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German Pages 410 [413] Year 2001
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 61
ARTI BUS 'NüfriN
Wolfgang Schur
Leistung und Sorgfalt Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der Pflicht im Bürgerlichen Recht
Mohr Siebeck
Wolfgang Schur, geboren 1961; 1982-1988 Studium der Rechtswissenschaften, Philosophie und Politik in Gießen; 1988-1991 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Bürgerliches Recht und Rechtsphilosophie der J L U Gießen; 1993 Promotion; 1994 zweites juristisches Staatsexamen; 1994 wissenschaftlicher Mitarbeiter und seit 1996 wissenschaftlicher Assistent an der Professur für Bürgerliches Recht und Rechtsphilosophie der J L U Gießen; 2001 Habilitation; Privatdozent für Bürgerliches Recht, Zivilprozeßrecht und Rechtsphilosophie.
Als Habilitationsschrift auf Empfehlung des Fachbereichs Rechtswissenschaft derJustusLiebig-Universität Gießen gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Die Deutsche Bibliothek Schur,
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CIP-Einheitsaufnahme
Wolfgang:
Leistung und Sorgfalt: Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der Pflicht im Bürgerlichen Recht / Wolfgang Schur. - Tübingen : Mohr Siebeck, 2001 Jus privatum ; 61) ISBN 3-16-147652-2
978-3-16-157919-6 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019
© 2001 J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Pfäffingen aus der Garamond-Antiqua gesetzt, von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0940-9610
Vorwort Gegenstand dieser Untersuchung sind die Sorgfaltspflichten im Bereich des Leistungsstörungsrechts. Der Typus der Sorgfaltspflicht w i r d in Abgrenzung gegenüber dem Typus der Leistungspflicht entwickelt. Gemeinsame Grundlage beider Typen von Pflichten ist ihr Bezug auf den Schutz von Rechtsgütern. W ä h r e n d die Leistungspflicht dem Schutz des Erfüllungsanspruches dient, konkretisiert sich die Sorgfaltspflicht in Pflichten z u m Schutz absoluter Rechtsgüter, der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit und der personalen Beziehung im Schuldverhältnis. Die A n a l y s e der Leistungspflicht und der verschiedenen Typen von Sorgfaltspflichten ist damit eingebettet in eine zivilrechtliche Lehre von den Pflichten, die allerdings nur für die O r d n u n g des Schuldverhältnisses entfaltet wird. Eine solche Lehre von den Pflichten bleibt ungeachtet aller Gesetzgebungspläne Aufgabe zivilrechtlicher Dogmatik und damit von Wissenschaft und Rechtsprechung. Die Arbeit ist im Wintersemester 2000/2001 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen als Habilitationsschrift angenommen worden. Sie w u r d e im Juni 2000 abgeschlossen. Für die Drucklegung sind neuere Entwicklungen, insbesondere die beginnende Diskussion zu einer vom Bundesministerium der Justiz geplanten Schuldrechtsreform, bis M ä r z 2001 größtenteils in den Fußnoten, teils aber auch im Text nachgetragen. Mein Dank gilt an erster Stelle meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Jan Schapp. Ihm verdanke ich die Anregung zu diesem Thema und auch den nötigen Freiraum zu dessen Bearbeitung. Ich hoffe, daß mich sein Vorbild in der Untersuchung zu einem ausgewogenen Verhältnis von phänomenologischem und systematischem Denken geführt hat. Herrn Prof. Dr. Wolf-Dietrich Walker danke ich für die Ermutigung zu einer zügigen Fertigstellung der Arbeit sowie eine Reihe hilfreicher Hinweise. Für eine Vielzahl fruchtbarer Diskussionen während unserer gemeinsamen Assistentenzeit bin ich H e r r n Dr. Patrick Gödicke dankbar. Für die Fertigstellung des M a n u skripts habe ich Frau Marlene Wallmann zu danken. Die Beschaffung von Literatur ist durch die Dr. Herbert Stolzenberg-Stiftung großzügig gefördert worden; auch für diese Unterstützung danke ich. Gießen, im M ä r z 2001
Wolfgang Schur
Inhaltsübersicht Vorwort Einleitung: Problemstellung, Lösungsansatz und Gang der Untersuchung
Erster Teil
Prinzipieller Teil § 1 Historischer Problemaufriß I. Einleitung II. Entwicklungslinien der Sorgfaltspflicht im Bereich des Leistungsstörungsrechts III. Entwicklungslinien der Verkehrspflicht im Bereich des Deliktsrechts IV. Die Bestimmung der Eigentumsstörung beim dinglichen Rechtsschutz anhand von Verkehrspflichten V. Zusammenfassung § 2 Der Begriff des Leistungsstörungsrechts. Grundbegriffe des Leistungsstörungsrechts I. Einleitung II. Der Begriff der Leistungsstörung III. Grundbegriffe des Leistungsstörungsrechts IV. Zusammenfassung § 3 Die Leistungspflichtverletzung I. Einleitung II. Das gesetzliche Modell der Leistungspflichtverletzung entwickelt anhand der nachträglichen Unmöglichkeit . .
Vili
Inhaltsübersicht
III. Das Verständnis der Pflichtverletzung im Entwurf der Schuldrechtskommission und seine Kritik
75
IV. Die Verletzung der Leistungspflicht im Fall des Schuldnerverzuges
88
V. Die Abgrenzung von nachträglicher Unmöglichkeit und Schuldnerverzug am Beispiel des § 287 S. 2 BGB VI. Zusammenfassung
90 93
§ 4 Die Sorgfaltspflichtverletzung I. Einleitung
95 95
II. Ethische Pflichten und Rechtspflichten
96
III. Der Typus der Sorgfaltspflicht
103
IV. Zusammenfassung
120
Zweiter Teil
Systematischer Teil Einleitung
123
§ 5 Die Sorgfalt im Rahmen der Leistungspflicht
124
I. Einleitung II. Nichtleistung und Sorgfaltspflichtverletzung
124 125
III. Mittelbare Handlungen und Unterlassungen des Schuldners als unselbständige Sorgfaltspflichtverletzungen IV. Die sogenannte Schlechterfüllung V. Ist die Leistungspflicht eine Sorgfaltspflicht? VI. Zusammenfassung § 6 Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter I. Einleitung
132 154 202 204 207 207
II. Zum Verhältnis von vertraglicher und deliktischer Haftung . . 208 III. Zur Beschränkung der Sorgfaltspflichten auf den Schutz absoluter Rechtsgüter. Kritik der Auffassung vom Vermögensschutz durch Sorgfaltspflichten 260 IV. Zusammenfassung
265
Inhaltsübersicht
§ 7 Sorgfaltspflichten zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit I. Einleitung II. Die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit als Schutzgut von Sorgfaltspflichten
IX
267 267 268
III. Zur Legitimität des Schutzes rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit durch Sorgfaltspflichten
281
IV. Der Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit aus Sicht der neueren Literatur
293
V. Zur Kritik eines Schutzes der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit durch Sorgfaltspflichten im Rahmen der culpa in contrahendo. Auseinandersetzung mit der These vom Vermögensschaden als Voraussetzung eines Schadensersatzanspruches aus culpa in contrahendo VI. Zusammenfassung § 8 Sorgfaltspflichten zum Schutz der Beteiligung des anderen am Schuldverhältnis I. Der Schutz des Schuldverhältnisses durch Pflichten und die Eigenart von Sorgfaltspflichten zum Schutz der Beteiligung am Schuldverhältnis II. Abgrenzung der Sorgfaltspflichten zum Schutz der Beteiligung des anderen am Schuldverhältnis von anderweitigen Pflichten
315 328
331
331
333
III. Sorgfaltspflichten zum Schutz der personalen Beziehung aus dem Schuldverhältnis
356
IV. Zusammenfassung
373
Literaturverzeichnis
375
Sachregister
387
Inhaltsverzeichnis Vorwort
V
Inhaltsübersicht
VII
Einleitung: Problemstellung, Lösungsansatz und Gang der U n t e r s u c h u n g
1
E r s t e r Teil
Prinzipieller Teil § 1 Historischer Problemaufriß I. E i n l e i t u n g
7 7
II. Entwicklungslinien der Sorgfaltspflicht im Bereich des L e i s t u n g s s t ö r u n g s r e c h t s 1. D i e Begründung der culpa in contrahendo durch Jhering 2. D i e Entdeckung der positiven Vertragsverletzungen durch Staub
9 9 13
3. Kritische Einwände gegen eine selbständige Sorgfaltspflicht durch Siber 4. D e r unentwickelte Schutzanspruch bei K r e ß
15 17
5. D i e Unterscheidung von Leistungs- und Schutzpflichten durch Stoll. . 18 6. Canaris' T h e o r i e eines einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses
19
7. Das Problem der Herleitung einer allgemeinen Haftung des Schuldners aus § 276 B G B 8. Erste Schlußfolgerungen
20 23
III. Entwicklungslinien der Verkehrspflicht im Bereich des D e l i k t s r e c h t s
23
1. D i e „Wandlungen des Deliktsrechts" in der Sicht v. Caemmerers
24
2. Fikentschers „Idealtyp" eines Deliktsrechts
26
3. Legislative und judizielle Konzeption des Deliktsrechts bei Mertens . . 27 4. Brüggemeiers einheitlicher Haftungstatbestand für Verkehrswidrigkeit
27
5. D i e Begründung vertraglicher und deliktischer Pflichten aus dem Prinzip „neminem laedere" durch Picker
28
XII
Inhaltsverzeichnis
IV. Die Bestimmung der Eigentumsstörung beim dinglichen Rechtsschutz anhand von Verkehrspflichten V. Zusammenfassung § 2 Der Begriff des Leistungsstörungsrechts. Grundbegriffe des Leistungsstörungsrechts I. Einleitung II. Der Begriff der Leistungsstörung 1. Bereichsanalyse des Leistungsstörungsrechts 2. Die Störung des Schuldverhältnisses als G r u n d g e d a n k e des Leistungsstörungsrechts
III. Grundbegriffe des Leistungsstörungsrechts 1. Die N i c h t e r f ü l l u n g a) Die Problematik des Erfüllungsbegriffes b) Die Problematik des Erfüllungsanspruches 2. Die Pflichtverletzung a) Das Verständnis der Pflichtverletzung in der von Stoll vorgelegten „ D e n k s c h r i f t " b) Die E n t w i c k l u n g des Verständnisses der Pflichtverletzung d u r c h Larenz c) Pflichtverletzung u n d N i c h t e r f ü l l u n g 3. Die Vertragsverletzung
IV. Zusammenfassung § 3 Die Leistungspflichtverletzung I. Einleitung II. Das gesetzliche Modell der Leistungspflichtverletzung entwickelt anhand der nachträglichen Unmöglichkeit 1. Die H e r b e i f ü h r u n g der nachträglichen U n m ö g l i c h k e i t d u r c h den Schuldner als Verletzung seiner Leistungspflicht 2. Das deliktische H a f t u n g s k o n z e p t z u r B e w e r t u n g unerlaubter H a n d l u n g e n entwickelt anhand des § 823 I B G B 3. Die Vergleichbarkeit von deliktischem u n d vertraglichem H a f t u n g s k o n z e p t unter dem G e s i c h t s p u n k t der B e w e r t u n g von H a n d l u n g e n . . .
III. Das Verständnis der Pflichtverletzung im Entwurf der Schuldrechtskommission und seine Kritik 1. D a s P r o b l e m einer Typisierung u n d Qualifizierung der Nichtleistung 2. D a s P r o b l e m der B e w e r t u n g einer H a n d l u n g d u r c h den Begriff der Pflichtverletzung
Inhaltsverzeichnis 3. Der G e d a n k e einer W e i t e r e n t w i c k l u n g und Verallgemeinerung der Grundsätze über die positive Vertragsverletzung 4. Die Begriffe Pflichtverletzung und Vertretenmüssen bei der Befreiung des Schuldners nach § 275 I B G B
XIII
84 86
IV. D i e V e r l e t z u n g d e r L e i s t u n g s p f l i c h t i m F a l l d e s Schuldnerverzuges
88
V. D i e A b g r e n z u n g v o n n a c h t r ä g l i c h e r U n m ö g l i c h k e i t u n d S c h u l d n e r v e r z u g a m B e i s p i e l d e s § 2 8 7 S. 2 B G B VI. Zusammenfassung
§4
Die Sorgfaltspflichtverletzung I. E i n l e i t u n g II. E t h i s c h e P f l i c h t e n u n d R e c h t s p f l i c h t e n 1. Die Pflicht als Begriff der Ethik und des Rechts 2. Der Z u s a m m e n h a n g von Ethik und Recht in der U n t e r s c h e i d u n g von Primär- u n d Sekundärpflichten a) Die E n t w i c k l u n g der U n t e r s c h e i d u n g von Primär- u n d Sekundärpflichten aus dem Verhältnis von Recht u n d U n r e c h t bei J. Schapp b) Die V e r z a h n u n g von ethischer und rechtlicher Sphäre in der Primärpflicht c) Die Erfüllung von Primärpflichten und die Sonderstellung der Primärleistungspflicht III. D e r T y p u s d e r S o r g f a l t s p f l i c h t
90 93
95 95 96 96 97
97 98 101 103
1. Die Sorgfaltspflicht als Primärpflicht im R a h m e n des Schuldverhältnisses 103 2. Die Bezeichnung als Sorgfaltspflicht und A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit abweichenden Benennungen 104 3. Die O r i e n t i e r u n g der Sorgfaltspflicht am Schutz von Rechtsgütern . . 107 a) Der Schutz von Rechtsgütern durch subjektive Rechte und Pflichten 107 b) Die Orientierung der Sorgfaltspflichten an Rechtsgütern 110 aa) Typen von Sorgfaltspflichten z u m Schutz von Rechtsgütern . 110 bb) Die B e g r ü n d u n g der Sorgfaltspflichtverletzung vor dem H i n t e r g r u n d der Kontroverse z w i s c h e n Verhaltens- u n d Erfolgsunrechtskonzeption 111 cc) Zur A b g r e n z u n g der Sorgfaltspflichtverletzung von der Fahrlässigkeit 114 4. A n s p r ü c h e auf Erfüllung von Sorgfaltspflichten? 116 5. Zu den Rechtsfolgen der Sorgfaltspflichtverletzung 119 IV. Z u s a m m e n f a s s u n g
120
XIV
Inhaltsverzeichnis
Zweiter Teil
Systematischer Teil Einleitung
123
§ 5 Die Sorgfalt im Rahmen der Leistungspflicht
124
I. Einleitung II. Nichtleistung und Sorgfaltspflichtverletzung 1. Z u r Schädigung von Rechtsgütern d u r c h Nichtleistung 2. Z u r Problematik der bloßen V e r z ö g e r u n g der Leistung als Pflichtverletzung
III. Mittelbare Handlungen und Unterlassungen des Schuldners als unselbständige Sorgfaltspflichtverletzungen 1. Die B e w e r t u n g mittelbarer H a n d l u n g e n des Schuldners a) D i e Problematik mittelbarer H a n d l u n g e n entwickelt am Beispiel der nachträglichen U n m ö g l i c h k e i t aa) Die H e r b e i f ü h r u n g der U n m ö g l i c h k e i t d u r c h mittelbare Handlungen bb) Z u r Rechtfertigung der Ü b e r n a h m e deliktischer H a f t u n g s k o n z e p t e in das Leistungsstörungsrecht cc) Z u r B e d e u t u n g des Begriffs der mittelbaren H a n d l u n g dd) Analyse der einschlägigen R e c h t s p r e c h u n g b) Die F u n k t i o n der unselbständigen Sorgfaltspflicht im R a h m e n der B e w e r t u n g von Leistungs- u n d Sorgfaltspflichtverletzungen . . 2. Die B e w e r t u n g des Unterlassens einer f ü r den Schuldner gebotenen H a n d l u n g a) Liegt die Verletzung der Leistungspflicht im Unterlassen der Erfüllung? b) Die Problematik einer Beschaffungspflicht bei Stückschulden . . . . aa) D e r S t a n d p u n k t E m m e r i c h s bb) Stellungnahme z u m S t a n d p u n k t E m m e r i c h s und B e g r ü n d u n g der eigenen Position (1) D e r Eintritt eines nachträglichen Ereignisses als A u s g a n g s p u n k t f ü r die B e g r ü n d u n g nachträglichen Unvermögens (2) Leistungshindernis u n d Reichweite der Leistungspflicht . (3) Die ausnahmsweise bestehende Beschaffungspflicht als Teil der Leistungspflicht
IV. Die sogenannte Schlechterfüllung 1. Einleitung 2. Die B e g r ü n d u n g der Schlechterfüllung d u r c h Zitelmann a) Darstellung der Lehre Zitelmanns b) W ü r d i g u n g
124 125 126 129
132 132 132 132 134 137 139 140 143 144 147 148 149
149 150 152
154 154 157 157 157
Inhaltsverzeichnis 3. Die F o r t f ü h r u n g der K o n z e p t i o n zur Schlechterfüllung d u r c h Fikentscher a) Darstellung des theoretischen Ansatzes von Fikentscher b) W ü r d i g u n g aa) Kritik des weiten Leistungsbegriffes bb) Kritik des weiten Erfüllungsbegriffes cc) Z u r Problematik der Einheit von Tatbestand u n d Rechtsfolge 4. Gewährleistung f ü r Sachmängel u n d Schlechtleistung beim Kauf . . . . a) Problemstellung b) Z u r B e g r ü n d u n g der H a f t u n g aus Schlechtleistung aa) Die N i c h t e r f ü l l u n g s t h e o r i e von U . H u b e r (1) Die Lieferung der mangelhaften Sache als Pflichtverletzung (2) Die B e g r ü n d u n g des Verschuldens bei Lieferung einer fehlerhaften Sache (3) Pflichtverletzung u n d Mangelhaftigkeit der Sache (4) Die U n t e r s c h e i d u n g von Leistungs- u n d Sorgfaltspflichtverletzungen bei Lieferung einer fehlerh a f t e n Sache
XV
159 159 160 160 163 164 167 167 168 169 169 170 171
173
bb) Die S c h u t z p f l i c h t e n k o n z e p t i o n von U . R u s t 176 (1) Die Pflicht zur mangelfreien Lieferung beim Stückkauf als unentwickelte Leistungspflicht 176 (2) D e r Schadensersatzanspruch wegen Schlechtleistung als Folge der schuldhaften Verletzung einer Schutzpflicht 177 (3) D i e verschiedenen Schutzpflichten im einzelnen u n d der aus ihrer Verletzung resultierende Schadensersatz 179 (4) D i e Problematik einer Pflichtverletzung vor u n d nach Vertragsschluß 180 (5) D i e Pflicht des Verkäufers z u r sorgfältigen A u s w a h l der Sache beim Gattungskauf 182 (6) Die Problematik einer Schadensersatzhaftung wegen Schlechtleistung als Verletzung einer Schutzpflicht 183 (7) Die Problematik des Verständnisses der Pflicht z u r mangelfreien Lieferung beim Stückkauf als u n e n t wickelter Leistungspflicht vor dem H i n t e r g r u n d der U n t e r s c h e i d u n g von Leistungs- u n d Sorgfaltspflichten. . . 186 cc) N i c h t e r f ü l l u n g , Leistungspflichtverletzung u n d Sorgfaltspflichtverletzung bei Lieferung einer mangelhaften Kaufsache 187 (1) Die K o n k u r r e n z von Leistungs- u n d Sorgfaltspflichtverletzungen (2) Z u m Verhältnis der H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o u n d positiver Vertragsverletzung (3) Das Verhältnis von Sachmangel u n d Leistungspflichtverletzung
187 190 194
XVI
Inhaltsverzeichnis (4) Die H a f t u n g f ü r Pflichtverletzungen u n d die gesetzliche Regelung der Sachmängelgewährleistung a ) S p e r r w i r k u n g f ü r A n s p r ü c h e aus positiver Vertragsverletzung auf Ersatz des Mangelschadens? ß) S p e r r w i r k u n g f ü r A n s p r ü c h e aus culpa in c o n t r a h e n d o ?
V. Ist die Leistungspflicht eine Sorgfaltspflicht? VI. Zusammenfassung § 6 Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter I. Einleitung
197 197 199
202 204 207 207
II. Z u m Verhältnis von vertraglicher und deliktischer Haftung . . . . 208 1. A b g r e n z u n g der Sorgfaltspflichten z u m Schutz absoluter Rechtsgüter von anderen Pflichten 2. Z u r unterschiedlichen Ausgestaltung der H a f t u n g nach Vertragsrecht u n d Deliktsrecht 3. Das Schuldverhältnis als B e z u g s p u n k t der vertraglichen u n d deliktischen H a f t u n g s o r d n u n g e n entwickelt anhand der Haftung für Hilfspersonen a) Z u m Verständnis von Vertrag u n d Delikt als Schuldverhältnissen . b) Die H a f t u n g f ü r H i l f s p e r s o n e n gemäß § 278 B G B als A u s d r u c k der Personalität des Schuldverhältnisses 4. Z u r V e r o r t u n g der Sorgfaltspflichten z u m Schutz absoluter Rechtsgüter im Schuldverhältnis a) D e r Schutz absoluter Rechtsgüter als spezifische A u f g a b e des Deliktsrechts? b) Schutz des Leistungsaustausches d u r c h Vertragsrecht u n d Bestandsschutz d u r c h Deliktsrecht? Z u m Vertrag als Schuldverhältnis c) D e r Schutz absoluter Rechtsgüter d u r c h Sorgfaltspflichten als Folge der Personalität des Schuldverhältnisses aa) Die Ö f f n u n g der Rechtsgüterkreise im R a h m e n der personalen Beziehung des Schuldverhältnisses bb) D i e H a f t u n g f ü r die Verletzung von Sorgfaltspflichten z u m Schutz absoluter Rechtsgüter aus culpa in c o n t r a h e n d o . (1) D i e H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o als Folge des Vertragsschlusses (2) Z u r H e r a u s b i l d u n g des Verständnisses der Vertragsverhandlungen als gesetzliches Rechtsverhältnis (3) D e r institutionelle Schutz des Vertrages als G r u n d l a g e des Schuldverhältnisses der Vertragsverhandlungen 5. Vertrag, Delikt u n d Schuldverhältnis a) Verkehrspflichten u n d Sorgfaltspflichten z u m Schutz absoluter Rechtsgüter aa) Z u r H e r k u n f t des D e n k e n s in Pflichten bb) Die R e d u k t i o n des Vertrages auf den Leistungsaustausch . . . .
208 209
213 214 216 219 220
222 223 223 227 228 230 232 235 236 236 238
Inhaltsverzeichnis
XVII
cc) Zur Abgrenzung von Verkehrspflichten und Sorgfaltspflichten (1) Begründung des Schuldverhältnisses durch Verkehrspflichten, Ausgestaltung des Schuldverhältnisses durch Sorgfaltspflichten (2) Zur Lehre Dölles vom sozialen Kontakt (3) Die Konkretisierung der Verkehrspflicht im Rahmen eines das Schuldverhältnis vorbereitenden Rechtsverhältnisses b) Die Thesen Pickers z u m Verhältnis von vertraglicher u n d deliktischer H a f t u n g aa) Darstellung des theoretischen Ansatzes von Picker bb) W ü r d i g u n g (1) Zur H a n d h a b u n g des ethischen Prinzips „neminem laedere" (2) Die Problematik von H a f t u n g s b e g r ü n d u n g und Haftungsbegrenzung (3) H a f t u n g s b e g r ü n d u n g und Haftungsbeschränkung bei Vertrag u n d Delikt c) Canaris' Theorie z u m Schutzverhältnis als „dritter Spur" zwischen Vertrags- u n d Deliktshaftung aa) Die Begründung eines vom Vertrag unabhängigen Schutzverhältnisses durch Canaris bb) Z u r Problematik der Einheit des Schuldverhältnisses cc) Die H a f t u n g f ü r Schutzpflichtverletzungen als „dritte Spur" zwischen Vertrag u n d Delikt? ••••
240
240 240
243 243 243 245 245 246 247 251 252 253 258
I I I . Z u r B e s c h r ä n k u n g d e r S o r g f a l t s p f l i c h t e n auf d e n S c h u t z absoluter Rechtsgüter. Kritik der Auffassung v o m Vermögensschutz durch Sorgfaltspflichten IV. Z u s a m m e n f a s s u n g
260 265
§ 7 Sorgfaltspflichten z u m Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit I. E i n l e i t u n g
267 267
II. D i e r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t als S c h u t z g u t v o n S o r g f a l t s p f l i c h t e n
268
1. Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit - Willensbildungsfreiheit Vertragsabschlußfreiheit 268 2. Alternativen und Abgrenzungen 271 a) Information als Schutzgut von Sorgfaltsflichten? 272 b) Vermögen als Schutzgut von Sorgfaltspflichten? Zur rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit als Rahmenrecht . 275 c) Vertrauen als Schutzgut von Sorgfaltspflichten? 278 d) Der Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit durch Sorgfaltspflichten und die Privatautonomie 279
XVIII
Inhaltsverzeichnis
III. Z u r Legitimität des Schutzes rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit durch Sorgfaltspflichten 1. Das Problem einer H a f t u n g aus culpa in contrahendo neben § 123 B G B 2. Die Begründung einer informationellen Fahrlässigkeitshaftung durch Grigoleit 3. Die culpa in contrahendo als besonderes Rechtsinstitut z u m Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit in Vertragsverhandlungen a) Die Herausbildung einer besonderen H a f t u n g s o r d n u n g für den Vertrag. Zur Frage nach dem O r t des Schuldvertragsrechts b) Z u m Verhältnis von Rechtsgeschäftslehre u n d culpa in contrahendo c) Zur Problematik von Systemverschiebungen im B G B
281 281 283
285
285 287 291
IV. D e r S c h u t z d e r r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e n E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t aus Sicht der n e u e r e n Literatur 1. Anfechtung und Schadensersatz als Rechtsfolgen vorvertraglicher Informationshaftung bei Grigoleit a) Darstellung des theoretischen Konzepts von Grigoleit b) Würdigung aa) Die Verortung des Problems vorvertraglicher I r r e f ü h r u n g in der Rechtsgeschäftslehre bb) Zur These vom Vorrang des Anfechtungsrechts gegenüber einer Vertragsaufhebung im Wege des Schadensersatzes 2. Die culpa in contrahendo als Rechtsinstitut z u m Schutz vor unerwünschten Verträgen bei Lorenz a) Darstellung des theoretischen Konzepts von Lorenz b) Würdigung aa) Zur Zweistufigkeit der Abschlußkontrolle von V e r t r ä g e n . . . . bb) Zur Problematik der Unterscheidung von Täuschungsanfechtung u n d Schadensersatz anhand der Kausalität (1) Die Unterscheidung zwischen dolus causam dans und dolus causam incidens (2) Die Notwendigkeit einer normativen Bestimmung des Schadensersatzes angesichts der Eigenart rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit (3) Zur Problematik der Schadensabwicklung durch Vertragsanpassung
293 293 293 296 296 297 300 300 304 304 306 306
307 311
V. Z u r K r i t i k e i n e s S c h u t z e s d e r r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e n Entscheidungsfreiheit durch Sorgfaltspflichten im R a h m e n d e r c u l p a in c o n t r a h e n d o . A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t d e r T h e s e v o m V e r m ö g e n s s c h a d e n als V o r a u s s e t z u n g e i n e s S c h a d e n s e r s a t z a n s p r u c h e s a u s c u l p a in c o n t r a h e n d o
315
Inhaltsverzeichnis 1. Die Rechtfertigung des Erfordernisses eines Vermögensschadens durch Schubert a) Darstellung des Ansatzes von Schubert b) W ü r d i g u n g
XIX
316 316 317
2. Die Rechtfertigung des Erfordernisses eines Vermögensschadens durch Lieb a) Die G r u n d h a l t u n g Liebs zur H a f t u n g aus culpa in contrahendo wegen fahrlässiger Täuschungen b) Zur Trennung von Willensfreiheit u n d Schaden c) Zur Kritik des Anspruchs auf Vertragsaufhebung d) Zur Frage des geschützten Rechtsgutes
319 320 321 322
3. Schlußfolgerung: Zur Notwendigkeit einer Konturierung der H a f t u n g aus culpa in contrahendo durch die Begründung der Pflichtverletzung. Insbesondere zur Problematik der Aufklärungspflichten
326
VI. Zusammenfassung
319
328
§ 8 Sorgfaltspflichten z u m Schutz der Beteiligung des anderen am Schuldverhältnis
331
I. D e r S c h u t z d e s S c h u l d v e r h ä l t n i s s e s d u r c h P f l i c h t e n u n d die E i g e n a r t v o n Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z der Beteiligung am Schuldverhältnis
331
II. A b g r e n z u n g d e r S o r g f a l t s p f l i c h t e n z u m S c h u t z der Beteiligung des a n d e r e n a m Schuldverhältnis v o n anderweitigen Pflichten
333
1. Einleitung
333
2. Konzeptionelle Ansätze des Schutzes der Leistung und des Vertrages durch Pflichten in der Literatur 334 3. Pflichten des Schuldners z u m Schutz der Leistung 337 a) O b h u t u n d Fürsorge f ü r den Schuldgegenstand 337 b) E n t w e r t u n g der Leistung während oder nach Abwicklung des Vertragsverhältnisses 340 4. Die Beeinträchtigung der Leistung durch den Gläubiger 343 a) Die H e r b e i f ü h r u n g der Unmöglichkeit durch den Gläubiger 343 b) Die Verletzung von Mitwirkungspflichten durch den Gläubiger . . 347 aa) Z u r Problematik der unterschiedlichen rechtlichen Qualität von Mitwirkungspflichten 347 bb) Die Mitwirkung des Gläubigers als Leistungs- u n d Schutzpflicht bei H a r t m a n n 348 (1) Darstellung der Konzeption von H a r t m a n n 348 (2) Würdigung 350 a ) Fragen z u m Verständnis der Mitwirkungspflicht als Leistungs- und Schutzpflicht 350
XX
Inhaltsverzeichnis ß) Z u den G r u n d l a g e n des Verständnisses der M i t w i r k u n g des Gläubigers als Obliegenheit. Kritik einer allgemeinen D e u t u n g der M i t w i r k u n g des Gläubigers als Leistungspflicht y) Z u r P r o b l e m a t i k des Unterlassens der M i t w i r k u n g d u r c h den Gläubiger als G e f ä h r d u n g des Vertragszweckes
III. Sorgfaltspflichten zum Schutz der personalen Beziehung aus dem Schuldverhältnis 1. Die Verletzung der personalen Beziehung d u r c h E r f ü l l u n g s verweigerung a) D i e Verweigerung der E r f ü l l u n g als Angriff auf das Schuldverhältnis. Kritik der Vorstellung von der Erfüllungsverweigerung als F o r m der Leistungsverweigerung b) Z u r sogenannten Leistungstreuepflicht c) U b e r das Festhalten des Schuldners an seinem W o r t d) Z u m Kriterium der Vertragstreue des Gläubigers 2. Die Verletzung der personalen Beziehung in den Fällen der Vertragszweckgefährdung a) D i e G e f ä h r d u n g des Vertragszweckes als Angriff auf das Schuldverhältnis b) Obliegenheitsverletzung u n d V e r t r a g s z w e c k g e f ä h r d u n g c) V e r t r a g s z w e c k g e f ä h r d u n g u n d anderweitige Pflichtverletzungen . d) D e r Fall der unberechtigten K ü n d i g u n g e) Z u den Erfordernissen der Fristsetzung mit A b l e h n u n g s a n d r o h u n g u n d der A b m a h n u n g f) Z u m Begriff der V e r t r a g s z w e c k g e f ä h r d u n g
IV. Zusammenfassung
351
355
356 356
357 361 362 364 366 366 367 368 369 371 372
373
Literaturverzeichnis
375
Sachregister
387
Einleitung: Problemstellung, Lösungsansatz und Gang der Untersuchung In der folgenden Untersuchung geht es um Grundlagen und Grenzen des Sorgfaltsprinzips im Bereich des sogenannten Rechts der Leistungsstörungen. Die Bedeutung der Sorgfalt ist dabei zunächst schon im Ansatz unklar. Nach § 276 I 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht läßt. Die Sorgfalts- oder Sorgfaltspflichtverletzung umschreibt hier die Fahrlässigkeit und damit nach herkömmlicher Auffassung eine Form des Verschuldens. Von Sorgfaltspflichten spricht man aber auch als einem eigenen Pflichtentypus, der dem Typus der Leistungspflichten gegenübersteht. 1 Die Bezeichnung dieses Typus von Pflichten ist allerdings uneinheitlich. Statt von Sorgfaltspflichten wird auch von weiteren Verhaltenspflichten, 2 Nebenpflichten, 3 Schutzpflichten 4 u.ä. gesprochen. Manche verzichten auch überhaupt auf einen Oberbegriff für die hier in Frage stehenden Pflichten. 5 Die Unsicherheit in der Bezeichnung dieser Pflichten deutet darauf hin, daß ihr Charakter als eigenständiger Pflichtentypus unterschiedlich beurteilt wird und - mehr noch - überhaupt unsicher ist. Tatsächlich ist der systematische Standort dieser Sorgfaltspflichten - die hier ganz bewußt so bezeichnet werden - niemals durchgreifend geklärt worden. Mehr noch, im Grunde gilt insoweit nach wie vor der Befund, den bereits Brinz im 19. Jahrhundert herausstellte, daß es nämlich in der zivilrechtlichen Dogmatik niemals eine genauere Untersuchung der Frage gegeben hat, worin überhaupt
1 Vgl. insbesondere Esser, Schuldrecht I, 4. A., § 52 VI 2; Scbapp, G r u n d l a g e n des bürgerlichen Rechts, R z . 257; auch Stürner, J Z 1976, 384 (384 f.). 2 So vor allem Larenz, Schuldrecht I, § 2 I (S. 10 ff.); auch e t w a Palandt-Heinrichs, Einl v § 2 4 1 R z . 7. 3 Brox, A l l g e m e i n e s Schuldrecht, R z . 13; Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 4 II 2; Erman-O. Werner, § 242 R z . 50 ff. 4 G r u n d l e g e n d insoweit Kreß, L e h r b u c h des A l l g e m e i n e n Schuldrechts, s o w i e Heinrich Stoll, A c P 136 (1932), 257 (insbesondere 287 ff.); im A n s c h l u ß daran beispielsweise Canaris seit seinem b e r ü h m t e n A u f s a t z in J Z 1965, 475 ff.; auch e t w a Soergel-Teichmann, §242 R z . 178 ff. 5 Vgl. nur e t w a Gernhliber, Das Schuldverhältnis, § 2 IV 1 u. 2, der die Leistungspflichten von den „anderen P f l i c h t e n " sondert, die er unterteilt in „Leistungstreue- u n d M i t w i r k u n g s pflichten" s o w i e „weitere Verhaltenspflichten".
2
Einleitung
das Unrecht der Verletzung vertraglicher oder sonstiger obligatorischer Pflichten liegt. 6 Hinter der unsicheren Bedeutung der Sorgfaltspflichten verbergen sich vielschichtige Probleme moderner zivilrechtlicher D o g m a t i k , die nicht nur das Leistungsstörungsrecht, sondern das Haftungsrecht insgesamt in seinen Grundlagen berühren. Im Mittelpunkt der gesetzlichen Konzeption des Leistungsstörungsrechts steht nicht die Verletzung von Sorgfaltspflichten. Mit der nachträglichen Unmöglichkeit und dem Verzug des Schuldners hat der Gesetzgeber vielmehr Haftungsinstitute geregelt, die man nach dem heutigen Stand der D o g m a t i k als Verletzungen der Leistungspflicht durch den Schuldner begreifen muß. N e b e n das gesetzliche System der Verletzung von Leistungspflichten haben sich allerdings schon kurz nach Inkrafttreten des B G B in einem Prozeß, der noch nicht als abgeschlossen gelten kann, Fälle herausgebildet, in denen es um die Verletzung von Sorgfaltspflichten geht. D a z u gehören vor allem die Fälle der H a f t u n g aus culpa in contrahendo und teilweise auch diejenigen der H a f t u n g aus positiver Vertragsverletzung. Fälle von Sorgfaltspflichtverletzungen finden sich aber auch außerhalb bereits bestehender Schuldverhältnisse und damit außerhalb des Leistungsstörungsrechts. Zu nennen ist hier insbesondere die H a f t u n g für die Verletzung von Verkehrspflichten im Bereich der unerlaubten Handlungen. 7 Soweit auch für den dinglichen Rechtsschutz auf die Verletzung von Verkehrspflichten abgestellt wird, kann man hier ebenfalls von einer H a f t u n g für die Verletzung von Sorgfaltspflichten sprechen. 8 Insgesamt haben wir damit unterschiedliche Kreise der H a f t u n g für die Verletzung von Sorgfaltspflichten vor uns. Die Problematik der immer noch zunehmenden Ausdehnung von Sorgfaltspflichten und der H a f t u n g für ihre Verletzung liegt in dem Verhältnis zum gesetzlichen Haftungssystem. 9 Hinter das gesetzliche System der H a f tung schiebt sich mehr und mehr das dogmatische System einer allgemeinen H a f t u n g für Sorgfaltspflichtverletzungen. Die Problematik dieser Entwicklung liegt nicht nur darin, daß sie über die Entscheidung des B G B zugunsten fest umrissener Haftungstatbestände für typisierte Fälle hinausgeht, sondern 6 So interpretiere ich Brinz, Lehrbuch der Pandekten, A b t . 2 , 1, §266 Fn. 7: „(...) worin des näheren innerhalb einer Obligation überhaupt eine Verschuldung durch dolus und culpa möglich sei, ist vielleicht niemals eigens untersucht worden, keinesfalls aber einig festgestellt w o r d e n " . Hinweise auf die Bedeutung dieses Satzes finden sich bei Himmelschein, A c P 158 (1959/60), 273 (273); Picker, A c P 183 (1983), 369 (454); Würthwein, Zur Schadensersatzpflicht wegen Vertragsverletzungen im Gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts, S. 205. 7 Als Teil der deliktischen H a f t u n g für Sorgfaltspflichtverletzungen begreift vor allem Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 1057 ff., die Verkehrspflichten. Aber auch schon das Reichsgericht hat in einer der grundlegenden Entscheidungen zur Verkehrspflicht von der „Pflicht zur Anwendung von Sorgfalt" gesprochen, vgl. R G Z 54, 53 (54). Kritisch zur Bezeichnung der Verkehrspflichten als Sorgfaltspflichten aber v. Bar, Verkehrspflichten, S. 173 mit Fn. 196. 8 Vgl. dazu unten § 1 IV. 9 Z u m allgemeinen Phänomen der Haftungsausweitung vgl. zuletzt Krebs, Sonderverbindung und außerdeliktische Schutzpflichten, S. 23 ff.
Einleitung
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auch in der bisher nicht zureichenden Analyse dieses Konzepts und seiner Begründung. Dementsprechend sind heute nicht nur die Grenzen, sondern bereits die Grundlagen eines Konzepts der allgemeinen Haftung für Sorgfaltspflichtverletzungen unsicher. I m Mittelpunkt dieser Untersuchung steht die Haftung für Sorgfaltspflichtverletzungen im Bereich des Leistungsstörungsrechts. U n t e r systematischen Gesichtspunkten wird hierbei aber immer wieder auf das R e c h t der unerlaubten Handlungen z u r ü c k z u k o m m e n sein. Dahinter verbirgt sich zum einen die Überzeugung gemeinsamer Grundlagen des deliktischen und vertraglichen Haftungsrechts, die nicht mehr ausreichend bewußt gemacht werden. D a r ü b e r hinaus ist der Blick auf das Deliktsrecht aber auch deshalb erforderlich, weil sich nur in Abgrenzung zu diesem Rechtsgebiet die Eigenart der leistungsstörungsrechtlichen Haftung für Sorgfaltspflichtverletzungen deutlich machen läßt. D e r Leitgedanke der Untersuchung ist dabei folgender. Eine allgemeine Haftung für Sorgfaltspflichtverletzungen ist mit der gesetzlichen Regelung der Haftung durch das B G B nicht vereinbar. Tragfähig ist das K o n z e p t der Haftung für Sorgfaltspflichtverletzungen nur für einen nicht abschließenden Kreis genauer bestimmter typisierter Pflichtverletzungen. Ausgangspunkt dieser These ist eine Analyse der Leistungspflichtverletzung. D i e Verletzung einer Leistungspflicht stellt - ähnlich der Verletzung eines der nach § 823 I B G B geschützten Rechte und Rechtsgüter - die Verletzung eines bestimmten Rechts des Gläubigers dar, nämlich die Verletzung seines schuldrechtlichen Anspruches. Eine solche Leistungspflichtverletzung k o m m t nur als genauer bestimmter Typus der Verletzung dieser Leistungspflicht vor: als Herbeiführung der Unmöglichkeit durch den Schuldner, als Verzug des Schuldners, als Schlechterfüllung oder Schlechtleistung. D i e bloße N i c h t erfüllung ist demgegenüber noch keine Verletzung der Leistungspflicht, sondern ihr vorgelagert. 1 0 Ahnlich wie der Schutz des Anspruchs des Gläubigers gegen den Schuldner, ähnlich aber auch wie der deliktsrechtliche Schutz durch § 823 I B G B dient auch die Sorgfaltspflicht dem Schutz der Rechtsgüter des anderen. D a bei gibt es auf den ersten Blick zwei unterschiedliche F o r m e n von Schutz durch die Statuierung von Sorgfaltspflichten. Als Verkehrspflicht ist die Sorgfaltspflicht immer schon auf bestimmte Schutzgüter bezogen, die durch die gesetzlichen Tatbestände der §§ 823 I und II sowie 826 B G B vorgegeben sind. N u r in diesem vorgegebenen Rahmen dient die Verkehrspflicht der Bewertung einer Handlung als sorgfaltswidrig. Eine ganz ähnliche F u n k t i o n kann die Sorgfaltspflicht aber auch im Rahmen der Bewertung von Handlungen des Schuldners als Leistungspflichtverletzungen übernehmen. Vor allem bei mittelbaren Handlungen des Schuldners oder bei Untätigkeit des Schuldners dient die Sorgfaltspflicht dann der Qualifizierung der jeweiligen Handlung als Verletzung der Leistungspflicht. Sowohl im Deliktsrecht als auch im Lei10
Vgl. dazu unten § 2 I I I 1 b.
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Einleitung
stungsstörungsrecht hat die Sorgfaltspflicht insoweit eine Hilfsfunktion für die Beurteilung der Haftung im Rahmen vorgegebener, typisierter Haftungstatbestände. Demgegenüber fungiert die Sorgfaltspflicht anscheinend aber auch als unmittelbarer Begründungsmaßstab für ein haftungsrelevantes Verhalten des Schuldners. Die Sorgfaltspflicht scheint hier gewissermaßen das Haftungskonzept selbst zu geben. Das gilt insbesondere für die Fälle der H a f t u n g für Sorgfaltspflichtverletzungen im Bereich der positiven Vertragsverletzung und der culpa in contrahendo, aber auch im Bereich der H a f t u n g für Verkehrspflichtverletzungen, soweit sie sich vom gesetzlichen Haftungssystem entfernt hat. Ein tragfähiges Konzept der H a f t u n g für Sorgfaltspflichtverletzungen steht für diesen Bereich vor der Aufgabe einer Typisierung der einzuhaltenden Sorgfalt. Wie die Leistungspflichtverletzung in ihren verschiedenen Typen dem Schutz des Anspruchs des Gläubigers dient, so dient hier die Sorgfaltspflicht dem Schutz des anderen im Schuldverhältnis. Dieser Schutz fächert sich auf in den Typen des Schutzes der absoluten Rechtsgüter des anderen, des Schutzes der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit und des Schutzes der Beteiligung am Schuldverhältnis als personaler Beziehung. Die Sorgfalt orientiert sich hier an den vom Gesetz vorgegebenen Bewertungsmaßstäben und führt sie fort. Auf diese Weise schiebt sich mit dem Sorgfaltsgedanken kein eigenständiges System neben oder hinter das gesetzliche Haftungssystem, dieses wird vielmehr fort- und weitergeführt. Die hier nur in aller Kürze skizzierten Leitgedanken werden in zwei Teilen entwickelt. Ein erster, prinzipieller Teil entfaltet die Grundlagen der Haftung für Leistungs- und Sorgfaltspflichtverletzungen. Im Rahmen dieser Grundlegung erfolgt in einem ersten Kapitel (§1) zunächst eine historische Annäherung, in der anhand einiger Leitinstitute grundlegende Verschiebungen des Haftungssystems in Erinnerung gerufen werden. Insbesondere soll hier die zunehmende Isolierung und Abstrahierung der Sorgfaltspflichten bewußt gemacht werden. In einem zweiten Kapitel (§ 2) werden sodann Begriff und Bereich dessen, was gemeinhin als Leistungsstörungsrecht bezeichnet wird, genauer analysiert. Auf dieser Grundlage werden im Anschluß daran auch einige Grundbegriffe des Leistungsstörungsrechts in ihrer systematischen Bedeutung untersucht, nämlich die Begriffe der Nichterfüllung, der Pflichtverletzung und der Vertragsverletzung. Vor diesem Hintergrund wird in einem dritten Kapitel (§ 3) zunächst eine Theorie der Leistungspflicht und ihrer Verletzung entfaltet. Erst das vierte Kapitel (§ 4) gibt sodann die Grundlegung einer Theorie der Sorgfaltspflicht und ihrer Verletzung. Der zweite, systematisch angelegte Teil entfaltet das theoretische Konzept, indem er eine Reihe grundlegender Probleme der verschiedenen Typen von Sorgfaltspflichten analysiert. Das fünfte Kapitel (§ 5) macht zunächst die Momente der Sorgfalt im Rahmen der Leistungspflicht deutlicher. Die Heraushebung einiger solcher typischen unselbständigen Sorgfaltspflichten trägt auch zu einer Abgrenzung von Leistungs- und Sorgfaltspflichten bei. Die folgenden Kapitel
Einleitung
5
dienen der Erörterung der jeweiligen systematischen Grundfragen der verschiedenen Typen selbständiger Sorgfaltspflichten im Schuldverhältnis. D e m sechsten Kapitel (§ 6) geht es insoweit um eine genauere Verortung der Sorgfaltspflichten zum Schutz der absoluten Rechtsgüter des anderen. Dabei zielt die Darstellung vor allem auf eine nähere Bestimmung des Verhältnisses von vertraglicher und deliktischer Haftung anhand des Schuldverhältnisses als Bezugspunkt der unterschiedlichen Haftungsordnungen. In der Beschränkung dieses Typs von Sorgfaltspflichten auf den Schutz absoluter Rechtsgüter liegt dabei - wie überhaupt in dem D e n k e n in „Typen" 1 1 - die Zurückweisung der Vorstellung eines umfassenden Vermögensschutzes durch Sorgfaltspflichten. Das siebente Kapitel (§ 7) bezieht sich auf die Sorgfaltspflichten zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit. Für diesen Bereich ist vor allem der Bezug der Sorgfaltspflichten auf das Schutzgut der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit begründungsbedürftig, weiter dann aber auch die Legitimität eines solchen Schutzes neben dem gesetzlichen Regelungssystem. Das achte und letzte Kapitel (§ 8) wendet sich schließlich der Beteiligung am Schuldverhältnis als einem Rechtsgut zu und thematisiert damit die nur schwer faßbare Dimension der „Vertragstreue" als Gegenstand eines eigenständigen Typus von Sorgfaltspflichten. Mit der Analyse des Sorgfaltsprinzips im Rahmen des Leistungsstörungsrechts nimmt sich die Untersuchung eines Themas aus den Grundlagen des bürgerlichen Rechts an. Solche Grundlagenforschung hat ihre eigenen Schwierigkeiten und macht daher hier einige Einschränkungen und Vorbehalte erforderlich. Eine Reihe inhaltlicher Fragestellungen, die man sich ebenfalls als Teil einer solchen Analyse hätte vorstellen können, mußte ausgespart bleiben. Keine Berücksichtigung finden konnte insbesondere die Problematik des Sorgfaltsgehilfen, der sich teilweise doch recht weitgehend von dem in § 278 B G B zugrunde gelegten Leitbild des Erfüllungsgehilfen entfernt hat. N i c h t behandelt wird auch der ganze Themenkreis des Schutzes Dritter durch das Schuldverhältnis. E b e n s o mußten Fragen der Beweislast weitgehend unerörtert bleiben. Schließlich wird auch die rechtsvergleichende D i mension des Themas nur ganz am Rande angedeutet. D i e Weite des untersuchten Gegenstandes erlegte auch Beschränkungen in der Verarbeitung der Literatur auf. Sicherlich nur rudimentär berücksichtigt ist zunächst einmal die rechtshistorische D i m e n s i o n des Leistungsstörungsrechts. Schon angesichts einer mehr als hundertjährigen Geltung des B G B kann heute zwar kein Zivilrechtsdogmatiker auf die rechtshistorische Perspektive verzichten, andererseits wirft diese Entwicklung aber auch die Frage nach den Geltungsansprüchen rechtshistorischer Argumente auf. Ich habe rechtshistorische Zusammenhänge berücksichtigt, soweit sie mir zum Verständnis des geltenden Rechts beizutragen schienen, ohne daß ich allerdings 11 Zu den phänomenologischen Grundlagen dieses Denkens in Typen vgl. Schapp, Methodenlehre des Zivilrechts, insbesondere S. 80 ff., sowie S. 118 ff.
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Einleitung
meine, daß eine solche Argumentation schon kraft ihrer historischen Dignität Geltung beanspruchen könnte; dies bleibt vielmehr im Einzelfall zu prüfen. Die Beschränkungen in der Heranziehung der Literatur gelten nun aber nicht nur für das ältere, sondern auch für das neuere Schrifttum. Die Informationsfülle ist auch für Juristen heute nahezu unüberschaubar und wird noch zu ganz neuen Problemen wissenschaftlicher Arbeit führen. In vielen Bereichen mußte ich mich deshalb auf mir wesentlich erscheinende Literatur beschränken; Vollständigkeit konnte nicht einmal angestrebt werden. Die gerade erst beginnende Diskussion zu dem vom Bundesministerium der Justiz vorgelegten Entwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes 12 ist nur in wesentlichen Punkten berücksichtigt, zumal - auch nach der konsolidierten Fassung dieses Entwurfes 13 und dem Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts 14 - noch nicht abzusehen ist, was aus diesen Vorschlägen werden wird. 1 5 Trotzdem muß es gerade in Zeiten solcher Unübersichtlichkeit erlaubt bleiben, Themen aus dem Bereich der Grundlagen des bürgerlichen Rechts in dieser Weise zu bearbeiten, damit Prinzip und System des Rechts nicht aus dem Auge geraten.
12 Der sogenannte Diskussionsentwurf des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes (DiskE) wird zitiert nach der im Internet auf der Homepage des Bundesministeriums der Justiz zugänglich gewesenen Fassung auf dem Stand vom 4.8.2000. 13 Die konsolidierte Fassung des Diskussionsentwurfes eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes (KF) wird zitiert nach der ursprünglich im Internet auf der Homepage der Zivilrechtslehrer zugänglichen Fassung auf dem Stand vom 6.3.2001. 14 BR-Drucksache 338/01. 15 Die Notwendigkeit einer genaueren Diskussion zeigen insbesondere die Beiträge zu dem von Ernst und Zimmermann organisierten Symposium „Schuldrechtsmodernisierung 2001", wie sie in dem von ihnen herausgegebenen Sammelband „Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform" zugänglich gemacht worden sind.
Erster Teil
Prinzipieller Teil § 1 Historischer Problemaufriß I.
Einleitung
D i e heute anerkannten Fälle der Verletzung von Sorgfaltspflichten sind in der zivilrechtlichen D o g m a t i k nicht auf der Grundlage eines geschlossenen Haftungskonzepts entwickelt worden, sondern sie haben sich punktuell herausgebildet. Eine der Wurzeln dieser Entwicklung stellt die Entdeckung einer riesigen L ü c k e im Haftungskonzept des B G B durch Staub dar, die dieser durch das Institut der positiven Vertragsverletzung ausfüllen wollte. Schon bald darauf kam die Herausbildung der culpa in contrahendo als eigenständiges Haftungsinstitut hinzu. D e r Gesetzgeber hatte bekanntlich noch auf eine allgemeine Regelung verzichtet und stattdessen im Anschluß an Jhering lediglich einige Spezialfälle geregelt, die als Fälle der culpa in contrahendo begriffen wurden, heute in dieser Bedeutung aber gerade zweifelhaft sind. Das Reichsgericht hatte sich zeitweilig mit einer Art Vorwirkung des beabsichtigten Vertrages beholfen. D a diese Lösung versagen mußte, wenn es später nicht zum Vertragsschluß kam, blieb nur die Anerkennung eines eigenständigen Instituts der Haftung für schuldhaftes Verhalten bei Vertragsschluß. N a c h dem Zweiten Weltkrieg bildete sich nicht zuletzt unter dem Einfluß fremder Rechtsordnungen im Bereich des Rechts der unerlaubten Handlungen die Lehre von den Verkehrspflichten heraus. D e r systematische Standort dieser Verkehrspflichten war von Anfang an unsicher. D i e Rechtsprechung hat die Verkehrspflichten primär in § 823 I B G B verortet und damit als Präzisierung der deliktsrechtlichen Unrechtstatbestände begriffen. Daneben wird aber auch die Auffassung vertreten, die Verkehrspflicht der Vorschrift des § 823 II B G B zuzuordnen. Dieser theoretische Ansatz läuft im Grunde auf eine allgemeine Haftung für sorgfaltswidriges Verhalten im Bereich des D e liktsrechts hinaus. Vereinzelt ist schließlich auf der Grundlage der Lehre vom Verhaltensunrecht auch im Rahmen des negatorischen Rechtsschutzes das K o n z e p t der Verkehrspflichten herangezogen worden. D i e Verletzung der Verkehrspflicht soll hier der genaueren Bestimmung der Eigentumsstörung dienen.
8
§ 1 Historischer
Problemaufriß
Wenn man diesen in nur ganz groben Zügen geschilderten Prozeß im Hinblick auf die systematische Bedeutung und Verortung der Sorgfaltspflichten einmal genauer betrachtet, so läßt sich nicht nur eine zunehmende Ausdehnung der Sorgfaltspflichten feststellen. Vielmehr verändert sich in einem Prozeß zunehmender Abstrahierung und Isolierung der Charakter der Sorgfaltspflichten selbst, so daß schließlich der Maßstab der Sorgfalt zu einem allgemeinen Institut zivilrechtlicher H a f t u n g führt. Im Institut der positiven Vertragsverletzung entwickelt sich die Sorgfaltspflicht zunächst in Abgrenzung gegenüber der Leistungspflicht. Die Herausbildung der culpa in contrahendo führt zu einer Isolierung der Sorgfaltspflichten von den Leistungspflichten. Grundlage der Sorgfalt bleibt aber immer noch ein bereits bestehendes Schuldverhältnis. E s wird jetzt das sogenannte Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflichten kreiert. 1 Mit der Lehre von den Verkehrspflichten wird die Sorgfalt dann nicht mehr aus einem bereits bestehenden Schuldverhältnis hergeleitet. Immerhin ist die Verkehrspflicht aber noch auf das Schuldverhältnis bezogen, indem sie der Begründung des Schuldverhältnisses der unerlaubten Handlungen dient. Der letzte Schritt der Heranziehung von Verkehrspflichten im Rahmen des negatorischen Rechtsschutzes bedeutet schließlich die L o s l ö s u n g der Sorgfalt aus dem Recht der Schuldverhältnisse und damit dem Schuldrecht. Die Sorgfalt wird in Gestalt der Verkehrspflicht zu einem übergreifenden Institut der Bewertung von Handlungen. Die folgenden Überlegungen gehen einigen Etappen dieses Prozesses der Herausbildung und Ausdehnung der Sorgfaltspflichten nach. Dabei dient die Darstellung im wesentlichen dem Erinnern und Bewußtmachen einiger markanter Einzelheiten für die Zivilrechtsdogmatik, auf die im weiteren G a n g der Untersuchung immer wieder z u r ü c k z u k o m m e n sein wird. Zunächst werden einige wesentliche Entwicklungslinien in der Entdeckung und Ausdehnung der Sorgfaltspflichten für den Bereich des Leistungsstörungsrechts hervorgehoben (II). Für einen Teilbereich dieser Geschichte hat vor allem Wolfgang Wiegand wichtige Vorarbeiten mit seinem Beitrag über „ D i e Verhaltenspflichten - Ein Beitrag zur juristischen Zeitgeschichte" geleistet. Im Anschluß daran kommen die hier interessierenden Veränderungen im Bereich der D o g m a t i k des Deliktsrechts (unter III) und sodann auch für den dinglichen Rechtsschutz (unter IV) zur Sprache. Schließlich soll im Rahmen einer Zusammenfassung (V) eine erste vorläufige Bewertung dieses Entwicklungsprozesses erfolgen.
1
Vgl. Larenz,
Schuldrecht I, § 9.
II. Entwicklungslinien
im
Leistungsstörungsrecht
9
II. Entwicklungslinien der Sorgfaltspflicht im Bereich des Leistungsstörungsrechts 1. Die Begründung der culpa in contrahendo durch Jhering Die Entdeckung der culpa in contrahendo wird gemeinhin auf Jhering zurückgeführt, auch wenn sie - wie Jhering sehr wohl bewußt war - der Sache nach bereits im preußischen allgemeinen Landrecht anerkannt war. 2 Das, was Jhering selbst als culpa in contrahendo auffaßte, hat nun allerdings - wie zunehmend erkannt wird - kaum noch etwas mit der modernen Lehre von der culpa in contrahendo zu tun. Und trotzdem gilt Jhering, wie im folgenden deutlicher zu machen sein wird, auch für das heutige Verständnis der culpa in contrahendo mit Recht als Begründer dieses Rechtsinstituts. 3 Die Fälle, die Jhering vor Augen hatte, betrafen zunächst einmal vor allem den Irrtum beim Vertragsschluß sowie die fehlerhafte Übermittlung einer Willenserklärung: den Schreibfehler, eine falsch bestellte Botschaft oder Depesche. 4 Hinzu kam etwa die Problematik der Haftung für die Rücknahme eines Vertragsantrages gegenüber dem Empfänger, der auf das vermeintliche Zustandekommen eines Vertrages vertraut hatte. 5 Die gemeinsame Frage, die Jhering für diese Fälle bewegte, war die Begründung einer Haftung für die Vertrauensschäden, die dem Vertragsgegner infolge der Nichtigkeit des Vertrages entstanden waren. Das BGB hat die Lehren Jherings nach gängiger Darstellung vor allem in den §§ 122 und 307, 309 BGB aufgenommen. 6 Dabei ist natürlich augenfällig, daß die Haftung aus § 122 BGB kein Verschulden voraussetzt. Uber diesen Punkt könnte man vielleicht hinwegkommen, etwa durch die Annahme, die auch Jhering vorschwebte, daß der Irrtum dem Irrenden immer vorwerfbar ist. 7 Tatsächlich ist die neuere Lehre - wohl auch weil diese Argumentation nicht dem modernen Verschuldensverständnis des Zivilrechts entspricht - einen anderen Weg gegangen. Sie begreift die in § 122 2 Im Preuss. A.L.R. I 5 § 284 hieß es: „Was wegen des bei Erfüllung des Vertrages zu vertretenden Grades der Schuld Rechtens ist, gilt auch für den Fall, wenn einer der Contrahenten bei Abschließung des Vertrages die ihm obliegenden Pflichten vernachlässigt hat." Jhering selbst verweist auf diese Regelung, JhJb 4 (1861), 1 (51). 3 Dagegen hat Nirk, Die Lehre von der culpa in contrahendo in rechtsvergleichender Darstellung als kritischer Beitrag zur Lehre vom „sozialen Kontakt", S.22, Franz Leonhard als „Begründer der modernen Lehre von der culpa in contrahendo" bezeichnet. Ihm folgt in dieser Einschätzung Schanze, Ius Commune VII (1978), 326 (356). Sehr differenziert, aber doch wohl skeptisch zum Einfluß Jherings auf die moderne Lehre Medicus, Festgabe für Käser, 169 (insbesondere das Resümee S. 181). 4 Vgl. Jhering, JhJb 4 (1861), 1 (1-8). 5 Jhering, JhJb 4 (1861), 1 (86 ff.). Zu einer genaueren Analyse der Fälle Jherings vor allem Medicus, Festgabe für Käser, 169 (169-173). 6 Vgl. nur etwa Schlechtriem, Schuldrecht AT, Rz. 21. 7 Vgl. insbesondere die Argumentation Jherings, JhJb 4 (1861), 1 (39): „Wer etwas verspricht, soll sich nicht irren ...".
10
5 1 Historischer
Problemaufriß
BGB angeordnete Haftung nicht mehr als solche aus culpa in contrahendo, sondern als Veranlassungshaftung 8 oder aber als Vertrauens- oder Anscheinshaftung. 9 Auch bei § 307 I 1 BGB wird die Haftung zwar nicht an das Merkmal des Verschuldens geknüpft, immerhin wird sie aber von der Kenntnis oder dem Kennenmüssen der Unmöglichkeit der Leistung abhängig gemacht. Dennoch besteht auch im Hinblick auf diese Vorschrift heute keine Einigkeit mehr über ihre Zuordnung zur culpa in contrahendo. 10 So gesehen scheint auf den ersten Blick von den Fragen, die Jhering vor Augen hatte, wenig übrig geblieben zu sein. Auch sofern die Fälle, die Jhering diskutierte, überhaupt noch als solche der culpa in contrahendo begriffen werden, so muß doch zugegeben werden, daß sich seine Sicht nach heutigem Verständnis auf einen engen Teilbereich der culpa in contrahendo beschränkte. 11 Dennoch kommen aus seinen Überlegungen zwei wesentliche Impulse für die Entwicklung zum heutigen Verständnis des Instituts. Der erste richtungsweisende Gedanke betrifft das Verschulden. Entsprechend der Bezeichnung des Instituts als „culpa in contrahendo" sieht Jhering das zentrale Haftungsprinzip im Verschulden. 12 Bezugspunkt des Verschuldens muß aus heutiger Sicht aber ein rechtswidriges Handeln sein, das Verschulden muß sich also auf eine Pflichtverletzung beziehen. Dementsprechend liegt heute eine der großen Schwierigkeiten bei der Begründung einer Haftung aus culpa in contrahendo in der Formulierung konkreter Pflichten, deren Verletzung dann Gegenstand eines Unrechtsurteils sein kann. Bei Jhering ist diese Unterscheidung von Pflichtverletzung und Verschulden - wie es nach dem Stand der Dogmatik seiner Zeit auch kaum anders sein konnte noch ganz unausgearbeitet. 13 Immerhin finden sich aber Andeutungen der Art, daß er als Pflichtverletzung in den Irrtumsfällen offenbar die Herbeiführung des unwirksamen Vertrages begriff. 14 Medicus hat nun darauf aufmerksam gemacht, daß gerade die Schwäche der unzureichenden Unterscheidung von Pflichtverletzung und Verschulden in der Lehre Jherings die Tür geöffnet hat für die Ausdehnung der culpa in contrahendo. 15 Der Inhalt So die wohl h.L., vgl. etwa Staudinger-Dilcher, § 122 Rz. 2 m.w.N. So etwa Larenz, Schuldrecht I, § 9 Ia (S. 107); vgl. auch MüKo-Kramer, §122 Rz.3 m.w.N. 10 So zwar noch die h.L., vgl. etwa Larenz, Schuldrecht I, § 8 III (S. 104); M ü K o - T h o d e , § 307 Rz. 4; Palandt-Heinrichs, § 307 Rz. 1. Teilweise wird die Haftung aus § 307 I 1 BGB aber auch als solche rechtsgeschäftlicher Art qualifiziert, die ihren Grund in dem rechtsgeschäftlichen Akt des Vertragsschlusses hat, so Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II, §10, 4 (S. 129); Stoll, Festschrift für v. Caemmerer, 435 (439 ff.); Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 424; Staudinger-Löwisch, § 307 Rz. 1. 11 Das betonen auch Larenz, Schuldrecht I, § 9 I (S. 107), und Medicus, Festgabe für Käser, 169(176). 12 Vgl.JhJb4(1861), 1 (40). 13 Vgl. Medicus, Festgabe für Käser, 169 (174). 14 Vgl. Jhering, JhJb 4 (1861), 1 (17). 15 Medicus, Festgabe für Käser, 169 (174 f.). 8
9
II. Entwicklungslinien
im
Leistungsstörungsrecht
11
der vorvertraglichen Pflichten sei bei Jhering unbestimmt geblieben. Die darauf beruhende Unsicherheit über den Anwendungsbereich der culpa in contrahendo sei dann noch gesteigert worden durch die Weitherzigkeit, mit der Jhering eine culpa bejaht habe. Der allgemein gehaltene Obertitel des Aufsatzes von Jhering „Culpa in contrahendo" habe dementsprechend den Bezugspunkt des Verschuldens offen gelassen und damit den Raum geschaffen für die immer weiter gehende Ausdehnung der culpa in contrahendo und damit auch der vorvertraglichen Sorgfaltspflichten. Etwas anders formuliert: Schon in der Begründung der Lehre Jherings ist die Tendenz zu einer allgemeinen Haftung für Sorgfaltspflichtverletzungen im Rahmen von Vertragsverhandlungen angelegt, auch wenn ihm selbst ein solches Haftungskonzept wohl eher fern lag. 16 Die Begründung der culpa in contrahendo durch Jhering enthält darüber hinaus einen zweiten Gedanken, der Jhering ebenfalls noch als Begründer der modernen Lehre erscheinen läßt, auch wenn dieser Punkt offenbar kaum noch sichtbar ist. In mancher Hinsicht kann man nämlich in Jhering einen Vorläufer der Lehre vom Schuldverhältnis i.w.S. sehen, obwohl der Begriff der Obligation in seinen Überlegungen kaum eine Rolle spielt. 17 Der Sache nach gelingt es ihm aber, den Vertrag vom Schuldverhältnis zu unterscheiden und aus dieser Unterscheidung die Haftung aus culpa in contrahendo zu begründen. Die Problematik ergibt sich, als Jhering die Frage aufwirft, ob es sich bei seiner Entdeckung nun um eine kontraktliche oder außerkontraktliche culpa handelt. 18 Er ordnet die culpa in contrahendo ohne zu zögern dem Vertragsrecht zu, unter anderem mit dem Argument, daß sich eine allgemeine Verschuldenshaftung nur in vertraglichen, nicht aber in außervertraglichen Verhältnissen rechtfertigen lasse. 19 Dabei steht er im weiteren aber vor dem Problem, daß in den von ihm gegebenen Beispielen der Vertrag gerade nichtig ist. 20 Diese Schwierigkeit bewältigt er wie folgt: Zunächst einmal bestehe immerhin ein äußerer Zusammenhang zum Vertragsschluß, der darin liegt, daß es der „intendirte und äußerlich oder scheinbar vollzogene Abschluß eines Contracts" ist, auf den sich das Verschulden bezieht. Dann sei die culpa, die hier auftrete, auch von derselben Art, wie sie sonst nur in Vertragsverhältnissen auftrete. 21
16 Daß Jhering eine „soziale Sensibilisierung" des Schuldverhältnisses fern lag, dieser vielmehr im „liberalen Vertragsmodell" verhaftet war, betont Schanze, Ius Commune VII (1978), 326 (351); auch Medicus, Festgabe für Käser, 169 (180). 17 Auch Eike Schmidt, Nachwort, S. 132, hebt hervor, daß Jhering trotz seiner Orientierung am Vertragsmodell schon das Schuldverhältnis vor Augen hatte. 18 JhJb 4 (1861), 1 (2 f.). " JhJb 4 (1861), 1 (12). 20 Vgl. auch den Untertitel seines Aufsatzes: „Schadensersatz bei nichtigen oder nicht zur Perfection gelangten Verträgen". 21 Jhering, JhJb 4 (1861), 1 (26).
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Problemaufriß
Der wesentliche Punkt liegt nun weiter in der Deutung, die Jhering der Nichtigkeit des Vertrages gibt. Der Ausdruck Nichtigkeit bedeute - auch wenn dem alten römischen Recht diese Beobachtung zu fein und zu künstlich gewesen sein mag - nicht gänzliche Wirkungslosigkeit des Vertrages, sondern er habe einen beschränkten Sinn.22 Die Begriffe Gültigkeit und Nichtigkeit des Vertrages beziehen sich seiner Auffassung nach nur auf den Hauptzweck, die Erfüllung der Verbindlichkeit. Auch wenn diese Hauptwirkungen des Vertrages ausgeschlossen seien, so hindere das aber nicht die Annahme, daß der Vertrag Nebenwirkungen entfalten könne, soweit sie nicht den Gegenstand selbst zum Zwecke haben. Der Abschluß des Vertrages erzeuge damit nicht bloß eine Verpflichtung zur Erfüllung, sondern unter Umständen auch eine Verpflichtung zum Schadensersatz wegen der Nichtigkeit des Vertrages.23 Später verknüpft Jhering diese Perspektive mit dem Gedanken, daß beim Vertragsschluß selbst schon die erforderliche Sorgfalt aufzuwenden ist: „Nicht bloß die bestehenden, sondern bereits die entstehenden Contractsverhältnisse müssen unter dem Schutz der Regeln über die culpa stehen (...)." 24 Die Überlegungen Jherings gipfeln in dem Satz, der schließlich zum Ausgangspunkt der modernen Lehre vom vorvertraglichen Schutz geworden ist: „Wer contrahirt, tritt damit aus dem rein negativen Pflichtenkreis des außercontractlichen Verkehrs in den positiven der Contractsphäre, von dem Gebiete der bloßen culpa in faciendo auf das der culpa in non faciendo, der positiven diligentia, und die erste und allgemeinste Verpflichtung, die er damit übernimmt, ist die: beim Contrahiren selbst bereits die nöthige diligentia aufzuwenden." 25 In den Überlegungen Jherings selbst spielt der Gedanke eines Schuldverhältnisses i.w.S. - wie bereits erwähnt - keine Rolle. Gleichwohl ist in seinem Gedankengang an zwei Schaltstellen die Trennung des Vertrages vom Schuldverhältnis vorbereitet. Zum einen trennt Jhering die Nichtigkeit des Vertrages von den Wirkungen des Vertrages.26 Damit legt er ein Verständnis des Vertrages zugrunde, das sich nicht in der Hervorbringung der Leistungspflichten erschöpft. Zum anderen ordnet Jhering auch den Akt des Kontrahierens selbst der Vertragssphäre zu, ohne daß dieser aber mit dem Vertrag identifiziert würde. Damit ist die Anerkennung eines eigenständigen Bereiches von Pflichten vorbereitet, der sich weder auf die Pflichten aus dem Vertrag selbst bezieht, noch aber auf außervertragliche Pflichten. In dieser Weise hat Jhering den Weg für die Annahme der Vertragsverhandlungen als eigenständiges gesetzliches Schuldverhältnis bereitet. Bekanntlich war es aber ein langer ProJhering, JhJb 4 (1861), 1 (28-30). Jhering, JhJb 4 (1861), 1 (32). 24 Jhering, JhJb 4 (1861), 1 (42). 25 JhJb 4 (1861), 1 (41 f.). 26 Gerade dieser Punkt hat allerdings auch Raum für die Vorstellung einer eigenständigen Erklärungshaftung kraft rechtsgeschäftlichen Aktes gegeben; so schon Esser, Schuldrecht I, 4. A., § 52 II 3 (S. 374). Zu § 307 BGB siehe schon die Nachweise oben Fn. 10. 22 23
II. Entwicklungslinien
im
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Leistungsstörungsrecbt
zeß, auf den später auch noch einmal zurückzukommen sein wird, 27 von der Begründung der culpa in contrahendo durch Jhering bis zu ihrem heutigen Verständnis. Vor allem das Reichsgericht hatte lange Zeit die Haftung auf eine Art Vorwirkung des Vertrages gestützt, bis es dann schließlich ein eigenständiges gesetzliches Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen anerkannte. Die Grundlagen für diesen Prozeß der Verselbständigung von Sorgfaltspflichten, deren Verletzung zur Haftung aus culpa in contrahendo führt, sind in mancher Hinsicht aber schon in der Begründung der culpa in contrahendo durch Jhering angelegt und vorgezeichnet.
2. Die Entdeckung
der positiven
Vertragsverletzungen
durch Staub
Gewissermaßen quer zur Herausbildung des Rechtsinstituts der culpa in contrahendo erfolgt die Herausbildung der positiven Vertragsverletzung. Am Beginn dieser Entwicklung steht der richtungsweisende Aufsatz von Hermann Staub über „Die positiven Vertragsverletzungen und ihre Rechtsfolgen" 28 aus dem Jahre 1902. Staub führte eine Reihe heterogener Fälle an, für die das BGB nach seiner Auffassung keine ausreichende Regelung enthält. Die Annahme einer Unmöglichkeit der Erfüllung sei hier geschraubt und gekünstelt. 29 § 280 BGB und §§ 323 ff. BGB hätten vor allem die Fälle im Auge, daß eine positive Leistung infolge einer Unmöglichkeit unterbleibt. Ebenso unterbleibe beim Verzug die dem Schuldner obliegende Leistung, obwohl sie noch möglich ist. In den von Staub angeführten Fällen soll es hingegen umgekehrt sein: In keinem der Fälle sei etwas zu unterlassen, was der Verpflichtete hätte tun sollen. Uberall sei vielmehr umgekehrt etwas getan, was hätte unterbleiben sollen. 30 Dementsprechend liege keine Pflichtverletzung durch Unterlassen, sondern durch positives Tun vor. Bekanntlich nahm Staub für diese Fälle einen allgemeinen Rechtsgrundsatz an, wonach jemand, der eine Verbindlichkeit durch eine positive Handlung schuldhaft verletzt, den dem anderen Teil entstehenden Schaden zu ersetzen hat. 31 Hinsichtlich der Rechtsfolgen stützte er sich dabei auf eine Analogie zu den §§ 286, 326 BGB. Wer positive Rechtsverletzungsakte vornehme, welche den Vertragszweck gefährden, sei genauso zu behandeln wie derjenige, der durch negatives Verhalten, nämlich die schuldhafte Verzögerung der geschuldeten Leistung, die Erreichung des Vertragszweckes gefährde. In der Argumentation von Staub sind mehrere richtungsweisende theoretische Ansatzpunkte angelegt. Der erste betrifft die Unterscheidung von positivem Tun und Unterlassen. Staub verkürzt die Regelung des BGB auf die Fälle 27 28 29 30 31
Vgl. unten § 6 II 4 c bb. Festschrift für den XXVI. Dt. Juristentag. Staub, Festschrift für den Dt. Juristentag, 29 (35). Staub, Festschrift für den Dt. Juristentag, 29 (32). Staub, Festschrift für den Dt. Juristentag, 29 (41).
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Problemaufriß
der S t ö r u n g durch ein U n t e r l a s s e n des Schuldners, n ä m l i c h des U n t e r l a s s e n s der E r b r i n g u n g der Leistung. S c h o n dieser B e z u g s p u n k t ist zweifelhaft und stellt gewissermaßen nur einen Teilausschnitt der gesetzlichen R e g e l u n g dar. D a s H a f t u n g s k o n z e p t des B G B für diesen B e r e i c h b e r u h t gerade nicht auf dem b l o ß e n U n t e r l a s s e n der Leistungserbringung. V i e l m e h r m u ß der Schuldner die genauer qualifizierte N i c h t e r f ü l l u n g n o c h zu vertreten h a b e n . B e i der schuldhaften U n m ö g l i c h k e i t ist G r u n d l a g e des Schuldurteils regelmäßig ein aktives Tun des Schuldners, das die U n m ö g l i c h k e i t herbeiführt (etwa durch Z e r s t ö r u n g des Leistungsgegenstandes) und damit auch die E r b r i n g u n g der Leistung u n m ö g l i c h macht. D e r A n s a t z p u n k t für die B e w e r t u n g der H a n d lung des Schuldners ist also v o n Staub falsch gewählt. W i e später n o c h gezeigt wird, hat Staub damit auch G r u n d l a g e n für ein u n z u r e i c h e n d e s Verständnis des Begriffs der Pflichtverletzung vorbereitet. D i e weitere E n t w i c k l u n g der D o g m a t i k ist ü b e r diesen P u n k t übrigens bald hinweggegangen, i n d e m sie auch U n t e r l a s s e n s h a n d l u n g e n als G r u n d l a g e der positiven Vertragsverletzung a n e r k a n n t e . 3 2 D e r A u s g a n g s p u n k t v o n Staub b e i m U n t e r l a s s e n f ü h r t dann auch dazu, daß als G r u n d t a t b e s t a n d der gesetzlichen K o n z e p t i o n nicht die U n m ö g l i c h keit, sondern die V e r z ö g e r u n g der E r f ü l l u n g erscheint. D i e U n m ö g l i c h k e i t ist j e t z t nur n o c h ein Spezialfall der N i c h t e r b r i n g u n g der Leistung, der dadurch g e k e n n z e i c h n e t ist, daß die L e i s t u n g eben nicht m e h r e r b r a c h t werden k a n n . 3 3 D i e Auffassung der V ä t e r des B G B war o f f e n b a r n o c h u m g e k e h r t , daß der Verzug des Schuldners ein Spezialfall der U n m ö g l i c h k e i t sei, der n u r aus praktischen G r ü n d e n einer b e s o n d e r e n R e g e l u n g zugeführt w u r d e . 3 4 I m m e r hin scheinen aber auch die Vorschläge der S c h u l d r e c h t s k o m m i s s i o n und des E n t w u r f e s eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes in die R i c h t u n g eines Verständnisses der „ N i c h t e r b r i n g u n g der L e i s t u n g " als G r u n d t a t b e s t a n d des Leistungsstörungsrechtes zu gehen, w e n n sie v o n der D e u t u n g der Pflichtverletzung als N i c h t e r f ü l l u n g im Sinne der N i c h t l e i s t u n g des Schuldners ausgehen. 3 5 Andererseits liegt ein Verdienst v o n Staub darin, den B l i c k auf die k o n k r e t e A r t der Pflichtverletzung gelenkt zu haben, auch w e n n gelegentlich - etwa auch in der B e z e i c h n u n g des Instituts der positiven Vertragsverlet-
Vgl. nur Medicus, Schuldrecht I, Rz. 413. Eben ein derartiges Verständnis des Schuldnerverzuges als Grundtatbestand der vom Schuldner zu vertretenden Pflichtverletzungen findet sich neuerdings bei Wahl, Schuldnerverzug, passim (ausdrücklich S. 268). Auch Huber tendiert in seiner Darstellung des Leistungsstörungsrechts dazu, Schuldnerverzug und positive Vertragsverletzung als Hauptfälle der Leistungsstörung aufzufassen, neben denen die vom Schuldner zu vertretende nachträgliche Unmöglichkeit nur einen Sonderfall darstellt, vgl. etwa Leistungsstörungen I, § 1 III 2, sowie die Besprechung von Wagner, J Z 2000, 779. 34 Motive, Bd. II, S. 56. Vgl. dazu auch Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, §151. 3 5 Vgl. dazu den Abschlußbericht der Schuldrechtskommission, S. 130, den Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, S. 312 und 314, und im einzelnen unten §3. 32
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Leistungsstörungsrecht
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zung - Pflichtverletzung und Vertragsverletzung nicht klar voneinander unterschieden werden. Schon bei Staub findet sich im übrigen eine Auseinandersetzung mit dem Gedanken, in § 2 7 6 BGB eine allgemeine Haftungsanordnung zu sehen. Staub weist diesen Gedanken zurück, indem er die Regelung des § 276 BGB als Definition der zivilrechtlichen Schuld deutet. 36 Bei anderer Auslegung sei § 286 BGB auch ganz überflüssig. 37 Damit waren bereits zu Beginn unseres Jahrhunderts die Positionen zu § 276 BGB vorgezeichnet, die Jahrzehnte später die Diskussion bestimmen sollten und die auch heute in der Wissenschaft noch nicht zu einer grundsätzlichen Klärung geführt haben.
3. Kritische Einwände gegen eine selbständige durch Siber
Sorgfaltspflicbt
Heinrich Siber kann als einer der ersten Kritiker der Annahme selbständiger Sorgfaltspflichten gelten. Auch wenn die Begründung dieser Pflichten heute zumeist auf die zeitlich erst noch folgenden Arbeiten von Kreß und Stoll zurückgeführt wird, so war für Siber schon sehr viel früher, nämlich jedenfalls in seiner Kommentierung im „Planck" aus dem Jahre 1914, die Vorstellung besonderer, neben den Leistungspflichten bestehender Sorgfaltspflichten faßbar. 38 Siber hat diesen Gedanken freilich zurückgewiesen und damit womöglich dazu beigetragen, daß sich die theoretische Analyse dieser Pflichten nur zögerlich entwickelte. Gelten lassen wollte Siber die Sorgfalt nur als Diligenzpflicht i.S. von § 276 I 2 BGB. Die Sorgfalt sei nur Eigenschaft eines Verhaltens, nicht aber dazu geeignet, das erforderliche Verhalten selbst zu umschreiben. 39 Damit lenkt er den Blick auf die Notwendigkeit der Umschreibung des rechtswidrigen Verhaltens selbst und die damit zusammenhängende Problematik der Abgrenzung von verletzter Vertragspflicht und Verschulden. 40 Siber war in dieser Frage ein erbitterter Gegner der sogenannten Kraftanstrengungslehre: Der Schuldner sei nicht nur zum sorgfältigen Versuch der Leistung verpflichtet, sondern zur Herbeiführung des Erfolges. 41 Dieses ArVgl. Staub, Festschrift f ü r den Dt. Juristentag, 29 (34). Vgl. Staub, Festschrift f ü r den Dt. Juristentag, 29 (35). 38 Siber selbst verweist f ü r diese Vorstellung auf A r b e i t e n von L e h m a n n u n d K r ü c k m a n n , Planck, Vorbem. zu § § 2 7 5 - 2 9 2 A n m . I 3 d ß. 3 9 Vgl. Planck-Siber, Vorbem. zu § § 2 7 5 - 2 9 2 A n m . I 3 d ß. 4 0 So hat Siber (Planck, Vorbem. zu § § 2 7 5 - 2 9 2 A n m . I 3 a, S. 184) im H i n b l i c k auf die Lehre von der positiven Vertragsverletzung auch gerügt, daß sie in ihrer B e g r ü n d u n g insbesondere durch den Verweis auf § 2 7 6 B G B ein „unentbehrliches logisches Zwischenglied, nämlich den Tatbestand der N i c h t e r f ü l l u n g einer p r i m ä r e n Pflicht bestimmten Inhaltes, einfach überspringt." 41 Planck-Siber, Vorbem. zu § § 2 7 5 - 2 9 2 A n m . I 3 d y. 36 37
16
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Problemaufriß
gument soll hier einen Moment genauer betrachtet werden, da es eine genauere Analyse des Verhältnisses von Pflicht und Pflichtverletzung erfordert. In der Tat ist die Leistungspflicht auf Herbeiführung des Erfolges gerichtet. Dennoch haftet der Schuldner nicht schon für das bloße Ausbleiben des Erfolges, sondern - allgemeiner gesprochen - nur bei schuldhafter Verhinderung des Erfolges. Das Konzept der Leistungspflicht ist damit weitreichender als das daran anknüpfende Haftungssystem. Anders ausgedrückt: Nicht jede Nichterfüllung der Leistungspflicht stellt auch schon eine Pflichtverletzung dar. Siber war dann weiter vor allem ein entschiedener Gegner der Lehre von der positiven Vertragsverletzung. Neben Unmöglichkeit und Verzug gab es nach seiner Auffassung keine dritte Form von Schadensersatzpflichten wegen Nichterfüllung. 4 2 Stattdessen entwickelt Siber die Unterscheidung von Haupt- und Nebenpflichten. Unter Vertragsverletzung könne man nur die Verletzung einer Vertragspflicht verstehen, d.h. die endgültige oder zeitweilige Nichterfüllung einer Pflicht. 43 Auch die Nebenpflichten seien insoweit Schuld und damit auf eine Leistung an den Gläubiger gerichtet. 44 Solche Verstöße gegen Nebenpflichten seien etwa auch in der Verletzung von Pflichten zur Anzeige oder zur Erhaltung zu sehen. 45 So soll bei der Verletzung von Rechtsgütern des Gläubigers die neben der Hauptleistungspflicht bestehende Nebenpflicht zur Erhaltung dieser Rechtsgüter verletzt, d.h. nicht erfüllt sein. Die Rechtsfolge dieser Nichterfüllung ergebe sich aus § 280 BGB. Auch bei der culpa in contrahendo stellt sich Siber Anzeige- und sonstige Nebenpflichten als Gegenstand einer geschuldeten Leistung vor. 46 Die Bedeutung dieser Analyse Sibers liegt vor allem in der Konzentration auf einen bestimmten Typus von Pflichten, die er als Nebenpflichten auffaßt. Sie werden bei ihm aber noch genau nach dem Vorbild der Leistungspflichten konzipiert und auf diese Weise in das gesetzliche Haftungsrecht eingeordnet. Die Vorstellung eines anderen Typus von Pflichten neben den Leistungspflichten bleibt Siber noch fremd. Dabei hatte Siber, von dem wichtige Impulse für das moderne Verständnis des Schuldverhältnisses i.w.S. ausgingen, 47 den Schlüssel für eine sinnvolle Verortung dieser Pflichten eher in der Hand als seine Gegner.
Planck-Siber, Vorbem. zu §§ 275-292 Anm. I 3 pr. Planck-Siber, Vorbem. zu §§275-292 Anm. I 3 a (S. 183). 44 Planck-Siber, Vorbem. zu §§ 275-292 Anm. I 3 a ß. 45 Planck-Siber, Vorbem. zu §§ 275-292 Anm. I 3 b. 46 Vgl .Planck-Siber, Vorbem. zu §§ 275-292 Anm. I 3 pr. u. 4 e. 47 Zum Verständnis des Schuldverhältnisses als „Organismus" vgl. Planck-Siber, merkung vor § 241 Anm. I. 42 43
Vorbe-
II. Entwicklungslinien
4. Der unentwickelte
im
Leistungsstörungsreebt
Schutzanspruch
17
bei Kreß
Als einen der Begründer der Sorgfaltspflicht kann man H u g o Kreß ansehen. Er unterscheidet in seinem „Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts" von 1929 zwischen Erwerbsansprüchen und Schutzansprüchen. Zivilrecht ist für Kreß „Recht der Güter"; die bürgerliche Rechtsordnung dient dem Erwerb und der Wahrung der Güter. Entsprechend dieser Aufgabe gibt es auf der einen Seite Erwerbsansprüche, die den Erwerb der Güter vermitteln, und auf der anderen Seite Ansprüche, welche dem Schutz der Güter dienen, die Schutzansprüche. 4 8 Hinsichtlich der Schutzansprüche unterscheidet Kreß zwischen absoluten und relativen Ansprüchen, weiter dann aber auch zwischen vollentwickelten und unentwickelten Schutzansprüchen. 4 9 In der Vorstellung des nicht entwickelten Schutzanspruches haben wir den Typus der Sorgfaltspflicht vor uns. Der unentwickelte Schutzanspruch ist - so Kreß nicht auf eine Leistung gerichtet, sondern auf ein der Verletzung der Güter vorbeugendes Verhalten. Der unentwickelte Anspruch verlange von dem Betroffenen die Unterlassung von Eingriffen in das geschützte Gut. Die dennoch erfolgende schuldhafte Verletzung des Gutes verpflichte zur Wiedergutmachung und führe damit zu einer vollständigen Entwicklung des Schutzanspruches. Schon die Drohung der Wiedergutmachung beuge aber den Willen der betroffenen Person, zwinge sie zu einem Verhalten, das der Verletzung des fremden Gutes ausweicht. 50 Der unentwickelte Schutzanspruch wird von Kreß scharf von den auf Leistung gerichteten Ansprüchen unterschieden. Der unentwickelte Schutzanspruch könne nicht erfüllt, nicht befriedigt werden, da er auf keine Leistung in diesem Sinne gerichtet sei.51 Die Vorstellung, daß der Gläubiger vor der Verletzung seines Rechtsgutes sich fortwährend im Zustand der Befriedigung befindet, Unterlassungspflichten gewissermaßen fortgesetzt erfüllt werden, lehnt Kreß ab. 52 Der unentwickelte Schutzanspruch sei nicht auf Erfüllung, sondern auf Vorbeugung und damit Wahrung der Güter gerichtet. Dementsprechend hält er die gerichtliche Geltendmachung und Durchsetzung des unentwickelten Schutzanspruches im Wege der Zwangsvollstreckung regelmäßig für ausgeschlossen. Kreß unterscheidet weiter zwischen relativen und absoluten unentwickelten Schutzansprüchen und bezieht die unentwickelte
48
Kreß, L e h r b u c h des Allgemeinen Schuldrechts, § 1,2. Diese U n t e r s c h e i d u n g findet sich in der N a c h f o l g e von Kreß auch bei Ehmann, Die Gesamtschuld, S. 122 ff., mit der D e u t u n g , Kreß habe diese U n t e r s c h e i d u n g vor d e m H i n t e r g r u n d einer Lehre vom Z w e c k entwickelt (vgl. a.a.O., S. 168 Fn. 166). Die Trennung von Schutz- u n d E r w e r b s a n s p r ü c h e n soll nach der A n n a h m e von Weitnauer u n d Ehmann in der Vorrede zur N e u a u s g a b e des Lehrbuchs des Allgemeinen Schuldrechts von Kreß, S. X X I I I mit Fn. 21, auf die Philosophie Stahls zurückgehen. 49 Kreß, L e h r b u c h des Allgemeinen Schuldrechts, § 1, 2 b u. 3. 50 Kreß, L e h r b u c h des Allgemeinen Schuldrechts, §§ 1, 3 a; 23, 1 a u. 3 pr. 51 Kreß, L e h r b u c h des Allgemeinen Schuldrechts, § 23, 1 f. 52 Kreß, L e h r b u c h des Allgemeinen Schuldrechts, § 1, 3 b Fn. 19.
18
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Problemaufriß
Verpflichtung damit sowohl auf absolute Rechte wie das Eigentum als auch auf das Schuldverhältnis. 53 Auf diese Weise werden die unterschiedlichen Formen des Schutzes der Güter auf eine gemeinsame und einheitliche G r u n d lage gestellt. Die Bedeutung des theoretischen Ansatzes von Kreß zum unentwickelten Schutzanspruch liegt vor allem darin, daß hier ein eigenständiger Typus von Pflichten neben den Leistungspflichten entwickelt wird. Mit dem Gedanken, daß sich das Zivilrecht auf „Güter" bezieht, hat er dabei auch einen sinnvollen Bezugspunkt, der es ihm erlaubt, die unterschiedlichen Funktionen dieser beiden Pflichten deutlich zu machen. Dadurch, daß Kreß den unentwickelten Schutzanspruch gleichermaßen auf das Schuldverhältnis wie die absoluten Rechtsgüter bezieht, gelingt es ihm aber nicht mehr, die unterschiedliche Eigenart dieser Pflichten deutlich zu machen. Eine Schwäche der Konzeption von Kreß kann man dann auch darin sehen, daß dieser bei dem Gedanken eines unentwickelten Anspruches ansetzt und nicht bei der Pflicht. Damit belastet er nicht nur den Anspruchsbegriff, sondern er verzeichnet damit auch die Perspektive, die im wesentlichen die des Gläubigers bleibt, während die entscheidende Aufgabe aber doch darin läge, das der Verletzung des unentwickelten Anspruches entsprechende Verhalten des Schuldners genauer zu analysieren. Darin könnte auch einer der Gründe dafür liegen, daß der Einfluß von Kreß auf die weitere Entwicklung der Lehre von den Sorgfaltspflichten doch wohl eher als gering angesehen werden muß, diese vielmehr in erster Linie an die griffigere Unterscheidung von Leistungs- und Schutzpflichten durch Stoll anknüpft.
5. Die Unterscheidung von Leistungsund Schutzpflichten durch Stoll Die Unterscheidung von Leistungs- und Schutzpflichten wird schließlich von Heinrich Stoll in seinem Aufsatz „Abschied von der Lehre von der positiven Vertragsverletzung" 54 aus dem Jahre 1932 fortgeführt. Systematischer Ansatzpunkt ist für Stoll das verletzte Interesse. 55 Danach ist zwischen dem Leistungsinteresse und dem Schutzinteresse zu unterscheiden. Die Pflichten, die der Verwirklichung des Leistungsinteresses dienen, seien die Erfüllungspflichten. Sie sind auf ein positives Ziel gerichtet. Die Pflichten, die hingegen nicht dem Leistungsinteresse, sondern dem Schutzinteresse des Gläubigers dienen, bezeichnet Stoll als Schutzpflichten. Sie sind auf ein negatives Ziel gerichtet. Sie sollen die Gegenpartei vor Schädigungen bewahren, die sich im Rahmen der Sonderbeziehung ergeben können. 53 54 55
Kreß, L e h r b u c h des Allgemeinen Schuldrechts, § 1, 2 b. A c P 136 (1932), 257 ff. Stoll, A c P 136 (1932), 257 (286 ff.).
II. Entwicklungslinien
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Gemeinsame Grundlage beider Typen von Pflichten ist das Schuldverhältnis i.w.S. Stoll analysiert also gewissermaßen unterschiedliche Aspekte des Schuldverhältnisses, ohne daß ihm dies aber hinreichend klar geworden wäre. Das zeigt vor allem auch seine Kritik am Begriff der positiven Vertragsverletzung, den er durch den Begriff der „Forderungsverletzung" ersetzen will. 56 Die Rechtsfolge der Verletzung einer Forderung bestimme sich - so Stoll nicht danach, ob Unmöglichkeit, Verzug, Schlechterfüllung, Schlechterbringung, Gefährdung des Vertragszweckes oder Erfüllungsverweigerung vorliegt, sondern nach der Art des verletzten Interesses und der Intensität dieser Verletzung. Die Interessenanalyse führt auf diese Weise zu einem Aufweichen des gesetzlichen Haftungssystems. Darüber hinaus geht die Einsicht von Kreß wieder verloren, daß der unentwickelte Schutzanspruch nicht auf Erfüllung gerichtet ist und damit nicht vom Begriff der Forderungsverletzung umfaßt wird. Schließlich bleibt in der Konzeption Stolls auch zweifelhaft, ob der Gesichtspunkt des Schutzes wirklich das entscheidende inhaltliche Moment eines bestimmten Typus von Pflichten darstellt. Immerhin geht es auch bei der Leistung um den Schutz des Leistungsinteresses. Man kann - etwa mit Kreß auch der Auffassung sein, daß es hier nur um unterschiedliche Gegenstände und Formen des Schutzes geht, nämlich des Schutzes des Erwerbs von Gütern und des Schutzes bereits vorhandener Güter. Gemeinsamer Bezugspunkt wäre damit der Schutz von Gütern. Dieser Bezugspunkt des Schutzes durch Pflichten wird bei Stoll mit dem bloßen Begriff des Interesses nicht genügend präzisiert; damit war die Grundlage dafür geschaffen, alle möglichen Interessen als Pflichten zu formulieren.
6. Canaris' Theorie eines einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses TAI einem gewissen Abschluß dieser Entwicklung führt die vor allem von Canaris 1965 begründete Theorie eines einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses. 57 Canaris übernimmt von Stoll die Unterscheidung von Leistungspflichten und Schutzpflichten, die er scharf voneinander unterscheidet. Der zentrale Gedanke ist nun, daß beide Typen von Pflichten ihrer Struktur nach nicht nur verschiedenartig sind, sondern in unterschiedlicher Weise begründet werden. Schutzpflichten sind nach Canaris unabhängig von der Existenz von Leistungspflichten und damit unabhängig vom Zustandekommen eines Vertrages. Sie finden ihre Rechtsgrundlage nicht im Willen der
56 57
Stoll, AcP 136 (1932), 257 (315). Grundlegend insoweit der Aufsatz in JZ 1965, 475 ff.
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Parteien (auch nicht in ergänzender Auslegung nach § 157 BGB), sondern sie gründen in einer besonderen Vertrauensbeziehung. 58 Canaris versteht seine Überlegungen auch als Beitrag zur Lehre von der Struktur des Schuldverhältnisses. Die Anerkennung eines Schutzpflichtverhältnisses birgt aber - wie Canaris selbst sieht - die Gefahr, die Einheit des Schuldverhältnisses zu zerstören. 59 Innerhalb des einheitlichen Schuldverhältnisses sollen nicht nur verschiedenartige Komplexe von Pflichten zu unterscheiden sein, sondern sie werden auch in unterschiedlicher Weise begründet: Die Leistungspflichten erhalten ihren Inhalt durch den Willen der Parteien und den Vertragszweck, die Schutzpflichten sind davon unabhängig und sollen inhaltlich nur durch die tatsächlichen Beziehungen der Parteien zueinander bestimmt sein. 60 Dementsprechend unterscheidet Canaris auch ein Leistungsverhältnis von einem Schutzverhältnis, die beide jeweils unabhängig voneinander bestehen können. 61 Welchen Sinn dabei noch die Annahme eines übergreifenden Schuldverhältnisses haben soll, ist nicht recht ersichtlich. Thiele 62 hat dann auch kurz darauf mit Recht eingewandt, daß es bei Annahme eines Schutzpflichtverhältnisses wenig sinnvoll ist, Leistungspflichten und Schutzpflichten auf ein einheitliches Ursprungsverhältnis zurückzuführen. Das Schutzpflichtverhältnis sei vielmehr ein selbständig erfaßbares Rechtsverhältnis. Dabei bleibt freilich unklar, ob auch das Schutzpflichtverhältnis seinem Typus nach Schuldverhältnis sein soll oder ein Rechtsverhältnis ganz anderer Art. Damit war die im Grunde bis heute nicht geklärte Frage nach dem genauen Ort der Sorgfaltspflichten aufgeworfen. 63
7. Das Problem der Herleitung einer allgemeinen des Schuldners aus $ 276 BGB
Haftung
Der heutige Stand der geschilderten Entwicklung läßt sich vor allem an der Frage festmachen, wie das Institut der positiven Vertragsverletzung beurteilt wird. Insbesondere in den letzten Jahren hat die Auffassung wieder an Boden gewonnen, daß die Gesetzesverfasser die Fälle der positiven Vertragsverletzung keineswegs übersehen haben, diese vielmehr der teilweisen Unmöglichkeit zugerechnet wurden. 64 Insoweit wird häufig auch damit argumentiert, Canaris, JZ 1965, 475 (476). Canaris, JZ 1965, 475 (478 ff.). 60 So Canaris, JZ 1965, 475 (Fn. 34). 61 Canaris, JZ 1965, 475 (478-480). 62 JZ 1967,649(654). 63 Zu dem Versuch einer Antwort vgl. unten § 6 II. 64 So schon Himmelschein, AcP 135 (1932), 255 (281 ff.); Heck, Grundriß des Schuldrechts, § 40, 6; in neuerer Zeit vor allem Westhelle, Nichterfüllung und positive Vertragsverletzung, S. 87 ff.; Motzer, Die „positive Vertragsverletzung" des Arbeitnehmers, S. 130 ff.; Erman-Battes, § 276 Rz. 85; und vor allem Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, §§ 1 58 59
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Leistungsstörungsrecht
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die ursprüngliche Fassung des § 276 BGB habe zum Ausdruck bringen wollen, daß den Schuldner jede schuldhafte Forderungsverletzung haftbar macht. Die von der Redaktionskommission an dieser Vorschrift vorgenommenen Änderungen hätten eine sachliche Änderung nicht beabsichtigt. Deshalb wird hier zumeist davon ausgegangen, daß § 276 BGB das Prinzip der generellen Haftung des Schuldners für jede schuldhafte Forderungsverletzung zum Ausdruck bringt. 65 Die Vorstellung, aus § 276 BGB lasse sich das Prinzip der Haftung des Schuldners aus positiver Vertragsverletzung herleiten, hat sich in der Literatur zwar bisher nicht durchsetzen können; die Frage wird aber zunehmend kontrovers diskutiert. Wichtiger noch als die Frage der gesetzlichen Verankerung dürfte aber sein, daß in weiten Teilen der Literatur das Prinzip einer generellen Haftung des Schuldners für schuldhafte Forderungsverletzungen anerkannt wird. Das kommt vor allem in der Auffassung zum Ausdruck, daß die positive Vertragsverletzung in Wahrheit den Grundtatbestand der Vertragsverletzung und damit des Leistungsstörungsrechts darstelle. 66 Auch der Entwurf der Schuldrechtskommission zum allgemeinen Leistungsstörungsrecht steht auf diesem Standpunkt. 67 Dieser theoretische Ansatzpunkt hat vor allem eine genauere Analyse der gesetzlichen Regelung ermöglicht. Auch die Herbeiführung der Unmöglichkeit der Leistungspflicht durch den Schuldner, die Verzögerung der Leistungspflicht trotz Fälligkeit und Mahnung erscheinen von diesem Standpunkt aus als Fälle einer genauer typisierten Pflichtverletzung. Fraglich ist allerdings, ob die positive Vertragsverletzung tatsächlich den Grundtatbestand der Haftung für schuldhafte Pflichtverletzungen gibt oder nicht vielmehr - wie Staub noch angenommen hatte - eine dritte Form der Haftung auf Schadensersatz darstellt. Die Vorstellung von der positiven Vertragsverletzung als Grundtatbestand könnte leicht dazu führen, auf eine Typisierung der denkbaren Pflichtverletzungen gänzlich zu verzichten. Das birgt die Gefahr einer zunehmenden Ausdehnung der denkbaren Pflichtverletzungen in sich. III, 20 III. Gegen diese A r g u m e n t a t i o n vor allem Hammen, Die G a t t u n g s h a n d l u n g s s c h u l d e n , S. 82-87, mit d e m E i n w a n d , daß die Q u a l i f i z i e r u n g der fehlerhaften Leistung als teilweise U n möglichkeit mit den sonstigen gesetzlichen Regeln k a u m vereinbar ist, weil sie e t w a d a z u f ü h ren w ü r d e , daß der Schuldner bei Lieferung einer fehlerhaften Sache nach § 2 7 5 I B G B hinsichtlich der Q u a l i t ä t von seiner Verpflichtung frei w ü r d e . 65 So - mit unterschiedlichen A k z e n t s e t z u n g e n - e t w a Himmelschein, A c P 135 (1932), 255 (270 ff.); ders., A c P 158 (1959/60), 273 (279 ff.); Stoll, A c P 136 (1932), 257 (282 ff.); Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, § 1 III m.w.N.; Westhelle, N i c h t e r f ü l l u n g und positive Vertragsverletzung, S. 28; Soergel-M. Wolf, § 276 R z . 24. 6 6 So w o h l schon Esser, Schuldrecht, 2. A., § 75, 6 pr.; a u ß e r d e m Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 322 ( „ A u f f a n g t a t b e s t a n d " ) ; Palandt-Heinrichs, § 2 7 6 R z . 107; Soergel-Wiedemann, Vor § 275 R z . 353; w o h l auch Larenz, Schuldrecht I, § 24 I a (S. 367). Von einem „Oberbegriff der F o r d e r u n g s v e r l e t z u n g " geht auch Stoll, A c P 136 (1932), 257 (316), aus. Kritisch zu einem solchen allgemeinen H a f t u n g s g r u n d s a t z Jakobs, U n m ö g l i c h k e i t u n d N i c h t e r f ü l l u n g , S. 13 ff., sow i e Westermann/Bydlinski, B G B - S c h u l d r e c h t AT, Rz. 5/7. 67
A b s c h l u ß b e r i c h t der S c h u l d r e c h t s k o m m i s s i o n , S. 30.
22
5 1 Historischer
Problemaufriß
Dann ist vor diesem Hintergrund auch gerade die Einordnung der Sorgfaltspflichten zweifelhaft. U n t e r das Prinzip der Haftung für schuldhafte Forderungsverletzungen lassen sich diese Fälle nicht bringen. Insoweit müßte man schon ein Prinzip der Haftung für schuldhafte Pflichtverletzungen zugrunde legen. Als Ausfluß dieses Prinzips erschienen dann nicht nur Teile der positiven Vertragsverletzung, sondern auch das ganze Institut der culpa in contrahendo. Konsequenterweise müßte diese Haftung dann von der oben angeführten Literatur ebenfalls aus § 276 B G B hergeleitet werden. Das ist bisher allerdings wohl deshalb nicht geschehen, weil sich unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte des § 2 7 6 B G B nur eine generelle Haftung wegen „Nichterfüllung der Verbindlichkeit" 6 8 rechtfertigen läßt, für die immerhin zweifelhaft ist, o b sie sich auch auf die Verletzung von Sorgfaltspflichten beziehen läßt. Ein letzter Gesichtspunkt betrifft schließlich die Problematik, daß § 276 B G B in der Bewertung als Haftungsgrund nur das Prinzip der allgemeinen Verschuldenshaftung zum Ausdruck bringt. 6 9 Insoweit hat bereits Siber 7 0 eingewandt, daß dies beim heutigen Stand der D o g m a t i k eine recht undifferenzierte Sicht der Dinge ist. Bei der Haftungsbegründung läßt sich heute nicht einfach nur mit einem Verschulden des Schuldners argumentieren, vielmehr liegt die zentrale Aufgabe der Haftungsbegründung auch im Leistungsstörungsrecht gerade darin, die Pflichtverletzung näher zu bestimmen, die dann Grundlage des Verschuldens ist. Es spricht heute vieles dafür, daß in der Bestimmung der Pflichtverletzung das eigentliche Prinzip der Haftungsbegründung liegt und nicht in dem Verschulden. Das Verschulden ist zunehmend nur zu einem Ausnahmetatbestand geworden, der in seltenen Fällen dem Schuldner die Haftung erspart. Jedenfalls trägt die Vorstellung einer aus § 276 B G B abzuleitenden allgemeinen Verschuldenshaftung des Schuldners zu dieser Problematik wenig bei, im Gegenteil, schon ihre Bezeichnung tendiert eher zu einem nicht genügend differenzierten Haftungskonzept, das die Bedeutung der Pflichtverletzung vernachlässigt. N i c h t unbeachtet bleiben kann in dieser Frage zuletzt auch der Befund, daß sich das geltende Haftungsrecht nun einmal von einem anderen Bezugspunkt her entwickelt hat, nämlich dem Verständnis des § 2 7 6 B G B als bloßer Erläuterung des Vertretenmüssens, und daß sich anknüpfend an diese Auffassung in einem P r o z e ß von nahezu hundert Jahren die geltende D o g m a t i k der Haftung im Leistungsstörungsrecht entfaltet hat. M i r erscheint der Versuch nicht sinnvoll, eine solche
6 8 Die ursprüngliche Fassung des heutigen § 276 B G B lautete im ersten Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches von 1888 in § 2 2 4 wie folgt: „Der Schuldner ist verpflichtet, die nach dem Schuldverhältnisse ihm obliegende Leistung vollständig zu bewirken. Er haftet nicht bloß wegen vorsätzlicher, sondern auch wegen fahrlässiger Nichterfüllung seiner Verbindlichkeit." 6 9 So insbesondere die Formulierungen Emmerichs, Das Recht der Leistungsstörungen, §§ 1 III („allgemeine culpa-Haftung"), 20 III. 70 Planck, Vor § § 2 7 5 - 2 9 2 Anm. I 3 a (S. 184).
III. Entwicklungslinien
im Deliktsrecht
23
Tradition unter H i n w e i s auf die E n t s t e h u n g s g e s c h i c h t e und ein n u n m e h r besseres Verständnis einer b e s t i m m t e n Vorschrift für u n b e a c h t l i c h zu erklären und zu m e i n e n , man k ö n n e an einem neuen P u n k t ansetzen, so als o b es diese G e s c h i c h t e der d o g m a t i s c h e n E n t w i c k l u n g nicht gegeben hätte. In dieser F r a ge k a n n man nur versuchen, die einmal geltende D o g m a t i k w e i t e r zu e n t w i k keln; dagegen ist es uns verwehrt, die D o g m a t i k des B G B v o m Stand des J a h res 1 9 0 0 her n o c h einmal neu zu k o n z i p i e r e n .
8. Erste Schlußfolgerungen Zieht man aus der bisherigen Darstellung der d o g m a t i s c h e n E n t w i c k l u n g einmal erste S c h l u ß f o l g e r u n g e n für den B e g r i f f der Sorgfalt, so ergibt sich folgende Perspektive: D e r B e g r i f f der Sorgfalt taucht im G e s e t z zunächst im Z u s a m m e n h a n g mit der als S c h u l d f o r m verstandenen Fahrlässigkeit auf. I n s o weit k ö n n t e man auch von einer H a f t u n g für sorgfaltswidriges Verhalten sprechen. D i e V e r s c h i e b u n g der D o g m a t i k auf eine präzisere A n a l y s e des B e reiches tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Verhaltens durch den S c h u l d ner r ü c k t die Pflichtverletzung in den M i t t e l p u n k t . Soweit es nicht u m L e i stungspflichten geht, lassen sich diese P f l i c h t e n als Sorgfaltspflichten c h a rakterisieren. D e r B e g r i f f der Sorgfalt kann damit für unterschiedliche B e z u g s p u n k t e verwandt werden: E i n m a l für das Verschulden, dann für die Pflichtverletzung, auch den H a f t u n g s t a t b e s t a n d insgesamt k a n n man als s o r g faltswidriges Verhalten u m s c h r e i b e n . D i e s e n B e f u n d hat vor allem E s s e r s c h o n sehr früh d o g m a t i s c h verarbeitet, i n d e m er im M a ß s t a b der Sorgfalt einerseits den erforderlichen P f l i c h t e n m a ß s t a b sieht, andererseits aber auch die U m s c h r e i b u n g einer S c h u l d f o r m . E r geht also v o n einer „ D o p p e l f u n k t i o n " des M a ß s t a b e s der im V e r k e h r erforderlichen Sorgfalt aus. 7 1
III. Entwicklungslinien im Bereich des
der Verkehrspßicht Deliktsrechts
A u c h das heutige D e l i k t s r e c h t hat sich weit von seiner ursprünglichen, v o m G e s e t z g e b e r n o c h beabsichtigten K o n z e p t i o n entfernt. E i n , wenn nicht sogar der zentrale A n s a t z p u n k t für die V e r s c h i e b u n g des D e l i k t s r e c h t s liegt in der E n t w i c k l u n g der L e h r e v o n den Verkehrspflichten. D a s R e i c h s g e r i c h t hatte s c h o n k u r z nach I n k r a f t t r e t e n des B G B in einzelnen Fällen zur B e g r ü n dung einer H a f t u n g aus § 823 I B G B Verkehrssicherungspflichten a n g e n o m men, die sich auf G e f a h r e n q u e l l e n im B e r e i c h v o n Straßen, G r u n d s t ü c k e n , G e b ä u d e n und anderen I m m o b i l i e n b e z o g e n , eben auf die Sicherung des ö f -
71
Esser, Schuldrecht, 2. A., §§ 53, 4 b; 52, 1.
24
§ 1 Historischer
Problemaufriß
fentlichen Verkehrs. 72 Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg ist dann eine Vielzahl allgemeiner Rechtspflichten entwickelt worden, deren Funktion in der Vermeidung und Abwendung von Gefahren liegen soll. 73 Die Verkehrspflichten sind zu umfassenden Gefahrsteuerungsgeboten geworden. 74
1. Die Handlungen
des Deliktsrechts"
in der Sicht v.
Caemmerers
Grundlegend für diese Entwicklung der Verkehrspflichten sind die Uberlegungen v. Caemmerers geworden. In seinem Aufsatz „Wandlungen des Deliktsrechts" 75 aus dem Jahre 1960 stellt v. Caemmerer fest, daß die Rechtsprechung im Laufe der Zeit zu einer Ausgestaltung und Fortbildung des Systems der Deliktstatbestände gelangt ist, die zu einer tiefgreifenden Umgestaltung geführt hat. 76 v. Caemmerer konfrontiert die deutsche Systematik des Rechts der unerlaubten Handlungen, das auf einzelnen Deliktstatbeständen aufbaut, insoweit mit den Rechtsordnungen, denen ein allgemeiner Deliktstatbestand zugrunde liegt. 77 Die Annahme einzelner Deliktstatbestände gilt ihm als ältere Anschauung. Sie galt im alten römischen Recht, sie galt zur Zeit v. Caemmerers auch im englischen Recht. Rechtsordnungen, die vom allgemeinen Grundsatz ausgehen, daß jedermann verpflichtet sei, den einem anderen widerrechtlich und schuldhaft zugefügten Schaden zu ersetzen, sind der französische code civil, das österreichische ABGB, das schweizerische OR, der italienische codice civile und das griechische BGB. Eine der zentralen Thesen v. Caemmerers ist nun, daß die Veränderungen des deutschen Deliktsrechtssystems zu einer nahezu vollständigen Annäherung an Rechtsordnungen mit allgemeinem Deliktstatbestand geführt haben. Für entscheidend hält er insoweit zwei Entwicklungen: zum einen die Herausarbeitung von Rahmenrechten wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Von noch größerer Bedeutung hält er aber wohl die Anerkennung der allgemeinen Verkehrspflichten. 78 v. Caemmerer geht sogar so weit davon zu sprechen, daß wir der Sache nach im deutschen Grundlegend insoweit RGZ 52, 373 und 54, 53. Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 76 III 1 d. 74 Vgl. auch den Untertitel v. Bars zu seiner Schrift „Verkehrspflichten": „Richterliche Gefahrsteuerungsgebote im Deliktsrecht". 75 Zunächst erschienen in der Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Dt. Juristentages. Hier wird zitiert nach Bd. I der Gesammelten Schriften v. Caemmerers. 76 v. Caemmerer, Gesammelte Schriften I, 452 (470). 77 v. Caemmerer, Gesammelte Schriften I, 452 (470 ff.). 78 Im Hinblick auf die Herausarbeitung der Verkehrspflichten sowie den Ausbau des Deliktsschutzes für das gewerbliche Unternehmen und die Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts spricht v. Caemmerer, Gesammelte Schriften I, 452 (477), von „drei Generalklauseln (...), die das deutsche Recht im Ergebnis den Systemen des allgemeinen Deliktstatbestandes, nach dem jede schuldhafte Schädigung eines anderen ersatzpflichtig macht, weitgehend annähern." Ahnlich, a.a.O., S. 526. 72 73
III. Entwicklungslimen
im Deliktsrecht
25
R e c h t eine Generalklausel der A r t haben, daß jeder die vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt a n z u w e n d e n hat, u m Schädigungen anderer zu vermeiden. 7 9 D i e R e c h t s p r e c h u n g habe damit das D e l i k t s s y s t e m in Analogie zu den Tatbeständen der „ n e g l i c e n c e " im englischen und amerikanischen R e c h t ergänzt und abgerundet. 8 0 D i e L ü c k e n , die das E n u m e r a t i o n s s y s t e m des B G B n o c h offengelassen habe, seien mittlerweile weitgehend geschlossen. 8 1 Fälle, die heute n o c h als b l o ß e V e r m ö g e n s s c h ä d i g u n g e n aufzufassen sind, seien selten g e w o r d e n . D i e A n a l y s e dieser E n t w i c k l u n g führt v. C a e m m e r e r zu der heute k a u m n o c h gestellten F r a g e , w a r u m sich der G e s e t z g e b e r des B G B - in A b w e n d u n g v o m ersten E n t w u r f , der n o c h einen generellen D e l i k t s t a t b e s t a n d enthielt ü b e r h a u p t für einzelne D e l i k t s t a t b e s t ä n d e entschieden hat. E n t s c h e i d e n d dafür sollen die Zweifel und U n s i c h e r h e i t e n gewesen sein, die eine G e n e r a l k l a u sel mit sich bringen k ö n n t e . I n s b e s o n d e r e fürchtete man auch die U f e r l o s i g keit einer sich daraus ergebenden H a f t u n g . 8 2 v. C a e m m e r e r hält diese B e f ü r c h t u n g e n für nicht o h n e weiteres u n b e g r ü n d e t . E s stelle sich in der Tat die Frage, w o die G r e n z e n der H a f t u n g liegen sollen, w e n n jede fahrlässige Schädigung eines anderen zu Schadensersatz verpflichtet. E b e n s o sei fraglich, wie weit eigentlich der K r e i s der G e s c h ä d i g t e n gehen soll, w e n n für die H a f t u n g nur ein allgemeiner D e l i k t s t a t b e s t a n d zur Verfügung stehe, v. C a e m m e r e r scheint nun allerdings der Auffassung zu sein, daß sich diese F r a g e n in ganz ähnlicher Weise für ein D e l i k t s r e c h t stellen, das v o m E n u m e r a t i o n s p r i n z i p ausgeht, wie bei einem solchen, das einen allgemeinen D e l i k t s t a t b e s t a n d z u grunde legt. 8 3 D e r U n t e r s c h i e d soll w o h l im wesentlichen nur darin liegen, daß das B G B versucht hat, diese F r a g e n in den D e l i k t s t a t b e s t ä n d e n selbst zu b e a n t w o r t e n , w ä h r e n d die anderen R e c h t s o r d n u n g e n diese P r o b l e m a t i k d e m R i c h t e r zuweisen. I n der Sache w ü r d e n dabei aber ähnliche Ü b e r l e g u n g e n angestellt. D i e B e d e u t u n g der Ü b e r l e g u n g e n v. C a e m m e r e r s liegt v o r allem darin, daß er die grundsätzlichen V e r s c h i e b u n g e n des gesetzlichen H a f t u n g s s y s t e m s für den B e r e i c h des D e l i k t s r e c h t s deutlich m a c h t . 8 4 D a b e i gelingt es ihm z u nächst, die ursprüngliche gesetzliche K o n z e p t i o n , ihre G r ü n d e und ihre P r o bleme festzuhalten. A u f dieser G r u n d l a g e vermag er dann aber auch die T e c h niken der U m g e s t a l t u n g des gesetzlichen Systems näher zu analysieren. D a bei m a c h t er zu R e c h t die Verkehrspflichten als das zentrale E i n f a l l s t o r für die U m g e s t a l t u n g des D e l i k t s r e c h t s n a m h a f t . E r selbst deutet die V e r k e h r s p f l i c h v. Caemmerer, Gesammelte Schriften I, 452 (489). v. Caemmerer, Gesammelte Schriften I, 452 (478 ff.). 81 v. Caemmerer, Gesammelte Schriften I, 452 (526). 82 v. Caemmerer, Gesammelte Schriften I, 452 (471). 83 v. Caemmerer, Gesammelte Schriften I, 452 (473). 84 Zu diesen Wandlungen aus heutiger Sicht vor allem Börgers, Von den „Wandlungen" zur „Restrukturierung" des Deliktsrechts?, unter besonderer Betonung der Bedeutung v. Caemmerers S. 19 ff. 79 80
26
§ 1 Historischer
Problemaufriß
ten als „allgemeine Sorgfaltspflichten", welche die Qualfizierung eines Verhaltens als unzulässige Gefährdung erlauben. 85 Auf diese Weise hat v. Caemmerer selbst den Prozeß vorangetrieben zu einem Verständnis des Deliktsrechts auf der Grundlage der Vorstellung einer Generalklausel der Haftung für die Verletzung allgemeiner Verkehrs- oder Sorgfaltspflichten.
2. Fikentschers
„ Idealtyp " eines
Deliktsrechts
Sehr schnell haben die Überlegungen v. Caemmerers zu einer Annäherung des deutschen Deliktsrechts an Rechtsordnungen mit einem allgemeinen Deliktstatbestand dazu geführt, daß das gesetzliche System der unerlaubten Handlungen zunehmend außer Blick geriet und heute in einer Weise überlagert wird, die die hier getroffenen Entscheidungen im Grunde nicht mehr ernst nimmt. Zum entscheidenden Einfallstor sind heute mehr und mehr die Verkehrspflichten geworden. Die systematischen Verschiebungen werden insbesondere in der Darstellung des Deliktsrechts bei Fikentscher deutlich. 86 Fikentscher entwickelt zunächst den „Idealtyp" eines Deliktsrechts, mit dem seiner Auffassung nach jede Rechtsordnung auskommen könnte. 87 Dieses Ideal sieht Fikentscher in zwei generalklauselartigen Deliktstatbeständen verwirklicht, nämlich zum einen der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, zum anderen der schuldhaften Sorgfaltspflichtverletzung. Das BGB sei diesen Weg aber nicht gegangen. Allerdings sei von Anfang an vorherzusehen gewesen, daß das Enumerativprinzip des BGB zur Bewältigung der Sorgfaltspflichtverletzungen nicht ausreichen würde. Ein umfangreicher Rest von Sorgfaltspflichtverletzungen könne deshalb nur durch die Aufstellung „freier" Verhaltensnormen erfaßt werden. Die Lehre von den Verkehrspflichten ist danach der dogmatische Ansatzpunkt für die auf einem „gedanklichen Umweg" und in „systemgehemmter Form" erfolgende Aufstellung freier Verhaltensnormen durch den Richter. 88 Die Generalklausel einer Haftung für die Verletzung allgemeiner Sorgfaltspflichten, die v. Caemmerer nur vorschwebte, wird bei Fikentscher zunächst zu einem „Idealtyp", von dem aus er dann aber auch das geltende Deliktsrecht konzipiert. Von diesem Gedanken aus war es nicht mehr weit, die Beschränkungen des positiven Rechts immer weiter zurückzudrängen.
85 86 87 88
v. Caemmerer, Gesammelte Schriften I, 452 (548 f.); 554 (564 f.). Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 1047 ff. Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 1050 f. Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 1057 a.E., 1060.
III. Entwicklungslinien
im
Deliktsrecht
27
3. Legislative und justizielle Konzeption des Deliktsrechts bei Mertens Sowohl bei v. Caemmerer als auch bei Fikentscher stellt sich damit die Problematik des Verhältnisses von gesetzlichem System des Deliktsrechts und seiner Ergänzung durch die Rechtsprechung auf der Grundlage der Lehre von den Verkehrspflichten. Hierbei dürfte es sich um das zentrale unbewältigte Problem der Lehre von den Verkehrspflichten handeln. Schon sehr schnell hatte Larenz aus den Überlegungen v. Caemmerers die Schlußfolgerung gezogen, daß die Verkehrspflichten dogmatisch dem Absatz 2 des § 823 B G B zuzuordnen seien. 89 Larenz machte allerdings noch eine wesentliche Einschränkung. Der Schutzbereich der Verkehrspflichten sollte auf die Rechte und Rechtsgüter des § 823 I B G B beschränkt sein. Erst Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde diese Einschränkung durch Konrad Huber 9 0 und v. Bar 9 1 fallengelassen. Damit dienten die Verkehrspflichten jetzt auch dem Schutz des bloßen Vermögens. Diese Entwicklung der Verkehrspflichtenlehre hat nach Auffassung von Mertens dazu geführt, daß im Deliktsrecht gegenwärtig zwei, teilweise einander entgegengesetzte Konzeptionen des Deliktsrechts miteinander konkurrieren. Neben die „legislative Konzeption" des Deliktsrechts habe sich auf der Basis der Verkehrspflichtenlehre eine „judizielle Konzeption" geschoben, die das gesetzliche System überlagert. 92 Schon bei Mertens ist allerdings fraglich, wo die Grenze des judiziellen Konzepts liegt. 93 Es hat den Anschein, als ob die Verkehrspflichtenlehre das gesetzliche System nicht nur ergänzt, sondern vollständig auflöst.
4. Brüggemeiers einheitlicher Haftungstatbestand für Verkehrswidrigkeit Zu einer „Radikalisierung" 94 der Problematik des Verhältnisses von gesetzlichem und richterrechtlichem System führen vor allem die Überlegungen Brüggemeiers. 95 Konstitutives Prinzip des Deliktsrechts seien - entgegen dem Wortlaut des B G B - die Verkehrspflichten. Das Deliktsrecht habe sich auf einen deliktischen Generaltatbestand der Haftung für verkehrswidrige VerletLarenz, Festschrift für Dolle, 169 (189, 193 f.). Huber, Festschrift für v. Caemmerer, 359 (377ff.). 91 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 204 ff. 9 2 MüKo-Mertens, § 823 Rz. 2. 93 Diese Frage auch bei Börgers, Von den „Wandlungen" zur „Restrukturierung" des Deliktsrechts?, S. 39. 9 4 Ausdruck von Brüggemeter selbst, J Z 1986, 969 (973). 95 Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385 ff.; Deliktsrecht, insbesondere S. 69-129; J Z 1986, 969 ff. 89 90
28
§ 1 Historischer
Problemaufriß
zung rechtlich geschützter Interessen reduziert. 96 Die gesetzlichen Tatbestände sind nur noch Ausprägungen dieses einheitlichen Haftungstatbestandes. Bei Brüggemeier ist dann schließlich auch die Unterscheidung von Rechtswidrigkeit und Verschulden aufgegeben, da Pflichtwidrigkeit und die als Verkehrswidrigkeit verstandene Fahrlässigkeit identisch seien. 97 Nicht der Schaden oder die Schuld, sondern die als Verkehrswidrigkeit verstandene Pflichtwidrigkeit begründet die Schadensersatzpflicht. 98 Ganz offen mahnt Brüggemeier an, daß dieses „zeitgemäße" Konzept des Deliktsrechts gegen das historisch bedingte legislative Konzept und damit auch teilweise gegen den Wortlaut des Gesetzes zur Geltung gebracht werden müsse. Zur Aufgabe des Deliktsrechts wird jetzt die Stabilisierung individueller Freiheitsräume in bestimmten Sozialbereichen, die allerdings primär nicht mehr durch das allgemeine Gesetz erfolgt, sondern durch die richterrechtliche Formulierung deliktischer Verhaltenspflichten. Die Fortentwicklung des Deliktsrechts mündet so in Sozialgestaltung durch den Richter, in „judizielle Schutzpolitik". 99
5. Die Begründung vertraglicher und deliktischer Pflichten aus dem Prinzip „ neminem laedere " durch Picker Den vorläufigen Abschluß, in dem die beiden Stränge vertraglicher und deliktischer Haftung wieder zusammenlaufen, stellen die Arbeiten Pickers dar. 100 Der Vertrag - so Picker - kann nur Leistungspflichten begründen. Sämtliche anderen Pflichten beruhen genauso wie im Deliktsrecht auf gesetzlicher Anordnung. 1 0 1 Der Grund dieser anderen Pflichten liegt in der zeitlosen Gültigkeit des Satzes „neminem laedere". 102 Ausgangspunkt des Haftungsrechts sei auf dieser Grundlage der elementare Gedanke, daß ein Schaden, der durch sozial unerwünschtes und deshalb „an sich" als widerrechtlich und vorwerfbar qualifizierbares Tun herbeigeführt werde, wiedergutgemacht werden muß. 103 Nur für den Fall des ausnahmsweisen Nichteintritts der Haftung bedürfe es einer besonderen positiven Legitimierung, die Picker in den Tatbeständen des gesetzlichen Deliktsrechts sieht. Die deliktischen Tatbestände dienen für Picker also nicht der Haftungsbegründung, sondern der 96
Brüggemeier,
AcP 182 (1982), 385 (450); Deliktsrecht, Rz. 176; ähnlich JZ 1986, 969
(974). Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385 (436 ff.); Deliktsrecht, Rz. 114; JZ 1986, 969 (974 ff.). Brüggemeier, Deliktsrecht, Rz. 176. 99 Vgl. auch den Titel des Aufsatzes in JZ 1986, 969: „Judizielle Schutzpolitik de lege lata ...". 100 AcP 183 (1983), 369 ff.; JZ 1987, 1041 ff. 101 Picker, AcP 183 (1983), 369 (393 ff., auch 505 ff.); JZ 1987, 1041 (1044). 102 Picker, AcP 183 (1983), 369 (460 ff.); JZ 1987, 1041 (1048). 103 Picker, JZ 1987,1041 (1048). 97
98
IV. Verkehrspflichten
beim dinglichen
Rechtsschutz
29
Haftungsbegrenzung. 1 0 4 Der Haftungsgrund ist bei vertraglicher und deliktischer Haftung prinzipiell der gleiche. Beide Haftungssysteme arbeiten lediglich mit unterschiedlichen Techniken der Haftungsbeschränkung. 1 0 5 Während für den Bereich des Deliktsrechts die Haftungsbeschränkung durch das Erfordernis der Verletzung eines absoluten Rechts oder Schutzgesetzes erfolgt, wird sie im Vertragsrecht bereits von vornherein durch die Individualität und Vereinzelung der „Sonderverbindung" gewährleistet. Damit scheinen die von Picker als gesetzlich verstandenen Sorgfaltspflichten im Schuldverhältnis nicht nur keiner Begründung zu bedürfen, sondern auch keiner Begrenzung mehr.
IV. Die Bestimmung der Eigentumsstörung beim dinglichen Rechtsschutz anhand von Verkehrspflichten Unter systematischen Gesichtspunkten ist schließlich auch ein Teil der zum Eigentumsfreiheitsanspruch aus § 1004 I BGB entwickelten Konzeptionen für die Betrachtung von Interesse. Die Problematik des § 1004 BGB liegt vor allem in seiner Abgrenzung zur deliktsrechtlichen Haftung, die Verschulden erfordert. Nach herkömmlicher Auffassung setzt der Eigentumsfreiheitsanspruch aus § 1004 I BGB die willentliche Verursachung einer Eigentumsbeeinträchtigung durch einen Störer voraus. 106 Die Eigentumsstörung wird damit im Grunde nach dem auf dem Gedanken der Verletzung eines absoluten Rechts beruhenden Tatbestandsmodell des § 823 1 BGB konkretisiert. § 1004 I BGB ist so gewissermaßen ein um das Verschulden „verkürzter" Tatbestand der unerlaubten Handlung. 1 0 7 Insbesondere in Fällen mittelbarer Handlung oder des Unterlassens lag es deshalb auch nahe, hier die Lehre vom Verhaltensunrecht fruchtbar zu machen und die Eigentumsstörung nach der Verletzung einer Verkehrspflicht zu beurteilen. 108 Die Rechtsprechung hat es freilich vermieden, in diesen Fällen auf die Lehre von den Verkehrspflichten zurückzugreifen. Stattdessen wird etwa danach gefragt, ob der mittelbar Handelnde die störende Einwirkung adäquat ursächlich veranlaßt hat und ihm mögliche Abwehrmaßnahmen wirtschaftlich zumutbar sind. Der Sache nach ist diese Formel aber durchaus mit dem Maßstab der Verkehrspflichten vergleichbar. 109
104
Picker, A c P 183 (1983), 369 (473 ff.); J Z 1987, 1041 (1052, 1053 ff.). Picker, A c P 183 (1983), 369 (479-485); J Z 1987, 1041 (1053 f.). 106 Vgl. n u r Palandt-Bassenge, § 1004 Rz. 16. 107 So Lutter/Overrath, J Z 1968, 345 (347). 108 Vgl. etwa v. Caemmerer, G e s a m m e l t e Schriften I, 554 (570); Lutter/Overrath, JZ 1968, 345 (347 ff.); Larenz, Festschrift f ü r Dölle, 169 (198 f.). 109 So das Ergebnis der Analyse v o n Steinbach, D e r E i g e n t u m s f r e i h e i t s a n s p r u c h nach § 1004 im System der A n s p r ü c h e z u m Schutz des Eigentums, S. 26 f. 105
30
5 1 Historiseber
Problemaufriß
O b die Übernahme der Lehre von den Verkehrspflichten für die Interessenkonstellation, die der Anspruch aus § 1004 BGB im A u g e hat, angemessen ist, soll hier offen bleiben. Jedenfalls liegt darin eine Konsequenz, die wohl von vornherein in der Lehre vom Verhaltensunrecht angelegt war. Die Verkehrspflicht wird ganz allgemein zu einem Bewertungsmaßstab rechtswidriger Handlungen. Damit w i r d auch im Bereich des dinglichen Rechtsschutzes das Prinzip der Haftung für unsorgfältiges Verhalten im Verkehr eingeführt. Bei Picker und M ü n z b e r g gibt es schließlich eine Argumentation zu § 1004 BGB, die den gleichen Sachverhalt noch einmal aus anderer Perspektive beleuchtet. Nach Münzberg basiert der Anspruch aus § 1004 BGB auf Beseitigung einer eingetretenen Störung auf dem Veranlassungsprinzip, für dessen nähere Bestimmung die Bewertung durch Verhaltenspflichten von Bedeutung sein soll. 110 Erst w e n n einer solchen Pflicht zu bestimmtem Verhalten z u w i der gehandelt wird, liegt ein rechtswidriges Verhalten vor. Daraus soll sich folgende Konsequenz ergeben: Aus § 1004 B G B folgt bei Verursachung einer Eigentumsbeeinträchtigung die Pflicht, diesen Zustand wieder zu beseitigen. A b e r erst dann, w e n n der Störer dieser Pflicht nicht nachkommt, handelt er rechtswidrig. § 1004 BGB soll deshalb ein Fall der Art sein, daß der Eigentümer vom Störer Erfüllung der aus dem Veranlassungsprinzip folgenden Beseitigungspflicht verlangen kann. 1 1 1 Es handele sich hier gewissermaßen um die „ U m w a n d l u n g einer allgemeinen Schadensverhütungspflicht gegenüber der Rechtsordnung (Verkehrssicherungspflicht) in eine Pflicht gegenüber dem Eigentümer." 1 1 2 Insoweit ähnlich meint auch Picker, daß bei Untätigkeit die Frage der Pflicht z u m Handeln anders als im Deliktsrecht kein Zurechnungsgrund für die negatorische Haftung sei. Die Unterlassung sei vielmehr Nichterfüllung der von § 1004 B G B statuierten Pflicht, eine unzulässige Einwirkung auf das Eigentum nicht eintreten zu lassen und die eingetretene Störung zu beseitigen. 113 Nicht weil er unterläßt, ist daher der Gegner Störer, sondern weil er Störer ist, darf er nicht unterlassen. § 1004 BGB statuiert von diesem Standpunkt aus keine „Wiedergutmachungspflicht", sondern die „im Prinzip andere Pflicht", die eigene Sache innerhalb der eigenen Rechtsgrenzen zu halten. 1 1 4 Wenn auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln w i r d bei Münzberg und Picker der § 1004 BGB in eine im einzelnen durchaus dunkel bleibende Konzeption der Erfüllung von Pflichten eingeordnet. M a n kann diesen Ansatz110 Münzberg, S. 384 f. 111 Münzberg, S. 386. 112 Münzberg, S. 387 Fn. 793. 113 Picker, D e r 114 Picker, D e r
Verhalten und Erfolg als G r u n d l a g e n der R e c h t s w i d r i g k e i t u n d H a f t u n g , Verhalten u n d Erfolg als G r u n d l a g e n der R e c h t s w i d r i g k e i t u n d H a f t u n g , Verhalten u n d Erfolg als G r u n d l a g e n der R e c h t s w i d r i g k e i t u n d H a f t u n g , negatorische Beseitigungsanspruch, S. 101. negatorische Beseitigungsanspruch, S. 103.
V.
Zusammenfassung
31
punkt unterschiedlich deuten. Man kann darin zum einen die Ü b e r n a h m e schuldrechtlicher Prinzipien für den dinglichen Rechtsschutz sehen. 1 1 5 Darauf deutet etwa auch die teilweise Ü b e r n a h m e der Lehre von den Verkehrspflichten hin. Andererseits kann man aber auch der Auffassung sein, daß der Ansatz bei den Pflichten kein spezifisch schuldrechtlicher Ansatz ist, sondern ein allgemeiner theoretischer Ansatz, dem es um die Bewertung von H a n d lungen geht. Eine Lehre von den Pflichten und ihrer Verletzung wäre damit gewissermaßen der Ausschnitt einer allgemeinen Lehre von der Handlung im bürgerlichen Recht.
V.
Zusammenfassung
In dem hier betrachteten Teil des zivilrechtlichen Haftungsrechts lassen sich überall grundlegende Veränderungen des Systems und der Prinzipien, auf denen es beruht, beobachten. A m weitesten fortgeschritten dürften diese Veränderungen im R e c h t der unerlaubten Handlungen sein, w o ganz offen von einer K o n k u r r e n z zwischen gesetzlicher und judizieller K o n z e p t i o n gesprochen wird. A b e r auch für das Leistungsstörungsrecht wird gesehen, daß es heute zwei ihrer Herkunft, ihrem Geltungsgrund und ihrer Struktur nach unterschiedliche Normbestände umfaßt, nämlich das aus der Tradition der Pandektenwissenschaft stammende, streng begriffliche R e c h t einerseits und die in ihren begrifflichen Konturen weniger scharfen, dafür aber elastischeren und für neue Problemstellungen offenen richterrechtlichen Grundsätze andererseits. 1 1 6 Ausdruck dieser Systemverschiebungen ist vor allem die Problematik des unklaren Standortes der vertraglichen und deliktischen Sorgfaltspflichten. Wenn man einmal einen Grundzug dieser Entwicklung festhalten will, dann liegt er offenbar zunächst in der Verdrängung von Einzeltatbeständen, die es im Leistungsstörungsrecht genauso gibt wie im Deliktsrecht, zugunsten einer Generalklausel. Dabei wird die Generalklausel offenbar als Vehikel verstanden, das es der D o g m a t i k und vor allem dem Richter erlaubt, zu „angemessenen" Entscheidungen des Einzelfalles zu gelangen. Inhaltlich basiert diese Generalklausel heute auf dem Sorgfaltsprinzip, dem Prinzip der H a f tung für unsorgfältiges Verhalten im Verkehr. Das Sorgfaltsprinzip bot sich für eine solche Generalklausel schon deshalb an, weil das Schuldrecht des B G B auf dem Schuldprinzip beruht, das für vertragliche und deliktische H a f tung prinzipiell gleichermaßen gilt. Von vorneherein war auch klar, daß es im
1 1 5 Auf problematische Anleihen Pickers im Schuldrecht, insbesondere im Recht der ungerechtfertigten Bereicherung weist Steinbach hin, Der Eigentumsfreiheitsanspruch nach § 1004 im System der Ansprüche zum Schutz des Eigentums, S. 91 f. 116 So Palandt-Heinrichs, Vorbem v § 275 Rz. 4; ähnlich Huber, Gutachten „Leistungsstörungen", 647 (760).
32
§ 1 Historischer
Problemaufriß
K e r n um die H a f t u n g für fahrlässiges Verhalten geht; die H a f t u n g für v o r s ä t z liches Verhalten hat niemals ernste P r o b l e m e bereitet. I m H i n b l i c k auf die nach § 2 7 6 I 2 B G B zunächst als Fahrlässigkeit (und damit als Schuld) zu verstehende Sorgfaltsverletzung setzte dann im L a u f e der Zeit ein i m m e r stärker w e r d e n d e r P r o z e ß der O b j e k t i v i e r u n g sorgfaltswidrigen Verhaltens an. 1 1 7 D i e s e r P r o z e ß begann im G r u n d e s c h o n mit der O b j e k t i v i e r u n g des Fahrlässigkeitsbegriffes selbst, dehnte sich dann aber aus auf die B e r e i c h e tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Verhaltens. E s setzte also eine E n t w i c k lung ein, der es anhand der K a t e g o r i e n Tatbestand, R e c h t s w i d r i g k e i t und Schuld um eine i m m e r genauere Erfassung unterschiedlicher F a c e t t e n der Sorgfalt geht und damit u m die unterschiedlichen Ausprägungen des S o r g faltsprinzips im H a f t u n g s r e c h t . D i e L o s l ö s u n g der Sorgfalt v o n der Schuld und ihre E i n b i n d u n g in eine L e h r e v o n der H a n d l u n g und der R e c h t s w i d r i g keit erlaubt dabei heute eine V e r w e n d u n g des Sorgfaltsprinzips auch außerhalb des ursprünglichen B e r e i c h e s der Verschuldenshaftung. D i e Ü b e r n a h m e der Verkehrspflichtenlehre f ü r den dinglichen R e c h t s s c h u t z ist insoweit nur ein Beispiel dafür, wie weitere R e c h t s b e r e i c h e in den Sog des Sorgfaltsprinzips geraten. D i e heutige Z i v i l r e c h t s d o g m a t i k reflektiert allerdings größtenteils n u r die systematischen B r u c h s t ü c k e dieser A u s d e h n u n g des Sorgfaltsprinzips, insbesondere im B e r e i c h der unerlaubten H a n d l u n g e n . A l l e n t h a l b e n sind j e d o c h die B e d e n k e n an der uferlosen A u s d e h n u n g des geltenden H a f t u n g s r e c h t s zu spüren. E s fehlt aber eine ü b e r z e u g e n d e K o n z e p t i o n der B e g r e n z u n g dieses Prozesses. N a c h der hier verfolgten Auffassung m u ß eine Bewältigung dieser A u f g a b e bei der A n a l y s e des Sorgfaltsprinzips selbst ansetzen. D e n folgenden Ü b e r l e g u n g e n geht es um eine solche U n t e r s u c h u n g des Sorgfaltsprinzips im B e r e i c h des L e i s t u n g s s t ö r u n g s r e c h t s v o r dem weiten systematischen H i n t e r grund eines allgemeinen K o n z e p t s der H a f t u n g für sorgfaltswidriges Verhalten im Verkehr.
117 Zu den verschiedenen Entwicklungslinien des Verschuldensprinzips vgl. vor allem auch die Untersuchung von Meder, Schuld, Zufall, Risiko.
§ 2 D e r Begriff des Leistungsstörungsrechts. Grundbegriffe des Leistungsstörungsrechts I.
Einleitung
Gemeinhin wird der Bereich, um den es hier geht, als das R e c h t der Leistungsstörungen bezeichnet. D e r Ausdruck Leistungsstörungen wird zumeist auf Heinrich Stoll zurückgeführt, der ihn im Rahmen der Überlegungen der Akademie für Deutsches R e c h t zur Überarbeitung des B G B prägte. 1 Im folgenden soll zunächst der Begriff der Leistungsstörungen genauer analysiert werden. Im Zusammenhang mit dem Begriff der Leistungsstörung stehen eine Reihe weiterer Begriffe, die von mehr oder weniger grundlegender Bedeutung für die Erfassung dieses Rechtsgebietes sind. Es handelt sich dabei vor allem um die Begriffe der Nichterfüllung, der Vertragsverletzung und der Pflichtverletzung. Teilweise ergänzen diese Begriffe einander, teilweise sind sie gleichbedeutend, teilweise konkurrieren sie auch miteinander. Die A n a lyse dieser Begriffe erlaubt es jedenfalls, unterschiedliche Perspektiven des Leistungsstörungsrechts hervorzuheben. Dabei sollen die Begriffe schon durchaus in die Analyse des Begriffs der Leistungsstörung selbst mit einbezogen werden, erst anschließend werden sie gesondert betrachtet.
II. Der Begriff der
Leistungsstörung
1. Bereichsanalyse des Leistungsstörungsrechts In der von Stoll vorgelegten „ D e n k s c h r i f t " 2 werden als Leistungsstörungen „Hemmungen und Hindernisse bezeichnet, die bei der Verwirklichung 1 Stoll, Die Lehre von den Leistungsstörungen, Denkschrift des Ausschusses für Personen-, Vereins- und Schuldrecht, 1936; auch veröffentlicht in: Akademie für D t . Recht, 1933— 1945, Protokolle der Ausschüsse, Bd. III 3, S. 232 ff. Ahrens hat Z R P 1995, 417 (418), allerdings darauf aufmerksam gemacht, daß der Begriff vermutlich auf den Ausschußvorsitzenden Hedemann zurückgeht, der bereits 1931 ein Kapitel seines Lehrbuches zum Schuldrecht mit dem Titel „Die Lehre von den Leistungsstörungen" überschrieb. 2 Zum Hintergrund der Denkschrift im Rahmen der Akademie für Dt. Recht vgl. vor allem Sessler, Die Lehre von den Leistungsstörungen, S. 106 ff. Eine eingehendere Darstellung der Funktion der Akademie für Dt. Recht im Rahmen des Nationalsozialismus findet sich bei
34
5 2 Begriff
und Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
des Zieles des S c h u l d v e r h ä l t n i s s e s e n t s t e h e n . " 3 D a s Ziel des S c h u l d v e r h ä l t n i s s e s w i r d d a b e i in d e r „ V e r w i r k l i c h u n g d e s L e i s t u n g s e r f o l g e s "
gesehen:
„ ( . . . ) der S c h u l d n e r soll die i h m o b l i e g e n d e V e r p f l i c h t u n g e r f ü l l e n . " 4 D i e s e v o n Stoll formulierte B e s t i m m u n g des Begriffs der L e i s t u n g s s t ö r u n g
kann
a u c h h e u t e n o c h als m a ß g e b l i c h g e l t e n . In ähnlicher Weise definiert heute etwa Medicus, Leistungsstörung bedeute „das A u s b l e i b e n d e r E r f ü l l u n g u n d i h r e r S u r r o g a t e . " 5 B e h a n d e l t w e r d e n i m R e c h t der L e i s t u n g s s t ö r u n g e n ü b l i c h e r w e i s e die v e r s c h i e d e n e n F o r m e n der U n m ö g l i c h k e i t , S c h u l d n e r - u n d G l ä u b i g e r v e r z u g , culpa in c o n t r a h e n d o u n d p o s i t i v e V e r t r a g s v e r l e t z u n g , als b e s o n d e r e s L e i s t u n g s s t ö r u n g s r e c h t a u c h d a s R e c h t der Mängelgewährleistung und schließlich auch der Wegfall der G e schäftsgrundlage.6 In w e l c h e m Sinne kann man hier von Typen von Leistungsstörungen
unterschiedlichen
s p r e c h e n , die sich z u e i n e m
einheitlichen
R e c h t der Leistungsstörungen z u s a m m e n s c h l i e ß e n ? U n t e r diesem Gesichtsp u n k t sollen i m f o l g e n d e n die v e r s c h i e d e n e n T e i l b e r e i c h e des L e i s t u n g s s t ö rungsrechts etwas genauer betrachtet werden. I m M i t t e l p u n k t der gesetzlichen R e g e l u n g stehen die Fälle der nachträglic h e n U n m ö g l i c h k e i t u n d der V e r z u g des S c h u l d n e r s . N a c h t r ä g l i c h e U n m ö g lichkeit b e d e u t e t , daß d e m S c h u l d n e r die E r f ü l l u n g seiner
Leistungspflicht
u n m ö g l i c h g e w o r d e n ist u n d d e s h a l b e i n H i n d e r n i s i n d e r V e r w i r k l i c h u n g d e s Hattenbauer, JuS 1986, 680 ff. Das bedeutet allerdings nicht, daß man den Begriff der Leistungsstörung oder auch andere Grundbegriffe dieses Rechtsgebietes damit pauschal als nationalsozialistisch abtun kann. 3 Stoll, Denkschrift, S. 13. 4 Stoll, Denkschrift, S. 13. 5 Medicus, Schuldrecht I, vor Rz. 294 (dort in der 1. A. noch mit dem Zusatz „Eine Leistungsstörung bedeutet allgemein ...", heute demgegenüber mit dem Zusatz „Eine Leistungsstörung bedeutet zunächst ...", dessen Bedeutung nicht ganz klar ist), ähnlich Rz. 290. Vergleichbare Formulierungen finden sich z.B. auch bei Brox, Allgemeines Schuldrecht, R z . 2 1 5 („Das vertragliche oder gesetzliche Schuldverhältnis ist auf ordnungsgemäße Befriedigung des Gläubigers gerichtet. Dieser Zweck kann jedoch durch ein Verhalten des Schuldners oder des Gläubigers sowie durch andere Umstände ganz oder teilweise vereitelt werden."); Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 306 („Unter diesem Begriff werden alle Tatbestände zusammengefaßt, bei denen es an einer ordnungsgemäßen Abwicklung des Schuldverhältnisses fehlt ..."); Schlecbtriem, Schuldrecht-AT, Rz. 250 („Werden Pflichten, seien sie aus Rechtsgeschäft oder aufgrund Gesetzes entstanden, nicht oder nicht richtig (...) erfüllt, dann muß die Rechtsordnung regeln, ob dem Gläubiger deswegen Rechtsbehelfe - und welche - zustehen oder ob der Schuldner von seiner Pflicht frei geworden ist."); Jauernig-Vollkommer, Vor §§ 275-292 Rz. 1 („Als Leistungsstörungen (...) werden die Tatbestände zusammengefaßt, bei denen es nicht zu einer ordnungsgemäßen Abwicklung des Schuldverhältnisses (...) kommt."); Palandt-Heinricbs, Vorbem v § 275 Rz. 2 („Die Erfüllung ist der regelmäßige, aber nicht der allein denkbare Erledigungstatbestand des Schuldverhältnisses. Bei seiner Abwicklung können Hindernisse auftreten, die eine ordnungsgemäße Erfüllung erschweren oder ausschließen ..."). 6 So schon die Themen der Denkschrift Stolls und heute auch des Buches von Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen. Ahnlich die Aufzählung der verschiedenen Fälle bei Huber, Leistungsstörungen I, § 1 I 1 (S. 1), der allerdings die culpa in contrahendo eher nicht zum Leistungsstörungsrecht rechnen will, da er sie „im Vergleich zu den sonstigen Typen der Leistungsstörung, für ein aliud, für einen Gegenstand eigener Art" (S. 2) hält.
II. Der Begriff der Leistungsstörung
35
Schuldverhältnisses besteht. A n diese L e i s t u n g s s t ö r u n g k ö n n e n unterschiedliche K o n s e q u e n z e n geknüpft sein. D i e U n m ö g l i c h k e i t des Schuldners, die Leistungspflicht zu erfüllen, führt zunächst einmal dazu, daß sie erlischt und sich das Schuldverhältnis in ein A b w i c k l u n g s s c h u l d v e r h ä l t n i s u m w a n d e l t . D e r G e s e t z g e b e r hat das E r l ö s c h e n der Primärleistungspflicht des Schuldners n u r für den Fall der v o m Schuldner nicht zu vertretenden U n m ö g l i c h k e i t in § 2 7 5 I B G B ausdrücklich ausgesprochen. A b e r auch für den Fall, daß der Schuldner die U n m ö g l i c h k e i t der E r f ü l l u n g seiner Leistungspflicht zu vertreten hat, ergibt sich aus dem gesetzlichen K o n z e p t der sekundären G l ä u b i g e r rechte (§§ 2 8 0 , 3 2 5 B G B ) die N o t w e n d i g k e i t der A b w i c k l u n g des Schuldverhältnisses und damit das E r l ö s c h e n der Primärleistungspflicht. 7 D i e U n m ö g l i c h k e i t des Schuldners, seine Leistungspflicht zu erfüllen, führt z u m anderen z u m E n t s t e h e n v o n sekundären G l ä u b i g e r r e c h t e n unter der weiteren Voraussetzung des Vertretenmüssens der nachträglichen U n möglichkeit. A u s dieser Perspektive k a n n man die nachträgliche U n m ö g l i c h keit als H a f t u n g s i n s t i t u t für eine Pflichtverletzung des Schuldners auffassen, n ä m l i c h als Fall der Verletzung seiner Leistungspflicht. D e r nachträglichen U n m ö g l i c h k e i t k o m m e n damit zwei ganz unterschiedliche F u n k t i o n e n zu. Sie ist einmal Voraussetzung einer anspruchsvernichtenden E i n w e n d u n g des Schuldners gegen den P r i m ä r a n s p r u c h des G l ä u b i g e r s , das andere M a l ist sie anspruchsbegründende Voraussetzung für die S e k u n d ä r r e c h t e des G l ä u b i gers, insbesondere für den A n s p r u c h auf Schadensersatz w e g e n N i c h t e r f ü l lung. D e r B e g r i f f der L e i s t u n g s s t ö r u n g ist o f f e n b a r v o n dieser D o p p e l b e d e u tung der nachträglichen U n m ö g l i c h k e i t her k o n z i p i e r t , indem er die beiden ganz unterschiedlichen R e c h t s f o l g e n der nachträglichen U n m ö g l i c h k e i t u n ter den h o c h a b s t r a k t e n , aber auch etwas farblosen B e g r i f f der L e i s t u n g s s t ö rung z u s a m m e n f a ß t . 8 E i n e vergleichbare B e d e u t u n g k o m m t der L e i s t u n g s s t ö r u n g , die im Schuldnerverzug liegt, nicht zu. D e r einfache Verzug des Schuldners führt nur zur H e m m u n g der V e r w i r k l i c h u n g des Schuldverhältnisses. D a s b e d e u 7 Dieses Ergebnis ist weitgehend anerkannt für den Fall unstreitiger Unmöglichkeit, wenn auch die Begründungen unterschiedlicher Art sind. Für das vom Schuldner zu vertretende nachträgliche Unvermögen geht eine verbreitete Meinung hingegen davon aus, daß dies den Erfüllungsanspruch des Gläubigers grundsätzlich nicht ausschließt. So mit zahlreichen Nachweisen zum Problemstand Huber, Leistungsstörungen II, § 58 I 1, 2 b, 5 u. II 1. Diese Problematik soll an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden. 8 Zu dieser Doppelbedeutung der nachträglichen Unmöglichkeit vor allem Schaff, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 258, 296. Anknüpfend an diese beiden unterschiedlichen Rechtsbereiche wird in der Literatur verbreitet auch unterschieden zwischen „Pflichtverletzungen und Leistungshindernissen" (vgl. die Uberschrift zum 4. Kap. bei Larenz, Schuldrecht I); ähnlich Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht (3. Abschnitt, 2. Kap.: „Die Befreiung des Schuldners", 3. Kap.: „Die Haftung des Schuldners"), und Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2 (Kap. 4: „Die Risikoverteilung bei nicht zu vertretenden Durchführungshindernissen", Kap. 5: „Die Vertragshaftung"). Tendenziell liegt darin die Zurückweisung eines zu abstrakten Einheitsbegriffes wie dem der Leistungsstörung, vgl. insbesondere Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, § 22 pr. (S. 2).
36
5 2 Begriff und Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
tet, die Primärleistungspflicht des Schuldners bleibt bestehen. Zusätzlich hat er aber dem G l ä u b i g e r den durch den V e r z u g entstandenen Schaden zu ersetzen. G r u n d v o r s c h r i f t ist insoweit § 2 8 6 1 B G B . E i n e Vergleichbarkeit des Schuldnerverzuges mit der nachträglichen U n m ö g l i c h k e i t besteht damit nur insoweit, als daß er eine H a f t u n g des Schuldners zu begründen vermag. U n t e r dem gemeinsamen G e s i c h t s p u n k t der H a f t u n g des Schuldners geht es b e i m Schuldnerverzug also u m einen zweiten Fall der Verletzung seiner L e i s t u n g s pflichten. A n die Verletzung dieser Leistungspflicht sind dann weitere, sekundäre R e c h t e des G l ä u b i g e r s geknüpft, die letztlich wieder zu einer vollständigen A b w i c k l u n g des Schuldverhältnisses führen k ö n n e n (§§ 2 8 6 I I , 3 2 6 B G B ) , sofern weitere V o r a u s s e t z u n g e n h i n z u k o m m e n . A u c h die Schlechterfüllung läßt sich n o c h relativ einfach in diesen Z u s a m m e n h a n g einordnen. B e i der Schlechterfüllung - m a n c h e sprechen deshalb gerade auch v o n S c h l e c h t leistung 9 - geht es nicht u m die F r a g e ihrer A u s w i r k u n g auf die Primärleistungspflicht des Schuldners, es wird vielmehr gerade davon abgesehen, o b die Schlechterfüllung E r f ü l l u n g s c h a r a k t e r hat oder nicht. D e r B e g r i f f der Schlechterfüllung hat vielmehr die F u n k t i o n , ein mangelhaftes Verhalten des Schuldners im H i n b l i c k auf den geschuldeten Leistungserfolg zu k e n n z e i c h nen. I n s o f e r n handelt es sich hier u m eine dritte - gesetzlich nicht m e h r allgemein geregelte - F o r m der Verletzung v o n L e i s t u n g s p f l i c h t e n des Schuldners. G e s e t z l i c h geregelt sind i m m e r h i n einige besondere Fälle der mangelhaften L e i s t u n g s e r b r i n g u n g des Schuldners: die Lieferung einer mangelhaften Sache b e i m K a u f , der M a n g e l der überlassenen Sache bei M i e t e oder P a c h t , der W e r k m a n g e l . M a n kann die meisten dieser Fälle als solche der S t ö r u n g v o n Leistungspflichten begreifen, genauer w o h l als Fälle der Schlechterfüllung. 1 0 D a s ergibt sich in diesen Fällen daraus, daß der G l ä u b i g e r hier jeweils einen A n s p r u c h gegen den S c h u l d n e r auf E r b r i n g u n g einer fehlerfreien L e i s t u n g hat. B e i m G a t t u n g s k a u f folgt dieser A n s p r u c h aus § 4 8 0 1 1 B G B , bei der M i e te aus § 5 3 6 B G B , b e i m Werkvertrag aus § 6 3 3 I B G B . D i e s e R e c h t s b e r e i c h e k a n n man als besonderes L e i s t u n g s s t ö r u n g s r e c h t begreifen, das sich dem allgemeinen L e i s t u n g s s t ö r u n g s r e c h t gegenüberstellen läßt. 1 1 F ü r den S t ü c k k a u f ist diese K o n z e p t i o n j e d o c h gerade zweifelhaft. N a c h klassischer Auffassung, die an die A n s c h a u u n g e n des r ö m i s c h e n R e c h t s anknüpft, ist das R e c h t der §§ 4 5 9 ff. B G B G e w ä h r l e i s t u n g s r e c h t . 1 2 D a s bedeutet, es wird nicht als Inhalt der Leistungspflicht des Verkäufers angesehen, dem K ä u f e r die S t ü c k s a c h e als mangelfreie zu übereignen. D e m e n t s p r e c h e n d liegt in der L i e f e r u n g einer Larenz, Schuldrecht I, § 24 I a mit Fn. 5; Medicus, Schuldrecht I, Rz. 413 a.E. Der Rechtsmangel soll hier außer Betracht bleiben. 11 Von allgemeinem und besonderem Leistungsstörungsrecht spricht etwa auch Vollkommer, AcP 183 (1983), 525 (529 u.ö.). Huber spricht in dem Gutachten „Leistungsstörungen", S. 693, von „allgemeinem Leistungsstörungsrecht und besonderem Gewährleistungsrecht" und meint damit wohl Ahnliches. 12 Vgl. Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 696; Larenz, Schuldrecht II/l, §41 II e (m.w.N. in Fn. 103); Palandt-Putzo, Vorbem v § 459 Rz. 5. 9
10
II. Der Begriff
der
Leistungsstörung
37
mangelhaften Stücksache auch keine Verletzung der Leistungspflichten des Verkäufers. Die im Gesetz in erster Linie vorgesehenen Rechtsbehelfe der Wandlung und Minderung werden demzufolge auch nicht als Fälle der H a f tung für Pflichtverletzungen begriffen, sondern als Gewährleistung des Verkäufers. Damit wird zum Ausdruck gebracht, daß die Mangelfreiheit der Sache nicht zum Inhalt der Leistungspflichten des Verkäufers gehört, dieser vielmehr für den Zustand der Kaufsache die G e w ä h r übernimmt und in diesem Sinne für sie einstehen muß. Das Gewährleistungsrecht beim Stückkauf wäre nach dieser Auffassung keine F o r m der Haftung mehr für die Verletzung einer Leistungspflicht des Schuldners und insoweit auch kein Fall der Leistungsstörung. Auch wenn man aber mit einer starken Meinung in der Literatur, das R e c h t der §§ 4 5 9 ff. B G B als Sonderregelung der Nichterfüllung der Leistungspflichten des Verkäufers begreifen wollte, 1 3 ginge es dabei um den atypischen Fall, daß der Gläubiger keine Erfüllung der Leistungspflicht verlangen k ö n n te, sondern auf die anders gelagerten gesetzlichen Rechtsbehelfe verwiesen wäre. D a m i t würde das R e c h t des Stückkaufes wohl nur als atypischer Fall des Instituts der Schlechtleistung verstanden werden können. Schwieriger wird es schon im Bereich der Institute der positiven Vertragsverletzung und der culpa in contrahendo. Im Rahmen dieser Schuldverhältnisse geht es - wenn man einmal von der Schlechtleistung absieht - im Unterschied zu den bisher behandelten Typen von Leistungsstörungen nicht mehr um eine Verletzung der Leistungspflichten des Schuldners, sondern um eine Verletzung von Sorgfaltspflichten. Das macht schon deutlich, daß der Begriff der Leistungsstörung unter dem Gesichtspunkt der Haftungsbegründung für diesen Bereich nicht zutreffend erscheint. 1 4 Zu einer Einheit lassen sich beide Bereiche nur zusammenschließen, sofern man das Leistungsstörungsrecht als R e c h t der Verletzung von Pflichten aus dem Schuldverhältnis begreift. D a n n kann man in der Verletzung von Leistungspflichten des Schuldners einerseits und der Verletzung von Sorgfaltspflichten durch den Schuldner oder Gläubiger andererseits unterschiedliche Typen von Pflichtverletzungen sehen. N u n stehen allerdings auch die Sorgfaltspflichten in einem mehr oder minder lockeren Zusammenhang zu den Leistungspflichten, so daß sich von hier aus eine Rechtfertigung des Begriffs der Leistungsstörung ergeben könnte. So kann man die Verletzung von Sorgfaltspflichten im Rahmen des Schuldverhältnisses der Vertragsverhandlungen möglicherweise unter dem Gesichtspunkt der Störung im Vorfeld der Begründung eines Schuldverhältnisses be13 So etwa Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, Rz. 58; Soergel-Huber, Vor § 459 Rz. 169 ff. In diese Richtung gehen auch der Reformvorschlag der Schuldrechtskommission, Abschlußbericht, S. 32, und der Entwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes in § 433 I 2 BGB-DiskE. 14 Überhaupt fällt auf, daß der Begriff der Leistungsstörung in erster Linie vom Gedanken der Erfüllung einer Leistungspflicht und des Ausbleibens der Erfüllung bestimmt wird, vgl. die verschiedenen Umschreibungen oben Fn. 5.
38
5 2 Begriff
und. Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
greifen, das auf die Entstehung von Leistungspflichten gerichtet ist. Wie sich allerdings das Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen zu einem durch Vertrag begründeten Schuldverhältnis verhält und damit auch zu den daraus resultierenden Leistungspflichten, ist jedoch alles andere als klar. 1 5 Insoweit mögen Zusammenhänge der Sorgfaltspflichten zur Leistung herstellbar sein, ohne daß der Begriff der Leistungsstörung hier aber einen prägnanten Sinn gewinnt. Entsprechend wird übrigens auch in der Literatur des Allgemeinen Schuldrechts das Verschulden bei Vertragsverhandlungen häufig nicht im Rahmen der Leistungsstörungen abgehandelt, sondern bei der Entstehung von Schuldverhältnissen. 1 6 Anders wird dagegen bei der Haftung für die Verletzung von Sorgfaltspflichten aus positiver Vertragsverletzung verfahren, die nämlich im Zusammenhang des Leistungsstörungsrechts dargestellt wird. I m Unterschied zum Verschulden bei Vertragsverhandlungen sind hier zwar immerhin Leistungspflichten zur Entstehung gelangt, verletzt wird aber - anders als bei der Schlechtleistung - eine Sorgfaltspflicht, nicht die Leistungspflicht. D e n k b a r mag bei der positiven Vertragsverletzung zwar sein, daß die Leistungspflichten auch das M a ß der Sorgfaltspflichten mitbestimmen. Darüber hinaus kann man sich auch vorstellen, daß die Verletzung der Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Erfüllung der Leistungspflichten erfolgt. Von einer Leistungsstörung in einem prägnanten Sinne wie etwa bei der nachträglichen Unmöglichkeit wird man aber auch dann nicht sprechen können. Auch die anfängliche objektive Unmöglichkeit wird durch den Begriff der Leistungsstörung genaugenommen nicht zutreffend gekennzeichnet. N a c h § 306 B G B ist in diesem Fall der Vertrag nichtig. Das bedeutet, eine Leistungspflicht gelangt erst gar nicht zur Entstehung. Gestört ist also der Vertragsschluß und damit auch wieder nur in einem sehr mittelbaren Sinne die Leistung. 1 7 Dementsprechend werden etwa bei Larenz nicht nur das Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen, sondern auch anfängliche objektive und anfängliche subjektive Unmöglichkeit im Rahmen der Begründung von Schuldverhältnissen behandelt. 1 8 In der überwiegenden Literatur werden hingegen die beiden Fälle der anfänglichen Unmöglichkeit im Zusammenhang des Leistungsstörungsrechts behandelt. 1 9 O f f e n b a r steht dahinter eine tief verwurzelte Auffassung, die den Begriff der Leistungsstörung partiell mit dem der Unmöglichkeit identifiziert und dann sämtliche Fälle von U n m ö g -
Vgl. dazu unten § 6. So Brox, Allgemeines Schuldrecht, Rz. 55 ff.; Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 69 ff.; Larenz, Schuldrecht I, § 9 I; Medicus, Schuldrecht I, Rz. 103 ff.; Schlechtriem, Schuldrecht-AT, Rz. 20 ff.; anders aber Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, § 29 II. 17 Vgl. Medicus, Schuldrecht I, Rz. 293. 18 Larenz, Schuldrecht I, § 8. 19 Vgl. Brox, Allgemeines Schuldrecht, Rz. 237 ff., 242 ff.; Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 324 ff.; Medicus, Schuldrecht I, Rz. 378 ff.; Schlechtriem, Schuldrecht-AT, Rz. 283 ff., Rz. 291 (mit 278). 15
16
II. Der Begriff
der
Leistungsstörung
39
lichkeit als Fälle von Leistungsstörungen auffaßt. D a ß es sich hier um ganz unterschiedliche Arten von „Störungen" handelt, gerät dabei allerdings leicht aus dem Blick. 2 0 Sinnfälliger ist der Zusammenhang der anfänglichen objektiven U n m ö g lichkeit mit dem R e c h t der Leistungsstörungen, sofern man nicht in erster Linie an die Nichtigkeitsanordnung in § 306 B G B anknüpft, sondern an die Haftungsanordnung in § 307 B G B . § 307 B G B stellt nach althergebrachter Auffassung einen Fall der Haftung für eine Sorgfaltspflichtverletzung im Rahmen der Vertragsverhandlungen dar. 21 Diese Deutung beruht offenbar auf der Vorstellung, daß derjenige, der die Unmöglichkeit der Leistung kennt oder kennen muß, dem anderen Teil zur Aufklärung verpflichtet ist und ihn damit v o m Vertragsschluß abhalten wird. 2 2 Insoweit läßt sich auch die anfängliche objektive Unmöglichkeit in ein Leistungsstörungsrecht integrieren, das man vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Pflichten aus dem Schuldverhältnis betrachtet. Für den Verzug des Gläubigers scheint der Begriff der Leistungsstörung auf den ersten Blick besonders treffend zu sein. Hier führt die Nichtannahme der Leistung durch den Gläubiger dazu, daß der Leistungserfolg nicht verwirklicht werden kann und insoweit ein Hindernis bei der Verwirklichung des Leistungserfolges vorliegt. Schwieriger ist schon zu sagen, wie dieses Leistungshindernis mit den anderen Typen von „Leistungsstörungen" zusammenhängt. D e r Gläubigerverzug führt weder zu einer Veränderung der Primärleistungspflicht des Schuldners, noch zu Sekundäransprüchen, vielmehr führt der Gläubigerverzug im wesentlichen zu einer Verbesserung der Position des Schuldners, und zwar vor allem im H i n b l i c k auf eine künftige Leistungsstörung, die in der nachträglichen Unmöglichkeit seiner Leistungspflicht liegt. Das geschieht, indem aufgrund des Verzuges des Gläubigers qua Gesetz die Maßstäbe der Sorgfalt verschoben werden, die an das Verhalten des Schuldners anzulegen sind, § 300 I B G B , weiter vor allem dadurch, daß auch die Gegenleistungsgefahr auf den Gläubiger übergeht, § 324 II B G B . S o fern man darin eine Sanktion sieht, beruht sie auf einer Obliegenheitsverletzung des Gläubigers. 2 3 Die Obliegenheitsverletzung kann man als K o m p l e mentärbegriff zur Sorgfaltspflichtverletzung begreifen. Soweit man mit dem Begriff der Pflicht nicht nur die Pflichten gegenüber anderen meint, sondern auch die Pflichten gegen sich selbst, umfaßt der Begriff der Pflichtverletzung
2 0 Vgl. dazu auch Westermann/Bydlinski, BGB-Schuldrecht AT, Rz. 5/1 ff., wo der Grundansatz des B G B in der Differenzierung nach „Störungsursachen" gesehen wird, weiter dann aber der Begriff der Leistungsstörung mit dem Gedanken der Zweckverfehlung verknüpft wird. 21 Vgl. dazu bereits oben § 1 II 1. 2 2 Vgl. MüKo-Thode, §307Rz.6. 2 3 So die vorherrschende Deutung des Gläubigerverzuges, vgl. nur Larenz, Schuldrecht I, § 2 5 I (S. 389). Zur Problematik der Abgrenzung solcher Obliegenheiten von anderweitigen Pflichten siehe unten § 8 II 4.
40
5 2 Begriff
und Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
auch den Begriff der Obliegenheitsverletzung. Insoweit ließe sich auch der Gläubigerverzug in einen systematischen Zusammenhang der Haftung für Pflichtverletzungen und damit in ein Leistungsstörungsrecht in diesem Sinne einfügen. Üblicherweise wird schließlich auch der Wegfall der Geschäftsgrundlage dem R e c h t der Leistungsstörungen zugerechnet. Das Fehlen oder der Wegfall der Geschäftsgrundlage kann allerdings nur dann in Betracht kommen, wenn gerade nicht die Leistungspflichten des Schuldners betroffen sind, da ansonsten bereits regelmäßig die Regeln der Unmöglichkeit eingreifen. 2 4 Beim Wegfall der Geschäftsgrundlage geht es dann auch nicht um die Begründung einer Haftung, sondern es geht um die Ausgestaltung eines Schuldverhältnisses anhand des Maßstabes des § 242 B G B . 2 5 Damit betrifft der Wegfall der Geschäftsgrundlage weder die Begründung eines Schuldverhältnisses, noch die Störung der Leistungspflicht im Schuldverhältnis, als vielmehr den Inhalt des Schuldverhältnisses, das in erster Linie den veränderten Umständen angepaßt und erst sekundär abgewickelt werden muß. Wenn hier etwas gestört ist, dürfte es das Schuldverhältnis selbst sein. Von einer Leistungsstörung in einem präzisen Sinne wird man hier hingegen nicht sprechen können. D i e bisherige Betrachtung zeigt, daß das sogenannte R e c h t der Leistungsstörungen durch eine Vielzahl von Brüchen gekennzeichnet ist, die durch den Begriff der Leistungsstörung teilweise nur sehr notdürftig zusammengehalten werden, teilweise auch verdeckt und teilweise auch gar nicht erfaßt werden. Seine Prägekraft erhält der Begriff der Leistungsstörung offenbar von der Unmöglichkeit her, die ja auch eine beherrschende Stellung in der K o n z e p tion des Gesetzes einnimmt. Dabei ist der Begriff der Leistungsstörung aber primär an der nachträglichen Unmöglichkeit orientiert, im H i n b l i c k auf die anfängliche objektive Unmöglichkeit ist er hingegen schon zweifelhaft. D i e hohe Abstraktion, die im Begriff der Leistungsstörung liegt, hat offenbar den Sinn, zwei Fragenkreise zu einer Einheit zusammenzuschließen, nämlich den ersten Kreis der Frage nach der Befreiung des Schuldners von seiner Primär2 4 Das wird zumeist in die Formulierung gekleidet, was Geschäftsgrundlage ist, dürfe nicht Geschäftsinhalt sein, vgl. etwa Medicus, Allgemeiner Teil des B G B , Rz. 862; PalandtHeinrichs, § 242 Rz. 113. 2 5 Dementsprechend wird die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage in den Lehrbüchern des Allgemeinen Schuldrechts im Zusammenhang mit der Bestimmung des Inhalts des Schuldverhältnisses nach § 242 B G B dargestellt; so etwa Brox, Allgemeines Schuldrecht, Rz. 84; Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 174 ff. Anders aber etwa Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, § 27, der das Institut im Rahmen der „Befreiung des Schuldners" erörtert; ähnlich die Einordnung bei Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, § 2 4 , im Rahmen der „Risikoverteilung bei nicht zu vertretenden Durchführungshindernissen", und partiell (nämlich beschränkt auf den Fortfall der objektiven Geschäftsgrundlage) auch Larenz, Schuldrecht I, § 2 1 II, im Rahmen der „von keinem Beteiligten zu verantwortenden Leistungshindernisse". Dagegen wird das Institut im Rahmen der Leistungsstörungen behandelt von Schlechtriem, Schuldrecht-AT, Rz. 297 ff. Noch anders Medicus, der die Problematik der Geschäftsgrundlage trotz verschiedener Passagen im Schuldrecht I (insbesondere Rz. 450 ff., 526 ff.) primär wohl in der Rechtsgeschäftslehre verortet, vgl. Allgemeiner Teil des B G B , Rz. 857 ff.
II. Der B e g r i f f der
Leistungsstörung
41
leistungspflicht und den zweiten Kreis der Haftung des Schuldners. 2 6 Daß die Unterscheidung dieser beiden Fragenkreise allein dem Recht der nachträglichen Unmöglichkeit entstammt und im wesentlichen auch hier nur ihren Sinn hat, wird bei der Abstraktion, die im Begriff der Leistungsstörung liegt, aber nicht mehr hinreichend deutlich. Der Begriff der Leistungsstörung überspielt also, daß Schuldnerverzug und Schlechterfüllung in einem engeren Zusammenhang mit der nachträglichen Unmöglichkeit nur unter dem Gesichtspunkt der Haftungsbegründung stehen, weil es sich hier um unterschiedliche Formen der Verletzung von Leistungspflichten durch den Schuldner handelt. Ein weiterer Bruch liegt dann darin, daß mit der culpa in contrahendo und Teilbereichen der positiven Vertragsverletzung Haftungstatbestände in das Leistungsstörungsrecht einbezogen werden, die gar keine Fälle mehr von Leistungsstörungen im Sinne der Verletzung von Leistungspflichten darstellen. Der Bruch beruht hier also auf der Unterscheidung von Leistungs- und Sorgfaltspflichten. In diesen Zusammenhang fügt sich auch die Haftung bei anfänglicher objektiver Unmöglichkeit ein. Dieser sich aus der Unterscheidung von Leistungs- und Sorgfaltspflichten ergebende Bruch ist Gegenstand der vorliegenden Abhandlung. Die mit dem Gläubigerverzug auftretende weitere Komplikation einer Obliegenheitsverletzung knüpft immerhin an die Problematik dieser Scheidung unterschiedlicher Typen von Pflichten an. Eine letzte große Gebrochenheit des Leistungsstörungsrechts ergibt sich schließlich aus der Rechtsnatur der Sachmängelhaftung für den Stückkauf als Gewährleistungsrecht im engeren Sinne. Die Problematik liegt hier in der Frage, ob der Verkäufer bei Lieferung einer mangelhaften Sache für die Nichterfüllung seiner Leistungspflicht haftet oder ihn eine Gewährleistungspflicht trifft. U m es mit Larenz zu sagen: „Nichterfüllung der Leistungspflicht und Gewährleistung für Sachmängel sind zweierlei." 2 7 U n d auch in der Vorstellung Flumes 2 8 wäre die „Nichterfüllung des Kaufvertrages", die Vertragsverletzung ist, noch von der Verletzung der Leistungspflicht des Verkäufers zu unterscheiden. Ein immerhin ähnlicher Bruch liegt im Wegfall der Geschäftsgrundlage. Sowohl die Gewährleistungshaftung des Verkäufers beim Stückkauf als auch die sich aus dem Fehlen oder dem Wegfall der Geschäftsgrundlage ergebenden Rechte stellen keine Sanktionen wegen einer Leistungsstörung dar, sondern wegen einer Störung des im Schuldverhältnis liegenden Gefüges. In beiden Fällen ist das Prinzip der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung gestört. 2 9 Dieser Bruch soll aber nicht weiter Gegenstand dieser Untersuchung sein. 26 Die Unterscheidung dieser beiden Fragenkreise bestimmt denn teilweise auch die Gliederung der Lehrbücher zum Allgemeinen Schuldrecht, vgl. bereits oben Fn. 8. 27 Larenz, Schuldrecht II/l, § 41 II e (S. 68). 28 Vgl. Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 41. 29 Zur Grundlage der Gleichwertigkeit von Sache und Preis für den Kaufvertrag vgl. Larenz, Schuldrecht II/l, § 41 II e (S. 68), sowie ausführlich Huda, Freiheit und Rechtsgeschäft, S. 200 ff. Die gemeinsame Bedeutung des Aquivalenzprinzips für die Institute der Sachmän-
42
5 2 Begriff
und Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
N a c h alledem haben wir mit dem Begriff des Leistungsstörungsrechts einen Ausdruck vor uns, der zwar anerkannt ist und einen festen Platz in der D o g m a t i k des Zivilrechts einnimmt, der aber nicht nur farblos ist, sondern auch kaum dazu geeignet erscheint, eine sinnstiftende Einheit dieses Rechtsgebietes zum Ausdruck zu bringen. D i e Begriffe der Nichterfüllung, der Pflichtverletzung oder der Vertragsverletzung stellen - das sei hier vorweggen o m m e n - keine Alternativen dar. Man kann sie als Grundbegriffe eines Rechts der Leistungsstörungen begreifen, den Begriff der Leistungsstörung selbst zu ersetzen vermögen sie nicht.
2. Die Störung des Schuldverhältnisses als Grundgedanke des Leistungsstörungsrechts Als Alternative bietet sich vielmehr der Ausdruck „Störung des Schuldverhältnisses" an. Schon Heinrich Stoll, dem die Begriffsprägung „Leistungsstörung" zugeschrieben wird, bemerkte, daß er statt von Leistungsstörungen lieber von der „Störung des Schuldverhältnisses" sprechen würde. 3 0 Alles, was dem Ziel und dem Z w e c k des Schuldverhältnisses zuwider laufe, könne man als Leistungsstörung bezeichnen, heißt es bei Stoll weiter. 3 1 Dementsprechend klingt auch in der von Stoll vorgelegten Denkschrift immer wieder der Gedanke an, daß es in Wahrheit um unterschiedliche Typen von Störungen des Schuldverhältnisses geht und das sogenannte R e c h t der Leistungsstörungen damit im Kern ein Beitrag zur Lehre vom Schuldverhältnis ist. Bei aller Unklarheit, die im Begriff der Leistungsstörung liegt, ist der Zusammenhang zum Begriff des Schuldverhältnisses auch in der modernen Literatur des Allgemeinen Schuldrechts durchaus gegenwärtig. A m prägnantesten wird dieser Zusammenhang vielleicht von Fikentscher zum Ausdruck gebracht, der das Allgemeine Schuldrecht als Recht des Schuldverhältnisses begreift, gewissermaßen als die Frage nach dem Schicksal des Schuldverhältnisses. D e m g e m ä ß konzipiert er seine Darstellung unter den Gesichtspunkten Wesen, Begründung, Inhalt und Erlöschen von ungestörten Schuldverhältnissen. 3 2 E r schildert zunächst Beginn, Inhalt und Ende des normal entstehenden und ungestört ablaufenden Schuldverhältnisses, eben das Schicksal des Schuldverhältnisses. Das Leistungsstörungsrecht faßt vor diesem Hintergrund Störungsfälle zusammen, die dazu führen, daß das Schuldverhältnis
gelhaftung beim Kauf und des Wegfalls der Geschäftsgrundlage macht Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 66 ff., deutlich. 3 0 So Stoll in der manches erhellenden maschinenschriftlichen Ausarbeitung seines Referats vor dem Ausschuß für Personen-, Vereins- und Schuldrecht, vgl. Akademie für Dt. Recht, Bd. III 3, S. 194, 196. Vgl. dazu Ahrens, Z R P 1995, 417 (418). 31 Stoll, Akademie für Dt. Recht, Bd. III 3, S. 194, 196. 32 Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 306.
II. Der Begriff der
Leistungsstörung
43
nicht seinen normalen Verlauf nimmt, es also an einer ordnungsgemäßen A b wicklung des Schuldverhältnisses fehlt. Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt der Störung des Schuldverhältnisses zunächst einmal die Doppelfunktion der nachträglichen U n m ö g lichkeit als Befreiungsgrund einerseits und als Haftungsgrund andererseits, so scheinen auf den ersten Blick sowohl der Begriff der Leistungsstörung als auch der Begriff der Störung des Schuldverhältnisses in gleicher Weise als Oberbegriff geeignet zu sein. Tatsächlich enthält der Begriff der Störung des Schuldverhältnisses noch einen weitergehenden Sinn, der im Begriff der Leistungsstörung nicht mehr liegt. Mit dem Schuldverhältnis ist gleichzeitig der Bezugspunkt genannt, aus dem heraus die Rechtsfolgen resultieren müssen: Die Störung des Schuldverhältnisses führt zwangsläufig zu einer Veränderung des Schuldverhältnisses. Infolge der Störung wandelt es sich teilweise oder auch vollständig um. 3 3 Dieser Gesamtzusammenhang ist mit dem Begriff der Leistungsstörung, der bei der nachträglichen Unmöglichkeit nur das Erlöschen der Leistungspflicht einerseits und die Begründung von sekundären Gläubigerrechten andererseits zum Ausdruck bringt, nicht zureichend erfaßt. Vor diesem Hintergrund sind die Leistungsstörungen also nur eine Zusammenfassung von unterschiedlichen Tatbeständen der Störung des Schuldverhältnisses und ihrer jeweiligen Rechtsfolgen. Der B e z u g dieser Tatbestände und Rechtsfolgen liegt aber im Schuldverhältnis, weder in der Leistung, noch in der Leistungspflicht, auch nicht in der Pflichtverletzung. Im Unterschied zum Begriff des Leistungsstörungsrechts vermag der Begriff der Störung des Schuldverhältnisses auch die unterschiedlichen Fälle der Verletzung von Leistungspflichten einerseits und der Verletzung von Sorgfaltspflichten andererseits in sinnvoller Weise zusammenzufassen. D a s Schuldverhältnis ist nicht nur der Ursprungsort der Leistungspflichten, sondern auch der Sorgfaltspflichten. A u s der Perspektive der Störung des Schuldverhältnisses wird übrigens auch deutlich, wie sinnvoll die Einbeziehung der culpa in contrahendo in das Leistungsstörungsrecht ist. Die Behandlung der culpa in contrahendo im Rahmen der Begründung von Schuldverhältnissen akzentuiert den Gesichtspunkt der Konstituierung eines Primärbereiches. Anders als etwa bei dem durch Vertrag begründeten Schuldverhältnis dient das vorvertragliche Schuldverhältnis lediglich der Konstituierung eines Bereiches, im Hinblick auf den sinnvollerweise von einer Störung gesprochen werden kann. Entsprechend kann man überspitzt sagen, daß auch die Sorgfaltspflichten aus dem Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen nur deshalb 3 3 Dies ist auch der Hintergrund der Vorstellung, daß sich bei v o m Schuldner zu vertretender nachträglicher Unmöglichkeit der Primäranspruch in einen Schadensersatzanspruch (oder in eine sonstige sekundäre Leistungspflicht) umwandelt bzw. der Anspruch auf Schadensersatz an die Stelle des ursprünglichen Leistungsanspruches tritt, vgl. Brox, Allgemeines Schuldrecht, Rz. 248; Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 337; Larenz, Schuldrecht I, § 22 I (S. 333); Jauernig-Vollkommer, § 2 8 0 Rz. 1; Palandt-Heinrichs, § 2 8 0 Rz. 1; Staudinger-Löwisch, §280 Rz. 10.
44
5 2 Begriff
und Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
als Maßstäbe entwickelt werden, um die Feststellung zu ermöglichen, daß sie verletzt sind. Das ganze Institut der culpa in contrahendo ist also - was übrigens auch in seiner Bezeichnung zum Ausdruck k o m m t - überhaupt nur auf die Störung dieses Schuldverhältnisses hin konzipiert worden. 3 4 Darin liegt ein grundlegender Unterschied zum Schuldverhältnis aus Vertrag, das mit den Leistungspflichten immerhin Pflichten hervorbringt, die auch Maßstäbe dafür abgeben, daß sie nunmehr erfüllt sind. N u r am Rande sei erwähnt, daß auch die Obliegenheit ihren Ursprung im Gefüge des Schuldverhältnisses hat und hier eine Art der Bindung des Gläubigers darstellt. 3 5 Von ihrer Funktion her ist damit die Obliegenheit insoweit vergleichbar mit der Sorgfaltspflicht. Die Perspektive der Störung des Schuldverhältnisses erklärt schließlich auch, mit welchem R e c h t etwa die Fälle der Gewährleistung beim Stückkauf oder der Wegfall der Geschäftsgrundlage in den Bereich des Leistungsstörungsrechts mit einbezogen werden. N a c h der Gewährleistungstheorie liegt im Sachmangel beim Stückkauf zwar keine Störung einer einzelnen Leistungspflicht, aber eine Störung des sich aus dem Schuldverhältnis ergebenden Äquivalenzgefüges von Leistung und Gegenleistung. 3 6 In ähnlicher Weise kann man auch im Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage eine Störung des Schuldverhältnisses sehen. Die Besonderheit dieses Instituts liegt dabei darin, daß mit der Geschäftsgrundlage ein Umstand zentraler Maßstab der Störung ist, der weder von dem Begriff der Leistungsstörung zutreffend erfaßt wird, noch von den sonstigen Begriffen des Leistungsstörungsrechts. Ein wesentlicher Unterschied zu den bisher behandelten Fällen besteht also darin, daß die Störung nicht in den Pflichtenbereich einer der beiden Parteien fällt und dementsprechend auch nicht am Maßstab einer einzelnen Pflicht gemessen werden kann. Insoweit bedarf es auch hier eines Rückgriffs auf den Gesamtzusammenhang des durch den Vertrag begründeten Schuldverhältnisses. Das bedeutet, der Vertrag gibt nicht als Willensübereinstimmung die E n t scheidung über die Geschäftsgrundlage, sondern in seiner Ausgestaltung durch Treu und Glauben als Schuldverhältnis. 3 7 D i e vorstehenden Überlegungen sind nicht als Plädoyer dafür zu verstehen, den Begriff des Leistungsstörungsrechts aufzugeben. U n t e r diesem B e griff hat sich ein mehr oder weniger fest umrissener Rahmen für bestimmte Teilbereiche des Schuldrechts etabliert, der aus der modernen D o g m a t i k des Zivilrechts im Grunde nicht mehr wegzudenken ist. Anders mag es mit dem Begriff der Leistungsstörung selbst aussehen. Im H i n b l i c k auf die Kennzeichnung, daß etwas zum Leistungsstörungsrecht gehört, hat der Begriff sicherlich seinen Aussagewert. E r ist allerdings weder dazu geeignet, die unterschiedlichen Fälle von „Leistungsstörungen" zu einer sinnvollen Einheit zu34 Das schwingt auch in der Bezeichnung als „gesetzliches Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht" (so Larenz, Schuldrecht I, § 9) mit. 35 Vgl. Henß, Obliegenheit und Pflicht im Bürgerlichen Recht, S. 97 ff. 36 Vgl. bereits oben Fn. 29. 37 Vgl. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 75.
III.
Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
45
sammenzufassen, noch ermöglicht der Ausdruck eine präzisere Analyse dieser Fälle. Das zu leisten vermag hingegen die Perspektive der „Störung des Schuldverhältnisses". M i t dem Schuldverhältnis ist das Leistungsstörungsrecht nicht nur in die D o g m a t i k des gesamten Schuldrechts integriert, sondern es vermag auch jedem der unterschiedlichen Fälle von Störungen seinen eigenen O r t zu geben und trägt damit den Gemeinsamkeiten, aber auch den Unterschieden dieser Fälle Rechnung.
III. Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
In der wissenschaftlichen Diskussion des Leistungsstörungsrechts werden unterschiedliche Leitbegriffe favorisiert, die mehr oder weniger deutlich auch unterschiedliche theoretische Ansätze einer K o n z e p t i o n dieses Rechtsbereiches akzentuieren. Von besonderem Interesse sind insoweit vor allem auch die in den letzten Jahren vorgelegten Modelle und Entwürfe zu einer R e f o r m des Schuldrechts, die ganz bewußt von einem „Grundtatbestand" ausgehen, von dem aus die Probleme des Leistungsstörungsrechts konzeptionell bewältigt werden sollen. 3 8 Leitbegriffe dieser Art sind die Begriffe der Nichterfüllung, der Pflichtverletzung und der Vertragsverletzung, die im folgenden - in dieser Reihenfolge - genauer in ihrer Bedeutung und Tragweite analysiert werden sollen.
1. Die a) Die Problematik
des
Nichterfüllung
Erfüllungsbegriffes
D i e Nichterfüllung ist das Gegenstück zur Erfüllung (so die Uberschrift des ersten Titels im dritten Abschnitt des Rechts der Schuldverhältnisse), die dem Grundsatz nach in § 362 1 B G B dahingehend geregelt ist, daß das Schuldverhältnis erlischt, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. D e n Begriff der Nichterfüllung selbst verwendet das B G B erst auf der Rechtsfolgenseite: D e r Schuldner hat dem Gläubiger den durch die Nichterfüllung entstehenden Schaden zu ersetzen; so beispielsweise §§ 2 8 0 I, 325 I 1, 326 I 2 B G B , auch etwa §§ 463 S. 1, 538 I, 635 B G B . Einen Grundtatbestand der Nichterfüllung kennt das Gesetz hingegen nicht. Mit der nachträglichen Unmöglichkeit, dem Verzug des Schuldners, mit der mangelhaften Leistungserbringung kennt es allenfalls unterschiedliche Fälle der Nichterfül3 8 Gemeint sind hier das Gutachten Hubers zu den „Leistungsstörungen", das vom Begriff der „Nichterfüllung" als „Grundkategorie des Leistungsstörungsrechts" ausgeht (so S. 699), und der Abschlußbericht der Schuldrechtskommission, der von einem „einheitlichen Grundtatbestand" (so etwa S. 29) der „Pflichtverletzung" ausgeht, dem auch der Entwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes folgt (vgl. nur die Begründung S. 316).
46
5 2 Begriff und Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
lung, die eine Verpflichtung des Schuldners zum Schadensersatz wegen Nichterfüllung begründen können. Als die Regelung eines bestimmten Falles der Nichterfüllung kann man aber auch die in §275 I BGB getroffene Anordnung begreifen, daß der Schuldner bei einer von ihm nicht zu vertretenden nachträglich eintretenden Unmöglichkeit keinen Schadensersatz wegen Nichterfüllung schuldet, sondern von seiner Verpflichtung zur Leistung frei wird. Auf den ersten Blick scheint der Grundtatbestand der Nichterfüllung damit geeignet zu sein, die unterschiedlichen Störungstatbestände des Leistungsstörungsrechts sinnvoll zusammenzufassen. 39 So läßt er sich vor allem sowohl auf Umstände beziehen, die der Schuldner zu vertreten hat, als auch auf diejenigen, die er nicht zu vertreten hat. 40 Bei näherer Betrachtung stellt sich allerdings die Frage, ob der Begriff „Nichterfüllung" für die beiden Fälle nicht in unterschiedlichem Sinne gebraucht wird. So scheint sich der Begriff für die vom Schuldner nicht zu vertretenden Umstände auf das Nichterfülltsein des Schuldverhältnisses zu beziehen, während er sich für die vom Schuldner zu vertretenden Umstände auch auf dessen Handlung beziehen läßt. 41 Dieser Sinn schwingt etwa auch in dem Ausdruck „Schadensersatz wegen Nichterfüllung" mit. Eine auf dem Begriff der Nichterfüllung aufbauende Konzeption des Leistungsstörungsrechts bringt darüber hinaus weitere Schwierigkeiten mit sich, insbesondere führt sie zumindest zu neuen Akzenten für dieses Rechtsgebiet, wenn nicht sogar zu Verzeichnungen. Problematisch ist insoweit zunächst einmal der im Begriff der Nichterfüllung liegende Erfüllungsbegriff. Mit dem Begriff der Nichterfüllung lassen sich weder für die Rechtsanwendung noch die dogmatische Arbeit die Tatbestände zureichend erfassen, die zwar zu einer Störung des Schuldverhältnisses führen, ohne daß man dabei jedoch davon sprechen könnte, daß zugleich Pflichten nicht erfüllt worden wären. Dies betrifft vor allem die Gewährleistungshaftung beim Stückkauf, aber auch den Bereich des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Es ist denn auch kein Wunder, daß vor allem Huber die Regelung der §§ 459 ff. BGB - jedenfalls bis vor kurzem noch 42 - nicht als Gewährleistungshaftung, sondern als Haftung für Nichterfüllung begreifen wollte 43 und das Institut des Weg3 9 Für den Begriff der N i c h t e r f ü l l u n g als verbindenden Begriff der verschiedenen Fälle von Leistungsstörungen deshalb Huber, Leistungsstörungen I, § 1 I 2, u n d schon im Gutachten „Leistungsstörungen", 647 (699, 752 ff.). Von einem G r u n d t a t b e s t a n d der N i c h t e r f ü l l u n g geht w o h l auch die A n a l y s e von Jakobs, U n m ö g l i c h k e i t und N i c h t e r f ü l l u n g , S. 27 ff., aus. 4 0 Vgl. Huber, L e i s t u n g s s t ö r u n g e n I, § 1 I 3, u n d schon im Gutachten „ L e i s t u n g s s t ö r u n gen", 647 (753-755). 41 Eine ganz ähnliche P r o b l e m a t i k stellt sich ü b r i g e n s für den Begriff der Vertragsverletzung, vgl. unten 3. 42 Huber, ZIP 2000, 2273 (2276), hat unter dem E i n d r u c k der geplanten Schuldrechtsref o r m seine A u f f a s s u n g zur Rechtsnatur der S a c h m ä n g e l h a f t u n g beim Stückkauf deutlich relativiert, ohne daß allerdings in dieser Frage sein derzeitiger S t a n d p u n k t klar e r k e n n b a r wäre. 43 Soergel-Huber, Vor § 459 R z . 169 ff.
III. Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
47
falls der Geschäftsgrundlage nur ganz partiell in den Bereich des Leistungsstörungsrechts einbezog. 4 4 H i n z u k o m m t dann schließlich, daß die Mängelhaftung insgesamt keinen Fall des völligen Ausbleibens der Leistung darstellt, sondern einen solchen der „nicht gehörigen Erfüllung" 4 5 der Leistungspflicht, bei dem also die Leistung nur hinsichtlich ihrer Qualität hinter dem Geschuldeten zurückbleibt. Eine solche Schlechtleistung wird nach üblichem juristischen Sprachgebrauch - wie H u b e r 4 6 selbst einräumt - gerade nicht als Nichterfüllung bezeichnet, vielmehr scharf davon unterschieden. 4 7 H u b e r sieht sich deshalb auch gezwungen, einen präzisen und überzeugenden B e griff der Nichterfüllung im engeren Sinne von einem vagen und fragwürdigen Begriff der Nichterfüllung im weiteren Sinne zu unterscheiden. 4 8 M i t dem Begriff der Nichterfüllung ist dann vor allem auch die Verletzung von Sorgfaltspflichten nicht adäquat erfaßt. 4 9 Richtig ist freilich, daß sich die zivilrechtliche D o g m a t i k Pflichten weitgehend offenbar überhaupt nur im Sinne von Leistungspflichten vorstellen kann und damit im Sinne von Pflichten, die erfüllt oder auch nicht erfüllt werden können. Dementsprechend sind auch schon sehr früh die Sorgfaltspflichten nach dem Vorbild der Leistungspflichten konzipiert worden. 5 0 Eine wesentliche, noch genauer zu begründende These dieser Arbeit liegt nun allerdings darin, daß Leistungspflichten und Sorgfaltspflichten unterschiedliche Typen von Pflichten darstellen, die jeweils unterschiedliche Funktionen im Gefüge des Schuldverhältnisses übernehmen und denen auch jeweils eine eigene Existenzweise zukommt. D i e Leistungspflicht ist in der Tat auf die Erfüllung hin angelegt, der M o dus ihrer Störung ist die Nichterfüllung. D i e Sorgfaltspflicht ist hingegen nicht auf Erfüllung angelegt, der M o d u s ihrer Störung ist demnach nicht die Nichterfüllung, sondern die Verletzung. Anders formuliert: Sorgfaltspflichten bestehen nicht, damit sie erfüllt werden, sondern damit sie nicht verletzt Huber, Gutachten „Leistungsstörungen", 647 (747-751). Vgl. zu dieser Terminologie und ihrer Herkunft Himmelschein, AcP 135 (1932), 255 (268); Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 18; Hammen, Die Gattungshandlungsschulden, S. 82. 46 Leistungsstörungen I, § 1 I 3. 47 Vgl. insbesondere Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 387: „Jedes Schuldverhältnis kann entweder richtig, schlecht oder nicht erfüllt werden." und Rz. 313: „Eine Leistung erfolgt zum Zweck der Erfüllung, in dem Zusatz ,schlecht' liegt die Abgrenzung von der Nichterfüllung." Teilweise noch weitergehender die Schuldrechtskommission, Abschlußbericht, S. 130: „Bloße Abweichungen der Leistung vom Geschuldeten hinsichtlich der Zeit oder der Begleitumstände werden üblicherweise nicht als .Nichterfüllung' bezeichnet (•••)." Danach wäre etwa auch der Verzug kein Fall der Nichterfüllung. 44
45
Leistungsstörungen I, § 1 I 2. So bereits Diederichsen, AcP 182 (1982), 101 (119): „Der Ausdruck .Nichterfüllung' paßt überhaupt sprachlich überall dort nicht, wo es um die Verletzung von Schutz- und Verhaltenspflichten geht, denen ein Leistungsanspruch nicht korrespondiert." 50 So insbesondere bei Siber, vgl. bereits oben § 1 II 3; in neuerer Zeit vor allem bei Motzer, Die „positive Vertragsverletzung" des Arbeitnehmers, S. 147ff.; ders.,JZ 1983, 884 (887ff.); ähnlich Evans-von Krbek, AcP 179 (1979), 85 ff. 48 49
48
§ 2 Begriff und Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
w e r d e n . U m g e k e h r t lassen sich dagegen sehr w o h l auch die v e r s c h i e d e n e n T a t b e s t ä n d e der v o m S c h u l d n e r zu v e r t r e t e n d e n S t ö r u n g der L e i s t u n g s p f l i c h t n i c h t n u r als N i c h t e r f ü l l u n g k e n n z e i c h n e n , s o n d e r n auch als Verletz u n g der L e i s t u n g s p f l i c h t , so d a ß m i t d e m B e g r i f f d e r P f l i c h t v e r l e t z u n g in der Tat ein g e m e i n s a m e r O b e r b e g r i f f f ü r die S t ö r u n g der b e i d e n u n t e r s c h i e d l i c h e n T y p e n v o n P f l i c h t e n g e g e b e n ist. D a r a u f w i r d später n o c h zur ü c k z u k o m m e n sein. A u f den ersten B l i c k scheint es sich bei der Frage, o b die Begriffe der E r f ü l lung und der N i c h t e r f ü l l u n g auch für den T y p u s der Sorgfaltspflichten passen, u m eine t e r m i n o l o g i s c h e Frage v o n u n t e r g e o r d n e t e r B e d e u t u n g zu handeln. M ö g l i c h e r w e i s e mag sich tatsächlich in einem übertragenen Sinne davon sprechen lassen, daß auch Sorgfaltspflichten erfüllt oder nicht erfüllt w e r d e n . I m G r u n d e wird damit aber die F u n k t i o n des Erfüllungsbegriffes verfehlt. D i e Leistungspflicht steuert den G ü t e r a u s t a u s c h im weitesten Sinne. D e r B e griff der E r f ü l l u n g gibt in diesem g r ö ß e r e n Z u s a m m e n h a n g den M a ß s t a b dafür, daß der durch die einzelne Leistungspflicht strukturierte G ü t e r a u s t a u s c h abgeschlossen ist o d e r auch nicht. D i e Sorgfaltspflicht hat d e m g e g e n ü b e r eine ganz andere F u n k t i o n . Sie strukturiert keine Austauschvorgänge, s o n d e r n sie gewährleistet den S c h u t z v o r h a n d e n e r Güter. D i e V e r l e t z u n g der P f l i c h t gibt hier einen M a ß s t a b für die B e e i n t r ä c h t i g u n g des geschützten R e c h t s g u t e s . In einem inhaltlichen Sinne sinnvoll ist der B e g r i f f der E r f ü l l u n g n u r im H i n b l i c k auf den G ü t e r a u s t a u s c h , nicht dagegen m e h r im H i n b l i c k auf den G ü terschutz.
b) Die Problematik
des
Erfüllungsanspruches
A l s klaren Fall der N i c h t e r f ü l l u n g k e n n t das B G B ü b e r h a u p t nur die n a c h trägliche U n m ö g l i c h k e i t und dann vielleicht auch n o c h den Verzug des Schuldners. D a s gesetzliche S y s t e m basiert nun aber darauf, daß die b l o ß e N i c h t l e i s t u n g weder einen A n s p r u c h des Gläubigers gegen den S c h u l d n e r auf Schadensersatz wegen N i c h t e r f ü l l u n g begründet, n o c h das Schuldverhältnis sonst irgendwie u m w a n d e l t . D a s bedeutet, die N i c h t e r f ü l l u n g in F o r m der b l o ß e n N i c h t l e i s t u n g stellt gerade n o c h keine L e i s t u n g s s t ö r u n g dar. 51 H i n z u k o m m e n m u ß vielmehr die S t ö r u n g des Schuldverhältnisses durch N i c h t l e i stung aufgrund nachträglich eingetretener U n m ö g l i c h k e i t der Leistungspflicht oder etwa die N i c h t l e i s t u n g t r o t z Fälligkeit der Leistung und M a h nung. D i e N i c h t e r f ü l l u n g in F o r m der b l o ß e n N i c h t l e i s t u n g scheint d e m n a c h sanktionslos zu bleiben. I m m e r h i n kann man aber auch den A n s p r u c h des Gläubigers gegen den S c h u l d n e r auf E r f ü l l u n g der Leistungspflicht als S a n k tion der N i c h t l e i s t u n g begreifen. D i e s e Sichtweise führt auf zwei für die K o n z e p t i o n des L e i s t u n g s s t ö r u n g s r e c h t s außerordentlich bedeutsame F r a g e n : (1) Stellt der A n s p r u c h des Gläubigers gegen den S c h u l d n e r auf E r f ü l l u n g der 51
Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 307; Palandt-Heinrichs,
Vorbern v § 275 Rz. 2.
III. Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
49
Leistungspflicht eine Sanktion der Nichtleistung des Schuldners dar? (2) In welchem Verhältnis steht der Anspruch auf Erfüllung zu den an bestimmte Leistungsstörungstatbestände anknüpfenden weiteren Rechten des Gläubigers, also etwa zum Anspruch des Gläubigers gegen den Schuldner auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung? Insbesondere J a k o b s hat den Anspruch auf Erfüllung als F o r m der H a f tung des Schuldners begriffen. 5 2 Das Gesetz knüpfe die Haftung des Schuldners an den Grundtatbestand der Nichterfüllung. 5 3 D i e Haftung des Schuldners wegen Nichterfüllung bestehe zunächst in der Verpflichtung zur Erfüllung der Leistung. 5 4 Lediglich die Ersatzpflicht des Schuldners wegen Nichterfüllung werde an weitere Voraussetzungen geknüpft, wie etwa die Unmöglichkeit der Leistung des Schuldners. 5 5 D i e Unmöglichkeit ist damit nicht der Grund der Haftung des Schuldners, G r u n d der Haftung des Schuldners ist vielmehr die Nichterfüllung, die Unmöglichkeit ist nur einer der Gründe dafür, statt der Leistung Schadensersatz zu verlangen oder sonst ein R e c h t geltend machen zu können. 5 6 Es ist J a k o b s gar nicht zu bestreiten, daß dies eine denkbare Perspektive auf den Erfüllungsanspruch ist. Von vornherein gegen diese Sichtweise spricht aber, daß der Anspruch auf Erfüllung nicht erst - mit einer noch genauer zu betrachtenden - Nichtleistung des Schuldners entsteht, sondern regelmäßig bereits mit Begründung des Schuldverhältnisses. So bringt der A b schluß eines Kaufvertrages gegenseitige Leistungspflichten hervor, denen auch jeweils Ansprüche auf Erfüllung dieser Leistungspflichten entsprechen. Das bedeutet doch offenbar, daß der Anspruch auf Erfüllung bereits Bestandteil des Schuldverhältnisses ist, mit dem Schuldverhältnis zur Entstehung gelangt und jedenfalls nicht eine Sanktion der Störung des Schuldverhältnisses darstellt. Richtig ist allerdings wohl, daß der Erfüllungsanspruch - wie jeder Anspruch - die rechtliche Entscheidung eines Konfliktes darstellt. 5 7 Dieser Konflikt zwischen Gläubiger und Schuldner wird zwar in der Tat erst virulent mit der Nichterfüllung des Schuldners. Allerdings ist dieser Konflikt von vorneherein im Schuldverhältnis angelegt. Das Schuldverhältnis ist vom Zeitpunkt seiner Entstehung an gerade dadurch gekennzeichnet, daß es nicht erfüllt ist, vielmehr auf diese Erfüllung hin angelegt ist. Es ist also gewissermaßen das Begründungsprinzip des Schuldverhältnisses, nicht erfüllt zu sein. 52 Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S.223; ders., Gesetzgebung im Leistungsstörungsrecht, S. 40. Ahnlich Huber, Festschrift für v. Caemmerer, 837 (850 Fn. 40, wo mir allerdings die Auffassung Jakobs mißverstanden zu werden scheint). 53 Vgl .Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 222. 54 Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 222, auch S. 20, 26 f., 30. 55 Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 27 ff., 163 ff., 222. 56 Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 72 ff., 225 f. 5 7 Zum Anspruch als Konfliktsentscheidung vgl. nur Schapp, Das subjektive Recht im Prozeß der Rechtsgewinnung, insbesondere S. 60 ff., im Anschluß daran meine Dissertation über „Anspruch, absolutes Recht und Rechtsverhältnis im öffentlichen Recht entwickelt aus dem Zivilrecht", S. 13 ff.
50
5 2 B e g r i f f und Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
Die Nichterfüllung ist damit der Grundtatbestand eines jeden auf Hervorbringung von Leistungspflichten gerichteten Schuldverhältnisses. Der A n spruch auf Erfüllung ist vor diesem Hintergrund A u s d r u c k der Funktion des auf die Erfüllung von Leistungspflichten bezogenen Schuldverhältnisses. Die Vorstellung, der Anspruch auf Erfüllung sei eine Sanktion auf die Nichtleistung des Schuldners, ist damit z w a r nicht unrichtig, relativiert sich aber doch sehr. Im übrigen spricht gegen diese Perspektive auch folgendes. U m den Erfüllungsanspruch als Sanktion der Nichtleistung begreifen zu können, müßte die Nichtleistung zunächst noch einmal genauer qualifiziert werden. Die Nichtleistung kann dann nämlich nicht einfach in der Nichterfüllung des Schuldverhältnisses liegen, sondern sie muß etwa die Nichterfüllung der bereits fälligen Leistungspflicht sein, die Nichterfüllung trotz Aufforderung zur Leistung oder ähnliches. Die Nichtleistung des Schuldners müßte also einen bestimmten Haftungstatbestand verwirklichen, der über die bloße Nichtleistung, die im Nichterfülltsein des Schuldverhältnisses liegt, hinausgeht und dann eben erst den Anspruch auf Erfüllung begründet. Das wäre aber überhaupt nur dann sinnvoll, w e n n an diese Form der Nichtleistung Rechtsfolgen geknüpft wären, die über den bloßen Erfüllungsanspruch hinausgehen. Da der Erfüllungsanspruch aber bereits mit dem Schuldverhältnis entsteht, ist das nicht der Fall. Damit erübrigt sich auch eine genauere Qualifikation der Nichtleistung. Eng mit der Frage nach der Rechtsnatur des Erfüllungsanspruches verknüpft ist die Problematik des Verhältnisses zu weiteren Gläubigerrechten, für die hier der Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung stehen soll. Nach üblicher Auffassung handelt es sich hier u m ein Stufenverhältnis: Die Verpflichtung zur Erbringung der Leistung w i r d als Primärleistungspflicht begriffen, die Verpflichtung z u m Schadensersatz wegen Nichterfüllung als Sekundärleistungspflicht. 5 8 Anders sind die Dinge auch hier wieder von Jakobs dargestellt worden. Bei der Regelung des Leistungsstörungsrechts habe der Gesetzgeber vor allem die Frage vor A u g e n gehabt, wann der Gläubiger statt Erfüllung auch Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen könne. Diese Frage sei dahin geregelt worden, daß es für die Erweiterung der Rechte des Gläubigers besonderer Gründe bedürfe. Einer dieser Gründe liege darin, daß der Schuldner dem Gläubiger bei feststehender Unmöglichkeit wegen der ihm zurechenbaren Nichterfüllung seiner Verbindlichkeit hafte. 5 9 Der Gläubiger habe jetzt die Wahl, wie er seine Interessen an der Leistung weiter verfolge. 6 0 Einmal könne der Gläubiger auch weiterhin auf Erfüllung klagen, stattdessen könne er jetzt aber auch Schadensersatz wegen Nicht-
58 Zum theoretischen Hintergrund der Unterscheidung von Primär- und Sekundärpflichten vgl. allgemein Scbapp, Methodenlehre des Zivilrechts, S. 23 ff. 59 Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 27 ff., 222 ff.; ders., Gesetzgebung im Leistungsstörungsrecht, S. 46 f. 60 Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 73 f.
III. Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
51
erfüllung verlangen. Die vom Schuldner zu vertretende Unmöglichkeit beinhalte damit nur einen Befreiungsgrund für den Gläubiger. 61 Dieser sei nicht mehr auf den Primärleistungsanspruch beschränkt, sondern könne stattdessen Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen und sei insoweit von seiner Beschränkung auf den Primärleistungsanspruch befreit. Dieser Konzeption von Jakobs liegt vor allem ein zweifelhaftes Verhältnis von Erfüllungsanspruch und Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung zugrunde. Für Jakobs sind beide Ansprüche Sanktionen der Nichterfüllung, die zu vertretende nachträgliche Unmöglichkeit befreit den Gläubiger lediglich von seiner Beschränkung auf den Erfüllungsanspruch. Unklar ist hierbei zunächst, wieso der Anspruch auf Erfüllung eine Sanktion für die Nichterfüllung sein soll. Nach welchen Kriterien wird hier die Nichterfüllung bestimmt? Der „Tatbestand" der Nichterfüllung läßt sich doch wohl nur anhand der Leistungspflicht des Schuldners und damit aus der Perspektive des Gläubigers anhand seines Anspruches auf Erfüllung bestimmen. Die Primärfunktion der Leistungspflicht wird so im Konzept von Jakobs nicht ausreichend deutlich. Nicht überzeugend ist es weiter aber auch, den Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung als Sanktion der Nichterfüllung zu begreifen. Nach weithin üblicher und m.E. zutreffender Auffassung ist der Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung Sanktion für die Verletzung der Primärleistungspflicht. Nichterfüllung und Verletzung der Primärleistungspflicht sind aber nicht identisch. Das zeigt sich zunächst daran, daß die bloße Nichtleistung noch keinen Anspruch auf Schadensersatz auslöst. Das zeigt sich weiter aber auch daran, daß etwa der Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung aus § 325 BGB nicht an die Nichterfüllung geknüpft wird, sondern an die Unmöglichkeit. Insbesondere muß sich das Vertretenmüssen des Schuldners auf die Unmöglichkeit beziehen und nicht auf die Nichterfüllung. Bei Jakobs bleibt damit im Kern der Grund der Haftung des Schuldners auf Schadensersatz im unklaren. Das ist allerdings bereits Folge seiner Konzeption, die Regelung des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung primär als Regelung der Frage zu begreifen, unter welchen Voraussetzungen der Gläubiger von seiner Beschränkung auf den Erfüllungsanspruch befreit ist. Gegen diese Sichtweise spricht aber im Grunde das gesamte Konzept der Haftung des Zivilrechts, das bekanntlich auf dem Verschuldensprinzip beruht. Dieses Prinzip greift der Gesetzgeber erst in der Regelung des § 325 BGB auf und gibt damit auch inhaltlich den Grund für die Haftung des Schuldners. Grundlage eines Schadensersatzanspruches ist damit weder die unverschuldete nachträgliche Unmöglichkeit, noch die unverschuldete Nichterfüllung (während die unverschuldete Nichterfüllung als solche an dem Erfüllungsanspruch durchaus nichts ändert). Die Vorstellung, die Unmöglichkeit gebe nur 61
Jakobs, U n m ö g l i c h k e i t und N i c h t e r f ü l l u n g , S. 72 ff. Von der U n m ö g l i c h k e i t als „Befreiu n g s g r u n d f ü r den G l ä u b i g e r " spricht auch Emmerich, M ü K o , Vor § 275 R z . 18, § 275 R z . 3.
52
§ 2 Begriff
und Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
einen Befreiungsgrund für den Gläubiger, wird dieser haftungsbegründenden Funktion der zu vertretenden nachträglichen Unmöglichkeit nicht gerecht. Schließlich gelingt es J a k o b s auch nicht, ein einsichtiges Verhältnis von Erfüllungsanspruch und Schadensersatzanspruch herzustellen. 6 2 N a c h der hier zugrunde gelegten Auffassung ist der Schadensersatzanspruch eine Sanktion der Verletzung der Primärleistungspflicht. D i e Primärleistungspflicht konstituiert gewissermaßen einen Schutzbereich, im H i n b l i c k auf den sich die Frage der Verletzung stellen läßt. Bei J a k o b s gibt es demgegenüber gar keine F u n k tion des Erfüllungsanspruches im Hinblick auf den Schadensersatzanspruch, vielmehr stehen beide als unterschiedliche Folgen der Nichterfüllung unverbunden nebeneinander. Sie sind nicht mehr als zwei unterschiedliche Arten der Sanktion, unter denen der Gläubiger (bei feststehender Unmöglichkeit) frei wählen kann. Dabei k o m m t weder in den Blick, daß dem Erfüllungsanspruch die weitergehende Funktion der Bestimmung der Leistungspflicht des Schuldners z u k o m m t , noch daß der Schadensersatzanspruch sich zu seiner Begründung auf die Verletzung dieser Leistungspflicht und damit auch des Erfüllungsanspruches bezieht. I m H i n b l i c k auf diese verschiedenartigen Funktionen des Erfüllungsanspruches, daß er nämlich zum einen in der Tat das schon mit der Begründung des Schuldverhältnisses gegebene Mittel zur Durchsetzung der Erfüllung bei Nichtleistung des Schuldners ist, gleichzeitig aber auch die Grundlage für die nähere Bestimmung der Verantwortlichkeit des Schuldners darstellt und damit auch für die Begründung der Sekundärrechte des Gläubigers, wird man am ehesten sagen können, daß es sich hierbei um einen der Haftung noch vorgelagerten Anspruch handelt. N u r von dieser K o n z e p t i o n her gewinnt auch die übliche Redeweise vom Erfüllungsanspruch als Primäranspruch und dem Schadensersatzanspruch als Sekundäranspruch ihren zutreffenden Sinn. Bei J a k o b s ist demgegenüber schon die Rede vom Primäranspruch zweifelhaft, weil die Primärfunktion des Erfüllungsanspruches gegenüber dem Sekundäranspruch gar nicht mitbedacht ist, der Erfüllungsanspruch vielmehr auch schon als Haftungsanordnung erscheint und damit als etwas Sekundäres. Entsprechend ist auch die B e gründung des Schadensersatzanspruches als Sekundäranspruch in der K o n zeption von J a k o b s unsicher. Sekundär ist der Schadensersatzanspruch einmal im H i n b l i c k auf die Nichterfüllung, sekundär ist der Schadensersatzanspruch aber auch in dem Sinne, daß die Nichterfüllung zwar den Erfüllungsanspruch begründet, nur etwa unter der weiteren Voraussetzung der nachträglichen Unmöglichkeit aber auch den Schadensersatzanspruch. N i c h t mehr sekundär ist der Schadensersatzanspruch dagegen offenbar im H i n b l i c k auf den Ausgleich der Verletzung des Primäranspruches. Zwar wird natürlich auch in der K o n z e p t i o n von J a k o b s Schadensersatz wegen Nichterfüllung gewährt. D e m Gläubiger steht es aber zunächst frei, ob 6 2 Gegen ein gleichzeitiges Bestehen von Primär- und Sekundäranspruch insbesondere auch Meincke, AcP 171 (1971), 19 (24); Soergel-Wiedemann, § 280 Rz. 30.
III. Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
53
er Erfüllung verlangt oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Das Verhältnis von Primär- und Sekundäranspruch wird damit nicht als inhaltliches Problem begriffen, nicht als eine Frage des materiellen Rechts, sondern sie wird ins Vollstreckungsrecht hineinverlagert und sogar in die Ebene der wirtschaftlichen Erwägungen des Gläubigers. Der Gedanke, daß die Verletzung des Erfüllungsanspruches jetzt nur noch dazu führen kann, den Schaden auszugleichen, fehlt in der theoretischen Konzeption von Jakobs. Das zeigt übrigens auch gerade der Fall des bloßen Schuldnerverzuges. Der Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens aus § 286 I B G B ist Konsequenz einer Verletzung des Erfüllungsanspruches, die durch Erfüllung des weiterhin bestehenden Erfüllungsanspruches nicht ausgeglichen wird. Bei Jakobs heißt es dazu, niemand könne von seiner Pflicht frei werden, indem er sie verletzt. 63 Genauso richtig ist aber, daß der Schuldner eine Verletzung seiner Pflicht nicht ungeschehen machen kann, er vermag sie nur auszugleichen. Insgesamt führt die Konzeption des Leistungsstörungsrechts vom Begriff der Nichterfüllung her damit nicht nur zu einem problematischen Verständnis der Erfüllung, sondern auch zu der nicht hinreichend geklärten Frage nach dem Ort des Erfüllungsanspruches.
2. Die Pflichtverletzung Die Bedeutung des Begriffs der Pflichtverletzung ergibt sich heute schon allein daraus, daß die Schuldrechtskommission im Rahmen der Überarbeitung des Leistungsstörungsrechts einen Grundtatbestand der Pflichtverletzung vorgeschlagen hat, den auch der Entwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes zugrunde legt. 64 Unter Pflichtverletzung verstehen dabei die Kommission und der daran anknüpfende Entwurf des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes offenbar das bloße Nichterbringen der dem Schuldner obliegenden Leistung, ungeachtet der Frage, auf welchen Gründen dieser Pflichtverstoß beruht. 65 Die Anknüpfung an den Begriff der Pflichtverletzung durch So U n m ö g l i c h k e i t und Nichterfüllung, S. 123 (unter Hinweis auf M o m m s e n ) . § 2 8 0 I B G B - K o m m i s s i o n s e n t w u r f : „Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat." § 2 8 0 I B G B des Diskussionsentwurfes zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz folgt insoweit dem Kommissionsentwurf. 63
64
6 5 Vgl. den A b s c h l u ß b e r i c h t der Schuldrechtskommission, S. 29 ( „ E b e n s o w e n i g ist es von Bedeutung, auf welchen G r ü n d e n die Pflichtverletzung beruht oder welche Folgen sie hat."), S. 30 ( „ E i n e Unterscheidung nach der Art der verletzten Pflicht wird nicht gemacht. ( . . . ) A u c h dann liegt nach dem K o m m i s s i o n s e n t w u r f die Grundvoraussetzung für einen Schadensersatzanspruch des Gläubigers darin, daß der Schuldner die ihm nach dem Vertrage obliegende L e i stung nicht erbracht und für die Schadensfolgen der darin liegenden Pflichtverletzung einzutreten hat . . . " ) , S. 120 („Als O b e r b e g r i f f , der alle Arten der Leistungsstörung umfaßt, soll der Begriff der .Pflichtverletzung' eingeführt werden."). Wie im Text auch die Deutung des B e -
54
5 2 Begriff
und Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
die Schuldrechtskommission entspreche dem U N - K a u f r e c h t . Es verwende in Art. 45 I und 6 1 1 zwar statt des Begriffes der Pflichtverletzung den der Nichterfüllung. „ A b e r " , so die Kommission, „darin liegt nur ein verbaler, kein sachlicher U n t e r s c h i e d . " 6 6 D i e folgenden Überlegungen setzen an diesem Verständnis des Begriffs der Pflichtverletzung durch die Schuldrechtskommission und des ihm insoweit folgenden Entwurfes zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz an, das aber - wie noch zu zeigen sein wird 6 7 - nicht zu überzeugen vermag. Besser begründet erscheint demgegenüber die Auffassung der Pflichtverletzung als pflichtwidriges Verhalten des Schuldners, das zur Nichterfüllung führt. Pflichtverletzung ist danach etwa die Herbeiführung der nachträglichen U n möglichkeit durch den Schuldner oder auch die Nichtleistung trotz Fälligkeit und Mahnung. Bevor das Verständnis der Pflichtverletzung durch die Schuldrechtskommission und den E n t w u r f eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes genauer analysiert wird, soll jedoch zunächst versucht werden, einen breiteren Rahmen für das Verständnis und die Diskussion der unterschiedlichen theoretischen Ansätze zur Pflichtverletzung zu schaffen. D a z u wird zunächst noch einmal (unter a) auf die Darstellung der Leistungsstörungen durch Stoll in der Denkschrift von 1936 zurückgegriffen, deren Bedeutung auch in der Diskussion des Reformentwurfes der Schuldrechtskommission deutlich geworden ist. Im Anschluß daran wird (unter b) gezeigt, wie die Auseinandersetzung von Larenz mit dem Entwurf von Stoll sein Verständnis der Pflichtverletzung bis in die K o n z e p t i o n seines Lehrbuches zum Allgemeinen Schuldrecht geprägt hat. Diese Analyse erlaubt dann (unter c) eine erste Beurteilung zur Bedeutung der Pflichtverletzung als Grundtatbestand der Leistungsstörungen im Vergleich zum Begriff der Nichterfüllung. O b w o h l das Verständnis der Pflichtverletzung durch die Schuldrechtskommission den Hintergrund der nachfolgenden Überlegungen gibt und daher auch ständig gegenwärtig ist, soll eine genauere Auseinandersetzung mit diesem theoretischen Ansatz erst im nachfolgenden Kapitel im Rahmen der Begründung eines Verständnisses der Leistungspflichtverletzung erfolgen.
griffs der Pflichtverletzung im Kommissionsentwurf bei Rabe, einem Mitglied der Schuldrechtskommission, Liber Amicorum für H.-J. Rabe, 135 (147f., 149f.), Kötz, ebenfalls Mitglied der Schuldrechtskommission, Verhandlungen des 60. Dt. Juristentages, Bd. I I / l , K 18, sowie bei Scbapp, J Z 1993, 637 (638 f.), Huber, Leistungsstörungen I, § 1 I 3, wohl auch bei Ernst, N J W 1994, 2177 (2180) und J Z 1994, 801 (805), wo aber die Bestimmung des Begriffs der Pflichtverletzung als „Ausbleiben der Leistung" vermischt wird mit der Frage des Vertretenmüssens. - Für den Entwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes vgl. S. 314 („Bewirkt der Schuldner eine geschuldete Leistung nicht oder verletzt er sonst eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis ..."), S.312 („Vielmehr bezeichnet dieser Begriff dort allein den Umstand, daß der Schuldner seine Verpflichtung aus dem Schuldverhältnis nicht erfüllt.") und die Begründung für die Pflichtverletzung als „Grundtatbestand der Leistungsstörung" S. 316 f. 6 6 Abschlußbericht der Schuldrechtskommission, S. 30. 6 7 Vgl. unten § 3 .
III.
Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
a) Das Verständnis der Pflichtverletzung vorgelegten „Denkschrift"
55
in der von Stoll
D e r Begriff der Pflichtverletzung ist kein Begriff des B G B , sondern der zivilrechtlichen Dogmatik. Wie man auf den Gedanken k o m m e n konnte, im H i n b l i c k auf nachträgliche Unmöglichkeit, Schuldnerverzug oder Fälle der positiven Vertragsverletzung von Pflichtverletzung zu sprechen, läßt sich heute im einzelnen nicht mehr zurückverfolgen. Flume hat in seiner Stellungnahme „Zu dem Vorhaben der Neuregelung des Schuldrechts" 6 8 auf dem 60. Deutschen Juristentag 1994 darauf hingewiesen, daß bereits die D e n k schrift der Akademie für Deutsches R e c h t in der Pflichtverletzung den Kardinalbegriff des Leistungsstörungsrechts gesehen habe. N u r habe die D e n k s c h r i f t - anders als der Kommissionsentwurf - den Begriff nicht objektiviert. O b der Ausdruck Flumes von der „Objektivierung" der Pflichtverletzung durch die Schuldrechtskommission besonders gelungen ist, soll hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls liegt in dieser „Objektivierung" einer der zentralen Unterschiede zwischen verschiedenen theoretischen Konzepten der Pflichtverletzung. Damit bestehen dann allerdings auch wesentliche Unterschiede hinsichtlich der Funktion der Pflichtverletzung in der Denkschrift einerseits und dem Kommissionsentwurf andererseits. 6 9 I m Mittelpunkt der Denkschrift steht zunächst der Begriff der Leistungsstörung und nicht der Begriff der Pflichtverletzung. D e r Begriff der Leistungsstörung ist nach der bereits oben gegebenen Darstellung so hoch angesetzt, weil er unterschiedliche Fragenkreise zusammenfaßt, nämlich sowohl die Frage der Haftung als auch die der Befreiung. Mit dem Begriff der Pflichtverletzung will der E n t w u r f der Denkschrift nur einen Teilbereich des Leistungsstörungsrechts regeln, den Teilbereich der Haftung: „An die Spitze des Rechts der Leistungsstörungen tritt der Grundsatz der Haftung für jede schuldhafte Pflichtverletzung . . . " 7 0 D e r entsprechende Gesetzesvorschlag lautet wie folgt: „Wer vorsätzlich oder fahrlässig seine Verpflichtung (Leistungspflicht oder Schutzpflicht) verletzt, ist zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet." 7 1 Die Frage, was unter Pflichtverletzung selbst zu verstehen ist, bleibt in der Denkschrift durchaus unklar. Immerhin steht aber auch die Denkschrift - wie die Schuldrechtskommission und der E n t w u r f zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz - auf dem Standpunkt, daß die Unmöglichkeit als Haftungsgrund entbehrlich ist. 7 2 Entscheidend sei allein die Tatsache, „daß dem Gläubiger die ihm geschuldete Leistung nicht in
Z I P 1994, 1497 ff. Dagegen war es das wesentliche Anliegen Flumes offenbar, die Kontinuität zwischen dem Entwurf der Denkschrift und dem der Schuldrechtskommission aufzuzeigen. Eine solche Verknüpfung ist mit Recht auf Kritik gestoßen, vgl. Rabe, Z I P 1996, 1652 (1652). 70 Stoll, Denkschrift, S. 35. 71 Stoll, Denkschrift, S. 62 (dort § 3 I des Entwurfes). 72 Stoll, Denkschrift, S. 31. 68
69
56
5 2 Begriff und Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
der gebührenden Weise erbracht wird, und es k o m m t nur darauf an, ob der Schuldner dafür einzustehen hat oder nicht. Völlig gleichgültig ist es dagegen, ob die Nichterfüllung auf Unmöglichkeit, Verzug oder sogenannter positiver Vertragsverletzung beruht." 7 3 Danach kann man sehr wohl der Auffassung sein, daß - entgegen der Auffassung von Flume - auch schon die Denkschrift ein Verständnis der Pflichtverletzung als bloßer Nichterfüllung zugrunde legt und damit die Deutung der Pflichtverletzung durch die Schuldrechtskommission und des daran anknüpfenden Entwurfes eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes vorbereitet hat. Ein wesentlicher Unterschied des in der Denkschrift vorgelegten Entwurfes liegt nun aber sicherlich darin, daß der Begriff der Pflichtverletzung auf den Bereich der Haftungsbegründung beschränkt bleibt, während die Schuldrechtskommission und der Entwurf des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes den gesamten Bereich des Leistungsstörungsrechts konzeptionell vom Begriff der Pflichtverletzung her erfassen. Darüber hinaus gibt die Denkschrift in ihrem Entwurf immerhin Vorgaben für das Verständnis der Pflichtverletzung. Insbesondere wird im oben angeführten Grundtatbestand der Denkschrift durch Klammerzusatz unterschieden zwischen Leistungspflichten und Schutzpflichten. Dies entspricht einem der Grundgedanken Stolls, daß ein grundlegender Unterschied in Funktion und Bedeutung der Leistungspflichten einerseits und der Schutzpflichten andererseits besteht. Die im Entwurf der Denkschrift damit noch als zentral empfundene Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Typen von Pflichten wird weder im Entwurf der Schuldrechtskommission, noch im Entwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes ausreichend aufgegriffen. 7 4 Damit sind Probleme im Verhältnis der beiden unterschiedlichen Typen von Pflichten und vielleicht auch in der Bestimmung des Begriffs der Pflichtverletzung überhaupt vorgezeichnet.
73
Stoll, Denkschrift, S. 31. Insbesondere die in §241 II B G B - D i s k E vorgesehene Pflicht zur Rücksicht auf die Rechte und Rechtsgüter des anderen Teils stellt dafür keine ausreichende Grundlage dar. Zur Problematik dieser Regelung vgl. Krebs, D B Beilage Nr. 14/2000,1 (9); Dauner-Lieb, in: Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, 305 (313 f.). Auch die konsolidierte Fassung des Diskussionsentwurfes gibt in §241 II B G B - K F keine Grundlage für unterschiedliche Typen von Pflichten und regelt in § 3 1 1 II und III B G B - K F lediglich unterschiedliche Typen von Schuldverhältnissen mit Pflichten i.S. von § 2 4 1 II B G B - K F . Insbesondere in den §§281-283 B G B - K F wird aber immerhin für die Rechtsfolge des Schadensersatzes statt der Leistung nach der Art der Pflichtverletzung unterschieden, für den Tatbestand bleibt es mit § 280 I B G B - K F jedoch bei dem einheitlichen Grundtatbestand der Pflichtverletzung. 74
III. Grundbegriffe
b) Die Entwicklung durch Larenz
des
Leistungsstörungsrechts
des Verständnisses der
57
Pflichtverletzung
Im Rahmen der Arbeit der Akademie für Deutsches Recht trug Larenz 1940/41 ebenfalls über das Leistungsstörungsrecht vor und legte auch einen eigenen Gesetzesentwurf vor. 75 Die in dieser Zeit erarbeiteten Positionen haben bis in die Konzeption seines Lehrbuchs zum Allgemeinen Schuldrecht fortgewirkt. Im folgenden sollen die Vorstellungen und Entwürfe Larenz' nicht in allen Einzelheiten betrachtet werden. Vielmehr kommt es hier nur auf einige wenige Leitgedanken an. Der theoretische Ansatz von Larenz ist zunächst durch die Auseinandersetzung mit der von Stoll vorgelegten Konzeption des Leistungsstörungsrechts bestimmt. Nach Auffassung von Larenz ist das Gebiet durch die Dichotomie zweier ganz unterschiedlicher Fragenkreise geprägt. Ausgehend vom Normalfall des Vertragsverhältnisses könne eine Störung ganz unterschiedliche Ursachen haben. Die Störung der Vertragsdurchführung könne zum einen darin begründet sein, daß der eine oder der andere Vertragsteil seine Verpflichtung verletzt. In diesem Fall gehe es um den Schutz des in seiner vertraglichen Rechtsstellung Gekränkten, insbesondere durch Schadensersatz oder Vertragsauflösung. Die Störung des Vertragsverhältnisses könne ihre Ursache aber auch in einer nachträglichen Änderung der für die Durchführung des Vertrages bedeutsamen Umstände haben, und zwar einer Änderung, die nicht durch ein pflichtwidriges Verhalten eines Vertragsteiles herbeigeführt sei. In diesen Fällen gehe es um das unveränderte Fortbestehen des Vertragsverhältnisses, ob es also trotz der eingetretenen Änderung aufrechterhalten bleibe und ob es gegebenenfalls der neuen Lage anzupassen ist. Es handele sich also um zwei verschiedene Fragenkreise: einmal um die Folgen eines vertragswidrigen Verhaltens, das andere Mal um die von keinem Vertragsteil zu verantwortende Änderung der für die Vertragsdurchführung bedeutsamen Umstände. 7 6 Larenz kritisiert in diesem Zusammenhang den von Stoll verwandten Begriff der „Leistungsstörungen" als „farblos". 7 7 Er verdecke, daß es sich um diese beiden unterschiedlichen Fragenkreise handele. Richtiger sei es vielleicht sogar, den Ausdruck „Leistungsstörungen" überhaupt nur auf den zweiten Fragenkreis der nachträglichen Veränderung bedeutsamer Umstände zu beschränken. Im übrigen schlage er für diesen Bereich den Begriff der „Ablaufshinderungen" vor. 78 Auch Larenz muß dann aber zugeben, daß der Zusammenhang beider Fragenkreise immerhin darin bestehe, daß es in beiden 75 Referat „ L e i s t u n g s s t ö r u n g e n " , A k a d e m i e f ü r D t . Recht, Bd. III 5, S. 68 ff., u n d S. 110 ff. der E n t w u r f . D a z u auch die insoweit allerdings etwas u n a u s g e w o g e n e Darstellung v o n Sessler, Die L e h r e v o n d e n Leistungsstörungen, S. 156 ff. 76 So insgesamt Larenz, Referat „ L e i s t u n g s s t ö r u n g e n " , S. 69. 77 Larenz, Referat „ L e i s t u n g s s t ö r u n g e n " , S. 69. 78 Larenz, Referat „ L e i s t u n g s s t ö r u n g e n " , S. 69.
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5 2 Begriff
und Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
Fällen um nachträgliche Änderungen des Leistungsverhältnisses geht. Der Unterschied bestehe nur darin, daß es beim ersten Fragenkreis um Pflichtverletzungen gehe, während für den zweiten Fragenkreis nur solche Ablaufhindernisse in Betracht kämen, die nicht auf ein pflichtwidriges Verhalten zurückzuführen sind. Der zentrale Gedanke von Larenz in Auseinandersetzung mit den Überlegungen Stolls liegt damit in der scharfen Scheidung von Pflichtverletzungen und sonstigen Leistungsstörungen. Für die beiden Fallgruppen ist aus seiner Sicht kaum noch eine gemeinsame Grundlage auszumachen; jedenfalls liegt der theoretische Grundgedanke seiner Konzeption nicht in der Gemeinsamkeit beider Fallgruppen, sondern in ihrer klaren Unterscheidung. Auch bei Stoll wird diese Unterscheidung durchaus gesehen. So etwa wenn im Hinblick auf die Unmöglichkeit ihre Funktion als Haftungsgrund und als Befreiungsgrund voneinander unterschieden werden. 79 Diese Unterscheidung ist bei Stoll aber nur eine unter vielen weiteren, anders gelagerten Unterscheidungen. Der zentrale theoretische Ansatz Stolls liegt - im Gegensatz zu den Überlegungen Larenz' - weniger in der scharfen Trennung unterschiedlicher Problembereiche als vielmehr in der Konstituierung eines Gebietes der Leistungsstörungen, dessen einheitlichen Gedanken man am ehesten in der Störung des Schuldverhältnisses sehen kann. In den frühen Entwürfen von Larenz lassen sich auch eine Reihe von Überlegungen finden, die dem Gedanken, dem dogmatischen Begriff der Pflicht gelten. Das BGB - so Larenz - geht davon aus, daß das Bestehen bzw. der Inhalt des Schuldverhältnisses nachträglich durch bestimmte Umstände berührt werden kann. Als solche Umstände nennt das Gesetz etwa die Unmöglichkeit. Erst in zweiter Linie fragt das Gesetz, ob dieser Umstand im Einzelfall vom Schuldner zu vertreten ist oder nicht. Auf diese Weise kommt das Gesetz zu der Unterscheidung von zu vertretender und nicht zu vertretender Unmöglichkeit. Dieser Aufbau des Gesetzes führe zu der Vorstellung, daß der eigentliche Haftungsgrund für die Schadensersatzpflicht die Unmöglichkeit sei (bzw. beim Schuldnerverzug die Verzögerung der Leistung). Damit werde jedoch verdeckt, daß der maßgebliche Gesichtspunkt für die Haftung nicht die Unmöglichkeit oder die Verzögerung der Leistung sei, sondern die Verletzung der Leistungspflicht. Diese Unzulänglichkeit des Gesetzes habe auch zur Entdeckung der „positiven Vertragsverletzungen" geführt, bei denen es um Fälle der Verletzung von Vertragspflichten geht, die sich weder als Unmöglichkeit noch als Verzug darstellen. 80 Auch Larenz ist in seinem Reformentwurf von einem allgemeinen Grundtatbestand der Haftung für schuldhafte Pflichtverletzungen ausgegangen: „Wer seine Verpflichtungen aus dem Schuldverhältnis oder eine vorvertragliche Sorgfaltspflicht schuldhaft, d.h. vorsätzlich oder fahrlässig verletzt, ist 79 80
Stoll, Denkschrift, etwa S. 31. So insgesamt Larenz, Referat „Leistungsstörungen", S. 70.
III. Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
59
dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet." 8 1 Anders aber als etwa der Kommissionsentwurf oder der E n t w u r f eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes war er der Auffassung, daß sich ein R e formentwurf auch darüber aussprechen müsse, welche Pflichten hier überhaupt in Betracht k o m m e n . 8 2 Das hervorstechendste Merkmal des Schuldverhältnisses sei insoweit sicherlich die Leistungspflicht. D e r Leistungspflicht des Schuldners entspreche die Forderung als das klagbare R e c h t des Gläubigers auf die Leistung. I m Gesamtaufbau des Schuldverhältnisses k o m m e der Leistungspflicht die erste Stelle zu. Das entspreche nicht nur der Betonung des Pflichtgedankens im deutschen Recht, sondern habe seinen Grund auch darin, daß die Leistungspflicht des Schuldners „gewissermaßen umgeben (ist) von weiteren Verhaltenspflichten, die nicht Gegenstand einer Leistungsklage sind ( , . . ) . " 8 3 Aus diesem Grunde nennt Larenz in seinem R e f o r m e n t w u r f zunächst die Leistungspflicht des Schuldners und erst danach das Recht des Gläubigers auf die Leistung. 8 4 Larenz hält die Leistungspflichten weiter zwar für ein wesentliches K e n n zeichen des Schuldverhältnisses, sieht aber auch, daß sich die Pflichten der Beteiligten darin nicht erschöpfen. D i e Leistungspflichten seien vielmehr eingebettet in weitere Pflichten, die auf ein vertragsgerechtes Verhalten hinzielen. 8 5 D i e Frage, die Larenz sich hierzu vorlegt, ist, ob sich diese weiteren Pflichten im Gegensatz zur Leistungspflicht einheitlich erfassen lassen. Stoll hatte das versucht, indem er in der Denkschrift den Leistungspflichten die Schutzpflichten gegenüberstellte. I m Unterschied zu den Leistungspflichten, die der Verwirklichung des Leistungsinteresses dienen, sah Stoll die Funktion der Schutzpflichten in der A b w e h r von Schädigungen, die sich aus Anlaß der Vertragsdurchführung ergeben können. Larenz bemängelt hier zunächst vor allem die Vorstellung Stolls, daß die Schutzpflichten „mit dem Vertragsinhalt" nichts zu tun hätten. 8 6 Wäre diese Vorstellung zutreffend, sei auch nicht einzusehen, wie die Verletzung von Schutzpflichten gerade eine vertragliche Haftung auslösen könnte. D e n n dann handele es sich nur um allgemeine Pflichten, schädigende Eingriffe in den fremden Rechtskreis zu unterlassen. Deshalb müsse es sich bei den Schutzpflichten wenigstens um eine „Verstärkung sonst bestehender Sorgfaltspflichten gerade durch das bestehende Vertragsverhältnis handeln." 8 7 So der Entwurf von Larenz, Akademie für Dt. Recht, Bd. III 5, S. 110 (dort §3). Larenz, Referat „Leistungsstörungen", S. 72. 83 Larenz, Referat „Leistungsstörungen", S. 73. 84 Akademie für Dt. Recht, Bd. III 5, S. 110, dort § 1 I S. 1 u. 2: „Durch den Schuldvertrag oder ein sonstiges Schuldverhältnis wird der Schuldner verpflichtet, die Leistung zur rechten Zeit und in der rechten Weise zu bewirken. Der Gläubiger wird berechtigt, die Leistung in den durch Treu und Glauben gebotenen Grenzen zu verlangen." 85 Larenz, Referat „Leistungsstörungen", S. 73. 86 Larenz, Referat „Leistungsstörungen", S. 73; ders., auch Akademie für Dt. Recht, Bd. III 5, S. 51. 87 Larenz, Referat „Leistungsstörungen", S. 73. 81 82
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5 2 Begriff und Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
E i n weiterer E i n w a n d betrifft die scharfe G e g e n ü b e r s t e l l u n g v o n L e i stungs- und S c h u t z p f l i c h t , die L a r e n z für gewaltsam hält. 8 8 D i e b l o ß e E i n t e i lung in die beiden einander entgegengesetzten und sich ausschließenden P f l i c h t e n hält er für zu eng. E s seien n o c h andere P f l i c h t e n denkbar, die in diesem S c h e m a nicht erfaßt seien. I m übrigen ließen sich S c h u t z p f l i c h t und L e i stungspflicht vielleicht d o c h nicht ganz so scharf voneinander unterscheiden und gingen auch ineinander über. D e r B e g r i f f der S c h u t z p f l i c h t sei deshalb v o n Stoll insgesamt nicht richtig b e s t i m m t . E s sei hier ein A u s d r u c k erforderlich, der die fraglichen P f l i c h t e n weiter aufgliedere u n d a u f l o c k e r e . 8 9 L a r e n z schlägt hierfür den B e g r i f f der „vertraglichen Sorgfaltspflicht" vor, die ihr G e g e n s t ü c k in der „vorvertraglichen S o r g f a l t s p f l i c h t " bei A n b a h n u n g v o n Vertragsverhandlungen f i n d e . 9 0 D a m i t bringt er z w a r die Ä h n l i c h k e i t beider Sorgfaltspflichten z u m A u s d r u c k . D u r c h den unterschiedlichen B e z u g z u m Vertrag einerseits und zur V o r b e r e i t u n g des Vertragsschlusses andererseits b l e i b e n sie aber im G r u n d e d o c h scharf voneinander getrennt. D e r G e d a n k e , daß gemeinsamer B e z u g s p u n k t dieser Sorgfaltspflichten das Schuldverhältnis sein k ö n n t e , tritt erst später im S c h u l d r e c h t s l e h r b u c h v o n L a r e n z zutage ( w o bei aber auch die B e z e i c h n u n g des Schuldverhältnisses der Vertragsverhandlungen als „gesetzliches Schuldverhältnis o h n e primäre L e i s t u n g s p f l i c h t " die Sonderstellung dieses Schuldverhältnisses z u m A u s d r u c k bringt). A n eine R e i h e dieser Ü b e r l e g u n g e n aus den 4 0 e r J a h r e n des letzten J a h r hunderts hat L a r e n z in der K o n z e p t i o n seines L e h r b u c h s z u m A l l g e m e i n e n Teil des S c h u l d r e c h t s angeknüpft. I n den V o r d e r g r u n d tritt j e t z t allerdings der G e d a n k e des Schuldverhältnisses im weiteren Sinne und seine Struktur. 9 1 A u s dem Schuldverhältnis ergeben sich nach wie v o r zwei T y p e n v o n Pflichten, w o b e i aber ihre U n t e r s c h e i d u n g und T r e n n u n g anerkannt wird. Z u m einen handelt es sich u m die durch das rechtliche Verhältnis b e s t i m m t e n Leistungspflichten, die dem Schuldverhältnis v o r n e h m l i c h Inhalt und B e d e u t u n g geb e n , also den T y p u s des betreffenden Schuldverhältnisses b e s t i m m e n . 9 2 D a r ü b e r hinaus k ö n n e n n o c h „weitere V e r h a l t e n s p f l i c h t e n " begründet sein. I h r Inhalt stehe meist nicht sogleich mit der E n t s t e h u n g des Schuldverhältnisses fest, dieser ergebe sich vielmehr erst im weiteren Verlauf mit R ü c k s i c h t auf die jeweilige Situation. 9 3 E i n weiterer wesentlicher U n t e r s c h i e d z w i s c h e n Leistungspflichten und weiteren Verhaltenspflichten liege darin, daß die Leistungspflicht erfolgsbez o g e n gedacht w e r d e . 9 4 U n t e r E r f ü l l u n g in § 3 6 2 I B G B verstehe das G e s e t z 88 Larenz, Referat „Leistungsstörungen", S. 74; ders., auch Akademie für Dt. Recht, Bd. III 5, S. 51. 89 Larenz, Akademie für Dt. Recht, Bd. III 5, S. 51. 90 Larenz, Referat „Leistungsstörungen", S. 74. 91 Larenz, Schuldrecht I, § 2. 92 Larenz, Schuldrecht I, § 2 I (S. 7, 11). 93 Larenz, Schuldrecht I, § 2 I (S. 11 f.). 94 Larenz, Schuldrecht I, § 2 I (S. 13).
III. Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
61
die Bewirkung der geschuldeten Leistung an den Gläubiger. Das bedeute, in den Fällen, in denen der Schuldner einen Erfolg herbeiführen muß, daß dieser auch eingetreten sein muß. Damit sei es möglich, daß der Schuldner zwar das von ihm durch die Leistungspflicht geforderte Verhalten zeige, gleichwohl aber seine Leistungspflicht nicht erfüllt i.S. von § 362 I B G B , weil der von ihm zu bewirkende Leistungserfolg ausbleibe. D i e weiteren Verhaltenspflichten seien hingegen nicht erfolgsbezogen konzipiert: „,Verhaltenspflichten' verlangen dagegen nichts anderes, als daß der Verpflichtete ein bestimmtes, ihm mögliches Verhalten beobachtet. Ist das geschehen, tritt aber der Erfolg, der verhindert werden sollte, trotzdem ein, so darf man nicht sagen, die Verhaltenspflicht sei ,nicht erfüllt'; anders als die Nichterfüllung einer erfolgsbezogen gedachten Leistungspflicht, kann Nichterfüllung einer Verhaltenspflicht nur ein pflichtwidriges Verhalten bedeuten." 9 5 A u f den ersten Blick scheint es damit für Larenz jeweils unterschiedliche Konzepte der Pflicht und der B e stimmung ihrer Verletzung zu geben. Tatsächlich verdeckt das Schema Verhaltens- und erfolgsbezogen hier wohl wesentliche Zusammenhänge, die an dieser Stelle nur angedeutet werden können. Die Erfolgsbezogenheit der Leistungspflichten bedeutet zunächst einmal nur, daß sich anhand der Pflicht das Ausbleiben des Leistungserfolges und damit eine Nichterfüllung feststellen läßt. Diese Nichterfüllung mag eine Störung des Schuldverhältnisses darstellen, aus der bloßen Nichterfüllung ergibt sich aber noch nicht schon die zu einer Sekundärverbindlichkeit führende Pflichtverletzung. G a n z im Gegenteil: Wenn der Schuldner das von ihm geforderte Verhalten erbracht hat, scheidet eine Pflichtverletzung seinerseits aus. Es liegt ein Fall der nicht vom Schuldner zu vertretenen Leistungsstörung vor. Damit geht schon durch das R e c h t der Nichterfüllung von Leistungspflichten ein B r u c h zwischen Verhaltens- und erfolgsbezogener K o n zeption. Die erfolgsbezogene Nichterfüllung stellt einen Bewertungsmaßstab für die Störung des Schuldverhältnisses dar, die Verletzung der Leistungspflicht selbst scheint hingegen auf den ersten B l i c k - wenn man sie wie hier als pflichtwidriges Verhalten deutet - verhaltensbezogen konzipiert zu sein und insoweit keineswegs anders als die Verletzung von weiteren Verhaltenspflichten im Sinne von Larenz. Tatsächlich ist die Problematik der Entgegensetzung von Verhaltens- und erfolgsbezogener K o n z e p t i o n der Pflichtverletzung aber noch sehr viel komplizierter, und zwar deshalb, weil auch erfolgsbezogene Unrechtskonzeptionen Handlungen (und nicht etwa Erfolge) bewerten. Darauf wird im folgenden zurückzukommen sein. 9 6 Eine Stellungnahme von Larenz zur Verletzung der Leistungspflicht als pflichtwidriges Verhalten findet sich - ganz in dem hier vorgetragenen Sinne an sehr viel späterer Stelle im Zusammenhang mit den sich aus §§ 282, 285 B G B ergebenden Grundsätzen der Beweislastverteilung für die positive Ver95 96
Larenz, Schuldrecht I, § 2 I (S. 13). Vgl. insbesondere unten § 4 III 3 b bb.
62
5 2 Begriff
und Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
tragsverletzung. 9 7 Larenz setzt sich hier mit einer These Raapes auseinander, die er dahingehend zusammenfaßt, der Gläubiger habe danach die objektive Pflichtwidrigkeit, der Schuldner den Mangel der subjektiven darzutun. Diese These sei in ihrer Allgemeinheit nicht haltbar. Sie beruhe auf der ausdrücklich von Raape hervorgehobenen Annahme, schon die v o m Gläubiger bewiesene objektive Unmöglichkeit der Leistung stelle eine objektive Pflichtwidrigkeit dar. O b j e k t i v pflichtwidrig sei aber niemals die Unmöglichkeit der Leistung als solche, sondern nur ein Verhalten des Schuldners (oder seines Erfüllungsgehilfen), das sie bewirkt hat. Auch das Ausbleiben der Leistung zum vereinbarten Termin beruhe noch nicht notwendig auf einem pflichtwidrigen Verhalten des Schuldners. „Nichterfüllung der Leistungspflicht (gleich Ausbleiben der Leistung) ist" - so hebt Larenz hervor - „nicht mit pflichtwidrigem Verhalten gleichzusetzen." 9 8 D i e sich aus § 2 8 2 B G B ergebende Vermutung gehe daher weiter. Die Vorschrift bedeute, daß bei feststehender U n m ö g l i c h keit der Leistung nicht nur das Verschulden des Schuldners vermutet werde, sondern auch ein objektiv pflichtwidriges Verhalten des Schuldners und dessen Ursächlichkeit. Damit habe der Schuldner nach der K o n z e p t i o n des G e setzes das Risiko der nachträglichen Unmöglichkeit der Leistung zu tragen, sofern er nicht beweist, daß die Ursache der Unmöglichkeit ein von ihm nicht zu vertretender Umstand ist. 9 9 In dieser K o n z e p t i o n des Gesetzes - darauf weist Larenz ausdrücklich hin - steckt ein Stück Erfüllungsgarantie. Deshalb könne man sie auch nicht ohne weiteres auf die positiven Vertragsverletzungen übertragen. Einzelheiten der Argumentation von Larenz sollen hier außer Betracht bleiben. D i e Überlegungen von Larenz deuten auf einen ganz wesentlichen Aspekt hin, nämlich auf die Bedeutung der Unterscheidung von materiellem R e c h t und Prozeßrecht für eine K o n z e p t i o n der Pflichtverletzung. Schon der Gesetzgeber des B G B ist hier zu keiner klaren Perspektive gekommen, nicht zuletzt auch deshalb, weil er dem Begriff der Pflichtverletzung keinen zentralen Stellenwert beigemessen hat. D e r E n t w u r f der Schuldrechtskommission und der daran anknüpfende Entwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes scheinen mit dem Verständnis der Pflichtverletzung als bloßem Ausbleiben der Leistung eine Verschiebung zugunsten einer „prozessualen" Perspektive auf die Pflichtverletzung zu beinhalten, weil die Frage nach den Gründen der „Leistungsstörung" damit insgesamt dem Schuldner aufgebürdet wird, während das nach geltendem R e c h t nur teilweise der Fall ist, nämlich im H i n b l i c k auf die Ursächlichkeit seines Verhaltens und das Verschulden, so daß der Gläubiger zumindest etwa das F a k t u m der nachträglichen Larenz, Schuldrecht I, § 24 I b. So insgesamt Larenz, Schuldrecht I, § 24 I b (S. 371). 99 Larenz, Schuldrecht I, § 2 4 I b (S. 371 f.), mit dem Hinweis, daß Hans Stoll dafür den Ausdruck „Leistungsrisiko" gebraucht habe, der bedeute, daß der Schuldner das mit dem Ausbleiben der Leistung verbundene Risiko trägt, sofern er keinen Umstand beweisen kann, der ihn befreit. 97
98
III. Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
63
Unmöglichkeit darlegen und gegebenenfalls beweisen muß. Damit wird gewissermaßen die Situation vollständiger Unaufgeklärtheit des Geschehens zur Grundlage des Verständnisses der Pflichtverletzung. Auch diese D i m e n sion der Pflichtverletzung wird noch weiter zu verfolgen sein. 1 0 0
c) Pflichtverletzung und Nichterfüllung Wenn man einmal einen Grundzug in der Entwicklung des Begriffs der Pflichtverletzung durch Stoll und Larenz herausheben will, dann liegt dieser in der Beschränkung des Begriffs der Pflichtverletzung auf die Haftungsbegründung. Das Interesse Stolls ist zwar primär darauf gerichtet, mit dem B e griff der Leistungsstörung einen einheitlichen Zusammenhang zu konstituieren für verschiedenartige Fälle der Störung des Schuldverhältnisses. Dabei tritt aber auch schon der Begriff der Pflichtverletzung als Leitgedanke für den Teilbereich der Haftung des Schuldners hervor. Diese Beschränkung des B e griffs der Pflichtverletzung auf den Teilbereich der Haftungsbegründung wird bei Larenz forciert, indem er auf einen O b e r b e g r i f f verzichtet und stattdessen Leistungshindernisse und Pflichtverletzungen einander gegenüberstellt und damit auf den Versuch der Konstituierung eines Leistungsstörungsrechtes von einem zusammenfassenden Begriff her verzichtet. I m Vergleich zu dieser Bedeutung der Pflichtverletzung im Rahmen des Leistungsstörungsrechts ist der Begriff der Nichterfüllung einerseits umfassender angelegt, andererseits verliert er damit in zunehmend bedeutsamer gewordenen Randbereichen an Präzision und so auch an Uberzeugungskraft. Anders als der Begriff der Pflichtverletzung im Sinne pflichtwidrigen Verhaltens vermag der Begriff der Nichterfüllung jedenfalls vom Ansatz her die beiden Fragenkreise der Pflichtverletzung und der Leistungshindernisse zusammenzufassen, sofern man ihn auf die Nichterfüllung des Schuldverhältnisses oder doch wenigstens auf das Nichterfülltsein einer Verbindlichkeit bezieht. Zwangsläufig verliert der Ausdruck damit aber auch seine Prägnanz im H i n blick auf die Haftungsbegründung, da die Nichterfüllung danach nur Pflichtverletzung ist, soweit sie auf einem Verhalten des Schuldners beruht. Damit muß also von einem auf das Schuldverhältnis oder die Verbindlichkeit b e z o genen Begriff der Nichterfüllung gewechselt werden zu einem auf das Verhalten des Schuldners bezogenen Begriff der Nichterfüllung. H i n z u k o m m t dann, daß der Begriff der Nichterfüllung zwar für den B e reich der Leistungspflichten allgemeiner sein mag als der der Pflichtverletzung. Anders sieht es dagegen aus, wenn man sich auf die Begründung der Haftung durch den Schuldner beschränkt. D a n n stellt sich nämlich verstärkt die Problematik einer Einbeziehung der Sorgfaltspflichten in das Haftungskonzept. Insoweit ist nun allerdings der Begriff der Pflichtverletzung allgemeiner als der Begriff Nichterfüllung, da er die Verletzung von Leistungs100
Vgl. unten § 3 III 2 a.E.
64
§ 2 Begriff
und Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
und Sorgfaltspflichten überzeugend zusammenzufassen vermag. Damit handelt es sich bei den Ausdrücken Nichterfüllung und Pflichtverletzung jeweils um Grundbegriffe, die nur Teilbereiche des Leistungsstörungsrechts unterschiedlicher A r t präzise zu erfassen vermögen. Ein Verständnis der Pflichtverletzung im Sinne des Ausbleibens der Leistung scheint nun auf den ersten Blick den Bedeutungsbereich eines Verständnisses der Pflichtverletzung als pflichtwidriges Verhalten mit dem der Nichterfüllung des Schuldverhältnisses sinnvoll zusammenzufassen. Die zentrale Frage ist dabei aber, o b damit nicht die F u n k t i o n des Begriffs der Pflichtverletzung für die Haftungsbegründung verloren geht.
3. Die
Vertragsverletzung
Ähnlich wie die Begriffe der Nichterfüllung und der Pflichtverletzung ist der Begriff der Vertragsverletzung in beschränkter Hinsicht sehr prägnant, letztlich für die Erfassung des gesamten Leistungsstörungsrechts aber unzureichend. D e r Ausdruck Vertragsverletzung läßt sich zunächst einmal im Sinne der Verletzung des Vertrages durch den Schuldner verstehen. Insoweit ist mit der Vertragsverletzung die Verletzung einer Vertragspflicht gemeint. In dieser Bedeutung wird der Begriff offenbar im H i n b l i c k auf die positive Vertragsverletzung gebraucht oder auch im Wiener U N - K a u f r e c h t . 1 0 1 D e n k b a r ist es aber auch, den Begriff - ähnlich wie den Ausdruck Nichterfüllung - auf das Verletztsein des Vertrages zu beziehen, etwa im Sinne einer „Vertragsstörung". Anders als die Begriffe Pflichtverletzung und Nichterfüllung vermag der Gedanke der „Vertragsstörung" sogar das Institut des Wegfalls der G e schäftsgrundlage zu umfassen. A m ehesten k o m m t dieser Bedeutungsgehalt der Vertragsverletzung noch in der Bezeichnung der positiven Vertragsverletzung als Institut zum Ausdruck. Die damit auch im Begriff der Vertragsverletzung zutage tretenden unterschiedlichen Perspektiven der Pflichtverletzung und des Leistungshindernisses sind hier aber durchaus sinnvoll aufeinander bezogen, während sie im Begriff der Nichterfüllung eher nur als mühsam hineininterpretiert erscheinen. Fragwürdig wird der Begriff der Vertragsverletzung dann natürlich dadurch, daß der Bereich des Leistungsstörungsrechtes auch die Störung gesetzlicher Schuldverhältnisse umfaßt. Diese Reichweite des Leistungsstörungsrechts führt zu unterschiedlichen Problemen. Die Notwendigkeit, einen allgemeineren Bezugspunkt als den Vertrag zu finden, hat teilweise Anlaß dazu gegeben, den Begriff der Forderungsverletzung zu favorisieren. 1 0 2 Dabei han101 Darauf deutet schon der Wortlaut von Art. 25 C I S G hin: „Eine von einer Partei begangene Vertragsverletzung . . . " Vgl. auch Schlechtriem, Art. 25 C I S G Rz. 7: „Vertragsverletzung setzt Verletzung einer Vertragspflicht voraus." 102 So etwa Brox, Allgemeines Schuldrecht, R z . 2 9 1 ; Medicus, Schuldrecht I, Rz. 411 ff.
III. Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
65
delt es sich aber lediglich um eine andere Akzentsetzung; das Problem der Formulierung eines Begriffes, der sämtliche Fälle von Pflichtverletzungen bei vertraglichen und gesetzlichen Schuldverhältnissen umfaßt, ist damit nicht gelöst. So lassen sich zwar die Fälle der N i c h t - und Schlechtleistung auf diese Weise zusammenfassen, die Fälle der Verletzung von Sorgfaltspflichten fallen jedoch völlig heraus, weil diesen Pflichten gerade keine Forderung entspricht. 1 0 3 Abgesehen von diesem terminologischen Problem stellt sich aber auch die Frage, wie Vertrag und gesetzliches Schuldverhältnis überhaupt in das Leistungsstörungsrecht integriert sind. H i e r lassen sich unterschiedliche A k z e n te setzen. A u f der einen Seite kann man den Eindruck haben, daß die Regelungen des Leistungsstörungsrechts offenbar primär auf die Störung des Vertrages zugeschnitten sind. Die culpa in contrahendo ist überhaupt nur auf den Vertragsschluß bezogen und auch das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage betrifft nur den Vertrag. Anfängliche Unmöglichkeit gibt es bei gesetzlichen Schuldverhältnissen nicht, daher ist sie ebenfalls auf den Schuldvertrag beschränkt. Von allgemeiner Bedeutung ist demgegenüber sicher die R e gelung des Schuldnerverzuges in den § § 2 8 4 ff. B G B . Dagegen k o m m e n die Vorschriften über die nachträgliche Unmöglichkeit bei gesetzlichen Schuldverhältnissen praktisch kaum zum Zuge, da das Bereicherungsrecht in den §§ 818 ff. B G B und das Deliktsrecht in den § § 2 4 9 ff. B G B speziellere Vorschriften enthalten. 1 0 4 D i e Frage schließlich, inwieweit für die Anwendung des Instituts der positiven Vertragsverletzung auf gesetzliche Schuldverhältnisse überhaupt ein Bedürfnis besteht, ist kaum diskutiert. A m ehesten wird man das noch für ein vertragsähnliches Verhältnis wie die Geschäftsführung ohne Auftrag bejahen können, für das Deliktsrecht liegt die Heranziehung dieser Grundsätze dagegen nicht unbedingt auf der Hand. So läßt sich ein durch den Gläubiger verursachter Begleitschaden im Rahmen der Schadensersatzleistung auch als Folgeschaden der unerlaubten Handlung begreifen. 1 0 5 D a v o n abgesehen stellt sich aber auch die Frage nach dem sachlichen Grund für die Erstreckung der Grundsätze über die positive Vertragsverletzung auf das Schuldverhältnis aus Delikt. Diese kurze und sicher auch nicht erschöpfende Betrachtung der verschiedenen Massen des Leistungsstörungsrechts Von positiver Vertragsverletzung sprechen hingegen etwa Palandt-Heinrichs, § 2 7 6 Rz. 104; Soergel-Wiedemann, Vor § 275 Rz. 353. 103 Vgl. Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 286; Wieser, Einführung in das Bürgerliche Recht, Rz. 170; Soergel-Wiedemann, Vor § 275 Rz. 352. 104 yg] Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 287. 105 Vgl. etwa den von Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 307, geschilderten Fall: S schuldet dem G aus § 823 I B G B als Naturalrestitution eine neue Schaufensterscheibe. Der von S beauftragte Glaser beschädigt beim Einsetzen der Scheibe aus Unachtsamkeit die Schaufensterauslage. Hier hafte S dem G für diesen Schaden aus positiver Vertragsverletzung i.V.m. § 278 B G B . Mit Recht hat Schünemann, JuS 1987, 1 (4), darauf hingewiesen, daß die Haftung des S bereits aus den allgemeinen Grundsätzen zur haftungsausfüllenden Kausalität folgt, so daß es insoweit einer Haftung aus positiver Vertragsverletzung nicht bedarf.
66
§ 2 Begriff und Grundbegriffe
des
Leistungsstörungsrechts
m a c h t deutlich, daß mit diesem B e g r i f f verschiedene S c h i c h t e n unterschiedlic h e r A l l g e m e i n h e i t und B e d e u t u n g z u s a m m e n g e f a ß t sind. Insgesamt bleibt aber der E i n d r u c k , daß die Vertragsverletzung einen K e r n b e r e i c h des L e i stungsstörungsrechts ausmacht, v o n d e m aus sich dann auch L e i t g e d a n k e n für die H a f t u n g innerhalb gesetzlicher Schuldverhältnisse e n t w i c k e l n lassen. A u f der anderen Seite hat die m o d e r n e D o g m a t i k mit dem Schuldverhältnis einen gemeinsamen B e z u g s p u n k t für den Schuldvertrag und die gesetzlichen Schuldverhältnisse herausgearbeitet. D i e s e Perspektive hatte auch s c h o n Stoll mit d e m G e d a n k e n der „ S t ö r u n g des Schuldverhältnisses" v o r A u g e n . D i e K o n z e p t i o n des L e i s t u n g s s t ö r u n g s r e c h t s v o m Schuldverhältnis her führt nun aber zwangsläufig auch zu einer veränderten Sicht auf den Vertrag. Als g e m e i n s a m e r O r t sämtlicher P f l i c h t e n erscheint nicht m e h r der Vertrag, s o n dern das Schuldverhältnis. D e r Vertrag reduziert sich auf den V e r s p r e c h e n s akt, der das Schuldverhältnis zur E n t s t e h u n g bringt, das seinerseits nach § 2 4 2 B G B der Ausgestaltung durch Treu und G l a u b e n unterliegt. A u s dieser Perspektive des Schuldverhältnisses ist der B e g r i f f der Vertragsverletzung dann plötzlich nur n o c h v o n marginaler B e d e u t u n g , sofern m a n sich nicht i m m e r w i e d e r auch auf die L e i t b i l d f u n k t i o n des Schuldvertrages für die D e u t u n g des Schuldverhältnisses b e s i n n t . 1 0 6
IV.
Zusammenfassung
M i t dem B e g r i f f der L e i s t u n g s s t ö r u n g e n rückt Stoll einen B e g r i f f in den M i t t e l p u n k t eines R e c h t s b e r e i c h e s , der sich an der nachträglichen U n m ö g lichkeit orientiert und ihrer unterschiedlichen F u n k t i o n für die B e f r e i u n g des Schuldners einerseits und die H a f t u n g des Schuldners andererseits. D i e U n terscheidung dieser beiden B e r e i c h e wird in der V e r w e n d u n g des Begriffs der N i c h t e r f ü l l u n g a u f g e n o m m e n . F ü r den Teilbereich der H a f t u n g s b e g r ü n d u n g führt der G e b r a u c h des Begriffes aber v o r allem im H i n b l i c k auf die Fälle der Schlechtleistung und der Verletzung v o n Sorgfaltspflichten zu U n s c h ä r f e n . E i n e k o n z e p t i o n e l l e S c h w ä c h e des Begriffs der N i c h t e r f ü l l u n g für die E r f a s 1 0 6 Bekanntlich gab es bei Gaius nur Obligationen aus Vertrag oder aus Delikt (Institutionen 3, § 88). In einem überzeugenden Sinne läßt sich der Begriff Schuldverhältnis auch heute noch wohl nur für den Schuldvertrag und das Delikt begründen. Alle anderen gesetzlichen Schuldverhältnisse lassen sich eher nur unter Rückgriff auf die Vorstellungen zum Schuldvertrag oder zum Delikt als Schuldverhältnisse verstehen. Skeptisch zu einem prägenden Rechtsgedanken des Bereicherungsrechts auch Gödicke, Bereicherungsrecht und Dogmatik, 3. Teil 1. Abschnitt, der stattdessen zwei Leittypen der Bereicherung unterscheidet, an denen sich das Schuldverhältnis der ungerechtfertigten Bereicherung orientiert, nämlich die Leistung, die sich an die Wertwelt des Vertrages anschließt, und den Eingriff, der der Wertwelt des Eingriffes folgt. Zu Versuchen einer Deutung der verschiedenen Schuldverhältnisse vgl. im übrigen vor allem Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 72 ff., sowie Schur, Anspruch, absolutes Recht und Rechtsverhältnis im öffentlichen Recht entwickelt aus dem Zivilrecht, S. 65-77.
IV.
Zusammenfassung
67
sung des Leistungsstörungsrechts liegt dann auch darin, daß auf diese Weise der O r t des Erfüllungsanspruches im Unterschied zu den Sekundäransprüchen des Gläubigers nur unzureichend deutlich gemacht werden kann. D e r Begriff der Pflichtverletzung wird - anders als der Begriff der Nichterfüllung - in seiner Entstehung im Rahmen der Denkschrift Stolls und den daran anknüpfenden Überlegungen von Larenz von vornherein auf die Problematik der Haftungsbegründung beschränkt. Aus dieser Beschränkung, die dann auch das Verständnis der Pflichtverletzung als pflichtwidriges Handeln ermöglicht, gewinnt der Begriff seine Überzeugungskraft. D e r Begriff der Vertragsverletzung schließlich knüpft an die Überzeugung an, daß die Verletzung des Vertrages einen Kernbereich des Leistungsstörungsrechts ausmacht, von dem aus sich dann auch die gesetzlichen Schuldverhältnisse in das Leistungsstörungsrecht einfügen. M i t der Zusammenfügung von Schuldvertrag und gesetzlichem Schuldverhältnis unter den Begriff des Schuldverhältnisses wird die Leitbildfunktion der Vertragsverletzung aber weitgehend zurückgedrängt. D i e schon bei Stoll anklingende Perspektive der Entfaltung des Leistungsstörungsrechts anhand des Gedankens der Störung des Schuldverhältnisses tritt jetzt in den Vordergrund.
§ 3 Die Leistungspflichtverletzung I. Einleitung Das B G B kennt in seiner geltenden Fassung weder ein allgemeines K o n zept der Pflichtverletzung, noch auch nur ein Konzept der Leistungspflichtverletzung. Immerhin dürfte es aber dem heutigen Stand juristischer D o g m a tik entsprechen, die gesetzlich geregelten Fälle der v o m Schuldner zu vertretenden nachträglichen Unmöglichkeit und des Schuldnerverzuges unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Leistungspflichten zu betrachten. Die theoretischen Grundlagen dieses Konzeptes sind freilich unklar und bisher auch kaum ausreichend diskutiert worden. Die folgenden Überlegungen entwickeln deshalb zunächst ein Modell der Leistungspflicht und ihrer Verletzung, bevor im Anschluß daran ein Modell der Sorgfaltspflicht und ihrer Verletzung begründet wird. Das Modell der Leistungspflichtverletzung wird (unter II) zunächst im H i n b l i c k auf die nachträgliche Unmöglichkeit entfaltet. Damit ist eine ausreichende Grundlage dafür geschaffen, das hiervon abweichende Verständnis der Pflichtverletzung im E n t w u r f der Schuldrechtskommission und des ihm insoweit folgenden Entwurfes zu einem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (unter I I I ) eingehender zu diskutieren. Sodann wird (unter I V ) auf die Besonderheiten der im Verzug liegenden Leistungspflichtverletzung eingegangen. D e r dritte, gesetzlich nicht mehr allgemein geregelte Typus einer Leistungspflichtverletzung, nämlich die Schlechtleistung, wird hingegen erst später im systematischen Teil behandelt, weil dieser Typus von Pflichtverletzung nur im Zusammenhang und in Abgrenzung zur Sorgfaltspflichtverletzung voll verständlich zu machen ist. Schließlich soll (unter V ) anhand des § 287 S. 2 B G B aufgezeigt werden, daß das hier zugrunde gelegte Konzept der Leistungspflichtverletzung auch zu einer präzisen Abgrenzung von nachträglicher Unmöglichkeit und Schuldnerverzug beiträgt.
II. Das gesetzliche Modell der Leistungspflichtverletzung
69
II. Das gesetzliche Modell der Leistungspflichtverletzung entwickelt anhand der nachträglichen Unmöglichkeit 1. Die Herbeiführung der nachträglichen durch den Schuldner als Verletzung seiner
Unmöglichkeit Leistungspflicht
Der Gesetzgeber spricht in § 280 I BGB davon, daß der Schuldner dem Gläubiger den durch die Nichterfüllung entstehenden Schaden zu ersetzen hat, „soweit die Leistung infolge eines von dem Schuldner zu vertretenden Umstandes unmöglich wird". Ahnlich ist die Formulierung in § 325 1 1 BGB. In vielen Lehrbüchern wird das offenbar so verstanden, daß danach Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch ist, daß (1) die Leistung des Schuldners nach Entstehung des Schuldverhältnisses unmöglich geworden sein muß und (2) der Schuldner diese Unmöglichkeit zu vertreten haben muß. 1 In diesem Schema ist die Frage einer Ursächlichkeit der Handlung des Schuldners für die eingetretene Unmöglichkeit zunächst gar nicht reflektiert. Mit der Unmöglichkeit ist offenbar nur das Verletztsein des Anspruches auf Erfüllung begründet, mit dem Vertretenmüssen in erster Linie das Verschulden des Schuldners thematisiert. Wollte man in diesem Schema die Ursächlichkeit einer Handlung des Schuldners für die eingetretene Unmöglichkeit berücksichtigen, so würde dies vermutlich zumeist im Rahmen des Vertretenmüssens geschehen: Voraussetzung für ein Verschulden des Schuldners ist nämlich, daß er die U n möglichkeit verursacht hat; hat er die Unmöglichkeit nicht verursacht, entfällt ein Verschulden des Schuldners und insoweit auch ein Vertretenmüssen. Der Begriff der Pflichtverletzung könnte dann sinnvollerweise nur auf die eingetretene Unmöglichkeit bezogen werden, die Verletzung der Leistungspflicht des Schuldners wäre dann wohl in der Nichtleistung infolge von U n möglichkeit zu sehen. Gegen diese Deutung spricht aber zunächst schon der Gesetzestext selbst. Mit der in § 280 1 1 BGB gebrauchten Formulierung ist immerhin angedeutet, daß der Schuldner nicht einfach die Unmöglichkeit zu vertreten haben muß, sondern „den Umstand", infolgedessen die Leistung unmöglich wird. 2 Damit liegt der Bezugspunkt für das Vertretenmüssen des Schuldners nicht in der bloßen Unmöglichkeit, sondern in dem Umstand, infolgedessen die Leistung unmöglich wird. Mit diesem Umstand kann dann sinnvollerweise nur die Herbeiführung der Unmöglichkeit durch den Schuldner gemeint sein. Darin müßte dann auch die Pflichtverletzung des Schuldners gesehen werden: Der Schuldner verletzt seine Leistungspflicht, indem er die Unmöglichkeit verursacht. 1
Vgl. nur Brox, Allgemeines Schuldrecht, Rz. 249 f.; Palandt-Heinrichs, § 280 Rz. 3 f. Auf diesen Anknüpfungspunkt im Gesetzestext des §280 I 1 BGB weist vor allem Schapp hin, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 271. 2
70
§ 3 Die
Leistungspflichtverletzung
Ein zureichendes theoretisches Modell der Leistungspflichtverletzung läßt sich nach der hier verfolgten Auffassung nur vor diesem Hintergrund des Verständnisses der Pflichtverletzung als Herbeiführung der Unmöglichkeit begründen. Vor allem unter dem Einfluß des von der Schuldrechtskommission vorgelegten Entwurfes ist aber fraglich geworden, was Inhalt der Pflichtverletzung des Schuldners ist. Auch deshalb ist im folgenden eine ausführlichere Begründung für das hier umrissene Verständnis der Pflichtverletzung erforderlich. Dafür sollen im folgenden vor allem systematische Argumente angeführt werden, die sich aus einem Vergleich zum Haftungskonzept des Deliktsrechts ergeben. Die damit eingenommene Perspektive trägt nicht nur zu einem tieferen Verständnis des gesetzlichen Haftungskonzeptes für den Bereich der Leistungsstörungen bei, sondern auch zu einer stärkeren Integration dieses Rechtsbereiches in ein - vornehmlich am Deliktsrecht orientiertes - allgemeines Haftungsrecht.
2. Das deliktische Haftungskonzept zur Bewertung Handlungen entwickelt anhand des § 8231
unerlaubter BGB
Die systematische Perspektive für das Verständnis der Pflichtverletzung erschließt sich am leichtesten, wenn man einmal das gesetzliche Haftungskonzept des Deliktsrechts mit heranzieht. Dabei beschränkt sich die Darstellung auf die zentrale Vorschrift des § 823 I B G B . Das Deliktsrecht ist Recht der unerlaubten Handlungen, d.h. hier werden Handlungen als unerlaubt bewertet und daran die Folge des Schadensersatzes geknüpft. Die Bewertung der Handlungen erfolgt dabei in drei Stufen. Auf der ersten Stufe des objektiven Tatbestandes wird eine Handlung ihrem äußeren Gehalt nach bewertet, auf der zweiten Stufe der Rechtswidrigkeit wird ein Unrechtsurteil über die Handlung gefällt und auf der dritten Stufe des Verschuldens wird die Handlung dem Täter vorgeworfen. 3 Die Technik des Tatbestandsmodells liegt dabei darin, daß von der Rechtsgutsverletzung als Erfolg auf die Rechtsgutsverletzung als Verletzungshandlung zurückgeschlossen wird. 4 Auf diese Weise wird ein äußeres Ereignis - nämlich die Verletzung eines absolut geschützten Rechtsgutes - instrumentarisiert zum Zwecke der Bewertung einer Handlung als unerlaubt. Hinsichtlich der Widerrechtlichkeit herrscht bekanntlich Streit darüber, ob die Rechtswidrigkeit nach dem Modell des Erfolgsunrechts oder aber nach dem Modell des Verhaltensunrechts zu begründen ist. 5 Die Lehre
3 Zu diesem dreischichtigen Aufbau des Delikts vgl. etwa Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, Rz. 438 ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 II 2; Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 203; ganz allgemein für die Fehlerhaftigkeit von Verhalten Koziol, JB1. 1998,619(623). 4 Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 209. 5 Vgl. nur Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 II 3 m.w.N.
II. Das gesetzliche Modell der Leistungspflichtverletzung
71
v o m E r f o l g s u n r e c h t begründet die R e c h t s w i d r i g k e i t damit, daß die H a n d lung die R e c h t s g u t s v e r l e t z u n g als E r f o l g herbeiführt, w ä h r e n d die L e h r e v o m Verhaltensunrecht das U n r e c h t in der H a n d l u n g selbst sieht o h n e die B e z i e hung zu einem b e s t i m m t e n E r f o l g . V o n zentraler B e d e u t u n g für die weitere U n t e r s u c h u n g ist dabei, daß beide R e c h t s w i d r i g k e i t s l e h r e n T e c h n i k e n der B e w e r t u n g v o n H a n d l u n g e n darstellen. 6 D a s bedeutet, auch die L e h r e v o m E r f o l g s u n r e c h t b e w e r t e t H a n d l u n g e n als rechtswidrig, indem sie v o m eingetretenen E r f o l g auf die W i d e r r e c h t l i c h k e i t der H a n d l u n g schließt. D a m i t u n terscheiden sich beide R e c h t s w i d r i g k e i t s l e h r e n n u r in der A r t und Weise der B e s t i m m u n g der R e c h t s w i d r i g k e i t , nicht aber darin, daß G e g e n s t a n d des Rechtswidrigkeitsurteils die W i d e r r e c h t l i c h k e i t einer H a n d l u n g ist. A u c h das Verschulden k n ü p f t schließlich an diese K o n z e p t i o n an, indem es an die o b j e k t i v tatbestandsmäßige und rechtswidrige H a n d l u n g einen Vorw u r f k n ü p f t . Verschulden bedeutet, daß der H a n d e l n d e für das v o n ihm b e gangene U n r e c h t v e r a n t w o r t l i c h gemacht wird, i h m seine H a n d l u n g also im Sinne einer Schuld v o r g e w o r f e n wird. Insgesamt haben w i r also mit T a t b e stand, R e c h t s w i d r i g k e i t und Verschulden unterschiedliche Stufen der B e w e r tung v o n H a n d l u n g e n z u m Z w e c k e der H a f t u n g s b e g r ü n d u n g v o r uns. I m M i t t e l p u n k t steht dabei in § 823 I B G B die T e c h n i k , über die Verletzung v o n absoluten R e c h t e n auf entsprechende Verletzungshandlungen z u r ü c k z u schließen. D e n hier nicht weiter zu erörternden §§ 823 II und 8 2 6 B G B liegen d e m g e g e n ü b e r eigene K o n z e p t e der H a f t u n g s b e g r ü n d u n g zugrunde, denen es allerdings ebenfalls u m die Q u a l i f i z i e r u n g einer H a n d l u n g als unerlaubt geht.
3. Die Vergleichbarkeit von deliktischem und vertraglichem Haftungskonzept unter dem Gesichtspunkt der Bewertung von Handlungen W e l c h e S c h l u ß f o l g e r u n g e n sind nun aus d e m anhand des § 823 I B G B entw i c k e l t e n H a f t u n g s k o n z e p t des D e l i k t s r e c h t s für das L e i s t u n g s s t ö r u n g s r e c h t zu ziehen? D i e T h e s e der U n t e r s u c h u n g geht z u n ä c h s t dahin, daß die H a f t u n g s k o n z e p t e in beiden B e r e i c h e n miteinander vergleichbar sind, und z w a r unter dem G e s i c h t s p u n k t der B e w e r t u n g v o n H a n d l u n g e n . In einer Zeit, in der v o r allem die U n t e r s c h i e d l i c h k e i t v o n vertraglicher und deliktischer H a f tung b e t o n t wird, ist es nun allerdings längst keine Selbstverständlichkeit mehr, zu b e t o n e n , daß beide H a f t u n g s b e r e i c h e in ihrer theoretischen K o n z e p t i o n natürlich auch B e r ü h r u n g s p u n k t e , w e n n nicht sogar einheitliche G r u n d l a g e n aufweisen. D a g e g e n ging die N a t u r r e c h t s l e h r e n o c h von einem Vertrags- und D e l i k t s h a f t u n g umfassenden R e c h t der unerlaubten H a n d l u n 6 Das betonen auch Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rz. 246; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 II 3 b; Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 230.
72
§ 3 Die
Leistungspflichtverletzung
gen aus, so daß auch die Zuwiderhandlung gegen die Obligation als ein Fall unerlaubter Handlung erschien. 7 Auch heute noch besteht aber eine gemeinsame Grundlage von vertraglicher und deliktischer Haftung, die sich vor allem in dem für beide Rechtsgebiete geltenden Verständnis zentraler Begriffe des Haftungsrechts widerspiegelt, wie etwa den Begriffen des Verschuldens, der Rechtswidrigkeit oder der Pflichtwidrigkeit. In der Literatur wird auch durchaus gesehen, daß die Leitbegriffe des Haftungsrechts in ihrem theoretischen Ansatz in beiden Bereichen im gleichen Sinn zu verwenden sind. D e n noch ist festzustellen, daß die theoretische Durchdringung des Haftungsrechts heute vornehmlich im Ausgangspunkt von der theoretischen Grundlegung des Deliktsrechts her erfolgt, 8 während die entsprechende theoretische Durchdringung für den Bereich des Leistungsstörungsrechts zumeist nur als A n n e x erscheint oder aber - schlimmer noch - als ein Bereich des Haftungsrechts, in dem alles so selbstverständlich erscheint, daß es keiner weiteren theoretischen Durchdringung mehr bedarf. Im folgenden soll nun versucht werden, einmal die Punkte zu konkretisieren, in denen sich das hier dargestellte deliktische Haftungskonzept und das gesetzliche Haftungskonzept der nachträglichen Unmöglichkeit miteinander vergleichen lassen. D e r zentrale gemeinsame Gesichtspunkt, aus dem sich fast alles Weitere zwangsläufig ergibt, liegt darin, daß beide Haftungsbereiche auf dem Schuldgedanken aufbauen. Daraus folgt zunächst einmal, daß Bezugspunkt beider Haftungskonzepte menschliches Verhalten ist. Während wir also mit dem Deliktsrecht ein allgemeines R e c h t der unerlaubten Handlungen vor uns haben, betrifft das Leistungsstörungsrecht für den Bereich der H a f tung gewissermaßen das R e c h t der unerlaubten Handlungen des Schuldners. Aus diesem Ansatzpunkt ergibt sich nun weiter, daß sich beide Haftungsbereiche auf die Bewertung von rechtswidrigem Verhalten als vorwerfbar beziehen. Vorwerfbar ist nämlich nicht ein erlaubtes und in diesem Sinne rechtmäßiges Verhalten, sondern nur ein rechtswidriges Verhalten. 9 Daraus ergibt
7 Dieser Gedanke ergibt sich vor allem aus der Untersuchung von Würthwein, Zur Schadensersatzpflicht wegen Vertragsverletzungen im Gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts, S. 180 f. Sie stellt dar, daß es erst unter dem Einfluß Savignys dazu kommt, daß der naturrechtliche allgemeine Tatbestand der Haftung für culpa in Einzelhaftungstatbestände zerlegt wird und zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung strikt getrennt wird, vgl. a.a.O., S. 183 ff. Zu den Parallelen in der Entwicklung von vertraglichen und deliktischen Pflichten vgl. auch Leser, AcP 183 (1983), 568 (579 ff.). Von einem Vertrag und Delikt umfassenden Verständnis der Haftung aus dem Prinzip „neminem laedere" geht auch Picker aus, vgl. dazu bereits oben § 1 III 5 und im einzelnen unten § 6 II 5 b. 8 Die vornehmlich deliktsrechtliche Orientierung ist unverkennbar beispielsweise bei Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, etwa Rz. 226 ff.; ders., Unerlaubte Handlungen, Schadensersatz und Schmerzensgeld, § 7; Münzberg, Verhalten und Erfolg als Grundlagen der Rechtswidrigkeit und der Haftung, insbesondere S. 67 ff.; Nipperdey, N J W 1957, 1777 ff.; Erman-Battes, § 276 Rz. 7 ff.; Soergel-M. Wolf, § 276 Rz. 21 ff. Umfassender hingegen PalandtHeinrichs, § 276 Rz. 8 f.; Staudinger-Löwisch, § 276 Rz. 11, 13 f. 9 Vgl. nur Soergel-M. Wolf, § 276 Rz. 18.
II. Das gesetzliche
Modell der
Leistungspflichtverletzung
73
sich, daß nicht nur die Haftung nach Deliktsrecht, sondern auch die im B e reich des Leistungsstörungsrechts auf einer Unrechtskonzeption der Bewertung von Handlungen als rechtswidrig beruht. Dabei wird für die Haftung im Bereich des Deliktsrechts weiter unterschieden zwischen der Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens und dem Urteil über seine Widerrechtlichkeit. Wer hier nach den Entsprechungen im Bereich des Leistungsstörungsrechts sucht, den muß es schon verwundern, daß diese Begriffe hier kaum thematisiert werden. A m ehesten noch wird über die Frage diskutiert, ob es im H i n b l i c k auf Forderungsverletzungen auch Rechtfertigungsgründe gibt. 1 0 D e r das U n r e c h t begründende Tatbestand selbst wird dagegen kaum namhaft gemacht. Es liegt allerdings die Annahme nahe, daß im Bereich des Leistungsstörungsrechts für die Kennzeichnung des Unrechts des Schuldnerverhaltens der Begriff der Pflichtverletzung dient. Dabei ist freilich unklar, ob sich der Begriff der Pflichtverletzung im Sinne des deliktsrechtlichen Aufbaus auf das objektiv tatbestandsmäßige Verhalten des Schuldners oder auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens beziehen soll. 11 Tatsächlich wird der Begriff wohl in beiden Bedeutungen gebraucht. Einerseits läßt sich als Pflichtverletzung wohl nur das rechtswidrige Verhalten des Schuldners kennzeichnen. D i e Rede von „gerechtfertigten Pflichtverletzungen" wäre doch wohl eher zweifelhaft. Andererseits beziehen sich die Formulierungen, die üblicherweise zur Beschreibung und Kennzeichnung von Pflichtverletzungen des Schuldners verwandt werden, nicht auf die Rechtswidrigkeit des Verhaltens, sondern auf die Tatbestandsmäßigkeit seines Verhaltens. 1 2 Das mag einerseits gerechtfertigt sein, da Rechtfertigungsgründe im Bereich des Leistungsstörungsrechts eher doch nur eine untergeordnete Rolle spielen, andererseits bringt man sich damit fast schon um das Problem, daß es nämlich zunächst einmal um die Beschreibung eines tatbestandsmäßigen Verhaltens des Schuldners geht, das als tauglicher Ansatzpunkt für die Begründung einer Haftung in Betracht k o m m t . Diese Doppeldeutigkeit des Begriffs der Pflichtverletzung wird man ehesten noch mit der strafrechtlichen Lehre vom sog. Unrechts-Gesamttatbestand vergleichen können, der positive wie negative Tatbestandsmerkmale aufweist. 1 3 Dieser Hintergrund soll hier aber nur angedeutet werden. Wenn man jetzt einmal auf die Technik der Kennzeichnung der jeweiligen Handlungen als tatbestandsmäßig schaut, so lassen sich auch noch für diesen 10 Vgl. insbesondere Staudinger-Löwisch, § 276 Rz. 13; sowie ausführlicher ders., AcP 165 (1965), 421 ff. 11 Vgl. etwa die Formulierung bei Palandt-Heinrichs, § 2 7 6 Rz. 8: „Objektive Pflichtwidrigkeit ist gegeben, wenn der äußere Tatbestand einer Leistungsstörung vorliegt." Gleichzeitig wird die objektive Pflichtwidrigkeit ausdrücklich mit der Rechtswidrigkeit gleichgesetzt. 12 Vgl. insoweit nur die Darstellung verschiedener Pflichtverletzungen bei Palandt-Heinrichs, § 276 Rz. 71 ff. u. 107 ff. 13 Zu diesem auch als Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen bezeichneten Konzept vgl. nur Roxin, Strafrecht-AT I, § 10 Rz. 13 ff.
74
§ 3 Die
Leistungspflichtverletzung
Bereich im Ausgangspunkt Gemeinsamkeiten zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung entdecken. Im Rahmen des § 823 I BGB wird die tatbestandsmäßige Unerlaubtheit der Handlung anhand der Verletzung des absolut geschützten Rechtsgutes festgestellt. Im Rahmen des Leistungsstörungsrechts steht an dieser Stelle etwa die Feststellung der nachträglichen Unmöglichkeit. Die Vergleichbarkeit dieser beiden Gesichtspunkte wird deutlicher, wenn man die Perspektive einmal anders formuliert. Das eine Mal wird das absolute Recht verletzt, das andere Mal die Forderung als das relative Recht des Gläubigers. 14 Im Hinblick auf die absoluten Rechte hat sich der Gesetzgeber dabei offenbar die Publizität dieser Rechte zunutze gemacht, welche die Abgrenzung von Handlungssphären erst ermöglicht. 15 Im Hinblick auf das relative Recht des Gläubigers ist jedoch die bloße Nichterfüllung noch nicht dazu geeignet, diese Publizität zu gewährleisten. Denn der Anspruch ist - notgedrungen - immer unerfüllt. Der Gesetzgeber hat sich deshalb für das relative Recht des Gläubigers die Art der Verletzung nutzbar gemacht. Die Unmöglichkeit der Leistung läßt ja noch am ehesten die Verletzung des relativen Anspruches zutage treten. Offenbar hat der Gesetzgeber versucht, mit der Unmöglichkeit ein äußeres Ereignis als Anknüpfungspunkt für die Qualifizierung des Schuldnerverhaltens als unerlaubt zu wählen, wie er es in ähnlicher Weise mit der Verletzung des absoluten Rechts im Bereich des § 823 I BGB getan hat. Beide Male wird also gleichsam ein „naturalistisches" Modell zugrunde gelegt, das von einem sinnlich wahrnehmbaren Vorgang in der Außenwelt als Erfolg ausgeht, nämlich der Verletzung des absoluten Rechts oder der Verletzung des relativen Rechts in Form der nachträglichen Unmöglichkeit der Leistung, und von hier aus auf die tatbestandsmäßige Unerlaubtheit des zugrunde liegenden Verhaltens zurückschließt. 16 Wenn dem-
14 Diese Vorstellung liegt - worauf Deutsch mehrfach hingewiesen hat, vgl. etwa Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 418 Fn. 6 - bereits den Motiven, Bd. II, S. 726 f., zugrunde, die ein rechtswidriges Handeln nicht nur in der Verletzung des einem anderen zustehenden absoluten Rechts sehen (sowie dem sittenwidrigen Handeln und dem Handeln gegen ein Verbotsgesetz), sondern auch in der Verletzung des dem Schuldner zustehenden Anspruches: „Widerrechtlich ist auch die Verletzung des Rechtes aus einem Schuldverhältnisse. Aber wie aus einem solchen nur ein Recht gegen den Schuldner entsteht, so kann auch nur der Schuldner einer Verletzung dieses Rechtes sich schuldig machen." Unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Forderungsrechts werden die verschiedenen Leistungsstörungen vor allem bei Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, §§43 ff., behandelt; ähnlich, aber weniger prägnant auch schon Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, §§ 262 ff., wo anknüpfend an die Uberschrift der §§ 241 ff. BGB („Inhalt der Schuldverhältnisse"), nachträgliche Unmöglichkeit und Schuldnerverzug im Rahmen der Bestimmung des „Inhalts des Forderungsrechts" erscheinen. 15 Zur „sozialtypischen Offenkundigkeit" als Merkmal der absoluten Rechte vgl. vor allem Fabricius, AcP 160 (1961), 273 (289 ff.), aber auch etwa Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 76 I 1 b. 16 Von einem naturalistisch geprägten Konzept der Unmöglichkeit spricht auch Ahrens, Der mittellose Geldschuldner, S. 277. Der naturalistische Hintergrund ist vor allem in der Unmöglichkeitslehre Mommsens gegenwärtig. Mommsen ist - in kantischer Tradition - davon
III. Die Pflichtverletzung
im Entwurf
der
Schuldrechtskommission
75
gegenüber heute zumeist eingewandt wird, der Gesetzgeber habe mit der U n möglichkeit einen praktisch bedeutungslosen Fall in den Mittelpunkt des gesetzlichen Systems gestellt, 1 7 dann wird damit die darin liegende Technik der Bewertung von Handlungen und ihr systematischer Hintergrund gar nicht mehr erkannt. Dabei bleibt das Gesetz seinem Ansatzpunkt auch für den Bereich des Schuldnerverzuges treu, indem es die Nichtleistung etwa durch die Mahnung weiter qualifiziert und dadurch ebenfalls offenkundig macht. Insgesamt legt damit das gesamte H a f t u n g s k o n z e p t des B G B , das für den Bereich des Deliktsrechts wohl präziser ausgearbeitet ist als für den Bereich der Leistungsstörungen, ein Verständnis der Pflichtverletzung als pflichtwidrig zu bewertendes Verhalten nahe.
III. Das Verständnis der Pflichtverletzung im Entwurf der Schuldrechtskommission und seine Kritik In dem Abschlußbericht der Schuldrechtskommission zur Überarbeitung des Schuldrechts wird - wie bereits erwähnt - ein allgemeiner Grundtatbestand der Pflichtverletzung befürwortet. Dabei geht die K o m m i s s i o n offenbar davon aus, daß eine Pflichtverletzung des Schuldners ganz allgemein darin zu sehen ist, daß dieser seine Pflicht nicht erfüllt. 1 8 Die bisherige Darlegung hatte demgegenüber allerdings bereits zu bedenken gegeben, daß der Begriff der Pflichtverletzung sich historisch auf den Teilbereich der H a f t u n g beschränkt hatte, und sich so auch die Uberzeugungskraft der Konzeption einer H a f t u n g vom Gedanken des pflichtwidrigen Verhaltens aus herausgebildet hat. Des weiteren konnte aufgezeigt werden, daß sich dieses Verständnis der Pflichtverletzung auch in ein v o m Deliktsrecht geprägtes allgemeines K o n zept der Haftungsbegründung einfügt. Von diesem Ausgangspunkt her soll nun das Verständnis der Pflichtverletzung im Entwurf der Schuldrechtskommission näher untersucht werden. Dabei soll zunächst (unter 1) auf das Proausgegangen, daß das Recht sich nur auf die „äußerliche Welt" beziehen kann: „ D a das Recht eine äußerlich bestehende O r d n u n g ist, so muß der auf das Unrecht gerichtete Wille, um das Recht zu verletzen, d.h. um Unrecht sein zu können, ein dem Recht widerstreitendes äußeres Dasein sich geben, die culpa hat also nur insofern Bedeutung für das Recht, als sie in einer Rechtsverletzung sich manifestirt, als zu dem subjectiven Moment, dem Willen, ein objectives, die Rechtsverletzung hinzutritt". So Mommsen, Beiträge zum Obligationenrecht, 3. Abt., S. 14. Auf dieser Grundlage hat er die Unmöglichkeit einerseits als „Rechtsverletzung" konzipiert, die wie das Delikt durch ein äußeres Ereignis in Erscheinung tritt, andererseits als „ o b jective Beziehung" der Obligation zu einem zufälligen Ereignis (vgl. dazu Mommsen, Beiträge zum Obligationenrecht, 1. Abt., S. 244). Zu dieser Bedeutung der Unmöglichkeit im System M o m m s e n s siehe Wollschläger, Die Entstehung der Unmöglichkeitslehre, S. 127,137 f., 148 f. 17 Vgl. nur Palandt-Heinrichs, Vorbem v § 275 Rz. 3; Abschlußbericht der Schuldrechtskommission, S. 16; ähnlich der Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, S. 307. 18 Vgl. bereits oben § 2 III 2 pr.
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§ 3 Die
Leistungspflichtverletzung
b l e m einer Typisierung und näheren Q u a l i f i z i e r u n g der N i c h t l e i s t u n g des Schuldners a u f m e r k s a m gemacht w e r d e n . I m A n s c h l u ß daran wird (unter 2 ) die zentrale T h e s e entfaltet, daß in der D e u t u n g , die dem B e g r i f f der P f l i c h t verletzung im E n t w u r f der S c h u l d r e c h t s k o m m i s s i o n gegeben wird, dieser seine wesentliche F u n k t i o n im R a h m e n der H a f t u n g s b e g r ü n d u n g verliert. S o dann wird (unter 3) dargestellt, daß sich das neuartige Verständnis der P f l i c h t verletzung entgegen der A u f f a s s u n g der S c h u l d r e c h t s k o m m i s s i o n auch nicht aus einer „Weiterentwicklung und V e r a l l g e m e i n e r u n g " der G r u n d s ä t z e ü b e r die H a f t u n g aus positiver Vertragsverletzung begründen läßt. Z u r A b r u n dung wird schließlich (unter 4) ein B l i c k auf die durch § 2 7 5 I B G B geregelte P r o b l e m a t i k des F r e i w e r d e n s v o n der Leistungspflicht in den Fällen der v o m Schuldner nicht zu vertretenden nachträglichen U n m ö g l i c h k e i t g e w o r f e n , da B e f r e i u n g und H a f t u n g des Schuldners in einem einsichtigen Z u s a m m e n h a n g stehen müssen. A n g e s i c h t s dessen, daß auch der v o r k u r z e m v o m B u n d e s m i nisterium der J u s t i z vorgelegte D i s k u s s i o n s e n t w u r f eines S c h u l d r e c h t s m o dernisierungsgesetzes an das Verständnis der S c h u l d r e c h t s k o m m i s s i o n zu ein e m G r u n d t a t b e s t a n d der Pflichtverletzung anknüpft, handelt es sich im folgenden auch u m einen B e i t r a g zur D i s k u s s i o n u m die G r u n d l a g e n einer Schuldrechtsreform.
1. Das Problem
einer Typisierung und der Nichtleistung
Qualifizierung
I m Sinne der N i c h t l e i s t u n g ist der B e g r i f f der Pflichtverletzung v o r allem v o n R a b e 1 9 dargelegt w o r d e n , einem Mitglied der ehemaligen S c h u l d r e c h t s k o m m i s s i o n . Teilweise heißt es bei ihm allerdings, der G r u n d t a t b e s t a n d des L e i s t u n g s s t ö r u n g s r e c h t s liege darin, „daß ein Schuldner seiner Pflicht nicht n a c h k o m m e n k ö n n e , . . " . 2 0 A n dieser F o r m u l i e r u n g fällt zunächst einmal auf, daß sie (mit dem W ö r t c h e n „ k ö n n e " ) o f f e n b a r auf den Fall der U n m ö g l i c h keit zugeschnitten ist und damit gar keinen A n s p r u c h erheben kann, die Pflichtverletzung allgemein zu beschreiben. D a r a n zeigt sich nicht nur, wie s c h w e r es ist, hier präzise zu f o r m u l i e r e n , sondern darüber hinaus, daß auch ein allgemeines Verständnis der Pflichtverletzung nicht auf eine O r i e n t i e r u n g an den bisherigen F o r m e n der Pflichtverletzung (im Sinne pflichtwidrigen Verhaltens) verzichten kann. D i e s e F o r m e n der Pflichtverletzung haben sich aber erst im R a h m e n der gesetzlich v o r g e g e b e n e n R e g e l u n g herausgebildet. O b es beispielsweise ü b e r h a u p t zu einem präzisen Verständnis der S c h l e c h t leistung g e k o m m e n wäre, w e n n die zivilrechtliche D o g m a t i k einfach v o n ein e m allgemeinen Tatbestand der C u l p a - H a f t u n g ausgegangen wäre, ist keineswegs klar. D e r im G r u n d t a t b e s t a n d der Pflichtverletzung liegende Ver19 20
Rabe, Liber Amicorum für H.-J. Rabe, 135 (148 ff.). Rabe, Liber Amicorum für H.-J. Rabe, 135 (149).
III. Die Pflichtverletzung
im Entwurf
der
Schuldrechtskommission
77
zieht auf eine Typisierung der verschiedenen F o r m e n von Pflichtverletzung kann damit nicht nur dazu führen, daß zukünftig auf eine präzise Qualifizierung der verschiedenen Typen von Pflichtverletzung verzichtet wird, sondern auch dazu, daß sich womöglich auch die überkommene Typik denkbarer Pflichtverletzungen gar nicht mehr ausreichend rechtfertigen läßt. Wie beispielsweise läßt sich auf der Grundlage eines Einheitstatbestandes der Pflichtverletzung auch weiterhin die grundsätzliche Unterscheidung von Leistungspflichtverletzungen und Sorgfaltspflichtverletzungen begründen? 2 1 Im geltenden R e c h t erfolgt die Rechtfertigung dieser Unterscheidung vor allem auch daraus, daß der Gesetzgeber mit der nachträglichen Unmöglichkeit und dem Verzug des Schuldners zwei unterschiedliche F o r m e n der Verletzung der Leistungspflicht vorgegeben hat, während der E n t w u r f der Schuldrechtskommission auf derartige Leitbilder der Pflichtverletzung weitgehend verzichtet. 2 2 Wenn man wie die Schuldrechtskommission die Pflichtverletzung in der Nichtleistung des Schuldners sieht, stellt sich anknüpfend an den Gedanken der Typisierung der Pflichtverletzung auch folgendes Problem. D a sich jeder Anspruch dadurch auszeichnet, daß er nicht erfüllt ist, bedeutet das im A n satz, daß jeder Schuldner seine Pflichten verletzt und der Haftung gewissermaßen nur dadurch entgeht, daß er den Anspruch erfüllt und damit zum Erlöschen bringt. O b ein solcher Ansatz sinnvoll ist, erscheint doch fraglich. Immerhin kann man diese Perspektive aber in dem gedanklichen Zusammenhang der Auffassung sehen, die auch schon den Anspruch auf Erfüllung als F o r m der Haftung des Schuldners begreift. Vor diesem Hintergrund stellt 2 1 § 2 4 1 II B G B - K E , der die Sorgfaltspflichten als eigenständigen Gegenstand eines Schuldverhältnisses anerkennt, verstärkt diese Problematik nur. In der konsolidierten Fassung des Diskussionsentwurfes läßt sich die Unterscheidung von Leistungs- und Sorgfaltspflichten aber immerhin den zum Grundtatbestand hinzutretenden Vorschriften zum Schadensersatz (§§ 281, 282 B G B - K F ) und zum Rücktritt (§§ 323, 324 B G B - K F ) entnehmen. - Zu der im Text aufgeworfenen Problematik und weiteren Fragen dieser Art vgl. Schapp, J Z 1993, 637 (641). Zur Frage der Unterscheidung von Leistungs- und Sorgfaltspflichtverletzung vgl. auch unten §5V. 2 2 Kritisch zu dem Verzicht auf eine Typisierung durch einen Grundtatbestand der Pflichtverletzung auch Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, § 2 2 pr. (S.2); Ernst, N J W 1994, 2177 (2180); ders.,]Z 1994, 801 (805); Flume, ZIP 1994, 1497 (1500); Schapp, J Z 1993, 637 (640 ff.); Stürner, N J W 1994, Beilage zu Heft 25, 2 (3 f.). Für einen solchen Grundtatbestand hat sich abgesehen von den Mitgliedern der Schuldrechtskommission - vor allem Brüggemeier ausgesprochen, in: Verhandlungen des 60. Dt. Juristentages, K 58. Ausführliche Kritik zu dem entsprechenden Grundtatbestand der Pflichtverletzung im Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes findet sich vor allem bei Huber, ZIP 2000, 2273 ff.; ders., Das allgemeine Recht der Leistungsstörungen im Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, 31 (93 ff.). Gegen die zu hohe Abstraktion im „hypertrophen Begriff der Pflichtverletzung" auch Lieh, Vom Beruf unserer Zeit zur Modernisierung des Schuldrechts, 553 (555); während Wieser, N J W 2001, 121 (124), meint, daß „der verwässerte Pflichtbegriff das Verständnis des Gesetzes erschwert". Positiv zu beurteilende Vereinfachungen, aber auch Pauschalierungen sieht hingegen Krehs, D B Beilage Nr. 14/2000, 1 (10); weitgehende Zustimmung bei Brüggemeier/Reich, B B 2001, 213 (217 m. Fn. 49), sowie Anders, ZIP 2001, 184 ff.
78
§ 3 Die
Leistungspflichtverletzung
sich dann natürlich zwangsläufig die Frage, wann der Gläubiger vom A n spruch auf Erfüllung auf Schadensersatz übergehen kann. Diese Frage löst der Kommissionsentwurf (KE) in den §§ 280 II 1, 283 B G B - K E dadurch, daß der Gläubiger dem Schuldner grundsätzlich zuvor eine angemessene Frist für die Leistung setzen muß. U n k l a r bleibt dabei allerdings, ob sich infolge des Verstreichens der gesetzten Frist der Charakter der Nichtleistung des Schuldners verändert. Ist die bloße Nichtleistung des Schuldners, die zunächst offenbar nur den Anspruch auf die Leistung begründet, dieselbe Pflichtverletzung, wie die Nichtleistung nach Ablauf einer vom Gläubiger gesetzten Frist, die den Anspruch auf Schadensersatz begründet? Oder w i r d nicht jetzt vielmehr die Frist z u m integralen Bestandteil des Begriffs der Pflichtverletzung, mit der Folge, daß die Pflichtverletzung jetzt in der Nichtleistung trotz einer f ü r die Leistung gesetzten Frist zu sehen wäre? Dann w ü r d e der Entwurf der Schuldrechtskommission hier mit unterschiedlichen Konzepten der Pflichtverletzung hantieren. 2 3
2. Das Problem der Bewertung einer Handlung durch den Begriff der Pflichtverletzung Im folgenden soll die Argumentation Rabes zum Begriff der Pflichtverletzung noch etwas genauer betrachtet werden. Rabe setzt sich vor allem mit dem von Schapp 2 4 geschilderten und von Flume 2 5 auf der 60. Tagung des Deutschen Juristentages von 1994 zu diesem Thema aufgegriffenen Fall auseinander, wonach ein Reitpferd nicht übereignet werden kann, weil es nach Abschluß des Kaufvertrages vom Blitz getroffen wird. Schapp hatte anhand dieses Falles demonstriert, daß „in einem dogmatisch überzeugenden Sinne" von Pflichtverletzungen nur im Hinblick auf Handlungen des Schuldners gesprochen werden könne. Denn nur im Hinblick auf solche Handlungen sei auch die Frage sinnvoll, ob ein Verschulden des Schuldners für die Pflichtverletzung vorliege. In dem von ihm geschilderten Fall könne man hingegen allenfalls von einer „Pflichtstörung" sprechen oder auch von „Nichterfüllung", sofern man berücksichtige, daß in diesem Fall der Nichterfüllung gerade kei-
23 Den Eindruck der Vermischung unterschiedlicher Konzepte im Entwurf der Schuldrechtskommission äußert auch Ahrens, ZRP 1995, 417 (419). Auf Unklarheiten für das Verhältnis zwischen sofortiger und fristgebundener Schadensersatzberechtigung im Entwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes weist Ernst, Zum Fortgang der Schuldrechtsreform, 559 (588 ff.), hin. Diese Problematik versucht die konsolidierte Fassung des Diskussionsentwurfes zu bewältigen, indem sie in den §§ 281-283 BGB-KF für das Verlangen von Schadensersatz statt der Leistung nach verschiedenen Typen von Pflichtverletzungen unterscheidet. 24 Schapp, JZ 1993, 637 (638 f.). 25 Flume, ZIP 1994, 1497 (1497).
III. Die Pflichtverletzung
im Entwurf
der
Schuldrechtskommission
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ne Pflichtverletzung des Schuldners vorliegt. 2 6 Flume hat zu diesem Beispiel hinzugefügt, daß man - entgegen der Auffassung der Schuldrechtskommission - zum Begriff der Pflichtverletzung nicht einfach Vorgänge hinzufügen könne, die mit einem Verhalten des Verpflichteten nichts zu tun haben. „Mit dem Sprachsinn des Wortes Pflichtverletzung", so F l u m e , 2 7 „ist es schlechthin unvereinbar, den Blitzschlag als Pflichtverletzung einzuordnen." Anknüpfend an eine mündliche Erklärung von Medicus zum Beitrag Flumes auf dem 60. Deutschen Juristentag meint R a b e hierzu, daß als Pflichtverletzung nicht der Blitzschlag angesehen werden sollte, sondern die Tatsache, daß der Verkäufer nicht imstande ist, das Reitpferd zu liefern. 2 8 Es sei hier mit dem Begriff der Pflichtverletzung nur gemeint, daß der Schuldner seiner Pflicht nicht nachkommen könne. Genauer hätte man stattdessen auch formulieren können „ K o m m t der Schuldner seiner Verbindlichkeit nicht nach . . . " , wenn diesem Grundtatbestand nicht das Merkmal der Farblosigkeit anhaften würde. 2 9 „Bis auf die wenigen Fälle", so R a b e weiter, „in denen der Schuldner seiner Pflicht aufgrund eines Vorgangs nicht nachkommt, der außerhalb seines Einflußbereichs liegt, kennzeichnet demgegenüber die Pflichtverletzung ebenso zutreffend wie aussagekräftig den Tatbestand, der G e g e n stand des Leistungsstörungsrechts i s t . " 3 0 H i e r müssen nun allerdings doch Zweifel angemeldet werden. Zunächst einmal ist zu bedenken, daß das Leistungsstörungsrecht, soweit es die Haftung des Schuldners betrifft, doch ein K o n z e p t dafür beinhalten muß, unter welchen Voraussetzungen es dem Schuldner eine Leistungsstörung zurechnen will. Diese F u n k t i o n kam bisher dem Begriff der Pflichtverletzung im Sinne eines pflichtwidrigen Verhaltens zu. Die Schuldrechtskommission wählt demgegenüber einen Begriff der Pflichtverletzung, der gar nicht mehr dazu geeignet ist, diese Aufgabe zu erfüllen, weil er die Fälle der vom Schuldner verursachten Nichterfüllung und diejenigen, in denen die Nichterfüllung auf keiner dem Schuldner zurechenbaren Handlung beruht, unterschiedslos anhand des Gedankens der Nichterfüllung zusammenfaßt. I m übrigen können die angeblich „wenigen Fälle" doch wohl nur als von zentraler Bedeutung für die systematische K o n z e p t i o n dieses Bereiches angesehen werden. Hierbei geht es auch keineswegs nur um die Schulfälle des Blitzschlages, der Flut und des Erdbebens, sondern auch um die ganz einfachen Fälle des Handelns unbeteiligter Dritter oder auch des Gläubigers. Damit handelt es sich dabei um einen Punkt von zentraler k o n zeptioneller Bedeutung, der im Begriff der Pflichtverletzung, wie ihn die Schuldrechtskommission versteht, gar nicht ausreichend reflektiert ist.
Schapp, J Z 1993, 637 (639). ZIP 1994, 1497(1497). 28 Rabe, Liber Amicorum für kussionsbemerkung von Medicus 133. 29 Rabe, Liber Amicorum für 30 Rabe, Liber Amicorum für 26
27
H.-J. Rabe, 135 (149); ders., ZIP 1996, 1652 (1656). Die Disfindet sich in: Verhandlungen des 60. Dt. Juristentages, K H.-J. Rabe, 135 (149 f.). H.-J. Rabe, 135 (150).
80
$ 3 Die
Leistungspflichtverletzung
D e r Gedankengang Rabes geht nun allerdings weiter dahin, daß die Rechtsfolgen der Pflichtverletzung ja noch von der Verantwortlichkeit des Schuldners für die Pflichtverletzung abhängig sind. Sei eine Leistung unmöglich, befreie den Schuldner nicht die Unmöglichkeit, sondern er müsse sich entschuldigen. F ü r den Fall des nach Vertragsschluß vom Blitz erschlagenen Pferdes gelte deshalb, daß der Blitzschlag nicht Befreiungsgrund sei, sondern den Verkäufer vielmehr entschuldige. 3 1 D a z u ist zunächst einmal zu bemerken, daß hier materiellrechtliche und prozessuale Dimension der Problematik miteinander vermischt werden: D a ß der Schuldner sich hinsichtlich seiner Pflichtverletzung im P r o z e ß entlasten muß, ändert nichts daran, daß materiellrechtliche Voraussetzung eines Schadensersatzanspruches sein Verschulden - oder weiter gefaßt - ein Vertretenmüssen des Schuldners ist. D i e N o t wendigkeit, diese Perspektive zu unterscheiden, ergibt sich vor allem daraus, daß die sich aus § 282 B G B ergebende Regelung der Darlegungs- und Beweislast doch möglicherweise aus einem etwas anderen gedanklichen Zusammenhang herrührt, der dann auch leicht zu verschobenen Perspektiven auf die hier gegebene Problemstellung führt. Das soll an dieser Stelle zunächst aber nur angedeutet werden. Auch nach dem von Rabe geschilderten Ausgangspunkt ist es nun so, daß der Schuldner grundsätzlich nur für eigene Handlungen verantwortlich ist. I m Bereich des Verschuldens ist die Notwendigkeit einer Bewertung der Handlungen des Schuldners demnach unumgänglich. Man fragt sich dann allerdings, was es für einen Sinn haben soll, einen Begriff der Pflichtverletzung zu bilden, der von der Frage des Verhaltens des Schuldners gerade absieht. D i e oben gegebene Darstellung der Technik für die Bewertung von Handlungen als unerlaubt im Bereich des Deliktsrechts dürfte hinreichend deutlich gemacht haben, daß auch der Begriff der Pflichtverletzung nur im H i n b l i c k auf die Bewertung von Handlungen als pflichtwidrig sinnvoll ist. Entgegen der Auffassung von R a b e ist dieses Verständnis der Pflichtverletzung auch keineswegs nur vor dem Hintergrund der Lehre vom Handlungsunrecht zu sehen. 3 2 Es ist vielmehr gemeinsames Anliegen der Lehren vom Handlungsund Erfolgsunrecht, Handlungen als rechtswidrig zu bewerten. I m Grunde legt damit schon die gesamte Rechtswidrigkeitslehre des Zivilrechts nahe, daß es auch bei der Pflichtverletzung im Bereich des Leistungsstörungsrechts nur um die Bewertung einer Handlung im Sinne der Zurechnung zum Schuldner gehen kann. In dem von R a b e geschilderten theoretischen K o n z e p t verläuft eine ganz eigenartige Bruchlinie zwischen der Pflichtverletzung des Schuldners und dem Verschulden des Schuldners. Pflichtverletzung und Verschulden müßten doch in irgendeiner Weise aufeinander bezogen sein, wenn es dabei um eine sinnvolle Technik der Begründung von Rechtsfolgen gehen soll. Bei R a b e 31 32
Rabe, Liber Amicorum für H.-J. Rabe, 135 (150). So aber Rabe, Liber Amicorum für H.-J. Rabe, 135 (150 u. Fn. 61).
III. Die Pflichtverletzung
im Entwurf
der
Schuldrechtskommission
81
schiebt sich jetzt aber ein ganz anderer Gedankengang dazwischen. Im Falle des Blitzschlages, argumentiert Rabe, sei es so, daß das zwischen den Parteien bestehende Schuldverhältnis beschädigt werde. 3 3 Diese Beschädigung des Rechtsverhältnisses sei Gegenstand der Frage, welche Rechtsfolgen daran geknüpft werden. Bei diesem Argument ist zunächst vor allem unklar, in welcher Bedeutung der Begriff Schuldverhältnis verwandt wird. Sofern Rabe hier den Begriff des Schuldverhältnisses im engeren Sinne des schuldrechlichen Anspruches verwendet, entspricht das dem Gebrauch des Begriffes Pflichtverletzung im Sinne einer Nichtleistung des Schuldners und trägt insoweit nichts N e u e s zur Argumentation bei. Soweit Rabe hier allerdings das Schuldverhältnis im weiteren Sinne meinen sollte, wäre das jetzt ein ganz anderer Ansatzpunkt. Allerdings ist bei diesem Ansatzpunkt nicht recht ersichtlich, wieso der Gedanke einer Störung des Schuldverhältnisses im weiteren Sinne dazu geeignet sein sollte, den Bedeutungsgehalt der Pflichtverletzung als Nichtleistung des Schuldners zu rechtfertigen. E s ist vielmehr bezeichnend, daß in den von Rabe vorgelegten Überlegungen und schließlich auch in seiner Deutung des Begriffs der Pflichtverletzung fortlaufend zwei verschiedene Perspektiven miteinander vermischt werden. Die Frage der H a f t u n g des Schuldners ist eben eine durchaus andere als die Frage, was bei einer bloßen, von keiner der beiden Vertragsparteien zu vertretenden Störung des Schuldverhältnisses geschieht. Es hat damit den Anschein, als ob der Begriff der Pflichtverletzung hier beide Fragenkreise zusammenfassen soll. Sinnvoll läßt sich der Begriff der Pflichtverletzung aber nur für die Frage der H a f t u n g des Schuldners verwenden. Demgegenüber ist in dem von der Schuldrechtskommission gebrauchten Begriff der Pflichtverletzung eine so hohe Abstraktion angelegt, daß er kaum noch brauchbare Konturen für die juristische Arbeit beinhaltet. D a s von Rabe geschilderte Verständnis der Schuldrechtskommission von der Pflichtverletzung als Nichterfüllung des Schuldners scheint bei genauerer Betrachtung eine doch recht grundlegende Verschiebung des Haftungssystems zu beinhalten. Bekanntlich gilt für das Zivilrecht der Grundsatz der H a f t u n g für Verschulden, und zwar für das Deliktsrecht wie für das Vertragsrecht. Vor allem im englischen Recht wird hingegen für die vertragliche H a f tung von einem ganz anderen Prinzip ausgegangen, nämlich dem Prinzip der Garantiehaftung. 3 4 In diesem Rechtskreis legt man das Vertragsversprechen so aus, daß der Schuldner damit zugleich verspricht, für Schäden a u f z u k o m men, die infolge der Nichterfüllung oder der nicht rechtzeitigen Erfüllung entstehen. D a s Garantieversprechen wird dann aber weiter so verstanden, daß
33
Rabe, Liber A m i c o r u m für H.-J. Rabe, 135 (150). Grundlegend für diese Sicht deutscher D o g m a t i k auf das englische Recht Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses im anglo-amerikanischen Recht, S. 148 ff., insbesondere S. 158. Vgl. dazu im übrigen Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 501 ff., oder auch Larenz, Schuldrecht I, § 20 I (S. 277 f.). 34
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5 3 Die
Leistungspflichtverletzung
es bestimmte Risiken nicht erfaßt. In der geltenden deutschen Zivilrechtsdogmatik hat diese Betrachtungsweise vor allem im Bereich der Haftung für anfängliches Unvermögen Anerkennung gefunden. 3 5 A b e r auch in einzelnen Regelungen des B G B kann man M o m e n t e einer Garantie sehen, so vor allem in § 2 7 9 B G B , vielleicht aber auch in den Beweislastregeln der § § 2 8 2 , 285 B G B oder in der Objektivierung des sich aus § 276 I 2 B G B ergebenden Fahrlässigkeitsmaßstabes. 3 6 Larenz hat die gesetzliche Regelung des B G B mit B l i c k auf das englische R e c h t demgemäß wie folgt beurteilt: „So kann man vielleicht sagen, daß das heutige deutsche R e c h t vom Verschuldensgrundsatz ausgeht, ihn aber in verschiedener Hinsicht zugunsten einer im Schuldversprechen sinngemäß gelegenen Garantie beschränkt, während das englische R e c h t umgekehrt vom Gedanken der Garantiepflicht ausgeht, diese aber zugunsten des Schuldners aus dem Inhalt des Versprechens weitgehend abmildert." 3 7 Wenn man unter dem Gesichtspunkt der Unterscheidung von Verschuldensprinzip und Garantieprinzip einmal die Deutung würdigt, die die Schuldrechtskommission dem Begriff der Pflichtverletzung gibt, so scheint dieses Verständnis eine recht starke Annäherung an das Garantieprinzip zu beinhalten. Das ergibt sich nicht nur aus der recht weit gehenden inhaltlichen Bestimmung des Begriffs der Pflichtverletzung als Nichterfüllung, sondern auch daraus, daß die Frage der Zurechenbarkeit der Handlung des Schuldners - jedenfalls bei Rabe - erst im Rahmen des Vertretenmüssens gestellt wird. Diese Vorgehensweise entspricht im Grunde der Technik des englischen Rechts, das im Ausgangspunkt für die Begründung der Haftung nicht nach den Gründen für die Nichterfüllung des Vertrages fragt, sondern diese allenfalls im R a h m e n einer Einschränkung der Haftung heranzieht. Eine ganz ähnliche Technik verfolgt auch das Wiener U N - K a u f r e c h t , das für die Ansprüche auf Schadensersatz in den Artt. 45 I b, 61 I b ebenfalls vom Prinzip der Garantiehaftung ausgeht, das dann aber insbesondere nach Art. 79 I seine Einschränkung für nicht im Einflußbereich des Schuldners liegende Hinderungsgründe findet. 3 8 Eine gewisse Ungereimtheit liegt nun darin, daß der von der Schuldrechtskommission vorgelegte E n t w u r f einerseits den Verschuldensgrundsatz nicht aufgibt, andererseits aber die Begründung der Haftung in
35 Zum Vertragsversprechen als Grundlage der Haftung für anfängliches Unvermögen schon die Motive II, S. 45 f.; Ballerstedt, Festschrift für Nipperdey, 261 (270 f.); ähnlich Esser, Schuldrecht I, 4. A., § 33 II 2. 36 So Larenz, Schuldrecht I, § 20 I (S. 278); ähnlich Staudinger-Löwisch, § 276 Rz. 4; teilweise andere Akzente setzt Huher, ZIP 2000, 2273 (2281), und Das allgemeine Recht der Leistungsstörungen im Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, 31 (109). 37 Larenz, Schuldrecht I, § 20 I (S. 278). 38 Zur Schadensersatzhaftung des UN-Kaufrechts als Garantiehaftung vgl. nur etwa Schlechtriem/Huber, Art. 45 C I S G Rz. 1,37; Staudinger-Magnus, Art. 45 C I S G Rz. 18, jeweils m.w.N.
III. Die Pflichtverletzung
im Entwurf der Schuldrechtskommission
83
R i c h t u n g einer G a r a n t i e h a f t u n g v e r s c h i e b t . 3 9 D a m i t folgt der E n t w u r f für den B e r e i c h der H a f t u n g s b e g r ü n d u n g mit seinem weiten Verständnis der Pflichtverletzung eher dem G e d a n k e n einer G a r a n t i e h a f t u n g , für den B e r e i c h einer E i n s c h r ä n k u n g der H a f t u n g folgt er eher d e m Verschuldensprinzip. 4 0 E i n e solche K o m b i n a t i o n unterschiedlicher Prinzipien ist allerdings d o c h eher fragwürdig und auch o h n e Vorbild. D a s englische Vertragsrecht, aber auch das W i e n e r U N - K a u f r e c h t stützen eine B e f r e i u n g des Schuldners gerade nicht darauf, daß dem Schuldner für die N i c h t e r f ü l l u n g kein V o r w u r f gem a c h t w e r d e n kann, sondern die mangelnde B e h e r r s c h b a r k e i t des R i s i k o s führt zur E n t l a s t u n g v o n der G a r a n t i e h a f t u n g . D a m i t bleiben diese A n s ä t z e ihrer K o n z e p t i o n treu, indem sie nicht nur die B e g r ü n d u n g der H a f t u n g , s o n dern auch die E i n s c h r ä n k u n g aus einem einheitlichen Prinzip e n t w i c k e l n , nämlich der R e i c h w e i t e der Garantie. D e r E n t w u r f der S c h u l d r e c h t s k o m m i s sion tendiert hingegen zur K o m b i n a t i o n zweier letztlich nicht miteinander zu vereinbarenden Prinzipien. I n s b e s o n d e r e ist unklar, wie ein fehlendes Verschulden des Schuldners diesen v o n seiner Pflichtverletzung entlasten k ö n n e n soll, w e n n die Pflichtverletzung A u s f l u ß eines G a r a n t i e m o m e n t e s ist. E i n e G a r a n t i e läßt sich in ihrer R e i c h w e i t e n u r einschränken. D i e F r a g e eines Vertretenmüssens m a c h t in diesem Z u s a m m e n h a n g gar keinen Sinn. I m S c h u l d r e c h t s l e h r b u c h v o n M e d i c u s , der ebenfalls als Mitglied in der S c h u l d r e c h t s k o m m i s s i o n gewirkt hat, gibt es z u m Verständnis der Pflichtverletzung im K o m m i s s i o n s e n t w u r f eine recht aufschlußreiche Schilderung. 4 1 M e d i c u s argumentiert, daß der G l ä u b i g e r zumeist n u r sehe, daß der S c h u l d ner die fällige L e i s t u n g nicht erbringt. W a r u m der Schuldner die Leistung nicht erbringe, bleibe dem G l ä u b i g e r regelmäßig verborgen. I n s b e s o n d e r e
3 9 Auf diese Verschiebung hat übrigens die Schuldrechtskommission selbst hingewiesen, indem sie im Abschlußbericht, S. 30, meint, die Anknüpfung an den Begriff der Pflichtverletzung in § 280 B G B - K E entspreche dem UN-Kaufrecht. Dieses verwende zwar in Artt. 45 1,61 I den Begriff der Nichterfüllung, darin liege aber nur ein verbaler, kein sachlicher Unterschied. Daß dem UN-Kaufrecht allerdings ein anderes Haftungskonzept zugrunde liegt als dem B G B , wird dabei offenbar nicht für bedeutsam gehalten. Gelegentlich werden die Unterschiede zwischen einer auf dem Verschuldensprinzip und dem Garantieprinzip aufbauenden Haftungsordnung auch stark abgemildert, so im Abschlußbericht der Schuldrechtskommission S. 122, und etwa bei Staudinger-Löwisch, § 276 Rz. 4, Schlechtriem/Stoll, Art. 79 CISG Rz. 9, und sehr weitgehend auch bei Pellegrino, ZEuP 1997, 41 ff. Dabei sollte man die prinzipiellen Unterschiede aber nicht völlig aus dem Blick verlieren. Kritisch zur Vermischung des Begriffs der Pflichtverletzung im Entwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes mit dem im Konzept der Garantiehaftung verankerten Begriff der „non-performance" neuerdings auch Huber, ZIP 2000, 2273 (2278 ff.); ders., Das allgemeine Recht der Leistungsstörungen im Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, 31 (104 ff.). 4 0 Kötz, ebenfalls Mitglied der ehemaligen Schuldrechtskommission, hat insoweit klargestellt, daß die Vorstellungen der Schuldrechtskommission „in eine ähnliche Richtung" gehen wie das vom Versprechen als Garantie ausgehende UN-Kaufrecht. Konsequenterweise scheint er auf dieser Grundlage das Verschuldensprinzip für zweifelhaft zu halten, vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, § 36 VI (S. 514). 41 Vgl. Medicus, Schuldrecht I, Rz. 363.
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$ 3 Die
Leistungspflichtverletzung
wisse dieser nicht, o b der Schuldner nicht leiste, weil er nicht leisten kann, o d e r er nicht leiste, o b w o h l er es k ö n n e . Angesichts dieser U n g e w i ß h e i t werde der G l ä u b i g e r im Zweifel auf E r f ü l l u n g klagen und im P r o z e ß seine Klage gegebenenfalls nach § 2 6 4 N r . 3 Z P O auf Schadensersatz oder einen E r s a t z vorteil umstellen. D a s sei aber unbefriedigend, w e n n dem G l ä u b i g e r gerade an der Leistung besonders gelegen sei. E i n m a l abgesehen davon, daß das P r o b l e m der D u r c h s e t z u n g des Erfüllungsanspruches w o h l auch im E n t w u r f der S c h u l d r e c h t s k o m m i s s i o n nicht gelöst wird, m a c h t die A r g u m e n t a t i o n v o n M e d i c u s aber d o c h den H i n t e r g r u n d für das Verständnis der Pflichtverletzung als N i c h t e r f ü l l u n g deutlich. D i e P r o b l e m a t i k soll o f f e n b a r darin liegen, daß dem G l ä u b i g e r die G r ü n d e für die N i c h t e r f ü l l u n g u n b e k a n n t sind. D e m entsprechend wird die H a f t u n g s c h o n an die b l o ß e N i c h t l e i s t u n g geknüpft und die entsprechenden G r ü n d e der N i c h t e r f ü l l u n g w e r d e n nur im R a h m e n des Vertretenmüssens b e r ü c k s i c h t i g t , das aber nach § 2 8 0 I 2 B G B - K E verm u t e t wird. D e r Sache nach wird damit aber das ganze S y s t e m der H a f t u n g s begründung in diesem B e r e i c h v e r s c h o b e n . Als begründungsbedürftig erscheint nicht m e h r die H a f t u n g , sondern der H a f t u n g s a u s s c h l u ß . Dieses K o n z e p t liegt damit deutlich auf der dargestellten Linie der Garantiehaftung. O b mit diesem Verständnis des Verschuldens als b l o ß e r B e g r ü n d u n g des H a f tungsausschlusses auch dem Verschuldensprinzip hinreichend R e c h n u n g getragen ist, mag i m m e r h i n zweifelhaft sein. I m übrigen k ö n n t e m a n aber auch auf den G e d a n k e n k o m m e n , in die V e r s c h u l d e n s k o n z e p t i o n eine eigene L e h re v o m Verständnis der Pflichtverletzung als pflichtwidriges H a n d e l n zu integrieren, u m so ü b e r h a u p t die G r u n d l a g e für das Verschuldensurteil zu schaffen. D a m i t w ü r d e aber vollends fragwürdig, w e l c h e n Sinn darüber hinaus ein anderweitiger B e g r i f f der Pflichtverletzung haben sollte.
3. Der Gedanke einer Weiterentwicklung der Grundsätze über die positive
und Verallgemeinerung Vertragsverletzung
In der B e g r ü n d u n g der S c h u l d r e c h t s k o m m i s s i o n für den v o n ihr vorgelegten E n t w u r f wird der B e g r i f f der Pflichtverletzung auch auf das Institut der positiven Vertragsverletzung z u r ü c k g e f ü h r t . D a s L e i s t u n g s s t ö r u n g s r e c h t des E n t w u r f e s b e r u h e „auf einer W e i t e r e n t w i c k l u n g und Verallgemeinerung der G r u n d s ä t z e ü b e r die H a f t u n g wegen positiver F o r d e r u n g s v e r l e t z u n g . W e n n die R e c h t s p r e c h u n g als positive F o r d e r u n g s v e r l e t z u n g alle P f l i c h t v e r l e t z u n gen ansieht, die weder U n m ö g l i c h k e i t n o c h Verzug herbeiführen, so b e r u h t dies auf der E r k e n n t n i s , daß auch die N i c h t l e i s t u n g w e g e n U n m ö g l i c h k e i t und der V e r z u g Pflichtverletzungen d a r s t e l l e n . " 4 2 A h n l i c h wird dies auch v o n dem Mitglied der ehemaligen S c h u l d r e c h t s k o m m i s s i o n H e i n r i c h s beurteilt.
42
Abschlußbericht der Schuldrechtskommission, S. 30.
III. Die Pflichtverletzung
im Entwurf der
Schuldrechtskommission
85
Die zentrale Kategorie des Leistungsstörungsrechts sei seit mehr als 80 Jahren die positive Vertragsverletzung. 43 Die positive Vertragsverletzung sei in Wahrheit der „Grundtatbestand der Vertragsverletzung". 44 Der Ansatz bei der positiven Vertragsverletzung legt nun aber ebenfalls nahe, als Pflichtverletzung des Schuldners nicht die bloße Nichterfüllung aufzufassen, sondern ein genauer bestimmtes rechtswidriges Verhalten des Schuldners. Bereits die von Staub gewählte Bezeichung dieser Vertragsverletzung als „positive" legt diesen Gedanken nahe. Auch wenn heute Einigkeit darüber besteht, daß der Schuldner nicht nur durch positives Handeln, sondern auch durch ein Unterlassen seine Pflichten verletzen kann, ändert dies nichts daran, daß Staub den Begriff der positiven Vertragsverletzung offenbar vom vertragswidrigen Schuldnerverhalten her konzipiert hat und er in diesem Sinne üblicherweise auch verstanden wird. Der bloße Begriff der Nichterfüllung ist zur Kennzeichnung dieses Bereiches auch gar nicht ausreichend. Das zeigt schon der Begriff der Schlechtleistung, mit dem ein wesentlicher Teilbereich der positiven Vertragsverletzung konturiert wird. Larenz kennzeichnet diese Fälle als solche, in denen der Schuldner dem Gläubiger durch „unsorgsame Ausführung der Leistungshandlung" einen Schaden zufügt. 45 Die Kommission müßte dagegen wohl von ihrem theoretischen Ausgangspunkt der Pflichtverletzung her auch diese Fälle als solche der Nichterfüllung auffassen. Aus der Perspektive der Nichterfüllung läßt sich die Schlechtleistung aber kaum als Pflichtverletzung verständlich machen. Zumeist ist hier ja zum einen die Leistungspflicht nicht erfüllt, zum anderen aber auch die Leistungshandlung schlecht ausgeführt. Dementsprechend hat der Gläubiger in aller Regel neben dem Schadensersatzanspruch wegen Schlechtleistung weiterhin auch den Anspruch auf Erfüllung. 46 Die darin liegende präzise Unterscheidung zwischen der Nichterfüllung der Leistungspflicht und der unsorgsamen Ausführung der Leistungshandlung wird aber erst ermöglicht vor dem Hintergrund einer Beurteilung auch des Schuldnerverhaltens. Anders formuliert: Das Institut der positiven Vertragsverletzung hat sich überhaupt nur auf der Grundlage einer Analyse verschiedener Typen von Verhaltensweisen des Schuldners herausgebildet, die sich als Pflichtverletzung begreifen lassen. Wie man hingegen vom Verständnis der Pflichtverletzung als Nichtleistung her die Fälle der Schlechtleistung überhaupt als Pflichtverletzung qualifizieren kann, ist eine offene Frage. Insgesamt widerspricht damit die Bedeutung des Begriffs der Pflichtverletzung im Entwurf der Schuldrechtskommission der gesamten Entwicklungsgeschichte des Instituts der positiven Vertragsverletzung, so daß sie auch vor dem Hinter-
43 Heinrichs, Abschied vom B G B oder eine sinnvolle Weiterentwicklung des bürgerlichen Rechts?, S. 30. 44 Palandt-Heinrichs, § 276 Rz. 107. 45 Larenz, Schuldrecht I, § 24 I (S. 363). 4 6 Vgl. nur Medicus, Schuldrecht I, Rz. 423; Palandt-Heinrichs, § 276 Rz. 123.
86
5 3 Die
Leistungspflichtverletzung
grund des Verständnisses der positiven Vertragsverletzung als Grundtatbestand der Haftung kaum zu rechtfertigen ist.
4. Die Begriffe Pflichtverletzung und Vertretenmüssen bei der Befreiung des Schuldners nach § 275 I BGB Eine ausreichende Analyse der Leistungspflichtverletzung muß auch die durch § 275 I B G B erfaßten Fälle der v o m Schuldner nicht zu vertretenden Unmöglichkeit berücksichtigen. D i e Haftung des Schuldners nach den §§ 280, 325 B G B und die Befreiung des Schuldners nach § 275 I B G B kann man insofern auch als Ausprägungen eines einheitlichen gedanklichen Systems für unterschiedliche Konstellationen ansehen. N a c h § 275 I B G B wird der Schuldner von seiner Verpflichtung zur Leistung frei, soweit die Leistung infolge eines nach der Entstehung des Schuldverhältnisses eintretenden U m standes, den er nicht zu vertreten hat, unmöglich wird. Welche Fälle sind damit nun erfaßt? A u f den ersten Blick scheinen das die Fälle zu sein, in denen es etwa an einem eigenen Verschulden des Schuldners oder seines Erfüllungsgehilfen und damit auch an einem Vertretenmüssen fehlt. 4 7 Tatsächlich dürften Fälle dieser Art doch eher selten sein, und zwar vor allem deshalb, weil die Fahrlässigkeit heute nur nach objektiven Maßstäben beurteilt wird. Bedeutsamer dürften demgegenüber schon die Fälle sein, in denen der Schuldner die Unmöglichkeit nicht zu vertreten hat, weil er sie schon nicht verursacht hat. N a c h dem hier begründeten Verständnis der Pflichtverletzung als pflichtwidrige Handlung liegt in diesem Fall allerdings schon gar keine Pflichtverletzung vor, so daß es damit auch an einer Grundlage für ein Verschulden des Schuldners fehlt. Dagegen hätte der Schuldner nach dem Verständnis der Pflichtverletzung im E n t w u r f der Schuldrechtskommission trotz fehlender Verursachung seine Pflicht verletzt, diese Pflichtverletzung wäre lediglich entschuldigt, mit der Folge, daß er nach § 275 S. 1 B G B - K E berechtigt wäre, die Leistung zu verweigern. 4 8 Es dürfte allerdings schon ein wesentlicher U n terschied sein, o b etwa im Fall der durch ein Naturereignis eintretenden U n 4 7 Nur diese Fälle scheint Huber, ZIP 2000, 2273 (2277 f.), im Auge zu haben, wenn er den entschuldigten Irrtum als einzigen denkbaren Fall der nicht zu vertretenden Pflichtverletzung ansieht. 4 8 Zur Problematik der Gestaltung des § 2 7 5 B G B - K E als Einrede vgl. insbesondere Schupp, J Z 1993, 637 (639), aber auch Brüggemeier, Verhandlungen des 60. Dt. Juristentages, K 60-62. Nach der Darstellung bei Heinrichs, Abschied vom B G B oder sinnvolle Weiterentwicklung des bürgerlichen Rechts?, S. 17, haben selbst die Mitglieder der Schuldrechtskommission die Einwände zu dem in ihrem Entwurf vorgesehenen Leistungsverweigerungsrecht für berechtigt gehalten. Der Entwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes hat in § 2 7 5 B G B dennoch an der Gestaltung als Leistungsverweigerungsrecht festgehalten. Berechtigte Kritik dazu insbesondere bei Huber, ZIP 2000,2137 (2147 f.), aber auch bei Wilhelm/Deeg, JZ 2001, 223 (230 ff.). Erst § 275 I B G B - K F trägt den Einwänden zu einem bloßen Leistungsverweigerungsrecht Rechnung. Allerdings soll es für die sogenannte faktische Unmöglichkeit ge-
III. Die Pflichtverletzung
im Entwurf der
Schuldrechtskommission
87
m ö g l i c h k e i t es nur am Verschulden des Schuldners fehlt oder aber bereits an einer Pflichtverletzung. F ü r den D e l i k t s a u f b a u im Strafrecht liegt ein gravierender U n t e r s c h i e d z w i s c h e n d e m A u s s c h l u ß der R e c h t s w i d r i g k e i t und dem A u s s c h l u ß der Schuld. A u c h im D e l i k t s r e c h t wird darin eine wesentliche U n terscheidung gesehen. W i e s o das im L e i s t u n g s s t ö r u n g s r e c h t anders sein sollte, ist nicht recht einsichtig. D a s hier zugrunde gelegte Verständnis der Pflichtverletzung steht auch in einem einsichtigen Z u s a m m e n h a n g mit dem B e g r i f f des Verschuldens. B e i dem Verschuldensprinzip handelt es sich nach weithin a n e r k a n n t e r A u f f a s sung u m einen L e i t g e d a n k e n für die B e g r ü n d u n g zivilrechtlicher H a f t u n g . Tatsächlich ist das Verschulden aber nur der E n d p u n k t im R a h m e n der H a f tungsbegründung. V o r allem im D e l i k t s r e c h t wird eine H a n d l u n g daraufhin untersucht, o b sie zunächst tatbestandsmäßig, dann rechtswidrig und schließlich schuldhaft erfolgt ist. D a m i t haben wir hier unterschiedliche Stufen der A n a l y s e und B e w e r t u n g einer haftungsrelevanten H a n d l u n g v o r uns. E n t sprechend lassen sich anhand der B e g r i f f e Pflichtverletzung und Verschulden auch unterschiedliche Stufen in der B e g r ü n d u n g der H a f t u n g für eine H a n d lung des Schuldners unterscheiden. D a b e i m u ß sich das Verschulden nach ü b licher Auffassung auf die Pflichtverletzung als U n r e c h t s t a t b e s t a n d b e z i e h e n , d.h. - wie M a n f r e d W o l f 4 9 f o r m u l i e r t - „bei der U n m ö g l i c h k e i t auf das die U n m ö g l i c h k e i t verursachende Verhalten, b e i m Verzug auf das verzugsverursachende Verhalten und bei positiver Vertragsverletzung auf die Schlechtlieferung bzw. die Verletzung v o n N e b e n p f l i c h t e n . " I m R a h m e n der H a f t u n g s b e g r ü n d u n g bereitet allerdings, wie sich in der Literatur zeigt, insbesondere die A b g r e n z u n g v o n R e c h t s w i d r i g k e i t o d e r Pflichtverletzung und Fahrlässigkeit z u n e h m e n d P r o b l e m e , so daß es gelegentlich schwierig ist, den U n t e r s c h i e d beider Prüfungsstufen aufzuzeigen. 5 0 So heißt es ganz prinzipiell, der U n t e r s c h i e d liege darin, daß die zur R e c h t s widrigkeit gehörenden P f l i c h t e n die o b j e k t i v e n A n f o r d e r u n g e n an das Verhalten b e s t i m m e n , w ä h r e n d die Fahrlässigkeit den individuellen Schuldv o r w u r f begründet. 5 1 E i n e Leitlinie der A b g r e n z u n g scheint dabei darin zu liegen, daß die der B e g r ü n d u n g der R e c h t s w i d r i g k e i t dienende Pflichtverletzung unter Zugrundelegung eines H ö c h s t m a ß e s an o b j e k t i v m ö g l i c h e r S o r g falt gebildet wird, w ä h r e n d es bei der B e s t i m m u n g der Fahrlässigkeit im Sinne der erforderlichen Sorgfalt auf die persönlichen und individuellen Verhältnis-
mäß §275 II BGB-KF bei einer „Befreiung nach Einrede" (Begründung zur konsolidierten Fassung S. 11) bleiben. 49 Soergel, §276 Rz. 18. 50 Zur Problematik vor allem Deutsch, insbesondere das Nachwort zur 2. A. seines Buches „Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt", S. 412 ff.; Larenz, Schuldrecht I, § 20 IV; SoergelM. Wolf, § 276 Rz. 40; Hager, Festschrift für Ernst Wolf, 133 (140 f.); Stathopoulos, Festschrift für Larenz, 631 ff. 51 Vgl. Jauernig-Vollkommer, §276 Rz. 10; Palandt-Heinrichs, §276 Rz. 5; Soergel-M. Wolf, § 276 Rz. 40.
88
5 3 Die
Leistungspflichtverletzung
se des Handelnden ankommt, wenngleich diese nach generell typisierenden Merkmalen beurteilt werden. 52 Das führt dazu, daß die Beurteilung der Rechtswidrigkeit anhand einer ex-post-Betrachtung erfolgt, während die Fahrlässigkeit aufgrund einer ex-ante-Betrachtung festgestellt wird. Bei der Fahrlässigkeit findet dann - hinsichtlich der Frage der Vermeidbarkeit - auch eher eine konkret situationsbezogene Beurteilung statt, während im Rahmen der Rechtswidrigkeit von der konkreten Situation stärker abstrahiert wird. 5 3 Diese Versuche einer genaueren Abgrenzung von Rechtswidrigkeit und Fahrlässigkeit machen vor allem deutlich, daß der Schwerpunkt der Haftungsbegründung heute zu einem großen Teil in der Feststellung der Rechtswidrigkeit oder Pflichtwidrigkeit liegt. Angesichts der Objektivierung des Fahrlässigkeitsmaßstabes handelt es sich demgegenüber bei der Frage des Verschuldens im Grunde nur noch um Abmilderungen einer durch das Rechtswidrigkeitsurteil in Randbereichen zu weit gezogenen Haftung. 54 Dem Schwerpunkt nach ist die zivilrechtliche Haftungsordnung daher heute weniger Schuldordnung als vielmehr Unrechtsordnung. Um so dringlicher erweist sich dann aber ein fest umrissener Begriff der Pflichtverletzung, der in der Lage ist, seiner Funktion bei der Begründung der Haftung des Schuldners gerecht zu werden.
IV. Die Verletzung der Leistungspflicht im Fall des Schuldnerverzuges Wie bei der Herbeiführung der nachträglichen Unmöglichkeit durch den Schuldner handelt es sich auch bei der Verzögerung der Leistung im Fall des Schuldnerverzuges nach der gesetzlichen Konzeption des BGB um eine genauer qualfizierte Handlung, die sich als zweiter Typus einer Leistungspflichtverletzung begreifen läßt. Während bei der nachträglichen Unmöglichkeit die Qualifikation der Schuldnerhandlung anhand des äußeren Ereignisses der Unmöglichkeit erfolgt, geschieht dies beim Verzug des Schuldners dem Prinzip nach dadurch, daß die Nichtleistung durch die Fälligkeit und die Mahnung genauer bestimmt wird. Der Verzug wird also nicht einfach an eine - so auch zu unbestimmte - Nichtleistung des Schuldners geknüpft, sondern
52 Vgl. Soergel-M. Wolf, § 276 Rz. 36 f., 40; für die Problematik der Verkehrspflichten auch Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 II 3 d (mit einer Reihe von Fällen), sowie Larenz, Festschrift für Dölle, 169 (189 f.); Deckert, Jura 1996, 348 (351 f.); wohl auch R G R K - S t e f f e n , § 823 Rz. 397. 53 So Soergel-M. Wolf, § 276 Rz. 40. 54 Dieses Konzept liegt im Grunde auch schon der gesetzlichen Regelung des Schuldnerverzuges zugrunde, die nach § 284 BGB das Vertretenmüssen nicht als Voraussetzung des Verzuges ansieht, sondern in §285 BGB das Nichtvertretenmüssen als Befreiungsgrund, so Palandt-Heinrichs, § 285 Rz. 1.
IV. Die Verletzung
der Leistungspflicht
beim
Schuldnerverzug
89
ebenfalls an ein vor allem durch die Mahnung nach außen sichtbar werdendes Ereignis. Aus der Qualifikation der Nichtleistung durch die Voraussetzungen der Fälligkeit und der Mahnung ergeben sich verschiedene Konsequenzen. Ein Gesichtspunkt von prinzipieller Bedeutung liegt zunächst einmal darin, daß danach die Nichtleistung vor einer Mahnung des Schuldners regelmäßig noch nicht die Rechtsfolgen des Verzuges auslöst und sie damit offenbar nicht als ausreichende Grundlage einer Pflichtverletzung betrachtet wird. 55 Vor diesem Hintergrund stellt sich weiter aber auch die Frage nach der Funktion der Mahnung. Hier herrscht seit langem die Auffassung vor, Zweck der Mahnung sei die Warnung des Schuldners. 56 Der Schuldner solle durch die Mahnung geschützt werden, indem ihm dadurch noch einmal eindringlich vor Augen geführt werde, daß er jetzt endlich leisten muß, um den Folgen des Verzuges zu entgehen. 57 O b darin tatsächlich die wesentliche Funktion der Mahnung liegt, soll hier nicht genauer untersucht werden. Vor dem Hintergrund der Qualifikation der Nichtleistung durch die Mahnung wird jedenfalls deutlich, daß der Mahnung auch der Zweck zukommt, die Nichtleistung des Schuldners in einer nach außen zutage tretenden Weise als Pflichtverletzung zu bestimmen. Das dient - worauf Wahl in seiner Untersuchung „Schuldnerverzug" 5 8 aufmerksam gemacht hat - nicht nur der objektiven Bestimmung der Leistungszeit durch den Gläubiger, sondern führt auch dazu, daß dem Schuldner der Einwand, ihm sei seine Leistungspflicht unbekannt gewesen, abgeschnitten wird. Auf diese Weise trägt die Mahnung auch zur Rechtsklarheit bei, nämlich der Klarheit beider Seiten über die Nichtleistung als Pflichtverletzung. 59 In diesen gedanklichen Zusammenhang fügt sich etwa auch die kalendermäßige Bestimmung der Leistung i.S. von § 284 II 1 B G B ein oder die Vorschrift des § 284 III 1 B G B , wenn der Verzug bei fälligen Geldforderungen von einer dreißigtägigen Frist nach Zugang einer Rechnung oder einer gleichwertigen Zahlungsaufforderung abhängig gemacht wird. Gewissermaßen eine Fortführung dieses Konzeptes der äußeren Qualifikation der Nichtleistung stellt das Erfordernis der Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung in § 326 1 1 B G B dar, das ja nach § 326 I 2 B G B gegebenenfalls sogar zur Konsequenz hat, daß der Gläubiger seinen Anspruch auf Erfüllung verliert. Anders als bei der Pflichtverletzung in Form der Herbeiführung der Unmöglichkeit, die durch aktives Tun, aber auch durch ein Unterlassen erfolgen Vgl. ausführlicher Wahl, Schuldnerverzug, S. 196 ff. m.w.N. So etwa Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 360; Medicus, Schuldrecht I, R z . 399; Vollkommer, § 2 8 4 Rz. 15. 57 Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, § 16 III 1. 55
56
Jauernig-
S. 196 ff. Erst dieser Gesichtspunkt erklärt auch, daß der Schuldner sich bereits mit Zugang d e r Mahnung im Verzug befindet, ihm also nicht etwa noch eine billige Zeitspanne für die Erbringung seiner Leistung zugemessen wird, vgl. Huber, Leistungsstörungen I, § 19 I 1 m.w.N. auf d i e insoweit teilweise etwas unklare Literatur. 58
59
90
5 3 Die
Leistungspflichtverletzung
kann, geht der Schuldnerverzug von einem dezidierten Unterlassungskonzept aus, nämlich des Unterlassens der Erfüllung der Leistungspflicht. Diesen Gesichtspunkt hervorzuheben lohnt sich deshalb, weil die Entwürfe der Schuldrechtskommission und des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes mit dem Gedanken der Pflichtverletzung als Nichtleistung diesen gedanklichen Ansatz offenbar verallgemeinern. Die Pflichtverletzung liegt danach ganz prinzipiell in der Nichtleistung und scheint damit zunächst auch gar keiner weiteren Qualifizierung zu bedürfen. Dieses Konzept läßt sich aber kaum durchhalten. Der Kommissionsentwurf selbst hält es denn genauso w i e der Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes auch für notwendig, die Voraussetzungen des Schuldnerverzuges in § 284 BGB-KE bzw. § 283 BGB-DiskE genauer festzulegen, und z w a r durchaus auf der bisherigen Grundlage. Genauere Voraussetzungen werden in § 283 BGB-KE, in § 282 BGB-DiskE und zuletzt besonders eingehend in der konsolidierten Fassung des Diskussionsentwurfes durch die § § 2 8 1 - 2 8 3 B G B - K F auch für das Recht des Gläubigers aufgestellt, statt der Primärleistung Schadensersatz zu verlangen. Sehr prinzipielle Fragen sind damit aber nicht geklärt. So bleibt etwa offen, w o r a u s bei nachträglicher Unmöglichkeit eine - vom Schuldner verletzte - Pflicht zur Erfüllung resultieren soll, da - jedenfalls sofern der Schuldner diese nicht zu vertreten hat - seine Leistungspflicht erlischt oder ihm doch jedenfalls ein Leistungsverweigerungsrecht zusteht. 6 0 Zweifelhaft ist aber etwa auch, ob der Verletzung von Sorgfaltspflichten eine Pflicht zu sorgfältigem Handeln zugrunde liegt oder diese sich nicht vielmehr in der Beachtung der erforderlichen Sorgfalt erschöpft. Fragen dieser Art machen deutlich, daß eine vollständige Konzeption des Leistungsstörungsrechts vom Gedanken des Unterlassens der Erfüllung her noch gar nicht ausreichend analysiert ist und damit auch keine ausreichende Grundlage besteht für eine Art Paradigmenwechsel von der Unmöglichkeit z u m Schuldnerverzug als Grundtatbestand der Leistungsstörung.
V. Die Abgrenzung von nachträglicher Unmöglichkeit und Schuldnerverzug am Beispiel des § 287 S. 2 BGB Die Vorschrift des § 287 S. 2 BGB steht an der Schnittstelle zwischen nachträglicher Unmöglichkeit und Schuldnerverzug. Ihr Verständnis bereitet bei genauer Betrachtung einige Mühe. Aus der Sicht der Pflichtverletzung als pflichtwidrige Handlung läßt sich aber auch die in dieser Vorschrift angeordnete Haftung für die während des Verzuges eintretende Unmöglichkeit präzise begründen. 60 Vgl. dazu bereits Schupp, JZ 1993, 637 (639), und den von ihm gebildeten Fall, des verkauften Pferdes, das vor Übereignung vom Blitzschlag erschlagen wird, der bereits oben angesprochen worden war.
V. Abgrenzung
von nachträglicher
Unmöglichkeit
und
Schuldnerverzug
91
Die Regelung des § 287 S. 2 BGB betrifft genaugenommen nur den Fall, daß zwischen der Verzögerung der Leistung durch den Schuldner und der danach eintretenden Unmöglichkeit seiner Leistung kein adäquater Kausalzusammenhang besteht. 61 Wie man den Worten „während des Verzuges" entnimmt, genügt für die Anwendung vielmehr ein bloßer zeitlicher Zusammenhang von Verzug und Unmöglichkeit. 6 2 Im Gegensatz dazu gebraucht das Gesetz in § 286 I BGB die Formulierung „den durch den Verzug entstehenden Schaden", mit der eine adäquate Kausalität zwischen der Verzögerung und dem Schaden verlangt wird. Soweit eine solche adäquate Kausalität zwischen der Verzögerung und dem Eintritt der Unmöglichkeit vorliegt, wird die Haftung des Verzugsschuldners bereits aus „§§ 280, 285, 286 BGB" hergeleitet. 63 Lediglich dann, wenn dieser Kausalzusammenhang fehlt, soll § 287 S. 2 BGB den Kreis der Umstände erweitern, für die der Schuldner nach § 280 I BGB bzw. § 325 BGB einzustehen hat, so daß sich die Haftung des Schuldners für die während des Verzuges eintretende Unmöglichkeit immer aus den Anspruchsgrundlagen der §§ 280, 325 BGB herleitet. 64 Die hinter dieser Argumentation stehende Konzeption soll im folgenden etwas genauer betrachtet werden. Die A n k n ü p f u n g an die Vorschriften der §§ 280, 325 BGB beruht für den Fall der adäquaten Kausalität auf der Annahme, daß der Kausalzusammenhang zwischen Verzug und Unmöglichkeit im Rahmen dieser Vorschriften lediglich zur haftungsausfüllenden Kausalität gehört, so daß sich danach das Verschulden nicht auch auf die Unmöglichkeit selbst erstrecken muß. 6 5 Als der vom Schuldner im Sinne dieser Vorschriften zu vertretende Umstand wird vielmehr stattdessen die vom Schuldner nach §§ 285,286 BGB zu vertretende Verzögerung der Leistung begriffen. Das bedeutet, für die Haftung aus §§ 280 I, 325 BGB genügt hier die in der Verzögerung der Leistung liegende Pflichtverletzung, sofern die Unmöglichkeit adäquate Folge dieser Pflichtverletzung ist.
61
Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, § 33 II 3 (S. 195); Brox, Allgemeines Schuldrecht, Rz. 281; Palandt-Heinrichs, § 2 8 7 Rz. 2; Soergel-Wiedemann, § 2 8 7 Rz. 4; Staudinger-Löwisch, § 287 Rz. 15. 62 So etwa auch Medicus, Schuldrecht I, R z . 407; Erman-Battes, § 287 Rz. 2; Soergel-Wiedemann, § 287 Rz. 4. Dagegen wird z.T. gesagt, es genüge f ü r § 287 S. 2 B G B jeder, also auch ein nicht adäquater K a u s a l z u s a m m e n h a n g , so Huber, Leistungsstörungen II, § 3 4 III 1; Larenz, Schuldrecht I, § 23 II a (S. 354 f.). Praktisch d ü r f t e dieser U n t e r s c h i e d aber wenig b e d e u t sam sein. 63 So Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, § 3 3 II 3 (S. 195); Brox, Allgemeines Schuldrecht, Rz. 281; Erman-Battes, § 287 Rz. 1 f.; Jauernig-Vollkommer, § 2 8 7 R z . 2; Palandt-Heinrichs, § 287 R z . 2; Soergel-Wiedemann, § 287 Rz. 4; Staudinger-Löwisch, § 287 Rz. 15. A n d e r s aber o f f e n b a r Larenz, Schuldrecht I, § 23 II a (S. 354), der hier n u r auf § 286 I B G B verweist. 64 Soergel-Wiedemann, § 2 8 7 Rz. 4. 65 Jauernig-Vollkommer, § 287 Rz. 2; Palandt-Heinrichs, § 287 Rz. 2; Soergel-Wiedemann, § 287 R z . 4.
92
§ 3 Die
Leistungspflichtverletzung
Diese ohnehin nur schwer verständlich zu machende Konzeption, die dann auch den Hintergrund für die Zuordnung der Haftung gemäß § 287 S. 2 B G B zu den Unmöglichkeitsvorschriften gibt, vermag allerdings nicht zu überzeugen. Ihr Hauptproblem liegt darin, daß sie den G r u n d der Haftung des Schuldners nicht deutlich machen kann und diese daher zu U n r e c h t in den Unmöglichkeitsvorschriften verortet. Dabei orientiert sich die Begründung der Haftung offenbar weitgehend am Äußerlichen: Wenn die Leistung unmöglich wird, k o m m e n die Unmöglichkeitsvorschriften zum Zuge. D i e in den §§ 280, 325 B G B angeordnete Haftung beruht aber nicht einfach auf dem Eintritt der Unmöglichkeit und dem Vertretenmüssen irgendeines U m s t a n des, der dann zur Unmöglichkeit führt, sondern sie folgt aus der in der Herbeiführung der Unmöglichkeit liegenden Pflichtverletzung des Schuldners, die dann auch Bezugspunkt des Verschuldensurteils ist. D i e Vorstellung, irgendeine, nämlich die in der bloßen Verzögerung der Leistung liegende Pflichtverletzung könne zur Begründung einer Unmöglichkeitshaftung genügen, führt so nur zu einer Vermischung unterschiedlicher Typen von Pflichtverletzungen des Schuldners. O f f e n b a r hält man an dieser Stelle die Unterscheidung zwischen der Pflichtverletzung, die in der Verzögerung der Leistung liegt, und der Pflichtverletzung, die in der Herbeiführung der U n möglichkeit liegt, nicht mehr für nötig. Damit wird aber bereits für den Fall des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen Unmöglichkeit und Verzögerung der Leistung nicht genügend berücksichtigt, daß die Haftung hier auf der in der Verzögerung der Leistung liegenden Pflichtwidrigkeit beruht und diese Pflichtverletzung nicht einfach als Grundlage einer Unmöglichkeitshaftung herangezogen werden kann. Dementsprechend liegt dann - schon nach dem systematischen Standort der Vorschrift - auch die Annahme nahe, daß § 287 S. 2 B G B nicht die Unmöglichkeitshaftung erweitert, sondern die Verzugshaftung des Schuldners. 6 6 I m Hintergrund der K o n z e p t i o n der Haftung für die während des Verzuges eintretende Unmöglichkeit durch die herrschende Meinung steht offenbar auch die Problematik, daß der infolge der Unmöglichkeit eingetretene Schaden als Nichterfüllungsschaden begriffen wird, der nur nach den U n möglichkeitsvorschriften ersatzfähig ist, weil § 2 8 6 I B G B sich auf den Ersatz des bloßen Verzögerungsschadens beschränkt. 6 7 Tatsächlich kann man aber auch der Auffassung sein, daß Verzögerungsschaden und Nichterfüllungsschaden sich in diesem Sonderfall decken; jedenfalls gibt es keinen ausreichenden Grund, den infolge der Verzögerung der Leistung eintretenden U n möglichkeitsschaden nicht auch als Verzögerungsschaden zu begreifen. O h nehin sollte eine genauere Analyse der Haftung für die während des Verzuges
6 6 Für immerhin denkbar hält eine solche Verzugshaftung aus §§ 286 I, 287 S. 2 B G B Brehm, JuS 1989, 112 (115). 6 7 So deutlich bei Esser, Schuldrecht I, 4. A., § 49 III 1 (S. 352); wohl auch bei Brox, Allgemeines Schuldrecht, Rz. 272.
VI.
Zusammenfassung
93
eintretende Unmöglichkeit zunächst einmal an der tatbestandlichen Begründung dieser Haftung ansetzen und nicht an der nur nachrangigen Typik verschiedener Rechtsfolgen.
VI.
Zusammenfassung
D e m heutigen Stand juristischer D o g m a t i k entspricht es, die vom Schuldner zu vertretende nachträgliche Unmöglichkeit und den Verzug des Schuldners als unterschiedliche Fälle der Verletzung einer Leistungspflicht zu begreifen. Bei der nachträglichen Unmöglichkeit liegt diese Pflichtverletzung nicht einfach in der Nichterfüllung der Leistung, sondern in der Herbeiführung der Unmöglichkeit durch den Schuldner. Dieses Verständnis der Pflichtverletzung beruht vor allem darauf, daß die Funktion dieses Begriffes in der Bewertung des Schuldnerverhaltens als rechtswidrig oder pflichtwidrig liegt. Ein Vergleich von vertraglicher und deliktischer Haftung zeigt insoweit, daß es in beiden Fällen um die in den verschiedenen Stufen der Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und des Verschuldens verlaufende Bewertung eines Verhaltens als unerlaubt geht. Dabei liegt dem gesetzlichen Haftungskonzept in beiden Bereichen ein naturalistisch geprägtes Modell zugrunde: Im R a h men des § 823 I B G B wird von der Verletzung des absoluten Rechts auf die Tatbestandsmäßigkeit eines Verhaltens geschlossen, während im Vertragsrecht von der Verletzung des relativen Rechts in F o r m der Unmöglichkeit auf die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens geschlossen wird. Dieses K o n z e p t der Bewertung einer Handlung anhand eines äußeren Ereignisses liegt auch noch der Regelung des Schuldnerverzuges zugrunde, in der die Nichtleistung vor allem durch die Mahnung, aber auch durch das Verstreichen einer für die Leistung nach dem Kalender bestimmten Zeit oder einer dreißigtägigen Frist nach Zusendung einer Rechnung offenkundig gemacht und damit auch näher qualifiziert wird. Auf der Grundlage dieses Verständnisses der Leistungspflichtverletzungen als unterschiedlichen Typen pflichtwidriger Handlung ist im H i n b l i c k auf die in § 287 S. 2 B G B vorgesehene Haftung für die während des Verzuges eintretende Unmöglichkeit scharf zu unterscheiden zwischen der Pflichtwidrigkeit, die in der Verzögerung der Leistung liegt, und der Pflichtwidrigkeit, die auf der Herbeiführung der Unmöglichkeit beruht. § 287 S. 2 B G B kann deshalb nur als Erweiterung der Verzugshaftung des Schuldners begriffen werden. Das im E n t w u r f der Schuldrechtskommission zugrunde gelegte Verständnis der Pflichtverletzung als Nichtleistung oder Nichterfüllung, an das auch der Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes anknüpft, kann im Vergleich zur Auffassung der Pflichtverletzung als pflichtwidriger Handlung aus unterschiedlichen Gründen nicht überzeugen. D i e bisherige D o g m a t i k der Pflichtverletzung beruht auf einer immer schärferen Analyse verschiedener F o r m e n von Pflichtverletzungen, deren Unterschei-
94
5 3 Die
Leistungspflichtverletzung
dung im Gesetz zumindest angelegt ist. M i t einem allgemeinen Tatbestand der Pflichtverletzung würden diese Vorgaben entfallen und damit aber auch das Fundament für das bisherige Verständnis der Pflichtverletzungen. D e r Begriff der Pflichtverletzung dient im Verständnis der Schuldrechtskommission auch gar nicht der Bewertung einer Handlung, sondern nur der Kennzeichnung für das Ausbleiben des Erfolges. D i e Bewertung der Handlung des Schuldners erfolgt im wesentlichen nur noch im Rahmen des Verschuldens. In dieser Weise wird ein Verständnis der Pflichtverletzung auf der Grundlage des G e dankens der Erfüllungsgarantie kombiniert mit dem Verschuldensgedanken. D i e Zusammenfügung solch unterschiedlicher Prinzipien als Grundlage für die Beurteilung der Haftung des Schuldners erscheint problematisch. Jedenfalls läßt sich das darauf beruhende Verständnis der Pflichtverletzung nicht aus einer Weiterentwicklung und Verallgemeinerung der Grundsätze über die positive Vertragsverletzung rechtfertigen, da dieses Institut sich gerade auf der Grundlage einer Analyse der verschiedenen Typen von Verhaltensweisen des Schuldners herausgebildet hat. Das Ungenügen des Verständnisses der Pflichtverletzung als Nichtleistung zeigt schließlich auch die durch § 275 B G B erfaßte Problematik der infolge von Zufall eintretenden nachträglichen Unmöglichkeit, weil es auf dieser Basis nicht gelingt, die ohne Zutun des Schuldners eintretende nachträgliche Unmöglichkeit von der durch ihn verursachten, aber auf einer schuldlosen Handlung beruhenden Unmöglichkeit zu unterscheiden. In einer Zeit, in der die Haftung zu einem wesentlichen Teil mit der Begründung der Rechtswidrigkeit vorgezeichnet wird, ist ein solches K o n z e p t der Pflichtverletzung unzureichend.
§ 4 Die Sorgfaltspflichtverletzung I. Einleitung D e n Begriff der Sorgfalt verwendet der Gesetzgeber vor allem in § 2 7 6 I 2 B G B zur Umschreibung der Fahrlässigkeit und damit im H i n b l i c k auf eine F o r m des Verschuldens. M i t dem Ausdruck Sorgfaltspflichtverletzung kann allerdings ganz Unterschiedliches gemeint sein. Häufig wird als Sorgfaltsoder Sorgfaltspflichtverletzung die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bezeichnet. M i t der Verletzung der Sorgfaltspflicht ist dann fahrlässiges Handeln gemeint. Von Sorgfaltspflichtverletzung spricht man aber auch im H i n b l i c k auf einen eigenständigen Typus von Pflichten, der dem Typus der Leistungspflichten gegenübergestellt wird. Für diesen Typus von Pflichten gibt es eine Reihe unterschiedlicher Bezeichnungen: Manche sprechen von Schutzpflichten, andere von Nebenpflichten, einige von weiteren Verhaltenspflichten. 1 Hinter jeder dieser Bezeichnungen steckt vermutlich ein eigenes K o n z e p t dessen, was das Charakteristische dieser Pflichten ist, die hier als Sorgfaltspflichten bezeichnet werden. Wenn es im folgenden um die Sorgfaltspflichten und ihre Verletzung geht, so steht im Mittelpunkt dieser Überlegungen die Bestimmung dieses Typus von Pflichten, nicht dagegen die Problematik der Fahrlässigkeit. D i e G r u n d lagen für ein Verständnis dieser Pflicht werden zunächst (unter I I ) vor dem Hintergrund der Unterscheidung von ethischen Pflichten und Rechtspflichten entwickelt. I m Rahmen dieses Zusammenhanges läßt sich die Sorgfaltspflicht als auch ethisch geprägte Primärpflicht begreifen, deren Verletzung Sekundärpflichten begründet, die auf Wiederherstellung der von den Primärpflichten geschützten Ordnung gerichtet sind. Im Anschluß an diese sehr prinzipielle Verortung der Sorgfaltspflichten folgt (unter I I I ) unter verschiedenen Aspekten eine genauere Analyse des Rechtscharakters dieses Typs von Pflichten. D e r Leitgedanke liegt dabei in der Auffassung, daß die Sorgfaltspflicht eine Primärpflicht im Rahmen des Schuldverhältnisses darstellt, die dem Schutz der Rechtsgüter des anderen dient. M i t diesem Verständnis der Sorgfaltspflicht werden M o m e n t e Verhaltens- und erfolgsunrechtstheoretischer Konzeptionen aufgenommen. In diesem Zusammenhang wird dann schließlich auch die Frage aufgeworfen, wie sich dieser Typus von Pflichten von der Fahrlässigkeit unterscheidet. 1
N a c h w e i s e zu den gebräuchlichen Bezeichnungen bereits oben Einleitung F n . 1 - 4 .
96
§ 4 Die
II. Ethische
Sorgfaltspflichtverletzung
Pflichten
und
Rechtspflichten
A n d e r s als die Leistungspflicht, die man i m m e r h i n n o c h als d o g m a t i s c h e n B e g r i f f auffassen kann, der an das gesetzliche S y s t e m der H a f t u n g im B e r e i c h des L e i s t u n g s s t ö r u n g s r e c h t s anknüpft, lassen sich die Sorgfaltspflichten w o h l nicht m e h r als v o m G e s e t z v o r g e g e b e n e r T y p u s v o n P f l i c h t e n auffassen. D i e sen ersten grundlegenden U n t e r s c h i e d zwischen beiden T y p e n v o n P f l i c h t e n hat in der L i t e r a t u r vor allem H e i n r i c h s 2 h e r v o r g e h o b e n : D a s R e c h t der L e i stungsstörungen umfasse heute in ihrer H e r k u n f t , i h r e m G e l t u n g s g r u n d und ihrer S t r u k t u r nach unterschiedliche N o r m b e s t ä n d e , n ä m l i c h das in der Tradition der P a n d e k t e n w i s s e n s c h a f t stehende streng begriffliche R e c h t einerseits, und andererseits die in ihren begrifflichen K o n t u r e n weniger scharfen, dafür aber elastischeren und für neue P r o b l e m s t e l l u n g e n offeneren richterrechtlichen G r u n d s ä t z e . I m Sinne dieser U n t e r s c h e i d u n g w ü r d e m a n das mit dem B e g r i f f der Leistungspflicht erfaßte L e i s t u n g s s t ö r u n g s r e c h t größtenteils dem in der Tradition der P a n d e k t i s t i k entstandenen gesetzlichen S y s t e m z u o r d n e n , die v o n der Sorgfaltspflicht a b g e d e c k t e n Fälle dagegen eher den durch R i c h t e r r e c h t entwickelten G r u n d s ä t z e n . I m m e r h i n werden aber L e i stungspflicht und Sorgfaltspflicht beide als P f l i c h t e n b e z e i c h n e t . D a m i t scheint es für beide T y p e n v o n P f l i c h t e n d o c h o f f e n b a r ein gemeinsames t h e o retisches F u n d a m e n t zu geben, das ihre B e z e i c h n u n g als P f l i c h t e n - w e n n auch in u n t e r s c h i e d l i c h e m Sinne - rechtfertigt. I n s o w e i t erscheint es nicht ausgeschlossen, daß hier bei der V e r w e n d u n g des Begriffes „ P f l i c h t " mit u n terschiedlichen G e d a n k e n m a s s e n hantiert wird, bei der sich traditionelle B e stände mit T e c h n i k e n m o d e r n e r zivilrechtlicher D o g m a t i k mischen und bei der mal m e h r der eine oder andere A s p e k t überwiegt. D a s legt es jedenfalls nahe, im f o l g e n d e n das hier zugrunde gelegte K o n z e p t der Pflichten und der P f l i c h t v e r l e t z u n g zu u m r e i ß e n .
1. Die Pflicht als Begriff der Ethik und des Rechts V o n P f l i c h t e n k a n n man in ganz u n t e r s c h i e d l i c h e m Sinne sprechen. G a n z allgemein kann m a n sagen, daß der B e g r i f f der Pflicht die G e s o l l t h e i t eines Verhaltens b e z e i c h n e t . D i e F r a g e nach dem Sollen und damit nach dem guten und rechten H a n d e l n steht seit jeher im M i t t e l p u n k t der E t h i k . D e m e n t s p r e c h e n d gibt es eine lange Tradition v o n Ü b e r l e g u n g e n zur Pflicht im Sinne ethischen H a n d e l n s . 3 V o r allem die N a t u r r e c h t s l e h r e hat dem B e g r i f f der P f l i c h t eine zentrale R o l l e im R a h m e n der verschiedenen S y s t e m e z u g e m e s sen. Ihren H ö h e p u n k t findet diese E n t w i c k l u n g in der P h i l o s o p h i e K a n t s , der 2 Palandt, Vorbem v § 275 Rz. 4; vgl. auch Heinrichs, Abschied vom B G B oder sinnvolle Weiterentwicklung des bürgerlichen Rechts?, S. 9. 3 Vgl. dazu nur die Darstellung von Kersting im Art. „Pflicht".
II. Ethische
Pflichten
und
Rechtspflichten
97
wie kein anderer Philosoph den Begriff der Pflicht in den Mittelpunkt der Moralphilosophie stellt. Vor allem Kelsen hat sich allerdings gegen eine Betrachtung gewehrt, die den Begriff der Pflicht auch für die juristische Arbeit von seiner ethischen B e deutung her erfaßt. D a m i t werde eine selbständige, von der Moral unabhängige Stellung der Rechtsordnung und damit auch eine selbständige Betrachtung des Rechts, eine von der Ethik unabhängige Jurisprudenz aufgegeben. 4 Kelsen statuiert deshalb einen eigenständigen Begriff der Rechtspflichten, der sich ausschließlich auf die positive Rechtsordnung bezieht und keinerlei m o ralische Implikationen hat. 5 Die Rechtspflicht ist die zu einem bestimmten Verhalten gebietende Rechtsnorm. Sie ist identisch mit der R e c h t s n o r m selbst, denn Rechtsnormen gebieten das bestimmte Verhalten eines Individuums. Die Rechtsordnung ist damit für Kelsen Verhaltensordnung 6 und ihre F u n k t i o n liegt daher - wie man heute wohl zumeist annimmt - in der Verhaltenssteuerung.
2. Der Zusammenbang von Ethik und Recht in der Unterscheidung von Primär- und Sekundärpflichten a) Die Entwicklung der Unterscheidung von Primär- und Sekundärpflichten aus dem Verhältnis von Recht und Unrecht beij. Schapp I m Bestreben, einen eigenständigen Begriff der Rechtspflicht zu begründen, dürfte Kelsen über das Ziel hinausgeschossen sein. Andererseits kann der rechtliche Begriff der Pflicht auch nicht ohne weiteres mit der Pflicht im ethischen Sinne identifiziert werden. Darin dürfte der zutreffende Kern der Überlegungen Kelsens liegen. Insoweit gilt es, einen einsichtigen Zusammenhang zwischen ethischen Pflichten und Rechtspflichten herzustellen, der R a u m für die eigenständigen Entscheidungen des Rechts läßt. Überlegungen zu diesem T h e m a sind in den letzten Jahren vor allem von J a n Schapp vorgetragen worden. 7 Schapp begreift das Recht als Unrechtsordnung. 8 Das R e c h t legt einerseits das M a ß dessen fest, was dann als U n r e c h t gerügt werden kann. Zugleich begründet es aber auch den Anspruch auf Wiederherstellung des Maßes für den Fall der Verletzung. Das R e c h t legt also einerseits das gebotene Verhalten der Menschen fest, andererseits fordert es für den Fall der Verletzung auch seine Wiederherstellung. „Recht, U n r e c h t durch Verletzung des Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 329. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 123. 6 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 121. 7 Vgl. insbesondere Ethische Pflichten und Rechtspflichten; Freiheit, Moral und Recht, insbesondere S. 225 ff.; Methodenlehre des Zivilrechts, S. 21 ff. 8 Methodenlehre des Zivilrechts, S. 21 ff. 4 5
98
$ 4 Die
Sorgfaltspflichtverletzung
R e c h t s und Wiederherstellung des R e c h t s durch A u f h e b u n g des U n r e c h t s t r e t e n " , wie S c h a p p 9 formuliert, „in eine n o t w e n d i g e F o l g e . " In diesem Sinne k n ü p f t er an das b e r ü h m t e W o r t H e g e l s an, daß R e c h t die N e g a t i o n der N e g a t i o n des R e c h t s ist. 1 0 Schapp hat seine Ü b e r l e g u n g e n v o r allem für das Zivilrecht verdeutlicht. R e c h t s s ä t z e sind danach regelmäßig in Tatbestand und R e c h t s f o l g e aufgegliedert. 1 1 T y p i s c h e r w e i s e u m s c h r e i b t der Tatbestand des G e s e t z e s durch B e z i e hung auf das R e c h t ein U n r e c h t , das der R e c h t s s a t z durch A n w e n d u n g der R e c h t s f o l g e im Sinne des R e c h t s ausgleicht und damit z u m R e c h t z u r ü c k führt. D a s damit e n t w i c k e l t e Verhältnis v o n R e c h t und U n r e c h t wird v o n ihm dann durch die U n t e r s c h e i d u n g v o n P r i m ä r p f l i c h t und Sekundärpflicht weiter verdeutlicht. 1 2 Als P r i m ä r p f l i c h t e n w e r d e n alle rechtlich bedeutsamen Pflichten zu einem b e s t i m m t e n Verhalten b e z e i c h n e t unter A b s e h u n g v o n den Sekundärpflichten. Als Sekundärpflichten w e r d e n alle Pflichten aufgefaßt, die aufgrund einer Verletzung v o n Primärpflichten entstehen. D a b e i b e g r ü n d e t die Verletzung der P r i m ä r p f l i c h t das U n r e c h t , das d u r c h die Verhängung der S e k u n d ä r p f l i c h t ausgeglichen wird. Als Beispiele zentraler Prim ä r p f l i c h t e n im B e r e i c h des Zivilrechts n e n n t Schapp die Pflicht zur Vertragserfüllung und die V e r k e h r s p f l i c h t zur A c h t u n g der R e c h t s g ü t e r des anderen. 1 3 D i e Festlegung dieser Pflichten erfolgt durch die Parteien selbst, d u r c h Treu und G l a u b e n mit R ü c k s i c h t auf die Verkehrssitte oder durch den Verkehr. I m N o r m a l f a l l w e r d e n die P r i m ä r p f l i c h t e n freiwillig erfüllt. E r s t die Verletzung dieser Pflichten führt z u m Streit ü b e r P f l i c h t e n . 1 4
b) Die Verzahnung von ethischer und rechtlicher in der Primärpflicht
Sphäre
D i e v o n Schapp vorgelegte K o n z e p t i o n stellt v o r allem einen einsichtigen Z u s a m m e n h a n g v o n ethischer Pflicht und R e c h t s p f l i c h t her, o h n e daß dabei aber die Eigenständigkeit juristischer W e r t u n g e n vernachlässigt würde. D e r zentrale A n s a t z p u n k t dafür liegt in der K o n s t i t u t i o n eines P r i m ä r b e r e i c h e s , der v o n einem daran anknüpfenden S e k u n d ä r b e r e i c h unterschieden wird. D e r Z u s a m m e n h a n g beider B e r e i c h e wird dadurch gestiftet, daß eine zentrale A u f g a b e des P r i m ä r b e r e i c h e s in der B e g r ü n d u n g der R e c h t s f o l g e n für den Sek u n d ä r b e r e i c h liegt. Methodenlehre des Zivilrechts, S. 22. Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 82, sowie den Zusatz zu § 97. " Schapp, Methodenlehre des Zivilrechts, S. 22. 12 Schapp, Methodenlehre des Zivilrechts, S. 23 ff.; auch Freiheit, Moral und Recht, S. 232 ff. 13 Zu diesen immer wieder als Leitbilder dienenden Primärpflichten vgl. Schapp, Ethische Pflichten und Rechtspflichten, S. 21-32; Freiheit, Moral und Recht, S. 232-234; Methodenlehre des Zivilrechts, S. 24, 30-32. 14 Schapp, Methodenlehre des Zivilrechts, S. 28. 9
10
II. Ethische Pflichten und
Rechtspflichten
99
H a n d e l t es sich bei den P f l i c h t e n des Primär- und Sekundärbereiches nun eigentlich u m ethische P f l i c h t e n o d e r u m rechtliche Pflichten? I n der P h i l o s o phie K a n t s liegt ein wesentlicher G e d a n k e im H i n b l i c k auf die U n t e r s c h e i dung beider P f l i c h t e n darin, daß ethisches Verhalten aus M o r a l i t ä t erfolgt, w ä h r e n d rechtliches Verhalten auch andere Triebfedern in sich bergen k a n n . 1 5 A u s diesem G r u n d e k n ü p f t nach K a n t das R e c h t nur an das äußere Verhalten an. D a s erlaubt es, die entsprechenden P f l i c h t e n mit Z w a n g zu b e w e h r e n . R e c h t s p f l i c h t e n z e i c h n e n sich so für K a n t v o r allem dadurch aus, daß sie mit Z w a n g durchgesetzt w e r d e n k ö n n e n : „ R e c h t und Befugnis zu zwingen b e deuten also e i n e r l e i . " 1 6 U n t e r d e m G e s i c h t s p u n k t der E r z w i n g b a r k e i t wird man die Sekundärpflichten sicher als R e c h t s p f l i c h t e n auffassen müssen. D i e s e Perspektive wird aber d o c h komplizierter, w e n n man sich einmal auf die P r i m ä r p f l i c h t e n k o n z e n t r i e r t . D i e P r i m ä r p f l i c h t scheint sich dadurch ausz u z e i c h n e n , daß sie sich auf ethische M o m e n t e bezieht, die aus juristischer Sicht relevant erscheinen. E s ist damit o f f e n b a r gerade der Sinn des Begriffs Primärpflicht, ethische und juristische M o m e n t e z u s a m m e n zu denken. E i nerseits k n ü p f t das R e c h t hier mit d e m B e g r i f f der Pflicht an die ethischen Pflichten an, an die W e r t m o m e n t e der L e b e n s w e l t , andererseits n i m m t es auch eigenständig Stellung zu i h n e n . 1 7 D i e s e n o t w e n d i g e Eigenständigkeit des R e c h t s ergibt sich v o r allem auch aus der U n b e s t i m m t h e i t ethischer Pflichten. H e g e l hatte n o c h geglaubt, daß es ein L e i c h t e s ist, zu sagen, was gesollt ist: „Was der M e n s c h tun müsse, welches die P f l i c h t e n sind, die er zu erfüllen hat, u m tugendhaft zu sein, ist in einem sittlichen G e m e i n w e s e n leicht zu sagen, - es ist nichts anderes v o n ihm zu tun, als was ihm in seinen Verhältnissen v o r g e z e i c h n e t , ausgesprochen und b e k a n n t i s t . " 1 8 A u c h Schapp geht in seinen Ü b e r l e g u n g e n davon aus, daß die Vielzahl v o n P r i m ä r p f l i c h t e n in aller Regel freiwillig erfüllt w e r d e und dies n u r deshalb d e n k b a r ist, weil die B ü r g e r prinzipiell auch mit ausreichender G e n a u i g k e i t ü b e r den Inhalt der ihnen obliegenden P r i m ä r p f l i c h t e n informiert sind. 1 9 I m Vertragsrecht ergibt sich diese K e n n t n i s zunächst daraus, daß die P r i m ä r p f l i c h t e n durch den A k t des Vertragsschlusses festgelegt werden. In vielen Fällen ist darüber hinaus die I n f o r m a t i o n über bestehende R e c h t e und P f l i c h t e n durch den Z u g r i f f auf A l l g e m e i n e G e s c h ä f t s b e d i n g u n g e n gewährleistet. D i e sog. Verkehrspflichten zur A c h t u n g fremden E i g e n t u m s orientieren sich d e m g e g e n ü b e r z u n ä c h s t an den G r e n z e n des G r u n d s t ü c k s oder am B e s i t z der beweglichen Sache. Insgesamt k a n n man danach s c h o n da-
Vgl. Kant, Die Metaphysik der Sitten, insbesondere AB S. 14 ff. Kant, Die Metaphysik der Sitten, AB S. 37. 17 Diese Funktion des Rechts im Hinblick auf die Wertmomente der Lebenswelt habe ich näher begründet in „Anspruch, absolutes Recht und Rechtsverhältnis im öffentlichen Recht entwickelt aus dem Zivilrecht", S. 25 ff. 18 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 150. 19 Methodenlehre des Zivilrechts, S. 28 ff. 15 16
100
§ 4 Die
Sorgfaltspflichtverletzung
von sprechen, daß der Bürger in aller Regel in der Lage ist, die ihm obliegenden Primärpflichten seinen eigenen konkreten Verhältnissen zu entnehmen. Eine Schlüsselbedeutung k o m m t dabei - wie Schapp 2 0 hervorhebt - dem Begriff des Verkehrs zu. Es ist der Verkehr und damit die rechtliche Bewertung des konkreten Lebensverhältnisses, aus dem sich die konkreten Pflichten ergeben. Diese Bedeutung des Verkehrs k o m m t nicht nur in dem Wort „Verkehrspflicht" zum Ausdruck, sondern sie wird auch in den Generalklauseln der §§ 157, 242 und 2 7 6 I 2 B G B zugrunde gelegt. Schapp geht in diesem Zusammenhang sogar so weit, die Verkehrspflicht mit der Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt zu identifizieren: „Tatsächlich bewegen wir uns den ganzen Tag in einer Welt der Sachen, die mit der ihnen zukommenden Sorgfalt behandelt werden wollen. Dabei ist sich jeder in der R e gel auch der Sorgfalt bewußt, die der Verkehr von ihm fordert. G a n z allgemein läßt sich die Verkehrspflicht als Primärpflicht daher auch als Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt formulieren. D e m steht nicht entgegen, daß § 2 7 6 I 2 B G B die negative Fassung dieser F o r m e l nur für die Bestimmung der Fahrlässigkeit im Schuldverhältnis verwendet." 2 1 Schapp gesteht allerdings zu, daß die deutliche Ausprägung der Primärpflichten nur den Normalfall darstellt und unsere moderne wissenschaftlichtechnische Welt in vielen Fällen heute eine Komplikation erreicht, die den einzelnen im Wissen seiner Pflichten überfordert. 2 2 Im Grunde - so soll dieser Befund hier gedeutet werden - bewegt man sich immer wieder in einer Grauzone, in der die Orientierung des Verhaltens anhand ethischer Pflichten nicht ausreicht und damit auch die Steuerung des Verhaltens durch Primärpflichten zu versagen droht. A n diese Problematik knüpft das R e c h t an. E i nerseits nimmt es in der großen Linie ethische Pflichten auf und gestaltet sie zu Primärpflichten um, so daß es fast den Anschein hat, als ob sich ethische Pflichten und Primärpflichten identifizieren lassen. So lassen sich dem Grundsatz nach wohl weder im H i n b l i c k auf die Pflicht zur Erfüllung eines Vertrages noch im H i n b l i c k auf die Achtung fremden Eigentums ethische und rechtliche Sphäre klar voneinander trennen. Andererseits gibt es aber offenbar auch Bereiche, in denen die bestehenden Primärpflichten in der ethischen Welt wesentlich schwächer vorgezeichnet sind. Auch in diesen Fällen muß das R e c h t aber die für die Entscheidung des in Frage stehenden Lebensverhältnisses faßbaren Wertmomente herausarbeiten. Insoweit bedarf es hier einer eigenständigen Begründung des Primärbereiches durch das R e c h t mit Hilfe der Bewertung und Konkretisierung der maßgeblichen ethischen M o mente. 2 3 Damit knüpft die juristische Betrachtung an das Verständnis ethischer Pflichten an, es nimmt aber auch selbständig Stellung zu dieser Welt Methodenlehre des Zivilrechts, S. 30. Schapp, Methodenlehre des Zivilrechts, S. 31 f. 2 2 Methodenlehre des Zivilrechts, S. 35; ähnlich auch schon Freiheit, Moral und Recht, S. 230. 2 3 In „Ethische Pflichten und Rechtspflichten", S. 30, hat Schapp insoweit davon gespro20 21
II. Ethische
Pflichten
und
Rechtspflichten
101
ethischer Pflichten und Wertmomente. Diese Selbständigkeit rechtlicher Wertungen begründet sich vor allem darin, daß wir häufig nicht so sehr in einer Welt feststehender ethischer Pflichten leben, sondern in einer Welt, in der nur einzelne ethische M o m e n t e vorgezeichnet oder sogar nur angedeutet sind. D i e Betrachtung zeigt, daß die zentrale Bedeutung des Begriffs der Primärpflicht von seiner schillernden Stellung zwischen ethischer und rechtlicher Sphäre herrührt. Das R e c h t knüpft mit der Begründung rechtlicher Pflichten an ethische M o m e n t e an. D i e Begründung von Primärpflichten dient aber ihrerseits gerade dazu, für den Fall ihrer Nichterfüllung und Verletzung Sekundärpflichten zu begründen. Insoweit haben wir mit den Primärpflichten einen Bereich rechtlicher Begründung vor uns, der auf das engste mit der ethischen Sphäre verzahnt ist. Dabei läßt der mit dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Primärpflichten vermittelte Begründungszusammenhang in gewisser Weise auch noch die Sekundärpflichten als ethisch begründet erscheinen. 2 4
c) Die Erfüllung von Primärpßichten der Primärleistungspflicht
und die Sonderstellung
D i e Stellung der Primärpflichten zwischen ethischer und rechtlicher Sphäre läßt sich im H i n b l i c k auf die Erfüllung dieser Pflichten besonders deutlich machen. Täglich werden Verträge erfüllt und fremdes Eigentum geachtet. Ist die Erfüllung dieser Pflichten eigentlich als ethisch oder als rechtlich zu begreifen? Man verbaut sich wohl wesentliche Zusammenhänge, wenn man sogleich darauf sieht, daß die durch den Schuldvertrag begründete Leistungspflicht durch das R e c h t mit Zwang bewehrt wird, während die Verkehrspflicht als solche regelmäßig nicht selbständig einklagbar ist. Man k o m m t der Sache schon näher, wenn man sich die Erfüllung von Pflichten nicht sogleich als jeweils einmaligen A k t vorstellt, sondern als einen permanenten Zustand sorgfältigen Verhaltens. 2 5 Das bedeutet, wir leben in einer Welt, die Anforderungen an uns stellt, die von uns ständig erfüllt werden, ohne daß man sie deswegen sogleich als konkrete Pflichten vor Augen hätte und die man daher am ehesten noch als ethische Pflichten auffassen könnte. So wird die Pflicht zur Achtung fremden Eigentums fortlaufend erfüllt, ohne daß auch nur die geringste Neigung zur Verletzung dieser Pflichten gegeben ist. 2 6 Von Erfüllung dieser Pflichten wird man hier eher nur in einem ethischen Sinne sprechen können. Jedenfalls erscheint es wenig sinnvoll, etwa im H i n b l i c k auf die B e -
chen, daß die ethische Pflichtenordnung von einer sie überlagernden Rechtspflichtenordnung verfeinert werde. 24 Vgl. auch Schupp, Freiheit, Moral und Recht, S. 232. 25 Ahnlich, wenngleich von gänzlich anderem Standpunkt aus auch Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 337, allerdings mit der die Dinge verzeichnenden Vorstellung, der Zustand der Pflichterfüllung stelle nur den Zustand mangelnder Pflichtverletzung dar. 26 Vgl. auch etwa Schupp, Ethische Pflichten und Rechtspflichten, S. 30.
102
§ 4 Die
Sorgfaltspflichtverletzung
achtung der Verkehrspflichten, von der Erfüllung dieser Pflichten in dem präzisen rechtlichen Sinne zu sprechen, wie ihn § 362 I B G B vor Augen hat. 2 7 Vor diesem Hintergrund erscheint die Erfüllung von Primärleistungspflichten eher als ein Sonderfall. Anders als die Vielzahl anderer Primärpflichten wird insbesondere die Pflicht zur Erbringung der vertraglich versprochenen Leistung als erzwingbare Rechtspflicht konstruiert. Diese rechtliche Verstärkung der Primärpflicht beruht auf der Sonderstellung des Erfüllungsanspruchs. 2 8 D i e Primärleistungspflicht ist einerseits - wie alle Primärpflichten - Grundlage für die Begründung eines Sekundäranspruches für den Fall ihrer Verletzung. Andererseits ist der der Primärleistungspflicht entsprechende Erfüllungsanspruch schon als solcher durchsetzbar. Diesen Anspruch auf Erfüllung könnte man seinerseits als Sanktion für die Verletzung einer vorhergehenden Primärpflicht begreifen. Dagegen spricht allerdings, daß die Primärleistungspflicht bereits mit der Begründung des Schuldverhältnisses entsteht und nicht etwa erst mit einer noch genauer zu qualifizierenden Nichtleistung. Deshalb liegt hier die Annahme näher, daß die Primärpflicht zur erwingbaren Rechtspflicht, nämlich der Primärleistungspflicht, verstärkt worden ist und es sich damit noch um eine im Vorfeld einer Sanktion liegende Pflicht handelt. D e r Grund dafür dürfte vor allem darin liegen, daß etwa die Erfüllung einer vertraglich versprochenen Leistung über das normale M a ß an Pflichtigkeit hinausgeht. D e r Schuldner einer Leistung übernimmt eine besondere Pflicht und nicht nur die Beachtung der üblichen Pflichten. Aus diesem Grunde wird die Erfüllung dieser Pflichten in den § § 3 6 2 ff. B G B auch einer besonderen Regelung unterworfen. U n d dementsprechend faßt die juristische D o g m a t i k das Leistungsversprechen auch als Begründung eines Schuldverhältnisses auf, während man die wechselseitigen allgemeinen Pflichten der Menschen zueinander nicht als Ausfluß eines Schuldverhältnisses betrachtet, sondern - wie Larenz es einmal formuliert hat - allenfalls als Element eines „rechtlichen Grundverhältnisses". 2 9 Die Sonderstellung der Primärleistungspflicht und des ihr entsprechenden Erfüllungsanspruchs läßt sich damit nur deutlich machen vor dem Hintergrund eines Verständnisses der Primärpflichten, das an die dem R e c h t vorgelagerte Pflichtensphäre der ethischen Welt anknüpft.
27 Ähnlich für die Frage der Erfüllung von Sorgfaltspflichten auch Esser/Schmidt, Schuldrecht in, § 6 IV (S. 109); Brehm, JuS 1989, 544 (545). 28 Dazu Schapp, Methodenlehre des Zivilrechts, S. 25, und bereits oben § 2 III 1 b. 29 Vgl. jetzt Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 2 Rz. 4.
III. Der Typus der
III. Der Typus der
Sorgfaltspflicht
103
Sorgfaltspflicht
1. Die Sorgfaltspflicht als Primärpflicht im Rahmen des Schuldverhältnisses Auf der Grundlage des geschilderten Konzeptes von Pflichten läßt sich auch die Sorgfaltspflicht als eine ethisch fundierte Primärpflicht begreifen. In diesem Sinne stellt die Sorgfaltspflicht einen eigenständigen Typus von Pflichten dar, der im Bereich des Rechts der Leistungsstörungen dem Typus der Leistungspflichten gegenübersteht. Das bedeutet, daß hier keine umfassende Beschreibung sämtlicher Pflichten zur Sorgfalt erfolgt. Die Sorgfaltspflicht hat - wie die Sorgfalt selbst - viele Facetten. Als Sorgfaltspflichten lassen sich etwa auch die Verkehrspflichten auffassen, die Sorgfaltspflichten, die der Bestimmung fahrlässigen Handelns dienen und die zumeist als Diligenzpflichten bezeichnet werden, oder weiter auch bestimmte Sorgfaltsanforderungen, die für die Leistungspflichten selbst gelten. Demgegenüber geht es an dieser Stelle nur um die Bestimmung der Sorgfaltspflicht soweit sie als eigenständiger Typus neben der Leistungspflicht angesehen werden kann. Eine nähere Betrachtung dieses Typus macht es aber im weiteren Verlauf der Untersuchung natürlich auch erforderlich, die Sorgfaltspflicht in diesem Sinne von anderen Pflichten zur Einhaltung von Sorgfalt abzugrenzen. In der folgenden Skizze soll der Typus der Sorgfaltspflicht zunächst nur umrissen werden, erst im Anschluß daran werden einzelne, den Typus der Pflicht prägende Momente genauer analysiert. Zunächst ist daran anzuknüpfen, daß die Sorgfaltspflicht im Sinne der oben gegebenen Schilderung eine Primärpflicht darstellt. Das bedeutet, sie beschreibt Verhaltenspflichten, deren Verletzung - unter der weiteren Voraussetzung der Zurechenbarkeit - Sekundäransprüche begründet. Die Sorgfaltspflicht stellt allerdings nur eine Verhaltenspflicht im Rahmen des Schuldverhältnisses dar. Sie ist damit eine Pflicht, die im Gefüge des Schuldverhältnisses den daneben gegebenenfalls bestehenden Leistungspflichten gegenübertritt. Insoweit stellt eine Theorie der Sorgfaltspflicht den Ausschnitt aus einer Theorie des Schuldverhältnisses i.w.S. dar. Es mag für diesen Zusammenhang nicht unzulässig sein, darauf hinzuweisen, daß auch das BGB bei der Umschreibung der Fahrlässigkeit in § 276 I 2 BGB den Maßstab der Sorgfalt nur auf den Schuldner bezieht und damit das Schuldverhältnis. 30 In der Verankerung der Sorgfaltspflicht im Schuldverhältnis kann man den zentralen Unterschied zur Verkehrspflicht sehen. Die Sorgfaltspflichten entstehen aus dem Schuldverhältnis, Verkehrspflichten dienen demgegenüber der Begründung des Schuldverhältnisses der unerlaubten Handlungen. In einem engeren Sinne folgen Sorgfaltspflichten also nur aus dem Schuldverhältnis.
30
Vgl. Scbapp, G r u n d l a g e n des bürgerlichen Rechts, R z . 232.
104
§ 4 Die
Sorgfaltspflichtverletzung
M i t der Sorgfaltspflicht wird - entsprechend ihrer Stellung als Primärpflicht - das allgemeine M a ß des v o m Schuldner zu b e a c h t e n d e n Verhaltens festgelegt. D a d u r c h unterscheidet sie sich v o n der Leistungspflicht, durch die besondere, auf den A u s t a u s c h v o n G ü t e r n gerichtete Pflichten des Schuldners festgelegt w e r d e n . U n t e r diesem G e s i c h t s p u n k t stellen die Sorgfaltspflichten gewissermaßen eine allgemeine V e r h a l t e n s o r d n u n g für die Parteien des Schuldverhältnisses auf. D a r a u s ergeben sich eine R e i h e systematischer K o n sequenzen, wie u.a. die, daß den Sorgfaltspflichten anders als den L e i s t u n g s pflichten keine A n s p r ü c h e auf E r f ü l l u n g entsprechen. 3 1 Zugleich liegt darin ein entscheidender A b g r e n z u n g s g e s i c h t s p u n k t z u m D e l i k t s r e c h t . 3 2 W i e das D e l i k t s r e c h t als allgemeine V e r h a l t e n s o r d n u n g für j e d e r m a n n begriffen wird, so läßt sich auch der durch die Sorgfaltspflichten konstitutierte P r i m ä r b e r e i c h des L e i s t u n g s s t ö r u n g s r e c h t s als allgemeine V e r h a l t e n s o r d n u n g begreifen, der aber im U n t e r s c h i e d zu den V o r s c h r i f t e n des D e l i k t s r e c h t s nur die für die j e weiligen Parteien des Schuldverhältnisses m a ß g e b l i c h e Verhaltensordnung begründet. D a r i n besteht einerseits die i m m e r wieder h e r a u s g e h o b e n e N ä h e dieser Pflichten zu den deliktischen Pflichten, andererseits liegt in der A n w e n d u n g und B e s c h r ä n k u n g auf das Schuldverhältnis auch die spezifische E i genart dieser Pflichten gegenüber den deliktischen Pflichten. E r s t die L e i stungspflicht begründet dann schließlich die b e s o n d e r e n Pflichten des Schuldners. Insgesamt kann damit der durch das D e l i k t s r e c h t gezogenen allgemeinen V e r h a l t e n s o r d n u n g die durch das Schuldverhältnis b e g r ü n d e t e b e sondere V e r h a l t e n s o r d n u n g für den S c h u l d n e r gegenübergestellt w e r d e n . I m R a h m e n der durch das Schuldverhältnis gezogenen O r d n u n g für den Schuldner läßt sich dann weiter auch wieder eine durch die Sorgfaltspflichten k o n stituierte allgemeine V e r h a l t e n s o r d n u n g v o n der durch die Leistungspflichten gestalteten b e s o n d e r e n V e r h a l t e n s o r d n u n g unterscheiden. W e r d e m g e g e n ü b e r nur z w i s c h e n den allgemeinen Pflichten des D e l i k t s r e c h t s und den besonderen Pflichten des Schuldners zur E r b r i n g u n g der Leistung unterscheidet, dem entgeht die durch das Schuldverhältnis gezogene O r d n u n g der Pflichten, durch die sich sämtliche Pflichten in ihrer graduellen A b s t u f u n g sinnvoll aufeinander beziehen lassen.
2. Die Bezeichnung als Sorgfaltspflicht und Auseinandersetzung mit abweichenden Benennungen D i e B e z e i c h n u n g als Sorgfaltspflicht bringt zum A u s d r u c k , daß der K o n stituierung dieses T y p u s v o n P f l i c h t e n ein ethisches P r i n z i p zugrunde liegt, das mit d e m B e g r i f f der Sorge g e k e n n z e i c h n e t ist. Sorgfaltspflichten u m schreiben die erforderliche Sorge um den anderen im Schuldverhältnis. D i e 31 32
D a z u noch genauer unter 4. Vgl. im einzelnen unten § 6 II.
III. Der Typus der
Sorgfaltspflicht
105
erforderlichen Konsequenzen dessen, daß es hier nicht „um Sorge schlechthin" geht, sondern Gegenstand die Sorge um den anderen im Schuldverhältnis ist, werden später gezogen. A n dieser Stelle soll nur der Hintergrund der Bezeichnung für den Typus der Pflicht angedeutet werden. D i e demgegenüber üblicherweise verwandten Formulierungen bringen nicht b l o ß den ethischen Bezug nur unvollkommen zum Ausdruck, sondern sie sind auch unter verschiedenen anderen Gesichtspunkten unbefriedigend. Larenz hat bekanntlich für diesen Typus von Pflichten den Ausdruck „weitere Verhaltenspflichten" eingeführt. 3 3 Diese Bezeichnung ist unter mehreren Gesichtspunkten fragwürdig. Insbesondere ist nicht recht klar, wie sich diese Begriffsbildung zum Begriff der Leistungspflicht verhält. Ist die Leistungspflicht ebenfalls eine Verhaltenspflicht und stellen die hier in Frage stehenden Pflichten demgegenüber nur sonstige Verhaltenspflichten dar, so daß möglicherweise beide Pflichten als einheitlicher Typus von Verhaltenspflichten zu begreifen wären? 3 4 O d e r ist die Pflicht zum Verhalten hier nur weiter gezogen als bei der Leistungspflicht? Vielleicht handelt es sich aber auch um einen weiteren, eigenständigen Typus von Pflichten, der im Unterschied zur Leistungspflicht Verhaltenspflicht ist? D a n n würde sich allerdings die Frage stellen, was die Leistungspflicht für ein Typus von Pflicht ist. Hier zeigt sich mit aller Eindringlichkeit, daß sich der Typus der Sorgfaltspflicht ohne eine genaue Reflektion auf das dem Begriff der Leistungspflicht zugrunde liegende K o n zept gar nicht genauer bestimmen läßt. Wenig gelungen ist auch der Begriff der Nebenpflicht. 3 5 U n t e r prinzipiellem Gesichtspunkt ist er farblos. Wie Larenz 3 6 zu R e c h t bemerkt hat, besteht weiter auch die Gefahr, daß er mit den „Nebenleistungspflichten" verwechselt wird, was fortlaufend - zumindest in der akademischen Ausbildung auch tatsächlich geschieht. H i n z u k o m m t dann, daß der Begriff suggeriert, hier werde nach der Bedeutung von Pflichten unterschieden. Das mag für die Unterscheidung von H a u p t - und Nebenleistungspflichten ja auch zutreffen. Für den an dieser Unterscheidung angelehnten Begriff der Nebenpflicht ist es dagegen nicht mehr zutreffend, weil sich die Unterscheidung nach der Bedeutung der Pflichten sinnvoll nur auf den Leistungszweck, wenn nicht sogar überhaupt nur auf die Gliederung solcher Zwecke im Rahmen eines Vertragstyps beziehen läßt. 3 7 . I m übrigen schwingt in der Bezeichnung als N e b e n pflicht auch die Vorstellung mit, es handele sich um Pflichten, welche die Leistungserbringung begleiten, also die Erbringung der Leistung sicherstellen.
33
Larenz,
Schuldrecht I, § 2 I. Ihm folgt insbesondere Palandt-Heinrichs,
Einl v §241
Rz.7. So wohl Schünemann, JuS 1987, 1 (Fn. 58). Er findet sich etwa bei Brox, Allgemeines Schuldrecht, Rz. 13; Erman-O. Werner, § 242 Rz. 50 ff. 3 6 Vgl. Schuldrecht I, § 2 I (S. 11). 3 7 Vgl. dazu etwa auch Schlechtriem, Schuldrecht-AT, Rz. 113, wo die Unterscheidung auf die einen bestimmten Vertragstyp kennzeichnende Pflicht bezogen wird. 34
35
106
5 4 Die
Sorgfaltspflichtverletzung
I m Grunde liegt damit dem Begriff das theoretische K o n z e p t einer bloßen institutionellen Umhegung der Leistungspflicht durch die Nebenpflicht zugrunde. Dieses K o n z e p t wird hier mit der Auffassung der Sorgfaltspflicht als eigener Typus von Pflichten zurückgewiesen. D e r Bezugspunkt der Sorgfaltspflicht ist nicht die Leistung, sondern das Schuldverhältnis und deshalb gibt es auch „Schuldverhältnisse ohne primäre Leistungspflicht" 3 8 . Auch die vor allem von Heinrich Stoll 3 9 eingebrachte Bezeichnung dieses Typus von Pflichten als Schutzpflichten ist wenig glücklich. Im Unterschied zu den beiden anderen Bezeichnungen bringt dieser Begriff immerhin mit dem Gedanken des Schutzes ein inhaltliches Prinzip zum Ausdruck. Larenz 4 0 hat zu diesem Begriff zu bedenken gegeben, daß er nur einen Teil der hier genannten Pflichten betreffe, was hinsichtlich der von Stoll selbst gegebenen Begründung für die Begriffsbildung auch zutreffen mag. 4 1 Man kann das aber auch umgekehrt sehen. Ist nicht der Gedanke des Schutzes ein kennzeichnendes M o m e n t aller Pflichten? Dient nicht etwa auch die Leistungspflicht dem Schutze des Interesses des Gläubigers an der Erfüllung? So gesehen wird das Charakteristische des hier in Frage stehenden Typus von Pflichten mit dem Gedanken des Schutzes nicht getroffen. Es soll hier nicht geleugnet werden, daß auch der Begriff der Sorgfaltspflicht Probleme aufwirft. Larenz 4 2 hat etwa eingewandt - und darauf wird z u r ü c k z u k o m m e n sein 4 3 - , daß Sorgfalt auch von der eigentlichen Leistungshandlung selbst verlangt werde. D a n n besteht vor allem auch die Gefahr, den Typus der Sorgfaltspflicht mit dem durch § 2 7 6 I 2 B G B vorgegebenen Fahrlässigkeitsmaßstab zu verwechseln. Diese Schwierigkeiten sind aber in der N a t u r des Sorgfaltsprinzips begründet. D e r Gedanke der Sorgfalt ist ein ethisches Prinzip, das das Gesetz unter verschiedenen Gesichtspunkten aufnimmt und fruchtbar macht. Vor allem Deutsch, der die vielfältigen Facetten der Sorgfalt immer wieder von neuem analysiert 4 4 , hat darauf hingewiesen, daß der Gedanke der Sorgfalt schon mit dem Handlungsbegriff vorgegeben
Ausdruck von Larenz, vgl. Schuldrecht I, § 9. AcP 136 (1932), 257 (insbesondere 287 ff.). Von „außerdeliktischen Schutzpflichten", die noch wieder von Treuepflichten unterschieden werden, spricht neuerdings Krebs, Sonderverbindung und außerdeliktische Schutzpflichten, passim, insbesondere S. 4 ff., 440 ff., 485 ff. Die Bezeichnung als „außerdeliktische Schutzpflichten" bringt zum Ausdruck, daß diese Pflichten nach dem Vorbild des deliktsrechtlichen Rechtsgüterschutzes gebildet sind, vgl. Krebs, a.a.O., S. 210 f. Darin liegt - vor allem im Hinblick auf die Rechtsnatur dieser Pflichten - eine durchaus problematische Begriffsbildung. 4 0 Schuldrecht I, § 2 I ( S . 11). 41 Stoll bezog die Schutzpflicht offenbar nur auf schädigende Einwirkungen im Rahmen der Vertragsvorbereitung oder -durchführung, vgl. etwa AcP 136 (1932), 257 (288, sowie die verschiedenen Fälle 301 ff.). 4 2 Schuldrecht I, § 2 I (S. 10 m. Fn. 5). 4 3 Vgl. § 5 I u. V. 4 4 Vgl. insbesondere Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt; Allgemeines Haftungsrecht, R z . 3 7 7 f f . ; J Z 1988, 393 ff. 38
39
III. Der Typus der
107
Sorgfaltspflicbt
ist. 45 Damit kann man die gesamte Haftungsbegründung anhand der Stufen der Tatbestandsmäßigkeit, der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens eines Verhaltens als Bestimmung immer präziser zu fassender Schichten der Sorgfalt begreifen. Grundlage des Haftungsrechts ist damit gewissermaßen eine „Phänomenologie der Sorgfalt" 4 6 . Angesichts dieses Hintergrundes kann der gemeinsame gedankliche Bezugspunkt der als eigenständiger Pflichtentypus zu verstehenden Sorgfalt und der Fahrlässigkeit auch terminologisch deutlich gemacht werden. 4 7 Dies sollte dann auch - trotz der drohenden Gefahr von Verwechslungen - geschehen. Möglicherweise führt das sogar eher dazu, daß man sich sehr viel genauer Rechenschaft darüber ablegt, wie sich die unterschiedlichen Facetten voneinander unterscheiden und zu einem Ganzen zusammenfügen, statt der Alternative, mit beziehungslos nebeneinanderstehenden Begriffen zu hantieren. Im übrigen sei hier auch der Hinweis erlaubt, daß das B G B selbst den zentralen Begriff des Schuldverhältnisses in unterschiedlichem Sinne verwendet und damit auch wesentliche Zusammenhänge zum Ausdruck bringt.
3. Die Orientierung der Sorgfaltspflicht am Schutz von Rechtsgütern a) Der Schutz von Rechtsgütern durch subjektive und Pflichten
Rechte
Wenn als Gegenstand der Sorgfaltspflicht die Sorge um den anderen im Schuldverhältnis bezeichnet worden ist, so liegt dem eine inhaltliche Deutung des dogmatischen Begriffs der Pflicht zugrunde, die der Begründung bedarf. Zugleich soll damit im folgenden auch die systematische Bedeutung dieses Gedankens erläutert werden. D e r hier zugrunde gelegte Ausgangspunkt, die Haftung des Schuldners vom Begriff der Pflicht her zu deuten, ist keineswegs so selbstverständlich und unproblematisch, wie es vielleicht scheinen mag. D e m zivilrechtlichen D e n k e n liegt es aus vielerlei Gründen an sich näher, von der subjektiven Berechtigung her anzusetzen und damit etwa beim Begriff des subjektiven Rechts oder dem Anspruch. Vor diesem Hintergrund ist mit vollem R e c h t die Frage aufgeworfen worden, ob es denn nicht ein Unterschied sei, ob man das Zivilrecht primär als ein System der Rechte oder als ein solches von Pflichten begreift. 4 8 In der Tat handelt es sich um mehr als eine bloß rechtstechnische Frage, welchen Begriff man in den Mittelpunkt des zi-
J Z 1988, 993 (995). Vgl. die Überschrift bei Deutsch, J Z 1988, 993 (995). 4 7 Kritisch zu dem Ausdruck „Sorgfaltspflicht" aber etwa Deutsch, forderliche Sorgfalt, S. 419. 48 Schapp, J Z 1993, 637 (642). 45 46
Fahrlässigkeit und er-
108
$ 4 Die
Sorgfaltspflichtverletzung
vilrechtlichen Haftungssystems stellt. In jedem Fall legt dieser Einwand eine weitere Klärung des hier zugrunde gelegten Pflichtenverständnisses nahe. Dazu w i r d hier zunächst bei der Frage angesetzt, w o r i n denn eigentlich die Bedeutung des Denkens in subjektiven Rechten liegt. Der zentrale Gedanke z u m subjektiven Recht dürfte darin liegen, daß es von jeher in irgendeiner Weise als A u s d r u c k von Freiheit verstanden worden ist und damit als Kennzeichen einer auf Privatautonomie gegründeten Zivilrechtsordnung. 4 9 Subjektive Rechte in diesem Sinne sind vor allem die absoluten Rechte. Der Schutz der absoluten Rechte ist nicht nur der tragende Gedanke für die am Anfang des Deliktsrechts stehende Vorschrift des § 823 I BGB, sondern auch der Leitgedanke des dinglichen Eigentumsschutzes. Als relatives Recht der Forderung ist das subjektive Recht zentraler Gegenstand des Schuldrechts, als Anspruch darüber hinaus Grundlage des zivilrechtlichen Anspruchssystems überhaupt. Der Freiheitscharakter dieser Rechtsbereiche dürfte auf der H a n d liegen. Das Leistungsstörungsrecht wird hingegen nur deshalb nicht vom Begriff des relativen Rechts und seiner Verletzung her konzipiert, weil sich damit nur die Verletzung der Leistungspflicht erfassen läßt, gerade nicht aber die Verletzung der Sorgfaltspflicht, der nach üblicher Auffassung kein Anspruch entspricht. 5 0 Jedem subjektiven Recht läßt sich nun auch eine entsprechende Pflicht zuordnen. Im Bereich des Anspruchs auf Erfüllung, dem die Leistungspflicht entspricht, wird ständig zwischen beiden Perspektiven gewechselt, je nachdem, ob man die Perspektive des Gläubigers oder aber die des Schuldners in den Vordergrund stellt. Im Bereich des deliktischen und dinglichen Rechtsschutzes hat sich diese Sichtweise etwas weniger durchgesetzt. Immerhin gibt es mit der Verkehrspflicht - vielleicht auch mit der „Pflicht zur Achtung des Eigentums" - ebenso in diesem Bereich Ansatzpunkte, mit denen von der subjektiven Berechtigung zur Pflichtenstellung gewechselt wird. Insgesamt scheint danach doch ein Bedürfnis juristischer Dogmatik zu bestehen, jeweils beide Seiten begrifflich zu erfassen. U n d dennoch, das subjektive Recht wird häufig als das Primäre gesehen, die entsprechende Pflicht als das Sekundäre. Die primäre Orientierung am subjektiven Recht soll dabei den inhaltlichen Bezug des Rechts z u m Ausdruck bringen, der im Schutz der Rechtsgüter des einzelnen liegt. Dieser Bezugspunkt ist vom theoretischen Ansatz der Pflicht her sehr viel weniger eindeutig, weil die Pflicht nur die gesollte Handlung in den Blickpunkt rückt und damit den Schutz der Rechtsgüter sehr leicht aus dem Auge verliert. Diese Gefahr hat in der Diskussion des Deliktsrechts vor allem die Lehre vom Verhaltensunrecht deutlich gemacht, die der hergebrachten Lehre vom Erfolgsunrecht entgegengetreten ist. In der Kontroverse beider Theorien geht es 49 Vgl. dazu vor allem Coing, Zur Geschichte des Begriffs „subjektives Recht", sowie die Untersuchung von Fezer, Teilhabe und Verantwortung. 50 Vgl. Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 256 f.
III Der Typus der
Sorgfaltspflicht
109
um die Frage, wie die Bewertung einer Handlung als rechtswidrig erfolgt. Die insbesondere in § 823 I BGB eher angelegte Lehre vom Erfolgsunrecht, bestimmt das Unrecht der Handlung dadurch, daß vom eingetretenen Erfolg der Rechtsgutsverletzung auf die zugrunde liegende Handlung als Rechtsgutsverletzung zurückgeschlossen wird. 5 1 In dieser Weise wird die Handlung von vornherein in ihrem Bezugspunkt zum geschützten Rechtsgut betrachtet. Die Lehre vom Verhaltensunrecht sieht das Unrecht der Handlung dagegen in der Handlung selbst ohne eine Beziehung zu einem bestimmten Erfolg. 52 Eine Handlung ist danach rechtswidrig, wenn sie gegen von der Rechtsordnung aufgestellte Pflichten oder gegen Gesetze selbst verstößt. Bezugspunkt für die Bestimmung der Handlung als rechtswidrig ist damit nicht das geschützte Rechtsgut, sondern die von der Rechtsordnung aufgestellte Pflicht. Solche Verkehrspflichten lassen sich nun in durchaus unterschiedlichem Sinne deuten. So hat etwa v. Caemmerer schon sehr früh angenommen, daß die Pflichtverletzung bereits in der Nichteinhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt liegt, ohne daß dazu noch ein an fremden Rechtsgütern eintretender Verletzungserfolg hinzutreten müsse. Konsequenterweise bezieht er das erforderliche Verschulden auch nur noch auf die Verletzung der Verkehrspflicht, nicht aber mehr auf die Verletzung des Rechtsgutes. 53 Es ist hier nicht der Ort einer umfassenden Auseinandersetzung mit der Lehre vom Verhaltensunrecht. Dennoch sollen die weitreichenden Implikationen des Ansatzes v. Caemmerers zumindest angedeutet werden. Bei v. Caemmerer ist letzter Bezugspunkt der Pflicht die Rechtsordnung. Die Rechtsordnung erscheint - durchaus in der Nachfolge Kelsens - als Ordnung menschlichen Verhaltens durch Statuierung von Pflichten und damit vor allem unter dem Gesichtspunkt der Steuerung von Verhalten. Der einzelne ist in dieser Sicht nur noch begünstigtes Objekt von Verhaltenssteuerung, nicht aber derjenige, der in seinen Rechtsgütern geschützt wird. Pflichten werden dementsprechend aus Achtung gegenüber der Rechtsordnung erfüllt, nicht aber um der Mitmenschen und ihrer Rechtsgüter willen. 54 Der Deutung, die damit dem Begriff der Pflicht gegeben wird, liegt so ein doch problematisches Verständnis des Zivilrechts zugrunde. Konsequent zu Ende gedacht steht es dem klassischen Denken in subjektiven Rechten diametral entgegen. Das Denken in subjektiven Rechten hat vor allem den Sinn, den Bezug der
51 Für diesen Ansatz etwa Jauernig-Teichmann, §823 Rz. 50; Staudinger-Schäfer, §823 Rz. 1, 8. 52 Für diesen Standpunkt etwa v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, 452 (insbesondere 478 ff.); Münzberg, Verhalten und Erfolg als Grundlagen der Rechtswidrigkeit und Haftung; Nipperdey, NJW 1957, 1777 ff.; Staudinger-Löwisch, § 276 Rz. 10. 53 v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, 452 (483 f.); ähnlich v. Bar, Verkehrspflichten, S. 160 ff. Kritisch dazu Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §76 III 7 a; Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 228. 54 Vgl. dazu Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 216: Dem Zivilrecht gehe es um den Schutz der Rechtsgüter, nicht um „den Normgehorsam an sich".
110
§ 4 Die
Sorgfaltspflicbtverletzung
Rechtsordnung zu den geschützten Lebensgütern zum Ausdruck zu bringen und damit auch die ethisch-freiheitliche Dimension des Zivilrechts herauszustellen. 5 5 Ein Verständnis der Pflicht, das den Bezug zu den Rechtsgütern aufgibt, steht deshalb auch in der Gefahr, dieses Verständnis von Zivilrecht aufzugeben.
b) Die Orientierung
der Sorgfaltspflichten
aa) Typen von Sorgfaltspflichten
an
zum Schutz von
Rechtsgütern Rechtsgütern
D e r Versuch einer Konzeption von Pflichten, die sich in das geltende Zivilrechtssystem einfügt, sollte deshalb davon ausgehen, daß das Haftungsrecht dem Schutz von Rechtsgütern dient. Das ist im Bereich des Deliktsrechts oftmals dadurch hervorgehoben worden, daß man hier das G e b o t des „neminem laedere" zum Ausdruck gebracht sieht oder - wie teilweise noch deutlicher formuliert wird - das G e b o t des „alterum non laedere". 5 6 Picker 5 7 hat sogar mit einigem R e c h t angenommen, daß dies nicht nur ein G e b o t des Deliktsrechts sei, sondern eines Vertrag und Delikt gemeinsam umfassenden H a f tungsrechts. Dieser Verankerung des zivilrechtlichen Haftungsrechts in den Rechtsgütern folgend werden auch die Pflichten im Schuldverhältnis hier von diesem Fundament her gedeutet. So liegt bereits der Analyse der Leistungspflichtverletzung die Vorstellung zugrunde, daß nachträgliche U n m ö g l i c h keit und Schuldnerverzug unterschiedliche F o r m e n der Verletzung des A n spruchs als eines Rechtsgutes des Gläubigers darstellen. Darüber hinausgehend läßt sich aber ebenso der Typus der Sorgfaltspflicht von einem solchen Pflichtenverständnis her bestimmen. Auch die Sorgfaltspflicht dient danach nicht allein der Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, sondern dem Schutz der Rechtsgüter des anderen. Entsprechend der Beschränkung der Sorgfaltspflichten auf das Schuldverhältnis dienen Sorgfaltspflichten damit dem Schutz der Rechtsgüter des anderen im Schuldverhältnis. Dieser durch die Sorgfaltspflichten bezweckte Schutz von Rechtsgütern läßt sich nun weiter auffächern und damit konkretisieren. Es gibt also unterschiedliche Typen von Sorgfaltspflichten zum Schutz der Rechtsgüter des anderen im Schuldverhältnis. So lassen sich unterscheiden Sorgfaltspflichten zum Schutz von absolut geschützten Rechtsgütern des anderen, Sorgfaltspflichten zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit des an55 Vgl. dazu auch Palandt-Heinrichs, zuletzt in der 55. A., § 276 Rz. 9 a.E.: Die Lehre vom Erfolgsunrecht verhindere, daß das subjektive Recht, eine der zentralen Kategorien des Zivilrechts, zu einem bloßen Reflex von Sorgfaltspflichten denaturiert wird. Ähnlich Erman-Battes, § 2 7 6 Rz. 10. 56 Vgl. dazu nur etwa Deutsch, Unerlaubte Handlungen, Schadensersatz und Schmerzensgeld, Rz. 6; Larenz! Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 I 2 c (S. 352); Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 199; sowie umfassend Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, § 6 IV, und Schiemann, JuS 1989, 345 ff. 57 AcP 183 (1983), 369 (460 ff.); J Z 1987, 1041 (1048).
III. Der Typus der Sorgfaltspflicht
111
deren und schließlich Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z der Beteiligung des anderen am Schuldverhältnis. Leistungspflicht und Sorgfaltspflicht unterscheiden sich d e m g e m ä ß v o r allem darin, daß sie dem S c h u t z unterschiedlicher R e c h t s g ü t e r dienen. D i e E n t f a l t u n g dieses G e d a n k e n s im H i n b l i c k auf den S c h u t z der unterschiedlichen R e c h t s g ü t e r steht im M i t t e l p u n k t des zweiten Teils der A r b e i t . D i e B e s t i m m u n g der insoweit genannten R e c h t s g ü t e r orientiert sich dabei durchaus an dem gängigen B e s t a n d der in der L i t e r a t u r ü b lichen Fallgruppenbildung im R a h m e n der K o n k r e t i s i e r u n g v o n Sorgfaltspflichten. 5 8 W e n n d e m g e g e n ü b e r vereinzelt Zweifel an dem Sinn s o l c h e r Systematisierungsversuche angemeldet w e r d e n , so wird damit die O r i e n t i e r u n g s f u n k t i o n verkannt, die in der B e s t i m m u n g unterschiedlicher Sorgfaltspflichten und der ihnen entsprechenden R e c h t s g ü t e r liegt. D a b e i ist die hier v o r g e n o m m e n e E i n - und U n t e r t e i l u n g keineswegs als abschließende B e s t i m mung eines den Sorgfaltspflichten zugrunde liegenden R e c h t s g ü t e r s y s t e m s zu verstehen. I m m e r h i n wird sich die Aufstellung i m m e r neuer Sorgfaltspflichten aber in diesen v o r g e g e b e n e n R a h m e n einfügen müssen.
bb) Die Begründung der Sorgfaltspflichtverletzung vor dem Hintergrund der Kontroverse zwischen Verhaltensund Erfolgsunrechtskonzeption D a s bisher n u r umrissene Verständnis der Sorgfaltspflichten impliziert keine abschließende Stellungnahme in der K o n t r o v e r s e z w i s c h e n der L e h r e v o m H a n d l u n g s - und E r f o l g s u n r e c h t . D a s D e n k e n in R e c h t s g ü t e r n scheint z w a r wie das D e n k e n in subjektiven R e c h t e n auf den ersten B l i c k der L e h r e v o m E r f o l g s u n r e c h t näher zu stehen. B e i genauerem H i n s e h e n ergeben sich aber auch enge B e r ü h r u n g s p u n k t e mit d e m Anliegen der L e h r e v o m Verhaltensunrecht. D i e s e s Anliegen kann man darin sehen, daß es der L e h r e v o m Verhalt e n s u n r e c h t darum geht, M a ß s t ä b e für eine unmittelbare B e w e r t u n g der H a n d l u n g selbst zu gewinnen und diese nicht allein aus einem v o r g e o r d n e t e n B e s t a n d v o n R e c h t s g ü t e r n herzuleiten. M i t der O r i e n t i e r u n g der Sorgfaltspflichten an R e c h t s g ü t e r n wird d e m g e g e n ü b e r hier geltend gemacht, daß sich das U r t e i l ü b e r eine H a n d l u n g für diesen B e r e i c h z w a r nicht allein anhand der Verletzung eines R e c h t s g u t e s fällen läßt, sehr w o h l aber d o c h im H i n b l i c k auf 58 Dabei handelt es sich um eine Zusammenfassung der gängigen Typisierung von Pflichten im Rahmen der Institute der positiven Vertragsverletzung und der culpa in contrahendo unter inhaltlichem Gesichtspunkt. So wird etwa bei Staudinger-Löwisch, Vorbem zu §§ 275 ff. Rz. 23, für die positive Vertragsverletzung unterschieden zwischen der Schlechterfüllung, der Vertragsuntreue und der Schutzpflichtverletzung, für die culpa in contrahendo (Rz. 53) ebenfalls die Schutzpflichtverletzung, die Enttäuschung des Vertrauens auf das Zustandekommen des Vertrages und die pflichtwidrige Herbeiführung des Vertrages. Der Sache nach ganz ähnliche Unterscheidungen finden sich beispielsweise bei Soergel-Wiedemann, Vor §275 Rz. 110 ff., 358 f. (im einzelnen Rz. 128 ff., 153 ff., 172 ff., 373 ff., 409 ff., 464 ff.), und - wenn auch mit teilweise etwas stärkerer Ausdifferenzierung - bei Jauernig-Vollkommer, §276
Rz. 52 ff., 74 ff., Palandt-Heinrichs,
§ 276 Rz. 71 ff., 109 ff.
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5 4 Die
Sorgfaltspflichtverletzung
die Verletzung dieses Rechtsgutes erfolgen muß. Mit einem solchen Verständnis der Bewertung von Handlungen durch Sorgfaltspflichten bestehen sowohl Berührungspunkte zur Lehre vom Erfolgsunrecht, wie auch zu einer verhaltensunrechtstheoretischen Konzeption. Bei der Problematik einer Einordnung des hier verfolgten Pflichtenkonzeptes vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen Verhaltensund Erfolgsunrecht ist auch zu berücksichtigen, daß die Frage nach der Bedeutung dieser Kontroverse für den Bereich des Leistungsstörungsrechts noch gar nicht ausreichend erschlossen ist. 59 Entgegen der in der Diskussion zumeist erhobenen Ansprüche auf eine allgemein geltende Rechtswidrigkeitslehre dürfte der Kern dieses Streites sich auf das Verständnis des Deliktsrechts beziehen. Im Grunde geht es hier um die Frage, welche Bedeutung man den sich aus § 823 I BGB ergebenden Rechtsgütern für die Bewertung der Unerlaubtheit einer Handlung beimessen will. 60 Dabei steht vor allem auch eine Deutung dessen im Raum, was die Absolutheit dieser Rechte ausmachen mag. Diesem Problem scheint nun im Bereich der Leistungsstörungen von vornherein keine Bedeutung zuzukommen. Verbindungslinien ergeben sich aber, wenn man sich klar macht, daß selbst aus der Perspektive der Erfolgsunrechtslehre die absoluten Rechte bei der Bewertung eines Verhaltens als unerlaubt i.S. von § 823 I BGB immer häufiger keine ausreichenden Entscheidungen ermöglichen, sondern ebenfalls nur noch eine, wenn auch wichtige Orientierungsfunktion entfalten. Das Indikationsmodell selbst hat insoweit nur noch orientierende Wirkung. Das zeigt sich etwa daran, daß selbst diejenigen, die von der erfolgsunrechtstheoretischen Konzeption ausgehen, für die Fälle des Unterlassens und der mittelbaren Handlungen zumeist Zugeständnisse an die Lehre vom Verhaltensunrecht machen. 61 Unter Rückgriff auf verhaltensunrechtstheoretische Perspektiven werden auch schwierige Probleme bei der Bestimmung des Schutzumfangs der absoluten Rechte angegangen, etwa bei der Frage, welche Formen der Beeinträchtigung sich als Eigentumsverletzung begreifen lassen. 62 Angesichts dieses Befundes kann man geradezu davon sprechen, daß nicht nur einzelne der Bestimmung des § 823 I BGB zugeordnete Rechte „Rahmenrechte" darstellen, sondern daß sich sämtliche absoluten Rechte als Rahmenrechte kennzeichnen lassen, die eine mehr oder weniger fest umrissene Kon59 Vgl. aber immerhin Staudinger-Löwisch, § 276 Rz. 10 ff., und Löwisch, AcP 165 (1965), 421 (422 ff.); außerdem Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, § 25 IV. 60 Canaris hat diesen Unterschied zwischen Erfolgs- und Verhaltensunrecht prägnant wie folgt formuliert: „Bei ersterem ist die Schutzwürdigkeit des betroffenen Rechtsguts als solche ausschlaggebend, bei letzterem steht dagegen die besondere Art und Weise, in der der Täter mit diesem umgeht, im Mittelpunkt des rechtlichen Unwerturteils." Vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 II 3 b (S. 367). 61 Vgl. nur etwa Larenz!Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 II 3 b; Medicus, Schuldrecht II, Rz. 750; Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 231. 62 Vgl. Boecken, Deliktsrechtlicher Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen, S. 312 ff.
///. Der Typus der
Sorgfaltspflicht
113
tur aufweisen, die im Einzelfall konkretisierungsbedürftig sein kann. Die genauere Bestimmung dieser Kontur und damit auch des gewährten Schutzes kann aber nur durch Bewertung der Handlung im Hinblick auf dieses Rechtsgut erfolgen. Dieser A k t der Unrechtsbewertung entspricht jedoch weder dem Ausgangspunkt der klassischen Erfolgsunrechtslehre, da diese meint, allein vom Eintritt des Erfolges auf die Unerlaubtheit einer Handlung schließen zu können, noch entspricht er dem Standpunkt der klassischen Verhaltensunrechtslehre, da diese meint, bei der Bewertung der Unerlaubtheit des Verhaltens vom eingetretenen Erfolg absehen zu können. Insoweit lassen sich in dem Prozeß der Konturierung der Rechtsgüter z u m Zwecke der Bewertung einer Handlung Momente aus dem Gedankenkreis von Erfolgs- und Verhaltensunrechtslehre miteinander kombinieren. 6 3 Diese Verschmelzung beider Perspektiven ist von unmittelbarer Bedeutung auch für die Konturierung der Sorgfaltspflichten im Schuldverhältnis. Eine rein erfolgsunrechtstheoretische Konzeption dieser Pflichten ist - angesichts der größtenteils nur vagen Konturierung der durch sie geschützten Rechtsgüter - kaum denkbar. Andererseits bedeutet dies nicht, daß sich diese Pflichten damit - unter Absehung der Formulierung geschützter Rechtsgüter - überhaupt nur auf verhaltensunrechtstheoretischer Grundlage konzipieren lassen. Mit dem Gedanken der Orientierung von Sorgfaltspflichten an den geschützten Rechtsgütern k o m men vielmehr beide Perspektiven zu ihrem Recht. Inwieweit diese Verknüpfung der beiden Perspektiven dabei zu überzeugen vermag, muß der systematische Teil der Untersuchung zeigen. Die Bestimmung der Sorgfaltspflicht von dem Schutz der Rechtsgüter her fügt sich schließlich auch in den bereits herausgehobenen Bezug einer Verankerung des Begriffs der Pflicht in ethischen Perspektiven ein. Mit dem Begriff der Pflicht läßt sich von vornherein der Anschluß an eine dem Recht vorgelagerte Pflichtensphäre gewinnen. U b e r den Begriff des subjektiven Rechts oder des Anspruchs ist dieser Bezug sehr viel schwieriger herzustellen. Schapp hat insoweit zu bedenken gegeben, daß im Mittelpunkt der rechtsphilosophischen Tradition immer die Frage gestanden hat, welche Pflichten bestehen, nicht ob jemand einen moralischen Anspruch hat. 6 4 Von der Funktion her läßt sich diese aus juristischer Sicht bestehende Lücke am ehesten durch den Begriff des Gutes schließen, da auch die Rechtsgüter in eigener Weise ethisch fundiert sind. Der Begriff des Gutes ist dabei in der Ethik möglicherweise sogar tiefer fundiert als der Begriff der Pflicht. Die Güter sind der letzte Bezugspunkt - auch der Pflichten - jenseits aller subjektiven Präformierung. Was sonst sollte Gegenstand unserer Sorge sein, w e n n nicht diese Güter?
63 Für eine Kombination verschiedener Momente der Rechtswidrigkeit insbesondere auch Deutsch, Unerlaubte Handlungen, Schadensersatz und Schmerzensgeld, Rz. 84, sowie Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 II 3 b. Dabei kann man sich natürlich auch unter der Art der Kombination Unterschiedliches vorstellen. 64 Schapp, Ethische Pflichten und Rechtspflichten, S. 30.
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5 4 Die
cc) Zur Abgrenzung der von der Fahrlässigkeit
Sorgfaltspflichtverletzung
Sorgfaltspflichtverletzung
Bereits im Rahmen der Darstellung zur Leistungspflichtverletzung ist der Unterschied zwischen der Pflichtverletzung und dem Verschulden bei dieser Pflichtverletzung dahingehend bestimmt worden, daß mit der Pflichtverletzung die objektiven Anforderungen an das Verhalten des Schuldners bestimmt werden, während das Verschulden den individuellen Vorwurf begründet. 65 Dabei richten sich im Rahmen der Begründung einer Pflichtverletzung die Anforderungen nach dem Höchstmaß der objektiv erforderlichen Sorgfalt, während es bei der Begründung der Fahrlässigkeit eines Verhaltens auf die persönlichen und individuellen Verhältnisse des Schuldners ankommt, wobei diese allerdings nach generell typisierenden Merkmalen bestimmt werden. 66 Diese Grenzlinie ist für die Abgrenzung der Sorgfaltspflichtverletzung von der Fahrlässigkeit natürlich von besonderer Bedeutung. Auch nur der Versuch einer genaueren Begründung dieser Unterscheidung würde den Rahmen dieser Untersuchung bei weitem sprengen. Immerhin lassen sich hier aber einige Gesichtspunkte andeuten. Die Unterscheidung zwischen einem objektiven Höchstmaß an Sorgfalt und ein dem Handelnden individuell mögliches Maß an Sorgfalt beruht auf der in der strafrechtlichen Dogmatik ganz herrschenden Annahme einer Doppelfunktion der Fahrlässigkeit als objektiver und subjektiver Fahrlässigkeit. 6 7 Die Zuordnung der Fahrlässigkeit in ihrer objektiven Bedeutung bereits zum Tatbestand beruht dabei im wesentlichen auf einem veränderten Verständnis des Unrechts, insbesondere der Erkenntnis, daß erst eine über das normale Risiko hinausgehende Gefahr ein Unrecht begründen kann. 6 8 Bekanntlich kommen gerade aus dieser Entwicklung des Strafrechts auch wesentliche Impulse für die Verhaltensunrechtslehre im Zivilrecht. 6 9 Das eigentliche Problem der Übertragung dieser strafrechtlichen Unterscheidung von objektiver und subjektiver Fahrlässigkeit in das Zivilrecht besteht nun weniger darin, die Sorgfaltspflichtverletzung in der Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt zu sehen, als vielmehr in der richtigen Bestimmung der Fahrlässigkeit auf dieser Grundlage. 7 0 Im Unterschied zum Strafrecht kann diese für das Zivilrecht im Interesse des Verkehrsschutzes nicht allein nach den persönlichen und individuellen Verhältnissen bestimmt werden. Andererseits wird mit dem durch § 276 B G B vorgegebenen Gedanken der FahrläsVgl. § 3 III 4. So insbesondere Soergel-M. Wolf, § 276 Rz. 36 f., 40. 67 Zur strafrechtlichen Funktion der Fahrlässigkeit als „doppelter Maßstab" vgl. nur Roxin, Strafrecht AT I, § 24 Rz. 46 ff. m.w.N. in Fn. 57. 68 Vgl. im einzelnen Roxin, Strafrecht AT I, § 24 Rz. 3-7. 69 Vgl. zu diesem Hintergrund nur Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 227. 70 Gerade dieses Problem hat in der verhaltensunrechtstheoretischen Konzeption durch Nipperdey denn auch zu der Vorstellung geführt, Fahrlässigkeit i.S. von § 276 I 2 B G B bedeute individuelle Vorwerfbarkeit, N J W 1957, 1777 (1780 ff.). 65
66
III. Der Typus der
Sorgfaltspflicht
115
sigkeit als Verschulden daran festgehalten, daß dem Schuldner zur Begründung einer Haftung ein Vorwurf gemacht werden können muß. Daraus ergibt sich die eigentümliche Vorstellung einer Bestimmung der Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt nach persönlichen und individuellen Verhältnissen auf der Grundlage generell typisierender Merkmale, die mit der Kurzformel von der Fahrlässigkeit als objektiv erforderlicher Sorgfalt sicher nur ganz unzureichend zum Ausdruck gebracht ist. D i e Grenzziehung zwischen objektiver und subjektiver Seite der Fahrlässigkeit ist damit für das Zivilrecht sicher schwieriger als im Strafrecht, das bedeutet - entgegen manchen Stimmen in der Literatur 7 1 - aber nicht, daß deswegen auf sie verzichtet werden könnte. So ist beispielsweise schon bei vorsätzlichem Handeln die Sorgfaltspflichtverletzung nicht identisch mit der Schuld. 7 2 Allerdings ist zuzugegeben, daß dem Verschuldensurteil heute im wesentlichen nur noch eine haftungsbegrenzende Funktion zukommt. Die Prüfung des Verschuldens unter Berücksichtigung persönlicher Gegebenheiten führt genauso wie das Fehlen der Verschuldensfähigkeit zum Ausschluß einer mit dem Merkmal der Pflichtverletzung zu weit gezogenen Haftungsbegründung, so daß dabei im wesentlichen nur noch ein etwaig fehlendes Verschulden erörtert wird. Diese Bedeutungsverschiebung des Verschuldensurteils k o m m t etwa auch darin zum Ausdruck, daß die Rechtsprechung - mit Begriffen, deren Bedeutungsgehalt nicht als geklärt bezeichnet werden kann 7 3 - prinzipiell davon ausgeht, daß die Verletzung der äußeren Sorgfalt die Verletzung der inneren Sorgfalt indiziert und damit von einem äußerlich sorgfaltswidrigen Verhalten auf das Verschulden schließt. 7 4 Insgesamt kann man damit heute im Anschluß an ein von Esser 7 5 schon sehr früh ausgearbeitetes theoretisches K o n z e p t von einer Doppelfunktion der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt" sprechen, nämlich als der Grundlage des in der Sorgfaltspflichtverletzung liegenden Unrechtsvorwurfes wie auch des in der Fahrlässigkeit liegenden Schuldvorwurfes.
71 Vgl. insbesondere Brüggemeier, Deliktsrecht, Rz. 114, sowie auch Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, § 25 V, wo deshalb nicht mehr von Verschuldenshaftung, sondern stattdessen von „Unrechtshaftung" gesprochen wird, § 25 V 1 a.E. 72 Vereinzelt wird hingegen offenbar angenommen, daß vorsätzliche Handlungen ohnehin unerlaubt seien und daher nicht als Sorgfaltspflichtverletzungen aufgefaßt werden könnten, so wohl L. Müller, JuS 1998, 894 (895). Das scheint mir systematisch inkonsequent zu sein. 73 Vgl. nur die Schilderung der „Verwirrung" bei Larenz, Schuldrecht I, § 20 V (S. 290 f.), sowie die Darstellung der verschiedenen Momente der Sorgfalt bei Deutsch, J Z 1988, 993 ff. 7 4 Vgl. B G H VersR 1986, 765 (766); B G H Z 116, 60 (72 f.); sowie im einzelnen Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rz. 391 f. 7 5 Schuldrecht, 2. A., § 56.
116
5 4 Die
Sorgfaltspflichtverletzung
4. Ansprüche auf Erfüllung von Sorgfaltspflichten ? D u r c h a u s umstritten ist in der L i t e r a t u r die Frage, o b der G l ä u b i g e r die E i n h a l t u n g der sich aus der Sorgfaltspflicht ergebenden A n f o r d e r u n g e n gegen den S c h u l d n e r erzwingen k a n n . 7 6 I m A n s c h l u ß an einen grundlegenden Beitrag v o n Stürner wird diese P r o b l e m a t i k zumeist unter dem G e s i c h t s p u n k t eines A n s p r u c h e s auf E r f ü l l u n g v o n Sorgfaltspflichten diskutiert. 7 7 Vor dem H i n t e r g r u n d des hier entwickelten Verständnisses der Sorgfaltspflicht läßt sich zeigen, daß diese Fragestellung in systematischer H i n s i c h t p r o b l e matisch ist und auch dazu führt, daß der B l i c k für den eigenständigen C h a rakter der Sorgfaltspflicht gegenüber der Leistungspflicht verloren geht. D a s P r o b l e m der D u r c h s e t z u n g v o n Sorgfaltspflichten stellt sich im w e sentlichen nur dann, w e n n f ü r den G l ä u b i g e r bereits im Vorfeld absehbar ist, daß der S c h u l d n e r seine Sorgfaltspflichten verletzen wird. M e d i c u s bildet insoweit etwa das Beispiel, daß der Verkäufer die gelieferte Ware schlecht verp a c k t hat und der K ä u f e r auch für die vorgesehene zweite Lieferung eine u n zureichende V e r p a c k u n g der Ware b e f ü r c h t e n m u ß . H i e r müsse d e m K ä u f e r eine Leistungsklage auf bessere V e r p a c k u n g m ö g l i c h sein. 7 8 Dieses Beispiel, bei dem M e d i c u s in der nicht ganz unzweifelhaften A n n a h m e gefolgt werden soll, daß es sich tatsächlich n u r u m eine Sorgfaltspflicht und nicht u m eine N e b e n l e i s t u n g s p f l i c h t handelt, m a c h t zunächst einmal deutlich, daß die D u r c h s e t z u n g der sich aus der Sorgfaltspflicht ergebenden A n f o r d e r u n g e n ü b e r h a u p t nur in B e t r a c h t k o m m t , sofern der G l ä u b i g e r die d r o h e n d e Verletzung der Sorgfaltspflicht ausreichend k o n k r e t i s i e r e n k a n n . 7 9 H ä u f i g scheitert die D u r c h s e t z u n g der Sorgfaltspflicht j e d o c h daran, daß sich die Sorgfaltspflicht erst im M o m e n t ihrer Verletzung k o n k r e t i s i e r t , so daß dann insoweit nur n o c h Schadensersatzansprüche d e n k b a r sind. I m m e r h i n sind damit, wie das von M e d i c u s geschilderte Beispiel zeigt, Fälle, in denen sich die Verletzung der Sorgfaltspflicht bereits im Vorfeld in hinreichend b e s t i m m t e r Weise a b z e i c h n e t , nicht ausgeschlossen. E i n e systematisch u n z u r e i c h e n d e V e r o r t u n g des P r o b l e m s liegt nun allerdings darin, daß vielfach gemeint wird, es handele sich in diesen Fällen u m die E r f ü l l u n g v o n Sorgfaltspflichten. D a s hier entwickelte Verständnis der S o r g faltspflichten e r m ö g l i c h t d e m g e g e n ü b e r eine Sicht auf diese P r o b l e m a t i k , die dem Verständnis dieser P f l i c h t e n eher gerecht wird. M i t der Klage auf E i n h a l tung der erforderlichen Sorgfalt wird danach nicht ein A n s p r u c h auf E r f ü l lung einer Sorgfaltspflicht geltend gemacht, sondern der v o r b e u g e n d e S c h u t z des durch die Sorgfaltspflicht geschützten R e c h t s g u t e s . I n dem v o n M e d i c u s Zum Streitstand ausführlich Staudinger-]. Schmidt, Einl zu §§ 241 ff. Rz. 371 ff. Vgl. den Aufsatz von Stürner, J Z 1976, 384 ff., mit dem Titel „Der Anspruch auf Erfüllung von Treue- und Sorgfaltspflichten". 78 Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 208. 7 9 Zu diesem Problem der Konkretisierung des gebotenen Verhaltens insbesondere Stür76 77
ner, JZ 1976, 384 (385 ff.), sowie Staudinger-J. Schmidt, Einl zu §§ 241 ff. Rz. 334.
III. Der Typus der
Sorgfaltspflicht
117
gebildeten Beispiel handelt es sich also nicht um einen Anspruch auf Erfüllung einer Pflicht zu sorgfältiger Verpackung, sondern um einen Anspruch auf Unterlassung der Gefährdung der zu liefernden Ware (und damit auch der Erfüllung des Anspruches auf die Ware) durch unzureichende Verpackung. 80 Ein solcher vorbeugender Rechtsschutz ist nicht nur für den Besitz und das Eigentum (§§ 862 I 2, 1004 I 2 B G B ) , sondern auch für die sonstigen durch § 823 I B G B geschützten Rechte und Rechtsgüter, darüber hinaus aber auch für die auf einem Schutzgesetz i.S. von § 823 II B G B gegründeten Rechtsstellungen anerkannt. Insoweit entnimmt man aus der Anerkennung dieser Rechtsgüter eine allgemeine Regel des vorbeugenden Rechtsschutzes. 81 Warum dieser Gedanke allerdings auf die deliktisch geschützten Rechtsgüter beschränkt sein sollte, ist nicht ersichtlich. Näher liegt die Annahme, daß der vorbeugende Rechtsschutz eine ganz allgemeine Folge der Anerkennung eines Rechtsgutes ist, die sich gerade auch darin ausdrückt, daß dessen Verletzung Sekundäransprüche nach sich ziehen kann, wie das bei der schuldhaften Verletzung von Sorgfaltspflichten auch der Fall ist. 82 Deshalb ist auch dem durch Sorgfaltspflichten geschützten Rechtsgut ein präventiv wirkender Anspruch auf Unterlassung drohender Gefährdung zuzuordnen. Diese Perspektive der Durchsetzung der aus den Sorgfaltspflichten herrührenden Anforderungen macht zum einen noch einmal nachdrücklich die Notwendigkeit deutlich, die Begründung von Sorgfaltspflichten am Schutz konkreter Rechtsgüter auszurichten. Aus ihr ergibt sich aber auch das Ungenügen der Vorstellung einer Erfüllung der Sorgfaltspflichten. Ein Blick auf 80 Geschützt ist also in dem Beispielsfall mit der Ware der Anspruch des Gläubigers, so daß es hier in Wahrheit um den Schutz der Erfüllbarkeit der Leistungspflicht geht, nicht um die Erfüllung von Sorgfaltspflichten. Entgegen der Auffassung von Gernhuber, Das Schuldverhältnis, § 2 IV 2 c Fn. 53 a.E., bedeutet das aber nicht, daß sich der vorbeugende Rechtsschutz hier in jedem Fall auf die Leistungspflicht beziehen läßt. Immerhin denkbar sind auch Fälle der Gefährdung der absoluten Rechtsgüter des anderen. Das zeigt aber nur um so deutlicher die Notwendigkeit der Orientierung des Rechtsschutzes an Rechtsgütern. 81 Vgl. nur MüKo-Medicus, § 1004 Rz. 6; sowie die Schilderung der Entwicklung bei Soergel-MühUS 1004 Rz.4. 82 Den Gedanken, daß der Sekundäranspruch die Anerkennung des primären Gutes voraussetzt, hat Kahl ausgearbeitet, in: Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1994, 205 (214 ff.); ähnlich Staudinger-J. Schmidt, Einl zu §§241 ff. Rz. 330; auch Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, § 6 IV. Gegen die Vorstellung eines vorbeugenden Rechtsschutzes im Hinblick auf „leistungsbezogene Verhaltenspflichten" aber Neumann, Leistungsbezogene Verhaltenspflichten, S. 108, mit dem Argument, diese Pflichten hätte die Aufgabe, den Leistungserfolg herbeizuführen und so die Rechtssphäre des Gläubigers zu erweitern. Dabei scheint mir allerdings der Schutz des Anspruches mit der Erfüllung des Anspruches verwechselt zu werden. Gegen einen generellen vorbeugenden Rechtsschutz bei drohender Verletzung von Schutzpflichten hat sich neuerdings auch Krebs, Sonderverbindung und außerdeliktische Schutzpflichten, S. 549 ff., ausgesprochen, und zwar insbesondere mit dem Argument eines unterschiedlichen Präventionsbedürfnisses bei deliktischen und außerdeliktischen Schutzpflichten. Schon wegen der häufigen Parallelität beider Pflichten ist das aber kaum zu rechtfertigen und trägt dem Gedanken des Rechtsgüterschutzes durch Sorgfaltspflichten auch nicht hinreichend Rechnung.
118
§ 4 Die
Sorgfaltspflichtverletzung
den vorbeugenden Rechtsschutz der deliktisch geschützten Rechtsgüter zeigt schon, daß es dabei um den Schutz dieser Rechtsgüter geht und nicht etwa um die Problematik der Erfüllung einer Verkehrspflicht in F o r m der Beachtung des geschützten Rechtsgutes. Diese Parallele macht deutlich, daß der Gedanke der Erfüllung von Sorgfaltsanforderungen für den Schutz von Rechtsgütern offenbar nicht ganz paßt. Das liegt darin begründet, daß der Begriff der Erfüllung im präzisen rechtlichen Sinne der §§ 362 ff. B G B sich nur verständlich machen läßt vor dem Hintergrund der auf die Primärpflichten bezogenen Unterscheidung zwischen Leistungspflichten, deren Sinn in der rechtlichen Strukturierung des Austausches von Gütern liegt, und Sorgfaltspflichten zum Schutz vorhandener Rechtsgüter. D a ß die Sekundärpflichten ebenfalls Leistungscharakter haben, ist eine davon zu unterscheidende Perspektive. Die unterschiedliche Funktion der Leistungs- und Sorgfaltspflichten als Primärpflichten wird durch die Annahme der Erfüllung von Sorgfaltspflichten, die gelegentlich sogar zu der Auffassung geführt hat, die Sorgfaltspflichten seien Leistungspflichten oder doch jedenfalls entsprechend zu behandeln 8 3 , verzeichnet. Es hat geradezu den Anschein, als o b man sich hier Pflichten überhaupt nur nach dem Vorbild der Leistungspflicht vorstellen kann. 8 4 Das Verständnis von Primärpflichten wie der Sorgfaltspflicht beruht aber gerade darauf, daß sie eine Sphäre von Sollensanforderungen begründen, die vom Gedanken ihrer freiwilligen Befolgung geprägt ist. Diese Pflichten werden fortlaufend beachtet und in einem vielleicht übertragenen, mehr ethischen Sinne auch erfüllt, ohne daß man insoweit jedoch von einer Erfüllung i.S.d. §§ 362 ff. B G B sprechen könnte. Von diesem Ausgangspunkt her läßt sich dann aber auch die Verfehlung der in der Sorgfaltspflicht liegenden A n forderungen nicht als „Nichterfüllung" qualifizieren, sondern eben nur als Verletzung dieser Pflichten. Das bedeutet, der Begriff der Erfüllung in seinem rechtlichen Sinne ist dazu ungeeignet, die Sorgfaltspflicht und ihre Verletzung zu kennzeichnen. 8 5 Dieser Unterschied der Sorgfaltspflicht zur Leistungspflicht läßt sich auch daran klarmachen, daß die Sorgfaltspflicht nur den zunächst noch rechtlich unbeachtlichen Normalfall der Beachtung der Sorgfalt umschreibt und erst im Ausnahmefall der Außerachtlassung der Sorgfalt ihre 83 Die Behauptung, Schutzpflichten seien „gesetzliche Leistungspflichten eigener Art" findet sich insbesondere bei Motzer, Die „positive Vertragsverletzung" des Arbeitnehmers, S. 147 ff.; ders.,JZ 1983, 884 (887 ff.). Für eine analoge Anwendung der Vorschriften zur Leistungspflichtverletzung auf die Verletzung von Sorgfaltspflichten Evans-von Krbek, AcP 179 (1979), 85 ff. 8 4 So meint auch Medicus, Schuldrecht I, Rz. 424, Erfüllung könne prinzipiell hinsichtlich aller Arten von Pflichten verlangt werden. 8 5 Am Problem vorbei geht die Annahme Gernhubers, Das Schuldverhältnis, § 2 IV 3, es besage gar nichts, daß aus weiteren Verhaltenspflichten keine Erfüllungsansprüche folgen, die durch Erfüllung erlöschen. Wenn solchen Pflichten aber keine Erfüllungsansprüche entsprechen, dann fragt sich jedoch, auf welcher Grundlage sich dann ein Anspruch auf Durchsetzung der in diesen Pflichten liegenden Anforderungen rechtfertigen läßt. Daß sich solche Ansprüche denken und formulieren lassen, ersetzt noch nicht ihre Begründung.
III. Der Typus der Sorgfaltspflicht
119
rechtliche B e d e u t u n g hervortritt. D e m g e g e n ü b e r wird der G ü t e r a u s t a u s c h durch die Leistungspflicht v o n v o r n h e r e i n durch das R e c h t strukturiert, und z w a r auch für die Fälle, in denen es gar keinen Streit über den Austausch der G ü t e r gibt. D e s h a l b entspricht den Leistungspflichten auch ein A n s p r u c h auf E r f ü l l u n g dieser Pflichten. D e n Sorgfaltspflichten entsprechen hingegen allenfalls R e c h t e auf B e a c h t u n g der durch sie geschützten Rechtsgüter, aber keine A n s p r ü c h e auf Erfüllung.
5. Zu den Rechtsfolgen
der
Sorgfaltspflichtverletzung
D i e gleichsam natürliche R e c h t s f o l g e einer schuldhaften Verletzung v o n Sorgfaltspflichten ist der A n s p r u c h auf Schadensersatz. N a c h A r t des durch die Sorgfaltspflichten geschützten Rechtsgutes kann Schadensersatz j e d o c h in ganz unterschiedlicher Weise zu leisten sein, so daß für eine genauere B e s t i m mung der R e c h t s f o l g e n die verschiedenen T y p e n von Sorgfaltspflichten j e weils eigene P r o b l e m e aufwerfen. D e m e n t s p r e c h e n d werden einige dieser F r a gen auch erst im R a h m e n der systematischen Darstellung zu den verschiedenen T y p e n von Sorgfaltspflichten erörtert. N i c h t weiter untersucht wird die Frage, inwieweit sich aus Sorgfaltspflichtverletzungen ein R ü c k t r i t t s r e c h t herleiten läßt. Diese P r o b l e m a t i k ist bereits im H i n b l i c k auf Leistungspflichten außerordentlich schwierig zu beurteilen und in der geltenden Regelung auch rechtspolitisch fragwürdig. 8 6 E s wird beispielsweise die Auffassung vertreten, daß das R ü c k t r i t t s r e c h t in den §§ 3 2 5 , 3 2 6 B G B mit dem E r f o r d e r n i s einer schuldhaften Pflichtverletzung in überschießender Weise begründet ist, da es sich auch schon aufgrund einer Nichterfüllung der Leistungspflicht rechtfertigen ließe. 8 7 Angesichts dieser schwierigen Problemlage, die das R ü c k t r i t t s recht s c h o n im H i n b l i c k auf die Leistungspflicht aufwirft, soll dieser Frage für die Sorgfaltspflicht nicht weiter nachgegangen werden. D a s entspricht sicher auch der praktischen Bedeutung des Schadensersatzes als R e c h t s f o l g e v o n Sorgfaltspflichtverletzungen. I m übrigen ist es aber auch ein Anliegen der U n -
86 So befürwortet der Abschlußbericht der Schuldrechtskommission ein verschuldensunabhängiges Rücktrittsrecht, vgl. S. 19, 166, im übrigen § 323 B G B - K E . Dem hat sich auch der Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes in § 323 BGB-DiskE angeschlossen. Anders die konsolidierte Fassung des Diskussionsentwurfes, die in § 323 B G B - K F für den Rücktritt bei Verzug und Schlechtleistung nicht nur den erfolglosen Ablauf einer Frist voraussetzt, sondern zusätzlich auch, daß der Schuldner mit dem Rücktritt rechnen mußte. Für den Rücktritt wegen Verletzung einer sonstigen Pflicht enthält § 324 B G B - K F eine Sonderbestimmung, die auf die Wesentlichkeit der Pflichtverletzung und die Zumutbarkeit für den Gläubiger, am Vertrag festzuhalten, abstellt. 87 Vgl. Schupp, J Z 1993, 637 (639). Für ein verschuldensunabhängiges Rücktrittsrecht spricht sich auch der Gesetzesvorschlag von Huber aus, Gutachten „Leistungsstörungen", S. 703, 753, 833 ff., sowie in berichtigender Auslegung des B G B auch Beinert, Wesentliche Vertragsverletzung und Rücktritt, S. 146 ff. Dagegen jedoch Wiedemann, Festschrift Rechtswissenschaftliche Fakultät Köln, 367 (377).
120
5 4 Die
Sorgfaltspflichtverletzung
tersuchung, entgegen der etwa in der Diskussion zur positiven Vertragsverletzung häufig anzutreffenden Neigung, für die Analyse der Haftung an der U n terscheidung verschiedener Schadenstypen anzusetzen, hier mit dem Gedanken der Orientierung von Sorgfaltspflichten am Schutz von Rechtsgütern die tatbestandliche Begründungsseite der Haftung in den Vordergrund zu rücken.
IV.
Zusammenfassung
Vor dem Hintergrund des Zusammenhanges von E t h i k und R e c h t läßt sich die Sorgfaltspflicht als Primärpflicht bestimmen. Damit wird an die Vorstellung angeknüpft, daß das R e c h t in primären Pflichten zunächst das M a ß des gesollten Verhaltens festlegt, das dann für den Fall der Verletzung dieser Pflichten Sekundärpflichten begründet. D i e Bedeutung des Begriffs der Primärpflicht rührt dabei vor allem daraus her, daß in ihr ethische und rechtliche M o m e n t e miteinander verschmolzen sind. Primärpflichten sind ethisch begründet, angesichts der immer schwächeren Vorzeichnung dieser M o m e n t e in der Lebenswelt bedürfen sie aber der Bewertung und Konkretisierung durch das Recht. D i e Verzahnung von Ethik und R e c h t zeigt sich vor allem auch im Hinblick auf die Frage der Erfüllung von Primärpflichten. Primärpflichten werden fortlaufend erfüllt, ohne daß auch nur die geringste Neigung zu ihrer Verletzung besteht. Dieser permanente Zustand sorgfältigen Verhaltens ist mit dem Gedanken der Erfüllung i.S.d. §§ 362 ff. B G B nicht zutreffend gekennzeichnet, eher läßt sich schon insoweit von einer Erfüllung im ethischen Sinne sprechen. Die Primärleistungspflichten stellen vor diesem Hintergrund nur einen Sonderfall von Primärpflichten dar, der darauf beruht, daß beim Austausch von Gütern eine über das normale M a ß von Pflichtigkeit hinausgehende Verpflichtung ü b e r n o m m e n wird. Die Sorgfaltspflicht ist ihrem Typus nach eine ethisch fundierte Primärpflicht im Rahmen des Schuldverhältnisses. Sie legt das allgemeine M a ß des v o m Schuldner zu beobachtenden Verhaltens fest. Insoweit kann der durch das Deliktsrecht begründeten Verhaltensordnung für jedermann die nur für den Schuldner geltende O r d n u n g des Schuldverhältnisses gegenübergestellt werden. Dabei ist im Rahmen des Schuldverhältnisses weiter zwischen der aus den Sorgfaltspflichten herrührenden allgemeinen Verhaltensordnung für den Schuldner und einer für ihn durch die Leistungspflichten begründeten besonderen Verhaltensordnung zu unterscheiden. Mit dem Begriff der Sorge wird bei der Bezeichnung der Sorgfaltspflichten ein ethisches Prinzip zugrunde gelegt, das man schon mit dem Handlungsbegriff als vorgegeben ansehen kann. D e r Begriff der Sorgfaltspflicht fügt sich damit in ein Haftungskonzept ein, das auf dem Gedanken der Analyse verschiedener Schichten sorgfaltswidrigen Verhaltens beruht. Gegenstand der Sorgfaltspflichten ist der Schutz von Rechtsgütern. Diese Perspektive trägt der in der Bedeutung des subjektiven Rechts zutage treten-
IV.
Zusammenfassung
121
den ethisch-freiheitlichen Dimension des Zivilrechts auch für das Verständnis der Sorgfaltspflichten Rechnung. Mit der Orientierung von Sorgfaltspflichten an Rechtsgütern wird für die Haftungsbegründung weder ein rein erfolgsunrechtstheoretisches noch ein rein verhaltensunrechtstheoretisches Konzept zugrunde gelegt, vielmehr versucht, Momente beider theoretischen Ansätze fruchtbar zu machen. Das darauf beruhende Verständnis der Sorgfaltspflichtverletzung führt zu keiner reinen Unrechtshaftung, trägt aber dem Gedanken der Doppelbedeutung der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt" als Unrechtsund Schuldvorwurf Rechnung, wobei allerdings zuzugeben ist, daß der Schwerpunkt der Haftungsbegründung damit in der Begründung des Unrechts liegt. Die Durchsetzung der aus Sorgfalts- oder Leistungspflichten herrührenden Sorgfaltsanforderungen kann im Einzelfall im Wege vorbeugenden Rechtsschutzes erfolgen. Diesem Schutz liegt allerdings kein Anspruch auf Erfüllung dieser Pflichten zugrunde, sondern ein Anspruch auf Unterlassung der Gefährdung des durch sie geschützten Rechtsgutes. Der durch die Sorgfaltspflichten bezweckte Schutz von Rechtsgütern läßt sich weiter auffächern und konkretisieren durch unterschiedliche Typen von Sorgfaltspflichten zum Schutz der Rechtsgüter des anderen im Schuldverhältnis. Insoweit können Sorgfaltspflichten zum Schutz der absolut geschützten Rechtsgüter des anderen unterschieden werden von den Sorgfaltspflichten zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit des anderen und den Sorgfaltspflichten zum Schutz der Beteiligung des anderen am Schuldverhältnis. Die Entfaltung dieser Typik steht im Mittelpunkt des folgenden Teils der Untersuchung.
Zweiter Teil
Systematischer Teil Einleitung Der im ersten Teil entwickelte Grundgedanke z u m Charakter der Sorgfaltspflichten besagt, daß diese nicht allein der Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt dienen, sondern dem Schutz der Rechtsgüter des anderen im Schuldverhältnis. Das dem Typus der Sorgfaltspflicht zugrunde liegende Prinzip soll im folgenden in systematischer Hinsicht näher entfaltet werden. Der Gedankengang gliedert sich wie folgt: Zunächst w i r d (in § 5) das Sorgfaltsprinzip im Hinblick auf die Leistungspflicht genauer untersucht. Die Herausstellung solcher unselbständigen Sorgfaltspflichten im Rahmen der Leistungspflicht trägt auch zu einer schärferen Konturierung der Sorgfaltspflicht als einem eigen- oder selbständigen Pflichtentypus bei. Danach kommen die verschiedenen Typen selbständiger Sorgfaltspflichten zur Darstellung. Im Hinblick auf den Schutz unterschiedlicher Rechtsgüter wird insoweit - in durchaus nicht abschließender Weise - zwischen Sorgfaltspflichten unterschieden z u m Schutz der absoluten Rechtsgüter des anderen im Schuldverhältnis, solchen z u m Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit und schließlich denen z u m Schutz der Beteiligung des anderen am Schuldverhältnis. Jeder dieser Typen von Sorgfaltspflichten wirft seine eigenen Probleme auf, die sich vor allem aus ihrer jeweiligen Einfügung in die gesetzlich vorgegebenen Zusammenhänge ergeben. So ist (in § 6) für die Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter des anderen im Schuldverhältnis vor allem der Frage nach dem Verhältnis solcher Pflichten zur deliktischen Haftung nachzugehen. Anschließend w i r d (unter § 7) die Einbindung der Sorgfaltspflichten z u m Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit in das Schutzinstrumentarium der Rechtsgeschäftslehre zu erörtern sein. Mit den Sorgfaltspflichten z u m Schutz der Beteiligung des anderen am Schuldverhältnis kommt schließlich (in § 8) unter dem Gesichtspunkt der Vertragsuntreue noch einmal die Problematik einer Generalklausel in den Blick. Mit dieser A n a l y s e von Sorgfaltspflichten kann zwar keine systematische Vollständigkeit angestrebt werden, w o h l aber der Rahmen für eine Verankerung der Sorgfaltspflicht innerhalb der Zivilrechtsdogmatik abgesteckt werden. Das ist hier deshalb erforderlich, weil sich ein klares Bild vom Typus
124
$ 5 Die Sorgfalt im Rahmen der
Leistungspflicht
der Sorgfaltspflicht nur in einer Darstellung zutage bringen läßt, in der das P r i n z i p z u m i n d e s t in U m r i s s e n auch in seiner systematischen Breite verfolgt u n d entfaltet w i r d .
§ 5 Die Sorgfalt im Rahmen der Leistungspflicht I.
Einleitung
Bei L a r e n z 1 findet sich die U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n sorgfältigem Verhalten bei der Leistung u n d sorgfältigem Verhalten im ü b r i g e n . Die Grenzlinie z w i s c h e n diesen beiden unterschiedlichen Sorgfaltspflichtsphären ist keinesw e g s klar. D e n n o c h ist die U n t e r s c h e i d u n g der Sphären nicht n u r f ü r ihre theoretische K o n z e p t i o n v o n B e d e u t u n g . I m m e r h i n mag es ja aber - gerade auch im H i n b l i c k auf die L e g i t i m a t i o n der H a f t u n g - einen U n t e r s c h i e d m a chen, ob eine P f l i c h t v e r l e t z u n g d e m größtenteils gesetzlich geregelten Bereich der L e i s t u n g s p f l i c h t v e r l e t z u n g e n zugerechnet w i r d oder aber d e m w e i t gehend aus wissenschaftlicher D o g m a t i k u n d richterrechtlicher R e c h t s c h ö p f u n g h e r v o r g e g a n g e n e m Bereich der Sorgfaltspflichtverletzungen. A n diese U n t e r s c h e i d u n g schließen sich dann auch d u r c h a u s praktische K o n s e q u e n z e n an, die insbesondere e t w a die Rechtsfolgen beider T y p e n von Pflichtverletz u n g e n betreffen. W ä h r e n d die L e i s t u n g s p f l i c h t v e r l e t z u n g zumeist auch die Frage nach d e m Fortbestehen des Schuldverhältnisses a u f w i r f t , f ü h r t die Verletzung v o n Sorgfaltspflichten nur in A u s n a h m e f ä l l e n z u r A b w i c k l u n g des gesamten Schuldverhältnisses. Das entspricht der unterschiedlichen F u n k t i o n der auf den G ü t e r a u s t a u s c h gerichteten Leistungspflichten einerseits u n d den am R e c h t s g ü t e r s c h u t z orientierten Sorgfaltspflichten andererseits. Im f o l g e n d e n w e r d e n zunächst einige t y p i s c h e Fälle analysiert, die sich als S o r g f a l t s p f l i c h t v e r l e t z u n g e n i m R a h m e n der Leistungspflicht auffassen lassen. Im A n s a t z sind damit alle Fälle gemeint, die sich als Sorgfaltspflichtverletzungen i m Z u s a m m e n h a n g mit der Leistung begreifen lassen, sei es in Z u s a m m e n h a n g mit der L e i s t u n g s h a n d l u n g oder d e m Leistungsgegenstand oder in sonst i r g e n d e i n e m Z u s a m m e n h a n g mit der Leistungspflicht. Die hier behandelten Sorgfaltspflichten sind damit scharf zu unterscheiden von den Sorgfaltspflichten als einem eigenen den Leistungspflichten gegenüberstehenden T y p u s von Pflichten. A l s „Sorgfaltspflichten im R a h m e n der L e i s t u n g s p f l i c h t " sollen (soweit sie ü b e r h a u p t v o n rechtlicher B e d e u t u n g sind) n u r solche Sorgfaltspflichten gekennzeichnet sein, denen im R a h m e n des Schuldverhältnisses g e g e n ü b e r der Leistungspflicht - aus d u r c h a u s unterschiedlichen
1
Schuldrecht I, § 2 I (S. 10 m. Fn. 5).
II. Nichtleistung
und
Sorgfaltspflichtverletzung
125
Gründen - keine selbständige Bedeutung z u k o m m t und die insoweit nur unselbständiger N a t u r sind. Damit werden in diesem Kapitel einige Fälle erörtert, die die Grenzlinie zwischen Leistungspflichtverletzungen und Sorgfaltspflichtverletzungen genauer markieren. Zu Beginn w i r d im folgenden (unter II) ein Kreis denkbarer Sorgfaltspflichten angesprochen, die nach der gesetzlichen Konzeption gerade ausgeschlossen sind, weil die bloße Nichtleistung keinen Fall der Leistungsstörung darstellt. Sodann geht es (unter III) um Sorgfaltspflichten im Rahmen der Leistungspflicht, denen keine selbständige Bedeutung gegenüber der Leistungspflicht zukommt. Solche Sorgfaltspflichten betreffen vor allem mittelbare Handlungen und Unterlassungen. Andere Sorgfaltspflichten betreffen die sorgsame Ausführung der Leistungshandlung selbst. Üblicherweise werden diese (unter IV) erörterten Fälle als „Schlechterfüllung" oder „Schlechtleistung" bezeichnet. Nach der hier entwickelten Auffassung w i r d gerade in diesem Bereich nicht scharf genug zwischen dem Typus der Leistungspflichtverletzung und dem der Sorgfaltspflichtverletzung unterschieden. Die Überlegungen geben schließlich (unter V ) auch Anlaß zu der Frage, ob nicht auch die Leistungspflichten Sorgfaltspflichten darstellen. Damit w i r d noch einmal der unterschiedliche prinzipielle Charakter beider Typen von Pflichten thematisiert.
II. Nichtleistung
und
Sorgfaltspflichtverletzung
Die bloße Nichtleistung stellt nach üblicher Auffassung keine Leistungsstörung dar. 2 Vielmehr hat der Schuldner einfach noch nicht erfüllt. Der Gläubiger hat gegen ihn lediglich den Anspruch auf Erfüllung der Leistungspflicht. Zu einer Leistungsstörung wird die Nichtleistung erst durch H i n z u treten weiterer Umstände, sei es etwa dadurch, daß der Schuldner trotz Fälligkeit und Mahnung nicht leistet und sich deshalb in Verzug befindet, sei es, daß er nicht leistet, weil ihm die Erbringung der Leistung unmöglich geworden ist oder weil er sich einfach weigert, die Leistung zu erbringen (sog. Erfüllungsverweigerung oder Vertragsaufsage). Daß die bloße Nichtleistung
2 Vgl. nur Fikentscher, Schuldrecht, R z . 307; Palandt-Heinrichs, Vorbem. v. § 275 R z . 2; dez i d i e n a.A. neuerdings Anders, ZIP 2001, 184 (188), u n d J A 2001, 252 (254 ff.), der bezeichn e n d e r w e i s e de lege ferenda einen generellen Verzicht auf das M a h n u n g s e r f o r d e r n i s befürwortet. Dagegen insbesondere Heinrichs, BB 2001, 157 (159), mit dem w o h l zutreffenden H i n w e i s , daß die U m s e t z u n g der E U - R i c h t l i n i e zur B e k ä m p f u n g von Z a h l u n g s v e r z u g im Geschäftsverkehr die Mitgliedstaaten z w a r nicht verpflichtet, den Zugang einer M a h n u n g als verzugsauslösenden Tatbestand a n z u e r k e n n e n , dies für Juristen in der Tradition des deutschen Rechts aber nicht zweifelhaft sein könne. H i n g e g e n scheint Krebs, DB 2000, 1697 (1700), anz u n e h m e n , daß nach d e m Verständnis der Richtlinie f ü r Geldschulden die bloße M a h n u n g z u r H e r b e i f ü h r u n g des S c h u l d n e r v e r z u g e s nicht ausreicht.
126
5 i Die Sorgfalt im Rahmen der
Leistungspflicht
tatsächlich keinen Fall der Leistungsstörung darstellt, ist keineswegs so klar, wie es scheinen mag. Stattdessen könnte man die Nichtleistung auch als einen Fall der Leistungsstörung auffassen, an den lediglich die Folge des Anspruchs auf Erfüllung geknüpft ist. Diese immerhin denkbare Sichtweise, der ein andersartiges Verständnis zur Rechtsnatur des Erfüllungsanspruches zugrunde liegt, ist bereits oben zurückgewiesen worden. 3 Aus der Einordnung der bloßen Nichtleistung als einen der Leistungspflichtverletzung noch vorgelagerten Fall ergibt sich eine erste sehr wichtige Regel. Sie besteht darin, daß die bloße Nichtleistung auch nicht als Sorgfaltspflichtverletzung qualifiziert werden darf, weil dadurch das gesetzliche System der Leistungspflichtverletzungen unterlaufen würde. Diese Regel läßt sich im folgenden an zwei typischen Fällen der Nichtleistung demonstrieren. Zunächst wird (unter 1) gezeigt, daß die Schädigung von Rechtsgütern des Gläubigers infolge bloßer Nichtleistung keine Pflichtverletzung darstellt, so daß der Schuldner, obwohl sein Verhalten für den eingetretenen Schaden als ursächlich angesehen werden kann, keinen Ersatz schuldet. Eine ganz ähnliche Problematik stellt sich bei der viel diskutierten Frage der Ersatzfähigkeit der Kosten für die verzugsbegründende Mahnung. Insoweit soll (unter 2) verdeutlicht werden, daß auch die bloße Verzögerung der Leistung nicht als Pflichtverletzung aufgefaßt werden kann.
1. Zur Schädigung von Rechtsgütern durch
Nichtleistung
In A n k n ü p f u n g an ein von Larenz stammendes Beispiel hat Medicus 4 einen Fall geschildert, der die Problematik der Nichtleistung schlaglichtartig erleuchtet. Danach hat ein Dachdecker die Verpflichtung, ein Dach einzudekken, durch das Regenwasser eindringt. Kommt der Dachdecker trotz Mahnung nicht, so daß das schadhafte Dach Regenwasser durchläßt und auf dem Dachboden liegende Sachen des Bestellers dadurch verderben, so erhalte der Besteller dafür Ersatz seiner Schäden aus § 286 I BGB. Wenn die Voraussetzungen von § 284 BGB aber nicht vorliegen und wegen besonderer Eilbedürftigkeit auch nicht entbehrlich sind, dann könne kein Schadensersatz verlangt werden. Denn wenn der Schuldner nicht schlecht geleistet habe, sondern ganz untätig geblieben sei, komme eine Haftung aus positiver Vertragsverletzung nicht in Betracht. In diesem Beispiel kann man unterscheiden zwischen unterschiedlichen Rechtsgütern, nämlich dem auszubessernden Dach selbst und den unter dem Dach liegenden Sachen des Bestellers, die - infolge der Nichtleistung - beschädigt werden. Im Zusammenhang mit der Beschädigung sonstiger Rechts-
3 4
Vgl. § 2 III 1 b. Bürgerliches Recht, Rz. 312.
II. Nichtleistung
und
Sorgfaltspflichtverletzung
127
güter des Schädigers w i r d häufig von einem sog. Begleitschaden gesprochen, 5 der nach üblicher Auffassung einen Schaden darstellen soll, der über das Erfüllungsinteresse hinausgeht. O b das eine zureichende Definition des Begleitschadens und überhaupt eine sinnvolle Begriffsbildung ist, soll an dieser Stelle offen bleiben. Immerhin aber kann man - darauf weisen auch die A u s f ü h r u n gen von Medicus hin - sich die Liquidierung eines Begleitschadens auch als Teil des Erfüllungsinteresses vorstellen. Denn Schadensersatz wegen Nichtfüllung kann nicht nur bedeuten, daß der Gläubiger so zu stellen ist, wie w e n n erfüllt w o r d e n wäre, sondern auch, daß er so zu stellen ist, wie er bei sorgfältiger Erfüllung stünde. 6 Dann scheint der Begriff des Begleitschadens in erster Linie im Hinblick auf die Fälle der Schlechtleistung gebildet zu sein: Es ist der Schaden, der über den gegebenenfalls in der fehlerhaften Leistungshandlung selbst liegenden Schaden hinausgeht und ihn insoweit gewissermaßen nur begleitet. Der Begriff des Begleitschadens setzt nun allerdings offenbar einen A n k n ü p f u n g s p u n k t voraus, von dem aus sich der Schaden als Begleitschaden darstellt. Ein solcher A n k n ü p f u n g s p u n k t mag bei der Schlechtleistung in der unsorgsamen A u s f ü h r u n g der Leistungshandlung liegen. 7 In dem von M e d i cus geschilderten Fall müßte man demzufolge die Beschädigung der Sachen des Bestellers als Begleitschaden der Nichtleistung ansehen. Aus einer solchen Qualifizierung des Schadens als Begleitschaden folgt nun allerdings noch gar nichts für die Frage der Ersatzfähigkeit. Dafür ist vielmehr noch eine gründlichere Betrachtung der in Frage stehenden Pflichten und gegebenenfalls Pflichtverletzungen erforderlich. Darin dürfte überhaupt ein grundlegendes M a n k o in der bisherigen Diskussion des Leistungsstörungsrechts liegen: Eine Vielzahl von Fragen w i r d anhand einer Typologie und Klassifizierung unterschiedlicher Schäden beurteilt und damit primär von der Rechtsfolgenseite her. Eine genauere A n a l y s e der dabei in Frage stehenden Pflicht und damit der Tatbestandsseite w i r d hingegen häufig nicht in gleichem Maße für nötig gehalten. Doch lassen sich gerade auf dieser Ebene sehr viel sorgfältigere Begründungen von Entscheidungen treffen als durch das bloße Hantieren mit verschiedenartigen Schäden. Wenn man unter diesem Gesichtspunkt einmal auf den von Medicus erörterten Fall z u r ü c k k o m m t , so kann man hinsichtlich der betroffenen Rechtsgüter zwischen unterschiedlichen Pflichten des Schuldners unterscheiden. Inhalt der Leistungspflicht ist sicher nur die Ausbesserung des Daches. H i n 5
So e t w a auch von Medicus, Bürgerliches Recht, R z . 312, in bezug auf das angeführte Bei-
spiel. 6 Vgl. auch die A r g u m e n t a t i o n von Larenz, Schuldrecht I, § 26 a (S. 404 Fn. 6), z u m Verhältnis von V e r z ö g e r u n g s - und N i c h t e r f ü l l u n g s s c h a d e n : D e r N i c h t e r f ü l l u n g s s c h a d e n u m f a ß t den Schaden, den der Gläubiger d a d u r c h erlitten hat, daß der Schuldner nicht gehörig, also auch dadurch, daß er nicht rechtzeitig erfüllt hat. 7 A n k n ü p f u n g s p u n k t ist dagegen nicht der in der Fehlerhaftigkeit der L e i s t u n g s h a n d l u n g selbst liegende Schaden, weil ein solcher Schaden nicht z w i n g e n d ersatzfähig ist. D a m i t ist hier auch die R e d e von Primär- u n d S e k u n d ä r s c h a d e n unangebracht.
128
5 5 Die Sorgfalt
im Rahmen
der
Leistungspflicht
sichtlich der auf dem Dachboden liegenden Sachen des Bestellers läßt sich daneben - rein theoretisch - lediglich eine aus dem Werkvertrag resultierende Sorgfaltspflicht des Unternehmers annehmen, die auf die Sorge u m den Bestand der durch das schadhafte Dach gefährdeten Sachen des Bestellers gerichtet ist. Die Untätigkeit des Bestellers könnte vor diesem Hintergrund als Unterlassen der z u m Schutz dieser Rechtsgüter erforderlichen Maßnahmen aufgefaßt werden, da sich aus der Übernahme der Leistungspflicht eine Handlungspflicht z u m Schutz dieser Rechtsgüter ergeben könnte. Eine H a f tung des Unternehmers wäre dann davon abhängig, ob für ihn die Gefährdung der Sachen des Bestellers erkennbar war, er also insoweit zumindest fahrlässig nicht gehandelt hätte. Diese Überlegungen sind freilich reine Konstruktion. Sie sollen lediglich zeigen, daß dort, w o das gesetzliche System der Haftung für Leistungspflichtverletzungen keine Möglichkeit des Schadensersatz bereitstellt, sich jederzeit nahezu mühelos eine daneben herlaufende und stattdessen zum Zuge k o m mende Haftung gestützt auf die Verletzung einer Sorgfaltspflicht begründen läßt. Tatsächlich führt die Annahme einer Sorgfaltspflichtverletzung aber dazu, daß in dem Beispiel die Wertentscheidungen des gesetzlichen Systems der Leistungspflichtverletzungen unterlaufen werden. 8 Dabei liegt in diesem Zusammenhang die zentrale Entscheidung darin, daß die bloße Nichtleistung keine Verletzung der Leistungspflicht darstellt. Jeder Fall der einfachen Nichtleistung läßt sich nun z w a r auch als ein sorgfaltswidriges Verhalten auffassen, weil ein sorgfältiger Schuldner seine Leistungspflicht rechtzeitig erfüllt hätte, die Beurteilung des Verhaltens als Sorgfaltspflichtverletzung scheidet dennoch aus, weil das Unterlassen der Vornahme der Leistung nur über das gesetzliche System der Leistungspflichtverletzungen sanktioniert werden kann. Insoweit besteht also eine Art Sperrwirkung des Systems der Leistungspflichtverletzung für eine uferlose Ausdehnung von Sorgfaltspflichten, die sich gerade im Hinblick auf die NichtSanktionierung der bloßen Nichtleistung auch auswirkt. Die Eigenart des hier diskutierten Falles liegt übrigens darin, daß hier einerseits ein durchaus vom Leistungsinteresse zu unterscheidendes Rechtsgut betroffen ist, nämlich die unter dem Dach hegenden Sachen des Bestellers. Der Schutz dieses Rechtsgutes durch den Schuldner (von der Frage eines etwaigen Gläubigermitverschuldens soll hier abgesehen werden) sich aber nur über die Erfüllung der Leistungspflicht bewerkstelligen läßt. Damit scheidet 8 Zweifelhaft erscheint mir unter diesem Gesichtspunkt auch der folgende von Canaris, JZ 1965, 475 (476), angeführte Fall einer Schutzpflichtverletzung: B läßt bei U den Motor seines Autos reparieren, wobei U feststellt, daß auch die Bremsen nicht ordnungsgemäß funktionieren. U vergißt allerdings, den B darauf aufmerksam zu machen. Infolge der defekten Bremsen erleidet B einen Unfall. B ficht den Vertrag wegen arglistiger Täuschung an. Wenn U danach gar nicht zur Reparatur verpflichtet war, sehe ich nicht, woraus sich dann eine Pflicht zur Entdeckung der defekten Bremsen und daran anknüpfend zur Information des B herleiten lassen sollte.
II. Nichtleistung
und
Sorgfaltspflichtverletzung
129
die A n n a h m e einer Sorgfaltspflichtverletzung hier deshalb aus, weil das U n terlassen der gebotenen Handlung bereits von der Leistungspflicht umfaßt ist, das seinerseits als solches nicht sanktioniert ist. Soweit ein Unterlassen dagegen nicht mehr als Bestandteil der Leistungspflicht aufgefaßt werden kann, kommt es als selbständiger A n k n ü p f u n g s p u n k t für eine Haftung aufgrund Verletzung einer Sorgfaltspflicht sehr wohl in Betracht. Beispiel: Der Gläubiger will seinen säumigen Schuldner persönlich mahnen und sucht ihn in dessen Geschäftsräumen auf. Auf der schadhaften Treppe zu dessen Geschäftsräumen k o m m t er zu Fall. Das Unterlassen der erforderlichen Reparaturmaßnahmen für die Treppe ist hier Gegenstand einer selbständigen Sorgfaltspfhcht des Schuldners gegenüber dem Gläubiger, die unabhängig von der Leistungspflicht und ihrer Vornahme besteht.
2. Zur Problematik
der bloßen Verzögerung der Leistung als Pflichtverletzung
Ganz ähnliche Probleme wie das zuvor erörterte Beispiel wirft der zumeist etwas bekanntere Fall der Kosten für die verzugsbegründende Mahnung auf. Nach allgemeiner Meinung sind diese Kosten des Gläubigers nicht nach § 286 I B G B ersatzfähig, weil sie keine Folge des Verzuges sind, da die M a h nung den Verzug vielmehr erst herbeiführt. 9 Eine heute wohl kaum noch vertretene Meinung hatte deshalb einen Ersatz der Kosten für die verzugsbegründende Mahnung auf das Institut der positiven Vertragsverletzung gestützt. 1 0 A m ausführlichsten ist diese Auffassung von Egon Schneider 1 1 begründet worden. Schneider entwickelt seine Ansicht vor dem Hintergrund einer Konzeption des Verhältnisses von Verzugsregeln und denen der positiven Vertragsverletzung im Sinne einer Ergänzung. Dabei könne allein die Bewertung der Interessenlage zu einer Abgrenzung von Verzug und positiver Vertragsverletzung führen, da die Verfasser des B G B (offenbar zu Unrecht) noch geglaubt hatten, sämtliche schuldhaften Forderungsverletzungen geregelt zu haben. Eine solche A b w ä g u n g führt nach Schneider dazu, daß die berechtigte Erwartung des Gläubigers an sofortiger Leistung zu schützen ist. Das ergebe sich aus der Regelung der Fälligkeit in § 2 7 1 BGB. Zahlt der Schuldner nicht, so könne der Gläubiger danach klagen; mit der Nichtleistung nach Fälligkeit gebe der Schuldner demzufolge Anlaß zur Klageerhebung. Dem Interesse des Vgl. nur Soergel-Wiedemann, § 286 R z . 11 m . w . N . D a g e g e n heute die g a n z h.M., vgl. B G H N J W 1985, 320 (324); Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, § 28 I 2 a; Erman-Battes, § 286 R z . 5; M i i K o - T / W e , § 286 R z . 7; Palandt-Heinrichs, § 286 R z . 8; Staudinger-Löwisch, § 286 R z . 41. Soergel-Wiedemann, § 286 R z . 26, hält immerhin die Erstattung der Kosten einer vor Verzug erfolgenden anwaltlichen Beratung aus positiver Vertragsverletzung f ü r denkbar. 11 M D R 1959, 899 ff.; i h m folgend O L G Köln, O L G Z 1 9 7 2 , 4 1 1 (414). 9
10
130
§ 5 Die Sorgfalt im Rahmen
der
Leistungspflicht
Gläubigers an der Leistung sei auch durch § 242 BGB Rechnung getragen. Wenn der Schuldner so zu leisten habe, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern, so bedeute dies, daß er sofort zu leisten habe. Gleichwohl knüpfe die gesetzliche Regelung einer Schadensersatzpflicht des Schuldners wegen Verspätung nicht an die Fälligkeit der Leistung an, sondern erst an den mit der Mahnung herbeigeführten Verzug. Ein A u s schluß der Haftung aus positiver Vertragsverletzung für die Kosten der verzugsbegründenden Mahnung folge daraus aber nicht, denn aus der Verzugsregelung ergebe sich lediglich eine Verschärfung gegenüber der normalen Verschuldenshaftung, da der Schuldner während des Verzuges nach § 287 BGB auch für Zufall hafte. Für die danach nicht geregelte Haftung im Zeitraum zwischen Fälligkeit und M a h n u n g könne daher auf das allgemeine Institut der positiven Vertragsverletzung zurückgegriffen werden. 1 2 Auch bei der Frage einer Ersatzfähigkeit der Kosten für die verzugsbegründende M a h n u n g geht es im Grunde noch einmal um die systematische Bedeutung der Nichtleistung. Von Esser/Schmidt 1 3 ist in diesem Zusammenhang mit Recht darauf aufmerksam gemacht worden, daß die positive Vertragsverletzung kein bloßer Auffangtatbestand ist, der alle Schäden erfaßt, die nicht nach Verzugs- oder Unmöglichkeitsregeln liquidierbar sind. Es bedürfe vielmehr des widerrechtlichen Verstoßes gegen eine spezielle Schutzpflicht, u m dem Gläubiger einen entsprechenden Ausgleich zu verschaffen. Dementsprechend ist zunächst einmal genauer zu untersuchen, was für eine Pflichtverletzung hier in Frage stehen soll. O b e n war bereits festgestellt worden, daß die bloße Nichtleistung noch keine Pflichtverletzung darstellt. Wie ist es nun mit der Nichtleistung trotz Fälligkeit der Pflicht? Die Fälligkeit ist nach § 271 I BGB das Recht, die Leistung sofort zu verlangen. Das bedeutet, die Rechtsfolge der Fälligkeit liegt darin, daß der gegebenenfalls schon zuvor existente Anspruch nunmehr auch durchsetzbar ist. O b man deshalb so weit gehen kann w i e Schneider, von diesem Zeitpunkt an grundsätzlich auch schon einen ausreichenden Anlaß für die Erhebung einer Klage zu sehen, ist eher zweifelhaft. 1 4 Der entscheidende Punkt liegt allerdings darin, daß - w e n n man so will - die vom Gesetz selbst vorgesehene Rechtsfolge der Fälligkeit lediglich die Durchsetzbarkeit der Leistungspflicht ist. Diese Durchsetzbarkeit ist auch ein wichtiges Konstruktionsmittel des Gesetzes, vor allem für den Verzug und die Verjährung. Die Rechtsfolge der Nichtleistung trotz Fälligkeit ist also die Durchsetzbarkeit des zuvor möglicherweise schon existierenden, So insgesamt E. Schneider, M D R 1959, 899 (901). Schuldrecht 1/2, § 28 I 2 a. 14 Es spricht w o h l mehr dafür, daß eine fällige F o r d e r u n g , solange es a m Verzug fehlt, grundsätzlich vorher a n z u m a h n e n ist; so auch M ü K o - B e i z , § 93 Z P O R z . 15 (Stichwort „ A u f f o r d e r u n g " ) , ähnlich Staudinger-Löwisch, § 2 8 6 R z . 41; Eibner, J u r B ü r o 1983, 488 (489). H e u t e ist es allgemein üblich, vor Klageerhebung zu mahnen, so daß die bloße N i c h t l e i s t u n g bei Fälligkeit k a u m noch als Verhalten bewertet w e r d e n kann, das v e r n ü n f t i g e r w e i s e den Schluß auf die N o t w e n d i g k e i t des Prozesses rechtfertigt. 12
13
II. Nichtleistung
und
Sorgfaltspflichtverletzung
131
aber nicht durchsetzbaren Anspruches. Dabei soll von den Besonderheiten der Klage auf künftige Leistung in diesem Zusammenhang abgesehen werden. Wenn man - was eher zweifelhaft ist - in der Nichtleistung trotz Fälligkeit eine Verletzung der Leistungspflicht durch den Schuldner sehen will, so läge die gesetzliche Sanktion dieser Pflichtverletzung darin, daß der Gläubiger den Anspruch klageweise durchsetzen kann, ohne befürchten zu müssen, daß seine Klage als derzeit unbegründet abgewiesen wird, weil er die Leistung noch nicht verlangen könne. Darüber hinaus läßt sich die Nichtleistung trotz Fälligkeit aber auch nicht als Sorgfaltspflichtverletzung hinsichtlich der zeitgemäßen Erbringung der Leistung auffassen. Theoretisch kann man das zeitliche Moment der Leistungspflicht zwar als einen eigenen Gegenstand der Sorgfalt betrachten. Dementsprechend hat es der Bundesgerichtshof 15 in einer beiläufigen Formulierung auch unterlassen, die Art der hier angeblich in Frage stehenden Pflichtverletzung genauer zu eruieren: Zwar handle der Schuldner, der trotz Fälligkeit nicht leiste, seinen „vertraglichen Verpflichtungen" zuwider. Die Folgen verspäteter Leistungen seien aber in den §§ 284, 286, 288 BGB abschließend geregelt. Auch in den Überlegungen von Egon Schneider gibt es Formulierungen, die darauf hindeuten, daß der Schuldner hier nicht die Leistungspflicht, sondern Sorgfaltspflichten verletzt hat. Es sei - so schreibt er 16 - Sache des Schuldners, sich um die rechtzeitige Leistung zu kümmern. Zwinge er den Gläubiger durch seine Gleichgültigkeit zu einer Mahnung, so müsse er die dadurch entstehenden Kosten tragen. Im übrigen sei es Sache des Schuldners, den Gläubiger von einer unnötigen Zahlungsaufforderung abzuhalten: „Wenn er sich daher beim Gläubiger nicht rechtzeitig unter Angabe von Gründen wegen seiner Leistungsverspätung entschuldigt, liegt bereits darin ein schuldhafter Verstoß gegen die ihm obliegende Aufklärungspflicht, der den Gläubiger zur Mahnung veranlaßt." 17 Die Annahme solcher Sorgfaltspflichten geht aber sicher zu weit. Wenn die Sanktion der Nichtleistung trotz Fälligkeit lediglich in der Anordnung der Durchsetzbarkeit des Anspruches liegt, kann den Schuldner keine über seine fällige Leistungspflicht hinausgehende Sorgfaltspflicht treffen. Insoweit entfaltet die für diesen Fall vom Gesetz vorgesehene Rechtsfolge auch eine Sperrwirkung für die Begründung einer in der Nichtleistung trotz Fälligkeit liegenden Sorgfaltspflichtverletzung. Das betrifft insbesondere auch die von Schneider angenommenen Aufklärungspflichten, die ohnehin ein beliebtes Vehikel sind, die Reichweite von Leistungspflichten zu überspielen. Im Ergebnis zeigt die Betrachtung dieser klassischen Problematik, daß die Zeit prinzipiell kein selbständiges Moment von Sorgfaltspflichten ist, sondern integraler Bestandteil der Leistungspflicht. Damit ist nicht nur die Vornahme 15 16 17
N J W 1985, 320 (324). M D R 1959, 899(901). E. Schneider, M D R 1959, 899 (901 Fn. 28).
132
5 5 Die Sorgfalt im Rahmen
der
Leistungspflicht
der Leistung als solche, sondern auch die Rechtzeitigkeit der Leistung lediglich Gegenstand der Leistungspflicht, die den Rückgriff auf theoretisch denkbare Sorgfaltspflichten ausschließt.
III.
Mittelbare
Handlungen
und Unterlassungen
als unselbständige
des
Schuldners
Sorgfaltspflichtverletzungen
Im Bereich des Deliktsrechts sind es vor allem Verletzungen von Rechtsgütern durch mittelbare Handlungen oder Unterlassungen, die heute anerkanntermaßen einer Beurteilung anhand sogenannter Verkehrspflichten bedürfen. 1 8 Die Verkehrspflichten dienen dabei einer Korrektur des in § 823 I B G B zugrunde gelegten Tatbestandsmodells, das auf der Verletzung der dort genannten absolut geschützten Rechtsgüter aufbaut. Aus unterschiedlichen - noch zu erörternden - Gründen greift bei mittelbaren Handlungen und U n terlassungen die Technik nicht, vom Erfolg der Verletzung des absolut geschützten Rechtsgutes auf die Unerlaubtheit der Handlung zu schließen, so daß es einer besonderen Beurteilung der Sorgfaltswidrigkeit des jeweiligen Verhaltens bedarf, die anhand von Verkehrspflichten erfolgt. Im folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob es nicht auch im Bereich der Verletzung von Pflichten aus dem Schuldverhältnis für mittelbare Handlungen und Unterlassungen besonderer Bewertungsmaßstäbe bedarf, um das jeweilige Verhalten als pflichtwidrig zu qualifizieren. Solche wiederum als Sorgfaltspflichten aufzufassende Maßstäbe hätten für diesen Bereich eine ganz ähnliche Funktion wie die Verkehrspflichten im Bereich des § 823 I B G B . D i e P r o blematik wird zunächst (unter 1) für mittelbare Handlungen erörtert, danach (unter 2) für das Unterlassen einer durch den Schuldner gebotenen Handlung.
1. Die Bewertung
mittelbarer
a) Die Problematik mittelbarer am Beispiel der nachträglichen
Handlungen
des
Schuldners
Handlungen entwickelt Unmöglichkeit
aa) Die Herbeiführung der Unmöglichkeit durch mittelbare Handlungen D i e Problematik der Bewertung mittelbarer Handlungen des Schuldners soll im folgenden am Beispiel der nachträglichen Unmöglichkeit entwickelt werden. D e r Schuldner verletzt seine Leistungspflicht hier dadurch, daß er 18 Vgl. nur Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 1058 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 76 III 1 c, 2 a, 3; Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 646; Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, R z . 2 1 1 ff.
III. Mittelbare
Handlungen
und Unterlassungen
des
Schuldners
133
die Unmöglichkeit der Erfüllung seiner Leistungspflicht herbeiführt, indem er etwa den zu übereignenden Leistungsgegenstand zerstört. Keine Pflichtverletzung des Schuldners stellt es dagegen auf den ersten Blick dar, w e n n nicht der Schuldner die Unmöglichkeit herbeiführt, sondern etwa der Gläubiger, ein unbeteiligter Dritter oder die Unmöglichkeit infolge eines Naturereignisses eintritt. Wenn man nun allerdings in der Herbeiführung der U n möglichkeit durch den Schuldner im Sinne eines ursächlichen Handelns den Grund der Pflichtverletzung sieht, ist diese Darstellung noch nicht präzise genug, weil sie sich lediglich daran orientiert, welches Ereignis den Eintritt der Unmöglichkeit unmittelbar, gewissermaßen als letzte Ursache herbeiführt. Dabei kommt den genannten Typen unmittelbarer Verursachung auch durchaus eine wichtige Orientierungsfunktion zu. Von systematischer Bedeutung ist jetzt allerdings weiter, daß der Schuldner die Unmöglichkeit der Erfüllung seiner Leistungspflicht auch mittelbar herbeiführen kann. U n d unter Berücksichtigung der auch nur mittelbaren Herbeiführung der U n m ö g lichkeit durch den Schuldner gibt es im Grunde kein Ereignis, das als solches schon ein haftungsrelevantes Verhalten des Schuldners auszuschließen vermag. Der Schuldner kann also auch dann für eine Handlung haften, die nur mittelbar die Unmöglichkeit herbeiführt, wenn ihm die unmittelbare Herbeiführung der Unmöglichkeit durch den Gläubiger, den Dritten oder das N a turereignis anzulasten ist. Fälle dieser Art haben eine lange Tradition. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert pflegte man einen Teil dieser Fälle mit dem Begriff „casus mixtus" zu kennzeichnen. 1 9 Wenig klar ist nun allerdings, wie solche Fälle mittelbarer Verursachung der Unmöglichkeit durch den Schuldner heute dogmatisch einzuordnen sind. Es scheint die Auffassung vorzuherrschen, daß jede mittelbare Verursachung der Unmöglichkeit durch den Schuldner eine Pflichtverletzung darstellt. Für die Haftung des Schuldners wegen einer solchen Pflichtverletzung legen manche dann aber besonderes A u g e n m e r k darauf, ob dieser bei seiner mittelbaren Handlung unsorgfältig gehandelt hat und deshalb seine Handlung auch verschuldet hat. 2 0 Andere sehen offenbar auch für die Beurteilung des Verschuldens mittelbarer Handlungen keine Besonderheiten. So schreibt Wiedemann 2 1 im Zusammenhang mit der Verantwortlichkeit des Schuldners: „Im Rahmen der §§ 275, 280 werden mittelbar oder unmittelbar vom Schuldner 19 Vgl. insbesondere Wollschläger, Die Entstehung der Unmöglichkeitslehre, S. 46, wonach sich spätestens seit dem 18. Jahrhundert für den schuldhaft veranlaßten Zufallsuntergang der Ausdruck „casus mixtus" einbürgert. Danach haftet der Schuldner, wenn der Leistungsgegenstand durch ein ihm typischerweise unzurechenbares Ereignis wie Sturm oder Feuersbrunst untergeht, ihm aber anzulasten ist, daß er den Leistungsgegenstand in diese Gefahrenlage verbracht hat. Auch Mommsen, Beiträge zum Obligationenrecht, 1. Abt., S. 241 ff., unterschied noch scharf zwischen Ereignissen, die „ohne alle directe oder indirecte Mitwirkung des Schuldners" eingetreten sind, und solchen, die „zwar in dem Willen des Schuldners ihren Grund haben, aber doch ihm nicht zur Schuld zugerechnet werden können ...". 20 Vgl. etwa die Erörterung eines solchen Falles durch Brehm, JuS 1988, 279 (283 f.). 21 Soergel, § 275 Rz. 75 a.E.
134
5 5 Die Sorgfalt
im Rahmen
der
Leistungspflicht
verursachte Leistungshindernisse g l e i c h b e h a n d e l t . " D i e sich aus diesen vereinzelten Stellungnahmen ergebende B e u r t e i l u n g mittelbarer H a n d l u n g e n des Schuldners erscheint allerdings wenig überzeugend. B e t r a c h t e n w i r ein Schulbeispiel, wie es in ähnlicher Weise für Fälle dieser A r t häufiger zu finden ist: D e r Schuldner S verkauft dem G l ä u b i g e r ein k o s t bares Kollier, das später übereignet w e r d e n soll. N a c h A b s c h l u ß des Vertrages legt S das K o l l i e r in seinen Tresor. B e i einem E i n b r u c h wird der T r e s o r geöffnet und das K o l l i e r gestohlen. A b w a n d l u n g : S legt das K o l l i e r nach seinem V e r k a u f in die Schaufensterauslage seines G e s c h ä f t e s . E i n e s A b e n d s vergißt er das G i t t e r v o r seinem Schaufenster herunterzulassen. A m nächsten Tag ist die Scheibe eingeschlagen und das K o l l i e r gestohlen. I m Ausgangsfall hat S die erforderlichen S i c h e r h e i t s v o r k e h r u n g e n getroffen und damit sorgfältig gehandelt, in der A b w a n d l u n g hat er die Sicherheitsv o r k e h r u n g e n außer acht gelassen und damit die g e b o t e n e Sorgfalt v e r n a c h lässigt. N a c h o f f e n b a r v o r h e r r s c h e n d e r Auffassung hat S in der A b w a n d l u n g schuldhaft gehandelt, o h n e daß allerdings auch i m m e r gesehen würde, daß S die U n m ö g l i c h k e i t nur mittelbar herbeigeführt hat. D e r Ausgangsfall m ü ß t e danach w o h l k o n s e q u e n t e r w e i s e so behandelt werden, daß S hier z w a r die U n m ö g l i c h k e i t durch H i n e i n l e g e n des Kolliers in den T r e s o r mittelbar herbeigeführt hat und damit seine Leistungspflicht verletzt hat, dabei aber nicht schuldhaft handelte. Richtigerweise wird man d e m g e g e n ü b e r aber sagen m ü s sen, daß es hier bereits an einer Pflichtverletzung des Schuldners fehlt. S c h o n die Frage, o b in der mittelbaren H e r b e i f ü h r u n g der U n m ö g l i c h k e i t durch den Schuldner eine Verletzung seiner Leistungspflicht liegt, sollte danach beurteilt w e r d e n , o b der S c h u l d n e r bei dieser H a n d l u n g sorgfaltswidrig gehandelt hat o d e r nicht. I n s o w e i t gibt es keinen ausreichenden G r u n d dafür, w a r u m im R e c h t der U n m ö g l i c h k e i t und allgemein dem R e c h t der L e i s t u n g s s t ö r u n g e n für die H a f t u n g aufgrund mittelbarer H a n d l u n g e n etwas anderes gelten sollte als im R e c h t der unerlaubten H a n d l u n g e n . D i e damit vertretene Auffassung, daß D e l i k t s r e c h t und L e i s t u n g s s t ö r u n g s r e c h t in diesem P u n k t miteinander vergleichbar sind, soll im folgenden ein wenig genauer begründet w e r d e n .
bb) Zur Rechtfertigung der Übernahme in das Leistungsstörungsrecht
deliktischer
Haftungskonzepte
I m m o d e r n e n D e l i k t s r e c h t wird - wie bereits angedeutet - die U n e r l a u b t heit einer mittelbaren H a n d l u n g anhand v o n Verkehrspflichten im R a h m e n der Tatbestandsmäßigkeit, jedenfalls aber der R e c h t s w i d r i g k e i t der H a n d l u n g beurteilt. 2 2 I m L e i s t u n g s s t ö r u n g s r e c h t sind d e m g e g e n ü b e r die beiden E b e n e n der Tatbestandsmäßigkeit im engeren Sinne und der R e c h t s w i d r i g k e i t im B e 22 Zum Standort der Verkehrspflichten im Deliktsaufbau vgl. nur Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 II c; Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 647; Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 231.
III. Mittelbare Handlungen und Unterlassungen des Schuldners
135
griff der Pflichtverletzung z u s a m m e n g e f a ß t , was freilich nicht bedeutet, daß man sie nicht auch hier unterscheiden kann. In der F u n k t i o n eines bei mittelbaren H a n d l u n g e n gesondert zu ermittelnden Sorgfaltsgebotes, das die Q u a lifizierung dieser H a n d l u n g im D e l i k t s r e c h t als tatbestandsmäßig oder rechtswidrig und im L e i s t u n g s s t ö r u n g s r e c h t als Pflichtverletzung erlaubt, gibt es in beiden R e c h t s b e r e i c h e n j e d o c h keinen entscheidenden U n t e r s c h i e d . D e m e n t s p r e c h e n d sollte man mittelbare H a n d l u n g e n des Schuldners, die zur U n m ö g l i c h k e i t führen, n u r dann als Pflichtverletzungen begreifen, w e n n der Schuldner dabei ihn treffende Sorgfaltspflichten verletzt hat. G e g e n diese Sichtweise kann man nun einwenden, im D e l i k t s r e c h t lägen die D i n g e ganz anders; die T e c h n i k des D e l i k t s r e c h t s einer B e w e r t u n g v o n H a n d l u n g e n als unerlaubt k ö n n e nicht o h n e weiteres auf das R e c h t der L e i stungsstörungen übertragen werden. I n der Tat werden hier a n k n ü p f e n d an die L e h r e v o n den Verkehrspflichten G r u n d g e d a n k e n und P r i n z i p i e n des D e liktsrechts auch für das L e i s t u n g s s t ö r u n g s r e c h t zur A n w e n d u n g gebracht. E i n solches Vorgehen bedarf sicherlich einer genaueren R e f l e k t i o n . D e s h a l b sollen hier n o c h einmal in einer zusammenfassenden B e t r a c h t u n g die verschiedenen M o t i v e dafür umrissen werden, die bereits in der A n a l y s e der L e i stungs- und der Sorgfaltspflichtverletzung zutage getreten w a r e n . § 823 I B G B geht - wie bereits gezeigt 2 3 - für die B e g r ü n d u n g der H a f t u n g v o n der sogenannten I n d i k a t i o n s t e c h n i k aus. D a s bedeutet, v o n der R e c h t s gutsverletzung als E r f o l g wird auf die R e c h t s g u t s v e r l e t z u n g als unerlaubte H a n d l u n g geschlossen. G r u n d l a g e dieses K o n z e p t e s ist die Verletzung a b s o lut geschützter R e c h t e und Rechtsgüter. Sie weisen einen prinzipiell fest u m rissenen S c h u t z b e r e i c h auf, dessen Verletzung den Schluß auf die U n e r l a u b t heit der H a n d l u n g (im Sinne eines tatbestandsmäßigen Verhaltens) rechtfertigt. A u c h für die N i c h t e r f ü l l u n g v o n Leistungspflichten kann man im A n s a t z von diesem K o n z e p t ausgehen. H i e r w e r d e n (durch nachträgliche U n m ö g lichkeit und Verzug) genauer b e s t i m m t e Fälle der Verletzung des A n s p r u c h s als Leistungspflichtverletzung qualifiziert. E s wird also v o n der S t ö r u n g des A n s p r u c h e s aufgrund nachträglicher U n m ö g l i c h k e i t oder Verzuges auf das zugrunde liegende Verhalten des Schuldners geschlossen und dieses als Verletzung der Leistungspflicht qualifiziert. D a m i t lassen sich im A n s a t z p u n k t - nämlich in der T e c h n i k der Q u a l i f i k a t i o n der H a n d l u n g e n - der S c h u t z der absoluten R e c h t e und der S c h u t z der relativen R e c h t e durchaus miteinander vergleichen. I n beiden Fällen wird an das jeweils geschützte R e c h t s g u t z u m Z w e c k e der B e w e r t u n g einer ursächlichen H a n d l u n g als unerlaubt bzw. pflichtwidrig angeknüpft. D i e s e auf einer sehr h o h e n prinzipiellen E b e n e gegebene Vergleichbarkeit v o n deliktischer und - vereinfacht gesprochen - vertraglicher H a f t u n g entspricht einer historisch tief verankerten U b e r z e u g u n g . S o hat i n s b e s o n d e r e die L e h r e des N a t u r r e c h t s vertragliche und deliktische H a f t u n g unter dem gemeinsamen O b e r b e g r i f f der unerlaubten H a n d l u n g
23
Vgl. oben § 3 II 2.
136
§ ß Die Sorgfalt
im Rahmen
der
Leistungspflicht
und damit von dem einheitlichen Prinzip der Bewertung von Handlungen her entwickelt. 2 4 U n d zumindest auch die D o g m a t i k des geltenden bürgerlichen Rechts geht jedenfalls mit den Grundbegriffen der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens, die für vertragliche und deliktische Haftung gleichermaßen gelten, davon aus, daß die Begründung von Haftung auf einer Bewertung von Handlungen beruht. D e n n o c h wird das R e c h t der Leistungsstörungen heute nur noch bruchstückhaft und unzureichend in diesen Zusammenhang eingeordnet. Dafür gibt es im wesentlichen wohl zwei Gründe. D e r eine - weniger gewichtig erscheinende - Grund liegt darin, daß bei der Verletzung des Anspruches anders als bei der Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter nicht jede nichterfüllende Handlung als pflichtwidrig erscheint, sondern nur die durch Gesetz und D o g m a t i k genauer qualifizierten F o r m e n der Verletzung durch H e r b e i führung der Unmöglichkeit, durch Nichtleistung trotz Fälligkeit und M a h nung (oder Verwirklichung eines der sonstigen besonderen verzugsauslösenden Tatbestände), durch Schlechtleistung, nicht aber die bloße Nichtleistung. Insbesondere die Analyse der verschiedenen Fälle der Eigentumsverletzung i.S. von § 823 I B G B 2 5 zeigt aber, daß hier im Grunde nur graduelle U n t e r schiede in der Bewältigung des Problemes liegen, welche Handlungsformen man vernünftigerweise als Verletzung des geschützten Rechtsgutes auffassen kann. Ein weiterer, wohl wichtigerer Grund liegt darin, daß das R e c h t der Leistungsstörungen sich nur für den Bereich der Leistungspflichtverletzungen vom Gedanken der Verletzung des Anspruches her konzipieren läßt. A u f den ersten Blick fehlt es damit an einem gemeinsamen Haftungsprinzip für Leistungs- und Sorgfaltspflichtverletzungen, weil den Sorgfaltspflichten gerade kein Anspruch entspricht und ihre Verletzung sich damit nicht als Verletzung des relativen Rechts konzipieren läßt. Gleichwohl läßt sich, wenn man den Gedanken der Verletzung von absoluten und relativen Rechten einmal etwas allgemeiner formuliert, ein gemeinsamer Bezugspunkt ausmachen, der im Schutz von Rechtsgütern liegt. Mit dem absoluten und dem relativen R e c h t sind zugleich Rechtsgüter bezeichnet, die durch das R e c h t als solche anerkannt und geschützt sind. Ein wesentliches Anliegen der Arbeit ist es zu zeigen, daß auch Sorgfaltspflichten dem Schutz bestimmter Rechtsgüter dienen und sich ihre Formulierung damit am Schutz solcher Rechtsgüter legitimieren muß. In dieser Weise fügt sich dann auch das K o n z e p t der Haftung für Sorgfaltspflichtverletzungen in eine D o g m a t i k der Bewertung von Handlungen im Hinblick auf die Verletzung geschützter Rechtsgüter ein. Diese prinzipiellen Überlegungen vermögen zunächst einmal zu rechtfertigen, daß es im Ansatz - unter dem Vorbehalt der Eigenart des jeweiligen Rechtsgebietes - sehr wohl zulässig ist, Prinzipien deliktischer Haftungsbe24 25
Vgl. auch dazu bereits oben § 3 II 3. Vgl. insoweit nur Medicus, Schuldrecht II, Rz. 792-797.
III. Mittelbare
Handlungen
und Unterlassungen
des
Schuldners
137
gründung für das Recht der Leistungsstörungen fruchtbar zu machen. Insoweit handelt es sich eben nicht um spezifisch deliktsrechtliche Prinzipien, sondern um allgemein geltende Techniken der Haftungsbegründung im Rahmen des Verschuldensprinzips. Für den hier erörterten Problemkreis der Haftung des Schuldners für mittelbare Handlungen läßt sich aber noch genauer begründen, wieso es für die Beurteilung der Pflichtverletzung einer eigenständigen Bewertung des Verhaltens als sorgfaltswidrig bedarf. Genauer ergibt sich eine solche Begründung aus dem Begriff der mittelbaren Handlung selbst. Es liegt nahe, sich hier zunächst die genauer ausgearbeitete Problematik im Bereich des Rechts der unerlaubten Handlungen klarzumachen und vor diesem Hintergrund die Funktion des Begriffs der mittelbaren Handlung für das Leistungsstörungsrecht zu entwickeln. cc) "Zur Bedeutung
des Begriffs der mittelbaren
Handlung
Für mittelbare Handlungen im Bereich des § 823 I BGB wird das bereits oben umrissene Indikationsmodell heute - auch von den meisten Vertretern der klassischen Lehre vom Erfolgsunrecht - für nicht zureichend gehalten und durch die Lehre von den Verkehrspflichten korrigiert. Dabei stellt sich das Erfordernis der Verkehrspflichtverletzung als eine Korrektur des Tatbestandsmodells mit einschränkender Wirkung dar. 26 Das bedeutet, das Indikationsmodell erfaßt einen noch zu großen Kreis von Handlungen, die als ausreichender Anknüpfungspunkt einer Haftung angesehen werden können, so daß es für den Bereich mittelbarer Handlungen einer genaueren Begründung ihrer Unerlaubtheit bedarf, die anhand von Verkehrspflichten erfolgt. Nach der hier vertretenen Auffassung stellt sich die Problematik im Recht der bereits bestehenden Schuldverhältnisse nicht anders dar. Denn man wird kaum sagen können, daß dem Schuldner seine sämtlichen mittelbaren Handlungen als Pflichtverletzungen zurechenbar sind. Richtig daran ist nur, daß an den Schuldner im Hinblick auf seine Leistungspflicht regelmäßig höhere Sorgfaltsanforderungen zu stellen sind als an den mittelbaren Schädiger im Hinblick auf absolut geschützte Rechtsgüter. Auch dem Schuldner sind seine mittelbaren Handlungen aber nicht unbeschränkt als Pflichtverletzungen zurechenbar. Der Schuldner, der das zu übereignende Pferd auf die Weide treibt, wo es vom Blitz erschlagen wird, begeht keine Pflichtverletzung, sofern er den Blitzschlag nicht vorhersehen mußte. Dieses Ergebnis leuchtet auch deshalb ohne weiteres ein, weil der unvorhergesehene Blitzschlag einen klassischen Fall der höheren Gewalt darstellt und damit auch gar nicht in der Gewalt des Schuldners liegt. Dann aber kann man die Handlung des Schuldners - im Einklang mit der Dogmatik des Deliktsrechts - kaum als haftungsrelevante Verletzungshandlung qualifizieren.
26
So Schapp, G r u n d l a g e n des bürgerlichen Rechts, Rz. 212.
138
5 5 Die Sorgfalt im Rahmen
der
Leistungspflicht
Die Notwendigkeit einer entsprechenden Einschränkung des Haftungsmodells der Leistungsstörungen ergibt sich aber im Grunde aus der Mittelbarkeit der Handlung selbst. D i e Begriffe der unmittelbaren und der mittelbaren Handlung beschreiben ja keine ontologischen Gegebenheiten, sondern sie sind selbst bereits Begriffe juristischer Dogmatik, denen bestimmte Wertungen innewohnen. Vor allem Larenz hat die „Handlung" unter diesem G e sichtspunkt sehr tiefgründig analysiert und die Unmittelbarkeit einer H a n d lung dadurch gekennzeichnet gesehen, daß der Erfolg im Rahmen der H a n d lung selbst liegt, im Rahmen ihres äußeren Handlungsablaufes, und dieser damit bei wertender Betrachtung als der Handlung zugehörig angesehen werden kann. 2 7 Demgegenüber geht es bei mittelbaren Handlungen um eine „durch mancherlei Zwischenstufen vermittelte entfernte Folge eines bestimmten Verhaltens". 2 8 Ahnlich liegt nach Ulrich H u b e r eine unmittelbare Handlung dann vor, „wenn der Verletzungsvorgang selber noch der K o n t r o l le, Beherrschung durch den Eingreifenden unterliegt, mag er diese Kontrolle auch in unrichtiger Weise oder überhaupt nicht ausüben." 2 9 Entsprechend sieht er die mittelbare Handlung wohl dadurch gekennzeichnet, daß sie erst „durch das Hinzutreten weiterer, vom Handelnden nicht mehr beherrschbarer Umstände die Verletzung verursacht." 3 0 D e r entscheidende Gesichtspunkt liegt sowohl bei Larenz als auch H u b e r darin, daß bei der mittelbaren Handlung weitere Ursachen hinzutreten, so daß es sich um einen komplexeren Ursachenzusammenhang handelt. O b es dabei tatsächlich immer so ist, wie H u b e r zu meinen scheint, daß der mittelbar Handelnde die Beherrschbarkeit des Handlungsablaufes aus der Hand gibt, ist durchaus zweifelhaft. Von zentraler Bedeutung ist hier aber auch nur, daß die mittelbare Handlung lediglich Ausgangspunkt einer Ursachenkette ist und damit der Verletzungserfolg notwendig auf weiteren Ursachen beruht. D a n n aber - und darin scheint ja auch der Leitgedanke für die Unterscheidung von unmittelbaren und mittelbaren Handlungen zu liegen - ist es nahezu unausweichlich, die Frage zu stellen, inwieweit der Verletzungserfolg der Ausgangshandlung als Rechtsgutsverletzung oder als Pflichtverletzung zugerechnet werden kann. Bei der mittelbaren Handlung geht es also notwendig um eine Bewertung der Ausgangshandlung im H i n b l i c k auf eine nachfolgende Ursachenkette, und diese Bewertung kann überhaupt nur unter B e r ü c k sichtigung und Abwägung mit den weiteren Ursachen vorgenommen werden. Das Problem der Bewertung eines solchen Ursachenzusammenhangs ist aber kein spezifisch deliktsrechtliches Problem, sondern ein ganz allgemeines Problem von Haftungsbegründung. Dementsprechend sollten auch mittelbare Handlungen des Schuldners, die zur Unmöglichkeit führen, nur dann als
27 28 29 30
Vgl. Larenz, Schuldrecht II, § 72 I c (S. 609); ders., Festschrift für Dölle, 169 (186). Larenz, Schuldrecht II, § 72 I c (S. 610). Huber, Festschrift für E. R. Huber, 253 (276). Huber, Festschrift für E. R. Huber, 253 (277).
III. Mittelbare Handlungen und Unterlassungen des Schuldners
139
Pflichtverletzungen aufgefaßt werden, w e n n der Schuldner die ihn im k o n kreten Fall treffenden Sorgfaltspflichten verletzt hat.
dd) Analyse der einschlägigen
Rechtsprechung
A u c h die wenigen in der R e c h t s p r e c h u n g e r ö r t e r t e n Fälle zur H a f t u n g des Schuldners für mittelbare H a n d l u n g e n legen nahe, daß es dabei zunächst u m die Frage der B e g r ü n d u n g der Pflichtverletzung geht, auch w e n n die einschlägigen E n t s c h e i d u n g e n sie unter dem G e s i c h t s p u n k t des Vertretenmüssens erö r t e r n m ö g e n . A u f s c h l u ß r e i c h ist insoweit i n s b e s o n d e r e die E n t s c h e i d u n g des B u n d e s g e r i c h t s h o f s v o m 2 9 . 4 . 1 9 7 0 . 3 1 H i e r w a r o f f e n b a r z w i s c h e n der Klägerin (der künftigen M i e t e r i n ) und den B e k l a g t e n ein M i e t v o r v e r t r a g geschlossen w o r d e n . A u s G r ü n d e n b a u r e c h t l i c h e r Zulässigkeit stellte sich die D u r c h f ü h r u n g des B a u v o r h a b e n s aber als zweifelhaft dar. D a s G e r i c h t läßt hier z u n ä c h s t offen, o b die B e k l a g t e n mit der im R a h m e n der Vertragsverhandlungen gemachten E r k l ä r u n g , die Klägerin b r a u c h e sich nicht um die baurechtlichen F r a g e n zu k ü m m e r n , das sei ihre Sache, eine Garantie übern o m m e n haben. A u c h w e n n es an einer solchen Garantie fehle, k ö n n e die B e k l a g t e n „ein Verschulden an der U n m ö g l i c h k e i t oder V e r z ö g e r u n g der D u r c h f ü h r u n g des B a u v o r h a b e n s dann treffen, w e n n sie die Vermietung des erst n o c h zu errichtenden G e b ä u d e s in K e n n t n i s oder fahrlässiger U n k e n n t nis der Zweifelhaftigkeit der baurechtlichen Zulässigkeit des P r o j e k t s zugesagt hatten. I m R a h m e n der §§ 2 7 5 , 2 8 5 , 3 2 5 , 3 2 6 B G B m u ß auch eine nicht u n m i t t e l b a r verschuldete U n m ö g l i c h k e i t oder V e r z ö g e r u n g der Leistung als v o m Schuldner zu vertreten angesehen werden, w e n n er bei Vertragsschluß bei gehöriger Ü b e r l e g u n g mit einem solchen A u s g a n g rechnen m u ß t e ; denn damit hat er, v o n A u s n a h m e f ä l l e n abgesehen, diese G e f a h r auf sich g e n o m men u. kann sich deshalb s c h o n nach Treu u. G l a u b e n seinem Vertragsgegner gegenüber nicht auf U n v e r m ö g e n oder unverschuldete L e i s t u n g s v e r z ö g e r u n g berufen ( . . . ) . " E i n e ähnliche P r o b l e m a t i k betrifft bereits eine E n t s c h e i d u n g des B u n d e s gerichtshofes aus dem J a h r e i 9 6 0 3 2 : D i e beklagte K i n o p ä c h t e r i n hatte bei der Klägerin, einem F i l m v e r l e i h u n t e r n e h m e n , F i l m e bestellt, die deshalb nicht vorgeführt werden k o n n t e n , weil es zur Zwangsversteigerung „des K i n o s " kam und die P ä c h t e r i n v o m E r s t e h e r aus dem B e s i t z des K i n o s gesetzt wurde. D e r B u n d e s g e r i c h t s h o f sah keinen R e c h t s v e r s t o ß in der A n n a h m e des B e r u fungsgerichts, daß die G e f a h r des Verlustes des Lichtspieltheaters während der Spielzeit laufender Filmbestellungsverträge in der Regel v o m Besteller zu tragen sei, weil diese G e f a h r grundsätzlich zunächst einmal in seinem R i s i k o bereich liege. D i e s e Auffassung stehe auch damit in E i n k l a n g , „daß im R a h men der §§ 3 2 5 , 2 7 5 B G B auch ein nicht u n m i t t e l b a r verschuldetes nachträgl. 31 32
B G H MDR 1970, 756. B G H MDR 1960, 304 f.
140
5 5 Die Sorgfalt
im Rahmen
der
Leistungspflicht
Eintreten von Unvermögen auf Seiten des Schu. als von ihm zu vertreten angesehen wird, wenn er bei Vertragsabschl. bei gehöriger Überlegung mit einem solchen Eintreten rechnen mußte; denn damit hat er - von Ausnahmefällen abgesehen - diese Gefahr auf sich genommen und kann sich deshalb schon nach Treu und Glauben seinem Vertragsgegner gegenüber nicht auf dieses Unvermögen berufen ( . . . ) . " Beide Fälle machen sehr deutlich, daß die Problematik der mittelbaren Verursachung der Unmöglichkeit hier in der Bestimmung der Reichweite der Leistungspflicht des Schuldners liegt und entgegen den verbalen Beteuerungen der entscheidenden Gerichte nicht primär eine Frage des Vertretenmüssens ist. So wird in beiden Entscheidungen mit dem Gedanken argumentiert, daß der Schuldner bei Vertragsschluß die eingetretene Gefahr auf sich genommen habe. Wenn man Gefahrtragung nicht im Sinne einer verschuldensunabhängigen Einstandspflicht versteht (was die Gerichte offenbar nicht tun, wenn auch einige Formulierungen insoweit nicht ganz eindeutig sind), kann es hierbei zunächst nur um die Bestimmung der Reichweite der Leistungspflichten des Schuldners gehen und damit implizit auch um die Sorgfaltsanforderungen, die an die Erbringung der Leistung zu stellen sind. Anders ist auch kaum erklärlich, wieso in beiden Entscheidungen für die immerhin nachträglich eintretende Unmöglichkeit die Maßstäbe der gebotenen Sorgfalt sich aus den bei Vertragsschluß ersichtlichen Verhältnissen ergeben sollen. D a ß es im Kern um die Bestimmung des Inhalts der jeweils vom Schuldner übernommenen Leistungspflicht ging, ergibt sich im übrigen auch aus der von den Gerichten angesprochenen Problematik einer Abgrenzung zur Ü b e r nahme einer Garantie durch den Schuldner bzw. die Rede von der Ü b e r n a h me eines Risikos durch ihn. Beide Konstruktionen stellen Alternativen in der Ausdeutung des vom Schuldner übernommenen Inhalts der Leistungspflicht dar, nicht dagegen in der Frage, welche Sorgfalt dem Schuldner obliegt. O b die Entscheidungen, die in mancher Hinsicht mehrdeutig sind, im einzelnen zutreffen, mag hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls machen sie deutlich, daß die Haftung des Schuldners für mittelbare Handlungen praktisch häufig das Problem des Inhalts und der Reichweite seiner anhand von besonderen Sorgfaltsmaßstäben zu ermittelnden Leistungspflicht ist.
b) Die Funktion der unselbständigen Sorgfaltspflicht im Rahmen der Bewertung von Leistungsund Sorgfaltspflichtverletzungen Als Ergebnis der Betrachtung läßt sich festhalten, daß man bei Handlungen des Schuldners, die nur mittelbar die Unmöglichkeit herbeiführen, diese nur dann als Leistungspflichtverletzungen qualifizieren kann, wenn sie auf sorgfaltswidrigem Verhalten beruhen. Damit ist in den Fällen der unmittelbaren Herbeiführung der Unmöglichkeit durch den Gläubiger, einen Dritten
III. Mittelbare Handlungen und Unterlassungen des Schuldners
141
oder Naturereignisse jedenfalls gedanklich i m m e r mit zu berücksichtigen, o b den Schuldner ein solches sorgfaltswidriges Verhalten trifft. N u r w e n n ein solches sorgfaltswidriges Verhalten ersichtlich ist, besteht auch ein A n k n ü p f u n g s p u n k t für eine Leistungspflichtverletzung des Schuldners. D a g e g e n ist für die Auffassung, die mittelbare H a n d l u n g e n des Schuldner i m m e r für relevant hält, im G r u n d e k a u m ein Fall denkbar, in d e m keine Pflichtverletzung des Schuldners vorliegt. O h n e den A n k n ü p f u n g s p u n k t sorgfaltswidrigen Verhaltens des Schuldners kann man bei mittelbarer H e r b e i f ü h r u n g der U n m ö g l i c h k e i t aber k a u m in einem ü b e r z e u g e n d e n Sinne v o n einer Pflichtverletzung sprechen. D e m e n t s p r e c h e n d fehlt es in dem o b e n aufgeworfenen Ausgangsfall zu d e m verkauften K o l l i e r an einer Verletzung der Leistungspflicht durch den Schuldner, da er bei seiner H a n d l u n g die erforderlichen Sic h e r h e i t s v o r k e h r u n g e n getroffen hat und insoweit die erforderliche Sorgfalt beachtet hat, w ä h r e n d er in der A b w a n d l u n g diese Sorgfaltspflichten gerade verletzt hat und ihm damit die d u r c h den D i e b s t a h l eintretende U n m ö g l i c h keit als Leistungspflichtverletzung z u r e c h e n b a r ist. D a m i t besteht hier also eine Sorgfaltspflicht, die der B e g r ü n d u n g der in der mittelbaren H e r b e i f ü h r u n g der U n m ö g l i c h k e i t liegenden Verletzung der L e i stungspflicht des Schuldners dient. W i e sich diese n u r „ m i t t e l b a r " der H a f tungsbegründung dienende Sorgfaltspflichtverletzung zu der u n m i t t e l b a r eine H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o oder positiver Vertragsverletzung b e gründenden Verletzung v o n Sorgfaltspflichten verhält, ist heute n o c h s c h w e r zu übersehen. E s scheint aber fast so, daß sich hinter das gesetzliche S y s t e m der H a f t u n g aus Schuldverhältnissen i m m e r m e h r ein S y s t e m der H a f t u n g für Sorgfaltspflichtverletzungen g e s c h o b e n hat, das mit der A n e r k e n n u n g der culpa in c o n t r a h e n d o und der positiven Vertragsverletzung als eigenständige Institute vorbereitet war, das mit der E n t w i c k l u n g der Verkehrspflichten im R e c h t der unerlaubten H a n d l u n g zu grundlegenden N e u o r i e n t i e r u n g e n geführt hat und das sich z u n e h m e n d insgesamt hinter das gesetzliche S y s t e m der Verletzung v o n Leistungspflichten schiebt. D i e hier in F r a g e stehende S o r g f a l t s p f l i c h t sollte deshalb n o c h etwas gen a u e r b e t r a c h t e t w e r d e n . A n d e r s als d e r g e g e n ü b e r den L e i s t u n g s p f l i c h t e n selbständige T y p u s v o n S o r g f a l t s p f l i c h t e n h a b e n die der B e w e r t u n g einer m i t t e l b a r e n H a n d l u n g des S c h u l d n e r s d i e n e n d e n S o r g f a l t s p f l i c h t e n n u r eine H i l f s f u n k t i o n im R a h m e n der B e g r ü n d u n g d e r P f l i c h t v e r l e t z u n g . D i e S o r g faltspflicht dient hier lediglich der Q u a l i f i z i e r u n g einer m i t t e l b a r e n H a n d lung als L e i s t u n g s p f l i c h t v e r l e t z u n g ; die P f l i c h t v e r l e t z u n g b l e i b t damit auf den A n s p r u c h u n d das mit i h m g e s c h ü t z t e R e c h t s g u t b e z o g e n . W e g e n dieser n u r d i e n e n d e n F u n k t i o n k a n n m a n hier v o n u n s e l b s t ä n d i g e n S o r g f a l t s p f l i c h t e n s p r e c h e n im U n t e r s c h i e d z u m T y p u s der „ s e l b s t ä n d i g e n " S o r g faltspflichten. E i n e ganz ähnliche F u n k t i o n k o m m t den Verkehrspflichten zu. A u c h sie dienen im R a h m e n des § 823 I B G B der Q u a l i f i k a t i o n einer mittelbar schädigenden H a n d l u n g des Deliktstäters als R e c h t s g u t s v e r l e t z u n g , so daß auch
142
5 5 Die Sorgfalt im Rahmen
der
Leistungspflicht
den Verkehrspflichten nur eine Hilfsfunktion z u k o m m t . Diese Einordnung der Verkehrspflichten hat insbesondere die Konsequenz, daß - entgegen manchen Stimmen in der Literatur 3 3 - sich das Verschulden auf die Verletzung des Rechtsgutes beziehen muß, nicht allein auf die Verletzung der Verkehrspflicht. 3 4 Entsprechend muß sich auch das Verschulden des Schuldners immer auch auf die Verletzung seiner Leistungspflicht beziehen und nicht lediglich auf die Verletzung einer Sorgfaltspflicht. Die der Qualifikation der mittelbaren Handlung des Schuldners dienende Sorgfaltspflicht und die Verkehrspflicht unterscheiden sich allerdings auch in einem wesentlichen Punkt. D i e Verkehrspflicht dient im Rahmen des § 823 I B G B der Begründung einer unerlaubten Handlung und damit auch erst der Begründung eines Schuldverhältnisses i.w.S. Im Gegensatz dazu wird mit den unselbständigen Sorgfaltspflichten, aber auch den selbständigen Sorgfaltspflichten ein Verhalten als Verletzung der sich aus einem bereits bestehenden Schuldverhältnis ergebenden Pflichten qualifiziert. Damit sind Sorgfaltspflichten ganz allgemein nicht auf die Begründung des Schuldverhältnisses bezogen, sondern auf den Schutz des bereits bestehenden Schuldverhältnisses. 35 Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen Verkehrspflichten und Sorgfaltspflichten, in dem sich auch der Unterschied zwischen deliktischer Haftung und - vereinfacht gesprochen - vertraglicher Haftung widerspiegelt. Diese Problematik soll im Rahmen des § 6 näher erörtert werden. D i e Problematik der Haftung des Schuldners für mittelbare Handlungen war hier am Beispiel der nachträglichen Unmöglichkeit entwickelt worden. Solche mittelbaren Handlungen sind aber auch im H i n b l i c k auf andere F o r men der Verletzung von Leistungspflichten denkbar. So kann etwa auch die Verzögerung der Leistung trotz Fälligkeit und Mahnung auf einer nur mittelbaren Handlung des Schuldners beruhen, etwa wenn eine für die Erfüllung der Leistungspflicht erforderliche Genehmigung auf sich warten läßt. Bei der Schlechtleistung sind Fälle dieser Art hingegen eher kaum denkbar, und zwar deshalb, weil dabei - wie weiter unten gezeigt wird - die Bewertung einer Handlung als Pflichtverletzung notwendigerweise an den A k t der fehlerhaften Leistungserbringung selbst anknüpft, der im Grunde wohl nur in unmittelbarer Weise erfolgen kann. G i b t es mittelbare Handlungen auch im H i n b l i c k auf die Verletzung selbständiger Sorgfaltspflichten? Das läßt sich prinzipiell bejahen, wie etwa folgender Beispielsfall zeigt: D e r Vorplatz eines Supermarktes ist so beschaffen, daß der Boden bei starken Regenfällen teilweise so glitschig ist, daß er für die Kunden nur mit großen Risiken begehbar ist und dringend ausgebessert wer33 Vgl. v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, 452 (483 f.); v. Bar, Verkehrspflichten, S. 160 ff. 34 So insbesondere auch Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 76 III 7 a. 35 Der Begriff der Sorgfaltspflicht wird hier also auf bereits bestehende Schuldverhältnisse beschränkt, in einem allgemeineren Sinne kann man natürlich auch die Verkehrspflichten als Sorgfaltspflichten bezeichnen.
III. Mittelbare
Handlungen
und Unterlassungen
des Schuldners
143
den muß. N a c h einem kräftigen Gewitter k o m m t ein Kunde auf dem glitschigen B o d e n zu Fall. Die Verletzung seiner Gesundheit beruht hier nur mittelbar auf der Nichtausbesserung des Bodens durch den Supermarkt, weil der Regen als Ursache für den Sturz hinzutreten mußte. D e n n o c h hat der Supermarkt hier natürlich seine Sorgfaltspflicht verletzt, weil sie sich gerade darauf bezog, ein solches Ereignis zu verhindern. Allerdings läßt sich auch hier die Sorgfalt im H i n b l i c k auf das verletzte Rechtsgut und die im H i n b l i c k auf das mittelbare Ereignis zu beobachtende Sorgfalt unterscheiden. So könnte man etwa eine selbständige Sorgfaltspflicht des Supermarktes annehmen, im R a h men des geschäftlichen Kontaktes K ö r p e r und Gesundheit der Kunden zu beachten. Diese Sorgfaltspflicht wäre hier dadurch verletzt worden, daß er die ihn im H i n b l i c k auf zu erwartende Regenfälle treffende (unselbständige) Sorgfaltspflicht verletzt hat, indem er den Boden nicht erneuern ließ. T h e o r e tisch läßt sich also auch hier die Verletzung des Rechtsgutes als Gegenstand einer selbständigen Sorgfaltspflicht von der in der mittelbaren Handlung liegenden Sorglosigkeit als Gegenstand einer ihr nur dienenden Sorgfaltspflicht unterscheiden. Zumeist werden Sorgfaltspflichten aber gar nicht in dieser prinzipiellen Weise gebildet, sondern sogleich im H i n b l i c k auf die konkrete Situation. D i e Sorgfaltspflicht zur Achtung der Rechtsgüter des Kunden im geschäftlichen Verkehr wird also sogleich im H i n b l i c k auf die in der Nichterneuerung des Bodens liegende Verletzung formuliert. Die unterschiedlichen Facetten der Sorgfalt lassen sich dann im Begriff der Sorgfaltspflicht nicht mehr unterscheiden.
2. Die Bewertung des Unterlassens einer für den Schuldner gebotenen Handlung G a n z ähnliche Probleme wie bei der Haftung des Schuldners für mittelbare Handlungen stellen sich bei der Unterlassung eines für den Schuldner gebotenen Verhaltens. Das Unterlassen einer möglichen Handlung wird im allgemeinen dann einer Handlung gleichgestellt, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln gegeben war. 36 Welche Bedeutung hat dieser allgemeine Grundsatz für die Haftung des Schuldners? Insoweit scheint zunächst anerkannt zu sein, daß auch das Verschulden des Schuldners sich auf ein Unterlassen beziehen kann, wenn an dessen Stelle von ihm ein Handeln zu erwarten war. 3 7 Entsprechend der Darlegung zu mittelbaren Handlungen des Schuldners ist aber auch die Frage einer haftungsrechtlichen Relevanz eines Unterlassens durch den Schuldner eine Frage der Qualifikation seiner Handlung als Pflichtverletzung. Eine Reihe der zuvor unter dem Gesichtspunkt der mittelbaren H a n d 36 Vgl. zu diesem allgemeinen Haftungsgrundsatz vor allem Larenz, c (S. 457). 37 In diesem Sinne Soergel-M. Wolf, § 276 Rz. 17.
Schuldrecht I, § 27 III
144
§ 5 Die Sorgfalt
im Rahmen
der
Leistungspflicht
lung erörterten Fälle enthielten bereits nicht ausdrücklich thematisierte M o mente des Unterlassens. Das liegt nicht zuletzt daran, daß jeder Verletzung einer Sorgfaltspflicht ein defizitäres Verhalten zugrunde liegt und damit ein M o m e n t des Unterlassens. D a s k o m m t auch in der gesetzlichen Definition der Fahrlässigkeit zum Ausdruck, die ja als „Außerachtlassung" der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt umschrieben wird (§ 276 I 2 B G B ) . D e r Problematik einer Abgrenzung von aktivem Tun und Unterlassen soll hier aber nicht weiter nachgesonnen werden, es wird lediglich versucht, einige spezifische Probleme des Unterlassens im Rahmen der Begründung von Pflichtverletzungen des Schuldners zu umreißen.
a) Liegt die Verletzung der Leistungspflicht der Erfüllung?
im
Unterlassen
Eine erste, ganz zentrale systematische Frage betrifft das Problem, ob nicht jedenfalls das R e c h t der Leistungspflichtverletzungen überhaupt als ein R e c h t der Haftung des Schuldners für ein Unterlassen begriffen werden muß. D e r für diesen Bereich von vielen als zentral empfundende Begriff der „Nichterfüllung" scheint ja die Perspektive nahezulegen, daß die Verletzung der Leistungspflicht ein Unterlassen des Schuldners darstellt, nämlich das Unterlassen der Erfüllung, genauer das Unterlassen der Erfüllung überhaupt, das Unterlassen der rechtzeitigen Erfüllung, das Unterlassen der gehörigen Erfüllung. Diese in der Literatur unterschwellig ganz häufig anzutreffende Vorstellung von der Verletzung der Leistungspflicht als Unterlassen der Erfüllung durch den Schuldner ist bisher allerdings gar nicht ausreichend analysiert. Wie der hier entwickelte Ansatz zeigt, werden durch eine solche Perspektive auch wesentliche Akzente verzeichnet. Das soll wiederum am Beispiel der nachträglichen Unmöglichkeit deutlicher gemacht werden. D i e Verletzung der Leistungspflicht war insoweit als Herbeiführung der Unmöglichkeit durch den Schuldner bestimmt worden. Demgegenüber m ü ß te die Verletzung der Leistungspflicht von der „Nichterfüllungskonzeption" her wohl als Unterlassen der Erfüllung der Leistungspflicht durch den Schuldner infolge von nachträglich eingetretener Unmöglichkeit aufgefaßt werden. 3 8 Dabei ist zunächst, wie bereits oben 3 9 angemerkt wurde, fraglich, wie sich in diesem Fall eine Pflicht zur Erfüllung überhaupt begründen läßt, angesichts dessen, daß jedenfalls bei fehlendem Vertretenmüssen die Leistungspflicht des Schuldners nach § 275 I B G B untergeht. D e r Ansatz ist für die Haftungsbegründung weiter allerdings auch deshalb unzureichend, weil nicht recht ersichtlich ist, wieso der Schuldner diese Pflichtverletzung zu vertreten haben sollte. Qualifiziert man die Pflichtverletzung als „Herbeiführung der Unmöglichkeit durch den Schuldner", so ist mit dieser Handlung 38 39
Zu dieser Vorstellung vgl. bereits oben § 3 I I I 2. Vgl. § 3 IV.
III. Mittelbare
Handlungen
und Unterlassungen
des
Schuldners
145
zugleich der Anknüpfungspunkt gegeben für die weitere Frage des Verschuldens dieser Handlung. Damit sind in diesem K o n z e p t Pflichtverletzung und Verschulden als unterschiedliche Stufen der Bewertung einer Handlung des Schuldners aufeinander bezogen. Wer bereits die im Unterlassen der Erfüllung infolge nachträglich eintretender Unmöglichkeit liegende Handlung des Schuldners als Pflichtverletzung qualifiziert, der muß jetzt spätestens im R a h men des Vertretenmüssens die Frage nach den Gründen für dieses Unterlassen stellen, und er wird schließlich nach den Gründen für den Eintritt der Unmöglichkeit fragen müssen. Damit ist auch für diesen gedanklichen A n satz der Frage nach den Gründen für den Eintritt der Unmöglichkeit nicht auszuweichen. Pflichtverletzung und Verschulden sind hier aber nur unzureichend aufeinander bezogen, was sich nicht zuletzt darin widerspiegelt, daß beide E b e n e n an unterschiedliche Handlungen anknüpfen und damit auch unterschiedliche Bezugspunkte haben: Die Pflichtverletzung bezieht sich auf das Unterlassen der Erfüllung durch den Schuldner infolge nachträglicher Unmöglichkeit, während das Vertretenmüssen sich auf die Gründe der U n möglichkeit und damit primär auf die Verursachung der Unmöglichkeit bezieht. In der unzureichenden Verknüpfung dieser beiden unterschiedlichen Gesichtspunkte liegt die wesentliche Verzeichnung der Perspektive, zu welcher der theoretische Ansatz beim Unterlassen der Erfüllung der Leistungspflicht durch den Schuldner führt. Es wäre ungefähr so, wie wenn man im B e reich des § 823 I B G B das bloße Unterlassen der Beachtung der Rechtsgüter des anderen als Rechtsgutsverletzung qualifizieren wollte und erst im R a h men des Verschuldens die Frage stellen würde, ob dieses Unterlassen auch kausal für die eingetretene Rechtsgutsverletzung war. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich das Defizit der „Nichterfüllungsk o n z e p t i o n " wohl aus der Inkongruenz des Verständnisses der Leistungspflicht als Ausdruck des Erfüllungsinteresses des Gläubigers und als Maßstab des vom Schuldner geforderten Verhaltens. 4 0 D e r Ansatz bei der Nichterfüllung geht zumindest unterschwellig von einem Verständnis der Pflichtverletzung als Nichterfüllung der Leistungspflicht aus. N a c h der gesetzlichen K o n zeption stellt die bloße Nichterfüllung aber gerade noch keine Pflichtverletzung dar, die Nichterfüllung muß vielmehr genauer qualifiziert werden als nachträglich eintretende Unmöglichkeit, als Verzögerung nach Fälligkeit und Mahnung (bzw. Verwirklichung eines der sonstigen verzugsauslösenden Tatbestände) oder auch als Schlechtleistung. Damit stellt nicht jede Störung der Erfüllung der Leistungspflicht auch schon eine Verletzung der Leistungspflicht dar. Im Grunde liegen der Bestimmung der Leistungspflicht als Erfüllungsgebot einerseits und der Begründung der Verletzung von Leistungspflichten an40 Die Analyse dieser Inkongruenz unter dem Gesichtspunkt der Unterscheidung von Leistungshandlung und Leistungserfolg ist das zentrale Thema des Beitrages von Wieacker, Festschrift für H. C. Nipperdey, 783 ff.
146
5 i Die Sorgfalt im Rahmen der
Leistungspflicht
dererseits unterschiedliche K o n z e p t i o n e n zugrunde. D e r zentrale G e d a n k e zur Leistungspflicht ist in der Tat die E r f ü l l u n g des A n s p r u c h e s . D a s wird m a n v o n d e m H a f t u n g s r e c h t , das auf d e m G e d a n k e n der Verletzung der L e i stungspflicht durch den S c h u l d n e r aufbaut, nach der gesetzlichen K o n z e p t i o n nicht gleichermaßen sagen k ö n n e n . D e r zentrale G e d a n k e ist hier die B e w e r tung einer N i c h t e r f ü l l u n g s h a n d l u n g anhand b e s t i m m t e r Ereignisse wie n a c h trägliche U n m ö g l i c h k e i t , V e r z ö g e r u n g oder Schlechtleistung. D a m i t ist die H a f t u n g v o n der Verursachung dieser Ereignisse durch den Schuldner her k o n z i p i e r t , nicht dagegen v o m G e d a n k e n der N i c h t e r f ü l l u n g der L e i s t u n g s pflicht. A n d e r s ausgedrückt, das E r f ü l l u n g s p r o g r a m m ist nicht mit dem H a f t u n g s k o n z e p t identisch. In dieser leichten I n k o n g r u e n z der K o n z e p t i o n beider B e r e i c h e liegen auch die G r ü n d e dafür, daß es u n z u r e i c h e n d ist, den B e reich der Leistungspflichtverletzung v o m U n t e r l a s s e n der E r f ü l l u n g durch den Schuldner her zu k o n z i p i e r e n . U n d d e n n o c h enthält die „ N i c h t e r f ü l l u n g s k o n z e p t i o n " einen z u t r e f f e n den G e s i c h t s p u n k t , nämlich den A s p e k t , daß jede Leistungspflicht prinzipiell auch eine Sorgfaltspflicht enthält, die eine R e c h t s p f l i c h t z u m H a n d e l n b e inhaltet. I n s o w e i t soll n o c h einmal auf das Beispiel z u r ü c k g e k o m m e n werden, in dem der Schuldner ein k o s t b a r e s K o l l i e r zu übereignen hat, dessen Sicherung nach den k o n k r e t e n Verhältnissen dadurch g e b o t e n ist, daß es in den T r e s o r gesperrt wird. D e r Schuldner unterläßt dieses Verhalten und e r m ö g licht dadurch den D i e b s t a h l . D i e den Schuldner hier treffende R e c h t s p f l i c h t zur V o r n a h m e der g e b o t e n e n H a n d l u n g soll ebenfalls als Sorgfaltspflicht b e zeichnet w e r d e n . D i e s e Sorgfaltspflicht dient der Q u a l i f i k a t i o n der G l e i c h wertigkeit eines U n t e r l a s s e n s mit der H e r b e i f ü h r u n g der U n m ö g l i c h k e i t durch aktives Tun und damit der B e w e r t u n g eines Unterlassens als L e i s t u n g s pflichtverletzung. I n s o w e i t hat auch diese Sorgfaltspflicht dienenden C h a r a k ter. Vielleicht n o c h deutlicher als bei den Sorgfaltspflichten im H i n b l i c k auf mittelbare H a n d l u n g e n des Schuldners wird hier aber, daß diese Sorgfaltspflicht z u m H a n d e l n aus der Leistungspflicht herrührt, w e l c h e die Sorge um die E r h a l t u n g des Leistungsgegenstandes durch positive M a ß n a h m e n einschließen kann. D a s bedeutet nun keineswegs, daß die U n t e r s c h e i d u n g der Sorgfaltspflicht z u m H a n d e l n von der Leistungspflicht unnötig wäre. Vielm e h r trägt die präzise B e g r ü n d u n g der Sorgfaltspflicht z u m H a n d e l n gerade zu einer genaueren B e s t i m m u n g der R e i c h w e i t e der Leistungspflicht bei. I n soweit ist die unselbständige Sorgfaltspflicht ein dogmatisches G e b i l d e für die B e g r ü n d u n g einer Leistungspflichtverletzung in den k o m p l e x e r e n Fällen der mittelbaren H a n d l u n g und der U n t e r l a s s u n g . G a n z ähnlich ist im H i n blick auf die den Verkehrspflichten zugrunde liegende L e h r e v o m Verhaltensu n r e c h t davon g e s p r o c h e n w o r d e n , daß sie „eine größere F e i n z e i c h n u n g des U n r e c h t s " erlaube. 4 1 I n einer Welt i m m e r k o m p l e x e r w e r d e n d e r U r s a c h e n -
41
Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 231.
III. Mittelbare
Handlungen
und Unterlassungen
des Schuldners
147
Verknüpfungen und Pflichtenzusammenhänge liegt darin eine wichtige F u n k tion juristischer Dogmatik.
b) Die Problematik
einer Beschaffungspflicht
bei
Stückschulden
Im folgenden soll n o c h eine besondere Konstellation des Unterlassens angesprochen werden, an der sich die F u n k t i o n der hier erörterten unselbständigen Sorgfaltspflicht noch einmal veranschaulichen läßt. U n d zwar soll es um den Fall des nachträglichen Unvermögens zur Leistung einer Stückschuld gehen, der in der wissenschaftlichen Diskussion sehr viel komplexer ist als seine Aufbereitung in der Lehrbuchliteratur erahnen läßt. Unvermögen liegt nach traditioneller Auffassung dann vor, wenn der Schuldner nicht leisten kann, wohl aber ein Dritter in der Lage wäre, die geschuldete Leistung zu erbringen. 4 2 Hinzugefügt wird nun allerdings häufig, daß das Leistungshindernis nicht nur vorübergehender N a t u r sein dürfe, denn mit dem Unvermögen im Rechtssinne sei nur ein dauerndes Leistungshindernis gemeint. 4 3 In vielen Fällen der Leistungsunfähigkeit des Schuldners stellt sich damit die Frage der Abgrenzung von Verzug und nachträglichem Unvermögen. Vielfach wird insoweit mit einer Pflicht des Schuldners zur (Wieder-)Beschaffung des geschuldeten Leistungsgegenstandes argumentiert, aus der sich ergeben soll, daß ein rechtlich relevantes Unvermögen nicht vorliegt. D i e dogmatische B e deutung dieser Beschaffungspflichten des Schuldners ist aber außerordentlich unsicher und noch gar nicht zureichend analysiert. A u f solche Beschaffungspflichten soll im folgenden das Augenmerk gerichtet werden. Ein typischer Schulfall des nachträglichen Unvermögens liegt darin, daß der Verkäufer bei Vertragsschluß noch Eigentümer der Kaufsache ist, das Eigentum aber danach an einen Dritten verliert. D e m Verkäufer ist die Erfüllung seiner Verpflichtung hier zunächst einmal nicht mehr möglich, weil er die Verfügungsbefugnis über die Sache verloren hat. N u n kann man allerdings mit einer durchaus verbreiteten Ansicht die Frage stellen, o b dem Schuldner nicht die Beseitigung seiner Leistungsunfähigkeit möglich und zumutbar ist, indem er sich den geschuldeten Leistungsgegenstand vom Dritten wiederbeschafft und dadurch sein Leistungsvermögen wieder herbeiführt. 4 4 Wie E m merich festgestellt hat, konzentriert sich die Diskussion der Problematik des nachträglichen Unvermögens bei der Stückschuld zunehmend auf diese Frage. 4 5 Sehr viel unabgeklärter ist aber die Frage, welchen Sinn die Annahme
Vgl. nur Palandt-Heinrichs, § 275 Rz. 4. Vgl. etwa Brox, Allgemeines Schuldrecht, Rz. 234; Jauernig-Vollkommer, § 2 7 5 Rz. 6; Palandt-Heinrichs, § 275 Rz. 17. 4 4 Vgl. zunächst nur Erman-Battes, Vor § § 2 7 5 - 2 9 2 Rz. 29; Palandt-Heinrichs, §275 Rz. 13; Soergel-Wiedemann, § 275 Rz. 53 f.; Staudinger-Löwisch, § 275 Rz. 50-52. 4 5 MüKo, § 2 7 5 Rz. 101 a.E. Von dieser Problematik scharf zu unterscheiden ist die hier nicht weiter zu diskutierende Schwierigkeit, daß der Schuldner aus nachträglichem Geldman42
43
§ } Die Sorgfalt im Rahmen der
148
Leistungspflicht
s o l c h e r B e s c h a f f u n g s p f l i c h t e n haben soll. D i e u n z u r e i c h e n d e d o g m a t i s c h e E i n o r d n u n g dieser Pflichten führt zu zweifelhaften Weichenstellungen und insgesamt zu einer K o n z e p t i o n des nachträglichen U n v e r m ö g e n s bei der S t ü c k s c h u l d , die im G e s e t z so k a u m angelegt erscheint. B e i der f o l g e n d e n E r örterung ist zu b e r ü c k s i c h t i g e n , daß die P r o b l e m a t i k des nachträglichen U n v e r m ö g e n s eine R e i h e unterschiedlichster Fragestellungen impliziert, die gar nicht umfassend erörtert w e r d e n sollen. E s geht hier lediglich darum, einige Leitlinien für die richtige d o g m a t i s c h e V e r o r t u n g der B e s c h a f f u n g s p f l i c h t e n zu begründen. D a z u soll zunächst die Auffassung v o n E m m e r i c h in K ü r z e skizziert w e r d e n , der hinsichtlich der A n n a h m e v o n B e s c h a f f u n g s p f l i c h t e n vielleicht den pointiertesten S t a n d p u n k t vertritt. I m A n s c h l u ß daran wird hierzu eine G e g e n p o s i t i o n entfaltet.
aa) Der Standpunkt
Emmerichs
F ü r E m m e r i c h dienen die B e s c h a f f u n g s p f l i c h t e n der A u s s c h a l t u n g eines U n v e r m ö g e n s als rechtlich irrelevant. S o w e i t den S c h u l d n e r die Pflicht trifft, sich u m die L e i s t u n g bei einem D r i t t e n zu b e m ü h e n , k ö n n e „von einer befreienden W i r k u n g des . U n v e r m ö g e n s ' (entgegen § 2 7 5 I I ) keine R e d e s e i n . " 4 6 H i n t e r dieser - v o n E m m e r i c h auch den Gesetzesverfassern zugeschriebenen P o s i t i o n - steht die Vorstellung v o n einer grundsätzlichen U n b e a c h t l i c h k e i t des U n v e r m ö g e n s . H e u t e wie v o r hundert J a h r e n gelte, daß in einer m a r k t wirtschaftlichen O r d n u n g im G r u n d e fast jede L e i s t u n g ihren Preis hat, so daß - abgesehen von den h ö c h s t p e r s ö n l i c h e n Leistungen - k a u m Fälle vorstellbar sind, in denen der D r i t t e nicht zur E r b r i n g u n g der L e i s t u n g bereit sei, freilich notfalls nur gegen eine erhebliche Gegenleistung des S c h u l d n e r s . 4 7 M i t R e c h t w e r d e in Fällen dieser A r t z u n e h m e n d bezweifelt, o b es ü b e r h a u p t angebracht sei, v o n U n v e r m ö g e n zu sprechen. T r o t z der „unglücklichen F o r mulierung des § 2 7 5 A b s . 2 " sollte deshalb aus seiner Sicht nicht ernstlich zweifelhaft sein, daß der G l ä u b i g e r bei nachträglichem U n v e r m ö g e n weiterhin E r f ü l l u n g verlangen kann, solange nicht feststeht, daß der S c h u l d n e r ausnahmsweise w e g e n ü b e r m ä ß i g e r L e i s t u n g s e r s c h w e r u n g befreit ist. 4 8 D e r G l ä u b i g e r hat d e m e n t s p r e c h e n d n u r die M ö g l i c h k e i t , statt E r f ü l l u n g zu verlangen, den Weg ü b e r § 3 2 6 B G B zu gehen, der auch die allein sachgerechte L ö s u n g darstelle. 4 9
gel seiner Verpflichtung zur Leistung nicht nachkommen kann, vgl. dazu nur
Vor §§ 275-292 Rz. 28; Soergel-Wiedemann, 46 47 48 49
MüKo, MüKo, MüKo, MüKo,
§ 275 § 275 §275 § 275
Rz. Rz. Rz. Rz.
96. 94. 110. 96.
§ 275 Rz. 55; Staudinger-Löwisch,
Erman-Battes,
§ 275 Rz. 53.
III. Mittelbare Handlungen und Unterlassungen des Schuldners
149
bb) Stellungnahme zum Standpunkt Emmerichs und Begründung der eigenen Position E i n S c h w a c h p u n k t dieses am Beispiel der A u s f ü h r u n g e n v o n E m m e r i c h skizzierten Ansatzes zu den B e s c h a f f u n g s p f l i c h t e n liegt darin, daß in ihm nicht präzise z w i s c h e n dem Leistungshindernis und der Leistungspflichtverletzung unterschieden wird. D i e s e S c h w ä c h e ist natürlich im G e s e t z selbst angelegt, das n u r die B e g r i f f e des U n v e r m ö g e n s und der U n m ö g l i c h k e i t gebraucht, w ä h r e n d der B e g r i f f der Pflichtverletzung in der gesetzlichen K o n zeption keine R o l l e spielt. O b w o h l nun die Z i v i l r e c h t s d o g m a t i k die H a f t u n g des Schuldners heute prinzipiell v o n der K a t e g o r i e der Pflichtverletzung her begründet, b e s c h r ä n k t sich die D i s k u s s i o n nach wie v o r auf eine zureichende Erfassung des Begriffs des U n v e r m ö g e n s . I n s o w e i t ist es nicht gelungen, das K o n z e p t der Pflichtverletzung für eine A n a l y s e des nachträglichen U n v e r m ö g e n s u m z u s e t z e n . W e n n man das einmal versuchen will, so setzt das die präzise U n t e r s c h e i d u n g v o n Leistungshindernis und Leistungspflichtverletzung voraus. D i e B e s c h a f f u n g s p f l i c h t e n dienen dann nicht dazu, die Q u a l i f i kation eines Leistungshindernisses als rechtlich relevantes U n v e r m ö g e n auszuschalten, sie dienen vielmehr der B e g r ü n d u n g dieses Leistungshindermsses als Leistungspflichtverletzung. D i e s e r G e d a n k e soll im folgenden etwas genauer entfaltet w e r d e n .
(1) Der Eintritt eines nachträglichen Ereignisses als Ausgangspunkt für die Begründung nachträglichen Unvermögens N a c h verbreiteter Auffassung (wenn auch mit unterschiedlichen B e g r ü n dungen und unterschiedlicher R e i c h w e i t e ) trifft den Schuldner für sein anfängliches U n v e r m ö g e n eine G a r a n t i e h a f t u n g . 5 0 D i e s e soll darauf beruhen, daß der Schuldner im Z e i t p u n k t der Ü b e r n a h m e der Verpflichtung seine L e i stungsfähigkeit einschätzen kann, dagegen soll er für nachträglich eintretende U m s t ä n d e grundsätzlich nur haften, soweit er sie zu vertreten hat. F ü r gegenwärtige U m s t ä n d e kann dem Schuldner danach also im Regelfall eine G a r a n tie angesonnen werden, für solche der Z u k u n f t hingegen nicht. 5 1 D i e s e r A u s gangspunkt führt dann bei der nicht zu vertretenden nachträglichen U n m ö g lichkeit dazu, daß der Schuldner nach § 2 7 5 I B G B v o n seiner Verpflichtung zur Leistung frei wird und weiter das nachträgliche U n v e r m ö g e n gem. § 2 7 5 I I B G B der nachträglichen U n m ö g l i c h k e i t gleichgestellt wird. D i e K o n z e p tion der nachträglichen o b j e k t i v e n U n m ö g l i c h k e i t geht also zunächst einmal v o n dem nach Vertragsschluß eintretenden Leistungshindernis aus, wie es etwa in der Z e r s t ö r u n g des Leistungsgegenstandes liegt. D i e F r a g e n , o b die
50 Vgl. nur Brox, Allgemeines Schuldrecht, Rz. 243 f.; Larenz, cus, Schuldrecht I, Rz. 384. 51 Vgl. Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 285.
Schuldrecht I, § 8 II; Medi-
150
§ 5 Die Sorgfalt
im Rahmen
der
Leistungspflicht
eingetretene Unmöglichkeit auf einer Pflichtverletzung des Schuldners beruht und diese Pflichtverletzung zu vertreten ist, sind davon sehr genau zu unterscheiden. Wieso bei nachträglichem Unvermögen etwas anderes gelten sollte, ist nicht recht ersichtlich. Auch hier ist es zunächst einmal das bloße nach Vertragsschluß eintretende Leistungshindernis, das als nachträgliches Unvermögen des Schuldners aufzufassen ist. O b dem Schuldner eine Wiederbeschaffung des Leistungsgegenstandes möglich und zumutbar ist, hat mit der Qualifizierung des Ereignisses als Unvermögen grundsätzlich nichts zu tun. D e r zentrale Punkt liegt insoweit nur darin, daß der Schuldner eine Verpflichtung übernommen hat und nach Vertragsschluß ein Ereignis eingetreten ist, das seine ursprünglich vorhandene Leistungsfähigkeit beseitigt hat. 5 2 Dementsprechend wird von Ulrich H u b e r mit R e c h t für den Kaufvertrag definiert: „'Nachträgliches' Unvermögen tritt ein, wenn die bei Vertragsabschluß vorhandene Fähigkeit des Verkäufers zur Leistung nachträglich durch einen Umstand, der seiner N a t u r nach nicht nur vorübergehend ist, beseitigt wird." 5 3 D i e Möglichkeit des Schuldners, sich den Gegenstand wieder zu beschaffen ist bei fehlendem Vertretenmüssen seiner Auffassung nach unbeachtlich. Es sei gerade die ratio legis der Vorschrift des § 275 II B G B , daß eine Haftung für den nachträglichen Wegfall der ursprünglichen Leistungspflicht, soweit er auf einem nicht zu vertretenen Umstand beruht, durch die im Kaufvertrag übernommene Verpflichtung ihrem Sinn nach nicht mehr gedeckt ist.
(2) Leistungshindernis
und Reichweite der
Leistungspflicht
D e r Eintritt des nachträglichen Ereignisses kann aber nur der Ausgangspunkt für die Begründung des Unvermögens sein, im weiteren bedarf es auch hier noch einer genaueren Unterscheidung von Leistungshindernis und Leistungspflicht. Anders als Emmerich qualifiziert H u b e r im Ansatz völlig zu R e c h t bereits das bloße Ereignis, das nach Vertragsschluß zur Leistungsunfähigkeit des Schuldners führt, als nachträgliches Unvermögen. Erschöpft sich denn darin aber auch die Leistungspflicht des Schuldners, die Erfüllung anhand der ursprünglich vorhandenen Leistungsfähigkeit vorzunehmen? Die Entscheidung dieser Frage hängt nun in erster Linie davon ab, welche Verpflichtung der Schuldner überhaupt übernommen hat. H i e r dürfte eine sehr
52 Daher wird in der Literatur mit Recht angenommen, daß in § 275 II B G B nur an derartige Fälle gedacht war, daß der Schuldner sein ursprünglich vorhandenes Leistungsvermögen verliert und dadurch außerstande gesetzt wird, die geschuldete Leistung zu erbringen, v J a kobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 161; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, § 22 II (S. 6); Erman-Battes, Vor §§ 275-292 Rz. 28; auch M ü K o - E m m e r i c h , § 275 Rz. 93; ders., Das Recht der Leistungsstörungen, § 1 III. 53 Soergel-Huher, § 4 3 3 Rz. 303 a; vgl. auch ders., Leistungsstörungen I, § 4 III 4, sowie Festschrift für Gaul, 217 (227 ff., 232 ff.). Huber sieht allerdings auch die vorübergehende Unmöglichkeit von § 2 7 5 B G B erfaßt und unterscheidet zudem scharf zwischen dem zu vertretenden und dem nicht zu vertretenden Unvermögen.
III. Mittelbare
Handlungen
und Unterlassungen
des
Schuldners
151
sorgfältig differenzierende Betrachtungsweise erforderlich sein, und z w a r schon hinsichtlich des Inhalts der Leistungspflicht. Emmerich ist insoweit der Auffassung, den Schuldner treffe grundsätzlich eine Beschaffungspflicht im Sinne einer Verpflichtung, sich die Leistung zu ermöglichen. Zwar heißt es bei ihm, für die Frage, ob solche Beschaffungspflichten bestehen, gebe es keine Pauschalantwort; ihre Beantwortung hänge von den Umständen des Einzelfalles ab und damit insbesondere von der vertraglichen Risikoverteilung. 5 4 Das betrifft aber nur die Reichweite der Beschaffungspflichten. Völlig außer Frage steht für Emmerich, daß für jeden Schuldner prinzipiell auch eine Beschaffungspflicht besteht, und z w a r notfalls unter Einsatz erheblicher finanzieller Mittel. Insoweit enthalte jedes vertragliche Schuldverhältnis Beschaffungselemente. 5 5 Dieser Ausgangspunkt Emmerichs, daß jede Leistungspflicht Beschaffungspflichten beinhalte, dürfte aber so viel zu weitgehend sein. 5 6 Insoweit hat Brehm überzeugend begründet, daß bei einem Kaufvertrag, bei dem beide Parteien davon ausgehen, daß der Verkäufer einen ihm bereits gehörenden Gegenstand übereignen soll, grundsätzlich eine Beschaffungspflicht ausscheidet. 5 7 Beide Parteien gehen dann bei Vertragsschluß davon aus, daß eine Beschaffung nicht erforderlich ist, so daß dieser Punkt gar nicht bedacht ist. Eine Beschaffungspflicht läßt sich dann aber auch nicht ohne weiteres aus ergänzender Vertragsauslegung herleiten, weil die selbständige Verpflichtung zur Beschaffung gerade für diesen Fall zu einer grundsätzlichen Verschiebung des vereinbarten Gefüges der Risikoverteilung führt. Das in der Wiederbeschaffung liegende finanzielle Risiko hatte der Schuldner gerade eben nicht auf sich genommen, und nach Treu und Glauben w i r d man ihm das auch nicht ohne weiteres zumuten können. Im typischen Anwendungsfall zu § 275 II BGB, daß beide Parteien von der vorhandenen Leistungsfähigkeit des Schuldners ausgehen, diese aber nach Vertragsschluß entfällt, dürfte damit eine Beschaffungspflicht des Schuldners ausscheiden, so daß dieser von seiner M ü K o , § 275 R z . 95. M ü K o , § 275 R z . 102; Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, § 6 VII. 5 6 Kritisch insbesondere auch Wagner, J Z 1998, 482 (488), der mit einigem Recht meint, daß die B e r ü c k s i c h t i g u n g der faktischen B e s c h a f f u n g s m ö g l i c h k e i t im Ergebnis zu einer „ A u f lösung des U n v e r m ö g e n s als Kategorie des Leistungsstörungsrechts" führt, da beim U n v e r mögen per d e f i n i t i o n e m i m m e r ein Dritter existiert, der den Leistungserfolg herbeiführen könnte. M i t seiner L ö s u n g (a.a.O., S. 489), daß nicht die U n m ö g l i c h k e i t , sondern die U n v e r hältnismäßigkeit des E r f ü l l u n g s a u f w a n d e s z u m U n t e r g a n g des Erfüllungsanspruches führt, scheint er mir aber die R e i c h w e i t e der k o n k r e t e n Leistungspflicht nicht ausreichend zu berücksichtigen. 57 Brehm, J Z 1987, 1089 (1091). A u c h Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, § 22 II (S. 6), weisen darauf hin, daß in derartigen Fällen eine Präsenz- und keine Beschaffungspflicht vereinbart sei. Im Ergebnis so auch Erman-Battes, Vor § § 2 7 5 - 2 9 2 R z . 29, u n d zuletzt Wilhelm/Deeg,]"Z 2001, 223 (227). Gegen einen solchen G r u n d s a t z aber offenbar Soergel-Wiedemann, §275 Rz. 53, u n d w e i t e r g e h e n d e r noch Staudinger-Löwisch, § 275 R z . 50, s o w i e G. Roth, J u S 1968, 101 (107), mit dem A r g u m e n t , im t y p i s c h e n Fall verpflichte sich der Schuldner zur Erbringung des individualisierten Leistungsgegenstandes „schlechthin". 54 55
152
§ 5 Die Sorgfalt
im Rahmen
der
Leistungspflicht
Verpflichtung zur Leistung frei wird. Wenn man sich die in der Literatur diskutierten Beispiele anschaut, dürfte das die große Mehrzahl der Fälle nachträglichen Unvermögens zur Leistung einer Stückschuld ausmachen.
(3) Die ausnahmsweise bestehende als Teil der Leistungspflicht
Beschaffungspflicht
N u n sind allerdings auch Fälle denkbar, in denen die Parteien nicht - auch nicht stillschweigend - von der vorhandenen Leistungsfähigkeit des Schuldners ausgehen. H i e r dürfte weiter danach zu differenzieren sein, ob der Schuldner womöglich das Risiko der Beschaffung übernommen hat, so daß der nachträgliche Wegfall der Leistungsfähigkeit in der Tat nicht ohne weiteres ein Unvermögen begründen könnte. Auch hier bleibt natürlich die genaue Reichweite der Beschaffungspflicht von Bedeutung. Wenn der Verkäufer nach Vertragsschluß die Sache beschafft und wieder verliert, hätte er die B e schaffungspflicht ja zunächst einmal erfüllt, so daß eine darüber hinausgehende Verpflichtung zur Beschaffung, die auch jetzt noch ein Unvermögen ausschließen könnte, schon einer besonderen Begründung bedürfte. Im übrigen aber ist mit der Annahme selbständiger Beschaffungspflichten ohnehin Zurückhaltung geboten. F ü r den Hauptfall des Kaufvertrages übernimmt der Verkäufer einer Sache nach § 433 I 1 B G B nur die Verpflichtung zur Ubergabe der Sache und zur Verschaffung des Eigentums an ihr. Wie er seine Leistungsfähigkeit herstellt, ist danach grundsätzlich seine Sache. Eine erforderliche Beschaffung ist insoweit nur eine Vorbereitungshandlung, die nach der gesetzlichen Konzeption gerade nicht als selbständige Leistungspflicht ausgestaltet ist. D a m i t bedarf auch schon die Ausgestaltung der (der eigentlichen Leistungspflicht vorhergehenden) Beschaffungshandlung als selbständige Leistungspflicht einer besonderen Begründung. D i e Auffassung Emmerichs, daß jedes Schuldverhältnis Beschaffungselemente beinhalte, gibt insoweit noch keine zureichende Auskunft über den O r t dieser Momente. Als selbständig faßbare Leistungspflichten dürften sie jedoch im Zweifel nicht aufzufassen sein. Wie ist der Fall, daß die Parteien die Frage einer vorhandenen Leistungsfähigkeit des Schuldners nicht berücksichtigt haben, sich im Wege der Auslegung aber ausnahmsweise eine Beschaffungspflicht ergeben sollte, nun weiter zu beurteilen? Zunächst einmal gilt auch dann, daß mit dem Wegfall der tatsächlich vorhandenen Leistungsfähigkeit ein nachträgliches Leistungshindernis eintritt, das insoweit zu einem Unvermögen des Schuldners führt. Jetzt bedarf aber die Möglichkeit des Schuldners, sich den Gegenstand wiederzubeschaffen und dadurch seine Leistungsfähigkeit wiederherzustellen, einer etwas genaueren Betrachtung. Einerseits scheidet hier die Annahme einer Verpflichtung des Schuldners zur Wiederbeschaffung im Sinne einer selbständig durchsetzbaren Leistungspflicht aus. Insoweit gilt der bereits oben erwähnte Gesichtspunkt, daß der
III. Mittelbare
Handlungen
und Unterlassungen
des
Schuldners
153
Verkäufer einer Sache nur zur Besitz- und Eigentumsverschaffung verpflichtet ist, weil die Sorge um seine Leistungsfähigkeit im Zuge der Vorbereitung der Erfüllung seine eigene Sache ist. Die Beschaffung ist insoweit allenfalls ein der Erfüllung vorgelagertes M o m e n t der Sorgfalt des Schuldners im Hinblick auf die Erfüllung seiner Leistungspflicht. Andererseits wird die Beschaffung des Leistungsgegenstandes ja überhaupt erst relevant, nachdem das Leistungshindernis eingetreten ist. Das bedeutet, die Beschaffung steht hier überhaupt nur als Wiederbeschaffung zur Diskussion. D e r zentrale Punkt liegt damit in der Frage der Konstruktion des Verhältnisses von Leistungshindernis und Wiederbeschaffungspflicht. Wenn man in der hier erörterten Konstellation die Beschaffungspflicht nicht als selbständige Leistungspflicht auffassen kann, so k o m m t sie nur als unselbständiges M o m e n t der Leistungspflicht in Betracht. Insoweit spricht in der Tat doch einiges mehr dafür, daß der Schuldner alle ihm zumutbaren Maßnahmen zur Herbeiführung seiner Leistungsfähigkeit und damit zur Erfüllung seiner Pflicht ergreifen muß, sofern er seine Leistungspflicht nicht auf die bei Vertragsschluß vorhandene Leistungsfähigkeit beschränkt hat. D i e unselbständige Bedeutung dieses Pflichtenmomentes wirkt sich jetzt aber wie folgt aus. M i t dem Eintritt des Leistungshindernisses führt das Unterlassen der Beschaffung zum nachträglichen Unvermögen i.S. von § 275 II B G B . Wenn der Beschaffungspflicht keine selbständige Bedeutung zukommt, dann ist sie auch nicht dazu geeignet, das Unvermögen auszuschließen. Infolge eines mit Eintritt des Leistungshindernisses gegebenen Unterlassens der B e schaffung erweist sich der Schuldner vielmehr gerade als unvermögend. D a mit führt der Eintritt des Leistungshindernisses zum Unvermögen des Schuldners, es sei denn, dieser führt seine Leistungsfähigkeit durch Wiederbeschaffung des Leistungsgegenstandes wieder herbei. Sofern er dies aber unterläßt, führt das nachträgliche Unvermögen zum Untergang der Leistungspflicht. 5 8 Das bedeutet aber noch nicht, daß sich das Unterlassen der Wiederbeschaffung nicht gegebenenfalls als Leistungspflichtverletzung begreifen läßt. D i e als unselbständiges M o m e n t der Leistungspflicht gedachte Beschaffungspflicht dient jetzt vielmehr der Qualifikation des Unterlassens der Wiederbeschaffung als Leistungspflichtverletzung, genauer als ein Unterlassen des Schuldners, das der Herbeiführung des Unvermögens durch aktives Tun als gleichwertig gilt. M i t der unselbständigen Beschaffungspflicht werden dem Schuldner danach im H i n b l i c k auf seine Leistungsfähigkeit und damit
58 Wie sollte in einem solchen Fall auch die zwangsweise Durchsetzung der Leistungspflicht aussehen? Der Käufer beispielsweise könnte doch nur den Anspruch aus § 433 1 1 B G B einklagen. Die Vollstreckung des Ubereignungsanspruches selbst wird an der fehlenden Leistungsfähigkeit des Schuldners scheitern, hinsichtlich der Beschaffungspflicht dürfte eine Handlungsvollstreckung jedenfalls wegen § 887 III Z P O ausgeschlossen sein, so daß der Gläubiger dann ohnehin auf etwaige Schadensersatzansprüche verwiesen wäre. Zu der damit angesprochenen Problematik der Vollstreckung von Beschaffungspflichten vgl. nur Brox/ Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rz. 1068 m.w.N.
154
§ 5 Die Sorgfalt
im Rahmen
der
Leistungspflicht
die Erbringung der Leistung Sorgfaltsmaßstäbe auferlegt, die zwar nichts an dem Unvermögen selbst zu ändern vermögen, die aber eine genauere Beurteilung des Schuldnerverhaltens zu diesem Leistungshindernis ermöglichen. Die Pointe der Annahme von Wiederbeschaffungspflichten liegt also darin, daß die Verpflichtung des Schuldners zur Leistung selbst dann untergeht, wenn er diesen Pflichten nicht nachkommt, dieses Unterlassen dann aber die Qualifizierung seines Verhaltens als Leistungspflichtverletzung erlaubt. 5 9 Insoweit kann man die Beschaffungspflichten den Sorgfaltspflichten zuordnen, genauer den Sorgfaltspflichten, die der Beurteilung eines Unterlassens dienen, das als einer aktiven Handlung gleichwertig gilt.
IV. Die sogenannte
Schlechterfüllung
1. Einleitung F ü r die Haftung aus positiver Vertragsverletzung werden heute üblicherweise zumindest zwei Fallgruppen voneinander unterschieden, nämlich die Fälle der nicht gehörigen Erfüllung einer Leistungspflicht einerseits und die der Verletzung einer Sorgfaltspflicht andererseits. 6 0 D i e Trennung dieser beiden Fallgruppen geht auf die Unterscheidung von Leistungspflichten und Schutzpflichten durch Heinrich Stoll zurück. 6 1 Sie ist später dann vor allem durch Larenz aufgenommen worden. 6 2 Historisch älter als die Herausarbeitung unterschiedlicher Typen von Pflichten ist die Qualifikation der Haftung aus positiver Vertragsverletzung als Fall der Schlechterfüllung. Dabei ist die Verwendung des Begriffs „Schlechterfüllung" im Hinblick auf die verschiedenen Haftungstatbestände der positiven Vertragsverletzung auch heute noch wenig geklärt. Zumeist wird der Begriff der Schlechterfüllung wohl nur für
59 Davon, daß die Verpflichtung des Schuldners zur Leistung auch bei zu vertretendem nachträglichen Unvermögen erlischt, geht (allerdings von anderem Standpunkt) auch SoergelWiedemann, § 275 Rz. 53 a.E., § 280 Rz. 32 f. m.w.N., aus. Anders vor allem Huber, Leistungsstörungen I, § 4 III 4 c, II, § 59 II 1, der den Untergang der Leistungspflicht bei zu vertretendem nachträglichen Unvermögen prinzipiell ablehnt, u.a. mit dem Argument, weil der Schuldner das Unvermögen zu vertreten habe, sei er verpflichtet, das entstandene Leistungshindernis zu überwinden, vgl. Leistungsstörungen II, § 59 II 1 (S. 807). Damit wird aber das Verhältnis von Leistungspflicht und Pflichtverletzung verkehrt. 60 Vgl. zu dieser Unterscheidung Brox, Allgemeines Schuldrecht, Rz. 294 f.; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, § 2 9 III 1; Larenz, Schuldrecht I, § 2 4 I a (S. 364); Medicus, Schuldrecht I, Rz. 415-417; Schlechtriem, Schuldrecht-AT, Rz. 342-346; Westermann/Bydlinski, BGBSchuldrecht AT, Rz. 10/6; Palandt-Heinrichs, § 2 7 6 Rz. 109 ff., 113 ff.; Soergel-Wiedemann, Vor § 275 Rz. 409 ff., 464 ff.; Staudinger-Löwisch, Vorbem zu §§ 275 ff. Rz. 23, 28 ff., 35 ff. Die häufig darüber hinaus angeführten Fälle, insbesondere der Fall der Vertragsuntreue (dazu unten § 8), sollen hier außer Betracht bleiben. 61 Vgl. Stoll, AcP 136 (1932), 257 (286 ff.). 62 Larenz, Schuldrecht I, §§ 2 I, 24 I a.
IV. Die sogenannte
Schlechterfüllung
155
die Fälle der nicht gehörigen Erfüllung verwandt, teilweise w i r d er aber auch als zusammenfassender Oberbegriff für sämtliche Haftungstatbestände der positiven Vertragsverletzung gebraucht. 6 3 Hinter der unterschiedlichen Verw e n d u n g des Begriffs der Schlechtleistung stehen auch unterschiedliche Konzepte, die gerade auch das Verständnis von Leistungs- und Sorgfaltspflichten betreffen und hier insbesondere die Frage nach dem eigenständigen C h a r a k ter der Sorgfaltspflichten gegenüber den Leistungspflichten. Die Haftung aus positiver Vertragsverletzung soll im folgenden anhand des Begriffs der Schlechterfüllung nur unter diesem Gesichtspunkt der Abgrenzung von Leistungs- und Sorgfaltspflichten analysiert werden. Es ist also keineswegs eine umfassende Behandlung der Haftung aus positiver Vertragsverletzung beabsichtigt; das ginge auch weit über das Thema dieser Arbeit hinaus. Immerhin vermag die Betrachtung der hier in Frage stehenden Pflichtverletzungen H i n weise dafür zu geben, w o Ansatzpunkte für eine Klärung der sehr komplexen Problematik liegen können. Zu Beginn der folgenden A n a l y s e sollen zunächst (unter 2) die Überlegungen Ernst Zitelmanns in seinem Beitrag über „Nichterfüllung und Schlechterfüllung" aus dem Jahre 1911 betrachtet werden, auf den der Begriff der Schlechterfüllung offenbar zurückgeht. Heute w i r d teilweise stattdessen der Begriff der Schlechtleistung verwandt, weil die Frage, ob der schlechten Leistung Erfüllungswirkung gem. § 362 I BGB z u k o m m t , für die Haftung aus positiver Vertragsverletzung gleichgültig sei. 64 Das ist allerdings nicht das einzig denkbare Verständnis des Begriffs der Schlechterfüllung. Der Begriff der Schlechterfüllung ist - wie schon der Titel des grundlegenden Beitrages von Zitelmann zeigt - im Gegensatz zu dem der Nichterfüllung gebildet. Beide Begriffe lassen sich sowohl auf die Leistungshandlung wie auch den Leistungserfolg beziehen, während der Begriff der Schlechtleistung sich nur auf die unsorgfältige Ausführung der Leistungshandlung bezieht. 6 5 Der A u s druck „Nichterfüllung" hat den Sinn, auch noch die Störungsfälle zu umfassen, die sich nicht als Verletzung der Leistungspflicht oder nicht als schuldhafte Leistungspflichtverletzung darstellen. Insoweit tritt dann die Sicht auf das Schuldverhältnis unter dem Gesichtspunkt des Ausbleibens des Leistungserfolges in den Vordergrund. Diese umfassende Perspektive sollte auch für die „Schlechterfüllung" nicht völlig aufgegeben werden. Insoweit haben sowohl der Begriff der Schlechterfüllung als auch derjenige der Schlechtleistung ihre Berechtigung. So kann etwa sowohl die Redeweise, daß die Schlechtleistung zu einer Schlechterfüllung geführt hat, sinnvoll sein, wie 63 Vgl. e t w a Schlechtriem, Schuldrecht-AT, der den Begriff der Schlechtleistung in beiderlei H i n s i c h t gebraucht, e t w a R z . 3 3 6 - 3 4 1 f ü r die B e z e i c h n u n g des H a f t u n g s i n s t i t u t s u n d R z . 342 ff. f ü r eine bestimmte Fallgruppe innerhalb dieses Instituts. 64 So insbesondere Larenz, Schuldrecht I, § 24 I a (S. 364 m. Fn. 5); Medicus, Schuldrecht I, Rz. 413. 65 Zu diesem Verständnis des Begriffs der Schlechtleistung vgl. Larenz, Schuldrecht I, § 24 I a (S. 364).
156
§ } Die Sorgfalt
im Rahmen
der
Leistungspflicht
auch die Feststellung, daß der Schlechterfüllung keine schuldhafte Schlechtleistung zugrunde liegt. Umfassender ist für diese Zusammenhänge aber sicher der Begriff der Schlechterfüllung, der deshalb hier in den Vordergrund gestellt wird, während der Ausdruck Schlechtleistung nur im Hinblick auf die Leistungshandlung selbst gebraucht wird. Im Anschluß an die Darstellung zu Zitelmann soll (unter 3) gezeigt werden, wie dessen Konzeption der Schlechterfüllung im Schuldrechtslehrbuch Wolfgang Fikentschers fortgeführt wird. Fikentscher vertritt einen weiten Leistungsbegriff, der auch die Sorgfaltspflichten des Schuldners einschließt und insoweit den eigenständigen Charakter dieser Pflichten leugnet. Das Konzept Fikentschers führt nicht nur zu einer Reihe von Folgeproblemen, sondern es vernachlässigt auch Unterschiede der verschiedenartigen Haftungstatbestände. Obwohl von ihm sehr deutlich gesehen wird, daß es hier um den Schutz unterschiedlicher Rechtsgüter geht, führt das bei ihm nicht auch zur Unterscheidung verschiedener Typen von Pflichten, sondern mit der Unterscheidung von erfüllungs- und übererfüllungsmäßigem Interesse nur zu Randkorrekturen auf der Rechtsfolgenseite. Die Differenzierung zwischen Erfüllungs- und Integritätsinteresse als unterschiedlichen Typen von Schadensersatz ist zu einem der zentralen Ansatzpunkte für die Analyse des Verhältnisses von Sachmängelgewährleistung und Haftung aus positiver Vertragsverletzung geworden. Im Anschluß an die Auseinandersetzung mit der Konzeption Fikentschers soll dieser Problematik (unter 4) für den Bereich des Kaufrechts nachgegangen werden, wobei das Augenmerk auch hier wieder nur auf die Abgrenzung von Leistungs- und Sorgfaltspflichtverletzungen gerichtet wird. Ulrich Rust hat hier in jüngster Zeit den Vorschlag unterbreitet, daß nicht nur das Integritätsinteresse, sondern auch das Erfüllungsinteresse des Käufers nicht durch die Leistungspflicht, sondern durch Schutzpflichten gewahrt werde. Wäre das richtig, so würde dies zu einer grundlegenden Verschiebung des Verhältnisses von Leistungs- und Sorgfaltspflichten führen und möglicherweise überhaupt die Annahme von Leistungspflichten überflüssig machen. Deshalb müssen die Konsequenzen dieses theoretischen Ansatzes genau bedacht werden. Demgegenüber hat vor allem Ulrich Huber in verschiedenen Beiträgen zum Kaufrecht an einem weiten Verständnis der Schlechterfüllung als Schlechtlieferung festgehalten, dessen Problematik im Verzicht einer genaueren Analyse der hier in Frage stehenden Pflichtverletzungen liegt und die deshalb im Hinblick auf den Kauf noch einmal genauer reflektiert werden soll. Die eigene Lösung für diesen Bereich geht von einer partiellen Konkurrenz zwischen Leistungsund Sorgfaltspflichten aus. Die Konsequenzen dieses theoretischen Ansatzes werden zum Abschluß der Überlegungen zur Schlechterfüllung beim Kauf umrissen.
IV. Die sogenannte
2. Die Begründung der Schlechterfüllung a) Darstellung der Lehre
157
Schlechterfüllung
durch
Zitelmann
Zitelmanns
Zitelmann hat bereits im Jahre 1911 in Auseinandersetzung mit der von Staub begründeten Lehre zur positiven Vertragsverletzung einen Versuch vorgelegt, die hier in Frage stehenden Pflichtverletzungen genauer zu analysieren. 6 6 Zitelmann geht davon aus, daß weder der allgemeine Begriff der Vertragsverletzung, noch die Annahme einer allgemeinen auf § 276 BGB gestützten Verschuldenshaftung zureichende Auskunft über die Verantwortlichkeit des Schuldners geben. 6 7 Es k o m m e gerade darauf an, die einzelnen Ereignisse und Tatbestände herauszuarbeiten, die den Schuldner verantwortlich machen. 6 8 Für Zitelmann kommen nur zwei Arten von Vertragsverletzungen in Betracht: z u m einen die Vertragsverletzung durch Nichterfüllung im Falle der Unmöglichkeit und des Verzuges, zum anderen die Vertragsverletzung durch Schlechterfüllung. 6 9 Den Begriff der Schlechterfüllung definiert er wie folgt: „(...) es sind die Fälle, in denen der Schuldner eine Handlung als Erfüllungshandlung vornimmt, sie aber so fehlerhaft einrichtet, daß der Gläubiger dadurch in Schaden gerät." 7 0 Die so verstandene Schlechterfüllung k o m m t nun schon bei Zitelmann in zwei Gestalten vor: „Die eine Gestalt ist die, daß die unmittelbare Erfüllungshandlung selbst (im weitesten Sinne des Wortes) fehlerhaft ist und durch diesen Fehler einen Schaden des Gläubigers verursacht (...). Von Schlechterfüllung ist aber auch dann zu reden, wenn die behufs Erfüllung vorgenommene Handlung z w a r für sich selbst fehlerlose Erfüllung ist, aber infolge der Art ihrer Vornahme daneben zugleich einen Schaden für den Gläubiger hervorbringt (...)." 7 1 Die in diesen beiden Gestalten auftretende Schlechterfüllung versteht Zitelmann als eine eigene Art der Vertragsverletzung gegenüber der Nichterfüllung.
b) Würdigung Das Verdienst dieser nur im Ansatzpunkt geschilderten Konzeption Zitelmanns liegt vor allem darin, daß er sehr klar den Gedanken herausarbeitet, daß nur einzelne Tatbestände den Schuldner haftbar machen und damit eine genauere A n a l y s e der unterschiedlichen Typen von Pflichtverletzungen erforderlich ist. Das erlaubt ihm zunächst eine präzise Analyse der Nichterfüllung, die nämlich nicht per se haftbar macht, sondern nur in fest umrissenen Fällen wie denen der nachträglichen Unmöglichkeit oder des Schuldnerver66 67 68 69 70 71
Zitelmann, Zitelmann, Zitelmann, Zitelmann, Zitelmann, Zitelmann,
Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
für für für für für für
P. P. P. P. P. P.
Krüger, Krüger, Krüger, Krüger, Krüger, Krüger,
265 265 265 265 265 265
ff. (266 f.). (267 f.). (268 f., 281). (276). (276).
158
§ 5 Die Sorgfalt im Rahmen der
Leistungspflicht
zuges. 7 2 Weiter e r m ö g l i c h t i h m das aber auch eine deutliche A b g r e n z u n g der Pflichtverletzungstypen bei N i c h t e r f ü l l u n g von der Pflichtverletzung bei Schlechtleistung. I m R a h m e n der Schlechterfüllung k o m m t er dann i m m e r h i n s c h o n zu einer Zweiteilung z w i s c h e n der F e h l e r h a f t i g k e i t der E r f ü l l u n g s handlung selbst und der sonstigen S c h a d e n s z u f ü g u n g bei V o r n a h m e der E r füllungshandlung. I m G r u n d e w e r d e n damit hier auch unterschiedliche T y pen v o n P f l i c h t v e r l e t z u n g e n im R a h m e n der Schlechtleistung umrissen. N a c h der hier vertretenen Auffassung stellt allerdings n u r die F e h l e r h a f t i g keit der E r f ü l l u n g s h a n d l u n g selbst einen Fall der nicht gehörigen E r f ü l l u n g der Leistungspflicht und damit der Schlechterfüllung dar, w ä h r e n d die sonstige S c h a d e n s z u f ü g u n g bei V o r n a h m e der E r f ü l l u n g s h a n d l u n g für sich g e n o m men als Verletzung der Sorgfaltspflichten des Schuldners begriffen wird. D a ß Z i t e l m a n n diese L ö s u n g n o c h nicht in E r w ä g u n g zieht, dürfte v o r allem darin begründet sein, daß der T y p u s der Sorgfaltspflicht z u m damaligen Z e i t p u n k t in der zivilrechtlichen D o g m a t i k k a u m entwickelt war. D a s führt dann fast zwangsläufig dazu, daß Z i t e l m a n n die Schlechterfüllung n u r v o n der Verletzung der Leistungspflichten her entwickeln kann und damit auch n o c h die zweite Gestalt der Schlechterfüllung aus ihrem Z u s a m m e n h a n g mit der Vorn a h m e der E r f ü l l u n g s h a n d l u n g begründet. D e m e n t s p r e c h e n d w e r d e n auch nur Beispiele geschildert, in denen der sonstige Schaden F o l g e der V o r n a h m e der E r f ü l l u n g s h a n d l u n g selbst ist: B e i U b e r f ü h r u n g einer Sache in das H a u s des Gläubigers wird die H a u s t ü r beschädigt; der Glaser, der die Scheibe wiederherstellt, schiebt mit d e m E l l e n b o g e n die N e b e n s c h e i b e ein. 7 3 In vielen Fällen ist - wie hier zu b e d e n k e n gegeben wird - der B e z u g zur E r f ü l l u n g s handlung aber s c h o n sehr gelockert o d e r auch gar nicht m e h r gegeben. D a s zeigen leichte A b w a n d l u n g e n der v o n Z i t e l m a n n gegebenen Beispiele: N a c h A b l i e f e r u n g der Sache beschädigt der Schuldner beim Verlassen die H a u s t ü r ; der G l a s e r raucht beim E i n s e t z e n der Scheibe und verursacht dadurch einen B r a n d s c h a d e n . I n diesen Fällen ist der B e z u g des fehlerhaften Verhaltens zur Leistungshandlung des Schuldners z u m i n d e s t deutlich gelockert, so daß d o c h zweifelhaft wird, o b darin überhaupt ein wesentliches M o m e n t dieses T y p u s v o n Pflichtverletzung liegt. R i c h t i g ist zwar, daß das fehlerhafte Verhalten hier n o c h in irgendeinem fernen Z u s a m m e n h a n g mit der Leistung steht, dieser wird aber v o r allem dadurch gestiftet, daß die Pflichtverletzung im R a h men des bestehenden Schuldverhältnisses erfolgt. D i e A r t des Fehlers selbst läßt sich aber k a u m mit ausreichenden D i f f e r e n z i e r u n g e n allein aus dem B e zug zur L e i s t u n g s h a n d l u n g b e s t i m m e n . D e m e n t s p r e c h e n d ist im R a h m e n des Schuldverhältnisses ein weiterer B e z u g s p u n k t für die B e s t i m m u n g fehlerhaften Verhaltens erforderlich, der mit dem K o n z e p t der Sorgfaltspflichten des Schuldners festgemacht w o r d e n ist.
72
73
Zitelmann, Zitelmann,
Festschrift für P. Krüger, 265 (268). Festschrift für P. Krüger, 265 (276 f.).
IV. Die sogenannte
3. Die Fortführung
a) Darstellung
159
Schlechterfüllung
der Konzeption zur durch Fikentscher
des theoretischen Ansatzes von
Schlechterfüllung
Fikentscher
D e r Ansatz Zitelmanns zur Schlechterfüllung wird in neuerer Zeit konsequent fortgeführt im „Schuldrecht" von Wolfgang Fikentscher. Ausgangspunkt des Leistungsstörungsrechts ist für Fikentscher, daß die nicht ordnungsgemäße Erfüllung entweder Nichterfüllung oder Schlechterfüllung ist. 7 4 D i e bloße Nichterfüllung stellt aber noch keine Leistungsstörung dar, sondern erst dann, wenn Verzug, Unmöglichkeit oder eine Leistungsverweigerung des Schuldners vorliegt. D i e Schlechterfüllung ist hingegen immer Leistungsstörung. 7 5 Die Begriffe „Schlechterfüllung" und „positive Vertragsverletzung" werden von Fikentscher s y n o n y m verwandt. 7 6 D a r ü b e r hinaus sei im Grunde auch der Verzug eine Schlechterfüllung, nämlich eine zeitlich schlechte Erfüllung. Genauer sei deshalb der Begriff „sonstige Schlechterfüllung", da dadurch zum Ausdruck gebracht wird, daß darunter jede Abweichung von der ordnungsgemäßen, dem Schuldverhältnis entsprechenden Leistung gemeint ist mit Ausschluß von Unmöglichkeit und Verzug. 7 7 Z u r Schlechterfüllung zählt Fikentscher nicht nur die mangelhafte Erfüllung, sondern auch die Verletzung von „Schutz-, O b h u t s - und sonstigen Verhaltenspflichten". Hintergrund dieser Auffassung ist die von ihm vorgenommene Bezeichnung des gesamten Inhalts des Schuldverhältnisses mit dem Begriff der geschuldeten „Leistung". 7 8 E r rechnet also auch die Sorgfaltspflichten dem Leistungsinhalt zu und vertritt insoweit einen weiten Leistungsbegriff. 7 9 Zur positiven Vertragsverletzung rechnet er schließlich auch die Fälle der culpa in contrahendo, in denen der Vertrag zustande k o m m t , da es hier keinen Unterschied mache, o b die Pflichtverletzung bei Zustandek o m m e n des Vertrages oder nach Vertragsschluß liege. 8 0 I m H i n b l i c k auf die Rechtsfolgen der Schlechterfüllung geht Fikentscher davon aus, daß sie zum Ersatz des eigentlichen Schlechterfüllungsschadens (also des Erfüllungs- oder Äquivalenzinteresses) und zum Ersatz eines übererfüllungsmäßigen Interesses (also des Integritätsinteresses) führt. 8 1 Ein übererfüllungsmäßiges Interesse werde verletzt, wenn außer dem Rechtsgut des
74 Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 307; vgl. auch Rz. 387: „Jedes Schuldverhältnis kann entweder richtig, schlecht oder nicht erfüllt werden." 75 Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 309. 76 Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 387. 77 Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 313. 78 Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 313. 79 Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 31. 80 Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 388. 81 Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 391.
160
5 5 Die Sorgfalt
im Rahmen
der
Leistungspflicht
Vertragsanspruches noch andere Rechtsgüter verletzt werden. 8 2 Das Problem der Verletzung eines solchen übererfüllungsmäßigen Interesses durch Nichtoder Schlechterfüllung sei vom Gesetzgeber nicht ausreichend gewürdigt worden. Aus vertraglicher Haftung - so Fikentscher - läßt sich eigentlich nur der Ersatz des eigentlichen Nicht- oder Schlechterfüllungsschadens rechtfertigen. Der Ersatz eines übererfüllungsmäßigen Interesses sei im Grunde eine Angelegenheit des Deliktsrechts. Da aber das Deliktsrecht wegen seiner Beschränkung auf den Schutz absoluter und sondergesetzlich geschützter Rechtsgüter unzureichend sei, habe man den Ersatz des übererfüllungsmäßigen Interesses in die Vertragshaftung einbezogen. 8 3 Nicht förderlich sei es allerdings, für die beiden Schadenstypen nach Art der geschuldeten Leistung zu unterscheiden. Man könne nicht sagen, bei dem eigentlichen Schlechterfüllungsschaden, dem Erfüllungsinteresse, handele es sich um die Verletzung der „eigentlichen Leistungspflicht", bei dem übererfüllungsmäßigen Interesse um die Verletzung von Schutz-, Obhuts- oder sonstigen Verhaltenspflichten. Diese Unterscheidung passe hier nicht, da der U n terschied nicht auf dem Gebiet des Leistungsinhalts liege, sondern allein auf der Seite des eingetretenen Schadens. Es gehe insoweit nur um die Frage, ob ein vertragliches Leistungsinteresse verletzt werde oder ein darüber hinausgehendes sonstiges Rechtsgut des Gläubigers. 8 4 b)
Würdigung
aa) Kritik des weiten
Leistungsbegriffes
Ein zentraler Punkt für das Verständnis der Konzeption der Schlechterfüllung durch Fikentscher stellt dessen weiter Leistungsbegriff dar, der auch Neben-, Schutz- und Verhaltenspflichten umfassen soll. Bei diesem Ansatz geht es um mehr als die eher terminologische Frage, ob man bei der Verletzung von Sorgfaltspflichten noch mit Recht von Leistungsstörungen sprechen kann. Deshalb sollen hier die Probleme und Konsequenzen des weiten Leistungsbegriffes näher erörtert werden. Eine erste Frage ist, ob der weite Leistungsbegriff in den Fällen der Schlechtleistung nicht zur Anwendung des Unmöglichkeitsrechts führt. Bereits Himmelschein 8 5 hatte bekanntlich einen weiten Leistungsbegriff vertreten, der Gegenstand, Ort und Zeit umfassen sollte. Zu den Merkmalen für die Bestimmung des Gegenstandes zählte er dabei auch Quantität und Qualität. Darüber hinaus verstand er auch Redlichkeit und Sorgfalt des Schuldners als nähere Bestimmungsmerkmale der drei Leistungsmodalitäten. 8 6 Jede Abwei82 83 84 85 86
Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 392. So insgesamt Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 393. Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 396. AcP 135 (1932), 255 (281 ff.); AcP 158 (1959/60), 273 (284 ff.). AcP 135 (1932), 255 (286).
IV. Die sogenannte
Schlechterfüllung
161
chung v o n den M o d a l i t ä t e n der L e i s t u n g führte nach Auffassung v o n H i m melschein nicht nur zur N i c h t e r f ü l l u n g , s o n d e r n auch zur teilweisen U n m ö g lichkeit. A h n l i c h wird in neuerer Zeit ein auch die Q u a l i t ä t umfassender L e i stungsbegriff v o r allem v o n E m m e r i c h 8 7 vertreten, der die Fälle der qualitativ schlechten L e i s t u n g w e i t g e h e n d der T e i l u n m ö g l i c h k e i t zurechnet. D i e n o c h verbleibenden Fälle der positiven Vertragsverletzung, die Verletzung v o n S c h u t z - und N e b e n p f l i c h t e n , sieht er dagegen d u r c h § 2 7 6 B G B geregelt, da er der Vorschrift eine allgemeine H a f t u n g des Schuldners für jedes Verschulden e n t n e h m e n will. D a s hier k u r z umrissene weite Verständnis der Leistung durch H i m m e l schein und E m m e r i c h soll einen M o m e n t genauer betrachtet w e r d e n , da sich v o r diesem H i n t e r g r u n d auch die K o n z e p t i o n des weiten Leistungsbegriffes durch F i k e n t s c h e r genauer analysieren läßt. G e g e n den theoretischen A n s a t z v o n H i m m e l s c h e i n ist etwa geltend gemacht w o r d e n , daß aus dem weiten L e i stungsbegriff z u n ä c h s t n u r folge, daß ein Z u r ü c k b l e i b e n des Schuldnerverhaltens hinter den L e i s t u n g s a n f o r d e r u n g e n eine (gegebenenfalls n u r teilweise) N i c h t e r f ü l l u n g darstelle. 8 8 O b in der (teilweisen) N i c h t e r f ü l l u n g auch eine (teilweise) U n m ö g l i c h k e i t zu sehen sei, hänge davon ab, o b sich das Z u r ü c k bleiben hinter den geschuldeten A n f o r d e r u n g e n n o c h b e h e b e n läßt oder nicht. D e r Schwierigkeit der B e u r t e i l u n g , o b eine Schlechtleistung sich n o c h als b e h e b b a r darstellt o d e r aber als dauerndes Leistungshindernis aufzufassen ist, soll hier nicht w e i t e r nachgegangen werden. D i e K o n s e q u e n z einer n o c h b e h e b b a r e n Schlechtleistung m ü ß t e jedenfalls darin liegen, daß dann die R e geln des Schuldnerverzuges zur A n w e n d u n g k o m m e n , da eine n o c h b e h e b b a re Schlechtleistung z u m i n d e s t in zeitlicher H i n s i c h t v o n der geschuldeten Leistung abweicht. D e n n w e n n die L e i s t u n g nicht nur die Q u a l i t ä t , sondern auch die Zeit u m f a ß t , führt eine Schlechtleistung z u m i n d e s t zu einer V e r z ö g e rung der Leistung. F ü r die hier diskutierte K o n z e p t i o n der L e i s t u n g entspricht diese K o n s e q u e n z dem Verständnis des Schuldnerverzuges durch die Gesetzesverfasser. D e r V e r z u g des Schuldners w u r d e danach ebenfalls als Fall der T e i l u n m ö g lichkeit aufgefaßt, n ä m l i c h der U n m ö g l i c h k e i t der Zeit n a c h . 8 9 N u r aus p r a k tischen G r ü n d e n sei er einer b e s o n d e r e n R e g e l u n g zugeführt w o r d e n . D a s b e deutet, nach dieser A u f f a s s u n g ist ein b e s t i m m t e r M o d u s der N i c h t e r f ü l l u n g der Leistungspflicht, n ä m l i c h der Verzug, aus der R e g e l u n g des U n m ö g l i c h keitsrechts ausgegliedert und gesondert geregelt w o r d e n . D i e s e s Verständnis des Verhältnisses v o n U n m ö g l i c h k e i t und Verzug w i r f t die F r a g e auf, o b nicht auch andere M o d i der N i c h t e r f ü l l u n g aus dem B e r e i c h des U n m ö g l i c h k e i t s rechts h e r a u s z u n e h m e n sind. A u c h w e n n man die Schlechtleistung als Fall der T e i l u n m ö g l i c h k e i t auffaßt, so schließt das nicht aus, sie aus dem R e c h t der
87 88 89
Das Recht der Leistungsstörungen, §§ 1 III, 20 III. Vgl. Heinrich Stoll, AcP 136 (1932), 257 (274 ff.). So Motive, Bd. II, S. 56.
162
5 5 Die Sorgfalt im Rahmen der
Leistungspflicht
U n m ö g l i c h k e i t auszugliedern und sie einer b e s o n d e r e n R e g e l u n g zu unterwerfen. D e r U n t e r s c h i e d z u m Verzug läge insoweit n u r darin, daß der Verzug des Schuldners kraft G e s e t z e s aus dem U n m ö g l i c h k e i t s r e c h t ausgegliedert w o r d e n ist, die Schlechtleistung würde hingegen kraft zivilrechtlicher D o g m a t i k v o m U n m ö g l i c h k e i t s r e c h t abgetrennt w e r d e n . D i e s e Ü b e r l e g u n g m a c h t v o r allem deutlich, daß der hier diskutierte weite Leistungsbegriff H i m m e l s c h e i n s und E m m e r i c h s n o c h nicht zwangsläufig auch zu einem einheitlichen - an der U n m ö g l i c h k e i t orientierten - B e g r i f f der Pflichtverletzung führt. V i e l m e h r bleibt auch in diesem R a h m e n n o c h R a u m dafür, anhand v o n U n m ö g l i c h k e i t , Schuldnerverzug und Schlechtleistung unterschiedliche T y pen von Pflichtverletzungen zu unterscheiden. V o r dem H i n t e r g r u n d dieses weiten Leistungsbegriffes stellt sich nun die Frage nach der K o n z e p t i o n des weiten Leistungsbegriffes durch F i k e n t s c h e r . H i e r m u ß man zunächst feststellen, daß die P r o b l e m a t i k , o b auch die Q u a l i t ä t des Leistungsgegenstandes zur Leistung gehört, v o n F i k e n t s c h e r erstaunlicherweise ü b e r h a u p t nicht erörtert wird. B e i genauerer B e t r a c h t u n g liegt hier w o h l s c h o n eine der Schwierigkeiten seiner K o n z e p t i o n . W e n n man - wie F i k e n t s c h e r - auch die „weiteren V e r h a l t e n s p f l i c h t e n " als Bestandteil der L e i stung begreift, dann liegt es w o h l nahe, auch erst recht die Q u a l i t ä t (und nicht n u r die Sorgfalt) der Leistung z u z u r e c h n e n . Tatsächlich wird die Q u a l i t ä t o f fenbar n u r teilweise der Leistung zugerechnet, wie sich v o r allem aus d e m Verständnis des Verhältnisses v o n N i c h t e r f ü l l u n g und Schlechterfüllung ergibt. N a c h d e m o b e n diskutierten Leistungsverständnis kann man die Schlechtleistung auch als zivilrechtsdogmatisch besonders g e f o r m t e n Fall der N i c h t e r f ü l l u n g aufgrund v o n T e i l u n m ö g l i c h k e i t auffassen. So sieht F i k e n t scher die Schlechterfüllung aber nicht. E r b e t o n t vielmehr, daß N i c h t e r f ü l lung und Schlechterfüllung zweierlei sind: „Schlechterfüllung ist kein Fall der N i c h t e r f ü l l u n g . . . " 9 0 D a m i t besteht o f f e n b a r ein kategorialer U n t e r s c h i e d z w i s c h e n Schlechterfüllung und N i c h t e r f ü l l u n g . D i e s e U n t e r s c h e i d u n g ist w o h l nur dann begründbar, w e n n sich einerseits die N i c h t e r f ü l l u n g nur auf einen engen, allein auf den Leistungsgegenstand b e z o g e n e n Leistungsbegriff bezieht und andererseits die Schlechterfüllung auf einen weiten, auch die Q u a l i t ä t umfassenden Leistungsbegriff. D e n n z u m einen ist der B e g r i f f der Schlechterfüllung o h n e B e z u g auf die Q u a l i t ä t der Leistung k a u m denkbar, z u m anderen läßt sich v o n einem einheitlichen auch die Q u a l i t ä t umfassenden B e g r i f f der Leistung h e r die scharfe U n t e r s c h e i d u n g v o n N i c h t e r f ü l l u n g und Schlechterfüllung k a u m rechtfertigen. E i n e tragfähige G r u n d l a g e dafür ergibt sich vor allem auch nicht aus der v o n F i k e n t s c h e r v o r g e n o m m e n e n B e s c h r ä n k u n g der U n m ö g l i c h k e i t auf den gegenständlichen Leistungsbegriff, da der B e g r i f f der N i c h t e r f ü l l u n g weiter reicht als der der U n m ö g l i c h k e i t . D a m i t kann zunächst einmal festgehalten w e r d e n , daß F i k e n t s c h e r in seine K o n z e p t i o n der Schlechterfüllung den weiten Leistungsbegriff in einer Weise einfügt,
90
Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 310.
IV. Die sogenannte
Schlechterfüllung
163
die sich von anderen theoretischen Ansätzen zu einem weiten Verständnis der Leistung durchaus unterscheidet. Die Unterschiedlichkeit der Konzeptionen zum weiten Leistungsverständnis zeigt sich auch im Verständnis des Verzuges. Für Fikentscher ist auch der Verzug des Schuldners Schlechterfüllung, nämlich im H i n b l i c k auf die Zeit, während nach Auffassung von Himmelschein und E m m e r i c h der Verzug einen besonders geregelten Fall der Unmöglichkeit und damit der N i c h t erfüllung darstellt. Dabei ist die Annahme, daß auch der Verzug ein besonders geregelter Fall der Unmöglichkeit ist, die Konsequenz eines umfassend verwandten weiten Leistungsbegriffs. Dagegen bezieht Fikentscher das M o m e n t der Zeit offenbar nur auf einen für die Schlechterfüllung geltenden weiten Leistungsbegriff, nicht dagegen auch auf das für die Nichterfüllung geltende Leistungsverständnis. Anders ausgedrückt: Das Merkmal der Zeit dient nur dazu, die Schlechterfüllung zu qualifizieren, nicht auch die Nichterfüllung. Auch daran zeigt sich, daß im H i n b l i c k auf Nichterfüllung und Schlechterfüllung unterschiedliche Leistungsbegriffe zugrunde gelegt werden. Damit läuft eine Bruchlinie schon durch den von Fikentscher vertretenen Begriff der Leistung selbst. Ein weiter Leistungsbegriff findet sich nur für den Bereich der Schlechterfüllung, während es für den Bereich der Nichterfüllung bei dem Verständnis des engen, allein auf den Gegenstand bezogenen Begriffs der Leistung bleibt.
bb) Kritik des weiten
Erfüllungsbegriffes
D e r weite Leistungsbegriff ist in der Konzeption Fikentschers noch mit einer weiteren Problematik belastet, die sich vom Begriff der Erfüllung her stellt. Aufgrund seiner weiten Deutung des Begriffs der Leistung rechnet F i kentscher dazu auch die Sorgfaltspflichten des Schuldners. D e r Sinn dieser Zuordnung ist zunächst schon deshalb zweifelhaft, weil es natürlich auch Sorgfaltspflichten gibt, bei denen eine Zuordnung zum Leistungsinhalt ausscheidet. Bei der culpa in contrahendo sind ja noch gar keine Leistungspflichten zur Entstehung gelangt, so daß die Sorgfaltspflicht hier auch keiner Leistung zugerechnet werden kann, sondern nur als eigenständiger Typus von Pflicht in Betracht k o m m t . D i e Zuordnung der Sorgfaltspflichten zum Leistungsbegriff führt dann zu Schwierigkeiten für den Erfüllungsbegriff. N a c h § 362 I B G B erlischt das Schuldverhältnis, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. Einen juristisch-technischen Sinn gibt diese Anordnung nur für den engen, auf den Leistungsgegenstand bezogenen Leistungsbegriff. Das schließt es zwar nicht aus, auch im Hinblick auf den über den Leistungsgegenstand hinausgehenden Teil der Leistungspflicht in einem übertragenen Sinne von „Erfüllung" zu sprechen. D a n n aber führt der weite Leistungsbegriff zu einem B r u c h im Verständnis der Erfüllung, indem nämlich jetzt zwischen einer Erfüllung im juristisch-technischen Sinne und einer solchen im übertragenen
164
^ 5 Die Sorgfalt im Rahmen der
Leistungspflicht
Sinne unterschieden w e r d e n m u ß . D i e Z u o r d n u n g der Sorgfaltspflichten zur Leistung wird also mit einem B r u c h auf einer anderen E b e n e bezahlt. E n g mit dem B e g r i f f der E r f ü l l u n g z u s a m m e n hängt der B e g r i f f des A n spruches, der v o n § 194 I B G B als das R e c h t definiert wird, v o n einem anderen ein Tun o d e r U n t e r l a s s e n zu verlangen. A u c h der A n s p r u c h auf E r f ü l l u n g kann sich in einem engeren Sinne n u r auf den Leistungsgegenstand beziehen. E i n e E r s t r e c k u n g des E r f ü l l u n g s a n s p r u c h e s auch auf darüber hinausgehende Leistungsinhalte ist wenig sinnvoll. D a s wird auch v o n F i k e n t s c h e r gesehen, der deshalb zwischen F o r d e r u n g e n unterscheidet, die selbständig geltend gem a c h t werden k ö n n e n und solchen, bei denen dies nicht m ö g l i c h ist. 9 1 D a b e i soll die U n t e r s c h e i d u n g w o h l so sein, daß H a u p t p f l i c h t e n einklagbar sind und N e b e n p f l i c h t e n nicht. D a m i t verläuft o f f e n b a r innerhalb der Leistungspflicht auch eine B r u c h l i n i e z w i s c h e n klagbaren und nicht klagbaren L e i stungsinhalten. I n dieser Weise führt die U n t e r s c h e i d u n g verschiedener L e i stungsinhalte zu einer nicht zu u n t e r s c h ä t z e n d e n A u f l ö s u n g des Begriffs der Leistungspflicht selbst. D a m i t legt es die bisherige A n a l y s e der verschiedenen B e r e i c h e in der K o n z e p t i o n der Schlechterfüllung durch F i k e n t s c h e r insgesamt d o c h nahe, die den Leistungsgegenstand betreffenden Pflichten scharf v o n anderen Pflichteninhalten zu trennen. D e r zutreffende A n s a t z p u n k t dafür ist die U n t e r s c h e i d u n g verschiedener T y p e n von Pflichten, nicht erst die U n t e r s c h e i d u n g verschiedener Pflichtenbestandteile im R a h m e n einer weit verstandenen Leistungspflicht.
cc) Zur Problematik
der Einheit von Tatbestand
und
Rechtsfolge
A u f der R e c h t s f o l g e n s e i t e der Schlechtleistung differenziert F i k e n t s c h e r z w i s c h e n dem Erfüllungsinteresse und dem übererfüllungsmäßigen Interesse. D i e s e U n t e r s c h e i d u n g liege aber nicht auf d e m G e b i e t des Leistungsinhaltes, sondern allein auf der Seite des eingetretenen Schadens. 9 2 Dies stellt auch u n ter Z u g r u n d e l e g u n g des v o n F i k e n t s c h e r vertretenen weiten L e i s t u n g s b e griffs eine wenig ü b e r z e u g e n d e B e h a u p t u n g dar. D i e Schlechterfüllung einer z u m Inhalt der Leistung gehörenden Sorgfaltspflicht kann sich d o c h w o h l n u r auf das übererfüllungsmäßige Interesse beziehen, da das Erfüllungsinteresse in j e d e m Fall durch den auf den Leistungsgegenstand b e z o g e n e n Inhalt der Leistungspflicht gewahrt wird. F i k e n t s c h e r kann damit den unterschiedlichen S c h a d e n s t y p e n z w a r keine unterschiedlichen T y p e n v o n Pflichtverletzungen z u o r d n e n , i m m e r h i n läßt sich aber auch im R a h m e n des weiten L e i stungsbegriffes nach den unterschiedlichen Bestandteilen der Leistung differenzieren und diese den jeweiligen S c h a d e n s t y p e n z u o r d n e n . D a ß sich die v o n F i k e n t s c h e r v o r g e n o m m e n e D i f f e r e n z i e r u n g für die R e c h t s f o l g e n s e i t e auch auf der Tatbestandsseite wiederfinden läßt, zeigt 91 92
Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 31 (S. 36). Fikentscher., Schuldrecht, Rz. 396.
IV. Die sogenannte
Schlechterfüllung
165
schon der von ihm in diesem Zusammenhang verwandte Begriff des Interesses an. D e r Begriff des Interesses liegt für sich genommen jenseits der U n t e r scheidung von Tatbestand und Rechtsfolge; er meint nur den Gegenstand des Rechts. Fikentscher spricht nun allerdings häufiger davon, daß das Interesse „verletzt" werde, gelegentlich darüber hinaus auch von der „Verletzung von Rechtsgütern". 9 3 D e r Begriff der Verletzung ist (anders als der Begriff des Schadens) eher der Tatbestandsseite als der Rechtsfolgenseite zuzuordnen. Auch der Begriff des Rechtsgutes ist ein Ausdruck, der herkömmlicherweise, etwa im Bereich des Deliktsrechts, eher für den Tatbestand als für die Rechtsfolge verwandt wird. Wenn Fikentscher schließlich auch vom „Rechtsgut des Vertragsanspruches" 9 4 spricht, so ist damit doch offenbar ebenfalls eher der Gegenstand des rechtlichen Schutzes als das Ergebnis der Beeinträchtigung gemeint. Die von Fikentscher hier gebrauchte Begrifflichkeit deutet darauf hin, daß die Typisierung von Erfüllungs- und übererfüllungsmäßigem Interesse für die Rechtsfolgenseite mit einer entsprechenden Unterscheidung auf der Tatbestandsseite korrespondiert, die nach der hier vertretenen Auffassung in der Unterscheidung von Leistungspflichten und Sorgfaltspflichten liegt. Wie bereits erwähnt, ließe sich die für die Tatbestandsseite geltende Unterscheidung für die Konzeption Fikentschers ebenfalls herausarbeiten, sofern man im Rahmen des weiten Leistungsbegriffes zwischen dem auf den Leistungsgegenstand bezogenen Inhalt der Leistungspflicht und den darüber hinausgehenden Teil der Leistungspflicht unterschiede. Darin dürfte aber nicht der zentrale Sinn des von Fikentscher verwandten weiten Leistungsbegriffes zu sehen sein. D i e Funktion dieses Leistungsbegriffes scheint ja weniger darin zu liegen, unterschiedliche Pflichtenmomente im Rahmen der Leistungspflicht scharf voneinander zu unterscheiden, als vielmehr gerade darin, sie im Begriff der Leistung zu einer Einheit zusammenzufassen. Darin liegt nun aber auch eine grundlegende Schwäche dieses Leistungsverständnisses. Es erschwert für diesen Bereich eine genauere Analyse des Haftungstatbestandes. Jede präzisere Untersuchung der hier in Betracht kommenden Haftungstatbestände setzt jedoch heute eine sorgfältige Bestimmung voraus, auf welches der vielen Pflichtenmomente des Schuldners sich die Bewertung eines Verhaltens als „Pflichtverletzung" stützt. Das setzt dann natürlich auch die Unterscheidung verschiedener Pflichtenmomente voraus. D e r weite Leistungsbegriff Fikentschers hat eine Tendenz dazu, diese Analyse zu vernachlässigen. D e r Verzicht Fikentschers auf eine genauere Verortung der hier in Frage stehenden Pflichtverletzungen soll noch einmal am Beispiel des Verzuges verdeutlicht werden. Wie bereits erwähnt, faßt Fikentscher auch den Verzug des Schuldners als Fall der Schlechterfüllung auf, während Himmelschein und Emmerich den Verzug - ebenfalls unter Zugrundelegung eines weiten Lei93 94
Vgl. nur etwa Schuldrecht, Rz. 392, 395 f. Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 392.
166
5 5 Die Sorgfalt
im Rahmen
der
Leistungspflicht
stungsbegriffes - als Fall der Nichterfüllung infolge von Teilunmöglichkeit begreifen. Ob die von Himmelschein und Emmerich vorgenommene Qualifikation insgesamt zureichend ist, mag durchaus zweifelhaft sein, soll hier aber dahingestellt bleiben. Jedenfalls ermöglicht sie eine genauere Analyse der Pflichtverletzung, um die es hier geht, nämlich die Verzögerung der Leistung durch den Schuldner trotz Fälligkeit und Mahnung. Dagegen ist der Begriff der Schlechtleistung unter diesem Gesichtspunkt für den Verzug des Schuldners völlig falsch gewählt. Die Pflichtverletzung liegt hier ja nicht darin, daß zu spät und damit schlecht geleistet wird, sondern sie liegt in der Nichterfüllung einer noch möglichen Leistung trotz Fälligkeit und Mahnung. Dementsprechend setzt die Haftung aus Verzug auch gar keine, jetzt nur verspätete Erfüllungshandlung des Schuldners voraus, wie besonders deutlich wird im Anwendungsbereich des § 326 BGB. Dagegen gibt die Redeweise vom Verzug als Schlechterfüllung Anlaß, die Pflichtverletzung eher in der verspäteten Leistungshandlung zu sehen, was nach geltendem Recht sicher nicht richtig wäre. Eine zusammenfassende Betrachtung der theoretischen Konzeption der Schlechterfüllung durch Fikentscher ergibt folgendes Bild. Die zentrale Bedeutung des Begriffs der Schlechterfüllung beruht auf einem weiten, die „weiteren Verhaltenspflichten" des Schuldners umfassenden Leistungsbegriff, dem für die Nichterfüllung ein enger, auf den Leistungsgegenstand bezogener Leistungsbegriff gegenübergestellt wird. Die Konzeption ist damit durch die Spannung unterschiedlicher Leistungsbegriffe begründet. Aus ihr resultieren eine Reihe von Brüchen, die zentrale Begriffe wie die Erfüllung oder den Anspruch betreffen. Zwar kommt auch Fikentscher nicht umhin, verschiedenartige Pflichtenmomente voneinander zu unterscheiden, ohne daß dies aber ausreichend deutlich gemacht würde. Infolgedessen erschwert der weite Leistungsbegriff vor allem eine präzisere Analyse der verschiedenartigen Pflichtverletzungen des Schuldners. Mit dem für die Rechtsfolgenseite entwickelten Gedanken der Verletzung von Interessen oder Rechtsgütern kommt Fikentscher der hier vertretenen Auffassung vom Verständnis von Pflichten sehr nahe, letztlich zieht er daraus aber nicht die erforderlichen Konsequenzen. Mit der Entgegensetzung von Nichterfüllung und Schlechterfüllung wird das Leistungsstörungsrecht allein von der Leistungspflicht her konzipiert, nicht aus der Spannung unterschiedlicher Typen von Pflichten und ihrer Verletzung.
95 Zur Entwicklung der Rechtsprechung vgl. etwa Emmerich, Festschrift für Jahr, 267 (269 ff.); auch den Überblick bei Freudling, AcP 198 (1998), 599 (608 ff.).
IV. Die sogenannte
Schlechterfüllung
167
4. Gewährleistung für Sachmängel und Schlechtleistung beim Kauf a)
Problemstellung
U m die Abgrenzung der Haftung aus positiver Vertragsverletzung von der Gewährleistung für Sachmängel ranken sich vor allem im Kaufrecht eine Vielzahl schwieriger Fragen. Im folgenden soll auch diese Problematik unter dem Gesichtspunkt der Unterscheidung von Leistungs- und Sorgfaltspflichten analysiert werden. Die Unterscheidung verschiedener Typen von Pflichtverletzungen ermöglicht hier nicht nur eine genauere Begründung der Haftung des Verkäufers, sondern auch eine differenziertere Bestimmung des Verhältnisses von Schlechtleistung und Sachmängelgewährleistung. Die Diskussion der Haftung des Verkäufers aus positiver Vertragsverletzung ist heute weitgehend davon geprägt, daß zwischen Mangel- und Mangelfolgeschaden unterschieden wird. Das war kurz nach Inkrafttreten des BGB noch anders. 95 Im Jahre 1902 verurteilte das Reichsgericht den Verkäufer ohne weiteres auf Schadensersatz aus einer allgemeinen Verschuldenshaftung, die sich aus § 276 BGB ergebe und nicht durch die §§ 459 ff. BGB verdrängt werde. 96 Nach Auffassung des Reichsgerichts in dieser Entscheidung stünden vielmehr beide Anspruchsgrundlagen nebeneinander. Erst 1939 stellte das Reichsgericht plötzlich fest, daß die Ansprüche des Käufers aus positiver Vertragsverletzung auf einen über das Erfüllungsinteresse hinausgehenden Schaden beschränkt seien. 97 In der Folgezeit konkretisierte das Reichsgericht den von ihm damit angenommenen Vorrang der §§ 459 ff. BGB dahingehend, daß diese Vorschriften nur den Nichterfüllungsschaden umfassen, nicht dagegen den mittelbaren Schaden der mangelhaften Erfüllung. 9 8 Seitdem gilt in der Rechtsprechung der Grundsatz, daß für Mangelschäden die §§ 459 ff. BGB eine abschließende Regelung darstellen, so daß der Verkäufer Schadensersatz für sie nur unter den Voraussetzungen der §§ 463, 480 II BGB zu leisten hat, während für Mangelfolgeschäden ohne weiteres aus positiver Vertragsverletzung gehaftet wird. Allerdings gibt es in den letzten Jahren immer wieder auch Entscheidungen des Bundesgerichtshofes, in denen dem Käufer Schadensersatz aus positiver Vertragsverletzung gewährt wird, ohne daß klar erkennbar wäre, ob die Unterscheidung von Mangel- und Mangelfolgeschaden noch durchgehalten wird. 9 9 Schon diese kurze Skizze über die Rechtsprechung zur positiven Vertragsverletzung im Bereich des Kaufrechts legt die Annahme nahe, daß die bloße Unterscheidung verschiedener Schadensersatztypen nicht dazu geeignet ist, hier ausreichende Abgrenzungen zu ermöglichen. Hinzu kommen muß deshalb eine genauere Analyse der insoweit in Betracht kommenden Pflichtver96 97 98 99
R G Z 53, 200 (202); der Sache nach auch schon R G Z 52, 18 (19). R G Z 161, 330 (337 f.). RG, D R 1941, 637 Nr. 3. Vgl. etwa B G H , JR 1997, 59 ff. und die Anmerkung von v. Olshausen, JR 1997, 62 (63).
168
5 } Die Sorgfalt im Rahmen der
Leistungspflicht
letzungen, weil sich nur so im R a h m e n der H a f t u n g s b e g r ü n d u n g Tatbestand und R e c h t s f o l g e aufeinander beziehen lassen.
b) Zur Begründung der Haftung aus Schlechtleistung A u s dem P r o b l e m f e l d der H a f t u n g für positive Vertragsverletzung infolge v o n Schlechtleistung soll z u n ä c h s t die Frage herausgegriffen w e r d e n , w o r i n dabei die haftungsbegründende Verletzungshandlung des Verkäufers zu sehen ist. V o r allem U l r i c h H u b e r sieht in der K o m m e n t i e r u n g zum Soergel die Pflichtverletzung bei der Schlechtleistung in der b l o ß e n N i c h t e r f ü l l u n g der Pflichten des Verkäufers. Allerdings hat H u b e r 1 0 0 seine Auffassung unter dem E i n d r u c k der D i s k u s s i o n eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes deutlich relativiert, o h n e daß allerdings sein derzeitiger S t a n d p u n k t s c h o n klar genug e r k e n n b a r wäre. D e r theoretische A n s a t z der N i c h t e r f ü l l u n g s t h e o r i e dürfte j e d o c h n i r g e n d w o klarer ausgearbeitet sein als in den bisherigen U n t e r suchungen H u b e r s . D i e N i c h t e r f ü l l u n g s t h e o r i e soll deshalb aus der bisherigen Sicht H u b e r s b e t r a c h t e t werden, auch w e n n diese Perspektive nicht m e h r in jeder H i n s i c h t seine M e i n u n g widerspiegelt. D a g e g e n stützt U l r i c h R u s t in einer neueren U n t e r s u c h u n g die H a f t u n g aus positiver Vertragsverletzung infolge von Schlechtleistung nicht auf die N i c h t e r f ü l l u n g v o n Leistungspflichten des Verkäufers, s o n d e r n auf die Verletzung der v o n ihm sogenannten S c h u t z p f l i c h t e n . In dieser K o n t r o v e r s e wird sich zeigen, daß beide theoretischen A n s ä t z e ein unzureichendes Verständnis des Verhältnisses v o n P f l i c h t verletzung und N i c h t e r f ü l l u n g zugrunde legen und damit auch zu keinen sinnvollen U n t e r s c h e i d u n g e n für die A n a l y s e der Pflichtverletzungen des Verkäufers k o m m e n . S o identifiziert H u b e r Leistungspflichtverletzung und N i c h t e r f ü l l u n g weitgehend miteinander und kann damit nicht m e h r ausreic h e n d z w i s c h e n der Verletzung v o n Leistungspflichten und derjenigen v o n Sorgfaltspflichten unterscheiden. D a g e g e n ist die K o n z e p t i o n v o n R u s t in genau u m g e k e h r t e r R i c h t u n g ü b e r z o g e n . E r geht v o n einer scharfen A b g r e n zung z w i s c h e n N i c h t e r f ü l l u n g und Pflichtverletzung aus, will den B e g r i f f der Pflichtverletzung aber ü b e r h a u p t nur auf die S c h u t z p f l i c h t e n b e s c h r ä n k e n und die Leistungspflichten lediglich unter dem G e s i c h t s p u n k t der N i c h t e r füllung begreifen. D a s führt ihn zu einem verengten Verständnis der L e i stungspflichten und letztlich auch zu einem V e r z i c h t auf einen einheitlichen theoretischen A n s a t z für beide T y p e n v o n Pflichten.
100
JZ 2000, 2273 (2276).
IV. Die sogenannte
aa) Die Nichterfüllungstheorie (1) Die Lieferung
Scblecbterfüllung
von U.
der mangelhaften
169
Huber
Sache als
Pflichtverletzung
Vor allem Ulrich H u b e r vertritt in der Kommentierung zum Soergel zur Schlechtleistung nachdrücklich den Standpunkt, daß die zur Haftung aus positiver Vertragsverletzung führende Pflichtverletzung des Verkäufers in der Lieferung der mangelhaften Sache liegt. Die Haftung des Verkäufers beruhe darauf, daß dieser eine mangelhafte Sache liefert und daß ihn hieran ein Verschulden trifft; sie beruhe also auf „schuldhafter Schlechtlieferung". 1 0 1 In A b weichung von diesem theoretischen Ansatz, der auch der Rechtsprechung zugrunde liege, „konstruiere" die Literatur demgegenüber teilweise „ N e b e n pflichtverletzungen". Darin sei aber keine Verbesserung zu sehen; dies führe vielmehr gelegentlich auch zu Abweichungen von den Ergebnissen der Rechtsprechung. 1 0 2 H u b e r spielt mit der „Konstruktion von Nebenpflichtverletzungen" offenbar auf die für den Stückkauf gemachte Unterscheidung von Gewährleistungstheorie und Nichterfüllungstheorie an. Bekanntlich geht es bei diesem Meinungsstreit um die Frage, ob die Mangelfreiheit der Kaufsache zum Inhalt der Leistungspflicht des Verkäufers gehört oder nicht. Die Nichterfüllungstheorie bejaht dies und sieht demzufolge in der Lieferung einer mangelhaften Sache eine Nichterfüllung der Leistungspflichten des Verkäufers, die allerdings nur die sich aus den §§ 459 ff. B G B ergebenden Rechtsfolgen hat. 1 0 3 D i e Gewährleistungstheorie verneint dagegen, daß sich die Leistungspflicht des Verkäufers auch auf die Mangelfreiheit der Sache bezieht. Dementsprechend stellt die Lieferung einer mangelhaften Sache keine Verletzung der Leistungspflichten des Verkäufers dar, sie löst aber die sich aus den §§ 459 ff. B G B ergebenden Einstandspflichten des Verkäufers aus, weil dieser über die Erfüllung der Leistungspflichten hinaus die G e w ä h r für einen bestimmten Zustand der Kaufsache übernommen hat. 1 0 4 N a c h Auffassung von H u b e r ist die Haftung aus positiver Vertragsverletzung infolge einer Schlechtleistung für die Gewährleistungstheorie nicht so leicht zu begründen wie für die Nichterfüllungstheorie. Immerhin biete sich für die Gewährleistungstheorie aber die Erklärung an, daß der Verkäufer bei der Lieferung der mangelhaften Sache nur dann schuldhaft handele, wenn er Verhaltensvorschriften verletze, etwa die Pflichten, die Sache zu untersuchen oder den Käufer über bestehende Gefahren der Kaufsache aufzuklären. Diese Pflichten - so H u b e r - lassen sich als Nebenpflichten auffassen, deren Verletzung die Haftung aus positiver Vertragsverletzung begründet, während nach 101 Soergel-Huber, Vor § 459 Rz. 41; vgl. auch Rz. 47, 63 f., Anh § 463 Rz. 6; ders., AcP 177 (1977), 281 (293 f., 296). 102 Soergel-Huber, Vor § 459 Rz. 42. 103 So insbesondere Soergel-Huber, Vor § 459 Rz. 169 ff. m.w.N. in Rz. 151. 104 So vor allem Larenz, Schuldrecht I I / l , § 4 1 II e; auch Palandt-Putzo, Vorbem v § 4 5 9 Rz. 5.
170
5 5 Die Sorgfalt
im Rahmen
der
Leistungspflicht
der Nichterfüllungstheorie diese Pflichten nur der Begründung des Verschuldensvorwurfes dienen. Praktisch kämen beide Auffassungen aber zum gleichen Ergebnis. 1 0 5
(2) Die Begründung des Verschuldens einer fehlerhaften Sache
bei
Lieferung
Von besonderer Bedeutung ist in der K o n z e p t i o n Hubers - ohne daß das allerdings sofort ersichtlich wäre - die Begründung des Verschuldensvorwurfes, die deshalb etwas genauer betrachtet werden soll. Dabei beschränkt sich die weitere Auseinandersetzung auf den Spezieskauf; Besonderheiten des Gattungskaufes werden später hervorgehoben. Mit der Auffassung der Lieferung der mangelhaften Sache als Pflichtverletzung legt H u b e r einen sehr weit gefaßten Begriff der Pflichtverletzung zugrunde; die Einschränkung der H a f tung erfolgt daher über den Begriff des Verschuldens. Dementsprechend widmet er der Analyse des Verschuldens besondere Aufmerksamkeit. 1 0 6 Insoweit unterscheidet er vor allem zwischen dem Verkauf einer Sache durch den Hersteller und dem Verkauf durch den bloßen Händler. D e r Verkäufer, der selbst Hersteller der Kaufsache ist, haftet für die fehlerhafte Herstellung der Sache. 1 0 7 Beruht die Mangelhaftigkeit der Kaufsache dagegen auf fehlerhaften Vorprodukten anderer Produzenten, so sei der Vorwurf der Fahrlässigkeit nur begründet, wenn der Verkäufer oder die bei der Produktion eingesetzten Hilfspersonen den Fehler des Vorproduktes fahrlässig übersehen haben. 1 0 8 Dabei ist die Frage, ob und inwieweit der Verkäufer in derartigen Fällen überhaupt zur Untersuchung des Vorprodukts verpflichtet ist, vom Einzelfall abhängig. Ein Verschuldensvorwurf könne schließlich auch an die fehlerhafte Ausführung der Bestellung geknüpft sein, wenn der Verkäufer ein an sich fehlerfreies, aber von der Bestellung abweichendes Produkt liefert. 1 0 9 O b man diese Lieferung als Schlechtlieferung im Sinne der Lieferung fehlerhafter Ware oder als Falschlieferung im Sinne einfacher Nichterfüllung qualifiziere, sei für das Vorliegen einer positiven Vertragsverletzung unerheblich. Beim Verkauf durch den Händler, der die Sache nicht selbst herstellt, k ö n ne ein Verschulden zunächst ebenfalls in der fehlerhaften Ausführung der B e stellung liegen. 1 1 0 Im übrigen könne ein Verschulden des Verkäufers im wesentlichen nur damit begründet werden, daß dieser die fehlerhafte Ware wei-
105 Soergel-Huber, Vor § 459 Rz. 64. Huber sieht allerdings Rz. 65 auch, daß eine Reihe von Vertretern der Gewährleistungstheorie diese Ansicht nicht teilen, hält dies aber für eine gelegentliche „begriffliche Übersteigerung" des theoretischen Ansatzes. 106 Soergel-Huber, Anh § 463 Rz. 7 ff. 107 Soergel-Huber, Anh § 463 Rz. 8. 108 Soergel-Huber, Anh § 463 Rz. 12. 109 Soergel-Huber, Anh § 463 Rz. 14. 110 Soergel-Huber, Anh § 463 Rz. 15.
IV. Die sogenannte
Schlechterfüllung
171
terveräußert hat, o h n e den F e h l e r zu erkennen. 1 1 1 Voraussetzung des Verschuldensvorwurfes sei dann aber eine entsprechende U n t e r s u c h u n g s p f l i c h t des Verkäufers, die für den Regelfall j e d o c h zu verneinen sei. E i n Verschulden ohne A n n a h m e einer solchen U n t e r s u c h u n g s p f l i c h t lasse sich im Einzelfall auch dann begründen, w e n n der H ä n d l e r aufgrund seiner b e s o n d e r e n F a c h kunde wissen m u ß , daß die v o n i h m gelieferte Ware z u m vertraglich vorausgesetzten G e b r a u c h nicht geeignet ist. 1 1 2 B e i genauerer B e t r a c h t u n g arbeitet H u b e r hier mit zwei unterschiedlichen T y p e n v o n V e r s c h u l d e n s v o r w ü r f e n . Z u m einen b e r u h t der Verschuldensvorw u r f auf der Verursachung des Mangels, so i n s b e s o n d e r e bei der fehlerhaften P r o d u k t i o n der Sache. D e m ist der Fall der Verarbeitung fehlerhafter V o r p r o dukte u n t e r den v o n H u b e r genannten Voraussetzungen w o h l gleichzustellen, da auch die Verletzung der U n t e r s u c h u n g s p f l i c h t zur P r o d u k t i o n einer mangelhaften Ware führt. A u ß e r d e m zählt dazu natürlich auch der v o n i h m in diesem Z u s a m m e n h a n g nicht besonders erwähnte Fall, daß die Kaufsache im Z u g e der v o m Verkäufer v o r g e n o m m e n e n L i e f e r u n g infolge seines Fehlverhaltens einen M a n g e l erleidet. Z u m anderen wird der V e r s c h u l d e n s v o r w u r f aber auch an die fahrlässige U n k e n n t n i s (oder gegebenenfalls d o c h w o h l auch an die K e n n t n i s ) der Mangelhaftigkeit der K a u f s a c h e geknüpft. S o geschieht es insbesondere in den Fällen, in denen der b l o ß e H ä n d l e r die Sache weiterveräußert, o h n e die Mangelhaftigkeit t r o t z einer ihn treffenden U n t e r s u chungspflicht erkannt zu haben. D a m i t stehen hier zwei durchaus unterschiedliche V e r s c h u l d e n s v o r w ü r f e im R a u m , für die dann d o c h zweifelhaft sein mag, o b sie sich tatsächlich auf dieselbe Pflichtverletzung beziehen. D e s halb bedarf es insoweit z u n ä c h s t n o c h einmal einer genaueren B e t r a c h t u n g des Begriffs der Pflichtverletzung in der Darstellung H u b e r s .
(3) Pflichtverletzung
und Mangelhaftigkeit
der
Sache
E i n e S c h w ä c h e der K o n z e p t i o n H u b e r s liegt nun darin, daß der von ihm verwandte B e g r i f f der Pflichtverletzung nicht ausreichend reflektiert ist. U n ter Z u g r u n d e l e g u n g der N i c h t e r f ü l l u n g s t h e o r i e ist es z w a r richtig, daß die Lieferung einer mangelhaften Sache eine N i c h t e r f ü l l u n g der Leistungspflichten des Verkäufers darstellt. D a s bedeutet aber n o c h nicht, daß darin zugleich i m m e r auch eine Pflichtverletzung des Verkäufers liegt. Von einer Pflichtverletzung kann sinnvollerweise nur im H i n b l i c k auf die B e w e r t u n g eines Verhaltens des Verkäufers gesprochen w e r d e n . D e m e n t s p r e c h e n d stellt die b l o ß e nachträgliche U n m ö g l i c h k e i t nur eine N i c h t e r f ü l l u n g der Leistungspflichten des Verkäufers dar, v o n einer Pflichtverletzung kann lediglich im H i n b l i c k auf die H e r b e i f ü h r u n g der U n m ö g l i c h k e i t gesprochen werden. F ü r die Schlechtleistung bedeutet dies, daß die H a f t u n g keineswegs auf der b l o ß e n 111 112
Soergel-Huber, Soergel-Huber,
Anh § 463 Rz. 17. Anh § 463 Rz. 18.
172
5 5 Die Sorgfalt
im Rahmen
der
Leistungspflicht
Lieferung der Sache beruht, sondern darauf, daß der Verkäufer den Mangel der gelieferten Sache verursacht hat. Als Verletzung der Leistungspflicht läßt sich bei der Schlechtleistung also nur die Lieferung der mangelhaften Sache begreifen, deren Mangelhaftigkeit der Verkäufer verursacht hat. Die bloße Lieferung der mangelhaften Sache trägt dagegen nicht die Bewertung als Pflichtverletzung des Verkäufers. Zwar kann darin eine dem Verkäufer zurechenbare Handlung liegen und damit ein denkbarer A n k n ü p fungspunkt für eine Pflichtverletzung. Zweifelhaft mag das jedoch schon etwa im Hinblick auf den Versendungskauf sein. Worauf sollte sich bei der Lieferungshandlung aber der Verschuldensvorwurf beziehen? 1 1 3 Daß die Lieferungshandlung selbst ohne Verschulden erfolgt, ist ja kaum denkbar und auch gar nicht der wesentliche Punkt. Das Verschulden kann sich hier sinnvollerweise im Kern nur auf die Frage der Mangelhaftigkeit der Sache beziehen. Von einem Verschulden des Verkäufers im Hinblick auf die Mangelhaftigkeit der Sache läßt sich aber nur sprechen, wenn dieser den Mangel auch verursacht hat, denn nur diese Handlung ist dann ursächlich für die Schlechterfüllung seiner Leistungspflicht. Die bloße Kenntnis oder das Kennenmüssen des Mangels ist hingegen für die Mangelhaftigkeit der Sache und damit die Schlechterfüllung schon gar nicht kausal. Damit k o m m t dieses Verhalten w e der als tauglicher A n k n ü p f u n g s p u n k t für eine Verletzung der Leistungspflicht in Betracht, noch für einen Verschuldensvorwurf, da auch das Verschulden sich nur auf die Bewertung eines Verhaltens bezieht und damit die Kausalität der haftungsrelevanten Handlung voraussetzt. Das Kennenmüssen des Mangels läßt sich also nicht auf die Leistungspflichten des Verkäufers beziehen und kann dementsprechend nur als Gegenstand von Sorgfaltspflichten begriffen werden. Wie sinnvoll es ist, diesen Bezugspunkt klar herauszustellen, zeigt auch gerade der theoretische Ansatz Hubers. Die Frage der Verursachung des M a n gels durch den Verkäufer wird von ihm aus dem Begriff der Pflichtverletzung ausgeklammert und gerät dann aber auch im Rahmen der A n a l y s e des Verschuldens nicht präzise genug in den Blick. Stattdessen werden im Rahmen des Verschuldens - in sehr verdienstvoller Weise - unterschiedliche Typen von Fehlverhalten analysiert, die sich nicht beide in gleicher Weise auf die von ihm angenommene Pflichtverletzung beziehen lassen. Denn nur die Ver113 Kritisch insoweit schon Medicus, J u S 1965,209 (217): Man dürfe eine positive Vertragsverletzung nicht schon in der Lieferung einer mangelhaften Sache sehen. Daß die Sache bei Lieferung als mangelhaft erscheine, gehe oft darauf zurück, daß der Verkäufer sie bei Vertragsabschluß unrichtig oder unvollständig beschrieben habe. Wolle man daher mit dem Ausschluß der Haftung aus culpa in contrahendo Ernst machen, dürfe man die Haftung aus positiver Vertragsverletzung nur auf Umstände stützen, die beim Vertragsschluß nicht vorgelegen haben, so etwa auf die schuldhafte Verschlechterung der Sache durch den Verkäufer. Ganz ähnlich auch Staudinger-Honsell, Vorbem zu §§ 459 ff. Rz. 80: Huber verkenne, daß die mangelhafte Lieferung für sich allein betrachtet niemals ein Verschulden darstelle. Honsell will dem Verschulden stattdessen eine Untersuchungspflicht vorschalten, deren systematische Verortung aber unklar ist.
IV. Die sogenannte
Schlechterfüllung
173
ursachung des Mangels stellt ein Fehlverhalten des Verkäufers dar, das zum Ausbleiben des geschuldeten Erfolges führt und insoweit eine Schlechterfüllung seiner Leistungspflichten darstellt, nicht dagegen auch das Kennenmüssen des Mangels.
(4) Die Unterscheidung von Leistungs- und bei Lieferung einer fehlerhaften Sache
Sorgfaltspflichtverletzungen
An dieser Stelle zeigt sich, daß in der Konzeption Hubers nicht ausreichend zwischen der Verletzung von Leistungspflichten und Sorgfaltspflichten unterschieden wird. Insbesondere die Pflicht des Verkäufers, der nur Händler ist, zur Untersuchung der Sache ist kein Teil seiner Leistungspflicht, sondern Gegenstand einer eigenständigen Sorgfaltspflicht. Das wird deutlich, wenn man einmal nach dem Rechtsgut fragt, dessen Schutz diese Pflicht bezweckt. Hier kommt nur in Betracht, daß die Pflicht den Schutz der bereits vorhandenen Rechtsgüter des Käufers vor Schäden bezweckt, die durch die mangelhafte Kaufsache verursacht werden können. Richtig ist zwar, daß sich ein solcher Schutz auch über die Leistungspflicht erreichen läßt, allerdings handelt es sich dann nur um einen über den Schutz der Leistung selbst vermittelten Schutz der bereits vorhandenen Rechtsgüter des Käufers. Die Leistungspflicht bezieht sich nämlich zunächst einmal nur auf die Kaufsache und lediglich über die Verletzung dieser Pflicht kommt auch ein Schutz der bereits vorhandenen Rechtsgüter des Käufers in Betracht. Die Leistungspflicht ist hier aber schon gar nicht verletzt, da der Käufer die Mangelhaftigkeit der Sache nicht verursacht hat. Damit kann die Untersuchungspflicht des Käufers auch nur den Schutz der bereits vorhandenen Rechtsgüter des Käufers bezwecken und daher auch nur Gegenstand einer Sorgfaltspflicht sein. Welchen Zweck die Pflicht zur Untersuchung der bereits mangelhaften Sache sonst noch haben sollte, ist auch nicht recht ersichtlich. Die Richtigkeit dieser Überlegungen kann man sich auch klarmachen, wenn man sich einmal vorstellt, daß der Verkäufer eine mangelhafte Sache liefert, obwohl der Kaufvertrag unerkannt nichtig ist. Schadensersatzansprüche aus positiver Vertragsverletzung scheiden dann aus; eine Schlechterfüllung der Leistungspflichten des Verkäufers kommt dann nicht in Betracht, so daß insoweit auch gar keine Rolle spielt, ob der Verkäufer die Sache auf einen Mangel untersucht hat oder nicht. In Betracht kommt aber nach wie vor, daß der Verkäufer mit der (im Einzelfall zu prüfenden) Untersuchungspflicht eine Sorgfaltspflicht zum Schutz der bereits vorhandenen Rechtsgüter des Käufers verletzt hat. Für die schuldhafte Verletzung dieser Sorgfaltspflicht schuldet der Verkäufer dann Schadensersatz aus culpa in contrahendo. Übrigens stellt sich aus dieser Perspektive auch die Verursachung des Mangels an der Kaufsache durch den Verkäufer noch einmal in neuem Lichte dar. Man kann diese Handlung einmal im Hinblick auf die Mangelhaftigkeit der Kaufsache selbst sehen und insoweit als Leistungspflichtverletzung begreifen.
174
§ 5 Die Sorgfalt
im Rahmen
der
Leistungspflicht
Darüber hinaus kann die Verursachung der Mangelhaftigkeit möglicherweise auch als Anknüpfungspunkt einer Sorgfaltspflichtverletzung gesehen werden, nämlich insoweit die vom Verkäufer verursachte Mangelhaftigkeit der Sache auch zu etwaigen Einbußen an dessen bereits vorhandenen Rechtsgütern führt. Das Verhältnis dieser unterschiedlichen Pflichtverletzungen soll später noch genauer betrachtet werden. Hier soll zunächst nur festgestellt werden, daß die landläufige Vorstellung, daß der Verkäufer dem Prinzip nach aus positiver Vertragsverletzung haftet, wenn der Käufer infolge eines Sachmangels einen Schaden erleidet, viel zu undifferenziert ist. Sie ist undifferenziert, weil hier die Unterscheidung zwischen der in der Herbeiführung des Mangels liegenden Leistungspflichtverletzung und Verhaltensweisen, die eine Sorgfaltspflichtverletzung begründen können, notwendig ist. N u r am Rande sei erwähnt, daß sich die Dinge nicht sehr viel anders darstellen, wenn man nicht - wie H u b e r - die Nichterfüllungstheorie zugrunde legt, sondern die Gewährleistungstheorie. In diesem Fall wird man zwischen Sorgfaltspflichten zu unterscheiden haben, die dem Schutz des Leistungsgegenstandes dienen, und solchen, die den Schutz der bereits vorhandenen Rechtsgüter des Käufers bezwecken. U n t e r Zugrundelegung der Gewährleistungstheorie sind also auch solche Sorgfaltspflichten anzunehmen, die im Hinblick auf den Schutz des Leistungsgegenstandes den Leistungspflichten entsprechen. Dies dürfte auch der Gedanke sein, der etwa Larenz - als einem Vertreter der Gewährleistungstheorie - vorschwebte, als er für die Begründung der Haftung aus positiver Vertragsverletzung auf kaufvertragliche N e benpflichten rekurrierte. 1 1 4 D i e darin liegende Annahme, daß Sorgfaltspflichten Funktionen von Leistungspflichten übernehmen, ist zwar prinzipiell nicht ganz unproblematisch, dürfte hier aber gerechtfertigt sein, weil auch unter Zugrundelegung der Gewährleistungstheorie der Ausschluß der Mangelfreiheit aus dem Inhalt der Leistungspflicht des Verkäufers nicht auch den Ausschluß der Haftung für die Verursachung von Mängeln bezwecken kann. Damit stellt sich die Analyse der Pflichtverletzungen aus Sicht der Gewährleistungstheorie nur terminologisch etwas komplizierter dar, weil zwischen unterschiedlichen Typen von Sorgfaltspflichten zu unterscheiden ist. D i e Unterscheidung verschiedener Typen von Pflichtverletzungen hat auch Konsequenzen für den zu leistenden Schadensersatz, die hier zunächst ebenfalls nur angedeutet werden sollen. D i e schuldhafte Verletzung der Leistungspflicht des Verkäufers durch Lieferung einer Sache, deren Mangelhaftigkeit er verursacht hat, führt zunächst zu einem Mangelschaden. N a c h der Rechtsprechung gilt zwar, daß aus positiver Vertragsverletzung nur Mangel114 Larenz, Schuldrecht II/l, §41 II e (S. 70). Im übrigen kann man allerdings auch vom Standpunkt der Gewährleistungstheorie aus der Auffassung sein, daß in der Herbeiführung des Mangels durch den Verkäufer eine Verletzung der Leistungspflicht liegt. Der Verkäufer mag zwar nicht verpflichtet sein, eine mangelfreie Stücksache zu übereignen, das muß jedoch nicht bedeuten, daß er die Stücksache nach Vertragsschluß beschädigen könnte, ohne damit seine Leistungspflicht zu verletzen.
IV. Die sogenannte
Scblecbterfüllung
175
folgeschäden ersetzt werden können. Dennoch scheint in Rechtsprechung und Literatur weitgehend anerkannt zu sein, daß gerade für den Fall der schuldhaften Verursachung des Mangels durch den Verkäufer nach Vertragsschluß der daraus resultierende Mangelschaden aus positiver Vertragsverletzung ausnahmsweise ersatzfähig ist. 115 Unproblematisch sind demgegenüber die aus dieser Pflichtverletzung resultierenden weiteren, sogenannten Mangelfolgeschäden. Bei der schuldhaften Verletzung von Sorgfaltspflichten des Verkäufers geht es hingegen primär um den Schutz der bereits vorhandenen Rechtsgüter des Käufers. Soweit diese infolge einer Verletzung von Pflichten zur Untersuchung der mangelhaften Sache beeinträchtigt worden sind, kann dafür aus positiver Vertragsverletzung Schadensersatz begehrt werden. Auch solche Schäden werden häufig als Mangelfolgeschäden bezeichnet, was sachlich nicht unzutreffend ist, aber wenig zu den Problemen der Haftungsbegründung beiträgt. Der Schaden ist hier zwar in der Tat eine Folge des Mangels (das ist allerdings auch der entgangene Gewinn, der aber zu Recht nicht als Mangelfolge-, sondern als Mangelschaden gilt) 116 , darin liegt aber nicht der Grund der Haftung des Schuldners, dieser liegt vielmehr in der Verletzung einer angesichts der Mangelhaftigkeit der Sache bestehenden Sorgfaltspflicht. Daß bisher so wenig Klarheit über das Verhältnis von Sachmängelgewährleistung und Haftung aus positiver Vertragsverletzung erzielt worden ist, hängt auch damit zusammen, daß es bisher nicht gelungen ist, ein klares Bild über das Verhältnis des Sachmangels zu den Pflichten des Verkäufers herzustellen. Stattdessen wird mit einem vagen, sehr heterogene Fälle umfassenden Begriff der Schlechterfüllung hantiert. Ob der Verkäufer für einen Sachmangel einzustehen hat, ob er für die Herbeiführung des Sachmangels haftet oder für das Kennenmüssen des Sachmangels mag dann aber doch gewisse Unterschiede notwendig machen. Die Erörterung der sich aus der Unterscheidung dieser verschiedenartigen Bezugspunkte ergebenden Konsequenzen soll an dieser Stelle noch zurückgestellt werden. Stattdessen wird im folgenden anhand der Überlegungen von Ulrich Rust zur kaufrechtlichen Sachmängelgewährleistung die Unterscheidung von Leistungs- und Sorgfaltspflichtverletzungen für diesen Bereich noch etwas weiter vertieft.
115 So insbesondere BGHZ 87, 88 (92);Jauernig-Vollkommer, § 459 Rz. 49; Soergel-Huber, Vor § 459 Rz. 62,249; Zimmer, BB 1988,2192 (2194); wohl auch Larenz, Schuldrecht II/l, § 41 II e (S. 70 m. Fn. 119); Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, Rz. 680. Staudinger-Honsell, Vorbem zu §§ 459 ff. Rz. 22, will insoweit zwischen mangelbezogenen und nicht mangelbezogenen Pflichtverletzungen unterscheiden. Das scheint mir kaum durchführbar zu sein. 116 So BGHZ 77, 215 ( 2 l S ) ; J a u e r n i g - V o l l k o m m e r , § 463 Rz. 15; Soergel-Huber, Anh § 463 Rz. 23, 28; a.A. Erman-Grunewald, Vor § 459 Rz. 39.
176
§ 5 Die Sorgfalt
im Rahmen
bb) Die Schutzpflichtenkonzeption
der
Leistungspflicht
von U. Rust
In seinem B u c h „Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht" setzt sich U l rich Rust mit den Reformvorschlägen der Schuldrechtskommission zu diesem Rechtsgebiet auseinander. Zugleich enthält die Untersuchung aber auch eine neuartige Interpretation des geltenden R e c h t s , 1 1 7 die im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen stehen soll.
(1) Die Pflicht zur mangelfreien Lieferung als unentwickelte Leistungspflicht
beim
Stückkauf
Wie H u b e r geht auch Rust für den Stückkauf von der Nichterfüllungstheorie aus. D i e Pflicht zur sachmangelfreien Lieferung ergibt sich für ihn zwar nicht aus dem Gesetz, aber aus dem Vertragsinhalt, da danach die Sache mit den vereinbarten Beschaffenheiten und damit frei von Sachmängeln zu übereignen ist. 1 1 8 D a ß im Gesetz kein Erfüllungsanspruch vorgesehen sei, spreche nicht gegen die Existenz einer derartigen Pflicht. Schon H u b e r habe hervorgehoben, daß es kein juristisches Sachgesetz gebe, wonach einer schuldrechtlichen Verpflichtung ein Anspruch auf Erfüllung in N a t u r korrespondieren müsse, auch wenn es sich im deutschen R e c h t in der Regel so verhalte. Rust meint, die Pflicht zur mangelfreien Lieferung genauer anhand der von K r e ß entwickelten Unterscheidung zwischen entwickelten und unentwickelten Pflichten bestimmen zu k ö n n e n . 1 1 9 Diese Unterscheidung besagt, daß der entwickelte Anspruch grundsätzlich gegenüber Leistungspflichten besteht und damit gegenüber den auf Güterbewegung gerichteten Pflichten. E r richte sich primär auf Erfüllung und sekundär auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung. D i e unentwickelte Pflicht oder der unentwickelte Anspruch sind hingegen nicht auf Erfüllung gerichtet, vielmehr soll bereits die D r o hung, bei der Verletzung einer solchen Pflicht zur Wiedergutmachung verpflichtet zu sein, auf das Verhalten der verpflichteten Person einwirken, und dadurch diese Güterverletzung und damit auch die Entwicklung der Schutzpflicht zu einer Ersatzpflicht verhindern. Ein Anspruch auf Erfüllung besteht in bezug auf das die Schutzpflichtverletzung vermeidende Verhalten aber nicht. Rust stellt zwar fest, daß K r e ß die unentwickelte Pflicht nur mit Schutzpflichten in Verbindung gebracht hat, das hindert ihn aber nicht daran, den Begriff jetzt für die Leistungspflicht des Verkäufers zu verwenden: D i e Pflicht zur mangelfreien Lieferung der Kaufsache stellt beim Spezieskauf eine unentwickelte Leistungspflicht dar. 1 2 0
117 118 119 120
Vgl. insoweit auch Rust, M D R 1998, 947 ff. Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 43. Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 44. Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 47 ff.; ders., M D R 1998, 947 (947).
IV. Die sogenannte
Schlechterfüllung
177
Diese These begründet Rust näher anhand der Unterscheidung von Leistungs- und Schutzpflichten. Dabei legt er für das Verständnis dieser Pflichten wiederum den theoretischen Ansatz von K r e ß zugrunde, wonach Pflichten entweder der Bewegung oder dem Schutz der G ü t e r dienen. D e r Pflicht zur Mangelfreiheit der Lieferung fehle zwar der direkte Bezug auf die Güterbewegung, sie sei insoweit aber entscheidender Bestandteil des Aquivalenzverhältnisses von Leistung und Gegenleistung. 1 2 1 Damit stelle sie eine Leistungspflicht dar, die allerdings beim Spezieskauf wegen ihrer mangelnden Durchsetzbarkeit nur als unentwickelte Pflicht eingeordnet werden könne. Das Verständnis von Kreß, daß unentwickelte Pflichten nur als Schutzpflichten auftreten, sei deshalb wohl zu eng. 1 2 2 Eine Qualifizierung der Pflicht zur mangelfreien Lieferung als unentwickelte Schutzpflicht scheide aus, da diese Pflicht die Sicherung des Äquivalenzverhältnisses in der Güterbewegung bezwecke, nicht dagegen, eine Rechtsgutsverletzung beim Käufer zu vermeiden. 1 2 3
(2) Der Schadensersatzanspruch wegen Schlechtleistung als Folge der schuldhaften Verletzung einer Schutzpflicht Vor diesem Hintergrund entwickelt Rust auch sein Verständnis des Schadensersatzanspruches bei mangelhafter Lieferung als Haftung für die schuldhafte Verletzung von Schutzpflichten. 1 2 4 Dabei geht er davon aus, daß dem B G B eine umfassende Haftung für schuldhafte Schutzpflichtverletzungen zugrunde liegt, die sich aus § 2 2 4 im ersten E n t w u r f zum B G B herleite und heute auf die §§ 157, 242, 276 B G B stützen lasse. Das Für und Wider der B e gründung einer allgemeinen Verschuldenshaftung aus § 2 7 6 B G B ist oft genug erörtert worden. 1 2 5 Zu den von Rust dafür herangezogenen Argumenten soll hier nur folgendes angemerkt werden: Rust meint, die in § 224 S. 1 des ersten Entwurfes getroffene Anordnung „Der Schuldner ist verpflichtet, die nach dem Schuldverhältnis ihm obliegende Leistung vollständig zu bewirken" sei von der K o m m i s s i o n nicht nur auf die Leistungspflichten bezogen worden, sondern auch auf die Pflichten des Schuldners, die sonstigen Rechtsgüter des Gläubigers zu schützen. Das ist allerdings eine sehr weitgehende Auslegung, deren Konsequenzen auch nicht ganz klar sind. N a c h den M o t i v e n 1 2 6 zum B G B jedenfalls beruht die Regelung darauf, daß eine „ausdrückliche Hinweisung darauf, daß die Verpflichtung ihrem ganzen Umfange nach, insbesondere auch in Ansehung aller Nebenpunkte, zu erfüllen sei, nicht unnöthig (sei)." 121 122 123 124
Rust, Das kaufrechtliche Gewahrleistungsrecht, S. 48. Rust, Das kaufrechtliche Gewahrleistungsrecht, S. 48 Fn. 75. Rust, Das kaufrechtliche Gewahrleistungsrecht, S. 49. Rust, Das kaufrechtliche Gewahrleistungsrecht, S. 50 ff., 165 ff.; ders., M D R 1998, 947
(948). 125 126
Vgl. dazu bereits oben § 1 II 7. Motive, Bd. II, S. 26.
178
5 i Die Sorgfalt im Rahmen
der
Leistungspflicht
D i e Verbindlichkeit des Schuldners lasse sich nicht nach allen Richtungen und Nebenpunkten genau beschreiben; „ ( . . . ) vollständig läßt sich der Inhalt einer Leistungsverbindlichkeit nur im konkreten Falle erkennen ( . , . ) " . 1 2 7 D a mit geht es hier doch offenbar um N e b e n p u n k t e der Leistungspflicht. Es mag nicht ausgeschlossen werden können, daß die Kommission hier noch ein weiteres Verständnis der Leistung zugrunde legt, als es heute üblich ist. Daraus wird man dann aber kaum die Statuierung einer allgemeinen Verschuldenshaftung für Schutzpflichten herleiten können. Das K o n z e p t der Haftung für Schutzpflichtverletzungen ist aus dieser Anordnung eben gerade nicht ohne weiteres herleitbar, weil es in den Vorarbeiten zum B G B als solches wohl gar nicht präsent war. Rust stützt die Haftung für Schutzpflichtverletzungen weiter auch auf die §§ 157, 242 B G B . Tatsächlich ist dieses K o n z e p t heute weitgehend verwirklicht, wenn auch nicht in dem Sinne, daß diese Vorschriften als Anspruchsgrundlage dienen, aber doch insoweit als diese Vorschriften der Begründung der Sorgfaltspflichten dienen. 1 2 8 Die zentrale Frage ist heute ja auch gar nicht mehr, ob und wie sich die Haftung für Schutzpflichtverletzungen gesetzlich verankern läßt, sondern welche Handlungen als der Haftungsbegründung dienende Pflichtverletzungen aufgefaßt werden können. U n t e r diesem G e sichtspunkt kann man in der Tat der Auffassung sein, daß sich die Haftungsgrundlage für Sorgfaltspflichtverletzungen heute ihrem Kern nach in den §§ 157, 242 B G B findet. D i e von ihm angenommene allgemeine Verschuldenshaftung will Rust auch für die Lieferung mangelhafter Kaufsachen heranziehen. 1 2 9 Insoweit geht er von einer umfassenden Haftung für Schutzpflichtverletzungen aus; die Leistungspflichten seien insoweit nicht einschlägig. D i e Tatbestände der Schutzpflichtverletzung und des Sachmangels als Nichterfüllung seien nicht deckungsgleich. 1 3 0 So beinhalte die Lieferung einer mangelhaften Sache nicht notwendig auch die Verletzung einer Schutzpflicht, andererseits sei die Verletzung einer Schutzpflicht auch bei Lieferung mangelfreier Sachen denkbar. Daraus folge, daß die bloße Nichterfüllung in Gestalt der mangelhaften Lieferung zwar Grundlage von Wandelung und Minderung sei, sich daraus aber keine allgemeine Verschuldenshaftung herleiten lasse. Diese könne vielmehr nur auf eine zusätzlich zum Sachmangel hinzutretende Schutzpflichtverletzung gestützt werden. 1 3 1
Motive, Bd. II, S. 26. Zu den §§ 157, 242 B G B als gesetzlicher Grundlage für die Begründung von Sorgfaltspflichten vgl. Gernhuber, Das Schuldverhältnis, § 2 IV 2 d; M ü K o - K r a m e r , §241 Rz. 18; Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 284. 129 Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 165 ff. 130 Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 169; ders., M D R 1998, 947 (950). 131 Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 172. 127
128
IV. Die sogenannte
179
Schlechterfüllung
(3) Die verschiedenen Schutzpflichten im einzelnen Verletzung resultierende Schadensersatz
und der aus ihrer
Vor diesem Hintergrund k o m m t Rust zu einer recht präzisen Analyse der bei Lieferung einer mangelhaften Kaufsache in Betracht kommenden Schutzpflichtverletzungen, die hier nur in K ü r z e nachgezeichnet werden soll. 1 3 2 D a bei trennt er zwischen Schutzpflichten beim Gattungskauf und solchen beim Spezieskauf. B e i m Gattungskauf sind als Verletzung der Schutzpflicht im Einzelfall folgende Handlungen denkbar: die fehlerhafte Produktion (zu der auch die sorgfaltswidrige Verwendung fehlerhafter Vorprodukte gehört), die unsorgfältige Auswahl des zur Erfüllung vorgesehenen Gegenstandes aufgrund unzureichender Untersuchung sowie die sorgfaltswidrige Empfehlung einer zum Vertragszweck des Käufers untauglichen Gattung. 1 3 3 Beim Spezieskauf sind mögliche Schutzpflichtverletzungen: die fehlerhafte Herstellung, die Verletzung einer Untersuchungspflicht und der daraus resultierenden Aufklärungspflicht, die Mangelverursachung 1 3 4 nach Vertragsschluß. 1 3 5 I m H i n b l i c k auf die verschiedenartigen Schutzpflichten schließt sich eine Darstellung der aus diesen Pflichtverletzungen zu ersetzenden Schäden an. 1 3 6 Die von der Rechtsprechung zugrunde gelegte Unterscheidung zwischen nicht ersatzfähigen Mangelschäden und ersatzfähigen Mangelfolgeschäden hält Rust hier für verfehlt. 1 3 7 Vielmehr sei das gesamte Interesse des Käufers geschützt und daher auch der gesamte Schaden zu ersetzen, sofern nur der Schaden auf die Verletzung der jeweiligen Schutzpflicht kausal zurückzuführen ist. Im einzelnen gilt danach folgendes: Eine kausale Beeinträchtigung des Integritätsinteresses des Käufers liege vor, wenn der Verkäufer seine Pflichten durch fehlerhafte Produktion, unsorgfältige Auswahl des Gegenstandes aus der Gattung, sorgfaltswidrige Empfehlung der Gattung oder durch unsorgfältigen Umgang mit der Kaufsache nach Vertragsschluß verletzt, da der Käufer ohne diese Pflichtverletzungen eine mangelfreie Sache erhalten hätte. Ersatzfähig seien dann etwa Schäden an sonstigen Rechtsgütern des Käufers, die infolge der Mangelhaftigkeit der Sache fehlgeschlagenen Arbeits- oder Materialaufwendungen und auch die Schäden, die daraus erwachsen, daß der Käufer infolge der Mangelhaftigkeit der Sache Schadensersatzansprüchen Dritter ausgesetzt ist. 1 3 8 Anders verhalte es sich, wenn der Verkäufer eine Schutzpflicht zur Untersuchung der Speziessache auf etwaige Sachmängel verletzt, Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 172 ff. Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 172-175. 134 Rust geht insoweit zwar von der „schuldhaften Mangelverursachung" aus, vgl. Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 177. Pflichtverletzung ist aber nur die Mangelverursachung, die Frage des Verschuldens ist davon sehr wohl zu trennen. 135 Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 175-177. 136 Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 177 ff.; vgl. auch ders., M D R 1998, 947 (949). 137 Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 182. 138 Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 187. 132 133
180
5 5 Die Sorgfalt
im Rahmen
der
Leistungspflicht
weil dann davon ausgegangen werden müsse, daß ohne diese Pflichtverletzung der Vertrag vom Käufer nicht (zu dem vereinbarten Kaufpreis) geschlossen worden wäre. 1 3 9 A b e r auch ohne Vertragsschluß hätte der Käufer keine mangelhafte Sache erlangt und daher auch keine Schäden an seinen sonstigen Rechtsgütern erlitten, er wäre keiner Ersatzpflicht Dritter ausgesetzt und es wären auch keine nutzlosen Material- und L o h n k o s t e n für die Bearbeitung der Kaufsache aufgewandt worden. Alle diese Schutzpflichtverletzungen können mithin kausal sein für die Beeinträchtigung des Integritätsinteresses. Hinsichtlich der Schutzpflichten, die zu einer Beeinträchtigung des Äquivalenzinteresses des Käufers führen können, unterscheidet Rust zwischen Pflichtverletzungen bei Gattungs- und Spezieskäufen. D i e von ihm für den Gattungskauf herausgearbeiteten Schutzpflichtverletzungen können nach seiner Auffassung, sofern die Pflichten im Einzelfall tatsächlich bestehen, ohne weiteres auch das Äquivalenzinteresse des Käufers beeinträchtigen, da ohne diese Pflichtverletzungen der Verkäufer dem Käufer eine mangelfreie Sache aus der Gattung geliefert hätte und damit dessen Erfüllungsinteresse voll gewahrt hätte. 1 4 0 Hinsichtlich des Spezieskaufs wird dagegen nach der Art der verletzten Schutzpflicht unterschieden. 1 4 1 Die fehlerhafte Produktion einschließlich der sorgfaltswidrigen Verarbeitung eines fehlerhaften Vorproduktes und auch die sorgfaltswidrige Beschädigung der Kaufsache nach Vertragsschluß können für die Beeinträchtigung des Äquivalenzinteresses ursächliche Schutzpflichtverletzungen sein, da ohne sie der Käufer die Sache fehlerfrei erhalten hätte. Anders sehe es aus, wenn der Verkäufer den bei Vertragsschluß bereits bestehenden Fehler mangels Untersuchung nicht erkennt und den Käufer nicht aufklärt. Sofern hier eine Pflicht verletzt wird, stelle diese keine Ursache für die Beeinträchtigung des Äquivalenzinteresses dar, da der Schaden auch ohne diese Pflichtverletzung eingetreten wäre. Deshalb sei hier nur ein auf das negative Interesse gerichteter Schadensersatzanspruch anzuerkennen, denn ohne die Pflichtverletzung hätte der Käufer den Vertrag nicht geschlossen. Folglich sei er so zu stellen, wie er ohne den Vertragsschluß stehen würde.
(4) Die Problematik einer Pflichtverletzung vor und nach Vertragsschluß In die eine oder andere Richtung soll diese Analyse der verschiedenartigen Pflichtverletzungen durch Rust etwas genauer betrachtet werden, ohne daß dabei sogleich die Frage eine Rolle spielen soll, o b die generelle Qualifizierung als Verletzung von Schutzpflichten zutreffend ist oder nicht. D a z u wird 139 140 141
Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 187. Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 188. Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 189-191.
IV. Die sogenannte
Schlechterfüllung
181
zunächst einmal die Pflichtverletzung herausgegriffen, die beim Gattungskauf in der unsorgfältigen Empfehlung einer zum Vertragszweck untauglichen Gattung liegt und die ebenfalls zu Beeinträchtigungen des Aquivalenzinteresses führen soll. Rust geht hier offenbar davon aus, daß die mangelnde Eignung der gelieferten Ware für den vom Käufer vorgesehenen Vertragszweck einen Fehler begründet. Das hätte zur Konsequenz, daß die gesamte Gattung fehlerhaft wäre. Damit würde sich zunächst einmal die Frage stellen, ob der Vertrag nicht nach § 306 B G B nichtig ist. Vertreter der Nichterfüllungstheorie nehmen hierzu zwar zumeist an, daß die allgemeinere Regel des § 306 B G B durch die spezielleren Vorschriften der §§ 4 5 9 ff. B G B verdrängt werde. 1 4 2 F ü r den Gattungskauf ist diese Argumentation aber fragwürdiger als beim Spezieskauf, da hier immerhin ein Anspruch auf Erfüllung besteht, der dann offenbar - kraft teleologischer Reduktion? - nicht durchgesetzt werden kann. Abgesehen von dieser Problematik ist auch die Kausalität der Pflichtverletzung für die Beeinträchtigung des Äquivalenzverhältnisses etwas problematischer, als Rust annimmt. Wenn der Verkäufer die sorgfaltswidrige E m p f e h lung nicht ausgesprochen hätte, dann hätte der Käufer den Vertrag über diese Gattung gar nicht geschlossen. Insoweit steht dieser Fall durchaus der K o n stellation beim Spezieskauf gleich, daß der Verkäufer den bereits bei Vertragsabschluß vorhandenen Fehler trotz der erforderlichen Untersuchung nicht erkennt und den Käufer folglich auch nicht aufklärt. N u n kann man allerdings in beiden Fällen darüber hinaus die Frage stellen, o b der Käufer nicht bei pflichtgemäßem Verhalten des Verkäufers einen anderen Vertrag geschlossen hätte, sei es über eine andere Gattungs-, sei es über eine andere Speziessache. Das wird man für den Gattungskauf häufig bejahen können, für den Spezieskauf mag das wohl eher nur im Einzelfall denkbar sein. Dieser Ansatzpunkt macht jedenfalls deutlich, daß der durch die Pflichtverletzung des Käufers eingetretene Schaden hier schon im Abschluß des Vertrages liegt und es sich dementsprechend nur um eine Haftung aus culpa in contrahendo handeln kann. Die Problematik einer Haftung aus culpa in contrahendo auf das Äquivalenzinteresse soll hier nicht weiter vertieft werden. Es soll an dieser Stelle nur deutlich gemacht werden, daß in der theoretischen K o n z e p t i o n von Rust nicht präzise genug zwischen Schutzpflichtverletzungen unterschieden wird, die Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung begründen, und solchen, die zu Ansprüchen aus culpa in contrahendo führen. 1 4 3 Man kann heute insoweit natürlich der Auffassung sein, daß solche Schutzpflichten einem einheitlichen gesetzlichen Schuldverhältnis entspringen. Das enthebt einen aber nicht der Problematik, deutlich zu machen, worauf sich 142 Vgl. nur Soergel-Huher, Vor § 4 5 9 Rz. 154; auch Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 45 f. Die von Rust im Zusammenhang mit § 3 0 6 B G B gemachte Unterscheidung zwischen dem Schuldverhältnis i.e. und i.w.S. ist allerdings problematisch, da § 306 B G B anordnet, daß der Vertrag nichtig ist. 143 Zu diesem keineswegs seltenen Standpunkt vgl. genauer unten cc 2.
182
5 S Die Sorgfalt im Rahmen
der
Leistungspflicht
die Schutzpflichtverletzung bezieht, da es doch einen Unterschied macht, ob sich die Pflichtverletzung schon im Abschluß des Vertrages niederschlägt oder erst in der Lieferung der Sache. D i e Orientierungsfunktion, die hier von der Unterscheidung zwischen Verschulden bei Vertragsschluß und positiver Vertragsverletzung ausgeht, wird durch die pauschale Qualifizierung verschiedener Verhaltensweisen als Schutzpflichtverletzungen zu stark vernachlässigt. Diese Überlegungen geben Anlaß, auch eine Reihe der von Rust genannten sonstigen Schutzpflichtverletzungen noch einmal genauer in den Blick zu nehmen. So ist wohl auch die Qualifizierung der fehlerhaften Produktion als Schutzpflichtverletzung zu pauschal. Die Produktion kann ja sowohl vor als auch nach Vertragsschluß erfolgen. 1 4 4 A u c h die unsorgfältige Behandlung einer Sache kann schon vor Vertragsschluß dazu führen, daß sie im H i n b l i c k auf einen späteren Vertragsschluß mangelhaft ist. Insgesamt ist damit sicher eine genauere Analyse der Handlungen daraufhin erforderlich, ob sie vor oder nach Vertragsschluß erfolgen, zumal auch gar nicht sicher ist, daß diese Handlungen vor Vertragsschluß überhaupt Pflichtverletzungen darstellen und stattdessen eine Haftung vielleicht nur an eine unterlassene Aufklärung über die Beschaffenheit der Sache geknüpft werden kann.
(5) Die Pflicht des Verkäufers zur sorgfältigen beim Gattungskauf
Auswahl der Sache
Problematisch erscheint weiter auch die Beurteilung der für den Gattungskauf bestehenden Pflicht des Verkäufers zur sorgfältigen Auswahl, und zwar unter dem Gesichtspunkt, daß sie auch den Schutz des Aquivalenzinteresses bezwecken soll. Wie Rust selbst erwähnt, kann man hier auch daran denken, daß § 326 B G B einschlägig ist. 1 4 5 In der Tat bewertet das Gesetz die Lieferung einer Sache aus der Gattung, die nicht mittlerer A r t und G ü t e ist, lediglich als Fall der Nichterfüllung, der primär zum Nachlieferungsanspruch aus § 480 I 1 B G B führt. Allenfalls kann die Frage gestellt werden, ob die Unsorgfältigkeit der Auswahl und damit die Verursachung der Nichterfüllung als eigenständige Pflichtverletzung zu begreifen ist. Dagegen spricht, daß sich dann beim Gattungskauf, sofern nicht die gesamte Gattung fehlerhaft ist, nahezu jede Lieferung einer mangelhaften Ware nicht nur als zum Nachlieferungsanspruch führende Nichterfüllung, sondern zugleich auch als zum Ersatz des Erfüllungsinteresses führende Pflichtverletzung auffassen läßt, da bei dieser Sachlage die Auswahl regelmäßig unsorgfältig sein wird. Wieso diese Pflichtverletzung zum Ersatz des Erfüllungsinteresses führen sollte, ist auch nicht recht ersichtlich. Hier wäre doch zunächst einmal das Verhältnis eines sol-
144 Ausdrücklich gegen die Bedeutung dieser Unterscheidung freilich Soergel-Huber, § 4 6 3 Rz. 10. 145 Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 188 Fn. 89 m.w.N.
Anh
IV. Die sogenannte
Schlechterfüllung
183
chen Schadensersatzanspruches zum Anspruch auf Lieferung einer fehlerfreien Ware zu klären. Mit dem Recht zur Nachlieferung hat der Käufer doch schon einen Anspruch, der sein Erfüllunginteresse wahrt. 146 Auch wenn aus der unsorgfältigen Auswahl des Verkäufers ein Anspruch auf Schadensersatz hergeleitet werden können mag, läßt sich das Erfüllungsinteresse des Käufers doch weiterhin durch Geltendmachung des Nachlieferungsanspruches befriedigen. Denn daß der Anspruch auf Erfüllung durch den Schadensersatzanspruch verdrängt wird, ist angesichts der gesetzlichen Regelung kaum anzunehmen. Dann aber ist schon nicht klar, wieso im Hinblick auf das Erfüllungsinteresse überhaupt ein Schaden bestehen sollte. Im übrigen aber wäre ein auf das Erfüllungsinteresse gerichteter Schadensersatzanspruch hier auch nicht sachgerecht, weil er dazu führen würde, die Voraussetzungen des Verzuges zu unterlaufen. Wenn beispielsweise der Verkäufer aufgrund unsorgfältiger Auswahl nicht rechtzeitig eine mangelfreie Ware liefert und deshalb dem Käufer ein Gewinn aus einer geplanten Weiterveräußerung entgeht, kann dieser Verzögerungsschaden nur unter den Voraussetzungen von § 326 BGB verlangt werden, nicht aufgrund der bloßen Verletzung einer Pflicht zur sorgfältigen Auswahl einer mangelfreien Sache. 147 (6) Die Problematik einer Schadensersatzhaftung wegen Schlechtleistung als Verletzung einer Schutzpflicht Die bisherigen Einwände betreffen vor allem die Analyse einzelner Schutzpflichten durch Rust. Eine sehr viel durchgreifendere Problematik betrifft die Frage, inwieweit die Qualifizierung dieser Pflichten als Schutzpflichten zutreffend ist. Dabei geht es nicht etwa darum, ob die Benennung dieser Pflichten, die hier als Sorgfaltspflichten bezeichnet werden, zu überzeugen vermag, sondern um die Abgrenzung dieser Pflichten von den Leistungspflichten. Rust geht davon aus, daß die Schadensersatzansprüche aufgrund schuldhafter Schlechtleistung ausschließlich aus der Verletzung von Schutzpflichten resultieren. Die Argumentation, daß insoweit auch die Leistungspflichten betroffen sein könnten, will er nicht gelten lassen, weil damit der Zweck der Leistungspflichten verkannt werde: „Leistungspflichten können nur erfüllt oder nicht erfüllt werden. Der Begriff der Verletzung einer Leistungspflicht ist demgegenüber irreführend und sollte vermieden werden." 148 Die bloße Nichterfüllung einer Leistungspflicht sei aber nicht dazu geeignet, Schadensersatzansprüche zu begründen. Sie lasse vielmehr bei U n 146 Bedenken an der v o n Rust v o r g e n o m m e n e n D e u t u n g der Pflicht des Verkäufers z u r sorgfältigen A u s w a h l der Sache beim G a t t u n g s k a u f als Schutzpflicht deshalb auch bei Ernst, A c P 199(1999), 360 (363 f.). 147 Auf die praktische B e d e u t u n g des danach v o r allem auch bestehenden grundsätzlichen Erfordernisses der N a c h f r i s t s e t z u n g mit A b l e h n u n g s a n d r o h u n g weist vor allem Huber hin, A c P 177(1977), 281 (337 f.). 148 Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 184 f.
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$ 5 Die Sorgfalt im Rahmen
der
Leistungspflicht
möglichkeit oder Verzug nach erfolgloser Nachfristsetzung nur den Erfüllungsanspruch untergehen und bewirke die Umstellung des Schuldverhältnisses auf etwaige sekundäre Ansprüche. Im übrigen stelle die Nichterfüllung der Leistungspflicht die dogmatische Grundlage für die verschuldensunabhängigen Rechtsbehelfe der Wandelung und Minderung sowie für die Garantiehaftung aus § 463 S. 1 BGB dar. 149 Diese Sichtweise z u m Verhältnis von Leistungs- und Schutzpflichten vermag jedoch nicht zu überzeugen. Sie steht zunächst vor der ganz grundsätzlichen Problematik, worauf sich denn im Fall der zu vertretenden nachträglichen Unmöglichkeit oder des Verzuges der Schadensersatzanspruch gründet. Ist etwa auch der Schadensersatzanspruch aus der vom Schuldner zu vertretenden nachträglichen Unmöglichkeit ein Anspruch auf Verletzung einer Schutzpflicht? 1 5 0 Näher liegt vielleicht doch die Annahme, daß hier Leistungs- und nicht Schutzpflichten verletzt werden. Tatsächlich fordert das gesetzliche System der Leistungsstörungen w o h l den Typus der Verletzung von Leistungspflichten, und z w a r deshalb, weil die Güterbewegung anhand der Leitbegriffe des schuldrechtlichen Anspruches, der entsprechenden Leistungspflicht und der Erfüllung konstruiert wird. Entsprechend sind auch die Rechtsfolgen einer Leistungsstörung anhand der Begriffe der Nichterfüllung und der Leistungspflichtverletzung konzipiert. Dabei ist der Zusammenhang beider Begriffe so, daß nicht jede Nichterfüllung auch eine Verletzung der Leistungspflicht darstellt, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen der Verursachung der Nichterfüllung. Theoretisch könnte man natürlich auch die Fälle der Verletzung von Leistungspflichten als solche der Verletzung von Schutzpflichten auffassen. Damit wäre aber auch der hier k u r z umrissene Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Erfüllungspflicht aufgegeben. Diese weitere Dimension des Verhältnisses von Leistungs- und Schutzpflichten k o m m t in der Konzeption Rusts überhaupt nicht in den Blick. Insoweit fehlt es zunächst einmal an einer ausreichenden Begründung dafür, waru m die Verletzung einer Leistungspflicht nicht möglich sein sollte. Bei unbefangener Betrachtung erscheint der Begriff der Pflichtverletzung doch als ein allgemeiner Begriff der Konzeption des Zivilrechts anhand von Pflichten, so daß es danach naheliegt, daß er sich auf Leistungs- und Schutzpflichten gleichermaßen bezieht. Wenn man demgegenüber den Begriff der Pflichtverletzung auf Schutzpflichten beschränken wollte, müßte man wohl schon von unterschiedlichen theoretischen Ansätzen z u m Verständnis beider Typen von 149
Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 191 Fn. 96. Diese K o n s e q u e n z ist in der Tat gezogen w o r d e n bei Sutschet, D e r Schutzanspruch zugunsten Dritter, S. 58 ff., u n d angeblich auch in der (noch unveröffentlichten u n d mir daher nicht z u g ä n g l i c h e n ) Arbeit von Kai Kuhlmann, Leistungspflichten, Schutzpflichten u n d ihre Störungen im B G B u n d im K o m m i s s i o n s e n t w u r f . Diese Arbeiten stellen - w i e auch die U n tersuchung von Rust - Trierer Dissertationen bei H o r s t E h m a n n dar. - Zur P r o b l e m a t i k dieses Schutzpflichtenverständnisses vgl. auch unten V. 150
IV. Die sogenannte
Schlechterfüllung
185
Pflichten ausgehen. D a n n aber bliebe rätselhaft, wieso beide Male überhaupt von Pflichten gesprochen wird. Zu weitgehend erscheint vor diesem Hintergrund auch die Behauptung, Leistungspflichten könnten nur erfüllt oder nicht erfüllt werden. Richtig ist lediglich, daß bei Leistungspflichten zwischen der bloßen Nichterfüllung und der Pflichtverletzung zu unterscheiden ist. D i e Nichterfüllung ist nur die anhand der Leistungspflicht vorgenommene Bewertung des Ausbleibens des geschuldeten Erfolges, während die Leistungspflichtverletzung die Bewertung des Verhaltens im H i n b l i c k auf die Nichterfüllung darstellt. Entgegen der Annahme von R u s t 1 5 1 beruht dieses Verständnis der Leistungspflichtverletzung auch nicht auf einer verhaltensunrechtstheoretischen Deutung des Begriffs der Pflichtverletzung. Sie basiert vielmehr zum einen auf der unterschiedlichen Funktion, die den Begriffen der Nichterfüllung und der Pflichtverletzung beigemessen wird. Z u m anderen aber beruht sie auf den herkömmlichen Lehren des Zivilrechts zur Rechtswidrigkeit, wonach das Urteil der Rechtswidrigkeit und damit auch der Begriff der Pflichtverletzung sich immer nur auf eine Bewertung von Handlungen bezieht und nicht auf das Eintreten oder Ausbleiben von Erfolgen. Rust will stattdessen offenbar die Verletzung von Leistungspflichten als erfolgsbezogene Pflichtverletzungen und die Verletzung von Schutzpflichten als verhaltensbezogene Pflichtverletzungen begreifen. 1 5 2 Dieser Ansatz zeigt allerdings zunächst einmal nur, daß er damit selbst nicht seinen Gedanken durchhält, daß im H i n b l i c k auf Leistungspflichten die Rede von Pflichtverletzungen irreführend sei. Wichtiger aber noch erscheint, daß völlig ungeklärt ist, was die Unterscheidung von Verhaltens- und erfolgsbezogenen Pflichtverletzungen bedeuten soll. A m ehesten wird man darin noch eine Anspielung auf die Unterscheidung von Verhaltens- und Erfolgsunrecht als den beiden wichtigsten Lehren zur Rechtswidrigkeit sehen können. O b diese Unterscheidung zureicht, die Verschiedenartigkeit von Leistungs- und Schutzpflichten zu begründen, ist fragwürdig, jedenfalls ist sie aber nicht dazu geeignet, unterschiedliche Begriffe von Pflichtverletzungen zu rechtfertigen, weil nach beiden Lehren Verhalten bewertet wird, wenn auch in unterschiedlicher Weise. Eine zentrale Problematik des theoretischen Ansatzes von Rust liegt damit darin, daß er von der D i c h o t o m i e zwischen verhaltensbezogenen Schutzpflichten und erfolgsbezogenen Leistungspflichten ausgeht. Tatsächlich erfordert das System des Leistungsstörungsrechts eher eine Dreiteilung in F o r m der Unterscheidung von Leistungspflichtverletzungen, Sorgfaltspflichtverletzungen und der bloßen Nichterfüllung. D i e von Rust stattdessen vorgenommene Zweiteilung führt dazu, daß er Handlungen des Schuldners überhaupt nur unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Schutzpflichten 151 152
Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 64. Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 64.
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§ 5 Die Sorgfalt im Rahmen der Leistungspflicht
beurteilen kann. Infolgedessen k o m m t er i m m e r h i n zu einer sehr genauen A n a l y s e der verschiedenen fehlerhaften H a n d l u n g e n des Verkäufers bei L i e ferung einer mangelhaften Sache als Pflichtverletzungen. D a r i n liegt durchaus ein F o r t s c h r i t t gegenüber der K o n z e p t i o n H u b e r s , w e l c h e die Fehlerhaftigkeit dieses Verhaltens ü b e r h a u p t nur im R a h m e n des Verschuldens in B e tracht zieht. E i n e S c h w ä c h e des A n s a t z e s ergibt sich allerdings daraus, daß infolge der mangelnden U n t e r s c h e i d u n g verschiedenartiger T y p e n v o n Pflichtverletzungen die unterschiedliche Q u a l i t ä t fehlerhafter H a n d l u n g e n nicht ausreichend beurteilt w e r d e n kann. I n s b e s o n d e r e der Frage, o b das zur m a n gelhaften L i e f e r u n g führende fehlerhafte Verhalten bereits v o r o d e r nach Vertragsschluß erfolgt ist, wird aufgrund dessen keine ausreichende A u f m e r k s a m k e i t geschenkt. G e r a d e unter diesem G e s i c h t s p u n k t mag sich die P r o b l e m a t i k , o b und inwieweit S c h u t z p f l i c h t e n sich auch auf das Ä q u i v a lenzinteresse beziehen k ö n n e n , vielleicht n o c h einmal sehr viel differenzierter darstellen.
(7) Die Problematik des Verständnisses der Pflicht zur mangelfreien Lieferung beim Stückkauf als unentwickelter Leistungspflicht vor dem Hintergrund der Unterscheidung von Leistungs- und Sorgfaltspflichten Z u m S c h l u ß dieser Auseinandersetzung soll n o c h einmal auf die A u f f a s sung R u s t s z u r ü c k g e k o m m e n werden, die beim S t ü c k k a u f bestehende Pflicht zur Lieferung einer mangelfreien Sache stelle eine u n e n t w i c k e l t e Leistungspflicht dar. O b die U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n entwickelten und u n e n t w i c k e l ten Pflichten sich v o n der U n t e r s c h e i d u n g zwischen Sorgfaltspflichten und Leistungspflichten isolieren läßt, erscheint d o c h fragwürdig. D i e R e d e v o n u n e n t w i c k e l t e n Pflichten empfängt ihren Sinn daher, daß sich die R i c h t u n g der Pflicht hier prinzipiell erst in der Verletzung k o n k r e t i s i e r t und sich dann zur Pflicht auf Schadensersatz entwickelt. D i e s e Situation besteht bei L e i stungspflichten nicht, weil die R i c h t u n g der Leistungspflicht n a t u r g e m ä ß feststeht und sie insoweit i m m e r s c h o n e n t w i c k e l t ist. D e r Leistungspflicht k o m m t damit v o n v o r n h e r e i n eine andere F u n k t i o n zu als der v o n Sorgfaltspflichten. I m H i n b l i c k auf eine Pflicht zur Lieferung einer mangelfreien Sache darf man daher beim S t ü c k k a u f die mangelnde D u r c h s e t z b a r k e i t einer solchen Pflicht nicht mit der A n n a h m e einer U n e n t w i c k e l t h e i t der Pflicht verwechseln. D i e P r o b l e m a t i k der u n e n t w i c k e l t e n Pflicht betrifft prinzipiell durchaus eine andere F r a g e als die der D u r c h s e t z b a r k e i t von Pflichten. I m H i n b l i c k auf Sorgfaltspflichten kann man z w a r w o h l a n n e h m e n , daß sich hier beide F r a g e n k r e i s e überschneiden, weil die sich aus diesen Pflichten e r g e b e n den A n f o r d e r u n g e n grundsätzlich auch nicht d u r c h s e t z b a r sind. I m H i n b l i c k auf Leistungspflichten ist dagegen beides sorgfältig voneinander zu trennen. F ü r die P f l i c h t zur L i e f e r u n g einer mangelfreien Sache wird man k a u m sagen
IV. Die sogenannte
187
Schlechterfüllung
können, daß sie nicht durchsetzbar ist, weil sie unentwickelt ist, da ihre R i c h tung durchaus feststeht. 1 5 3 Die Rede von unentwickelten Leistungspflichten verdrängt im Grunde nur, daß die Nichterfüllungstheorie keine rechte B e gründung dafür hat, warum der Leistungspflicht hier kein Erfüllungsanspruch entspricht. Im übrigen wird mit der Übertragung des Gedankens der „Unentwickeltheit von Pflichten" auf die Leistungspflicht aber auch deutlich, daß die Unterscheidung von Leistungs- und Sorgfaltspflichten nicht ausreichend theoretisch reflektiert ist.
cc) Nichterfüllung, Leistungspflichtverletzung und Sorgfaltspflichtverletzung bei Lieferung einer mangelhaften
Kaufsache
D i e Diskussion der theoretischen Ansätze von H u b e r und Rust zur Schlechtleistung hat gezeigt, daß sowohl eine Haftungskonzeption, die allein auf die „Schlechtlieferung" gestützt wird, als auch eine solche, die allein auf der Schutzpflichtverletzung beruht, zu keinen ausreichenden Differenzierungen k o m m t . Stattdessen muß in der Analyse der Haftungsbegründung zwischen der Verletzung der Leistungspflichten und der von Sorgfaltspflichten präzise unterschieden werden und darüber hinaus die Leistungspflichtverletzung von der bloßen Nichterfüllung. Damit wird hier von einer Dreiteilung zwischen Nichterfüllung, Leistungspflichtverletzung und Schutzpflichtverletzung ausgegangen. D i e Bedeutung dieser Dreiteilung ergibt sich daraus, daß sie zu einer genaueren Analyse der Sachmängelhaftung des Kaufrechts beizutragen vermag. Dabei geht es natürlich vor allem um die Problematik des Konkurrenzverhältnisses einer auf Pflichtverletzungen gestützten Verschuldenshaftung zu den gesetzlichen Vorschriften. Eine sinnvolle Beurteilung dieser Frage setzt jedoch voraus, daß man sich zunächst einmal Klarheit darüber verschafft, welche Haftungsgründe hier überhaupt in Betracht kommen, bevor sie sogleich durch die gesetzliche Regelung ausgeschlossen werden. Das soll im folgenden geschehen.
(1) Die Konkurrenz
von Leistungs- und
Sorgfaltspflichtverletzungen
D i e Betrachtung der verschiedenen denkbaren Haftungsgründe für Verschulden muß beim Verhältnis zwischen Leistungspflichten und Sorgfaltspflichten ansetzen. D i e beiden Typen von Pflichten bezwecken den Schutz unterschiedlicher Rechtsgüter. Die Leistungspflicht dient dem Schutz des Anspruchs, die Sorgfaltspflicht dient dem Schutz anderweitiger Rechtsgüter, die in den nachfolgenden Kapiteln noch genauer betrachtet werden. I m Kern 1 5 3 Zweifel an der Deutung der Mangelfreiheit als Gegenstand einer „unentwickelten Leistungspflicht" des Verkäufers - wenngleich aus durchaus anderen Gründen - auch bei Ernst, A c P 199 (1999), 360 (363 f.).
188
5 5 Die Sorgfalt
im Rahmen
der
Leistungspflicht
entspricht diese Zuordnung zunächst einmal der geläufigen Unterscheidung von Aquivalenzinteresse und Integritätsinteresse oder von Erfüllungsinteresse und übererfüllungsmäßigem Interesse, wobei der Gedanke des Interesses hier nicht allein auf die Rechtsfolgenseite, sondern über die Pflichtverletzung auch schon auf die Tatbestandsseite bezogen wird. Zu Schwierigkeiten der Beurteilung der Haftung kann es kommen, wenn die sonstigen Rechtsgüter des Käufers infolge der Verletzung der Leistungspflicht beeinträchtigt werden, weil sich dann die Frage stellen mag, welche Pflichtverletzung als Haftungsgrundlage in Betracht kommt. Fälle dieser Art liegen immer dann vor, wenn die Mangelhaftigkeit der gelieferten Sache einen Schaden an den sonstigen Rechtsgütern des Käufers verursacht. Beispiele: Die Lieferung vergifteten Pferdefutters führt zum Eingehen der Pferde des Käufers 154 ; die gelieferte Maschine explodiert wegen eines Fehlers und zerstört die Werkshalle; der mangelhafte Reifen verursacht einen Unfall mit dem Pkw 1 5 5 usw. 156 Eine Haftung für die infolge der Beeinträchtigung der sonstigen Rechtsgüter erlittenen Schäden kann in diesen Fällen sowohl an die Verletzung der Leistungspflicht, als auch an die Verletzung einer Sorgfaltspflicht geknüpft werden. Die Haftung des Verkäufers wegen Verletzung seiner Leistungspflicht setzt allerdings voraus, daß dieser schon den Mangel der Kaufsache verursacht hat. Ersatzfähig sind dann aber sämtliche aus dieser Pflichtverletzung entstandenen adäquat-kausalen Schäden. Das entspricht allgemeinen haftungsrechtlichen Grundsätzen, wonach nicht nur der aus der Verletzung des geschützten Rechtsgutes entstandene Schaden zu ersetzen ist, sondern auch sämtliche Folgeschäden, soweit sie nur adäquate Folge dieser Verletzungshandlung sind. Das bedeutet, der Verkäufer haftet aufgrund der Verursachung des Mangels der gelieferten Sache nicht nur für den Mangelschaden, sondern auch für den darauf beruhenden Mangelfolgeschaden. Damit sind auch die sonstigen Rechtsgüter des Käufers mittelbar über die Leistungspflicht geschützt. Daneben sind die sonstigen Rechtsgüter des Käufers aber auch unmittelbarer Gegenstand eigenständiger Sorgfaltspflichten. Die Sorgfaltspflichtverletzung beruht hier darauf, daß der Verkäufer infolge der Lieferung einer mangelhaften Ware die sonstigen Rechtsgüter des Käufers beeinträchtigt. Schutzgegenstand der Sorgfaltspflicht sind damit nur die sonstigen Rechtsgüter des Käufers, so daß der Verkäufer insoweit auch nur für die infolge der Beeinträchtigung dieser Rechtsgüter entstehenden adäquat-kausalen Schäden haftet. Leistungs- und Sorgfaltspflichtverletzung stehen in Fällen dieser Art prinzipiell selbständig nebeneinander. 157 Sofern der Verkäufer allerdings schon RGZ 66, 289 ff. OLG Karlsruhe, OLGZ 1966, 274 ff. 156 Zu diesen und weiteren Fällen Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, Rz. 662. 157 Die Vorstellung einer Uberschneidung von Leistungs- und Sorgfaltspflichtverletzung in den Fällen der Schlechterfüllung liegt etwa auch der Konzeption des gesetzlichen Schutzverhältnisses durch Canaris zugrunde, vgl. JZ 1965, 475 (477): „Nicht selten freilich werden 154
155
IV. Die sogenannte
Schlechterfüllung
189
aufgrund der Verletzung seiner Leistungspflicht haftet, wird daneben ein R ü c k g r i f f auf die Sorgfaltspflichtverletzung zumeist entbehrlich sein. D a s b e deutet aber nicht, daß sie ü b e r h a u p t überflüssig wäre. Sie bleibt als eigenständiger A n k n ü p f u n g s p u n k t für eine H a f t u n g des Verkäufers zunächst einmal i m m e r dann n o t w e n d i g , w e n n die Lieferung der mangelhaften Ware - m a n gels Verursachung der Mangelhaftigkeit - gar keine Verletzung der Leistungspflicht darstellt. D i e H a f t u n g des Verkäufers k a n n dann i m m e r nur n o c h auf der Verletzung der Sorgfaltspflichten beruhen. D e r B e z u g n a h m e der beiden T y p e n v o n Pflichtverletzungen auf unterschiedliche H a n d l u n g e n entspricht es, daß auch die B e z u g s p u n k t e für das Verschulden jeweils unterschiedliche sind. B e i der Leistungspflichtverletzung m u ß sich das Verschulden auf die H e r b e i f ü h r u n g der Mangelhaftigkeit und die Lieferung der Ware b e z i e h e n , bei der Sorgfaltspflichtverletzung m u ß sie sich n u r auf die L i e f e r u n g und die infolge der Mangelhaftigkeit der Sache bestehende G e f a h r für die R e c h t s g ü t e r des K ä u f e r s beziehen. D i e b l o ß e Lieferung einer mangelhaften Sache vermag also w e d e r eine H a f t u n g aus Leistungspflichtverletzung, n o c h wegen Verletzung einer Sorgfaltspflicht zu begründen. D i e H a f t u n g aufgrund einer L e i stungspflichtverletzung setzt vielmehr voraus, daß der Verkäufer den M a n g e l z u v o r verursacht hat, weil es sonst s c h o n an einer Pflichtverletzung fehlt. E i n e H a f t u n g für eine Sorgfaltspflichtverletzung k o m m t hingegen nur dann in B e t r a c h t , w e n n für den Verkäufer eine G e f ä h r d u n g der R e c h t s g ü t e r des Käufers v o r h e r s e h b a r war, weil es sonst an einem Verschulden fehlt. U n t e r schiede m ö g e n sich für die H a f t u n g aus Verletzung der Leistungspflicht einerseits und der Verletzung der Sorgfaltspflicht andererseits auch im H i n blick auf die Beweislast ergeben. E i n R ü c k g r i f f auf eine Sorgfaltspflichtverletzung bleibt, wie in der L i t e r a t u r häufig genug h e r v o r g e h o b e n w o r d e n ist, schließlich auch dann erforderlich, w e n n der Kaufvertrag ü b e r die gelieferte Ware u n w i r k s a m ist, da sich dann überhaupt nur Sorgfaltspflichten, nicht aber Leistungspflichten begründen lassen. 1 5 8 I n der bisherigen D i s k u s s i o n ü b e r die Haftungsgrundlage bei Schlechtleistung des Verkäufers ist die A n a l y s e des Verhältnisses v o n Leistungs- und Sorgfaltspflichtverletzung u n z u r e i c h e n d geblieben, und z w a r v o r allem deshalb, weil man zumeist versucht hat, die P r o b l e m a t i k v o n einem einheitlichen H a f t u n g s g r u n d her in den G r i f f zu b e k o m m e n . S o steht im M i t t e l p u n k t des theoretischen A n s a t z e s v o n H u b e r allein der B e g r i f f der Schlechtlieferung, der ihn zu einer uferlosen A u s d e h n u n g der H a f t u n g für Leistungspflichtverletzungen führt, w ä h r e n d in der K o n z e p t i o n v o n R u s t die H a f t u n g allein auf sich Leistungspflichten und Schutzpflichten decken. Dies ist insbesondere der Fall in den Fällen der .Schlechterfüllung'." Auch die Überlegungen von Esser/Weyers, Schuldrecht I I / l , § 6 II 3 a, gehen in diese Richtung: „In einem modernen, komplexen Leistungsprogramm fließen Erfüllungs- und Integritätsinteressen oft überdeckend ineinander." Das darf aber nicht zu einem Verzicht auf eine genauere Analyse der jeweils in Betracht kommenden Pflichtverletzung führen. 158 Zu diesem Argument vgl. nur Canaris, JZ 1965, 475 ff.
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5 5 Die Sorgfalt im Rahmen der
Schutzpflichtverletzungen
beruht
und
Leistungspflicht
damit
deren
Anwendungsbereich
ü b e r d e h n t wird. I n beiden Fällen verliert so der jeweils verwandte B e g r i f f der Pflichtverletzung an K o n t u r .
(2) Zum. Verhältnis der Haftung aus culpa in und positiver Vertragsverletzung
contrahendo
E i n e ganz ähnliche P r o b l e m a t i k wie bei der soeben erörterten Ü b e r s c h n e i dung der H a f t u n g für L e i s t u n g s - und Sorgfaltspflichtverletzungen stellt sich in diesem B e r e i c h auch für das Verhältnis v o n positiver Vertragsverletzung und culpa in c o n t r a h e n d o . Schwierigkeiten bereitet die A b g r e n z u n g der beiden H a f t u n g s i n s t i t u t e v o r allem dann, w e n n die K a u f s a c h e bereits bei Vertragsschluß mangelhaft ist und später Schäden an den sonstigen R e c h t s g ü t e r n des Käufers verursacht. D i e M e i n u n g e n ü b e r die rechtliche E i n o r d n u n g solcher Fälle sind durchaus unterschiedlich. D a b e i dürfte im H i n t e r g r u n d dieser P r o b l e m a t i k nicht zuletzt die Frage stehen, wie sich eine etwaige H a f t u n g aus positiver Vertragsverletzung o d e r culpa in c o n t r a h e n d o zur gesetzlichen R e gelung verhält. 1 5 9 D a s gilt u m so mehr, w e n n man b e d e n k t , daß das Verhältnis zur gesetzlichen Regelung für beide H a f t u n g s i n s t i t u t e nach w o h l ü b e r w i e gender Auffassung jeweils unterschiedlich gesehen wird. E i n e sinnvolle B e u r teilung des Verhältnisses beider H a f t u n g s i n s t i t u t e sollte aber zunächst einmal losgelöst v o n der gesetzlichen R e g e l u n g der Sachmängelhaftung erfolgen, weil sonst leicht die G e f a h r besteht, daß das K o n k u r r e n z v e r h ä l t n i s zur gesetzlichen R e g e l u n g den Zugang zu einer genaueren A n a l y s e verbaut. Z u nächst also m u ß erst einmal Klarheit darüber bestehen, welche H a f t u n g s gründe hier überhaupt in B e t r a c h t k o m m e n , b e v o r darüber gestritten wird, welche d e n k b a r e n H a f t u n g s g r ü n d e durch die gesetzliche R e g e l u n g verdrängt werden. I n der L i t e r a t u r w e r d e n zu der Frage, o b sich in den geschilderten Fällen eine H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o oder positiver Vertragsverletzung herleiten läßt, die unterschiedlichsten K o n z e p t e vertreten. Teilweise wird angen o m m e n , daß sich eine H a f t u n g nur auf culpa in c o n t r a h e n d o stützen lasse, weil dann, w e n n die Sache bereits bei Vertragsschluß mangelhaft ist, ein Verschulden des Käufers nur darin erblickt w e r d e n k ö n n e , daß der K ä u f e r bei Vertragsschluß den F e h l e r verschweigt, o b w o h l er für ihn e r k e n n b a r ist. 1 6 0 D a g e g e n zieht etwa H u b e r für eine H a f t u n g in diesen Fällen allein das InstiVgl. nur Soergel-Huber, Vor § 459 Rz. 65. So wohl Larenz, Schuldrecht II/l, §41 II e (S. 75 f.); Remicke/Tiedtke, Kaufrecht, Rz. 701. Auf den Vertragsschluß als zeitlicher Zäsur weist in diesem Zusammenhang auch Jakobs, Gesetzgebung im Leistungsstörungsrecht, S. 139, hin: Der Mangelschaden sei bereits mit Abschluß des Vertrages gegeben, während für die Entstehung des Mangelfolgeschadens erst noch der Akt der Leistung der mangelhaften Sache hinzukommen müsse. Die eigenständige Bedeutung der Haftung des Verkäufers für das Kennenmüssen der Fehlerhaftigkeit der Kaufsache betont ebenfalls Flume, AcP 193 (1993), 89 (108 ff.). 159
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IV. Die sogenannte
Schlechterfüllung
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tut der positiven Vertragsverletzung heran. 1 6 1 D e r G r u n d für die Schadensersatzhaftung des Verkäufers liege nämlich in der vertragswidrigen B e s c h a f f e n heit der Sache und damit in einer Vertragsverletzung. H o n s e i l 1 6 2 argumentiert schließlich mit dem G e d a n k e n , daß sich das Verschulden bei Vertragsschluß in ein Verschulden bei E r f ü l l u n g fortsetzt. I m E r g e b n i s sieht er damit bei fahrlässiger U n k e n n t n i s des K ä u f e r s v o m M a n g e l grundsätzlich beide H a f tungsinstitute als durch die gesetzliche R e g e l u n g verdrängt an. Tatsächlich geht es in diesen Fällen bei genauerer B e t r a c h t u n g u m zwei verschiedene Pflichtverletzungen, die z w a r miteinander verknüpft sind, sich aber sehr w o h l v o n e i n a n d e r unterscheiden lassen. D i e eine Pflichtverletzung kann in der Verletzung einer vorvertraglichen A u f k l ä r u n g s p f l i c h t bestehen, die andere Pflichtverletzung darin, daß der Verkäufer entgegen der g e b o t e n e n S o r g falt dem K ä u f e r eine mangelhafte Sache liefert und dadurch Schäden an den bereits v o r h a n d e n e n R e c h t s g ü t e r n des Käufers verursacht. N a c h d e m S c h u t z gegenstand kann man hier also eine Sorgfaltspflicht unterscheiden, die d e m S c h u t z der rechtsgeschäftlichen E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t des Käufers dient, v o n einer solchen, die den S c h u t z der sonstigen R e c h t s g ü t e r des Käufers b e z w e c k t . B e i d e Pflichtverletzungen und ihr Verhältnis zueinander sollen im folgenden etwas genauer betrachtet w e r d e n . G r u n d l a g e für die P f l i c h t des Verkäufers, den K ä u f e r ü b e r die M a n g e l h a f tigkeit der K a u f s a c h e aufzuklären, ist, daß d e m V e r k ä u f e r die B e s c h a f f e n h e i t der Sache b e k a n n t ist o d e r ihm d o c h jedenfalls b e k a n n t sein m ü ß t e . I m Zeitalter der M a s s e n p r o d u k t i o n und des Massenhandels kann v o n einem Verkäufer allerdings nicht erwartet w e r d e n , daß ihm die genaue B e s c h a f f e n h e i t jeder seiner W a r e n b e k a n n t ist, zumal sich diese häufig n u r n o c h mit unverhältnism ä ß i g e m A u f w a n d ermitteln läßt. D e s h a l b setzt die Verletzung einer vorvertraglichen A u f k l ä r u n g s p f l i c h t voraus, daß der Verkäufer, sofern ihm die M a n gelhaftigkeit der Sache nicht b e k a n n t ist, eine ihn treffende Pflicht zur U n t e r suchung seiner Ware verletzt hat und diese den M a n g e l auch zutage gebracht hätte. D i e Frage, w a n n solche U n t e r s u c h u n g s p f l i c h t e n bestehen, ist v o m E i n zelfall abhängig und soll hier nicht w e i t e r verfolgt w e r d e n . 1 6 3 M u ß dem Verkäufer unter diesen Voraussetzungen die tatsächliche B e s c h a f f e n h e i t seiner Ware b e k a n n t sein, so schuldet er dem K ä u f e r A u f k l ä r u n g , w e n n diese v o n der bei den Vertragsverhandlungen zugrunde gelegten Sollbeschaffenheit der Sache abweicht. E t w a s vereinfacht wird insoweit zumeist v o n einer Pflicht zur A u f k l ä r u n g ü b e r F e h l e r oder M ä n g e l der K a u f s a c h e g e s p r o c h e n . S o l c h e Vereinfachungen in der Sprechweise haben H u b e r allerdings zu dem E i n w a n d veranlaßt, die H e r a n z i e h u n g der culpa in c o n t r a h e n d o sei hier s c h o n deshalb verfehlt, weil erst der Kaufvertrag darüber entscheide, was ein Sachmangel ist. D a h e r sei v o r Vertragsschluß eine Pflicht des Verkäufers, den
161 162 163
Soergel-Huber, Vor § 459 Rz. 42, 64 f., 218; ders., AcP 177 (1977), 281 (293 ff.). JR 1976, 361 (364); Staudinger, Vorbem zu §§ 459 ff. Rz. 82. Vgl. dazu vor allem Soergel-Huber, Anh § 463 Rz. 12.
192
§ 5 Die Sorgfalt im Rahmen
der
Leistungspflicht
Käufer über „Sachmängel" aufzuklären, überhaupt nicht denkbar. Vorstellbar sei lediglich eine Pflicht, den Käufer über mögliche Sachmängel aufzuklären. Das führe aber dazu, daß der Verkäufer den Käufer über alle möglichen B e schaffenheitsmerkmale der Kaufsache aufklären müßte, gleichgültig o b sie später Vertragsinhalt werden oder nicht. D i e Annahme einer solchen allgemeinen Aufklärungspflicht sei aber nicht hinnehmbar. Sie stelle den H a u p t grund dafür dar, daß die Rechtsprechung eine Haftung des Verkäufers für die Beschaffenheit der Kaufsache aus culpa in contrahendo neben der Sachmängelhaftung ablehnt. 1 6 4 Zutreffend ist der Einwand Hubers natürlich insoweit, als daß erst der Kaufvertrag die Sollbeschaffenheit der Sache festlegt und damit auch darüber entscheidet, was einen Fehler darstellt und was nicht. D i e Vorstellung, eine Aufklärungspflicht vor Vertragsschluß müsse immer dazu führen, daß der Verkäufer nunmehr über alle auch nur denkbaren Sachmängel aufklären müßte, wird allerdings dem Verhältnis von Vertragsverhandlungen und Vertragsschluß nicht gerecht. Streng genommen ließe sich von diesem Standpunkt her kaum jemals eine Haftung aus culpa in contrahendo wegen fehlerhafter Einwirkung auf den Willensbildungsprozeß des Verhandlungspartners begründen, da insoweit der Vertrag immer erst den Inhalt der Vereinbarungen festlegt. D e m Sinn des Verhandlungsgeschehens dürfte es aber eher entsprechen, hier schon von einer Störung im Willensbildungsprozeß auszugehen, nicht erst von einer Störung im Rahmen der Durchführung des Vertrages. D i e Vertragsverhandlungen kann man als einen Prozeß der Konkretisierung der vertraglichen Vereinbarungen begreifen, der dann letztlich gegebenenfalls in den Vertragsschluß mündet. In diesem Konkretisierungsprozeß ist notwendigerweise mehr oder weniger ausdrücklich auch die Frage der Sollbeschaffenheit der Kaufsache einbezogen. Wann die Festlegung der Sollbeschaffenheit im Rahmen der Vertragsverhandlungen erfolgt, läßt sich nicht allgemein sagen. Sie kann das Ergebnis der Vertragsverhandlungen sein, die erst mit dem Vertragsschluß ihr Ende finden; sie kann aber auch schon bei Beginn der Vertragsverhandlungen für beide Parteien mehr oder weniger klar erfolgen. In jedem Fall aber wird man sich vorstellen müssen, daß schon im R a h m e n der Vertragsverhandlungen ein Punkt erreicht wird, an dem die Vertragspartner die Sollbeschaffenheit der Sache festlegen, und zwar ohne daß man insoweit schon von einer vertraglichen Bindung sprechen könnte. Die Annahme, im Rahmen der Vertragsverhandlungen stünden durchgängig alle möglichen E i genschaften der Kaufsache zur Diskussion und erst der Vertragsschluß führe zu einer Festlegung der Sollbeschaffenheit, b e k o m m t diesen Prozeß der Willensbildung und damit einher den der Konkretisierung vertraglicher Vereinbarungen nicht richtig zu fassen. 164 So Soergel-Huber, Vor § 2 7 5 Rz. 118.
Vor § 4 5 9 Rz. 219. Kritisch zu dieser Sicht aber M ü K o - E m m e r i c h ,
IV. Die sogenannte
Schlechterfüllung
193
Wenn sich nun aber schon im Rahmen der Vertragsverhandlungen ein Punkt ausmachen läßt, an dem die Parteien für sich die Sollbeschaffenheit der Kaufsache festlegen, dann trifft den Verkäufer im Zuge der weiteren Verhandlungen auch die Pflicht, darüber aufzuklären, daß der fragliche Gegenstand diese Eigenschaften tatsächlich nicht hat. Schon die Konkretisierung der Sollbeschaffenheit im Rahmen der Vertragsverhandlungen löst also die Pflicht des Verkäufers zur A u f k l ä r u n g aus, nicht erst der Vertragsschluß. Streng genommen könnte man übrigens sogar der Auffassung sein, daß schon die vertragliche Bestimmung der Sollbeschaffenheit selbst, die durch den Verkäufer erfolgt, obwohl ihm die davon abweichenden tatsächlichen Eigenschaften der Sache bekannt sein müßten, als Pflichtverletzung zu begreifen ist. Aber unabhängig davon, ob man das Fehlverhalten des Verkäufers in der vorvertraglichen Festlegung der Sollbeschaffenheit oder aber in der Verletzung der daraus resultierenden Aufklärungspflicht sieht, liegt darin in jedem Fall eine dem Verkäufer zurechenbare Störung in der Willensbildung seines Verhandlungspartners. Damit begeht der Verkäufer in derartigen Fällen bereits vor Vertragsschluß eine Pflichtverletzung, die auch eine Haftung aus culpa in contrahendo begründen kann. Ein Grund dafür, w a r u m Huber die Haftung aus culpa in contrahendo ablehnt, mag auch darin liegen, daß die Rechtsfolgen hier häufig genug nicht genauer betrachtet werden, sondern einfach nur von der Haftung des Verkäufers die Rede ist. 165 Insoweit mag von N u t z e n sein, nochmals hervorzuheben, daß der Verkäufer durch sein pflichtwidriges Verhalten die Willensbildung des Käufers beeinträchtigt. Ohne diese Pflichtverletzung w ü r d e der Käufer, wie man in der Regel w i r d annehmen dürfen, den Kaufvertrag so nicht geschlossen haben, so daß er aus culpa in contrahendo zunächst einmal nur die Rückgängigmachung des Vertrages verlangen kann. Insoweit geht es hier also nur u m den Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit. Davon w i r d häufig nicht ausreichend die Frage unterschieden nach der Haftung für Schäden an den sonstigen Rechtsgütern des Käufers. Es geht dann also darum, daß die schon bei Vertragsabschluß mangelhafte Sache, auf die der Verkäufer entgegen einer ihn treffenden Aufklärungspflicht nicht hingewiesen hat, an den Käufer ausgeliefert wird und bei diesem Schäden an dessen bereits vorhandenen Rechtsgütern verursacht. Als A n k n ü p f u n g s p u n k t einer haftungsbegründenden Pflichtverletzung k o m m e n hier unterschiedliche Verhaltensweisen in Betracht. M a n kann zunächst ebenfalls an der pflichtwidrigen Einwirkung auf die Willensbildung des Verhandlungspartners ansetzen und argumentieren, ohne den Vertragsschluß wäre auch die Lieferung nicht erfolgt und damit auch der an den sonstigen Rechtsgütern des Käufers eingetretene Schaden vermieden worden. Darüber hinaus kann aber auch die Lieferung der mangelhaften Ware selbst als eine Gefährdung der Rechtsgüter 165 Zur Problematik der Rechtsfolgen einer Haftung aus culpa in contrahendo auch Soergel-Huber, Vor § 459 Rz. 66.
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§ 5 Die Sorgfalt im Rahmen der
Leistungspflicht
des Käufers und damit als eigenständige Sorgfaltspflichtverletzung aufgefaßt w e r d e n . D a m i t bestellt hier ein ganz ähnliches K o n k u r r e n z v e r h ä l t n i s zweier unterschiedlicher Sorgfaltspflichtverletzungen, wie es z u v o r s c h o n im H i n b l i c k auf die Verletzung v o n Sorgfaltspflichten und Leistungspflicht erörtert w o r d e n war. D i e R e c h t s g ü t e r des Käufers sind in den Fällen, u m die es hier geht, einmal G e g e n s t a n d einer eigenständigen Sorgfaltspflicht, z u m anderen aber auch ü b e r eine Sorgfaltspflicht mitgeschützt, die dem S c h u t z der rechtsgeschäftlichen E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t des Käufers dient. B e i d e Sorgfaltspflichten sind, wie sich leicht aufzeigen läßt, auch v o n eigenständiger B e d e u t u n g . So kann der K ä u f e r infolge der sorgfaltswidrigen B e e i n t r ä c h t i g u n g seiner rechtsgeschäftlichen E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t durch den V e r k ä u f e r mit dem Vertragsschluß und damit auch s c h o n v o r Lieferung der Sache einen A n s p r u c h auf R ü c k g ä n g i g m a c h u n g des Vertrages h a b e n . D i e se R e c h t s f o l g e ist v o n der Sorgfaltspflicht zum S c h u t z der R e c h t s g ü t e r des Käufers gänzlich unabhängig. H i n g e g e n kann diese Sorgfaltspflicht v o r allem deshalb v o n eigenständiger B e d e u t u n g sein, weil sie auch dann n o c h verletzt wird, w e n n der Verkäufer erst nach Vertragsschluß, aber vor L i e f e r u n g den M a n g e l seiner Ware e r k e n n t o d e r e r k e n n e n m u ß . D a m i t erfordert diese Sorgfaltspflichtverletzung nicht den B e w e i s dafür, daß der M a n g e l s c h o n v o r Vertragsschluß vorlag. I m übrigen mag auch nicht unzweifelhaft sein, o b sich ein A n s p r u c h aus culpa in c o n t r a h e n d o w e g e n V e r l e t z u n g der r e c h t s g e s c h ä f t lichen E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t des K ä u f e r s auch dann b e g r ü n d e n läßt, w e n n die L i e f e r u n g der W a r e erfolgt ist u n d sich später aber herausstellt, daß der z u g r u n d e liegende K a u f v e r t r a g u n w i r k s a m ist. I n der bisherigen D i s k u s s i o n der H a f t u n g des Verkäufers, d e m die M a n g e l h a f t i g k e i t der Sache s c h o n v o r V e r t r a g s s c h l u ß b e k a n n t ist, k o m m e n diese u n t e r s c h i e d l i c h e n F a c e t t e n der F e h l e r h a f t i g k e i t seines Verhaltens n u r ganz u n v o l l k o m m e n z u m A u s d r u c k , weil hier ü b e r h a u p t i m m e r n u r nach einer einzigen h a f t u n g s b e g r ü n d e n d e n P f l i c h t v e r l e t z u n g gesucht w i r d . I n diesem S o g gerät dann die M e h r s c h i c h t i g keit des G e s c h e h e n s a u ß e r Sichtweite, u n d schließlich hält m a n ü b e r h a u p t n u r n o c h dessen B r u c h s t ü c k e in H ä n d e n .
(3) Das Verhältnis von Sachmangel und
Leistungspflichtverletzung
E i n e erste Frage der K o n k u r r e n z p r o b l e m a t i k der H a f t u n g für Pflichtverletzungen zu den Vorschriften des Sachmängelrechts betrifft das Verhältnis von Sachmangel und Pflichtverletzung. Zumindest unterschwellig scheint v o r allem bei denjenigen, welche die Mangelfreiheit der Kaufsache auch beim S t ü c k kauf der Leistungspflicht des Verkäufers zurechnen, die Vorstellung verbreitet zu sein, daß damit die Lieferung der mangelhaften Ware auch eine entsprechende Pflichtverletzung in F o r m der Verletzung der Leistungspflicht darstelle, die zu einer H a f t u n g auf E r s a t z der Mangelschäden führen k ö n n e . U n d auch für die Gewährleistungstheorie kann nicht völlig ausgeschlossen werden, daß diese Vorstellung einen maßgeblichen G r u n d dafür darstellt, die M a n g e l -
IV. Die sogenannte
Schlechterfüllung
195
freiheit der Kaufsache beim Stückkauf gerade nicht als Teil der Leistungspflicht zu begreifen. Beiden Auffassungen läge aber ein unzureichendes Verständnis des Begriffs der Pflichtverletzung zugrunde, da sich - wie oben schon ausführlich begründet wurde - als Verletzung der Leistungspflicht des Verkäufers nur die Verursachung des Mangels durch ihn auffassen läßt. Die dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht zugrunde liegende Unterscheidung von Nichterfüllung und Pflichtverletzung schlägt sich damit auch im Kaufrecht nieder. Die bloße Lieferung einer mangelhaften Sache läßt sich allenfalls als Nichterfüllung begreifen, was die Bezeichnung „Nichterfüllungstheorie" ja auch zum Ausdruck bringt. Hingegen stellt die Lieferung der mangelhaften Ware nicht zugleich auch immer schon eine Pflichtverletzung dar. Vor dem Hintergrund der Unterscheidung von Pflichtverletzung und Nichterfüllung kann man die gesetzliche Regelung zu Wandlung und Minderung als R e c h t der Nichterfüllung begreifen, dem sich jedenfalls prinzipiell ein R e c h t der Haftung für Pflichtverletzungen gegenüberstellen ließe. In der Literatur wird diese Unterscheidung häufig durch den Hinweis zum Ausdruck gebracht, daß Wandlung und Minderung verschuldensunabhängige Rechte seien, während die Haftung aus positiver Vertragsverletzung Verschulden voraussetze. 1 6 6 Tatsächlich geht, wie die bisherige Analyse deutlich macht, die Verschiedenartigkeit der gesetzlich vorgesehenen Rechte des Käufers in F o r m von Wandlung und Minderung und einer etwaig daneben stehenden richterrechtlichen Haftung sehr viel weiter: Wandlung und Minderung beruhen auf dem bloßen Sachmangel und stellen damit Rechte dar, denen im Unterschied zur Haftung aus positiver Vertragsverletzung oder auch culpa in contrahendo schon gar keine Pflichtverletzung des Verkäufers zugrunde liegt und die sich damit nur als Rechtsfolgen einer Nichterfüllung begreifen lassen. Diese rechtliche Einordnung gilt übrigens der Sache nach auch dann, wenn man für den Stückkauf nicht von der Nichterfüllungstheorie, sondern stattdessen von der Gewährleistungstheorie ausgeht. D a n n lassen sich Wandlung und Minderung zwar nicht als Rechtsfolgen einer Nichterfüllung im technischen Sinne auffassen, aber doch als Reaktionen auf die Störung des Äquivalenzverhältnisses von Leistung und Gegenleistung. 1 6 7 Im H i n b l i c k auf die Unterscheidung von Nichterfüllung und Pflichtverletzung ist diese Störung des Äquivalenzverhältnisses einer Störung des Vertragsverhältnisses in F o r m der Nichterfüllung durch Lieferung einer mangelhaften Sache zumindest gleichzustellen. Vor diesem Hintergrund sind Wandlung und Minderung sehr viel deutlicher im allgemeinen Leistungsstörungsrecht vorgezeichnet, als zumeist angen o m m e n wird. So meint beispielsweise Honseil, 1 6 8 daß Wandlung und M i n -
Vgl. nur etwa Zur Störung fers für Sachmängel 1 6 8 J R 1976, 361 166 167
Honseil, JR 1976, 361 (361). des Aquivalenzverhältnisses als Grund der Gewährleistung des Verkäuvgl. nur Larenz, Schuldrecht I I / l , § 41 II e (S. 68). (362).
196
5 5 Die Sorgfalt im Rahmen
der
Leistungspflicht
derung gegenüber dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht eine Haftungsverschärfung darstellen, für die der Verkäufer - gewissermaßen als Ausgleich ein Haftungsprivileg derart erhalte, daß er nur bei Zusicherung oder Arglist auf Schadensersatz hafte. Tatsächlich kann man bei Wandlung und Minderung in einem engeren Sinne wohl schon k a u m von einer Haftung sprechen (obwohl die in § 462 B G B gebrauchte Formulierung dies nahelegt), sondern eher nur von Rechten, die aus der Lieferung einer mangelhaften Sache und damit einer Nichterfüllung hervorgehen. Insoweit sind diese Rechte aber auch im allgemeinen Leistungsstörungsrecht angelegt. 1 6 9 So wird gelegentlich mit Recht hervorgehoben, daß das Rücktrittsrecht, wie es sich etwa aus den §§ 325, 326 B G B ergibt, in überschießender Weise begründet ist, indem es - wie der Schadensersatz - an eine schuldhafte Pflichtverletzung geknüpft wird. 1 7 0 Der Sache nach ließe sich in diesen Fällen das Rücktrittsrecht aber schon mit der schweren Störung des Vertragsverhältnisses rechtfertigen. Das zeigt auch die Ähnlichkeit der W i r k u n g des Rücktritts mit dem für den Fall der zufälligen Unmöglichkeit in § 323 I 1. Halbs. B G B angeordneten Untergang des Anspruchs auf die Gegenleistung, die, sofern sie schon erbracht wurde, nach § 323 III BGB wieder zurückgefordert werden kann, wenn auch nur nach den Grundsätzen des Bereicherungsrechts. Für die Dogmatik des allgemeinen Leistungsstörungsrechts mag dieses Verständnis des Rücktrittsrechts heute noch mit Unsicherheiten behaftet sein. Das schließt aber eine Deutung der Wandlung vor diesem Hintergrund nicht aus. Die Wandlung läßt sich so gesehen nicht nur in ihrer W i r k u n g mit dem Rücktritt vergleichen, sondern erweist sich mit dem Gedanken der Vertragsstörung auf einer sehr hohen prinzipiellen Ebene auch in ähnlicher Weise begründet. Nicht sehr viel anders liegen die Dinge auch im Hinblick auf das Recht des Käufers zur Minderung und die teilweise Minderung des Schuldneranspruches auf die Gegenleistung. Wie sich aus § 323 I 2. Halbs. BGB ergibt, rechtfertigt sich bei teilweiser Unmöglichkeit auch die Minderung der Gegenleistung nicht aus einer schuldhaften Pflichtverletzung, sondern aus der in der Teilunmöglichkeit liegenden bloßen Vertragsstörung. Damit zeigt sich, daß Wandlung und Minderung sich durchaus in die Grundlinien eines zugegebenermaßen unausgearbeiteten allgemeinen Rechts der Nichterfüllung einfügen, so daß insoweit von einer Haftungsverschärfung durch diese Rechte k a u m die Rede sein kann.
169 So insbesondere auch schon Heck, G r u n d r i ß des Schuldrechts, § 89, 3: „Wandlung und M i n d e r u n g entsprechen den R e c h t s n o r m e n , die sich aus der B e h a n d l u n g einer definitiven Schlechtleistung als zufällige U n m ö g l i c h k e i t der Leistung ergeben w ü r d e n . " 170 Vgl. bereits oben § 4 III 5.
IV. Die sogenannte
(4) Die Haftung für Pflichtverletzungen der Sachmängelgewährleistung
197
Schlechterfüllung
und die gesetzliche
Regelung
Die bisherige Analyse des Bereichs der Schlechtleistung hat eine Reihe unterschiedlichster Pflichtverletzungen zutage gebracht, ohne daß allerdings insoweit der Anspruch erhoben würde, den Kreis der hier denkbaren Pflichtverletzungen damit schon abschließend erfaßt zu haben. Immerhin dürfte die Betrachtung aber eine ausreichende Grundlage dafür bieten, das Verhältnis der Haftung für Pflichtverletzungen zur gesetzlichen Regelung der Sachmängelgewährleistung in den Blick zu nehmen. Dabei sollen von der hier entwickelten Perspektive her nur einige wenige Hinweise gegeben werden, mit denen die Unterschiedlichkeit der Haftungsbegründungen akzentuiert wird. Eine weitergehende Untersuchung, die hier also nicht beabsichtigt ist, hätte demgegenüber sicherlich eine Reihe weiterer Gesichtspunkte zu berücksichtigen, insbesondere auch die Problematik der Verjährungsregelung des § 477 B G B . Nachdem die bisherige Darlegung die prinzipielle Unterschiedlichkeit von Sachmängelgewährleistung und Haftung für Pflichtverletzungen hat deutlich werden lassen, kann auf dieser Grundlage der Frage nachgegangen werden, ob und inwieweit die gesetzliche Regelung der Sachmängelgewährleistung und eine etwaig daneben einschlägige Haftung für Pflichtverletzungen überhaupt miteinander konkurrieren. Erst die Klärung dieser Problematik erlaubt auch eine genauere Beurteilung des vor allem von der Rechtsprechung eingenommenen Standpunktes, die §§ 459 ff. B G B enthielten eine abschließende Regelung für Mangelschäden. Bevor man der gesetzlichen Regelung eine solche Sperrwirkung beimißt, mag es aber sinnvoll sein zu klären, welche an sich denkbaren Ansprüche damit ausgeschlossen sein sollen. Dabei sollen sich die Überlegungen zunächst auf das Verhältnis der gesetzlichen Regelung zur Haftung aus positiver Vertragsverletzung beziehen, die Problematik einer Haftung aus culpa in contrahendo wird also zunächst zurückgestellt. a) Sperrwirkung auf Ersatz des
für Ansprüche aus positiver Mangelschadensf
Vertragsverletzung
Wie bereits erwähnt unterscheidet die Rechtsprechung für die Haftung aus positiver Vertragsverletzung im Bereich des Kaufrechts zwischen nicht ersatzfähigen Mangelschäden und ersatzfähigen Mangelfolgeschäden. Die bisherige Analyse der Schlechtleistung hat nun ergeben, daß der Ersatz des Mangelschadens aus positiver Vertragsverletzung überhaupt nur dann in Betracht kommt, wenn der Verkäufer beim Stückkauf nach Vertragsschluß die Mangelhaftigkeit der Kaufsache verursacht, so daß allein dieser Anspruch der Sperrwirkung der gesetzlichen Regelung unterfallen könnte. Wenn man nun aber einmal Rechtsprechung und auch die ihr in der Frage der Sperrwirkung folgende Literatur auf diesen Anspruch hin untersucht, so wird man
198
5 5 Die Sorgfalt im Rahmen
der
Leistungspflicht
feststellen können, daß für diesen Fall ein Anspruch auf Schadensersatz keinesfalls ausgeschlossen wird, sondern im Gegenteil viel Mühe darauf verwandt wird, ihn kunstvoll zu begründen. Das geschieht teilweise durch die Annahme besonderer Nebenpflichten des Verkäufers, aber auch durch den Rückgriff auf die Vorschrift des § 325 BGB. 171 Die Anwendung des § 325 BGB ist aber nur dann begründbar, wenn man die Schlechtleistung insgesamt der Unmöglichkeitsregelung unterwirft, sofern man sie hingegen als einen eigenen Typus der Verletzung der Leistungspflicht begreift, ist der unmittelbare Rückgriff auf die Vorschriften über die Unmöglichkeit von wenig überzeugender theoretischer Konsistenz. Die Konstruktion besonderer N e b e n pflichten des Verkäufers leidet darunter, daß der Charakter dieser Pflichten nicht klar genug erkannt wird. Einer solchen Nebenpflicht bedarf es überhaupt nur allenfalls vom Standpunkt der Gewährleistungstheorie aus, da es vom Ansatz der Nichterfüllungstheorie her hier nicht um eine Verletzung von Nebenpflichten, sondern nur um eine solche der Leistungspflicht gehen kann. Damit ist aber auch klar, daß die von der Gewährleistungstheorie angenommene Nebenpflichtverletzung nur das Surrogat der - aufgrund des theoretischen Ansatzes nicht konstruierbar erscheinenden - Leistungspflichtverletzung darstellt. Dieser theoretische Ansatz ist auch keineswegs widersprüchlich, weil die Ablehnung einer Leistungspflicht zur Lieferung einer mangelfreien Ware nur auf die theoretische Begründung für die Verneinung des Erfüllungsanspruches zielt. Das beinhaltet nicht notwendig, daß damit der Käufer auch auf den Schutz des Leistungsgegenstandes vor Beeinträchtigungen durch fehlerhaftes Verhalten des Verkäufers verzichten müßte. N u r übernimmt diese Schutzfunktion in der Konsequenz des theoretischen Ansatzes nicht die Leistungspflicht, sondern eine auf den Leistungsgegenstand bezogene Sorgfaltspflicht des Verkäufers. Das bedeutet aber auch, daß es sich hier keineswegs um eine Nebenpflicht handelt, die besonderer Begründung bedürfte, sondern um eine Sorgfaltspflicht, die dem Schutz des Leistungsgegenstandes dient und demnach mit der Vereinbarung über die Leistung einhergeht. Insoweit scheint zwar - wenn auch mit unterschiedlicher Begründung weitgehend anerkannt zu sein, daß dem Käufer bei Verursachung der Mangelhaftigkeit durch den Verkäufer nach Vertragsschluß ein Anspruch auf Schadensersatz zusteht. Wenig klar bleibt dabei allerdings, ob die Haftung hier nur auf Ersatz des Mangelfolge- oder auch des Mangelschadens selbst gerichtet ist. Rechtsprechung und Literatur scheinen für diese Fallkonstellation die Unterscheidung von Mangel- und Mangelfolgeschaden weitgehend zu ignorieren und damit im praktischen Ergebnis auch den Mangelschaden für er171 N a c h w e i s e d a z u bereits o b e n aa 4. F ü r die H e r a n z i e h u n g von § 325 B G B insbesondere Huber, A c P 177 (1977), 281 (335), u n d etwas abgeschwächt Soergel-Huber, Vor § 459 Rz. 62, 249. Emmerich, Festschrift f ü r Jahr, 267 (271), hat insoweit festgestellt, daß die Verschuldensh a f t u n g in derartigen Fällen eigentlich nie p r o b l e m a t i s c h gewesen sei.
IV. Die sogenannte
Schlechterfüllung
199
satzfähig zu halten. 172 Nimmt man diesen Befund in systematischer Hinsicht einmal ernst, bedeutet das nichts weniger, als daß die behauptete Sperrwirkung der gesetzlichen Regelung im Verhältnis zur Haftung aus positiver Vertragsverletzung ins Leere geht, weil gar keine Ansprüche ersichtlich sind, die dadurch ausgeschlossen sein sollten. Eine genauere Analyse der bei der Schlechtleistung in Frage stehenden Haftungsgründe zeigt also, daß es sich hier um Scheinprobleme handelt, die vor allem aus der Verwendung eines vagen und unkonturierten Begriffs der Pflichtverletzung im Institut der positiven Vertragsverletzung resultieren. ß) Sperrwirkung
für Ansprüche aus culpa in contrahendo ?
Schwieriger ist die Sachlage im Hinblick auf die Konkurrenz der gesetzlichen Regelung zur Haftung für Pflichtverletzungen aus culpa in contrahendo. Ausgangspunkt für die Beurteilung dieser Frage muß sicher eine rechtliche Einordnung der in § 463 BGB geregelten Haftungsgründe sein. § 463 S. 1 BGB statuiert insoweit eine Schadensersatzverpflichtung für das Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft. Dieser Anspruch resultiert nicht aus einer Pflichtverletzung, sondern aus einer Art Garantieübernahme und stellt damit eher eine Form der Versprechenshaftung dar. 173 Anders ist das bei der in § 463 S. 2 BGB angeordneten Schadensersatzhaftung wegen arglistigen Verschweigens eines Fehlers. Das Verschweigen eines Fehlers kann eine Pflichtverletzung im Rahmen der Vertragsverhandlungen darstellen, nämlich dann, wenn dem Verkäufer der Fehler bekannt ist oder er eine zur Entdeckung des Fehlers führende Untersuchungspflicht verletzt hat. Die gesetzliche Regelung beschränkt sich auf einen Teilbereich dieser Pflichtverletzungen, indem sie einen Anspruch auf Schadensersatz nur dann gewährt, wenn der Verkäufer mit Arglist im Sinne von Vorsatz gehandelt hat. Aus dieser Anordnung wird zumeist entnommen, daß ein Schadensersatzanspruch wegen fahrlässig falscher Angaben über die Beschaffenheit der Kaufsache nach Gefahrübergang ausgeschlossen ist.174 Die Gegenposition dazu läßt sich wie folgt formulieren: Eine Haftung aus culpa in contrahendo wegen fahrlässiger Falschangaben über Eigenschaften der Kaufsache ist lediglich auf Ersatz des negativen Interesses gerichtet, während § 463 S. 2 BGB für den Fall der Arglist sogar einen Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses begründet. 175 172 A u s d r ü c k l i c h in diesem Sinne mit Recht Soergel-Huber, Vor § 459 Rz. 62, 249 (dessen N a c h w e i s e auf die G e g e n a u f f a s s u n g mir aber teilweise zweifelhaft erscheinen). 173 Zu § 4 6 3 S. 1 B G B als A u s d r u c k einer G a r a n t i e h a f t u n g vgl. n u r Soergel-Huber, §463 Rz. 2; Staudinger-Honsell, § 463 Rz. 2. 174 So im G r u n d s a t z Erman-Grunewald, Vor § 4 5 9 Rz. 29; M ü K o - / / . P. Westermann, § 463 R z . 34; Palandt-Putzo, Vorb v § 459 R z . 7; Soergel-Huber, Vor § 459 R z . 211, 213; Staudinger-Honsell, V o r b e m zu §§ 459 ff. Rz. 56 (mit N a c h w e i s e n auf die Rechtsprechung). 175 Diese A r g u m e n t a t i o n steht vor allem im H i n t e r g r u n d der R e c h t s p r e c h u n g (vgl. n u r etwa B G H Z 60, 319, 322 f.) u n d auch der B e g r ü n d u n g des S t a n d p u n k t e s der h.M., vgl. etwa
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im Rahmen
der
Leistungspflicht
Dieser Anspruch ließe sich - wie das Reichsgericht mehrfach 1 7 6 hervorgehoben hatte - aus allgemeinen haftungsrechtlichen Grundsätzen nicht herleiten. Insoweit k o m m t dem § 463 S. 2 B G B gegenüber der allgemeinen Haftung aus culpa in contrahendo eine haftungsverschärfende Funktion zu, die man am ehesten mit dem straf ähnlichen Charakter der Vorschrift erklären kann. 1 7 7 Die Kontroverse um den Anspruch aus culpa in contrahendo soll im folgenden vor allem daraufhin untersucht werden, welche systematische Bedeutung dem Ausschluß der Haftung aus culpa in contrahendo aufgrund einer Sperrwirkung der gesetzlichen Regelung zukommt. Ein geeigneter Ansatzpunkt dafür liegt darin, die Rechtsfolgen des Anspruches aus culpa in contrahendo im Vergleich mit der gesetzlichen Regelung genauer in den Blick zu nehmen. H i e r empfiehlt es sich, zwischen dem Schadensersatz in F o r m der Rückgängigmachung des Vertrages einschließlich des Ersatzes etwaiger Vertragskosten und dem Ersatz von Mangelfolgeschäden zu unterscheiden. Im Hinblick auf die Befreiung vom Kaufvertrag ist zu bedenken, daß die Lieferung der fehlerhaften Sache grundsätzlich ohnehin dazu führen würde, daß der Käufer nach §§ 462, 4 5 9 I B G B ein R e c h t zur Wandlung hätte und damit ebenfalls eine Rückabwicklung des Vertrages erreichen könnte, und zwar nach § 4 6 7 S. 2 B G B unter Einschluß des Ersatzes der Vertragskosten. Freilich ergeben sich auch eine Reihe von Unterschieden zwischen den allgemeinen Haftungsvoraussetzungen der culpa in contrahendo und den Voraussetzungen der Wandlung, die etwa H u b e r zusammengefaßt hat: 1 7 8 So entsteht das Wandlungsrecht nach § 459 I B G B erst mit Gefahrübergang. Es ist ausgeschlossen, wenn der Käufer den Fehler grob fahrlässig übersehen hat, § 460 S. 2 B G B , wenn er die handelsrechtliche Rügefrist versäumt hat, § 377 H G B , oder wenn er die Kaufsache schuldhaft zerstört hat, § § 4 6 7 S. 1, 351 B G B . D e r Anspruch auf die Wandlung kann schließlich nicht durchsetzbar sein, wenn Verjährung eingetreten ist, § 477 B G B . Außerdem k o m m t auch in Betracht, daß der Verkäufer im Kaufvertrag die Wandlung in zulässiger Weise ausgeschlossen hat. Darüber, daß diese Voraussetzungen der Wandlung durch
Staudinger-Honsell, Vorbem zu §§ 459 ff. Rz. 57. Der davon abweichenden Auffassung geht es jedoch primär um die Begründung eines Ersatzes von Mangelfolgeschäden, vgl. nur Larenz, Schuldrecht I I / l , § 4 1 II e (S. 75 f.); Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, Rz. 702, so daß die Frage nach dem Ersatz des negativen Interesses hier offen bleibt. Für eine Ergänzung der am positiven Interesse orientierten Sachmängelhaftung der §§ 459 ff. B G B durch eine Haftung aus positiver Vertragsverletzung oder aus culpa in contrahendo auf das negative Interesse aber ausdrücklich Flume, AcP 193 (1993), 89 (108 ff.). 1 7 6 Vgl. insbesondere R G Z 66, 335 (337). Dazu Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 196. 177 So Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 196; ders. auch N J W 1999, 339 (340). In diese Richtung gehen auch die Erwägungen bei Soergel-Huber, § 463 Rz. 3. Dagegen sieht Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II, § 27, 5, darin eine Haftung aus dem gegebenen Wort. Teilweise wird die Haftung aus § 463 S. 2 B G B aber auch als gesetzliche Garantiehaftung qualifiziert, so etwa Diederichsen, AcP 165 (1965), 150 (161 m.w.N.). 178 Soergel-Huber, Vor § 459 Rz. 215 f.
IV. Die sogenannte
Schlechterfüllung
201
einen A n s p r u c h auf R ü c k g ä n g i g m a c h u n g des Vertrages im Wege der H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o nicht unterlaufen w e r d e n dürfen, scheint in der L i teratur heute weitgehende E i n i g k e i t zu bestehen. I n s o w e i t würde sich aber streng g e n o m m e n n u r das P r o b l e m einer H a r m o n i s i e r u n g der H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o mit den Vorschriften ü b e r die Wandlung stellen. D a r ü b e r durchaus hinausgehend will H u b e r aber aus den Vorschriften ü b e r die Wandlung zugleich herleiten, daß sie die H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o auch in dem Sinne verdrängen, daß bei Vorliegen der Wandlungsvoraussetzungen derselbe A n s p r u c h nicht zusätzlich auf culpa in c o n t r a h e n d o gestützt werden k a n n . 1 7 9 D a s bedeutet, es geht an dieser Stelle gar nicht u m eine Sperrw i r k u n g der gesetzlichen Regelung, die A n s p r ü c h e ausschließen soll, die ü b e r das durch die gesetzliche Regelung gewährte M a ß hinausgehen, sondern - aus welchen G r ü n d e n auch i m m e r - um den A u s s c h l u ß inhaltsgleicher, aber anderweitig begründeter A n s p r ü c h e . A h n l i c h stellt sich die P r o b l e m a t i k im H i n b l i c k auf den M a n g e l f o l g e s c h a den dar. D a b e i geht es darum, daß der V e r k ä u f e r s c h o n bei Vertragsschluß einen F e h l e r verschwiegen hat und infolge der Lieferung der fehlerhaften W a r e die sonstigen R e c h t s g ü t e r des Käufers geschädigt werden. B e r e i t s o b e n w a r gezeigt w o r d e n , daß sich hier zwei unterschiedliche Sorgfaltspflichtverletzungen ü b e r s c h n e i d e n . D e r Schaden an den sonstigen R e c h t s g ü t e r n kann sow o h l aufgrund der im Verschweigen liegenden Pflichtverletzung als F o l g e schaden ersatzfähig sein, als auch aufgrund der in der Lieferung selbst liegenden Pflichtverletzung. R e c h t s p r e c h u n g und ein Teil der L i t e r a t u r wollen den E r s a t z des Mangelfolgeschadens hier zumeist allein auf die in der L i e f e r u n g liegende Sorgfaltspflichtverletzung und damit auf positive Vertragsverletzung stützen. 1 8 0 D a m i t wird auch für diese K o n s t e l l a t i o n v o r allem der G e d a n k e eines Ausschlusses der H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o durch den Vorrang der Sachmängelhaftung durchgehalten. A u c h hier wird aber sichtbar, daß es nicht darum geht, A n s p r ü c h e ihrem E r g e b n i s nach auszuschließen, sondern nur ihrer B e g r ü n d u n g nach. D i e bisherige D a r l e g u n g ergibt damit ein recht eigentümliches Verständnis v o n der S p e r r w i r k u n g der gesetzlichen Regelung. D e r Vorrang der S a c h m ä n gelhaftung bezieht sich nicht etwa auf den A u s s c h l u ß einer H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o , die ü b e r die gesetzliche R e g e l u n g hinausginge, sondern auf den A u s s c h l u ß dieser zusätzlichen Haftungsgrundlage. D a m i t erweist sich ein g r o ß e r Teil der in R e c h t s p r e c h u n g und L i t e r a t u r zur K o n k u r r e n z p r o b l e m a t i k angestellten Ü b e r l e g u n g e n zumindest als schief, und z w a r deshalb, weil hier jedenfalls unterschwellig häufig davon ausgegangen wird, daß sich aus ei-
179 Vgl. Soergel-Huber, Vor § 459 Rz. 215. Bezeichnenderweise will er denn auch bei arglistigem Handeln des Verkäufers - entgegen Rechtsprechung und h.M. - eine Haftung aus culpa in contrahendo nicht zulassen, da sie keinen praktischen Sinn habe. 180 Vgl. nur Soergel-Huber, Vor § 459 Rz. 218, 63 m.w.N. in Fn. 2. A.A., nämlich für Haftung aus culpa in contrahendo insbesondere Larenz, Schuldrecht ll/\, § 41 II e (S. 75 f.).
202
§ 5 Die Sorgfalt im Rahmen der
Leistungspflicht
n e r H a f t u n g für Verschulden bei Vertragsschluß infolge fahrlässiger T ä u schung ü b e r E i g e n s c h a f t e n der K a u f s a c h e A n s p r ü c h e herleiten ließen, die sonst nicht b e g r ü n d b a r wären. D u r c h a u s verbreitet ist beispielsweise die bereits e r w ä h n t e Vorstellung, § 4 6 3 S. 2 B G B enthalte für den V e r k ä u f e r ein Haftungsprivileg, das sich nicht allein aus dieser Vorschrift herleite, sondern aus dem G e s a m t z u s a m m e n h a n g der Sachmängelvorschriften. 1 8 1 S o werde d e m K ä u f e r nach § 462 B G B eine günstigere Stellung eingeräumt, weil der V e r k ä u f e r o h n e Verschulden für F e h l e r der K a u f s a c h e hafte, andererseits seien deshalb Schadensersatzansprüche wegen fahrlässiger A n g a b e n ü b e r E i g e n schaften der K a u f s a c h e ausgeschlossen. G e w i s s e r m a ß e n z u m A u s g l e i c h für die H a f t u n g s v e r s c h ä r f u n g erhalte damit der Verkäufer ein Haftungsprivileg. D i e s e r E r k l ä r u n g s v e r s u c h ist j e d o c h in doppelter H i n s i c h t nicht ü b e r z e u gend. W i e die A n a l y s e gezeigt hat, lassen sich einerseits Wandlung und M i n derung durchaus in ein allgemeines R e c h t der N i c h t e r f ü l l u n g einfügen, so daß diesen R e c h t e n keine haftungsverschärfende F u n k t i o n z u k o m m t , andererseits k o n n t e auch festgestellt werden, daß sich aus der Versagung v o n A n s p r ü chen aus culpa in c o n t r a h e n d o ein Haftungsprivileg des Verkäufers nicht herleiten läßt. D a m i t dürfte die P r o b l e m a t i k einer H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o n e b e n der gesetzlichen R e g e l u n g n o c h einmal zu ü b e r d e n k e n sein.
V. Ist die Leistungspflicht
eine
Sorgfaltspflicht?
Von E r n s t W o l f 1 8 2 s t a m m t der Satz, daß der S c h u l d n e r niemals Sorgfalt schlechthin schuldet, „sondern i m m e r nur sorgfältiges L e i s t e n . " D e m e n t s p r e chend sind seiner Auffassung nach selbständige Sorgfaltspflichten u n m ö g lich. 1 8 3 D i e Sorgfalt k ö n n e niemals alleiniger Inhalt einer Verpflichtung sein. F o l g l i c h k ö n n e es i m m e r nur Pflichten geben, die auf ein anderweitig b e stimmtes Verhalten gehen. J e d e s derartige Verhalten k ö n n e und solle nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses dann aber sorgfältig sein. D i e sorgfältige A u s f ü h r u n g gehöre damit zur Leistung selbst. I n s o w e i t sei jede Leistungseine Verhaltenspflicht und j e d e Verhaltens- eine Leistungspflicht. Dieses Pläd o y e r gegen eine Verselbständigung der Sorgfaltspflichten im R a h m e n des Schuldverhältnisses hatte L a r e n z zu der Klarstellung veranlaßt, daß es S o r g faltspflichten in zweierlei H i n s i c h t gebe, nämlich z u m einen als richtiges Verhalten bei der A u s f ü h r u n g der Leistungshandlung selbst und z u m anderen als richtiges, d e m Sinn und Z w e c k des Schuldverhältnisses entsprechendes Verhalten im übrigen. 1 8 4 L a r e n z gesteht allerdings zu, daß man für den ersten Fall 181 So insbesondere Honseil, ]R 1976, 361 (362); zuletzt auch etwa Marutschke, JuS 1999, 729 (733). 182 AcP 153 (1954), 97(112). 183 E. Wolf, AcP 153 (1954), 97 (111 ff.); ders., Lehrbuch des Schuldrechts I, § 1 V b 2 auch 6 ff.
184
Larenz, Schuldrecht I, § 2 I (S. 10 f. Fn. 5).
V. Ist die Leistungspflicht
eine
Sorgfaltspflicht?
203
sagen könne, die Verhaltenspflicht sei in der Leistungspflicht enthalten: „(•••) in der Tat schuldet der Verpflichtete hier nicht zweierlei, sondern eines: richtiges Leisten." In A n k n ü p f u n g an diese Unterscheidung durch Larenz ist hier zwischen selbständigen und unselbständigen Sorgfaltspflichten unterschieden worden. Die Annahme selbständiger Sorgfaltspflichten rechtfertigt sich dabei vor allem aus dem Verständnis der Sorgfaltspflichten als Primärpflichten, die das M a ß des gesollten Verhaltens festlegen, das dann für den Fall der Verletzung dieser Pflichten Sekundärpflichten begründet. Mit dieser Perspektive ist der R a u m für ein Verständnis von Pflichten geschaffen, das sich nicht darin erschöpft, den Gedanken der Pflicht von der Leistung her zu bestimmen. Die Leistungspflicht stellt aus dieser Sicht vielmehr den Spezialfall einer Primärpflicht dar, die auf den Schutz der Güterbewegung gerichtet ist. Allerdings ist hier ebenso der Gedanke aufgenommen worden, daß auch die Leistung sorgfältig zu erbringen ist. Dementsprechend war Gegenstand dieses Kapitels die A n a l y s e verschiedener Momente der Sorgfalt im Rahmen der Leistungserbringung. Die moderne Dogmatik ist über die Kritik Wolfs an der Verselbständigung von Sorgfaltspflichten mit der Anerkennung eines selbständigen Pflichtentypus neben den Leistungspflichten weitgehend hinweggegangen. Derzeit sind w i r an einem Punkt angelangt, an dem sogar die U m d e u t u n g der Leistungspflicht in eine Sorgfaltspflicht denkbar erscheint. So ist in jüngster Zeit die Auffassung vertreten worden, daß es sich bei verschiedenen, gemeinhin als Verletzung einer Leistungspflicht verstandenen Fällen um die Verletzung von sogenannten Schutzpflichten handele. 1 8 5 So meint etwa Sutschet 1 8 6 im H i n blick auf die nachträgliche Unmöglichkeit, daß der A n k n ü p f u n g s p u n k t für einen Schadensersatzanspruch ein von der Nichtherbeiführung des Leistungserfolges verschiedenes Verhalten des Schuldners sei. Dieser müsse gegen eine von der Leistungspflicht verschiedene weitere Pflicht verstoßen haben, etwa die Pflicht, die Sache ordentlich zu verwahren. 1 8 7 Erst die Verletzung dieser Pflicht sei die Grundlage des Schadensersatzes bei nachträglicher Unmöglichkeit. Im Ergebnis sollen den Schuldner insoweit mehrere Pflichten treffen: „(...) z u m einen die Leistungspflicht selbst, z u m anderen Schutzpflichten, die darauf gerichtet sind, die Möglichkeit des Leistungserfolges zu sichern." 1 8 8 Der Schuldner ist danach also zur Leistungserbringung und auch zur Nichtvereitelung der Leistungspflicht verpflichtet. Dieses Konzept beruht auf einer Radikalisierung des Gedankens der Verselbständigung von Sorgfaltspflichten. Die von Larenz noch in die Leistung integrierten Momente der Sorgfaltspflicht werden jetzt zu selbständigen 185 Vgl. Ehmann/Kley, JuS 1998, 481 (490); Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 50 ff., 167 ff.; Sutschet, Der Schutzanspruch zugunsten Dritter, S. 58 ff. 186 j } e r Schutzanspruch zugunsten Dritter, S. 61. 187 Sutschet, Der Schutzanspruch zugunsten Dritter, S. 62. 188 Sutschet, Der Schutzanspruch zugunsten Dritter, S. 64.
204
5^
Sorgfalt im Rahmen der Leistungspflicht
Sorgfaltspflichten, so daß für die Leistungspflicht selbst nur noch der Gedanke der Erfüllung bleibt; eine Verletzung von Leistungspflichten gibt es nicht mehr. Es soll hier gar nicht geleugnet werden, daß dies eine denkbare Sichtweise auf das Verhältnis von Leistungs- und Sorgfaltspflichten darstellt. Systematisch überzeugend ist dieser Ansatz jedoch nicht. D i e Sonderstellung der Leistungspflicht beruht auf ihrer Funktion, den Güteraustausch zu strukturieren. Das Grundproblem für ein Verständnis der Leistungspflicht besteht nun allerdings - wie Wieacker 1 8 9 gezeigt hat - darin, daß sie einerseits das Erfüllungsinteresse des Gläubigers zum Ausdruck bringt, andererseits Maßstab für das v o m Schuldner geforderte Verhalten ist. D i e beiden Perspektiven entsprechen einander nicht vollständig; es besteht eine Inkongruenz zwischen dem Erfüllungsprogramm und dem Haftungskonzept. Diese Inkongruenz sollte aber nicht dazu führen, den Zusammenhang von Erfüllungsprogramm und Haftungskonzept völlig auseinanderzureißen. D a ß der Schuldner mit der Herbeiführung der Unmöglichkeit seine Pflichten verletzt, läßt sich doch überhaupt nur damit begründen, daß er die Verpflichtung zur Leistung übern o m m e n hat. Funktionell ist die Pflicht des Schuldners, die Unmöglichkeit nicht herbeizuführen, damit auf die Leistungspflicht bezogen, so daß es sich dabei nur um ein M o m e n t der Pflicht zur Herbeiführung des Güteraustausches handelt. D i e Leistungspflicht dient also nicht nur der Strukturierung der Güterbewegung, sondern auch dem dafür erforderlichen Schutz. Angesichts dieses einheitliches Bezuges auf die Sicherstellung des Güteraustausches sollte die Herbeiführung der Unmöglichkeit als Verletzung der Leistungspflicht qualifiziert werden, nicht als Schutzpflichtverletzung. Die Leistungspflicht beinhaltet danach zwar wohl M o m e n t e der Sorgfalt, dies macht sie aber nicht zu einer Sorgfaltspflicht.
VI.
Zusammenfassung
Die bloße Nichtleistung stellt noch keine Leistungsstörung dar. Vielmehr hat der Schuldner einfach noch nicht erfüllt, so daß der Gläubiger gegen ihn lediglich den Anspruch auf Erfüllung der Leistungspflicht hat. Dieses Prinzip verbietet es auch, die bloße Nichtleistung als Verletzung einer Sorgfaltspflicht aufzufassen, da das gesetzliche System der Leistungspflichtverletzungen insoweit eine Art Sperrwirkung für die Begründung derartiger Pflichtverletzungen enthält. D e r Schuldner kann seine Pflichten auch durch mittelbare Handlungen oder durch Unterlassungen verletzen. Als Pflichtverletzungen können solche Handlungen - ähnlich wie im Deliktsrecht - jedoch nur dann bewertet werden, wenn er dabei eine ihn treffende Sorgfaltspflicht verletzt hat, die es erlaubt, ihm seine mittelbare Handlung zuzurechnen oder sein Unterlassen als 189
Festschrift für H. C. Nipperdey, 783 ff.
VI. Zusammenfassung
205
eine Handlung zu qualifizieren, das einem aktiven Tun gleichsteht. Dieser B e wertungsakt erfolgt anhand unselbständiger Sorgfaltspflichten, die für den Bereich des Leistungsstörungsrechts eine präzisere Bestimmung pflichtwidrigen Verhaltens ermöglichen. Mit der Annahme solcher unselbständigen Sorgfaltspflichten wird ein G e danke von E. W o l f aufgenommen, wonach nämlich der Schuldner „sorgfältiges Leisten" schuldet. Allerdings sind daneben auch selbständige Sorgfaltspflichten anzuerkennen, die das M a ß des gesollten Verhaltens im Hinblick auf den Schutz besonderer Rechtsgüter festlegen. D e r damit eingeleitete P r o z e ß der Verselbständigung von Sorgfaltspflichten im Schuldverhältnis beschränkt sich aber auf die Gegenüberstellung von Leistungs- und Sorgfaltspflichten als zwei unterschiedlichen Typen von Pflichten. Dadurch wird die Umdeutung der Leistungspflicht in eine Sorgfaltspflicht ausgeschlossen. D i e Rechtfertigung dafür ergibt sich daraus, daß Erfüllungsprogramm und Haftungskonzept nicht völlig auseinandergerissen werden sollten, weiter leitet sie sich aber auch daraus her, daß die Leistungspflicht einen umfassenden Schutz des G ü teraustausches bezweckt. Hinter dem Begriff der Schlechterfüllung verbergen sich unterschiedliche Konzepte für die Begründung einer Haftung aus positiver Vertragsverletzung, die vor allem auch das Verständnis des Verhältnisses von Leistung und Sorgfalt betreffen. Zitelmann, der als Begründer des Begriffs der Schlechtleistung gelten kann, und in seiner Nachfolge vor allem Fikentscher begreifen die Sorgfalt bei der Vornahme der Leistungshandlung nicht als Gegenstand selbständiger Sorgfaltspflichten, sondern als Teil der Leistung. Das führt in der K o n z e p t i o n von Fikentscher zunächst einmal zu einem unterschiedlichen Verständnis des Begriffs der Leistung. Die zentrale Bedeutung des Begriffs der Schlechtleistung beruht dabei auf einem weiten Leistungsbegriff, dem für den Bereich der Nichterfüllung ein enger Leistungsbegriff gegenübersteht. Dieser Bruch setzt sich fort in den Begriffen der Erfüllung und des Anspruches. D e r Gedanke der Verletzung von Interessen oder Rechtsgütern wird von Fikentscher auf die Unterscheidung verschiedener Schadenstypen beschränkt. Dadurch geht schließlich auch die Möglichkeit einer genaueren Analyse der verschiedenartigen Typen von Pflichten und ihrer Verletzung weitgehend verloren. Das Ringen um das adäquate Verständnis der Schlechterfüllung spiegelt sich gerade auch in den verschiedenen theoretischen Ansätzen zur Schlechtleistung beim Kauf wider. Während H u b e r in der Kommentierung zum Soergel die Grundlage für eine Haftung aus positiver Vertragsverletzung in der bloßen schuldhaften Lieferung der mangelhaften Sache erblickt, sieht Rust sie als Folge der schuldhaften Verletzung einer Schutzpflicht. E i n differenziertes Bild muß für diesen Bereich jedoch von der Unterscheidung zwischen N i c h t erfüllung, Leistungspflichtverletzung und Sorgfaltspflichtverletzung ausgehen. A u f dieser Grundlage läßt sich zunächst einmal deutlich machen, daß bei Lieferung einer mangelhaften Ware Leistungs- und Sorgfaltspflichten ihrem
206
5 5 Die Sorgfalt im Rahmen der
Leistungspflicbt
S c h u t z u m f a n g nach partiell miteinander k o n k u r r i e r e n , o h n e daß dies j e d o c h die eigenständige B e d e u t u n g beider P f l i c h t e n in F r a g e stellen würde. E i n e vergleichbare U b e r s c h n e i d u n g v o n Leistungs- und Sorgfaltspflichten ergibt sich z u m Teil auch für die H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o und positiver Vertragsverletzung. E i n e genauere A n a l y s e dieses B e r e i c h e s setzt allerdings eine präzise Erfassung der verschiedenen F o r m e n fehlerhaften Verhaltens voraus, das als G r u n d l a g e der H a f t u n g des Verkäufers in B e t r a c h t k o m m t . D i e v o r allem der R e c h t s p r e c h u n g z u g r u n d e liegende Vorstellung einer abschließenden R e g e l u n g der Sachmängelhaftung durch die §§ 4 5 9 ff. B G B für den M a n g e l s c h a d e n , die insoweit den R ü c k g r i f f auf eine H a f t u n g für schuldhafte Pflichtverletzungen ausschließt, ist unter verschiedenen G e s i c h t s p u n k ten unbefriedigend. I m H i n b l i c k auf eine H a f t u n g aus positiver Vertragsverletzung bleibt v o r allem unklar, welche A n s p r ü c h e damit ausgeschlossen sein sollen. I n s b e s o n d e r e für den Fall der schuldhaften H e r b e i f ü h r u n g des M a n gels scheint weitgehend anerkannt zu sein, daß hier im E r g e b n i s auch der M a n g e l s c h a d e n ersatzfähig ist. I m H i n b l i c k auf die H a f t u n g aus culpa in c o n trahendo vermag v o r allem der G e d a n k e einer B e g ü n s t i g u n g des Käufers durch G e w ä h r u n g der R e c h t e aus § 4 6 2 B G B , der eine Privilegierung des Verkäufers durch A u s s c h l u ß einer H a f t u n g wegen fahrlässig u n z u t r e f f e n d e r A n gaben ü b e r die K a u f s a c h e rechtfertigt, nicht zu ü b e r z e u g e n . Einerseits sind auch Wandlung und M i n d e r u n g in einem allgemeinen R e c h t der N i c h t e r f ü l lung v o r g e z e i c h n e t , andererseits ist aber auch nicht ersichtlich, w e l c h e haftungsverschärfende F u n k t i o n ein A n s p r u c h aus culpa in c o n t r a h e n d o hier haben sollte.
§ 6 Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter I. Einleitung Anknüpfend an den Gedanken, daß es keine Sorgfalt an sich gibt, sind die Sorgfaltspflichten auf den Schutz unterschiedlicher Rechtsgüter zu beziehen. Einen wichtigen Teilbereich dieses Schutzes machen die Sorgfaltspflichten zum Schutz der absoluten Rechtsgüter des anderen aus. Für diesen Typus von Sorgfaltspflichten wird seit jeher die Frage gestellt, mit welchem Recht derartige Pflichtverletzungen den Grundsätzen über die Haftung aus Vertrag unterworfen werden und nicht vielmehr denjenigen, die für die Haftung aus Delikt gelten. Die prinzipielle Problematik dieser Sorgfaltspflichten ergibt sich damit aus ihrer systematischen Verortung im Haftungsgefüge des bürgerlichen Rechts. Eine nähere Bestimmung und Beurteilung der Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter muß an dieser Aufgabe ansetzen. Der zentrale Ansatzpunkt dafür beruht in den (unter II) folgenden Überlegungen darauf, daß Vertrag und Delikt in eine Konzeption des Schuldverhältnisses eingefügt werden. Auf der Grundlage dieser Perspektive lassen sich Vertrag und Delikt von einem gemeinsamen Bezugspunkt her verstehen, von dem aus sich dann aber auch Unterschiede der Haftungsbegründung und -ausgestaltung deutlich machen lassen. An die theoretische Verortung der Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter schließt sich (unter III) eine Diskussion der Reichweite des damit gewährten Schutzes an. Der Typus dieser Sorgfaltspflichten dient nur dem Schutz absoluter Rechtsgüter des anderen. Diese Beschränkung erfordert eine Rechtfertigung im Hinblick auf andere Rechtsgüter und Interessen. Von besonderer Bedeutung ist dabei vor allem die Abgrenzung von geschütztem Rechtsgut und bloßem Vermögen. Entgegen weithin üblicher Auffassung soll hier die These entwickelt werden, daß auch dem Vertragsrecht ein Ersatz reiner Vermögensschäden fremd ist, sich vielmehr auch in diesem Bereich der Ersatz von Vermögensschäden als Folge der Verletzung von Pflichten zum Schutz genauer konturierter Rechtsgüter erweist. Damit stellt der Begriff des Rechtsgutes den konzeptionellen Dreh- und Angelpunkt einer Theorie der Sorgfaltspflichten dar und vielleicht mehr noch einer Theorie der Pflichten im bürgerlichen Recht überhaupt.
208
§6 Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
II. Zum Verhältnis von vertraglicher und deliktischer Haftung 1. Abgrenzung der Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter von anderen Pflichten D i e Fälle, u m die es bei der Verletzung v o n Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z absoluter R e c h t s g ü t e r geht, sind allseits b e k a n n t : D e r Angestellte eines K a u f hauses geht b e i m V o r f ü h r e n v o n L i n o l e u m r o l l e n so u n g e s c h i c k t vor, daß eine dieser R o l l e n der potentiellen Käuferin auf den K o p f fällt; 1 ein K u n d e k o m m t b e i m B e t r e t e n eines S u p e r m a r k t e s oder Warenhauses auf einer B a n a n e n s c h a l e oder einem G e m ü s e b l a t t zu Fall; 2 der Patient rutscht im W a r t e z i m m e r des A r z t e s auf d e m zu glatt g e b o h n e r t e n B o d e n aus usw. I n Fällen dieser A r t geht es jedesmal u m die Verletzung v o n Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z absoluter Rechtsgüter. Sie bedürfen in m e h r f a c h e r H i n s i c h t der A b g r e n z u n g v o n anderweitigen Pflichtverletzungen. Z u n ä c h s t einmal geht es hierbei nicht u m die Verletzung v o n Leistungspflichten z u m S c h u t z absoluter Rechtsgüter. D e r A r z t , der seinen Patienten fehlerhaft behandelt, verletzt z w a r ebenfalls ein absolutes R e c h t s g u t , n ä m l i c h K ö r p e r o d e r G e s u n d h e i t seines Patienten. D i e infolge der fehlerhaften B e handlung verletzte Pflicht ist aber Leistungspflicht. Infolgedessen handelt es sich u m eine Leistungspflichtverletzung in F o r m der Schlechtleistung. E i n e n Spezialfall, in dem eine Sorgfaltspflicht z u m S c h u t z der absoluten R e c h t s g ü ter kraft G e s e t z e s zur Leistungspflicht h i n z u g e r e c h n e t wird, regelt § 6 1 8 BGB.3 Weiter sind die Sorgfaltspflichten, u m die es hier geht, v o n den deliktischen P f l i c h t e n zu unterscheiden, insbesondere v o n den sogenannten V e r k e h r s pflichten. Z w a r k ö n n e n auch solche V e r k e h r s p f l i c h t e n d e m S c h u t z absoluter R e c h t s g ü t e r dienen. D i e H a f t u n g f ü r die Verletzung v o n V e r k e h r s p f l i c h t e n folgt j e d o c h deliktischen G r u n d s ä t z e n , die für die Verletzung v o n Sorgfaltspflichten vertraglichen G r u n d s ä t z e n . I n w i e w e i t diese U n t e r s c h e i d u n g gerechtfertigt ist, wird im f o l g e n d e n genauer zu überlegen sein. Schließlich sind die Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z absoluter R e c h t s g ü t e r auch v o n den Sorgfaltspflichten zu unterscheiden, die dem S c h u t z anderweitiger R e c h t s g ü t e r dienen, beispielsweise v o n den Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit.
R G Z 78, 239 ff. Vgl. B G H N J W 1962, 31 f.; B G H Z 66, 51 ff. 3 Vgl. Larenz, Schuldrecht II, § 52 II c (S. 263): „Die Fürsorgepflicht hat insoweit den Charakter einer Leistungspflicht." Die Annahme, daß dem Dienstverpflichteten aus § 6 1 8 B G B ein Erfüllungsanspruch zusteht, entspricht ganz h.M., vgl. nur Staudinger-Oetker, §618 Rz. 162 m.w.N. 1
2
II. Tum Verhältnis von vertraglicher und deliktischer
Haftung
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2. Zur unterschiedlichen Ausgestaltung der Haftung nach Vertragsrecht und Deliktsrecht D i e schuldhafte Verletzung einer Sorgfaltspflicht z u m S c h u t z absoluter R e c h t s g ü t e r führt zur H a f t u n g aus einem bereits bestehenden Schuldverhältnis, sei es in F o r m der H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o , positiver Vertragsverletzung oder auch der sogenannten culpa p o s t c o n t r a c t u m finitum. Teilweise wird diese H a f t u n g in der L i t e r a t u r b e k a n n t l i c h auch auf ein gesetzliches Schutzpflichtverhältnis gestützt, das v o n C a n a r i s nicht ausschließlich den R e g e l n des Vertragsrechts u n t e r w o r f e n wird, sondern v o n ihm als „dritte S p u r " z w i s c h e n D e l i k t s - und Vertragshaftung begriffen wird. 4 D i e teilweise o d e r vollständige H e r a n z i e h u n g der R e g e l n des Vertragsrechts, genauer des für bereits bestehende Schuldverhältnisse geltenden R e c h t s für die hier in Frage stehenden Pflichtverletzungen hat von B e g i n n an K r i t i k hervorgerufen. D a b e i w a r die K r i t i k im H i n b l i c k auf die H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o n a t u r g e m ä ß g r ö ß e r als im H i n b l i c k auf die H a f t u n g aus positiver Vertragsverletzung, da im ersten Fall s c h o n die B e g r ü n d u n g des Schuldverhältnisses rechtfertigungsbedürftig ist, w ä h r e n d dies bei bereits b e s t e h e n d e m Schuldverhältnis außer Frage steht und lediglich die Z u o r d n u n g der Pflichtverletzung zu diesem Schuldverhältnis rechtfertigungsbedürftig erscheinen mag. D i e D i s k u s s i o n darüber, o b in diesen Fällen Vertragsrecht o d e r D e l i k t s recht zur A n w e n d u n g gelangen m u ß , beruht v o r allem darauf, daß die H a f tungsvorschriften des Vertragsrechts für den G e s c h ä d i g t e n zumeist als günstiger aufgefaßt w e r d e n . D a b e i geht es v o r allem um folgende U n t e r s c h i e d e zwischen vertraglicher und deliktischer H a f t u n g : (1) N a c h Vertragsrecht haftet der Schuldner für jedes Verschulden v o n P e r s o n e n , deren er sich bei der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten bedient, § 2 7 8 B G B , w ä h r e n d nach D e liktsrecht der G e s c h ä f t s h e r r für Schäden, die ein v o n ihm bestellter Verrichtungsgehilfe zufügt, grundsätzlich nur unter den einschränkenden Voraussetzungen v o n § 831 B G B haftet, also nur unter der Voraussetzung eigenen Verschuldens, das z w a r v e r m u t e t wird, aber widerlegbar ist. (2) § 823 I B G B setzt die Verletzung eines der genannten R e c h t e o d e r R e c h t s g ü t e r voraus und schließt damit den E r s a t z b l o ß e r V e r m ö g e n s s c h ä d e n aus, w ä h r e n d nach Vertragsrecht auch für reine V e r m ö g e n s s c h ä d e n gehaftet werden soll. (3) I m R e c h t der unerlaubten H a n d l u n g e n knüpft die H a f t u n g in § 8 2 6 B G B und in aller R e g e l auch bei § 823 II B G B nur an ein vorsätzliches Verhalten an, w ä h rend nach Vertragsrecht prinzipiell für jede Fahrlässigkeit gehaftet wird. (4) N a c h der in den §§ 2 8 2 , 2 8 5 B G B getroffenen R e g e l u n g ist die Beweislast im Vertragsrecht günstiger, weil danach ein Vertretenmüssen des Schuldners vermutet wird, w ä h r e n d im D e l i k t s r e c h t der G l ä u b i g e r nach allgemeinen G r u n d s ä t z e n auch das Verschulden des Schädigers beweisen m u ß . (5) F ü r die deliktische H a f t u n g gilt nach § 852 B G B die dreijährige Verjährungsfrist, 4
Canaris, Festschrift für Larenz, 27 (102 ff.).
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§6
Sorgfaltspflichten
zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
während für die vertragliche Haftung im Ausgangspunkt die in § 195 B G B vorgesehene dreißigjährige Verjährungsfrist zur Anwendung gelangt. 5 Bei genauerer Betrachtung sind diese Gesichtspunkte in ihrer Bedeutung zur Erklärung der unterschiedlichen Ausgestaltung von vertraglicher und deliktischer Haftung jedoch weniger eindeutig, als es zunächst scheinen mag. Wenn man beispielsweise die Frage der Verjährung genauer in den Blick nimmt, kann man feststellen, daß in einer Reihe wichtiger Fälle die Verjährung nach Vertragsrecht sowohl wesentlich kürzer ist als die allgemeine Verjährungsfrist von dreißig Jahren, als auch kürzer als die dreijährige deliktische Verjährungsfrist. 6 Die Gegenüberstellung von dreijähriger und dreißigjähriger Verjährungsfrist wird dadurch doch stark relativiert. Im übrigen aber ist in der Diskussion um die Neuregelung der Verjährung auch deutlich geworden, daß im heutigen Verständnis beider Rechtsbereiche eher eine Tendenz besteht, dem Geschädigten nach Deliktsrecht eine längere Verjährungsfrist zuzubilligen als nach Vertragsrecht, und zwar deswegen, weil dem Deliktsgläubiger - anders als dem Vertragsgläubiger - die haftungsrelevanten Tatsachen oft nicht bekannt sind. 7 In ähnlicher Weise relativieren sich die Unterschiede von vertraglicher und deliktischer Haftung auch im H i n b l i c k auf die Beweislast. Zunächst einmal ist es so, daß die durchgängige Heranziehung der für nachträgliche U n m ö g l i c h keit und Verzug des Schuldners geltenden Vorschriften der §§ 282, 285 B G B für die Verletzung von Sorgfaltspflichten nicht unproblematisch ist. 8 Man kann sogar sagen, daß Grund und Reichweite dieser Vorschriften zur Beweislastumkehr bei genauerer Betrachtung eher unsicher sind. 9 H i n z u k o m m t dann, daß auch für deliktische Ansprüche in zunehmendem Maße für das Verschulden des Schädigers eine U m k e h r der Beweislast zugelassen wird oder 5 Zu diesen Unterschieden beider Haftungsordnungen vgl. etwa Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, § 4 1 2 ; Horn, JuS 1995, 377 (379); Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 266. 6 So gilt beispielsweise beim Kauf beweglicher Sachen für die Haftung aus positiver Vertragsverletzung infolge eines Mangels der Sache dem Grundsatz nach ebenfalls die sich aus § 4 7 7 I B G B ergebende kurze Verjährungsfrist von 6 Monaten, vgl. Medicus, Schuldrecht II, Rz. 73; Erman-Grunewald, § 477 Rz. 4 - 6 . 7 Vgl. den Abschlußbericht der Schuldrechtskommission, S. 35. Anders jedoch neuerdings der Entwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, der in § 195 B G B - D i s k E für den Regelfall und damit wohl für vertragliche und deliktische Ansprüche gleichermaßen eine dreijährige Verjährungsfrist vorschlägt. 8 Nach h.L. wird insoweit differenziert nach der Art der verletzten Pflicht, ob sie nämlich auf ein Verhalten oder einen Erfolg gerichtet ist, während die Rechtsprechung nach Gefahrenoder Verantwortungsbereichen unterscheidet, vgl. nur Palandt-Heinrichs, § 282 Rz. 6 - 9 . 9 § 282 B G B knüpft - offenbar aufgrund einer Art Garantie für die Leistung - an das objektive Faktum der nachträglichen Unmöglichkeit die Vermutung eines objektiv pflichtwidrigen und schuldhaften Verhaltens des Schuldners. Der bloße Umstand eines Schadenseintritts im Zuge der Abwicklung eines Schuldverhältnisses vermag eine solche Vermutung hingegen kaum zu rechtfertigen, dafür bedarf es vielmehr weiterer Umstände, die dann als Grundlage einer solchen Vermutung in Betracht kommen, so auch Esser, Schuldrecht I, 4. A., § 52 VII 4; Larenz, Schuldrecht I, § 24 I b (S. 371 f.).
II. Zum Verhältnis von vertraglicher
und deliktischer
Haftung
211
doch jedenfalls ein Anscheinsbeweis und in einzelnen Bereichen dem Geschädigten darüber noch hinausgehende Beweiserleichterungen zugute k o m men. 1 0 Damit kann man auch insoweit von einer Annäherung beider Rechtsbereiche sprechen. 1 1 D e r Gesichtspunkt, daß im R e c h t der unerlaubten Handlungen nach § 826 B G B und zumeist auch nach § 823 II B G B nur für vorsätzliche Handlungen gehaftet wird, während nach Vertragsrecht prinzipiell für jede Fahrlässigkeit gehaftet wird, ist in dem hier diskutierten Zusammenhang weniger bedeutsam. Es geht an dieser Stelle nämlich nur um Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter und damit primär um das Konkurrenzverhältnis zur Haftung aus § 823 I B G B , die ebenfalls bloß fahrlässiges Verhalten voraussetzt. Im übrigen aber ist die Hervorhebung der Vorsatzhaftung nach §§ 823 II, 826 B G B auch der Sache nach zweifelhaft. Insoweit ist zunächst einmal zu bedenken, daß auch die gesetzliche Konzeption des Vertragsrechts für bestimmte Typen von Pflichtverletzungen nur von einer Haftung für Vorsatz ausgeht. Das betrifft vor allem die Fälle der Haftung für fehlerhafte Information. 1 2 Grigoleit hat angesichts der verschiedenen, Vertrags- und Deliktsrecht umfassenden Regelungen des B G B geradezu von einem „informationellen Vorsatzdogma" gesprochen. 1 3 Im übrigen aber würde ein volles Verständnis der deliktischen Vorsatzhaftung und ihrer Bedeutung zunächst eine genauere Analyse des Verhältnisses der verschiedenen Deliktstatbestände zueinander voraussetzen. Erst vor diesem Hintergrund ließe sich dann das deliktische mit dem vertraglichen Haftungssystem vergleichen. Solange nicht klar ist, welche Funktion dem Vorsatzerfordernis innerhalb der jeweiligen Haftungsordnung zukommt, ist die isolierte Heraushebung unterschiedlicher Verschuldensanforderungen kaum dazu geeignet, das Verhältnis von vertraglicher und deliktischer Haftung weiter aufzuklären. Was schließlich die Behauptung betrifft, § 823 I B G B schließe den Ersatz bloßer Vermögensschäden aus, während nach Vertragsrecht auch für reine Vermögensschäden gehaftet wird, liegt dem ein unzureichendes Verständnis der vertraglichen Haftung zugrunde. Mit der Pflicht werden auch im Ver10 Vgl. insbesondere Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Bd. 1, § 8 2 3 Rz. 26 ff. zum Verschulden, Rz. 12 ff. zur Kausalität der Handlung sowie § 823 Anhang C II Rz. 3 ff. zu den Sonderregeln der Beweislastverteilung bei groben Behandlungsfehlern durch Arzte, die sowohl im Rahmen der vertraglichen als auch der deliktischen Haftung zur Anwendung kommen. Zu den Beweiserleichterungen im Rahmen der deliktischen Haftung auch Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rz. 415 f.; MüKo-Mertens, § 823 Rz. 58-62. 11 Der B G H meint sogar in B G H Z 67, 383 (387), es sei in der Rechtsprechung „seit langem anerkannt, bei einzelnen, vertraglichen, vorvertraglichen und deliktischen Rechtsbeziehungen eine Verteilung der Beweislast nach Gefahrenbereichen vorzunehmen." v. Bar, JuS 1982, 637 (640), hat insoweit davon gesprochen, daß die beweisrechtlichen Zweispurigkeiten durch Entwicklung einer einheitlichen Beweislastverteilung bereits weitgehend eingeebnet worden seien. 12 Vgl. nur etwa §§ 463 S. 2, 523 I, 524 I, 600 B G B , im übrigen auch § 123 I B G B . 13 Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 16 ff.
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§ 6 Sorgfaltspflichten
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tragsrecht Rechtsgüter geschützt und nicht bloße Vermögensinteressen. Nur sind diese Rechtsgüter anders als in § 823 I BGB nicht abschließend aufgezählt. Im Grunde zeigt sich damit auch hier, daß die isolierte Heraushebung von Einzelgesichtspunkten zu keinem befriedigenden Verständnis des Verhältnisses von vertraglicher und deliktischer Haftung führt, es dazu vielmehr einer theoretischen Grundlage bedarf, von der aus sich beide Rechtsgebiete in ihrer Eigenart deuten lassen. Gravierende Unterschiede bestehen mit den Vorschriften der §§ 278 und 831 BGB auf den ersten Blick in der Haftung für Hilfspersonen. Dieser Unterschied ist historisch gesehen offenbar auch der Grund dafür gewesen, warum die Verletzung absoluter Rechtsgüter insbesondere im Rahmen von Vertragsverhandlungen nicht nur nach Deliktsrecht beurteilt worden ist, sondern auch nach den Grundsätzen des Vertragsrechts. Allgemeiner gesprochen ist §831 BGB als ein auch rechtspolitisch unbefriedigender Schwachpunkt der deliktischen Haftung aufgefaßt worden, den man überspielt hat, indem man die Verletzungshandlung auch nach Vertragsrecht beurteilt und damit die Anwendung des § 278 BGB eröffnet. 14 Allerdings ist es auch in diesem Bereich zu Annäherungen gekommen. Da in den „reinen" Deliktsfällen kein Weg an der Vorschrift des § 831 BGB vorbei führt, hat die Rechtsprechung sich darum bemüht, die Haftung des Geschäftsherrn aufrechtzuerhalten, indem sie die Anforderungen an den Exkulpationsnachweis i.S. von § 831 I 2 BGB zunehmend erhöht hat. 15 In Randbereichen kommt darüber hinaus auch eine unmittelbare Haftung des Geschäftsherrn aus § 823 I BGB in Betracht. 16 Insoweit hat sich die deliktische Haftungsordnung im Hinblick auf die Haftung für Hilfspersonen zwar auf die vertragliche Haftungsordnung zubewegt, ohne daß aber davon gesprochen werden könnte, daß die Unterschiede beider Haftungsordnungen völlig eingeebnet worden seien. 17 Ein Punkt, der bisher noch unerwähnt geblieben ist, betrifft die Haftung in Form der Verpflichtung zur Leistung von Schmerzensgeld. Schmerzensgeld wird nur unter den Voraussetzungen von § 847 BGB geschuldet und damit nur im Rahmen deliktischer Haftung, nicht dagegen im Vertragsrecht. Vor allem auch deswegen ist in den letzten Jahren immer wieder gefordert 14 Vgl. insbesondere Medicus, Gutachten „Verschulden bei Vertragsverhandlungen", 479 (491); ders., Bürgerliches Recht, Rz. 783, und Schuldrecht I, Rz. 104; auch Brox, Allgemeines Schuldrecht, Rz. 55; Schlechtriem, Schuldrecht-AT, Rz. 22 m.w.N. 15 Dies ist vor allem durch Verschärfung der Anforderungen an die Auswahl und Überwachung eines Verrichtungsgehilfen geschehen, vgl. Horn, JuS 1995, 377 (379), sowie v. Bar, JuS 1982,637(645). 16 Zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche von § 823 I und § 831 BGB vgl. nur MüKoStein, §831 Rz.5. 17 So auch Horn, JuS 1995, 377 (379), und Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 I 4 c, mit dem Hinweis darauf, daß darin auch der Unterschied zwischen einer deliktischen „Jedermann-Haftung" und einer Haftung zwischen Personen, die durch ein Schuldverhältnis miteinander verbunden sind, zutage tritt. Dagegen ist bei v. Bar, JuS 1982, 637 (644 f.), von solchen Unterschieden keine Rede mehr.
II. Zum Verhältnis von vertraglicher
und deliktischer
Haftung
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worden, die hier in Frage stehenden Pflichtverletzungen wieder in das Deliktsrecht zurückzuführen und nicht weiter in die vertragliche Haftung einzubeziehen. 1 8 Gerade der Hinweis auf das Schmerzensgeld ist aber wenig dazu geeignet, zu einer Klärung des Verhältnisses von vertraglicher und deliktischer Haftung beizutragen. 19 Es kann hier ja nicht darum gehen, anhand einzelner Regelungen Vor- und Nachteile beider Haftungsordnungen gegeneinander aufzurechnen. Das Interesse muß vielmehr zunächst darauf gerichtet sein, den prinzipiellen Unterschied von vertraglicher und deliktischer Haftung deutlich zu machen und erst vor diesem Hintergrund können dann auch die Unterschiede in der Ausgestaltung der beiden Haftungsordnungen als Konsequenz des jeweiligen Haftungsprinzips sichtbar gemacht werden. Anders ausgedrückt: Die Beurteilung der unterschiedlichen Ausgestaltung von vertraglicher und deliktischer Haftung kann sinnvoll nur von einem Bezugspunkt her erfolgen, der die Unterscheidung von Vertrag und Delikt selbst reflektiert. Durchaus im Einklang mit der Literatur, die auf diese Fragestellungen zurückgeht, wird dieser Bezugspunkt hier im Schuldverhältnis gesehen.
3. Das Schuldverhältnis als Bezugspunkt der vertraglichen und deliktischen Haftungsordnungen entwickelt anhand der Haftung für Hilfspersonen Zentraler Ansatzpunkt für die Beurteilung von vertraglicher und deliktischer Haftungsordnung und ihres Verhältnisses ist das Schuldverhältnis. Mit der deliktischen Haftung wird ein Schuldverhältnis zwischen Verletzer und Verletztem erst begründet, während die vertragliche Haftung bereits innerhalb eines bestehenden Schuldverhältnisses erfolgt. Damit geht es zwar in beiden Fällen um die Begründung von Haftung. Im Fall deliktischer Haftung ist 18 So insbesondere v. Bar, JuS 1982, 637 (643), sowie Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Rz. 477, mit dem zusätzlichen Hinweis, daß es sich bei der Haftung für Schutzpflichtverletzungen aus „gemeineuropäischem Horizont" um eine Fehlentwicklung handle. Ein derartiges Urteil scheint mir allerdings ohnehin nur vor dem Hintergrund der Eigenart einer nationalen Rechtskultur möglich und sinnvoll zu sein. Kritisch zu derartigen „Lehren der Rechtsvergleichung" auch Canaris, Festschrift für Larenz, 27 (86). 19 Schon RGZ 65, 17 (21), wies im Hinblick auf die rein deliktsrechtliche Begründung des Schmerzensgeldes darauf hin, daß „ein innerer Grund für diese Verschiedenheit der Haftung aus Verträgen und aus unerlaubten Handlungen vielleicht nicht aufzufinden ist." Nachdem Hohloch sich in seinem Gutachten „Allgemeines Schadensrecht", 375 (438), dafür ausgesprochen hatte, die Schmerzensgeldregelung aus dem Kontext des Deliktsrechts zu lösen, hat das Bundesministerium der Justiz diesen Vorschlag aufgenommen und in dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19.2.2001 (zitiert nach der im Internet zugänglichen Fassung unter http://www.bmj.bund.de/ggv/schad ge.pdf) die Einführung eines allgemeinen Anspruches auf Schmerzensgeld vorgesehen, der auch die Gefährdungshaftung und die Vertragshaftung einbezieht.
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Rechtsgüter
die Haftungsbegründung aber zugleich mit der Begründung eines Schuldverhältnisses verbunden, im Fall vertraglicher Haftung ist sie dagegen Ausgestaltung eines bereits bestehenden Schuldverhältnisses. A u f g r u n d dessen können dem Prinzip nach die Vorschriften über die Ausgestaltung eines bereits bestehenden Schuldverhältnisses auch für das durch unerlaubte Handlung entstandene Schuldverhältnis zur A n w e n d u n g kommen. A n diese Beobachtung schließt sich nun fast zwangsläufig die Frage an, weshalb in der Begründung eines Schuldverhältnisses vom Gesetz und der ihm folgenden Zivilrechtsdogmatik offenbar eine derartig schwerwiegende Zäsur gesehen wird, daß sich daraus auch unterschiedliche Haftungsordnungen rechtfertigen lassen. Die A n t w o r t auf diese Frage ergibt sich aus der Natur des Schuldverhältnisses als einer personalen Beziehung.
a) Zum Verständnis von Vertrag und Delikt als Schuldverhältnissen Mit dem Begriff des Schuldverhältnisses hat der Gesetzgeber bekanntlich auf den römisch-rechtlichen Begriff der „obligatio" Bezug genommen und damit auf eine lange historische Entwicklungslinie. 2 0 Voll verständlich ist der so fundierte Begriff des Schuldverhältnisses aber nur aus seiner Gegenüberstellung z u m Verständnis des Eigentums als dingliches oder absolutes Recht. Während das Schuldverhältnis Grundlage der schuldrechtlichen Ansprüche und Pflichten ist, folgen aus dem Eigentum die sogenannten dinglichen Ansprüche. 2 1 In ähnlicher Weise w u r d e im römischen Recht zwischen der actio in personam und der actio in rem unterschieden. 2 2 Der zentrale Gedanke, der diese Unterscheidung trägt, liegt darin, daß beim Schuldverhältnis die Begründung von Ansprüchen aus einem Verhältnis der Gebundenheit der Parteien erfolgt und damit aus einer personalen Beziehung, die auch die Bezeichnung der Beteiligten als Schuldner und Gläubiger erklärt. Dem Anspruch aus dem Eigentum liegt dagegen historisch gesehen ein Streit u m das Gehören der Sache zugrunde. 2 3 Dabei w i r d mit der Eigentumsklage die im Eigentum stehende Sache selbst verfolgt, nicht dagegen eine Person in Anspruch genommen. Der Anspruch begründet sich hier also aus dem Verhältnis des Eigentümers zu seiner Sache, nicht dagegen aus einem personalen Verhältnis der beiden Streitparteien.
Siehe d a z u vor allem Hattenhauer, G r u n d b e g r i f f e des Bürgerlichen Rechts, § 5. Zu dieser A n s p r u c h s k o n z e p t i o n vgl. Schapp, G r u n d l a g e n des bürgerlichen Rechts, R z . 70-79; ders., J u S 1992, 537 ff., s o w i e Steinbach, Der Eigentumsfreiheitsanspruch nach § 1004 im S y s t e m der A n s p r ü c h e z u m Schutz des Eigentums, S. 6 ff., 124 ff., Schur, A n s p r u c h , absolutes Recht u n d Rechtsverhältnis im öffentlichen Recht e n t w i c k e l t aus dem Zivilrecht, S. 49 ff., 65 ff. 22 Vgl. dazu Gaius, Institutionen, 4, § § 1 ff. 23 Vgl. Käser, Das römische Privatrecht I, § § 7 I 2 a.E., 32 III 1, V 2, 103 I. 20 21
II. Zum Verhältnis
von vertraglicher
und deliktischer
Haftung
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D i e beiden urtümlichen Arten des Schuldverhältnisses sind Vertrag und Delikt. 2 4 Das Delikt begründet ein Schuldverhältnis, weil jemand einen anderen in seinen Rechtsgütern schuldhaft verletzt. Das Verschulden ist hier also konstituierendes Merkmal für die Begründung des Schuldverhältnisses. 2 5 Das ist beim vertraglichen Schuldverhältnis nicht der Fall, allerdings lassen sich hier ähnliche Zusammenhänge deutlich machen, aus denen sich die Personalität des Schuldverhältnisses herleitet. D i e Gebundenheit ergibt sich hier daraus, daß die Vertragsparteien ihre Leistungen einander versprechen und sich dadurch in ihrem Willen gegenüber dem anderen binden. Dabei ist der Vertragswille deshalb gebunden, weil der Schuldvertrag gedanklich immer noch der Erfüllung bedarf. 2 6 D i e vertragliche Bindung beruht hier also auf dem Vertrauen, daß beide Vertragspartner einander entgegenbringen. 2 7 Darin liegt dann auch die Rechtfertigung dafür, die durch den Schuldvertrag gestiftete Beziehung ebenfalls als Schuldverhältnis aufzufassen. Diese Betrachtung macht zunächst deutlich, daß sich Vertrag und Delikt in ein Verständnis des Schuldrechts einfügen, das auf dem Gedanken des Schuldverhältnisses beruht. Sowohl der Schuldvertrag als auch die unerlaubte Handlung begründen ein Schuldverhältnis im weiteren Sinne einer personalen Beziehung, aus der schuldrechtliche Ansprüche und Pflichten folgen. A l lerdings erfolgt die Verletzung vertraglicher Sorgfaltspflichten innerhalb eines bereits bestehenden Schuldverhältnisses, während die deliktische Verletzungshandlung das Schuldverhältnis erst begründet. Damit wird das Delikt gemeinhin als ein Ereignis begriffen, das zwischen Unbeteiligten erfolgt. D e r unerlaubt Handelnde wird also als jemand aufgefaßt, der vor seiner Handlung noch in keiner genauer zu qualifizierenden Rechtsbeziehung zu demjenigen steht, den er dann verletzt. 2 8 Gegen diese Auffassung könnte zwar sprechen, daß das Deliktsrecht vielfach als Ausfluß des naturrechtlichen G e b o t s „neminem laedere" begriffen wird. 2 9 Diese G e b o t begründet aber kein Schuldverhältnis, sondern gibt nur ein Prinzip für die Bewertung des Verhaltens von jedermann innerhalb der bestehenden Rechtsordnung.
2 4 Siehe nur Gaius, Institutionen, 3, § 88: „(•••) denn jede Obligation entsteht entweder aus einem Kontrakte oder aus einem Delikte." Zur Entwicklung der Dichotomie zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung sowie ihrer Rechtfertigung de lege lata und vor allem auch für ein künftiges europäisches Privatrecht vgl. Krebs, Sonderverbindung und außerdeliktische Schutzpflichten, S. 47 ff., 555 ff., 585 ff. 25 Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 200. 26 Schur, Anspruch, absolutes Recht und Rechtsverhältnis im öffentlichen Recht entwikkelt aus dem Zivilrecht, S. 76. 27 Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 74, 317. 2 8 Siehe nur Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 I 4 c: „Die §§ 823 ff. B G B begründen eine Jedermann-Haftung' und betreffen daher in erster Linie die Beziehungen zwischen ,unverbundenen' Rechtssubjekten." 2 9 Nachweise oben § 4 III 3 b aa.
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5 6 Sorgfaltspflichten
zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
b) Die Haftung für Hilfspersonen gemäß § 278 BGB als Ausdruck Schuldverhältnisses der Personalität des Vor dem Hintergrund, daß das Schuldverhältnis eine personale Beziehung stiftet, läßt sich im Hinblick auf die unterschiedliche Ausgestaltung von vertraglicher und deliktischer Haftung vor allem die unterschiedliche Regelung für die Haftung von Hilfspersonen rechtfertigen. § 278 BGB macht den Schuldner für ein Verschulden der Personen verantwortlich, deren er sich innerhalb des Schuldverhältnisses zur Erfüllung seiner Verpflichtungen bedient. Insoweit wird dem Schuldner fremdes Verschulden als eigenes zugerechnet. §831 BGB knüpft demgegenüber die Haftung an ein eigenes Verschulden des Geschäftsherrn im Hinblick auf die Handlungen seines Verrichtungsgehilfen. 30 Daß der Schuldner nach § 278 BGB also ohne eigenes für ein fremdes Verschulden haftet, läßt sich nur aus dem bereits bestehenden Schuldverhältnis rechtfertigen. Insoweit ist zu bedenken, daß die Personalität einer durch Vertrag gestifteten Beziehung es zunächst einmal nahelegt, daß der Schuldner überhaupt nur in Person leisten darf. 31 Dieser gedankliche Ansatz schlägt sich in dem Verständnis der Vorschrift des § 278 BGB freilich nur noch in der Annahme nieder, daß bei höchstpersönlichen Leistungen eine Übertragung der Leistungserbringung auf einen Dritten ausgeschlossen ist; im übrigen kann jedoch der Schuldner grundsätzlich jede Verbindlichkeit einem Dritten zur Erfüllung überlassen. 32 Der Personalität des Schuldverhältnisses entspricht es nun aber, daß der Schuldner nicht etwa nur für ein eigenes Verschulden bei der Auswahl seiner Hilfspersonen einzustehen hat, sondern daß ihm deren Verschulden wie eigenes zuzurechnen ist. 33 Die vom Schuldner 3 0 Zu dieser U n t e r s c h i e d l i c h k e i t der H a f t u n g nach § 8 3 1 u n d § 2 7 8 B G B vgl. Larenz, Schuldrecht I, § 2 0 VIII ( S . 2 9 7 f . ) ; Medicus, Schuldrecht I, R z . 3 2 1 ; Schapp, G r u n d l a g e n des bürgerlichen Rechts, Rz. 255. 31 Eine ähnliche Perspektive auf das Schuldverhältnis n a h m das römische Recht ein, w e n n es die A b t r e t u n g der F o r d e r u n g f ü r unzulässig hielt u n d stattdessen forderte, daß der Schuldner für den neuen Gläubiger auch eine neue O b l i g a t i o n begründet, vgl. Schapp, G r u n d l a g e n des bürgerlichen Rechts, R z . 158. 32 So Soergel-M. Wolf § 278 R z . 31 f. 33 Der G e d a n k e , daß die H a f t u n g für den Erfüllungsgehilfen v o m Verständnis der O b l i g a tion her e n t w i c k e l t w e r d e n m u ß , geht auf eine D i s k u s s i o n s b e m e r k u n g von Enneccerus, Verh a n d l u n g e n des 17. dt. Juristentages II, 95 (102 ff.), z u r ü c k ; vgl. dazu auch die (etwas v e r k ü r z te) Schilderung bei Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 4 4 I 1, s o w i e Fundel, Die H a f t u n g f ü r Gehilfenfehlverhalten im Bürgerlichen Recht, S. 64 ff. H. Westermann, J u S 1961, 333 (338) spricht insoweit treffend von einer „Einschaltungshaftung", w o m i t er meint, daß sich aus der Einschaltung des Dritten in das Schuldverhältnis die Zurechnung des Verschuldens i.S. von § 278 B G B rechtfertigt. A h n l i c h ist die Sichtweise von Kupisch, J u S 1983, 817 (819): Wer eine Leistung verspreche, schulde eigene Leistung, nicht fremde. Das schließe es nicht aus, daß der Schuldner sich bei der Erfüllung der H i l f e Dritter bedienen kann. Wenn der Schuldner seinen geschäftlichen Vorteil durch Einsatz von Hilfspersonen verfolge u n d d a d u r c h seinen Tätigkeitsbereich erweitern darf, dann müsse er auch mit einem erweiterten V e r a n t w o r t u n g s b e r e i c h einverstanden sein. Auf die B e d e u t u n g des Schuldverhältnisses f ü r das Verständnis des § 278 B G B weist auch E. Schmidt, A c P 170 (1970), 502 (503 f.), hin. - Im
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Haftung
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v o r g e n o m m e n e E i n b e z i e h u n g eines D r i t t e n in den durch den Vertrag g e z o g e nen Vertrauenskreis führt also dazu, daß der S c h u l d n e r für diesen D r i t t e n wie für sich selbst einzustehen hat. D e r G l ä u b i g e r ist damit bei der E r f ü l l u n g so geschützt, als o b der S c h u l d n e r selbst handeln würde. D i e s e H a f t u n g für H i l f s p e r s o n e n innerhalb des Schuldverhältnisses stellt eine eigenartige M i s c h u n g aus G a r a n t i e - und Verschuldenselementen dar. 3 4 D a b e i ist zu b e d e n k e n , daß den Erfüllungsgehilfen gegenüber dem G l ä u b i g e r der zu erfüllenden V e r b i n d l i c h k e i t gar keine P f l i c h t trifft und er damit i n s o weit auch gar nichts verschulden k a n n . 3 5 G e m e i n t ist in § 2 7 8 B G B vielmehr, daß das Verhalten des G e h i l f e n wie ein eigenes Verhalten des Schuldners zu beurteilen ist. D i e s e r haftet also, w e n n ein entsprechendes eigenes Verhalten schuldhaft gewesen w ä r e . 3 6 D e r erste P u n k t , an dem sich bei der H a f t u n g nach § 2 7 8 B G B die B e d e u tung des Schuldverhältnisses zeigt, ist der H a f t u n g s m a ß s t a b . D a s „Verschuld e n " des Erfüllungsgehilfen beurteilt sich nach den Sorgfaltsmaßstäben, die für den S c h u l d n e r selbst gelten, die also durch das Schuldverhältnis vorgegeben w e r d e n . D e r S c h u l d n e r haftet daher für diejenige S a c h k e n n t n i s und S o r g falt seiner Angestellten, die der G l ä u b i g e r nach dem Vertragsverhältnis v o n ihm selbst zu erwarten berechtigt war. 3 7 In der H e r a n z i e h u n g dieses S o r g faltsmaßstabes, an dem das Verhalten des Erfüllungsgehilfen als „Verschuld e n " b e w e r t e t wird, liegt ein M o m e n t der G a r a n t i e für das erforderliche K ö n nen der v o n ihm eingesetzten H i l f s p e r s o n e n . 3 8 D e r G r u n d für dieses G a r a n t i e m o m e n t leitet sich aus der Ü b e r n a h m e von P f l i c h t e n durch den S c h u l d n e r gegenüber d e m G l ä u b i g e r her und damit letztlich aus der B i n d u n g des Schuldverhältnisses selbst. E i n e weitere Eigenart der H a f t u n g für das Verhalten des Erfüllungsgehilfen besteht darin, daß dessen Verhalten - nach den für den S c h u l d n e r geltenden Sorgfaltsmaßstäben - als schuldhaft b e w e r t e t wird und der S c h u l d n e r dieses wie eigenes Verschulden zu vertreten hat. D e r Schuldner hat das f r e m übrigen wird hier mit der Bezugnahme auf das Schuldverhältnis keine umfassende Theorie zur Erklärung der Haftung nach § 278 BGB angestrebt, zumal in der Vorschrift möglicherweise unterschiedliche Prinzipien miteinander kombiniert sind. Es kommt an dieser Stelle nur darauf an, den Charakter der Haftungszurechnung nach §278 BGB gegenüber der deliktischen Haftung aus § 831 BGB genauer zu umreißen. 34 Vgl. insbesondere Larenz, Schuldrecht I, § 20 VIII (S. 298); v. Caemmerer, Festschrift für Hauß, 33 (34 f., 39 ff.); Staudinger-Löwisch, § 276 Rz. 4, § 278 Rz. 1. Das Garantiemoment wird auch schon in den Motiven, Bd. II, S. 30, hervorgehoben. 35 Medicus, Schuldrecht I, Rz. 334. 36 So Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, §27 I 3 c; Larenz, Schuldrecht I, §20 VIII (S. 303); Medicus, Schuldrecht I, Rz. 334; a.A. hinsichtlich der Frage der Zurechnungsfähigkeit MüKoHanau, § 278 Rz. 35; Palandt-Heinrichs, § 278 Rz. 24; Staudinger-Löwisch, § 278 Rz. 50. 37 So auch Palandt-Heinrichs, §278 Rz. 24; Staudinger-Löwisch, §278 Rz. 47; Esser/ Schmidt, Schuldrecht 1/2, § 27 I 3 c; vgl. auch Medicus, Schuldrecht I, Rz. 334: Ist der Meister Schuldner, so kommt es auf die Sorgfalt eines Meisters auch dann an, wenn der handelnde Gehilfe ein junger, unerfahrener Lehrling ist. 38 Dies hat vor allem v. Caemmerer deutlich gemacht, Festschrift für Hauß, 33 (34 ff.).
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§6 Sorgfaltspflichten
zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
de Verhalten also nur zu vertreten. Das bedeutet, er muß für einen Umstand auch dann eintreten, wenn ihn insoweit kein eigenes Verschulden trifft. Mit dem Gedanken des Vertretenmüssens wird danach die Haftung innerhalb bereits bestehender Schuldverhältnisse vom Verschulden gelöst. Hierin liegt einer der wesentlichen Punkte, an dem sich die Eigenart vertraglicher Haftung im Unterschied zur deliktischen Haftung zeigt. Nach Deliktsrecht haftet der Geschäftsherr für ein Fehlverhalten seines Verrichtungsgehilfen aufgrund eigenen Verschuldens, nach Vertragsrecht hat der Schuldner ein Verschulden seines Erfüllungsgehilfen zu vertreten. Der Unterschied liegt also insoweit in der Differenz zwischen eigenem Verschulden und bloßem Vertretenmüssen. Der Begriff des Vertretenmüssens ist dabei ein spezifischer Begriff der vertraglichen Haftungsordnung. Im Gesetz taucht er in unterschiedlichen Zusammenhängen auf. So hat nach § 279 BGB der Schuldner einer Gattungsschuld ein Unvermögen auch dann zu vertreten, wenn ihm ein Verschulden nicht zur Last fällt. Während also nach § 279 BGB ein Verschulden für das Vertretenmüssen des Schuldners gar keine Rolle mehr spielt, ist dieser Zusammenhang durch die Regelung des § 278 BGB nur gelockert. Immerhin hat der Schuldner hier noch ein fremdes Verschulden zu vertreten. Warum haftet nun der Schuldner innerhalb eines bereits bestehenden Schuldverhältnisses in der Weise, daß er ein Verschulden seines Erfüllungsgehilfen zu vertreten hat, während der Geschäftsherr bei der Begründung eines Schuldverhältnisses infolge Fehlverhaltens seines Verrichtungsgehilfen nur für eigenes Verschulden haftet? Die Antwort darauf ergibt sich daraus, daß die Haftung im Rahmen eines bestehenden Schuldverhältnisses nur eine Ausgestaltung dieses Schuldverhältnisses darstellt, während es bei der deliktischen Haftung gerade um die Begründung eines Schuldverhältnisses geht. Im Rahmen des bereits bestehenden Schuldverhältnisses existiert zwischen den Parteien schon eine besondere Pflichtenbeziehung. Insoweit wird häufig auch von einem besonderen Vertrauensverhältnis gesprochen. In diese Beziehung wird der Erfüllungsgehilfe dadurch, daß ihn der Schuldner heranzieht, integriert; er wird gewissermaßen in die Personalität des Schuldverhältnisses einbezogen. 39 Daraus rechtfertigt sich dann einerseits, daß der Schuldner für das Verhalten des Erfüllungsgehilfen auch ohne eigenes Verschulden einzustehen hat. Andererseits bleibt das Gesetz seinen Haftungsprinzipien treu, indem es das Vertretenmüssen des Schuldners an ein Verschuldensurteil über das Verhalten des Erfüllungsgehilfen knüpft. 40 Im Rahmen der deliktischen Haftung fehlt es hingegen an der mit dem Schuldverhältnis entstandenen besonderen Pflichten- und Vertrauensbeziehung. Es geht hier vielmehr erst noch um die Begründung eines solchen 39 Deshalb auch die bereits erwähnte Kennzeichnung dieses Vorgangs als „Einschaltungshaftung" d u r c h / / . Westermann,]uS 1961, 333 (338). 40 Vgl. auch v. Caemmerer, Festschrift für Hauß, 33 (40), der die Entstehung der Vorschrift des § 278 BGB so deutet, daß mit der Garantiehaftung der durch das Verschuldensprinzip gezogene Rahmen nicht verlassen werden sollte.
II. Zum Verhältnis von vertraglicher und deliktischer Haftung
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Schuldverhältnisses. D e s h a l b k a n n der V e r s c h u l d e n s v o r w u r f bei Fehlverhalten einer H i l f s p e r s o n nur auf den G e s c h ä f t s h e r r n als den D e l i k t s s c h u l d n e r selbst b e z o g e n w e r d e n . D e r Verrichtungsgehilfe erscheint hier n u r als dessen rechtswidrig handelndes W e r k z e u g im R a h m e n der Schadensverursachung. 4 1 A n d e r s als der Erfüllungsgehilfe handelt der Verrichtungsgehilfe also nicht anstelle des Schuldners, da ein Schuldverhältnis, in das er und sein H a n d e l n integriert sein k ö n n t e n , n o c h gar nicht existiert. D i e unterschiedliche Ausgestaltung v o n vertraglicher und deliktischer H a f t u n g im H i n b l i c k auf das Fehlverhalten v o n H i l f s p e r s o n e n läßt sich also mit der Personalität des Schuldverhältnisses erklären. D e r D e l i k t s s c h u l d n e r haftet für persönliches Verschulden, weil es hier u m die B e g r ü n d u n g des Schuldverhältnisses geht, der Vertragsschuldner haftet auch für fremdes Verschulden, da ein Schuldverhältnis bereits bestand. I n s o w e i t k o m m t in den § § 2 7 8 und 831 B G B durchaus der K e r n der U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n vertraglicher und deliktischer H a f t u n g s o r d n u n g zutage. O b sich auf die P e r s o nalität des Schuldverhältnisses auch die weiteren der üblicherweise genannten U n t e r s c h i e d e v o n vertraglicher und deliktischer H a f t u n g z u r ü c k f ü h r e n lassen, ist im einzelnen zweifelhaft und soll hier o f f e n bleiben. M i t dem G e d a n ken der Personalität des Schuldverhältnisses, der hier im H i n b l i c k auf die Vera n t w o r t l i c h k e i t für das Fehlverhalten v o n H i l f s p e r s o n e n e n t w i c k e l t wurde, liegt jedenfalls ein B e z u g s r a h m e n vor, v o n dem aus sich auch die H a f t u n g für Sorgfaltspflichtverletzungen deuten läßt.
4. Zur Verortung der Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter im Schuldverhältnis M o d e l l des Schuldverhältnisses ist a n k n ü p f e n d an die Vorschrift des § 241 Satz 1 B G B für viele die auf eine L e i s t u n g gerichtete B e z i e h u n g zwischen G l ä u b i g e r und Schuldner. 4 2 E i n Schuldverhältnis in diesem Sinne wird v o r allem durch den Schuldvertrag begründet, dann aber auch durch die kraft G e setzes entstehenden Rechtsverhältnisse aus D e l i k t oder ungerechtfertigter B e r e i c h e r u n g . O b auch die Pflichten z u m S c h u t z absoluter R e c h t s g ü t e r als Sorgfaltspflichten dem Schuldverhältnis zugeordnet w e r d e n k ö n n e n , gilt als 41 Zur Haftung aus § 831 als Spezialfall einer mittelbaren Verletzung von Verkehrspflichten vgl. Larenz! Canaris, Schuldrecht II/2, § 79 III 1 a; Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 249. 42 Deshalb soll an den bisherigen § 241 B G B nach dem Entwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes ein zweiter Absatz eingefügt werden, der bestimmt, daß sich das Schuldverhältnis auf Pflichten zu besonderer Rücksicht auf die Rechte und Rechtsgüter des anderen Teils beschränken kann. Zur Problematik dieser Regelung vgl. vor allem Krebs, D B Beilage Nr. 14/2000, 1 (9); Dauner-Lieb, Kodifikation von Richterrecht, 305 (313 ff.). Für die Lösung dieser Frage durch die konsolidierte Fassung des Diskussionsentwurfes siehe §§ 241 II, 311 II BGB-KF.
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§ 6 Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
ungelöstes k o n z e p t i o n e l l e s P r o b l e m . V o r allem die Auffassung v o n der culpa in c o n t r a h e n d o als „Schuldverhältnis o h n e primäre L e i s t u n g s p f l i c h t " 4 3 erscheint m a n c h e m als b e d e n k l i c h e d o g m a t i s c h e Figur, da sie darüber h i n w e g täusche, daß es hier in W a h r h e i t u m deliktische A n s p r ü c h e und P f l i c h t e n geht. 4 4 I m f o l g e n d e n wird zunächst gezeigt, daß dieser K r i t i k s o w o h l ein u n zureichendes Verständnis des D e l i k t s r e c h t s (vgl. a), als auch des Vertragsrechts (vgl. b) zugrunde liegt. I m A n s c h l u ß daran folgt (unter c) auf der G r u n d l a g e des hier e n t w i c k e l t e n Verständnisses v o m Schuldverhältnis als personaler B e z i e h u n g eine R e c h t f e r t i g u n g des Schutzes absoluter R e c h t s g ü ter durch Sorgfaltspflichten.
a) Der Schutz absoluter Rechtsgüter als spezifische Aufgabe des Deliktsrechts? D i e A u f f a s s u n g , der S c h u t z absoluter R e c h t s g ü t e r stelle eine spezifische A u f g a b e des D e l i k t s r e c h t s dar, nicht auch des Vertragsrechts, hat v o r allem v. B a r 4 5 zu einer K r i t i k des Integritätsschutzes durch das Vertragsrecht veranlaßt. D i e s e Vorstellung greift aber zu k u r z . D a s wird deutlicher, w e n n man einmal auf den K e r n b e r e i c h des bürgerlichen R e c h t s unter d e m G e s i c h t s p u n k t des R e c h t s g ü t e r s c h u t z e s schaut. D a b e i ist der S c h u t z des E i g e n t u m s systematisch am differenziertesten entfaltet. D e s s e n S c h u t z wird b e k a n n t l i c h nicht n u r durch die deliktischen Tatbestände gewährleistet, s o n d e r n etwa auch durch die dinglichen A n s p r ü c h e der §§ 9 8 5 , 1 0 0 4 I B G B , so daß im H i n b l i c k auf den S c h u t z dieses R e c h t s g u t e s z u n ä c h s t einmal ein Spannungsverhältnis z w i s c h e n deliktischem und dinglichem R e c h t s s c h u t z besteht. D e m S c h u t z des E i g e n t u m s in einem weiteren Sinne dient darüber hinaus aber auch die bereicherungsrechtliche E i n g r i f f s k o n d i k t i o n (§ 8 1 2 1 1 2 . Alt. B G B ) o d e r auch die R e g e l u n g zur a n g e m a ß t e n E i g e n g e s c h ä f t s f ü h r u n g (§ 6 8 7 I I B G B ) . I n allen diesen Fällen verwendet das G e s e t z die Vorstellung v o m absoluten R e c h t zur B e g r ü n d u n g des R e c h t s s c h u t z e s , allerdings taucht die A b s o l u t h e i t jeweils in unterschiedlichen Z u s a m m e n h ä n g e n auf. S o dient in § 823 I B G B die A b s o l u t h e i t des R e c h t e s der Q u a l i f i z i e r u n g eines Eingriffes in das absolute R e c h t als unerlaubte H a n d l u n g , die dann weiter unter dem G e s i c h t s p u n k t der W i d e r r e c h t l i c h k e i t und des Verschuldens zu b e t r a c h t e n ist, w ä h r e n d in den §§ 9 8 5 , 1004 I B G B s c h o n der b l o ß e E i n g r i f f in das absolute R e c h t z u m R e c h t s s c h u t z führt. D e r dingliche R e c h t s s c h u t z b e r u h t damit allein auf der B e e i n t r ä c h t i g u n g des absoluten R e c h t s , w ä h r e n d das D e l i k t s r e c h t die d o g m a tische F i g u r des absoluten R e c h t s n u r als A n k n ü p f u n g s p u n k t einer in m e h r e ren S c h i c h t e n o d e r Stufen erfolgenden A n s p r u c h s b e g r ü n d u n g a u f n i m m t , die
43 44
wird. 45
Larenz, Schuldrecht I, § 9. Vgl. insbesondere die Kritik v. Bars, JuS 1982, 637 ff., auf die noch näher einzugehen sein Verkehrspflichten, S. 312 ff.; ders., JuS 1982, 637 ff.
II. Zum Verhältnis von vertraglicher und deliktischer
Haftung
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diesem R e c h t s g e b i e t auch seine Prägung verleihen. D a s absolute R e c h t wird hier gewissermaßen instrumentarisiert z u m Z w e c k e der B e g r ü n d u n g einer auf Verschulden b e r u h e n d e n H a f t u n g für unerlaubte H a n d l u n g e n . In ähnlicher Weise k n ü p f t etwa auch die E i n g r i f f s k o n d i k t i o n an die d o g m a t i s c h e F i gur des absoluten R e c h t s an und unterwirft sie den spezifisch bereicherungsrechtlichen G r u n d s ä t z e n , o h n e daß dies hier aber weiter vertieft werden soll. E s dürfte s c h o n deutlich g e w o r d e n sein, daß das D e l i k t s r e c h t damit nur eine v o n unterschiedlichen T e c h n i k e n z u m S c h u t z absoluter R e c h t s g ü t e r darstellt. D e m S c h u t z v o n R e c h t s g ü t e r n dient nun durchaus auch das Vertragsrecht, und z w a r auch soweit m a n den Vertrag nur unter dem G e s i c h t s p u n k t der L e i stungsbeziehung betrachtet. M i t dem A n s p r u c h auf E r f ü l l u n g einer L e i stungspflicht wird z w a r nicht - wie b e i m dinglichen oder deliktischen R e c h t s s c h u t z - der G ü t e r b e s t a n d geschützt, sondern die G ü t e r b e w e g u n g . D a s Interesse am B e s t a n d des Erfüllungsanspruches (und damit der G ü t e r b e wegung) wird aber durch die Vorschriften ü b e r die nachträgliche U n m ö g l i c h keit und den Schuldnerverzug geschützt. U n t e r d e m G e s i c h t s p u n k t des R e c h t s g ü t e r s c h u t z e s k o m m t damit diesen leistungsstörungsrechtlichen Vorschriften eine ähnliche F u n k t i o n zu wie den deliktischen Generalklauseln, wenn auch der B e z u g s p u n k t ein anderer ist. S o k a n n man im H i n b l i c k auf § 823 I B G B sagen, daß die Vorschrift d e m S c h u t z des absoluten R e c h t s dient, die V o r s c h r i f t e n ü b e r nachträgliche U n m ö g l i c h k e i t und Schuldnerverzug hingegen dem S c h u t z des relativen R e c h t s . 4 6 D i e B e t r a c h t u n g m a c h t deutlich, daß das D e l i k t s r e c h t w e d e r der alleinige O r t des zivilrechtlichen R e c h t s g ü t e r s c h u t z e s ist, n o c h nur des Schutzes a b s o luter Rechtsgüter. D a r a u s folgt aber auch, daß die b l o ß e B e z u g n a h m e auf den S c h u t z absoluter R e c h t s g ü t e r keine zureichende B e g r ü n d u n g dafür gibt, den S c h u t z dieser R e c h t s g ü t e r allein im D e l i k t s r e c h t zu verorten und damit einen S c h u t z durch das Vertragsrecht auszuschließen. E r f o r d e r l i c h ist es vielmehr, den S c h u t z absoluter R e c h t s g ü t e r im H i n b l i c k auf die unterschiedlichen F u n k t i o n e n v o n vertraglicher und deliktischer H a f t u n g s o r d n u n g zu bestimmen. D a z u empfiehlt es sich im folgenden, z w i s c h e n vertraglichen und vorvertraglichen Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z absoluter R e c h t s g ü t e r zu unterscheiden und damit zwischen einer H a f t u n g aus positiver Vertragsverletzung und culpa in c o n t r a h e n d o . D i e H a f t u n g für die Verletzung v o n Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z absoluter R e c h t s g ü t e r aus positiver Vertragsverletzung ist auf den ersten B l i c k deshalb unproblematischer, weil hier i m m e r h i n ein vertragliches Schuldverhältnis bereits besteht. D e n n o c h wird auch hier - etwa durch v. B a r 4 7 - geltend gemacht, daß die Vertragshaftung i n s o w e i t A u f g a b e n des D e l i k t s r e c h t s wahrSo schon die Sicht in den Motiven, Bd. II, S. 726 f.; vgl. dazu auch oben § 3 II 3. Verkehrspflichten, S. 314; ders., JuS 1982, 637 (642); ähnlich Kreuzer, J Z 1976, 778 (779). Daß es sich bei der Verletzung von Schutzpflichten, die sich auf das Integritätsinteresse beziehen, um allgemeine Verkehrspflichten handelt, meint auch etwa Huber, AcP 177 (1977), 281 (316 ff.). 46
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5 6 Sorgfaltspflichten
zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
nehme, da die eingetretenen Schäden weder in einem Zusammenhang mit dem vertraglichen Leistungsaustausch stehen, noch sich auf einen rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillen zurückführen lassen. Dieser Kritik liegt also die durchaus verbreitete Einschätzung zugrunde, daß der Schutz des Erhaltungsinteresses am Bestand von Gütern dem Deliktsrecht zugewiesen ist, nicht dem Vertragsrecht. Allerdings liegt dieser Auffassung nur eine verkürzte Sichtweise z u m Funktionszusammenhang von vertraglicher und deliktischer H a f t u n g zugrunde.
b) Schutz des Leistungsaustausches durch Vertragsrecht und Bestandsschutz durch Deliktsrecht? Zum Vertrag als Schuldverhältnis Der Ansicht v. Bars 4 8 , daß das Vertragsrecht nur den Leistungsaustausch betrifft und das Deliktsrecht den Bestandsschutz, liegt insbesondere ein unzureichendes Verständnis des modernen Vertragsrechts zugrunde. Zunächst einmal ist die Gegenüberstellung von Leistungsaustausch und Bestandsschutz schief, weil auch der Leistungsaustausch über den Erfüllungsanspruch Bestandsschutz genießt. D a s zeigt, daß die Begriffe „Leistungsaustausch" und „Bestandsschutz" durchaus unterschiedlichen Bezugsebenen zugehören. Mit der Qualifizierung des Vertrags als bloßem Instrument des Leistungsaustausches k o m m t dann aber vor allem eine wesentliche Errungenschaft der modernen Vertragsdogmatik nicht ausreichend in den Blick, nämlich das Schuldverhältnis im weiteren Sinne. Der Vertrag kann heute nicht mehr einfach als ein vom Willen beider Parteien getragenes Institut des bloßen Leistungsaustausches begriffen werden. Vielmehr stiftet er ein gesetzliches Rechtsverhältnis, das als Schuldverhältnis begriffen wird. Dabei stellt das Schuldverhältnis eine dogmatische Figur dar, die einen rechtlichen Rahmen für das einmal durch den Vertragsschluß begründete Rechtsverhältnis zur Verfügung stellt. Es wäre heute ja eine grundlegende Fehlvorstellung, daß sich die Rechtsfolgen des Vertrages in jedem Fall auf den tatsächlichen Willen der Vertragspartner zurückführen lassen. 4 9 Vielmehr entsteht mit dem Vertrag ein Schuldverhältnis, das einen rechtlich ausdeutbaren Rahmen für die beiderseitigen Rechte und Pflichten gibt. Im Hinblick auf Allgemeine Geschäftsbedingungen hatte die Rechtsprechung vor Erlaß des A G B - G e s e t z e s davon gesprochen, daß sich der Kunde den A G B als einer „fertig bereitliegenden Rechtsordnung" unterwerfe. 5 0 In abgeschwächter Weise gilt dies nicht nur für die Vereinbarung von AllgemeiJ u S 1982,637(642). Zum Ergänzungsverhältnis von Vertrag und Gesetz bei der inhaltlichen Bestimmung des vertraglichen Schuldverhältnisses vor allem Larenz, Schuldrecht I, § 6 I; Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 58 ff. 5 0 B G H B B 1959, 826 (827); W M 1966, 450 (450); D B 1969, 568; vgl. dazu Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 471. 48
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II. Zum Verhältnis von vertraglicher und deliktischer
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nen G e s c h ä f t s b e d i n g u n g e n , sondern für jeden Vertrag. M i t d e m A b s c h l u ß eines Vertrages wird durch den v o m Schuldverhältnis gezogenen R a h m e n auch für den v o m Willen der Parteien ausgesparten R a u m eine rechtliche O r d n u n g errichtet. I n s o w e i t b e g r ü n d e t das durch den Vertrag gestiftete Schuldverhältnis für die Vertragsparteien eine eigene V e r h a l t e n s o r d n u n g . A n d e r s als bei den Allgemeinen G e s c h ä f t s b e d i n g u n g e n liegt diese Verhaltensordnung j e d o c h nicht v o n v o r n h e r e i n bereit, sondern sie bedarf der K o n k r e t i s i e r u n g im H i n b l i c k auf die D u r c h f ü h r u n g und F o r t e n t w i c k l u n g des Schuldverhältnisses. D e r durch das Schuldverhältnis gezogene R a h m e n findet seine A u s f ü l lung z u n ä c h s t natürlich durch die V o r s c h r i f t e n des dispositiven G e s e t z e s rechtes. G r u n d l a g e der K o n k r e t i s i e r u n g des Schuldverhältnisses und der sich aus ihm ergebenden R e c h t e und Pflichten sind dann aber auch v o r allem die §§ 157 und 2 4 2 B G B , w o n a c h das durch den Vertrag begründete Schuldverhältnis anhand v o n Treu und G l a u b e n b e s t i m m t wird. D a b e i k n ü p f t die A u s legung gem. § 157 B G B i m m e r h i n n o c h an die E i n i g u n g der Parteien an, w ä h rend nach § 2 4 2 B G B das Schuldverhältnis auch dann nach Treu und G l a u b e n ausgestaltet wird, w e n n sich dafür selbst im W e g e der Auslegung kein A n k n ü p f u n g s p u n k t m e h r aus der vertraglichen E i n i g u n g e n t n e h m e n läßt. 5 1 E s stellt deshalb keinen Zufall dar, daß auch die aus d e m Schuldverhältnis resultierenden Sorgfaltspflichten aus § 157 B G B o d e r - soweit dies (wie i n s b e s o n dere bei gesetzlichen Schuldverhältnissen) nicht m ö g l i c h ist - aus § 2 4 2 B G B hergeleitet w e r d e n . 5 2
c) Der Schutz absoluter Rechtsgüter durch Sorgfaltspflichten als Folge der Personalität des Schuldverhältnisses aa) Die Öffnung der Rechtsgüterkreise im Rahmen der personalen Beziehung des Schuldverhältnisses W o r i n liegt nun der G r u n d , der es rechtfertigt, etwa im R a h m e n der D u r c h f ü h r u n g eines Vertrages den S c h u t z der absoluten R e c h t s g ü t e r der Vertragspartner (zumindest auch) nach Vertragsrecht zu beurteilen und nicht (nur) nach D e l i k t s r e c h t ? Z u dieser Frage gibt es eine klassische A n t w o r t , die w o h l auf H e i n r i c h Stoll z u r ü c k g e h t , u n d die nichts v o n ihrer U b e r z e u g u n g s kraft verloren hat. Stoll hat den S c h u t z absoluter R e c h t s g ü t e r anhand der v o n ihm sogenannten S c h u t z p f l i c h t e n mit „der d u r c h die S o n d e r b e z i e h u n g erst eröffneten b e s o n d e r e n E i n w i r k u n g s m ö g l i c h k e i t in den fremden R e c h t s k r e i s und des durch sie begründeten Vertrauensverhältnisses zur G e g e n p a r t e i " b e gründet. 5 3 D e r vertragliche R e c h t s s c h u t z absoluter R e c h t s g ü t e r beruht da51
Vgl. Palandt-Heinrichs,
§ 242 Rz. 18.
Vgl. Gernhuber, Das Schuldverhältnis, § 2 IV 2 d; Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 284; M ü K o - K r a m e r , § 241 Rz. 18 a.E. 53 Stoll, AcP 136 (1932), 257 (298). Die von Stoll vorgenommene Verknüpfung des Gedankens der Öffnung der Rechtsgüterkreise mit dem Vertrauensgedanken wird vor allem in der 52
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zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
nach also darauf, daß die Parteien im R a h m e n der Durchführung des Vertrages typischerweise ihre Rechtssphären einander öffnen und es damit nicht nur zu einer gesteigerten Berührung mit den Rechtsgütern des anderen k o m m t , sondern auch zu entsprechenden Sorgfaltsanforderungen im H i n b l i c k auf diese Rechtsgüter. D i e Argumentation Stolls macht vor allem deutlich, wieso der Schutz dieser Rechtsgüter nicht allein durch die deliktische Verhaltensordnung erfolgt. D e r Grund des hier gewährten Rechtsgüterschutzes liegt nämlich nicht einfach in der Verletzung eines absolut geschützten Rechtsgutes durch einen U n beteiligten, sondern in der Verletzung eines solchen Rechtsgutes im Rahmen der personalen Beziehung des Schuldverhältnisses. D e r Gedanke der O f f e n l e gung der eigenen Rechtsgüter macht wie kein anderer deutlich, daß hier die Personalität des Schuldverhältnisses betroffen ist und nicht irgendeine Beziehung Unbeteiligter. Dabei zeigt sich die Personalität des Schuldverhältnisses - jedenfalls für diesen Bereich - weniger in der Art des verletzten Rechtsgutes, noch unbedingt in dem Ausmaß an Sorgfalt im H i n b l i c k auf diese Rechtsgüter, als vielmehr in dem Lebensverhältnis, in dem das absolute Rechtsgut hier auftaucht. Es ist eben ein Unterschied, ob der Kunde auf der Bananenschale an der Kasse ausrutscht oder aber der Passant auf ihr beim Überqueren der Hauptstraße. F ü r den Passanten verwirklicht sich sein allgemeines Lebensrisiko, das allein nach den Vorschriften des Deliktsrechts beurteilt werden kann, für den K u n den verwirklicht sich hingegen das spezifische Risiko, das sich aus der D u r c h führung des Vertrages ergibt und das deshalb auch nach den Vorschriften des Vertragsrechts beurteilt werden kann. Das Unbehagen daran, den Schutz absoluter Rechtsgüter in den Supermarkt- oder Warenhausfällen dem Vertragsrecht zuzuweisen, dürfte vor allem damit zusammenhängen, daß es schwerfällt, auch Massengeschäfte des täglichen Lebens noch als personale Schuldverhältnisse aufzufassen, denen dann entsprechende Sorgfaltspflichten zugeordnet werden können. Bei dem Handwerker, der in die Wohnung seines Auftraggebers k o m m t , liegt die Personalität des Schuldverhältnisses und der sich daraus ergebenden Sorgfaltsälteren Literatur aufrechterhalten, vgl. etwa Dölle, ZStW 103 (1943), 67 (74); Larenz, M D R 1954, 515 (517); auch noch Canaris, J Z 1965, 475 (476). Von besonderer Bedeutung ist das Merkmal der beiderseitigen Öffnung der Rechtsgüterkreise in der Untersuchung von Frost, „Vorvertragliche" und „vertragliche" Schutzpflichten. In der modernen Literatur tritt allerdings zunehmend der von Ballerstedt, AcP 151 (1950/51), 501 (506 f.), formulierte Vertrauensgedanke in den Vordergrund, vgl. nur die Darstellung von Larenz, Schuldrecht I, § 9 I a (S. 106), oder Palandt-Hetnrichs, § 2 7 6 Rz. 65 f. Scharf unterschieden werden insoweit die Lehre von der Vertrauenshaftung und das Kriterium der gesteigerten Einwirkungs- und Schädigungsmöglichkeit durch Picker, AcP 183 (1983), 369 (411 ff., 418 ff.). Umfassend zu den verschiedenen Erklärungsansätzen zuletzt Krebs, Sonderverbindung und außerdeliktische Schutzpflichten, S. 170 ff., der im Ergebnis verschiedene Gesichtspunkte miteinander kombiniert, dem Gedanken der spezifischen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechtsgüter der Gegenseite aber ebenfalls maßgebliche Bedeutung zumißt, vgl. ders., a.a.O., S. 210 ff.
II. Zum Verhältnis von vertraglicher
und deliktischer
Haftung
225
pflichten offen zutage. Mit dem Einlaß in die Wohnung öffnet der Auftraggeber dem Handwerker seinen Rechtsgüterkreis. Dem Handwerker werden die Rechtsgüter des Vertragspartners damit zur sorgfältigen Behandlung anvertraut. Das zeigt sich auch daran, daß sie einem beliebigen Dritten nicht oder nicht in dieser Weise zugänglich wären. Weniger klar erscheint hingegen, worin das personale Moment liegt, das es rechtfertigen würde, auch die Verletzung von absoluten Rechtsgütern beim Einkauf im Supermarkt oder im Warenhaus dem Schuldverhältnis zuzuordnen. 54 Ein personales Moment liegt zunächst sicher darin, daß der Inhaber des Supermarktes oder des Warenhauses seinen Rechtsgüterkreis durch Präsentation seiner Waren öffnet. Mit diesem Gesichtspunkt lassen sich aus dem Schuldverhältnis aber zunächst nur Sorgfaltspflichten des Kunden gegenüber dem Händler begründen. Es geht in diesen Fällen aber primär um die Haftung des Händlers und damit um dessen Sorgfaltspflichten gegenüber dem Kunden. 55 Immerhin gibt diese Perspektive aber schon einen Anhaltspunkt dafür, daß die Art der Beziehung keineswegs dagegen spricht, auch hier die Pflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter als Sorgfaltspflichten dem Schuldverhältnis zuzuordnen. Man darf sich denn durch die Anonymität und Massenhaftigkeit der Beziehungen nicht darüber hinwegtäuschen lassen, daß auch hier Verträge geschlossen und damit Schuldverhältnisse begründet werden, aus denen beiden Vertragspartnern Pflichten zum Schutz der absoluten Rechtsgüter des anderen erwachsen. Die Personalität der Pflichten folgt im Grunde schon daraus, daß sich die Vertragsparteien in die Situation des Vertragsschlusses und der Vertragsdurchführung begeben. Die Sorgfaltspflichten des Händlers gegenüber dem Kunden resultieren hier also aus der Anwesenheit des Kunden als solchem, daraus, daß er mit seinem Leib und Leben sowie mit seinem Eigentum im Supermarkt oder im Warenhaus präsent ist. Der Umstand, daß der Kunde seinen Händler „aufsucht" und dabei in seinen absolut geschützten Rechtsgütern verletzt wird, hebt das Lebensverhältnis über die Situation eines bloßen Verkehrsunfalles hinaus und erlaubt es auch, die dem Kunden gegenüber bestehenden Pflichten des Händlers im Hinblick auf die absolut geschützten Rechtsgüter der Personalität des Schuldverhältnisses zuzuordnen. Die hier vorgetragene Argumentation beinhaltet eine Konkretisierung des Arguments Stolls zu der „Öffnung der Rechtsgüterkreise". Darunter darf man sich nicht einfach nur vorstellen, daß der eine Vertragspartner dem anderen seinen räumlichen Lebensbereich öffnet (wie in dem obigen Handwerker54 Ausführlich zu diesen Fällen Frost, „Vorvertragliche" und „vertragliche" Schutzpflichten, S. 112 ff. 55 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 314, meint aus der „häufig zu beobachtenden Einseitigkeit" der Geltendmachung von Ansprüchen wegen Schutzpflichtverletzung durch Kunden gegen etwa das Kaufhaus auf die deliktische Natur der Pflichten schließen zu können. Sorgfaltspflichten bestehen natürlich auch für den Kunden, nur ist dessen Haftung im Regelfall unproblematisch, zumal auf eine Inanspruchnahme des Kunden zumeist auch verzichtet wird.
226
5 6 Sorgfaltspflicbten zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
beispiel), sondern dazu zählt auch die Ö f f n u n g des persönlichen Lebensbereiches, die durch die bloße Anwesenheit des Vertragspartners erfolgen kann. D e r erste schützenswerte Rechtsgüterkreis liegt damit in der Person des Vertragspartners selbst. Daher ist der Schutz der durch die Person des Vertragspartners repräsentierten absoluten Rechtsgüter notwendig dem Schuldverhältnis zuzuordnen. Erst diese Sichtweise beseitigt auch die in den verschiedenen Schuldverhältnissen anscheinend bestehende Asymmetrie in der Ö f f n u n g der Rechtsgüterkreise. So scheint auf den ersten Blick in den Warenhaus- oder Supermarktfällen nur der Inhaber des Geschäfts seinen Rechtsgüterkreis zu öffnen, während in dem Handwerkerbeispiel dies nur der Auftraggeber zu tun scheint. Tatsächlich ist damit aber jeweils nur ein räumlicher Bereich des Rechtsgüterkreises ins Auge gefaßt, der einem der beiden Vertragspartner zugeordnet werden kann. Ein vollständiges Bild der Verhältnisse muß aber sicher auch berücksichtigen, daß die Anwesenheit des jeweils anderen Vertragspartners in diesem räumlichen Bereich ebenfalls zu besonderen Einwirkungsmöglichkeiten auf dessen Person führt und deshalb ebenfalls die Ö f f nung des eigenen Rechtsgüterkreises beinhaltet. Wenn beispielsweise der Handwerker in der Wohnung des Auftraggebers dadurch verletzt wird, daß der Auftraggeber aus Unachtsamkeit während der Reparatur eine Zigarette fallen läßt und dadurch einen Brand verursacht, dann ist der Auftraggeber dem Handwerker wegen Verletzung einer Sorgfaltspflicht aus positiver Vertragsverletzung zum Schadensersatz verpflichtet. I m Normalfall kann man daher durchaus von einer beiderseitigen Ö f f n u n g der Rechtsgüterkreise im Rahmen der Durchführung des Schuldverhältnisses ausgehen, wenn dabei auch auf Seiten der beiden Vertragspartner jeweils unterschiedliche Rechtsgüter betroffen sein mögen. Trotzdem bleibt in bezug auf den Schutz absoluter Rechtsgüter in solchen Beziehungen eine leichte Asymmetrie, die sich daraus ergibt, daß in den genannten Fällen die Rechtsgüter des einen Vertragspartners als schutzbedürftiger erscheinen und die des anderen etwas weniger. So mag in dem Handwerkerbeispiel der Auftraggeber in aller Regel schutzbedürftiger erscheinen als der Handwerker; demgegenüber wird beim Kauf im Warenhaus oder Supermarkt in erster Linie auf den Schutz des Kunden geschaut, weniger auf den des Geschäftsinhabers. Dieser Eindruck wird wohl primär vermittelt durch die Zahl rechtlich entschiedener Fälle, in denen sich aber auch die typische Gefährdung absoluter Rechtsgüter in unterschiedlichen Situationen widerspiegelt. D a z u mag dann auch gehören, daß in den jeweiligen Fällen auf unterschiedlicher Seite (nämlich dem Warenhaus, dem Supermarkt, dem Handwerksbetrieb) für die Abwicklung des Vertragsgeschäftes Hilfspersonen eingesetzt werden. Trotz der durchaus unterschiedlich geprägten typischen Interessensituationen, wie sie das Handwerkerbeispiel einerseits und die Warenhaus- und Supermarktfälle andererseits zeigen, darf aber nicht vollständig aus den Augen verloren werden, daß die Durchführung eines Schuldverhält-
II. Zum Verhältnis von vertraglicher und deliktischer
Haftung
227
nisses prinzipiell eine beiderseitige Ö f f n u n g der R e c h t s g ü t e r k r e i s e der Vertragspartner beinhaltet. D i e bisherige B e t r a c h t u n g erlaubt auch einen etwas genaueren B l i c k auf das personale M o m e n t dieser Lebensverhältnisse und des sich daraus ergeb e n d e n Z u s a m m e n h a n g s v o n Schuldverhältnis und Sorgfaltspflicht. E i n personales Verhältnis in der rechtlichen F o r m des Schuldverhältnisses entsteht zwischen den Vertragspartnern jedenfalls kraft des schuldrechtlichen Vertrages. D i e Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z absoluter R e c h t s g ü t e r resultieren aus der Personalität dieser B e z i e h u n g . Allerdings b e r u h t die Z u o r d n u n g solcher P f l i c h t e n z u m Schuldverhältnis darauf, daß in dem Lebensverhältnis ein personales M o m e n t greifbar ist, das diese Z u o r d n u n g rechtfertigt. Dieses p e r s o nale M o m e n t liegt in d e m G e d a n k e n der Ö f f n u n g der R e c h t s g ü t e r k r e i s e . B e i genauerer B e t r a c h t u n g führt die Ö f f n u n g der R e c h t s g ü t e r k r e i s e zunächst einmal zu einer Ausgestaltung des Schuldverhältnisses als eines personalen Rechtsverhältnisses, infolgedessen dann auch die entsprechenden Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z der R e c h t s g ü t e r entstehen. I n s o f e r n sind B e g r ü n d u n g der Sorgfaltspflichten und Ausgestaltung des Schuldverhältnisses hier aufs engste ineinander verschlungen. A u s dem U m s t a n d , daß die Ö f f n u n g der R e c h t s g ü t e r k r e i s e ein eigenständiges M o m e n t in der Ausgestaltung des Schuldverhältnisses darstellt, erklärt sich auch, daß die Verletzung der S o r g faltspflichten in k e i n e m u n m i t t e l b a r e n Z u s a m m e n h a n g mit dem Leistungsaustausch stehen m u ß . D e n n die Sorgfaltspflichten sind - wie die Leistungspflichten selbst - u n m i t t e l b a r aus dem Schuldverhältnis begründet, sie stellen keine b l o ß e n A n n e x e zu den Leistungspflichten dar.
bb) Die Haftung für die Verletzung von Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter aus culpa in contrahendo D e r G e d a n k e , daß aus der Ö f f n u n g der R e c h t s g ü t e r k r e i s e im R a h m e n des Schuldverhältnisses Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z absoluter R e c h t s g ü t e r f o l gen, kann zunächst einmal nur für den bereits abgeschlossenen Vertrag gelten, weil sich bereits aus § 3 0 5 B G B ergibt, daß dadurch ein Schuldverhältnis b e gründet wird. A u f dieser G r u n d l a g e läßt sich dann aber auch die H a f t u n g für die Verletzung v o n Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z absoluter R e c h t s g ü t e r aus culpa in c o n t r a h e n d o rechtfertigen. B e k a n n t l i c h ist hier viel darüber diskutiert w o r d e n , o b und wie sich ein besonderes Schuldverhältnis der b l o ß e n Vertragsverhandlungen, des geschäftlichen K o n t a k t s oder gar aufgrund b l o ßen sozialen K o n t a k t s rechtfertigen läßt. 5 6 I n der entwicklungsgeschichtlichen D i s k u s s i o n zur culpa in c o n t r a h e n d o sind zu dieser F r a g e sehr unterschiedliche A n s a t z p u n k t e vorgetragen w o r d e n . M a r i n a F r o s t hat insoweit
5 6 Überblicke zu den verschiedenen Begründungsansätzen etwa bei Frost, „Vorvertragliche" und „vertragliche" Schutzpflichten, S. 40 ff.; Thiemann, Culpa in contrahendo - ein Beitrag zum Deliktsrecht, S. 29 ff.
228
§ 6 Sorgfaltspflichten
zum Schutz absoluter
Rechtsgiiter
zwischen Konzeptionen unterschieden, die das Verhandlungsverhältnis als vom Vertrag abhängige Rechtsbeziehung auffassen, und solchen, die im Verhandlungsverhältnis eine vom Vertrag losgelöste Rechtsbeziehung sehen. 5 7 D i e Deutung des Verhandlungsverhältnisses als einer vom Vertrag abhängigen Rechtsbeziehung findet sich schon bei Jhering. 5 8 Dieser hatte mit der Haftung aus culpa in contrahendo allerdings im wesentlichen nur Fälle im Auge, in denen trotz Vertragsschlusses aufgrund schuldhaften Verhaltens einer der beiden Vertragsparteien der Vertrag nichtig war. Aus heutiger Sicht ging es Jhering also nur um einzelne Fälle der Verletzung von Sorgfaltspflichten in bezug auf die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des anderen Vertragspartners. Insoweit ist es natürlich auch nicht verwunderlich, daß er die Haftung offenbar davon abhängig macht, ob es überhaupt zu einem (wenn auch rechtsunwirksamen) Vertragsschluß gekommen ist. Das dabei von J h e ring zugrunde gelegte theoretische K o n z e p t ist - wie bereits deutlich gemacht worden ist 5 9 - aber heute noch von Bedeutung, und zwar vor allem insoweit als damit im Grunde der Gedanke der Trennung von Vertrag und Schuldverhältnis vorbereitet wird. D e r damit angesprochenen Frage nach der Beziehung von Schuldverhältnis und Vertragsschluß im Verständnis des Schuldverhältnisses der Vertragsverhandlungen soll im folgenden etwas genauer nachgegangen werden.
(1) Die Haftung aus culpa in contrahendo
als Folge des
Vertragsschlusses
In der Nachfolge Jherings wird von Leonhard die Haftung aus culpa in contrahendo vom Abschluß eines gültigen Vertrages abhängig gemacht. D a bei zieht Leonhard den Kreis der Haftung aus culpa in contrahendo im A n satz durchaus weiter als Jhering. Als Fall des Verschuldens bei Vertragsschluß sieht Leonhard - offenbar neben den von Jhering erörterten und im B G B geregelten Fällen - vor allem die Lieferung einer mangelhaften Ware, die an den sonstigen Rechtsgütern des Vertragspartners Schäden hervorruft, sofern die Ware schon bei Vertragsschluß ausgewählt worden war. 6 0 M e h r am Rande werden von ihm aber auch die Fälle erörtert, in denen schon bei den Vertragsverhandlungen eine Person oder Sache beschädigt wird. 6 1 Eine Haftung aus culpa in contrahendo beurteilt er für diese Fälle jedoch eher zurückhaltend, und zwar vor allem deshalb, weil sie ihm für „kleine Läden" unangemessen erscheint. 6 2 D e n Grund der Haftung aus culpa in contrahendo sieht Leonhard im Vertrag. Die Haftung aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen ist also eine 57 58 59 60 61 62
Frost, „Vorvertragliche" und „vertragliche" Schutzpflichten, S. 43 ff. Vgl. Jhering, JhJb 4 (1861), 1 (28 ff., 42). Vgl. oben § 1 II 1. Leonhard, Allgemeines Schuldrecht des B G B , § 283 (S. 546). Leonhard, Allgemeines Schuldrecht des B G B , § 287 (S. 557). Leonhard, Allgemeines Schuldrecht des B G B , § 284 (S. 551), § 288 (S. 557 f.).
II. Zum Verhältnis von vertraglicher und deliktischer
Haftung
229
vertragliche H a f t u n g . D e m e n t s p r e c h e n d ist für die H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o der A b s c h l u ß eines gültigen Vertrages erforderlich. 6 3 D e n n nur w e r sich vertragsmäßig binde, den dürfe die strenge H a f t u n g des Vertragsrechts treffen. 6 4 W e r sich n u r auf Vertragsverhandlungen einlasse, der dürfe nicht s c h o n deshalb zur Vertragssorgfalt verpflichtet w e r d e n . D e n in der L i t e r a t u r gegen diese K o n z e p t i o n e r h o b e n e n E i n w a n d , es sei unlogisch, s c h o n für die Zeit der Vertragsverhandlungen eine Sorgfaltspflicht a n z u n e h m e n , w e n n die H a f t u n g erst aus dem Vertragsschluß resultiert, begegnet L e o n h a r d mit folgendem A r g u m e n t . D e r Vertragsschluß sei ein einheitliches G a n z e s : „die früheren H a n d l u n g e n w i r k e n nur unter der Voraussetzung, daß n a c h h e r der A b schluß zustande k o m m t . So sind auch bei der Auslegung des Vertrages die früheren Ä u ß e r u n g e n mit w i r k s a m , aber natürlich nur, w e n n es n a c h h e r z u m Vertragsschluß k o m m t . " 6 5 H i n g e g e n lasse sich ein eigenes Rechtsverhältnis bereits mit d e m B e g i n n der Vertragsverhandlungen nicht b e g r ü n d e n . 6 6 L e o n hard gesteht lediglich zu, daß im Einzelfall ein „vorbereitender Vertrag" ang e n o m m e n werden kann, der zur B e o b a c h t u n g v o n Sorgfalt verpflichtet. F ü r solche A b r e d e n seien aber greifbare A n h a l t s p u n k t e erforderlich, wie sie w o h l s c h o n dann vorliegen k ö n n t e n , w e n n ein Angestellter dem K u n d e n im R a h m e n der Vertragsverhandlungen W a r e n vorzeigt, die b l o ß e E r ö f f n u n g v o n V e r k a u f s - o d e r anderen G e s c h ä f t s r ä u m e n genüge dafür j e d o c h n i c h t . 6 7 M i t der A n n a h m e eines v o r b e r e i t e n d e n Vertrages, der zur B e o b a c h t u n g v o n Sorgfalt verpflichtet, schießt L e o n h a r d allerdings etwas ü b e r das Ziel hinaus. D e r Vertrag dient primär der B e g r ü n d u n g v o n Leistungspflichten. Selbstverständlich k ö n n e n im Vertrag auch Sorgfaltspflichten vereinbart werden o d e r sich der Vereinbarung d o c h jedenfalls im Wege der Auslegung entn e h m e n lassen. I n den Ü b e r l e g u n g e n L e o n h a r d s ist aber zunächst unklar, o b die Sorgfalt als Leistungs- oder als Sorgfaltspflicht geschuldet wird. W i r d sie als Leistungspflicht geschuldet, ist das m e h r als erforderlich. W i r d sie als Sorgfaltspflicht geschuldet, so führt das zur A n n a h m e eines Vertrages o h n e Leistungspflichten. D i e s e A n n a h m e ist wenig überzeugend. D a m i t deutet sich an, daß der Vertrag selbst nicht der richtige O r t für die hier in F r a g e stehenden Sorgfaltspflichten ist. D i e Ü b e r l e g u n g e n L e o n h a r d s m a c h e n im G r u n d e aber deutlich, daß die H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o nur auf dem Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen b e r u h e n kann. L e o n h a r d lehnt z w a r ein eigenständiges Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen ab, da er dafür keine taugliche B e g r ü n d u n g sieht. D e r G e d a n k e des Vertragsschlusses als einheitliches G e -
6 3 So ausdrücklich Leonhard, Allgemeines Schuldrecht des B G B , § 285 (S. 553): „Der Abschluß eines gültigen Vertrages ist für die Haftung notwendig." 64 Leonhard, Allgemeines Schuldrecht des B G B , § 288 (S. 556 f.). 65 Leonhard, Allgemeines Schuldrecht des B G B , § 285 (S. 553). 66 Leonhard, Allgemeines Schuldrecht des B G B , § 285 (S. 554). 67 Leonhard, Allgemeines Schuldrecht des B G B , § 284 (S. 550 f.).
230
§ 6 Sorgfaltspflichten
zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
schehen füllt aber genau diese Lücke. 68 Die herkömmliche Dogmatik stellt sich den Vertragsschluß ja zumeist eher als einen einmaligen Akt der Willensübereinstimmung vor. Bei Leonhard läßt sich hingegen ein ganz anderes Verständnis des Vertrages beobachten. Der Vertrag erscheint als ein Geschehen in der Zeit, das natürlich auch die Handlungen im Rahmen des Vertragsschlusses mitumfaßt. Dieses Vertragsverständnis ist heute freilich weitgehend verlorengegangen, und zwar wohl vor allem deshalb, weil die Vertragslehre zu stark von den Willensakten der Parteien her konzipiert ist. In diese Lücke hinein ist jedoch der Begriff des Schuldverhältnisses getragen worden. Das Schuldverhältnis ist wesentlich dadurch gekennzeichnet, daß es das Lebensverhältnis als einen in der Zeit verlaufenden Prozeß auffaßt. 69 Aus dieser Perspektive ist es nun nicht mehr verwunderlich, daß die moderne Dogmatik die Haftung aus culpa in contrahendo nicht mehr auf den Vertrag zurückführt, sondern auf ein vom Vertrag losgelöstes Rechtsverhältnis, das als gesetzliches Schuldverhältnis begriffen wird.
(2) Zur Herausbildung des Verständnisses als gesetzliches Rechtsverhältnis
der
Vertragsverhandlungen
Das Reichsgericht hatte im Hinblick auf die Haftung aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen noch von einer Haftung aus einem vertragsähnlichen Rechtsverhältnis gesprochen oder auch einfach nur von einer solchen aus einem vorbereitenden Rechtsverhältnis. 70 Im Gegensatz dazu stellte der Bundesgerichtshof bereits im Jahre 1950 fest, es handle sich um eine Haftung „aus einem in Ergänzung des geschriebenen Rechts geschaffenen Schuldverhältnis, das aus der Aufnahme von Vertragsverhandlungen entspringt und zur verkehrsüblichen Sorgfalt im Verhalten gegenüber dem Geschäftsgegner verpflichtet." 71 Damit war die Haftung vom Vertragsschluß endgültig gelöst worden und konnte dementsprechend nur noch als gesetzliche begriffen werden. Seitdem steht aber die Frage zur Diskussion, worin die Berechtigung für die Annahme eines solchen gesetzlichen Schuldverhältnisses besteht. Von maßgeblichem Einfluß für den heutigen Stand der Lehre dürfte die Prägung sein, die Larenz der culpa in contrahendo gegeben hat. 72 Nach Auffassung von Larenz ist es die tatsächliche Aufnahme von Vertragsverhandlungen oder eines sie vorbereitenden geschäftlichen Kontakts, die dazu geeignet 68 Darin liegt nach meiner Auffassung die nach wie vor aktuelle Bedeutung der Lehre Leonhards. Wie man aber angesichts seiner Fixierung auf den Abschluß eines gültigen Vertrages Leonhard „als Begründer der modernen Lehre von der culpa in contrahendo" bezeichnen kann (so Nirk, Die Lehre von der culpa in contrahendo in rechtsvergleichender Darstellung, S. 22; ebenso Schanze, Ius Commune VII (1978), 326, 356), ist mir unerfindlich. 69 Zur Zeitstruktur des Schuldverhältnisses vgl. nur Larenz, Schuldrecht I, § 2 V (S. 27 f.). 70 Vgl. etwa RGZ 78, 238 (240); R G J W 1928, 1285 Nr. 3 (1285). 71 BGHZ 6, 330 (333). 72 Larenz, Schuldrecht I, § 9 I a (S. 106).
II. Zum Verhältnis von vertraglicher
und deliktischer
Haftung
231
ist, Sorgfaltspflichten unter den Beteiligten zu begründen, deren Verletzung sie in derselben Weise verantwortlich macht wie die Verletzung einer Vertragspflicht. Der Grund dafür liege darin, „daß derjenige, der mit einem anderen geschäftliche Beziehungen aufnimmt, regelmäßig erwartet, es mit einem redlich denkenden, sich loyal verhaltenden Partner zu tun zu haben, und daß diese allgemeine Redlichkeitserwartung' den Schutz der Rechtsordnung verdient, weil ohne sie ein reibungsloser Geschäftsverkehr nicht möglich wäre." Diese Pflichten gründen sich nicht etwa auf den später geschlossenen Vertrag, sondern sie bestünden, unabhängig davon, ob es überhaupt zu einem Vertragsschluß kommt, bereits mit Aufnahme von Vertragsverhandlungen oder eines sie vorbereitenden geschäftlichen Kontakts. 73 Die Haftung beruhe allein auf ungeschriebenem objektiven Recht, letzten Endes auf dem Prinzip von Treu und Glauben. Demgegenüber hat beispielsweise Canaris die Akzente etwas anders gesetzt. Er sieht - wie vor ihm schon Ballerstedt 74 - den Rechtsgrund des der Haftung zugrunde liegenden gesetzlichen Schuldverhältnisses, das er als Schutzverhältnis qualifiziert, in der Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen. 75 Dem Merkmal des geschäftlichen Kontakts oder der Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr wird insoweit nur eine begrenzende Funktion zugesprochen. 76 Im übrigen wird diese Form der Vertrauenshaftung von ihm - anknüpfend an einen Gedanken von Frotz 77 - als Korrelat der Privatautonomie begriffen. 78 Sowohl bei Larenz als auch bei Canaris werden unterschiedliche Prinzipien miteinander verknüpft. Dabei wird von Larenz mehr das Prinzip des geschäftlichen Kontakts akzentuiert, das dann wohl auch Grundlage von Vertrauenserwartungen ist, während Canaris vom Vertrauensprinzip ausgeht und den Umstand der Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr nur als begrenzendes Kriterium ansieht. Beide Prinzipien sind - wie überhaupt die Haftung aus culpa in contrahendo für diesen Bereich - nicht unumstritten geblieben. So hatte Dölle 79 schon in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts die These vertreten, es seien gar nicht die Vertragsverhandlungen, die das Schuldverhältnis begründen, sondern es genüge ein sozialer Kontakt, vermöge dessen eine Person ihre Lebensgüter dem Einfluß und damit der Lage einer anderen Person anvertraut. Im Hinblick auf das Vertrauensprinzip ist Larenz, Schuldrecht I, § 9 I a (S. 109). AcP 151 (1950/51), 501 (507). 75 So Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 538; ders., JZ 1965, 475 (476). Genauer bestimmt Canaris diese Haftung als „Anvertrauenshaftung", da der Verletzte im Rahmen des rechtsgeschäftlichen Verkehrs seine Rechtsgüter der Einwirkungsmöglichkeit des anderen Teils aussetze und sie ihm in diesem Sinne anvertraue, so Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 540. 76 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 538. 77 Gedenkschrift für Gschnitzer, 163 (172). 78 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 444. 79 ZStW 103 (1943), 67 (72 ff.). 73
74
232
5
Sorgfaltspflichten
zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
vor allem geltend gemacht worden, daß sich daraus keine zureichende Begründung für die Annahme eines Schuldverhältnisses ergebe, da Vertrauen ein allgemeines Prinzip des Rechtsverkehrs sei und damit nicht dazu geeignet ist, die Besonderheit der Haftung gegenüber der deliktischen Haftung zu rechtfertigen. 80
(3) Der institutionelle des Schuldverhältnisses
Schutz des Vertrages als Grundlage der Vertragsverhandlungen
Die hier nur kurz umrissene Kritik der verschiedenen Rechtfertigungsversuche eines Schuldverhältnisses der Vertragsverhandlungen macht vor allem deutlich, daß die bisherigen Begründungsansätze noch nicht umfassend genug angelegt sind. Eine weiter ausgreifende Betrachtung zeigt, daß die Problematik, die in der Begründung eines besonderen Schuldverhältnisses der Vertragsverhandlungen liegt, sich aus dem Verhältnis dieses Instituts zum Vertrag ergibt. Dabei ist nicht so sehr entscheidend, ob man das Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen als gesetzliches oder als vertragsähnliches qualifiziert, zumal man auch das vertragliche Schuldverhältnis als gesetzliches begreifen kann. Nein, der zentrale Punkt liegt vielmehr darin, daß in Rechtsprechung und Lehre das Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen einerseits vom Vertrag losgelöst worden ist, andererseits die Begründung dieses Schuldverhältnisses unterschwellig und in abgeschwächter Weise doch wieder an Leitprinzipien des Vertrages anknüpft. Darin liegt ein durchaus zutreffender Gedanke, der aber zu einseitig gedeutet worden ist. Man hat bisher immer versucht, neben dem Vertrag und dem daraus entstehenden Schuldverhältnis ein weiteres eigenständiges Prinzip zu begründen, das die Personalität des Schuldverhältnisses der Vertragsverhandlungen zu rechtfertigen vermag. Dabei stand dann immer das Verhalten der Beteiligten selbst im Mittelpunkt der Analyse, sei es unter dem Gesichtspunkt der Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen, dem Gedanken der Aufnahme von Vertragsverhandlungen, der Anbahnung eines geschäftlichen Kontaktes oder auch der Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr. Mit diesen Voraussetzungen wird für die Begründung des Schuldverhältnisses der Vertragsverhandlungen an die Vorstellungswelt des Vertrages angeknüpft, allerdings nur an das Modell des Vertragsschlusses selbst. Ausgangspunkt dafür ist das Verständnis des Vertrages als Willensakt der Parteien, der die rechtsgeschäftliche Bindung herbeiführt. Wenn auch in abgeschwächter Weise wird dann auch das Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen nach diesem Vorbild konzipiert. Zwar
80 Vgl. insbesondere Trotz, Gedenkschrift f ü r Gschnitzer, 163 (168 ff.); Picker, A c P 183 (1983), 369 (421 ff. m . w . N . in Fn. 156); Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, § 4 II 2 m . w . N . A u c h Larenz, M D R 1954, 515 (517), u n d Festschrift f ü r Ballerstedt, 397 (399), hat gemeint, daß sich allein aus d e m Vertrauensprinzip eine gesteigerte Verantwortlichkeit nicht erklären lasse, es d a f ü r vielmehr einer zusätzlichen B e g r ü n d u n g bedürfe.
II. Zum Verhältnis
von vertraglicher
und deliktischer
Haftung
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wird die Begründung dieses Schuldverhältnisses heute nicht mehr als Rechtsgeschäft begriffen, wie es beispielsweise noch die Auffassung von Stoll 81 war, wohl aber wird für die Begründung des Schuldverhältnisses an tatsächliche Verhaltensweisen der Beteiligten angeknüpft, die nur vom Vertrag her verständlich sind. Das liegt f ü r die Aufnahme von Vertragsverhandlungen oder die Anbahnung des geschäftlichen Kontaktes auf der Hand. Aber auch die Vorstellung von der Gewährung und Inanspruchnahme von Vertrauen läßt sich wohl nur als ganz eigentümliche Konstruktion des Vertrauensaustausches nach dem Vorbild vertraglicher oder vertragsähnlicher Beziehungen auffassen. Mit der A n k n ü p f u n g an derartige tatsächliche Verhaltensweisen werden aber nur Momente aus der Vorstellungswelt des Vertrages herausgegriffen, die bisher auch offenbar zu keiner allseits überzeugenden Begründung des Schuldverhältnisses der Vertragsverhandlungen geführt haben. Ein durchgreifenderer Erklärungsversuch muß deshalb das Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen aus einer umfassenden Perspektive deuten, die auch den Vertrag selbst einbezieht und zu einem einsichtigen Zusammenhang des Schuldverhältnisses der Vertragsverhandlungen und des Vertrages kommt. Ausgangspunkt dafür ist hier der Gedanke, daß auch das Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen dem Schutz des Vertrages dient, und zwar dem Schutz des Vertrages als Institut. 82 Erst diese Verknüpfung des Schuldverhältnisses der Vertragsverhandlungen mit dem Vertrag macht die Funktion und Legitimität dieses Schuldverhältnisses voll verständlich. So wie der Vertrag selbst nicht zureichend erkannt ist, wenn man nur den Vertragsschluß beurteilt und dessen Funktion als Instrument des Güteraustausches außer acht läßt, so ist auch das Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen nicht richtig erfaßt, wenn man dessen Funktion für den Vertrag nicht präzise genug sieht. Gemeinsamer Bezugspunkt des Schuldverhältnisses der Vertragsverhandlungen und des Vertrages selbst ist das Schuldverhältnis. Der Vertrag - so heißt es gemeinhin - begründet ein Schuldverhältnis. Tatsächlich ist das wohl zu kurz gegriffen und wird dem Verständnis des Vertrages als eines Prozesses in der Zeit nicht gerecht. In zeitlicher Perspektive gehört zum Vertrag nicht nur der Vertragsschluß, sondern auch die Geschichte der Vertrags Verhandlungen sowie - weiter in die Vergangenheit zurückreichend - die Anbahnung des geschäftlichen Kontaktes. 8 3 Z u m Vertrag gehört dann aber auch die 81 Wobei Stoll von einem einseitigen Rechtsgeschäft ausging, vgl. L Z 1923, 532 (544); J W 1927,1036. 82 D e r G e d a n k e eines „institutionellen Schutzes des Vertrages als P r o z e ß " findet sich auch bei M. Weher, A c P 192 (1992), 390 (396 f., 414 ff.), d e m damit aber eine E r w e i t e r u n g des Vertragsmodells v o r s c h w e b t , w ä h r e n d es hier u m die B e g r ü n d u n g des Schuldverhältnisses der Vertragsverhandlungen geht. 83 F ü r einen Z u g a n g z u m Vertrag ü b e r seine Geschichte siehe W. Schapp, Die neue Wissenschaft v o m Recht, Bd. 1; ders., Philosophie der Geschichten, S. 48 f f . ; / . Schapp, Sein u n d O r t der Rechtsgebilde, S. 117 ff.
234
5 Sorgfaltspflichten
zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
Durchführung des Vertrages und dessen Bestand nach Erbringung der Leistungen. Im Rahmen dieses Geschehens stiftet der Vertragsschluß nur die Leistungspflichten als solche. Der Schutz des Vertrages selbst erfolgt über das Schuldverhältnis. Insoweit wird mit dem Schuldverhältnis durch das Recht eine eigene Verhaltensordnung gegeben, die das Entstehen, den Abschluß, die Durchführung und den Bestand des Vertrages betrifft. Damit ist das Schuldverhältnis die dogmatische Figur, in der die zeitliche Dimension des Vertrages zum Ausdruck kommt. Der damit zunächst nur umrissene Zusammenhang des Schuldverhältnisses der Vertragsverhandlungen mit dem Vertrag ist in der früheren Diskussion des Schuldverhältnisses der Vertragsverhandlungen viel deutlicher gesehen worden als dies heute der Fall ist. So hob das Reichsgericht mehrfach hervor, daß die zum Vertrag führenden Verhandlungen und der Abschluß des Vertrages ein einheitliches Ganzes bilden, und hat daraus die Rechtfertigung dafür gezogen, daß die Vertragsparteien bei Vertragsabschluß zur gleichen Sorgfalt verpflichtet sind wie nach Vertragsabschluß. 84 In der Literatur wird die Vorstellung vom Vertragsschluß als einheitliches Ganzes vor allem von Leonhard ausgearbeitet. 85 Bei genauerer Betrachtung findet man Ansätze dazu aber auch schon bei Jhering, wenn dieser auch andere Fälle im Auge hatte. So ordnet Jhering die culpa in contrahendo systematisch der „Lehre von der culpa in Contractsverhältnissen" zu. Genauer heißt es: „Die culpa in contrahendo ist nichts, als die contractliche culpa in einer besonderen Richtung." 8 6 Und wie bereits erwähnt ist bei Jhering in diesem Zusammenhang auch schon der Gedanke des Schuldverhältnisses vorgezeichnet, wenn er darlegt, daß auch ein nichtiger Vertrag Verbindlichkeiten hervorbringen kann. 87 In der modernen Literatur sind diese Überlegungen zumeist dahingehend mißverstanden worden, daß man sich hier „mit einer Art Vorwirkung des späteren Vertrages" beholfen habe. 88 Reste dieser Vorstellung finden sich übrigens noch in der Redeweise vom Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen als „vorvertragliches Rechtsverhältnis". 89 Gegen diese Auffassung war dann leicht einzuwenden, daß diese Lösung versagt, wenn es später tatsächlich nicht zum Vertragsschluß kommt. Es soll hier auch gar nicht bestritten werden, daß die Einwände teilweise zutreffend sind. Vor allem die KonzepRGZ 95, 58 (60); 103, 47 (51). Leonhard, Allgemeines Schuldrecht des BGB, § 285 (S. 553). 86 Jhering, JhJb 4 (1861), 1 (52). 87 Jhering,}h]b 4 (1861), 1 (29 ff.). 88 So Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, § 4 I. 89 Siehe etwa Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 70; vgl. auch die Rede von vorvertraglichen Pflichten beispielsweise bei Schlechtriem, Schuldrecht-AT, Rz.22; Jauernig-Vollkommer, § 276 Rz. 71; Palandt-Heinrichs, § 276 Rz. 70. Ahnlich wird in der Rechtsprechung häufig von einem „vorvertraglichen Vertrauensverhältnis" gesprochen, vgl. etwa BGHZ 77, 386 (395); BGH NJW 1970, 1840; BGH NJW 1977, 376. Kritisch dazu aber Gernhuher, Das Schuldverhältnis, § 8 I 2, der stattdessen von einem „vertragseinleitenden Schuldverhältnis" sprechen möchte. 84 85
II. Zum Verhältnis von vertraglicher
und deliktischer
Haftung
235
tion Leonhards ist in der Tat so angelegt, und dieser macht deshalb auch ausdrücklich die Haftung für Verschulden bei Vertragsschluß vom Abschluß eines späteren Vertrages abhängig. 90 Eine sinnvollere Deutung ist aber, daß mit dem Gedanken der Vorwirkung die Wirkung des intendierten Vertrages selbst gar nicht gemeint ist, sondern der Vertrag als Institut. Nicht der konkrete Vertrag, sondern der Vertrag als vom Recht anerkanntes Wertprinzip begründet dann für das Verhältnis der Vertragsverhandlungen eine Verhaltensordnung, die den störungsfreien Abschluß des Vertrages bezweckt. Daß mit dem Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen der Vertrag als Institut betroffen ist, kommt übrigens auch in den oben kurz skizzierten Darstellungen von Larenz und Canaris zum Ausdruck. So findet sich bei Larenz der Gedanke, daß die Erwartungen der Parteien deshalb den Schutz der Rechtsordnung verdienen, „weil ohne sie ein reibungsloser Geschäftsverkehr nicht möglich wäre." 9 1 Damit wird die Funktionsfähigkeit des Vertrages mit dem Schutz der Parteien durch ein Rechtsverhältnis der Vertragsverhandlungen verknüpft. Bei Canaris liegt diese institutionelle Dimension in dem auf Frotz zurückgehenden Gedanken, daß die Vertrauenshaftung das Korrelat der Privatautonomie darstelle. Damit ist ja weniger gemeint, daß die Vertrauenshaftung auf privatautonomem Handeln beruht, als vielmehr, daß zu den Funktionsbedingungen des Prinzips der Privatautonomie als Kehrseite auch Verantwortung und damit das Einstehenmüssen für das eigene Handeln gehört. Frotz hat diesen Zusammenhang auch klar zur Sprache gebracht: „Es ist für eine Gemeinschaft, die auf den möglichst störungsfreien, gefahrlosen Ablauf des rechtsgeschäftlichen Verkehrs angewiesen ist und sich eine ihren lebenswichtigen Bedürfnissen entsprechende Privatrechtsordnung schaffen muß, notwendig, (...) in contrahendo als Kehrseite der eingeräumten privatautonomen Gestaltungsmöglichkeit eine gegenüber der normalen außervertraglichen Verantwortung gesteigerte Verantwortung der Partner anzuerkennen." 9 2
5. Vertrag, Delikt und
Schuldverhältnis
Die Verortung der Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter im Schuldverhältnis soll im folgenden noch etwas weiter im Hinblick auf das Verhältnis von vertraglicher und deliktischer Haftungsordnung begründet werden. Insoweit wird zunächst (unter a) die Problematik des Verhältnisses von Verkehrspflichten und Sorgfaltspflichten in Bezug auf den Schutz absoluter Rechtsgüter in den Blick genommen. Dabei wird sich zeigen, daß es erst der Bezug auf das Schuldverhältnis ist, der hier eine sinnvolle Abgrenzung er90 91 92
Leonhard, Allgemeines Schuldrecht des B G B , § 285 (S. 553), § 288 (S. 556 f.). Larenz, Schuldrecht I, § 9 I a (S. 106). Frotz, Gedenkschrift f ü r Gschnitzer, 163 (174).
236
§ 6 Sorgfaltspflichten
zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
möglicht. Danach werden (unter b) einige der grundsätzlichen Thesen Pickers zum Verhältnis von vertraglicher und deliktischer Haftung betrachtet. Picker hat eine Haftungskonzeption vorgelegt, die manches an h e r k ö m m lichen dogmatischen Vorstellungen auf den K o p f stellt. Dabei ist er allerdings zu durchaus fruchtbaren Einsichten gelangt, die auch Berührungspunkte zu dem hier entwickelten Gedankengang enthalten und die hier deshalb - trotz der unterschiedlichen theoretischen Ansätze im Verständnis des Haftungsrechts - deutlich gemacht werden sollen. Schließlich findet (unter c) eine kritische Auseinandersetzung mit der von Canaris begründeten Auffassung statt, die Sorgfaltspflichten seien zu einem Schutzverhältnis zusammenzufassen, das unter dem Gesichtspunkt der Vertrauenshaftung eine „dritte Spur" zwischen Vertrag und Delikt ausmache. Leitgedanke ist dabei die Ü b e r l e gung, daß in dieser Konzeption das Verständnis des Schuldverhältnisses problematisch ist.
a) Verkehrspflichten und Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter In der Literatur wird immer wieder geltend gemacht, daß es sich bei der Haftung für die Verletzung von Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter in Wahrheit um deliktischen Rechtsschutz handelt. In den Worten v. Bars: „Phänotypisch und genotypisch sind die jeweiligen Schutzpflichten vollkommen identisch. Phänotypisch sind ,Knochenbrüche und Tote (als) Tragödien Materie des Deliktsrechts'. Genotypisch geht es regelmäßig um die Haftung für Unterlassen ( , . . ) . " 9 3 D e r quasi-vertragliche Rechtsschutz sei - so v. Bar weiter mit einer sehr verbreiteten Ansicht - vor allem zur Umgehung des in § 831 I 2 B G B vorgesehenen Entlastungsbeweises konzipiert worden. N a c h d e m die D o g m a t i k des Deliktsrechts aber auf diese Schwäche reagiert habe, seien die „behelfsmäßigen Rechtsfiguren" 9 4 quasi-vertraglicher Haftung weitgehend überflüssig geworden. D e r Schutz absoluter Rechtsgüter könne daher wieder durch das Deliktsrecht übernommen werden. Diese Sichtweise ist vor allem deshalb nicht überzeugend, weil sie ein modernes Verständnis des Deliktsrechts gegen ein veraltetes Vertragsverständnis ausspielt, wie im folgenden deutlich gemacht werden soll.
aa) 7.ur Herkunft des Denkens in Pflichten Wenn es um den Rechtsschutz von absoluten Rechtsgütern im Rahmen vertraglicher oder vorvertraglicher Beziehungen geht, sind in deliktsrechtlicher Perspektive zumeist Verkehrspflichten betroffen, so daß sich die Problematik auf die Abgrenzung von Verkehrspflichten und Sorgfaltspflichten zum 93 94
v. Bar, Verkehrspflichten, S. 312. v. Bar,JZ 1982, 637 (645).
II. Zum Verhältnis von vertraglicher
und deliktischer
Haftung
237
Schutz absoluter Rechtsgüter zuspitzt. Zur Klärung dieser Problematik mag es von N u t z e n sein, daß man sich zunächst einmal Rechenschaft darüber abgibt, wie man denn eigentlich darauf kommt, ein Verhalten anhand von Pflichten zu beurteilen, seien es nun Verkehrspflichten oder Sorgfaltspflichten. Insoweit w i r d man w o h l feststellen müssen, daß im (derzeit noch geltenden) BGB weder das Vertragsrecht noch das Deliktsrecht vom Gedanken der Pflicht her konzipiert ist. Damit liegt die Auffassung nahe, daß das Hantieren mit Pflichten ein Ergebnis juristischer Begriffsbildung und Dogmatik ist, die im gesetzlichen System so nicht vorgesehen ist. Wenn man nach Ansätzen für ein Denken in Pflichten im gesetzlichen System suchen wollte, so w ü r d e man w o h l zu dem Ergebnis kommen, daß der Begriff der Pflicht eher ein solcher des Vertragsrechts ist als des Deliktsrechts. Der Begriff der Pflicht taucht nämlich am ehesten im Hinblick auf die Leistungspflicht auf, so beispielsweise in § 2 7 5 1 BGB, wenn es heißt „Der Schuldner wird von der Verpflichtung zur Leistung f r e i . . . " . Damit wird man kaum sagen können, daß die Bewertung von Handlungen anhand von Pflichten das genuine gesetzliche Konzept des Deliktsrechts darstellt. Die heutige deliktsrechtliche Lehre von den Verkehrspflichten beruht vielmehr auf ihrer Begründung durch die Lehre vom Verhaltensunrecht, die ihrerseits durchaus unterschiedliche geistige Grundlagen hat. So soll hier nur angedeutet werden, daß die zivilrechtliche Diskussion der Rechtswidrigkeit ursprünglich an die strafrechtliche Diskussion anknüpfte, in der die finale Handlungslehre Welzeis 9 5 von großer Bedeutung war, die ihrerseits Motive phänomenologischer Philosophie aufnimmt. 9 6 Im Hintergrund mag aber auch die Lehre Kelsens 9 7 von der Rechtsordnung als Pflichtenordnung stehen und letztlich auch das naturrechtliche Denken in Pflichten. Die Lehre vom Verhaltensunrecht ist freilich - wie allerdings die gesamte zivilrechtliche Lehre von der Rechtswidrigkeit - primär im Hinblick auf das Deliktsrecht entwickelt. Gleichwohl handelt es sich dabei um eine allgemeine Lehre von der Rechtswidrigkeit, die Anspruch und Geltung für Deliktsrecht und Vertragsrecht gleichermaßen erhebt. Diese Zusammenhänge sind allgemein bekannt und insbesondere dürfte auch anerkannt sein, daß die Verkehrspflichten kein originärer Teil des deliktsrechtlichen Haftungssystems sind. Vielmehr ist - seit der grundlegenden Studie v. Caemmerers 9 8 - klar geworden, daß die Entdeckung der Lehre von den Verkehrspflichten und ihre Einfügung in das deliktsrechtliche Haftungssystem zu einer grundlegenden Wandlung des Deliktsrechts geführt hat. v. Bar hat insoweit davon gesprochen, daß die Verkehrspflichten z u m „Katalysator unseres Deliktsrechts" 9 9 geworden seien. Damit relativiert sich aller95 96 97 98 99
Das Deutsche Strafrecht, § § 1 1 , 18. Vgl. nur Schapp, G r u n d l a g e n des bürgerlichen Rechts, R z . 227. Insbesondere H a u p t p r o b l e m e der Staatsrechtslehre. W a n d l u n g e n des Deliktsrechts. v. Bar, Gutachten „Deliktsrecht", 1681 (1714).
238
$ 6 Sorgfaltspflichten
zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
dings auch die Behauptung, bei der Verletzung von absolut geschützten Rechtsgütern durch Verkehrspflichten handele es sich phänotypisch um D e liktsrecht, so als ob es hier um einen urtümlichen Bereich deliktischer Haftung gehe. Tatsächlich handelt es sich dabei um einen Haftungsbereich, der nur anhand des dogmatischen Konzepts der Verkehrspflichten und damit der Verhaltensunrechtslehre für das Deliktsrecht erschlossen worden ist. Man kann nun allerdings auch der Auffassung sein, daß die Lehre von den Sorgfaltspflichten nichts anderes als die Umsetzung des verhaltensunrechtstheoretischen Konzepts für das Vertragsrecht ist. So gesehen wird mit der Behauptung, bei der Verletzung von Pflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter gehe es nur um Deliktsrecht, ein modernes K o n z e p t der Rechtswidrigkeit auf das Deliktsrecht beschränkt und dieses Verständnis für das allein maßgebliche erklärt.
bb) Die Reduktion des Vertrages auf den
Leistungsaustausch
Dieser Deutung des Deliktsrechts entspricht ein Verständnis des Vertrages in einem geradezu archaisch anmutenden Sinne. D e r Vertrag wird von den Kritikern der Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter als bloße Willensübereinstimmung gedeutet und auf den Leistungsaustausch reduziert. Dementsprechend soll der Vertrag nur das Erfüllungsinteresse schützen; die culpa in contrahendo wird auf Pflichtverletzungen beschränkt, die „in einem inneren Zusammenhang mit der in Aussicht genommenen Leistung" stehen, 1 0 0 also im wesentlichen auf die Fälle der Verletzung von Sorgfaltspflichten zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit. Das Interesse am Bestandsschutz, am Schutz bereits vorhandener G ü t e r sei hingegen allein Aufgabe des Deliktsrechts. D i e Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter werde vom Schutzzweck der schuldrechtlichen Sonderverbindung nicht gedeckt und könne daher weder für das Vertragsverhältnis noch für das Verhandlungsverhältnis als normrelevant angesehen werden. 1 0 1 D i e Schwäche dieser Argumentation liegt darin, daß sie den Vertrag auf den Leistungsaustausch reduziert, diesem Merkmal das des Bestandschutzes gegenüberstellt und diese Unterscheidung dann mit der von Vertrag und D e likt kurzschließt. Bereits oben ist gezeigt worden, daß dies eine recht pauschale Sicht der Dinge darstellt. D e r Schutz von Rechtsgütern ist keineswegs alleinige Aufgabe des Deliktsrechts, vielmehr k o m m t auch dem Vertrag - jedenfalls im Hinblick auf die Leistung, nach der hier vertretenen Auffassung aber auch im Hinblick auf die sonstigen Rechtsgüter - die F u n k t i o n zu, B e standsschutz zu gewährleisten. Mit der Beschränkung auf den Leistungsaustausch einher geht die D e u tung des Vertrages als Willensübereinstimmung. Vertragliche Pflichten sind 100 101
v. Bar, Verkehrspflichten, S. 314. Kreuzer, JZ. 1976, 778 (780).
II. Zum Verhältnis von vertraglicher
und deliktischer
Haftung
239
dementsprechend nur die durch den rechtsgeschäftlichen Willen begründeten Pflichten. Michaelis hat diese Sicht der Dinge einmal auf den Punkt gebracht, indem er davon gesprochen hat, daß die Haftung für Erfüllungsschäden „die Haftung aus dem Wort (ist), nicht aus der Tat". 1 0 2 Bei dieser Reduktion des Vertrages auf den Willen der Parteien bleibt aber außer acht, daß das Rechtsgeschäft nach § 305 BGB nicht einfach einen Vertrag darstellt, sondern ein Schuldverhältnis begründet. Dieses Schuldverhältnis beruht nicht allein auf dem Willen der Parteien, sondern es steht nach § 242 BGB unter dem Prinzip der umfassenden Ausgestaltung nach Treu und Glauben. Neben der auf dem Willen der Parteien beruhenden Ordnung steht damit im Vertrag immer schon eine weitere, sich am Prinzip von Treu und Glauben orientierende Verhaltensordnung bereit, die sich aus der Qualifikation des Vertrages als Schuldverhältnis ergibt. Der schon in den Motiven zur Definition der Willenserklärung anklingende Gedanke, daß auch der Vertrag der Anerkennung durch die Rechtsordnung bedarf, 1 0 3 hat insoweit durchaus einen tieferen Sinn. Genauer lassen sich vor diesem Hintergrund im Hinblick auf den Zusammenhang von Vertrag und Delikt drei Kreise von Verhaltensordnungen unterscheiden: (1) eine allgemeine Verhaltensordnung, die für jedermann gilt und die durch das Deliktsrecht konstituiert wird; (2) im Schuldverhältnis eine allgemeine Verhaltensordnung für die Vertragspartner und (3) ebenfalls im Schuldverhältnis eine besondere Verhaltensordnung für die Vertragsparteien. Diese Unterscheidung und insbesondere auch das Verhältnis der beiden Verhaltensordnungen im Schuldverhältnis zueinander w i r d im folgenden in der Auseinandersetzung mit Picker und Canaris weiter entfaltet. A n dieser Stelle ist nur festzuhalten, daß ein modernes Verständnis auch des Vertragsrechts den Charakter des Vertrages als Schuldverhältnis mit berücksichtigen muß und damit auch die Unterscheidung und der Zusammenhang von Vertrag und Delikt diesem Verständnis des Vertrages ausreichend Rechnung zu tragen hat. Die hier umrissene Unterscheidung dreier Kreise von Verhaltensordnungen stellt insoweit einen Versuch dar, dem Schuldverhältnis einen Ort im Rahmen der durch Vertrag und Delikt konstituierten Haftungsordnung zu geben.
Michaelis, Festschrift für Siber, 187 (360). Vgl. die berühmte Definition in den Motiven, Bd. I, S. 126: „Rechtsgeschäft im Sinne des Entwurfes ist eine Privatwillenserklärung, gerichtet auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges, der nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist. Das Wesen des Rechtsgeschäfts wird darin gefunden, daß ein auf die Hervorbringung rechtlicher Wirkungen gerichteter Wille sich bethätigt, und daß der Spruch der Rechtsordnung in Anerkennung dieses Willens die gewollte rechtliche Gestaltung in der Rechtswelt verwirklicht." 102
103
240
§ 6 Sorgfaltspflichten
cc) Zur Abgrenzung
zum Schutz absoluter
von Verkehrspflichten
(1) Begründung des Schuldverhältnisses Ausgestaltung des Schuldverhältnisses
und
durch durch
Rechtsgüter
Sorgfaltspflichten Verkehrspflichten, Sorgfaltspflichten
Von diesem Punkt der Argumentation aus soll noch einmal die Frage der Abgrenzung von Verkehrspflichten und Sorgfaltspflichten z u m Schutz absoluter Rechtsgüter aufgenommen werden. Sorgfaltspflichten und Verkehrspflichten unterscheiden sich in einer ganz zentralen Funktion, in der sich auch die Unterscheidung von Vertrag und Delikt widerspiegelt. Zwar handelt es sich bei beiden Typen von Pflichten um haftungsbegründende Voraussetzungen, die Sorgfaltspflicht führt im Rahmen der Haftungsbegründung aber nur zur Ausgestaltung eines bereits bestehenden Schuldverhältnisses, die Verkehrspflicht dient hingegen der Begründung eines Schuldverhältnisses. Die Relevanz dieser Unterscheidung beruht darauf, daß das Gesetz die Haftung innerhalb bestehender Schuldverhältnisse anderen Maßstäben unterworfen hat als die Begründung von Schuldverhältnissen. Insoweit sei hier nur auf § 278 BGB verwiesen. Wer heute aus rechtspolitischen Gründen versucht, die Unterscheidung zwischen § 831 BGB und § 278 B G B einzuebnen, der wird letztlich überhaupt keine klare Grenzlinie mehr zwischen diesen beiden unterschiedlichen Haftungsordnungen ziehen können. 1 0 4 Denn die Frage, ob die Haftung innerhalb eines bereits bestehenden Schuldverhältnisses erfolgt oder erst zur Begründung eines solchen Schuldverhältnisses führt, wäre insoweit irrelevant. Die Unterscheidung von Vertrag und Delikt hängt also zu einem guten Stück an dem Gedanken, daß im Hinblick auf Begründung und Ausgestaltung von Schuldverhältnissen unterschiedliche Haftungsordnungen zur Verfügung stehen.
(2) "Zur Lehre Dölles vom sozialen
Kontakt
N u n kann man allerdings vielleicht der Auffassung sein, daß auch schon die Verkehrspflichten aus einem Schuldverhältnis folgen und insoweit der Unterscheidung von Begründung und Ausgestaltung eines Schuldverhältnisses keine maßgebliche Bedeutung z u k o m m t . Diese Problematik berührt sich eng mit der Lehre Dölles vom sozialen Kontakt. 1 0 5 Bekanntlich hatte Dölle in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts in kritischer Auseinandersetzung mit der Lehre von der culpa in contrahendo und der positiven Vertragsverletzung die Auffassung entwickelt, die Haftung beruhe hier nicht auf einem Vertragsschluß oder einem vertragsähnlichen Schuldverhältnis. Auch soziale Kontakte anderer Art als der z u m Zwecke eines Vertragsschlusses 104 Vgl. f ü r das Verhältnis dieser beiden Vorschriften auch den H i n w e i s von Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 II 4 c, auf die „Unterschiedlichkeit der S a c h s t r u k t u r e n " , aus der sich auch legitime U n t e r s c h i e d e z w i s c h e n Delikts- u n d Vertragshaftung ergäben. 105 Dölle, Z S t W 103 (1943), 67 ff.
II. Zum Verhältnis von vertraglicher und deliktischer Haftung
241
verdienten besonderen Schutz. Es genüge ein sozialer Kontakt, „vermöge dessen eine Person zur Erreichung eines bestimmten Zwecks ihre Lebensgüter dem Einfluß und damit der O b h u t und Sorgfalt einer anderen Person anvertraut, insbesondere beim Eintritt in die von einem anderen beherrschte Rechtssphäre." 1 0 6 Konkrete Sorgfaltspflichten können damit unmittelbar aus einem sozialen Kontakt folgen. Dölle qualifiziert die daraus resultierende Haftung als eine solche aus Verantwortlichkeit für die eigene Rechtssphäre oder wegen eines entgegengebrachten Vertrauens. 1 0 7 Die Haftungsordnung w i r d damit von ihm anhand der Reihe vertraglicher Kontakt - sozialer Kontakt - deliktischer Kontakt konstituiert. Die Abgrenzung zwischen sozialem Kontakt und deliktischem Kontakt stellt er sich dabei so vor, daß die Deliktshaftung genüge, „wenn der Eintritt in den Rechtskreis eines anderen z w a r nicht rechtswidrig, aber doch ohne dessen Willen oder einen anderen Rechtstitel erfolgt (,..)." 1 0 8 Diese Überlegungen Dölles kann man in unterschiedliche Richtungen hin deuten. Einmal kann man darin vor allem den H i n w e i s darauf sehen, daß nicht nur der Vertrag ein Schuldverhältnis begründet, sondern - so wohl die Konsequenz der Auffassung von Dölle - auch etwa das Gefälligkeitsverhältnis. Für diese Deutung der Lehre vom sozialen Kontakt spricht vor allem der H i n w e i s Thieles 1 0 9 , Dölle habe nicht irgendeinen sozialen Kontakt für ausreichend gehalten, sondern einen sozialen Kontakt „nach der Art einer Sonderverbindung". Aus dieser Perspektive hätte Dölle vor allem darauf aufmerksam gemacht, daß nicht nur das Rechtsgeschäft ein Schuldverhältnis begründet, sondern auch andere Verhältnisse. Insoweit w ü r d e es sich also um einen Beitrag zur Begründung von Schuldverhältnissen handeln. Für diese Deutung spricht immerhin, daß für die Theorie des sozialen Kontaktes das Gefälligkeitsverhältnis einen Musterfall des nicht auf Rechtsgeschäft beruhenden sozialen Kontakts darstellt. 1 1 0 In dieser Deutungsweise wäre die Theorie des sozialen Kontakts systematisch allerdings sehr viel weniger bedeutsam als zumeist angenommen wird. Der systematisch sehr viel brisantere Gedanke in den Überlegungen Dölles liegt denn auch in einem anderen Gesichtspunkt. Bei genauerer Analyse beinhaltet die Theorie des sozialen Kontakts auch eine spezifische Deutung des Deliktsrechts. Das Deliktsrecht erscheint als eine Haftungsordnung, die im Kern nur auf zufällige Kontakte zugeschnitten ist und damit anderweitigen sozialen Kontakten nicht gerecht wird. Auf diese Weise erarbeitet Dölle mit dem Gedanken des sozialen Kontakts gewissermaßen einen R a u m zwischen Vertrag und Delikt. Der soziale Kontakt, den Dölle im A u g e hat, ist weniger
106 107 108 109 110
Dölle, ZStW 103 (1943), 67 (74). Dölle, ZStW 103 (1943), 67 (75). Dölle, ZStW 103 (1943), 67 (76). JZ 1967, 649 (652). Vgl. Thiele, JZ 1967, 649 (652 f.).
242
§ 6 Sorgfaltspflichten
zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
als ein rechtsgeschäftlicher Kontakt, aber mehr als der sich im Rahmen einer deliktischen Beziehung ergebene soziale Kontakt. Damit hat schon Dölle den von Canaris später entwickelten Gedanken einer dritten Spur zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung vorbereitet. N a c h der hier vertretenen Auffassung gibt es einen solchen R a u m zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung nicht. Ein zentraler Einwand gegen die Lehre Dölles ist schon sehr bald von Larenz geltend gemacht worden. Dieser hat argumentiert, daß ein einfacher sozialer Kontakt selbst dann, wenn er damit verbunden ist, daß der eine seine Rechtsgüter dem Einfluß und damit der Sorgfalt des anderen anvertraut, zur Begründung einer über die deliktische Haftung hinausgehenden Verantwortlichkeit nicht geeignet ist. A n dernfalls lasse sich auch der Unfall im Straßenverkehr noch als sozialer K o n takt deuten, der eine über das Deliktsrecht hinausgehende Haftung begründen könnte. Das Vertrauen darauf, daß im Rahmen sozialer Kontakte die Rechtsgüter des anderen beachtet werden, sei aber ein „allgemeines Prinzip des menschlichen Verkehrs", für eine gesteigerte Verantwortlichkeit müsse es sich daher um einen Kontakt auf der Ebene des Geschäftsverkehrs handeln. Deshalb beginne die Haftung aus culpa in contrahendo nicht erst mit der Aufnahme von Vertragsverhandlungen, sondern bereits mit der Anbahnung des geschäftlichen Kontakts. 1 1 1 Mit dieser Beschränkung auf geschäftliche Kontakte gelingt es Larenz, die Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter zu begründen, ohne die D i c h o t o m i e von Vertrag und Delikt aufzugeben, da - so die hier gegebene Deutung - über diese Sorgfaltspflichten der Vertrag als Institut geschützt wird. Die Lehre vom sozialen Kontakt widerspricht demgegenüber nicht nur der historisch tief verankerten Unterscheidung einer zweispurigen Haftung durch Vertrag und Delikt, sondern vielmehr noch auch der darin zum Ausdruck kommenden Unterscheidung zwischen Begründung und Ausgestaltung des Schuldverhältnisses. 1 1 2 D e r bloße soziale K o n t a k t führt weder zur Begründung eines Schuldverhältnisses, noch kann es sich dabei um die Ausgestaltung eines Schuldverhältnisses handeln. Damit fehlt es im Rahmen der Haftungsordnung zwischen Vertrag und Delikt an einem O r t für die Lehre vom sozialen Kontakt. Es muß deshalb dabei bleiben, daß geschäftliche Kontakte durch das Vertragsrecht geschützt werden, während alle anderen sozialen Kontakte, auch soweit sie über Zufallskontakte hinausgehen, nur durch das Deliktsrecht geschützt sind.
So Larenz, M D R 1954, 515 (517 f.). Kritisch zur Frage der Einordnung der Lehre vom sozialen Kontakt in das Haftungssystem auch Frost, „Vorvertragliche" und „vertragliche" Schutzpflichten, S. 57 ff. 111
112
II. Zum Verhältnis von vertraglicher und deliktischer
Haftung
243
(3) Die Konkretisierung der Verkehrspflicht im Rahmen eines das Schuldverhältnis vorbereitenden Rechtsverhältnisses A u f dieser G r u n d l a g e ist n u n auch der U n t e r s c h i e d z w i s c h e n V e r k e h r s p f l i c h t e n u n d S o r g f a l t s p f l i c h t e n z u m S c h u t z a b s o l u t e r R e c h t s g ü t e r klar. D i e S o r g f a l t s p f l i c h t e n e r g e b e n sich aus d e m geschäftlichen K o n t a k t u n d b e s t e hen g e g e n ü b e r d e m anderen im Schuldverhältnis. V e r k e h r s p f l i c h t e n b e z i e hen sich auf j e d e r m a n n , sie zielen d e m P r i n z i p n a c h n i c h t v o n v o r n h e r e i n auf b e s t i m m t e P e r s o n e n . D a s s c h l i e ß t n i c h t aus, im H i n b l i c k auf die K o n k r e t i s i e r u n g einer V e r k e h r s p f l i c h t bei d r o h e n d e r V e r l e t z u n g davon zu sprec h e n , d a ß sie aus e i n e m das d e l i k t i s c h e S c h u l d v e r h ä l t n i s v o r b e r e i t e n d e n R e c h t s v e r h ä l t n i s folgt. A h n l i c h wie b e i m V e r t r a g s g e s c h e h e n läßt sich i n s o weit auch b e i m D e l i k t ein z e i t l i c h e r P r o z e ß der E n t w i c k l u n g des L e b e n s u n d R e c h t s v e r h ä l t n i s s e s a n n e h m e n , o h n e daß j e d o c h deshalb dieses v o r b e reitende R e c h t s v e r h ä l t n i s s c h o n als Schuldverhältnis aufgefaßt w e r d e n k ö n n t e . E s handelt sich v i e l m e h r n o c h u m die B e a c h t u n g der R e c h t s g ü t e r , die j e d e r j e d e m anderen schuldet. I n s o w e i t ist die L a g e v e r g l e i c h b a r mit der sich aus d e m E i g e n t u m s m o d e l l des § 9 0 3 S. 1 B G B e r g e b e n d e n allgemeinen P f l i c h t i g k e i t zur B e a c h t u n g v o n E i g e n t u m . H i n g e g e n w i r d bei der B e e i n t r ä c h t i g u n g a b s o l u t e r R e c h t s g ü t e r für die G e w ä h r u n g des S c h u t z e s dann gen a u e r darauf abgestellt, o b sie im R a h m e n eines g e s c h ä f t l i c h e n K o n t a k t e s erfolgt, d u r c h s c h u l d h a f t e V e r l e t z u n g o d e r einfach n u r aufgrund einer widerr e c h t l i c h e n S t ö r u n g des R e c h t s . Vertragliche, d e l i k t i s c h e u n d dingliche H a f t u n g stehen d a m i t in einem a b g e s t u f t e n Z u s a m m e n h a n g . F ü r die Verk e h r s p f l i c h t b e d e u t e t dies, daß sie z w a r n i c h t aus einem Schuldverhältnis folgt, dieses aber zu b e g r ü n d e n v e r m a g .
b) Die Thesen Pickers zum Verhältnis von und deliktischer Haftung
vertraglicher
P i c k e r hat 1983 in einem großen und bedeutsamen A u f s a t z T h e s e n z u m Verhältnis v o n vertraglicher und deliktischer H a f t u n g entwickelt, die manches h e r k ö m m l i c h e r D o g m a t i k in Frage stellen. 1 1 3 D a b e i ist er zu fruchtbaren E i n s i c h t e n gelangt, die auch B e r ü h r u n g s p u n k t e zu dem hier entwickelten G e dankengang aufweisen, was nicht ausschließt, daß eine R e i h e grundsätzlicher Fragen hier anders beurteilt werden als von Picker.
aa) Darstellung des theoretischen Ansatzes von Picker D i e zentrale T h e s e Pickers ist, daß seit dem N a t u r r e c h t im M i t t e l p u n k t des H a f t u n g s s y s t e m s das G e b o t „ n e m i n e m l a e d e r e " 1 1 4 steht. P i c k e r versteht die-
113 114
Picker, AcP 183 (1983), 369 ff.; vgl. auch JZ 1987, 1041 ff. Picker, AcP 183 (1983), 369 (460 ff.); ders., JZ 1987, 1041 (1048).
244
§ Sorgfaltspflichten
zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
ses Gebot nicht nur als „Idealprinzip", sondern als „Idealpostulat jeder rechtlich verfaßten Gemeinschaft", dessen Verwirklichung „sozusagen schiere Gerechtigkeit dar(stellt)". 115 Dieses Gebot, das einer „zeitlosen Gerechtigkeitsund Richtigkeitsüberzeugung entspricht", 1 1 6 legitimiere auch den Satz des geltenden Privatrechts, daß „grundsätzlich jede Schadenszufügung durch ein als rechtswidrig qualifizierbares vorwerfbares Verhalten die Sanktion der Wiedergutmachungspflicht auslösen muß." 1 1 7 Dieses Grundprinzip gilt für vertragliche und deliktische Haftung gleichermaßen. Im Ausgangspunkt bestehe damit eine Homogenität der Schadenshaftung bei Delikt und Vertrag. 118 Picker geht jetzt nun allerdings so weit, anzunehmen, der Bedeutung des offenbar unmittelbar geltenden Prinzips „neminem laedere" entspreche es, daß die Begründung einer Schadensersatzhaftung gar keiner weiteren Rechtfertigung mehr bedarf, vielmehr die Einschränkung einer nach dem Prinzip an sich gegebenen Haftung ihrerseits begründungsbedürftig ist: „Angesichts des elementaren Gerechtigkeits- und Vernunftspostulats, daß grundsätzlich jede rechtswidrig-schuldhafte Schadenszufügung die Pflicht zur Wiedergutmachung auslöst, ist im Gegenteil deren eventuelle Durchbrechung und also der fallweise TVzcAieintritt der an sich gebotenen Haftung plausibel zu machen!" 1 1 9 Anstelle der von der herrschenden Lehre vorgenommenen Suche nach „Pflichtverstärkungsfaktoren" sei gerade die entgegengesetzte Sichtweise geboten. Es gehe nicht darum, die Ersatzpflicht zu begründen, sondern umgekehrt darum, die Gesichtspunkte aufzudecken, die ihre Beschränkung legitimieren. 120 So deutet Picker insbesondere die deliktsrechtlichen Vorschriften unter dem Gesichtspunkt der Begrenzung der Haftung (obwohl auch er nicht daran vorbeikommt, daß die Gesetzesverfasser die Voraussetzungen der Schadensersatzhaftung schärfer fassen wollten, um so eine feste Grundlage für die richterliche Entscheidung zu schaffen 121 ). Eine entsprechende Funktion kommt der „Sonderverbindung" zu: „Die Haftungsbeschränkungsfunktion, die im allgemeinen Deliktsrecht das absolute Recht oder die schutzgesetzlich gesicherte Rechtsposition zu leisten bestimmt sind, wird bei Existenz einer Sonderverbindung durch die Individualität und Vereinzelung dieser Beziehung erfüllt. Die Sonderverbindung ist also im Aufbau des Haftungstatbestands der außerdeliktischen Einstandspflichten dogmatisch und technisch an die Stelle zu setzen, die im Aufbau des Deliktstatbestands das absolute Recht oder das gesetzlich geschützte Interesse einnimmt." 1 2 2
115 116 117 118 119 120 121 122
Picker, AcP 183 (1983), 369 (462). Vgl. Picker, AcP 183 (1983), 369 (459). Picker, AcP 183 (1983), 369 (483 f.). Vgl. Picker, AcP 183 (1983), 369 (479 ff.). Picker, AcP 183 (1983), 369 (465). Picker, AcP 183 (1983), 369 (466). Vgl. Picker, AcP 183 (1983), 369 (472). Picker, AcP 183 (1983), 369 (484).
II. Zum Verhältnis
von vertraglicher
und deliktischer
Haftung
245
bb) Würdigung (1) ~Zur Handhabung
des ethischen Prinzips „ neminem laedere "
In Ansatz geteilt wird hier die Auffassung Pickers, vertragliche und deliktische Haftung von einem gemeinsamen ethischen Prinzip her zu deuten. So geht es auch bei dem im Mittelpunkt der Untersuchung stehenden Begriff der Pflicht gewissermaßen um eine zentrale Schnittstelle zwischen Ethik und Recht. Picker erliegt in seiner K o n z e p t i o n allerdings der Vorstellung, das ethische Prinzip sei als Rechtsprinzip zugleich justitiabel, so daß es als H a f tungsprinzip gar keiner weiteren Präzisierung mehr bedürfe. Dieser Standpunkt ist schon deshalb nicht akzeptabel, weil dadurch das R e c h t der E t h i k ausgeliefert wird. Darüber hinaus ist aber auch gar nicht ersichtlich, wie die Formel „neminem laedere" gehandhabt werden könnte. Insoweit muß man sich ja auch einmal fragen, welche praktischen Konsequenzen dieser Ansatz für den Zivilprozeß hat. Was muß denn der geschädigte Kläger jetzt eigentlich noch vortragen? N a c h herkömmlicher Auffassung sind das die sich etwa aus § 823 I B G B ergebenden anspruchsbegründenden Voraussetzungen. Wenn hier aber nur haftungseinschränkende Voraussetzungen normiert sein sollen, müßten diese Voraussetzungen nach den allgemeinen Grundsätzen der Verteilung der Darlegungslast doch wohl künftig vom beklagten Schädiger vorgetragen werden. Was aber trägt der Kläger dann noch zur Rechtfertigung seines A n spruchs vor? Das ethische Prinzip „neminem laedere"? Im übrigen ist folgendes zu bedenken: In jeder Begründung von Haftung steckt natürlich auch eine Begrenzung. Das ergibt sich schon daraus, daß jeder Grund nur eine bestimmte Reichweite hat. Solange wir nun noch davon ausgehen, daß das Recht primär Rechtsfolgen begründet und nicht ethisch vorgegebene Prinzipien begrenzt, werden wir auch die deliktischen Vorschriften als „Anspruchsgrundlagen" zu verstehen haben und nicht als „anspruchsausschließende Einwendungen". Im Grunde verzichtet Picker zur Frage der Handhabung des Prinzips „neminem laedere" auch auf genauere Begründungsversuche. Schon in der in seinem Vortrag nachfolgenden Diskussion ist diese Problematik unter verschiedenen Gesichtspunkten zur Sprache gekommen. So ist darauf hingewiesen worden, daß die von Picker zugrunde gelegte Vorstellung von der „Sonderverbindung" der Klärung bedürfe. 1 2 3 Insbesondere ist aber auch geltend gemacht worden, daß in seiner K o n z e p t i o n das Problem der Rechtswidrigkeit keine genügende Berücksichtigung gefunden habe. 1 2 4 Picker hat später versucht, diese Einwände wie folgt zu entkräften: Das Prinzip „neminem
1 2 3 Vgl. die Diskussionsbemerkungen von Reischauer und Kreutzer, AcP 183 (1983), 522 (in der Schilderung von Schilken). 124 Vgl. die Diskussionsbemerkungen von Huber und Jakobs, AcP 183 (1983), 521 (in der Schilderung von Schilken).
246
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Rechtsgüter
laedere" sei als Kurzformel zu verstehen, die der näheren Präzisierung bedarf, d.h. sie erfordere eine „detaillierte rechtspositive Transformation". 125 Das hindert Picker freilich nicht daran, das deliktische Haftungsrecht nur als Begrenzung des elementaren Grundsatzes „neminem laedere" zu deuten und nicht als dessen Konkretisierung. Tatsächlich hätte es an dieser Stelle eines entscheidenden Zwischenschrittes bedurft, nämlich des Nachweises, wie sich das ethische Haftungsprinzip im rechtlichen Haftungsprinzip niederschlägt und ausformt. Diese Zwischenstufe gibt es bei Picker aber gar nicht. Das zeigt sich auch an seinen Darlegungen zum Problem der Rechtswidrigkeit. (2) Die Problematik von und Haftungsbegrenzung
Haftungsbegründung
Mit dem Begriff der Rechtswidrigkeit ist von Picker zunächst ein Verhalten gemeint, das „,vorpositiv', das nämlich eben im Stadium der Formierung des Rechts als prinzipiell widerrechtlich qualifizierbar erscheint." 126 Auch durch die positive Rechtsordnung wird aber rechtswidriges Verhalten bestimmt, wobei der Zusammenhang zwischen vorrechtlicher und positivrechtlicher Rechtswidrigkeit offen bleibt: „Sie (sc. die Rechtsordnung) muß den Kreis der Verhaltensweisen bestimmen, die sie ohne Beeinträchtigung dieser Freiheit gleichsam schon formal, nämlich auch schon von der positiven Rechtsordnung her als rechtswidrig qualifizieren und so als .tatbestandsmäßige' unerlaubte Handlungen ex ante mit Haftungssanktionen belegen kann." 127 Nimmt man hinzu, daß Picker das Deliktsrecht nur unter dem Gesichtspunkt der Haftungsbegrenzung sieht, erscheint der Begriff der Rechtswidrigkeit hier in doppelter Funktion, einmal als vorpositiver Begriff der Haftungsbegründung, das andere Mal als rechtlicher Begriff der Haftungsbegrenzung. Die eigentliche Aufgabe des Rechtswidrigkeitsbegriffs einer rechtlichen Haftungsbegründung kommt so gar nicht in den Blick. Das Verhältnis von ethischem Prinzip und Recht erscheint in der Argumentation Pickers immer nur unter dem Gesichtspunkt von Prinzip und Einschränkung. Dieser Gedanke, der durchaus in der naturrechtlichen Tradition steht, auf die Picker sich auch immer wieder beruft, ist nicht nur deshalb problematisch, weil so die Funktion des Rechts verkürzt wird, auch der Bereich des Ethischen ist auf diese Weise zu pauschal konzipiert. Wie Picker selbst hervorhebt, sind der Verwirklichung der Maxime „neminem laedere" Grenzen gesetzt: „Sie stößt an andere, partiell inkompatible Ideale." 128 Der Rechtsordnung müsse es deshalb bei der Formierung des Haftungsrechts darum gehen, die beiden Ziele des Bestandsschutzes einerseits und der Hand-
125 126 127 128
Picker, Picker, Picker, Picker,
JZ JZ JZ JZ
1987,1041 1987,1041 1987,1041 1987,1041
(1049). (1050). (1052). (1052).
II. Zum Verhältnis von vertraglicher und deliktischer
Haftung
247
lungsfreiheit andererseits miteinander in E i n k l a n g zu bringen. A u s d r u c k dieses K o m p r o m i s s e s seien die gesetzlichen D i f f e r e n z i e r u n g e n des H a f t u n g s rechtes. W e n n dem aber so ist, k a n n dem H a f t u n g s r e c h t nicht nur die F u n k tion einer H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g z u k o m m e n , sondern seine A u f g a b e liegt dann gerade in der B e g r ü n d u n g v o n H a f t u n g angesichts k o n k u r r i e r e n d e r ethischer Prinzipien. D i e s e K o n k u r r e n z ethischer Prinzipien spiegelt sich bei P i c k e r in nur u n z u r e i c h e n d e r Weise in der U n t e r s c h e i d u n g v o n v o r r e c h t l i cher H a f t u n g s b e g r ü n d u n g und positivrechtlicher
Haftungsbeschränkung.
Z u t r e f f e n d e r erscheint d e m g e g e n ü b e r die Vorstellung, daß das R e c h t sich s c h o n in der H a f t u n g s b e g r ü n d u n g auf die Vielfalt ethischer Prinzipien b e zieht, diese gewichtet, k o n k r e t i s i e r t und dadurch zu einem Ausgleich bringt.
(3) Haftungsbegründung bei Vertrag und Delikt
und
Haftungsbeschränkung
D i e F r a g e nach der B e d e u t u n g und Stellung des ethischen Prinzips „ n e m i n e m laedere" ist in der K o n z e p t i o n Pickers wenig ü b e r z e u g e n d geklärt. D e n n o c h gelingt es ihm auf dieser G r u n d l a g e , deutlich zu machen, daß Vertrag und D e l i k t damit ein gemeinsames H a f t u n g s p r i n z i p zugrunde liegt. D i e s e r G e d a n k e der „ H o m o g e n i t ä t der H a f t u n g aus Vertrag und D e l i k t " ist t r o t z der k o n z e p t i o n e l l e n S c h w ä c h e n in der A u s f ü h r u n g des theoretischen A n s a t z e s v o n g r o ß e r B e d e u t u n g . D a P i c k e r sich allerdings für die F r a g e der H a f t u n g s begründung auf das ethische Prinzip „ n e m i n e m laedere" z u r ü c k z i e h t und das R e c h t nur unter dem G e s i c h t s p u n k t der H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g erscheint, entgehen ihm für den B e r e i c h v o n Vertrag und D e l i k t zentrale M o m e n t e rechtlicher H a f t u n g s b e g r ü n d u n g . D a z u gehört zunächst die F e h l d e u t u n g , daß der „ S o n d e r v e r b i n d u n g " - der gesetzliche B e g r i f f ist der des Schuldverhältnisses - und d e m absoluten R e c h t die F u n k t i o n der H a f t u n g s b e g r e n z u n g z u k o m m t statt der B e g r ü n d u n g v o n H a f t u n g . I n s o w e i t sei auch v e r m e r k t , daß mit dieser U n t e r s c h e i d u n g g e n a u g e n o m m e n n u r der U n t e r s c h i e d v o n schuldrechtlicher und dinglicher H a f t u n g z u m A u s d r u c k gebracht ist, nicht aber der zwischen vertraglicher und deliktischer H a f t u n g . D a s absolute R e c h t begründet für den Fall seiner S t ö r u n g nur dingliche A n s p r ü c h e , erst der G e s i c h t s p u n k t der schuldhaften Verletzung eines solchen R e c h t s führt zur deliktischen H a f t u n g und stiftet dann auch ein Schuldverhältnis. D a s Verhältnis v o n Vertrag und D e l i k t erscheint so bei P i c k e r insgesamt in einer seltsamen Schieflage. So will er die D i f f e r e n z i e r u n g z w i s c h e n vertraglicher und deliktischer H a f t u n g ersetzen zugunsten der z w i s c h e n Leistungsund S c h a d e n s e r s a t z v e r p f l i c h t u n g . 1 2 9 D i e s e m Vorschlag liegt die Vorstellung zugrunde, daß der Vertrag als R e c h t s g e s c h ä f t nur G e l t u n g s g r u n d für L e i stungspflichten ist. Sämtliche Schadensersatz- oder W i e d e r g u t m a c h u n g s pflichten seien hingegen willensunabhängig und beruhen daher nicht auf Ver129
Picker, AcP 183 (1983), 369 (505 ff.).
248
5 6 Sorgfaltspflichten
zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
trag, sondern auf gesetzlicher Anordnung. 1 3 0 Picker erklärt sogar: „Die Geltungsgründe beider Verpflichtungen sind direkt antinomisch." 1 3 1 D i e „fundamentale Zäsur" verläuft deshalb für Picker nicht „zwischen der Vertrags- als Sonder- und der Delikts- als Jedermannshaftung" 1 3 2 , sondern zwischen rechtsgeschäftlich begründeter Leistungspflicht und gesetzlich angeordneter Ersatzpflicht. Dieser Überlegung liegt nun allerdings vor allem ein sehr verengtes Verständnis des Schuldvertrages zugrunde, das wesentliche Zusammenhänge vernachlässigt. Bereits die Beschränkung des Vertrages auf den Gesichtspunkt der Selbstbestimmung ist wenig überzeugend. Insoweit muß zunächst nicht nur darauf hingewiesen werden, daß die Willenserklärung normativ ausgelegt wird, sondern mehr noch, daß im Vertrag die Willen zweier Parteien aufeinandertreffen und damit jeder A k t der Selbstbestimmung seine G r e n z e an der Fremdbestimmung durch den anderen findet. 1 3 3 Sicher verkürzt ist dann auch die strenge Entgegensetzung von Vertrag und Gesetz durch Picker. D e r Vertrag bedarf, um Rechtsfolgen hervorzubringen, nicht nur - wie die Willenserklärung selbst - der rechtlichen Anerkennung, sondern er begründet auch ein Schuldverhältnis zwischen den Parteien und führt damit zu einer gesetzlichen Ausgestaltung des durch den Willen der Parteien gestifteten Vertrages. 1 3 4 Ein D e n k e n in der Entgegensetzung von Vertrag und Gesetz, von Selbstbestimmung und Fremdbestimmung ist jedoch wenig dazu geeignet, derartige Zusammenhänge zur Anschauung zu bringen. Übrigens sind auch weder deliktische noch vertragliche Haftung zutreffend erfaßt, wenn sie aufgrund ihrer gesetzlichen Anordnung nur unter dem Gesichtspunkt der Fremdbestimmung gesehen werden. Im Schuldprinzip liegt der von der Naturrechtslehre entwikkelte Gedanke, daß nur der aus freiem Willen handelnde Mensch verantwortlich ist. 1 3 5 So gesehen ist auch die Haftung in der Selbstbestimmung des Schädigers verankert. D e r theoretische Ansatz Pickers macht allerdings deutlich, daß der Vertrag im H i n b l i c k auf die Leistung in erster Linie durch die rechtsgeschäftliche Vereinbarung geprägt wird, während er im Hinblick auf die weitere Ausgestaltung durch das Schuldverhältnis stärker als gesetzlich geformt erscheint. Was Picker also zu fassen b e k o m m t , ist, daß das Vertragsrecht selbst durch unterschiedliche Prinzipien bestimmt wird. N u r darf man diese Prinzipien nicht Picker, J Z 1987, 1041 (1055). Picker, AcP 183 (1983), 369 (395). 132 Picker, AcP 183 (1983), 369 (507). 133 Vgl. die Deutung des Vertrages durch Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130 ff. 134 Schon Larenz, Schuldrecht I, § 24 I a (S. 365 f.), hatte angesichts der Kritik Pickers klargestellt (ohne diesen jedoch überzeugen zu können, vgl. J Z 1987, 1041, 1043 f. Fn. 12), daß der Inhalt des Vertragsverhältnisses nur zum Teil durch den Parteiwillen, darüber hinaus aber durch die Rechtsordnung bestimmt werde, die diesen respektiert und im Sinne einer gerechten Regelung ergänzt. Deshalb sei mit vertraglicher Haftung die gesetzliche Haftung gemäß dem Vertragsrecht gemeint. 135 Vgl. Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, § 6 II. 130 131
II. Zum Verhältnis von vertraglicher
und deliktischer
Haftung
249
einander entgegensetzen, sondern muß sie aufeinander beziehen. Die dafür hier zugrunde gelegte Vorstellung geht davon aus, daß der Vertrag für die Parteien eine allgemeine und eine besondere Verhaltensordnung begründet. Die Begründung der besonderen Verhaltensordnung erfolgt durch die rechtsgeschäftliche Bestimmung der Leistung, die allgemeine Verhaltensordnung folgt aus der Ausgestaltung des Schuldverhältnisses durch Treu und Glauben. Diese für die Vertragsparteien geltende allgemeine Verhaltensordnung ist zu unterscheiden von der allgemeinen Verhaltensordnung des Deliktsrechts, die für jedermann gilt. Der Sache nach kann man auch bei Picker diese drei Kreise von Verhaltensordnungen wiederfinden. Die Unterscheidung von allgemeiner und besonderer Verhaltensordnung im Schuldverhältnis ist in der Unterscheidung von rechtsgeschäftlichem Akt und gesetzlicher Ersatzpflicht angelegt. Die Unterscheidung einer Verhaltensordnung für die Parteien im Schuldverhältnis von derjenigen, die für jedermann gilt, folgt aus der Unterscheidung von Vertrag und Delikt. Picker gelingt es dabei aber nicht, über ein - sehr verbreitetes - Denken in Dichotomien herauszukommen. Infolge der strikten Entgegensetzung von rechtsgeschäftlicher Leistungspflicht und gesetzlich begründeter Ersatzpflicht vermag er dann auch nicht mehr deutlich zu machen, wie beide Bereiche aufeinander bezogen sind. Zunächst bleibt schon die einfache Frage, ob denn nicht auch die rechtsgeschäftliche Leistungspflicht als Anspruch auf Erfüllung nicht ebenfalls auf gesetzlicher Anordnung beruht, ungeklärt. Sodann wird vor allem der Zusammenhang von Leistungspflicht und Ersatzpflicht nicht klar genug gesehen. Picker stellt zwar fest, daß der Vertrag „eine nur für die Parteien gültige zusätzliche Sachen- und Vermögensrechtsordnung" schafft. 136 Der Vertrag begründet damit besondere Rechte, deren Verletzung eine besondere Haftung begründe. Das aber bedeutet doch, daß die Verletzung der rechtsgeschäftlichen Leistungspflicht Grundlage der gesetzlich angeordneten Ersatzpflicht ist. Dieser Bezug der Sekundärpflichten auf die Primärpflichten kommt in der bloßen Entgegensetzung von rechtsgeschäftlicher Leistungspflicht und gesetzlicher Ersatzpflicht gar nicht mehr in den Blick. Aus der Perspektive der Begründung von Haftung hat deshalb - entgegen der Ansicht von Picker, dem es allerdings um den Gesichtspunkt der Haftungsbegrenzung geht - die „Sonderverbindung" auch keineswegs dieselbe Funktion im Aufbau des Haftungstatbestandes wie für das Deliktsrecht das absolute Recht. Der Funktion des absoluten Rechts im Deliktsrecht entspricht im Vertragsrecht vielmehr diejenige des relativen Rechts, also der Leistungspflicht, und nicht die des Schuldverhältnisses als solchem. Die verkürzte Darstellung dieser Zusammenhänge führt Picker schließlich auch zu einem unzureichenden Verständnis der Sorgfaltspflichten im Rahmen von positiver Vertragsverletzung und culpa in contrahendo. Eine wesentliche Kritik Pickers geht insoweit dahin, daß die herrschende Lehre sich für die Be136
Picker, JZ 1987, 1041 (1044).
250
5 6 Sorgfaltspflichten
zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
gründung der Haftung aus positiver Vertragsverletzung und culpa in contrahendo am rechtsgeschäftlichen A k t des Schuldners orientiere und sie deshalb auch als „quasi-vertragliche" Haftung deute. 1 3 7 Dieses „kontraktliche D e n k e n " arbeitet nach Auffassung von Picker „mit blanken F i k t i o n e n " 1 3 8 : Eine besondere Pflicht des Schuldners zur Wahrung des Integritätsinteresses des Gläubigers sei aus dem Rechtsgeschäft nicht zu begründen. A n dieser Stelle zeigt sich aber nur die mangelnde Unterscheidung des durch Rechtsgeschäft begründeten Vertrages vom Schuldverhältnis. D e r Vertrag begründet ein Schuldverhältnis, aus dem infolge von Treu und Glauben (§ 242 B G B ) Sorgfaltspflichten resultieren, sofern diese nicht aus einer ergänzenden Auslegung des Vertrages (§ 157 B G B ) bestimmt werden können. D i e ohnehin fragwürdige Deutung Pickers, das K o n z e p t der herrschenden Lehre ginge dahin, den Parteien Sorgfaltspflichten als vereinbart zu unterstellen, geht an diesem Punkt vorbei. Das betrifft auch die von ihm geübte Kritik an der ,„Vertragsorientiertheit' der culpa-in-contrahendo-Haftung bei J h e r i n g " 1 3 9 . Vertragliches D e n k e n bedeutet eben nicht einfach nur das D e n k e n in der Kategorie des rechtsgeschäftlichen Aktes. Stattdessen kann man im „vorvertraglichen Verhandlungsverhältnis" auch ein Schuldverhältnis sehen, das auf den Schutz des Vertrages als Institut abzielt. Darin liegt dann aber eine „Vertragsorientiertheit der culpa-in-contrahendo-Haftung" ganz anderer Art. Ein zweifelhaftes Bild zeichnet Picker deshalb weiter auch dann, wenn er die herrschende Lehre so interpretiert, als o b es ihr bei positiver Vertragsverletzung und culpa in contrahendo um die Suche nach „Pflichtverstärkungsfaktoren" geht. 1 4 0 Die herrschende Lehre verfährt nach seiner Auffassung so, daß sie „nach Kriterien ( ) f o r s c h t , die bei bestehender Vertrags- oder sonstiger Sonderbeziehung die Begründung einer Ylzhungsverscharfung erlauben ( . . . ) . " Sie suche nach Umständen, „die die strenge Einstandspflicht des Partners einer Sonderverbindung aus der größeren Intensität seiner Pflichtigkeit einsichtig m a c h e n . " 1 4 1 Tatsächlich wird hier von Picker Unterschiedliches miteinander vermischt. Insbesondere im H i n b l i c k auf die culpa in contrahendo geht es zunächst einmal um die Frage, ob denn überhaupt ein Schuldverhältnis zwischen den Vertragsparteien besteht, aus dem Sorgfaltspflichten hergeleitet werden können. Erst bei Bestehen eines solchen Schuldverhältnisses kann es darum gehen, solche Pflichten aus dem Schuldverhältnis zu begründen. Mit der Annahme, es gehe hier um eine Suche nach „Pflichtverstärkungsfaktoren" ist dieser zweistufige Prozeß der Haftungsbegründung nur verkürzt gekennzeichnet, nämlich im Hinblick auf die deliktische Haftung.
Picker, AcP 183 (1983), 369 (387). Picker, J Z 1987,1041 (1043 f.). 139 Picker, J Z 1987, 1041 (1043 m. Fn. 12); ähnlich AcP 183 (1983), 369 (387). 1 4 0 So Picker, AcP 183 (1983), 369 (407 ff.), im Anschluß an die Begriffsprägung durch Trotz, Gedenkschrift für Gschnitzer, 163 (172). 141 Picker, J Z 1987, 1041 (1043). 137 138
II. Zum Verhältnis
von vertraglicher
und deliktischer
Haftung
251
Tatsächlich werden aber nicht „Pflichtverstärkungsfaktoren" gesucht, sondern einfach nur Sorgfaltspflichten aus dem Schuldverhältnis begründet. Daß Picker diesen Punkt mißversteht, dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, daß er die Begründung der Haftung für selbstverständlich hält und deshalb den herkömmlichen Ansatz der Begründung von Sorgfaltspflichten nur unter dem Gesichtspunkt der „Pflichtverstärkung" deuten kann. Dies ist um so erstaunlicher, wenn man einmal bedenkt, daß der Satz „neminem laedere" in der Naturrechtslehre als Grundprinzip einer Lehre von den Pflichten galt. Das Prinzip legt damit doch offenbar nahe, eine Haftung aus der Verletzung von Pflichten zu begründen. Insoweit hätte Picker in seinen Überlegungen wesentliche Zusammenhänge des von ihm zugrunde gelegten ethischen Prinzips abgeschnitten.
c) Canaris' Theorie zum Schutzverhältnis zwischen Vertrags- und Deliktshaftung
als „ dritter Spur"
Schon 1965 hat Canaris in einem grundlegenden Beitrag die These entwikkelt, daß die vor und nach Vertragsschluß bestehenden Sorgfaltspflichten, die von ihm als Schutzpflichten bezeichnet werden, auf ein einheitliches Schutzverhältnis zurückzuführen sind. 142 Später ist dieses Schutzverhältnis von ihm als Bestandteil einer im Gesetz angelegten Vertrauenshaftung qualifiziert worden, die eine „dritte Spur" zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung ausmache. 143 Der Ansatz zur Vertrauenshaftung enthält in seiner konkreten Durchführung durch Canaris eine Fülle unterschiedlichster Gesichtspunkte. Die Auseinandersetzung beschränkt sich hier darauf, einen wesentlichen Punkt der Konzeption zum Schutzverhältnis herauszugreifen, nämlich die Frage nach dem Schuldverhältnis in dieser Konzeption. Im Hinblick auf das Schutzverhältnis wird insoweit zunächst das Problem der Einheitlichkeit des Schuldverhältnisses erörtert, daran anknüpfend soll dann aber auch der Gedanke einer „dritten Spur" zwischen Vertrags- und Deliktshaftung angesprochen werden. Eine umfassende Auseinandersetzung mit der von Canaris entwickelten vertrauenstheoretischen Konzeption, für die das Problem der Expertenhaftung gegenüber Dritten immer stärker in den Mittelpunkt des Interesses gerückt ist 144 und die dementsprechend ebenfalls genauer betrachtet werden müßte, kann hier demnach nicht erfolgen.
142 143 144
Canaris,]Z 1965, 475 ff. Canaris, Feschrift f u r Larenz, 27 (84 ff.). Vgl. Canaris,}Z 1995, 441 ff.; ders., J Z 1998, 603 ff., u n d Z H R 163 (1999), 206 ff.
252
5 6 Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter
aa) Die Begründung eines vom Vertrag Schutzverhältnisses durch Canaris
Rechtsgüter
unabhängigen
D a s A u s g a n g s p r o b l e m , das C a n a r i s sich ursprünglich vorgelegt hatte, bestand darin, daß nach h e r k ö m m l i c h e r Auffassung aus einem nichtigen Vertrag keine A n s p r ü c h e f o l g e n . 1 4 5 G l e i c h w o h l gibt es nach seiner Auffassung eine Vielzahl v o n Fällen der R e c h t s g ü t e r v e r l e t z u n g , in denen es t r o t z N i c h t i g k e i t des Vertrages angebracht erscheint, einen der Beteiligten nach vertraglichen G r u n d s ä t z e n haften zu lassen statt nur nach denen des D e l i k t s r e c h t s . Canaris entwickelt die L ö s u n g dieser Fälle v o n den für die culpa in c o n t r a h e n d o geltenden P r i n z i p i e n her. A n h a n d dieses Institutes zeige sich, daß S c h u t z p f l i c h ten unabhängig v o n Leistungspflichten bestehen k ö n n e n , daß sie - jedenfalls im vorvertraglichen Stadium - ihre rechtliche G r u n d l a g e im Vertrauensgedanken finden, nicht dagegen im Willen der Parteien und daß sie schließlich unabhängig v o m Z u s t a n d e k o m m e n des Vertrages sind. 1 4 6 E r f o l g t eine S c h u t z p f l i c h t v e r l e t z u n g nach Vertragsschluß, so liegt nun kein Fall der culpa in c o n t r a h e n d o m e h r vor, sondern ein solcher der positiven Vertragsverletzung. B e i N i c h t i g k e i t des Vertrages versagt diese L ö s u n g j e d o c h , so daß man dann auf andere K o n s t r u k t i o n e n der H a f t u n g z u r ü c k g r e i f e n m u ß . D e n G e danken, für diesen Fall ebenfalls das Institut der culpa in c o n t r a h e n d o heranzuziehen, lehnt Canaris ab, da es sich gerade nicht u m ein Verschulden v o r Vertragsschluß handele, dieses vielmehr nach A b s c h l u ß des u n w i r k s a m e n Vertrages erfolge, und z w a r typischerweise im R a h m e n des faktischen E r f ü l lungsstadiums. Allerdings sei mit d e m Institut der culpa in c o n t r a h e n d o die L ö s u n g d o c h v o r g e z e i c h n e t , sofern man n u r die sich aus i h m ergebenden Prinzipien folgerichtig f o r t d e n k e . 1 4 7 A u f dieser G r u n d l a g e geht C a n a r i s davon aus, daß nicht nur v o r Vertragsschluß, s o n d e r n erst recht nach Vertragsschluß eine S o n d e r b e z i e h u n g und ein besonderes Vertrauensverhältnis z w i s c h e n den Parteien besteht. Dieses Vertrauensverhältnis ergebe sich aus der b e s o n d e r e n E i n w i r k u n g s m ö g l i c h k e i t auf die R e c h t s g ü t e r des anderen und b e r u h e damit auf der tatsächlichen B e ziehung der Parteien. W e n n dieses Vertrauensverhältnis aber s c h o n v o r Vertragsschluß G r u n d l a g e v o n Pflichten ist, so müsse es dies erst recht nach Vertragsschluß sein. D i e W e i t e r e n t w i c k l u n g der G r u n d s ä t z e ü b e r die culpa in c o n t r a h e n d o f ü h r t ihn deshalb zu f o l g e n d e m E r g e b n i s : „ ( . . . ) auch bei N i c h tigkeit oder w i r k s a m e r A n f e c h t u n g des Vertrages bleibt ein ,Schuldverhältnis o h n e primäre L e i s t u n g s p f l i c h t ' bestehen, das die G r u n d l a g e der S c h u t z p f l i c h ten bildet, seine R e c h t f e r t i g u n g in der I n a n s p r u c h n a h m e und G e w ä h r u n g v o n Vertrauen findet und seine p o s i t i v - r e c h t l i c h e Stütze in § 2 4 2 B G B h a t . " 1 4 8
145 146 147 148
Canaris, Canaris, Canaris, Canaris,
JZ JZ JZ }Z
1965, 475 1965, 475 1965, 475 1965, 475
(475). (476). (476). (477).
II. Zum Verhältnis von vertraglicher und deliktischer Haftung
253
C a n a r i s geht nun n o c h einen Schritt weiter, indem er nicht nur bei nichtigem Vertrag die S c h u t z p f l i c h t e n auf ein gesetzliches Schuldverhältnis z u r ü c k führt, s o n d e r n sämtliche S c h u t z p f l i c h t e n aus einem einheitlichen Schuldverhältnis herleitet, das er in scharfer A b g r e n z u n g gegenüber dem Leistungsverhältnis e n t w i c k e l t . 1 4 9 Leistungspflichten und S c h u t z p f l i c h t e n seien ihrer S t r u k t u r nach durchaus verschiedenartig; andererseits seien die S c h u t z p f l i c h ten untereinander gänzlich gleichartig und sollten daher auch einheitlich behandelt w e r d e n . So ist für Canaris nicht recht einzusehen, w i e s o vor Vertragsschluß alle S c h u t z p f l i c h t e n aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis erw a c h s e n und ihre R e c h t f e r t i g u n g im Vertrauensgedanken finden, nach Vertragsschluß es sich j e d o c h nach verbreiteter Vorstellung um vertragliche Pflichten handeln soll, die rechtsgeschäftlicher N a t u r sind und ihren G e l tungsgrund im Parteiwillen haben. Tatsächlich seien die vorvertraglichen Pflichten keine b e s o n d e r e n Pflichten, die aus einem b e s o n d e r e n gesetzlichen Schuldverhältnis resultieren, sondern sie seien B e g i n n des g e w ö h n l i c h e n Schuldverhältnisses. D e m e n t s p r e c h e n d lasse sich die T h e o r i e des einheitlichen Schutzverhältnisses wie folgt formulieren: „Alle S c h u t z p f l i c h t e n finden ihre G r u n d l a g e in einem einheitlichen Schutzverhältnis, das mit der A u f n a h me des geschäftlichen K o n t a k t e s beginnt und sich ü b e r mehrere Stufen - B e ginn der Vertragsverhandlungen, Vertragsschluß, E i n t r i t t in das E r f ü l l u n g s stadium - verdichtet; es entsteht unabhängig v o m Willen der Parteien, ist also .gesetzlicher' Natur, und findet seine R e c h t f e r t i g u n g im Vertrauensgedanken und seine positiv-rechtliche G r u n d l a g e in § 2 4 2 B G B . " 1 5 0 D i e Ableitung v o n S c h u t z p f l i c h t e n aus einem v o m Parteiwillen unabhängigen Vertrauensverhältnis gelte damit nicht nur bei nichtigen, sondern k o n s e q u e n t e r w e i s e auch bei w i r k s a m e n Verträgen.
bb) Zur Problematik
der Einheit des
Schuldverhältnisses
D i e P r o b l e m a t i k des Schutzverhältnisses liegt v o r allem in seinem B e z u g zum Schuldverhältnis. Canaris hat diese Schwierigkeit selbst gesehen und daran festgehalten, daß das Schutzverhältnis Teil des Schuldverhältnisses sei. 1 5 1 Z w a r seien innerhalb des Schuldverhältnisses mit d e m Leistungsverhältnis und dem Schutzverhältnis gegebenenfalls verschiedene K o m p l e x e v o n Pflichten zu unterscheiden, das Schuldverhältnis sei aber m e h r als die S u m m e von Leistungs- und Schutzverhältnis. I n s o w e i t will er an dem G e d a n k e n der „Einheit des Schuldverhältnisses" festhalten. 1 5 2 D a ß dies ein p r o b l e m a t i s c h e r P u n k t ist, hat in der N a c h f o l g e v o n Canaris v o r allem T h i e l e gesehen. D i e s e r geht wie Canaris davon aus, daß sämtliche Schutzpflichten in einem einheitli-
149 150 151 152
Canaris, JZ 1965, 475 (478 ff.). Canaris, ]Z 1965, 475 (479). Canaris, JZ 1965, 475 (478 ff.). So Canaris ausdrücklich JZ 1965, 475 (480).
5 Sorgfaltspflichten
254
zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
chen „Schutzpflichtverhältnis" zusammengefaßt sind, das streng vom Leistungsverhältnis zu unterscheiden ist. 153 Auch für Thiele können die Schutzpflichten unabhängig vom Leistungsverhältnis bestehen; sie finden ihre Grundlage in einer „verfeinerten Sozialmoral" 1 5 4 und können auch schon im Rahmen anderer als rechtsgeschäftlicher sozialer Kontakte entstehen. Anders als Canaris hält Thiele es allerdings nicht für geboten, „alle zwischen bestimmten Personen aus einer konkreten Sonderverbindung entspringenden Einzelpflichten auf ein einheitliches Schuldverhältnis als .Ursprungsverhältnis' zurückzuführen." 1 5 5 Das Schutzpflichtverhältnis sei vielmehr „ein durchaus selbständig erfaßbares Rechtsverhältnis." Insoweit hätten die Schutzpflichten weder im Schuldverhältnis als „Organismus" ihren Ursprung, noch seien sie als Teil dieses Schuldverhältnisses anzusehen. Die Auffassung von Canaris, der an der Einheitlichkeit des Schuldverhältnisses festgehalten hat, sieht Thiele dementsprechend als sachlich nicht konsequent an. Auch Thiele will zwar nicht leugnen, daß vielfältige Wechselwirkungen zwischen dem Schuldverhältnis als „um die einzelnen Leistungspflichten organisierter Ganzheit" 1 5 6 und dem Schutzverhältnis bestehen können. Dies ergebe sich aber allein daraus, daß der konkrete soziale Sachverhalt vielfach der gleiche ist und deshalb die gesetzlichen Wertungen, die im Rahmen des Leistungsverhältnisses getroffen sind, auch für das Schutzpflichtverhältnis zutreffen können. Bei der Frage nach der Einheitlichkeit des Schuldverhältnisses handelt es sich um eine Problematik, die für die theoretische Grundlegung dieses Ansatzes von zentraler Bedeutung ist. Eine gewisse Schwäche der Ansätze von C a naris und Thiele liegt insoweit zunächst darin, daß die N a t u r des Schuldverhältnisses selbst nicht genauer umrissen wird. Thiele scheint den Begriff des Schuldverhältnisses überhaupt nur auf das den Leistungspflichten zugrunde liegende Rechtsverhältnis beschränken zu wollen und das Schutzverhältnis auf ein davon zu unterscheidendes Rechtsverhältnis zurückzuführen, ohne daß allerdings ersichtlich ist, was diese Beschränkung des Begriffs Schuldverhältnis rechtfertigen würde. Demgegenüber begreift Canaris Leistungs- und Schutzverhältnis als Teil eines einheitlichen Schuldverhältnisses. Dabei bleibt allerdings unklar, inwiefern sich Leistungs- und Schutzverhältnis als Teil eines einheitlichen Ganzen auf das als Einheit gedachte Schuldverhältnis beziehen lassen. Der Gedanke der Einheit des Schuldverhältnisses w i r d in der Darstellung von Canaris z w a r im Hinblick auf das Schutzverhältnis deutlich. Die Einheit des Schutzverhältnisses ergibt sich hier aus der Vorstellung, daß das Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen als Beginn des gewöhnlichen Schuldverhältnisses zu begreifen ist. Das Schuldverhältnis beginnt als Schutzverhält153 154 155 156
Thiele, JZ Thiele,}Z Thiele, J Z Thiele, J Z
1967, 1967, 1967, 1967,
649 649 649 649
(653 ff.). (657). (654). (654).
II. Zum
Verhältnis
von vertraglicher
und deliktischer
Haftung
255
nis der Vertragsverhandlungen und verdichtet sich über die weiteren Stufen des Vertragsschlusses und des Erfüllungsstadiums. Mit der Annahme eines sich fortentwickelnden Schuldverhältnisses gelingt es Canaris, eine Grenze zu überschreiten, nämlich die des Vertragsschlusses. D a s Schuldverhältnis und die aus ihm entspringenden Schutzpflichten erscheinen nicht als v o m Vertragsschluß abhängig, sondern v o m Bestehen des Schuldverhältnisses, das schon mit den Vertragsverhandlungen oder dem geschäftlichen Kontakt zur Entstehung gelangt. Eine andere Grenze bleibt freilich bei Canaris bestehen, nämlich die zwischen Vertrag und Gesetz. D a s Schutzverhältnis wird von ihm ausdrücklich als gesetzliches begriffen, die Schutzpflichten sind dementsprechend gesetzlicher Natur. 1 5 7 Nicht ganz klar wird hingegen die Rechtsnatur des infolge eines Vertrages entstehenden Schuldverhältnisses, jedenfalls sieht er die Grundlage der Leistungspflichten offenbar im rechtsgeschäftlichen A k t des Vertragsschlusses. Mit Abschluß eines Vertrages scheinen daher das gesetzliche Schuldverhältnis der Schutzpflichten und das vertragliche Schuldverhältnis der Leistungspflichten nebeneinander herzulaufen. Angesichts dieser Entgegensetzung von Vertrag und Gesetz von einer Einheit des Schuldverhältnisses zu sprechen, erscheint - wie Thiele mit Recht angemerkt hat - wenig konsequent. U n d Larenz scheint sogar der Auffassung zu sein, Canaris habe nur verbal an der Einheit des Schuldverhältnisses festgehalten und geht davon aus, daß Canaris mit der Trennung von Leistungs- und Schutzverhältnis das einheitliche Schuldverhältnis in zwei nebeneinander herlaufende Schuldverhältnisse zerlegt habe. 1 5 8 N i m m t man den Gedanken der Einheit des Schuldverhältnisses einmal ernst, so müßte eine überzeugendere Deutung zunächst einmal davon ausgehen, daß auch das durch den Vertrag gestiftete Schuldverhältnis gesetzliche Momente beinhaltet. O b deswegen auch das vertragliche Schuldverhältnis als gesetzliches zu qualifizieren ist, dürfte in erster Linie eine Frage der Akzentsetzung sein und soll hier offen bleiben. 1 5 9 Jedenfalls wird durch den rechtsgeschäftlichen Akt des Vertragsschlusses das entstehende Schuldverhältnis nur begründet. Die Ausgestaltung dieses Schuldverhältnisses erfolgt dann zwar primär durch den Willen der Parteien (und dies allerdings auch nur in der Deutung des Willens durch das Recht), sekundär hingegen nach den Maßstäben des Gesetzes. Dementsprechend ist die verbreitete Vorstellung, die Leistungspflichten ließen sich auf den rechtsgeschäftlichen Willen der Parteien zurückführen, etwas pauschal. H ä u f i g betrifft das überhaupt nur die Hauptleistungspflichten und diese auch nur in ihrer Essenz. Die Modalitäten der Leistung oder die Existenz von Nebenleistungspflichten folgen zumeist
157
Canaris , J Z 1965, 475 (479). Larenz, Schuldrecht I, § 9 I b (S. 120). 1 5 9 Zur Problematik der Entgegensetzung von vertraglichem und gesetzlichem Schuldverhältnis vgl. Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, R z . 121. 158
256
5 6 Sorgfaltspflichten
zum Schutz
absoluter
Rechtsgüter
aus dem dispositiven Gesetzesrecht. Im übrigen mag hier auch daran erinnert werden, daß nach § 242 BGB gerade die Leistung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu bewirken ist. Wie Larenz 1 6 0 zu diesem Punkt schon bemerkt hat, ergänzen sich Vertrag und Gesetz hier. Angesichts dieses Ergänzungsverhältnisses ist allerdings die Schärfe, in der von Canaris und dann auch von Thiele Leistungspflicht und Schutzpflicht einander entgegengesetzt werden, problematisch. Bei aller Verschiedenheit beider Pflichten ist mit dem Schuldverhältnis ein Bezugspunkt vorhanden, von dem aus sich auch der Zusammenhang beider Typen von Pflichten in ihren unterschiedlichen Funktionen deutlich machen läßt. Wenn man davon ausgeht, daß sich aus dem Schuldverhältnis eine Verhaltensordnung für die Beteiligten ergibt, so dienen dem Schutz dieser Verhaltensordnung sowohl die Leistungspflichten als auch die Sorgfaltspflichten. 161 Im Hinblick auf den Vertrag kann man insoweit von einer durch die Sorgfaltspflichten konstituierten allgemeinen Verhaltensordnung des Schuldverhältnisses sprechen und diese von einer durch die Leistungspflichten konstituierten besonderen Verhaltensordnung des Schuldverhältnisses unterscheiden. Dabei sind die Leistungspflichten primär rechtsgeschäftlich geprägt, ergänzend aber auch durch das Gesetz, die Sorgfaltspflichten folgen dagegen zumeist aus dem gesetzlichen Gebot von Treu und Glauben, ohne daß dies aber ihre Herleitung aus dem rechtsgeschäftlichen Willen ausschließen würde. Leistungs- und Sorgfaltspflichten sind damit Teil eines einheitlichen Schuldverhältnisses, das auf den Schutz des Vertrages zielt. Für den Vertrag kann man insoweit davon sprechen, daß mit dem Schutzverhältnis im Schuldverhältnis eine Ebene besteht, die auch dem Schutz des Leistungsverhältnisses dient. Dieser Gedanke gilt nun nicht nur für den bereits geschlossenen Vertrag, sondern auch für das Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen und den aus ihm folgenden Sorgfaltspflichten. Die Sorgfaltspflichten dienen dem „reibungslosen Ablauf des Geschäftsverkehrs" 1 6 2 und damit dem Schutz des Vertrages als Institut. Dieser Schutz umfaßt sämtliche Stufen des Vertragsschlusses angefangen vom geschäftlichen Kontakt, über die Vertragsverhandlungen und den Abschluß des Vertrages, seine Durchführung und den Bestand des Vertrages nach Austausch der Leistungen. Aus dieser Perspektive sind, wenn auch nur in sehr vermittelter Weise auch die Sorgfaltspflichten auf die ordnungsgemäße Erfüllung der Leistungspflichten bezogen. Der Gedanke der Verschiedenartigkeit von Leistungspflichten und Sorgfaltspflichten hat hier - bei aller Berechtigung - seine Grenzen. Der über das Schuldverhältnis gestiftete Bezug der Sorgfaltspflichten zum Vertrag ergibt sich auch daraus, daß die ganze Lehre von den Sorgfaltspflich160
Schuldrecht I, §§ 6 I, 9 I b (S. 120). Angesichts dieser S c h u t z f u n k t i o n beider T y p e n von Pflichten ist die Bezeichnung der Sorgfaltspflichten als Schutzpflichten natürlich n u r wenig glücklich. 162 Vgl. Larenz, Schuldrecht I, § 9 I a (S. 106). 161
II. Zum Verhältnis
von vertraglicher
und deliktischer
Haftung
257
ten - etwas salopp formuliert - u m den Vertrag herum gebaut ist. 1 6 3 Sie ist ein Beitrag zur Deutung des Schuldverhältnisses aus Vertrag. Daß es daneben noch andere Schuldverhältnisse gibt, bei denen ebenfalls Sorgfaltspflichten verletzt werden können, ändert nichts daran, daß im Mittelpunkt der Lehre von den Sorgfaltspflichten immer der Vertrag gestanden hat und die sonstigen Schuldverhältnisse für die theoretische Konzeption nur am Rande von Bedeutung gewesen sind. D e r durch das Schuldverhältnis gestiftete B e z u g der Sorgfaltspflichten auf den Vertrag wird von Thiele nicht gesehen, wenn er Schutzpflichten und Leistungspflichten gesonderten Rechtsverhältnissen zuweisen will. Aber auch bei Canaris bleibt diese Einheit des Schuldverhältnisses unausgearbeitet. Darin hegt auch einer der Gründe dafür, warum es Canaris in seiner Darstellung der Fortentwicklung des Schuldverhältnisses über die verschiedenen Stadien der Vertragsverhandlungen, des Vertragsabschlusses, der Vertragsdurchführung, nicht recht gelingen mag, die Leistungspflichten überhaupt in den Vertrag zu integrieren. D a s Schuldverhältnis erscheint hier eher als die F o r m der unterschiedlichen Stadien des Schutzverhältnisses. Dann aber wird mit der Abtrennung des Schutzverhältnisses vom Leistungsverhältnis bei aller Richtigkeit der L ö s u n g des Schuldverhältnisses vom Vertragsschluß auch nicht ausreichend berücksichtigt, daß der A k t des Vertragsschlusses ein Schuldverhältnis nicht nur begründet, sondern das bereits vorhandene Schuldverhältnis ausgestaltet. Larenz hat insoweit darauf hingewiesen, daß die im Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen begründeten Sorgfaltspflichten sich im vertraglichen Schuldverhältnis mit gleichem oder aber auch verändertem Inhalt fortsetzen und neue hinzukommen können. 1 6 4 D a s bedeutet, im Rahmen der Vertragsdurchführung wird ein anderes Maß an Sorgfalt geschuldet als im Rahmen der Vertragsverhandlungen. Die These von der Einheitlichkeit des Schutzverhältnisses wird dieser A b s t u f u n g des Schuldverhältnisses nicht gerecht. 1 6 5
So auch die (allerdings kritische) Sicht von Picker, J Z 1987, 1041 (1043 f.). Larenz, Schuldrecht I, § 9 I b (S. 118). 165 Bedenken etwa auch bei Gernhuber, D a s Schuldverhältnis, § 2 IV 4; Medicus, Bürgerliches Recht, R z . 2 0 3 ; Palandt-Heinrichs, § 2 7 6 Rz. 106; Staudinger-Löwisch, Vorbem zu § § 2 7 5 ff. Rz. 26; Zweifel auch bei M ü K o - R o t h , § 2 4 2 Rz. 132, und Soergel-Wiedemann, Vor § 275 Rz. 363. Zustimmung etwa bei Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, § 29 I 2 (S. 140); M ü K o Kramer, Einleitung zu Bd. 2, Rz. 74 ff. (m.w.N. in Fn. 174); Gerhardt, J u S 1970, 597 (598). Die Auffassungen von J a k o b s und Frost erscheinen mir hingegen weniger eindeutig: Von Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 40 Fn. 69, bleibt die Notwendigkeit der Annahme eines besonderen Schutzpflichtenverhältnisses ausdrücklich dahingestellt. Frost geht in ihrer Untersuchung über „Vorvertragliche" und „vertragliche" Schutzpflichten zwar von der Identität beider Pflichten aus. Dennoch gelangt sie aber (S. 219 f.) zu der Feststellung, „die Schutzpflicht sei in das Schuldverhältnis ,eingebettet'." Damit will sie vor allem das harmonische Zusammenwirken der verschiedenen Pflichten im Schuldverhältnis zum Ausdruck bringen. Letzter G r u n d aller Pflichten bleibt damit für sie das sich fortentwickelnde Lebensverhältnis, das auch dem Schuldverhältnis seine Prägung gibt. 163
164
258
§6
Sorgfaltspflichten
zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
F ü r die von Canaris aufgeworfene Problematik der Begründung von Sorgfaltspflichten bei Nichtigkeit des Vertrages bedarf es auch gar nicht einer solch weitreichenden K o n z e p t i o n . Vielmehr läßt sich auch die bei nichtigem Vertrag entstehende Beziehung infolge faktischer Erfüllungshandlungen als Schuldverhältnis begreifen, das - wie das Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen - dem Schutz des Vertrages als Institut dient. Zu diesem Schutz gehört dann nicht nur die Rückabwicklung der Leistungen nach Bereicherungsrecht, sondern auch der Schutz der Beteiligten im Bestand ihrer bereits vorhandenen Rechtsgüter. Im übrigen aber ist auch die These von der Gleichartigkeit der Schutzpflichten, die ihre Zusammenfassung zum Schutzverhältnis erlaubt, zweifelhaft. Gleichartig sind diese Pflichten nur insoweit, als sie sich als eigener Typus den Leistungspflichten entgegensetzen lassen. Untereinander sind diese Sorgfaltspflichten durchaus verschiedenartig. So wird die Pflicht zur Aufklärung über einen für den Verhandlungspartner wesentlichen Umstand doch wohl zu unterscheiden sein von der Pflicht, die Rechtsgüter des Vertragspartners bei Erbringung der Leistung nicht zu schädigen. 1 6 6 Insbesondere im H i n b l i c k auf die Sorgfaltspflichten zum Schutz der rechtsgeschäftlichen E n t scheidungsfreiheit mag der Frage, ob es sich um ein Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen oder das Schuldverhältnis aus Vertrag handelt, dann vielleicht doch eine gewisse Orientierungsfunktion zukommen.
cc) Die Haftung für Schutzpflichtverletzungen zwischen Vertrag und Delikt?
als „ dritte
Spur"
Was ergibt sich aus diesen Überlegungen nun für die Auffassung von C a naris, die Haftung für Schutzpflichtverletzungen stelle eine „dritte Spur" zwischen Vertrags- und Deliktshaftung dar? Canaris hat ja später die These entwickelt, das Schutzverhältnis sei Ausdruck einer eigenständigen H a f tungsordnung, die systematisch in die Vertrauenshaftung einzuordnen sei und damit einen Haftungsbereich ausmache, der diesseits der Delikthaftung aber noch vor der G r e n z e zur Vertragshaftung liege. 1 6 7 Dabei will er mit der Annahme einer solchen „dritten S p u r " auch der Tatsache Rechnung tragen, daß die „starre D i c h o t o m i e zwischen Vertrags- und Deliktshaftung ( . . . ) schon seit langem der rechtlichen Realität nicht mehr gerecht (wird) ( , . . ) " 1 6 8 Im H i n b l i c k auf diese These von der Haftung für Schutzpflichtverletzungen als „dritter Spur" soll hier nur noch einmal auf das Schuldverhältnis zurück166 Gelegentlich wird offenbar angenommen, Canaris gehe es beim einheitlichen Schutzverhältnis nur um die Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter, so wohl Staudinger-Löwisch, Vorbem zu §§ 275 ff. Rz. 25. Canaris begreift in der Festschrift für Larenz, 27 (90 ff.), aber auch die Sorgfaltspflichten zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit als „Schutzpflichten zum Schutz reiner Vermögensinteressen". 167 Canaris, Festschrift für Larenz, 27 (84 ff.); ders., Z H R 163 (1999), 206 (220 ff.). 168 Canaris, Z H R 163 (1999), 206 (221).
II. Zum Verhältnis von vertraglicher
und deliktischer
Haftung
259
gekommen werden. Eine weiterreichende Auseinandersetzung mit dem Vertrauensgedanken als Haftungsprinzip ist damit also, um dies noch einmal zu betonen, nicht beabsichtigt. Der Unterscheidung von Vertrag und Delikt liegt nicht nur eine lange historische Tradition zugrunde, in ihr spiegelt sich für die geltende Dogmatik des Haftungsrechts auch die Unterscheidung von Begründung und Ausgestaltung des Schuldverhältnisses. Das Delikt begründet ein Schuldverhältnis, aus dem die Haftung folgt; die vertragliche Haftung erfolgt hingegen aus einem bereits bestehenden Schuldverhältnis und stellt insoweit eine Ausgestaltung dieses Schuldverhältnisses dar. Wie fügt sich die Annahme einer „dritten Spur" zwischen diesen beiden Haftungsbereichen in diese Unterscheidung ein? Die Vorstellung, es werde bei der Verletzung von Schutzpflichten ein Schuldverhältnis erst begründet, dürfte eher fern liegen. Mehr spricht schon dafür, in der Vertrauenshaftung für Schutzpflichtverletzungen die Ausgestaltung eines bereits bestehenden Schuldverhältnisses zu sehen. Das legt beispielsweise die Deutung durch Canaris nahe, der Vertrauenshaftung komme „ohnehin die Funktion einer Ergänzung der rechtsgeschäftlichen Bindung" zu. 169 Daraus würden sich allerdings eine Reihe von weiteren Fragen ergeben: Begründet das Vertrauensprinzip hier ein Schuldverhältnis? 170 Oder stellt das Vertrauensprinzip nur die Grundlage für die Begründung von Schutzpflichten im Rahmen eines vorausgesetzten Schuldverhältnisses dar? Und wie verhält sich dabei das Prinzip der Vertrauenshaftung zu dem die Haftung aus Schuldverhältnissen bestimmenden Prinzip der Verschuldenshaftung? In jedem Fall ergibt sich aus der Perspektive des Schuldverhältnisses die Frage, ob es sich tatsächlich um eine „dritte Spur" zwischen Vertrag und Delikt handelt und nicht vielmehr um eine solche neben dem Vertrag. Man mag Bereiche zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung auftun können, wie sich nun allerdings solche Bereiche in die Unterscheidung von Begründung und Ausgestaltung des Schuldverhältnisses einfügen, ist ein offene Frage. 171 Nur am Rande sei noch darauf hingewiesen, daß die These von der Haftung für Schutzpflichtverletzungen als „dritter Spur" zwischen Vertrag und Delikt der Annahme einer „Einheit des Schuldverhältnisses" entgegenstehen dürfte.
Canaris, Festschrift für Larenz, 27 (106). 170 yg[ insoweit auch die Bemerkung von Canaris selbst (Larenz/Canaris, Schuldrecht II/ 2, § 75 II 4 c), daß die Frage, „ob und unter welchen Voraussetzungen außerhalb des rechtsgeschäftlichen Verkehrs im Wege der Rechtsfortbildung .ungeschriebene' gesetzliche Schuldverhältnisse angenommen werden können", wenig geklärt sei. 171 Krebs, Sonderverbindung und außerdeliktische Schutzpflichten, hat einen solchen Zwischenbereich neuerdings mit Hilfe des Begriffs der Sonderverbindung genauer zu legitimieren versucht, in dem er eine Erweiterung des Schuldverhältnisbegriffs sieht, vgl. a.a.O., etwa S. 265. Das dabei zugrunde gelegte Verständnis des Schuldverhältnisses wird jedoch nicht recht klar, zumal er in erster Linie auch nur mit dem engeren Begriff des Schuldverhältnisses i.S.von §241 B G B argumentiert, die eigentliche Bedeutung des Begriffs der Sonderverbindung sich aber aus seinem Verhältnis zum Schuldverhältnis i.w.S. ergeben müßte. 169
260
5 6 Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
III. Zur Beschränkung der Sorgfaltspflichten auf den Schutz absoluter Rechtsgüter. Kritik der Auffassung vom Vermögensschutz durch Sorgfaltspflichten Z u m A b s c h l u ß dieses Kapitels soll n o c h auf eine P r o b l e m a t i k eingegangen werden, die bisher ausgeklammert blieb, nämlich die Frage nach der R e i c h weite des durch die hier behandelten Sorgfaltspflichten gewährten Schutzes. D e r Darstellung liegt die Auffassung zugrunde, daß dieser T y p u s v o n Sorgfaltspflichten nur dem S c h u t z absoluter R e c h t s g ü t e r dient. D i e s e B e s c h r ä n kung bedarf nicht nur einer genaueren R e c h t f e r t i g u n g , sondern soll im f o l genden auch in ihrem systematischen Bedeutungsgehalt etwas näher umrissen werden. W e n n man einmal auf die deliktische L e h r e v o n den Verkehrspflichten schaut, so geht v o r allem C a n a r i s nicht n u r v o n Verkehrspflichten z u m S c h u t z der in § 823 I B G B genannten R e c h t e und R e c h t s g ü t e r aus, sondern auch etwa v o n Verkehrspflichten z u m S c h u t z der durch §§ 823 I I und 8 2 6 B G B ges c h ü t z t e n Interessen und R e c h t s g ü t e r . 1 7 2 O b es auch entsprechende Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z s o l c h e r Interessen und R e c h t s g ü t e r gibt, soll hier als eine Frage m i n d e r e r B e d e u t u n g dahingestellt bleiben. E i n e r etwas genaueren B e t r a c h t u n g bedarf allerdings die allgemein übliche Vorstellung, daß nach Vertragsrecht auch für sogenannte b l o ß e V e r m ö g e n s s c h ä d e n gehaftet wird, w ä h r e n d das D e l i k t s r e c h t in § 823 I B G B eine H a f t u n g nur an die Verletzung der dort genannten R e c h t e und R e c h t s g ü t e r k n ü p f t und das V e r m ö g e n im ü b rigen nur unter den b e s o n d e r e n Voraussetzungen der §§ 823 I I und 8 2 6 B G B geschützt ist. 1 7 3 D i e hier verfolgte T h e s e , daß der an dieser Stelle behandelte T y p u s v o n Sorgfaltspflichten nur d e m S c h u t z absoluter R e c h t s g ü t e r dient, wie aber ü b e r h a u p t der G e d a n k e , daß Sorgfaltspflichten im H i n b l i c k auf b e s t i m m t e R e c h t s g ü t e r bestehen, steht der A n s i c h t , nach Vertragsrecht werde auch für b l o ß e V e r m ö g e n s s c h ä d e n gehaftet, diametral entgegen. W i e im folgenden deutlicher gemacht wird, ist diese T h e s e allerdings weniger s p e k t a k u lär, als es auf den ersten B l i c k scheinen mag, sie trägt aber um so m e h r z u m Verständnis des hier e n t w i c k e l t e n K o n z e p t s der Pflichtverletzung bei. S c h o n der zumeist verwandte B e g r i f f des b l o ß e n V e r m ö g e n s s c h a d e n s ist verquer gebildet und bringt das G e m e i n t e nur u n v o l l k o m m e n z u m A u s druck. Seinen eigentlichen Sitz und seine eigentliche B e d e u t u n g hat der G e danke in § 823 I B G B . A u f g r u n d dieser Vorschrift wird n u r für die Verletzung der d o r t genannten absoluten R e c h t e und R e c h t s g ü t e r gehaftet, nicht dagegen 172
Canaris, Festschrift für Larenz, 27 (81 ff.); Larenz/Canaris,
Schuldrecht II/2, § 76 III
2 c. 173 Vgl. Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, §4 12; Larenz, Schuldrecht I, §24 Ia (S. 369); Westermann/Bydlinski, BGB-Schuldrecht AT, Rz. 11/13; Horn, JuS 1995, 377 (379); v. Bar, JuS 1982, 637(639).
III. Zur Auffassung
vom Vermögensschutz
durch Sorgfaltspflichten
261
für die bloße Verletzung des Vermögens. Präziser ist also der Begriff der Vermögensverletzung, der als Gegenbegriff zu dem gesetzlichen K o n z e p t gebildet ist, die Unerlaubtheit einer Handlung anhand der Verletzung absoluter Rechtsgüter zu bestimmen. 1 7 4 D a m i t handelt es sich im Hinblick auf die B e gründung von Haftung um einen Begriff auf der Tatbestandsseite zur Beurteilung der Unerlaubtheit einer Handlung, während man den Begriff des Vermögensschadens auch der Rechtsfolgenseite zuordnen könnte oder doch jedenfalls zu einer von der Unerlaubtheit der Handlung zu unterscheidenden Stufe der Schadensbegründung. Dieser Aspekt bedarf deshalb besonderer Hervorhebung, weil genau dieser systematische Bedeutungsgehalt des B e griffs in der gängigen D o g m a t i k mit der Redeweise vom bloßen Vermögensschaden bei der Übertragung auf das Vertragsrecht verloren geht. Uberträgt man den präzisen Bedeutungsgehalt des im Deliktsrecht entwikkelten Begriffs der Vermögensverletzung auf das Vertragsrecht, so kann sich auch hier dieser Gedanke nur auf die Tatbestandsseite beziehen, genauer noch nur auf die Begründung der Unerlaubtheit des Schuldnerverhaltens. Schaut man sich unter diesem Gesichtspunkt die vertragliche Haftung näher an, so kann von einer Haftung für Vermögensverletzungen in dem hier entwickelten Sinne gar keine Rede sein. Das gilt zunächst einmal sicher für den Kernbereich der Haftung für Leistungspflichtverletzungen, obwohl die gegenteilige Behauptung hier gang und gäbe ist. D i e Funktion, die dem absoluten R e c h t bei der Begründung der Unerlaubtheit der deliktischen Handlung zukommt, übernimmt im Vertragsrecht für die Bestimmung des Fehlverhaltens durch den Schuldner für diesen Bereich die Leistungspflicht. So wie der Deliktstäter für die schuldhafte Verletzung eines absolut geschützten Rechtsgutes haftet, muß der Schuldner also für die schuldhafte Verletzung der Leistungspflicht einstehen. Dabei kann im Hinblick auf die Verletzung der Leistungspflicht durchaus davon gesprochen werden, daß der Schuldner hier ein Rechtsgut verletzt, wenn auch kein absolutes Rechtsgut, wohl aber den Anspruch auf Erfüllung und damit ein relatives R e c h t des Gläubigers. 1 7 5 D i e Vorstellung, daß hier für reine Vermögensschäden gehaftet wird, hat insoweit gar keinen präzisen Sinn. So wie im Anwendungsbereich des § 823 I B G B nicht für bloße Vermögensverletzungen gehaftet wird, sondern nur für die Verletzung von absolut geschützten Rechtsgütern, so wird auch im Vertragsrecht zunächst einmal nur für die Verletzung des relativ geschützten Anspruches gehaftet.
174 Vgl. auch Medicus, Grundwissen zum Bürgerlichen Recht, Rz. 351, der auf den Doppelsinn des Wortes Vermögensschaden hinweist. Einmal könne damit der Gegensatz zu dem (nur ausnahmsweise ersatzfähigen) Nichtvermögensschaden gemeint sein, zum anderen werde das Wort aber auch für diejenigen Vermögensverletzungen verwandt, die nicht unter § 823 I B G B fallen. Kritischer die Sicht von Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 1204: „Der oft gehörte Satz, § 823 I schütze nicht das Vermögen, ist falsch. Vermögensschäden sind auch nach § 823 I zu ersetzen, aber nur wenn zuvor eines der dort genannten absoluten Rechtsgüter verletzt ist." 175 So bereits die Vorstellung der Motive, Bd. II, S. 727. Vgl. dazu im übrigen schon oben §3113.
262
§ 6 Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
D i e insoweit parallel angelegten H a f t u n g s k o n z e p t i o n e n v o n Vertrag und D e likt w e r d e n also in den gängigen D a r s t e l l u n g e n geradezu verfehlt. I m G r u n d e o f f e n b a r t sich an einer derartigen Stelle, daß eine K o n z e p t i o n der Pflichtverletzung für das Vertragsrecht fehlt. M a n k a n n nun z w a r sagen, daß bei der K o n s t i t u i e r u n g v o n Leistungspflichten durch die Vertragsparteien prinzipiell jedes Vermögensinteresse herausgegriffen w e r d e n kann. A u s dieser Sicht läge die D i f f e r e n z z w i s c h e n D e l i k t und Vertrag dann in der U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n feststehenden a b s o luten R e c h t s g ü t e r n und den durch die Parteien selbst b e s t i m m t e n relativen R e c h t s g ü t e r n . D e r A n s a t z v o n P i c k e r 1 7 6 etwa, der im G e d a n k e n der H a f t u n g für primäre V e r m ö g e n s s c h ä d e n ein zentrales Prinzip des Vertragsrechts sieht, hat insoweit durchaus seine B e r e c h t i g u n g . D i e E i n h e i t l i c h k e i t der H a f t u n g s k o n z e p t i o n läßt sich mit einer s o l c h e n D e u t u n g des T o p o s der H a f t u n g für b l o ß e V e r m ö g e n s s c h ä d e n aber nicht m e h r deutlich m a c h e n . D i e hier z u n ä c h s t nur im H i n b l i c k auf die Leistungspflichten entwickelte Perspektive ist für die Sorgfaltspflichten problematischer. I n s o w e i t läßt sich natürlich z u n ä c h s t ebenfalls argumentieren, die H a f t u n g beruhe auf einer Pflichtverletzung des Schuldners und damit nicht auf einer b l o ß e n Verletzung des V e r m ö g e n s . D a ß diese Sichtweise nicht o h n e weiteres ü b e r z e u g t , b e r u h t auf der K o n s t i t u t i o n der Sorgfaltspflichten. A n d e r s als die L e i s t u n g s p f l i c h ten, deren Inhalt sich bei vertraglichen Schuldverhältnissen auf den W i l l e n der Parteien und bei gesetzlichen Schuldverhältnissen auf die einzelnen gesetzlichen Tatbestände z u r ü c k f ü h r e n läßt, gibt es für die Sorgfaltspflichten keine solchen fest umrissenen Tatbestände. D a m i t scheint der S c h u t z eines jeden d e n k b a r e n Interesses und damit auch des b l o ß e n V e r m ö g e n s durch Sorgfaltspflichten d e n k b a r zu sein. Tatsächlich ginge eine solche K o n z e p t i o n der S o r g faltspflichten viel zu weit. D e r G e d a n k e , daß sich prinzipiell jedes beliebige Vermögensinteresse d u r c h Pflichten schützen läßt, k a n n nur für die L e i stungspflichten gelten. Träfe dies auch für die Sorgfaltspflichten zu, so ließen sich nicht nur die unterschiedlichen F u n k t i o n e n v o n Leistungs- und S o r g faltspflichten k a u m n o c h deutlich m a c h e n , sondern es w ü r d e sich vielmehr n o c h u m ein H a f t u n g s k o n z e p t handeln, das weder im Vertragsrecht n o c h im D e l i k t s r e c h t angelegt i s t 1 7 7 und damit dazu tendiert, dieses H a f t u n g s s y t e m insgesamt zu sprengen. D e m e n t s p r e c h e n d hat sich im B e r e i c h des D e l i k t s rechts auch die K o n z e p t i o n v o n V e r k e h r s p f l i c h t e n z u m S c h u t z b l o ß e n Vermögens nicht d u r c h g e s e t z t . 1 7 8 G e n a u s o wenig gibt es aber auch Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z b l o ß e n V e r m ö g e n s . F ü r das Vertragsrecht ist diese P r o b l e m a t i k vereinzelt v o r allem im H i n b l i c k auf die F r a g e diskutiert w o r d e n , o b
AcP 183 (1983), 369 (etwa 459, 485 ff.). Vgl. insoweit nur die Bemerkung von Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rz. 862: „Nach einer Grundhaltung des B G B gibt es weder im Vertragsrecht noch im Deliktsrecht eine Generalklausel der Haftung." 178 Vgl. nur Larenz!Canaris, Schuldrecht II/2, § 76 III 2 c. 176
177
III. Zur Auffassung
vom Vermögensschutz
durch
Sorgfaltspflichten
263
im Rahmen von Vertragsverhandlungen eine allgemeine Haftung für reine Vermögensschäden angebracht sei, und dann zumeist ebenfalls eher skeptisch beurteilt worden. 1 7 9 Ein K o n z e p t der Sorgfaltspflichten, das sich in das durch Vertrag und D e likt vorgegebene rechtsgutsorientierte Haftungssystem einfügt, muß sich deshalb in der Begründung solcher Pflichten ebenso am Schutz konkreter Rechtsgüter orientieren. Die hier zugrunde gelegte Unterscheidung von Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter, der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit und der personalen Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner stellt insoweit einen Versuch der Konkretisierung von Sorgfaltspflichten anhand von Rechtsgütern dar. Damit soll nicht gesagt sein, daß es sich dabei um eine abschließende Typisierung handelt. In diese Typenreihe von Sorgfaltspflichten lassen sich weitere einfügen, sofern sich denn der Schutz eines genauer bestimmten Rechtsgutes deutlich machen und insoweit eine entsprechende Sorgfaltspflicht begründen läßt. Das P r o b l e m der Konkretisierung von Sorgfaltspflichten eröffnet noch einmal eine neue Perspektive auf den Begriff der Vermögensverletzung. D a ß der Gesetzgeber in § 823 I B G B nur konkrete absolute Rechtsgüter und mit der Leistungspflicht nur ein konkretes relatives Rechtsgut schützt und nicht das bloße Vermögen, mag auch darauf beruhen, daß der Begriff des Vermögens als solcher zu unkonturiert ist, um tauglicher Anknüpfungspunkt für die Begründung einer Haftung zu sein. 1 8 0 D e r Begriff des Vermögens hat in diesem Zusammenhang einen tiefgründigen Doppelsinn. 1 8 1 E r meint ja nicht nur das, was man gegenständlich hat, sondern er beinhaltet auch die Fähigkeiten und das Potential der Person. Vereinfacht formuliert umfaßt der Begriff des Vermögens nicht nur das Haben, sondern auch das K ö n n e n der Person. D e r Schutz des gegenständlichen Vermögensbereiches wird nun weitgehend durch die Anerkennung konkreter Rechtsgüter wie das Eigentum, die F o r d e rung oder sonstige Vermögensrechte gewährleistet, so daß es eines Rückgriffs auf den Schutz des bloßen Vermögens nicht bedarf. Anders sieht es hingegen mit dem nicht mehr gegenständlich faßbaren Bereich des Vermögens aus. H i e r scheidet nicht nur der Schutz konkreter Rechtsgüter aus, sondern auch 1 7 9 Vgl. Larenz, Festschrift für Ballerstedt, 397 (402); Medicus, Gutachten „Verschulden bei Vertrags Verhandlungen", 479 (493). Beide haben dabei freilich nur Fälle im Auge, bei denen es um die Abgrenzung der bloßen Vermögensverletzung von der Verletzung eines absolut geschützten Rechtsgutes geht. Anderer Ansicht im Hinblick auf diese Problematik aber etwa Gernhuher, Das Schuldverhältnis, § 8 II 5, sowie vereinzelte Entscheidungen des B G H , vgl. etwa B G H N J W 1961, 1308. 1 8 0 Vgl. auch Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rz. 801, der das Vermögen als „noch ungegliedertes Rechtsgut" bezeichnet. Ahnlich im Ansatz auch Koziol, JB1. 1998, 619 (625), der diesen Gedanken aber auf das Deliktsrecht beschränkt und meint, der Schutzbereich ließe sich erweitern, wenn zwischen Geschädigtem und Schädiger eine „Nahebeziehung" besteht. 181 Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, S. 124. Siehe im übrigen auch die schöne Schilderung des dem B G B zugrundeliegenden Vermögensbildes durch Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rz. 802.
264
§ 6 Sorgfaltspflichten
zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
der unmittelbare Schutz des Vermögens selbst, und zwar deshalb, weil hier nichts mehr ist, was der Person zugehört und dementsprechend durch das Recht als Gegenstand eines Schutzes erfaßt und konturiert werden könnte. Aus diesem Grund stellt z.B. die Erwerbskraft als solche kein deliktisch geschütztes Rechtsgut dar, sondern ist nur über die Rechtsgüter Körper und Gesundheit mitgeschützt. 182 Auch der Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs wird vor diesem Hintergrund mit Recht zunehmend kritisch beurteilt. 183 Für den Schutz der nicht gegenständlichen Vermögensbereiche würde sich im übrigen auch folgendes Problem stellen. Ein zentraler Gedanke im Hinblick auf die Funktion absoluter Rechte liegt darin, daß diese Rechte für jedermann offenkundig sind und damit Handlungs- und Vermögenssphären abgrenzen. 184 Eine ähnliche Funktion kommt auch dem schuldrechtlichen Anspruch zu, der solche Grenzen zwischen Schuldner und Gläubiger festlegt. Wie aber sollten durch das Vermögen als solches derartige Grenzen gezogen sein, die auch eine Qualifikation der Verletzung des Vermögens als unerlaubt tragen könnten? Angesichts der fehlenden Konturierung des nicht gegenständlich faßbaren Vermögensbereiches ist der Begriff des Vermögens insoweit für die Begründung der Haftung ungeeignet. Die ganze Lehre vom Vermögensschaden beruht deshalb im Grunde darauf, daß die Haftungsbegründung selbst nicht anhand des Vermögensbegriffes erfolgt, sondern in anderer Weise. Daß Vermögen sich in weiten Teilen nicht präzise konturieren läßt, schließt nun nicht aus, daß Vermögensmomente herausgegriffen und als Rechtsgüter verselbständigt werden, wie es ja beispielsweise im Hinblick auf das Eigentum auch geschehen ist. Die Grenze zwischen dem, was als konturiertes Rechtsgut aus dem Bereich des Vermögens faßbar ist, und dem, was als unkonturiertes Vermögen nicht mehr faßbar ist, muß wohl als fließend gedacht werden, und sie unterliegt sicher auch dem Wandel der Zeit. Geht man einmal davon aus, daß diese im Begriff des Vermögens liegende prinzipielle Schwierigkeit nicht nur das Deliktsrecht, sondern - soweit es um die Sorgfaltspflichten geht - in ganz ähnlicher Weise auch das Vertragsrecht betrifft, so steht in beiden Bereichen die Grenzlinie zwischen dem nicht geschützten Vermögen als solchem und den geschützten Rechtsgütern nicht ein für allemal fest. Vielmehr ist die Bestimmung dieser Grenzlinie eine dauernde Auf-
182 So im Ergebnis ständige Rechtsprechung, vgl. BGHZ 54,45 (50 ff.); 90, 334 (336); BGH NJW 1995, 1023 (1024); vgl. auch Larenz, Schuldrecht I, §§ 27 II b (S. 429), 29 II e (S. 507); MüKo-Äei«, § 842 Rz. 7; Palandt-Heinrichs, Vorbem v § 249 Rz. 37; Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im Bürgerlichen Recht, S. 152; anders JsAuKo-Grunsky, Vor §249 Rz. 23 ff. Teilweise wird hier aber offenbar nur der Vermögenscharakter der Erwerbskraft verneint. 183 Vgl. insbesondere Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 81. 184 Grundlegend insoweit Fabricius, AcP 160 (1961), 273 (289 ff.).
IV.
Zusammenfassung
265
gäbe zivilrechtlicher Haftungsdogmatik, die dann auch zur Konturierung ganz neuer Rechtsgüter führen kann.
IV.
Zusammenfassung
Während das Deliktsrecht eine allgemeine Verhaltensordnung für jedermann gibt, begründet das Schuldverhältnis eine besondere Verhaltensordnung für den Schuldner. Die Vertragshaftung ist insoweit Ausgestaltung eines bereits bestehenden Schuldverhältnisses, während die deliktische Haftung erst zur Begründung eines Schuldverhältnisses führt. Aus dieser Unterscheidung rechtfertigen sich vor allem auch die sich aus den §§ 278 und 831 B G B ergebenden Verschiedenheiten der Haftung für Hilfspersonen. Der deliktisch Handelnde haftet nach § 831 B G B für eigenes Verschulden, weil dadurch das Schuldverhältnis erst begründet wird. Der Vertragsschuldner hat hingegen nach § 278 B G B auch fremdes Verschulden seines Erfüllungsgehilfen zu vertreten. Diese Haftungsanordnung für das Verhalten von Hilfspersonen innerhalb des Schuldverhältnisses ist Ausdruck der durch das Schuldverhältnis begründeten personalen Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner. Dadurch, daß der Schuldner einen Erfüllungsgehilfen einschaltet, wird dieser in die durch das Schuldverhältnis gestiftete Beziehung zwischen den Parteien einbezogen. Daraus rechtfertigt sich einerseits, daß der Schuldner für das Handeln des Erfüllungsgehilfen auch ohne eigenes Verschulden eintreten muß. Andererseits bleibt das Gesetz bei dieser Regelung seinen Haftungsprinzipien treu, indem es das Vertretenmüssen des Schuldners an ein Verschuldensurteil über das Verhalten des Erfüllungsgehilfen knüpft. Auf diese Weise sind bei der Haftung für Hilfspersonen innerhalb des Schuldverhältnisses Garantie- und Verschuldensmomente miteinander verknüpft. Die Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter sind nicht Ausdruck der für jedermann geltenden Pflichten, sondern sie sind Teil der sich aus dem Schuldverhältnis ergebenden besonderen Verhaltensordnung für den Schuldner. Die Einbeziehung des Schutzes absoluter Rechtsgüter in diese Ordnung rechtfertigt sich aus der durch das Schuldverhältnis erst eröffneten besonderen Einwirkungsmöglichkeit auf den anderen und seine Rechtsgüter. Damit folgt die Annahme von Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter letztlich aus der Personalität des Schuldverhältnisses. In diesen gedanklichen Zusammenhang fügt sich auch die Haftung aus culpa in contrahendo ein. Grundlage für die Existenz eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses, aus dem auch Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter resultieren, ist der Schutz des Vertrages als Institut. Nicht erst der Vertrag begründet also ein Schuldverhältnis, sondern das Schuldverhältnis gibt eine umfassende Verhaltensordnung, die das Entstehen, den Abschluß, die Durchführung und den Bestand des Vertrages umfaßt.
266
§ 6 Sorgfaltspflichten
zum Schutz absoluter
Rechtsgüter
Die Vorstellung, bei dem Schutz absoluter Rechtsgüter handele es sich nicht um eine Aufgabe des Vertragsrechts, sondern allein des Deliktsrechts, greift unter verschiedenen Gesichtspunkten zu kurz. Zunächst einmal wird der Rechtsgüterschutz unterschiedlichen Rechtsgebieten zugewiesen. Insoweit ergänzen sich etwa im Hinblick auf das Eigentum vertraglicher, deliktischer und dinglicher Rechtsschutz. Dabei dient auch das Vertragsrecht dem Schutz von Rechtsgütern, wie sich schon aus der auf die Motive zurückgehenden Perspektive ergibt, daß mit der Leistungspflicht das relative Recht des Gläubigers geschützt wird. Funktionell läßt sich dann aber auch nicht das Vertragsrecht als Schutz des Leistungsaustausches dem Deliktsrecht als Bestandsschutz gegenüberstellen. Insbesondere mit der Lehre von den Verkehrspflichten wird auf diese Weise ein hochmodernes Verständnis des Deliktsrechts gegen ein veraltetes Verständnis des Vertragsrechts ausgespielt. Ein modernes Verständnis auch des Vertragsrechts hat demgegenüber davon auszugehen, daß der Vertrag sich nicht in der Hervorbringung von Leistungspflichten im Wege der Willensübereinstimmung erschöpft, daß mit dem Schuldverhältnis vielmehr eine eigene Verhaltensordnung für die Parteien bereitsteht, deren Ausgestaltung für den vom Willen der Parteien ausgesparten Raum nach §§ 157, 242 BGB anhand der Maßstäbe von Treu und Glauben erfolgt. Der Schutz durch Sorgfaltspflichten bezieht sich für diesen Bereich auf den Schutz der absoluten Rechtsgüter des anderen. Damit wird vor allem die Vorstellung eines umfassenden Vermögensschutzes durch das Vertragsrecht zurückgewiesen. Im Hinblick auf § 823 I BGB meint der Gedanke eines Ausschlusses der Haftung für bloße Vermögensschäden, daß sich die Haftung nur aus der Verletzung eines der dort genannten Rechte oder Rechtsgüter begründen läßt, nicht dagegen mit der bloßen Verletzung des Vermögens. In diesem Sinne wird aber auch nach Vertragsrecht nicht für die bloße Verletzung des Vermögens gehaftet, sondern vielmehr für die Verletzung bestimmter Pflichten. So ist der Schuldner bei Verletzung seiner Leistungspflicht dafür verantwortlich, daß er den Anspruch auf Erfüllung verletzt hat und damit ein relatives Recht des Gläubigers. Aber auch durch die Sorgfaltspflichten werden nur konkrete Rechtsgüter geschützt, nicht das Vermögen als solches. Das beruht vor allem darauf, daß der Begriff des Vermögens als solcher keine ausreichende Kontur hat, die es erlauben würde, ihn für die Begründung einer Haftung des Schuldners zu gebrauchen. Das Vermögen ist ein „noch ungegliedertes Rechtsgut" (Deutsch), das auch das Potential der Person umfaßt, und deshalb keine ausreichende Erfassung und Abgrenzung des Geschützten im Rahmen der Haftungsbegründung ermöglicht.
§ 7 Sorgfaltspflichten zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit
I. Einleitung In den letzten Jahren ist die Bedeutung der Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter etwas zurückgetreten und stattdessen die der Sorgfaltspflichten zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit stärker in den Vordergrund getreten. Bei diesem Typus von Pflichten geht es im wesentlichen um Fälle der Haftung aus culpa in contrahendo, auch wenn im E i n zelfall eine Einwirkung auf die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit im Rahmen eines bereits bestehenden Vertrages zur Haftung aus positiver Vertragsverletzung führen kann. I m folgenden kann es nicht um eine umfassende Erörterung des Anwendungsbereiches und der Voraussetzungen des sich zunehmend verzweigenden Instituts der culpa in contrahendo gehen. Z w e c k der Darstellung ist es vielmehr nur, den hier entwickelten Gedanken des Rechtsgüterschutzes durch Pflichten auch für den Vertragsschluß selbst und damit den sich insoweit ergebenden Typus von Sorgfaltspflichten deutlicher zu umreißen. Die Sorgfaltspflichten, um die es dabei geht, dienen dem Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit. D i e Bestimmung eines solchen Schutzgutes der Sorgfaltspflichten ist in der neueren Diskussion zur Haftung aus culpa in contrahendo außerordentlich umstritten. Insoweit trägt eine genauere Betrachtung des Schutzzweckes der Verhandlungspflichten sicher auch zum Verständnis der culpa in contrahendo bei. Nachfolgend wird der Gedanke des Schutzes der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit durch Sorgfaltspflichten genauer entfaltet, indem zunächst (unter II) das Schutzgut der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit näher betrachtet wird. Im Anschluß daran steht (unter I I I ) die Legitimität eines Schutzes der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit durch Sorgfaltspflichten zur D i s kussion. Sodann wird (unter I V ) der Schutz der rechtsgeschäftlichen E n t scheidungsfreiheit aus der Sicht einiger neuerer Untersuchungen analysiert. Zuletzt erfolgt (unter V ) eine Auseinandersetzung mit der Kritik am Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit durch Sorgfaltspflichten im Rahmen der culpa in contrahendo. Dabei geht es vor allem um die Problematik, die sich aus der in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, aber auch Teilen der Literatur findenden Annahme ergibt, Voraussetzung einer Haftung aus culpa in contrahendo sei ein Vermögensschaden.
268
§ 7
Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
II. Die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit als Schutzgut von Sorgfaltspflichten 1. Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit Willensbildungsfreiheit - Vertragsabschlußfreiheit Neben der Verletzung von Sorgfaltspflichten z u m Schutz absoluter Rechtsgüter betrifft die culpa in contrahendo die Haftung für unterschiedlichste Fälle der Verletzung von Sorgfaltspflichten z u m Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit. 1 Üblicherweise w i r d im Hinblick auf diese Fälle nach der Wirksamkeit des Vertrages unterschieden. 2 Eine Pflichtverletzung kann danach zunächst darauf beruhen, daß infolge des Verhaltens einer der beiden Verhandlungspartner der Vertragsschluß scheitert. Insoweit w i r d häufig davon gesprochen, der Verhandlungspartner werde in seinem berechtigten Vertrauen auf das Zustandekommen des Vertrages enttäuscht. 3 Hierher gehören die Fälle des Abbruchs von Vertragsverhandlungen, aber auch die Verursachung eines unwirksamen Vertragsschlusses. 4 Eine Pflichtverletzung kann weiter aber auch darauf beruhen, daß der eine Verhandlungspartner den anderen z u m Abschluß eines für diesen nachteiligen Vertrages bewegt. In aller Regel geht es hier darum, daß dem geschädigten Verhandlungspartner unrichtige oder unvollständige Informationen gegeben werden. 5 Bei der unrichtigen Information des Verhandlungspartners, die sowohl durch aktives Tun wie auch durch Unterlassen erfolgen kann, geht es u m eine unmittelbare Einwirkung auf die Willensbildung des geschädigten Verhandlungspartners. 6 Seine rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit ist hier also unter dem Gesichtspunkt der Freiheit der Willensbildung beeinträchtigt, w o m i t hier nur der zur Abgabe einer wirksamen Willenserklärung führende Willensbildungsprozeß gemeint sein soll. U m eine Beeinträchtigung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit geht es aber auch in den angesprochenen Fällen eines Scheiterns des Vertragsschlusses. Als Teil der rechtsgeschäftli1 Im H i n b l i c k auf diese Pflichten zur W a h r u n g der Entschlußfreiheit hat Erman, A c P 139 (1934), 273 (274), sogar von den das S t a d i u m der Vertragsverhandlungen charakterisierenden H a u p t p f l i c h t e n gesprochen im U n t e r s c h i e d zu den Pflichten, die auf W a h r u n g des Güterinteresses des anderen gerichtet sind. 2 Zu dieser Z w e i t e i l u n g nach der W i r k s a m k e i t des Vertrages vgl. e t w a Brox, Allgemeines Schuldrecht, R z . 57; Medicus, Schuldrecht I, R z . 105-109; ähnlich ders., A l l g e m e i n e r Teil des B G B , R z . 447 ff., 451 ff.; Schlechtriem, Schuldrecht-AT, R z . 2 3 f . ; Erman-Battes, §276 R z . 117 ff., 125 ff.; Soergel-Wiedemann, Vor § 2 7 5 R z . 128 ff., 153 ff.; Staudinger-Löwisch, Vorbem zu § § 275 ff. R z . 53, 66 ff., 78 ff. 3 Vgl. nur Staudinger-Löwisch, Vorbem zu § § 275 ff. R z . 53, 66. 4 Zur w e i t e r e n U n t e r s c h e i d u n g dieser beiden Fälle e t w a Medicus, Schuldrecht I, R z . 106; Schlechtriem, Schuldrecht-AT, R z . 23; auch Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, § 5 III. 5 Palandt-Heinrichs, § 276 R z . 78. 6 So Palandt-Heinrichs, § 276 R z . 78; auch Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 74.
II. Die rechtsgeschäftliche
Entscheidungsfreiheit
als
Schutzgut
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chen Entscheidungsfreiheit ist nämlich keineswegs nur die Freiheit der Willensbildung anzusehen, sondern auch die Freiheit zum Abschluß eines wirksamen Vertrages. 7 Dementsprechend ist auch mit dem Abbruch von Vertragsverhandlungen die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt. Die Sorgfaltspflichten zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit betreffen also insgesamt den fehlerfreien Abschluß eines schuldrechtlichen Vertrages. Dabei kann die Verletzung dieser Pflichten dazu führen, daß der Schuldvertrag - entgegen dem Willen des anderen Verhandlungspartners gar nicht zustande kommt, daß er nur unwirksam zustande kommt oder daß er mit unerwünschtem Inhalt zustande kommt. 8 Bei dieser Sicht der Dinge bedarf es allerdings einiger Klarstellungen. Der Abbruch von Vertragsverhandlungen führt nicht nur zu einer Beeinträchtigung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit des anderen, sondern stellt selbst eine A u s ü b u n g rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit dar, nämlich in F o r m der Abstandnahme v o m Vertragsschluß. 9 Insofern geht es hier um unterschiedliche M o d i der Vertragsabschlußfreiheit: der negativen Abschlußfreiheit in F o r m der Abstandnahme v o m Vertragsschluß durch A b bruch der Vertragsverhandlungen und der positiven Vertragsabschlußfreiheit als der Freiheit, über den Vertragsabschluß zu entscheiden. 1 0 Angesichts dessen, daß dem Vertragsrecht der Grundsatz zugrunde liegt, daß niemand zum Vertragsschluß verpflichtet ist, muß von einem Vorrang der negativen A b schlußfreiheit ausgegangen werden. D a s bedeutet, positive Abschlußfreiheit läßt sich überhaupt nur im Einzelfall in konkreten Situationen aus der Vertragsverhandlung begründen. Die Vorstellung einer allgemeinen positiven Abschlußfreiheit wäre also sicher irreführend. Zu beachten ist darüber hinaus, daß nicht jede Beeinträchtigung der positiven Vertragsabschlußfreiheit durch Abbrechen der Vertragsverhandlungen auch zugleich eine Pflichtverletzung beinhaltet. 1 1 Dies stellt vielmehr die eigentliche Problematik dieser Fallkonstellation dar, der hier nicht weiter nachgegangen werden kann, weil lediglich aufgezeigt werden sollte, wie sich der Abbruch von Vertragsver-
7 Zur „positiven Vertragsfreiheit" als Freiheit zum Abschluß und zur inhaltlichen Gestaltung des Schuldvertrages vgl. Schapp, A c P 192 (1992), 355 (372, 379). 8 Zu dieser Dreiteilung der Sorgfaltspflichten vgl. insbesondere Jauernig-Vollkommer, § 276 R z . 74-76; Palandt-Heinrichs, § 276 Rz. 72-79. 9 Daß zur Abschlußfreiheit auch die Freiheit gehört, einen Vertrag nicht abzuschließen, betont auch Fikentscher, Schuldrecht, R z . 72. Im übrigen dürfte Einigkeit darüber bestehen, daß die Verhandlungspartner im Ausgangspunkt bis z u m endgültigen Vertragsschluß frei in der Entschließung sind, v o m Vertragsschluß Abstand zu nehmen, ohne dies irgendwie begründen zu müssen, vgl. nur Palandt-Heinrichs, § 276 Rz. 72; Soergel-Wiedemann, Vor § 275 Rz. 130; Staudinger-Löwisch, Vorbem zu §§ 275 ff. Rz. 66. 10 Zu der damit angesprochenen Unterscheidung von positiver und negativer Vertragsfreiheit ausführlicher Schapp, A c P 192 (1992), 355 (372 ff., 379 ff.). Von negativer Vertragsfreiheit spricht in diesem Zusammenhang etwa auch Schlechtriem, Schuldrecht-AT, Rz. 23. 11 Vgl. zur Analyse der verschiedenen Formen von Pflichtwidrigkeit beim Abbruch von Vertragsverhandlungen insbesondere Soergel-Wiedemann, Vor § 2 7 5 Rz. 134 ff.
270
§ 7 T.um Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
handlungen unter dem G e s i c h t s p u n k t einer B e e i n t r ä c h t i g u n g der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit begreifen läßt. E i n e B e e i n t r ä c h t i g u n g der rechtsgeschäftlichen E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t stellt schließlich auch der A b s c h l u ß eines u n w i r k s a m e n Vertrages dar. D e r Verhandlungspartner ist insoweit in seiner Freiheit beeinträchtigt, einen w i r k s a m e n Vertrag zustande zu bringen. D a b e i handelt es sich u m eine Variante in der B e e i n t r ä c h t i g u n g positiver Vertragsabschlußfreiheit, die dadurch g e k e n n z e i c h n e t ist, daß der Vertrag nicht - wie b e i m A b b r u c h der Vertragsverhandlungen - gar nicht zustande k o m m t , w o h l aber in nur u n w i r k s a m e r Weise. A u c h hier ist im A u g e zu behalten, daß nicht jede B e e i n t r ä c h t i g u n g dieser F r e i h e i t zu einer H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o führt, diese vielm e h r eine besonders zu b e g r ü n d e n d e Sorgfaltspflichtverletzung voraussetzt, die v o r allem auf der Verursachung der U n w i r k s a m k e i t des Vertrages durch einen der beiden Verhandlungspartner b e r u h e n k a n n oder auch auf einer entgegen den G e b o t e n v o n Treu und G l a u b e n nicht erfolgten A u f k l ä r u n g ü b e r ein H i n d e r n i s für die W i r k s a m k e i t des Vertrages. 1 2 D a ß sich die Fälle des nicht w i r k s a m zustande g e k o m m e n e n Vertrages ebenfalls u n t e r dem G e sichtspunkt der B e e i n t r ä c h t i g u n g der rechtsgeschäftlichen E n t s c h e i d u n g s freiheit verstehen lassen, ist im übrigen wenig verwunderlich, w e n n man b e d e n k t , daß man auch den w i r k s a m geschlossenen nachteiligen Vertrag aus der Perspektive sehen kann, daß der geschädigte Vertragspartner nicht den Vertrag geschlossen hat, den er schließen wollte. I n s o f e r n stellen dann auch diese Fälle der B e e i n t r ä c h t i g u n g der Willensbildung einen A u s s c h n i t t aus dem B e reich der B e e i n t r ä c h t i g u n g positiver Vertragsabschlußfreiheit dar. Insgesamt existiert damit eine R e i h e v o n Fällen der B e e i n t r ä c h t i g u n g rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit, die dadurch g e k e n n z e i c h n e t ist, daß das E r g e b n i s der Vertragsverhandlungen v o m aktuellen oder potentiellen Willen eines der Verhandlungspartner abweicht: E n t g e g e n dessen Willen k o m m t der Vertrag gar nicht zustande, nur u n w i r k s a m oder mit nur unerw ü n s c h t e m Inhalt. Soweit diese A b w e i c h u n g auf einem unerlaubten Verhalten des Verhandlungspartners beruht, k a n n man davon sprechen, daß dieser Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit des anderen verletzt hat. D a m i t geht es hier u m Sorgfaltspflichten im R a h m e n der Vertragsverhandlungen, die auf den S c h u t z des Vertragsschlusses abzielen. D i e B e d e u t u n g dieser Sorgfaltspflichten ergibt sich daraus, daß sich dieser S c h u t z des Vertrages nicht durch K o n t r o l l e des Ergebnisses der Vertragsverhandlungen bewerkstelligen läßt, s o n d e r n nur durch B e w e r t u n g des Verhaltens der Verhandlungspartner, die gerade anhand der Sorgfaltspflichten erfolgt. F ü r diesen S c h u t z wird mit der rechtsgeschäftlichen E n t s c h e i d u n g s -
12
Zu diesen Fällen siehe im einzelnen Emmerich,
Das Recht der Leistungsstörungen, § 5
III 2; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, § 29 II 2 b u. c; Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 73; Medicus, Schuldrecht I, Rz. 108; Jauernig-Vollkommer, Rz. 77.
§276 Rz. 74; Palandt-Heinrichs,
§276
II. Die rechtsgeschäftliche
Entscheidungsfreiheit
als Schutzgut
271
freiheit eine subjektiv-rechtliche Seite formuliert, durch die sich auch die P o sition des beeinträchtigten Verhandlungspartners in den Vertragsverhandlungen erfassen läßt. Sorgfaltspflicht und rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit stellen damit nur unterschiedliche Blickwinkel bei der Erfassung der subjektiven Positionen der Verhandlungspartner dar. Vom Gedanken aus, daß die Sorgfaltspflichten zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit auf den Schutz des Vertragsabschlusses zielen, läßt sich auch die Einheit dieser Sorgfaltspflichten mit den Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter aufzeigen. Beide Typen von Pflichten dienen in je eigener Weise dem Schutz des Vertrages. Die Sorgfaltspflichten zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit zielen auf einen unmittelbaren Schutz des Vertragsabschlusses, während die Sorgfaltspflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter auf den Schutz des Vertrages als Institut gerichtet sind, mittelbar für den Bereich der Vertragsverhandlungen damit aber ebenfalls auf den Schutz des Vertragsabschlusses bezogen sind. Völlig zu R e c h t hat Medicus deshalb davon gesprochen, daß die Sorgfaltspflichten „insgesamt doch so etwas wie einen K o d e x des richtigen Verhaltens bei Vertragsverhandlungen (ergeben)." 1 3 M i t der Formulierung einheitsstiftender Perspektiven, wie sie im Gedanken des Schutzes der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit und seiner Verknüpfung mit dem Schutz des Vertrages liegen, soll übrigens nicht die B e deutung der Fallgruppenbildung gerade für den Bereich der Sorgfaltspflichten zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit geschmälert oder gar geleugnet werden. Angesichts der Vielfalt von Erscheinungsformen solcher Sorgfaltspflichtverletzungen dürfte jedoch auch eine Besinnung auf richtungs- und orientierungsweisende Prinzipien ihre Berechtigung haben.
2. Alternativen
und
Abgrenzungen
Im H i n b l i c k auf die Bestimmung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit als geschütztes Rechtsgut dieses Typs von Sorgfaltspflichten trägt es auch zur Klärung der Eigenart dieses Rechtsgutes bei, wenn man einmal den Kreis derjenigen Rechtsgüter abschreitet, deren Schutz stattdessen in B e tracht k o m m t . Das ermöglicht es auch, den Zusammenhang dieser Sorgfaltspflichten mit anderen wichtigen Prinzipien der Rechtsgeschäftslehre aufzuzeigen.
13 Medicus, Allgemeiner Teil des B G B , Rz. 445 a.E. Ähnlich Gernhuber, Das Schuldverhältnis, § 8 I 6 d, der davon spricht, daß es sich um „nichts weiter als in Recht transformierte Geschäftsmoral" handle.
272
§ 7 Zum Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
a) Information als Schutz gut von Sorgfaltsflichten? F ü r weite Teile dieses B e r e i c h e s der H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o ist die Bereitstellung v o n I n f o r m a t i o n G e g e n s t a n d der Sorgfaltspflichten. I n s o weit wird nicht n u r v o n I n f o r m a t i o n s - o d e r A u f k l ä r u n g s p f l i c h t e n gesprochen, sondern geradezu v o n einer „vorvertraglichen I n f o r m a t i o n s h a f t u n g " . 1 4 D a s legt die F r a g e nahe, o b sich nicht auch unter dem G e s i c h t s p u n k t der I n f o r m a t i o n ein S c h u t z g u t k o n t u r i e r e n läßt, das G e g e n s t a n d v o n Sorgfaltspflichten sein k ö n n t e . E i n e genauere V e r o r t u n g dieses P r o b l e m s soll im folgenden z u n ä c h s t anhand der D a r s t e l l u n g Grigoleits zu den Veränderungen des vorvertraglichen I n f o r m a t i o n s b e d a r f e s für den Vertragsschluß erfolgen. G r i g o l e i t geht w o h l zu R e c h t davon aus, daß dem B G B die Vorstellung v o m Vertragsschluß durch freie S e l b s t b e s t i m m u n g z u g r u n d e liegt. D i e s e r G e danke impliziert die prinzipielle M ö g l i c h k e i t der Vertragschließenden, sich die für den Vertragsschluß erforderlichen I n f o r m a t i o n e n selbst zu beschaffen und im R a h m e n eigener E n t s c h e i d u n g s f i n d u n g zu verarbeiten. D e m B G B liegt insoweit das K o n z e p t „ i n f o r m a t i o n e l l e r S e l b s t v e r a n t w o r t u n g " z u g r u n de. 1 5 N u n sind allerdings s c h o n seit längerem gravierende Veränderungen im B e d a r f des einzelnen nach I n f o r m a t i o n für den Vertragsschluß erkennbar. G r i g o l e i t m a c h t dafür unterschiedliche G r ü n d e aus: (1) die Technisierung und K o m p l i z i e r u n g der Vertragsgegenstände, welche die Zahl b e n ö t i g t e r I n f o r m a t i o n e r h ö h e n ; (2) der fortlaufende P r o z e ß z u n e h m e n d e r A r b e i t s t e i l u n g und Spezialisierung, der eine a u t o n o m e Willensbildung des einzelnen erschwert und (3) die durch den allgemeinen W o h l s t a n d e r h ö h t e Zahl v o n G e schäften mit k o m p l e x e n G e g e n s t ä n d e n , die auch P e r s o n e n mit geringerer F a c h k u n d e zugänglich geworden sind. 1 6 I n f o r m a t i o n ist nicht m e h r nur „ M a r k t g u t " , sondern selbst z u m handelbaren W i r t s c h a f t s g u t g e w o r d e n . I m A n s c h l u ß an ö k o n o m i s c h e B e t r a c h t u n g e n k o n s t a t i e r t G r i g o l e i t daher das „Versagen einer rein m a r k t m ä ß i g e n , vorvertraglichen I n f o r m a t i o n s v e r t e i l u n g " 1 7 und rechtfertigt damit eine „ i n f o r m a t i o n e l l e Fahrlässigkeitshaft u n g " 1 8 , die der B e w ä l t i g u n g der „ U n z w e c k m ä ß i g k e i t der im B G B angelegten, strengen i n f o r m a t i o n e l l e n S e l b s t v e r a n t w o r t l i c h k e i t " 1 9 dient. D i e Frage, wie man die zu Tage getretenen Veränderungen der B e d e u t u n g v o n I n f o r m a t i o n zu fassen b e k o m m t und zu beurteilen hat, ist a u ß e r o r d e n t lich schwierig zu b e a n t w o r t e n , zumal sie auch eine Vielzahl anderweitiger B e züge, etwa philosophischer, s o z i o l o g i s c h e r und ö k o n o m i s c h e r A r t beinhaltet. I n s o w e i t sei hier nur darauf hingewiesen, daß eine genauere B e t r a c h t u n g das
So auch der Titel der Dissertation von Grigoleit. Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 35 m.w.N.; vgl. auch Westermann/ Bydlinski, BGB-Schuldrecht AT, Rz. 1/23 ebenfalls m.w.N. 16 Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 72. 17 Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 76. 18 Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 78. 19 Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 80. 14
15
II. Die rechtsgeschäftliche
Entscheidungsfreiheit
als
Schutzgut
273
wohl wechselseitige Verhältnis von Information und Markt genauer analysieren müßte, dann aber vor allem auch die damit zusammenhängende Frage nach der Konstitution von Öffentlichkeit als Funktionsbedingung einer informierten Gesellschaft. 2 0 In dem hier diskutierten Zusammenhang soll und mag es aber genügen, im Anschluß an die Darstellung Grigoleits zu akzentuieren, daß die rechtsgeschäftliche Problematik offenbar nicht allein auf einem Mangel an Information beruht, sondern ihre Ursache auch in der Komplexität der Bewältigung von Information und Informationsmöglichkeiten hat. Dementsprechend kann man nicht allein das Fehlen von Informationen beklagen, sondern muß auch die Uberinformation berücksichtigen, die an den einzelnen äußerste Anforderungen bei der Steuerung der Aufnahme und Verarbeitung von Information stellt. 2 1 Für den Schutzzweck der Informationspflichten bedeutet dies, daß sie nicht einfach der Informiertheit des Verhandlungspartners im Sinne einer Bereitstellung von Information dienen, sondern der Wahrnehmung seiner rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit auf der Grundlage der dafür erforderlichen Informationsbasis. Mit der Annahme von Informationspflichten sollen also die Funktionsbedingungen der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit gewährleistet werden, 2 2 mit der Information ist im Rahmen der Vertragsverhandlungen kein eigenständiges Rechtsgut geschützt. Dieser Charakter von Informationspflichten tritt vor allem in einem Beitrag von Grunewald zu Tage, in dem sie darauf aufmerksam macht, daß die Erfüllung von Aufklärungspflichten nicht zwangsläufig zur Gewährleistung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit führt. 2 3 So k o m m e es vor, daß der zu Schützende zum Vertragsschluß bereits fest entschlossen sei und daher den Erklärungen des anderen nur noch in sehr eingeschränktem U m f a n g A u f merksamkeit schenkt. 2 4 Weiter verfehle die Aufklärungspflicht auch ihr Ziel, wenn der zu Schützende die Belehrungen nicht versteht. 2 5 Insoweit könne nicht davon ausgegangen werden, daß bei entsprechenden Bemühungen jeder alles versteht. Vielmehr seien gerade die allerschwächsten Marktteilnehmer durch die Annahme von Aufklärungspflichten nicht geschützt, da sie selbst bei nachdrücklicher Aufklärung nicht wirklich um Chancen und Risiken des Geschäfts wüßten. Das von Grunewald angeführte Beispiel des zum Vertragsschluß bereits fest entschlossenen Verhandlungspartners ist insoweit aufschlußreich, als 2 0 Dies war bereits das Thema der Habilitationsschrift von Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, das heute aber sicher eine Vielzahl weiterer Probleme aufwirft. 2 1 Vgl. dazu Gasser, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1998, 105 (108 ff.). 2 2 Zur Bereitstellung von Information zum Zwecke der Gewährleistung der Funktionsbedingungen von Privatautonomie Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragschluß, S. 12; vgl. auch S. 63: „Geschützt ist eine ausreichende Entscheidungsbasis für die zutreffende Vertragsentscheidung." 23 Grunewald, A c P 190 (1990), 609 ff. 24 Grunewald, A c P 190 (1990), 609 (613). 25 Grunewald, A c P 190 (1990), 609 (613 f.).
274
5 7 7.um Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
man d e n k e n k ö n n t e , daß dieser gar keiner A u f k l ä r u n g m e h r bedarf, da er die E n t s c h e i d u n g s f i n d u n g für sich bereits abgeschlossen hat. D i e s dürfte j e d o c h deshalb prinzipiell u n z u t r e f f e n d sein, weil die E n t s c h l o s s e n h e i t z u m Vertragsschluß selbst auf den F u n k t i o n s b e d i n g u n g e n der rechtsgeschäftlichen E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t b e r u h t . D a s bedeutet, auch w e n n der Verhandlungspartner z u m Vertragsschluß bereits fest entschlossen ist, m u ß er bei b e s t e h e n der I n f o r m a t i o n s p f l i c h t aufgeklärt w e r d e n , weil dadurch die G r u n d l a g e n der E n t s c h e i d u n g s f i n d u n g verändert w e r d e n . W e n n beispielsweise der K u n d e b e reits fest z u m K a u f eines G e b r a u c h t w a g e n s entschlossen ist, m u ß der H ä n d l e r d e n n o c h auf den U n f a l l s c h a d e n hinweisen, weil sich auf der G r u n d l a g e dieser I n f o r m a t i o n die F r a g e nach dem Vertragsschluß d o c h n o c h einmal ganz anders darstellt. D i e Auffassung G r u n e w a l d s , die I n f o r m a t i o n s p f l i c h t verfehle hier ihr Ziel, ist insoweit d o c h etwas pauschal. D e r Fall, daß die A u f k l ä r u n g des Verhandlungspartners nicht erfolgreich ist, wird in der Literatur üblicherweise so bewältigt, daß für das M a ß der erf o r d e r l i c h e n A u f k l ä r u n g auf den d u r c h s c h n i t t l i c h e n Adressaten abgestellt w i r d . 2 6 E s k o m m t also auf den V e r s t ä n d n i s h o r i z o n t des d u r c h s c h n i t t l i c h e n K u n d e n an. D a s bedeutet, mit der A u f k l ä r u n g wird nicht die tatsächliche I n f o r m i e r t h e i t des Verhandlungspartners b e z w e c k t , s o n d e r n nur die M ö g l i c h keit vernünftiger E n t s c h e i d u n g s f i n d u n g . E n t s p r e c h e n d zielt die I n f o r m a t i o n ja auch nicht u n b e d i n g t auf „ i n f o r m a t i o n s g e r e c h t e s " Verhalten des aufzuklärenden Verhandlungspartners (sonst m ü ß t e ein g r o ß e r Teil v o n A n b i e t e r n schlicht v o m Vertragsschluß abraten), sondern nur darauf, daß die I n f o r m a tion in die E n t s c h e i d u n g s f i n d u n g e i n b e z o g e n w e r d e n kann und so der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit dient. 2 7 A n dieser Stelle w e r d e n dann aber auch die G r e n z e n des K o n z e p t s der Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z der rechtsgeschäftlichen E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t deutlich. D i e rechtsgeschäftliche E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t läßt sich, u m dies klarzustellen, nicht allein d u r c h I n f o r m a t i o n und entsprechende Sorgfaltspflichten s c h ü t z e n , s o n d e r n sie hat viele F u n k t i o n s b e d i n g u n g e n , so daß auch unterschiedliche S c h u t z m e c h a n i s m e n ineinandergreifen müssen. G r u n e w a l d geht deshalb - im A n s c h l u ß an B r e i d e n b a c h 2 8 - mit R e c h t davon aus, daß die Statuierung v o n A u f k l ä r u n g s p f l i c h t e n nicht dazu führen darf, daß beispielsweise die Sittenwidrigkeitsschranke des § 138 I B G B mit dem A r g u m e n t z u rückgedrängt wird, der Vertragspartner sei ü b e r alle i h m d r o h e n d e n N a c h t e i le aufgeklärt w o r d e n . 2 9 A u c h an diesem P u n k t zeigt sich deutlich, daß die B e reitstellung v o n I n f o r m a t i o n nicht allein den S c h u t z der rechtsgeschäftlichen Vgl. nur Grunewald, AcP 190 (1990), 609 (614 m.w.N.). Zu dieser Beschränkung der Funktion von Aufklärungspflichten Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß, S. 12, 27. 28 Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß, S. 66; vgl. auch S. 27, wonach voreilig statuierte Informationspflichten einen erforderlichen weitergehenden Schutz etwa des Verbrauchers verhindern können. 29 Grunewald, AcP 190 (1990), 609 (617 f.). 26
27
II. Die rechtsgeschäftliche
Entscheidungsfreiheit
als Schutzgut
275
Entscheidungsfreiheit gewährleisten kann und deshalb entsprechende S o r g faltspflichten auch ins L e e r e gehen k ö n n e n .
b) Vermögen als Schutzgut von Sorgfaltspflichten? Zur rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit als Rahmenrecht Weit verbreitet ist die Auffassung, die Sorgfaltspflichten b e i m Vertragsschluß dienten dem S c h u t z des V e r m ö g e n s . 3 0 Als K o n s e q u e n z dieser A u f f a s sung wird in R e c h t s p r e c h u n g und Teilen der L i t e r a t u r als Voraussetzung einer H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o das Vorliegen eines V e r m ö g e n s s c h a dens gefordert. Dieses K o n z e p t wird im einzelnen n o c h später gewürdigt. 3 1 A n dieser Stelle genügt es, die bereits o b e n angeführten A r g u m e n t e gegen einen umfassenden S c h u t z des V e r m ö g e n s durch Sorgfaltspflichten k u r z zu w i e d e r h o l e n und im H i n b l i c k auf die hier in F r a g e stehenden Sorgfaltspflichten zu präzisieren. I m B e r e i c h des D e l i k t s r e c h t s wird den durch § 823 I B G B geschützten absoluten R e c h t s g ü t e r n der B e g r i f f des V e r m ö g e n s o d e r der b l o ß e n V e r m ö g e n s verletzung gegenübergestellt, durch den ein nicht ausreichend k o n t u r i e r t e r und deshalb auch nicht deliktisch geschützter B e r e i c h u m s c h r i e b e n wird. D i e s e r G e d a n k e der u n z u r e i c h e n d e n K o n t u r i e r u n g des V e r m ö g e n s für die H a f t u n g s b e g r ü n d u n g gilt nun nicht nur auch für die Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z absoluter Rechtsgüter, s o n d e r n e b e n s o für diejenigen z u m S c h u t z der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit. M i t der rechtsgeschäftlichen E n t scheidungsfreiheit wird also ein k o n k r e t e s R e c h t s g u t v o m b l o ß e n V e r m ö g e n abgegrenzt. U m die E i g e n a r t dieses R e c h t s g u t e s richtig zu erfassen, m u ß man sich einmal die B e d e u t u n g dessen klarmachen, daß es sich dabei u m kein absolut geschütztes R e c h t s g u t handelt. D a s wird in der L i t e r a t u r zwar gelegentlich anders beurteilt. So wird vereinzelt a n g e n o m m e n , der B e g r i f f der Freiheitsverletzung in § 823 I B G B umfasse nicht nur die Verletzung der k ö r p e r l i c h e n Bewegungsfreiheit, sondern auch Verletzungen der E n t s c h l i e ß u n g s f r e i h e i t . 3 2 I n s o w e i t soll insbesondere auch die B e e i n t r ä c h t i g u n g der rechtsgeschäftlichen E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t infolge nötigender Eingriffe durch D r o h u n g , Z w a n g o d e r T ä u s c h u n g geschützt sein. M e r t e n s hat für dieses Verständnis des Begriffs F r e i h e i t v o r allem geltend gemacht, für eine V e r k ü r z u n g des F r e i 30 Vgl. etwa Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, § 29 II 3; Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 69 a.E.; Medicus, Schuldrecht I, Rz. 105 ff.; Westermann/Bydlinski, BGB-Schuldrecht AT, Rz. 11/13. 31 Unten V. 32 Vgl. insbesondere E. Wolf, Lehrbuch des Schuldrechts II, § 20 B 1 c 3 cc ccc (S. 519 f.); MülLo-Mertens, § 823 Rz. 64; Leinemann, Der Begriff Freiheit nach § 823 Abs. 1 BGB, S. 82 ff., insbesondere S. 97 ff.; Eckert, JuS 1994, 625 (631); Hammen, AcP 199 (1999), 591 (600 f.). Dagegen etwa Erman-Schiemann, § 823 Rz. 23; Staudinger-Schäfer, § 823 Rz. 45 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §§ 76 II 2 a, 80 II 6 b; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 380-382; prinzipiell auch Medicus, Schuldrecht II, Rz. 783 a.E.
276
5 7 Zum Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
heitsbegriffes bestehe kein Anlaß, andererseits erscheine eine Ausweitung des Freiheitsbegriffes in Richtung auf menschliche Entfaltungsfreiheit nicht angebracht, weil der menschliche Entfaltungsraum besser im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsschutzes zu gewährleisten sei. 33 Eine auch systematisch befriedigende Auslegung des Begriffs Freiheit i.S. von § 823 I B G B kann aber nicht irgendein allgemeines Verständnis von dem, was Freiheit ist, zugrunde legen, sondern muß berücksichtigen, daß die Vorschrift der Begründung unerlaubten Verhaltens durch Bezugnahme auf die Verletzung absolut geschützter Rechte und Rechtsgüter dient. Dementsprechend muß sich auch die Verwendung des Freiheitsbegriffes an dieser F u n k t i o n der Vorschrift orientieren. Als absolut geschütztes Rechtsgut läßt sich allerdings wohl nur die Freiheit im Sinne körperlicher Bewegungsfreiheit auffassen. Darin liegt die tiefere Berechtigung der Auslegung des Freiheitsbegriffes in § 823 I B G B durch die herrschende Meinung. Es läßt sich zwar auch ein absolutes M o m e n t der rechtsgeschäftlichen E n t scheidungsfreiheit sichtbar machen. So ist die negative Abschlußfreiheit gegen jedermann geschützt: Prinzipiell ist niemand dazu verpflichtet, einen Vertrag zu schließen. Dagegen ist die positive Abschlußfreiheit, die ebenfalls B e einträchtigungen der Willensbestimmung durch Drohung, Zwang oder Täuschung betreffen kann, nur gegenüber dem Verhandlungspartner geschützt: D i e Freiheit der Entscheidung im Sinne einer Wahl des Vertragsschlusses besteht nur gegenüber dem Verhandlungspartner. D e r Gedanke eines Schutzes der Freiheit vor nötigenden Eingriffen in die Willensbildung durch Drohung, Zwang oder Täuschung ist insoweit auch zu abstrakt gebildet, als daß sich damit diese beiden durchaus unterschiedlichen F o r m e n von Beeinträchtigung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit zureichend erfassen ließen, deren Unterscheidung aber erst eine sinnvolle Beurteilung des durch § 823 I B G B gewährten Schutzes möglich machen würde. Vor allem im H i n b l i c k auf die positive rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit ist dann weiter zu berücksichtigen, daß sie keinen fest umrissenen Kern hat, der ihre Erfassung als absolutes R e c h t zu begründen vermag. In der Rechtsgeschäftslehre ist immer wieder hervorgehoben worden, daß die gegenseitige Einflußnahme auf die Entscheidungsfreiheit des anderen geradezu ein Kennzeichen der Vertragsverhandlung als eines Ringens um eine möglichst vorteilhafte Vertragsgestaltung darstellt und dies für den einzelnen prinzipiell auch durchaus legitim ist. 34 Das bedeutet, die Verletzung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit läßt sich nur anhand des jeweiliMüKo-Mertens, § 823 Rz. 64. Vgl. vor allem die schöne Formulierung von Bälz, AcP 176 (1976), 373 (373), wonach „Druck und Gegendruck aus dem Kraftfeld rechtsgeschäftlicher Interaktion nicht herauszuhalten sind (•••)•" In ähnlichem Sinne auch Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 278; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 232, 487; im prinzipiellen Ansatz auch M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 114. Auch die Vorstellung Schmidt-Rimplers, AcP 147 (1941), 130 (160), daß der 33 34
II. Die rechtsgeschäftliche
Entscheidungsfreiheit
als Schutzgut
TJ1
gen Einzelfalles b e s t i m m e n , sie stellt kein R e c h t s g u t dar, das - wie die absoluten R e c h t e - die R e c h t s w i d r i g k e i t einer H a n d l u n g des Verhandlungspartners indizieren k ö n n t e . 3 5 E s ist denn auch kein Wunder, daß die A n s i c h t , die auch den nötigenden E i n g r i f f in die freie W i l l e n s b e s t i m m u n g durch D r o h u n g , Z w a n g oder T ä u s c h u n g als Verletzung der Freiheit auffaßt, die U n e r l a u b t h e i t der H a n d l u n g nicht anhand des R e c h t s g u t e s b e s t i m m t , sondern an der A r t und Weise der B e e i n t r ä c h t i g u n g v o n Freiheit. E i n e solche T e c h n i k der B e w e r tung der U n e r l a u b t h e i t einer H a n d l u n g hat aber nur n o c h wenig mit dem I n d i k a t i o n s m o d e l l des § 823 I B G B zu tun, eher m a c h t man sich hier s c h o n eine T e c h n i k z u n u t z e , die für § 8 2 6 B G B v o r g e g e b e n ist. N ä h e r liegt es j e d o c h , die rechtsgeschäftliche E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t - anders als die k ö r p e r l i c h e B e w e g u n g s f r e i h e i t - v o n v o r n e h e r e i n n u r als R a h m e n r e c h t zu verstehen. S o stellt ja auch das allgemeine P e r s ö n l i c h k e i t s r e c h t nur ein R a h m e n r e c h t dar, das als sonstiges R e c h t dem S c h u t z der personalen im U n t e r s c h i e d zur rechtsgeschäftlichen E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t dient. 3 6 G e gen einen entsprechenden deliktischen S c h u t z der rechtsgeschäftlichen E n t scheidungsfreiheit als R a h m e n r e c h t sprechen allerdings v o r allem systematische G r ü n d e . D e r S c h u t z der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit v o r u n e r l a u b t e m Verhalten im R a h m e n von Vertragsverhandlungen steht in engem Z u s a m m e n h a n g mit dem S c h u t z des Vertrages selbst. D a m i t liegt es näher, diesen S c h u t z systematisch dem Vertragsrecht als einer allgemeinen O r d nung des Schuldverhältnisses z u z u w e i s e n und nicht der allgemeinen Verhalt e n s o r d n u n g des D e l i k t s r e c h t s . Scheidet danach z w a r ein deliktischer S c h u t z der rechtsgeschäftlichen E n t scheidungsfreiheit als R a h m e n r e c h t aus, spricht aber nichts dagegen, für den S c h u t z dieser F r e i h e i t durch Sorgfaltspflichten ein Verständnis der rechtsgeschäftlichen E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t als R a h m e n r e c h t zugrunde zu legen. D a mit ist nicht nur eine der Sorgfaltspflicht entsprechende s u b j e k t i v - r e c h t l i c h e P o s i t i o n im R a h m e n der Vertragsverhandlungen g e k e n n z e i c h n e t , vielmehr wird damit auch das b e s o n d e r e P r o b l e m der K o n k r e t i s i e r u n g s b e d ü r f t i g k e i t dieser R e c h t e und P f l i c h t e n z u m A u s d r u c k gebracht. V o r allem M e d i c u s hat insoweit i m m e r wieder darauf hingewiesen, daß ein „Verschulden" bei Vertragsverhandlungen zunächst einmal die B e g r ü n d u n g v o n P f l i c h t e n voraussetzt, deren Verletzung dann erst den A n l a ß zu der F r a g e nach einem Verschulden gibt. 3 7 D i e F r a g e der K o n k r e t i s i e r u n g solcher Sorgfaltspflichten durch I n t e r e s s e n a b w ä g u n g im Einzelfall stellt dabei ein m e t h o d i s c h e s P r o b l e m dar, dessen systematische B e w ä l t i g u n g n o c h in den A n f ä n g e n steckt. I n Wille jedes der Vertragspartner im Willen des jeweils anderen seine Grenze und Beschränkung findet, gehört hierher. 35 Ahnlich Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 380 f. 36 Vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 80 II 6. 37 Medicus, Gutachten „Verschulden bei Vertrags Verhandlungen", 479 (513); Allgemeiner Teil des BGB, Rz. 445; Schuldrecht I, Rz. 108. Ähnlich auch schon Erman, AcP 139 (1934), 273 (273 f.).
278
5 7 Zum Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
sofern mag es immerhin einen Orientierungspunkt für eine systematische Lehre zur Konkretisierung von Sorgfaltspflichten darstellen, daß mit der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit ein Bezugspunkt feststeht, der im Rahmen der Vertragsverhandlungen Gegenstand der Sorgfalt ist.
c) Vertrauen als Schutzgut von
Sorgfaltspflichten?
E n g verbunden mit der Haftung aus culpa in contrahendo ist für diesen Bereich auch der Gedanke der Enttäuschung von Vertrauen, sei es in F o r m des Vertrauens auf das Zustandekommen des Vertrages, das durch A b b r u c h der Vertragsverhandlungen enttäuscht wird, des Vertrauens auf die Wirksamkeit des Vertrages, das durch die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäftes enttäuscht wird, oder schließlich des Vertrauens auf den „erwünschten" Vertrag, das durch den „unerwünschten" Vertrag enttäuscht wird. O h n e daß damit genauer auf die Qualifikation der culpa in contrahendo als Vertrauenshaftung eingegangen werden soll, gelten jedenfalls für die Frage, o b in diesen Fällen nicht vielleicht das Vertrauen als das durch Sorgfaltspflichten geschützte Rechtsgut anzusehen ist, ähnliche Bedenken, wie sie bereits für Information und Vermögen als denkbaren Schutzgütern vorgebracht worden sind. Einerseits verweist der Begriff des Vertrauens - ähnlich wie der des Vermögens - auf einen relativ unkonturierten Bereich. So hat vor allem Picker geltend gemacht, daß Vertrauen „ubiquitär" sei und der Vertrauensgedanke daher nicht nur der Haftung aus culpa in contrahendo, sondern auch der vertraglichen und deliktischen Haftung zugrunde liege. 3 8 Auf Einwände dieser Art hat Canaris erwidert, daß die F u n k t i o n des Vertrauensprinzips für die Haftung aus culpa in contrahendo eine andere sei als im Rahmen des Vertrags- und Deliktsrechts. In diesen Gebieten sei es nämlich nur als ergänzendes, nicht aber als konstitutives Prinzip aufzufassen. 3 9 D i e Frage der Berechtigung und Reichweite des Vertrauensprinzips soll hier nicht weiter diskutiert werden, allerdings kann man angesichts der Kontroverse doch zweifeln, ob sich anhand des Vertrauensgedankens ein durch Sorgfaltspflichten geschütztes Rechtsgut konturieren läßt. Die Begründung der Vertrauenshaftung durch Canaris mag zwar zu einer genaueren Konkretisierung im Sinne einer K o n t u rierung und Ausdifferenzierung des Vertrauensprinzips geführt haben, daß sich damit aus dem Vertrauensgedanken auch ein als Schutzgut zu qualifizierender Gegenstand der Sorgfaltspflichten herauskristallisiert hätte, wird man wohl trotzdem nicht sagen können. H i n z u k o m m t dann aber vor allem, daß auch das Vertrauen hier nicht als selbständiger Gegenstand der Sorgfaltspflichten geschützt wird, sondern als
38 Picker, AcP 183 (1983), 369 (418 ff.); ders.,]Z 1987, 1041 (1045 f.); ähnlich etwa auch Gernhuher, Das Schuldverhältnis, § 8 I 6 b. 39 Canaris, Festschrift für Larenz, 27 (105 f.); ders., Z H R 163 (1999), 206 (221); ders., 50 Jahre B G H , Festgabe aus der Wissenschaft I, 129 (192 ff.).
II. Die rechtsgeschäftliche
Entscheidungsfreiheit
als Schutzgut
279
Teil der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit. Das Vertrauen stellt in diesen Fällen ja nur eine Folge der Wahrnehmung und Ausübung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit durch die Aufnahme der Vertragsverhandlungen oder den Abschluß des Vertrages dar. Mit dem Vertrauen wird dann letztlich nichts anderes als die rechtliche Wirkung der rechtsgeschäftlichen Entscheidung und damit diese selbst geschützt. Deshalb empfiehlt es sich auch nicht, das Vertrauen als Gegenstand der Sorgfaltspflichten anzusehen.
d) Der Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit durch Sorgfaltspflichten und die Privatautonomie Mit der Annahme von Sorgfaltspflichten zum Schutz rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit stellt sich schließlich auch die Frage, wie solche Sorgfaltspflichten mit dem Prinzip der Privatautonomie vereinbar sind. Medicus hat insoweit die Befürchtung geäußert, daß die culpa in contrahendo das Vertragskonzept des B G B aus den Angeln heben könnte, indem an die Stelle privatautonomer Selbstverantwortung Fremdverantwortung für den Verhandlungspartner trete. 4 0 Daher seien solche Sorgfaltspflichten besonders sorgfältig zu überlegen und zu begrenzen. M e h r noch: D i e Annahme einer culpa in contrahendo müsse für diesen Bereich die begründungsbedürftige Ausnahme bleiben. Insoweit gelte als Grundregel der Privatautonomie, daß jeder in erster Linie Hüter seines eigenen Interesses ist und nicht der H ü t e r der Interessen des Verhandlungspartners. 4 1 Diese Überlegungen von Medicus weisen vor allem auf den Gleichklang von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung hin. Zur positiven Vertragsfreiheit gehört eben nicht nur die Möglichkeit der Einwirkung auf die entsprechende Freiheit des anderen, sondern auch die Sorge darum, daß die eigene Entscheidungsfreiheit in richtiger Weise wahrgenommen wird. Allerdings kann man die Akzente auch noch etwas anders setzen und k o m m t dann auch schnell zu abweichenden Perspektiven. Mit der Vorstellung, daß jeder H ü t e r seines eigenen Interesses ist, wird offenbar ein Vertragsmodell zugrunde gelegt, das vom Aufeinanderprallen zweier antagonistischer Einzelwillen ausgeht, bei dem jeder dieser beiden Willen nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Schon seit langer Zeit ringt die Rechtsgeschäftslehre allerdings um die Frage, wie es möglich ist, daß angesichts zweier Einzelwillen, die nichts als ihren Vorteil suchen, der Vertrag eine vom R e c h t anzuerkennende „richtige O r d n u n g " darstellen kann. Von Schmidt-Rimpler ist diese Diskussion maßgeblich durch den Gedanken bestimmt worden, daß sich die Willen der Vertragspartner einander gegenseitig beschränken und dadurch die Richtigkeit des Vertrages gewährleistet wird. 4 2 40 41 42
Medicus, Festgabe für Käser, 169 (180). Medicus, Festschrift für Max Keller, 205 (219). Schmidt-Rimpler, A c P 147 (1941), 130 ff. Zu diesem Vertragsmodell vgl. insbesondere
280
§7 Zum Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
Anknüpfend an diese Darstellung des Vertragsmodells durch Schmidt-Rimpler, das gewissermaßen das Umschlagen des natürlichen egoistischen Willens zum vernünftigen Willen im Vertrag thematisiert, hat Huda in seiner Untersuchung über „Freiheit und Rechtsgeschäft" gezeigt, daß man die Vertragsverhandlungen als einen Prozeß moralischer Läuterung der beiderseitigen Vertragswillen deuten kann, der seinen Endpunkt in der vertraglichen Einigung findet. 43 Dabei geht er davon aus, daß schon der natürliche Einzelwille ein moralisches Moment aufweist, das die Achtung des anderen als Verhandlungs- und Vertragspartner beinhaltet und sich etwa in der Bereitschaft zur Erbringung einer Gegenleistung äußert, während dem Dieb diese moralische Haltung fehlt. 44 In diesem Zusammenhang der Achtung des anderen als Verhandlungs- und Vertragspartner kann man auch die Sorgfaltspflichten zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit sehen. Sie zielen auf keine Fremdbestimmung des Verhandlungspartners, sondern auf Achtung seiner rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit. Die Sorge um die eigenen Interessen findet also da eine Grenze, wo die Möglichkeit des anderen, seine Interessen ausreichend zu wahren, fehlt. Dem entspricht die Annahme, daß mit den Sorgfaltspflichten zum Schutz rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit die Funktionsbedingungen der Ausübung von Privatautonomie geschützt werden. Damit soll nicht bestritten werden, daß sich für denjenigen, den solche Sorgfaltspflichten im Rahmen der Vertragsverhandlungen treffen, dies als Beschränkung seines natürlichen Willens darstellen kann. In dieser Beschränkung liegt dann aber zugleich auch ein Moment rechtlicher Ausgestaltung von Privatautonomie. Die Momente der Beschränkung und Ausgestaltung von Privatautonomie gehen hier ineinander über. 45 Ähnlich würde man auch in der Anfechtung nach § 123 I BGB nicht einfach nur eine Beschränkung von Privatautonomie sehen, sondern ebenso die Konkretisierung einer immanenten Grenze der Privatautonomie. Medicus hat in seinen Überlegungen zur Funktion von Sorgfaltspflichten im Rahmen eines auf Privatautonomie beruhenden Vertragskonzepts auch auf die Darstellung von Schanze hingewiesen, daß Jhering mit seiner Theorie der culpa in contrahendo beim „liberalen Vertragskonzept" ansetzte und ihm eine „soziale Sensibilisierung" des Schuldverhältnisses ferngelegen habe. 46 Insoweit muß man sicher feststellen, daß sich mit der Ausweitung des Instituts der culpa in contrahendo, wie sie uns heute vor Augen steht, auch das Verständnis von Privatautonomie gewandelt hat. Die Grenzen von SelbstbestimSchapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 54 ff.; ders., Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 315; ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 209. 43 Huda, Freiheit und Rechtsgeschäft, S. 110 ff. 44 Huda, Freiheit und Rechtsgeschäft, S. 142 ff., 157 ff. 45 Auf den fließenden Übergang von der Ausgestaltung zur Beschränkung der Vertragsfreiheit weist Schapp, AcP 192 (1992), 355 (382), hin. 46 Medicus, Festgabe für Käser, 169 (180).
III. Zur Legitimität
des
Schutzes
281
mung und Selbstverantwortung stehen aber nicht ein für allemal fest; sie müssen vielmehr immer wieder von neuem bestimmt werden.
III. Zur Legitimität des Schutzes Entscheidungsfreiheit durch
rechtsgeschäftlicher Sorgfaltspflichten
1. Das Problem einer Haftung aus culpa in contrahendo neben § 123 BGB Vor allem im H i n b l i c k auf einen Schutz durch Sorgfaltspflichten vor „unerwünschten Verträgen" 4 7 wird die Legitimität einer Haftung aus culpa in contrahendo vielfach bezweifelt. Es stellt sich hier insbesondere das Problem, daß im Wege einer Schadensersatzhaftung aus culpa in contrahendo schon bei fahrlässiger Täuschung nach § 249 S. 1 B G B Rückgängigmachung des Vertrages verlangt werden könnte, während nach der in § 123 I B G B getroffenen Regelung eine Vernichtung des Vertrages durch Anfechtung nur bei Vorsatz in Betracht k o m m t . Hinsichtlich dieses Vorsatzerfordernisses, das sich in einer Reihe weiterer gesetzlicher Vorschriften zur vorvertraglichen Informationshaftung wiederfindet, hat Grigoleit geradezu von einem „informationellen Vorsatzdogma des B G B " 4 8 gesprochen. Zur Bewältigung dieser Problematik hatte sich die Rechtsprechung zeitweilig damit beholfen, daß sie auf die unterschiedlichen Wirkungen des A n fechtungsrechts einerseits und der Haftung aus culpa in contrahendo andererseits abstellte. 4 9 D e r Schadensersatzanspruch - so war die Vorstellung - erschöpfe sich in einem schuldrechtlichen Anspruch auf Wiederherstellung des frühen Zustandes, während die Anfechtung nach § 142 B G B auch einem D r i t ten gegenüber zur wirksamen Beseitigung der Schuldnerverpflichtung führt und insoweit dinglich wirkt. In der Literatur ist dem vor allem von Medicus 5 0 entgegengehalten worden, daß die Unterschiede von Anfechtung und Schadensersatzanspruch eher nur konstruktiver Art sind, da die mit der Nichtigkeit verbundene Drittwirkung sich für die culpa in contrahendo aus § 404 B G B ergebe, wonach auch der Schadensersatzanspruch jedem Dritterwerber der Forderung entgegengehalten werden kann. Zuletzt hat daher wohl auch der Bundesgerichtshof diese Unterscheidung nicht mehr für maßgeblich gehalten und stattdessen - im Anschluß an entsprechende Überlegungen in der Literatur - für die Abgrenzung beider Institute folgendes Argument hervor47 Der Ausdruck stammt offenbar von Medicus, Gutachten „Verschulden bei Vertragsverhandlungen", 479 (519), und ist vor allem durch Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, aufgenommen worden. 48 Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 37. 49 Grundlegend insoweit B G H N J W 1962, 1196 (1198 f.). 50 JuS 1965, 209 (212). So neuerdings auch B G H N J W 1998, 302 (304).
282
5 7 Zum Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
gehoben, das hier wörtlich wiedergegeben werden soll: „Die Anfechtung schützt die freie Selbstbestimmung auf rechtsgeschäftlichem Gebiet gegen unerlaubte Mittel der Willensbeeinflussung, und zwar unabhängig vom Eintritt eines Schadens; die Rückgängigmachung nach c.i.e.-Grundsätzen oder aufgrund deliktsrechtlicher N o r m e n verlangt auf der Tatbestandsseite den Eintritt eines Schadens ( . . . ) . Will man diese Unterschiede nicht verwischen und zudem die für Schadensersatzansprüche anerkannten Grundsätze aufgeben, so wird man an der Voraussetzung festhalten müssen, daß die Rückgängigmachung des Vertrages von einem durch die im Verhandlungsstadium begangene schuldhafte Sorgfaltspflichtverletzung entstandenen Vermögensschaden abhängt." 5 1 Damit scheint der Bundesgerichtshof die Anfechtung nach § 123 I B G B und die Rückgängigmachung des Vertrages im Wege einer Haftung aus culpa in contrahendo auf unterschiedliche Schutzzwecke beziehen zu wollen. N u r durch die Anfechtung nach § 123 I B G B soll die rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung geschützt sein, während die culpa in contrahendo offenbar primär dem Schutz des Vermögens dient und die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit nur über das Vermögen mitgeschützt ist. Das steht im Einklang mit einer in der Literatur vertretenen Auffassung, die versucht, den Anwendungsbereich der culpa in contrahendo für diese Fälle anhand des Erfordernisses eines Vermögensschadens zu begrenzen. 5 2 D e m g e genüber finden sich vor allem in der neueren Literatur unterschiedlichste A n sätze zu einem Verständnis der culpa in contrahendo als eines Instrumentes zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit, die dann versuchen, die Konkurrenzproblematik zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung mit anderen Mitteln zu bewältigen. 5 3 Auf beide Positionen wird weiter unten zurückzukommen sein. 5 4 D e r Stand der Diskussion macht jedenfalls deutlich, daß über das mit dem Institut der culpa in contrahendo geschützte G u t keineswegs schon volle Klarheit besteht und daß dementsprechend eine genauere Bestimmung des Schutzzwecks der Sorgfaltspflichten für diesen Bereich auch zum Verständnis der Grundlagen einer Haftung aus culpa in contrahendo beiträgt.
B G H N J W 1998, 302 (304). So vor allem Lieh, insbesondere Festschrift Rechtswissenschaftliche Fakultät Köln, 251 ff.; Schubert, AcP 168 (1968), 470 (504 ff.). 53 Vgl. insbesondere Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, und Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag. 54 Vgl. unten IV und V. 51
52
III Zur Legitimität des Schutzes
2. Die Begründung
einer informationellen durch Grigoleit
283
Fahrlässigkeitshaftung
D i e Legitimität einer I n f o r m a t i o n s h a f t u n g z u m S c h u t z der rechtsgeschäftlichen E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t ist unlängst v o n H a n s C h r i s t o p h G r i g o l e i t aus m e t h o d o l o g i s c h e r Perspektive erörtert w o r d e n . D i e s e r Versuch soll hier etwas genauer betrachtet werden. V o r diesem H i n t e r g r u n d wird dann im A n schluß daran ein eigenes Verständnis zur systematischen E i n o r d n u n g und L e gitimität des Schutzes rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit durch S o r g faltspflichten entfaltet. I m übrigen wird auf den L ö s u n g s a n s a t z Grigoleits später n o c h einmal z u r ü c k z u k o m m e n sein. G r i g o l e i t beschäftigt sich in seiner U n t e r s u c h u n g nur mit der H a f t u n g für vorvertragliche Irreführungen, die zur H e r b e i f ü h r u n g eines nicht erwartungsgerechten Vertrages führen. D a s G r u n d p r o b l e m einer s o l c h e n I n f o r m a tionshaftung sieht er in ihrem Verhältnis z u m S y s t e m der im B G B kodifizierten H a f t u n g s i n s t i t u t e . 5 5 E i n e A n a l y s e des dem B G B zugrunde liegenden H a f t u n g s s y s t e m s ergibt denn auch den B e f u n d , daß die verschiedenen Vorschriften, die sich auf vorvertragliche I r r e f ü h r u n g e n beziehen, eine H a f t u n g nur bei Vorsatz v o r s e h e n . 5 6 D e m B G B liege insoweit ein „informationelles V o r s a t z d o g m a " zugrunde, das seine R e c h t f e r t i g u n g in der historischen K o n zeption der P r i v a t a u t o n o m i e finde. D i e Verfasser des B G B seien v o n einem liberalen W i r t s c h a f t s m o d e l l ausgegangen, das die P r i v a t a u t o n o m i e in F o r m der S e l b s t b e s t i m m u n g und Selbstverantwortung in den V o r d e r g r u n d gestellt habe. D a z u habe aber nicht nur die Selbstverantwortlichkeit für die rechtsgeschäftlichen E n t s c h e i d u n g e n gehört, sondern auch die V e r a n t w o r t u n g für die I n f o r m a t i o n s b e s c h a f f u n g und den W i l l e n s b i l d u n g s p r o z e ß selbst. F ü r G r i g o leit stellt damit - wie bereits o b e n erwähnt - das K o n z e p t der „ i n f o r m a t i o n e l len S e l b s t v e r a n t w o r t u n g " eine n o t w e n d i g e K o n s e q u e n z der E i n r ä u m u n g freier S e l b s t b e s t i m m u n g bei der E n t s c h e i d u n g ü b e r den Vertragsschluß dar. 5 7 D i e B e s c h r ä n k u n g der gesetzlichen I n f o r m a t i o n s h a f t u n g auf Fälle vorsätzlicher I r r e f ü h r u n g sei daher als k o n s e q u e n t e U m s e t z u n g des Prinzips i n f o r m a tioneller S e l b s t v e r a n t w o r t u n g zu verstehen. G r i g o l e i t steht damit v o r dem P r o b l e m , wie sich eine informationelle F a h r lässigkeitshaftung angesichts des dem B G B zugrunde liegenden V o r s a t z d o g mas b e g r ü n d e n läßt. D a b e i geht er davon aus, daß eine informationelle F a h r lässigkeitshaftung aus culpa in c o n t r a h e n d o aufgrund gesetzesimmanenter R e c h t s f o r t b i l d u n g nicht in B e t r a c h t k o m m t , da dies eine G e s e t z e s l ü c k e voraussetze, die angesichts des planmäßigen Ausschlusses einer Fahrlässigkeitshaftung durch das i n f o r m a t i o n e l l e V o r s a t z d o g m a gerade nicht vorliege. 5 8 D a s
55 56
57 58
Grigoleit, Grigoleit, Grigoleit, Grigoleit,
Vorvertragliche Vorvertragliche Vorvertragliche Vorvertragliche
Informationshaftung, Informationshaftung, Informationshaftung, Informationshaftung,
S. 2. S. 37. S. 35. S. 41.
284
5 7 7.um Schutz
der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
informationelle Vorsatzdogma des BGB könne daher nur im Wege gesetzesderogatorischer Rechtsfortbildung korrigiert werden, also durch offene Gesetzeskorrektur. An die Zulässigkeit einer solchen rechtsfortbildenden Derogation seien strenge Anforderungen zu stellen; sie könne nur im Ausnahmefall in Betracht kommen. 59 Der Grund für eine Derogation des informationellen Vorsatzdogmas könne insoweit nur darin liegen, daß die entsprechende gesetzgeberische Entscheidung auf die Bedingungen des historischen Bezugsrahmens des BGB ausgerichtet gewesen sei, tiefgreifende Veränderungen dieses Bezugsrahmens die normative Tragfähigkeit der gesetzgeberischen Entscheidung aber in Frage stellen und letztlich sogar beseitigen können. 60 Im Anschluß an E Bydlinski kennzeichnet er diese Kategorie der Gesetzesderogation als „Funktionswandel". 61 Für einen solchen Funktionswandel macht Grigoleit unterschiedliche Gesichtspunkte geltend. Aus der jüngeren Rechtsentwicklung ergebe sich zunächst einmal eine wohlwollend duldende Haltung des Gesetzgebers zur Haftung aus culpa in contrahendo, wie sie sich in der Regelung des § 11 Nr. 7 AGB-Gesetz zeige. Darüber hinaus existieren vor allem seit jüngster Zeit eine Reihe von Spezialgesetzen, die vertragliche Informationspflichten gegenüber dem potentionellen Vertragspartner begründen. Einer Verallgemeinerung dieser spezialgesetzlichen Haftungsanordnungen im Sinne einer allgemeinen Fahrlässigkeitshaftung für Irreführung beim Vertragsschluß stünden allerdings die Besonderheiten der jeweiligen Vorschriften entgegen. 62 Im Hinblick auf die neuere Rechtsentwicklung sei weiter zu berücksichtigen, daß die allgemeine Entwicklung des Privatrechts im letzten Jahrhundert zu einer Abwendung von der dem BGB ursprünglich zugrunde gelegten formalen Konzeption der Privatautonomie zugunsten einer „Materialisierung der rechtsgeschäftlichen Selbstverantwortung" geführt habe. 63 Die Rechtsentwicklung insgesamt habe so die Geltungs- und Bindungskraft des informationellen Vorsatzdogmas geschwächt. Eine nachdrückliche Stütze finde die informationelle Fahrlässigkeitshaftung dann im vorvertraglichen Schutz- bzw. Vertrauensprinzip. 64 Dieses begründe in seiner heute allgemein anerkannten Geltung einen allgemeinen Schutz des Vermögens gegen fahrlässige Verletzungen durch den Vertragspartner und lege damit einen gleichwertigen Schutz der rechtsgeschäftlichen Willensfreiheit nahe, da für eine Ungleichbehandlung beider Schutzgüter kein tragfähiger Grund erkennbar sei. 65 Der allgemeine Durchbruch des vorvertraglichen Schutzprinzips stelle auch das informationelle Vorsatzdogma in 59 60 61 62 63 64 65
Grigoleit, Grigoleit, Grigoleit, Grigoleit, Grigoleit, Grigoleit, Grigoleit,
Vorvertragliche Vorvertragliche Vorvertragliche Vorvertragliche Vorvertragliche Vorvertragliche Vorvertragliche
Informationshaftung, Informationshaftung, Informationshaftung, Informationshaftung, Informationshaftung, Informationshaftung, Informationshaftung,
S. 48. S. 47. S. 48. S. 61, 63. S. 64. S. 66 ff. S. 80.
III.
Zur Legitimität
des
Schutzes
285
Frage. Aus der positiv-rechtlichen N o r m i e r u n g des Vorsatzdogmas lasse sich eine Beschränkung des vorvertraglichen Schutzprinzips nicht entnehmen, da die Gesetzesverfasser das sich aus der Erweiterungstendenz des vorvertraglichen Schutzprinzips ergebende Spannungsverhältnis zum Vorsatzdogma nicht gesehen hätten. Ergänzend weist Grigoleit auf verschiedene objektiv-teleologische G e sichtspunkte hin, die zu einer „ Ü b e r h o l u n g " des informationellen Vorsatzdogmas geführt haben. 6 6 Dazu gehört vor allem die bereits geschilderte Steigerung der Bedeutung vorvertraglichen Informationserwerbs. Das Problem der Bewältigung des gesteigerten vorvertraglichen Informationsbedarfs seit Inkrafttreten des B G B deute auch auf die Unzweckmäßigkeit der im B G B angelegten strengen informationellen Selbstverantwortlichkeit hin. Die aus dem informationellen Vorsatzdogma folgenden Beweisprobleme führen schließlich auch zu einer Beeinträchtigung des Präventionszwecks von Aufklärungspflichten. Insgesamt sieht Grigoleit damit ausreichende Gründe für eine D e rogation des informationellen Vorsatzdogmas. 6 7 Dabei soll die jüngere Rechtsentwicklung nur zu einer Abschwächung der haftungsbeschränkenden Wirkung des Vorsatzdogmas geführt haben, während die Begründung der informationellen Fahrlässigkeitshaftung aus dem vorvertraglichen Schutzprinzip sowie den verschiedenen objektiv-teleologischen Gesichtspunkten folgt, aus denen sich die Unzweckmäßigkeit der strengen informationellen Selbstverantwortlichkeit ergibt. 6 8
3. Die culpa in contrahendo als besonderes Rechtsinstitut zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit in Vertragsverhandlungen a) Die Herausbildung einer besonderen Haftungsordnung für den Vertrag. Zur Frage nach dem Ort des Schuldvertragsrechts Bei der Untersuchung von Grigoleit handelt es sich zwar um eine außerordentlich methodenbewußte Darstellung, dennoch kann man hier einige inhaltliche Akzente anders setzen, die dann auch das Problem der Uberwindung des „informationellen Vorsatzdogmas" in einem neuen Lichte erscheinen lassen. Dazu soll das von Grigoleit als maßgeblich herausgestellte Schutzprinzip einmal genauer in den Blick genommen werden. Grigoleit geht insoweit davon aus, daß sich mit der culpa in contrahendo ein allgemein anerkanntes vorvertragliches Schutzprinzip durchgesetzt hat, das auch schon bei bloßer Fahrlässigkeit nicht nur das Vermögen, sondern auch die Willensfreiheit schützt. Von
66 67 68
Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 71 ff. Kritisch dazu aber Lieb, Festschrift für Medicus, 337 (349 f.). Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 80.
286
§ 7 Zum Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
der sich dabei stellenden Frage nach dem Verhältnis von Vermögensschutz und dem Schutz rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit kann hier n o c h abgesehen werden. N i c h t weiter erörtert werden soll auch die Problematik, die darin liegt, daß Grigoleit das Schutzprinzip offenbar weitgehend mit dem Vertrauensprinzip gleichsetzt. Stattdessen geht es vor allem darum, den in der Tat zu beobachtenden P r o z e ß der E n t w i c k l u n g und Ausdehnung eines vorvertraglichen Schutzprinzips systematisch genauer zu fassen. M i t den L e h r e n v o n der culpa in c o n t r a h e n d o und der positiven Vertragsverletzung stehen heute haftungsrechtliche Institute v o r uns, die v o r allem auf den S c h u t z des Vertrages abzielen. U b e r den G e d a n k e n des Schuldverhältnisses bezieht sich die positive Vertragsverletzung z w a r auch auf gesetzliche Schuldverhältnisse, primär ist j e d o c h auch dieses Institut im Vertragsrecht verankert und man kann vielleicht sogar die F r a g e stellen, o b und inwieweit die v o r allem systematisch begründete Ü b e r t r a g u n g der positiven „Vertragsv e r l e t z u n g " auf gesetzliche Schuldverhältnisse ü b e r h a u p t sinnvoll ist. 6 9 I m H i n b l i c k auf den Vertrag handelt es sich bei culpa in c o n t r a h e n d o und positiver Vertragsverletzung jedenfalls u m aufeinander b e z o g e n e H a f t u n g s i n s t i t u te, die lediglich unterschiedliche Stufen in der E n t w i c k l u n g des Vertragsverhältnisses betreffen: D i e culpa in c o n t r a h e n d o bezieht sich auf das vorvertragliche Schuldverhältnis v o n der B e g r ü n d u n g des geschäftlichen K o n t a k t s an ü b e r die Vertragsverhandlungen bis z u m Vertragsschluß, während die positive Vertragsverletzung daran a n k n ü p f e n d das durch B e g r ü n d u n g des Vertrages gestiftete Schuldverhältnis erfaßt. I m E r g e b n i s hat sich damit so etwas wie eine die gesetzliche R e g e l u n g ergänzende und verstärkende H a f t u n g s o r d nung des Vertrages herausgebildet, genauer eine H a f t u n g s o r d n u n g für den Schuldvertrag o d e r - w e n n man dies allgemeiner f o r m u l i e r e n will - für das Schuldverhältnis. E s l o h n t sich, einen M o m e n t ü b e r den systematischen O r t dieser H a f t u n g s o r d n u n g genauer n a c h z u d e n k e n . B e i culpa in c o n t r a h e n d o und positiver Vertragsverletzung handelt es sich in erster L i n i e u m H a f t u n g s i n s t i t u t e eines Schuldvertragsrechts, das das B G B gar nicht k e n n t . 7 0 D a s B G B gibt vielmehr im A l l g e m e i n e n Teil eine L e h r e v o m R e c h t s g e s c h ä f t , deren wesentlicher G e g e n s t a n d die L e h r e v o n der W i l lenserklärung ist, die F r a g e nach d e m Z u s t a n d e k o m m e n v o n Verträgen, die G r ü n d e der U n w i r k s a m k e i t v o n Willenserklärungen und Verträgen. D i e B e sonderheiten des Schuldvertrages spielen dabei keine wesentliche R o l l e ; unter die A b s t r a k t i o n des R e c h t s g e s c h ä f t s fällt der schuldrechtliche Vertrag genauso wie der dingliche, der familienrechtliche und der erbrechtliche Vertrag. A b e r auch das S c h u l d r e c h t enthält kein Vertragsrecht im Sinne einer L e h r e v o m Schuldvertrag. D i e gesetzliche R e g e l u n g der verschiedenen Schuldvertragstypen im B e s o n d e r e n Teil setzt ein Vertragsrecht eher voraus und gibt in Vgl. dazu bereits oben § 2 III 3. Zur Problematik des Fehlens einer ausgearbeiteten Vertragslehre im B G B vgl. vor allem L. Raiser, Festschrift Deutscher Juristentag, 101 (103); Schupp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 64 f. 69 70
III. Zur Legitimität
des
Schutzes
287
bestimmten Bereichen - wie etwa dem Mängelgewährleistungsrecht - lediglich Bruchstücke einer solchen Regelung. A u c h der Allgemeine Teil des Schuldrechts enthält nur Rudimente eines Vertrags rechts. D e r Schutz des Schuldvertrages ist dort nur unter dem Gesichtspunkt der Störung von Leistungspflichten geregelt. Anknüpfungspunkte für einen Schutz durch Sorgfaltspflichten bieten im wesentlichen nur die § § 2 4 1 , 305 B G B mit der Hervorhebung des Schuldverhältnisses und § 242 B G B mit dem Gedanken der Ausgestaltung des Schuldverhältnisses durch Treu und Glauben. Das Allgemeine Schuldrecht enthält insoweit allerdings weniger Ansätze einer Schuldvertragslehre als vielmehr solche zu einer Lehre v o m Schuldverhältnis. D e s halb ist es auch wenig verwunderlich, daß culpa in contrahendo und positive Vertragsverletzung als Teile einer Ordnung des Schuldverhältnisses entwikkelt worden sind, o b w o h l man sie in erster Linie wohl als Teile einer Ordnung des Schuldvertrages begreifen muß. In jedem Fall müssen beide Haftungsinstitute damit systematisch dem Allgemeinen Schuldrecht zugerechnet werden, unabhängig davon, o b man sie als Teil eines im B G B nicht ausgearbeiteten Schuldvertragsrechts begreift oder aber als Teil eines nur in Rudimenten entwickelten allgemeinen Rechts der Schuldverhältnisse. Diese systematische Verortung k o m m t übrigens auch darin zum Ausdruck, daß beide Haftungsinstitute systematisch dem R e c h t der Leistungsstörungen zugerechnet werden. Man kann damit festhalten, daß das B G B ein ausgearbeitetes Schuldvertragsrecht nicht kennt, Orientierungspunkte für den Systemaufbau vielmehr im Allgemeinen Teil der Begriff des Rechtsgeschäfts und im Allgemeinen Schuldrecht der des Schuldverhältnisses sind. Infolge der dogmatischen E n t wicklung sind aber mit culpa in contrahendo und positiver Vertragsverletzung Teile eines Schuldvertragsrechts in das R e c h t der Schuldverhältnisse integriert worden.
b) Zum Verhältnis von Rechtsgescbäftslebre und culpa in contrahendo G e h t man einmal von diesem systematischen Befund zur Herausbildung eines Schuldvertragsrechts aus, so stellt sich die Problematik der Abgrenzung einer Haftung aus culpa in contrahendo wegen Beeinträchtigung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit von der Anfechtung nach § 123 I B G B in einer durchaus anderen Perspektive dar. Zunächst einmal ergibt sich aus diesem Gedankengang, daß es nicht genügen kann, nur auf das Konkurrenzverhältnis zu § 123 B G B oder anderen einzelnen Vorschriften zu schauen, in Frage steht hier vielmehr das Verhältnis einer Schuldvertragslehre zur Rechtsgeschäftslehre insgesamt. 7 1 Dementsprechend stellt sich auch das Problem einer 71 Ansätze dazu finden sich vor allem bei Reinicke, J A 1982, 1 (3 ff.), der allerdings das Anfechtungsrecht einem allgemeinen, Vertrags- und Deliktshaftung umfassenden Schadensersatzrecht gegenüberstellt.
288
5 7 7.um Schutz
der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
Haftung aus culpa in contrahendo nicht nur im Verhältnis zur Regelung des § 123 I BGB, sondern im Grunde für alle zentralen Entscheidungen der Rechtsgeschäftslehre, wie sie etwa auch in den Vorschriften der §§119 II, 125 S. 1, 134 und 138 I BGB zum Ausdruck kommen. Das Problem der Abgrenzung der culpa in contrahendo von der Rechtsgeschäftslehre resultiert also daraus, daß sich neben der Rechtsgeschäftslehre des Allgemeinen Teils ein allgemeines Schuldvertragsrecht herausgebildet hat, dem eine durchaus andersartige Technik des Schutzes zugrunde liegt. Der durch die Rechtsgeschäftslehre gewährte Schutz setzt am Begriff der Willenserklärung an, sie wird vor allem auf ihre Wirksamkeit und ihren Inhalt hin beurteilt. Dem Schuldvertragsrecht liegt ein ganz anderes Konzept zugrunde, indem es nämlich an die Störung oder Verletzung von Pflichten anknüpft und damit für die Haftung aus culpa in contrahendo nach der Verletzung einer Sorgfaltspflicht aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis fragt. Etwas vereinfacht formuliert kann man sagen, daß die Rechtsgeschäftslehre die Willenserklärung selbst bewertet, die culpa in contrahendo dagegen das Verhalten im Rahmen der Vertragsverhandlungen. Die prinzipiell unterschiedliche Technik des Schutzes wird allerdings gerade im Anwendungsbereich des § 123 I BGB nicht mehr recht deutlich, weil hier die beiden unterschiedlichen Formen der Gewährung von Schutz aneinandergrenzen. Mit dem Institut der culpa in contrahendo wird dabei anhand von Sorgfaltspflichten das Verhalten des einen gegenüber dem anderen Verhandlungspartner bewertet, während § 123 I BGB die Willenserklärung beurteilt, dies aber ebenfalls anhand des Verhaltens des Verhandlungspartners geschieht. Dennoch lassen sich hier Unterschiede festhalten, denen allerdings zugegebenermaßen keine große praktische Bedeutung zukommt, die vielmehr nur auf die unterschiedlichen theoretischen Konzeptionen verweisen. So genügt für die Begründung der Anfechtung nach § 123 I BGB der natürliche Wille des täuschenden oder drohenden Verhandlungspartners, Verschuldensfähigkeit ist also im Unterschied zur Haftung aus culpa in contrahendo nicht erforderlich. 72 Zudem ist für die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder Drohung der Eintritt eines Schadens irrelevant, während sich die Haftung aus culpa in contrahendo gerade an dem sich aus der schuldhaften Sorgfaltspflichtverletzung ergebenden Schaden orientiert. 73 Da sich nun aller72 So Reinicke, J A 1982, 1 (3, 6); Larenz/Wolf Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 37 Rz. 11; Palandt-Heinrichs, § 123 Rz. 23; Soergel-Hefermehl, § 123 Rz. 51; Grigoleit, Vorvertragliche I n f o r m a t i o n s h a f t u n g , S. 18. 73 D e m g e g e n ü b e r wird in der Literatur (vgl. n u r Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 3 7 Rz. 11; Reinicke, J A 1982, 1 (3); Grigoleit, Vorvertragliche I n f o r m a t i o n s h a f t u n g , S. 17 m.w.N.) zumeist gesagt, § 123 B G B setze keinen Vermögensschaden voraus, w o m i t o f f e n b a r die bloße Beeinträchtigung der rechtsgeschäftlichen E n t s c h e i d u n g s f r e i heit - mit R e c h t - als Schaden begriffen wird, der aber nach der gesetzlichen Regelung der A n f e c h t u n g wegen T ä u s c h u n g o d e r D r o h u n g anders als bei H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o gar keine Rolle spielt. Insoweit handelt es sich dabei bereits u m eine Perspektive, die auf den Vergleich mit anderen Tatbeständen u n d Rechten abzielt.
III
Zur Legitimität
des
Schutzes
289
dings - wie noch genauer zu erörtern sein w i r d - jede Beeinträchtigung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit als Schaden auffassen läßt, kommt diesem Kriterium keine Funktion zu, anhand dessen sich grundlegende U n terschiede zwischen dem Anfechtungsrecht und der Haftung aus culpa in contrahendo herausarbeiten ließen, wenn man einmal davon absieht, daß damit auch das ganze allgemeine Schadensersatzrecht A n w e n d u n g findet und damit beispielsweise auch die für das Anfechtungsrecht nicht geltende Vorschrift des § 254 BGB. 7 4 Insgesamt lassen sich so aber eher nur die unterschiedlich gelagerten theoretischen Konzeptionen umreißen, in denen sich der Unterschied widerspiegelt zwischen einer auf die Willenserklärung bezogenen Rechtsgeschäftslehre und einer Schuldvertragslehre, die sorgfaltswidrige H a n d l u n g e n im R a h m e n von Vertragsverhandlungen bewertet. Vor diesem Hintergrund erscheint die culpa in contrahendo eher als ein spezielles Institut z u m Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit im Rahmen von Vertragsverhandlungen, die auf den Abschluß von Schuldverträgen zielen. Wenn demgegenüber in Literatur 7 5 und Rechtsprechung 7 6 gelegentlich angenommen wird, § 123 I BGB sei als Sonderfall der culpa in contrahendo aufzufassen, so stellt dies die Verhältnisse auf den Kopf. § 123 I BGB stellt vielmehr eine allgemeine Regelung in bezug auf die durch Täuschung oder Drohung veranlaßte Abgabe von Willenserklärungen dar und erfaßt damit jede Art von Willenserklärung. Die Vorschrift ist insofern Teil einer allgemeinen Lehre von den Willensmängeln, die in den § § 1 1 6 ff. BGB gegeben wird, und gibt Maßstäbe für die Vertragsverhandlungen nur unter ganz generellen Gesichtspunkten und dies auch nur soweit es dabei zur Abgabe einer Willenserklärung kommt. 7 7 Die Fälle der Beeinträchtigung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit, bei denen es nicht z u m Vertragsschluß kommt, werden durch § 123 I B G B also gar nicht erfaßt. Auch unter diesem Gesichtspunkt wäre es ungereimt, in § 123 I BGB einen speziellen Fall der culpa in contrahendo durch die Rechtsgeschäftslehre geregelt zu sehen, das Institut im übrigen aber im Allgemeinen Schuldrecht zu verankern. Im Hinblick auf diese Deutung des Verhältnisses von culpa in contrahendo und § 123 I BGB findet sich gelegentlich der Einwand, daß § 123 I BGB doch gerade auch die Willenserklärung im Rahmen des schuldrechtlichen Vertrages
74 So Soergel-Wiedemann, Vor § 2 7 5 Rz. 183; w o h l auch Larenz/Wolf, A l l g e m e i n e r Teil des Bürgerlichen Rechts, § 3 7 R z . 18. Zur P r o b l e m a t i k der A n w e n d u n g von § 2 5 4 B G B im R a h m e n „vorvertraglicher I n f o r m a t i o n s h a f t u n g " vgl. nur Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 256 ff. m . w . N . 75 E t w a Grigoleit, Vorvertragliche I n f o r m a t i o n s h a f t u n g , S. 32; Lorenz, ZIP 1998, 1053 (1056 f.); Schubert, A c P 168 (1968), 470 (480). 76 B G H W M 1986, 1032 (1034); B G H J Z 1990, 340 (341); B G H N J W 1998, 898 (898). 77 Dieser Verankerung der R e g e l u n g des § 123 B G B in der L e h r e von der W i l l e n s e r k l ä r u n g entspricht die D e u t u n g der arglistigen T ä u s c h u n g als Sonderfall der Erregung eines Motivirrtums, vgl. Larenz/Wolf, A l l g e m e i n e r Teil des Bürgerlichen Rechts, § 3 7 R z . 19; Schapp, G r u n d l a g e n des bürgerlichen Rechts, R z . 390 m . w . N .
290
§ 7 7.um Schutz
der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
betreffe. 78 Andererseits hat insbesondere Medicus immerhin den Gedanken erwogen, daß der Eintritt in Vertragsverhandlungen eine gesteigerte Pflichtenstellung mit sich bringe, für deren Beurteilung die Interessenbewertung durch § 123 I BGB und das Deliktsrecht nicht abschließend sein könne. 7 9 Dagegen hat er aber vor allem geltend gemacht, daß dann, wenn für die Fälle der Abgabe von Willenserklärungen im Rahmen eines bereits bestehenden Schuldvertrages oder doch wenigstens in contrahendo die in § 123 I BGB enthaltene Interessenbewertung nicht gelte, die Vorschrift überhaupt fast alle Bedeutung verliere. Die Annahme einer Gefahr des Bedeutungsverlustes von § 123 I BGB ist aber überhaupt nur plausibel, weil man im wesentlichen auf das Problem des Ausschlusses fahrlässiger Täuschungen schaut und darin den wesentlichen Bedeutungsgehalt der Regelung des § 123 I BGB erblickt. Dabei bleibt dann allerdings weitgehend unbeachtet, daß es sich hier um ganz unterschiedlich systematisch verankerte Rechtsbereiche handelt, denen durchaus unterschiedliche Techniken der Gewährung von Schutz zugrunde liegen, die man auch unter dem Gesichtspunkt der Ergänzung sehen kann. 80 So ist die Anfechtung unter dem Gesichtspunkt des Willensmangels in eine allgemeine Lehre von der Willenserklärung einbezogen, während die culpa in contrahendo sich auf die Vertragsverhandlungen und damit den Schuldvertrag konzentriert. Diese unterschiedlichen Bezugspunkte führen - wie im folgenden noch deutlicher werden wird - dazu, daß in beiden Rechtsbereichen auch unterschiedliche Konzepte zum Schutz rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit verfolgt werden. Stellt die culpa in contrahendo danach ein besonderes Institut zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit in Vertragsverhandlungen dar, so bezieht sich dieser Schutz nur auf den Schutz des Schuldvertrages. 81 Dieser ist also im Schuldrecht situiert, da es eine culpa in contrahendo beim Abschluß von dinglichen Verträgen nicht gibt. Sofern beim Abschluß von dinglichen Verträgen Sorgfaltspflichten verletzt werden, resultieren diese aus dem Schuldverhältnis der Verhandlungen zum Schuldvertrag oder dem des Schuldvertrages selbst. Ein dem Abschluß des dinglichen Vertrages vorgelagertes Verhandlungsverhältnis gibt es also nicht, da der dingliche Vertrag nur der Erfüllung der schuldrechtlichen Pflichten dient und damit die Pflichten bereits festliegen, so daß es darüber auch keiner Verhandlung mehr bedarf. 82
78
So o f f e n b a r Grigoleit, Vorvertragliche I n f o r m a t i o n s h a f t u n g , S. 31 f. Medicus, JuS 1965, 209 (213). 80 F ü r eine E r g ä n z u n g s f u n k t i o n der H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o neben § 123 B G B neuerdings auch Fleischer, A c P 200 (2000), 91 (118). 81 A n d e r s Gernhuber, Das Schuldverhältnis, § 8 I 1 b, der meint, das Schuldverhältnis aus V e r t r a g s a n b a h n u n g gehöre z u m allgemeinen Vertragsrecht, so daß Verträge aller A r t in Betracht kämen, nicht n u r Schuldverträge. 82 So auch Grigoleit, Vorvertragliche I n f o r m a t i o n s h a f t u n g , S. 139 f., der deshalb bezeichnenderweise eine vorvertragliche H a f t u n g (in der F o r m der A n f e c h t u n g entsprechend § 123 I B G B ) f ü r fahrlässige I r r e f ü h r u n g im H i n b l i c k auf Erfüllungsgeschäfte ausschließt. 79
III. Zur Legitimität
des
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Schutzes
Sofern man im Rahmen des Abschlusses familien- oder erbrechtlicher Verträge an die Heranziehung der Grundsätze zur Haftung aus culpa in contrahendo denkt, ist das deshalb ebenfalls nur sinnvoll, soweit es dabei um schuldrechtsähnliche Verpflichtungsverträge geht, dies scheidet hingegen aus, soweit diese verfügenden Charakter haben. D a ß die culpa in contrahendo ein besonderes Institut zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit in Vertragsverhandlungen darstellt, sollte nicht in dem Sinne mißverstanden werden, daß hier ein (ungeregeltes) spezielles Institut die allgemeinere Regelung des § 123 I B G B verdrängt. Tatsächlich ist das Verhältnis beider Regelungsbereiche wohl sehr viel komplizierter. Angemessener dürfte die bereits angedeutete Vorstellung sein, daß die Rechtsgeschäftslehre für sämtliche Willenserklärungen eine allgemeine G r e n z e zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit zieht, die vor allem durch die §§ 138 I und 123 I B G B errichtet wird. Mit den Sorgfaltspflichten wird dagegen für den Bereich der Vertragsverhandlungen eine zweite G r e n z e zum Schutz rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit gezogen, die im Einzelfall ermittelt werden muß. Auf diese Weise wird das der Rechtsgeschäftslehre zugrunde liegende K o n z e p t der Festlegung einer starren äußeren G r e n z e zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit, zu der gerade auch das Vorsatzdogma gehört, kombiniert mit dem K o n z e p t eines differenzierten auf den Einzelfall bezogenen Schutzes, das gewissermaßen zu einer Ausgestaltung des Innenbereiches führt. Dabei spricht vieles dafür, daß sich das konkrete Schutzkonzept der Sorgfaltspflichten überhaupt nur anhand der Vorgaben realisieren läßt, die sich aus den abstrakten Grenzen ergeben, die durch die Rechtsgeschäftslehre gezogen werden, und die ja nach wie vor wesentliche Orientierungspunkte auch für die Begründung der H a f tung aus culpa in contrahendo geben. Andererseits dürfte das abstrakte Schutzkonzept der Rechtsgeschäftslehre seine F u n k t i o n heute nur noch deshalb erfüllen, weil es durch das konkrete Schutzkonzept in seinen A u ß e n grenzen von innen her gestützt wird. Dieses sich wechselseitig ergänzende Verhältnis von Rechtsgeschäftslehre und dem Institut der culpa in contrahendo wäre mit dem Gedanken des Vorranges einer der beiden Bereiche nicht richtig gekennzeichnet.
c) Zur Problematik
von Systemverschiebungen
im BGB
An dieser Stelle lassen sich nun auch die Unterschiede zu den methodologischen Überlegungen Grigoleits deutlich machen. Zunächst einmal bleibt der Eindruck, daß die von ihm gestellte und verneinte Frage nach einer L ü c k e im Gesetz, weiter dann aber auch die Frage nach den Voraussetzungen einer Derogation des Gesetzes sicher den Maßstäben herkömmlicher Methodenlehre entsprechen, dennoch aber dem Problem nicht ganz gerecht werden. Mit culpa in contrahendo und positiver Vertragsverletzung werden nicht einfach einzelne Fälle in Ergänzung geschriebenen Rechts nach richterrechtlich
292
$ 7 7.um Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
begründeten Maßstäben beurteilt, sondern mit diesen Instituten ist dem B G B ein Systemgedanke hinzugefügt worden, der - soviel wird man wohl sagen können - im B G B zwar angelegt gewesen ist, ursprünglich aber keine tragende Rolle gespielt hat. D i e Herausbildung dieser Institute hat also zu Verschiebungen in der systematischen Architektur des B G B geführt. D i e Frage nach der Gesetzeslücke mag man im H i n b l i c k auf einzelne Vorschriften wie die des § 123 I B G B stellen können, im Hinblick auf den Gedanken der Systemverschiebung durch Herausbildung eines eigenständigen Schuldvertragsrechts neben der Rechtsgeschäftslehre gibt sie nur einen eingeschränkten Sinn. Genauso zweifelhaft ist es aber auch, o b derartige Systemverschiebungen mit dem Gedanken der gesetzesderogierenden Rechtsfortbildung zutreffend gekennzeichnet sind. 8 3 Das hängt einerseits davon ab, wie man überhaupt das B G B als System begreifen will (wobei dieser Frage hier nicht weiter nachgegangen werden soll), weiter aber auch davon, wie man das, was Grigoleit als „vorvertragliches Schutzprinzip" bezeichnet, im B G B verankert sieht. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, daß der „ D u r c h b r u c h " des vorvertraglichen Schutzprinzips kein isoliertes Phänomen darstellt, sondern die Kernbereiche des zivilrechtlichen Haftungsrechts ergriffen hat. So entspricht dem vorvertraglichen Schutzprinzip ein vertragliches Schutzprinzip, und beide sind eingebettet in ein über den Vertrag hinausgehendes Prinzip der Haftung für schuldhafte Sorgfaltspflichtverletzungen im Schuldverhältnis. Zugleich existiert mit der Lehre von den Verkehrspflichten daneben gewissermaßen auch ein besonderes deliktisches Schutzprinzip. D e r Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit durch Sorgfaltspflichten im Rahmen von Vertragsverhandlungen steht damit in einer Sogwirkung, die nicht nur aus der ganz allgemeinen Anerkennung der culpa in contrahendo als Haftungsinstitut resultiert, sondern aus der breiten Anerkennung eines schuldrechtlichen Prinzips des Schutzes durch Sorgfaltspflichten, das Vertrag und Delikt gleichermaßen umfaßt. D i e insoweit von Grigoleit herausgehobene unausgesprochene Vorstellung einer verbreiteten Meinung, daß die vorvertragliche Informationshaftung am Geltungsgrund der culpa in contrahendo partizipiert, 8 4 ist tatsächlich noch viel tiefer begründet: Sie empfängt ihre Legitimation nicht nur von dem Institut der culpa in contrahendo her, sondern sie steht in dem Zusammenhang der umfassenden Ausdehnung eines schuldrechtlichen Prinzips des Schutzes durch Sorgfaltspflichten. Dabei ist das Konzept der Sorgfaltspflichten heute jedoch in großen Teilen in die gesetzlichen Strukturen integriert. So hat sich - jedenfalls in der D e u tung der herrschenden Meinung - die Lehre von den Verkehrspflichten doch weitgehend in das gesetzliche Konzept des Deliktsrechts eingefügt. Ähnlich haben sich vertragliche und vorvertragliche Sorgfaltspflichten in den gesetzli83 Kritisch zu dem Gedanken der Gesetzesderogation bei Grigoleit auch Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (99 f.), der sogar meint, daß sich ein „informationelles Vorsatzdogma" aus dem B G B nicht rechtfertigen lasse. 8 4 Vgl. Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 40.
IV. Siebt der neueren
Literatur
293
chen R u d i m e n t e n einer L e h r e v o m Schuldverhältnis verankern lassen. Z w a r ist nicht zu verkennen, daß das schuldrechtliche Sorgfaltsprinzip in diesen B e reichen dazu tendiert, die gesetzlichen R e c h t s m a s s e n w e g z u s c h w e m m e n , letztlich hat sich das Prinzip aber d o c h n o c h i m m e r wieder in den durch das B G B vorgegebenen R a h m e n einfügen lassen. M i t der i m m e r n o c h z u n e h m e n den Integration des Sorgfaltsprinzips in den durch das B G B vorgegebenen R a h m e n stellt sich allerdings verstärkt das P r o b l e m von S y s t e m b r ü c h e n , daß nämlich infolge der Ausdehnung des Sorgfaltsprinzips plötzlich Prinzipien vertraglicher und deliktischer H a f t u n g aneinanderstoßen und sich überschneiden. G a n z ähnlich m u ß auch im Verhältnis zwischen schuldrechtlicher Vertragshaftung und Rechtsgeschäftslehre das Aneinanderreihen verschiedener Systemteile bewältigt werden. I m G r u n d e geht es dabei aber eher u m die G e l tungsstärke verschiedener, im B G B auch unterschiedlich ausgeformter P r i n z i pien für das R e c h t s s y s t e m . D e r G e d a n k e , daß dieser P r o z e ß der G e w i c h t u n g verschiedener Prinzipien innerhalb des gesetzlichen Systems erfolgt, dürfte diesen Vorgang insgesamt doch zutreffender k e n n z e i c h n e n als die Vorstellung, es handele sich dabei u m rechtsfortbildende G e s e t z e s k o r r e k t u r .
IV. Der Schutz der rechtsgeschäftlichen aus Sicht der neueren
Entscheidungsfreiheit Literatur
1. Anfechtung und Schadensersatz als Rechtsfolgen Informationshaftung bei Grigoleit
vorvertraglicher
a) Darstellung des theoretischen Konzepts von Grigoleit D i e U n t e r s u c h u n g Grigoleits ü b e r die „Vorvertragliche I n f o r m a t i o n s h a f t u n g " ist unter verschiedenen G e s i c h t s p u n k t e n s c h o n mehrmals G e g e n s t a n d der B e t r a c h t u n g gewesen. I m folgenden soll es daher nur darum gehen, die Eigenart der v o n G r i g o l e i t für diese P r o b l e m a t i k a n g e b o t e n e n L ö s u n g k u r z zu u m r e i ß e n und in ihrer systematischen B e d e u t u n g zu analysieren. G r i g o l e i t begreift seine - bereits o b e n dargestellten - Ü b e r l e g u n g e n zur D e r o g a t i o n des i n f o r m a t i o n e l l e n V o r s a t z d o g m a s als P r o b l e m der tatbestandlichen A n f o r d e r u n g e n an die fahrlässige I n f o r m a t i o n s h a f t u n g und wendet sich erst anschließend auf dieser G r u n d l a g e den R e c h t s f o l g e n einer solchen H a f t u n g zu. D a b e i geht er davon aus, daß sich nach der K o r r e k t u r des Vorsatzdogmas auch die R e c h t s f o l g e n vorvertraglicher I n f o r m a t i o n s h a f t u n g an den V o r g a b e n des B G B für die vorvertragliche T ä u s c h u n g s h a f t u n g o r i e n tieren m ü s s e n . 8 5 D e r R e c h t s p r e c h u n g , die mit der H e r a n z i e h u n g des R e c h t s instituts der culpa in c o n t r a h e n d o die R e c h t s f o l g e des Schadensersatzes als v o r g e g e b e n anzusehen scheint, steht er daher skeptisch gegenüber. E i n e sol85
Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 86.
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5 7 Tum Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
che schadensrechtliche „ A u t o m a t i k " berücksichtige nicht, daß die vorsätzliche T ä u s c h u n g nicht nur v o n der culpa in c o n t r a h e n d o , sondern vor allem auch v o n der gesetzlichen R e g e l u n g der §§ 123 und 8 2 6 B G B erfaßt w e r d e . 8 6 D i e gesetzlich nicht vorgesehene Fahrlässigkeitshaftung müsse sich j e d o c h an diesem gesetzlichen R e c h t s f o l g e n s y s t e m des B G B orientieren. D e m e n t s p r e c h e n d b e m ü h t G r i g o l e i t sich zunächst einmal darum, auf der G r u n d l a g e eines Vergleichs der R e c h t s f o l g e n der T ä u s c h u n g s h a f t u n g (§ 123 B G B ) und des Schadensersatzes wegen T ä u s c h u n g (§ 8 2 6 B G B ) das Verhältnis der beiden R e c h t s i n s t i t u t e genauer zu b e s t i m m e n . E r s t v o r diesem H i n t e r g r u n d beurteilt er dann das Verhältnis v o n A n f e c h t u n g und Schadensersatz bei fahrlässiger Täuschung. F ü r die vorsätzliche T ä u s c h u n g gelangt G r i g o l e i t zu d e m hier im einzelnen nicht n a c h z u z e i c h n e n d e n , im Detail auch nicht ganz unzweifelhaften E r g e b nis, daß sich der k o n s t r u k t i v e U n t e r s c h i e d zwischen der A n f e c h t u n g eines Vertrages und der A u f h e b u n g im Wege des Schadensersatzes gegenüber D r i t ten gar nicht und gegenüber dem Vertragspartner n u r geringfügig auswirkt. 8 7 Wesentliche U n t e r s c h i e d e ergeben sich lediglich aus den unterschiedlichen Fristenregelungen für A n f e c h t u n g und D e l i k t s r e c h t . W ä h r e n d § 124 B G B eine einjährige F r i s t für die A n f e c h t u n g nach § 123 B G B vorsieht, verjährt der deliktische Schadensersatzanspruch gemäß § 852 I B G B in drei J a h r e n . A n ders als bei der A n f e c h t u n g verbleibt dem G e s c h ä d i g t e n nach § 853 B G B aber auch nach E i n t r i t t der V e r j ä h r u n g ein dauerhaftes Leistungsverweigerungsrecht. 8 8 F ü r das Verhältnis v o n A n f e c h t u n g und deliktischem Schadensersatz geht G r i g o l e i t bei vorsätzlicher T ä u s c h u n g davon aus, daß s o w o h l v o r als auch nach A b l a u f der A n f e c h t u n g s f r i s t „die besseren G r ü n d e für einen grundsätzlichen Vorrang des A n f e c h t u n g s r e c h t s (sprechen), w ä h r e n d den deliktischen R e c h t e n des G e t ä u s c h t e n lediglich eine ergänzende F u n k t i o n z u k o m m e n k a n n . " 8 9 So fehle vor A b l a u f der A n f e c h t u n g s f r i s t „jedes schutzwürdiges E i geninteresse" des G e t ä u s c h t e n , die Beseitigung des Vertrages im W e g e des Schadensersatzes zu erzwingen, da hierfür der einfachere, nämlich durch einseitige E r k l ä r u n g d u r c h z u s e t z e n d e Weg der A n f e c h t u n g zur Verfügung stünde. 9 0 I n s o w e i t stelle die G e l t e n d m a c h u n g des schadensersatzrechtlichen A n spruches auf Vertragsbeseitigung eine unzulässige R e c h t s a u s ü b u n g dar, so daß einer entsprechenden Klage das R e c h t s s c h u t z b e d ü r f n i s fehle. N a c h A b lauf der A n f e c h t u n g s f r i s t scheide hingegen eine A u f h e b u n g des Vertrages und damit auch eine R ü c k a b w i c k l u n g der bereits erbrachten L e i s t u n g e n im Wege des Schadensersatzes aus. 9 1 § 124 B G B sei insoweit als Spezialregelung zu b e 86 87 88 89 90 91
Grigoleit, Grigoleit, Grigoleit, Grigoleit,
Vorvertragliche Vorvertragliche Vorvertragliche Vorvertragliche
Informationshaftung, Informationshaftung, Informationshaftung, Informationshaftung,
S. S. S. S.
84 f. 125 f. 123 ff. 127.
Grigoleit, Grigoleit,
Vorvertragliche Informationshaftung, S. 128. Vorvertragliche Informationshaftung, S. 129 ff.
IV. Sicht der neueren
Literatur
295
greifen, da andernfalls die A n f e c h t u n g s f r i s t durch § 852 B G B nahezu vollständig entwertet w ü r d e . 9 2 D a s sich aus § 853 B G B ergebende dauernde L e i stungsverweigerungsrecht sei aber mit dem Vorrang des A n f e c h t u n g s r e c h t s vereinbar; insoweit behalte die deliktische T ä u s c h u n g s h a f t u n g eine eigenständige B e d e u t u n g . 9 3 D a r ü b e r hinaus bleibe der deliktische Schadensersatzanspruch auch für den E r s a t z solcher Schäden bedeutsam, die ü b e r die Vertragsaufhebung und R ü c k a b w i c k l u n g bereits e r b r a c h t e r Leistungen hinausgehen, da das A n f e c h t u n g s r e c h t insoweit keine R e g e l u n g trifft und damit auch keine A u s s c h l u ß w i r k u n g entfalten k a n n . 9 4 S o l c h e weitergehenden Schäden b e s t ü n den etwa im G e w i n n , der dadurch entgangen ist, daß der Vertragspartner aufgrund der T ä u s c h u n g auf ein anderes G e s c h ä f t verzichtet hat. Als R e c h t s f o l g e fahrlässiger T ä u s c h u n g besteht nach Auffassung G r i g o leits infolge einer Ü b e r t r a g u n g des dem § 123 I B G B zugrunde liegenden gesetzlichen R e g e l u n g s m u s t e r s im Wege der R e c h t s f o r t b i l d u n g zunächst ein A n f e c h t u n g s r e c h t entsprechend den §§ 123 f., 142 ff. B G B . 9 5 § 123 B G B b e inhalte für die v o n der B e s t i m m u n g erfaßten Fälle eine V e r a n t w o r t l i c h k e i t für die Willensbildung des Vertragspartners mit der Folge, daß die i r r t u m s b e dingte Willenserklärung a n f e c h t b a r ist. A u s der V e r b i n d u n g dieses B e d e u tungsgehalts der Vorschrift mit dem weithin anerkannten Prinzip der Verantw o r t u n g für fremde Willensmängel aufgrund v o n Fahrlässigkeit ergebe sich, daß auch bei fahrlässigen I n f o r m a t i o n s p f l i c h t v e r l e t z u n g e n auf die R e c h t s f o l gen der §§ 123 f., 1 4 2 - 1 4 4 B G B z u r ü c k z u g r e i f e n sei. D e m entspreche der in den M o t i v e n zu § 123 B G B h e r v o r g e h o b e n e G r u n d g e d a n k e , w o n a c h die R e c h t s o r d n u n g eine w i d e r r e c h t l i c h e B e e i n t r ä c h t i g u n g der freien Selbstbes t i m m u n g auf rechtsgeschäftlichem G e b i e t nicht gestatten soll. E i n e solche widerrechtliche B e e i n t r ä c h t i g u n g der freien S e l b s t b e s t i m m u n g auf rechtsgeschäftlichem G e b i e t liege nach heutigem Verständnis auch in der fahrlässigen I n f o r m a t i o n s p f l i c h t v e r l e t z u n g , auch w e n n sie v o n den Gesetzesverfassern nicht als solche anerkannt w o r d e n sei. 9 6 N e b e n diesem A n f e c h t u n g s r e c h t entsprechend § 123 B G B steht dem fahrlässig G e t ä u s c h t e n ein Schadensersatzanspruch aus culpa in c o n t r a h e n d o zu, den G r i g o l e i t v o r A b l a u f der A n f e c h t u n g s f r i s t aber genauso wie den deliktischen Schadensersatzanspruch als subsidiär ansieht. 9 7 F ü r die Zeit nach A b lauf der A n f e c h t u n g s f r i s t geht er zunächst davon aus, daß für den Schadensersatzanspruch aus culpa in c o n t r a h e n d o dem P r i n z i p nach § 852 B G B analog h e r a n z u z i e h e n sei, da es sich hierbei um die einzige allgemeine V e r j ä h r u n g s r e gel für Schadensersatzansprüche wegen rechtswidriger und schuldhafter Ver-
92 93
94 95 96
97
Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 132. Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 134-136. Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 136 f. Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 137 ff. So insgesamt Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 138. Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 153.
296
5 7 Zum Schutz
der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
letzung von Pflichten handele. 98 Auch für die schadensersatzrechtliche Rückabwicklung aus culpa in contrahendo wird § 124 BGB aber als Spezialregelung verstanden, so daß sie wie die deliktsrechtliche Rückabwicklung nach Ablauf der Anfechtungsfrist ausscheidet." Grigoleit argumentiert insoweit, daß sich aus den Gründen, die eine Uberwindung des informationellen Vorsatzdogmas rechtfertigen, keinerlei Anhaltspunkte auch für eine Derogation der Anfechtungsfrist des § 124 BGB ergeben. Danach beschränkt sich auch die Bedeutung des Schadensersatzanspruches aus culpa in contrahendo auf den Ersatz der über den Vertrag und seine Rückabwicklung hinausgehenden Schäden, wobei für diesen Anspruch offenbar entsprechend § 852 BGB die dreijährige Verjährungsfrist gilt. b)
Würdigung
aa) Die Verortung des Problems vorvertraglicher in der Rechtsgeschäftslehre
Irreführung
Die Eigenart der Lösung Grigoleits ergibt sich zunächst vor allem aus dem Gedanken einer entsprechenden Anwendung des § 123 I BGB für die fahrlässige vorvertragliche Täuschung, mit dem der Schutz rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit in diesen Fällen grundlegend anders verortet wird. Wie oben dargestellt bezieht sich nach der hier vertretenen Auffassung der Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit durch die culpa in contrahendo nur auf die Vertragsverhandlungen zum Abschluß eines Schuldvertrages. Wenn Grigoleit dagegen für den Schutz dieser Entscheidungsfreiheit vor fahrlässiger vorvertraglicher Irreführung zunächst und auch primär die Vorschrift des § 123 I BGB heranzieht, liegt darin eine Verankerung dieses Schutzes in der Rechtsgeschäftslehre. Dieser Punkt ist von ihm auch ausdrücklich hervorgehoben worden. In Auseinandersetzung mit Lieb, der der Rechtsprechung zur Aufhebung des Vertrages im Wege des Schadensersatzes vorgeworfen hat, sie bewirke ein unzulässiges Ubergreifen der Schadensersatzansprüche auf den Bereich der Willensmängel, stellt Grigoleit klar, daß die Konsequenz einer Korrektur des informationellen Vorsatzdogmas nicht in einer Beschränkung der Schadensersatzfolgen gesehen werden könne, sondern nur in einer Erweiterung des Anfechtungsrechts. Erst die analoge Anwendung der §§ 123 f., 142-144 BGB führe „zur Wiederherstellung der Widerspruchsfreiheit des inneren Systems des Anfechtungs- und Schadensrecht, welche durch die schadensrechtliche Uberwindung des Vorsatzdogmas solange beeinträchtigt ist, wie dieser Schritt nicht anfechtungsrechtlich nachvollzogen wird." 100
98 99 100
Grigoleit, Grigoleit, Grigoleit,
Vorvertragliche I n f o r m a t i o n s h a f t u n g , S. 154 ff. Vorvertragliche I n f o r m a t i o n s h a f t u n g , S. 157 ff. Vorvertragliche I n f o r m a t i o n s h a f t u n g , S. 140.
IV. Siebt der neueren
Literatur
297
Den O r t für den Schutz vor fahrlässiger vorvertraglicher Irreführung in den Anfechtungsregeln und damit der Rechtsgeschäftslehre zu sehen, vermag aber kaum zu überzeugen, da es überhaupt nur um den Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit im Rahmen von Vertragsverhandlungen zum Abschluß von Schuldverträgen geht. Systematisch handelt es sich damit nicht um eine Frage der Rechtsgeschäftslehre, sondern um eine solche des allgemeinen Schuldvertragsrechts. Diese Problematik wird von Grigoleit selbst erkannt, indem er nämlich eine Anfechtung des Erfüllungsgeschäftes bei fahrlässiger Täuschung prinzipiell ausschließen will. 101 Damit wird aber der Anwendungsbereich des § 123 I BGB für fahrlässige Täuschungen entscheidend verkürzt, nämlich auf Willenserklärungen im Rahmen von schuldrechtlichen oder schuldrechtsähnlichen Verträgen. Diese Verkürzung macht deutlich, daß der Sitz des Problems fahrlässiger vorvertraglicher Irreführung gar nicht in der Rechtsgeschäftslehre liegt. Zugleich wird aber auch sichtbar, daß die bloße Entgegensetzung von Anfechtung und Schadensersatz noch keine ausreichende systematische Perspektive für die Analyse vorvertraglichen Schutzes gibt, dazu vielmehr die Einbettung dieses Schutzes in die großen systematischen Zusammenhänge von Rechtsgeschäftslehre, Schuldvertragsrecht und Deliktsrecht gehört.
bb) Zur These vom Vorrang des Anfechtungsrechts gegenüber einer Vertragsaufhebung im Wege des Schadensersatzes Die primäre Verortung der Problematik fahrlässiger vorvertraglicher Irreführung in der Rechtsgeschäftslehre schlägt sich in den Überlegungen Grigoleits auch in der These vom Vorrang des Anfechtungsrechts gegenüber der schadensrechtlichen Vertragsaufhebung nieder. Aus methodischer Sicht ist hier zunächst verwunderlich, wie die Anfechtungsregeln der Rechtsgeschäftslehre Vorrang gegenüber den Vorschriften des Deliktsrechts beanspruchen können. Offenbar konkurrieren hier zwei als allgemein aufgefaßte Teilrechtsordnungen miteinander, nämlich die Rechtsgeschäftslehre als allgemeine Regelung der Willenserklärung und das Deliktsrecht als allgemeine Verhaltensordnung. Die Vorstellung Grigoleits, daß im Hinblick auf die Aufhebung von Verträgen die Anfechtung (die übrigens auch nur die Willenserklärung als das Rechtsgeschäft im engeren Sinne im Auge hat und nicht den Vertrag) als die „sachnähere" Regelung zu begreifen sei,102 ist angesichts des Allgemeinheitsanspruches beider Rechtsgebiete wenig überzeugend. Näher liegt deshalb doch wohl die Annahme einer Konkurrenz beider Rechtsbereiche, die sich auch daraus rechtfertigt, daß beiden Rechtsgebieten unterschiedliche Techniken des Schutzes zugrunde liegen, die Überschneidungen im Einzelfall nicht ausschließen. Dementsprechend ist auch die Konkurrenz der un101 102
Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 140 f. Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 127.
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5 7 Zum Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
terschiedlichen Fristenregelungen durch die §§ 124 und 852 BGB hinzunehmen. 103 Dabei ist auch zu bedenken, daß der Grund der gegenüber der deliktischen Verjährungsfrist kürzeren Anfechtungsfrist keineswegs klar zutage liegt. 104 Immerhin ließe sich die Kürze der Anfechtungsfrist auch mit der unmittelbaren Gestaltungswirkung der Anfechtung selbst erklären. So führt die Anfechtung zur rückwirkenden Vernichtung des angefochtenen Rechtsgeschäftes durch den Getäuschten selbst, die daraus resultierenden Bereicherungsansprüche verjähren hingegen grundsätzlich erst nach dreißig Jahren. Der Schadensersatz läßt sich hingegen insgesamt nur als schuldrechtlicher Anspruch innerhalb von drei Jahren durchsetzen. Problematisch sind auch die dogmatischen Erwägungen Grigoleits zum Verhältnis von Anfechtung und Schadensersatz. Seiner Auffassung nach kann der schadensrechtliche Anspruch auf Aufhebung des Vertrages nach § 242 BGB nicht durchgesetzt werden, da der Getäuschte die einfachere Möglichkeit hat, die Beseitigung des Vertrages durch die einseitige Erklärung der Anfechtung zu erzwingen. Damit wird die prozessuale Perspektive freilich arg verkürzt. Der klageweise geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz wird in aller Regel nicht einfach nur auf Aufhebung des Vertrages gerichtet sein, weil dem bloßen Interesse an der Nichterbringung der eigenen Leistung durch das in § 853 BGB vorausgesetzte Leistungsverweigerungsrecht hinreichend Rechnung getragen ist, sondern darüber hinaus auch auf Rückerstattung der bereits erbrachten Leistungen. Bei Anfechtung des Vertrages müßte die Rückerstattung der Leistungen mit einer Klage aus § 812 I BGB geltend gemacht werden. Wieso diese Klage vorrangig sein sollte, ist nicht recht ersichtlich. In beiden Fällen muß das Gericht die Aufhebung des Vertrages, sei es als Folge einer bereits erfolgten Anfechtung, sei es im Wege schadensersatzrechtlicher Rückabwicklung, prüfen. Die Vorstellung, die Anfechtung sei leichter durchzusetzen, vernachlässigt insoweit, daß die Anfechtung nur zur Vernichtung des Rechtsgeschäfts führt, der Getäuschte damit aber noch nicht
103 So auch die h.M., vgl. bereits die Motive, Bd. I, S. 208, Bd. II, S. 756 f.; sowie ErmanPalm, §123 Rz. 7; M ü K o - K r a m e r , §123 Rz. 30; Staudinger-Dilcher, §123 Rz.47f., §124 Rz. 10. Gleiches muß für den Anspruch aus culpa in contrahendo gelten. Anders insoweit allerdings ein Teil der Literatur, vgl. nur M ü K o - K r a m e r , § 123 Rz. 30 m.w.N. Die in der Nachfolge von Canaris begründete Auffassung Grigoleits, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 154-157, § 852 BGB sei als allgemeine Verjährungsregel für Schadensersatzansprüche wegen rechtswidriger und schuldhafter Verletzung von Pflichten auch für Ansprüche aus culpa in contrahendo heranzuziehen, halte ich im Ansatz für zutreffend. Wenn Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (119), hingegen meint, § 124 BGB auch auf die Vertragsaufhebung aus culpa in contrahendo erstrecken zu müssen, weil die Haftung aus culpa in contrahendo vertragsrechtlichen Vorschriften folge, so wird damit übersehen, daß § 124 BGB gar keine Vorschrift des Vertragsrechts darstellt, so daß unter dem Gesichtspunkt der Verjährung von Ansprüchen aus unerlaubter oder pflichtwidriger Handlung überhaupt nur § 852 BGB als Anknüpfungspunkt allgemeinerer Art in Betracht kommt. 104 Vgl. etwa die Erwägungen zur Rechtsklarheit bei Erman-Palm, § 123 Rz. 8, und auch schon in den Motiven, Bd. I, S. 208 f.
IV. Sicht der neueren
Literatur
299
seine Ansprüche auf Rückerstattung der bereits erbrachten Leistungen durchgesetzt hat. Sinnvoll miteinander vergleichen lassen sich daher nur die Ansprüche auf Rückerstattung der bereits erbrachten Leistungen, nicht die unterschiedliche Durchsetzung der zur Vertragsaufhebung führenden Rechte. Grigoleit meint freilich, ein Recht zur Rückabwicklung erbrachter Leistungen im Wege des Schadensersatzes könne ohne Anfechtung des Vertrages nicht anerkannt werden. 1 0 5 Dabei hat er offenbar das Problem vor Augen, daß der Getäuschte die Leistung zurückverlangt, ohne daß es zu einer Beseitigung des Vertrages kommt. Dieser Schwierigkeit läßt sich aber ausreichend dadurch Rechnung tragen, daß die schadensersatzrechtliche Rückabwicklung erbrachter Leistungen nur bei gleichzeitiger Aufhebung des Vertrages zugelassen wird. Dies läßt sich etwa damit begründen, daß die bloße Rückerstattung einer bereits erbrachten Leistung gar keine ausreichende Form der Schadensersatzleistung darstellt, solange nicht auch der schuldrechtliche Vertrag aufgehoben wird. Im übrigen spricht gegen den Vorrang eines Anfechtungsrechts auch das Problem des Ersatzes der über die Vertragsabwicklung hinausgehenden Schäden. 106 Die Konzeption Grigoleits würde den Getäuschten insoweit zu einem zweispurigen Vorgehen zwingen: Dieser müßte das Rechtsgeschäft anfechten, eine bereits erbrachte Gegenleistung im Wege des Bereicherungsrechts zurückverlangen und einen infolge eines anderweitigen unterlassenen Geschäftes etwaig entgangenen Gewinn als Schadensersatz geltend machen. Man kann schon fragen, ob sich stattdessen nicht eine umfassende Beseitigung der Schäden durch Aufhebung und Rückabwicklung des Vertrages einschließlich des Ersatzes eines entgangenen Gewinns anbietet. Die auch hier deutlich werdende Komplikation, die sich daraus ergibt, daß die Anfechtung nur die Vernichtung des Rechtsgeschäfts betrifft, spricht dagegen, das Anfechtungsrecht als den für den Getäuschten einfacheren Weg der Rechtsdurchsetzung zu halten. Insgesamt ist damit auch die These vom Vorrang des Anfechtungsrechts Ausdruck einer Konzeption, die den Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit in Vertragsverhandlungen systematisch primär als Aufgabe der Rechtsgeschäftslehre begreift.
105
Grigoleit, Vorvertragliche I n f o r m a t i o n s h a f t u n g , S. 129. Kritisch zu der These Grigoleits von der Subsidiarität des Schadensersatzes aus culpa in c o n t r a h e n d o gegenüber der A n f e c h t u n g insoweit auch Paefgen, H a f t u n g f ü r mangelhafte A u f k l ä r u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o , S. 29 f. 106
300
§ 7 7.um Schutz der rechtsgeschäftlichen
2. Die culpa in contrahendo zum Schutz vor unerwünschten a) Darstellung
des theoretischen
Entscheidungsfreiheit
als Rechtsinstitut Verträgen bei Lorenz
Konzepts von Lorenz
In seiner Habilitationsschrift stellt Stephan Lorenz das Institut der culpa in contrahendo in den Zusammenhang einer umfassenden Darstellung der unterschiedlichen rechtlichen Mechanismen zum Schutz vor dem unerwünschten Vertrag. Als unerwünscht versteht er nur solche Verträge, die „wegen Defekten der Willensbildung oder der Willenserklärung für eine Vertragspartei subjektiv oder objektiv ,lästig'" sind. 107 Zentraler Gegenstand seiner Untersuchung ist damit die Abschlußkontrolle von Verträgen, also die rechtliche Kontrolle des Prozesses der Vertragsschließung, im Gegensatz zur Inhaltskontrolle von Verträgen. 108 Die Abschlußkontrolle steht für ihn in engem Zusammenhang mit der Privatautonomie. 109 Zur Privatautonomie gehört danach nicht nur die Achtung der rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung, sondern es müßten gleichzeitig auch die Voraussetzungen geschaffen werden, unter denen die Selbstbestimmung des einzelnen zur Entfaltung gelangen kann. 110 Das setze idealtypischerweise voraus, daß der einzelne seine auf freier Beurteilung beruhende rechtsgeschäftliche Entscheidung auch durchzusetzen vermag. Das Problem des Schutzes der Freiheit der Willensentschließung bestehe damit unabhängig vom Inhalt der eingegangenen Verpflichtung und setze bereits im Vorfeld einer Inhaltskontrolle bei der Abschlußkontrolle an. Lorenz meint sogar, es bestehe ein Primat der Abschlußkontrolle gegenüber der Inhaltskontrolle. 111 Denn je sensibler die Rechtsordnung gegenüber Störungen im Prozeß der Vertragsanbahnung sei, desto mehr könne sie auch im Fall der rechtlich nicht zu beanstandenden Vertragsanbahnung den Grundsatz der Vertragstreue und damit die Selbstverantwortung betonen. Die Problematik des Schutzes vor unerwünschten Verträgen entwickelt Lorenz aus dem Spannungsverhältnis zum Prinzip der Vertragsbindung oder Vertragstreue. 112 Insoweit geht er davon aus, daß zur Privatautonomie auch der Grundsatz „pacta sunt servanda" gehört. Dieser Grundsatz beinhalte, daß die einseitige Loslösung vom unerwünschten Vertrag der Rechtfertigung bedarf. Wenn der Gesetzgeber unter bestimmten Umständen das Zustandekommen eines Vertrages bejaht habe, dann sei vom Grundsatz der Vertragstreue auszugehen; ein Eingriff in die Bindungswirkung des Vertrages dürfe unter Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 2. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 3 f. 109 Vgl. die ausführliche Darstellung zur Privatautonomie von Lorenz, dem unerwünschten Vertrag, S. 15 ff. 110 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 88. 111 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 513. 112 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 28 ff. 107
108
Der Schutz vor
IV. Sicht der neueren
Literatur
301
diesen Voraussetzungen nur punktueller Art sein. Ein im Zuge des Verbraucherschutzes gefordertes allgemeines Widerrufsrecht sei vor diesem Hintergrund mit der Rechtsordnung nicht vereinbar. 113 Im Hinblick auf die unterschiedlichen Mechanismen des Schutzes vor unerwünschten Verträgen stellt Lorenz zunächst klar, daß der durch das Zivilrecht gewährte Schutz nicht allein durch ein Recht zur Vertragslösung erfolge, sondern bereits im Vorfeld einsetze, indem der Vertragsschluß bei unerwünschten Vertragsbedingungen verhindert werde. 114 Eine Abschlußkontrolle könne daher präventiv auch durch Verhinderung des Vertragsschlusses erfolgen und repressiv nicht nur durch ein Recht zur Vernichtbarkeit des Vertrages, sondern auch durch Anordnung der Nichtigkeit. Angesichts des „vielfach nur technischen Unterschieds zwischen Verhinderung des Vertragsschlusses oder Vertragslösungsrecht" 115 setze die Frage der Bindungswirkung von Verträgen bereits im Vorfeld der Rechtsgeschäftslehre ein, nicht erst mit dem Abschluß eines Vertrages. Das rechtliche Instrumentarium zum Schutz vor unerwünschten Verträgen analysiert Lorenz anhand der Unterscheidung zwischen einem typisierten und einem individualisierten Schutz der Entscheidungsfreiheit. 116 Als typisiert versteht er dabei einen solchen Schutz, bei dem es im Tatbestand nicht auf eine konkrete Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit ankommt. 1 1 7 Der ursprüngliche Gesetzgeber des B G B sei mit einem solchen typisierten Schutz der Entscheidungsfreiheit zurückhaltend gewesen. 118 Mit den gesetzlichen Regelungen über die Geschäftsfähigkeit sowie den zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führenden Formvorschriften sei der Grundsatz der Vertragstreue nicht in Frage gestellt. Allerdings werde auf diese Weise auch kein umfassender Schutz vor dem unerwünschten Vertrag erreicht, was im Wege der Typisierung für eine auf dem Grundsatz der Privatautonomie aufbauenden Privatrechtsordnung auch nicht möglich sei. Zu einer Ausweitung des typisierten Schutzes habe vor allem die moderne Gesetzgebung geführt. Insoweit unterzieht Lorenz insbesondere Haustürwiderrufsgesetz und Verbraucherkreditgesetz unter dem Gesichtspunkt der Folgen der Typisierung des Schutzes einer eingehenden Analyse. 1 1 9 Dabei gelangt er für das Haustürwiderrufsgesetz, das anders als das Verbraucherkreditgesetz nicht an bestimmte Vertragstypen, sondern an die Vertragsschlußsituation anknüpfe, zu dem Ergebnis, daß die Typisierung des Schutzes hier zu einem Übermaß und zu einem Untermaß an Schutz führt. 1 2 0 Der größte 113 114 115 116 117 118 119 120
Lorenz, Lorenz, Lorenz, Lorenz, Lorenz, Lorenz, Lorenz, Lorenz,
Der Der Der Der Der Der Der Der
Schutz Schutz Schutz Schutz Schutz Schutz Schutz Schutz
vor dem unerwünschten vor dem unerwünschten vor dem unerwünschten vor dem unerwünschten vor dem unerwünschten vor dem unerwünschten vor dem unerwünschten vor dem unerwünschten
Vertrag, Vertrag, Vertrag, Vertrag, Vertrag, Vertrag, Vertrag, Vertrag,
S. 41 f., 512. S. 44 ff. S. 42. S. 88 ff., 213 ff. S. 513. S. 211. S. 122 ff. S. 166 ff.
302
5 7 7.um Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
rechtstatsächliche Nachteil liege aber darin, daß die dadurch erfolgte großzügige Gewährung von Widerrufsrechten die Entwicklung eines individualisierten Schutzes der Entscheidungsfreiheit durch das Institut der culpa in contrahendo zurückgedrängt und verhindert habe. 121 Kritischer noch wird das Verbraucherkreditgesetz beurteilt. Folge der Typisierung sei hier ebenfalls nicht nur ein Ubermaß und ein Untermaß an Schutz, sondern der Schutz sei überhaupt ineffizient, weil die Widerrufsrechte die ihnen zugedachte Funktion nicht oder nur begrenzt erfüllen. 122 So mache sich die Überbelastung mit Schulden zumeist erst nach Ablauf der Widerrufsfrist bemerkbar. Die mit dem Verbraucherkreditgesetz vorgenommene Typisierung des Schutzes der Entscheidungsfreiheit nach dem Vertragsgegenstand stehe damit in einem Trend auf dem Weg zu einem allgemeinen Widerrufsrecht für jedweden Verbrauchervertrag. 123 Neben dem typisierten Schutz der Entscheidungsfreiheit kennt das BGB verschiedene Formen eines individualisierten Schutzes. Als Hauptinstrumente dieses Schutzes sieht Lorenz einerseits das Recht der Willensmängel an, zum anderen das Institut der culpa in contrahendo. Störungen im Prozeß der Willensbildung werden im Recht der Willensmängel vor allem durch das Anfechtungsrecht nach § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung und rechtswidriger Drohung erfaßt. Hingegen stelle insbesondere § 138 BGB keinen geeigneten Ansatzpunkt für eine inhaltsunabhängige Abschlußkontrolle von Verträgen dar, da die bloße Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit keine Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäftes zu begründen vermöge, dazu vielmehr immer noch Umstände hinzutreten müßten, die den Inhalt des Vertrages betreffen. 124 Den durch das Institut der culpa in contrahendo gewährten Schutz der Entscheidungsfreiheit entwickelt Lorenz in Fortführung der Bipolarität der tatbestandlichen Regelung des § 123 I BGB, nämlich einerseits unter dem Gesichtspunkt der Information, zum anderen unter dem der Freiheit als solcher. 125 Die Haftung aus culpa in contrahendo unterteilt sich insoweit in einen Schutz vor Täuschung und in einen Schutz vor Überrumpelung als einer Form direkter Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit. Die culpa in contrahendo habe sich damit aufgrund ihrer Fähigkeit, die freie Willensentschließung als Schutzobjekt zu erfassen, zu einem „Komplementärinstitut zum Recht der Willensmängel" entwickelt. 126 Für den durch die culpa in contrahendo gewährten Schutz vor Täuschungen betont Lorenz zunächst die Bedeutung der Unterscheidung von aktivem
121 122 123 124 125 126
Lorenz, Der Lorenz, Der Vgl. Lorenz, Lorenz, Der Lorenz, Der Lorenz, Der
Schutz vor dem u n e r w ü n s c h t e n Vertrag, S. 171. Schutz vor dem u n e r w ü n s c h t e n Vertrag, S. 200 ff. Der Schutz vor dem u n e r w ü n s c h t e n Vertrag, S. 192, 200. Schutz vor dem u n e r w ü n s c h t e n Vertrag, S. 258. Schutz vor dem u n e r w ü n s c h t e n Vertrag, S. 391, 518. Schutz vor dem u n e r w ü n s c h t e n Vertrag, S. 391.
IV. Sicht der neueren
Literatur
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Tun und Unterlassen. 1 2 7 Die Irreführung durch positives Tun sei von engen Ausnahmefällen abgesehen immer rechtswidrig und damit auch pflichtwidrig, so daß es auf die Begründung von Aufklärungspflichten nur in den Fällen des Unterlassens ankommt. Insoweit stellt er der bei aktiver Täuschung verletzten Wahrheitspflicht eine bei Täuschung durch Unterlassen verletzte Aufklärungspflicht gegenüber. Damit macht Lorenz vor allem deutlich, daß die Frage nach dem vorvertraglichen Pflichtenmaßstab nicht zu verwechseln ist mit dem Problem der Begründung von Aufklärungspflichten, es sich dabei vielmehr um zweierlei handelt. 128 Für die Aufklärungspflichten selbst analysiert er verschiedene Fallgruppen der Täuschung durch Unterlassen mit dem Ergebnis, daß maßgeblicher Gesichtspunkt für das Bestehen einer solchen Pflicht der Informationsbedarf eines Verhandlungspartners sei. Dabei umfaßt der Begriff des Informationsbedarfes nicht nur den Gesichtspunkt der U n kenntnis, sondern vor allem auch den der Unzumutbarkeit der Selbstinformation. 129 Subjektive Momente auf Seiten des Aufklärungspflichtigen seien hingegen nur für die Frage des Verschuldens von Bedeutung. Anders als der in Rechtsprechung und Literatur ausgiebig erörterte Schutz durch die culpa in contrahendo vor fahrlässiger Täuschung ist der Schutz vor Überrumpelung nach Auffassung von Lorenz bisher weitgehend vernachlässigt worden. Hierbei geht es um den Schutz der Entscheidungsfreiheit im Rahmen der culpa in contrahendo vor direkten Einflußnahmen auf die Willensbildung unterhalb der rechtswidrigen Drohung. 1 3 0 Im Hinblick auf diese Situation der Ausübung von Druck zum Vertragsschluß spricht Lorenz von „Überrumpelung". Die Problematik des Überrumpelungsschutzes liege zunächst darin, daß eine Tendenz besteht, diesen durch das Haustürwiderrufsgesetz als abschließend geregelt anzusehen und die culpa in contrahendo dementsprechend auf die Verletzung von Wahrheits- und Aufklärungspflichten zu beschränken. Es gebe aber - wie insbesondere auch die Problematik der Bürgschaften naher Angehöriger zeigt - einen weiten Bereich von Fällen, der mit der Inhaltskontrolle durch § 138 BGB nicht zutreffend erfaßt sei, weil es hier allein um Einwirkungen auf die Willensfreiheit unterhalb der Schwelle rechtswidriger Drohungen geht. Für diesen Bereich sei die culpa in contrahendo das geeignete Instrument, derartigen Strategien der Vertragsanbahnung entgegenzuwirken. 1 3 1 Dabei liege das Hauptproblem des durch die culpa in contrahendo gewährten Überrumpelungsschutzes darin, die Grenzen zwischen erlaubter und unerlaubter Einflußnahme auf die Entscheidungsfreiheit des Verhandlungspartners zu ziehen. Anders als die Täuschung, die grundsätzlich als rechtswidrig qualifiziert werden könne, sei dies bei Zwangs127
Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 409 ff. Vgl. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 410. 129 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 424, vgl. auch den Gesetzesvorschlag S. 437. 130 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 445. 131 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 449. 128
304
5 7 T.um Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
einwirkungen auf die Freiheit der Willensentschließung nicht der Fall, so daß es sich hier gewissermaßen um einen offenen, anhand des Einzelfalles ausfüllungsbedürftigen Tatbestand handelt. 1 3 2 D e m liegt die Uberzeugung zugrunde, daß die Beeinflussung des Willens anderer als Ausdruck der Privatautonomie für sich genommen noch nicht als pflichtwidrig qualifiziert werden kann, da in einer marktwirtschaftlich geprägten O r d n u n g „ D r u c k und Gegend r u c k " aus dem Vertragsanbahnungsprozeß nicht wegzudenken seien. 1 3 3 Es könne deshalb nur darum gehen, zulässige F o r m e n der Beeinflussung des anderen Vertragsteils von unzulässigen zu unterscheiden. Im Bereich des allgemeinen Zivilrechts sind nach Ansicht von L o r e n z für diese Abgrenzung bisher keine Kriterien entwickelt worden. Anhaltspunkte sollen dafür aber die Wertungen geben, die für die im Rahmen von § 1 U W G entwickelte Fallgruppe des Kundenfangs herausgearbeitet worden sind. 1 3 4 Als maßgeblichen G e sichtspunkt der Grenzziehung sieht er letztlich die Frage der Zumutbarkeit einer eigenverantwortlichen A b w e h r der Beeinflussung an. 1 3 5 D e m entsprach für die Problematik der Aufklärungspflichten das Kriterium der Zumutbarkeit der Selbstinformation. Das Kriterium der Zumutbarkeit einer eigenverantwortlichen A b w e h r der Beeinflussung führt dazu, daß es für die Bestimmung der entsprechenden Pflichten des Uberrumpelnden auf den Einzelfall ankommt, bei dem auch die besonderen Fähigkeiten des Verhandlungspartners zu berücksichtigen sind und im Ergebnis geschäftlich und intellektuell Unterlegene im Regelfall in höherem Maße geschützt werden sollen. 1 3 6
b)
Würdigung
aa) Zur Zweistufigkeit der Abschlußkontrolle
von Verträgen
D i e Darstellung von L o r e n z bestätigt zunächst einmal die hier erfolgte systematische Qualifizierung der culpa in contrahendo als im Schuldrecht verankertes Instrument des Schutzes der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit in Vertragsverhandlungen. Bereits sein Untersuchungsgegenstand „ D e r Schutz vor dem unerwünschten Vertrag" bezieht sich genaugenommen nur auf den unerwünschten Schuldvertrag, 1 3 7 wie ja überhaupt das Problem der Privatautonomie in allererster Linie ein solches des Schuldvertrages ist und weniger das des dinglichen Vertrages.
Vgl. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 452 f. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 487 f. 134 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 488 ff. 135 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 502. 136 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 502. 137 Vgl. auch die Klarstellung von Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 2: „Die vorliegende Arbeit stellt es sich zur Aufgabe, den Schutz vor dem .unerwünschten' Schuld vertrag zu untersuchen." 132 133
IV. Sicht der neueren
Literatur
305
Von diesem Punkt aus erscheint auch das von ihm aufgeworfene Thema der Abschlußkontrolle in einem etwas anderen Licht. Lorenz diskutiert den Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit vor allem unter dem Gesichtspunkt einer Entgegensetzung von typisiertem und individualisiertem Schutz. Systematisch genauso bedeutsam erscheint allerdings die von ihm etwas vernachlässigte Unterscheidung von allgemeinem und besonderem Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit, in der sich auch die Unterscheidung von Rechtsgeschäftslehre und Schuldvertragsrecht widerspiegelt. Anders als der durch die culpa in contrahendo gewährte Schutz der Entscheidungsfreiheit geht der durch die Rechtsgeschäftslehre gewährte Schutz der Entscheidungsfreiheit doch unter verschiedenen Gesichtspunkten über den Schuldvertrag hinaus. Das liegt zunächst einmal darin begründet, daß der zentrale Begriff dieses Rechtsbereiches, nämlich der des Rechtsgeschäfts, doppeldeutig konzipiert ist: Er meint je nach Zusammenhang die Willenserklärung als Rechtsgeschäft i.e.S, aber auch den A k t s t y p des Rechtsgeschäfts und damit etwa den Vertrag als Rechtsgeschäft i.w.S. 1 3 8 Damit betrifft die Rechtsgeschäftslehre nicht nur ganz allgemein den Vertrag, sondern auch den Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit bei der A b gabe von einseitigen Willenserklärungen. So gilt die ganze Rechtsgeschäftslehre auch für dingliche Verträge oder für einseitige Erklärungen wie das eigenhändige Testament. Dementsprechend kann auch eine Willenserklärung im Rahmen eines dinglichen Vertrages wegen arglistiger Täuschung angefochten werden oder auch eine letztwillige Verfügung. Demgegenüber gewährleistet das Institut der culpa in contrahendo einen besonderen Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit nur im Rahmen von Vertragsverhandlungen, dies aber unterhalb der Schwelle der Rechtsgeschäftslehre, w e n n man diese Schwelle einmal vor allem in § 123 I BGB verortet. Die Abschlußkontrolle ist damit gewissermaßen zweistufig konzipiert, nämlich als allgemeine Kontrolle durch die Rechtsgeschäftslehre und als besondere Kontrolle im Rahmen der culpa in contrahendo (wenn man einmal davon absieht, daß man auch den Schutz durch Verbrauchergesetze wie etwa das Haustürwiderrufsgesetz hierzu zählen könnte). In dieser zweistufigen Konzeption unterscheidet sich die Abschlußkontrolle auch durchaus von der Inhaltskontrolle, die im wesentlichen mit § 138 BGB in der Rechtsgeschäftslehre oder mit § 9 A G B - G e s e t z doch jedenfalls in einer allgemeinen Vertragslehre verankert ist. Damit korrespondiert der Inhaltskontrolle als allgemein konzipiertes Instrument der Kontrolle von Rechtsgeschäften gewissermaßen die allgemeine Abschlußkontrolle. Dieses Verhältnis macht die systematische Sonderstellung der culpa in contrahendo als einer besonderen Abschlußkontrolle für Vertragsverhandlungen nur u m so deutlicher. 138 Zu dieser unterschiedlichen B e d e u t u n g des Begriffs Rechtsgeschäft vgl. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II, § 2; Scbapp, G r u n d l a g e n des bürgerlichen Rechts, Rz. 301.
306
5 7 Zum Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
D e r v o n L o r e n z aufgeworfene G e d a n k e , bei der culpa in c o n t r a h e n d o handele es sich u m ein „ K o m p l e m e n t ä r i n s t i t u t z u m R e c h t der W i l l e n s m ä n g e l " 1 3 9 , ist v o r diesem H i n t e r g r u n d auch durchaus mißverständlich. D i e s e r G e d a n k e ist zutreffend, soweit damit die E r g ä n z u n g s f u n k t i o n der culpa in c o n t r a h e n do für den S c h u t z rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit in Vertragsverhandlungen z u m A u s d r u c k gebracht wird. D a g e g e n macht er nicht m e h r deutlich, daß die culpa in c o n t r a h e n d o nicht dieselbe R e i c h w e i t e hat wie das R e c h t der Willenserklärung, da die culpa in c o n t r a h e n d o einen ergänzenden S c h u t z der E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t n u r für einen Teilausschnitt des v o n der R e c h t s g e s c h ä f t s l e h r e erfaßten B e r e i c h e s gibt.
bb) Zur Problematik der Unterscheidung von und Schadensersatz anhand der Kausalität (1) Die Unterscheidung zwischen dolus causam und dolus causam incidens
Täuschungsanfechtung dans
E i n e r genaueren B e t r a c h t u n g bedürfen v o r diesem H i n t e r g r u n d auch die T h e s e n v o n L o r e n z z u m K o n k u r r e n z v e r h ä l t n i s v o n § 123 B G B zur culpa in c o n t r a h e n d o . E r geht davon aus, daß der S c h u t z b e r e i c h der culpa in c o n t r a h e n d o allumfassend sei und daher nicht n u r das V e r m ö g e n als solches, s o n dern jedes rechtlich anerkannte Interesse des Verhandelnden und damit auch die rechtsgeschäftliche E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t geschützt ist. 1 4 0 D a m i t lassen sich T ä u s c h u n g s a n f e c h t u n g und Schadensersatz aus culpa in c o n t r a h e n d o nicht auf unterschiedliche S c h u t z z w e c k e beziehen. L o r e n z meint daher, der zentrale U n t e r s c h i e d z w i s c h e n beiden Instituten liege in den unterschiedlichen Kausalitätsanforderungen. 1 4 1 F ü r die T ä u s c h u n g s a n f e c h t u n g genüge j e d w e d e r E i n f l u ß auf die Willensbildung, daß also die Willenserklärung des G e t ä u s c h t e n o h n e die T ä u s c h u n g nicht, nicht so o d e r nicht zu dieser Zeit abgegeben w o r d e n wäre (sog. dolus causam incidens). F ü r den Schadensersatz infolge der Verletzung einer vorvertraglichen Sorgfaltspflicht sei hingegen zu unterscheiden: A u f h e b u n g des Vertrages k ö n n e auf diesem Weg nur verlangt werden, w e n n der Vertrag o h n e die T ä u s c h u n g nicht geschlossen w o r d e n wäre (sog. dolus causam dans), wäre der Vertrag hingegen d e n n o c h , aber zu anderen B e d i n g u n g e n geschlossen w o r d e n , k o m m e eine L ö s u n g v o m Vertrag im Wege des Schadensersatzes nicht in B e t r a c h t . D i e s e U n t e r s c h e i d u n g b e r u he auf d e m sich aus § 2 4 9 S. 1 B G B ergebenden P r i n z i p der Naturalrestitution, w o n a c h eben nicht einfach der status q u o ante herzustellen sei, sondern der Zustand, der n u n m e h r bestehen w ü r d e , w e n n das schädigende Ereignis Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 391. Vgl. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 69 ff., 388 ff.; ders., ZIP 1998, 1053 (1056). 141 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 75 ff.; ders., ZIP 1998, 1053 (1056 f.); vgl. auch dem., N J W 1999, 1001 f. 139
140
IV. Sicht der neueren
Literatur
307
nicht eingetreten wäre. 142 Anders als bei dem Anfechtungsrecht handele es sich bei dem Schadensersatzanspruch damit nicht um ein freies Recht zur Wahl der Vertragsauflösung, sondern um ein vollständig individualisiertes Schutzinstrument, das angesichts der im Verhältnis zu § 123 BGB wesentlich verfeinerten Kausalitätsanforderungen nicht zwingend zur Vertragsauflösung führe, sondern auch zur Aufrechterhaltung des Vertrages unter Kompensation des tatsächlichen Schadens führen könne. 143 Daraus ergebe sich, daß die haftungsrechtliche Aufhebung des Vertrages ein aliud zur Täuschungsanfechtung darstelle. (2) Die Notwendigkeit einer normativen Bestimmung des Schadensersatzes angesichts der Eigenart rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit Es sind allerdings doch Zweifel angebracht, ob dem Kausalitätskriterium die von Lorenz beigemessene Bedeutung zukommt. Zunächst einmal erscheint fraglich, ob nicht auch dann, wenn der Getäuschte ohne die Pflichtverletzung einen für ihn günstigeren Vertrag geschlossen hätte, dies nicht dennoch auch die Möglichkeit der Lösung vom Vertrag beinhaltet. Immerhin bedeutet das, daß dieser Vertrag durch den Getäuschten nicht geschlossen worden wäre, sondern vielmehr ein anderer Vertrag zu günstigeren Bedingungen. Als Schadensersatz in Form der Naturalrestitution kann man sich insoweit auch vorstellen, daß der Getäuschte das Recht hat, sich von dem geschlossenen Vertrag zu lösen und ihm darüber hinaus ein Anspruch gegen den Täuschenden auf Abschluß des ohne die Täuschung geschlossenen günstigeren Vertrages zusteht. Nach den Überlegungen von Lorenz soll der Getäuschte in diesem Fall demgegenüber wohl nur einen Anspruch gegen den Täuschenden auf Anpassung des bestehenden Vertrages haben. Der Unterschied der beiden Konstruktionen liegt damit vor allem darin, ob der Anspruch auf den günstigeren Vertrag unter oder ohne Einräumung eines Rechts zur Lösung vom alten Vertrag eingeräumt wird. 144 Diese Frage ist allein durch das Prinzip der Naturalrestitution nicht zureichend beantwortet, dazu bedarf es vielmehr normativer Kriterien. 145 Im Hintergrund steht dabei die Frage, ob
142
Lorenz, D e r Schutz v o r d e m u n e r w ü n s c h t e n Vertrag, S. 79. Lorenz, Z I P 1998, 1053 (1056). 144 I m übrigen besteht bei einem Schadensersatzanspruch auf A b s c h l u ß eines neuen Vertrages ein rechtlicher u n d nicht n u r praktischer Vorrang des Auflösungsrechts, sofern man den G e t ä u s c h t e n hinsichtlich der Tatsache des günstigeren Vertragsschlusses f ü r beweispflichtig hält, so w o h l auch Lorenz, N J W 1999, 1001 (1002). 145 Die N o t w e n d i g k e i t einer normativen B e s t i m m u n g der N a t u r a l r e s t i t u t i o n f ü r die H a f tung aus culpa in c o n t r a h e n d o betont, w e n n auch mit d u r c h a u s anderer Zielrichtung Canaris, Z G R 1982, 395 (417). In ähnlichem Sinne sind w o h l etwa auch die teilweise ganz unterschiedlichen Ü b e r l e g u n g e n v o n Grigoleit, Vorvertragliche I n f o r m a t i o n s h a f t u n g , S. 84 ff. („schadensrechtliche A u t o m a t i k des B G H " ) , Lieb, Festschrift Rechtswissenschaftliche Fakultät Köln, 143
308
5 7 7.um Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
der Getäuschte bei der Abwicklung des Schadensersatzes an seiner rechtsgeschäftlichen Entscheidung festgehalten werden kann und muß oder ob nicht vielmehr zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit das Recht gehört, sich im Fall der Beeinträchtigung dieser Freiheit vom Vertrag wieder lösen zu können. 146 Insoweit mag ja vielleicht auch eine Rolle spielen, daß die zwingende Anpassung eines Vertrages mit jemandem, von dem man getäuscht worden ist, auch dann, wenn die Bedingungen nun günstigere sind, manchem vielleicht doch als nur sehr eingeschränkte Form des Schadensersatzes erscheinen wird. 1 4 7 Ansätze einer normativen Betrachtung des Schadensersatzes in diesem Sinne lassen sich durchaus der Rechtsprechung entnehmen, die insoweit in die Betrachtung mit einbezogen werden soll. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gibt dem Getäuschten bekanntlich ein Wahlrecht. 148 Sie geht zunächst zugunsten des Getäuschten von der Vermutung aus, daß der geschlossene Vertrag ohne die Irreführung nicht zustandegekommen wäre, und gibt ihm daran anknüpfend das Recht, einerseits Schadensersatz in Form der Aufhebung und Rückabwicklung des Vertrages zu verlangen oder aber Anpassung des Vertrages unter Ersatz des zuviel Aufgewendeten. Insoweit wird dem Getäuschten der Nachweis erspart, wie er sich tatsächlich bei ordnungsgemäßer Aufklärung verhalten hätte. 149 Damit kommt es insbesondere nicht auf den Nachweis an, ob ein Vertrag mit günstigerem Inhalt zustandegekommen wäre, ja, ein etwaiger Gegenbeweis soll sogar bedeutungslos sein. 150 Diese Rechtsprechung ist in der Literatur vor allem im Hinblick auf das Recht zur Vertragsanpassung kritisiert worden. Insoweit wird vor allem - mit unterschiedlichen Argumenten - bemängelt, daß sie die Unterscheidung von positivem und negativem Interesse unterlaufe. 151 Eine vorvertragliche Pflicht251 ff., sowie Stall, Festschrift für Riesenfeld, 275 ff., ders., Festschrift für Deutsch, 361 ff., zu verstehen. 146 In diese Richtung scheinen mir auch die Überlegungen von Grigoleit, NJW 1999, 900 (902), zu gehen: „So wie keine Partei zum Abschluß eines auch noch so günstigen Vertrages gezwungen wird, kann bei einer Störung der Willensbildung deren ,Nachholung' auch schadensrechtlich nur der freien Entscheidung der gestörten Seite überlassen bleiben." 147 Wenn Stoll, Festschrift für Deutsch, 361 (365), demgegenüber meint, daß den berechtigten Vertragserwartungen der irregeführten Partei in erster Linie durch eine Vertragsanpassung Rechnung zu tragen sei, so kommt dabei nicht mehr in den Blick, daß eine Partei nicht nur Erwartungen über den Vertrag hat, sondern auch über den Vertragspartner. 148 Vgl. etwa BGHZ 69, 53 (57 f.); BGH NJW 1980, 2408 (2409 f.); BGH NJW 1994, 663 (664); BGH ZIP 1999, 574 (577). Für weitere Nachweise siehe Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 183 Fn. 4. 149 Vgl. Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, § 4 V 2. 150 So jedenfalls noch BGHZ 69, 53 (58); BGH NJW 1981, 2050 (2051); BGHZ 114, 87 (94); BGH NJW 1994, 663 (664); anders aber wohl BGH NJW 1998, 2900 (2901); vgl. dazu Lorenz, NJW 1999, 1001 f. 151 Vgl. etwa Basedow, NJW 1982, 1030 (1030); Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 79; Messer, Festschrift für Steindorff, 743 (749 ff.); Tiedtke, JZ 1989, 569 ff.; ders., Festgabe für Felix, 473 (493 ff.); ders., JZ 1990, 1077 ff.; ders., WM 1993, 1228 (1229 ff.);
IV. Sicht der neueren
Literatur
309
Verletzung durch Täuschung könne nur zum Ersatz des negativen Interesses führen, ein Ersatz des positiven Interesses lasse sich so nicht begründen. Von einem Ersatz des negativen Interesses könne aber nur dann die Rede sein, wenn der Getäuschte nachweist, daß er bei pflichtgemäßem Verhalten des Vertragspartners mit diesem oder einem Dritten einen Vertrag günstigeren Inhalts geschlossen hätte. Das Recht zur Vertragsanpassung könne - entgegen einem Teil der Literatur - auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung des § 472 BGB hergeleitet werden, da das Minderungsrecht der Erhaltung des Vorteils der vertraglichen Vereinbarung diene und damit Ausdruck eines Ersatzes des positiven Interesses ist. 152 Trotz dieser dogmatischen Bedenken läßt sich die Schadensersatzrechtsprechung des Bundesgerichtshofs einerseits durchaus rechtfertigen, zugleich wird dabei aber auch die Problematik deutlich, die doch viel grundlegender ist als bisher zumeist angenommen wird. Ein zentrales Argument der Rechtsprechung für das Recht zur Vertragsanpassung schien ursprünglich in der grundlegenden Entscheidung aus dem Jahre 1977 zu sein, daß insbesondere beim Kauf eines Unternehmens die Rückabwicklung problematisch, wenn nicht sogar unmöglich ist. 153 In einer Entscheidung aus dem Jahre 1980 stellte der Bundesgerichtshof dann aber klar, daß die Geltendmachung des Schadensersatzes trotz Festhaltens am Vertrag nicht davon abhängt, ob die Rückabwicklung unmöglich ist. 154 Dieser Gesichtspunkt sei vielmehr nur beispielhaft als mögliches Motiv des Getäuschten gemeint, den Vertrag aufrechtzuerhalten. Grundsätzlich stehe ihm insoweit aber die freie Entschließung zu, so etwa - was in der Tat auch schon in der Entscheidung aus dem Jahre 1977 anklingt - aus wirtschaftlichen Gründen. Die Schadensersatzabwicklung im Wege der Vertragsanpassung wird damit in einer Weise begründet, die weder in den Überlegungen von Lorenz noch in der sonstigen Literatur ausreichend gewürdigt wird. Für diese Form des Schadensersatzes kommt es danach nicht zwangsläufig darauf an, wie sich der Getäuschte bei pflichtgemäßer Informa-
ders., DNotZ 1998, 355 (358 ff.). Für einen Ersatz des Erfüllungsinteresses im Rahmen der culpa in contrahendo ausdrücklich Stoll, Festschrift für Riesenfeld, 275 ff., unter dem Gesichtspunkt der Enttäuschung berechtigter Leistungserwartungen (so S. 288). Zur Problematik der Rede von negativem und positivem Interesse in diesem Zusammenhang vgl. auch Lieb, Festschrift Rechtswissenschaftliche Fakultät Köln, 251 (256); Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 189 ff. 152 So insbesondere Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 194 ff. m.w.N. in Fn. 195. Für eine entsprechende Anwendung des § 472 aber etwa M ü K o - E m m e r i c h , Vor § 275 Rz. 204; Soergel-Wiedemann, Vor § 275 Rz. 197; Canaris, AcP 200 (2000), 273 (315 ff. m.w.N. in Fn. 154); ähnlich Stoll, Festschrift für Riesenfeld, 275 (285). 153 Vgl. BGHZ 69, 53 (57). Nur am Rande sei darauf hingewiesen, daß dies kein ausreichendes Argument für den Ausschluß einer Rückabwicklung sein kann, wie sich schon aus den §§251 I und 818 II BGB ergibt. Vgl. insoweit auch Canaris, AcP 200 (2000), 273 (315 f.), mit der Auffassung, es gehe hier um den Übergang von der Naturalrestitution zur Geldleistung und damit um die Regelung der §§ 249 S. 2, 250, 251 II BGB. 154 BGH WM 1980, 1006(1007).
310
5 7 Zum Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
tion verhalten hätte, sondern vielmehr darauf, wie er sich jetzt verhält, ob er nämlich an dem Vertrag festhalten will oder nicht. Die Frage, worin der Schaden liegt, wird insoweit vom Verhalten des Geschädigten abhängig gemacht. Dieser Ansatz läßt sich in schadensrechtsdogmatischer Perspektive auch durchaus rechtfertigen, wenn man berücksichtigt, daß im Rahmen der Zurechnung Willensentschlüsse des Verletzten eine Haftung des Schädigers nicht ohne weiteres ausschließen. 155 So wird in einer weithin anerkannten Rechtsprechung dem Schädiger der Schaden insbesondere dann zugerechnet, wenn die Handlung des Verletzten durch das haftungsbegründende Ereignis „herausgefordert" worden ist und eine nicht ungewöhnliche Reaktion auf dieses darstellt. 156 Wenn man unter diesem Gesichtspunkt einmal das Verhalten des zum Vertragsschluß Getäuschten betrachtet, stellt seine Entscheidung, am Vertrag festhalten zu wollen, sich häufig nicht nur als wirtschaftlich vernünftig dar. Man kann darüber hinaus auch der Auffassung sein, daß sie angesichts der Täuschung dem Schädiger bei normativer Betrachtung auch zuzurechnen ist, wenn man bedenkt, daß schon das Faktum des Vertragsschlusses und des darauf beruhenden Leistungsaustausches zu einer Eingliederung der Leistung in das Vermögen des Getäuschten führt, deren Rückgängigmachung zwar nicht unmöglich oder unzumutbar sein mag, diesen aber zu einer neuerlichen Disposition über sein Vermögen zwingt. 157 Das Recht zum Schadensersatz im Wege der Vertragsanpassung beruht insoweit auf einer dem Täuschenden noch zurechenbaren Reaktion des Getäuschten auf die Beeinträchtigung seiner rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit. Man kann diesen Ansatz so deuten, daß die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des Getäuschten für die Schadensabwicklung insoweit wiederhergestellt wird, als daß er zwischen dem Festhalten am Vertrag und der Abwicklung des Vertrages wählen kann. Diese Perspektive ergibt einen guten Sinn, wenn man einmal bedenkt, daß der erste Schaden des Getäuschten in der Einbuße seiner rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit liegt, 158 und Vgl. nur Palandt-Heinriebs, Vorbem v § 249 R z . 77 ff. B G H Z 57, 25 (28); 63, 189 (192); B G H N J W 1990, 2885 (2885). Z u s t i m m u n g dazu bei Brox, Allgemeines Schuldrecht, R z . 332; Larenz, Schuldrecht I, § 27 III b 5 (S. 452, 455); Erman-Kuckuk, Vor § 249 Rz. 63 f.; MüY^o-Grunsky, Vor § 249 R z . 62; Palandt-Heinrichs, Vorb e m v § 249 R z . 77 ff. Bedenken im H i n b l i c k auf die dogmatische Verortung des Kriteriums der „ H e r a u s f o r d e r u n g " vor allem bei Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, § 33 II 2 a u. b. 157 Vgl. Tiedtke, W M 1993, 1228 (1230): „Dieser (sc. der Geschädigte) soll nicht g e z w u n gen werden, die gekaufte Sache, die er in sein Vermögen eingegliedert hat, aus seinem V e r m ö gen w i e d e r a u s z u s o n d e r n . " A h n l i c h offenbar Messer, Festschrift f ü r Steindorff, 743 (752 ff.), der deshalb für den U n t e r n e h m e n s k a u f dem E r w e r b e r das Recht zuspricht, beim Vertrag steh e n z u b l e i b e n u n d seinen Vermögensschaden in H ö h e des Vertrauensschadens zu liquidieren, w ä h r e n d f ü r den E r w e r b e r sonstiger Gegenstände nur ein A n s p r u c h auf A u f h e b u n g des Vertrages in Betracht k o m m e n soll. Enger aber Canaris, A c P 200 (2000), 273 (315 f.), der die R ü c k a b w i c k l u n g nur bei U n z u m u t b a r k e i t der N a t u r a l r e s t i t u t i o n oder - analog § 250 B G B bei m a n g e l n d e m Interesse des Schadensersatzverpflichteten ausschließen will. 158 So deutlich Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 20; ders., N J W 1999, 900 (902). 155
156
IV. Sicht der neueren
Literatur
311
der Schaden, der aus der Bindung an den Vertrag resultiert, nur einen Folgeschaden im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität darstellt. 1 5 9 D i e Kausalität mag zwar für sich genommen zu einer Analyse des Folgeschadens beitragen, ob diese Betrachtung aber auch dem Rechtsgut der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit gerecht wird, erscheint danach doch fraglich.
(3) Zur Problematik
der Schadensabwicklung
durch
Vertragsanpassung
Wenn man einmal von dieser Perspektive der Schadenszurechnung ausgeht, die eine dogmatische Rechtfertigung der Schadensabwicklung durch die Rechtsprechung im Ansatz als nicht ausgeschlossen erscheinen läßt, ergeben sich gleichwohl eine Reihe gravierender Folgeprobleme. Insoweit ist mit Recht vor allem das Problem des Berechnungsmaßstabes für eine Vertragsanpassung aufgeworfen worden. Tiedtke 1 6 0 hat insoweit darauf hingewiesen, daß die Rechtsprechung mit der mehrdeutigen Formulierung arbeite, der Käufer habe infolge der Täuschung des Verkäufers die Sache „zu teuer gekauft". A u f diese Weise werde eine Rückzahlung vom Kaufpreis bzw. eine teilweise Befreiung von der Verbindlichkeit auch für den Fall gerechtfertigt, daß der Preis dem objektiven Wert der Sache entsprach. Diese Auffassung liefe aber darauf hinaus, daß der Käufer so gestellt würde, daß seine Erwartungen über den Wert der Leistungen erfüllt werden. Darauf habe dieser aber gar keinen Anspruch. E r könne vielmehr nur verlangen, daß er durch die vom Verkäufer herbeigeführten falschen Vorstellungen keinen Schaden erleidet. U n d das sei aber nur der Fall, wenn der Wert der Sache dem vereinbarten Kaufpreis nicht entspricht. D i e darüber hinausgehende Rechtsprechung verwandle so, ohne dies offenzulegen, einen Schadensersatzanspruch auf Ersatz des negativen Interesses in einen solchen auf Ersatz des Erfüllungsinteresses. Weiter hat insbesondere Grigoleit 1 6 1 eindringlich gezeigt, daß die R e c h t sprechung kein klares Konzept dessen erkennen läßt, was hier als Berechnungsgrundlage für die Bewertung des Verhältnisses von Leistung und G e genleistung in Betracht kommen soll. Sie schwanke zwischen einer objektiven Bewertung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung und einer B e wertung, die sich an den subjektiven Erwartungen des Getäuschten orientiert. Im Ergebnis werde die Ermittlung des „zu viel" aufgewendeten Betrages damit weitgehend in das richterliche Ermessen im Wege der Schätzung nach § 287 Z P O gestellt. Eine Beweiserleichterung nach § 287 I Z P O könne aber nur bei der Ermittlung eines hypothetischen Vertragsschlusses zur A n w e n dung k o m m e n , für den dann aber greifbare Anhaltspunkte vorliegen m ü ß 159 Auch deshalb sind die Überlegungen von Lorenz zum „Vertrag als Schaden" nicht präzise genug, vgl. dens., Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 72 ff., sowie ZIP 1998, 1053 (1053 f., 1055). 160 Festschrift für Felix, 473 (459 ff.); J Z 1990, 1077 (1078 f.); WM 1993, 1228 (1229); auch J Z 1989, 569 (571 ff.). 161 Vorvertragliche Informationshaftung, S. 183-187.
312
§7
Zum Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
ten. 1 6 2 In der von Grigoleit aufgezeigten Unsicherheit, auf welcher Grundlage das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung bewertet werden soll, liegt übrigens auch ein weiterer Grund gegen eine entsprechende Anwendung von § 472 B G B . D e r Z w e c k der Minderung liegt gerade darin, daß die Eigenart der vertraglichen Kaufpreisbildung erhalten bleibt. 1 6 3 Dies kann bei der hier in Frage stehenden Vertragsanpassung aber gerade nicht der Fall sein. 1 6 4 Die Lösung der Literatur zur Ermittlung von Maßstäben für die Vertragsanpassung sieht also entweder so aus, daß sie einen ersatzfähigen Schaden nur bejaht, wenn die vom Getäuschten empfangene Leistung weniger wert ist als die von ihm erbrachte Gegenleistung, oder so, daß von dem Getäuschten der Nachweis eines hypothetischen Vertragsschlusses verlangt wird, für den im Rahmen von § 287 Z P O greifbare Anhaltspunkte genügen, aber auch erforderlich sind. Beide Lösungen werden der Problematik aber nicht voll gerecht, weil sie die Abschlußkontrolle durch das Institut der culpa in contrahendo - um hier einen Gedanken von Lorenz aufzugreifen - auf diese Weise tendenziell zu einem Instrument der Inhaltskontrolle, mehr noch zu einem solchen der Inhaltsgestaltung umformen. Das liegt zunächst für den Ansatz, der zur Schadensermittlung die Bestimmung des objektiven Mißverhältnisses von Leistung und Gegenleistung für erforderlich hält, auf der Hand. Dabei muß man sich klarmachen, daß diese Art der Beurteilung des Äquivalenzgefüges weit über das M a ß hinausgeht, das für § 138 I B G B gilt. F ü r die Anwendung von § 138 I B G B muß der Richter nur das Bestehen des objektiven Mißverhältnisses von Leistung und Gegenleistung feststellen, er hat also nur die Überschreitung einer äußeren G r e n z e zu beurteilen. 1 6 5 F ü r die Schadensermittlung müßte hingegen das Äquivalenzverhältnis selbst bestimmt werden. Es würde dabei also nicht einfach nur die schon schwierig genug zu beurteilende Überschreitung einer bestimmten G r e n z e festgestellt, sondern ein bestimmter Punkt des Mißverhältnisses müßte ausgemacht werden. D i e Schadensabwicklung im Rahmen der culpa in contrahendo würde so unter der H a n d anläßlich einer Kontrolle des Vertragsabschlusses umfunktioniert zu einem Instrument der Kontrolle des Vertragsinhaltes, das weit jenseits der gesetzlichen Konzeption der Inhaltskontrolle liegt. Aus ganz ähnlichen Erwägungen ist aber auch eine Vertragsanpassung auf der Grundlage eines hypothetischen Vertragsschlusses problematisch. G r i g o leit hat insoweit mit R e c h t klargestellt, daß der Nachweis eines hypothetischen Vertrages nicht nur von einer Prognose der störungsfreien Meinungsbildung des Getäuschten abhängig ist, sondern weiter auch die Feststellung Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 202-204. Vgl. nur Palandt-Putzo, § 472 Rz. 7. 164 So auch Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 194: Bei der vorvertraglichen Informationshaftung fehle es an einer vertraglichen Vereinbarung, zu deren wertmäßiger Verwirklichung § 472 I B G B herangezogen werden könne. 165 Zur Inhaltskontrolle nach § 138 I B G B als Ausdruck des Schrankenmodells des Rechts vgl. Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 454. 162
163
IV. Sicht der neueren
Literatur
313
voraussetzt, ob und inwieweit dieser seine veränderte Verhandlungsposition gegen den Vertragspartner oder Dritte hätte durchsetzen können. 1 6 6 Im Hinblick auf das Beweisproblem spricht er auch von den „Grenzen seiner schadensrechtlichen Bewältigung". 1 6 7 Tatsächlich kann man - noch darüber hinausgehend - der Auffassung sein, daß diese Form der Schadensersatzhaftung der Eigenart rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit nicht angemessen ist. Dies wird deutlicher, wenn man sich einmal vergegenwärtigt, daß der Gesetzgeber des B G B in den §§ 138 und 123 die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit vor schwersten Beeinträchtigungen nur in der Weise schützt, daß der Vertrag entweder nichtig ist oder aber durch Anfechtung lediglich vernichtbar ist. Eine geltungserhaltende Reduktion ist in beiden Fällen nicht vorgesehen und wird für § 138 B G B von der überwiegenden Meinung zu Recht auch nur in ganz engen Ausnahmefällen zugelassen, da dies zu einer weitgehenden Vertragskorrektur durch den Richter führen würde. 168 Das be166 Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 201; ebenso Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 78 ff.; ders., N J W 1999, 1001 f. 167 Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 201. 168 Soergel-Hefermehl, § 138 Rz. 47. Gegen eine Anpassung des Vertrages unter Korrektur des Mißverhältnisses von Leistung und Gegenleistung etwa auch Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II, § 18, 9; Erman-Palm, § 138 Rz. 25; auch Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 45 Rz. 18. Im Grundsatz so auch die Rspr. (etwa B G H Z 44, 158 (162); 68, 204 (207); B G H ZIP 1987, 519), die aber vor allem unter dem Gesichtspunkt der Teilbarkeit des Geschäftes für bestimmte Fälle im praktischen Ergebnis zu einer geltungserhaltenden Reduktion gelangt. Noch weitergehender wird in der Literatur zum Teil die Art der Sanktion des § 138 I B G B vom Normzweck der verletzten Sittennorm abhängig gemacht (vgl. ausführlich Staudinger-Sack, § 138 Rz. 192 ff. m.w.N.) oder der Begriff der Nichtigkeit gar als Grundlage für die Bestimmung „normzweckgerechter Rechtsfolgen" verstanden (so Cahn, JZ 1997, 8, 16). Kritisch zu derartigen Ansätzen mit Recht Tiedtke, ZIP 1987, 1089 ff., der (S. 1094) auch darauf aufmerksam macht, daß derartige Lösungen die Gerichte dazu verführen, die Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit eher zu bejahen als bei vollständiger Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts. Angesichts der ungleich schwieriger zu bestimmenden Voraussetzungen der Haftung aus culpa in contrahendo wäre mit der Rechtsfolge der Vertragsanpassung der richterlichen Gestaltung von Verträgen Tür und Tor geöffnet. Der B G H hat eine geltungserhaltende Reduktion im Hinblick auf Allgemeine Geschäftsbedingungen daher im Grundsatz mit Recht abgelehnt: „Es ist nicht Aufgabe des Richters, für die Parteien anstelle des sittenwidrigen Rechtsgeschäfts eine Vertragsgestaltung zu finden, die den beiderseitigen Interessen gerecht wird und die Folge der Sittenwidrigkeit vermeidet." So B G H Z 107, 351 (358). - Anders als § 138 I B G B sehen sowohl die U N I D R O I T Principles (Art. 3.10), als auch die European Principles (Art. 4.109) die Möglichkeit vor, daß der Vertrag durch das Gericht auf ein angemessenes Maß reduziert wird und mit diesem Inhalt gelten soll. M. Wolf, in: Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, S. 113, hat den Einwand vorweggenommen, daß man der Auffassung sein kann, daß die mit diesen Regelungen verbundene Festsetzung eines gerechten Preis- und Äquivalenzverhältnisses nicht zu den Aufgaben des Richters gehört. Eine richterliche Preisfestsetzung insbesondere unter Orientierung am Marktpreis sei aber auch bereits nach §§315 III, 319 I B G B möglich, so daß deshalb keine grundsätzlichen Bedenken bestünden. Ähnlich für die U N I D R O I T Principles aus schweizerischer Sicht auch Belser, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1998, 73 (97). Gegen diese Sicht spricht aber schon, daß zwischen diesen Vorschriften und etwa § 138 I B G B ein wesentlicher Unterschied besteht. Bei §§315 III, 3191 B G B liegt immerhin ein fehlerfrei zustan-
314
§ 7 Zum Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
deutet, selbst im Fall der Sittenwidrigkeit des Vertrages oder der Beeinträchtigung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit durch arglistige Täuschung bleiben dem Richter Eingriffe in das Vertragsgefüge - je nach Perspektive verwehrt oder auch erspart. M a n kann dies für eine Konsequenz des Prinzips der Privatautonomie halten, die sich auch noch im Fall ihrer Beeinträchtigung durchsetzt, indem nämlich der Richter auch hier nicht einfach eine normative Entscheidung an die Stelle des Parteiwillens setzen darf. Es ist nicht recht zu sehen, welche Gründe derartig schwerwiegende Eingriffe in den Vertrag durch eine Vertragsanpassung im Wege des Schadensersatzes aus culpa in contrahendo rechtfertigen könnten. Letztlich kann die Ermittlung des für die Vertragsanpassung erforderlichen hypothethischen Vertragsschlusses nur anhand normativer Kriterien erfolgen, auch w e n n insoweit Anhaltspunkte bestehen mögen. Damit aber zwingt die rechtliche Prüfung eines hypothetischen Vertragsschlusses den Richter zu einem rechtlichen Nachvollzug des normativen Ergebnisses von Vertragsverhandlungen. Das stellt nun allerdings weder eine sinnvolle Aufgabe von Rechtsprechung dar, noch entspricht es der Eigenart rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit, im Falle ihrer Beeinträchtigung an ihre Stelle ein normatives Ergebnis von Vertragsverhandlungen zu setzen. Die culpa in contrahendo würde so von einem Instrument der Abschlußkontrolle nicht nur zu einem Instrument der Inhaltskontrolle, sondern sogar der Inhaltsgestaltung werden. 1 6 9 Dogmatisch könnte man diese Bedenken dahingehend formulieren, daß Sorgfaltspflichten die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit nur durch ein Recht zur Lösung vom Vertrag schützen können, ein darüber hinausgehender Schutz durch Vertragsanpassung angesichts der Eigenart rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit aber außerhalb des Schutzzwecks solcher Sorgfaltspflichten liegt. Anders formuliert: Ein positiver Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit widerspricht insoweit dem Prinzip der Privatautonomie. 1 7 0 Die Vorstellung von Lorenz, durch eine nur konsequente A n w e n d u n g des Kausalitätskriteriums diese Problematik bewältigen zu können, greift insoweit zu kurz. 1 7 1
d e g e k o m m e n e r Vertrag vor, der die B e s t i m m u n g der Leistung in das Ermessen des Vertragspartners oder eines Dritten legt. Von dieser G r u n d l a g e kann bei § 138 I B G B gar keine R e d e sein. Ü b r i g e n s liegt darin auch der entscheidende U n t e r s c h i e d zu einer etwaigen Vertragsanpassung infolge Wegfalls der Geschäftsgrundlage. 169 A n d e u t u n g e n dieser P r o b l e m a t i k bei Gonzenbach, ZSR 1987 I, 435 (455 ff.). 170 Entgegengesetzter A u f f a s s u n g ist insoweit insbesondere Stoll, Festschrift f ü r Deutsch, 361 (364 ff., 371), der die Pflichtverletzung aber nur unter dem Gesichtspunkt der Enttäuschung berechtigter E r w a r t u n g e n über den Vertrag betrachtet und damit w e d e r die Beeinträchtigung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit f ü r relevant hält, noch die darauf b e r u h e n d e Beeinträchtigung des vertraglichen Vertrauensverhältnisses. 171 So hält auch Canaris, A c P 200 (2000), 273 (305), die sich aus der Kausalität ergebenden U n t e r s c h e i d u n g e n f ü r „sehr subtil" u n d verweist darauf, daß sie nur in seltenen A u s n a h m e f ä l len praktische A u s w i r k u n g e n haben dürften. Kritisch, w e n n g l e i c h mit ganz anderen A r g u menten auch Paefgen, H a f t u n g f ü r mangelhafte A u f k l ä r u n g aus culpa in contrahendo, S. 62 ff.
V. Auseinandersetzung
mit der These vom Vermögensschaden
315
V. Zur Kritik eines Schutzes der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit durch Sorgfaltspflichten im Rahmen der culpa in contrahendo. Auseinandersetzung mit der These vom Vermögensschaden als Voraussetzung eines Schadensersatzanspruches aus culpa in contrahendo D i e T h e s e , daß die culpa in c o n t r a h e n d o in den Fällen der T ä u s c h u n g des Vertragspartners d e m S c h u t z der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit dient, ist erst in den letzten J a h r e n in dieser Schärfe diskutiert w o r d e n . Z u v o r ist diese Z u s p i t z u n g zumeist eher vermieden w o r d e n , und z w a r v o r allem deshalb, weil mit der B e s t i m m u n g der rechtsgeschäftlichen E n t s c h e i d u n g s freiheit als S c h u t z g u t die F r a g e weitgehend u n l ö s b a r erschien, wie sich denn dann ein Schadensersatzanspruch aus culpa in c o n t r a h e n d o n e b e n der gesetzlichen R e g e l u n g der A n f e c h t u n g wegen arglistiger T ä u s c h u n g rechtfertigen läßt. E r s t in neuerer Zeit haben sich angesichts der P r o b l e m a t i k dieses Verhältnisses zwei unterschiedliche R i c h t u n g e n einer L e g i t i m a t i o n der H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o für T ä u s c h u n g e n des Vertragspartners herausgebildet. D i e eine P o s i t i o n hält den G e d a n k e n , daß es hier u m den S c h u t z rechtsgeschäftlicher E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t geht, für unausweichlich und b e m ü h t sich daher u m eine systematische B e g r ü n d u n g eines s o l c h e n Schutzes neben § 123 B G B . D i e s e H a l t u n g liegt den z u v o r diskutierten Schriften von G r i g o l e i t und L o r e n z zugrunde, sie entspricht aber auch dem hier verfolgen A n s a t z . D e m steht eine andere P o s i t i o n gegenüber, die - um es zunächst vorsichtig zu formulieren - dem G e d a n k e n eines Schutzes der rechtsgeschäftlichen E n t s c h e i dungsfreiheit durch die culpa in c o n t r a h e n d o kritisch gegenübersteht und den Z w e c k der culpa in c o n t r a h e n d o mit dem S c h u t z des V e r m ö g e n s verknüpft. In der K o n s e q u e n z dieser Auffassung wird ein V e r m ö g e n s s c h a d e n als Voraussetzung eines A n s p r u c h e s auf Schadensersatz aus culpa in c o n t r a h e n d o wegen T ä u s c h u n g des Vertragspartners gefordert. D i e s e A n s i c h t , die bereits 1968 v o n S c h u b e r t e n t w i c k e l t und später v o r allem v o n L i e b wiederholt b e gründet w o r d e n ist, hat dadurch besondere B e d e u t u n g erlangt, daß neuerdings auch der B u n d e s g e r i c h t s h o f für einen solchen Schadensersatzanspruch das Vorliegen eines V e r m ö g e n s s c h a d e n s f o r d e r t . 1 7 2 E i n e genauere B e t r a c h 172 BGH NJW 1998, 302 (304); auch BGH NJW 1998, 898 (898 f.). Ebenso etwa MüKoEmmerich, Vor § 275 Rz. 195; Staudinger-Dilcher, § 123 Rz. 47; prinzipielle Zustimmung auch bei Paefgen, Haftung für mangelhafte Aufklärung aus culpa in contrahendo, S. 22 f., und Stoll, Festschrift für Deutsch, 361 ff. Gegen dieses Erfordernis aber etwa - von Grigoleit und Lorenz einmal abgesehen - Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, §29 II 6 pr.; Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 150; ders., LM, § 249 (A) BGB Nr. 113 Bl. 7; Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (118); sowie Wiedemann, JZ 1998, 1176 (1176 f.), mit der allerdings erstaunlichen Teilbegründung, die Lückenhaftigkeit des Schutzes der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit im BGB ergebe sich u.a. aus dem Regelungsstand des internationalen Vertragsrechts. Ablehnend zuletzt auch
316
§ 7 Tum Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
tung der Überlegungen von Schubert und Lieb, aber auch der in der Rechtsprechung erkennbaren Linie zeigt, daß es sich hier um keinen einheitlichen theoretischen Ansatz handelt, der Forderung nach dem Merkmal des Vermögensschadens vielmehr durchaus unterschiedliche Anliegen zugrunde liegen, die im Detail auch durchaus Konsequenzen nach sich ziehen.
1. Die Rechtfertigung
des Erfordernisses durch
a) Darstellung
des Ansatzes von
eines
Vermögensschadens
Schubert Schubert
Werner Schubert geht es in seiner Untersuchung um die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich jemand im Rahmen der Anfechtung die Täuschung einer Hilfsperson zurechnen lassen muß. 173 Dabei gelangt er zu dem Ergebnis, daß die Bestimmung, wer Dritter i.S. von § 123 II 1 B G B ist, vor dem Hintergrund der Vorschrift des § 278 B G B erfolgen müsse. 174 Diese allgemein als sinnvoll angesehene Beschränkung des Begriffs Dritter i.S. von § 123 II 1 B G B hat Schubert systematisch wie folgt gerechtfertigt. § 123 B G B schütze die freie Selbstbestimmung. Dabei komme der Vorschrift aber auch Schadensersatzcharakter zu. 175 Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung setze ebenso wie die Haftung aus culpa in contrahendo ein rechtswidriges und zurechenbares Verhalten des Erklärungsgegners oder seiner Hilfspersonen voraus. Die Vorschrift lasse eine Anfechtung aber nur zu, wenn den Erklärungsgegner ein Verschulden trifft, indem er entweder selbst täuscht oder eine vom Dritten hervorgerufene arglistige Täuschung vorsätzlich oder fahrlässig für eigene Zwecke ausnutzt. 176 Darüber hinaus komme der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung auch insoweit Schadensersatzcharakter zu, als durch die Anfechtung die von der Rechtsordnung mißbilligte Beeinträchtigung der freien Willensentschließung beseitigt werden soll, denn als Schaden ist - wie Schubert klar sieht - jede Beeinträchtigung von Rechtsgütern oder rechtlich geschützten Interessen einer Person aufzufassen. 177 Canaris, AcP 200 (2000), 273 (314), allerdings mit der Auffassung, daß es nicht lediglich um den Schutz vor dem „unerwünschten Vertrag" geht, sondern um den vor dem „nicht voraussetzungsgemäßen Vertrag", so daß es danach als zusätzliches Merkmal auf eine relevante Abweichung von den nach dem Vertrag vorausgesetzten Erwartungen ankommt. Die Konsequenzen dieses neuen theoretischen Ansatzes sind aber noch nicht absehbar. Probleme ergeben sich dann zwar weniger im Verhältnis zu § 123 B G B , dafür aber im Hinblick auf die Konkurrenz zur Mängelgewährleistung, zur Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums nach § 119 II B G B und zum Wegfall der Geschäftsgrundlage. 173 Schubert, AcP 168 (1968), 470 ff. 174 Schubert, AcP 168 (1968), 470 (477 ff.). 175 Schubert, AcP 168 (1968), 470 (480). 176 Schubert, AcP 168 (1968), 470 (479). 177 Schubert, AcP 168 (1968), 470 (479).
V. Auseinandersetzung
mit der These vom Vermögensschaden
317
Vor diesem Hintergrund sieht er die zentrale Frage für die Heranziehung von § 278 BGB darin, ob der Vorschrift des § 123 BGB „eine im Schuldrecht wurzelnde Verbindlichkeit, den Vertragsgegner nicht zu täuschen, und nicht nur eine allgemeine Verhaltenspflicht, etwa i. S. des Rechts der unerlaubten Handlungen, zugrunde liegt." 178 Er beantwortet sie damit, daß er § 123 BGB für den Fall arglistiger Täuschungen im Rahmen von Vertragsverhandlungen als eine gesetzliche Sonderregelung der Haftung für culpa in contrahendo ansieht und so auch die Anwendung von § 278 BGB rechtfertigt. 179 Im Hinblick auf eine genauere Bestimmung des Verhältnisses von Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und culpa in contrahendo geht Schubert zunächst davon aus, daß sich von den Wirkungen her nicht begründen läßt, daß § 123 BGB gegenüber der Haftung aus culpa in contrahendo keine Sonderregelung darstellt. 180 Eher scheine das Gegenteil der Fall zu sein, da es sich bei der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nur um einen gesetzlich geregelten Fall der Haftung für Verschulden bei Vertragsschluß handele und es insoweit eines Rückgriffs auf das zur Ergänzung des gesetzlichen Haftungssystems geschaffene Institut der culpa in contrahendo nicht bedürfe. Die Schutzbereiche der Vorschriften des § 123 BGB und der culpa in contrahendo würden sich aber nur decken, soweit es um die freie Willensentschließung geht. Der Anfechtungsvorschrift gehe es dabei nur um die Beseitigung des in der Beeinträchtigung der Willensbildung liegenden Schadens. 181 Dagegen sei der Ausgleich eines Vermögensschadens, der in der Belastung mit einem nachteiligen Vertrag liegt, weder das primäre Ziel noch der Grund der Anfechtung. Daher dürfe die Arglistanfechtung für diesen Bereich nicht als Sonderregelung aufgefaßt werden, vielmehr könne sich der Getäuschte für den über die Beeinträchtigung der Willensbildung hinausgehenden Schaden auf Ansprüche aus culpa in contrahendo berufen. Dagegen seien solche Ansprüche - auch bei fahrlässiger Irreführung - ausgeschlossen, sofern nur die Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt worden ist und ein weiterer Schaden nicht entstanden ist. 182
b) Würdigung Zweifelhaft in diesen Überlegungen Schuberts ist vor allem die Deutung des § 123 BGB als Sonderregelung. Das zeigt sich zunächst in dem Schwanken, ob es sich bei § 123 BGB um eine gesetzliche Sonderregelung der Haftung für culpa in contrahendo bei arglistigen Täuschungen im Rahmen von Vertragsverhandlungen handelt oder ob es sich bei der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung um einen gesetzlich geregelten Fall der Haftung für
178 179 180 181 182
Schubert, Schubert, Schubert, Schubert, Schubert,
AcP AcP AcP AcP AcP
168 168 168 168 168
(1968), (1968), (1968), (1968), (1968),
470 470 470 470 470
(479 f.). (481). (505). (506). (507).
318
5 7 7.um Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
Verschulden bei Vertragsschluß handelt. 183 Es dürfte aber schon ein Unterschied sein, ob man in § 123 BGB eine gesetzliche Sonderregelung oder einfach nur einen gesetzlich geregelten Fall der Haftung für Verschulden bei Vertragsschluß sieht. Die durchaus verbreitete Vorstellung, bei § 123 BGB handele es sich um einen Sonderfall der culpa in contrahendo, ist jedenfalls so sicher nicht haltbar, weil die Vorschrift - wie bereits oben erörtert - entsprechend ihrem Allgemeinheitsgrad sich nicht nur auf Vertragsverhandlungen bezieht, sondern auf Willenserklärungen aller Art und damit etwa auch auf einseitige Willenserklärungen, Willenserklärungen im Rahmen des Abschlusses von dinglichen Verträgen oder solche im Rahmen bereits geschlossener Schuldverträge. Angesichts dieses Allgemeinheitsgrades der Vorschrift ist dann aber auch die Deutung als gesetzliche Sonderregelung für den Fall arglistiger Täuschungen im Rahmen von Vertragsverhandlungen problematisch. Zutreffend daran ist natürlich, daß es sich hier um eine gesetzliche Regelung handelt im Gegensatz zu dem praeter legem entwickelten Institut der culpa in contrahendo. Aus dem gesetzlichen Charakter des § 123 BGB ergibt sich aber nicht zwangsläufig auch sein Sondercharakter. Der § 123 BGB zugrunde liegende Allgemeinheitsanspruch, der schließlich auch dazu führt, daß die Vorschrift dem Allgemeinen Teil des BGB angehört und nicht etwa dem Schuldrecht, läßt Raum für die bereits oben entwickelte Deutung der culpa in contrahendo als eines besonderen Institutes zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit in Vertragsverhandlungen gegenüber einem nur allgemeinen Schutz dieser Freiheit durch § 123 BGB. Die etwas pauschale Rede von § 123 BGB als gesetzlicher Sonderregelung ist insoweit weder methodisch überzeugend, noch wird sie der inhaltlichen Differenz zwischen Rechtsgeschäftslehre und Schuldvertragsrecht gerecht. Eine weitere Problematik im Ansatz von Schubert ergibt sich auch aus dem Verständnis der Arglistanfechtung als einer Regelung mit Schadensersatzcharakter. Sieht man einmal davon ab, daß die Behauptung, § 123 BGB lasse eine Anfechtung nur bei Verschulden des Erklärungsempfängers zu, bedenklich ist, weil nach üblicher Auffassung für die Arglist natürlicher Vorsatz des Täuschenden genügt, Verschuldensfähigkeit also nicht erforderlich ist 184 (und insoweit konsequenterweise auch § 278 BGB nur einschränkend anzuwenden wäre), so bleibt diese Sicht vor allem aus systematischen Gründen fragwürdig. Üblicherweise sieht man das Deliktsrecht als allgemeines Recht der unerlaubten Handlungen, dem das Leistungsstörungsrecht als ein Recht der pflichtwidrigen Handlungen des Schuldners gegenübergestellt wird. Würde man auch § 123 BGB als Vorschrift mit Schadensersatzcharakter begreifen, müßte man entsprechend dem Allgemeinheitsgrad dieser Regelung darin eine 183 Vgl. die verschiedenen F o r m u l i e r u n g e n von Schubert, 505 f., 511). 184 Vgl. bereits oben III 3 b.
A c P 168 (1968), 470 (480 f.,
V. Auseinandersetzung
mit der These vom Vermögenssehaden
319
noch allgemeinere Schadensvorschrift sehen als das ohnehin schon als allgemein aufgefaßte Deliktsrecht. Das ist allerdings eine wenig überzeugende Deutung des systematischen Aufbaus des B G B . Viel näher liegt die Auffassung, daß § 123 B G B in einen durchaus anderen gedanklichen Zusammenhang einzuordnen ist, nämlich den der Willensmängel, auch wenn Schubert zuzugeben ist, daß hier die beiden Bereiche des Rechts der Willensmängel einerseits und das Schadensersatzrecht andererseits eng aneinander grenzen.
2. Die Rechtfertigung des Erfordernisses eines Vermögensschadens durch Lieb a) Die Grundhaltung Liebs zur Haftung aus culpa in contrahendo wegen fahrlässiger Täuschungen Manfred Lieb hat in mehreren Aufsätzen die Problematik eines Schutzes rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit durch das Institut der culpa in contrahendo erörtert und dabei eine Fülle unterschiedlichster Gesichtspunkte geltend gemacht. 1 8 5 D e r jüngste Aufsatz aus dem Jahre 1999 setzt sich vor allem mit den Schriften von Lorenz und Grigoleit kritisch auseinander, denen es in unterschiedlicher Weise um den Schutz rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit vor fahrlässigen Täuschungen geht. D e n Ansatz von Lorenz hält Lieb für mißglückt. Seine K o n z e p t i o n sei - so der Haupteinwand - mit dem geltenden R e c h t nicht vereinbar. 1 8 6 Im Gegensatz zu L o r e n z habe G r i g o leit immerhin gesehen, daß es sich angesichts der Regelung des § 123 B G B um ein ungemein schwieriges Rechtsfortbildungsproblem handele. Anders als Grigoleit ist Lieb aber der Auffassung, daß die Voraussetzungen für eine derartige gesetzesderogierende Rechtsfortbildung derzeit nicht ausreichend gesichert sind. 1 8 7 M i t dieser Haltung stellt Lieb im Grunde das Institut der culpa in contrahendo in einem Kernbereich in Frage. D e n n es ist nicht zu sehen, welche F u n k t i o n einer auf die Haftung für Vorsatz beschränkten culpa in contrahendo neben der Arglistanfechtung zukommen sollte. O b es heute allerdings noch sinnvoll ist, die Legitimität einer Haftung aus culpa in contrahendo für fahrlässige Täuschungen angesichts einer in diesem Punkt verfestigten R e c h t sprechung so grundsätzlich in Frage zu stellen, erscheint doch zweifelhaft. Die Überlegungen Grigoleits zielen immerhin darauf, Maßstäbe und O r i e n tierungspunkte für eine derartige Rechtsfortbildung zu gewinnen. D e m g e genüber tendiert die Argumentation Liebs eher dazu, diesen P r o z e ß wieder
185 Lieh, J Z 1972, 442 ff.; ders., Festschrift Rechtswissenschaftliche Fakultät Köln, 251 ff.; ders., Festschrift für Medicus, 337 ff. 186 Lieb, Festschrift für Medicus, 337 (344 ff.). 187 Lieb, Festschrift für Medicus, 337 (349 f.).
320
§ 7 Zum Schutz
der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
rückgängig zu machen. Bei dem heutigen Stand von Rechtsprechung und D o g m a t i k kann man diese Haltung aber nicht als weiterführend ansehen. Jedenfalls wird man aber angesichts dieser Rechtsprechung L o r e n z nicht kurzerhand vorwerfen können, es handele sich um „rechtspolitisches Wunschdenken". 1 8 8 Vor dem Hintergrund dieser Tendenz, das Institut der culpa in contrahendo im Bereich fahrlässiger Täuschungen überhaupt für fragwürdig zu halten, sind auch die weiteren Argumente Liebs zu diesem Fragenkreis zu betrachten.
b) Zur Trennung von Willensfreiheit und Schaden Insoweit hat Lieb sich vor allem mit der Frage der Rechtsfolgen einer culpa in contrahendo wegen Verletzung von Aufklärungspflichten beschäftigt. D a bei geht er davon aus, daß für die Rechtsfolgen der culpa in contrahendo keine verbindlichen Vorgaben bestehen, weil das ganze Rechtsinstitut praeter legem entwickelt sei, „und zwar ohne Bindung an Tatbestand und bestimmte Rechtsfolgen anderer Vorschriften ( . . . ) . " 1 8 9 Eine Analyse der seinerzeitigen Rechtsprechung ergibt für ihn den Befund, daß sie offenbar von dem Gedanken ausgeht, bereits die Belastung mit einem unerwünschten Vertrag als immateriellen Schaden anzusehen. Unter diesem Gesichtspunkt könne die Haftung aus culpa in contrahendo als Schutz vor Beeinträchtigungen der fehlerfreien Willensbildung aufgefaßt werden. Für einen solchen Schutz möge es de lege ferenda auch gute G r ü n d e geben. D a s geltende Recht unterscheide aber deutlich zwischen Willensfreiheit und Schaden und halte dementsprechend für die jeweilige Beeinträchtigung auch ganz unterschiedliche Sanktionen bereit, „nämlich für die Beeinträchtigung (nur) der Willensfreiheit die im allgemeinen Teil angesiedelten Anfechtungsvorschriften, während der Ausgleich von Schäden einem ganz eigenständigen, nämlich dem Schadensersatzrecht, vorbehalten ist." 1 9 0 Daraus folgert Lieb: „Diese, vom geltenden Recht vorgegebene deutliche Trennung würde unzulässig überspielt, wenn man die Beeinträchtigung der Willensfreiheit als wenigstens immateriellen Schaden deklarieren und dementsprechend versuchen wollte, mit Hilfe einer solchen ,Seitenpforte durch die Mauer der Vertragstreue zu schlüpfen'." 1 9 1 D a s bedeute nicht, daß das Schadensersatzrecht nicht auch die Beeinträchtigung der Willensfreiheit zu erfassen vermöge, dies dann aber nur bei Vorliegen eines Schadens, für den nach Verneinung eines immateriellen Schadens nur noch ein Vermögensschaden in Betracht kommt. Ein Schadensersatzanspruch wegen Beeinträchtigung der Willensfreiheit durch Unterlassen gebotener A u f klärung setze daher voraus, daß diese Beeinträchtigung der Willensfreiheit
188 189 190 191
Lieb, Lieb, Lieb, Lieb,
Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
für M e d i c u s , 337 (347). Rechtswissenschaftliche Fakultät K ö l n , 251 (257). Rechtswissenschaftliche Fakultät K ö l n , 251 (259). Rechtswissenschaftliche Fakultät K ö l n , 251 (259).
V. Auseinandersetzung
mit der These vom
Vermögensschaden
321
darüber hinaus zur Entstehung eines Vermögensschadens geführt hat; sonst sei für Schadensersatzansprüche kein R a u m . 1 9 2 D i e von Lieb hier behauptete deutliche Trennung zwischen Beeinträchtigung der Willensfreiheit und Schaden ist bei genauerer Betrachtung doch zweifelhaft. Das zeigt sich schon, wenn man sich einmal nur auf das Verhältnis von Anfechtungsrecht und Deliktsrecht konzentriert. H i e r gilt zunächst einmal, daß die Gegenüberstellung von Willensfreiheit und Schaden bereits im Ansatz schief ist. Das Deliktsrecht ist nicht einfach Schadensrecht, sondern ein R e c h t der unerlaubten Handlungen, wobei die Unerlaubtheit der Handlungen in den zentralen Vorschriften der §§ 823 I, II und 826 B G B in unterschiedlicher Weise bestimmt wird. In § 823 I B G B geschieht das mit der dogmatischen Figur des absoluten Rechts anhand bestimmter Rechtsgüter, in § 823 II B G B unter Verweis auf Schutzgesetze und § 826 B G B versucht schließlich, die unerlaubte Verhaltensweise selbst zu umschreiben. Im H i n blick auf diese Technik der Bestimmung von U n r e c h t wäre sinnvoll nur die Frage, o b die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit Schutzgut dieser Vorschriften ist. Die Frage eines Schadens ist erst eine daran anknüpfende weitere Problematik, für die allerdings zu bedenken ist, daß nach gängiger Auffassung als erster, unmittelbarer Schaden die E i n b u ß e an dem verletzten Rechtsgut selbst gilt, der treffend auch als Rechtsguts- oder Verletzungsschaden bezeichnet wird. 1 9 3
c) Zur Kritik des Anspruchs auf
Vertragsaufhebung
Problematisch ist aber nicht nur dieser systematische Ansatz in der Kritik Liebs, auch seine Darlegung zu den Rechtsfolgen der culpa in contrahendo vermag nicht zu überzeugen. Lieb widerspricht in diesem Punkt der R e c h t sprechung, die dem Geschädigten ein Wahlrecht zubilligt zwischen Vertragsaufhebung und Rückforderung eines zuviel gezahlten Differenzbetrages. Seiner Auffassung nach läßt sich die Vertragsaufhebung als schadensersatzrechtliche Sanktion nicht systemgerecht begründen: „Ein solcher A n s p r u c h " , so heißt es, „sprengt das System des B G B ; seine Entwicklung im Rahmen der c.i.c. ist daher unzulässig." 1 9 4 Lieb trägt dafür unterschiedliche Argumente vor, die genauerer Betrachtung bedürfen. Lieb meint zunächst einmal, die Sanktion der Vertragsaufhebung stelle „eine unbewußte Uberdehnung und ein unbewußtes Ubergreifen der Schadensersatzvorschriften auf den Bereich der Willensmängel dar." 1 9 5 Im Bereich des Vertragsrechts könne das Schadensersatzrecht allein dem Ausgleich des
Lieb, Festschrift Rechtswissenschaftliche Fakultät Köln, 251 (260). Vgl. MülLo-Grunsky, Vor § 2 4 9 Fn. 111; Erman-Kuckuk, Vor § 2 4 9 Rz. 19; Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 238. 194 Lieb, Festschrift Rechtswissenschaftliche Fakultät Köln, 251 (264). 1 9 5 Lieb, J Z 1972, 442(443). 192
193
Schapp,
322
5 7 Zum Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
beeinträchtigten Vermögensstandes dienen, alles andere sei Sache der A n f e c h tungsvorschriften. D i e s e A u f g a b e n v e r t e i l u n g ist eine u n m i t t e l b a r e F o l g e seiner T h e s e einer deutlichen T r e n n u n g v o n A n f e c h t u n g s r e c h t und Schadensersatz, die wie bereits erörtert systematisch nicht ü b e r z e u g e n kann. L i e b sieht weiter in der R ü c k a b w i c k l u n g des Vertrages im Wege der N a t u ralrestitution eine „unreflektierte H e r a n z i e h u n g des § 2 4 9 " . 1 9 6 Z u m einen sei die Vorschrift ersichtlich n u r auf die P r o b l e m a t i k k ö r p e r l i c h e r G e g e n s t ä n d e b e z o g e n . Z u m anderen stelle sich eine R ü c k a b w i c k l u n g des Vertrages auch u n t e r dem G e s i c h t s p u n k t des S c h u t z b e r e i c h e s der N o r m als p r o b l e m a t i s c h dar, w o b e i L i e b dabei v o r allem § 823 I I B G B i.V.m. § 2 6 3 S t G B im A u g e hat. D i e s e E i n w ä n d e beruhen v o r allem auf einer u n z u r e i c h e n d e n B e r ü c k s i c h t i gung des schadensersatzrechtlichen K o n z e p t s des R e c h t s g ü t e r s c h u t z e s . D i e A n n a h m e , § 2 4 9 B G B b e z i e h e sich n u r auf die P r o b l e m a t i k k ö r p e r l i c h e r G e genstände ist s c h o n im H i n b l i c k auf § 823 I B G B nicht haltbar, weil danach sicher auch die R e c h t s v e r l e t z u n g in F o r m der B e e i n t r ä c h t i g u n g des R e c h t s selbst z u m Schadensersatz im Wege der N a t u r a l r e s t i t u t i o n führt. So stellt etwa nicht nur die E n t z i e h u n g des Besitzes eine E i g e n t u m s v e r l e t z u n g dar, die durch N a t u r a l r e s t i t u t i o n auszugleichen ist, sondern dem Prinzip nach auch die Verfügung eines N i c h t b e r e c h t i g t e n . W e n n sich danach die N a t u r a l r e s t i t u tion auch auf die B e e i n t r ä c h t i g u n g der R e c h t e selbst bezieht, ist nicht zu sehen, wieso das nicht auch für R e c h t s g ü t e r gelten sollte. L i e b scheint selbst gesehen zu haben, daß diese A r g u m e n t a t i o n nicht genügen kann, und hat später gemeint, der V o r r a n g der N a t u r a l r e s t i t u t i o n v o r dem G e l d e r s a t z sei hier begründungsbedürftig, da dieser S c h u t z sich w o m ö g l i c h n u r auf den B e r e i c h restitutionsfähiger einzelner R e c h t s g ü t e r b e z i e h t . 1 9 7 So gesehen scheint die B e s c h r ä n k u n g des Schadensersatzes auf den G e l d e r s a t z für L i e b eine direkte F o l g e seiner Auffassung zu sein, der culpa in c o n t r a h e n do gehe es in diesem B e r e i c h nur u m den E r s a t z v o n V e r m ö g e n s s c h ä d e n . Sieht man hingegen wie hier die culpa in c o n t r a h e n d o als besonderes Institut z u m S c h u t z der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit in Vertragsverhandlungen, läßt sich der A u s s c h l u ß einer A u f h e b u n g des Vertrages im Wege der N a t u r a l r e s t i t u t i o n so jedenfalls nicht begründen.
d) Zur Frage des geschützten
Rechtsgutes
B e i genauerer B e t r a c h t u n g stellt sich in diesem Z u s a m m e n h a n g auch f o l gendes P r o b l e m : L i e b meint weder, daß die culpa in c o n t r a h e n d o für diesen B e r e i c h dem S c h u t z der rechtsgeschäftlichen E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t
dient,
n o c h aber spricht er davon, daß sie allein das V e r m ö g e n schützt. E h e r hat man sich hier w o h l vorzustellen, daß die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit n u r geschützt ist, soweit sie ihrerseits auf den S c h u t z des v o r h a n d e n e n Ver196 197
Lieb, JZ 1972,442(443).
Lieb, Festschrift Rechtswissenschaftliche Fakultät Köln, 251 (262 mit Fn. 38).
V. Auseinandersetzung
mit der These vom Vermögensschaden
323
mögensstandes abzielt, so daß insoweit weder die rechtsgeschäftliche E n t scheidungsfreiheit als solche n o c h das V e r m ö g e n als solches geschützt wäre. D i e v o n L i e b vorgetragene K o n z e p t i o n vermeidet allerdings eine genauere A n a l y s e dessen, was denn eigentlich das durch die culpa in c o n t r a h e n d o hier geschützte R e c h t s g u t ist. O h n e eine hinreichend präzise A n a l y s e des b e e i n trächtigten R e c h t s g u t e s läßt sich natürlich auch nicht b e g r ü n d e n , was N a t u ralrestitution im Fall der B e e i n t r ä c h t i g u n g dieses R e c h t s g u t e s bedeuten soll. A u f die F r a g e nach dem geschützten R e c h t s g u t verweist schließlich auch das v o n L i e b v o r g e b r a c h t e A r g u m e n t z u m S c h u t z b e r e i c h der N o r m . 1 9 8 U m so stärker man den G e d a n k e n eines V e r m ö g e n s s c h u t z e s in den V o r d e r g r u n d stellt, desto näher scheint die A n n a h m e zu liegen, Schadensersatz sei in erster Linie durch Z a h l u n g eines D i f f e r e n z b e t r a g e s zu leisten. W e n n m a n hingegen den S c h u t z der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit in den Vordergrund stellt, dürfte m e h r für einen Schadensersatz durch A u f h e b u n g des Vertrages im W e g e der N a t u r a l r e s t i t u t i o n sprechen. F ü r die F r a g e Vertragsaufhebung oder D i f f e r e n z z a h l u n g spricht L i e b schließlich auch eine A r t Verhältnismäßigkeitsargument an: S o w o h l im w i r t schaftlichen E n d e r g e b n i s als auch im H i n b l i c k auf die R e c h t s f o l g e n gehe die Vertragsaufhebung weiter als der b l o ß e Vermögensausgleich in G e l d . D i e Vertragsaufhebung sei im Vergleich z u m b l o ß e n Ausgleich der V e r m ö g e n s differenz die weit einschneidendere R e c h t s f o l g e , die nur a n g e b r a c h t sei, w e n n die W a h r s c h e i n l i c h k e i t deutlich überwiegt, daß der Vertragsabschluß bei ausreichender A u f k l ä r u n g u n t e r b l i e b e n w ä r e . 1 9 9 D e r b l o ß e Ausgleich der Verm ö g e n s d i f f e r e n z stelle daher in der R e g e l den vorzugswürdigeren W e g dar. Dieses A r g u m e n t erscheint allerdings n u r aus einer b e s t i m m t e n P e r s p e k t i ve als zutreffend, n ä m l i c h unter dem G e s i c h t s p u n k t eines Schutzes des Vertrages in seinem B e s t a n d . D a g e g e n paßt dieses A r g u m e n t s c h o n nicht mehr, w e n n m a n der Auffassung ist, daß es hier u m den S c h u t z der rechtsgeschäftlichen E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t geht. V o n diesem S t a n d p u n k t aus stellt vielmehr im G e g e n t e i l die Vertragsanpassung den sehr viel gravierenderen rechtlichen E i n g r i f f dar als die V e r t r a g s a b w i c k l u n g , und z w a r deshalb, weil die Vertragsanpassung dazu führt, daß im Wege des Schadensersatzes durch den R i c h t e r ein normatives E r g e b n i s v o n Vertragsverhandlungen festgelegt w e r d e n m u ß . L i e b sieht z w a r selbst, daß sein A n s a t z zu einer „Verstärkung v o n R i c h t e r m a c h t " führt, rechtfertigt sie aber u.a. mit dem H i n w e i s und in A n s c h l u ß an Ü b e r l e g u n g e n aus dem B e r e i c h ergänzender Vertragsauslegung. 2 0 0 N u n b e steht allerdings ein gravierender U n t e r s c h i e d z w i s c h e n der ergänzenden Vertragsauslegung und der H a f t u n g aus culpa in c o n t r a h e n d o bei B e e i n t r ä c h t i gung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit. D i e ergänzende Vertragsauslegung stützt sich auf eine bestehende R e g e l u n g und ist das F o r t d e n k e n
198 199 200
Lieb, J Z 1972,442 (443). Lieb, Festschrift Rechtswissenschaftliche Fakultät Köln, 251 (267). Lieb, Festschrift Rechtswissenschaftliche Fakultät Köln, 251 (257).
324
5 7 Zum Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
des hypothetischen Parteiwillens auf dieser Grundlage. Diese Grundlage fehlt aber gerade bei der Haftung aus culpa in contrahendo. I m Zuge einer schadensersatzrechtlichen Vertragsanpassung würde nicht die rechtsgeschäftliche Regelung fortgedacht, sondern die Vertragsverhandlungen. Das ist eine qualitativ ganz andere Aufgabe, die dem Richter im Hinblick auf die Privatautonomie nicht zukommt. Dagegen läßt sich auch nicht einwenden, schon in der Annahme von Sorgfaltspflichten zum Schutz der rechtsgeschäftlichen E n t scheidungsfreiheit liege ein Eingriff in die Privatautonomie. D i e Sorgfaltspflichten beinhalten - insoweit ähnlich der ergänzenden Vertragsauslegung eine Ausgestaltung des bestehenden Schuldverhältnisses. Damit konkretisieren sie für diesen Bereich nur die Grenzen der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit des anderen. Es soll freilich nicht übersehen werden, daß Lieb mit seinem theoretischen Ansatz ein wichtiges Anliegen verfolgt, das Zustimmung verdient. In seinen Überlegungen klingt nämlich der Gedanke an, daß es ihm darum geht, den Anwendungsbereich der culpa in contrahendo möglichst präzise zu umreißen, um so der Gefahr einer Uferlosigkeit der Haftung aus culpa in contrahendo zu begegnen. Allerdings bleibt doch fraglich, o b mit der Forderung nach der Notwendigkeit eines Vermögensschadens, ein erfolgversprechender Weg für die Verwirklichung dieses Anliegens eingeschlagen ist. 2 0 1 Das wird deutlicher, wenn man sich einmal fragt, w o denn der Gedanke des Vermögensschadens herkommt. H i e r gilt zunächst einmal, daß dem Begriff im allgemeinen Schadensrecht eine wichtige, aber angesichts der Allgemeinheit des Schadensbegriffs nur sekundäre Bedeutung zukommt. I m Deliktsrecht hat der Gedanke der Vermögensverletzung vor allem die Aufgabe, einen Bereich zu umschreiben, der nicht durch die absoluten Rechte und Rechtsgüter geschützt ist und sich nur über die §§ 823 II und 826 B G B erfassen läßt. Das Vermögen selbst ist damit kein präzise konturiertes Rechtsgut, ein Schutz des Vermögens bedarf vielmehr der näheren Bestimmung durch Bezugnahme auf ein Schutzgesetz oder die sittenwidrige Schädigung. Diese Unkonturiertheit des Vermögensbegriffes macht ihn aber auch untauglich für eine nähere K o n turierung der Haftung aus culpa in contrahendo. Anders formuliert: D e r Vermögensbegriff kann die Haftungsbegründung nicht tragen, weil er keine genügende begrenzende F u n k t i o n hat; im Gegenteil, er bringt eher das U n b e grenzte zum Ausdruck. 2 0 2 Dementsprechend hat das Merkmal des Vermögensschadens überhaupt nur Bedeutung in der Gegenüberstellung zu dem Gedanken einer bloßen B e einträchtigung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit. H i e r ist aber zunächst einmal völlig ungeklärt, wieso denn nicht auch die bloße Beein2 0 1 So ist etwa angesichts der Deutung des Vermögensschadens in der neueren Rechtsprechung des B G H geltend gemacht worden, daß Ersatzansprüche am Fehlen eines solchen Schadens kaum jemals scheitern dürften, vgl. Medicus, B G H LM, § 249 (A) B G B Nr. 113 Bl. 7; Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (111 m.w.N.). 2 0 2 Vgl. dazu bereits oben § 6 III.
V. Auseinandersetzung
mit der These vom
Vermögensschaden
325
trächtigung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit einen Vermögensschaden darstellen sollte. 2 0 3 Immerhin bezieht sich die große Mehrzahl der Verträge auf Vermögenswerte Güter. Warum sollte dann nicht auch der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit im H i n b l i c k auf diese Verträge Vermögenscharakter zukommen? Auch wenn man davon einmal absieht, spricht viel dafür, daß die Grenzlinie zwischen der Beeinträchtigung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit und dem Vermögensschaden fließend ist. Das zeigt vor allem die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die davon ausgeht, daß die wirtschaftliche Nachteiligkeit eines Vertrages sich auch daraus ergeben kann, daß der Betroffene „in seinen Vermögensdispositionen" beeinträchtigt ist. 2 0 4 Ein Vermögensschaden könne deshalb bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung auch darin liegen, daß die Leistung für die Zwecke des Getäuschten nicht voll brauchbar ist. Das hat Lieb Anlaß zu der kritischen Bemerkung gegeben, die vom Bundesgerichtshof im Ansatz säuberlich auseinandergehaltenen Sphären der freien Selbstbestimmung und des bloßen Vermögensschutzes drohten damit erneut zu verschwimmen. 2 0 5 N u n muß man allerdings wohl sagen, daß diese Problematik auch schon in den Ü b e r l e gungen Liebs angelegt ist. 2 0 6 So hat vorher schon auch Lieb selbst für die B e messung des Schadens darauf abstellen wollen, ob der Vertragsgegenstand für die Zwecke des Getäuschten brauchbar und damit der Vertragszweck erreichbar ist. 2 0 7 Bei diesem Gesichtspunkt stellt sich zunächst einmal die Problematik einer Abgrenzung der Haftung aus culpa in contrahendo von der Anfechtung nach § 119 II B G B . D e n n die Frage der Brauchbarkeit der Sache ist grundsätzlich der Motivsphäre der Vertragsparteien zuzuordnen, die für sich genommen in erster Linie für den Eigenschaftsirrtum von Bedeutung ist. D i e scharfe A b grenzung der culpa in contrahendo von der arglistigen Täuschung nach § 123 I B G B führt in der Konzeption Liebs damit zu einer offenen Flanke im Verhältnis zur Anfechtung wegen eines Eigenschaftsirrtums nach § 1 1 9 II BGB. Weiter ist dann aber auch zu bedenken, daß die Motive einer Vertragspartei doch gerade zur Willensbildung gehören und damit der Sphäre rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit zuzuordnen sind. Deshalb führt es nahezu
203 Vgl. auch Soergel-Mertens, Vor § 2 4 9 Rz. 13, der den Vermögensschaden beim „unerwünschten Vertrag" schon damit begründet, daß er nicht nur die Willensfreiheit beeinträchtigt, sondern sie auch mit Verpflichtungen belastet. 2 0 4 B G H N J W 1998, 302 (304). 205 Lieb, Festschrift für Medicus, 337 (340). 206 Im übrigen hat Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (110), mit Recht daran erinnert, daß diese Subjektivierung des Vermögensschadensbegriffs bereits bei Schumacher, Vertragsanbahnung wegen fahrlässiger Irreführung unerfahrener Vertragspartner, S. 117 ff., und Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 275 ff., vorgezeichnet ist. 207 Vgl. Lieb, Festschrift Rechtswissenschaftliche Fakultät Köln, 251 (267).
326
5 7 ïum
Schutz
der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
zwangsläufig dazu, daß es keine Grenzlinie mehr zwischen der bloßen Beeinträchtigung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit und der des Vermögens gibt, wenn man die Brauchbarkeit eines Vertragsgegenstandes in die B e wertung als Vermögensschaden einbezieht. Das ist allerdings auch nicht verwunderlich, da die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit doch offenbar vor allem deshalb geschützt wird, um fehlerfreie Verfügungen über das bestehende Vermögen zu gewährleisten. A u c h bei einer „bloßen" Beeinträchtigung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit ist das aber schon nicht mehr der Fall. I m Grunde ist die culpa in contrahendo in der F o r m des Schutzes rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit damit ein Institut abstrakten Vermögensschutzes, während Lieb offenbar und auch der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eher eine Art konkreter Vermögensschutz durch die culpa in contrahendo vorschwebt. F ü r einen solchen Schutz gibt es aber keinerlei Vorbild im B G B .
3. Schlußfolgerung: Zur Notwendigkeit einer Konturierung der Haftung aus culpa in contrahendo durch die Begründung der Pflichtverletzung. Insbesondere zur Problematik der Aufklärungspflichten Letztlich k o m m t man deshalb nicht um die Einsicht herum, daß eine genauere Konturierung der Haftung aus culpa in contrahendo wohl nur über den Begriff der Pflichtverletzung erfolgen kann. So hat beispielsweise auch Medicus, der einer Haftung aus culpa in contrahendo bei fahrlässiger T ä u schung ursprünglich ablehnend gegenüberstand, 2 0 8 sich zuletzt darauf zurückgezogen, daß diese Haftung nur dann erträglich sei, wenn denjenigen, der eine unrichtige Auskunft gibt, eine besondere Auskunfts- oder Informationspflicht trifft. 2 0 9 Eine solche Pflicht dürfe aber nur sehr zurückhaltend angenommen werden. Die genauere Analyse dieser Pflichten und ihrer Begründung steckt aber eher noch in den Anfängen. Einer genaueren Betrachtung bedürfte etwa die Frage nach dem Inhalt von Aufklärungspflichten. So geht beispielsweise G r i goleit davon aus, daß sich Aufklärungspflichten nicht nur auf die korrekte Weitergabe von Information beziehen, sondern auch auf den E r w e r b von Information zur Erweiterung der Informationsbasis desjenigen, der auf dieser Grundlage aufklären m u ß . 2 1 0 Wenn Aufklärungspflichten sich auch auf den E r w e r b von Information erstrecken, gewinnen sie jedoch eine ganz andere Qualität als bei bloßer Beschränkung auf die konkrete Weitergabe vorhandeMedicus, JuS 1965, 209 (214). Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 150; ähnlich ders., Rz. 450. 210 Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 4, 9. 208 209
Allgemeiner Teil des
BGB,
V. Auseinandersetzung
mit der These vom Vermögensschaden
327
ner Information. 2 1 1 Diese neue Qualität ergibt sich daraus, daß solche N a c h forschungspflichten zu einer Verschiebung des informationellen M a r k t gleichgewichts führen. D e n n Information ist grundsätzlich Sache einer jeden Vertragspartei selbst. Nachforschungspflichten führen insoweit dazu, daß diese Verteilung der Informationslasten zwischen den Parteien verschoben wird. Demgegenüber stellt die nicht korrekte Weitergabe von Information gewissermaßen eine Beeinträchtigung des Informationsgleichgewichts durch einen Verhandlungspartner dar, die im Wege der Haftung aus culpa in contrahendo ausgeglichen wird. Insgesamt dürfte damit im Hinblick auf Information ein mehrstufiges Verhältnis der Lastenverteilung bestehen: Ausgangspunkt ist der Grundsatz, daß sich prinzipiell jede Vertragspartei um ihre eigenen Interessen sorgen muß. Im Einzelfall kann aber nach Treu und Glauben die Pflicht eines Verhandlungspartners bestehen, dem anderen vorhandene Informationen weiterzugeben. 2 1 2 D a ß in derartigen Fällen darüber hinaus auch eine Verpflichtung besteht, sich Informationen zu beschaffen, um den anderen Verhandlungspartner darüber aufzuklären, bedarf einer darüber hinausgehenden besonderen Begründung. Eine weitere Problematik der Aufklärungspflichten, die für eine genauere Analyse der Pflichten im Rahmen von Vertragsverhandlungen von Bedeutung ist, betrifft die von Lorenz in den Vordergrund gerückte Unterscheidung von Täuschung durch aktives Tun oder durch Unterlassen. Bei aktiver Täuschung wird danach die Wahrheitspflicht verletzt, so daß es nur bei der Täuschung durch Unterlassen um die Verletzung von Aufklärungspflichten gehen soll. 2 1 3 Diese Unterscheidung ist weniger klar als es scheint. Grundlage der Haftung aus culpa in contrahendo kann ja nicht einfach das Sagen der Unwahrheit sein, sondern nur die Verletzung der Wahrheitspflicht, soweit dadurch die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt wird. Das aber bedeutet, es bedarf eines besonderen Wertungsaktes darüber, ob das Sagen der Unwahrheit eine Verletzung der Wahrheitspflicht darstellt. Für diesen besonderen Wertungsakt kann man ebenfalls den Begriff der Aufklärungspflichtverletzung heranziehen, 2 1 4 sofern man sich darüber im klaren ist, daß sie hier der Begründung der Wahrheitspflichtverletzung dient und damit von der Begründung einer Handlungspflicht für die Täuschung durch U n t e r lassen zu unterscheiden ist. Auch diese Problematik des Verhältnisses von Wahrheits- und Aufklärungspflicht zeigt, daß grundlegende Fragen in der Analyse von Pflichtverletzungen im Rahmen der Vertragsverhandlungen längst noch nicht ausdiskutiert sind. D e r Gedanke, daß Sorgfaltspflichten 211 Deshalb dürfte es sich entgegen der Auffassung von Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 9, dabei nicht um ein bloßes Problem der Fahrlässigkeit handeln, sondern bereits der Begründung einer Pflichtverletzung. 2 1 2 Zum Ausnahmecharakter dieser Aufklärungspflichten vgl. nur Palandt-Heinrichs, § 123 Rz. 5, 5b u. c; Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 6. 213 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 409 ff. 214 So offenbar die Verwendung des Begriffs bei Palandt-Heinrichs, § 123 Rz. 5a.
328
5 7 T.um Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
dem Schutz bestimmter Rechtsgüter dienen, zu denen auch die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit zählt, kann dafür immerhin einen wichtigen Orientierungspunkt darstellen.
VI.
Zusammenfassung
Die Sorgfaltspflichten zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit sollen verhindern, daß der Schuldvertrag - entgegen dem Willen des anderen Verhandlungspartners - gar nicht zustande kommt, daß er nur unwirksam zustande kommt oder daß er mit unerwünschtem Inhalt zustande kommt. Insgesamt betreffen diese Sorgfaltspflichten damit den fehlerfreien Abschluß des schuldrechtlichen Vertrages. Für diesen Schutz stellt das Rechtsgut der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit ein Rahmenrecht dar, das der Ausfüllung im Einzelfall bedarf. Systematisch steht dieser Schutz in engem Zusammenhang mit dem Schutz des Vertrages selbst, so daß es näher liegt, ihn als Teil der allgemeinen Verhaltensordnung des Schuldverhältnisses zu begreifen denn als Aufgabe des Deliktsrechts. Mit den Sorgfaltspflichten zum Schutz rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit tritt nicht Fremdverantwortung für den Verhandlungspartner an die Stelle von Selbstverantwortung, vielmehr zielen sie auf die Achtung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit des anderen und damit auf die Gewährleistung der Funktionsbedingungen für die Ausübung von Privatautonomie. Mit der Anerkennung der Institute der culpa in contrahendo und der positiven Vertragsverletzung hat sich eine die gesetzliche Regelung ergänzende und verstärkende Haftungsordnung des Schuldverhältnisses herausgebildet, die zwischen der sich aus dem Allgemeinen Teil des BGB ergebenden Lehre vom Rechtsgeschäft und der Regelung verschiedener Vertragstypen im Besonderen Teil des Schuldrechts steht und als Teil einer im Allgemeinen Schuldrecht nur in Rudimenten angelegten Lehre vom Schuldverhältnis entwickelt worden ist. Die culpa in contrahendo stellt vor diesem Hintergrund ein spezielles Institut zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit im Rahmen von Vertragsverhandlungen dar, die auf den Abschluß von Schuldverträgen zielen. Aus dieser systematischen Stellung der Haftung aus culpa in contrahendo ergibt sich auch die Legitimität einer solchen Haftung neben der zur Lehre von den Willensmängeln gehörenden Regelung des § 123 I BGB. Beide Regelungsbereiche ergänzen einander: Durch die Rechtsgeschäftslehre wird vor allem in den §§ 123 I, 138 I BGB eine starre äußere Grenze zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit errichtet, die für den Abschluß des Schuldvertrages durch das Konzept eines differenzierten und auf den Einzelfall bezogenen Schutzes im Rahmen der Haftung aus culpa in contrahendo gestützt wird. Die Abschlußkontrolle von Schuldverträgen ist insoweit zweistufig konzipiert, nämlich als allgemeine Kontrolle durch die Rechtsgeschäftslehre und als besondere Kontrolle im Rahmen der
VI.
Zusammenfassung
329
culpa in c o n t r a h e n d o . I n dieser Weise steht der S c h u t z der rechtsgeschäftlichen E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t im Z u s a m m e n h a n g einer umfassenden A u s d e h nung eines Vertrags- und D e l i k t s o r d n u n g umfassenden schuldrechtlichen Prinzips des Schutzes durch Sorgfaltspflichten. In m e t h o d i s c h e r H i n s i c h t stellt sich damit im Verhältnis z w i s c h e n Rechtsgeschäftslehre und Schuldvertragsrecht die Frage nach der G e l t u n g s s t ä r k e verschiedener, im B G B unterschiedlich ausgeformter Prinzipien für das R e c h t s s y s t e m . D a b e i handelt es sich u m einen P r o z e ß der G e w i c h t u n g dieser P r i n z i p i e n innerhalb des gesetzlichen Systems, nicht um rechtsfortbildende G e s e t z e s k o r r e k t u r . In der neueren L i t e r a t u r sehen v o r allem G r i g o l e i t und L o r e n z die culpa in c o n t r a h e n d o als Institut z u m S c h u t z der rechtsgeschäftlichen E n t s c h e i d u n g s freiheit. M i t dem G e d a n k e n einer entsprechenden A n w e n d u n g des § 123 I B G B für die fahrlässige vorvertragliche I r r e f ü h r u n g wird dieser S c h u t z v o n G r i g o l e i t primär in der R e c h t s g e s c h ä f t s l e h r e verankert. D a s vermag nicht zu überzeugen, da es ü b e r h a u p t nur um den S c h u t z rechtsgeschäftlicher E n t scheidungsfreiheit im R a h m e n v o n Vertragsverhandlungen z u m A b s c h l u ß von Schuldverträgen geht. D e m e n t s p r e c h e n d sieht auch G r i g o l e i t sich veranlaßt, eine A n f e c h t u n g des Erfüllungsgeschäftes bei fahrlässiger T ä u s c h u n g prinzipiell auszuschließen. A u s d r u c k der systematischen V e r o r t u n g des P r o blems fahrlässiger vorvertraglicher I r r e f ü h r u n g in der Rechtsgeschäftslehre ist in seiner K o n z e p t i o n weiter auch die T h e s e v o m Vorrang des A n f e c h tungsrechts gegenüber der schadensrechtlichen Vertragsaufhebung, die aber s o w o h l in systematischer, als auch in d o g m a t i s c h e r H i n s i c h t unbefriedigend ist. D i e A n n a h m e v o n L o r e n z , anhand der Kausalität den b e s o n d e r e n R e g e lungsgehalt der culpa in c o n t r a h e n d o gegenüber der T ä u s c h u n g s a n f e c h t u n g begründen zu k ö n n e n , wird der E i g e n a r t rechtsgeschäftlicher E n t s c h e i d u n g s freiheit in verschiedener H i n s i c h t nicht gerecht. Z u n ä c h s t einmal kann man das in der R e c h t s p r e c h u n g zugunsten des G e t ä u s c h t e n gewährte W a h l r e c h t zwischen A u f h e b u n g und R ü c k a b w i c k l u n g des Vertrages einerseits und Vertragsanpassung andererseits als F o l g e einer im A n s c h l u ß an die T ä u s c h u n g getroffenen E n t s c h e i d u n g auffassen, an dem Vertrag festzuhalten oder ihn aufzuheben. B e i dieser Wahl handelt es sich insoweit um eine dem T ä u s c h e n den n o c h z u r e c h e n b a r e R e a k t i o n des G e t ä u s c h t e n auf die B e e i n t r ä c h t i g u n g seiner rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit, die für die Schadensabw i c k l u n g insofern wiederhergestellt wird, als daß er z w i s c h e n d e m Festhalten und der A u f h e b u n g des Vertrages wählen kann. D e r G e d a n k e der schadensrechtlichen Wiederherstellung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit führt j e d o c h für die Vertragsanpassung dazu, daß die G e r i c h t e im R a h m e n der U n t e r s u c h u n g des o h n e die B e e i n t r ä c h t i g u n g der rechtsgeschäftlichen E n t scheidungsfreiheit geschlossenen - h y p o t h e t i s c h e n - Vertrages gezwungen wären, das n o r m a t i v e E r g e b n i s v o n Vertragsverhandlungen n a c h z u z e i c h n e n . E s stellt aber weder eine sinnvolle A u f g a b e v o n R e c h t s p r e c h u n g dar, n o c h entspricht es der E i g e n a r t rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit, im Fall der B e e i n t r ä c h t i g u n g dieser Freiheit an ihre Stelle ein normatives E r g e b n i s
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5 7 7-um Schutz der rechtsgeschäftlichen
Entscheidungsfreiheit
von Vertragsverhandlungen zu setzen. Die culpa in contrahendo wäre damit nicht länger mehr ein Instrument der Abschlußkontrolle, sondern würde zu einem Instrument der Inhaltskontrolle, mehr noch der Inhaltsgestaltung umgeformt werden. Die vor allem von Schubert und Lieb begründete Auffassung, daß die Haftung aus culpa in contrahendo wegen Beeinträchtigung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit das Vorliegen eines Vermögensschadens voraussetzt, die auch in der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aufgenommen worden ist, beruht zunächst einmal auf einer in mehrfacher Hinsicht problematischen Deutung des Verhältnisses von Rechtsgeschäftslehre und Schadensrecht. Damit bleibt von diesem Standpunkt aus kein Raum für ein Verständnis der culpa in contrahendo als besonderes Institut zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit in Vertragsverhandlungen gegenüber dem nur allgemeinen Schutz dieser Freiheit durch § 123 BGB. Das Anliegen, unter dem Gesichtspunkt des Vermögensschadens eine uferlose Ausdehnung der Haftung aus culpa in contrahendo zu begrenzen, erscheint auch als wenig erfolgversprechend, weil der Vermögensbegriff keine genügende begrenzende Funktion hat, zumal sich auch die Beeinträchtigung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit als Vermögensschaden auffassen läßt. Ebenso erscheint auch in der Deutung des Vermögensschadens durch die Rechtsprechung die Grenzlinie zwischen einer Beeinträchtigung rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit und dem Vermögensschaden als fließend. Aus dieser Perspektive stellt sich der bloße Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit durch die culpa in contrahendo als eine Form abstrakten Vermögensschutzes dar, während Teilen der Literatur und der Rechtsprechung mit dem Erfordernis des Vermögensschadens offenbar eher eine Art konkreter Vermögensschutz durch die culpa in contrahendo vorschwebt. Versuche einer genaueren Konturierung der Haftung aus culpa in contrahendo werden aber nicht daran vorbeikommen, daß diese Aufgabe letztlich nur über eine genauere Analyse der in Frage stehenden Pflichtverletzungen bewältigt werden kann.
§ 8 Sorgfaltspflichten zum Schutz der Beteiligung des anderen am Schuldverhältnis I. Der Schutz des Schuldverhältnisses durch Pflichten und die Eigenart von Sorgfaltspflichten zum Schutz der Beteiligung am Schuldverhältnis M i t den Leistungspflichten wird der A n s p r u c h des Gläubigers geschützt, und auch die bisher behandelten Sorgfaltspflichten beziehen sich auf den Schutz genauer bestimmter Rechtsgüter. Letztlich wird durch diese Pflichten aber auch das Schuldverhältnis in seiner k o n k r e t e n Gestalt geschützt. So ist mit den Leistungspflichten nicht nur der A n s p r u c h des Gläubigers geschützt, sondern das Schuldverhältnis insgesamt in seiner Bedeutung als Grundlage eines Güteraustausches. Ä h n l i c h wird auch durch die Sorgfaltspflichten nicht nur das jeweilige R e c h t s g u t geschützt, sondern darüber hinaus auch Bestand und F u n k t i o n des zugrunde liegenden Schuldverhältnisses. So zielen beispielsweise die Sorgfaltspflichten zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit auf den ordnungsgemäßen Ablauf der Vertragsverhandlungen und gewährleisten so, daß der Z w e c k des entsprechenden Schuldverhältnisses erreicht wird. Diese Beziehung der Pflichten auf das Schuldverhältnis k o m m t insbesondere auch in der B e z e i c h n u n g des Instituts der positiven Vertragsverletzung zum Ausdruck. D a m i t wird - anders als bei dem ebenfalls verwandten Begriff der positiven Forderungsverletzung 1 - weniger die verletzte Pflicht in den Vordergrund gerückt als vielmehr die Verletzung des Vertrages und damit der entsprechenden B e z i e hung zwischen Gläubiger und Schuldner. Die Überlegungen machen deutlich, daß jede Pflichtverletzung auch eine Verletzung des Schuldverhältnisses beinhaltet. Trotz dieser Beziehung der Verletzungshandlung auf das Schuldverhältnis entspricht es aber der gesetzlichen und wohl auch der wissenschaftlicher D o g m a t i k zugrunde liegenden Konzeption des Rechts der Leistungsstörungen nicht einfach nur eine Verletzung des Vertrages oder des Schuldverhältnisses zu untersuchen, sondern die Verletzung des Schuldverhältnisses anhand konkreter Pflichten zu beurteilen, die von einer der Parteien verletzt worden sind. D i e Handlungen der Parteien werden also nicht in unmittelbarem Rückgriff auf das Schuldverhältnis be1
Siehe nur etwa Medicus, Schuldrecht I, Rz. 411 ff.
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5 8 Zum Schutz der Beteiligung des anderen am
Schuldverhältnis
wertet, s o n d e r n i m m e r nur in vermittelnder Weise anhand der sich aus dem Schuldverhältnis ergebenden Pflichten. D i e s e Vorgehensweise b e r u h t o f f e n b a r darauf, daß sich aus d e m Schuldverhältnis einzelne M o m e n t e herauslösen und als Sollensanforderungen im B e griff der P f l i c h t genauer k o n k r e t i s i e r e n lassen. So stellen die L e i s t u n g s p f l i c h ten, aber auch etwa die Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z der rechtsgeschäftlic h e n Entscheidungsfreiheit sicher präzisere rechtliche B e z u g s p u n k t e für die B e u r t e i l u n g des Verhaltens v o n G l ä u b i g e r und S c h u l d n e r dar als der b l o ß e G e d a n k e des Schuldverhältnisses. Andererseits bleibt letzter B e z u g s p u n k t der Pflichten natürlich das Schuldverhältnis, das insoweit Q u e l l e der A n s p r ü che und Pflichten ist. D a ß aus dem Schuldverhältnis einzelne Pflichten herausgearbeitet werden, ist in unterschiedlicher H i n s i c h t v o n B e d e u t u n g . Z u n ä c h s t einmal haben die Pflichten - insbesondere die Leistungspflichten, aber auch die Sorgfaltspflichten - für die Parteien selbst eine O r i e n t i e r u n g s f u n k t i o n bei der Verteilung und Festlegung ihrer A u f g a b e n . D a n n k o m m t der F o r m u l i e r u n g k o n kreter Pflichten aber auch eine wichtige m e t h o d i s c h e F u n k t i o n zu. D i e B e gründung einer Pflicht aus dem Schuldverhältnis zwingt dazu, k o n k r e t e Sollensanforderungen zu f o r m u l i e r e n , die dann M a ß s t a b der R e c h t s a n w e n dung sind. D i e B e w e r t u n g einer H a n d l u n g anhand v o n Pflichten trägt damit stärker zur Rationalität der R e c h t s f i n d u n g bei als der unmittelbare R ü c k g r i f f auf das Schuldverhältnis. E r s t die P f l i c h t e r m ö g l i c h t schließlich auch die U n terscheidung und A u s d i f f e r e n z i e r u n g unterschiedlicher S o l l e n s a n f o r d e r u n gen. So wird erst dadurch die U n t e r s c h e i d u n g der Leistungs- v o n den S o r g faltspflichten ermöglicht, weiter auch diejenige zwischen verschiedenen T y pen von Sorgfaltspflichten. D i e Pflicht ist insoweit ein d o g m a t i s c h e r B e g r i f f z u r A n a l y s e der verschiedenartigen M o m e n t e des Schuldverhältnisses. N e b e n den bisher behandelten Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z b e s t i m m t e r R e c h t s g ü t e r scheint es darüber hinaus auch Sorgfaltspflichten zu geben, die auf einen u n m i t t e l b a r e n S c h u t z des Schuldverhältnisses selbst abzielen. S o wird in der L i t e r a t u r von Treuepflichten gesprochen, v o n Störungen der Vertrauensgrundlage, G e f ä h r d u n g e n des V e r t r a g s z w e c k s usw. 2 A u f den ersten B l i c k geht es hier um Pflichten, die ganz allgemein dem S c h u t z der B e z i e h u n g z w i s c h e n G l ä u b i g e r und Schuldner dienen und damit einen u n m i t t e l b a r e n S c h u t z des Schuldverhältnisses beinhalten. B e i genauerer B e t r a c h t u n g handelt es sich aber auch in diesen Fällen nicht um einen solchen allgemeinen S c h u t z des Schuldverhältnisses, einen S c h u t z des Schuldverhältnisses in jeglicher H i n s i c h t . E i n e derartige F o r m des Schutzes würde auch zu einem G r u n d t a t b e s t a n d für den S c h u t z des Schuldverhältnisses führen, der mit d e m K o n z e p t eines Schutzes durch Pflichten im H i n b l i c k auf k o n k r e t e R e c h t s g ü ter nicht vereinbar wäre.
2
Vgl. dazu im einzelnen später unter I I 2.
II. Abgrenzung von anderweitigen
Pflichten
333
A u c h hier lassen sich j e d o c h aus dem Schuldverhältnis k o n k r e t e Sollensanf o r d e r u n g e n herauslösen, die G e g e n s t a n d eigenständiger Sorgfaltspflichten sind. D i e s e Sorgfaltspflichten dienen nicht ganz allgemein d e m S c h u t z des Schuldverhältnisses, sondern dem S c h u t z der sich aus dem Schuldverhältnis ergebenden personalen B e z i e h u n g z w i s c h e n G l ä u b i g e r und Schuldner. D i e A n n a h m e , daß das Schuldverhältnis eine personale B e z i e h u n g zwischen G l ä u b i g e r und Schuldner stiftet, stellt einen L e i t g e d a n k e n für das Verständnis des Schuldverhältnisses insgesamt dar, der sich insbesondere in A b g r e n z u n g z u m Verständnis des E i g e n t u m s als einem absoluten R e c h t herausgebildet hat. 3 D a r ü b e r hinaus k a n n man in der Personalität des Schuldverhältnisses, der personalen B e z i e h u n g z w i s c h e n G l ä u b i g e r und Schuldner aber auch einen K e r n b e r e i c h des Schuldverhältnisses sehen, der sich als k o n k r e t e s R e c h t s g u t auffassen läßt, das durch b e s o n d e r e P f l i c h t e n geschützt wird. D a b e i wird mit der personalen B e z i e h u n g der B e s t a n d des Schuldverhältnisses in subjektiver H i n s i c h t geschützt in F o r m der Beteiligung am Schuldverhältnis. I n der Verletzung dieser Sorgfaltspflichten liegt also ein A n g r i f f auf die Personalität des Schuldverhältnisses, die den anderen in seiner R e c h t s s t e l l u n g als Teilhaber dieser B e z i e h u n g beeinträchtigt. I m f o l g e n d e n geht es darum, die Eigenart dieser Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z der Beteiligung des anderen am Schuldverhältnis deutlicher zu m a c h e n . E i n e e r s c h ö p f e n d e U n t e r s u c h u n g der insoweit in B e t r a c h t k o m m e n d e n Fälle ist damit nicht beabsichtigt.
II. Abgrenzung der Sorgfaltspflichten zum Schutz der Beteiligung des anderen am Schuldverhältnis von anderweitigen Pflichten 1. Einleitung A n g e s i c h t s dessen, daß jede Verletzung v o n P f l i c h t e n auch eine Verletzung des Schuldverhältnisses beinhaltet, führt dies i m m e r auch zu einer B e e i n trächtigung der personalen B e z i e h u n g zwischen G l ä u b i g e r und Schuldner. D e n n o c h führt nicht jeder Fall der Pflichtverletzung auch zu einer Verletzung der Personalität der B e z i e h u n g , so daß für die R e c h t s f o l g e n der Pflichtverletzung auch danach zu unterscheiden ist, o b dies der Fall ist o d e r nicht. 4 D a n n
Vgl. bereits oben § 6 II 3 a. So ist beispielsweise für die positive Vertragsverletzung im Rahmen eines gegenseitigen Vertrages danach zu unterscheiden, ob der Gläubiger lediglich Ersatz des ihm durch die Pflichtverletzung entstandenen Schadens verlangen kann oder ob die Pflichtverletzung - wegen Unzumutbarkeit des weiteren Festhaltens am Vertrag - nicht sogar das Recht zur Liquidierung des Vertrages im Wege des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung oder des Rücktritts gibt, vgl. nur Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, § 22 I, II u. III 1 a; PalandtHeinrichs, §276 Rz. 123 f. Auch §282 B G B - K F knüpft den Anspruch auf „Schadensersatz 3 4
334
5 &
Schutz
der Beteiligung
des anderen
am
Schuldverhältnis
ist weiter nur in den wenigsten Fällen die personale Beziehung selbst Schutzgegenstand der verletzten Pflicht. Viel häufiger sind demgegenüber die Fälle, in denen die personale Beziehung über Pflichten zum Schutz anderweitiger Rechtsgüter nur mitgeschützt ist. Insoweit müssen die Pflichten zum Schutz der personalen Beziehung unterschieden werden von Leistungspflichten und anderweitigen Sorgfaltspflichten, die nur mittelbar auf den Schutz der personalen Beziehung abzielen. Dementsprechend wird im folgenden zunächst versucht, die Verletzung von Sorgfaltspflichten zum Schutz der personalen Beziehung von einigen nahestehenden Fällen der Leistungspflichtverletzung und anderweitigen Sorgfaltspflichtverletzungen abzugrenzen. Sodann wird (unter I I I ) die Verletzung der Sorgfaltspflicht zum Schutz der Beteiligung des anderen am Schuldverhältnis näher analysiert. Im Mittelpunkt steht dabei der Fall der Erfüllungsverweigerung. Abschließend werden einige weitere Fälle solcher Pflichtverletzungen unter dem Gesichtspunkt der Vertragszweckgefährdung nur noch kurz umrissen.
2. Konzeptionelle
Ansätze des Schutzes der Leistung und des Vertrages durch Pflichten in der Literatur
In der Literatur wird zumeist neben den Leistungspflichten und den bisher behandelten Sorgfaltspflichten eine Reihe weiterer Pflichten gestellt, die in ihrer systematischen Bedeutung unsicher sind und je nach der K o n z e p t i o n des Autors auch unterschiedlich bezeichnet, verortet und rechtlich qualifiziert werden. D e n n o c h besteht weitgehende Einigkeit darüber, um welche Fälle von Pflichtverletzungen es hier geht. Sie werden im folgenden anhand einiger ausgewählter systematischer Darstellungen aus der Kommentarliteratur umrissen. Wiedemann faßt die Pflichten, um deren Analyse es hier geht, unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung der Vertragsdurchführung zusammen und bringt sie in einen engen Zusammenhang mit der „Vertragstreue". 5 D a z u zählt er zunächst die verschiedenen Spielarten der Erfüllungsverweigerung. D a n e ben stehen unterschiedliche Fälle der Erfüllungsgefährdung: Leistungsgefährdung, Vertragszweckgefährdung, Vertrauensverlust durch Zerstörung des Vertrauensverhältnisses, illoyales Verhalten. Schließlich rechnet er zur Gefährdung der Vertragsdurchführung auch verschiedene Fälle der unterlassenen Mitwirkung bei der Vertragsdurchführung. 6 Eine inhaltlich vergleichbare Systematik findet sich in der Kommentierung R o t h s , obwohl dessen Terminologie sich deutlich von der Wiedemanns unterstatt der Leistung", allerdings nur bei „Verletzung einer sonstigen Pflicht", an die Voraussetzungen der Wesentlichkeit der Pflichtverletzung und der Zumutbarkeit der Leistung durch den Schuldner für den Gläubiger. 5 Vgl. Soergel-Wiedemann, Vor § 275 Rz. 373. 6 Vgl. insgesamt Soergel-Wiedemann, Vor § 275 Rz. 374 ff., 386 ff., 395 ff.
II. Abgrenzung von anderweitigen
Pflichten
335
scheidet und einige systematische A k z e n t e auch anders gesetzt w e r d e n . R o t h verwendet für den Kreis v o n Pflichten, u m die es hier geht, den O b e r b e g r i f f „leistungssichernde N e b e n p f l i c h t e n " u n d h e b t insoweit - mit einer geläufigen F o r m u l i e r u n g in R e c h t s p r e c h u n g und L i t e r a t u r 7 - hervor, daß beide Parteien alles zu unterlassen haben und der S c h u l d n e r positiv alles tun m u ß , damit der E i n t r i t t des Leistungserfolges und die E r r e i c h u n g des V e r t r a g s z w e k kes nicht gefährdet o d e r beeinträchtigt werden. 8 I m einzelnen zählen zu diesen Pflichten zur Leistungssicherung: O b h u t und F ü r s o r g e für den Schuldgegenstand, B e s c h e i n i g u n g e n und I n f o r m a t i o n e n , unterschiedliche Fälle der Vertragsuntreue (einschließlich der Erfüllungsverweigerung), aktive W a h r n e h m u n g der Interessen des anderen Teils insbesondere U n t e r s t ü t z u n g gegen D r i t t e , nachträgliche Sicherung der erbrachten Leistung. 9 D a v o n gesondert w e r d e n unterschiedliche Fälle v o n M i t w i r k u n g s p f l i c h t e n erörtert. 1 0 H e i n r i c h s unterscheidet im R a h m e n der positiven Vertragsverletzung v o n den Fällen der Schlechtleistung unterschiedliche Fälle der Verletzung v o n N e b e n p f l i c h t e n . 1 1 Z u diesen N e b e n p f l i c h t e n r e c h n e t er - abgesehen v o n den S c h u t z - und A u f k l ä r u n g s p f l i c h t e n - M i t w i r k u n g s p f l i c h t e n und L e i s t u n g s treuepflichten. 1 2 E i n e Verletzung der Leistungstreuepflicht beinhaltet v o r allem die Erfüllungsverweigerung. D i e Verletzung leistungsbezogener N e b e n pflichten stellt nach seiner Auffassung systematisch ebenfalls eine Verletzung v o n N e b e n p f l i c h t e n dar, sie stehe aber der Schlechtleistung nahe. 1 3 D e s h a l b wird sie v o n ihm auch in diesem Z u s a m m e n h a n g erörtert. V o l l k o m m e r schließlich scheint die M e h r z a h l der hier interessierenden Fälle unter dem B e g r i f f „ L e i s t u n g s t r e u e p f l i c h t " z u s a m m e n z u f a s s e n . H i e r b e i handele es sich „um eine Z u s a m m e n f a s s u n g verschiedener E i n z e l p f l i c h t e n , bei denen der T r e u e - , F ü r s o r g e - und R ü c k s i c h t s g e d a n k e b e s ( o n d e r s ) ausgeprägt ist ( . . , ) " . 1 4 I n der R e g e l gehe es u m N e b e n p f l i c h t e n , unter U m s t ä n d e n aber sogar u m H a u p t p f l i c h t e n . W e n n man einmal genauer auf diese K o n z e p t i o n e n schaut, dann bestehen für die verschiedenen Pflichten o f f e n b a r unterschiedliche B e z u g s p u n k t e . F ü r einen Teil der Pflichten liegt der B e z u g s p u n k t in der Leistung, für einen anderen Teil im Vertrag o d e r dem V e r t r a g s z w e c k . D i e s e r U n t e r s c h i e d ergibt sich s c h o n aus den unterschiedlichen A n s ä t z e n der K o n z e p t i o n e n v o n W i e d e m a n n und R o t h . W i e d e m a n n bezieht die verschiedenen Pflichten auf den Vertrag unter dem G e s i c h t s p u n k t der Vertragstreue. R o t h bezieht sie d e m g e g e n über auf die Leistung unter dem G e s i c h t s p u n k t einer Sicherung des L e i -
7 8 9 10 11 12 13 14
Siehe nur Palandt-Heinrichs, § 242 Rz. 27 m.w.N. MüKo-^oi/;, § 242 Rz. 147. MüKo-Äoi^, § 242 Rz. 148 ff., 151, 152 ff., 156 f., 158 ff. MüX.o-Roth, % 242 Rz. 168 ff. Palandt-Heinrichs, § 276 Rz. 113 ff. Palandt-Heinrichs, § 276 Rz. 114 f., 117. Palandt-Heinrichs, § 276 Rz. 112. Jauemig-Vollkommer, § 242 Rz. 27.
336
5 8 Zum Schutz der Beteiligung
des anderen
am
Schuldverhältnis
stungserfolges. Diese beiden unterschiedlichen theoretischen Ausgangspunkte beider Konzeptionen spiegeln sich bei Heinrichs in der Unterscheidung von leistungssichernden Nebenpflichten einerseits und Leistungstreuepflichten andererseits. Vollkommer stellt schließlich überhaupt nur noch den schimmernden Begriff der Leistungstreuepflicht in den Vordergrund. Anhand der verschiedenen Ansätze läßt sich deutlich machen, daß der Schutz durch Pflichten hier von unterschiedlichen Bezugspunkten her konzipiert wird, die auch die Annahme nahelegen, daß es dabei um einen Schutz unterschiedlicher Rechtsgüter geht. Während bei Wiedemann der Schutz vom Vertrag oder Vertragszweck her entwickelt wird, geschieht dies bei Roth von der Leistung her. Das schließt freilich nicht aus, daß bei Wiedemann der Schutz des Vertrages auch den Schutz der Leistung beinhaltet und Roth den Schutz der Leistungserbringung auch auf den Vertrag selbst erstreckt, w i e die Fälle der Vertragsuntreue und der Störung der Vertrauensgrundlage zeigen. In diesen unterschiedlichen Ansätzen der beiden Konzeptionen k o m m t die Problematik z u m Vorschein, ob die Begründung der Haftung an den Vertrag anknüpft oder an die Leistung, allgemeiner gesprochen an Schuldverhältnis oder Leistung. 1 5 In den verschiedenen Konzeptionen w i r d die Unterscheidung dieser beiden Bezugspunkte durchweg vernachlässigt, wenn überhaupt erkannt. Geradezu eine Verschmelzung beider Aspekte beinhaltet dann vor allem der Begriff der Leistungstreuepflicht. Einerseits bezieht sich dieser Begriff auf die Leistung, z u m anderen schwingt in dem Begriff der Treue aber auch der Bezug auf das Schuldverhältnis i.w.S. und damit das personale Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner mit. Als Ergebnis dieser Betrachtung läßt sich festhalten, daß die verschiedenen der in diesem Zusammenhang erörterten Pflichten sich einerseits auf die Leistung, andererseits auf das Schuldverhältnis i.w.S. beziehen lassen. Eine Schwierigkeit ergibt sich nun offenbar daraus, daß der Bezug auf die Leistung nicht zwangsläufig auch bedeutet, daß hier nur Leistungspflichtverletzungen in Frage stünden. Vielmehr geht es bei diesen Pflichten - wie im folgenden deutlicher zu machen sein w i r d - nur z u m Teil um Pflichtverletzungen, die sich als Leistungspflichtverletzungen begreifen lassen, teils geht es auch um Sorgfaltspflichtverletzungen im Hinblick auf die Leistung. In der Literatur w i r d diese Problematik allerdings größtenteils dadurch unterlaufen, daß die Frage, ob es sich bei den jeweiligen Verletzungshandlungen u m Leistungsoder Sorgfaltspflichtverletzungen handelt, k a u m gestellt wird, obwohl an die Begründung einer Sorgfaltspflichtverletzung im Hinblick auf die Leistung prinzipiell sicher höhere Anforderungen zu stellen sind als an die Begründung einer Leistungspflichtverletzung. Das führt dazu, daß letztlich schon die Eigenart der verschiedenen Pflichten im Hinblick auf die Leistung nicht 15 Vgl. zu diesem Problem auch Krebs, Sonderverbindung und außerdeliktische Schutzpflichten, S. 447 ff., 458 ff., der für die „Treuepflichten" zwischen unmittelbaren und nur mittelbar auf den Leistungserfolg bezogenen Pflichten unterscheidet.
II. Abgrenzung
von anderweitigen
337
Pflichten
ausreichend analysiert ist. Deshalb eröffnet erst eine genauere Bestimmung und Verortung dieser sich auf die Leistung beziehenden Pflichtverletzungen den R a u m dafür, diejenigen Pflichtverletzungen sichtbar zu machen, die sich allein auf das Schuldverhältnis beziehen. N u r auf dieser Grundlage läßt sich dann also auch die Eigenart der hier interessierenden Sorgfaltspflichten zum Schutz der Beteiligung des anderen am Schuldverhältnis entfalten.
3. Pflichten des Schuldners zum Schutz der
Leistung
D i e Herbeiführung der Unmöglichkeit nach Vertragsschluß, die Nichtleistung trotz Fälligkeit und Mahnung sowie die Schlechtleistung stellen Formen der Verletzung der Leistungspflicht durch den Schuldner dar. Das bedeutet, der Anspruch des Gläubigers auf Erfüllung der Leistungspflicht wird bei Verletzung durch eine dieser unterschiedlichen F o r m e n von Fehlverhalten des Schuldners mit Hilfe von Sekundärrechten geschützt. Darüber hinaus sind in Literatur und Rechtsprechung aber eine Reihe weiterer Verhaltensweisen anerkannt, die zumeist als Fälle der Verletzung leistungssichernder oder leistungsbegleitender Nebenpflichten aufgefaßt werden. Häufig wird dabei allerdings nicht recht klar, wieso es sich dabei um die Verletzung von Nebenpflichten handeln soll und nicht einfach um die Verletzung der Leistungspflicht. O h n e Anspruch auf Vollständigkeit seien insoweit nur die beiden folgenden Fallgruppen näher analysiert.
a) Obhut und Fürsorge für den
Schuldgegenstand
D e n Schuldner trifft eine umfassende Pflicht zur O b h u t und Fürsorge für den Schuldgegenstand. Das bedeutet in den Worten R o t h s , „Tiere müssen gefüttert, tierärztlich versorgt, Maschinen gewartet, Waren ordnungsgemäß verpackt werden e t c . " 1 6 Heinrichs spricht insoweit ganz allgemein von Pflichten zur Aufklärung, Beratung, Verpackung, ordnungsgemäßen Anlieferung oder Auslieferung. 1 7 Warn-, Beratungs- oder Aufklärungspflichten sind dabei ein eigenständiges Thema, das hier nicht weiter vertieft werden soll. N u r soviel: Im Unterschied zu den Aufklärungspflichten im Stadium der Vertragsverhandlungen, die sich auf die Willensbildung des anderen Teils beziehen, geht es hier um Pflichten, die eine zweckgerechte Verwendung des vertraglichen Leistungsgegenstandes sicherstellen sollen. 1 8 D i e Frage der Verwendung des Vertragsgegenstandes ist insoweit also kein Problem des Vertragsschlusses mehr, sondern allein ein solches der Erreichung des Ver-
16
M ü K o - Ä o i A , § 2 4 2 R z . 148.
Palandt-Heinricbs, § 2 7 6 R z . 112. 1 8 Vgl. zu diesen Pflichten nur etwa Medicus, § 2 7 6 R z . 55. 17
Schuldrecht I, R z . 417;
Jauernig-Vollkommer,
338
§ 8 Zum Schutz der Beteiligung des anderen am
Schuldverhältnis
tragszweckes. D a m i t lassen sich A u f k l ä r u n g s p f l i c h t e n im R a h m e n v o n Vertragsverhandlungen und solche im R a h m e n der D u r c h f ü h r u n g v o n Verträgen prinzipiell sehr genau unterscheiden. W e n n es bei einer solchen Pflicht nun allein darum geht, dem G l ä u b i g e r eine z w e c k g e r e c h t e V e r w e n d u n g des L e i stungsgegenstandes zu e r m ö g l i c h e n , liegt es nahe, die A u f k l ä r u n g , sofern sie tatsächlich geschuldet wird (was im Einzelfall anhand des Vertrages zu prüfen ist), als Teil der Leistungspflicht, als selbständige N e b e n l e i s t u n g s p f l i c h t o d e r - wie es gelegentlich in der R e c h t s p r e c h u n g geschieht 1 9 - als eigenständige Hauptleistungspflicht aus einem selbständigen Beratungsvertrag aufzufassen. D e n n die A u f k l ä r u n g ist in derartigen Fällen gewissermaßen Teil des G ü t e r austausches, weil die Ü b e r l a s s u n g des Leistungsgegenstandes allein o h n e die erforderliche I n f o r m a t i o n keinen ausreichenden Sinn gibt. W i e steht es nun aber mit den Pflichten zur O b h u t und F ü r s o r g e , zur o r d n u n g s g e m ä ß e n V e r p a c k u n g und Auslieferung? F ü r diese Pflichten gilt folgendes: M i t den Leistungspflichten wird - soweit dies nach dem V e r t r a g s z w e c k m ö g l i c h ist - in aller R e g e l nur der v o m Schuldner h e r b e i z u f ü h r e n d e L e i stungserfolg u m s c h r i e b e n . D a s ist b e i m Kaufvertrag die Verpflichtung des Verkäufers, die Sache zu ü b e r g e b e n und zu übereignen, beim Werkvertrag die Verpflichtung des U n t e r n e h m e r s zur H e r s t e l l u n g des Werkes usw. D a s zur H e r b e i f ü h r u n g dieses E r f o l g e s erforderliche Verhalten des Schuldners wird dabei aus unterschiedlichen G r ü n d e n z u m e i s t nicht m e h r näher u m s c h r i e b e n . Teilweise geschieht dies deshalb nicht, weil nicht sämtliche im R a h m e n der D u r c h f ü h r u n g des Vertrages sich ergebenden P r o b l e m e den Parteien bei Vertragsschluß s c h o n v o r A u g e n stehen. Vor allem aber soll es d e m Schuldner selbst überlassen bleiben, mit welchen M i t t e l n und A u f w e n d u n g e n er seine Leistung erbringt. 2 0 D e m e n t s p r e c h e n d w e r d e n häufig keine Vereinbarungen darüber getroffen, o b der S c h u l d n e r sich den Leistungsgegenstand erst n o c h beschaffen m u ß , genauso wird aber auch nicht vereinbart, wie er den L e i stungsgegenstand bis zur E r f ü l l u n g des Vertrages zu behandeln hat und wie er ihn schließlich auszuliefern hat. D a s bedeutet allerdings nicht, daß die insoweit erforderlichen Verhaltensweisen des Schuldners deshalb nicht zu seiner Leistungspflicht gehören. A u c h w e n n die Leistungspflicht nur v o n ihrem E n d p u n k t her f o r m u l i e r t wird, schließt sie auch die Beurteilung des Verhaltens des Schuldners im Vorstadium v o m Z e i t p u n k t des Vertragsschlusses an ein. A n d e r s als im H i n b l i c k auf den Leistungserfolg, der festgelegt ist, besteht aber im Vorstadium der E r füllung häufig eine Spannbreite v o n Verhaltensweisen des Schuldners, die mit seiner Leistungspflicht vereinbar sind. D e r E n d p u n k t der Leistungspflicht legt insoweit gewissermaßen nur eine R i c h t u n g für das Verhalten des S c h u l d ners fest. D e s h a l b dient die E i n b e z i e h u n g des Schuldnerverhaltens im Vorsta-
19 Vgl. zu den Voraussetzungen eines solchen Vertrages im Bereich des Kaufrechts insbesondere B G H N J W 1997, 3227 (3229 m.w.N.). 20 So auch Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 214; MüKo-Äoii, § 242 Rz. 141.
II. Abgrenzung von anderweitigen
Pflichten
339
dium der E r f ü l l u n g z u r Leistungspflicht weniger der genauen B e s t i m m u n g des Inhalts der erforderlichen L e i s t u n g s m a ß n a h m e n als vielmehr der Feststellung dessen, w a n n das M a ß der für eine E r f ü l l u n g n o c h tauglichen Verhaltensweisen überschritten ist und der Schuldner damit seine Leistungspflicht verletzt hat. 2 1 D a n a c h k a n n beispielsweise der Verkäufer eines zu ü b e r e i g n e n den Pferdes w e i t g e h e n d frei darüber entscheiden, wie und w a n n er das Pferd v o r der U b e r e i g n u n g füttert, w e n n das T i e r aber stirbt, weil er es nicht gefüttert hat, k a n n k a u m ein Zweifel daran bestehen, daß er sich dadurch die E r f ü l lung seiner Leistungspflicht u n m ö g l i c h gemacht hat. O b h u t und F ü r s o r g e für den Leistungsgegenstand sind daher nicht G e g e n stand einer eigenständigen leistungssichernden N e b e n p f l i c h t , sondern sie sind Inhalt der Leistungspflicht, mit der F o l g e , daß eine Verletzung der daraus resultierenden A n f o r d e r u n g e n eine Verletzung der Leistungspflicht b e inhaltet. 2 2 D a s bedeutet j e d o c h nicht, daß der G l ä u b i g e r solche Teilinhalte der Leistungspflicht auch o h n e weiteres durch A n s p r ü c h e rechtlich geltend m a chen k ö n n t e . 2 3 D a s ist vielmehr n u r der Fall, w e n n dadurch die E r f ü l l u n g des A n s p r u c h e s gefährdet erscheint. 2 4 A u c h insoweit hat die F i x i e r u n g auf den E n d p u n k t der Leistungspflicht den Z w e c k , grundsätzlich dem Schuldner selbst zu überlassen, wie er die E r b r i n g u n g der L e i s t u n g vorbereitet. D i e F r a g e der rechtlichen E i n o r d n u n g v o n Sorgfaltsfehlern spitzt sich b e i m S t ü c k k a u f zu, w e n n etwa die u n z u r e i c h e n d e V e r p a c k u n g zu einer B e schädigung der zu liefernden Sache führt. B e k a n n t l i c h ist für den S t ü c k k a u f umstritten, o b die Mangelfreiheit der Sache Inhalt der Leistungspflichten des Verkäufers ist. 2 5 W ä h r e n d die E r f ü l l u n g s t h e o r i e dies bejaht, wird das v o n der G e w ä h r l e i s t u n g s t h e o r i e verneint, mit der F o l g e , daß die H e r b e i f ü h r u n g des Mangels der Sache durch die u n z u r e i c h e n d e V e r p a c k u n g v o n diesem Standp u n k t aus keine Schlechtleistung darstellt, sondern nur als Verletzung einer Sorgfaltspflicht begriffen wird, die allerdings ebenfalls zur H a f t u n g aus p o s i tiver Vertragsverletzung f ü h r t . 2 6 A u c h auf der G r u n d l a g e der G e w ä h r l e i stungstheorie kann m a n solche Verhaltensweisen des Verkäufers aber als L e i stungspflichtverletzungen begreifen. Voraussetzung dafür ist nur, daß man den Inhalt der Leistungspflicht präzise von der Verletzung der Leistungspflicht unterscheidet. D e r Verkäufer mag z w a r nicht verpflichtet sein, eine 21 Zu dieser Problematik der Konkretisierung des für den Schuldner gebotenen Verhaltens im Vorstadium der Erfüllung ausführlich, aber auf der Grundlage einer anderen theoretischen Konzeption Neumann, Leistungsbezogene Verhaltenspflichten, S. 116 ff. 2 2 In diesem Sinne bereits Siber, Der Rechtszwang im Schuldverhältnis nach Deutschem Reichsrecht, S. 85 ff., 175, und Lehmann, Die Unterlassungspflicht im Bürgerlichen Recht, S. 168, Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 4 II 2 c (S. 21). 2 3 A.A. in diesem Zusammenhang vor allem Neumann, Leistungsbezogene Verhaltenspflichten, S. 136 ff. 2 4 Zur Durchsetzung solcher Sollensanforderungen im Wege vorbeugenden Rechtsschutzes bereits oben § 4 III 4. 2 5 Vgl. dazu bereits oben § 5 IV 4 a mit Nachweisen. 2 6 So Larenz, Schuldrecht I I / l , § 41 II e (S. 70).
340
5 8 Zum Schutz der Beteiligung des anderen am
Schuldverhältnis
mangelfreie S t ü c k s a c h e zu übereignen, das bedeutet j e d o c h nicht, daß er die Stücksache nach Vertragsschluß beschädigen k ö n n t e , o h n e damit seine L e i stungspflichten zu verletzen. D i e b l o ß e U b e r e i g n u n g einer mangelhaften Sache und die H e r b e i f ü h r u n g des M a n g e l s der Sache durch den V e r k ä u f e r sind insoweit durchaus zweierlei. D e r K o n s t r u k t i o n einer gesonderten Sorgfaltspflichtverletzung im H i n b l i c k auf den Leistungsgegenstand bedarf es daher auch für die G e w ä h r l e i s t u n g s t h e o r i e nicht. W i e bereits erwähnt, hat H e i n r i c h s 2 7 h e r v o r g e h o b e n , daß derartige Fälle der Schlechtleistung nahe stehen, so daß man sich fragt, was ü b e r h a u p t der G r u n d dafür sein mag, Pflichtverletzungen dieser A r t auf selbständige N e b e n p f l i c h t e n z u r ü c k z u f ü h r e n . D i e F r a g e ist s c h w e r zu b e a n t w o r t e n , immerhin kann m a n aber vielleicht folgendes anführen: D i e ganze L e h r e v o n den Pflichten insbesondere den Sorgfaltspflichten ist stark davon geprägt, daß verschiedene F o r m e n der Verletzung s o l c h e r Pflichten unterschieden w e r d e n . D a b e i besteht o f f e n b a r leicht die Gefahr, jeder F o r m der Verletzung auch eine selbständige Pflicht z u z u o r d n e n , o h n e daß man sich ü b e r die systematische Verankerung dieser m e h r o d e r weniger frei gebildeten Pflichten n o c h genauer R e c h e n s c h a f t abgibt. N i c h t jede p h ä n o m e n o l o g i s c h faßbare Verletzungshandlung bezieht sich aber auch auf einen eigenständigen T y p u s v o n P f l i c h ten. D a m i t w ü r d e insbesondere die F u n k t i o n der Leistungspflichten, ein B ü n d e l v o n Pflichten o d e r P f l i c h t m o m e n t e n für den Schuldner zu b e g r ü n den, verkannt. H i n z u mag dann k o m m e n , daß der G e d a n k e , die L e i s t u n g s pflicht umfasse auch die Sorge um den Leistungsgegenstand, m a n c h e m deshalb so fernliegend erscheint, weil die Leistungspflicht auf den Leistungserfolg reduziert und damit nur v e r k ü r z t gedacht wird.
b) Entwertung der Leistung während oder nach des Vertragsverhältnisses
Abwicklung
D i e V e r k ü r z u n g in der Sicht der Leistungspflicht zeigen auch die Fälle der sogenannten E n t w e r t u n g der Leistung während o d e r nach A b w i c k l u n g des Vertragsverhältnisses. D a z u gehören v o r allem unterschiedliche Fälle u n z u lässigen W e t t b e w e r b s , etwa durch den Veräußerer eines U n t e r n e h m e n s . 2 8 Als Schulbeispiel gilt weiter aber auch die E n t g e g e n n a h m e der Leistung des Schuldners nach A b t r e t u n g der F o r d e r u n g durch den bisherigen Gläubiger. 2 9 T y p i s c h e r w e i s e handelt es sich hier u m Z u w i d e r h a n d l u n g e n gegen ein U n t e r lassensgebot. A u c h derartige U n t e r l a s s e n s g e b o t e b e r u h e n j e d o c h nicht nur auf Sorgfaltspflichten, sondern sie k ö n n e n e b e n s o G e g e n s t a n d der Leistungspflicht sein.
27 28 29
Palandt,% 276 Rz. 112. Vgl. MüKo-ÄotÄ, § 242 Rz. 156, 163 ff.; Soergel-Wiedemann, Vgl. MüKo-Äoti, § 242 Rz. 162.
Vor § 275 Rz. 480.
II. Abgrenzung
von anderweitigen
Pflichten
341
Diesen Befund ergibt bereits eine genauere Analyse des § 535 S. 1 BGB. Danach ist der Vermieter durch den Mietvertrag nicht nur dazu verpflichtet, dem Mieter die Mietsache zu übergeben, sondern er hat ihm darüber hinaus den Gebrauch an der vermieteten Sache zu gewähren. Das bedeutet, der Vermieter hat den vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache durch den Mieter zu dulden; er hat ihm die Mietsache zu belassen, er hat eigene Störungen des Gebrauchs durch den Mieter zu unterlassen, er muß gegebenenfalls sogar Maßnahmen zum Schutz des Gebrauchs durch den Mieter vor Störungen Dritter ergreifen. 30 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann der Vermieter eines Hauses auch ohne ausdrückliche Regelung die Pflicht haben, den Mieter vor Konkurrenz im selben Haus zu schützen, indem er es unterläßt, an Wettbewerber weiterzuvermieten. Dabei geht diese Rechtsprechung davon aus, daß es sich hierbei um eine im Einzelfall der Konkretisierung anhand von Treu und Glauben bedürftige Frage dessen handelt, was zur Gewährung des vertragsgemäßen Gebrauchs gehört. 31 Das bedeutet, ein Verstoß gegen das Gebot des Konkurrenzschutzes beinhaltet insoweit eine Verletzung der vertraglichen Verpflichtung zur Gewährung des Gebrauchs an der vermieteten Sache und damit eine Verletzung der Leistungspflicht, nicht nur eine Verletzung von Sorgfaltspflichten. Entsprechend wird man auch die Pflicht des Verkäufers eines Unternehmens zur Unterlassung von Wettbewerb gegenüber dem Käufer nicht nur bei entsprechender ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung als Teil der Leistungspflicht begreifen müssen, sondern auch bei Herleitung aus ergänzender Vertragsauslegung. 32 Ein solcher Kaufvertrag erschöpft sich damit nicht in der bloßen Übertragung der das Unternehmen ausmachenden Güter, sondern legt dem Verkäufer darüber hinausgehende Pflichten auf, die Züge eines Dauerschuldverhältnisses tragen. Die Vorstellung, daß es sich hierbei um nachvertragliche Sorgfaltspflichten handele, verkennt diesen Ort und Charakter der Pflichten. 33 Damit soll nun allerdings nicht gesagt sein, daß alle nachvertraglichen Pflichen in Wahrheit Leistungspflichten seien. Die Überlegungen machen vielmehr nur deutlich, daß der Bedeutungsgehalt der Leistungspflichten nicht selten voreilig auf den bloßen Güteraustausch verengt wird und für sonstige Pflichten dann kein ausreichender Platz mehr bleibt. Allerdings stellt sich auch für die Pflichten, die tatsächlich als nachvertragliche Sorgfaltspflichten in Bezug auf den Leistungsgegenstand in Betracht kommen, die Frage nach dem Ort dieser Pflichten. Solche Pflichten lassen sich nur auf das selbst den Vgl. im einzelnen M ü K o - V o e l s k o w , § § 535, 536 R z . 76; Palandt-Putzo, § 535 R z . 8. Vgl. nur B G H Z 70, 79 (80, 82 u. 85). 32 Zu den unterschiedlichen F o r m e n der H e r l e i t u n g solcher U n t e r l a s s u n g s p f l i c h t e n vgl. nur M ü K o - Ä o i Ä , § 242 R z . 163. 33 Im Ergebnis ähnlich Huber, Gutachten „ L e i s t u n g s s t ö r u n g e n " , 647 (747), der mit Recht darauf a u f m e r k s a m macht, daß es hier darauf a n k o m m t , die Leistungspflicht des Schuldners richtig zu bestimmen. Der Schuldner sei eben nicht nur verpflichtet, d e m G l ä u b i g e r das Leistungsobjekt zu verschaffen, sondern auch, es i h m nicht w i e d e r w e g z u n e h m e n . 30 31
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§ 8 Zum Schutz der Beteiligung des anderen am
Schuldverhältnis
A u s t a u s c h der L e i s t u n g e n überdauernde Schuldverhältnis b e z i e h e n . W ä h rend sich für die culpa in c o n t r a h e n d o die F r a g e stellt, wie sich v o r der B e gründung eines vertraglichen Schuldverhältnisses ein besonderes Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen rechtfertigen läßt, stellt sich damit hier gew i s s e r m a ß e n das u m g e k e h r t e P r o b l e m , wie sich nach E r f ü l l u n g der Leistungspflichten das Schuldverhältnis aufrechterhalten läßt. A n d e r s f o r m u liert: W a n n k o m m e n die Parteien - nach E r b r i n g u n g ihrer Leistungen - aus dem Schuldverhältnis wieder heraus? D i e F r a g e , o b ein Verhalten nach E r b r i n g u n g der L e i s t u n g e n n o c h als Sorgfaltspflichtverletzung im R a h m e n des vertraglichen Schuldverhältnisses aufgefaßt w e r d e n kann, ist hier e b e n s o zu beurteilen wie im H i n b l i c k auf Sorgfaltspflichten im R a h m e n der Vertragsverhandlungen. D a s Schuldverhältnis beinhaltet insoweit einen S c h u t z des Vertrages als Institut. D e m e n t sprechend k a n n ein Verhalten nur dann als Verletzung einer Sorgfaltspflicht aus dem Schuldverhältnis begriffen werden, w e n n es n o c h im Z u s a m m e n h a n g mit den b e s o n d e r e n E i n w i r k u n g s m ö g l i c h k e i t e n auf die R e c h t s g ü t e r des anderen steht, die der vertragliche K o n t a k t eröffnet. D e r Verkäufer eines K f z beispielsweise, der einen M o n a t nach V e r k a u f und U b e r e i g n u n g das F a h r z e u g des Käufers im R a h m e n eines alltäglichen Verkehrsunfalls beschädigt, verletzt keine vertraglichen P f l i c h t e n in B e z u g auf den Leistungsgegenstand, vielmehr verletzt er lediglich fremdes E i g e n t u m . A n d e r s wäre der Fall dagegen zu b e urteilen, w e n n der K ä u f e r bei A b h o l u n g des bereits übereigneten Wagens v o m Verkäufer n o c h auf dem Verkaufsgelände angefahren würde. Z w a r hat der Verkäufer seine Leistungspflichten hier bereits erfüllt; er hat darüber hinaus j e d o c h auch Sorge dafür zu tragen, daß der K ä u f e r den Wagen, aber auch seine sonstigen R e c h t s g ü t e r o h n e Schaden aus dem G e s c h ä f t s b e r e i c h des Verkäufers entfernen kann. Solange das F a h r z e u g also n o c h auf dem Verkaufsgelände des Verkäufers seinen b e s o n d e r e n E i n w i r k u n g s m ö g l i c h k e i t e n ausgesetzt ist, treffen ihn insoweit auch n o c h besondere aus dem Schuldverhältnis h e r r ü h r e n d e Sorgfaltspflichten. D i e Parallele zu den Sorgfaltspflichten im R a h m e n der b l o ß e n Vertragsverhandlungen liegt dabei auf der H a n d . D e r Fall zeigt aber auch, wie mißverständlich für derartige Fälle die R e d e v o n nachvertraglichen Sorgfaltspflichten im H i n b l i c k auf den Leistungsgegenstand ist. D a s K f z wird hier nicht m e h r als G e g e n s t a n d der Leistung geschützt, sondern als ein R e c h t s g u t des Käufers, nämlich sein nunmehriges E i gentum, das im R a h m e n der V e r t r a g s d u r c h f ü h r u n g auf dem Verkaufsgelände n o c h einer b e s o n d e r e n G e f a h r e n s i t u a t i o n ausgesetzt ist. M i t der E r b r i n g u n g der L e i s t u n g geht es also nur n o c h u m den S c h u t z der R e c h t s g ü t e r des anderen Vertragspartners. D a s gilt auch für das Schulbeispiel der E n t g e g e n n a h m e der L e i s t u n g nach A b t r e t u n g der F o r d e r u n g durch den bisherigen Gläubiger. D e r Zedent verletzt hier nicht irgendeine Sorgfaltspflicht in B e z u g auf den Leistungsgegenstand, vielmehr verletzt er das R e c h t des Zessionars, nämlich die ihm nach A b t r e t u n g zustehende F o r d e r u n g , bei deren G e l t e n d m a c h u n g er j e t z t b e f ü r c h t e n m u ß , daß der Schuldner i h m den E i n w a n d der E r f ü l l u n g ent-
II. Abgrenzung
von anderweitigen
343
Pflichten
gegenhalten wird (vgl. § 4 0 7 1 BGB). Damit w i r k t der Zedent nicht auf den Leistungsgegenstand ein, sondern auf das Recht des Zessionars, wobei dies allerdings im Rahmen der sich aus dem Schuldverhältnis ergebenden besonderen Einwirkungsmöglichkeiten geschieht. Diese beiden durchaus unterschiedlichen Perspektiven werden in der Bezeichnung als leistungsbezogene Nebenpflichten nicht ausreichend voneinander getrennt. Insgesamt machen diese Überlegungen deutlich, daß die Bildung einer besonderen Sorgfaltspflicht z u m Schutz der Leistung hier doch Zweifeln begegnet. Zum Teil lassen sich diese Fälle als Leistungspflichtverletzung auffassen, teils aber auch als solche der Verletzung eines fremden Rechtsgutes. Eines eigenständigen Typus von Sorgfaltspflichten bedarf es insoweit nicht.
4. Die Beeinträchtigung
der Leistung durch den
Gläubiger
Die bisher behandelten Pflichten zum Schutz der Leistung betreffen den Schuldner. Daneben werden aber auch Pflichten zum Schutz der Leistung genannt, die der Gläubiger hat. Wiederum ohne Anspruch auf Vollständigkeit sollen aus der Zahl der hier in Betracht kommenden Pflichten nur zwei Typen von Verletzung der Pflichten des Gläubigers - gewissermaßen als Prototypen herausgegriffen werden, nämlich die Pflichtverletzung durch Herbeiführung der Unmöglichkeit und die Verletzung von Mitwirkungspflichten.
a) Die Herbeiführung
der Unmöglichkeit
durch den
Gläubiger
Die in § 324 I BGB aufgeworfene Frage des Vertretenmüssens der U n m ö g lichkeit durch den Gläubiger gilt als schwierig, weil dieser eine Leistungspflicht, die er schuldhaft verletzen könnte, gar nicht hat. 34 Dementsprechend beziehen sich die §§ 276-279 BGB auch nur auf den Schuldner. In der Literatur wird angesichts dieser Problematik als A n k n ü p f u n g s p u n k t für das Vertretenmüssen des Gläubigers mit unterschiedlichen Typen von Pflichtwidrigkeit gearbeitet. So unterscheidet etwa Medicus 3 5 die Verletzung einer allgemeinen Rechtspflicht durch Begehung einer unerlaubten Handlung von der Verletzung einer Obliegenheit. 3 6 Teilweise wird auch gesagt, daß der Gläubiger jedes schuldhafte, vertragswidrige Verhalten zu vertreten habe, das ursächlich für die Unmöglichkeit der Leistung des Schuldners geworden ist. 37 Der A n satz z u m „vertragswidrigen Verhalten" als Grundlage für das Vertretenmüssen i.S. von § 324 I 1 B G B geht vor allem auf Fikentscher zurück. Dieser for34
Larenz, Schuldrecht I, § 25 III (S. 400). Schuldrecht I, R z . 501. 36 Diese u n d weitere U n t e r s c h e i d u n g e n auch bei Erman-Battes, § 324 R z . 2; M ü K o - £ m merich, § 324 R z . 8 f.; Palandt-Heinrichs, § 324 R z . 4-6; Soergel-Wiedemann, § 324 R z . 9-14; Staudinger-Otto, § 324 R z . 8-13. 37 Jauernig, § 324 R z . 4. 35
344
5 8 Zum Schutz der Beteiligung
des anderen
am
Schuldverhältnis
mulierte: ,,'Vertretenmüssen' auf der Seite des Gläubigers bedeutet in E n t sprechung zu § 276 1 1 ein vertragswidriges Verhalten gegenüber dem Schuldner (§ 2 4 2 ! ) und nur dies." 3 8 Es handele sich weder um eine rein deliktische Haftung, noch um ein „Verschulden gegen sich selbst", also die Verletzung einer Obliegenheit. Larenz hat diesen Ansatz von Fikentscher für zutreffend gehalten, was ihn gleichwohl aber nicht daran gehindert hat, § 324 I 1 B G B - mit einer verbreiteten Meinung - als Fall der Verletzung einer Obliegenheit des Gläubigers zu deuten. 3 9 N i m m t man einmal den Gedanken ernst, daß § 324 I 1 B G B nur vertragswidriges Verhalten des Gläubigers erfaßt, dann stellt die Herbeiführung der Unmöglichkeit durch den Gläubiger genaugenommen einen Fall der positiven Vertragsverletzung dar. D e r Gläubiger verletzt hier eine Sorgfaltspflicht, indem er beispielsweise den Leistungsgegenstand zerstört. D i e unerlaubte Handlung mag zwar - wie Heinrichs 4 0 betont - häufig eine Sorgfaltspflichtverletzung beinhalten, sie ist aber nicht identisch mit ihr. Voraussetzung für eine Sorgfaltspflichtverletzung durch den Gläubiger muß nämlich auch hier - wie bei den anderen Sorgfaltspflichten - sein, daß sie im Rahmen des vertraglichen Kontaktes geschieht. Das ist in dem Schulbeispiel, daß der Käufer die Kaufsache bei einer nochmaligen Besichtigung vor der Ubereignung zerstört, auch durchaus der Fall. 4 1 Dagegen fehlt es an dieser Beziehung zum vertraglichen Schuldverhältnis, wenn der Gläubiger den Leistungsgegenstand wie ein Dritter zerstört, beispielsweise indem er das ihm zu übereignende Fahrzeug im alltäglichen Straßenverkehr beschädigt. 4 2 Auch hier erscheint allerdings die Annahme von Sorgfaltspflichten des Gläubigers im Hinblick auf den Leistungsgegenstand nicht unproblematisch. Statt dessen kann man auch der Auffassung sein, daß hier letztlich wiederum nur das fremde Rechtsgut des Schuldners geschützt wird, nämlich beispielsweise sein Eigentum an der Kaufsache, wenn auch mit der Besonderheit, daß damit zugleich sein Anspruch auf die Gegenleistung geschützt ist. Deshalb stellt die Herbeiführung der Unmöglichkeit durch den Gläubiger auch nicht nur eine bloße Obliegenheitsverletzung dar. 43 Diese Annahme beruht offenbar auf der Vorstellung, der Gläubiger zerstöre hier nur den ihm ohnehin ge38 Fikentscher, Schuldrecht, 6. A., § 44 III 2 b; ähnlich, aber etwas abgeschwächt in der neuesten Auflage Rz. 344. 39 Larenz, Schuldrecht I, § 25 III (S. 400 f.). 40 Palandt, § 324 Rz. 5. 41 Vgl. für dieses Beispiel Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, § 13 III 1. 42 Auf die Bedeutung eines schuldverhältnisbezogenen Handelns weist in diesem Zusammenhang neuerdings auch Kern, AcP 200 (2000), 684 (701), hin, der allerdings Kaufverträge grundsätzlich aus dem Anwendungsbereich des § 324 I B G B herausnehmen will. Dafür gibt es jedoch keine ausreichenden Gründe, da sich auch aus Kaufverträgen für den Gläubiger die von Kern für maßgeblich gehaltenen weiteren Verhaltenspflichten ergeben können. O b man solche Pflichten schließlich - wie Kern, a.a.O., S. 698 - auch als Schuldnerpflichten bezeichnen sollte, erscheint mir zweifelhaft. 43 So aber insbesondere Larenz, Schuldrecht I, § 2 5 III (S. 401); auch Brox, Allgemeines
II. Abgrenzung
von anderweitigen
Pflichten
345
bührenden Leistungsgegenstand und verstoße damit lediglich gegen eigene Interessen. D e m k o m m t die in den Motiven vorgetragene Auffassung nahe, der Schuldner sei infolge der Herbeiführung der Unmöglichkeit durch den Gläubiger so zu behandeln, wie wenn er erfüllt hätte. 4 4 Auch wenn der Gläubiger einen Anspruch auf den Leistungsgegenstand hatte, ändert das jedoch nichts daran, daß dieser ihm vor Übereignung gerade noch nicht zustand und daß es sich damit zunächst einmal noch um ein fremdes Rechtsgut handelte. Diese Perspektive wird mit dem Gedanken einer bloßen Obliegenheitsverletzung des Gläubigers vernachlässigt, weil so getan wird, als ob der Gläubiger sich in erster Linie selbst einen Schaden zugefügt hätte. Tatsächlich dürfte der primäre Aspekt aber in der Schädigung der Rechtsgüter des Schuldners liegen, die - angesichts des „Vertretenmüssens" der Unmöglichkeit durch den Gläubiger - nicht dazu führt, daß der Schuldner den Anspruch auf die Gegenleistung nach § 323 I B G B verliert, sondern ihn vielmehr nach § 324 I 1 B G B behält. D a ß der Gläubiger dennoch zur Gegenleistung verpflichtet bleibt, ist also eine unmittelbare Folge der Verletzung der Interessen des Schuldners. D e r Gedanke, daß der Gläubiger damit zugleich auch gegen eigene Interessen verstößt, weil er zur Gegenleistung verpflichtet bleibt, ohne die Leistung zu erhalten, ist insoweit nur eine Betrachtung, die der Verletzung des fremden Interesses nachfolgt. Man kann diese Sichtweise auch wie folgt auf den Punkt bringen: Während der Schuldner, indem er die Unmöglichkeit der Leistung herbeiführt, den A n spruch des Gläubigers auf die Leistung verletzt, verletzt der Gläubiger, indem er die Unmöglichkeit der Leistung herbeiführt, den Anspruch des Schuldners auf die Gegenleistung, weil dieser die Gegenleistung prinzipiell nur dann erlangt, wenn er auch die Leistung erbringt. So wie der Schuldner bei Herbeiführung der Unmöglichkeit nicht gegen eigene Interessen verstößt, sondern die gegenüber dem Gläubiger bestehende Leistungspflicht verletzt, so verstößt der Gläubiger, der die Unmöglichkeit herbeiführt, gegen eine ihn gegenüber dem Schuldner treffende Sorgfaltspflicht. Eine andere Perspektive wäre nur dann überzeugend, wenn der Gläubiger bei Herbeiführung der U n möglichkeit - ähnlich wie bei § 254 I B G B - primär sein eigenes Vermögen schädigen würde. Das ist hier aber nicht der Fall, da bei natürlicher Betrachtung mit der Herbeiführung der Unmöglichkeit zunächst einmal die Rechtsgüter des Schuldners verletzt werden und erst die Sanktion dieser Schädigung durch § 324 I 1 B G B dazu führt, daß der Gläubiger dennoch zur Gegenleistung verpflichtet bleibt. D i e Verletzung der fremden Rechtsgüter durch den Gläubiger beinhaltet zwar auch eine Beeinträchtigung des eigenen Anspruches auf die Leistung, ohne daß man aber sagen könnte, daß dies der primäre und weniger noch der einzige Aspekt der Handlungen des Gläubigers wäre.
Schuldrecht, Rz. 260, und im Ausgangspunkt Esser/Schmidt, tisch zuletzt auch etwa Kern, AcP 200 (2000), 684 (699). 44 Motive, Bd. II, S. 208.
Schuldrecht II/l, § 2 3 II 1. Kri-
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§ 8 Zum Schutz der Beteiligung des anderen am
Schuldverhältnis
§ 324 I 1 BGB ordnet lediglich an, daß der Schuldner den Anspruch auf die Gegenleistung behält und scheint damit auf den ersten Blick von der allgemeinen Regel abzuweichen, daß die positive Vertragsverletzung Ansprüche auf Schadensersatz gewährt. Hier kann man aber zunächst einmal der Auffassung sein, daß im Hinblick auf den Schaden infolge der Herbeiführung der U n möglichkeit der Erfüllung die Bemessung anhand des Anspruches auf die Gegenleistung sinnvoll ist, weil sich gerade darin die vertragliche Einschätzung des Wertes der Leistung widerspiegelt. Zweifeln kann man deshalb nur daran, inwieweit aus positiver Vertragsverletzung Schäden zu ersetzen sind, die über die bloße Unmöglichkeit der Leistung hinausgehen. Vor allem Wiedemann 4 5 hat insoweit Bedenken aus dem System des BGB vorgebracht: Nach dem Willen der Gesetzesverfasser regele § 324 BGB die Rechtsfolgen der vom Gläubiger herbeigeführten Unmöglichkeit abschließend. Eine Ergänzung durch Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung komme daher nicht in Betracht. Allein die Vorschriften über die unerlaubten Handlungen könnten neben § 324 I BGB herangezogen werden. Wie Otto 4 6 aber mit Recht geltend gemacht hat, kommt es dem BGB offenbar nur auf eine abschließende Regelung der Haftung für den Erfüllungsschaden im engeren Sinne an, also den allein in der Unmöglichkeit der Leistung liegenden Schaden. Eine Schadensersatzpflicht wegen Verletzung des Integritätsinteresses sei daneben nicht ausgeschlossen. Freilich habe der Gesetzgeber dabei nur an die Haftung aus unerlaubter Handlung gedacht und nicht an das sich erst später herausgebildete außergesetzliche Institut der positiven Vertragsverletzung. In der Tat wäre nicht recht einsichtig, warum der sonst in Vertragsbeziehungen bestehende Integritätsschutz nur deshalb nicht gewährt werden sollte, weil der Gläubiger die Unmöglichkeit der Leistung verursacht hat. Im übrigen geht es Wiedemann offenbar gerade darum, eine weitergehende Haftung für den Erfüllungsschaden auszuschließen. So scheint er etwa auch zu meinen, daß bei Zerstörung des geschuldeten Gegenstandes nicht § 823 BGB, sondern allein § 324 BGB eingreife. N u r so werde vermieden, daß der Schuldner, der eine Ware unter ihrem Wert veräußert hat, aus schadensrechtlichen Gesichtspunkten einen höheren Erlös erzielt, als wenn er geleistet hätte. 47 Die von Wiedemann damit aufgeworfene Problematik betrifft also überhaupt nur die abschließende Regelung des Erfüllungsschadens durch § 324 I 1 BGB im Verhältnis zu anderweitigen Schadensersatzansprüchen. Insoweit ist durchaus einsichtig, daß der Schuldner nicht einen über den Anspruch auf die Gegenleistung hinausgehenden Schadensersatz verlangen kann, sei es aus Delikt oder aus positiver Vertragsverletzung. Dabei dürfte ein derartiger Anspruch aus positiver Vertragsverletzung aber auch schon deshalb ausscheiden, weil man aus heutiger Sicht in § 324 I 1 BGB selbst die tat45 46 47
Soergel, § 324 Rz. 29; zurückhaltend auch MüKo-Emmerich, § 324 Rz. 42. Staudinger, § 324 Rz. 54. Soergel-Wiedemann, § 324 Rz. 29.
II. Abgrenzung
von anderweitigen
347
Pflichten
bestandliche Regelung der hier in Frage stehenden positiven Vertragsverletzung des Gläubigers sehen kann. D a v o n zu unterscheiden ist die Frage nach der Ersatzfähigkeit sonstiger Schäden. F ü r solche Schäden ist nicht ersichtlich, wieso ein Ersatz derartiger Schäden aus positiver Vertragsverletzung nicht mit § 324 B G B vereinbar sein sollte, zumal sich in diesen Fällen auch eine eigenständige Sorgfaltspflicht im Hinblick auf das über die Leistung hinausgehende Integritätsinteresse begründen läßt. So kann man in dem Schulfall, 4 8 daß der Mieter nicht nur die gemietete Wohnung zerstört, sondern das ganze Haus, darin nicht nur eine Sorgfaltspflichtverletzung durch Herbeiführung der Unmöglichkeit zur G e währung des Mietgebrauchs sehen, sondern in bezug auf das ganze Haus auch eine daneben bestehende eigenständige Sorgfaltspflichtverletzung im H i n blick auf das Eigentum des Vermieters. N a c h dem Stand des geltenden H a f tungssystems wäre kaum nachvollziehbar, wieso ein solches Fehlverhalten nur nach Deliktsrecht zu beurteilen sein sollte.
b) Die Verletzung
von Mitwirkungspflichten
aa) Zur Problematik der unterschiedlichen Mitwirkungspflichten von
durch den rechtlichen
Gläubiger
Qualität
Die Verletzung von Mitwirkungspflichten durch den Gläubiger ist ein außerordentlich komplexes Thema, weil die Mitwirkungspflicht keinen einheitlichen Typus von Pflicht darstellt, sondern die Gestalt unterschiedlicher Pflichttypen anzunehmen vermag. So kann die Pflicht des Gläubigers zur Mitwirkung bei der Erbringung der Leistung echte Leistungspflicht sein, mit der Folge, daß der Schuldner gegebenenfalls auf Erfüllung der Mitwirkungspflicht durch den Gläubiger klagen kann, daß der Gläubiger damit in Schuldnerverzug geraten kann usw. Beispiele dafür sind zunächst einmal die Abnahmepflichten des Käufers nach § 433 II B G B und die des Bestellers nach § 640 I B G B , Leistungspflichten können die Mitwirkungspflichten aber auch aufgrund vertraglicher Vereinbarung sein. N a c h der gesetzlichen K o n z e p t i o n des Annahmeverzuges i.S.d. §§ 293 ff. B G B scheint die bloße Mitwirkung des Gläubigers bei der Herbeiführung des Leistungserfolges insbesondere durch Annahme der Leistung dagegen im Regelfall keine Verpflichtung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner darzustellen, sondern nur eine sogenannte Obliegenheit, deren Verletzung lediglich zu Rechtsnachteilen für den Gläubiger führt. 4 9 N e b e n diesen beiden unterschiedlichen F o r m e n der Mitwirkung
Vgl. Staudinger-Otto, § 324 Rz. 54. Siehe Fikentscber, Schuldrecht, Rz. 380; Larenz, Schuldrecht I, § 25 I (S. 389); Schlechtriem, Schuldrecht-AT, Rz. 352 f.; Jauernig-Vollkommer, § 2 9 3 R z . 2 ; MüKo-Thode, §293 Rz. 1; Palandt-Heinrichs, § 2 9 3 Rz. 1; vgl. auch Soergel-Wiedemann, § 2 9 3 Rz. 17. Die Bezeichnung als Obliegenheit geht dabei offenbar auf die Untersuchung von R. Schmidt, Die Obliegenheiten, zurück. 48
49
348
5 8 Zum Schutz der Beteiligung
des anderen
am
Schuldverhältnis
durch den Gläubiger sind in Rechtsprechung und Literatur darüber hinaus Fälle anerkannt, in denen die Verweigerung der Mitwirkung durch den Gläubiger als positive Vertragsverletzung aufgefaßt wird. 5 0 D i e Mitwirkungspflichten sollen insoweit zwar nicht als Rechtspflichten gegenüber dem Schuldner zu verstehen sein, aber doch als Vertragspflichten im weiteren Sinne, deren Verletzung dann, wenn sie den Vertragszweck gefährdet, Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung auslösen kann. 5 1 D i e konzeptionelle Problematik der Mitwirkungspflichten liegt vor allem in der Frage, wie man sich das Verhältnis dieser unterschiedlichen F o r m e n von Unterlassen der M i t wirkung durch den Gläubiger vorstellen soll. N u r diesem systematischen G e sichtspunkt soll im folgenden nachgegangen werden, so daß Einzelheiten für die rechtliche Behandlung der Mitwirkungspflichten des Gläubigers außer Betracht bleiben müssen.
bb) Die Mitwirkung bei Hartmann (1) Darstellung
des Gläubigers
der Konzeption
von
als Leistungs- und
Schutzpflicht
Hartmann
Christian Hartmann hat zum Gläubigerverzug unlängst die These entwikkelt, die gesetzliche Regelung stelle nur eine Vorverlagerung des Schutzes des Schuldners dar, sie monopolisiere aber nicht diesen Schutz. 5 2 Insoweit sei die gesetzliche Regelung der Mitwirkungspflichten des Gläubigers fragmentarisch. Vor diesem Hintergrund begründet Hartmann dann aus § 242 B G B eine allgemeine Pflicht des Gläubigers zur Mitwirkung bei der Leistungserbringung. 5 3 Zu den vertraglichen Pflichten des Gläubigers gehört es danach, daß dieser - negativ formuliert - von einer Gefährdung des Vertragszweckes abzusehen hat bzw. - positiv formuliert - die versprochene Vertragsdurchführung zu sichern hat. In dieser Pflicht, die unmittelbar auf die Vertragsdurchführung und das Leistungsinteresse bezogen sei, könne man die grundlegendste der Nebenleistungspflichten sehen. Grundlage für die Mitwirkungspflichten des Gläubigers sei damit letztlich der Vertragsschluß selbst. 5 4 D i e Vertragspartner versprechen nicht allein die Erfüllung ihrer jeweiligen Hauptleistungspflichten, sondern sie verpflichten sich zur Vertragsdurchfüh5 0 Vgl. insbesondere B G H Z 11, 80 (83 ff.); B G H VersR 1960, 693 (694); B G H Z 50, 175 (178 f.); B G H W M 1986, 73 (74); Larenz, Schuldrecht I, § 2 5 I (S.389); Erman-Battes, Vor § 2 9 3 Rz. 11; Palandt-Heinrichs, § 2 9 3 Rz. 7; Staudinger-Löwisch, Vorbem zu §§293-304 Rz. 10. Kritisch dazu etwa Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, § 21 IV, und Hüffer, Leistungsstörungen durch Gläubigerhandeln, S. 220 ff., der aber von der (unzutreffenden) Vorstellung ausgeht, schon in dem bloßen Unterlassen der Mitwirkung des Gläubigers liege die Vertragsverletzung, vgl. a.a.O., S. 221. 51 So Palandt-Sprau, § 642 Rz. 1, im Anschluß an B G H Z 11, 80 ff. 52 Hartmann, Die unterlassene Mitwirkung des Gläubigers, S. 45. 53 Hartmann, Die unterlassene Mitwirkung des Gläubigers, S. 48 ff. 54 Hartmann, Die unterlassene Mitwirkung des Gläubigers, S. 51.
II. Abgrenzung
von anderweitigen
Pflichten
349
rung und damit zur Einhaltung eines Handlungsprogrammes, durch das der Vertragszweck erreicht werden soll. N e b e n der Mitwirkung als Leistungspflicht kann die Mitwirkung des Gläubigers nach Auffassung von Hartmann zusätzlich auch auf das Erhaltungsinteresse des Gläubigers gerichtet sein und sich so zugleich als Schutzpflicht darstellen. 5 5 Im Anschluß an Wiedemann 5 6 sieht er insoweit in der „Brachlegung der beruflichen oder unternehmerischen Tätigkeit des Schuldners" einen eigenständigen Verletzungstatbestand. D e r Pflicht des Gläubigers zur Mitwirkung entspricht nach diesem theoretischen Ansatz stets auch ein Anspruch des Schuldners. 5 7 Im Regelfall sei der einer Nebenleistungspflicht entsprechende Anspruch aber nicht im Klagewege durchsetzbar, da es dem Schuldner zumeist nur darum gehe, das Gegenleistungsinteresse zu erhalten, nicht aber darum, die eigene Leistung zu erbringen. 5 8 I m Einzelfall sei zwar - insbesondere bei Arbeits- oder Werkverträgen auch ein derartiges Interesse denkbar. Für den Bereich des Werkvertrages geht Hartmann aber davon aus, daß angesichts der gesetzlichen Regelung des § 649 B G B , wonach sich der Besteller bis zur Vollendung des Werkes jederzeit vom Vertrag durch Kündigung lösen kann, ein Schutz des Leistungsinteresses nur dadurch erfolgen kann, daß der Unternehmer sich durch entsprechende ausdrückliche Vereinbarungen absichert. 5 9 Anders als beim Werkvertrag soll dagegen beim Arbeitsvertrag der Verweis auf die Möglichkeit vertraglicher A b sicherung wegen der gestörten Vertragsparität keine reale Möglichkeit darstellen. 6 0 Deshalb gewähre die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zu R e c h t einen selbständig durchsetzbaren allgemeinen Beschäftigungsanspruch, sofern dies für den Arbeitgeber zumutbar ist. Dagegen soll die Mitwirkungspflicht prinzipiell im Klagewege durchsetzbar sein, wenn sie zugleich den Charakter einer Schutzpflicht hat. 6 1 Dabei geht Hartmann davon aus, daß auch die Schutzpflichten Leistungscharakter haben und deshalb prinzipiell einklagbar sind, sofern dies - wie im Regelfall bei Unterlassung der erforderlichen Mitwirkung des Gläubigers - noch tatsächlich möglich ist. 6 2 Im E r g e b nis bedeutet das wohl, daß bei Werkverträgen Mitwirkungspflichten nur dann einklagbar sind, wenn der Unternehmer sich durch entsprechende vertragliche Vereinbarung abgesichert hat oder wenn das Unterlassen der Mitwirkung zugleich eine Schutzpflichtverletzung beinhaltet. Eine wesentliche Konsequenz der K o n z e p t i o n liegt darin, daß Hartmann die pflichtwidrige Unterlassung der Mitwirkung des Gläubigers als Leistungsstörung, genauer als Verletzung einer gegenüber dem Schuldner beste55 56 57 58 59 60 61 62
Hartmann, Die unterlassene Soergel, Vor § 275 Rz. 399. Hartmann, Die unterlassene Hartmann, Die unterlassene Hartmann, Die unterlassene Hartmann, Die unterlassene Hartmann, Die unterlassene Hartmann, Die unterlassene
Mitwirkung des Gläubigers, S. 52 ff. Mitwirkung Mitwirkung Mitwirkung Mitwirkung Mitwirkung Mitwirkung
des des des des des des
Gläubigers, Gläubigers, Gläubigers, Gläubigers, Gläubigers, Gläubigers,
S. S. S. S. S. S.
54. 60 ff. 62. 61 f. 63 ff. 64 f.
350
5 ^ 7-um Schutz der Beteiligung
des anderen
am
Schuldverhältnis
henden Pflicht begreift, für die dem Prinzip nach die Regeln zur U n m ö g l i c h keit, zum Schuldnerverzug und gegebenenfalls auch zur positiven Vertragsverletzung gelten. 6 3 D e r herkömmliche dreischichtige Zusammenhang von Leistungspflicht, Obliegenheit und positiver Vertragsverletzung wird insoweit im Kern reduziert auf ein zweischichtiges Modell von Obliegenheit und Leistungspflicht, in dem die positive Vertragsverletzung nur noch eine Randfunktion haben soll. 6 4 D a b e i wird dann vor allem auch das Verhältnis von Obliegenheit und Leistungspflicht völlig neu akzentuiert: D i e Sanktion der bloßen Obliegenheitsverletzung durch den Gläubiger stellt nur eine Vorverlagerung des Schuldnerschutzes dar, der im übrigen vor allem durch das allgemeine Leistungsstörungsrecht (der Verletzung von Leistungspflichten) gewährleistet wird. Dagegen liegt der herkömmlichen dreischichtigen K o n zeption die Vorstellung zugrunde, daß die Bewertung der Mitwirkung als Obliegenheit den Regelfall darstellt, deren Verletzung nur in besonders zu begründenden Ausnahmefällen die Verletzung einer Leistungspflicht oder eine positive Vertragsverletzung darstellen kann.
(2) Würdigung a) Fragen zum Verständnis der Mitwirkungspflicht und Schutzpflicht
als Leistungs-
Damit drängt sich die Frage auf, ob es genügende Gründe für die von H a r t mann vorgenommene Verschiebung der Stellung der Mitwirkungspflichten im System des Leistungsstörungsrechts gibt oder ob nicht vielmehr die besseren Gründe für das herkömmliche dreischichte Modell sprechen. Zu dieser Problematik kann man zunächst einmal eine Reihe von Fragen an die theoretische Konzeption Hartmanns stellen: Wie verhält sich eigentlich das Verständnis der Mitwirkungspflicht als Leistungspflicht zu ihrem Verständnis als Schutzpflicht, zumal auch die Schutzpflicht Leistungscharakter haben soll? Handelt es sich hier tatsächlich um unterschiedliche Pflichten oder nur um unterschiedliche M o m e n t e derselben Pflicht oder gar nur um unterschiedliche F o r m e n der Verletzung der einen Mitwirkungspflicht? Wieso bezieht sich die Notwendigkeit vertraglicher Absicherung des Leistungsinteresses durch den Unternehmer beim Werkvertrag nur auf die Mitwirkungspflicht als Leistungspflicht und nicht auch auf die Mitwirkungspflicht als Schutzpflicht? Inwiefern läßt sich das „Blockieren der unternehmerischen Tätigkeit" von dem Interesse an der Erbringung der eigenen Leistung unterscheiden? Weiter stellt sich dann vor allem die Frage, wieso die Möglichkeit vertraglicher Absicherung des Leistungsinteresses durch den U n t e r n e h m e r nur die klageweise Durchsetzung eines Anspruches auf Mitwirkung des Gläubigers ausschließen
63 64
Hartmann, Die unterlassene Mitwirkung des Gläubigers, S. 73 ff. Vgl. Hartmann, Die unterlassene Mitwirkung des Gläubigers, S. 77 f.
II. Abgrenzung von anderweitigen
Pflichten
351
soll. Viel näher läge in diesem Fall d o c h die A n n a h m e , daß ein solcher A n spruch des U n t e r n e h m e r s auf V o r n a h m e der M i t w i r k u n g s h a n d l u n g gar nicht erst existiert. W e n n H a r t m a n n auch insoweit d e n n o c h einen nicht d u r c h s e t z baren A n s p r u c h auf M i t w i r k u n g des Gläubigers a n n e h m e n will, hat das o f f e n b a r im wesentlichen den Sinn, sich damit den Zugang z u m allgemeinen L e i s t u n g s s t ö r u n g s r e c h t zu e r ö f f n e n . I n s o w e i t ist allerdings zu b e d e n k e n , daß es p r o b l e m a t i s c h erscheint, o b eine nicht einklagbare M i t w i r k u n g s p f l i c h t einen Schuldnerverzug auslösen k a n n , da ein solcher Verzug die D u r c h s e t z b a r keit des A n s p r u c h e s v o r a u s s e t z t . 6 5 U n d auch im H i n b l i c k auf die U n m ö g l i c h keitsregeln wäre vielleicht d o c h fraglich, inwieweit bei fehlender K l a g b a r k e i t des P r i m ä r a n s p r u c h e s der S e k u n d ä r a n s p r u c h einklagbar sein kann.
ß) Xu den Grundlagen des Verständnisses der Mitwirkung des Gläubigers als Obliegenheit. Kritik einer allgemeinen Deutung der Mitwirkung des Gläubigers als Leistungspflicht D a m i t r ü c k t die F r a g e in den M i t t e l p u n k t , w e l c h e n Sinn es m a c h t , die M i t w i r k u n g des Gläubigers als Leistungspflicht zu begreifen. H a r t m a n n b e g r ü n det die Pflicht des Gläubigers zur M i t w i r k u n g am Leistungsaustausch letztlich aus d e m Vertragsschluß und spricht insoweit auch davon, daß es sich bei der P f l i c h t zur Sicherung der V e r t r a g s d u r c h f ü h r u n g u m die „grundlegendste der N e b e n l e i s t u n g s p f l i c h t e n " 6 6 handele. A u f g r u n d dieser F o r m u l i e r u n g m u ß man sich fragen, o b diese Pflicht nicht angesichts ihrer grundlegenden B e d e u tung sogar eine Hauptleistungspflicht darstellt o d e r weitergehend vielleicht auch auf einer h ö h e r e n E b e n e im G e f ü g e des Vertrages angesiedelt ist. I m G r u n d e lassen sich ja sämtliche P f l i c h t e n der Vertragspartner, i n s b e s o n d e r e natürlich auch die H a u p t l e i s t u n g s p f l i c h t e n auf die Sicherung der Vertragsd u r c h f ü h r u n g beziehen. In dem G e d a n k e n , daß mit dem Vertrag ein Z w e c k verfolgt wird, k a n n m a n daher auch lediglich ein Prinzip für die D e u t u n g der F u n k t i o n des Vertrages sehen und w o m ö g l i c h sogar nur ein Verständnis der H a l t u n g der Vertragspartner. D i e s e m Prinzip k a n n man aber nicht o h n e w e i teres die F o r m einer Leistungspflicht geben, und z w a r s c h o n deshalb nicht, weil eine allgemeine Pflicht des Gläubigers gegenüber dem Schuldner zur Sicherung der Vertragsdurchführung zu einer gravierenden V e r s c h i e b u n g der v o n den Parteien vertraglich ü b e r n o m m e n e n L e i s t u n g s p f l i c h t e n führen kann. Dieses P r o b l e m erschließt sich am ehesten, w e n n man einmal danach fragt, welches der G r u n d dafür sein mag, daß der gesetzlichen K o n z e p t i o n des Gläubigerverzuges die Vorstellung zugrunde liegt, bei der M i t w i r k u n g des Gläubigers handele es sich im Regelfall u m keine R e c h t s p f l i c h t gegenüber dem Schuldner, sondern - wie man später gesagt hat - n u r u m eine O b l i e g e n -
6 5 Vgl. nur Jauernig-Vollkommer, § 284 Rz. 8. Für die Möglichkeit des Schuldnerverzuges trotz Unklagbarkeit der Forderung aber MüKo-Thode, § 284 Rz. 12. 66 Hartmann, Die unterlassene Mitwirkung des Gläubigers, S. 48.
352
5 8 Zum Schutz der Beteiligung
des anderen
am
Schuldverhältnis
heit des Gläubigers. Die Motive lassen insoweit nur erkennen, daß u m die Frage gerungen worden ist, sie nennen aber nicht die ausschlaggebenden Gründe. 6 7 Allerdings w i r d in den Materialien die Frage angedeutet, ob ein Anspruch des Schuldners auf Vornahme der M i t w i r k u n g s h a n d l u n g des Gläubigers nicht dann auch die Pflicht beinhaltet, die zur Wirksamkeit der eigenen Leistung erforderliche M i t w i r k u n g s h a n d l u n g herbeizuführen. 6 8 Damit ist die ganz prinzipielle Frage angeschnitten, w i e das Recht zugleich eine Pflicht sein kann und die Pflicht zugleich ein Recht. Die Frage nach dem Verständnis von Recht und Pflicht war der maßgebliche Gesichtspunkt in der Konzeption des Gläubigerverzuges durch Kohler im 19. Jahrhundert, die von maßgeblichem Einfluß auf die Regelung des BGB war. 6 9 Die zentrale These Kohlers liegt darin, daß die Annahme der Leistung durch den Gläubiger nur ein Recht darstellt, und z w a r nur ein Recht und keine Pflicht. 7 0 Die Annahme der Leistung stehe auf gleicher Stufe wie jede anderweitige N u t z u n g eines Vermögensgutes. So wie jedermann sein Geld auf die Straße unter das Publikum werfen könne, so könne der Gläubiger auch den Schuldner abweisen, der seine Zahlungspflicht erfüllen will. Die M i t w i r kung des Gläubigers zur Leistung sei dessen Recht, „zu dessen Ausübung sich der Gläubiger in der erdrückenden Ueberzahl von Fällen mit Rücksicht auf sein eigenes Interesse w i r d veranlaßt sehen, so daß der Schuldner mit einem gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit auf dieselbe zählen kann; sie ist aber keine Pflicht des Gläubigers, auf welche der Schuldner ein Recht hätte und zu welcher der Gläubiger auf dem Zwangswege angehalten werden könnte. Den Gläubiger zur Annahme zwingen, hieße ihm einen Vormund setzen z u m Wächter seines Interesses, zur Benutzung seiner Vermögenskräfte, zur Ausbeutung der ihm zustehenden Rechtsgüter". 7 1 Kohler w i r d nicht müde, eine Reihe von Fällen zu bilden, in denen der Gläubiger nicht zur Mitw i r k u n g verpflichtet sein könne: Niemand sei verpflichtet, einen Geiger anzuhören, auch wenn man ihn um schweres Geld bestellt habe; 72 der Zahnarzt habe kein Recht z u m Zähneausziehen, der Chirurg kein Recht zur Operation usw. 7 3 Das Problem liege in all diesen Fällen lediglich darin, wie das Gesetz Vgl. Motive, Bd. II, S. 68 f. Vgl .Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, §293 A I 4 (S. 333): „Vom theoretischen Standpunkt sei eine doppelte Auffassung möglich. Man könne zunächst aufstellen: Die Verpflichtung des Schuldners könne sich nicht soweit erstrecken, daß der Schuldner die zur Wirksamkeit der Leistung erforderliche Annahmehandlung des Gläubigers herbeizuführen habe." 69 Zur Bedeutung Kohlers für das Verständnis der Mitwirkungspflichten des Gläubigers vgl. nur Nicklisch, BB 1979, 533 (534, 537), sowie H ü f f e r , Leistungsstörungen durch Gläubigerhandeln, S. 10-12. 70 Kohler, JhJb 17 (1879), 261 (267). 71 Kohler, JhJb 17 (1879), 261 (268). 72 Kohler, JhJb 17 (1879), 261 (267). 73 Kohler, JhJb 17 (1879), 261 (280 f.); ders., Archiv für Bürgerliches Recht 13 (1897), 149 (165). 67 68
II. Abgrenzung
von anderweitigen
Pflichten
353
dem Schuldner die Möglichkeit einer Lösung des Schuldverhältnisses ohne Mitwirkung des Gläubigers ermögliche und damit die Perpetuierung des Schuldverhältnisses verhindere. 7 4 D i e Darlegung Kohlers macht deutlich, worin die Folge einer durchgehenden Deutung der Mitwirkung des Gläubigers als Leistungspflicht liegt: D e r Anspruch auf die Leistung droht so in sein Gegenteil verkehrt zu werden, das R e c h t schlägt um in die Pflicht. Diese Sichtweise hat freilich schon in den R e formüberlegungen der dreißiger Jahre letzten Jahrhunderts Kritik hervorgerufen. So sah Lange in der Vorstellung, daß der Gläubiger nur Rechte und der Schuldner nur Pflichten hat, den Ausdruck eines übermäßigen Individualismus. 7 5 A n die Stelle des Denkens in Ansprüchen und Gegenansprüchen wollte er die Einheit des Schuldverhältnisses setzen, in der die Parteien einander nicht als Vertragspartner gegenübertreten, sondern als Vertragsgenossen stehen, „die im gemeinsamen Zusammenwirken das gemeinschaftlich gesetzte Ziel verwirklichen". 7 6 Dieser Kritik ist durchaus zuzugeben, daß Kohler seinen Ansatz wohl überzogen hat, indem er die Möglichkeit, sich die Mitwirkung des Gläubigers auch als Pflicht gegenüber dem Schuldner vorzustellen, gänzlich ausgeschlossen hat. D e n n o c h verfolgt Kohler mit seinem Ansatz, daß der Gläubiger hinsichtlich der Leistung prinzipiell nur Berechtigter und nicht Verpflichteter ist, ein berechtigtes Anliegen. In diesem Prinzip liegt der freiheitliche Charakter des Privatrechts und der darauf beruhenden Figur des subjektiven Rechts, der auch noch für das Vertragsrecht gilt. Das schließt es nicht aus, im Einzelfall die Mitwirkung des Gläubigers als Leistungspflicht auszugestalten. Dies kann aber nicht das maßgebliche Verständnis des Gläubigerrechts sein, sondern nur die begründungsbedürftige Ausnahme, wie es ja auch der herkömmlichen Deutung des Verständnisses von Freiheit und Einschränkung entspricht. Dieses Prinzip schlägt sich übrigens auch noch in einem anderen Gedanken nieder, der in diesem Zusammenhang ebenfalls bedeutsam ist, nämlich dem Grundsatz, daß beim Abschluß eines Vertrages jeder zunächst einmal selbst für die Wahrung der eigenen Interessen sorgen muß. 7 7 Ausfluß dieses Grundsatzes ist, daß die Motive des Vertragspartners beim Vertragsschluß für den jeweils anderen prinzipiell unbeachtlich sind. 7 8 Auch unter diesem G e sichtspunkt muß die Frage gestellt werden, w o der richtige O r t für die rechtliche Erfassung der Interessen des Schuldners an der Durchführung des Vertrages ist. Hartmann geht insoweit ohne weiteres davon aus, daß dieses Interesse in § 2 4 2 B G B und letztlich im Vertrag selbst verankert ist. Wie er aber selbst sieht, hat der Schuldner in aller Regel gar kein Interesse an der eigenen Lei-
74 75 76 77 78
Kohler, JhJb 17 (1879), 261 (281, auch 271 f.). Lange, Vom alten zum neuen Schuldrecht, S. 10 ff. Lange, Vom alten zum neuen Schuldrecht, S. 70. Siehe dazu insbesondere Medicus, Festschrift für Keller, 205 (219). Vgl. Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 321-324.
354
§8 Zum Schutz der Beteiligung des anderen am
Schuldverhältnis
stungserbringung, sondern er will sie n u r erbringen, u m die Gegenleistung zu erhalten. E n t s p r e c h e n d meint H a r t m a n n im H i n b l i c k auf den Werkvertrag, daß der U n t e r n e h m e r sich bei einem ausnahmsweise bestehenden Leistungsinteresse durch ausdrückliche vertragliche Vereinbarung absichern m u ß . D i e se A n n a h m e legt nun aber nahe, daß sich im Regelfall ein Interesse des Schuldners an der M i t w i r k u n g des G l ä u b i g e r s z u m Z w e c k e der E r b r i n g u n g seiner L e i s t u n g n u r als unbeachtliches M o t i v darstellt. D e r S c h u l d n e r mag mit d e m Vertragsschluß ü b e r das Gegenleistungsinteresse hinausgehende Z w e c k e verfolgen, dann aber mag er sich durch entsprechende vertragliche Vereinbarung absichern oder diese Z w e c k e d e m anderen d o c h wenigstens so o f f e n kundig m a c h e n , daß sie eine D e u t u n g der M i t w i r k u n g des Gläubigers als L e i stungspflicht zu tragen v e r m ö g e n . I n der K o n z e p t i o n H a r t m a n n s wird dieser Z u s a m m e n h a n g einer D e u t u n g der M i t w i r k u n g s p f l i c h t des Gläubigers als Leistungspflicht mit d e m Leistungsinteresse des Schuldners auseinandergerissen, indem er die M i t w i r k u n g s p f l i c h t unabhängig v o n d e m Leistungsinteresse des Schuldners als Leistungspflicht begreift und dies erst bei der Klagbarkeit der M i t w i r k u n g s p f l i c h t berücksichtigt wissen will. R i c h t i g e r erscheint es aber, dieses Interesse s c h o n im R a h m e n der genaueren rechtlichen B e s t i m m u n g der M i t w i r k u n g als O b l i e g e n h e i t o d e r als Leistungspflicht m i t e i n z u b e ziehen und sich damit auch die M ö g l i c h k e i t einer differenzierteren B e u r t e i lung der M i t w i r k u n g des Gläubigers offenzuhalten. I m E r g e b n i s wird damit w e d e r die durchgehende Auffassung der M i t w i r k u n g als O b l i e g e n h e i t n o c h als Leistungspflicht der Interessenlage voll gerecht. A n g e m e s s e n ist vielmehr eine differenziertere B e t r a c h t u n g , für die das Verständnis der M i t w i r k u n g des Gläubigers als O b l i e g e n h e i t aber das zutreffende G r u n d p r i n z i p darstellt. E i n e andere F r a g e ist, wie man im H i n b l i c k auf eine M i t w i r k u n g des G l ä u bigers die b l o ß e O b l i e g e n h e i t im einzelnen v o n einer Leistungspflicht gegenü b e r dem S c h u l d n e r abgrenzt. D i e s e r F r a g e kann hier nicht w e i t e r nachgegangen werden, allerdings ist N i c k l i s c h 7 9 darin R e c h t zu geben, daß R e c h t sprechung und L i t e r a t u r in der A n n a h m e v o n M i t w i r k u n g s p f l i c h t e n als Leistungspflichten bisher so z u r ü c k h a l t e n d geblieben sind, daß es sich hierbei nahezu n u r u m eine t h e o r e t i s c h e M ö g l i c h k e i t handelt. Angesichts dessen, daß in Werkverträgen ü b e r Bauleistungen häufig ausdrückliche Vereinbarungen ü b e r die M i t w i r k u n g des Bestellers getroffen werden, ist das k a u m verständlich. 8 0
B B 1979, 533 (535). Zur Problematik der Auslegung solcher Vereinbarungen vgl. Staudinger-Peters, Rz. 20. 79
80
§ 642
II. Abgrenzung
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Pflichten
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y) Zur Problematik des Unterlassens der Mitwirkung durch den Gläubiger als Gefährdung des Vertragszweckes O f f e n geblieben ist bisher noch die Frage, wie sich neben der Mitwirkung als Obliegenheit und gegebenenfalls als Leistungspflicht eine Haftung aus p o sitiver Vertragsverletzung wegen Gefährdung des Vertragszweckes rechtfertigen läßt. Ein zentraler Unterschied in der K o n z e p t i o n Hartmanns zur herkömmlichen D o g m a t i k liegt insoweit darin, daß dieser im Unterlassen der Mitwirkung ganz generell die Verletzung einer Leistungspflicht in F o r m der Gefährdung des Vertragszweckes sieht. Wenn die herkömmliche Meinung dagegen am grundsätzlichen Verständnis der Mitwirkung des Gläubigers als Obliegenheit festhält, kann das nur bedeuten, daß nicht jeder Fall des Unterlassens der Mitwirkung als positive Vertragsverletzung begriffen werden kann. Vielmehr kann eine Haftung aus positiver Vertragsverletzung dann nur in genauer bestimmten Fällen in Betracht k o m m e n . D a ß auch für das Verständnis der Mitwirkung des Gläubigers als bloßer Obliegenheit die Bestimmungen des Gläubigerverzuges nicht abschließend sind, ergibt sich schon aus der gesetzlichen Regelung selbst. N a c h § 298 B G B k o m m t der Gläubiger dann, wenn er zwar bereit ist, die angebotene Leistung anzunehmen, nicht aber die verlangte Gegenleistung anbietet, ebenfalls in Verzug der Annahme. Das Verlangen des Schuldners nach der Gegenleistung stellt in derartigen Fällen regelmäßig eine Mahnung dar, so daß der Gläubiger - infolge der Verweigerung der Gegenleistung - nicht nur in Annahmeverzug k o m m t , sondern auch in Verzug als Schuldner. 8 1 Schon aus der gesetzlichen Regelung ergibt sich somit, daß das Verhalten des Schuldners bei der N i c h t annahme der Leistung unter dem Gesichtspunkt der Obliegenheitsverletzung nicht abschließend erfaßt ist, dieses Verhalten vielmehr auch unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten gewürdigt werden kann. D a z u zählen dann aber nicht nur die Vorschriften des Schuldnerverzuges, sondern auch die G r u n d sätze der positiven Vertragsverletzung. Wie dieser Bereich der positiven Vertragsverletzung im einzelnen zu bestimmen ist, kann hier zunächst noch offen bleiben. 8 2 Als Ergebnis soll hier zunächst nur festgehalten werden, daß die herkömmliche Sichtweise gerechtfertigt erscheint, wonach die Mitwirkung des Gläubigers im Regelfall nur eine Obliegenheit darstellt, sich im Einzelfall das Unterlassen der erforderlichen Mitwirkung aber auch als Verletzung einer Leistungspflicht oder aber auch als positive Vertragsverletzung erweisen kann.
81 Vgl. nur Palandt-Heinrichs, § 298 Rz. 2. Unterschiede können sich daraus ergeben, daß die Mahnung Zugang voraussetzt, außerdem erfordert der Schuldnerverzug ein Verschulden. Auf das Verschuldenserfordernis weisen bereits die Motive hin Bd. II, S. 73. 8 2 Vgl. dazu unten III 2 b.
356
§ 8 Zum Schutz der Beteiligung
des anderen am
Schuldverhältnis
III. Sorgfaltspflichten zum Schutz der personalen aus dem Schuldverhältnis
Beziehung
Viele der bisher behandelten Fälle von Pflichtverletzungen führten auch zu einer Beeinträchtigung des Schuldverhältnisses als der zwischen Gläubiger und Schuldner bestehenden personalen Beziehung, ohne daß man dabei jedoch hätte sagen können, daß Schutzgut der verletzten Pflichten das Schuldverhältnis selbst gewesen sei. Bei manchen dieser Fälle drängt sich jedoch der Gedanke auf, daß auch die Personalität der sich aus dem Schuldverhältnis ergebenden rechtlichen Beziehung des rechtlichen Schutzes bedarf. Das gilt insbesondere für den zuletzt nur angerissenen Fall der Gefährdung der Vertragsdurchführung infolge eines Unterlassens der Mitwirkung durch den Gläubiger. Im folgenden werden nun einige Situationen erörtert, in denen das Schuldverhältnis als personale Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner selbst Gegenstand des Schutzes von Sorgfaltspflichten ist. Als typischer Fall wird insoweit (unter 1) zunächst die Erfüllungsverweigerung des Schuldners skizziert. Im Anschluß daran werden (unter 2) weitere Fälle einer Gefährdung der Durchführung des Vertrages erörtert.
1. Die Verletzung der personalen Beziehung durch Erfüllungsverweigerung N a c h einer feststehenden ungeschriebenen Regel kann der Gläubiger Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen oder auch vom Vertrag zurücktreten, wenn der Schuldner seine Leistung ernsthaft und endgültig verweigert. 8 3 Eine solche Verweigerung der Erfüllung durch den Schuldner kann beispielsweise darauf beruhen, daß dieser das Bestehen seiner Leistungspflicht bestreitet, weil er den Vertrag für ungültig hält, weil er meint, von ihm wirksam zurückgetreten zu sein, ihn angefochten zu haben usw. Die Erfüllungsverweigerung kann aber etwa auch darauf beruhen, daß der Schuldner nur unter anderen als den vertraglich vereinbarten Bedingungen bereit ist zu leisten, oder letztlich auch einfach darauf, daß der Schuldner ohne auch nur den Versuch einer Begründung im Wege des offenen Vertragsbruches erklärt, er wolle nicht leisten. 8 4 D i e Rechtsfolgen der Erfüllungsverweigerung sind in Rechtsprechung und Literatur weithin anerkannt und auch von nicht zu unterschätzender praktischer Bedeutung. 8 5 D e n n o c h kann man nicht sagen, daß über die theoreti83
Huber,
Leistungsstörungen II, § 51 1 2 .
Vgl. im einzelnen zu diesen und weiteren Fällen Huber, Leistungsstörungen II, § 51 1 3 (S. 5 7 0 - 5 7 4 ) . 8 5 Dagegen ist die Frage, ob es sich dabei um einen besonderen Fall des Schuldnerverzuges handelt (so Medicus, Schuldrecht I, R z . 418; ders., Bürgerliches R e c h t , R z . 308; für die H e r a n 84
III. Schutz der personalen
Beziehung
aus dem
Schuldverhältnis
357
sehen Grundlagen schon abschließende Klarheit erlangt worden sei. Die Erfüllungsverweigerung hat seit jeher eine gewisse Faszination auf die wissenschaftliche Dogmatik ausgeübt, die w o h l nicht zuletzt darauf beruht, daß dieses Verhalten des Schuldners unterschiedliche Momente beinhaltet, die sich systematisch unter ganz verschiedenartigen rechtlichen Gesichtspunkten deuten lassen. Ein weiteres Interesse an der Erfüllungsverweigerung ergibt sich nicht zuletzt auch daraus, daß sich von hier aus Brücken zu anderen Rechtsordnungen schlagen lassen, insbesondere z u m anglo-amerikanischen Rechtskreis und seinem Gedanken des antizipierten Vertragsbruches. 8 6 Im Rahmen dieser Untersuchung geht es nur darum, den systematischen Standort der Erfüllungsverweigerung deutlich zu machen.
a) Die Verweigerung der Erfüllung als Angriff auf das Schuldverhältnis. Kritik der Vorstellung von der Erfüllungsverweigerung als Form der Leistungsverweigerung Der Begriff der Erfüllungsverweigerung legt die Annahme nahe, daß es sich hierbei um eine Verletzung der Leistungspflicht in Form der Verweigerung der Leistung handelt. In der Tat entspricht diese Auffassung einer verbreiteten Meinung in der Literatur. So versteht Wiedemann 8 7 die Erfüllungsverweigerung als ein eigenes Rechtsinstitut, das die „qualifizierte Nichtleistung" unabhängig von ihrer Fälligkeit betrifft. Ahnlich sieht auch Huber in der Erfüllungsverweigerung einen eigenständigen Tatbestand der Vertragsverletzung. 8 8 Dabei bedürfe es nicht der Konstruktion einer besonderen Pflicht, die Leistung nicht zu verweigern. Die Dinge lägen viel einfacher. Verletzt sei durch die Erfüllungsverweigerung einfach die Pflicht, deren Erfüllung verweigert wird. Nicht erst die Nichterfüllung der Vertragspflichten bei Fälligkeit sei eine Vertragsverletzung, sondern schon ihre A n k ü n d i g u n g . Insofern will er - durchaus im Sinne der anglo-amerikanischen Vorstellung eines „antizipierten Vertragsbruches" - die angekündigte Vertragsverletzung der vollzogenen Vertragsverletzung gleichstellen. 8 9
ziehung der Vorschriften z u m S c h u l d n e r v e r z u g auch Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, § 28 III 2 c; Fikentscher, Schuldrecht, R z . 367; M ü K o - E m m e r i c h , Vor § 275 R z . 275), u m eine positive Vertragsverletzung (so dem Prinzip nach die nicht g a n z einheitliche Rechtsprechung, vgl. B G H Z 49, 56 (59 f.); 116, 319 (331 ); w ä h r e n d die h.L. dies nur vor Fälligkeit der Leistung annimmt, vgl. Larenz, Schuldrecht I, § 24 I a (S. 365 mit Fn. 8); Palandt-Heinrichs, § 326 R z . 20; Staudinger-Otto, § 3 2 6 R z . 136 f.) oder gar u m eine eigene F o r m der Vertragsverletzung (so Leser, Festschrift für Rheinstein II, 643, 650), w e n i g e r klar. 86 Vgl. nur Soergel-Wiedemann, Vor § 275 R z . 375; Huber, Leistungsstörungen II, § 51 II 2 (S. 580 m . w . N . in Fn. 94); s o w i e schon Rabel, Das Recht des W a r e n k a u f s I, § 50, 3 (S. 382 f.) auch mit w e i t e r e n H i n w e i s e n zu anderen europäischen R e c h t s o r d n u n g e n . 87 Soergel, Vor § 275 R z . 377. 88 Huber, Leistungsstörungen II, § 51 II 2 (S. 578 mit Fn. 86, auch S. 579 u. 580). 89 Huber, Leistungsstörungen II, § 51 II 2 (S. 579 f.).
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§ 8 Zum Schutz der Beteiligung
des anderen
am
Schuldverhältnis
Im Hinblick auf die Vorstellung, daß es sich bei der Verweigerung der Erfüllung um einen eigenständigen Typus der Nichtleistung handelt, bestehen jedoch Bedenken. Wäre diese Sichtweise zutreffend, so müßte sie dem Prinzip nach für alle Leistungspflichten gelten. Dementsprechend wird - trotz der Bezeichnung - das Institut der positiven Vertragsverletzung nicht nur auf vertragliche, sondern auch auf gesetzliche Schuldverhältnisse bezogen. Eine Schlechtleistung oder auch eine Verletzung der absoluten Rechtsgüter des anderen ist danach nicht nur bei Erfüllung einer vertraglichen, sondern auch bei der Erfüllung gesetzlicher Pflichten denkbar (wie übrigens auch der Verzug und - dem Prinzip nach - auch die nachträgliche Unmöglichkeit bei Nichterfüllung der gesetzlichen Pflichten in Betracht kommen). Anders sieht es dagegen schon mit den Sorgfaltspflichten zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit aus, die nur im Hinblick auf den Vertragsschluß verletzt werden können. Ahnlich liegen die Dinge aber auch bei der Erfüllungsverweigerung. Sie ist kein Institut, das schlechthin für sämtliche Fälle einer Verweigerung der Leistung in Betracht kommt, sondern - was in der Literatur größtenteils auch als selbstverständlich vorausgesetzt wird nur bei der Verweigerung der Erfüllung von Leistungspflichten aus vertraglichen Schuldverhältnissen. 90 Für gesetzliche Schuldverhältnisse gibt das Institut dagegen offenbar keinen rechten Sinn, und zwar deshalb, weil das gesetzliche Schuldverhältnis zumeist selbst schon auf Abwicklung eines beeinträchtigten oder betroffenen Interesses gerichtet ist. Dagegen soll bei der Verweigerung der Erfüllung vertraglicher Pflichten diese Abwicklung durch Schadensersatz oder Rücktritt gerade erst noch herbeigeführt werden. Macht man sich diese beschränkte Reichweite der Grundsätze zur Erfüllungsverweigerung einmal klar, so liegt es nahe, den Anknüpfungspunkt für die Begründung der Haftung in der Besonderheit des vertraglichen Schuldverhältnisses zu suchen und weniger in dem allgemeinen Gedanken der Verletzung der Leistungspflicht. Vor diesem Hintergrund liegt der phänomenologische Kern der Erfüllungsverweigerung weniger in der Verweigerung der Leistung als vielmehr in dem darin liegenden Angriff auf das Schuldverhältnis. 91 Dieses Moment der Erfüllungsverweigerung kommt vor allem auch in dem teilweise verwandten
9 0 Anders Gernhuher, Festschrift für Medicus, 145 (146), der das Institut der Erfüllungsverweigerung auch auf gesetzlich begründete Verbindlichkeiten erstreckt. Für diese Fälle genügt m.E. aber die Heranziehung von §242 B G B . Ahnlich wie hier beschränkt auch Huber, Leistungsstörungen II, § 51 III 2, die Erfüllungsverweigerung auf im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Pflichten aus einem gegenseitigen Vertrag. O b dabei die Beschränkung auf synallagmatische Pflichten überzeugend ist, soll hier offen bleiben, zutreffend erscheint es aber, die Erfüllungsverweigerung als eigenen Typ der Pflichtverletzung nur auf den schuldrechtlichen Vertrag zu beziehen. 91 Von einem „Angriff auf den gesamten Vertrag" spricht etwa auch Soergel-Wiedemann, Vor § 275 Rz. 395, allerdings beschränkt auf die Fälle, in denen „der weitere Vertragsvollzug mangels Mitwirkung der anderen Seite blockiert oder hintertrieben wird."
III. Schutz der personalen
Beziehung
aus dem
Schuldverhältnis
359
Begriff der Vertragsaufsage zum Ausdruck. 9 2 Mit der Verweigerung der Erfüllung verletzt der Schuldner das zwischen ihm und dem Gläubiger bestehende Vertrauensverhältnis und damit das zwischen ihnen bestehende personale Verhältnis. D i e Personalität des vertraglichen Schuldverhältnisses beruht ja im wesentlichen darauf, daß sich die Vertragspartner durch den Vertragsschluß aneinander binden, indem jeder dem anderen vertraut und auch dessen Vertrauen in Anspruch nimmt. 9 3 Das durch das Schuldverhältnis gestiftete Band wird durch die Erfüllungsverweigerung des Schuldners gleichsam zerschnitten. Infolge dessen wird dadurch nicht einfach nur die Durchführung des vertraglichen Leistungsaustausches gefährdet, sondern die dafür erforderliche Grundlage der personalen Vertrauensbeziehung ist gestört. Dieser Aspekt der Erfüllungsverweigerung ist in der Literatur auch durchaus gegenwärtig, ohne daß allerdings die rechten systematischen Konsequenzen daraus gezogen werden. So hat schon Rabel 9 4 davon gesprochen, daß der Schuldner bei der Erfüllungsverweigerung durch sein Verhalten das Obligationsband verletze. Für die Rechtsfolgen dieses Verhaltens knüpft er jedoch nicht an die Handlung als Verletzungshandlung an, sondern an die Erfüllungsverweigerung als Erklärungsakt, an dem sich der Schuldner festhalten lassen müsse. Auf diese eigentümliche Konstruktion wird später noch einmal zurückzukommen sein. 9 5 Bei Wiedemann 9 6 wird die Erfüllungsverweigerung mit klaren Worten als „schwerwiegendste(r) Fall der Zerstörung der Vertragsgrundlage" gedeutet. Löwisch 9 7 qualifiziert die Vertragsuntreue als eigenständigen Fall der positiven Vertragsverletzung, wobei er darunter versteht, daß der Schuldner durch sein Verhalten den Vertrag in Frage stellt oder gefährdet. Dieser Gedanke der Vertragsuntreue taucht noch in manch weiteren Nuancen auf, etwa dem Gedanken der Verletzung einer Leistungstreuepflicht oder der unzumutbaren Gefährdung des Vertragszweckes. 9 8 Eine genauere Betrachtung lohnt insoweit auch die Analyse Lesers. Auch er betont den personalen Charakter des vertraglichen Schuldverhältnisses, indem er darauf hinweist, daß vor Eintritt der Leistungszeit die normative Wirkung des Vertrages die wesentliche Grundlage für das Verhältnis der Parteien zueinander ist. D i e Erfüllungsverweigerung gefährde deshalb die ordnungsgemäße Erfüllung, weil der Schuldner durch sein Leugnen die normative B i n dung durch den Vertrag in Abrede stelle. Insoweit liege das Typische der Er92 Vgl. nur Medicus, Schuldrecht I, Rz. 402. Ein Versuch der Unterscheidung von Erfüllungsverweigerung und Vertragsaufsage findet sich bei Jauernig-Vollkommer, § 276 Rz. 57. 93 Vgl. Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Rz. 317. 94 Das Recht des Warenkaufs I, § 50, 3 (S. 385). 95 Vgl. unten c. 96 Soergel, Vor § 275 Rz. 374. 97 Staudinger, Vorbem zu §§ 275 ff. Rz. 23 und 34 ff. Ahnlich spricht auch Schlechtriem, Schuldrecht-AT, Rz. 347, im Hinblick auf die Erfüllungsverweigerung von einer Verletzung der Pflicht zur Vertragstreue. 98 Vgl. Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 5 5 I 5; Palandt-Heinrichs, § 276 Rz. 114; Staudinger-Otto, § 326 Rz. 196.
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§ 8 Zum Schutz der Beteiligung
des anderen
am
Schuldverhältnis
füllungsverweigerung nicht darin, daß Schutz- oder Nebenpflichten verletzt werden, sondern daß die Primärpflicht selbst negiert w i r d . " Diese letztere Akzentuierung durch Leser ist allerdings wieder fragwürdig. D e r Grund der Haftung des Schuldners für die Erfüllungsverweigerung liegt weniger in der Negation der Leistungspflicht als vielmehr in der Negation der vertraglichen Bindung. Dadurch unterscheidet sich dieser Typus von Pflichtverletzung nicht nur von anderweitigen Sorgfaltspflichten, sondern auch von der Verletzung der Leistungspflicht bei nachträglicher Unmöglichkeit, Schuldnerverzug oder Schlechtleistung. Wenn man die Erfüllungsverweigerung als Negation der Leistungspflicht und damit als „qualifizierten Fall der Nichtleistung" auffassen würde, so wäre nicht recht verständlich, welches Bedürfnis nach einem solchen eigenen Institut oder besser noch einem eigenen Typus der Erfüllungsverweigerung als Pflichtverletzung bestehen sollte. Für diesen Fall würde es vollauf genügen, diese Nichtleistung in den Schuldnerverzug zu integrieren und die entsprechenden Regeln gegebenenfalls in modifizierter Weise zur Anwendung zu bringen, indem man auf das Erfordernis der Mahnung verzichtet, der Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung und auch der Fälligkeit. 1 0 0 D a ß es dennoch als verbreitetes Anliegen begriffen wird, die Erfüllungsverweigerung als eigenen Typus von Pflichtverletzung herauszuheben, läßt sich nur damit rechtfertigen, daß der dem Schuldner insoweit gemachte Vorwurf primär nicht in der Nichtleistung liegt, sondern in der Verletzung des Schuldverhältnisses. Aus dieser Sicht erweist sich dann auch die Annahme als fragwürdig, daß die Negation der Primärpflichten eine Verletzung dieser Pflichten beinhalte und deshalb Leistungspflichtverletzung sei. 101 Die Negation bezieht sich im Kern auf die vertragliche Bindung und damit auf eine Ebene, die den Leistungspflichten vorgelagert ist. Dieser Bezug auf das Schuldverhältnis wird durch die Annahme, daß der Schuldner mit der Erfüllungsverweigerung gegenüber dem anderen Vertragspartner bestehende Sorgfaltspflichten zum Schutz der personalen Teilhabe am Schuldverhältnis verletzt, eher zum Ausdruck gebracht als durch den Gedanken einer Verletzung der Leistungspflicht. D e r Schuldner verletzt hier die mit jedem Vertrag gegebene und als selbstverständlich vorausgesetzte O r d n u n g des Schuldverhältnisses. Insoweit ist dieser Fall der Sorgfaltspflichtverletzung auch durchaus vergleichbar mit den anderen Fällen der Verletzung von Sorgfaltspflichten, bei denen der Schuldner ebenfalls Pflichten verletzt, deren Einhaltung in dieser Situation von jedermann ohne weiteres erwartet werden kann. Es ist bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, daß die Leistungspflichten eine besondere Verhaltensordnung des Schuldverhältnisses begründen, im Unterschied zu den So insgesamt Leser, Festschrift für Rheinstein II, 643 (653). So in der Tat Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 308. 101 So Huber, Leistungsstörungen II, § 51 II 2 (S. 579); vorsichtiger Leser, Festschrift für Rheinstein II, 643 (654), mit dem Verständnis der Erfüllungsverweigerung als „eigener Typ der Vertragsverletzung". 99
100
III. Schutz der personalen
Beziehung
aus dem
Schuldverhältnis
361
Sorgfaltspflichten, die Grundlage einer allgemeinen Verhaltensordnung des Schuldverhältnisses sind. Anders als die Leistungspflichtverletzungen, die primär zu einer Beeinträchtigung der besonderen Verhaltensordnung führen, beinhaltet die Erfüllungsverweigerung - wie die sonstigen Sorgfaltspflichtverletzungen - primär eine Beeinträchtigung der allgemeinen Verhaltensordnung des Schuldverhältnisses. Erst aus dem Bezug zu dieser Ebene rechtfertigt sich ein eigenständiger Typus der Pflichtverletzung durch Erfüllungsverweigerung.
b) Zur sogenannten
Leistungstreuepflicht
In der Literatur ist zur Kennzeichnung dieses Charakters der Pflicht gelegentlich der etwas schillernde Begriff der „Leistungstreuepflicht" verwandt worden, worunter beispielsweise Emmerich 1 0 2 auch nichts wesentlich anderes versteht als die Pflicht eines jeden Vertragspartners, den sogenannten Vertragszweck nicht zu gefährden oder zu vereiteln. Der Begriff leidet vor allem darunter, daß der Charakter dieser Pflicht relativ unklar ist. Heinrichs 1 0 3 faßt sie als ergänzende Nebenpflicht auf, die der Sicherung der Hauptleistungspflicht dient. Dabei bleibt allerdings fraglich, ob es sich um eine unselbständige Sorgfaltspflicht im Rahmen der Leistungspflicht handelt oder aber um eine selbständige Sorgfaltspflicht, die auf die Leistungspflicht bezogen ist. Der Begriff der Treue deutet eher auf den Sorgfaltscharakter der Pflicht hin, der Begriff der Leistung ist in diesem Zusammenhang mehrdeutig, so daß der Begriff Leistungstreuepflicht eine eigentümliche Mischung von Leistungs- und Sorgfaltsmomenten z u m A u s d r u c k bringt. Nicht völlig zu Unrecht ist deshalb in bezug auf diese Bezeichnung der Pflicht der Vorwurf gemacht worden, es handele sich dabei um eine unnötige und irreführende Duplizität der ohnehin auf die Erfüllung gerichteten Leistungspflicht. 1 0 4 Dieser Vorwurf ist freilich nur zutreffend, w e n n man die Verletzung der Leistungstreuepflicht als Verletzung der Leistungspflicht ansieht. 1 0 5 Wenn man hingegen wie hier die Verletzung der Leistungstreuepflicht als Verletzung einer Sorgfaltspflicht begreift, die ein besonderes neben den Leistungspflichten stehendes Interesse schützt, dann hegt die Erfüllungsverweigerung auf einer durchaus anderen Ebene als die Nichterfüllung der Leistungspflicht, so daß von einer Verdopplung der Pflicht keine Rede sein kann. Bei Esser und Schmidt fand sich jedoch insoweit die Bemerkung, es gehe hier weder u m eine Schlechtleistung, noch um die Verletzung begleitender Schutz- und Treuepflichten. Bezugspunkt 102 103 104
Das Recht der Leistungsstörungen, § 2 1 II 1. Palandt, § 242 R z . 27. So Schünemann, J u S 1987,1 (7). Ahnlich bis z u r 6. A . Esser/Schmidt,
Schuldrecht I, § 28
III 2 c. 105 A n d e r s Soergel-Wiedemann, Vor § 2 7 5 R z . 375, mit der A u f f a s s u n g , es handele sich nicht u m eine eigenständige Vertragspflicht, sondern u m einen eigenständigen Verletzungstatbestand.
362
§ 8 Zum Schutz der Beteiligung
des anderen am
Schuldverhältnis
möglicher Reaktion auf die Erfüllungsverweigerung sei allein die „im Obligationsprogramm vorgezeichnete Pflichtenstellung" des Schuldners. 1 0 6 Diese Pflichtenstellung ist nun aber eben keineswegs nur durch seine ausdrücklich übernommenen Leistungspflichten gekennzeichnet, sondern zunächst einmal durch seine Gebundenheit als Schuldner, die dann auch Grundlage seiner Leistungspflichten ist. Treffend hat Larenz insoweit davon gesprochen, daß jeder Vertragspartner dem anderen über die im Vertrag festgelegten Leistungspflichten hinaus allgemein gesprochen ein „vertragsgerechtes Verhalten" schulde. 1 0 7 Das bedeutet, mit dem Vertrag entsteht eine allgemeine Verhaltensordnung, die auf Einhaltung der Vertragsgerechtigkeit abzielt und bei deren Verletzung der Schuldner seine Pflichtenstellung als Vertragspartner verletzt. Diese grundsätzliche Bedeutung der in der Erfüllungsverweigerung liegenden Pflichtverletzung k o m m t auch in ihrer Bezeichnung als „Ur-fall aller Leistungsstörungen" 1 0 8 z u m Ausdruck.
c) Über das Festhalten des Schuldners an seinem Wort Wie bereits erwähnt, hat Rabel die Erfüllungsverweigerung z w a r ebenfalls als Verletzung der Obligation gedeutet, die dogmatische Lösung dieser Vertragsverletzung aber noch auf einer anderen Ebene gesucht. Er geht davon aus, daß das Verhalten des Schuldners hier nicht so ausgelegt werden könne, daß darin ein Verzicht auf Mahnung oder Nachfristsetzung liege, da dieser in der Regel erkläre, daß er den ganzen Vertrag nicht anerkenne, so daß es an jeglicher Verzichtsabsicht fehle. Ebenso blieben die Parteien uneinig über die Schadensersatzpflicht des Schuldners, so daß auch keine neue Vereinbarung über die A u f h e b u n g der Verpflichtungen vorliege. A u c h wenn der Schuldner danach keinen Vertragsantrag abgegeben habe, so habe er doch eine einseitige Willenserklärung oder doch jedenfalls ein gleichwertiges Verhalten betätigt. Dieses müsse er gegen sich gelten lassen als factum proprium, gegen das er nicht auftreten dürfe. Der Gläubiger könne deshalb den vertragsungetreuen Schuldner beim Wort nehmen. Die einseitige Erklärung des Schuldners werde so durch die einseitige Erklärung des Gläubigers gebunden. 1 0 9 Die Vorstellung, daß der Gläubiger den Schuldner beim Wort nehmen darf, enthält nun - wie die Erfüllungsverweigerung selbst - verschiedene Schichten und ist deshalb unter rechtlichen Gesichtspunkten mehrdeutig. Zunächst einmal verknüpft Rabel den Gedanken, daß der Schuldner sich beim Wort nehmen lassen muß, mit dem des widersprüchlichen Verhaltens. Dieser GrundSo Esser/Schmidt, Schuldrecht I, 6. A., § 28 III 2 c. Larenz, Schuldrecht I, § 24 I a (S. 365). 108 So Fikentscher, Schuldrecht, R z . 367 a.E. 109 So insgesamt Rabel, Das Recht des W a r e n k a u f s I, § 50, 3 (S. 386). Von Gernhuber, Festschrift für M e d i c u s , 145 (150 Fn. 22), ist neuerdings darauf a u f m e r k s a m gemacht w o r d e n , daß der G e d a n k e , der Schuldner müsse sich an seinem W o r t festhalten lassen, bereits vor Rabel vertreten w o r d e n ist, insbesondere d u r c h Krückmann, A c P 116 (1918), 157 (246 f.). 106 107
III. Schutz der personalen Beziehung aus dem
Schuldverhältnis
363
satz findet seinen Sitz in § 2 4 2 B G B . D e m e n t s p r e c h e n d k ö n n t e man der A u f fassung sein, daß das E r k l ä r u n g s v e r h a l t e n des Schuldners lediglich zu einer m o d i f i z i e r t e n A n w e n d u n g der Verzugsvorschriften führt, daß nämlich unter dem G e s i c h t s p u n k t v o n Treu und G l a u b e n auf die M a h n u n g , die A b l e h n u n g s a n d r o h u n g mit Fristsetzung und w o m ö g l i c h auf die Fälligkeit der L e i stung verzichtet w e r d e n kann. I n s b e s o n d e r e verschiedene F o r m u l i e r u n g e n E s s e r s 1 1 0 tendieren in diese R i c h t u n g eines Verständnisses dessen, daß sich der S c h u l d n e r an seiner E r k l ä r u n g festhalten lassen m u ß . Andererseits bleibt v o r allem bei R a b e l der E i n d r u c k , es handele sich hier u m eine eigenständige H a f tung aus der E r k l ä r u n g des Schuldners. D a b e i ist der R e c h t s c h a r a k t e r dieser H a f t u n g allerdings alles andere als klar. Einerseits soll die E r k l ä r u n g des Schuldners keine vertragliche E i n i g u n g ü b e r die A b w i c k l u n g der Vertragsstörung beinhalten. Andererseits soll der S c h u l d n e r aber d o c h an seiner E r k l ä rung im Sinne eines E i n s t e h e n m ü s s e n s für die F o l g e n gebunden sein. A m ehesten wird m a n n o c h sagen k ö n n e n , daß diese Ü b e r l e g u n g e n v o m a n g l o - a m e r i kanischen Verständnis der Vertragsverletzung inspiriert zu sein scheinen. In diesem R e c h t s k r e i s wird das vertragliche Versprechen als Erfüllungsgarantie des Schuldners gedeutet, so daß dann auch der angekündigte Vertragsbruch o h n e weiteres als G r u n d l a g e einer E r s a t z p f l i c h t h e r a n g e z o g e n w e r d e n kann. 1 1 1 Dieses Verständnis der Erfüllungsverweigerung fügt sich allerdings kaum in das S y s t e m der deutschen H a f t u n g für Vertragsverletzungen ein. D a nach haftet der Schuldner für schuldhafte Pflichtverletzungen, nicht aufgrund seiner E r k l ä r u n g . 1 1 2 D e m e n t s p r e c h e n d bleibt in dieser K o n z e p t i o n die B e deutung des Verschuldens auch relativ unklar. 1 1 3 A b e r auch in der h e r k ö m m l i c h e n Sichtweise wird der B e z u g s p u n k t für das Verschulden bei der Erfüllungsverweigerung k a u m thematisiert. W ü r d e man die V e r z u g s v o r s c h r i f t e n heranziehen, so m ü ß t e sich das Verschulden auf die G r ü n d e für die Verweigerung der Leistung b e z i e h e n . 1 1 4 D e u t e t man hingegen wie hier die Erfüllungsverweigerung als Verletzung einer Sorgfaltspflicht z u m S c h u t z e des personalen Schuldverhältnisses, dann m u ß sich das Verschulden auch auf dieses R e c h t s g u t beziehen, d.h. der Schuldner m u ß z u m i n -
110 Vor allem in der 4. A. des Schuldrecht I, § 52 VI 4. Im übrigen liegt diese Sicht auch der h.L. für die Erfüllungsverweigerung nach Fälligkeit der Leistung zugrunde, vgl. etwa für die Entbehrlichkeit der Mahnung Palandt-Heinrichs, § 284 Rz. 2, und im übrigen § 326 Rz. 20. 111 Vgl. Larenz, Schuldrecht I, 13. A., § 24 I a (S. 337 Fn. 8). 112 In diesem Sinne auch Gernhuber, Festschrift für Medicus, 145 (150 f.). 113 Vgl. insbesondere Esser, Schuldrecht, 2. A., § 79, 5: „In Wahrheit geht es also nicht um Haftung aus Vertragsverletzung (...); es spielt nicht der Schuldvorwurf die entscheidende Rolle, sondern das Einstehen für das eigene Handeln, mit welchem der Schuldner das Risiko auf sich nimmt, daß sich seine Leistungsverweigerung später als unberechtigt herausstellt." 114 In diesem Sinne ist wohl der Satz zu verstehen, das Verschulden müsse sich nicht auf die Erfüllungs verweigerung, sondern auf die Nichterfüllung beziehen, so Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 52; Westhelle, Nichterfüllung und positive Vertragsverletzung, S. 69 Fn. 281; wohl auch Huber, Leistungsstörungen II, § 52 II 2.
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5 8 Zum Schutz der Beteiligung
des anderen am
Schuldverhältnis
dest fahrlässig das Schuldverhältnis als Vertrauensverhältnis verletzt haben. 1 1 5 Übrigens legt diese Problematik die Frage nahe, ob die nicht schuldhafte Verletzung des Schuldverhältnisses nicht zumindest zu einem Rücktrittsrecht des Gläubigers führen muß, da auch eine solche schuldlose Pflichtverletzung des Schuldners das Vertrauensverhältnis der Vertragspartner erschüttert. Dieser Punkt soll hier nicht weiter verfolgt werden, allerdings liegt darin möglicherweise einer der Gründe dafür, daß dem Verschulden bei der Erfüllungsverweigerung keine größere A u f m e r k s a m k e i t geschenkt wird.
d) Zum Kriterium der Vertragstreue des Gläubigers Vor allem in der Rechtsprechung ist der Grundsatz anerkannt, daß ungeschriebene Voraussetzung für die Herleitung von Pflichten aus einer Vertragsverletzung ist, daß der Gläubiger sich selbst vertragstreu verhalten hat. 1 1 6 Dieses Prinzip ist vor allem im Hinblick auf die Rechte aus § 326 BGB herangezogen worden, aber auch in verschiedenen Fällen der Erfüllungsverweigerung. In der Literatur wird diese Rechtsprechung eher kritisch beurteilt, wobei manche das Kriterium der Vertragstreue für ganz entbehrlich halten, während andere seinen Anwendungsbereich nur erheblich enger fassen als es der allgemein gehaltene Charakter der Formulierungen der Rechtsprechung vermuten läßt. 1 1 7 O b es einen legitimen Anwendungsbereich für die Voraussetzung der eigenen Vertragstreue gibt, bedarf hier keiner abschließenden Beurteilung; in der Tat spricht w o h l einiges dafür, daß sich die Mehrzahl der Fälle auch ohne dieses Erfordernis durch eine präzise Handhabung der einschlägigen rechtlichen Voraussetzungen befriedigend lösen läßt. Trotzdem liegt in dem Gedanken der eigenen Vertragstreue ein zutreffender Kern, den man am ehesten mit einem heuristischen Charakter dieses Prinzips umschreiben könnte, wie im folgenden anhand der Erfüllungsverweigerung verdeutlicht werden soll. Die Erfüllungsverweigerung führt zu einer Verletzung der sich aus dem Schuldverhältnis ergebenden personalen Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner. Eine Sorgfaltspflichtverletzung gegenüber dem anderen Vertragspartner stellt dieses Verhalten aber nur insoweit dar, als damit dessen Recht auf Teilhabe an dieser Beziehung betroffen ist. Mit der Erfüllungsverweige-
115 Ä h n l i c h Kopeke, T y p e n der positiven Vertragsverletzung, S. 76: „Das Verschulden des ungetreuen Vertragspartners w i r d hier in der mangelhaften R ü c k s i c h t n a h m e auf die Interessen des anderen Teils an der Realisierung des Vertragsziels und in der U b e r b e t o n u n g des eigenen Interesses zu sehen sein." 116 R G Z 149, 401 (404); B G H N J W 1958, 177; B G H N J W 1977, 580 (581); B G H N J W 1999, 352 (352). 117 Vgl. g a n z allgemein MüKo-Emmerich, § 3 2 6 R z . 42 ff.; Palandt-Heinrichs, §326 R z . 10 ff.; Soergel- Wiedemann, Vor § 323 Rz. 118 ff.; Staudinger-Otto, § 326 R z . 60 ff.; speziell z u r Vertragstreue bei der E r f ü l l u n g s v e r w e i g e r u n g Huber, Leistungsstörungen II, § 52 III; Teubner, Gegenseitige Vertragsuntreue, S. 51 ff.; Staudinger-Otto, § 326 R z . 199 f.
III Schutz der personalen
Beziehung
aus dem
Schuldverhältnis
365
rung wird also nicht einfach die Verletzung des Schuldverhältnisses als objektives Institut sanktioniert, sondern die Verletzung der aus der Beteiligung am Schuldverhältnis herrührenden Rechtsstellung des Gläubigers. Sieht man das Schuldverhältnis einmal aus der damit angesprochenen Perspektive einer Beteiligung der beiden Vertragspartner an der personalen Beziehung, so macht das Kriterium der eigenen Vertragstreue vor allem deutlich, daß eine Pflicht zur Vertragstreue im Hinblick auf die eigene Leistung nur besteht, sofern die Beziehung noch intakt ist. Das bedeutet, eine Verletzung der Teilhabe an der personalen Beziehung kommt überhaupt nur in Betracht, wenn das Obligationsband noch nicht verletzt ist. Wenn das aber bereits geschehen ist, dann scheidet eine weitere Verletzung der personalen Beziehung aus, weil diese als schützenswertes Rechtsgut gar nicht mehr existiert. Das Schuldverhältnis kann dann vielmehr nur noch abgewickelt werden, mit der Folge einer Haftung desjenigen, der die Verletzung des Schuldverhältnisses zu verantworten hat. 118 Mit der Verletzung des Schuldverhältnisses durch den anderen Teil hat sich also das Prinzip der Vertragstreue im Hinblick auf die eigene Leistung gewissermaßen erledigt, weil die Voraussetzungen dafür weggefallen sind. Die gelegentlich anzutreffende Vorstellung von einer Rückkehr des Gläubigers zu vertragstreuem Verhalten ist unter diesem Gesichtspunkt nur schwer begründbar. 119 Diese Perspektive macht nun auch deutlich, daß das Kriterium der eigenen Vertragstreue in seiner Allgemeinheit viel zu weitreichend ist. 120 Nicht jedes vertragswidrige Verhalten beinhaltet nämlich zugleich auch eine Verletzung der sich aus dem Schuldverhältnis ergebenden personalen Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner. So führt beispielsweise der einfache Verzug nur dazu, daß der Schuldner nach § 286 I BGB den Verzugsschaden zu ersetzen hat, im übrigen aber zur Leistung verpflichtet bleibt. Und auch der normale Fall der positiven Vertragsverletzung führt üblicherweise nur unter weiteren Voraussetzungen - nämlich einer Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag - zur Abwicklung des Vertrages, im Regelfall ist dagegen lediglich Schadensersatz zu leisten und ansonsten der Vertrag ordnungsgemäß durchzuführen. 121 Erst ein gravierendes Verhalten wie die Erfüllungsverweigerung beinhaltet also eine Verletzung des Schuldverhältnisses, mit der sich dann auch das Prinzip der Vertragstreue im Hinblick auf die eigene Leistung erle118 Daß der Gläubiger daneben auch weiterhin Erfüllung verlangen kann, beruht vor allem darauf, daß der Schuldner sich - trotz Verletzung der personalen Beziehung - nicht einseitig seinen Verpflichtungen entziehen kann. Zu der daraus resultierenden Problematik des Verhältnisses von Erfüllungsanspruch und Sekundärrechten vgl. insbesondere Wertenbruch, AcP 193 (1993), 191 ff. 119 Zu dieser Vorstellung insbesondere Staudinger-Otto, § 326 Rz. 62 u. 200; auch Gernhuber, Festschrift für Medicus, 145 (154). 120 Das zeigt im übrigen vor allem die Untersuchung von Teubner, Gegenseitige Vertragsuntreue, die für die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung von einer dreifachen Abstufung im Hinblick auf die Beeinträchtigung des Vertragszweckes ausgeht, vgl. a.a.O., S. 23. 121 Vgl. nur Palandt-Heinrichs, § 276 Rz. 123 f.
366
§8 Zum Schutz der Beteiligung des anderen am
Schuldverhältnis
digt. F ü r die Fälle beiderseitiger Erfüllungsverweigerung bedeutet dies, daß es auf die zeitliche R e i h e n f o l g e des Verhaltens a n k o m m t . 1 2 2 W e r zuerst die E r f ü l l u n g verweigert, zerstört das Vertrauensverhältnis und damit auch die G r u n d l a g e der Vertragstreue, die n a c h f o l g e n d e Erfüllungsverweigerung ist dann s c h o n als K o n s e q u e n z der Vertragsverletzung in F o r m der Z u r ü c k h a l tung der eigenen L e i s t u n g gerechtfertigt. Lediglich für den atypischen Fall einer gleichzeitigen Erfüllungsverweigerung durch beide Seiten k a n n man daran denken, beide Teile auf ein R ü c k t r i t t s r e c h t zu b e s c h r ä n k e n . 1 2 3
2. Die Verletzung der personalen Beziehung in den Fällen der Vertragszweckgefährdung a) Die Gefährdung des Vertragszweckes auf das Schuldverhältnis
als Angriff
N e b e n der Erfüllungsverweigerung ist als eigenständige G r u n d l a g e einer H a f t u n g aus positiver Vertragsverletzung ein B e r e i c h anerkannt, der v o n der R e c h t s p r e c h u n g zumeist unter dem S t i c h w o r t der „Vertragszweckgefährd u n g " z u s a m m e n g e f a ß t w i r d . 1 2 4 V ö l l i g zu R e c h t hat W i e d e m a n n 1 2 5 darauf hingewiesen, daß es sich hierbei u m einen G e s a m t t a t b e s t a n d handelt, innerhalb dessen die Erfüllungsverweigerung einen besonders m a r k a n t e n Sonderfall darstellt, w ä h r e n d der R e s t b e r e i c h sehr viel schwieriger zu erfassen ist. W i e d e m a n n unterscheidet insoweit v o n der Erfüllungsverweigerung die Fälle der Erfüllungsgefährdung, die er unterteilt in solche der Leistungsgefährdung, der V e r t r a g s z w e c k g e f ä h r d u n g , des Vertrauensverlustes und des illoyalen V e r h a l t e n s . 1 2 6 V o n L ö w i s c h 1 2 7 w e r d e n - wie bereits erwähnt - alle diese Fälle unter dem S t i c h w o r t der „Vertragsuntreue" z u s a m m e n g e f a ß t . D i e bereits vorgetragene D a r s t e l l u n g der Erfüllungsverweigerung als Verletzung des personalen Schuldverhältnisses legt eine entsprechende D e u t u n g auch des Tatbestandes der V e r t r a g s z w e c k g e f ä h r d u n g nahe. D i e G e f ä h r d u n g des Vertragszweckes durch den S c h u l d n e r stellt danach nicht einfach nur eine B e e i n trächtigung der o b j e k t i v e n D u r c h f ü h r b a r k e i t des Vertrages dar, s o n d e r n sie ist - wie die Erfüllungsverweigerung - ein A n g r i f f auf das Schuldverhältnis als personale V e r t r a u e n s b e z i e h u n g und beinhaltet damit eine B e e i n t r ä c h t i -
122 So auch Huber, Leistungsstörungen II, § 52 III 2 d; prinzipiell auch Staudinger-Otto, §326 Rz. 199. 123 Vgl. Fikentscher, Schuldrecht, Rz.373 a.E.; Soergel-Wiedemann, Vor §323 Rz. 147; Staudinger-Otto, § 326 Rz. 199 a.E. 124 Vgl. etwa RGZ 93, 285 (286); BGHZ 59, 104 (105); BGH NJW 1978, 260 (260). 125 Soergel, Vor § 275 Rz. 386. 126 Soergel-Wiedemann, Vor § 275 Rz. 386-393. 127 Staudinger, Vorbem zu §§ 275 ff. Rz. 23, 34.
III. Schutz
der personalen
Beziehung
aus dem
Schuldverhältnis
367
gung der Grundlage des Vertrages und der Vertragsdurchführung. Diese T h e se bedarf allerdings nach mehreren Richtungen hin der Erläuterung.
b) Obliegenheitsverletzung
und
Vertragszweckgefährdung
Eine besondere Problematik der Vertragszweckgefährdung liegt darin, sie von anderen Instituten abzugrenzen. D a z u soll zunächst noch einmal auf den Fall der Verletzung einer Obliegenheit des Gläubigers durch Nichtannahme der Leistung oder Nichtvornahme einer sonstigen Mitwirkungshandlung zurückgekommen werden. Wie bereits erwähnt, hat die Rechtsprechung in verschiedenen Fällen das Unterlassen der gebotenen Mitwirkung des Gläubigers als positive Vertragsverletzung in F o r m der Vertragszweckgefährdung begriffen. 1 2 8 Wie ist diese Auffassung mit dem Verständnis der Mitwirkung des Gläubigers als bloßer Obliegenheit vereinbar? D e r Gesetzgeber hat ausweislich der Materialien Wert darauf gelegt, den Gläubigerverzug nicht an eine Verweigerung der Annahme durch den Gläubiger zu knüpfen, sondern einfach an die Voraussetzung der Nichtannahme der Leistung. 1 2 9 Dementsprechend sollten die Folgen des Gläubigerverzuges auch gerade für den ohne Fahrlässigkeit an der Annahme gehinderten Gläubiger angemessen sein. 1 3 0 Dieser Grundgedanke des Gläubigerverzuges schließt es nun nicht aus, das Verhalten des Gläubigers auch unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten zu würdigen. Insoweit kann man in der Tat mit Hartmann von einem nicht abschließenden Charakter der gesetzlichen Regelung sprechen. 1 3 1 Das bedeutet, wenn die Nichtannahme der Leistung zugleich eine Gefährdung des Vertragszweckes beinhaltet, bleibt auch R a u m für eine Haftung aus positiver Vertragsverletzung. Will man die gesetzliche Regelung nicht unterlaufen, dann kann eine G e fährdung des Vertragszweckes jedoch nicht einfach nur in der Nichtannahme der Leistung oder - praktisch wohl häufiger - in der fehlenden Mitwirkung des Gläubigers erblickt werden. Vielmehr muß das Verhalten des Gläubigers darüber hinaus eine Verletzung des Schuldverhältnisses beinhalten, so daß dem Schuldner ein weiterer Leistungsversuch nicht mehr zugemutet werden kann. 1 3 2 Ein solches Verhalten des Gläubigers kann etwa darin liegen, daß dieser ernsthaft und endgültig zu erkennen gibt, daß er auch zukünftig nicht
Vgl. oben II 4 b aa. 129 Yg[ .Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, § 293 A I 3 (S. 332). Vgl. auch Motive, Bd. II, S. 69. 1 3 0 Vgl. Motive, Bd. II, S. 76. 131 Hartmann, Die unterlassene Mitwirkung des Gläubigers, S. 45. 1 3 2 In diesem Sinne sind insbesondere auch B G H Z 11, 80 (83 ff.), und B G H VersR 1960, 693 (694), zu verstehen. D e n Gedanken der Vertragszweckgefährdung hat in diesem Zusammenhang schon Lehmann, J Z 1954, 240 hervorgehoben. Durchaus treffend spricht Götz, JuS 1961, 56 (58), insoweit von einer „Uberlagerung" der Obliegenheit von einer Treuepflicht. Vgl. dazu im übrigen nur etwa Staudinger-Löwisch, Vorbem zu §§ 293-304 R z . 10. 128
368
§8 Zum Schutz der Beteiligung des anderen am
Schuldverhältnis
gewillt ist, die Leistung a n z u n e h m e n bzw. die gebotene M i t w i r k u n g s h a n d lung v o r z u n e h m e n . A u s dieser Perspektive handelt es sich hier gewissermaßen u m das G e g e n s t ü c k zur Erfüllungsverweigerung des Schuldners. D a b e i m u ß man sich freilich v o n der Vorstellung freimachen, daß es dabei u m eine Verweigerungshandlung in b e z u g auf die Leistung geht. N e i n , verweigert wird hier das Festhalten am Vertrag und damit die Vertrauensgrundlage zerstört. D a s geschieht hier z w a r n o c h nicht durch das b l o ß e U n t e r l a s s e n der erforderlichen M i t w i r k u n g des Gläubigers, w o h l aber dann, w e n n darin zugleich das „letzte W o r t " des G l ä u b i g e r s zu sehen ist. D i e s e D e u t u n g setzt ü b rigens kein Verständnis der M i t w i r k u n g des G l ä u b i g e r s als Leistungspflicht voraus. A u c h w e n n man das erforderliche Verhalten des Gläubigers n u r als O b l i e g e n h e i t qualifiziert, schließt dies nicht aus, dieses Verhalten auch im H i n b l i c k auf seine A u s w i r k u n g e n auf das Schuldverhältnis zu beurteilen. I n soweit ist auch die O b l i e g e n h e i t n o c h T e i l m o m e n t des mit dem anderen Vertragspartner bestehenden Schuldverhältnisses.
c) Vertragszweckgefährdung
und anderweitige
Pflichtverletzungen
V o n den weiteren in der L i t e r a t u r und R e c h t s p r e c h u n g als Fälle der Vertragszweckgefährdung genannten sind einige bereits z u v o r erörtert w o r d e n , mit dem E r g e b n i s , daß es sich bei ihnen in W a h r h e i t um anderweitige Pflichtverletzungen handelt. D a b e i ist allerdings z u z u g e b e n , daß jede Verletzung eines anderweitigen R e c h t s g u t e s auch zu einer Verletzung des Schuldverhältnisses führen kann. Praktisch bedeutsam ist dies v o r allem bei der Schlechtleistung oder der Verletzung v o n Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z absoluter R e c h t s g ü t e r im R a h m e n bereits bestehender Schuldverhältnisse. E i n e solche Pflichtverletzung begründet für den anderen Teil zunächst einmal nur einen A n s p r u c h auf Schadensersatz. Lediglich dann, w e n n bei gegenseitigen Verträgen dem anderen Teil wegen dieser Pflichtverletzung das Festhalten am Vertrag nicht m e h r z u g e m u t e t w e r d e n kann und in diesem Sinne der Vertragsz w e c k gefährdet ist, kann dieser auch v o m Vertrag z u r ü c k t r e t e n o d e r Schadensersatz wegen N i c h t e r f ü l l u n g verlangen. 1 3 3 A u c h derartige Fälle m a c h e n aber deutlich, daß die V e r t r a g s z w e c k g e f ä h r d u n g einen eigenständigen T y p u s der Vertragsstörung darstellt. A u f der G r e n z e liegen dabei die Fälle der B e l e i digung oder der T ä t l i c h k e i t gegenüber d e m anderen Vertragspartner. 1 3 4 E i nerseits kann man darin die Verletzung v o n Sorgfaltspflichten z u m S c h u t z quasi-absoluter R e c h t s g ü t e r des anderen sehen. Andererseits führen gerade auch solche Verhaltensweisen zu einer u n m i t t e l b a r e n Z e r s t ö r u n g des vertraglichen Vertrauensverhältnisses, so daß hierin regelmäßig zugleich auch eine G e f ä h r d u n g des Vertragszweckes liegen wird.
133 134
Palandt-Heinrichs, § 276 Rz. 124. Dazu Soergel-Wiedemann, Vor § 275 Rz. 393 m.w.N.; Staudinger-Otto,
§ 326 Rz. 214.
III. Schutz
der personalen
d) Der Fall der unberechtigten
Beziehung
aus dem
Schuldverhältnis
369
Kündigung
Als eigenständiger Fall der Vertragszweckgefährdung gilt mit R e c h t auch die unberechtigte Kündigung, etwa eines Mietvertrages, aber auch sonstiger Vertragsverhältnisse. 1 3 5 Vor allem für den Fall der wahrheitsgemäßen Kündigung des Mietverhältnisses über Wohnraum, d.h. einer Kündigung mit zutreffenden, aber nicht hinreichenden Gründen, wird eine Haftung aus positiver Vertragsverletzung teilweise bezweifelt. So hat etwa Klinkhammer 1 3 6 argumentiert, daß der Mieter, dem die Sachlage offengelegt würde, alle zur Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Rechtsverteidigung notwendigen I n formationen habe. Damit könne er die rechtliche Begründetheit der Kündigung selbst beurteilen. Insofern bestehe für ein schützenswertes Vertrauen des Mieters keine Veranlassung. Diese Argumentation vermag allerdings nicht zu überzeugen. Anknüpfungspunkt für die Haftung des kündigenden Vermieters ist nämlich nicht das Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben des Vermieters, sondern das Vertrauen auf seine Integrität als Vertragspartner. Dieses Vertrauen wird durch eine unberechtigte Kündigung durchaus nachhaltig erschüttert. Auch darüber hinaus liegt der Fall ganz ähnlich wie die Erfüllungsverweigerung: Mit dem Ausspruch der Kündigung macht der Vermieter - wie der Bundesgerichtshof 1 3 7 formuliert hat - dem Mieter den G e brauch der Mietsache streitig. Zu den Leistungspflichten des Vermieters gehört nach § 535 S. 1 B G B aber gerade auch die Duldung des Gebrauchs der Sache durch den Mieter. Damit kann man in der unberechtigten Kündigung auch eine Verweigerung der Erfüllung des Vertrages sehen. 1 3 8 Genauso wenig wie bei der Erfüllungsverweigerung stellt dann auch bei der unberechtigten Kündigung der bestehende Anspruch auf Erfüllung eine ausreichende rechtliche Reaktion dar, und zwar deshalb, weil der berechtigte Vertragspartner dadurch nur gezwungen würde, an einem Vertragsverhältnis festzuhalten, dessen Vertrauensgrundlage der andere gerade zerstört hat. Ü b rigens ist aus dieser Perspektive die Heranziehung des § 254 B G B fraglich. Die Anwendung der Vorschrift beruht offenbar auf der Vorstellung, daß der Mieter selbst - jedenfalls rudimentär - die Wirksamkeit der Kündigung prüfen könne und sich dagegen dann gegebenenfalls zur Wehr setzen kann. 1 3 9 Tatsächlich läge darin ja aber auch nur die Verfolgung des Anspruches auf Erfüllung, das zerstörte Vertrauensverhältnis wäre dadurch noch nicht wiederhergestellt. Im Grunde erscheint der Mitverschuldenseinwand daher mit dem 1 3 5 So Erman-Battes, § 276 Rz. 9 4 ; J a u e r n i g - V o l l k o m m e r , § 276 Rz. 58; Palandt-Heinrichs, § 2 7 6 Rz. 115. Nicht ganz zu Unrecht sieht etwa Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, § 21 II 2 c, darin einen Fall der Erfüllungsverweigerung. 1 3 6 N J W 1997, 221 (221 f.). 1 3 7 B G H Z 89, 296 (302). 1 3 8 So Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, § 21 II 2 c; Huber, Leistungsstörungen II, § 5 1 I 3 a. 1 3 9 Vgl. Palandt-Heinrichs, § 2 7 6 Rz. 115; Staudinger-Sonnenschein, § 5 6 4 b Rz. 138; einschränkend B G H Z 89, 296 (308); ähnlich M ü K o - V o e l s k o w , § 564b Rz. 73.
370
5 8 Zum Schutz der Beteiligung
des anderen
am
Scbuldverhältnis
Verständnis der positiven Vertragsverletzung als Gefährdung des Vertragszweckes nicht recht vereinbar. Nicht durchgreifend sind schließlich auch die Bedenken, die sich daraus ergeben, daß in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die unberechtigte Ingangsetzung eines Gerichtsverfahrens nicht als positive Vertragsverletzung aufgefaßt wird. Demgegenüber meint Klinkhammer, 140 daß die unberechtigte Kündigung eines Mietvertrages genauso wenig wie die nachfolgende gerichtliche Geltendmachung des Räumungsanspruches durch den Vermieter eine positive Vertragsverletzung darstellen könne. Die Kündigung sei hier nur die Vorstufe des Räumungsanspruches. Da der Klage aber regelmäßig auch eine vorprozessuale Rechtsberühmung vorausgehe, könne diese unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ebenfalls keine positive Vertragsverletzung begründen. Ohne daß in diesem Zusammenhang auf die schwierige Problematik der Haftung für schädigende Rechtsverfolgung genauer eingegangen werden kann, sei im Hinblick auf diese Argumentation aber doch folgendes klargestellt. In der bloßen Erhebung einer Klage mag zwar keine Vertragsverletzung liegen, das schließt es aber nicht aus, das weitere Verhalten des Klägers unter diesem Gesichtspunkt zu beurteilen. Die Vorstellung, die „Entwirrung von Streitigkeiten" 141 unter Vertragsparteien sei die originäre Aufgabe der Zivilgerichte, die zu keiner Haftung der Parteien führen könne, wäre so sicher zu weitreichend. Ausgeschlossen werden kann - wegen dieser Aufgabe der Gerichtsbarkeit - allenfalls eine vertragliche Haftung für die Betreibung des Verfahrens. Das bedeutet aber nicht, daß damit zugleich auch die Haftung für das Vertragsverhalten ausgeschlossen wäre. Andernfalls würden weite Teile des Verzugsrechtes und auch in vielen Fällen die Grundsätze der Erfüllungsverweigerung leerlaufen. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich sinnvollerweise also nur auf das prozessuale Verhalten beziehen, nicht auch auf das nach materiellem Recht zu beurteilende Verhalten. 142 Demgemäß wird dem Kläger zwar das Risiko der Ingangsetzung des Gerichtsverfahrens abgenommen, nicht aber das Risiko in der Beurteilung seines eigenen vertraglichen Verhaltens. Letztlich besteht auch kein Bedürfnis dafür, das damit bestehende Haftungsrisiko des unberechtigt Kündigenden auf die Haftung aus § 826 BGB oder auch § 823 II BGB i.V.m. § 263 StGB und damit auf die Haftung für Vorsatz zu beschränken. 143 Jeder Schuldner, der die Erfüllung seiner Leistungspflicht verweigert oder auch nur verzögert, haftet für leichte Fahrlässigkeit, und zwar auch dann, wenn er meint, den Vertrag wirksam gekündigt zu haben, ihn angefochten zu haben usw. Angesichts dieses systematischen Zusammenhanges wäre nicht recht verständlich, wieso das Risiko bei der bloßen HO NJW 1997, 221 (222). 141 142 143
Formulierung in BGHZ 20, 169 (171). Davon scheint auch BGHZ 20,169 (172), auszugehen. So aber im Ergebnis Klinkhammer, NJW 1997, 221 (222 f.).
III. Schutz
der personalen
Beziehung
aus dem
Schuldverhältnis
371
Kündigung des Vertrages für den Schuldner herabgesenkt werden sollte. Wenn die Kündigung des Vertrages eine Gefährdung des Vertragszweckes beinhaltet, dann muß der Kündigende vielmehr nach allgemeinen Grundsätzen vertraglicher Haftung dafür gemäß § 276 1 1 B G B auch schon bei bloßer Fahrlässigkeit haften.
e) Xu den Erfordernissen der Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung und der Abmahnung In Rechtsprechung und Literatur wird gerade für die Fälle der Gefährdung des Vertrages grundsätzlich als zusätzliche Voraussetzung eine Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung gefordert, bevor Rechtsbehelfe zur Abwicklung des Vertrages zur Verfügung stehen. Dabei besteht allerdings wohl Einigkeit darüber, daß sie - wie beim Verzug - entbehrlich ist, wenn sie ihren Sinn verloren hat, was insbesondere dann der Fall sein soll, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien endgültig zerstört ist. 1 4 4 Das Erfordernis der Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung besteht damit im Grunde nur für die Fälle, in denen nicht eindeutig feststeht, o b der Schuldner an seinem vertragswidrigen Verhalten festhält und damit die Vertrauensgrundlage tatsächlich endgültig zerstört oder aber nur gefährdet ist. 1 4 5 D i e Fristsetzung dient danach dem Interesse des Gläubigers an Rechtsklarheit, also an der klaren A b grenzung zwischen einer schwerwiegenden Pflichtverletzung, die eine A b wicklung des Vertrages nach sich zieht, und einer leichteren Pflichtverletzung, die zwar gegebenenfalls ersatzpflichtig macht, aber doch nicht so schwer wiegt, daß sie das Vertragsverhältnis endgültig erschüttert. Insoweit dient die Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung - ähnlich wie im Verhältnis zwischen bloßem Verzug und der Nichtleistung bei bestehendem Verzug auf eine Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung - der Bestimmung des Grades der Vertragsverletzung. Von dem Erfordernis der Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung zu unterscheiden ist die Notwendigkeit, in manchen Fällen den Schuldner zuvor abzumahnen. Insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen, für die es insoweit partiell auch gesetzliche Regelungen gibt (vgl. nur §§ 554a, 626, 723 B G B ) , aber auch bei sonstigen Vertragsverhältnissen, die einer Abwicklung über einen längeren Zeitraum bedürfen, kann eine Vielzahl leichterer Pflichtverletzungen zu einer Gefährdung des Vertragszweckes führen. 1 4 6 Voraussetzung für die Annahme einer zur Abwicklung oder Kündigung des Vertrages führenden positiven Vertragsverletzung dürfte hier jedoch sein, daß der Gläubi144 Vgl. B G H N J W 1977, 36 (37); B G H N J W 1978, 260 (261); B G H N J W 1981, 679 (680); Soergel- Wiedemann, Vor § 275 Rz. 394; Staudinger-Otto, § 326 Rz. 203. 1 4 5 In diesem Sinne insbesondere B G H N J W 1977, 36 (37); wohl auch Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, §21 II 2 b. 1 4 6 Zu den Fällen der Vertragszweckgefährdung im Rahmen von Sukzessivlieferungsverträgen vgl. Soergel-Wiedemann, Vor § 275 Rz. 392.
372
§ 8 Zum Schutz
der Beteiligung
des anderen
am
Schuldverhältnis
ger den Schuldner zuvor auf sein vertragswidriges Verhalten hinweist und damit vor einer weiteren Gefährdung des Vertrauensverhältnisses warnt. 1 4 7 Während sich das Erfordernis der Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung also darauf bezieht, daß sich der Gläubiger Klarheit über das Gewicht einer bestimmten Verhaltensweise des Schuldners verschaffen will, dient die A b mahnung der Gewichtung mehrerer für sich genommen kleinerer Vertragsverstöße im H i n b l i c k auf eine Gefährdung des Vertrages.
f) Zum Begriff der
Vertragszweckgefährdung
D i e hier vorgetragene Analyse der Vertragszweckgefährdung wirft die Frage auf, o b es sich dabei um eine gelungene juristische Begriffsbildung handelt. D e r Begriff des Vertragszweckes selbst ist mehrdeutig. E r kann sich etwa auf die Leistungspflichten im gegenseitigen Vertrag beziehen und insoweit den Austauschzweck des Vertrages betonen. 1 4 8 M i t dem Vertragszweck k o m men aber auch die Vorstellungen der Parteien in den Blick, ihre Motive und Gründe für den Vertrag. In dem Begriff klingen damit verschiedene Schichten für den Schutz des Schuldverhältnisses an, nämlich nicht nur das Leistungsstörungsrecht, sondern auch die Rechtsgeschäftslehre. U n d tatsächlich bleibt der Eindruck, daß in den Fällen der Vertragszweckgefährdung vor allem auch die Vorstellung einer der beiden Parteien über die Durchführung des Vertrages enttäuscht wird. Für diese Partei ist die Vertrauensgrundlage des Vertrages weggefallen. Dies mag keinen Wegfall der Geschäftsgrundlage im rechtlichen Sinne darstellen, wohl aber handelt es sich dabei um eine Beeinträchtigung der Grundlagen des Schuldverhältnisses. U n t e r diesem Gesichtspunkt ist dann auch die Bezeichnung als Gefährdung des Vertragszweckes nicht recht überzeugend. D e r Vertrag ist hier als Schuldverhältnis nicht nur gefährdet, sondern beeinträchtigt. Von einer Gefährdung kann man allenfalls im H i n b l i c k auf eine weitere Durchführung des Vertrages sprechen, die ohne ausreichende Vertrauensgrundlage erfolgt. Treffender als der weithin übliche Begriff der Gefährdung des Vertragszweckes ist deshalb die Qualifizierung dieser Fälle als solche der „Vertragsuntreue" 1 4 9 oder der Verletzung der sich aus dem Schuldverhältnis ergebenden personalen Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner.
1 4 7 Vgl. dazu Palandt-Heinrichs, Einl v § 241 Rz. 19, für die allgemeinen Rechtsgrundsätze zur Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund. 1 4 8 Vgl. dazu Fikentscher, Schuldrecht, Rz. 115: „Das Synallagma selbst kann als Zweckstruktur gesehen werden ( . . . ) . " 1 4 9 So Staudinger-Löwisch, Vorbem zu §§ 275 ff. Rz. 23, 34.
IV.
IV.
Zusammenfassung
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Zusammenfassung
N e b e n dem Schutz absoluter Rechtsgüter und der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit dienen Sorgfaltspflichten auch dem Schutz der Beteiligung des anderen am Schuldverhältnis. D e r am deutlichsten faßbare Fall einer Verletzung der personalen Beziehung aus dem Schuldverhältnis stellt die Erfüllungsverweigerung dar. Entgegen verbreiteter Auffassung handelt es sich bei der Erfüllungsverweigerung um keine F o r m der Verweigerung der Leistung, sondern um einen Angriff auf das Schuldverhältnis. M i t der Verweigerung der Erfüllung, der Vertragsaufsage, verletzt der Schuldner das zwischen ihm und dem Gläubiger bestehende Vertrauensverhältnis und damit ihr personales Verhältnis. D e r Vertragspartner wird so in seiner Rechtsstellung als Teilhaber an der sich aus dem Schuldverhältnis ergebenden Beziehung verletzt. Entsprechend lassen sich auch die verschiedenen Fälle einer Gefährdung des Vertragszweckes als Angriff auf das Schuldverhältnis und damit auf die personale Vertrauensbeziehung zwischen Gläubiger und Schuldner verstehen. D i e Zusammenfassung dieser Gruppe von Fällen unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung des Vertragszweckes ist allerdings mißverständlich. D e r Vertrag ist hier als Folge des Angriffs auf das Schuldverhältnis nicht nur gefährdet, sondern der Vertragspartner ist in seiner Rechtsstellung als Teilhaber an der personalen Beziehung beeinträchtigt. Von einer Gefährdung kann man deshalb allenfalls im H i n b l i c k auf eine weitere Durchführung des Vertrages sprechen, die ohne ausreichende Vertrauensgrundlage erfolgt. Wesentlich treffender werden die verschiedenen Fälle der Verletzung von Sorgfaltspflichten zum Schutz der Beteiligung des anderen am Schuldverhältnis durch den Begriff der Vertragsuntreue zusammengefaßt. U b e r die Fälle der Vertragsuntreue hinausgehend werden in der Literatur vor allem unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Leistung eine Reihe weiterer Pflichten erörtert, deren genauer rechtlicher Charakter oft unklar bleibt. So sollen den Schuldner sowohl besondere Pflichten zur O b h u t und Fürsorge für den Schuldgegenstand treffen, als auch besondere Pflichten, die Leistung während oder nach Abwicklung des Vertragsverhältnisses nicht zu entwerten. Bei genauerer Betrachtung läßt sich jedoch die Mehrzahl dieser Fälle auf der Grundlage einer ausreichenden Bestimmung des Inhalts der Leistungspflicht des Schuldners bewältigen. D i e noch verbleibenden Fälle können unter dem Gesichtspunkt der Verletzung fremder Rechtsgüter einer Lösung zugeführt werden, so daß es eines besonderen Typus leistungssichernder N e benpflichten insoweit nicht bedarf. Als Verletzung fremder Rechtsgüter, nämlich der des Schuldners, läßt sich auch der durch § 324 I B G B geregelte Fall der Herbeiführung der Unmöglichkeit durch den Gläubiger deuten. D e r Gläubiger schädigt dadurch typischerweise nicht nur den dem Schuldner gehörenden Leistungsgegenstand, sondern er beeinträchtigt damit auch dessen Anspruch auf die Gegenleistung, weil dieser die Gegenleistung prinzipiell nur dann erlangt, wenn er auch die Leistung erbringt. Erst infolge der Sanktion
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§8
Zum Schutz der Beteiligung des anderen am
Schuldverhältnis
dieser Schädigung behält der Schuldner nach § 324 I B G B den Anspruch auf die Gegenleistung. M i t dem komplexen T h e m a der Mitwirkungspflichten des Gläubigers stellt sich die Frage der Unterscheidung von Obliegenheit, Leistungspflicht und Sorgfaltspflicht. D e r gesetzlichen K o n z e p t i o n des Gläubigerverzuges liegt die Vorstellung der Mitwirkung des Gläubigers am Leistungsaustausch als bloßer Obliegenheit zugrunde, wie man später gesagt hat. Damit verbietet es sich, die Mitwirkung des Gläubigers durchgehend zugleich als Gegenstand einer Leistungs- oder Sorgfaltspflicht zu begreifen. I m Hintergrund steht dabei das prinzipielle Problem, daß der Anspruch des Gläubigers auf die Leistung in sein Gegenteil verkehrt zu werden droht, die Gefahr, daß das R e c h t in die Pflicht umschlägt. H i n z u k o m m t , daß das Interesse des Schuldners an der Mitwirkung des Gläubigers zum Zwecke der Erbringung seiner Leistung sich in der Regel nur als unbeachtliches Motiv darstellt. Als Leistungspflicht läßt sich daher die Mitwirkung des Gläubigers nur dann begreifen, wenn der Schuldner bei Vertragsschluß seine über das Gegenleistungsinteresse hinausgehenden Zwecke offenkundig gemacht hat oder sogar durch ausdrückliche vertragliche Vereinbarung absichert. Angesichts des prinzipiellen Verständnisses der Mitwirkung des Gläubigers als Obliegenheit kann schließlich auch nicht jeder Fall des Unterlassens der Mitwirkung als Verletzung einer Sorgfaltspflicht begriffen werden, die zur Haftung aus positiver Vertragsverletzung führt. D i e Vorschriften über den Gläubigerverzug knüpfen einfach nur an die Nichtannahme der Leistung an. Damit sind die Rechtsfolgen des Gläubigerverzuges gerade auch für den ohne Fahrlässigkeit an der Annahme der Leistung gehinderten Gläubiger noch angemessen. Das schließt es jedoch nicht aus, ein über die bloße Nichtannahme der Leistung hinausgehendes Verhalten des Gläubigers als Verletzung einer Sorgfaltspflicht zu begreifen. Ein solches Verhalten liegt insbesondere darin, daß der Gläubiger zu erkennen gibt, daß er auch zukünftig nicht bereit ist, die Leistung anzunehmen oder eine sonstige Mitwirkungshandlung vorzunehmen. In einer solche Verweigerungshaltung des Gläubigers liegt ebenfalls ein Angriff auf das Schuldverhältnis, der die Vertrauensgrundlage zwischen den Parteien zerstört. Insofern handelt es sich bei der Annahmeverweigerung gewissermaßen um das Gegenstück zur Erfüllungsverweigerung.
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Sachregister Die hochgestellten Zahlen verweisen auf F u ß n o t e n .
A b b r u c h v o n Vertragsverhandlungen 268 ff. Absolutes Recht 18, 74, 112, 214, 220 f., 244, 247, 249, 261, 263 1 7 9 , 264, 276 A n s p r u c h 18, 48 ff., 164 A u f k l ä r u n g s p f l i c h t e n 131, 273 f., 303, 326 ff., 337 f. Beweislast 5, 61 f., 80, 209, 210 f., 311 ff. Casus mixtus 133 C u l p a in c o n t r a h e n d o - B e g r ü n d u n g d u r c h J h e r i n g 9 ff., 228, 234, 280 - u n d rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit 267 ff. - beim Kauf 190 ff., 199 ff. - u n d sozialer K o n t a k t 231, 240 ff. - u n d Leistungsstörungsrecht 34, 37 f., 43 f. - u n d Rechtsgeschäftslehre 287 ff., 296, 305 f., 328 f. - u n d Schuldverhältnis 227 ff. - u n d Schutz absoluter Rechtsgüter 207 ff., 227 ff. - u n d arglistige T ä u s c h u n g 281 ff., 287 ff., 293 ff., 297 ff., 302, 305, 306 ff., 315 ff., 328 ff. - u n d u n w i r k s a m e r Vertrag 252 f., 258 - u n d Vertragsschluß 7, 38 ff., 191 ff., 228 ff., 230 ff., 232 ff., 257 - u n d p V V 180 ff., 190 ff. Delikt - u n d Schuldverhältnis 65, 66 1 0 6 , 215 - u n d Vertrag 3, 71 ff., 93, 110, 135 f., 207, 209 ff., 213 ff., 220 ff., 235 ff., 260 ff., 277 Deliktsrecht - H a f t u n g s k o n z e p t 70 f., 135 - Idealtyp 26 - u n d Leistungsstörungsrecht 3, 104, 134 ff.
Dinglicher R e c h t s s c h u t z 2, 29 ff., 108, 220 f., 243, 266 E r f ü l l u n g 45 ff., 101 ff., 104, 109, 116 ff., 120, 163 ff. Erfüllungsgehilfe 5, 209, 212, 216 ff., 240, 265 E r f ü l l u n g s v e r w e i g e r u n g 125, 334, 335, 356 ff. Fahrlässigkeit 1, 15, 23, 32, 82, 87 f., 95, 100, 103, 106 f., 114 f., 121, 144 Fälligkeit 129 ff. Garantie 62, 81 ff., 94, 140, 149, 199, 200 1 7 7 , 210', 217 f., 265, 363 Generalklausel - im Deliktsrecht 24 ff., 26, 27, 31, 262 1 7 7 - im Leistungsstörungsrecht 2 1 , 3 1 Gläubigerverzug 39, 41, 347, 348 ff., 351 ff., 355, 367, 374 G ü t e r 17 f., 19, 113, 177 H a f t u n g s a u s w e i t u n g 2, 32 Haftungssystem - gesetzliches 2 ff., 19, 283 - Verschiebungen 2, 4, 22 f., 25, 31, 81, 141, 283 ff., 291 ff. H a n d l u n g 31, 32, 72, 106 f., 120, 138 I n f o r m a t i o n 6, 272 ff. Inhaltskontrolle 300, 305, 312, 314, 330 Interesse 18 f., 156, 159 f., 164 ff., 188 Kauf - G a t t u n g s k a u f 36, 179, 181, 182 f. - Schlechtleistung 167 ff. - Stückkauf 36 f., 41, 44, 46, 170, 179, 180, 339 f. Leistungsbegriff 156, 159, 160 ff., 205 Leistungspflicht
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Sachregister
- Inhalt 101 f., 146, 150 ff., 337 ff., 340 - und Sorgfaltspflichten 118, 124 ff., 146, 183 ff., 202 ff., 205 - Verletzung (s. Leistungspflichtverletzung) Leistungspflichtverletzung - und Erfüllungsverweigerung 357 ff. - gesetzliches Modell 68 ff. - und Schlechtleistung 68, 154 ff. - und Schuldnerverzug 68, 75, 88 ff. - und Sorgfaltspflichtverletzung 124 ff., 173 ff., 183 ff., 187 ff., 205 - und nachträgliche Unmöglichkeit 2, 3, 21, 34 f., 58, 62, 68, 69 ff., 144 ff., 203 f. - als Verletzung der Forderung 3, 74, 93, 108, 110, 135, 136, 221, 261, 266 Leistungsstörungsrecht - Begriff 33 ff., 55, 57, 58, 66 - Grundbegriffe 45 ff. Leistungstreuepflichten l 5 , 335, 336, 361 f. Mahnung 75, 89, 93, 125 2 , 129 ff. Mittelbare Handlung 3, 29, 112, 132 ff., 137 ff., 204 f. Mitwirkungspflichten l 5 , 335, 3 4 7 f f . , 374 Nebenpflichten 1, 16, 95, 105 f., 169, 198, 335, 336, 337, 343 Neminem laedere 28, 72 7 , 110, 215, 243 ff. Nichterfüllung -
als Grundtatbestand 14, 33, 45 ff., 93, 145 f. - und Pflichtverletzung 3, 14, 16, 22, 41, 53 f., 63 f., 78 f. - und Schlechtleistung 85, 155 f., 157 f., 159 ff., 167 ff. Nichtleistung 14, 48, 50, 53, 76 ff., 85, 90, 93, 125 ff. Obliegenheit 39 f., 41, 44, 344 f., 347, 350, 351 ff., 355, 367 f., 374 Pflicht - als dogmatischer Begriff 96, 236 ff., 331 ff. - ethische 95 ff., 113, 120, 245, 251 - und Obliegenheit 39 f., 4 1 , 4 4 - Primärpflicht 35, 50 ff., 95, 97 ff., 103 ff., 120 - und subjektives Recht 107 ff., 120 f. - und Rechtsgut 107 ff., 207 Pflichtverletzung - durch mittelbare Handlung (s. dort)
- und Rechtswidrigkeit 73 - und Sachmangel 169 ff., 178, 194 ff. - und Schlechtleistung 154 ff., 167 ff., 208, 335 - Typisierung 3 ff., 21, 56, 76 ff., 110 f. - durch Unterlassen (s. dort) - als pflichtwidriges Verhalten 53 ff., 68 ff. - und Vertragsverletzung 1 5 , 3 3 , 6 4 , 3 3 1 , 357 Positive Vertragsverletzung - Beweislast 61 f., 210 - Entdeckung durch Staub 7, O f f . - und Forderungsverletzung 1 9 , 6 1 - als Grundtatbestand 21, 84 ff. - als Haftungsinstitut 2, 7f., 20 ff., 37 f., 58 - und Herbeiführung der Unmöglichkeit durch den Gläubiger 344 ff. - beim Kauf 167 ff., 190 ff., 197 ff. - und Schlechtleistung 154 f., 159, 167 ff. - und Schuldnerverzug 129 ff. - bei gesetzlichen Schuldverhältnissen 65, 286, 358 Rahmenrecht 24, 112, 275 ff., 328 Rechtsgut 3, 17 f., 19, 107 ff., 113, 117 8 2 , 121, 135 f., 165, 207, 223 ff., 263 1 8 0 , 264, 266 Rechtswidrigkeit - als Bewertung von Verhalten 61, 72 f., 74' 4 , 80, 87 f., 94, 95, 108 ff., 185, 237, 244, 245 f. - bei unerlaubten Handlungen 70 f., 72 f., 108 ff., 112 f., 135 - bei Pflichtverletzungen 1 f., 61, 72 f., 80, 95, 108 ff., 111 ff., 121, 135, 185 Rücktritt 1 1 9 , 1 9 6 , 3 6 4 Sachmangel - als Leistungsstörung 36, 41, 47, 167 ff. - und Pflichtverletzung (s. dort) Schlechterfüllung (s. Schlechtleistung) Schlechtleistung - als nicht gehörige Erfüllung 47, 127, 154 ff. - beim Kauf (s. dort) - und Pflichtverletzung (s. dort) - und positive Vertragsverletzung (s. dort) Schuldnerverzug - als Grundtatbestand 14, 90 - als Leistungsstörung 34, 35 f., 65 - und Mahnung (s. dort) - als Pflichtverletzung 2, 3 , 2 1 , 3 6 , 5 3 , 6 8 , 75, 88 ff.
Sachregister - und Schlechtleistung 165 f. - und Unmöglichkeit 90 ff., 93, 161 ff. Schuldverhältnis - Ausgestaltung 218 f., 227, 240, 249, 266 - Begründung 42, 43, 215, 218 f., 227, 240 ff., 252 f., 259, 265 - Einheit 20, 251, 253 ff., 259 - gesetzliches 64 ff., 66 1 0 6 , 259 1 7 0 , 262, 286, 358 - ohne primäre Leistungspflichten 8, 60, 220, 252 - Schutz 331 ff. - i.w.S. 11 ff., 16, 19, 60, 103, 213 ff., 259 1 7 1 - und Sonderverbindung 247, 259 1 7 1 - Störung 40, 41, 42 ff. - als personales Verhältnis 223 ff., 333, 365 - als Verhaltensordnung 61, 63, 64, 104, 120, 223, 239, 249, 256, 265, 277, 360 ff. - und Vertrag 11 ff., 215, 222 f., 232 ff., 239, 250, 255 f., 266, 286 f. Schutzpflichten 1, 17 ff., 19 f., 60, 95, 106, 168, 176 ff., 213 1 8 , 252, 258 1 6 6 Schutzverhältnis 19 f., 181, 209, 236, 251 ff. Sonderverbindung 29, 244, 247, 249, 259 1 7 1 Sorge 104 f., 107, 113, 120, 146,280 Sorgfalt 1, 4, 15, 23, 31 f., 95, 100, 106, 124 ff., 1 4 3 , 2 0 2 , 2 0 4 , 2 0 7 , 2 9 3 Sorgfaltspflicht - Ausdehnung 2, 8, 11, 13, 31 f. - abweichende Bezeichnungen 1,104 ff. - Durchsetzung 116 ff., 121 - und Erfüllung 47 f., 101 f., 104, 116 ff., 120, 163 ff. - und Leistungspflicht (s. dort) - als Primärpflicht 95, 97 ff., 103 ff., 120, 203 - und Privatautonomie 279 ff. - zum Schutz der Beteiligung am Schuldverhältnis 331 ff., 356 ff. - zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit 193 ff., 208, 268 ff. - zum Schutz absoluter Rechtsgüter 207 ff., 271,368 - zum Schutz des Vermögens 25 8 1 6 6 , 260 ff. - unselbständige 3 f., 123, 124 f., 140 ff., 146, 152 ff., 203, 205 - und Verkehrspflichten 2 , 2 6 , 1 0 0 , 1 0 3 , 142, 236 ff., 240 - Verletzung (s. Sorgfaltspflichtverletzung) Sorgfaltspflichtverletzung - und Fahrlässigkeit 1 , 2 3 , 3 2 , 8 7 , 9 5 , 1 0 0 , 103, 106 f., 114 f., 121, 144
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- und Leistungspflichtverletzung (s. dort) - und Nichtleistung 125 ff. - Rechtsfolgen 119 f. - und Verzögerung der Leistung 129 ff. Treuepflichten 106 39 , 332, 336 1 5 Unmöglichkeit -
anfängliche 9 f., 41, 65, 82, 149, 181 als Faktum 62 als Haftungsgrund 58, 62 Herbeiführung durch den Gläubiger 343 ff., 373 f. - nachträgliche 2, 3, 21, 34 f., 49, 51, 58, 62, 68, 69 ff., 144 ff., 203 f. - Teilunmöglichkeit 20, 160 ff. - nachträgliches Unvermögen 147 ff. Unterlassen 3, 13 f., 29, 90, 112, 129, 132, 143 ff., 204 f., 303, 327 Verhaltensunrecht 7, 30, 71, 80, 108 ff., 111 ff., 114, 146, 185,237,238 Verjährung - bei der cic 297 f. - beim Delikt 209 f., 294, 296, 298 - beim Kauf 197,200 - beim Vertrag 210 Verkehrspflichten - im Deliktsrecht 2, 7, 23 ff., 26, 88 52 , 99 f., 103, 109, 132 ff., 137, 142, 208, 236 ff., 260, 266, 292 - beim dinglichen Rechtsschutz 29 ff., 32 - zum Schutz bloßen Vermögens 27, 262 - und Sorgfaltspflichten (s. dort) Vermögen 207, 260, 266, 275 ff., 282, 284, 285, 306, 324 ff. Vermögensschaden 25, 209, 260 ff., 266, 269, 282, 288 1 7 3 , 315 ff., 322 ff., 330 Verrichtungsgehilfe 209, 212, 218 f., 240, 265 Verschulden - Fahrlässigkeit (s. dort) - bei der Erfüllungsverweigerung 363 f. - und Garantie 81 ff., 94, 217, 265 - bei Lieferung fehlerhafter Sache 170 f., 172 - und Pflichtverletzung (s. dort) - bei Vertragsverhandlungen (s. culpa in contrahendo) - und Vertretenmüssen 22,218 - als Vorwurf 70 f., 72, 115, 171, 172, 248 Vertrag - und Delikt 3, 28, 71 ff., 93, 110, 135 f.,
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Sachregister
207, 209 ff., 213 ff., 220 ff., 235 ff., 260 ff., 270 - u n d Schuldverhältnis 11 ff., 44, 66, 215, 222 f., 233 ff., 239, 250, 255 ff., 266, 286 f. Vertragsanpassung 306 ff., 323 ff., 329 V e r t r a g s a u f h e b u n g 321 ff., 329 Vertragsaufsage 125, 359, 373 Vertragstreue 5, 123, 300, 334 ff., 359, 364 ff., 366, 372 Vertragsverletzung 15, 33, 64 ff., 331, 357 V e r t r a g s z w e c k g e f ä h r d u n g 13, 332, 334, 348, 355, 366 ff., 372, 373 Vertrauen 223, 231, 232, 252 f., 259, 278 f., 284
Vertrauenshaftung 10,252,259,278 Vertretenmüssen - u n d Verschulden (s. dort) - d u r c h den Gläubiger 343 f. Verzug - G l ä u b i g e r v e r z u g (s. dort) - Schuldnerverzug (s. dort) V o r b e u g e n d e r R e c h t s s c h u t z 116 ff. Wegfall der Geschäftsgrundlage 34, 40, 41, 44, 46 f., 64, 65, 314 1 6 8 , 372 Weitere Verhaltenspflichten 1, 8, 60 f., 95, 105, 162, 166
Jus Privatum Beiträge z u m Privatrecht - Alphabetische Ü b e r s i c h t Assmann, Dorothea: Die Vormerkung (§ 883 BGB). 1998. Band 29. Bayer, Walter: Der Vertrag zugunsten Dritter. 1995. Band 11. Beater, Axel: Nachahmen im Wettbewerb. 1995. Band 10. Beckmann, Roland Michael: Nichtigkeit und Personenschutz. 1998. Band 34. Berger, Christian: Rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkungen. 1998. Band 25. Berger, Klaus: Der Aufrechnungsvertrag. 1996. Band 20. Bittner, Claudia: Europäisches und internationales Betriebsrentenrecht. 2000. Band 46. Bodewig, Theo: Der Rückruf fehlerhafter Produkte. 1999. Band 36. Busche, Jan: Privatautonomie und Kontrahierungszwang. 1999. Band 40. Braun, Johann: Grundfragen der Abänderungsklage. 1994. Band 4. Dauner-Lieb, Barbara: Unternehmen in Sondervermögen. 1998. Band 35. Dethloff, Nina: Europäisierung des Wettbewerbsrechts. 2001. Band 54. Drexl, Josef: Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers. 1998. Band 31. Eberl-Borges, Christina: Die Erbauseinandersetzung. 2000. Band 45. Einsele, Dorothee: Wertpapierrecht als Schuldrecht. 1995. Band 8. Ekkenga,Jens: Anlegerschutz, Rechnungslegung und Kapitalmarkt. 1998. Band 30. Escher-Weingart, Christina: Reform durch Deregulierung im Kapitalgesellschaftsrecht. 2001. Band 49. Gotting, Horst-Peter: Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte. 1995. Band 7. Habersack, Mathias: Die Mitgliedschaft - subjektives und .sonstiges' Recht. 1996. Band 17. Heermann, Peter W.: Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte. 1998. Band 24. Heinrich, Christian: Formale Freiheit und materielle Gerechtigkeit. 2000. Band 47. Henssler, Martin: Risiko als Vertragsgegenstand. 1994. Band 6. Hergenröder, Curt "Wolfgang: Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung. 1995. Band 12. Hess, Burkhard: Intertemporales Privatrecht. 1998. Band 26. Hofer, Sibylle: Freiheit ohne Grenzen. 2001. Band 53. Huber, Peter: Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung. 2001. Band 58. Junker, Abbo: Internationales Arbeitsrecht im Konzern. 1992. Band 2. Kaiser, Dagmar: Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge wegen Nicht- und Schlechterfüllung nach BGB. 2000. Band 43. Kindler, Peter: Gesetzliche Zinsansprüche im Zivil- und Handelsrecht. 1996. Band 16. Kleindiek, Detlef: Deliktshaftung und juristische Person. 1997. Band 22. Luttermann, Claus: Unternehmen, Kapital und Genußrechte. 1998. Band 32. Looschelders, Dirk: Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht. 1999. Band 38. Lipp, Volker: Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson. 2000. Band 42. Merkt, Hanno: Unternehmenspublizität. 2001. Band 51. Möllers, Thomas M. J.: Rechtsgüterschutz im Umwelt- und Haftungsrecht. 1996. Band 18.
Jus Privatum Muscheler, Karlheinz: Die Haftungsordnung der Testamentsvollstreckung. 1994. Band 5. Oechsler, Jürgen: Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag. 1997. Band 21. Oetker, Hartmut: Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung. 1994. Band 9. Oppermann, Bernd H.: Unterlassungsanspruch und materielle Gerechtigkeit im Wettbewerbsprozeß. 1993. Band 3. Peifer, Karl-Nikolaus: Individualität im Zivilrecht. 2001. Band 52. Peters, Frank: Der Entzug des Eigentums an beweglichen Sachen durch gutgläubigen Erwerb. 1991. Band 1. Raab, Thomas: Austauschverträge mit Drittbeteiligung. 1999. Band 41. Reiff, Peter: Die Haftungsverfassungen nichtrechtsfähiger unternehmenstragender Verbände. 1996. Band 19. Repgen, Tilman: Die soziale Aufgabe des Privatrechts. 2001. Band 60. Rohe, Mathias: Netzverträge. 1998. Band 23. Sachsen Gessaphe, Karl August Prinz von: Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter für eingeschränkt Selbstbestimmungsfähige. 1999. Band 39. Saenger, Ingo: Einstweiliger Rechtsschutz und materiellrechtliche Selbsterfüllung. 1998. Band 27. Sandmann, Bernd: Die H a f t u n g von Arbeitnehmern, Geschäftsführern und leitenden Angestellten. 2001. Band 50. Schur, Wolfgang: Leistung und Sorgfalt. 2001. Band 61. Schwarze, Roland: Vorvertragliche Verständigungspflichten. 2001. Band 57. Sieker, Susanne: Umgehungsgeschäfte. 2001. Band 56. Stadler, Astrid: Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion. 1996. Band 15. Stoffels, Markus: Gesetzlich nicht geregelte Schuldverhältnisse. 2001. Band 59. Taeger, Jürgen: Außervertragliche H a f t u n g f ü r fehlerhafte Computerprogramme. 1995. Band 13. Trunk, Alexander: Internationales Insolvenzrecht. 1998. Band 28. Wagner, Gerhard: Prozeßverträge. 1998. Band 33. Waltermann, Raimund: Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie. 1996. Band 14. Weber; Christoph: Privatautonomie und Außeneinfluß im Gesellschaftsrecht. 2000. Band 44. Wendehorst, Christiane: Anspruch und Ausgleich. 1999. Band 37. Würthwein, Susanne: Schadensersatz für Verlust der Nutzungsmöglichkeit einer Sache oder f ü r entgangene Gebrauchsvorteile? 2001. Band 48.
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