 2001, 1129 (1130, li); a. A. Matthias Herdegen/Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 14 Rdn. 47 a; Hans-Georg Dederer, NuR 2001, 64 (64, re, ff.); Ralf Müller-Terpitz, NVwZ 2001, 46 (47, li, ff.). 18 Eckart Abel-Lorenz, ZUR 2000, 30 (31, re, f.). 19 VG Berlin, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 13 zu § 16, S. 12. 20 Zur Änderung der Zuständigkeiten bei Freisetzungen vgl. Kapitel B. IV. 3. a) aa).

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E. Vereinbarkeit mit den materiellen Grundrechten?

das Feld des Biolandwirts voraussehen musste und es damit die Belastung für den Biolandwirt nach allgemeiner Lebenserfahrung absehen konnte. Eine darüber hinausgehende Billigung der nachteiligen Folgen durch die handelnde staatliche Stelle fordert der verfassungsrechtliche Eingriffsbegriff nicht 21. Eine Beeinträchtigung des Biolandwirts in Art. 14 GG kann daher auch darin gesehen werden, dass er seine Produkte kennzeichnen muss, wenn die gentechnisch veränderten Organismen in seiner Saat einen bestimmten Schwellenwert übersteigt.22 Erst Recht liegt ein Eingriff in Art. 14 GG vor, wenn der Gewerbebetrieb durch die Einkreuzung so sehr gestört wird, dass die Existenz des Biolandwirts bedroht ist. Außerdem können diese Beeinträchtigungen als Eingriff in die Berufsfreiheit qualifiziert werden. Nach der gängigen Abgrenzungsregel zwischen den Schutzbereichen von Art. 14 GG und Art. 12 GG schützt Art. 14 GG das Erworbene. Dabei ist vom Gewährleistungsbereich des Art. 14 GG auch die Entscheidung erfasst, wie das Eigentum verwendet werden soll. Art. 12 I GG schützt dagegen den Erwerb. 23 Sieht man durch die Genehmigungspflicht für ein Inverkehrbringen, die zurückgehenden Absatzzahlen und die Kennzeichnungspflicht oberhalb eines bestimmten Schwellenwerts stärker die Freiheit der individuellen Erwerbs- und Leistungsfähigkeit betroffen und weniger die Innehabung und die Verwendung der betroffenen Saat, ist nicht Art. 14 GG, sondern Art. 12 GG betroffen. In jedem Fall ist die Grundrechtsbeeinträchtigung bei Einkreuzungen aber wesentlich, gleich wie die Abgrenzung zwischen den Schutzbereichen der Art. 12 I, 14 I GG vorgenommen wird. 24 Das verkennt das OVG Berlin, wenn es unter Hinweis auf die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten eine Verletzung der Art. 12, 14 GG ablehnt, da bereits die Normen des Gentechnikgesetzes als einfaches Recht Drittschutz vermitteln (§ 1 Nr. 1 GenTG). 25 Der Auffassung des OVG liegt die fehlerhafte These zu Grunde, dass die Grundrechte allenfalls durch das einfache Recht wirken. Art. 1 III GG, der die Staatsgewalt an die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht bindet, steht einer solchen Ansicht aber entgegen. 26 Auch will Art. 19 IV GG gerade die materiellen Grundrechte schützen. Daher verbietet Art. 19 IV GG ebenfalls, dass der Rechtsschutz Drittbetroffener auf das einfache Recht beschränkt wird. 27

21 A. A. wohl aber VG Berlin, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 13 zu § 16, S. 12, das vor allem danach fragte, ob das Robert Koch-Institut auch einen Umsatzverlust gewollt hatte, weil die Umsatzverringerung nach Ansicht des Gerichts allein auf dem Verhalten der Verbraucher beruhte. 22 Siehe dazu Kapitel B. IV. 1. und 5. b) bb) m. w. N. 23 BVerfGE 88, 366 (377); 30, 292 (335); H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 12 Rdn. 3. 24 A. A. Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (28, re); a. A. wohl auch Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 118, 120. 25 OVG Berlin, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 14 zu § 16, S. 7. 26 Vgl. Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 123. 27 Vgl. Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 123.

I. Eingriff durch Gerichte

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b) Beeinträchtigung von Betreibern in ihren Rechten aus Art. 5 III 1 2. Var., 12 I, 14 I GG Nicht nur Dritte werden durch Annahme eines Beurteilungsspielraums wesentlich in ihren Grundrechten beeinträchtigt, sondern auch die Betreiber eines gentechnischen Vorhabens. Forschende Betreiber werden empfindlich in ihrer Forschungsfreiheit aus Art. 5 III 1 2. Var. GG beschränkt, wenn ein Gericht die Versagung der beantragten Zulassung eines gentechnischen Vorhabens bestätigt oder wenn belastende Nebenbestimmungen nicht aufgehoben werden, weil Gerichte nicht voll kontrollieren. 28 Dies gilt besonders, weil Art. 5 III 1 2. Var. GG auch zur Durchführung riskanter Vorhaben berechtigt. 29 Kann ein Forschungsvorhaben gar nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen durchgeführt werden, weil das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BLV) z. B. verbraucherpolitische Belange überbewertet, so trifft dies die Forschungsfreiheit in ihrem Kern. Vor allem ist zu bedenken, dass ein Forscher im internationalen Wettbewerb der Wissenschaftler möglicherweise nicht mehr mithalten kann, wenn ihn eine Behörde daran hindert, wie geplant zu forschen. Die Forschungsfreiheit fordert daher eine Vollkontrolle. 30 Die in Art. 12 I GG geschützte Berufsfreiheit kann ebenfalls leiden, falls sich die Versagung einer Genehmigung oder die Anordnung von Nebenbestimmungen nicht wirksam vor Gericht bekämpfen lässt. Diese Beeinträchtigung ist erheblich, weil ein Unternehmen deshalb z. B. gezwungen sein kann, sein Vorhaben im Ausland zu realisieren oder es ganz aufzugeben. In Art. 14 GG wird eingegriffen, wenn einem Betreiber verwehrt wird, sein Feld zum Anbau gentechnisch veränderter Organismen zu nutzen oder seine gentechnisch veränderten Produkte zu verwerten. Hierin liegt ebenfalls eine wesentliche Beeinträchtigung, obgleich der Schutz des Eigentums von vorneherein beschränkt ist, weil Art. 14 I GG nur eine sozialpflichtige Nutzung des Eigentums erlaubt. Denn die gewünschte Verwertung des Eigentums wird durch die Untersagung des Anbaus oder des Vertriebs völlig ausgeschlossen. Gentechnikrechtliche Entscheidungen sind daher auch aus Betreibersicht Entscheidungen, die materielle Grundrechte empfindlich einschränken können. Die Annahme eines Beurteilungsspielraums schmälert somit nicht nur das Grundrecht der Betreiber auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 IV GG 31, sondern sie stellt zu28 Matthias Kapteina, Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S.175; so an sich auch Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (28, re), doch hält er deshalb keine Vollkontrolle für geboten. 29 Vgl. Friederike Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, S. 175; Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 104. 30 A. A. Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (28, re) – der zwar eine Parallele zur Begrenzung des Beurteilungsspielraums bei der Kunstfreiheit und im Prüfungsrecht zieht, eine Vollkontrolle aber (ohne weitere Begründung) dennoch nicht für geboten hält. 31 Kapitel D. III.

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E. Vereinbarkeit mit den materiellen Grundrechten?

gleich einen verfassungsrechtlich zu rechtfertigenden Eingriff in deren materielle Grundrechte dar.

II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums? Im weiteren ist zu prüfen, ob der dargestellte Eingriff in materielle Grundrechte, den Gerichte vornehmen, wenn sie ihre Kontrolle durch Annahme eines Beurteilungsspielraums beschränken, verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Mit den Rechten auf Leben und körperliche Unversehrtheit, der Eigentums- und der Berufsfreiheit wäre eine Rücknahme der Kontrolldichte vereinbar, wenn Gerichte hierzu durch ein Gesetz berechtigt wären, das seinerseits nicht gegen das jeweilige materielle Grundrecht verstößt, insbesondere weil die Rücknahme der Kontrolldichte verhältnismäßig ist, und sonst verfassungsgemäß ist; vor allem müsste ein solches Gesetz auch mit Art. 19 IV GG vereinbar sein („Einheit der Grundrechtsordnung“) 32. Die Vereinbarkeit mit der Forschungsfreiheit des Art. 5 III 1 2. Var. GG verlangte verschärfend eine Rechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht. Wie in Kapitel D. gezeigt, lässt sich den Normen des Gentechnikrechts aber kein Letztentscheidungsrecht zu Gunsten von Behörden entnehmen. 33 Es fehlt daher an einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage, die Gerichte mit den Art. 2 II 2 GG, Art. 14 GG und Art. 12 GG vereinbar zur Rücknahme ihrer Kontrollmöglichkeiten berechtigt. Selbst ein konkludent aus den Normen des Gentechnikrechts gelesenes Letztentscheidungsrecht von Behörden wäre mit Art. 2 II 2 GG unvereinbar, weil es nicht dem Zitiergebot des Art. 19 I 2 GG gerecht würde. 34 Zudem hat die Untersuchung des gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums in Kapitel D. ergeben, dass das Gentechnikrecht wegen seiner Eigenarten keine Beschränkung von Gerichten verlangt, weder wegen der Wissenschaftsabhängigkeit gentechnikrechtlicher Entscheidungen 35, noch wegen der Funktionsfähigkeit von Gerichten 36, noch wegen der Funktionsfähigkeit der Verwaltung 37 oder des „dynamischen“ Grundrechtsschutzes 38. Insbesondere zwingt ein wirksamer Betreiberschutz Gerichte nicht dazu, ihre Prüfungskompetenzen zurücknehmen. 39 Es fehlt damit an einem sachgerechten Grund für die Annahme eines Beurteilungsspielraums. Insofern verletzt die Annahme eines Beurteilungsspielraums nicht nur Art. 19 IV GG 40, sondern 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Vgl. dazu I. 1. Kapitel D. II. 3. b) bb). Vgl. auch Matthias Herdegen, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Einl. Rdn. 27. Kapitel D. II. 3. a) bb). Kapitel D. II. 3. a) aa). Kapitel D. II. 3. b) aa). Kapitel D. II. 3. d). Kapitel D. II. 3. d). Kapitel D. III.

III. Die Grundrechtsrelevanz eines Beurteilungsspielraums

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auch die einzelnen materiellen Grundrechte („Einheit der Rechtsordnung“). Die Annahme eines Beurteilungsspielraums ist zudem gegenüber jedem Grundrecht unverhältnismäßig, weil es für eine geringere Kontrolle keine legitimen Gründe gibt. Gegenüber der Forschungsfreiheit des Art. 5 III 1 2. Var. GG fehlt es außerdem an kollidierendem Verfassungsrecht, das erlauben könnte, die gerichtliche Kontrolle zu beschränken.

III. Die Grundrechtsrelevanz eines Beurteilungsspielraums am Beispiel der Einkreuzungsproblematik Wie das Einkreuzen gentechnisch veränderter Saat in konventionelle Saat rechtlich zu behandeln ist, wird in der Literatur eingehend erörtert.41 Besonderes Aufsehen erregten Entscheidungen des OVG Münster 42 und des VG Schleswig 43. Die Gerichte mussten prüfen, ob der Anbau und das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Saat untersagt werden kann, die unbeabsichtigt durch Einkreuzung entstanden war. Beide Gerichte bestätigten, dass der Anbau und der Vertrieb solcher Saat untersagt werden darf. 1. Die Rechtsprechung zum Rechtsschutz gegen Einkreuzungen des OVG Münster und des VG Schleswig Gegenstand der Entscheidung des OVG Münster war eine Ordnungsverfügung, durch die einem Landwirt das Inverkehrbringen seiner Rapsernte untersagt worden war. 44 Der Raps war auf einem Feld angebaut worden, das in unmittelbarer Nachbarschaft des vom damals zuständigen Robert Koch-Instituts genehmigten Freilandversuches 45 eines gentechnischen Forschungsvorhabens lag. Die Untersagung des Inverkehrbringens wurde auf § 26 I 3 GenTG gestützt. Zur Begründung führte die Behörde aus, der Raps sei durch Pollenflug gentechnisch verunreinigt worden und dürfe deshalb nicht mehr ohne eine entsprechende gentechnikrechtliche Genehmigung nach § 14 I Nr. 2 GenTG vermarktet werden. 46 Diese Ansicht bestätigte das 41 Vgl. Detlef Groß, ZLR 28 (2001), 243 (254 ff.) – der Rspr. zustimmend; Jörg Friedrich, NVwZ 2001, 1129 – zustimmend; Christoph Schmidt-Eriksen, NuR 2001, 492 (494 ff.) – zustimmend; Sabine Schlacke, ZUR 2001, 393 (396, re, f.) – grundsätzlich zustimmend; HansGeorg Dederer, NuR 2001, 64 (65) – ablehnend; Ralf Müller-Terpitz, NVwZ 2001, 46 (47, re, f.); Michael Ronellenfitsch, VerwArch 93 (2002), 439 (455 f.) – ablehnend; Dieter Heublein, NuR 2002, 719 (722, li, ff.). 42 OVG Münster, NVwZ 2001, 110 (110, re). 43 VG Schleswig, ZUR 2001, 409. 44 OVG Münster, NVwZ 2001, 110 (110, li). 45 Zur Übertragung der Zuständigkeiten für Freisetzungen auf das BVL s. Kapitel B. IV. 3. a) aa). 46 A. A. das erstinstanzlich befasste VG Gelsenkirchen, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 1 zu § 3, S. 2.

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E. Vereinbarkeit mit den materiellen Grundrechten?

OVG Münster. 47 Insbesondere widersprach das OVG der Ansicht des Klägers, die Untersagungsverfügung sei schon deshalb unzulässig, weil das Robert Koch-Institut ein Einkreuzen bei der Genehmigung des Freilandversuchs mitgeprüft und für unbedenklich gehalten hatte. Vielmehr verneinte das OVG eine Legalisierungswirkung der Freisetzungsgenehmigung. 48 Das VG Schleswig entschied im Ergebnis eben so. In seiner Entscheidung ging es um die Rechtmäßigkeit einer Vernichtungsanordnung. 49 Diese war gegenüber einem Landwirt ergangen, der konventionellen Maisanbau betreiben wollte, tatsächlich aber gentechnisch verunreinigten Mais anbaute. Die gentechnische Verunreinigung war noch beim Saatguthersteller zufällig auf natürlichem Wege durch Pollenübertragung entstanden. 50 Das VG bestätigte die Rechtmäßigkeit der Vernichtungsanordnung. Es folgte der Ansicht des OVG Münster und bejahte ebenfalls ein Genehmigungserfordernis für nicht bewusst geschaffene gentechnisch veränderte Saat. Deshalb sah das Gericht den Tatbestand des § 26 I 2 Nr. 1 GenTG als gegeben, der Behörden zum Einschreiten gegen ungenehmigte Freilandversuche berechtigt.

2. Bewertung der Entscheidungen im Hinblick auf die Zulässigkeit eines Beurteilungsspielraums Folge dieser Rechtsprechung ist, dass ein drittbetroffener Landwirt die Möglichkeit einer Einkreuzung hinnehmen muss. Erstens kann er das schädigende Freisetzungsvorhaben nicht mit Erfolg hindern, weil und soweit Gerichte einen Beurteilungsspielraum der zuständigen Fachbehörde anerkennen und deshalb die Risikobewertung der Behörde für rechtens erklären. Zweitens kann er die Untersagungsverfügung oder die Vernichtungsanordnung, die später ihm gegenüber ergeht, nicht erfolgreich bekämpfen, wenn es schließlich zu der vorausgesehenen Einkreuzung gekommen ist. Denn Gerichte halten solche Behördenentscheidungen für rechtmäßig. Es bliebe also nur eine zivilrechtliche Klage auf Schadensersatz gegen den Betreiber des Freisetzungsvorhabens (vgl. § 32 I GenTG). Indes verspricht eine solche Klage ebenfalls keinen Erfolg. Eine Schadensersatzklage wird zwar nicht durch die Legalisierungswirkung der Freisetzungsgenehmigung ausgeschlossen. Doch sehen Zivilgerichte in der Einkreuzung bislang keine wesentliche Eigentumsbeeinträchtigung. Nach der nachbarrechtlichen Sonderbestimmung des § 906 BGB soll eine Einkreuzung vielmehr zu dulden sein. 51 Unterlassungsklagen, die auf die §§ 823, 862 I, 1004 I BGB gestützt sind, werden daher abgewiesen. Da § 906 BGB auch bei OVG Münster, NVwZ 2001, 110 (111, re). OVG Münster, NVwZ 2001, 110 (111, re) – keine Bindungswirkung der Freisetzungsgenehmigung. 49 VG Schleswig, ZUR 2001, 409 (409, li, f.). 50 VG Schleswig, ZUR 2001, 409 (409, re). 51 OLG Stuttgart, ZUR 2000, 29 (30, li). 47 48

III. Die Grundrechtsrelevanz eines Beurteilungsspielraums

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einer Schadensersatzklage die Widerrechtlichkeit ausschließt, könnte wegen der Einkreuzung also auch nicht erfolgreich Schadensersatz begehrt werden. 52 Der durch die Einkreuzung Geschädigte muss eine Einkreuzung deswegen auch entschädigungslos dulden. Dadurch werden seine Grundrechte aus Art. 12, 14 GG faktisch entwertet. Von Verfassungs wegen darf eine solche Entwertung von Grundrechten aber nicht hingenommen werden. Es muss daher nach einer Lösung gesucht werden, die die Rechte des Geschädigten angemessen berücksichtigt und dennoch weitere Dritte, insbesondere Verbraucher, bestens vor den Risiken der durch Einkreuzung entstandenen gentechnisch veränderten Produkte schützt. Angesetzt werden könnte bei der Untersagungsverfügung bzw. bei der Vernichtungsanordnung. Diese könnten für rechtswidrig zu erklären sein. Dann könnte der betroffene Landwirt seine Saat zumindest anbauen bzw. vermarkten – wenn auch nur als gentechnisch veränderte. Untersagungsverfügung und Vernichtungsanordnung könnten rechtswidrig sein, weil der betroffene Landwirt die gentechnisch veränderte Saat nicht gewollt geschaffen hat, sondern weil diese „natürlich“ durch Pollenflug entstanden war. Deshalb könnte es an einem gentechnisch veränderten Organismus fehlen, der genehmigungspflichtig ist. Die Legaldefinition des gentechnisch veränderten Organismus nach § 3 Nr. 3 GenTG enthält aber kein voluntatives Element. 53 Auch kann den Formulierungen „verwendet“ und „verändert“ in den § 3 Nr. 3–3 c GenTG nicht zwingend entnommen werden, dass gerade der „letztgeschaffene“, durch Einkreuzung entstandene Organismus, durch gentechnische Verfahren entstehen muss. 54 Vielmehr belegen die §§ 2 I Nr. 3, Nr. 4 GenTG und die Genehmigungspflichten des § 14 I Nr. 1 und Nr. 2 GenTG i.V. mit dem Schutzzweck des § 1 Nr. 1 GenTG den Willen des Gesetzgebers, dass jeder gentechnisch veränderte Organismus dem Kontrollregime des Gentechnikgesetzes unterliegen soll, gleich wie er entstanden ist und wann. 55 Daher ist die Anwendung des Gentechnikgesetzes nach den §§ 3 Nr. 3; Nr. 3 b b) 56 GenTG nur bei solchen natürlichen Vorgängen ausgeschlossen, die ohne 52 Vgl. OLG Stuttgart, ZUR 2000, 29 (29, li); die Ablehnung von Schadensersatz vermutet auch, indes a. A. (jedoch ohne Begründung), Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 154. 53 Vgl. auch VG Schleswig, ZUR 2001, 409 (410, li, 411, li). 54 So aber Matthias Herdegen/Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 14 Rdn. 47 a; Hans-Georg Dederer, NuR 2001, 64 (65, re); Ralf Müller-Terpitz, NVwZ 2001, 46 (47, re, f.); Peter Axer, auf dem 18. Trierer Kolloquium des Instituts für Umwelt- und Technikrecht, siehe den Tagungsbericht von Tanja Barton, NuR 2003, 23 (25, li). Ähnlich das VG Gelsenkirchen in einer noch nicht veröffentlichten Entscheidung vom 14.11.2002, Az 8 K 6854/00, S. 10. 55 Vgl. OVG Münster, NVwZ 2001, 110 (111, re); VG Schleswig, ZUR 2001, 409 (411, re); Sabine Schlacke, ZUR 2001, 393 (397, li); Detlef Groß, ZLR 28 (2001), 243 (254). 56 Vgl. § 3 Nr. 3 Satz 2, HS. 2 GenTG a. F.

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E. Vereinbarkeit mit den materiellen Grundrechten?

Beteiligung gentechnisch veränderter Organismen erfolgen. Die gentechnische Veränderung der Saat wurde aber durch den Pollenflug gentechnisch veränderter Organismen bewirkt, die ihrerseits durch Rekombationstechniken und damit durch Verfahren im Sinne der Nummern 3 und 3 a hergestellt worden waren (vgl. § 3 Nr. 3 b Satz 1 2. HS GenTG). Daher nahmen die Gerichte zu Recht an, durch die Einkreuzung seien gentechnisch veränderte Organismen entstanden. 57 Zumal es bislang keine rechtsverbindlichen Schwellenwerte gab, die einen bestimmten Prozentsatz zufällig eingekreuzter Organismen duldeten 58, gingen die Gerichte auch richtigerweise von einer „Nulltoleranz“ aus. 59 Daher bejahten sie eine Genehmigungspflicht für das Inverkehrbringen bzw. für den Anbau der gentechnisch verunreinigten Saat. 60 Weil eine ausdrückliche Genehmigung in beiden Fällen fehlte, war damit der Tatbestand für eine Untersagung bzw. eine Vernichtungsanordnung (§ 26 I 2 Nr. 1 i.V. mit Satz 3 GenTG) an sich erfüllt. Im Fall des OVG Münster stellte sich allerdings die Frage, ob das Inverkehrbringen der Saat nicht doch – „konkludent“ – genehmigt worden war. Denn das Robert Koch-Institut hatte im Genehmigungsverfahren der Freisetzung eine Einkreuzung erörtert und gebilligt. Hieraus hätte eventuell geschlossen werden müssen, das Inverkehrbringen der Zufallseinkreuzung sei bereits Gegenstand des Freisetzungs-Genehmigungsverfahrens gewesen und damit „legalisiert“ worden. Diese Ansicht wird in der Literatur von manchen vertreten. 61 Das VG Gelsenkirchen ist ihr in einem Urteil vom 14. November 2002 gefolgt. 62 Indessen kann aus einer bloßen Mitprüfung der möglichen Einkreuzung durch die für Freisetzungen zuständige Behörde (damals des Robert Koch-Instituts, nun des BVL) nicht schon auf eine Mitgenehmigung des Inverkehrbringens geschlossen werden. Hiergegen spricht, dass es sich bei einer OVG Münster, NVwZ 2001, 110 (110, re). Die Verordnung 1829/2003/EG über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel (Kapitel B. IV. 1.) war damals noch nicht in Kraft. 59 Dazu, ob die nun bestehenden Schwellenwerte die Einkreuzungsproblematik beendet haben, sogleich im Text. 60 OVG Münster, NVwZ 2001, 110 (111, re); a.A. Hans-Georg Dederer, NuR 2001, 64 (66, li), Tobias Linke, NuR 2003, 154 (157, re) und Ralf Müller-Terpitz, NVwZ 2001, 46 (48, li), die damit argumentieren, dass eine Genehmigung überhaupt nicht erlangt werden kann, weil dem Drittbetroffenen die notwendigen Unterlagen fehlen, um den eingekreuzten Organismus zu beschreiben. Auch soll eine Genehmigungspflicht wegen der damit verbundenen Kosten nicht für Zufallseinkreuzungen gelten, Tobias Linke, NuR 2003, 154 (157, re). – Allerdings könnte der Betreiber zur Mitwirkung verpflichtet werden, so dass der Einwand Dederers und Müller-Terpitzs nicht überzeugt. Gegen die Argumentation Dederers, Linkes und Müller-Terpitzs auch Christoph Schmidt-Eriksen, NuR 2001, 492 (497, li). Von der Kostenerhebung, die Linke vorschlägt, könnte bei der Zufallseinkreuzungen im Wege einer verfassungskonformen Reduktion der Gebührenpflicht abgesehen werden. 61 Ralf Müller-Terpitz, NVwZ 2001, 46 (48, li, f.); Michael Ronellenfitsch, VerwArch 93 (2002), 439 (455 f.); vgl. auch Hans-Georg Dederer, NuR 2001, 64 (69, li, f.), der zwar eine „formale Tatbestandswirkung“ ablehnt, der die Billigung des Robert Koch-Instituts aber als Untersagungshindernis qualifiziert; ähnlich Dieter Heublein, NuR 2002, 719 (723, re). 62 Urteil des VG Gelsenkirchen, Az 8 K 6854/00, S. 12. 57 58

III. Die Grundrechtsrelevanz eines Beurteilungsspielraums

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Freisetzung und einem Inverkehrbringen nach der Systematik des Gentechnikgesetzes um zwei verschiedene Prüfungsgegenstände handelt. Dies zeigt nicht nur § 14 I GenTG, der zwischen Freisetzungen und einem Inverkehrbringen unterscheidet, sondern auch Absatz 3 des § 15 GenTG, der beim Inverkehrbringen weitergehende Unterlagen fordert. Auch gelten unterschiedliche Verfahren, z. B. ist vor einer Freisetzung regelmäßig ein Anhörungsverfahren durchzuführen (§ 18 II GenTG). Außerdem sind die Genehmigungsvoraussetzungen anders, mögen sie auch ähnlich sein (§§ 16 I, II GenTG). Bei einem Freisetzungsvorhaben müssen vor allem die Auswirkungen einer Freisetzung auf umliegende Landwirte beurteilt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, welchen Zweck diese mit ihrer Saat verfolgen; besonders wichtig ist, ob sie ihre Pflanzen später als Bioprodukte vertreiben wollen. Um ein Inverkehrbringen zu legalisieren, muss dagegen weitergehend bewertet werden, ob eine Vermarktung der Saat für Dritte oder die Umwelt schädlich ist.63 Hierfür genügt es nicht, das Inverkehrbringen nur im Genehmigungsverfahren einer Freisetzung anzuprüfen. Das OVG Münster wertete die Ausführungen des damals für Freisetzungen federführend zuständigen Robert Koch-Instituts zu den schädlichen Wirkungen der Nachbarsaat daher zutreffend nicht als legalisierende Genehmigung des Inverkehrbringens dieser Saat, sondern nur als Teil der Genehmigungsprüfung des Freilandversuchs. 64 Für die Richtigkeit dieser Ansicht spricht zudem die EG-Beteiligung beim Inverkehrbringen. Während die Mitgliedstaaten bei Freisetzungen nur Bemerkungen abgeben können (§ 1 II 1 GenTBetV), ist vor einer Genehmigung des Inverkehrbringens nach dem GenTG ein EG-Beteiligungsverfahren durchzuführen, in dem bei Einwendungen anderer Mitgliedstaaten gegebenfalls die EG-Kommission entscheiden muss (vgl. § 16 III 1, 2. HS GenTG). 65 Bei gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln ist die EG-Kommission für die Genehmigung zuständig. 66 Hätte die Mitprüfung des Inverkehrbringens Legalisierungswirkung, würden diese EG-Verfahren umgangen; 67 das wäre aber europarechtswidrig. Auch deshalb leitete das OVG Münster zu Recht keine legalisierende Tatbestandswirkung aus der Freisetzungsgenehmigung ab. 68 Vielmehr sah es die Untersagungsbehörde als berechtigt an, die Risiken der durch Einkreuzung gentechnisch veränderten selbständig zu beurteilen. Schließlich erfolgten die Untersagung bzw. die Vernichtungsanordnung ermessensfehlerfrei, soweit mildere Maßnahmen (z. B. die Verarbeitung zu Tierfutter) nicht gleich wirksam gewesen wären, um die Risiken der eingekreuzten Saat zu beVgl. Kapitel B. IV. 5, c) bb). OVG Münster, NVwZ 2001, 110 (111, li, f.); vgl. auch Jörg Friedrich, NVwZ 2001, 1129 (1130, li); Christoph Schmidt-Eriksen, NuR 2001, 492 (496, re, f.). 65 Siehe Kapitel B. IV. 5. b) aa) und c) aa). 66 Siehe Kapitel B. IV. 2. c) und Kapitel C. III. 2. b) dd). 67 Zum Beteiligungsverfahren nach dem GenTG Christoph Schmidt-Eriksen, NuR 2001, 492 (493, re, f.). 68 Vgl. OVG Münster, NVwZ 2001, 110 (112, li, f.). 63 64

19 Schmieder

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E. Vereinbarkeit mit den materiellen Grundrechten?

kämpfen. 69 Insbesondere lag nicht schon deshalb ein Ermessensfehler vor, weil die Behörden davon ausgingen, grundsätzlich zum Einschreiten gegen ein ungenehmigtes Freisetzen oder ein Inverkehrbringen verpflichtet zu sein. Da beim Freisetzen und Inverkehrbringen gentechnischer Organismen regelmäßig Risiken bestehen 70, wurde vielmehr zu Recht auf ein „Basisrisiko“ der Gentechnik verwiesen, das effektiv nur bekämpft werden kann, wenn gegen ungenehmigte Vorhaben grundsätzlich eingeschritten wird. 71 Dass eine Untersagung wie im Baurecht nur möglich ist, wenn eine Freisetzung oder ein Inverkehrbringen auch materiell illegal ist, lässt sich aus dem GenTG nicht ableiten. Vielmehr steht einer Übertragung der baurechtlichen Grundsätze auf das Gentechnikrecht der klare Wortlaug des § 26 I GenTG entgegen, der nur an eine fehlende Genehmigung und nicht auch an eine materielle Illegalität anknüpft. 72 Auch insoweit wurden die durch Einkreuzung Geschädigten also rechtmäßig in Anspruch genommen. Dies heißt im Ergebnis, dass die Einkreuzungsproblematik nicht bewältigt werden kann, indem die Untersagungs- bzw. Vernichtungsanordnung für rechtswidrig erklärt wird; vielmehr muss den Entscheidungen des OVG Münsters und des VG Schleswig zugestimmt werden. Erwogen werden könnte aber, die Einkreuzungsproblematik derart zu lösen, dass Zivilgerichte bei Zufallseinkreuzungen Schadensersatz gewähren. Doch würde mit einem solchen bloß sekundären Rechtsschutz dem drittbetroffenen Landwirt nur unzureichend geholfen, denn er bekäme nur einen Ausgleich in Geld. Nicht aber erhielte er sein Recht aus Art. 12, 14 GG zurück, sich durch einen konventionellen Anbau seiner Produkte und eine gentechnikfreie Vermarktung in wirtschaftlicher Hinsicht selbst zu verwirklichen. Daher genügte es auch nicht, dem Drittbetroffenen einfach eine Genehmigung für das Inverkehrbringen oder den Anbau der gentechnisch veränderten Saat zu erteilen. Denn das Recht, gentechnikfreie Saat anzubauen bzw. zu vermarkten, bliebe dadurch immer noch geschmälert. Insbesondere könnte das Produkt nach den Richtlinien von Bioland-Verbänden nicht als „naturrein“ veräußert werden. 73 Deshalb wird auch der durch die Verordnung 1829/2003/EG über genetisch veränderte 69 OVG Münster, NVwZ 2001, 110 (112, li); VG Schleswig, ZUR 2001, 409 (411, li, f., 413, re); grundsätzlich so wie hier Hans-Georg Dederer, NuR 2001, 64 (69, li), die Entscheidung des OVG Münster hält Dederer aber für ermessensfehlerhaft. 70 Siehe Kapitel B. III. 2. und 3. 71 A. A. Hans-Georg Dederer, NuR 2001, 64 (68, re, f.) – der anführt, ein gentechnikspezifisches Risiko bestünde nicht. Siehe dagegen aber die in Kapitel B. III. 2. und 3 beschriebenen Risiken. 72 So aber Tobias Linke, NuR 2003, 154 (158, li), der das gentechnikrechtliche Eingriffsinstrumentarium daher für unzureichend hält und für Zufallseinkreuzungen (sog. „Störfälle“) eine neue Eingriffsermächtigung fordert (160, re). 73 Vgl. 9.2.6 der BIOLAND-Richtlinien i.V. mit 2.1. (Fundstelle: http://www.bioland.de), siehe dazu auch Kapitel B. IV. 5. b) bb) und Eckart Abel-Lorenz, ZUR 2000, 30 (31, re, f.).

III. Die Grundrechtsrelevanz eines Beurteilungsspielraums

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Lebensmittel und Futtermittel eingeführte Schwellenwert von 0,5 %, unterhalb dessen eine gentechnische Veränderung von Behörden nun als genehmigungsfrei zu tolerieren ist 74, den Streit um die Rechtsfolgen ungewollter Einkreuzungen nicht beenden. 75 Der Angrenzer wird dadurch auch nicht angemessen geschützt.76 Liegt die Einkreuzungsrate nämlich oberhalb des Schwellenwertes, muss trotzdem gegen den Biobauer eingeschritten werden. 77 Ist die Grenze unterschritten, ist der Biobauer gleichwohl benachteiligt. Zwar entfällt die Genehmigungspflicht, doch ist seine Saat als Bioprodukt wertlos. Die mit der Einkreuzung verbundenen Fragen lassen sich folglich nur adäquat lösen, wenn schon im Vorfeld angesetzt wird, bei der Prüfung, ob das für etwaige spätere Einkreuzungen ursächliche Freisetzungsvorhaben genehmigt werden darf. 78 Der Drittbetroffene muss bereits vor einer Einkreuzung wirksam geschützt werden. Insofern lässt sich der Rechtsgedanke des vorbeugenden Rechtsschutzes fruchtbar machen. Zu Gunsten eines wirksamen Grundrechtsschutzes des Drittbetroffenen ist dessen Recht an einer gentechnikfreien Nutzung seiner Saat von Behörden stärker als bisher zu gewichten und von Gerichten angemessen zu kontrollieren. Dies bedeutet für das nun für Freisetzungen zuständige BVL, dass es bei seiner Entscheidung über die Erteilung der Freisetzungsgenehmigung wirtschaftliche Belange des Drittbetroffenen als „schädliche Einwirkungen“ behandeln muss. Damit werden die Anforderungen an eine legale Freisetzung erhöht, ohne aber eine Legalisierungswirkung für das Inverkehrbringen benachbarter Saat zu schafffen. Folge dieser strengeren Anforderungen ist, dass ein Freisetzungsvorhaben gegebenenfalls an dem gewählten Standort unterbleiben muss, jedenfalls aber grundsätzlich nicht ohne Sicherheitsabstand genehmigt werden darf79. Das Bundesgesundheitsministerium, das bis zur Änderung des Gentechnikgesetzes durch das Gesetz Siehe dazu Kapitel B. IV. 1. So aber Detlef Groß, ZLR 28 (2001), 243 (257); ähnlich Hans-Georg Dederer, NuR 2001, 64 (67, re); Ralf Müller-Terpitz, NVwZ 2001, 46 (48, re), der seine Argumentation sogar auf Art. 2 II b) der Etikettierungs-VO 49/2000/EG (Abl. EG Nr. L 6, S. 13) stützt. – Doch enthebt diese Vorschrift nur von der Kennzeichnung unterhalb eines bestimmten Schwellenwerts, nicht aber auch von der Genehmigung des Inverkehrbringens (dies gilt auch für Art. 21, 30 II der Freisetzungs-RiL 2001/18/EG), so auch Jörg Friedrich, NVwZ 2001, 1129 (1130, re) und Christoph Schmidt-Eriksen, NuR 2001, 492 (497, re, f.). 76 Vgl. dazu, dass manche Landesbehörden (z.B. das Bayerische Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen) die nun geltenden Schwellenwerte bereits zuvor beim Ermessen einer Untersagungsverfügung berücksichtigen wollten Dieter Heublein, NuR 2002, 719 (722, li, ff.). 77 Dies räumt auch Dieter Heublein, NuR 2002, 719 (723, re) als Verfechter des Schwellenwertmodells. 78 Vgl. auch Matthias Herdegen/Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 14 Rdn. 47 a, § 15 Rdn. 85, § 16 Rdn. 85 – allerdings nutzen sie diese Argumentation, um zu begründen, dass ein zufällig eingekreuzter Organismen nicht der Genehmigungspflichten des GenTG unterfällt. 79 Diese Lösung sieht auch Detlef Groß, ZLR 28 (2001), 243 (257) als Ausweg; ebenso Jörg Friedrich, NVwZ 2001, 1129 (1130, re). 74 75

19*

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E. Vereinbarkeit mit den materiellen Grundrechten?

zur Änderung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht Aufsichtsbehörde war, hatte daher das damals für Freisetzungen federführend zuständige Robert Koch-Institut zu Recht angewiesen, den Betreibern von Freisetzungsvorhaben stets den Anbau von Mantelsaaten und die Einhaltung von Isolationsabständen aufzulegen. 80 Gerichte müssen diese Sicherheitsphilosophie bei der Kontrolle der Risikoentscheidung fortsetzen. Sie dürfen nicht wie bisher zu hohe Anforderungen an die Rechtsverletzung des Dritten stellen, indem sie einen Beurteilungsspielraum annehmen und deshalb die Behördenentscheidung nur für rechtswidrig erklären, wenn Rechte des Drittbetroffenen willkürlich behandelt wurden. Dagegen müssen Gerichte dem Dritten eine realistische Chance geben, die Aufhebung der Freisetzungsgenehmigung zu erwirken. Gerichte müssen deshalb die drohende wirtschaftliche Beeinträchtigung des Drittbetroffenen unvoreingenommen berücksichtigen und scharf kontrollieren, ob ein Freisetzungsvorhaben bei den getroffenen Sicherheitsmaßnahmen zugelassen werden darf. Das verlangt, dass sich Gerichte ausführlich mit den möglichen Sicherheitsmaßnahmen befassen und die Risikobewertung der für die Freisetzung zuständigen Behörde (bisher des Robert Koch-Instituts, jetzt des BVL) nicht nur überschlägig auf willkürliche Fehler hin prüfen.

IV. Grundrechtsfeindliche Wirkungen eines Beurteilungsspielraums am Beispiel der Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum scheint auch deshalb problematisch, weil die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern gem. § 46 VwVfG mit ihm nicht grundrechtskonform gelöst werden kann. Bleiben Verstöße gegen drittschützende Verfahrensvorschriften, die dem Grundrechtsschutz Dritter dienen, grundsätzlich unbeachtlich, wird der Grundrechtsschutz Dritter missachtet.81 Heben Gerichte gentechnikrechtliche Entscheidungen bei Verfahrensfehlern stets auf, auch bei kleinen Mängeln, schmälern sie die Grundrechte von Betreibern aus Art. 5 III 1 2. Var., 12 GG, weil Genehmigungen erheblich zeitlich verzögert werden. 82 § 46 VwVfG geht davon aus, dass eine verfahrensfehlerhafte Behördenentscheidung nur aufzuheben ist, wenn sich der Verfahrensfehler auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt hat. In § 46 VwVfG hat der allgemeine Grundsatz des Verwaltungsrechts Niederschlag gefunden, dass eine verfahrensfehlerhafte Behördenentscheidung nur dann subjektive Rechte verletzt, wenn der Verfahrensmangel die Entscheidung materieller Fragen beeinflusst hat. 83 80 81 82 83

So auch Christoph Schmidt-Eriksen, NuR 2001, 492 (497, re). Siehe sogleich unten. Siehe sogleich unten. BVerwGE 56, 230 (233); vgl. auch Rainer Wahl, NVwZ 1991, 409 (415, re).

IV. Grundrechtsfeindliche Wirkungen eines Beurteilungsspielraums

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Besteht ein Beurteilungsspielraum der Behörde, so zwingen Verfahrensfehler grundsätzlich zur Aufhebung einer Behördenentscheidung. 84 Dies folgt daraus, dass Gerichte bei Beurteilungsspielräumen keine eigene Bewertung vornehmen dürfen, um festzustellen, ob die Entscheidung auch anders hätte ausfallen können. Denn viele Abwägungen sind bei Beurteilungsspielräumen der Exekutive vorbehalten. Gerichte dürfen dann nur überschlägig prüfen, ob ein Verfahrensfehler für die materielle Rechtmäßigkeit von Bedeutung ist; nicht aber dürfen sie nach eigener Aufklärung und Ermittlung aller abwägungserheblichen Umstände selbst entscheiden 85. Um den Bewertungsfreiraum der Behörde bestmöglich zu achten, dürfen sie den Verfahrensfehler nur dann für unbeachtlich erklären, wenn ausgeschlossen ist, dass er sich ausgewirkt hat. Das ist etwa der Fall, wenn der Kläger im Klageverfahren nur Ansichten vorträgt, die bereits der Behördenentscheidung zu Grunde gelegen haben 86. Grundsätzlich ist aber davon auszugehen, dass die Behörde den Fall anders beurteilt hätte, wenn das Verfahren eingehalten worden wäre. Beispielsweise hätte die Behörde weitere Erwägungen angestellt, wenn der Kläger bei seiner Anhörung Neues oder sonst Entscheidungserhebliches vorgetragen hätte. 87 Oder die Abwägung wäre anders ausgefallen, wenn der Behörde kein Ermittlungsfehler unterlaufen wäre. 88 Daher müsste zum Beispiel eine gentechnikrechtliche Anlagengenehmigung, die unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften zustande gekommen ist, aufgehoben werden, es sei denn, es wäre schlechterdings ausgeschlossen, dass sich der Fehler ausgewirkt hat. Auch wenn die Genehmigungsvoraussetzungen des § 11 I Nr. 4 GenTG erfüllt wären, müsste die Genehmigung also für rechtswidrig erklärt werden, weil das Gericht das fehlerhafte Verwaltungsverfahren nicht korrigieren darf, indem es selbständig ermittelt und/oder unter Berücksichtigung der Erwägungen des nicht angehörten Klägers selbständig entscheidet.89 Die Grundrechte des Betreibers aus Art. 5 III 1 2. Var., 12 GG würden so aber erheblich geschmälert. Denn die begehrte Genehmigung könnte dem Betreiber erst nach einem neuen Genehmigungsverfahren und damit mit erheblicher zeitlicher Verzögerung erteilt werden, obwohl die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen sind und der Betroffene möglicherweise bereits Investitionen getätigt hat. Dadurch würde die Berufsausübung (Art. 12 GG) erschwert. Auch würde die Forschungsfreiheit (Art. 5 III 1 2. Var. GG) verletzt. Besonders wenn ein gentechnisches Vorhaben rasch realisiert werden muss, damit der Betreiber im internationalen Wettbewerb mithalten kann, würde die pauschale Aufhebung verfahrensfehlerhafter Entscheidungen den Betreiber unverhältnismäßig belasten. Zugleich würde die Investitions84 VG Neustadt, IUR 1992, 165 (169, li); Rainer Wahl, NVwZ 1991, 409 (416, li, 417, re); Christian Bamberger, VerwArch 93 (2002), 217 (229 f.) – die Aufhebung ist unbedingtes Postulat; Ernst Kutscheidt, NWVBl. 1995, 121 (124, re, f.). 85 Rainer Wahl, NVwZ 1991, 409 (415, li, f.). 86 Rainer Wahl, NVwZ 1991, 409 (416, re). 87 Rainer Wahl, NVwZ 1991, 409 (416, li). 88 Rainer Wahl, NVwZ 1991, 409 (416, re). 89 Vgl. VG Neustadt, IUR 1992, 165 (169, li) und allgemein auch Rainer Wahl, NVwZ 1991, 409 (416, re).

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E. Vereinbarkeit mit den materiellen Grundrechten?

bereitschaft von Betreibern gehemmt. 90 Aussichtsreiche Forschungsvorhaben und/ oder gewinnträchtige Projekte könnten unterbunden werden. Damit würde die Bedeutung der Forschungsfreiheit verkannt, deren Förderung nicht nur für den Einzelnen wesentlich ist, sondern auch für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung.91 Außerdem würde missachtet, dass die Unternehmerinitiative gem. Art. 2 I GG ebenfalls verfassungsrechtlich geschützt ist 92. Daher beschränkten Gerichte auch die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit gewerblicher Betreiber unangemessen, wenn sie eine Genehmigung aufhöben, obgleich sich der Verfahrensfehler nicht auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt hat. Die Rechtsprechung ist sich diesen betreiberfeindlichen Wirkungen des Beurteilungsspielraums bewusst. Sie schränkt § 46 VwVfG daher ein 93 und weist Klagen ab, die auf einen Verstoß gegen drittschützende Verfahrensvorschriften gestützt werden. 94 Die Rechtsprechung nimmt also nicht entsprechend der eingangs dargestellten Regel an, dass die Behördenentscheidung bei Beachtung des Verfahrens anders ausgefallen wäre. Vielmehr geht sie umgekehrt davon aus, dass sich der Verstoß gegen drittschützende Verfahrensvorschriften grundsätzlich nicht auswirkt. Zu diesem Ergebnis kommt sie, weil sie vom Beurteilungsspielraum der Behörde auch dann auf die materielle Rechtmäßigkeit der Behördenentscheidung schließt, wenn die Entscheidung verfahrensfehlerhaft ist. Grundrechtskonform ist diese Vorgehensweise indes ebenso wenig wie es die pauschale Aufhebung von verfahrensfehlerhaften Entscheidungen wäre. Die pauschale Abweisung von Klagen gegen verfahrensfehlerhafte Behördenentscheidungen verkennt die Bedeutung drittschützender Verfahrensvorschriften. Besonders 95 die Vorschriften über die Anhörung (vgl. § 18 GenTG) dienen den Grundrechten Drittbetroffener aus Art. 2 II 1, 12 und 14 GG 96, weil Rechtsbehelfe gegen ein schädliches Vorhaben vorbeugend geltend gemacht werden können. 97 Sind solche vorbeugenden Schutzelemente jedoch vor Gericht wirkungslos, weil ihre Verletzung nicht erfolgreich gerügt werden kann 98, so werden die dahinter stehenden Grundrechte entwertet.99 Die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern lässt sich also weder adäquat lösen, wenn der Beurteilungsspielraum so ausgelegt wird, dass verfahrensfehlerhafte BeVgl. allgemein auch Ernst Kutscheidt, NWVBl. 1995, 121 (124, re, f.). Vgl. BVerfGE 35, 79 (114 f.). 92 BVerfGE 50, 290 (366); 65, 196 (210). 93 Mit dieser Forderung auch Udo di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 468, insbesondere Fn. 73. 94 Vgl. Kapitel D. II. 3. d) cc) (3) m. w. N. 95 Ein weiteres Beispiel ist der präventive Verfahrensschutz durch die Genehmigungspflicht, vgl. Kapitel D. II. 3. d) cc) (2). 96 Vgl. Matthias Herdegen, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Einl. Rdn. 44. 97 Das gilt vor allem, wenn ein Erörterungstermin stattfindet, vgl. Kapitel D. II. 3. d) cc) (2). 98 Siehe dazu Kapitel D. II. 3. d) cc) (3). 99 Dazu, dass Verfahrensfehler in grundrechtsrelevanten Verfahren grundsätzlich Grundrechtseingriffe sind, siehe Friedhelm Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdn. 32, 554. 90 91

V. Fazit

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hördenentscheidungen grundsätzlich rechtswidrig sind, noch wenn verfahrensfehlerhafte Entscheidungen wegen eines Beurteilungsspielraums regelmäßig für rechtmäßig erklärt werden. Eine ausgewogene Lösung, die nicht einseitig zum Nachteil von Betreibern oder Dritten entscheidet, verlangt daher, dass der gentechnikrechtliche Beurteilungsspielraum aufgegeben wird. Denn nur wenn eine vollständige eigene Beurteilung inhaltlicher Fragen der Risikobewertung durch Gerichte erfolgt, lässt sich grundrechtskonform prüfen, ob sich der Verfahrensfehler ausgewirkt hat.

V. Fazit: Verletzung materieller Grundrechte durch Annahme eines Beurteilungsspielraums Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum ist auch mit den materiellen Grundrechten unvereinbar, weil sich der Eingriff in sie nicht verfassungsrechtlich rechtfertigen lässt. Auf Grundlage der materiellen Grundrechte ist daher ebenfalls zu fordern, dass die Rechtsprechung zum gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum aufgegeben wird. 100

100

A. A. Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 (28, re).

F. Vereinbarkeit eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums mit Art. 20 a GG? Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum könnte gegen Art. 20 a GG verstoßen. Art. 20 a GG schützt die „natürlichen Lebensgrundlagen“. Damit ist die gesamte natürliche Umwelt des Menschen gemeint: Luft, Wasser, Boden sowie Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen. 1 Art. 20 a GG fordert einen effektiven Schutz. Zwar ist nicht jeder Eingriff zu unterbinden 2, doch darf der Umweltschutz nicht beliebig niedrig sein. 3 Eine Gerichtskontrolle, die Art. 20 a GG bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht voll berücksichtigt, könnte daher einem effektiven Umweltschutz widersprechen. Matthias Kapteina verlangt in seiner Dissertation zur Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen eine „Auslegung von Art. 20 a GG im Sinne einer Vollkontrolle“. 4 Kapteina meint, die Abwägung zwischen den materiellen Grundrechten des Betreibers, Drittbetroffener und des „diametral entgegenstehenden Verfassungsauftrags“ aus Art. 20 a GG fordere eine umfassende Kontrolle der Freisetzungsgenehmigung. Guy Beaucamp geht dagegen in seinem Aufsatz zum gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum nicht eigens darauf ein, ob dieser mit Art. 20 a GG vereinbar ist. 5 Dies könnte daran liegen, dass die Schutzpflicht aus Art. 20 a GG zuerst dem Gesetzgeber auferlegt wird, während Verwaltung und Gerichte Art. 20 a GG „nach Maßgabe von Gesetz und Recht“ erfüllen sollen. 6

I. Schmälerung von Art. 20 a GG durch Annahme eines Beurteilungsspielraums Gentechnikrechtliche Behördenentscheidungen berühren die Umwelt in ihrem natürlichen Wirkungsgefüge auf besondere, ganz unbekannte Weise, die die Rechtsordnung vor neue Herausforderungen stellt. Schon bei gentechnischen Vorhaben im geschlossenen System sind ungewollte Freisetzungen gentechnisch veränderter Organismen möglich. Erst recht wirken sich Freisetzungsvorhaben auf die Natur aus, da die gentechnisch veränderten Organismen ohne physikalische Schranken nach H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 a Rdn. 2. Vgl. Dieter Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdhn. 42: ein maximaler Umweltschutz wird nicht gefordert. 3 Alexander Schink, DÖV 1997, 221 (226, re). 4 Matthias Kapteina, Die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, S. 175. 5 Guy Beaucamp, DÖV 2002, 24 ff. 6 Siehe dazu II. 1. 1 2

I. Schmälerung von Art. 20 a GG

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draußen verbracht werden. Bodenorganismen können durch einen horizontalen Gentransfer verändert werden, ein vertikaler Gentransfer kann natürlich entstandene einheimische Arten verdrängen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Wildkräuter ausgekreuzt werden und das Erbgut von Tieren, die gentechnisch veränderte Saat fressen, verändert wird. Das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Produkte kann die Umwelt ebenfalls verändern, insbesondere bei der Entsorgung von Gentechnikprodukten. Die Umweltauswirkungen gentechnikrechtlicher Vorhaben müssen Behörden stets prüfen. 7 Hierzu zwingen einfachgesetzlich die §§ 11 I Nr. 4, 16 I Nr. 3, 16 II GenTG. Danach muss untersucht werden, ob „schädliche Einwirkungen“ vorliegen. Zumal das Gentechnikgesetz kraft seines § 1 Nr. 1 bezweckt, „Menschen, Tiere, Pflanzen sowie die sonstige Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge zu schützen“, sind auch Umweltbelastungen „schädliche Einwirkungen“. Hinter dieser einfachgesetzlichen Verpflichtung zum Umweltschutz steht Art. 20 a GG, der Behörden zur Risikominimierung und zur Berücksichtigung von Zukunftsproblemen zwingt. 8 Nicht nur Behörden sind an Art. 20 a GG gebunden, sondern auch die Rechtsprechung. Sie hat als Teil des Staates „die natürlichen Lebensgrundlagen“ zu schützen.9 Gerichte müssen deshalb nachprüfen, ob Behörden Umweltbelange genügend beachtet haben. Besonders bei der Kontrolle der Ermessensausübung von Behörden und bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe sind Gerichte verpflichtet Art. 20 a GG zu berücksichtigen. 10 Nach der verfassungsrechtlichen Gewaltenteilung ist grundsätzlich 11 davon auszugehen, dass diese Kontrolle umfassend sein muss. 12 Im Gentechnikrecht prüfen Gerichte die Risikobewertung aber bislang nur auf willkürliche Bewertungsfehler von Behörden. Damit werden sie ihren Schutzpflichten gegenüber der Umwelt weniger gerecht als bei einer Vollkontrolle. Gerichte schmälern deshalb Art. 20 a GG, wenn sie einen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum annehmen.

Vgl. Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 114. Vgl. H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 a Rdn. 5; Alexander Schink, DÖV 1997, 221 (226, li). 9 BT-Drs. 12/6000, S. 68 (li). 10 BT-Drs. 12/6000, S. 68 (li). 11 Zu einer möglichen Ausnahme bei Art. 20 a GG vgl. II. 1. und 2. 12 Zur Pflicht einer vollen Kontrolle objektiven Rechts siehe die Einleitung. 7 8

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F. Vereinbarkeit mit Art. 20 a GG?

II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums? 1. Rechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht? Eingriffe in Art. 20 a GG sind rechtfertigungsbedürftig. 13 Der Eingriff in Art. 20 a GG durch einen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum könnte durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt sein. 14 Art. 20 a GG kann z. B. eingeschränkt werden durch einen Funktionsvorbehalt der Verwaltung und kollidierende Grundrechte Dritter. Ein Funktionsvorbehalt der Exekutive, über umweltrechtliche Belange zu entscheiden, besteht aber nicht. Hiergegen spricht der Wortlaut des Art. 20 a GG, der Verwaltung und Rechtsprechung gleichermaßen dazu verpflichtet, die Schutzpflicht des Art. 20 a GG zu erfüllen. Grundrechte Dritter kollidieren zwar mit Art. 20 a GG, geboten ist aber nur eine sorgfältige Abwägung von Art. 20 a GG mit den Grundrechten im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Gegebenfalls muss man Art. 20 a GG zurücktreten lassen, wenn die Grundrechte stärker zu gewichten sind. Doch bedarf es hierzu keines kontrollbeschränkten Beurteilungsspielraums. Möglicherweise könnte aber der Gesetzgeber die richterliche Kontrolle des Art. 20 a GG einfachgesetzlich durch eine normative Ermächtigung im Gentechnikgesetz beschränkt haben. Da Art. 20 a GG eine Verfassungsnorm ist, wäre eine einfachgesetzliche Begrenzung der Gerichtskontrolle aber nur zulässig, wenn der Gesetzgeber auch von Verfassungs wegen befugt wäre, die Gerichtskontrolle von Umweltfragen einzuschränken. Eine solche verfassungsunmittelbare Befugnis könnte sich aus der Formulierung in Art. 20 a GG ergeben, dass Verwaltung und Gesetzgebung die natürlichen Lebensgrundlagen nur nach „Maßgabe von Gesetz und Recht“ schützen müssen. Indes wollte der Verfassungsgesetzgeber mit diesem Wortlaut nur die Gesetzesbindung der Rechtsprechung aus Art. 20 III GG betonen. 15 Er wollte unterstreichen, dass Gerichte besonders verpflichtet sind, Gesetze zum Schutz der Umwelt – wie z. B. das Gentechnikrecht (§ 1 Nr. 1 GenTG) 16 – zu beachten, nicht aber wollte er die verfassungsrechtliche Schutzpflicht von Gerichten der Regelungskompetenz des einfachen Gesetzgebers unterwerfen. Der Verweis auf die Gesetzesbindung von Gerichten in Art. 20 a GG ist daher i. S. einer Verstärkung des Gerichtsschutzes gemeint und nicht i. S. einer Verkürzung. Eine Beschränkung der Gerichtskontrolle von Umweltfragen lässt sich also mit einer bloß einfachgesetzliDietrich Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdn. 45. Vgl. zur Einschränkbarkeit von Art. 20 a durch kollidierendes Verfassungsrecht H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 a Rdn. 9. 15 BT-Drs. 12/6000, S. 68 (li); H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 a Rdn. 13; Michael Kloepfer, in: BK, Art. 20 a Rdn. 43. 16 Vgl. Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 1 Rdn. 17. 13 14

II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

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chen normativen Ermächtigung nicht rechtfertigen. Daher kann an dieser Stelle auch offen bleiben, ob sich eine solche gesetzliche Ermächtigung im Gentechnikgesetz überhaupt finden ließe 17. 2. Weniger genaue Kontrolle von Staatszielbestimmungen? Gerichte könnten aber berechtigt sein, Umweltbelange weniger genau zu prüfen, weil Art. 20 a GG im Unterschied zu Art. 19 IV GG und den materiellen Grundrechten kein subjektives öffentliches Recht ist, sondern nur eine Staatszielbestimmung.18 Subjektive öffentliche Rechte dienen dem Einzelnen, sie fördern seine Freiheit und Selbstverwirklichung. Sie sind für ihn existentiell. Das verlangt ein höchstes Maß an Rechtsschutz. Staatszielbestimmungen sind nur objektives Recht. 19 Durch die Verankerung als Staatszielbestimmung wird ein öffentlicher Belang zum Verfassungsgut erhoben. Alle staatlichen Entscheidungsträger sind von Verfassungs wegen zu seiner Berücksichtigung verpflichtet 20; einfachgesetzliche Normen sind im Lichte dieser Staatszielbestimmung auszulegen 21. Grundrechte, sogar vorbehaltlose wie die Forschungsfreiheit aus Art. 5 III 1 2 Var. GG, können durch Staatszielbestimmungen eingeschränkt werden. 22 Damit besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen Staatszielbestimmungen und subjektiven Rechten. Staatszielbestimmungen schützen Allgemeininteressen und geben staatliche Wertentscheidungen wieder. Sie haben keinen konkreten Rechtsgutsträger. 23 Subjektive Rechte schützen dagegen die Interessen Einzelner, denen sie unmittelbar zugeordnet sind. Zudem fordert Art. 19 IV GG ausdrücklich nur den Gerichtsschutz subjektiver Rechte 24, nicht aber die Einhaltung objektiver Staatszielbestimmungen. Daher könnte Art. 20 a GG weniger genau zu kontrollieren sein als subjektive öffentliche Rechte. 25 Doch ist dem nicht so: auch im Verhältnis zu den Grundrechten ist Art. 20 a GG genauso sorgfältig zu prüfen. Dafür sprechen die folgenden Ausführungen.

17 Zur ähnlichen Frage, ob das Gentechnikgesetz eine Norm enthält, die erlaubt Art. 19 IV GG zu beschränken, vgl. Kapitel D. II. 3. b) bb). 18 BT-Drs. 12/6000, S. 67 (re, IV., 1. Spiegelstrich); BVerwG, NJW 1996, 1163 (re); Dietrich Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdn. 73; Michael Kloepfer, in: BK, Art. 20 a Rdn. 12. 19 Alexander Schink, DÖV 1997, 221 (223, li). 20 Speziell zu Art. 20 a vgl. BT-Drs. 12/6000, S. 68 (li). 21 Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20 a Rdn. 22. 22 Dietrich Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdn. 72. 23 Tobias Brönneke, Umweltverfassungsrecht, S. 217. 24 Siehe Kapitel D. I 1. 25 So Alexander Schink, DÖV 1997, 221 (229, li), der eine Erweiterung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte ablehnt, weil Art. 20 a kein subjektives Recht gewährt.

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F. Vereinbarkeit mit Art. 20 a GG?

a) Die Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG als Grundrechtsschranke Als Staatszielbestimmung kann Art. 20 a GG Grundrechte beschränken. 26 Klagt ein Betreiber auf Erteilung einer Genehmigung für ein Freisetzungsvorhaben, weil eine Behörde „zu viel Umweltschutz“ gewährt hat, so ist zu prüfen, ob die Behörde zwischen den durch Art. 20 a GG geschützten Umweltbelangen und den Grundrechten wie der Forschungs-, Berufs- und Eigentumsfreiheit des Betreibers richtig abgewogen hat. Klagt ein Dritter gegen eine gentechnische Anlage (mit der unter Umständen besonders umweltfreundlich produziert werden kann), weil er z. B. sein Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II 1 GG) verletzt sieht, so muss der Richter sorgfältig prüfen, ob ein Eingriff in dieses Grundrecht durch Art. 20 a GG verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein kann. Dazu muss der Richter gegebenenfalls zwischen Art. 2 II 1 GG und den durch Art. 20 a GG mit Verfassungsrang geschützten Umweltbelangen abwägen, nicht aber darf diese Abwägung kontrollfrei der Behörde überlassen bleiben. Schon weil Art. 20 a GG eine Grundrechtsschranke ist, muss er also voll kontrolliert werden. b) Verwirklichung der Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG durch richterliche Vollkontrolle Es ist aber nicht nur sicherzustellen, dass eine Einschränkung subjektiver Rechte durch Art. 20 a GG voll durch Richter überprüft werden kann. Vielmehr muss auch dafür gesorgt werden, dass die Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG ihrem Zweck entsprechend bestmöglich verwirklicht wird. Die bestmögliche Verwirklichung des Umweltschutzes kann gerade gefährdet sein, wenn ein Bürger seine Grundrechte (z. B. aus Art. 12, 14, 5 III 1 2. Var. GG) durchsetzen will. Es kommt hinzu, dass Art. 20 a GG, obwohl als Staatszielbestimmung konstruiert, eine den Grundrechten (insbesondere den Grundrechten Dritter) dienende Funktion hat: Art. 20 a GG will die natürlichen Lebensgrundlagen sichern. Damit schafft Art. 20 a GG den Grundstein für menschliches Wirken und die Ausübung subjektiver Rechte. 27 Ein guter Umweltschutz ist besonders für die Gewährleistung der körperlichen Unversehrtheit Einzelner wichtig 28, aber auch für den Schutz des Eigentums (Art. 14 GG) 29. Art. 20 a GG ist folglich nicht nur eine objektivrechtlich wirkende Wertentscheidung des Verfassungsgesetzgebers, sondern er ist ein für den Grundrechtsschutz Dritter 26 BVerwG, NJW 1996, 1163 (re) – zur Kollision von Art. 20 a mit der Kunstfreiheit (Art. 5 III 1 1. Var.); H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 a Rdn. 10; Alexander Schink, DÖV 1997, 221 (229, re). 27 BT-Drs. 12/6000, S. 67 (re, IV., 2. Spiegelstrich): Art. 20 a ist für die lebende Generation von existentieller Bedeutung. 28 H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art.20 a Rdn: 11; Alexander Schink, DÖV 1997, 221 (224, re). 29 Tobias Brönneke, Umweltverfassungsrecht, S. 215.

II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

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unentbehrliches Staatsziel. 30 Hiervon geht auch die Rechtsprechung aus, wenn sie Art. 20 a GG mitprüft, falls ein Dritter „ein zu wenig an Umweltschutz“ rügt.31. Sie reichert subjektive öffentliche Rechte mit Umweltgehalten an, so dass sich auch Umweltverstöße auf den Erfolg der Klage auswirken. 32 So ist es etwa möglich, dass ein Drittbetroffener mit Hilfe von Umweltbestimmungen eine Verletzung subjektiver Rechte geltend machen kann. Etwa kann eine Klage auf Art. 14 GG gestützt werden, wenn Grundeigentum in Anspruch genommen wird, z.B. weil eine Enteignung wegen eines Verstoßes gegen umweltrechtliche Normen rechtswidrig ist.33 Art. 20 a GG verstärkt damit subjektive öffentliche Rechte. Dieser Zusammenhang verbietet es, Umweltfragen weniger genau zu kontrollieren. Zudem läuft es dem Willen des Verfassungsgesetzgebers zuwider, die Umwelt besonders zu schützen und den Umweltschutz im Grundgesetz zu verankern 34, wenn Gerichte Umweltfragen nur überschlägig kontrollieren. 35 Art. 20 a GG verpflichtet nicht nur die Exekutive, sondern auch die Gerichte, die besonders zur Abwägung zwischen Grundrechten und kollidierenden Verfassungsgütern geeignet sind. 36 Wegen ihrer institutionellen Unabhängigkeit sind Gerichte dem Zugriff organisierter Interessengruppen wie forschungsfördernden Organisationen oder der Gentechnik-Industrie weniger stark ausgesetzt als die Exekutive. 37 Gerichte sind deshalb zwar nicht inhaltlich besser geeignet, über die Auswirkungen gentechnischer Vorhaben auf die Umwelt zu entscheiden als Behörden. Auch folgt aus der Unabhängigkeit von Gerichten nicht, dass diese ökologischer urteilen als die Verwaltung. 38 Doch gewährleistet die gerichtliche Unabhängigkeit, dass Umweltbelange unvoreingenommen geprüft werden. Insofern stellt eine volle Gerichtskontrolle ein „Plus“ dar gegenüber einer bloßen Berücksichtigung von Art. 20 a GG durch Behörden. Eine effektive Umsetzung der parlamentarischen Wertentscheidung, dass alle Staatsorgane die Umweltschutz schützen sollen, verlangt daher ebenfalls eine volle gerichtliche Kontrolle. 39 Der letzte Teil des Art. 20 a GG, der auch die Rechtsprechung zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichtet ist, liefe außerdem leer, wenn Gerichte nur wenig kontrollieren. Art. 20 a GG ist gegenüber subjektiven Rechten ohnehin geTobias Brönneke, Umweltverfassungsrecht, S. 215. BVerwGE 67, 74 (78 f.). 32 Vgl. auch H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 a Rdn. 11; Michael Kloepfer, in: BK, Art. 20 a Rdn. 16, Tobias Brönneke, Umweltverfassungsrecht, S. 501. 33 BVerwGE 67, 74 (78); Tobias Brönneke, Umweltverfassungsrecht, S. 405; vgl. auch Dietrich Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdn. 74. 34 BT-Drs. 12/6000, S. 65. 35 Vgl. auch Tzung-Jen Tsai, S. 175, der daher für eine verstärkte verwaltungsgerichtliche Kontrolle bei der Überprüfung von planerischen Entscheidungen und Ermessensentscheidungen plädiert. 36 Siehe oben II. 1. 37 Günter Hartkopf/Eberhard Bohne, Umweltpolitik, Band 1, S. 136. 38 Michael Kloepfer, Umweltrecht, § 8 Rdn. 54. 39 Vgl. auch Tobias Brönneke, Umweltverfassungsrecht, S. 483 ff. (487), 501. 30 31

302

F. Vereinbarkeit mit Art. 20 a GG?

schwächt, weil Art. 20 a GG bei Drittklagen nur geprüft wird, wenn auch eine Verletzung subjektiver Rechte möglich erscheint (§ 42 II VwGO). Lediglich der Adressat eines belasteten Verwaltungsakts kann einen Verstoß gegen Art. 20 a GG rügen, da zumindest Art. 2 I GG verletzt ist, wenn ein Eingriff nicht jeder Hinsicht verfassungsgemäß ist. 40 Stützt demgegenüber ein Dritter (ohne als Umweltverband abweichend von § 42 II VwGO klagebefugt zu sein 41) seine Klage nur auf die Missachtung von Umweltvorschriften, scheitert er bereits an der Zulässigkeit. Mag Art. 20 a GG hier auch verletzt sein, er wird von Gerichten nicht kontrolliert. Darüber hinaus können Gerichte eine rechtswidrige gentechnikrechtliche Genehmigung, die nur gegen Art. 20 a GG verstößt, nicht aufheben, weil § 113 I 1 VwGO dafür eine Rechtsverletzung des Klägers voraussetzt. Diese geringe Durchsetzungskraft von Art. 20 a GG dürfen Gerichte nicht noch weiter mindern, indem sie Art. 20 a GG weniger genau untersuchen. Gerichte müssen daher bei Klagen im Gentechnikrecht auch Umweltbelange voll mitkontrollieren. 42 Besonders wirkungsvoll wäre der Umwelt(rechts)schutz jedoch verwirklicht, wenn Umweltbelange nicht nur bei dem als verletzt gerügten subjektiven Recht mitgeprüft würden, sondern wenn stets eine umfassende objektive Kontrolle von Umweltfragen erfolgte. Eine Mitprüfung des Art. 20 a GG als Rechtfertigungsgrund für einen Eingriff in ein subjektives öffentliches Recht gelingt (nach h. M.) etwa nicht, wenn sich kein Eingriff in ein solches Recht nachweisen lässt. Beispielsweise kann ein Eingriff in das Grundeigentum des Nachbarn einer gentechnischen Freisetzung ausscheiden, wenn umweltschädliche Wirkungen (z. B. die Beeinträchtigung von Bodenorganismen) nur auf dem Grundstück des Betreibers nachweisbar sind. Dann könnte die dem Betreiber erteilte Genehmigung gegen Art. 20 a GG verstoßen, ohne das Eigentum des Nachbarn zu beeinträchtigen. Weil Art. 20 a GG im Gentechnikrecht nicht durch ein Verbandsklagerecht gestärkt ist 43, könnte daher erwogen werden, den Gerichtsschutz kraft Art. 20 a GG fortzuentwickeln ist, um die Umwelt wirksam zu schützen. Eine solche rechtspflegende objektivrechtliche Kontrolle von Umweltbelangen ließe sich mit dem subjektiven Modell verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes 40 Vgl. Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 125; Dietrich Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdn. 74. 41 § 61 I und § 61 II BNatSchG i. d. F. 25.03.2002 (BGBl. I S. 1193); zu ähnlichen Vorschriften in den Landesnaturschutzgesetzen siehe z.B. § 33 II Saarl. NatSchG i.d. F. der Neubekanntmachung v. 19.03.1993 (Amtsbl. S. 346, ber. S. 482) zuletzt geändert am 05.02.1997 (Amtsbl. S. 258); § 60 c NdS. NatSchG i. d. F. vom 11.04.1994 (GVBl. S. 155, ber. S. 267) zuletzt geändert am 21.03.2002 (Amtsbl. S. 112). 42 A. A. allgemein für Art. 20 a GG; Michael Kloepfer, DVBl. 1996, 73 (76, li); Felix Eckardt, SächsVBl. 1998, 48 (51, li), die nur eine Prüfungspflicht (unter Beachtung vorhandener Beurteilungsspielräume der Behörden) annehmen; ähnlich Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20 a Rdn. 63 und Dietrich Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdn. 63, die meinen, Gerichte dürften ihre Entscheidungen aber nicht an die Stelle der Verwaltung setzen. 43 Umweltverbände haben nur das Recht, im Verwaltungsverfahren Einwendungen zu erheben. Siehe dazu Kapitel G. III. 1.

III. Fazit

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vereinbaren. Danach sollen Gerichte zuvörderst subjektive öffentliche Rechte schützen. 44 Dies zeigen § 42 II VwGO, der für die Klageerhebung die Möglichkeit einer Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts verlangt und die § 113 I 1 und § 113 V 1 VwGO, nach denen eine Klage nur begründet ist, wenn auch subjektive Rechte des Klägers verletzt sind. Trotz dieser subjektivrechtlichen Ausrichtung verbietet die VwGO aber keinen objektivrechtlichen Rechtsschutz. Ebenso wenig tut dies Art. 19 IV GG. 45 Dass Gerichte auch objektiven Rechtsschutz gewähren dürfen, folgt aus § 47 VwGO, dem verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren. Auch verlangen die § 113 I 1 und § 113 V 1 VwGO, dass Gerichte nicht nur eine Rechtsverletzung prüfen 46, sondern Gerichte müssen auch nachkontrollieren, ob ein Verwaltungsakt „rechtswidrig ist“. Hierauf aufbauend ließe sich ein Kontrollmodell entwickeln, bei dem Gerichte im Gentechnikrecht auch Verstöße gegen Art. 20 a GG feststellen. Nach diesem Modell dürften Gerichte eine nur umweltwidrige Behördenentscheidung nicht aufheben, weil kein subjektives öffentliches Recht des Klägers verletzt wäre. Die Klage müsste also weiterhin – wie in einem rein subjektiven Rechtsschutzmodell – abgewiesen werden. Doch hätten Gerichte in den Entscheidungsgründen darzulegen, dass die Behörde objektiv gegen Art. 20 a GG verstoßen hat bzw. gegen nicht drittschützende Umweltnormen des einfachen Rechts, die Art. 20 a GG präzisieren (z. B. Anhang I 2.3 der GenTSV). Durch eine solche gerichtliche Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 20 a GG würde die Verwaltung rechtspflegend an ihre Pflicht zum umwelt(gesetzmäßigem) Handeln (Art. 20 III, 20 a GG) erinnert. So würden Gerichte die Verwaltung mittelbar zwingen, eine umweltwidrige gentechnikrechtliche Entscheidung gem. §§ 20 I GenTG, 48 VwVfG zurückzunehmen und Umweltfragen künftig angemessen zu berücksichtigen.

III. Fazit: Verkennung von Art. 20 a GG durch einen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum Als Ergebnis von Kapitel F. ist damit festzuhalten: Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum ist mit Art. 20 a GG unvereinbar, denn auch ein wirkungsvoller Umweltschutz verpflichtet Gerichte zu einer Vollkontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen.

44 45 46

Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 108 ff. Vgl. Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 205 zur Prinzipalkontrolle (§ 47 VwGO). Vgl. auch Tobias Brönneke, Umweltverfassungsrecht, S. 402.

G. Vereinbarkeit eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums mit der verfassungsrechtlichen Rolle von Gerichten? – Verstoß gegen Art. 92, 97 GG Gem. Art. 92 1. HS GG ist die rechtsprechende Gewalt Richtern anvertraut; sie wird durch Gerichte ausgeübt (Art. 92 1. HS GG). Art. 92 GG enthält kein subjektives öffentliches Recht 1, sondern er verlangt aus staatsorganisatorischer Sicht, dass es eine rechtsprechende Gewalt geben muss, die von Richtern wahrgenommen wird. Art. 92 GG konkretisiert das Gewaltenteilungsprinzip, indem er klarstellt, dass die rechtsprechende Aufgabe ausschließlich Gerichten zugewiesen ist. 2 Zu den verfassungsrechtlichen Aufgaben der Rechtsprechung zählen alle Aufgaben, die das Grundgesetz Gerichten überträgt. 3 Besonders die Verpflichtung aus Art. 19 IV GG, dem Einzelnen Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt zu gewähren, zählt dazu. 4 Auch der einfache Gesetzgeber kann Gerichten Aufgaben zuweisen, die dann ebenfalls von Art. 92 GG erfasst werden. 5 Wie Richter ihre Aufgaben wahrnehmen müssen, sagt Art. 97 I GG. Richter sollen „unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen“ entscheiden. Die damit verbundene Stellung der Rechtsprechung als unabhängige, eigenständige Gewalt ist wesentlich für das Verhältnis der Rechtsprechung zu den anderen Gewalten. Die Unabhängigkeit ist Kennzeichen der rechtsprechenden Gewalt. Durch sie wird die Rechtsprechung besonders gegen Einflüsse anderer Gewalten geschützt. Während die Verwaltung weisungsgebunden und hierarchisch strukturiert ist, an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 III GG) und der Rechtsprechungsgewalt von Gerichten unterliegt (Art. 19 IV GG), ist die Rechtsprechung nur Recht und Gesetz unterworfen. Art. 97 I GG weist den Richtern damit eine besondere Stellung im Verfassungsgefüge zu. Die Rechtsprechung ist eine eigenständige Gewalt, die in rechtlichen Fragen besonders sachverständig ist. Hieraus lassen sich neben der Pflicht, Rechtsschutz zu gewähren, weitere, auch objektivrechtliche Aufgaben ableiten, wie etwa das Recht zu präzisieren und es fortzuentwickeln 6. Zudem ist die Rechtsprechung verpflichtet, 1 Vgl. BVerfGE 48, 246 (263) speziell für die richterliche Unabhängigkeit; Bodo Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 92 Rdn. 1. 2 Bodo Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 92 Rdn. 1; Roman Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 92 Rdn. 17. 3 Bodo Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 92 Rdn. 2. 4 Vgl. Bodo Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 92 Rdn. 2. 5 Roman Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 92 Rdn. 31 ff. 6 Siehe I.

I. Vereinbarkeit mit der Unabhängigkeit von Gerichten?

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die Rechtsordnung zu wahren (Art. 20 III GG). Daraus lässt sich möglicherweise die weitere Aufgabe ableiten, die Akzeptanz gentechnikrechtlicher Behördenentscheidungen zu stärken, sowohl im kleinen Rahmen unter den Prozessbeteiligten als auch in der Gesellschaft insgesamt (siehe dazu II.). Soweit die Rechtsprechung ihren verfassungsrechtlichen Pflichten nicht nachkommt und dadurch subjektive Rechte schmälert, kann ein Betroffener eine Verletzung der Art. 92, 97 GG rügen. Seine Verfassungsbeschwerde kann er auf Art. 19 IV GG stützen. 7 Darüber hinaus sind die Art. 92, 97 GG unbeschadet einer Verletzung subjektiver Rechte zu beachten, wenn ein Beurteilungsspielraum anerkannt werden soll, der Richter in ihrer Entscheidungsfreiheit beschränkt. Im Gentechnikrecht prüfen Gerichte die Risikobewertung von Behörden bislang nicht voll. Vielmehr beschränken sie ihre Rechtsmacht durch Annahme des gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums, gleich ob sie subjektiven Rechtsschutz gewähren oder ob sie durch ihre Kontrolle helfen, die objektivrechtliche Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG zu verwirklichen. 8 Eine Kontrollbeschränkung könnte mit der verfassungsrechtlichen Rolle von Gerichten aus Art. 92, 97 GG unvereinbar sein.

I. Vereinbarkeit eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums mit der Unabhängigkeit von Gerichten? Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum ist möglicherweise verfassungswidrig, soweit er Gerichte an Behördenentscheidungen bindet, obwohl Art. 97 I GG verlangt, dass Gerichte unabhängig urteilen. Gerichte dürfen nur dem Gesetz unterworfen werden. „Gesetzesbindung“ i. S. von Art. 97 I GG ist auszulegen wie die „Bindung von Gerichten an Recht und Gesetz“ in Art. 20 III GG. Die „Bindung an Recht und Gesetz“ scheint zwar stärker, weil Gerichte auch an das „Recht“ gebunden werden. Doch sind beide Vorschriften gleich zu lesen. 9 Auch die Formulierung an das „Gesetz gebunden“ erlaubt damit wie Art. 20 III GG eine Bindung an das gesamte Recht: an formelle Gesetze, an alle anderen Rechtsvorschriften, wie Rechtsverordnungen und Satzungen und an das Gewohnheitsrecht. 10 Eine Bindung der Rechtsprechung an Einzelweisungen der Verwaltung 11 und an Verwaltungsvorschriften 12 ist hingegen unzulässig 13, es sei denn, sie kann durch kollidierendes VerMartin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 35. Siehe Kapitel C. III. 2. b) cc) und Kapitel F. 9 H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rdn. 38. 10 H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rdn. 38. 11 BVerfGE 14, 56 (69); 26, 186 (198); 31, 137 (140); 36, 174 (185). 12 BVerfGE 78, 214 (227); H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rdn. 38. 13 BVerfGE 26, 79 (92 ff.); Bodo Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 97 Rdn. 3. 7 8

20 Schmieder

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G. Vereinbarkeit mit der verfassungsrechtlichen Rolle von Gerichten?

fassungsrecht gerechtfertigt werden. 14 Z. B. kann das Gewaltenteilungsprinzip 15 Gerichte an bestandskräftige Verwaltungsakte binden, um die Handlungsfähigkeit der Verwaltung zu stärken. 16 Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum ist weder formelles Gesetz noch eine sonstige Norm, die Gerichte binden könnte. Diese Beschränkung der Gerichtskontrolle ist auch nicht mit der Bindung an Rechtsverordnungen i. S. von Art. 80 GG vergleichbar, so dass sie kraft einer Analogie zu Art. 80 GG gerechtfertigt werden könnte. 17 Eine solche analoge Anwendung scheitert, weil Entscheidungen mit Beurteilungsspielräumen keine abstrakt-generellen Regelungen sind wie Rechtsverordnungen, sondern konkret-individuelle Entscheidungen der Verwaltung. 18 Ferner ist ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum kein Gewohnheitsrecht. Dazu fehlt es an einer genügend langen zeitlichen Übung und vor allem an einer entsprechenden Rechtsüberzeugung. 19 Neue Rechtsinstitute wie ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum können nicht durch ihre Bezeichnung als Gewohnheitsrecht erklärt werden. 20 Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum ist vielmehr Richterrecht, durch das Gerichte ihre Entscheidungsgewalt selbst beschränken, so als würden sie die Einzelweisung einer Behörde befolgen. Mit Art. 97 GG ist dies nicht vereinbar, denn einem gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum liegt keine normative Ermächtigung des Gesetzgebers zu Grunde, die einen Beurteilungsspielraum erlaubte. 21 Auch rechtfertigt kein sonstiges kollidierendes Verfassungsrecht, Gerichte an die Risikobewertung von Behörden zu binden. 22 Vielmehr erlaubt Art. 97 GG nur dem parlamentarischen und dem materiellen Gesetzgeber für Gerichte verbindliche Anweisungen zu schaffen; nicht aber berechtigt Art. 97 GG Behörden zur faktischen Rechtsetzung durch administrative Beurteilungsspielräume 23. Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum verstößt deshalb gegen die Unabhängigkeit von Gerichten. 24 Damit verletzt er zugleich die in Art. 20 II 1 GG verankerte Gewaltenteilung, die durch die Art. 92, 97 GG präzisiert wird.

Vgl. BVerfGE 75, 329 (346); dazu auch Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 339. Roman Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 97 Rdn. 29 f. 16 Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 337. 17 So aber die Idee vom Delegationsbegriff von Hanns Jürgen Weigel, Beurteilungsspielraum oder Delegationsbegriff?, S. 172 ff.; siehe dazu Kapitel C. II. 1. b). 18 Vgl. schon Kapitel D. II. 2. 19 Zur Entstehung von Gewohnheitsrecht Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rdn. 19 ff. 20 Vgl. auch Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rdn. 24. 21 Siehe Kapitel D. II. 3. b) bb); siehe auch dazu, dass Richterrecht keine Rechtsbindung erzeugt BVerfGE 84, 212 (227); H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rdn. 38. 22 Siehe Kapitel D. II. 3. 23 Vgl. auch Peter Becker, in: Festschrift für H. Simon, S. 623 (625). 24 So allgemein schon Fritz Czermak, JuS 1968, 399 (402, li). 14 15

II. Vereinbarkeit mit der Aufgabe der Gerichte zur Präzisierung des Rechts?

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II. Vereinbarkeit eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums mit der Aufgabe der Gerichte zur Präzisierung und Fortentwicklung des Rechts? Gerichte sollen das Recht anhand von Einzelfallentscheidungen näher bestimmen und fortentwickeln. 25 Dies ist eine ihrer originären Aufgaben. Auslegung und Präzisierung unklarer Rechtsbegriffe sind unerlässlich, um Rechtsschutz i. S. von Art. 19 IV GG zu gewähren, weil die Kontrolle einer Einzelentscheidung die Auslegung und Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe verlangt. 26 Die Fortentwicklung des Rechts gehört zu den objektivrechtlichen Aufgaben der Rechtsprechung, die sie im öffentlichen Interesse mit Wirkung über den zur Entscheidung stehenden Fall hinaus erfüllen muss. 27 Durch die Entwicklung von Auslegungsmaßstäben fördert die Rechtsprechung eine gleichmäßige Rechtsanwendung. Sie trägt zur Rechtssicherheit und zur Verfahrensbeschleunigung bei 28 und fördert so wiederum den Individualrechtsschutz. 29 Die Rechtsprechung ist besonders dort zur Präzisierung des Rechts und zu dessen Fortentwicklung berufen, wo der Gesetzgeber der Verwaltung nur vage Begriffe vorgegeben hat. 30 Hier müssen Gerichte ihre besonderen Fähigkeiten einsetzen. Sie haben unbestimmte Gesetze zu interpretieren und müssen der Verwaltung Auslegungsmaßstäbe an die Hand geben, besonders dort, wo ein Gesetz noch jung ist und Rechtsfragen umstritten sind 31. Im Gentechnikecht bestünde besonderer Bedarf dafür, dass die Rechtsprechung von ihrer Präzisierungs- und Interpretationsfunktion Gebrauch macht. Denn vielfach ist unsicher, wie unbestimmte Rechtsbegriffe auszulegen sind. Etwa ist der Risikobegriff im Gentechnikgesetz nicht definiert. 32 Gerichte können diese Lücke schließen, indem sie genau herausarbeiten, wann ein Risiko nach dem Stand der Wissenschaft und Technik nur ein verfassungsrechtlich hinnehmbares Restrisiko darstellt. Die richtige Abwägung zwischen den Chancen und Risiken der Gentech25 BVerfGE 34, 269 (287 f.); 69, 315 (371); 98, 49 (59 f.); Wolf-Rüdiger Schenke, in: BK, Art. 19 IV Rdn. 338; Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 92 Rdn. 38 f.; Carl Herman Ule, in: Gedächtnisschrift für W. Jellinek, S. 309 (326); Joachim Schmidt-Salzer, Der Beurteilungsspielraum, S. 48; Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 175 f.; Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rdn. 60; ders., HStR III, § 60 Rdn. 101. 26 Vgl. dazu ausführlich Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 28, 175, 184 f., 187. 27 Ferdinand O. Kopp, BayVBl. 1980, 263 (269, re). 28 Ernst Kutscheidt, NWVBl. 1995, 121 (124, li). 29 Vgl. Ferdinand O. Kopp, BayVBl. 1980, 263 (270, li). 30 Vgl. Martin Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 402, 453; Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rdn. 60. 31 Ferdinand Kopp, BayVBl. 1980, 253 (269, re, 270, li). 32 Rolf-Dieter Drescher, ZUR 1994, 289 (294, li).

20*

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G. Vereinbarkeit mit der verfassungsrechtlichen Rolle von Gerichten?

nik, die hier nötig ist 33, ließe sich anhand von Beispielsfällen präzisieren; so wie dies bei der polizeirechtlichen Generalklausel geschehen ist und im Pflanzenschutzrecht bei der Auslegung und Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe der Zulassungsvorschrift des § 15 I Nr. 3 b) PflSchG. Für die Risikoabwägung im Pflanzenschutzrecht, die derjenigen im Gentechnik ähnelt, hat das BVerwG in der ParaquatEntscheidung Leitlinien entwickelt, wie der Begriff „sonstige Auswirkungen“, die nach dem Stande der wissenschaftlichen Erkenntnisse „nicht vertretbar“ sind, auszulegen ist. 34 Im Gentechnikrecht können Gerichte ebenfalls zur Auslegung des Begriffs „unvertretbar“ beitragen. 35 Dazu, wann ein Freisetzungsvorhaben oder ein Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen gem. §§ 16 I Nr. 3, II GenTG zugelassen werden darf, weil von ihm „unvertretbare schädliche Einwirkungen ... nicht zu erwarten sind“, werden in der Literatur unterschiedliche Auffassungen vertreten. Manche meinen, dass der Begriff der „unvertretbar schädlichen Einwirkungen“ nicht zur Hinnahme eines größeren Risikos als des sozialadäquaten Restrisikos berechtige. 36 Andere sind der Auffassung, ein unvertretbares Risiko sei mehr als ein Restrisiko. 37 Sie setzen den Zweck des Vorhabens mit den Risiken des Vorhabens ins Verhältnis. Indes wird eine weite Bedürfnisprüfung, die auch eine allgemeinpolitische Technologiefolgenabschätzung und eine Nützlichkeitsprüfung enthielte, allgemein abgelehnt. 38 Manche schränken den Begriff der „unvertretbar schädlichen Einwirkungen“ weiter ein: vertretbar sollen Einwirkungen nur sein, wenn sie mit einem Freisetzungsvorhaben oder einem Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Produkte zwangsläufig einhergehen. 39 So etwa soll es nicht „unvertretbar“ sein, dass gentechnisch veränderter Mais Insekten tötet und damit den Naturhaushalt beeinträchtigt. Allerdings gibt es auch innerhalb dieser Meinung unterschiedliche Auffassungen darüber, was „zwangsläufige Schäden“ sind. Nach einer Ansicht sind dies nur Schäden an der Umwelt. 40 Andere vertreten, das auch Schäden an sonstigen Rechtsgütern erfasst sind. 41 Etwa werden Gesundheitsschäden hingenommen, wenn Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 95; vgl. Kapitel B. IV. 4. c) bb) (2). BVerwGE 81, 12 (15, 17). vgl. dazu Volker Kaus, DVBl. 2000, 528 (533, re, ff.). 35 Vgl. dazu, dass eine Klärung durch Gerichte Antworten bringen kann, auch Klaus Fritsch/ Kristina Haverkamp, BB 1990, Beilage 31, 1 (16, re); Birgit Laber, VR 1993, 361 (365, li). 36 Matthias Kapteina, Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen, S. 113. 37 Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 101; ders., Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, S. 82, 90; Meike Jörgensen/Gerd Winter, ZUR 1996, 293 (295, li). 38 Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 103 f.; Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 16 Rdn. 25; Christian Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, S. 130 und S. 131 f.; Karl-Heinz Ladeur, NuR 1992, 254 (260, li). 39 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 16 Rdn. 20 sprechen von einem Ausgleich von „Zielkonflikten“; ebenso Wolfgang Graf Vitzthum/Tatjana Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, S. 100; Karl-Heinz Ladeur, NuR 1992, 254 (260, re), Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 172 ff. 40 Karl-Heinz Ladeur, NuR 1992, 254 (260, re). 41 Arnim Karthaus, Risikomanagement, S. 175. 33 34

II. Vereinbarkeit mit der Aufgabe der Gerichte zur Präzisierung des Rechts?

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gentechnisch veränderte Medikamente nicht nur Krebszellen töten, sondern auch gesundes Gewebe. Dass sich die für Freisetzungen und ein Inverkehrbringen zuständige Behörde mit den vielen Ansichten zur „Unvertretbarkeit“ auseinander setzt, kommt in den Genehmigungsbescheiden des bisher zuständigen Robert Koch-Instituts regelmäßig nicht zum Ausdruck. Überwiegend werden schon „schädliche Einwirkungen“ verneint, so dass offen gelassen wird, ob diese unvertretbar sind. 42 Klärende Worte der Rechtsprechung zur Vertretbarkeitsklausel wären somit hilfreich. Denn die Rechtssicherheit wird nicht gefördert, wenn ein unbestimmter Rechtsbegriff derart ungeklärt bleibt. 43 Dies gilt besonders, wenn ein unbestimmter Rechtsbegriff wie die Vertretbarkeitsklausel eine wichtige Genehmigungsvoraussetzung ist, die grundrechtskonform eng verstanden werden muss, um eine Genehmigung nicht faktisch unmöglich zu machen. Zum Schutz der Betreibergrundrechte aus Art. 12, 5 III 1 2. Var. GG sind bei der Vertretbarkeitsprüfung nur solche Schäden zu berücksichtigen, die mit Freisetzungen und dem Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen zwangsläufig verbunden sind. „Unvertretbar“ darf also nicht entsprechend einzelner Literaturansichten weit ausgelegt werden und zum Nachteil von Betreibern zum Einfallstor für eine weite Bedürfnisprüfung ausufern. Diese Gefahr können Gerichte bannen, indem sie ihren Urteilen ein restriktives Verständnis der Vertretbarkeitsklausel zu Grunde legen. So wird die für Freisetzungen und ein Inverkehrbringen zuständige Behörde (künftig das BVL) gezwungen, „unvertretbar“ ebenfalls eng zu verstehen, weil es mit einer Aufhebung seiner Entscheidungen rechnen muss, wenn es nicht wie Gerichte entscheidet. Zudem kann der Begriff der „schädlichen Einwirkungen“ durch die Rechtsprechung besser geklärt werden. Urteile hierzu existieren bereits, doch muss der Begriff verfassungskonform richtig bestimmt werden. Die Grundrechte von Einkreuzungsopfern aus Art. 12 und 14 GG müssten stärker gewichtet werden. Das haben die Ausführungen in Kapitel B. und E. gezeigt. Außerdem wäre es wichtig, dass der Begriff der „schädlichen Einwirkungen“ mit Blick auf Schädigungen des Naturhaushalts präzisiert wird. Denn es gibt bislang keine Regel, wann der Naturhausgehalt geschädigt ist, insbesondere besteht kein Grenzwert, wie viele neukombinierten Gene in der Umwelt toleriert werden dürfen. Einen solchen eindeutigen Wert könnten Gerichte durch ihre Urteile auch nicht entwickeln. Doch könnten sie konkretisieren, wann die „Umwelt in ihrem natürlichen Wirkungsgefüge“ geschädigt ist. Dazu können sie die Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege aus § 2 BNatSchG als Auslegungshilfe heranziehen. 44 Aus § 2 I Ziffern 1–15 BNatSchG 42 Vgl. S. 16 des Musters eines Genehmigungsbescheides des Robert Koch-Instituts, abgedruckt in: Hans Günther Gassen/Walter P. Hammes, Handbuch Gentechnologie und Lebensmittel, IV. 1. 13; zur Vorgehensweise des Robert Koch-Instituts vgl. auch Hans-Georg Dederer, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, § 16 Rdn. 97. 43 Vgl. Rolf-Dieter Drescher, ZUR 1994, 289 (296, re). 44 Ingrid Nöh, ZUR 1999, 12, 13 (re); Siegmar Pohl, Die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, S. 136, 138.

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G. Vereinbarkeit mit der verfassungsrechtlichen Rolle von Gerichten?

folgt, dass die Natur und die Arten in ihrer Vielfalt zu erhalten sind. Wendet man § 2 BNatSchG im Wege der systematischen Auslegung im Gentechnikrecht an, so sind zwar einzelne gentechnisch veränderte Organismen noch nicht als Schädigung anzusehen, wohl aber eine Verdrängung konventioneller Arten durch vertikalen oder horizontalen Gentransfer. Diese Beispiele zeigen, dass Gerichte kraft ihrer Präzisierungsfunktion dazu beitragen können, Auslegungsprobleme im Gentechnikrecht zu klären. Doch werden sie durch einen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum gehindert, das Recht effektiv fortzuentwickeln. Wie das zulässige Restrisiko zu bestimmen ist, wird von Gerichten nicht geklärt, weil sie die Risikobewertung der Behörde nicht voll prüfen. Eine Präzisierung des Begriffs „unvertretbar“ gelingt nicht, wenn die materielle Rechtmäßigkeit nur überschlägig kontrolliert wird. Die verfassungskonform an den Art. 12 und 14 GG auszurichtende Auslegung des Begriffs „schädlich“ in § 16 I Nr. 3 und § 16 II GenTG 45 wird durch den Beurteilungsspielraum unmöglich, weil Gerichte die inhaltliche Rechtmäßigkeit der Behördenentscheidungen nur auf willkürliche Fehlbewertungen hin prüfen und deshalb die Anforderungen an eine Rechtsverletzung des Rechtsschutzsuchenden über Gebühr erhöhen. Der gentechnikrechtliche Beurteilungsspielraum hindert Gerichte daher nicht nur daran, grundrechtskonform zu entscheiden und ihre Rolle als Hüter subjektiver Rechte zu erfüllen, sondern er verwehrt ihnen gleichfalls, ihrer objektivrechtlichen Aufgabe nachzukommen, das Recht fortzuentwickeln. Da sich ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum nicht durch kollidierendes Verfassungsrecht rechtfertigen lässt, wird also auch gegen Art. 97 I GG verstoßen, wenn Gerichte von sich aus ihre Kontrolle beschränken und deshalb zu wenig Auslegungsmaßstäbe für das Gentechnikrecht erarbeiten.

III. Vereinbarkeit eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums mit der Aufgabe der Gerichte, die Akzeptanz der Gentechnik zu stärken? Weiter ist zu erforschen, ob ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum deshalb aufgegeben werden muss, weil er Gerichte beschränkt, die Akzeptanz der Gentechnik zu stärken, indem sie Vertrauen in die Richtigkeit gentechnikrechtlicher Behördenentscheidungen wecken. Dies setzte zweierlei voraus. Erstens müsste die These zutreffen, dass eine volle Kontrolle zur Akzeptanz der Gentechnik beiträgt. Zweitens müsste sich die Pflicht von Gerichten, Vertrauen zu fördern, aus den Art. 92, 97 GG ableiten lassen; nur dann wäre ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum auch deshalb verfassungswidrig. Andernfalls könnte insoweit nur rechtspolitisch gefordert werden, dass Gerichte voll kontrollieren.

45

Siehe Kapitel B. IV. 5. b) bb).

III. Vereinbarkeit mit der Aufgabe der Gerichte, die Akzeptanz zu stärken?

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1. Größere Akzeptanz der Gentechnik durch volle gerichtliche Kontrolle Will man ermitteln, ob eine Vollkontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen die Akzeptanz der Gentechnik verbessert, sind zwei Blickwinkel zu unterscheiden. Es muss geprüft werden, welche Wirkung eine umfassende gerichtliche Prüfung auf die Beteiligten eines Verwaltungsprozesses hat, und es ist zu fragen, ob und wie die Gesellschaft durch eine Vollkontrolle beeinflusst wird. 46 Jeder kann sich gegen ein gentechnisches Vorhaben legal zur Wehr zu setzen, indem er im Verwaltungsverfahren Einwendungen erhebt. Dies folgt aus der offenen Formulierung des § 5 I 1 GenTAnhV. 47 Auch Umweltverbände sind daher einwendungsbefugt. 48 In subjektiv öffentlichen Rechten Verletzte können zudem klagen (vgl. § 42 II VwGO). Allerdings findet in den jeweiligen gentechnischen Verwaltungsverfahren keine öffentliche Verhandlung statt. Vielmehr werden Einwendungen im Verwaltungsverfahren regelmäßig nur schriftlich beschieden, weil in den meisten Fällen kein Erörterungstermin durchgeführt wird. Beim Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen wird gar nicht angehört. Bei Freisetzungsvorhaben ist der Erörterungstermin seit 1993 abgeschafft, und bei gentechnischen Vorhaben im geschlossenen System besteht ein Recht, Einwendungen zu erheben lediglich in den seltenen Fällen der gewerblichen Anlagen der Sicherheitsstufe 3 und 4 und bei gewerblichen Anlagen der Sicherheitsstufe 2, bei denen ein Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG erforderlich ist (vgl. § 18 I 1 GenTG, § 1 Nr. 2 und Nr. 3 GenTAnhV). Bei gentechnischen Vorhaben im geschlossenen System wird im Verwaltungsverfahren daher in weniger als 1 % aller Fälle angehört. 49 Kommt es zum Gerichtsstreit, kann der Einzelne seine Ansicht zwar darlegen, doch führt bisher die nur überschlägige Kontrolle der Risikobewertung dazu, dass Einwendungen regelmäßig erfolglos bleiben. Die Zulassung gentechnischer Vorhaben droht daher zum Geheimverfahren, zum „abgekarteten Spiel“ zwischen Betreiber und Behörde zu werden, gegen das sich nicht einmal Betroffene mit Erfolg wehren können. 50 Zur Akzeptanz der Gentechnik trägt das nicht bei. 51 Prüfen Gerichte gentechnikrechtliche Risiken dagegen ausführlich, so kann das Vertrauen in die Richtigkeit gentechnikrechtlicher Zulassungen bei den Beteiligten 46 Vgl. auch Norbert Achterberg, DVBl. 1984, 1093 (1099, re), der die Begriffe Mikrobereich (Wirkung zwischen den Prozessparteien) und Makrobereich (Wirkung in der Gesellschaft) gebraucht. 47 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 18 Rdn. 43. 48 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 18 Rdn. 43. 49 Siehe dazu ausführlich Kapitel D. II. 3. d) cc) (2) m. N. 50 Vgl. Bernhard Gill/Johann Bizer/Gerhard Roller, Riskante Forschung, S. 260, die über ein Vorhaben berichten, gegen das über 18.000 Einwendungen erhoben wurden. 51 Vgl. auch Jutta Dürkop/Wolfgang Dubbert/Ingrid Nöh, Texte des Umweltbundesamts 1/1999, S. 137.

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G. Vereinbarkeit mit der verfassungsrechtlichen Rolle von Gerichten?

des Verwaltungsprozesses erhöht werden. 52 Bei einer Vollkontrolle erörtern Gerichte die Risiken der Gentechnik umfassend. Ein klagender Dritter wird dadurch neben Behörde und Betreiber angemessen zu Wort kommen. Auch sieht er, dass seine Einwände ernst genommen werden, weil Richter bei einer Vollkontrolle auch den Einzelheiten nachgehen. 53 Ohne Beurteilungsspielraum findet daher ein Rechtsgespräch statt zwischen Betreiber, Behörde, Drittbetroffenem und gegebenenfalls auch der ZKBS, in dem alle entscheidungsrelevanten Bewertungen offen erörtert werden. Der Rechtsschutzsuchende sieht sich damit nicht länger wie im Verwaltungsverfahren dem Betreiber und der Verwaltung als einer unbesiegbaren Einheit ausgesetzt, sondern er bekommt die Gewissheit, dass Gerichte alles mögliche zum Schutz seiner Rechte tun. Er wird daher nicht wie bisher mit der Begründung die zweite Instanz anrufen, dass Gerichte seine Einwände wegen des Beurteilungsspielraums unzureichend geprüft haben. 54 Eine Vollkontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen wirkt damit befriedend 55 und erhöht zugleich die Akzeptanz der Gentechnik bei den Beteiligten eines Gerichtsstreits.56 Eine spielraumfreie Gerichtskontrolle kann aber auch darüberhinausgehende Effekte haben. Gerichtsentscheidungen zur Gentechnik werden regelmäßig in vielen Fachzeitschriften veröffentlicht und sogar in der Tagespresse besprochen. Sorgfältig und allgemein verständlich begründete Gerichtsentscheidungen können daher auch allgemein zur Akzeptanz der Gentechnik beitragen. Gerichte leisten Aufklärungsarbeit, wenn sie die Risikobewertung von Behörden ausführlich prüfen und Risiken neutral darstellen. So tragen sie dazu bei, Sciencefiction-Phantasien von realen Risiken zu unterscheiden. 57 Das Wissen der Bürger um eine starke Rechtsprechung, die gentechnikrechtliche Behördenentscheidungen gut kontrolliert und sich dabei gründlich mit den Risiken der Gentechnik auseinandersetzt, kann das derzeit noch vorherrschende Misstrauen gegen die Gentechnik abbauen und eine sachliche Diskussion fördern.58 Besonders höchstrichterliche Ur52 Vgl. zur Akzeptanzerhöhung bei den Betroffenen durch ein Rechtsgespräch in der mündlichen Verhandlung, Andreas Voßkuhle/Gernot Sydow, JZ 2002, 681, re; Karsten-Michael Ortloff, NVwZ 1995, 28 (29, re, f.). 53 Vgl. zu dieser psychologischen Wirkung auch Karsten-Michael Ortloff, NVwZ 1995, 28 (29, re, f.). 54 Vgl. BVerwG, NVwZ 1999, 1232 (1234, li); OVG Berlin, Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, GenTG, Nr. 8 zu § 16, S. 1 f.; OVG Berlin, ZUR 1999, 37 (40, li); VGH Mannheim, NVwZ 2002, 224 (225, re). 55 Zur befriedenden Wirkung durch Rechtsgespräche unten den Parteien siehe auch Norbert Achterberg, DVBl. 1984, 1093 (1098, re). 56 Vgl. zu einer stärkeren Akzeptanz durch Rechtsgespräche im Verwaltungsprozess auch Karsten-Michael Ortloff, NVwZ 1995, 28 (29, re, f.); Horst Sendler, VBlBW 1994, 41 (44, re, f.). 57 Vgl. Peter Brandt, Transgene Pflanzen, S. 256 zur Bedeutung der öffentlichen Aufklärung. 58 Vgl. zur akzeptanzfördernden Wirkung von Rechtsgesprächen in der Bevölkerung Horst Sendler, VBlBW 1994, 41 (44, re, 45, li).

III. Vereinbarkeit mit der Aufgabe der Gerichte, die Akzeptanz zu stärken?

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teile, in der Presse publik gemacht, klären auf und versachlichen und helfen so, pauschale Ängste vor der Gentechnik abzubauen. Für eine solche Breitenwirkung einer vollen Kontrolle spricht das besondere Ansehen der Rechtsprechung in der Gesellschaft. Da die Rechtsprechung unabhängig und unparteiisch entscheidet, vertrauen die Menschen Gerichtsurteilen mehr als Verwaltungsakten. 59 Durch die Gerichtsberichtserstattung beeinflusst die Rechtsprechung, vor allem das Bundesverfassungsgericht, stark die öffentliche Meinungsbildung. 60 Sie wirkt aktiv am gesellschaftlichen Wertewandel mit 61. Eine ausführliche, transparente Diskussion gentechnischer Risiken kann daher auch der Zerstörung von Freisetzungen entgegenwirken (z. B. dem Herausreißen gentechnisch veränderter Maispflanzen aus dem Acker). 62 Eine Vollkontrolle kann insofern bewirken, dass Bürger ihren Unmut nicht länger durch Selbsthilfe zeigen, sondern dass sie die Klärung des Streits Gerichten überlassen, weil Rechtsschutz gegen einen Freisetzungsversuch Erfolg haben kann, wenn sich Gerichte umfassend mit den Risiken der Gentechnik auseinander setzen. Eine volle gerichtliche Kontrolle kann daher auch die Einstellung der Gesellschaft gegenüber der Gentechnik verbessern. 63 2. Aufgabe der Rechtsprechung zur Stärkung der Akzeptanz der Gentechnik Fraglich ist aber, ob die Rechtsprechung auch wirklich die Aufgabe hat, die Akzeptanz der Gentechnik unter den Prozessbeteiligten und in der Gesellschaft zu fördern. Zu den rechtsprechenden Aufgaben von Gerichten zählen alle, die sich aus dem Grundgesetz ergeben. 64 Wie eingangs ausgeführt, ist eine wesentliche Aufgabe von Gerichten, Rechtsschutz i. S. von Art. 19 IV GG zu gewähren. Dazu gehört, dass Gerichte den Rechtsschutzsuchenden anhören. Der Anspruch auf rechtliches Gehör 59 So schon Fritz Baur, JZ 1957, 193 (196, li): man ruft den Richter wegen des gegenüber der Exekutive größeren Vertrauens; vgl. auch Axel Görlitz, Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland, S. 262 f.; zum „gewachsenen Bürgerprotest gegen Verwaltungsentscheidungen“ siehe auch Thomas Würtenberger, Die Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen, S. 30 ff. (40). 60 Hinrich Rüping, Recht und Politik 2000, 180 (184, li, f.); vgl. auch Claus Dieter Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 92 Rdn. 2: Urteile haben Leitbildfunktion. 61 Hinrich Rüping, Recht und Politik 2000, 180 (182, li, f.). 62 Vgl. dazu die Meldungen vom 20. Juni 2002 „Erneut Versuchsfelder in Dahnsdorf zerstört“ (http:www.biosicherheit.de/aktuell). 63 Vgl. allgemein zum Zusammenhang zwischen einer vollen gerichtlichen Kontrolle und dem Vertrauen in die Gerichte Helmut Goerlich, ThürVBl. 1993, 1 (4, li): „Die Bindung an ... Verwaltungsvorschriften ... kann ... das System der verwaltungsrechtlichen Funktionszuordnung antasten mit der Folge einer Erschütterung des Vertrauens in die Gerichte“. 64 Siehe oben vor I.

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G. Vereinbarkeit mit der verfassungsrechtlichen Rolle von Gerichten?

folgt aus Art. 19 IV GG und aus Art. 103 I GG. 65 Doch verlangt Art. 19 IV GG kein Rechtsgespräch; ebenso wenig Art. 103 I GG. 66 Allerdings sind die Schutzbereiche der Art. 19 IV, 103 I GG stark normgeprägt. 67 Das heißt, wenn der einfache Gesetzgeber Regelungen schafft, die den Rechtsschutz verbessern, so wachsen diese Verbesserungen den Schutzbereichen der Art. 19 IV, 103 I GG zu. § 101 VwGO ist eine solche Norm. Sie verpflichtet den Verwaltungsrichter einfachgesetzlich, den Beteiligten die Rechtslage so zu erläutern, dass sie verstanden und akzeptiert wird. Der Verwaltungsrichter hat danach nicht nur die Pflicht, die Argumente des Einzelnen zu hören, vielmehr soll er darüber hinaus auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits hinwirken. 68 Der Verwaltungsrichter ist also auch Schlichter und nicht nur Richter. Er soll Rechtsfrieden und Akzeptanz von Urteilen durch eine genaue Begründung seines Urteils schaffen. 69 Auch wenn diese Pflicht nicht zu den Mindeststandards 70 an Rechtsschutz zählt, so gehört sie kraft der Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers doch zur verfassungsrechtlichen Rechtsschutzaufgabe von Gerichten. Für das Gentechnikrecht folgt daraus, dass Gerichte verpflichtet sind, voll zu kontrollieren, um so zur Akzeptanz gentechnikrechtlicher Entscheidungen unter den Beteiligten beizutragen. Insoweit besteht also eine verfassungsrechtliche Pflicht von Gerichten, das Vertrauen darauf zu stärken, dass eine umstrittene gentechnikrechtliche Verwaltungsentscheidung rechtmäßig getroffen wurde. Indes lässt sich aus Art. 19 IV GG nicht ableiten, dass Gerichte auch zur Anerkennung der Gentechnik in der Gesellschaft beitragen müssen. Denn das subjektive Rechtsschutzmodell des Art. 19 IV GG verpflichtet Gerichte nur im Interesse des Einzelnen, nicht aber zu Gunsten der Allgemeinheit. Kraft ihrer Rechtspflegefunktion müssen Gerichte aber Konfliktlösungen entwickeln 71 und zweifelhafte Rechtslagen klären 72. Auf die Akzeptanz umstrittener Sachverhalte in der Gesellschaft hin65 BVerfGE 42, 120 (123): die verfassungsrechtlichen Rechtschutzgarantien des Art. 19 IV und des Art. 103 I ergänzen sich. Vgl. auch BVerfGE 101, 106 (130): Art. 103 I und Art. 19 IV dienen demselben Ziel; vgl. auch Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 IV Rdn. 363. 66 Martin Ibler, in: BKGG, Art. 19 Rdn. 244; Bodo Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 103 Rdn. 16. 67 Bodo Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 103 Rdn. 9. 68 Ähnlich Karsten-Michael Ortloff, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzker, VwGO, Vorb. § 81 Rdn. 43, der diese Pflicht aber nicht verfassungsrechtlich begründet, sondern nur einfachgesetzlich (a. a. O., Rdn. 38). 69 Vgl. BVerfGE 60, 253 (269); vgl. auch Claus Dieter Classen, Art. 92 Rdn. 24; Jutta Limbach, DRiZ 1995, 425 (430, re); Norbert Achterberg, DVBl. 1984, 1093 (1099, re). 70 Zum Mindeststandard einer wirkungsvollen Kontrolle siehe Kapitel D. I. 2. b). Zu weiteren Mindeststandards siehe Martin Ibler, in: BKGG, Art.19 IV Rdn. 36, 168. Mindeststandards sind z. B. die gerichtliche Generalklausel, statt enumerativer Rechtsbehelfe, die Trennung der Verwaltungsgerichtsbarkeit von der Verwaltung, eine lückenlose Kontrolle, zügiger Rechtsschutz, vorläufiger Gerichtsschutz, bezahlbarer Rechtsschutz und Primärrechtsschutz. 71 Axel Görlitz, Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland, S. 258, 260, der auch von einer Vermittlerstellung der Verwaltungsgerichtsbarkeit spricht (siehe auch S. 271 „Rolle als politische Vermittlungsinstanz“). 72 Hartmut Maurer, HStR III, § 60 Rdn. 101.

IV. Fazit

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zuwirken, ist eine Leitmaxime, die nicht missachtet werden darf.73 Da die Gentechnik in Deutschland noch vielfach abgelehnt wird, sind Gerichte verpflichtet, durch ihre Urteile die Akzeptanz der Gentechnik zu fördern. Diese Pflicht lässt sich mit der Rechtsbindung von Gerichten aus Art. 20 III GG begründen. Danach ist die Rechtsprechung an den Willen des Gesetzgebers gebunden. Sie muss zur Wahrung der Rechtsordnung beitragen. Mit dem Gentechnikgesetz hat sich der Gesetzgeber ohne Verstoß gegen die Verfassung ausdrücklich für die Nutzung der Gentechnik entschieden. Diesen Willen hat er in § 1 Nr. 2 GenTG geäußert. Durch das Gentechnikgesetz soll der „rechtliche Rahmen für die Förderung“ der Gentechnik geschaffen werden. Das geschieht auch, indem staatliche Stellen das Vertrauen der Gesellschaft gegenüber gentechnischen Verfahren und Produkten erhöhen und die Gentechnikkontroverse versachlichen. § 1 Nr. 2 GenTG verlangt von Gerichten daher, so Recht zu sprechen, dass sie den rechtlichen Rahmen für die Förderung der Gentechnik mitformen. Das heißt, Gerichte müssen die Risikobewertungen von Behörden ausführlich prüfen, sich umfassend mit den Bedenken Rechtsschutzsuchender auseinandersetzen und offene Fragen des Gentechnikrechts klären helfen. Diese einfachgesetzliche Pflicht verdichtet sich in Verbindung mit Art. 20 III GG zur verfassungsrechtlichen Aufgabe. Der gentechnikrechtliche Beurteilungsspielraum ist damit nicht nur rechtspolitisch kontraproduktiv, sondern verstößt (neben den bislang in den Kapiteln D.–G. festgestellten Verfassungsverstößen) auch gegen die Art. 92, 97 GG, soweit er eine stärkere Akzeptanz der Gentechnik hindert.

IV. Fazit: Verstoß eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums gegen die Art. 92, 97 GG Damit ist als weiteres Zwischenergebnis festzuhalten: Der gentechnikrechtliche Beurteilungsspielraum beschränkt Gerichte dabei, unabhängig, rechtspflegend und akzeptanzfördernd zu entscheiden. Deshalb ist der gentechnikrechtliche Beurteilungsspielraum auch mit der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Rechtsprechung unvereinbar. Er verletzt die Art. 92, 97 GG.

73

Vgl. Norbert Achterberg, DVBl. 1984, 1093 (1099, re), siehe Fn. 46.

H. Vereinbarkeit eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums mit dem Europarecht? Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum könnte nicht nur verfassungs-, sondern auch gemeinschaftsrechtswidrig sein. Dies scheint denkbar, weil das Gentechnikrecht maßgeblich auf EG-Richtlinien beruht, der System1 – und der Freisetzungs-Richtlinie 2. Zudem wird es bestimmt durch die Richtlinie 2000/54/EG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit 3.

I. Verstoß eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums gegen den effet utile? Der Anwendungsvorrang des Europarechts, der effet utile, könnte nationale Gerichte im Gentechnikrecht hindern, einen Beurteilungsspielraum anzunehmen. Dies wäre der Fall, wenn diese Gerichte aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht durch die Annahme eines Beurteilungsspielraums der Behörden schlechter vor den Risiken der Gentechnik schützten als ohne eine solche Annahme. 1. Die Pflicht von Gerichten zur richtlinienkonformen Auslegung Alle nationalen Stellen, die Gesetzes anwenden, die auf europarechtlicher Grundlage beruhen, müssen diese Gesetze europarechtskonform, insbesondere richtlinienkonform auslegen. 4 Diese Pflicht richtet sich in erster Linie an nationale Gerichte. 1 Richtlinie 90/219/EWG vom 23.04.1990 über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen (ABl. EG Nr. L 117, S. 1), zuletzt geändert durch Richtlinie 98/81/EG vom 26.10.1998 zur Änderung der Richtlinie 90/219/EWG über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen (ABl. EG Nr. L 330, S. 13). Zur Geltung der Richtlinie im Gentechnikrecht siehe II.2. 2 Richtlinie 90/220/EWG vom 23.04.1990 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt (ABl. EG Nr. L 117, S. 15), ersetzt durch Richtlinie 2001/18/EG vom 12.03.2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG (ABl. EG Nr. L 106, S. 1). 3 ABl. EG Nr. L 262, S. 21. 4 Vgl. Matthias Herdegen, Europarecht, Rdn. 182; vgl. EuGH-Rs. C-103/88, Slg. 1989, I-1839 (1871, Rdn. 32 f.) – sogar zur unmittelbaren Anwendung von Richtlinien.

I. Verstoß gegen den effet utile?

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Das belegt die Regelung über das Vorabentscheidungsverfahren (Art. 234 II EGV), die Gerichten eine besondere Verantwortung dafür überträgt, nationales Recht europarechtskonform anzuwenden. Wenn Gerichte bei einer Anfechtungsklage gegen die Genehmigung einer gentechnischen Anlage nicht voll prüfen, ob die Behörde zwischen den Rechten des Betreibers und der Dritter richtig abgewogen hat, könnten sie daher gegen das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung der System-RiL und der Freisetzungs-RiL verstoßen. 5 Beide Richtlinien verlangen, dass vor den Risiken gentechnisch veränderter Organismen für die menschliche Gesundheit und die Umwelt geschützt wird.6 Dabei ist von einem hohen Schutzniveau auszugehen. 7 Besonders die neue FreisetzungsRiL 2000/18/EG hat die Schutzanforderungen verschärft, indem sie den Betreiber zur stärkeren Überwachung von Freisetzungsvorhaben und des Inverkehrbringens gentechnisch veränderter Produkte verpflichtet (Art. 5 I c), 13 II e), 20 und Anhänge III, VII der Freisetzungs-RiL), da sie die Kennzeichnungspflichten erweitert hat (Art. 21 Freisetzungs-RiL), das Inverkehrbringen nur noch befristet zulässt (Art. 15 IV Freisetzungs-RiL) und festlegt, dass Antibiotikaresistenzmarker bei Freisetzungen und beim Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Produkte ab 1. Januar 2009 bzw. 31. Dezember 2004 nicht mehr verwendet werden dürfen (Art. 4 II Freisetzungs-RiL). Hinzu kommt, dass die Richtlinie 2000/54/EG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit 8 Arbeitnehmer besonders schützen will, indem sie auch im Gentechnikrecht9 Schutzvorkehrungen anordnet, wenn Arbeitnehmer mit biologischen Arbeitsstoffen in Kontakt kommen. Das hohe Schutzniveau der System-, der Freisetzungs- und der Arbeitnehmerschutz-RiL könnten Gerichte verkennen, wenn sie die Risikobewertung der national entscheidenden Behörde nur auf ihre Vertretbarkeit hin prüfen. Daher könnten Gerichte auch europarechtlich verpflichtet sein, gründlicher zu kontrollieren. 2. Anerkennung von Beurteilungsspielräumen durch den EuGH – ein Gegenargument? Der EuGH hat sich bereits zu Beurteilungsspielräumen nationaler Behörden geäußert. Nach Ansicht des EuGH fordert der effet utile (vgl. Art. 10 EGV), der Gerichte stets zu einer europarechtskonformen Auslegung nationaler Vorschriften ver5 Michael Kloepfer, Umweltrecht, § 16 Rdn. 14 zur Pflicht zur europarechtskonformen Auslegung des GenTG. 6 Erwägungsgrund (1) der System-RiL 98/81/EG; Erwägungsgrund (5) und (7) der Freisetzungs-RiL 2001/18/EG. 7 Erwägungsgrund (3) der System-RiL 98/81/EG; Erwägungsgründe (4. UA) der Freisetzungs-RiL 90/220/EWG. 8 ABl. EG Nr. L 262, S. 21. 9 Zur Geltung dieser Richtlinie im Gentechnikrecht siehe sogleich im Text unter 2.

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H. Vereinbarkeit mit dem Europarecht?

pflicht, keine volle gerichtliche Kontrolle. 10 Der EuGH lässt eine weniger genaue Prüfung durch nationale Gerichte genügen, auch dann, wenn sie nach Gesetzen entscheiden, die auf EG-Richtlinien beruhen. Dies hat der EuGH im Fall Upjohn ausdrücklich festgestellt. 11 Die Kontrolldichte des mitgliedstaatlichen Gerichts wurde ausdrücklich gebilligt, obwohl dieses nicht voll kontrollierte. Speziell für „komplexe“ wissenschaftliche Bewertungen hat der EuGH erklärt, dass eine Einschränkung der gerichtlichen Kontrolle zulässig ist. 12 Diese Rechtsprechung beruht auf dem Verständnis effektiven Rechtsschutzes, das der EuGH seinen eigenen Urteilen zu Grunde legt, wenn er Maßnahmen der EG-Kommission kontrolliert oder Handlungen der Mitgliedstaaten in Vertragsverletzungsverfahren. Er respektiert einen Spielraum der Kommission 13 und nationales Verwaltungsermessen einzelner Mitgliedstaaten 14, obwohl deren Maßnahmen Rechte Einzelner schmälern. Die europarechtlichen Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz werden außerdem dadurch geprägt, wie stark Gerichte anderer Mitgliedstaaten kontrollieren. Die deutsche Dogmatik, die zwischen Rechtsfolgeermessen und Beurteilungsspielräumen bei unbestimmten Rechtsbegriffen scharf trennt und zur besonderen Begründung von Beurteilungsspielräumen zwingt, nimmt in Europa eine Sonderstellung ein. 15 Im Ausland kontrollieren Gerichte Behördenentscheidungen oftmals inhaltlich weniger. 16 Z. B. wird in Frankreich 17, in England 18 und in Spanien 19 ein „Eigenbereich“ der Verwaltung anerkannt, der einer vollen inhaltlichen Prüfung durch Gerichte nicht zugänglich ist. 20 Dies gilt auch bei wissenschaftlich-technischen Sachverhalten. 21 Vor allem im Gentechnikrecht kontrollieren Gerichte Risikobewertungen nationaler Behörden nicht umfassend. So hat der High Court Irlands eine behördliche Risikobewertung eines Freisetzungsvorhabens nur daraufhin über10 Vgl. auch Jürgen Schwarze, NVwZ 2000, 241 (249, li); Friedrich Schoch, NordÖR 2002, 1 (10, li). 11 EuGH-C-120/97, Slg. 1999, I-223 (251 f. Rdn. 33 ff. [35]). 12 EuGH-C-269/90, Slg. 1991, I-5495 (5499, Rdn. 13 f.) – Technische Universität München – Beurteilungsspielraum der Kommission (vgl. dazu auch Eckard Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, S. 396). Übertragung der Rechtsprechung zum Beurteilungsspielraum der Kommission auf Behörden der Mitgliedstaaten: EuGH-C-120/97, Slg. 1999, I-223 (252 Rdn. 35). 13 EuGH-C-269/90, Slg. 1991, I-5495 (5499, Rdn.13 f.) – Technische Universität München. 14 EuGH-C-265/95, Slg. 1997, I-6959 (6999, Rdn. 33) – polizeiliches Einschreiten gegen Private. 15 Vgl. Horst Sendler, NJW 1994, 1518 (1519, re). 16 Vgl. Friedrich Schoch, NordÖR 2002, 1 (9, re). 17 Eckard Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, S. 201 f. 18 Eckard Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, S. 226 f. 19 Eckard Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, S. 220 ff. 20 Horst Sendler, NJW 1994, 1518 (1519, re, 1520, li); vgl. auch Eckard Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, S. 236, auch wenn Tendenzen erkennbar sind, dass die gerichtliche Kontrolle verstärkt wird, werden eingeschränkt überprüfbare Handlungsspielräume grundsätzlich in Frage gestellt. 21 Rüdiger Bender, UTR 45 (1998), 161 (167, 195) m. w. N.

I. Verstoß gegen den effet utile?

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prüft, ob vernünftigerweise davon ausgegangen werden könne, dass eine Freisetzung keine Nachteile für die Gesundheit oder die Umwelt hat.22 Im übrigen wurde die Risikobewertung als richtig akzeptiert. 23 Das europarechtliche Prinzip effektiven Rechtsschutzes schreibt deutschen Gerichten daher keine schärfere gerichtliche Kontrolle vor, als die, die sie bislang üben. 24 Sie verstoßen also nicht gegen europäische Vorgaben, wenn sie im Gentechnikrecht einen Beurteilungsspielraum anerkennen und Behördenentscheidungen nicht voll kontrollieren – zumindest grundsätzlich nicht. Ausnahmsweise anders dürfte mit Blick auf den effet utile zu entscheiden sein, wenn eine umfassende Gerichtskontrolle eine effektive Umsetzung einer Vorschrift besonders gut fördern kann. Dies gilt für die Art. 5 I c), 13 II e) und 20 der Freisetzungs-RiL 2001/18/EG, die bei Freisetzungen und beim Inverkehrbringen von Betreibern verlangen, dass sie Überwachungspläne erstellen und ihr Vorhaben systematisch beobachten (sog. Monitoring). Diese Vorschriften sind vom deutschen Gesetzgeber noch nicht in nationales Recht umgesetzt worden. 25 § 6 I und § 6 III GenTG, die den Betreiber verpflichten, Sicherheitsmaßnahmen in regelmäßigen Abständen zu überarbeiten und Aufzeichnungen zu machen, sind daher derzeit richtlinienkonform erweiternd i. S. einer Pflicht zur fortlaufenden Überwachung auszulegen. 26 Prüfen Gerichte voll, ob der Betreiber seinen Pflichten aus § 6 GenTG nachkommt und erkennen sie nicht wie bislang einen Beurteilungsspielraum an, bewirkt dies, dass die Behördenentscheidungen umfassend daraufhin untersucht, ob der Betreiber alles nach dem Stand der Wissenschaft (und Technik) erforderliche getan hat. Dadurch wird der Betreiber stärker zur Überwachung angehalten. Denn bei einer Vollkontrolle müssen Betreiber fürchten, dass Drittklagen erfolgreich sind, wenn sie ihre Pflichten vernachlässigen. 27 Eine volle gerichtliche Kontrolle bewirkt damit, dass ein Betreiber sein Vorhaben mit dem Ziel überwacht, „die Auswirkungen des bzw. der GVO auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt zu ermitteln“ (Art. 5 I c), Anhang VII, A. der Freisetzungs-RiL 2001/18/EG). Damit hilft eine umfassende Gerichtskontrolle, die Anforderungen der Freisetzungs-RiL 2001/18/EG zu erfüllen. Der effet utile legt daher nahe, die Betreiberpflichten des § 6 GenTG bis zur Umsetzung der Richtlinie richtlinienkonform auszulegen und verstärkt zu kontrollieren. Nach der Umsetzung der Richtlinie sind die entsprechend geänderten Betreiberpflichten und/oder die erweiterten Genehmigungsvorausset22 High Court, [1998] 2 ILRM 493, Watson versus Environmental Protection Agency & Ors., auszugsweise abgedruckt im Zweiten Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen mit dem Gentechnikgesetz, abgedruckt in Eberbach/Lange/Ronellenfisch, GenTG, S. 79. 23 Vgl. auch zu einem Verfahren vor dem englischen High Court den Zweiten Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen mit dem Gentechnikgesetz, abgedruckt in Eberbach/Lange/Ronellenfisch, GenTG, S. 78. 24 Friedrich Schoch, NordÖR 2002, 1 (10, li); Eckard Pache, DVBl. 1998, 380 (387, li). 25 Die Umsetzungsfrist lief am 17. Oktober 2002 ab (vgl. Art. 34 I der RiL). 26 Siehe Kapitel D. II. 3. c) bb) (2). 27 Siehe Kapitel D. II. 3. c) bb) (2).

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H. Vereinbarkeit mit dem Europarecht?

zungen intensiv zu prüfen. Da ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum eine solche fördernde, volle gerichtliche Kontrolle von Entscheidungen über die Freisetzung und das Inverkehrbringen gentechnischer Organismen hindert, verstößt er gegen das Europarecht. Darüber hinaus könnte ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum europarechtswidrig sein, falls er eine effektive Umsetzung des EG-Arbeitsschutzrechts hemmt. Die Richtlinie 2000/54/EG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit 28 enthält in Anhang III eine Liste von Mikroorganismen, gegenüber denen entsprechende Schutzvorkehrungen zu treffen sind, wie etwa die Pflicht, Schutzkleidung zu tragen 29. Die Richtlinie erfasst alle Tätigkeiten, bei denen Arbeitnehmer bei Ausübung ihres Berufes biologischen Arbeitsstoffen ausgesetzt sind bzw. ausgesetzt sein können (vgl. Art. 3 I Richtlinie 2000/54/EG). Nach Art. 1 III lässt sie die Freisetzungs-RiL und die System-RiL, die für Arbeiten mit gentechnischen Organismen gelten, unberührt. „Unberührt“ meint indes nicht, dass die Arbeitnehmerschutz-Richtlinie bei gentechnischen Vorhaben nicht zu beachten wäre. Vielmehr ergibt sich aus Erwägungsgrund 3, dass die Richtlinie „in vollem Umfang“ angewandt werden soll, wenn Arbeitnehmer durch biologische Arbeitsstoffe gefährdet werden. Hierfür legt die Richtlinie Mindeststandards fest (vgl. Art. 1 I 2). Die Formulierung „unberührt“ in Art. 1 III stellt daher nur klar, dass die Anforderungen der Freisetzungs-RiL und der System-RiL nicht durch die Arbeitnehmer-Schutzrichtlinie geändert werden, sondern deren Anforderungen neben der Arbeitnehmer-Schutzrichtlinie weiter gelten. Die Arbeitnehmerschutz-Richtlinie gilt daher auch für gentechnische Vorhaben 30, für Arbeiten in Labors, für Freisetzungen (z. B. in der Landwirtschaft 31) und für das Inverkehrbringen, sofern Arbeitnehmer mit biologischen Arbeitsstoffen i. S. der Richtlinie in Berührung kommen können (z. B. bei Tätigkeiten, bei denen Kontakt mit tierischen Erzeugnissen besteht 32). Behörden müssen daher die Risikoeinstufungen der Richtlinie und die geforderten Schutzvorkehrungen bei jeder Sicherheitsbewertung eines gentechnischen Vorhabens beachten. Für gentechnische Anlagen und Arbeiten wurden die Richtlinienvorgaben in einer Verwaltungsvorschrift umgesetzt. 33 Sie werden als Teil der Organismenlisten bei der Risikobewertung mitgeprüft (vgl. § 5 VI GenTSV). Für die RisikobewerABl. EG Nr. L 262, S. 21. Siehe Anhang VI A Nr. 6. c) der Richtlinie 2000/54/EG. 30 Vgl. Michael Ronellenfitsch, VerwArch 93 (2002) 295 (307), der die Richtlinie als „ergänzende Regelung“ des Gemeinschaftsrecht anführt, die für das Gentechnikrecht gilt. 31 Vgl. Nr. 2 Anhang I der Richtlinie 2000/54/EG, der eine informatorische Liste der erfassten Tätigkeiten enthält. 32 Vgl. Nr. 3 Anhang I der Richtlinie 2000/54/EG, der eine informatorische Liste der erfassten Tätigkeiten enthält. 33 Siehe zur Vereinbarkeit von § 5 VI GenTSV mit § 30 V GenTG Kapitel B. IV. 5. a) aa) (2). Dazu, ob eine Richtlinie rechtmäßig durch Verwaltungsvorschriften umgesetzt werden kann, sogleich unten im Text. 28 29

II. Ein Beurteilungsspielraum im Lichte der Rechtsprechung des EuGH

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tung von Freisetzungen und dem Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen fehlen Umsetzungsakte. Gleichwohl verlangt der effet utile, dass die gemeinschaftlichen Einstufungen von Behörden beachtet werden. 34 Nationale Gerichte müssen daher bei der Kontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen besonders sorgfältig prüfen, ob die Sicherheitsanforderungen der Richtlinie von Behörden berücksichtigt wurden. Dazu müssen sie beurteilen, ob die Wirkung der in der Richtlinie aufgeführten Mikroorganismen richtig eingeschätzt wurde. Hierfür genügt es nicht, wenn Richter nur allgemein feststellen, dass Behörden die Bewertungen der Richtlinie als anerkannte Standards genutzt haben.35 Vielmehr ist genau zu kontrollieren, ob das Risiko eines Mikroorganismus für die Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie gewichtet wurde. Dazu ist eine volle Kontrolle der Risikobewertung erforderlich. Für eine umfassende, richtlinienkonforme Gerichtskontrolle spricht außerdem, dass der EuGH eine Umsetzung von EG-Richtlinien durch Verwaltungsvorschriften als unzureichend erachtet. Er bemängelt, dass ein „zwingender Charakter“ von Verwaltungsvorschriften nach nationalem Recht nicht hinreichend geklärt sei. Insbesondere sei fraglich, ob sich Dritte auf sie berufen können. 36 Für die Intensität der Gerichtskontrolle lässt sich hieraus ableiten, dass Gerichte genau prüfen müssen, ob Behörden richtlinienumsetzende Verwaltungsvorschriften wie zwingende Vorschriften angewandt haben. Das heißt: Zum Schutz der Arbeitnehmer müssen Gerichte im Gentechnikrecht bei jedem Vorhaben besonders wirksam und deshalb voll prüfen, ob Behörden die Vorgaben der Richtlinie 2000/54/EG beachtet haben. Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum, der aus standardisierenden Verwaltungsvorschriften gerechtfertigt werden soll, würde also auch die effektive Umsetzung des EG-Arbeitsschutzrechts hemmen und wäre deshalb europarechtswidrig.

II. Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum im Lichte der Rechtsprechung des EuGH zum Inverkehrbringen Gerichte müssen von Europarechts wegen auch dort voll kontrollieren, wo dies erforderlich ist, um Vorgaben des EuGH zum Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen zu beachten. Diese Rechtsprechung könnte daher einem Beurteilungsspielraum beim Inverkehrbringen entgegenstehen. 34 Zur unmittelbaren Anwendung von Richtlinien, die für Dritte günstig sind, für Betreiber aber von Nachteil, weil die Genehmigungsvoraussetzungen erweitert werden, siehe Kapitel D. II. 3. c) bb) (2). 35 Vgl. EuGH-C-120/97, Slg. 1999, I-223 (252 Rdn.36) – Es muss möglich sein, bei Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts tatsächlich anzuwenden. Ist dies nicht möglich, darf kein Beurteilungsspielraum nationaler Behörden anerkannt werden. 36 EuGH-Rs. C-361/88, Slg. 1991, I-2567 (2600, Rdn. 15 ff., 20) zur TA Luft.

21 Schmieder

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Die Genehmigung des Inverkehrbringens gentechnisch veränderter Produkte nach dem Gentechnikgesetz 37 (z. B. von gentechchnisch veränderten Produkten für die Verbrauchsgüterindustrie) unterscheidet sich von anderen gentechnikrechtlichen Entscheidungen dadurch, dass die Mitgliedstaaten der EG in einem Vorverfahren, dem EG-Beteiligungsverfahren (vgl. §16III1 2.HS GenTG), über die Zulassung entscheiden. 38 Dies hat seinen Grund darin, dass diese Genehmigung durch eine nationale Behörde als transnationaler Verwaltungsakt gemeinschaftsweit wirkt (Art. 22 der Freisetzungs-RiL 2001/18/EG 39). Ein Inverkehrbringen muss bei der zuständigen Behörde angemeldet werden, in Deutschland nun beim BVL. Die Behörde prüft, ob das Inverkehrbringen gem. § 16 II GenTG genehmigt werden muss. Kommt sie zu dem Ergebnis, dass ein Inverkehrbringen für die menschliche Gesundheit und die Umwelt ungefährlich ist und will sie deshalb das Produkt für den Markt zulassen, leitet sie die Akte an die EG-Kommission. 40 Diese übermittelt die befürwortende Stellungnahme der nationalen Behörde an alle anderen Mitgliedstaaten. Erhebt ein Mitgliedstaat Einwendungen, entscheidet die EG-Kommission nach Prüfung des Sachverhalts über das Inverkehrbringen im Verfahren nach Art.30II der Freisetzungs-RiL 2001/18/EG 41. 42 An die Entscheidung der EG-Kommission ist die nationale Behörde gebunden (vgl. §§ 3 IV 2, VI GenTBetV). Kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass das Produkt zuzulassen ist, muss die nationale Behörde dem Betreiber die beantragte Genehmigung erteilen. Lehnt die Kommission ab, ist die Genehmigung zu versagen. Die ausschlaggebende Entscheidung über die Genehmigung oder Versagung eines Inverkehrbringens gentechnisch veränderter Organismen trifft in diesem Fall die EG-Kommission 43, während die nationale Behörde dann ohne eigene Entscheidungsmacht den Genehmigungs- oder den Versagungs-Verwaltungsakt erlässt. Bei ihrer Entscheidung wird die EG-Kommission von einem Ausschuss unterstützt, dem Regelungsausschuss. 44 Dieser setzt sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen. Er berät die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen. Ist er mit ihnen einverstanden, erlässt die Kommission die beabsichtigte Entscheidung. 45 Kommt der Beteiligungsausschuss zu einem anderen Ergebnis, wird der Sachverhalt dem Rat unterbreitet, der mit qualifizierter Mehrheit über die erforderlichen Maßnahmen beschließen kann. 46 Trifft der Rat innerhalb von drei Monaten Zum begrenzten Anwendungsbereich dieser Vorschriften siehe Kapitel B. IV. 2. b). Siehe auch Kapitel B. IV. 5. c) aa). 39 Siehe entsprechend Art. 15 der alten Freisetzungs-RiL 90/220/EWG. 40 § 16 III 1 2. HS GenTG, Art. 14 II 2. UA der RiL 2001/18/EG = Art. 12 II der RiL 90/220/EWG. 41 = Art. 21 der RiL 90/220/EWG. 42 Art. 18 I, 30 II der RiL 2001/18/EG, Beschluss des Rates 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse vom 28.06.1999 (ABl. EG Nr. L 184, S. 23) = Art. 13 III der RiL 90/220/EWG. 43 Hans-Georg Kamann/Christoph M. Tegel, NVwZ 2001, 44 (44, li). 44 Art. 5 I Beschluss des Rates 1999/468/EG = Art. 21 I der RiL 90/220/EWG. 45 Art. 5 III Beschluss des Rates 1999/468/EG = Art. 21 III der RiL 90/220/EWG. 46 Art. 5 IV Beschluss des Rates 1999/468/EG = Art. 21 IV der RiL 90/220/EWG. 37 38

II. Ein Beurteilungsspielraum im Lichte der Rechtsprechung des EuGH

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keinen ablehnenden Beschluss, entscheidet die Kommission entsprechend ihres Vorschlags. 47 Die Entscheidung der Kommission ist von der nationalen Behörde grundsätzlich umzusetzen. Zwei Ausnahmen bestehen allerdings. Der EuGH hat diese in einer jüngeren Entscheidung herausgearbeitet. 48 Das Urteil erging auf Vorlage des Conseil d’État, 49 der über die Wirksamkeit einer Genehmigung des Inverkehrbringens transgenen Maises der Firma Ciba-Geigy Limited entscheiden musste. Der Mais war gegen Maiszünsler geschützt und wies gegenüber den Herbiziden der Glufosinatammonium-Familie erhöhte Toleranz auf. 50 Problematisch war, dass die Commission d’étude de la dissémination des produits issus du génie biomoléculaire (Kommission zur Untersuchung der Freisetzung der Produkte aus der molekularbiologischen Technik) im Anmeldeverfahren vor der französischen Genehmigungsbehörde seine Stellungnahme auf Grund einer unvollständigen Akte abgegeben hatte. 51 Die Auswirkungen des in den transgenen Maissorten enthaltenen ampicillinresistenten Gens auf die öffentliche Gesundheit waren deshalb nicht beurteilt worden. 52 Die französische Genehmigungsbehörde gab gleichwohl eine befürwortende Stellungnahme an die Kommission ab. Die EG-Kommission stimmte dem Inverkehrbringen des Maises zu, woraufhin die französischen Behörde das Inverkehrbringen des Maises genehmigte. 53 Greenpeace erhob gegen die Vermarktungsgenehmigung Nichtigkeitsklage und beantragte Aussetzung des Vollzugs, weil die Genehmigungsentscheidung aus einem fehlerhaften Verfahren hervorgegangen sei und den Grundsatz der Vorsorge verletze. 54 Der Conseil d’État hielt diesen Klagegrund für erheblich und erwog, die Genehmigungsentscheidung für rechtswidrig zu erklären, zweifelte aber daran, ob er dies dürfe, da die EG-Kommission das Vorhaben positiv beurteilt hatte. 55 Daher legte er dem EuGH zwei Fragen zur Entscheidung vor, mit denen er geklärt wissen wollte, wann eine nationale Behörde an einen positiven Beschluss der EG-Kommission gebunden sei. Der EuGH antwortete: Erstens sind nationale Behörden nicht an die Entscheidung der EG gebunden, wenn nach Abschluss des EG-Beteiligungsverfahrens neue Informationen über weitere Risiken bekannt geworden sind. 56 Vielmehr sind sie in diesem Fall berechtigt, ihre Zustimmung zum Inverkehrbringen zu verweigern, weil Art. 5 VI 3. UA Beschluss des Rates 1999/468/EG = Art. 21 V der RiL 90/220/EWG. EuGH, NVwZ 2001, 61 (64, Rdn. 47, 65, Rdn. 55, 57). 49 EuGH, NVwZ 2001, 61 (61, li). 50 EuGH, NVwZ 2001, 61 (63, li, Sachverhalt und Vorlagefragen). 51 EuGH, NVwZ 2001, 61 (63, li, Sachverhalt und Vorlagefragen). 52 Vgl. EuGH, NVwZ 2001, 61 (63, li, Sachverhalt und Vorlagefragen). 53 EuGH, NVwZ 2001, 61 (62). 54 EuGH, NVwZ 2001, 61 (63, li, Sachverhalt und Vorlagefragen). 55 Vgl. EuGH, NVwZ 2001, 61 (63, li, Sachverhalt und Vorlagefragen). 56 EuGH, NVwZ 2001, 61 (64, Rdn. 47). Hans-Georg Kamann/Chrisoph M. Tegel, NVwZ 2001, 44, 45; vgl. auch BVerwGE 94, 307 (316) – neue Prüfung neuer Informationen spricht gegen Beurteilungsspielraum. 47 48

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H. Vereinbarkeit mit dem Europarecht?

dies ein wirkungsvoller Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt fordert. Allerdings bleiben nationale Behörden verpflichtet, die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten unverzüglich über die Verweigerung der Genehmigung zu unterrichten, damit diese im Verfahren nach Art. 30 II der Freisetzungs-RiL 2001/18/EG 57 (= Art. 21 der Freisetzungs-RiL 90/220/EWG) neu über das Inverkehrbringen entscheiden kann. Gerichte dürfen in dieser Fallkonstellation die Verweigerung der Zustimmung der nationalen Behörde für rechtmäßig erklären, obwohl diese vom Votum der EG-Kommission abweicht. Zweitens sind nationale Behörden nicht an einen positiven Beschluss der Kommission gebunden, wenn ihnen bei der Prüfung der Anmeldung „Unregelmäßigkeiten“ unterlaufen sind, die nicht zu einer befürwortenden Stellungnahme hätten führen dürfen und die daher geeignet sind, die Rechtmäßigkeit der positiven Entscheidung der EG-Kommission zu beeinträchtigen. 58 „Unregelmäßigkeiten“ sind sämtliche Verfahrensfehler im Anmeldeverfahren der nationalen Behörde, z. B. die Abgabe einer Stellungnahme auf Grundlage einer unvollständigen Akte. 59 Nationale Gerichte müssen bei der Gerichtskontrolle von Genehmigungen über das Inverkehrbringen stets untersuchen, ob solche Verfahrensfehler bestehen und ob sich diese auf die Risikobewertung der nationalen Behörde und schließlich auf die Entscheidung der EGKommission ausgewirkt hat. 60 Hierzu verpflichtet ein wirksamer gemeinschaftsrechtlicher Schutz Dritter, die durch die Zulassungsentscheidung in ihren Rechten verletzt sind. 61 Ist ein nationales Gericht der Auffassung, dass die Verfahrensunregelmäßigkeit die Rechtmäßigkeit der Kommissionsentscheidung berührt, muss es diese Frage dem EuGH vorlegen 62, weil es nicht selbst über EG-Hoheitsakte entscheiden darf. Bis zur Entscheidung des EuGH kann es den Vollzug der Genehmigung aussetzen. 63 Um festzustellen, ob neue Informationen über entscheidungserhebliche Risiken vorliegen oder ob sich ein Verfahrensfehler der nationalen Behörde inhaltlich auf die Entscheidung der EG-Kommission ausgewirkt hat, genügt es aber nicht, wenn Gerichte die Risikobewertung nationaler Behörden nur auf willkürliche Bewertungsfehler hin prüfen. Denn sie sollen einerseits wirkungsvoll vor den Risiken der Gentechnik schützen. Andererseits müssen sie die Entscheidung der EG-Kommission I. V. mit Art. 5 des Beschlusses des Rates 1999/468/EG. Vgl. EuGH, NVwZ 2001, 61 (64, Rdn. 48 und 65, Rdn. 47) – der EuGH spricht von Gültigkeit, statt von Rechtmäßigkeit. Mit Gültigkeit meint er aber nicht nur die Wirksamkeit der Entscheidung (nach deutscher Terminologie § 43 VwVfG), sondern auch ihre Rechtmäßigkeit. Zu diesem weiten Verständnis des Begriffs der Gültigkeit siehe Matthias Herdegen, Europarecht, Rdn. 221, der die Beurteilung der Gültigkeit als „eine Form der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Gemeinschaftsorgane“ bezeichnet. 59 Vgl. den Sachverhalt der Entscheidung des EuGH, NVwZ 2001, 61 (63, Sachverhalt und Vorlagefragen). 60 Vgl. EuGH, NVwZ 2001, 61 (64, Rdn. 53 und 65, Rdn. 55, 57). 61 Vgl. EuGH, NVwZ 2001, 61 (64, Rdn. 54). 62 EuGH, NVwZ 2001, 61 (65, Rdn. 55, 57). 63 EuGH, NVwZ 2001, 61 (65, Rdn. 55, 57). 57 58

II. Ein Beurteilungsspielraum im Lichte der Rechtsprechung des EuGH

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wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts achten. Beides zugleich können sie nur, wenn sie sorgfältig kontrollieren, ob eine neue Information oder ein Verfahrensfehler die Entscheidung der Kommission rechtswidrig macht. Sie müssen daher den jeweils neuen Sachverhalt, die neuen Informationen oder die Verfahrensunregelmäßigkeiten berücksichtigen und eigenständig anhand der gesetzlichen Vorschriften der Risikobewertung beurteilen, ob ein gentechnisch verändertes Produkt angesichts der neuen Informationen zugelassen werden darf bzw. ob die EG-Kommission das Produkt trotz Verfahrensfehlers der nationalen Behörde zugelassen hätte. Dies verlangt, dass Gerichte die Risiken eines Inverkehrbringens so bewerten wie es die nationale Behörde bzw. die EG-Kommission getan hätte. 64 Gerichte müssen daher z. B. prüfen, ob „bei der Risikobewertung ...“ von gentechnisch verändertem Mais „... alle eingeführten Gene – sowohl exprimierte (ausgeprägte) als auch nicht exprimierte – in Betracht gezogen worden“ sind, ob „die möglichen Gefahren durch das Vorhandensein des nicht-exprimierten b-Lactamase-Gens mit einem BakterienPromotor beurteilt wurden.“ und deshalb „Grund zur Annahme ...“ besteht, „... dass die in den Mais eingeführten Gene für Mensch oder Umwelt negative Auswirkungen haben“. 65 Solche Prüfungen verlangen, dass sich Gerichte inhaltlich ausführlich mit der Risikobewertung der nationalen Behörde und ihren Auswirkungen auf die Kommissionsentscheidung befassen. Sie müssen sich in (natur-)wissenschaftliche Meinungsstreite einarbeiten, Risiken gründlich ermitteln und die Folgen einer Zulassung für die menschliche Gesundheit und die Umwelt abschätzen. Nur dann gelingt es Gerichten, gemeinschaftsverträglich zu urteilen, indem sie die Entscheidung der EGKommission so weit wie möglich achten und dennoch wirkungsvollen Rechtsschutz vor den Risiken der Gentechnik gewähren. Ein Beurteilungsspielraum nationaler Behörden bei der Genehmigung des Inverkehrbringens gentechnisch veränderter Produkte (in Deutschland des BVL, bisher des RKI) ist deshalb unzulässig. 66 Michael Ronellenfitsch 67 führt die Rechtsprechung des EuGH auch gegen einen Beurteilungsspielraum bei Freisetzungen an, doch sind die Ausführungen des EuGH auf das Genehmigungsverfahren beim Inverkehrbringen zugeschnitten, so dass sie sich nicht auf Freisetzungsvorhaben erstrecken lassen. 68 Allerdings verbietet das Urteil des EuGH nicht nur einen Beurteilungsspielraum bei der Genehmigung des Inverkehrbringens gentechnisch veränderter Organismen, 64 Vgl. zur Risikobewertung einer Anmeldung für das Inverkehrbringen durch die Kommission, EuGH, NVwZ 2001, 61 (62, Entscheidung 97/98/EG, li). 65 Vgl. EuGH, NVwZ 2001, 61 (62, Entscheidung 97/98/EG, li). 66 A. A. (für das früher zuständige RKI) Hans-Georg Kamann/Christoph M. Tegel, NVwZ 2001, 44 (44, li), die sich mit den Folgen der EuGH-Rechtsprechung für die Kontrolle der Genehmigung des Inverkehrbringens nicht weiter befassen, sondern die Vorgaben des EuGH nur als Hindernis eines Beurteilungsspielraums bei repressiven Maßnahmen sehen (siehe sogleich weiter im Text). 67 Michael Ronellenfitsch, VerwArch 93 (2002), 439 (450). 68 Auch führt Michael Ronellenfitsch den Aufsatz von Hans-Georg Kamann/Christoph M. Tegel, NVwZ 2001, 44 als Beleg an, doch äußern sich diese ebenfalls nur zum Inverkehrbringen.

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H. Vereinbarkeit mit dem Europarecht?

sondern auch bei repressiven Behördenentscheidungen, die das vorläufige Ruhen dieser Genehmigung anordnen oder das Inverkehrbringen vorübergehend untersagen. 69 Da nationale Behörden, das BVL (wie bisher das RKI *) und die Überwachungsbehörden der Länder, den positiven Beschluss der EG-Kommission achten müssen, dürfen sie nur dort ein vorläufiges Ruhen der Genehmigung anordnen (§ 20 II GenTG) bzw. ein Inverkehrbringen vorübergehend untersagen (§ 26 I 4 GenTG), wo neue Informationen oder Verfahrensunregelmäßigkeiten bekannt geworden sind, die eine andere Risikobewertung rechtfertigen. 70 Kontrollieren Gerichte solche Entscheidungen, müssen sie also wiederum eine eigene Risikobewertung vornehmen, um beurteilen zu können, ob die Behörde vom positiven Beschluss der EG-Kommission abweichen durfte. Solange Gerichte einen Beurteilungsspielraum anerkennen, gelingt ihnen diese Prüfung aber nicht.

III. Ergebnis: Verstoß eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums gegen das Europarecht Auch der effet utile steht also einem Beurteilungsspielraum entgegen; bei gentechnischen Anlagen und Arbeiten im geschlossenen System, bei Freisetzungen sowie beim Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Produkte.

Hans-Georg Kamann/Christoph M. Tegel, NVwZ 2001, 44 (44, li). Vgl. zur Zuständigkeitsverlagerung auf das BVL das Vorwort dieser Arbeit. 70 Vgl. auch Art. 23 Freisetzungs-RiL 2001/18/E bzw. Art. 16 der alten Freisetzungs-RiL 90/220/EWG. 69 *

I. Ergebnis der Arbeit Die Untersuchung, ob ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum besteht, hat ergeben: Die verfassungsrechtliche Rolle der Rechtsprechung (Art. 92, 97 GG), ein wirksamer Rechtsschutz (Art. 19 IV GG), ein effektiver Grundrechtsschutz (Art. 2 II 1, 5 III 1 2. Var., 12, 14 GG) und ein wirkungsvoller Umweltschutz (Art. 20 a GG) verbieten, eine lückenlose Gerichtskontrolle gentechnikrechtlicher Risikoentscheidungen von Behörden auszuschließen. Darüber hinaus sprechen eine richtlinienkonforme Auslegung des Gentechnikgesetzes im Lichte der Freisetzungs-RiL 2001/18/EG und der Arbeitnehmerschutz-Richtlinie 2000/54/EG sowie die Beachtung der Rechtsprechung des EuGH zum Inverkehrbringen gegen eine beschränkte Gerichtskontrolle bei gentechnikrechtlichen Risikoentscheidungen. Ein Beurteilungsspielraum im Gentechnikrecht muss deshalb verneint werden. Die Rechtsprechung muss ihre gegenteilige Auffassung ändern.

J. Zusammenfassung der Arbeit in Thesen 1. Die Gentechnik ist eine zukunftsträchtige Technologie, die nicht mehr aus dem Leben weg zu denken ist. In ihren Einsatzfeldern Medizin, Pharma-, Konsumgüterindustrie und Umweltsanierung lässt die Gentechnik hoffen, dass Krankheiten wie Krebs bekämpft werden können, dass genügend Lebensmittel produziert werden, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, und sie ermöglicht, Güter umweltfreundlich und ressourcensparend zu produzieren und verseuchte Böden zu entgiften. 2. Die Gentechnik eröffnet nicht nur Chancen, sondern sie hat auch Risiken. Diese werden oft überzeichnet, doch dürfen die Risiken auch nicht verharmlost werden, besonders beim Freisetzen und Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen nicht. Vor allem sie bergen Risiken für die Gesundheit, für die Umwelt, für die Berufsfreiheit und für das Eigentum Dritter, so z. B., wenn sich ungewollt veränderte Gene in Pflanzen benachbarter Felder einkreuzen oder sogar in den menschlichen Organismus. 3. Diese Risiken zwingen nicht zu einem Verbot der Gentechnik insgesamt, fordern aber Sicherheitsmaßnahmen, um schädliche Einwirkungen bestmöglich zu bekämpfen. 4. Mit dem Gentechnikgesetz und den zahlreichen Rechtsverordnungen hat der Gesetzgeber ein Rechtsregime geschaffen, dass eine sichere Anwendung der Gentechnik erlaubt. Nicht im GenTG geregelt ist allerdings die Anwendung der Gentechnik am Menschen (§ 2 III GenTG). Das GenTG wurde im August 2002 tiefgreifend geändert. Anlass war die Änderung der System-RiL durch die Richtlinie 98/81/EG. a) Im geschlossen System bedürfen jetzt nur noch die Errichtung und der Betrieb von Anlagen, in denen gentechnische Arbeiten der Sicherheitsstufe 3 oder 4 durchgeführt werden sollen, und die vorgesehenen erstmaligen gentechnischen Arbeiten einer Genehmigung (§ 8 I 2 GenTG). Die Errichtung und der Betrieb von Anlagen, in denen gentechnische Arbeiten der Sicherheitsstufe 1 oder 2 durchgeführt werden sollen, und die vorgesehenen erstmaligen gentechnischen Arbeiten sind lediglich anmeldepflichtig (§ 8 II 1 GenTG). Dies gilt auch für weitere gentechnische Arbeiten der Sicherheitsstufe 2 (§ 9 II 1 GenTG). Weitere Arbeiten der Sicherheitsstufe 1 können ohne Anmeldung oder Anzeige durchgeführt werden (§ 9 I GenTG). Sie unterliegen also keiner Präventivkontrolle. Die Überwachungsbehörde kann sie aber bei Sicherheitsmängeln untersagen. Mit den §§ 20, 25, 26 GenTG steht Zulassungs-

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und Überwachungsbehörden ein umfassendes repressives Eingriffsinstrumentarium zur Verfügung. b) Neben der Arbeit mit gentechnisch veränderten Organismen im geschlossenen System regelt das GenTG die Freisetzung solcher Organismen und das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Produkte (§§ 14 ff. GenTG). Der Anwendungsbereich des GenTG ist beim Inverkehrbringen allerdings stark eingeschränkt, weil es hiefür viele Spezialbestimmungen gibt, die dem GenTG vorgehen (vgl. § 2 I Nr. 4 2. HS GenTG). Gentechnisch veränderte Lebensmittel werden nicht nach dem GenTG zugelassen, sondern nach der Verordnung 1829/2003/EG über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel. Diese Verordnung hat die bisher auf gentechnisch veränderte Lebensmittel anwendbare Novel Food-VO abgelöst. Außerdem erfasst die Verordnung 1829/2003/EG auch genetisch veränderte Futtermittel. Auch diese werden also nicht nach dem GenTG zugelassen. Ebenfalls nicht einschlägig ist das Gentechnikgesetz für die Zulassung gentechnisch veränderter Arzneimittel und Impfstoffe sowie von Pflanzenschutzmitteln. Künftig ist für die Genehmigung des Freisetzens und Inverkehrbringens gentechnisch veränderter Organismen nicht mehr das Robert Koch-Institut, sondern das BVL (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit). Die Umsetzung der EG-Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG, mit der Deutschland seit dem 18. Oktober 2002 in Verzug ist, wird die Vorschriften des GenTG über Freisetzung und Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen noch einmal grundlegend ändern (z. B. werden Überwachungs- und Kennzeichnungspflichten von Betreibern erweitert und die Genehmigung für ein Inverkehrbringen auf 10 Jahre begrenzt). Bis zur vollständigen Umsetzung der Freisetzungs-RiL sind die bisherigen Vorschriften des GenTG europarechtskonform auszulegen. Dies gilt besonders für die Betreiberpflichten (§ 6 II 1, III GenTG), die nach den Art. 5 I c), 13 II e), 20 i.V. mit den Anhängen III und VII – richtlinienkonform – auch zur Erstellung von Überwachungsplänen und einer systematischen Überwachung (Monitoring) verpflichten. Außerdem darf ein Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen nach Art. 15 IV richtlinienkonform nur noch befristet genehmigt werden. 5. An gentechnikrechtlichen Entscheidungen wirken oft mehrere Stellen mit: eine Landesbehörde (bei Vorhaben im geschlossen System) oder das BVL (bei Freisetzungen und beim Inverkehrbringen) als entscheidende Behörde, ferner Bundesoberbehörden, die beraten oder ihr Einvernehmen erteilen müssen (z. B. das Paul-Ehrlich-Institut oder das früher für Freisetzungen und ein Inverkehrbringen federführend zuständige Robert Koch-Institut als Benehmensbehörde, vgl. § 16 IV GenTG) und die ZKBS (Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit), die Stellungnahmen zum Risiko des Vorhabens abgibt. Bei Freisetzungen und beim Inverkehrbringen sind auch die EG-Mitgliedstaaten zu beteiligen (sog. EG-Beteiligungsverfahren, § 16 III GenTG, §§ 2 ff. GenTBetV). Gentechnisch veränderte Produkte dürfen, falls ein Mitgliedstaat dem Inverkehrbringen widerspricht, nicht ohne Zustimmung der

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EG-Kommission oder des Rates in Verkehr gebracht werden (§16 III GenTG, § 3 IV– VI GenTBetV). 6. Die ZKBS ist für Risikoentscheidungen nach dem GenTG von herausragender Bedeutung. Sie wirkt beim Erlass von Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften mit und ist an gentechnikrechtlichen Zulassungsentscheidungen beteiligt (§ 5 GenTG). Faktisch werden Zulassungsentscheidungen sogar von ihr getroffen, weil die zuständige Behörde ihrer Stellungnahme in der Praxis grundsätzlich folgt. Die ZKBS ist keine Behörde, wohl aber ein öffentlich-rechtlicher Ausschuss, der öffentliche Gewalt ausübt. Sie setzt sich aus Sachverständigen und sachkundigen Personen zusammen, die frei von Weisungen entscheiden (§ 4 III 1 GenTG). Trotz ihrer vermeintlich pluralistischen Besetzung mit Personen aus der Wirtschaft, den Gewerkschaften, dem Arbeitsschutz, den forschungsfördernden Organisationen, dem Umwelt- und dem Verbraucherschutz ist die ZKBS „nur“ ein Expertengremium. Ihre Zusammensetzung zielt nicht auf Interessenpluralität und gesellschaftliche Repräsentanz ab, sondern auf die Rekrutierung von Sachverstand. Mit der ZKBS hat der Gesetzgeber ein Gremium geschaffen, das wegen seiner gesetzlichen Ausgestaltung und seiner Einwirkung auf Einzelentscheidungen im Umwelt- und technischen Sicherheitsrecht ohne Vorbild ist. 7. Das Gentechnikgesetz verlangt von Behörden, über Gefahren und Risiken eines Vorhabens zu entscheiden. Es muss ausgeschlossen werden, dass „schädliche Einwirkungen“ „nach dem Stand der Wissenschaft (und Technik)“ (§§ 11 I Nr. 4, 16 I Nr. 3, 16 II GenTG) zu erwarten sind. Ein Risiko besteht im Unterschied zur Gefahr bereits bei einer nur möglichen Eintrittswahrscheinlichkeit, d. h. unterhalb der Gefahrenschwelle. Behörden haben damit im Gentechnikrecht mehr Eingriffsbefugnisse als im sonstigen Recht der Gefahrenabwehr. Dies ist erforderlich, um die Risiken der Gentechnik sachgerecht zu bekämpfen, denn Schäden sind oft schon vorstellbar, ohne dass die für die Annahme einer Gefahr notwendige Schadenswahrscheinlichkeit nachgewiesen werden kann. 8. Alle gentechnikrechtlichen Behördenentscheidungen verlangen eine umfassende Risikoermittlung und eine bestmögliche Risikoabwehr. Dies gilt für die Zulassung von Vorhaben im geschlossenen System, für die Genehmigung von Freisetzungen, die Genehmigung des Inverkehrbringens gentechnisch veränderter Produkte und für sämtliche repressiven Maßnahmen, wie die Untersagung eines anmeldepflichtigen Vorhabens nach § 11 VII GenTG, die Untersagung des Inverkehrbrigens gentechnisch veränderter Produkte gem. § 26 I 3 GenTG, Widerruf und Rücknahme von Genehmigungen (§ 20 I GenTG, §§ 48, 49 VwVfG), die einstweilige Einstellung (§ 20 I GenTG), nachträgliche Auflagen (§ 19 S. 3 GenTG) und sonstige behördliche Anordnungen zur Risikobekämpfung (§ 26 I 1 GenTG). Nur Restrisiken sind hinzunehmen. Die Ermittlung der Risiken und deren Abgrenzung zum hinnehmbaren Restrisiko setzt eine umfassende Rechtsgüterabwägung voraus zwischen den Grundrechten der Forschungs- und Berufsfreiheit von Betreibern (Art. 5 III 1 2. Var., 12 GG), den Rechten Drittbetroffener (Gesundheit [Art. 2 II 1

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GG], Eigentum [Art. 14 GG], Berufsfreiheit [Art. 12 GG]) und der Umwelt (Art. 20 a GG). 9. Da bei Behördenentscheidungen nach dem GenTG stets die Risiken gentechnischer Vorhaben beurteilt werden müssen, sind sie Risikoentscheidungen. Die erforderliche Rechtsgüterabwägung, mit der die Risiken eingeschätzt werden (vgl. These 8), erfordert Wertungen am Maßstab des unbestimmten Rechtsbegriffs „Stands der Wissenschaft (und Technik)“ (vgl. These 7). Weitere Kennzeichen gentechnikrechtlicher Risikoentscheidungen sind: – sie bedürfen Prognosen, – sie zu treffen ist schwierig und verlangt wissenschaftlichen Sachverstand, – sie sind von großer Bedeutung für die Grundrechtsausübung Einzelner und für den Schutz des Ökosystems – das Verwaltungsverfahren ist kompliziert, da meist verschiedene Behörden und die ZKBS beteiligt sind – regelmäßig beeinflussen die Mitglieder der ZKBS (z. B. Mikrobiologen, Vertreter der Wirtschaft/des Umweltschutzes) als unabhängige, d. h. weisungsfreie Fachleute die Risikobewertung der zuständigen Behörde erheblich. Weil bei den gentechnikrechtlichen Risikoentscheidungen so viele Schwierigkeiten zusammentreffen, zählt man sie oft zu sog. komplexen Behördenentscheidungen. 10. Wie wertungsbedürftige, „komplexe“ Behördenentscheidungen auf Grund unbestimmter Rechtsbegriffe von Gerichten zu kontrollieren sind, ist nicht nur im Gentechnikrecht umstritten. Überwiegend wird angenommen, dass Gerichte bei solchen Entscheidungen ihr Urteil nicht an Stelle desjenigen der Verwaltung setzen dürfen. Vielmehr sollen sie die Subsumtion der Verwaltung unter den unbestimmten Rechtsbegriff nur auf ihre Vertretbarkeit kontrollieren. Soweit die Einschätzung der Behörde haltbar, d. h. nicht willkürlich, ist und auch keine Verfahrensfehler vorliegen, ist die Entscheidung als rechtmäßig anzuerkennen. Diese Form der Gerichtskontrolle, bei der sich das Gericht eigenen, d. h. inhaltlich von der Behörde abweichenden, Ausführungen zur Subsumtion unter den unbestimmten Rechtsbegriff weitgehend enthält, wird durch den Begriff des „Beurteilungsspielraums“ der Verwaltung gekennzeichnet. 11. Der Begriff des Beurteilungsspielraums geht im wesentlichen zurück auf Lehren von Otto Bachof und Carl Hermann Ule aus den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts. Seither erkennen die Verwaltungsrechtsprechung und die überwiegende Literatur gerichtsresistente Entscheidungsfreiräume von Behörden bei bestimmten – wenigen – Behördenentscheidungen an. Beurteilungsspielräume sollen zwar die Ausnahme sein, weil sie die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV GG und die materiellen Grundrechte beschränken, doch sollen Gerichte Behördenentscheidungen dann nicht voll kontrollieren dürfen, wenn der Gesetzgeber die Letztentscheidung über einen

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Sachverhalt der Behörde zugewiesen habe. Eine solche normative Ermächtigung müsse den entscheidungserheblichen Normen durch Auslegung entnommen werden können (sog. normative Ermächtigungslehre). Im einzelnen werden Beurteilungsspielräume angenommen bei dienstrechtlichen Entscheidungen im Beamtenrecht, bei Prüfungs- und prüfungsähnlichen Entscheidungen, bei Prognosentscheidungen, bei Wertungsentscheidungen von sachverständigen- und pluralistisch zusammengesetzten Gremien und bei Risikoentscheidungen im Umwelt- und im technischen Sicherheitsrecht, insbesondere im Atomrecht. Das BVerfG hat diese Fallgruppen von Beurteilungsspielräumen im Grundsatz ebenfalls anerkannt. Allerdings hat es die Kontrollfreiheit der Verwaltungsbehörden eng begrenzt, wenn Grundrechte beeinträchtigt werden. Außerdem ist das BVerfG auch deshalb restriktiver als die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung, weil es einen Bewertungsspielraum auf die Fälle beschränken will, in denen Gerichte an ihre Funktionsgrenzen stoßen. Vorstellbar ist dies nach Ansicht des BVerfG bei komplexen Entscheidungen, die wegen der Dynamik ihrer Regelungsmaterie schwierig sind. 12. Gentechnikrechtliche Behördenentscheidungen kontrolliert die Verwaltungsrechtsprechung bislang nicht umfassend, vielmehr belässt sie den Behörden hier einen Beurteilungsspielraum. Eine eigene Risikobewertung durch das Gericht erfolgt nicht, kontrolliert wird nur, ob der Behörde Ermittlungs- und Verfahrensfehler unterlaufen sind und ob die Behörde die Risiken unter Heranziehung des vorhandenen wissenschaftlichen Sachverstandes, insbesondere der ZKBS, „nachvollziehbar“ bewertet hat. Die Kontrolle der Risikoabschätzung der Behörde beschränkt sich damit auf eine Willkür- und Vertretbarkeitskontrolle, wobei der Risikobewertung der Behörde gegenüber derjenigen des Rechtsschutzsuchenden grundsätzlich Vorrang zuerkannt wird. 13. Begründet wird der gentechnikrechtliche Beurteilungsspielraum vor allem damit, dass der Gesetzgeber der Verwaltung durch den unbestimmten Rechtsbegriff „des Stands der Wissenschaft (und Technik)“ in gentechnikrechtlichen Entscheidungsnormen ein Letztentscheidungsrecht zugewiesen hat. Die Rechtsprechung zum Gentechnikrecht verweist auf die zum Atomrecht, bei der ein Beurteilungsspielraum für die ähnliche Formulierung in § 7 II Nr. 3 AtG („die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage“), vom BVerwG anerkannt wurde. Weiter werden folgende Argumente zur Begründung des gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums angeführt: – Gerichte stießen bei der Kontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen an ihre Funktionsgrenzen, weil gentechnikrechtliche Entscheidungen an den Grenzen menschlicher Erkenntnis fielen. – Bei einer vollen gerichtlichen Kontrolle könne kein zügiger Rechtsschutz gewährt werden. – Gerichte verfügten nicht über den wissenschaftlichen Sachverstand, der nötig sei, um eine gentechnikrechtliche Entscheidung zu prüfen.

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– Es sei nicht Aufgabe von Gerichten, in die Streitigkeiten von Wissenschaftlern einzutreten und das Verwaltungsverfahren auf zweiter Stufe zu wiederholen. Vielmehr sei die Risikoermittlungs- und abschätzung nach dem Gewaltenteilungsprinzip der Verwaltung vorbehalten. – Gentechnikrechtliche Entscheidungen seien politische Entscheidungen und daher von der Verwaltung zu fällen. – Es sei nicht Aufgabe von Gerichten, Prognosen zu treffen. – Der Wille des Gesetzgebers würde missachtet, wenn Gerichte voll prüften. Die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens, an dem viele kompetente Fachbehörden und die ZKBS beteiligt sind, spreche dafür, dass die Verwaltung letztverbindlich entscheiden solle. – Es bestehe auch kein Bedürfnis für eine volle gerichtliche Kontrolle, weil das gentechnikrechtliche Verfahren schon dadurch genügend Rechtsschutz gewähre, dass der Einzelne Einwendungen erheben kann. 14. Gerichtsentscheidungen im Gentechnikrecht, die einen Beurteilungsspielraum der Behörden anerkennen, sind bislang ergangen zur Risikobewertung gentechnischen Vorhaben im geschlossenen System nach den §§ 6 II GenTG, 13 I Nr. 3, Nr. 4 GenTG a. F., die §§ 6 II GenTG, 11 I Nr. 3, Nr. 4 GenTG n. F. entsprechen, und zu Freisetzungsvorhaben (§ 16 I Nr. 3 GenTG). Geklagt hatten Betreiber, weil die Behörde ein Vorhabens untersagt oder Nebenbestimmungen angeordnet hatte, aber auch Dritte, die eine Verletzung ihrer Gesundheit, ihres Eigentums und/oder ihrer Berufsfreiheit durch ein gentechnisches Vorhaben rügten. 1999 wurde ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum vom BVerwG bestätigt. Da der unbestimmte Rechtsbegriff „Stand der Wissenschaft (und Technik)“ Einfallstor für den Beurteilungsspielraum sein soll, ist zu erwarten, dass die Rechtsprechung einen solchen Spielraum auch bei allen anderen gentechnikrechtlichen Risikoentscheidungen anerkennen wird: beim Inverkehrbringen (§ 16 II GenTG) und bei repressiven Maßnahmen wie der einstweiligen Einstellung (§ 20 I GenTG) und bei behördlichen Anordnungen nach § 26 GenTG. Möglicherweise wird ein Beurteilungsspielraum sogar erstreckt auf repressive Maßnahmen des BVL zur Bekämpfung von Risiken gentechnisch veränderter Lebensmittel nach der neuen Verordnung 1829/2003/EG über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel. 15. Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum verstößt jedoch gegen Art. 19 IV GG. Art. 19 IV GG verlangt eine volle gerichtliche Kontrolle. Es gehört zu den Mindeststandards eines wirkungsvollen Rechtsschutzes, dass die Letztentscheidung über die Rechtmäßigkeit eines behördlichen Eingriffs in Rechte der Bürger bei den Gerichten liegt. Die Annahme einer Letztentscheidungsbefugnis von Behörden, die mit einem Beurteilungsspielraum einhergeht, greift deshalb in den Schutzbereich des Art. 19 IV GG ein. Eingriffe in Art. 19 IV GG können zwar durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt werden, doch im Gentechnikrecht gelingt dies nicht (vgl. Thesen 16–27).

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16. Entgegen einer verbreiteten Meinung stoßen Gerichte bei der Kontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen nicht an ihre Funktionsgrenzen. a) Die Kontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen verlangt von Gerichten nichts Unmögliches. Die Bestimmungen des GenTG sind „exekutabel“, d. h., nach ihnen können die Behörden ihre gentechnikrechtlichen Entscheidungen treffen. Daher sind die Vorschriften des GenTG und die nach ihnen getroffenen Behördenentscheidungen auch „justiziabel“, d. h. von Gerichten kontrollierbar, zumal die Rezeptionsbegriffe des „Stands der Wissenschaft“ und des „Stands der Wissenschaft und Technik“ keine außerrechtlichen Begriffe sind, für die gelegentlich behauptet wird, sie dürfen nicht vollständig kontrolliert werden. Durch ihre Aufnahme in das Gentechnikrecht sind diese Begriffe verrechtlicht worden und damit Maßstab (und Gegenstand) gerichtlicher Kontrolle. Zwar gibt es bei gentechnikrechtlichen Entscheidungen oft keine einzig rechtmäßige Entscheidung, weil die Entscheidungen am Maßstab des „Stands der Wissenschaft (und Technik)“ kaum vermeidbar vom Sicherheitsgefühl des zur Entscheidung in der Verwaltung berufenen Sachbearbeiters mit geprägt werden und weil der „Stand der Wissenschaft und Technik“ oft nicht eindeutig bestimmbar ist. Doch macht dies gentechnikrechtliche Risikoentscheidungen nicht unkontrollierbar. Denn jede Entscheidung über gentechnikrechtliche Risiken fordert eine Abwägung zwischen den Grundrechten von Betreibern (Art. 5 III 1 2. Var., 12, 14 GG) und Dritten (Art. 2 II 1, 12, 14 GG) und der Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG. Zur Kontrolle von (Grundrechts-)Abwägungen steht Gerichten aber mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ein bewährtes Instrument zur Verfügung – insofern sind Gerichte geradezu zur Kontrolle gentechnikrechtlicher Entscheidungen prädestiniert. Etwaige Sicherheitsgefühle behördlicher Sachbearbeiter, die einer Abwägungskontrolle mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht standzuhalten vermögen, können (Grund-)Rechtseingriffe niemals rechtfertigen. b) Gentechnikrechtliche Entscheidungen sind nicht „unvertretbar“ (unwiederholbar). An ihnen sind zwar regelmäßig viele Stellen beratend und mitentscheidend beteiligt, der Entscheidungsprozess kann aber vor Gericht anhand der Antragsunterlagen und der Aufzeichnungen von Behörden rekonstruiert und geprüft werden. Die „Komplexität“ des gentechnikrechtlichen Entscheidungsverfahrens berechtigt daher nur zur Forderung, dass Behörden genügend Aufzeichnungen machen, nicht aber dazu, die Kontrolle durch Gerichte zu beschränken. c) Die Wissenschaftsabhängigkeit gentechnikrechtlicher Entscheidungen zwingt ebenfalls nicht zur Annahme eines Kontrollfreiraums der Behörden. Gerichte müssen auch in anderen Rechtsgebieten wissenschaftsabhängige Fragen entscheiden. Dies gilt nicht nur für die Feststellung der Schuldfähigkeit im Strafrecht, sondern auch für die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen im Chemikalien-, im Arzneimittel- und im Pflanzenschutzrecht (vgl. § 12 II ChemG, § 25 II Nr. 2, Nr. 4 AMG, § 15 I Nr. 3 PflSchG). Diese Entscheidungen sind ebenso schwierig und komplex wie die im Gentechnikrecht und von ähnlicher Tragweite für Betroffene und Dritte. Wenn Gerichte aber dort mit Hilfe von Sachverständigen letztverbindlich entschei-

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den können, so muss dies auch im Gentechnikrecht gelten. Zudem zeigen die gentechnikrechtlichen Urteile des VG Freiburgs, des VG München und des VGH Mannheims, dass mit Hilfe Sachverständiger auch im Gentechnikrecht eine volle gerichtliche Kontrolle erzielbar ist. Die Gerichte arbeiteten sich besonders sorgfältig in die Sachverständigengutachten ein und bewerteten auf der Grundlage der daraus gewonnenen Überzeugungen die Risiken eigenständig. Die Wissenschaftsabhängigkeit fordert daher keinen Beurteilungsspielraum, und deshalb verlangt Art. 19 IV GG allein, dass Gutachten für Gerichte verständlich begründet werden. Nur diese Ansicht steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG, die an das Erreichen der Funktionsgrenzen der Judikative hohe Anforderungen stellt und dazu ausdrücklich auf die Pflicht, Sachverständige einzuschalten, hinweist. d) Eines gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraums bedarf es auch nicht zu dem Zweck, einen zügigen Rechtsschutz sicherzustellen. Auch bei einer gründlichen Kontrolle entscheiden Gerichte nicht langsamer. Tatsächlich hilft ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum nicht Gerichtsverfahren zu beschleunigen. Es kostet Gerichte zusätzlich Zeit, die Grenzen des Beurteilungsspielraums abzustecken und zu rechtfertigen. Zudem dauern Gerichtsprozesse nicht deshalb so lange, weil Entscheidungen wissenschaftsabhängig sind, sondern vor allem, weil zu wenig Richter eine steigende Zahl von Verwaltungsentscheidungen, die immer komplizierter werden, prüfen müssen. Außerdem hieße die Argumentation „zügiger Rechtsschutz fordert Beurteilungsspielräume“ in Wahrheit Rechtsschutzverweigerung. Denn auch zügig bekommt der Einzelne keinen Rechtsschutz, weil Gerichte den Beurteilungsspielraum der Behörde anerkennen. Daher ist es besser, etwas länger auf eine sorgfältige, volle Kontrolle der behördlichen Risikobewertung zu warten, als „zügig“ ein Gerichtsurteil zu erhalten, das die behördliche Risikobewertung ohne nähere Prüfung hinnimmt und damit einen wirkungsvollen Rechtsschutz verspielt. 17. Die grundgesetzliche Gewaltenteilung fordert keinen Beurteilungsspielraum. a) Gerichte verwalten nicht („doppelt“), wenn sie ihre ureigene Aufgabe erfüllen und Rechtsschutz gewähren. b) Gerichte lähmen die Verwaltung nicht, wenn sie voll kontrollieren. Die Verwaltung wird durch eine volle gerichtliche Kontrolle nicht geschwächt, sondern im Gegenteil gefördert. Denn die Verwaltung wird zu noch sorgfältigerem Handeln angehalten. Auch können Gerichte Auslegungsmaßstäbe entwickeln, z. B. für die Auslegung des Begriffs der „schädlichen Einwirkungen“ oder der Unvertretbarkeitsklauseln in den §§ 16 I Nr. 3, 16 II GenTG. So können sie der Verwaltung ebenfalls helfen; vor allem für die Entscheidung künftiger Fälle. Eine solche erzieherische Fehlerkontrolle kann zudem das Verantwortungsbewusstsein der Verwaltung schärfen. c) Gerichte greifen nicht in einen der Exekutive zugewiesenen Funktionsvorbehalt ein, wenn sie gentechnikrechtliche Entscheidungen im Interesse des Rechtsschutzsuchenden voll prüfen. Durch die umfassende Kontrolle der Risikobewertung der Behörde praktizieren Gerichte hingegen Gewaltenteilung par excellence.

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d) „Politische“ Elemente gentechnikrechtlicher Entscheidungen (nämlich die Risikoabschätzung, in der sich die politische Grundsatzentscheidung für die Gentechnik widerspiegelt) rechtfertigen keinen Beurteilungsspielraum. Dies gilt schon außerhalb des Gentechnikrechts. Weder Entscheidungen mit politischem Charakter im Wahlverfahren, noch politische Entscheidungen der Regierung sind der Gerichtskontrolle entzogen. Daher können erst Recht nicht „politische“ Elemente einfachgesetzlicher gentechnikrechtlicher Behördenentscheidungen eine Kontrollbeschränkung rechtfertigen. 18. a) Ein Letztentscheidungsrecht der Verwaltung lässt sich aus den Normen des GenTG und der GenTSV nicht ableiten. Die Verwendung des Rezeptionsbegriffs des „Stands der Wissenschaft und Technik“ und die Wissenschaftsabhängigkeit des Gentechnikrechts beweisen kein gesetzlich gewolltes Letztentscheidungsrecht. Dies gilt insbesondere für die Ausgestaltung des gentechnikrechtlichen Entscheidungsverfahrens. Die Beteiligung kompetenter Fachbehörden und der ZKBS, durch die der Gesetzgeber zeigt, dass er bestmöglich vor den Risiken der Gentechnik schützen möchte, lässt eher auf den Willen des Gesetzgebers zur bestmöglichen Gerichtskontrolle über Risiken schließen. Die Annahme eines (bloß) konkludenten Letztentscheidungsrechts, abgeleitet aus der Komplexität des GenTG, bedeutete zudem mehr ein „Hineinlesen“ als ein „Herauslesen“. Das ist aber mit dem Grundsatz vom Gesetzesvorbehalt nicht vereinbar. Auch steht die Grundrechtsbindung von Gerichten aus Art. 1 III GG einem gemutmaßten Letztentscheidungsrecht entgegen, denn die Grundrechtsbindung aus Art. 1 III GG verbietet Gerichten, sich selbst von ihrer grundrechtlichen Kontrollpflicht aus Art. 19 IV GG zu befreien. b) Auch durch Art. 3 Nr. 5 d) aa) des 2. GenTG-ÄndG hat der Gesetzgeber kein Letztentscheidungsrecht von Behörden geschaffen. Durch formelles Gesetz wurde der Begriff „Legaleinstufungen“ in § 5 VI GenTSV eingefügt und das zuständige Bundesministerium (künftig das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft) zum Erlass der Organismenlisten als Verwaltungsvorschriften ermächtigt. Aber mit dem Begriff „Legaleinstufung“ wollte der Gesetzgeber lediglich klarstellen, dass die Organismenlisten maßgeblich auf Bewertungen des EG-Arbeitsschutzrechts beruhen. Vor allem verstieße der Erlass für Gerichte bindender Verwaltungsvorschriften gegen Art. 80 GG, der nur erlaubt, Gerichte an Rechtsverordnungen zu binden. 19. Die begrenzte Kontrolle bei Planungsentscheidungen kann nicht auf das Gentechnikrecht übertragen werden. Gentechnikrechtliche Risikoentscheidungen sind keine Planungsentscheidungen, sondern gebundene Entscheidungen. Sie lassen den Behörden für planerische Erwägungen, wie etwa für die Ausübung einer Gestaltungsfreiheit, und auch für eine Technologiefolgenabschätzung, keinen Raum. 20. Der Charakter gentechnikrechtlicher Entscheidungen als Prognoseentscheidungen rechtfertigt keine eingeschränkte gerichtliche Kontrolle.

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a) Ein Prognosespielraum ist nicht hinnehmbar, weil gerade Prognoseentscheidungen besonders fehleranfällig sind. Daher sind sie gründlich zu kontrollieren, erst recht, weil die Wirkungen der Gentechnik wenig erforscht sind und wenn erhebliche Risiken von einem gentechnischen Vorhaben ausgehen. b) Eine volle gerichtliche Kontrolle wirkt verhaltenssteuernd. Sie hält den Betreiber stärker dazu an, sein Vorhaben stetig zu überwachen und die Risiken fortlaufend zu bewerten, weil andernfalls Drittklagen Erfolg versprechen könnten. Eine gerichtliche Kontrolle, die Behördenentscheidungen umfassend daraufhin untersucht, ob der Betreiber alles nach dem Stand der Wissenschaft (und Technik) Erforderliche getan hat, könnte daher den Betreiber anspornen, sein Vorhaben besser zu beobachten. So könnte weiteres Wissen über die Wirkungen der Gentechnik gesammelt werden. Dies wird von § 6 GenTG gefordert, und noch stärker durch das Europarecht (Art. 5 I c), Art. 13 II e) und Art. 20 i.V. mit den Anhängen III und VII der Freisetzungs-RiL 2001/18/EG). Da auch die Betreiberpflichten an den Stand von Wissenschaft und Technik anknüpfen, werden die Behördenentscheidungen über sie aber bislang noch vom gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum erfasst. Dies hindert auch eine genaue Kontrolle der Risikobewertung des Betreibers und hemmt damit die positiven Wirkungen einer vollen Gerichtskontrolle. Einen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum beizubehalten widerspräche deshalb dem Sinn und Zweck der Betreiberpflicht und wäre damit rechtswidrig sowie rechtspolitisch kontraproduktiv. c) Auch in anderen Rechtsgebieten müssen Prognosen (wegen Art. 19 IV GG) voll kontrolliert werden – und werden dies auch: z. B. im allgemeinen Polizeirecht, aber auch im Pflanzenschutzrecht, das ebenso wissenschaftsabhängig ist wie das Gentechnikrecht. Besonders die Tatsache, dass pflanzenschutzrechtliche Entscheidungen nach der Paraquat-Entscheidung des BVerwG voll kontrolliert werden, widerspricht einem gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum. Die pflanzenschutzrechtliche Zulassungsentscheidung ist gentechnikrechtlichen Zulassungsnormen ähnlich, weil nach ihr ebenfalls über Einwirkungen auf Grundrechte und auf die Umwelt am Maßstab wissenschaftlicher Erkenntnisse zu entscheiden ist (§ 15 I Nr. 3 PflSchG). Zudem kann eine pflanzenschutzrechtliche Zulassung eine gentechnikrechtliche Genehmigung für das Inverkehrbringen ersetzen (vgl. § 2 I Nr. 4 2. HS GenTG). Dass Gerichte bei der Prüfung pflanzenschutzrechtlicher Zulassungsentscheidungen über gentechnische Risiken voll entscheiden dürfen, nicht aber bei der Überprüfung gentechnikrechtlicher Risikoentscheidungen, ist widersprüchlich und vor Art. 19 IV GG nicht zu rechtfertigen. 21. Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum kann nicht mit einer Analogie zum atomrechtlichen Beurteilungsspielraum begründet werden. Atom- und Gentechnikrecht sind nicht vergleichbar. a) Es bestehen rechtliche Unterschiede. Gentechnikrechtliche Behördenentscheidungen sind gebundene Entscheidungen, bei § 7 II Nr. 3 AtG hat die Behörde Versagungsermessen. Die ZKBS ist das einzige Expertengremium im Gentechnikrecht, 22 Schmieder

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im Atomrecht wirken die RKS (Reaktorsicherheitskommission), die SSK (Strahlenschutzkommission) und der KTA (Kerntechnische Ausschuss) an den Behördenentscheidungen mit. Im Unterschied zur ZKBS, deren Stellungnahmen kraft Gesetz zu berücksichtigen sind (vgl. z. B. § 10 VII 3 GenTG), beraten die Gremien im Atomrecht nur (unverbindlich). Auch sind ihre Aufgaben und ihre Zusammensetzung im Unterschied zur ZKBS nicht gesetzlich geregelt. b) Tatsächliche Unterschiede stehen einer Vergleichbarkeit von Gentechnik- und Atomrecht ebenfalls entgegen. Beide Technologien haben andere Anwendungsbereiche, vor allem die Risiken sind unterschiedlich. Naturwissenschaftliche Methoden, mit denen die Gefährlichkeit einer atomrechtlichen Anlage bestimmt werden kann, sind deshalb im Gentechnikrecht nicht anwendbar. Da gentechnische Wirkungszusammenhänge weniger voraussehbar sind, fordern gentechnikrechtliche Entscheidungen sogar mehr Prognosen als atomrechtliche (dazu, dass eine Prognosebedürftigkeit im Gentechnikrecht keinen Beurteilungsspielraum rechtfertigt, siehe These 20). 22. Die Rechtsprechung zu Beurteilungsspielräumen bei Wertungsentscheidungen von sachverständig und pluralistisch besetzten Gremien kann nicht auf das Gentechnikrecht übertragen werden. Erstens unterscheidet sich die ZKBS hinsichtlich ihrer Aufgaben und ihrer Besetzung von den Ausschüssen nach dem DDR-RiG, dem ArchitektenG, dem BörsenG, von den Sortenausschüssen, den Gremien im Film- und Medienrecht sowie von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Zweitens entscheidet die ZKBS im Unterschied zu diesen Gremien nicht außenwirksam, sondern sie gibt nur Stellungnahmen ab, die von den zuständigen Behörden berücksichtigt werden. Das Letztentscheidungsrecht zwischen ZKBS und den Behörden ist daher im Gentechnikrecht letzteren zugewiesen. 23. Die bisher anerkannten Fälle eines Beurteilungsspielraums bei Gremien lassen sich nicht um einen Gremienvorbehalt der ZKBS erweitern. Einem Entscheidungsfreiraum, der auf die Beteiligung der ZKBS gestützt ist, steht die zu schwache (sachlich-inhaltliche) demokratische Legitimation der ZKBS entgegen. Die Voten der ZKBS haben erheblichen Einfluss auf die Behördenentscheidungen. Wegen ihrer Qualität werden sie von Behörden regelmäßig übernommen. Die ZKBS entscheidet daher „faktisch“ mit. Die Mitglieder der ZKBS arbeiten jedoch weisungsfrei. Eine Rechts- und/oder Fachaufsicht findet weder durch die zuständigen Landesbehörden noch durch das BVL (früher das RKI) noch durch das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (früher das BM für Gesundheit) statt. Die ZKBS kann daher für ein rechtswidriges Votum nicht durch aufsichtsrechtliche oder disziplinarrechtliche Maßnahmen zur Verantwortung gezogen werden. Auch wird die ZKBS nicht parlamentarisch kontrolliert, z. B. durch ein Abberufungsrecht des Bundestages. Nur wenn die zuständige Behörde die Stellungnahme der ZKBS vor ihrer Übernahme prüft, wird die ZKBS „überwacht“. Unterbliebe bei einer solch schwachen behördlichen Kontrolle auch eine (inzidente) Gerichtskontrolle der ZKBS-Stellungnahmen, bestünde die Gefahr, dass die ZKBS

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Grundrechte fast beliebig (mit-)schmälert. Mit der Stellung der ZKBS als öffentlich-rechtlicher Ausschuss ist dies unvereinbar. Die schwache demokratische Legitimation der ZKBS darf daher nicht noch durch eine geringe Gerichtskontrolle begleitet werden. Vielmehr ist gerade dort eine starke gerichtliche Kontrolle erforderlich, wo eine demokratische Rückkopplung so schwach ist wie bei der ZKBS. 24. Ein „dynamischer“ Grundrechtsschutz, wie ihn das BVerfG verlangt, der sich am jeweils neusten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse anlehnen soll, fordert keine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle gentechnikrechtlicher Behördenentscheidungen. Ein guter Grundrechtschutz lässt sich erreichen, indem die Grundrechte bei der Bestimmung des hinnehmbaren Restrisikos angemessen berücksichtigt werden. Dass die Verwaltung „für die Verwirklichung des Grundsatzes der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge besser ausgerüstet ist als Gesetzgebung und Rechtsprechung“, wird besonders der Kalkar-Entscheidung des BVerfG entnommen. Ein Kontrollverbot von Gerichten bei wissenschaftsabhängigen Entscheidungen stützt die Kalkar-Entscheidung aber nicht, weil das Gericht nur festgestellt hat, dass die Exekutive die Risikovorsorge fortlaufend besser (vor allem schneller) an veränderte Risiken anpassen kann als die Legislative. Aus diesen Äußerungen des BVerfG zum Verhältnis von Legislative und Exekutive lässt sich aber für eine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle von Behördenentscheidungen nichts herleiten. Vielmehr lässt sich den Ausführungen des Gerichts entnehmen, dass ein dynamischer Grundrechtsschutz eine volle Gerichtskontrolle fordert. Hierfür spricht auch die „dynamische, akualitätsbezogene“ Ausgestaltung des gentechnikrechtlichen Rechtsgüterschutzes. Der Betreiber muss sein Vorhaben fortlaufend überwachen, und die Behörden müssen fortlaufend überwachen, dass der Betreiber seine Pflicht erfüllt. Für die gerichtliche Entscheidung bedeutet dies, dass Gerichte auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Hauptverhandlung abstellen müssen. Sie haben festzustellen, ob dann noch die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen sind. Gerichte müssen die Behördenentscheidung also fortdenken und prüfen, ob seither Änderungen eingetreten sind, die zu einer anderen Risikobeurteilung führen. Das setzt voraus, dass Gerichte eigenständig ermitteln, gegebenenfalls Gutachten einholen und die Risiken umfassend und eigenständig einschätzen. 25. Eine volle gerichtliche Kontrolle gentechnikrechtlicher Behördenentscheidungen gefährdet auch nicht eine fortlaufende, flexible Standardisierung des Gentechnikrechts. Dieses Argument wird im Umweltrecht gerne gebraucht, wenn dafür plädiert wird, Gerichte an normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften von Behörden zu binden. Im Gentechnikrecht kann es aber keine Kontrollbeschränkung von Gerichten begründen, weil das Gentechnikrecht nur teilweise durch Verwaltungsvorschriften, die Organismenlisten, standardisiert ist und gentechnikrechtliche Entscheidungen immer eine einzelfallspezifische Risikobewertung verlangen. Auch verletzte die Bindung von Gerichten an die Organismenlisten Art. 19 IV GG, weil Verwaltungsvorschriften als Innenrecht nur die Verwaltung binden können, nicht aber Gerichte. Für Gerichte dürfen Verwaltungsvorschriften nur (unverbindliche) Hilfen sein bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe. 22*

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26. Ein Verweis auf den Rechtsschutz durch das gentechnikrechtliche Verwaltungsverfahren kann einen gentechnikrechtlichen Beurteilungsspielraum nicht rechtfertigen. a) Art. 19 IV GG verlangt die Möglichkeit eines Rechtsschutzes durch Gerichte auch dann, wenn schon im Verwaltungsverfahren Rechtsschutz gewährt wurde. Auch ein noch so gutes Verwaltungsverfahren mit vielen Rechtsbehelfen kann den gerichtlichen Rechtsschutz deshalb nicht ersetzen. b) Außerdem kann im Gentechnikrecht ein Verfahrensschutz eine weniger genaue Gerichtskontrolle nicht kompensieren, weil er nur schwach ist. Eine Beteiligung Dritter im Verwaltungsverfahren findet selten statt. Der Gesetzgeber hat das Verwaltungsverfahren wiederholt zu Gunsten von Betreibern gentechnischer Anlagen beschleunigt, insbesondere durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes. Auch haben allgemeine Stellungnahmen der ZKBS einzelfallspezifische Voten der ZKBS bei Entscheidungen über gentechnische Vorhaben im geschlossenen System weitgehend ersetzt. Zudem wurde der bisher präventive Verfahrensschutz, der besonders durch viele Genehmigungspflichten ein höheres Maß an Sicherheit gewährleistete, durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes zu einem überwiegend repressiven Untersagungs- und Überwachungsschutz verändert. Ob damit dieselbe Sicherheit garantiert werden kann, scheint fraglich, zumal Behörden nicht mehr Personal erhalten, gleichwohl nun schneller, jedoch genauso gründlich entscheiden müssen und zudem verpflichtet sind, ihre Kontrolleure durchs Land zu schicken, die nicht anmeldepflichtige Arbeiten der Sicherheitsstufe 1 prüfen. c) Ob Verfahrensbestimmungen von Behörden eingehalten wurden, kontrolliert die Rechtsprechung so unzureichend, dass eine Verfahrenskontrolle eine volle inhaltliche Gerichtskontrolle nicht ersetzen kann. Verstöße gegen drittschützende Verfahrensvorschriften führen regelmäßig nicht zur Aufhebung einer gentechnikrechtlichen Behördenentscheidung, weil „sich eine Auswirkung des Verfahrensfehlers nicht nachweisen lässt“. Der Einzelne wird daher weder durch eine starke Inhaltskontrolle noch durch eine wirksame Verfahrenskontrolle geschützt. Mit Art. 19 IV GG ist das erst Recht unvereinbar. 27. Eine volle gerichtliche Kontrolle gefährdet nicht die Rechtssicherheit. a) Unterschiedliche Gerichtsurteile in ähnlich gelagerten Fällen, die bei einer vollen Gerichtskontrolle öfters einmal auftreten mögen, sind kein zu verhinderndes rechtstechnisches Unglück, sondern unserem Gerichtssystem, das Gerichte nicht an Präzedenzfälle bindet, immanent. b) Einheitliche Gerichtsentscheidungen können nicht widerspruchsfrei gefordert werden, wo das Gesetz uneinheitliche Behördenentscheidungen zulässt. Im Gentechnikrecht bringt der Vollzug des Gentechnikgesetzes durch die Länder zwangsläufig ein gewisses Maß an Uneinheitlichkeit mit sich: Oft werden in einem Land mehrere Behörden tätig, Zulassung und Überwachung sind unterschiedlichen Be-

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hörden anvertraut (besonders bei Freisetzungen und beim Inverkehrbringen), und Behörden sind nicht an die Stellungnahmen der ZKBS gebunden. c) Es muss keine Verzerrung der Bewertungsmaßstäbe befürchtet werden, wenn ein Gericht für seine Kontrolle externe Sachverständige zu Rate zieht, denn auch diese müssen ihren Gutachten den Maßstab des GenTG zu Grunde legen. d) Im Zweifel hat ein wirksamer Rechtsschutz Vorrang vor einer einheitlichen Entscheidungspraxis von Gerichten. 28. Kontrollfreiräume sind nicht nur vor Art. 19 IV GG zu rechtfertigen, sondern auch vor den materiellen Grundrechten. Materielle Grundrechte können die Intensität der gerichtlichen Kontrolle bestimmen. Je wesentlicher eine Behördenentscheidung für die Grundrechtsausübung ist, desto stärker muss sie von Gerichten geprüft werden können. 29. Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum ist mit den materiellen Grundrechten von Betreibern und Dritten unvereinbar. Gentechnikrechtliche Behördenentscheidungen berühren die Grundrechte von Betreibern und Dritten wesentlich. Die Forschungsfreiheit von Betreibern kann verletzt sein, das so wichtige Grundrecht Dritter auf körperliche Unversehrtheit verkürzt sein. Die Einkreuzung gentechnisch veränderter Saat auf angrenzende Felder hat erhebliche Folgen. Ein Angrenzer wird in seiner Eigentumsfreiheit beeinträchtigt, denn Art. 14 GG schützt auch die Gentechnikfreiheit seiner Saat. Erschwerend kommt hinzu, dass ihm eine Vernichtungsanordnung droht, weil er seine, durch die Einkreuzung gentechnisch veränderte, Saat ohne Genehmigung anbaut. Besonders schwerwiegend ist eine solche Einkreuzung, wenn der Angrenzer Biolandwirt ist. Er muss damit rechnen, dass ihm das Inverkehrbringen seiner Saat untersagt wird, weil er dafür keine Genehmigung hat. Selbst wenn er eine Genehmigung erhält, kann er seine Saat nicht mehr als gentechnikfrei verkaufen. Entweder er wird durch den Staat zur Kennzeichnung verpflichtet, wenn der Anteil gentechnisch veränderter Organismen oberhalb eines bestimmten Schwellenwerts liegt, oder ein Ökoverband erteilt ihm ein bestimmtes Umweltsiegel nicht, das er für die Vermarktung als Bioprodukt benötigt. 30. Diese Einkreuzungsproblematik (These 29) zwingt ebenfalls zur Aufgabe des Beurteilungsspielraums. Eine beschränkte Gerichtskontrolle entwertet die Rechte des von der Einkreuzung Betroffenen aus Art. 12, 14 GG. Er muss die Genehmigung des Freisetzungsvorhabens hinnehmen, weil Gerichte einen Beurteilungsspielraum anerkennen, so dass Rechtsschutz gegen ein gentechnisches Vorhaben wenig Erfolg verspricht. Wird ihm das Inverkehrbringen seiner Saat untersagt oder ordnen Behörden deren Vernichtung an, kann er hiergegen nach der Rechtsprechung des OVG Münsters und des VG Schleswig kaum einmal erfolgreich klagen. Diese für Angrenzer missliche Situation kann nur angemessen gelöst werden, wenn ein Beurteilungsspielraum aufgegeben wird, zumal die Konsequenzen der Rechtsprechung des OVG Münsters und des VG Schleswig richtig sind: Die Verbote der Freisetzung und des Inverkehrbringens der nunmehr gentechnisch veränderten

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Saat des Angrenzers können nicht aufgehoben werden, weil sie rechtmäßig sind. Sie sind für einen wirkungsvollen Schutz vor gentechnisch veränderten Produkten erforderlich. Insbesondere ist die Untersagungsbehörde nicht deshalb gehindert, gegen den Angrenzer vorzugehen, weil die Einkreuzung bei der Genehmigung des Freisetzungsvorhabens vom damals zuständigen Robert Koch-Institut vorausgesehen und mitgeprüft wurde. Eine dem Betreiber erteilte Freisetzungsgenehmigung erklärt nicht zugleich, dass ein Angrenzer seine durch Einkreuzung veränderte Saat anbauen bzw. vermarkten darf. Die Freisetzungsgenehmigung des Betreibers hat also keine Legalisierungswirkung für diese Saat. Daher muss ein Angrenzer bereits die Freisetzung bekämpfen können. Das verlangt, dass Gerichte die drohenden Belastungen für die Rechte des Angrenzers als zu erwartende „schädliche Einwirkungen“ umfassend kontrollieren können. 31. Die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern kann nur grundrechtskonform – zu Gunsten von Betreibern und Dritten – entschieden werden, wenn Gerichte inhaltliche Fragen vollständig prüfen und dabei feststellen, ob sich ein etwaiger Verfahrensfehler auf das Ergebnis der Behördenentscheidung ausgewirkt hat. Würde ein Beurteilungsspielraum anerkannt und deshalb angenommen, der Verfahrensfehler habe sich ausgewirkt, würde einseitig zu Gunsten Dritter Rechtsschutz gewährt. Das Recht des Betreibers, ein materiell rechtmäßiges Vorhaben zu verwirklichen, würde zu Unrecht verkürzt. Würde ein Beurteilungsspielraum so verstanden, dass Gerichte davon ausgehen müssen, der Verfahrensfehler habe sich nicht ausgewirkt, so würden die Verfahrensvorschriften, die Dritte schützen sollen, verkannt. 32. Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum ist auch mit Art. 20 a GG unvereinbar. Obwohl Art. 20 a GG kein durch Art. 19 IV GG gerichtsgeschütztes subjektives öffentliches Recht ist, sondern eine Staatszielbestimmung, müssen Gerichte die Einhaltung umweltrechtlicher Vorgaben voll kontrollieren. Denn Art. 20 a GG kann Grundrechte begrenzen. Außerdem verdient auch das Staatsziel Umweltschutz umfassenden Gerichtsschutz. Auch deshalb müssen Gerichte feststellen können, ob Behörden die Auswirkungen eines gentechnischen Vorhabens auf die Umwelt in ihrem natürlichen Wirkungsgefüge richtig eingeschätzt haben. Durch die genaue Prüfung umweltrechtlicher Vorgaben können Gerichte, auch wenn sie einmal – mangels einer Verletzung subjektiver öffentlicher Rechte – eine umweltrechtswidrige gentechnikrechtliche Behördenentscheidung nicht selbst aufheben können (vgl. § 113 I 1 VwGO), die Verwaltung dazu veranlassen, ihre umweltrechtswidrige Entscheidung zurückzunehmen. Insofern gewähren Gerichte auch einen rechtspflegenden objektiven Rechtsschutz. Das widerspricht nicht dem subjektiven Rechtsschutzmodell des deutschen Verwaltungsprozessrechts: Da die §§ 113 I, V VwGO auch die Prüfung von Verstößen gegen objektives Recht verlangen, ließe sich ein Kontrollmodell entwickeln, das Art. 20 a GG im Gentechnikrecht effektiv schützt. Danach dürfte eine nur objektiv rechtswidrige Behördenentscheidung mangels Verletzung eines subjektiven Rechts des Klägers zwar nicht aufgehoben werden, doch würde der Verstoß gegen Umweltvorschriften in den Entscheidungsgründen festgestellt. Hierdurch würde die Verwaltung mittelbar dazu gezwungen, ihre

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umweltrechtswidrige Entscheidung aufzuheben und Umweltbelange künftig adäquat zu berücksichtigen. 33. Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum der Verwaltung verletzt auch die Art. 92, 97 GG. a) Indem er Gerichte an behördliche Einzelentscheidungen bindet, hält er sie davon ab, unabhängig von der Verwaltung zu entscheiden, obwohl dies die grundgesetzliche Gewaltenteilung (Art. 20 III, 97 GG) fordert. b) Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum erschwert Gerichten, das Recht fortzubilden und neue Auslegungsmaßstäbe zu entwickeln. Das ist aber besonders beim Risikobegriff, für die Vertretbarkeitsklausel (§§ 16 I Nr. 3, 16 II GenTG) und für den Begriff der schädlichen Einwirkungen (vgl. z. B. § 11 I Nr. 4 GenTG) erforderlich. c) Ohne Beurteilungsspielraum der Verwaltung können Gerichte die Akzeptanz der Gentechnik verbessern. Eine umfassende, transparente inhaltliche Auseinandersetzung mit den Risiken der Gentechnik und eine ausführliche Begründung gentechnikrechtlicher Urteile können das Vertrauen der Prozessbeteiligten und auch der Gesellschaft in die Gentechnik stärken. Die Akzeptanz der Gentechnik zu fördern gehört zu den verfassungsrechtlichen Aufgaben von Gerichten. Sie sind kraft ihrer Gesetzesbindung (Art. 20 III GG) auch von Verfassungs wegen verpflichtet, den Willen des Gesetzgebers des GenTG im Einzelfall durchzusetzen und den rechtlichen Rahmen für die Förderung der Gentechnik mit zu formen (vgl. § 1 Nr. 2 GenTG). 34. Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum ist auch europarechtswidrig. a) Der effet utile, der Gerichte zu einer richtlinienkonformen Auslegung der gentechnikrechtlichen Vorschriften verpflichtet, fordert zwar nicht stets eine volle gerichtliche Kontrolle. Der EuGH lässt eine weniger genaue Kontrolle genügen, gerade bei wissenschaftlich-technischen Sachverhalten. In anderen Mitgliedstaaten werden gentechnikrechtliche Entscheidungen ebenfalls nicht voll kontrolliert. Dies gilt speziell auch für gentechnikrechtliche Entscheidungen. b) Zum Teil kann eine effektive Umsetzung des Europarechts aber eine volle Kontrolle fordern, so bei der Kontrolle der Betreiberpflichten des § 6 I, II GenTG. Eine umfassende Gerichtskontrolle hilft, dass der Betreiber seinen Überwachungspflichten stärker nachkommt und damit die Anforderungen der in Deutschland – trotz Ablauf der Umsetzungsfrist am 17. Oktober 2002 – noch nicht umgesetzten Freisetzungs-RiL 2001/18/EG erfüllt (vgl. auch These 20 b]). Auch müssen Gerichte die Risikobewertung jedes gentechnischen Vorhabens umfassend prüfen, um festzustellen, ob Behörden die Vorgaben der Arbeitnehmerschutz-Richtlinie 2000/54/EG beachtet haben. c) Gerichte müssen außerdem voll kontrollieren, wenn dies erforderlich ist, um besondere Vorgaben des EuGH umzusetzen. Solche bestehen beim Inverkehrbrin-

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gen gentechnisch veränderter Organismen. Entscheidungen nationaler Behörden dürfen grundsätzlich (wenn ein Mitgliedstaat im EG-Beteiligungsverfahren widerspricht) nicht ohne Zustimmung der EG-Kommission bzw. des Rates getroffen werden. Etwas anderes gilt dem EuGH zufolge nur dann, wenn nach einem positiven Beschluss der EG-Kommission neue Informationen zu Risiken bekannt werden, die zu einer vorsichtigeren Risikobewertung als die der EG-Kommission zwingen. Nationale Behörden sind auch dann nicht an einen positiven Beschluss der Kommission gebunden, wenn ihnen bei der Prüfung der Anmeldung Unregelmäßigkeiten unterlaufen sind, die nicht zu einer befürwortenden Stellungnahme hätten führen dürfen und die daher die Gültigkeit der positiven Entscheidung der EG-Kommission berühren können. Kommt es zum Prozess, müssen Gerichte daher stets entscheiden, ob neue Informationen über entscheidungserhebliche Risiken vorliegen und/oder ob sich die Verfahrensfehler der nationalen Behörde inhaltlich auf deren Entscheidung ausgewirkt haben. Dies gilt für die Genehmigung des Inverkehrbringens (§ 14 I Nr. 2, Nr. 3 GenTG) und für repressive Maßnahmen gegen bereits zugelassene, in Verkehr gebrachte gentechnisch veränderte Organismen (§§ 20 II, 26 I 4 GenTG). Eine bloße Willkürkontrolle der Risikobewertung genügt indes nicht, um festzustellen, ob sich Informationen über neue Risiken oder Verfahrensfehler ausgewirkt haben. Vielmehr ist hierfür eine eigene Risikobewertung des Gerichts erforderlich, so wie sie die nationale Behörde bzw. die EG-Kommission vorgenommen hätte. Dies verlangt eine volle gerichtliche Kontrolle. Nur so gelingt es auch, dass Gerichte den positiven Beschluss der EG-Kommission und damit das Europarecht achten und zugleich angemessenen vor den Risiken der Gentechnik schützen. 35. Ein gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum muss aufgegeben werden. Gerichte haben voll zu kontrollieren. Sie müssen die Risiken eines Vorhabens eigenständig einschätzen. Der Sachverhalt ist umfassend zu ermitteln, und die Risikobewertung der Behörde ist anhand der einschlägigen Normen des Gentechnikgesetzes und der GenTSV nachzuvollziehen. So müssen Gerichte feststellen, ob die Behörde das zulässige Restrisiko richtig bestimmt und zwischen Grundrechten von Betreibern (Art. 5 III 1 2. Var., 12, 14 GG), Dritter (Art.2 II 1, 12, 14 GG) und dem Staatsziel Umweltschutz (Art. 20 a GG) rechtmäßig abgewogen hat. Bei der Kontrolle der Risikobewertung können sich Gerichte an den Grundsätzen orientieren, die für die Nachprüfung der Gefahrenprognose im Polizeirecht entwickelt wurden. Für die Kontrolle der Risikoprognose, nach der die Behörde ein gentechnisches Vorhaben genehmigt, verboten oder mit Auflagen versehen hat, gilt danach: Je größer die zu erwartenden schädlichen Einwirkungen eines gentechnischen Vorhabens, um so geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen.

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Sachwortverzeichnis Akzeptanz der Gentechnik 25, 59, 310 ff., 343 Anlagen, gentechnische 93 ff. Anmeldepflichtige Vorhaben 103 ff., 166, 328 Antibiotikaresistenz 50 ff., 57 f., 112, 120, 202, 222, 317 Arbeiten, gentechnische 93 ff., 103, 108, 328 Arbeitnehmerschutz-Richtlinie 19, 320 f., 327, 343 Art. 19 IV GG – Schutzbereich 177 ff. – Einschränkbarkeit 180 ff. – Rechtfertigungsanforderungen 185 ff. Art. 12 I GG 21 f., 85, 115 f., 146, 157, 259, 262, 273, 278 ff., 309 f., 331, 341 Art. 14 I GG 21, 85, 113 ff., 125, 278 ff., 300 f., 330, 341 Art. 2 II 1 GG 21, 85, 87, 157, 177, 262, 278, 280, 294, 300, 330 Art. 20 a GG 24, 87, 125, 174 f., 193, 296 ff., 327, 342, 331, 344 Art.5III1. 2.Var. GG 18, 87, 92, 125, 146, 157, 166, 174 Arzneimittelgesetz (AMG) 63, 198, 227 ff., 334 Atomrecht – Beurteilungsspielraum im Atomrecht 150 ff., 190, 270, 338 – Unterschiede zum Gentechnikrecht 229 ff., 337 f. Aufgaben von Gerichten 160, 194, 207 f., 292 ff., 307 ff., 330, 333 f. Ausschüsse – nach dem DDR-RiG 239 f., 338 – nach dem Architektengesetz 239 f., 338 – nach dem Börsengesetz 239 f., 338 – Sortenausschüsse 240 f., 338

– Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften/Medien 70, 144, 238 f., 241 ff., 338 – Gremien im Medienrecht 241 ff., 338 – im Atomrecht (RSK, KTA, SSK) 231 f., 338 Behörden – Aufgaben 76 ff. – Bundesbehörden 65, 329 – Landesbehörden 65, 329 – Zuständigkeit 65 ff. Behördenentscheidung 93 ff., 329 Berufsfreiheit siehe Art. 12 I GG Betreiberpflichten 223 f., 226, 261, 319, 329, 337, 343 Betreiberrechte 283 ff., 292 ff. Beurteilungsspielraum – ablehnende Ansichten 143 – atomrechtlicher siehe Atomrecht – Begriff 127 ff. – Entwicklung 131 ff. – Geschichte 131 ff. – Allgemeiner Stand der Diskussion 144 ff. – gentechnikrechtlicher 146 ff. Biotechnologie 26 ff. Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften/Medien siehe Ausschüsse Demokratiedefizit der ZKBS 249 ff. Demokratieprinzip 70, 138, 188, 219, 248 ff. Demokratische Legitimation – von Entscheidungsträgern (allgemein) 249 ff. – der ZKBS 23, 252 ff., 338 DNA 28 ff.

365

Sachwortverzeichnis DNS siehe DNA Doppelverwaltung 133, 206 f., 335 Drittbeeinträchtigung 280 ff. Dynamischer Grundrechtsschutz 260 ff., 339 Effet utile 25, 316 ff., 343 Eigenart der Entscheidungsmaterie 190 f. Eigentumsfreiheit siehe Art. 14 I GG Eignung von Gerichten zur Kontrolle 195 ff., 334 Einkreuzungsproblematik 285 ff., 341 Ermächtigungslehre, normative 140, 182, 212 ff., 332 Ermessen 88 f., 104, 124, 129 ff., 131 ff., 192 f., 230 f., 290, 297, 318, 337 Europarecht 23, 25, 57, 168 ff., 225, 289, 316 ff., 337, 343 f. Exekutabilität gentechnikrechtlicher Normen 191, 334 Flexibilität 265 Forschungsfreiheit siehe Art. 5 III 1. 2. Var. GG Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen – Beurteilungsspielraum 156 – Risiken 48 ff. – Zulassungsverfahren 108 ff. Freisetzungs-Richtlinie 55 ff., 62, 112 ff., 225, 291, 317 ff., 324, 327, 329, 343 Funktionsvorbehalt 209 ff., 298 Gefahrenabwehr 83 f. Gen 28 ff. Genehmigungspflichtige Vorhaben 94 ff., 108 ff., 116 ff. Gentechnik – Begriffe und Grundlagen 26 ff. – Chancen und Nutzen 38 ff. Gentechnikrechtlicher Beurteilungsspielraum – Anerkennung in der Literatur 173 ff. – Anerkennung in der Rechtsprechung 154 ff. – Begründung 159 ff. – Entwicklung 150 ff.

– Grenzen/gerichtliche Kontrolle 161 ff. – Wesensmerkmale 165 ff. Gentechnische Vorhaben im geschlossenen System – Beurteilungsspielraum 156, 165 ff. – Risiken 46 f. – Zulassungsverfahren 93 ff. Gentherapie 18, 39 f., 64, 200 Gentransfer – allgemein (direkt/vektorlos) 33 ff. – vertikaler 48 ff., 297 – horizontaler 49 f., 222 GenTSV 97 ff., 215 ff. Gerichtsschutz 127 ff., 176 ff., 304 ff. Geschlossenes System siehe gentechnische Vorhaben im geschlossenen System Gewaltenteilung 160, 189, 206, 210, 218, 306, 335, 363 Gremienentscheidungen 239, 246 Gremienvorbehalt 246 ff., 257 f., 338 Grundrechtsrelevanz 146, 198, 280 ff. Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen – Beurteilungsspielraum 168 ff. – Risiken 50 ff. – Zulassungsverfahren 56 f., 58, 60 ff., 116 ff. Justiziabilität

190 ff.

Kennzeichnungspflicht 5 f., 55, 120 f., 282, 317, 329, 341 Kontrolldichte 23, 104, 127 ff., 145, 153 f., 158 ff., 181, 198, 204 f., 213, 273, 284, 318 Kontrolle – Begriff 177 f. – Kontrollgegenstand 24, 180 – Verfahrenskontrolle 152, 273, 340 – Willkürkontrolle 164, 180, 344 – wirksame 177 ff. – wissenschaftlicher Fragen 195 ff. Legaleinstufung 99, 217 ff., 336 Letztentscheidungsrecht 74, 145, 159, 181 f., 190, 212 ff., 284, 332, 336, 338

366

Sachwortverzeichnis

Mehrwert des Gerichtsschutzes 265 ff. Nachträgliche Anordnungen 121 ff. Normative Ermächtigung siehe Ermächtigungslehre, normative Novel-Food-VO 6, 55, 61 ff., 170 f., 329 Organismenlisten 54, 98 f., 102, 112, 158 f., 187, 249, 263 f., 276, 320, 336, 339 Pflanzenschutzgesetz (PflSchG) 61, 199, 228 ff., 308, 334, 337 Planungsentscheidungen 111, 174, 190, 220 ff., 336 Politische Verantwortbarkeit 211 ff. Prognosen 138, 161, 227 ff., 277, 337 Präzisierung des Rechts 24, 307 ff., 343 Recht auf körperliche Unversehrtheit siehe Art. 2 II 1 GG Recht auf Leben siehe Art. 2 II 1 GG Rechtfertigung eines BeurteilungsSpielraums – allgemein 185 ff. – im GenTG 189 ff. Rechtfertigungsanforderungen des Art. 19 IV GG 185 ff. Rechtsfortbildung 24, 307 ff., 343 Rechtsschutz siehe Gerichtsschutz, Art. 19 IV GG Rechtsunsicherheit 59, 130, 273 ff. Regelungsgegenstand des GenTG 57 ff. Restrisiken 86 ff., 97, 113, 116, 120, 147, 230, 307 ff., 310, 330, 344 Richterliche Unabhängigkeit siehe Unabhängigkeit von Gerichten Richtlinienkonforme Auslegung 25, 120 f., 225, 319, 329 Risiko – Begriff/Rechtsbegriff 76 ff. – beim Inverkehrbringen 50 ff. – der Gentechnik 46 ff. – gentechnischer Anlagen 46 ff. – von Freisetzungen 48 ff. Risikobewertung 82 ff.

Risikoentscheidung 76 ff., 124 ff. Risikoermittlung 79 ff. Risikomodell – additives 92 – dreistufiges 88 f. – synergetisches 89 ff. – zweistufiges 89 f. Robert-Koch-Institut 5 f., 65 ff. RSK 231 f., 338 Sachverständigenausschüsse 69 ff., 238 ff. Schutzpflicht (grundrechtliche) 84 ff., 104, 166, 230 f., 282, 298 f. Sortenausschüsse siehe Ausschüsse SSK 231 f., 338 Staatszielbestimmung 299 ff., 334, 342 Standardisierungsrecht 153, 158, 165, 187 f., 263 ff., 339 Stand der Technik 79 ff. Stand der Wissenschaft und Technik 82 ff., 96 f., 107 f., 122, 124, 146 ff., 165 ff., 174, 192, 209, 214, 226 f., 276, 307, 319, 330, 333 f., 337 System-Richtlinie 54, 267 Überwachungsbehörden 122 f., 167, 172, 224, 226, 275, 328 f. Umwelt siehe Art. 20 a GG Unabhängigkeit von Gerichten 207, 216, 301, 305 ff. Unvertretbarkeit – von Entscheidungen 136, 194 ff. – von Schäden 209, 309, 335 Verfahrensfehler 183 f., 272 ff., 292 ff., 324 ff., 331 f., 340 ff. Verfahrensschutz 183, 266 ff., 265, 340 Verordnung über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel 5, 55, 61, 64, 114 f., 170, 288, 329, 333 Verwaltungsverantwortung 207 f. Verwaltungsvorschriften 71, 99, 102, 152 f., 158, 165, 174, 189, 207, 263 f., 313, 321, 336, 339

Sachwortverzeichnis Wissenschaftsabhängigkeit desGentechnikrechts 203 f., 227, 284, 334, 336 ZKBS – Aufgaben 71 ff. – Bedeutung 71 ff.

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– demokratische Legitimation 249 ff. – Rechtsnatur 75 ff. – Rechtsstellung der Mitglieder 70 f. – Zusammensetzung 69 ff. Zulassungsbehörden 68, 121 ff. Zulassungsfreie Vorhaben 108 f.