Beurteilungsspielräume der Verwaltung im Naturschutzrecht: Zugleich ein Beitrag zum Umgang von Gerichten und Behörden mit externem Sachverstand [1 ed.] 9783428559626, 9783428159628

An der Schnittstelle zwischen Natur- und Rechtswissenschaft entstehen vielfältige Fallstrukturen, bei denen sich Behörde

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German Pages 290 [291] Year 2020

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Beurteilungsspielräume der Verwaltung im Naturschutzrecht: Zugleich ein Beitrag zum Umgang von Gerichten und Behörden mit externem Sachverstand [1 ed.]
 9783428559626, 9783428159628

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Schriften zum Umweltrecht Band 192

Beurteilungsspielräume der Verwaltung im Naturschutzrecht Zugleich ein Beitrag zum Umgang von Gerichten und Behörden mit externem Sachverstand

Von

Marielle Schuster

Duncker & Humblot · Berlin

MARIELLE SCHUSTER

Beurteilungsspielräume der Verwaltung im Naturschutzrecht

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Michael Kloepfer, Berlin

Band 192

Beurteilungsspielräume der Verwaltung im Naturschutzrecht Zugleich ein Beitrag zum Umgang von Gerichten und Behörden mit externem Sachverstand

Von

Marielle Schuster

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat diese Arbeit im Jahre 2019 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 978-3-428-15962-8 (Print) ISBN 978-3-428-55962-6 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Danksagung Die vorliegende Arbeit wurde im November 2019 von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Für die veröffentlichte Fassung konnten Rechtsprechung und Literatur bis Ende 2019 noch berücksichtigt werden. Mein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Kahl, der die Entstehung der Arbeit durchweg mit großem Engagement begleitet und gefördert hat. Als Mitarbeiterin an seinem Institut konnte ich stets mit seiner vollen Unterstützung rechnen. Danken möchte ich zudem Prof. Dr. Dres. h.c. Eberhard Schmidt-Aßmann für die ausgesprochen zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Bei Prof. Dr. Michael Kloepfer möchte ich mich für die Aufnahme in die Schriftenreihe bedanken. Mein besonderer Dank gilt weiterhin meinen Kollegen, insbesondere Dr. Patrick Hilbert und Dr. Torben Ellerbrok, die mir in zahlreichen Gesprächen auch über die gegebene Entfernung hinweg stets mit Rat und Tat zur Seite standen. Ein großer Dank geht an Dr. Ursula Steinkemper, die mir besonders in der letzten Phase meiner Arbeit durch motivierenden Zuspruch und konstruktive Anregungen einen frischen Blick auf die Dinge ermöglichte. Auch allen anderen Kolleginnen und Kollegen, die meine Promotionszeit am Lehrstuhl und in der Kanzlei bereichert haben, bin ich für regelmäßige Gespräche, kritische Ratschläge und notwendige Ablenkungen sehr dankbar. Ein besonders herzlicher Dank gebührt Charlotte Gaudry, Tabea Schmid, Greta Sürmann, Lisa Burr und Nicole Blechschmidt, die den meist schönen und manchmal schwierigen Weg der Promotion begleitet und mich stets unterstützt haben. Für eure Freundschaft, eure Kraft, eure Energie und eure Zuversicht bin ich sehr dankbar. Durch euch werde ich meine Promotionszeit in schöner Erinnerung behalten. Mein größter Dank gilt an dieser Stelle selbstverständlich meiner Familie. Meinen Eltern, Stephanie Keppler-Schuster und Reinhold Schuster, danke ich von Herzen, dass sie es mir ermöglicht haben, mich voll und ganz auf Studium und Promotion zu konzentrieren. Meinem Bruder Marcel Schuster danke ich für die unzähligen Aufheiterungen und den grenzenlosen Rückhalt. Die Unterstützung und die Liebe meiner Familie haben in wesentlichem Maße zum Gelingen meiner Arbeit beigetragen. Euch widme ich diese Arbeit. Stuttgart, im April 2020

Marielle Schuster

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bedeutung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriffsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtssystematische Verortung im Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Subjekt des Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen administrativer Entscheidungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterschiede zwischen Ermessen und Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . 3. Bedürfnis der Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Normative Ermächtigungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unbestimmter Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besonderer Sachgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prüfungsentscheidungen und prüfungsähnliche Entscheidungen . . . . . . . 2. Beamtenrechtliche Beurteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weisungsfreie Gremien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Prognose- und Risikoentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Maßstab der gerichtlichen Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rahmenbedingungen der Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 25 25 26 29 29 30 31 34 37 37 42 45 48 48 49 51 52 53 55 55 56 61 61

C. Rechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Effektiver Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Effektiver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis b) Spannungsverhältnis: Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Qualitative und quantitative Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Faktische Unmöglichkeit der gerichtlichen Kontrolle . . . . . . . . . . cc) Funktionsgrenzen der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Kompensation durch Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf (Art. 47 GRCh) . . . . . . . . . . . . . a) Herleitung und allgemeine Garantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Letztentscheidungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sonstige Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 S. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gewaltenteilungsgrundsatz (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 VwGO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen der Amtsermittlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65 68 68 69 70 71 72 72 73 74 78 78 80 84 84 88 90 91 91 91 93 94 95

D. Rechtsprechungsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eingriffsregelung (§§ 13 ff. BNatSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktion der Eingriffsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Herleitung des Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bewertung der Eingriffswirkungen (§ 14 BNatSchG) . . . . . . . . . . . . . . aa) Unbestimmter Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sachgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertung der Kompensationswirkungen (§ 15 BNatSchG) . . . . . . . . aa) Unbestimmter Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sachgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abwägung (§ 15 Abs. 5 BNatSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Differenzierung nach Art der Zulassungsentscheidung . . . . . . . . . bb) Zulassungsentscheidung mit Gestaltungsspielraum . . . . . . . . . . . . cc) Gebundene Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96 96 98 99 100 100 101 102 104 104 104 106 107 107 108 109 111

Inhaltsverzeichnis dd) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folge: Rücknahme der Kontrolldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einzelanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Europäischer Gebietsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auswahl und Abgrenzung von Natura-2000-Gebieten (§ 32 Abs. 1 S. 1 BNatSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfahren der Unterschutzstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) FFH-Gebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vogelschutzgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Herleitung des Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 3 EUV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kriterien für die Auswahlentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vogelschutzrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) FFH-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Unzulässige Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reichweite des Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vogelschutzrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) FFH-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rücknahme der Kontrolldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vogelschutzrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) FFH-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verträglichkeitsprüfung (§ 34 BNatSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ablauf der Verträglichkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Herleitung des Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unbestimmter Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sachgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Rechtsfolge: Rücknahme der Kontrolldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einzelanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bestandserfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Festlegung der charakteristischen Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Praktische Ermittlung des Bestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bestandsbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zuordnung des Arteninventars zu Lebensraumtypen . . . . . . .

9 111 112 112 113 117 119 120 120 121 121 121 122 123 123 126 130 132 132 132 136 137 137 138 139 140 141 141 142 143 143 144 144 144 145 145 146 148 149 149

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Inhaltsverzeichnis (2) Bewertung des Erhaltungszustands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Auswirkungen auf den Erhaltungszustand: Erheblichkeit der Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vorgaben und Umsetzung der Rechtsprechung des EuGH . . . (2) Bewertungskriterium: günstiger Erhaltungszustand . . . . . . . . . (3) Einzelanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abweichungsprüfung (§ 34 Abs. 3–5 BNatSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kohärenzsicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Herleitung des Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unbestimmter Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sachgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rücknahme der Kontrolldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einzelanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Artenschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestehen einer Einschätzungsprärogative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grenze: Doppelfunktion des § 44 Abs. 1 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen der Einschätzungsprärogative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Folge: Rücknahme der Kontrolldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bedeutung der fachlichen Empfehlungen und Leitfäden . . . . . . . . . . . . e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausreichende Bestandsaufnahme und Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unterschiede zum FFH-Gebietsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art, Umfang und Tiefe der Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zweigleisiges Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Maßstab praktischer Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zugriffsverbote (§ 44 Abs. 1 BNatSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tötungsverbot (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herleitung des Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einzelanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Räumliche Gegebenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vermeidungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Artspezifische Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

150 151 152 153 155 156 159 160 160 161 162 162 162 164 164 166 167 167 169 169 170 171 174 176 178 179 180 182 182 184 187 189 190 190 191 196 196 197 200

Inhaltsverzeichnis

11

b) Störungsverbot (§ 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausnahmetatbestand (§ 45 Abs. 7 BNatSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Herleitung des Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Hinreichender Ausnahmegrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zumutbare Alternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Betrachtung des Erhaltungszustands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Normative Ermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unbestimmter Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Hinreichender Sachgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201 203 204 204 204 205 206 207 208 212 213 214 214 215 215

E. Herausforderungen in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fachliche Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtliche Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Legislative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kennzeichnung im materiellen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 114a VwGO für Beurteilungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Standardisierungen und Fachkonventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aktueller Bestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Inhalt und Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Konkrete Möglichkeiten der Standardisierung . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bereichsspezifische Standardisierungen: Bundeskompensationsverordnung (§ 15 Abs. 7 S. 1 BNatSchG) . . . . . . . . . . . . . (2) Vorhabenspezifische Standardisierungen: Windenergieerlasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Judikative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gutachter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Person des Gutachters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

218 218 219 220 221 222 222 222 224 228 229 230 231 233 234 234 236 238 240 244 247 247 249

12

Inhaltsverzeichnis 5. Schaffen einer staatlichen Gutachtenstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gutachtenstelle in den Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mögliche Ausgestaltung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

250 251 251 253 254 255

F. Abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. ABlEG ABlEU Abs. AEUV a. F. Akt. Allg. ÄndG ANL Anm. AnwBl. Art. Aufl. BauGB BayKompV BayVBl. BBodSchG Bd. BDI BeckRS Begr. ber. Ber. Beschl. BfN BGB BGBl. BGH BImSchG

BKompV BMU

andere Ansicht Amtsblatt Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Aktualisierung Allgemein/e/es Änderungsgesetz Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege Anmerkung Anwaltsblatt – Das Fachmagazin für Anwältinnen und Anwälte Artikel Auflage Baugesetzbuch Verordnung über die Kompensation von Eingriffen in Natur und Landschaft (Bayerische Kompensationsverordnung) Bayerische Verwaltungsblätter – Zeitschrift für öffentliches Recht und öffentliche Verwaltung Bundes-Bodenschutzgesetz Band Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. Beck-Rechtsprechung Begründung berichtigt Berichte Beschluss Bundesamt für Naturschutz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz) Bundeskompensationsverordnung Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

14 BNatSchG

Abkürzungsverzeichnis

Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz) BRD Bundesrepublik Deutschland BR-Drs. Bundesrats-Drucksache Bsp. Beispiel BT-Drs. Bundestags-Drucksache BUND Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bzw. beziehungsweise CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands CEF-Maßnahmen Continuous ecological functionality-measures – Maßnahmen für die dauerhafte ökologische Funktion CSU Christlich-Soziale Union in Bayern e.V. ders. derselbe Dez. Dezember d.h. das heißt dies. dieselbe(n) DJT Deutscher Juristentag DÖV Die Öffentliche Verwaltung – Zeitschrift für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften DRiG Deutsches Richtergesetz DRL Deutscher Rat für Landespflege e.V. DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt E Entwurf ebd. ebenda Ed. Edition EEELR European Energy and Environmental Law Review EG Europäische Gemeinschaft EL Ergänzungslieferung EMRK Europäische Menschenrechtskonvention Enz.Eur Enzyklopädie Europarecht etc. et cetera EU Europäische Union EuGH Europäischer Gerichtshof EurUP Zeitschrift für Europäisches Umwelt- und Planungsrecht EUV Vertrag über die Europäische Union i. d. F. des Vertrags von Lissabon EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht e.V. eingetragener Verein EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft f./ff. folgend

Abkürzungsverzeichnis FDP FFH FFH-Richtlinie FFH-VP FGSV Fn. Fortg. FStrG FuE GA GastG gem. GewO GfU GG ggf. GmbH GRCh GVwR GWB HdB Hrsg. Hs. HStR HVA F-StB IBA i. d. F. i. d. F. d. B. v. i. d. R. I+E IEC i. S. d. ISO i. S. v. IUCN i.V. m. IVÖR JA Jan.

15

Freie Demokratische Partei Fauna-Flora-Habitat Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.5.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen Verträglichkeitsprüfung nach der FFH-Richtlinie Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen Fußnote Fortgeführt Bundesfernstraßengesetz Forschung und Entwicklung Generalanwalt Gaststättengesetz gemäß Gewerbeordnung Gesellschaft für Umweltrecht Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Charta der Grundrechte der Europäischen Union Grundlagen des Verwaltungsrechts Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Handbuch Herausgeber Halbsatz Handbuch des Staatsrechts Handbuch für die Vergabe und Ausführung von freiberuflichen Leistungen im Straßen- und Brückenbau Important Bird Areas in der Fassung in der Fassung der Bekanntmachung vom in der Regel Zeitschrift für Immissionsschutzrecht und Emissionshandel International Electrotechnical Commission (Internationale Elektrotechnische Kommission) im Sinne des/r Internationale Organisation für Normung im Sinne von International Union for Conservation of Nature and Natural Resources in Verbindung mit Institut für Vegetationskunde, Ökologie und Raumplanung Juristische Arbeitsblätter Januar

16 Jura JuS JZ KOM krit. KritV LAG VSW LANUV LfU lit. LNV-BW LS LUBW MAmS m.Anm. M-AQ m. E. m.w. N. NABU NCEA n. F. NJW Nov. Nr. NRW NuR NVwZ NVwZ-RR NWVBl. oHG Okt. OVG Pkt. PolG BW PrüfVO NRW

Abkürzungsverzeichnis Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Dokumente der Kommission der EU/EG kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NordrheinWestfalen Landesamt für Umwelt Buchstabe Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg Leitsatz Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg Merkblatt zum Amphibienschutz an Straßen, herausgegeben vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen, 2000 mit Anmerkung Merkblatt zur Anlage von Querungshilfen für Tiere und zur Vernetzung von Lebensräumen an Straßen meines Erachtens mit weiteren Nachweisen Naturschutzbund Deutschland Netherlands Commission for Environmental Assessment neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift November Nummer Nordrhein-Westfalen Natur und Recht – Zeitschrift für das gesamte Recht zum Schutze der natürlichen Lebensgrundlagen und der Umwelt Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-Rechtsprechungsreport Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Offene Handelsgesellschaft Oktober Oberverwaltungsgericht Punkt Polizeigesetz Baden-Württemberg Verordnung über die Prüfung technischer Anlagen und wiederkehrende Prüfungen von Sonderbauten (Prüfverordnung NordrheinWestfalen)

Abkürzungsverzeichnis RdL Rn. Rs. S. Sept. SGB XII s. o. sog. SPD SRU StAB

st. Rspr. s. u. SUP TA Lärm TA Luft TKG Tz. u. u. a. UAbs. UBA UFU UGB UGB-KomE UMK UmwRG

UN/ECE UPR Urt. UVP v. VBlBW VerwArch VG VGH

17

Recht der Landwirtschaft – Zeitschrift für Landwirtschafts- und Agrarumweltrecht Randnummer(n) Rechtssache Seite September Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe siehe oben sogenannte/r Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sachverständigenrat für Umweltfragen Stichting Advisering Bestuursrechtspraak voor Milieu en Ruimtelijke Ordening (niederländischer Beirat für Verwaltungsrecht für Umwelt und Raumplanung) ständige Rechtsprechung siehe unten Strategische Umweltprüfung Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft Telekommunikationsgesetz Textziffer und und andere/unter anderem Unterabsatz Umweltbundesamt Unabhängiges Institut für Umweltfragen Umweltgesetzbuch Entwurf eines Umweltgesetzbuches der Unabhängigen Sachverständigenkommission Umweltministerkonferenz Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (UmweltRechtsbehelfsgesetz) United Nations Economic Commission for Europe (Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen) Umwelt- und Planungsrecht – Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis Urteil Umweltverträglichkeitsprüfung von/vom Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof

18 vgl. VO Vorb. VRL VV VwGO VwVfG VwZG WaffG z. B. ZfBR z. g. d. G. v. ZJS ZNER ZRP ZUR

Abkürzungsverzeichnis vergleiche Verordnung Vorbemerkung Richtlinie 2009/147 über die Erhaltung der wild lebenden Vogelarten (Vogelschutzrichtlinie) Verwaltungsvorschrift Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungszustellungsgesetz Waffengesetz zum Beispiel Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht zuletzt geändert durch Gesetz vom Zeitschrift für das Juristische Studium Zeitschrift für Neues Energierecht Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Umweltrecht

„Die Natur hat sich so viel Freiheit vorbehalten, daß wir mit Wissen und Wissenschaft ihr nicht durchgängig beikommen oder sie in die Enge treiben können.“ Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832)*

A. Einleitung I. Problemstellung Im Konfliktfeld zwischen Mensch und Natur bewegt sich die Rechtswissenschaft auf unsicherem Terrain. An der Schnittstelle von Natur- und Rechtswissenschaften haben sich die Behörden und Gerichte mit immer komplexeren Fällen auseinanderzusetzen, für die stets umfassendere außerjuristische Fachkenntnisse erforderlich sind. Besonders die noch jungen Umweltwissenschaften selbst unterliegen einem stetigen Wandel. Viele Fragestellungen sind noch ungelöst, Antworten werfen neue Fragen auf und die Auswirkungen etwaiger Einwirkungen auf die Natur sind kaum abzusehen. Bei vielen Fragestellungen herrscht selbst unter den naturschutzfachlichen Experten Uneinigkeit. Woraus ergibt sich dann die Befähigung der Verwaltung und der Gerichte, über diese Fragen abschließend zu entscheiden? Das kontrollierende Gericht kann nur schwerlich eine Entscheidung der Behörde verwerfen, wenn es selbst weder personell noch fachlich besser ausgestattet und vorgebildet ist als die Behörde. Der Behörde wiederum wird es schwerfallen, das Gutachten eines Experten in Frage zu stellen, soweit dieser fachlich zur Erstellung des Gutachtens fähig erscheint. Daraus ergibt sich das Problem, dass privater Sachverstand letztlich nicht mehr kontrolliert und damit quasi unantastbar wird. Die Judikative ist sich der Ungewissheiten im Naturschutzrecht durchaus bewusst. Die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen soll hier Abhilfe schaffen. Als Beurteilungsspielraum wird der Spielraum der Administrative bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe auf Tatbestandsseite bezeichnet, wobei die gerichtliche Kontrolle zurückgenommen wird. Es entsteht ein Letztentscheidungsrecht der Verwaltung. Mit größerer Sachnähe und hohem Sachverstand soll die Verwaltung der Komplexität der Materie begegnen und verantwortungsbewusst Entscheidungen treffen. Die Gerichte geben die Verantwortung für die Entscheidungen an die Verwaltung ab, sie ziehen sich aus der umfassenden Kontrolle der Verwaltung zurück und schmälern dadurch ihr eigentliches Aufgabenspektrum im Gewaltengefüge. Die Verwaltung darf die ihr übertragene Verantwortung nicht weiter abwälzen, sondern hat selbst zu entscheiden. Fehlt ihr aber für eine fundierte Entscheidung

* Hecker, Goethe – Maximen und Reflexionen, S. 92.

20

A. Einleitung

die personelle und fachliche Ausstattung, so lässt sich nicht ausschließen, dass externe Gutachten jedenfalls weitgehend übernommen werden, ohne überprüft oder hinterfragt zu werden. Dies läuft auf eine Nichtbetätigung des Letztentscheidungsrechts durch die Verwaltung hinaus, da die Letztentscheidung faktisch auf Private übertragen wird. Privater Sachverstand findet so Eingang in eine Spirale fehlender Kontrolle. Besonders bedenklich ist dies angesichts der Abhängigkeit der Gutachter von der sie beauftragenden Partei. Bei Privatgutachten werden Interessenbindung, Befangenheit, Prestige sowie wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Rücksichtnahmen relevant. Erfolgt aber weder durch die Verwaltung noch durch die Gerichte eine hinreichende Kontrolle eines außerstaatlichen Sachverstandes, so entsteht mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG1 eine bedenkliche Rechtsschutzlücke. Im Verhältnis zwischen Behörden und Gerichten wurde durch die Figur der Beurteilungsspielräume in der Praxis ein Weg gefunden, mit der Problematik der komplexen und dynamischen Naturwissenschaften umzugehen. Ob dies der richtige Weg ist, wird sich im Verlauf der Arbeit zeigen.

II. Ziel der Untersuchung Die konkrete Betrachtung und dogmatische Aufbereitung der Figur des Beurteilungsspielraums der Verwaltung ist der Ausgangspunkt für weitere Überlegungen. Auf dieser Grundlage werden rechtsübergreifende, verallgemeinerungsfähige Anhaltspunkte dafür gesucht, ob und inwiefern Beurteilungsspielräume eine – mit dem Grundgesetz vereinbare – Möglichkeit zum Umgang mit komplexen und schwer überschaubaren Regelungsgebieten darstellen. Dass es sich bei der dargestellten Problematik nicht nur um ein rein theoretisches Problem handelt, wird die Analyse der aktuellen Rechtsprechung im Naturschutzrecht zeigen. Die Voraussetzungen, unter denen ein Beurteilungsspielraum angenommen wird, sind dabei ebenso relevant wie die daraus resultierenden Auswirkungen für den Rechtsschutzsuchenden. Nicht alle rechtsstaatlichen Bedenken gegen die Figur des Beurteilungsspielraums können restlos ausgeräumt werden. Es besteht daher Raum für Veränderungen. Im Rahmen dieser Suche nach Lösungsmöglichkeiten für die dargestellte Problematik wird hier auf allen Ebenen angesetzt. Legislative, Exekutive und Judikative sowie die Gutachter selbst werden in den Blick genommen. Dabei werden gerade auch die Bedeutung und die Vorteile einer etwaigen staatlichen Gutachtenstelle nach niederländischem Vorbild auf ihre Verträglichkeit mit dem deutschen System überprüft. 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v. 23.5.1949 (BGBl. S. 1) z. g. d. G. v. 15.11.2019 (BGBl. I S. 1546).

III. Untersuchungsgegenstand

21

III. Untersuchungsgegenstand Europarechtliche Einflüsse führten zu gesteigerten Anforderungen hinsichtlich der Dauer und Effizienz gerichtlicher Verfahren bei gleichzeitiger Ausweitung der Klagebefugnis im Umweltrecht. Eine Option, um dieser Vorgaben Herr zu werden, ist die Annahme von Letztentscheidungsrechten der Administrative und die Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle. Die Arbeit geht dabei von der europarechtlich unbekannten, im deutschen Recht gleichwohl etablierten Differenzierung zwischen Ermessen und Beurteilungsspielräumen aus und beschränkt sich auf Letztere. Die Natur ist dynamisch, nicht statisch. Arten kommen und gehen, passen sich permanent den Gegebenheiten an und reagieren nur selten so, wie der Mensch es erwartet. Gleichzeitig kann die Natur nicht für sich selbst sprechen. Viele haben es sich daher zur Aufgabe gemacht, die Stimme der Natur zu sein. Eine große Anzahl von Umweltverbänden und Verbandsklagen zeugt hiervon. Auch naturschutzfachliche Experten setzen sich mit der Natur und ihren Wirkungszusammenhängen auseinander. Daraus entsteht eine Fülle sich stets aktualisierender Erkenntnisse. Das Naturschutzrecht ist somit als Referenzgebiet für eine Auseinandersetzung mit der Figur des Beurteilungsspielraums geradezu prädestiniert. Es birgt vorwiegend komplexe Abläufe und Zusammenhänge sowie (außerrechtliche) Wertungen, für die Wertungskriterien und Maßstäbe fehlen. Notwendige Wirkungsprognosen sind kaum zu überschauen und häufig fehlen gesicherte Erkenntnisse, Regelwerke und Standards. Die Dynamik und der stete Wandel des Naturschutzrechts tragen das Übrige zum defizitären fachwissenschaftlichen Erkenntnisstand bei. Dies führt zu einer großen Ungewissheit und einer Fülle an offenen Fragen. Unterschiedliche methodische Herangehensweisen können zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, die sich jeweils vertretbar gegenüberstehen. Ein Beurteilungsspielraum der Verwaltung bietet sich hier an, damit nicht eine naturschutzfachlich vertretbare Entscheidung der Behörde durch eine andere, ebenfalls naturschutzfachlich vertretbare Entscheidung des Gerichts ersetzt wird. So wird der Eigenständigkeit der Verwaltung im Gewaltenteilungsgefüge entsprochen. Der Untersuchungsgegenstand wird in der vorliegenden Arbeit daher auf das Naturschutzrecht begrenzt. Der Beurteilungsspielraum bezieht sich aber nicht auf das Naturschutzrecht als ganzes Rechtsgebiet, sondern wird innerhalb der einzelnen Regelungen in bestimmten Fällen angenommen und gesondert begründet. Vorliegend erfolgt eine nähere Auseinandersetzung mit dem Beurteilungsspielraum bei der Eingriffsregelung (§§ 13 ff. BNatSchG2), dem FFH-Gebietsschutz (§ 34 BNatSchG) und dem besonderen Artenschutzrecht (§§ 44 ff. BNatSchG). 2 Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz) v. 29.7. 2009 (BGBl. I S. 2542) z. g. d. G. v. 13.5.2019 (BGBl. I S. 706).

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A. Einleitung

IV. Bedeutung der Arbeit Die Lehre der Beurteilungsspielräume ist keine spezifisch naturschutzrechtliche Problematik, sondern eine des Allgemeinen Verwaltungsrechts. In einigen Fällen ist die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen seit langem gängige Praxis. Eine entsprechende Kasuistik hat sich bei Prüfungen und prüfungsähnlichen Entscheidungen, beamtenrechtlichen Beurteilungen, pluralistischen Gremienentscheidungen und teilweise bei Prognose- und Risikoentscheidungen herausgebildet. Hierbei handelt es sich aber um keine abschließende Aufzählung. Die Arbeit hat somit Bedeutung über das Naturschutzrecht hinaus. Dieses dient lediglich als Referenzmaterie, um zum Teil verallgemeinerungsfähige Erkenntnisse für das gesamte Verwaltungsrecht zu gewinnen. Damit soll ein Baustein zu der Auseinandersetzung beigetragen werden, inwiefern die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen in der jetzigen Form hinzunehmen, einzuschränken oder gar auszuweiten ist. Seitdem Bachof 3 1955 die Grundlagen für die dogmatische Unterscheidung zwischen Ermessen und Beurteilungsspielräumen schaffte, waren Letztere oftmals Gegenstand von Literatur und Rechtsprechung. Allerdings bricht gerade das Naturschutzrecht aus der allgemeinen Dogmatik aus. Hier ist die Diskussion um die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen noch immer im Fluss. Besondere Aktualität erfährt die Thematik durch die kürzlich getroffene Entscheidung des BVerfG 4 im Artenschutzrecht. Auch hier waren die Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle und die objektiven Grenzen der Erkenntnisse der ökologischen Wissenschaft und Praxis relevant.

V. Gang der Untersuchung Zu Beginn der Arbeit erfolgt die Auseinandersetzung mit der dogmatischen Figur des Beurteilungsspielraums (B.). Dessen Abgrenzung von der Figur des Ermessens und die Darstellung der Voraussetzungen und der Folgen seiner Anerkennung sind die Grundlage der folgenden Ausführungen. Somit mündet die Betrachtung der entgegenstehenden Bedenken (C.) zunächst in das Spannungsverhältnis zwischen der Anerkennung von Beurteilungsspielräumen und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG. Dabei fungiert die sog. normative Ermächtigungslehre als Scharnier, um Beurteilungsspielräume und verfassungsrechtliche Vorgaben (zumindest teilweise) zu harmonisieren. Die zudem aufgrund entgegenstehender Grundrechte, des Demokratieprinzips, des Rechtsstaatsprinzips und auch des einfachgesetzlichen Amtsermittlungsgrundsatzes bestehenden Bedenken können allerdings nicht restlos ausgeräumt werden. 3

Bachof, JZ 1955, 97 (99). BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54 Rn. 23 ff.). 4

V. Gang der Untersuchung

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Die daran anknüpfende Analyse der Rechtsprechung im Naturschutzrecht stellt die langjährige Tendenz zur häufigeren Annahme von Beurteilungsspielräumen heraus (D.). Für die drei wichtigen Bereiche des Naturschutzrechts, die Eingriffsregelung (D. II.), den Europäischen Gebietsschutz (D. III.) und das besondere Artenschutzrecht (D. IV.), wird die konkrete Anerkennung der Beurteilungsspielräume und die Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle differenziert betrachtet. Die aus der Rechtsprechungsanalyse gezogenen Erkenntnisse werden vor dem Hintergrund der entgegenstehenden Bedenken diskutiert, um einen verbesserten Umgang von Gerichten und Behörden mit externem Sachverstand zu erzielen (E.). Herausgearbeitet werden vielfältige Anknüpfungspunkte sowohl bei der Legislative, der Judikative und der Exekutive, als auch bei den externen Gutachtern selbst und bei der Schaffung einer staatlichen Gutachtenstelle.

B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen Mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG und Art. 20 Abs. 2, 3 GG ist es erstrebenswert, normative Regelungen derart auszugestalten, dass möglichst alle Entscheidungen vom Gesetzgeber getroffen werden und sich die Aufgabe der Verwaltung auf die bloße Rechtsanwendung beschränkt. Gleichwohl können Situationen auftreten, in denen eine Regelung nur unter Zuhilfenahme unbestimmter Rechtsbegriffe möglich ist. Die Kluft zwischen Norm und Sachverhalt wird dadurch überbrückt.1 Soweit diese Unbestimmtheit durch Auslegung überwunden werden kann, erscheint dies unproblematisch. Bedenklich wird es aber, wenn zusätzlich ein Beurteilungsspielraum der Behörde anerkannt wird. Dann besteht ein Letztentscheidungsrecht der Administrative und die gerichtliche Kontrolle wird zurückgenommen. Teilweise ist es dem Gesetzgeber nicht möglich, alle Voraussetzungen explizit zu normieren. Somit können die Handlungsanweisungen an die Verwaltung auf einigen Gebieten nicht als strenges Konditionalprogramm erlassen werden.2 In anderen Bereichen, gerade auch im Umweltrecht, ist eine detaillierte Regelung aber ohnehin nicht erwünscht, eine solche erscheint sogar kontraproduktiv. Um eine Anpassung des abstrakten Gesetzes an konkrete Situationen zu ermöglichen und dadurch gerechte(re) Lösungen zu erhalten, hilft man sich mit unbestimmten Rechtsbegriffen.3 Ein höherer Abstraktions- und Generalisierungsgrad kann der Komplexität und Vielfalt der gesellschaftlichen Verhältnisse und Lebenssachverhalte und der Einzelfallgerechtigkeit besser gerecht werden und eine flexiblere Anpassung des Rechts ermöglichen.4 Durchgesetzt haben sich im Umweltrecht insbesondere dynamische Verweisungsbegriffe, wie z. B. „Stand der Technik“ oder „beste verfügbare Technik“. Gerade im Rahmen der sehr technischen Materie des Umweltrechts, in der sich Technologien rapide ändern und verbessern können, sind die Festschreibungen von Methoden oder Kriterien schneller obsolet, als neue Gesetze erlassen werden können. Die Verwendung unbestimmter 1

Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 168. Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 476; Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 168 ff. m.w. N. 3 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 13. 4 Vgl. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 169 f. Dies kann aber auch an der fehlenden Einigungsbereitschaft der Beteiligten liegen, vgl. Beckmann, DÖV 2019, 773 (779). 2

I. Begriffsfragen

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Rechtsbegriffe ermöglicht so eine effektive und flexible Verwaltungstätigkeit und entspricht dem schnellen Fortschritt, der durch zu detaillierte und zu starre Regelungen eher gehemmt würde. Auch dem in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltenen Differenzierungsgebot für den Einzelfall wird durch ein gewisses, gebotenes Maß an Unbestimmtheit hinreichend Rechnung getragen. In dem Fall handelt es sich um eine geplante Unvollständigkeit. Das Vorliegen unbestimmter Rechtsbegriffe kann, unter Hinzutreten bestimmter Sachgründe, zur Annahme von Beurteilungsspielräumen mit einer Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle führen und damit Letztentscheidungsrechte der Behörde begründen (I.–V.). Zwar sollen Beurteilungsspielräume nur ausnahmsweise anerkannt werden, dennoch sind sie insbesondere im Naturschutzrecht wohl nicht mehr wegzudenken. Das ist nicht nur aus Rechtsschutzgesichtspunkten (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG, Art. 47 GRCh5) bedenklich, weil behördliche Entscheidungen, die von privatem Sachverstand geprägt sind, der gerichtlichen Kontrolle nahezu entzogen werden (C. I.). Auch sonstige Grundrechte können entgegenstehen (C. II.). Daneben sind das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG), der Gewaltenteilungsgrundsatz (Art. 20 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG) und das Bestimmtheitsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) berührt (C. III.–IV.). Außerdem steht die vorliegende Problematik in einem Spannungsverhältnis zum Untersuchungsgrundsatz (§ 86 VwGO6) (C. V.).

I. Begriffsfragen Bevor aber auf die entgegenstehenden Bedenken eingegangen werden kann, muss zunächst festgestellt werden, worum es sich bei einem Beurteilungsspielraum überhaupt handelt (I.) und wie dieser von anderen administrativen Entscheidungsspielräumen abgegrenzt werden kann (II.). Anschließend werden unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung die spezifischen Voraussetzungen für die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums aufgezeigt (III.) und die sich bereits entwickelten Fallgruppen näher betrachtet (IV.). Schließlich fällt das Augenmerk auf die Rücknahme der Kontrolldichte und damit auf die Rechtsfolge von Beurteilungsspielräumen (V.). 1. Definition Ein Beurteilungsspielraum ist eine tatbestandsbezogene Letztentscheidungsbefugnis der Verwaltung. Es handelt sich um Entscheidungsoptionen zur Beurteilung und Wertung von Sachverhalten, die der Verwaltung durch den Gesetzgeber mit der Maßgabe übertragen worden sind, unter Abwägung aller betroffenen Be5

Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABlEU 2007 C 303 S. 1). Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. B. v. 19.3.1991 (BGBl. I S. 686) z. g. d. G. v. 15.8.2019 (BGBl. I S. 1294). 6

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B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen

lange eine letztverbindliche Entscheidung zu treffen, die nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist.7 Der Beurteilungsspielraum ist also ein Bereich eigener, gerichtlich nicht umfassend überprüfbarer administrativer Entscheidung.8 Das Gericht darf folglich die behördliche Bewertung nicht durch eine eigene Bewertung ersetzen.9 Neben dem Begriff des „Beurteilungsspielraums“ findet sich auch der Begriff der „Einschätzungsprärogative“.10 Beide Begriffe werden in der Literatur und Rechtsprechung nicht differenziert und daher auch in der vorliegenden Arbeit synonym verwendet. Dagegen bezeichnet der Begriff der „Beurteilungsermächtigung“ die gesetzliche Normierung des Letztentscheidungsrechts zur Beurteilung eines Sachverhalts und stellt damit die Grundlage für den darauf beruhenden Spielraum dar.11 2. Rechtssystematische Verortung im Tatbestand Kurz gesagt handelt es sich also um eine tatbestandliche Letztentscheidungsbefugnis der Verwaltung. Es stellt sich dann die Frage nach der konkreten Verortung des Beurteilungsspielraums innerhalb des Tatbestandes. Grundsätzlich ist ein solcher bei der Anwendung eines gesetzlichen Tatbestandes auf allen drei Ebenen denkbar: bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe, bei der Feststellung der tatsächlichen Voraussetzungen und bei der Subsumtion des festgestellten tatsächlichen Sachverhalts unter den ausgelegten Tatbestand. Eine klare Trennung dieser verschiedenen Stufen ist schwierig.12 So scheint eine Unterscheidung in der Theorie zwar regelmäßig möglich, führt aber zu Schwierigkeiten in der praktischen Anwendung. Daraus folgen Besonderheiten der Anerkennung eines eventuellen Spielraums auf den verschiedenen Stufen. 7 Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 114 VwGO Rn. 6. 8 Maurer/Waldhoff, Allg. Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn. 31. 9 Vgl. Sieckmann, DVBl. 1997, 101 (101); Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 (772). 10 Selbst innerhalb eines Urteils verwendet das BVerwG die Begriffe ohne erkennbare Differenzierung, BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 f. Rn. 17 ff.). 11 Diesen Unterschied erkennt Redeker, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 114 VwGO Rn. 30 dagegen nicht und verwendet die Begriffe Beurteilungsspielraum und Beurteilungsermächtigung synonym. Auch die Rechtsprechung verwendet diesen Begriff teils synonym, vgl. BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 Rn. 17 ff. Wie hier aber Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 184a mit der Begründung, dass das Letztentscheidungsrecht aus der Ermächtigung folgt. 12 Sendler, Skeptisches zum unbestimmten Rechtsbegriff, in: Festschrift für Ule, 1987, S. 337 (342 ff., 346 f.); Franßen, (Un)bestimmtes zum unbestimmten Rechtsbegriff, in: Festschrift für Zeidler, 1987, S. 429 (434); Schmidt, Gesetzesvollziehung durch Rechtsetzung, 1969, S. 126 f., 136 ff.; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16. Aufl. 2019, Rn. 750; Gärditz, Gutachten D zum 71. DJT, 2016, S. 58.

I. Begriffsfragen

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Auf der dritten Stufe, im Rahmen der Subsumtion, sind Beurteilungsspielräume seit langem anerkannt.13 Schon 1955 hat Bachof 14 den Beurteilungsspielraum hier angelegt. Es handelt sich um die wertende Beurteilung, ob die auf der zweiten Stufe festgestellten Tatsachen dem abstrakten gesetzlichen Tatbestand unterfallen.15 Dabei ist das Unterordnen eines Sachverhalts unter den Tatbestand einer Norm teilweise zweifelsfrei klar und damit unproblematisch.16 Bestehen aber, wie häufig im Verwaltungsrecht, unbestimmte Rechtsbegriffe, so gestaltet sich der Subsumtionsprozess schwierig.17 Auch heute noch ist daher herrschende Meinung, dass sich Beurteilungsspielräume auf die Subsumtion beziehen.18 Anders gestaltet sich die Lage auf den ersten beiden Stufen. Bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe geht es um die abstrakte Bestimmung des Inhalts einer Norm. Sie erfolgt daher unabhängig vom konkreten Einzelfall. Im Grunde stellt dies die ureigenste Funktion der Judikative dar.19 Bachof 20 stellte schon 1955 fest: „(. . .) niemand wird ernstlich den Gerichten die Befugnis zur Prüfung verwehren wollen, ob eine Behörde den allgemeinen Sinngehalt eines solchen Begriffs richtig verstanden hat.“ Die Auslegung sei demnach „zweifellos gerichtlich nachprüfbar“ 21 und ein Beurteilungsspielraum auf dieser Stufe nach Papier22 sogar „ganz undenkbar“. Wenn jede Behörde unbestimmte Begriffe nach ihrem Verständnis und unabhängig von einer einheitlichen Linie auslegt, bestehen besondere Probleme bezüglich der Rechtssicherheit.23 Zudem läge hierin de facto eine Rechtsetzungsbefugnis der Verwaltung.24 Eine einzelfallbezogene Auslegung ist aber nicht gewollt. Auch wenn in der Praxis durchaus Wechselwirkungen zwischen der Auslegung und der Subsumtion bestehen, spricht dies nicht 13

Bachof, JZ 1955, 97 (99); Papier, DÖV 1986, 621 (624). Bachof, JZ 1955, 97 (99). 15 Papier, DÖV 1986, 621 (623 f.). 16 Als „formallogischen Syllogismus“ bezeichnet dies Schmidt, Gesetzesvollziehung durch Rechtsetzung, 1969, S. 120. 17 Vgl. Schmidt, Gesetzesvollziehung durch Rechtsetzung, 1969, S. 120. 18 Statt vieler: Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 56; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 184a; vgl. auch Storost, DVBl. 2010, 737 (740). Es erfolgt an dieser Stelle lediglich die Verortung des Beurteilungsspielraums im Tatbestand. Die Voraussetzungen zur Anerkennung eines Spielraums sowie die Auseinandersetzung mit den entgegenstehenden Bedenken erfolgt im weiteren Verlauf der Arbeit. 19 Papier, DÖV 1986, 621 (623); vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 184a. 20 Bachof, JZ 1955, 97 (98). 21 Bachof, JZ 1955, 97 (99). 22 Papier, DÖV 1986, 621 (624). 23 Bachof, JZ 1955, 97 (99); Ossenbühl, DVBl. 1974, 309 (310); Papier, DÖV 1986, 621 (624); Maurer/Waldhoff, Allg. Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn. 62. 24 Schenke, in: Bonner Kommentar Grundgesetz, 200. Akt. Stand: Sept. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 543. 14

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B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen

gegen die differenzierte Betrachtung der einzelnen Stufen.25 Ein Beurteilungsspielraum ist auf dieser Ebene folglich nicht anzunehmen. Auch auf der zweiten Stufe, der Feststellung der tatsächlichen Voraussetzungen, ist ein etwaiger Beurteilungsspielraum besonders begründungsbedürftig. Hier wird der Sachverhalt ermittelt bzw. aufgeklärt. Es geht also um Fragen der Beweiswürdigung.26 Die Voraussetzungen des vom Gesetzgeber festgelegten Tatbestandes müssen dabei tatsächlich vorliegen und nicht nur nach (vertretbarer) Auffassung der Verwaltung. Nur dann soll auch die vorgesehene Rechtsfolge eintreten. Besondere Bedeutung hat hier die Amtsermittlungspflicht nach § 86 VwGO, welche die Gerichte dazu verpflichtet, den Sachverhalt, unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beteiligten, von Amts wegen zu erforschen.27 Beurteilungsspielräume sind auf dieser Stufe folglich grundsätzlich ausgeschlossen.28 Allerdings können sich die im Folgenden noch näher zu betrachtenden Gründe für die Annahme eines Beurteilungsspielraums, wie etwa die hohe Komplexität, die besondere Dynamik der Materie oder fehlende normkonkretisierende Maßstäbe, bereits auf die Sachverhaltsermittlung beziehen. Methodik und Untersuchungstiefe werden dann nur eingeschränkt gerichtlich kontrolliert.29 Im Ergebnis kann ein Beurteilungsspielraum nur auf der Ebene der Subsumtion anerkannt werden.30 Demgegenüber schließen die Auslegung als Rechtsfrage und die Feststellung des Tatbestandes als Tatfrage einen Beurteilungsspielraum grundsätzlich aus. In der Praxis stellt sich die klare Trennung der verschiedenen Ebenen jedoch als schwierig dar.31 Daher erfolgt eine solch detaillierte, theoretisch mögliche Unterscheidung in der Rechtsprechung nicht. Insbesondere der naturschutzrechtliche Beurteilungsspielraum wird auch auf die Feststellung des 25 So aber Sendler, der es als inkohärent bezeichnet, wenn der Verwaltung bei der Subsumtion ein Beurteilungsspielraum zugestanden wird, sie aber vorher bei der Auslegung voller Kontrolle unterliegt, Sendler, Skeptisches zum unbestimmten Rechtsbegriff, in: Festschrift für Ule, 1987, S. 337 (344). Auch Smeddinck geht davon aus, dass der Administrative die letztverbindliche Auslegung von Rechtsbegriffen zugesprochen werden kann, Smeddinck, DÖV 1998, 370 (373). 26 Papier, DÖV 1986, 621 (623). 27 Zur Amtsermittlungspflicht s. u. C.V. auf S. 91 ff. 28 Vgl. Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 46 m.w. N. In der Praxis erscheint es aber auch hier schwierig eine klare Trennlinie zu ziehen. Insbesondere in der naturschutzrechtlichen Rechtsprechung wird der Beurteilungsspielraum häufig auf die Feststellung der tatsächlichen Voraussetzungen erweitert. Im Einzelfall scheint dies möglich, vgl. Fülbier, NVwZ 2018, 453 (455). 29 Seibert, NWVBl. 2015, 372 (373). 30 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 184a; Ule, Verwaltungsprozessrecht, 9. Aufl. 1987, S. 10; Schoch, Jura 2004, 612 (616); so auch Maurer/Waldhoff, Allg. Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn. 62; Fülbier, NVwZ 2018, 453 (454). 31 Daher sieht Schenke keinen Anlass zur näheren Verortung der Beurteilungsspielräume im Tatbestand, Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16. Aufl. 2019, Rn. 750.

II. Erscheinungsformen

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relevanten Sachverhalts ausgedehnt. Wird jedoch vom Grundsatz vollständiger gerichtlicher Kontrolle abgewichen, so ist dies jedenfalls besonders begründungsbedürftig. Soll ein Beurteilungsspielraum anerkannt werden, so müssen hohe Hürden gewahrt werden. 3. Subjekt des Beurteilungsspielraums Besonderer Betonung bedarf auch die Feststellung, dass es sich bei den hier dargestellten Beurteilungsspielräumen um Letztentscheidungsrechte der Administrative – nicht aber Privater (!) – handelt. Deutlich wurde das Problem des Subjekts des Beurteilungsspielraums in einem Urteil des OVG Münster32 im Jahr 2013. So ist dessen Ausführung, wonach den „Fachgutachtern des Vorhabenträgers [. . .] eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zuzuerkennen und die gerichtliche Kontrolldichte zurückzunehmen“ sei, sprachlich und inhaltlich höchst bedenklich. Sprachlich geschickter war die Formulierung des BVerwG 33, welches die Einschätzungsprärogative immerhin bei der „sachverständig beratenen“ Planfeststellungsbehörde verortete. Da die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen, was die weiteren Ausführungen zeigen werden, mit Blick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes rechtsstaatlich bedenklich ist, kann ein Spielraum jedenfalls nur bei der Administrative in Form der zuständigen Behörde bestehen. Dagegen obliegt die Letztentscheidung nicht einem Fachgutachter, der regelmäßig seinen Auftraggeber unterstützen würde. Sprachlich wird dies mittlerweile auch in der Rechtsprechung so gehandhabt. Mit Blick auf die Realität wird man wohl dennoch die Formulierung des OVG Münster als ehrlicher betrachten müssen, läuft die zurückhaltende Kontrolle der Gerichte und Behörden doch oftmals praktisch auf eine Einschätzungsprärogative des (privaten) Fachgutachters hinaus.34

II. Erscheinungsformen Die Exekutive ist als eigenständige Staatsgewalt (Art. 20 Abs. 2 GG) an Gesetz und Recht gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG) und der Rechtskontrolle der Gerichte unterworfen (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG). Im Rahmen von sog. administrativen Entscheidungsspielräumen kann die Kontrolle der Gerichte aber in unterschiedlicher Art und Weise reduziert werden. Es bedarf daher einer Abgrenzung der Kategorie des Beurteilungsspielraums insbesondere vom Ermessen.35 32 OVG Münster, Urt. v. 18.1.2013 – 11 D 70/09.AK – DVBl. 2013, 374 (377 Rn. 206). 33 BVerwG, Urt. v. 13.5.2009 – 9 A 73/07 – NVwZ 2009, 1296 (1304 Rn. 87). 34 So auch Seibert, NWVBl. 2015, 372 (373). 35 Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den verschiedenen Ermessensformen sowie der Ermessensfehlerlehre erfolgt hier nicht. Vgl. dazu Wallerath, Allg. Verwaltungs-

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B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen

1. Grundlagen administrativer Entscheidungsspielräume Der Verwaltung obliegt der Vollzug der Gesetze (Art. 20 Abs. 2 GG), sie ist dabei an Gesetz und Recht gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG) und der Rechtskontrolle der Gerichte unterworfen (Art. 19 Abs. 4 GG). Sie stellt aber nicht nur Hilfs- oder Vollzugsorgan der anderen Gewalten dar, sondern hat eigenständig offene Gesetzestatbestände auszufüllen und zwischen mehreren Handlungsoptionen zu wählen.36 Der gesetzliche Rahmen kann unterschiedlich weit sein. So kann eine Norm das Verhalten der Verwaltung im Einzelnen vollständig regeln oder der Exekutive werden gewisse Spielräume belassen.37 Ist einem bestimmten Tatbestand eine ganz bestimmte Rechtsfolge gesetzlich zugeordnet, so spricht man von gebundener bzw. gesetzesakzessorischer Verwaltung. Die Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) führt dazu, dass die Exekutive durch den Gesetzgeber gesteuert wird.38 Allerdings handelt es sich hierbei regelmäßig nicht um eine abschließende Steuerung. Es obliegt der Verwaltung, verbleibende Lücken zu schließen. Dabei müssen stets die rechtsstaatlichen Grenzen beachtet werden.39 Wann ein Entscheidungsspielraum der Behörde angenommen werden kann, regelt das Gesetz.40 Dem Gesetzgeber ist es nicht durchgängig möglich, alle vom Tatbestand einer Norm erfassten Konstellationen vorwegzunehmen.41 Lässt also ein Gesetz der Verwaltung einen Freiraum, selbst zu entscheiden, ob oder wie sie handelt, so spricht man von nichtgebundener Verwaltung.42 Die Gesetzesbindung der Verwaltung wird hier gelockert.43 Dabei ist neben Ermessensentscheidungen und Entscheidungen mit einem Beurteilungsspielraum auch an planerische Gestaltungsfreiheit und Prognoseentscheidungen zu denken.44 Der Vorteil solcher Regelungen ist die Eindämmung der Gesetzesflut, da der Gesetzgeber nicht mehr alle Einzelheiten selbst regeln muss. Zudem sind manche Lebenssituationen recht, 6. Aufl. 2009, § 7 Rn. 40 ff. Auch wird von einer vertieften Auseinandersetzung mit den Planungsspielräumen abgesehen, vgl. hierzu Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/ Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 71 ff. 36 Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (193). 37 Wallerath, Allg. Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2009, § 7 Rn. 33. 38 Die Gesetze stellen Auftrag und Grenze des exekutiven Handelns dar, Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (194); Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 26 Rn. 61. 39 Zu den rechtsstaatlichen Grenzen, s. C. auf S. 63 ff. 40 Schoch, Gerichtliche Verwaltungskontrollen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, GVwR III, 2. Aufl. 2013, § 50 Rn. 267; BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (22); BVerwG, Urt. v. 23.1.2008 – 6 A 1/07 – BVerwGE 130, 180 (194 Rn. 43). 41 Schoch, Jura 2004, 612 (613). 42 Detterbeck, Allg. Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2019, Rn. 306. 43 Maurer/Waldhoff, Allg. Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn. 6. 44 Wallerath, Allg. Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2009, § 7 Rn. 34.

II. Erscheinungsformen

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nicht voraussehbar und können von der Legislative nur typisierend und schematisierend erfasst werden.45 Daher ist eine präzisere Gestaltung dem Gesetzgeber teilweise auch aus tatsächlichen Gründen nicht möglich.46 Freiräume fördern außerdem die Praktikabilität und Effektivität des Verwaltungshandelns, indem der Verwaltung ein im Einzelfall flexibleres Handeln ermöglicht wird.47 Eine individuellere Entscheidung führt damit zu größerer Einzelfallgerechtigkeit und sachgerechteren Lösungen.48 Denn durch die zwingende Einbeziehung aller öffentlichen und individuellen Interessen in den Abwägungsvorgang werden die Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigt. Dabei wird zu guter Letzt auch der eigenständigen Stellung der Exekutive im Gewaltenteilungsgefüge entsprochen.49 Der Verwaltung muss als eigenständiger Staatsgewalt ein eigener Verantwortungsbereich gegenüber den anderen Gewalten zugestanden werden.50 2. Unterschiede zwischen Ermessen und Beurteilungsspielraum Auch in anderen Ländern und in der Europäischen Union werden Entscheidungsspielräume anerkannt.51 Meist gehen diese sogar weiter als in Deutschland. Oft ist eine eingeschränkte gerichtliche Prüfung die Regel, wohingegen es eine vollständige gerichtliche Kontrolle grundsätzlich nicht gibt.52 Während das Unionsrecht53 von einem einheitlichen Begriff der „Entscheidungsfreiheit“ und andere europäische Rechtsordnungen54 von einem einheitlichen „Verwaltungs45 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 38. 46 Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (194). 47 Detterbeck, Allg. Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2019, Rn. 307. 48 Peine/Siegel, Allg. Verwaltungsrecht, 12. Aufl. 2018, § 8 Rn. 207. 49 Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (194); Voßkuhle, JuS 2008, 117 (117). 50 Maurer/Waldhoff, Allg. Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn. 32; siehe hierzu auch die Ausführungen zum Gewaltenteilungsgrundsatz s. C. IV. 1. auf S. 84 ff. 51 Zu den Entscheidungsspielräumen in anderen Rechtsordnungen vgl. zusammenfassend Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 193 ff.; Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S. 119 ff.; vgl. die umfassenden Landesberichte in: Frowein, Kontrolldichte, 1993, vgl. etwa Landesbericht Italien, Hartwig, in: Frowein, Kontrolldichte, 1993, S. 67 ff. und Landesbericht Frankreich, Lerche, in: Frowein, Kontrolldichte, 1993, S. 71 ff. 52 Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 194 ff., 234; Schoch, Gerichtliche Verwaltungskontrollen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, GVwR III, 2. Aufl. 2013, § 50 Rn. 264. 53 Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Stand: Juli 2019, § 114 VwGO Rn. 58; Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 111, 390. 54 Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (196), Schoch, Gerichtliche Verwaltungskontrollen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, GVwR III, 2. Aufl. 2013, § 50 Rn. 264; Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, 1996, S. 384; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 246 ff.; Böhm, DÖV 2000, 990 (994).

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B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen

ermessen“ ausgehen, wird im deutschen Verwaltungsrecht seit Mitte der fünfziger Jahre dogmatisch zwischen Ermessen und Beurteilungsspielraum unterschieden.55 Diese Unterscheidung basiert auf dem seit langem üblichen Gebrauch der Begrifflichkeiten durch die Literatur und den Gesetzgeber56 sowie auf der Anknüpfung an der konditionalen Normstruktur (Tatbestands- und Rechtsfolgenseite). Beide Institute sind in ihrer Struktur zwar ähnlich, aber nicht identisch.57 Beurteilungsspielräume und Ermessen haben durchaus strukturelle Gemeinsamkeiten. So verfolgen beide das Ziel der Konkretisierung offener Normen, beide verlangen eine wertende Abwägung und haben eine vergleichbare Fehlertypologie.58 In beiden Fällen geht es um die Kompetenzabgrenzung zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit.59 Teilweise scheint es sogar so, als seien unbestimmter Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum und Ermessenseinräumung regelrecht austauschbar.60 Und doch sind die bestehenden Unterschiede entscheidend. Vom traditionellen Normaufbau ausgehend betrifft der Beurteilungsspielraum die Tatbestandsseite, während das Ermessen auf Rechtsfolgenseite einzuordnen ist.61 Ermessen liegt vor, wenn die Behörde bei der Erfüllung des Tatbestandes eine Wahl zwischen verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten als Rechtsfolge 55 Franzius, Modalitäten und Wirkungsfaktoren der Steuerung durch Recht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, GVwR I, 2. Aufl. 2012, § 4 Rn. 20; Schoch, Gerichtliche Verwaltungskontrollen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, GVwR III, 2. Aufl. 2013, § 50 Rn. 264. Dies geht insbesondere auf die Überlegungen von Bachof zurück, JZ 1955, 97 (98), der die Begrifflichkeiten etablierte. 56 Vgl. z. B. BT-Drs. 17/10957, S. 18. 57 Vgl. zur strukturellen Verwandtschaft von Beurteilungsspielraum und Ermessen Herdegen, JZ 1991, 747 ff.; Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (623); vgl. weiterhin Sieckmann, DVBl. 1997, 101 (102); Ule, Zur Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Verwaltungsrecht, in: Gedächtnisschrift für Jellinek, 1955, S. 309 (316 ff.). Für eine abstrakt einheitliche Grobeinteilung daher Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/ Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 79. Ausführungen zu den verschiedenen Ermessensformen, zum Ausüben des Ermessens sowie zu den Folgen von Ermessensfehlern sollen dagegen nicht Teil dieser Arbeit sein. Vgl. hierzu statt vieler Decker, in: Posser/Wolff, VwGO, 51. Ed. Stand: 1.10.2019, § 114 VwGO Rn. 6 ff. 58 Vgl. Koch, Die normtheoretische Basis der Abwägung, in: Erbguth u. a., Abwägung im Recht, 1996, S. 9 (12 ff.); Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 79; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 77; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16. Aufl. 2019, Rn. 772; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 40 VwVfG Rn. 116. 59 Maurer/Waldhoff, Allg. Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn. 56; Meyer, in: Meyer/Borgs, VwVfG, 2. Aufl. 1982, § 40 VwVfG Rn. 20. 60 Peine/Siegel, Allg. Verwaltungsrecht, 12. Aufl. 2018, § 8 Rn. 229; Schenke, in: Bonner Kommentar Grundgesetz, 200. Akt. Stand: Sept. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 532. 61 BVerwG, Urt. v. 25.7.1985 – 3 C 25/84 – BVerwGE 72, 38 (53); Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 55; Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Stand: Juli 2019, § 114 VwGO Rn. 11.

II. Erscheinungsformen

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hat.62 Ermessen beginnt demnach erst, wenn die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen bereits vorliegen.63 Dagegen bezieht sich der Beurteilungsspielraum – geht man einen Schritt zurück – auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen. Dabei ist die Ausübung von Ermessen auf Rechtsfolgenseite voluntativer Art, während die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen kognitiver Natur ist.64 So bleibt festzuhalten: Ein Beurteilungsspielraum ist eine tatbestandsbezogene Letztentscheidungsbefugnis der Verwaltung, während das Ermessen eine rechtsfolgenbezogene Letztentscheidungsbefugnis der Verwaltung ist.65 Weiterhin besteht ein Kompetenzproblem. Beim Ermessen wird der zulässige Handlungsrahmen vom Gesetz umfassend festgelegt und die daraus folgenden Optionen werden vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gesteuert.66 Die Verwaltung hat das Ermessen stets pflichtgemäß auszuüben und die gesetzlichen Grenzen einzuhalten. Dagegen geht es bei Beurteilungsspielräumen, bei denen unbestimmte Rechtsbegriffe zugrunde liegen, zusätzlich um die Legitimationsfrage in Form der Bestimmtheit des Gesetzes.67 In der jeweiligen gesetzlichen Festschreibung liegt ein weiterer Unterschied. Eine gesetzliche Regelung hat das Ermessen in § 40 VwVfG68 und § 114 VwGO erfahren. Nach § 40 VwVfG hat die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Die Behörde muss „ermächtigt“ sein, nach ihrem Ermessen zu handeln. Die Einräumung von Ermessen erfolgt zum Teil ausdrücklich im Gesetz selbst (z. B. § 17 Abs. 2 SGB XII69 „. . . nach pflichtgemäßem Ermessen . . .“; § 2 Abs. 3 VwZG70 „. . . Behörde hat die Wahl . . .“), durch Formulierungen wie „kann“, „darf“, oder „ist befugt“ (z. B. § 5 GastG71, § 15 Abs. 2 GewO72), es kann aber auch durch Auslegung zu ermitteln sein.73 Je nach For62 Peine/Siegel, Allg. Verwaltungsrecht, 12. Aufl. 2018, § 8 Rn. 206; Voßkuhle, JuS 2008, 117 (117). 63 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 36. 64 Differenzierte Darstellung bei Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 55. 65 Jestaedt, in: Ehlers/Pünder, Allg. Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 11 Rn. 44, 55. 66 Wallerath, Allg. Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2009, § 7 Rn. 48. 67 Wallerath, Allg. Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2009, § 7 Rn. 48. 68 Verwaltungsverfahrensgesetz i. d. F. d. B. v. 23.1.2003 (BGBl. I S. 102) z. g. d. G. v. 21.6.2019 (BGBl. I S. 846, g. d. G. v. 20.11.2019, BGBl. I S. 1626). 69 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe, vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022) z. g. d. G. v. 30.11.2019 (BGBl. I S. 1948). 70 Verwaltungszustellungsgesetz v. 12.8.2005 (BGBl. I S. 2354) z. g. d. G. v. 18.7. 2017 (BGBl. I S. 2745). 71 Gaststättengesetz i. d. F. d. B. v. 20.11.1998 (BGBl. I S. 3418) z. g. d. G. v. 10.3.2017 (BGBl. I S. 420). 72 Gewerbeordnung i. d. F. d. B. v. 22.2.1999 (BGBl. I S. 202) z. g. d. G. v. 22.11.2019 (BGBl. I S. 1746).

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B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen

mulierung ergeben sich dann auch Auswirkungen auf die Ausgestaltung des Ermessens.74 Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle erfährt eine Regelung in § 114 VwGO und wird hierin auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ermessensbetätigung beschränkt. Entsprechende Regelungen gibt es für Beurteilungsspielräume nicht. Wann von der Einräumung eines Beurteilungsspielraums auszugehen ist und wie sich die gerichtliche Kontrolle verhält, wird daher noch gesondert dargestellt. Letztlich folgt insbesondere aus diesen gesetzlichen Normierungen des Ermessens, dass die gerichtliche Kontrolldichte reduziert wird. Dagegen unterliegen unbestimmte Rechtsbegriffe regelmäßig einer vollständigen gerichtlichen Kontrolle, die nur im Ausnahmefall und unter besonderer Begründung bei der Annahme eines Beurteilungsspielraums reduziert wird.75 Denn die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe stellt eine typische Aufgabe der Rechtsprechung dar. 3. Bedürfnis der Abgrenzung Die Qualifizierung des Ermessens und der Beurteilungsspielräume sowie deren Unterscheidung sind im Verwaltungsrecht umstritten. So wird teilweise, nach der sog. Lehre vom einheitlichen Grundmodell, nicht zwischen Beurteilungsspielraum und Ermessen unterschieden.76 Dabei wird angeführt, dass die Unterschiede kaum erkennbar seien, es sich vielmehr um fließende Übergänge handle und nicht um strenge Kategorien. Letztlich sei die Formulierung des Gesetzes, die über den Spielraum auf Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite entscheidet, reiner Zufall. Ein Austausch der Rechtsfiguren sei häufig möglich.77 Darüber hinaus handle es sich bei rechtsvergleichender Betrachtung um einen nicht zu befürwortenden deutschen Sonderweg. Die Aufgabe der herkömmlichen Unterscheidung würde die deutsche Verwaltungsrechtsdogmatik an die Dogmatik des 73 Vgl. hierzu Peine/Siegel, Allg. Verwaltungsrecht, 12. Aufl. 2018, § 8 Rn. 208 f.; Maurer/Waldhoff, Allg. Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn. 9 ff. 74 Zu den unterschiedlichen Ermessensformen vgl. Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/ Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 40 ff. 75 Wallerath, Allg. Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2009, § 7 Rn. 48; vgl. Schenke, in: Bonner Kommentar, Grundgesetz, 200. Akt. Stand: Sept. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 502. 76 Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 40 VwVfG Rn. 46; so auch Smeddinck, DÖV 1998, 370 (371 ff.); für eine Trennung Meyer, in: Meyer/Borgs, VwVfG, 2. Aufl. 1982, § 40 VwVfG Rn. 18. 77 Vgl. hierzu Herdegen, JZ 1991, 747 (749); Starck, Diskussionsbeitrag, in: Götz/ Klein/Starck, Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, 1985, S. 189 f.; Starck, Das Verwaltungsermessen und dessen gerichtliche Kontrolle, in: Festschrift für Sendler, 1991, S. 167 (168); Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970, 595 ff., 691 ff.; mit besonderer Betonung der Koppelungsvorschriften, vgl. Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 40 VwVfG Rn. 46.

II. Erscheinungsformen

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Unionsrechts heranführen, welche keine Unterscheidung zwischen Ermessen und Beurteilungsspielraum kennt.78 Dem ist jedoch nicht zu folgen. Es handelt sich um eine überzeugende Systematisierungsleistung der deutschen Dogmatik. Insbesondere kann Deutschland, auch als Mitgliedstaat der EU, seinem nationalen Recht durchaus eine eigene Dogmatik zugrunde legen. Die Behauptung, dass Gesetze rein zufällig formuliert seien, wird der Arbeit der Legislative nicht gerecht. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass sich der Gesetzgeber bewusst für eine Rechtsfigur entschieden hat; zumal Gesetzgebung, Verwaltungspraxis und richterliche Spruchtätigkeit bereits zuvor jahrzehntelang mit der Kategorisierung gearbeitet haben.79 Trotz bestehender Gemeinsamkeiten sind die Eigenarten der beiden Rechtsfiguren zu berücksichtigen. Zwar stellen beide Spielräume Subkategorien eines einheitlichen Begriffs administrativer Gestaltungsfreiheit dar.80 Doch die Unterschiede sind, wie soeben betrachtet, nicht nur gradueller, sondern kategorialer Natur.81 Dies verlangt jeweils entsprechende rechtliche Folgerungen. Die beiden Rechtsfiguren mit ihren besonderen tatsächlichen und rechtlichen Eigenarten müssen differenziert eingeordnet und rechtsdogmatisch beurteilt werden.82 Sie sind somit auch nicht beliebig austauschbar.83 So kann auch die Gemeinsamkeit des Erfordernisses einer rechtlichen Wertung nicht zur Gleichbehandlung führen, bedarf es doch im Rahmen von Rechtsetzung und Rechtsanwendung stets entsprechender Wertungen.84 Zugegebenermaßen kann ein gesetzgeberisches Ziel in einigen Fällen sowohl durch eine Ermessensregelung als auch durch einen unbestimmten Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum erreicht werden.85 Teilweise werden auch Beurteilungsspielräume und Er78 Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 40 VwVfG Rn. 46; Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, 1996, S. 398 ff.; vgl. auch Böhm, DÖV 2000, 990 (994); Jestaedt, in: Ehlers/ Pünder, Allg. Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 11 Rn. 28 m.w. N. 79 Insbesondere wurde das Tatbestandsermessen in der deutschen Rechtsgeschichte mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG abgelehnt, woraus nun auch die besondere Begründungsbedürftigkeit etwaiger Beurteilungsspielräume folgt. Vgl. Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, 1998, S. 29 ff. 80 So Herdegen, JZ 1991, 747 (751). 81 Auch die Lehre vom einheitlichen Ermessen unterscheidet zwischen Tatbestandsund Rechtsfolgeermessen – zieht hieraus allerdings keine Schlüsse, vgl. Maurer/Waldhoff, Allg. Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn. 55. 82 Maurer/Waldhoff, Allg. Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn. 55; so auch Detterbeck, Allg. Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2019, Rn. 353. 83 Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 55. 84 Maurer/Waldhoff, Allg. Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn. 55. 85 Vgl. hierzu Maurer/Waldhoff, Allg. Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn. 51; vgl. Schmidt-Aßmann, Das allg. Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, Viertes Kapitel Rn. 48; vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 26.4.1968 – 6 C 104/63 – BVerwGE 29, 304 (306 f.).

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B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen

messen verbunden, sog. Koppelungsvorschriften.86 Hieraus kann aber nicht folgen, dass die beiden Rechtsfiguren generell vermischt und vereinheitlicht werden sollten. Vielmehr obliegt dem Gesetzgeber die Wahl des entsprechenden Letztentscheidungsrechts. Während die Verwaltung beim Ermessen stets für die Ausfüllung der offengehaltenen Regelung zuständig ist, ist bei unbestimmten Rechtsbegriffen in der Regel der Richter berufen.87 Es stellt die typische Aufgabe der Judikative dar, unbestimmte Rechtsbegriffe letztverbindlich zu interpretieren.88 Die strengen Anforderungen zur Anerkennung von Beurteilungsspielräumen auf Tatbestandsseite würden durch eine Gleichbehandlung der beiden Rechtsfiguren relativiert, oder gar konterkariert. Der Ausnahmecharakter der Beurteilungsspielräume wird deutlich. Letztlich besteht auch kein Grund zur Aufgabe der sich jahrelang bewährten Praxis, zugunsten eines keinen Mehrwert versprechenden einheitlichen Grundmodells. Es wird bezüglich der Normstruktur weiterhin zwischen Tatbestand und Rechtsfolge unterschieden. Daher sollte auch an der Unterscheidung zwischen dem unbestimmten Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum auf Tatbestandsseite und der Einräumung von Ermessen auf Rechtsfolgenseite festgehalten werden.89 Diese Abgrenzung wirkt sich auch auf die Anwendbarkeit von § 40 VwVfG und § 114 VwGO auf Beurteilungsspielräume aus. Zwar könnten die strukturellen Parallelen dafür sprechen, dass die genannten Normen auch die gerichtliche Kontrolle der Beurteilungsspielräume erfassen.90 Die eklatanten Unterschiede schlagen aber durch. Zudem kommt gerade durch die ausdrückliche Regelung nur des Ermessens und seiner Konsequenzen bei gleichzeitiger Kenntnis der beiden zu unterscheidenden Figuren zum Ausdruck, dass auch der Gesetzgeber von einer Differenzierung ausgegangen ist.91 Diese Einordnung entspricht der Tatsache, dass das Ermessen leichter angenommen werden kann, weil es an vielen Stellen im Gesetz normiert worden ist. Dem Charakter des Beurteilungsspielraums, der eine (insbesondere mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) besonders 86

Maurer/Waldhoff, Allg. Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn. 48. Schenke, in: Bonner Kommentar Grundgesetz, 200. Akt. Stand: Sept. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 503. 88 Schenke, in: Bonner Kommentar Grundgesetz, 200. Akt. Stand: Sept. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 519. 89 So auch Maurer/Waldhoff, Allg. Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn. 55. 90 Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 47; Stuhlfaut, in: Bader, VwGO, 7. Aufl. 2018, § 114 VwGO Rn. 30; Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, 1998, S. 73 f.; Herdegen, JZ 1991, 747 (748); vgl. Schmidt-Aßmann, DVBl. 1997, 281 (288); vgl. auch Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (624); deutlich auch Starck, Das Verwaltungsermessen und dessen gerichtliche Kontrolle, in: Festschrift für Sendler, 1991, S. 167 (176 ff. m.w. N.). 91 Vgl. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S. 127. 87

III. Voraussetzungen

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zu begründende Ausnahme darstellt, würde eine Gleichbehandlung der beiden Rechtsfiguren nicht entsprechen. Somit sind § 40 VwVfG und § 114 VwGO weder direkt noch analog auf Beurteilungsspielräume anwendbar. Sie können lediglich – dafür aber sehr gewinnbringend – als Maßstab herangezogen werden, um gerichtliche Kontrollmaßstäbe zu entwickeln.92 Im Ergebnis sollte sinnvollerweise weiterhin zwischen Ermessen und Beurteilungsspielraum differenziert werden.93 Dieser Differenzierung entspricht auch die dieser Arbeit zugrundeliegende naturschutzrechtliche Rechtsprechung.

III. Voraussetzungen Rechtliche Folge eines Beurteilungsspielraums ist eine beschränkte gerichtliche Kontrolle.94 Dies steht dem in Art. 19 Abs. 4 GG wurzelnden Grundsatz vollständiger gerichtlicher Kontrolle offenkundig entgegen, sodass Beurteilungsspielräume nur ausnahmsweise anerkannt werden.95 Ohne dem Abschnitt C. im Detail vorgreifen zu wollen, bleibt schon hier festzuhalten, dass eine solche administrative Letztentscheidung in einer rechtsstaatlichen Ordnung fremd und daher besonders begründungsbedürftig ist.96 Im Folgenden werden die Voraussetzungen für die Annahme eines Beurteilungsspielraums näher dargestellt. 1. Normative Ermächtigungslehre Die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums sind gesetzlich nicht geregelt.97 Eine Auseinandersetzung mit der Figur des Beurteilungsspielraums begann bereits Mitte des 20. Jahrhunderts. Begründet wurde 1955 von Bachof 98 die „Lehre vom Beurteilungsspielraum“, die erstmals trennscharf zwischen Ermessen und Beurteilungsspielraum und den jeweiligen rechtlichen Folgen unterschied und sich mit der Letztverantwortlichkeit der Verwal92 Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 114 VwGO Rn. 23; Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Stand: Juli 2019, § 114 VwGO Rn. 8; Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 114 VwGO Rn. 39; Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (200). Zu den Kontrollmaßstäben s. u. B.V. auf S. 55 ff. 93 So auch Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S. 127; Schoch, Jura 2004, 612 (614). 94 S. u. B.V. auf S. 55 ff. 95 Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken, s. u. C. auf S. 63 ff. Diese stellen aber den Maßstab für die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen dar und finden daher schon jetzt Berücksichtigung. 96 Hoffmann-Riem, Eigenständigkeit der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle, GVwR I, 2. Aufl. 2012, § 10 Rn. 62. 97 Eine dem § 40 VwVfG oder § 114 VwGO entsprechende Regelung besteht gerade nicht. Eine solche sollte auch nicht geschaffen werden, s. u. E. II. 1. b) auf S. 224 ff. 98 Bachof, JZ 1955, 97 (98 ff.).

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B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen

tung auseinandersetzte.99 Zeitgleich entwickelte insbesondere Ule100 die „Vertretbarkeitslehre“, die im Rahmen von normativ unbestimmten Rechtsbegriffen eine Vertretbarkeitskontrolle vorsah. Darauf sowie auf der Rezeption dieser beiden Lehren in der Rechtsprechung aufbauend, wurde maßgeblich von SchmidtAßmann101 die „normative Ermächtigungslehre“ entwickelt, die Grundlage der folgenden Überlegungen ist.102 Im Rahmen der normativen Ermächtigungslehre wird der Gesetzgeber in die Pflicht genommen, der Verwaltung Letztentscheidungsrechte im materiellen Recht zuzuweisen.103 In allen die Bürger betreffenden wesentlichen Fragen soll die Rechtserzeugung und -konkretisierung der Entscheidung des Parlaments vorbehalten sein.104 Gestützt wird die normative Ermächtigungslehre auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, auf den Vorbehalt des Gesetzes und auf die Gesetzesbindung nach Art. 20 Abs. 3 GG. Denn hieraus folgt grundsätzlich eine umfassende Kontrolle der Verwaltung. Wird von diesem Grundsatz abgewichen und die Kontrolle beschränkt, so muss der Gesetzgeber diese Entscheidung selbst treffen.105 Hierdurch wird auch dem Grundsatz der Gewaltenteilung entsprochen.106 99 Diese Lehre war nie ganz unumstritten. Besondere Aufmerksamkeit bekam die Unterscheidung zwischen Ermessen und Beurteilungsspielraum Anfang der 90er Jahre durch die Mutzenbacher-Entscheidung BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 – BVerfGE 83, 130 (148) sowie durch mehrere Urteile des BVerfG zu prüfungsrechtlichen Entscheidungen, in denen die Handhabung von Beurteilungsspielräumen und die Kontrolldichte von Bedeutung waren. Vgl. insbesondere BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 u. 213/83 – BVerfGE 84, 34 (50); BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 1529/84 u. 138/87 – BVerfGE 84, 59 (77 ff.). Vgl. hierzu Herzog, NJW 1992, 2601 (2601 f.); Redeker, NVwZ 1992, 305 (306 f.). 100 Vgl. Ule, Zur Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Verwaltungsrecht, in: Gedächtnisschrift für Jellinek, 1955, S. 309 (323 f.). Diese Lehre hat sich letztlich nicht durchgesetzt, vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 150. 101 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 185 ff. m.w. N. 102 Vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, Das allg. Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, Viertes Kapitel Rn. 65 ff.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 158 ff.; Jestaedt, in: Ehlers/Pünder, Allg. Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 11 Rn. 34 ff.; Wahl, NVwZ 1991, 409 (410 f.); Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 69 ff.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 25.11.1993 – 3 C 38/91 – BVerwGE 94, 307 (309 f.); BVerwG, Urt. v. 21.12. 1995 – 3 C 24/94 – BVerwGE 100, 221 (225 f.). 103 Schon nach Bachof muss der Gesetzgeber einen Beurteilungsspielraum im Gesetz selbst zum Ausdruck bringen, JZ 1955, 97 (100). 104 Wallerath, Allg. Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2009, § 7 Rn. 86; Wahl, NVwZ 1991, 409 (410). So auch der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes, s. Jestaedt, in: Ehlers/ Pünder, Allg. Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 11 Rn. 34. 105 Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 125, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die normative Ermächtigungslehre m.w. N. in Fn. 654. 106 Sachs/Jasper, NVwZ 2012, 649 (652).

III. Voraussetzungen

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Bereits im Sasbach-Beschluss hat das BVerfG 107 1982 die Anerkennung von „normativ eröffneten“ Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräumen grundsätzlich als verfassungsrechtlich zulässig erachtet.108 Eine Konkretisierung des Erfordernisses einer normativen Verankerung folgte später. So verlangt das BVerfG 109 seit der Entscheidung zum Investitionszulagengesetz von 2011 als formales Element, dass sich ein Spielraum der Verwaltung „ausdrücklich aus dem Gesetz ergeben oder durch Auslegung hinreichend deutlich zu ermitteln sein [muss]“. Es betont hier auch die verfassungsrechtlichen Grenzen. Somit fordert auch das BVerfG eine normative Ermächtigung. Zur Begründung wird die Rollenverteilung zwischen den drei Gewalten genannt, deren Verhältnis nur durch die Gesetzgebung, nicht aber durch die Judikative oder Exekutive verschoben werden kann.110 Offengelassen hat das BVerfG 111, ob administrative Beurteilungsspielräume ausnahmsweise auch ohne gesetzliche Grundlage angenommen werden können, wenn eine weitergehende gerichtliche Kontrolle zweifelsfrei an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stieße. Dies würde aber die dem Grunde nach sehr strengen Anforderungen aufweichen und ist daher abzulehnen.112 Das BVerwG folgt schon länger der Linie der Literatur und wird nun auch den Vorgaben des BVerfG problemlos gerecht. Der Kern dieser Lehre lässt sich mit dem BVerwG 113 wie folgt darstellen: „Ob der Gesetzgeber in einer Rechtsnorm für die Behörde eine Handlungsbindung bestimmt oder ihr einen Handlungsspielraum eingeräumt hat, kann immer nur aus dem Inhalt der betreffenden Rechtsnorm entnommen werden.“ Dabei kann eine Ermächtigung entweder ausdrücklich im Gesetz geregelt oder durch Auslegung zu ermitteln sein. Jedenfalls aber

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BVerfG, Beschl. v. 8.7.1982 – 2 BvR 1187/80 – BVerfGE 61, 82 (111). Vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 16.12.1992 – 1 BvR 167/87 – BVerfGE 88, 40 (56); Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (621). 109 BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (22); so im Anschluss auch BVerfG, Beschl. v. 8.12.2011 – 1 BvR 1932/08 – NVwZ 2012, 694 (695 Rn. 24). 110 BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (22). Vgl. Eichberger, NVwZ-Beilage 2013, 18 (21). 111 BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (23), unter Verweisung auf die Prüfungsfälle in BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 u. 213/ 83 – BVerfGE 84, 34 (50) und BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 1529/84 u. 138/87 – BVerfGE 84, 59 (77 f.). 112 Eine genauere Auseinandersetzung mit den materiellen Voraussetzungen folgt sogleich. 113 BVerwG, Urt. v. 26.3.1981 – 3 C 134/79 – BVerwGE 62, 86 (98); auf eine normative Ermächtigung stellt nun auch die Rechtsprechung ab, vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11. 1993 – 3 C 38/91 – BVerwGE 94, 307 (309); BVerwG, Urt. v. 21.12.1995 – 3 C 24/94 – BVerwGE 100, 221 (225 f.); BVerwG, Urt. v. 16.5.2007 – 3 C 8/06 – BVerwGE 129, 27 (33 Rn. 26). 108

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B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen

ist die entsprechende Ermächtigung durch den Gesetzgeber selbst einzuräumen.114 Die normative Ermächtigung stellt damit das formelle Element der Anerkennung von Beurteilungsspielräumen dar.115 Zum Vergleich: Im Rahmen von Ermessensspielräumen erfolgt regelmäßig eine ausdrückliche Ermächtigung entweder durch sog. „Kann-Vorschriften“ oder es wird sogar ausdrücklich ein „Ermessen“ festgeschrieben.116 Die Ermächtigung wird unproblematisch durch den Gesetzgeber eingeräumt. Bezogen auf Beurteilungsspielräume und unbestimmte Rechtsbegriffe gestaltet sich dies schwieriger. Eindeutige, ausdrückliche Ermächtigungen werden nur selten normiert.117 Dies erfolgte etwa in § 71 Abs. 5 S. 2 GWB118 oder in § 10 Abs. 2 S. 2 TKG119.120 Es ist im Sinne der Schaffung von Rechtssicherheit und -klarheit zu unterstützen, dass der Gesetzgeber in Zukunft häufiger von dieser Möglichkeit Gebrauch macht.121 Dabei kann der Gesetzgeber durch die Festlegung der Grenzen des Beurteilungsspielraums auch dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) gebührend Rechnung tragen.122 In der Folge wird eine normative Ermächtigung also im Wege der Auslegung zu bestimmen sein. Von den klassischen Auslegungsmethoden sind insbesondere die systematische, die teleologische und die verfassungskonforme Auslegung relevant. Der Wortlaut und die Gesetzesmaterialien sind dagegen regelmäßig keine große Hilfe. Art. 19 Abs. 4 GG versteht sich als Argumentationslastregel, wobei die Argumentationslast größer wird, je undeutlicher der Gesetzgeber sich für einen Beurteilungsspielraum ausgesprochen hat und je weiter die Beurteilungs-

114

Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (621). Als materielles Element tritt das Erfordernis eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes hinzu, s. u. B. III. 3. auf S. 45 ff. 116 Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (622). 117 Wilke, Die Kontrollfunktion der Verwaltungsgerichte, in: Merten, Gewaltentrennung im Rechtsstaat, 1989, S. 135 (138); zum direkten Vergleich der Einräumung von Ermessen („kann“) und Beurteilungsspielraum („erscheint . . . zweckmäßig“) BVerwG, Urt. v. 11.8.1983 – 5 C 30.82 – BVerwGE 67, 341 (345 f.). 118 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) i. d. F. d. B. v. 26.6.2013 (BGBl. I S. 1750, ber. S. 3245) z. g. d. G. v. 12.7.2018 (BGBl. I S. 1151). 119 Telekommunikationsgesetz (TKG) v. 22.6.2004 (BGBl. I S. 1190) z. g. d. G. v. 30.11.2019 (BGBl. I S. 1942). 120 Nach § 71 Abs. 5 S. 2 GWB ist die „Würdigung der gesamtwirtschaftlichen Lage und Entwicklung (. . .) der Nachprüfung des Gerichts entzogen“. Gemäß § 10 Abs. 2 S. 2 TKG werden „diese Märkte (. . .) von der Bundesnetzagentur im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums bestimmt“; vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 2.4.2008 – 6 C 15/07 – BVerwGE 131, 41 (44 ff. Rn. 14–21). 121 So auch Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 17; 71. DJT, DJT-Beschluss zum Öffentlichen Recht Nr. 16b), S. N 161. Einer Handlungsaufforderung an den Gesetzgeber als Lösungsmöglichkeit wird in Abschnitt E. der Arbeit nachgegangen, vgl. E. II. 1. auf S. 222 ff. 122 Vgl. Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 39. 115

III. Voraussetzungen

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spielräume reichen sollen.123 Lässt sich im Wege der Auslegung keine Ermächtigung erkennen, so bleibt es bei einer vollständigen gerichtlichen Kontrolle.124 Die Bindung an Gesetz und Recht umfasst dementsprechend auch die Bindung an unbestimmte Gesetzesbegriffe. Die Gerichte können also weder eine nicht vorgesehene Ermächtigung selbst schaffen noch eine vorgesehene Ermächtigung ablehnen.125 Dem Gesetzgeber ist dabei grundsätzlich zu unterstellen, er habe den Regelungsgegenstand rechtlich erfasst und der vollständigen gerichtlichen Kontrolle unterwerfen wollen.126 Ziel der Auslegung muss es also sein, einen dem entgegengesetzten gesetzgeberischen Willen zu erforschen. Der Gesetzgeber ist – innerhalb der Grenzen des Bestimmtheitsgebots und der Wesentlichkeitslehre – in seiner Entscheidung über das Maß der rechtlichen Durchbildung frei.127 Ist eine Unvollständigkeit demnach geplant, so liegt hierin die Ermächtigung der Exekutive, diese Offenheit auszuformen.128 Nach der Wesentlichkeitstheorie muss die Steuerung des Verwaltungshandelns, also die Einräumung eines administrativen Beurteilungsspielraums, jedenfalls hinreichend deutlich sein.129 Problematisch ist aber, dass ein solcher Wille, auch bei wohlwollender Betrachtung der Arbeit der Legislative, häufig nicht mit hinreichender Sicherheit oder Plausibilität zu finden sein wird bzw. überhaupt nicht gegeben ist.130 Weitere Schwierigkeiten der Auslegung liegen dann vor, wenn mangels ausdrücklicher Aussagen im Gesetz besonders auf Praktikabilitäts- und Systemstimmigkeitserwägungen abgestellt wird.131 Im Ergebnis genügt es also nicht, dass sich eine etwaige Ermächtigung aus der Natur der Sache oder aus besonderen Sachgründen ergeben könnte. Auch reicht die bloße Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe oder die Notwendigkeit einer Prognose nicht aus.132 Dies ist zwar jeweils ein Indiz für einen Beurteilungsspiel123 Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 114 VwGO Rn. 57; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 128. 124 Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (623). 125 Vgl. Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (623) mit dem Verweis auf die Möglichkeit einer konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG, um eine nach Ansicht des Gerichts verfassungswidrig erteilte oder gerade nicht erteilte Ermächtigung zu überprüfen. 126 Vgl. Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (622). 127 Vgl. Hofmann, NVwZ 1995, 740 (741). 128 Vgl. Franßen, (Un)bestimmtes zum unbestimmten Rechtsbegriff, in: Festschrift für Zeidler, 1987, S. 429 (451). 129 Vgl. Ziekow, VwVfG, 3. Aufl. 2013, § 40 VwVfG Rn. 48. 130 Jestaedt, in: Ehlers/Pünder, Allg. Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 11 Rn. 35. 131 Vgl. Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 75. 132 Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 125; Schenke, in: Bonner Kommentar Grundgesetz, 200. Akt. Stand: Sept. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 530, 538; anders wohl BVerwG, Urt. v. 19.3.1998 – 2 C 5/97 – BVerwGE 106, 263 (267).

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B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen

raum, gleichwohl muss sich das Auslegungsergebnis gerade in der jeweiligen Norm niederschlagen.133 Hieraus folgt auch, dass Sach- oder Verwaltungsbereiche nicht pauschal als Ganzes einem Beurteilungsspielraum unterfallen können.134 Zudem dürfen Gerichte nicht unbedacht und großzügig administrative Spielräume anerkennen, um sich lästiger Kontrollaufgaben zu entledigen.135 Letztlich bedarf es für die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen zweier Voraussetzungen: Es muss erstens ein unbestimmter Rechtsbegriff und zweitens ein hinreichend gewichtiger Sachgrund für die Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle vorliegen. Allein die Unbestimmtheit der Norm genügt für sich genommen also gerade nicht.136 Diese muss vielmehr durch eine normative Ermächtigung sowie einen wichtigen Sachgrund ergänzt werden.137 2. Unbestimmter Rechtsbegriff Die Tatbestandselemente können vom Gesetzgeber in unterschiedlicher Präzision normiert werden. Die meisten Begriffe sind aus sich heraus oder durch Gesetze und Rechtsprechung eindeutig bestimmt oder zumindest bestimmbar.138 Dem stehen die unbestimmten Rechtsbegriffe gegenüber. Diese lassen sich nicht eindeutig und detailliert beschreiben, sind also nicht messbar, sondern bedürfen einer als wertende Entscheidung zu charakterisierenden Bewertung.139 Es bestehen also offene und unbestimmte Rechtsbegriffe, die offenkundig nicht nur interpretationsfähig, sondern sogar ergänzungs- und ausfüllungsbedürftig sind. Folge dieser Ausfüllung und Interpretation sind je nach Vollzugsorgan möglicherweise unterschiedlich ausfallende Entscheidungen, die allesamt vertretbar sind und nicht als gesetzeswidrig eingestuft werden können. Als wichtigste und zwingende Voraussetzung eines Beurteilungsspielraums ist das Bestehen eines unbestimmten Rechtsbegriffs zu nennen. Diese Begriffe sind nicht aus sich heraus verständlich und eindeutig, sodass nicht mit Sicherheit feststellbar ist, wann ihre Voraussetzungen erfüllt sind.140 So gestaltet sich die Er133 Jestaedt, in: Ehlers/Pünder, Allg. Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 11 Rn. 36; vgl. BVerwG, Urt. v. 28.11.2007 – 6 C 42/06 – BVerwGE 130, 39 (48 f. Rn. 29). 134 Jestaedt, in: Ehlers/Pünder, Allg. Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 11 Rn. 36. 135 Vgl. Sachs/Jasper, NVwZ 2012, 649 (652); vgl. zu den hohen Hürden BVerfG, Urt. v. 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00 – BVerfGE 103, 142 (157); BVerfG, Beschl. v. 31.5. 2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (21 ff.); BVerfG, Beschl. v. 8.12.2011 – 1 BvR 1932/08 – NVwZ 2012, 694 (696 Rn. 25). 136 Vgl. Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (621). 137 Vgl. Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrechtliche Dogmatik, 2013, S. 118 f. 138 So z. B. „Sache“, „Eigentum“ oder „Einbruch der Dämmerung“, Maurer/Waldhoff, Allg. Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn. 27. 139 Vgl. Schmidt, Gesetzesvollziehung durch Rechtsetzung, 1969, S. 123. 140 Detterbeck, Allg. Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2019, Rn. 348 f.

III. Voraussetzungen

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mittlung des Inhalts der Norm als schwierig und die Anwendung des gesetzlichen Tatbestandes auf einen konkreten Sachverhalt bleibt unklar.141 Eine gebräuchliche und explizite allgemeine Definition unbestimmter Rechtsbegriffe existiert nicht, vielmehr werden sie anhand von Beispielen dargestellt und durch Verwendungsgründe flankiert.142 Beispiele für unbestimmte Rechtsbegriffe sind „Zuverlässigkeit“ und „Unzuverlässigkeit“ (§ 35 Abs. 1 GewO, § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG, §§ 4 f. WaffG143), „Gemeinwohl“, „Wohl der Allgemeinheit“ sowie „öffentliche Belange“ (§§ 24 Abs. 3 S. 1, 31 Abs. 2 Nr. 1, 34 Abs. 3a S. 1 Nr. 3, 35 BauGB144), „öffentliches Interesse“, „wichtiger Grund“, „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ (§ 1 Abs. 1 PolG BW145), „Zumutbarkeit“ und viele mehr.146 Bei all diesen Begriffen lässt sich über den konkreten Inhalt streiten.147 Je nach Einzelfall, Kontext und der den Begriff verwendenden Person kommt es zu unterschiedlich ausfallenden Entscheidungen. Wichtig zu betonen ist, dass keine Identität von unbestimmtem Rechtsbegriff und Beurteilungsspielraum besteht. Nicht jeder unbestimmte Rechtsbegriff führt also auch zu einem Letztentscheidungsrecht der Verwaltung. Die Regel ist vielmehr, dass der unbestimmte Rechtsbegriff keinen Beurteilungsspielraum enthält, die Verwaltung also strikt gebunden ist und vollständiger gerichtlicher Kontrolle unterliegt.148 Dem Gesetzgeber ist es teils nicht möglich, völlig ohne Wertungsspielräume auszukommen. Allein hieraus kann daher kein Letztentscheidungs141 Wallerath, Allg. Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2009, § 7 Rn. 78; vgl. Schoch, Jura 2004, 612 (613). 142 Jestaedt, in: Ehlers/Pünder, Allg. Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 11 Rn. 23; vgl. Schoch, Jura 2004, 612 (613); vgl. auch Maurer/Waldhoff, Allg. Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn. 27 f.; Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensermächtigungen im Verwaltungsrecht, 1979, S. 14 ff. 143 Waffengesetz v. 11.10.2002 (BGBl. I S. 3970) z. g. d. G. v. 20.11.2019 (BGBl. I S. 1626). 144 Baugesetzbuch i. d. F. d. B. v. 3.11.2017 (BGBl. I S. 3634) z. g. d. G. v. 30.6.2017 (BGBl. I S. 2193). 145 Polizeigesetz Baden-Württemberg i. d. F. v. 13.1.1992 (GBl. S. 1) z. g. d. G. v. 26.3. 2019 (GBl. S. 93). 146 Eine teilweise durchgeführte Unterscheidung zwischen „deskriptiven“ und „normativen“ Begriffen erscheint mir nicht zielführend. Unabhängig eines mir schleierhaften Mehrwertes dieser Unterscheidung, ist eine eindeutige Zuordnung der Begriffe schwierig. Vgl. Wallerath, Allg. Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2009, § 7 Rn. 83. Ebenfalls kritisch Bull/Mehde, Allg. Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 2015, Rn. 560. 147 So ist beispielsweise fraglich, wann der Antragsteller einer Gaststättenerlaubnis „zuverlässig“ im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG ist. Im Ergebnis kann er nur entweder zuverlässig oder unzuverlässig sein. Dies lässt sich aber nicht immer eindeutig feststellen. 148 Vgl. BVerfG, Urt. v. 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00 – BVerfGE 103, 142 (157); so bereits Berg, Die verwaltungsrechtliche Entscheidung, 1980, S. 142; Peine/Siegel, Allg. Verwaltungsrecht, 12. Aufl. 2018, § 8 Rn. 196; Würtenberger/Heckmann, Verwaltungsprozessrecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 27; Bamberger, in: Wysk, VwGO, 2. Aufl. 2016, § 114 VwGO Rn. 9; Ziekow, VwVfG, 3. Aufl. 2013, § 40 VwVfG Rn. 14.

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B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen

recht der Verwaltung abgeleitet werden.149 Die Verwaltungsgerichte sind also bei unbestimmten Rechtsbegriffen grundsätzlich verpflichtet, administrative Entscheidungen in sachlicher und rechtlicher Hinsicht uneingeschränkt zu überprüfen.150 Zudem besteht vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG der Grundsatz, dass das Gesetz die Tatbestandsvoraussetzungen abschließend festlegt. Beurteilungsspielräume stellen die Ausnahme dar.151 Voll justiziable unbestimmte Rechtsbegriffe ohne Beurteilungsspielraum sind also von nur eingeschränkt überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriffen mit Beurteilungsspielraum zu unterscheiden. Kein Beurteilungsspielraum besteht, wenn trotz Unbestimmtheit nur eine einzige Bewertung rechtmäßig sein kann – dann ist die gerichtliche Kontrolle auch nicht zurückgenommen.152 Umgekehrt besteht ein Beurteilungsspielraum, wenn mehrere Bewertungen rechtmäßig sein können.153 Unbestimmte Rechtsbegriffe sind im Ergebnis solche Begriffe, „die nicht örtlich und zeitlich genau bestimmte Klassen von Gegenständen umfassen, sondern Typenbegriffe, denen verschiedene, aber ähnliche Lebenssituationen als ihre ,Ausprägungen‘ unterfallen“.154 Beschrieben wird dadurch lediglich ein Bereich, dem je nach Situation und Zusammenhang verschiedene Tatsachen unterfallen können. Alles, was innerhalb dieses Typusbereichs liegt, ist demnach rechtmäßig.155 Entscheidend ist, vor welchem Hintergrund Beurteilungsspielräume anerkannt werden. Zum einen können solche vom Gesetzgeber verwendet werden, wenn die Probleme nicht erkannt wurden, Zeitnot herrschte oder politische Gründe eine nähere Regelung unmöglich machten.156 In diesen Fällen kann die Lücke von den Gerichten geschlossen werden. Dennoch hat nur die Legislative die demokratische Legitimation zur politischen Leitentscheidung.157 149

Vgl. Eifert, ZJS 2008, 336 (339); Mager, StudZR 2016, 255 (258). Vgl. BVerfG, Urt. v. 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00 – BVerfGE 103, 142 (157); Maurer/Waldhoff, Allg. Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn. 36. 151 Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 114 VwGO Rn. 56; Detterbeck, Allg. Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2019, Rn. 358 ff.; vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 21.12.1995 – 3 C 24/94 – BVerwGE 100, 221 (225); BVerwG, Urt. v. 3.12.1998 – 2 C 26/97 – BVerwGE 108, 64 (68); BVerwG, Urt. v. 27.4.1999 – 2 C 26/98 – BVerwGE 109, 59 (65 f.); BVerwG, Urt. v. 25.7.2013 – 2 C 12/11 – BVerwGE 147, 244 (250 Rn. 25). Von der Ungeeignetheit dieser Regel-Ausnahme-Konzeption ausgehend Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 20, der jedoch im Ergebnis ähnliche Abgrenzungskriterien nennt. 152 Detterbeck, Allg. Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2019, Rn. 354. 153 Detterbeck, Allg. Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2019, Rn. 355. 154 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 12. 155 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 15. 156 Herzog, NJW 1992, 2601 (2604). 157 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.10.1972 – 2 BvL 51/69 – BVerfGE 34, 52 (59); vgl. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 172. 150

III. Voraussetzungen

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Entscheidender ist aber die zweite Variante, namentlich dass der Gesetzgeber Lücken gelassen hat, weil er zur näheren Regelung objektiv nicht im Stande war. Unbestimmte Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum stellen dann gewissermaßen eine „Verlegenheitslösung“ 158 dar, auf die zurückgegriffen wird, wenn der Gesetzgeber nicht in der Lage ist, eine umfassende, genaue Normierung der Voraussetzungen des Verwaltungshandelns zu erreichen. Insofern sind unbestimmte Rechtsbegriffe unvermeidlich. Teilweise ist es auch nicht die Intention des Gesetzgebers, etwas umfassend zu regeln. Dann dienen unbestimmte Rechtsbegriffe der Dynamik der geregelten Materie, weil hier starre Regeln eine etwaige Weiterentwicklung hemmen würden.159 Zudem wird die Anpassung eines abstrakten Gesetzes an eine konkrete Situation ermöglicht, wenn der Gesetzgeber in der Zukunft möglicherweise eintretende Situationen im Zeitpunkt der Gesetzgebung noch nicht voraussehen und berücksichtigen konnte.160 Die Verwaltung bleibt somit im Rahmen der Rechtsanwendung flexibel und innovativ, um die wesentlichen Gesichtspunkte herauszuarbeiten und sachgerechte Lösungen zu finden.161 Hier wäre es nicht vom Willen des Gesetzgebers gedeckt, dass sich die Judikative zum Ersatz-Gesetzgeber aufschwingt.162 3. Besonderer Sachgrund Als weitere (materielle) Voraussetzung bedarf es eines hinreichend gewichtigen, am Grundsatz eines wirksamen Rechtsschutzes orientierten Sachgrundes, um die Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle zu rechtfertigen.163 Spezifische Anforderungen an den besonderen Sachgrund hat das BVerfG 164 in seiner Entscheidung zum Investitionszulagengesetz aus dem Jahre 2011 nicht genannt. Der unbestimmte Rechtsbegriff wird hierbei in den durch das Gesetz gegebenen Beurteilungszusammenhang gestellt. Je nach Regelungsgegenstand fällt na-

158

Bachof, JZ 1955, 97 (99); Ule, DVBl. 1953, 491 (497). So z. B. „Stand der Technik“, vgl. Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 12; vgl. Schoch, Jura 2004, 612 (614). Die Gefahren der Rechtsunsicherheit und der langwierigen und teuren Rechtsfindung durch die Rechtsprechung erkennt Beckmann, Referat 71. DJT, S. N 94. 160 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 12. 161 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 12. 162 Herzog, NJW 1992, 2601 (2604). 163 Jestaedt, in: Ehlers/Pünder, Allg. Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 11 Rn. 25. Der einfache Gesetzgeber hat auch die verfassungsrechtlich gesicherte volle gerichtliche Überprüfungskompetenz zu wahren, Redeker, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 114 VwGO Rn. 2. Vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (23). 164 BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (23). 159

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B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen

turgemäß auch die Begründung unterschiedlich aus.165 Die anerkannten Sachgründe werden hier nur abstrakt betrachtet. Als Schlagwörter fallen regelmäßig die hohe Komplexität und die besondere Dynamik der Materie, woraus folge, dass die Rechtsprechung beim Nachvollzug der Verwaltungsentscheidung an ihre Funktionsgrenzen stößt.166 Eine Vollkontrolle kann sich als dysfunktional darstellen.167 So können die Ablehnung der Beurteilungsspielräume und die damit einhergehende weitreichende gerichtliche Kontrolle zu einer Lähmung der Verwaltung und einer Überforderung der Gerichte führen. Insbesondere bei Prüfungsentscheidungen und beamtenrechtlichen Beurteilungen wird die Unvertretbarkeit der Entscheidung oder deren mangelnde Wiederholbarkeit hervorgehoben.168 Zudem wird hier das Gebot der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 und 33 Abs. 2 GG) genannt. Betont wird oft auch die besondere Verantwortung der Exekutive für die von ihr getroffene Entscheidung.169 Weiterhin wird die Weisungsfreiheit eines Entscheidungsträgers hervorgehoben oder es tritt dessen besondere fachliche Kompetenz oder personelle Zusammensetzung in den Vordergrund.170 Des Weiteren kann ein dynamischer Grundrechtsschutz die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen fordern.171 Zudem wird teils auf die besondere Sachkunde der Behörden abgestellt.172 Allerdings hat das BVerfG 173 im Rahmen einer Entscheidung zur Prüfstelle für 165

Zu den Fallgruppen sogleich, s. u. B. IV. auf S. 48 ff. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 u. 213/83 – BVerfGE 84, 34 (50). Insgesamt zum funktionell-rechtlichen Ansatz Ossenbühl, Gedanken zur Kontrolldichte in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, in: Festschrift für Redeker, 1993, S. 55 (64 ff.). Ob allein die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung einen Beurteilungsspielraum begründen können, wurde bislang offengelassen, vgl. BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (23). 167 Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 42; vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 67 ff. 168 Vgl. von Mutius/Sperlich, DÖV 1993, 45 (51); Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 (773). 169 BVerwG, Urt. v. 19.12.1985 – 7 C 65/82 – BVerwGE 72, 300 (316); Ossenbühl, DVBl. 1978, 1 (6). Das Erfordernis einer funktionalen Überlegenheit der Verwaltung gegenüber der Rechtsprechung betont ganz besonders Poscher, Geteilte Missverständnisse, in: Festschrift für Wahl, 2011, S. 527 (550); vgl. Ossenbühl, Gedanken zur Kontrolldichte in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, in: Festschrift für Redeker, 1993, S. 55 (62). 170 BVerwG, Urt. v. 13.12.1979 – 5 C 1/79 – BVerwGE 59, 213 (218); Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 42; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 73 ff. 171 BVerwG, Urt. v. 19.12.1985 – 7 C 65/82 – BVerwGE 72, 300 (315 f.); Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 21. 172 Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 41; vgl. BVerwG, Urt. v. 16.12.1971 – 1 C 31/68 – BVerwGE 39, 197 (204); BVerwG, Urt. v. 13.12.1979 – 5 C 1/79 – BVerwGE 59, 213 (217 f.); BVerwG, Urt. v. 25.6.1981 – 3 C 35/80 – BVerwGE 62, 330 (339 f.); BVerwG, Urt. v. 7.11.1985 – 5 C 29/82 – BVerwGE 72, 195 (201). 166

III. Voraussetzungen

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jugendgefährdende Schriften festgestellt, dass es dem Gericht mittels sachverständig-gutachterlicher Ermittlungen möglich sei, die Entscheidung der Prüfstelle umfassend zu kontrollieren. Allein die Sach- und Fachkunde des Entscheidungsträgers ist somit kein zwingender Grund für einen Beurteilungsspielraum. Denn auch das Gericht ist mit Hilfe von Sachverständigen zu einer unbeschränkten Kontrolle in der Lage. Selbst schwierige Fragen und komplexe Entscheidungen genügen also nicht, um die Kontrollintensität zu reduzieren, weil es die Möglichkeit gibt, einen Sachverständigenbeweis zu erheben.174 Ganz grundsätzlich gilt, dass die Heranziehung von Sachverständigengutachten erwogen werden muss, bevor dem Gericht die Prüfungskompetenz abgesprochen werden kann.175 Dies gilt auch, wenn das Fehlen allgemeiner fachlicher Bewertungsmaßstäbe die gerichtliche Überprüfung erschwert.176 Somit genügt allein die Notwendigkeit der Heranziehung von Sachverständigen nicht zur Annahme eines Beurteilungsspielraums.177 Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, warum die Administrative etwa für naturwissenschaftliche Einschätzungen generell besser qualifiziert sein soll als die Gerichte.178 Weiterhin gilt, dass regelmäßig ein Sachgrund allein nicht zur Begründung des Beurteilungsspielraums ausreicht, vielmehr wird dieser von weiteren Gründen flankiert. So ist die bloße Komplexität der Materie zwar ein Indiz, nicht aber einziger Grund für die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums.179 Auch das Erfordernis prognostischer Elemente reicht allein nicht, da dies regelmäßig einen Teil der Unbestimmtheit von Rechtsbegriffen darstellt.180 Die Unbestimmtheit als solche rechtfertigt aber gerade keine Kontrollrestriktion. 173 BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 – BVerfGE 83, 130 (147); dem folgend BVerwGE 91, 211 (216 f.); dazu Niehues, NJW 1997, 557 (559). 174 Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (624); BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 u. 213/83 – BVerfGE 84, 34 (53); BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 1529/84 u. 138/87 – BVerfGE 84, 59 (79); BVerfG, Beschl. v. 16.12.1992 – 1 BvR 167/ 87 – BVerfGE 88, 40 (58). 175 Vgl. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S. 130 ff., der aber auch auf die Problematik von Sachverständigengutachten eingeht. Zweifel bestehen m. E. vor allem bezüglich der Möglichkeit hierdurch tatsächlich „richtige(re)“ Ergebnisse zu erlangen, zumal der Richter die Gutachten letztlich auch nur mittels eigener Lebenserfahrung und auf innere Schlüssigkeit überprüfen kann. 176 BVerfG, Beschl. v. 16.12.1992 – 1 BvR 167/87 – BVerfGE 88, 40 (58). 177 Hofmann, NVwZ 1995, 740 (744). 178 Vgl. schon Breuer, DVBl. 1978, 28 (33); Wilke, Jura 1992, 186 (191). 179 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 160; Sieckmann, DVBl. 1997, 101 ff. (102); Gärditz, Gutachten D zum 71. DJT, 2016, S. 70. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.12.1992 – 1 BvR 167/87 – BVerfGE 88, 40 (58); BVerwG, Urt. v. 25.7.2013 – 2 C 12/11 – BVerwGE 147, 244 (250 Rn. 25). Kritisch zum Komplexitätsargument auch Kahl, in: 71. DJT, Diskussion und Beschlussfassung, S. N 220 f., „denn auch eine Gefahrenprognose im Polizeirecht ist eine komplexe Entscheidung“. 180 Vgl. BVerfG, Urt. v. 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00 – BVerfGE 103, 142 (157); vgl. Breuer, DVBl. 1978, 28 (33).

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B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen

Ohne Abschnitt D. vorgreifen zu wollen, seien die Sachgründe für die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen im Naturschutzrecht schlagwortartig aufgeführt. Besondere Bedeutung hat hier das Fehlen eindeutiger Erkenntnisse der ökologischen Wissenschaft, das Bestehen von Kenntnislücken und Unsicherheiten sowie divergierende Sachverständigenauffassungen. Da es besonders auf außerrechtliche Kriterien ankommt, stellt sich die Tätigkeit der Gerichte teils weniger als Rechtsprechung, sondern vielmehr als fachspezifische Sachverständigenstellungnahme dar.181 4. Fazit Ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die gerichtliche Entscheidung eine geringere Sachqualität aufweist als die Verwaltungsentscheidung, so ist richterliche Zurückhaltung zu üben.182 Nimmt ein Gericht einen Beurteilungsspielraum an, dann hat es diesen für den Einzelfall zu begründen, um insbesondere auszuschließen, dass die Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolle allein aus Gründen der Verwaltungsökonomie erfolgt.183 Im Ergebnis kann ein Beurteilungsspielraum in manchen Fällen geboten und in anderen Fällen verboten sein. Ist er weder geboten noch verboten, obliegt die Entscheidung über die Einräumung eines Beurteilungsspielraums weiterhin dem einfachen Gesetzgeber.184 Letztlich ist ein Beurteilungsspielraum gegeben, wenn die gesetzliche Ermächtigung, gestützt auf einen besonderen Sachgrund, der Verwaltung die Befugnis eröffnet, über das tatsächliche Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eines unbestimmten Rechtsbegriffs bezüglich des konkreten Einzelfalls zu entscheiden. Damit Streitigkeiten über die Anerkennung einzelner Beurteilungsspielräume verhindert werden, sollte der Gesetzgeber häufiger von der Möglichkeit Gebrauch machen, ein Letztentscheidungsrecht der Verwaltung ausdrücklich zu normieren.185

IV. Fallgruppen Es gibt eine Vielzahl verschiedener Anwendungsfälle für Beurteilungsspielräume, aus denen sich Fallgruppen gebildet haben. Innerhalb dieser Fallgruppen werden die Spielräume in unterschiedlicher Weise begründet. Entsprechend der verschiedenen Begründungen fallen dann auch die Maßstäbe der gerichtlichen Kontrolle unterschiedlich aus, wobei die Grundstruktur gleich ist.186 Um den 181

Vgl. Meyer-Teschendorf/Hofmann, ZRP 1998, 132 (136). Herzog, NJW 1992, 2601 (2604). 183 Dies bezeichnet Steenhoff als vorzeitige „Flucht“, UPR 2017, 467 (468). 184 Sieckmann, DVBl. 1997, 101 (107). 185 In Abschnitt E. erfolgt eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Lösungsmöglichkeiten, vgl. E. II. auf S. 222 ff. 186 Zur gerichtlichen Kontrolle s. u. B.V. auf S. 55 ff. Der je nach Fallgruppe leicht abgewandelte Maßstab der gerichtlichen Kontrolle soll hier jedoch nicht zu viel Raum einnehmen. 182

IV. Fallgruppen

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Rahmen nicht zu sprengen, erfolgt im Folgenden aber keine umfassende Darstellung der anerkannten und abgelehnten Fälle, also der Tragweite der jeweiligen Beurteilungsspielräume innerhalb der einzelnen Fallgruppen.187 Diese sollen vielmehr zur generellen Veranschaulichung der jeweiligen Herleitung und Begründung eines Beurteilungsspielraums dienen. Vorweg kann fallgruppenübergreifend festgestellt werden, dass die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen restriktiv gehandhabt wird. Dies gilt gerade auch bei Berührungspunkten mit Grundrechten. Besonders deutlich wird die Zurückhaltung, wenn nicht die gesamte Entscheidung, sondern nur einzelne Elemente der abschließenden Entscheidungskompetenz der Verwaltung überantwortet werden.188 Nimmt man allerdings die normative Ermächtigungslehre ernst, so ist die Bildung von Fallgruppen bedenklich, da nicht vom Wortlaut, sondern vielmehr von funktionellen Gesichtspunkten ausgegangen wird. Dennoch wird die Herangehensweise der Gerichte durch die innerhalb der Fallgruppen aufgezeigten Sachgründe für die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen verdeutlicht. Anerkannt sind Beurteilungsspielräume bei Prüfungs- und prüfungsähnlichen Entscheidungen, bei beamtenrechtlichen Beurteilungen, bei Bewertungen mit planerischem Einschlag, bei Entscheidungen weisungsunabhängiger Gremien sowie bei Risikound Prognoseentscheidungen. Dieser Katalog ist jedoch nicht im Sinne einer allgemein anerkannten Systematisierung abschließend, sondern kann durch den in seiner Gestaltung freien Gesetzgeber erweitert werden. 1. Prüfungsentscheidungen und prüfungsähnliche Entscheidungen Im Prüfungsrecht sind Beurteilungsspielräume schon sehr lange anerkannt. Bei Prüfungs- und prüfungsähnlichen Entscheidungen in der Schule (z. B. Abschlussprüfung), Hochschule (z. B. Zwischen-/Abschlussprüfung) oder bei Staatsprüfungen (z. B. Medizin, Rechtswissenschaft) steht dem jeweiligen Prüfer ein Beurteilungsspielraum zu. Der Prüfer wird durch gesetzliche und untergesetzliche Regeln zu einer eigenständigen Bewertung der Prüfungsleistung ermächtigt.189 Er greift hierbei besonders auf seine Erfahrung bei vergleichbaren Prüfungen zurück. Der Bewertungsvorgang ist von zahlreichen Unwägbarkeiten bestimmt, die sich in einem Verwaltungsprozess nur sehr schwer und teilweise gar nicht erfas187 Vgl. hierzu Redeker, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 114 VwGO Rn. 48 ff.; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aufl. 2019, § 25 Rn. 36 ff. 188 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 209. So unterfallen dem Beurteilungsspielraum z. B. im Prüfungsrecht nur die prüfungsspezifischen Wertungen, nicht aber die fachlichen Fragen; vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 1529/84 u. 138/87 – BVerfGE 84, 59 (77). 189 Ruffert, in: Knack/Henneke, VwVfG, 10. Aufl. 2014, § 40 VwVfG Rn. 98 m.w. N.

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B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen

sen lassen.190 Es besteht eine stärkere Situations- und Sachnähe des Prüfers bezüglich einzelner Prüfungsleistungen und im Vergleich zur Prüfungsgruppe. Hieraus folgt die Unvertretbarkeit der Entscheidung.191 Der Richter kann die Entscheidung keinesfalls in gleicher Weise treffen. Mangels Wiederholbarkeit der Prüfungen können die Prüfungssituationen im Prozess auch nicht oder nur begrenzt nachgestellt werden und entziehen sich daher der gerichtlichen Kontrolle.192 Der Richter muss also den „autonomen Bereich wissenschaftlich-pädagogischer Beurteilung der Prüfungsleistung durch die Prüfer respektieren“.193 Somit wird im Ergebnis auf die Höchstpersönlichkeit der Entscheidung, die Erfahrung des Prüfers und die fehlende Wiederholbarkeit abgestellt.194 Nichtsdestotrotz muss die Annahme von Beurteilungsspielräumen restriktiv gehandhabt werden, da Prüfungen subjektive Zulassungsschranken im Sinne des Grundrechts der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) darstellen können. Das BVerfG 195 hat daher den zunächst sehr weit gefassten Beurteilungsspielraum der Prüfer begrenzt und auf prüfungsspezifische Wertungen beschränkt. Innerhalb der Prüfungsentscheidungen sind demnach die fachlich-wissenschaftlichen Richtigkeitsentscheidungen aus dem Spielraum herauszunehmen, die daher (erforderlichenfalls unter Heranziehung von Sachverständigen) gerichtlich voll überprüfbar sind.196 Innerhalb der prüfungsspezifischen Wertungen hat die in Art. 3 Abs. 1 GG wurzelnde prüfungsrechtliche Chancengleichheit besondere Bedeutung.197 Diese verlangt, dass in staatlichen Verfahren mit Konkurrenzsituation, die Verteilungs190 Decker, in: Posser/Wolff, VwGO, 51. Ed. Stand: 1.10.2019, § 114 VwGO Rn. 36a. 191 Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 40 VwVfG Rn. 103; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 25. 192 Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 68; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16. Aufl. 2019, Rn. 763; Ziekow, VwVfG, 3. Aufl. 2013, § 40 VwVfG Rn. 49. 193 BVerwG, Beschl. v. 16.4.1980 – 7 B 67/80 – VerwRspr 1981, 394 (395). 194 Herzog, NJW 1992, 2601 (2602) setzt sich mit diesen drei wesentlichen Punkten auseinander. 195 BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 u. 213/83 – BVerfGE 84, 34 (52); BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 1529/84 u. 138/87 – BVerfGE 84, 59 (77); vgl. Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 45. Ed. Stand: 1.10.2019, § 40 VwVfG Rn. 109 ff.; kritisch Czermak, NJW 1992, 2612 (2613). 196 Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 45. Ed. Stand: 1.10.2019, § 40 VwVfG Rn. 110; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aufl. 2019, § 25 Rn. 36; Schoch, Jura 2004, 612 (616); Maurer/Waldhoff, Allg. Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn. 43; BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 u. 213/83 – BVerfGE 84, 34 (54). 197 Ruffert, in: Knack/Henneke, VwVfG, 10. Aufl. 2014, § 40 VwVfG Rn. 98; Erbguth/Guckelberger, Allg. Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 2018, § 14 Rn. 29; BVerwG, Beschl. v. 18.5.1982 – 1 WB 148/78 – BVerwGE 73, 376 (378); BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 1529/84 u. 138/87 – BVerfGE 84, 59 (77).

IV. Fallgruppen

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funktion oder der Prüfungscharakter aller Betroffenen den gleichen Bedingungen unterworfen wird.198 Alle Prüflinge sind nach Aufgabenstellung, Prüferauswahl, Zeitpunkt und äußerem Ablauf der Prüfung gleich zu beurteilen.199 Der einheitliche Bewertungsrahmen würde durch eine vollständige Gerichtskontrolle gesprengt. Dies würde zu einer Verzerrung der Maßstäbe führen und wäre mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. 2. Beamtenrechtliche Beurteilungen Auch bei der Beurteilung der Eignung von Beamten, insbesondere im Rahmen von Einstellung, Beförderung und dienstlicher Beurteilungen, ist ein Beurteilungsspielraum des zuständigen Dienstherrn anerkannt.200 Durch die Begriffe „Eignung, Befähigung und fachliche Leistung“ wird dem Dienstherrn unmittelbar in Art. 33 Abs. 2 GG ein Beurteilungsspielraum bei der vergleichenden Bewertung von Bewerbern eingeräumt.201 Solche Beurteilungen beruhen auf dem höchstpersönlichen Kontakt von Vorgesetztem und zu beurteilendem Beamten und stellen daher eine auf vielen, meist nicht dokumentierten Details beruhende, unvertretbare Entscheidung dar, die der gerichtlichen Kontrolle entzogen ist.202 Schlagwörter sind hier die mangelnde Rekonstruierbarkeit und die länger andauernde Zusammenarbeit.203 Es besteht also eine größere Sachnähe der Verwaltung zur Auswahl und Führung ihres Personalkörpers.204 Als Begründung wird auch in diesem Zusammenhang das aus dem besonderen Gleichheitssatz des Art. 33

198 Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 40 VwVfG Rn. 104; zur Chancengleichheit Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 40 VwVfG Rn. 24a; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 u. 213/83 – BVerfGE 84, 34 (52). 199 Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 68. Der Richter sieht den einzelnen Prüfling aber nicht vor dem Hintergrund der Mitprüflinge, Beaucamp, JA 2012, 193 (194). 200 Vgl. Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 40 VwVfG Rn. 104; Stuhlfauth, in: Bader, VwGO, 7. Aufl. 2018, § 114 VwGO Rn. 36; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 69; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16 Aufl. 2019, Rn. 763. 201 BVerfG, Beschl. v. 29.5.2002 – 2 BvR 723/99 – NVwZ 2002, 1368 (1368); BVerfG, Beschl. v. 11.5.2011 – 2 BvR 764/11 – NVwZ 2011, 1191 (1191); BVerfG, Beschl. v. 4.10.2012 – 2 BvR 1120/12 – NVwZ 2013, 573 (574 Rn. 10). 202 Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 69 m.w. N.; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aufl. 2019, § 25 Rn. 36. Zur Unvertretbarkeit Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 45. Ed. Stand: 1.10.2019, § 40 VwVfG Rn. 115. 203 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 24; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 69; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16. Aufl. 2019, Rn. 763. 204 Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 45. Ed. Stand: 1.10.2019, § 40 VwVfG Rn. 115.

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B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen

Abs. 2 GG folgende Gebot der sach- und situationsgebundenen Gleichbehandlung genannt.205 3. Weisungsfreie Gremien Weiterhin anerkannt sind Beurteilungsspielräume im Rahmen von Entscheidungen weisungsfreier, fachkundiger Gremien. Grundvoraussetzung ist, dass einer Entscheidung in besonderem Maße wertende Elemente anhaften. Die besondere Verantwortung oder Überlegenheit des vom Gesetzgeber deshalb für zuständig erklärten Verwaltungsorgans liegt darin, dass es fachlich und/oder demokratisch besonders legitimiert ist, in einem besonderen Verfahren und vor allem weisungsfrei entscheidet.206 Die Zusammensetzung der Gremien führt zu dessen besonderer fachlicher Qualifikation207 und gewährleistet eine gewisse Staatsferne.208 Ein solches Gremium ist häufig als „pluralistisches“ Kollegialorgan zusammengesetzt und spiegelt hierdurch vor allem die bestehende Meinungsvielfalt wider, wodurch die möglichen Auffassungsunterschiede zum Ausgleich gebracht werden und die Entscheidung versachlicht wird.209 Bei der Bewertung auftretende Subjektivismen werden durch die Ausgestaltung als Gremium weitgehend neutralisiert.210 Tritt sodann ein besonderer Sachgrund hinzu, wie das Mitwirken politisch-gestaltender Elemente oder fachlich-wissenschaftlicher Wertungen, kann ein Beurteilungsspielraum und eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolle angenommen werden.211 Weiterhin treten Gründe wie die Unersetzbarkeit der Meinungsbildung und die Komplexität der Entscheidungsfindung hinzu.212

205 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16. Aufl. 2019, Rn. 763; vgl. auch Detterbeck, Allg. Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2019, Rn. 371. 206 Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 73; BVerwG, Urt. v. 16.12.1971 – I C 31/68 – BVerwGE 39, 197 (203 f.); Ossenbühl, DVBl. 1974, 309 (312). 207 BVerwG, Urt. v. 26.11.1992 – 7 C 20/92 – BVerwGE 91, 211 (215 f.). 208 Zur Bundesprüfstelle jugendgefährdender Schriften, BVerwG, Urt. v. 26.11.1992 – 7 C 20/92 – BVerwGE 91, 211 (217) im Anschluss an BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 – BVerfGE 83, 130 (150). Allein die „Staatsferne“ rechtfertigt aber keinen Spielraum, Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 40 VwVfG Rn. 116; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 205; vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.1993 – 3 C 38/91 – BVerwGE 94, 307 (311). 209 Decker, in: Posser/Wolff, VwGO, 51. Ed. Stand: 1.10.2019, § 114 VwGO Rn. 36d; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 73; Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 45. Ed. Stand: 1.10.2019, § 40 VwVfG Rn. 118; vgl. BVerwG, Urt. v. 23.1.2008 – 6 A 1/07 – NJW 2008, 2135 (2139 Rn. 43). 210 BVerwG, Urt. v. 16.5.2007 – 3 C 8/06 – BVerwGE 129, 27 (34); Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 45. Ed. Stand: 1.10.2019, § 40 VwVfG Rn. 120.1. 211 Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 73, mit Beispielen für angenommene Beurteilungsermächtigungen in Rn. 74. Allein die pluralistische Zusammensetzung des Gremiums reicht aber nicht, vgl. BVerwG, Urt. v. 14.10.2015 – 6 C 17/14 – BVerwGE 153, 129 Rn. 37.

IV. Fallgruppen

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Auch innerhalb dieser Fallgruppe erfolgt eine restriktive Handhabung der Beurteilungsspielräume. Dies wurde insbesondere bezüglich der Prüfstelle für jugendgefährdende Schriften deutlich, deren Entscheidung lediglich als sachverständige Aussage von besonderem Gewicht gewertet werden kann, wobei mit Blick auf die Kunstfreiheit aber keine zurückgenommene Kontrolle anerkannt wird.213 Im Übrigen ist bereits fraglich, wann ein Gremium „pluralistisch repräsentativ“ ist.214 Solche Gremien scheinen regelmäßig im Vergleich zur unmittelbar staatlichen Verwaltung schwächer demokratisch legitimiert zu sein.215 Es bedarf daher besonders detaillierter gesetzlicher Vorgaben zur Bildung und Besetzung verwaltungsfremder Gremien, um Lobbyismus und Interessenvertretung vorzubeugen.216 Letztlich kann sich hieraus mit Blick auf das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsgebot vielmehr die Notwendigkeit besonders intensiver Gerichtskontrolle ergeben.217 Zudem kann auch das Argument der besonderen Fachkunde durch einen richterlichen Rückgriff auf Sachverständige entkräftet werden.218 4. Prognose- und Risikoentscheidungen Auch im Rahmen von Prognose- und Risikoentscheidungen sind Beurteilungsspielräume der Behörde anerkannt. Oftmals handelt es sich um Entscheidungen im infrastrukturellen Bereich, wie bei Passagieraufkommen an Flughäfen oder Fahrzeugzahlen bei Straßen, die nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden können.219 Anknüpfungspunkt für die Annahme eines Beurteilungsspielraums ist 212 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 205; BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 – BVerfGE 83, 130 (150); BVerwG, Urt. v. 25.6.1981 – 3 C 35/80 – BVerwGE 62, 330 (337). 213 Sog. Mutzenbacher-Entscheidung, BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 – BVerfGE 83, 130 (145); statt vieler hierzu Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 75. 214 Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 40 VwVfG Rn. 114; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 204 ff. 215 Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 40 VwVfG Rn. 114. 216 Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 40 VwVfG Rn. 116; näher etwa BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 – BVerfGE 83, 130 (150 ff.); Starck/Paulus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck/Huber/Voßkuhle, Grundgesetz Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 5 GG Rn. 466; allgemein zum Grundrechtsschutz durch Verfahren: Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck/Huber/Voßkuhle, Grundgesetz Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 1 GG Rn. 201. 217 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 205. 218 Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 40 VwVfG Rn. 114; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 208. 219 Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 40 VwVfG Rn. 123.

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B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen

die Ungewissheit, ob sich eine Voraussage mit hinreichender Wahrscheinlichkeit treffen lässt.220 Die Entscheidung beruht auf zukünftigen Entwicklungen, die sich aus ex ante-Sicht nicht exakt beurteilen oder vorhersagen lassen.221 Sie erfordern daher Beurteilungen und Wertungen, die gerichtlich nur eingeschränkt überprüft werden. Die für prognostische Entscheidungen maßgeblichen Regeln sind vielfältig, sodass die Gerichte deren Komplexität und Dynamik auch mit sachverständiger Hilfe häufig nicht bewältigen können.222 Auch im Rahmen von Bewertungen mit planerischem Einschlag wird ein Beurteilungsspielraum anerkannt.223 Grund dafür ist vor allem, dass die planenden Bewertungen zukunftsorientiert sind. Hier wird der Verwaltung eine gestalterische Optimierungsaufgabe übertragen, die nicht von den Gerichten übernommen werden soll. Erfasst sind daher Fälle wie die Bewertung der Funktionsfähigkeit des Taxengewerbes vor der Zulassung weiterer Taxi-Fahrzeuge oder die Beurteilung des Wohnungsmarktes.224 Bei Prognoseentscheidungen muss die gerichtliche Kontrolle in dem Maße reduziert sein, in dem es an rationalen Kriterien mangelt.225 Hieran fehlt es bei Risikoentscheidungen sogar komplett, für die ein hohes Maß kognitiver Unsicherheit bei der Beurteilung der Schadenswahrscheinlichkeit typisch ist.226 Da die Verantwortlichkeit für eine etwaige fehlerhafte Entscheidung bei der Verwaltung liegt, muss ihr auch im Zweifelsfall das Recht zustehen, letztverbindlich zu entscheiden.227 Hierfür spricht auch, dass die Exekutive mit ihren rechtlichen Handlungsformen für die Verwirklichung des Grundsatzes bestmöglicher Gefahrenabwehr und Risikovorsorge am besten gerüstet ist.228 Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich auf eine sog. „Plausibilitätskontrolle“.229 220 Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 63; Ruffert, in: Knack/Henneke, VwVfG, 10. Aufl. 2014, § 40 VwVfG Rn. 106. 221 Decker, in: Posser/Wolff, VwGO, 51. Ed. Stand: 1.10.2019, § 114 VwGO Rn. 36 f. 222 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 199; zur uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung der Festsetzung des einheitlichen Tagessatzes beim Auslandsverwendungszuschlag vgl. BVerwG, Urt. v. 28.5.2009 – 2 C 33/08 – BVerwGE 134, 108 (111 Rn. 11); zu den Grenzen des Beurteilungsspielraums bei der Ermittlung der Konzentration im Medienbereich vgl. VGH München, Urt. v. 15.2.2012 – 7 BV 11.285 – DVBl. 2012, 630 ff. 223 Vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 62 m.w. N. 224 Viele weitere Beispiele in Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 40 VwVfG Rn. 105. 225 Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 114 VwGO Rn. 9. 226 Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 114 VwGO Rn. 10. 227 Bachof, JZ 1955, 97 (100); Ossenbühl, DVBl. 1974, 309 (313). 228 Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 45. Ed. Stand: 1.10.2019, § 40 VwVfG Rn. 124; BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (139 f.); BVerwG, Urt. v. 19.12.1985 – 7 C 65/82 – BVerwGE 72, 300 (317).

V. Rechtsfolge

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Der Beurteilungsspielraum wird aber beschränkt auf die prognostisch zu erfassenden Voraussetzungen der Entscheidung.230 Ein Spielraum besteht also nicht für Prognosen schlechthin.231 Dabei wird wieder die restriktive Handhabung deutlich. 5. Fazit Die Vielfalt der anerkannten Fallgruppen ist geprägt von einer fallgruppenübergreifenden Unsicherheit, die auch von den Gerichten nicht besser aufzulösen ist. Zukünftige Ereignisse können nicht vorhergesehen und Prüfungen nicht wiederholt werden. Höchstpersönliche Kontakte und Erfahrungen können nicht ersetzt oder rekonstruiert werden und führen dadurch zu unvertretbaren Entscheidungen. Hiermit sind nur wenige der regelmäßig angeführten Sachgründe für die Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle genannt. Gleichzeitig wird die restriktive Handhabung deutlich. Denn auch innerhalb der Fallgruppen wird ein Letztentscheidungsrecht der Verwaltung nicht für den ganzen Sachbereich, sondern nur für einzelne Prüfungspunkte (z. B. prüfungsspezifische Wertungen) angenommen. Grundrechte, die für eine Vollkontrolle sprechen (z. B. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG), finden ebenso Berücksichtigung wie solche, die für ein Letztentscheidungsrecht der Verwaltung sprechen (z. B. Art. 3 Abs. 1 GG). Es ist zu begrüßen, dass die Rechtsprechung es sich nicht leicht macht, eine reduzierte gerichtliche Kontrolle anzunehmen. Im Ergebnis ist es in den wenigen anerkannten Fällen dennoch notwendig und sinnvoll, ein Letztentscheidungsrecht der Verwaltung anzuerkennen, weil diese das für die Entscheidung am besten geeignete Organ ist. Diese Zuordnung erfolgt also am Maßstab funktionaler Richtigkeit und wird dabei der Eigenständigkeit der Verwaltung im Gewaltenteilungsgefüge gerecht.232

V. Rechtsfolge Bislang erfolgte die Betrachtung der Voraussetzungen und der Reichweite administrativer Letztentscheidungsrechte aus Perspektive der Verwaltung. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang aber auch die Kontrollperspektive, also die 229 Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 114 VwGO Rn. 11; Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 40 VwVfG Rn. 124; Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 114 VwGO Rn. 323. 230 Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 40 VwVfG Rn. 123; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 198; vgl. BVerwG, Urt. v. 18.3.2004 – 3 C 24/03 – BVerwGE 120, 227 (232 f.). 231 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 198; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 198; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 40 VwVfG Rn. 32; Beaucamp, JA 2002, 314 (317). 232 Vgl. Würtenberger/Heckmann, Verwaltungsprozessrecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 37.

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B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen

Frage, ob die Verwaltung aus richterlicher Sicht rechtmäßig gehandelt hat.233 Während die Zivil- oder Strafgerichte selbst eine Entscheidung treffen, geht es bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit um die Kontrolle der bereits durch die Verwaltung getroffenen Entscheidung.234 Zwar unterliegt grundsätzlich jede Verwaltungsentscheidung der vollständigen gerichtlichen Kontrolle. Rechtsfolge der Beurteilungsspielräume ist aber die Beschränkung der Kontrolldichte. Dabei bezeichnet die Kontrolldichte das Maß der Dichte und der Intensität der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung exekutivischer Maßnahmen.235 Konkret geht es um die Frage, ob eine vollständige gerichtliche Kontrolle erfolgt.236 „Ob“ ein Beurteilungsspielraum eingeräumt wurde, hat das Gericht umfassend durch Auslegung zu ermitteln.237 Allein die Überprüfung der Ausübung („Wie“) des Spielraums durch die Behörde wird reduziert. Die Betonung liegt hier auf der Reduktion – dies führt jedenfalls nicht zu einer vollständigen Abwesenheit gerichtlicher Kontrolle. Über die Kontrolldichteproblematik ist die Figur des Beurteilungsspielraums nicht mehr nur ein Thema juristischer Methodik, sondern greift darüber hinaus unmittelbar in die Verantwortungsbereiche von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit ein.238 Über die Regulierung der Kontrolldichte erfolgt auch eine Regulierung des Verhältnisses von Verwaltungsverantwortung und verwaltungsgerichtlicher Kontrolle. Eine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle konfligiert unweigerlich mit dem Wesen des Rechtsstaates. Die Bedeutung der Rechtskontrolle der Verwaltung durch unabhängige Gerichte ist enorm. Der Gewaltenteilungsgrundsatz sowie der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes stehen im Mittelpunkt der Debatte. Doch gleichwohl werden diese Bedenken zunächst zurückgestellt und anschließend in einem separaten Abschnitt dieser Arbeit (C.) wieder aufgegriffen. 1. Maßstab der gerichtlichen Kontrolle Generell ist der Maßstab für die gerichtliche Kontrolle in § 113 Abs. 1 S. 1 und Abs. 4 VwGO angelegt und verlangt eine Rechtmäßigkeitskontrolle der Verwal233 Die Handlungsperspektive, also die Frage des Umgangs der Verwaltung mit Entscheidungsspielräumen, soll hier nicht weiter vertieft werden, vgl. hierzu Voßkuhle, JuS 2008, 117 (117). 234 Vgl. Ossenbühl, Gedanken zur Kontrolldichte in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, in: Festschrift für Redeker, 1993, S. 55 (56); vgl. Gärditz, Gutachten D zum 71. DJT, 2016, S. 54. 235 Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 13; Papier, DÖV 1986, 621 (621); vgl. Gärditz, Gutachten D zum 71. DJT, 2016, S. 54. 236 Ausgeklammert wird daher das Thema der Kontrollbreite. Diese meint die Anzahl der für die Prüfung relevanten rechtlichen Maßstäbe, Rennert, DVBl. 2019, 133 (135). 237 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 187. 238 Ossenbühl, Gedanken zur Kontrolldichte in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, in: Festschrift für Redeker, 1993, S. 55 (56).

V. Rechtsfolge

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tung. Eine Zweckmäßigkeitskontrolle findet nicht statt.239 Die Gerichte prüfen die behördliche Entscheidung nach, treffen diese aber nicht gewissermaßen zum zweiten Male selbst.240 Für Beurteilungsspielräume besteht keine spezielle gesetzliche Regelung. § 114 S. 1 VwGO, der als einzige Norm eine konkretere Bestimmung der gerichtlichen Kontrolle eines Letztentscheidungsrechts vornimmt, gilt nur für das Ermessen und ist für Beurteilungsspielräume weder direkt noch analog anwendbar.241 Eine Konkretisierung der Maßstäbe hat sich aber im Laufe der Jahre in Literatur und Rechtsprechung herauskristallisiert.242 Jedenfalls ist die Verwaltungsentscheidung der gerichtlichen Kontrolle nicht vollständig entzogen. Die gerichtliche Kontrolle muss für einen wirkungsvollen Grundrechtsschutz zweckgerichtet, geeignet und angemessen bleiben.243 Entscheidend ist besonders die Reichweite des gesetzlich eingeräumten Spielraums, da dieser auch die äußere Grenze des Bereichs reduzierter Kontrolldichte bildet.244 Das BVerfG 245 stellte fest: „Gerichtliche Kontrolle kann nicht weiter reichen als die materiell-rechtliche Bindung der Instanz, deren Entscheidung überprüft werden soll. Sie endet deshalb dort, wo das materielle Recht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise das Entscheidungsverhalten nicht vollständig determiniert und der Verwaltung einen Einschätzungs- und Auswahlspielraum belässt.“ Die gerichtliche Kontrolle wird durch den Spielraum nicht ausgeschlossen, sondern lediglich eingeschränkt.246 Ein völliger Ausschluss der gerichtlichen Kontrolle wäre ein offensichtlicher Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG.247 Die Ermächtigungsnorm muss also exakt analysiert werden, damit der Tatbestandsstruktur ein entsprechendes Kontrollraster zugeordnet werden kann.248 Die gerichtliche Kontrolle der Exekutive ist streng gesetzesakzessorisch. Daraus folgt

239

Decker, in: Posser/Wolff, VwGO, 51. Ed. Stand: 1.10.2019, § 113 VwGO Rn. 1. Rennert, DVBl. 2015, 793 (798). 241 Zu den strukturellen Unterschieden s. o. B. II. 2. auf S. 31 ff. Zur Frage, ob eine entsprechende gesetzliche Regelung für Beurteilungsspielräume sinnvoll wäre s. u. E. II. 1. b) auf S. 224 ff. 242 Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (623). 243 Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 114 VwGO Rn. 91; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 221; BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 u. 213/83 – BVerfGE 84, 34 (53); BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 1529/84 u. 138/87 – BVerfGE 84, 59 (78). 244 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 220. 245 BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (22); so auch BVerfG, Beschl. v. 8.12.2011 – 1 BvR 1932/08 – NVwZ 2012, 694 (695 Rn. 23). 246 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 221. 247 Beaucamp, JA 2012, 193 (195). 248 Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (623). 240

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B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen

auch, dass die gerichtliche Kontrolle von der jeweiligen Ausgestaltung der Beurteilungsermächtigung abhängig ist und entsprechend modifiziert wird.249 Die Kontrollreduktion bezieht sich meist lediglich auf einzelne Entscheidungselemente.250 Generell gilt, dass weiterhin ein wirkungsvoller Schutz der Grundrechtspositionen der Betroffenen gewährleistet sein muss. Da die Gerichte keine Zweckmäßigkeitsprüfung vornehmen, ist es ihnen nicht gestattet eine rechtmäßige Entscheidung der Verwaltung durch eine eigene, ebenfalls rechtmäßige Entscheidung zu ersetzen. Denn Verwaltungsgerichte haben in erster Linie zu kontrollieren und nicht selbst zu agieren.251 Die Intensität der gerichtlichen Kontrolle darf umso geringer sein, je weniger intensiv die gesetzliche Regelungsdichte ist, je mehr die Eigenart des Sachbereichs z. B. auf umfassenden naturwissenschaftlichen Sachverstand angewiesen ist und deren Heranziehung im Verfahren geregelt ist, und je näher die Gerichte an die Grenzen ihrer Funktionsfähigkeit kommen.252 Die Verwaltung steht dabei zwischen dem determinierenden Gesetzgeber und den kontrollierenden Gerichten. Letztere vollziehen die Rechtsanwendung der Verwaltung nach und überprüfen sie auf ihre Richtigkeit.253 Die Gesetzesbindung der Verwaltung kann aber gelockert sein. Dies führt zu einer Lockerung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle und verschiebt das Recht zur Letztentscheidung von den Gerichten hin zur Verwaltung. Das Verwaltungshandeln ist dann also nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich.254 Die Gerichte sollen nicht befugt sein, eine eigene Bewertung an die Stelle der rechtsfehlerfrei gefundenen Bewertung der Verwaltung zu setzen.255 In diesem Zusammenhang hat Ule 256 die bereits erwähnte sog. Vertretbarkeitslehre entwickelt. Wenn mehrere Lösungen vertretbar sind, so ist hiernach die von der Behörde getroffene vertretbare Entscheidung als rechtmäßig anzusehen. Diese Lehre greift allerdings zu kurz und hat sich zu Recht nicht durchgesetzt. Die gerichtliche Kontrolle ist nicht auf eine bloße Vertretbarkeits249

Vgl. Schoch, Jura 2004, 612 (618). Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (623). 251 Niehues, NJW 1997, 557 (557). 252 Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 (774). 253 Maurer/Waldhoff, Allg. Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn. 5. 254 Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 47; Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 (772) m.w. N. 255 Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 (772); Sieckmann, DVBl. 1997, 101 (102); vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.7.1982 – 2 BvR 1187/80 – BVerfGE 61, 82 (114 f.); BVerfG, Beschl. v. 16.12.1992 – 1 BvR 167/87 – BVerfGE 88, 40 (56 f.); BVerwG, Urt. v. 19.12. 1985 – 7 C 65/82 – BVerwGE 72, 300 (317). 256 Vgl. Ule, Zur Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Verwaltungsrecht, in: Gedächtnisschrift für Jellinek, 1955, S. 309 (322 ff.); Ule, Verwaltungsprozessrecht, 9. Aufl. 1987, S. 10. 250

V. Rechtsfolge

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kontrolle beschränkt, sondern es bleibt bei einer vollständigen Überprüfung der Rechtmäßigkeitsanforderungen, wobei lediglich diese Rechtmäßigkeitsanforderungen reduziert sind.257 Je nach Fall bzw. Rechtsgebiet gibt es entsprechende Besonderheiten bezüglich des Maßstabs gerichtlicher Kontrolle.258 Es können aber übergreifende Maßgaben festgestellt werden. In Betracht kommt zunächst eine Übertragung der Maßstäbe vom strukturell ähnlichen Ermessen. Hier wird geprüft, ob die Behörde ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Ermessensfehler werden regelmäßig in Ermessensüberschreitung, Ermessensnichtgebrauch und Ermessensfehlgebrauch eingeteilt.259 Eine entsprechende sprachlich parallele Einteilung (Beurteilungsüberschreitung, -nichtgebrauch und -fehlgebrauch) erscheint naheliegend.260 So liegt eine Beurteilungsüberschreitung vor, wenn der anzuwendende Begriff oder der Rahmen des Spielraums verkannt wurde. Ein Beurteilungsnichtgebrauch bzw. eine Beurteilungsunterschreitung liegt vor, wenn die zuständige Behörde den ihr zugestandenen Beurteilungsspielraum nicht erkennt oder entscheidungserhebliche Belange unberücksichtigt bleiben. Ein Beurteilungsfehlgebrauch liegt vor, wenn die rechtlich gezogenen Schranken missachtet werden, insbesondere wenn allgemeingültige Wertmaßstäbe oder das Gebot der Sachlichkeit außer Acht gelassen oder sachfremde Erwägungen angestellt werden oder wenn gegen Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen wird. Diese Terminologie ist aber in der Rechtsprechungspraxis nicht üblich. Vielmehr werden die jeweiligen Fehlerkategorien in einen übergreifenden Kontrollkatalog gewissermaßen integriert.261 Diese Formel der Kontrolldichte wurde

257

Jestaedt, in: Ehlers/Pünder, Allg. Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 11 Rn. 41. Es erfolgt eine sachbereichsspezifische Modifikation, vgl. Voßkuhle, JuS 2008, 117 (118). 259 Es bestehen unterschiedliche Einteilungen und Bezeichnungen. Vgl. zu den Ermessensfehlern Maurer/Waldhoff, Allg. Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn. 19 ff. 260 Vgl. hierzu und zum Folgenden Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 28 ff. Vgl. Sieckmann, DVBl. 1997, 101 (102); vgl. auch Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (624), die ein einheitliches Grundmuster für alle Tatbestände administrativer Letztentscheidung vorschlagen; Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, 1998, S. 152. So auch Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16. Aufl. 2019, Rn. 772 ff. Eine tabellarische Übersicht der Gemeinsamkeiten von Ermessens- und Beurteilungsfehlern findet sich bei Beaucamp, JA 2012, 193 (195). Einen Beurteilungsausfall kann es richtigerweise nicht geben, vgl. Mager, StudZR 2016, 255 (261). 261 Vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 114 VwGO Rn. 354; Erbguth/Guckelberger, Allg. Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 2018, § 14 Rn. 35; zu Formulierungsbeispielen BVerwG, Urt. v. 16.1.1986 – 3 C 66/84 – BVerwGE 72, 339 (347); BVerwG, Urt. v. 25.7.1985 – 3 C 25/84 – BVerwGE 72, 38 (54); BVerwG, Beschl. v. 18.5.1982 – 1 WB 148/78 – BVerwGE 73, 376 (378); BVerwG, Beschl. v. 12.12.1985 – 1 WB 8/85 – BVerwGE 83, 90 (94 f.); BVerwG, Urt. v. 12.7.1995 – 6 C 12/93 – BVerwGE 99, 74 (77). Dieser Kontrollkatalog soll auch den Mindestanforderungen des 258

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B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen

zwischenzeitlich bereichsspezifisch in § 4a Abs. 2 UmwRG a. F. ausdrücklich geregelt.262 Nach dem Kontrollkatalog wird jedenfalls geprüft, ob ein Verstoß gegen Verfahrensvorschriften vorliegt, ob die Verwaltung von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist bzw. diesen nicht vollständig ermittelt hat, ob die Verwaltung den gesetzlichen Rahmen des Beurteilungsspielraums verkannt hat, ob die Verwaltung allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe nicht beachtet hat und ob sich die Verwaltung von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen.263 Dieser Katalog gibt zumindest eine grobe Richtung der Kontrolle vor.264 Die Gerichte überprüfen die Grenzen des Beurteilungsspielraums, bzw. ob die Entscheidung der Behörde innerhalb der gesetzlichen Ermächtigung liegt.265 Liegt ein Beurteilungsfehler vor, so hat das Gericht die Behördenentscheidung wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben und die Behörde zur erneuten Bescheidung zu verpflichten.266 Bei allen Bedenken gegen die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen muss also immer im Blick behalten werden, dass nichtsdestotrotz eine gewisse gerichtliche Kontrolle gewährleistet ist und die vom Spielraum umfassten Fragen nicht von jeder Überprüfung freigestellt werden.267

Art. 19 Abs. 4 GG entsprechen, vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 129. 262 Diese rein deklaratorische Regelung führte in der Praxis aber nicht zu einer Vereinfachung und Erleichterung umweltrechtlicher Rechtsbehelfsverfahren, sondern sorgte eher für Verunsicherung. Da die Regelung somit kein nennenswertes Beschleunigungspotential und lediglich klarstellende Funktion hatte, wurde die Regelung zum 2.6.2017 wieder gestrichen, vgl. BT-Drs. 18/9526, S. 41. Vgl. Sauthoff, in: 71. DJT, Diskussion und Beschlussfassung, S. N 231. 263 Vgl. hierzu insgesamt Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S. 125; Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, 1998, S. 142 f. BVerwG, Urt. v. 16.12.1971 – I C 31/68 – BVerwGE 39, 197 (204); Herdegen, JZ 1991, 747 (748); Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 (772); vgl. BVerwG, Urt. v. 16.5.2007 – 3 C 8/06 – BVerwGE 129, 27 (39 Rn. 38) unter Bezugnahme auf BVerwG, Urt. v. 26.6.1980 – 2 C 8/78 – BVerwGE 60, 245 (246 f.); BVerwG, Urt. v. 3.3.1987 – 1 C 16/ 86 – BVerwGE 77, 75 (85); BVerwG, Beschl. v. 24.1.1995 – 1 WB 68/94 – BVerwGE 103, 200 (204); BVerwG, Beschl. v. 25.9.2002 – 1 WB 27/02 – BVerwGE 117, 81 (82). Vgl. auch BVerwG, Urt. v. 2.4.2008 – 6 C 15/07 – BVerwGE 131, 41 (48 Rn. 21). Dies wird auch als sog. „Abwägungskontrolle“ bezeichnet, so Jestaedt, in: Ehlers/Pünder, Allg. Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 11 Rn. 41. 264 Diesen Kontrollkatalog empfindet das BVerfG als sehr abstrakt und konkretisiert ihn für das Prüfungsrecht, vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 u. 213/83 – BVerfGE 84, 34 (54); Beaucamp, JA 2002, 314 (319). 265 Maurer/Waldhoff, Allg. Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 7 Rn. 31; Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 47. 266 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 34. 267 Auch Bick, NuR 2016, 73 (75 f.) sieht hierin noch eine ernstzunehmende Kontrolle.

VI. Fazit

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2. Rahmenbedingungen der Kontrolle Im Übrigen sind einige Rahmenbedingungen der Kontrolle einzuhalten. Die Grenzen des Beurteilungsspielraums dürfen nicht überschritten werden. Neben der Begründungspflicht der Verwaltung sind insbesondere die vollständige Überprüfung des Verwaltungsverfahrens und die korrekte Reichweite des Beurteilungsspielraums zu beachten. Grundvoraussetzung für eine angemessene Kontrolle ist, dass die Verwaltung ihre Entscheidung zu begründen hat. Hierbei muss sie erläutern, welchen Begriffsinhalt sie ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt hat und warum sie den konkreten Fall entsprechend subsumiert hat.268 Nur durch diese Begründungspflicht ist dem Gericht die Überprüfung möglich, ob die Behörde von zutreffenden Sachverhaltsfeststellungen ausgegangen ist und ob die Subsumtion plausibel ist.269 Die Notwendigkeit der Begründung ergibt sich unabhängig von § 39 VwVfG vor allem aus Art. 19 Abs. 4 GG.270 Nochmals zu betonen ist die Verortung des Beurteilungsspielraums im Tatbestand. Denn die Auslegung der Norm und die Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen unterliegen weiterhin der vollen gerichtlichen Kontrolle.271 Die Verwaltung muss der Beurteilung einen vollständig und zutreffend ermittelten Sachverhalt zugrunde legen. Dennoch gestaltet sich dies in der Praxis als schwierig. Besonders das Naturschutzrecht bereitet hier Probleme. Die Notwendigkeit der Einhaltung höherrangiger Vorgaben ergibt sich aus der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG). Schließlich hat das Gericht eine allgemeine Plausibilitätskontrolle vorzunehmen. Die Entscheidung der Verwaltung darf also nicht willkürlich getroffen werden. Zu guter Letzt kann auch die Betroffenheit von Grundrechten den Maßstab der gerichtlichen Kontrolle verändern.

VI. Fazit Beurteilungsspielräume stellen ein administratives Letztentscheidungsrecht auf Tatbestandsebene dar und werden allein auf der Stufe der Subsumtion verortet. Zu ihrer Anerkennung bedarf es einer normativen Ermächtigung sowie des Vorliegens hinreichend gewichtiger Sachgründe, die auch die Rücknahme der Kontrolldichte rechtfertigen. Dabei fällt die gerichtliche Kontrolle nicht vollständig aus, sondern wird nur nach Maßgabe des jeweiligen Gesetzes zurückgenommen.

268 269 270 271

Redeker, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 114 VwGO Rn. 41. Redeker, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 114 VwGO Rn. 41. Vgl. Hofmann, NVwZ 1995, 740 (744 f.). Redeker, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 114 VwGO Rn. 42.

62

B. Dogmatische Grundlagen von Beurteilungsspielräumen

Werden Beurteilungsspielräume angenommen, müssen diese der größeren Sachkunde und Erfahrung der Behörde und ihrer besonderen Verantwortung für die Entscheidung gerecht werden. Sie berücksichtigen zudem die Unvertretbarkeit und fehlende Wiederholbarkeit mancher Entscheidungen sowie die Komplexität mancher Regelungsbereiche und deren besonders starke Wertungsabhängigkeit. Gewährleistet wird hierdurch neben sachgerechten Lösungen auch eine größere Einzelfallgerechtigkeit.

C. Rechtliche Vorgaben Die gerade dargestellte Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle und die damit verbundene Abkehr vom gleich noch genauer zu beschreibenden Grundsatz vollständiger gerichtlicher Kontrolle führt zu einem Spannungsverhältnis zum Grundsatz effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG und aus Art. 47 GRCh. Zudem bestehen Reibungen mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz (Art. 20 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG), dem Bestimmtheitsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG). Im Übrigen ist die Vereinbarkeit der Beurteilungsspielräume mit dem Untersuchungsgrundsatz (§ 86 VwGO) zu beachten.

I. Effektiver Rechtsschutz Sowohl auf nationaler Ebene (Art. 19 Abs. 4 GG) als auch auf EU-Ebene (Art. 47 GRCh) wird effektiver Rechtsschutz gewährleistet. Wird die inhaltliche Kontrolle öffentlicher Akte weitgehend zurückgenommen, kollidiert dies tendenziell mit der Rechtsschutzgarantie. 1. Effektiver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) Im Verwaltungsverfahren sind die Beteiligten ungleiche Partner, wobei ein etwaiger Antragsteller der behördlichen Entscheidung mehr oder weniger ausgeliefert ist.1 Erst im Rahmen einer Klage vor dem Verwaltungsgericht scheinen Behörde und Privater gleichrangig. Gerade hier bestimmen aber administrative Beurteilungsspielräume Umfang und Effektivität des gerichtlichen Individualrechtsschutzes.2 a) Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG Zunächst stellt Art. 19 Abs. 4 GG die Systementscheidung für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland und damit für den subjektiven Rechtsschutz dar.3 Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG eröffnet jedem den Rechtsweg, der durch die öffent1 Hier liegt auch die Besonderheit im Vergleich zum Zivilrecht. Dort besteht gerade kein Über-/Unterordnungsverhältnis, sodass keiner seine Auffassung über die Bedeutung eines unbestimmten Rechtsbegriffs gegen den anderen durchsetzen kann, vgl. Ule, Zur Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Verwaltungsrecht, in: Gedächtnisschrift für Jellinek, 1955, S. 309 (325). 2 Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 2. 3 Rennert, DVBl. 2015, 793 (794); vgl. Hufen, Staatsrecht II, § 44 Rn. 3.

64

C. Rechtliche Vorgaben

liche Gewalt in seinen Rechten verletzt ist. Neben der Inanspruchnahme des Rechtswegs ist aber auch dessen Effektivität gewährleistet.4 Ersteres meint den Zugang zum Gericht, das Verfahren vor dem Gericht und die Entscheidung durch das Gericht.5 Für Beurteilungsspielräume ist Letztere, also die Wirksamkeit des Rechtsschutzes, besonders entscheidend. Der Bürger hat hiernach einen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle in allen von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Instanzen.6 Ziel des effektiven Rechtsschutzes ist neben einer angemessenen Verfahrensdauer und der Durchsetzbarkeit einer gerichtlichen Entscheidung vor allem auch die Gewährung einer vollständigen richterlichen Nachprüfung der angefochtenen Akte der öffentlichen Gewalt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht.7 Art. 19 Abs. 4 GG garantiert damit einen lückenlosen gerichtlichen Rechtsschutz.8 Neben der Prüfungsbefugnis muss das Gericht auch über eine hinreichende Entscheidungsmacht zur Abwendung von erfolgten oder drohenden Rechtsverletzungen verfügen.9 Es soll ein möglichst lückenloser gerichtlicher Schutz und eine möglichst wirksame Kontrolle gewährleistet werden.10 Zur Wirksamkeit des Rechtsschutzes dient also auch die hinreichende Prüfungsbefugnis der Gerichte in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht.11 Damit ist eine Bindung der Gerichte an die von der Verwaltung getroffenen Feststellungen und Wertungen grundsätzlich nicht zu vereinbaren.12 Eine generelle Begrenzung 4

Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 19 GG Rn. 143. Kingreen/Poscher, Grundrechte, 35. Aufl. 2019, Rn. 1170. 6 Vgl. Eichberger, NVwZ-Beilage 2013, 18 (19); Antoni, in: Hömig/Wolff, Grundgesetz, 12. Aufl. 2018, Art. 19 GG Rn. 17; vgl. aus der Rechtsprechung BVerfG, Beschl. v. 29.10.1975 – 2 BvR 630/73 – BVerfGE 40, 272 (275). 7 Sodan, in: Sodan, Grundgesetz, 4. Aufl. 2018, Art. 19 GG Rn. 27; Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 19 GG Rn. 143 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 183; Schenke, in: Bonner Kommentar Grundgesetz, 200. Akt. Stand: Sept. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 491 ff. jeweils m.w. N.; vgl. aus der Rechtsprechung statt vieler BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (20). 8 Kingreen/Poscher, Grundrechte, 35. Aufl. 2019, Rn. 1157. 9 BVerfG, Beschl. v. 8.7.1982 – 2 BvR 1187/80 – BVerfGE 61, 82 (111). 10 BVerfG, Urt. v. 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00 – BVerfGE 103, 142 (156); BVerfG, Urt. v. 18.7.2005 – 2 BvR 2236/04 – BVerfGE 113, 273 (310). 11 Sodan, in: Sodan, Grundgesetz, 4. Aufl. 2018, Art. 19 GG Rn. 31; Antoni, in: Hömig/Wolff, Grundgesetz, 12. Aufl. 2018, Art. 19 GG Rn. 16; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 183; vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.2.1963 – 2 BvR 21/60 – BVerfGE 15, 275 (282); BVerfG, Beschl. v. 8.7.1982 – 2 BvR 1187/80 – BVerfGE 61, 82 (111); BVerfG, Beschl. v. 31.5.1988 – 1 BvR 520/83 – BVerfGE 78, 214 (226); BVerfG, Urt. v. 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00 – BVerfGE 103, 142 (156); BVerfG, Urt. v. 18.7.2005 – 2 BvR 2236/04 – BVerfGE 113, 273 (310). 12 Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (194); Eichberger, NVwZ-Beilage 2013, 18 (19); Antoni, in: Hömig/Wolff, Grundgesetz, 12. Aufl. 2018, Art. 19 GG Rn. 16; Schoch, Gerichtliche Verwaltungskontrollen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, 5

I. Effektiver Rechtsschutz

65

der gerichtlichen Prüfungskompetenz auf eine Vertretbarkeitskontrolle ist hiernach ausgeschlossen.13 Vielmehr obliegt den Gerichten die Kompetenz für die Auslegung der Norm, für die Aufklärung des Sachverhalts und für die Subsumtion.14 Das kontrollierende Gericht hat demnach alle wesentlichen Punkte selbst zu ermitteln und seine rechtliche Auffassung unabhängig von der Verwaltung, deren Entscheidung angegriffen wird, zu gewinnen und zu begründen.15 Voraussetzung des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG ist, dass der Bürger in seinen Rechten verletzt ist. Art. 19 Abs. 4 GG begründet solche Rechtspositionen aber nicht, sondern setzt diese vielmehr voraus.16 Sowohl die Begründung subjektiver Rechte als auch deren Inhalt werden also vom Gesetzgeber bestimmt.17 Damit ist Art. 19 Abs. 4 GG eine in hohem Maße normgeprägte Garantie, deren Tatbestandsmerkmale auf normative Ausformung angewiesen sind.18 Das Ausmaß der richterlichen Kontrolle bestimmt sich nach dem Maß der Rechtsbindung des Kontrollierten.19 b) Spannungsverhältnis: Beurteilungsspielraum Die Folge von Beurteilungsspielräumen ist die Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle. Dies steht zur soeben dargestellten Garantie effektiven RechtsschutGVwR III, 2. Aufl. 2013, § 50 Rn. 258. Vgl. aus der Rechtsprechung BVerfG, Beschl. v. 5.2.1963 – 2 BvR 21/60 – BVerfGE 15, 275 (282); BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (20). 13 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 183; Rennert, DVBl. 2015, 793 (794). 14 Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (194); Schenke, in: Bonner Kommentar Grundgesetz, 200. Akt. Stand: Sept. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 537; Schoch, Gerichtliche Verwaltungskontrollen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, GVwR III, 2. Aufl. 2013, § 50 Rn. 260. 15 Enders, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, 41. Ed. Stand: 15.5.2019, Art. 19 GG Rn. 74 m.w. N. 16 Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (194); Sodan, in: Sodan, Grundgesetz, 4. Aufl. 2018, Art. 19 GG Rn. 32; Sachs/Jasper, NVwZ 2012, 649 (650); Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 19 GG Rn. 128 ff. m.w. N. Vgl. aus der Rechtsprechung statt vieler BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 – BVerfGE 116, 1 (18). 17 Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 19 GG Rn. 130; Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (194); BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 – BVerfGE 116, 1 (11 f.); BVerwG, Urt. v. 25.11.1993 – 3 C 38/91 – BVerwGE 94, 307 (309 f.): „Im Rahmen der rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes ist es Aufgabe des Gesetzgebers, unter Beachtung der Grundrechte die Rechtspositionen zuzuweisen und auszugestalten, die Art. 19 Abs. 4 GG voraussetzt und deren gerichtlichen Schutz er gewährleistet.“ 18 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 15. Aufl. 2018, Art. 19 GG Rn. 52; Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (619); Hofmann, NVwZ 1995, 740 (742); Kingreen/Poscher, Grundrechte, 35. Aufl. 2019, Rn. 1158: „normgeprägte[r] Schutzbereich“. 19 Ossenbühl, DVBl. 1974, 309 (312).

66

C. Rechtliche Vorgaben

zes, also der gerichtlichen Vollkontrolle bzw. dem möglichst lückenlosen gerichtlichen Schutz, in einem Spannungsverhältnis. Auch Art. 19 Abs. 4 GG schließt jedoch normativ eröffnete administrative Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume nicht von vornherein aus.20 Vielmehr findet an ihnen „die gerichtliche Kontrolle behördlicher Entscheidungen ihre Grenze“.21 Dem Gesetzgeber ist es gerade nicht verwehrt, die Normstruktur und damit ein Letztentscheidungsrecht der Verwaltung im Einzelnen festzulegen.22 Dies ist der Kern der normativen Ermächtigungslehre. Je nach Art der zu prüfenden Maßnahme kann dann auch die Kontrolldichte divergieren und von der Vollkontrolle abweichen.23 Die gerichtliche Kontrolle kann nicht weiter reichen als die materiell-rechtliche Bindung der Instanz, deren Entscheidung überprüft wird.24 Sie endet also an der Stelle, an der der Gesetzgeber in „verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise“ das Entscheidungsverhalten der Verwaltung nicht abschließend bestimmt und der Exekutive einen Spielraum belassen hat.25 Entscheidend ist dabei die normative Eröffnung des administrativen Freiraums. Die bloße Unbestimmtheit einer Norm genügt also nicht.26 Umgekehrt darf die gerichtliche Kontrolle nicht zurückgenommen werden, wenn dies in verfassungswidriger Weise erfolgt. Die Dispositionsbefugnis des Gesetzgebers erfährt hierdurch eine Beschränkung.27 Der Gesetzgeber darf eine gesetzlich nicht eindeutig geregelte Situation durchaus der Verwaltung zuweisen.28 Die Einräumung eines administrativen Letztent20 BVerfG, Beschl. v. 31.5.1988 – 1 BvR 520/83 – BVerfGE 78, 214 (226); BVerfG, Beschl. v. 16.12.1992 – 1 BvR 167/87 – BVerfGE 88, 40 (56); BVerfG, Beschl. v. 8.7.1982 – 2 BvR 1187/80 – BVerfGE 61, 82 (111); BVerfG, Urt. v. 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00 – BVerfGE 103, 142 (157); BVerfG, Urt. v. 18.7.2005 – 2 BvR 2236/04 – BVerfGE 113, 273 (310); Guckelberger, Referat 71. DJT, S. N 67; Schmidt-Aßmann/ Groß, NVwZ 1993, 617 (621). 21 BVerfG, Beschl. v. 16.12.1992 – 1 BvR 167/87 – BVerfGE 88, 40 (56). 22 Adam, Die Kontrolldichte-Konzeption des EuGH und deutscher Gerichte, 1993, S. 199. 23 BVerfG, Urt. v. 18.7.2005 – 2 BvR 2236/04 – BVerfGE 113, 273 (310). 24 So bereits BVerfG, Beschl. v. 16.12.1992 – 1 BvR 167/87 – BVerfGE 88, 40 (56); vgl. auch BVerfG, Urt. v. 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00 – BVerfGE 103, 142 (156); BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 – BVerfGE 116, 1 (18). 25 BVerfG, Beschl. v. 16.12.1992 – 1 BvR 167/87 – BVerfGE 88, 40 (61); BVerfG, Urt. v. 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00 – BVerfGE 103, 142 (156 f.); BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04 – BVerfGE 116, 1 (18); BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (22); BVerfG, Beschl. v. 8.12.2011 – 1 BvR 1932/08 – NVwZ 2012, 694 (695) m. Anm. Sachs/Jasper, NVwZ 2012, 649 (652); Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (195). 26 Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (621). 27 Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 19 GG Rn. 131. 28 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 184.

I. Effektiver Rechtsschutz

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scheidungsrechts steht also im Ergebnis nicht zwingend im Widerspruch zu Art. 19 Abs. 4 GG. Dieser gewährt nur insoweit Rechtsschutz, als das Interesse auch rechtlich geschützt ist und entsprechende rechtliche Maßstäbe bestehen.29 Beurteilungsspielräume lassen sich also dadurch rechtfertigen, dass die materiellrechtliche Bindung der öffentlichen Gewalt zurückgenommen wird.30 Das BVerwG 31 stellte bereits 1971 in einem Fall zur Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften fest: „Die Begrenzung der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung verletzt nicht Art. 19 Abs. 4 GG. Gerichtlicher Rechtsschutz dient der Abwehr von Rechtsverletzungen. Sind mehrere Entscheidungen möglich, verlangt Art. 19 Abs. 4 GG nicht, daß die Auswahl unter ihnen letztverantwortlich vom Gericht getroffen wird.“ Außerdem lässt sich aus Art. 19 Abs. 4 GG keine Verpflichtung des Gesetzgebers ableiten, möglichst genaue Rechtsmaßstäbe vorzugeben.32 Die gerichtliche Kontrolle fällt nicht komplett aus, sondern wird nur nach Maßstab des jeweiligen Gesetzes zurückgenommen. Sie muss dabei weiterhin für einen wirkungsvollen Schutz zweckgerichtet, geeignet und angemessen sein.33 Die Zugrundelegung des richtigen Sachverhalts, die richtige Anwendung der Ermächtigungsgrundlage, der Einfluss sachwidriger Erwägungen sowie die Einhaltung der Verfahrensvorschriften werden stets vollständig überprüft.34 Weiterhin muss die gerichtliche Kontrolle die Frage umfassen, ob die Grenzen des Spielraums überschritten wurden.35 Das BVerfG 36 hat die Voraussetzungen näher bestimmt, unter denen mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG „in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise“ keine vollständige Determinierung des behördlichen Entscheidungsverhaltens erfolgen muss. Der Gesetzgeber sei hierbei „durch die Grundrechte sowie durch das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip und die hieraus folgenden Grundsätze der Bestimmtheit und Normenklarheit gebunden“.37 Hierzu gehört das Vorliegen einer gesetzlichen Grundlage und auch das Vorliegen eines hinreichend gewichti-

29 Hoffmann-Riem, Eigenständigkeit der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle, GVwR I, 2. Aufl. 2012, § 10 Rn. 90. 30 Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 19 GG Rn. 146. 31 BVerwG, Urt. v. 16.12.1971 – I C 31/68 – BVerwGE 39, 197 (205). 32 So Jannasch, Die Stellung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Rahmen der staatlichen Funktionen, in: Festschrift für Zeidler, 1987, S. 487 (494). 33 Vgl. zur Berufsfreiheit BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 1529/84 u. 138/87 – BVerfGE 84, 59 (78). 34 Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 19 GG Rn. 129. 35 Sodan, in: Sodan, Grundgesetz, 4. Aufl. 2018, Art. 19 GG Rn. 31. 36 BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1. 37 BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (22 f.); Eichberger, NVwZ Beilage 2013, 18 (21). Eine Auseinandersetzung hiermit folgt sogleich.

68

C. Rechtliche Vorgaben

gen Sachgrundes, welche bereits beschrieben wurden.38 Damit folgt das BVerfG der dargestellten normativen Ermächtigungslehre. Den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG wird auf diese Weise entsprochen. Vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 GG sind Beurteilungsspielräume stets rechtfertigungsbedürftig, aber in Anbetracht des Erfordernisses einer Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers auch rechtfertigungsfähig.39 Art. 19 Abs. 4 GG steht der Anerkennung von Beurteilungsspielräumen nicht grundsätzlich entgegen. Vielmehr wird die Rechtsschutzgarantie in ihrer tatbestandlichen Reichweite begrenzt.40 c) Maßstäbe aa) Qualitative und quantitative Grenze Zwar schließt Art. 19 Abs. 4 GG die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen nicht generell aus. Im Ergebnis müssen Beurteilungsspielräume aber restriktiv gehandhabt werden. Der effektive Rechtsschutz darf also nicht durch zu zahlreiche oder weitgreifende Beurteilungsspielräume ausgehebelt werden.41 Dieser Aushöhlungsschutz besteht aus einer qualitativen und einer quantitativen Grenze. Zunächst liegt eine qualitative Grenze darin, dass die Kontrollkompetenz der Gerichte nicht vollständig ausgeschlossen werden darf. Um ein generelles Rechtsschutzdefizit zu verhindern, muss also stets ein ausreichendes Maß substanzieller Kontrolle verbleiben.42 Wie weit die hiernach gebotene Kontrolle zu gehen hat, wird durch das zugrundeliegende materielle Recht bestimmt.43 Damit hängt auch das Erfordernis eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes für die Anerkennung eines administrativen Letztentscheidungsrechts zusammen.44 Nur 38

Zu den Voraussetzungen s. o. B. III. auf S. 37 ff. BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (21); Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck/Huber/Voßkuhle, Grundgesetz Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 19 GG Rn. 514; Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 (778); Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 114 VwGO Rn. 57; vgl. Wahl, NVwZ 1991, 409 (410 f.). 40 Sachs/Jasper, NVwZ 2012, 649 (650); vgl. Beckmann, Referat 71. DJT, S. N 105; anders Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (620), die ein Regel-Ausnahme-Verhältnis annehmen. 41 BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (23); BVerfG, Beschl. v. 8.12.2011 – 1 BvR 1932/08 – NVwZ 2012, 694 (696 Rn. 25); Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 166. 42 BVerfG, Beschl. v. 8.12.2011 – 1 BvR 1932/08 – NVwZ 2012, 694 (697), m. Anm. Sachs/Jasper, NVwZ 2012, 649 (651); Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (195). 43 Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (618). 44 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 184. Wenig überzeugt sind hiervon Sachs und Jasper, die hierin für den Gesetzgeber beinahe eine carte blanche sehen, Sachs/Jasper, NVwZ 2012, 649 (653). 39

I. Effektiver Rechtsschutz

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wenn ein solcher Sachgrund vorliegt, erscheint eine Reduktion der Kontrolldichte angebracht. Eine quantitative Grenze findet die Anerkennung von Freiräumen der Verwaltung, wenn ganze Sachbereiche oder Rechtsgebiete von einer zu hohen Zahl an Beurteilungsspielräumen durchzogen werden.45 Dann kann nicht mehr von der Effektivität des Rechtsschutzes ausgegangen werden, sodass hierin ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG liegen würde.46 Der quantitativen Grenze ist auch geschuldet, dass innerhalb einer Entscheidung nur ein Teil der Letztentscheidung der Verwaltung unterfallen kann, während der Rest vollständig kontrolliert wird.47 Nach der normativen Ermächtigungslehre gibt der Gesetzgeber das materielle Recht vor und setzt damit auch diese Grenzen der Überprüfung fest. bb) Faktische Unmöglichkeit der gerichtlichen Kontrolle Teilweise, so auch im Naturschutzrecht, erscheint die vollständige gerichtliche Kontrolle faktisch unmöglich. Diese faktische Unmöglichkeit der gerichtlichen Kontrolle könnte einen Sachgrund darstellen, der deren Rücknahme rechtfertigen könnte. So nahm etwa das VG Schleswig48 in einem atomrechtlichen Fall an, dass die vollständige gerichtliche Überprüfung des von der Exekutive durchgeführten Beurteilungsvorgangs „alle zeitlichen Grenzen gerichtlicher Verfahren sprengen“ würde. Weder organisatorisch noch personell seien die Gerichte zur nochmaligen und eigenen Beurteilung des Standes der derzeitigen Erkenntnisse in der Lage. Weil Art. 19 Abs. 4 GG aber auch eine angemessene Verfahrensdauer beinhaltet, muss diese in einen angemessenen Ausgleich zur Reichweite der gerichtlichen Kontrolle gebracht werden. Auch das BVerfG 49 geht in einer aktuellen Entscheidung auf faktische Grenzen der Überprüfbarkeit ein. Hier wurde die Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle allein aufgrund deren faktischen Unmöglichkeit begründet. Auf das Vorliegen eines Beurteilungsspielraums wurde hierbei nicht abgestellt. Wird die Grenze des fachwissenschaftlichen Erkenntnisstandes erreicht, so sei auch die Grenze ge-

45 Antoni, in: Hömig/Wolff, Grundgesetz, 12. Aufl. 2018, Art. 19 GG Rn. 16; Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 19 GG Rn. 132. 46 BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (23); Eichberger, NVwZ-Beilage 2013, 18 (21): „Grenze quantitativer Natur“; Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (194). 47 So z. B. im Prüfungsrecht, in dem nur prüfungsspezifische Wertungen dem Beurteilungsspielraum unterfallen, s. o. B. IV. 1. auf S. 50 f. 48 VG Schleswig, Urt. v. 17.3.1980 – 10 A 512/76 – NJW 1980, 1296 (1298). 49 BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54).

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C. Rechtliche Vorgaben

richtlicher Überprüfung erreicht. Daher entschied das BVerfG nach dem Motto: Was nicht geht, könne auch nicht verlangt werden.50 cc) Funktionsgrenzen der Rechtsprechung Zu beachten ist weiterhin, dass auch der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes nicht voraussetzungslos oder grenzenlos Gültigkeit beanspruchen kann.51 Zumal es keinen „effektiven“ Rechtsschutz darstellt, wenn eine Aufgabe unbesehen einem sachlich inkompetenten Staatsorgan zugewiesen wird, obwohl sachliche Kompetenz andernorts vorhanden wäre.52 Demnach kommen auch funktionellrechtliche Gesichtspunkte ins Spiel, da es zu entscheiden gilt, welches Organ nach Ausstattung, Ressourcen und Verfahren geeignet ist, entsprechende Funktionen wahrzunehmen.53 Dies ist zwar in der Regel die Judikative. Doch auch die Exekutive kann nach Organausstattung und Organstruktur zur Bewältigung mancher Funktionen besser geeignet sein und sollte daher die Verantwortung für eine entsprechende Entscheidung übernehmen.54 Dabei sollte auch vermieden werden, dass es durch die umfassende gerichtliche Kontrolle zu einer Verlagerung der Verwaltungstätigkeit auf die Gerichte kommt.55 Redeker56 stellte dazu fest, dass es hierdurch zwar „zu einem maximalen, aber zu keinem optimalen Rechtsschutz kommen“ würde. Optimaler Rechtsschutz könne nur dann erreicht werden, wenn das Rechtsschutzinteresse des Bürgers mit dem Interesse an einer leistungsfähigen Verwaltung in Übereinstimmung gebracht wird.57 Allerdings ist an dieser Stelle eine Einschränkung nötig. Zwar hat das BVerfG 58 ausdrücklich offengelassen, ob eine Anerkennung von Beurteilungsspielräumen auch ohne gesetzliche Ermächtigung mit den Funktionsgrenzen der Rechtsprechung begründet werden können soll. Dies würde aber den Weg für eine Einebnung der aufgezeigten gewichtigen Voraussetzungen frei machen und 50

Ausführlicher zum Beschluss des BVerfG, s. u. D. IV. 6. auf S. 209 ff. So schon Herzog, NJW 1992, 2601 (2603). 52 Herzog, NJW 1992, 2601 (2603). 53 Wahl, NVwZ 1991, 409 (410 f.); vgl. zur Organadäquanz Schenke, in: Bonner Kommentar Grundgesetz, 200. Akt. Stand: Sept. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 539; Voßkuhle/Sydow, JZ 2002, 673 (675). 54 Vgl. Wahl, NVwZ 1991, 409 (411). 55 Redeker, DÖV 1971, 757 (758). 56 Redeker, DÖV 1971, 757 (758). 57 Redeker, DÖV 1971, 757 (758). 58 BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (23). Keinen Fall der Funktionsgrenzen der Rechtsprechung, sondern den Fall der „faktischen Grenze“ des Überprüfbaren stellt die Entscheidung des BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54 Rn. 23) dar; a. A. Sachs, JuS 2019, 184 (185). 51

I. Effektiver Rechtsschutz

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würde daher dem Charakter der Beurteilungsspielräume nicht gerecht. Somit ist die bloße Feststellung, dass eine gerichtliche Vollkontrolle an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stößt, für sich genommen nicht ausreichend, um einen Beurteilungsspielraum zu begründen. Dieser muss vielmehr gesetzlich vorgesehen sein. Nimmt ein Gericht eine Bindung an administrative Entscheidungen an, ohne dass eine solche gesetzlich vorgesehen ist, wäre dies als ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG zu qualifizieren.59 Im Übrigen würde es sich um einen Zirkelschluss handeln, wenn eine entsprechende gesetzliche Normierung durch Verweis auf die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung angenommen würde.60 dd) Kompensation durch Verfahren Wenn Beurteilungsspielräume der Verwaltung nach all dem unvermeidlich erscheinen, ist es grundrechtlich geboten, Mindestgarantien des Rechtsschutzes durch die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens zu schaffen.61 Dieses ist hinsichtlich Rationalität und Qualität so auszugestalten, dass der Rechtsschutz quasi vorverlagert wird.62 Das Verwaltungsverfahren muss also vollständig überprüft werden.63 Ist eine materielle (gerichtliche) Überprüfung nicht möglich, muss dem Verfahren eine gesteigerte Bedeutung zukommen, damit die materielle Unbestimmtheit formell-verfahrensrechtlich kompensiert wird.64 Die Entscheidungsrichtigkeit wird dann durch die Verfahrensrichtigkeit gewährleistet.65 Da beim Beurteilungsspielraum das Gericht die materielle Frage nicht vollständig selbst beurteilen kann, treten hier die Verfahrensvorschriften in den Vordergrund.66 Je größer die Spielräume der Verwaltung sind, desto größer sind auch die Anforderungen an das Verfahren.67 Anders gesagt muss die Reduzierung der 59 Antoni, in: Hömig/Wolff, Grundgesetz, 12. Aufl. 2018, Art. 19 GG Rn. 16. Etwas anderes kann im Rahmen verteidigungspolitischer Entscheidungen gelten, vgl. SchmidtAßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 184. 60 Fülbier, NVwZ 2018, 453 (457). 61 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck/Huber/Voßkuhle, Grundgesetz Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 1 GG Rn. 201. Vgl. bereits Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 (777). 62 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 130. 63 BVerwG, Urt. v. 26.10.1995 – 2 C 24/94 – BVerwGE 99, 355 (359 ff.); für das beamten- oder soldatenrechtliche Auswahlverfahren BVerwG, Beschl. v. 25.4.2007 – 1 WB 31/06 – BVerwGE 128, 329 (339 Rn. 69). 64 BVerfG, Urt. v. 18.4.1989 – 2 BvF 1/82 – BVerfGE 79, 311 (344 f.); Wahl, NVwZ 1991, 409 (417); Schenke, in: Bonner Kommentar Grundgesetz, 200. Akt. Stand: Sept. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 586. Vgl. Guckelberger, Referat 71. DJT, S. N 68. 65 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 46 VwVfG Rn. 62. 66 Vgl. Wahl, NVwZ 1991, 409 (415). 67 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 15. Aufl. 2018, Vorb. vor Art. 1 GG Rn. 11; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck/Huber/Voßkuhle, Grundgesetz Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 1 GG Rn. 201.

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C. Rechtliche Vorgaben

Kontrolldichte durch das Verwaltungsverfahren verdient werden.68 Beispielhaft sei hier die präzise Regelung der Zusammensetzung der sachverständigen, pluralistisch zusammengesetzten Gremien69 oder die Abhängigkeit der Verwaltungsentscheidung von einem vorherigen positiven Votum eines Sachverständigengremiums genannt.70 ee) Fazit Zwar steht Art. 19 Abs. 4 GG der Anerkennung von Beurteilungsspielräumen nicht generell entgegen. Gleichwohl ist das Spannungsverhältnis nicht aufzulösen, sodass die Anerkennung einer behördlichen Einschätzungsprärogative einer hinreichenden Begründung bedarf. Dabei ist besondere Vorsicht vor einer schrittweisen Aushöhlung des Art. 19 Abs. 4 GG geboten. Die Schaffung des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG stellt eine bedeutsame rechtsstaatliche Errungenschaft dar, die weder vorschnell eingeschränkt noch schleichend entwertet werden sollte. Soweit Möglichkeiten bestehen, Beurteilungsspielräume einzudämmen, müssen diese ergriffen werden.71 Gerade im Naturschutzrecht werden weitreichende Spielräume angenommen.72 Hier erscheint es fraglich, ob die engen Grenzen, in denen Spielräume zulässig sind, nicht bereits überschritten wurden. Es ist ein schmaler Grat des Zulässigen. Die besondere Erschwernis liegt im Naturschutzrecht in der überragenden Bedeutung staatsferner privater Gutachten, die die behördliche Entscheidung vorzeichnen. Werden deren Erkenntnisse im Rahmen einer administrativen Einschätzungsprärogative von der Verwaltung nur unzureichend überprüft, steht dies zu den Maßstäben effektiven Rechtsschutzes im Widerspruch. Art. 19 Abs. 4 GG mag der Anerkennung von Beurteilungsspielräumen nicht generell entgegenstehen. Dies setzt dann aber die Letztentscheidung der Verwaltung voraus und verbietet ein blindes Vertrauen auf privaten Sachverstand. 2. Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf (Art. 47 GRCh) Auch im Unionsrecht spielt die Gewährleistung von Rechtsschutz eine wichtige Rolle. Besonders eindrucksvoll zeigen sich die unionsrechtlichen Auswirkungen auch im nationalen Umweltrecht.73 Der Rechtsschutz wird hier gerade 68 Wahl, NVwZ 1991, 409 (418); Poscher, Geteilte Missverständnisse, in: Festschrift für Wahl, 2011, S. 527 (551). 69 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 – BVerfGE 83, 130 (151 ff.). 70 Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 (778); Papier, DÖV 1986, 621 (626). 71 Vgl. die Lösungsmöglichkeiten in E. II. auf S. 222 ff. 72 Vgl. die Rechtsprechungsanalyse in D. auf S. 96 ff. 73 Dabei ist vor allem an die Entwicklung der Verbandsklage, an die Erweiterung des Gerichtszugangs durch die Aarhus-Konvention (UN/ECE-Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, BGBl. 2006 II 1251), deren Umsetzung durch die Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie (Richtlinie 2003/35/EG) und das

I. Effektiver Rechtsschutz

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auch bezogen auf den Zugang zu Gericht erweitert. Dieser ist nun nicht mehr nur auf die Geltendmachung subjektiver Rechte beschränkt, sondern wurde für Umweltverbände auch auf die Einklagbarkeit objektiven Rechts erweitert.74 Außerdem wurden einschränkende Regelungen, wie die zur Präklusion, als unionsrechtswidrig aufgehoben.75 All diese Erleichterungen des Rechtsschutzes werden in der vorliegenden Arbeit außen vor bleiben. Lediglich die allgemeine Zielrichtung, den Rechtsschutz zu erweitern, darf nicht vergessen werden. Vorrangig wird aber die Effektivität des Rechtsschutzes und die Möglichkeit der Anerkennung von Letztentscheidungsbefugnissen der Verwaltung betrachtet. Die Effektivität des Rechtsschutzes wird auch auf europäischer Ebene garantiert, etwa in Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 EUV. Hierzu gewährt Art. 6 EMRK das Recht auf ein faires Verfahren. Art. 13 EMRK gewährleistet einen wirksamen Grundrechtsschutz durch die Möglichkeit, bei Verletzungen von Grundrechten der EMRK eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz einzulegen. Auch in der Grundrechtecharta wird in Art. 47 GRCh effektiver Rechtsschutz gewährleistet, um die Durchsetzung individueller Rechte des Unionsrechts zu sichern. Nach Art. 6 Abs. 1 EUV76 ist Art. 47 GRCh Teil des primären Unionsrechts. Auch hier müssen die Gerichte bezüglich der Grundrechte also die Befugnis zur umfassenden rechtlichen und tatsächlichen Überprüfung haben.77 a) Herleitung und allgemeine Garantie Somit beruht die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes auf europäischer Ebene auf Art. 6 und 13 EMRK sowie auf Art. 47 GRCh.78 Dabei orientiert sich Art. 47 GRCh an den in Art. 6 und 13 EMRK ausgestalteten Garantien und bildet so eine einheitliche Rechtsschutzgarantie. 79 Teils geht Art. 47 GRCh über die Garantien der EMRK hinaus, indem z. B. ein wirksamer Rechtsbehelf ausdrücklich bei einem Gericht gewährleistet wird.80 Da zudem die Rechte der GrundUmweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) zu denken. Zur Entwicklung s. Kahl/Gärditz, Umweltrecht, 11. Aufl. 2019, § 5 Rn. 4 ff. 74 Eine Novelle des UmwRG wurde erforderlich nach dem Urteil des EuGH, Urt. v. 12.5.2011, Trianel, Rs. C-115/09, ECLI:EU:C:2011:289 Rn. 42 ff. 75 In Folge von EuGH, Urt. v. 15.10.2015, KOM/Deutschland, Rs. C-137/14, ECLI: EU:C:2015:683 Rn. 75 ff. 76 Vertrag über die Europäische Union i. d. F. des Vertrags von Lissabon v. 13.12. 2007. 77 Vgl. hierzu EuGH, Urt. v. 15.5.1986, Johnston, Rs. C-222/84, ECLI:EU:C:1986: 206 Rn. 23 ff. 78 Lemke, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 47 GRCh Rn. 1. 79 Vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, Kohärenz, 2015, S. 51 f. 80 Folz, in: Vedder/Heintschel von Heinegg, Europäisches Unionsrecht, 2. Aufl. 2018, Art. 47 GRCh Rn. 2; Eser/Kubiciel, in: Meyer/Hölscheidt, GRCh, 5. Aufl. 2019, Art. 47 GRCh Rn. 3.

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C. Rechtliche Vorgaben

rechte-Charta, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, nach Art. 52 Abs. 3 GRCh die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie ihnen in der Konvention verliehen wurden, beschränken sich die Ausführungen im Folgenden auf die zentrale Garantienorm des Art. 47 GRCh. Nach Art. 47 Abs. 1 GRCh hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Nach Art. 47 Abs. 2 S. 1 GRCh hat zudem jede Person das Recht darauf, dass ihre Sache vor einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Nach Art. 47 Abs. 2 S. 2 GRCh kann sie sich beraten, verteidigen und vertreten lassen. Somit enthält Art. 47 Abs. 1 und 2 GRCh ein einheitliches Grundrecht.81 In Abs. 3 wird zudem die Prozesskostenhilfe geregelt. Ohne den Gebrauch der Worte „Grundsatz effektiven Rechtsschutzes“ sind hier zwei elementare Bausteine dieser Gewährleistung zu nennen, namentlich der Zugang zu Gericht (Abs. 1) und ein fairer und wirksamer Rechtsschutz (Abs. 2 und 3).82 Art. 47 GRCh ist akzessorisch ausgestaltet, bedarf also einer Verletzung subjektiver Rechte.83 Wie auch im Rahmen von Art. 19 Abs. 4 GG handelt es sich um einen normgeprägten Schutzbereich, welcher einer gesetzlichen Ausgestaltung bedarf.84 Die Garantie umfasst eine Überprüfung sowohl der Tatsachen- als auch der Rechtsgrundlage. Hierzu gibt der EuGH 85 vor, dass das Gericht die Maßnahmen der Exekutive jedenfalls auf Willkür und Unverhältnismäßigkeit hin überprüft. b) Letztentscheidungsrechte Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Europäische Unionsrecht zwar Spielräume der Verwaltung, aber nicht die Unterscheidung zwischen Ermessen auf Rechtsfolgenseite und Beurteilungsspielraum auf Tatbestandsseite kennt.86 81 Lemke, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 47 GRCh Rn. 2. 82 Vgl. Schmidt-Aßmann, Kohärenz, 2015, S. 52; Pabel, in: Grabenwarter, Europäischer Grundrechteschutz (EnzEur Bd. 2), 2014, § 19 Rn. 1. 83 Vgl. Alber, in: Stern/Sachs, EU-GRCh, 2016, Art. 47 GRCh Rn. 18; Pabel, in: Grabenwarter, Europäischer Grundrechteschutz (EnzEur Bd. 2), 2014, § 19 Rn. 26 f.; Schmidt-Aßmann, Kohärenz, 2015, S. 53. 84 Schmidt-Aßmann, Kohärenz, 2015, S. 56. 85 Vgl. EuGH, Urt. v. 22.10.2002, Roquette Frères, Rs. C-94/00, ECLI:EU:C:2002: 603 Rn. 52 ff. 86 Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Stand: Juli 2019, Vorb. § 113 VwGO Rn. 32; Adam, Die Kontrolldichte-Konzeption des EuGH und deutscher Gerichte, 1993, S. 29; auch in anderen Mitgliedstaaten ist eine Suche nach Parallelen vergebens, vgl. Böhm, DÖV 2000, 990 (994); Streinz, Europarecht, 11. Aufl. 2019,

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Stattdessen ist auf europäischer Ebene von einer einheitlich und umfassend verwendeten Entscheidungsfreiheit auszugehen.87 Das Unionsrecht unterscheidet nicht zwischen verschiedenen Erscheinungsformen von Verwaltungsfreiheiten und es ist zudem ungeklärt wie genau die Kontrolldichte ausgestaltet sein soll.88 Jedenfalls wird für die Letztentscheidungsrechte der Verwaltung einheitlich von einem eingeschränkten Kontrollmaßstab ausgegangen.89 Somit erkennt das Unionsrecht Spielräume der Verwaltung an.90 Im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten der EU ist das Verwaltungsrecht in Deutschland von einer besonders hohen materiellen Kontrolldichte gekennzeichnet.91 Diese intensive Kontrolldichte steht mit Art. 47 GRCh grundsätzlich in Einklang.92 Dabei sind die Einräumung von administrativen Letztentscheidungsrechten und die Rücknahme der Kontrolldichte in der Rechtsprechung des EuGH und der meisten mitgliedstaatlichen Gerichte anerkannt.93 Insbesondere werden Rn. 662; Guckelberger, Deutsches Verwaltungsprozessrecht unter unionsrechtlichem Anpassungsdruck, 2017, S. 217; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 280 ff.; Everling, NVwZ 1987, 1 (7 ff.). So spricht der EuGH im LeybuchtUrteil von einem Beurteilungsspielraum und im Santoña-Urteil von Ermessen, ohne dass hier an die deutsche Dogmatik angeknüpft würde, vgl. EuGH, Urt. v. 28.2.1991, Leybucht, Rs. C-57/89, ECLI:EU:C:1991:89 Rn. 12 und EuGH, Urt. v. 2.8.1993, Santoña, Rs. C-355/90, ECLI:EU:C:1993:331 Rn. 26. Vgl. auch Iven, NuR 1998, 528 (529). 87 Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Stand: Juli 2019, Vorb. § 113 VwGO Rn. 32; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 163; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 280; von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 361 f.; Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 561; van Vormizeele, Die Kontrolldichte bei der Würdigung komplexer wirtschaftlicher Sachverhalte durch die europäischen Gerichte, in: Festschrift für Schwarze, 2014, S. 771 (773 f.). 88 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 37; s. näher Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 7 ff.; Pache, DVBl. 1998, 380 (384). 89 Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Stand: Juli 2019, Vorb. § 113 VwGO Rn. 32. 90 Nehl, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar zu EUV, GRC, AEUV, 2017, Art. 47 GRCh Rn. 41; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, S. 446. Hinweise darauf enthalten auch bspw. Art. 261 und 263 AEUV. 91 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 183; Schmidt-Aßmann, Kohärenz, 2015, S. 19; Guckelberger, Deutsches Verwaltungsprozessrecht unter unionsrechtlichem Anpassungsdruck, 2017, S. 212. 92 Vgl. Guckelberger, Deutsches Verwaltungsprozessrecht unter unionsrechtlichem Anpassungsdruck, 2017, S. 216; Guckelberger, Referat 71. DJT, S. N 68. 93 Vgl. dazu Schlette, Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Ermessensakten in Frankreich, 1991, S. 344, 354 f.; Adam, Die Kontrolldichte-Konzeption des EuGH und deutscher Gerichte, 1993, S. 78 ff., 217 ff., 234; Oeter, in: Frowein, Kontrolldichte, 1993, S. 266 ff.; Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S. 119 ff., 175 ff.; Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, 1998, S. 169 ff.; Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001,

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C. Rechtliche Vorgaben

Wertungskompetenzen der Verwaltung respektiert.94 Erforderlich ist unionsrechtlich ein Mindestschutz, der zwar über eine Willkürkontrolle hinausgehen muss, aber nicht den strengen Vorgaben des Art. 19 Abs. 4 GG entspricht.95 Angenommen werden vom EuGH Spielräume aus funktionalen Gründen, z. B. bei komplexen technischen Beurteilungen96, bei komplexen wirtschaftlichen Sachverhalten97, bei sozialpolitischen Entscheidungen98 oder bei komplexen Prüfungen99. Neben wissenschaftlicher, technischer oder wirtschaftlicher Komplexität werden aber auch andere Gründe genannt.100 So stellt der EuGH 101 beispielsweise fest, dass „die Kommission in einem Verwaltungsverfahren, das komplexe technische Beurteilungen zum Gegenstand hat, über einen Beurteilungsspielraum verfügt, um ihre Aufgaben erfüllen zu können“. Spielräume werden dabei sehr großzügig bemessen und die Kontrolle wird regelmäßig auf eine Evidenzkontrolle beschränkt.102 Es wird geprüft, ob ein offensichtlicher Irrtum oder Fehler S. 193 ff.; von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 45 ff. (das britische Recht nimmt große Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit der Exekutive), S. 65 ff. (das französische Recht geht insgesamt von einer begrenzten gerichtlichen Nachprüfung aus). 94 Schmidt-Aßmann, Kohärenz, 2015, S. 54. 95 Schmidt-Aßmann, Kohärenz, 2015, S. 54 f.; Frenz, HdB Europarecht Bd. 4, 2009, Rn. 5054; vgl. auch Nowak, in: Terhechte, Verwaltungsrecht der EU, 2011, § 14 Rn. 22 f. 96 EuGH, Urt. v. 21.11.1991, TU München, Rs. C-269/90, ECLI:EU:C:1991:438 Rn. 13; Adam, Die Kontrolldichte-Konzeption des EuGH und deutscher Gerichte, 1993, S. 207. 97 EuGH, Urt. v. 22.1.1976, Balkan Import Export, Rs. C-55/75, ECLI:EU:C:1976:8 Rn. 8; EuGH, Urt. v. 12.7.1979, Kartoffelstärke, Rs. C-166/78, ECLI:EU:C:1979:195 Rn. 14; s. auch Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, 1996, S. 390 f.; Bleckmann, Ermessensfehlerlehre, 1997, S. 216 f.; Adam, Die Kontrolldichte-Konzeption des EuGH und deutscher Gerichte, 1993, S. 205; van Vormizeele, Die Kontrolldichte bei der Würdigung komplexer wirtschaftlicher Sachverhalte, in: Festschrift für Schwarze, 2014, S. 771 (775 ff.). 98 EuGH, Urt. v. 12.11.1996, Vereinigtes Königreich/Rat, Rs. C-84/94, ECLI:EU: C:1996:431 Rn. 58. 99 EuGH, Urt. v. 21.1.1999, Upjohn, Rs. C-120/97, ECLI:EU:C:1999:14 Rn. 34; Adam, Die Kontrolldichte-Konzeption des EuGH und deutscher Gerichte, 1993, S. 207 f. 100 Herdegen/Richter, in: Frowein, Kontrolldichte, 1993, S. 244 ff. nennen insbesondere „fachliche Gesichtspunkte“, „soziale Wertungen“ und den „technischen Charakter der Prüfung“. 101 EuGH, Urt. v. 21.11.1991, TU München, Rs. C-269/90, ECLI:EU:C:1991:438 Rn. 13. 102 Vgl. EuGH, Urt. v. 22.10.2002, Roquette Frères, Rs. C-94/00, ECLI:EU:C:2002: 603 Rn. 52 ff.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 233. Eine sog. Willkürkontrolle reicht gerade nicht aus, vgl. Frenz, HdB Europarecht Bd. 4, 2009, Rn. 5054; Nowak, in: Heselhaus/Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte, 2006, § 51 Rn. 45; Schmidt-Aßmann, Kohärenz, 2015, S. 54 f.; Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Stand: Juli 2019, Vorb. § 113 VwGO Rn. 32.

I. Effektiver Rechtsschutz

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des entscheidenden Organs vorliegt oder die Grenzen des Spielraums offensichtlich überschritten wurden.103 Die Würdigung des Sachverhalts und die umfassende Kontrolle des Verwaltungsverfahrens wiegt den Beurteilungsspielraum quasi auf.104 Geht es etwa um wirtschaftliche oder soziale Sachverhalte, kann die Kontrolle durchaus reduziert sein. In diesen Fällen ist die Prüfpflicht beschränkt auf die Einhaltung der Verfahrens- und Formvorschriften, die Ermittlung des korrekten Sachverhalts und auf offensichtliche Ermittlungsfehler.105 Nicht ausreichend ist es dagegen, die administrative Entscheidung lediglich einer Willkürkontrolle zu unterwerfen.106 Zum Kontrollprogramm des Unionsrechts zählt nach dem EuGH 107 „insbesondere die Verpflichtung des zuständigen Organs, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalles zu untersuchen, das Recht des Betroffenen, seinen Standpunkt zu Gehör zu bringen, und das Recht auf ausreichende Begründung der Entscheidung. Nur so kann der Gerichtshof überprüfen, ob die für die Wahrnehmung des Beurteilungsspielraums maßgeblichen sachlichen und rechtlichen Umstände vorgelegen haben“. Je nach Rechtsgebiet kann das Kontrollprogramm hiervon abweichen.108 Dem aufgezeigten Kontrollprogramm entspricht aber auch die Überprüfung von Beurteilungsspielräumen im deutschen Recht. Ein Verstoß gegen EU-Recht läge zudem nur vor, wenn Abweichungen durch Mitgliedstaaten nicht toleriert würden. Eine EU-weite einheitliche Kontrolldichte 103 So EuGH, Urt. v. 22.1.1976, Balkan Import Export, Rs. C-55/75, ECLI:EU: C:1976:8 Rn. 8; EuGH, Urt. v. 12.11.1996, Vereinigtes Königreich/Rat, Rs. C-84/94, ECLI:EU:C:1996:431 Rn. 58; EuGH, Urt. v. 21.1.1999, Upjohn, Rs. C-120/97, ECLI: EU:C:1999:14 Rn. 34 mit Verweis auf zahlreiche weitere Urteile; vgl. auch von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 368 f.; Adam, Die Kontrolldichte-Konzeption des EuGH und deutscher Gerichte, 1993, S. 217 ff.; Nowak, in: Terhechte, Verwaltungsrecht der EU, 2011, § 14 Rn. 22 f. 104 Vgl. Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 545. 105 Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (196); Dörr, DVBl. 2008, 1401 (1406); Nowak, in: Terhechte, Verwaltungsrecht der EU, 2011, § 14 Rn. 22 m.w. N. Vgl. dazu aber auch die Rechtsprechung des EuGH, der auch bei komplexen wirtschaftlichen Fragen und einer Bewertung dieser durch die Kommission eine unbeschränkte Nachprüfung durch das EuG fordert, die nicht auf offensichtliche Fehler beschränkt ist, EuGH, Urt. v. 10.7.2014, Telefonica, Rs. C-295/12P, ECLI:EU:C:2014:2062 Rn. 50 ff., 54, m. Anm. Seitz, EuZW 2014, 774 (776). 106 EuGH, Urt. v. 21.1.1999, Upjohn, Rs. C-120/97, ECLI:EU:C:1999:14 Rn. 34; EuGH, Urt. v. 18.6.2002, Hospital Ingenieure, Rs. C-92/00, ECLI:EU:C:2002:379 Rn. 63 f., m. Anm. Bauer/Kegel, EuZW 2002, 497 (503); vgl. zu den Voraussetzungen der gerichtlichen Kontrolle Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (196). 107 EuGH, Urt. v. 21.11.1991, TU München, Rs. C-269/90, ECLI:EU:C:1991:438 Rn. 14; vgl. hierzu Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 234. 108 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 234.

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C. Rechtliche Vorgaben

ist aber gerade nicht unionsrechtlich gefordert.109 Den Mitgliedstaaten obliegt vielmehr die Verfahrensautonomie. Sie können die Breite und Tiefe der gerichtlichen Kontrolle in ihren Verfahrensordnungen selbst regeln.110 Als Doppelschranke fungierten die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität.111 Diese sind jedoch beide nicht verletzt. Denn die deutsche Kontrolldichte geht über den auf der EU-Ebene geforderten Mindeststandart hinaus.112 Im Ergebnis kann daher festgehalten werden, dass die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen und die Rücknahme gerichtlicher Kontrolle mit dem EU-Recht nicht in Konflikt stehen. 3. Fazit Das dargestellte Spannungsverhältnis zwischen Beurteilungsspielräumen und effektivem Rechtsschutz lässt sich nicht vollständig auflösen. Nur durch eine restriktive Handhabung kann davon ausgegangen werden, dass die Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle im Rahmen von Beurteilungsspielräumen mit dem Grundsatz effektiven Rechtsschutzes in Einklang steht. Dies gilt stets nur unter der Prämisse, dass die Verwaltung zu einer eigenverantwortlichen Entscheidung in der Lage und gewillt ist und sich externen Sachverstand nicht ungeprüft zu eigen macht. Mit Blick auf die naturschutzrechtliche Praxis bestehen hier Bedenken, sodass Rechtsschutzdefizite nicht auszuschließen sind. Von einer weitgehenden oder leichtfertigen Annahme von Beurteilungsspielräumen muss daher abgesehen werden.113

II. Sonstige Grundrechte Problematisch erscheint die Rücknahme gerichtlicher Kontrolle zudem dort, wo Freiheitsgrundrechte betroffen sind. Der Beurteilungsspielraum wird stets zu Lasten eines Beteiligten ausgeübt, dessen Grundrechte durch die Abweichung 109 Schoch, Gerichtliche Verwaltungskontrollen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, GVwR III, 2. Aufl. 2013, § 50 Rn. 265; Nehl, in: Pechstein/Nowak/ Häde, Frankfurter Kommentar zu EUV, GRC und AEUV, 2017, Art. 47 GRCh Rn. 39; Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrechtliche Dogmatik, 2013, S. 118. 110 Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Stand: Juli 2019, Vorb. § 113 VwGO Rn. 30; Gärditz, Gutachten D zum 71. DJT, 2016, S. 81 m.w. N. 111 Nach dem Grundsatz der Äquivalenz dürfen innerstaatlich festgelegte Verfahrensmodalitäten nicht ungünstiger sein als die für ähnliche interne Sachverhalte geltenden Regelungen. Nach dem Grundsatz der Effektivität darf die Ausübung der sich aus der Unionsrechtsordnung ergebenden Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden. Vgl. Nehl, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar zu EUV, GRC und AEUV, 2017, Art. 47 GRCh Rn. 4. 112 Schoch, Gerichtliche Verwaltungskontrollen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, GVwR III, 2. Aufl. 2013, § 50 Rn. 265. 113 Ob die recht weitreichende Annahme von Beurteilungsspielräumen im Naturschutzrecht noch mit den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG in Einklang steht, ist in Abschnitt D. näher zu betrachten.

II. Sonstige Grundrechte

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vom Grundsatz der Vollkontrolle berührt werden.114 Betroffen sind dabei etwa im Bereich des Naturschutzrechts regelmäßig Grundrechte aus Art. 12, 14 und 2 GG.115 Dabei kommt der gerichtlichen Kontrolle eine gewisse Kompensationsfunktion bei intensiven Grundrechtseingriffen zu.116 Der Gesetzgeber hat in den grundlegenden Bereichen alle wesentlichen Punkte selbst zu regeln. Er ist bei der Ausgestaltung der Beurteilungsspielräume an die Grundrechte gebunden.117 Daraus folgt aber keine generelle Grundrechtsabhängigkeit der gesamten Kontrolldichteproblematik und es besteht auch kein generelles Verbot der Beschränkung der Kontrolldichte, wenn Grundrechte betroffen sind.118 Die teils getätigte Feststellung, dass die Nachprüfungsbefugnis umso weiter geht, je nachhaltiger ein Grundrechtseingriff ist, ist zu pauschal.119 Denn es bedeutet nicht, dass bei fehlender Grundrechtsbetroffenheit automatisch vom Grundsatz vollständiger Kontrolle abgewichen werden darf.120 Außerdem erscheinen eine pauschale Differenzierungsmöglichkeit zwischen Grundrechtseingriffen und sonstigen Eingriffen und eine sich daran anschließende unterschiedliche Kontrollintensität nicht handhabbar.121 Im Ergebnis kann die Grundrechtsbezogenheit einer Einzelentscheidung entgegenstehen und eine richterliche Vollkontrolle erforderlich machen.122 Denn gefordert ist eine wirkungsvolle, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte Kontrolle etwaiger Grundrechtsbeeinträchtigungen.123 Die gerichtliche Kontrolle muss für einen wirkungsvollen Grundrechts-

114 Vgl. Lenz, DVBl. 2018, 605 (607), der für das nachfolgend zu betrachtende Naturschutzrecht konkret seitens des Vorhabenträgers sowohl die Berufs- als auch die Eigentumsgarantie (Art. 12, 14 GG) und seitens der Einwender die klassischen Abwehrgrundrechte sowie die allgemeine Rechtsdurchsetzung insbesondere der Umweltverbände aufführt. 115 Vgl. Lenz, DVBl. 2018, 605 (607). 116 Schenke, in: Bonner Kommentar Grundgesetz, 200. Akt. Stand: Sept. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 540. 117 Vgl. Eichberger, NVwZ-Beilage 2013, 18 (21); BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (22 f.). 118 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 180a. 119 So aber Redeker, NVwZ 1992, 305 (309); Schulze-Fielitz, in: Dreier, 3. Aufl. 2013, Art. 19 Abs. 4 Rn. 131 m.w. N. Dies zu Recht als zu undifferenziert bezeichnend Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 180a; Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Stand: Juli 2019, Einleitung, Rn. 187. 120 Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (621). 121 Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (618). 122 Redeker, NVwZ 1992, 305 (308). 123 Wallerath, Allg. Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2009, § 7 Rn. 91; vgl. aus der Rechtsprechung BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 u. 213/83 – BVerfGE 84, 34 (54).

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C. Rechtliche Vorgaben

schutz zweckgerichtet, geeignet und angemessen bleiben.124 Umgekehrt kann eine Grundrechtsbetroffenheit gerade die Rücknahme der Kontrolldichte verlangen.125 Verschiedene Entscheidungen haben gezeigt, dass Beurteilungsspielräume in grundrechtsrelevanten Bereichen restriktiv angewandt werden.126 Betroffene Einzelgrundrechte waren hier insbesondere Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG (Kunstfreiheit), Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG, Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG (im Prüfungsrecht) sowie Art. 33 Abs. 2 GG (im Beamtenrecht).127 Zudem stellt das Willkürverbot nach Art. 3 Abs. 1 GG eine Grenze dar. Festzuhalten bleibt aber, dass auch wenn Grundrechte durch die Entscheidung betroffen sind, die Annahme von Beurteilungsspielräumen grundsätzlich möglich ist.128 Hierfür spricht vor allem, dass es sogar einen größeren Grundrechtsschutz bedeuten kann, wenn die gerichtliche Kontrolldichte reduziert wird.129 Die Kontrolldichte bemisst sich daher nach dem der Rechtsanwendung zugrundeliegenden Entscheidungsprogramm und nicht nach dem Gewicht des Grundrechtseingriffs im Einzelfall.130 Grundrechte führen im Ergebnis also nicht zu einer generellen Abkehr von der Rechtsfigur der Beurteilungsspielräume. Gleichwohl wird deutlich, dass deren Anwendungsfeld möglichst gering gehalten werden muss.131

III. Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG) Des Weiteren kann das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2, 28 Abs. 1 S. 1 GG) der Anerkennung von Beurteilungsspielräumen entgegenstehen. Das 124 Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 114 VwGO Rn. 91; BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 u. 213/83 – BVerfGE 84, 34 (53); BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 – 1 BvR 1529/87 u. a. – BVerfGE 84, 59 (78). 125 So insbesondere bei Prüfungsentscheidungen, s. o. B. IV. 1. auf S. 49 f. 126 BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 – BVerfGE 83, 130 (145), Mutzenbacher-Entscheidung: Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG); BVerfG, Beschl. v. 22.10.1991 – 1 BvR 393, 610/85 – BVerfGE 85, 36 (59 f.), Entscheidung zum Zugang zum Hochschulstudium (Art. 12 Abs. 1 GG); BVerfG, Beschl. v. 16.12.1992 – 1 BvR 167/87 – BVerfGE 88, 40 (50 ff.), Entscheidung zur Zulassung einer privaten Volksschule: „besonderes pädagogisches Interesse“ (Art. 7 Abs. 5 GG). Vgl. zur Grundrechtsabhängigkeit des Beurteilungsspielraums Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 (776). 127 Vgl. hierzu die Nachweise bei Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 167 ff. 128 Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772 (778); Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (621). Gleichwohl kann die Grundrechtsbezogenheit der Annahme eines Beurteilungsspielraums im Einzelfall auch entgegenstehen, vgl. Redeker, NVwZ 1992, 305 (308). 129 So z. B. der Grundsatz der Chancengleichheit im Prüfungsrecht, vgl. Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (622); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 180a. 130 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 180a. 131 So auch Beaucamp, JA 2002, 314 (315).

III. Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG)

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Demokratiegebot (i.V. m. dem Rechtsstaatsprinzip) verpflichtet den Gesetzgeber, die für die Grundrechte maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln der Exekutive zu überlassen.132 Dieser demokratische Vorbehalt des Gesetzes stellt sicher, dass die wesentlichen Entscheidungen durch das demokratisch legitimierte Parlament getroffen werden.133 Somit ist der Gesetzgeber bei bestehenden Erkenntnisdefiziten also durch den Wesentlichkeitsgrundsatz zur untergesetzlichen Maßstabsbildung verpflichtet.134 Art. 20 Abs. 2 GG beschreibt den Grundgedanken des demokratischen Prinzips damit, dass alle staatliche Gewalt bzw. die Ausübung staatlicher Befugnisse auf die Legitimation durch den Volkswillen zurückführbar sein muss. Demokratie meint damit die Herrschaft des Volkes. Das Volk ist Träger der Staatsgewalt und damit Legitimationssubjekt.135 Es übt die Staatsgewalt (Legitimationsobjekt) durch Wahlen und Abstimmungen (unmittelbar) und (mittelbar) durch die staatlichen Organe aus (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG). Jede Ausübung staatlicher Macht muss also auf das Volk durch eine ununterbrochene Legitimationskette zurückgeführt werden können.136 So entsteht ein „Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft“.137 Das Volk ist dabei nur der Ursprung, nicht aber der Akteur des hoheitlichen Handelns.138 Allein das Parlament ist unmittelbar demokratisch legitimiert.139 Es ist daher Ausgangspunkt der mittelbaren Legitimation. Von ihm ausgehend führt jede Legitimationskette vom Volk über die Volksvertretung zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Perso-

132

BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 – BVerfGE 83, 130 (142). Gärditz, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar Grundgesetz Bd. 2, Stand: Nov. 2019, Art. 20 GG Rn. 130. 134 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54 Rn. 24); Reinhardt, NVwZ 2019, 195 (196). Auch materielle Gesetze können den demokratischen Vorbehalt des Gesetzes verfassungskonform ausfüllen, Gärditz, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar Grundgesetz Bd. 2, Stand: Nov. 2019, Art. 20 GG Rn. 140. 135 Degenhart, Staatsrecht I, 35. Aufl. 2019, Rn. 26. 136 Dieses Konzept wurde maßgeblich von Böckenförde entwickelt und ist bis heute entscheidend: Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 73 f.; Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 16, Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: HStR III, 3. Aufl. 2005, § 34 Rn. 17. Statt vieler Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 480; Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, § 7 Rn. 199; Schnapp, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, 6. Aufl. 2012, Art. 20 GG Rn. 23; BVerfG, Beschl. v. 15.2.1978 – 2 BvR 134, 268/76 – BVerfGE 47, 253 (275); BVerfG, Urt. v. 31.10.1990 – 2 BvF 3/89 – BVerfGE 83, 60 (72 f.). 137 BVerfG, Urt. v. 31.10.1990 – 2 BvF 3/89 – BVerfGE 83, 60 (71 f.). 138 Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 18. 139 Hieraus darf aber kein Gewaltenmonismus in Form eines allumfassenden Parlamentsvorbehaltes abgeleitet werden, vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (125). 133

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C. Rechtliche Vorgaben

nen.140 Gleichzeitig begründet dies aber auch die starke demokratische Legitimation der Legislative und die zentrale Rolle des Gesetzes als Handlungsform des demokratischen Rechtsstaats.141 Als Legitimationsformen treten neben die organisatorisch-personelle Legitimation auch die sachlich-inhaltliche und die funktionell-institutionelle Legitimation. Im Ergebnis muss, unabhängig von dem jeweiligen Weg der Legitimation, jedenfalls ein hinreichendes Legitimationsniveau erreicht werden.142 Alle drei Gewalten sind in funktionell-institutioneller Hinsicht bereits durch die in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG getroffene Entscheidung des Verfassungsgebers legitimiert.143 In sachlich-inhaltlicher Hinsicht sind die drei Gewalten hinsichtlich der Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) grundsätzlich gleich stark legitimiert. Zusätzlich bestehen bei der Verwaltung Kontrollrechte über die jeweils Bestellten (vgl. Art. 64 und 65 GG).144 Denn jeder Beamte ist an die Weisungen seines Vorgesetzten gebunden.145 Betrachtet man die personelle Legitimation, also die Legitimationsketten, so wird deutlich, dass die demokratische Legitimation der Behörde höher ist als die der Gerichte. Die Behörden sind der Bundesregierung nachgeordnet und leiten ihre personelle Legitimation von der Regierung ab. Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler, der vom unmittelbar durch das Volk gewählten Parlament gewählt wird, und den vom Bundeskanzler ernannten Bundesministern (Art. 62 GG). Dadurch lässt sich die ununterbrochene Legitimationskette bis in die kleinste Verästelung über die jeweiligen Beamten bis zum zuständigen Fachminister, der vom Bundeskanzler ernannt wurde, zurückverfolgen.146 Die Gerichte schöpfen ihre sachlich-inhaltliche Legitimation wie die Exekutive aus Art. 20 Abs. 3 GG. Nach Art. 97 Abs. 1 GG sind sie dem Gesetze unterworfen.147 Auch die Urteilsverkündung erfolgt nach § 311 Abs. 1 ZPO „Im Namen des Volkes“. Gerade wenn den gerichtlichen Entscheidungen aber abstraktgenerelle Wirkung zukommt (z. B. richterliche Rechtsfortbildung), tritt die inhaltliche Legitimation in den Hintergrund, sodass dann die personelle Legitimation 140 Badura, Staatsrecht, 7. Aufl. 2018, D Rn. 11; BVerfG, Beschl. v. 1.10.1987 – 2 BvR 1178 u. a. – BVerfGE 77, 1 (40); BVerfG, Urt. v. 31.10.1990 – 2 BvF 3/89 – BVerfGE 83, 60 (72 f.). 141 Vgl. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 160 f. 142 Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 481; Voßkuhle/Sydow, JZ 2002, 673 (675). 143 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (125). 144 Leisner, in: Sodan, Grundgesetz, 4. Aufl. 2018, Art. 20 GG Rn. 10. 145 Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 20 GG Rn. 41. 146 Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, 41. Ed. Stand: 15.2.2019, Art. 20 GG Rn. 94; Schnapp, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, 6. Aufl. 2012, Art. 20 GG Rn. 26. 147 Zur legitimierenden Kraft der Gesetzesbindung vgl. Voßkuhle/Sydow, JZ 2002, 673 (678 f.).

III. Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG)

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(kompensierend) größer sein muss.148 Allerdings ist gerade die personelle Legitimationskette problematisch.149 Diese ergibt sich aus der Wahl der Richter (Art. 94 und 95 GG).150 Je nach Zusammensetzung der Richterwahlausschüsse (Art. 95 Abs. 2, 98 Abs. 4 GG) tritt bereits hier die Problematik personeller Legitimation zutage.151 Auch wurde von der Mitwirkungsmöglichkeit von Richterwahlausschüssen auf Landesebene nur teilweise Gebrauch gemacht.152 Außerdem fehlt dem richterlichen Ernennungsakt eine bei den anderen Gewalten auftretende vergleichbare Steuerungswirkung.153 Da Richter durch die justizielle Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG zudem nicht an Weisungen gebunden sind, ist die personelle Legitimation – im Gegensatz zu den Amtswaltern der Exekutive – nicht durch Kontrollrechte gesichert.154 Es besteht allein eine gewisse gewalteninterne Kontrolle im Rahmen des Instanzenzuges.155 Das Demokratieprinzip steht hier in einem Widerstreit mit der Unabhängigkeitsgewähr.156 Umgekehrt wird die inhaltliche demokratische Legitimation der Richter durch diese Unabhängigkeit verstärkt.157 Ergänzend können „weiche“ Legitimationsfaktoren wie Akzeptanz, Partizipation der Betroffenen und Öffentlichkeitskontrolle hinzutreten.158 So beruht die demokratische Legitimation der Exekutive auf einer personenbezogenen Ernennungs- und Weisungskette. Demgegenüber ist bei der Judikative allein die Steuerung durch gesetzliche Bindung entscheidend.159 Somit ist die demokratische Legitimation der Behörden größer als diejenige der Gerichte. Im Ergebnis ist also festzustellen, dass die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen der Verwaltung mit Blick auf das Demokratieprinzip unbedenklich ist. Zum einen ist die Behörde im Vergleich zum Gericht direkter und stärker 148 Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, § 7 Rn. 229. Vgl. die besondere Ausgestaltung der Wahl der Bundesrichter (Art. 95 Abs. 2 GG) und der Richter des Bundesverfassungsgerichts (Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG). 149 Nach Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 1, verliert ein personenzentriertes Legitimationsszenario gar seine Überzeugungskraft. 150 Leisner, in: Sodan, Grundgesetz, 4. Aufl. 2018, Art. 20 GG Rn. 10. 151 Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 20 GG Rn. 45; Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 80 ff. 152 Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, § 23 Rn. 60; vgl. Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 340 ff., 368 ff. 153 Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 2. 154 Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, § 7 Rn. 228; Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 72. 155 Vgl. Voßkuhle/Sydow, JZ 2002, 673 (679). 156 Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 2. 157 Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 147. 158 So Voßkuhle/Sydow, JZ 2002, 673 (680 ff.). 159 Im Ergebnis entspricht auch die Judikative sowohl einem restriktiven als auch einem weiten Demokratieverständnis; vgl. Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 378 f.

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C. Rechtliche Vorgaben

demokratisch legitimiert. Zum anderen beruht die Legitimation des Gerichts ja gerade auf der gesetzlichen Bindung, welche vom Gesetzgeber bestimmt wird. In diesem Rahmen können auch Beurteilungsspielräume festgelegt werden. So steht das Demokratieprinzip der Anerkennung von Beurteilungsspielräumen nicht entgegen.160 Es kann aber umgekehrt auch nicht zur Begründung der Beurteilungsspielräume herangezogen werden.161 Andernfalls würde die stärkere demokratische Legitimation der Verwaltung einer Kontrolle durch die schwächer demokratisch legitimierten Gerichte stets entgegenstehen und das Gewaltenteilungsgefüge belasten.

IV. Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 S. 1 GG) Auch aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt die Pflicht unabhängiger Gerichte zur effektiven Kontrolle der Verwaltung.162 Diese Rechtskontrolle trifft den Kern, ja das Wesen des Rechtsstaates. Es gilt daher das zu Art. 19 Abs. 4 GG Gesagte. Zudem dient der rechtsstaatliche Vorbehalt des Gesetzes der Berechenbarkeit und Transparenz der Rechtsanwendung und damit letztlich der Rechtssicherheit.163 Normative Maßstäbe sind hierfür unabdingbar, um einerseits Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit objektiv zu trennen und andererseits eine vereinfachte Handhabung komplexer Fallstrukturen durch die Verwaltung zu ermöglichen.164 Dabei stellt sich die Frage, ob es in einem Rechtsstaat überhaupt unbestimmte Rechtsbegriffe geben darf.165 Dazu müssen der Gewaltenteilungsgrundsatz (1.), der Bestimmtheitsgrundsatz (2.) und das Prinzip der Rechtssicherheit (3.) näher betrachtet werden. 1. Gewaltenteilungsgrundsatz (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) Der Gewaltenteilungsgrundsatz nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ist durch Beurteilungsspielräume gleich in zweifacher Hinsicht betroffen. Zum einen im Verhältnis von Gesetzgebung und Verwaltung, zum anderen zwischen der Verwaltung 160 Auch dies gilt nur unter der Prämisse, dass die Verwaltung tatsächlich selbst entscheidet und die Entscheidung nicht faktisch an Private abtritt. 161 Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 166; vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.1.2014 – 3 B 29/13 – NVwZ 2014, 450 (451 Rn. 13 ff.). 162 BVerfG, Beschl. v. 18.7.1973 – 1 BvR 23, 155/73 – BVerfGE 35, 382 (401); Detterbeck, Allg. Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2019, Rn. 359; Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 20 GG Rn. 162. 163 Gärditz, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar Grundgesetz Bd. 2, Stand: Nov. 2019, Art. 20 GG Rn. 131. 164 Vgl. Gärditz, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar Grundgesetz Bd. 2, Stand: Nov. 2019, Art. 20 GG Rn. 131 ff. 165 Ule, Zur Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Verwaltungsrecht, in: Gedächtnisschrift für Jellinek, 1955, S. 309 (314 f.).

IV. Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 S. 1 GG)

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und den Gerichten. Hierdurch wird deutlich, dass es sich um ein spezifisches Problem des Verwaltungsrechts handelt. Zwar werden auch in anderen Rechtsgebieten unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet (z. B. „Treu und Glauben“ i. S. d. § 242 BGB166). Lediglich im Verwaltungsrecht erfolgt aber die Zwischenschaltung der Behörde, die für die Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe zuständig ist. Nur hier stehen sich die Verwaltung als Normvollzugsorgan und die kontrollierenden Verwaltungsgerichte gegenüber. Allein die Exekutive „gewinnt“ durch die Einräumung von Beurteilungsspielräumen: Denn ihre Entscheidung wird nicht umfassend kontrolliert und in der Folge auch seltener aufgehoben.167 Als wesentlicher Bestandteil der Rechtsstaatlichkeit stellt die Gewaltenteilung ein tragendes Organisations- und Funktionsprinzip des Grundgesetzes dar.168 Dieses Prinzip sieht die klassische Dreiteilung in Legislative, Exekutive und Judikative vor. Der Legislative obliegt primär die Normsetzung, der Exekutive die Vollziehung der Gesetze und der Judikative die Rechtsprechung. Gewährleistet wird hierdurch eine Mäßigung der Staatsherrschaft durch ein Ineinandergreifen der drei Staatsgewalten und die Verhinderung totaler politischer Machtkonzentration.169 Dies wird insbesondere durch gegenseitige Kontrolle („checks and balances“) gesichert.170 Neben dieses System der Gewaltenbalancierung tritt zudem die sachgerechte Funktionenordnung.171 Durch eine sachgemäße Bestimmung und Zuordnung staatlicher Funktionen werden die Anforderungen der modernen Gesellschaft effektiv erfüllt. Gleichzeitig sind Überschneidungen der drei Gewalten möglich, sodass auch der Gewaltenteilungsgrundsatz der Einräumung von Beurteilungsspielräumen und damit einer Funktionsverschiebung nicht zwingend entgegensteht. Eine starre systematische Trennung und eine zwingende judikative Totalkontrolle folgen aus diesem Prinzip nicht.172 Vielmehr bestehen Rücksichtnahmepflichten und Gewaltenverschränkungen.173 166 Bürgerliches Gesetzbuch i. d. F. d. B. v. 2.1.2002 (BGBl. I S. 42, ber. S. 2909 und BGBl. 2003 I S. 738) z. g. d. G. v. 20.11.2019 (BGBl. I S. 1724). 167 Lenz, DVBl. 2018, 605 (606). 168 Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 20 GG Rn. 81. Zur Eigenständigkeit der Gewaltengliederung vgl. Gärditz, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar Grundgesetz Bd. 2, Stand: Nov. 2019, Art. 20 GG Rn. 214 f. 169 Vgl. Adam, Die Kontrolldichte-Konzeption des EuGH und deutscher Gerichte, 1993, S. 199; Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 176. 170 Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 408 ff.; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 20 GG Rn. 33. 171 Zur Funktionsadäquanz der Gewalten vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 20 GG Rn. 50 ff.; Mager, StudZR 2016, 255 (260). 172 Adam, Die Kontrolldichte-Konzeption des EuGH und deutscher Gerichte, 1993, S. 199. 173 Vgl. zu den Vermischungen Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 20 GG Rn. 85 ff.

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C. Rechtliche Vorgaben

Die Legislative ist zur Modifikation des Gewaltenteilungsgrundsatzes befugt.174 Die Bereiche, in denen die Exekutive nur eingeschränkt von der Judikative kontrolliert wird, werden demgemäß von der Legislative festgelegt.175 Somit kann der Gesetzgeber, durch die Einräumung entsprechender Spielräume, die verfassungsrechtliche Rollenverteilung zwischen Exekutive und Judikative verändern.176 Darin zeigt sich jedoch die weitreichende Abhängigkeit der Verwaltung vom Gesetzesrecht. Nach Art. 20 Abs. 3 GG unterliegt die Verwaltung der Gesetzesbindung und wird daher durch den Gesetzgeber dirigiert.177 Die mit der Anerkennung von Beurteilungsspielräumen zusammenhängende Kontrolldichte-Problematik ist damit ein Problem der Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Exekutive und Judikative. Je nach Vollzugsorgan können Entscheidungen unterschiedlich ausfallen, aber jeweils gesetzmäßig sein. Herauszuarbeiten ist daher, welches Organ nach Funktion, Zusammensetzung und Verfahren am ehesten in der Lage ist, zu richtigen Entscheidungen zu gelangen.178 Wird das Ziel der richterlichen Vollkontrolle verfolgt, ist es gerade Aufgabe der Gerichte Kontrolle zu üben und Recht zu sprechen. Als Stichwort ist die richterliche (persönliche und sachliche) Unabhängigkeit zu nennen, welche die Objektivität der Entscheidung sichert, sie politischen Einflüssen entzieht und sie an bestehende Verfahrensvorschriften bindet.179 Die Autorität des Richters ergibt sich zudem aufgrund seiner Sachkompetenz.180 Die Richter sind dem Gesetz strikt unterworfen (Art. 97 GG). Demnach geht das Grundgesetz davon aus, dass die Richter „die Rechte der Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren können“.181 Aus dem Gewaltenteilungsprinzip folgt, dass die Verwaltung die vom Gesetzgeber gesetzten Ziele zu verwirklichen hat.182 Liegt es dabei in der Verantwortung der Verwaltung, die normierten Ziele zu erreichen, so soll der Verwaltung in bestimmten Grenzen dann auch die Letztverantwortung für die zu treffenden Ent174 Adam, Die Kontrolldichte-Konzeption des EuGH und deutscher Gerichte, 1993, S. 200. 175 Vgl. Redeker, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 114 VwGO Rn. 34. Vgl. hierzu auch die normative Ermächtigungslehre, s. o. B. III. 1. auf S. 37 ff. 176 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (22); Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (194). 177 Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (193). 178 BVerfG, Urt. v. 18.12.1984 – 2 BvE 13/83 – BVerfGE 68, 1 (86); BVerfG, Beschl. v. 17.7.1996 – 2 BvF 2/93 – BVerfGE 95, 1 (15); BVerfG, Urt. v. 14.7.1998 – 1 BvR 1640/97 – BVerfGE 98, 218 (251 f.). Vgl. auch Classen, Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S. 134. 179 Redeker, NVwZ 1992, 305 (306). 180 Classen, Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S. 134. 181 BVerfG, Urt. v. 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00 – BVerfGE 103, 142 (151). 182 Redeker, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 114 VwGO Rn. 33.

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scheidungen zukommen.183 Der Exekutive muss daher ein eigenständiger Gestaltungsauftrag verbleiben, um ihrer Funktion als eigenständige Gewalt gerecht zu werden. Die in diesem Zusammenhang getroffenen Entscheidungen dürfen nur einer begrenzten gerichtlichen Überprüfung unterliegen.184 Die Verwaltung ist aber kein durch das Gesetz vollkommen gesteuerter Mechanismus, der über keine Eigenständigkeit innerhalb der ihm zugeschriebenen Vollzugsfunktionen verfügt.185 Vernünftigerweise erschöpft sich die Arbeit der Verwaltung nicht im bloßen maschinenmäßigen Gesetzesvollzug. Sie setzt nicht lediglich Befehle der Gesetzgebung um.186 Sie hat vielmehr eine eigenständige Stellung.187 Der Gesetzesvollzug bedarf stets weiterer Konkretisierungen und erschöpft sich gerade nicht in einer schematischen Ableitung fertiger Antworten.188 Letztendlich soll die Judikative nicht zum Ersatz-Gesetzgeber werden, wenn die Legislative außer Stande war, die Entscheidung selbst zu treffen und sie so bewusst der Exekutive überlassen hat.189 Hier ist die Exekutive demokratisch legitimiert, selbst gestaltend tätig zu werden.190 Die Judikative soll andererseits nicht zur Ersatz-Verwaltung werden, denn ihr ist ausschließlich die rechtsprechende Gewalt anvertraut.191 Jede Gewalt hat den Funktionsbereich der anderen Gewalten zu respektieren.192 Zwar kann das Gewaltenteilungsprinzip nicht als Argument für die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen herangezogen werden. Umgekehrt steht es diesen aber auch nicht dergestalt entgegen, dass von ihrer Anerkennung gänzlich abgesehen werden muss. Zwar stellte das BVerfG 193 kürzlich fest, „dass im gewaltenteiligen Staat des Grundgesetzes die letztverbindliche Normauslegung und 183 Redeker, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 114 VwGO Rn. 33; so für das Artenschutzrecht de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote in der Fachplanung, 2. Aufl. 2013, Rn. 77. 184 Redeker, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 114 VwGO Rn. 1. 185 Zu erinnern ist hier an die Maschinen-Metapher in der Staatslehre. Vgl. SchmidtAßmann, Das allg. Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, Viertes Kapitel Rn. 41 m.w. N. 186 Vgl. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 163 m.w. N. 187 Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (193). 188 Schmidt-Aßmann, Das allg. Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, Viertes Kapitel Rn. 38. 189 Vgl. hierzu Herzog, NJW 1992, 2601 (2604). 190 Zur größeren demokratischen Legitimation der Exekutive, s. o. C. III. auf S. 82 ff. Zum Ziel der Verringerung von Richterrecht und einer ausgewogenen Gewaltenteilung, vgl. BT-Drs. 15/1330 S. 3. 191 Vgl. Smeddinck, DÖV 1998, 370 (375). 192 Vgl. Franßen, (Un)bestimmtes zum unbestimmten Rechtsbegriff, in: Festschrift für Zeidler, 1987, S. 429 (443). 193 BVerfG, Beschl. v. 22.11.2016 – 1 BvL 6/14 u. a. – NVwZ 2017, 305 Rn. 21.

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auch die Kontrolle der Rechtsanwendung im Einzelfall grundsätzlich den Gerichten vorbehalten ist“. Es verweist im Anschluss aber auf eine frühere Entscheidung des BVerfG 194, wonach eine Freistellung von gerichtlicher Kontrolle aufgrund eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes möglich ist. Im Ergebnis können Spielräume also auch unter Berücksichtigung des Gewaltenteilungsgrundsatzes angenommen werden. 2. Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) Weiterhin muss bei der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum dem Bestimmtheitsgrundsatz entsprochen werden.195 Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe schafft gewisse Unsicherheiten im Gesetz. Zwar ist es grundsätzlich auch Aufgabe der Gerichte solche Lücken zu schließen.196 Dennoch scheint der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit entgegen zu stehen. Ule197 stellte bereits 1955 fest, dass es in einer rechtsstaatlichen Ordnung eigentlich keine unbestimmten Rechtsbegriffe geben sollte. Mit Blick auf das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot sind unbestimmte Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum nur eingeschränkt zulässig.198 Dennoch sind solche nicht immer zu vermeiden (sei es aufgrund der Natur des Regelungsgegenstandes, der raschen technischen Entwicklungen oder aufgrund von Schwierigkeiten der verbindlichen Konkretisierung199). Das Bestimmtheitsgebot ist eine Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips. Es besagt, dass staatliches Handeln vorhersehbar sein muss, ein Gesetz daher zum Ausdruck bringen muss, was es konkret regeln will.200 Der Betroffene muss die Rechtslage erkennen und sein Handeln danach ausrichten können.201 Entscheidend ist hier, dass die bloße Auslegungsbedürftigkeit einer Norm nicht zwingend zu deren rechtsstaatlich bedenklicher Unbestimmtheit führt.202 Soweit die Ausle194

BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (20 f.). Vgl. allgemein dazu Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 152; Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 20 GG Rn. 127. 196 Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, § 10 Rn. 136. 197 Ule, Zur Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Verwaltungsrecht, in: Gedächtnisschrift für Jellinek, 1955, S. 309 (314 f.). 198 Knauff, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 114 VwGO Rn. 16. 199 Hierzu im Rahmen der Regelung der friedlichen Nutzung der Kernenergie, vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (134 f.). 200 Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, § 10 Rn. 142. 201 BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 – BVerfGE 83, 130 (145); Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 129. 202 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 14; Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, § 10 Rn. 146; Schnapp, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, 6. Aufl. 2012, Art. 20 GG Rn. 39. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.11. 195

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gungsprobleme durch die herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden können, wird dem Bestimmtheitsgebot hinreichend entsprochen.203 Die Klärung verbleibender Fragen obliegt dann den Behörden und Gerichten.204 Unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln sind demgemäß nicht von vornherein unzulässig.205 Deren Verwendung ist vielmehr grundsätzlich zulässig und an sich verfassungsrechtlich unbedenklich.206 Dabei bedarf es einer Mindestregelung, damit erkennbar ist, was dem Begriff unterfällt und was nicht. So muss auch ein unbestimmter Begriff, je nach zu regelndem Sachbereich und nach dem Ausmaß der Grundrechtsbetroffenheit, Inhalt, Zweck und Ausmaß der gesetzlich erteilten Eingriffs- oder Gewährungsermächtigung erkennen lassen.207 Die besonderen Bestimmtheitsanforderungen hängen von den Besonderheiten des jeweiligen Regelungsgegenstandes ab, können bei komplexen und dynamischen Materien geringer sein.208 Durch eine gewisse Unbestimmtheit kann der Vielgestaltigkeit des Lebens entsprochen werden.209 Jedenfalls darf die Fassung des Gesetzes nicht unvollkommen, missverständlich oder widerspruchsvoll sein.210 Insbesondere dürfen die Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot nicht übersteigert werden, um zu starre und dem Wandel der Verhältnisse nicht mehr

1990 – 1 BvR 402/87 – BVerfGE 83, 130 (145); BVerfG, Beschl. v. 9.11.1988 – 1 BvR 243/86 – BVerfGE 79, 106 (120); BVerfG, Beschl. v. 14.3.1967 – 1 BvR 334/61 – BVerfGE 21, 209 (215). 203 Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, § 10 Rn. 146; Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 20 GG Rn. 127; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 153; Schlacke, Umweltrecht, 7. Aufl. 2019, § 4 Rn. 38; Ziekow, VwVfG, 3. Aufl. 2013, § 40 VwVfG Rn. 13; BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 – BVerfGE 83, 130 (145); BVerfG, Beschl. v. 3.3.2004 – 1 BvF 3/92 – BVerfGE 110, 33 (56 f.). 204 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 153. 205 Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, § 10 Rn. 144. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.1. 1967 – 1 BvR 169/63 – BVerfGE 21, 73 (79). 206 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (133); BVerfG, Beschl. v. 7.7.1971 – 1 BvR 775/66 – BVerfGE 31, 255 (264); BVerfG, Beschl. v. 23.4. 1974 – 1 BvR 6/74, 1 BvR 2270/73 – BVerfGE 37, 132 (142). 207 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 31 Rn. 14; Gärditz, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar Grundgesetz Bd. 2, Stand: Nov. 2019, Art. 20 GG Rn. 137. Bei verwaltungsrechtlichen Bußgeldtatbeständen bestehen wegen Art. 103 Abs. 2 GG besondere Anforderungen, vgl. BGH, Beschl. v. 20.12.1977 – 4 StR 560/77 – NJW 1978, 652 (652); BVerwG, Urt. v. 7.5.1987 – 3 C 1/ 86 – NJW 1988, 1534 (1535); BVerfG, Beschl. v. 21.7.1992 – 2 BvR 858/92 – NJW 1993, 1909 (1910). 208 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (133); BVerfG, Beschl. v. 19.4.1978 – 2 BvL 2/75 – BVerfGE 48, 210 (221 f.); BVerfG, Beschl. v. 12.11.1958 – 2 BvL 4, 26, 40/56, 1, 7/57 – BVerfGE 8, 274 (326). 209 BVerfG, Beschl. v. 22.6.1960 – 2 BvR 125/60 – BVerfGE 11, 234 (237); BVerfG, Beschl. v. 15.4.1970 – 2 BvR 396/69 – BVerfGE 28, 175 (183). 210 Vgl. BVerfG, Urt. 23.10.1951 – 2 BvG 1/51 – BVerfGE 1, 14 (45).

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C. Rechtliche Vorgaben

gerecht werdende Gesetze zu verhindern. Aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist nochmals zu erwähnen, dass die Annahme unbestimmter Rechtsbegriffe regelmäßig ein Mehr an Einzelfallgerechtigkeit ermöglicht.211 Außerdem kann die Aufstellung zu starrer, also extrem bestimmter Regelungen wissenschaftliche Fortschritte hemmen, während eine gewisse Unbestimmtheit hier zur dynamischen Sicherung der Grundrechte angemessen sein kann.212 Jedenfalls ist eine gewisse Unbestimmtheit hinzunehmen, anstatt unpraktikable Regelungen zu treffen oder von einer Regelung gänzlich abzusehen.213 Im Ergebnis ist die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe somit unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebots in gewissen Grenzen regelmäßig zulässig.214 3. Rechtssicherheit Ein weiterer wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips ist das Prinzip der Rechtssicherheit.215 Der Inhalt des geltenden Rechts muss eine hinreichende Verlässlichkeit und Beständigkeit aufweisen.216 Problematisch erscheint dies jedoch bezüglich Beurteilungsspielräumen insbesondere, wenn solche bei der Auslegung einer Norm anerkannt würden. Eine je nach Behörde divergierende Auslegung stünde mit dem Gebot der Rechtssicherheit nicht in Einklang.217 Da die Verortung des Beurteilungsspielraums auf Tatbestandsebene allerdings dahingehend erfolgte, dass ein solcher nur im Rahmen der Subsumtion anzuerkennen ist, steht das Prinzip der Rechtssicherheit nicht entgegen.

211 Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 20 GG Rn. 127; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 VwVfG Rn. 152; Stern, StaatsR I, 2. Aufl. 1984, § 20 IV 4 auf S. 830. Vgl. aus der Rechtsprechung BVerfG, Urt. v. 18.12.1953 – 1 BvL 106/53 – BVerfGE 3, 225 (243); BVerfG, Beschl. v. 10.10.1961 – 2 BvL 1/59 – BVerfGE 13, 153 (162); BVerfG, Beschl. v. 19.4.1978 – 2 BvL 2/75 – BVerfGE 48, 210 (222); BVerfG, Beschl. v. 9.5.1989 – 1 BvL 35/86 – BVerfGE 80, 103 (108). 212 Im Kalkar-I-Beschluss des BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (134 ff.), wurde dies vor allem mit dem dynamischen Grundrechtsschutz („Stand von Wissenschaft und Technik“, § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG) begründet, da starre Regeln eine technische Weiterentwicklung von Sicherheitsstandards verhindern würden. 213 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (137). 214 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.3.2004 – 1 BvF 3/92 – BVerfGE 110, 33 (56 f.); Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 20 GG (Rechtsstaat) Rn. 133. 215 Gärditz, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar Grundgesetz Bd. 2, Stand: Nov. 2019, Art. 20 GG Rn. 183; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Grundgesetz, 14. Aufl. 2018, Art. 20 GG Rn. 88. 216 Vgl. Gärditz, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar Grundgesetz Bd. 2, Stand: Nov. 2019, Art. 20 GG Rn. 183. 217 Papier, DÖV 1986, 621 (624).

V. Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 VwGO)

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4. Fazit Im Ergebnis gehört der unbestimmte Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum zu unserer Rechtsordnung dazu und scheint in der nahen Zukunft, trotz fortschreitender wissenschaftlicher Erkenntnisse, seine Daseinsberechtigung nicht zu verlieren. In manchen Regelungsfeldern ist eine gewisse Unbestimmtheit etwa der Natur der Sache oder dem schnellen technischen Fortschritt geschuldet und im Sinne einer funktionalen Rechtsanwendung durchaus sinnvoll. Der rechtsstaatliche Vorbehalt des Gesetzes macht normative Maßstäbe grundsätzlich unabdingbar. Dabei ist der Gesetzgeber zudem dazu angehalten, durch eine hinreichende Bestimmtheit für eine transparente und vorhersehbare Rechtsanwendung zu sorgen und die Rechtssicherheit zu gewährleisten. Eine gewisse Unbestimmtheit ist hiermit aber regelmäßig zu vereinbaren, soweit der Inhalt der Norm durch Auslegung zu ermitteln ist. Somit obliegt es im Gewaltenteilungsgefüge zunächst dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber, hinreichend bestimmte Regelungen zu treffen oder gegebenenfalls Letztentscheidungsrechte der Verwaltung durch eine normative Ermächtigung im Gesetz zu verankern. Die hohe demokratische Legitimation und die eigenständige Funktion der Verwaltung lassen es sodann jedenfalls als gerechtfertigt erscheinen, dieser teilweise Letztentscheidungsrechte zu übertragen, die gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar sind. Im Ergebnis ist eine restriktive Handhabung der administrativen Beurteilungsspielräume zwar angebracht, allerdings ist eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips bislang nicht zu erkennen.

V. Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 VwGO) Zuletzt ist auf einfachgesetzlicher Ebene das Spannungsverhältnis zwischen Beurteilungsspielraum und Amtsermittlungsgrundsatz darzustellen. 1. Grundlagen der Amtsermittlungspflicht Gemäß § 86 Abs. 1 S. 1 VwGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Damit wird der Amtsermittlungsgrundsatz als Verfahrensgrundsatz im Verwaltungsprozess festgeschrieben. Verfassungsrechtliche Grundlage des Untersuchungsgrundsatzes ist zunächst der in Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete effektive Rechtsschutz.218 Der Amtsermittlungsgrundsatz setzt Art. 19 Abs. 4 GG, in seiner Ausprägung der Erforderlichkeit vollständiger gerichtlicher Nach-

218 Stelkens, NVwZ 1982, 81 (83); Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 86 VwGO Rn. 25; Breunig, in: Posser/Wolff, VwGO, 51. Ed. Stand: 1.10.2019, § 86 VwGO Rn. 8.

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C. Rechtliche Vorgaben

prüfung in tatsächlicher Hinsicht, einfachgesetzlich um.219 Somit besteht grundsätzlich keine Bindung an die Feststellungen, die im Verwaltungsverfahren getroffen wurden.220 Unabhängige Richter sollen umfassend prüfen. Dies folgt auch aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).221 Hierfür muss die Prüfung, auch und gerade bei komplexen Sachverhalten, auf der Grundlage eines zutreffend ermittelten Sachverhalts erfolgen. Die so rechtsfehlerfrei ermittelten Tatsachen sind der maßgebliche Ausgangspunkt für die Bildung der richterlichen Überzeugung nach § 108 Abs. 1 S. 2 VwGO.222 Außerdem ist der Hintergrund des Untersuchungsgrundsatzes, dass eine möglichst vollständige und zutreffende Sachverhaltsaufklärung die Voraussetzung einer korrekten Rechtsanwendung darstellt und damit zur Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns (Art. 20 Abs. 3 GG) beiträgt.223 Zu guter Letzt erfolgt die Herleitung aus den Grundrechten.224 Im Verwaltungsverfahren stehen Art und Umfang der Sachverhaltsermittlung nach § 24 Abs. 1 S. 2 VwVfG im Ermessen der Behörde, stets mit dem Ziel, eine vollständige Sachaufklärung zu erreichen.225 Im Verwaltungsprozess geht diese Pflicht auf das Gericht über (§ 86 VwGO).226 Während die Amtsermittlung im Verwaltungsverfahren dazu dient, eine auf die Zukunft gerichtete Verwaltungsmaßnahme durchzuführen, dient die Amtsermittlung im Verwaltungsprozess nun der Aufklärung eines vergangenen Sachverhalts.227 Das Gericht entscheidet, welche Rechtsnormen zur Rechtsfindung erforderlich sind und welcher Sachverhalt für die Subsumtion unter diese Norm bzw. für die Entscheidung maßgebend ist und erforscht werden soll.228 Ebenso steht die Wahl 219 Seibert, NWVBl. 2015, 372 (372); vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 86 VwGO Rn. 1. 220 Bamberger, in: Wysk, VwGO, 2. Aufl. 2016, § 86 VwGO Rn. 14. Vgl. zur Bedeutung des Verwaltungsverfahrens Hilbert, Die Verwaltung 51 (2018), 313 (313 ff.). 221 Wimmer, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 86 VwGO Rn. 15. 222 Breunig, in: Posser/Wolff, VwGO, 51. Ed. Stand: 1.10.2019, § 86 VwGO Rn. 20; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 86 VwGO Rn. 5. 223 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 60 Rn. 30. 224 Insbesondere Asylgrundrecht (Art. 16a Abs. 1 GG) und Grundrecht auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer (Art. 4 Abs. 3 GG). Vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.11. 1979 – 1 BvR 654/79 – VerwRspr. 1980, 484 (492); vgl. Breunig, in: Posser/Wolff, VwGO, 51. Ed. Stand: 1.10.2019, § 86 VwGO Rn. 9. 225 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 60 Rn. 32. 226 Vgl. Stelkens, NVwZ 1982, 81 (83). 227 Vgl. Kallerhoff/Fellenberg, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 24 VwVfG Rn. 2. 228 BVerwG, Urt. v. 24.10.1984 – 6 C 49/84 – BVerwGE 70, 216 (221 f.); BVerwG, Urt. v. 25.5.1984 – 8 C 108/82 – NJW 1985, 393 (395); BVerwG, Beschl. v. 24.11.2003 – 20 F 13/03 – NVwZ 2004, 485 (486); Breunig, in: Posser/Wolff, VwGO, 51. Ed. Stand: 1.10.2019, § 86 VwGO Rn. 15; Störmer, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 86 VwGO Rn. 3.

V. Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 VwGO)

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des zur Aufklärung dienenden Mittels im prozessualen Ermessen des Gerichts.229 Die gerichtlichen Ermittlungen der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen müssen der Sache angemessen und methodisch einwandfrei sein. Gefordert wird also ein hinreichender Grad an Verlässlichkeit.230 Die verfügbaren Erkenntnisquellen müssen hierzu vollständig ausgeschöpft werden. Dies gilt auch für den Sachverständigenbeweis. Nur wenn keine Veranlassung zu weiterer Ermittlung besteht, soll das Gericht eine weitere Sachaufklärung unterlassen dürfen.231 Der Amtsermittlungsgrundsatz kann in drei Punkte gegliedert werden: Bezugsobjekt ist der Sachverhalt, Modalität ist das Erforschen, und die gesamte Ermittlung erfolgt von Amts wegen. Das Gericht ist zur Erforschung des Sachverhalts verpflichtet (§ 86 Abs. 1 S. 1 VwGO) und nicht an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten gebunden (§ 86 Abs. 1 S. 2 VwGO).232 2. Reichweite Der Untersuchungsgrundsatz betrifft die Tatsachenseite, also die Feststellung sinnlich wahrnehmbarer oder feststellbarer Zustände oder Umstände.233 Begrenzt wird dies freilich auf die Feststellung der Tatsachen, die für die Entscheidung erheblich sind. Wenn unvollständige oder unrichtige Tatsachen zugrunde gelegt werden, besteht die Möglichkeit, dass der Tatbestand nicht vorliegt und die gewählte Rechtsfolge somit nicht einschlägig ist. Die Amtsermittlung kennt allerdings auch Grenzen: etwa die Zumutbarkeit. So braucht das Gericht vagen Zweifeln oder bloßen Fehlermöglichkeiten nicht nachzugehen.234 Zwar soll eine vollumfängliche und eigenständige gerichtliche Ermittlung stattfinden, der Sachverhalt soll jedoch nicht anlasslos von Amts wegen aufgeklärt werden.235 Insofern tragen die Beteiligten eine Mitwirkungslast. Die Amtsermittlung wird durch die Mitwirkung gesteuert. Vernünftige Gründe zur weiteren Sachverhaltsermittlung sind dabei von bloßen Spekulationen zu unter229 Breunig, in: Posser/Wolff, VwGO, 51. Ed. Stand: 1.10.2019, § 86 VwGO Rn. 21; Dawin, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Stand: Juli 2019, § 86 VwGO Rn. 25; Bamberger, in: Wysk, VwGO, 2. Aufl. 2016, § 86 VwGO Rn. 2. 230 Kothe, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 86 VwGO Rn. 7. 231 Kothe, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 86 VwGO Rn. 7. 232 Kaufmann, Untersuchungsgrundsatz und Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2002, S. 1 f.; Störmer, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 86 VwGO Rn. 7. 233 Störmer, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 86 VwGO Rn. 3; Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 86 VwGO Rn. 28. 234 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 6.3.1996 – 4 B 184/95 – NVwZ-RR 1997, 82 Ls. 2; vgl. VGH München, Urt v. 23.4.1998 – 23 B 96/3585 – BeckRS 1998, 22740 Rn. 45; Kothe, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 86 VwGO Rn. 18; Seibert, NWVBl. 2015, 372 (372). 235 Vgl. Schmidt-Aßmann, Kohärenz, 2015, S. 242.

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C. Rechtliche Vorgaben

scheiden.236 Ein Verstoß liegt erst vor, wenn sich weitere Ermittlungen nach den konkreten Umständen aufdrängen oder substanziierte Einwände erhoben werden.237 Außerdem entspringt Art. 19 Abs. 4 GG keine Pflicht zur richterlichen Rechtsfürsorge im Wege der Amtsermittlung.238 Der Amtsermittlungsgrundsatz wird insofern prozessökonomisch gehandhabt. Demnach ist auch die Reichweite des Untersuchungsgrundsatzes begrenzt: Dieser bezieht sich nur auf die Feststellung von Tatsachen und damit nicht auf die Feststellung und Auslegung des anzuwendenden Rechts.239 Rechtsfindung ist eine originäre Aufgabe der Judikative, die sich nicht aus § 86 VwGO ergibt. Letztlich ist die Sachverhaltsermittlung Aufgabe des Gerichts.240 Zu Beginn wurde der Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsseite bei der Subsumtion verortet.241 Er bezieht sich grundsätzlich gerade nicht auf die Feststellung der Tatsachen. Auch wenn ein Beurteilungsspielraum angenommen wird, sind die Gerichte zur ordnungsgemäßen Sachverhaltsermittlung verpflichtet.242 Dementsprechend wird dem Amtsermittlungsgrundsatz – zumindest theoretisch – vollumfänglich entsprochen. In praktischer Hinsicht gilt etwa für das Naturschutzrecht jedoch eine Besonderheit, die im Rahmen der Rechtsprechungsanalyse (D.) herausgearbeitet wird. Besonders relevant kann in diesem Zusammenhang auch die Notwendigkeit einer Durchführung von Ortsterminen sein. Solche sind mit Blick auf den Untersuchungsgrundsatz für eine ordnungsgemäße Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse aber nicht immer zwingend.243 Der mit der Augenscheinseinnahme verfolgte Zweck kann in der Regel ebenso zuverlässig durch Karten und Fotos erreicht werden.244 Die Wahl der Methodik und die Untersuchungstiefe fallen damit in die Letztentscheidung der Verwaltung. 3. Fazit Betroffen ist der Amtsermittlungsgrundsatz dann, wenn Beurteilungsspielräume aus ihrem eigentlichen Anwendungsbereich ausbrechen und auch hinsichtlich der Feststellung der tatsächlichen Gegebenheiten angenommen werden. Dies 236

Seibert, NWVBl. 2015, 372 (373 f.). Breunig, in: Posser/Wolff, VwGO, 51. Ed. Stand: 1.10.2019, § 86 VwGO Rn. 31; Seibert, NWVBl. 2015, 372 (372). 238 Kaufmann, Untersuchungsgrundsatz und Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2002, S. 445. 239 Breunig, in: Posser/Wolff, VwGO, 51. Ed. Stand: 1.10.2019, § 86 VwGO Rn. 16. 240 Vgl. BVerwG, Urt. v. 30.1.2013 – 9 C 11/11 – NVwZ-RR 2013, 479 (483); Kothe, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 86 VwGO Rn. 8. 241 S. o. B. I. 2. auf S. 26 ff. 242 Bringewat, ZNER 2014, 441 (446). 243 Kothe, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 86 VwGO Rn. 38. 244 Vgl. Kothe, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 86 VwGO Rn. 38. 237

VI. Fazit

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wird zwar in der Theorie ausgeschlossen, jedoch in der Praxis, besonders im Naturschutzrecht, durchaus so gehandhabt. Im Ergebnis sollten die Gerichte keine weitgreifenden Beurteilungsspielräume annehmen und sich so lästiger Kontrollaufgaben entledigen, umfangreiche Sachverhaltsermittlungen umgehen und sich dadurch selbst entmachten.245

VI. Fazit Beurteilungsspielräume sind weiterhin als Ausnahmen zu betrachten, die einer besonderen Rechtfertigung bedürfen. Der Anerkennung von Beurteilungsspielräumen stehen einige Bedenken entgegen, die nicht restlos ausgeräumt werden können. Diese stellen letztlich deren verfassungsmäßige Grenze dar. Dadurch wird eine uferlose Ausweitung der Beurteilungsspielräume verhindert. In Abschnitt D. wird die Rechtsprechung im Naturschutzrecht näher betrachtet, um einerseits deren Praxis zu analysieren, andererseits aber auch zu überprüfen, ob die eben dargestellten Grenzen eingehalten werden. Dies gilt vor allem mit Blick auf die sich abzeichnende Ausdehnung der Beurteilungsspielräume im Naturschutzrecht über den Subsumtionsvorgang hinaus sowie die (zu) große Bedeutung privater Gutachter. Im Anschluss werden in Abschnitt E. die eben aufgezeigten Bedenken erneut aufgegriffen und unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Abschnitts D. für den Bereich des Naturschutzrechts diversen Lösungsmöglichkeiten zugeführt.

245 Sachs/Jasper, NVwZ 2012, 649 (652); davor warnend von Danwitz, DVBl. 2003, 1405 (1411).

D. Rechtsprechungsanalyse Im Spiegel der Rechtsprechung zum Naturschutzrecht geht es im Folgenden um die praktische Einordnung der Thematik. Drei große Felder des Naturschutzrechts – die Eingriffsregelung, der Gebietsschutz und der Artenschutz – dienen dabei als Referenz, um die Anerkennung von Einschätzungsprärogativen und deren konkrete Ausgestaltung durch die Gerichte zu erläutern.

I. Vorüberlegungen Durch Infrastrukturvorhaben entstehen regelmäßig für die Natur negative Folgen wie Lärm, Zerschneidungswirkungen, Flächen- und Tierverluste (z. B. Schlagopfer) sowie Schadstoffeinträge und damit zusammenhängende ökologische Risiken. Viele in Deutschland beheimatete Arten stehen unter nationalem, europäischem oder völkerrechtlichem Schutz.1 Besondere Bedeutung haben in vielen Genehmigungsverfahren kollisionsgefährdete Arten wie Rotmilane und Fledermäuse. Rotmilane unterliegen als europäische Vogelart der Vogelschutzrichtlinie (gelistet in Anhang I), sind im Anhang A der Artenschutzverordnung gelistet und gehören damit zu den streng geschützten Arten nach § 7 Abs. 2 Nr. 14 BNatSchG. Da diese langlebig sind und eine geringe Reproduktionsrate haben, kann jeder Verlust, z. B. jedes Schlagopfer, Auswirkungen auf die gesamte Population haben. Zudem sind alle in Deutschland vorkommenden Fledermausarten in Anhang IV der FFH-Richtlinie gelistet und damit ebenfalls streng geschützt (§ 7 Abs. 2 Nr. 14 BNatSchG). Alle relevanten Faktoren müssen im Rahmen eines etwaigen Zulassungsverfahrens (z. B. gem. §§ 4, 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG) naturschutzfachlich abgeschätzt werden. Viele Fragen des Naturschutzes beruhen auf ökologischen Bewertungen und Einschätzungen, für die nähere normkonkretisierende Maßstäbe oder gesicherte naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Standards fehlen.2 Im 1 Die nationale Unterschutzstellung erfolgt durch die Bundesartenschutzverordnung vom 16.2.2005 (BGBl. I S. 258). Die unionsrechtliche Unterschutzstellung erfolgt durch die FFH-Richtlinie vom 21.5.1992 (RL 92/43/EWG, ABl. Nr. L 206 S. 7) und die Vogelschutzrichtlinie vom 30.9.2009 (RL 2009/147/EG, ABl. 2010 Nr. L 20 S. 7). Völkerrechtlich erfolgt die Unterschutzstellung durch das Washingtoner Artenschutzübereinkommen vom 3.3.1973 (BGBl. 1975 II S. 777), das Bonner Übereinkommen vom 23.6.1979 (BGBl. 1984 II S. 571) und das Berner Übereinkommen vom 19.9.1979 (BGBl. 1984 II S. 618). 2 Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 23.9.2013 – 8 S 284/11 – juris Rn. 185 (Eingriffsregelung); BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (48 Rn. 45) (Arten-

I. Vorüberlegungen

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Naturschutzrecht fehlt es insbesondere an den z. B. für das Immissionsschutzrecht typischen und für eine Maßstabsetzung erforderlichen Durchführungsverordnungen und technischen Regelwerken. Diese fehlenden Maßstäbe und Vorgaben lassen den Rechtsanwender auf Erkenntnisse der ökologischen Wissenschaft und Praxis zurückgreifen, die wiederum nicht selten einen verfestigten Erkenntnisstand missen lassen.3 Die Anerkennung einer Einschätzungsprärogative erscheint daher naheliegend. Eben weil die ökologische Wissenschaft und Praxis einem ständigen Wandel und Fortschritt unterliegt, stellt sich auch die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen nicht als statischer, sondern als qualitativ und zeitlich dynamischer Prozess dar.4 Vorweggenommen werden kann daher die Tatsache, dass die Letztentscheidungsbefugnis der Behörde nicht pauschal für ein ganzes Rechtsgebiet (z. B. das Artenschutzrecht als Ganzes) besteht, sondern stets auf die Bereiche beschränkt bleiben muss, in denen „trotz fortschreitender wissenschaftlicher Erkenntnisse weiterhin ein gegensätzlicher Meinungsstand fortbesteht und es an eindeutigen ökologischen Erkenntnissen fehlt“.5 Der Beurteilungsspielraum ist demnach quasi auflösend bedingt.6 Die Reichweite des Beurteilungsspielraums verringert sich, je weiter der wissenschaftliche Kenntnisstand fortschreitet. Wird ein Beurteilungsspielraum angenommen, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die behördliche Entscheidung der gerichtlichen Kontrolle standhält.7 Dies gilt unabhängig davon, zu wessen Gunsten die Behörde entschieden hat.8 Das Problemfeld der Beurteilungsspielräume ist demnach nicht auf eine Interessengruppe, wie etwa die Naturschutzverbände begrenzt, sondern gilt ubiquitär. Bei einer ablehnenden behördlichen Entscheidung gilt etwa, dass ein Naturschutzverband im Vergleich zum Vorhabenträger in einer besseren Situation ist. Der Beurteilungsspielraum wirkt also immer zu Lasten desjenigen, zu dessen Nachteil die Behörde entschieden hat. Allein die Behörde profitiert in jedem Fall von der Anerkennung der Beurteilungsspielräume, indem ihre Entscheidung angesichts der zurückgenommenen gerichtlichen Kontrolle mehr Bestand hat. schutzrecht); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (307 f. Rn. 64) (Artenschutzrecht); vgl. Jacob/Lau, NVwZ 2015, 241 (243). 3 Jacob/Lau, NVwZ 2015, 241 (244). Vgl. auch BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/ 07 – NVwZ 2009, 302 (308 Rn. 64). 4 Vgl. Jacob/Lau, NVwZ 2015, 241 (244). 5 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (526 Rn. 19) (Artenschutzrecht); vgl. Jacob/Lau, NVwZ 2015, 241 (244). 6 Lau, I+E 2016, 50 (52); Jacob/Lau, NVwZ 2015, 241 (248). Mit überzeugender anderer Meinung Gellermann, NuR 2014, 597 (599), der einwendet, dass hierdurch allein durch Veränderung der tatsächlichen Gegebenheiten und ohne Änderung des Gesetzes, die durch Auslegung ermittelte Entscheidung des Gesetzgebers verändert würde. 7 Fellenberg, NVwZ 2019, 177 (183). 8 Keine strukturelle Bevorzugung einer Interessengruppe sieht auch Lenz, DVBl. 2018, 605 (607).

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D. Rechtsprechungsanalyse Zur näheren Differenzierung der (hauptsächlich analysierten) Entscheidungen des BVerwG soll kurz die Zuordnung anhand des Aktenzeichens erläutert werden: Bedeutung haben vorliegend die Entscheidungen der drei Fachplanungssenate (4., 7. und 9. Senat). Dabei sind dem 4. Senat insbesondere zugewiesen die Sachen aus den Gebieten des Bau- und Bodenrechts, einschließlich der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen für Windkraftanlagen, des Rechts der Raumordnung, des Rechts der Anlegung und des Betriebes von Flugplätzen und des Rechts des Ausbaues von Energieleitungen.9 Dem 7. Senat sind insbesondere zugewiesen die Sachen aus den Gebieten des Umweltschutzrechts (soweit nicht dem 4. oder 9. Senat zugewiesen), insbesondere des Immissionsschutzrechts sowie des Bergrechts und des Rechts des Baues von Wasserstraßen. Dem 9. Senat sind insbesondere zugewiesen die Sachen aus den Gebieten des Straßen- und Wegerechts. Des Weiteren sind für die vorliegende Arbeit insbesondere die Registerzeichen „A“ erstinstanzliche Verfahren (i. d. R. Urteile), „B“ Nichtzulassungsbeschwerden (Beschlüsse), „C“ Revisionen (i. d. R. Urteile) und „VR“ Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (Eilverfahren) von Bedeutung. Dies hat wiederum Auswirkungen auf den Umfang der Prüfung durch das BVerwG, das beispielsweise im Rahmen der VR-Verfahren lediglich eine summarische Prüfung vornimmt, bei erstinstanzlichem Tätigwerden dagegen selbst Feststellungen trifft und Sachverständige anhört. Als Beispiel sei hier die sehr bedeutsame Entscheidung des BVerwG 10 zum sog. Signifikanzkriterium vom 12.3.2008 mit dem Aktenzeichen 9 A 3/06 genannt, die demnach vom 9. Senat im Rahmen eines erstinstanzlichen Verfahrens als 3. laufende Nummer im Eingangsjahr 2006 erging.

Die folgende Analyse gliedert sich in drei Teile: die Eingriffsregelung nach §§ 13 ff. BNatSchG (II.), der Gebietsschutz nach § 34 BNatSchG (III.) und der besondere Artenschutz nach §§ 44 f. BNatSchG (IV.). Diese drei Regelungskomplexe unterscheiden sich in ihren Schutzgegenständen und stehen unabhängig nebeneinander.11 Sie bedürfen folglich einer getrennten Betrachtung. Ein Beurteilungsspielraum muss für die jeweilige konkrete Regelung bestehen und kann nicht für das Naturschutzrecht als solches angenommen werden.

II. Eingriffsregelung (§§ 13 ff. BNatSchG) Der erste zu betrachtende Komplex ist die Eingriffsregelung nach §§ 13 ff. BNatSchG. Die Durchführung von Infrastrukturprojekten wie Straßen, Windenergieanlagen und Kraftwerken führt zu Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft. Bei der Realisierung derartiger Projekte hat die Eingriffsregelung im Rahmen der Zulassungsverfahren erhebliche Bedeutung. In der Folge ist sie auch 9 Vgl. hierzu und zum folgenden: Bundesverwaltungsgericht, Geschäftsverteilungsplan, 2019, S. 3 ff., https://www.bverwg.de/medien/pdf/gvp_bverwg.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.12.2019). 10 BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060. 11 de Witt, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch des öff. Baurechts, Stand: Juni 2019, Kapitel E Naturschutz, Rn. 564; Gassner, UPR 2006, 430 (430).

II. Eingriffsregelung (§§ 13 ff. BNatSchG)

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regelmäßig Gegenstand gerichtlicher Verfahren. Dabei spricht die Komplexität der ökologischen Sachverhalte und Wirkungszusammenhänge im Rahmen der Bewertung des Eingriffs für die Annahme einer Einschätzungsprärogative. Die in einen Ausgleich zu bringenden Aspekte sind vielfältig. 1. Funktion der Eingriffsregelung Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung nach §§ 13 ff. BNatSchG dient allgemein dem Schutz der Natur und Landschaft, unabhängig von einer etwaigen Schutzgebietsausweisung. Hierdurch wird ein gewisser flächendeckender Mindestschutz gewährleistet.12 Der Zweck der Regelung ist es, dem Verursacher einer Beeinträchtigung von Natur und Landschaft auch die Verantwortung für deren Vermeidung, Verminderung und Kompensation aufzuerlegen. Hierin spiegelt sich das Verursacherprinzip wider.13 Dieser allgemeine Grundsatz ist in § 13 BNatSchG geregelt. Daran anknüpfend bestimmt § 14 BNatSchG, wann ein solcher Eingriff vorliegt und § 15 BNatSchG behandelt dessen materiell-rechtliche Folgen. Nach § 14 Abs. 1 BNatSchG sind Eingriffe in Natur und Landschaft „Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen oder Veränderungen des mit der belebten Bodenschicht in Verbindung stehenden Grundwasserspiegels, die die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können“. Zwei Aspekte sind hervorzuheben: Neben dem Erfordernis einer Eingriffshandlung, namentlich der Veränderung, bedarf es auch einer gewissen Eingriffswirkung in Form einer erheblichen Beeinträchtigung. Nach der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung sollen durch ein Vorhaben verursachte Eingriffe in Natur und Landschaft so weit wie möglich vermieden und, wo dies nicht möglich ist, ausgeglichen oder ersetzt werden (vgl. § 15 Abs. 1–4 BNatSchG). Verbleiben trotz Kompensationsmaßnahmen noch Eingriffswirkungen, so hat die zuständige Behörde in einer naturschutzrechtlichen Abwägung darüber zu entscheiden, ob das Vorhaben wegen überwiegender anderer öffentlicher Belange gleichwohl zuzulassen ist (vgl. § 15 Abs. 5 BNatSchG). In diesem Fall muss gem. § 15 Abs. 6 BNatSchG eine Ersatzzahlung geleistet werden. § 15 BNatSchG sieht folglich eine sog. Rechtsfolgenkaskade vor, wobei auf die jeweils nachrangige Reaktionsstufe dann ausgewichen wird, wenn eine Befolgung der vorrangigen Stufe entweder tatsächlich unmöglich ist oder wenn

12 Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 146. Akt. Stand: Sept. 2019, Vor §§ 13–19 BNatSchG Rn. 3; Lau, in: Rehbinder/Schink, 5. Aufl. 2018, Abschnitt 11, Rn. 19. 13 BT-Drs. 16/12274 S. 56; Mühlbauer, in: Lorz u. a., Naturschutzrecht, 3. Aufl. 2013, § 14 BNatSchG Rn. 1; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 146. Akt. Stand: Sept. 2019, Vor §§ 13–19 BNatSchG Rn. 5.

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die Befolgung mit unverhältnismäßigen Belastungen für die Belange von Betroffenen verbunden wäre.14 2. Herleitung des Beurteilungsspielraums Das Ergebnis soll bereits an dieser Stelle vorweggenommen werden: Auf allen Stufen der Eingriffsregelung werden Beurteilungsspielräume anerkannt. Kurz und prägnant stellte das BVerwG 15 bereits 2004 im Fall zur Ortsumgehung Michendorf fest: „Der Planfeststellungsbehörde16 steht, sofern Landesrecht keine näheren Vorgaben enthält, im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung bei der Bewertung der Eingriffswirkungen eines Vorhabens und ebenso bei der Bewertung der Kompensationswirkung von Vermeidungs-, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, insbesondere was deren Quantifizierung betrifft, eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zu.“ Voraussetzung für eine realistische Bewertung der Eingriffswirkungen und Ausgleichsmöglichkeiten ist dabei stets eine ordnungsgemäße Bestandsaufnahme.17 Im Folgenden werden die drei Stufen der Eingriffsregelung getrennt untersucht. Zunächst werden Beurteilungsspielräume bei der Bewertung der Eingriffswirkungen (a)) und der Kompensationswirkungen (b)) betrachtet, bevor auf die Besonderheiten bei der Abwägungsentscheidung nach § 15 Abs. 5 BNatSchG eingegangen wird (c)). Um den bereits dargestellten Anforderungen gerecht zu werden, die an die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen gestellt werden, erfolgt der Versuch einer entsprechenden Einordnung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung in die allgemeine Dogmatik. Dies wird schwierig, angesichts fehlender eindeutiger Normierungen durch den Gesetzgeber und einer nur sporadischen Anknüpfung der Rechtsprechung an die bereits dargestellte normative Ermächtigungslehre. a) Bewertung der Eingriffswirkungen (§ 14 BNatSchG) Die Umsetzung der Eingriffsregelung setzt zunächst ein ausreichendes Maß an Quantifizierung der Eingriffswirkungen voraus.18 Insbesondere im Rahmen dieser Quantifizierung steht der zuständigen Behörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zu.19 14 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 144; BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 40/07 – NVwZ 2010, 66 (68). 15 BVerwG, Urt. v. 9.6.2004 – 9 A 11/03 – NVwZ 2004, 1486 Ls. 6. 16 Die Entscheidung erging zu einem Planfeststellungsbeschluss zum Neubau einer Bundesstraße. Wie gleich zu sehen ist, gilt das Gesagte aber ebenso für andere Zulassungsverfahren, insbesondere für die immissionsschutzrechtliche Genehmigung. 17 Vgl. Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 146. Akt. Stand: Sept. 2019, Vor §§ 13–19 BNatSchG Rn. 20. 18 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 145.

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aa) Unbestimmter Rechtsbegriff Nach § 14 BNatSchG bedarf es für einen Eingriff in Natur und Landschaft jedenfalls der Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes. Kurz gesagt müssen Veränderungen vorliegen, die qualifizierte Beeinträchtigungen nach sich ziehen.20 Eine erhebliche Beeinträchtigung setzt also ein gewisses spürbares Gewicht voraus. Dabei stellt das Erfordernis der „Erheblichkeit“ der Beeinträchtigung einen unbestimmten Rechtsbegriff dar.21 Dieser Begriff ist von Offenheit geprägt, sodass eine weitere Konkretisierung nötig ist. Jedoch führt jeder Versuch der näheren Definition der Erheblichkeit lediglich dazu, dass ein unbestimmter Rechtsbegriff durch einen anderen unbestimmten Rechtsbegriff ersetzt wird.22 Für das Vorliegen einer Beeinträchtigung werden teils „erkennbar nachteilige Auswirkungen auf die einzelnen Faktoren des Naturhaushalts“ gefordert.23 Nach dem VGH München24 muss die Beeinträchtigung „beachtliches Gewicht haben“ und „auf einige Zeit wirksam“ sein. Im Ergebnis ist die Beeinträchtigung des Naturhaushalts erheblich, wenn sie ein gewisses Gewicht hat und mit den in § 1 BNatSchG bezeichneten Zielen unvereinbar ist.25 Außerdem wird die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes als erheblich angesehen, wenn die Veränderung von einem gegenüber den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege aufgeschlossenen Durchschnittsbetrachter als nachteilig und störend empfunden wird.26 Je intensiver dabei die Einwirkungen sind, desto eher ist von der Erheblichkeit auszugehen.27 19 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 145; BVerwG, Urt. v. 9.6.2004 – 9 A 11/03 – NVwZ 2004, 1486 (1497); vgl. auch VGH Mannheim, Urt. v. 23.9.2013 – 3 S 284/11 – juris Rn. 164. 20 OVG Koblenz, Beschl. v. 25.7.2017 – 8 B 10987/17 – BeckRS 2017, 119679 Rn. 40. Vgl. Guckelberger, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2. Aufl. 2016, § 14 BNatSchG Rn. 10 und 25; Lütkes, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2. Aufl. 2018, § 14 BNatSchG Rn. 19. 21 Vgl. zur unterschiedlichen Bedeutung der Erheblichkeit nach Zusammenhang Thyssen, NuR 2010, 9 ff. 22 Prall, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 14 BNatSchG Rn. 41. 23 Thyssen, NuR 2010, 9 (10); vgl. auch Fischer-Hüftle/Czybulka, in: Schumacher/ Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl. 2011, § 14 BNatSchG Rn. 24. 24 VGH München, Urt. v. 20.11.2007 – 1 N 05.2571 – BeckRS 2007, 30805 Rn. 37. 25 Vgl. Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 146. Akt. Stand: Sept. 2019, § 14 BNatSchG Rn. 40. 26 Vgl. auch BVerwG, Urt. v. 27.9.1990 – 4 C 44/87 – NVwZ 1991, 364 (367); BVerwG, Urt. v. 15.1.2004 – 4 A 11/02 – NVwZ 2004, 732 (739); Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 90. EL Stand: Juni 2019, § 14 BNatSchG Rn. 18; Lütkes, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2. Aufl. 2018, § 14 BNatSchG Rn. 20; Maas/ Schütte, in: Koch/Hofmann/Reese, HdB Umweltrecht, 5. Aufl. 2018, § 7 Rn. 49; Stüer, in: Stüer, HdB Bau- und Fachplanungsrecht, 5. Aufl. 2015, Rn. 4959. 27 Vgl. Appel/Stark, NuR 2018, 34 (37); Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 90. EL Stand: Juni 2019, § 14 BNatSchG Rn. 16.

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D. Rechtsprechungsanalyse

Jedenfalls erfolgt die Bewertung anhand materieller Kriterien, wozu insbesondere die Ziele und Grundsätze des § 1 BNatSchG gehören.28 Zudem sind Bagatellfälle aus dem Tatbestand herauszunehmen, Summationswirkungen zu beachten und Vorbelastungen mit einzubeziehen.29 Somit liegt ein unbestimmter Rechtsbegriff vor, der einer Konkretisierung im Einzelfall bedarf. bb) Sachgrund Weiterhin muss ein Sachgrund für die Annahme eines Beurteilungsspielraums bestehen. Bei der Bewertung der Erheblichkeit kommt es ganz besonders sowohl auf naturwissenschaftlichen Sachverstand und fachwissenschaftliche Erkenntnisse als auch auf die Umstände des Einzelfalls an.30 Leitentscheidung ist insoweit das Urteil des BVerwG 31 vom 9.6.2004 zur Ortsumgehung Michendorf. Hier führt das BVerwG 32 an, dass weder das Bundesrahmenrecht noch das Landesrecht33 verbindliche Bewertungsvorgaben enthält, sodass keine standardisierten Maßstäbe und kein schematisiertes und rechenhaft handhabbares Verfahren bestehen. Abhängig von der angewandten Methodik können die Ergebnisse unterschiedlich ausfallen. Hierauf bauen auch nachfolgende Entscheidungen auf.34 Die Feststellung der ökologischen Gesamtbilanz würde bei einem nach mathematisch-rechnerischen Gesichtspunkten durchzuführenden Bilanzierungsverfahren an ihre Grenzen stoßen.35 Es muss vielmehr ein wertender Vergleich der jeweiligen Beeinträchtigung und der prognostisch ermittelten Kompensation vorgenommen werden.36 Voraussetzung der Bewertung ist die ordnungsgemäße Ermittlung des vorhandenen Zustands von Natur und Landschaft, wobei die Untersuchungstiefe von 28 Thyssen, NuR 2010, 9 (10); vgl. auch Fischer-Hüftle/Czybulka, in: Schumacher/ Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl. 2011, § 14 BNatSchG Rn. 24. 29 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 90. EL Stand: Juni 2019, § 14 BNatSchG Rn. 16; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 146. Akt. Stand: Sept. 2019, § 14 BNatSchG Rn. 40 f. 30 Guckelberger, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2. Aufl. 2016, § 14 BNatSchG Rn. 30; Fischer-Hüftle/Czybulka, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl. 2011, § 14 BNatSchG Rn. 24; Prall, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 14 BNatSchG Rn. 42; Thyssen, NuR 2010, 9 (10). 31 BVerwG, Urt. v. 9.6.2004 – 9 A 11/03 – NVwZ 2004, 1486 ff. 32 BVerwG, Urt. v. 9.6.2004 – 9 A 11/03 – NVwZ 2004, 1486 (1497). 33 Die Entscheidung erging zum Brandenburgischen Landesrecht. In Bayern gibt es aber z. B. eine Kompensationsverordnung. Die BayKompVO v. 7.8.2013, GVBl. 2013, 517, sieht abweichend vom Bundesrecht (vgl. § 15 Abs. 7 BNatSchG, Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GG, Art. 8 Abs. 3 S. 1 und 2 BayNatSchG) ein standardisiertes Vorgehen für die Abarbeitung aller Eingriffsarten vor, vgl. VGH München, Beschl. v. 22.7.2015 – 15 ZB 14.1285 – BeckRS 2015, 50398 Rn. 8. 34 Statt vieler vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 23.9.2013 – 3 S 284/11 – juris Rn. 164. 35 Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 23.9.2013 – 3 S 284/11 – juris Rn. 164. 36 VGH Mannheim, Urt. v. 23.9.2013 – 3 S 284/11 – juris Rn. 164.

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den naturräumlichen Gegebenheiten im Einzelfall abhängt.37 Je nach Sachverhalt kann dabei mit Prognosewahrscheinlichkeiten, Schätzungen und Worst-Case-Betrachtungen gearbeitet werden. Der VGH Mannheim38 stellte beispielsweise 2013 fest: „Erforderlich, aber auch ausreichend ist [. . .] eine am Maßstab praktischer Vernunft ausgerichtete Prüfung“. Sachgrund für die Anerkennung einer naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative ist, dass im Rahmen dieser Bestandserfassung und -bewertung die zuständigen Behörden auf ökologische Bewertungen angewiesen sind, für die normkonkretisierende Maßstäbe und teils auch gesicherte naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Standards fehlen.39 Ein gesetzlich vorgeschriebenes Bewertungsverfahren ist hier nicht vorhanden, sodass unterschiedliche Verfahren und Kriterien zur Anwendung kommen, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können.40 Dass unterschiedliche Verfahren in unterschiedlichen Bewertungen münden, ist keine Besonderheit der Eingriffsregelung und es kommt zudem nicht auf die Verwendung desjenigen Verfahrens mit den höchsten Anforderungen an.41 Auch in nicht übereinstimmenden Ergebnissen liegt noch kein Beleg für die Fehlerhaftigkeit einer angewandten Methode.42 Im Übrigen geben Wissenschaft und Verwaltung zahlreiche Leitfäden heraus, um Transparenz zu schaffen.43 Zwar können rechtlich unverbindliche Leitfäden und Regelwerke einzelfallbezogene Anhaltspunkte liefern, sie beanspruchen aber keine allgemeine Verbindlichkeit.44 Nicht verbindliche Regelwerke dürfen (insbesondere mit Blick auf atypische Fälle) nicht schematisch angewandt werden, sondern können nur einen Orientierungsrahmen vorgeben.45

37 VGH Mannheim, Urt. v. 23.9.2013 – 3 S 284/11 – juris Rn. 184, insbesondere können z. B. nur die gegen die Wirkungen des Vorhabens empfindlichen Artengruppen untersucht werden, Rn. 187. 38 VGH Mannheim, Urt. v. 23.9.2013 – 3 S 284/11 – juris Rn. 184, insbesondere sind Ermittlungen „ins Blaue“ hinein nicht zu fordern, Rn. 188. 39 VGH Mannheim, Urt. v. 23.9.2013 – 3 S 284/11 – juris Rn. 185. 40 BVerwG, Urt. v. 9.6.2004 – 9 A 11/03 – NVwZ 2004, 1486 (1497); vgl. Prall, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 14 BNatSchG Rn. 42; Thyssen, NuR 2010, 9 (10). 41 BVerwG, Urt. v. 9.6.2004 – 9 A 11/03 – NVwZ 2004, 1486 (1497). 42 Vgl. BVerwG, Urt. v. 21.1.2016 – 4 A 5/14 – NVwZ 2016, 844 (860 Rn. 149). 43 Prall, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 14 BNatSchG Rn. 44, ausführliche Liste ebd., § 15 BNatSchG Rn. 69 ff. 44 Vgl. VGH München, Beschl. v. 22.7.2015 – 15 ZB 14.1285 – BeckRS 2015, 50398 Rn. 9; Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 VwGO Rn. 39 unter Hinweis auf BVerwG, Beschl. v. 8.4.2008 – 9 B 13/08 – NVwZ 2008, 914 (915 Rn. 6). 45 VGH München, Beschl. v. 22.7.2015 – 15 ZB 14.1285 – BeckRS 2015, 50398 Rn. 10; Vergleiche zur Anwendung von Regelwerken BVerwG, Beschl. v. 8.4.2008 – 9 B 13/08 – NVwZ 2008, 914 (915 f. Rn. 12); BVerwG, Beschl. v. 19.8.2014 – 2 B 43/14 – BeckRS 2014, 56067 Rn. 13.

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D. Rechtsprechungsanalyse

Im Ergebnis steht der Behörde eine Einschätzungsprärogative bei der Bestandserfassung, der Bewertung bzw. Quantifizierung der Eingriffswirkungen und der Frage der Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle zu.46 Die zur Begründung angeführten Sachgründe sind dabei vielfältig. cc) Bewertung Mit der „Erheblichkeit“ der Beeinträchtigung liegt bei der Bewertung der Eingriffswirkungen ein unbestimmter Rechtsbegriff vor, der im Ergebnis einen Beurteilungsspielraum der Verwaltung beinhalten soll. Die Darlegung der hinreichend gewichtigen Sachgründe beschränkt sich dabei insbesondere auf das Erfordernis einer Betrachtung des Einzelfalls und das Fehlen verbindlicher standardisierter Maßstäbe. Diese Sachgründe sind zwar sicherlich einschlägig, lassen sich aber beliebig auf das gesamte Naturschutzrecht anwenden. b) Bewertung der Kompensationswirkungen (§ 15 BNatSchG) Ein administrativer Beurteilungsspielraum besteht auch bei der Bewertung der Eingriffsfolgen, also der Kompensationswirkungen von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Die unvermeidbaren Beeinträchtigungen sind gem. §§ 13 S. 2, 15 Abs. 2 BNatSchG durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auszugleichen (Ausgleichsmaßnahmen) oder zu ersetzen (Ersatzmaßnahmen). Die Eingriffsfolgen orientieren sich wiederum am Verursacherprinzip.47 Im Anschluss an eine Bestandsaufnahme des Eingriffs und seiner Folgen, werden Eingriff und Kompensationsmaßnahmen systematisch erfasst und bilanziert. Im Rahmen dieser Quantifizierungen und Bewertungen steht der zuständigen Behörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zu.48 aa) Unbestimmter Rechtsbegriff Nicht vermeidbare Beeinträchtigungen sind „auszugleichen“ oder „zu ersetzen“, § 15 Abs. 2 S. 1 BNatSchG. Wann der Ausgleichs-/Ersatztatbestand erfüllt ist, ist in § 15 Abs. 2 S. 2 und 3 BNatSchG zwar geregelt, bleibt jedoch gleichwohl unbestimmt. Zudem ist nicht normativ geregelt, in welchem Verhältnis Ver46 Vgl. OVG Koblenz, Beschl. v. 25.7.2017 – 8 B 10987/17 – BeckRS 2017, 119679 Rn. 40. 47 Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 146. Akt. Stand: Sept. 2019, § 15 BNatSchG Rn. 2. 48 BVerwG, Urt. v. 25.6.2014 – 9 A 1/13 – NVwZ 2015, 85 (90); BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Ls. 7, Rn. 145. Anders noch VGH Mannheim, Urt. v. 19.7.2010 – 8 S 77/09 – BeckRS 2010, 50893, der „striktes Recht“ annimmt, das „daher uneingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung“ unterliegt, dann aber doch eine „naturschutzfachlich vertretbare Bestandsaufnahme“ genügen lässt.

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lust- und Ausgleichsflächen zueinanderstehen müssen.49 Im Übrigen fällt die Wahl zwischen Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahme bzw. der Kombination von Kompensationsmaßnahmen in die administrative Einschätzungsprärogative.50 Ausgleich meint die gleichartige und Ersatz die gleichwertige Wiederherstellung der beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts. Die Eingriffe müssen qualitativ ausgeglichen bzw. gleichwertig ersetzt werden, wobei zudem ein gewisser räumlich-funktionaler Zusammenhang vorliegen muss.51 Der räumliche Zusammenhang ist im Rahmen der Ersatzmaßnahme größer abzustecken: So erfordert der Ausgleich eine unmittelbare Nähe zum Eingriffsort, der Ersatz muss dagegen lediglich im gelockerten räumlichen Zusammenhang des betroffenen Naturraums erfolgen.52 Ob eine Maßnahme im räumlichen Zusammenhang liegt, lässt sich nicht metrisch festlegen, sondern ist von den jeweiligen naturschutzfachlichen Gegebenheiten abhängig.53 Die Eignung der Ausgleichsmaßnahmen hängt von der Entfernung zum Eingriffsort sowie von der Flächengröße oder von anderen Vorteilen ab. So kann eine weitere Entfernung vom Eingriffsort z. B. durch einen größeren Flächenumfang ausgeglichen werden.54 Umgekehrt kann die Kompensationsfläche umso kleiner sein, je höher die Qualität der Aufwertung ist.55 Im Ergebnis erfordern sowohl die Ausgleichs- als auch die Ersatzmaßnahmen inhaltlich eine gewisse räumliche Nähe und einen funktionalen Zusammenhang

49 Vgl. BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 140; BVerwG, Urt. v. 15.1.2004 – 4 A 11/02 – NVwZ 2004, 732 (738). Von der Ermächtigung des § 15 Abs. 7 BNatSchG hat der Bund bislang keinen Gebrauch gemacht. Der Entwurf zur Bundeskompensationsverordnung scheiterte 2013 im Bundesrat, vgl. BRDrs. 332/13. 50 Vgl. Appel/Stark, NuR 2018, 34 (40). 51 BVerwG, Beschl. v. 7.7.2010 – 7 VR 2/10 – BeckRS 2010, 51166 Rn. 23. Vgl. zum räumlichen Zusammenhang BVerwG, Urt. v. 27.10.2000 – 4 A 18/99 – NVwZ 2001, 673 (681); BVerwG, Urt. v. 9.6.2004 – 9 A 11/03 – NVwZ 2004, 1486 (1498); BVerwG, Urt. v. 17.8.2004 – 9 A 1/03 – BeckRS 2004, 25071. 52 BT-Drs. 16/13298 S. 3, BT-Drs. 16/13430 S. 19; Lütkes, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2. Aufl. 2018, § 15 BNatSchG Rn. 17 und 21; Guckelberger, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2. Aufl. 2016, § 15 BNatSchG Rn. 43. Im Rahmen der Ersatzmaßnahmen bezieht sich der räumliche Bereich auf die naturräumlichen Haupteinheiten Deutschlands, BR-Drs. 278/09 S. 180 f. mit Verweis auf Ssymank, NuL 1994, 395 (401 ff.). Eine Karte der naturräumlichen Haupteinheiten findet sich bei Bundesamt für Naturschutz, Karte der Naturräume Deutschlands, https://www.bfn.de/fileadmin/MDB/ documents/themen/natura2000/grossraum.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.12.2019). 53 BVerwG, Beschl. v. 7.7.2010 – 7 VR 2/10 – BeckRS 2010, 51166 Rn. 25. 54 BVerwG, Beschl. v. 7.7.2010 – 7 VR 2/10 – BeckRS 2010, 51166 Rn. 24; BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 40/07 – NVwZ 2010, 66 (68 Rn. 32). 55 BVerwG, Urt. v. 15.1.2004 – 4 A 11/02 – NVwZ 2004, 732 (738); Mühlbauer, in: Lorz u. a., Naturschutzrecht, 3. Aufl. 2013, § 15 BNatSchG Rn. 12; Michler/Möller, NuR 2011, 81 (84).

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D. Rechtsprechungsanalyse

zum Eingriff und müssen zudem zeitlich in einer angemessenen Frist erfolgen.56 Es kommen letztlich viele Kompensationsmaßnahmen in Betracht, die sich in räumlicher und qualitativer Hinsicht unterscheiden und zu verschiedenen Zeitpunkten positive Wirkung entfalten. Wann ein Eingriff als ausgeglichen oder als ersetzt anzusehen ist, bleibt damit unbestimmt und bedarf einer näheren Ausformung. bb) Sachgrund Es kommen somit meist verschiedene Kompensationsmaßnahmen in Betracht. Daher muss eine Eignungsbeurteilung vorgenommen werden. Dabei entscheiden naturschutzfachliche Erkenntnisse über die Geeignetheit einer Fläche als Ausgleichsfläche. Im Rahmen von Planfeststellungen bedarf es einer Auswahl zwischen grundsätzlich gleich geeigneten Kompensationsmaßnahmen, einer naturschutzfachlichen Abstimmung der Kompensationsmaßnahmen untereinander sowie der Berücksichtigung etwaiger multifunktionaler Kompensationsmaßnahmen.57 Dies weist Elemente einer planerisch abwägenden Entscheidung auf.58 Kommen z. B. gleich geeignete Kompensationsmaßnahmen in Betracht, so besteht für die Planfeststellungsbehörde bei der Auswahl zwischen diesen ein planerischer Spielraum.59 Die Behörde hat eine nur beschränkt überprüfbare Einschätzungsprärogative bei der Wahl der besten Kompensationsmaßnahme.60 Eine vollständige Wiederherstellung des vor dem Eingriff bestehenden Zustands ist regelmäßig nicht möglich, sodass lediglich ein funktionaler Ausgleich avisiert wird.61 Wann jedoch von der Funktionalität auszugehen ist, bleibt unklar. Das BVerwG 62 stellt 2012 im Fall zum Neubau der A33 bei Halle fest, dass weder bundesrechtliche Vorgaben noch anerkannte wissenschaftliche Methoden für die Bewertung und den Umfang von Verlust- und Ausgleichsflächen bestehen. Auch das VG Augsburg63 stellt 2014 fest, dass die Betrachtung der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen im Regelfall außerhalb von standardisierten Be56

Vgl. Michler/Möller, NuR 2011, 81 (83 f.). BVerwG, Urt. v. 9.6.2004 – 9 A 11/03 – NVwZ 2004, 1486 ff. Ls. 7; BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 40/07 – NVwZ 2010, 66 (68 Rn. 28); OVG Lüneburg, Urt. v. 22.4.2016 – 7 KS 27/15 – BeckRS 2016, 46472 Rn. 352. 58 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 145; BVerwG, Urt. v. 25.6.2014 – 9 A 1/13 – NVwZ 2015, 85 (91); vgl. auch OVG Lüneburg, Urt. v. 22.4.2016 – 7 KS 27/15 – BeckRS 2016, 46472 Rn. 352; VG Augsburg, Urt. v. 15.5. 2014 – Au 5 K 14.70 – BeckRS 2014, 51903 Rn. 37. 59 BVerwG, Beschl. v. 7.7.2010 – 7 VR 2/10 – BeckRS 2010, 51166 Rn. 34; BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 145. 60 BVerwG, Beschl. v. 7.7.2010 – 7 VR 2/10 – BeckRS 2010, 51166 Rn. 29; vgl. Fülbier, NuR 2017, 804 (806); Schink, NuR 2017, 585 (591). 61 Vgl. Appel/Stark, NuR 2018, 34 (41). 62 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 146. 63 VG Augsburg, Urt. v. 15.5.2014 – Au 5 K 14.70 – BeckRS 2014, 51903 Ls. 3. 57

II. Eingriffsregelung (§§ 13 ff. BNatSchG)

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urteilungs- bzw. Bewertungsverfahren zu erfolgen hat. Es fehlen gesetzliche Vorgaben für die Bewertung von Eingriffsfolgen und Ausgleichsbedarf, sodass die Behörde die zu erwartenden Eingriffe in Natur und Landschaft selbst zu bewerten und über das Kompensationskonzept zu entscheiden hat.64 Ist kein bestimmtes Bewertungsverfahren vorgeschrieben, so steht es der Behörde frei zu entscheiden, welches (jedenfalls vertretbare und geeignete) Bewertungsverfahren sie anwendet.65 Somit dient auch die Vielzahl bestehender Arbeitshilfen, Hinweise und Leitfäden nicht dazu, die eigenständige behördliche Entscheidung zu ersetzen.66 Dennoch ist es möglich, dass sie der Entscheidung zugrunde gelegt werden.67 So stellt der VGH München68 2015 fest, dass Leitfäden einen Orientierungsrahmen vorgeben und einzelfallbezogene Anhaltspunkte liefern, aber keine allgemeine Verbindlichkeit beanspruchen. Im Ergebnis wird der Behörde für die Ermittlung und Bewertung der Kompensationswirkungen von Vermeidungs-, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sowie insbesondere für deren Quantifizierungen eine Einschätzungsprärogative zugestanden.69 cc) Bewertung Die Ungewissheit bei der Bewertung der Eingriffswirkungen setzt sich bei der Bewertung der Kompensationswirkungen fort. Auch hier bleibt ungewiss, ob die Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sich als geeignet erweisen werden, um den Eingriff zu kompensieren. Zur Begründung der zurückgenommenen gerichtlichen Kontrolle wird neben dem Bedürfnis einer wertenden Betrachtung vor allem auf fehlende wissenschaftliche Erkenntnisse und untergesetzliche Konkretisierungen abgestellt. Auch dies entspricht weitgehend der Vorgehensweise im gesamten Naturschutzrecht. c) Abwägung (§ 15 Abs. 5 BNatSchG) Differenzierter wird die Regelung der naturschutzrechtlichen Abwägung nach § 15 Abs. 5 BNatSchG betrachtet. Führt ein Vorhaben trotz Vermeidungs- und 64

VG Augsburg, Urt. v. 15.5.2014 – Au 5 K 14.70 – BeckRS 2014, 51903 Rn. 42. Schink, NuR 2017, 585 (590). 66 Guckelberger, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2. Aufl. 2016, § 15 BNatSchG Rn. 68. 67 VG Augsburg, Urt. v. 15.5.2014 – Au 5 K 14.70 – BeckRS 2014, 51903 Rn. 42, wobei auf eine gleichmäßige Verwaltungspraxis der Behörde zu achten sei, um eine willkürliche Anwendung des Leitfadens zu verhindern. 68 VGH München, Beschl. v. 22.7.2015 – 15 ZB 14.1285 – BeckRS 2015, 50398 Rn. 6 ff. 69 Wenngleich Vermeidung streng genommen keine Kompensation ist (vgl. § 15 Abs. 7 BNatSchG) formuliert es so umfassend etwa das BVerwG, Urt. v. 9.6.2004 – 9 A 11/03 – NVwZ 2004, 1486 Ls. 6. 65

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D. Rechtsprechungsanalyse

Ausgleichsmaßnahmen zu Beeinträchtigungen, dann darf eine Zulassung nur erteilt werden, wenn der Eingriff im Rahmen der Abwägung nach § 15 Abs. 5 BNatSchG Vorrang gegenüber dem Schutz der Natur und Landschaft genießt.70 Es besteht ein Abwägungsvorbehalt. Entscheidend ist hier, um welche Art von Abwägung es sich handelt, da diese Einordnung wiederum Auswirkungen auf den Umfang der gerichtlichen Kontrolle hat. Eine nur „nachvollziehende“ Abwägung würde zu einer uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle führen, während eine „echte“ Abwägung eine nur eingeschränkte gerichtliche Kontrolle mit sich bringt.71 aa) Differenzierung nach Art der Zulassungsentscheidung Die Rechtsnatur der Abwägung nach § 15 Abs. 5 BNatSchG ist unklar.72 Im Jahr 1990 stellte das BVerwG 73 im Rahmen einer wasserrechtlichen Planfeststellung fest, dass es sich um eine „echte“ Abwägung handle, die eine nur eingeschränkte gerichtliche Kontrolle nach sich zieht. Das Gericht nimmt keine eigene Abwägung vor, sondern überprüft nur, ob sich die Abwägung im für den Einzelfall maßgeblichen rechtlichen Rahmen hält.74 Differenzierter geht das BVerwG 75 im Jahr 2001 betreffend eine Baugenehmigung vor, wenn es ausführt, dass der Rahmen der gerichtlichen Überprüfbarkeit aufgrund des akzessorischen Charakters der Eingriffsregelung von der Art der Zulassungsentscheidung abhängig sei. Es stellt hierbei fest: „Ist die in Rede stehende Zulassungsentscheidung nach dem jeweiligen Fachgesetz eine gesetzlich gebundene Entscheidung, bei der der Behörde keine vom Gericht zu respektierenden Abwägungs- oder Ermessensspielräume eingeräumt sind, so vermag der Umstand, dass durch die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung eine weitere Zulassungsvoraussetzung hinzutritt, den Rechtscharakter dieser Entscheidung nicht zu verändern [. . .].“ 76 Im Fall einer gesetzlich gebundenen Zulassungsentscheidung, wie etwa im Bau- oder Immissionsschutzrecht, ist folglich auch die naturschutzrechtliche Abwägung uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar.77 Somit muss im Rahmen der Abwägung nach 70 Schrader, in: Giesberts/Reinhardt, Umweltrecht, 52. Ed. Stand: 1.10.2019, § 15 BNatSchG Rn. 57. 71 Vgl. Kment, ZUR 2016, 331 (332 f.). 72 Überblick über den Streitstand bei Kerkmann/Koch, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 15 BNatSchG Rn. 31 ff. m.w. N.; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 90. EL Stand: Juni 2019, § 15 BNatSchG Rn. 45 f. 73 BVerwG, Urt. v. 27.9.1990 – 4 C 44/87 – NVwZ 1991, 364 (367). 74 BVerwG, Urt. v. 27.9.1990 – 4 C 44/87 – NVwZ 1991, 364 (368); vgl. hierzu auch BVerwG, Beschl. v. 22.5.1996 – NVwZ-RR 1997, 217 (219). 75 BVerwG, Urt. v. 13.12.2001 – 4 C 3/01 – NVwZ 2002, 1112 (1113) und damit Aufhebung des Urteils des VGH Mannheim, Urt. v. 20.4.2000 – 8 S 318/00 – NVwZ 2000, 1063 f. 76 BVerwG, Urt. v. 13.12.2001 – 4 C 3/01 – NVwZ 2002, 1112 (1113). 77 BVerwG, Urt. v. 13.12.2001 – 4 C 3/01 – NVwZ 2002, 1112 (1113).

II. Eingriffsregelung (§§ 13 ff. BNatSchG)

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der Art der Zulassungsentscheidung differenziert werden.78 Leitentscheidung zu dieser Differenzierung ist das Urteil des BVerwG 79 zur Ortsumgehung Bad Laer aus dem Jahr 2007, welches die maßgebliche Grundlage auch für die folgenden Überlegungen ist. bb) Zulassungsentscheidung mit Gestaltungsspielraum Bereits im Jahr 1990 stellte das BVerwG 80 in der Entscheidung zu einem Planfeststellungsverfahren fest, dass es sich bei der Abwägung nach § 8 Abs. 3 BNatSchG a. F. um eine echte Abwägung durch die zuständige Behörde handelt, die der gerichtlichen Kontrolle nicht uneingeschränkt unterliegt. Die Behörde müsse hierbei die im Einzelfall betroffenen, oft gegensätzlichen Belange einander gegenüberstellen und sachgerecht gewichten sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten.81 Die abwägende Entscheidung der Behörde sei dabei nicht in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle zugänglich, sondern werde nur dahingehend überprüft, ob sie sich im Einzelfall im maßgeblichen rechtlichen Rahmen hält.82 Bei Zulassungsentscheidungen mit Gestaltungsspielraum der Behörde, etwa bei Planfeststellungen, erfolgt die Überprüfung der naturschutzrechtlichen Abwägung nach der Struktur der fachplanerischen Abwägung.83 Kennzeichnend für die planerische Abwägung ist die Ergebnisoffenheit, sodass mehrere rechtlich zulässige Entscheidungen möglich sind. Hieraus folgen eine planerische Gestaltungsfreiheit und damit auch eine nur eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit.84 Wenngleich es sich bei einer fachplanerischen Abwägung um eine multi-

78 Vgl. hierzu Guckelberger, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2. Aufl. 2016, § 15 BNatSchG Rn. 101; Lütkes, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2. Aufl. 2018, § 15 BNatSchG Rn. 69 f.; Kahl/Burs, DVBl. 2016, 1222 (1224). 79 BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 C 1/06 – NVwZ 2007, 581 (583 f. Rn. 23 ff.). 80 BVerwG, Urt. v. 27.9.1990 – 4 C 44/87 – NVwZ 1991, 364 Ls. 4; daran anschließend BVerwG, 30.10.1992 – 4 A 4/92 – NVwZ 1993, 565 (569); VGH Mannheim, Urt. v. 3.9.1993 – 5 S 874/92 – NVwZ-RR 1994, 373 (378); BVerwG, Beschl. v. 22.5.1996 – 4 B 30/95 – NVwZ-RR 1997, 217 (218 f.). 81 BVerwG, Urt. v. 27.9.1990 – 4 C 44/87 – NVwZ 1991, 364 (367). Vgl. hierzu: Kuchler, Naturschutzrechtliche Eingriffsregelung und Bauplanungsrecht, 1989, S. 180 ff.; Paetow, NuR 1986, 144 (147); vgl. allg. zur planerischen Abwägung BVerwG, Urt. v. 12.12.1969 – IV C 105/66 – BVerwGE 34, 301 (309); BVerwG, Urt. v. 5.7.1974 – IV C 50/72 – BVerwGE 45, 309 (314 f.). 82 BVerwG, Urt. v. 27.9.1990 – 4 C 44/87 – NVwZ 1991, 364 (368); dem folgend BVerwG, Beschl. v. 22.5.1996 – 4 B 30/95 – NVwZ-RR 1997, 217 (219). 83 BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 C 1/06 – NVwZ 2007, 581 Ls. 3. Vgl. Gassner/ Heugel, Das neue Naturschutzrecht, 2010, Rn. 343; Lütkes, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2. Aufl. 2018, § 15 BNatSchG Rn. 69; s. hierzu auch Kerkmann/Koch, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 15 BNatSchG Rn. 32 ff. 84 BVerwG, Urt. v. 13.12.2001 – 4 C 3/01 – NVwZ 2002, 1112 (1113).

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D. Rechtsprechungsanalyse

polare Abwägung handelt und die naturschutzfachliche Abwägung lediglich bipolarer Art ist, besteht eine gewisse Vergleichbarkeit.85 So würden für das naturschutzrechtliche Kompensationsmodell „in erheblichem Umfang Elemente einer planerisch abwägenden Entscheidung“ bestehen.86 Nach Ansicht des BVerwG 87 verfügt die Zulassungsbehörde hier „über eine fachliche Einschätzungsprärogative bei der Ermittlung der Größenordnung des Ausgleichsdefizits und über Spielräume bei der Gewichtung und vergleichenden Bewertung der abzuwägenden Belange. Die Maßstäbe der gerichtlichen Überprüfung dieser Abwägung entsprechen in ihrer Grundstruktur denen, die für die Kontrolle der fachplanerischen Abwägung gelten“. So werden Wertungswidersprüche zwischen der naturschutzfachlichen und der fachplanerischen Abwägung vermieden und eine gewisse Konsistenz gewährleistet.88 Voraussetzung der Abwägung ist die ordnungsgemäße Abarbeitung der ersten beiden Stufen der Eingriffsregelung. Im Rahmen der Bewertung der Eingriffsund Kompensationswirkungen kommt der zuständigen Behörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zu. Hieraus folgt, ob und in welchem Umfang Ausgleichsdefizite bestehen. Daher stellt das BVerwG fest: „Eben diese Ausgleichsdefizite bilden den einen Pol der naturschutzrechtlichen Abwägung. Die behördliche Einschätzungsprärogative schlägt mithin auf die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials durch und muss konsequenterweise auch bei der gerichtlichen Kontrolle respektiert werden.“ 89 Die naturschutzrechtliche Abwägung ist in diesem Zusammenhang rechtlich nicht voll determiniert.90 Folglich unterliegt die naturschutzrechtliche Abwägung im Rahmen der Fachplanung keiner vollen gerichtlichen Kontrolle.91 Überprüft wird nur, ob der Abwägung alle nach Lage der Dinge einzubeziehenden Umstände zugrunde gelegt wurden, ob Einschätzungsspielräume vertretbar ausgefüllt wurden und ob die rechtlichen Grenzen bei der Gewichtung und Bewertung beachtet wurden.92

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BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 C 1/06 – NVwZ 2007, 581 (584 Rn. 22). BVerwG, Urt. v. 9.6.2004 – 9 A 11/03 – NVwZ 2004, 1486 Ls. 7. 87 BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 C 1/06 – NVwZ 2007, 581 Ls. 3. 88 Kerkmann/Koch, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 15 BNatSchG Rn. 36; BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 C 1/06 – NVwZ 2007, 581 (584 Rn. 26 ff.). 89 BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 C 1/06 – NVwZ 2007, 581 (584 Rn. 24); vgl. hierzu Guckelberger, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2. Aufl. 2016, § 15 BNatSchG Rn. 99. 90 BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 C 1/06 – NVwZ 2007, 581 (583 Rn. 20) m.w. N. 91 BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 C 1/06 – NVwZ 2007, 581 (584 Rn. 28). Vgl. Michler/Möller, NuR 2011, 81 (87). 92 BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 C 1/06 – NVwZ 2007, 581 (584 Rn. 28). 86

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cc) Gebundene Entscheidung Etwas anderes gilt bei einer gebundenen Entscheidung, etwa bei bau- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen (insbesondere Bauvorhaben nach § 35 BauGB).93 Hier handelt es sich um eine gerichtlich voll überprüfbare, sog. nachvollziehende Abwägung.94 Somit unterliegt in diesen Fällen auch die naturschutzrechtliche Abwägung nach § 15 Abs. 5 Hs. 2 BNatSchG der vollständigen gerichtlichen Kontrolle. dd) Bewertung Die Unterscheidung ergibt auf Grund des akzessorischen Charakters der Eingriffsregelung zunächst durchaus Sinn. Allerdings kann allein diese Akzessorietät die differenzierte Handhabung nicht begründen. Denn die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung stellt stets nur eine Ergänzung des Fachrechts dar, deren materieller Gehalt nicht je nach Zulassungsart verändert wird.95 Dabei knüpft die Abwägung durchaus an die vorangehenden Feststellungen an, sodass sich die Spielräume auf den vorherigen Stufen, bei der Bewertung der Eingriffs- und Ausgleichsmaßnahmen, faktisch auf die Abwägung auswirken, also auf diese quasi durchschlagen. Dies gilt unabhängig vom eigentlichen Zulassungsverfahren. Allerdings sind bei getrennter Betrachtung der verschiedenen Stufen der Eingriffsregelung die Erkenntnisse der ersten beiden Stufen im Rahmen der Abwägung als gegeben hinzunehmen. Neuerliche naturschutzfachliche Wertungen müssen nicht mehr angestellt werden, gestalterische Elemente bestehen nicht.96 Eines Spielraums der Behörde bedarf es dann nicht. Letztendlich können die Sachgründe, welche die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums rechtfertigen sollen (fehlende fachliche Standards, etc.), unabhängig von der Art des Zulassungsverfahrens angenommen werden. Sind diese für die Annahme von Beurteilungsspielräumen im Rahmen von Zulassungsentscheidungen mit Gestaltungsspielraum hinreichend gewichtig, so erscheint es konsequent ein Letztentscheidungsrecht der Verwaltung mit derselben Begründung auch im Rahmen von gebundenen Entscheidungen anzunehmen. Die dargestellte Differenzierung erscheint dann als hinfällig.

93

Vgl. BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 C 1/06 – NVwZ 2007, 581 (583 Rn. 20). BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 C 1/06 – NVwZ 2007, 581 (583 Rn. 20); BVerwG, Urt. v. 13.12.2001 – 4 C 3/01 – NVwZ 2002, 1112 Ls. 2; VGH Mannheim, Urt. v. 19.7.2010 – 8 S 77/09 – BeckRS 2010, 50893. Vgl. dazu auch Michler/Möller, NuR 2011, 81 (87); Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 146. Akt. Stand: Sept. 2019, § 15 BNatSchG Rn. 123b. 95 Vgl. Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 90. EL Stand: Juni 2019, § 15 BNatSchG Rn. 46; Kment, ZUR 2016, 331 (336). 96 Vgl. Kment, ZUR 2016, 331 (336). 94

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d) Fazit Administrative Beurteilungsspielräume werden auf allen Stufen der Eingriffsregelung angenommen. Bei der Bewertung der Eingriffs- und Kompensationswirkungen wird dies auf unbestimmte Rechtsbegriffe (insbesondere die Erheblichkeit der Beeinträchtigung) und diverse Sachgründe, wie z. B. fehlende normative Maßstäbe und fehlende standardisierte Beurteilungs- bzw. Bewertungsverfahren, gestützt. Insbesondere diese Sachgründe scheinen jedoch grundsätzlich im gesamten Naturschutzrecht einschlägig und damit weitgehend austauschbar zu sein. Im Rahmen der Abwägung wird ein Spielraum dagegen nur bei Zulassungsentscheidungen mit Gestaltungsspielraum angenommen, mit der Begründung, dass sich die Rechtsnatur des Trägerverfahrens wegen des akzessorischen Charakters der Eingriffsregelung auf Letztere übertrage. Dieses differenzierte und restriktive Vorgehen ist aus rechtsstaatlichen Gründen zu begrüßen. Da die Spielräume der Verwaltung auf den vorherigen Stufen aber auf die Abwägung durchschlagen und ein hinreichend gewichtiger Sachgrund unabhängig vom Zulassungsverfahren besteht, erscheint die Differenzierung gleichwohl paradox. 3. Folge: Rücknahme der Kontrolldichte Die Folge der Beurteilungsspielräume ist die Rücknahme der Kontrolldichte. Nach Ansicht des BVerwG 97 ist die gerichtliche Kontrolle im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung durch die Einschätzungs- und planerischen Entscheidungsspielräume auf eine nachvollziehende Überprüfung beschränkt. Somit unterliegen die Quantifizierungen bei Eingriffswirkungen und Kompensationsmaßnahmen nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle.98 Das BVerwG 99 stellt fest, dass sie „vom Gericht hinzunehmen [sind], sofern sie im Einzelfall naturschutzfachlich vertretbar sind und auch nicht auf einem Bewertungsverfahren beruhen, das sich als unzulängliches oder gar ungeeignetes Mittel erweist, um den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden“. Mit anderen Worten ist ein von der Behörde festgelegtes Ausgleichskonzept erst dann gerichtlich zu beanstanden, wenn es naturschutzfachlich nicht mehr 97 BVerwG, Beschl. v. 7.7.2010 – 7 VR 2/10 – BeckRS 2010, 51166 Rn. 29; BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 40/07 – NVwZ 2010, 66 (68 Rn. 28); vgl. auch VGH Mannheim, Urt. v. 23.9.2013 – 3 S 284/11 – juris Rn. 165. 98 Vgl. BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 145; VGH Mannheim, Urt. v. 23.9.2013 – 3 S 284/11 – juris Rn. 165. 99 BVerwG, Urt. v. 9.6.2004 – 9 A 11/03 – NVwZ 2004, 1486 (1497); BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 145; BVerwG, Urt. v. 21.1.2016 – 4 A 5/14 – NVwZ 2016, 844 (859 Rn. 146); vgl. hierzu auch VGH Mannheim, Urt. v. 23.9.2013 – 3 S 284/11 – juris Rn. 165; VGH München, Beschl. v. 22.7.2015 – 15 ZB 14.1285 – BeckRS 2015, 50398 Rn. 5. Vgl. dazu Guckelberger, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2. Aufl. 2016, § 15 BNatSchG Rn. 69.

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vertretbar und daher unhaltbar ist.100 So nahm z. B. das VG Augsburg101 im Jahr 2014 eine Vertretbarkeitskontrolle vor und kam zu dem für den VGH München102 nachvollziehbaren Ergebnis, dass der Ausgleichsfaktor, der in dem Fall von der zuständigen Genehmigungsbehörde gefordert wurde, rechtlich nicht zu beanstanden sei. Bezüglich der Prüfung der Kompensationsmaßnahmen erklärte das BVerwG 103 bereits im Jahr 2009, dass die gerichtliche Kontrolle der behördlichen Erwägungen zur Dringlichkeit des konkreten Ausgleichskonzeptes beschränkt ist. Zudem sei Folge der Einschätzungs- und Planungsspielräume, dass das Gericht bei der Inanspruchnahme von Eigentumsflächen für Ausgleichsmaßnahmen keine eigenständige Verhältnismäßigkeitsprüfung vornehme, sondern darauf verwiesen sei, die behördlichen Erwägungen am Maßstab des Übermaßverbots nachzuvollziehen.104 Voraussetzung für eine Bewertung ist aber, dass die Eingriffs- und Kompensationsbilanz im Planfeststellungsbeschluss hinreichend verständlich offengelegt wird. Dabei genügt eine rational nachvollziehbare, verbal-argumentative Darstellung, sofern diese eine gerichtliche Kontrolle bezüglich der Einhaltung der Grenzen der Einschätzungsprärogative erlaubt.105 4. Einzelanalyse Ende Januar 2002 befasste sich das BVerwG 106 mit der Kritik eines Klägers am sog. Bilanzierungsverfahren. Nach diesem Verfahren wird das Biotopwertverfahren (dabei werden die Ausgleichsflächen dem Eingriff gegenübergestellt) mit einem Verfahren kombiniert, das die Regenerationsdauer mit einbezieht. Hierbei stellte das BVerwG 107 fest, dass keine verbindlichen Bewertungsvorgaben bestehen, dass schematisierte und rechenhaft handhabbare Verfahren zur Beurteilung der Eingriffsintensität fehlen und dass das Ergebnis der notwendigen Bewertung unterschiedlich ausfallen kann, je nachdem welches Verfahren ange100

VG Augsburg, Urt. v. 15.5.2014 – Au 5 K 14.70 – BeckRS 2014, 51903 Rn. 37. VG Augsburg, Urt. v. 15.5.2014 – Au 5 K 14.70 – BeckRS 2014, 51903 Rn. 37. 102 VGH München, Beschl. v. 22.7.2015 – 15 ZB 14.1285 – BeckRS 2015, 50398 Rn. 5. 103 BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 40/07 – NVwZ 2010, 66 (68 Rn. 28). 104 BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 40/07 – NVwZ 2010, 66 (68 Rn. 28). Vgl. zum Übermaßverbot auch VG Augsburg, Urt. v. 15.5.2014 – Au 5 K 14.70 – BeckRS 2014, 51903 Rn. 37. 105 BVerwG, Urt. v. 9.6.2004 – 9 A 11/03 – NVwZ 2004, 1486 (1497); BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 202. Vgl. auch VG Augsburg, Urt. v. 15.5.2014 – Au 5 K 14.70 – BeckRS 2014, 51903 Rn. 37. 106 BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – NVwZ 2002, 1103 (1110). 107 BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – NVwZ 2002, 1103 (1110). 101

114

D. Rechtsprechungsanalyse

wandt wird. Ziel sei nicht, dass das Verfahren mit den höchsten Anforderungen Anwendung finde. Vielmehr bestehe erst dann Anlass zu Beanstandungen, wenn „ein Bewertungsverfahren sich als unzulängliches oder gar ungeeignetes Mittel erweist“, um den Anforderungen der Eingriffsregelung gerecht zu werden.108 Im konkreten Fall ist es den Klägern nicht gelungen, die „Stimmigkeit und Aussagekraft der Bewertung“ zu erschüttern.109 Im Fall zur Ortsumgehung Michendorf erklärte das BVerwG 110 2004 für die Kompensationsmaßnahmen ausdrücklich, dass es auf eine Betrachtung des Einzelfalls ankomme, die vom Wert der betroffenen Fläche sowie von der Aufwertungsfähigkeit der Kompensationsflächen gemessen an dem jeweils in Frage stehenden Schutzgut abhängt. Das BVerwG 111 prüfte hier nur die Vertretbarkeit der Bewertung und kommt zu dem Ergebnis, dass eine „unvertretbare Überbewertung der Kompensationswirkungen“ bzw. eine „unvertretbare Fehlbewertung dieser [. . .] Maßnahmen“ nicht bestehe. Auffällig ist allerdings, dass sich das BVerwG trotz zurückgenommener Kontrolle jeweils einzeln mit den Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen auseinandersetzte und auf die Kritik des Klägers einging, letztlich gleichwohl „nur“ die Vertretbarkeit der Bewertungen genügen ließ.112 Einige der als Beweisanregungen zu verstehenden Hilfsbeweisanträge des Klägers wurden allerdings als unberechtigt zurückgewiesen, weil sie „auf Fragen zielen, die der rechtlichen Beurteilung der Planfeststellungsbehörde vorbehalten sind, der hier zudem teilweise eine Einschätzungsprärogative zusteht“.113 Das BVerwG 114 stellte im Jahr 2009 im Rahmen eines Planfeststellungsbeschlusses für den Neubau einer Bundesautobahn (A44 zwischen Ratingen und Velbert) fest, dass der Planfeststellungsbehörde bei der Bewertung der Kompensationswirkung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zustehe. Konsequenz dieses Spielraums sei, „dass das Gericht keine eigenständige Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen hat, sondern darauf verwiesen ist, die behördlichen Erwägungen am Maßstab des Übermaßverbots nachzuvollziehen“.115 Hierbei verwies das BVerwG darauf, dass es mangels entsprechender Ermittlungen und Bewertungen an einer tragfähigen Grundlage für die Beurteilung der Erforderlichkeit der Standortwahl für Kompensationsmaßnahmen fehle.116 108 109 110 111 112 113 114 115 116

BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – NVwZ 2002, 1103 (1110). BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – NVwZ 2002, 1103 (1111). BVerwG, Urt. v. 9.6.2004 – 9 A 11/03 – NVwZ 2004, 1486 (1499). BVerwG, Urt. v. 9.6.2004 – 9 A 11/03 – NVwZ 2004, 1486 (1499 f.). BVerwG, Urt. v. 9.6.2004 – 9 A 11/03 – NVwZ 2004, 1486 (1498). BVerwG, Urt. v. 9.6.2004 – 9 A 11/03 – NVwZ 2004, 1486 (1500). BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 40/07 – NVwZ 2010, 66 (68 Rn. 28). BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 40/07 – NVwZ 2010, 66 (68 Rn. 28). BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 40/07 – NVwZ 2010, 66 (68 Rn. 32).

II. Eingriffsregelung (§§ 13 ff. BNatSchG)

115

In dieselbe Richtung ging die Entscheidung des BVerwG 117 von 2010 zum Ausbau einer Bahnstrecke, wobei ein Beurteilungsspielraum bezüglich der Einhaltung der Anforderungen zur Kompensation angenommen wurde. Zu klären war auch hier, ob die Inanspruchnahme der Kompensationsflächen erforderlich war oder ob eine Standortalternative als milderes Mittel vorlag. Die Ermittlungen der Behörde waren hierbei defizitär, sodass keine tragfähige Grundlage für eine entsprechende Einschätzung gegeben war.118 Auch 2012 beschäftigte sich das BVerwG 119 mit dem Beurteilungsspielraum im Rahmen der Kompensationsmaßnahmen. Dabei ging das Gericht insbesondere auf die Berechnungsmethoden im Rahmen der Kompensationsberechnung ein, die durch verschiedene Erlasse der Ministerien festgelegt wurden.120 Das BVerwG 121 befasste sich dabei mit der Kritik des Klägers, wobei die jeweils genannten Punkte bereits im Planfeststellungsbeschluss Berücksichtigung fanden. Es überprüfte die Bewertungen der zuständigen Behörde auf Nachvollziehbarkeit, Beliebigkeit, Willkür und Unsachlichkeit.122 Zwar komme der Kläger zu anderen naturschutzfachlichen Einschätzungen, hieraus folge jedoch nicht die Ungeeignetheit der von der Behörde festgelegten Maßnahmen. Die verschiedenen herangezogenen Methoden könnten dabei jeweils vertretbar sein, ohne dass die Methode der Behörde als willkürlich und unvertretbar auszuschließen wäre.123 Das BVerwG 124 kam zu dem Schluss, dass unter Berücksichtigung des Beurteilungsspielraums kein Rechtsfehler vorlag. Sehr ausführlich befasste sich im Jahr 2013 der VGH Mannheim125 mit den Eingriffs- und Kompensationsmaßnahmen. Zwar wird „nur“ die Vertretbarkeit der behördlichen Entscheidung überprüft, hierzu wird aber sehr detailliert der Standpunkt des Klägers gewürdigt.126 Der Kläger schaffte es mit seiner teilweise schlüssigen Argumentation für die Verwendung einer anderen Methode bzw. mit dem Aufzeigen etwaiger Befürchtungen jedoch nicht, das Gericht von der Unvertretbarkeit des von der Behörde herangezogenen Verfahrens zu überzeugen.127 117

BVerwG, Beschl. v. 7.7.2010 – 7 VR 2/10 – BeckRS 2010, 51166 Rn. 29. BVerwG, Beschl. v. 7.7.2010 – 7 VR 2/10 – BeckRS 2010, 51166 Rn. 37. 119 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 145 ff. 120 Relevant waren in diesem Fall der Einführungserlass zum Landschaftsgesetz für Eingriffe durch Straßenbauvorhaben (ELES) in der Baulast des Bundes oder des Landes NRW vom 6. März 2009 (MBl NRW 2009, S. 138) sowie „Numerische Bewertung von Biotoptypen für die Eingriffsregelung“ vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) von 2008. 121 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 148 ff. 122 Vgl. BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 151 f. 123 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 154. 124 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 158. 125 VGH Mannheim, Urt. v. 23.9.2013 – 3 S 284/11 – juris Rn. 164 ff. 126 VGH Mannheim, Urt. v. 23.9.2013 – 3 S 284/11 – juris Rn. 164 ff. 127 Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 23.9.2013 – 3 S 284/11 – juris Rn. 164 ff., 186 ff., 204. 118

116

D. Rechtsprechungsanalyse

In einem Urteil des OVG Lüneburg128 stand im Jahr 2016 die Darstellung der umfassenden und sachgerechten Bewertung der Eingriffstatbestände im Vordergrund. Die Abarbeitung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung und deren Darstellung im landschaftspflegerischen Begleitplan waren ordnungsgemäß, sodass der Kläger mit seiner Kritik nicht durchdringen konnte. Zunächst wurden die Maßnahmen zur Vermeidung und Verminderung von Beeinträchtigungen dargelegt, daran anschließend erfolgte eine Beurteilung der Auswirkungen des Vorhabens auf den Naturhaushalt und das Landschaftsbild und eine Bewertung der Erheblichkeit und Ausgleichbarkeit der Beeinträchtigungen. Es folgte die Festlegung der erforderlichen Kompensationsmaßnahmen nach einem Maßnahmenkonzept und eine tabellarische Gegenüberstellung von Beeinträchtigung und Kompensation sowie eine abschließende Kompensationsbilanzierung. Im Ergebnis stellten die Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen eine hinreichende Kompensation der mit dem Vorhaben verbundenen erheblichen Beeinträchtigungen sicher. Im Fall zur Uckermarkfreileitung entschied das BVerwG 129 2016, dass der zuständigen Behörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative eingeräumt werde. In diesem Zusammenhang konnten die Kläger mit ihrem Vorbringen nicht überzeugen. Zwar setzte sich das BVerwG mit den Ausführungen der Kläger auseinander, stellte dann aber fest, dass es nicht ausreiche, mit einer abweichenden Methode ein abweichendes Ergebnis zu erzielen. Es sah im klägerischen Vorbringen keine substanziierte Methodenkritik und damit keinen Beleg für die Fehlerhaftigkeit der verwendeten Methode.130 Die Nachvollziehbarkeit der behördlichen Argumentation wurde nicht hinreichend infrage gestellt.131 Im selben Jahr entschied das BVerwG 132 im Fall zum Neubau der Autobahn A20, dass die Grenzen der, bei der Bewertung der Eingriffs- und Kompensationswirkungen anerkannten, naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative im Fall nicht überschritten seien. Das Gericht setzte sich ausführlich mit der im Erläuterungsbericht zum landschaftspflegerischen Begleitplan dargestellten Vorgehensweise der Ermittlung und Bilanzierung auseinander. Die diesbezüglich zu pauschalen klägerischen Einwände konnten nicht überzeugen.133 Das BVerwG 134 stellte 2017 im Fall zum Planfeststellungsbeschluss für die neue S-Bahn-Trasse in Fürth Nord nochmals klar, dass der zuständigen Behörde

128 Dazu und zum folgenden OVG Lüneburg, Urt. v. 22.4.2016 – 7 KS 27/15 – BeckRS 2016, 46472 Rn. 353 ff. 129 BVerwG, Urt. v. 21.1.2016 – 4 A 5/14 – NVwZ 2016, 844 (859 Rn. 146). 130 BVerwG, Urt. v. 21.1.2016 – 4 A 5/14 – NVwZ 2016, 844 (860 Rn. 149). 131 BVerwG, Urt. v. 21.1.2016 – 4 A 5/14 – NVwZ 2016, 844 (860 Rn. 154). 132 BVerwG, Urt. v. 10.11.2016 – 9 A 18/15 – NVwZ 2017, 1294 (1301 Rn. 56). 133 BVerwG, Urt. v. 10.11.2016 – 9 A 18/15 – NVwZ 2017, 1294 (1301 Rn. 58). 134 BVerwG, Urt. v. 9.11.2017 – 3 A 4/15 – BVerwGE 160, 263 (290 f. Rn. 74).

II. Eingriffsregelung (§§ 13 ff. BNatSchG)

117

im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung sowohl bei der Bewertung der Eingriffswirkungen eines Vorhabens als auch bei der Bewertung der Kompensationswirkung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ein naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum zustehe und die gerichtliche Kontrolle zurückgenommen werde. Zudem nahm das BVerwG eine gewisse Selbstbindung der zuständigen Behörde an, soweit diese sich im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative für ein Bewertungsverfahren entschieden hat. Hiervon dürfe dann nur mit entsprechender Begründung abgewichen werden. Dem wurde die Behörde im Fall nicht gerecht. Sie wich von diversen Leitfäden ab, ohne die Abweichung hinreichend zu begründen.135 5. Bewertung Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass der Zulassungsbehörde im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung bei der Bewertung der Eingriffswirkungen eines Vorhabens und ebenso bei der Bewertung der Kompensationswirkungen von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, insbesondere was deren Quantifizierung betrifft, eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zukommt. Somit werden die Methoden der Ermittlung, Bewertung und Quantifizierung des Ausgleichs von der zuständigen Behörde bestimmt.136 Der Versuch, die Einschätzungsprärogativen im Rahmen der Eingriffsregelung in das allgemeine Schema der Anerkennung von Beurteilungsspielräumen einzuordnen (normative Ermächtigung, unbestimmter Rechtsbegriff und hinreichend gewichtiger Sachgrund), muss weitgehend scheitern. Am ehesten gelingt dies im Rahmen der Bewertung des Eingriffs als solchen, da hier mit dem Begriff der „Erheblichkeit“ zumindest ein unbestimmter Rechtsbegriff vorliegt. Allerdings geht die Rechtsprechung weder ausdrücklich auf die Unbestimmtheit der Regelung ein noch auf einen hinreichend gewichtigen Sachgrund. Die Annahme der Einschätzungsprärogative erfolgt vielmehr sehr vage und allgemein aus der Komplexität der Materie und dem Fehlen anerkannter und standardisierter Bewertungsverfahren. Komplexe Sachverhalte gibt es aber auch über das Naturschutzrecht hinaus, ohne dass es hier zu einer Anerkennung von Beurteilungsspielräumen führen würde. Selbst wenn man hierin einen hinreichend gewichtigen Sachgrund zu erkennen vermag, ist eine saubere dogmatische Einordnung in der Rechtsprechung nicht erkennbar. Trotz der Annahme von Beurteilungsspielräumen fällt die gerichtliche Überprüfung nicht komplett aus, sondern geht vielmehr relativ weit. Dies spiegeln die insoweit zumeist sehr ausführlichen Urteile wider. Auffällig ist dabei jedoch, dass 135 136

Ls. 2.

BVerwG, Urt. v. 9.11.2017 – 3 A 4/15 – BVerwGE 160, 263 (291 f. Rn. 74 ff.). Vgl. VG Augsburg, Urt. v. 15.5.2014 – Au 5 K 14.70 – BeckRS 2014, 51903

118

D. Rechtsprechungsanalyse

die Kläger im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung nur selten mit ihrer Kritik durchdringen. Dies gelang beispielsweise im Jahr 2016 im Fall zur Uckermarkleitung nicht.137 Zwar wurden hier durchaus in sich stimmige Argumente vorgetragen, diese stellten jedoch die Nachvollziehbarkeit der angewandten Methode nach Ansicht des BVerwG nicht in Frage; der Nachweis der methodischen Fehlerhaftigkeit gelang daher gerade nicht.138 Abgesehen davon fehlte teilweise ein weiterer substantiierter Vortrag.139 In einem jüngeren Fall drang der Antragsteller mit seinem Vortrag nicht durch, weil dieser als zu abstrakt und im Einzelfall zu spekulativ bewertet wurde, wobei zudem das Fehlen konkreten Gegenvorbringens beanstandet wurde.140 Im Übrigen war das Vorbringen des Antragstellers teils inhaltlich unzutreffend.141 Daher ist festzuhalten, dass die bloße Verweisung des Klägers auf eine andere, geeignete Methode nicht zur Fehlerhaftigkeit der vom Beklagten angewandten Methode führt. Es bedarf vielmehr einer substantiierten Methodenkritik, die den Nachweis der methodischen Fehlerhaftigkeit der Bewertungsmethode erbringt.142 Wünschenswert wäre in diesem Zusammenhang eine konkretere Normierung insbesondere der methodischen Vorgaben. Zu denken ist an den Erlass einer Bundeskompensationsverordnung nach § 15 Abs. 7 BNatSchG, in der Inhalt, Art und Umfang von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen geregelt werden.143 Eine bundeseinheitliche Standardsetzung würde die Planung und Durchführung von Vorhaben erleichtern und zur Gleichbehandlung von Eingriffsverursachern führen.144 Der Gesetzgeber sollte seiner eigenen Zielsetzung nachkommen und dem Koali137

BVerwG, Urt. v. 21.1.2016 – 4 A 5/14 – NVwZ 2016, 844 (860 Rn. 151 ff.). BVerwG, Urt. v. 21.1.2016 – 4 A 5/14 – NVwZ 2016, 844 (860 Rn. 149, 153). 139 BVerwG, Urt. v. 21.1.2016 – 4 A 5/14 – NVwZ 2016, 844 (860 Rn. 155). 140 OVG Koblenz, Beschl. v. 25.7.2017 – 8 B 10987/17 – BeckRS 2017, 119679 Rn. 40. 141 OVG Koblenz, Beschl. v. 25.7.2017 – 8 B 10987/17 – BeckRS 2017, 119679 Rn. 41. 142 Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 21.1.2016 – 4 A 5/14 – NVwZ 2016, 844 (860 Rn. 149). 143 Der Entwurf einer Bundeskompensationsverordnung (BKompV), BR-Drs. 332/ 13, scheiterte im Verfahren der Verordnungsgebung. Der Entwurf kann aber als Arbeitshilfe herangezogen werden, vgl. Schrader, in: Giesberts/Reinhardt, Umweltrecht, 52. Ed. Stand: 1.10.2019, § 15 BNatSchG Rn. 85. Obwohl der Erlass einer Bundeskompensationsverordnung im Koalitionsvertrag zur 18. Legislaturperiode vorgesehen war, scheiterte dieses Vorhaben erneut, vgl. Koalitionsvertrag 2013 zwischen CDU, CSU und SPD, S. 87. Auch in der laufenden 19. Legislaturperiode ist der Erlass einer Bundeskompensationsverordnung vorgesehen, vgl. Koalitionsvertrag 2018 zwischen CDU, CSU und SPD, S. 139. 144 Vgl. Michler/Möller, NuR 2011, 81 (87). Zu den erheblichen Unterschieden standardisierter Bewertungsverfahren in den Bundesländern Berchter, Die Eingriffsregelung im Naturschutzrecht, 2007, S. 142; dazu auch Koch, in: Kerkmann, Naturschutzrecht in der Praxis, 2007, § 4 Rn. 60. Zum Erfordernis weiterer Standardisierungen, s. u. E. II. 1. c) auf S. 228 ff. 138

III. Europäischer Gebietsschutz

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tionsvertrag zur 19. Legislaturperiode entsprechend den Erlass einer Bundeskompensationsverordnung voranbringen.145

III. Europäischer Gebietsschutz Von großer Bedeutung ist das Europäische ökologische Netz „Natura 2000“, welches aus den nach der Vogelschutzrichtlinie 146 ausgewiesenen Vogelschutzgebieten und aus den nach der FFH-Richtlinie147 ausgewiesenen Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung besteht.148 Durch die Ausweisung von Schutzgebieten und die Durchführung von Schutzmaßnahmen soll insbesondere der Fortbestand bzw. die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der natürlichen Lebensraumtypen und Arten in ihren natürlichen Verbreitungsgebieten gewährleistet werden.149 Im nationalen Recht erfolgte die Umsetzung sowohl der FFH-Richtlinie als auch der Vogelschutzrichtlinie einheitlich durch §§ 31–36 BNatSchG.150 Die Anforderungen des europäischen Naturschutzrechts sind sehr streng, sodass Beurteilungsspielräume und die Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle einer besonderen Begründung bedürfen.151 Anerkannt werden sie in drei Bereichen: bei der Auswahl und Abgrenzung von FFH- und Vogelschutzgebieten (§ 32 Abs. 1 S. 1 BNatSchG), bei der Verträglichkeitsprüfung (§ 34 Abs. 2, 3 BNatSchG) und bei der Abweichungsprüfung (§ 34 Abs. 5 BNatSchG).

145 In eine ähnliche Richtung geht auch die Idee von Michler/Möller, die 2011 vorgeschlagen haben, eine „TA Eingriff“ zu erlassen, um einheitliche Vorgaben zur Bewertung von Eingriffen und Kompensationsmaßnahmen vorzugeben, Michler/Möller, NuR 2011, 81 (87). 146 Richtlinie 2009/147/EG v. 30.11.2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (sog. Vogelschutzrichtlinie [VRL]) (ABlEU 2010 L 20 S. 7). 147 Richtlinie 92/43/EWG v. 21.5.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (sog. Fauna-Flora-Habitat [FFH]-Richtlinie) (ABlEG L 206 S. 7). 148 Mittlerweile wurden 5.200 Gebiete ausgewiesen, die ca. 15,5 % der terrestrischen Fläche und ca. 45 % der marinen Fläche bedecken, BfN, Zum Stand der Umsetzung von Natura 2000 in Deutschland, https://www.bfn.de/themen/natura-2000/natura-2000-ge biete.html (zuletzt aufgerufen am 20.12.2019). 149 Vgl. Stüer, DVBl. 2007, 416 (417). 150 Die Aussagen zur Vogelschutzrichtlinie sind daher in den grundlegenden Aussagen auf die FFH-Richtlinie übertragbar. Die europarechtlichen Unterschiede bleiben aber bestehen. Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 12 Rn. 375; Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 32 BNatSchG Rn. 2, 28. 151 Zum strengen Prüfungsmaßstab vgl. EuGH, Urt. v. 15.5.2014, T.C. Briels, Rs. C521/12, ECLI:EU:C:2014:330 Rn. 26 ff.; BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1059); vgl. Wimmer, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 86 VwGO Rn. 34 f.

120

D. Rechtsprechungsanalyse

1. Auswahl und Abgrenzung von Natura-2000-Gebieten (§ 32 Abs. 1 S. 1 BNatSchG) Grundvoraussetzung für die weitere Anwendung der Regelungen zum Gebietsschutz ist das Bestehen eines Schutzgebiets. Schon auf dieser Ebene, sowohl bei der Auswahl wie auch bei der Abgrenzung von Natura-2000-Gebieten, besteht ein Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, eine Liste mit potenziell schutzwürdigen Gebieten bei der Kommission einzureichen, folgte aus Art. 4 Abs. 1 FFHRichtlinie und Art. 4 Abs. 1 und 2 VRL. Die Ausweisung der Schutzgebiete erfolgte gemäß § 32 Abs. 1 S. 1 BNatSchG nach den europarechtlichen Vorgaben. Die Gebietsauswahl wird als weitgehend abgeschlossen angesehen. Dementsprechend reduziert hat sich auch die Anzahl der die Gebietsauswahl betreffenden gerichtlichen Entscheidungen. Das Netz Natura-2000 ist aber fortschreibungsund anpassungsfähig, sodass Nachmeldungen und Veränderungen von Gebieten möglich sind. Von Bedeutung ist dabei die Frage, ob ein nicht unter Schutz gestelltes Gebiet unter Schutz hätte gestellt werden müssen, um den entsprechenden Schutzvorkehrungen zu unterfallen. In der Folge wird ein potenzielles FFH-Gebiet oder ein faktisches Vogelschutzgebiet angenommen.152 Dass weitere Gebiete möglicherweise als Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen und die Rechtsfigur der potenziellen Schutzgebiete noch nicht ad acta zu legen ist, zeigt die kürzlich zum Hambacher Forst ergangene Entscheidung des VG Köln.153 Aber auch wenn ein Gebiet bereits als Schutzgebiet ausgewiesen wurde, besteht noch Raum für eine gerichtliche Überprüfung der Richtigkeit der Gebietsauswahl bzw. -abgrenzung. Bei Zweifeln an der Ordnungsgemäßheit der Schutzgebietsausweisung besteht die Möglichkeit eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH nach Art. 267 AEUV.154 Insgesamt ist die Frage der Abgrenzung der Natura-2000-Gebiete immer noch relevant. Wegen des im Grunde abgeschlossenen Ausweisungsprozesses ist die Rechtsprechung mittlerweile aber seltener mit der Problematik befasst. a) Verfahren der Unterschutzstellung Im Rahmen des Unterschutzstellungsverfahrens muss zwischen Vogelschutzgebieten und FFH-Gebieten unterschieden werden. Im Ergebnis werden diese sich in räumlicher Hinsicht faktisch überschneiden. 152 Zur Vorwirkungsrechtsprechung des EuGH vgl. EuGH, Urt. v. 18.12.1997, InterEnvironnement Wallonie, Rs. C-129/96, ECLI:EU:C:1997:628 Rn. 35 ff. 153 Dies gilt, wenngleich das VG Köln im Ergebnis kein potenzielles Schutzgebiet annahm, VG Köln, Urt. v. 12.3.2019 – 14 K 3037/18, 14 K 4496/18 und 14 K 6238/18. 154 Vgl. VGH München, Urt. v. 25.9.2012 – 14 B 10.550 – BeckRS 2012, 58238 Rn. 27.

III. Europäischer Gebietsschutz

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aa) FFH-Gebiete FFH-Gebiete werden durch ein dreistufiges Verfahren unter Schutz gestellt. Zunächst findet die Meldung der Gebiete durch die Mitgliedstaaten statt (Phase 1), anschließend wird die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung durch die Europäische Kommission erstellt (Phase 2) und letztlich erfolgt die nationale Unterschutzstellung (Phase 3).155 Für die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen entscheidend ist die erste Phase der Gebietsausweisung, also die Gebietsmeldung. Hier erstellen die Mitgliedstaaten Listen derjenigen Gebiete, die natürliche Lebensraumtypen des Anhangs I FFH-Richtlinie und einheimische Arten des Anhangs II FFH-Richtlinie enthalten, und legen diese der Kommission vor. In der Bundesrepublik treffen die Länder im Benehmen mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und unter Beteiligung der anderen fachlich betroffenen Bundesministerien die Gebietsauswahl (§ 32 Abs. 1 S. 2, 3 BNatSchG). Sodann wird eine aus den Länderlisten erstellte Bundesliste (sog. Vorschlagsliste) an die Kommission weitergeleitet. bb) Vogelschutzgebiete Dagegen gestaltet sich die Aufnahme von Vogelschutzgebieten in das Netz Natura-2000 weniger aufwendig.156 Die Ausweisung der Vogelschutzgebiete richtet sich nach Art. 4 Abs. 1, 2 VRL. Danach erfolgt die Unterschutzstellung in Eigenregie, allein durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. In der Bundesrepublik obliegt auch hier die Gebietsauswahl den Ländern (§ 32 Abs. 1 S. 2, 3 BNatSchG). Die Kommission wird lediglich über die Ausweisung informiert, um ggf. koordinierend tätig werden zu können und eine optimale europaweite Vernetzung zu erreichen. Im Gegensatz zur FFH-Richtlinie kennt die Vogelschutzrichtlinie also kein formalisiertes konstitutives Meldeverfahren und auch die Meldung der Gebiete hat nur informatorischen und keinen konstitutiven Charakter.157 b) Herleitung des Beurteilungsspielraums Sowohl die FFH-Richtlinie als auch die Vogelschutzrichtlinie eröffnen einen fachlichen Beurteilungsspielraum bezüglich der Frage, welche Gebiete die europarechtlich maßgeblichen Auswahlkriterien erfüllen und in der Folge als Schutz155 Genauer zum Verfahren vgl. Kahl/Gärditz, Umweltrecht, 11. Aufl. 2019, § 10 Rn. 114 ff.; Epiney, Umweltrecht der Europäischen Union, 4. Aufl. 2019, 9. Kap. Rn. 58 ff. 156 Zur Einrichtung von Schutzgebieten vgl. Epiney, Umweltrecht der Europäischen Union, 4. Aufl. 2019, 9. Kap. Rn. 48 ff. 157 Schumacher/Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl. 2011, § 31 BNatSchG Rn. 32; Gellermann, Natura 2000, 2. Aufl. 2001, S. 231; Jarass, NuR 1999, 481 (483); BVerwG, Urt. v. 1.4.2004 – 4 C 2/03 – NVwZ 2004, 1114 (1117); BVerwG, Beschl. v. 7.4.2006 – 4 B 58/05 – NVwZ 2006, 822 (823 Rn. 9).

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D. Rechtsprechungsanalyse

gebiete ausgewiesen werden müssen.158 Bei der Ausweisung von Vogelschutzgebieten gilt dies bezüglich der Frage, welche Gebiete die entsprechenden ornithologischen Kriterien erfüllen und damit „am geeignetsten“ i. S. v. Art. 4 Abs. 1 UAbs. 4 VRL sind.159 Bei der Ausweisung der FFH-Gebiete bestehen ebenfalls bestimmte Auswahlkriterien, für deren Anwendung ein naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum anerkannt ist.160 Im Ergebnis wird ein solcher sowohl bezüglich der Aufnahme von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in die nationale Vorschlagsliste161 als auch bezüglich der konkreten Abgrenzung der zu meldenden Gebiete anerkannt.162 Versucht man wiederum den Spielraum nach der üblichen Struktur herzuleiten, so kommt es zumindest bei den Vogelschutzgebieten auf die Auswahl der „geeignetsten“ Gebiete an. Wann die entsprechende Eignung vorliegt, bleibt indes unklar. Für die FFH-Gebiete fehlt es dagegen bereits an einem unbestimmten Rechtsbegriff. Im Übrigen wird das Bestehen eines Beurteilungsspielraums bei der Auswahl und Abgrenzung von Natura-2000-Gebieten in zweierlei Hinsicht begründet: zum einen mit dem Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 3 EUV), um den Mitgliedstaaten den ihnen gebührenden Spielraum zu gewähren, zum anderen mit den im Folgenden näher dargestellten Kriterien der Gebietsauswahl, die allesamt eine Wertungsfrage darstellen. aa) Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 3 EUV) Das Projekt Natura-2000 hat unionsweite Bedeutung und wird unionsweit geregelt. Es bedarf möglichst großer nationaler Spielräume.163 Der jeweilige Mitgliedstaat trifft deswegen (formal) die Vorauswahl. Dabei muss ein Beurteilungsspielraum des Mitgliedstaats bestehen, um dem Subsidiaritätsprinzip gemäß Art. 5 Abs. 3 EUV auch tatsächlich Rechnung zu tragen. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass die Ziele der FFH-Richtlinie erreicht werden. Die Kommission 158

BVerwG, Beschl. v. 24.2.2004 – 4 B 101/03 – BeckRS 2004, 21838. BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 – 4 A 15/02 – NVwZ 2003, 485 (487); BVerwG, Urt. v. 14.1.2004 – 4 A 11/02 – NVwZ 2004, 732 (734); BVerwG, Urt. v. 21.6.2006 – 9 A 28/05 – NVwZ 2006, 1161 (1162 Rn. 20); BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 51; BVerwG, Urt. v. 27.3.2014 – 4 CN 3/13 – NVwZ 2014, 1022 (1025 Rn. 23); EuGH, Urt. v. 28.2.1991, Leybucht, Rs. C-57/89, ECLI:EU:C: 1991:89 Rn. 20; EuGH, Urt. v. 2.8.1993, Santoña, Rs. C-355/90, ECLI:EU:C:1993:331 Rn. 26; EuGH, Urt. v. 23.3.2006, KOM/Österreich, Rs. C-209/04, ECLI:EU:C:2006: 195 Rn. 33. 160 BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 10/07 – ZUR 2008, 378 (378); BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1228 Rn. 38); BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 22; BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 36. 161 BVerwG, Urt. v. 24.8.2000 – 6 B 23/00 – NVwZ 2001, 92 Ls. 1. 162 BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 36. 163 Frenz, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2. Aufl. 2016, § 32 BNatSchG Rn. 19. 159

III. Europäischer Gebietsschutz

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hat die Vorauswahl zu respektieren und darf sich nicht darüber hinwegsetzen oder die Auswahl später ändern. Das Subsidiaritätsprinzip aus Art. 5 Abs. 3 EUV kann aber nur im Verhältnis des Mitgliedstaates zur Europäischen Union gelten. Dies begründet somit nur den Spielraum gegenüber der EU-Kommission, nicht aber die Reduktion der Kontrolldichte durch nationale Gerichte.164 bb) Kriterien für die Auswahlentscheidung Der entscheidende Grund für die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums ist die Ausgestaltung der Kriterien für die Auswahlentscheidung. Wie sogleich für die Vogelschutzrichtlinie und die FFH-Richtlinie dargestellt wird, sind diese Kriterien einer Wertung zugänglich, sodass im Ergebnis mehrere „richtige“ Entscheidungen getroffen werden können. Hier muss der Behörde freie Hand gelassen werden, um eine in diesem Sinne richtige Entscheidung zu treffen. (1) Vogelschutzrichtlinie Den Mitgliedstaaten steht bei der Errichtung eines Vogelschutzgebiets grundsätzlich ein bestimmter Spielraum zu.165 Ziel der Richtlinie ist es, das Überleben und die Vermehrung bestimmter Vogelarten in ihrem Verbreitungsgebiet sicherzustellen. Den Bezugsrahmen für die entsprechenden Bewertungen gibt allein das Staatsgebiet des Mitgliedstaates vor.166 Gemäß Art. 4 Abs. 1 UAbs. 4 VRL sind von den Mitgliedstaaten insbesondere die für die in Anhang I aufgeführten Vogelarten „zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete“ zu Schutzgebieten zu erklären. Gemäß Art. 4 Abs. 2 VRL sind für Zugvogelarten, die nicht in Anhang I aufgeführt sind, „entsprechende Maßnahmen“ zu ergreifen. Es sind demnach nicht alle Gebiete, in denen die genannten Vogelarten vorkommen, auszuweisen, sondern vielmehr nur die Gebiete, die am besten die Gewähr für die Verwirklichung der Richtlinienziele bieten.167 Dabei müssen alle integralen Bestandteile der Lebensräume umfasst sein.168 164 Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 146. Akt. Stand: Sept. 2019, § 32 BNatSchG Rn. 17. 165 EuGH, Urt. v. 28.2.1991, Leybucht, Rs. C-57/89, ECLI:EU:C:1991:89 Rn. 20; EuGH, Urt. v. 2.8.1993, Santoña, Rs. C-355/90, ECLI:EU:C:1993:331 Ls. 3, Rn. 26. Vgl. auch Frenz, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2. Aufl. 2016, § 32 BNatSchG Rn. 9; Iven, NuR 1996, 373 (374). 166 EuGH, Urt. v. 13.12.2007, KOM/Irland, Rs. C-418/04, ECLI:EU:C:2007:780 Rn. 58 f.; Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 32 BNatSchG Rn. 16; Epiney, in: Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, 2009, S. 25 f. 167 BVerwG, Beschl. v. 12.6.2003 – 4 B 37/03 – NVwZ 2004, 98 (98); BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 10/07 – ZUR 2008, 378 (378); BVerwG, Urt. v. 21.1.2016 – 4 A 5/14 – NVwZ 2016, 844 (849 Rn. 58).

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D. Rechtsprechungsanalyse

Das entscheidende Kriterium ist das der „zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete“. Die ornithologische Wertigkeit eines Gebiets ist nach quantitativen und qualitativen Kriterien zu bestimmen.169 Eine quantitative Betrachtung der Vogelpopulation ermöglicht die Beurteilung der zahlenmäßigen Eignung eines Gebiets, während die Feststellung des tatsächlichen Zustands und die ökologische Entwicklungsfähigkeit des Lebensraumes der Beurteilung der flächenmäßigen Eignung dient.170 Welche Gebiete dann am „geeignetsten“ sind, ist vergleichend im Verhältnis zu anderen Landschaftsteilen und nur anhand ornithologischer Kriterien zu bewerten.171 Hierbei sind mehrere fachliche Wertungen möglich.172 Diese ornithologischen Kriterien müssen jedoch erst definiert werden. Die Vogelschutzrichtlinie gibt keinen Kriterienkatalog vor und auch die §§ 32 ff. BNatSchG fordern nicht explizit bestimmte Kriterien. Stattdessen hat die Rechtsprechung die Eignungskriterien aus Art. 4 Abs. 1 VRL in Bewertungskriterien übertragen. Darunter fallen insbesondere die Seltenheit, Empfindlichkeit/Sensibilität und Gefährdung der Vogelarten, die Populationsdichte und Artendiversität eines Gebiets, das Entwicklungspotenzial, die Netzverknüpfung (Kohärenz) und Erhaltungsperspektiven der vorkommenden bedrohten Arten.173 Voraussetzung ist jedenfalls, dass die besten und aktuellsten verfügbaren wissenschaftlich ermittelten Fakten zugrunde gelegt wurden.174 168 EuGH, Urt. v. 2.8.1993, Santoña, Rs. C-355/90, ECLI:EU:C:1993:331 Rn. 28 f.; EuGH, Urt. v. 25.11.1999, Poitou Sümpfe, Rs. C-96/98, ECLI:EU:C:1999:580 Rn. 15 f.; EuGH, Urt. v. 13.12.2007, KOM/Irland, Rs. C-418/04, ECLI:EU:C:2007:780 Rn. 138. 169 Vgl. EuGH, Urt. v. 19.5.1998, KOM/Niederlande, Rs. C-3/96, ECLI:EU:C:1998: 238 Rn. 31; BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – BeckRS 2002, 21607 (1.1.); BVerwG, Beschl. v. 12.6.2003 – 4 B 37/03 – NVwZ 2004, 98 (98); BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 10/07 – ZUR 2008, 378 (378). 170 Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 12 Rn. 364; Maaß/Schütte, in: Koch/Hofmann/Reese, HdB Umweltrecht, 5. Aufl. 2018, § 7 Rn. 87. 171 BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – BeckRS 2002, 21607 (1.1.); BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 – 4 A 15/02 – NVwZ 2002, 485 (487); BVerwG, Beschl. v. 12.6.2003 – 4 B 37/03 – NVwZ 2004, 98 (98); BVerwG, Urt. v. 21.6.2006 – 9 A 28/05 – NVwZ 2006, 1161 (1162 Rn. 20), unter Bezugnahme auf EuGH, Urt. v. 2.8.1993, Santoña, Rs. C-355/90, ECLI:EU:C:1993:331 Rn. 26; EuGH, Urt. v. 23.3.2006, KOM/Österreich, Rs. C-209/04, ECLI:EU:C:2006:195 Rn. 33. Vgl. weiterhin BVerwG, Urt. v. 12.3. 2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 51; BVerwG, Urt. v. 27.3.2014 – 4 CN 3/13 – NVwZ 2014, 1022 (1025 Rn. 22). Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 146. Akt. Stand: Sept. 2019, § 32 BNatSchG Rn. 16. 172 BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 – 4 A 15/02 – NVwZ 2003, 485 (487). 173 BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 – 4 A 15/02 – NVwZ 2003, 485 (487); BVerwG, Urt. v. 15.1.2004 – 4 A 11/02 – NVwZ 2004, 732 (734); BVerwG, Beschl. v. 24.2.2004 – 4 B 101/03 – BeckRS 2004, 21838; BVerwG, Urt. v. 21.6.2006 – 9 A 28/05 – NVwZ 2006, 1161 (1162 Rn. 20); BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 51; OVG Koblenz, Urt. v. 9.1.2003 – 1 C 10393/01 – BeckRS 2003, 21347 Rn. 43. 174 EuGH, Urt. v. 25.10.2007, KOM/Griechenland, Rs. C-334/04, ECLI:EU:C:2007: 628 Rn. 32; EuGH, Urt. v. 13.12.2007, KOM/Irland, Rs. C-418/04, ECLI:EU:C:2007:

III. Europäischer Gebietsschutz

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Die Rechtsprechung hat zudem eine sog. Je-desto-Formel entwickelt: „Je mehr der im Anhang I aufgeführten oder in Art. 4 Abs. 2 VRL genannten Vogelarten in einem Gebiet in einer erheblichen Anzahl von Exemplaren vorkommen, desto höher ist der Wert als Lebensraum einzuschätzen. Je bedrohter, seltener oder empfindlicher die Arten sind, desto größere Bedeutung ist dem Gebiet beizumessen, das die für ihr Leben und ihre Fortpflanzung ausschlaggebenden physischen und biologischen Elemente aufweist.“ 175 Zum Kreis der „geeignetsten“ Gebiete gehören weiterhin nur die Habitate, die unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe für sich betrachtet in signifikanter Weise zur Arterhaltung beitragen.176 Allein die Tatsache, dass bestimmte Vogelarten im Gebiet festgestellt wurden, gebietet nicht zwingend die Ausweisung als Schutzgebiet.177 Trägt ein Gebiet weder nach der Lage noch nach der Gebietsprägung zum Schutz einer bestimmten Art etwas bei, so muss dieses Gebiet auch nicht als Schutzgebiet ausgewiesen werden.178 Besondere Berücksichtigung finden dagegen Arten, die vom Aussterben bedroht, sehr habitatabhängig oder selten sind.179 Bedeutung haben auch ausgewiesene Feuchtgebiete, wie etwa die sog. RamsarGebiete.180 Im Ergebnis sind also Gebiete mit hohen Artenzahlen, hoher Habitatqualität, geringen Störungen und Zerschneidungen oder großer Relevanz für bedrohte Arten als Schutzgebiete auszuweisen.181 Die zu schützenden Arten müssen darin

780 Rn. 47, 66; BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 10/07 – ZUR 2008, 378 (379). Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 32 BNatSchG Rn. 17. 175 BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – BeckRS 2002, 21607 (1.1.); BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 10/07 – ZUR 2008, 378 (378). Vgl. zudem BVerwG, Beschl. v. 12.6.2003 – 4 B 37/03 – NVwZ 2004, 98 (98); BVerwG, Beschl. v. 24.2.2004 – 4 B 101/03 – BeckRS 2004, 21838. Zum Teil auch BVerwG, Urt. v. 21.6.2006 – 9 A 28/05 – NVwZ 2006, 1161 (1162 Rn. 20); BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 51. 176 BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – BeckRS 2002, 21607 (1.1.); BVerwG, Urt. v. 15.1.2004 – 4 A 11/02 – NVwZ 2004, 732 (735); BVerwG, Urt. v. 24.2.2004 – 4 B 101/03 – BeckRS 2004, 21838 m.w. N.; BVerwG, Urt. v. 21.6.2006 – 9 A 28/05 – NVwZ 2006, 1161 (1162 Rn. 20); BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 51. 177 BVerwG, Urt. v. 15.1.2004 – 4 A 11/02 – NVwZ 2004, 732 (735); BVerwG, Urt. v. 22.1.2004 – 4 A 32/02 – NVwZ 2004, 722 (726). 178 BVerwG, Urt. v. 21.6.2006 – 9 A 28/05 – NVwZ 2006, 1161 (1162 Rn. 25). 179 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 32 BNatSchG Rn. 16. 180 Dies sind solche Schutzgebiete, die nach dem Internationalen Übereinkommen zum Schutz von Feuchtgebieten internationaler Bedeutung, insbesondere als Lebensraum für Wat- und Wasservögel (sog. Ramsar-Konvention), ausgewiesen wurden. Vgl. Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 32 BNatSchG Rn. 24. 181 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 32 BNatSchG Rn. 22; Epiney, in: Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, 2009, S. 22; Füßer, NuR 2004, 701 (706 ff.). EuGH, Urt. v. 2.8.1993, Santoña, Rs. C355/90, ECLI:EU:C:1993:331 Rn. 27 ff.

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D. Rechtsprechungsanalyse

ausreichend vertreten sein, wobei keine pauschale prozentuale Grenze gilt, sondern schlicht das Vorhandensein einer signifikanten Zahl von Tieren einer Art im Sinne einer lokalen Population genügt.182 Je im Mitgliedstaat vorkommender Vogelart muss der Mitgliedstaat ein Vogelschutzgebiet – das geeignetste – ausweisen.183 (2) FFH-Richtlinie Im Rahmen der FFH-Richtlinie sind lediglich naturschutzfachliche Kriterien heranzuziehen.184 Die vom Mitgliedstaat vorgeschlagene Liste musste für Lebensraumtypen die ökologische und für Arten die genetische Vielfalt im Mitgliedstaat wiederspiegeln.185 Die Kommission hat dann entschieden, welche Gebiete in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen wurden. Um der Kommission eine ordnungsgemäße Auswahl zu ermöglichen, musste es sich daher um eine umfassende Auflistung handeln. § 32 Abs. 1 BNatSchG benennt selbst keine materiellen Auswahlkriterien, sondern verweist auf Art. 4 Abs. 1 FFH-Richtlinie, der wiederum auf die in Anhang III Phase 1 FFH-Richtlinie festgelegten naturschutzfachlichen Kriterien verweist. Man spricht daher auch von der materiellen Prägung durch Unionsrecht.186 Zu unterscheiden ist zwischen den geschützten Lebensraumtypen und den geschützten Arten. Für die Lebensraumtypen gilt Anhang III Phase 1 Abschnitt A FFH-Richtlinie. Als Kriterien werden hier genannt: der Repräsentativitätsgrad, der Flächenanteil im Vergleich zur nationalen Gesamtfläche des Lebensraumtyps, der Erhaltungsgrad, die Wiederherstellungsmöglichkeiten und auch der Wert des Gebiets für die Erhaltung des betreffenden natürlichen Lebensraumtyps. Erfüllt ein Lebensraum die prägenden Merkmale eines geschützten Typs, hat die entsprechende Zuordnung zu erfolgen, wenngleich sein Bestand durch äußere Einflüsse gefährdet wird.187 Für die Arten gilt Anhang III Phase 1 Abschnitt B FFHRichtlinie. Entscheidende Auswahlkriterien sind hier die Populationsgröße und -dichte, der Erhaltungsgrad, die Wiederherstellungsmöglichkeiten, der Isolierungsgrad und der Wert des Gebiets für die Erhaltung der betreffenden Art. 182 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 32 BNatSchG Rn. 22; EuGH, Urt. v. 28.6.2007, KOM/Spanien, Rs. C-235/04, ECLI:EU:C:2007:386 Rn. 30 f.; BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – BeckRS 2002, 21607. 183 EuGH, Urt. v. 26.11.2002, KOM/Frankreich, Rs. C-202/01, ECLI:EU:C:2002:713 Rn. 18–21; EuGH, Urt. v. 25.10.2007, KOM/Griechenland, Rs. C-334/04, ECLI:EU:C: 2007:628 Rn. 56, 60. 184 Zu den konkreten Kriterien sogleich. 185 Schumacher/Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl. 2011, § 32 BNatSchG Rn. 13. 186 Frenz, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2. Aufl. 2016, § 32 BNatSchG Rn. 5. 187 BVerwG, Urt. v. 14.7.2011 – 9 A 12/10 – ZUR 2012, 95 (99 Rn. 63).

III. Europäischer Gebietsschutz

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Da die Kriterien aus Anhang III Phase 1 FFH-Richtlinie so konzipiert sind, dass sie im Einzelfall eine unterschiedliche Bewertung zulassen, besteht bei deren Anwendung ein naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum.188 Zudem verweist Art. 4 Abs. 1 FFH-Richtlinie neben den ökologischen Kriterien des Anhang III Phase 1 auch auf wissenschaftliche Informationen. Das heißt, dass aktuelle Daten zu den Vorkommen der entscheidenden Arten und Lebensraumtypen vorliegen oder im Zweifel erhoben werden müssen.189 Es besteht gerade kein wissenschaftlicher Konsens über die Kriterien, die zur Gesamtbeurteilung des Wertes eines Gebiets für die Erhaltung einer Art nötig sind.190 Voraussetzung ist, dass eine umfassende Bewertung jedes einzelnen Lebensraumtyps und jeder Art auf dem Gebiet des Mitgliedstaates vorgenommen wird.191 Populationsgröße und -dichte, Isolierungsgrad der Populationen in dem betroffenen Gebiet und das natürliche Verbreitungsgebiet der Art müssen festgestellt werden, um sodann eine globale Bewertung vorzunehmen.192 Auf Grund dieser Bewertung werden dann die entscheidenden Gebiete ausgewählt. Besondere Bedeutung haben die in Anhang I und II FFH-Richtlinie genannten prioritären Lebensraumtypen und Arten.193 Dabei muss beispielsweise bei dem Kriterium der „Populationsgröße“ auch Berücksichtigung finden, dass prioritäre Arten und Lebensraumtypen nirgendwo großflächig oder in großer Zahl vorkommen.194 Als Minimum muss jeder Lebensraumtyp und jede Art in jeder Biogeographischen Region, in der er/sie vorkommt, mindestens einmal gemeldet werden.195 Dabei sind nicht wie bei der Vogelschutzrichtlinie nur die „geeignetsten“ Gebiete zu melden.196 Es müssen aber auch nicht ausnahmslos alle Gebiete gemeldet werden, sondern es besteht ein ökologisch-fachlicher Beurteilungsspielraum.197 188 BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/02 – BeckRS 2002, 21607 (2.1.); BVerwG, Beschl. v. 12.6.2003 – 4 B 37/03 – NVwZ 2004, 98 (99); BVerwG, Urt. v. 15.1.2004 – 4 A 11/02 – NVwZ 2004, 732 (736); BVerwG, Urt. v. 22.1.2004 – 4 A 32/02 – NVwZ 2004, 722 (726); BVerwG, Beschl. v. 24.2.2004 – 4 B 101/03 – BeckRS 2004, 21838. Vgl. Schumacher/Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl. 2011, § 31 BNatSchG Rn. 54. 189 Schumacher/Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl. 2011, § 32 BNatSchG Rn. 10. 190 OVG Koblenz, Urt. v. 26.7.2011 – 1 A 10473/07 – BeckRS 2011, 53270. 191 Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 12 Rn. 373. 192 Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 12 Rn. 374; vgl. Apfelbacher/Adenauer/ Iven, NuR 1999, 63 (65); Ssymank, NuL 1994, 395 (400 f.); Petersen/Ssymank/Hauke, NuL 1998, 393 (394 ff.). 193 In Anhang I und II FFH-Richtlinie mit (*) gekennzeichnet. 194 Vgl. BVerwG, Urt. v. 27.2.2003 – 4 A 59/01 – NVwZ 2003, 1253 (1255). 195 Ssymank, NuL 1994, 395 (401). 196 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 32 BNatSchG Rn. 30. 197 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.8.2000 – 6 B 23/00 – NVwZ 2001, 92 (92); BVerwG, Urt. v. 27.10.2000 – 4 A 18/99 – NVwZ 2001, 673 (679); BVerwG, Beschl. v. 14.4.2011

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D. Rechtsprechungsanalyse

Damit die naturschutzfachlichen Kriterien zur Anwendung kommen konnten, erfolgte eine weitere Konkretisierung durch das BfN. So wurden, um die biogeografische und genetische Variabilität abzubilden, für jede Art und jeden Lebensraumtyp Gebiete aus allen naturräumlichen Hauptgebietseinheiten in Deutschland gemeldet.198 Innerhalb einer Hauptgebietseinheit erfolgt die Auswahl der Gebiete anhand der relativen Bedeutung der Orte, wobei die am wenigsten anthropogen veränderten Gebiete und Gebiete mit besserem Wiederherstellungspotenzial bevorzugt werden. Weiterhin müssen endemische Arten und Artenkomplexe besonders berücksichtigt werden.199 Bei Lebensraumtypen und Arten mit einer reichen taxonomischen Aufspaltung werden möglichst viele Unterarten einbezogen.200 Das BfN hat als nationale Fachbehörde Erläuterungen zur nationalen Bewertungsmethodik für die Lebensraumtypen nach Anhang I FFH-Richtlinie und die Arten nach Anhang II FFH-Richtlinie veröffentlicht.201 Bezüglich der Gebietsgröße hat das Schutzgebiet alle wichtigen Habitatelemente der Arten einzubeziehen, die zum Gegenstand von Erhaltungszielen gemacht wurden (Art. 4 Abs. 1 S. 1 FFH-Richtlinie).202 Die Gebietsgröße hängt folglich von den vorkommenden Lebensraumtypen und Arten, den Erhaltungszielen, der Ausstattung des Naturraums und der Verteilung darin ab.203 Das unter Schutz gestellte Gebiet muss mindestens so groß sein, dass sowohl die Flächen, die funktional für die Arten und Lebensraumtypen bedeutsam sind, als auch die wichtigen Habitatstrukturen umfasst sind,204 z. B. Ruhe- und Fortpflanzungsstätten, notwendige Nahrungshabitate205 oder abschirmende Pufferzonen.206

– 4 B 77/09 – BeckRS 2011, 50614 Rn. 39; BVerwG, Beschl. v. 22.6.2015 – 4 B 59/14 – BeckRS 2015, 50263 Rn. 14. Besondere Betonung der Pflicht, die in der Richtlinie festgelegten Kriterien zu beachten EuGH, Urt. v. 11.9.2001, KOM/Irland, Rs. C-67/99, ECLI:EU:C:2001:432 Rn. 33. 198 Vgl. Ssymank, NuL 1994, 395 (400 ff.); vgl. zu den Verfahrensfestlegungen Ssymank u. a., NuL 2003, 268 (269 f.). Vgl. die Karte der naturräumlichen Hauptgebietseinheiten, abrufbar unter: Bundesamt für Naturschutz, Karte der Naturräume Deutschlands, https://www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/themen/natura2000/grossraum. pdf (zuletzt aufgerufen am 20.12.2019). 199 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 32 BNatSchG Rn. 33. 200 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 32 BNatSchG Rn. 33. 201 Zu den Lebensraumtypen vgl. z. B. Balzer/Hauke/Ssymank, NuL 2002, 10 ff.; zu den Arten vgl. z. B. Ellwanger/Petersen/Ssymank, NuL 2002, 29 ff. 202 BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1229 Rn. 42); BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 24. 203 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 32 BNatSchG Rn. 34; vgl. Ssymank, NuL 1994, 395 (401 ff.). 204 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 24. 205 So muss auch ein Gebiet umfasst sein, auf das eine Art zwingend angewiesen ist, um in einem günstigen Erhaltungszustand zu verbleiben, BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1227 f. Rn. 32). 206 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 32 BNatSchG Rn. 34.

III. Europäischer Gebietsschutz

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Etwas anderes gilt, wenn die Arten, die zum Gegenstand von Erhaltungszielen gemacht wurden, große Lebensräume beanspruchen (Art. 4 Abs. 1 S. 2 FFHRichtlinie). Dann wird nicht der ganze Lebensraum geschützt, sondern es genügt, wenn die für ihr Leben und ihre Fortpflanzung ausschlaggebenden physischen und biologischen Elemente unter Schutz gestellt werden.207 Dazu gehören auch Jagdhabitate in einem Umfang, der die zur Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der betreffenden Art im Gebiet notwendige Nahrungsgrundlage sicherstellt.208 Jedenfalls sind nicht alle Aktionsräume, sondern eben nur Kernjagdgebiete oder Nahrungssuchräume unter Schutz zu stellen. Insbesondere sind Aktionsräume nicht mit Kernjagdgebieten oder Nahrungssuchräumen gleichzusetzen.209 Für die Auswahl besteht ein naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum der Behörde.210 Im Rahmen dieses Spielraums hielt sich z. B. die Abgrenzung eines Gebiets zum Schutz der Bechsteinfledermaus über das sog. (Laub)Wald-/Feldkriterium.211 Dies entspricht wohl den Lebensverhältnissen der Bechsteinfledermaus, „die Wälder bewohnt, alte Laubwaldbestände präferiert und vornehmlich dort auch ihre Nahrung [. . .] findet“.212 Das nicht konsequente Durchhalten des Abgrenzungskriteriums der (Laub)Wald-/Feldgrenze führte in einem anderen Fall 2010 sogar dazu, dass die Gebietsabgrenzung als fehlerhaft angesehen wurde.213 Das bloße Auffinden bzw. Orten von Fledermäusen außerhalb des geschützten Gebiets war jedenfalls nicht geeignet, die behördliche Einschätzung zu widerlegen.214 Dass Fledermäuse geortet werden heiße nicht per se, dass es sich um notwendige Jagdhabitate handelt, vielmehr könne es sich dennoch nur um Aktionsräume handeln, die nicht als Schutzgebiet ausgewiesen werden müssen.215 Ein besonderes Augenmerk liege für die Reproduktion besonders auf der Aktivität der weiblichen Tiere, sodass aus dem Fund männlicher Exemplare nicht auf eine intensive Nutzung des Gebiets durch Fledermäuse geschlossen werden könne.216 Im Ergebnis sind allein naturschutzfachliche Kriterien für die Auswahlentscheidung relevant. Dabei werden zahlreiche Besonderheiten differenziert für die 207 BVerwG, Urt v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 24. Dies entspricht i. Ü. auch Art. 1 lit. k FFH-Richtlinie. 208 BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1229 Rn. 42); BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 24. 209 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 25. 210 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 24. 211 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 25. 212 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 25. Das Kriterium ist auch für das sog. Große Mausohr anerkannt, BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1229 Rn. 43). 213 BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1229 Rn. 40). 214 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 26 ff. 215 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 26 ff. 216 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 28.

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D. Rechtsprechungsanalyse

Lebensraumtypen sowie für die betroffenen Arten benannt. Es erfolgten Konkretisierungen dieser Kriterien sowohl auf europäischer Ebene als auch auf nationaler Ebene. Da dennoch im Einzelfall unterschiedliche Bewertungen bezüglich der Gebietsauswahl und deren Abgrenzung möglich sein können, wird hier ein Beurteilungsspielraum angenommen. (3) Unzulässige Kriterien Für die Vogelschutzrichtlinie und die FFH-Richtlinie gilt gleichermaßen, dass andere als die genannten naturschutzfachlichen bzw. ornithologischen Kriterien bei der Gebietsauswahl nicht herangezogen werden dürfen. Der EuGH 217 stellte beispielsweise zur FFH-Richtlinie fest, dass Mitgliedstaaten Gebiete mit erheblicher ökologischer Bedeutung nicht aus Gründen der Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur oder regionaler/örtlicher Besonderheiten von der Meldung ausnehmen dürfen. Die Berücksichtigung anderer Gründe, so der EuGH 218, insbesondere wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Art, würde die Erreichung des in Art. 3 Abs. 1 FFH-Richtlinie angestrebten Ziels der Errichtung des Netzes Natura-2000 gefährden. Das BVerwG 219 folgte dem und entschied: „Erwägungen, die auf Interessen gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Art abstellen, sind nicht statthaft“. Bei der Gebietsauswahl darf weder auf wirtschaftliche, gesellschaftliche oder kulturelle Kriterien abgestellt, noch dürfen regionale/örtliche Besonderheiten einbezogen werden.220 Außer Betracht bleiben bei der Beurteilung zudem politische Gesichtspunkte sowie sonstige Zweckmäßigkeitserwägungen.221

217 EuGH, Urt. v. 7.11.2000, First Corporate Shipping, Rs. C-371/98, ECLI:EU:C: 2000:600 Rn. 24 f. 218 EuGH, Urt. v. 14.1.2010, Stadt Papenburg, Rs. C-226/08, ECLI:EU:C:2010:10 Rn. 31. 219 BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1228 Rn. 38); BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 36. 220 vgl. EuGH, Urt. v. 2.8.1993, Santoña, Rs. C-355/90, ECLI:EU:C:1993:331 Rn. 18 f.; EuGH, Urt. v. 11.7.1996, Lappel Bank, Rs. C-44/95, ECLI:EU:C:1996:297 Rn. 25; EuGH, Urt. v. 19.5.1998, KOM/Niederlande, Rs. C-3/96, ECLI:EU:C:1998:238 Rn. 59; EuGH, Urt. v. 7.11.2000, First Corporate Shipping, Rs. C-371/98, ECLI:EU:C: 2000:600 Rn. 13–16, 22–25; EuGH, Urt. v. 20.3.2003, KOM/Italien, Rs. C-378/01, ECLI:EU:C:2003:176 Rn. 15; EuGH, Urt. v. 14.1.2010, Stadt Papenburg, Rs. C-226/08, ECLI:EU:C:2010:10 Rn. 31 f.; BVerwG, Urt. v. 19.5.1998 – 4 A 9/97 – NVwZ 1998, 961 (966); BVerwG, Urt. v. 27.10.2000 – 4 A 18/99 – NVwZ 2001, 673 (680). Vgl. Epiney, Umweltrecht der Europäischen Union, 4. Aufl. 2019, 9. Kap. Rn. 49; Frenz, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2. Aufl. 2016, § 32 BNatSchG Rn. 14; Wolf, ZUR 2005, 449 (450); a. A. Füßer, NuR 2004, 701 (705); T. Koch, Europäisches Habitatschutzrecht, 2000, S. 58 ff. 221 BVerwG, Urt. v. 19.5.1998 – 4 A 9/97 – NVwZ 1998, 961 (967); BVerwG, Urt. v. 27.10.2000 – 4 A 18/99 – NVwZ 2001, 673 (679); BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/ 01 – BeckRS 2002, 21607 (2.1); BVerwG, Urt. v. 22.1.2004 – 4 A 32/02 – NVwZ 2004, 722 (726).

III. Europäischer Gebietsschutz

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Dies vermag auf den ersten Blick nicht zu überzeugen, soll doch nach Art. 2 VRL den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen und nach Art. 2 Abs. 3 FFH-Richtlinie den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur Rechnung getragen werden.222 Dies gilt aber nicht pauschal. Art. 2 VRL bezieht sich nur auf die in Art. 3 VRL allgemein benannten Maßnahmen zum Schutz aller Vogelarten. Andernfalls wäre die gesamte Vogelschutzrichtlinie unter einen generellen Abwägungsvorbehalt der Mitgliedstaaten gestellt.223 Demgegenüber ist die Regelung des europäischen Gesetzgebers in Art. 4 Abs. 1 S. 4 VRL, als Ergebnis eines differenzierten Abwägungsprozesses, keiner weiteren Relativierung zugänglich.224 Unterstützt wird dies dadurch, dass Art. 4 VRL – im Gegensatz zu Art. 3 VRL – nicht auf den Art. 2 VRL verweist.225 Wirtschaftliche Erfordernisse werden bei der Auswahl und Abgrenzung eines besonderen Schutzgebiets also nicht berücksichtigt.226 Sie dürfen auch nicht als „Gründe des Gemeinwohls, die Vorrang vor den mit dieser Richtlinie [VRL] verfolgten Umweltbelangen haben“, berücksichtigt werden.227 Der Regelung des Art. 2 Abs. 3 FFH-Richtlinie geht wiederum der speziellere Art. 4 Abs. 1 FFH-Richtlinie vor. Der Begriff der „Maßnahme“ in Art. 2 Abs. 3 FFH-Richtlinie bezieht sich auf Erhaltungs- und Pflegemaßnahmen i. S. v. Art. 6 Abs. 1 FFH-Richtlinie, nicht aber auf die von der Richtlinie vorgegebene Schutzgebietsausweisung.228 Die Nichtmeldung eines Gebiets darf also nicht auf naturschutzexternen Gründen beruhen. Beispielhaft sei hier die Entscheidung des BVerwG 229 vom 14.11. 2002 genannt, in der anschaulich begründet wurde, dass die Heranziehung wirtschaftlicher und verkehrspolitischer Gründe unzulässig ist. Zitiert wurde insbesondere eine an die Kommunen übersandte Publikation „Umwelt & Entwicklung in Bayern 1/2000, StMLU“, in der die zur Gebietsauswahl zuständigen Kommunen aufgefordert wurden, dafür Sorge zu tragen, „dass auch den wesentlichen Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur, Land-, Forst- und 222 Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, 63 (65); T. Koch, Europäisches Habitatschutzrecht, 2000, S. 59 ff. 223 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 32 BNatSchG Rn. 18; vgl. Gellermann, Natura 2000, 2. Aufl. 2001, S. 53 ff.; Epiney, in: Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, 2009, S. 12 ff. 224 BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – BeckRS 2002, 21607 (1.1.); BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 – 4 A 15/02 – NVwZ 2003, 485 (487); BVerwG, Beschl. v. 12.6.2003 – 4 B 37/03 – NVwZ 2004, 98 (98); BVerwG, Urt. v. 15.1.2004 – 4 A 11/02 – NVwZ 2004, 732 (735); Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 32 BNatSchG Rn. 18. 225 EuGH, Urt. v. 11.7.1996, Lappel Bank, Rs. C-44/95, ECLI:EU:C:1996:297 Rn. 24. 226 EuGH, Urt. v. 11.7.1996, Lappel Bank, Rs. C-44/95, ECLI:EU:C:1996:297 Rn. 27. 227 EuGH, Urt. v. 11.7.1996, Lappel Bank, Rs. C-44/95, ECLI:EU:C:1996:297 Rn. 31. 228 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 32 BNatSchG Rn. 31. 229 BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 – 4 A 15/02 – NVwZ 2003, 485 (487 f.).

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D. Rechtsprechungsanalyse

Fischereiwirtschaft sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung getragen wird“. Eine sich hieran orientierende Gebietsauswahl ist in der Folge fehlerhaft. (4) Bewertung Es wird deutlich, wie diffizil die Gebietsauswahl ist. Die Auswahlkriterien sind sowohl für die Vogelschutzrichtlinie als auch für die FFH-Richtlinie wertungsoffen formuliert, sodass sie unterschiedliche Wertungen nicht ausschließen. Ohne das Bestehen einer festgelegten Methode und ohne wissenschaftlichen Konsens ist regelmäßig mehr als eine Entscheidung als richtig anzusehen. Es handelt sich um unbestimmte Regelungen, deren Ausfüllung eine Wertung darstellt. Somit besteht ein Beurteilungsspielraum bezüglich der Anwendung der ornithologischen bzw. naturschutzfachlichen Kriterien. c) Reichweite des Beurteilungsspielraums Näherer Betrachtung bedarf die Reichweite dieses Beurteilungsspielraums. Zunächst ist eine Gebietsmeldung nur dann zwingend, wenn und soweit die Flächen die von der FFH-Richtlinie vorausgesetzte ökologische Qualität zweifelsfrei aufweisen.230 Hätte ein Gebiet aufgrund seiner Qualität ohne Zweifel gemeldet werden müssen, so besteht kein Spielraum mehr.231 Der Spielraum ist dann auf Null reduziert. aa) Vogelschutzrichtlinie Der Spielraum bezieht sich nicht auf das „Ob“ der Ausweisung der geeignetsten Gebiete, sondern nur im Vorhinein auf die Anwendung der bereits aufgeführten Kriterien, um eine Beurteilung der Geeignetheit der Gebiete überhaupt erst vornehmen zu können.232 Die Bestimmung der Geeignetheit erfolgt nur nach 230 BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – BeckRS 2002, 21607; BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1228 Rn. 38); BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 22; BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 36. Vgl. Frenz, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2. Aufl. 2016, § 32 BNatSchG Rn. 16. 231 BVerwG, Beschl. v. 24.8.2000 – 6 B 23/00 – NVwZ 2001, 92 (93); BVerwG, Urt. v. 27.2.2003 – 4 A 59/01 – NVwZ 2003, 1253 (1255); BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1228 Rn. 38); BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 22; BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 36; BVerwG, Urt. v. 27.3.2014 – 4 CN 3/13 – NVwZ 2014, 1022 (1025 Rn. 23). Vgl. Kahl/Burs, DVBl. 2016, 1157 (1163). 232 EuGH, Urt. v. 2.8.1993, Santoña, Rs. C-355/90, ECLI:EU:C:1993:331 Rn. 26, 35; EuGH, Urt. v. 19.5.1998, KOM/Niederlande, Rs. C-3/96, ECLI:EU:C:1998:238 Rn. 61; EuGH, Urt. v. 25.10.2007, KOM/Griechenland, Rs. C-334/04, ECLI:EU:C: 2007:628 Rn. 42; BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 51; BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 10/07 – ZUR 2008, 378 (378). Vgl. Schumacher/ Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl. 2011, § 31 BNatSchG

III. Europäischer Gebietsschutz

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den bereits aufgeführten ornithologischen Kriterien. Erfolgte eine fehlerhafte Heranziehung von anderen als den genannten zulässigen Kriterien (z. B. solche wirtschaftlicher oder kultureller Art), so ist dies gerichtlich voll überprüfbar.233 Ob eine Ausweisung aus sachfremden Erwägungen erfolgt, fällt daher unter die gerichtliche Kontrolle.234 Der fachliche Beurteilungsspielraum bezieht sich demnach darauf, welche Gebiete nach ornithologischen Kriterien für die Erhaltung der in Anhang I VRL aufgeführten Vogelarten „zahlen- und flächenmäßig am geeignetsten“ sind.235 Der Spielraum bezieht sich zudem auf die Gebietsabgrenzung bezüglich der Außengrenzen.236 Das bedeutet, dass bei „Randzonen“ nicht alle Flächen einbezogen werden müssen, in denen Arten nach Anhang I VRL vorkommen.237 Der Spielraum gilt nicht uneingeschränkt. Es besteht eine Ausweisungspflicht, wenn das Gebiet sowohl im europäischen als auch im nationalen Vergleich zu den ornithologisch hochwertigsten Gebieten zählt oder wenn eine besondere regionale Bedeutung für geschützte Arten vorliegt.238 Im Rahmen der Reichweite des Beurteilungsspielraums hat die sog. IBA-Liste besondere Bedeutung. Das Verzeichnis „Important Bird Areas“ 239 (IBA) kann – Rn. 25; Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 32 BNatSchG Rn. 17; vgl. auch Palme, NuR 2007, 243 (246). 233 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 32 BNatSchG Rn. 18; BVerwG, Urt. v. 21.6.2006 – 9 A 28/05 – NVwZ 2006, 1161 (1162 Rn. 20); BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 10/07 – ZUR 2008, 378 (378). 234 So ausdrücklich VGH Mannheim, Urt. v. 21.8.2009 – 11 C 318/08 – BeckRS 2009, 39300. 235 Vgl. Schumacher/Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl. 2011, § 31 BNatSchG Rn. 28; Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 32 BNatSchG Rn. 17; EuGH, Urt. v. 28.2.1991, Leybucht, Rs. C-57/89, ECLI:EU:C:1991:89 Rn. 20; EuGH, Urt. v. 23.3.2006, KOM/Österreich, Rs. C-209/04, ECLI:EU:C:2006:195 Rn. 33; BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 – 4 A 15/02 – NVwZ 2003, 485 (487); BVerwG, Urt. v. 21.6.2006 – 9 A 28/05 – NVwZ 2006, 1161 (1162 Rn. 20); BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 51; BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 10/07 – ZUR 2008, 378 (378). 236 OVG Koblenz, Urt. v. 9.1.2003 – 1 C 10393/01 – BeckRS 2003, 21347 Rn. 47. Zur Abgrenzung der Randbereiche vgl. auch BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – BeckRS 2002, 21607 (1.3.2.4.). 237 Schumacher/Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl. 2011, § 31 BNatSchG Rn. 30. 238 Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 12 Rn. 368; Maaß/Schütte, in: Koch/Hofmann/Reese, HdB Umweltrecht, 5. Aufl. 2018, § 7 Rn. 90; vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 14.9.2000 – 1 L 2153/99 – ZfBR 2001, 208 (210). 239 sog. IBA-Liste 1989, bzw. aktuell IBA-Liste 2002. Dabei handelt es sich um eine Inventarisierung der wichtigsten ornithologischen Lebensräume durch zwei internationale NGOs in Zusammenarbeit mit der Kommission; Diese werden durch Behörden, wissenschaftliche Einrichtungen und ornithologische Verbände erstellt und aktualisiert, vgl. Sudfeldt u. a., Berichte zum Vogelschutz 38 (2002), 17 (26). Der Zweck der aktualisierten IBA-Liste von 2002 erschöpft sich im Vergleich zur IBA-Liste 1989 in der An-

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D. Rechtsprechungsanalyse

muss sogar – als Entscheidungshilfe herangezogen werden und ist als Bezugsgrundlage für die Auswahl der Gebiete sowohl vom EuGH als auch vom BVerwG anerkannt.240 Es stellt regelmäßig die besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse dar.241 Das IBA-Verzeichnis ist dennoch lediglich ein gewichtiges Indiz, welches keinen Rechtsnormcharakter hat.242 Es entfaltet weder in positiver noch in negativer Hinsicht normative Wirkungen.243 Es ersetzt zudem nicht die Subsumtion unter die nach Art. 4 Abs. 1 S. 4 VRL „geeignetsten“ Gebiete.244 Im Ergebnis erfolgt keine starre Anwendung der Kriterien der IBA-Liste, diese können vielmehr widerlegt werden.245 Insbesondere sind die Gebiete in der IBAListe teils größer dimensioniert, sodass sie Teilbereiche von geringerer ornithologischer Bedeutung enthalten können.246 Somit müssen nicht alle Teilbereiche zwingend als Schutzgebiete ausgewiesen werden.247 Gleichwohl ist die Bedeutung der IBA-Liste mit Blick auf die dazu ergangene Rechtsprechung sehr groß. Eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums wurde beispielsweise angenommen, wenn ein Mitgliedstaat eine deutlich kleinere als die in der IBA-Liste festgelegte Gebietsgröße als Schutzgebiet vorsieht.248 Ein Verstoß wurde weiterhin angenommen, wenn ein Mitgliedstaat die Zahl und passung des ursprünglichen Inventars an den derzeitigen Entwicklungsstand. Die Folgerungen sind demnach dieselben, unabhängig von der Fassung der IBA-Liste. 240 EuGH, Urt. v. 19.5.1998, KOM/Niederlande, Rs. C-3/96, ECLI:EU:C:1998:238 Rn. 69 ff.; EuGH, Urt. v. 7.12.2000, Basses Corbières, Rs. C-374/98, ECLI:EU:C:2000: 670 Rn. 25; EuGH, Urt. v. 13.12.2007, Rs. C-418/04, ECLI:EU:C:2007:780 Rn. 50 ff.; BVerwG, Urt. v. 22.1.2004 – 4 A 32/02 – NVwZ 2004, 722 (726) – „gewichtiges Indiz“; BVerwG, Urt. v. 21.6.2006 – 9 A 28/05 – NVwZ 2006, 1161 (1162 Rn. 21) – „gewichtiges Indiz“; BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 53; BVerwG, Urt. v. 27.3.2014 – 4 CN 3/13 – NVwZ 2014, 1022 (1024 Rn. 18) – „bedeutsames Erkenntnismittel“. 241 Zur Wechselwirkung von IBA und VRL Sudfeldt u. a., Berichte zum Vogelschutz 38 (2002), 17 (22 f.). 242 EuGH, Urt. v. 7.12.2000, Basses Corbières, Rs. C-374/98, ECLI:EU:C:2000:670 Rn. 25; BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – BeckRS 2002, 21607; BVerwG, Urt. v. 15.1.2004 – 4 A 11/02 – NVwZ 2004, 732 (735); BVerwG, Urt. v. 22.1.2004 – 4 A 32/ 02 – NVwZ 2004, 722 (726); BVerwG, Urt. v. 27.3.2014 – 4 CN 3/13 – NVwZ 2014, 1022 (1024 Rn. 18). 243 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.6.2003 – 4 B 37/03 – NVwZ 2004, 98 (99). 244 BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – BeckRS 2002, 21607 (1.3.2.4.). 245 Schumacher/Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl. 2011, § 31 BNatSchG Rn. 29. Die Indizwirkung könne durch wissenschaftliche Beweise entkräftet werden, BVerwG, Urt. v. 27.3.2014 – 4 CN 3/13 – NVwZ 2014, 1022 (1024 Rn. 18) mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 13.12.2007, KOM/Irland, Rs. C-418/04, ECLI:EU:C:2007:780 Rn. 51. 246 Vgl. BVerwG, Urt. v. 15.1.2004 – 4 A 11/02 – NVwZ 2004, 732 (735); Doer/ Melter/Sudfeldt, Berichte zum Vogelschutz 38 (2002), 111 (116). 247 Vgl. BVerwG, Urt. v. 15.1.2004 – 4 A 11/02 – NVwZ 2004, 732 (735). 248 Vgl. zu kleine Schutzgebiete EuGH, Urt. v. 18.3.1999, Seine-Mündung, Rs. C166/97, ECLI:EU:C:1999:149 Rn. 11 f.; EuGH, Urt. v. 25.11.1999, Poitou Sümpfe, Rs. C-96/98, ECLI:EU:C:1999:580 Rn. 13 f.

III. Europäischer Gebietsschutz

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die Fläche der IBA-Liste offensichtlich nicht beachtet hat.249 Die Indizwirkung ist also sehr stark, sodass der Mitgliedstaat in der IBA-Liste aufgeführte Gebiete nur unter überzeugendem Gegenbeweis nicht als Vogelschutzgebiete ausweisen darf.250 Verstärkt wird diese – teils positive, teils negative – Indizwirkung sowohl durch standortbezogene gutachterliche Erhebungen als auch dadurch, ob die EU-Kommission unter dem Blickwinkel des Vogelschutzes weiteren Nachmeldebedarf sieht oder nicht.251 Eine hierauf gestützte Schlussfolgerung, dass eine Fläche zu den „zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebieten“ i. S. d. Art. 4 Abs. 1 S. 4 VRL gehört oder nicht gehört, ist dann wohl gerechtfertigt.252 Weiterhin hat das BVerwG 253 das Top-5-Kriterium der Länder anerkannt. Hiernach sind die fünf wichtigsten Brut- und Rastgebiete auszuwählen, zu denen ggf. weitere Gebiete mit hohen Populationsanteilen sowie Gebiete zum Erreichen des Mindesterfüllungsgrades254 hinzukommen. Eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums konnte beispielsweise nicht festgestellt werden, wenn mittels Top-5-Kriteriums solche Gebiete ausgewiesen wurden, die viele Brutpaare (im Fall: zwischen zwölf und zwei bis vier Brutpaare der Heidelerche) beherbergen und dabei ein Gebiet mit einem Bestand von wenigen Brutpaaren (im Fall: ein bis zwei Brutpaare) nicht als Vogelschutzgebiet ausgewiesen wurde.255 Genauso war die Auswahl von Gebieten, die zwischen 500 und 70–100 Brutpaare der Art Neuntöter beherbergen, und die gleichzeitige Nicht-Ausweisung des Gebiets um Hessisch Lichtenau, in dem nur 50 Brutpaare kartiert wurden, nicht zu beanstanden.256 Abweichungen sind allerdings möglich.257 249 EuGH, Urt. v. 19.5.1998, KOM/Niederlande, Rs. C-3/96, ECLI:EU:C:1998:238 Rn. 44, 72. Vgl. Iven, NuR 1998, 528 (530). 250 EuGH, Urt. v. 13.12.2007, KOM/Irland, Rs. C-418/04, ECLI:EU:C:2007:780 Rn. 50 ff. Kritisch Füßer, der zwar die Rationalität und Transparenz positiv hervorhebt, aber zurecht aufgrund der Entstehungsgeschichte den Charakter der IBA-Liste als bloßes Parteigutachten betont, NuR 2004, 701 (705). 251 BVerwG, Urt. v. 22.1.2004 – 4 A 32/02 – NVwZ 2004, 722 (726); BVerwG, Beschl. v. 24.2.2004 – 4 B 101/03 – BeckRS 2004, 21838; BVerwG, Urt. v. 21.6.2006 – 9 A 28/05 – NVwZ 2006, 1161 (1162 Rn. 21); BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 53. 252 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.2.2004 – 4 B 101/03 – BeckRS 2004, 21838; BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 53. 253 BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 55. 254 Bsp. Tamm, Hessisches Fachkonzept zur Auswahl von Vogelschutzgebieten nach der Vogelschutz-Richtlinie der EU, 2004, S. 8 und S. 231: Hiernach müssen die Anhang-I-Arten mit mind. 20 % ihrer hessischen Population, bzw. bei stärkerer Gefährdung mind. 60 % ihrer hessischen Population in den Vogelschutzgebieten Hessens vertreten sein. Zur Erreichung dieser Ziele wird das Top-5-Kriterium explizit angeführt. 255 BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 56. 256 BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 56. 257 Eine geringere Anzahl kann bei Randgebieten des Verbreitungsgebiets der Art ausreichen, wenn dort weniger repräsentative Vorkommen bestehen, vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – BeckRS 2002, 21607.

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D. Rechtsprechungsanalyse

bb) FFH-Richtlinie Im Rahmen der FFH-Richtlinie wird ein naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum für die Anwendung der Auswahlkriterien nach Anhang III Phase 1 FFH-Richtlinie anerkannt.258 Er bezieht sich auf die Aufnahme von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in die nationale Vorschlagsliste sowie auf die konkrete Abgrenzung der zu meldenden Gebiete.259 Dabei kommt es auf den relativen ökologischen Wert eines Gebiets im Vergleich zu anderen möglichen Auswahlgebieten an.260 Eine gewisse Begrenzung erfährt der Beurteilungsspielraum, weil die EUKommission über ein umfassendes Verzeichnis verfügen muss, um koordinierend tätig werden zu können. Nur so kann die relative Bedeutung der Lebensraumtypen und Arten im unionsweiten Vergleich festgestellt werden. Es gilt daher das Prinzip der Vollständigkeit der Vorschlagslisten.261 Dies heißt gleichwohl nicht, dass ausnahmslos alle Gebiete gemeldet werden müssen.262 Gebiete oder Gebietsteile, die den Auswahlkriterien zweifelsfrei entsprechen, dürfen bei der Gebietsmeldung nicht ausgespart werden.263 Danach müssen Flächen zwingend gemeldet werden, wenn sie die von der FFH-Richtlinie vorausgesetzte ökologische Qualität zweifelsfrei aufweisen.264 Wird ein solches Gebiet nicht ausgewiesen, so gehört es gleichwohl zum Kreis der potenziellen Schutzgebiete.265 258 BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 10/07 – ZUR 2008, 378 (378); BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1228 Rn. 38); BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 22; BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 36. 259 Vgl. BVerwG, Urt. v. 24.8.2000 – 6 B 23/00 – NVwZ 2001, 92 (92 f.); BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 36. 260 EuGH, Urt. v. 11.9.2001, KOM/Deutschland, Rs. C-71/99, ECLI:EU:C:2001:433 Rn. 25 ff.; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, 63 (65); Gebhard, NuR 1999, 361 (364); vgl. Louis, DÖV 1999, 374 (377). 261 EuGH, Urt. v. 11.9.2001, KOM/Deutschland, Rs. C-71/99, ECLI:EU:C:2001:433 Rn. 27; Maaß, ZUR 2001, 80 (82); Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 12 Rn. 374; Wolf, ZUR 2005, 449 (450). 262 BVerwG, Urt. v. 27.2.2003 – 4 A 59/01 – NVwZ 2003, 1253 (1255); BVerwG, Beschl. v. 22.6.2015 – 4 B 59/14 – BeckRS 2015, 50263 Rn. 14. 263 BVerwG, Urt. v. 17.5.2002 – 4 A 18/01 – NVwZ 2002, 1243 (1244); BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1228 Rn. 38); BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 36. Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 12 Rn. 375. 264 BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1228 Rn. 38); BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 22; BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 36; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 31.1. 2002 – 4 A 15/01 – BeckRS 2002, 21607 wonach das Gebiet als Folge zum Kreis der potenziellen Schutzgebiete gehört. 265 BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/02 – BeckRS 2002, 21607 (2.1.).

III. Europäischer Gebietsschutz

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Gleiches gilt für Gebiete, die prioritäre Arten oder Lebensraumtypen enthalten.266 Diese sind nicht zwingend an die Kommission zu melden.267 Denn auch wenn prioritäre Arten und Lebensraumtypen vorhanden sind, verbleibt den Mitgliedstaaten aufgrund der mehrere Wertungen vorsehenden Auswahlkriterien des Anhangs III Phase 1 FFH-Richtlinie ein Beurteilungsspielraum.268 Gebiete, in denen prioritäre Lebensraumtypen oder Arten vorliegen, müssen mithin nicht ausnahmslos gemeldet werden.269 Ein Automatismus zwischen dem Vorkommen prioritärer Lebensräume bzw. Arten und dem Status als FFH-Gebiet besteht folglich gerade nicht.270 d) Rücknahme der Kontrolldichte Folge des Beurteilungsspielraums ist die Rücknahme der Kontrolldichte. Die Verwaltungsgerichte führen nur eine eingeschränkte Kontrolle durch. Es wird lediglich geprüft, ob die Entscheidung vertretbar ist und keine sachfremden Kriterien (wirtschaftliche, kulturelle, etc.) herangezogen wurden.271 Eine Gebietsmeldung kann danach unterbleiben, wenn dies fachwissenschaftlich vertretbar ist.272 aa) Vogelschutzrichtlinie Im Rahmen der Vogelschutzrichtlinie wird nur geprüft, ob die Auswahlentscheidung ornithologisch vertretbar ist.273 Ist die Nichtmeldung eines Gebiets 266

Diese sind in den Anhängen der FFH-Richtlinie durch Sternchen (*) gekennzeich-

net. 267 BVerwG, Beschl. v. 22.6.2015 – 4 B 59/14 – BeckRS 2015, 50263 Rn. 14; BVerwG, Urt. v. 27.2.2003 – 4 A 59/01 – NVwZ 2003, 1253 (1255). Für eine Ausweisungspflicht würde insbesondere der Automatismus des Anhangs III Phase 2 sprechen, wonach alle von den Mitgliedstaaten in Phase 1 ermittelten Gebiete, die prioritäre natürliche Lebensraumtypen bzw. Arten beherbergen, als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung betrachtet werden. Dafür, dass hier also kein Beurteilungsspielraum besteht, Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 32 BNatSchG Rn. 12. Vgl. auch Gassner, in: Gassner/Bendomir-Kahlo/Schmidt-Räntsch, BNatSchG, 2. Aufl. 2003, § 33 BNatSchG Rn. 3. 268 BVerwG, Urt. v. 15.1.2004 – 4 A 11/02 – NVwZ 2004, 732 (736); BVerwG, Urt. v. 22.1.2004 – 4 A 32/02 – NVwZ 2004, 722 (727); BVerwG, Urt. v. 27.2.2003 – 4 A 59/01 – NVwZ 2003, 1253 (1255). 269 BVerwG, Urt. v. 27.2.2003 – 4 A 59/01 – NVwZ 2003, 1253 (1255); BVerwG, Beschl. v. 14.4.2011 – 4 B 77/09 – BeckRS 2011, 50614 Rn. 39. 270 Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 146. Akt. Stand: Sept. 2019, § 32 BNatSchG Rn. 30 m.w. N. insbesondere Rspr. Vgl. auch Iven, UPR 1998, 361 (363); Rengeling, UPR 1999, 281 (284 f.). 271 BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 – 4 A 15/02 – NVwZ 2003, 485 (487); BVerwG, Urt. v. 15.1.2004 – 4 A 11/02 – NVwZ 2004, 732 (734); BVerwG, Beschl. v. 24.2.2004 – 4 B 101/03 – BeckRS 2004, 21838. 272 BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – BeckRS 2002, 21607 Ls. 4. 273 BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 – 4 A 15/02 – NVwZ 2003, 485 (487); BVerwG, Beschl. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 52.

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D. Rechtsprechungsanalyse

fachwissenschaftlich vertretbar, so ist dies vom Gericht nicht zu beanstanden.274 Unterbleibt eine Ausweisung als Vogelschutzgebiet jedoch aus fachfremden Erwägungen, so unterliegt dies der vollen gerichtlichen Kontrolle.275 Der Spielraum betrifft lediglich die ökologischen Erwägungen. Mittlerweile ist ein sehr fortgeschrittener Meldestand erreicht und ein zusammenhängendes Netz der Vogelschutzgebiete entstanden. Die gerichtliche Kontrolldichte verringert sich dementsprechend, sodass die Darlegungsanforderungen etwaiger Kläger steigen.276 bb) FFH-Richtlinie Vorgesehen sind weder eine besondere Methodik noch ein bestimmtes Auswahlverfahren. Entscheidend ist daher nur, dass der Gebietsvorschlag der Sache nach gerechtfertigt erscheint und keine Anhaltspunkte für ein willkürliches Vorgehen der Behörde vorliegen.277 Es wird auch hier nur die Vertretbarkeit geprüft.278 Bei einem bestehenden Meinungsstreit unter Experten, bei dem sowohl gute Gründe für als auch gegen die Schutzgebietsausweisung sprechen, kommt es letztlich auf die Vertretbarkeit der behördlichen Entscheidung an.279 Wenn aufgrund des Ausstattungspotenzials eines Landschaftsraums die Entscheidung sowohl für als auch gegen die Aufnahme in die nationale Gebietsliste aus fachwissenschaftlicher Sicht vertretbar ist, nimmt die FFH-Richtlinie dieses Ergebnis hin.280 Die gerichtliche Kontrolle ist darauf beschränkt, die Einschätzung der Behörde daraufhin zu untersuchen, ob sie auch anderweitige fachliche Unterstützung erfährt, wobei diese nicht die – ohnehin selten gegebene – herrschende Auffassung darstellen muss.281 274 BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 – 4 A 15/02 – NVwZ 2003, 485 (487); BVerwG, Urt. v. 15.1.2004 – 4 A 11/02 – NVwZ 2004, 732 (734); BVerwG, Urt. v. 27.3.2014 – 4 CN 3/13 – NVwZ 2014, 1022 (1025 Rn. 23); BVerwG, Urt. v. 21.1.2016 – 4 A 5/14 – NVwZ 2014, 844 (849 Rn. 58). 275 BVerwG, Urt. v. 21.6.2006 – 9 A 28/05 – NVwZ 2006, 1161 (1162 Rn. 20); BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 10/07 – ZUR 2008, 378 (378). 276 BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 – 4 A 15/02 – NVwZ 2003, 485 (487); BVerwG, Urt. v. 21.6.2006 – 9 A 28/05 – NVwZ 2006, 1161 (1162 Rn. 23); BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 52; BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 10/07 – ZUR 2008, 378 (379); BVerwG, Urt. v. 27.3.2014 – 4 CN 3/13 – NVwZ 2014, 1022 (1025 Rn. 24); BVerwG, Urt. v. 21.1.2016 – 4 A 5/14 – NVwZ 2016, 844 (850 Rn. 58). 277 VGH München, Urt. v. 25.9.2012 – 14 B 10.550 – BeckRS 2012, 58238 Rn. 28. 278 Vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – BeckRS 2002, 21607 (2.1.). 279 Vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – BeckRS 2002, 21607 (2.4.3.). 280 BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – BeckRS 2002, 21607 (2.4.3.); BVerwG, Beschl. v. 12.6.2003 – 4 B 37/03 – NVwZ 2004, 98 (100); BVerwG, Urt. v. 15.1.2004 – 4 A 11/02 – NVwZ 2004, 732 (736); BVerwG, Urt. v. 22.1.2004 – 4 A 32/02 – NVwZ 2004, 722 (726); BVerwG, Beschl. v. 24.2.2004 – 4 B 101/03 – BeckRS 2004, 21838. 281 Vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 26.7.2011 – 1 A 10473/07 – BeckRS 2011, 53270.

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Im Ergebnis ist es daher möglich, dass sich das Gericht über gegenteilige Wertungen und fachliche Äußerungen, z. B. eines Naturschutzvereins, hinwegsetzt.282 Wichtig ist, dass der Kläger die fachliche Unvertretbarkeit jeder anderen Bewertung geltend machen muss und es nicht genügt nur seine eigene Bewertung als vertretbar darzustellen.283 Unzureichend ist es also, wenn der Kläger nur die Gleichwertigkeit eines seiner Ansicht nach zu schützenden Gebiets behauptet.284 Ist die vom Kläger vertretene Gegenauffassung lediglich genauso vertretbar wie die Auffassung der Behörde, so muss letztere nicht revidiert werden.285 Da die Gebietsmeldung weitgehend abgeschlossen ist, muss der Kläger noch besser begründen, warum weitere Gebiete ausgewiesen werden sollten.286 Damit verringert sich mit fortschreitender Kohärenz die richterliche Kontrolldichte.287 Ist Phase 2 abgeschlossen, wurden die Gebiete also in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen, so spricht eine tatsächliche Vermutung für die Richtigkeit der Gebietsabgrenzung. Einwände dagegen bedürfen dann einer besonderen Substantiierung – sie müssen geeignet sein, die Vermutung zu widerlegen.288 Nach der Erstellung der Kommissionsliste besteht demnach eine besondere Richtigkeitsgewähr der Schutzgebietsabgrenzung.289 Dies gilt insbesondere weil die Kommission die Meldungen der Mitgliedstaaten nicht blind übernimmt, sondern inhaltlich überprüft und eine eigene Auswahlentscheidung trifft.290 Einen Beleg hierfür liefert die zum Teil geltend gemachte Forderung der Kommission an die Mitgliedstaaten, Nachmeldungen vorzunehmen. e) Bewertung Ein Beurteilungsspielraum besteht sowohl für die Auswahl als auch für die Abgrenzung der Vogelschutzgebiete und der FFH-Gebiete. Es werden jeweils Kriterien zu Grunde gelegt, die einer Wertung zugänglich sind und bei denen 282

BVerwG, Beschl. v. 24.2.2004 – 4 B 101/03 – BeckRS 2004, 21838. Vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.2.2004 – 4 B 101/03 – BeckRS 2004, 21838. 284 BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 10/07 – ZUR 2008, 378 (379). 285 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.2.2004 – 4 B 103/03 – BeckRS 2004, 21838. 286 BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 – 4 A 15/02 – NVwZ 2003, 485 (487). 287 BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 – 4 A 15/02 – NVwZ 2003, 485 (487); de Witt, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch des öff. Baurechts, Stand: Juni 2019, Kapitel E Naturschutz, Rn. 437. 288 BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 10/07 – ZUR 2008, 378 (379); BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1228 f. Rn. 39); BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 22; BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 36. 289 BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1228 f. Rn. 39); BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 22; BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 53949 Rn. 36; VGH München, Urt. v. 25.9. 2012 – 14 B 10.1550 – BeckRS 2012, 58238 Rn. 27. Vgl. Kahl/Burs, DVBl. 2016, 1157 (1163). 290 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 23. 283

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D. Rechtsprechungsanalyse

unterschiedliche Ergebnisse möglich und vertretbar sind. Standortbezogene gutachterliche Erhebungen können als weitere Erkenntnisse dienen, z. B. Parteigutachten, sog. „Schattenlisten“ der Naturschutzverbände oder ein Schreiben der Kommission, in dem diese einem Gebiet nicht die Qualität eines potenziellen oder faktischen Schutzgebiets attestiert. Je höher dabei die Sachkunde, Unparteilichkeit und Objektivität, desto unbedenklicher kann ein Gutachten als Entscheidungshilfe herangezogen werden.291 Nichtsdestoweniger bleibt es bei den sehr offenen und vage formulierten Kriterien, die mehrere Wertungen zulassen und daher einen Spielraum fordern. Positiv zu bewerten ist die teils sehr ausführliche Befassung der Gerichte mit den verschiedenen Gutachten und Stellungnahmen.292 Dabei werden Meinungsstreite unter Experten festgestellt, wonach sowohl für als auch gegen eine Meldung des jeweiligen Gebiets gute Gründe sprechen können und beide Entscheidungen im Ergebnis vertretbar erscheinen.293 Der erstmaligen Auswahlentscheidung kommt dann eine Art Selbstbindungscharakter zu, der bei einer späteren Verkleinerung oder Aufhebung der Unterschutzstellung Wirkung entfaltet.294 Ist ein Schutzgebiet einmal ausgewiesen, gelten erhöhte Anforderungen für eine Absenkung des Schutzniveaus. Die im Rahmen der Ausweisung der Vogelschutzgebiete berücksichtigte IBAListe stellte ein geeignetes Handbuch dar, an dem sich die Auswahlentscheidung orientieren konnte.295 Gleichzeitig musste aber auch hier eine hinreichende Prüfung erfolgen. Das Vorliegen eines Handbuchs kann die Annahme eines Beurteilungsspielraums daher (zu Recht) nicht hinfällig machen. 2. Verträglichkeitsprüfung (§ 34 BNatSchG) Vorhaben, die (zumindest teilweise) innerhalb eines Gebiets von gemeinschaftlicher Bedeutung verwirklicht werden sollen, führen häufig zu erheblichen Gebietsbeeinträchtigungen. Dabei sind neben der Versiegelung von Flächen oder der sog. Zerschneidungswirkung auch Lärm, etwaige Tierverluste und Schadstoffeinträge zu nennen, aus denen sich jeweils ökologische Risiken ableiten lassen. Vor 291 BVerwG, Beschl. v. 24.2.2004 – 4 B 101/03 – BeckRS 2004, 21838; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 23.2.1994 – 4 B 35/94 – NVwZ 1994, 688 (689). 292 Als Beispiel hierzu BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – BeckRS 2002, 21607 (2.2.2.), hier wurden allein zur Frage, ob ein bestimmter prioritärer Lebensraumtyp (91 DO – *Moorwälder) im entscheidenden Gebiet vorliegt, fünf Gutachten, das „Interpretation Manual“ und ein Handbuch des Bundesamtes für Naturschutz herangezogen. 293 Vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – BeckRS 2002, 21607 (2.4.3.). 294 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 32 BNatSchG Rn. 60; EuGH, Urt. v. 28.2.1991, Leybucht, C-57/89, ECLI:EU:C:1991:89 Rn. 20 f.; EuGH, Urt. v. 2.8.1993, Santoña, Rs. C-355/90, ECLI:EU:C:1993:331 Rn. 35; Gellermann, Natura 2000, 2. Aufl. 2001, S. 129. 295 S. o. D. III. 1. c) aa) auf S. 133 ff.

III. Europäischer Gebietsschutz

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der Zulassung erfolgt daher eine Verträglichkeitsprüfung (Art. 6 Abs. 3 FFHRichtlinie, § 34 BNatSchG). Dabei darf die Zulassung eines Projekts oder Plans nur erfolgen, wenn es hierdurch in einem Natura-2000-Gebiet zu keinen „erheblichen Beeinträchtigungen“ der für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Lebensraumtypen oder Arten kommen kann (sog. Verschlechterungsverbot). Im Rahmen dieser Verträglichkeitsprüfung bestehen Beurteilungsspielräume. a) Ablauf der Verträglichkeitsprüfung Bei der habitatschutzrechtlichen Prüfung erfolgt zunächst eine Vorprüfung (sog. Screening). Wenn hierbei eine erhebliche Beeinträchtigung des Gebiets durch das Projekt – einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen – nicht offensichtlich ausgeschlossen werden kann, muss eine Verträglichkeitsprüfung durchgeführt werden. Nach § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG (Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-Richtlinie) wird vor der Zulassung eines Projekts dessen Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Gebiets von gemeinschaftlicher Bedeutung überprüft. Ein Projekt ist demnach, vorbehaltlich einer Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3–5 BNatSchG, unzulässig, wenn im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung nach § 34 Abs. 2 BNatSchG festgestellt wird, dass das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des jeweiligen Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann.296 Erhaltungsziele sind nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 BNatSchG Ziele, die im Hinblick auf die Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands eines natürlichen Lebensraumtyps von gemeinschaftlichem Interesse, einer in Anhang II der FFH-Richtlinie oder in Art. 4 Abs. 2 oder Anhang I der VRL aufgeführten Art für ein Natura-2000-Gebiet festgelegt sind. Die Verträglichkeitsprüfung besteht dabei aus mehreren Arbeitsschritten. Dabei regeln § 34 Abs. 1, 2 BNatSchG bzw. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL die normativen Anforderungen, anhand derer die Auswirkungen eines Plans oder Projekts zu messen sind. Im Rahmen der zunächst durchzuführenden Bestandsaufnahme werden zunächst die charakteristischen Arten festgelegt und sodann der Bestand praktisch ermittelt. Daran anschließend folgt die Bewertung des so ermittelten Bestands. Im Anschluss werden die Auswirkungen auf den Erhaltungszustand betrachtet und die Erheblichkeit der Beeinträchtigung überprüft. b) Herleitung des Beurteilungsspielraums Bedeutsam ist bezüglich der FFH-Verträglichkeitsprüfung zunächst die Entscheidung des BVerwG 297 vom 17.1.2007 zur Westumfahrung Halle, in der das 296 Vgl. allgemein zur FFH-Verträglichkeitsprüfung Lüttgau/Kockler, in: Giesberts/ Reinhardt, Umweltrecht, 52. Ed. Stand: 1.7.2019, § 34 BNatSchG Rn. 8 ff.; Kahl/Gärditz, Umweltrecht, 11. Aufl. 2019, § 10 Rn. 124 ff. 297 BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – BVerwGE 128, 1.

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D. Rechtsprechungsanalyse

BVerwG mit Blick auf das Urteil des EuGH 298 zur Herzmuschelfischerei einen strikten Standard im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung festlegte. Die Behörde muss sich hiernach „Gewissheit“ darüber verschaffen, dass keine nachteiligen Auswirkungen entstehen, wobei die Anwendung der „besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse“ gefordert wird.299 Dieser Maßstab erscheint auf den ersten Blick sehr streng und für die Anerkennung von Spielräumen ungeeignet. Die sich daran anschließende Rechtsprechung geht dann einen differenzierten, durchaus weicheren Weg, bei dem Beurteilungsspielräume für die jeweiligen Schritte der Verträglichkeitsprüfung gesondert festgestellt werden. Im Ergebnis wird der Beurteilungsspielraum sowohl für die Bestandserfassung als auch für die Bestandsbewertung angenommen. Erst wenn auf der letzten Stufe die Auswirkungen auf den Erhaltungszustand festgestellt werden, wird ein Spielraum abgelehnt. aa) Unbestimmter Rechtsbegriff Dem Gesetzeswortlaut selbst ist kein unbestimmter Rechtsbegriff zu entnehmen, dem im Wege der Auslegung eine normative Ermächtigung der Administrative zur Letztentscheidung entnommen werden kann. Die FFH-Verträglichkeitsprüfung setzt nach Ansicht des EuGH 300 die Berücksichtigung der „besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse“ voraus. Erforderlich ist hierzu die „Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Mittel und Quellen“.301 Grund hierfür ist, dass der dem Vorsorgeprinzip entspringenden hohen politischen Verantwortung, Risiken in einem zumutbaren Maß zu halten, nur entsprochen werden kann, wenn die wissenschaftliche Unsicherheit durch Heranziehung der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse auf ein Minimum reduziert wird.302 Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse aber die „besten“ sind, bleibt unklar. Somit besteht zwar grundsätzlich kein unbestimmter Rechtsbegriff in der Norm, durch die Rechtsprechung des EuGH wird die Regelung aber zumindest um einen gewissen Unsicherheitsfaktor ergänzt. Allein der Begriff der „Erheblichkeit“ i. S. v. § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, der als Anknüpfungspunkt für einen Be298

EuGH, Urt. v. 7.9.2004, Herzmuschelfischerei, Rs. C-127/02, ECLI:EU:C:2004:

482. 299 EuGH, Urt. v. 7.9.2004, Herzmuschelfischerei, Rs. C-127/02, ECLI:EU:C:2004: 482 Rn. 61; BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1061 Rn. 62). 300 EuGH, Urt. v. 7.9.2004, Herzmuschelfischerei, Rs. C-127/02, ECLI:EU:C:2004: 482 Rn. 54. 301 GA Kokott, Schlussantr. v. 29.1.2004, Herzmuschelfischerei, Rs. C-127/02, ECLI:EU:C:2004:60 Rn. 97; vgl. BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1061 Rn. 62); BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25/12 – BeckRS 2014, 56037 Rn. 26. 302 Vgl. GA Kokott, Schlussantr. v. 29.1.2004, Herzmuschelfischerei, Rs. C-127/02, ECLI:EU:C:2004:60 Rn. 100.

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urteilungsspielraum dienen könnte. Dabei wird die Erheblichkeit der Beeinträchtigung anhand des günstigen Erhaltungszustands (§ 7 Abs. 1 Nr. 10 BNatSchG) bewertet. bb) Sachgrund Des Weiteren müsste ein Sachgrund für die Annahme eines Beurteilungsspielraums bestehen. Hervorzuheben ist, dass allgemein im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung die richtige Methode wissenschaftlich umstritten und vor allem normativ nicht festgelegt ist.303 Die Zulassungsbehörde ist also nicht auf ein bestimmtes Verfahren festgelegt, muss gleichwohl aber – und dies gilt für die gesamte Verträglichkeitsprüfung – die eben erwähnten „besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse“ einhalten.304 Bereits 2007 zeigte das BVerwG 305 die insoweit bestehenden Schwierigkeiten auf, wenn es feststellt, „dass die einschlägigen Rechtsvorschriften auf außerrechtliche Maßstäbe verweisen, die der Ökosystemforschung entnommen werden sollen. In dieser Wissenschaftsdisziplin bestehen Erkenntnislücken und methodische Unsicherheiten (. . .). Für die behördliche Praxis resultiert aus dem Fehlen wissenschaftlich anerkannter Standards ein Fehlerpotenzial (. . .)“. Die Rechtsprechung verweist zudem regelmäßig auf die Unsicherheit des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes sowie auf das Fehlen eines allgemeinen Konsenses. Besonders die Zuordnung des Arteninventars zu sog. Lebensraumtypen sei komplex und wissenschaftlich nicht eindeutig. Bei der Bestandsbewertung bestehe eine Vielzahl offener Kriterien, die auf Ausfüllung angewiesen seien.306 Pauschal gesagt, handle es sich regelmäßig um Wertungsfragen. Dies soll die Annahme eines Beurteilungsspielraums rechtfertigen. cc) Reichweite Der Beurteilungsspielraum wird sowohl für die Bestandserfassung als auch für die Bestandsbewertung angenommen, da hier mehr als Plausibilität und Stimmigkeit nicht erreichbar seien.307 Dagegen stellt die Bewertung der Erheblichkeit der zu erwartenden Beeinträchtigungen einen Sonderfall dar, dem durch das Urteil des BVerwG 308 vom 17.1.2007 eine besondere Bedeutung zukommt. Inwiefern 303 So EuGH, Urt. v. 7.9.2004, Herzmuschelfischerei, Rs. C-127/02, ECLI:EU:C: 2004:482 Rn. 52. Vgl. auch GA Kokott, Schlussantr. v. 29.1.2004, Herzmuschelfischerei, Rs. C-127/02, ECLI:EU:C:2004:60 Rn. 97. 304 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 32; BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 73; BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 Rn. 62 mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 7.9.2004, Herzmuschelfischerei, Rs. C-127/02, ECLI:EU:C:2004:482 Rn. 54. 305 BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1058 Rn. 37). 306 Vgl. BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 75. 307 BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 74 f. 308 BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1058).

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dieser Prüfungspunkt von einem Beurteilungsspielraum der Behörde umfasst ist, erfährt im Folgenden besondere Aufmerksamkeit.309 dd) Rechtsfolge: Rücknahme der Kontrolldichte In der Folge der Anerkennung des Beurteilungsspielraums wird die gerichtliche Kontrolldichte zurückgenommen. Die behördliche Entscheidung wird lediglich auf Plausibilität und Stimmigkeit überprüft (sog. Plausibilitätskontrolle).310 Der Sache nach entspricht dies einer Vertretbarkeitskontrolle, obwohl in diesem Zusammenhang nicht explizit von „Vertretbarkeit“ gesprochen wird. Stehen zwei – jeweils vertretbare – naturschutzfachliche Meinungen gegenüber, so folgt das Gericht der Einschätzung der Behörde.311 „Einwände gegen eine fachwissenschaftlich anerkannte Untersuchungsmethode bestehen jedoch nicht, wenn mit einer anderen, ebenfalls anerkannten Methode nicht voll übereinstimmende Ergebnisse erzielt würden.“ 312 Dann ersetzt das Gericht die Einschätzung der Behörde nicht durch eine eigene, ebenfalls vertretbare naturschutzfachliche Einschätzung. ee) Bewertung Im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung geht die normative Ermächtigungslehre ins Leere. Der Gesetzeswortlaut sieht weder ausdrücklich einen Beurteilungsspielraum vor, noch ist ein solcher im Wege der Auslegung zu ermitteln. Durch das Nachjustieren in der Rechtsprechung, insbesondere des EuGH, wird ein Beurteilungsspielraum dennoch begründet. Überzeugen vermag dies nicht. Denn das Abstellen auf einen Beurteilungsspielraum und die Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle ist vielmehr dem Umstand geschuldet, dass Unsicherheiten bestehen, die nicht in Gänze ausgeräumt werden können. Dies ist besonders problematisch, weil ein Vorhaben überhaupt nicht zugelassen werden dürfte, sofern bei der zuständigen Behörde Unsicherheiten bezüglich etwaiger negativer Auswirkungen des Projekts bestehen.313 Etliche Projekte würden dann allerdings scheitern. Über dieses bedenkliche Ergebnis hilft die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen hinweg. Doch die einzelnen Stufen der Verträglichkeitsprüfung bedürfen einer differenzierten Betrachtung. c) Einzelanalyse Im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung ist die Methodik nicht normativ festgelegt. Dennoch muss sie den dargestellten strengen Maßstäben genügen. Außer309

S. u. D. III. 2. c) cc) auf S. 152 ff. Vgl. Stüer/Stüer, DVBl. 2018, 1367 (1367). 311 Vgl. Stüer/Stüer, DVBl. 2018, 1367 (1367). 312 BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25/12 – BeckRS 2014, 56037 Rn. 26; vgl. BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 73. 313 Vgl. Gassner, DVBl. 2012, 1479 (1482). 310

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dem darf die Verträglichkeitsprüfung nicht lückenhaft sein und muss vollständige, präzise und endgültige Feststellungen enthalten.314 aa) Bestandserfassung Erster Schritt der Verträglichkeitsprüfung ist die Bestandserfassung. Diese stellt eine notwendige Voraussetzung dar, um die Erheblichkeit etwaiger projektbedingter Einwirkungen untersuchen zu können.315 Hier werden zunächst die für das Gebiet charakteristischen Arten festgelegt und anschließend deren Bestand praktisch ermittelt. Die Methode der Bestandserfassung ist dabei zwar nicht normativ festgelegt, muss aber den maßgeblichen Standards der „besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse“ genügen.316 Insoweit besteht ein Beurteilungsspielraum.317 (1) Festlegung der charakteristischen Arten Der Umfang der gebotenen Bestandserfassung, sowie in der Folge auch der Bestandsbewertung, wird durch die charakteristischen Arten beeinflusst.318 Diese müssen für das Gebiet zunächst festgelegt werden. Dabei handelt es sich nach dem BVerwG 319 um „solche Pflanzen- und Tierarten, anhand derer die konkrete Ausprägung eines Lebensraums und dessen günstiger Erhaltungszustand in einem konkreten Gebiet und nicht nur ein Lebensraumtyp im Allgemeinen gekennzeichnet wird“. Eine Einschränkung erfährt dies dahingehend, dass nicht alle charakteristischen Arten auszuwählen sind, sondern nur diejenigen, die einen deutlichen Vorkommensschwerpunkt im jeweiligen Lebensraumtyp aufweisen und zugleich eine Indikatorfunktion für potenzielle Auswirkungen des Vorhabens auf den Lebensraumtyp besitzen.320 314

BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25/12 – BeckRS 2014, 56037 Rn. 48. Vgl. BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 68; vgl. BVerwG, Urt. v. 21.1.2016 – 4 A 5/14 – NVwZ 2016, 844 (851 Rn. 68). 316 BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1230 Rn. 50); BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 32; BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 47; BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – NVwZ 2014, 714 (718 Rn. 45); BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25/12 – BeckRS 2014, 56037 Rn. 61; VGH Mannheim, Urt. v. 4.7.2018 – 5 S 2117/16 – VBlBW 2018, 507 (511). 317 BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 74; VGH Mannheim, Urt. v. 4.7.2018 – 5 S 2117/16 – VBlBW 2018, 507 (511). Vgl. hierzu Frenz, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2. Aufl. 2016, § 34 BNatSchG Rn. 96; kritisch Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 145. Akt. Stand: Juni 2019, § 34 BNatSchG Rn. 128 m.w. N. 318 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 52. 319 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 52; BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 80; BVerwG, Urt. v. 6.11. 2013 – 9 A 14/12 – NVwZ 2014, 714 (719 Rn. 54). 320 BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 80; BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – NVwZ 2014, 714 (719 Rn. 54). Vgl. auch BVerwG, 315

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D. Rechtsprechungsanalyse

Die charakteristischen Arten ergeben sich bei den bereits ausgewiesenen Gebieten aus den im Rahmen der Ausweisung festgeschriebenen Erhaltungszielen und bei noch nicht ausgewiesenen Gebieten aus der Gebietsmeldung und den sog. Standard-Datenbögen.321 Dazu kommen auch die Arten, die nach dem fachwissenschaftlichen Meinungsstand für einen Lebensraumtyp prägend sind.322 Das BVerwG 323 spricht der Behörde im Rahmen der Festlegung der charakteristischen Arten einen Beurteilungsspielraum zu. Grund dafür ist, dass hier auf Standardwerke verwiesen wird, die bei den Angaben zu charakteristischen Arten deutlich voneinander abweichen. Für die Festlegung der charakteristischen Arten wird auf den wissenschaftlichen Stand abgestellt. Eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums liegt nur dann vor, „wenn solche Arten nicht einbezogen wurden, über deren Berücksichtigungsfähigkeit ein weitgehender fachwissenschaftlicher Konsens besteht“.324 Ein solcher wissenschaftlicher Konsens besteht jedoch regelmäßig gerade nicht. Zur Möglichkeit der Heranziehung von Standardisierungen führt das BVerwG 325 aus, dass es hier regelmäßig auf den Einzelfall bzw. auf die konkrete Ausprägung des Lebensraumtyps vor Ort ankomme. Eine pauschalisierende Standardisierung scheint dann gerade nicht möglich. Es ist mittlerweile ständige Rechtsprechung, dass der Behörde bei der Auswahl der charakteristischen Arten ein Beurteilungsspielraum zukommt. Dabei hat die Auswahl anhand der Indikatorfunktion für potenzielle Auswirkungen des Vorhabens auf den Lebensraumtyp zu erfolgen.326 (2) Praktische Ermittlung des Bestandes Bei der praktischen Ermittlung des Bestandes stellt die Rechtsprechung fest, dass die richtige Methode häufig wissenschaftlich umstritten und normativ nicht Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 52 unter Verweis auf den Leitfaden des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Leitfaden zur FFH-Verträglichkeitsprüfung im Bundesfernstraßenbau, 2004, S. 32. 321 Die Standard-Datenbögen sind von der EU ausgearbeitete Meldeformulare, vgl. KOM 97/266/EG v. 18.12.1996 – AblEG Nr. L 107, S. 1. Vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7. 2011 – 9 A 12/10 – BeckRS 2011, 55589 Rn. 60. 322 BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 79; BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 52; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – NVwZ 2014, 714 (720 Rn. 54). 323 BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 80; vgl. auch VGH Kassel, Urt. v. 21.8.2009 – 11 C 318/08.T – BeckRS 2009, 39300 (1.4.1.3). 324 VGH Kassel, Urt. v. 21.8.2009 – 11 C 318/08.T – BeckRS 2009, 39300 (1.4.1.3). 325 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 52. Vgl. dazu auch BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 81; BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25/12 – BeckRS 2014, 56037 Rn. 50. 326 Vgl. BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 52; BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25/12 – BeckRS 2014, 56037 Rn. 50.

III. Europäischer Gebietsschutz

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festgelegt sei.327 Letztlich wird hierdurch die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums begründet, ohne die Rechtsfigur beim Namen zu nennen. Auf dieser Stufe reicht der Spielraum sehr weit, wenn das BVerwG 328 2008 mit dem Verweis auf sich zwangsläufig in unterschiedlichen Untersuchungsergebnissen niederschlagende unterschiedliche Untersuchungsmethoden sogar auf eine weitere Ermittlung des Sachverhalts verzichtet, indem es sich mit den Darlegungen des Klägers nicht weiter auseinandersetzt. Die Vertretbarkeit der durchgeführten Bestandserfassung wurde nicht hinreichend angezweifelt. Im Jahr 2010 begrenzte das BVerwG 329 die Prüfung sowohl der angewandten Methode zur Bestandserfassung als auch des ausgewählten Untersuchungszeitraums auf eine Plausibilitätskontrolle. Demnach genüge Plausibilität als Maßstab der Datenerhebung.330 Auch in einem Urteil des BVerwG 331 von 2012 wird deutlich, dass unterschiedliche Untersuchungsmethoden der Bestandserfassung zur Verfügung stehen. Überprüft wurde die Bestandserfassung der Bechsteinfledermaus, die mittels Detektorbegehungen, Telemetrie, Batcorder, Horchboxen und Ausflugszählungen durchgeführt wurde. Die dagegen vom Kläger geforderte Untersuchungsmethode der Netzfänge wurde vom Gericht zwar geprüft, aber unter Verweis auf die Verhältnismäßigkeit und die Belastung der Tiere in ihrer körperlichen Integrität nicht als unentbehrlich angesehen.332 Das BVerwG 333 stellte lediglich fest, dass die Methoden des Beklagten nicht unzureichend seien. Ähnlich entschied das BVerwG 334 im Jahr 2013 bezüglich der Bestandserfassung einer Kammmolchpopulation. Hier entsprach das methodische Vorgehen durch den Einsatz von Reusenfallen dem in einem Leitfaden festgelegten Standardprogramm in Hessen (Artleitfaden Hessen-Forst FIV 2006). Die vom Kläger favorisierte Fang-Wiederfang-Erfassung wurde dagegen wegen großen Zeitaufwands und Eingriffs in die körperliche Integrität der Molche nicht als vorzugswürdig betrachtet. Das BVerwG bezeichnet die Bestandsaufnahme zwar als naturschutzfachliche Frage, setzt sich aber recht intensiv mit den Einwänden des Klägers auseinander und greift nicht auf eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolle zurück.

327 Vgl. BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 47. Vgl. dazu auch BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25/12 – BeckRS 2014, 56037 Rn. 61. 328 BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 84. 329 BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1230 Rn. 49 ff.). 330 BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1230 Rn. 53 f.). 331 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 33. 332 Vgl. BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 32 f. 333 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 33. 334 BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 48 f.

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D. Rechtsprechungsanalyse

In der Entscheidung vom 6.11.2013 stellte das BVerwG 335 die wissenschaftliche Mangelhaftigkeit der angewandten Methodik des Gutachters fest. Dieser war im Rahmen der Bestandserfassung von Fledermäusen von dem in sämtlichen einschlägigen Arbeitshilfen und Leitfäden als Standardmethode bezeichneten Methodenmix (Habitatanalyse und Geländeuntersuchung) ausdrücklich abgewichen und wählte eine sog. faunistische Potenzialanalyse ohne nähere Vorort-Untersuchungen, kombiniert mit einem „Worst-Case-Ansatz“. Das BVerwG überprüft hier recht ausführlich, ob es sich bei der gewählten Methode um die „besten wissenschaftlichen Erkenntnisse“ handelt und kommt zu dem Ergebnis, dass die angewandte Methode wissenschaftlich mangelhaft war. Hier wird eine restriktive Handhabung des Beurteilungsspielraums deutlich. Dies zeigt, dass Kläger trotz zurückgenommener gerichtlicher Kontrolle effektive Rechtsschutzmöglichkeiten haben. 2014 hatte das BVerwG 336 über die Bestandserfassung einer Kammmolchpopulation zu entscheiden. Da die Methode der Bestandsaufnahme normativ nicht festgelegt ist und unter Verweis auf die Erkenntnisse der Literatur, nach der eine exakte Populationserfassung bei Kammmolchen „kaum möglich“ sei, wurde die Vorgehensweise des Beklagten, die aus einem verwandten Raumnutzungsmodell gewonnenen Erkenntnisse auf die in Frage stehenden Populationen zu übertragen, als ausreichend betrachtet. (3) Bewertung Im Rahmen der Bestandserfassung wurde ein Beurteilungsspielraum zunächst relativ großzügig angenommen und sogar auf eine weitere Sachverhaltsermittlung verzichtet. Insbesondere im Rahmen der Festlegung der charakteristischen Arten wird dies durchweg so gehandhabt, sodass die Urteile an dieser Stelle relativ kurz ausfallen. Eine Auseinandersetzung mit etwaiger Kritik der Kläger erfolgt nur begrenzt. Die Bestandserfassung stellt aber nichts anderes dar als die eigentliche Sachverhaltsermittlung. Der Beurteilungsspielraum wird hier also faktisch auf die Ermittlung der Tatsachen ausgeweitet und geht über die bloße Subsumtion hinaus. Hierdurch bricht die Rechtsprechung im Naturschutzrecht in rechtsstaatlich bedenklicher Weise aus der allgemeinen Dogmatik der Beurteilungsspielräume aus. Dagegen hat sich die Rechtsprechung im Rahmen der praktischen Ermittlung des Bestandes gewandelt und erscheint differenzierter. Hier wird ein Beurteilungsspielraum nicht explizit angenommen. Vielmehr befasst sich das Gericht regelmäßig sehr ausführlich sowohl mit dem Vortrag des Beklagten als auch insbesondere mit den Einwänden und der Kritik des Klägers. Dennoch wird am 335 336

BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – NVwZ 2014, 714 (718 f. Rn. 47 ff.). BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25/12 – BeckRS 2014, 56037 Rn. 61 ff.

III. Europäischer Gebietsschutz

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Ende der tiefgreifenden Prüfung darauf verwiesen, dass es sich um eine „naturschutzfachliche Frage“ handle und der Vortrag des Beklagten zumindest nicht unvertretbar sei. Im Ergebnis handelt es sich hierbei wohl dennoch um die Figur des Beurteilungsspielraums. Damit stellt sich die Prüfung des Gerichts im Rahmen der Beurteilungsspielräume als sehr ausführlich dar, wobei auf fachwissenschaftliche Eigenheiten und artspezifische Besonderheiten eingegangen wird. Eine Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle erfolgt faktisch gerade nicht, sodass die floskelhafte Feststellung, dass es sich um eine naturschutzfachliche Frage handle, letztlich nur zur Sicherheit erfolgt. Dies soll wohl entweder sicherstellen, dass die Entscheidung des Gerichts Bestand hat, falls weitere fachliche Einwände folgen, oder aber es soll die Annahme eines Beurteilungsspielraums über das vorliegende Verfahren hinaus für die Zukunft ermöglicht werden. Insbesondere unter Rechtsschutzgesichtspunkten ist die faktisch doch sehr weitgehende Prüfung jedenfalls zu begrüßen. bb) Bestandsbewertung Zweiter Schritt der Verträglichkeitsprüfung ist die Bestandsbewertung. Diese besteht wiederum aus zwei Schritten. Zunächst erfolgt die Zuordnung des Arteninventars zu den Lebensraumtypen. Anschließend wird deren Erhaltungszustand bewertet. (1) Zuordnung des Arteninventars zu Lebensraumtypen Die im ersten Schritt erfassten Arten dienen der Erfassung von Lebensraumtypen. Hierbei erfolgt eine wertende Zuordnung des Arteninventars, wobei die Zuordnungskriterien nicht rechtlich definiert sind. Das BVerwG 337 arbeitet hier als Problem heraus, dass die Lebensraumtypen eine „außerrechtliche Kategorie der Pflanzensoziologie dar[stellen], die – wie für Typen kennzeichnend – eine Bandbreite von Erscheinungsformen aufweisen. Verweist eine Rechtsnorm auf einen solchen Typ, ohne selbst eine weitergehende Inhaltsbestimmung zu treffen, so werden damit die herrschenden fachwissenschaftlichen Auffassungen über die typprägenden Merkmale für maßgeblich erklärt“. Hieraus folgt, dass im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung die einschlägigen Konventionen als Orientierungshilfe herangezogen werden müssen. Das BVerwG 338 stellt weiter fest: „Angesichts der Vielzahl von Arten, die in wechselnden Zusammensetzungen in einem Lebensraum bestimmten Typs vorkommen können, ist bei der konkreten Zuordnungsentscheidung mehr als Plausibilität und Stimmigkeit nicht erreichbar. Deshalb ist es unabweisbar, die gerichtliche Kontrolle insoweit zurückzunehmen und

337 338

BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 74. BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 74.

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D. Rechtsprechungsanalyse

der Behörde eine fachliche Einschätzungsprärogative zuzuerkennen.“ Wissenschaftlich beschrieben werden regelmäßig also Idealtypen – in der Realität kommen aber viele verschiedene Erscheinungsformen vor, sodass eine konkrete Zuordnung Schwierigkeiten bereiten kann. Angesichts der unterschiedlichen Kriterien, die von beiden Seiten der Bewertung zugrunde gelegt wurden, ging das BVerwG 339 auch im Jahr 2009 von einem Beurteilungsspielraum der Planfeststellungsbehörde im Rahmen der Zuordnung einer Fläche zu einem Lebensraumtyp aus. Das BVerwG 340 führt dazu aus: „Denn die Beurteilung, ob ein konkreter Befund im Naturraum einem in der FFH-Richtlinie aufgeführten Lebensraumtyp entspricht und – wenn ja – welchem, erfordert eine wertende Zuordnung, die angesichts der Bandbreite von Erscheinungsformen und Kategorien der Pflanzensoziologie vielfach schwierig ist und über die auch Sachverständige unterschiedlicher Auffassung sein können. Angesichts der Vielzahl von Arten, die zudem in wechselnden, gemischten oder im Entstehen bzw. Absterben befindlichen Erscheinungsformen auftreten können, ist eine gerichtliche Kontrolle der konkreten Zuordnungsentscheidung nur eingeschränkt dahingehend möglich, ob diese vertretbar, d.h. plausibel und stimmig erscheint.“ In der Folge genügt es nicht, wenn der Kläger bloß den Konflikt unterschiedlicher Bewertungen aufzeigt und seine Bewertung derjenigen des Beklagten entgegenstellt. Vielmehr muss er geltend machen, dass die Bewertung der Behörde nicht vertretbar ist.341 (2) Bewertung des Erhaltungszustands Der zweite Schritt ist die Bewertung des Erhaltungszustands. Dabei fließt eine Vielzahl offener Kriterien ein, die einer weiteren Ausformung bedürfen. Nach dem BVerwG 342 gelte daher für die Bestandsbewertung erst recht, dass die gerichtliche Kontrolle eingeschränkt wird. Ausreichend ist also auch hier eine Vertretbarkeitskontrolle.343 Die Bestandsbewertung orientiert sich an der Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes.344 Bei dieser Bewertung kann insbesondere auf die zur Gebietsabgrenzung genannten Kriterien zurückgegriffen werden, wobei wiederum an Anhang III Phase 1 FFH-Richtlinie zu erinnern ist.345 Die Kriterien sind hier für die Lebensräume und für die Arten gesondert zu be-

339 340 341 342 343 344 345

BVerwG, Beschl. v. 28.12.2009 – 9 B 26/09 – NVwZ 2010, 380 (381 Rn. 12). BVerwG, Beschl. v. 28.12.2009 – 9 B 26/09 – NVwZ 2010, 380 (381 Rn. 12). BVerwG, Beschl. v. 28.12.2009 – 9 B 26/09 – NVwZ 2010, 380 (381 f. Rn. 13). BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 75. Vgl. Kahl/Burs, DVBl. 2016, 1157 (1165). Vgl. hierzu Art. 1 lit. e und lit. i FFH-Richtlinie. S. o. Auswahl und Abgrenzung, D. III. 1. b) bb) auf S. 126 ff.

III. Europäischer Gebietsschutz

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trachten. Für die Bewertung der Lebensräume sind z. B. der Repräsentativitätsgrad des vorkommenden Lebensraumtyps und die relative Flächengröße zu nennen. Für die Arten sind besonders die Populationsgröße und -dichte, der Erhaltungsgrad und die Wiederherstellungsmöglichkeit der wichtigen Habitatelemente heranzuziehen. Das BVerwG 346 führt im Rahmen der Bestandsbewertung aus, dass die Einschätzungen nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich sind, und begründet dies mit der „Vielzahl der Kriterien, ihrer relativen Offenheit und ihres Angewiesenseins auf die Ausfüllung durch außerrechtliche Einschätzungen“. Die Grenze des Vertretbaren kann aber beispielsweise beim Bestehen innerer Widersprüche überschritten sein. So entschied das BVerwG 347 etwa 2011, dass eine Fläche mit günstigem Erhaltungszustand nicht aufgrund bestehender Gefährdungen von außen zur Entwicklungsfläche abgewertet werden dürfe. Gefährdungen seien gerade typisch für nach der FFH-Richtlinie ausgewiesene Schutzgebiete und stellten einen Grund für die Ausweisung dar. Im Gegenzug könne eine verminderte Schutzwürdigkeit damit gerade nicht rechtfertigt werden. Der Beurteilungsspielraum wurde hier überschritten. (3) Bewertung Für die Bestandsbewertung sind die ausschlaggebenden Kriterien in der FFHRichtlinie zwar ansatzweise niedergelegt, doch es fehlen weitgehend rechtlich normierte Zuordnungskriterien. Ferner besteht eine ganze Bandbreite verschiedener Erscheinungsformen der Lebensraumtypen, wobei in der Wissenschaft stets Idealtypen beschrieben werden, die der tatsächlichen Situation im Einzelfall nicht entsprechen und eine Zuordnung schwierig gestalten. Die Rechtsprechung nimmt aufgrund dieser wertungsabhängigen Entscheidung regelmäßig einen Beurteilungsspielraum der Behörde an. Somit wird recht ausführlich auf die vermeintlichen Gründe eingegangen, die für die Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle sprechen. Es erfolgt aber keine Anknüpfung an der allgemeinen Dogmatik der Beurteilungsspielräume. Positiv zu bewerten ist, dass die gerichtliche Kontrolle nicht komplett ausfällt, sondern lediglich ein Stück weit zurückgenommen wird. Die recht umfassenden Urteile lassen erkennen, dass im Rahmen der Plausibilitätskontrolle weitgehend auf die Einwände des Klägers eingegangen wird. Diesem wird jedoch abverlangt, nicht nur eine abweichende „bessere“ wissenschaftliche Auffassung auszuführen, sondern er muss darlegen, dass die entgegenstehende Auffassung nicht vertretbar ist. Dieser Beweis ist oftmals nicht zu erbringen.

346 347

BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 75. BVerwG, Urt. v. 14.7.2011 – 9 A 12/10 – BeckRS 2011, 55589 Rn. 62 f.

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D. Rechtsprechungsanalyse

cc) Auswirkungen auf den Erhaltungszustand: Erheblichkeit der Beeinträchtigung Als dritte Stufe der Verträglichkeitsprüfung folgt die Untersuchung der Auswirkungen auf den Erhaltungszustand. Im Mittelpunkt steht dabei die Abgrenzung der erheblichen von den unerheblichen Beeinträchtigungen des Erhaltungszustands. Bei dem unbestimmten Begriff der Erheblichkeit handelt es sich um einen Sonderfall, der besonders unter Heranziehung der unionsrechtlichen Vorgaben genauer betrachtet werden muss.348 Die Bewertung einer etwaigen „erheblichen Beeinträchtigung“ ist anhand der Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der maßgeblichen Gebietsbestandteile zu beurteilen.349 Sie stellt dabei vorrangig eine naturschutzfachliche Fragestellung350 dar und erfolgt im Rahmen einer Einzelfallbeurteilung anhand des Bewertungskriteriums des „günstigen Erhaltungszustands“ i. S. d. Legaldefinition des Art. 1 lit. e und lit. i FFH-Richtlinie.351 Im Rahmen dieser an den Erhaltungszielen orientierten Prüfung müssen sowohl vorhabenbedingte Einwirkungen auf den geschützten Lebensraum oder die geschützte Art als auch Einwirkungen von anderer Seite in den Blick genommen werden.352 Wann die Erheblichkeit zu bejahen ist, ist nach dem BVerwG 353 „im Lichte des Gemeinschaftsrechts und der Aussagen zu beantworten, die in der Rechtsprechung des EuGH dazu gemacht wurden“. Unter Verweis auf das Urteil des EuGH 354 zur Herzmuschelfischerei geht das BVerwG 355 davon aus, dass unionsrechtlich die Geltung eines strengen Schutzregimes gefordert ist, dessen Einhaltung umfassend gerichtlich überprüft wird. Obwohl auf dieser Stufe in Form der „Erheblichkeit“ ein unbestimmter Rechtsbegriff vorhanden ist und gewichtige Sachgründe, wie etwa das Erfordernis naturschutzfachlicher Wertungen, vorlie348 Dagegen bezeichnet die Europäische Kommission die Erheblichkeit als rein objektiv zu interpretierenden Begriff, Europäische Kommission, Natura-2000 – Gebietsmanagement, 2000, S. 36, http://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/manage ment/docs/art6/provision_of_art6_de.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.12.2019). Doch auch hier wird auf die Abhängigkeit von spezifischen Merkmalen des Schutzgebiets und den dort herrschenden Umweltbedingungen abgestellt. 349 St. Rspr. Vgl. nur BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1059 Rn. 43); BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 35; BVerwG, Urt. v. 21.1.2016 – 4 A 5/14 – NVwZ 2016, 844 (851 Rn. 70). 350 BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1059 Rn. 43); BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 68; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 7.2.2011 – 4 B 48/10 – BeckRS 2011, 48411 Rn. 6. 351 Vgl. nur BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1231 Rn. 57). 352 BVerwG, Beschl. v. 28.11.2013 – 9 B 14/13 – BeckRS 2014, 45868 Rn. 11. 353 BVerwG, Urt. v. 17.1.2017 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1058 Rn. 37). 354 EuGH, Urt. v. 7.9.2004, Herzmuschelfischerei, Rs. C-127/02 ECLI:EU:C:2004: 482 Rn. 58. 355 BVerwG, Urt. v. 17.1.2017 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1058 Rn. 38).

III. Europäischer Gebietsschutz

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gen, wird hier kein Beurteilungsspielraum angenommen. Dies bedarf einer kurzen näheren Betrachtung. (1) Vorgaben und Umsetzung der Rechtsprechung des EuGH Zunächst ist nochmals darauf hinzuweisen, dass keine Methode für die Durchführung der Verträglichkeitsprüfung insgesamt vorgegeben ist.356 Es besteht hierbei kein Unterschied zu den vorangehenden Stufen. Zwar kann auf die einschlägigen Dokumente der Kommission zurückgegriffen werden, diesen kommt aber keine rechtliche Bindungswirkung zu.357 Im Urteil zur Herzmuschelfischerei entschied der EuGH 358 im Jahr 2004, dass eine erhebliche Beeinträchtigung durch Pläne oder Projekte dann vorliegt, „wenn sie drohen, die für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungsziele zu gefährden“. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Bewertung der Erheblichkeit ist die Gefährdung der Erhaltungsziele. Hieraus folgert das BVerwG 359, dass grundsätzlich jede Beeinträchtigung eines Erhaltungsziels erheblich ist und als Beeinträchtigung des Gebiets als solchen gewertet werden muss. Wenn jede Beeinträchtigung erheblich ist, besteht folglich keine irgendwie geartete Erheblichkeitsschwelle.360 Es bedarf demnach keiner qualifizierenden Intensität der Beeinträchtigung der Erhaltungsziele.361 Die besondere Strenge des EuGH 362 wird dann deutlich, wenn weiter gefordert wird, dass durch die zuständige Stelle Pläne oder Projekte nur dann zugelassen werden dürfen, wenn sie „Gewissheit“ darüber erlangt haben, dass das Projekt oder der Plan sich nicht nachteilig auf das Gebiet als solches auswirken wird. Das Erfordernis der „Gewissheit“ stützt sich auf die Formulierung in Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-Richtlinie, wonach die Behörden dem Vorhaben nur zustimmen dürfen, wenn sie „festgestellt haben“, dass das Gebiet als solches nicht beein-

356 EuGH, Urt. v. 7.9.2004, Herzmuschelfischerei, Rs. C-127/02, ECLI:EU:C:2004: 482 Rn. 52. 357 GA Kokott, Schlussantr. v. 29.1.2004, Herzmuschelfischerei, Rs. C-127/02, ECLI: EU:C:2004:60 Rn. 95. 358 EuGH, Urt. v. 7.9.2004, Herzmuschelfischerei, Rs. C-127/02, ECLI:EU:C:2004: 482 Rn. 49. 359 BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1059 Rn. 41); vgl. auch BVerwG, Urt. v. 21.1.2016 – 4 A 5/14 – NVwZ 2016, 844 (853 Rn. 83). So bereits GA Kokott, Schlussantr. v. 29.1.2004, Herzmuschelfischerei, Rs. C-127/02, ECLI:EU:C: 2004:60 Rn. 85. 360 Vgl. hierzu auch Berkemann, ZUR 2017, 404 (406). 361 BVerwG, Urt. v. 14.7.2011 – 9 A 12/10 – BeckRS 2011, 55589 Rn. 84, wenngleich § 34 Abs. 2 BNatSchG eine gewisse Eingriffsintensität suggeriert. 362 EuGH, Urt. v. 7.9.2004, Herzmuschelfischerei, Rs. C-127/02, ECLI:EU:C:2004: 482 Rn. 61; EuGH, Urt. v. 26.4.2017, Kohlekraftwerk Moorburg, Rs. C-142/16, ECLI: EU:C:2017:301 Rn. 33.

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D. Rechtsprechungsanalyse

trächtigt wird. Die anderen Sprachfassungen gehen sogar noch weiter, wenn sie über diese bloße Feststellung hinaus fordern, dass sich die zuständigen Behörden „Sicherheit“ verschaffen müssen.363 Allerdings ist hier auch unter Berücksichtigung des gemeinschaftsrechtlichen Vorsorgeprinzips, das in Art. 6 Abs. 3 FFHRichtlinie seinen Niederschlag gefunden hat, kein „Nullrisiko“ gefordert, weil ein wissenschaftlicher Nachweis hierfür nicht geführt werden kann.364 Die notwendige Sicherheit kann daher nicht als „absolute Sicherheit“ verstanden werden.365 „Gewissheit“ liegt vielmehr dann vor, wenn „aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel“ daran besteht, dass negative Auswirkungen nicht auftreten werden.366 Die Methode ist normativ zwar nicht festgelegt, es müssen aber die „besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse“ 367 herangezogen werden, was eine „Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Mittel und Quellen“ 368 voraussetzt.369 Daher muss eine erforderliche und wissenschaftlich etablierte Methode angewandt werden, sofern diese weder unverhältnismäßig noch beeinträchtigend ist.370 Es kommt dabei nicht auf den Nachweis an, dass eine erhebliche Beeinträchtigung nachweisbar ist, sondern umgekehrt darauf, dass ihr Ausbleiben festgestellt wird.371 Dabei können verbleibende Unsicherheiten mit Prognosewahr363 Vgl. GA Kokott, Schlussantr. v. 29.1.2004, Herzmuschelfischerei, Rs. C-127/02, ECLI:EU:C:2004:60 Rn. 99. Vgl. etwa die englische Version „. . . only after having ascertained . . .“, die französische Version „. . . qu’après s’être assurées . . .“ sowie die italienische Version „. . . soltanto dopo aver avuto la certezza . . .“. 364 BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 41; BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 35; BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1061 Rn. 60), unter Verweis auf EuG, Urt. v. 11.9.2002, Pfizer Animal Health/Rat, Rs. T-13/99, ECLI:EU:T:2002:209 Rn. 145, 152 bezüglich des Risikos der Beigabe von Antibiotika in Tierfutter. 365 So GA Kokott, Schlussantr. v. 29.1.2004, Herzmuschelfischerei, Rs. C-127/02, ECLI:EU:C:2004:60 Rn. 107. 366 EuGH, Urt. v. 7.9.2004, Herzmuschelfischerei, Rs C-127/02, ECLI:EU:C:2004: 482 Rn. 59; EuGH, Urt. v. 26.4.2017, Kohlekraftwerk Moorburg, Rs. C-142/16, ECLI:EU:C:2017:301 Rn. 33; BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1061 Rn. 62); BVerwG, Beschl. v. 20.3.2018 – 9 B 43/16 – DVBl. 2018, 1361 (1363). 367 EuGH, Urt. v. 7.9.2004, Herzmuschelfischerei, Rs. C-127/02, ECLI:EU:C:2004: 482 Rn. 54. 368 Vgl. GA Kokott, Schlussantr. v. 29.1.2004, Herzmuschelfischerei, Rs. C-127/02, ECLI:EU:C:2004:60 Rn. 97. 369 BVerwG, Urt. v. 21.1.2016 – 4 A 5/14 – NVwZ 2016, 844 (851 Rn. 70); BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 41; BVerwG, Urt. v. 6.11. 2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 35; BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/ 06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 94; BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1061 Rn. 62). 370 BVerwG, Urt. v. 21.1.2016 – 4 A 5/14 – NVwZ 2016, 844 (855 Rn. 102). 371 GA Kokott, Schlussantr. v. 29.1.2004, Herzmuschelfischerei, Rs. C-127/02, ECLI: EU:C:2004:60 Rn. 99.

III. Europäischer Gebietsschutz

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scheinlichkeiten und Schätzungen überwunden werden, die kenntlich gemacht und begründet werden müssen.372 Vernünftige Zweifel können dann nicht ausgeräumt werden, wenn die Risikoanalyse nicht den besten Stand der Wissenschaft berücksichtigt oder die einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse hierzu momentan objektiv nicht ausreichen.373 Im Ergebnis muss festgehalten werden, dass die Bewertung der Ergebnisse der FFH-Verträglichkeitsprüfung durch die Genehmigungsbehörde der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, „soweit es um die Beurteilung geht, ob durch das Vorhaben eine erhebliche Beeinträchtigung in den für den Schutzzweck der Gebietsfestsetzung maßgeblichen Belangen eintreten würde“.374 Da die Unschädlichkeit des Projekts ohne nachvollziehbare Zweifel feststehen muss, kann ein Beurteilungsspielraum nicht anerkannt werden.375 (2) Bewertungskriterium: günstiger Erhaltungszustand Ein kurzer Blick soll auf das maßgebliche Bewertungskriterium fallen. § 7 Abs. 1 Nr. 9 BNatSchG definiert die Erhaltungsziele als Ziele, die im Hinblick auf die Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands bestimmter Lebensraumtypen und Arten festgelegt sind. Maßgebliches Bewertungskriterium ist der günstige Erhaltungszustand, der trotz Durchführung des Vorhabens stabil bleiben muss, bzw. darf sich ein schlechter Erhaltungszustand nicht weiter verschlechtern.376 § 7 Abs. 1 Nr. 10 BNatSchG verweist für die Begriffsbestimmung des günstigen Erhaltungszustandes insbesondere auf Art. 1 lit. e und lit. i FFH-Richtlinie. Hier finden sich Legaldefinitionen des günstigen Erhal-

372 BVerwG, Urt. v. 21.1.2016 – 4 A 5/14 – NVwZ 2016, 844 (851 Rn. 70); BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 41; BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 35; BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1232 Rn. 67); BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007 1054 (1061 Rn. 64). So bereits GA Kokott, Schlussantr. v. 29.1.2004, Herzmuschelfischerei, Rs. C-127/02, ECLI:EU:C:2004:60 Rn. 97. 373 BVerwG, Beschl. v. 7.2.2011 – 4 B 48/10 – BeckRS 2011, 48411 Rn. 5. 374 OVG Münster, Urt. v. 13.12.2007 – 8 A 2810/04 – BeckRS 2008, 32781, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1058 Rn. 38). Vgl. OVG Münster, Urt. v. 11.9.2007 – 8 A 2696/06 – BeckRS 2007, 27501; vgl. OVG Münster, Urt. v. 27.7.2010 – 8 A 4062/04 – NuR 2011, 59 (61). 375 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 27.7.2010 – 8 A 4062/04 – NuR 2011, 59 (63); vgl. BVerwG, Urt. v. 10.4.2013 – 4 C 3/12 – NVwZ 2013, 1346 (1347 Rn. 10). 376 BVerwG, Urt. v. 21.1.2016 – 4 A 5/14 – NVwZ 2014, 844 (851 Rn. 70); BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 20133, 52949 Rn. 41; BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 35; BVerwG, Urt. v. 14.7.2011 – 9 A 12/10 – BeckRS 2011, 55589 Rn. 59; BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1231 Rn. 57); BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 94; BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1059 Rn. 43).

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D. Rechtsprechungsanalyse

tungszustands von Lebensräumen (Art. 1 lit. e FFH-Richtlinie) und des günstigen Erhaltungszustands von Arten (Art. 1 lit. i FFH-Richtlinie). Unter dem „Erhaltungszustand einer Art“ wird demnach die Gesamtheit der Einflüsse verstanden, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Populationen der betreffenden Arten auswirken können. Die Unterscheidung zwischen Lebensräumen und Arten führt dazu, dass hier auch unterschiedliche naturschutzfachliche Kriterien eine Rolle spielen können.377 Bezüglich des Erhaltungszustands der Arten stellt das BVerwG 378 – ohne auf einen etwaigen Beurteilungsspielraum einzugehen – fest, dass „das empirisch gesicherte Fachwissen bei den meisten geschützten Arten nicht annähernd aus[reicht], um Risiken so weit zu quantifizieren, dass daraus standardisierte Belastungsschwellen abgeleitet werden können“. Außerdem sei trotz bestehender Orientierungs- und Anhaltswerte für Belastungsschwellen die wissenschaftliche Diskussion nicht abgeschlossen. Noch schwieriger sei die Feststellung der Belastungsschwellen bei Lebensraumtypen. Nach Ansicht des BVerwG 379 handelt es sich dabei „um biogeografische Systeme, die durch vielfältige Vernetzungen und entsprechend komplexe Wechselwirkungen gekennzeichnet sind“. Die in Art. 1 lit. e FFH-Richtlinie festgelegten Kriterien, wie insbesondere die charakteristischen Arten, seien „der ökologischen Systemtheorie entnommen, die Lebensraumtypen in gewissen Grenzen ebenfalls eine Elastizität und Belastbarkeit zuschreibt“.380 An dieser Stelle ist auf die sog. „Critical Loads“ 381 hinzuweisen, die eine gewisse Quantifizierung der Belastbarkeit der Lebensraumtypen gewährleisten sollen. Das Bewertungskriterium des günstigen Erhaltungsstandes ist sehr unbestimmt und vage und auch die heranzuziehenden Kriterien sind nicht definiert. Eindeutige wissenschaftliche Erkenntnisse fehlen. Gleichwohl ist der Rechtsprechungsanalyse zu entnehmen, dass dieser Punkt der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegen soll. (3) Einzelanalyse Das BVerwG 382 überprüft die Kritik des Klägers, wenn dieser beispielsweise im Jahr 2007 geltend macht, dass Tiere durch mikroklimatische Einflüsse angelockt werden und auf der Straße in eine Kollisionsfalle geraten können. Da der 377 378 379 380 381

Vgl. BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1059 Rn. 43). BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1059 Rn. 46). BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1059 Rn. 48). BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1059 Rn. 48). Dies sind berechenbare lebensraumtypische Belastungsgrenzen für Schadstoffein-

träge. 382

BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1065 Rn. 99).

III. Europäischer Gebietsschutz

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wissenschaftliche Erkenntnisstand der Lock- und Fallenwirkung einer überhitzten Straße als lückenhaft bezeichnet werden musste, kam der Senat konsequenterweise zu dem Schluss, dass die Behörde nicht die erforderliche Gewissheit erlangen durfte, dass eine Beeinträchtigung des Erhaltungsziels ausgeschlossen sei. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass das BVerwG 383 in der Entscheidung zur Westumfahrung Halle von 2007 die Befunde der FFH-Verträglichkeitsprüfung und die Kritik des Klägers sehr ausführlich überprüfte, indem die möglichen Beeinträchtigungen (z. B. Lärm, Barrierewirkung, Flächenverlust, . . .) gesondert gewürdigt und die möglicherweise beeinträchtigten Arten und Lebensräume separat betrachtet werden. Von einem Beurteilungsspielraum oder einer zurückgenommenen gerichtlichen Kontrolle fehlt hier jede Spur. Auch im Jahr 2008 überprüft das BVerwG 384 umfassend für jeden Lebensraumtyp gesondert die Erheblichkeit der einzelnen sowohl anlage- als auch baubedingten Beeinträchtigungen, auch unter Berücksichtigung der Schutz- und Kompensationsmaßnahmen. Dabei wird der Beschluss der Behörde und die Begründung des Beklagten berücksichtigt. Vor allem wird auf die Kritik des Klägers im Einzelnen vertieft eingegangen und dessen Vorbringen mehrfach gefolgt. Im Urteil des BVerwG 385 vom 14.4.2010 beschäftigt sich das Gericht im Rahmen der Überprüfung der Beeinträchtigungen ausführlich mit den vorgesehenen Schutzmaßnahmen und den diesbezüglichen Einwänden des Klägers. Dabei geht das Gericht auf die Sorgen des Klägers ein, führt wissenschaftliche Leitfäden und Merkblätter an und begründet ausführlich, warum gegen die Annahmen des Beklagten keine Bedenken bestehen. Es nimmt keinen Beurteilungsspielraum an und nimmt die gerichtliche Kontrolle nicht zurück. Im Jahre 2012 liegt ein Fokus der Überprüfung auf dem Gesamtkonzept der Schutzmaßnahmen. Dabei betrachtet das BVerwG 386 vor allem die Funktionen der Schutzmaßnahmen und die Charakteristika der Bechsteinfledermaus und setzt sich hier ausführlich mit den Einwänden des Klägers auseinander. Zudem werden die möglichen Beeinträchtigungen, namentlich der Habitatverlust durch direkte Flächeninanspruchnahme und die Verminderung der Habitatqualität durch Lärm, für die Bechsteinfledermaus gesondert überprüft. Hier sticht besonders hervor, dass das BVerwG 387 zwar grundsätzlich die Heranziehung von Fachkonventionen als Orientierungswert begrüßt, dies sogar wegen fehlender besserer Erkenntnisse den Regelfall darstellen solle, mangels normativer Geltung der 383 BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1063 Rn. 80 ff., 153 ff.). 384 BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 96 ff. 385 BVerwG, Urt. v. 14.4.2010 – 9 A 5/08 – NVwZ 2010, 1225 (1231 ff. Rn. 58 ff.). 386 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 36 ff. 387 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 46 f. und 58. Dem folgt auch BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25/12 – BeckRS 2014, 56037 Rn. 66.

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D. Rechtsprechungsanalyse

Fachkonventionen aber Abweichungen im Einzelfall (so auch im zu entscheidenden Fall) möglich sind. Mit den Abweichungsgründen setzt sich das Gericht sodann konkret auseinander. Die gerichtliche Kontrolle wird hier nicht zurückgenommen. Dasselbe gilt für die weitere Überprüfung der erheblichen Beeinträchtigungen, die gesondert für jede charakteristische Art und die besonders geschützten Lebensraumtypen erfolgt.388 Ein weiteres Beispiel für eine umfassende gerichtliche Kontrolle ist das Urteil des BVerwG 389 vom 28.3.2013. Hier sind zu den betroffenen Arten und dem betroffenen Lebensraumtyp ausführliche Überprüfungen sowohl der Auffassung des Beklagten, als auch der Einwände des Klägers angestellt worden. In einer weiteren Entscheidung im Jahre 2013 lehnt das BVerwG 390 einen Spielraum ab, wenn es feststellt, dass der Träger des Vorhabens unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Mittel „nachweisen“ muss, dass eine vorhabenbedingte Beeinträchtigung ausgeschlossen ist. Hier wird wieder auf die „Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Mittel und Quellen“ verwiesen, sodass keine vernünftigen Zweifel mehr daran bestehen dürfen, dass die Erhaltungsziele vorhabenbedingt nicht beeinträchtigt werden. „Die gewonnenen fachwissenschaftlichen Erkenntnisse sind zu dokumentieren, weil nur auf diesem Wege der Nachweis geführt werden kann, dass die erreichbaren wissenschaftlichen Erkenntnisquellen in vollem Umfang ausgeschöpft wurden und die Bewertungen den besten wissenschaftlichen Stand erreicht haben.“ 391 Im Jahr 2014 beschäftigt sich das BVerwG 392 mit der Belastung durch Stickstoffeinträge und nimmt hier an, dass das Ergebnis eines Forschungs- und Entwicklungsvorhabens des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung die „besten wissenschaftlichen Erkenntnisse“ zur Ermittlung solcher Belastungen darstellt. Das BVerwG 393 setzt sich hier ausführlich mit den verschiedenen Berechnungsmodellen auseinander, ohne sich auf eine zurückgenommene gerichtliche Kontrolle zu berufen. Im Anschluss werden die möglicherweise betroffenen Arten gesondert auf Beeinträchtigungen überprüft. Das Gericht nimmt die Kontrolle nicht zurück, sondern befasst sich eingehend mit den vorhabenbedingten Einwirkungen und den Schutz- und Vermeidungsmaßnahmen.394 Bereits zu Beginn der Ausführungen zur FFH-Verträglichkeitsprüfung 388

BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 52 ff. BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 39 ff. 390 BVerwG, Urt. v. 10.4.2013 – 4 C 3/12 – BeckRS 2013, 52437 Rn. 10. 391 BVerwG, Urt. v. 10.4.2013 – 4 C 3/12 – BeckRS 2013, 52437 Rn. 20; vgl. hierzu auch BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1062 Rn. 70). 392 BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25/12 – BeckRS 2014, 56037 Rn. 34 ff. 393 BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25/12 – BeckRS 2014, 56037 Rn. 37 ff. 394 BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25/12 – BeckRS 2014, 56037 insbesondere bezüglich des Kammmolchs Rn. 60 ff., der Bechsteinfledermaus Rn. 67 ff. und des Großen Mausohrs Rn. 71. 389

III. Europäischer Gebietsschutz

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stellt das BVerwG 395 aber fest, dass „Einwände gegen eine fachwissenschaftlich anerkannte Untersuchungsmethode [. . .] jedoch nicht [bestehen], wenn mit einer anderen, ebenfalls anerkannten Methode nicht voll übereinstimmende Ergebnisse erzielt würden“. Auch 2018 stellt das BVerwG 396 ausdrücklich fest, dass im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung für die Prüfung der Beeinträchtigung kein naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum besteht. Allerdings macht das BVerwG deutlich, dass gleichwohl – ohne die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums – die gerichtliche Kontrolle an funktionale Grenzen stoßen kann.397 Es sei möglich, dass zwei divergierende fachwissenschaftlich anerkannte Methoden zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Einwände gegen eine der Methoden bestünden deswegen gleichwohl nicht.398 (4) Bewertung Für diese Stufe der Verträglichkeitsprüfung wird Gewissheit hinsichtlich des Ausbleibens etwaiger erheblicher Beeinträchtigungen verlangt. In der Folge wird in der Rechtsprechung gerade kein Spielraum angenommen. Hier geht es gerade nicht darum, die erhebliche Beeinträchtigung zu beweisen, sondern umgekehrt, Gewissheit über deren Ausbleiben zu erlangen. Daraus folgt die Konsequenz, dass beim Bestehen nicht auszuräumender wissenschaftlicher Unsicherheiten die geforderte Gewissheit nicht bestehen und ein Projekt oder Plan nur über eine Abweichungsentscheidung zugelassen werden kann. Dieses strenge Schutzregime darf nicht durch Beurteilungsspielräume ausgehöhlt werden.399 Erwähnenswert ist, dass sich die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums gerade hier angeboten hätte. Sowohl bei der „Erheblichkeit“ der Beeinträchtigung als auch beim Kriterium des „günstigen Erhaltungszustandes“ handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe. Auch fehlen hinreichend eindeutige wissenschaftliche Erkenntnisse, sodass ein hinreichend gewichtiger Sachgrund für die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen vorliegen könnte. Selbst die Anwendung der normativen Ermächtigungslehre scheint hier wohl möglich. Aufgrund der dargestellten allgemeinen Bedenken gegen die weitreichende Anerkennung von Beurteilungsspielräumen, ist es dennoch begrüßenswert, dass im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung eine restriktive Handhabung erfolgt. 395

BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25/12 – BeckRS 2014, 56037 Rn. 26. BVerwG, Beschl. v. 20.3.2018 – 9 B 43/16 – DVBl. 2018, 1361 (1363). 397 Zu dieser Differenzierung im Rahmen des Artenschutzrechts vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54 Rn. 23 f.). 398 BVerwG, Beschl. v. 20.3.2018 – 9 B 43/16 – DVBl. 2018, 1361 (1363) mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25/12 – BeckRS 2014, 56037 Rn. 26. 399 Vgl. Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 146. Akt. Stand: Sept. 2019, § 32 BNatSchG Rn. 17. 396

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D. Rechtsprechungsanalyse

Letztendlich wird hier zwar nicht die Figur des Beurteilungsspielraums herangezogen. Nichtsdestotrotz kann die gerichtliche Kontrolle an funktionale Grenzen stoßen. Diese Entwicklung entspricht derjenigen im Artenschutzrecht und verdient daher in der Zukunft besonderer Beobachtung. d) Bewertung Bei der Erfassung und der Bewertung des Bestandes im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung wird ein Beurteilungsspielraum angenommen, bei der Bewertung der Erheblichkeit der Beeinträchtigungen dagegen nicht. In letzterem Fall ist die gerichtliche Kontrolle nicht zurückgenommen. Allerdings wirken sich die auf der ersten Stufe (Bestandserfassung und -bewertung) angenommenen Spielräume auch im Rahmen der Bewertung der Erheblichkeit der Beeinträchtigungen aus, weil Fakten geschaffen werden, die nicht mehr überprüft werden können. Es besteht eine gewisse präjudizierende Wirkung. Zudem sind die Begriffe der „Erheblichkeit“ und des „günstigen Erhaltungszustands“ wertungsoffen. Gleichwohl gehen die Gerichte andersherum an die Sache heran: Nicht die Beeinträchtigung muss bewiesen werden, sondern das Ausbleiben der Beeinträchtigung. Unter diesem Blickwinkel ist die differenzierte Annahme bzw. Ablehnung von Beurteilungsspielräumen zu begrüßen. In jedem Fall findet die normative Ermächtigungslehre im Rahmen der FFHVerträglichkeitsprüfung keine Berücksichtigung. Die Rechtsprechung geht hierauf nicht explizit ein. Unbestimmte Rechtsbegriffe sind in den Regelungen kaum vorhanden und werden selbst wenn sie bestehen von der Rechtsprechung nicht systematisch zur Herleitung eines Spielraums der Verwaltung herangezogen. Auch eine hinreichende sachgemäße Begründung sucht man vergeblich. Damit lässt sich im Ergebnis festhalten, dass die Rechtsprechung zur Verträglichkeitsprüfung hinsichtlich der Annahme von Beurteilungsspielräumen grundsätzlich restriktiv ist. Gleichzeitig erfolgt aber keine ordnungsgemäße Herleitung einer administrativen Einschätzungsprärogative. 3. Abweichungsprüfung (§ 34 Abs. 3–5 BNatSchG) Ein Vorhaben, das eine erhebliche Beeinträchtigung des Gebiets zur Folge hat, kann nur auf Grundlage einer Abweichungsprüfung gem. Art. 6 Abs. 4 FFHRichtlinie bzw. § 34 Abs. 3–5 BNatSchG zugelassen werden. Voraussetzung dafür ist, dass das Vorhaben aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses notwendig ist, keine zumutbaren Alternativen vorhanden sind und dass dem Vorhabenträger die zur Sicherung des Zusammenhangs des Europäischen ökologischen Netzes „Natura-2000“ notwendigen Maßnahmen auferlegt worden sind. Auch bei der Abweichungsprüfung wird ein Beurteilungsspielraum anerkannt, namentlich – und ausschließlich – für die Bewertung von Kohärenzsicherungs-

III. Europäischer Gebietsschutz

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maßnahmen i. S. v. § 34 Abs. 5 BNatSchG.400 Die vorherige Prüfung der Alternativen unterliegt dagegen der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle.401 Gleiches gilt für die Überprüfung der zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses. a) Kohärenzsicherungsmaßnahmen Die Abweichungsprüfung verfolgt einen wichtigen Zweck: Die FFH-Gebiete bilden das zusammenhängende Netz „Natura-2000“. Wird als Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung festgestellt, dass ein Projekt zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Gebietsbestandteile führt und soll das Vorhaben dennoch verwirklicht werden, so muss die dadurch verursachte Funktionseinbuße für die Erhaltungsziele durch entsprechende Maßnahmen ausgeglichen werden.402 Die sog. Kohärenzsicherungsmaßnahmen müssen sich an der jeweiligen Beeinträchtigung des Netzes Natura-2000 orientieren, also einen Funktionsbezug aufweisen.403 Das Erfordernis der Kohärenzsicherung stellt dabei eine Zulässigkeitsvoraussetzung dar und nicht eine bloße Rechtsfolge der Zulassungsentscheidung.404 Es muss verhindert werden, dass das Gebiet in seinem Erhaltungsziel durch die Beeinträchtigung irreversibel geschädigt wird.405 Räumlich und zeitlich muss also ein gewisser Zusammenhang der Kohärenzsicherungsmaßnahmen mit der Gebietsbeeinträchtigung vorliegen, wobei hin400

BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 202. Vgl. Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 34 BNatSchG Rn. 160 ff. 402 Vgl. GA Kokott, Schlussantr. v. 27.10.2005, KOM/Österreich, Rs. C-209/04, ECLI:EU:C:2005:653 Rn. 84; Europäische Kommission, Natura-2000 – Gebietsmanagement, 2000, S. 49 ff., http://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/management/ docs/art6/provision_of_art6_de.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.12.2019); Europäische Kommission, Auslegungsleitfaden zu Artikel 6 Absatz 4 der ,Habitat-Richtlinie‘ 92/43/ EWG, 2007, S. 11 ff., http://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/management/ docs/art6/guidance_art6_4_de.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.12.2019). Vgl. BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 93; BVerwG, Urt. v. 13.5. 2009 – 9 A 73/07 – NVwZ 2009, 1296 (1301 Rn. 69); BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 199. 403 BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 93; BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 82; BVerwG, Urt. v. 13.5. 2009 – 9 A 73/07 – NVwZ 2009, 1296 (1301 Rn. 69); BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 199 f.; Lau, in: Rehbinder/Schink, 5. Aufl. 2018, Abschnitt 11, Rn. 88. 404 BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1071 Rn. 148); so z. B. auch Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Leitfaden zur FFH-Verträglichkeitsprüfung im Bundesfernstraßenbau, 2004, S. 64; a. A. Schütz, UPR 2005, 137 (139). 405 BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 93; BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 82; BVerwG, Urt. v. 17.1.2007 – 9 A 20/05 – NVwZ 2007, 1054 (1071 Rn. 148); Lau, in: Rehbinder/Schink, 5. Aufl. 2018, Abschnitt 11, Rn. 88. 401

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D. Rechtsprechungsanalyse

zunehmen ist, dass sich die bis zur Vollendung des Vorhabens ergriffenen Maßnahmen zeitlich meist erst später positiv auswirken werden.406 Der Zeitpunkt der Vornahme der Maßnahme und der Zeitpunkt des erfolgreichen Ergebnisses der positiven Auswirkungen können divergieren. Das BVerwG 407 führt hierzu aus: „Sie [die Ausgestaltung der Kohärenzsicherungsmaßnahme] muss die beeinträchtigten Lebensräume und Arten in vergleichbaren Dimensionen erfassen, sich auf die gleiche biogeographische Region im gleichen Mitgliedstaat beziehen und Funktionen vorsehen, die mit den Funktionen, aufgrund derer die Auswahl des ursprünglichen Gebiets begründet war, vergleichbar sind.“ Beispiele für Kohärenzsicherungsmaßnahmen sind die Wiederherstellung des beeinträchtigten Lebensraums, die Verbesserung des verbleibenden Lebensraums, die Neuanlage eines Lebensraums oder auch die Beantragung der Eingliederung eines neuen Gebiets in das Netz Natura-2000.408 Im Ergebnis muss die Kohärenz des Netzwerks Natura-2000 gewährleistet werden. b) Herleitung des Beurteilungsspielraums aa) Unbestimmter Rechtsbegriff Normative Grundlage eines Beurteilungsspielraums bei der Abweichungsprüfung ist zunächst Art. 6 Abs. 4 FFH-Richtlinie. Dieser sieht die Ergreifung aller „notwendigen Ausgleichsmaßnahmen“ vor. Die Umsetzung in das deutsche Recht erfolgte in § 34 Abs. 3–5 BNatSchG. Gemäß § 34 Abs. 5 BNatSchG sind „die zur Sicherung des Zusammenhangs des Netzes ,Natura-2000‘ notwendigen Maßnahmen vorzusehen“. Der Terminus der „notwendigen Maßnahmen“ stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, der einer weiteren Auslegung bedarf.409 bb) Sachgrund Des Weiteren müsste ein hinreichend gewichtiger Sachgrund für die Annahme eines Beurteilungsspielraums vorliegen. Die Beurteilung der Kohärenzsicherungs406 BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 93; BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 82; BVerwG, Urt. v. 13.5. 2009 – 9 A 73/07 – NVwZ 2009, 1296 (1302 Rn. 69); BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 200. 407 BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 93; BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 82, jeweils mit Verweis auf EU-Kommission, Natura-2000 – Gebietsmanagement, 2000, S. 49 ff., http://ec.europa. eu/environment /nature/natura2000/management/docs/art6/provision_of_art6_de.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.12.2019). 408 Vgl. BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 93; BVerwG, Urt. v. 13.5.2009 – 9 A 73/07 – NVwZ 2009, 1296 (1302 Rn. 69); BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 199. 409 Eine derartige Anknüpfung am Normtext erfolgt in der Rechtsprechung allerdings nicht.

III. Europäischer Gebietsschutz

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maßnahmen erfolgt ausschließlich nach naturschutzfachlichen Maßstäben.410 Im Unterschied zur FFH-Verträglichkeitsprüfung kommt es im Rahmen der Kohärenzsicherungsmaßnahmen nicht darauf an, dass erhebliche Beeinträchtigungen ausgeschlossen werden. Diese sollen vielmehr kompensiert werden. Im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung muss Gewissheit über die Verträglichkeit des Projekts erlangt werden.411 Ob eine vollständige Kompensation gelingt, kann aber nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Der Unterschied zur Schadensvermeidung besteht darin, dass es bei der Kohärenzsicherung typischerweise um die Wiederherstellung oder Neuentwicklung von Lebensräumen und Habitaten geht. Da es sich hierbei um Prozesse im Naturgeschehen handelt, die mit Unwägbarkeiten verbunden sind, kann bezüglich der Wirksamkeit der Maßnahmen objektiv keine Gewissheit vorliegen. Der Erfolg der Kohärenzsicherungsmaßnahmen lässt sich dann nur „prognostisch abschätzen“.412 Würde hier trotzdem „Gewissheit“ gefordert, würde im Ergebnis wohl jedes Projekt im Rahmen der Abweichungsentscheidung am Kohärenzerfordernis scheitern.413 Damit dies nicht der Fall ist, gelten daher geringere Anforderungen als bei der Eignung von z. B. Schadensvermeidungsmaßnahmen, insbesondere wird diesbezüglich keine Gewissheit verlangt.414 Ausreichend ist dagegen, wenn die Kohärenzsicherungsmaßnahme „nach aktuellem wissenschaftlichen Erkenntnisstand“ mit hoher Wahrscheinlichkeit wirksam ist.415 Das dargestellte Prognoseerfordernis ist im Zusammenspiel mit den Unwägbarkeiten im Naturgeschehen somit der Sachgrund für die Annahme eines Beurteilungsspielraums.416 Die Wirksamkeit der Kohärenzsicherungsmaßnahmen ist unsicher. Zudem fehlen naturschutzfachlich allgemein anerkannte standardisierte

410 BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 201; BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 83; BVerwG, Urt. v. 6.11. 2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 94. 411 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 83; BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 94. 412 BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 94; BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 201. 413 BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 94; BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 83; BVerwG, Urt. v. 12.3. 2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 201. 414 BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 94. Vgl. Stüer, DVBl. 2009, 1 (6). 415 BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 94; BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 83; BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 4 C 12/07 – NVwZ 2010, 123 (128 Rn. 28); BVerwG, Urt. v. 13.5.2009 – 9 A 73/07 – NVwZ 2009, 1296 (1302 Rn. 70); BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 201. 416 BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 94; BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 4 C 12/07 – NVwZ 2010, 123 (128 Rn. 28); BVerwG, Urt. v. 12.3. 2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 202.

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D. Rechtsprechungsanalyse

Maßstäbe und rechenhaft handhabbare Verfahren, was nach dem BVerwG 417 ebenfalls eine Einschätzungsprärogative erforderlich macht. cc) Rücknahme der Kontrolldichte Die gerichtliche Kontrolle ist in der Folge auf eine Vertretbarkeitskontrolle beschränkt.418 Voraussetzung hierfür ist eine Offenlegung der Eingriffs- und Kompensationsbilanz im Planfeststellungsbeschluss, die nachvollziehbar und mittels naturschutzfachlich begründbarer Erwägungen erfolgt sein muss.419 c) Einzelanalyse Zunächst ist eine Veränderung in der Rechtsprechung festzustellen: Während 2008 noch neben der prognostischen Unsicherheit der Kohärenzsicherungsmaßnahmen auch ein wertender Vergleich zwischen dem Verbesserungswert der Maßnahmen und der Beeinträchtigung der Natur als Argument für einen Beurteilungsspielraum herangezogen wurde,420 wird seit 2009 lediglich die prognostische Unsicherheit als Sachgrund angeführt.421 Das BVerwG 422 stellt im Jahr 2013 fest: „Schon mit Rücksicht auf den prognostischen Charakter der Eignungsbeurteilung verfügt die Planfeststellungsbehörde bei der Entscheidung über Kohärenzsicherungsmaßnahmen über eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative.“ Darüber hinaus stellte das BVerwG 423 im Jahr 2008 noch auf das Bedürfnis eines wertenden Vergleichs ab: „Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass die jeweilige konkrete Beeinträchtigung und die prognostisch ermittelte Kompensation praktisch stets qualitative Unterschiede aufweisen. Infolgedessen können sie nur wertend miteinander verglichen werden.“ 417

BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 202. BVerwG, Urt. v. 9.2.2017 – 7 A 2/15 – NVwZ-Beilage 2017, 101 (157 Rn. 421); BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 94; BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 83; BVerwG, Urt. v. 13.5.2009 – 9 A 73/07 – NVwZ 2009, 1296 (1302 Rn. 70); BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 202. 419 Vgl. BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 94; BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 83; BVerwG, Urt. v. 13.5.2009 – 9 A 73/07 – NVwZ 2009, 1296 (1302 Rn. 70); BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 202 mit Vergleich zur Eingriffsregelung in BVerwG, Urt. v. 9.6.2004 – 9 A 11/03 – BVerwGE 121, 72 (84). 420 BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 202. 421 BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 4 C 12/07 – NVwZ 2010, 123 (128 Rn. 28); BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 83; BVerwG, Urt. v. 6.11. 2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 94. 422 BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 94. Ebenso bereits BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 4 C 12/07 – NVwZ 2010, 123 (128 Rn. 28); BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 83. 423 BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 202. 418

III. Europäischer Gebietsschutz

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Im selben Urteil befasst sich das BVerwG 424 2008 im Rahmen der Vertretbarkeitskontrolle mit den Maßnahmen und ihrem Funktionsbezug, stellt dann jedoch relativ schnell fest, dass jedenfalls keine Gründe erkennbar seien, die die Einschätzung, also die positive Ausgleichsbilanz, im Planfeststellungsbeschluss als naturschutzfachlich unvertretbar erscheinen lassen. Auch das Eingriffs-/Ausgleichsverhältnis von 1:3 sei naturschutzfachlich nicht unvertretbar.425 Auffallend ist im Jahr 2009 zudem die erhebliche Überkompensation des Flächenverlusts, wodurch die für längere Zeit zu erwartenden Funktionseinbußen ausgeglichen werden sollen.426 Dabei wird angenommen, dass in der Zwischenzeit keine irreversiblen Beeinträchtigungen des Erhaltungsziels eintreten. Das BVerwG 427 beruft sich hier auf einen Beurteilungsspielraum, wenn es feststellt, dass es dem Kläger nicht gelinge, die naturschutzfachliche Unvertretbarkeit der Prognose schlüssig darzulegen. Des Weiteren befasst sich das BVerwG 428 im Jahr 2012 mit den verschiedenen Kohärenzsicherungsmaßnahmen und überprüft diese auf ihre Nachvollziehbarkeit. Es stellt fest, dass die Ausführungen des Beklagten nachvollziehbar und überzeugend dargelegt worden seien und dass die Behörde in vertretbarer Weise von keiner Verschlechterung ausgegangen sei. Der Kläger dagegen vertrete zwar eine andere naturschutzfachliche Auffassung als die Behörde, dies führe jedoch nicht zur Unvertretbarkeit der behördlichen Auffassung bzw. erschüttere diese nicht.429 In einem späteren Urteil geht das BVerwG 430 auf die verschiedenen Kohärenzsicherungsmaßnahmen ein und führt diese näher aus, stellt dann aber fest, dass die positive Einschätzung der Planfeststellungsbehörde vertretbar sei. Die „pauschale Kritik“ des Klägers könne nicht überzeugen, wohingegen die Darlegungen in den Planunterlagen „nachvollziehbar“ seien.431 Die eigentliche Vertretbarkeitskontrolle erfolgt anschließend, indem der Beeinträchtigung die Kohärenzsicherungsmaßnahmen gegenübergestellt werden, wobei ein Kohärenzausgleich für die jeweiligen Lebensraumtypen im Verhältnis von 1:12, 1:2,5 und 1:8 festgestellt und als ausreichend erachtet wird.432 Besonders deutlich wird die Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle im Urteil des BVerwG 433 im Jahre 2014, wenn es sich damit begnügt, lediglich die Flä424 425 426 427 428 429 430 431 432 433

BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 206. BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 207. BVerwG, Urt. v. 13.5.2009 – 9 A 73/07 – NVwZ 2009, 1296 (1302 Rn. 73). BVerwG, Urt. v. 13.5.2009 – 9 A 73/07 – NVwZ 2009, 1296 (1302 Rn. 74). BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 85 ff. BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 94 f. BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 95 ff. BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 98. BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 103. BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25/12 – BeckRS 2014, 56037 Rn. 88.

166

D. Rechtsprechungsanalyse

chenanteile jeweils der Beeinträchtigungen und der Kompensationsmaßnahmen gegenüberzustellen und kurz auf die zeitliche Wirkung der Maßnahmen hinzuweisen. Mit der Kritik des Klägers setzt sich das Gericht hier nicht auseinander, da diese nicht über die Einwendungen im Planfeststellungsverfahren hinausgingen. d) Bewertung Im Rahmen der Abweichungsprüfung wird ein Beurteilungsspielraum bei der Bewertung der Kohärenzsicherungsmaßnahmen angenommen und mit prognostischen Unsicherheiten begründet. Dies passt wiederum in das bisher gezeichnete Bild – die naturschutzrechtlichen Bewertungen sind von Unsicherheiten, Unwägbarkeiten und Prognosen gezeichnet, die einen behördlichen Beurteilungsspielraum und eine geringere gerichtliche Kontrolle mit sich bringen. Nach den eingangs getätigten Feststellungen zur allgemeinen Dogmatik der Beurteilungsspielräume genügt das Erfordernis einer Prognose als hinreichender Sachgrund gerade nicht.434 Dieses Element sollte im Rahmen der Kohärenzsicherung neben die durchweg bestehenden naturschutzfachlichen Unsicherheiten und das Erfordernis naturschutzfachlicher Wertungen als Sachgrund für die Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle ergänzend hinzutreten. Daher sind die Ausführungen der Rechtsprechung an dieser Stelle regelmäßig zu knapp, wenn diese sich allein auf das Bedürfnis einer Prognose beschränken. Die Differenzierung, wonach im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung bei der Bewertung der Beeinträchtigung kein Spielraum angenommen wird, im Rahmen der Abweichungsprüfung dagegen ein Beurteilungsspielraum besteht, ergibt aus praktischen Gründen durchaus Sinn. Im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung kommt es auf ein positives Ergebnis an, um die Zulassung eines Vorhabens zu erlangen. Unsicherheiten gehen zulasten des Projektträgers. Die FFHRichtlinie verfolgt aber vor allem das Ziel der Kohärenzsicherung. Auch für ein beeinträchtigendes Vorhaben soll die Möglichkeit der Zulassung bestehen. Im Rahmen der Abweichungsprüfung wird ein Kompromiss erreicht, indem die Kohärenz des Netzwerks durch Kohärenzsicherungsmaßnahmen gewährleistet wird und der Vorhabenträger gleichzeitig das Projekt realisieren kann. Gleichwohl scheint die im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung bei der Bewertung der Erheblichkeit geforderte Strenge durch die häufig positiv ausfallende Abweichungsprüfung konterkariert. Denn durch die Abweichungs- oder Ausnahmeprüfung kann das Vorhaben im Ergebnis regelmäßig doch noch zugelassen werden. Als begrüßenswerter Vorteil dieser Handhabe bleibt, dass dann zumindest die Kohärenz des Netzwerkes gewährleistet wird.

434

Vgl. hierzu B. III. 3. auf S. 45 ff.

IV. Artenschutzrecht

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4. Bewertung Die differenzierte Herangehensweise der Rechtsprechung lässt eine restriktive Handhabung erkennen und sticht daher auf den ersten Blick positiv heraus. Innerhalb des Gebietsschutzrechts wird nur für bestimmte Fragen ein Beurteilungsspielraum der Administrative angenommen. Bei der Gebietsauswahl und -abgrenzung wird vorwiegend auf die offenen Kriterien verwiesen, die einer Wertung unterliegen. Im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung wird für die Bestandserfassung und -bewertung auf Erkenntnislücken in der Fachwissenschaft, auf das Fehlen einer herrschenden Methodik und allgemein auf die Komplexität abgestellt. Die restriktive Handhabung zeigt sich besonders, wenn bei der Feststellung der Auswirkungen auf den Erhaltungszustand eine vollständige gerichtliche Kontrolle gefordert wird. Im Rahmen einer sich anschließenden Abweichungsprüfung wird dann wieder das Bedürfnis einer Prognose hervorgehoben und ein Beurteilungsspielraum angenommen. Die differenzierte Handhabung wird dem Ausnahmecharakter des Beurteilungsspielraums durchaus gerecht. Allerdings wird dabei nicht an die allgemeinen dogmatischen Grundlagen angeknüpft. Eine normative Ermächtigung ist im europäischen Gebietsschutzrecht nicht explizit geregelt und wird von der Rechtsprechung auch nicht im Wege der Auslegung ermittelt. Ein unbestimmter Rechtsbegriff liegt im klassischen Sinne nicht vor – mit Ausnahme der Erheblichkeit der Auswirkungen auf den Erhaltungszustand, woraus sich aber kein Spielraum ergeben soll. Die von der Rechtsprechung angeführten Sachgründe sind sehr pauschal und oftmals austauschbar und genügen damit nur schwer den nach der allgemeinen Dogmatik an die Annahme von Beurteilungsspielräumen gestellten Vorgaben. Ein administrativer Beurteilungsspielraum bricht in den dargestellten Regelungsbereichen zudem aus den Grenzen seiner Anerkennung bei der Subsumtion aus und wird im Rahmen der Bestandserfassung auf die Ermittlung der Tatsachen ausgeweitet. Daraus folgt ein Mosaik uneinheitlicher Handhabung, das insbesondere mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit und des effektiven Rechtsschutzes kaum vereinbar ist. Den in Abschnitt C. der Arbeit dargestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen wird hierdurch kaum entsprochen.

IV. Artenschutzrecht Sowohl national als auch international ist ein schwerwiegender Rückgang der biologischen Vielfalt zu verzeichnen. Nach der stetig aktualisierten „Roten Liste“ der Welt-Naturschutzorganisation IUCN (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources) sind – mit steigender Tendenz – weltweit über 27.000 Arten gefährdet.435 Auch in Deutschland besteht eine hohe Gefährdungs435 Vgl. IUCN, Red List version 2019-1: Table 1a, https://nc.iucnredlist.org/redlist/ content/attachment_files/2019_1_RL_Stats_Table_1a.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.12. 2019).

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D. Rechtsprechungsanalyse

rate – 36 % der heimischen Tierarten, 26,8 % der heimischen Farn- und Blütenpflanzen und 72,5 % der Lebensräume sind gefährdet.436 Die Ursachen hierfür sind vielfältig, wobei im vorliegenden Zusammenhang insbesondere der „Flächenverbrauch“, also die Zerstörung und Beeinträchtigung von Lebensräumen durch Rodung und Verbauung hervorzuheben ist.437 Ein komplexer Rechtsrahmen auf nationaler, europäischer und völkerrechtlicher Ebene soll dem Schutz der Arten dienen.438 Die Betrachtung aktueller Gerichtsentscheidungen verdeutlicht den Stellenwert der artenschutzrechtlichen Anforderungen, insbesondere bei immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren und im Rahmen der Fachplanung.439 Das artenschutzrechtliche Schutzsystem entfaltet bereits bei der über die Zulassung bindend entscheidenden Planfeststellung seine Wirkung.440 Damit bestimmt das Artenschutzrecht wesentlich die Realisierbarkeit bestimmter Vorhaben. Zu denken ist an Infrastrukturvorhaben wie Verkehrswege (§ 17 FStrG441) oder Windkraftanlagen (§ 6 BImSchG442), wobei in beiden Fällen das Artenschutzrecht als öffentlicher Belang einer Zulassung entgegenstehen kann.443 Relevant sind dabei alle Einwirkungen, die baubedingt, anlagenbedingt oder auch betriebsbedingt erfolgen. Somit stehen sowohl Maßnahmen zur Baufeldräumung und der Bau selbst als auch der spätere Betrieb von Windenergieanlagen (Schlagopfer) und 436

SRU, Umweltgutachten 2008 – Naturschutz, Tz. 333. Zu weiteren Gründen vgl. Schütte/Gerbig, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, Vorb. zu §§ 37–55 BNatSchG Rn. 2. Auch die Landwirtschaft ist für den Rückgang der Artenvielfalt verantwortlich, spielt aber für die vorliegende Rechtsprechungsanalyse keine große Rolle. 438 National: §§ 37 ff. BNatSchG. Unional: EG-Artenschutzverordnung (ABl. Nr. L 61 v. 3.3.1997), Vogelschutzrichtlinie (ABlEG Nr. L 103 v. 25.4.1979 – konsol. Neufassung Richtlinie 2009/147/EG, ABlEG Nr. L 20 v. 26.1.2010), FFH-Richtlinie (ABlEG Nr. L 206 v. 22.7.1992). Völkerrechtlich: Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES) (BGBl. II 1975 S. 773), Berner Übereinkommen (BGBl. II 1984 S. 618), Biodiversitätskonvention (BGBl. II 1993 S. 1742). 439 In der Bauleitplanung wird das Artenschutzrecht zwar gem. § 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB i.V. m. § 1a BauGB berücksichtigt, die eigentliche Beeinträchtigung erfolgt aber erst durch den Vollzug der Planung in Form der Aufnahme von Baumaßnahmen. Hierauf bezieht sich auch die zu Grunde gelegte Rechtsprechung. Vgl. zum Planungs- und Genehmigungsrecht Bick, NuR 2016, 73 (75). 440 de Witt, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch des öff. Baurechts, Stand: Juni 2019, Kapitel E Naturschutz, Rn. 617. Vgl. auch EuGH, Urt. v. 10.1.2006, Kommission/ Deutschland, Rs. C-98/03, ECLI:EU:C:2006:3 Rn. 57–62. 441 Bundesfernstraßengesetz i. d. F. d. B. v. 28.6.2007 (BGBl. I S. 1206) z. g. d. G. v. 29.11.2018 (BGBl. I S. 2237). 442 Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz) i. d. F. v. 17.5.2013 (BGBl. I S. 1274) z. g. d. G. v. 8.4.2019 (BGBl. I S. 432). 443 Während Beurteilungsspielräume zunächst bei der Planfeststellung von Fernstraßen entwickelt wurden, erfassen diese nun auch insbesondere die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. 437

IV. Artenschutzrecht

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Fernstraßen (Trennwirkung, Kollisionsgefahr, etc.) im Fokus. Unvollständige Kenntnisse über ökosystemare Zusammenhänge tragen ihr Übriges zur Problematik bei. 1. Schutzsystem Das Schutzsystem des Artenschutzrechts ist dreistufig aufgebaut: Der geringste Schutz gebührt sämtlichen wild lebenden Arten in Form des allgemeinen Artenschutzrechts (§§ 38 ff. BNatSchG). Für besonders geschützte Arten und streng geschützte Arten gilt das besondere Artenschutzrecht (vgl. §§ 44 ff. BNatSchG), wobei die streng geschützten Arten verschärften Schutzbestimmungen unterliegen.444 Für die vorliegende Arbeit ist das besondere Artenschutzrecht von Bedeutung.445 Dieses setzt Normen der Vogelschutzrichtlinie und der FFHRichtlinie in nationales Recht um.446 In § 44 Abs. 1 BNatSchG447 sind bestimmte Zugriffsverbote geregelt, die insbesondere durch § 44 Abs. 5 BNatSchG eingeschränkt werden und von denen nach § 45 Abs. 7 BNatSchG Ausnahmen und nach § 67 BNatSchG Befreiungen erteilt werden können. Die Rechtsprechung erkennt hier Einschätzungsprärogativen der Behörde an. Dies gilt schwerpunktmäßig für die Bestandserfassung und Bewertung im Rahmen der Zugriffsverbote (3.), insbesondere für das Tötungsverbot im Rahmen von § 44 Abs. 1 BNatSchG (4.) sowie bei Anwendung des Ausnahmetatbestandes des § 45 Abs. 7 BNatSchG (5.). Eine Wendung hat diese Rechtsprechung allerdings durch eine Entscheidung des BVerfG448 im Oktober 2018 erfahren, bei der im Rahmen des artenschutzrechtlichen Tötungsverbotes keine Einschätzungsprärogative angenommen wurde. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle stoße vielmehr an eine faktische Grenze. 2. Bestehen einer Einschätzungsprärogative Im Rahmen des Artenschutzrechts wird bereits seit langem ein Beurteilungsspielraum für die ökologische Bestandserfassung und deren Bewertung angenom444 Der Schutzstatus ergibt sich aus den Anhängen A und B der Europäischen Artenschutzverordnung, Anhang IV der FFH-Richtlinie, Art. 1 VRL und der Bundesartenschutzverordnung (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 13–14 BNatSchG). 445 Das allgemeine Artenschutzrecht hat im Rahmen der Fachplanung nur geringe Bedeutung, weil durch die Planrechtfertigung stets auch ein vernünftiger Grund i. S. d. § 39 Abs. 1 BNatSchG für einen Eingriff besteht. 446 Art. 5 und 9 VRL und Art. 12, 13 und 16 FFH-Richtlinie. 447 Die vorliegend bedeutsamen Normen des Artenschutzrechts haben durch die Neufassung des BNatSchG 2010 (Gesetz vom 29.7.2009, BGBl. I S. 2542) und durch die Neufassung des BNatSchG im Herbst 2017 (Neufassung durch Art. 1 ÄndG. v. 15.9. 2017, BGBl. I S. 3434) inhaltlich kaum eine Änderung erfahren, sodass vorliegend zwar die aktuellen Vorschriften zitiert werden, aber auch ältere Urteile in die Rechtsprechungsanalyse einbezogen werden. Relevante Unterschiede werden hervorgehoben. 448 BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54 Rn. 23).

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men.449 Zur Begründung wird vorgebracht, dass nähere normkonkretisierende Maßstäbe fehlen würden und die Erkenntnisse der ökologischen Wissenschaft defizitär seien. a) Grenze: Doppelfunktion des § 44 Abs. 1 BNatSchG Im Rahmen des Artenschutzrechts ist auf eine Besonderheit gesondert einzugehen. Hier fungiert die Doppelfunktion des artenschutzrechtlichen Verbotstatbestandes als Grenze der Anerkennung von Beurteilungsspielräumen: § 44 Abs. 1 BNatSchG hat neben der Funktion als Zulassungsvoraussetzung auch die Funktion einer sanktionsbewehrten Verbotsnorm, d.h. dass ein Verstoß gegen die Verbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG gemäß §§ 69, 71 BNatSchG bußgeld- oder strafbewehrt ist. Unterstellt man aber dem § 44 Abs. 1 BNatSchG eine derartige Unbestimmtheit, dass in deren Konsequenz eine Einschätzungsprärogative der Verwaltung und eine reduzierte gerichtliche Kontrolle angenommen werden, so führt dies mit Blick auf die Funktion als Verbotsnorm450 zu einem Konflikt mit Art. 103 Abs. 2 GG und den hierin geforderten Bestimmtheitsanforderungen.451 Dann wäre an der Verfassungsmäßigkeit der Verbotsnorm zu zweifeln.452 Wird dagegen die Verfassungsmäßigkeit unterstellt, so spricht dies gegen die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums.453 Um diesen Konflikt zu lösen, bedient sich das BVerwG 454 eines „Tricks“ und differenziert zwischen den beiden soeben aufgezeigten Funktionen des § 44 Abs. 1 BNatSchG. Es beschränkt dabei das Bestehen einer Einschätzungsprärogative auf den „§ 44 Abs. 1 BNatSchG in Verbindung mit den Zulassungsregelungen des Planfeststellungs- und Genehmigungsrechts“ (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG) und klammert damit die Funktion des § 44 Abs. 1 BNatSchG als Sanktionsnorm aus.455 Hier wird als Argument für die Anerkennung des Spiel449 Damals zur Planfeststellung für Straßenbau, BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/ 07 – NVwZ 2009, 302 (308). Inzwischen wurde dies auf andere den Artenschutz betreffende Vorhaben übertragen. 450 So auch Gellermann, NuR 2014, 597 (598). Denn streng genommen handelt es sich bei § 44 Abs. 1 BNatSchG um keine Sanktionsnorm, sondern um eine Verbotsnorm – auch §§ 69 Abs. 2, 71 BNatSchG ändern hieran nichts. Gleichwohl wird der Terminus Sanktionsnorm in Verbindung mit der entsprechenden Funktion auch vom BVerwG verwendet, z. B. BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 f. Rn. 17). 451 Jacob/Lau, NVwZ 2015, 241 (245). 452 Die Verfassungswidrigkeit beträfe wohl nur die §§ 71, 71a BNatSchG, so auch Kahl/Burs, DVBl. 2016, 1222 (1223). Vgl. auch Gellermann, DVBl. 2013, 1341 (1346); ders., NuR 2014, 597 (598). 453 Kahl/Burs, DVBl. 2016, 1222 (1223). 454 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 f. Rn. 17). 455 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 f. Rn. 17); vgl. hierzu Fischer-Hüftle, BayVBl. 2016, 833 (838).

IV. Artenschutzrecht

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raums bei § 44 Abs. 1 BNatSchG in der Funktion der Zulassungsregelung vorgebracht, dass die Behörde nur im Rahmen der Zulassungsentscheidung eine vorausschauende Risikoermittlung und -bewertung vornehmen müsse, wobei in der Fachwissenschaft ungeklärte oder umstrittene Fragen beantwortet werden müssten.456 Jedoch erscheint gerade die Situation von Bürger und Behörde vergleichbar: Eine Prognose, ob die beabsichtigte Handlung den Tatbestand des § 44 Abs. 1 BNatSchG erfüllt, muss auch der Bürger im Vorfeld einer Handlung anstellen. Warum dann nur der Behörde, nicht aber dem Bürger das Privileg einer Einschätzungsprärogative zukommen soll, vermag in diesem Zusammenhang nicht ohne Weiteres einzuleuchten.457 Eine differenzierte Handhabung der beiden Situationen erscheint letztlich gleichwohl insofern sinnvoll, als dass ein Bürger nur die Folgen seiner eigenen Handlung abschätzen, die Behörde aber gleichsam alles sehen muss. b) Voraussetzungen der Einschätzungsprärogative Im Gesetz selbst (vgl. §§ 44 Abs. 1, 45 Abs. 7 BNatSchG) ist ein Beurteilungsspielraum nicht ausdrücklich vorgesehen. Hier knüpft das BVerwG teils unmittelbar an die von Literatur und BVerfG vertretene sog. normative Ermächtigungslehre an, indem es im Wege der Auslegung ermittelt, dass der Gesetzgeber der Verwaltung einen Beurteilungsspielraum eingeräumt hat.458 Dazu stellt das BVerwG 459 fest, dass § 44 Abs. 1 BNatSchG die Behörden unter Rücknahme normativer Vorgaben „gezielt auf die Erkenntnisse der ökologischen Wissenschaft und Praxis“ verweise. Dieser Verweis führe im Zusammenhang mit dem unsicheren Erkenntnisstand in der Ökologie zu einem Beurteilungsspielraum der Behörde. Beurteilungsspielräume können nicht grundsätzlich und umfassend für ganze Sachbereiche, wie etwa das gesamte Artenschutzrecht, angenommen werden. Somit wird jeweils am konkreten Normtext angesetzt. Erster Anknüpfungspunkt ist das Vorliegen eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Kriterien, wie insbesondere das Vorliegen einer „erheblichen Störung“, einer „lokalen Population“, einer „Verschlechterung des Erhaltungszustands“ (jeweils § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG) oder einer „signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos“ (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 i.V. m. Abs. 5 S. 2 Nr. 1 BNatSchG) stellen unbestimmte Rechtsbegriffe dar, die einer weiteren Ausformung bedürfen.

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BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 f. Rn. 17). So auch Gellermann, NuR 2014, 597 (599). 458 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 f. Rn. 15 ff.); Gellermann, NuR 2014, 597 (598). S. hierzu oben B. III. 1. auf S. 37 ff. 459 Vgl. BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 Rn. 16). 457

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D. Rechtsprechungsanalyse

Der die Einschätzungsprärogative rechtfertigende hinreichend gewichtige Sachgrund liegt regelmäßig darin, dass für die Beurteilung artenschutzrechtlicher Fragen eine vorausschauende Risikoermittlung und -bewertung vorgenommen werden muss, wobei in der Fachwissenschaft ungeklärte oder umstrittene Fragen beantwortet werden müssen.460 Insbesondere fehlen bisher für die relevanten ökologischen Bewertungen und Einschätzungen nähere normkonkretisierende Maßstäbe und verbreitet gesicherte naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Standards.461 Im Grunde sind herrschende naturschutzfachliche Auffassungen maßgeblich462 – eindeutige Antworten zu den artenschutzrechtlichen Fragestellungen gibt es nach derzeitigem Erkenntnisstand jedoch nicht.463 Häufig stehen daher naturschutzfachlich vertretbare Einschätzungen anderen ebenfalls vertretbaren Einschätzungen gegenüber.464 Dies könne nach dem BVerwG 465 als Ermächtigung verstanden werden, „die artenschutzrechtliche Prüfung in Würdigung des jeweiligen naturschutzfachlichen Meinungsstandes eigenverantwortlich vorzunehmen“. Ansonsten stoße die Rechtsprechung aufgrund der Komplexität und Dynamik der in Rede stehenden Materie an ihre Funktionsgrenzen.466 Das BVerwG stellte fest, dass man den Gerichten nicht abverlangen könne, zwischen vertretbaren fachwissenschaftlichen Einschätzungen zu entscheiden.467 „Es ist weder Aufgabe der Verwaltungsgerichte, wissenschaftliche Streitfragen zu entscheiden, noch eine solche Entscheidung durch die Erteilung von Forschungsaufträgen zu ermöglichen oder zu fördern.“ 468 Das OVG Magdeburg469 bringt dies im Urteil vom 20.1.2016 zum Tötungstatbestand wie folgt auf den Punkt: „Da zur fachgerechten Beurteilung dieser Frage 460 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 f. Rn. 17); Storost, UPR 2015, 47 (49). 461 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 100; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 27.6.2013 – 4 C 1/12 – NVwZ 2013, 1411 (1413 Rn. 15); BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (48 Rn. 45); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (307 f. Rn. 64). 462 Storost, UPR 2015, 47 (47). 463 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 Rn. 14); BVerwG, Urt. v. 27.6.2013 – 4 C 1/12 – NVwZ 2013, 1411 (1413 Rn. 15). 464 VGH Mannheim, Urt. v. 18.4.2018 – 5 S 2105/15 – NuR 2018, 785 (789). 465 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 Rn. 16); vgl. auch OVG Münster, Beschl. v. 9.6.2017 – 8 B 1264/16 – NVwZ 2017, 1007 (1012); OVG Magdeburg, Urt. v. 22.11.2017 – 2 K 127/15 – NuR 2019, 45 (46). 466 BVerwG, Urt. v. 22.9.2016 – 4 C 2/16 – NVwZ 2017, 160 (162 Rn. 35); OVG Münster, Urt. v. 5.12.2017 – 10 D 97/15.NE – NuR 2018, 138 (141). Vgl. Storost, UPR 2015, 47 (49). 467 Die Aussage betrifft das gesamte Naturschutzrecht und ist daher zu pauschal und zu weitgehend. 468 BVerwG, Urt. v. 22.9.2016 – 4 C 2/16 – NVwZ 2017, 160 (162 Rn. 35); OVG Münster, Urt. v. 5.12.2017 – 10 D 97/15.NE – NuR 2018, 138 (141). 469 OVG Magdeburg, Urt. v. 20.1.2016 – 2 L 153/13 – BeckRS 2016, 46864 Rn. 54. So auch bereits OVG Magdeburg, Urt. v. 16.5.2013 – 2 L 106/10 – BeckRS 2013, 53218.

IV. Artenschutzrecht

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ornithologische Kriterien maßgeblich sind, die zu treffende Entscheidung prognostische Elemente enthält und überdies naturschutzfachlich allgemein anerkannte standardisierte Maßstäbe sowie rechenhaft handhabbare Verfahren fehlen, muss der zuständigen Behörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zuerkannt werden.“ Die Einschätzungsprärogative beschränkt sich dabei auf die Bereiche, in denen „trotz fortschreitender wissenschaftlicher Erkenntnisse weiterhin ein gegensätzlicher Meinungsstand fortbesteht und es an eindeutigen ökologischen Erkenntnissen fehlt“.470 Solange stünden sich jeweils vertretbare naturschutzfachliche Einschätzungen gegenüber471 und es fehle den Gerichten „an der auf besserer Erkenntnis beruhenden Befugnis, eine naturschutzfachliche Einschätzung der sachverständig beratenen Zulassungsbehörde als ,falsch‘ und ,nicht rechtens‘ zu beanstanden.“ 472 Es besteht also kein Raum für eine Einschätzungsprärogative, soweit sich eine bestimmte wissenschaftliche Meinung, eine Methode oder ein bestimmter Maßstab als herrschend durchgesetzt hat.473 Hieraus folgt zudem eine Begrenzung in zeitlicher Hinsicht: Sobald sich ein bestimmter Maßstab in der Wissenschaft durchgesetzt hat, besteht kein Raum mehr für die Annahme einer Einschätzungsprärogative.474 Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass im Kontext von § 44 Abs. 1 BNatSchG eine Einschätzungsprärogative der zuständigen Behörde bei allen wertenden Fragen der artenschutzrechtlichen Prüfung anerkannt ist, also „sowohl bei der ökologischen Bestandsaufnahme als auch bei deren Bewertung, namentlich bei der Quantifizierung möglicher Betroffenheiten und bei der Beurteilung ihrer populationsbezogenen Wirkungen“.475 Die Einschätzungsprärogative bezieht sich dabei darauf, ob bestimmte Arten im betroffenen Gebiet vorhanden, welche Auswir470 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (526 Rn. 19); OVG Magdeburg, Urt. v. 13.3.2014 – 2 L 212/11 – BeckRS 2014, 52743. 471 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 Rn. 15); vgl. auch BVerwG, Urt. v. 27.6.2013 – 4 C 1/12 – NVwZ 2013, 1411 (1413 Rn. 15); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (307 f. Rn. 64). Vgl. Jacob/ Lau, NVwZ 2015, 241 (244). 472 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 Rn. 14); vgl. BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (308 Rn. 65). 473 OVG Magdeburg, Urt. v. 20.1.2016 – 2 L 153/13 – BeckRS 2016, 46864 Rn. 57; BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (526 Rn. 19). Vgl. für die Bestandserfassung im Rahmen einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (526 Rn. 19). 474 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (526 Rn. 19); VGH Mannheim, Urt. v. 18.4.2018 – 5 S 2105/15 – NuR 2018, 785 (789). 475 BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 114; BVerwG v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 100; BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (308 Rn. 65); vgl. auch BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – NVwZ 2014, 714 (725 Rn. 107); Jacob/Lau, NVwZ 2015, 241 (245); Storost, UPR 2015, 47 (48).

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D. Rechtsprechungsanalyse

kungen auf Individuen zu erwarten und ob dadurch die Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG erfüllt sind.476 Die Verfahrensart und die Entscheidungsform sind insoweit irrelevant.477 Das Gesagte gilt daher gleichermaßen für die Planfeststellungsbehörde im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens wie für die Zulassungsbehörde im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens.478 c) Folge: Rücknahme der Kontrolldichte Die Konsequenz einer Einschätzungsprärogative umreißt das BVerwG 479 folgendermaßen: „Damit hat der Gesetzgeber den Zulassungsbehörden, soweit anerkannte naturschutzfachliche Maßstäbe fehlen, eine sachlich gerechtfertigte Einschätzungsprärogative eingeräumt, der – mangels vollständig determinierender Handlungs- und Kontrollmaßstäbe – eine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle korrespondiert.“ Hierdurch knüpft das BVerwG an die normative Ermächtigung an und kommt durch Auslegung zu dem Ergebnis einer Reduktion der gerichtlichen Kontrolldichte. Die gerichtliche Überprüfung fällt dennoch nicht komplett aus, sondern wird beschränkt auf die Einhaltung der rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums.480 Es wird geprüft, ob die Einschätzungen der Behörde im konkreten Einzelfall naturschutzfachlich vertretbar sind und nicht auf einem unzulänglichen oder ungeeigneten Bewertungsverfahren beruhen.481 Die gerichtliche Prüfung ist 476 Gläß, in: Giesberts/Reinhardt, Umweltrecht, 52. Ed. Stand: 1.10.2019, § 44 BNatSchG Rn. 41. 477 BVerwG, Urt. v. 27.6.2013 – 4 C 1/12 – NVwZ 2013, 1411 (1413 Rn. 15). 478 Vgl. für Planfeststellungen statt vieler BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 ff. Vgl. für die Genehmigungsverfahren BVerwG, Urt. v. 27.6.2013 – 4 C 1/12 – NVwZ 2013, 1411 (1413 Rn. 14); BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 f.; OVG Magdeburg, Urt. v. 16.5.2013 – 2 L 106/10 – BeckRS 2013, 53218. 479 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 4 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 Rn. 16). Vgl. allgemein zur Rücknahme der Kontrolldichte BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (22); BVerfG, Urt. v. 8.12.2011 – 1 BvR 1932/08 – NVwZ 2012, 694 (695 Rn. 23). 480 Gellermann, NuR 2014, 597 (603); BVerwG, Urt. v. 27.6.2013 – 4 C 1/12 – NVwZ 2013, 1411 (1413 Rn. 16); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (308 Rn. 67). 481 BVerwG, Urt. v. 9.2.2017 – 7 A 2/15 – NVwZ-Beilage 2017, 101 (163 Rn. 464); BVerwG, Urt. v. 25.6.2014 – 9 A 1/13 – NVwZ 2015, 85 (90 Rn. 37); BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25/12 – BeckRS 2014, 56037 Rn. 90; BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – NVwZ 2014, 714 (725 Rn. 107); BVerwG, Urt. v. 3.5.2013 – 9 A 16/12 – NVwZ 2013, 1209 (1214 f. Rn. 60); BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 114; BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 100; BVerwG, Beschl. v. 28.12.2009 – 9 B 26/09 – NVwZ 2010, 380 (382 Rn. 18); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (308 Rn. 65); VGH Mannheim, Urt. v. 18.4.2018 – 5 S 2105/15 – NuR 2018, 785 (789). Vgl. dazu aus der Literatur Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2. Aufl. 2016, § 44 BNatSchG Rn. 7; Korb-

IV. Artenschutzrecht

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damit grundsätzlich auf eine Vertretbarkeitskontrolle beschränkt.482 Die Gerichte sollen gerade nicht damit betraut werden, Erkenntnislücken im Bereich der Ökosystemforschung durch eigene Bewertungen zu schließen.483 Die Wahl der Erfassungsmethode unterliegt dem Beurteilungsspielraum und damit der beschränkten gerichtlichen Kontrolle. Dagegen ist die gerichtliche Kontrolle bezüglich der Richtigkeit der Tatsachengrundlage nicht zurückgenommen, sodass diese nach § 86 VwGO umfassend kontrolliert werden kann.484 Stellt sich die Tatsachengrundlage als Ergebnis der Erfassungsmethode dar, so müsste wohl bereits die methodische Vorgehensweise der Behörde unzureichend sein und vom Kläger angegriffen werden – was von diesem wiederum (durch entsprechende Gutachten) dargelegt werden muss.485 Das Gericht muss demnach überprüfen, „ob im Gesamtergebnis die artenschutzrechtlichen Untersuchungen sowohl in ihrem methodischen Vorgehen als auch in ihrer Ermittlungstiefe ausreichten, um die Behörde in die Lage zu versetzen, die Voraussetzungen der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände sachgerecht zu überprüfen.“ 486 Dabei muss auch die Geeignetheit von Gutachten gerichtlich kontrolliert werden. Diese sind nur dann ungeeignet, „wenn sie grobe, offen erkennbare Mängel oder unauflösbare Widersprüche aufweisen, wenn sie von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht.“ 487 Wird diesem Maßstab entsprochen, so ist die Entscheidung der Behörde hinzunehmen, auch wenn wissenschaftliche Zweifel an der Bewertung vorliegen oder einzelne Arten übersehen wurden.488 Den verfassungsrechtlichen Erfordernissen sei damit ebenfalls genügt.489

macher, in: Mitschang, Bauen und Naturschutz, 2011, S. 103; Weidemann/Krappel, EurUP 2011, 2 (3). 482 VGH München, Urt. v. 18.6.2014 – 22 B 13.1358 – BeckRS 2014, 53520 Rn. 43; OVG Magdeburg, Urt. v. 16.5.2013 – 2 L 106/10 – BeckRS 2013, 53218. 483 de Witt, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch des öff. Baurechts, Stand: Juni 2019, Kapitel E Naturschutz, Rn. 608. 484 Kahl/Burs, DVBl. 2016, 1222 (1223). Hier greift auch die Kritik von Gellermann, NuR 2009, 85 (90), der einen Konflikt mit der Ermittlungspflicht der Behörde (§ 24 Abs. 1 VwVfG) und dem Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) sieht. 485 Vgl. Kahl/Burs, DVBl. 2016, 1222 (1224). 486 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (526 Rn. 20); BVerwG, Urt. v. 27.6.2013 – 4 C 1/12 – NVwZ 2013, 1411 (1413 Rn. 16); vgl. VGH München, Urt. v. 18.6.2014 – 22 B 13.1358 – BeckRS 2014, 53520 Rn. 44; OVG Saarlouis, Beschl. v. 6.9.2017 – 2 A 316/16 – ZUR 2018, 36 (41). 487 BVerwG, Urt. v. 27.6.2013 – 4 C 1/12 – NVwZ 2013, 1411 (1412 Rn. 12). 488 de Witt, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch des öff. Baurechts, Stand: Juni 2019, Kapitel E Naturschutz, Rn. 608. 489 BVerwG, Urt. v. 27.6.2013 – 4 C 1/12 – NVwZ 2013, 1411 (1413 Rn. 16); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (308 Rn. 67). Zu den starken

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D. Rechtsprechungsanalyse

So ging das BVerwG 490 2013 von einer hinreichenden gerichtlichen Kontrolle durch das Berufungsgericht aus, welches seine Annahmen auf fachwissenschaftliche Untersuchungen und in Fachkreisen entwickelte Empfehlungen stützte. Eine hinreichende Kontrolltiefe liege vor, wenn das Gericht „die Bewertungen und Einschätzungen der Genehmigungsbehörde nicht unbesehen zu Grunde gelegt, sondern eingehend auf ihre Vertretbarkeit hin überprüft hat“.491 d) Bedeutung der fachlichen Empfehlungen und Leitfäden Eine gewisse Grenze findet die gerichtliche Kontrolle zudem in den generalisierenden fachbehördlichen Einschätzungen (z. B. Windkrafterlasse der Bundesländer), da diese auf landesweiten fachlichen Erkenntnissen und Erfahrungen beruhen und somit wohl den Stand des Wissens darstellen.492 Die den Artenschutz betreffenden vielfältigen Handlungsanleitungen sprechen dennoch nicht pauschal gegen die Anerkennung einer Einschätzungsprärogative.493 Es gibt eine beachtliche Anzahl an Beurteilungshilfen (vor allem Empfehlungen, Handbücher, Arbeitshilfen und Handlungsanleitungen), die dem Vorhabenträger wie auch der Behörde zur Verfügung stehen und von der Bundes- oder den jeweiligen Landesnaturschutzbehörden herausgegeben werden.494 Allerdings fehlt hier neben der Rechtsqualität auch die Verbindlichkeit der Empfehlungen. Im Grunde handelt es sich regelmäßig nur um Orientierungshilfen.495 So haben z. B. sog. Windkrafterlasse der Länder keinen Rechtssatzcharakter, es handelt sich vielmehr um antizipierte Sachverständigengutachten.496 Eine überBedenken hiergegen vgl. Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 90. EL Stand: Juni 2019, § 44 BNatSchG Rn. 24. 490 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (526 Rn. 23). 491 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (526 Rn. 23). 492 VGH München, Urt. v. 29.3.2016 – 22 B 14.1875 – ZUR 2016, 562 (564 Rn. 41); VGH München, Beschl. v. 6.10.2014 – 22 ZB 14.1079 – BeckRS 2014, 57801 Rn. 25. 493 Dafür aber z. B. Gellermann, NuR 2014, 597 (599, 604). 494 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Merkblatt zum Amphibienschutz an Straßen (MAmS), 2000; Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Arbeitshilfe Vögel und Straßenverkehr, 2010; Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG VSW), Abstandsempfehlungen für Windenergieanlagen zu bedeutsamen Vogellebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten (sog. Helgoländer Papier), Ber. Vogelschutz 51 (2014) S. 15 ff.; Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Handbuch für die Vergabe und Ausführung von freiberuflichen Leistungen im Straßen- und Brückenbau (HVA F-StB), 2010. 495 Vgl. OVG Magdeburg, Urt. v. 20.1.2016 – 2 L 153/13 – BeckRS 2016, 46864 Rn. 43. 496 VGH München, Urt. v. 18.6.2014 – 22 B 13.1358 – BeckRS 2014, 53520 Rn. 45. Dies sind vorweggenommene Sachverständigengutachten, die unabhängig von einem konkreten Fall erstellt werden und daher allgemeine Bedeutung (aber keine Verbindlichkeit) für eine Vielzahl vergleichbarer Fälle haben. Vgl. Maslaton, NVwZ 2019, 1081 (1083).

IV. Artenschutzrecht

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geordnete Stelle der vollziehenden Gewalt, die über die fachliche Kompetenz verfügt, kann einen bestehenden Beurteilungsspielraum allgemein verbindlich ausfüllen.497 Eine Abweichung hiervon kommt nur dann in Betracht, wenn ein besonderer fachlicher Grund vorliegt, weil ansonsten z. B. fachlich unzutreffende Ergebnisse erzielt würden.498 Kommt es zu nicht rechtskonformen Ergebnissen, so ist ein Abweichen von der Verwaltungsvorschrift zwingend.499 Zudem muss zwingend von den Vorgaben abgewichen werden, wenn sich in der Zwischenzeit ein abweichender, allgemein anerkannter Standard durchgesetzt hat.500 Die Zugrundelegung der Empfehlungen in fachlichen Leitfäden ist von der Rechtsprechung anerkannt. Im Ergebnis sind sie der Bewertung zwar grundsätzlich zu Grunde zu legen, aber gleichwohl nicht zwingend („einzig und allein“) und nicht vorrangig zu behandeln, sodass andere Methoden zu verwerfen wären, vielmehr kann von ihnen mit fachlicher Begründung abgewichen werden.501 Daraus folgt: „Ein sich aus Richtlinien oberster Landesbehörden ergebendes antizipiertes artenschutzfachliches Sachverständigengutachten darf von der zuständigen Genehmigungsbehörde nicht ohne fachlichen Grund oder ohne gleichwertigen Ersatz außer Acht gelassen werden.“ 502 Wird einem von einer Behörde herausgegebenen Handbuch methodisch entsprochen, so ist die dementsprechende Ermittlung wohl ausreichend. Es wird z. B. für die Anzahl der Begehungen zur Erfassung der Avifauna im Handbuch für Straßenbau ein Orientierungswert von vier Begehungen als Standarduntersuchung empfohlen.503 Wird dieser Standard erfüllt, ist nach Ansicht des BVerwG 504 ein Ermittlungsdefizit nicht gegeben. Des Weiteren wurde die Einordnung einer Art (hier der Waldschnepfe) als nicht windenergiesensibel nicht beanstandet, weil dies mit einem Leitfaden der

497 Zum bayerischen Windkrafterlass vgl. VGH München, Urt. v. 30.6.2017 – 22 B 15.2365 – BayVBl. 2018, 379 (381 Rn. 84). 498 VGH München, Urt. v. 30.6.2017 – 22 B 15.2365 – BayVBl. 2018, 379 (382 Rn. 85); VGH München, Urt. v. 29.3.2016 – 22 B 14.1875 – ZUR 2016, 562 (564). 499 Mit Verweis auf die Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz sowie auf das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, VGH München, Urt. v. 30.6.2017 – 22 B 15.2365 – BayVBl. 2018, 379 (382 Rn. 85). 500 So können neue Handlungsempfehlungen herausgegeben werden, die frühere Leitfäden ablösen, vgl. VGH München, Urt. v. 29.3.2016 – 22 B 14.1875 – ZUR 2016, 562 (565). 501 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.9.2014 – 4 B 48/14 – BeckRS 2014, 56958 Rn. 4; VGH München, Urt. v. 18.6.2014 – 22 B 13.1358 – BeckRS 2014, 53520 Rn. 45. 502 VGH München, Urt. v. 18.6.2014 – 22 B 13.1358 – BeckRS 2014, 53520 Ls. 1. 503 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Handbuch für die Vergabe und Ausführung von freiberuflichen Leistungen im Straßen- und Brückenbau (HVA F-StB), 2010, Teil 5 Pkt. 6.7.1 S. 11. 504 Vgl. BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (309 Rn. 78).

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D. Rechtsprechungsanalyse

Fachministerien des Landes Nordrhein-Westfalen übereinstimmte.505 Dass andere fachliche Meinungen zur Gefährdung der Waldschnepfe durch Windenergieanlagen bestehen, stellt dies nicht infrage, weil sich letztlich kein allgemein anerkannter Stand der Wissenschaft durchgesetzt hat. Das OVG Münster setzte sich bei der Frage, ob sich ein wissenschaftlicher Standard herausgebildet hat, ausführlich mit weiteren Meinungen und Leitfäden auseinander. Allerdings reichte es nicht aus, nur abweichende naturschutzfachliche Bewertungen vorzubringen, weil dadurch die Vertretbarkeit der Bewertung der Behörde nicht infrage gestellt wurde.506 Andererseits wird z. B. die Methode der sog. flächendeckenden Brutvogel-Revierkartierung zwar in einem Handbuch empfohlen; sie hat sich wohl dennoch nicht als allgemein anerkannter Standard durchgesetzt.507 Vielmehr läuft diese Methode auf die Erstellung eines lückenlosen Arteninventars hinaus, was gerade nicht gefordert wird.508 Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass auch das Vorliegen von Leitfäden und Empfehlungen nicht das Erfordernis einer Einschätzungsprärogative entfallen lässt. Diese Hilfen stellen kein zwingendes Recht und daher keine verbindliche Festschreibung der ökologischen Fachwissenschaft dar. Unklarheiten werden durch sie zwar verringert, aber nicht beseitigt. Im Einzelfall ist von den entsprechenden Vorgaben abzuweichen.509 Einen allgemein anerkannten Standard, der den hinreichenden Sachgrund zur Anerkennung einer Einschätzungsprärogative entfallen lassen würde, gibt es bislang nicht. e) Fazit Im Ergebnis besteht eine Einschätzungsprärogative der Verwaltung hinsichtlich der Bestandserfassung und der Beurteilung, ob artenschutzrechtliche Verbotstatbestände erfüllt sind. Dies gilt sowohl für die Quantifizierung möglicher Betroffenheiten als auch für die Beurteilung ihrer populationsbezogenen Wirkungen.510 505 OVG Münster, Beschl. v. 9.6.2017 – 8 B 1264/16 – NVwZ 2017, 1007 (1012). Einschlägig war hier Fachministerien des Landes Nordrhein-Westfalen, Leitfaden – Umsetzung des Arten- und Habitatschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in Nordrhein-Westfalen, 2013. 506 Vgl. OVG Münster, Beschl. v. 9.6.2017 – 8 B 1264/16 – NVwZ 2017, 1007 (1013). 507 Vgl. BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (310 Rn. 81); BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (49 Rn. 54). 508 S. u. D. IV. 3. b) auf S. 182 ff. 509 Vgl. zur Abweichung von den Vorgaben des Merkblatts zum Amphibienschutz an Straßen (MAmS 2000); vgl. BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (312 Rn. 96). 510 Statt vieler VGH Mannheim, Urt. v. 18.4.2018 – 5 S 2105/15 – NuR 2018, 785 (789).

IV. Artenschutzrecht

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Im Artenschutzrecht geht die Rechtsprechung zudem deutlich darauf ein, dass eine Einschätzungsprärogative der Verwaltung nur so lange angenommen werden kann, als eindeutige wissenschaftliche Erkenntnisse fehlen.511 Die Annahme der Einschätzungsprärogative ist demnach quasi auflösend bedingt. Dies ist angesichts des Erfordernisses einer normativen Ermächtigung kritisch zu sehen. Zwar erscheint es einleuchtend, dass es keines Spielraums mehr bedarf, wenn die wissenschaftliche Erkenntnislage klar und eindeutig ist. Dies ist mit der Figur des Beurteilungsspielraums nur schwer in Einklang zu bringen, dessen Einräumung durch Auslegung zu ermitteln ist. Bei Anlegung desselben Wortlautes ist eine Veränderung des Auslegungsergebnisses aber kaum zu begründen. Vielmehr wird hierin deutlich, dass es sich um eine faktische Grenze des Überprüfbaren handelt. Die gerichtliche Kontrolle muss zwar auch in diesem Fall beschränkt werden – entsprechend der Rücknahme der Kontrolldichte bei Einschätzungsprärogativen. Der Konstruktion einer Einschätzungsprärogative bedarf es dafür gleichwohl nicht.512 3. Ausreichende Bestandsaufnahme und Ermittlungen Bevor ein Verstoß eines Vorhabens gegen artenschutzrechtliche Verbote sachgerecht festgestellt werden kann, muss eine ausreichende Ermittlung und Bestandsaufnahme des vorhandenen Artenspektrums und der Lebensräume durchgeführt worden sein.513 Dabei muss festgestellt werden, welche besonders geschützten Arten im maßgeblichen Gebiet vorhanden sind und durch das geplante Vorhaben betroffen sein könnten. Entscheidend sind grundsätzlich Vorkommen, Häufigkeit und Verteilung der geschützten Arten und ihrer Lebensstätten.514 Normative Vorgaben bestehen hierfür nicht, sodass sich die Voraussetzungen nur allgemein umschreiben lassen. So hängen Art, Umfang und Tiefe der Bestandsaufnahme vom Einzelfall ab, wobei die naturräumlichen Gegebenheiten, die betroffenen Arten und die Ausgestaltung des Vorhabens entscheidend sind.515 Die 511

So etwa VGH Mannheim, Urt. v. 18.4.2018 – 5 S 2105/15 – NuR 2018, 785

(789). 512 So auch BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54 Rn. 23). 513 Vgl. BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 4 C 12/07 – NVwZ 2010, 123 (131 Rn. 44); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (306 Rn. 54 ff.). 514 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 90. EL Stand: Juni 2019, § 44 BNatSchG Rn. 22. 515 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 100; BVerwG, Urt. v. 12.8.2009 – 9 A 64/07 – BeckRS 2009, 37830 Rn. 37; BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 4 C 12/07 – NVwZ 2010, 123 (131 f. Rn. 44); BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/ 07 – NVwZ 2010, 44 (47 Rn. 43); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (306 Rn. 54); BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 9/07 – BeckRS 2008, 33782 Rn. 31; BVerwG, Beschl. v. 18.6.2007 – 9 VR 13/06 – BeckRS 2007, 24753 Rn. 20. Unterschiede bestehen auch zwischen der Bestandserfassung bei der Vorhabenzulassung und bei der Aufstellung eines Bebauungsplans. Bei Letzterem ist die Be-

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D. Rechtsprechungsanalyse

artenschutzrechtliche Prüfung erfolgt ausschließlich nach wissenschaftlichen Kriterien.516 Gerade bei der Bestandserfassung sind die Behörden auf ökologische Bewertungen angewiesen, für die normkonkretisierende Maßstäbe und verbreitet auch gesicherte naturwissenschaftliche Erkenntnisse fehlen.517 Daraus folgt die Anerkennung einer Einschätzungsprärogative für die Wahl der Erfassungsmethode.518 Die gerichtliche Prüfung fällt nicht komplett aus. Das Gericht bleibt verpflichtet zu überprüfen, „ob die konkreten artenschutzrechtlichen Untersuchungen in ihrem methodischen Vorgehen und in ihrer Ermittlungstiefe ausreichen, um die Behörde in die Lage zu versetzen, die Voraussetzungen der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände zu überprüfen“.519 Das Ziel der Ermittlungen ist es, die Intensität und Tragweite der potenziellen Beeinträchtigungen zu erfassen – hierin liegt gleichzeitig die Grenze der hierzu notwendigen Untersuchungen.520 a) Unterschiede zum FFH-Gebietsschutz Da keine normativen Vorgaben bestehen, ist zunächst der Prüfungsmaßstab herauszuarbeiten. Die im Rahmen des Gebietsschutzrechts dargestellten strengen Anforderungen sind möglicherweise auf das Artenschutzrecht zu übertragen.521 Hierfür spricht, dass die Vorgaben aus der FFH-Richtlinie eine Steuerungswirkung für das nationale Artenschutzrecht haben.522 Jedoch bestehen gewichtige standserfassung regelmäßig weniger weitreichend, weil die abschließende Bewältigung artenschutzrechtlicher Fragen erst im Rahmen des jeweiligen Genehmigungsverfahrens erfolgt. Vgl. hierzu OVG Münster, Urt. v. 5.12.2017 – 10 D 97/15.NE – NuR 2018, 138 (142). 516 VGH Mannheim, Urt. v. 18.4.2018 – 5 S 2105/15 – NuR 2018, 785 (789). 517 BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (48 Rn. 45); BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 100. 518 Umgekehrt unterliegt die Richtigkeit der Tatsachengrundlage als Ergebnis der Erfassungsmethode der vollen gerichtlichen Kontrolle, § 86 VwGO. Stellt sich die Wahl der Erfassungsmethode aber als vertretbar dar, so wird auch von der Richtigkeit der Tatsachengrundlage ausgegangen. Eine weitere Aufklärung der Tatsachen durch das Gericht erfolgt somit nur, wenn der Kläger die Erfassungsmethode in Zweifel ziehen kann oder selbst Gutachten zu Tatsachen vorbringt. Vgl. Kahl/Burs, DVBl. 2016, 1222 (1223 f.). 519 VGH Mannheim, Urt. v. 18.4.2018 – 5 S 2105/15 – NuR 2018, 785 (789); vgl. auch BVerwG, Urt. v. 27.6.2013 – 4 C 1/12 – NVwZ 2013, 1411 (1413 Rn. 16); BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 Rn. 20); BVerwG, Beschl. v. 8.3.2018 – 9 B 25/17 – BeckRS 2018, 7740 Rn. 25. 520 Vgl. BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 243; OVG Münster, Urt. v. 5.12.2017 – 10 D 97/15.NE – NuR 2018, 138 (141). 521 S. o. D. III. 2. b) auf S. 141 ff., insbesondere „Gewissheit“ darüber, dass die einschlägigen Bestimmungen nicht entgegenstehen und das Zurückgreifen auf die „besten wissenschaftlichen Erkenntnisse“. 522 BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (306 Rn. 55).

IV. Artenschutzrecht

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Unterschiede zur Bestandserfassung im Rahmen des europäischen Gebietsschutzes.523 Beide Rechtsbereiche stehen selbständig nebeneinander und sind unterschiedlich gesetzlich geregelt.524 Der strenge Prüfungsmaßstab des europäischen Gebietsschutzes kann nicht ohne weiteres im Artenschutzrecht angelegt werden.525 Zwei Unterschiede sollen hier kurz verdeutlicht werden: Erstens gibt es im FFH-Gebietsschutz zahlreiche gesetzliche Vorgaben, wie z. B. die Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie oder das stark formalisierte Verfahren des § 34 Abs. 1 BNatSchG. Dies ist im Rahmen der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände nicht der Fall.526 Es fehlen im Artenschutzrecht untergesetzliche Maßstäbe, z. B. Durchführungsverordnungen oder normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften.527 Das Artenschutzrecht kennt eine schwächere gesetzliche Steuerung und wird daher stärker durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begrenzt.528 Der zweite wesentliche Unterschied zwischen FFH-Gebietsschutz und Artenschutz liegt im Schutzobjekt. Bei ersterem stehen sowohl die Grenzen des geschützten Gebiets als auch die Schutzziele von Beginn an fest, sodass sich der Schutz und in der Folge die Bestandsaufnahme auf die von den Erhaltungszielen umfassten Arten und Lebensräume begrenzt und nicht das Gebiet in seiner vollständigen Habitat- und Artenvielfalt betrachtet werden muss.529 Hier kommt es zudem nicht auf einen – im Artenschutzrecht einschlägigen – individuenbezogenen Bewertungsmaßstab an, sondern auf den Bestand der relevanten Arten bzw. 523 BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 4 C 12/07 – NVwZ 2010, 123 (132 Rn. 45); BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (48 Rn. 52); vgl. dazu auch BVerwG, Urt. v. 23.11.2007 – 9 B 38/07 – BeckRS 2008, 30178 Rn. 37. 524 BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (306 Rn. 57); vgl. Storost, DVBl. 2010, 737 (737). 525 BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 4 C 12/07 – NVwZ 2010, 123 (132 Rn. 45); BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (48 Rn. 52); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (306 Rn. 56 ff.); BVerwG, Urt. v. 23.11.2007 – 9 B 38/ 07 – BeckRS 2008, 30178 Rn. 37. Gläß, in: Giesberts/Reinhardt, Umweltrecht, 52. Ed. Stand: 1.10.2019, § 44 BNatSchG Rn. 36; Lau, I+E 2016, 50 (50); Vallendar, EurUP 2011, 14 (14). 526 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 Rn. 16); BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 4 C 12/07 – NVwZ 2010, 123 (132 Rn. 45); BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (306 Rn. 57); vgl. VGH München, Urt. v. 18.6.2014 – 22 B 13.1358 – BeckRS 2014, 53520 Rn. 44. Vgl. Thyssen, NuR 2010, 9 (11); Louis, NuR 2009, 91 (92); Gellermann, NuR 2009, 85 (89); Steeck/Lau, NVwZ 2009, 616 (622); Weidemann/Krappel, EurUP 2011, 2 (2). 527 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 Rn. 16); vgl. Appel/Rietzler, NuR 2017, 227 (229). 528 BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (306 Rn. 57); Kahl/ Burs, DVBl. 2016, 1222 (1222); Vallendar, EurUP 2011, 14 (14). 529 BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (306 f. Rn. 58); Louis, NuR 2009, 91 (92); Weidemann/Krappel, EurUP 2011, 2 (2).

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D. Rechtsprechungsanalyse

auf die Stabilität der Population. Das Artenschutzrecht gilt dagegen ubiquitär.530 Die Größe des Untersuchungsraums und die dort vorkommenden Arten müssen erst noch ermittelt und festgelegt werden.531 Dies gilt besonders aufgrund des individuenbezogenen Ansatzes des Artenschutzrechts. Ist das betroffene Gebiet festgelegt, so sind die Häufigkeit und die Verteilung der relevanten Arten und Lebensstätten zu ermitteln.532 Stehen wie im Habitatschutzrecht Ziel und Objekt fest, so ist in der Folge die Bestandsaufnahme im FFH-Gebietsschutz von vornherein begrenzt, während die Bestandsaufnahme im Artenschutzrecht breiter und offener angelegt ist.533 Offene Fragen bestehen dann bei der Festlegung des Untersuchungsgebiets, bei der Feststellung welche Arten sicher oder nur möglicherweise vorkommen sowie bei der Feststellung welche Auswirkungen ein Vorhaben für den Erhaltungszustand der Art hat.534 Das BVerwG 535 stellt für das Artenschutzrecht daher richtigerweise fest, dass eine am Maßstab praktischer Vernunft ausgerichtete Prüfung erforderlich, aber auch ausreichend ist. Dementsprechend bedarf es – im Gegensatz zum FFH-Recht – auch keiner Gewissheit der Behörde darüber, dass keine Beeinträchtigungen auftreten werden. Im Übrigen hat die Behörde auch hier stets den aktuellen Stand der ökologischen Wissenschaft insbesondere durch die Einholung fachgutachterlicher Stellungnahmen zu ermitteln und zu berücksichtigen.536 b) Art, Umfang und Tiefe der Ermittlungen aa) Allgemeines Eine normative Festlegung der Methode der Bestandserfassung besteht nicht.537 Mit Blick auf Art, Umfang und Tiefe der Ermittlungen müssen dennoch be530

Appel/Rietzler, NuR 2017, 227 (229); Vallendar, EurUP 2011, 14 (17). BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (306 f. Rn. 58). 532 Vgl. Storost, DVBl. 2010, 737 (740). 533 BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (307 Rn. 58); vgl. dazu VGH München, Urt. v. 19.2.2014 – 8 A 11.40040–40045 u. a. – BeckRS 2014, 47560 Rn. 825; vgl. Appel/Rietzler, NuR 2017, 227 (229). 534 BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (307 Rn. 58). 535 BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 4 C 12/07 – NVwZ 2010, 123 (132 Rn. 45); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (306 Rn. 57); ähnlicher Wortlaut: BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 100. Dagegen spricht Gellermann davon, dass der Hinweis auf den „Maßstab der Vernunft“ zur Unklarheit der rechtlichen Anforderungen beitrage, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 90. EL Stand: Juni 2019, § 44 BNatSchG Rn. 22. 536 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (526 Rn. 19). Vgl. dazu auch Lau, I+E 2016, 50 (50). 537 VGH Mannheim, Urt. v. 18.4.2018 – 5 S 2105/15 – NuR 2018, 785 (789); BVerwG, Urt. v. 28.4.2016 – 9 A 9/15 – NVwZ 2016, 1710 (1727 Rn. 129); BVerwG, Urt. v. 6.4.2017 – 4 A 16/16 – NVwZ-RR 2017, 768 (774 Rn. 58); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (307 Rn. 59). 531

IV. Artenschutzrecht

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stimmte Anforderungen eingehalten werden, die von den jeweiligen naturräumlichen Gegebenheiten im Einzelfall und von der Art des Vorhabens abhängen.538 Ziel der Ermittlungen ist es, die Behörde in die Lage zu versetzen, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Verbotstatbestände zu überprüfen, sodass zumindest Daten über die Häufigkeit und die Verteilung von Arten und Lebensräumen vorliegen müssen.539 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass ein „wahrer“ Bestand nicht bestimmbar ist. Eine Bestandserfassung vor Ort stellt stets nur eine Momentaufnahme dar,540 denn alle Naturräume unterliegen einem ständigen Wechsel, sodass jede Bestandserfassung abhängig vom Zeitpunkt ihrer Erhebung ist. Nicht erforderlich ist die Erstellung eines lückenlosen Arteninventars oder Untersuchungen ins Blaue hinein. „Erforderlich aber auch ausreichend ist – auch nach den Vorgaben des Unionsrechts – eine am Maßstab praktischer Vernunft ausgerichtete Prüfung“.541 Dabei können mehrere Methoden wissenschaftlich vertretbar sein, wobei nicht stets die Meinung vorzugswürdig ist, die umfangreichere, aufwendigere oder strengere Ermittlungen und Anforderungen fordert.542 Eine Meinung ist vielmehr erst dann ausnahmslos vorzuziehen, wenn sich „diese Auffassung als allgemein anerkannter Stand der Wissenschaft durchgesetzt hat und die gegenteilige Meinung als nicht (mehr) vertretbar angesehen wird“.543 Insbesondere für die Erfassung von Fledermäusen sind mittlerweile zahlreiche Leitfäden und Handbücher erarbeitet worden.544 Diese sind jedoch auf die regionalen naturräumlichen Gegebenheiten sowie auf eine bestimmte Art des Eingriffs (z. B. Straßenbau) begrenzt. Übereinstimmend wird aber die Anwendung eines

538 BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 4 C 12/07 – NVwZ 2010, 123 (131 f. Rn. 44); BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (47 Rn. 43); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (306 Rn. 54). 539 BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 10/07 – ZUR 2008, 378 (380). 540 Lau, I+E 2016, 50 (51); BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 4 C 12/07 – NVwZ 2010, 123 (132 Rn. 45); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (307 Rn. 62). 541 VGH Mannheim, Urt. v. 18.4.2018 – 5 S 2105/15 – NuR 2018, 785 (789). Vgl. auch BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (306 Rn. 54); BVerwG, Urt. v. 6.4.2017 – 4 A 16/16 – NVwZ-RR 2017, 768 (775 Rn. 58). 542 BVerwG, Urt. v. 28.4.2016 – 9 A 9/15 – NVwZ 2016, 1710 (1727 f. Rn. 134); BVerwG, Urt. v. 27.6.2013 – 4 C 1/12 – NVwZ 2013, 1411 (1413 Rn. 15); BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 4 C 12/07 – NVwZ 2010, 123 (132 Rn. 44); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (308 Rn. 66). 543 BVerwG, Urt. v. 27.6.2013 – 4 C 1/12 – NVwZ 2013, 1411 (1413 Rn. 15); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (308 Rn. 66); ähnlich BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (526 Rn. 19); BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 4 C 12/07 – NVwZ 2010, 123 (132 Rn. 44); VGH München, Beschl. v. 17.2.2016 – 22 CS 15.2562 – ZUR 2016, 306 (307). 544 Vgl. BVerwG, Urt. v. 28.4.2016 – 9 A 9/15 – NVwZ 2016, 1710 (1727 Rn. 129); BVerwG, Urt. v. 10.11.2016 – 9 A 18/15 – NVwZ 2017, 1294 (1303 Rn. 76); VGH Mannheim, Urt. v. 18.4.2018 – 5 S 2105/15 – NuR 2018, 785 (791).

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D. Rechtsprechungsanalyse

Methodenmix sowie die ordnungsgemäße Dokumentation der Erfassung gefordert.545 Aufgrund dieser Ermittlungen müssen sodann die artenschutzrechtlichen Aspekte bewertet werden, wobei insbesondere Schutzstatus, Gefährdungsgrad, Verbreitungsgrad und Art der Betroffenheit einzubeziehen sind.546 Es erfolgt dabei ein im Folgenden näher erläutertes zweigleisiges Vorgehen. bb) Zweigleisiges Vorgehen Die Bestandserfassung der zuständigen Naturschutzbehörde erfolgt regelmäßig durch die Auswertung von zwei verschiedenen Quellen: Ortsbegehungen werden durch die Auswertung bereits vorhandener Erkenntnisse ergänzt.547 Im Wege einer solchen Gesamtschau soll sich die zuständige Behörde eine ausreichende Erkenntnisgrundlage verschaffen.548 Sie gewährleistet eine hinreichend sichere und breite Datenbasis.549 Zudem muss der Ermittlungs- und Bewertungsvorgang ausreichend dokumentiert und begründet werden.550 Einen ersten Überblick über die dort lebenden Arten geben die bereits vorhandenen Erkenntnisse, wie z. B. Kataster, Register, Datenbanken und Karten zu den Natura-2000-Gebieten, die von öffentlichen Stellen wie dem Bundesamt für Naturschutz oder den zuständigen Behörden der Länder bereitgestellt werden sowie die naturschutzfachliche Literatur als solche.551 Gleichwohl verbleiben insoweit regelmäßig gewisse Unsicherheiten, sodass eine Bestandsaufnahme vor Ort erfolgen muss. Die genauen Modalitäten einer Begehung des Untersuchungsraums können nicht abstrakt beschrieben werden, weil sie insbesondere bezüglich der Häufig545

Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 18.4.2018 – 5 S 2105/15 – NuR 2018, 785 (791). de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote in der Fachplanung, 2. Aufl. 2013, Rn. 77. 547 BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – NVwZ 2014, 714 (725 Rn. 109); BVerwG, Urt. v. 9.6.2010 – 9 A 20/08 – BeckRS 2010, 55827 Rn. 41; BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 4 C 12/07 – NVwZ 2010, 123 (131 Rn. 44); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (307 Rn. 59); VGH Mannheim, Urt. v. 18.4.2018 – 5 S 2105/ 15 – NuR 2018, 785 (789); VGH München, Urt. v. 29.3.2016 – 22 B 14.1875 – ZUR 2016, 562 (563 f.). 548 BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – NVwZ 2014, 714 (725 Rn. 109); BVerwG, Beschl. v. 14.4.2011 – 4 B 77/09 – BeckRS 2011, 50614 Rn. 67; BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (48 Rn. 44); VGH Mannheim, Urt. v. 18.4.2018 – 5 S 2105/15 – NuR 2018, 785 (790). 549 BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (48 Rn. 47). 550 de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote in der Fachplanung, 2. Aufl. 2013, Rn. 78. 551 de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote in der Fachplanung, 2. Aufl. 2013, Rn. 70. Vgl. BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (307 Rn. 61). 546

IV. Artenschutzrecht

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keit und der entscheidenden Jahres-/Tageszeiten abhängig von den Tierarten, der Größe des Untersuchungsraums und den bereits vorhandenen Daten sind.552 Methodik und Intensität der Bestandserfassung vor Ort hängen damit von den konkreten Verhältnissen im Einzelfall ab. Artspezifische Unterschiede (Verhaltensweisen, Tag-/Nacht-Aktivität, Aktionsradien, Lärmempfindlichkeit, etc.) wirken sich auf die Umstände der Ortsbegehungen aus. Beispielsweise müssen die Untersuchungen umso tiefer gehen, je gewichtiger ein Artvorkommen und die erwarteten Beeinträchtigungen ausfallen.553 Zudem müssen sie (räumlich) umso weiter gehen, je größer der Aktionsradius der betroffenen Arten ist.554 Die Untersuchungen müssen umso gründlicher sein, je geeigneter der Lebensraum erscheint, wohingegen keine weitere Bestandsaufnahme erforderlich ist, wenn keine Anhaltspunkte für die Erfüllung der Verbotstatbestände bestehen.555 Wenn es in Vorjahren ausreichende faunistische Erfassungen der entsprechenden Tiergruppen gegeben hat, darf die Bestandserfassung auf eine Potenzialanalyse beschränkt bleiben.556 Weiterhin ist es möglich, entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen, wenn allgemeine Erkenntnisse zu artspezifischen Verhaltensweisen, Habitatansprüchen und Vegetationsstrukturen Rückschlüsse zulassen. Diese sind naturschutzfachlich plausibel zu begründen.557 Das ist wiederum vom Einzelfall abhängig: So sind beispielsweise Folgerungen von der Vegetationsstruktur auf das Vorkommen von Arten nicht ausreichend, wenn Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass seltene oder gefährdete Arten im Planungsgebiet vorkommen.558 Zudem kann mit Prognosewahrscheinlichkeiten, Schätzungen und Worst-Case-Betrachtungen gearbeitet werden.559 Ein konkretes Beispiel für eine vorbildliche Methodik, die in Einklang mit dem rechtlich Gebotenen steht, liefert das BVerwG 560 im Urteil vom 9.7.2008 zur Ortsumgehung Bad Oeynhausen: Hier wurden artenschutzfachliche Gutach552

Vgl. BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (307 Rn. 60). de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote in der Fachplanung, 2. Aufl. 2013, Rn. 73. 554 de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote in der Fachplanung, 2. Aufl. 2013, Rn. 74. 555 Louis, NuR 2009, 91 (99). 556 BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – NVwZ 2014, 714 (726 Rn. 110). 557 Vgl. BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (307 Rn. 63); BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (48 Rn. 45). 558 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 90. EL Stand: Juni 2019, § 44 BNatSchG Rn. 22. 559 BVerwG, Urt. v. 12.8.2009 – 9 A 64/07 – BeckRS 2009, 37830 Rn. 38; BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (307 Rn. 63); BVerwG, Urt. v. 18.3. 2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (48 Rn. 45); VGH Mannheim, Urt. v. 18.4.2018 – 5 S 2105/15 – NuR 2018, 785 (790). 560 BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (308 Rn. 69 ff.). 553

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D. Rechtsprechungsanalyse

ten erstellt. Diese beruhten auf den beiden bereits dargestellten Quellen, also auf faunistischen Untersuchungen zu den streng und besonders geschützten Arten vor Ort und einer Abfrage vorhandener Erkenntnisse bei Fachbehörden und ehrenamtlichen Stellen einerseits sowie der Auswertung bereits vorhandener Daten, Untersuchungen und Fachliteratur andererseits. Diese Erkenntnisse lieferten die Grundlage, um eine Liste der möglicherweise betroffenen Arten zu erstellen. Die darin vorgenommene artspezifische Betrachtung stellt die Lebensraumansprüche, die Verbreitungs- und Bestandssituation, die Gefährdungsfaktoren, die konkreten Betroffenheiten im Rahmen der Verbotstatbestände und die erforderlichen Vermeidungs- und Schutzmaßnahmen dar. Dabei erfolgt das Vorgehen vom Abstrakten zum Konkreten, namentlich zunächst großräumig (Bestandssituation in Deutschland) zum konkreten Untersuchungsraum und von den Betroffenheiten zu den Vermeidungsmaßnahmen. Diese Vorgehensweise zeugt von einer ausreichenden und belastbaren Untersuchungstiefe, sodass eine hierauf beruhende Einschätzung vom Beurteilungsspielraum der zuständigen Behörde gedeckt ist. Bezüglich der Bestandsaufnahme diverser Fledermausarten stellte das BVerwG 561 im Jahr 2009 fest, dass es derzeit keinen allgemeingültigen Standard für sämtliche Anlässe und Gegebenheiten gebe. Ein entsprechender Konsens solle durch eine Arbeitsgruppe im Rahmen eines Forschungsauftrags des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung herbeigeführt werden. Das Gericht nimmt hierbei ausdrücklich eine Einschätzungsprärogative an und stellt fest, nicht zu erkennen, dass die vorgenommenen Untersuchungen (namentlich „Methodenmix“ aus Ortsbesichtigung, Höhlenkartierung, Ausnutzung von Fremddaten und allgemeinen Erkenntnissen sowie Potenzialanalyse anhand einer Detektorkartierung und Sichtbeobachtung) in ihrem Umfang oder in ihrer Zielrichtung hinter einem allgemein anerkannten Fachkonsens zurückgeblieben wären.562 Auch im Urteil des BVerwG 563 vom 6.11.2012 zum Planfeststellungsbeschluss für den Neubau der Bundesautobahn A33 bei Halle beruhten die artenschutzrechtlichen Einschätzungen auf den beiden dargestellten Quellen, die eine breite Datenbasis für die Prüfung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände geschaffen haben. Es erfolgten faunistische Untersuchungen vor Ort, welche durch Abfragen vorhandener Erkenntnisse bei Fachbehörden und ehrenamtlichen Stellen des Naturschutzes sowie durch Auswertungen bereits vorliegender Daten, gutachterlicher Untersuchungen und der einschlägigen Fachliteratur zu den in Rede stehenden streng oder besonders geschützten Arten, deren Verhaltensweisen und Habitatansprüchen ergänzt wurden.

561 562 563

BVerwG, Urt. v. 12.8.2009 – 9 A 64/07 – BeckRS 2009, 37830 Rn. 42. BVerwG, Urt. v. 12.8.2009 – 9 A 64/07 – BeckRS 2009, 37830 Rn. 46. BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 101.

IV. Artenschutzrecht

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Als den rechtlichen Vorgaben entsprechend hat das BVerwG 564 im Urteil vom 18.3.2009 zum Neubau der Bundesautobahn A44 angesehen, wenn aus Anlass eines Vorhabens Untersuchungen vor Ort vorgenommen wurden (mehrere Kartierungsexkursionen zu verschiedenen Tageszeiten, Kontrollen von Laichgewässern für die Erfassung von Amphibien, abendliche Begehungen für die Erfassung nachtaktiver Tiere, Biotoptypenkartierungen, etc.), die durch zusätzlich ausgewertetes Erkenntnismaterial anderen Ursprungs ergänzt wurden (z. B. Untersuchungen des Instituts für Vegetationskunde, Ökologie und Raumplanung [IVÖR] und der Biologischen Station Urdenbacher Kämpe, des Fundortkatasters der unteren Landschaftsbehörde, etc.). cc) Maßstab praktischer Vernunft Eine Begrenzung besteht durch den Maßstab praktischer Vernunft.565 Dieser äußert sich zum Beispiel darin, dass bei wissenschaftlichen Unsicherheiten oder Meinungsverschiedenheiten keine Pflicht besteht, Forschungsaufträge zu vergeben oder diesen im Aufwand entsprechende Untersuchungen anzustellen.566 Ebenso bedarf es keiner aussichtslosen Untersuchungen „ins Blaue hinein“, wenn keine Anhaltspunkte für ein artenschutzrechtlich relevantes Vorkommen bestehen.567 Lassen Vegetationsstrukturen Rückschlüsse auf das Vorkommen von Arten zu, so kann eine gezielte Erhebung dieser Daten ausreichen.568 Insbesondere sind keine weiteren Untersuchungen veranlasst, wenn von diesen keine weiterführenden Erkenntnisse zu erwarten sind.569 Im Übrigen wird die Behörde nicht zur Fertigung eines lückenlosen Arteninventars verpflichtet.570 Dem Maßstab der praktischen Vernunft läuft nach dem BVerwG 571 beispielsweise eine Baumhöhlenkartierung zuwider, die jedes nur im Ansatz mögliche 564

BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (48 Rn. 47). BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (47 Rn. 43); BVerwG, Urt. v. 12.8.2009 – 9 A 64/07 – BeckRS 2009, 37830 Rn. 37. 566 BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (308 Rn. 66). 567 BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 4 C 12/07 – NVwZ 2010, 123 (132 Rn. 44); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (306 Rn. 54); BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 9/07 – BeckRS 2008, 33782 Rn. 31; BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 10/07 – ZUR 2008, 378 (380). 568 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 10/07 – ZUR 2008, 378 (380); BVerwG, Urt. v. 18.6.2007 – 9 VR 13/06 – BeckRS 2007, 24753 Rn. 20. Vgl. dazu auch BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (306 Rn. 54); BVerwG, Urt. v. 31.1.2002 – 4 A 15/01 – NVwZ 2002, 1103 (1110); VGH München, Urt. v. 28.1.2008 – 8 A 05.40018 – BeckRS 2009, 36183 Rn. 68. 569 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 10/07 – ZUR 2008, 378 (380). 570 BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 4 C 12/07 – NVwZ 2010, 123 (131 Rn. 44); BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (47 Rn. 43); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (306 Rn. 54). 571 Vgl. BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (309 Rn. 75). 565

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D. Rechtsprechungsanalyse

Fledermausquartier erfasst (z. B. von Spechten geschlagene Baumhöhlen, Faulstellen oder abgeplatzte Rindenstücke). Dies galt hier insbesondere, weil die naturräumlichen Gegebenheiten ohnehin nicht den Anforderungen der Art genügten.572 Ein regelmäßig auftauchendes Problem ist, dass leise ortende und leise jagende Fledermausarten (z. B. Bechsteinfledermaus) mittels Detektoren nicht erfasst werden können, eine vollständige Bestandserfassung also sog. Netzfänge erfordern würde. In der Entscheidung zur Ortsumgehung Bad Oeynhausen sah das BVerwG 573 die Methode der artenbezogenen Vorauswahl gleichwohl als vertretbar an, nach der aufgrund der Habitatansprüche der Art mit keinem Vorkommen zu rechnen war und daher auch keine weitergehenden Untersuchungen angestellt wurden. Bei der sog. artbezogenen Vorauswahl erfolgt eine Abschätzung der Quartiere, Flugrouten und Jagdhabitate einer bestimmten Art nach der vorangegangenen Untersuchung der vorhandenen Flächen, Gebiete und Strukturen. Dieses Vorgehen entspricht dem rechtlich gebotenen methodischen Vorgehen und hat sich wohl als allgemein anerkannter Standard durchgesetzt.574 Die strengere Auffassung der Kläger (Erforderlichkeit von Netzfängen), führe nicht dazu, dass die naturschutzfachliche Einschätzung der Beklagten unvertretbar wäre.575 Ähnliches entschied das BVerwG 576 im Jahr 2009 für Untersuchungen des Bestands von sog. Zwillingsarten. Liegen keine Nachweise für das Vorkommen von Zwillingsarten (in concreto Kleine und Große Bartfledermaus) vor, so bedarf es nicht der über die Detektorerfassung hinausgehenden, aufwendigeren und die Tiere belastenden Methode des Netzfanges mit anschließender Telemetrierung der beiden Arten. Weiterhin stellte das BVerwG 577 2009 fest, dass wenn keine Hinweise für das Vorliegen von bestimmten Quartieren (hier Wochenstuben und Winterquartiere von Fledermäusen) bestehen, es dem Maßstab praktischer Vernunft widerspricht, hierin einen Anlass zu vertieften Kontrollen zu sehen (z. B. Untersuchung von Baumhöhlen auf Fledermausbesatz mittels Videotechnik oder Quartiersuche mittels Telemetrierung). 572

Vgl. BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (309 Rn. 75). BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (309 Rn. 74). 574 Vgl. BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (309 Rn. 74). 575 BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (309 Rn. 74); krit. Gellermann, NuR 2009, 85 (90 f.), der zum einen die Frage aufwirft, worauf sich die richterliche Einschätzung der Vertretbarkeit mangels fachwissenschaftlicher Kenntnisse überhaupt gründet und zum anderen bei Arten, die einen ungünstigen Erhaltungszustand aufweisen und mittels gängiger Methoden artspezifisch nur ungenügend erfasst werden können, auch vertiefende Untersuchungen, z. B. mittels Netzfängen, als vom Gebot praktischer Vernunft gedeckt ansieht. Das Verlangen von, die Arten schwerer belastenden Ermittlungen, würde das Artenschutzrecht aber m. E. ad absurdum führen. 576 BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (49 Rn. 52). 577 BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (49 Rn. 53). 573

IV. Artenschutzrecht

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Schließlich ist die Erfassung repräsentativer Probeflächen ausreichend, wenn eine vollständige Bestandsaufnahme unverhältnismäßig ist.578 Anhand dieser Probeflächen wird dann der Bestand ermittelt. c) Fazit Die gerichtliche Überprüfung erfolgt nur dahingehend, ob die Annahmen der Behörde im Einzelfall naturschutzfachlich vertretbar sind und nicht auf einem unzulänglichen oder gar ungeeigneten Bewertungsverfahren beruhen.579 Jedoch überprüfen die Gerichte die angewandte Methodik regelmäßig nur sehr oberflächlich und dies auch nur, wenn der Kläger diesbezüglich Kritik äußert. Selbst dann bleibt es regelmäßig bei einem schlichten Verweis auf die Vertretbarkeit der behördlichen Beurteilung. Die Bestandserfassung wird dabei regelmäßig derart begründet, dass ihre Vertretbarkeit nur schwerlich widerlegt werden kann. Häufig genügen hier schon ganz allgemeine, nahezu floskelhafte Verweise auf ein artspezifisches Vorgehen. Letztlich wird durch die von der Rechtsprechung formulierten Anforderungen an die Bestandserfassung dennoch das Ziel erreicht, eine hinreichende Grundlage für die Behördenentscheidung zu schaffen. Ein Mindestmaß an Artenschutz wird man diesem Vorgehen nicht absprechen können, da durch die jeweilige Begründung jedenfalls sichergestellt ist, dass das methodische Vorgehen im Einzelfall sinnvoll und angemessen ist. Dass es im Einzelfall gleichwohl möglich ist, einen „besseren“ oder „optimalen“ Artenschutz zu gewährleisten, mag dem zwar entgegenstehen, ist jedoch irrelevant und daher hinzunehmen, um eine sinnvolle Anwendung der Regelungen zu erreichen und ein Ausufern der Nachforschungen zu verhindern. Problematisch ist die Anerkennung des Beurteilungsspielraums im Rahmen der Bestandserfassung aus einem anderen Blickwinkel. Beurteilungsspielräume wurden in Abschnitt B. im Rahmen des Tatbestandes allein bei der Subsumtion verortet. Eine darüber hinausgehende Ausweitung des Spielraums auf die Feststellung des Sachverhalts wurde abgelehnt. Genau dies erfolgt aber in der Rechtsprechung zum Naturschutzrecht. Die Bestandserfassung stellt die Grundlage dar, um das Vorliegen der Verbotstatbestände sachgerecht überprüfen zu können. Sie ist daher nichts anderes als die eigentliche Sachverhaltsermittlung. Wenn die Rechtsprechung hier auf Unsicherheiten abstellt und den fehlenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand bemängelt, liegt hierin nicht der hinreichend gewichtige Sachgrund für die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums, sondern vielmehr eine faktische Grenze der Sachverhaltsermittlung. Die gerichtliche Kontrolle muss zurückgenommen werden – insofern ist der Rechtsprechung zuzustimmen. 578 579

Vgl. BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 140. So VGH Mannheim, Urt. v. 18.4.2018 – 5 S 2105/15 – NuR 2018, 785 (790).

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D. Rechtsprechungsanalyse

Allerdings ist dies nicht die Folge eines Beurteilungsspielraums, sondern vielmehr die logische Konsequenz daraus, dass keine herrschende Meinung in der Fachwissenschaft besteht. Das Gericht ist dann nicht in der Position, die Einschätzung der Behörde in Frage zu stellen oder gar durch eine eigene Einschätzung zu ersetzen. 4. Zugriffsverbote (§ 44 Abs. 1 BNatSchG) Auf der Grundlage einer ordnungsgemäßen Bestandsaufnahme wird sodann überprüft, ob gegen artenschutzrechtliche Verbote verstoßen wird. Für die Prüfung des Verbotstatbestandes wird der Behörde eine Einschätzungsprärogative eingeräumt.580 In der Rechtsprechung des BVerwG 581 ist anerkannt, dass der zuständigen Behörde „sowohl in Bezug auf die Erfassung der von dem zuzulassenden Vorhaben betroffenen Arten als auch hinsichtlich der Bewertung der Risiken, denen diese bei Realisierung des Vorhabens ausgesetzt sind, ein naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum zu[steht], soweit anerkannte naturschutzfachliche Maßstäbe fehlen“. Hier wird die zeitliche Grenze deutlich, wenn kein Beurteilungsspielraum mehr angenommen werden soll, sobald sich eine bestimmte Methode oder ein bestimmter Maßstab durchgesetzt hat.582 Erst dann sind anderweitige Meinungen als nicht mehr vertretbar abzulehnen. In jedem Fall muss das Gericht prüfen, „ob die konkreten artenschutzrechtlichen Untersuchungen in ihrem methodischen Vorgehen und in ihrer Ermittlungstiefe ausreichen, um die Behörde in die Lage zu versetzen, die Voraussetzungen der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände sachgerecht zu überprüfen“.583 a) Tötungsverbot (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG) Besondere Bedeutung für die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen hat dabei das Tötungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Dies gilt, obwohl das Merkmal des Tötens einzelner Tiere grundsätzlich keiner Wertung bedarf, sondern rein objektiv bestimmbar ist und damit eindeutig erscheint. Der Begriff der Tötung wird in der Regel schlicht als Beendigung des Lebens verstanden, die eine zielgerichtete oder vorsätzliche Handlung voraussetzt.584 Somit drängen sich Einschätzungsprärogativen der Behörde nicht auf. Gleichwohl führen sowohl der Zweck der Norm als auch deren Entstehungsgeschichte, insbesondere bei Be-

580

BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 Rn. 14 ff.). Vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 20.3.2018 – 9 B 43/16 – DVBl. 2018, 1361 (1365). 582 BVerwG, Beschl. v. 20.3.2018 – 9 B 43/16 – DVBl. 2018, 1361 (1365). 583 BVerwG, Beschl. v. 8.3.2018 – 9 B 25/17 – BeckRS 2018, 7740 Rn. 25; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (526 Rn. 19 f.). 584 Vgl. Willmann, Der besondere Artenschutz, 2015, S. 22. Im Strafrecht vgl. Kühl, in: Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch, 29. Aufl. 2018, § 212 StGB Rn. 2. 581

IV. Artenschutzrecht

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achtung der unionalen Einwirkungen, und nunmehr auch der Wortlaut zur Annahme eines Beurteilungsspielraums. aa) Herleitung des Beurteilungsspielraums Zunächst ist festzustellen, dass der Tatbestand des Tötungsverbots individuenbezogen und damit sehr weit ist – er bezieht sich auf einzelne Exemplare wild lebender Tiere.585 Die Tatbestandsvoraussetzungen liegen demnach grundsätzlich bereits bei der Tötung „nur“ eines Tieres und damit schneller vor als bei art- oder populationsbezogenen Tatbeständen. Eine Ausweitung des Tatbestandes erfolgte zudem dadurch, dass die im BNatSchG 2002 bestehende weitgehende Begrenzung auf absichtliche Tötungen in Folge eines Urteils des EuGH 586 aufgegeben wurde. Das subjektive Element der Absicht wurde abgeschafft.587 Der Tötungstatbestand liegt seitdem auch vor, wenn die Tötung nicht intendiert ist, sich also als unabwendbare Folge eines im Übrigen rechtmäßigen Verwaltungshandelns darstellt.588 Der Tötungstatbestand ist daher regelmäßig erfüllt und steht den meisten Projekten entgegen. Bei Infrastrukturprojekten wie Straßenbau und Windenergieanlagen sind Einzelverluste aufgrund des Kollisionsrisikos bei lebensnaher Betrachtung nie völlig ausgeschlossen und müssen daher, auch wenn sie nicht gewollt sind, als unvermeidlich hingenommen werden.589 Sie sind Teil des allgemeinen Lebensrisikos.590 Fallen diese Tötungen nicht aus dem Tatbestand heraus, stellt das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ein unverhältnismäßiges Planungshindernis dar.591 Zudem müsste dann jedes Vorhaben durch Anerkennung 585

BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (49 Rn. 58). EuGH, Urt. v. 10.1.2006, Rs. C-98/03, KOM/Deutschland, ECLI:EU:C:2006:3 Rn. 53 ff.; der EuGH stellt darin die Unionsrechtswidrigkeit dieser weitgehenden Ausnahmen für nicht absichtliche Tötungen fest, § 43 Abs. 4 BNatSchG 2002. Vgl. hierzu Kahl, JZ 2008, 120 (125 f.) m.w. N.; Korbmacher, in: Mitschang, Bauen und Naturschutz, 2011, S. 98. 587 Vgl. Art. 1 des Gesetzes vom 12.12.2007, BGBl. I S. 2873. Näher zum Absichtsbegriff, insbesondere aus Sicht des EuGH, vgl. Beier/Geiger, DVBl. 2011, 399 (401 f.); Beier, DVBl. 2012, 149 (150 f.). 588 EuGH, Urt. v. 20.10.2005, Rs. C-6/04, Kommission/Vereinigtes Königreich, ECLI:EU:C:2005:626 Rn. 86; EuGH, Urt. v. 30.1.2002, C-103/00, Kommission/Griechenland, ECLI:EU:C:2002:60 Rn. 36; BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (311 Rn. 91); OVG Magdeburg, Urt. v. 20.1.2016 – 2 L 153/13 – BeckRS 2016, 46864. Vgl. dazu Stöckel/Müller-Walter, in: Erbs/Kohlhaas, 226. EL Aug. 2019, § 44 BNatSchG Rn. 11; Schlacke, Umweltrecht, 7. Aufl. 2019, § 10 Rn. 60. 589 BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (49 Rn. 58); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (311 Rn. 91). 590 In der Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5100 S. 11, als „sozialadäquate Risiken“ bezeichnet. 591 BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (311 Rn. 91); BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 4 C 12/07 – NVwZ 2010, 123 (131 Rn. 42). 586

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D. Rechtsprechungsanalyse

einer Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG oder im Wege einer Befreiung nach § 67 BNatSchG zugelassen werden, wodurch diese Vorschriften entgegen der Systematik zum Regelfall würden.592 Letztendlich muss Berücksichtigung finden, dass die Tiere nicht in einer unberührten Natur, sondern in einer Landschaft leben, die von Menschenhand gestaltet wurde.593 Um den sehr weitgehenden Tatbestand wieder einzugrenzen und ein unverhältnismäßiges Planungshindernis zu vermeiden, wurde zunächst vom BVerwG 594 ein sog. Signifikanzerfordernis eingeführt. Nicht jeder Einzelverlust erfüllt den Tatbestand des Tötungsverbotes, dieser liegt vielmehr erst vor, wenn das Tötungsrisiko „signifikant erhöht“ ist.595 Mittlerweile erfolgte eine entsprechende Regelung durch den Gesetzgeber in § 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 BNatSchG.596 Hiernach soll, insbesondere für Infrastrukturgroßprojekte, kein Verstoß gegen das Tötungsverbot vorliegen, „wenn die Beeinträchtigung durch den Eingriff oder das Vorhaben das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht signifikant erhöht und diese Beeinträchtigung bei Anwendung der gebotenen, fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen nicht vermieden werden kann“.597 In die Betrachtung der Signifikanz sind Schutz- und Vermeidungsmaßnahmen, die eine Kollision und damit eine Erhöhung des Tötungsrisikos vermeiden sollen, wie insbesondere Überflughilfen und Leitstrukturen (z. B. Gehölzstrukturen, Hecken, etc.), einzubeziehen. 598 592 Vgl. BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (49 Rn. 58); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (311 Rn. 91). 593 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 8.3.2018 – 9 B 25/17 – BeckRS 2018, 7740 Rn. 11; BVerwG, Urt. v. 9.2.2017 – 7 A 2/15 – NVwZ-Beilage 2017, 101 (164 Rn. 466). 594 BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 219; BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (311 Rn. 90 f.); BVerwG, Urt. v. 14.7.2011 – 9 A 12/10 – BeckRS 2011, 55589 Rn. 99; BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 98; BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 118; BVerwG, Urt. v. 27.6.2013 – 4 C 1/12 – NVwZ 2013, 1411 (1412 Rn. 11); BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – NVwZ 2014, 714 (726 Rn. 114); BVerwG, Urt. v. 23.1.2015 – 7 VR 6/14 – NVwZ-RR 2015, 250 (253 Rn. 30). Vgl. dazu Kahl/Burs, DVBl. 2016, 1222 (1222); Möckel, NuR 2014, 381 (387). 595 BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 219; BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (49 Rn. 58); BVerwG, Urt. v. 9.7.2009 – 4 C 12/07 – NVwZ 2010, 123 (131 Rn. 42); BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 98; BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 118. 596 Eine entsprechende gesetzliche Regelung wurde 2017 eingeführt, vgl. Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des BNatSchG vom 15.9.2017, BGBl. I S. 3434. 597 Da diese Normierung die Rechtsprechung des BVerwG umsetzen soll, kann zur näheren Bestimmung der Signifikanz auf die langjährige Rechtsprechung zurückgegriffen werden. 598 Vgl. BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – NVwZ 2014, 714 (726 Rn. 114); BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 118; BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 98; BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 –

IV. Artenschutzrecht

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Trotz des Signifikanzerfordernisses bleibt es beim individuenbezogenen Ansatz insofern, als es nicht um ein Risiko für die betroffene Population oder gar Art geht.599 Die Anzahl potenzieller Opfer muss folglich nicht so groß sein, dass sie sich auf die Population als solche auswirkt. Sie muss jedoch mit Blick auf die Zahl der vorhandenen und der regelmäßig dem allgemeinen Naturgeschehen zum Opfer fallenden Individuen jedenfalls nennenswert sein.600 Das BVerwG 601 hat hierzu festgestellt, dass zu den von Menschenhand gestalteten Naturräumen auch Verkehrswege und Windenergieanlagen gehören. Verbleibt das Risiko in einem Bereich, der mit Verkehrswegen im Naturraum stets verbunden und mit dem Risiko vergleichbar ist, dass einzelne Tiere Opfer einer anderen Art werden (z. B. von einem Raubvogel geschlagen werden), so liegt keine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos vor.602 Bei der Beurteilung der Signifikanz sind insbesondere artspezifische Verhaltensweisen, häufige Frequentierung des durchschnittenen Raums und die Wirksamkeit vorgesehener Schutzmaßnahmen sowie weitere biologische Kriterien zu beachten.603 Relevant sind somit etwa die artspezifischen Eigenschaften. Bei Arten, die wie Fledermäuse in sehr großer Individuenzahl vorkommen, ist ein anderer Maßstab anzulegen als bei Arten, die wie der Rotmilan in einem Raum nur in geringer Zahl vorkommen.604 Zudem muss Folgendes beachtet werden: Erscheint die Tötung von Individuen sicher oder überwiegend wahrscheinlich, so genügt eine geringe Zahl potenzieller Opfer. Je unwahrscheinlicher dagegen die Tötung

9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (50 Rn. 60); BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (311 Rn. 91); BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 9/07 – BeckRS 2008, 33782 Rn. 35. Vgl. hierzu auch Gläß, in: Giesberts/Reinhardt, Umweltrecht, 52. Ed. Stand: 1.10.2019, § 44 BNatSchG Rn. 17. 599 Lau, I+E 2016, 50 (53); Lau, in: Rehbinder/Schink, 5. Aufl. 2018, Abschnitt 11, Rn. 121; VGH Kassel, Beschl. v. 17.12.2013 – 9 A 1540/12.Z – ZUR 2014, 366 (366 Rn. 9). 600 OVG Magdeburg, Urt. v. 16.5.2013 – 2 L 106/10 – BeckRS 2013, 53218. 601 BVerwG, Urt. v. 28.4.2016 – 9 A 9/15 – NVwZ 2016, 1710 (1728 Rn. 141). 602 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 98; BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (311 Rn. 91); OVG Magdeburg, Urt. v. 20.1.2016 – 2 L 153/13 – BeckRS 2016, 46864 Rn. 53. Vgl. zu den verschiedenen Maßstäben Schreiber, NuR 2017, 5 (6 ff.). 603 BVerwG, Urt. v. 14.7.2011 – 9 A 12/10 – BeckRS 2011, 55589 Rn. 99; BVerwG, Urt. v. 6.4.2017 – 4 A 16/16 – NVwZ-RR 2017, 768 (776 Rn. 75); VGH Mannheim, Urt. v. 4.7.2018 – 5 S 2117/16 – VBlBW 2018, 507 (513). Vgl. dazu auch BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (49 Rn. 58). Lau, I+E 2016, 50 (54). 604 OVG Magdeburg, Urt. v. 13.3.2014 – 2 L 212/11 – BeckRS 2014, 52743; OVG Magdeburg, Urt. v. 16.5.2013 – 2 L 106/10 – BeckRS 2013, 53218. Dabei sind auch Arten, die durch eine geringe Reproduktionsrate und eine lange Lebensdauer gekennzeichnet sind (sog. K-Strategen, z. B. Rotmilan, Biber, . . .) von solchen Arten zu unterscheiden, die zwar durch eine hohe Reproduktionsrate aber durch eine geringere Überlebenschance gekennzeichnet sind (sog. R-Strategen, z. B. Insekten, Mäuse, . . .), vgl. Bick/Wulfert, NVwZ 2017, 346 (348); Bernotat, ZUR 2018, 594 (596).

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D. Rechtsprechungsanalyse

von Tieren ist, desto höher muss die Zahl der potenziellen Opfer sein.605 Auch die Art des Vorhabens ist zu berücksichtigen: Bei unbeweglichen Anlagen (z. B. Bauwerke) ist die Gefahrerhöhung in der Regel geringer als bei von Tieren schwer einschätzbaren beweglichen Gegenständen (z. B. Kraftfahrzeuge, Windenergieanlagen).606 Einen Versuch der Konkretisierung wagt der VGH Mannheim607, wonach eine signifikante Risikoerhöhung vorliegt, „wenn es um Tiere geht, die aufgrund ihrer Verhaltensweisen im Vorhabenbereich ungewöhnlich stark von den Risiken der mit dem Vorhaben verbundenen Auswirkungen betroffen sind, sich diese Risiken auch durch die konkrete Ausgestaltung des Vorhabens einschließlich etwaiger Vermeidungsmaßnahmen nicht beherrschen lassen und es somit zu einer deutlichen Steigerung des Tötungsrisikos kommt, die nicht mehr unterhalb des Gefahrenbereichs bleibt, der mit der betreffenden Tätigkeit im Naturraum immer verbunden ist“. Letztendlich ersetzt der VGH Mannheim lediglich das Erfordernis einer „signifikanten“ Steigerung des Tötungsrisikos durch das einer „deutlichen“ Steigerung. Der unbestimmte Rechtsbegriff wird durch einen anderen unbestimmten Rechtsbegriff ersetzt und nicht entscheidend handhabbarer gemacht. Obwohl versucht wird, die Signifikanz durch bestimmte Parameter greifbarer zu machen, ist es weiterhin eine rein naturschutzfachliche Frage.608 Das Vorliegen der signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos kann nicht im klassischen Sinne bewiesen werden, sondern unterliegt einer wertenden Betrachtung.609 Im Rahmen des Signifikanzerfordernisses und bezüglich der Frage, ob das zusätzliche Risiko bei Realisierung des Vorhabens als erheblich oder unerheblich einzustufen ist, bedarf es einer komplexen Risikobewertung.610 Die Entscheidung enthält prognostische Elemente, es fehlen rechenhaft handhabbare Verfahren und es sind spezielle artspezifische Kriterien maßgeblich.611 Hierfür enthält weder § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG noch § 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 BNatSchG normative Vorgaben, sodass der Rechtsanwender auf die ökologische Wissenschaft und Pra605

OVG Magdeburg, Urt. v. 13.3.2014 – 2 L 212/11 – BeckRS 2014, 52743. Louis, NuR 2009, 91 (93); Thyssen, NuR 2010, 9 (12). Anderes gilt bei besonderen gefahrerhöhenden Maßnahmen auch an unbeweglichen Elementen wie z. B. an großen Glasfassaden. 607 VGH Mannheim, Urt. v. 4.7.2018 – 5 S 2117/16 – VBlBW 2018, 507 (513) mit Verweis auf Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2. Aufl. 2016, § 44 BNatSchG Rn. 14 m.w. N. Eine „deutliche“ Steigerung verlangt auch das OVG Magdeburg, Urt. v. 20.1.2016 – 2 L 153/13 – BeckRS 2016, 46864 Rn. 53. 608 Vgl. Bick/Wulfert, NVwZ 2017, 346 (348). 609 OVG Magdeburg, Urt. v. 20.1.2016 – 2 L 153/13 – BeckRS 2016, 46864 Rn. 65; OVG Magdeburg, Urt. v. 16.5.2013 – 2 L 106/10 – BeckRS 2013, 53218; OVG Magdeburg, Urt. v. 16.5.2013 – 2 L 80/11 – BeckRS 2013, 53548. Vgl. Lau, I+E 2016, 50 (53). 610 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (526 Rn. 19 ff.). 611 Vgl. OVG Magdeburg, Urt. v. 13.3.2014 – 2 L 212/11 – BeckRS 2014, 52743; OVG Magdeburg, Urt. v. 16.5.2013 – 2 L 106/10 – BeckRS 2013, 53218. 606

IV. Artenschutzrecht

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xis angewiesen ist. Aus dem unsicheren Erkenntnisstand folgt der Beurteilungsspielraum der zuständigen Behörde.612 Das Problem der fehlenden gesicherten naturwissenschaftlichen Erkenntnisse wird insbesondere im Urteil des OVG Magdeburg613 vom 20.1.2016 sehr deutlich. Entscheidend für die Erhöhung des Tötungsrisikos war hier der Abstand der Windenergieanlagen zu einem bestehenden Horst eines Rotmilans. Kläger und Beklagter brachten jeweils Gutachten ein, deren Tenor divergierte – mal senke ein hoher Abstand das Tötungsrisiko, mal habe ein Mindestabstand keine nennenswerten Auswirkungen auf das Tötungsrisiko. Drei herangezogene Gutachten und Arbeitshilfen forderten zudem drei unterschiedliche Mindestabstände zwischen 1.000 und 1.500 m. Bei einer solchen ungeklärten Sachlage ist die zuständige Behörde im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative verpflichtet, gegebenenfalls durch die Einholung eigener Gutachten, die offenen Fragen zu klären. Der Gesetzgeber selbst stellte im Jahr 2017 fest, dass zur Bewertung des Mortalitätsrisikos artspezifische naturschutzfachliche Parameter zu berücksichtigen sind. Um eine solche Bewertung zu ermöglichen, sollten Bewertungskonzepte sowohl bezüglich der Mortalitätsrisiken als auch bezüglich der Vermeidbarkeit von Beeinträchtigungen erarbeitet und praxisbezogen weiterentwickelt werden.614 Der Signifikanzansatz wurde z. B. durch den Mortalitäts-Gefährdungs-Index in einer Arbeitshilfe des BfN operationalisierbarer gemacht.615 Dabei geht die Arbeitshilfe auf die bisher zum artenschutzrechtlichen Tötungsverbot ergangene Rechtsprechung ein, nimmt die dort ausgeführten Kriterien und Maßstäbe auf und führt sie einer leichteren Handhabung zu. Im Ergebnis steht der Behörde für die fachliche Beurteilung, ob eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos vorliegt, eine Einschätzungsprärogative zu.616 Die gerichtliche Überprüfung der behördlichen Annahmen beschränkt sich 612 A.A. Gellermann, NuR 2014, 597 (601), der keinen Grund für einen Beurteilungsspielraum sieht, weil Feststellungen in diesem Zusammenhang nicht übermäßig schwierig und komplex seien und auch keinen besonderen Sachverstand erforderten. Ebendies folgt aber aus der Sichtung der entsprechenden Urteile. 613 OVG Magdeburg, Urt. v. 20.1.2016 – 2 L 153/13 – BeckRS 2016, 46864 Rn. 57. 614 BT-Drs. 18/11939 S. 17. Zur Anwendung der nordrhein-westfälischen Verwaltungsvorschrift zur Anwendung der nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinien 92/43/EWG und 2009/147/EG (VV-Artenschutz NRW) vgl. BVerwG, Beschl. v. 8.3.2018 – 9 B 25/17 – BeckRS 2018, 7740 Rn. 24 ff. 615 Bernotat/Dierschke, Übergeordnete Kriterien zur Bewertung der Mortalität wildlebender Tiere im Rahmen von Projekten und Eingriffen, 3. Fassung – Stand 20.9.2016. Vgl. hierzu Bernotat, ZUR 2018, 594 (595). Diese Methode wurde mittlerweile auch vom BVerwG herangezogen, BVerwG, Beschl. v. 8.3.2018 – 9 B 25/17 – BeckRS 2018, 7740 Rn. 28. 616 Vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.2011 – 9 A 12/10 – BeckRS 2011, 55589 Rn. 99; BVerwG, Urt. v. 27.6.2013 – 4 C 1/12 – NVwZ 2013, 1411 (1413 Rn. 14); BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 Rn. 14); BVerwG, Beschl. v.

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D. Rechtsprechungsanalyse

darauf, „ob sie im Einzelfall naturschutzfachlich vertretbar sind und nicht auf einem unzulänglichen oder gar ungeeigneten Bewertungsverfahren beruhen“.617 Insofern ist auch eine uneingeschränkte und nicht rückholbare Übertragung der Einschätzungsprärogative auf einen externen Gutachter ohne Kontrollmöglichkeit ausgeschlossen.618 bb) Einzelanalyse Die gerichtliche Überprüfung der Einschätzung der Behörde bezieht sich insbesondere auf die Beachtung der räumlichen Gegebenheiten, die Bewertung der Vermeidungsmaßnahmen und die Berücksichtigung artspezifischer Merkmale. (1) Räumliche Gegebenheiten Entscheidend ist zunächst der Standort der Maßnahme oder des Projekts mit Blick auf die vorkommenden Arten und die bestehenden Gebietseigenschaften. Werden Arten im Untersuchungsraum z. B. nicht nachgewiesen und wird folglich höchstens von einem potenziellen Vorkommen ausgegangen, ist es einerseits von der Einschätzungsprärogative gedeckt, wenn keine weiteren Maßnahmen eingeleitet werden.619 Andererseits genügt das bloße Vorliegen einer bestimmten geschützten Art im entscheidenden Gebiet für sich genommen nicht für eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos, vielmehr bedarf es hierfür weiterer Anhaltspunkte.620 Bedeutsam ist ferner die Eigenschaft des Gebiets, wie z. B. die Einordnung als Jagdgebiet oder Hauptflugroute von Fledermäusen. Werden solche von besonders bedeutsamen Eigenschaften geprägten Gebiete nicht festgestellt, so spricht dies gegen eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos. So war in der Entscheidung des BVerwG 621 vom 18.3.2009 zum Neubau der A44 bei Ratingen vom Beurteilungsspielraum gedeckt, dass ein besonderes Kollisionsrisiko verneint wurde, nachdem keine ausgeprägten Wanderkorridore besonders geschützter Amphibienarten im Trassenbereich vorlagen. Als zulässig wurde vom BVerwG 622 die unterschiedliche Handhabung von planungsrelevanten und nicht planungsrelevanten Arten bewertet. Dabei darf für

8.3.2018 – 9 B 25/17 – BeckRS 2018, 7740 Rn. 12; vgl. Schlacke, Umweltrecht, 7. Aufl. 2019, § 10 Rn. 60. 617 St. Rspr. Vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 8.3.2018 – 9 B 25/17 – BeckRS 2018, 7740 Rn. 12. 618 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 8.3.2018 – 9 B 25/17 – BeckRS 2018, 7740 Rn. 18. 619 BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – BeckRS 2014, 48854 Rn. 145. 620 OVG Magdeburg, Urt. v. 20.1.2016 – 2 L 153/13 – BeckRS 2016, 46864 Rn. 53. 621 Vgl. BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (49 Rn. 58). 622 BVerwG, Beschl. v. 8.3.2018 – 9 B 25/17 – BeckRS 2018, 7740 Rn. 27.

IV. Artenschutzrecht

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letztere auf eine Prüfung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände verzichtet werden.623 Auch hierbei handele es sich um eine Bewertungsfrage. Eine deutliche Steigerung des Tötungsrisikos kann daher abgelehnt werden, wenn in dem Bereich entweder eine besonders geringe Aktivitätsdichte vorliegt oder trotz höherer Aktivitätsdichte weder Hauptflugroute noch Jagdgebiet betroffen sind.624 Dagegen ist eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos beispielsweise bei Fledermäusen wahrscheinlich, wenn das Vorhaben an schlagkräftigen Standorten, wie z. B. im Wald, innerhalb bevorzugter Jagdgebiete oder in Hauptflugrouten, errichtet wird.625 Allein die Lage genügt gleichwohl nicht.626 Das Vorliegen einer Flugroute fernwandernder Fledermausarten im Vorhabengebiet begründet z. B. nur einen Anfangsverdacht einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos, da während der Zugzeiten möglicherweise erhöhte Schlagopfer zu erwarten sind.627 Dies begründet jedoch keine Beweislastumkehr dergestalt, dass der Vorhabenträger das Gegenteil nachweisen muss, sondern setzt nur einen Anschein, dem nachgegangen werden muss.628 Dabei unterliegt die nähere Konkretisierung und tatsächliche Fundierung des Anfangsverdachts der vollen gerichtlichen Kontrolle.629 (2) Vermeidungsmaßnahmen Des Weiteren wird bei der Festsetzung von Vermeidungsmaßnahmen ein fachwissenschaftlicher Beurteilungsspielraum anerkannt.630 Dieser Spielraum ist erst dann verletzt, „wenn die behördlich getroffenen Annahmen fachlich nicht mehr vertretbar sind, weil sich in der Wissenschaft die gegenteilige Meinung als Stand der Wissenschaft durchgesetzt hat“.631 Ist eine Art generell kollisionsgefährdet und sind keine Minderungsmaßnahmen möglich, so ist ein erhöhtes Kollisionsrisiko anzunehmen.632 Zudem liegt 623 BVerwG, Beschl. v. 8.3.2018 – 9 B 25/17 – BeckRS 2018, 7740 Rn. 27 mit Verweis auf die Verwaltungsvorschrift-Artenschutz Nordrhein-Westfalen, in der diese Unterscheidung vorgesehen ist, vgl. VV-Artenschutz NRW, S. 19. 624 Vgl. BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 219. 625 OVG Magdeburg, Urt. v. 13.3.2014 – 2 L 212/11 – BeckRS 2014, 52743; OVG Magdeburg, Urt. v. 16.5.2013 – 2 L 106/10 – BeckRS 2013, 53218; OVG Magdeburg, Urt. v. 23.7.2009 – 2 L 302/06 – BeckRS 2009, 37913. 626 OVG Magdeburg, Urt. v. 13.3.2014 – 2 L 212/11 – BeckRS 2014, 52743. 627 OVG Magdeburg, Urt. v. 13.3.2014 – 2 L 212/11 – BeckRS 2014, 52743; OVG Magdeburg, Urt. v. 16.5.2013 – 2 L 106/10 – BeckRS 2013, 53218 Ls. 2. 628 OVG Magdeburg, Urt. v. 13.3.2014 – 2 L 212/11 – BeckRS 2014, 52743; OVG Magdeburg, Urt. v. 16.5.2013 – 2 L 106/10 – BeckRS 2013, 53218. 629 OVG Magdeburg, Urt. v. 16.5.2013 – 2 L 106/10 – BeckRS 2013, 53218. 630 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 8.3.2018 – 9 B 25/17 – BeckRS 2018, 7740 Rn. 17. 631 BVerwG, Beschl. v. 8.3.2018 – 9 B 25/17 – BeckRS 2018, 7740 Rn. 17; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 28.4.2016 – 9 A 9/15 – NVwZ 2016, 1710 (1729 Rn. 144). 632 Vgl. BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (312 Rn. 94).

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D. Rechtsprechungsanalyse

ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko für Fledermäuse nach dem aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse in häufig frequentierten Flugkorridoren und Querungsbereichen vor, wenn keine entsprechenden Schutzvorkehrungen getroffen werden.633 Daraus folgt umgekehrt, dass entsprechende Schutzkonzepte das erhöhte Tötungsrisiko und damit auch den Tatbestand des Tötungsverbots grundsätzlich ausschließen können. Solche Vermeidungsmaßnahmen müssen in die Betrachtung eingestellt werden. Entscheidend ist dabei deren Wirksamkeit. Ein Schutzkonzept, welches sich insbesondere auf Kollisionsschutzwände als Querungshilfen für Fledermäuse stützt, vermochte z. B. nicht zu überzeugen, weil diese Wände den entsprechenden Schutz nur als Leiteinrichtungen, nicht aber als Überflughilfen gewähren.634 Insoweit verwies das BVerwG auf verschiedene Leitfäden.635 Dabei ist nicht mehr vom Einschätzungsspielraum der Behörde umfasst, wenn eine Auseinandersetzung mit der Problematik nicht in ausreichendem Maß erfolgte, sondern lediglich (in der mündlichen Verhandlung) pauschal auf positive Erfahrungen mit derartigen Wänden andernorts verwiesen wird und weder diese Einschätzung tragende Studien vorgelegt noch anderweitige art- und ortsspezifische Feststellungen getroffen werden.636 In einem anderen Fall wurde das Kollisionsrisiko als auf ein unbedenkliches Maß beschränkt angesehen, indem Sperreinrichtungen, Überflughilfen (Lärmschutzwand und -wall bzw. Abzäunung) und umfangreiche Gehölzpflanzungen im Planergänzungsbeschluss vorgesehen wurden.637 Im Straßenbau kann eine Erhöhung des Tötungsrisikos zudem durch Vermeidungsmaßnahmen, wie z. B. Führung der Trasse zwischen Verwallungen, Fledermausschutzzäune, Schutzwände, verhindert werden. Durch diese wird erreicht, dass die Tiere in erheblicher Höhe in die Trasse einfliegen und diese folglich gefahrlos überfliegen können. Bedenken der Klägerseite, dass die Schutzwände zu niedrig seien und die durch Sonnenlicht erhitzte Fahrbahn Insekten und diese jagende Tierarten anziehen würde, wurde mit ausreichenden Argumenten entgegengetreten. Dabei wurde auch die Einschätzung als vom Beurteilungsspielraum gedeckt angesehen, dass der Verkehrslärm sich zwischen den Straßenböschungen fange und ein Aufheizen der Fahrbahn durch vom Verkehr verursachte Luftwirbel verhindert würde.638 633

Vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.2011 – 9 A 12/10 – BeckRS 2011, 55589 Rn. 100. Vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.2011 – 9 A 12/10 – BeckRS 2011, 55589 Rn. 102. 635 FGSV, Merkblatt zur Anlage von Querungshilfen für Tiere und zur Vernetzung von Lebensräumen an Straßen (M-AQ), 2008, S. 61 und Leitfaden für Straßenbauvorhaben im Freistaat Sachsen, Sächsisches Ministerium für Wirtschaft und Arbeit, Planung und Gestaltung von Querungshilfen für Fledermäuse (Entwurf, Stand Dez. 2008, S. 93 ff. [2012 wurde die Endfassung veröffentlicht]). 636 Vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.2011 – 9 A 12/10 – BeckRS 2011, 55589 Rn. 103 f. 637 BVerwG, Urt. v. 9.6.2010 – 9 A 20/08 – BeckRS 2010, 55827 Rn. 45. 638 BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (50 Rn. 61). 634

IV. Artenschutzrecht

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In einem anderen Fall wurde lediglich ein „gering einzustufendes Kollisionsrisiko“ und nur „einzelne kollisionsbedingte Verluste“ beschrieben, weil umfangreiche Vermeidungsmaßnahmen wie Leitstrukturen, Sperren und Überflughilfen vorgesehen waren. Somit lag lediglich das im Naturraum immer gegebene Risiko und keine signifikante Erhöhung des Risikos vor.639 Einwände gegen die Wirksamkeit der Vermeidungsmaßnahmen waren zu pauschal. Daher war vom Beurteilungsspielraum gedeckt, dass in diesem Fall das Tötungsverbot als nicht erfüllt angesehen wurde.640 Ein ausreichendes Schutzkonzept wurde zudem für den Fall angenommen, dass ein stark von Fledermäusen als Jagdgebiet genutzter Bereich durch CEFMaßnahmen641 (hier: Verzicht auf trassenbegleitende Gehölzpflanzungen und Aufforstung) derart verändert wird, dass er seine Eignung als Jagdgebiet verliert und Fledermäuse somit von der Trasse ferngehalten werden.642 Gleiches gilt dann, wenn einem erhöhten Kollisionsrisiko mit Irritationsschutzwänden oder Wall-Wand-Anlagen begegnet wird.643 Diese leiten die strukturgebunden fliegenden Fledermäuse zu Querungshilfen und fördern das hohe Überfliegen der Trasse. Entscheidend ist somit, ob ein Kollisionsrisiko durch Schutzmaßnahmen verringert wird. Das BVerwG 644 nahm dies im Urteil vom 6.11.2012 zum Lückenschluss der A33 bei Halle bezüglich des vorgesehenen Maßnahmenbündels zum Schutz des Steinkauzes an (insbesondere Überflughilfe von 6 m Höhe, unattraktive Gestaltung des Straßenseitenraums, Grünbrücken von 40 m Breite). Hierbei erschien es nachvollziehbar und vertretbar, dass von der grundsätzlich fraglichen Funktionsfähigkeit und Wirksamkeit der Grünbrücken bei Steinkäuzen im Zusammenhang mit den sonstigen Maßnahmen auszugehen ist. Um diese Einschätzung zu widerlegen und die Funktionsunfähigkeit darzulegen, hätte es eines Gutachtens bedurft, das alle vorgesehenen Maßnahmen einbezieht.645 Ein solches wurde aber nicht vorgelegt. Auch Bauzeitenregelungen können in die Betrachtung einbezogen werden und den Tötungstatbestand entfallen lassen. Bauzeitenregelungen stellen nach ständiger Rechtsprechung insoweit wirksame Maßnahmen dar, als sie artangemessen sind.646 Erfolgt die Baufeldräumung beispielsweise in dem Zeitfenster zwischen 639

Vgl. BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (311 Rn. 93). BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (311 Rn. 93). 641 Sog. continuous ecological functionality-measures („vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen“) stammen aus dem Habitatschutzrecht, entfalten ihre Wirkungen im Ergebnis aber genauso im Artenschutzrecht. 642 BVerwG, Urt. v. 14.7.2011 – 9 A 12/10 – BeckRS 2011, 55589 Rn. 112. 643 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 105. 644 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 127 f. 645 Vgl. BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 128. 646 BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – NVwZ 2014, 714 (726 Rn. 111). 640

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D. Rechtsprechungsanalyse

dem Ende der Brutsaison und dem Beginn der nächsten, so wird eine Inanspruchnahme genutzter Brutstandorte und ein dadurch hervorgerufenes Tötungsrisiko vermieden.647 Im Übrigen erfüllte das Verbleiben einzelner Individuen im Baufeld nicht den Tatbestand des Tötungsverbots.648 Hier verbleibt das Risiko in einem Bereich, der auch sonst für Tiere der entsprechenden Art insbesondere mit Blick auf natürliche Feinde besteht.649 Das BVerwG 650 sah es daher als vertretbar an, dass eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos abgelehnt wurde, weil die betroffene Art (hier die Zauneidechse) „nicht flächendeckend im Trassenbereich vorkomme, sondern nur an drei kleinen und leicht überschaubaren Standorten mit geringen Versteckmöglichkeiten“. (3) Artspezifische Merkmale Weiterhin werden artspezifische Merkmale wie die Flugaktivität, die regelmäßige Flughöhe und das Meideverhalten der Art gegenüber Windkraftanlagen sowie die Entfernung zwischen Windkraftanlage und Nest herangezogen.651 Die Festlegung des Untersuchungsraums muss sich nach dem typischen Aktionsradius der Art richten und nicht nach der Lebensraumstruktur der Habitate, wie sie sich nach dem Eingriff darstellen.652 In der Fachwissenschaft herrscht häufig Uneinigkeit. Das OVG Magdeburg653 hat den fehlenden fachlichen Konsens (hinsichtlich der sog. Wiesenweihe) dargestellt und das Fehlen entsprechender Ermittlungen bemängelt. Die zuständige Behörde müsse im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative klären, ob ein bestimmter Mindestabstand zwischen Brutplätzen und Windenergieanlagen bestehen oder ob vielmehr nur das Brutgebiet als solches freigehalten werden muss, weil die Wiesenweihe ihre Standorte jährlich neu wählt. Auch die entsprechende Risikobewertung falle in den Beurteilungsspielraum. Der VGH Mannheim654 hatte kürzlich zum erhöhten Tötungsrisiko diverser Fledermausarten aufgrund von durch Durchfahrten von Zügen verursachtem Herabfallen von der Tunneldecke zu entscheiden. Die besondere Gefahr für die Tiere bestand darin, dass diese sich im Winterschlaf in einem Zustand absoluter Lethargie befinden, welcher angemessene Reaktionsmöglichkeiten auf Erschütte647 648 649 650 651 652 653 654

Vgl. BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 125. BVerwG, Urt. v. 8.1.2014 – 9 A 4/13 – NVwZ 2014, 1008 (1020 Rn. 98 f.). BVerwG, Urt. v. 8.1.2014 – 9 A 4/13 – NVwZ 2014, 1008 (1020 Rn. 99). BVerwG, Urt. v. 8.1.2014 – 9 A 4/13 – NVwZ 2014, 1008 (1020 Rn. 98). OVG Magdeburg, Urt. v. 20.1.2016 – 2 L 153/13 – BeckRS 2016, 46864 Rn. 63. BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – NVwZ 2014, 714 (726 Rn. 113). OVG Magdeburg, Urt. v. 20.1.2016 – 2 L 153/13 – BeckRS 2016, 46864 Rn. 64. VGH Mannheim, Urt. v. 4.7.2018 – 5 S 2117/16 – VBlBW 2018, 507 (513).

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rungen sowie auf optische und akustische Reize im Wesentlichen ausschließt. Dabei setzte sich der VGH ausführlich mit den klägerischen Einwänden auseinander, kommt aber dennoch zu dem Ergebnis, dass die behördliche Annahme eines erhöhten Tötungsrisikos naturschutzfachlich vertretbar ist. Methodische Mängel seien nicht dargelegt worden. Es seien auch keine Gründe ersichtlich, die Zweifel an den Ausführungen der Sachverständigen begründen und zur Unvertretbarkeit der behördlichen Entscheidung führen würden. b) Störungsverbot (§ 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG) Der Tatbestand des Störungsverbotes ist in mehrfacher Hinsicht zu konkretisieren. Dies gilt insbesondere für den Begriff der „Störung“, deren „Erheblichkeit“ sowie die Abgrenzung der „lokalen“ Population. Fraglich ist zunächst, was unter einer „Störung“ zu verstehen ist. Im BNatSchG 2002 waren noch bestimmte Handlungen aufgeführt, die den Störungstatbestand erfüllen („Aufsuchen, Fotografieren, Filmen oder ähnliche Handlungen“, § 43 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG 2002) – eine solche Aufzählung gibt es in § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG nicht mehr, sodass im Grunde irrelevant ist, wodurch die Störung erfolgt. Voraussetzung ist, dass eine Einwirkung auf das Tier erfolgt, die von diesem als nachteilig realisiert wird.655 Zwar stellt sich die Frage, ob das Störungsverbot eine unmittelbare Einwirkung voraussetzt oder ob auch mittelbare Einwirkungen (z. B. Lärm und andere Störeffekte) ausreichen.656 In unionsrechtskonformer Auslegung ist davon auszugehen, dass sowohl direkte als auch indirekte negative Einwirkungen auf die physische oder psychische Verfassung der Tiere als „Störung“ anzusehen sind.657 Letztlich kann das Störungsverbot vor allem bei bau- und betriebsbedingten Beeinträchtigungen der geschützten Tierarten in Form von optischen oder akustischen Wirkungen einschlägig sein.658 655

Louis, NuR 2009, 91 (95). Dafür Storost, DVBl. 2012, 457 (465); Runge/Simon/Widdig, Rahmenbedingungen für die Wirksamkeit von Maßnahmen des Artenschutzes bei Infrastrukturvorhaben, 2007, S. 13 f. Offen gelassen aber m.w. N. BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 131. 657 Vgl. Europäische Kommission, Auslegungsleitfaden zu Artikel 6 Absatz 4 der ,Habitat-Richtlinie‘ 92/43/EWG, 2007, Nr. II 3.2.a) Rn. 37, http://ec.europa.eu/en vironment/nature/natura2000/management/docs/art6/guidance_art6_4_de.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.12.2019); so auch de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote in der Fachplanung, 2. Aufl. 2013, Rn. 21. 658 Vgl. Schütte/Gerbig, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 44 BNatSchG Rn. 21. BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – NVwZ 2014, 714 (726 Rn. 114); BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 118; BVerwG, Urt. v. 9.6.2010 – 9 A 20/08 – BeckRS 2010, 55827 Rn. 49; BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 227; BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (313 Rn. 105); BVerwG, Urt. v. 21.6.2006 – 9 A 28/05 – NVwZ 2006, 1161 (1163 Rn. 34); Storost, DVBl. 2012, 457 (465). 656

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D. Rechtsprechungsanalyse

Weiterhin muss es sich um eine „erhebliche“ Störung handeln. Die Erheblichkeit der Störung ist in Halbsatz 2 des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG definiert und liegt demgemäß vor, wenn sich der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert. Diese Definition trägt jedoch zusätzlich zur Verwirrung bei.659 Sowohl der Begriff der „lokalen“ Population als auch die „Verschlechterung des Erhaltungszustands“ sind nämlich ihrerseits unbestimmt und bedürfen einer näheren Ausformung. Für die hier notwendige Vornahme einer „gebietsbezogenen Gesamtbetrachtung“ steht der zuständigen Behörde, angesichts der Maßgeblichkeit ornithologischer Kriterien, eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zu.660 Im Übrigen bedarf der Begriff der „lokalen“ Population näherer Ausgestaltung:661 Der Begriff der „Population“ ist in § 7 Abs. 2 Nr. 6 BNatSchG definiert: „eine biologisch oder geografisch abgegrenzte Zahl von Individuen einer Art“. Wann eine solche „lokal“ ist, ist dagegen nicht legaldefiniert. Es muss wohl ein gewisser räumlich-funktionaler Zusammenhang vorliegen.662 Denn nach der Gesetzesbegründung umfasst eine lokale Population „diejenigen (Teil-)Habitate und Aktivitätsbereiche der Individuen einer Art, die in einem für die Lebens(-raum)ansprüche der Art ausreichenden räumlich-funktionalen Zusammenhang stehen“.663 Darüber hinaus umfasst § 7 Abs. 2 Nr. 6 BNatSchG den biologischen Aspekt der lokalen Population. Jedenfalls kommt es nicht auf das Bestehen einer Fortpflanzungsgemeinschaft an.664 Der Begriff bleibt somit unklar. Der Erhaltungszustand der lokalen Population darf sich sodann nicht verschlechtern. Dabei sind nur nachhaltige negative Veränderungen relevant.665 Diese liegen insbesondere vor, wenn die Überlebenschancen, der Bruterfolg oder die Reproduktionsfähigkeit vermindert werden, wobei es einer artspezifischen Betrachtung des jeweiligen Einzelfalls bedarf.666 Zum hinreichend gewichtigen Sachgrund, der die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums rechtfertigen könnte, bleiben die Ausführungen der Rechtsprechung knapp. Der unsichere Stand der Wissenschaft wird hervorgehoben, indem

659

Vgl. Gellermann, NuR 2007, 783 (785). BVerwG, Urt. v. 21.6.2006 – 9 A 28/05 – NVwZ 2006, 1161 (1164 f.). 661 Obwohl Art. 16 FFH-Richtlinie auf den „Zustand im Verbreitungsgebiet“ abstellt, ist wohl von der Unionsrechtskonformität des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG auszugehen, vgl. Louis, NuR 2009, 91 (96). 662 Herzog/Guber, NuR 2018, 682 (686); BR-Drs. 123/07 S. 18. 663 BT-Drs. 16/5100 S. 11; BR-Drs. 123/07 S. 18. 664 de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote in der Fachplanung, 2. Aufl. 2013, Rn. 22; Gellermann, NuR 2007, 783 (785); Lau, in: Rehbinder/Schink, 5. Aufl. 2018, Abschnitt 11, Rn. 124. 665 OVG Lüneburg, Urt. v. 1.12.2015 – 4 LC 156/14 – ZUR 2016, 227 (229). 666 BT-Drs. 16/5100 S. 11. 660

IV. Artenschutzrecht

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Unstimmigkeiten und Divergenzen fachlicher Einschätzungen betont werden.667 Zudem wird angeführt, dass ornithologische Kriterien maßgeblich seien.668 Nach dem BVerwG 669 liegt der Störungstatbestand beispielsweise nicht vor, wenn die Störungen – wenn auch erst durch Schadensvermeidungs- oder -verminderungsmaßnahmen – unterhalb der Schwelle der Populationswirksamkeit bleiben und daher keine Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der Art haben. Die Einschätzungen der Behörde, die sich auf Gutachten stützen, waren im Ergebnis von der Einschätzungsprärogative gedeckt.670 Die durch das Vorhaben entstandenen Störungen können durch Schutzmaßnahmen aufgefangen werden. Werden beispielsweise Nisthilfen aufgestellt, so können bereits bestehende und diesen entsprechende Nisthilfen, die im Gebiet gut angenommen werden, deren Wirksamkeit bestätigen.671 Insoweit beschränkte sich die gerichtliche Überprüfung auf eine Vertretbarkeitskontrolle. c) Fazit Sowohl für das Tötungsverbot als auch für das Störungsverbot werden Beurteilungsspielräume angenommen. Die Belange, die von Behörde und Gericht beachtet werden müssen, sind vielfältig. Regelmäßig wird das methodische Vorgehen der Behörde dabei fundiert begründet – spätestens in der mündlichen Verhandlung. In der Folge ist es dem Kläger in der Regel nicht möglich, die Einschätzungen der Behörde, die auf den Gutachten des Vorhabenträgers beruhen, als unvertretbar darzustellen. Die Einwände des Klägers werden dabei regelmäßig als zu pauschal bewertet. Es zeigt sich hierbei, wie vielschichtig die Entscheidungen der Gerichte und insbesondere der Behörden sind und welch große Unsicherheiten diesbezüglich bestehen. Deutlich wird, dass es zu vielen Fragen an einer herrschenden Ansicht in der Wissenschaft mangelt. Dies erschwert die Arbeit der Behörden und der Gerichte erheblich. Gleichzeitig fällt leider die Auseinandersetzung mit der Herleitung der Beurteilungsspielräume durch die Gerichte regelmäßig sehr kurz aus. Die allgemeine Dogmatik der Anerkennung von Beurteilungsspielräumen findet auch bei den Zugriffsverboten keinen Eingang in die naturschutzrechtliche Rechtsprechung. Dieser Umgang mit wissenschaftlichen Unsicherheiten und der (zu) schnelle Rückgriff auf eine Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle ist ins667 BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NVwZ 2010, 44 (52 f. Rn. 77); OVG Münster, Urt. v. 6.11.2012 – 8 B 441/12 – NuR 2012, 870 (872). A. A. Gellermann, NuR 2014, 597 (602), der keine den Spielraum rechtfertigenden komplizierten Wertungen erkennt. 668 BVerwG, Urt. v. 21.6.2006 – 9 A 28/05 – NVwZ 2006, 1161 (1164 f.). 669 BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (313 Rn. 105). 670 BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (313 Rn. 106). 671 Vgl. BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 130.

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D. Rechtsprechungsanalyse

besondere aus Rechtsschutzgesichtspunkten (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) kritisch zu bewerten. 5. Ausnahmetatbestand (§ 45 Abs. 7 BNatSchG) Letztlich werden Beurteilungsspielräume auch im Rahmen des Ausnahmetatbestandes des § 45 Abs. 7 BNatSchG anerkannt. Besondere Bedeutung hat diese Regelung, weil die Bewilligung von Ausnahmen großzügig gehandhabt wird und so die Strenge des besonderen Artenschutzes gewissermaßen aufgeweicht wird.672 a) Herleitung des Beurteilungsspielraums Liegt ein Verstoß gegen § 44 Abs. 1 BNatSchG vor, der nicht der Privilegierungsregelung des § 44 Abs. 5 BNatSchG unterfällt, bedarf es einer Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG. Voraussetzung ist zunächst ein Ausnahmegrund nach § 45 Abs. 7 Nr. 1–5 BNatSchG, wobei am bedeutendsten Nr. 5 ist, also die Ausnahme aus „anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses“. Dabei fallen unter den unbestimmten Rechtsbegriff des „öffentlichen Interesses“ alle Interessen, außer rein private Belange.673 Neben dem hinreichenden Ausnahmegrund darf als weitere Voraussetzung keine zumutbare Alternative gegeben sein und der Erhaltungszustand der Population darf sich nicht verschlechtern. Dies gilt, soweit Art. 16 FFH-Richtlinie nichts anderes vorschreibt. Zu guter Letzt besteht bei der Standortauswahl für Ausgleichsmaßnahmen ein Beurteilungsspielraum. aa) Hinreichender Ausnahmegrund Zunächst muss ein hinreichender Ausnahmegrund vorliegen. Eine weitgehende Anerkennung von Ausnahmegründen würde dem Ausnahmecharakter der Norm und dem Schutzkonzept im Artenschutz widersprechen.674 Dennoch ist ein „zwingender Grund“ nicht erst dann zwingend, wenn ein unausweichlicher Sachzwang vorliegt, es reicht vielmehr „ein von Vernunft und Verantwortungsbewusstsein geleitetes staatliches Handeln“.675 Hierfür kann bereits ausreichend 672 Vgl. Niedersächsischer Landtag, Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz zur kleinen Anfrage der FDP vom 7.4.2017, Drs. 17/ 7860 S. 1 f. Hiernach wurden im Zusammenhang von Windkraftanlagen 56 der 61 gestellten Anträge auf eine solche Ausnahme bewilligt. In drei der fünf übrigen Fälle lag noch keine Entscheidung vor, in den beiden letzten Fällen wurde den beantragten Ausnahmen immerhin teilweise stattgegeben. 673 OVG Koblenz, Urt. v. 8.7.2009 – 8 C 10399/08 – NuR 2009, 882 (890); Lau, I+E 2016, 50 (57). 674 de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote in der Fachplanung, 2. Aufl. 2013, Rn. 46. 675 Lau, I+E 2016, 50 (57); BVerwG, Urt. v. 9.6.2010 – 9 A 20/08 – BeckRS 2010, 55827 Rn. 55; BVerwG, Urt. v. 14.7.2011 – 9 A 12/10 – BeckRS 2011, 55589 Rn. 147.

IV. Artenschutzrecht

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sein, wenn der Abweichungsgrund beispielsweise im Planfeststellungsbeschluss plausibel dargelegt wird oder augenscheinlich und für jedermann greifbar vorliegt.676 Ob sich das öffentliche Interesse (und damit das Vorhaben) durchsetzt, hängt dann von einer qualitativen und quantitativen Beurteilung sowohl des Ausmaßes der vorhabenbedingten Beeinträchtigungen als auch der betroffenen Belange des Artenschutzes im Einzelfall ab.677 Ein hinreichender Abweichungsgrund wurde beispielsweise angenommen, wenn dem Vorhaben durch die Einstufung als „vordringlicher Bedarf“ in der gesetzlichen Bundesverkehrswegeplanung ein besonderer Stellenwert zukommt.678 Diese Einstufung erfolgte, weil durch das Vorhaben eine Verbesserung der lokalen und überörtlichen Verkehre, eine Entlastung der dortigen Autobahn und eine Stabilisierung des Gesamtverkehrssystems eintreten würde.679 Dem standen nur in geringem Ausmaß betroffene Belange des Artenschutzes gegenüber, sodass ein zwingender Grund angenommen wurde.680 In einem anderen Beispiel war das betroffene Vorhaben als Projekt „Deutsche Einheit“ bezeichnet und war Bestandteil des „Transeuropäischen Straßennetzes“. Dies hatte Vorrang vor dem Schutz der nur in geringer Weise beeinträchtigten Arten.681 Ein vorrangiges öffentliches Interesse wurde für die Aufnahme eines Vorhabens in den Fernstraßenbedarfsplan als vordringlicher Bedarf angenommen. Dabei bestanden zudem gravierende Unzuträglichkeiten der gegenwärtigen Verkehrssituation.682 bb) Zumutbare Alternative Ob zumutbare Alternativen gegeben sind, hängt sodann davon ab, ob die verfolgten Ziele sich in zumutbarer Weise auch an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit oder auf andere Weise erreichen lassen.683 Die artenschutzrechtliche Alternativenuntersuchung unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung.684 Ein Beurteilungsspielraum besteht hier gerade nicht. 676 BVerwG, Urt. v. 9.6.2010 – 9 A 20/08 – BeckRS 2010, 55827 Rn. 55; BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (315 Rn. 125). 677 Lau, I+E 2016, 50 (57); vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.4.2011 – 4 B 77/09 – BeckRS 2011, 50614 Rn. 74. 678 BVerwG, Urt. v. 9.6.2010 – 9 A 20/08 – BeckRS 2010, 55827 Rn. 56. 679 BVerwG, Urt. v. 9.6.2010 – 9 A 20/08 – BeckRS 2010, 55827 Rn. 56. 680 BVerwG, Urt. v. 9.6.2010 – 9 A 20/08 – BeckRS 2010, 55827 Rn. 56. 681 Vgl. BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 239. 682 Vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.2011 – 9 A 12/10 – BeckRS 2011, 55589 Rn. 149. 683 Lau, I+E 2016, 50 (58); BVerwG, Urt. v. 16.3.2006 – 4 A 1075/04 – NVwZ-Beil. 2006, 1 (55 Rn. 567). 684 BVerwG, Urt. v. 9.6.2010 – 9 A 20/08 – BeckRS 2010, 55827 Rn. 57; BVerwG, Urt v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 169; Pauli, BauR, 2008, 759

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D. Rechtsprechungsanalyse

cc) Betrachtung des Erhaltungszustands Ob der Erhaltungszustand sich verschlechtert, ist durch eine gebietsbezogene Gesamtbetrachtung festzustellen, in der auch die anderen (Teil-)Populationen der Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet betrachtet werden.685 „Entscheidend ist, ob die Gesamtheit der Populationen in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet, das über das Plangebiet hinausreicht, als lebensfähiges Element erhalten bleibt.“ 686 Hiernach stellt nicht jeder Verlust einer lokalen Population gleichzeitig eine Verschlechterung des Erhaltungszustands i. S. d. § 45 Abs. 7 BNatSchG dar, denn die Population als solche kann weiterhin als lebensfähiges Element erhalten bleiben.687 Für die Feststellung, ob der Erhaltungszustand sich verschlechtert, steht der Planfeststellungsbehörde ein Beurteilungsspielraum zu.688 Als gewichtiger Sachgrund für die Annahme eines solchen Spielraums wird angeführt, dass für diese Feststellung ornithologische Kriterien maßgeblich sind.689 Entscheidend ist hier nicht die von dem Vorhaben unmittelbar betroffene lokale Population, sondern der Erhaltungszustand der gesamten Populationen in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet, das über das Plangebiet hinausreicht.690 Beschränkt sich die Beurteilung auf die lokale Population mit dem Ergebnis, dass sich bereits deren Erhaltungszustand nicht verschlechtern werde, so kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die gesamte Population als lebensfähiges Element erhalten wird.691 Bei der Beurteilung des Erhaltungszustands können Schlussfolgerungen gezogen werden. Es war beispielsweise vertretbar, aus der Tatsache, dass nicht ein Exemplar der Art im entscheidenden Gebiet angetroffen wurde, zu schließen, dass es sich um keinen Kernbereich des Habitats der betroffenen Art handle und (768); de Witt, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch des öff. Baurechts, Stand: Juni 2019, Kapitel E Naturschutz, Rn. 591. 685 BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – NVwZ 2014, 714 (729 Rn. 130); BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 52949 Rn. 135; BVerwG, Urt. v. 9.6.2010 – 9 A 20/08 – BeckRS 2010, 55827 Rn. 60; BVerwG, Urt. v. 21.6.2006 – 9 A 28/05 – NVwZ 2006, 1161 (1164 f. Rn. 44). 686 BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – NVwZ 2014, 714 (729 Rn. 130); BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 135. 687 Vgl. BVerwG, Urt. v. 9.6.2010 – 9 A 20/08 – BeckRS 2010, 55827 Rn. 60; BVerwG, Urt. v. 16.3.2006 – 4 A 1075/04 – NVwZ-Beil. 2006, 1 (56 Rn. 572). 688 BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 135; BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – NVwZ 2014, 714 (729 Rn. 130); BVerwG, Urt. v. 9.6.2010 – 9 A 20/08 – BeckRS 2010, 55827 Rn. 60; BVerwG, Beschl. v. 13.3.2008 – 9 VR 9/07 – BeckRS 2008, 33782 Rn. 45; BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 242. 689 BVerwG, Urt. v. 9.6.2010 – 9 A 20/08 – BeckRS 2010, 55827 Rn. 60; BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 242; BVerwG, Urt. v. 21.6. 2006 – 9 A 28/05 – NVwZ 2006, 1161 (1164 f. Rn. 44). 690 Vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.2011 – 9 A 12/10 – BeckRS 2011, 55589 Rn. 151. 691 BVerwG, Urt. v. 14.7.2011 – 9 A 12/10 – BeckRS 2011, 55589 Rn. 151.

IV. Artenschutzrecht

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folglich auch keine Destabilisierung der Population anzunehmen sei.692 Dabei sei von der Einschätzungsprärogative gedeckt, dass keine Quantifizierung der Populationsgröße erfolgte.693 Das BVerwG stellt regelmäßig nur pauschal fest, dass die Behörde die Voraussetzungen des Erhaltungszustands im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums fehlerfrei angenommen hat.694 Im Rahmen der Betrachtung des Erhaltungszustandes ist nach Auffassung des VGH München695 vom Beurteilungsspielraum gedeckt, wenn die jeweilige Population nur innerhalb des betroffenen Bundeslandes herangezogen wird. Zur Begründung wird hier auf die fehlende Koordination zwischen den Bundesländern hingewiesen, wodurch eine mehrfache Annahme von Ausnahmen ermöglicht und damit insgesamt gegen das Verschlechterungsverbot nach § 45 Abs. 7 S. 2 BNatSchG verstoßen würde.696 Im Übrigen können, um eine Verschlechterung des Erhaltungszustands der Art zu verhindern, Ausgleichsmaßnahmen festgelegt werden.697 Hier besteht ein Beurteilungsspielraum bei der Standortwahl für solche Ausgleichsmaßnahmen, wobei durch die gebietsbezogene Gesamtbetrachtung das gesamte natürliche Verbreitungsgebiet der betroffenen Art einbezogen werden muss.698 Das BVerwG 699 stellte fest: „Bei der im Rahmen einer artenschutzrechtlichen Ausnahmeentscheidung vorzunehmenden Prüfung, ob sich der Erhaltungszustand der Populationen einer Art nicht verschlechtert (§ 43 Abs. 8 S. 2 BNatSchG 2007, § 45 Abs. 7 S. 2 BNatSchG n. F.), steht der Planfeststellungsbehörde auch für die Entscheidung, an welchem Standort Maßnahmen zum Ausgleich eines vorhabenbedingten Verlustes ergriffen werden, ein Beurteilungsspielraum zu.“ b) Fazit Die Prüfung des Ausnahmetatbestandes des § 45 Abs. 7 BNatSchG erfolgt am Ende der Prüfung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände. Auffallend ist, dass hier eine Begründung der Beurteilungsspielräume knapp ausfällt oder vollständig fehlt. Der kurze Halbsatz, dass „ornithologische Kriterien maßgeblich 692

Vgl. BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 243. Vgl. BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 243. 694 So etwa BVerwG, Urt. v. 6.11.2013 – 9 A 14/12 – NVwZ 2014, 714 (729 Rn. 130). 695 VGH München, Urt. v. 29.3.2016 – 22 B 14.1875 – ZUR 2016, 562 (567); vgl. Mayer, NuR 2016, 683 (685 f.). 696 VGH München, Urt. v. 29.3.2016 – 22 B 14.1875 – ZUR 2016, 562 (567). A. A. Lau, I+E 2016, 50 (58) mit Verweis darauf, dass die BRD ein einheitlicher Staat ist. 697 Für die Vereinbarkeit der Berücksichtigung von Kompensationsmaßnahmen mit Unionsrecht, vgl. EuGH, Urt. v. 28.2.1991, Rs. C-57/89, Leybucht, ECLI:EU:C:1991: 89 Rn. 25 f. 698 BVerwG, Urt. v. 9.6.2010 – 9 A 20/08 – BeckRS 2010, 55827 Rn. 60. 699 BVerwG, Urt. v. 9.6.2010 – 9 A 20/08 – BeckRS 2010, 55827 Ls. 1. 693

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D. Rechtsprechungsanalyse

sind“, ist viel zu pauschal, um einen Spielraum begründen zu können. Die Gerichte begnügen sich weitgehend damit festzustellen, dass „auch hier“ ein Beurteilungsspielraum anzuerkennen sei. Richtig ist lediglich, dass die Ausnahmeprüfung auf den vorangegangenen Ermittlungen und Feststellungen aufbaut und damit weitgehend hiervon abhängig ist. Die dogmatischen Grundlagen des Beurteilungsspielraums und die entgegenstehenden verfassungsrechtlichen Bedenken werden auf diese Weise jedoch nicht berücksichtigt. 6. Bewertung Im Rahmen des Artenschutzrechts setzen sich die Gerichte ausführlich mit der fachlichen Bewertung der Auswirkungen auf die einzelnen Arten auseinander. Diese Handhabe ist positiv hervorzuheben. Dabei werden regelmäßig für jede Art einzeln zunächst die Risiken dargestellt, denen diese durch das geplante Vorhaben ausgesetzt wird. Im Anschluss werden die vorgesehenen Ausgleichsmaßnahmen, unter konkreter Bezeichnung der Maßnahme, aufgeführt und das jeweilige Schutzkonzept einer kritischen Analyse unterzogen, wobei die spezifischen Anforderungen der jeweiligen Art700 und die Bewertungen der Kläger herangezogen werden. Die Einschätzungen der Behörde werden dabei in der Regel als vertretbar und von der Einschätzungsprärogative gedeckt angesehen. Nur wenn die Einschätzungen der Kläger nicht nur vertretbar, sondern ausschließlich vorzugswürdig erscheinen, überwiegen sie die Entscheidung der Behörde. Der Kläger muss hierfür überzeugend vortragen, warum die Risiken trotz der vorgesehenen Schutzmaßnahmen bestehen bleiben. Die Friktionen zwischen den allgemeinen dogmatischen Grundlagen der Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums und dessen Ausgestaltung im Naturschutzrecht ist im Artenschutzrecht nicht aufzulösen. Die gegen die Annahme eines Beurteilungsspielraums bestehenden Bedenken, insbesondere wegen des Gebots der Rechtssicherheit und des effektiven Rechtsschutzes, bestehen auch im Artenschutzrecht.701 Vor allem lässt die Begründung der Beurteilungsspielräume in der Rechtsprechung zu wünschen übrig. So bleibt festzuhalten, dass allein der Verweis auf die Maßgeblichkeit ornithologischer Kriterien nicht ausreichend sein darf, um die rechtsschutzrelevante Reduzierung der gerichtlichen Kontrolldichte zu begründen. Es darf zudem nicht allein die Komplexität der Risikobewertung herangezogen werden, zumal die Komplexität mit der Zeit abnimmt.702 Selbst 700 Z. B. Lärmempfindlichkeit, Festlegung der lokalen Population der Arten, Auswirkungen der für die spezifische Art festgelegten und der eigentlich für andere Arten und daher nur mittelbar wirkenden Maßnahmen (z. B. können Schutzzäune für andere Tiere eine Leiteinrichtung darstellen, etc.). Ausführlich zu vielen Arten BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 115 ff. 701 Kahl/Burs, DVBl. 2016, 1222 (1227). 702 Kahl/Burs, DVBl. 2016, 1222 (1227).

IV. Artenschutzrecht

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die Prognosebedürftigkeit der Bewertungen kommt allein als hinreichender Sachgrund nicht in Betracht. Betrachtet man hier die zum artenschutzrechtlichen Verbotstatbestand ergangene Entscheidung des BVerfG703 vom 23.10.2018, so fällt auf, dass die soeben dargestellte Rechtsprechung im Kern gebilligt wird.704 Auch hier wird auf das Fehlen anerkannter wissenschaftlicher Standards abgestellt, wenngleich offengelassen wird, ob für den konkreten Fall Erkenntnisdefizite bestehen. Jedenfalls fehle dann der „Maßstab zur sicheren Unterscheidung von richtig und falsch“.705 Daraus folgert das BVerfG, dass die gerichtliche Kontrolle an eine objektive Grenze stößt, weil die naturschutzfachliche Richtigkeit des Ergebnisses sich nicht abschließend beurteilen lässt.706 Die Unsicherheiten resultieren sowohl bei der Verwaltung als auch bei der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle aus dem Fehlen gesicherter Erkenntnisse.707 Ob ein Erkenntnisdefizit oder aber allgemein anerkannte Maßstäbe bestehen, habe das Gericht als Tatsachenfrage vorweg zu klären.708 Voraussetzung für die zurückgenommene gerichtliche Kontrolle ist also, dass gemeinsame Erkenntnisgrenzen von Wissenschaft, Behörden und Gerichten bestehen.709 Lassen sich die Unsicherheiten objektiv nicht ausräumen, könnte das Gericht lediglich eine unsichere administrative Entscheidung durch eine eigene unsichere Entscheidung ersetzen. Zu einem verbesserten Rechtsschutz trägt dies

703 BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 ff. Anlass der beiden Verfassungsbeschwerden war die Versagung immissionsschutzrechtlicher Zulassungen wegen der signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos einer geschützten Art, namentlich des Rotmilans. Die Entscheidung der Genehmigungsbehörde wurde mit Verweis auf eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative aufrechterhalten. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden unter Hinweis auf die Subsidiarität als unzulässig verworfen, nahm das Verfahren aber dennoch zum Anlass, sich zur verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zu äußern. 704 So auch Külpmann, DVBl. 2019, 140 (144). Im Ergebnis führte die Entscheidung zu zahlreichen sehr unterschiedlichen Reaktionen: So sei das BVerfG auch nach Stüer der fachgerichtlichen Rechtsprechung „vom Ansatz her gefolgt“, Stüer, DVBl. 2019, 47 (48). Keine Bestätigung der Rechtsprechung der Fachgerichte sehen dagegen insb. Buchheim, JZ 2019, 92 (93); Sow, DÖV 2019, 317 (318). Ein „Weiter so“ sei auch nach Brandt nicht möglich, Brandt, ZNER 2019, 92 (94); „erheblichen Änderungsbedarf“ sieht Dolde, NVwZ 2019, 1567 (1567). 705 BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54 Rn. 23). Ob ein sog. „Erkenntnisvakuum“ im Artenschutzrecht besteht, hat das BVerfG letztlich offengelassen, vgl. Helmes, NVwZ 2019, 56 (57). 706 BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (53 Rn. 17 ff.). 707 BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54 Rn. 22). 708 Dolde, NVwZ 2019, 1567 (1567). 709 Fellenberg, NVwZ 2019, 177 (184). Kritisch, da gesicherte Erkenntnisse immer nur vorläufige Gültigkeit beanspruchen können, äußert sich Brandt, ZNER 2019, 92 (93).

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D. Rechtsprechungsanalyse

nichts bei, zumal die Verwaltung von einer großen Sachnähe geprägt und eine sonstige Überlegenheit der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht ersichtlich sind.710 Das BVerfG billigt damit zwar den Maßstab der zurückgenommenen gerichtlichen Kontrolle und führt vergleichbare Begründungen an. Es handle sich dabei aber nicht um die Figur des Beurteilungsspielraums, sondern um einen verfassungsdogmatisch anderen Ansatz.711 Für eine solche faktische Grenze verwaltungsgerichtlicher Kontrolle, bedürfe es auch keiner – für Beurteilungsspielräume dagegen notwendigen – gesetzlichen Ermächtigung.712 Die gegen die Rechtsfigur der Beurteilungsspielräume bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken können auch hier vorgebracht werden. Weil die Garantie effektiven Rechtsschutzes nicht die Klärung außerrechtlicher Fragestellungen verlangt, steht die Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle mit Art. 19 Abs. 4 GG in Einklang.713 Das Fehlen rechtlicher Maßgaben führt zu Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit in Bezug auf materielle Grundrechte und den aus Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Wesentlichkeitsgrundsatz. Dabei folgt die Wesentlichkeit unmittelbar aus der Grundrechtsrelevanz.714 Im gewaltenteilenden demokratischen Rechtsstaat ist es Aufgabe des Gesetzgebers im Konfliktfall eine normativ legitimierte Entscheidung zu ermöglichen.715 Das BVerfG nimmt daher den Gesetzgeber in die Pflicht, zumindest für eine untergesetzliche Maßstabsbildung zu sorgen.716 Das BVerfG kommt in seiner Entscheidung ohne die Figur des Beurteilungsspielraums aus, stützt die Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle aber letztlich auf dieselben Sachgründe, die bislang die Annahme einer Einschätzungsprärogative ermöglichten.717 Die Prüfung der behaupteten Erkenntnisdefizite, die bisher im Rahmen des hinreichend gewichtigen Sachgrunds erfolgte, wird nun gewis710

Vgl. Fellenberg, NVwZ 2019, 177 (184); Schröder, EurUP 2019, 91 (94). Buchheim, JZ 2019, 92 (93); Eichberger, NVwZ 2019, 1560 (1562). Weiterhin von einem Beurteilungsspielraum ausgehend Sachs, JuS 2019, 184 (185); Stüer, DVBl. 2019, 47 (48). 712 BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54 Rn. 23). 713 BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54 Rn. 20). 714 Regelmäßig sind Art. 12, 14, 2 Abs. 1 GG betroffen, vgl. Reinhardt, NVwZ 2019, 195 (196). 715 Vgl. Reinhardt, NVwZ 2019, 195 (196). 716 BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54 Rn. 24). 717 Dass die Abgrenzung der beiden Fälle – Beurteilungsspielraum und faktische Grenze – schwierig ist, zeigt insbesondere die Anmerkung Muckels, dass auch bei beamtenrechtlichen Beurteilungen, also dem klassischen Fall der Anerkennung eines Beurteilungsspielraums, eine faktische Grenze bestehe, weil nur der Vorgesetzte zur Beurteilung in der Lage ist, Muckel, JA 2019, 156 (158 f.). 711

IV. Artenschutzrecht

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sermaßen nach vorne verlagert. Dass es bei Annahme einer faktischen Grenze keiner normativen Ermächtigung bedarf, kommt dem Umstand zu Gute, dass eine normative Ermächtigung im Naturschutzrecht häufig auch im Wege der Auslegung nicht eindeutig zu entnehmen ist. Ohne dieses Erfordernis wird besonders die Problematik umschifft, dass ein Spielraum nicht mehr angenommen werden solle, wenn sich ein wissenschaftlicher Erkenntnisstand durchgesetzt hat, ohne dass eine Gesetzesänderung notwendig ist.718 Durch das Annehmen einer faktischen Grenze, lässt sich diese, parallel zur Auflösung etwaiger Erkenntnisdefizite, beliebig verschieben. Die gerichtliche Kontrolle geht immer so weit, wie Erkenntnisdefizite nicht bestehen.719 Die hohen Hürden für die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums, wie etwa das Erfordernis einer normativen Ermächtigung, werden gemieden. Die Richtigkeit der Ergebnisse, die Transparenz der Entscheidung oder die Validität der Gutachten werden sich durch die Annahme einer faktischen Grenze aber nicht verbessern. Der Maßstab der gerichtlichen Kontrolle wird sich faktisch nicht verändern.720 Auch hier hat das Gericht die Einschätzungen der Behörde aber auf ihre Vertretbarkeit und Plausibilität zu überprüfen.721 Im Übrigen unterfällt der gerichtlichen Kontrolle, „ob der Behörde bei der Ermittlung und der Anwendung der von ihr aus dem Spektrum des Vertretbaren gewählten fachlichen Methode Verfahrensfehler unterlaufen, ob sie anzuwendendes Recht verkennt, von einem im Übrigen unrichtigen oder nicht hinreichend tiefgehend aufgeklärten Sachverhalt ausgeht, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzt oder sich von sachfremden Erwägungen leiten lässt“.722 Zumindest erfolgt die Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle in ehrlicherer Art und Weise, wenn darauf abgestellt wird, dass ein Richter nichts entscheiden muss, was er nicht entscheiden kann. An der eigentlichen Problematik vermag dies allerdings nichts zu ändern. Die naturschutzrechtliche Rechtsprechung hat sich seit dem Beschluss des BVerfG kaum verändert. Erwähnung findet die Entscheidung dabei vor allem im 718 So bereits Gellermann, NuR 2014, 597 (599); vgl. Schröder, EurUP 2019, 91 (92). Es obliegt nun dem Kläger vorzutragen, dass ein Erkenntnisdefizit nicht besteht, Helmes, NVwZ 2019, 56 (57). 719 BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54 Rn. 26). Logische Konsequenz ist also die sukzessive Einengung administrativer Entscheidungsspielräume, vgl. Brandt, ZNER 2019, 92 (94). 720 Dies folgt insbesondere daraus, dass das BVerfG auf die Darstellungen des BVerwG zur Kontrolldichte im Naturschutzrecht verweist, s. u. Vgl. hierzu Muckel, JA 2019, 156 (158). A. A. Eichberger, NVwZ 2019, 1560 (1565 f.). 721 BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54 Rn. 25). Zur Plausibilität, vgl. Grages, RdL 2019, 97 (98); Sow, DÖV 2019, 317 (318). 722 BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (55 Rn. 30) m.w. N., insbesondere unter Verweis auf die Darstellungen zur Kontrolldichte in BVerwG, Urt. v. 9.7.2008 – 9 A 14/07 – NVwZ 2009, 302 (308 Rn. 65 ff.).

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D. Rechtsprechungsanalyse

Rahmen der Ausführungen zum Maßstab der zurückgenommenen gerichtlichen Kontrolle.723 Im Ergebnis nehmen die Gerichte aber regelmäßig weiterhin, obwohl ein Bezug zur Entscheidung des BVerfG hergestellt wird, eine Einschätzungsprärogative der Verwaltung an.724 Nur vereinzelt wird die veränderte dogmatische Anknüpfung für die zurückgenommene gerichtliche Kontrolle tatsächlich erkannt.725 Die Rechtsfigur der Beurteilungsspielräume kann daher nicht etwa als Rechtsgeschichte bezeichnet werden.726

V. Fazit Versucht man die Rechtsprechung im Naturschutzrecht in die allgemeine Dogmatik der Beurteilungsspielräume zu überführen, so ist zunächst festzuhalten, dass es an einer ausdrücklichen normativen Ermächtigung zur Anerkennung von Beurteilungsspielräumen im Naturschutzrecht fehlt. Diese müssen daher durch Auslegung ermittelt werden. Dagegen sind unbestimmte Rechtsbegriffe an mehreren Stellen gegeben. Hinzu kommen fehlende wissenschaftliche Erkenntnisse und die Notwendigkeit einer wertenden Betrachtung im Rahmen einer sehr komplexen Materie. Überblickt man die Rechtsprechung im Naturschutzrecht, sind Beurteilungsspielräume in großer Zahl zu finden. Dabei erfolgt in der Rechtsprechung kaum ein Rückgriff auf die allgemeine Dogmatik von Beurteilungsspielräumen.727 Immerhin greift das BVerwG 728 im Urteil vom 21.11.2013 die dogmatische und insbesondere die verfassungsrechtliche Problematik der Beurteilungsspielräume auf und stellt deren Anforderungen kurz dar. Solche Ausführungen sind gleichwohl selten. Ein derartiger Rückgriff einschließlich einer ausführlicheren und stringenteren Begründung der Spielräume wäre wünschenswert.729 Solange dies nicht der Fall ist, bestehen insbeson-

723 Vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 13.3.2019 – 12 LB 125/18 – BeckRS 2019, 5386 Rn. 61. 724 So etwa OVG Münster, Beschl. v. 1.4.2019 – 8 B 1013/18 – NVwZ-RR 2019, 857 (858 Rn. 10); OVG Koblenz, Beschl. v. 8.5.2019 – 8 B 10483/19 – BeckRS 2019, 9332 Rn. 12; VG Kassel, Urt. v. 19.12.2018 – 7 K 2906/16 – BeckRS 2018, 38058 Rn. 89 f.; VG Kassel, Beschl. v. 14.12.2018 – 7 L 768/18 – BeckRS 2018, 37072 Rn. 62 f. 725 So etwa OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.6.2019 – 12 ME 57/19 – juris Rn. 25 ff. Hier prüft das Gericht ausführlich, ob ein sicherer Erkenntnisstand der Fachwissenschaft besteht. Vgl. auch OVG Lüneburg, Urt. v. 27.8.2019 – 7 KS 24/17 – BeckRS 2019, 24578 Ls. 7, Rn. 248 ff. 726 So Brandt, ZNER 2019, 92 (93). 727 Zu dieser s. o. B. III. auf S. 37 ff. Vgl. hierzu auch Kahl/Burs, DVBl. 2016, 1222 (1225); Storost erkennt bei der Annahme von Beurteilungsspielräumen sogar einen problematischen „behelfsmäßigen Kunstgriff“, Storost, UPR 2015, 47 (49). 728 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 Rn. 15). 729 So auch Kahl/Burs, DVBl. 2016, 1222 (1227); Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 145.

V. Fazit

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dere mit Blick auf das Gebot der Rechtssicherheit und des effektiven Rechtsschutzes weiterhin Bedenken. 1. Normative Ermächtigung Der Gesetzgeber hat die Administrative im Naturschutzrecht nicht ausdrücklich zur Letztentscheidung ermächtigt. Etwaige Beurteilungsspielräume sind daher durchweg im Wege der Auslegung zu ermitteln. Da in diesem Bereich teils unbestimmte Rechtsbegriffe vorliegen, mag ein Anknüpfungspunkt im Normtext durchaus gegeben sein. Gleichwohl bleibt fraglich, ob dem Gesetzgeber tatsächlich unterstellt werden kann, dass hierdurch der Administrative ein Beurteilungsspielraum eingeräumt werden sollte. Besonders problematisch erscheint dies, wenn auch die Fachkenntnisse der Behörde nur eingeschränkt verfügbar sind und auf externe, private Gutachter zurückgegriffen werden muss. Kann die Behörde diese Gutachten mangels eigener Kenntnisse nicht hinreichend überprüfen, sondern macht sich diese mehr oder weniger ungeprüft zu eigen, wird letztlich einem Privaten ein Letztentscheidungsrecht eingeräumt. Dieses Ergebnis kann der Gesetzgeber nicht gewollt haben. Eine weitere Problematik besteht darin, dass demselben Normtext bei fortschreitenden wissenschaftlichen Erkenntnissen kein administratives Letztentscheidungsrecht mehr zu entnehmen sein soll. Das Auslegungsergebnis würde dann trotz gleichbleibenden Wortlauts divergieren. Das Bestehen eines Beurteilungsspielraums wäre abhängig von dem Fortschreiten außerrechtlicher Erkenntnisse, wobei die Grenze nicht greifbar erscheint, ab der es dank ausreichender Erkenntnislage keines Beurteilungsspielraums mehr bedarf. Bereits an dieser Stelle vermischt die Rechtsprechung die normative Ermächtigung mit dem davon getrennt zu betrachtenden hinreichend gewichtigen Sachgrund. Somit fehlt eine differenzierte Auseinandersetzung mit den dargestellten verschiedenen Voraussetzungen. Letztlich überzeugt auch der Schluss der Rechtsprechung nicht, dass von dem Verweis des Gesetzgebers auf Erkenntnisse der ökologischen Wissenschaft und Praxis als Orientierungshilfe, bei gleichzeitiger Kenntnis der defizitären Erkenntnislage in der Wissenschaft, auf eine (normative) Ermächtigung zur eigenverantwortlichen Würdigung des naturschutzfachlichen Meinungsstandes geschlossen werden kann.730 Dabei wird vom hinreichend gewichtigen Sachgrund auf das Vorliegen einer normativen Ermächtigung geschlossen. Ein solcher Zirkelschluss hebelt aber die mühsam geschaffenen, verfassungsrechtlich notwendigen hohen Anforderungen für die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums aus. 730 So aber BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 Rn. 16).

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D. Rechtsprechungsanalyse

Eine normative Ermächtigung ergibt sich im Naturschutzrecht nicht ausdrücklich aus dem Gesetz. Dass diese im Wege der Auslegung „hinreichend deutlich“ 731 zu ermitteln ist, ist nach dem Gesagten ebenfalls abzulehnen. 2. Unbestimmter Rechtsbegriff Im Naturschutzrecht bestehen durchaus einige unbestimmte Rechtsbegriffe (insbesondere Erheblichkeit, Signifikanz, etc.), die einer weiteren Ausformung bedürfen. Die Rechtsprechung greift diese dennoch selten auf, um die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums zu erläutern. Die Argumentation geht vielmehr von der Regelungsmaterie als solcher aus und konzentriert sich verstärkt auf die Darstellung der hinreichend gewichtigen Sachgründe. Dass dem Vorliegen eines unbestimmten Rechtsbegriffs keine gesteigerte Bedeutung zuerkannt wird, wird vor allem im Rahmen des europäischen Gebietsschutzes deutlich, wenn die „Erheblichkeit“ der Beeinträchtigung letztlich nicht zur Anerkennung eines Spielraums führt. Dagegen erfolgte die Anknüpfung am Gesetzestext in Form von unbestimmten Rechtsbegriffen durch das Einfügen des Signifikanzkriteriums im Artenschutzrecht. 3. Hinreichender Sachgrund Im Ergebnis werden im Naturschutzrecht immer wieder dieselben Argumente vorgebracht, die als hinreichender Sachgrund für einen Beurteilungsspielraum dienen sollen. Diese sind zwar je nach konkretem Regelungsgegenstand zu modifizieren, aber in weiten Teilen beliebig austauschbar. Es wird kein Beurteilungsspielraum für das Naturschutzrecht als solches geschaffen, doch die Argumente nähren sich grundlegend aus der Komplexität der gesamten Regelungsmaterie. Genannt werden vor allem Gründe wie das Erfordernis einer wertenden Betrachtung, das Vorliegen einer komplexen Risikoprognose und -bewertung sowie der Verweis auf unsichere wissenschaftliche Erkenntnisse.732 Nur die Komplexität der Risikobewertung oder die Erforderlichkeit einer Prognose reicht alleine nicht aus.733 Dies gilt vor allem, weil die Kenntnisse über Arten und ökologische Zusammenhänge zunehmen und in der Folge Schwierigkeiten bei der Bewertung mit der Zeit abnehmen.734 Letztlich wird ein Sachgrund nicht aus überzeugenden dogmatischen Erwägungen heraus angenommen, sondern folgt eher daraus, dass die Gerichte sich 731

BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (22). Vgl. Kahl/Burs, DVBl. 2016, 1222 (1225). Nicht überzeugt, dass hieraus ein Spielraum folgen soll, ist Gassner, DVBl. 2012, 1479 (1481). Kritisch auch Meßerschmidt, EurUP 2014, 11 (16). 733 Kahl/Burs, DVBl. 2016, 1222 (1225); Nell, Beurteilungsspielraum zugunsten Privater, 2010, S. 202 f. m.w. N. 734 So auch Kahl/Burs, DVBl. 2016, 1222 (1227). 732

V. Fazit

215

schlicht aufgrund der Komplexität nicht dazu in der Lage sehen, eine richtigere Entscheidung als die Behörde zu treffen.735 Die richterliche Selbstbeschränkung wird der Dogmatik der Beurteilungsspielräume nicht gerecht. 4. Reichweite Die Reichweite der Beurteilungsspielräume ist zu begrenzen: Es dürfen nicht ganze Sachbereiche oder Rechtsgebiete der gerichtlichen Kontrolle entzogen werden.736 Das BVerwG stellte hierzu beispielsweise selbst fest, dass sich die behördliche Einschätzungsprärogative „nicht generell auf das Artenschutzrecht als solches“ bezieht.737 Blickt man auf die defizitäre Herleitung und marginale Begründung der Beurteilungsspielräume, scheint deren sehr weitreichende Anerkennung bedenklich. Wenngleich im Moment ein Beurteilungsspielraum für das gesamte Naturschutzrecht noch nicht vorliegt, stieg doch die Anzahl von Spielräumen stetig und erheblich an.738 Begrenzt wird die Annahme von Beurteilungsspielräumen regelmäßig auf Fragen, für die Erkenntnismöglichkeiten fehlen. Sobald sich eine herrschende Ansicht herausgebildet hat, bedarf es auch eines administrativen Letztentscheidungsrechts nicht mehr. Den Klägern obliegt es, die vermeintlichen Erkenntnislücken in Zweifel zu ziehen, das Gericht zur Klärung zu bewegen und somit zur gerichtlichen Vollkontrolle zurückzukehren.739 Ergänzend ist im Rahmen der Reichweite der Beurteilungsspielräume auch deren Verortung auf Tatbestandsebene zu nennen, namentlich allein bei der Subsumtion. Im Naturschutzrecht greifen die Sachgründe der fehlenden naturschutzfachlichen Erkenntnisse und der fehlenden Methodik schon bei der Ermittlung der Tatsachen an, wenn es um die Ermittlung des Bestandes geht. Auch hier bestehen Unstimmigkeiten mit der zu Beginn dargestellten allgemeinen Dogmatik. 5. Ergebnis Das Naturschutzrecht stellt für die Realisierung vieler Projekte eine hohe Hürde dar. Daher erscheint es naheliegend, die weitreichende Annahme von Beurteilungsspielräumen unter dem Blickwinkel der Realisierbarkeit der Vorhaben 735 Vgl. zu Prognoseentscheidungen Ossenbühl, Die richterliche Kontrolle von Prognoseentscheidungen der Verwaltung, in: Festschrift für Menger, 1985, S. 731 (743); Ossenbühl, Gedanken zur Kontrolldichte in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, in: Festschrift für Redeker, 1993, S. 55 (68). 736 Vgl. C. I. 1. c) aa) auf S. 68. 737 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (526 Rn. 19). 738 Vgl. Meßerschmidt, EurUP 2014, 11 (17). 739 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (53 Rn. 13 f.); vgl. dazu Külpmann, DVBl. 2019, 140 (145).

216

D. Rechtsprechungsanalyse

zu betrachten. Allerdings ist der Rechtsprechungsanalyse nicht zu entnehmen, wie viele Projekte wegen des Beurteilungsspielraums scheitern. Hierfür wären viele weitergehende Faktoren einzubeziehen. Die zuständige Behörde entscheidet im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums für oder gegen das Vorhaben. Je nachdem divergiert die Person des Klägers, dessen Rechtsschutz durch die zurückgenommene Kontrolldichte verringert wird. Wem der Beurteilungsspielraum letztlich nützt – etwa dem Vorhabenträger oder dem Naturschutzverband – bleibt daher offen. Es bleibt zudem unberücksichtigt, wie viele Vorhaben bereits in einem vorangehenden Stadium aufgrund der hohen naturschutzrechtlichen Anforderungen scheitern, weil das Einholen zahlreicher und umfassender Gutachten die wirtschaftliche Rentabilität entfallen lässt und es somit zu keinem gerichtlichen Verfahren kommt. Das Eingliedern der naturschutzrechtlichen Rechtsprechung in die allgemeine Dogmatik der Beurteilungsspielräume gelingt nur bedingt. Eine explizite Anknüpfung an die herrschende Dogmatik erfolgt in den wenigsten Fällen. Insbesondere trennt die Rechtsprechung nicht explizit zwischen der normativen Ermächtigung und dem hinreichend gewichtigen Sachgrund. Wenn überhaupt, wird die normative Ermächtigung vielmehr aus den Sachgründen, insbesondere aus der wissenschaftlichen Unsicherheit, hergeleitet. Dieser Zirkelschluss kann dogmatisch jedoch nicht überzeugen. Es wird deutlich, dass die Rechtsprechung Mühe hat, eine stringente Anerkennung administrativer Letztentscheidungsrechte zu gewährleisten. Die Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums wird vielmehr „zurechtgebogen“, bis nur noch wenig von den dogmatischen Grundlagen und der historisch gewachsenen, verfassungsrechtlich begründeten, restriktiven Handhabung von Letztentscheidungsrechten auf Tatbestandsseite übrig bleibt. Nicht nur die Rechtssicherheit bleibt dabei auf der Strecke. Die Konstruktion einer, als rechtmäßig dargestellten, Übertragung des Letztentscheidungsrechts auf die Administrative, bricht spätestens dann zusammen, wenn diese ihrer Entscheidung (weitgehend) ungeprüfte Aussagen Privater zugrunde legt. Die Fassade der Einschätzungsprärogative droht zu bröckeln. Ehrlicher ist daher die Vorgehensweise des BVerfG 740, welches nicht auf eine Einschätzungsprärogative, sondern auf eine faktische Grenze des Überprüfbaren abstellt. Die Entscheidung erging zum Artenschutzrecht, kann aber auf die anderen Bereiche des Naturschutzrechts übertragen werden, soweit ökologische Erkenntnislücken bestehen.741 Wird der Beurteilungsspielraum aufgrund fehlender wissenschaftli740 BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54 Rn. 23). 741 Vgl. Eichberger, NVwZ 2019, 1560 (1566), Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 146. Akt. Stand: Sept. 2019, § 34 BNatSchG Rn. 128.

V. Fazit

217

cher Erkenntnisse angenommen, kann hierin nun vermehrt eine faktische Grenze gerichtlicher Kontrolle gesehen werden. Selbst wenn angesichts der Entscheidung des BVerfG von nun an in der Rechtsprechung weniger auf eine etwaige Einschätzungsprärogative und vielmehr auf eine objektive Grenze des Überprüfbaren abgestellt wird, ändert sich faktisch reichlich wenig. Die aufgezeigten Schwierigkeiten bleiben in gleicher Form bestehen. Eine vollständige gerichtliche Überprüfung findet nicht statt. Fehlen gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse, droht auch künftig die Abwälzung der Letztentscheidung auf Private.

E. Herausforderungen in der Praxis Im folgenden Abschnitt sollen die Herausforderungen in der Praxis betrachtet und die bereits dargestellten Probleme der Anerkennung von Beurteilungsspielräumen verschiedenen Lösungsmöglichkeiten zugeführt werden. Hierfür gibt es mehrere Anknüpfungspunkte. Legislative, Judikative und Exekutive, können in verschiedener Art und Weise in die Pflicht genommen werden. Außerdem setzen Lösungsmöglichkeiten außerhalb der drei Gewalten an. Hier ist an die privaten Gutachter, die Qualität der Gutachten sowie an das Schaffen einer staatlichen Gutachtenstelle zu denken.

I. Grundlagen und Problemstellung Im Rahmen umweltrechtlicher Prozesse tun sich unentwegt tatsächliche Fragen technischer und biologischer Natur auf, zu deren Beantwortung der Richter regelmäßig nicht in der Lage sein und sich folglich eines Sachverständigen bedienen wird.1 Es besteht eine Abhängigkeit von externem Wissen. Gutachten haben gerade im Umweltrecht eine große, wenn nicht die größte Bedeutung. Problematisch ist dies, weil sich einerseits die Verwaltung private Gutachten teils ungeprüft zu eigen macht und diese damit im Rahmen der Beurteilungsspielräume partiell der gerichtlichen Kontrolle entzieht.2 Andererseits muss der Richter im gerichtlichen Verfahren der Flut von Gutachten begegnen und gleichwohl zu einer richtigen Lösung kommen. Denn um entgegenstehende Beurteilungen zu widerlegen, werden im Rahmen von gerichtlichen Verfahren oftmals Gegengutachten vorgelegt. Sowohl die Gutachten der Vorhabenträger und der Zulassungsbehörde als auch die jeweiligen Gegengutachten müssen daher auf ihre methodische Validität hin untersucht werden.3 Nicht minder problematisch ist hierbei, dass es sich gerade im Umweltrecht häufig um Prognosen und Spekulationen dreht und ein umfassendes Wissen nur begrenzt verfügbar ist.4

1

Rennert, Referat 71. DJT, S. N 148. Dennoch ist auch ein Beurteilungsspielraum „keine Ermächtigung zur behördlichen Sorglosigkeit“, vgl. Fellenberg, AnwBl. 2016, 648 (652). 3 Rennert, Referat 71. DJT, S. N 150. 4 Rennert, Referat 71. DJT, S. N 149. Hier setzt auch die Frage an, ob es sich um die Figur des Beurteilungsspielraums handeln muss, oder ob es nicht vielmehr eine faktische Grenze des Überprüfbaren gibt, BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54 Rn. 23). 2

I. Grundlagen und Problemstellung

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Kurz gesagt offenbaren sich zwei Problemkreise: In quantitativer Hinsicht stellt sich den Behörden und Gerichten das Problem der Faktenflut.5 Es werden Schriftsätze und Gutachten eingereicht, die nicht nur in ihrer Anzahl, sondern auch in ihrem Umfang kaum in angemessener Zeit zu handhaben sind. In qualitativer Hinsicht kommt die Komplexität der Materie in Umweltfragen hinzu. Hieraus folgen Probleme in der Praxis. Schwindet die Akzeptanz der behördlichen Entscheidungen, so steigt die Anzahl der Klageverfahren. Durch die enorme Flut an Gutachten und Gegengutachten kommt es zu Verzögerungen. Daraus entstehen zu langwierige und teure Prozesse. Letztlich scheitern viele Projekte am Naturschutzrecht, obwohl Einigungen häufig wohl erzielt werden könnten.6 Schwierigkeiten bereiten dabei auch die Umweltverbände, deren Rechtsstellung sich in den vergangenen Jahren durch unionsrechtliche Einwirkungen deutlich verbessert hat. Diese stehen, um einen möglichst weitgehenden Umweltschutz zu erreichen, großen Infrastrukturprojekten regelmäßig vehement entgegen und versuchen sie durch das Einreichen ausufernder Schriftsätze und Gutachten zu verhindern oder wenigstens erheblich zu verzögern.7 Der Gefahr einer gerichtlichen Auseinandersetzung begegnen die Vorhabenträger und Planungsbehörden bereits präventiv durch das Heranziehen externer Fachleute, Institute und Unternehmen. Die Herausforderungen sind im Grundsatz zweierlei Natur: Zum einen gilt es, den fachlichen Herausforderungen zu begegnen, um insbesondere den Sachverstand der Entscheidungsträger zu erhöhen, eine hohe Qualität der herangezogenen Gutachten und letztlich eine richtigere Entscheidung zu erlangen. Zum anderen bestehen rechtliche Herausforderungen. Denn selbst wenn die herangezogenen Gutachten fachlich in Ordnung sind, handelt es sich weiterhin um privaten Sachverstand. 1. Fachliche Herausforderungen Oberstes Ziel ist es, fachlich eine hohe Qualität bei der Entscheidungsfindung zu gewährleisten. Dies beginnt bereits beim ursprünglichen Gutachten. Der Gutachter muss über hinreichenden Sachverstand verfügen und ein in jeder Hinsicht fachlich korrektes Gutachten erstellen. Im Anschluss hat die zuständige Behörde im Rahmen etwa eines Genehmigungsverfahrens ausreichenden Sachverstand bereitzustellen, um eine Überprüfung des Gutachtens vornehmen und auf dieser Grundlage entscheiden zu können. Im Nachgang muss letztlich auch das überprüfende Gericht genügend Sachverstand aufweisen können, um eine gerichtliche 5

Rennert, DVBl. 2015, 793 (799). Wie hoch die tatsächliche Quote der gescheiterten Vorhaben ist, ist unklar, weil viele Vorhaben bereits im Verwaltungsverfahren an den enormen Anforderungen scheitern. Diese werden bei der vorliegenden Beschränkung auf die Analyse der Rechtsprechung nicht betrachtet. 7 Zu dieser Problematik siehe Hien, DVBl. 2018, 1029 (1030 f.). 6

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E. Herausforderungen in der Praxis

Kontrolle der behördlichen Entscheidung überhaupt gewährleisten zu können. Der Verantwortung für eine Entscheidung wird nur derjenige gerecht, der auch beurteilen kann, was er entscheidet.8 Es erscheint jedoch problematisch, die fachliche Qualifikation auf jeder der dargestellten Ebenen in hinreichender Weise sicherzustellen. Insbesondere bei den Behörden und Gerichten scheint es aus Gründen der Vielgestaltigkeit der Anwendungsfelder und der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls schwierig, den Sachverstand in der notwendigen Tiefe und Aktualität bereitzustellen. Bislang besteht die Gefahr, dass sich die Behörden den externen Sachverstand schlicht zu eigen machen, ohne diesen hinreichend zu überprüfen.9 Geschieht dies, weil der fachliche Sachverstand in der Behörde fehlt, so ist das ein Anknüpfungspunkt für strukturelle Änderungen, nicht aber eine Rechtfertigung dafür, privaten Sachverstand ungeprüft zu übernehmen und der gerichtlichen Kontrolle zu entziehen. Gleiches gilt seitens der Gerichte, wenn die Kontrolldichte insbesondere aus Gründen der praktischen Leistbarkeit reduziert wird.10 Hier spielt zudem der Gesichtspunkt eine Rolle, dass laut einer Studie mehrerer Umweltverbände viele der vorgelegten Gutachten in ihrer Qualität wohl nicht genügen.11 Dass fachlich schlechte Gutachten im Rahmen der Beurteilungsspielräume gerichtlich nicht mehr hinreichend kontrolliert werden, stellt den Worst Case dar. Im Anschluss müssen daher Möglichkeiten aufgezeigt werden, die zu einer Steigerung der fachlichen Qualität der Gutachten führen. 2. Rechtliche Herausforderungen Es bestehen zudem rechtliche Herausforderungen. In Abschnitt C. wurden die rechtsstaatlichen Bedenken, die gegen die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen bestehen, näher ausgeführt.12 Ein für das Naturschutzrecht bedeutsames Problem soll hier kurz separat betrachtet werden: die Legitimation der Gutachten. 8

Vgl. Gärditz, Gutachten D zum 71. DJT, 2016, S. 66. Vgl. Seibert, NWVBl. 2015, 372 (373). 10 Von einer „Beweiserhebungsphobie der Verwaltungsgerichte“ spricht etwa Breuer, NVwZ-Beilage 2018, 3 (9). Kritisch zu einer „Überzeugungsbildung aus zweiter Hand“ Brandt, ZNER 2019, 92 (93). Zur Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle durch den Erkenntnisstand der Fachwissenschaft BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54 Rn. 23). 11 Die Umweltverbände BUND, NABU und LNV-BW haben im Herbst 2017 eine Studie zu Windenergiegutachten veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass die Gutachten im Schnitt zu 40 % die Vorgaben der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) nicht erfüllen, vgl. BUND, LNV-BW und NABU, Pressekonferenz vom 7.9.2017, https://baden-wuerttemberg.nabu.de/imperia/md/con tent/badenwuerttemberg/positionspapiere/2017-09-08_lpk_windenergie_gutachtencheck _-_pr__sentation_langfassung.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.12.2019). 12 Insbesondere effektiver Rechtsschutz, Demokratieprinzip, Rechtsstaatsprinzip, etc., s. o. C. auf S. 63 ff. 9

I. Grundlagen und Problemstellung

221

In der Regel holt der Vorhabenträger ein Sachverständigengutachten ein, das Grundlage des gesamten folgenden Verfahrens ist. Dem Gutachten eine solch große Bedeutung zuzumessen, ist dabei zwar in fachlicher Hinsicht verständlich, da hier trotz der eben geäußerten Einwände regelmäßig die besten Fachleute konsultiert werden und diese das in Rede stehende Vorhaben von Beginn an begleiten und fortgestalten.13 Rechtlich handelt es sich gleichwohl um Privatgutachten. Legitimatorische Probleme rühren daher, dass diesen privaten Gutachen im weiteren Verfahren eine (teilweise zu) große Bedeutung zukommt.14 Teils wird hier im Wege eines Kunstgriffes15, indem ein Privatgutachten dem behördlichen Gutachten gleichgestellt wird, weil die Behörde hierdurch „fachkundig beraten“ sei, von der fachlichen Qualität des Gutachtens auf dessen Legitimation geschlossen.16 Letztlich läuft es auf eine Einschätzungsprärogative der Fachgutachter, und damit privater Gutachter hinaus.17 Besonders bedenklich ist dies, weil der Fachgutachter immer, also auch in dem Fall, in dem der Vorhabenträger z. B. die öffentliche Hand ist, für eine Konfliktpartei tätig ist.18 Es fehlt an Objektivität, Unabhängigkeit und Transparenz und in der Folge an Akzeptanz auf Seiten der Bürger für eine getroffene behördliche Entscheidung. Dabei nimmt die Förderung der Akzeptanz bislang eine geringe Rolle im Rahmen des Verwaltungsverfahrens ein, obwohl dies maßgeblich zur Annäherung von Verwaltung und Bürgern beitragen könnte.19 Hier müssen Lösungen gefunden werden, um den rechtsstaatlichen Bedenken zu begegnen und die Legitimität der Entscheidungen zu erhöhen. 3. Zwischenergebnis So stellt Rennert20 fest: „Das Urteil wird zumeist schlüssig und plausibel sein; ob es das Richtige trifft, ist freilich nicht garantiert. Die tatsächlichen Feststellungen des Gerichts werden damit zu tatsächlichen Annahmen, zu einer Konstruktion der Wirklichkeit; es bleibt ein Rest an Ungewissheit. Das lässt sich nicht vermeiden. Es lässt sich auch nicht leugnen oder bemänteln; vielmehr gilt es, die Realität zur Kenntnis zu nehmen.“ Zwar muss das Augenmerk darauf liegen, das Ausmaß der Unsicherheiten möglichst gering zu halten, doch bleibt weiterhin entscheidend, wie mit der (stets) 13

Rennert, Referat 71. DJT, S. N 149. Rennert, Referat 71. DJT, S. N 149 f. 15 Rennert, Referat 71. DJT, S. N 150 Fn. 71. 16 Vgl. BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 101 ff.; BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11 – NVwZ 2014, 524 (525 Rn. 14). 17 Meßerschmidt, EurUP 2014, 11 (18). 18 Meßerschmidt, EurUP 2014, 11 (18); an der Neutralität behördlich eingeholter Gutachten zweifelt auch Breuer, NVwZ-Beilage 2018, 3 (9). 19 Zeccola, DÖV 2019, 100 (106 f.). 20 Rennert, Referat 71. DJT, S. N 149 (Hervorhebungen im Original). 14

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E. Herausforderungen in der Praxis

verbleibenden (Rest-)Unkenntnis umzugehen ist.21 Dabei ist die normative Legitimität solcher auf Ungewissheit basierender Entscheidungen zu stärken. Die Entscheidung muss, sowohl im Verwaltungs- als auch im gerichtlichen Verfahren, in einem einwandfreien Verfahren und in Anwendung sachangemessener Methoden zustande gekommen sein.22 Es wird deutlich, dass Änderungsbedarf besteht. Den fachlichen und rechtlichen Herausforderungen kann auf verschiedenen Wegen begegnet werden. Im Folgenden wird daher nicht nach diesen beiden Kategorien unterschieden, sondern es wird an den jeweiligen Akteur angeknüpft. Die daraus folgenden positiven Auswirkungen rechtlicher und fachlicher Art überschneiden sich.

II. Lösungsmöglichkeiten Es kommen vielfältige Möglichkeiten in Betracht, den Status quo positiv zu verändern. Zunächst wird die Legislative, die Judikative und die Exekutive in die Pflicht genommen (1.–3.), letztlich kommen Veränderungen seitens der privaten Gutachter und der Gutachten (4.) sowie die Schaffung einer staatlichen Gutachtenstelle in Betracht (5.). 1. Legislative Als erster Ansatzpunkt bietet sich die Legislative an. Hier bestehen verschiedene Möglichkeiten, um zu einer Verbesserung des gegenwärtigen Zustandes zu gelangen. Es könnte eine explizite Kennzeichnung der Beurteilungsspielräume im materiellen Recht erfolgen (a)). In prozessualer Hinsicht könnte ein § 114a VwGO für Beurteilungsspielräume geschaffen werden (b)). Letztlich ist auf dieser Stufe die Ausgestaltung und Bedeutung von Standardisierungen und Fachkonventionen in den Blick zu nehmen (c)). a) Kennzeichnung im materiellen Recht Zunächst könnte der Gesetzgeber in die Pflicht genommen werden, indem eine konkretere Kennzeichnung von Beurteilungsspielräumen im materiellen Recht erfolgt. Es geht um die bereits in den vorangegangenen Abschnitten angedachte Möglichkeit, Beurteilungsspielräume durch entsprechende Formulierungen im Gesetz explizit festzuschreiben.23 Dabei ist die Formulierung, dass „die Behörde im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums entscheidet“, nur eine naheliegende, 21 Zum Umgang mit Unsicherheiten Sauthoff, in: 71. DJT, Diskussion und Beschlussfassung, S. N 208. 22 Rennert, Referat 71. DJT, S. N 149. 23 Dafür Jannasch, Die Stellung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Rahmen der staatlichen Funktionen, in: Festschrift für Zeidler, 1987, S. 487 (494); Beckmann, Referat 71. DJT, S. N 105; Guckelberger, Referat 71. DJT, S. N 71; 71. DJT, DJT-Beschluss zum Öffentlichen Recht Nr. 16b), S. N 161.

II. Lösungsmöglichkeiten

223

denkbare Möglichkeit. In Betracht kommt auch die häufig angeführte Formulierung des § 71 Abs. 5 S. 2 GWB, wonach die Würdigung der gesamtwirtschaftlichen Lage und Entwicklung „der Nachprüfung des Gerichts entzogen“ ist. Die Ausweitung der normativen Fixierung bestehender Beurteilungsspielräume ist im Sinne der bereits dargestellten normativen Ermächtigungslehre. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist diese Idee ebenfalls zu unterstützen. „Wilde“ Auslegungsversuche würden hierdurch unterbunden. Zudem könnte durch eine differenzierte Ausgestaltung im materiellen Recht gleichzeitig die Kontrolldichte entsprechend ausgestaltet werden. Bei diesen vermeintlich überwiegenden Vorteilen dürfen die entgegenstehenden Bedenken nicht aus dem Blickfeld geraten. Denn es würde eine Ausnahme von der gerichtlichen Vollkontrolle gesetzlich zementiert und vermeidbarer Handlungsbedarf des Gesetzgebers geschaffen.24 Wird ein Beurteilungsspielraum für einen bestimmten Fall festgeschrieben, so fällt seitens der Gerichte die Notwendigkeit der Darlegung der Gründe weg, die das Gericht zur Annahme eines Beurteilungsspielraums bewogen hat. Damit entfällt aber auch die Überprüfung, ob ein Spielraum weiterhin notwendig anzuerkennen ist oder ob dieser mittlerweile etwa durch eine hinreichende Konkretisierung oder Klärung in der Wissenschaft überflüssig ist. Letztlich würde dies wohl faktisch zu einer Ausdehnung der Beurteilungsspielräume führen, was deren Natur jedoch widerspricht. Das BVerfG 25 stellte in einer Entscheidung deutlich heraus, dass der Gesetzgeber mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht „zu zahlreiche oder weitgreifende Beurteilungsspielräume für ganze Sachbereiche oder gar Rechtsgebiete“ schaffen dürfe. Problematisch ist zudem die gesetzliche Ausgestaltung als solche. Denn soll durch die Ausgestaltung auch die Kontrolldichte entsprechend verändert werden, so kommt es ganz besonders auf die Formulierung des Gesetzes an. Die bloße Festschreibung, dass „die Behörde im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums entscheidet“, hilft hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle letztlich nicht weiter. Im Übrigen ist es nicht auszuschließen, dass anlässlich der Ausgestaltung im materiellen Recht, die Anwendbarkeit der Beurteilungsspielräume ausgedehnt und quantitativ mehr Spielräume angenommen werden. Zwar hätte dies den positiven Effekt, dass verwaltungsgerichtliche Verfahren beschleunigt würden und es zu einer Entlastung der Verwaltungsgerichte käme. Außerdem würde die Stellung der Verwaltung gegenüber der Verwaltungsgerichtsbarkeit gestärkt.26 Gleichwohl 24 Franßen, (Un)bestimmtes zum unbestimmten Rechtsbegriff, in: Festschrift für Zeidler, 1987, S. 429 (442). 25 BVerfG, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (23). 26 Vgl. Meyer-Teschendorf/Hofmann, ZRP 1998, 132 (137) zum Abschlussbericht des Sachverständigenrats „schlanker Staat“; Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 185.

224

E. Herausforderungen in der Praxis

widerspräche dies allem, was bislang zu Figur und Bedeutung der Beurteilungsspielräume und zu den entgegenstehenden Bedenken gesagt wurde. Von einer Ausdehnung der Anerkennung von Beurteilungsspielräumen muss daher abgesehen werden. Letztlich kommt eine Ausgestaltung im materiellen Recht nur für die „klaren“ Fälle in Betracht, für die schon jetzt ein administratives Letztentscheidungsrecht aus guten Gründen angenommen wird und bei denen davon auszugehen ist, dass der Sachgrund fortbesteht. Somit würde lediglich festgeschrieben, was sich bislang bereits in der Rechtsprechung gefestigt hat. Dass hierin kein signifikanter Mehrwert hinsichtlich der Qualität der Entscheidung besteht, liegt auf der Hand. Vielmehr wird es sogar unwahrscheinlicher, dass die Zahl der Beurteilungsspielräume mit der Zeit abnimmt. Allein die gezielte Regelung nur sehr weniger, ausdrücklicher Ermächtigungen zur Letztentscheidung könnte den positiven Effekt haben, dass sich die Kontrolldichte der Gerichte an anderer Stelle erhöht. b) § 114a VwGO für Beurteilungsspielräume Neben einer Regelung im materiellen Recht könnte auch in prozessualer Hinsicht angesetzt werden, indem ein § 114a VwGO für Beurteilungsspielräume geschaffen wird. Für das Ermessen erfolgte eine Regelung in § 40 VwVfG und § 114 VwGO. Eine diesen Regelungen nachempfundene Normierung für Beurteilungsspielräume könnte für Klarheit sorgen. Nach dem Vorbild des § 114 VwGO könnte ein neuer § 114a VwGO für Beurteilungsspielräume geschaffen werden, in dem eine prozessrechtliche Kontrollrestriktion für alle Beurteilungsspielräume festgeschrieben würde. Solche Vorschläge werden immer wieder diskutiert und wurden bislang stets verworfen. Bereits in den Beratungen zur Verwaltungsgerichtsordnung im Jahre 1954 war eine entsprechende Regelung für unbestimmte Gesetzesbegriffe vom Bundesrat vorgeschlagen, aber letztlich nicht umgesetzt worden.27 Im Jahr 2003 war erneut die Einführung eines § 114a VwGO im Gespräch, wobei diesmal der Maßstab der Justitiabilität bei verwaltungsrechtlichen Abwägungs-, Prognose- oder Beurteilungsentscheidungen auf prinzipielle Evidenz- und Willkürkontrollen beschränkt werden sollte.28

27 Vgl. hierzu Bachof, JZ 1955, 97 (101 f.). Erledigt durch den Entwurf einer Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vom 12.4.1954 (BT-Drs. 2/462), der den Vorschlag nicht aufgriff. Zu einem weiteren Entwurf siehe Papier, DÖV 1986, 621 (623). 28 Vgl. den Antrag einzelner Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, allerdings ohne konkreten Formulierungsvorschlag, BT-Drs. 15/1330 S. 3. Zur Begründung wurde die Verringerung von Richterrecht und eine ausgewogene Gewaltenteilung angeführt.

II. Lösungsmöglichkeiten

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Einen konkreten Formulierungsvorschlag für einen an § 114 VwGO angelehnten § 114a VwGO machte das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern im Jahre 1994:29 „(1) Erfordert die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs Abwägungen, Prognosen oder Wertungen, so steht der Verwaltungsbehörde dabei ein Beurteilungsspielraum zu. (2) Das Gericht prüft, ob der Verwaltungsbehörde ein Beurteilungsspielraum zusteht sowie, ob die gesetzlichen Grenzen der Beurteilungsermächtigung überschritten sind oder von ihr in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde.“

Dieser Vorschlag wurde nicht umgesetzt.30 Die strukturelle Ähnlichkeit von Ermessen und Beurteilungsspielraum (vgl. B. II.), legt diesen Lösungsansatz zunächst nahe, dienen doch beide Figuren der Konkretisierung offener Normen, jeweils geprägt vom Element wertender Abwägung, dem eine Grundlage empirischer Sicherheit fehlt.31 Auf diesem Wege könnte durch eine entsprechende Formulierung festgelegt werden, auf welcher Stufe überhaupt ein Beurteilungsspielraum angenommen werden kann (namentlich auf der 3. Stufe: Subsumtion) und auf welcher Stufe dies ausgeschlossen ist (1. Stufe: Auslegung; 2. Stufe: Feststellung des Sachverhalts). Der Anwendungsbereich könnte konkretisiert werden, z. B. auf Prognosen oder Wertungen.32 Außerdem würde die gesetzliche Festschreibung der richterlichen Prüfung z. B. als Vertretbarkeitskontrolle einen gewissen Grad an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit schaffen. Nicht zuletzt wird die Schaffung eines neuen § 114a VwGO regelmäßig im Zusammenhang mit einer erhofften Verfahrensbeschleunigung genannt.33 Gleichwohl erscheint eine entsprechende Festschreibung weder sinnvoll noch wünschenswert.34 Die faktischen Auswirkungen einer solchen Regelung wären

29

Dazu Ewer, NVwZ 1994, 140 ff. Erledigt durch Erlass des Sechsten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 1.11.1996 (6. VwGOÄndG, BGBl. I 1996, S. 1626), das den Vorschlag nicht aufgriff. 31 Vgl. hierzu nur Herdegen, JZ 1991, 747 (748 ff.); zur Vergleichbarkeit vgl. Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, 1998, S. 73 f.; Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (623 ff.). 32 So war etwa im Rahmen des gescheiterten Entwurfs eines Umweltgesetzbuchs (UGB-KomE) die Normierung einer verringerten Kontrolldichte für behördliche Prognosen und Bewertungen in § 43 UGB-KomE geplant, vgl. BMU, Umweltgesetzbuch, 1998, S. 124 f. Vgl. Sparwasser, Gerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 1017 (1051); vgl. Hien, DVBl. 2018, 1029 (1033). 33 So etwa Ewer, NVwZ 1994, 140 (140 ff.); BT-Drs. 15/1330 S. 3. 34 Kritik äußerte bereits Papier, DÖV 1986, 621 ff.; kritisch auch Redeker, NJW 1994, 1707 (1708). 30

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E. Herausforderungen in der Praxis

gering. Denn die Schaffung eines § 114a VwGO ändert am Bestehen der Spielräume und der damit einhergehenden Problematik nichts.35 Vor allem aber würde man der Bedeutung der Beurteilungsspielräume nicht gerecht werden. Denn die Annahme von Beurteilungsspielräumen stellt eine Ausnahme dar, die einer besonderen Legitimation bedarf. Die Schaffung einer Generalklausel steht zu dieser Ausgestaltung im Widerspruch.36 Zudem sollen Spielräume jedenfalls im Naturschutzrecht (aufschiebend bedingt) nur so lange bestehen, wie gesicherte Erkenntnisse fehlen. Die dem jeweiligen Beurteilungsspielraum zugrundeliegende Thematik befindet sich regelmäßig im Fluss, sodass man letztlich stets auf eine wissenschaftliche Klärung hofft.37 Dann würde ein Beurteilungsspielraum überflüssig werden. Ein etwaiger § 114a VwGO wäre insoweit kontraproduktiv, weil eine normierte Rücknahme der Kontrolle umfassend für alle Fälle festgelegt würde. Die Richter könnten so schneller und einfacher auf eine zurückgenommene Kontrolldichte verweisen, während bislang Spielräume gesondert begründet werden müssen und die Kontrolle nur in den nötigen Fällen reduziert wird. Auch der Maßstab der Beschränkung der Kontrolldichte ist je nach Einzelfall unterschiedlich.38 Gerade diese differenzierte Ausgestaltung der Beurteilungsspielräume macht eine abstrakte Regelung schwierig. Es besteht eine Vielgestaltigkeit der unbestimmten Rechtsbegriffe, die einer Vereinheitlichung nur schwer zugänglich ist. Zumal die Rücknahme der Kontrolle nicht allein aus dem Vorliegen eines unbestimmten Rechtsbegriffes, sondern zusätzlich aus dem Vorliegen eines gewichtigen Sachgrundes heraus begründet wird. Der differenzierten Konzeption der Beurteilungsspielräume und den korrespondierenden differenzierten Maßstäben der gerichtlichen Kontrolle kann das Gericht im Einzelfall besser gerecht werden als der Gesetzgeber durch eine abstrakte Generalklausel.39 Des Weiteren stößt eine entsprechende Formulierung auf methodische Bedenken. Betrachtet man den oben dargestellten Gesetzesvorschlag, so ist die Regelung zu unbestimmt und zu pauschal. Die Wirkung der Norm entfaltet sich dann aber nicht nur bereichsspezifisch, sondern großflächig.40 Es wird deutlich, dass eine abstrakte Regelung aller Fälle in einem § 114a VwGO der Notwendigkeit

35

Papier, DÖV 1986, 621 (624). Zur verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit der Einschränkung der gerichtlichen Kontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe durch einen generalklauselartigen Vorbehalt vgl. Schmidt-Aßmann/Groß, NVwZ 1993, 617 (622). 37 Vgl. Bachof, JZ 1955, 97 (102). 38 Vgl. Redeker, NJW 1994, 1707 (1708). So auch das Ergebnis in B.V. 1. auf S. 56 ff. 39 Vgl. Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 45. Ed. Stand: 1.10.2019, § 40 VwVfG Rn. 104. 40 Eifert, ZJS 2008, 336 (339 Fn. 23); Ewer, NVwZ 1994, 140 (141). 36

II. Lösungsmöglichkeiten

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einer differenzierten Betrachtung nicht gerecht wird.41 Eine im Einzelfall angemessene Kontrollpraxis kann nur in den entsprechenden Sachbereichen und nicht bereichsübergreifend festgelegt werden.42 Außerdem ginge etwa die oben genannte Formulierung, die für alle unbestimmten Rechtsbegriffe einen Beurteilungsspielraum eröffnet, die Abwägungen, Wertungen oder Prognosen bedürfen, viel zu weit.43 Es ist kaum ein unbestimmter Rechtsbegriff denkbar, der nicht von Abwägungen, Wertungen oder Prognosen gekennzeichnet ist.44 Eine solche Generalklausel kollidierte mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG und der darin geregelten Rollenverteilung zwischen Judikative und Exekutive.45 Auch mit Blick auf § 114 VwGO darf nicht auf das Prozessrecht zurückgegriffen werden. Es bedarf vielmehr einer Anknüpfung im materiellen Recht.46 Denn selbst § 114 VwGO schafft nicht das Ermessen, sondern setzt die Ermessenseinräumung vielmehr im materiellen Recht voraus.47 Beurteilungsspielräume haben sich demnach immer aus dem materiellen Recht zu ergeben. Die Kontrollrestriktion erfolgt nicht aus prozessrechtlichen Gründen, sondern ergibt sich aus dem jeweiligen (materiellen) Fachrecht. Es wird deutlich, dass es sich inhaltlich um die Regelung des materiellen Rechts handelt. Der Bund hat aber nicht die Kompetenz für das gesamte materielle Verwaltungsrecht. Demnach kann der Bund auch keine alle Gebiete umfassende Generalklausel schaffen.48 Im Ergebnis würde die Schaffung eines § 114a VwGO an der bestehenden Problematik (Rücknahme der Kontrolldichte, Enthebung privaten Sachverstands von der gerichtlichen Kontrolle, Transparenz, Objektivität, etc.) nichts ändern, sondern würde diese Problemfelder vielmehr bis zu einem gewissen Grad legalisieren. Das als Formulierung vorgeschlagene Maß gerichtlicher Kontrolle wird bisher bereits in der Rechtsprechung übertroffen. Ob eine Verfahrensbeschleuni41 Vgl. Jannasch, Die Stellung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Rahmen der staatlichen Funktionen, in: Festschrift für Zeidler, 1987, S. 487 (502). 42 Vgl. schon Papier, DÖV 1986, 621 (625). 43 Vgl. Grupp, Behördliche Beurteilungsspielräume im „schlanken Staat“, in: Festschrift für Blümel, 1999, S. 139 (142); ablehnend auch Schenke, in: Bonner Kommentar Grundgesetz, 200. Akt. Stand: Sept. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 537. 44 Ewer, NVwZ 1994, 140 (141); Jochum, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozeßrecht, 2004, S. 140. 45 Einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG sieht auch Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 39 f.; Schenke, in: Bonner Kommentar Grundgesetz, 200. Akt. Stand: Sept. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 537; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 127 sieht hierin eine „kompetenzsprengende verfassungswidrige Umgehung von Art. 19 Abs. 4 GG“. 46 So Schenke, in: Bonner Kommentar Grundgesetz, 200. Akt. Stand: Sept. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 537. 47 Wolff, in: Sodan/Ziekow, 5. Aufl. 2018, § 114 VwGO Rn. 4; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 2; Papier, DÖV 1986, 621 (625). 48 Papier, DÖV 1986, 621 (625); Schenke, in: Bonner Kommentar Grundgesetz, 200. Akt. Stand: Sept. 2019, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 537.

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E. Herausforderungen in der Praxis

gung tatsächlich eintreten würde, mag bezweifelt werden. Besonders erfolgsversprechend erscheint eine derartige Regelung daher nicht. Dafür stellt sie einen tiefgreifenden Eingriff in das Verhältnis von Rechtsprechung und Verwaltung dar, dem letztlich Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG entgegenstehen. Zwar können Rechtsgedanken des § 114 VwGO für Beurteilungsspielräume fruchtbar gemacht werden.49 Im Ergebnis ist der Erlass eines § 114a VwGO aber nicht zu empfehlen. c) Standardisierungen und Fachkonventionen Wie bereits in Abschnitt D. dieser Arbeit deutlich wurde, wird oftmals versucht, über die Heranziehung von Standardisierungen, Fachkonventionen und anderer Materialien die fehlende Fachkenntnis von Behörden und Gerichten auszugleichen. Hier könnte der nächste Anknüpfungspunkt zur Lösung der aufgezeigten Probleme liegen, indem weitere, umfassendere oder verbindlichere konkretisierende Verordnungen und technische Anleitungen erstellt würden. Denn im Gegensatz zum Bundesimmissionsschutzrecht, welches viele Durchführungsverordnungen und Verwaltungsvorschriften (z. B. TA Luft, TA Lärm) kennt, wurde der Gesetzgeber im Naturschutzrecht weder selbst noch durch die Heranziehung externer Sachverständiger tätig. Es bestehen unbestimmte Regelungen, die einer näheren Konkretisierung bedürfen. Daher muss auf außerrechtliche Erkenntnisse der ökologischen Wissenschaft und Praxis zurückgegriffen werden. Aber auch hier bestehen Lücken, sodass verlässliche Antworten fehlen. Diese Unsicherheiten können durch untergesetzliche Standardisierung reduziert werden.50 Dadurch werden sachverständige Feststellungen quasi vor die Klammer gezogen und ihnen ein hohes Niveau attestiert.51 Die Folge davon wäre eine Entlastung der Prozesse. Der Vorteil von Standardisierungen liegt zum einen in der Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG), indem ein landes- oder gar bundesweit gleichmäßiger Verwaltungsvollzug gewährleistet wird.52 Zudem wird dem Grundsatz der Rechtssicherheit entsprochen, indem das staatliche Handeln vorhersehbarer und kalkulierbarer, also transparenter wird.53 Werden die dargestellten Lücken bei den wissenschaftlichen Erkenntnissen geschlossen, so fällt 49 Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Stand: Juli 2019, § 114 VwGO Rn. 8. 50 Gärditz, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar Grundgesetz Bd. 2, Stand: Nov. 2019, Art. 20 GG Rn. 155. 51 Vgl. Rennert, DVBl. 2015, 793 (799). 52 VGH München, Urt. v. 30.6.2017 – 22 B 15.2365 – BayVBl. 2018, 379 (382 Rn. 85). 53 VGH München, Urt. v. 30.6.2017 – 22 B 15.2365 – BayVBl. 2018, 379 (382 Rn. 85); VGH München, Urt. v. 18.6.2014 – 22 B 13.1358 – BeckRS 2014, 53520 Rn. 45. Vgl. auch Koch, in: Kerkmann, Naturschutzrecht in der Praxis, 2007, § 4 Rn. 60.

II. Lösungsmöglichkeiten

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wohl zum Teil der hinreichend gewichtige Sachgrund für die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums weg.54 Gestützt wird dies durch die Entscheidung des BVerfG vom 23.10.2018, in der das BVerfG den Gesetzgeber in die Pflicht nimmt, für eine untergesetzliche Maßstabsbildung zu sorgen.55 aa) Aktueller Bestand Die Handlungsanleitungen müssen sehr vielfältig sein, um den jeweiligen Einzelfall abzudecken. Unterschiede ergeben sich bereits aus der Art des Vorhabens. So führt eine Windkraftanlage (z. B. Schlagopfer) zu anderen Einwirkungen auf die Natur als der Bau einer Straße (z. B. Trennwirkung). Je nach Landschaftsraum sind zudem viele verschiedene Arten und Populationen betroffen, deren Reaktionen auf die Realisierung eines Projektes abgeschätzt werden müssen. Die Auswirkungen auf die Natur sind in ihrer Art und Schwere vielfältig. Interessant erscheint es daher zunächst, den aktuellen Bestand der Standardisierungen und Fachkonventionen zu betrachten.56 Eine genaue Auseinandersetzung mit 145 verschiedenen Standardisierungen (darunter insbesondere Leitfäden und Handlungsempfehlungen von Zulassungs- oder Fachbehörden auf EU-, Bundesoder Landesebene) haben Wulfert, Lau, Widdig, Müller-Pfannenstiel und Mengel im Rahmen eines FuE-Vorhabens im Auftrag des BfN vorgenommen.57 Diese kommen zu dem Ergebnis, dass es zwar bereits viele Arbeitshilfen gibt, aber weiterhin offene Fragen und Unsicherheiten bestehen, sodass weitere Standardisierungen durch die Erarbeitung von Praxisanleitungen oder Fachkonventionen hilfreich wären.58 Dabei wird für einzelne Gebiete offengelegt, wo genau Standardisierungsbedarf besteht. Es bestehen bereits zahlreiche außerrechtliche Erkenntnisse (insbesondere Leitfäden, Arbeitshilfen, Handreichungen, Merkblätter und Auslegungshinweise).59 Diese beruhen aber größtenteils auf im Rahmen anderer Projekte erlangten Er54 Nach Fellenberg bestehen die Beurteilungsspielräume, gerade weil es in vielen Bereichen noch keine etablierten fachlichen Standards gibt, Fellenberg, AnwBl. 2016, 648 (652). 55 BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54 Rn. 24); vgl. Helmes, NVwZ 2019, 56 (57). 56 Zu den häufig bedeutsamen Auslegungshinweisen der EU-Kommission treten weitere nationale Materialien, z. B. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen, Merkblatt zum Amphibienschutz an Straßen (MAmS), 2000; Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Arbeitshilfe Vögel und Straßenverkehr, 2010; Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Merkblatt zur Anlage von Querungshilfen für Tiere und zur Vernetzung von Lebensräumen an Straßen (M-AQ), 2008. 57 Wulfert u. a., Standardisierungspotenzial, 2015. 58 Wulfert u. a., Standardisierungspotenzial, 2015, S. 168. 59 Mit konkreten Beispielen setzt sich Steenhoff auseinander, UPR 2017, 467 (471 ff.).

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E. Herausforderungen in der Praxis

kenntnissen sowie auf größeren Forschungsprojekten.60 Zudem ergehen immer mehr Leitfäden in den einzelnen Bundesländern und nicht auf Bundesebene.61 Hierdurch gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Herangehensweisen, die jeweils für sich in Anspruch nehmen, den aktuellen fachlichen Sachverstand darzustellen, was die Arbeit der Rechtsanwender unverhältnismäßig erschwert.62 So halten sich die Behörden regelmäßig an die Leitfäden ihres Bundeslandes, während die Gerichte meist über die Landesgrenze hinausblicken, um möglicherweise aktuelleren Sachverstand zu finden. Diese große Anzahl an bereits bestehenden Standardisierungen ist kaum mehr zu überblicken. Es scheint fast unmöglich, den einschlägigen Leitfaden für den entsprechenden Einzelfall ausfindig zu machen. Daher wäre es zu begrüßen, eine einheitliche Stelle zu schaffen, welche die aktuell besten wissenschaftlichen Erkenntnisse sammelt und zur Verfügung stellt.63 Erfreuliche Nebenfolge wäre dann neben der Planungsbeschleunigung auch eine erhöhte Planungssicherheit. Im Ergebnis ist, trotz der Fülle an bereits bestehenden Standardisierungen, ein Mangel an allgemein anerkannten und verbindlichen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu erkennen. Die Quantität der Standardisierungen kann deren Qualität nicht ersetzen. Es fehlt noch immer an einem gesicherten Fachwissen und naturschutzfachlichen Standards.64 bb) Inhalt und Vorteile Es sollte sowohl eine begriffliche Standardisierung, d.h. eine einheitliche Definition der unbestimmten Rechtsbegriffe, als auch eine inhaltliche Standardisierung, d.h. die Festlegung der zu betrachtenden Daten, sowie eine methodische Standardisierung, d.h. methodische und technische Festlegungen erfolgen. Hier können rechtliche Vorgaben konkretisiert, einheitliche Untersuchungs- und Bewertungsmaßstäbe und harmonisierte methodische Vorgehensweisen festgelegt 60

Vgl. Bick/Wulfert, NVwZ 2017, 346 (353). Kritisch hierzu Bick/Wulfert, NVwZ 2017, 346 (354). Zu den unterschiedlichen Regelungen der Ersatzgeldzahlung bei Eingriffen in das Landschaftsbild in den Bundesländern Fülbier, NuR 2017, 804 (809 f.). 62 So auch Bick/Wulfert, NVwZ 2017, 346 (354). 63 In diese Richtung geht das Fachinformationssystem des Bundesamtes für Naturschutz zur FFH-Verträglichkeitsprüfung (FFH-VP-Info), www.ffh-vp-info.de (zuletzt aufgerufen am 20.12.2019). Diese Datenbank wird mittlerweile von der Rechtsprechung anerkannt, BVerwG, Urt. v. 21.1.2016 – 4 A 5/14 – NVwZ 2016, 844 (852 f. Rn. 76, 83). Vgl. hierzu auch Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Innovationsforum Planungsbeschleunigung – Abschlussbericht, 2017, S. 19 f. 64 Dies ergibt sich insbesondere aus der Rechtsprechungsanalyse, wenn regelmäßig auf den fehlenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisstand und fehlende normkonkretisierende Maßstäbe abgestellt wird, um die Annahme eines Beurteilungsspielraums zu begründen. Vgl. Storost, UPR 2015, 47 (48). Siehe auch BDI, Diskussionspapier, 2012, S. 2 f., https://bdi.eu/media/themenfelder/umwelt/downloads/20120312_Diskussionspa pier_Naturschutzrecht.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.12.2019). 61

II. Lösungsmöglichkeiten

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werden.65 Erreicht würde so eine einheitliche, qualitativ hochwertige Anwendung der Regelungen, die Erhöhung der Transparenz und Nachvollziehbarkeit, die Schaffung von Akzeptanz und Glaubwürdigkeit, die Erhöhung der Rechtssicherheit sowie eine Reduzierung der Kosten und die Beschleunigung der Verfahren.66 Die eingesparten Kosten könnten unmittelbar dem Naturschutz zu Gute kommen.67 Entscheidend ist, dass die Standardisierung nur nach wissenschaftlichen Kriterien erfolgen darf. Es besteht gerade kein Verweis auf ein streng formalisiertes Normierungsverfahren, sodass ein solches hier nicht bemüht werden kann.68 Wird bislang zur Begründung eines Beurteilungsspielraums auf fehlende untergesetzliche Maßstäbe verwiesen, so gilt es, diese zu schaffen.69 Greift man beispielhaft das Artenschutzrecht heraus, so lässt sich hieran die Uferlosigkeit des Standardisierungspotenzials erkennen. Um zu ermitteln, ob das Tötungsrisiko durch das Vorhaben signifikant erhöht ist, sind zahlreiche Parameter zu berücksichtigen.70 Insbesondere müssen die Art des Vorhabens und die daraus folgenden Wirkungen, die spezifischen Eigenschaften der konkret betroffenen Arten und der betroffene Naturraum in die Bewertung des Signifikanzkriteriums einfließen. Dementsprechend gibt es neben zahlreichen artbezogenen auch etliche vorhabenbezogene Handlungsanleitungen.71 cc) Verbindlichkeit Die gesetzlichen Regelungen sind größtenteils deutlich und klar, benötigen jedoch, wie in Abschnitt D. deutlich wurde, an einigen Stellen weitere Konkretisierungen. So werden durch den im Naturschutzrecht häufig vorkommenden Verweis auf naturschutzfachliche Maßstäbe und wissenschaftliche Kriterien die herrschenden fachwissenschaftlichen Auffassungen maßgeblich.72 Es geht nicht darum, ein Mehr an formellen oder materiellen Gesetzen zu schaffen, vielmehr sollten die fachwissenschaftlichen Erkenntnisse ausgebaut und zu einer einheitlichen Anwendung gebracht werden. Das Ziel muss hier sein, jedenfalls für die Verwaltung verbindliche Regelwerke zu schaffen, um eine Entlastung sowohl der Vorhabenträger als auch der Behörden und Gerichte herbeizuführen. Momentan 65

Wulfert u. a., Standardisierungspotenzial, 2015, S. 5. Wulfert u. a., Standardisierungspotenzial, 2015, S. 5; vgl. Beckmann, Referat 71. DJT, S. N 95. 67 Auch Wegener spricht das Ungleichgewicht zwischen naturschutzfachlichem Begleitaufwand und naturschützerischem Ertrag an, ZUR 2010, 227 (233 f.). 68 Vgl. Wulfert u. a., Standardisierungspotenzial, 2015, S. 8. 69 Vgl. Beckmann, in: 71. DJT, Diskussion und Beschlussfassung, S. N 207; a. A. Sauthoff, in: 71. DJT, Diskussion und Beschlussfassung, S. N 208. 70 Vgl. Bick/Wulfert, NVwZ 2017, 346 (349). 71 Für einen Überblick s. Bick/Wulfert, NVwZ 2017, 346 (353). 72 Storost, UPR 2015, 47 (47). Vgl. BVerwG, Urt. v. 12.3.2008 – 9 A 3/06 – BeckRS 2008, 38060 Rn. 74. 66

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E. Herausforderungen in der Praxis

gibt es jedoch vor allem rechtlich unverbindliche Regelwerke wie Fachkonventionen und Leitfäden, die lediglich als Orientierungshilfen dienen können.73 So täuscht die große Zahl bereits bestehender Arbeitshilfen, denn diese helfen in der vorliegenden Problematik kaum weiter. Vielmehr muss die schon jetzt unübersehbare Flut an unverbindlichen Hilfsmitteln eingedämmt und einer übersichtlichen praktischen Handhabung zugänglich gemacht werden. Hierdurch können Behörden und Gerichte nicht unwesentlich entlastet werden. Die notwendige Verbindlichkeit kann auf zwei Wegen erlangt werden. Einerseits im Normsetzungsprozess durch Beteiligung demokratisch legitimierter Organe. Andererseits, bei Konventionsbildung durch Fachexperten, über die breite Anerkennung in der Praxis und die Akzeptanz der (demokratisch legitimierten) Gerichte.74 Das richtige Organ muss die Arbeitshilfen erlassen. Die Standardisierungen sollten von einer neutralen und unabhängigen Stelle erarbeitet werden.75 Dies gilt sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene. Um neben der Neutralität auch die demokratische Legitimation sicherzustellen, kommen hier insbesondere die Umweltministerien, das Umweltbundesamt, die Landesämter für Umwelt und das Bundesamt für Naturschutz in Betracht.76 Zur Sicherung der fachlichen Richtigkeit sind Experten heranzuziehen und zu beteiligen. Zwingende Voraussetzung solcher Standardisierungen ist jedenfalls, dass sie mit der Beteiligung aller relevanten Vertreter der betroffenen Fachkreise erarbeitet werden, um so die entsprechende wissenschaftliche Anerkennung zu gewährleisten.77 Ist der Administrative ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, so kann die übergeordnete Behörde diesen Spielraum allgemeinverbindlich ausfüllen. Dies ist Ausdruck des hierarchischen Aufbaus der Staatsverwaltung.78 Voraussetzung ist jedenfalls, dass die den Spielraum ausfüllende Behörde hierzu fachlich in der Lage ist. 73 Schrader, in: Giesberts/Reinhardt, Umweltrecht, 52. Ed. Stand: 1.10.2019, § 15 BNatSchG Rn. 80; vgl. Gawrych, in: 71. DJT, Diskussion und Beschlussfassung, S. N 201 f. 74 So wurden beispielsweise die „Abstandsempfehlung für Windenergieanlagen zu bedeutsamen Vogellebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten“ der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG VSW) sog. „Neue Helgoländer Papier“ durch die Umweltministerkonferenz (UMK) lediglich zur Kenntnis genommen, eine Anerkennung erfolgte aber gerade nicht. 75 Vgl. Bick/Wulfert, NVwZ 2017, 346 (353). 76 Im Ergebnis kommen vor allem Rechtsverordnungen und normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften in Betracht. Daher erlangen die von Experten erarbeiteten Standardisierungen ihre politische und demokratische Legitimation, indem die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates die abschließende Entscheidung trifft. Vgl. Dolde, NVwZ 2019, 1567 (1571). 77 Storost, UPR 2015, 47 (48); Bick, NuR 2016, 73 (76); Steenhoff, UPR 2017, 467 (471). 78 Vgl. VGH München, Urt. v. 30.6.2017 – 22 B 15.2365 – BayVBl. 2018, 379 (381 Rn. 84).

II. Lösungsmöglichkeiten

233

Da das Gesetz gerade auf die Fachwissenschaften verweist, obliegt auch diesen der Zugriff auf die offenen Fragen. Wissenschaft und Forschung sind mit Blick auf ihr ausgeprägtes (überlegenes) Fachwissen dazu angehalten, hier Standards zu setzen.79 Der Gesetzgeber kann die Einsetzung fachkundiger Gremien zur Festlegung einheitlicher Maßstäbe und Methoden veranlassen.80 Private Verbände können ebenfalls Regelwerke aufstellen, allerdings ohne unmittelbare rechtliche Wirkung.81 Solchen Vereinheitlichungen kann allenfalls über eine gerichtliche Anerkennung ein gewisser Indizcharakter entnommen werden. Die Bedeutung entsprechender Regelungen ist gleichwohl groß, weil hier regelmäßig besondere Sach- und Fachkunde vorhanden ist. Akzeptanz wird letztlich in beiden Fällen – sowohl beim ersten Zugriff durch die Ministerien und Umweltämter als auch beim Zugriff durch die Fachwissenschaften – durch eine breite Anwendung in der Praxis geschaffen. Neben dem richtigen Organ für die weitere Standardisierung gewinnt damit das richtige Verfahren an Bedeutung für die Verbindlichkeit. Es bedarf einer normativen Steuerung, um das Verfahren zum Erlass und zur Etablierung der Fachkonventionen transparenter zu gestalten.82 dd) Nachteile Besonders problematisch ist die Aktualität der Hilfsmittel. Im Rahmen der Standardisierung handelt es sich regelmäßig um Momentaufnahmen. Bei einer so dynamischen Materie wie dem Naturschutzrecht besteht durchaus die Gefahr, dass es Leitfäden und Handbüchern bereits an Aktualität fehlt, wenn sie veröffentlicht werden. Bestehen allerdings neue, bessere Erkenntnisse, so schließt dies die Anwendung alter Regelungen aus.83 Die Standardisierungen dürfen demnach nicht veraltet, widerlegt oder erschüttert sein.84 Auch etwaige normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften müssen gerichtlich stets auf ihre Aktualität hin überprüft werden.85 Ein weiteres Problem ist, dass jede Standardisierung notwendig mit einer Pauschalisierung einhergeht. Somit kann nicht jeder Einzelfall in angemessener Art und Weise erfasst werden. Das BVerwG 86 führte in Bezug auf ein Handbuch zur Umsetzung der FFH- und Vogelschutzrichtlinie aus, dass ein allgemeines Hand79

Wulfert u. a., Standardisierungspotenzial, 2015, S. 8. Dem entspricht auch die Forderung des BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2325/13, 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54 Rn. 24). 81 Vgl. Hellermann, NuR 2018, 805 (807). 82 Das fordert auch Fellenberg, NVwZ 2019, 177 (185). 83 Vgl. Gusy, NuR 1987, 156 (160). 84 Wahl, NVwZ 1991, 409 (412). 85 Vgl. Gärditz, Gutachten D zum 71. DJT, 2016, S. 73. 86 BVerwG, Urt. v. 6.11.2012 – 9 A 17/11 – BeckRS 2013, 50523 Rn. 52. Vgl. auch BVerwG, Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25/12 – BeckRS 2014, 56037 Rn. 50; BVerwG, Urt. v. 28.3.2013 – 9 A 22/11 – BeckRS 2013, 52949 Rn. 81. 80

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E. Herausforderungen in der Praxis

buch „naturgemäß die konkrete Ausprägung eines Lebensraumtyps in einem konkreten Gebiet nicht berücksichtigen kann“. Deutlich wird dies auch, wenn man auf die zahlreichen Parameter blickt, die allein im Rahmen der artenschutzrechtlichen Prüfung berücksichtigt werden müssen.87 Damit einher geht die Gefahr, dass durch das Vorliegen einer einschlägigen Standardisierung kein Bedarf mehr für eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Einzelfall besteht.88 Doch auch wenn Leitfäden und Konventionen vorliegen, dürfen diese nicht unreflektiert auf den konkreten Fall angewandt, sondern müssen gegebenenfalls angepasst werden.89 Denn der konkrete Einzelfall hat aufgrund der Notwendigkeit der Pauschalisierung möglicherweise keinen Eingang in die Standardisierung gefunden. ee) Konkrete Möglichkeiten der Standardisierung Arbeitshilfen, Leitfäden, Fachkonventionen und Merkblätter sind nur wenige mögliche Typen der Standardisierung, die sowohl bereichsspezifische als auch vorhabenspezifische Leitlinien schaffen können. Eine kurze Betrachtung der viel diskutierten Bundeskompensationsverordnung (§ 15 Abs. 7 S. 1 BNatSchG) und der Windenergieerlasse als Verwaltungsvorschriften schafft zusätzliche Klarheit. (1) Bereichsspezifische Standardisierungen: Bundeskompensationsverordnung (§ 15 Abs. 7 S. 1 BNatSchG) Im Rahmen der Vereinheitlichungen kommen bereichsspezifische Standardisierungen in Betracht. Eine Möglichkeit der Standardisierung im Rahmen der Eingriffsregelung ist der Erlass einer Bundeskompensationsverordnung nach § 15 Abs. 7 S. 1 BNatSchG.90 Wenngleich an der Erforderlichkeit einer solchen Verordnung gezweifelt wurde, wurde die Ermächtigung zum Erlass einer Bundeskompensationsverordnung mit Wirkung zum 1.3.2010 in § 15 Abs. 7 BNatSchG geregelt.91 Durch das Schaffen eines bundeseinheitlichen Standards soll insbesondere die Planung und Durchführung öffentlicher und privater Vorhaben erleichtert werden.92

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Vgl. Bick/Wulfert, NVwZ 2017, 346 (349). Vgl. Schwarzenberg/Ruß, ZUR 2016, 278 (285). 89 Fellenberg, UPR 2012, 321 (323). 90 Hierfür argumentieren auch Bick/Wulfert, NVwZ 2017, 346 (355). 91 Gesetz vom 29.7.2009 (BGBl. I 2009, 2542). Der Bundesrat gab zu bedenken, dass die Regelung den verschiedenen Interessen der Länder nicht gerecht werde. Zudem hätten sich durch die jahrelange Anwendung der Eingriffsregelung gefestigte Vollzugspraktiken in den Bundesländern entwickelt, die durch eine Bundesregelung in Frage gestellt würden. Vgl. BT-Drs. 16/13298 S. 4. 92 Vgl. BT-Drs. 16/13298 S. 17. 88

II. Lösungsmöglichkeiten

235

Der Entwurf einer Bundeskompensationsverordnung wurde im Jahre 2013 vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vorgelegt, aber nie als Verordnung erlassen.93 Zielrichtung ist der Vorhabenträger sowie die zuständige Behörde, die jeweils klare und eindeutige Leitlinien an die Hand kriegen sollen. Der Vorteil einer solchen bundesweiten Regelung wäre eine Verbesserung der Investitionsbedingungen, die Beschleunigung der Verwaltungsverfahren, eine stärkere Transparenz der behördlichen Entscheidungen und die Erhöhung der Planungs- und Rechtssicherheit.94 Hierdurch würde die Heterogenität der bisherigen methodischen und inhaltlichen Ansätze überwunden und zudem die Akzeptanz der entsprechenden Entscheidungen erhöht. Das begrüßenswerte Ziel einer Bundeskompensationsverordnung wurde nicht nur in § 15 Abs. 7 BNatSchG ausdrücklich im Gesetz verankert, es war auch (bislang erfolglos) Inhalt der Koalitionsverträge der regierenden Parteien.95 Ob eine Bundeskompensationsverordnung in der laufenden Legislaturperiode erlassen wird, bleibt abzuwarten.96 Erforderlich erscheint der Erlass weiterer bereichsspezifischer Fachkonventionen auch aus arten- und gebietsschutzrechtlicher Sicht. Bestehende Erkenntnislücken und methodische Unsicherheiten könnten durch eine entsprechende Standardsetzung überwunden werden.97 Als Vorteil kann neben der Rationalität vor allem die Akzeptanz der sich auf solche Standards stützenden Entscheidungen genannt werden.98

93 Sog. Verordnung über die Kompensation von Eingriffen in Natur und Landschaft (Bundeskompensationsverordnung – BKompV) BR-Drs. 332/13; vgl. hierzu Schütte/ Wittrock, ZUR 2013, 259 (262 ff.). Der Verordnungsentwurf von 2013 kann als Orientierungshilfe dienen, vgl. Schrader, in: Giesberts/Reinhardt, Umweltrecht, 52. Ed. Stand: 1.10.2019, § 15 BNatSchG Rn. 84. 94 Vgl. BR-Drs. 332/13 S. 1. 95 Vgl. Koalitionsvertrag 2013 zwischen CDU, CSU und SPD, S. 87. Auch in der laufenden Legislaturperiode ist der Erlass einer Bundeskompensationsverordnung vorgesehen, vgl. Koalitionsvertrag 2018 zwischen CDU, CSU und SPD, S. 139. Der Erlass scheitert jedoch bislang an der Zustimmung des Bundesrates sowie an dem (utopischen) Erfordernis, Einvernehmen mit mehreren betroffenen Bundesministerien herzustellen. 96 Da sich der Erlass einer Bundeskompensationsverordnung als hohe Hürde erwiesen hat, kann über den Erlass einer normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift nach Vorbild der TA Lärm oder TA Luft nachgedacht werden. Auch Michler/Möller hatten bereits den Erlass einer „TA Eingriff“ angedacht, um einheitliche Vorgaben zur Bewertung von Eingriffen und Kompensationsmaßnahmen vorzugeben, Michler/Möller, NuR 2011, 81 (87). 97 Storost, UPR 2015, 47 (48). 98 Storost, UPR 2015, 47 (48). Allerdings geht Storost zu weit, wenn er ausführt, dass die Erarbeitung entsprechender wissenschaftlich anerkannter Fachkonventionen die Rücknahme der Kontrolldichte letztlich überflüssig machen würde, Storost, UPR 2015, 47 (49); vgl. hierzu auch Ruß, NuR 2016, 686 (687 f.); Bick/Wulfert, NVwZ 2017, 346 (354).

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E. Herausforderungen in der Praxis

In Betracht kommt, neben der soeben dargestellten Rechtsform der Verordnung, der Erlass von Verwaltungsvorschriften.99 Mithilfe von Verwaltungsvorschriften sollen für eine abstrakte Vielzahl von Sachverhalten verbindliche Aussagen getroffen werden. Diese haben gleichwohl keine Außenwirkung.100 Die Bundesregierung ist mit Zustimmung des Bundesrates nach Art. 84 Abs. 2 GG zum Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften befugt.101 Gemäß § 54 Abs. 11 BNatSchG kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates im Bereich „Natura-2000“ allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen.102 Durch den Erlass von Arbeitshilfen und Leitlinien sollen bundeseinheitliche Kriterien einen gleichmäßigen und rechtssicheren Vollzug ermöglichen.103 Infrage kommen insbesondere normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften nach dem Modell der TA Luft und der TA Lärm. Entsprechend § 48 BImSchG müsste der Gesetzgeber eine gesetzliche Verankerung schaffen, in der sowohl die zuständige Stelle als auch das Verfahren geregelt ist.104 So würde beispielsweise der Erlass einer Verwaltungsvorschrift über die regelmäßig problematische Auswahl der Methode zur Erfassung und Bewertung des Artenbestandes ermöglicht. Eine entsprechende Ausgestaltung nach dem Modell der TA Luft und der TA Lärm ist daher zu empfehlen.105 (2) Vorhabenspezifische Standardisierungen: Windenergieerlasse Als vorhabenspezifische Standardisierungen sind die sog. Windenergieerlasse der Länder zu nennen, in denen durch die Ministerien oder Landesbehörden insbesondere Abstandsempfehlungen von Windkraftanlagen gegeben und Regelungen zum Artenschutz getroffen werden. Diese werden als (nur bedingt verbind-

99 Vgl. Hwang, KritV 94 (2011) 97 ff. Auch Bick/Wulfert, NVwZ 2017, 346 (355) erachten den Erlass von Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften als sinnvoll, äußern aber Bedenken im Rahmen des Artenschutzrechts, da hier dem Einzelfall mehr Bedeutung zukommt. 100 BVerfG, Beschl. v. 2.3.1999 – 2 BvF 1/94 – BVerfGE 100, 249 (258). Vgl. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 87. EL Stand: Mrz. 2019, Art. 84 GG Rn. 177; Suerbaum, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, 41. Ed. Stand: 15.5.2019, Art. 84 GG Rn. 49. 101 Ob es vor dem Hintergrund des Art. 84 Abs. 2 GG überhaupt der Einfügung des § 54 Abs. 11 BNatSchG bedurft hatte, mag dahinstehen. 102 Absatz 11 wurde eingefügt durch Art. 3 des Gesetzes vom 28.7.2011 (BGBl. I S. 1690). 103 Vgl. BT-Drs. 17/6073 S. 35. 104 Vgl. allg. zu normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften Schenke/Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 114 VwGO Rn. 29. 105 Fellenberg, NVwZ 2019, 177 (185); Dolde, NVwZ 2019, 1567 (1571); Maslaton, NVwZ 2019, 1081 (1082 ff.). Eine „TA Artenschutz“ für völlig undenkbar hält dagegen Gassner, DVBl. 2019, 1370 (1371).

II. Lösungsmöglichkeiten

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liche) Verwaltungsvorschriften erlassen.106 Sie dienen einem einheitlichen und effizienten Vollzug der maßgeblichen Vorschriften und bieten der Praxis eine gewisse Leitlinie. Sie sorgen für Vorhersehbarkeit, Kalkulierbarkeit und Rechtssicherheit und damit für zeit- und kostensparendere Zulassungsverfahren.107 Gleichzeitig entspricht die Vereinheitlichung dem Gleichbehandlungsgrundsatz.108 Zudem kann die Politik gelenkt und ein Mehr an Umweltschutz erzielt werden.109 Ein Beurteilungsspielraum darf von einer übergeordneten Stelle einheitlich ausgefüllt werden, sofern diese ihrerseits den erforderlichen fachlichen Sachverstand bereithält.110 Obwohl das föderale Deutschland in den verschiedenen Bundesländern systembedingt verschiedene Ansätze hervorbringt, sind hier eklatante Unterschiede zu erkennen (z. B. Beobachtungsdauer bei der Erfassung von Flugbewegungen kollisionsgefährdeter Vogelarten wegen der möglichen Erhöhung des Tötungsrisikos zwischen 108 Stunden pro Fixpunkt in Bayern und 54 Stunden in den meisten anderen Bundesländern).111 Dies ist mit Blick auf die regelmäßig geforderten „besten wissenschaftlichen Erkenntnisse“ durchaus skeptisch zu betrachten, stellt sich doch die Frage, ob der Windenergieerlass aus Bayern (z. B. pauschale Abstandsvorgaben112) oder etwa der aus Thüringen (z. B. Betrachtung des Einzelfalls) die aktuelle Fachkenntnis darstellt.113 Um zumindest den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand widerzuspiegeln, sind solche Erlasse regelmäßig zu überarbeiten.114 Außerdem fehlt erneut die rechtliche Verbindlichkeit. Windenergieerlasse haben keinen Gesetzesrang, sondern stellen lediglich administratives Innenrecht dar, welches den Planungsträger oder die Gerichte nicht bindet.115 Aus dem hierarchischen Aufbau der Staatsverwaltung folgt lediglich eine Bindungswirkung für nachgeordnete Stellen.116 Gerade in Bayern zeigt sich, 106

Vgl. zu den Rechtswirkungen Saurer, NVwZ 2016, 201 (203 f.). Saurer, NVwZ 2016, 201 (202). Vgl. VGH München, Urt. v. 30.6.2017 – 22 B 15.2365 – BayVBl. 2018, 379 (382). 108 Vgl. VGH München, Urt. v. 30.6.2017 – 22 B 15.2365 – BayVBl. 2018, 379 (382). 109 Schwarzenberg/Ruß, ZUR 2016, 278 (278). 110 Vgl. VGH München, Urt. v. 30.6.2017 – 22 B 15.2365 – BayVBl. 2018, 379 (381). 111 Siehe zur umfangreichen Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Inhalten der Windenergieerlasse in den verschiedenen Bundesländern, Schwarzenberg/Ruß, ZUR 2016, 278 ff.; Saurer, NVwZ 2016, 201 (202 f.). 112 Deren Folge ist allerdings ein weitgehender Ausbaustopp, weil zahlreiche potenziell geeignete Flächen der Windkraftnutzung entzogen werden. Dies steht in einem krassen Widerspruch zum politischen Ziel, den Ausbau der Windkraft zu fördern. 113 Schwarzenberg/Ruß, ZUR 2016, 278 (284). 114 Schwarzenberg/Ruß, ZUR 2016, 278 (278). 115 Schwarzenberg/Ruß, ZUR 2016, 278 (278). 116 Vgl. VGH München, Urt. v. 30.6.2017 – 22 B 15.2365 – BayVBl. 2018, 379 (381). 107

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E. Herausforderungen in der Praxis

dass der Windenergieerlass als antizipiertes Sachverständigengutachten eingestuft wird, von dem nicht ohne fachliche Begründung abgewichen werden darf.117 ff) Zwischenergebnis Auch Fachkonventionen sind kein zwingendes Recht. Fachkonventionen sind fachliche Übereinkünfte über Vorgehensweisen und Entscheidungsmaßstäbe, die nicht objektiv bestimmt werden können, sondern in Entscheidungsprozessen abgewogen werden.118 Diese können – und werden – einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen und in deren Folge abgelehnt werden.119 Dies gilt auch für Leitfäden und Windenergieerlasse, die bereits seit langem anerkannt sind. Erfreulich ist, dass weiterhin neue Standardisierungen herausgegeben werden. So wurde beispielsweise zur Operationalisierung des Signifikanzansatzes im Jahre 2016 eine Arbeitshilfe erarbeitet, deren Anerkennung in der Praxis abzuwarten bleibt.120 Kenntnislücken werden so geschlossen. Zusätzlich muss aber eine bessere Koordination und Bereitstellung der Erkenntnisse erfolgen. An welchen konkreten Stellen im Naturschutzrecht Standardisierungen fehlen, vermag diese Arbeit nicht zu entscheiden und soll den naturschutzfachlichen Experten aus der Praxis überlassen bleiben. Es sollte dennoch Folgendes nicht vernachlässigt werden: Die Natur ist etwas Lebendiges. Die Natur lässt sich, wohl zur Enttäuschung der Juristen, nicht in ein Schema pressen, sondern unterliegt der Veränderung. Es sollte realisiert und akzeptiert werden, dass es in dieser Materie keine hundertprozentige Sicherheit geben kann. Standardisierungen sind gut und können zur Entlastung der Rechtsanwender führen. Diese werden aber nicht alle Unsicherheiten ausräumen können. Das Verbleiben eines gewissen Spielraums ist nötig, damit auf Einzelfälle und wissenschaftliche Fortschritte entsprechend reagiert werden kann. Denn die zwingend mit der Standardisierung einhergehende Pauschalisierung rückt die Besonderheiten des Einzelfalls in den Hintergrund. Zusammenfassend lassen sich folgende wichtige Bausteine festhalten: Die Arbeitshilfen müssen durch die entsprechenden neutralen und unabhängigen Bun117 VGH München, Urt. v. 18.6.2014 – 22 B 13.1358 – BeckRS 2014, 53520 Rn. 45; VGH München, Urt. v. 30.6.2017 – 22 B 15.2365 – BayVBl. 2018, 379 (381 f.). Zu berücksichtigen ist also etwa ein hiervon abweichender allgemein anerkannter Stand der Wissenschaft, Schenk, BayVBl. 2019, 649 (657). 118 Wulfert u. a., Standardisierungspotenzial, 2015, S. 6 f.; Kiemstedt, ANL 1996, 93 (93). 119 Bick/Wulfert, NVwZ 2017, 346 (354). 120 Bernotat/Dierschke, Übergeordnete Kriterien zur Bewertung der Mortalität wildlebender Tiere im Rahmen von Projekten und Eingriffen, 3. Fassung – Stand 20.9.2016; vgl. hierzu Bernotat, ZUR 2018, 594 (594). Das BfN verweist auf seiner Webseite bereits auf die Arbeitshilfe, https://www.bfn.de/themen/planung/eingriffe/veroeffent lichungen.html (zuletzt aufgerufen am 20.12.2019).

II. Lösungsmöglichkeiten

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des- und Landesstellen (z. B. Bundes- und Landesumweltministerien, BfN, UBA, LfU, etc.) erarbeitet und mit den entsprechenden Experten abgestimmt werden, um eine gefestigte Fach- und Sachkunde zu gewährleisten. Die abschließende Entscheidung sollte der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates obliegen.121 Die Standardisierungen müssen dabei stets – durch regelmäßige Überprüfungen und Überarbeitungen – aktuell gehalten werden und eine breite Anerkennung und gewisse Transparenz aufweisen.122 Die Voraussetzungen für die zu vereinheitlichende Anerkennung von Arbeitshilfen als (verbindliche) Fachkonventionen bedürfen einer gesetzlichen Regelung.123 Zuletzt sollten die Standardisierungen an einer einheitlichen Stelle gesammelt und verfügbar gemacht werden.124 Letztlich bleibt zu erwähnen, dass der weitere Ausbau der Standardisierungen und Fachkonventionen sowohl wünschenswert als auch notwendig ist.125 Zwar hilft dies über die Anerkennung der Beurteilungsspielräume und die Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle nicht hinweg.126 Dies gilt vor allem, weil weiterhin geprüft werden muss, ob die wissenschaftlichen Erkenntnisse bzw. die konkretisierenden Leitfäden und Verwaltungsvorschriften noch dem aktuellen Standard entsprechen.127 Zudem sind Vereinheitlichungen nicht überall denkbar, weil es gegebenenfalls entschieden auf den Einzelfall ankommt.128 Außerdem nimmt die Ausarbeitung von Arbeitshilfen viel Zeit in Anspruch, obwohl hierbei nicht sicher ist, ob diese letztlich Anerkennung finden.129 Geschaffen wird aber mehr Transparenz und Objektivität und hierdurch auch mehr Akzeptanz in der Bevölkerung. Letztlich ist es Aufgabe des Gesetzgebers, die Voraussetzungen zu schaffen, um eine nachvollziehbare und kontrollierbare Rechtsanwendung zu ermöglichen.130 121 Vgl. §§ 15 Abs. 7, Abs. 8; 54 Abs. 11 BNatSchG. Vgl. Dolde, NVwZ 2019, 1567 (1571). 122 Vgl. Bick/Wulfert, NVwZ 2017, 346 (353); Bick, NuR 2016, 73 (76); Storost, UPR 2015, 47 (49). 123 Vgl. Bick/Wulfert, NVwZ 2017, 346 (355). Kritik an der intransparenten Anerkennung oder Ablehnung von Leitfäden als Fachkonventionen äußert Fellenberg, AnwBl. 2016, 648 (651). 124 Vgl. zu diesem Vorschlag auch Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Innovationsforum Planungsbeschleunigung – Abschlussbericht, 2017, S. 19 f. 125 So auch Bick, NuR 2016, 73 (78); Kahl/Burs, DVBl. 2016, 1222 (1228). 126 Nur im besten Fall, in dem die Standardisierung auch den wissenschaftlichen Meinungsstreit entscheidet, mag dies möglich sein, vgl. Bick/Wulfert, NVwZ 2017, 346 (354). Zu weitgehend Storost, UPR 2015, 47 (49). 127 Vgl. Kloepfer, Umweltschutzrecht, 2. Aufl. 2011, § 5 Rn. 29. 128 Bick/Wulfert, NVwZ 2017, 346 (355); Wulfert u. a., Standardisierungspotenzial, 2015, S. 5. 129 Fellenberg, AnwBl. 2016, 648 (651). 130 Vgl. Fellenberg, AnwBl. 2016, 648 (652); Gärditz, Gutachten D zum 71. DJT, Thesen 15 und 17 auf S. 103 f. Für eine Erhöhung der Regelungsdichte auch Beckmann, DVBl. 2019, 1172 (1175).

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E. Herausforderungen in der Praxis

Im Übrigen hat auch das BVerfG 131 in seiner Entscheidung vom 23.10.2018 den Gesetzgeber in die Pflicht genommen, indem es gefordert hat, dass für grundrechtsrelevante Bereiche zumindest eine untergesetzliche Maßstabsbildung erfolgen soll. Wenn durch den Ausbau der Standardisierungen weitere Kenntnislücken geschlossen werden, wird auch die faktische Grenze des Überprüfbaren verschoben. Zudem wird hierdurch die Steuerung staatlicher Entscheidungen dem Zugriff Privater weitgehend entzogen.132 Der Ausbau der Standardisierungen ist daher auch in diesem Zusammenhang zu empfehlen. 2. Judikative Eine stets und in allen Bereichen wiederkehrende Forderung ist die nach der Erhöhung der Personalkapazitäten. Mehr Personen können sicherlich mehr Arbeit bewältigen bzw. die gleiche Arbeit schneller und gründlicher erledigen. Ohne die Option der Steigerung der Personalressourcen ablehnen zu wollen, soll doch der Fokus auf die Qualifizierung und die Struktur der Judikative gelenkt werden. Naturschutzrechtliche Fragestellungen werden im Rahmen der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit entschieden. Spezifische naturschutzfachliche Kenntnisse werden bei der Befähigung zum Richteramt aber nicht vorausgesetzt.133 Dementsprechend werden sich die naturschutzfachlichen Kenntnisse der entscheidenden Richter – ohne einzelnen naturschutzfachlich versierten Ausnahmefällen zu nahe treten zu wollen – in Grenzen halten, jedenfalls zu Beginn der Beschäftigung mit diesen Fragen.134 Somit kommt als Ansatzpunkt in Betracht, den Sachverstand der Entscheidungsträger zu erhöhen. Dies kann durch Fort- und Weiterbildungen erfolgen, wobei diese sowohl extern als auch intern (im Gericht oder gar im Senat) durchgeführt werden können. Eine Erhöhung des Sachverstandes könnte dazu beitragen, dass die Richter sich besser zur Entscheidung in der Lage sehen, dadurch vornehmlich selbst entscheiden wollen und einen Beurteilungsspielraum der Administrative seltener annehmen werden.135 Zudem befindet sich die Verwaltung stärker in einer argumentativen Rechtfertigungssituation, wenn sie dem hohen Sachverstand der Gerichte gegenübersteht.136 Auf der ande131 BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54 Rn. 24). 132 Vgl. hierzu Schröder, EurUP 2019, 91 (95). 133 § 5 DRiG. Vgl. hierzu Grashof, EEELR 2018, 151 (151); Classen, in: 71. DJT, Diskussion und Beschlussfassung, S. N 233. 134 Dafür, dass eine vertiefende Auseinandersetzung mit technischen Fragestellungen zwar mühsam, aber möglich sei, Behrens, in: 71. DJT, Diskussion und Beschlussfassung, S. N 218 f.; Kahl, in: 71. DJT, Diskussion und Beschlussfassung, S. N 220. 135 Vgl. Wilke, Die Kontrollfunktion der Verwaltungsgerichte, in: Merten, Gewaltentrennung im Rechtsstaat, 1989, S. 135 (140); vgl. auch Paloniitty/Kangasmaa, EEELR 2018, 125 (131). 136 Vgl. Gärditz, in: 71. DJT, Diskussion und Beschlussfassung, S. N 219.

II. Lösungsmöglichkeiten

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ren Seite versetzt die Erhöhung des fachlich-technischen Sachverstandes die Richter in die Lage, die Notwendigkeit zu erkennen, wann und zu welcher Fragestellung in einem Fall externer Sachverstand heranzuziehen ist.137 So wird neben der Akzeptanz der gerichtlichen Entscheidung auch deren Einheitlichkeit und Vorhersehbarkeit gesteigert, woraus letztlich mehr Rechtssicherheit folgt. Eine weitere Möglichkeit, den Sachverstand im Gericht zu erhöhen, besteht darin, nach finnischem Vorbild eine gewisse Anzahl an sog. Experten-Richter in das Entscheidungsgremium aufzunehmen.138 Diese Richter verfügen zwar über technische und naturwissenschaftliche Kompetenzen, haben aber keine juristische Ausbildung genossen. Hierdurch wird dem Umstand entsprochen, dass es für das Treffen umweltrechtlicher Entscheidungen neben der juristischen Expertise vor allem auch auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse ankommt.139 Der große Vorteil einer solchen Lösung besteht also darin, dass die umwelttechnischen Kenntnisse nicht nur durch externe Gutachten, sondern persönlich durch einen Teil des Entscheidungsgremiums eingebracht werden. So werden naturschutzfachliche Fragestellungen nicht erst im Verfahren, sondern von Beginn an eingehend betrachtet und berücksichtigt. Dabei wird auch deutlich, welche naturwissenschaftliche Fragestellung näherer Erörterung bedarf und welche Fragen möglicherweise zusätzlich von externen Sachverständigen differenziert begutachtet werden müssen.140 Allerdings ist das System der Experten-Richter in Deutschland eher unüblich und entspricht nicht dem deutschen Verwaltungsrechtssystem. Besonders fraglich ist dann, in welcher (demokratisch legitimierten) Form die Experten-Richter ausgewählt werden sollten. Diesen juristisch als Laienrichter einzuordnenden Experten käme wohl eine zu bedeutsame Rolle in der Rechtsprechung zu.141 Zudem erscheint es schwierig, alle fallspezifisch erforderlichen Kenntnisse in einem Experten bereitzuhalten. 142 Dieser Vorschlag ist daher abzulehnen. In Betracht kommt stattdessen eine Konzentration des Fachwissens, indem Umweltgerichte oder Umweltkammern gebildet werden. Dies wird mittlerweile in vielen Ländern so gehandhabt.143 Dabei werden vor allem die hohen fach137

Vgl. Grashof, EEELR 2018, 151 (155). Vgl. Paloniitty/Kangasmaa, EEELR 2018, 125 (125). 139 Vgl. Paloniitty/Kangasmaa, EEELR 2018, 125 (126). 140 Vgl. Paloniitty/Kangasmaa, EEELR 2018, 125 (135). 141 Der Sachverständige könnte sich als „König des Verfahrens“ fühlen, Rennert, in: 71. DJT, Diskussion und Beschlussfassung, S. N 269. 142 Vgl. Grashof, EEELR 2018, 151 (156). Vorzugswürdig erscheint daher die im Folgenden beschriebene Einsetzung einer staatlichen Gutachtenstelle, die wohl durch die größere und vielseitigere Personalausstattung besser in der Lage wäre, die entsprechende Fachkenntnis in der Fülle und Breite verfügbar zu halten, s. u. E. II. 5. auf S. 250 ff. 143 Vgl. Pring/Pring, Greening Justice, 2009, S. 14 ff. sowie Bechtel, UFU-Paper 01/ 2016, S. 5 ff. 138

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E. Herausforderungen in der Praxis

wissenschaftlichen Kenntnisse, eine gesteigerte Effizienz der Verfahren, eine größere Sichtbarkeit umweltrechtlicher Entwicklungen und die Konsistenz umweltrechtlicher Entscheidungen als Vorteile genannt.144 Eine Spezialisierung der Richter könnte zu besseren fachspezifischen Kenntnissen und damit zwangsläufig zu besseren Ergebnissen führen.145 Zudem würde wohl auch die Entscheidungsfindung beschleunigt.146 Allerdings ist bereits die damit einhergehende Fragmentierung des Rechts kritikwürdig und zudem erscheint die Abgrenzung der „umweltrechtlichen“ Gegenstände und eine hinreichende Auslastung dieser Sondergerichte fraglich.147 Prinzipiell ist die Errichtung von Sondergerichten in Deutschland nach Art. 101 GG möglich.148 Zu bedenken ist aber, dass das Umweltrecht, vor allem aber das Naturschutzrecht, in diversen Konstellationen relevant werden kann. So stellt es häufig nur einen von vielen zu betrachtenden Schwerpunkten einer Fallkonstellation dar. Anstatt eines reinen Naturschutzgerichts ist daher jedenfalls die Schaffung eines mehr Fallgestaltungen umfassenden Umweltgerichts erfolgsversprechender.149 Unsicher erscheint zunächst die korrekte Zuteilung der Fälle nach Schwerpunkten. Zudem ist die Eingliederung in das bestehende Gerichtssystem schwierig.150 Einfacher und ohne eine tiefgreifende strukturelle Veränderung der Verwaltungsgerichtsbarkeit könnten auf der Ebene der Oberverwaltungsgerichte Umweltrechtskammern eingesetzt werden.151 Der Mehrwert scheint indes begrenzt. Bereits jetzt wird im Rahmen des Geschäftsverteilungsplans eine gewisse Spezialisierung vorgenommen (Fachplanungssenate, etc.).152 Ein gewisser Wiedererkennungswert bei der Fallbearbeitung besteht folglich bereits. Würde diese Ver-

144

Pring/Pring, Greening Justice, 2009, S. 14 ff. Vgl. Paloniitty/Eliantonio, EEELR 2018, 108 (108). 146 Vgl. Grashof, EEELR 2018, 151 (157); Bechtel, UFU-Paper 01/2016, S. 25. 147 Vgl. Pring/Pring, Greening Justice, 2009, S. 17 f. 148 Aufgrund der abschließenden Aufzählung der Bundesgerichte in Art. 95, 96 GG gilt dies aber nur auf Landesebene. Vgl. Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, 41. Ed. Stand: 15.2.2019, Art. 101 GG Rn. 34. 149 Z. B. besteht in Indien ein oberstes Umweltgericht, sog. National Green Tribunal. Vergleicht man aber die (weiten) Zuständigkeiten der Umweltgerichte in anderen Ländern, so geht es dort wohl weniger um Genehmigungsverfahren als um die Sanktion von Umweltschäden. Zwar könnte ein Umweltgericht in der heutigen Klima- und Umweltschutzdebatte durchaus in die richtige Richtung weisen. Eine Ausweitung der Gerichtszuständigkeit über das Naturschutzrecht hinaus würde aber der vorliegenden Problematik nur begrenzt gerecht. 150 So kommt neben einem alleinstehenden Gericht im Rahmen der bestehenden Gerichtsstruktur auch ein separater Gerichtszweig in Betracht. Vergleichbar ist dies mit den Sozial- und Finanzgerichten. Vgl. Bechtel, UFU-Paper 01/2016, S. 10 f. 151 Vgl. Bechtel, UFU-Paper 01/2016, S. 9 f. 152 Vgl. Beckmann, DÖV 2019, 773 (778). 145

II. Lösungsmöglichkeiten

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teilung zugunsten des Naturschutzrechts umstrukturiert, könnte dies für andere Gebiete nachteilig sein, die bislang besondere Zuständigkeiten und spezifische Fachkenntnisse der jeweiligen Senate begründen.153 Das Naturschutzrecht ist als umweltrechtliches Querschnittsgebiet naturgemäß in vielen Konstellationen betroffen. Im Rahmen der gerichtlichen Prüfung ist an den Untersuchungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 VwGO zu erinnern, der das Gericht zur Erforschung und Klärung des Sachverhalts von Amts wegen verpflichtet.154 Dies ist zudem die Voraussetzung für die Bildung der richterlichen Überzeugung nach § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO. Der Anwendungsbereich des § 86 VwGO ist auf die Feststellung der Tatsachen beschränkt. Damit fallen die Beurteilungsspielräume aus dem Anwendungsbereich heraus, die (jedenfalls theoretisch) nur im Rahmen der Subsumtion anerkannt werden.155 Das Gericht hat, sofern ihm die erforderliche Sachkunde fehlt, geeignete Sachverständige zuzuziehen oder sich durch Sachverständige beraten zu lassen.156 In jedem Fall hat das Gericht, um eine eigene Überzeugung i. S. d. § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO zu bilden, die Gutachten selbstverantwortlich zu überprüfen und nachzuvollziehen. Nach §§ 96 ff. VwGO können Sachverständige zur Beweisaufnahme herangezogen werden. Diese Möglichkeit der Gerichte, auch externen Sachverstand heranzuziehen, ist im Naturschutzrecht elementar.157 So ist nicht nur der interne Sachverstand, sondern auch der externe Sachverstand zu erhöhen. Wenn Unsicherheiten bestehen, kann es geboten sein, dass das Gericht ein weiteres Gutachten einholt (sog. Obergutachten). Dies kommt besonders in Betracht, wenn Zweifel an etwaigen Parteigutachten bestehen, deren Unabhängigkeit in Frage

153 So lag auch bei den vorliegend betrachteten Verfahren der Schwerpunkt nicht immer einzig und allein auf dem Naturschutzrecht. Hinreichende Kenntnisse müssten also weiterhin über das Umweltgericht oder die Umweltkammer hinaus vorhanden sein, um auch in Fallgestaltungen, bei denen das Naturschutzrecht nur als Randbereich auftritt, souverän und vor allem richtig entscheiden zu können. 154 Vgl. Beckmann, DVBl. 2019, 1172 (1178); Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 86 VwGO Rn. 1. 155 Faktisch beziehen sie sich aber im Naturschutzrecht darüber hinaus auf die Ermittlung der Tatsachen, wenn es etwa um die Bestandserfassung des Artenvorkommens geht. Auch hier befassen sich die Gerichte aber ausführlich mit den der Entscheidung zugrunde gelegten Gutachten und bilden so wohl ihre eigene Überzeugung i. S. d. § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO. Als Alternative zur Ausdehnung der Beurteilungsspielräume auf die Feststellung der Tatsachen nennt Gärditz die Begrenzung der Untersuchungspflicht, wobei die Sachverhaltsaufklärung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt werden könnte, Gutachten D zum 71. DJT, 2016, S. 77. Dieser Vorschlag wurde abgelehnt, vgl. 71. DJT, DJT-Beschluss zum Öffentlichen Recht Nr. 19, S. N 162. 156 Vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 86 VwGO Rn. 9. 157 Die Rechtsprechungsanalyse hat aber gezeigt, dass sich die Gerichte regelmäßig auf die Heranziehung der bestehenden Gutachten beschränken und keine eigenen Sachverständigen zuziehen.

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E. Herausforderungen in der Praxis

gestellt wird oder bessere Methoden bekannt sind.158 Faktisch wird dies jedoch dann schwierig, wenn bereits die besten Fachleute mit dem Fall befasst waren.159 Es besteht nämlich häufig nur ein begrenztes Kontingent an Experten. Ein Expertenpool in Reichweite des Gerichts erscheint gleichwohl vielversprechend.160 Positiv zu bewerten ist daher die niederländische Lösung, die nicht an der Struktur der Verwaltungsgerichtsbarkeit, sondern extern ansetzt. Hier wurde ein Beirat geschaffen, dessen einzige Aufgabe in der Beratung der Verwaltungsgerichte in umwelt- und planungsrelevanten Fragen liegt.161 Die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Ausschusses ist gesetzlich geregelt.162 Durch das zentrale Erstellen der Gutachten wird eine kostspielige und zeitaufwändige „Gutachtenschlacht“ zwischen den Parteien verhindert.163 Dies führt letztlich zu einer institutionellen Entlastung der Richter, da diesen nicht mehr die (mitunter schwierige) Auswahl eines Sachverständigen obliegt. Zusammenfassend ist an der eigenen Sach- und Fachkenntnis der Judikative anzusetzen und diese durch entsprechende Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zu erhöhen. Die bestehende Spezialisierung durch die Geschäftsverteilungspläne ist beizubehalten. Das Zusammenspiel der aufeinander angewiesenen Richter und Gutachter sollte mehr Beachtung finden.164 Im Übrigen kann durch das Schaffen einer externen Stelle die Einholung zusätzlichen Sachverstandes erleichtert werden.165 3. Exekutive Je nach Verwaltungsstruktur besteht in den Bundesländern ein zwei- oder dreistufiger Naturschutzverwaltungsaufbau: Oberste Naturschutzbehörden sind die jeweiligen Landesministerien, Obere Naturschutzbehörden sind i. d. R. die Regierungspräsidien und Untere Naturschutzbehörden sind die Landkreis- oder Stadtverwaltungen.166 Da die Behörden über naturschutzfachliche Fragestellungen zu

158 Vgl. Grashof, EEELR 2018, 151 (152); Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 108 VwGO Rn. 10. 159 Vgl. Rennert, DVBl. 2019, 133 (136); Hien, DVBl. 2018, 1029 (1031). 160 Dies gilt sowohl intern als auch extern. 161 Sog. Stichting Advisering Bestuursrechtspraak voor Milieu en Ruimtelijke Ordening (StAB). Vgl. Backes, EEELR 2018, 143 (143). 162 Vgl. Backes, EEELR 2018, 143 (144). 163 Bechtel, UFU-Paper 01/2016, S. 23; Epiney, NVwZ 2014, 465 (466). 164 Vgl. hierzu Hegele, Die Bedeutung von Sachverständigengutachten, 1993, S. 65 f. 165 Ausführlich zur Schaffung einer staatlichen Gutachtenstelle s. u. E. II. 5. auf S. 250 ff. 166 Vgl. Böcher/Töller, Umwelt- und Naturschutzpolitik der Bundesländer, in: Hildebrandt/Wolf, 2016, S. 259 (260 f.); Kahl/Gärditz, Umweltrecht, 11. Aufl. 2019, § 10 Rn. 15.

II. Lösungsmöglichkeiten

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entscheiden haben und dabei insbesondere externen Sachverstand beurteilen müssen, erscheint es naheliegend, bei der Exekutive nach Lösungen zu suchen. Wird ein Letztentscheidungsrecht der Verwaltung angenommen, so wird dieser eine enorme Verantwortung übertragen. Dem kann die Verwaltung nur gerecht werden, wenn sie die nötigen Kenntnisse hat, um den Einzelfall eigenverantwortlich zu beurteilen und zu entscheiden.167 Grundsätzlich werden den Entscheidungen drei Quellen zugrunde gelegt: die Auslegung des Gesetzes, die Heranziehung von Sachverständigen sowie die eigene Sachkenntnis. Die bereits dargestellten Schwierigkeiten bei der Bewertung naturschutzfachlicher Fragestellungen wirken sich auch auf die Exekutive aus. Der Klimawandel, die Globalisierung und der Rückgang der biologischen Vielfalt werfen stets neue Problemfelder auf. Außerdem nimmt die Komplexität der behördlichen Entscheidungen stark zu, angesichts der Spezialisierung der Umweltverbände, des Mehrs an Umweltinformationen und der Erweiterung der Öffentlichkeitsbeteiligung.168 Gerade auf der Ebene der Exekutive müssen umfassende technische und naturwissenschaftliche Qualifizierungen und Ortskenntnis bereitgehalten werden, insbesondere um mit den steigenden fachlichen und rechtlichen Kenntnisse der Umweltverbände Schritt halten zu können. Seit den 2000er Jahren erfolgten diverse Veränderungen der Umweltverwaltungsstruktur in den Bundesländern, insbesondere wurden spezialisierte Behörden in die Allgemeine Verwaltung eingegliedert oder aufgelöst.169 Problematisch sind vor allem die Kürzung der staatlichen Ausgaben für den Umweltschutz und insbesondere der stetige Personalabbau in der Umweltverwaltung.170 Die Leistungsfähigkeit der Umweltverwaltung leidet unter andauernden Personaleinsparungen.171 Fachlich überzeugende Entscheidungen sind notgedrungen von einer ausreichenden Menge qualifizierten Fachpersonals abhängig. Zu beobachten ist gleichwohl ein gegenläufiger Trend.172 Durch Stelleneinsparungen geht zudem wertvolles Wissen in erheblichem Ausmaß verloren. Im Übrigen fehlen die personellen Ressourcen, um Transparenz und Akzeptanz durch eine umfassende Dokumentation und Außenkommunikation zu gewährleisten.173 167

Vgl. Gärditz, Gutachten D zum 71. DJT, 2016, S. 66 ff. Klein, EurUP 2019, 43 (45). 169 Böcher/Töller, Umwelt- und Naturschutzpolitik der Bundesländer, in: Hildebrandt/Wolf, 2016, S. 259 (270 f.). 170 Vgl. SRU, Umweltverwaltungen unter Reformdruck, 2007, S. 71 f. 171 Vgl. Klein, EurUP 2019, 43 (45). 172 Die Landesverwaltung im Umweltbereich in Baden-Württemberg verfügte 2016 über 17 % weniger Stellen als 2006, vgl. Bogumil/Bogumil/Ebinger/Grohs, Weiterentwicklung der baden-württembergischen Umweltverwaltung, Gutachten vom 22.8.2016, S. 28. Grund hierfür waren die Verwaltungsstrukturreform und diverse Einsparprogramme. Einen ähnlichen Trend stellte der Sachverständigenrat für Umweltfragen bereits 2007 fest, vgl. SRU, Umweltverwaltungen unter Reformdruck, 2007, S. 200. 173 Vgl. Klein, EurUP 2019, 43 (47). 168

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E. Herausforderungen in der Praxis

Der stetige Personalrückgang wirkt angesichts der kontinuierlich komplizierter werdenden Einzelfälle noch bedenklicher. Ziel muss sein, den Sach- und Fachverstand in Behörden und Gerichten zu steigern.174 Denn jede materielle Ausgestaltung geht fehl, wenn die Behörden und Gerichte nicht entsprechend personell ausgestattet sind.175 Es wird weiterhin nicht mit entsprechendem Vertrauen in die Richtigkeit (sowohl bezüglich der Fachkunde als auch der Neutralität) der behördlichen Entscheidungen zu rechnen sein, sollte nicht deren Sachverstand ausgebaut werden.176 Der Praxis, dass vom Vorhabenträger etwa aufgrund von Unwissenheit in der zuständigen Behörde zu umfangreiche Gutachten gefordert werden, würde so eher Einhalt geboten.177 Positiver Nebeneffekt könnte ein auf dem gestiegenen Vertrauen beruhender Rückgang der Rechtsstreitigkeiten sein.178 Die besondere Sachkunde der Behörden ist die Grundvoraussetzung für deren letztverbindliche Entscheidung. Nur mit der entsprechender Sachkenntnis können die Entscheidungsträger das Vertrauen wecken, dass richtige Entscheidungen getroffen werden.179 Die Abhängigkeit von externem (privatem) Wissen wird durch die Steigerung des internen Wissens reduziert.180 Fehlt dieses, so erfolgt die Ausfüllung des administrativen Beurteilungsspielraums durch den Vorhabenträger und den von ihm beauftragten Gutachter, mithin durch nicht demokratisch legitimierten privaten Sachverstand.181 Es erscheint gleichwohl unrealistisch anzunehmen, dass diese Kenntnisse derart ausgebaut werden können, dass die Einholung externen Sachverstandes überflüssig würde. Die Fachkunde bei den Zuständigen in der erforderlichen Breite und Aktualität zu erhalten, lässt sich (mit den vorhandenen Mitteln) kaum gewährleisten.182 Die behördliche Zuständigkeitsverteilung, Umstrukturierungen, die Versetzung verdienter Beamter und der Generationswechsel in der Verwaltung tragen zur Diskontinuität und fehlender Fachkenntnis bei.183 Sobald der kontinuierlich dezimierten und dezentralisierten Verwaltung die zunehmend spezialisierte und informierte Öffentlichkeit entgegensteht, sind Konflikte vorprogrammiert.184 174 Bogumil/Bogumil/Ebinger/Grohs, Weiterentwicklung der baden-württembergischen Umweltverwaltung, Gutachten vom 22.8.2016, S. 77. 175 Bezüglich der Behörden vgl. Fellenberg, AnwBl. 2016, 648 (651). 176 Vgl. Fellenberg, AnwBl. 2016, 648 (651). 177 Vertieft zu den Problemen der Verwaltung beim Vollzug der umweltrechtlichen Normen, vgl. Bogumil/Bogumil/Ebinger/Grohs, Weiterentwicklung der baden-württembergischen Umweltverwaltung, Gutachten vom 22.8.2016, S. 66 ff. 178 Vgl. Fellenberg, AnwBl. 2016, 648 (651). 179 Herzog, NJW 1992, 2601 (2603). 180 Vgl. Gärditz, Gutachten D zum 71. DJT, 2016, S. 66 f. 181 Vgl. Fellenberg, AnwBl. 2016, 648 (652). 182 Rennert, Referat 71. DJT, S. N 150. A. A. Fellenberg, AnwBl. 2016, 648 (651). 183 Rennert, Referat 71. DJT, S. N 150. 184 Vgl. Klein, EurUP 2019, 43 (45).

II. Lösungsmöglichkeiten

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Droht die Überforderung der Verwaltung, erhöht sich die Gefahr nicht zufriedenstellender Entscheidungen. Im Ergebnis stellt die Anhebung der Sach- und Fachkunde bei den Behörden und Gerichten gleichwohl einen weiteren wichtigen Angriffspunkt dar. Eine personelle Verstärkung könnte zur Entlastung der bestehenden Personalressourcen beitragen. Dem Trend zu Personaleinsparungen und zur Verallgemeinerung der Aufgabenbereiche sollte Einhalt geboten werden. Vielmehr erscheint eine Bündelung und Spezialisierung der Aufgabenwahrnehmung vielversprechend, um einen gewissen Wiedererkennungswert bei der Rechtsanwendung sowie Erfahrung und Routine zu gewährleisten. 4. Gutachter Bei fehlender Sachkenntnis der Behörden und Gerichte wird auf externen Sachverstand zurückgegriffen. Ins Blickfeld rücken somit die Gutachter, deren Expertise die Grundlage für die behördliche und letztlich für die gerichtliche Entscheidung darstellt. Die Behörde und das Gericht entscheiden in eigener Verantwortung. Je größer deren Kenntnislücken sind und je mehr auf die Korrektheit der externen Gutachten vertraut wird, desto höhere Ansprüche müssen an diese gestellt werden. Sie geben die Richtung der Entscheidung vor. Fachlich kann das Gutachten jedoch nur so gut sein, wie es der Sachverstand des erstellenden Gutachters zulässt. Zudem muss die Objektivität, Neutralität, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Expertise gewährleistet werden.185 Klarer gesetzlicher Regelungen bedarf daher die Auswahl der Gutachter sowie die Qualitäts- und Transparenzsicherung, also insbesondere die Akkreditierung und Zertifizierung der Sachverständigen, sowie die Art und Weise der Mitwirkung.186 Letztlich bestehen diverse Möglichkeiten, an der Person des Gutachters anzusetzen, um vor allem dessen Qualifikation sicherzustellen. Ergänzend können erhöhte Anforderungen an die Erstellung der Gutachten gestellt werden. a) Person des Gutachters Richtigerweise verbleibt die Letztverantwortung bei der Verwaltung bzw. bei den Gerichten. Die fehlende Sachkenntnis und die fehlenden personellen und zeitlichen Ressourcen machen es jedoch regelmäßig unmöglich, eine umfassende Überprüfung des externen Sachverstandes zu gewährleisten.187 Faktisch wird da185 Meßerschmidt, EurUP 2014, 11 (20); vgl. auch Hegele, Die Bedeutung von Sachverständigengutachten, 1993, S. 41 ff. 186 Vgl. Meßerschmidt, EurUP 2014, 11 (20); vgl. Voßkuhle, Sachverständige Beratung des Staates, in HStR III, 3. Aufl. 2005, § 43 Rn. 65 ff. und die Hinweise von Fehling, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, 2001, S. 486 f. zum Zusammenhang zwischen Unparteilichkeitsniveau und Beurteilungsspielraum. 187 Voßkuhle, Sachverständige Beratung des Staates, in: HStR III, 3. Aufl. 2005, § 43 Rn. 61.

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E. Herausforderungen in der Praxis

durch ein Teil der Letztentscheidung auf Private übertragen. Gibt der Staat diesbezüglich die Macht aus der Hand, so muss die private Mitwirkung an der staatlichen Entscheidungsfindung im Ausgleich gesetzlich geregelt werden.188 Der Begriff des „Sachverständigen“ ist in Deutschland keine geschützte Bezeichnung.189 Somit kann sie jeder tragen, der eine gewisse Sachkunde nachweisen kann. Bei der Einordnung der Sachverständigen gibt es dementsprechend diverse Varianten. Diese können private Sachverständige sein, sie können öffentlich bestellt und vereidigt190 oder für das jeweilige Fachgebiet verbandlich oder staatlich anerkannt sein.191 Es kann eine Akkreditierung von Gutachtern und Gutachterorganisationen erfolgen. Eine Überprüfung der Qualifikation kann zudem über eine Personenzertifizierung erfolgen.192 In jedem Fall kann hierdurch eine gewisse Mindestqualifikation der Gutachter gewährleistet werden. Im Naturschutzrecht werden lediglich nach § 51 Abs. 1 S. 2 BNatSchG vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit anerkannte unabhängige sachverständige Stellen oder Personen herangezogen, um zu klären, ob bestimmte Arten den Ein- und Ausfuhrregelungen oder den Besitzund Vermarktungsverboten unterfallen. Im Übrigen wird die zuständige Behörde lediglich dazu ermächtigt, Gutachten einzufordern. Voraussetzungen an diese Gutachten oder die Gutachter werden nicht gestellt.193 Mehr Verlässlichkeit und Bindungswirkung würden entstehen, wenn Gutachter ein öffentliches Amt bekleiden oder zumindest allgemein beauftragt wären. Durch Amtsethos und Eid würden sie hier sowohl rechtlich als auch ethisch auf Gesetz und Gemeinwohl verpflichtet.194 Vor der Anerkennung eines Gutachters müsste Gewissheit bestehen, dass dieser die erforderliche Fachkenntnis hat und zusätzlich damit zu rechnen ist, dass er seine Aufgaben objektiv und neutral ausübt. Dies kann durch eine Prüfung (schriftlich und mündlich/praktisch) erfolgen.195 Einer solchen Prüfung steht etwa Art. 12 Abs. 1 GG nicht entgegen. Es 188 Vgl. Voßkuhle, Sachverständige Beratung des Staates, in: HStR III, 3. Aufl. 2005, § 43 Rn. 66. 189 Ebenso wenig ist die Bezeichnung „Gutachter“ geschützt, vgl. DRL, Qualifizierung und Zertifizierung von Fachgutachtern, 2017, S. 4, https://www.landespflege.de/ aktuelles/zertifizierung/Endfassung%20Bericht%20lang%2030012017.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.12.2019). 190 Vgl. § 36 GewO; vgl. hierzu Scholl, Der private Sachverständige im Verwaltungsrecht, 2005, S. 46; BVerwG, Urt. v. 27.6.1974 – I C 10/73 – BVerwGE 45, 235 (238 ff.). 191 Vgl. § 29a Abs. 1 BImSchG, § 18 S. 1 BBodSchG. 192 Die Zertifizierung nach ISO/IEC 17024 genießt z. B. mittlerweile weltweite Anerkennung. 193 Vgl. § 17 Abs. 4 S. 2 BNatSchG; § 56a Abs. 1 S. 4 BNatSchG. 194 Rennert, Referat 71. DJT, S. N 151. 195 Zur PrüfVO NRW vgl. OVG Münster, Urt. v. 14.6.2017 – 4 A 1958/14 – DVBl. 2017, 1252 ff.

II. Lösungsmöglichkeiten

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geht gerade nicht um objektive Bedingungen der Zulassung, die mit der persönlichen Qualifikation des Berufsanwärters, also des Gutachters, nichts zu tun haben und auf die er keinen Einfluss nehmen kann.196 Es handelt sich hierbei also um keine objektive Berufswahlregelung. Bei einer Einordnung als subjektive Berufswahlregelung wäre die Einführung einer Prüfung bzw. der Anerkennung zur ordnungsgemäßen Erfüllung des Berufs erforderlich und im Verhältnis zu dem angestrebten Zweck verhältnismäßig.197 Wenn die Heranziehung eines Gutachters nötig wird, dann werden wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Rücksichtnahmen bis hin zur Befangenheit relevant.198 Sowohl die Fachkunde der Gutachter, als auch deren Objektivität, Unabhängigkeit und Zuverlässigkeit müssen gestärkt werden.199 Die Besorgnis der Befangenheit besteht, wenn wirtschaftliche Bindungen, frühere Beratung oder Mitgliedschaft in einem beteiligten Verein oder Verband vorliegen.200 Letztlich ändert sich aber allein durch die Akkreditierung der Gutachter fachlich noch wenig, spricht doch Einiges dafür, dass personell dieselben Gutachter in neuem Gewand tätig werden. Diese Vorschläge mögen dennoch Transparenz und Objektivität fördern und möglicherweise die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit verändern. Jedenfalls wird die personelle Legitimität gesteigert. Das Ansetzen bei den Gutachtern, also die Erhöhung der Fach- und Sachkunde bzw. deren Nachweis in Form einer Akkreditierung oder einer öffentlichen Bestellung, ist für eine umfassende Verbesserung der Rahmenbedingungen notwendig. b) Gutachten Einen weiteren Anknüpfungspunkt bildet das Gutachten als solches. Denn dieses stellt den Dreh- und Angelpunkt für die Entscheidung dar, ob ein Vorhaben mit dem Umweltrecht vereinbar ist oder nicht. Dass die Gutachten Verbesserungspotenzial bergen, steht spätestens seit dem Gutachten-Check der drei großen Natur- und Umweltschutzverbände (BUND, NABU und LNV-BW) fest, die am 7.9.2017 das Ergebnis einer Studie veröffentlicht haben.201 Hierbei wurde festgestellt, dass die empfohlenen Methoden der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz (LUBW) häufig nicht konsequent angewendet werden. 196 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 14.6.2017 – 4 A 1958/14 – DVBl. 2017, 1252 (1254); vgl. BVerfG, Urt. v. 11.6.1958 – 1 BvR 596/56 – BVerfGE 7, 377 (407). 197 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 14.6.2017 – 4 A 1958/14 – DVBl. 2017, 1252 (1254). 198 Berg, Die verwaltungsrechtliche Entscheidung, 1980, S. 156. 199 Vgl. Rennert, Referat 71. DJT, S. N 150; Voßkuhle, Sachverständige Beratung des Staates, in: HStR III, 3. Aufl. 2005, § 43 Rn. 68. 200 Vgl. Gusy, NuR 1987, 156 (158). 201 Vgl. NABU BW, Windenergie: Gutachten-Check belegt Mängel, https://badenwuerttemberg.nabu.de/news/2017/september/23061.html (zuletzt aufgerufen am 20.12. 2019).

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E. Herausforderungen in der Praxis

Nach den Untersuchungen der Natur- und Umweltschutzverbände sind Gutachten zusätzlich zu diesen methodischen Mängeln auch inhaltlich mangelhaft. Es sind besonders bei der Durchführung der Bestandserfassung sowie bei deren Dokumentation Defizite erkennbar. Gibt es Vorgaben, wie etwa die bereits dargestellten Standardisierungen und Fachkonventionen sowie Planungshinweise (z. B. des LUBW), so haben die Gutachten diesen Vorgaben zu entsprechen. Abweichungen sind hinreichend zu begründen. Diese Vorgaben haben zwar in der Regel keine verbindliche Außenwirkung. Die Behörden haben dennoch dafür zu sorgen, dass die Gutachten den jeweiligen Anforderungen entsprechen, um eine bestimmte Qualität zu gewährleisten. Besondere Bedeutung hat hierbei die Nachvollziehbarkeit der Gutachten für Dritte. Dabei muss viel Wert auf die Dokumentation und die Begründung der Gutachten gesetzt werden. So sollten etwa geforderte Kartenmaßstäbe eingehalten und die Einsehbarkeit des Geländes dokumentiert werden.202 5. Schaffen einer staatlichen Gutachtenstelle Die gesteigerte personelle Legitimität könnte zudem durch eine institutionelle Legitimität ergänzt und gesichert werden. Insbesondere von Rennert203 wird die Errichtung einer staatlichen Gutachtenstelle vorgeschlagen, da dies zu einer institutionellen Sicherung der persönlichen Legitimität der Gutachter führen würde.204 Im Rahmen des Deutschen Juristentages 2016 wurde die Schaffung einer solchen Gutachtenstelle nach niederländischem Vorbild diskutiert und mehrheitlich befürwortet.205 Im Vergleich zur finnischen Lösung, bei der Experten-Richter unmittelbar Teil des Verfahrens sind und ihre Fachkenntnis von Beginn an einbringen, wird hier nicht auf internen Sachverstand, sondern auf externen Sachverstand vertraut. Das Ziel des erhöhten Sachverstandes im Entscheidungsgremium wird durch beide Mechanismen erreicht. Denn auch die Gutachten der staatlichen Gutachtenstelle sind von Beginn an Teil des Verfahrens und legen die Richtung der Entscheidung im Grunde fest.

202 So auch die Forderung der Natur- und Umweltschutzverbände, vgl. BUND, LNVBW und NABU, FAQ zum Qualitäts-Check von Windenergiegutachten, Stand: 5.9.2017, https://lnv-bw.de/wp-content/uploads/2017/09/2017-09-07-FAQ-Windenergie-Gutach ten-1.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.12.2019). 203 Rennert, Referat 71. DJT, S. N 150 ff. 204 Dagegen sieht Fellenberg, AnwBl. 2016, 648 (651) keine Lösung der bestehenden Defizite durch die Schaffung einer Gutachtenstelle. 205 71. DJT, DJT-Beschlüsse zum Öffentlichen Recht Nr. 21a), 21b) und 21c).

II. Lösungsmöglichkeiten

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a) Gutachtenstelle in den Niederlanden In den Niederlanden gibt es den bereits erwähnten Beirat „StAB“.206 Dieser wird nur von den Verwaltungsgerichten angerufen und ist für die Einholung weiteren Sachverstands zuständig. Die Finanzierung des ca. 40–50 Sachverständige umfassenden Beirats erfolgt größtenteils durch das niederländische Ministerium für Infrastruktur und Wasserwirtschaft. Das Erstellen der Gutachten soll bis zu drei Monate dauern.207 Daneben besteht mit der sog. NCEA eine weitere niederländische staatliche Gutachtenstelle.208 Diese kann oder muss zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Umweltprüfung (UVP und SUP) angerufen werden. Dies gilt im Rahmen des Scopings209, des Zwischenberichts, der Überprüfung des Umweltberichts sowie der Überprüfung zusätzlichen Materials des Umweltberichts. Zwingend ist die Anrufung der staatlichen Gutachtenstelle nur im „normalen“ Verfahren im Rahmen der Überprüfung des Umweltberichts. Für die restlichen Punkte des „normalen“ Verfahrens und für alle Punkte des vereinfachten Verfahrens ist die Anrufung der staatlichen Gutachtenstelle lediglich freiwillig. Dabei wird auf folgende Vorteile einer freiwilligen Inanspruchnahme der NCEA im Rahmen des Scopings verwiesen:210 Die wichtigen Aspekte der Umweltprüfung werden im Voraus herausgestellt. Es werden wichtige Informationen nicht übersehen und zugleich werden unwichtige, nicht zielführende Nachforschungen verhindert. Zudem erfolgt die Bereitstellung von Informationen zu relevanten wissenschaftlichen und rechtlichen Entwicklungen. Auch im Rahmen einer freiwilligen gutachterlichen Überprüfung werden diverse Vorteile genannt:211 Es erfolgt eine unparteiische Bewertung kontroverser Projekte, der Wert des Gutachtens als Basis für die Entscheidungsfindung wird gesteigert und die Wahrscheinlichkeit von Anfechtungsklagen gegen die Entscheidung wird verringert. b) Mögliche Ausgestaltung in Deutschland Eine sinnvolle Ausgestaltung einer staatlichen Gutachtenstelle in Deutschland müsste auf Bundesebene erfolgen. Nur hier können die entsprechenden Ressour206 Sog. Stichting Advisering Bestuursrechtspraak voor Milieu en Ruimtelijke Ordening (StAB). 207 Dieser Richtwert wird regelmäßig eingehalten, vgl. Backes, EEELR 2018, 143 (144). 208 Sog. Netherlands Commission for Environmental Assessment (NCEA). 209 Unter dem sog. „Scoping“ versteht man die Festlegung des voraussichtlichen Untersuchungsrahmens der Umweltverträglichkeitsprüfung, vgl. Kloepfer, Umweltschutzrecht, 2. Aufl. 2011, § 4 Rn. 27. 210 NCEA, Types of advisory report, http://www.commissiemer.nl/english/our-servi ces/types-of-advisory-report (zuletzt aufgerufen am 20.12.2019). 211 NCEA, Types of advisory report, http://www.commissiemer.nl/english/our-servi ces/types-of-advisory-report (zuletzt aufgerufen am 20.12.2019).

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E. Herausforderungen in der Praxis

cen und die notwendige fachliche Qualität bereitgestellt werden, damit die Gutachtenstelle über ausreichende Autorität, Distanz und fachliche Qualität verfügt.212 Die entsprechende Gesetzgebungskompetenz ergibt sich als Annex zur jeweiligen Sachmaterie, sodass der Bund (mit Zustimmung des Bundesrates) die Errichtung der Gutachtenstelle als Einrichtung des Bundes nach Art. 87 Abs. 3 GG vorsehen könnte.213 Die Forderungen gehen in Deutschland über die Kompetenzen des niederländischen Beirats StAB hinaus. Es soll nicht nur eine Beratung der Gerichte stattfinden. Die Gutachtenstelle soll zudem auch (und vor allem) von Vorhabenträgern bereits im Genehmigungsverfahren angerufen werden. Das Aufgabenspektrum der staatlichen Gutachtenstelle umfasst dann die Erstattung eigener Gutachten, das fallweise Aussuchen und Beauftragen der Gutachter und die Überprüfung von Drittgutachten auf ihre methodische Validität hin.214 Daraus folgt die Erhöhung der Legitimation der Gutachten. Realistisch kann dagegen nicht davon ausgegangen werden, dass es hinsichtlich der tätig werdenden Gutachter personelle Veränderungen gäbe. Doch würden diese im öffentlichen Auftrag tätig und stünden weder im Lager des Vorhabenträgers noch in dem der Zulassungsbehörde.215 Sowohl für das Verwaltungsverfahren (dort der Vorhabenträger und die Behörde) als auch prozessrechtlich könnte normiert werden, dass nur von der Gutachtenstelle erstattete oder auf methodische Validität überprüfte Gutachten berücksichtigt werden.216 Gleichwohl hätten die Gutachten dabei keine bindende Wirkung für die Behörde oder die Gerichte, sodass sich der Vorteil in deren erhöhter Legitimität erschöpft.217 Eine staatliche Gutachtenstelle müsste institutionell unabhängig sein und entweder sachlich unabhängige Gutachter selbst beschäftigen oder diese jedenfalls aussuchen, akkreditieren und laufend überprüfen.218 Die Erfolgsaussicht einer solchen Gutachtenstelle steht und fällt mit deren personeller Ausstattung. Die dort Beschäftigten müssen daher eine besondere fachliche Qualifikation vorweisen. Zudem sollten die Mitglieder der Gutachtenstelle allein auf die Wahrung des Gemeinwohls besonders verpflichtet sein.219 Die Bildung und Zusammensetzung der staatlichen Gutachtenstelle bedarf also einer gesetzlichen Regelung. So könnte an der jetzigen Geschäftsverteilung und dem Umgang mit Fachkenntnis212

Rennert, Referat 71. DJT, S. N 152. Vgl. Rennert, Referat 71. DJT, S. N 152. 214 71. DJT, DJT-Beschluss zum Öffentlichen Recht Nr. 21b), S. N 163; Rennert, Referat 71. DJT, S. N 151. Kritisch zum Aufgabenspektrum äußert sich Rickert, in: 71. DJT, Diskussion und Beschlussfassung, S. N 257 f. 215 Rennert, Referat 71. DJT, S. N 151; zustimmend Hien, DVBl. 2018, 1029 (1031). 216 Rennert, Referat 71. DJT, S. N 152. 217 Vgl. 71. DJT, DJT-Beschluss zum Öffentlichen Recht Nr. 21c), S. N 163. 218 Rennert, Referat 71. DJT, S. N 152. 219 So der 71. DJT, DJT-Beschluss zum Öffentlichen Recht Nr. 21a), S. N 163. 213

II. Lösungsmöglichkeiten

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sen grundsätzlich festgehalten werden. Lediglich die Inanspruchnahme unabhängigen, externen Sachverstandes würde durch das Schaffen einer staatlichen Gutachtenstelle transparenter und geordneter. c) Kritik Als erster Kritikpunkt ist die Einschränkung der unternehmerischen Freiheit durch eine zwingende Beteiligung der staatlichen Gutachtenstelle im Verfahren zu nennen.220 Viele Vorhabenträger werden auf die gleichen Gutachter zurückgreifen wollen, mit denen sie schon erfolgreich bei ähnlichen Projekten zusammengearbeitet haben.221 Die Einschränkung der unternehmerischen Freiheit hält sich allerdings angesichts der Möglichkeit auch eigene Gutachten validieren zu lassen in Grenzen. So liegt die Auswahl der Gutachter weiterhin in der Hand der Vorhabenträger, ergänzt durch die Möglichkeit, unmittelbar die Gutachtenstelle zu Rate zu ziehen. Gegen die Verpflichtung der Vorhabenträger zur Einschaltung der Gutachtenstelle bestehen trotz Berührens der unternehmerischen Freiheit keine verfassungsrechtlichen Bedenken.222 Dies gelte besonders mit Blick auf den Gemeinwohlbezug und das Erfordernis erhöhter Validität und Legitimität. Schwierig erscheint sodann die Frage, nach welchen Kriterien die Gutachtenstelle die Gutachter auswählen soll.223 Bereits jetzt vertrauen sowohl die Vorhabenträger als auch die klagenden Umweltverbände bei der Erstellung der Gutachten auf die besten Fachleute des jeweiligen Gebietes. Denn nur so können die Gutachten vor Gericht Bestand haben.224 Zudem ist die Anzahl an Fachleuten in der Umweltwissenschaft begrenzt. Liegen zwei entgegengesetzte Gutachten vor, kann schon bislang die Beauftragung eines Obergutachtens am Fehlen weiterer Fachleute scheitern.225 Hieraus könnte als weiterer möglicher Kritikpunkt die mangelnden personellen Ressourcen als solche folgen. Durch das Schaffen einer Gutachtenstelle erfolgt keine zahlenmäßige Erweiterung der Sachverständigen selbst. Die Anzahl fachlich kompetenter Gutachter verändert sich hierdurch nicht. Es werden dieselben Personen tätig, die auch bislang mit der Erstellung von Gutachten beauftragt wurden. Der entscheidende Mehrwert liegt aber in der Institutionalisierung und der hierdurch gesteigerten Legitimität der erstellten 220 Ein Vorhabenträger müsse sein Projekt in enger Abstimmung mit den beratenden Gutachtern entwickeln können, so Hünnekens, in: 71. DJT, Diskussion und Beschlussfassung, S. N 245. 221 Vgl. Behrens, in: 71. DJT, Diskussion und Beschlussfassung, S. N 261. Dies verdeutlicht jedoch umgekehrt die mangelnde Neutralität dieser Privatgutachten. 222 Rennert, Referat 71. DJT, S. N 153, der auch keine unionsrechtlichen Bedenken erkennt. 223 Vgl. Behrens, in: 71. DJT, Diskussion und Beschlussfassung, S. N 250. 224 Somit würde der Markt die Qualität der Gutachten regeln, vgl. Behrens, in: 71. DJT, Diskussion und Beschlussfassung, S. N 250. 225 Vgl. Hien, DVBl. 2018, 1029 (1031).

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E. Herausforderungen in der Praxis

Gutachten.226 Die bei einer unabhängigen Stelle beschäftigten Gutachter verlieren ihre Rolle als Privatgutachter und sind dann keiner Konfliktpartei irgendwie verpflichtet.227 Durch die gewonnene Transparenz steigt auch die Akzeptanz. Des Weiteren wird durch die staatliche Gutachtenstelle eine weitere Stelle im Verfahren dazwischengeschaltet. Somit können Bedenken aufkommen, inwiefern dies zu zeitlichen Verzögerungen führen kann. Zumal die staatliche Gutachtenstelle nicht für eine Partei tätig wird und damit scheinbar kein gesteigertes Interesse an einer beschleunigten Erstattung der Gutachten hat. Mit Blick auf die Erfahrungen der Niederlande erscheint die Gefahr einer Verzögerung jedoch nicht zu bestehen. Der vorgegebene Richtwert von drei Monaten wird jedenfalls beim niederländischen Beirat StAB regelmäßig eingehalten.228 Denkbar ist sogar eine Beschleunigung der Verfahren, weil die Einschaltung der Gutachtenstelle von Beginn an für Rechtssicherheit und Akzeptanz sorgt und somit etwaige zeitraubende Gegengutachten und Klageverfahren an Bedeutung verlieren. Letztlich muss die Frage der Finanzierung der staatlichen Gutachtenstelle geklärt werden. Der niederländische Beirat StAB wird größtenteils durch das zuständige Ministerium finanziert. Dies resultiert allerdings daraus, dass die alleinige Aufgabe des StAB darin besteht, die Gerichte umweltrechtlich zu beraten. Auch in Deutschland könnte die staatliche Stelle zunächst steuerfinanziert werden.229 Soll die deutsche Ausgestaltung aber darüber hinaus auch den Vorhabenträgern die Möglichkeit eröffnen, die staatliche Gutachtenstelle zu beauftragen, so bietet sich ein anderes Finanzierungsmodell an, bei dem auch die Vorhabenträger die Kosten zur Erstellung der Gutachten zu tragen haben. Wird hierdurch tatsächlich die vielfach kritisierte „Gutachtenschlacht“ verhindert, so bleiben die Kosten auf diesem Wege wohl geringer als im Rahmen der bisher oftmals notwendigen gerichtlichen Klageverfahren.230 d) Zwischenergebnis Im Ergebnis ist die Schaffung einer staatlichen Gutachtenstelle zu begrüßen. So wird die Erstellung unabhängiger Gutachten objektiver und transparenter gehandhabt. Es erfolgt eine Steigerung der personellen und institutionellen Legitimität und damit auch der Validität der Gutachten. Dies hilft zudem über die fehlende bindende Wirkung der so erstellten Gutachten hinweg. Denn weder die 226 Vgl. Rennert, in: 71. DJT, Diskussion und Beschlussfassung, S. N 251 f., der keine Steigerung der fachlichen Güte der Gutachten anstrebt. 227 Rennert, Referat 71. DJT, S. N 151. Die erhöhte Legitimität könnte aber auch durch die öffentliche Bestellung gewährleistet werden, vgl. Rickert, in: 71. DJT, Diskussion und Beschlussfassung, S. N 256 f.; s. hierzu auch oben E. II. 4. a) auf S. 247 ff. 228 Vgl. Backes, EEELR 2018, 143 (144). 229 Vgl. Gärditz, in: 71. DJT, Diskussion und Beschlussfassung, S. N 254. 230 A. A. Behrens, in: 71. DJT, Diskussion und Beschlussfassung, S. N 249.

III. Fazit

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Exekutive noch die Judikative soll ihrer Verantwortung für das autonome Treffen einer Entscheidung beraubt werden. Nur die Entscheidungsfindung wird durch das Schaffen einer hinreichenden Entscheidungsgrundlage erleichtert. Letztlich erfährt auch die Entscheidung selbst mehr Akzeptanz.

III. Fazit Da auch die Errichtung einer staatlichen Gutachtenstelle die Verantwortung der Exekutive und der Judikative für ihre Entscheidungen nicht schmälert, kann es hiermit nicht sein Bewenden haben. Es muss „an mehreren Schrauben gedreht“ werden, um erfolgsversprechende Veränderungen zu erzielen. Dabei stellt die personelle Ausstattung in allen Bereichen die Schlüsselressource dar, um den Vollzug des Naturschutzrechts zu gewährleisten. Sie ist der Garant für zuverlässige, transparente und akzeptierte Verwaltungs(letzt)entscheidungen. Dies gilt in zweierlei Hinsicht: Zum einen müssen die personellen Ressourcen im Umfang erhöht werden. Zum anderen muss die fachliche Qualifizierung der vorhandenen personellen Ressourcen durch Fort- und Weiterbildungen gesteigert werden. Auch die normative Steuerung durch die Ausweisung administrativer Letztentscheidungsrechte im materiellen Recht erscheint in engen Grenzen sinnvoll. Dagegen ist die Schaffung eines § 114a VwGO für Beurteilungsspielräume nicht zu empfehlen. Verbleibende Unsicherheiten sind dem Naturschutzrecht als dynamische Materie immanent. Diese werden durch die dargestellten Lösungsansätze nicht ausgeschlossen. Gleichwohl würden hierdurch spürbare Verbesserungen eintreten. Inhaltlich-fachlich bessere Entscheidungen können schneller und kostengünstiger getroffen werden. Folgt man der Annahme, dass die Rechtsprechung in Zukunft seltener einen Beurteilungsspielraum und häufiger eine faktische Grenze des Kontrollierbaren annehmen wird, so ändert sich an der Einschätzung der Lösungsmöglichkeiten gleichwohl wenig. Dass fachliche Kenntnislücken bestehen, gilt unabhängig von der rechtlichen Einordnung. Eine Steigerung der Akzeptanz und Transparenz ist in jedem Fall zwingend notwendig und geht mit der Steigerung der fachlichen Qualität unweigerlich einher. Dem wird man durch die dargestellten Lösungsansätze zumindest einen Schritt näherkommen.

F. Abschließende Bewertung Der Beurteilungsspielraum wird definiert als tatbestandsbezogene Letztentscheidungsbefugnis der Administrative, die zu einer Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle führt. Innerhalb des Tatbestands bezieht sich der Beurteilungsspielraum nur auf die Subsumtion. Die Abgrenzung zwischen Ermessen und Beurteilungsspielraum erscheint weiterhin sinnvoll und sollte auch vor dem Hintergrund europarechtlicher Maßstäbe nicht zu Gunsten eines einheitlichen Grundmodells aufgegeben werden. Die abstrakte Betrachtung der dogmatischen Rahmenbedingungen für die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen führt zu folgender Erkenntnis: Die Hürden für die Annahme administrativer Beurteilungsspielräume sind hoch. Es bedarf einer normativen Ermächtigung, eines unbestimmten Rechtsbegriffs und eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes, der die Rücknahme der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zu begründen vermag. Zudem muss die Letztentscheidung tatsächlich bei der Verwaltung verbleiben und darf nicht auf Private abgewälzt werden. Die gerichtliche Kontrolle wird in der Folge reduziert, fällt aber nicht komplett aus. Darauf aufbauend kam die Betrachtung der insbesondere verfassungsrechtlichen Grundlagen in Abschnitt C. dieser Arbeit zu dem Ergebnis, dass zumindest in der Theorie, also bei Einhaltung der historisch und dogmatisch entwickelten Maßgaben, keine durchschlagenden Argumente gegen die grundsätzliche Anerkennung administrativer Beurteilungsspielräume vorgebracht werden können. Die aufgezeigten verfassungsrechtlichen Bedenken schlagen erst durch, wenn die Kontrolle nicht nur auf gerichtlicher Ebene, sondern schon im Vorhinein durch die Behörden verringert wird oder gar ganz ausfällt. Mit Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG steht dem administrativen Letztentscheidungsrecht eine der größten Errungenschaften des Grundgesetzes gegenüber: die Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes. Eine leichtfertige Beschränkung dieses Rechts kommt nicht in Betracht. Der effektive Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG garantiert einen lückenlosen Rechtsschutz im Sinne einer vollständigen richterlichen Nachprüfung der angefochtenen Akte der öffentlichen Gewalt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Die Gerichte sind daher grundsätzlich nicht an die von der Verwaltung getroffenen Wertungen und Feststellungen gebunden. Im Ergebnis schließt aber auch Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG normativ eröffnete administrative Beurteilungsspielräume nicht von vornherein aus. Vielmehr reicht die gerichtliche Kontrolle dann nur so weit wie die vom Gesetzgeber geregelte mate-

F. Abschließende Bewertung

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riell-rechtliche Bindung der Verwaltung. Im Ergebnis ist daher eine restriktive Handhabung bei der Anerkennung von Beurteilungsspielräumen geboten. Unionsrechtlich wird effektiver Rechtsschutz insbesondere nach Art. 47 GRCh gewährleistet. Das Unionsrecht kennt jedoch keine dogmatische Unterscheidung zwischen Ermessen auf Rechtsfolgen- und Beurteilungsspielraum auf Tatbestandsseite, sondern geht von einer einheitlichen Entscheidungsfreiheit aus. Letztentscheidungsrechte und eine Reduzierung der Kontrolldichte sind auch auf Unionsebene anerkannt und mit Art. 47 GRCh im Ergebnis vereinbar. Im europäischen Rechtsvergleich geht die gerichtliche Kontrolle in Deutschland besonders weit. Auch unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) und des Demokratiegebots (Art. 20 Abs. 2 GG) ist die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Die starke demokratische Legitimation der Exekutive steht einem auf diese durch Gesetz übertragenen Letztentscheidungsrecht grundsätzlich positiv gegenüber. Die Exekutive hat eine eigenständige Stellung im Gewaltenteilungsgefüge. Ein eigenständiger Gestaltungsauftrag der Verwaltung entspricht daher auch dem Gewaltenteilungsgrundsatz. In Abschnitt D. wurde die Rechtsprechung in Bezug auf die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen im Naturschutzrecht vor dem Hintergrund dieser dogmatischen und verfassungsrechtlichen Vorgaben betrachtet. Eine ordnungsgemäße Einordnung der naturschutzrechtlichen Rechtsprechung in die allgemeine Dogmatik der Beurteilungsspielräume ist jedoch nur begrenzt gelungen. Die vagen Versuche der Rechtsprechung, eine entsprechende normative Ermächtigung durch Auslegung zu ermitteln und einen hinreichend gewichtigen Sachgrund aufzuzeigen, zeugen von den erheblichen Schwierigkeiten im Umgang mit Unsicherheiten. Setzen sich die Unsicherheiten auf der administrativen Ebene fort, wird privater Sachverstand dem Rechtsschutz in rechtswidriger Weise entzogen. Als komplexe und dynamische Materie ist das Naturschutzrecht für die Annahme von Beurteilungsspielräumen prädestiniert und stellte sich daher als geeigneter Gegenstand für die vorliegende Rechtsprechungsanalyse dar. Ein Beurteilungsspielraum für das Naturschutzrecht als Ganzes ist angesichts der dogmatischen Herleitung und der verfassungsrechtlichen Bedenken abzulehnen, vielmehr bedarf es einer konkreten Betrachtung der einzelnen Regelungsbereiche. Die Rechtsprechungsanalyse hat gezeigt, dass Beurteilungsspielräume im Naturschutzrecht in vielen Bereichen angenommen werden. Im Rahmen der Eingriffsregelung (§§ 13 ff. BNatSchG) werden Beurteilungsspielräume auf allen Stufen angenommen. Eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative besteht bei der Bestandserfassung und -bewertung, bei der Bewertung der Eingriffswirkungen eines Vorhabens und bei der Bewertung der Kompensationswirkung von Vermeidungs-, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen,

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F. Abschließende Bewertung

insbesondere was deren Quantifizierung betrifft. Auch die Wahl der Kompensationsmaßnahme, also insbesondere die Wahl zwischen Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahme oder deren Kombination, fällt in die Einschätzungsprärogative der Verwaltung. Positiv zu bewerten ist dabei etwa die restriktive Grundhaltung der Rechtsprechung, die im Rahmen der Abwägung nach § 15 Abs. 5 BNatSchG eine Einschätzungsprärogative aufgrund der Akzessorietät der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung nur bei Zulassungsentscheidungen mit Gestaltungsspielraum, etwa Planfeststellungen, annimmt. Dagegen sei im Fall einer gesetzlich gebundenen Zulassungsentscheidung wie bei § 35 BauGB auch die naturschutzrechtliche Abwägung uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Zur Begründung des Beurteilungsspielraums wird die Komplexität der ökologischen Sachverhalte und Wirkungszusammenhänge im Rahmen der Bewertung des Eingriffs herangezogen, die weitgehend auf ökologischen Wertungen und Prognosen bestehen. Es seien keine standardisierten Maßstäbe vorhanden und normkonkretisierende Vorschriften sowie schematisierte oder rechenhaft handhabbare (Bewertungs-)Verfahren würden fehlen. Daher könnten die Ergebnisse je nach angewandter Methodik unterschiedlich ausfallen und gleichsam vertretbar sein. Auch die Rechtsprechung zum FFH-Gebietsschutz (§ 34 BNatSchG) wurde differenziert betrachtet. Bei der Auswahl und Abgrenzung von Natura-2000-Gebieten wird ein Beurteilungsspielraum für die Frage angenommen, welche Gebiete die europarechtlich maßgeblichen naturschutzfachlichen und ornithologischen Auswahlkriterien erfüllen. Die Kriterien der Gebietsauswahl stellen allesamt eine Wertungsfrage dar und lassen unterschiedliche Bewertungen zu. Im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung wird ein Beurteilungsspielraum bei der Bestandserfassung und -bewertung angenommen. Insbesondere die Festlegung der charakteristischen Arten und die Zuordnung des ermittelten Arteninventars zu sog. Lebensraumtypen sei komplex und wissenschaftlich nicht eindeutig. Für die Bewertung des Erhaltungszustands ist, vergleichbar der Gebietsabgrenzung, eine Vielzahl offener Kriterien zu berücksichtigen, die einer weiteren Ausformung bedürfen. Auch hier wird die restriktive Grundhaltung – insbesondere aufgrund der Prägung durch Europarecht – deutlich, wenn kein Beurteilungsspielraum bei der Feststellung der Auswirkungen auf den Erhaltungszustand angenommen wird. Die Kontrolldichte wird nicht reduziert, obwohl allein hier ein unbestimmter Rechtsbegriff („Erheblichkeit“) in der Norm unmittelbar angelegt ist und Sachgründe wie etwa das Erfordernis naturschutzfachlicher Bewertungen bestehen würden. Die zuständige Behörde verfügt auch im Rahmen der Abweichungsprüfung, § 34 Abs. 5 BNatSchG, bei der Bewertung der Kohärenzsicherungsmaßnahmen über eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative. Die Wirksamkeit der Kohärenzsicherungsmaßnahmen sei ungewiss, da es sich um Prozesse im Naturgeschehen handelt, die mit Unwägbarkeiten verbunden sind und für die eine prognostische Abschätzung erfolgen muss. Die Prüfung der Alternativen und des

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überwiegenden öffentlichen Interesses unterliegt dagegen vollständiger gerichtlicher Kontrolle. Schließlich wird ein Beurteilungsspielraum im Artenschutzrecht angenommen bei der ökologischen Bestandserfassung und -bewertung, also bei der Quantifizierung etwaiger Betroffenheiten und der Beurteilung populationsbezogener Wirkungen. Die besondere Problematik, dass § 44 Abs. 1 BNatSchG neben der Funktion als Zulassungsvoraussetzung auch die Funktion als Verbotsnorm hat, wird durch die Rechtsprechung erkannt und elegant umgangen. Um einen Konflikt mit Art. 103 Abs. 2 GG und damit die Verfassungswidrigkeit der Regelung zu vermeiden, wird der Beurteilungsspielraum vom BVerwG nur auf § 44 Abs. 1 BNatSchG in Verbindung mit den Zulassungsregelungen des Planfeststellungsund Genehmigungsrechts begrenzt und die Funktion des § 44 Abs. 1 BNatSchG als Sanktionsnorm außer Betracht gelassen. Der reduzierten gerichtlichen Kontrolle unterfällt jedenfalls die Prüfung, ob die artenschutzrechtlichen Untersuchungen im Gesamtergebnis bezüglich des methodischen Vorgehens sowie der Ermittlungstiefe ausreichen, um der Behörde eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang wird die Geeignetheit von Gutachten überprüft, die zu verneinen ist, wenn grobe Mängel oder unauflösbare Widersprüche vorliegen, von falschen sachlichen Voraussetzungen ausgegangen wird oder Zweifel an der Qualifikation und Unabhängigkeit des Gutachters bestehen. Im Artenschutzrecht erfolgt zumindest der Versuch einer Anknüpfung an die allgemeine Dogmatik. Die Rechtsprechung stellt hierzu fest, dass § 44 Abs. 1 BNatSchG gezielt auf die Erkenntnisse der ökologischen Wissenschaft und Praxis verweise, sodass in Verbindung mit dem unsicheren Erkenntnisstand in der Ökologie ein administrativer Beurteilungsspielraum eingeräumt werde. Letztlich verlieren sich diese Ausführungen jedoch in einem Zirkelschluss, wenn vom hinreichend gewichtigen Sachgrund auf die normative Ermächtigung geschlossen wird. Im Ergebnis wird die gerichtliche Kontrolldichte zurückgenommen, fällt aber nicht komplett aus. Die Einschätzungen der Behörde werden regelmäßig dahingehend überprüft, ob sie im konkreten Einzelfall naturschutzfachlich vertretbar sind und nicht auf einem unzulänglichen oder ungeeigneten Bewertungsverfahren beruhen. Vom Kläger vorgebrachte Darstellungen einer anderen methodischen Vorgehensweise können dennoch regelmäßig nicht überzeugen, weil zwar die Vertretbarkeit der eigenen Einschätzung dargelegt wird, oftmals aber der Beweis misslingt, dass die behördliche Einschätzung unvertretbar ist. Den allgemein geltenden, historisch gewachsenen und verfassungsrechtlich notwendigen Voraussetzungen für die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums wird die Rechtsprechung im Naturschutzrecht kaum gerecht. Dabei fällt zunächst auf, dass eine Erweiterung des Beurteilungsspielraums im Naturschutzrecht über

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die bloße Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter die anzuwendende Norm hinaus stattfindet. Weiterhin zeigen sich Abweichungen von der allgemeinen Dogmatik im Erfordernis eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes. Die jeweilige Begründung fällt hier häufig zu kurz aus. Es wird wiederholt auf das Erfordernis naturschutzfachlicher Wertungen, auf bestehende Erkenntnislücken und wissenschaftliche Streitigkeiten, auf die Komplexität der Materie, auf das Vorliegen prognostischer Elemente und auf das Fehlen allgemein anerkannter standardisierter Maßstäbe und rechenhaft handhabbarer Verfahren abgestellt. Letztlich erscheinen diese Begründungen jedoch häufig als floskelhaft und austauschbar. Die Zweifel an der Geeignetheit der Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums, im Naturschutzrecht einen angemessenen Umgang mit Unsicherheiten zu gewährleisten, wurden im Rahmen der Rechtsprechungsanalyse deutlich gemacht. Dabei wurden insbesondere die Widersprüche zur allgemeinen Dogmatik der Beurteilungsspielräume herausgearbeitet. Unterstützt wird dies durch die neuere Rechtsprechung des BVerfG 1. Fehlende fachwissenschaftliche Erkenntnisse, die bislang zur Begründung der Beurteilungsspielräume herangezogen wurden, sollen nun ohne die Annahme einer Einschätzungsprärogative zur Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle führen. Es handle sich um eine faktische Grenze des Überprüfbaren. Die aufgezeigten Schwierigkeiten bei der dogmatischen Einordnung der naturschutzrechtlichen Problematik in das allgemeine Schema administrativer Letztentscheidung werden so umgangen. Es öffnet sich ein „ehrlicherer“ Weg der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, die nicht zu überprüfen vermag, was selbst in der ökologischen Wissenschaft nicht sicher ist und daher nicht überprüft werden kann. Zudem wird die Unstimmigkeit aufgelöst, dass die Beurteilungsspielräume im Naturschutzrecht nur auflösend bedingt anerkannt werden sollen, die Auslegung der etwaigen normativen Ermächtigung dann aber bei gleichbleibendem Wortlaut zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen würde. Die Rechtsprechungsanalyse legt die Unzulänglichkeiten offen und bildet damit die Grundlage für eine Betrachtung diverser Lösungsmöglichkeiten. Die Herausforderungen in der Praxis sind dabei sowohl fachlicher als auch rechtlicher Natur. Daraus ergeben sich Anknüpfungspunkte für Gestaltungsmöglichkeiten bei der Legislative, der Judikative und der Exekutive. Ergänzend waren die Gutachter selbst und die Errichtung einer staatlichen Gutachtenstelle zu betrachten. Zunächst ändert eine Festschreibung der Beurteilungsspielräume im materiellen Recht an der bisherigen Handhabung faktisch nichts, erleichtert aber die Rücknahme der Kontrolldichte durch die Gerichte, indem die Begründungspflicht für die Herleitung eines Beurteilungsspielraums wegfällt. An strittigen Stellen kann durch eine explizite normative Verankerung zumindest ein Mehr an 1 BVerfG, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u. 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 ff.

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Rechtssicherheit erreicht werden. Auf eine Ausweitung der Beurteilungsspielräume über die dargestellten Grenzen hinaus sollte aber strikt verzichtet werden. Die Schaffung eines § 114a VwGO für Beurteilungsspielräume ist mit Blick auf die historisch gewachsenen, verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht zu empfehlen. Eine entsprechende Normierung steht der Struktur der Beurteilungsspielräume als begründungsbedürftige Ausnahmeerscheinung entgegen und wird deren restriktiver Handhabung unter Berücksichtigung der konkreten Einzelfälle nicht gerecht. Dagegen ist der Ausbau der Standardisierungen zu empfehlen, sofern eine gewisse Verbindlichkeit und Aktualität gewährleistet wird. Obwohl es eine große Anzahl an Fachkonventionen und Leitfäden gibt, besteht zum jetzigen Zeitpunkt ein Mangel eindeutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse. Die Quantität der Standardisierungen vermag über deren Qualität letztlich nichts auszusagen. Insbesondere sollte etwa der Erlass einer Bundeskompensationsverordnung vorangetrieben werden. Um generell eine bessere fachliche Qualität der Entscheidungen sowohl auf Verwaltungs- als auch auf Gerichtsebene zu gewährleisten, sollte die Sach- und Fachkenntnis der Exekutive und Judikative durch interne und externe Fort- und Weiterbildungen gesteigert werden. Dabei erscheint auch die Steigerung der personellen Ressourcen angebracht. Entgegen der stattfindenden Verallgemeinerung der Aufgabenbereiche bedarf es einer Rückkehr zur Spezialisierung. In unmittelbarer Reichweite der Gerichte könnten zudem Experten bereitstehen, die als Sachverständige externen Sachverstand in ein Verfahren einbringen und zur Klärung diverser Fragen herangezogen werden können. Darüber hinaus würde die Errichtung einer staatlichen Gutachtenstelle mit einem erweiterten Aufgabenbereich, der über die Beratung der Gerichte hinaus auch die Erstellung und Verifizierung privater Gutachten umfasst, zu einer Steigerung der Akzeptanz staatlicher Entscheidungen, zu mehr Transparenz, zu einheitlicheren Entscheidungen und damit auch zu mehr Rechtssicherheit führen. Sowohl die Zusammensetzung dieser staatlichen Stelle als auch deren Aufgabenbereich bedarf einer gesetzlichen Regelung. Ob der Gesetzgeber den Handlungsbedarf erkennt und in welcher Form er tätig wird, vermag sich heute noch nicht abzuzeichnen. Eine gesetzliche Regelung ist jedenfalls unumgänglich. Bei einer Normierung fachwissenschaftlicher Rahmenbedingungen muss beachtet werden, dass die Thematik ein hohes Maß an Aktualität erfordert und deren Entwicklung nicht zu sehr eingeschränkt werden darf. Eine hinreichend flexible Anpassung an die Vielfalt der Lebenssachverhalte unter Berücksichtigung der rapiden Veränderung der wissenschaftlichen Kenntnisse muss gewährleistet werden. Auch mit den genannten Maßnahmen ließen sich die Unsicherheiten auf dem Gebiet des Naturschutzrechts immer nur verringern, nicht aber vollständig ausräumen.

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Stichwortverzeichnis Aarhus-Konvention 72 Abstandsempfehlungen 176, 232, 236 f. Abwägung 25, 31 f., 107–112, 131, 224 f. Abweichungsprüfung 160–167 Akkreditierung 247–249 Akzeptanz 83, 219–221, 231–233, 235, 254 f. Allgemeine Handlungsfreiheit 79, 210 Amphibienschutz 176, 178, 229 Amtsermittlungsgrundsatz 91–95, 243 Äquivalenzgrundsatz 78 Artenschutzrecht 96–98, 167–212, 231, 236, 259 – Ausnahme 204–208 – Kontrolldichte 174–176, 179, 208 – Schutzsystem 169 – Signifikanzkriterium 98, 191–200, 214, 231, 238 – Störungsverbot 201–203 – TA Artenschutz 236 – Tötungsverbot 169, 190–201, 203 – Vermeidungsmaßnahme 186, 192–194, 197–200 – Zugriffsverbot 190–204 Artenschutzverordnung 96, 168 f. Ausgleichsmaßnahme 104–107, 114– 118, 162, 199, 204, 207 f. Auslegung 26–28, 33 f., 39–42, 88–90, 171, 212 f. Baugenehmigung 108 Bauleitplanung 168 Beamtenrecht 46, 51 f., 80, 210 Befangenheit 20, 249 Berner Konvention 96, 168 Berufsfreiheit 50, 79 f., 210, 248 f.

Bestandsbewertung 103 f., 142 f., 149– 151, 257–259 Bestandserfassung 103 f., 142 f., 145– 149, 179–189, 257–259 Bestimmtheitsgrundsatz 41, 88–90 Beurteilungsspielraum – Abgrenzung 29–37 – Definition 25 f. – Fallgruppen 48–55 – Kontrolldichte 55–61 – Rechtssystematische Verortung 26–29 – Subjekt 29 – Voraussetzungen 37–48 Biodiversitätskonvention 168 Bonner Übereinkommen 96 Bundesamt für Naturschutz 128, 184, 232 Bundeskompensationsverordnung 105, 118 f., 234–236, 261 Bundesregierung 82, 232, 236, 239 CEF-Maßnahmen 199 Critical Loads 156 Demokratieprinzip 53, 67, 80–84, 210, 257 Effektiver Rechtsschutz 29, 38, 63–78, 208–210, 256 f. Effektivitätsgrundsatz 78 Eigentumsgrundrecht 79, 210 Eingriffsregelung 98–119, 234–236, 257 f. – Abwägung 107–111 – Ausgleichsmaßnahme 104–107, 114– 118 – Eingriff 100–104

288

Stichwortverzeichnis

– Ersatzmaßnahme 104–107, 114–118, 257 f. – Ersatzzahlung 99, 230 – Funktion 99 f. – Kompensationsmaßnahme 99, 104– 107, 112–116 – Kontrolldichte 112 f. – Landschaftspflege 101, 104 – Naturhaushalt 99, 101, 105, 116 – TA Eingriff 119, 235 – Vermeidungsmaßnahme 100, 107 – Verursacherprinzip 99, 104 Einschätzungsprärogative siehe Beurteilungsspielraum Empfehlungen 176–178, 229, 236–238 Entscheidungsfreiheit 31 f., 75, 257 Erhaltungszustand 141–145, 150 f., 152– 160, 182, 202 f., 206 f. Erheblichkeit 101–104, 141–145, 152– 160, 201 f., 214, 258 Erkenntnislücken 143, 167, 175, 215– 217, 260 Ermessen 29–37, 40, 92 f., 224–228, 256 f. Ermessensfehler 29, 59 Ersatzmaßnahme 104–107, 114–118, 257 f. Ersatzzahlung 99, 230 Europäische Menschenrechtskonvention 73 f. Europäischer Gebietsschutz 119–167, 258 f. – Abweichungsprüfung 160–167 – Erhaltungszustand 141–145, 150 f., 152–160 – FFH-Gebiet 120–140, 161 – Gebietsauswahl 120–140, 167, 258 – Kohärenzsicherungsmaßnahme 161– 166 – Kontrolldichte 137–139, 144, 164 – Natura-2000 120–123, 141, 160–162, 184, 236 – Unterschutzstellung 96, 120 f., 140

– Verträglichkeitsprüfung 140–160, 161–163, 166 f., 258 – Vogelschutzgebiet 119, 120 f., 123– 126, 135, 137 f., 139 f. Exekutive 29–31, 41, 69 f., 81–88, 244– 247, 257 Fachkonvention 157 f., 228–240, 250, 261 FFH-Gebiet 120–140, 161 Flächenverlust 96, 157, 165 Funktionsgrenze 39, 46, 70 f., 172 Gebietsauswahl 120–140, 167, 258 Gebietsschutz 119–167, 180–182, 214, 258 f. Genehmigung 96–98, 100, 108–112, 168 Gesetzgebungskompetenz 252 Gewaltenteilungsgrundsatz 31, 56, 84– 88, 224, 257 Gewissheit 142, 153 f., 157–159, 163, 180–182 Gleichheit 46, 50 f., 80 Grundrechte 49–51, 67, 73, 78–80, 90, 210 Grundrechtecharta 72–78, 257 Gutachten 139 f., 218–221, 249–250 Gutachtenstelle 250–255, 261 Gutachter 29, 218–221, 247–249, 259 f. Handlungsanleitung 176–178, 228–238 Helgoländer Papier 176, 232 IBA-Liste 133–135, 140 Immissionsschutzrecht 97 f., 108, 111, 168, 209, 228 Infrastrukturvorhaben 96, 98, 168, 191 f., 219 Judikative 70 f., 80–87, 240–244, 260 f. Koalitionsvertrag 118, 235 Kohärenzsicherungsmaßnahme 161–166

Stichwortverzeichnis Kollisionsgefahr 168 f., 191, 196–200 Kompensation 71 f., 104–107, 112–116, 161–166, 234–236 Kompensationsmaßnahme 99, 104–107, 112–116 Komplexität 28, 46 f., 76, 214 f., 219, 260 Kontrolldichte 55–61, 65–72, 75–78, 216, 223–228 Kontrollkatalog 59 f. Koppelungsvorschriften 34, 36 Kunstfreiheit 53, 80 Landschaftspflege 101, 104 Landschaftspflegerischer Begleitplan 116 Lebensraum 123–126, 129, 150 f., 167 f., 179–182 Lebensraumtyp 121, 126–130, 136 f., 145 f., 149–151, 155–158 Legislative 34 f., 41, 44, 84–88, 222– 240 Legitimation 44, 81–84, 220 f., 232, 252 Legitimationskette 81–83 Lehre vom Beurteilungsspielraum 37 f. Lehre vom einheitlichen Grundmodell 34 Maschinen-Metapher 87 Natura-2000 120–123, 141, 160–162, 184, 236 Naturhaushalt 99, 101, 105, 116 Naturraum 105, 128, 150, 183, 193 f., 231 Normative Ermächtigungslehre 37–42, 66, 159 f., 171, 213

289

Planfeststellung 29, 100, 106, 108 f., 174, 206 f. Planungshindernis 191 f. Plausibilität 54, 61, 143 f., 151, 211 Potenzialanalyse 148, 185 f. Prognoseentscheidung 30, 53–55 Prüfungsentscheidung 46, 49–51 Ramsar-Konvention 125 Rechtssicherheit 40, 90 f., 167, 208, 231, 260 f. Rechtsstaatsprinzip 40, 84–91, 210 Rechtsverordnung 118 f., 232, 234–236 Richterwahl 83 Risikobewertung 171 f., 194, 200, 208, 214 Risikoentscheidung 53–55 Risikoermittlung 171 f. Rotmilan 96, 193, 209 Sachverständigengutachten, antizipiertes 176 f., 237 f. Schlagopfer 96, 168, 197, 229 Schutzgebietsausweisung 99, 120 f., 140 Screening 141 Signifikanzkriterium 98, 191–200, 214, 231, 238 Stand der Technik 24, 45, 90 Standardisierung 146, 228–240, 250, 261 Störungsverbot 201–203 Subsidiaritätsprinzip 122 f.

Objektivität 86, 221, 227, 239, 247–249 Öffentlichkeit 83, 245 f., 249

TA Artenschutz 236 TA Eingriff 119, 235 TA Lärm 228, 235 f. TA Luft 228, 235 f. Tötungsverbot 169, 190–201, 203 Transparenz 84, 103, 211, 221, 239, 254 f. Trennwirkung 168 f., 229

Parlamentsvorbehalt 81 Partizipation 83

Umweltbundesamt 232, 238 f. Umweltrechtsbehelfsgesetz 59 f., 72 f.

290

Stichwortverzeichnis

Umweltverband 73, 79, 219 f., 245, 253 Unabhängigkeit 221, 243 f., 247, 249, 259 – richterliche Unabhängigkeit 83, 86 Unbestimmter Rechtsbegriff 42–45, 84 f., 88–90, 214, 224–227 Unmöglichkeit 69 f. Unterschutzstellung 96, 120 f., 140 Untersuchungsgrundsatz siehe Amtsermittlungsgrundsatz Verbandsklage 21, 72 f. Verfahrensautonomie 78 Verfahrensdauer 64, 69 Verhältnismäßigkeit 33, 79, 109, 113 f., 147, 181 Verkehrswege 168, 193, 205 Vermeidungsmaßnahme 100, 186, 192– 194, 197–200, 257 f. Verschlechterungsverbot 141, 207 Verträglichkeitsprüfung 140–160, 161– 163, 166 f., 258 Vertretbarkeitskontrolle 38, 65, 144, 150, 164, 174 f., 225

Vertretbarkeitslehre 38, 58 Verursacherprinzip 99, 104 Verwaltungsvorschrift 181, 228, 232 f., 234–239 Vogelschutzgebiet 119, 120 f., 123–126, 135, 137 f., 139 f. Vorabentscheidungsverfahren 120 Vorbehalt des Gesetzes 38, 81, 84, 91 Washingtoner Artenschutzübereinkommen 96, 168 Weisungsfreies Gremium 52 f. Wesentlichkeitsgrundsatz 41, 81, 210 Willkürkontrolle 74, 76 f., 115, 224 Willkürverbot 80 Windenergieerlass 176–178, 236–238 Windkrafterlass siehe Windenergieerlass Worst-Case-Betrachtung 103, 148, 185 Zertifizierung 247 f. Zulassungsentscheidung 108–112, 161, 170 f., 258 Zuverlässigkeit 43, 249, 255