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German Pages 299 Year 1988
Schriften zum Steuerrecht
Band 33
Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der Auslegung der Doppelbesteuerungsabkommen Von
Dr. Christian Gloria
Duncker & Humblot · Berlin
CHRISTIAN GLORIA
Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz
Schriften zum Steuerrecht Band 33
Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der Auslegung der Doppelbesteuerungsabkommen
Von Dr. Christian Gloria
Duncker & Humblot . Berlin
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Gloria, Christian: Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz: zugl. e. Beitr. zur Lehre von d. Auslegung d. Doppelbesteuerungsabkommen I von Christian Gloria. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1988 (Schriften zum Steuerrecht; Bd. 33) Zugl.: Bochum, Univ., Diss., 1987 ISBN 3-428-06474-7 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1988 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Hagedomsatz, Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06474-7
Meinen Eltern und Claudia
Geleitwort Doppelbesteuerungsabkommen gehören dem internationalen Steuerrecht und damit einer Rechtsrnasse an, deren Entstehungstatbestand und Verpflichtungswirkung im Völkerrecht liegt, deren Anwendungsbereich hingegen die verschiedenen staatlichen Rechtsordnungen sind. Dieser Befund mag ursächlich dafür sein, daß die Verknüpfung beider Rechtsrnassen auf dem Gebiet des internationalen/nationalen Steuerrechts bislang noch nicht Gegenstand einer umfassenden Untersuchung gewesen ist. Soweit sich die deutschsprachige Rechtswissenschaft monographisch mit dem Verhältnis Völkerrecht - Landesrecht befaßt, geschieht dies überwiegend auf abstrakt-theoretischer Ebene. Der traditionelle und hier und dort wieder aufflackernde Streit um Monismus oder Dualismus sowie die für die Vertragsinkorporation daraus entwickelten Lehren von der Transformation, der Adoption sowie des Vollzugs kennzeichnen das überwiegende Interesse des völkerrechtlichen Schrifttums während der letzten beiden Jahrzehnte. Was bislang fehlte, war eine Untersuchung, die sich ausgehend von jener abstrakt-theoretischen Ebene - einer Kategorie völkerrechtlicher Verträge zuwendet, die nach Quantität, inhaltlicher Kongruenz, Regelungsgegenstand und Adressatenkreis in besonderem Maße geeignet ist, die Umsetzungsproblematik von Völkerrecht in staatliches Recht in concreto zu untersuchen. - Gleichermaßen geeignet wie das internationale Steuerrecht wären übrigens die regionalen Menschenrechtskonventionen, die im Rahmen der Internationalen Arbeitsorganisation entstandenen Abkommen oder die Konventionen über Diskriminierungsverbote. Die eingehende Aufarbeitung der Transformationsproblematik ebnet indessen nur den Weg zu dem Hauptziel dieser Untersuchung, das in der Beantwortung der Frage besteht, ob der inländische Steuerpflichtige ein subjektives öffentliches Recht auf Einleitung des Verständigungsverfahrens hat, sofern die Voraussetzungen der in den jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen enthaltenen Verständigungsklauseln vorliegen. Die - überaus gelungene - Erreichung dieses Ziels verlangte umfassende Vorarbeiten im Völkerrecht und im innerstaatlichen Recht. So waren die Doppelbesteuerungsabkommen als völkerrechtliche Verträge zunächst mit einem völkerrechtlichen Ansatz zu untersuchen, um sodann ihre Einordnung in die staatliche Rechtsordnung zu erörtern. Aussagen über die in den Doppelbesteuerungsabkommen geregelten Verständigungsverfahren waren ebenfalls über einen völkerrechtlichen Ansatz zu gewinnen, nämlich über ihre Erörterung als Sonderform des diplomatischen Schutzes. Die derart gewonnenen Ergebnisse waren schließlich in die das Thema beherrschende Fragestellung einzubringen, ob ein Anspruch des Steuerpflichtigen auf behördliches Einleiten des Verständigungsverfahrens gegeben ist. Mit der
8
Geleitwort
Doppelbesteuerungsproblematik ist die Schrift zudem einem Untersuchungsgegenstand gewidmet, der von zunehmender praktisch-wirtschaftlicher Relevanz ist. Die Schrift von Christian Gloria weist in ihrer gesamten Breite und Tiefe einen hohen Rang als eigenständige wissenschaftliche Leistung auf. Sie hat der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation vorgelegen; ihr ist höchstes Lob gezollt worden. Dem Autor kommt das Verdienst zu, diejenige monographische Bearbeitung des steuerlichen Verständigungsverfahrens vorgelegt zu haben, an der jede weitere Diskussion im deutschsprachigen Raum nicht vorübergehen kann. Bochum, im Januar 1988
Prof Dr. Dr. h.c. Knut Ipsen LLD h.c. Rektor der Ruhr-Universität Bochum
in taxation you have to look simply at what is clearly said. There is no roomfor any intendment. There is no equity about a tax: there is no presumption as to a tax; you read no thing in; you imply nothing, but you look at what is clearly said and that is the tax." H •••
Rowland J. Cape Brandy Syndicate v. IRC 12 TC 358,366
Vorwort Das Anliegen dieser Arbeit ist es, die Frage zu beantworten, ob der Steuerpflichtige innerstaatlich ein subjektiv-öffentliches Recht auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens hat, wenn die Voraussetzungen vorliegen, welche die Doppelbesteuerungsabkommen an die Durchführung dieses Verfahrens knüpfen. Im Mittelpunkt der Arbeit, die der Rechtswissenschaftlichen Fakultät als Dissertation vorgelegen hat, stehen damit Fragen aus dem Grenzbereich zwischen Staats- und Völkerrecht, bzw. Internationalem Steuerrecht und nationalem Recht. Sie hätte ohne die wertvolle Hilfe und bereitwillige Unterstützung vieler Beteiligter nicht zustande kommen können. Zu besonderem Dank bin ich meinem akademischem Lehrer, Prof. Dr. iur. Dr. h.c. Knut Ipsen LLD h.c., dem Rektor der Ruhr-Universität Bochum, verpflichtet, von dem ich zahlreiche wissenschaftliche Anregungen empfing und der mich in jeder Beziehung förderte und unterstützte. Dank für seine Unterstützung schulde ich ebenso Prof. Dr. Hermann Wilfried Bayer. Er hat durch seine stete Gesprächsbereitschaft und wertvolle Hinweise ebenfalls zur Entstehung der Arbeit beigetragen. Mein Dank gilt ferner Prof. Dr. Heinrich Wilhelm Kruse, der sich der Mühe der Zweitkorrektur unterzog und mir ebenfalls hilfreiche Ratschläge erteilte. Vielfältige Anregungen über die Wirkungsweise von Doppelbesteuerungsabkommen im amerikanischen Recht und den diplomatischen Schutz in dieser Rechtsordnung verdanke ich den Herren Terry Ratfield und Robert T. Moulton, Attorneys-at-Law, Los Angeles, die mir Gelegenheit zu einem längeren Aufenthalt dort gaben.
Vorwort
10
Das Manuskript wurde im November 1986 abgeschlossen. Für die Drucklegung wurde es überarbeitet. Dabei konnten Literatur und Rechtsprechung bis August 1987, teilweise auch bis Dezember 1987 berücksichtigt werden. Der VG Wort schließlich schulde ich Dank für einen großzügigen Zuschuß zu den Druckkosten. Bochum, im Februar 1988 Christian Gloria
Inhaltsverzeichnis Einleitung
21
Erstes Kapitel Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
24
1. Die DBA im Spannungsfeld zwischen Völkerrecht und nationalem Recht 1. Der innerstaatliche Geltungsgrund völkerrechtlicher Verträge
25
a) Monismus - Dualismus
25
aa) Dualistische Theorien bb) Monistische Theorien cc) Ergebnisse beider Theorien ............................ . . . . . dd) Praktische Auswirkungen auf das Verhältnis Völkerrecht - innerstaatliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Transformation, Inkorporation oder Vollzug
26 28
30 30 35
aa) Transformationslehre ....................................... bb) Vollzugslehre .............. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Adoptionslehre ............................................ dd) Rechtslage unter Geltung des Grundgesetzes .................. ee) Auswirkungen der einzelnen Theorien auf die Auslegung Diskussion der Lehren .............. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
m
c) Die Sprachenfrage
24
35 36 36 37 38 40
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 43
45
2. Die unmittelbare Anwendbarkeit a) Innerstaatliche Geltung - unmittelbare Anwendbarkeit .............
46
b) Das subjektiv-öffentliche Recht und sein Verhältnis zur innerstaatlichen Anwendbarkeit '" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .
49
c) Das Problem der Zuordnung der innerstaatlichen Anwendbarkeit
....
50
d) Kriterien für die unmittelbare Anwendbarkeit .....................
53
aa) Objektive Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. .. 53 bb) Das subjektive Element . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 55 e) Vertrag oder Vertragsbestimmung - Gegenstand der Anwendbarkeit ...
57
f) Begründung innerstaatlicher subjektiver Rechte durch das Völkerrecht oder das nationale Recht .......................................
57
12
Inhaltsverzeichnis
11. Zur Auslegung von DBA
59
1. DBA und nationales Steuerrecht ...................................
59
2. Auslegungsziele
61
.................................................
3. Die anwendbaren völkerrechtlichen Auslegungsregeln a) Anwendbarkeit der WVK
65 66
aa) Kodifikation von Gewohnheitsrecht ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erstarkung der Interpretationsvorschriften zu Völkergewohnheitsrecht ..................................................... cc) Gewohnheitsrechtliche Geltung der WVK auch im Bereich der DBA .................................................... b) Die Auslegung von DBA mittels der WVK
.......................
67 68 70 71
c) Ergänzende Auslegungsgrundsätze
80
d) Die Bedeutung der Denkschriften fllr die Auslegung der DBA
81
4. Die Musterabkommen als Auslegungshilfe
84
5. Die Lex-Fori Klausel .............................................
92
a) Die völkerrechtliche Theorie
93
b) Die landesrechtIiche Theorie
95
c) Das Erfordernis einer vertragsimmanenten Interpretation von Begriffen der DBA ....................................................
97
d) Die Bedeutung des Begriffes "Zusammenhang" in Art. 3 II OECD-MA 1977 .........................................................
98
e) Die Bedeutung der Lex-Fori Klausel ............................. 103 Zweites Kapitel
Das Verständigungsverfahren als besondere Fonn des diplomatischen Schutzes
105
I. Staat und diplomatischer Schutz ..................................... 105 1. Begriff des diplomatischen Schutzes und seine Voraussetzungen
a) Begriff
105 105
b) Voraussetzungen .............................................. 105 aa) Völkerrechtswidriges Verhalten .............................. bb) Berechtigung zur Schutzgewährung . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (1) Bei natürlichen Personen ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (2) Bei juristischen Personen ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges -Iocal remedis rule dd) Fehlen von Verjährung oder Verwirkung ......................
105 106 106 110 112 115
13
Inhaltsverzeichnis 2. Der Anspruchsträger
117
3. Form der Schutzausübung und Abgrenzung von anderen Rechtsinstituten
120
4. Gang der weiteren Untersuchung
.................................. 122
11. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
............ 123
1. Historische Entwicklung der Verständigungsklauseln in den deutschen
DBA
.......................................................... 123
a) bis zum Ende des 19. Jahrhunderts
.............................. 123
b) Verständigungsklauseln in DBA von europäischen Staaten bis 1925 ... 125 c) Verständigungsklauseln in deutschen DBA seit 1925 ................ 130 2. Das Verständigungsverfahren und seine Voraussetzungen .............. 131 a) Musterabkommen ............................................. 131 aa) OECD-Musterabkommen 1963 bb) OECD-Musterabkommen 1977 cc) UNO-Modell .............................................. dd) Anden-Modell ...................................... . ...... ee) USA-Muster ...............................................
132 136 139 141 142
b) Abkommenstypen ........................ . . . .................. 146 aa) Die Vorkriegsabkommen .................................... bb) Die Abkommen bis 1962 .................................... (1) Die anglo-amerikanische Abkommensgruppe ................ (2) Die kontinental-europäische Abkommensgruppe .............
146 147 147 148
cc) Die Abkommen nach den OECD-Mustern ..................... 149 c) Struktur der Vorschriften über das Verständigungsverfahren in den geltenden DBA .................................................... 150 aa) Begriffsabgrenzung ......................................... bb) Das Verständigungsverfahren im engeren Sinne ................ cc) Das konkrete Konsultationsverfahren ......................... dd) Das abstrakte Konsultationsverfahren .........................
150 151 158 159
3. Verständigungsverfahren und Völkerrecht ........................... 161 a) Die Rechtsnatur des Verständigungsverfahrens aa) Verständigungsverfahren als diplomatisches Streiterledigungsmittel bb) Billigkeit als Verfahrensziel bei Verständigungsverfahren b) Die Verständigungsvereinbarung als völkerrechtlicher Vertrag
161 162 169
176
14
Inhaltsverzeichnis 4. Verständigungsverfahren und innerstaatliches Recht a) Das Inkraftsetzungserfordernis bei der Verständigung
180 181
aa) Die Inkraftsetzung beim Verständigungsverfahren im engeren Sinne 182 bb) Konsultationsklausel und Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen 185 b) Die Bindungswirkung von Verständigungsvereinbarungen ........... 188 III. Der diplomatische Schutz in seiner besonderen Ausprägung durch die Verständigungsklauseln .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 193
1. Völkerrechtliches Delikt .......................................... 193 2. Berechtigung zur Schutzgewährung a) Grundsatz: Steuerinländer
196 196
b) Abkommensberechtigung bei natürlichen Personen mit Ansässigkeit in beiden Vertragsstaaten ......................................... 198 c) Abkommensberechtigung bei nicht-natürlichen Personen mit Ansässigkeit in beiden Vertragsstaaten ................................... 204 3. Local remedies rule .............................................. 205 4. Verjährung
207
5. Form der Ausübung diplomatischen Schutzes
207
Drittes Kapitel
Der Anspruch des Steuerpffichtigen auf Einleitung
eines Verständigungsverfahrens
I. Die bisher geäußerten RechtsaufTassungen
208 208
1. Betonung eines Anspruches des Staatsbürgers auf Schutz gegenüber Beeinträchtigungen durch fremde Staaten ................................ 209 2. Betonung des Billigkeitscharakters der DBA ......................... 211 3. Die Verknüpfung der allgemeinen diplomatischen Schutzpflicht mit dem Regelungszweck der Verständigungsklauseln ......................... 212 4. Kritik .......................................................... 214 11. Völkerrechtliche Gesichtspunkte
..................................... 219
1. Völkerrecht und individueller Schutzanspruch
220
15
Inhaltsverzeichnis 2. Völkerrecht und die Ausübung diplomatischen Schutzes
223
3. Das Verhältnis der Ansprüche auf Gewährung diplomatischen Schutzes nach deutschem Staatsrecht und nach den DBA .......................... 223 III. Das subjektiv-öffentliche Recht und seine Struktur
225
1. Zwingender Rechtssatz ........................................... 226 2. Schutz von Individualinteressen
227
3. Rechtsmacht zur Durchsetzung eines rechtlich geschützten Interesses ... 230 IV. Auslandsschutz und subjektiv-öffentliches Recht
232
1. Die Rechtslage unter der Geltung der Verfassung des Deutschen Reiches von 1871
........................................................... 232
2. Die Rechtslage unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung von 1919
235
3. Die Rechtslage unter der Geltung des Grundgesetzes ................. 240 a) Die Verpflichtung zur Gewährung diplomatischen Schutzes ......... 240 b) Der Anspruch auf diplomatischen Schutz ......................... 244 V. Verständigungsklauseln der DBA und subjektiv-öffentliches Recht
........ 247
1. Die unmittelbare Anwendbarkeit
247
2. Das Vorkriegsabkommen (DBA Italien) ............................. 250 3. Die angio-amerikanische Abkommensgruppe
254
a) Anspruch auf Durchfiihrung des Verständigungsverfahrens als Grundsatz 254 b) Die Frage der Subjektidentität bei dem Begriff der Doppelbesteuerung und ihre Auswirkung auf die Einwendungsbefugnis des Steuerpflichtigen 256 4. Die kontinental-europäische Abkommensgruppe
260
5. Die OECD-Abkommensgruppe .................................... 263 6. Zusammenfassung ...... . ........................................ 266 VI. Die Normenkonkurrenz zwischen dem allgemeinen Schutzanspruch und den Verständigungsklauseln der DBA .................................... 267
1. Auswirkungen der Doppelbesteuerungsverträge auf das Auswahlermessen bei der diplomatischen Schutzpflicht
....................... . . . . . . .. 268
2. Das Entschließungsermessen bei der Einleitung des Verständigungsverfahrens 269
Literaturverzeichnis ..................................................... 276
Abkürzungsverzeichnis AFDI affd AJIL All.E.R. A.L.R. AöR APA ASAR AVR AWD
Annuaire Francais de Droit International affirrned (bestätigt) American Journal of International Law All England Reports American Law Reports, 1., 2., oder 3. Serie Archiv des öffentlichen Rechts Administrative Procedure Act Archiv für Schweizerisches Abgabenrecht Archiv des Völkerrechts Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters
BayVBI BB!. BFH BFHE BGE
Bayerische Verwaltungsblätter Bundesblatt (der Schweiz) Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofes Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bulletin for International Fiscal Documentation Beslissingen in Belastingzaken, Nederlandse Belastingrechtspraak Bundessteuerblatt Bundestags-Drucksache British Tax Review Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts British Yearbook for International Law
BGH BGHZ BIFD BNB BStBi BT-Drs BTR BVerfGE BYIL CA C.A. CADC Ca!. Ca!. Rptr C.B. CDFI
D.
DB DBA DC D.C. D.C. Cir.
Uni ted States Court of Appeal California Appeals; Berufungsgerichtsentscheidungen United States Court of Appeal for the District of Columbia Circuit California; auch höchstrichterliche Fallrechtssammlung des Staates California Reporter Cumulative Bulletin cert. den. certiorari denied; Revisionsantrag durch den US-Supreme Court zurückgewiesen Cahiers de Droit Fiscal International District Court Der Betrieb Doppelbesteuerungsabkommen District Court District of Columbia District of Columbia Circuit; Berufungsgericht des District of Columbia
Abkürzungsverzeichnis
17
DÖV DStR DStZ DTC DVBl
Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuerzeitschrift Dominion Tax Cases Deutsches Verwaltungsblatt
EMRK E.R. EuGHE
Europäische Menschenrechtskonvention England Reports Sammlung der Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften
F
Federal: Fallrechtssammlung der Bundesberufungsgerichte; 1. oder 2. Serie (F 2d) Federal Communication Commission Federal Register Finanzrundschau Federal Supplement: Fallrechtssammlung der Bundesberufungsgerichte
FCC Fed. Reg. FR F. Supp. GATT GmS-OBG GrünhutsZ GYIL
General Agreement on Tariffs and Trade Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, begründet von Grünhut German Yearbook for International Law
Harv. I. L. J. Harvard International Law Journal HWStR Handwörterbuch des Steuerrechts I.C.J. I.C.J. Rep. ICLQ IGH ILC IRB I.R.C. IRS IWB
International Court of Justice International Court of Justice, Reports of Judgements, Advisory Opinions and Orders International and Comparative Law Quarterly Internationaler Gerichtshof International Law Commission Internal Revenue Bulletin Internal Revenue Commissioner Internal Revenue Service Internationale Wirtschaftsbriefe
JBI JIR JW JZ
Juristische Blätter Jahrbuch für Internationales Recht Juristische Wochenschrift Juristenzeitung
K.B.
Entscheidungsammlung der King's Bench Divison des Court of Appeal
LN LNTS LPIB Ltd.
League of Nations League of Nations Treaty Series Law and Policy in International Business Limited
2 Gloria
18
Abkürzungsverzeichnis
MA Misc
Musterabkommen Miscellaneous; erstinstanzliche und Berufungsentscheidungen eines USBundesstaates
NILR NJW NLRB NYIL N.Y.S.
Netherlands International Law Review Neue Juristische Wochenschrift National Labour Relations Board Netherlands Yearbook of International Law New York Supplement
Organisation for Econornic Development and Co-operation OECD OECD-MA Musterabkommen der OECD zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und Vermögen (1961 und 1977) OEEC Organisation for European Economic Development Oberfinanzdirektion OFD OGH Oberster Gerichtshof (Österreich) Öst.VGH Österreichischer Verfassungsgerichtshof OVG Oberverwaltungsgericht OVGE Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Münster und Lüneburg Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht und Völkerrecht ÖZöR P.C.I.J.
Permanent Court of International Justice
RabelsZ RBHG
Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Gesetz über die Haftung des Reichs für seine Beamten vom 22. Mai 1910 (RGBl. S. 798) RdC Recueil des Cours Rev. Proc. Revenue Procedure Rev. Rul. Revenue Ruling RFH Reichsfinanzhof RG Reichsgericht RGBl. Reichsgesetzblatt RGDIP Revue Generale de Droit International Public RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen RIAA Reports of International Arbitral Awards RIW Recht der Internationalen Wirtschaft RIW / AWD Recht der Internationalen Wirtschaft / Außenwirtschaftsdienst des Betriebs beraters RStBl Reichssteuerblatt Reichstagsdrucksache RT-Drs RV 1871 Verfassung des Deutschen Reiches (1871) Rz Randziffer RzW Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht S. Ct. SJIR SJZ StIGH StuW
Supreme Court; Fallrechtsssammlung des Obersten Gerichtshofes Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht Schweizerische Juristenzeitung Ständiger Internationaler Gerichtshof Steuer und Wirtschaft
Abkürzungsverzeichnis TC
Tax Court Reports
UN UNTS U.S. USTC
United Nations United Nations Treaty Series Fallrechtssammlung des U.S. Supreme Court Uni ted States Tax Cases
VJSchStFR Vierteljahresschriften für Steuer- und Finanzrecht VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer W.L.R. WRV WVK
Weekly Law Reports Weimarer Reichsverfassung Wiener Vetragsrechtskonvention
YBILC
Yearbook of the International Law Commission
ZaöRV
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Verwaltung, Wien Zeitschrift für Völkerrecht
ZfV
ZVR
19
Einleitung Die Bedeutung der Vorschriften über das Verständigungsverfahren, die ausnahmslos alle der derzeit in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft befindlichen Doppelbesteuerungsabkommen aufweisen, ist in den letzten Jahren in der gleichen Weise gestiegen, wie die bestehende internationale wirtschaftliche und steuerliche Verflechtung zugenommen hat. Gerade die zu beobachtende Zunahme an wirtschaftlichen Kontakten zwischen Industriestaaten auf der einen und Industriestaaten und Entwicklungsländern auf der anderen Seite, vergrößert die Gefahr der Kollision von Steueransprüchen verschiedener Staaten, die diese durch den Abschluß bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen einzudämmen bestrebt sind. Sichtbaren Ausdruck findet das gestiegene Interesse der Fachöffentlichkeit in der Tatsache, daß das Verständigungsverfahren von der International Fiscal Association für ihre Jahrestagung 1981 zum Generalthema erkoren wurde.1 Im augenfälligen Gegensatz zum Interesse, das Theorie und Praxis am Verständigungsverfahren zeigen, steht die trotz einer Vielzahl von Veröffentlichungen zu diesem Themenkreis zu beobachtende Erscheinung, daß die jeweiligen Publikationen in der Regel aus einer spezifisch steuerrechtlichen Sichtweise die mit dem Verständigungsverfahren zusammenhängenden Fragen erörtern. Obwohl sich die Erkenntnis, daß die Doppelbesteuerungsabkommen völkerrechtliche Verträge sind, mittlerweile allgemein durchgesetzt hat, 2 fehlt es bislang an Darstellungen, die diesen völkerrechtlichen Charakter der Doppelbesteuerungsabkommen ausreichend berücksichtigen. Überhaupt laßt sich feststellen, daß die deutsche Rechtswissenschaft die wachsende Bedeutung des internationalen Steuerrechts in theoretischer und praktischer Hinsicht nur ungenügend aufgearbeitet hat. 3 Im Rahmen des IFA-Kongresses sind sowohl vom Generalberichterstatter Koch als auch von den meisten Nationalberichterstattern Vorschläge für eine bessere Ausgestaltung des Verfahrens gemacht worden. 4 Dabei hat sich die überwiegende Zahl der Nationalberichterstatter vor allem für eine Verbesserung der Stellung des Steuerpflichtigen im Verständigungsverfahren ausgesprochen. Insbesondere wurde gefordert, daß der Steuerpflichtige einen Anspruch auf Hierzu im einzelnen Lehner, RIW I AWD 1981, 832. Vgl. Vogel, DBA, Ein!. 17; Komi Debatin, Systematik I, Rz. 39; Weber-Fas, Staatsverträge, S. 4. 3 Weber-Fas, Staatsverträge, S. 1. Die Ursachen hierfür sind nach der Auffassung von Weber-Fas im wesentlichen institutionell bedingt. Vg!. Weber-Fas, JZ 1974, 401 ff. 4 Vg!. statt aller Koch, CDFI 1981,43. 1
2
22
Einleitung
Einleitung des Verständigungsverfahrens haben sollte. Außerdem sollte er bei einer negativen Bescheidung seines Antrages durch die Steuerbehörde die Möglichkeit haben, hiergegen die nationalen Gerichte anrufen zu können. 5 Gerade diese Frage, ob nämlich der Steuerpflichtige ein subjektiv-öffentliches Recht auf Einleitung des Verständigungsverfahrens gegen seinen Wohnsitzstaat hat, wird in der Literatur und Praxis durchaus kontrovers beantwortet, von einem beachtlichen Teil des Schrifttums jedoch bejaht. 6 Demgegenüber wird sie von ihren Gegnern meist pauschal und ohne nähere Begründung verneint. Die Finanzverwaltung und ein Teil der Lehre vertreten die Auffassung, die zuständigen Behörden hätten auf einen entsprechenden Antrag des Steuerpflichtigen hin eine Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen, ob ein Verständigungsverfahren einzuleiten sei, oder nicht. 7 Nach der Rechtsprechung des BFH hat die Finanzverwaltung selbst dann noch ein solches Ermessen, wenn der Steuerpflichtige eine abkommenswidrige Besteuerung nachweist. 8 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung soll geklärt werden, ob der Steuerpflichtige bei Vorliegen der Voraussetzungen, die die Verständigungsklauseln der Doppelbesteuerungsabkommen vorsehen, ein subjektiv-öffentliches Recht auf Einleitung des Verständigungsverfahrens hat. Da der Verdacht naheliegt, daß die für den betroffenen Steuerpflichtigen nachteilhafte Sicht der Finanzverwaltung und der Finanzrechtsprechung wenigstens zum Teil darauf beruht, daß diese sich des völkerrechtlichen Ursprungs der Doppelbesteuerungsabkommen und der sich hieraus ergebenden Besonderheiten nicht oder nicht ausreichend bewußt sind, soll im ersten Kapitel auf das Verhältnis der Doppelbesteuerungsabkommen zum innerstaatlichen Recht eingegangen werden, auf ihre Funktion, Wirkungsweise und Besonderheiten ihrer Auslegung. Die (zwischenstaatliche) Durchführung eines Verständigungsverfahrens auf der Grundlage der Doppelbesteuerungsabkommen ist ein Vorgang, der sich ebenso auf völkerrechtlicher Ebene abspielt wie der Abschluß eines Doppelbesteuerungsabkommens selbst. Dogmatische Klarheit darüber, wie dieses völkerrechtliche Tätigwerden eines Staates, um einen seiner Steuerpflichtigen vor einer Doppelbesteuerung oder einer abkommenswidrigen Besteuerung zu bewahren, einzuordnen ist, fehlt jedoch bislang. Ausgehend von der Arbeitshypothese, daß es sich hierbei um eine Form der Ausübung diplomatischen Schutzes handelt, soll diesem Punkt im zweiten Kapitel nachgegangen werden. In diesem Zusammenhang wird im näheren auf die historische Entwicklung der Verständigungsklausel und ihre Voraussetzungen, auf die Struktur der Vorschriften über Vgl. statt aller Koch, CDFI 1981,43. So von Bachmayr, StuW 1964, 885ff.; Tipke, AWD 1972, 589ff. und Mülhausen, S. 143ff. 7 Vgl. Debatin, AWD 1969,485; Koch, CDFI 1981,30. 8 Vgl. BFH FR 1982, 467 (468). 5
6
Einleitung
23
das Verständigungsverfahren in den geltenden DBA und die sich aus Einleitung und Durchführung des Verständigungsverfahrens ergebenden Fragestellungen in völkerrechtlicher und staatsrechtlicher Hinsicht eingegangen werden. Das dritte Kapitel ist dem subjektiv-öffentlichen Recht auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens gewidmet.
Erstes Kapitel
Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht I. Die DBA im Spannungsfeld zwischen Völkerrecht und nationalem Recht Die Bundesrepublik Deutschland hat mit insgesamt 54 Staaten Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen, die die Steuern vom Einkommen und vom Vermögen betreffen. Weitere fünf Abkommen betreffen die Erbschaftssteuer. Darüber hinaus gibt es mit zehn Ländern Sonderabkommen bezogen auf Einkünfte und Vermögen von Schiffahrts- und Luftfahrtunternehmen. Mit sechzehn Staaten schweben Verhandlungen zum Neuabschluß oder zur Revision von Einkommens- und Vermögenssteuer-D BA; hinsichtlich zweier weiterer Staaten ist der Neuabschluß von Sonderabkommen betreffend Einkünfte und Vermögen von Schiffahrts- und Luftfahrtsunternehmen ins Auge genommen worden. 1 Die Doppelbesteuerungsabkommen - das wurde in der Einleitung schon angedeutet - sind völkerrechtliche Verträge, also vom Völkerrecht bestimmte Willenseinigungen zwischen zwei oder mehreren Staaten, in denen diese sich zu bestimmten einseitigen oder korrespondierenden, gleichen oder verschiedenen, einmaligen oder wiederholten Leistungen, Unterlassungen oder Duldungen verpflichten. 2 Die Doppelbesteuerungsabkommen, deren Bedeutung durch die oben erwähnte Abschlußaktivität der Bundesrepublik deutlich wird, sind damit gleichzeitig Rechtsgeschäfte und Gegenstand völkerrechtlicher Rechte und Pflichten von Staaten, also Rechtsquellen. Die Abkommen schließen jedoch nicht etwa die Doppelbesteuerung in allen ihren Erscheinungsformen aus; da sie kein absolutes Verbot der Doppelbesteuerung enthalten, ist der Doppelbesteuerungsausschluß lediglich auf die ausdrücklich genannten Doppelbesteuerungsfälle beschränkt. 3
1 Quelle: Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 09.01. 1987 IV C 5S 1300 - 310 j 86 betreffend den Stand der Doppelbesteuerungsabkommen zum 1. Januar 1987, wiedergegeben in RIW 1987, 77ff. 2 VerdrossjSimma, § 534; ebenso: Lagoni in Menzeljlpsen, S. 299; McNair, S. 4ff.: Guggenheimj Marek in Strupp j Schlochauer, Bd. III, S. 528ff.; Bernhardt in Bernhardt, Encyclopedia, Vol. 7, S. 459ff. 3 Bühler, Prinzipien, S. 167; Heuchemer, S. 187; Vogel, DStR 1968,430; Preuninger, S. 65; vgl. aber auch Fricke, AWD 1960, 198 f.. Auf die Möglichkeit eines völkergewohnheitsrechtlichen Verbotes der Doppelbesteuerung wird unten noch näher einzugehen sein. Vgl. 2. Kapitel, III. 1.
I. DBA im Spannungsfeld zwischen Völkerrecht und nationalem Recht
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Die Charakterisierung der Doppelbesteuerungsabkommen als völkerrechtliche Verträge und als Rechtsquellen des Völkerrechts ist eine Kategorisierung, die auf völkerrechtlicher Ebene von Bedeutung ist. Sie führt zu der Erkenntnis, daß die Staaten als Völkerrechtssubjekte an der Eindämmung der internationalen Doppelbesteuerung in der Form, wie sie durch die Doppelbesteuerungsabkommen erfolgt, ein gewisses Interesse haben. Da es sich um zwischenstaatliche Verträge handelt, begründen sie grundsätzlich und in erster Linie auch nur zwischen Völkerrechtssubjekten Rechte und Pflichten. Die Frage, ob die Vorschriften völkerrechtlicher Verträge im innerstaatlichen Bereich ohne weiteres gelten oder unter welchen Voraussetzungen ihre innerstaatliche Geltung herbeigeführt werden kann, wenn dies nicht ipso iure der Fall ist, ist eine grundsätzliche Frage, die das Verhältnis zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht betrifft. Die vorliegende Untersuchung soll mit einigen Ausführungen zum Verhältnis von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht beginnen, nämlich der Darstellung der Kontroverse zwischen Monismus und Dualismus - nicht zuletzt deshalb, weil diese Kontroverse direkte Auswirkungen auf die Frage nach dem innerstaatlichen Geltungsgrund von völkerrechtlichen Normen hat und aus diesem Grunde letztlich auch auf die Auslegung dieser Normen zurückwirkt.
1. Der innerstaatliche Geltungsgrund völkerrechtlicher Verträge a) Monismus -
Dualismus
Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Völkerrecht und nationalem Recht ist eines der zentralen Probleme der Rechtswissenschaft und wird seit Jahrhunderten diskutiert. Keine Einigkeit wurde bisher insbesondere darüber erzielt, in welcher Weise dem latenten Gegensatz zwischen beiden Rechtsmassen im Falle eines materiellen Konfliktes begegnet werden soll.4 Hierzu sind zwei Theorien 4 Zu Monismus und Dualismus: Magiera in Menzeillpsen, S. 49ff.; Berber I, S. 92ff.; Kelsen, ZaöRV 1958, 234ff.; Morgenstern, BYIL 1950, 42ff.; Triepel, Völkerrecht und Landesrecht; Wagner, AöR 1964, 212f.; Zemanek, in: Festschrift Verdross, 1960, S. 321 f.; Stern I, S. 14 13 c), S. 478; Guggenheimin Strupp I Schlochauer, Bd. III, 651 ff.; Fitzmaurice, RdC 92, 71 ff. hat die Ansicht vertreten, der Streit hinsichtlich des Verhältnisses von Völkerrecht und Landesrecht sei überflüssig:" ... a radical view ofthe whole subject may be propounded to the effect that the entire monist-dualist controversy is unreal, artificial and strictly beside the point, because it assumes something that has to for there be any controversy at all- and which in fact does not - namely a commonfield in which the two legal orders under discussion both simultaneously have their spheres of activity ". Vgl. hierzu jedoch die Stellungnahme von Guggenheim in Strupp I Schlochauer, Bd. III, S. 654. Demgegenüber meint Ferrari-Bravo, S. 715 sogar, die Frage habe gerade in neuerer Zeit erheblich an Bedeutung gewonnen. Eine neuere Stellungnahme hierzu stammt von Teson, S. 112, 113 f., der darauf hingewiesen hat, die zwischen Monisten und Dualisten kontrovers diskutierte systematische Frage des Verhältnisses von Völkerrecht und Landesrecht sei in Wirklichkeit ein Scheinproblem, da die Richtigkeit der einen oder
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entwickelt worden, die sich grundsätzlich unterscheiden: Nach der einen Ansicht sind Völkerrecht und nationales Recht zwei völlig getrennte und voneinander geschiedene Rechtskreise, die nur wenige Berührungspunkte aufweisen (Dualismus).s Nach der anderen Theorie sind sie nur Teile einer einheitlichen Rechtsordnung (Monismus).6 Beide Theorien sind stark verästelt und mehrfach modifiziert. Es kann nun nicht Aufgabe der vorliegenden Untersuchung sein, dem bis in alle Einzelheiten nachzugehen. Die Darstellung wird daher im folgenden auf die wesentlichen Grundstrukturen beschränkt. aa) Dualistische Theorien Die dualistischen Theorien gehen davon aus, daß es sich bei Völkerrecht und innerstaatlichem Recht um zwei völlig getrennte Rechtsordnungen handelt, die nebeneinander stehen und eine unterschiedliche Struktur aufweisen. Triepel, von dem die erste rechts theoretische Begründung dieser Theorie stammt, spricht plastisch von zwei Kreisen, "die sich höchstens berühren, aber niemals schneiden".7 Ferner seien Zuständigkeiten, Rechtsquellen und Normadressaten voneinander verschieden. Das nationale Recht regele die Beziehungen innerhalb der Staaten, also das Verhältnis der Bürger untereinander und ihr Verhältnis zum Staat, während das Völkerrecht die Rechtsverhältnisse zwischen den Staaten regele. 8 Demzufolge wende sich das Völkerrecht nur an Staaten, das nationale Recht nur an die Bürger. Das Völkerrecht komme in einem internationalen Rechtserzeugungsprozeß zustande, während das nationale Recht Produkt eines staatlichen Rechtssetzungsverfahren sei. 9 Außerdem sei eine inhaltliche Übereinstimmung von Rechtssätzen der beiden Rechtsordnungen nicht in der Weise möglich, daß Völkerrecht von Landesrecht blanko rezipiert werde. 10 Denn Völkerrecht und Landesrecht hätten verschiedeanderen Theorie sich einer Bestätigung oder Widerlegung durch empirische Fakten entziehe. Die Rechtswirklichkeit könne nämlich so interpretiert werden, daß sie jede Theorie als richtig erscheinen lasse. Davon zu unterscheiden sei die praktische Frage, welche von zwei einander widersprechenden Normen der Richter anwende. Diese Frage hänge vorn anwendbaren positiven Recht ab oder von Kriterien, die das Gericht aufgrund von politischen, moralischen, ideologischen oder rechtlichen Überlegungen anstelle. Auch Ferrari-Bravo, S. 737 glaubt, die meisten Elemente des nationalen und internationalen Rechts könnten zur Unterstützung beider Theorien herangezogen werden. Seiner Meinung nach führt jedoch die Untersuchung dieser Frage nach rein logischen Gesichtspunkten zu nichts, da das Völkerrecht - normativ gesehen - immer noch zu stark vorn staatlichen Souveränitätsdenken geprägt sei. 5 Triepel, S. 9, 79ff.; Anzilotti, S. 41; Rudolf, Völkerrecht, S. 128 m. w. N. 6 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 328ff.; Verdross, Völkerrecht, S. I11ff.; Verdross / Simma, §§ 72 ff. 7 Triepel, S. 111. a Triepel, S. 12ff., 18ff., 22. 9 Triepel, S. 79 ff.; Anzilotti, S. 41.
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ne Regelungsinhalte. Deshalb könne das Völkerrecht innerhalb der staatlichen Rechtsordnung auch keine Wirkungen auslösen, obwohl es hinsichtlich seiner Quellen dem nationalen Recht übergeordnet sei. l l Eine erste Milderung erfuhr diese Theorie durch Anzi/otti, der zwar auch Konflikte zwischen den beiden Rechtsordnungen nicht anerkennen wollte, aber die Möglichkeit von Verweisungen bejahte. 12 Die Verweisung könne materiell sein mit der Folge, daß Völkerrecht in das Landesrecht übernommen werde und damit Bestandteil der nationalen Rechtsordnung. Die Verweisung könne aber auch formell sein mit der Folge, daß die entsprechenden Vorschriften des Völkerrechts - obwohl innerstaatlich anwendbar - ihren Charakter als Völkerrecht nicht verlören. Weiter modifiziert wurde die dualistische Konzeption durch Walz, der grundsätzlich an der Trennung von nation~lem Recht und Völkerrecht festhält, aber Konfliktmöglichkeiten zwischen beiden Rechtssystemen bejaht. Seiner Ansicht nach könne zwar das Völkerrecht die Staatsrechts ordnungen rechtlich verpflichten, berechtigen oder ermächtigen. Es könne jedoch nicht unmittelbar verhindern, daß jederzeit die staatlichen Rechtssysteme im Widerspruch zu bestehenden Völkerrechtsnormen staatsrechtlich gültige Bestimmungen erlassen könnten, sofern nur die immanenten Vorschriften der eigenen Rechtsordnung gewahrt seien. 13 Der gemäßigte Dualismus, wonach Völkerrecht und staatliches Recht zwei grundsätzlich getrennte Rechtsordnungen sind, die aber gewisse Beziehungen untereinander haben, dürfte heute die herrschende Auffassung sein. 14 Sie schirmt den staatlichen Rechtsbereich gegenüber dem Völkerrecht ab mit der Folge, daß eine Völkerrechtsnorm ihre innerstaatliche Geltung erst durch den Anwendungsbefehl in Form eines Gesetzes durch den Landesgesetzgeber erhält. 15 Auch der BFH'scheint der dualistischen Theorie zuzuneigen. Er hat in einer Entscheidung ausgeführt: "Bei der Auslegung, ( ... ), ist davon auszugehen, daß das innerstaatliche Recht einerseits und das Recht der Doppelbesteuerung andererseits zwei in sich geschlossene Rechtskreise sind, die ihre eigenen Abgrenzungen und Begriffsbestimmungen haben. Dies ergibt sich daraus, daß das Doppelbesteuerungsrecht nicht innerstaatliches Recht ergänzt (. .. )."16 Triepel, S. 169 ff. Triepel, S. 257ff.; 259. 12 Anzilotti, S. 43 ff. 13 Walz, Völkerrecht und staatliches Recht, S. 260f. 14 Vgl. Rudolf, Völkerrecht, S. 142. 15 Der gemäßigte Dualismus wurde wohl ebenso vom Ständigen Internationalen Gerichtshof vertreten und jetzt auch vom IGH. Vgl. StIGH: P.C.U. Reports Series AlB No. 18, S.19 (Chorzow-Fall); No. 32, S. 33 (Chorzow-Fall-Endurteil); No. 46, S. 172; No. 49, S. 336; No. 64, S. 40; IGH: LC.J. Reports 1952, S. 28 (40) (Ambatielos), S. 93 (107) (Anglo-Iranian-Oil); LC.J. Reports 1955, S. 4 (20) (Nottebohm). 10
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bb) Monistische Theorien Die monistischen Theorien gehen davon aus, daß Völkerrecht und staatliches Recht nur Teile einer einheitlichen Rechtsordnung sind. Diese Theorien wurzeln im Naturrechtsgedanken und begreifen Völkerrecht und staatliches Recht als Bestandteile einer einzigen Rechtsordnung, die aus dem Naturrecht fließt. 17 Die monistischen Theorien begegnen uns in zwei Spielarten. (1) Nach den monistischen Theorien vom Primat des innerstaatlichen Rechts ist das Völkerrecht nur eine Abteilung des staatlichen Rechts, also bloßes Außenstaatsrecht. 18. Den Vorrang des innerstaatlichen Rechts begründet diese Theorie mit folgender Überlegung: Die Nationalstaaten sind absolut souverän. Die Existenz von Normen des Völkerrechts ist daher nur als Bindung des Staates im Rahmen seiner eigenen Ordnung möglich. 19 Das Staatsrecht habe mithin einen Teil seiner Kompetenzen an das Völkerrecht delegiert. 20 Verdross hat das so formuliert, daß das Völkerrecht ein integrierender Bestandteil der Rechtsordnungen aller jener Staaten sei, deren Verfassungen den Abschluß von Verträgen mit anderen Staaten zulassen, und deren zuständige Organe aufgrund dieser Ermächtigung auch Staatsverträge schlössen. Da aber alle zivilisierten Staaten dies täten, so gehörten alle diese der großen Völkerrechtsgemeinschaft an. 21 Gegen diese Konzeption ist eingewandt worden, sie sei in Wirklichkeit pluralistisch, da sie die staatlichen Rechtsordnungen als souverän ansehe und das Völkerrecht als künstliche Verbindung von verschiedenen Landesrechtsordnungen. 22 Das Völkerrecht hat nach dieser Auffassung seinen Geltungsgrund im staatlichen Recht und ist ein Teil desselben.
(2) Dieser Auffassung entgegengesetzt ist die heute unter den Anhängern des Monismus herrschende Lehre vom Primat des Völkerrechts. Diese Theorie leugnet, daß das Völkerrecht eine Ausgliederung aus den staatlichen Rechtsordnungen sei. Den Weg zu einer dogmatischen Neubegründung dieser Theorie hatte Kelsen gewiesen. 23 Nach seiner Auffassung ist das Recht ein Stufenbau, in dem jede BFHE 101, 536 (539) zum DBA Schweiz. Rudolf, Völkerrecht, S. 130; vgl. auch Zoelly, Die innerstaatliche Wirkung des Völkerrechts. Untersuchungen über die theoretische Grundlegung und die Geschichte des Problems, S. 83ff., zur Ansicht der Naturrechtslehren zum Verhältnis Völkerrecht/innerstaatliches Recht. 18 So Magiera in Menzel/lpsen, S. 51. 19 Bergbohm, Staatsverträge und Gesetze als Quellen des Völkerrechts; Verdross / Simma, § 72. 20 v. d. Heydte, Völkerrecht, Bd.l, S. 35. 21 Verdross, ZVR 1914, S. 329 (341 f.) 22 Vgl. hierzu die Kritik bei Rudolf, Völkerrecht, S. 132 und Magiera in Menzel/lpsen, S. 51, die diese Auffassung im Anschluß an Walz als pseudomonistisch bezeichnen. 23 Kelsen, Souveränität, S. 111 f. 16
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niederrangige Nonn ihren Geltungsgrund in einer übergeordneten Regelung findet. Denn für die Rechtserkenntnis könne es nur einen Gegenstand, somit nur ein ,Recht' geben. 24 Völkerrecht und innerstaatliches Recht seien daher als einheitliches System zu begreifen, in dem die eine Ordnung der anderen untergeordnet sei, weil diese eine N onn enthalte, die die Erzeugung der Nonnen des anderen bestimme und damit in dieser ihren Geltungsgrund habe. 25 Kelsen, bei der Entwicklung seiner Ansichten von einer neukantianischen Sichtweise geprägt, ließ dabei die Frage, ob denn nun das Völkerrecht oder die innerstaatliche Rechtsordnung ihren Geltungsgrund im jeweils anderen Normengefüge haben, unbeantwortet. Im Grunde schlägt er damit zwei Konstruktionen vor, die von seinem methodischen Ausgangspunkt betrachtet gleichwertig sind. 26 Er stellt im Ergebnis fest, daß jede Nonn des untergeordneten Systems überhaupt keine Nonn, sondern als nicht gegeben anzusehen sei. 27 Die eigentlich entscheidende Frage - welche der beiden Rechtsordnungen gegenüber der anderen den Vorrang genießen sollte - war damit nicht gelöst. 28 Rudolf bezeichnet daher Kelsens Ansicht als ,Juristische Relativitätstheorie".29 Verdross kommt das Verdienst zu, die Grundlagen für den gemäßigten Monismus geschaffen zu haben. Auch Verdross anerkennt, daß Völkerrecht und staatliches Recht eine einheitliche Rechtsordnung bilden. Auch der Staat könne jedoch nur in dem Rahmen handeln, den das Völkerrecht ihm zuweise; auch der Staat als Völkerrechtssubjekt werde durch völkerrechtliche Nonnen ,kontrolliert'.3o Anders als Kelsen anerkennt Verdross jedoch die Möglichkeit eines Konfliktes zwischen staatlichem Recht und Völkerrecht.
Auch sei nicht zu bestreiten, daß völkerrechtswidriges innerstaatliches Recht wirksam sei. Diese Wirksamkeit sei jedoch nur ,innerstaatlich und vorläufig', da der Staat verpflichtet sei, ein solches Gesetz aufzuheben oder wenigstens nicht anzuwenden,3l Verdross' monistischer Ansatz hat in dieser Fonn weitgehende Beachtung und Zustimmung gefunden. 32 Kelsen, Souveränität, S. 120fT.; insb. S. 123. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 332. 26 Siehe hierzu Kelsen, Souveränität, S. 314ff.; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 332ff. 27 Kelsen, Souveränität, S. 113 28 Es sei lediglich darauf hingewiesen, daß Kelsens Ansicht - nicht zuletzt unter dem Einfluß Verdross' - eine erhebliche Veränderung erfahren hat, die jedoch hier nicht im einzelnen darzustellen ist. Kelsens ursprüngliches Konzept war dualistisch: vgl. Kelsen, 24
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Über Staatsunrecht, GrünhutsZ 40, 1914, S. 1 fT.. Bereits in diesem Aufsatz kriti~crt er den Dualismus, vgl. insb. S. 99fT.. Seine Auffassung wandelte sich dann von einer streng monistischen in eine gemäßigtere. Die endgültige Fassung enthält Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., S. 328f.. Zur Entwicklung seiner Theorie siehe Walz, Völkerrecht und Staatliches Recht, S. 64fT.. 29 Rudolf, Völkerrecht, S. 135 m.w.N. 30 Verdross, Völkerrecht, S. 113f.; Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, S. 40
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cc) Ergebnisse beider Theorien Es ist an dieser Stelle nicht erforderlich, zur Frage der Richtigkeit der einen oder anderen Theorie abschließend Stellung zu nehmen. Über die wesentlichen Ergebnisse im Verhältnis Völkerrecht - innerstaatliches Recht herrscht Einigkeit zwischen gemäßigtem Monismus und Dualismus: Es gibt keine Norm des Völkerrechts, die anordnet, daß dieses ohne Mediatisierung innerstaatliche Geltung hat. Völkerrechtswidriges Landesrecht ist nicht nichtig und für die Rechtsunterworfenen in diesem Staat verbindlich. Das Einzelindividuum wird in der Regel nur über das staatliche Recht verpflichtet. Den Staaten obliegt jedoch die Verpflichtung, völkerrechtswidriges Landesrecht dem Völkerrecht anzupassen. 33 dd) Praktische Auswirkungen auf das Verhältnis Völkerrecht innerstaatliches Recht (1) Untersucht man, wie sich die Staatenpraxis angesichts des Streites zwischen Monisten und Dualisten verhält, so läßt sich eine klare Bevorzugung des einen oder anderen Standpunktes nicht feststellen. In Großbritannien 34 , den 31 Verdross, Völkerrecht, S. 113 m. w. N.; Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, S. 162 - 169 32 Starke, BYIL 1936, S. 77f.; Oppenheim-Lauterpacht I, S. 38 f.; Dahm, Völkerrecht I, S. 55; vgl. auch Rudolf, Völkerrecht, S. 138 m. w. N. Ein monistischer Ansatz scheint auch der Rechtsprechung des Gerichtshofes für die Europäischen Gemeinschaften zugrundezuliegen, der mehrfach betont hat, der EWG-Vertrag habe eine eigene Rechtsordnung geschaffen, die zur Folge habe, daß die Staaten nicht einseitige nachträgliche Maßnahmen hiergegen ergreifen könnten. Vgl. im einzelnen: Van Gend & Loos, EuGHE IX, 25 (1963); Costa/ENEL, EuGHE X, 1251 (1964); Simmenthal, EuGHE 1978, 629. 33 Magiera in Menzel/lpsen, S. 52f.; Rudolf, Völkerrecht, S. 143; Walz, S. 264; Partseh, S. 31 f.; Boehmer, S. 2f. Nach Auffassung von Ferrari-Bravo, S. 737f. sind die heute in der internationalen Rechtsordnung erkennbaren Anzeichen für eine monistische Konstruktion zwischen Völkerrecht und nationalem Recht nur die Vorwegnahme einer sich wandelnden Struktur der internationalen Gemeinschaft. Obwohl der heute vorherrschende Ansatz immer noch ein pluralistischer sei, sei ein ständig steigender Druck völkerrechtlicher Zwänge auf rein nationale Realitäten nicht zu leugnen. Man könne deshalb von einer faktischen Einheit zwischen dem völkerrechtlichen und den nationalen Rechtssystemen sprechen, die sich durch unzählige Bindungen zwischen ihnen ergäben. Mit zunehmender Interdependenz zwischen den Rechtsordnungen erfasse das Völkerrecht jeden Winkel des nationalen Rechts. Damit sei es unvereinbar, anzunehmen, daß die Gesamtrechtsordnung in zwei untereinander impermeable Zellen zerfallen bleibe. Das Vehikel der Kommunikation zwischen beiden Rechtsordnungen sei das Völkerrecht, das auf der einen Seite die nationalen Rechte durchdringe und auf der anderen Seite von diesen neue Ziele und Inhalte aufnehme. 34 Lord Talbot in Buvot v. Barbuit (1737) 25 E.R. 777; vgl. ferner Lord Mansfield in Triquet v. Bath (1764) 3 Burrows Reports, K.B. 1478, 1480; Blackstone, Book 4, S. 67; vgl. ferner Lord Alverstone in West Rand Gold Mining C. v. Rex 1905, 2 K.B. 391 (406-408) (Law Reports of the King's Bench Division); Lord Denning in Trendtex Trading Corp. v. Central Bank ofNigeria (1977),2 W.L.R. 356, 364f.
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Vereinigten Staaten 35 und der Schweiz 36 ist Völkergewohnheitsrecht ohne weiteres Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung. In Frankreich 37 und Österreich 38 gilt es aufgrund eines generellen Anwendungsbefehls. Beim Völkervertragsrecht fällt die Antwort noch weniger klar aus: Es gilt in der Schweiz wie das Völkergewohnheitsrecht unmittelbar und ohne Umsetzung in nationales Recht. 39 In Großbritannien 40 , Frankreich41 und Österreich42 ist ein parlamentarisches Zustimmungsverfahren erforderlich. In den USA bedarf der Präsident für den Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages der Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit des Senates. 43 (2) In der Bundesrepublik wird die Anwendbarkeit von den allgemeinen Regeln des Völkerrechts in der deutschen Rechtsordnung durch eine generelle Einbeziehung mittels Art. 25 GG ermöglicht. 44 Unter den allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind solche Normen zu verstehen, die von der überwiegenden Mehrheit der Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft und von den maßgebenden Mächten als verpflichtend anerkannt werden. 45 Für die Geltung einer solchen Norm in der Bundesrepublik kommt es mithin nicht darauf an, ob diese auch selbst den in Frage stehenden Grundsatz anerkennt. 46 Schon vom Wortlaut her wird deutlich, daß die allgemeinen Regeln des Völkerrechts von den besonderen abzugrenzen sind. 47 35 Corpus Iuris Secundum, Vol. XLVII, Brocklyn 1947, S. 3; Skiriotes v. State of Florida, 61 S. Ct. 924, 313 U.S. 69; 357 U .S. 301 (1958); vgl. ferner The Pacquette Habana, 175 U.S. 677 (1900). 36 Guggenheim, Völkerrecht I, S. 39ff. 37 L'affaire Pappenheim, Cours d'Appel, Cour roy de Paris (3e Ch.), August 21,1841, (1841) Sirey Recueil General 11, 592; vgl. ferner: Bial, AJIL 1955, 347ff.; Preuss, AJIL 1950,641 ff sowie die Präambel der Verfassung von 1946. 38 Vgl. hierzu: Rill, ÖZöR 1959/60, S. 439ff.; Seidl-Hohenveldern, AJIL 1955, S. 451 ff.; Metall, Zeitschrift für Völkerrecht 1927, S. 161 - 187; Verdross, Völkerrecht, S. 115ff. 39 Guggenheim, Völkerrecht I, S. 39ff. 40 Berber I, S. 97; O'Connell I, S. 58ff. 41 Vgl. Art. 53, 55 der Verfassung von 1955. 42 V gl. Art. 50 der Österreichischen Bundesverfassung. 43 Art. 2 (2) der US-Verfassung. 44 Berber I, S. 99; Stern I, § 14 I 3 d), S. 481; Rudolf, Völkerrecht, S. 239; vgl. auch Geiger, § 38 111 1, S. 188f., der insbesondere der Frage nachgeht, ob eine Transformation oder eine Adoption vorliegt. 45 Maunz-Dürig-Herzog-Scholz, Art. 25 Rdnr. 216; Berber I, S. 100; Rudolf, Völkerrecht, S. 239f.; BVerfGE 15, 34; 16, 33; OVG Münster, NJW 1956, 1374f.; vgl. ferner die Darstellung bei Magiera in Menzeillpsen, S. 59ff.; sowie bei Geiger, § 38 III, S. 188ff. 46 Genau dies wurde aber unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung für die Vorläufernorm des Art. 25 GG, nämlich Art. 4 WRV für den Begriff allgemein anerkannt z.T. vertreten; vgl. Rudolf, Völkerrecht, S. 240, 246ff.; zur Rechtslage in Österreich siehe Rill, ÖZöR 1959/60, S. 439ff. Vgl. ebenso BVerfGE 31, 177. 47 BVerfGE 6, 309 (363); Magiera in Menzell Ipsen, S. 60; Rudolf, Völkerrecht, S. 246.
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
Für die vorliegende Untersuchung ist insbesondere die Streitfrage von Bedeutung, ob das Völkervertragsrecht zu den besonderen oder zumindest teilweise auch zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehört. 48 So kommt es teilweise vor, daß Rechtsnormen des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts in völkerrechtlichen Verträgen enthalten sind, die Völkergewohnheitsrecht kodifizieren. 49 Darüber hinaus können diese Regeln aber auch in jedem anderen Vertrag enthalten sein. 50 Rudolf hat jedoch zutreffend darauf hingewiesen, daß die herrschende Meinung, auch völkerrechtliche Vertragsnormen, die allgemeine Regeln des Völkerrechts enthielten, seien durch Art. 25 GG erfaßt, unrichtig sei, soweit damit gemeint sei, daß das in der Form eines Vertrages niedergelegte Recht als Vertragsrecht ergriffen werde. 51 Vielmehr wiederhole der Vertrag nur einen allgemeinen Gewohnheitsrechtssatz, der als solcher bereits existiere und über Art. 25 GG in deutsches Recht bereits einbezogen sei. 52 Es bedarf daher einer Einbeziehung durch diese Vorschrift nicht.
Der BFH hat sich in einigen Entscheidungen mit der Frage nach allgemeinen Regeln des Völkerrechts auseinandersetzen müssen. 53 Auch im Rahmen von Entscheidungen, die Normen von DBA zum Gegenstand haben, liegen Aussagen dieses Gerichts hierzu vor. In einer davon deutet das Gericht an, Artikel eines DBA nicht (mehr) anwenden zu wollen, wenn sich eine entgegenstehende völkerrechtliche Übung gebildet habe. 54 Ferner hat das Gericht in einer weiteren Entscheidung festgestellt, daß das Völkerrecht kein Verbot der Doppelbesteuerung kenne. 55 Die Doppelbesteuerung komme erst durch das Zusammenwirken von Gesetzen mehrerer Staaten zustande. Seien diese einzeln betrachtet völkerrechtsgemäß, so gelte dies auch für die Gesamtheit. Inwieweit diese These zutrifft, wird im weiteren Verlauf der Untersuchung noch zu klären sein. Der BFH war jedoch der Auffassung, daß die Vornahme von Hoheitsakten im Ausland gegen das Völkerrecht verstoße. So sah er in der 48 Zu dieser Frage ausführlich: Doehring, Fremdenrecht, S. 129ff.; Rudolf, Völkerrecht, S. 250ff. 49 So z. B. das Wiener Übereinkommen über das Recht der Diplomaten oder die Wiener Vertragsrechtskonvention. 50 Vgl. hierzu OVG Münster, DÖV 1956,438: Die Bestimmungen der EMRK stellen keine Kodifikation allgemeiner Völkerrechtsregeln dar; BFHE 73, 399 (411): Das Diskriminierungsverbot nach dem GATT gilt nicht über Art. 25 GG, die Bestimmungen des GATT stellen keine allgemeinen Regeln des Völkerrechts dar. Das OVG Münster hat jedoch Art. 3 III des Europäischen Niederlassungsabkommens über Art. 25 GG für anwendbar gehalten (NJW 1961, 1787). 51 Rudolf, Völkerrecht, S. 251; vgl. auch Magiera in Menzel/lpsen, S. 60. 52 Rudolf, Völkerrecht, S. 252 m. w. N.; Dahm, Völkerrecht I, S. 66. 53 Rudolf, Völkerrecht, S. 252 m. w. N.; Dahm, Völkerrecht I, S. 66. 54 BFHE 78,428 (434). 55 BFH BStB119751I, 497 (498) (zum DBA Österreich); vgl. auch Vogel, StuW 1982,
112.
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Zustellung von Steuerverwaltungsakten ins Ausland mittels einfachem oder eingeschriebenen Briefes einen Verstoß gegen das Territorialitätsprinzip, wonach sich Hoheitsakte auf das Gebiet des jeweiligen Staates beschränken müssen. 56 In dem bereits erwähnten GATT-Urteil führte der BFH zur Rechtsqualität des Grundsatzes pacta sunt servanda aus: "Dieser Grundsatz gehört zwar zu den in Art. 25 GG angesprochenen allgemeinen Regeln des Völkerrechts. Er besagt als geltendes Bundesrecht zunächst nur, daß die Bundesrepublik verpflichtet ist, die von ihr eingegangenen Verträge zu halten. Aber selbst wenn man darüber hinaus aus Art. 25 GG folgert, daß auch die Bewohner des Bundesgebietes daraus Rechte herleiten können, so könnten sich diese - dem Inhalt dieser völkerrechtlichen Norm entsprechend - nur darauf erstrecken, die Bundesrepublik zu einer Befolgung ihrer Verpflichtungen anzuhalten. Solche Ansprüche könnten also allenfalls den Inhalt einer gegen die Bundesrepublik gerichteten Leistungsklage bilden, de lege lata aber nicht im Verfahren vor den Steuergerichten geltend gemacht werden." 57
Die Transformation völkerrechtlicher Verträge regelt Art. 59 11 1 GG, wonach Verträge, weIche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes bedürfen. Diese Mitwirkungsverpflichtung der Legislativorgane erfüllt eine wichtige Funktion im Gefüge der Funktionengliederung. Ein völkerrechtlicher Vertrag, der größere Bedeutung hat, soll nur mit Zustimmung der Legislative zu dem von der Bundesverwaltung ausgehandelten Abkommen zustandekommen. 58 Im hier interessierenden Zusammenhang kommen noch zwei wichtige weitere Funktionen hinzu: Zum einen wird der Bundespräsident ermächtigt, das Gesetz zu ratifizieren (Ermächtigungsfunktion). 59 Zum anderen wird der innerstaatliche Vollzugsbe56 BFH BStBI. 1959 III, 181 (182); RFHE 17, 159 (161); zum Grundsatz der Gebietsausschließlichkeit vgl. Wehser in Menzel/lpsen, §23 II 1, S. 147ff.; Berber I, S. 307. 57 BFHE 73, 399 (411 f.). 58 Zu dieser Kontrollfunktion vgl. Stern I, § 14 IV 4 d, S. 504; Magiera in Menzel/ Ipsen, S. 67; Partseh, S. 164; Rudolf, Völkerrecht, S. 180; Rojahn in v. Münch II, Art. 59 Rz. 19; Bayer, Die Aufhebung völkerrechtlicher Verträge, S. 113ff. 59 Stern I, § 14 IV 4 d, S. 505; Rudolf, Völkerrecht, S. 200ff.; BVerfGE 1, 396 (410); 30, 272 (284f.); Maunz-Dürig-Herzog-Scholz, Art. 59 Rz. 22f.; Boehmer, S. 23; zur Ermächtigungsfunktion vgl. ferner Menzel, VVDStRL, Bd. 12 (1954), S. 179ff. (195, 253f.); hingewiesen werden soll auf die Streitfrage, wer denn nun Zustimmungsadressat sei. Es stehen sich gegenüber: Boehmer, S. 22ff. m.w.N., BVerfGE 1, 396 (410) (der Bundespräsident); Maunz in Maunz-Dürig-Herzog-Scholz, Art. 59 Rz. 21 (Zustimmung ist nicht empfangsbedürftig) und Bayer, Aufhebung, S. 64f., der in der Zustimmung die Billigung der Politik des Bundeskanzlers sieht.
3 Gloria
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
fehl gegeben. Der Vertrag wird in innerstaatliches Recht übernommen und ist damit Bestandteil des Bundesrechts und verbindlich für alle Rechtsanwender. Die Vertragsgesetze "transformieren zugleich den Inhalt des völkerrechtlichen Vertrages insoweit in innerstaatliches Recht, als sie ihn sowohlfor die staatlichen Organe, als auch - falls es sich auf das rechtliche Verhalten der Staatsbürger bezieht - for diese verbindlich machen". 60 (3) Die Staatenpraxis hat sich nicht deutlich und mehrheitlich auf ein monistisches oder dualistisches System festgelegt. In der Regel existieren Mischformen, die aber zum großen Teil wenigstens bei Völkergewohnheitsrecht keine im Sinne der monistischen Theorie unmittelbare Anwendbarkeit gewährleisten.
(4) Auf der anderen Seite ist - besonders deutlich im amerikanischen Recht - den Erfordernissen des Völkerrechts dadurch Rechnung getragen, daß oft schon bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts versucht wird, einen Konflikt mit dem Völkerrecht zu vermeiden. 61 Insoweit gilt hier die Überlegung, daß der Gesetzgeber im Zweifel diejenige Auslegung nicht will, die dazu führt, daß er innerstaatlich im Gegensatz zu bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen steht. Die Mehrfachfunktion des Übernahmegesetzes nach Art. 5911 GG, daswie dargestellt - Kontroll-, Ermächtigungs- und Übernahmefunktion hat, spiegelt im deutschen Recht die doppelte Rechtsnatur der ins Bundesrecht übernommenen völkerrechtlichen Verträgen - also auch der DBA - wieder. Sie sind zum einen eben Verträge, die die Besonderheit aufweisen, durch Völkerrechtssubjekte, also Staaten, bzw. deren Exekutivorgane vereinbart worden zu sein. Dieses Tätigwerden der Exekutive bedarf im funktionengegliederten Staat eines Gegengewichts, im Wege der Gewaltenverschränkung einer Kontrolle, die durch die Legislative erfolgt. 62 Die Kontrollmöglichkeiten sind dabei zwar de iure auf Annahme oder Ablehnung des Vertragstextes als Ganzes beschränkt,63 de facto dürfte jedoch bereits vorher eine Einflußnahme auf Art und Weise der Verhandlungen erfolgen, z.B. durch Entschließungen. 64 Ebenso kann die Bundesregierung aufgefordert werden, Vorbehalte zu erklären, die 60 BVerfGE 1, 396 (410); vgl. außerdem BVerfGE 6, 290 (294); 30, 272 (284f.). Zur Übemahmefunktion Stern I, § 14 IV 4 d; Rudolf, Völkerrecht, S. 205ff. m. w. N.; Partseh, S.19f.; Bayer, Aufhebung, S.110ff., 172 geht davon aus, daß eine Norm, der der Gedanke der parlamentarischen Kontrolle zugrunde liegt, nicht sinnvollerweise auch eine Transformationskompetenz haben könne. Seiner Meinung nach ergibt sich diese aus Art. 77 ff. 61 Vgl. Head Money Cases, 112 U.S. 580 (1884). 62 Zur m. E. zutreffenden Kritik an dem in diesem Zusammenhang oft verwendeten Begriff der Gewaltenteilung vgl. Erichsen, Staatsrecht I, S. 98. 63 §§ 81 IV, 8211 GO-BTag 64 §§ 88 I 1 i.V.m. 86 S. 4 GO-BTag; vgl. die gemeinsame Entschließung vom 17. 05.1972 (Bulletin 1972, 1047); einschränkend Bayer, Aufhebung, S. 137ff., 139, soweit Entschließungen einen Eingriff in die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers mit sich bringen.
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u.U. die Auslegung eines Vertrages beeinflussen können. 6s (vgl. Art. 19ff. WVK, Art. 21 I 1 a WVK zur Abänderung eines Vertrages durch einen Vorbehalt). Sie sind zum anderen Gesetze, genauer Bundesgesetze, die das Parlament durch das Vertragsgesetz 66 in innerstaatliches Recht inkorporiert und sie damit zum Bestandteil des Bundesrechtes macht. Sie stehen zwar in der N ormenhierarchie unterhalb des Verfassungsrechtes, sind aber - wie das übrige Bundesrecht - im Prinzip einer Anwendung auch durch innerstaatliche Normadressaten zugänglich. Es handelt sich damit um einen Gesetzgebungsakt, der sich von anderen des Parlamentes jedenfalls strukturell nicht unterscheidet. b) Transformation, Inkorporation oder Vollzug
Eine große Bedeutung für die Frage, wie die Doppelbesteuerungsabkommen ausgelegt werden sollen, ob insbesondere innerstaatliche oder völkerrechtliche Grundsätze heranzuziehen sind, haben Überlegungen, in welcher Weise völkerrechtliche Verträge denn nun in die innerstaatliche Rechtsordnung einbezogen werden. Behalten sie bei der Einbeziehung ihren Charakter als Völkerrecht oder wandeln sie sich in innerstaatliches Recht um mit der Folge, daß sie auch entsprechend auszulegen wären? Diese Frage steht selbstverständlich in einem gewissen Zusammenhang mit dem Streit um Monismus und Dualismus. 67 aa) Transformationslehre Die Transformationslehre geht von der Annahme aus, daß Völkerrechtsnormen als solche innerstaatlich nicht angewendet werden, da Völkerrecht und staatliches Recht getrennte Rechtsordnungen seien. 68 Diese Normen bedürfen daher, um im innerstaatlichen Bereich gelten zu können, einer Umwandlung (Transformation) in staatliches Recht. Durch diese Transformation werden sie im Geltungsgrund abgeändert und - indem an Stelle der Vertragsstaaten auch deren Bürger treten - auf neue Adressaten 6S Zu Vorbehalten, ihre Zulässigkeit und Rechtswirkungen vgl. Lagoni in Menzel / Ipsen, S. 307ff.; Rojahn in v. Münch II, Art. 59 Rz. 32. 66 Zur Terminologie und zur Problematik des sonst häufig verwendeten Begriffs Zustimmungsgesetz vgl. Boehmer, S. 7f m. w. N. 67 Nicht recht verständlich erscheint, wieso Stern I, § 14 I 3 c, S. 480 glaubt, diese Umsetzungstheorien hätten heute weitgehend die monistisch-dualistischen Konstruktionen verdrängt und sich hierfür auf Menzel/ Ipsen, S. 53 ff. und Verdross/ Simma, S. 436f. beruft. 68 Diese Theorie wurde begründet von Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 112. Eine ausführliche Darstellung findet sich bei Rudolf, Völkerrecht, S. 158ff; vgl. ferner Magiera in Menzel/lpsen, S. 54ff.; Verdross / Simma, § 858; Partseh, S. 18 f, 43; zur Kritik an dieser Theorie: Seidl-Hohenveldern, ICLQ 1963, 93 und 118.
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erstreckt. 69 Entsprechend wird auch ihr Inhalt durch die Übernahme in ein anderes Rechtssystem verändert. Triepel hat das so formuliert, daß "das Landesgesetz einen vom Völkerrechtssatz irgendwie abhängigen, aber ihm an Inhalt ungleichen Rechtssatz zu Tage fördern" (muß). 70 Er kommt dabei zu der Schlußfolgerung, daß für den innerstaatlichen Normadressaten nicht der Vertrag, sondern das entsprechende Landesrecht maßgeblich sei. 71
Die Schwierigkeiten und Inkongruenzen, die diese Auffassung konsequent zu Ende gedacht mit sich bringen würde, sucht die gemilderte Transformationsthese zu vermeiden, die davon ausgeht, daß "vermittels eines staatsrechtlichen Anwendungsbefehls die völkerrechtliche Norm inhaltlich in eine solche des staatlichen Rechts unter Änderung der Normadressaten umgewandelt wird, ohne daßjedoch der ursprüngliche Systemzusammenhang der transformierten Norm mit dem Völkerrecht zerrissen wird". 72 bb) Vollzugslehre Auch nach der Vollzugslehre ist ein innerstaatliches Tätigwerden erforderlich, um eine Norm des Völkerrechts auch innerstaatlich vollziehbar zu machen. 73 Dieser Staatsakt hat jedoch nur die Funktion eines Vollzugsbefehls, der den Weg für die Anwendung durch nationale Normadressaten eröffnet. Die Völkerrechtsnormen behalten jedoch ihren völkerrechtlichen Geltungsgrund ohne Auswechselung der Adressaten. 74 Für die Anhänger der Vollzugstheorie ergibt sich problemlos, daß völkerrechtliche Verträge grundsätzlich nach den Regeln des Völkerrechts auszulegen sind. Sie schließen dies aus der völkerrechtlichen Natur dieser Verträge. 75 cc) Adoptionslehre Während die beiden bisher dargestellten Theorien noch einen staatlichen Volizugsakt zwischen Völkerrechtsnorm und deren innerstaatliche Geltung 69 Vgl. These 3 der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht bei Partseh, S. 156. Zur Kritik am Ausgangspunkt der Theorie, den sie als dualistisch erkennen, vgl. Verdross j Simma, §§ 73 ff., 858. 70 Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 112. 71 Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 118, 386. 72 Rudolf, Völkerrecht, S. 171; vgl. ferner Magiera in Menzeljlpsen, S. S5 und Verdross j Simma, § 858 a). 73 Zur Vollzugstheorie vgl. Magiera in Menzel j Ipsen, S. 55 f.; Verdross j Simma, § 858 b); Rudolf, Völkerrecht, S. 164ff.; Partsch, S. 19; Boehmer, S. 36 sowie Moster, Das Völkerrecht in der Praxis der deutschen Gerichte, S. 19f. 74 Partsch, S. 156f., These 4. 7S Partsch, S. 110.
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stellen wollen, verzichtet hierauf die Adoptions- (auch Inkorporations-) Theorie. 76 Völkerrechtsnormen gelten danach unmittelbar auch im innerstaatlichen Bereich; ein Umsetzungsakt ist nicht erforderlich. Eine inhaltliche Änderung des Völkerrechts erfolgt nicht. 77 Wo eine Einschaltung innerstaatlicher Organe vorgesehen ist, hat sie nur deklaratorische Bedeutung, denn das staatliche Recht hat die Völkerrechtsnormen insgesamt übernommen. Für und gegen die Adoptionstheorie streiten im wesentlichen die gleichen Argumente, wie für und gegen den Monismus. Auch nach dieser Theorie wären die völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze zu beachten. dd) Rechtslage unter Geltung des Bonner Grundgesetzes Die Frage, ob dem Bonner Grundgesetz eine Entscheidung zugunsten der einen oder anderen Theorie entnommen werden kann, ist streitig. Während ein Teil der Literatur der Auffassung ist, das Grundgesetz enthalte eine Entscheidung zugunsten der Transformationstheorie, 78 sind andere der Auffassung, dem Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland ließe sich eine Entscheidung zugunsten der einen oder anderen Theorie nicht entnehmen. 79 Das Bundesverfassungsgericht schien in seinen ersten Entscheidungen ein Bekenntnis zur Transformationslehre ablegen zu wollen. 80 Dies scheint jedoch durch spätere Beschlüsse wieder relativiert worden zu sein, in denenausgesprochen wurde, die Transformation verändere "aber nicht den Inhalt der Völkerrechtsregeln und der daraus etwa herzuleitenden Ansprüche, insbesondere nicht deren Adressaten." 81 Aus diesen Formulierungen entnehmen Geck und Papadirnitriu, daß das Bundesverfassungsgericht später eher zur Vollzugstheorie neigte. 82 76 Zur Darstellung dieser Theorie siehe Magiera in Menzel/lpsen, S. 55; Verdross/ Simma, § 858 c); Rudolf, Völkerrecht, S. 151 ff.; Stern I, § 14 I 3 c, S. 480. Hingewiesen werden soll noch auf die Tatsache, daß das erwähnte Zitat Blackstone's "The law of Nations is part of the law of the land" von Stern I, § 14 I 3 c, S. 480 für die Transforrnationslehre in Anspruch genommen wird und von Rudolf, Völkerrecht, S. 151 ff. für die Adoptionstheorie. 77 Die Adoptionstheorie kann daher ihre gedankliche und rechtstheoretische Verwandtschaft mit dem Monismus nicht leugnen, vgl. Rudolf, Völkerrecht, S. 154 und Magiera in Menzel/lpsen, S. 55. Eine Ausnahme bildet - soweit erkennbar -lediglich Kaufmann, Melanges en l'honneur de Gilbert Gidel, S. 183 ff., der von einem dualistischen Ausgangspunkt zur Adoptionstheorie gelangt. 78 Maunz-Dürig-Herzog-Scholz, Art. 59 Rz. 25; v. Mangoldt/ Klein, Art. 59 Anm. IV 7 b,c; Hamann/Lenz, Art. 59 Anm. 7. 79 So Rojahn in v. Münch /I, Art. 25 Rz. 4; Magiera in Menzel/lpsen, S. 67; Boehmer, S. 38; in diesem Sinne auch Partseh, S. 48 ff. mit ausführlicher Analyse der Entstehungsgeschichte. 80 BVerfGE 6, 290 (294); vgl. ferner BVerfGE 1, 396 (411). 81 BVerfGE 27, 253 (274); vgl. auch BVerfGE 18, 441 (448)
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Bestätigt wird diese Annahme m.E. durch die Entscheidung zum deutschösterreichischen Rechtshilfevertrag, wo es heißt, das Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG erteile dem Rechtshilfevertrag einen Rechtsanwendungsbefehl. 83 Das Bundesverfassungsgericht benutzt ausdrücklich die Wendung Rechtsanwendungsbefehl, die von Partsch zur Begründung der Vollzugstheorie verwendet wurde. 84 Die verwendete Formulierung läßt klar erkennen, daß der innerstaatliche Rechtsbereich für Völkerrechtsverträge geöffnet werden soll, ohne daß es - wie für die Transformationstheorie erforderlich - zu einer Auswechselung von Adressaten oder Geltungsgrund kommen soll. Ob sich aus den wiedergegebenen Äußerungen schon entnehmen läßt, daß das Bundesverfassungsgericht eine Wendung zur Vollzugstheorie gemacht hat, erscheint jedoch noch fraglich. Wahrscheinlich hieße dies, das Theoriebewußtsein des Gerichts zu überschätzen. Die weitere Entwicklung bleibt daher abzuwarten. ee) Auswirkungen der einzelnen Theorien auf die Auslegung Die Notwendigkeit, die hier dargestellten Theorien zu erörtern und für die Richtigkeit einer von ihnen abschließend Stellung zu nehmen, besteht im vorliegenden Zusammenhang vor allem deshalb, weil dies unmittelbare Konsequenzen für die Auslegung der DBA als völkerrechtliche Verträge hat. Für die Adoptions- und die Vollzugstheorie werden zwischenstaatliche Übereinkommen auch bei einer Anwendung durch innerstaatliche Normadressaten nach völkerrechtlichen Interpretationsvorschriften ausgelegt. Darüber hinaus werden diejenigen Auslegungsregeln angewandt, die zu dem Zeitpunkt gelten, zu dem der Auslegungsvorgang stattfindet. 8S Das ergibt sich daraus, daß das innerstaatlich geltende Vertragsrecht als Völkerrecht angewandt wird. Dieses innerstaatlich geltende Völkerrecht ändert sich mit Änderungen auf der Völkerrechtsebene. 86 Aber auch für die Transformationstheorie scheint eine abweichende Konsequenz nicht so klar auf der Hand zu liegen, wie man zunächst glauben könnte. 87 Die Transformationstheorie behilft sich hier mit der Annahme, daß der Gesetzgeber nur dasjenige Recht innerstaatlich in Kraft gesetzt hätte, das seiner völkerrechtlichen Verpflichtung entspreche. Der Umfang der völkerrechtlichen 82 Geck, Bundesverfassungsgericht, S. 141, der jedoch angesichts der Fonnulierungen in BVerfGE 23, 288 (316), die er für eher verwirrend hält, an dieser Annahme zweifelt. Papadimitriu, S. 65; vgl. auch Mosler, S. 15fT. 83 BVerfGE 63, 343 (358); ebenso BVerfGE 46, 342 (363). 84 Partsch, S. 20; vgl. ferner Rudolf, Völkerrecht, S. 165 (Anwendungsbefehl) und Bleckmann, Grundgesetz, S. 290 sowie Verdross! Simma, § 858 b) (Vollzugsbefehl). 85 Strebel bei Partsch, S. 110; Boehmer, S. 91. 86 Bleckmann, Grundgesetz, S. 290. 87 Vgl. etwa BVerfGE 4,157; 18,441 (442); 23, 288 (316); 27, 253 (274); 46,342 (361).
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Verpflichtungen ergebe sich jedoch nur aus dem Vertragsinhalt. Dieser Vertragsinhalt sei daher zuvor durch Auslegung nach dem völkerrechtlichen Instrumentarium zu ermitteln, und erst wenn die Bedeutung einer Völkerrechtsnorm auf diese Weise festgestellt sei, könne insoweit auf die entsprechende Vorschrift des nationalen Rechts geschlossen werden. 88 Während die Transformationslehre hilfsweise die Anwendung innerstaatlicher Auslegungsregeln gestattet, kommt vom Standpunkt der Vollzugstheorie eine Anwendung innerstaatlicher Auslegungsregeln überhaupt nicht in Frage. Der Vertrag bleibt auch für die innerstaatliche Rechtsanwendung Völkerrecht. Demgemäß muß der nationale Richter sich in die Lage eines internationalen Gerichts versetzen und sich derjenigen Mittel bedienen, die das Völkerrecht zum Zeitpunkt der Entscheidung des konkreten Falles bietet. 89 Eine Gegenansicht ist in der neueren staats- und völkerrechtlichen Literatur nicht nachweisbar. 90 Anders als in der allgemeinen staats- und völkerrechtlichen Literatur gibt es jedoch im steuerrechtlichen Schrifttum Stimmen, die die Anwendung der für das interne Recht geltenden Regeln fordern. 91 Doch handelt es sich hierbei um Ausführungen, die die eben dargestellten Zusammenhänge außer acht lassen. 92 Die genannten Autoren versäumen es ferner, im einzelnen darzulegen, warum gerade im Bereich der DBA grundsätzlich andere Regeln gelten sollen, als im Staats- und Völkerrecht sonst. Ebenso zweifelhaft ist es, wenn Flick unter Bezugnahme auf die Rechtslage unter der Weimarer Reichsverfassung - von der sich das heutige Recht nicht unterscheide - feststellt, daß zwischenstaatliche Abmachungen Verbindlichkeit erst durch die Transformation erhielten, damit aber auch schlechthin den einheimischen Auslegungsregeln unterlägen. 93 Die DBA seien inländisches Recht 88 So die Begründung bei Boehmer, S. 89; ähnlich Partsch, S. 112; Bleckmann, Grundgesetz, s. 288 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung; Rudolf, Völkerrecht, S. 171; Ress, S. 38. 89 Boehmer, S. 93. Demgegenüber ist Ress in Ress / Schreuer, S. 19 ff. der Meinung, in einzelnen Fällen könne der Gesichtspunkt der Einheit der innerstaatlichen Rechtsordnung die Auslegung vertraglicher Vorschriften beeinflussen, ohne daß der Vertrag selbst als in sich geschlossene konsensuale Einheit gewürdigt werde. 90 Stern I, S. 482 ist der Meinung, diese Ansicht habe sich durchgesetzt. 91 So Kruse, S. 91; Salditt, StuW 1972, 25; Streck, RIW / AWD 1975, 118; demgegenüber ausdrücklich für die Anwendung völkerrechtlicher Auslegungsregeln: Spitaler, CDFl1960, 167f. 92 Z.B. führt Salditt, StuW 1972, 25 aus, die DBA bezögen ihre steuerrechtliche Geltung aus dem Zustimmungsgesetz als Transformationsakt. Diese (innerstaatliche) Geltung bleibe dem dictum des Gesetzgebers unterworfen; er könne sie z.B. aufheben. Daher seien gegenüber der Anwendung völkerrechtlicher Auslegungsgrundsätze Zweifel angebracht. Noch undifferenzierter argumentiert Streck AWD 1975, 118, der ausführt: "Bei der Anwendung von Vorschriften der DBA neigt man dazu zu vergessen, daß die Abkommen durch das Zustimmungsgesetz zu innerstaatlichem Recht geworden und wie diese anzuwenden und auszulegen sind."
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und unterlägen damit Auslegungsregeln.
so schließt er -
grundsätzlich den einheimischen
Flick übersieht dabei, daß sich die gegenteilige Ansicht sogar bei den Anhängern der Transformationstheorie inzwischen durchgesetzt hat. Als Konsequenz der Transformationslehre wird angesehen, daß Normen des Völkervertragsrechts, die ausgelegt werden müssen, um die korrespondierende Vorschrift des innerstaatlichen Rechts aufzufinden, nur mit dem Instrumentarium interpretiert werden dürfen, das dem Staat als Völkerrechtssubjekt zum Zeitpunkt der Transformation zur Verfügung stand. Die Auslegung erstarre, wie Strebel plastisch formuliert, zur innerstaatlichen Norm. 94 Wie wichtig diese Annahme für die Interpretation von DBA ist, zeigt schon ein Blick auf die Zeitdauer, die seit Inkrafttreten des ältesten noch gültigen DBA verstrichen ist. 95 Die Tatsache, daß die Auslegungsregeln sich seit dieser Zeit erheblich geändert haben und daß demgemäß die Auslegung der alten DBA zu ganz anderen Ergebnissen führen kann als bei den neueren Abkommen, liegt auf der Hand. 96 Ausgelöst wurde diese Entwicklung dadurch, daß die ILC das Recht völkerrechtlicher Verträge 1949 in die Liste kodifikationsreifer Völkerrechtsgebiete aufnahm und 1966 einen kommentierten Kodifikationsentwurf vorlegte, der 1969 zur Verabschiedung der Wiener Vertragsrechtskonvention führte. Insbesondere die Artikel 31 -33 WVK stellen jedoch - darauf wird unten noch einzugehen sein - nicht eine Kodifikation geltenden Völkerrechtes, sondern deren Fortentwicklung dar. ff) Diskussion der Lehren
Ist nun der Transformations- oder der Vollzugstheorie der Vorzug zu geben? Es ist zunächst festzuhalten, daß das Grundgesetz weder die eine noch die andere Theorie festschreiben wollte. 97 Ebensowenig läßt sich aus der Entstehungsgeschichte eine klare Antwort herleiten. 98 Sowohl Transformations- als auch Vollzugstheorie müssen daher unter der Geltung des Bonner Grundgesetzes als vertretbar angesehen werden. Flick, Auslegung, S. 153. Strebel bei Partseh, S. 112; ebenso Boehmer, S. 90; auch Schreuer in Ress I Schreuer, S. 6 spricht von einer Versteinerung der Auslegung. 9S Es handelt sich um das DBA Italien vom 7. 12. 1925 (RGBI. II, 1145). 96 Die Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht hat dies auf ihrer Tagung wohl auch als mißlich empfunden und entsprechende Vorschläge gemacht; vgl. Partseh, S. 147ff. und insb. S. 112, wo dies "als fast ebenso unbefriedigend wie eine Auslegung nach landesrechtlichen Regeln" bezeichnet wird. 97 Geck, Bundesverfassungsgericht, S. 140; Partseh, S. 52 und 158; Boehmer, S. 38; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rz. 411; Magiera in Menzeillpsen, S. 69. 98 Vgl. Boehmer, S. 24; Partseh, S. 49. 93
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Die Transformationstheorie hat jedoch eine Reihe von dogmatischen Schwachpunkten 99 : Gemäß Art. 5911 GG wird durch das Vertragsgesetz der Vollzugsbefehl für einen völkerrechtlichen Vertrag erteilt. Dabei lautet die übliche Verkündungsformel: "Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft. Der Tag, an dem das Abkommen in Kraft tritt, ist im Bundesgesetzblatt bekannt zu geben." 100 Oft ist zu diesem Zeitpunkt also der Vertrag noch nicht in Kraft. Vom Standpunkt der Transformationstheorie müßte vom Zeitpunkt der Gültigkeit des Vertragsgesetzes an dieser auch innerstaatlich gelten. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob der zugrundeliegende Vertrag schon gilt, da der Gesetzgeber ja von den Vertragsbestimmungen unabhängige und selbständige Normen erläßt. Der vom Völkerrecht unabhängige Geltungsgrund dieser Normen ist gerade das Charakteristikum dieser Theorie. Die vom Schrifttum und der Rechtsprechung zugrundegelegte Annahme, daß aus der Bestimmung über die Bekanntgabe des völkerrechtlichen Inkrafttretens geschlossen werden müsse, daß der Gesetzgeber den Eintritt der völkerrechtlichen Verbindlichkeit quasi zur aufschiebenden Bedingung der innerstaatlichen Wirksamkeit macht,101 überzeugt dabei nicht. 102 Boehmer hat zutreffend daraufhingewiesen, Art. 82 11 GG verlange es, daß eine entsprechende Bedingung im Gesetz ausdrücklich ausgesprochen werde. 103 Die Vollzugstheorie kommt problemlos zu dem Ergebnis, daß völkerrechtlicher Vertrag und Vertragsgesetz zum selben Zeitpunkt in Kraft treten. Für sie ergibt sich dies aus der Annahme, innerstaatlich werde Völkerrecht angewandt. Ähnlich wie bei der innerstaatlichen Inkraftsetzung argumentiert die Transformationstheorie bei einer Beendigung des völkerrechtlichen Vertrages. 104 Grundsätzlich müsse auch hier das innerstaatliche Vertragsgesetz solange weiter Vgl. im einzelnen Bleckmann, Grundgesetz, S. 286; Boehmer, S. 40. Partseh, S. 88; Rudolf, Völkerrecht, S. 209; Bleckmann, Grundgesetz, S. 286; Boehmer, S. 40. 101 Maunz-Dürig-Herzog-Scholz, Art. 59 Rz. 34; v. Mangoldt / Klein, Art. 59 Anm. IV 7 d; Jellinek in VVDStRL 12, 247 (Aussprache); Rojahn in v. Münch, Art. 59 Rz. 42; Boehmer, S. 42 m.w.N.; vgl. auch Partseh, S. 88, der annimmt, es sei nicht das völkerrechtliche Inkrafttreten, sondern die Bekanntmachung dieses völkerrechtlichen Inkrafttretens, das eine Bedingung der innerstaatlichen Wirksamkeit sei. Aus der Rechtsprechung vgl. RGZ 85, 153 (157); OVGE 17, 67. 102 Kaufmann, in: Gedächtnisschrift für Jellinek, S. 447 ff., weist m. E. zutreffend darauf hin, es sei logisch unmöglich, einen völkerrechtlichen Vertrag bereits vor seinem Inkrafttreten innerstaatlich für verbindlich zu erklären. 103 Boehmer, S. 44. 104 Zur Frage der Aufhebung völkerrechtlicher Verträge im deutschen parlamentarischen System vgl. Bayer, Aufhebung, S. 6ff., 187ff. 99
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in Geltung bleiben, wie es vom Gesetzgeber nicht aufgehoben wird. Auch hier behilft sich die Transformationslehre mit der nicht-systemkonformen Annahme, das Vertragsgesetz wolle das innerstaatliche Recht nur solange in Geltung halten, wie die völkerrechtliche Verpflichtung fortdauere. lOS Mit dieser auflösenden Bedingung stellt die Transformationstheorie eben jene Abhängigkeit vom Völkerrecht wieder her, die sie doch sonst leugnet. 106 Diese beiden Beispiele zeigen die Unzulänglichkeit der Transformationslehre in dogmatischer Hinsicht deutlich genug. Es kann nun nicht Aufgabe der vorliegenden Untersuchung sein, eine eingehende Untersuchung über Vorzüge und Nachteile von Transformations- und Vollzugs theorie nachzuholen, die an anderer Stelle bereits erfolgt ist. Einen Einwand gegen die Vollzugstheorie, der namentlich von Bleckmann vorgebracht wird, gilt es allerdings noch zu entkräften, da er gerade bei den DBA von Bedeutung wäre. Wie dargestellt, ändert nach Ansicht der Vollzugslehre der Vollzugsbefehl nicht Inhalt und Adressaten des völkerrechtlichen Vertrages. Das Völkerrecht sei also innerstaatlich nur soweit unmittelbar anzuwenden, als es diese Anwendung intendiere. Hierin liege nun - so Bleckmann - eine Schwäche der Vollzugstheorie, da das Völkerrecht nur in seltenen Ausnahmefällen eine solche innerstaatliche Anwendung unmittelbar bezwecke. Auch komme es nicht in Betracht, eine Vermutung auf völkerrechtlicher Ebene hierfür aufzustellen, wie dies bei transformiertem Recht möglich sei. 107 Bleckmann ist zuzugeben, daß der Rechtsanwendungsbefehl nur diejenigen Rechtsnormen ergreift, die auch unmittelbarer Anwendung fähig sind. Der Vollzugsbefehl erklärt lediglich eine Völkerrechtsnorm für vollziehbar, und zwar ohne ihren Inhalt zu ändern. Völkerrechtliche Vorschriften, denen die Eigenschaft fehlt, unmittelbar anwendbar zu sein, erwerben diese nicht durch den Anwendungsbefehl. 108
Der geschilderte Befund ist jedoch auch nach der Transformationstheorie kein anderer. Denn nur unmittelbar anwendbare Normen sind auch transformierbar. 109 Auch durch die Transformation können demnach aus Rechten und Pflichten des Staates keine Rechte oder Pflichten eines Bürgers entstehen. 110 105 Bleckmann, Grundgesetz, S. 89; Boehmer, S. 105; Kritik bei Partsch, S. 135; Bayer, Aufhebung, S. 27 weist darauf hin, daß auch heute noch manches für die Annahme spreche, für die innerstaatliche Außergeltungssetzung sei ein besonderes Aufhebungsgesetz erforderlich. 106 Das Reichsgericht war der Ansicht, trotz des Unterganges von Polen und Österreich seien die Transformationsgesetze für völkerrechtliche Verträge weiter in Geltung geblieben, vgl. RGZ 160, 372; 164, 355. 107 Vgl. Bleckmann, Grundgesetz, S. 290. 108 Boehmer, S. 77; Partseh, S. 20; Walz, Völkerrecht, S. 249, 274f. 109 Rudolf, Völkerrecht, S. 173; Partsch, S. 20; Boehmer, S. 77; Pigorsch, S. 82ff.
I. DBA im Spannungsfeld zwischen Völkerrecht und nationalem Recht
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Die Vollzugstheorie stellt jedoch die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit abstrakter. Die abstrakte Eignung einer Norm, das ins Auge gefaßte Rechtssubjekt zu binden oder zu verpflichten, genügt insoweit. 111 Adressat einer Rechtsnorm in diesem Sinne kann daher mehr als ein Rechtssubjekt sein. 112 Für beide Ansichten ist der Begriff unmittelbar anwendbar jedenfalls strukturell kongruent. Von Bleckmanns Kritik bleibt daher lediglich die Annahme, bei transformierten Rechtsnormen spräche eine Vermutung dafür, sie seien unmittelbar anwendbar, während dies bei Völkerrechtsnormen grundsätzlich nicht der Fall sei. Bleckmann übersieht dabei jedoch, daß es grundsätzlich keine Vermutung des Inhaltes geben kann, ein Staat wolle beim innerstaatlichen Inkraftsetzen eines völkerrechtlichen Vertrages dem Individuum Rechte einräumen, die über seine völkerrechtlichen Verpflichtungen hinausgehen und ihn zusätzlich binden. Genau dies wäre aber die Konsequenz von Bleckmanns Ansicht. Es ist demgegenüber anzunehmen, daß ein Staat durch Transformation oder Vollzug eines Vertrages innerstaatlich genau seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen genügen will. 113 Es bleibt daher dabei, daß die Transformationstheorie wegen ihrer methodischen und dogmatischen Schwächen und dem Erfordernis, zu systemwidrigen Hilfskonstruktionen greifen zu müssen, um angemessene Ergebnisse zu erzielen, abzulehnen ist. Überzeugend ist vielmehr lediglich die Vollzugslehre, die durchweg in allen Fällen zu vernünftigen und praxisnahen Ergebnissen führt und aus diesem Grunde auch von der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht zur Anwendung nachdrücklich empfohlen wurde. 114 Zu folgen ist daher der Vollzugslehre mit der Konsequenz einer Anwendbarkeit derjenigen völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze, die zum Zeitpunkt des Auslegungsvorganges gelten. c) Die Sprachenjrage
Charakteristisch für die DBA wie für viele internationale Verträge ist nun, daß sie in der Regel in zwei, oft auch in drei verschiedenen Landessprachen vereinbart werden, die in aller Regel auch für gleichermaßen verbindlich erklärt 110 Vg!. Boehmer, S. 78: "Der Bestand an unmittelbar vollziehbaren Vertragsnormen ist immer derselbe. unabhängig von der Art und Weise der Einführung dieser Normen in das nationale Recht." 111 Partsch, S. 20 f. 112 Partsch, S. 20 f. 113 Im Rahmen des dritten Kapitels wird die Frage zu erörtern sein, ob aus innerstaatlich für anwendbar erklärten Rechtsnormen völkerrechtlicher Verträge, die Einzelindividuen begünstigen, eine Vermutung für ein subjektiv-öffentliches Recht folgt. 114 Partsch, S. 161, These 19; ebenso Boehmer, S. 107; vg!. auch die angegebene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, sowie Vogel, DBA, Ein!. Rz. 21 a.E.
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
sind (vgl. auch Art. 33 I WVK). Entsprechend wird im Bundesgesetzblatt als Text des Abkommens, dem durch das Vertragsgesetz zugestimmt wird, eine mehrsprachige Fassung veröffentlicht. 115 Erstreckt sich nun der Anwendungsbefehl des Gesetzgebers nur auf den deutschen oder auch auf die fremdsprachigen Texte? Muß der nationale Rechtsanwender - also z.B. der Richter - alle Texte berücksichtigen oder darf er sich auf den deutschen beschränken ?
M osler hat dazu ausgeführt: "Ist eine der authentischen Sprachen die deutsche ( ... ), so ist m.E. nur die deutsche Fassung der richterlichen Entscheidung zugrundezulegen (. .. ). Die gleichwertige Behandlung aller Texte durch nationale Gerichte bringt große SChwierigkeiten mit sich und wird praktisch unmöglich, wenn mehrere nicht miteinander verwandte Sprachen maßgebend sind. Zwar ist eine gewohnheitsrechtliche Übung noch nicht nachweisbar. Auf der anderen Seite gibt es, soviel ich sehe, keine Vorgänge oder völkerrechtlich begründete Einwände, die eine solche Entwicklung hindern."116 Demgegenüber kommt die wohl herrschende Lehre genau zum entgegengesetzten Ergebnis. 117 Die innerstaatliche Maßgeblichkeit sämtlicher für authentisch erklärter Vertragssprachen ergibt sich für die Vollzugslehre aus dem Anwendungsbefehl des Gesetzgebers. 118 Dieser erstreckt sich auf den Vertrag als solchen. H9 Nach dem Willen des Gesetzgebers soll eine Beschränkung auf den Text in der einen oder anderen Sprache offenbar gerade nicht erfolgen. Der innerstaatlich geltende Vertrag besteht demgemäß aus einer Fassung, die alle Texte nebeneinander enthält. 120 Aber auch völkerrechtliche Gründe streiten für die Berücksichtigung aller authentischen Fassungen: Es ist davon auszugehen, daß die jeweiligen Vertragspartner sich gerade um der vertraglichen Verpflichtung des anderen willen völkerrechtlich binden wollen. Das bedeutet, daß die Verpflichtungen beider 115 Das DBA Griechenland wurde in deutsch, griechisch und englischverötTentlicht, BGBI. 1967 II, 853tT. und das DBA Japan in deutsch, japanisch und englisch, BGBI. 1967 II, 871 tT. um nur zwei Beispiele zu nennen. 116 Mosler, Praxis, S. 30. So auch Seidl-Hohenveldern, RIW 1957, 182; etwas anders ders. in Völkerrecht, Rz. 272, wo ein RückgritT auf den Urtext vorgeschlagen wird. 117 Boehmer, S. 80ff.; Partsch, S. 117ff.; insb. 119; Dölle, RabelsZ 1961, 4tT.; ebenso die neuere Untersuchung von Hilf, passim, insb. S. 233f. 118 Partsch, S. 119. 119 So heißt es in den Vertragsgesetzen zu den DBA üblicherweise: "Das Abkommen wird nachstehend veröffentlicht." Es folgen dann i. d. R. sämtliche authentischen Texte. Eine Ausnahme außerhalb des Bereichs der DBA bildet das deutsch-äthiopische Luftverkehrsabkommen vom 16. 04. 1958, bei dem kein ammarischer Text verötTentlicht wurde, vgl. BGBI. 1959 II, 1066f. 120 Boehmer, S. 84; Dölle, RabelsZ 1961,27. Zwar geht die vorliegende Untersuchung von der Richtigkeit der Vollzugstheorie aus, aber auch bei Zugrundelegung der Transformationslehre ergibt sich kein anderes Bild. Vgl. etwa Boehmer, S. 81 tT.; Partsch, S. 119; ebenso im Ergebnis Hilf, S. 231 tT. "unter Zurückstellung theoretischer Überlegungen über Vollzug und Transformation des Vertragsrechts ... auf induktivem Wege".
1. DBA im Spannungsfeld zwischen Völkerrecht und nationalem Recht
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Partner kongruent sein müssen. An eben dieser Kongruenz fehlt es aber, wenn sich die innerstaatlichen Rechtsanwender der Vertragsparteien auf eine Fassung in ihrer eigenen Sprache zurückziehen können und der Inhalt des Vertrages in dieser Sprache von dem der anderen abweicht. Es käme damit unausweichlich zu einem Auseinanderfallen von völkerrechtlicher Verpflichtung und innerstaatlichem Vollzug. Ist der deutsche Text gleichermaßen verbindlich, so bedeutet dies eben auch, daß die fremdsprachigen Texte die gleiche Bedeutung haben. Ein Vorrang des deutschen Textes läßt sich in diesen Fällen nicht rechtfertigen. Auch das mehr rechtspolitische Argument, daß dem innerstaatlichen Rechtsanwender die Kenntnis fremder Sprachen nicht immer zugemutet werden kann, geht m.E. fehl: Zwar ist ohne weiteres einsichtig, daß die Finanzämter oder die Finanzgerichte nur selten in der Lage sein werden, etwa das DBA Malaysia oder das DBA Japan in der zweiten Originalsprache zu lesen. Die entstehenden Schwierigkeiten können jedoch vermieden werden, wenn eine dritte Sprache vereinbart wird, deren Fassung in Zweifelsfällen verbindlich sein soll. Bei den genannten DBA ist dies Englisch. Mit der h.M. ist daher davon auszugehen, daß der Richter - falls der deutsche Text lediglich als gleichermaßen verbindlich bezeichnet wurde gleichwohl alle übrigen Texte in Betracht zu ziehen hat. Erst aus ihrer Gesamtheit ergibt sich der vereinbarte Vertragsinhalt. 2. Die unmittelbare Anwendbarkeit 121 Wie oben dargestellt, sind Normen des Völkerrechts, hier vor allem Normen des Völkergewohnheitsrechts, nur insoweit einer Anwendung durch innerstaatliche Rechtsanwender zugänglich, als sie unmittelbar anwendbar sind. Da in der vorliegenden Untersuchung die Frage einer subjektiven Berechtigung aus einer Norm eines DBA geprüft werden soll, ist hierauf einige Aufmerksamkeit zu verwenden. Dabei sollen folgende Punkte angesprochen werden: Offenbar ist zwischen innerstaatlicher Geltung und unmittelbarer Anwendbarkeit zu unterscheiden. Aber in welchem Zusammenhang stehen diese Begriffe? Welches sind die Kriterien für die unmittelbare Anwendbarkeit, und wie verhält sich schließlich die unmittelbare Anwendbarkeit zum subjektiven, ggf. subjektiv-öffentlichen Recht? Gleich vorab soll darauf hingewiesen werden, daß in diesem Bereich eine nicht unerhebliche terminologische Verwirrung herrscht. Bleckmann verwendet die Begriffe self-executing oder innerstaatliche bzw. unmittelbare Anwendbar121 Der Begriff unmittelbar anwendbar soll im folgenden das teilweise verwendete selfexecuting ersetzen, um im Rahmen des rechtsvergleichenden Teils im dritten Kapitel eine Verwechslung mit dem nur bedingt identischen Begriff aus dem amerikanischen Verfassungsrecht zu vermeiden.
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
keit. 122 Koller spricht einmal von Justitiabilität, ein Ausdruck, der den Eindruck erweckt, die Norm könne nur vom Richter angewandt werden 123, wobei bei ihm teilweise der Eindruck entsteht, die Justitiabilität sei eine Eigenschaft der unmittelbaren Anwendbarkeit. 124 Freund schlägt Interpretationsjähigkeit vor,125 ein Begriff, der als Bezeichnung für dieses Rechtsinstitut ungeeignet ist und Verwirrung stiftet. Gibt es überhaupt interpretationsunjähige Normen in des Ausdrucks wörtlicher Bedeutung? Außerdem gibt es noch die Begriffe Anwendungsreife 126 und Anwendungsjähigkeit. 127 M.E. ist der Terminus unmittelbare Anwendbarkeit am wenigsten der Möglichkeit einer Mißdeutung ausgesetzt. Im Gegensatz zu den anderen in diesem Zusammenhang verwendeten Begriffen läßt er erkennen, daß keine Konkretisierung des Norminhaltes durch einen Ausführungsakt des Gesetzgebers erforderlich ist (unmittelbar) und daß die fragliche Norm ferner Eigenschaften aufweist, die es ermöglichen, sie im Rahmen eines Rechtsanwendungsvorganges bei der Bestimmung einer Rechtsfolge heranzuziehen (Anwendbarkeit). a) Innerstaatliche Geltung -
unmittelbare Anwendbarkeit
Als unmittelbar anwendbar soll im folgenden eine Bestimmung eines völkerrechtlichen Vertrages angesehen werden, die zu direkter innerstaatlicher Anwendung durch innerstaatliche Normadressaten vorgesehen ist und von ihnen ohne weiteres befolgt werden kann. 128 Als nicht unmittelbar anwendungsfahig werden im folgenden solche Normen eines völkerrechtlichen Vertrages bezeichnet, die vom Vertragsstaat noch besondere gesetzgeberische Maßnahmen verlangen, um innerstaatlich einen Zustand herbeizuführen, der den auf völkerrechtlicher Ebene eingegangenen Verpflichtungen entspricht. 129
122 Vgl. etwa Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 123 ff.; der Begriff selj-executing ist aus den bei Fn. 121 genannten Gründen abzulehnen. 123 So zutreffend bereits Zuleeg, ZaöRV 1975, 351; Koller, S. 120, 72, 68. 124 Koller, S. 72: "Dieses Erfordernis (d.h. die unmittelbare Anwendbarkeit) erfollen jene Vertragsbestimmungen, die im Syllogismus der Rechtsfolgebestimmung als Obersatz verwendbar, kurz gesagt, justitiabel sind." 125 Freund, ÖZöR 1970, 121. 126 Rudolf, Völkerrecht, S. 175; auch Zuleeg, ZaöRV 1975, 351; Boehmer, S. 76. 127 Bernhardt, Abschluß, S. 26; Zuleeg, ZaöRV 1975,351; Boehmer, S. 76. 128 Zur Sprach- und Begriffsverwirrung bei der Terminologie für die deutsch-sprachige Schweiz vgl. Koller, S. 42 ff, dessen Diagnose mit Einschränkung auch für den bundesdeutschen Raum zuzustimmen ist. 129 Zur Unterscheidung unmittelbar, nicht unmittelbar anwendbar vgl. Bernhardt, Abschluß, S. 25ff.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rz. 394f.; Rudolf, Völkerrecht, S. 74f.; Boehmer, S. 8f.; Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 17ff.; VerdrossjSimma:'863ff.; Magiera in Menzeljlpsen, S. 63, 68 sowie Zuleeg, ZaöRV 1975, 341ff.
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Die Bedeutung der innerstaatlichen Geltung liegt nach dem bisher Gesagten auf der Hand. Aufgrund der auf völkerrechtlicher Ebene eingegangenen Verpflichtungen kann ein Staat gehalten sein, völkerrechtliche Verträge innerstaatlich durchzuführen. 130 Wie ein Staat diese Verpflichtungen erfüllt, ist ihm freigestellt. Bei den DBA hat die Bundesrepublik dieser Verpflichtung durch Erlaß eines Vertragsgesetzes genügt. Voraussetzung für eine unmittelbare Anwendbarkeit ist demnach zunächst die innerstaatliche Geltung. l3l 130 Es kann sich hierbei selbstverständlich nur um Verträge handeln, die darauf abzielen, in den Rechtsordnungen der Vertragspartner Wirkungen zu erzeugen. Hieran fehlt es z.B. bei Verträgen, die lediglich die Beziehungen der Staaten untereinander regeln. 131 Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 59; Koller, S. 67; Zuleeg, ZaöRV 1975, S. 347; Wildhaber, Erfahrungen, S. 334; vgl. auch BGHZ 17, 309 (313). Neuerdings wird von Ros, S. 66 ff, 189f. bestritten, daß die innerstaatliche Geltung eines völkerrechtlichen Vertrages notwendige Voraussetzung der unmittelbaren Anwendbarkeit der einzelnen Vertragsbestimmungen sei. Vielmehr könnten völkerrechtliche Vertragsbestimmungen auch in solchen Ländern unmittelbar angewendet werden, in denen sie nicht in die innerstaatliche Rechtsordnung inkorporiert seien. Zu diesem - überraschenden - Ergebnis gelangt Ros durch eine Analyse der Rechtsprechung britischer Gerichte. In einer Reihe von Entscheidungen haben die Gerichte des Vereinigten Königreichs die EMRK herangezogen, obwohl diese durch das Parlament nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt worden ist. Vgl. etwa Waddington v. Miah, (1974) 2 All.E.R. 377ff., 379f.; R. v. Secretary ofState for Horne Affairs, ex parte Bhajan Singh (1975),2 All.E.R.1081; Lord Denning, Master of the Rolls, führte in der zweiten dieser Entscheidungen wörtlich aus: "But I would dispute altogether that the convention is part of our law. Treaties and declarations do not become part of our law until they are made law by Parliament." Gleichwohl entfalte die EMRK eine gewisse Wirkung: ,,/fthe terms ofthe legislation are not clear. however. but are reasonably capable ofmore than one meaning. the treaty itselfbecomes relevant,for there is aprimafacie presumption that Parliament does not intend to act in breach ofinternationallaw. including therein specijic treaty obligations ... Thus. in case of lack of clarity in the words used in the legislation. the terms ofthe treaty are relevant to enable the courts to make its choice between the possible meaning ofthese words by applying this presumption." (Diplock J. in Salomon v. Commissioners of Customs and Excise, (1966) 3 All.E.R. 871 (875». Ros, S. 69 ist der Ansicht, bei dieser konventionskonformen Auslegung des Landesrechts handele es sich zweifellos um eine besondere Form der unmittelbaren Anwendung der EMRK. Dem ist zu widersprechen: Die Gerichte können ihre Urteile gerade nicht ohne weitere Ausführungsbestimmungen auf die Grundrechtsgarantien der EMRK stützen. Das zeigen die wiedergegebenen Ausführungen Lord Dennings im Falle Bhajan Singh besonders deutlich. Es handelt sich vielmehr um eine Form der völkerrechtsfreundlichen Auslegung von Landesrecht mit dem Ziel, dieses mit Verpflichtungen aus einem völkerrechtlichen Vertrag in Einklang zu bringen. Das bedeutet zweierlei: Zum einen wird in einem Regelungskonflikt zwischen einem englischen Gesetz und der EMRK stets das erstere den Vorrang genießen; vgl. hierzu den erwähnten Fall Bhajan Singh, (1975) 2 All.E.R. 1081 ff. und Ress, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 262f. Zum anderen gewährt die EMRK, die offenkundig nicht als solche innerstaatliches Recht ist, kein direktes, vor den Gerichten Englands durchsetzbares Recht. Demzufolge kann die EMRK immer dann keine Hilfe bei der Auslegung und Anwendung englischen Rechts geben, wenn das englische Recht den Anforderungen der EMRK deshalb nicht entspricht, weil Normen, die konventionskonform ausgelegt werden können, fehlen. Die britischen Gerichte lehnen deshalb eine konventionskonforme Rechtsschöpfung durch Richterspruch ab; vgl. Malone v. Commissioner of Police of the Metropolis, (1979) 2 All.E.R. 620, 638, 649; vgl. auch Ress,
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
Umstritten ist, ob auch die umgekehrte Aussage zutrifft, wonach die unmittelbare Anwendbarkeit der Verträge eine Voraussetzung ihrer innerstaatlichen Geltung ist. 132 Bleckmann weist jedoch im Grundsatz zutreffend darauf hin, daß für vollziehbar erklärtes Völkervertragsrecht insbesondere innerstaatlich auch andere Rechtswirkungen haben kann als die Anwendung durch nationale Gerichte und Behörden und die Begründung von Rechten und Pflichten. 133 Zu dieser mittelbaren Anwendung rechnet er u.a. die vertragskonforme Auslegung und die Einbeziehung des Vertrages in innerstaatliches Recht. 134 Bleckmann ist zuzugeben, daß diese Wirkungen entfallen müßten, wenn man den Vollzugsgegenstand zu eng faßt. Es ist daher der Ansicht zu folgen, wonach Verträge, die innerstaatlich nur irgendeine Wirkung haben können, auch für innerstaatlich vollzieh bar erklärt werden mit der Konsequenz, daß sie auch innerstaatliche Geltung haben. Anzuwenden sind diese Verträge natürlich nur, soweit sie innerstaatlich anwendbar sind. Die innerstaatliche Geltung beschränkt sich daher nicht auf die unmittelbar anwendbaren Vertragsbestimmungen. 135 Strebel vertritt demgegenüber die Auffassung, für die Vollzugslehre sei die innerstaatliche Geltung entbehrlich und führe zu unhaltbaren Folgerungen. 136 Jedenfalls im Bereich der DBA und damit auch allgemein kann Strebel nicht zugestimmt werden. Durch die DBA wird ein wechselseitiger Verzicht der Staaten auf bestimmte Besteuerungsformen vereinbart. Die Staaten vereinbaren also, daß unter gewissen Voraussetzungen eine bestimmte, ihnen innerstaatlich zustehende Steuer nicht erhoben wird. Demgemäß ordnet § 2 AO 1977 den Vorrang der DBA in diesen Fällen an. Ein solcher Steuerverzicht setzt jedoch voraus, daß die Vorschriften der DBA im innerstaatlichen Bereich gelten. 137 Europäische Menschenrechtskonvention, S. 263. Insgesamt läßt sich die Geltung der EMRK in Großbritannien daher im Gegensatz zu Ros bestenfalls als mittelbar anwendbar umschreiben. 132 In diesem Sinne etwa Rudolf, Völkerrecht, S. 167, 175,207; Partseh, S. 20; Pigorsch, S. 82ff.; a.A. Zuleeg, ZaöRV 1975, 347; Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 61 ff. 133 Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 62ff. 134 Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 84ff. 135 So zu Recht: Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 65; Zuleeg, ZaöRV 1975, 347 und für die Rechtslage in Österreich: Winkler, JBI. 1961,9. 136 Strebei, ZaöRV 1968, 516. Seiner Meinung nach handelt es sich beim Vollzugsbefehl und der Anwendung einer gänzlich fremden Rechtsordnung im Bereich des IPR um rechtstechnische Parallelen. Die von ihm kritisierte Auffassung, wonach der Vollzugsbefehl eine innerstaatliche Geltung bewirke, beruhe auf dem auch der Transformationstheorie zugrunde liegenden Unvermögen, sich die durch Rechtsnormen gebotene innerstaatliche Anwendung fremden Rechts anders vorzustellen als so, daß die fremde Rechtsordnung innerstaatlich gelte. 137 Vgl. hierzu Boehmer, S. 77f.; Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 63 bei Fn. 47 ist der Meinung, gerade an dieser Abänderung fehle es beim IPR.
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Hinzu kommt, daß durch den Vollzugsbefehllediglich die abstrakte Anwendbarkeit angeordnet wird, mithin eben das, was von der Transformationstheorie als innerstaatliche Geltung bezeichnet wird. 138 Strebeis Einwand ist daher zurückzuweisen. b) Das subjektiv-öffentliche Recht und sein Verhältnis zur innerstaatlichen Anwendbarkeit
Nicht alle Rechtsnormen, die innerstaatlich angewandt werden, begründen eine subjektive Berechtigung oder Verpflichtung. Nur ein Teil von ihnen kann daher ein subjektiv-öffentliches Recht vermitteln. Dabei ist das subjektivöffentliche Recht sowohl gegenüber der innerstaatlichen Geltung als auch gegenüber der unmittelbaren Anwendbarkeit ein Plus. Eine Vorschrift muß demgemäß, um für ein Individuum eine Berechtigung oder Verpflichtung erzeugen zu können, zum mindesten innerstaatlich gelten und unmittelbar anwendbar sein. 139 Darüber hinaus sind noch weitere Voraussetzungen erforderlich. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen darüber, daß ein Rechtssatz, der innerstaatlich nicht einmal für verbindlich erklärt worden ist, natürlich auch keine Rechte für den Einzelnen vor nationalen Gerichten oder Behörden beinhalten kann. Dasselbe gilt - mutatis mutandis - für einen völkerrechtlichen Vertrag, bei dem noch Ausführungsmaßnahmen der vertragsschließenden Partei ergehen müssen. 140 Demgemäß ist festzuhalten, daß subjektive Rechte und Pflichten die stärkste Form der innerstaatlichen Anwendbarkeit darstellen. 141 Umgekehrt ergibt sich aus der Feststellung, daß einer Norm die unmittelbare Anwendbarkeit fehlt, gleichzeitig die - unausweichliche -Konsequenz, daß diese Norm dann auch keine subjektiven Rechte und Pflichten erzeugen kann. Es handelt sich also um nicht deckungsgleiche Begriffe, die daher auch zu unterscheiden sind.
138 Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 64 bei Fn. 47 a.E. Der Begriff der innerstaatlichen Anwendbarkeit soll daher im oben beschriebenen Sinne weiter verwendet werden, obwohl nach der hier vertretenen Ansicht der Vollzugslehre zu folgen ist. 139 Zuleeg, ZaöRV 1975, 357; Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 102f.; unrichtig in diesem Punkt Winkler, JBI. 1961,8, der insoweit nicht zwischen innerstaatlicher Anwendbarkeit und subjektiver Berechtigung differenziert. Undeutlich Öhlinger, S. 139f., der die oben dargestellten Zusammenhänge zwischen innerstaatlicher Geltung und unmittelbarer Anwendbarkeit nur z.T. mit der historischen Entwicklung der Problemstellung im österreichischen Verfassungsrecht als vereinbar ansieht (Fn. 86). 140 Auf die abweichende Rechtslage im Europäischen Gemeinschaftsrecht bei Richtlinien sei hingewiesen, vgl. EuGHE 1979, 1629 (1642,1645) (Ratti); sowie EuGHE 1974, 1337 (van Duyn). 141 So zutreffend Zuleeg, ZaöRV 1974, 358; in diesem Sinne auch Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 103; ebenso Kneucker, JBI. 1968, 607.
4 Gloria
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
c) Das Problem der Zuordnung der innerstaatlichen Anwendbarkeit
Es bedarf keiner weiteren Ausführungen darüber, daß eine Antwort auf die Frage, ob eine Norm unmittelbar anwendbar ist, nur durch die Auslegung gefunden werden kann. Dabei sind - wie dargelegt - die völkerrechtlichen Auslegungsregeln heranzuziehen; auszulegen ist die Völkerrechtsnorm. Damit bleibt aber noch offen, welcher Rechtsordnung das Rechtsinstitut der unmittelbaren Anwendbarkeit nun zuzuordnen ist, dem nationalen Recht mit der Folge, daß ausschließlich dieses darüber entscheidet, welche Vorschriften unmittelbar anwendbar sind, oder dem Völkerrecht. Es kann kaum Zweifel darüber bestehen, daß die innerstaatliche Geltung völkerrechtlicher Verträge ausschließlich Sache des Landesrechts ist. 142 Nur der einzelne Staat selbst kann darüber entscheiden, ob und wie ein Vertrag in das Landesrecht eingeführt wird. Man kann daher ohne weiteres die Aussage machen, daß das Völkerrecht über die innerstaatliche Geltung einer Vertragsvorschrift keine Regelungen bereitstellt. Es kommt insoweit nur auf das Ergebnis an. Ausgesprochen kontrovers ist dagegen, welcher Rechtsordnung das Rechtsinstitut der unmittelbaren Anwendbarkeit zuzurechnen ist. Für die einen kann dies nur die nationale Rechtsordnung sein. l43 Im wesentlichen werden folgende Argumente vorgetragen: (1) Zum einen wird behauptet, "whether or not treaties shallform a 'part ofthe Law ofthe land' is determinednot by internationallaw, but by the constitution or the constitutional practice of the individual state. States are free to enact a norm of internallaw which, in attributing to treaties a self-executing effect, renders them directly and immediately applicable by their courts and other authorities." 144
Dieses Argument basiert auf der - zutreffenden - Beobachtung, daß es ausschließlich dem Landesrecht obliegt, ob und in welcher Form internationale Verträge in das Landesrecht eingeführt werden und welchen Rang sie in der Normenhierarchie erhalten. Daher setzt diese Ansicht für einen unmittelbar anwendbaren Vertrag voraus, daß es eine Verfassungsbestimmung im Landesrecht gibt, die internationale Verträge in das Landesrecht inkorporiert. 145 142 Koller, S. 120, der zwischen landesrechtlicher und völkerrechtlicher Theorie unterscheidet, äußert sich zu diesem Thema in dem Abschnitt über die völkerrechtliche Theorie. 143 Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 123ff.; Bernhardt, Abschluß, S. 26; Verdross, Völkerrecht, S. 122; vgl. ferner Koller, S.114m. w. N.; ebenso Riesen/eid, AJIL 1971, 550. 144 Preuss, S. 96. 145 Vgl. Preuss, S. 87f., 92f., 96; ebenso Riesen/eid, AJIL 1971, 550: ..It seems much more reasonable to consider the self-executing or executory nature 0/ international conventions a matter depending primary upon constitutionallaw 0/ each nation rather than a dubious intent 0/ the parties."
1. DBA im Spannungsfeld zwischen Völkerrecht und nationalem Recht
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Demgemäß können nur Verträge, die das Landesrecht als Rechtsquelle ansieht oder transformierte Verträge innerstaatlich anwendbar sein. Diese - stark vom amerikanischen Verfassungsrecht her argumentierendeAnsicht beruht auf der überkommenen Verbindung der innerstaatlichen Geltung und der unmittelbaren Anwendbarkeit. 146 Daß das eine zweifellos eine Frage des nationalen Verfassungsrechts ist, während das andere sich aus der Natur der jeweiligen Völkervertragsnorm ergeben muß, folgt schon aus der Tatsache, daß verschiedene nationale Rechte die Unterscheidung zwischen unmittelbar und nicht unmittelbar anwendbaren Vertragsnormen kennen. Denn daß völkerrechtliche Verträge zum Teil sofort durch das Vertragsgesetz innerstaatliche Verbindlichkeit erhalten, während ein anderer Teil staatlicher Ausführungsgesetze bedarf, ergibt sich nicht aus dem nationalen Verfassungsrecht und kann daher nur dem fraglichen Vertrag bzw. seinen Vorschriften immanent sein. Ob eine Norm also unmittelbar anwendbar ist, folgt aus ihrem Wesen als Bestandteil des Völkerrechts und kann auch nur daher beantwortet werden. 147 (2) Im Zusammenhang mit den obigen Ausführungen steht auch ein weiteres Argument der landesrechtlichen Theorie: Es wird gesagt, daß in der Regel nationale Instanzen, also Gerichte oder Behörden, darüber zu entscheiden hätten, ob sie eine Vertragsnorm unmittelbar anwendeten oder nicht. 148 Diese innerstaatlichen Rechtsanwender könnten aber Völkerrecht nur dann und soweit anwenden, als das nationale Recht sie dazu berechtige. Die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit - so schlußfolgert man daher - könne sich mithin nur aus dem Landesrecht ergeben, sei eine Frage des nationalen Verfassungsrechts. l49 Zur Widerlegung dieser Ausführungen kann im wesentlichen auf das bereits Gesagte verwiesen werden. Nimmt man die Unterscheidung zwischen innerstaatlicher Geltung und unmittelbarer Anwendbarkeit ernst, so muß der nationale Richter ausschließlich nationales Recht heranziehen, wenn er untersucht, ob eine Norm innerstaatlich gilt. Das Völkerrecht dürfte hierzu nichts hergeben. Ist dies aber erst einmal festgestellt, kann die weitere Untersuchung nur bei der Norm als solcher fortfahren. Aus den Eigenschaften dieser Norm, gewonnen durch Auslegung, muß sich daher die unmittelbare Anwendbarkeit ergeben. 150 Daß die innerstaatliche Geltung für die unmittelbare Anwendbarkeit Voraussetzung ist, wurde oben bereits festgestellt. So zutreffend Koller, S. 120. Koller, S. 120 verengt seine Argumentation, die mit der hier vorgetragenen im Ausgangspunkt übereinstimmt, auf die Rechtslage im amerikanischen Verfassungsrecht, wobei er zum gleichen Ergebnis gelangt. 14!1 Darstellung bei Koller, S. 116; vgl. ferner Wink/er, Jßl. 1961,9. 149 So vor allem Wink/er, JBl. 1961,9. ISO Unzutreffend daher auch die Kritik von Wink/er, JBl. 1961,9 an der Vorgehensweise 146 147
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
(3) Bleckmann geht davon aus, das Rechtsinstitut der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge werde - obwohl es sich um ein einheitliches Sachproblem handele - von Prinzipien unterschiedlicher Herkunft beeinflußt, die z.T. dem Völkerrecht und z.T. dem Landesrecht entstammten. lSl Es müsse daher eine Norm geben, die das Zusammenwirken dieser Prinzipien regele. Aus dem Blickwinkel der innerstaatlichen Vollzugsorgane gesehen, könne diese umfassende Norm nur dem Landesrecht angehören. Denn der Vollzug der Völkerrechtsnormen im innerstaatlichen Raum müsse grundsätzlich der Entscheidung der Staaten vorbehalten bleiben. 152 Bleckmann ist entgegenzuhalten, daß nach der hier vertretenen Vollzugslehre innerstaatlich gerade Völkerrechtsnormen zur Anwendung kommen, die dadurch in den innerstaatlichen Rechtsraum eindringen, daß durch den Vollzugsbefehl die entgegenstehende staatliche Souveränität beseitigt wird. Durch den Vollzug wird das Völkerrecht auch inhaltlich nicht verändert. 153 Es bedeutet zum einen, daß eine Völkerrechtsnorm, der die Eigenschaft fehlt, innerstaatlich anwendbar zu sein, diese durch den Vollzugsbefehl nicht erwirbt. Und dies muß auch bedeuten, daß das Landesrecht keinen Einfluß auf die unmittelbare Anwendbarkeit hat, wenn eine Völkerrechtsnorm diese Eigenschaft aufweist.
Die unmittelbare Anwendbarkeit ist mithin eine Eigenschaft einer Vertragsvorschrift, die primär dem Völkerrecht zuzuordnen ist. (4) Aus den genannten Gründen ist hier also der völkerrechtlichen Theorie der Vorzug zu geben. Die unmittelbare Anwendbarkeit ist damit dem Völkerrecht zuzurechnen und kann - unabhängig vom Recht des einzelnen Staates - nach gemeinsamen Grundsätzen diskutiert werden. l54
des OGH, soweit er kritisiert, daß von diesem Gericht zu Unrecht völkerrechtliche Überlegungen angestellt worden seien. 151 Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 125f.; vgl. wieder Riesen/eid, AJIL 1971, 550. 152 Zuleeg, ZaöRV 1975, 349f. hält diese Argumentation für eine anfechtbare begriffiiche Ableitung. Ob sich aus einer Rechtsnorm eine konkrete Rechtsfolge ableiten ließe, erschließe sich mit Hilfe der Interpretation. Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge folge den Regeln des Völkerrechts. Dementsprechend sei für die Ausführungsbedürftigkeit in erster Linie das Völkerrecht ausschlaggebend. M.E. ist die Kritik in dieser Form nicht schlüssig. Aus der Tatsache, daß völkerrechtliche Verträge nach den Regeln des Völkerrechts ausgelegt werden, folgt nicht, daß auch für die Ausführungsbedürftigkeit das Völkerrecht maßgeblich ist. Denn die völkerrechtlichen Auslegungsregeln stellen lediglich ein auf die Bedürfnisse der Staaten zugeschnittenes Instrumentarium dar. Über Eigenschaften von Normen des nationalen Rechts oder des Völkerrechts oder ihr Verhältnis zueinander, treffen diese Regeln keine Aussage. 153 Bleckmann geht allerdings insoweit als Anhänger der Transformationslehre von anderen Voraussetzungen aus. 154 So schon Zuleeg, ZaöRV 1975, 350.
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d) Kriterien für die unmittelbare Anwendbarkeit
aa) Objektive Kriterien Kriterien für die unmittelbare Anwendbarkeit einer Vorschrift eines völkerrechtlichen Vertrages sind zuerst vom Reichsgericht entwickelt worden. Es verwendete zur Abgrenzung folgende Formel: "Soweit eine Vorschrift nach Inhalt, Zweck und Fassung ohne weiteres, d.h. ohne daß es noch eines weiteren völkerrechtlichen oder staatsrechtlichen Aktes bedarf, privatrechtliche Folgen auszulösen geeignet ist, kann sich der einzelne darauf berufen." 155
Auch in der Lehre ist breite Zustimmung zu dieser Formel festzustellen. 156 Nachdem der Bundesgerichtshof die Formel zunächst übernommen hatte 157 , wurde sie in späteren Entscheidungen um ein subjektives Element ergänzt: "Die in den Abkommen enthaltenen Vorschriften können danach unmittelbar privatrechtliche Wirkungen ausüben, wenn Inhalt, Zweck und Fassung der einzelnen Vorschriften mit voller Klarheit die Annahme zuläßt, daß eine solche Wirkung gewollt sei." 158
Maßgeblich nach der modifizierten BGH-Rechtsprechung ist nun der Wille der Vertragsparteien; auf ihn kommt es entscheidend an. Das Bundesverfassungsgericht stellt demgegenüber den Vertragstext in den Vordergrund: "Nur solche völkerrechtlichen Vertragsbestimmungen können durch das Zustimmungsgesetz in innerstaatlich anwendbares Recht umgesetzt werden, die alle Eigenschaften besitzen, welche ein Gesetz nach innerstaatlichem Recht haben muß, um berechtigen und verpflichten zu können; die Vertragsbestimmung muß nach Wortlaut, Zweck und Inhalt wie eine innerstaatliche Gesetzesvorschrift rechtliche Wirkungen auszulösen geeignet sein. Nur unter diesen Voraussetzungen entstehen für den Staatsbürger verbindliche Rechtsnormen. Daher kann eine völkerrechtliche Abrede, die lediglich eine Verbindlichkeit gegenüber dem Vertragspartner begründet, ihrem Wesen nach nicht für die Entscheidung eines Rechtsstreits erheblich sein." 159 RGZ 117,284 (285); 119, 156 (162); 121,7 (9f.); 124, 204 (205). Vgl. etwa M osler, Praxis, S. 20; Bernhardt, Abschluß, S. 26; Boehmer, S. 8; Pigorsch, S. 84; Rudolf, S. 173; eine etwas andere Formulierung, wohl aber ohne in der Sache etwas anderes zu meinen, benutzt Ermacora in IBl. 1962, 19: "Eine Norm ist unmittelbar anwendbar, wenn sie einen zeitlichen, räumlichen, sachlichen und personellen Geltungsbereich besitzt und diese Geltungsbereiche so bestimmt sind, daß aus ihnen das Sollen des einzelnen und der staatlichen Vollzugsorgane einwandfrei hervorgeht." IS7 BGHZ 11, 135 (138) verweist auf die angegebenen RG-Entscheidungen. IS8 BGHZ 18, 22 (26); vgl. auch BGHZ 17, 309 (313). Interessant ist, daß der BGH als Belegstelle beide Male die zitierten RG-Entscheidungen heranzieht, die jedoch den Willen der Vertragsparteien aus dem Spiel lassen. Siehe ferner BGHZ 52, 383. ISS
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Einschränkend meint es in einer späteren Entscheidung, daß völkerrechtliche Verträge in der Regel nur Rechtsbeziehungen im Verhältnis der vertragsschließenden Parteien begründen: "Die Festlegung von Rechtspflichten oder Rechtsansprüchen for einzelne Bürger ist nach allgemeiner Ansicht eine Ausnahme, die nur bei entsprechend klarem Inhalt im Vertragstext als vereinbart gilt."I60 Auch der Bundesfinanzhof hatte mehrfach Gelegenheit, Normen auf ihre unmittelbare Anwendbarkeit zu überprüfen. Im Mittelpunkt einer Reihe von Entscheidungen stand das GATT. Im Anschluß an die überwiegende Meinung in der Bundesrepublik stellt das Gericht fest, die Grundsätze des GATT könnten "keine unmittelbare Anwendung finden, weil diese internationalen Abkommen nach der herrschenden Meinung zwar die Vertragsstaaten binden, nicht aber Recht schaffen, aus dem der einzelne Staatsbürger unmittelbare Ansprüche herleiten kann."161 Gegenstand eines Vorlagebeschlusses des BFH gern. Art. 177 EWGV war die Frage, ob Art. 97 EWGV "in dem Sinne selj-executing (sei), daß er dem einzelnen Staatsbürger das Recht gibt, im Wege der Anfechtungsklage gegen den Steuerbescheid im Einzeljall durch den nationalen Richter die Vereinbarkeit des gesetzlichen Durchschnittssatzes mit den Grundsätzen des Art. 95 EWGV nachprüfen zu lassen. "162 Als Ergebnis der bisherigen Untersuchung der deutschen Judikatur läßt sich demnach feststellen, daß die Gerichte folgende Eigenschaften bei einer Norm als gegeben sehen wollen, um ihre unmittelbare Anwendbarkeit bejahen zu können:
1. Die Norm darf zu ihrer Durchführung und Wirksamkeit keines innerstaatlichen Ausführungsaktes mehr bedürfen. 163
2. Die Vorschrift muß klar und ausreichend bestimmt sein, so daß sich konkrete Rechtsfolgen daraus ableiten lassen. 1M Hieran fehlt es, wenn den VertragsBVerfGE 29, 348 (360). BVerfGE 41, 126 (169); vgl. auch BVerfGE 40, 141 (164f.) 161 BFHE 68, 431 (435); vgl. ebenso BFHE 69, 604 (612); 73, 399 (411); FG Hamburg EFG 1970, 145; FG München EFG 1970, 144. Ein rechtsvergleichender Blick zeigt, daß dieses Ergebnis so klar nicht zu sein scheint: Die Eigenschaft als self-executing bejaht der California Appellate Court in Baldwin-Lima-Hamilton Corp. v. Superior Court 208 C.A. 2d 803, 25 Cal.Rptr. 798 (1962); gegenteilige Ansicht: Supreme Court, Erie County in: American Institute for Imported Steel , Inc. v. County of Erie, 58 Mise. 2d 1059, 297 N.Y.S. 2d 602 (1968) mit Anm. Evans, AJIL 1970,412f.; zum ganzen vgl. Riesen/eid, AJIL 1971, 548. 162 BFHE 89, 52ff. In dem hierzu ergangenen Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften stellte dieser fest, daß Art. 95 I EWGV unmittelbare Wirkungen erzeuge und individuelle Rechte des einzelnen begründe, EuGHE 1968, 216 ff (217); vgl. auch schon EuGHE 1966, 256 zu Art. 95 I, III EWGV,ergangen aufVorlagebeschluß des FG des Saarlandes. 163 Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 290f.; Ros, S. 23; RGZ 119, 156 (162); 121,7 (9); 124, 204 (205). 159 160
I. DBA im Spannungsfeld zwischen Völkerrecht und nationalem Recht
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staaten ein erheblicher Entscheidungsspielraum beim Vollzug einer Vertragsvorschrift zusteht. 3. Die Norm muß nach Wortlaut, Zweck und Inhalt das Individuum berechtigen oder verpflichten können. Diese Voraussetzung fehlt bei Normen, die lediglich an die Staaten adressiert sind und diese zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen verpflichten. 165 Da bereits oben festgestellt wurde, daß das Institut der unmittelbaren Anwendbarkeit eine Eigenschaft der Völkerrechtsnorm ist, folgt hieraus zwingend, daß auch nur das Völkerrecht bzw. eine am Völkerrecht orientierte Auslegung Auskunft darüber geben kann, ob eine Norm unmittelbar anwendbar ist oder nicht. Es kann daher nicht dazu kommen, daß ein und dieselbe Vertragsbestimmung in dem einen Staat der unmittelbaren Anwendung fähig ist, im anderen dagegen nicht. 166 Dies ist für die Staaten, die das Verhältnis von Landesrecht und Völkerrecht im Sinne des Monismus definieren, ohne weiteres eindeutig. Aber auch die hier vertretene Vollzugstheorie nötigt zu dieser Annahme. Denn die Völkerrechtsnorm, der die Eigenschaft unmittelbarer Anwendbarkeit eigen ist, ändert ihren Charakter durch den Vollzugsakt ja gerade nicht, da dieser nur die entgegenstehende Souveränität beseitigt. bb) Das subjektive Element Neben den genannten objektiven Kriterien wird zum Teil in der Literatur noch ein subjektives Kriterium verlangt. Dieses subjektive Merkmal soll darin bestehen, daß nach dem Willen der Vertragsparteien die unmittelbare innerstaatliche Anwendbarkeit gewollt sein muß, bzw. daß die entsprechenden Vorschriften subjektive Rechte und Pflichten begründen sollten. 167 Diese Ansicht ist abzulehnen. Dagegen sprechen zunächst rein praktische Gründe. Eine Einigung der Vertragsparteien darüber, daß der Vertrag oder einzelne Normen unmittelbar anwendbar sein sollen, fehlt in der Regel. 168 Die unmittel164 Öhlinger, S.142f.; RGZ 121, 7 (9); BVerfGE 29,348 (360); Öst.VGH JBI. 1961,362; vgl. auch Winkler, JBI. 1961, 8 (11). 165 BVerfGE 29, 348 (360); Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 262ff. Als Beispiel seien internationale Kreditverträge genannt. 166 So aber Boehmer, S. 9. Er möchte den Vertragsinhalt der Rechtsordnung des Staates, in dem der Vertrag angewendet wird, gegenüberstellen. Abzulehnen ist auch die Ansicht des Österreichischen VGH, JBI. 1961, 352f., der in einem Urteil zu Art. 6 EMRK die Auffassung vertreten hat, die Unbestimmtheit der wenigen, in Art. 6 enthaltenen Begriffe, die einer ausgebauten zivil- und strafprozessualen Ordnung gegenüberstanden, zwinge zu dem Schluß, Art. 6 stelle noch kein unmittelbar anwendbares Recht dar. 167 Für ein solches subjektives Merkmal: Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 17ff.; 44ff.; 157ff.; Koller, S. 37ff.; 97f.; BGHZ 45, 46 (49); 52, 383; 18,22 (26); 17,309 (313); FG Hamburg AWD 1970, 91; Winkler, JBI. 1961, 8, (11 f.); unter Berufung auf Verdross, Völkerrecht, S. 122; Bernhardt, Abschluß, S. 26; Miehsler, JBI. 1965,571; P.C.U., Series B, No. 15, S. 17 (Danziger Beamtenabkommen). 168 So zutreffend Morvay, ZaöRV 1961, 94f. (Fn. 27); Boehmer, S. 8.
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
bare Anwendbarkeit läßt sich daher nur mit Hilfe einer Auslegung des Vertragstextes erschließen. Wird nun bei der Auslegung auf den Willen der Vertragsparteien rekurriert, handelt es sich im Prinzip um eine Auslegung nach dem subjective approach, gegen die auch alle hiergegen erhobenen Einwände geltend gemacht werden können. 169 Obwohl hier die Ansicht, es sei ein subjektives Merkmal erforderlich, zurückgewiesen werden mußte, fragt es sich gleichwohl, ob nicht bei jeder Auslegung ganz zwangsläufig der Wille der Vertragsparteien zu berücksichtigen ist. Denn der Vertragstext ist Ausfluß des Willens der Vertragsparteien. Bleckmann hat deshalb die Ansicht vertreten, daß die meisten Voraussetzungen der innerstaatlichen Anwendbarkeit objektiv und subjektiv formuliert werden können. 170 Ob und inwieweit der Wille der Vertragsparteien bei der Auslegung zu berücksichtigen ist, wird im folgenden Abschnitt noch näher zu untersuchen sem. Vorliegend geht es jedoch um die methodische Frage, ob bestimmte Eigenschaften von Normen völkerrechtlicher Verträge aus dem Wortlaut als dem objektivierten Parteiwillen und gegebenenfalls anderen, ebenfalls objektivierten Auslegungsmitteln wie dem Kontext oder Vertragsmaterialien entnommen werden sollen, oder ob statt dessen den mitunter zweifelhaften subjektiven und schwer verifizierbaren Vorstellungen der Parteien der Vorrang einzuräumen ist. Die Problematik dieser zwei Ansichten zeigt sich gerade im Doppelbesteuerungsrecht deutlich: Bekanntlich werden die DBA weitestgehend an einen der Musterentwürfe angelehnt abgeschlossen. 171 Es handelt sich mithin um Parallelabkommen. Soll nun bei gleichem Wortlaut die unmittelbare Anwendbarkeit von unterschiedlichen Vorstellungen der Vertragsparteien abhängen?
169 Vgl.etwa Lagoni in Menzel/lpsen, S. 319 m. w. N.; eine ausführliche Auseinandersetzung erfolgt unten. Soweit Morvay, ZaöRV 1961, 94 Fn. 27 darauf abstellt, auf das subjektive Merkmal sei zu verzichten, da grundsätzlich nicht anzunehmen sei, daß die Vertragspartner sich auf eine bestimmte Art der innerstaatlichen Verwirklichung vertraglich geeinigt hätten und es deshalb ausschließlich ihre Angelegenheit sei, wie dies geschehe, ist demnach nach der neueren, auch hier vertretenen Lehre nicht mehr zu folgen. Denn Morvay und ihm folgend wohl auch Boehmer, S. 8, trennt nicht zwischen innerstaatlicher Geltung und unmittelbarer Anwendbarkeit. Die Ablehnung des subjektiven Merkmals wird auch von Teilen der amerikanischen Rechtslehre geteilt. Vgl. Riesen/eid, AJIL 1971, 550; "It seems much more reasonable to consider the self-executing or executory nature 0/ international conventions a matter depending primarily upon the constitutionallaw 0/ each nation rather than upon the dubious intent 0/ the parties." 170 Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 157. 171 Wie weit, zeigt die Konzeption des DBA-Kommentars von Vogel, der sämtliche Einkommenssteuer-D BA anhand des 0 ECD-Musterabkommens kommentiert und lediglich auf Abweichungen hinweist.
I. DBA im Spannungsfeld zwischen Völkerrecht und nationalem Recht
e) Vertrag oder Vertragsbestimmung -
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Gegenstand der Anwendbarkeit
Mit dem Bundesverfassungsgericht ist davon auszugehen, daß die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit grundsätzlich jeweils auf die einzelne, zu untersuchende Norm zu beziehen ist. 172 Das schließt selbstverständlich nicht aus, daß im Einzelfall zur Auslegung einer Vertragsvorschrift z.B. bei der systematischen Auslegung andere Vorschriften dieses Vertrages herangezogen werden können, und zwar selbst dann, wenn diese ihrerseits nicht unmittelbar anwendbar sind. Dieser Grundsatz kann jedoch dann durchbrochen sein, wenn es möglich ist, ausgehend vom Wesen des Vertrages bereits auf die unmittelbare Anwendbarkeit oder ihr Fehlen zu schließen. So hat bereits Bleckmann darauf hingewiesen, daß die belgische, italienische und französische Rechtsprechung allgemein die Anwendbarkeit von Auslieferungsverträgen ablehnt. 173 Es handelt sich nach der Auffassung der Gerichte dieser Staaten um politische Verträge, die nicht in die Zuständigkeit der Gerichte fielen. Es erscheint in diesem Sinne durchaus einleuchtend und konsequent, die unmittelbare Anwendbarkeit der Einzelnorm bereits dann und ohne nähere Prüfung zu verneinen, wenn sich dies aus dem Wesen des Vertrages ergibt. Aber gilt dies auch im umgekehrten Fall, daß der Vertrag seinem Wesen nach eine unmittelbare Anwendbarkeit zuläßt oder sogar intendiert?174 Hier sind Zweifel angebracht. Selbst ein völkerrechtlicher Vertrag, der dem Wesen nach unmittelbar anwendbar ist, kann Vorschriften enthalten, die dies nicht sind. 175 Das Ergebnis, daß ein Vertrag sich grundsätzlich zur unmittelbaren Anwendbarkeit eignet, befreit mithin nicht von der Notwendigkeit einer sorgfältigen Prüfung der Einzelvorschrift. Soweit also diese Prüfung beim Vertrag ansetzt, kann nur die negative Feststellung der Nicht-Anwendbarkeit weiterhelfen. Da dies die Ausnahme zu sein scheint, wird es in der Regel richtig sein, bei der Einzelnorm zu beginnen. f) Begründung innerstaatlicher subjektiver Rechte durch das Völkerrecht oder das nationale Recht
Nachdem feststeht, daß die unmittelbare Anwendbarkeit eine völkerrechtliche Eigenschaft ist, fragt es sich weiter, welche Rechtsordnung nun dem 172 BVerfGE 29,348 (360); ebenso die zitierten Entscheidungen des RG und des BGH. Eine ausführliche Analyse hierzu findet sich bei Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 147 m.w.N. 173 Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 149. 174 So hat etwa der italienische Verfassungsgerichtshofim Fall der Kriegsgefangenenkonvention von 1949 nur aus dem Vertrag in seiner Gesamtheit versucht, subjektive Rechte herzuleiten; vgl. Giurisprudenza costituzionale 1966, S. 199. 175 Man denke nur an die Übergangs- und Schlußbestimmungen, die Verträgen üblicherweise beigefügt sind. Als Beispiel siehe die Kündigungsfrist in Art. 30 I DBA Argentinien.
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
Individuum innerstaatlich Rechte verleiht, das Völkerrecht oder das Landesrecht. Bleckmann hat zutreffend darauf hingewiesen, daß die Lehre von den subjektiven Rechten nichts anderes ist als eine Subjektivierung der Rechtsquellenlehre. 176 Die Frage, ob im Fall eines Vertrages nun die entsprechenden innerstaatlichen subjektiven Rechte durch den Vertrag selbst oder durch das im Vollzug dieses Vertrages ergangene parallele Landesrecht begründet werden, ist im wesentlichen schon durch die vorgelagerte Entscheidung für Monismus oder Dualismus beantwortet. Nach dualistischer Ansicht wird ein subjektives Recht zwar möglicherweise durch die Völkerrechts norm vermittelt, bekommt eine innerstaatliche Wirksamkeit jedoch erst durch die Einbeziehung in nationales Recht. Sind mit dem Begriff der subjektiven Rechte jedoch subjektive Rechte im technischen Sinn angesprochen, so kann schon der Begriff des subjektiven Rechtes in verschiedenen Landesrechten differieren, so daß nur vom nationalen Recht zu beantworten ist, was ein subjektives Recht ist, und wozu es erforderlich ist. In diesem Zusammenhang sind wieder zwei Fragen sorgfältig zu trennen: Das Landesrecht enthält generelle Normen, die die Voraussetzungen und Rechtsfolgen innerstaatlicher subjektiver Rechte bestimmen. Diese Normen begründen aber die so definierten subjektiven Rechte nicht. Begründet werden diese Rechte in der Regel durch andere Rechtssätze. 177 Die generelle innerstaatliche Norm, die die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der subjektiven Rechte festlegt, kann nun die Entstehung solcher Rechte an den Willen des Rechtssatzes knüpfen, so definierte subjektive Rechte zu begründen. Selbst wenn der Vertrag innerstaatlich nicht als solcher, sondern durch Vermittlung eines Gesetzes gilt, beruht die Begründung dieser subjektiven Rechte dann unmittelbar auf dem Völkerrecht. 178 Jellinek beschreibt dies dahin, das Völkerrecht schaffe gleichsam den Rechtsinhalt, das materielle Element dieser Bestimmungen, die dem einzelnen als Befehle der Staatsgewalt entgegentreten. 179 Damit ist freilich noch nichts darüber ausgesagt, auf welcher Grundlage im Völkerrecht die Unterscheidung zwischen bloß geschützten Interessen und subjektiven Rechten der Individuen getroffen werden muß. Hier ist jeweils eine gründliche Auslegung der jeweils in Rede stehenden Völkerrechtsnorm erforderlich. Dabei sind grundsätzlich die gleichen Überlegungen, die im innerstaatlichen Recht zur Unterscheidung zwischen subjektiven Rechten und Rechtsreflexen angestellt werden, ausschlaggebend. 180 Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 178. Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 178. 178 Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 179. 179 Jellinek, Subjektive Rechte, S. 328. 180 Schwarze, AVR 1986, 415. Auf die mit diesem Themenkomplex zusammenhängenden Fragen wird unten noch zurückzukommen sein. Vgl. 3. Kapitel, III. 176 177
H. Zur Auslegung von DBA
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11. Zur Auslegung von DBA "There is no part of the law of treaties wh ich the textwriter approaches with more trepidation than the question of interpretation." 1
Dieses Zitat spiegelt die allgemeine Unsicherheit der älteren Völkerrechtslehre gegenüber der Vertragsauslegung zutreffend wieder. Mag diese auch im allgemeinen Völkerrecht seit Geltung der WVK geringer geworden sein, bei den DBA ist sie es nicht.
1. DBA und nationales Steuerrecht Die DBA sind Teil des internationalen Steuerrechts. 2 Sie sind innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht. 3 Sie gehen gern. § 2 AO 1977 den allgemeinen Steuergesetzen vor, sind also leges speciales. Die DBA sind gleichzeitig ein System von wechselseitigen Steuerverzichten der jeweiligen Vertragspartner. Um der Vermeidung der volkswirtschaftlich unerwünschten Doppelbesteuerung willen verzichten die Vertragspartner auf einen Teil der ihnen an sich (nach nationalem Steuerrecht) zustehenden Steueransprüche. Der Reichsfinanzhof hat hierzu in einer grundlegenden Entscheidung wie folgt Stellung genommen: "Die bisher vom Deutschen Reich abgeschlossenen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung suchen regelmäßig ihr Ziel durch Aufteilung des Besteuerungsrechts hinsichtlich der verschiedenen Steuerquellen zu erreichen. Es werden also durch ein Doppelbesteuerungsabkommen die nach dem Steuerrecht der vertragsschließenden Staaten bestehenden Steueransprüche nach Maßgabe der in dem Abkommen getroffenen Bestimmungen eingeschränkt oder unberührt gelassen. Mithin bleiben trotz des Abschlusses eines Doppelbesteuerungsabkommens for die in ihm behandelten Steuern die maßgebenden Bestimmungen der deutschen Steuergesetze grundsätzlich bestehen; es erhebt sich nur die Frage, ob und inwieweit das nach den deutschen Steuergesetzen bestehende Besteuerungsrecht durch das Abkommen eingeschränkt wird."4
In jedem Fall ist daher zunächst das Bestehen eines Steueranspruches zu prüfen. Ergibt diese Prüfung, daß ein solcher Steueranspruch nicht besteht, so kann insoweit eine Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland auch dann nicht erfolgen, wenn das Besteuerungsrecht für diesen Fall nach einem Doppelbesteuerungsabkommen der Bundesrepublik zustehen sollte. Denn durch ein Doppelbesteuerungsabkommen, das der Aufteilung der nach innerem Recht bestehenden Steueransprüche dient, kann nicht ohne weiteres ein neuer, 1
2 3 4
McNair, Treaties, S. 364. Bayer, StuW 1981, 62f. verwendet den Begriff "Steuervölkerrecht". Moster, Praxis, S. 18. RFH, RStBI. 1935, 1339.
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
nach innerem Steuerrecht bisher nicht bestehender Steueranspruch begründet werden. Ergibt die Prüfung dagegen, daß ein deutscher Steueranspruch besteht, so ist weiter zu prüfen, ob und inwieweit dieser Steueranspruch durch ein Doppelbesteuerungsabkommen eingeschränkt wird. 5 Hiergegen ist von Debatin eingewandt worden, Funktion der Abkommen und ihr Charakter als leges speciales verlangten rechts systematisch den umgekehrten Prüfungsgang. Zunächst seien die Rechtsfolgen des Abkommens festzustellen; nur soweit es ihnen nicht entgegenstehe, bleibe nämlich Raum für das innerstaatliche Recht. 6 Debatin meint, die Funktion der DBA mache deutlich, daß das internationale Steuervertragsrecht vor dem innerstaatlichen Recht stehe und deshalb systemgerecht auch vor diesem zu prüfen sei. Die Abkommen bestimmten, ob und inwieweit die Vertragsstaaten ihr Besteuerungsrecht behalten oder verlieren. Es beantworte sich also aus den Steuerabkommen, ob und inwieweit der betreffende Staat noch besteuern dürfe. Dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Die Parteien eines D BA haben sich durch den Abschluß des Vertrages lediglich bereit erklärt, auf einen Teil des ihnen an sich zustehenden Steuerbetrages zu verzichten. Völkerrechtlich gesehen ist allein entscheidend, daß die Vertragsstaaten keine Steuern erheben, für die es ihnen nach den Abkommen an einer Kompetenz mangelt, weil sie darauf verzichtet haben. Die Feststellung, daß die Steuer nicht zu erheben ist, kann jedoch erst dann erfolgen, wenn feststeht, daß nach nationalem Recht eine Steuerpflicht besteht, weil erst dann der Verzicht eingreifen kann. Daran ändert sich auch nichts, wenn man - zutreffend davon ausgeht, daß ein Steuerpflichtiger im Anwendungsbereich der DBA gar keine Steuern schuldet. 7 Auch Debatin räumt ein, daß sich in der Praxis die Vorgehensweise des Reichsfinanzhofes empfehlen könnte. 8 Vogel glaubt, logisch seien beide Vorgehensweisen gleichberechtigt. 9
S In diesem Sinne auch RFH RStBI. 1938,937; RStBI. 1940,809. Zustimmend Bühler, ZaöRV 1958,690. 6 Debatin, AWD 1969,477; Komi Debatin, Systematik III Rz. 52f. 7 Eine ausführliche Analyse der Rechtsprechung zum Wesen der DBA findet sich bei Bayer, StuW 1981, 66f.; vgl. auch Debatin, DB, Beilage 23/85, S. Hf. 8 Debatin, AWD 1969,477; KornlDebatin, Systematik III Rz. 53. Aus der Tatsache, daß das innerstaatliche Recht die Steuerpflicht bestimmt und das Abkommensrecht sie eingrenzt, schließen KornlDebatin, Systematik III Rz. 121, daß die DBA auch in ihrer Auslegung ein von innerstaatlichem Recht getrennter, eigenständiger Rechtskreis sind. Nach der hier vertretenen Auffassung ergibt sich die Nicht-Anwendbarkeit der innerstaatlichen Auslegungsregeln aus der völkerrechtlichen Natur der DBA. 9 Vogel, StuW 1982, 119.
H. Zur Auslegung von DBA
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Nach Auffassung der deutschen Steuergerichte, insbesondere auch des Bundesfinanzhofes, kann die Anwendung eines DBA nur zu einer Verminderung der Steuerpflicht führen. 10 "Doppelbesteuerungsabkommen begründen keine Steuerpflicht und erhöhen keine Steuer über die innerstaatlichen Steuergesetze hinaus."ll
Demgegenüber ist mit Fichtelmann und Kluge davon auszugehen, daß der Inhalt von D BA in erster Linie von wirtschaftlichen Überlegungen gekennzeichnet ist. 12 Rechtlich gesehen könnten auch Regelungen geschaffen werden, die Steuerpflichten begründen oder besteh!!nde ändern. Die Feststellung, daß DBA keine Steuerpflichten begründen, sagt also nichts über die rechtliche Möglichkeit hierzu aus und ist rein rechtstatsächlicher Art, bezogen auf die bisher abgeschlossenen DBA. Der Steuerverzicht eines der beiden Vertragsstaaten kann dabei auf zweierlei Weise eintreten: Zum einen kann eine nach innerstaatlichem Recht entstandene Steuerpflicht durch das DBA in einem Vertragsstaat völlig ausgeschlossen sein. Zum anderen ist es möglich, daß die Staaten sich verpflichten, in bestimmten Fällen die Steuern, die im anderen Vertragsstaat gezahlt wurden, auf die Steuerpflicht "anzurechnen". Auch hier liegt ein Steuerverzicht vor. 2. Auslegungsziele
Im nationalen Recht stellt sich bei der Auslegung von Gesetzen die Frage, ob dem Willen des Gesetzgebers oder dem normativen Gesetzessinn i. S. eines vom Willen des historischen Gesetzgebers abstrahierten Willens des Gesetzes im Zeitpunkt der Rechtsanwendung im Konfliktfalle der Vorrang zu geben ist. 13 Im Völkerrecht - im Bereich der DBA - stellt sich diese Frage in ganz anderer Form. Zwar handelt es sich auch hier um Gesetze, die als völkerrechtliche Verträge entstanden sind. Erkennt man an, daß die Aufgabe einer Auslegung darin besteht, den von den Parteien gemeinsam in dem Vertragstext niedergelegten Sinn einer Vorschrift als Teil des Zieles und Zweckes des gesamten Vertrages zu ermitteln, 14 so fragt sich hier, ob dem Vertragstext, dem Parteiwillen oder Ziel und Zweck des Vertrages der Vorrang zu geben ist. 1S Wie Bernhardt nachgewiesen hat, beherrscht diese Meinungsverschiedenheit die Völkerrechtslehre seit Jahrhunderten. 16 Vgl. RFH RStBI. 1935, 1339. BFH, IWB Fach 3 Deutschland, Gruppe 2, 393. 12 Fichtelmann, StuW 1966, 161; Kluge, S. 158; vgl. auch Hintzen, StuW 1974, 324. 13 Larenz, Methodenlehre, S. 302ff.; Tipke, Steuerrecht, S. 92ff. 14 So Lagoniin Menzeljlpsen, S. 319. IS Vgl. hierzu Rest, S. 22f; Kritik an dieser Gegenüberstellung übt Kluge, RIW j AWD 1975, 91. 10 11
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
Aus der Erkenntnis heraus, daß völkerrechtliche Verträge ähnlich wie auch Verträge im innerstaatlichen Recht durch Konsens entstehen, stellt für die subjektive Theorie die Erforschung des historischen Parteiwillens das Ziel der Auslegung dar. 17 Zur Feststellung des wahren Parteiwillens kann nach dieser Ansicht auch gegen den Wortlaut auf zusätzliche Auslegungsmittel wie die Vertragsmaterialien zurückgegriffen werden. IB Auch die sozialistische Völkerrechtslehre vertritt diese Ansicht. 19 Nach der objektiven Lehre ist der Vertragstext als authentischer Ausdruck des Parteiwillens vorrangig. Dabei sind zusätzliche Auslegungsmittel wie Parteiwille und Vertragszweck mit zu berücksichtigen. Sie können insbesondere zur Bestätigung des Auslegungsergebnisses dienen. Von Bedeutung können sie nur werden, wenn Kontext und vertragsexterne Auslegungsgegenstände kein eindeutiges Ergebnis liefern. 20 Auch der IGH hat sich schon recht früh für den objektiven Ansatz entschieden: " ... the first duty of a tribunal which is called upon to interpret and apply the provisions ofa treaty is to endeavour to give effect to them in their natural meaning in the context in which they occur. If the relevant words in their natural and ordinary meaning make sense in their context that is an end of the matter."21
Für die Anknüpfung der Auslegung an den Vertragstext sprechen vor allem zwei Gesichtspunkte: Die Vertragsparteien wollen sich völkerrechtlich in der Regel nur soweit binden, wie der ordnungsgemäß unterzeichnete Vertragstext reicht. Darüber hinaus wäre auch ein nicht dem Text entnehmbarer Wille der Parteien - weil nicht objektiviert und letztlich nicht objektivierbar - nicht ordnungsgemäß innerstaatlich vollziehbar und damit bei sauberer dogmatischer Betrachtung eigentlich innerstaatlich nicht anwendbar. 22 16 Bernhardt, Auslegung, S. 6; während Grotius den Parteiwillen als maßgeblich ansah, war dies für Vattel der Text" Il n'est pas permis d'interpreter le qui n'a pas besoin d'interpretation." (zitiert nach Bernhardt, ibid.). Waldock hat in seinem Bericht für die ILC den Meinungsstreit wie folgt zusammengefaßt: "Writers (. ..) difJer to some extent in their basic approach to the interpretation of treaties according to the relative weight wh ich they give to a) the text of the treaty as the authentic expression of the parties; b) the intentions of the parties as a subjective element distinct from the text; and c) the declared or apparent objects and purposes of the treaty", YBILC 1964 11, 53. 17 So Dahm, Völkerrecht I1I, S. 43; Verdross, Völkerrecht, S. 173; McNair, S. 365; SeidlHohenveldern, Völkerrecht, Rz. 243f.; Guggenheim, Völkerrecht I, S. 125; Darstellung bei Bernhardt, Auslegung, S. 15ff. 18 Lagoni in Menzel/lpsen, S. 319. 19 Talalajew, S. 117 ff. unter Kritik an den idealistischen und unwissenschaftlichen Spekulationen bürgerlicher Juristen. 20 Darstellung bei Lagoni in M enzel/ Ipsen, S. 319; Anhänger dieser Theorie sind namentlich: Fitzmaurice, BYIL 1957, 209f.; Guggenheim, Völkerrecht I, S. 125; Starke, S. 510; Greig, S. 477f.; weitere Nachweise bei Bernhardt, Auslegung, S. 18f. 21 l.C.J. Reports 1950, S. 8 (Kompetenz der U.N.-Vollversammlung).
II. Zur Auslegung von DBA
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Teilweise wird zwischen objektiver und subjektiver Auslegungsmethode differenziert. So wird zum Teil angenommen, Gründungsverträge internationaler Organisationen, Staatenverbindungen und rechtssetzende Verträge seien nach der objektiven Theorie auszulegen. Demgegenüber solle für rechtsgeschäftliche Verträge die subjektive Lehre anzuwenden sein. 23 Da die DBA wohl als rechtssetzende Verträge zu qualifizieren sind,24 wäre nach dieser differenzierten Auffassung insoweit ohnehin der objektive Ansatz zu verfolgen. Die teleologische Lehre will demgegenüber über die Auslegung jeweils dem erklärten oder erkennbaren Ziel und Zweck des Vertrages zum Durchbruch verhelfen. 25 Im Streit um subjektive oder objektive Lehre kann spätestens seit Ausarbeitung der WVK, der der objektive Ansatz zugrunde liegt, diese als herrschend 22 Vgl. hierzu auch Weber-Fas, RIW 1982, 806; ähnlich z. B. I.C.J. Reports 1961, S. 32 (Temple ofPreah-Vihear); wohl zu kritisch: Lagoni in Menzel/ Ipsen, S. 321; auch die ILC "had shown a strong predileetion Jor textual interpretation, in the interests oJ stability and eertainty oJtreaty relations ", YBILC 1964 1,314; ähnlich Bernhardt, Auslegung, S. 38; ebenso das Statement Nahliks während der Wiener Konferenz: "There is no prooJmore direet and more authentie as to the interpretations oJ the parties than the Text they drew up together to embody those very intentions.", in: A/Conf. 39/11, S. 179. Hiergegen wird neuerdings von Hummer, ÖZöR 1975,101 ff. eingewandt, die ILC sei von der semantisch falschen Annahme ausgegangen, nur wenige Wörter hätten mehrere Bedeutungen; denn die Frage, ob ein Begriff der Auslegung bedürfe, sei bereits eine Auslegung. Zur Unterscheidung zwischen rechtssetzenden und rechtsgeschäftlichen Verträgen bei der Auslegung im einzelnen Berber I, S. 444. 23 Bernhardt, Auslegung, S. 21 ff.; Rest, S. 82 ff. Ress in Ress / Sehreuer, S. 13 f. ist allerdings der Auffassung, es gehöre zu den durch die WVK hervorgerufenen Irrtümern, daß für die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages nicht zwischen rechtssetzenden und rechtsgeschäftlichen Verträgen, nicht zwischen Integrations-, Verfassungs-, Status-, und Austauschverträgen zu unterscheiden sei. Die Grundregel des Art. 31 WVK, so Ress, gestatte nicht nur, sondern verlange sogar - nämlich über die Object and PurposeFormel, daß vertragsspezifische Besonderheiten berücksichtigt werden. Bleekmann, Methodenlehre, S. 10, bezeichnet die Frage, ob die von der WVK entwickelten Prinzipien der Vertragsauslegung einheitlich auf alle Vertragstypen Anwendung finden, als weitgehend ungeklärt. Seiner Auffassung nach scheinen bei den internationalen Organisationen der objektive Text und die Praxis der Organe eine größere Rolle zu spielen, als etwa bei den DBA. Für eine Differenzierung nach Vertragstypen vgl. auch Bernhardt, ZaöRV 1967, 494f.; Alvarez (Dissenting opinion zum Gutachten des IGH in der Angelegenheit Admission ofa State to membership in Uni ted Nations, LC.J. Reports 1950, S. 16 ff) und de Castro (Separate opinion im Namibia-Fall, I.C.J. Reports 1971, 182); Bos, S. 165. 24 So Blumenstein, S. 188; Ebling, DStR 1976, 338; Knechtle, S. 172. 2S Dieser Gedanke ist wohl von Fitzmauriee, BYIL 1951, 1 entwickelt worden. Bernhardt, Auslegung, S. 15 (Fn. 85) weist m. E. zutreffend darauf hin, daß es sich bei dieser teleologieal oder aims and objeets school kaum um eine der subjektiven oder objektiven Lehre gegenüberstehende "Schule" handelt. Er sieht darin lediglich die Unterstreichung eines von mehreren Auslegungsgesichtspunkten, der in beiden Lehren eine Rolle spielen könne. Auch Jaeobs, ICLQ 1969, 318ff. befürwortet diese "Dreiteilung".
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
bezeichnet werden. 26 In der oben genannten Fonn liegt die objektive Theorie der weitaus meisten Zahl von einschlägigen Urteilen internationaler Gerichte zugrunde. 27 Der Grund hierfür ist in der Tatsache zu sehen, daß die objektive Theorie in viel höherem Maße der im zwischenstaatlichen Verkehr so wesentlichen Rechtssicherheit dient. Sie schneidet den Vertragsparteien bei klarem Wortlaut die Berufung auf ihren eigentlichen Willen ab. Soweit also Kluge und Rest 1971 bzw. 1975 noch behaupten konnten, die subjektive Theorie könne als herrschend bezeichnet werden, ist dem heute nicht mehr zu folgen. 28 Auch der BFH hat teilweise Ansatz vertreten.
leider aber nicht immer -
den objektiven
Während der Reichsfinanzhof noch ausdrücklich Sinn und Zweck des Vertrages gegenüber dem Wortlaut den Vorrang gab,29 ist beim BFH eine teilweise Abkehr von dieser Rechtsprechung festzustellen. In einer Reihe von Entscheidungen steht eindeutig der Wortlaut im Mittelpunkt. 30 Zum DBA Kanada hat das Gericht ausgeführt, daß der Wille der Vertragsparteien nur dann durch Auslegung zu ennitteln sei, wenn der Wortlaut des Vertrages nicht eindeutig sei. 31 Dieser Wille ergebe sich in erster Linie aus dem Zweck des Vertrages, da von mehreren Auslegungen, die der Wortlaut zulasse, diejenige den Vorzug verdiene, bei der das Ziel des Vertrages erreicht werde. Darüber hinaus zieht der BFH den Zweck zum Teil auch heran, um die wörtliche Auslegung zu bestätigen. 32 Dieser Judikatur stehen einige - zum Teil ältere - Entscheidungen gegenüber, in denen der Bundesfinanzhof mehr die subjektive Betrachtungsweise in den Vordergrund gestellt hat. 33 26 U.N. Doc. AjConf. 39j27 vom 23. 05.1969. Wiedergabe des Textes derWVK in BtDrs. 10 j 1004, S. 5 ff., zur gewohnheitsrechtIichen Geltung der WVK siehe unten, 1. Kapitel, II. 3. a) ce). 27 P.C.I.J., Series B, No.l1, S. 39 (Polnischer Post-Fall); so auch Bernhardt, Auslegung, S. 187; Bernhardt, Auslegung, S. 59 vertritt sogar die Auffassung, daß es nicht viele Entscheidungen internationaler Gerichte geben dürfe, in denen außerhalb des Vertragstextes liegende Gesichtspunkte für die Beantwortung einer Auslegungsfrage ausschlaggebend gewesen seien. Zu Wandlung und Spielarten der objektiven Theorie vgl. Bernhardt, Auslegung, S. 15. 28 Kluge, RIW j AWD 1975,91; Rest, S. 25. 29 RStBl. 1937, 1213 (zum Versailler Vertrag); RFHE 26, 163 (164) (zum DBA Österreich). Der Zweck wird ausdrücklich auch in RFH, RStBl. 1934,417 (419ff.) in den Vordergrund gestellt. 30 BStBl. 1958 I1I, 17 (zum DBA Großbritannien); BStBI. 1965 I1I, 258, (259) (zum DBA Schweiz); BStBl. 1968 II, 797 (800) (zum DBA USA); BStBI. 1973 II, 57 (59) (zum DBA Niederlande). 31 BFHE 87, 273 (276). 32 BFH DB 1960, 1326.
II. Zur Auslegung von DBA
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In einer Entscheidung zum DBA Italien hat der BFH, nachdem eine literarische Äußerung des deutschen Verhandlungsführers Dorn im Wortlaut wiedergegeben worden ist, ausgeführt: "Diese Xußerung hat Gewicht, da das Ziel der Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages die Feststellung des wirklichen Parteiwillens z.2. des Vertragsschlusses ist (Schwarzenberger, Einführung in das Völkerrecht, 94) und die Bemerkung von Dr. Herbert Dorn eine Auskunft aus erster Hand über den damaligen Parteiwillen darstellt." 34
In einer neueren Entscheidung zum DBA Schweiz heißt es, dessen Bestimmungen seien mit dem Ziel auszulegen, den ihnen zugrunde liegenden objektiven Willen zu erfassen. Diesem Auslegungsziel diente die grammatische Auslegung, die systematische Auslegung, die teleologische Auslegung und die historische Auslegung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seien alle diese Auslegungsmethoden erlaubt, sie schlössen sich nicht aus, sondern ergänzten sich. 35 • 36 Insgesamt ist damit die Rechtsprechung des höchsten deutschen Steuergerichts uneinheitlich. Es läßt sich aus ihr nicht nur kein klares Bekenntnis zum objektiven oder subjektiven Ansatz erkennen, sondern es wird einmal in der einen und einmal in der anderen Weise verfahren, ohne daß die Folgen ausreichend bedacht werden. Der BFH muß sich damit den Vorwurf gefallen lassen, daß seine Rechtsprechung unklar und letztlich nicht vorhersehbar ist. 3. Die anwendbaren völkerrechtlichen Auslegungsregeln Bereits oben ist festgestellt worden, daß auch für die DBA-Auslegung die allgemeinen völkerrechtlichen Auslegungsregeln gelten müssen. Ist damit aber viel gewonnen? Die Geltung vieler Auslegungsregeln ist stark umstritten und häufig in ihrer Relevanz unklarY 33 Diese Betrachtungsweise wird von' der Literatur z. T. geteilt. So von Salditt, StuW 1972,23: "Der wirkliche Wille geht dem Wortsinne vor, notfalls offenbar auch gegen den ausdrücklichen Wortlaut. " 34 BStBJ. 1972 II, 281 (284); auf die Frage, inwieweit es zulässig sei, literarische Äußerungen der Verhandlungsbeteiligten als authentischen Parteiwillen oder auch nur als Indiz dafür anzusehen, wird unten noch einzugehen sein. In BFH in BStBJ. 197311,604 (605) wird demgegenüber ausdrücklich festgestellt, es gehe allerdings nicht an, lediglich die einseitige, subjektive Vorstellung des deutschen Vertragspartners bei der Auslegung zugrunde zu legen. Ähnlich schon BFH in BStBJ. 1973,57 (59). 35 BStBJ. 1973 II, 810 (811); bestätigt wird dieses Urteil noch einmal ausdrücklich in BStBJ. 1975 11, 605 (605). Es ist noch darauf hinzuweisen, daß in der angezogenen BVerfGE 11, 126 (130) Prüfungsgegenstand eine Norm des innerstaatlichen Rechts war. Dessen Auslegungsregeln werden also undifferenziert und ohne Gespür für die Bedürfnisse des Völkerrechts übertragen. 36 Die hier abgelehnte subjektive Theorie wird offenbar auch von Weber-Fas, RIW 1982,805 favorisiert. "Es geht um die Feststellung des wirklichen Parteiwillens." Deutlicher im Sinne der objektiven Theorie dagegen Weber-Fas, Staatsverträge, S. 82.
5 Gloria
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
Teilweise wird heute in der steuerrechtlichen Literatur die Auffassung vertreten, die früheren Meinungsverschiedenheiten seien durch das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) partiell obsolet geworden. 38 Diese Annahme setzt jedoch, da die WVK ihrerseits ein völkerrechtlicher Vertrag ist, denknotwendig voraus, daß sie für die hier untersuchten Länder Geltung hat. 39 a) Anwendbarkeit der WVK
Die WVK ist mit Hinterlegung der 35. Ratifikationsurkunde am 27. 01. 1980 in Kraft getreten. 40 Sie enthält in den Art. 31 ff. WVK Regeln für die Auslegung völkerrechtlicher Verträge. 41 Da die Bundesrepublik Deutschland - wie auch die meisten anderen OECD-Mitglieder _42 die WVK bisher noch nicht ratifiziert hat, kommt eine Geltung der Auslegungsgrundsätze der WVK nur in Betracht, wenn diese hinsichtlich der Auslegungsregeln entweder geltendes Völkerrecht kodifiziert hat oder wenn die dort niedergelegten Grundsätze zwischenzeitlich zu Völkergewohnheitsrecht erstarkt sind. 43 Außerdem enthält Art. 4 WVK ein Rückwirkungsverbot, das die Anwendbarkeit auf Verträge begrenzt, die nach ihrem Inkrafttreten abgeschlossen wurden. Die WVK ist damit bei OECDMitgliedern als Völkervertragsrecht auf völkerrechtliche Verträge zwischen Österreich und Großbritannien anwendbar, die nach dem 27. 01. 1980 abgeschlossen wurden. Ein DBA gehört nicht hierzu. Vg!. Lagoni in Menzel/lpsen, S. 320. So ausdrücklich Vogel, StuW 1982, 120; in diesem Sinne wohl auch Mülhausen, S. 109. Weber-Fas, RIW 1982, 805f. erwähnt das Abkommen mehrfach, ohne jedoch hierzu deutlich Stellung zu nehmen. Auch Ward, BIFD 1980, 548 ff. greift verschiedentlich darauf zurück. 39 Ein Gesichtspunkt, der von keinem der bisher erwähnten Autoren beachtet wird. Es genügt auch nicht, festzustellen, daß für die Interpretation von völkerrechtlichen Verträgen bekanntlich die WVK gelte; so aber Klebau, RIW 1985, 127; differenzierter: Vogel, DBA, Ein!. Rz. 17. 40 UN ST/LEG/Ser. E/3, S. 695. 41 Vg!. BT-Drs. 10/1004, S. 17f. 42 Vg!. UN/ST/LEG/Ser. E, S. 695. 43 Die Anwendung der in Art. 31 ff. WVK niedergelegten Auslegungsgrundsätze setzt voraus, daß diese Grundsätze, und zwar in der Form, die sie durch jene Vorschriften gefunden haben und zu dem Zeitpunkt, zu dem die Auslegung vorgenommen werden soll, geltendes Völkergewohnheitsrecht darstellen. Dazu bedarf es des Nachweises, und nicht des lapidaren Hinweises, Art. 31 ff WVK werde - irgendwann in der Zukunft - zu Völkergewohnheitsrecht erstarken. Demgemäß kann man sich hinsichtlich der Geltung der Auslegungsgrundsätze der Art. 31 ff. WVK auf gewohnheitsrechtlicher Basis auch nicht darauf beschränken festzustellen, die Vorschriften der WVK gäben großenteils nur wieder, was schon bisher Völkergewohnheitsrecht gewesen sei und soweit dies nicht der Fall sei, folge ihr doch zunehmend die internationale Praxis, so daß sie demnächst zu Völkergewohnheitsrecht erstarken werde. So aber Vogel, DBA, Ein!. Rz. 17 im Anschluß an Verdross / Simma. 37
38
II. Zur Auslegung von DBA
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aa) Kodifikation von Gewohnheitsrecht Die Anwendbarkeit der Interpretationsvorschriften der Art. 31 ff. WVK wäre völkerrechtlich gleichwohl zu bejahen, wenn diese geltendes Völkergewohnheitsrecht kodifiziert hätten. Wiewohl auch die Merkmale, die zur Bildung von Völkergewohnheitsrecht führen sollen, im einzelnen streitig sind,44 besteht doch im Grundsatz Einigkeit darüber, daß im Ergebnis zwei Elemente erforderlich sind: nämlich eine "ständige, im wesentlichen gleichförmige Übung" (longa consuetudo) und "eine die Übung tragende Rechtsüberzeugung" (opinio iuris).45 Im Festlandsockelfall hat der IGH dazu ausgeführt:
"... state practice, inc/uding that oJ States whose interests are especially aJJected, should have been both extensive and virtually uniform in the sense oJ the provision invoced; - and should more over have occured in such a way as to show a general recognition that a rule oJ law or legal obligation is involved. "46 Auch die Frage, ob die WVK lediglich bereits geltendes Völkergewohnheitsrecht kodifiziert hat, ist umstritten. 47 Auf den ersten Blick scheint die Entstehungsgeschichte der WVK dafür zu sprechen, daß hier Völkergewohnheitsrecht kodifiziert wurde. Die mit Vorarbeiten zu einem Konventionsentwurf befaßte International Law Commission (ILC) hatte sich die Aufgabe gestellt",to
isolate and codify the comparatively Jew general principles which appear to constitute general rules Jor the interpretation."4S
Bahnbrechend an der Arbeit der ILC war die Ausarbeitung der Rangordnung der in Art. 31 ff. WVK genannten Auslegungsregeln. Dabei wurde jedoch die Geltung der einzelnen Grundsätze nicht bezweifelt. 49 Die Bemühungen um die Rangordnung stellten daher bei den Arbeiten an den Interpretationsvorschriften das hauptsächliche Verdienst der ILC dar. Insbesondere zwei Geschehnisse des Konferenzverlaufs zeigen die große Akzeptanz, die der ILC-Entwurf fand: Zum einen wurde der amerikanische Antrag, die Vgl. hierzu Thode in Menzelj Ipsen, S. 79ff. ZU diesen Elementen im einzelnen: 1.C.J. Reports 1969, S. 43 (Festlandsockelfall), ungenau demgegenüber die Formulierungen in Art. 38 I lit. b) des IGH-Statuts. 46 1. C. J. Reports 1969, S. 43 (Festlandsockelfall) 47 Dafür etwa: Verdross j Simma, § 775; Sette-Camara, Separate opinion, Interpretation ofthe Agreement ofMarch 25,1951 between WHO and Egypt, 1.C.J. Reports 1980, S. 184; dafür ebenfalls: Erichsen, Staatsrecht II, S. 187; B/eckmann, Grundgesetz, passim; BVerfGE 46,342 (361); zweifelnd: Lagoni in Menzeljlpsen, S. 321. 48 YBILC 1966 11, 218. Aufschlußreich für die Aufstellung der Interpretationsregeln insbesondere: Waldock, Third Report on the Law of Treaties, YBILC 1964 II, 53 ff. 49 Lagoni in Menzelj Ipsen, S. 320 nennt als gewohnheitsrechtlich geltend z.B. den Grundsatz, daß ein Vertrag nach Treu und Glauben auszulegen sei. Ferner sei gewohnheitsrechtlich anerkannt, daß bei der Auslegung einer Vorschrift Ziel und Zweck des gesamten Vertrages zu berücksichtigen sei. Vgl. auch Bernhardt, Auslegung, S. 25. 44
4S
5·
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
hierarchische Ordnung der Art. 31 und 32 abzuändern, mit überwältigender Mehrheit abgelehnt. 50 Ferner wurde der ILC-Entwurfvon Art. 31 und 32 WVK nur geringfügig geändert. 51 Dies spricht dafür, eine breite Zustimmung sowohl zu der Ausgestaltung der hierarchischen Struktur als auch zu Auswahl und Fonnulierung der anzuwendenden Grundsätze anzunehmen, eine Annahme, die sich auch im endgültigen Abstimmungsergebnis widerspiegelt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, daß die sozialistischen Länder, obwohl der subjektiven Theorie zugewandt, der WVK zugestimmt haben. Aus den geschilderten Tatsachen jedoch den Schluß ziehen zu wollen, es habe eine Rechtsüberzeugung der Staaten, bezogen auf eine gewohnheitsrechtliche Geltung der Interpretationsvorschriften, bereits bei Abschluß der WVK vorgelegen, hieße den Erzeugungsprozeß von Völkergewohnheitsrecht zu verkehren. Denn ein Nachweis für Staatenpraxis, die die hierarchische Ordnung der WVK widerspiegelt, dürfte nicht zu erbringen sein. 52 bb) Erstarkung der Interpretationsvorschriften zu Völkergewohnheitsrecht Läßt sich damit die ursprüngliche These, die WVK habe in ihren Interpretationsregeln geltendes Völkergewohnheitsrecht kodifiziert, nicht beweisen, so wäre es dennoch möglich, die Anwendbarkeit dieser Interpretationsregeln zu bejahen, wenn eine andere Voraussetzung vorliegt: Es wäre nämlich denkbar, daß die Ausarbeitung der WVK und deren Annahme auf der Wiener Konferenz den Anstoß für die Bildung von Völkergewohnheitsrecht - zumindest was die Auslegungsvorschriften angeht - gegeben hat. Der Nachweis dieser These würde voraussetzen, daß seit Abschluß der WVK eine durch eine Rechtsüberzeugung getragene Übung der Staaten besteht. Es ist Scheuner zuzustimmen, der ausgeführt hat, daß die Rechtsüberzeugung im Wege internationaler Konventionen ein Verfahren mit mehreren Stadien ist, in denen anders als bei dem älteren Gewohnheitsrecht die Rechtsüberzeugung so Vgl. Marsh, S. 80. Bereits am 06.05.1969 hatte in einer Vorentscheidung das Plenary Meeting einstimmig die Annahme empfohlen, also 20 Tage vor der Abstimmung über den Gesamtentwurf, vgl. UN Doc. A / Conf. 39/ SR 13, S. 19 ff. Im einzelnen ergab sich folgendes Bild: Art. 27 ILC-Entwurf (entsprechend Art. 31 WVK) Annahme mit 97 Stimmen, ohne Gegenstimmen und Enthaltungen; Art. 28 (Art. 32 WVK): Annahme mit 101 Stimmen, ohne Gegenstimmen und Enthaltungen; Art. 29 (Art. 33 WVK): Annahme mit 101 Stimmen, ohne Gegenstimmen und Enthaltungen. SI Insgesamt wurde lediglich ein Wort eingefügt und ein anderes ausgetauscht, vgl. Elias, S. 83. 52 Charakteristisch hierfür ist insbesondere, daß die ILC lange über das Problem räsonniert hat, ob es überhaupt sinnvoll sei, einzelne Interpretationsregeln aufzustellen, oder ob es nicht besser sei, lediglich Richtlinien (guide lines) festzulegen; vgl. Waldock, YBILC 1964 II, 53 ff.
H. Zur Auslegung von DBA
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am Anfang steht und formal deklariert wird, während die Übung nachfolgt, aus der dann die allgemeine Geltung des vereinbarten Rechts als allgemeines Gewohnheitsrecht hervorgeht. 53 Danach sind drei Stufen zu durchlaufen: Zunächst ist ein Vertragstext auszuarbeiten, der einer Staatenkonferenz vorgelegt werden muß (1). Dieser Text muß diskutiert und gebilligt werden (2). Das Ergebnis muß ausdrücklich (z.B. durch Ratifikation) oder stillschweigend gebilligt werden (3). Die ersten beiden Stufen lassen sich relativ leicht nachweisen: Konferenzverlauf und Abstimmungsergebnisse sind erfreulich deutlich. Das Konferenzergebnis wird - so verstanden - natürlich nicht als Ausdruck einer (bestehenden) Rechtsüberzeugung zu interpretieren sein, sondern als Ausdruck, künftig bei der Auslegung von Vertragstexten in einer bestimmten Weise verfahren zu wollen und diese Vorgehensweise für Recht zu halten. Auch eine Analyse der Staatenpraxis zeigt, daß heute der Anwendung der Art. 31- 33 WVK eine Rechtsüberzeugung zugrunde liegt. Dies wird insbesondere auch in der Spruchpraxis internationaler Gerichte und Schiedsgerichte deutlich: Im Young-Anleihen-Fall stellte das Schiedsgericht der Parteien fest, " ... that the Convention properly reflects both the present and the past state of international treaty law since, as regards interpretation at least, it is restricted to the codification of customary law in force." 54 Ebenso hatte im Beagle-Kanal-Fall das Schiedsgericht die Regeln der WVK für anwendbar gehalten, obwohl ein wesentlicher Teil der Auslegung sich auf Vorgänge bezog, die vor 1969 stattgefunden hatten. 55 Diese Rechtsansichten werden vom überwiegenden Teil der Literatur geteilt. 56
Im Ergebnis kann demnach in Übereinstimmung mit der ganz herrschenden Lehre von der gewohnheitsrechtlichen Geltung der Auslegungsregeln der WVK gesprochen werden. 57
S3 Scheuner in Festschrift für Mann, S. 424; in diesem Sinne auch Tanaka, l.C.J. Reports 1966, 291 f. (Dissenting opinion in South West Africa Case). 54 ILR 1980, 529; zustimmend Hahn NYIL 1983, 10f., ebenso hatte das Schiedsgericht bereits 1974 entschieden: ILR 1974,418 ff. (Griechenland / Bundesrepublik Deutschland). ss ILM 1979, 223 f. S6 SO ausdrücklich Elias, S. 5, der die Konvention als part and parcel 01 customary international law bezeichnet. Von der Anwendbarkeit der WVK gehen ferner aus: Verdross/ Simma, § 672; Miehsler in Festschrift für Verdross, S. 565; Akehurst, S. 121; Kar!, S. 361; Ress in Ress / Schreuer, S. 10 mit zahlreichen Nachweisen aus der internationalen Rechtsprechun~: Zweifelnd lediglich Scheuner in Festschrift für Mann, S. 424, der die wiedergegebene Außerung von Elias als zu weitgehend zurückweist. Vgl. ebenso BVerfGE 40, 140, 166ff. S7 Vgl. auch H. Fischer, S. 90f.
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
cc) Gewohnheitsrechtliche Geltung der WVK auch im Bereich der DBA Die damit feststehende gewohnheitsrechtliche Geltung der Interpretationsvorschriften der WVK führt nun zu dem Ergebnis, daß die Staaten bzw. bei innerstaatlichen und unmittelbar anwendbaren völkerrechtlichen Verträgen die innerstaatlichen Rechtsanwender bei der Auslegung von völkerrechtlichen Verträgen zwangsläufig von diesem Gewohnheitsrecht auszugehen haben. Es besteht nicht etwa ein Wahlrecht, wonach es den einzelnen Staaten überlassen ist, ob sie gewohnheitsrechtlich geltende Normen anwenden wollen oder nicht. Eine von der WVK abweichende Auslegung ist mithin völkerrechtswidrig. Die hier und da anzutreffende Ansicht, bei der Auslegung von Verträgen seien je nach Vertragstypus unterschiedliche Regeln anzuwenden, hat sich demgegenüber nicht durchgesetzt. Die Notwendigkeit einer solchen Differenzierung läßt sich weder anhand von Judikaten internationaler Gerichte belegen, noch läßt sich aufgrund des Verlaufs der WVK-Kodifikationskonferenz behaupten, es bestehe eine entsprechende opinio iuris der Völkerrechtssubjekte oder gar eine entsprechende Übung. Die WVK gilt demgemäß für alle Formen völkerrechtlicher Verträge in gleicher Weise, seien sie Luftverkehrsverträge 58 oder Verträge auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle. 59 Die Doppelbesteuerungsabkommen müssen demnach grundsätzlich im Einklang mit den Regeln der WVK ausgelegt werden. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn bei der Interpretation der DBA ein vom allgemeinen Gewohnheitsrecht abweichendes Gewohnheitsrecht gelten würde, das für die Interpretation von DBA andere - spezielle - Regelungen aufstellt. Die Behauptung eines solchen DBA-spezifischen Völkerrechts, die es ermöglichen könnte, bei der Auslegung von DBA andere Regeln anzuwenden, als die der Art. 31 ff WVK oder diese Vorschriften zu modifizieren, kann aber nur dann beachtlich sein, wenn der Nachweis möglich ist, daß auch hier wieder eine von einer Rechtsüberzeugung getragene - im wesentlichen gleichförmige - Übung der Staaten besteht. Ein solcher Nachweis dürfte aber nicht zu erbringen sein. Schon der Nachweis einer Staatenpraxis ist nicht möglich, geschweige denn einer entsprechenden Überzeugung, daß die geübte Praxis Recht sei. Zwar gibt es eine Anzahl von Autoren, die die Auffassung vertreten, bei der Interpretation von Doppelbesteuerungsabkommen müßten besondere Regeln gelten, die dann allerdings von Fall zu Fall unterschiedlich sind;60 die Ansicht, die DBA müßten abweichend 58 So der Court of Appeal in Fothergill v. Monarch Airlines, (1981) AC 251, 276 G, 282 C, 290 C. 59 H. Fischer, S. 89ff. bejaht die Anwendbarkeit der WVK auf Rüstungskontrollverträge. 60 So Vogel, StuW 1982, 119f.; Weber-Fas, RIW 1982, 807; unklar Weber-Fas, Staatsverträge, S. 82ff., der ausführt, bei der Anwendung des Steuervertragsrechts durch
II. Zur Auslegung von DBA
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von anderen völkerrechtlichen Verträgen ausgelegt werden, basiert jedoch in der Regel entweder auf einer Verkennung des Rechtscharakters der DBA als völkerrechtlicher Verträge 61 oder auf einer Verkennung der gewohnheitsrechtlichen Geltung der Interpretationsvorschriften der WVK.62 Es kann deshalb keine Rede davon sein, daß diesen Äußerungen die Vorstellung zugrunde liegt, die Abweichung von der WVK gerade bei den DBA sei Recht. Entscheidend für die Autoren, die die Geltung der völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze anerkennen, diese aber für die DBA modifizieren wollen, ist, daß die Beachtung "einiger spezieller Regeln" der Rechtssicherheit auf dem Gebiet zwischenstaatlicher Steuerbeziehungen dienen soll. 63 b) Die Auslegung von DBA mittels der WVK
Der Grundsatz für die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages ist in Art. 31 I WVK niedergelegt: Ein Vertrag ist nach Treu und Glauben auszulegen, entsprechend der gewöhnlichen Bedeutung, die den Begriffen des Vertrages in ihrem Zusammenhang und unter Berücksichtigung seines Zieles und Zweckes beizulegen ist. Dieser Grundsatz ist nach der Überschrift, die Art. 31 WVK trägt, als general rule 0/ interpretation anzusehen. Ist nun das Auslegungsziel die Feststellung des objektiven Willens der Parteien, so wird der Konsens der Parteien aber nicht allein aus dem Vertragswortlaut ermittelt (textuelle Methode).64 Art. 31 WVK schließt demdeutsche Staatsorgane seien die besonderen völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze angemessen zu berücksichtigen. 61 So bei Salditt, StuW 1972, 25; Streck, RIW 1975, 118; Kruse, § 8 II 2; Tipke I Kruse, § 2 Tz. 11 ff. haben in der 47. Lieferung, Mai 1985, ihre diesbezügliche Auffassung mit der Begründung aufgegeben, sie beruhe auf der inzwischen überholten Transforniationstheorie. Aus den oben angestellten Überlegungen ergibt sich, daß diese Begründung unzutreffend ist, da auch nach der Transformationstheorie grundsätzlich völkerrechtliche Auslegungsgrundsätze gelten; vgl. auch Preuninger, S. 84f. Eine ungenügende Berücksichtigung des völkerrechtlichen Charakters der DBA und der sich hieraus ergebenden Konsequenzen liegt auch bei einem Teil des österreichischen Schrifttums vor, wo z. T. davon ausgegangen wird, die DBA wären nach den Grundsätzen innerstaatlichen Rechts auszulegen, wobei die in den Abkommen enthaltenen Begriffe grundsätzlich jene Bedeutung hätten, die ihnen nach dem innerstaatlichen Steuerrecht des "rechtsanwendenden" Staates zukämen; vgl. Gröhs I Herbst, ZfV 1986, 21 m. w. Nachweisen. 62 Indifferent gegenüber den Auslegungsregeln der WVK vor allem Komi Debatin, Systematik III, Rz. 121 ff. und Mülhausen, S. 107 ff. 63 So Weber-Fas, RIW 1982, 807. 64 Vgl. im einzelnen: Verdross I Simma, § 776; Lagoni in Menzel I Ipsen, S. 319; Vogel, StuW 1982, 121 weist - zutreffend - darauf hin, daß subjektive Elemente nicht ausgeschieden würden, sondern im Zweck des Vertrages anklängen. Die deutsche Übersetzung "Ziel und Zweck" sei jedoch zu subjektiv gefaßt; es heiße englisch "object and purpose", französisch "objet et ... but", dies sei im Deutschen besser mit "Gegenstand und Zweck" zu übersetzen. Dadurch komme zum Ausdruck, daß nicht eine
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
nach eine funktionelle Auslegung nicht aus, wenn es der Vertragsinhalt erfordert. 6S Festzuhalten ist somit, daß der Gegenstand der Auslegung nicht etwa nur der Vertragstext ist, sondern der Vertragstext in seinem Zusammenhang. 66 Besonders deutlich wird dies auch aus dem offiziellen Kommentar, den die ILC ihrem Konventionsentwurf beigefügt hatte: "The Commission, by heading the article "General rule of interpretation" in the singular and by under/ining the connexion between paragraphs 1 and 2 and again between paragraph 3 and the two previous paragraphs , intended 10 indicate that the app/ication of the means of interpretation in the article would be a single combined operation. All the various elements, as they were present in any given case, would be thrown into the crucible, and their interaction would give the legally interpretation." 67
Diese Äußerungen machen hinreichend deutlich, daß die Auslegung einer Vorschrift eines internationalen Vertrages niemals beim Wortlaut ihr Ende finden kann. Stets sind Zusammenhang und Gegenstand und Zweck des Vertrages zu berücksichtigen. Erst ihre Zusammenschau ergibt dann die jeweils maßgebliche Bedeutung einer Vorschrift. Dies gilt auch dann, wenn der Wortlaut so klar gefaßt scheint, daß es einer weiteren Auslegung nicht bedarf. 68 Unvereinbar hiermit ist es demgemäß, davon auszugehen, daß zwar alle drei
"Auslegungsmerkmale gleichberechtigt nebeneinander stehen, daß aber eine Vermutung besteht, daß der Wortlaut den authentischen Ausdruck des Willens der Vertragspartner darstellt." 69 Abzulehnen ist auch die Ansicht, für die Auslegung
eines völkerrechtlichen Vertrages stehe nach diesen Regeln dessen Wortlaut im Vordergrund, allerdings nicht der Wortlaut der einzelnen Vorschrift, sondern der des gesamten Vertrages in seinem Zusammenhang. 70 Diese Ansicht läßt außer acht, daß für die Auslegung gerade kein Rang- oder Stufenverhältnis bestehen soll, das eine bevorzugte Berücksichtigung des Wortlautes zuließe. subjektive Vorstellung der Vertragsschließenden, sondern der im ganzen objektivierte Vertragstext gemeint sei. Vg!. auch die amtliche deutsche Übersetzung, Bt-Drs. 10/1004, S. 18ff. 6S Verdross / Simma, § 776. 66 Verdross / Simma, § 777; Lagoni in Menzel/ Ipsen, S. 320. 67 Report ofthe International Law Commission on the Work ofits Eighteenth Session, ILC-Yearbook 196611,172 (118 Rz. 8). 68 Abgesehen davon ist Lagoni in M enzel/ Ipsen, S. 321, Recht zu geben, der darauf hinweist, daß die Erkenntnis, daß ein Wortlaut so klar sei, daß er keiner weiteren Auslegung mehr bedürfe, selbst das Resultat einer Auslegung sei. Unzutreffend daher Preuninger, S. 94. 69 So aber Klebau, S. 127; recht unklar Avery Jones, BTR 1980, 15. 70 So aber Vogel, DBA, Ein!. Rz. 38; unzutreffend ist es auch, wenn Vogel an anderer Stelle glaubt, Gegenstand und Zweck seien zwar zu berücksichtigen, aber nur, um die gewöhnliche Bedeutung der verwendeten Ausdrücke in ihrem Zusammenhang zu erhellen. Vgl. Vogel, in: Steuerberater-Jahrbuch 35 (1983/84, S. 371 (375)).
H. Zur Auslegung von DBA
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Außerdem schafft sie einen - im Hinblick auf Art. 31 I WVK ungerechtfertigten und gekünstelt wirkenden - Gegensatz zwischen dem Wortlaut des Vertrages zum einen und dem Wortlaut der auszulegenden Vorschrift zum anderen. Hinzu kommt, daß Gegenstand und Zweck des Vertrages - jedenfalls zunächst - unberücksichtigt bleiben. Was der Zusammenhang außer Vertragswortlaut einschließlich Präambel und Anlagen noch bedeutet, darüber trifft Art. 31 11 WVK eine Aussage. Gemeint sind hier die sich auf den Vertrag beziehenden Übereinkünfte sowie Urkunden, die von einer oder mehreren Vertragsparteien anläßlich des Vertragsabschlusses abgefaßt und von der (oder den) anderen Vertragsparteien als solche angenommen wurden. 71 Dazu gehören bei den Doppelbesteuerungsabkommen vor allem Briefwechsel 72 oder Noten aus Anlaß der Unterzeichnung. Soweit der Vertrag im Lichte seines Gegenstandes und Zweckes interpretiert wird, müssen sie immer aus dem Vertrag selbst entnommen werden, nicht aus allgemeinen Opportunitätsüberlegungen. 73 Durch diesen Grundsatz soll eine Versubjektivierung der Auslegung im Sinne des subjektiven Ansatzes vermieden werden. Die Rückbindung an den Text des Vertrages ist gerade bei einer ziel- und zweckorientierten Auslegung umso mehr erforderlich, als sonst der Auslegungsvorgang in Gefahr gerät, zu sehr einem reinen Zweckdenken verhaftet zu bleiben. Es besteht dann die Gefahr, daß der Vertragstext und seine Grundgedanken zu wenig beachtet werden. 74 Als in diesem Sinne unzulässig muß es deshalb angesehen werden, wenn Vogel verschiedentlich sogar das Gebot der Entscheidungsharmonie aus dem Gebiet des internationalen Privatrechts zu entlehnen und für die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen fruchtbar zu machen versucht. 75 Im Grunde ist für derartige Opportunitätsüberlegungen bei dem durch die Art. 31 - 33 WVK vorgegebenen Auslegungsvorgang kein Platz. Es kommt nicht in Betracht, ein bestimmtes Auslegungsergebnis nur deshalb anzunehmen, weil der andere Vertragsstaat (auf welchem Wege auch immer) zu einem kongruenten Ergebnis gelangt ist, wenn die an den Art. 31 ff. WVK orientierte Auslegung an sich zu einem anderen Ergebnis führen würde. 76 Vgl. hierzu die Wiedergabe der Vertragsmaterialien bei Rauschning-Wetzel, S. 253. Vgl. etwa den Briefwechsel vom 11. August 1971, der zum DBA Schweiz geführt wurde, BGBL 1972 11, 1021 (1033). 73 Lagoni in Menzelj Ipsen, S. 320; der Grundsatz ist ein Ausfluß der dem Art. 31 I WVK zugrundeliegenden objektiven Theorie, wonach es möglich sein muß, Intentionen der Parteien in irgendeiner Weise dem Text zu entnehmen; vgl.etwa Sinclair, S. 118 f.; SeidlHohenveldern, Völkerrecht, Rz. 257 a. E. weist zutreffend daraufhin, daß die Aussagen in der Präambel ein wichtiges Indiz für den Gesamtzweck des Vertrages darstellen. 74 Vgl. hierzu: Bernhardt, Auslegung, S. 96; Kluge, RIW j AWD 1975, 93; Rest, S. 47. 75 Vogel, DBA; Einl. Rz. 42f.; Klebau, RIW 1985, 128. 76 Aus diesem Grunde überzeugt auch die kanadische Entscheidung in Sachen Canadian Pacific Ud. v. The Queen, 1976 DTC 6120, 6135 in keiner Weise. Im Gegensatz zu der von Klebau, RIW 1985, 128 geäußerten Ansicht kann auch keine Rede davon sein, daß es anerkannt sei, daß die Entscheidungsharmonie ein anzuerkennendes Ziel bei der Auslegung internationaler Verträge sei. 71
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
Aus diesen Gründen muß dem berühmten Statement Lord Dennings "even if I disagreed, I would follow them in a matter wh ich is of international concern"77 zumindest aus völkerrechtlicher Sicht widersprochen werden. 78 Insgesamt läßt sich sagen, daß der von Vogel apostrophierte Gedanke der Entscheidungsharmonie bei der Auslegung von völkerrechtlichen Verträgen nicht nur deshalb abzulehnen ist, weil er der WVK nicht entnommen werden kann, sondern darüber hinaus, weil er dem Grundsatz der Souveränität der Vertragspartner widerspricht. Ausfluß dieser an Ziel und Zweck orientierten Auslegung ist das Effektivitätsprinzip - der Grundsatz ut res magis valeat quam pereat also. Selbstverständlich bedeutet dieser Grundsatz, daß ein Vertrag so auszulegen ist, daß allen Bestimmungen eine möglichst große Wirkung zukommt. Es gebührt mit anderen Worten immer derjenigen Auslegung der Vorzug, bei dem der Zweck der Vorschriften und des Vertrages am besten erreicht wird. Es ist jedoch unzulässig, bei der Auslegung über das hinauszugehen, was im Vertrag ausgedrückt wird oder sich notwendigerweise aus den gebrauchten Formulierungen ergibt. 79 Eine Auslegung mit dem Ziel einer möglichst wirksamen Anwendung einer vorgegebenen Regelung und deren sachgerechte und effektive Interpretation ist also nur in dem durch den Text und seinen Grundgedanken vorgegebenen Rahmen möglich. Bernhardt ist zuzustimmen, der davon ausgeht, daß durch völkerrechtliche Verträge jeweils neue, im allgemeinen Völkerrecht noch nicht enthaltene Rechte und Pflichten geschaffen würden und daher nicht angenommen werden könne, sie enthielten regelmäßig eine vollständige, in jeder Hinsicht sachgerechte und effektive Regelung. 80 Gerade im Bereich der DBA bekommen die dargestellten Erwägungen zur ziel- und zweckorientierten Auslegung eine neue Dimension. Die D BA enthalten keine Präambel. Sie enthalten auch keine grundlegenden Vorschriften, aus denen explizit etwas über den Zweck entnommen werden kann. Es ist deshalb schon schwierig, mehr über ihren Zweck auszusagen, als daß sie eben der Vermeidung einer Doppelbesteuerung dienen sollen, eine Erkenntnis, die sich allerdings aus dem Titel "Abkommen ... zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ... " deutlich ergibt. Den Abkommen kann entnommen werden, daß die 77 78 79
Corocraft v. Pan American Airways,(1968) 2 W.L.R. 1273, 1283. Ebenso Vogel, DBA, Ein!. Rz. 43. Die ILC hat in ihrem Bericht an die UN-Vollversammlung ausgeführt: "When a
treaty is open to two interpretations one of wh ich does and the other does not enable the treaty to have appropriate effects, good faith and the object and purpose of the treaty demand that the former interpretation should be adopted, properly limited and applied, the maxim does not callfor an 'extensive', or 'liberal' interpretation going beyond what is expressed or necessarily to be implied in the term of a treaty.", YBILC 1966 II, 219. 80 Bernhardt, Auslegung, S. 96; der Effektivitätsgrundsatz in der eingeschränkten Form
liegt auch der Judikatur des IG H zugrunde. So etwa dem Friedensvertragsgutachten I.CJ. Reports 1950, 229. Weitere Nachweise insbesondere aus der Rechtsprechung des StIGH bei Rest, S. 48 f.
11. Zur Auslegung von DBA
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Besteuerungsbefugnisse auf die Vertragsstaaten verteilt werden sollen, wobei wohl viel dafür spricht, daß dies möglichst gleichmäßig geschehen soll.81 Aus diesem Grundsatz läßt sich aber nichts für die Frage, wem das Besteuerungsrecht im Einzelfall zustehen soll, herleiten. Sogar die an sich naheliegende Annahme, daß im Anwendungsbereich der DBA jede Doppelbesteuerung ausgeschlossen sein soll, ist bei genauerer Betrachtung wohl schon zu weitgehend. Denn selbst wenn es bei einer - nicht abkommenswidrigen - Doppelbesteuerung verbleibt, so ist mit dieser Feststellung noch nicht die sich sofort daraus ergebende Frage gelöst, wie diese Doppelbesteuerung zu beseitigen sei, welcher der beiden beteiligten Staaten also auf sein Besteuerungsrecht verzichten muß. Da eine entsprechende Regelung dann in dem DBA fehlt, müßte die Doppelbesteuerung bestehen bleiben. Gerade die Existenz der Verständigungsklausel des Art. 25 III 2 OECD-MA 1977 ist die logische Konsequenz: Sie geht davon aus, daß es auch Fälle von Doppelbesteuerungen geben kann, die im Abkommmen nicht behandelt sind. Darüber hinaus ist denkbar, daß die Fälle von Doppelbesteuerungen. die trotz einer Abkommensanwendung bestehen bleiben, in dieser oder jener Form sogar gewollt sind. Da die DBA einen Verzicht auf Besteuerung und damit auf Finanzmasse bedeuten, liegt dieser Schluß aus der Sicht des Staates, der den Verzicht ausüben soll, mindestens ebenso nahe. 82 Durchaus zuzustimmen ist deshalb dem BFH, wenn er zum DBA-Schweiz ausführt: "Es mag auffallend erscheinen, daß einerseits ein in der Schweiz wohnender Gesellschafter einer inländischen GmbH der inländischen Besteuerung in vollem Umfang und ein in der Schweiz wohnender Aktionär einer inländischen AG hinsichtlich des Kapitalertragssteuerabzuges der inländischen Besteuerung unterliegt, während ein echter stiller Gesellschafter, obwohl er ebenfalls aus einem inländischen Unternehmen Bezüge hat, der inländischen Besteuerung nicht unterliegt. Die Bestimmungen des DBAs können aber nicht deswegen entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut ausgelegt werden. Es muß den beteiligten Staaten überlassen werden, ihre vertraglichen Vereinbarungen entsprechend zu ergänzen. "83 81 Die Tatsache, daß es verschiedene Musterabkommen gibt, die jeweils unterschiedlichen Bedürfnissen Rechnung tragen, die nicht (nur) in der Verschiedenheit der Steuersysteme der Vertragspartner liegen, deutet jedenfalls darauf hin. 82 Ebenso Kluge, RIW / AWD 1975, 93. Aus diesem Grunde ist auch die von der österreichischen Steuerrechtslehre zum Teil vertretene Auffassung, bei der DBA-Auslegung könne als Leitsatz gelten, daß die Vertragsstaaten eine völlige Ausschaltung der Doppelbesteuerung erzielen wollten, nicht überzeugend. Von zwei denkbaren Auslegungen, deren eine die Doppelbesteuerung ausschließe, deren andere sie aber aufrechterhalte, soll diejenige zu wählen sein, die zur Beseitigung der Doppelbesteuerung führe. Vgl. die Nachweise bei Gröhs / Herbst, ZfV 1986, 21. 83 BFHE 82, 29 (32f.); ähnlich RFH in RStBI. 1938, 188 (189), wo das Gericht durch Vergleich des DBA Tschechoslowakei mit anderen vom Deutschen Reich abgeschlossenen Abkommen zu dem Schluß kam, die fraglichen Besteuerungsfälle seien vom Abkommen nicht erfaßt. Ebenso wie hier wertet auch Kluge, RIW / AWD 1975, 93 die genannten Urteile als Einschränkung des Effektivitätsgrundsatzes.
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
Es käme jedoch einer Kapitulation vor dem volkswirtschaftlich und weltwirtschaftlich unerwünschten Phänomen der Doppelbesteuerung gleich, wenn es bei diesem Ergebnis verbliebe. Denn die DBA sind zweifellos und ausschließlich zu dem Zweck abgeschlossen wurde, im Wege eines gegenseitigen Verzichtes, die Doppelbesteuerung - wenn nicht auszuschließen - so doch jedenfalls so weit wie möglich zu vermeiden. Die ILC hat in ihrem Kommentar zur Begründung der Interpretationsvorschriften ausgeführt: " When a treaty is open to two interpretations one of wh ich does and the other does not enable the treaty to have appropriate effects, good faith and the objects and purpose of the treaty demand that the former interpretation should be adopted. Properly limited and applied, the maxim does not callfor an 'extensive' or 'liberal' interpretation in the sense of an interpretation going beyond what is expressed or necessarily to be implied in the terms of the treaty."84
Es steht deshalb nur scheinbar im Widerspruch zu den beiden angezogenen Urteilen, wenn der BFH sich mehrfach ausdrücklich zum Effektivitätsprinzip bekannt hat: "Es gibt keinen Rechtssatz, wonach die Auslegung völkerrechtlicher Verträge sich nur auf den Wortsinn stützen dürfe . .. Wichtigfiir die Auslegung völkerrechtlicher Verträge ist aber auch der Effektivitätsgrundsatz (regle de l'effet utile). Er besagt, daß Vertragsbestimmungen dahin auszulegen sind, daß ihr Zweck nach Möglichkeit erreicht wird, sie einen praktischen Nutzen haben und ihre Nutzwirkung sich entfalten kann." 8S
Der Effektivitätsgrundsatz soll also - obwohl er im beschriebenen Sinne bei der Auslegung eines DBA zu beachten sein wird - keine Lösung vom Wortlaut ermöglichen, etwa dergestalt, daß trotz an sich klaren Wortlauts eine andere Auslegungsniöglichkeit gesucht wird. Er kann demgemäß nur dazu dienen, einer Vertrags bestimmung eine möglichst große Wirkung zu geben, in einer Richtung, die der Wortlaut im Einklang mit Gegenstand und Zweck (noch) zuläßt. 86 Auf die Frage, welche Gesichtspunkte über Ziel und Zweck sich dem Vertragstext bzw. seinen Grundgedanken entnehmen lassen, wird unten noch zurückzukommen sein. 87 Soweit Art. 31 I WVK festlegt, daß bei einer Auslegung die Begriffe des Vertrages in ihrer üblichen Bedeutung verwendet werden sollen,88 kann damit YBILC 196611,219; Bernhardt, Auslegung, S. 96; Lagoni in Menzel/lpsen, S. 320. BFHE 127, 104 (116f.); in diesem Sinne auch FG Münster, EFG 1980,469 (471). 86 Vgl. auch Raupach, DStZ (A) 1975, 392. 87 Raupach, DStZ (A) 1975, 392 ist zuzustimmen, daß der bei der Auslegung zu ermittelnde Zweck einer DBA-Vorschrift nicht der allgemein weitläufige Zweck, die Doppelbesteuerung zu vermeiden sein kann, sondern der spezielle Zweck der einzelnen DBA-Norm. Im einzelnen wird hierauf noch einzugehen sein. 88 Dieser Grundsatz wird als pfain meaning rufe bezeichnet. 84
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H. Zur Auslegung von DBA
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natürlich nicht nur die allgemein übliche Bedeutung gemeint sein. Die Auslegung nach der gewöhnlichen Bedeutung im Lichte von Gegenstand und Zweck des Vertrages verlangt es, daß bei Spezialabkommen, die dem Ziel der Vermeidung der Doppelbesteuerung dienen sollen, nicht die umgangsprachliche oder die allgemeine juristische Bedeutung zugrunde gelegt wird, sondern die hier jeweils einschlägige übliche, fachspezifische Bedeutung. Soweit sich also im Steuervölkerrecht bei einzelnen Begriffen eine besondere Bedeutung entwickelt hat, muß sie als gewöhnliche Bedeutung im Sinne von Art. 31 I WVK angesehen werden. a9 Neben dem Zusammenhang sind nach Art. 31 III WVK spätere Übereinkünfte zwischen den Vertragsparteien über Auslegung und Anwendung des Vertrages sowie die Staatenpraxis in gleicher Weise zu berücksichtigen. So sind gerade im Bereich der DBA mit der Schaffung der Verständigungsklausel flexible Mechanismen geschaffen worden, die es ermöglichen, Konsens oder Dissens der Vertragspartner niederzulegen. Die entsprechenden Verständigungsvereinbarungen sind als Übereinkünfte der Vertragsparteien über Auslegung und Anwendung der Vertragsbestimmungen im Sinne von Art. 31 III lit a) WVK anzusehen und als solche zu berücksichtigen. 90 Demgegenüber können nach Art. 32 WVK die vorbereitenden Arbeiten und die Umstände des Vertragsabschlusses als supplementary means of interpretation nur ergänzend herangezogen werden, und zwar dann, wenn die durch Anwendung der Regeln des Art. 31 WVK gefundene Auslegung bestätigt werden soll oder um noch verbleibende Zweifel zu beseitigen. 91 In der Formulierung kommt mithin eine hierarchische "Unterordnung" unter die Auslegungsmittel des Art. 31 WVK zum Ausdruck; erst nachdem dort alle zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen genutzt worden sind, können diese zur Anwendung kommen. Ein weiteres Spezifikum der DBA ist ihre Mehrsprachigkeit. Üblicherweise werden dabei die Verträge in den Landessprachen beider Vertragspartner abgefaßt. In einzelnen Fällen - so insbesondere bei mehrsprachigen Vertragspartnern - kommt es sogar zur Abfassung in drei Landessprachen. 92 Teilweise 89 Vogel, StuW 1982, 121; Gloria, RIW 1986, 975; auch McNair, Law ofthe Treaties, S. 366 f., vertritt die Auffassung, plain term könne bestenfalls relatively plain term, also in relation to the circumstances in wh ich the treaty was made, and in which the language was used bedeuten. 90 Das gilt jedenfalls insoweit, als die entsprechenden Verständigungsvereinbarungen sich auf die Auslegung oder Anwendung des jeweiligen DBA beziehen. Im zweiten Kapitel wird auf die Frage zurückzukommen sein, ob dies auch dann gilt, wenn mittels des Verständigungsverfahrens die Doppelbesteuerung auch in den Fällen beseitigt wird, die im Abkommen nicht geregelt sind. 81 Zur Bedeutung von Art. 32 vgl. Verdross / Simma, § 779; Elias, S. 79 ff. Nach Auffassung der ILC haben die in Art. 32 genannten Auslegungsmittel nicht in gleicher Weise authentischen Charakter, wie die des Art. 31 WVK, da sie den authentischen Vertragstext lediglich vorbereitet haben, YBILC 1966 II, 220. 92 Das DBA Kanada wurde in deutsch, englisch und französisch abgefaßt, das DBA Belgien in deutsch, französisch und niederländisch. Demgegenüber sind die DBA Schweiz
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
- wenn auch nicht so häufig - wird neben den Fassungen in den Landessprachen der Vertragspartner eine weitere Fassung in einer dritten Sprache - meist englisch - vereinbart. 93 In den deutschen DBA ist ausnahmslos vorgesehen, daß bei der Abfassung in den Landessprachen der Vertragspartner beide Fassungen gleichberechtigt nebeneinander stehen sollen. Dies gilt ebenso, wenn der Vertragspartner ein Land mit mehreren offiziellen Landessprachen ist. 94Wurde neben den Fassungen in den Landessprachen der Vertragspartner eine zusätzliche Fassung in englisch oder französisch vereinbart, so ist diese maßgeblich, wenn sich Auslegungsdifferenzen zwischen den Landessprachen ergeben. Die Maßgeblichkeit in Zweifelsfällen ergibt sich dabei aus einer ausdrücklichen entsprechenden Vereinbarung. 95 Soweit also keine verbindliche - dritte - Sprache vereinbart wurde, die in Zweifelsfällen maßgeblich sein kann, erhebt sich die Frage, was bei unterschiedlichen Auslegungsergebnissen in zwei Sprachen zu geschehen hat. Regelungen hierzu trifft Art. 33 WVK. Grundsätzlich sind bei mehrsprachigen Verträgen alle Fassungen in gleicher Weise verbindlich. 96 Das bedeutet, daß der innerstaatliche Rechtsanwender alle Texte für seine Interpretation fruchtbar zu machen versuchen muß, und sich insbesondere nicht mit der deutschen Fassung zufrieden geben darf. 97 Die entsprechenden verschiedenartigen Fassungen sind dabei zu vergleichen mit dem Ziel, etwaige Bedeutungsdifferenzen aufzufinden. Ausgangspunkt einer jeden Auslegung mehrsprachiger Texte ist mithin der Textvergleich. 98 Stellt sich dabei eine Bedeutungsdifferenz heraus, so ist zunächst gem. Art. 33 IV WVK zu versuchen, diesen Bedeutungsunterschied mittels der Regeln der Art. 31 und 32 WVK zu beseitigen, also unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck nach Treu und Glauben. Hierbei sind wieder Zusammenhang und die ergänzenden Auslegungsmittel zu berücksichtigen. Bleibt dann der Bedeutungsund Luxemburg einsprachig deutsch; vgl. im einzelnen die Übersicht bei Vogel, DBA, Art. 29, 30 Rz. 26. 93 So in den DBA Ägypten, Brasilien, Griechenland, Indien, Indonesien, Irland, Israel, Japan, Korea, Malaysia, Portugal, Sri Lanka, Südafrika und Thailand, wo zusätzlich eine englische Fassung vereinbart wurde und im DBA Iran, wo eine zusätzliche französische Fassung gilt. 94 Belgien, Kanada. 95 Dies geschieht üblicherweise in den Schlußformeln, vgl. etwa DBA Japan, BGBI. 196711, 871 (896) und DBA Griechenland BGBI. 196711,853 (870). 96 Dies gilt wie oben bereits nachgewiesen wurde - innerstaatlich auch für fremdsprachige Texte. Die Gleichartigkeit aller Fassungen entsprach dabei schon früher geltendem Gewohnheitsrecht, vgl. Lagoniin Menzelilpsen, S. 322; Mössner, AVR 1972, 273. 97 So aber Z.B. Mosler, Praxis, S. 30; in anderen europäischen Ländern gilt es demgegenüber als selbstverständlich, daß nicht einer bestimmten Fassung der Vorzug gegeben werden darf; vgl. etwa Hardy, BYIL 1961, 74 und Ward, BIFD 1980, 550m. w. N. Vgl. im einzelnen oben, 1. Kapitel, I. 1 c). 98 So zutreffend Hilf, S. 85.
II. Zur Auslegung von DBA
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unterschied bestehen, so ist eine Auslegung zu wählen, die die beiden (unterschiedlichen) Fassungen am besten miteinander in Einklang bringt. 99 Dabei ist mit Germer lOO davon auszugehen, daß es eine gekünstelte Unterscheidung wäre, wenn man zweimal Ziel und Zweck des Vertrages berücksichtigte, nämlich einmal im Rahmen des Art. 31, sodann bei Art. 33. Vielmehr müsse ständig nach einer Auslegung gesucht werden, die Ziel und Zweck des Vertrages gerecht werde, das sei bei mehrsprachigen Texten nicht anders als bei einsprachigen. Bei der Aushandelung der DBA wird mitunter die Verhandlung in einer dritten Sprache geführt, die nicht die Landessprache eines der beiden Vertragspartner ist. Gewöhnlich wird dann zunächst eine Vertragsfassung in dieser Sprache ausgearbeitet und später in die jeweiligen Landessprachen übertragen. lOl Welche Bedeutung kann diesem "Urtext" im Auslegungsprozeß zukommen ? Auch an diese Frage knüpft sich eine heftige Kontroverse. 102 Zunächst einmal läßt sich gar nicht ernstlich bestreiten, daß dem Urtext im Hinblick auf den Parteiwillen die größte Authentizität zukommt, wenn die Verhandlungen nur in einer Sprache geführt wurden. lo3 Auf der anderen Seite haben die Vertragsparteien ausdrücklich auch andere Fassungen für "gleichermaßen verbindlich" erklärt, oder die Gleichwertigkeit ergibt sich aus dem Grundsatz des Art. 33 I WVK. Und das erfordert konsequenterweise auch, daß der auslegende Rechtsanwender diesem Grundsatz bei der Interpretation einer Norm Geltung verschaffen muß, und zwar durch Berücksichtigung aller Fassungen. Ein Rückgriff auf den Urtext als authentischen Text kommt also nicht in Betracht. 104
99 Ein Beispiel, in dem sich die beiden Textfassungen bei Anwendung dieser Grundsätze nicht vereinbaren lassen, aus dem Bereich des DBA Italien, findet sich bei Vogel, StuW 1982, 122. Vogel kommt zu dem Ergebnis, daß das Abkommen infolge des Widerspruchs lückenhaft sei, die Doppelbesteuerung also bestehen bleiben müsse. Eingang ins Völkerrecht fand der Grundsatz des Art. 33 IV WVK durch den Mavrommatis-Fall des StIGH, wo festgestellt worden war:"The Court is of opinion that, where two versions
possessing equal authority exist one of wh ich appears to have a wider bearing than the other, it is bound to adopt the more limited interpretation which can be made to harmonize with both versions and which asfar as it goes, is doubtless in accordance with the common intention of the parties." P.C.I.J. Series A, No. 2, S. 19: Vg!. YBILC 1966 II, 225. 100 Germer, Harvard International Law Journal 1970, 425f. m. w. N. 101 Vogel, DBA, Ein!. Rz. 18. 102 Zur Darstellung des Streitstandes Hilf, S. 88ff.; Rest, S. 116ff. 103 So zutreffend Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rz. 272; Rest, S. 119; dementsprechend fordert Verdross, Völkerrecht, S. 174 bei Auftreten einer Textdifferenz grundsätzlich den Rückgriff auf den Originaltext. Auch Dölle, RabelsZ 1961, 37f. läßt diesen
Rückgriff zu. 104 So Germer, Harvard International Law Journal 1970, 418; Mössner, AVR 1972, 289f.; im Ergebnis ebenso Hilf, S. 90f.
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
Die Berücksichtigung des Originaltextes ist trotzdem nicht ausgeschlossen: Es ist möglich, den Urtext im Rahmen des Art. 32 WVK bei den Vorarbeiten als subsidiäres Auslegungsmittel heranzuziehen. lOS c) Ergänzende Auslegungsgrundsätze
Charakteristisch für einen völkerrechtlichen Auslegungsprozeß ist die durch Art. 31 und 32 WVK aufgestellte Stufenfolge, die für die harmonisierende Auslegung mehrsprachiger Staatsverträge durch Art. 33 WVK ergänzt wird. Der Auslegungsvorgang erhält damit "eine wenn auch grobe, dafür aber hinreichend elastische Struktur" vorgegeben. I06 Der Berichterstatter der International Law Commission, Waldock, hatte in seinem Bericht von 1964 zwischen Auslegungsmethoden und Auslegungsgrundsätzen (principles and maxims 0/ interpretation) unterschieden. Zu den ersten zählte er die verschiedenen oben erwähnten Ansätze, zu den letzteren eine Reihen von Grundsätzen, die lateinische Bezeichnungen haben und von denen die "ut res magis valeat quam pereat" Maxime bereits Gegenstand von Betrachtungen war. 107 Die Auslegungsgrundsätze, so Waldock, "are/or the most part, principles o/logic and good sense valuable only as guides to assist in appreciating the meaning which the parties may have intended to attach to the expressions which they employed in a document."I08 Er zog in der Folge den Schluß, die Auslegungsgrundsätze seien im Gegensatz zu den Ausiegungsmethoden nicht kodifizierbar. I09 Daraus kann nun mit Fug gefolgert werden, daß die Auslegungsregeln der WVK, da sie die erwähnten "principles and maxims" nicht kodifiziert haben und dies auch nicht wollten, jedenfalls einer Anwendung der Auslegungsgrundsätze nicht im Wege stehen. HO Von den insgesamt völkerrechtlich ausgeformten Auslegungsgrundsätzen kann im Bereich der DBA lediglich der Maxime in dubio mitius Bedeutung 105 Schon Hardy, BYIL 1961, 104ff. hatte den Vorschlag gemacht, bei Heranziehung der Vorarbeiten auch den Originaltext zu berücksichtigen. Hilf, S. 91 ist Recht zu geben, wenn er auf die Schwierigkeiten hinweist, den Urtext als solchen überhaupt zu ermitteln, da er in der Regel nicht gekennzeichnet sei; vgl. auch Rest, S. 117 f. 106 Hilf, S. 87. Zustimmend zu dieser "hierarchischen Ordnung" Bernhardt, ZaöRV 1967, 495 und Schröder, Rev. Hllnique, 1968, 122, 132; kritisch demgegenüber Müller, Vertrauensschutz, S. 124ff. 107 Waldock, YBILC 1964 11, 53ff.; vgl. zu dieser Differenzierung: Dos, NILR 1980, 35f. 108 Waldock, YBILC 1964 11, 54. 109 Waldock, YBILC 1964 11, 54. 110 So überzeugend Dos, NILR 1980, 37; demgegenüber spricht Verdross / Simma, §§ 780ff., ohne auf diese - nicht nur terminologische - Differenzierung weiter einzugehen - schlicht von weiteren, in die Konvention nicht aufgenommene Regeln. Die Tatsache der Nichtaufnahme in die Konvention begründet er damit, daß diese Regeln keine allgemeine Geltung hätten (§ 781). Die Differenzierung fehlt ferner bei Debatin, AWD 1969,477; Weber-Fas, RIW 1982, 803 und Ward, BIFD 1980, 545fl
11. Zur Auslegung von DBA
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zukommen, die besagt, daß Einschränkungen der staatlichen Freiheit im Zweifelsfall einschränkend zu interpretieren sind. 111 Auf das Internationale Steuerrecht übertragen könnte dieser Grundsatz die DBAjedoch zum Teil ihrer Wirksamkeit berauben: Die DBA als System von gegenseitigen Steuerverzichten beschränken die staatliche Steuerhoheit. Die in dubio mitius Maxime würde also dazu führen,daß in allen Zweifelsfällen das Besteuerungsrecht beider Staaten bestehen bliebe, da grundsätzlich davon ausgegangen werden müßte, daß die Vertragspartner möglichst wenig von ihrem jeweiligen Besteuerungsrecht abgeben wollten. Eine Auslegung in diesem Sinne würde jedoch der Ziel richtung der 0 BA nicht gerecht. Denn allgemein gesprochen wollen die DBA die zur Verfügung stehende "Besteuerungsmasse" auf beide Vertragspartner verteilen. Durch die nur teilweise Preisgabe des Besteuerungsrechts, gekoppelt mit dem Bestehenbleiben des Steueranspruchs in dubio, wird demgemäß dem Telos der DBA auch dann nicht zum Siege verholfen, wenn man diesen Telos durch die Nichtanwendung des Effektivitätsgrundsatzes entsprechend reduziert. Genau dies ist aber völkerrechtswidrig: Denn die Auslegung in dubio mitius darf eben nicht dazu führen, daß eine vertraglich vorgesehene Beschränkung unwirksam wird. 112 Die vom BFH im Zusammenhang mit den DBA bereits 1968 aufgeworfene Frage, "ob ein allgemeiner völkerrechtlicher Auslegungsgrundsatz besteht, wonach vertragliche Beschränkungen der staatlichen Souveränität und Freiheit im Zweifelsfall einschränkend auszulegen sind" , 113 kann daher nur klar vernein t werden. d) Die Bedeutung der Denkschriften for die Auslegung der DBA
Es ist seit jeher Tradition des DBA-Gesetzgebers gewesen, die amtlichen Begründungen zu den einzelnen Abkommensvorschriften in der Form von sogenannten Denkschriften den Abkommen beizufügen. 114 In diesen Denk111 Der Grundsatz in dubio mitius wurde vom StIGH im Mossul-Fall entwickelt: .. Jf the wording 0/ a treaty is not clear - in choosing between several admissible interpretations. the one which involves the minimum %bligations/or the parties should be adopted", P.C.U. Series A, No. 12, S. 25 (1925); ähnlich im Lotus-Fall P.C.U. Series A, No. 10, S. 18; vgl. ferner die Schiedssprüche in den Angelegenheiten der Kronprins Gustaf Adolf und der Pacific, RIAA II, 123 ff. Waldock erwähnt diesen Grundsatz in seinem Bericht nicht, vgl. YBILC 1964 II, S. 54. 112 So ausdrücklich der StIGH 1923 im Wimbledon-Fall (P.C.I.J., Series A; No. 1, S.25). 113 BFHE 93, 438 (443); der BFH konnte die Frage in dem von ihm entschiedenen Fall aber auch aus anderen Gründen ofTenlassen. 114 Die Bezeichnung ist allerdings unterschiedlich: während die Begründungen zu den Vorkriegsabkommen durchweg als Denkschrift bezeichnet wurden, findet z.B. beim 0 BAUSA (1954) die Bezeichnung "Begründung" Verwendung. In der deutschen steuerrechtlichen Literatur hat sich dagegen der Begriff "Denkschrift" eingebürgert; vgl. Preuninger, S. 96 sowie das FG Rheinland, EFG 1974,225 (227).
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
schriften werden die einzelnen Normen der für vollziehbar erklärten Abkommen näher erläutert. Sie enthalten daneben genauere Informationen etwa darüber, welches Abkommensmuster als Grundlage gewählt wurde. So lautet der entsprechende Denkschrift-Passus zu Art. 11 DBA Deutsches Reich - Schweiz etwa: "Da bei den Verhandlungen die Beseitigung von Doppelbesteuerungen nur for die in Artikel I geregelten Fälle erzielt werden konnte, sind in Artikel II for die Beseitigung von Doppelbesteuerungen in anderen Fällen unmittelbare Verhandlungen der obersten Finanzverwaltungsbehörden ... von Fall zu Fall zum Zwecke einer Regelung im Sinne angemessener Verteilung der Steueransprüche vorgesehen." 115
Recht ausführlich und instruktiv ist auch die Stellungnahme der Denkschrift zum DBA Italien, die sich auf die Verständigungsvorschriften bezieht: "Die Art. 15, 16 und 17 dienen dem Zweck, das Abkommen hinreichend elastisch zu gestalten, um auch in solchen Fällen Abhilfe zu schaffen, die von dem Vertragstext nicht oder nicht vollständig berücksichtigt wird. Ganz allgemein wird dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit gegeben, sich der Doppelbesteuerung zu erwehren, indem er bei seinem Heimatstaat Einspruch einlegt. Wird der Einspruch als berechtigt anerkannt, so sollen sich die beiden Staaten über einen billigen Ausgleich ihrer Steueransprüche verständigen. Allgemeine Ergänzungen des Vertrages im Rahmen der in ihm enthaltenen Grundsätze sollen durch ein einfaches Regierungsabkommen zwischen den obersten Finanzbehörden möglich sein. Auf gleichem Wege sollen Auslegungsschwierigkeiten beseitigt werden (Artikel 16). Der Artikel 17 gibt schließlich die Möglichkeit, Fragen aufdem Gebiet der direkten Besteuerung, auch soweit sie nicht die Doppelbesteuerungsabk.ommen betreffen, im Einvernehmen zwischen den obersten Finanzbehörden zur Entscheidung zu bringen." 116
Recht nichtssagend ist demgegenüber die auch nur als "Begründung" bezeichnete Formulierung der Erläuterung zu einem der frühen Nachkriegsabkommen, dem DBA USA: "Artikel XVII sieht das sogenannte Verständigungsverfahren zwischen den nach Artikel II Abs. 1 Buchst. g) zuständigen Behörden vor."117
Die Denkschriften sind also praktisch - wie eine amtliche Begründung - als Teil des (innerstaatlichen) Gesetzgebungsverfahrens anzusehen; sie sind nicht Bestandteil des DBA, sondern dienen seiner Begründung. ll8 Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat in einem Urteil aus dem Jahre 1974 die Äußerungen der Bundesregierung in der Denkschrift zu den DBA Indien und Frankreich als Auslegungshilfe herangezogen. 119 115 116 117
118
RT-Drs. I, 6273, S. 4. RT-Drs. III/1488, S.13. BT-Drs. 11/894, S. 12. Vogel, DBA, Ein!. 19; Vogel, StuW 1982, 116.
II. Zur Auslegung von DBA
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Mustert man nun die Art. 31 und 32 WVK durch, so ergibt sich die Unzulässigkeit dieses Vorgehens: Wie bereits dargelegt, sind die Denkschriften jedenfalls nicht Bestandteil des jeweiligen völkerrechtlichen Abkommens geworden. Sie gehören aber auch nicht zu dem nach Art. 31 11 WVK gleichermaßen zu berücksichtigenden Zusammenhang. Denn bei den Denkschriften handelt es sich weder um eine Übereinkunft zwischen den Parteien noch etwa um eine vom DBA-Vertragspartner angenommene Urkunde. Das ergibt sich schon daraus, daß der jeweils andere Vertragsstaat vom Inhalt einer Denkschrift bis zu deren Einbringung in das Gesetzgebungsverfahren keinerlei Kenntnis haben dürfte. Auch Art. 31 III WVK ermöglicht die Einbeziehung der Denkschriften in den Auslegungsvorgang nicht: Denn z.B. die Anerkennung als spätere Übung würde voraussetzen, daß hieraus die Übereinstimmung der Vertragsparteien über die Auslegung des Abkommens hervorgeht. An Anhaltspunkten hierfür fehlt es jedoch. Ferner eröffnet nicht einmal Art. 32 WVK die Möglichkeit einer Berücksichtigung der Denkschriften als ergänzendes Auslegungsmittel. Daß es sich bei den Denkschriften nicht um vorbereitende Arbeiten des völkerrechtlichen Vertrages handelt, liegt klar auf der Hand. 120 Es handelt sich lediglich um einseitige, subjektive Vorstellungen eines Vertragspartners, die jedenfalls in der Form der Denkschriften beim Vertragsabschluß keine Rolle gespielt haben und deshalb auch nicht als "Umstände des Vertragsschlusses" bezeichnet werden können. Eine Berücksichtigung der Denkschriften in dem Auslegungsvorgang durch das FG läßt sich nur mit der oben abgelehnten Annahme rechtfertigen, völkerrechtliche Verträge änderten durch die Transformation ihre Rechtsnatur derart, daß sie praktisch zu innerstaatlichem Recht würden. 121 Eine Einbeziehung der Denkschriften ist dann über die historische oder teleologische Auslegung möglich. 119 EFG 1974, 225 (227): "Wollte man aber Zweifel vom Wortlaut der Abkommen her doch noch /Ur denkbar halten, so werden sie durch die eindeutige Stellungnahme in den Denkschriften zu den hier einschlägigen DBA ausgeräumt, welche die Bundesregierung den Abkommen in das innerstaatliche Gesetzgebungsverfahren mitgegeben hat (Nachweise). Nach dem Willen der Bundesregierung sollten also die DBA das inländische Schachtelprivileg über die Grenze ausdehnen." 120 Demgegenüber bezeichnet Preuninger, S. 96 die Denkschriften wie auch die Verhandlungsprotokolle als Beispiel/Ur die Berücksichtigung der Vorarbeiten, die einem Vertrag vorausgehen. In diesem Sinne auch Kluge, RIW / AWD 1975, 93f. Komi Debatin, Systematik III, Rz. 130, ist der Auffassung, bei völkerrechtlicher Vertragsauslegung sei seit jeher dem Willen der Vertragspartei besondere Bedeutung zuzumessen. "Er wird aus gemeinsamen Verhandlungsprotokollen erkennbar, aber auch aus den von den Regierungen der Vertragsstaaten kraft ihrer Verhandlungsverantwortung gegebenen Erläuterungen zur Herbeifohrung der gesetzgeberischen Genehmigung. In der Bundesrepublik ist dies die jeweils dem Zustimmungsgesetz beigegebene 'Denkschrift"'. Dem ist nach den bisherigen Überlegungen zu widersprechen. 121 Vgl. etwa die Ansicht Salditts, StuW 1972.
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
4. Die Musterabkommen als Auslegungshilfe Wie dargestellt greift die Staatenpraxis bei der Auslegung und Fonnulierung von neuen Doppelbesteuerungsabkommen fast ausschließlich auf die inzwischen vorliegenden Musterabkommen zurück, deren wichtigstes nunmehr das OECD-MA 1977 sein dürfte. Der Rat der OECD hat den Mitgliedstaaten dieser Organisation dabei die Verwendung seines Abkommensmusters ausdrücklich empfohlen. 122 Der Steuerausschuß (Committee on Fiscal Affairs) war dabei der Auffassung, daß "the existence 0/ the Commentaries has /acilitated the interpretation and enforcement 0/ bilateral conventions along common lines."123 Im Bericht zu dem Musterabkommen von 1977 hieß es: ". .. these commentaries are 0/ special importance in the development 0/ international fiscal law. Although the Commentaries are not designed to be annexed in any manner to the conventions to be signed by Member Countries, which alone constitute legally binding international instruments, they can nevertheless be 0/ great assistance in the application 0/ the convention." 124
In der Literatur ist deshalb verschiedentlich vorgeschlagen worden, das OECD-MA als Auslegungshilfe heranzuziehen. 125 Besonders pointiert ist dieser Standpunkt von Vogel vertreten worden. 126 Vogel geht dabei von der Prämisse aus, das OECD-MA solle die Besteuerungsbefugnisse unter den Vertragsstaaten gleichmäßig verteilen. Dieses Ziel könne es nur erreichen, wenn es übereinstimmend angewandt werde. 127 Die DBA seien demgemäß in einer Weise auszulegen, die am ehesten die Aussicht habe, von beiden Vertragsstaaten akzeptiert zu werden. Aus dem Gebot der Entscheidungsharmonie und aus einer "abgeschwächten Verpflichtung der OECD-Mitglieder, das Muster auch zu verwenden, wenn kein Vorbehalt eingelegt wurde oder im Einzelfall sachliche Gründe der Übernahme entgegenstehen",128 entnimmt Vogel für die Auslegung der DBA folgendes: Hundt, RIW I AWD 1981, 308; Komi Debatin, Systematik Anhang A Nr. 5. Zu dem OECD-MA 1963, zitiert nach Ward, BIFD 1980, 549. 124 Zitiert nach Ward, BIFD 1980, 549f. 125 So etwa von Vogel, StuW 1982, 122ff.; Komi Debatin, Systematik III, Rz. 113ff.; Ward, BIFD 1980, 549f.; ähnlich auch Flick, Auslegung, S. 160, der allerdings davon ausgeht, DBA seien inländisches Recht und folgten grundsätzlich auch den einheimischen Auslegungsregeln. 126 Vg!. insbesondere auch den von Vogel verfaßten DBA-Kommentar, bei dem dieser ausgehend von den Vorschriften der OECD-MA 1963 und 1977 sämtliche deutsche DBA kommentiert. Sogar die alten deutschen Vorkriegsabkommen, die zu einer Zeit abgeschlossen wurden, als es noch keinerlei - wie auch immer geartete - MA gab, werden dabei in das m.E. recht enge Korsett der OECD-MA gezwängt. Als Beispiel ist etwa das DBA Italien von 1925 zu nennen. 127 Vogel, DBA, Ein!. Rz. 42. 122
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11. Zur Auslegung von DBA
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1. Sei der Text des Musterabkommens unverändert übernommen worden, könne grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß die Vertragsparteien der Empfehlung genügen wollten. Entsprechend könne für die Auslegung neben dem eigentlichen Vertragstext auch das Modell in seinen beiden authentischen Fassungen herangezogen werden. 129
2. Werde zwar das Modellabkommen nicht wörtlich übernommen, aber eine Formulierung, die eine Auslegung im Sinne des Modells gestatte, so spreche immer noch eine starke Vermutung für eine Auslegung im Sinne des Musterabkommens. Dies gelte auch dann, wenn eine Bestimmung zwar wörtlich übernommen worden sei, aber eine andere, vom Musterabkommen abweichende Vorschrift eine veränderte Auslegung auch der mit dem Modell übereinstimmenden Regelung nahelege. 130 3. Erst wenn sowohl eine Abweichung im Wortlaut, als auch ein Zusammenhang, der eine gegenüber dem Musterabkommen veränderte Auslegung 128 Die rechtliche Bindungswirkung der OECD-MA entnimmt Vogel, DBA, Ein!. Rz. 46, der sich der Sache nach vor allem auf Dahm, DÖV 1959, 364, bezieht, vor allem der Tatsache, daß MA und MA-Kommentar Gegenstand zweier Empfehlungen des Rates der OECD gewesen seien. Die OECD-Mitgliedstaaten sollen nach der erwähnten Empfehlung dem Musterabkommen folgen, wenn sie untereinander neue zweiseitige Abkommen abschließen oder die zwischen ihnen bestehenden Abkommen revidieren. Nach Art. 18 c) i.V.m. Art. 5 OECD-Vertrag werden die Mitgliedstaaten durch eine Empfehlung verpflichtet, zu prüfen, ob die empfohlenen Maßnahmen angebracht sind. Vogel meint aber, in der Praxis der OECD ginge die rechtliche Bedeutung darüber hinaus. Das zeige sich in der Anmeldung von "Vorbehalten" und der Tatsache, daß die Mitgliedstaaten ihre Zustimmung oft mit "Bemerkungen" über die von ihnen vorausgesetzte Interpretation der Empfehlung versehen. M.E. wird die rechtliche Bindungswirkung der OECD-Empfehlungen von Vogel überschätzt. Art. 5 OECD-Vertrag stellt für an die Mitgliedstaaten gerichtete Maßnahmen zwei Handlungsformen zur Verfügung: zum einen die Beschlüsse, die gern. Art. 5lit. a) für die Mitglieder bindend sind, soweit nichts anderes vorgesehen ist, und zum anderen die Empfehlungen. Über die Bedeutung der Empfehlungen schweigt der OECD-Vertrag. Näher hierzu verhält sich aber § 18 lit c) der OECD-Verfahrensordnung im erwähnten Sinne. Würde man nun - wie Vogel- der OE CD-Empfehlung eine auch nur faktische Bindungswirkung beilegen, wäre das abgestufte System der Handlungsformen des OECDRates über den Haufen geworfen. Denn es bedürfte zur Bindung der Mitgliedstaaten keineswegs mehr des Beschlusses, da praktisch dieselbe Wirkung auch schon bei der Empfehlung einträte. Die OECD- Empfehlung kann daher - wie der Vergleich mit der Handlungsform des OECD-Beschlusses deutlich zeigt - nicht mehr sein, als eine rechtlich unverbindliche Aufforderung an die Mitgliedstaaten zu prüfen, ob sie sich - ggf. modifiziert - zur Übernahme eignet. Eine Bindungswirkung im von Vogel angenommenen Sinne tritt hierdurch jedenfalls nicht ein. Im Ergebnis ebenso: Guillaume, AFDI 1979, 80:" Les Membres ne sont donc pas lies par les Recommendations en ce sens qu'ils ne sont pas tenus de les mettre en application; leur seule obligation est de les prendre en consideration". Van den Tempel, Beseitigung der Doppelbesteuerung, S. 29 ist der Auffassung, daß auch nach Fertigstellung des MA die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet seien, die in dem Modell enthaltenen Regelungen in ihre DBA aufzunehmen. 129 Vogel, DBA, Ein!. Rz. 47. 130 Vogel, ebenda.
1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
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nahelege, zusammenträfen, könnten das Modell und sein Kommentar nicht mehr herangezogen werden. 131 Die Ansicht Vogels über die Bedeutung der Musterabkommen dürfte zu weit gehen und ist in der von ihm vorgetragenen Form abzulehnen. Der Zugang zur Bedeutung der Musterabkommen im allgemeinen und demgemäß auch für die Auslegung erschließt sich nur dem, der sich im Ausgangspunkt jedenfalls die Entstehung der Musterabkommen vor Augen führt: Es handelt sich nämlich um Modelle, also um einen Komplex von Normen, die im allgemeinen und wenn die Steuersysteme der Vertragsparteien keine allzu großen Besonderheiten aufweisen, eine relativ geeignete Form darstellen, deren Zuhilfenahme es den Vertragsparteien ermöglicht, im Regelfall die Doppelbesteuerung in dem Rahmen, den die Musterabkommen abstecken, zu beseitigen. 132 Diese Vertragsmuster dienen daher der Funktion, Vertragsabschlüsse unter den Mitgliedstaaten zu erleichtern. 133 Gleichzeitig aber - und das ist im vorliegenden Zusammenhang von entscheidender Bedeutung - stellt das OECD-MA ein Modell dar, das von hoher Flexibilität ist und von den Vertragspartnernje nach ihren Bedürfnissen modifiziert werden kann und modifiziert wird. 134 Besondere Bedeutung für die Staatenpraxis hat das OECD-MA insbesondere dadurch gewonnen, daß die Teilnehmer an den Beratungen des OECDFiscalausschusses regelmäßig dieselben Regierungsvertreter waren, die später auch - bilateral- die Verhandlungen geführt haben. 135 Auf zwei zusätzliche Gesichtspunkte ist in diesem Zusammenhang noch hinzuweisen: Zum einen wurden sowohl Einigung auf das OECD-Muster als auch seine Anwendung ganz wesentlich erleichtert durch gleiche wirtschaftliche Interessen der in der OECD zusammengefaßten Staatengruppe und die (jedenfalls relativ gesehen) gleiche wirtschaftliche Entwicklung. 136 Hinzu kommt, daß das OECD-MA der Empfehlung zufolge nur innerhalb dieser Staatengruppe angewandt werden sollte. 137 131
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Vogel, ebenda. Musterabkommen 1963, S. 14:"Im allgemeinen können die Mitgliedstaaten dann.
wenn sie untereinander zweiseitige Abkommen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen abschließen. das Musterabkommen unmittelbar anwenden." (Hervorhebungen vom Verfasser). Dabei berücksichtigt das MA schon, daß in der OECD zur Zeit 25
Staaten mit jedenfalls annähernd vergleichbarer Wirtschafts- und Sozialstruktur zusammengeschlossen sind. 133 Prang, Vertragspolitik der Bundesrepublik, S. 42fT., der die Rolle des OECD-MA für die deutsche Vertragspolitik ausführlich analysiert hat, vergleicht die MA allgemein mit der Stellung der AGB in der Privatrechtssphäre. 134 Prang, Vertragspolitik der Bundesrepublik, S. 48 fT., sieht den Grund für den Erfolg des OECD-MA gegenüber den anderen Modellabkommen vor allem in der Tatsache begründet, daß es Raum für einzelstaatliche Bedürfnisse läßt und daß ihm die dogmatische Ausrichtung und Starrheit z. B. der Völkerbundmodelle fehlt. 135 Prang, Vertragspolitik der Bundesrepublik, S. 47; Rädler / Raupach, S. 374; van den Tempel, Tz. 23 fT.. 136 Van den Tempel, Tz. 25, 31 und 33; Prang, Vertragspolitik der Bundesrepublik, S. 48.
H. Zur Auslegung von DBA
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Zum zweiten ist bei den Beratungen nie geplant gewesen, das Musterabkommen etwa gegenüber Entwicklungsländern oder Staatshandelsländern anzuwenden; die Beratungen waren auf ein regional begrenztes (europäisches) Recht ausgerichtet. 138 Insbesondere für die Entwicklungsländer ist das dem OECDMA zugrundeliegende Prinzip der Wohnsitzbesteuerung gegebenenfalls in Verbindung mit einer beschränkten Besteuerung im Quellenstaat schon deshalb unannehmbar, weil die nach außen gehenden Einkünfte die hereinströmenden oftmals weit übersteigen. 139 Demgemäß stellt das OECD-MA bei den Verhandlungen, selbst wenn es zugrunde gelegt wird, nicht mehr dar als ein Raster, denn das Musterabkommen enthält für die zwischen den Vertragsparteien oft streitigen Verhandlungspunkte zum Teil mehrere oder auch gar keine Lösungsvorschläge. Die Verhandlungspartner sind daher auch bei weitgehender Übernahme eines Musters immer noch gezwungen, die von ihnen ausgehandelte Lösung festzulegen. 140 In gleicher Weise kann es geschehen, daß die Regelungen in den DBA für bestimmte Materien als nicht ausreichend empfunden werden und deshalb ergänzt werden müssen. Ganz naturgemäß unterscheiden sich daher die von den OECD-Mitgliedstaaten ausgehandelten DBA zum Teil beträchtlich, je nach Vertragspartner und kollidierender Steuersysteme. Es kann also keine Rede davon sein, daß selbst bei Übernahme des Musters keine Regelungsabweichungen auftreten, die demgemäß auch bei der Interpretation entsprechender Vorschriften berücksichtigt werden müssen. Noch krasser stellen sich die hier aufgezeigten Probleme dar, wenn statt der OECD-MA ein anderes Modell bei den Verhandlungen zugrundegelegt wurde. Sind die Parteien bei der Aushandelung eines DBA also etwa von dem UNOModell ausgegangen, ist es verfehlt, für dessen Auslegung ergänzend das OECD-MA und seinen Kommentar heranzuziehen. Auch wenn das UNOModell erklärtermaßen auf dem OECD-Modell aufbaut,141 hat es doch ebenso erklärtermaßen eine völlig andere Zielrichtung. 142 Ein Rückgriff auf das OECD-Modell und seinen Kommentar verbietet sich daher in diesen Fällen. Vg!. den oben wiedergegebenen Text der Empfehlung. Van den Tempel, Tz. 23ff.; Prang, Vertragspolitik der Bundesrepublik, S. 48. Daher ergaben die Beitritte der USA, Kanadas und Japans kurz vor bzw. nach Abschluß der Arbeiten an dem Musterentwurfvon 1963 den maßgeblichen Anstoß zu einer Überarbeitung. 139 Van den Tempel, Tz. 25f.; Prang, Vertragspolitik der Bundesrepublik, S. 48. 140 Prang, Vertragspolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 256, weist darauf hin, daß auch die Zugrundelegung des OECD-MA keineswegs zu schematisiert ablaufenden Verhandlungen führt. Ein Beispiel hierfür stellen die Klauseln über den Informationsaustausch dar, wo je nach Bedarf die große oder kleine Auskunftklausel vereinbart werden kann, vg!. Prang, S. 124ff. 141 So Vogel, DBA, Ein!. Rz. 47. 137
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
Was bedeutet diese Erkenntnis nun für die Auslegung? Im Gegensatz zu der von Vogel geäußerten Ansicht scheidet m. E. ein Rückgriff - gleich in welcher Form - jedenfalls dann aus, wenn die Vertragsparteien eine Formulierung gewählt haben, die sich in irgendeiner Weise von den Wendungen des zugrundegelegten Modells unterscheidet. Denn geht man davon aus, daß den Parteien ja als Grundlage für ihre Verhandlungen das Modell zur Verfügung gestanden hat, einschließlich seines Kommentars, der über die beabsichtigte Anwendungsweise genauere Informationen enthält, dann kann ein Abweichen vom Wortlaut des Modells nur so interpretiert werden, daß die Vertragsstaaten die vom Musterabkommen intendierte Wirkungsweise eben offensichtlich nicht wollten. Es ist daher nur der Schluß möglich, daß sie die Formulierungen deshalb nicht übernehmen wollten, weil sie ihren Bedürfnissen nicht gerecht wurden, sei es, weil sie bestimmte Fälle regeln wollten, die durch die Ausdrucksweise des Modells nicht erfaßt wurden, sei es, weil sie bestimmte Fälle aus dem Anwendungsbereich des abzuschließenden DBA ausklammern wollten. Sich über diese Gesetzmäßigkeiten bei der Auslegung hinwegzusetzen, würde bedeuten, nicht mehr dem im Text objektivierten Willen der Parteien Geltung zu verschaffen, sondern u.V. durch die Vertragsinterpretation diesem Willen zuwider zu handeln. Im Einzelfall kann die Auslegung zu dem Ergebnis führen, daß trotz verändertem Wortlaut die gleiche Wirkung erzielt werden sollte, wie durch das Modell und seinen Kommentar. Im Gegensatz zu der von Vogel geäußerten Ansicht spricht aber bei verändertem Wortlaut - auch bei OECD-Staaten - eine Vermutung eher gegen als für die Berücksichtigung des Modells im erwähnten Sinne. Daß - im Gegensatz zu Vogels Ansicht - eine andere, vom MA abweichende Vorschrift, die eine veränderte Auslegung auch der mit dem Modell übereinstimmenden Vorschriften nahelegt, nicht zu einer Vermutung für eine Auslegung im Sinne des Modells führen kann, sondern zum Gegenteil, dafür spricht schon Art. 31 I WVK, der eine Auslegung der DBA-Bestimmungen in ihrem Zusammenhang verlangt. Vogel ist allerdings Recht zu geben, daß eine Auslegung i.S.d. Musterabkommens in der Regel dann nicht in Betracht kommt, wenn eine Abweichung im 142 Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen UN-MA und dem OECD-Modell werden dargestellt von Hundt, RIW / AWD 1981, 306 ff (insbesondere 309ff.), der darauf hinweist, daß der Kommentar zum OECD-MA einschließlich der Bemerkungen zum Kommentar sowie der Vorbehalte zu einzelnen Abkommensartikeln in das UNMusterabkommen (nur) insoweit wörtlich übernommen wurde, als die Regelungen des UNO-Modells keine Abweichungen oder Ergänzungen erforderten. Gerade die Ausgestaltung des Verständigungsverfahrens hat jedoch gegenüber dem OECD-Modell einschneidende Änderungen erfahren; vgl. Hundt, RIW / AWD 1981, 322f. Zur Entstehungsgeschichte des UNO-Modells siehe ausführlich: United Nations Model Double Taxation Convention between Developed and Developing Countries, UN-Publication ST / ESA/l02. S. 6-12.
H. Zur Auslegung von DBA
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Wortlaut mit einem Zusammenhang, der eine veränderte Auslegung erfordert, zusammentrifft. Aber selbst wenn der Fall eintreten sollte, daß zwischen zwei OECDMitgliedern ein DBA vereinbart wurde, das dem Wortlaut des MA folgt, erscheint es nicht möglich, neben dem DBA in gleicher Weise auch das Musterabkommen und seinen Kommentar heranzuziehen. l43 Soweit in der Literatur die Berücksichtigung der MA-Kommentare gefordert wurde, fehlt es an einer dogmatischen Grundlegung ihrer Einbeziehung in den Auslegungsvorgang. 144 Bei den Musterabkommen handelt es sich um eine im Völkerrecht sonst unbekannte, ganz eigenartige Erscheinung, die sich einer Einordnung nur schwer erschließen. Offensichtlich und unbestreitbar sind die jeweils zugrundegelegten Modelle und ihre Kommentare jedenfalls keine Bestandteile der D BA. Ebenso handelt es sich nicht um Zusammenhang eines völkerrechtlichen Vertrages im oben dargestellten Sinn. Es ist keine Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien anläßlich des Abschlusses eines Doppelbesteuerungsabkommens und keine anläßlich eines solchen Vertragsabschlusses abgefaßte Urkunde. Eine Berücksichtigung nach Art. 31 WVK gleichrangig neben dem Abkommenstext ist damit ausgeschlossen und widerspräche geltendem Völkergewohnheitsrecht, als das diese Vorschrift - wie oben nachgewiesen - anzusehen ist. Eine Berücksichtigung neben dem Abkommenstext wäre jedoch dann möglich, wenn sich nachweisen ließe, daß jedenfalls im internationalen Steuerrecht eine völkergewohnheitsrechtliche Regel existiert, die die Berücksichtigung von MA und MA-Kommentar verlangt. So gibt es in der Tat eine Reihe von Entscheidungen des Bundesfinanzhofes, die das OE CD-Modell und seinen Kommentar heranziehen. 145 Auch in einer Anzahl von Fällen, die ausländische Gerichte zu entscheiden hatten, wird in der 143 So aber wohl Vogel, DBA, der sich in Ein!. Rz 45 dagegen wendet, MA und MAKommentar als "vorbereitende Arbeiten" im Sinne von Art. 32 WVK erst in zweiter Linie heranzuziehen und in Einl. 47 fordert ,,/Ur die Auslegung neben dem eigentlichen Vertragstext (. . .) auch das Modell in seinen beiden authentischen Fassungen" sowie den MA-Kommentar zugrunde zu legen. 144 Besonders charakteristisch auch hier wieder Vogel, DBA, Ein!. Rz. 45. Nach der Feststellung, MA und MA-Kommentar seien leicht zugänglich, führt er fort:"Es gibt daher keinen Grund, sie wie die ,vorbereitenden Arbeiten' i.S.d. Art. 32 zur Auslegung erst in zweiter Linie heranzuziehen." Eine Begründung, warum sie in erster Linie zu berücksichtigen wären, fehlt leider. Zu Recht kritisch demgegenüber in Bezug auf die Bindungswirkung: Rädler / Raupach, S. 374. 145 So etwa BFH BStBl. 1966 II1, 24 (27); 1966 III, 463 (464); BFHE 95, 378 (382) zum DBA Schweiz, demgegenüber wird in BStB!. 1960 III, 441 eine Entscheidung getroffen, die in klarem Widerspruch zum Kommentar des OECD-Steuerausschusses stand; vgl. im einzelnen Rädler / Raupach, S. 374 f.
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
einen oder anderen Weise auf die Musterabkommen oder ihre Kommentare Bezug genommen. l46 Bei genauerem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, daß diese Gerichte das MA und seinen Kommentar lediglich zur Bestätigung eines bereits auf anderem Wege gefundenen Ergebnisses heranziehen. 147 Es kann also keine Rede davon sein, daß diese Gerichte bei der Auslegung eines Doppelbesteuerungsabkommens deshalb auf die MA und deren Kommentare zurückgreifen, weil sie glauben, hierzu verpflichtet zu sein. Eine opinio iuris ist demgemäß nicht feststellbar. l4S Die Frage, ob daher hier Völkergewohnheitsrecht vorliegt, ist deshalb schon aus diesem Grunde zu verneinen, so daß es eines Eingehens darauf, ob möglicherweise regionales oder partikulares Gewohnheitsrecht vorliegt, nicht bedarf. 149 Eine Berücksichtigung der Modelle und ihrer Kommentare bei der Interpretation von Normen aus DBA setzt zunächst eine Untersuchung über deren Stellenwert beim Zustandekommen und Abschluß der Abkommen voraus. ISO Dabei ist zu beachten, daß die Modelle eigentlich als Rahmen angesehen werden können, der durch die Verhandlungen ausgefüllt werden kann und soll. Gleichzeitig stellt dieser Rahmen für einige Bereiche auch nur eine Vorgabe dar, die dazu führt, daß die Vertragsparteien die Normen der Modelle oftmals ergänzen oder erweitern, z.T. auch durchbrechen. lsl Ganz offensichtlich - und das macht die Rolle der Modelle als "Verhandlungsbasis" deutlich - können sie daher nicht als vorbereitende Arbeiten i.S. von Art. 32 WVK angesehen werden. ls2 Zwar hat die ILC keinen Versuch unternommen, diesen Begriff zu definieren,153 es muß aber wohl davon 146 So der U.S. Supreme Court in U.S. v. Burbank 75-2 USTC 88.506 (9795)(1942) zum DBA USA-Kanada, für die Niederlande der Hoge Raad (BNB 1976, 121 Rol No. 17812 zum DBA Deutschland-Niederlande; für die Schweiz das Schweizerische Bundesgericht in BGE 102 I b 264 (269) zum DBA Schweiz-Spanien. 147 BFHE 95, 378 (382):"Diese aus Art. 3 Abs. 1 d des OECD-Musterabkommens entnommene Begriffsbestimmung erscheint gerechtfertigt. da Art. 12 a Abs. 3 DBAS wörtlich aus dem OECD-Abkommen entnommen ist und wird auch durch die Fassung des Abs. 3 Nr. 2 bestätigt." Vgl. ähnlich BGE 102 I b 264 (269):..Ilfaut donc interpreter des commentaires que le comite fiscal de I'OCDE a donnes dans un rapport de juillet 1963". Ähnlich auch BFH BStBl. 1966 III, 463 (464). 148 Zu den Elementen des Völkergewohnheitsrechtes vgl. die Nachweise oben, Fn. 44. 149 Zu diesen Begriffen vgl. Ipsen in Menzel/ Ipsen, S. 11 ff. 150 Vgl. hierzu im einzelnen Prang, Vertragspolitik der Bundesrepublik, S. 42ff. 151 Hingewiesen sei hier insbesondere auf die Aufrechterhaltung einer Quellenbesteuerung von Lizenzgebühren in den DBA Griechenland, Luxemburg, Portugal und Spanien. 152 So zutreffend Vogel, DBA, Einl. Rz. 45. 153 YBILC 1966 H, 223: "The Commission did not think that anything would be gained by trying to define travaux preparatoires; indeed. to do so might only lead to the possible exclusion of relevant evidence."
II. Zur Auslegung von DBA
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ausgegangen werden, daß damit nur die Materialien des einzelnen - hier bilateralen - Vertrages gemeint gewesen sein können. l54 Nur diese können weitere Rückschlüsse auf den wahren Willen der Parteien geben, und ausschließlich aus diesem Grunde ist ihre Berücksichtigung als Auslegungsmittel zulässig. Demgemäß scheidet eine Berücksichtigung der Modelle als Vorarbeiten aus. Der Weg zu einer Interpretation i. S. d. Modellabkommenskommentare ist damit aber noch nicht versperrt. Wie der Text von Art. 32 I WVK deutlich macht ("insbesondere"), sind die vorbereitenden Arbeiten nur eines von mehreren Auslegungsmitteln, die ergänzend herangezogen werden können. Es liegt auf der Hand, daß das zugrundegelegte Modell, auch wenn häufig der Parteiwille bei dem schließlich abgeschlossenen D BA davon unterschiedlich sein dürfte, eine gewisse Nähe zu diesem Abkommen hat und in Einzelfällen tatsächlich für eine Auslegung fruchtbar gemacht werden kann. Eine Berücksichtigung der Modelle für die DBA-Auslegung als ergänzendes Auslegungsmittel ist damit nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar geboten. Festzuhalten ist demnach, daß die Heranziehung von Musterabkommen und MA-Kommentaren als ergänzende Auslegungsmittel i.S.d. Art. 32 WVK möglich ist. Die Erkenntnis, daß die Modelle (lediglich) im Rahmen von Art. 32 WVK berücksichtigt werden können, hilft auch bei der Frage weiter, welchen Stellenwert diese bei einer Auslegung haben können. Die Antwort ergibt sich aus Art. 32. Sie können nämlich nur herangezogen werden, um eine Bedeutung, die nach Art. 31 WVK gefunden worden ist, zu bestätigen oder um in den Zweifelsfällen weiterzuhelfen. Dieses Ergebnis ist auch interessengerecht: Die Vertragsparteien, die u.U. keinen Einfluß auf die Formulierungen in den Modellen hatten, oder sich mit ihrer Kritik nicht durchsetzen konnten, brauchen nicht zu befürchten, sich durch die Auslegung an Ergebnissen festhalten zu lassen, die nicht ihren Intentionen entsprechen. Auf der anderen Seite werden verbleibende Zweifelsfragen in einer Weise beantwortet, die die Doppelbesteuerung wirkungsvoll eindämmt, wenn nämlich einem der Modelle gefolgt wird. Für die Auslegung haben die vorangegangenen Überlegungen nun folgende Auswirkung: 1. Wenn die Vorschrift aus einem der Modelle wörtlich in eine DBA übernommen wurde und auch der Zusammenhang keine andere Auslegung erfordert, etwa weil benachbarte Vorschriften modifiziert wurden, ist eine Berücksichti154 Der Permanent Court hatte z.B. bei einem multilateralen Vertrag, nämlich bei dem Versailler Vertrag, Vertragsmaterialien nicht berücksichtigt, weil drei der an dem Verfahren beteiligten Staaten an der entsprechenden Konferenz nicht teilgenommen hatten; P.C.I.J. (1925), Series B, No. 11, S. 39. Zur Ansicht der ILC siehe YBILC 1966 II, 223. Eine Begriffsbestimmung, bei deren Zugrunde\egung die Modelle jedenfalls nicht als Vorarbeiten berücksichtigt werden könnten, findet sich bei Rest, S. 53f.
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
gung des Modells und seines Kommentars als ergänzendes Auslegungsmittel im Rahmen von Art. 32 WVK möglich. 2. Dabei kann jedoch nur das tatsächlich zugrundegelegte Modell herangezogen werden, also das OECD-Modell oder das UNO-Modell für DBA mit Entwicklungsländern, wenn diese verwandt wurden. 155 Das bedeutet auch, daß bei der Auslegung zwischen den beiden OECD-Modellen von 1963 und 1977 zu unterscheiden sein kann. Entsprechend kann bei dem Vorkriegsabkommen (DBA Italien) oder den Abkommen aus der Zeit vor dem ersten OECD-Modell auf kein Modell als Auslegungshilfe zurückgegriffen werden. 156 5. Die Lex-Fori Klausel In allen deutschen D BA, bis auf die D BA Italien und Österreich, ist eine Art. 3 11 OECD-MA nachgebildete, sogenannte Lex-Fori Klausel enthalten, wonach bei der Anwendung des Abkommens durch einen Vertragsstaat jeder im Abkommen nicht definierte Ausdruck die Bedeutung hat, die ihm nach dem Recht des Staates zukommt, für den das Abkommen gilt, wenn nicht der Zusammenhang etwas anderes erfordert. 157 Eine Reihe von Veröffentlichungen auch neueren Datums hatten die Lex-Fori Klausel zum Gegenstand; gleichwohl besteht über ihre Bedeutung bei der Auslegung kaum Klarheit. 158 Es ist höchst wahrscheinlich, daß die Aufnahme dieser Klausel in die OECD-Modelle Ausdruck eines Bestrebens der OECDMitgliedstaten ist, sich ihrer Souveränität möglichst wenig zu begeben. 1s9 Bühler war der Auffassung, in der Klausel manifestiere sich der Verzicht der Vertragsstaaten auf eine einheitliche Abkommensauslegung für die Frage, die am ehesten zu Differenzen bei der Auslegung solcher Verträge Anlaß geben könne, nämlich die nach der Auslegung und Anwendung der gebrauchten Begriffe. l60 155 Die Erkenntnis, daß das UNO-Modell auf dem OECD-Modell aufbaut, hilft für die Auslegung also nicht weiter (so aber offensichtlich Vogel, DBA, Ein!. RZ. 47). Denn das UNO-Modell zeichnet sich gerade dadurch aus, daß die dem OECD-Muster kongruenten Normen und Kommentare (samt den Vorbehalten) wörtlich übernommen wurden. Wo dies nicht geschehen ist, spricht eine Vermutung dagegen, daß eine entsprechende Auslegung gewollt ist. 156 So aber BFH BStB!. 1966 III, 24 (27) zum DBA Schweiz 1959. 157 Abweichend folgende DBA: Nach dem DBA Finnland 1974 ist das entsprechende Recht dieses Staates, nach dem DBA UdSSR das Recht dieses Staates, insbesondere über die Steuern maßgeblich. Das DBA USA verweist nur auf das anwendbare Recht. 158 Mit der Bedeutung der Lex-Fori Klausel beschäftigen sich: Avery Jones, BTR 1984, 14fT.; 90fT.; Klebau, RIW 1985, 125ff.: Mülhausen, S. 109fT.; Vogel, DBA, Art. 3 Rz. 54; Gröhs/Herbst, ZfV 1986, 16fT. Ausführlich nunmehr Gloria, RIW·1986, 970fT. 159 So Vogel, DBA, Art.3 Rz. 4,54; ähnlich Debatin, AWD 1969,480. 160 Bühler, Prinzipien, S. 61 f.; Mülhausen, S. 110, ist demgegenüber der Ansicht, daß die dargestellte AufTassung Bühlers auf einer Fehlinterpretation der Interpretationsklausel beruht.
II. Zur Auslegung von DBA
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Für die hier im Vordergrund stehende Frage nach der Bedeutung der Lex-F ori Klausel für die Auslegung ist in erster Linie von Bedeutung, wann der Zusammenhang etwas anderes erfordert, als die Anwendung nationalen Rechts. Hierzu werden zwei Theorien vertreten, die als völkerrechtliche und landesrechtliche Theorien bezeichnet werden können. a) Die völkerrechtliche Theorie Die völkerrechtliche Theorie geht davon aus, daß die Lex-Fori Klausel das interne Recht nur subsidiär zur Anwendung kommen läßt. 161 Nach dieser Auffassung soll möglichst immer eine vertragsimmanente Auslegung erfolgen. Das wird aus der Überlegung hergeleitet, daß die Doppelbesteuerungsabkommen als völkerrechtliche Verträge einen eigenen Rechtskörper darstellen, so daß sie - soweit irgend möglich - aus sich selbst heraus, nämlich vertragsimmanent, auszulegen sind. Dies mache es erforderlich, ihren gedanklichen Zusammenhang zum maßgeblichen Orientierungsmaßstab zu machen. 162 Erst dann, wenn der Auslegungsmaßstab des Zusammenhangs ausgeschöpft sei, der Abkommensinhalt aber immer noch im Sinne einer für beide Staaten maßgebenden Antwort unerkennbar bleibe, könne auf die Begriffsbedeutungen des innerstaatlichen Rechts zurückgegriffen werden. Es könne sich aber hierbei nicht um mehr handeln, als eine Auslegungshilfe, um über das sonst nicht "Entscheidbare" hinwegzuhelfen. 163 Prägnant formuliert das oberste deutsche Gericht in Steuersachen, der BFH: "Die Heranziehung innerstaatlichen Rechts ist erst dann zulässig und geboten, wenn eine Auslegung aus dem Abkommen selbst nicht möglich ist."I64 Begründet wird das Erfordernis, ein Doppelbesteuerungsabkommen entsprechend diesem Ansatz auszulegen, vor allem mit der Überlegung, hierin liege ein geeignetes Verfahren zur Zurückdrängung sogenannter Qualifikationskonflik161 Kluge, RIW 1975, 96; Klebau, RIW 1985, 126ff.; Debatin, AWD 1969, 488; Korn I Debatin, Systematik III, Rz. 121, 126; Weber-Fas, RIW 1982, 807; H. Vogel, BB 1978,1021; Langbein, RIW 1984, 539; Tixier, Droit Fiscal International, 414, zitiert nach Avery Jones, BTR 1982, 17, 105; hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf Spitaler, der schon 1936 darauf hinwies, daß ein Doppelbesteuerungsabkommen "nur aus sich selbst heraus ausgelegt werden kann, denn es ist zwischenstaatlich gebundenes Recht", vgl. Spitaler, Doppelbesteuerungsproblem, S. 562. 162 Korn I Debatin, Systematik III, Rz. 125; Debatin, AWD 1969, 477ff.; vgl. auch aus der Rechtsprechung: BFH, BStBl. 1971 II, 379; BStBI. 1972 11, 948; BStBI. 197511,584; BStBl. 198211,566; ähnlich Langbein, RIW 1984, 539: "vertragsfreundliche Auslegung". 163 KornlDebatin, Systematik III, Rz. 126; vgl. auch Diehl, FR 1978, 517ff.; Debatin, FR 1979,493 ff. Im wiedergegebenen Sinne äußern sich auch Gröhs I Herbst, ZfV 1986, 24. 164 BFH, BStBl. 197111,379; etwas anders, und ohne diese Entscheidung ausdrücklich zu nennen, formuliert der BFH im BStBl. 198211,566: "Es bedarf deshalb der Auslegung der Vorschrift, die sich in erster Linie an dem Sinn- oder Vorschriftenzusammenhang des Abkommens selbst, in zweiter Linie erst an den Grundsätzen des innerdeutschen Rechts zu orientieren hat."
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
te, wie sie unweigerlich entstünden, wenn nach der Lex Causae qualifiziert würde. 165 Die Vertragsauslegung nach dem nationalen Recht könne nämlich zwei unerwünschte Auswirkungen haben, Doppelbesteuerung zum einen und Doppelfreistellungen zum anderen. Nach der unter Rückgriff auf das innerstaatliche Recht gewonnenen Auslegung kann es geschehen, daß jedem der Vertragspartner ein Besteuerungsrecht für dasselbe Steuergut zusteht (positiver Qualifikationskonflikt). Die Folge wäre eine - durch die Auslegung erzeugte - Doppelbesteuerung. Denkbar ist auch der entgegengesetzte Fall: Die Anwendung innerstaatlicher Rechtsbegriffe kann nämlich dazu führen, daß ein Steuergutjeweils dem anderen Vertragspartner zur Besteuerung zugewiesen ist; dieser kann jedoch aufgrund seiner ebenfalls auf das innerstaatliche Recht zurückgreifenden Auslegung eine Besteuerung deshalb nicht vornehmen, weil nach seiner Auslegung dem anderen Staat das Besteuerungsrecht zusteht (negativer Qualifikationskonflikt).l66 Solche Qualifikationskonflikte entstehen erst dann - aber auch immer erst dann -, wenn sich die Bedeutung der verwandten Begriffe nicht aus dem Abkommen selbst erschließt und die Vertragsstaaten einem Begriff deshalb eine unterschiedliche Bedeutung beilegen, weil der im Abkommen gebrauchte Begriff nach dem nationalen Recht des einen Vertragsstaates eine andere Bedeutung hat als im nationalen Recht des anderen Staates 167 , und nur dann, wenn ein Rückgriff auf innerstaatliches Recht möglich ist. 16S Grundlegend haben sich in der Literatur zum Internationalen Steuerrecht vor allem HerzJeld und Spitaler im Sinne einer vertragsinternen Auslegung geäußert: Schon HerzJeldhat bei der Auslegung von Steuergesetzen eine Unterscheidung vorgenommen zwischen den einseitigen staatlichen Normen und den Normen von Staatsverträgen. 169 Bei den Doppelbesteuerungsverträgen sei als erstes von den ausdrücklich definierten Begriffen auszugehen. Soweit eine vertragliche Definition fehle, müsse durch Auslegung des Abkommens ein einheitlicher Begriff gefunden werden. Für die dabei anzuwendenden Grundsätze seien die allgemeinen Regeln des Völkerrechts maßgebend; eine Auslegung der Abkommensbegriffe nach der Lex Fori sei nur subsidiär zulässig. 170 165 Korn / Debatin, Systematik III, Rz. 126; Debatin, FR 1979, 493; vgl. auch Klebau, RIW 1985, 126. 166 Vgl. Diehl, FR 1978, 517f.; Debatin, FR 1979, 493. 167 Darauf weist Widmann, S. 238 zutreffend hin. 168 Zur Terminologie: Im Anschluß an Widmann, S. 238, sollen Qualifikations- und Auslegungskonflikte unterschieden werden. Auslegungskonflikte entstehen dann, wenn zwar in beiden Staaten über die Bedeutung der Begriffe in den Abkommen Einigkeit besteht, jedoch im Einzelfall bei Anwendung des Abkommens sich unterschiedliche Ergebnisse herausstellen. Widmann ist jedoch - m. E. zu Recht - der Auffassung, die Grenzen zwischen Auslegungs- und Qualifikationskonflikt seien fließend. 169 Herz/eid, VRSchrStuFR 1932, 422ff. 170 Herz/eid, S. 467f.
H. Zur Auslegung von DBA
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Dieser Ansicht ist auch Spitaler: "Zieht man von vornherein zur Auslegung nur eines der beiden Rechte heran, so ist dies nichts anderes als reine Willkür und ein grober logischer Fehler, weil die von den Vertragsparteien geschaffenen Vertragsnormen ihrer Natur nach gemeinsames Recht schaffen sollen, das natürlich nicht im Wege der einseitigen, vom Steuerrecht des anderen Staates unabhängigen Auslegung festgestellt werden kann."I71
Nach dieser Ansicht kommt der Rückgriff auf das innerstaatliche Recht nur in Betracht, um der "Abkommensregel überhaupt eine Rechtsfolge im Interesse der Vermeidung der Doppelbesteuerung zu sichern, obwohl die so zur Geltung kommenden Begriffsbildungen des innerstaatlichen Rechts mit denjenigen des auf internationaler Ebene auszuhandelnden Steuerrechtsvertrages unmittelbar nichts zu tun haben."172 b) Die landesrechtliche Theorie
Die Gegenansicht behauptet, es sei nicht möglich, dem Art. 3 11 einen systematischen Vorrang der Auslegung aus dem Zusammenhang vor der Bezugnahme auf das nationale Recht zu entnehmen. 173 Ob der Zusammenhang etwas anderes erfordere als den Rückgriff auf nationales Recht, ließe sich schon aus logischen Gründen erst beurteilen, wenn zuvor die Bedeutung des Ausdrucks nach innerstaatlichem Recht festgestellt worden sei. 174 Demgemäß ließe sich eher von einem Vorrang der Auslegung nach innerstaatlichem Recht sprechen. 175 Innerstaatliches Recht müsse daher immer dann Anwendung finden, wenn ein Begriff im Abkommen selbst nicht definiert sei. Das interne Recht könne nur dann keine Anwendung finden, wenn der Zusammenhang etwas anderes erforderepsa Besonders dezidiert wird diese Auffassung von Vogel vertreten: Er meint, das Musterabkommen ließe deutlich erkennen, daß nicht etwa jede in sich überzeugungskräftige Auslegung aus dem Zusammenhang zu einer Abweichung von der Regel des Art. 3 11 MA (nach seiner Ansicht also der Anwendung internen Rechts) führen könne, sondern nur Gründe besonderen Gewichts. 176 Das ergibt sich für Vogel daraus, daß das Musterabkommen formuliert: Spitaler, Doppelbesteuerungsproblem, S. 562. Debatin, FR 1979, S. 493. 173 So ausdrücklich K. Vogel, DBA, Art. 3 Rz. 64. 174 K. Vogel, ebenda. 175 K. van Raad, S. 52; K. Vogel, DBA, Art. 3 Rz. 64. 175- Avery Jones, BTR 1984, 105ff., m. w. Nachweisen aus der (vor allem niederländischen) Literatur; ähnlich auch Diehl, FR 1978, 517, der der Ansicht ist, der Rückgriff auf das Recht des den Vertrag anwendenden Staates sei durch Art. 3 II MA soweit erlaubt, als aus dem Vertrag heraus kein übereinstimmender Vertragswille ermittelt werden könne. 176 K. Vogel, DBA, Art. 3 Rz. 65. 171
172
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
" ... wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert" (requires, exige) und nicht: " ... wenn der Zusammenhang keine andere - oder überhaupt keine Auslegung ergibt." Vogel sieht sich in seiner Ansicht auch durch die Entstehungsgeschichte bestätigt. 177
Nach Vogel ist demgemäß die Auslegung von in den Abkommen nicht definierten Begriffen nach dem internen Steuerrecht die Regel; nur soweit der Zusammenhang gewichtige Gründe für eine Auslegung entgegen dem innerstaatlichen Recht ergibt, kann von einer Auslegung nach dem innerstaatlichen Recht abgewichen werden. 178 In diesem Zusammenhang wird auch darauf hingewiesen, daß die OECDMusterabkommen in Art. 3 11 eine Doppelbesteuerung um der Gewährleistung einer größeren Praktikabilität willen bewußt in Kauf nähmen. 179 Diese Theorie wird auch zum Teil im Ausland, vor allem im angelsächsischen Bereich vertreten. 180 Charakteristisch ist hier für die USA die Stellungnahme von Bryan, J.: "Conclusive evidence of the signatories desire to retain their own scheme of taxation is article I/ (2 181
r.
177 K. Vogel, DBA, Art. 3 Rz. 65, 4; für die Entstehungsgeschichte verweist Vogel auf das DBA Großbritannien/USA aus dem Jahre 1945, das diese Klausel bereits enthalten habe. Seiner Meinung nach sei sie bezeichnend für die angelsächsische Gesetzgebungsund Vertragspraxis (Wieso eigentlich?). Als Argument für die Frage, wie die Klausel in das Musterabkommen Eingang fand, mag der Rekurs auf das DBA Großbritannien/USA noch angehen. Als Argument bei der Auslegung eines DBA der Bundesrepublik Deutschland (und Vogel versteht ja seinen Kommentar als Kommentar der DBA der Bundesrepublik anhand der Artikel des OECD-MA) begegnet es zwei gravierenden methodischen Bedenken: Zum einen können die Musterabkommen nur im Rahmen von Art. 32 des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens als ergänzendes Auslegungsmittel zur Bestätigung einer bereits gewonnenen Bedeutung oder wenn die Auslegung sonst unklar bliebe oder zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt. Vogel zieht darüber hinaus das DBA Großbritannien / USA von 1945, das zweifellos nicht zu den vorbereitenden Arbeiten der OECD-Muster gehört hat und ebenso nicht zu den Umständen des Vertragsschlusses, heran, um die von ihm vorgenommene Auslegung eines Artikels der OECD-MA zu bestätigen, um dadurch wiederum Rückschlüsse für die Auslegung eines DBA der Bundesrepublik Deutschland zu gewinnen, das unter keinen Voraussetzungen in Verbindung mit dem DBA USA/Großbritannien gebracht werden kann. 178 Vogel, DBA, Art. 3 Rz. 66. 179 Vogel, DBA, Art. 3 Rz. 65; Avery Jones, BTR 1984, 105; in diesem Sinne auch Diehl, FR 1978, 17; dagegen Debatin, FR 1979,495. 180 Vgl. z. B. Hoge Raad, Entscheidung vom 10. 06.1981, BHB 1981/242, European Taxation 1981, 301; sowie Entscheidung vom 20. 04. 1983, BHB 1983/203, European Taxation 1983, 400. 181 Samann v. Commissioner ofInternal Revenue, 313 F. 2d 461, 463 (1963) zum Art. 2 11 DBA USA/Schweiz. Da diese Auffassung aber nicht nur im Ausland, sondern gerade von Vogel- auch im Inland vertreten wird, geht es zu weit, wenn Klebau, RIW 1985, 126 sie als die Auslegung im Ausland kennzeichnet.
11. Zur Auslegung von DBA
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c) Das Erfordernis einer vertragsimmanenten Interpretation von Begriffen der Doppelbesteuerungsabkommen
Nach dem Wortlaut der Lex-Fori Klausel kann auf nationales Recht (nur) dann zurückgegriffen werden, wenn zwei Voraussetzungen (kumulativ) vorliegen, wenn nämlich :
1. der fragliche Begriff nicht im Abkommen selbst definiert ist, und wenn
2. der Zusammenhang nichts anderes erfordert, als den Rückgriff auf nationales Recht. Es ist zutreffend darauf hingewiesen worden, daß die Auslegungsregel des Art. 3 11 OECD-MA naturgemäß nicht auf sich selbst bezogen werden kann, sondern nur auf die anderen Vorschriften des jeweiligen DBA.182 Das hat zur Folge, daß die Lex-Fori Klausel ihrerseits wiederum nach den Regeln der Art. 31 ff WVK zu interpretieren ist. Wenn der Rechtsanwender feststellt, daß das jeweilige Abkommen keine (ausdrückliche) Definition eines fraglichen Begriffes enthält, so ist er keineswegs berechtigt, sofort nationales Recht anzuwenden. Vielmehr hat er zu versuchen, unter Anwendung der Auslegungsregeln der WVK, d. h. aus dem Kontext des Vertrages unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck eine Auslegung vorzunehmen. 183 Hierfür sprechen folgende Gründe: Zunächst einmal läßt sich nur dann sagen, daß der Zusammenhang eine andere Auslegung gebietet als das innerstaatliche Recht, wenn zuvor untersucht wurde, welche Rechtsaussage denn nach dem Zusammenhang überhaupt zu treffen ist. Hinzu kommt, daß die von Vogel vorgetragene (und oben wiedergegebene) Kritik an der Auslegung des Wortes erfordert (requires, exige) nicht überzeugt. Vom Wortlaut allein betrachtet ist dies jedenfalls keineswegs zwingend. Erkennt man nämlich an, daß sich aus allgemeinem Völkerrecht die Verpflichtung ergibt, Verträge nach den Regeln der WVK und damit möglichst vertragsimmanent zu interpretieren, so läßt sich durchaus auch die Auffassung vertreten, das Erfordernis einer vom nationalen Recht abweichenden Auslegung von DBA sei stets zu bejahen, wenn die Abkommen überhaupt eine Rechtsaussage hierzu träfen. Ein Rückgriff auf nationales Recht käme dann tatsächlich nur in Betracht, um über das sonst nicht Entscheidbare hinwegzuhelfen.
Klebau, RIW 1985, 127. Grundlegend hierzu Debatin, AWD 1969,482: "Aber auch wenn die Abkommensvorschrift aus sich noch keinen bestimmten Auslegungsinhalt vorzeichnet, ist der Anspruch auf eine bestimmte Rechtsaussage nicht aufgegeben. Hier muß dann die Auslegung aus der ganzen Breite der daßr maßgebenden Gesichtspunkte und Anhaltspunkte geschöpft werden, was die Abkommen als Auslegung kennzeichnen, die sich aus dem Zusammenhang ergibt". In diesem Sinne auch Korn / Debatin, Systematik IIl, Rz. 125; Spitaler, Doppelbesteuerungsproblem, S. 562; Weber-Fas, Staatsverträge, S. 88f.; eine Umsj:tzung in die Rechtsprechung erfolgte mit BFHE 101, 536f. & BStB!. 1971 II, 379. 182
183
7 Gloria
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
Angesichts des somit nicht eindeutigen Wortlauts des Art. 3 11 OECD-MA kommt dem telos der Verträge, nämlich die Doppelbesteuerung einzudämmen, entscheidende Bedeutung zu. Wie oben dargestellt, führt gerade der Rückgriff auf nationales Recht dazu, daß entweder Doppelbesteuerungen oder das Bestehenbleiben der Doppelbesteuerung auftreten, mithin Erscheinungen, die sich bei vertragsimmanenter Interpretation vermeiden lassen. 184 Für die Auslegung einer entsprechenden Formulierung in einem völkerrechtlichen Vertrag läßt sich hieraus nur der Schluß ziehen, daß eine Klausel, die auf nationales Recht verweist, entsprechend restriktiv interpretiert werden muß. Außerdem ist auch bei der Auslegung der völkerrechtliche Charakter der DBA zu beachten. Spitaler ist Recht zu geben, wenn er darauf hinweist, daß das durch die DBA geschaffene Recht als Völkerrecht naturgemäß gemeinsames Recht sein muß. Dieses gemeinsame Recht kann aber nicht durch eine einseitige, vom Recht und vom Vertragswillen des anderen Vertragspartners unabhängige Auslegung festgestellt werden. 185 Die Auslegung des Begriffes "erfordert" in Art. 3 11 führt damit zu dem Ergebnis, daß die Anwendung nationalen Rechts jedenfalls dann ausgeschlossen ist, wenn die Abkommen zu dem betreffenden Begriff überhaupt eine Rechtsaussage enthalten, weil dann stets etwas anderes erforderlich ist. d) Die Bedeutung des Begriffes "Zusammenhang" in Art. 3 II OECD-MA 1977
Zum Teil wird die Ansicht vertreten, das Wort "Zusammenhang" msse weit ausgelegt werden. Ausgangspunkt diesbezüglicher Überlegungen ist ein Statement von Lord Simon of Glaisdale in einer neueren englischen Entscheidung: "The Courts have Jive principal avenues of approach to the ascertainment of legislative intention: ( 1) examination of the social background, as specifically proved if not within common knowledge, in order to identify the social or juristic defect wh ich is likely subject of remedy; So zutreffend Klebau, RIW 1985, 127. Vgl. auch Gloria, RIW 1986,976. Spitaler, Doppelbesteuerungsproblem, S. 562, so auch Korn / Debatin, Systematik III, Rz. 125. Im Gegensatz zu der hier vertretenen Ansicht gehen Gröhs / Herbst, ZfV 1986, 23 f. davon aus, die Regel des Art. 31 WVK auf die Interpretationsanweisung des Art. 3 II OECD-MA angewandt, bedeute, daß dieser Bestimmung die Bedeutung zuzumessen sei, die es ermögliche, das Ziel der D BA - eine bilaterale Einfachbesteuerung - zu erreichen. Die Bedeutung der Wendung" wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert" in Art. 3 II OECD-MA könne daher nur so verstanden werden, daß eine Interpretation des völkerrechtlichen Vertrages in derselben Weise zu erfolgen habe, wie dies in der WVK festgelegt sei. Das führe - insoweit kommen Gröhs/Herbst zum gleichen Ergebnis, wie die hier vertretene Meinung - dazu, daß die Vorschrift so zu verstehen sei, daß DBA (zunächst) nicht nach innerstaatlichem Recht interpretiert werden dürften, sondern eine Auslegung aus dem Vertrag selbst vorzunehmen sei. Der Rückgriff auf nationales Recht ist für Gröhs/ Herbst lediglich die ultima ratio der Vertragsauslegung. \84
\85
II. Zur Auslegung von DBA
99
(2) a conspectus of the entire relevant body of the law for the same purpose; (3) particular regard to the long title of the statute to be interpreted ( and, where available, the preamble) , in which the general legislative objectives will be stated; (4) scrutiny of the actual words to be interpreted in the light of the established canons of interpretation; (5) examination of the other provisions or the statute in question (or of other statutes in pari materia) for the light which they thfoW on the particular words wh ich are the subject of interpretation." 186
Aus diesen Entscheidungen wird nun abgeleitet, daß es zwei Möglichkeiten gebe, den Kontext zu bestimmen: Zum einen so, wie die WVK dies tue (und deshalb wird der auf diese Weise gewonnene Kontext-Begriffvon den Vertretern dieser Meinung auch als" Wiener Kontext" bezeichnet) und zum anderen in der Weise, wie dies Lord Glaisdale in der zitierten britischen Entscheidung tun
will. 187
Eine Analyse der Auffassung Lord Glaisdales ergibt, daß die von ihm unter (1), (2) und (5) (soweit dort ganz allgemein auf andere Gesetze in pari materia Bezug genommen wird) bezeichneten Punkte über den Kontext-Begriff der WVK erheblich hinausgehen. Denn eine Berücksichtigung des sozialen Hintergrundes und eine Übersicht über die gesamte einschlägige Rechtsmasse dürfte nach der WVK ebenso ausgeschlossen sein, wie die Berücksichtigung anderer völkerrechtlicher Verträge, die nicht auch gerade zwischen denselben Vertragspartnern abgeschlossen wurden. Aus der Erkenntnis, daß der Kontext auch weiter verstanden werden dürfe, als dies die WVK tat, zieht nun Avery Jones folgende Schlußfolgerung: Ausgangspunkt der Auslegung müsse der enge Kontext-Begriff sein, den die WVK zugrunde lege. Dabei könne man jedoch nicht stehenbleiben, denn die Verwendung des Kontext-Begriffes der WVK im Rahmen der Formulierung "wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert", ergebe - isoliert betrachtet - keinen Sinn. Im Rahmen einer Auslegung nach den Regeln der WVK werde der Kontext gerade nicht isoliert betrachtet, sondern nur in Abhängigkeit von anderen Faktoren. 188 Deshalb schlägt er vor, im Rahmen von Art. 3 11 OECDMA als "Zusammenhang" schlechthin alles, was normalerweise in Betracht gezogen werden kann, zu verstehen. 189
186 Ealing Borough Council v. Race Relations Board (1972) A. C. 342, 361; vgl. auch Avery Jones, BTR 1982, 91 f., der mit dieser Auffassung sympathisiert; vgl. ebenfalls die Entscheidung in der Angelegenheit A. G. v. Ernest August ofHannover (1957) A. C. 436, 461, die allerdings keinen völkerrechtlichen Vertrag betrifft. 187 So vor allem Avery Jones, BTR 1982,91 104 passim und ihm folgend Klebau, RIW 1985, 132. Vgl. auch Gloria, RIW 1986, 976f. 188 Avery Jones, BTR 1982, 104. 189 Avery Jones, BTR 1982, 104 und ihm folgend Klebau, RIW 1985, 134.
7'
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
Diese Ansicht begegnet in zweierlei Hinsicht, nämlich zum einen methodisch, zum anderen inhaltlich, durchgreifenden Bedenken: Methodisch ist anzumerken, daß keine der beiden britischen Entscheidungen, aus denen Avery Jones und ihm folgend Klebau die Erkenntnis ableiten, der Kontext-Begriff in Art. 3 11 OECD-MA könne auch weiter verstanden werden, als dies die WVK offensichtlich tut, zu Doppelbesteuerungsabkommen oder auch nur zu einem völkerrechtlichen Vertrag überhaupt ergangen sind. Insbesondere das Statement Lord Glaisdales ist zum britischen Race Relations Act ergangen und hat in keiner Weise irgendeinen Bezug zum Völkerrecht, geschweige denn zur Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages. Hinzu kommt, daß Lord Glaisdale nicht einmal den Begriff des Kontextes verwendet. Insgesamt gesehen stellt seine Äußerung nicht mehr dar, als den Hinweis auf Faktoren, die üblicherweise bei einem Auslegungsvorgang eine Rolle spielen können, etwa im Sinne des Savigny'schen Auslegungskanons. Zusätzliche Bedenken ergeben sich daraus, daß die fünf von Lord Glaisdale angeführten Punkte dazu dienen sollen, "legislative intention" festzustellen. "Legislative intention" kann es jedoch nach dem oben Gesagten bei völkerrechtlichen Verträgen nicht geben; entscheidend ist nur der in einem Vertrag niedergelegte und zum Ausdruck kommende Wille beider Vertragsparteien.
Inhaltlich ist anzumerken, daß auch der Begriff des "Context" in Art. 3 11 OECD-MA nach den Regeln der Art. 31 ff. WVK interpretiert werden muß. Dabei fällt auf, daß der Begriff "Context" vom Wortlaut her in zweierlei Weise verstanden werden kann: - zum einen in dem Sinne, daß nur das erfaßt wird, was sich aus dem "Zusammenhang" des Vertragstextes ergibt, also nur der Inhalt der DBA selbst (man kann das deshalb auch als "inneren Zusammenhang" bezeichnen)190, - zum anderen in dem Sinne, daß auch außerhalb des (eigentlichen) Textes liegende Faktoren erfaßt werden. 191 Nach dem bloßen Wortlaut läßt sich die Bedeutung des Begriffes mithin nicht klären. Auch der Vertragskontext der WVK im oben beschriebenen Sinne führt vorliegend zu keinem Ergebnis: Die Doppelbesteuerungsabkommen enthalten in der Regel keine Präambel; ebenso sind auf den Vertrag sich beziehende Übereinkünfte, die zwischen den Vertragsparteien anläßlich des Vertragsabschlusses getroffen wurden oder entsprechende Urkunden im Sinne von Art. 31 11 WVK nicht ersichtlich. 192 Nicht ergiebig sind letztlich auch die Auslegungsrnittel des Art. 31 III WVK, die nach dieser Vorschrift in gleicher Weise zu berücksichtigen wären. Es gibt 190 191 192
Vgl. Avery Jones, BTR 1982, 92 ffi. w. N.; Klebau, RIW 1985, 132. Avery Jones, BTR 1982, 92; Klebau, RIW 1985, 132. Van Raad, Maanblad Belasting-Beschouwingen 1978, 20.
Ir. Zur Auslegung von DBA
101
keine - wie auch immer geartete - Übung bei der Anwendung des Vertrages, aus der eine Übereinstimmung von Vertragsparteien über diese spezielle Klausel hervorginge. Entscheidend für die Beantwortung der Frage nach dem Inhalt des "Zusammenhangs"-Begriffes in Art. 3 11 OECD-MA werden damit folgende Überlegungen: Die Ansicht Avery Jones' und Klebaus, die den Kontext-Begriff ähnlich weit ziehen wollen, wie dies durch die zitierten britischen Entscheidungen vorgegeben ist, ist nicht überzeugend. Berücksichtigt man, daß Art. 31 WVK der objektive Auslegungsansatz zugrunde liegt, verbietet sich - ipso iure - eine Auslegung mit dem Ziel einer Erforschung des historischen Parteiwillens. Damit scheiden als Gegenstände der Auslegung alle Gegenstände aus, die diesen nicht in irgendeiner Form verkörpern, sowie alles, was nur den Willen einer Partei wiedergibt. 193 Hinzu kommt, und das ist m. E. entscheidend, daß sich nach Art. Art. 31 WVK die Bedeutung eines Begriffes aus einer Zusammenschau von Vertragswortlaut, Gegenstand und Zweck und Zusammenhang (im engen Sinne) im Wege einer "single combined operation" ergeben soll. Für eine Berücksichtigung des engen Kontext-Begriffes der WVK hätte es insoweit einer Aufnahme des Begriffes "Zusammenhang" in den Text von Art. 3 11 OECD-MA überhaupt nicht bedurft, da dieser bei jeder Auslegung von selbst heranzuziehen gewesen wäre. Offensichtlich sollte aber durch die Lex-Fori Klausel - das ergibt sich aus der gewählten Formulierung "wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert" - die Möglichkeit geschaffen werden, von einer vertragsimmanenten Interpretation abzuweichen. Kriterium dafür, wann das der Fall sein soll, ist, daß der Zusammenhang etwas anderes verlangt. Zweifelhaft ist jedoch, was der Zusammenhang eigentlich umfaßt. Sind aber alle diejenigen Auslegungsgegenstände, die unter den KontextBegriff des Art. 31 WVK fallen, schon bei einer Feststellung der Bedeutung einer zweifelhaften Klausel im Rahmen der allgemeinen Auslegungsregel berücksichtigt worden, so verbleiben für eine Berücksichtigung im Rahmen der Lex-Fori Klausel nur diejenigen Gesichtspunkte, die nicht auch unter den engen KontextBegriff der WVK fallen. Es ist nun nichts weniger als wahrscheinlich, als daß ausgerechnet dieser Rest-Zusammenhang, der sich demgemäß nur aus Auslegungsgegenständen zusammensetzen kann, die im Rahmen einer Auslegung nach den Regeln der WVK entweder überhaupt nicht, oder jedenfalls nur ergänzend im Rahmen von Art. 32 WVK herangezogen werden können, maßgeblich dafür sein soll, ob auf nationales Recht zurückgegriffen werden kann oder nicht. 194
193 Also z.B. die deutschen Denkschriften, was z. B. von Korn I Debatin, Systematik III, Rz. 130, verkannt wird. Vgl. auch Gloria, RIW 1986, 977. 194 Vgl. Gloria, RIW 1986, 977.
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1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
Erhebt man den Zusammenhang, wie dies der Wortlaut von Art. 3 11 OECDMA verlangt, zum Maßstab dafür, wann von einer vertragsimmanenten Auslegung abweichend auf nationales Recht zurückgegriffen werden soll, so wäre es eine Absage sowohl an das Prinzip der vertragsimmanenten Interpretation völkerrechtlicher Abkommen als auch an die objektive Auslegungslehre, wollte man zur Bestimmung, ob dies geschehen soll oder nicht, Auslegungsgegenstände heranziehen, die nach dem Willen der WVK entweder nur ergänzend - im Rahmen von Art. 32 WVK - oder gar nicht berücksichtigt werden sollen. 195 Ebenso wenig einleuchtend erscheint es aber, den Begriff des Zusammenhangs in Art. 3 11 OECD-MA von vornherein weit zu verstehen, also die bereits von Art. 31 11 WVK erfaßten Auslegungsgegenstände zuvor auszuscheiden. Die Folge wäre nämlich, daß die Auslegungsgegenstände, deren Berücksichtigung bereits Art. 31 11 WVK anordnet, zweimal in die Feststellung des Interpretationsergebnisses einfließen; zum einen im Rahmen der Interpretation der fraglichen Vorschrift nach Art. 31 WVK, zum anderen bei der sich anschließenden Prüfung, ob der Zusammenhang etwas anderes erfordert als die Anwendung nationalen Rechts. Aus den vorerwähnten Überlegungen ergibt sich auch ohne weiteres, daß der Begriff des Zusammenhanges nicht im gleichen Sinne verstanden werden kann, wie dies die WVK tut. Hier würden sogar sämtliche Gegenstände, deren Berücksichtigung die WVK nach Art. 31 I WVK im Wege einer "single combined operation" zur Ermittlung des Sinngehaltes einer DBA-Vorschrift anordnet, ein zweites Mal, diesmal im Rahmen der Prüfung, ob der Zusammenhang etwas anderes erfordert, herangezogen. Darüber, daß dies sinnwidrig sein dürfte, besteht Einigkeit. 196 Vgl. Gloria, RIW 1986, 977f. Klebau, RIW 1985, 134; Avery Jones, BTR 1982,104. Anderer Ansicht neuerdings Gröhs / Herbst, ZfV 1986,24, die es als unverständlich bezeichnen, daß Klebau den Begriff "Zusammenhang" nicht wie in der WVK verstanden wissen will. Nach Auffassung von Gröhs/ Herbst kann Art. 31 I WVK zufolge die wörtliche Interpretation der Lex-Fori Klausel nur der Ausgangspunkt sein; zu einem endgültigen Interpretationsergebnis gelange man nur durch eine systematisch-teleologische Interpretation, durch Beachtung von "Zusammenhang" und "Gegenstand und Zweck" des betreffenden DBA. Auf die Interpretationsanweisung des Art. 3 II MA angewendet bedeute das, daß dieser Bestimmung diejenige Bedeutung beizumessen sei, die es ermögliche, das Ziel der D BAdie bilaterale Einfachbesteuerung - zu erreichen. Die Bedeutung der Wendung "wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert" in Art. 3 II MA könne daher nur in der Weise verstanden werden, daß eine Interpretation des völkerrechtlichen Vertrages in der Weise zu erfolgen habe, wie dies die WVK vorschreibe. Dementsprechend könne dem Begriff "Zusammenhang" auch nur die dieselbe weitgefaßte Bedeutung beigemessen werden, wie in der WVK. Die Unrichtigkeit dieser Ansicht von Gröhs / Herbst ergibt sich bereits aus den oben angestellten Überlegungen: Wäre dies der Fall, so würden dieselben Auslegungsgegenstände zweimal in den Auslegungsvorgang einfließen, einmal zur Ermittlung des Inhaltes einer DBA-Vorschrift und zum anderen im Rahmen der Prüfung, ob der Zusammenhang etwas anderes erfordert. 195
196
II. Zur Auslegung von DBA
103
Es läßt sich damit - bis hierhin - feststellen, daß keine der zur Bedeutung des Begriffes "Zusammenhang" entwickelten Ansichten überzeugt. Im Ergebnis wird jede hierzu entwickelte Theorie an dieselben Grenzen gelangen, nämlich in der geschilderten Weise in Konflikt geraten zu der völkerrechtlich verbindlichen Auslegung nach den Regeln der WVK, indem die Berücksichtigung einzelner Auslegungsgegenstände doppelt erfolgt. Der geschilderte Auslegungskonflikt führt daher dazu, daß sich die Bedeutung des Wortes "Zusammenhang" des Art. 3 11 OECD-MA schlechthin nicht ermitteln läßt. Das eigentlich maßgebliche Wort, das die Normgeber als Maßstab für die Abgrenzung zwischen nationalem und DBA-Recht vorsehen, ist also bei genauerem Hinsehen funktionslos. 197 Dieses - auf den ersten Blick überraschende - Ergebnis ist m. E. dadurch zu erklären, daß die Lex-Fori Klausel in ihrer ursprünglichen Form - soweit erkennbar - erst durch das OECD-Muster von 1963 in die Doppelbesteuerungsabkommen Eingang gefunden hat. Die DBA, in denen diese Klausel fehlt, stammen aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg (wie das DBA Italien) oder aus der Zeit vor Veröffentlichung des Modells von 1963 (wie etwa das DBA Österreich). Deshalb liegt der Gedanke nahe, daß der OECD-Steuerausschuß sich über die Möglichkeit einer Kollision völkerrechtlicher Interpretationsgrundsätzer nicht im klaren war und aus diesem Grunde auch 1977, als die WVK zwar schon vorlag, aber noch nicht in Kraft getreten war, von einer Änderung dieser Klausel abgesehen hat. Schließlich ist jedoch auch hier möglich, daß der Steuerausschuß die Einwirkung der Vertragsrechtskodifikation auf das Völkergewohnheitsrecht nicht hat einschätzen können. 198 Da eine klare Inhaltsbestimmung des Begriffes "Zusammenhang" somit ausscheidet, muß dieser Begriff als solcher aus den weiteren Betrachtungen ausscheiden. Maßstab dafür, wann eine andere Bedeutung als die nach nationalem Recht maßgebende zugrundegelegt werden soll, kann daher nur sein, daß "etwas anderes erforderlich" ist. Das ist immer dann der Fall, wenn sich dem Abkommen überhaupt eine Rechtsaussage entnehmen läßt. e) Die Bedeutung der Lex-Fori Klausel
Schränkt man die Klausel richtigerweise in diesem Sinne ein, kommt man zu folgenden Ergebnissen: Wie dargelegt, müssen die DBA-Vorschriften als Normen völkerrechtlicher Verträge nach völkerrechtlichen Grundsätzen, also den Interpretationsvorschriften der WVK, Art. 31 - 33, ausgelegt werden, wobei auch die dort
197
198
So bereits Gloria, RIW 1986, 978. Vgl. Gloria, RIW 1986, 978.
104
1. Kap.: Die DBA als innerstaatlich vollziehbares Völkerrecht
festgelegte Stufenfolge eingehalten werden muß. Dies gilt zunächst auch unabhängig von Art. 3 11 OECD-MA, da die Lex-Fori Klausel vom Wortlaut her nur die rein begriffliche Ebene erfaßt. Die meisten Zweifelsfälle bei der Auslegung werden sich schon durch die saubere Interpretation nach Art. 31 und 32 WVK beheben lassen. Hier wird in den meisten Fällen die an Ziel und Zweck orientierte Auslegung im Sinne des oben Gesagten den Rückgriff auf die Lex Fori verbieten. Die besonderen Vorteile einer Auslegung der DBA, die sich am Völkerrecht orientiert, zeigen sich gerade hier. Sie verhindert, daß die Rechtsaussage der Abkommen in die Mehrdeutigkeit abgleitet. Würde man nun in den übriggebliebenen Fällen auf Begriffsbestimmungen des innerstaatlichen Rechts zurückgreifen dürfen, könnte es geschehen, daß ein und dieselbe Abkommensnorm in zwei Staaten unterschiedlich ausgelegt wird. Gerade das zu verhindern ist wegen der oben dargestellten Folgen der Doppelfreistellungen oder der trotz DBA bestehen bleibenden Doppelbesteuerungen als eigentlicher Zweck der DBA anzusehen. Gegenstand und Zweck der DBA gebieten es daher, im allgemeinen keinen Rückgriff auf das nationale Recht zuzulassen. Die geschilderte Vorgehensweise ist auch dem dogmatisch fragwürdigen Vorschlag, stets den Rückgriff auf das nationale Recht zuzulassen und sodann auftretende Auslegungskonflikte mit dem Hinweis auf das Gebot der Entscheidungsharmonie nachträglich einzudämmen, vorzuziehen. So gesehen wird nur in seltenen Fällen - wenn die Abkommen keine eigene Rechtsaussage enthalten - der Rückgriff auf nationales Recht möglich sein. Insgesamt gesehen ist die Lex-Fori Klausel eine Vorschrift, der unter der Geltung der WVK nicht mehr viele Anwendungsmöglichkeiten verbleiben.
Zweites Kapitel
Das Verständigungsverfahren als besondere Form des diplomatischen Schutzes I. Staat und diplomatischer Schutz 1. Begriff des diplomatischen Schutzes und seine Voraussetzungen a) Begriff
Darüber, was unter diplomatischem Schutz zu verstehen ist, besteht im wesentlichen Einigkeit: Man versteht darunter den repressiven - seltener präventiven - Schutz von natürlichen und juristischen Personen gegenüber völkerrechtswidrigen Handlungen einer fremden Hoheitsgewalt, im Normalfall der Hoheitsgewalt ausländischer Staaten, ausnahmsweise internationaler oder supranationaler Organisationen. 1 b) Voraussetzungen
aa) Völkerrechtswidriges Verhalten Charakteristisch für diplomatischen Schutz in diesem Sinne ist damit folgendes: Es muß ein völkerrechtswidriges Verhalten eines fremden Hoheitsträgers vorliegen, also in der Regel eines Staates oder - in Ausnahmefällen - auch einer internationalen Organisation. 2 Ein solches völkerrechtswidriges Verhalten kann zum einen in einer Verletzung vertraglicher Verpflichtungen auf dem Gebiet des Völkerrechts bestehen, 3 daneben genügt aber auch ein Verstoß gegen 1 Geck in Struppj Schlochauer, Bd. I, S.379; Wehser in Menzelj lpsen, S. 164; Ress in SeidlHohenveldern, LdRjVR, S. 54; Blumenwitz in Festschrift für Ferid, S. 439f.; vgl. auch die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Ergänzung der Bundesverfassung durch einen Artike145 bis betreffend die Schweizer im Ausland, wiedergegeben in BB!. 1965, 434fT.; vgl. ferner Klein, DÖV 1977, 704; Brunner, S. 2; Müller j Wildhaber, S. 358; NeuholdjHummerjSchreuer, Rz. 617fT.; sowie Hecker, § 2 A 62. Trotz Kritik an der Institution des diplomatischen Schutzes vor allem von Seiten der Entwicklungsländer ist dieser heute Bestandteil des universellen Völkerrechts und wird durch Art. 3 I lit. b) der Wiener Diplomatenrechtskonvention und durch Art. 5 I lit. a) der Wiener Konsularrechtskonvention bestätigt. Zum BegrifT des diplomatischen Schutzes vgl. neuerdings Jürgens, S. 16fT. 2 Geck in Struppj Schlochauer, Bd. I, S. 379f.; Ress in Seidl-Hohenveldern, LdRjVR, S. 54. Vgl. auch Jürgens, S. 22fT. 3 Vgl. etwa Ress in Seidl-Hohenveldern, LdRjVR, S. 54.
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andere völkerrechtliche Verpflichtungen, wie völkergewohnheitsrechtliche Normen. Da das völkerrechtliche Institut des diplomatischen Schutzes auch präventiv ergriffen werden kann, muß es auch ausreichen, wenn ein völkerrechtswidriges Handeln, ein völkerrechtliches Delikt, bevorsteht. 4 bb) Berechtigung zur Schutzgewährung ( 1) Bei natürlichen Personen
Voraussetzung für die Ausübung diplomatischen Schutzes gegenüber völkerrechtswidrigen Handlungen ist außerdem, daß das schutzgewährende Völkerrechtssubjekt zum Eintreten gerade für den Schutzbegehrenden berechtigt ist. 5 Diese Berechtigung wird im Regelfall durch die Staatsangehörigkeit vermittelt. 6 Wer nun als Angehöriger des schutzgewährenden Staates anzusehen ist, das bestimmt im allgemeinen der schutzgewährende Staat selbst. Gleichwohl muß die Verleihung der Staatsangehörigkeit durch einen Rechtsakt des schutzgewährenden Staates nicht immer auch völkerrechtlich gesehen die Befugnis mit sich bringen, diplomatischen Schutz auszuüben. Denn auch z. B. eine Einbürgerung kann völkerrechtlich insoweit unwirksam sein, als davon die Ausübung diplomatischen Schutzes abhängt. 7 Für die völkerrechtliche Wirksamkeit ist insoweit entscheidend, daß die Einbürgerung der effektiven Staatsangehörigkeit, der "effective nationality" Ausdruck verleiht. 8 Die Staatsangehörigkeit im völkerrechtlichen Sinne ist damit ein rechtliches Band, das auf einer tatsächlichen sozialen Bindung gründet, die sich in Merkmalen wie Wohnsitz, Sitz der Geschäftstätigkeit, familiären Bindungen und Teilnahme am öffentlichen Leben äußert. 9 4 Vgl. Ress in Seidl-Hohenveldern, LdR/VR, S. 55.Anders in diesem Punkt Jürgens, S. 16, der davon ausgeht, der diplomatische Schutz sei eingebettet in die Staatenverantwortlichkeit. Aus diesem Grunde könne ihm auch - im Gegensatz zu der von Geck vertretenen Auffassung - kein Präventivcharakter zukommen, da die Staatenverantwortlichkeit erst die Folge beendeten völkerrechtswidrigen Verhaltens sei. 5 Geck in Strupp/Schlochauer, Bd. I, S. 380; Ress in Seidl-Hohenveldern, LdR/VR, S. 54; Jürgens, S. 24fT. 6 Geck in Strupp/ Schlochauer, Bd. I, S. 381; Ress in Seidl-Hohenveldern, LdR/VR, S. 55; Verdross / Simma, § 1228; Kiss, Protection Diplomatique, p. 692; Brunner, S. 62. Ausführlich zum Zusammenhang zwischen Staatsangehörigkeit und der Berechtigung zur Ausübung diplomatischen Schutzes: Leigh, ICLQ 1971, 453fT. und Jürgens, S. 28ff. Aus der Rechtsprechung vgl. ferner den Fall Dickson Car Wheel Company v. United Mexican States, RIAA IV, 669 (678): "This is the link existing between that law and individuals and through it alone are individuals enabled to invoke the protection 0/ aState and the latter empowerde to intervene on their behalf." 7 Das entschied der Internationale Gerichtshof in der Nottebohm-Entscheidung, I.C.J.-Reports 1955,4 (20f., 22); vgl. hierzu: v. Mangoldt in Bernhardt, Encyclopedia, Vol. 1, S. 213fT.; siehe auch den Canevaro-Fall, Italien gegen Peru, AJIL 1912, 746 - 753. 8 I.C.J.-Reports 1955, 23. Vgl. auch Leigh, ICLQ 1971, 459fT. 9 I.C.J.-Reports 1955, 22f.; vgl. ebenso die Entscheidung der Commission de Conciliation Italo-Americane vom 20.09. 1958 in der Angelegenheit Albert Flegenheimer,
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Aber selbst wenn eine völkerrechtlich bindende Staatsangehörigkeit zu dem schutzgewährenden Staat besteht, kann es gleichwohl im Einzelfall unzulässig sein, diplomatischen Schutz zu gewähren. Dies ist einhelliger Auffassung nach z. b. dann der Fall, wenn der Schutzbegehrende die Staatsangehörigkeit auch des Staates besitzt, gegenüber dem diplomatischer Schutz begehrt wird. 10 Ausdrücklich niedergelegt ist dies in Art. 4 des Haager Übereinkommens über gewisse Fragen der Kollision von Staatsangehörigkeitsgesetzen aus dem Jahre 1930. 11 Soll sich die Ausübung des diplomatischen Schutzes bei Doppelstaatem gegen einen dritten Staat richten, also einen Staat, dessen Nationalität der Schutzbegehrende nicht besitzt, so ist in erster Linie derjenige Staat dazu berufen, zugunsten seines Staatsangehörigen zu intervenieren, zu dem die geschädigte Person die engsten Beziehungen hat. 12 Diese Staatsangehörigkeit, die dem schutzgewährenden Staat die Berechtigung vermittelt, sich auf völkerrechtlicher Ebene zugunsten seines Staatsangehörigen zu verwenden, muß zum Zeitpunkt der Gewährung dieses Schutzes auch noch bestehen. Das Kontinuitätsprinzip, das in diesem Punkte völkerrechtlich gilt, verlangt eine Fortdauer der Staatsangehörigkeit über den Zeitpunkt der Rechtsverletzung hinaus bis zum Abschluß des diplomatischen Tätigwerdens des schutzgewährenden Staates. 13 SJIR 1961, 155; sowie Loewenfeld, AVR 5 (1955/56), 387ff.; Makarov, ZaöRV 16 (1955/56), S. 407ff. Zum Fall Flegenheimer siehe Leigh, ICLQ 1971, 471ff. 10 Geck in Strupp/Schlochauer, Bd. I, S. 381; Ress in Seidl-Hohenveldern, LdR/VR, S. 55; Schneeberger, SJZ 1943, 496; vgl. auch die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Ergänzung der Bundesverfassung durch einen Artikel 45 bis betreffend die Schweizer im Ausland, BBI. 1965, 385ff.(437). 11 LNTS 179,89. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang allerdings auf die Ansicht von Schneeberger, SJZ 1943,496, der glaubt, unzulässig sei grundsätzlich in solchen Fällen nur der diplomatische Schutz i. e. S.. Die Gewährung des Schutzes i. w. S. hält er jedoch dann für denkbar, wenn die Beziehungen des Schutzsuchenden zu dem ersten Heimatstaat (gemeint ist damit wohl der Staat, durch den Schutz begehrt wird) die engeren seien. Auf diese Unterscheidung wird unten noch zurückzukommen sein. Vgl. auch den Fall von der Weid, Geschäftsbericht des schweizerischen Bundesrates 1970, S. 16. 12 Art. 5 des Haager Abkommens aus dem Jahre 1930, LNTS 179, 89. 13 Brunner, S. 65; Ress in Seidl-Hohenveldern, LdR/VR, S. 55; Berber III, S. 21; Verdross / Simma, § 1302; Jürgens, S. 34ff; Borchard, S. 861 m. w. N. P.C.I.J., Series A/B, No. 76 (Paneveszys-Saldutiskis Eisenbahn); Leigh, ICLQ 1971, 475 sowie U.S.-State Department, AJIL 1982, 836 ff. Die International Law Commission hat das Kontinuitätsprinzip folgendermaßen zusammengefaßt: HA State may exercise the right to bring a claim ... on condition that the alien possessed its nationality at the time of sustaining the injury and conserves that nationality until the claim is adjudicated." Der Bundesgerichtshof hat sogar die Ansicht vertreten, es beruhe auf einer Regel des Völkerrechts, daß ein Staat im allgemeinen nur für solche Personen Ansprüche im zwischenstaatlichen Bereich geltend machen könne, die im Zeitpunkt der Schädigung seine Staatsangehörigkeit besessen hätten und die auch im Zeitpunkt der Anspruchserhebung noch seine Staatsangehörigen seien. Vgl. BGH RzW 1963, 327; ebenso OLG Köln RzW 1973,479. Demgegenüber ist Schwarze, AVR 1986, 429 der Auffassung, dieses Erfordernis sei unverständlich, wenn man annehme, allein der Schutz ausübende Staat sei völkerrechtlich verletzt. Konsequen-
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Der Grundsatz, wonach die Staatsangehörigkeit erforderlich ist, um die Berechtigung des schutzgewährenden Staates zur Ausübung diplomatischer Protektion zu vermitteln, ist jedoch in mancherlei Form durchbrochen. 14 So gibt es Fälle, in denen die Befugnis zur Ausübung diplomatischen Schutzes durch multilaterale oder bilaterale Verträge in der Weise erweitert ist, daß Staaten auch zugunsten der Staatsangehörigen anderer Staaten tätig werden dürfen, und sogar dann, wenn sie selbst kein weiteres Interesse an der Angelegenheit haben als das, einen völkerrechtswidrigen Zustand überhaupt zu beseitigen. Ein multilateraler Vertrag, der dies ermöglicht, ist die Europäische Menschenrechtskonvention. 15 Art. 24 EMRK sieht die sogenannte Staatenbeschwerde vor, die es jedem Vertrags staat ermöglicht, eine Verletzung der Konvention durch einen anderen Mitgliedstaat mittels einer Beschwerde zu rügen. 16 Eigene Rechte des Beschwerde führenden Staates müssen durch die Beschwerde nicht geltend gemacht werden. 17 Diesem Fall strukturell ähnlich ist der Fall, daß ein Staat aufgrund einer Vereinbarung mit einem Drittstaat sich für die Bürger dieses Drittstaates bei einem anderen Staat verwendet. 18 Sehr häufig geschieht es in der völkerrechtlichen Praxis, daß die Bürger eines Staates, der im Aufenthaltsstaat keine terweise dürfe es dann nur auf den Zeitpunkt der Rechtsverletzung ankommen. So auch Dahm, Völkerrecht III, S. 255ff; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rz. 1250; Hilger, S.45ff. 14 Hecker, AVR 1983, 434, will die Personen, die nicht die Staatsangehörigkeit des schutzgewährenden Staates besitzen, als Schutzangehörige bezeichnen. Für die gegenwärtige Rechtslage in der Bundesrepublik sieht er dafür zwei "akute" Fälle: Zum einen diejenigen "Schutzangehörigen", die nach Art. 116 I GG Deutsche ohne deutsche Staatsangehörigkeit sind und zum anderen diejenigen Staatsbürger der DDR, die von der Bundesrepublik als eigene Staatsangehörige beansprucht werden, falls sie in die Bundesrepublik oder nach West-Berlin kommen und sich auf diesen Status berufen oder falls sie im Ausland deutsche diplomatische oder konsularische Vertretungen anrufen. Soweit es sich bei der zweiten Personengruppe nicht um Deutsche im Sinne von Art. 116 GG handelt, sind hiergegen jedoch durchschlagende völkerrechtliche Gesichtspunkte geltend zu machen: Nach einem allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts ist jeweils ein objektiver, sich aus der Gebiets- oder Personalhoheit eines Staates ergebender Anknüpfungspunkt Voraussetzung für die Inanspruchnahme einer Person als Staatsangehörigem, vgl. Wehser in Menzell Ipsen, S. 166. Daran anknüpfend hat der IGH die Ausübung diplomatischen Schutzes als Folge einer Einbürgerung nur dann für berechtigt gehalten, wenn eine echte Verbindung zwischen Staat und Eingebürgertem im Sinne des Effektivitätsgrundsatzes vorliegt. Ob diese Voraussetzungen bei der zweiten Personengruppe vorliegen, erscheint zweifelhaft. IS BGB!. 195211,686,953; zuletzt geändert BGB!. 196811, 1120, in Kraft seit dem 20. 12. 1971, BGB!. 1972 11, 105. 16 Zur Staatenbeschwerde vg!. Froweinl Peukert, S. 350ff. 17 Frowein 1Peukert, S. 350; die Kommission hat bereits in einem der ersten Staatenbeschwerdeverfahren dargelegt, daß es nicht darauf ankomme, ob etwaige Opfer einer Verletzung Staatsangehörige des Beschwerde führenden Staates seien.; Yearbook of the European Convention on Human Rights, Vo!. 4,116 (140) in der Angelegenheit 788/60. 18 Vg!. hierzu vor allem Schneeberger, SJZ 1953, 493ff.
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diplomatische oder konsularische Vertretung hat, in den Schutz eines anderen Staates gestellt sind. 19 In diesen Fällen ist die Rechtsstellung der Schutzmacht in der Regel ein Derivat der rechtlichen Position des Heimatstaates, so daß auch nur abgeleitete Rechte geltend gemacht werden können. 2o Demzufolge ist der Schutzstaat auch gehindert, sich gegenüber dem Aufenthaltsstaat auf zwischen diesen beiden bestehende Vereinbarungen zugunsten des Schutzbefohlenen zu berufen, wenn dieser als Angehöriger eines dritten Staates nicht von diesem Vertrag geschützt wird. Die Vereinbarung, mittels derer die Befugnis zur Ausübung diplomatischen Schutzes auf einen anderen Staat übertragen werden soll, kann dabei in zweierlei Form erfolgen, nämlich zum einen durch speziellen Auftrag seitens des Heimatstaates oder durch ein generell vereinbartes vertragliches Mandat. 21 Darüber hinaus kennt das Völkerrecht auch Fälle, in denen eine Vereinbarung der beschriebenen Art stillschweigend zustande kommt, etwa weil sich Ausländer unter den Schutz einer Schutzmacht stellen; in solchen Fällen darf der Schutzstaat wohl - jedenfalls in Friedenszeiten und wenn nur einzelne Staatsangehörige betroffen sind - von einem stillschweigenden Einverständnis des Heimatstaates ausgehen. 22 Der Anknüpfungspunkt, der hier die Berechtigung zur Ausübung diplomatischen Schutzes vermittelt, wird aber auch in diesen Fällen in der Regel in einer näheren Beziehung des Schutzbegehrenden zu dem um Schutzausübung angegangenen Staat liegen, wie sie früher etwa defacto Untertanen oder Proteges aufwiesen. 23 Die internationale Praxis kennt darüber hinaus auch Fälle, in denen es bei Staatenlosen genügte, daß sie in dem betreffenden Staat wohnten, einen Einbürgerungsantrag gestellt und sich überdies in den Schutz des betreffenden Staates gestellt hatten. 24 19 So erfolgt etwa die diplomatische und konsularische Vertretung der Bürger Liechtensteins, eines Diminutivstaates, durch die Schweiz; vgl. im einzelnen Doehring in Strupp / Schlochauer, Bd. III, S. 220 f.; Rudolf in Kokot / Skubiszewski, S. 74. 20 Schneeberger, SJZ 1943, 493. 21 Ress in Seidl / Hohenveldern, LdR / VR, S. 55; Geck in Strupp / Schlochauer, Bd. I, S.382. 22 Schneeberger, SJZ 1943, 493, der in diesem Zusammenhang auf das französische Dekret vom 24. 10. 1935 hinweist, das ausdrücklich bestimmt, daß die diplomatischen und konsularischen Posten auch ein Matrikelregister für Ausländer zu erstellen haben, die sich unter französischen Schutz zu begeben wünschen und deren Heimatstaat im Aufenthaltsstaat keine diplomatische oder konsularische Vertretung hat. 23 Zum Begriffvgl. Makarov in Strupp/ Schlochauer, Bd. I, S. 320f.; Einzelheiten hierzu finden sich bei Zorn, S. 467ff. In einem britisch(-kanadisch) - amerikanischen Schiedgerichtsverfahren in der Angelegenheit "I'm Alone" genügte es als Anknüpfungspunkt, daß ein Ausländer sich auf einem britischen (kanadischen) Schiff befand, um die erforderliche Berechtigung zur Ausübung der diplomatischen Protektion zu vermitteln. Zu diesem Schiedsgerichtsverfahren siehe: Friede, ZaöRV 5 (1935), 658ff.; Garner, BYIL 17 (1936), 82ff. Der Schlußbericht der zwischenstaatlichen Kommission ist wiedergegeben in AJIL 1935, 326 - 331 m. Anm. Hyde, S. 296. 24 So lag der Sachverhalt im Koszta-Fall. Vgl. hierzu Geck in Strupp / Schlochauer, Bd. H, S. 315f.
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Hinsichtlich der Staatsangehörigkeit bei natürlichen Personen läßt sich damit zwar feststellen, daß sie ein Hauptanknüpfungspunkt für die Ausübung diplomatischen Schutzes ist, aber eben keine differentia specifica, da sie in mancherlei Hinsicht substituiert werden kann. 25 Eine Besonderheit gilt auch bei Angehörigen internationaler Organisationen. Im Bernadotte-Fall hatte der IGH das Recht der UNO anerkannt, für ihre Beamten Entschädigungsansprüche gegen den schädigenden Staat geltend zu machen. 26 Die Überlegung, die das Gericht veranlaßte, der UNO das Recht zur Ausübung diplomatischen Schutzes zuzuerkennen, war dabei folgende: Die traditionelle Regel, wonach der diplomatische Schutz durch den Heimatstaat ausgeübt wird, habe insoweit keine Ausschließlichkeitsfunktion, als die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit aus der Erwägung heraus erfolge, daß der Drittstaat eine Verpflichtung gegenüber dem Heimatstaat in Bezug auf diesen Staatsangehörigen verletzt habe. In einer analogen Situation befinde sich eine internationale Organisation, die Schadensersatzansprüche für die Verletzung ihres Beamten geltend mache, die dadurch entstanden seien, daß eine Verpflichtung verletzt worden sei, die ihr als Dienstherrin des Beamten ihm gegenüber bestanden habe. In solchen Fällen - so der IGH - bestehe sogar ein doppeltes Schutzrecht: Das des Heimatstaates des Beauftragten, dessen Nationalität er besitze, und ein Recht zum diplomatischen Schutz der Anstellungskörperschaft, in deren Dienst der in seinen Rechten Verletzte stand. 27 (2) Bei juristischen Personen
Eine Staatsangehörigkeit wie bei natürlichen Personen kann es bei juristischen Personen naturgemäß nicht geben. 28 Hinsichtlich der Verbindung einer juristischen Person zu einem Staat wird deshalb zutreffenderweise von einer Staatszugehörigkeit zu sprechen sein. 2S So zutrefTend Schneeberger, SJZ 1943, 496; prägnant formuliert Hecker, AVR 1983, 433: ..Jeder Staatsangehörige genießt Schutz, aber nicht jeder, der Schutz genießt, ist Staatsangehöriger."; einschränkend insoweit jedoch der StIGH im Paneveszys-Saldutiskis-Eisenbahn-Fall, P.C.I.J.-Reports, Series AlB, No. 76, S.16: ..... in the absence of a special agreement, it is the bond ofnationality between the State and the individual which alone confers upon the State the right of diplomatie protection." 26 Reparation for Injuries Suffered in the Service ofthe United Nations, I.C.J.-Reports 1949, 175fT., 185fT.; Ress in Seidl-Hohenveldern, LdR/VR, S. 57; Klein in Bernhardt, Encyclopedia, Vol. 2, S. 242fT. m. w. N.; zum Bernadotte-Fall vgl. weiter: Wright, AJIL 1949,95 -104. Zum Teil wird diese Form der Schutzausübung als .. Funktionaler Schutz" bezeichnet ( so von Ipsen in Menzel I Ipsen, S. 373). In der Sache ist das gleiche gemeint. 27 I.C.J.-Reports 1949, 185fT. 28 So zutrefTend Wehser in Menzelilpsen, S. 171; Berber I, S. 388; Müller I Wildhaber, S. 367; Verdross I Simma, § 1303; O'Connell II, S. 1040; offenbar a.A. Seidl-Hohenveldern, ÖZöR 1971, 300, der ausdrücklich von Staatsangehörigkeit spricht; vgl. auch Grossfeld, AWD 1972, 538 bei Fn. 8.
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Ähnlich wie bei natürlichen Personen obliegt es ausschließlich dem innerstaatlichen Recht festzulegen, an welches Merkmal die Staatszugehörigkeit angeknüft wird. 29 Die denkbaren Anknüpfungspunkte sind vielfaltig; im einzelnen werden folgende Faktoren als maßgeblich betrachtet: Nach der Inkorporationstheorie wird die juristische Person als demjenigen Staat zugehörig betrachtet, nach dessen Recht sie gegründet wurde. Diese Theorie wird vor allem in den angelsächsischen Ländern vertreten. 30 Gegen die Inkorporationstheorie ist vor allem einzuwenden, daß es je nach der Ausgestaltung des innerstaatlichen Rechts im Einzelfall geschehen kann, daß das nationale Recht die Gründung einer Gesellschaft gestattet, obwohl die Gründer zu diesem Land keine von den Beziehungen aufweisen, die nach der NottebohmEntscheidung hinsichtlich der Berechtigung zur Ausübung diplomatischen Schutzes erforderlich sind. Für die betroffenen Gesellschaften bietet die Gründungstheorie den Vorteil, daß sie ein ihnen bequemes Gründungsrecht ins Ausland mitnehmen und durch den Errichtungsakt den Staat bestimmmen können, der ihnen diplomatischen Schutz gewähren soll, auch wenn engere Beziehungen zu diesem Staat fehlen. 31 In den westeuropäischen Ländern wird demgegenüber in der Regel an das Recht des tatsächlichen Geschäftssitzes (siege social) angeknüpft (Sitztheorie).32 Die Sitztheorie vermeidet zwar ein Ausweichen von Gesellschaftgründungen in bequeme Rechtsordnungen und behandelt juristische Personen so, wie es dem geschäftlichen Schwerpunkt der juristischen Person, der - jedenfalls in der Regel - an ihrem Sitz liegt, am besten zukommt, es wird jedoch - und das ist der Hauptmangel- außer acht gelassen, ob das Recht, nach dem die juristische Person Rechtsfähigkeit erlangt hat, überhaupt auf den Sitz abstellt. 33 Die deutsche Rechtsprechung folgt jedoch dieser Theorie. 34 Dabei legt sie den effektiven Verwaltungssitz zugrunde, also denjenigen Ort, an dem die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden. 35 Die Sitztheorie liegt auch Art. 58 EWGV zugrunde. 36 29 Verdross j Simma, § 1303; Brunner, S. 64; P. de Visscher, RdC 102 (1961 I), S. 395ff.; vgl. auch die Entscheidung des IGH in Sachen Barcelona Traction, Light and Power Company, I.C.J.-Reports 1970, 34: "Municipallaw determines the legal situation not only of such limited liability companies. but also of those persons who hold shares in them." V gl. auch Berber I, S. 388. 30 Müller j Wildhaber, S. 367; O'Connell 11, S. 104Of.; Hackworth, Vol V, S. 831 ff.; Grossfeld, AWD 1972, 538; Grossfeld, ebenda, sieht Verbindungen zwischen der Gründungstheorie und der "Act-of-State Doctrine". 31 Wehser in Menzel j lpsen, S. 172. 32 Wehserin Menzelj lpsen, S. 172; Müller j Wildhaber, S. 368; O'ConnellII, S.1041; vgl. auch Schneeberger, SJZ 1955, 2f. 33 Fikentscher I, § 6 11 2 b) bb), S. 140; Kritik auch bei O'Conneli 11, S. 1041 f. 34 RGZ 117, 215 (217); 159,33 (46); BGHZ 53,181 (183); 78, 318 (334); 97, 269 (271); OLG FrankfurtNJW 1965, 1112; OLG Hamm NJW 1974,1057; BayObLG, IPRax 1986, 161 (164).
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Nach der dritten hierzu vertretenen Theorie ist entscheidend, welche Staatsangehörigkeit die Mehrheit der Kapitaleigner an einer juristischen Person besitzen (Kontrolltheorie). 37 Die Besonderheit dieser Ansicht besteht darin, daß die (eigene) Rechtspersönlichkeit der juristischen Person "durchstoßen" wird, um auf die dahinter stehenden Anteilseigner abzustellen. Problematisch an der Kontrolltheorie ist vor allem, daß es sich hierbei um ein Korrektiv handelt, das sich zwar z. T. zu Lasten von Gesellschaften durchgesetzt hat, dem aber jedenfalls zugunsten der hinter der Gesellschaft stehenden Aktionäre die allgemeine Anerkennung bisher versagt blieb. 38 Demgegenüber findet die Kontrolltheorie Anwendung, um in Kriegszeiten die Feindeigenschaft eines Unternehmens festzustellen. 39 Die Kontrolltheorie gilt heute - soweit ersichtlich - in Westeuropa nur noch in der Schweiz.4{) Aufgrund der Verschiedenheit der Ansätze, die zur Bestimmung der Staatszugehörigkeit einer juristischen Person benutzt werden, kann es geschehen, daß mehrfache Staatszugehörigkeiten entstehen. In diesen Fällen entscheidet - wie bei natürlichen Personen - die effektive Staatszugehörigkeit. 41 cc) Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges local remedies rule Die bisherige völkerrechtliche Judikatur verlangt, - bevor sie einem Staat einen Wiedergutmachungsanspruch dafür einräumt, daß einem seiner Angehörigen völkerrechtliches Unrecht widerfahren ist - daß dieser mit allen ihm rechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln versucht hat, vor den Behörden und Gerichten des schädigenden Staates das Unrecht abzuwehren. Er muß die innerstaatlichen Rechtsmittel ausgeschöpft haben: Rufe 0/ the exhaustion 0/ 3S BGHZ 97, 269 (272). Zur Durchgriffshaftung mit Hilfe der Sitztheorie vgl. neuerdings v. Falkenhausen, RIW 1987, 818ff. 36 Trobergin v. d. Groeben/ v. Boeckh/ Thiesing / Ehlermann, Art. 58, Rz. 3f., führt aus, daß durch die für Art. 58 gewählte Formulierung ausdrücklich die (nachstehend beschriebene) Kontrolltheorie abgelehnt werden sollte. 37 Zur Kontrolltheorie vgl. FikentscherI, § 611 2 b) ce), S. 140; Wehserin Menzel/ Ipsen, S. 172; Müller / Wildhaber, S. 368; 0 'Connell 11, S. 1042; vgl. ebenso Seidl-Hohenveldern, ÖZöR 1971, 300; Kronstein, Columbia Law Review, Vol. 52 (1952),183; Gross/eld, AWD 1972, 539f. 38 Vgl. Wehser in Menzel/lpsen, S. 172. Der IGH hat in der Barcelona-TractionEntscheidung (I.C.J.-Reports 1970, 3ff.) ein "Lüften des Schleiers der Rechtspersönlichkeit einer juristischen Person" zugunsten der Aktionäre grundsätzlich abgelehnt. Hierzu und zur Kritik an der Kontrolltheorie Caflisch, S. 65, 68, 134-136. Zum diplomatischen Schutz der Aktionäre im Lichte der Barcelona-Traction-Entscheidung siehe auch Beyer, S. 34ff.; Gross/eld, AWD 1972, 54Off.; Wengier, NJW 1970, 1473ff. 39 Wehser in Menzel/lpsen, S. 172; O'Connell 11, S. 1042. 40 Vgl. das Gutachten des Eidgenössischen Politischen Departements über die Gewährung des diplomatischen Schutzes an juristische Personen vom 26. 01. 1961, in: Verwaltungsentscheide der Bundesbehörden 30 (1961), Nr. 2. 41 Verdross/Simma, § 1204; Brunner, S. 64.
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loeal remedies. 42 Die Begründungen für diese Regel sind vielfaltig: sie reichen vom Respekt gegenüber der Souveränität eines Staates,43 bis zu dem Argument, daß vor der Inanspruchnahme eines Staates auf der internationalen Ebene mit ihren zuweilen weitreichenden Folgen diesem Gelegenheit zu geben ist, dem geschädigten Individuum mit eigenen Mitteln Recht zu verschaffen. 44 Die local remedies rule erfordert von dem geschädigten Individuum nicht nur die Beschreitung des Rechtsweges, also die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes, sondern die Ausnutzung aller rechtlichen Möglichkeiten, also vor allem die Einschaltung von Behörden, ggf. durch förmliche oder nicht-förmliche Rechtsbehelfe. Dazu zählen jedoch nicht reine Gnadenakte. 45
Der vorherigen Anrufung der Gerichte oder Behörden des Verletzerstaates bedarf es nicht, wenn dieser nicht gegen Völkerrecht verstoßen hat, sondern nur gegen sein eigenes - innerstaatliches - Recht, es sei denn, diese Rechtsverletzung impliziert gleichzeitig auch eine Verletzung des Völkerrechts. 46 Die local remedies rule findet ferner dann keine Anwendung, wenn es in dem Staat, der in Anspruch genommen werden soll, keine wirksamen rechtlichen Möglichkeiten gibt, Schutz gegen die Rechtsakte dieses Staates zu erhalten, sei es, daß kein Rechtsschutzsystem besteht oder sei es, daß eine entsprechende Klage aus Gründen, die in der Person des Antragstellers liegen, unzulässig wäre. Das kann schon dann der Fall sein, wenn nach der ständigen Rechtsprechung der örtlichen Gerichte ein entsprechender Anspruch zurückgewiesen zu werden pflegt. 47 Der Beachtung der local remedies rule bedarf es dann nicht, wenn die behauptete Völkerrechtsverletzung außerhalb des Territoriums oder der Jurisdiktion des Staates erfolgt ist, der die Verletzung begangen haben soll. 48 42 Im Interhandel-Fall (I.C.J.-Reports 1959, 27) führte der IGH dazu aus: "The rule that loeal remedies must be exhausted be/ore international proceedings may be instituted is a well-established rule 0/ customary International Law." Entwickelt wurde dieser Grundsatz
vom StIGH im Mavrommatis-Konzessionen Fall, P.C.U., Series A, No. 2, S. 12; vgl. ferner: P.C.U., Series AlB, No. 76, S. 18, 22 (Panevezys-Saldutiskis-Eisenbahn-Fall; RIAA XII, S. 120 (Ambatielos-Fall); I.C.J.-Reports 1970, 23 (Barcelona-Traction); Mosler, ZaöRV 1972, S. 65f.; Doehring in Bernhardt, Encyclopedia, Vol., 1, S. 136; Mummery, AJIL 1964, 389ff. Jürgens, S. 36ff. Zum Mavrommatis-Fall vgl.: Borchard, AJIL 1925, 728 ff.; Dohring, in: Strupp I Schlochauer, Bd. I1I, 488 sowie Hudson, AJIL 1925, 48ff.. 43 Doehring in Bernhardt, Encyclopedia, Vol. 1, S. 137. 44 Geck in Strupp I Schlochauer, Bd. I, S. 383. 4S Doehring in Bernhardt, Encyclopedia, Vol. 1, S. 137. 46 Doehring in Bernhardt, Encyclopedia, Vol. 1, S. 138. Einen solchen Fall sieht Doehring z. B. in der Verletzung des völkerrechtlichen Mindeststandards; vgl. Doehring, Fremdenrecht, S. 109ff., insb. 113. 47 Doehring in Bernhardt, Encyclopedia, Vol. 1, S. 138f.. Die Befreiung vom Erfordernis der exhaustion ofthe local remedies unter gewissen Umständen ist z. B. auch dann anerkannt, wenn ein völkerrechtlicher Vertrag die local remedies rule ausdrücklich positiv-rechtlich normiert; vgl. etwa zu Art. 26 EMRK Frowein I Peukert, Art. 26 Rz. 21 ff. (insb. 23 ff.). 8 Gloria
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
Hinzuweisen bleibt noch auf die Tatsache, daß die International Law Commission in ihrem Konventionsentwurf zur Staatenverantwortlichkeit hinsichtlich der völkerrechtlichen Verpflichtungen zwischen Verpflichtungen, die den Ablauf eines bestimmten Verfahrens betreffen (international obligation requiring the adoption 0/ a particular course 0/ conduct, Art. 20), und Verpflichtungen, die bei freier Wahl des Mittels darauf gerichtet sind, ein spezifisches Ergebnis zu erreichen (international obligation requiring the achievement 0/ a specified result, Art. 21), unterscheidet. 49 Den Unterschied zwischen diesen beiden Verpflichtungen sieht die ILC nicht darin, daß nicht auch bei Verpflichtungen, die den Ablauf eines bestimmten Verfahrens betreffen, ein Ergebnis erzielt werden soll, sondern darin, daß der Staat mit diesem genau bestimmten Tätigwerden selbst seine völkerrechtlichen Pflichten erfüllt, nicht aber mit einem etwa erzielten Ergebnis. so Den Anwendungsbereich der exhaustion of the local remedies rule beschränkt die ILC auf die Fälle des Art. 21, also die Verpflichtungen, ein spezifisches Ergebnis zu erreichen. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut des Art. 22, der die Regel beinhaltet, daß der innerstaatliche Rechtsweg zu beschreiten sei, "when the conduct 0/ aState has created a situation not in conformity with the result required 0/ it by an international obligation." Dem liegt die Überlegung zugrunde, daß es darauf ankommt, ob der betreffende Staat noch die Möglichkeit hat, den völkerrechtswidrigen Zustand wieder zu beseitigen, um so seine Verpflichtungen zu erfüllen. Diese Möglichkeit besteht jedoch nur hinsichtlich der Verpflichtungen, ein bestimmtes "Ergebnis" zu erzielen; nur insoweit sei es möglich, den ursprünglich völkerrechtswidrigen Zustand wieder zu beseitigen. 51 Die local remedies rule kann vertraglich abbedungen werden. Ebenso können ihre Voraussetzungen oder ihre Wirkungsweise verändert werden. 52
48 Doehring in Bernhardt, Encyclopedia, Vol 1, S. 138; vgl. weiter Report of the International Law Commission on the work of its thirty-fourth session, General Assembly Official Record: Thirty-Seventh Session, Supplement No. 10 (A/37 /10), S. 199. 49 Vgl. hierzu den Kommentar der ILC zu Art. 20 und 21 des ILC-Entwurfes zur Staatenverantwortlichkeit, YBILC 1977 11 2, S. 11ff.; sowie den sechsten Bericht zur Staatenverantwortlichkeit von R. Ago, dem Sonderberichterstatter, YBILC 1977 11 1, S.8ff. 50 Siehe Report of the International Law Commission on its twenty-ninth session Draft articles on State responsibility - YBILC 1977 11 2, S. 13 f. Obwohl die Kommission sich darüber klar war, daß diese Differenzierung zu erheblichen Abgrenzungsproblemen führen kann, hat sie darauf verzichtet, genauere Unterscheidungskriterien aufzustellen; vgl. YBILC 1977 11 2, S. 12f. 51 Vgl. YBILC 1977 11, S. 30f. (zu Art. 22); vgl. ferner die erläuternden Ausführungen des Berichterstatters Ago bei Vorlage seines Konventionsentwurfes, wiedergegeben in YBILC 1977 I, S. 250f. 52 Doehring in Bernhardt, Encyclopedia, Vol. 1, S. 138; Geck in Strupp / Schlochauer, S. 383; Dahm III, S. 263; Berber III, S. 22; Verdross / Simma, § 1306.
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dd) Fehlen von Verjährung oder Verwirkung Verschiedentlich wird als Voraussetzung für die Ausübung diplomatischen Schutzes das Fehlen einer Verjährung oder Verwirkung genannt. S3 Dem ist entgegenzuhalten, daß es sich - dogmatisch gesehen - beim Fehlen von Verjährung oder Verwirkung keineswegs um Merkmale handelt, die dem diplomatischen Schutz inhärent sind; sie gelten vielmehr für jeden völkerrechtlichen Anspruch. Aus diesem Grunde können sie auch nicht etwa als negative Tatbestandsmerkmale angesehen werden. Da das Vorliegen von Verjährung oder Verwirkung jedoch dazu führen kann, daß ein diplomatischer Schutz nicht ausgeübt werden kann, soll kurz dargestellt werden, an welche Voraussetzungen diese Institute geknüpft werden. Dem Völkerrecht ist die formalisierte Zurückweisung eines Anspruches nach einem genau festgelegten Zeitraum - wie dies im Landesrecht geschieht - an sich fremd. Vor allem Gesichtspunkte der Rechtssicherheit erfordern im Völkerrecht aber ebenso wie im Landesrecht eine zeitliche Begrenzung für die rechtliche Geltendmachung fälliger Ansprüche. 54 Die Frage, ob es im Völkerrecht eine Verjährung geben kann, ist stark umstritten. S5 Eine genauere Untersuchung der Spruchpraxis internationaler Gerichte zeigt jedoch, daß zwar die grundsätzliche Wirkung des Zeitablaufs auf die gerichtliche Durchsetzbarkeit internationaler Verpflichtungen nie in Frage gestellt, daß aber andererseits die Anwendung bestimmter landesrechtlicher Vorschriften über die Verjährung stets abgelehnt wurde. S6 SO gesehen besteht Einigkeit darüber, daß der Eintritt einer "Verjährung" im Völkerrecht dann anzunehmen ist, wenn ein langes Stillschweigen des Klägers zu einer solchen Beeinträchtigung der Beweislage des Beklagten geführt habe, daß eine Zulassung der Klage gegen die Billigkeit So etwa von Müller I Wildhaber, S. 377; Brunner, S. 66. Müller, Vertrauensschutz, S. 67; Brunner, S. 67. 55 Vgl. Fleischhauer in Strupp I Schlochauer, Bd. 111, S. 509 m. w. N.; keine Bedenken haben Ipsen in Menzelilpsen, S. 372 und Verdross I Simma, § 1293. 56 So zutreffend Müller, Vertrauensschutz, S. 69. Der in diesem Zusammenhang wichtigste Fall ist der Fall Gentini, RIAA X, S. 551. Das Schiedsgericht hat in diesem 1903 entschiedenen Fall ausdrücklich ausgeführt: "It is doubtless true that municipal statutes of limitation can not opera te to bar an international claim. But the reason which lies at the foundation of such statutes, that 'great principle of peace', is as obligatory in the administration of justice by an international tribunal as the statutes are binding upon municipal courts" (RIAA X, S. 560). Der Gentini-Fall betraf einen Fall der Ausübung diplomatischer Protektion, die erst 32 Jahre nach der behaupteten Rechtsverletzung geltend gemacht wurde. Ebenso entschied der ständige Schiedshof 1902 in der Angelegenheit des kalifornischen Kirchengüterstreits; vgl. Scott, Travaux de la Cour, S. 5 f.. Das Schiedsurteil negiert nicht etwa das Prinzip eines Klageverlustes durch Zeitablauf im Völkerrecht, sondern lediglich die Anwendung der landesrechtlichen Verjährungsfristen; darauf weist vor allem Lauterpacht, Function of Law, S. 93f. zutreffend hin. In diesem Sinne auch Grotius, 2. Buch, 4. Kapitel, §§ 1 ff. unter Berufung auf Vasquius. Ebenso auch die Entscheidung des Schiedsgerichtes in der Angelegenheit Pious Fund vom 14.10.1902, RIAA IX, S. 13. S3
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
verstoßen würde. 57 Es läßt sich ferner festhalten, daß das Völkerrecht eine feste "Verjährungsfrist" nicht kennt. 58 Das bedeutet wiederum, daß eine "Verjährung" nur angenommen wird, wenn aus den Umständen erschlossen werden kann, daß der Anspruchsberechtigte auf seinen Anspruch verzichtet hat, weil er ihn nicht mehr geltend machen will. 59 Damit erlangt das fragliche Rechtsinstitut wiederum Ähnlichkeit mit dem ebenfalls aus dem Vertrauensschutzprinzip entstammenden Grundsatz Estoppel, der folgendermaßen umschrieben werden kann: Wer durch sein Zuwarten den anderen in den Glauben versetzt, er werde seinen angeblichen Anspruch nicht mehr geltend machen, und den anderen dadurch in seinen Verteidigungsmöglichkeiten beeinträchtigt, insbesondere infolge Beweisverlustes, kann mit der Geltendmachung seines behaupteten Anspruchs nicht mehr gehört werden. 60 Diese Ausprägung des Estoppel-Prinzips hat in neuerer Zeit in der Judikatur der internationalen Schiedsgerichte und des IGH besondere Bedeutung erlangt. Im Falle Ambatielos hat das Schiedsgericht ausgeführt: "There is no doubt that there is no rule ofinternationallaw wh ich lays down a time unit with regard to preseription, exeept in the ease of special agreements to that effeet, and aeeordingly, ... , the determination of this question is left to the unfettered diseretion of the international tribunal wh ich , if it is to aeeept any argument based on lapse of time, must be able to deteet in the facts of the ease before it the existenee of one of the grounds whieh are indispensable to cause prescription to operate." öl
Insgesamt gesehen läßt sich daher festhalten, daß es einem Staat verwehrt ist, einen Staatsbürger diplomatisch zu schützen, wenn seit der Verletzung des geschützten Rechtes ein gewisser Zeitraum verstrichen ist. Über die Länge dieses Zeitraumes existieren jedoch keine festen Regeln; sie ist von Fall zu Fall zu prüfen. ö2
Vgl. Müller, Vertrauensschutz, S. 70; ebenso Brunner, S. 67. Ipsen in Menzel/lpsen, S. 372; Verdross/Simma, § 1293. 59 Verdross / Simma, § 1293. 60 Müller, Vertrauensschutz, S. 70; Brunner, S. 67; ähnlich Verdross / Simma, §§ 615, 1293, "Estopped by inaction"; zum Estoppel-Prinzip vgl. ferner: MacGibbon, ICLQ 1958, 468ff.; Menzel in Strupp/Schlochauer, Bd. I, S. 441; Bowett, BYIL 1957, 176ff.; Müller/Cottier in Bernhardt, Encyclopedia, Vol. 7, S. 78fT. 61 RIAA XII, 103; aus der Rechtsprechung des IGH sind neben dem Temple ofPreahVihear-Fall (I.C.J.-Reports 1962, 143f.) vor allem die Urteile im North Sea Continental Shelf Case (I.C.J.-Reports 1969, 25), in Sachen Barcelona Traction, Light and Power Company (I.C.J.-Reports 1964,24) und die Urteile in den Fisheries Jurisdiction Cases (I.C.J.-Reports 1974, 28ff., 197ff.) zu nennen. 62 Ipsen in Menzel/lpsen, S. 372; Müller, Vertrauensschutz, S. 67. 57
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I. Staat und diplomatischer Schutz
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2. Der Anspruchsträger
Seit der Entscheidung des IGH im Mavrommatis-Konzessionen-Fall ist es gefestigte internationale Rechtsprechung, daß der Staat durch die Ausübung der diplomatischen Protektion ein eigenes Recht geltend macht, und zwar auch dann, wenn der eigentlich Geschädigte ein Privater ist. 63 Dieser Grundsatz liegt demgemäß einer ganzen Reihe von Urteilen sowohl des StiGH als auch des IG H zugrunde. 64Die Tatsache, daß im Rahmen einer diplomatischen Protektion aber nicht zwei, sondern drei Rechtssubjekte beteiligt sind - nämlich Individuum, Heimatstaat und verletzender Staat - hat jedoch verschiedentlich zu Bestrebungen geführt, neben dem Staat auch das geschädigte Individuum als Anspruchsträger anzuerkennen. 65 Soweit der Staat also Ansprüche geltend macht, die ihm aus der Verletzung eines Staatsangehörigen erwachsen sind, geschieht dies - nach dieser Ansicht - gleichzeitig auch im Namen des betreffenden Geschädigten. Diese prozessuale Tätigkeit des Staates für das geschädigte Individuum wird dabei als Prozeßstandschaft charakterisiert. 66 Diese Bestrebungen, dem geschädigten Individuum einen eigenen Anspruch auf völkerrechtlicher Ebene gegen den schädigenden Staat zuzuerkennen, setzen jedoch denknotwendig voraus, daß die Einzelperson - auf völkerrechtlicher Ebene - Rechtsträger, also Völkerrechts subjekt, sein kann. 67 In der Tat ist dies auch der gedankliche Ausgangspunkt jener Lehre. Die sogenannte soziologische Schule etwa räumt Individuen generell und umfassend die Völkerrechtssubjektivität ein. 68 Demgegenüber verlangt eine neuere Ansicht, daß jeweils im Einzelfall geprüft wird, ob Völkerrechtsnormen 63 P.C.I.J. Series A, No. 2, S. 12: "By taking up the case of one of its subjects and by resorting to diplomatie action or international judicial proceedings on his behalf. aState is in reality asserting its own rights, its rights to ensure, in the person ofits subjects, respectfor the rules of international law." 64 Vgl. aus der Rechtsprechung des StIGH: Serbischer-Anleihen-Fall, Series A, No. 20/21, S. 17f.; Chorzow-Fall, Series A, No. 17, S. 27f.; Panevezys-Saldotiskis-EisenbahnFall, Series AlB, No. 76, S. 16 und aus der Rechtsprechung des IGH: Nottebohm-Fall, I.C.J.-Reports 1955, 24; Barcelona-Traction-Fall, I.C.J.-Reports 1970,44. Dem liegt die Rechtsansicht zugrunde, daß durch einen völkerrechtswidrigen Akt, der einen Privaten faktisch verletzt, juristisch nicht dieser selbst beeinträchtigt wird, sondern das Recht seines Heimatstaates aufvölkerrechtsgemäße Behandlung seiner Staatsangehörigen. Vgl. Berber III, S. 20; Verdross I Simma, § 47; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rz. 632; Schwarze, AVR 1986,427. 65 So etwa Doehring, Fremdenrecht, S. 109fT.; ders., Pflicht des Staates, S. 19ff.; Kritik auch schon bei Zellweger, SJZ 1932,276 und neuerdings bei Brunner, S. 18fT.; vgl. auch Dahm, Völkerrecht III, S. 254. 66 Doehring, Fremdenrecht, S. 112; Dahm, Stellung des Menschen, S. 8 bei Fn. 9; Schwarze, AVR 1986,430. 67 Vgl. etwa BGE 58 II 480. 68 Vgl. dazu Berber I, S. 170 m. w. Nachweisen.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
existieren, die Individuen berechtigen oder verpflichten. Nur in diesem begrenzten Umfange kann ein Privater nach jener Lehre völkerrechtsfähig sein. 69 Zum Nachweis völkerrechtlicher Rechte des Individuums wird von Doehring für den Bereich des Fremdenrechts folgendermaßen argumentiert: Der Nachweis völkerrechtlicher Individualrechte der Fremden scheine leicht, wenn man feststelle, daß völkerrechtlich anerkannte Menschenrechte notwendig nur subjektive Rechte der Individuen selbst sein könnten, da eines ihrer Hauptanliegen der Schutz des Individuums vor seinem eigenen Heimatstaat sei und in diesem Fall der Heimatstaat eben nicht - wie im Fremdenrecht sonst - den Schaden "als eigenen" geltend machen könne; bei Ablehnung aller Individualrechte gebe es dann, streng genommen, in diesem Falle überhaupt keinen Inhaber völkerrechtlicher Rechte mehr, ein Ergebnis, das die Behauptung ad absurdum führe. Erkenne man aber allen Menschen subjektive Rechte zu, so könne man sie nach dem Argumentum a fortiori nicht den Fremden absprechen. 70 Den Vorteil dieser differenzierten Lehre sehen deren Befürworter darin, daß sie die Völkerrechtssubjektivität nicht als absolutes Konzept apriori voraussetze, sondern sie in Einzelbefugnisse auffächere und damit in der Lage sei, individuelle Begünstigungen und völkerrechtliche Schutznormen zugunsten von Individuen reibungslos zu inkorporieren. 71 Dem ist entgegenzuhalten, daß bei der Frage einer völkerrechtlichen Berechtigung von Einzelmenschen unterschieden werden muß zwischen einer echten Berechtigung und einer bloßen Begünstigung von Individuen, die sich als Reflex aus der Berechtigung und Verpflichtung eines Staates ergeben kann. 72 Von einer völkerrechtlichen Berechtigung von Individuen im Sinne eines subjektiven Rechtes kann aber nur dann gesprochen werden, wenn diesen durch eine Völkerrechtsnorm unmittelbar die Befugnis eingeräumt wird, von einem Staat in einem völkerrechtlichen Verfahren ein bestimmtes Verhalten zu fordern. 73 69 Die Abhängigkeit der Rechtsstellung des Individuums im Völkerrecht von einzelnen Völkerrechtsnormen zeigt gleichzeitig auch die Abhängigkeit von deren Normerzeugern, also in erster Linie Staaten. Auch nach dieser Meinung bleibt es also - genau betrachtet - bei einer Mediatisierung des Individuums durch die Staaten, die durch die von ihnen geschaffenen Rechtsnormen dessen völkerrechtlichen Rechtsstatus gewährleisten oder beeinträchtigen können, so insbesondere Schwarze, AVR 1986, 413. Vgl. weiter Berber I, S. 123; Kimminich, AVR 1971/72, 410f. 70 Doehring, Fremdenrecht, S. 109 f.; auch Brunner, S. 34 ist er Auffassung, die Ansicht, daß das Individuum als Völkerrechtssubjekt anzuerkennen sei, habe sich wohl endgültig Durchbruch verschaffen können. Kritisch auch Zellweger, SJZ 1932,276. 71 So namentlich Schwarze, AVR 1986,413. 72 So überzeugend Verdross I Simma, § 423. Vgl. ebenso: Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rz. 643ff.; Akehurst, S. 73. 73 Verdross I Simma, § 424; vgl. auch Magiera in Menzeillpsen, S. 127. Demgegenüber meint Doehring, Pflicht des Staates, S. 20, die Durchsetzbarkeit sei auch sonst nicht wesentliches Merkmal eines völkerrechtlichen Anspruches. Schwarze, AVR 1986, 414f. ist im Anschluß an Lauterpacht, Human Rights, S. 27, der Ansicht, die Schwäche dieser Auffassung bestehe in der Gleichsetzung von materiellen und prozessualen Rechtspositionen. Sie mache das Bestehen einer subjektiven Rechtsstellung von der Möglichkeit der
1. Staat und diplomatischer Schutz
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Zwar gibt es Beispiele hierfür, deren wichtigtes Art. 25 EMRK ist 74, der Einzelpersonen das Recht einräumt, wegen der Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte Klage zu führen. Ein solches Klagerecht enthalten die Doppelbesteuerungsabkommen aber nicht, so daß es sich - völkerrechtlich gesehen - bei Begünstigungen, die Doppelbesteuerungsabkommen vermitteln, nur um Rechtsreflexe handeln kann. Die Frage nach einem eigenen Anspruch des Einzelindividuums gegen den sich völkerrechtswidrig verhaltenden Staat muß daher für die Doppelbesteuerungsabkommen genauso beantwortet werden, wie für die Staatenpraxis im allgemeinen - nämlich negativ. Es bleibt somit bei dem Ergebnis, daß der Schutz gewährende Staat nur ein eigenes Recht geltend machen kann. 75 Rechtsdurchsetzung abhängig und verkenne damit, daß die Klagbarkeit nicht Voraussetzung, sondern allenfalls Folge subjektiver Rechte sei. Im Recht der Bundesrepublik Deutschland sei anerkannt, daß die Klagemöglichkeit kein Wesensmerkmal des subjektiven Rechts sei, sondern dessen sich aus Art. 19 IV GG verfassungsrechtlich ergebende Folge. Zwar gebe es im Völkerrecht keine dem Art. 19 IV GG entsprechende Gerichtsschutzgarantie; es sei aber kein Grund ersichtlich, der es gebieten würde, die Klagbarkeit als wesentlichen Bestandteil geschützter Rechtspositionen anzusehen. Die gerichtliche Durchsetzbarkeit eines Anspruches sei damit zwar eine hinreichende, aber keine notwendige Bedingung einer subjektiven Rechtsgarantie. Könnten aber Anspruchsinhaberschaft und Klagebefugnis auseinanderfallen, so sei es auch möglich, daß Private materiell-rechtlich Träger völkerrechtlicher Ansprüche seien, obwohl sie bei der Durchsetzung dieser Ansprüche durch ihren Heimatstaat mediatisiert blieben. Die Frage, auf welcher Grundlage im Völkerrecht die Unterscheidung zwischen bloß geschützten Interessen und echten subjektiven Rechten der Individuen erfolgen soll, will Schwarze durch eine sorgfältige Auslegung der in Rede stehenden Völkerrechtsnorm beantwortet wissen, wobei er grundsätzlich die gleichen Überlegungen, die im innerstaatlichen Recht zur Abgrenzung zwischen subjektiven Rechten und Rechtsreflexen angestellt würden, fruchtbar machen will. Danach komme es darauf an, ob die Völkerrechtssätze primär oder nahezu ausschließlich dem Schutz individueller Interessen dienten, wie dies bei den Normen des Fremdenrechts und bei verbindlichen Menschenrechtskonventionen der Fall sei. 74 Vgl. hierzu Frowein / Peukert, S. 357 ff.; Verdross / Simma, § 425. Die Möglichkeit der Übertragung völkerrechtlicher Rechte auf Individuen bejaht auch Rudolf, Völkerrecht, S. 49 mit der Begründung, Verträge zugunsten Dritter seien erlaubt. 75 Soweit also ein Privater in Befolgung der Local-Remedies-Rule die innerstaatlichen Rechtsmittel ausschöpft, macht er bereits einen völkerrechtlichen Anspruch geltend; die materiellen Voraussetzungen ändern sich nicht dadurch, daß in der ersten Phase des Verfahrens der geschädigte Private und in der zweiten sein Heimatstaat den Anspruch geltend macht. In beiden Fällen steht im Mittelpunkt die gleiche Verletzung eines Rechtes, das aus dem Völkerrecht stammt. Vgl. 0 'Connell I, S. 109; Schwarze, AVR 1986,428. Zum Teil wird in diesem Verfahren ein Widerspruch gesehen, der sich dadurch vermeiden lasse, daß die Rechtsverletzung des Heimatstaates nicht schon in der urspünglichen Beeinträchtigung des Individuums gesehen wird, sondern erst in der späteren Weigerung der Organe des Schädigerstaates, die erlittene Beeinträchtigung rückgängig zu machen. Nach dieser Ansicht ist das eigentliche völkerrechtliche Unrecht eine Art völkerrechtlicher Rechtsverweigerung. Vgl. Berber III, S. 20; Greig, S. 535; Hilger, S. 54,57. Konsequenterweise ist für diese Autoren das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung eine anspruchsbegründende Tatbestandsvoraussetzung und nicht nur eine formelle, verfahrensrechtliche Bedingung.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
3. Form der Schutzausübung und Abgrenzung von anderen Rechtsinstituten Die mögliche Art des Vorgehens des diplomatischen Schutz gewährenden Staates ist vielfältig; eine allgemeine Aussage ist nicht möglich. Demgemäß sind die Methoden, die angewandt werden, recht verschiedenartig. Im einzelnen kommen folgende Maßnahmen in Betracht: Ergreifung völkerrechtlich zulässiger Abwehrmittel wie Retorsionen oder Repressalien, die Abberufung des diplomatischen Vertreters, die Gewährung von Asyl, die Unterwerfung unter ein Schiedsgericht, Einschaltung eines Vermittlers oder eines Drittstaates, Verhandlungen, diplomatische Vorstellungen, Interventionen bei örtlichen oder zentralen Behörden des anderen Staates u. s. W. 76 Der Schutz gewährende Staat wird aus der zur Verfügung stehenden Zahl von Mitteln dasjenige auswählen, das am meisten Erfolg verspricht oder ihn oder den Drittstaat am wenigsten belastet. Charakteristisch für den diplomatischen Schutz in diesem Sinne ist, daß es sich um die Wahrung von Interessen durch die Regierung des einen Staates bei der Regierung eines anderen Staates handelt, daß also ein unmittelbarer Behördenverkehr erfolgt. 77 Es kommt dabei nicht darauf an, ob diplomatische oder konsularische Behörden gegenüber dem anderen Staat tätig werden, wie ja eine Reihe von Staaten diese organisatorische Unterscheidung auch nicht kennen. 78 In einer Vielzahl von Fällen haben nämlich auch diplomatische Vertretungen konsularische Geschäfte zu erledigen. Welcher Behörde ein Staat eine bestimmte Aufgabe zuweist - das zu bestimmen ist er völlig frei. Kritik an der Annahme, die Rechtswegerschöpfung sei Anspruchsvoraussetzung, übt Schwarze, AVR 1986,428 f. Schwarze zufolge steht diese Konstruktion im Widerspruch zu der Tatsache, daß allgemeiner Meinung nach vertraglich auf das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung verzichtet werden kann. 76 Vgl. im einzelnen: Geck in Strupp j Schlochauer, Bd. 1,384, sowie die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Ergänzung der Bundesverfassung durch einen Artikel 45 bis betreffend die Schweizer im Ausland, BBI. 1965,435; die verschiedenen Formen des möglichen Tätigwerdens schildert auch Schneeberger, SJZ 1955, 6f. und Hecker, § 2 A 62. 77 Ressin Seidl-Hohenveldern, LdRjVR, S. 54; Brunner, S. 6; Schneeberger, SJZ 1943, 495. 78 Deshalb ist auch die zum Beispiel von Ress in SeidljHohenveldern, LdRjVR, S. 54 und Hecker, § 2 A 62 vorgenommene Differenzierung in diplomatischen und konsularischen Schutz weder besonders tragfähig noch irgend wie unterscheidungskräftig; vgl. auch Schneeberger, SJZ 1943, 495. Zu den konsularischen Aufgaben nach dem Konsulargesetz, das auf der Grundlage des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen ergangen ist, vgl. im einzelnen Hecker, § 1 A 20ff. Jürgens, S. 20, ist der Auffassung, die Annahme, diplomatischer Schutz sei jede Vorstellung gegenüber einem fremden Staat zwecks Beseitigung der durch einen Einzelnen als Konsequenz völkerrechtswidrigen HandeIns erlittenen Unbill sei verfehlt; sie verkenne, daß die Einordnung des diplomatischen Schutzes in den Rahmen der state responsibility die Geltendmachung ausschließlich eines völkerrechtlichen Wiedergutmachungsanspruches am Ende der Reklamation völkerrechtsdeliktischen Verhaltens bedinge.
I. Staat und diplomatischer Schutz
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Dieser Form der Ausübung diplomatischer Protektion steht jedoch eine andere gegenüber, die nicht gegenüber der fremden Staatsgewalt erfolgt oder doch nicht wegen eines völkerrechtswidrigen Aktes und die auch Privatpersonen gegenüber erfolgen kann. 79 Dazu zählt etwa die allgemeine Unterstützung der eigenen Staatsangehörigen durch die diplomatischen oder konsularischen Vertretungen im Ausland, z. B. durch Auskünfte, Unterstützung, Fürsorge, Vermittlung, Beratung oder Hilfe. Im folgenden soll die diplomatische Protektion in der Form der Demarche gegenüber einer fremden Behörde als diplomatischer Schutz im engeren Sinne, die zweite Form als diplomatischer Schutz im weiteren Sinne bezeichnet werden. 80 Der eigentliche Unterschied zwischen beiden Erscheinungsformen ist darin zu sehen, daß beim diplomatischen Schutz i. w. S. die Geltendmachung und Durchsetzung von Rechten, die natürlichen und juristischen Personen im Aufenthaltsstaat aufgrund des Völkerrechtes zukommen, gewährleistet werden sollen, während beim diplomatischen Schutz im engeren Sinne der Heimatstaat reklamiert, daß er selbst in seinen eigenen völkerrechtlichen Rechten dadurch verletzt wurde, daß seinen Staatsangehörigen eine völkerrechtswidrige Behandlung zuteil wurde und er (der Heimatstaat) hierdurch einen Schaden erlitten hat. 81 Zwischen diesen beiden Ausprägungen des diplomatischen Schutzes besteht nach dem bisher Gesagten ein Stufenverhältnis, das sich nach der Intensität des staatlichen Engagements richtet und das dem Heimatstaat - wenigstens in der Regel- gestattet, je nach den Umständen des Falles die eine oder andere Stufe - auch nacheinander - zu besteigen. Oft wird der Heimatstaat hingegen aus völkerrechtlichen Gründen von vornherein auf den diplomatischen Schutz im weiteren Sinne beschränkt sein. 82 Ist das nicht der Fall, kann er nach seinem Ermessen beides tun. Abzugrenzen ist der diplomatische Schutz schließlich von der humanitären Intervention. Man versteht darunter bewaffnete Eingriffe im Ausland zum Schutz der Menschenrechte der Angehörigen des Territorialstaates. 83 Die UNOCharta verbietet jedoch in Art. 2 Nr. 4 in den internationalen Beziehungen der Mitgliedstaaten jede Drohung mit Gewalt und jede Gewaltanwendung, die gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines 79 Vgl. Schneeberger, SJZ 1943, 493; Brunner, S. 7; Ress in Seidl/Hohenveldern, LdR/VR, S. 54; Rudolfin Kokot/Skubiszewski, S. 66. 80 Vgl. auch Jürgens, S. 20f. 81 Vgl. Schneeberger, SJZ 1943,496 und Brunner, S. 7, der-ungenau-die erste Form als konsularischen Schutz bezeichnet, ebenso Hecker, § 2 A 62 und offensichtlich auch Jürgens, S. 46f. 82 Vgl. hierzu das Beispiel bei Schneeberger, SJZ 1943, 496. 83 Verdross/Simma, §473; Magiera in Menzel/lpsen, S. 119; Beyerlin in Bernhardt, Encyc1opedia, Vol. 3, S. 211; Fonteyne, California Western International Law Journal 1974,203ff.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
Staates gerichtet oder sonst mit den Zielen der UNO nicht vereinbar ist. 84 Demgemäß kann heute eine solche Intervention nur noch aufgrund eines Beschlusses des Sicherheitsrates erfolgen, durch den schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte der eigenen Bevölkerung als Friedensbruch oder Friedensbedrohung nach Art. 39 der UNO-Charta eingestuft und dagegen Zwangsmaßnahmen angeordnet werden. 85 Der Unterschied dieses Rechtsinstitutes vom diplomatischen Schutz liegtneben den erschwerten Umständen, unter denen eine humanitäre Intervention zulässig ist - vor allem darin, daß die Möglichkeit besteht, zugunsten der Angehörigen eines fremden Staates zu intervenieren. 4. Gang der weiteren Untersuchung Nachdem im vorangegangenen Abschnitt die Voraussetzungen herausgearbeitet wurden, unter denen ein Staat seinen Staatsangehörigen diplomatischen Schutz angedeihen lassen kann, soll im folgenden der Frage nachgegangen werden, ob es sich auch bei der Einleitung eines Verständigungsverfahrens um eine Form der diplomatischen Protektion handelt und weiter, unter welchen Voraussetzungen de lege lata ein Verständigungsverfahren eingeleitet werden kann. Um die Funktion und die Wirkungsweise der Verständigungsklausel in den heute noch gültigen Doppelbesteuerungsabkommen erfassen zu können, wird die Darstellung mit der historischen Entwicklung der Verständigungsklausel beginnen, worauf die derzeit Verwendung findenden Modellabkommen untersucht werden sollen sowie die Frage, ob sich die Verständigungsklauseln in den geltenden DBA nach Ländergruppen typisieren lassen. Erkenntnisleitendes Ziel ist hierbei die Annahme, daß unterschiedliche Bedingungen bei der Ausprägung der Verständigungsklauseln in ihrer konkreten Erscheinungsform auch die Struktur der Verständigungsklauseln, auf die in diesem Zusammenhang einzugehen sein wird, beeinflußt haben. Vor der Beantwortung der zu untersuchenden Frage ist schließlich noch näher auf das Verhältnis zwischen Verständigungsverfahren und Völkerrecht einzugehen.
84 Vgl. hierzu Dahm, JIR 1962, 48ff.; Franck, AJIL 1970, 809ff.; Thode in Menzel/lpsen, S. 458; RandelzhoJer in Bemhardt, Encyc1opedia, Vol. 4, S. 265 ff. 8S Verdrosst Simma, §§ 473, 232ff.; Brunner, S. 8. Gegen die Zulässigkeit der Empfehlung von Zwangsmaßnahmen durch die UNO mit beachtlichen Argumenten Krökel, S. 82ff.
U. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
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11. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren 1. Historische Entwicklung der Verständigungsklauseln in den deutschen DBA a) bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Die Geschichte der Doppelbesteuerungsabkommen selbst ist sehr alt. Zum Teil wird als ältestes geschichtlich nachweisbares Beispiel für das internationale Steuerrecht ein Dekret der griechischen Stadt Opunt aus dem fünften Jahrhundert vor Christus angeführt, in dem deren Bewohnern, die im Rahmen einer Koloniegründung nach Neupaktos zogen, in der Heimatstadt Steuerfreiheit gewährt wurde. 1 In einer Untersuchung aus dem 12. Jahrhundert beschäftigt sich Jacobus mit der Steuerpflicht eines Ferraraners, der Vermögen in Ferrara und Bologna besaß.2 Seit dieser Zeit gibt es vor allem in Italien eine Fülle von Untersuchungen zu diesem Themenbereich, die ihren Ausgangspunkt bei den Glossatoren und Kommentatoren nahm und sogar die Aufmerksamkeit von hervorragenden Juristen wie Accursius hervorrief. 3 Eine statuarische Meistbegünstigungsklauselläßt sich für Italien bereits für das Jahr 1193 nachweisen. 4 Eine Verständigungsklausel enthielten diese Gesetze naturgemäß noch nicht. Die Bedeutung des Doppelbesteuerungsproblems ist jedoch erst im ausgehenden 19. Jahrhundert in seiner vollen Tragweite erkannt wordenS, und zwar bedingt durch die zunehmend stärker werdende wirtschaftliche Verflechtung zwischen den vor allem europäischen Staaten. Die zunehmende Erkenntnis von der Bedeutung der Doppelbesteuerungsfragen zeigt sich z. B. in der Tatsache, daß weder im österreichischen Erwerbssteuer-Patent vom 31. 12. 1812, noch im österreichischen Einkommenssteuer-Patent vom 29.10.1848 das internationale Steuerrecht eine seiner Bedeutung angemessene Berücksichtigung fanden. 6 Demgegenüber erfuhr diese Rechtsmaterie im österreichischen Personalsteuergesetz vom 25. 10. 1896 eine umfassende Regelung. 7 Die ersten vertraglichen Regelungen auf dem Gebiet des Steuervölkerrechts stellten die 1843 und 1845 von Belgien mit Luxemburg, Frankreich und den 1 Meili, S. 57ff.; Lippert, Finanzrecht, S. 599f.; Spitaler, Doppelbesteuerungsproblem, S. 1 ff. 2 Quaistio des Jacobus, BibI. jur. medii aevi 1, 84. 3 Accursius, C 10, 39, 1; C 10,40,4; C 10,42 Rubr. und 1.2; C 10, 64, 1; zitiert und weitere Nachweise bei: Neumeyer, Zeitschrift fürinternationales Recht, XXIV. Band, Abt. U, S. 187 bei Fn. 1. 4 Nachweise bei Neumeyer, S. 187 bei Fn. 1. 5 Vgl. Neumeyer, S. 186; Spitaler, Doppelbesteuerungsproblem, S. 2; Lippert, Finanzrecht, S. 600. 6 Vgl. Lippert, Finanzrecht, S. 600. 7 Vgl. Lippert, Finanzrecht, S. 600.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
Niederlanden abgeschlossenen Verträge dar. 8 Diese Verträge hatten jedoch nicht die Venneidung einer internationalen Doppelbesteuerung zum Ziel, sondern eine gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen, dienten also der Venneidung der Steuerflucht. 9 Das erste echte Doppelbesteuerungsabkommen im modernen Sinne dürfte die Vereinbarung vom 27. August 1872 zwischen Großbritannien und dem Schweizer Kanton Waardt, betreffend den gegenseitigen Bezug von Erbschaftsund Vennächtnissteuern, sein. lO Eine Verständigungsklausel enthielt auch dieser Vertrag nicht. Das - soweit erkennbar - erste Abkommen, das eine Vorschrift enthält, die in einem weiter gefaßten Sinne als Vorläuferin der heutigen Verständigungsklauseln gelten kann, war das Abkommen vom 21. 6. 1899, betreffend die Venneidung von Doppelbesteuerungen zwischen Preußen und der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. 11 Art. 1 dieses Abkommens sah vor, daß preußische bzw. österreichische Staatsangehörige grundsätzlich zu den sogenannten direkten Staatssteuern nur im Wohnsitzstaat herangezogen werden sollten, bei Wohnsitz in beiden Staaten nur im Heimatstaat. 12 Artikel 7 bestimmte weiter: "Über die zur thunlichsten Beseitigung der Doppelbesteuerung solcher Personen, welche sowohl preußische als österreichische Staatsangehörige sind, und zugleich in beiden Gebieten ihren Wohnsitz haben, etwa noch erforderlichen besonderen Bestimmungen werden die vertragschließenden Theile sich vorkommenden Falles ins Einvernehmen setzen und der Vereinbarung entsprechende Anordnungen treffen." 13 Es fällt auf, daß die zitierte Vorschrift nur einen engen Teilbereich der Fälle regelt, die von den modernen Verständigungsklauseln erfaßt werden. Ein Einvernehmen sollte nur dann hergestellt werden, wenn eine Person sowohl beide Staatsangehörigkeiten besaß, als auch in beiden Staaten einen Wohnsitz hatte. Es ist schwer vorstellbar, daß diese Voraussetzungen allzu häufig vorgelegen haben. Der an sich naheliegende Gedanke, daß Divergenzen darüber auftreten konnten, welche Abgaben direkte Staatssteuern im Sinne des Art. 1 sein könnten, scheint den Vertragsparteien nicht gekommen zu sein. 14 Derlei 8 LN, CIA, I, 211; I 212; I, 213. Eine Zusammenstellung der wichtigsten zwischenstaatlichen DBA bis zum ersten Weltkrieg einschließlich eines Nachweises der darin enthaltenen Verständigungsklauseln findet sich bei Mülhausen, Anhang H. Für die Zeit nach dem 1. Weltkrieg vgl. im einzelnen Scholz, S. 151 fT. 9 Vgl. Knechtle, S. 203. 10 LN, CIA, 1,141; aufgehoben durch Notenwechsel vom 24. 12. 1957; vgl. Knechtle, S.203. 11 Gesetzessammlung für die königlichen preußischen Staaten, 1900, S. 259; Österreichisches Reichsgesetzblatt 1900, S. 397. 12 PrGS 1900, 260. 13 PrGS 1900, 261 f. 14 Vgl. zur Einteilung in direkte und indirekte Steuern Dorn, StuW 1925, 1042fT.
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Meinungsverschiedenheiten waren mithin auch einem "Einvernehmen" nicht zugänglich. b) Verständigungsklauseln in D BA von europäischen Staaten bis 1925
In der Folgezeit wurde das Netz der Verträge zur Vermeidung der internationalen Doppelbesteuerung zunehmend dichter. 15 So lassen sich bis 1925 etwa 40 solcher Verträge nachweisen, an denen zu einem ganz erheblichen Teil das Deutsche Reich beteiligt war, die zunächst nur z. T., später zunehmend, Verständigungsklauseln enthielten. Bis zum 1. Weltkrieg enthielten die meisten von Österreich abgeschlossenen DBA eine Klausel, die der aus dem Vertrag Preußen-Österreich-Ungarn strukturgleich war und ein Einvernehmen zwischen den Vertragsparteien bei Fällen von Doppelstaatsangehörigkeit und - kumulativ - Doppelwohnsitz ermöglichten. 16 In der Zeit zwischen 1913 und 1921 kam der Abschluß von DBA - bedingt durch den 1. Weltkrieg und seine Folgen - völlig zum Erliegen. 17 Speziell für Deutschland hatten die Regelungen des Versailler Vertrages (Art. 282fT., Art. 289) die Folge, daß der größte Teil des Völkervertragsrechts, an dessen Schöpfung Deutschland beteiligt war, aufgehoben und den Allierten das Recht zugesprochen wurde, durch einseitige Erklärungen einzelne Verträge wieder aufleben zu lassen. Der erste Vertrag nach dem Krieg, der die Vermeidung der internationalen Doppelbesteuerung zum Ziel hatte, war das DBA Deutsches Reich-Tschechoslowakei vom 31.12.1921. 18 Art. 1 I bestimmte, daß die Staatsangehörigen eines 1S Vgl. etwa die Übersicht bei Spitaler, Doppelbesteuerungsproblem, S. 32ff.; eine Übersicht enthält ferner der "Index of International Tax Agreements" in UN, ITA, I, S. 431 ff. 16 Art. 8 DBA Österreich-Ungarn-Liechtenstein vom 18. 5.1901 - Öst. RGBI. 1901, 299; Art. 7 DBA Österreich-Ungarn-Sachsen vom 21. 1. 1903 - Öst.RGBI. 1903, 381; Art. 5 DBA Österreich-Ungarn-Württemberg vom 4.2.1905, Öst.RGBI. 1905,387; Art. 7 DBA Österreich-Ungarn-Baden vom 7. 11. 1908, Öst.RGBI. 1909, 361; Art. 6 DBA Österreich-Ungarn-Hessen vom 3.1. 1912, Öst.RGBI. 1912,951; Art. 6 DBA ÖsterreichBayern vom 3. 7.1913, Öst.RGBI. 1913,863. Abweichend nur DBA Österreich-UngarnBayern vom 6. 10. 1903, Öst.RGBI. 1903,849 - keine Verständigungsklausel enthält das DBA Österreich-Ungarn vom 8.10.1907, Öst.RGBI. 1907,1177, der in seinem Art. 9 eine Einigung auf den Verteilungsmaßstab bei Betriebsstätten in beiden Staatsgebieten vorsieht. 17 Zwar zitiert Spitaler, Doppelbesteuerungsproblem, S. 32 noch einen Vertrag Griechenland-Spanien vom 6. März 1919; hierbei handelt es sich jedoch nicht um ein DBA im weitesten Sinne, sondern um eine Konvention betreffend die Nachfolge von Eigentum von Staatsangehörigen, die in einem der beiden Staaten enteignet worden waren, vgl. LN, CIA, I, 142. 18 LN, CIA, I, 9; RGBI. II, 1923,69; Dorn, StuW 1925, 1040, weist daraufhin, daß die heiden Staaten sich zum Abschluß dieses DBA in dem Wirtschaftsabkommen vom 29.6. 1920 zum Abschluß des DBA verpflichtet hatten, vgl. RGBI. 1920 II, 2228.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
der Vertragsstaaten zu den direkten Steuern nur in dem Staat herangezogen werden sollten, in welchem sie Wohnsitz oder Aufenthalt hatten. Nach Art. 1 II 1 erfolgte bei doppeltem Wohnsitz eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit. Art. 1 II 2 bestimmte, daß sowohl bei Personen, die nicht Staatsangehörige eines der beiden Staaten, als auch bei solchen, die beide Staatsangehörigkeiten besaßen, von Fall zu Fall eine besondere Vereinbarung erfolgen sollte. 19 Art. XIX sah vor: "Die obersten Finanzbehörden der beiden Staaten können weitere Vereinbarungen im Sinne des Vertrages treffen. Sie können insbesondere Bestimmungen über angemessene Verteilung des Einkommens im Sinne des Artikels III Absatz 3 vereinbaren. "20 Diese Bestimmung ist insofern ein Novum und ein Fortschritt, als eine Vereinbarung nicht nur bei den (seltenen) Fällen von Doppelwohnsitz und doppelter oder gar keiner Staatsangehörigkeit zu einer der beiden Vertragspartner möglich war, sondern auch zur Regelung anderer Fragen mit dem Ziel einer angemessenen Verteilung des Einkommens. 21 Dem Abkommen beigefügt war ein Schlußprotokoll, das nach seiner Präambel einen integrierten Teil der Verträge selbst bilden sollte. 22 Darin wurde die Möglichkeit des Einvernehmens auf die Frage der Zurechnung einer bestimmten - im Abkommen nicht erwähnten Steuer - zu den direkten Steuern ausgedehnt. Ziffer 1 IV sah vor: "Zweifel über die Zugehörigkeit einer Steuer zu den oben bezeichneten Steuerarten werden im Einvernehmen zwischen den obersten Finanzbehörden der beiden Staaten geklärt werden." Eine entsprechende Vorschrift war im überwiegenden Teil der bis 1925 vereinbarten D BA enthalten. 23 RGBI. 1923 II, 71. RGBI. 1923 II, 83. 21 Eine Art. XIX S. 1 entsprechende Bestimmung enthalten von den bis 1925 abgeschlossenen Verträgen nur Art. II DBA Deutsches Reich - Schweiz vom 24. 3. 1923 (RGBI. 1920 II, 453, 455) ("unmittelbare Verhandlungen von Fall zu Fall zum Zwecke einer Regelung im Sinne angemessener Verteilung der Steueransprüche"). Eine Art XIX S. 2 entsprechende Bestimmung ist enthalten in Art. 3 III DBA Österreich - Ungarn (vom 8. 11. 1924, LN, CIA, 1,46); Art. 2 II DBA Polen - Tschechoslowakei vom 23. 4.1925 (LN, CIA, I, 52); Ziff. 3 des Schlußprotokolls D BA Italien - Tschechoslowakei vom 1. 3. 1924 (LN, CIA, I, 76) sowie Ziff. 6 des Schlußprotokolls D BA Deutsches Reich - Italien vom 31. 10. 1925 (RGBI. 1925 II, 1145). 22 RGBI. 1923 II, 83. 23 Vgl. DBA Österreich-Tschechoslowakei vom 18. 2.1922 (LN, CIA, I, 21; Öst.RGBI. 1923, I, 7); Schlußprotokoll Ziffer 1; DBA Deutsches Reich-Österreich vom 23. 5. 1922 (LN, CIA, I, 15; RGBI. 1923 II, 69), Schlußprotokoll Ziffer 1; DBA UngarnTschechoslowakei vom 13. 7. 1923 (LN, CIA, I, 31); Schlußprotokoll Ziffer 1; DBA Deutsches Reich-Ungarn vom 6. 11. 1923 (LN, CIA, I, 36; RGBI. 1925 II, 641; Schlußprotokoll Ziffer 1; DBA Österreich-Ungarn vom 8. 11. 1924 (LN, CIA, I, 46); 19
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Nur zwei Monate nach diesem Vertrag kam es zum Abschluß des DBA Österreich-Tschechoslowakei vom 11. 2. 1922.24Artikel 18 lautete: "Zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen ist in Einzelfällen, auch wenn diese durch den vorliegenden Vertrag keine ausdrückliche Regelung finden würden, über unmittelbare Anregung der Finanzbehörde des einen Staates bei jener des anderen das Einvernehmen zu suchen. Die beiden Finanzminister werden sich im Notenwechsel über das hierbei einzuschlagende Verfahren einigen. Die beiden Finanzminister werden zur Vermeidung von Härten, die sich aus der Anwendung dieses Vertrages ergeben können oder durch ihn nicht beseitigt werden, auch Vereinbarungen in Abänderung oder Ergänzung seiner Bestimmungen, insbesondere auch hinsichtlich des Artikel 11 25 abschließen können." Der in Art. 18 Abs. 1 vorhandene Ansatz ist im DBA Polen-Tschechoslowakei nicht nur aufgenommen, sondern sogar weiterentwickelt worden. 26 Auch die spezielle Regelung in Art. 18 Abs. 2, die der Vermeidung von Härten dient, ist in anderen Verträgen wiederzufinden. 27 Eine erhebliche Fortentwicklung der Verständigungsklauseln im Hinblick auf die Rechtsstellung des Steuerpflichtigen enthielt das Übereinkommen zwischen Österreich, Italien, Ungarn, Polen, Rumänien und dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vom 6. 4. 1922 (der sogenannte Romvertrag).28 Artikel 10 lautet: "Wenn es sich ergibt, daß Verfügungen der Finanzbehörden der verschiedenen Staaten für den Abgabenpflichtigen eine Doppelbesteuerung bewirken, kann dieser bei seinem Heimatstaate gegen dieses Vorgehen Beschwerde führen. Wenn diese Beschwerde als begründet erachtet wird, kann der erwähnte Staat im Interesse des Abgabenpflichtigen im diplomatischen Wege Schlußprotokoll Ziffer 2; DBA Deutsches Reich-Italien vom 31. 10. 1925, Schlußprotokoll Ziffer 61. 24 LN, CIA, I, 21; Öst.RGBI. 1923 I, 7. 25 Der in Bezug genommene Artikel 11 erfaßt persönliche Veränderungen beim Abgabenpflichtigen vom 1. 3. 1919 bis 30. 6. 1920, die eine Doppelbesteuerung zur Folge hatten. 26 Art. 11 (LN, CIA, 1,52). Unten wird auf die Vorschrift noch näher einzugehen sein. 27 Art. 17 I DBA Deutsches Reich-Österreich vom 23. 5. 1922 (RGBI. 1923 II, 69); Ziffer 4 DBA Deutsches Reich-Polen vom 21. 3. 1923 (LN, CIA, I, 109); Art. 14 DBA Ungarn-Tschechoslowakei vom 13. 7. 1923 (LN, CIA, I, 31); Art. 14 DBA Deutsches Reich-Ungarn vom 6. 11. 1923 (RGBI. 1925 11, 641); Art. 15DBAÖsterreich-Ungarnvom 8.11. 1924 (LN, CIA, 1,46; Öst.RGBI. 1925,1714,1718). 28 Öst.RGBI. 192611, 1407; ratifiziert wurde das Abkommen nur von Österreich und Italien, so daß es auch nur zwischen diesen beiden Staaten rechtswirksam wurde.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
verlangen, daß die Finanzbehörden der Staaten, die diese Besteuerung vorgenommen haben, sich in geeigneter Weise zur Beseitigung der Doppelbesteuerung ins Einvernehmen setzen."29 Die in den früheren Verträgen enthaltenen Billigkeitsvorschriften sind hierwie man sieht - durch eine Klausel ersetzt, die dem Steuerpflichtigen insofern eine eigene Rechtsposition verschafft, als sie ihm ein selbständiges Beschwerderecht gibt. Dabei ist die Vorschrift zweistufig aufgebaut: Art. 10 S. 1 betrifft das Rechtsverhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen und seinem Heimatstaat. Erforderlich ist hier, daß Maßnahmen der Finanzbehörden bei der Staaten zu einer Doppelbesteuerung geführt haben, wobei es sich um eine effektive und nicht nur um eine virtuelle Doppelbesteuerung handeln dürfte. 30 Art. 10 S. 2 bestimmt für den Fall, daß S. 1 vorliegt und die Steuerverwaltung die Beschwerde für begründet hält, daß die Finanzbehörden sich über eine billige Weise zur Beseitigung der Doppelbesteuerung verständigen. Die im Romvertrag entwickelte Vorschrift wurde sowohl im DBA Italien-Tschechoslowakei als auch im D BA Italien-Deutschland weiter verwendet. 31 Sie trat in den deutschen D BA an die Stelle der erwähnten Härteklauseln. 32 Die nächste Fortentwicklung in Richtung auf die heutige Fassung erfuhr die Verständigungsklausei des Art. 10 Romvertrag im DBA Polen-Tschechoslowakei vom 23. 4. 1925. 33 Art. 11 lautet: "Wenn in bestimmten besonderen Fällen Zweifel über die Anwendung oder Auslegung dieses Abkommens besteht, oder es unmöglich ist, ungeachtet dieses Abkommens, eine Doppelbesteuerung zu verhindern, werden sich die Finanzminister der beiden Vertragsparteien über die gerechteste Weise, mit diesen Fällen umzugehen, ins Einvernehmen setzen. "34 Damit entspricht die Formulierung, die in dieser Vorschrift verwendet wurde, im wesentlichen schon den späteren Konsultationsklauseln in den jüngeren deutschen DBA.3s Das Novum dieser Klausel liegt in der Möglichkeit, auch Zweifel über Auslegung und Anwendung des DBA durch ein Einvernehmen der beteiligten Steuerverwaltungen zu beseitigen.
Öst.RGBI. 1926 11, 1406, 1412. So zutreffend Mülhausen, S. 71; zur Unterscheidung zwischen effektiver und virtueller Doppelbesteuerung vgl. Korn / Debatin, Systematik 111 Rz. 45; Rädler / Raupach, S.372. 31 Vgl. DBA Italien-Tschechoslowakei (LN,CIA, I, 78) einerseits und DBA ItalienDeutschland (RGBI. 1925, 1145) andererseits. 32 Mülhausen, S. 71. 33 LN, CIA, I, 53. 34 Übersetzung des Verfassers aus LNTS, Vol. XLIV, No. 1091. 3S Mülhausen, S. 68; vgl. auch Art. 16 DBA Italien. 29
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In das am 31. 10. 1925 abgeschlossene DBA Italien wurde der Art. 11 des D BA Polen-Tschechoslowakei als Art. 16 mit der Ergänzung übernommen, daß eine besondere Vereinbarung auch dann möglich ist, wenn Doppelbesteuerungsralle auftreten, die im Abkommen nicht ausdrücklich geregelt werden (Art. 16). Zusätzlich wurde aus dem Romvertrag die Klausel über die Beteiligung des Steuerpflichtigen in der Form einer Beschwerde in das DBA Italien übernommen und um eine zusätzliche Klausel erweitert, nach der die im Rahmen des Verständigungsverfahrens zu treffenden Entscheidungen den obersten Finanzbehörden übertragen wurden: Artikel 15: Weist ein Steuerpflichtiger nach, daß die Maßnahmen der Finanzbehörden der vertragsschließenden Staaten für ihn die Wirkung einer Doppelbesteuerung gehabt haben, so kann er hiergegen bei dem Staat, dem er angehört, Einspruch erheben. Wird der Einspruch für begründet erachtet, so kann die oberste Finanzbehörde dieses Staates sich mit der obersten Finanzbehörde des anderen verständigen, um in billiger Weise eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Artikel 16: Zur Beseitigung von Doppelbesteuerungen in Fällen, die in diesem Abkommen nicht ausdrücklich geregelt sind, sowie auch in Fällen von Schwierigkeiten oder Zweifeln bei der Auslegung und Anwendung dieses Abkommens können die obersten Finanzbehörden der beiden vertragschließenden Staaten besondere Vereinbarungen treffen. Artikel 17: Die vertragschließenden Teile verpflichten sich, die obersten Finanzbehörden beider Staaten mit der billigen Entscheidung jeder anderen Frage zu betrauen, die, sei es wegen der Verschiedenheit der für die Steuererhebung in beiden Staaten geltenden Grundsätze, sei es wegen der jetzt oder künftig nach dem Rechte der beiden Staaten für die Vermögenssteuer festgesetzten Stichtage, oder die überhaupt, ohne in diesem Abkommen ausdrücklich entschieden zu sein, auf dem Gebiete der direkten Steuern entstehen können. Die Regelungen der Art. 15 - 17 wurden ergänzt durch Nr. 17 des Schlußprotokolls, in dem ausdrücklich festgelegt ist, daß Einverständnis darüber besteht, daß die Befugnis, die den Finanzbehörden durch Art. 16 des DBA übertragen wird, nur dazu dienen darf, die Anwendung der in dem Abkommen aufgestellten Grundsätze auch auf jene Fälle zu ermöglichen, die im Abkommen entweder gar nicht vorgesehen, oder aber nicht vollständig geregelt sind. Es soll aber demgegenüber nicht möglich sein, Grundsätze aufzustellen, die von denen im Abkommen unterschiedlich sind.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
c) Verständigungsklauseln in deutschen DBA seit 1925
Mit den Vorschriften über das Verständigungsverfahren im DBA Italien hatte die Entwicklung dieser Klauseln ihren vorläufigen Abschluß erreicht. In den bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges abgeschlossenen DBA tauchten die im DBA Italien verwendeten Formulierungen zum Teil wörtlich, zum Teil geringfügig verändert immer wieder auf. 36 Für die Zeit nach Ende des Zweiten Weltkrieges ist zu unterscheiden: Eine Art. 15 S. 1 DBA Italien entsprechende Vorschrift, wonach der Bürger, falls er von einer Doppelbesteuerung betroffen wird, Einspruch erheben bzw. seinen Fall den Steuerbehörden des Heimat- oder Wohnsitzstaates unterbreiten kann, ist in allen Nachkriegsabkommen enthalten. 37 Anders steht es schon mit Art. 15 S. 2 DBA Italien, deres den Finanzbehörden ermöglicht, sich auf einen Einspruch des Steuerpflichtigen ganz allgemein mit dem Ziel verständigen zu können, in billiger Weise eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Eine entsprechende Formel findet sich in keinem der nach dem Krieg abgeschlossenen DBA wieder. 38 Art. 16 DBA Italien ist in zum Teil modifizierter Form in alle DBA der Bundesrepublik, die nach dem Krieg abgeschlossen wurden, übernommen worden. Dies gilt hinsichtlich der Klausel, daß das Verständigungsverfahren dazu dienen soll, Schwierigkeiten oder Zweifel bei der Auslegung oder Anwendung der DBA zu beseitigen, fast unbeschränkt. 39 Demgegenüber fehlt 36 Es sind dies im einzelnen: DBA Schweden vom 25.4.1928 (RGBl. 19281I, 522), Art. 13 -15; DBA Schweiz vom 15. 7.1931 (RGBl. 19341I, 38), Art. 13 I, 1I; eine Art. 17 DBA Italien entsprechende Klausel fehlt; DBA Frankreich vom 9. 11. 1934 (RStBl. 1938,329), Art. 16 - 18; DBA Finnland vom 25.9. 1935 (RGBl. 1936 1I, 28), Art. 13 - 15; DBA Rumänien vom 8. 2.1937 (nicht ratifiziert, UN, ITA, I, 24); Art. 14 -16; DBA Belgien vom 1. 12. 1938 (nicht ratifiziert, UN, ITA, I, 59), Art. 12, 13; eine Art. 17 DBA Italien entsprechende Klausel fehlt. DBA Jugoslawien vom 5.1. 1940 (RGBl. 194011,289), Art. 12 - 14; DBA Bulgarien vom 28. 11. 1940 (RGBl. 194011,294), Art. 12 - 14. 37 Vgl.jetzt: Art. 25 I S. 1 OECD-MA 1963/1977. 38 Zutreffend Mülhausen, S. 72. 39 Dies ergibt sich heute aus den Art. 25 III 1 OECD-MA 1963/1977 entsprechenden Klauseln. Für die Zeit vor 1963 vgl.: Art. 14 DBA Finnland vom 25.9.1935 (RGBl. 1936 1I, 28); Art. 171I DBA USA vom 22.7.1954 in der Fassung des Revisionsprotokolls vom 17.9.1965; Art. 1711 DBA Großbritannien vom 18. 8.1954 (BGBl. 195511,612); Art. 2111 DBA Österreich vom 4.10.1954 (BGBl. 19551I, 750); Art. 18 11 DBA Kanada vom 4.6. 1956 (BGBl. 195711,188); Art. 1711 DBA Pakistan vom 7.8. 1958 (BGBl. 196011,1800); Art. 26 III DBA Luxemburg vom 23. 8. 1958 (BGBl. 1959 11, 1270); Art. 25 III DBA Norwegen vom 18. 11. 1958 (BGBl. 1959 1I, 1281); Art. 25 II DBA Schweden vom 17.4. 1959 (BGBI. 196011,1815); Art. 25 11 DBA Niederlande vom 16. 6.1959 (BGBI. 196011, 1782); Art. 25 III DBA Frankreich vom 21. 7. 1959 (BGBI. 19611I, 398); Art. 20 II DBA Ägypten vom 17. 11. 1959 (BGBl. 1961 11,421); Art. 25 III DBA Dänemark vom 30.1. 1962 (BGBl. 19631I, 1312); Art. 1911 DBA Ceylon vom 4.7.1962 (BGBI. 196411,790); Art. 21 11 DBA Israel vom 9.2. 1962 (BGBI. 19661I, 330); Art. 2411 DBA Irland vom 17. 10.1962 (BGBl. 1964 11, 267); anders lediglich das DBA Indien vom 18. 3.1959, das in Art. 18 nur eine höchst rudimentäre Regelung des Verständigungsverfahrens enthält.
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die Klausel, daß auch über die Fälle, die im Abkommen nicht ausdrücklich geregelt sind, eine Verständigung herbeigeführt werden kann, in einem großen Teil der DBA (anders jetzt Art. 25 III 2 OECD-MA 1963/1977).40 Ähnlich verhält es sich mit Art. 17 DBA Italien. Eine dieser Vorschrift entsprechende Klausel wird in keinem der Nachkriegsabkommen mehr verwendet. Es fehlt damit bei diesen Abkommen die Möglichkeit, im Verständigungsverfahren auf dem Verwaltungswege die Vorschriften des Vertragsrechts mit materiellrechtlicher Wirkung zu ergänzen oder auszulegen. 41 In einer Reihe von DBA findet sich demgegenüber die Vorschrift, daß ein Einvernehmen herbeigeführt werden soll "zur Beseitigung von Härten auf Grund
einer Doppelbesteuerung in Fällen, die in diesem Abkommen nicht geregelt sind". 42
Seit Vorlage des ersten OECD-Musters aus dem Jahre 1963 geht die deutsche Vertragspolitik im Grundsatz von diesem Muster aus 43 , so daß seit diesem Zeitpunkt in der Regel nicht mehr die grundsätzliche Konzeption der Verständigungsklausel in Frage steht, sondern lediglich deren Ausgestaltung im Einzelfall. Wirklich eigenständige Regelungen enthalten nur die vor Vorlage des OECD-MA 1963 abgeschlossenen Verträge. Bevor der Versuch einer Typisierung der derzeit geltenden DBA gemacht werden soll, ist noch näher auf die verschiedenen, bei Verhandlungen zugrundegelegten Modelle einzugehen.
2. Das Verständigungsverfabren und seine Voraussetzungen a) Musterabkommen
Grundlage für die seit Beginn der sechziger Jahre abgeschlossenen DBA sind die von verschiedenen internationalen Organisationen vorgelegten sogenannten Musterabkommen. Es sind dies die MA der OECD von 1963 und 1977, das UNO-Modell (1980), das Andenpakt-Modell (1971) und das vom U.S. Treasury Department verwandte US-Muster (in der Fassung von 1981). Da diese Modellabkommen bei der Auslegung von DBA zumindest eine Hilfe darstellen können 44 , soll kurz ihr Entstehen und ihre Wirkungsweise dargestellt werden. 40 So aus der Zeit vor Übernahme des OECD-MA 1963: die DBA USA, Großbritannien, Kanada 1956, Pakistan, Ägypten, Ceylon (anders jetzt Art. 26 III DBA Sri Lanka), Israel, Irland, Indien, aus der Zeit danach: die DBA Australien, Belgien, Dänemark, Griechenland, Neuseeland, Portugal, Südafrika. 41 So Debatin für das DBA Italien, in: Korn / Debatin, DBA Italien, S. 33. 42 Art. 2111 DBA Österreich vom 4.10.1954; Art. 26 III DBA Luxemburg vom 23.8. 1958; Art. 25 III DBA Norwegen vom 18. 11. 1958; Art. 25 11 DBA Schweden vom 17.4. 1959; Art. 25 11 DBA Niederlande vom 15. 6.1959; Art. 25 III DBA Dänemark vom 30.1. 1962; diese Abkommen werden von Mülhausen, S. 72 als kontinental-europäische Abkommensgruppe zusammengefaßt. 43 Prang, S. 42; Vogel, DBA, Ein!. Rz. 14. 44 Vg!. hierzu oben, 1. Kapitel, 11.4.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
Außerdem wird im einzelnen auf die inhaltliche Gestaltung der Klausel über das Verständigungsverfahren einzugehen sein. aa) OECD-Musterabkommen 1963 Das Verdienst, relativ frühzeitig wirksame Schritte zur Bekämpfung der Doppelbesteuerung unternommen zu haben, gebührt zweifellos der Organisation for Economic Cooperation and Development - OECD - bzw ihrer Vorläuferin, der Organisation for European Economic Development OEEC.45 Ausgehend von der starken wirtschaftlichen Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg und der zunehmenden industriellen Verflechtung der Industriestaaten, verabschiedete der Rat der OECD 1955 eine Empfehlung, in der die Mitgliedstaaten aufgefordert wurden, die Bemühungen um die Beseitigung der Doppelbesteuerung durch den Abschluß bilateraler Abkommen fortzusetzen. 46 1956 wurde dann der Steuerausschuß der OEEC gegründet, dessen Aufgabe die "Beseitigung von Fragen der Doppelbesteuerung und von Steuer/ragen ähnlicher Art" sein sollte. 47 Bei seiner Arbeit legte der Steuerausschuß die vom Völkerbund erarbeiteten Modelle von Genf (1943), Mexiko (1943) und London (1946) zugrunde, mit dem Ziel, sie auf den neuesten Stand zu bringen. 48 Inder Zeit zwischen 1958 und 1961 veröffentlichte der Ausschuß in vier Berichten insgesamt 25 MA-Artikel, die bereits die Grundlage des Abkommens bildeten, das dann schließlich nach redaktioneller Überarbeitung und Ergänzung sowie der Erarbeitung des beigefügten Kommentars 1963 der OECD vorgelegt wurde. 49 Bereits 1961 war die OEEC in die OECD umgewandelt worden. 50 Bei seinen Arbeiten orientierte sich der Steuerausschuß zwar an den Völkerbundvorarbeiten, vor allem an den Musterabkommen von Mexiko (1943) und London (1946), stellte dabei jedoch fest, daß keines der Musterab45 Zu Zielen, Autbau und Geschichte der OECD siehe im einzelnen: Yearbook of International Organizations, Vol. 1, C 3023 g. Der OECD gehören zur Zeit die Regierungen von 24 Staaten an, meist Industriestaaten. Instruktiv zum Recht der OECD: Hahn, in: Bernhardt, Encyc1opedia, Vol. 5, S. 214ff., 219ff. m. w. Nachweisen. Vgl. ebenso Hautmann, IWB Fach 10, Gruppe 1, S. 19ff. 46 Debatin,AWD 1963,283; Debatin, RIW / AWD 1978, 375; Hundt, RIW / AWD 1981, 308; vgl. auch Hautmann, IWB, Fach 10, Gruppe 1, S. 23 zum Rat der OECD. 47 Van den Tempel, Tz. 11. Die Gründung erfolgte durch die Resolution C (56) 49 des Rates der OEEC. 48 Vgl. Carroll, BIFD 1972, 139. 49 Wiedergabe der Berichte bei Widmer, Archiv für schweizerisches Abgabenrecht 27 (1959),305 - 329; 29 (1960), 209 - 238; 31 (1962), 113 - 137. Ein Überblick über alle Berichte findet sich bei Ludwig, Steuer-Revue 1962,49 - 68. Der Text des Musterabkommens ist wiedergegeben bei Korn / Debatin, Systematik, Anhang A, S. 8 ff. 50 Van den Tempel, Tz. 13; Debatin, AWD 1963, 283. Vgl. auch Hautmann, IWB, Fach 10, Gruppe 1, S. 19,28.
II. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
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kommen uneingeschränkt und einhellig gebilligt worden war, zumal sie auch in wesentlichen Punkten erhebliche Unterschiede und Lücken aufwiesen. 51 Zudem machte es die zunehmende Wirtschaftsverflechtung erforderlich, die im Zusammenhang mit dem Phänomen der Doppelbesteuerung auftretenden rechtlichen und wirtschaftlichen Probleme neu zu überdenken, um ein Abkommensmuster zu schaffen, das die zwischen den OECD-Mitgliedstaaten bestehenden Doppelbesteuerungsprobleme wirksam löste und gleichzeitig für alle Mitgliedstaaten annehmbar war. 52 In der Art und Weise, mit der der Steuerausschuß das Modellabkommen erarbeitete, und in seiner Zusammensetzung ist ein großer Teil des Erfolges begründet, den das Abkommen später hatte und auch heute noch hat. Die Völkerbundentwürfe von Mexiko und London waren von 12 nicht weisungsgebundenen Regierungsexperten erarbeitet worden, die vor allem in der Absicht tätig waren, ein wissenschaftlich-dogmatisch wirkungsvolles und widerspruchsfreies Modell zu entwickeln. 53 Demgegenüber war es das Bestreben des OECD-Steuerausschusses, die einzel staatlichen Interessen und die Verschiedenheit der Steuersysteme auszugleichen und allgemein akzeptable Kompromisse zu finden. 54 Auch die Zusammensetzung des Fiskalausschusses der OECD unterschied sich von der Völkerbundkommission. Hier waren Fachleute beteiligt, die gegenüber ihren Regierungen weisungsgebunden und verantwortlich waren. 55 Hinzu kam, daß in der Regel dieselben Personen, die an der Erarbeitung des Musterabkommens beteiligt waren, auch später an der Aushandlung der bilateralen DBA maßgeblich mitwirkten, ein Umstand, der - wie Prang zutreffend vermerkt - eine hohe Anwendungssicherheit gewährleistete. 56 Charakteristisch für das vom Steuerausschuß vorgelegte Modell der OECD war außerdem, daß es von Vertretern einer Staatengruppe erarbeitet wurde, die einen annähernd gleichen wirtschaftlichen Entwicklungsstand erreicht hatten, nämlich in erster Linie Industriestaaten, wobei hinzukam, daß man - solange die OEEC noch bestand - ein regional begrenztes, europäisches Recht schaffen wollte. 57 Musterabkommen OECD 1963, S. 14; vgl. auch van den Tempel, Tz. 21. Musterabkommen OECD 1963, S. 14; Debatin, AWD 1963,289; van den Tempel, Tz. 29, 33; Prang, S. 47; Korn / Debatin, Systematik I, Rz. 15. 53 Prang, S. 46. 54 Debatin, AWD 1963,289; van den Tempel, Tz. 29, 33; Prang, S. 46; vgl. auch Spitaler, Doppelbesteuerungsproblem, S. 4. 55 Prang, S. 47; van den Tempel, Tz. 32. 56 Prang, S. 47. 57 Van den Tempel, Tz. 24; Prang, S. 48; der Anstoß zur Entwicklung eines umfassenderen Konzeptes war erst durch den Beitritt der nicht-europäischen Mitglieder USA, Kanada und Japan gekommen; vgl. van den Tempel, Tz. 25. Zur Zielrichtung des Modells vgl. Carrol/, BIFD 1972, 140 ff. 51
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
Van den Tempel weist ausdrücklich darauf hin, daß eine Verwendung des Modells gegenüber Entwicklungsländern nicht vorgesehen gewesen und für diese auch nicht annehmbar sei. 58 Der Grund hierfür liegt in der Tatsache, daß bei Entwicklungsländern typischerweise die nach außen abfließenden Einkünfte die in das Land hereinkommenden weit übersteigen. Demgegenüber verfolgt das OECD-MA 1963 das Prinzip einer Besteuerung nach dem Wohnsitz, nur zum Teil qualifiziert durch eine beschränkte Besteuerung im Quellenstaat. S9
Dem OECD-MA 1963 war, wie schon den Abkommen von Mexiko und London, ein Kommentar beigefügt. Dieser Kommentar enthält eine allgemeine Einführung in die Probleme der Anwendung der einzelnen Abkommensartikel. Oft stellt er darüber hinaus auch dar, welche Lösungsmöglichkeiten bestehen, wie der Diskussionstand im Steuerausschuß war, und warum der Ausschuß die vorgeschlagene Lösung favorisiert hat. 60 Der Steuerausschuß ist bei seinen Beratungen davon ausgegangen, daß die Auslegung durch nationale Steuerverwaltungen und Gerichte von Vorschriften, die gemäß dem OECD-Modell abgeschlossen wurden, durch die Kommentare beeinflußt werden, da davon auszugehen sei, daß die Abkommenspartner den OECD-Text entsprechend den in den Kommentaren niedergelegten Ansichten verstanden hätten. Der Ausschuß hat diese Entwicklung auch für wünschenswert gehalten; sie fördere die Rechtssicherheit und verringere die Zahl der Fälle, in denen das Verständigungsverfahren in Anspruch genommen werden müsse. 61 Am 30. 7. 1963, also schon vier Wochen nach seiner Vorlage durch den Steuerausschuß, war das OECD-MA Gegenstand einer Empfehlung des Rates der OE CD an seine Mitglieder, in der diese Staaten aufgefordert wurden, dem Abkommensentwurf zu folgen, wenn sie untereinander neue Abkommen abschließen oder die zwischen ihnen bestehenden Abkommen revidieren. Dabei sollten die Mitgliedsstaaten die in den Kommentaren und im Bericht enthaltenen Abweichungen und Vorbehalte berücksichtigen. 62 58 Van den Tempel war bis 1959 Präsident des Steuerausschusses. Vgl. Prang, S. 48; van den Tempel, Tz. 26. 59 Van den Tempel, Tz. 25. Es liegt auf der Hand, daß Staaten in Schuldnerposition und in einer solchen befinden sich die Entwicklungsländer leider meist - möglichst wenig von ihrer Quellenstaatsbesteuerung aufgeben möchten. Das mit einem Verzicht auf die Quellenbesteuerung verbundene Opfer des kapitalimportierenden Staates tritt damit zu dem einseitigen Abfluß von Gewinnen, Dividenden und Zinsen hinzu und vergrößert seine prekäre finanzielle Lage. Vgl. hierzu Debatin, RIWjAWD 1978, 374. 60 Van den Tempel, Tz. 45; Debatin, AWD 1963, 289. Siehe hierzu etwa die Verteidigung der Vorschläge zur Besteuerung der Untemehmensgewinne im Kommentar zu Art. 7 OECD-MA 1963: Musterabkommen OECD 1963, S. 100, 102. 61 Van den Tempel, Tz. 46; ähnlich Debatin, AWD 1963, 290, der glaubt, die Kommentare seien bei der Auslegung der Abkommen von tragender Bedeutung. Welche Bedeutung den Modellen und ihren Kommentaren tatsächlich zukommt, ist im Rahmen des Abschnitts über die Auslegung der DBA bereits näher untersucht worden. Vgl. oben, 1. Kapitel, H.4.
II. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
135
Vorschriften über das Verständigungsverfahren enthält der OECD-Entwurf in Art. 25 I und 11. 63 Voraussetzung dafür, daß der betroffene Steuerpflichtige seinen Fall der Steuerbehörde des Staates, in dem er ansässig war, vorlegen konnte, war lediglich, daß er von einer - auch virtuellen - Besteuerung betroffen wurde, die als solche abkommenswidrig ist. 64 Anknüpfend an diese allgemeine Voraussetzung werden dann als weitere Tatbestandsmerkmale verlangt, daß die zuständige Behörde die Einwendung für begründet erachtet und selbst nicht in der Lage ist, eine befriedigende Lösung herbeizuführen. In diesem Fall wird sie sich bemühen, den Fall durch Verständigung mit der zuständigen Behörde des anderen Vertragsstaates in der Weise zu regeln, daß eine abkommenswidrige Besteuerung vermieden wird. 65 Voraussetzung ist damit nicht einmal, daß eine Doppelbesteuerung vorliegt, sondern nur eine unrichtige Abkommensanwendung oder fehlende Abkommensberücksichtigung. Die Durchführung des Verständigungsverfahrens kommt also immer dann in Betracht, wenn der Steuerpflichtige bei fehlerfreier Abkommensanwendung anders besteuert werden müßte. 66 Die etwaige Inanspruchnahme innerstaatlicher Rechtsbehelfe bleibt davon unberührt (Art. 25 I, 2. Halbsatz OECD-MA 1963). Anstelle der Durchführung des Verständigungsverfahrens kann natürlich die angegangene Steuerbehörde der Kommentar weist zutreffend daraufhin - den Fall auch ohne Anrufung der zuständigen Stelle des Vertragsstaates lösen, wenn dies möglich ist. 67 Der Grund für den Verzicht auf das Merkmal der "Doppelbesteuerung" im Tatbestand des Art. 25 I OECD-MA 1963 wird allgemein darin gesehen, daß trotz fehlender Subjektidentität ein Verständigungsverfahren auch zur überein62 Empfehlung des Rates der OECD über die Vermeidung der Doppelbesteuerung vom 30. 7. 1963, in: Musterabkommen OECD 1963, Anhang, S. 215. Zur Bedeutung dieser Empfehlung: Debatin, AWD 1963,290; van den Tempel, Tz. 37; Vogel, StuW 1982, 123f.; hierzu im einzelnen auch oben, 1. Kapitel, Ir. 4. 63 Wiedergabe von Art. 25 OECD-MA 1963 bei van Raad. 64 Hierzu: Debatin, AWD 1963, 293; Vogel, DBA, Art. 25 Rz.l1; vanden Tempel, Tz. 81, Art. 25 weist zutreffend daraufhin, daß aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung auf den Nachweis, daß eine solche Besteuerung tatsächlich stattgefunden habe, verzichtet wird. 65 Dabei ist darauf hinzuweisen, daß die Formulierung "shall endeavour" in Art. 25 II OE CD-MA 1963 in der amtlichen deutschen Übersetzung mit" wird ... bemühen" übersetzt wurde; vgl. Musterabkommen OECD 1963, S. 69. 66 Korn I Debatin, Systematik III, Rz. 172; Vogel, DBA, Art. 25 Rz. 27 ff.; Mülhausen, S. 33; Weber, Verständigungsverfahren, S. 213; Rädler I Raupach, S. 615. Ein Beispielsfall findet sich bei Hintzen, DB 1979, 1953 f.. Daß keine Doppelbesteuerung erforderlich ist, ergibt sich auch deutlich aus Ziff. 8 des Kommentars zu Art. 25 OECD-MA 1977, wiedergegeben bei Komi Debatin, Systematik, Anhang I, S. 189. Demgegenüber verlangt Wingert - m. E. entgegen dem klaren Wortlaut des Modells - eine dem DBA widersprechende Doppelbesteuerung. Abkommenswidrige Maßnahmen, die keine Doppelbesteuerung zur Folge haben, sollten nicht ausreichen: Wingert, HWStR II, 1565; in diesem Sinne wohl auch Debatin, AWD 1963, 293. 67 Musterabkommen OECD 1963, S. 200.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
stimmenden Gewinnaufteilung bei verbundenen Unternehmen zulässig sein sollte. Denn nach herrschender deutscher (und z.B. auch amerikanischer) Auffassung liegt eine Doppelbesteuerung nur vor, wenn derselbe Steuergegenstand beim gleichen Steuersubjekt in zwei Staaten mit gleichartigen Steuern belegt wird. Da nun die Doppelbesteuerungsabkommen von der steuerlichen Selbständigkeit von Konzerngesellschaften ausgehen, fehlt es bei formeller Betrachtung mangels Subjektidentität an einer solchen Doppelbesteuerung. 68 Eine für die Praxis wichtige Vorschrift enthält Art. 25 IV OECD-MA 1963. Danach können die zuständigen Behörden zur Erzielung einer Übereinkunft unmittelbar verkehren (Art. 25 IV 1). Sofern ein mündlicher Meinungsaustausch zweckmäßig erscheint, kann dies gemäß Art. 25 IV 2 im Rahmen einer Kommission geschehen, die aus Vertretern beider Staaten besteht. 69 Das OECD-MA 1963 hat auf die Vertragspraxis der Mitgliedstaaten einen erheblichen Einfluß ausgeübt. Ende 1976 betrug die Anzahl der Doppelbesteuerungsabkommen, bei denen das Modell zugrundegelegt worden war, innerhalb der OECD annähernd 180. Darüber hinaus wurden ca. 50 Abkommen entsprechend den Empfehlungen der OECD modifiziert. 70 Außerdem wurde es entgegen seiner ursprünglichen Zielsetzung mehr und mehr auch als Grundlage für Verträge mit Entwicklungsländern genutzt. 71 bb) OECD-Musterabkommen 1977 Gleich nach der Vorlage des Modells von 1963 begann der Steuerausschuß mit der Überarbeitung des Musterabkommens, vor allem angeregt durch den Beitritt der USA und Kanadas zur OECD. In seine Tätigkeit flossen in der Zwischenzeit gewonnene Erfahrungen ein, und man beabsichtigte überdies, eine Reihe von Fragen, die im Modell von 1963 offengeblieben waren, einer Lösung zuzuführen. Zu den Aufgaben, die man sich vornahm, gehörte u. a. auch die 68 Rädler / Raupach, S. 614; Mülhausen, S. 33; Weber, Verständigungsverfahren, S. 215; Mersmann, Ertragsbesteuerung, S. 193. Rädler / Raupach sind der Auffassung, die Fassung von Art. 25 OECD-MA 1963 könne als Anhaltspunkt für die Auslegung bestehender Abkommen insoweit dienen, als der Begriff der Doppelbesteuerung als Voraussetzung für die Einleitung des Verständigungsverfahrens nicht rechtlich, sondern wirtschaftlich auszulegen sei. Im einzelnen zur Frage, bei welchen deutschen DBA der Begriff der Doppelbesteuerung, soweit er als Antragsvoraussetzung dient, auch die wirtschaftliche Doppelbesteuerung einschließt, siehe unten, 2. Kapitel, 11. 2. c) bb). 69 Keinen unmittelbaren Behördenverkehr gestatten die DBA Ägypten, Brasilien, Dänemark, Finnland 1935, Frankreich, Griechenland, Indien, Irland, Israel, Italien, Kanada 1956, Norwegen, Sri Lanka (1962). 70 Debatin, RIW / AWD 1978,375. 71 Debatin, ebenda. Gleichwohl ergibt eine Analyse der zwischen dem 1. 7. 1963 und dem 1. 7. 1973 zwischen den OECD-Mitgliedstaaten abgeschlossenen DBA, daß bei keinem Abkommen der OECD-Text wörtlich übernommen wurde, vgl. Flick in HWStR 11, 1016.
II. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
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Prüfung von Möglichkeiten zur Verbesserung des Verständigungsverfahrens. 72 Zwar wurde im Zuge dieser Anpassung des Modells an geänderte wirtschaftliche Verhältnisse und Ziel vorgaben das Modell vollkommen überarbeitet, dabei aber hinsichtlich der Grundstrukturen und vorgeschlagenen Lösungswege der Doppelbesteuerungsproblematik nicht wesentlich verändert. 73 Das geänderte Modell wurde in Form des OECD-Musterabkommens 1977 dem Rat der OECD vorgelegt und war Gegenstand der Entschließung der OECD vom 11. 4. 1977, in der die OECD-Mitgliedsstaaten aufgefordert wurden, ihre Bemühungen um den Abschluß neuer und die Revision bestehender, aber überalteter Abkommen fortzusetzen, wozu empfohlen wurde, dem Musterabkommen, wie in dem beigefügten Kommentar ausgelegt, zu folgen. Ferner sollten - was für die Verständigungsklausel allerdings keine Bedeutung hat - die von den Mitgliedstaaten geltend gemachten Vorbehalte berücksichtigt werden. Von den Veränderungen, die am Modell vorgenommen wurden, betreffen nur ein geringer Teil die Modifikationen am eigentlichen Vertragsinhalt; in erster Linie wurden textliche Verbesserungen und Verfeinerungen vorgenommen. Ganz erheblich verändert wurde hingegen der dem MA beigefügte Kommentar. Er wurde erheblich erweitert, neu gefaßt und vertieft. Ziel dieser Maßnahme war es, Anwendungslücken zu schließen und verbleibende Zweifelsfragen zu beantworten. Einige aufschlußreiche Veränderungen wurden beim Text der Klausel über das Verständigungsverfahren vorgenommen. 74 Desgleichen wurde der Kommentar erheblich umgestaltet. Die Modifikationen beginnen schon bei den Voraussetzungen auf Seiten des Steuerpflichtigen, die zum Einschalten von Behörden zum Zwecke der Einleitung des Verständigungsverfahrens auf Seiten des Steuerpflichtigen gegeben sein müssen. Während beim MA 1963 erforderlich war, daß eine in einem der Vertragsstaaten ansässige Person der Auffassung war, daß Maßnahmen eines oder beider Vertragsstaaten zu einer abkommenswidrigen Besteuerung geführt haben, wurde für das MA 1977 auf das Erfordernis der Ansässigkeit verzichtet. Es handelt sich auch um eine Änderung von substantiellem Gehalt. Der Kommentar läßt hierzu erkennen, daß die Durchführung des Verständigungsverfahrens auch zugunsten solcher Personen ermöglicht werden sollte, die in 72 Van den Tempel, Tz. 88. 92. Vg!. auch Vogel, DBA, Ein!. Rz. 12; Korn/Debatin, Systematik, Anhang A, S. 4; Hintzen, DB 1979, 1907; Debatin, RIW / AWD 1978, 376. 73 Hintzen, DB 1979, 1907, merkt kritisch an, daß sich seit Anfang der siebziger Jahre zunehmende Nationalisierungstendenzen durchgesetzt hätten, die dazu führten, daß in dem überarbeiteten OECD-Musterabkommen 1977 trotz klarer zu Tage getretener Sachfragen eigentlich keinerlei essentielle Fortschritte zu sehen seien, sondern vor allem nationale Positionen gegeneinander festgeschrieben würden. Kritisch auch Heining, FR 1978, 581. 74 Art. 25 OECD-MA 1977, wiedergegeben bei van Raad.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
keinem Vertragsstaat ansässig sind, aber Staatsangehörige eines Vertragsstaates, wenn deren Fall von Art. 24 I OECD-MA 1977 erfaßt wird. 75 Nach dem Modell von 1963 könnte der betroffene Steuerpflichtige seinen Fall lediglich den Behörden des Staates, in dem er ansässig ist, unterbreiten. Dem neuen Muster von 1977 zufolge kann er sich - wenn sein Fall von Art. 24 I des MA erfaßt wird, also eine diskriminierende Besteuerung vorliegt - auch an den Staat wenden, deren Staatsangehöriger er ist, also seinen Heimatstaat. Eine Vorschrift, die nicht lediglich die Modifikation von übernommenen Bestimmungen darstellt, ist Art. 25 I 2 OECD-MA 1977. Danach muß der Fall innerhalb von drei Jahren nach der ersten Mitteilung der Maßnahme unterbreitet werden, die zu einer abkommenswidrigen Besteuerung führt. Sinn dieser Vorschrift ist es offensichtlich, durch die Einführung einer Frist von drei Jahren Steuerverwaltungen vor verspäteten Eingaben zu schützen. 76 Der Kommentar weist ferner daraufhin, daß es sich bei dieser Frist um eine Mindestfrist handelt, so daß der Wegfall dieser Bestimmung (nur) dann in Betracht kommt, wenn das Steuerrecht entweder gar keine oder eine längere Frist enthält und die innerstaatlichen Verfahrensregeln den entsprechenden Fall auch erfassen. 77 Von der Fristbestimmung ist in der Praxis der Bundesrepublik nur zögernd Gebrauch gemacht worden. Nur in drei DBA wurde die Vorschrift übernommen; ein weiteres, das DBA Belgien (1969) enthielt bereits vorher eine solche Bestimmung. 78 Auch der zweite Absatz des Art. 25 OECD-MA 1977 ist gegenüber der früheren Fassung verändert worden. Dem Satz 1 des Musters von 1963, der unverändert übernommen wurde, fügte man einen zweiten Satz hinzu, wonach die Verständigungsregelung ungeachtet der Fristen des innerstaatlichen Rechts der Vertrags staaten durchzuführen ist. Ziel dieser Ergänzung soll es sein, Staaten, deren innerstaatliches Recht Fristen für die Berichtigung bereits festgesetzter Steuern oder für Steuererstattungen vorsieht, die Durchführung einer vereinbarten Regelung ohne Rücksicht auf diese Fristen zu ermöglichen. 79 75 Vgl. Nm. 13 und 14 des Kommentars zu Art. 25 OECD-MA wiedergegeben bei Korn I Debatin, Systematik, Anhang A, S. 190. Siehe auch Koch, CDFI 1981, 17f. 76 Der Kommentar weist in Nr. 16 zu Art. 25 OECD-MA 1977, wiedergegeben bei Korn I Debatin, Systematik, Anhang A, S. 190 a, darauf hin. Korn I Debatin, ebenda, bei Fn. 4, weisen demgegenüber darauf hin, daß die fragliche Vorschrift auch für die Steuerpflichtigen insoweit der Rechts- und Verfahrenssicherheit diene, als sie von den engeren Fristen des innerstaatlichen Rechts befreit würden. Inwieweit das zutrifft, wird unten genauer zu prüfen sein. 77 Ebenda 78 Im einzelnen enthalten folgende DBA die Fristbestimmung: DBA Belgien (1969), Art. 25 I (2 Jahre); DBA Kenia (1977), Art. 25 I (3 Jahre); DBA Mauritius (1978), Art. 25 I (3 Jahre); DBA Portugal (1980), Art. 26 I (2 Jahre). 79 Nr. 27 Kommentar zu Art. 25 OECD-MA 1977, wiedergegeben bei Korn I Debatin, Systematik, Anhang A, S. 191 a. In der Bundesrepublik Deutschland ist gemäß § 169 I AO die Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung unzulässig, sobald die Festsetzungs-
II. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
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ce) UNO-Modell Wie dargestellt ist die Verwendung des OECD-Modells, das dadurch gekennzeichnet ist, daß die Quellenbesteuerung weitgehend zugunsten der Wohnsitzbesteuerung zurücktritt, für die Entwicklungsländer deshalb nicht tragbar, weil es zu einem einseitigen Verzicht auf Steuern und Devisen führt. 80 Ein Musterabkommen, das die besonderen Belange im Verhältnis zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern in steuerlicher Hinsicht angemessen würdigen konnte, mußte daher zu einer Verstärkung bei der Quellenbesteuerung führen. Zum Sachwalter der Interessen der Entwicklungsländer machte sich der Wirtschafts- und Sozialausschuß der UNO, der mit seiner Resolution 1273 (XLIII) vom 4. 8. 1967 den Generalsekretär aufforderte, eine ad-hoc-Arbeitsgruppe zur Untersuchung und Lösung der Doppelbesteuerungsproblematik zwischen Entwicklungsländern und Industrienationen zu beauftragen. 81 Die Kommission tagte bis 1980 insgesamt achtmal und legte dabei acht Berichte vor. 82 In diesen Berichten hatte die Expertenkommission Richtlinien (Guidelines) veröffentlicht, die im Zuge ihrer Erörterung in den Fragen, die beim Aushandeln von Doppelbesteuerungsabkommen auftreten, entwickelt worden waren. Der Resolution 1541 (XLIX) des Wirtschafts- und Sozialausschusses zufolge stellen diese Richtlinien "an important form of technical assistance for the conclusion offuture treaties" dar. Nachdem der Wirtschafts- und Sozialausschuß in seinem Beschluß 1978/14 die Vereinheitlichung und Herausgabe dieser Richtlinien in einem einheitlichen Dokument beschlossen hatte, erschien 1979 das sogenannte "Handbuch]Ur die Verhandlungen von Doppelbesteuerungsabkommen zwischen entwickelten Ländern und Entwicklungsländern". 83 Dieses frist abgelaufen ist; diese beträgt bei Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vier Jahre (§ 169 II AO). Gemäß § 171 III AO wird der Fristablauf durch einen Antrag auf Änderung oder Aufhebung des Steuerbescheides gehemmt. Ein solcher Antrag ist auch der Antrag auf Einleitung des Verständigungsverfahrens. Die in den deutschen DBA vorgesehenen (sämtlich kürzeren) Fristen wirken sich damit durchweg zum Nachteil des Steuerpflichtigen aus. 80 Vgl. hierzu Hundt, RIW / AWD 1981, 306; van den Tempel, Tz. 26; Prang, S. 172. 8! United Nations Model Convention, S. 2. Der Kommission gehörten Vertreter folgender Länder an: Argentinien, Chile, Frankreich, Israel, Japan, Niederlande, Norwegen, Pakistan, Philippinen, Sudan, Schweiz, Tunesien, Türkei, Vereinigtes Königreich, USA. Daneben waren noch Beobachter anderer Staaten anwesend. Die der Kommission angehörenden Fachleute waren zwar von den jeweiligen Regierungen nominiert worden, handelten aber gleichwohl unabhängig "in their personal capacity" (Resolution 1273). 82 Department of Economic and Social Affairs: Tax Treaties between developed and developing countries , First - Eighth Report, New York 1969, 1970, 1972, 1973, 1975, 1976, 1978 und 1980. 83 United Nations Manual, S. 5; ausführlich zum Ganzen auch Debatin, DB 1980, Beilage 15/80, S. 6, sowie Surrey, Harvard International Law Journal 1978, 5ff.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
Handbuch besteht aus drei Teilen: Der erste Teil enthält einen analytischhistorischen Überblick zur internationalen Doppelbesteuerung und damit zusammenhängender Problemkreise. 84 Teil zwei utnfaßt die Richtlinien der Expertenkommission in überarbeiteter Form. 85 Der dritte Teil enthält Vorschläge über das Verfahren bei der Aushandelung von Doppelbesteuerungsabkommen und über die Anwendung der vorgeschlagenen Richtlinien. 86 Dieses Handbuch, das vom UN-Sekretariat erarbeitet worden war, wurde dann von der Expertenkommission in ein Musterabkommen umgearbeitet 87, das die endgültige Form darstellt. Das UNO-MA ist im Aufbau dem OECD-MA 1969, aus dem es erarbeitet wurde, strukturgleich. Gleichwohl enthält es eine Reihe von substantiellen Änderungen gegenüber diesem. Der begleitende Kommentar spezifiziert die Funktionsweise der einzelnen Artikel aus der Sicht der UN-Arbeitsgruppe. Die Kommentare zu jedem Artikel enthalten daher sowohl die Unterschiede im Ansatz zwischen der UNO-Gruppe und dem OECD-Modell, als auch die Teilbereiche, in denen dem OECD-MA gefolgt wurde. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß theoretischer Hintergrund und die Betonung von Einzelpunkten zwischen den beiden Modellen ein substantiell anderer ist. 88 Die Expertengruppe hat deshalb ausdrücklich darauf hingewiesen, daß weder die Annahmen, die dem OECD-Modell zugrunde lägen, noch seine Schlußfolgerungen automatisch oder mit einer Richtigkeitsvermutung übernommen worden seien. 89 Die Formulierungen im UNO-Modell seien ausgehend von eigenen Überlegungen verwendet worden, und wo man dem OECD-MA gefolgt sei, seien vorsichtige Beratungen vorangegangen. 90 Die Regelungen über das Verständigungsverfahren in Art. 25 1- III UN-MA sind wortgleich denen der entsprechenden Vorschriften des OECD-MA 1977. Als Kuriosum ist hier anzumerken, daß die UNO-Kommission noch in ihrem Manual von 1979 vorschlug, auf eine zeitliche Begrenzung, wie sie etwa Art. 25 I 2 OECD-MA 1977 vorsieht zu verzichten, um dem Verständigungsverfahren einen möglichst weiten Anwendungsbereich zu eröffnen. 91 Demgegenüber ist in United Nations Manual, S. 11 - 32. United Nations Manual, S. 35 - 102. 86 United Nations Manual, S. 105 ff. Ein großer Teil innerhalb dieses Abschnittes ist der Durchführung des Verständigungsverfahrens gewidmet. Zum Ganzen auch Ritter, DStZ 1979, 419ff. (420). 87 United Nations Model Convention, S. 4. 88 Vg!. UN-Draft, Harvard International Law Journal 1978, 69. 89 Deshalb hilft die Feststellung Vogels, DBA, Ein!. Rz. 47, bei der Auslegung neuerer Abkommen mit Entwicklungsländern sei zu berücksichtigen, daß das UNO-Modell erklärtermaßen auf dem OECD-MA aufbaue, in keiner Weise weiter. Ebenso Vogel, StuW 1982, 124. 90 UN-Draft, Harvard International Law Journal 1978, 69. 91 Hierzu Debatin, DB 1980, Beilage 15(80, S. 20. 84 8S
H. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
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der endgültigen Fassung auch dieser Satz enthalten, Gründe für ein Umschwenken werden jedoch im Kommentar zu Art. 25 nicht benannt, der sich im übrigen darauf beschränkt, Teile des Kommentars der OECD zu OECD-MA 1977 wiederzugeben und auf eigene Erläuterungen verzichtet. 92 Ganz anders hat die UN-Kommission jedoch Art. 25 IV ihres Modells formuliert. Eine Art. 25 IV 2 OECD-MA 1977 entsprechende Vorschrift, wonach die Einrichtung einer Kommission, die aus Vertretern der beteiligten Staaten besteht, in Frage kommt, wenn ein mündlicher Meinungsaustausch zur Herbeiführung einer Einigung zweckmäßig erscheint, fehlt. Statt dessen ist Art. 25 IV um zwei Sätze ergänzt worden, wonach den Vertragsstaaten aufgegeben ist, sich für alle Verfahrenserleichterungen und Maßnahmen einzusetzen, die die Wirksamkeit und praktische Durchsetzbarkeit des Verständigungsverfahrens fördern. 93 Dazu sollen sowohl einseitige als auch zweiseitige Maßnahmen gehören. 94 Die Vorschriften des Art. 25 IV 2,3 UN-MA haben in dieser Form bis heute keinen Eingang in die Staatenpraxis gefunden. dd) Anden-Modell Als letztes Modell-Abkommen einer internationalen Organisation soll das 1971 verabschiedete Musterabkommen der Anden-Gruppe (Grupo Andino) im Rahmen der vorliegenden Untersuchung kurz Erwähnung finden. 95 Das Anden-Modell ist zu verstehen als Alternative und Gegenentwurf zum OECD-MA 1963. 96 Die in der Anden-Gruppe zusammengeschlossenen Staaten 97 hatten von jeher die im OECD-Modell vorgeschlagene Wohnsitzbesteuerung als für ihre Bedürfnisse zu unbefriedigend empfunden. Mit Interesse hatte man daher zur Kenntnis genommen, daß der Wirtschaft- und Sozialausschuß in zwei Resolutionen 98 das Quellenprinzip als die geeignete Grundlage für ein Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern bezeichnet hatte.
United Nations Model Convention, S. 225ff. Debatin, DB 1980, Beilage 15/80, S. 20. 94 Wegen weiterer Einzelheiten zu Art. 25 IV 2 und 3 des UNO-Modells, die wohl mehr programmatischen Charakter haben dürften, als daß sie geeignet wären, Rechtswirkungen zu erzeugen, vgl. United Nations Model Convention, S. 234ff. 9S Eine nicht-offizielle englische Übersetzung des ursprünglich in spanisch verfaßten Dokuments findet sich in BIFD 1974, Supp. D. Zum Anden-Modell ausführlich Atchabahian, BIFD 1974, 308ff. 96 Vgl. Atchabahian, BIFD 1974, 316. 97 Bolivien, Chile, Ecuador, Kolumbien, Peru, Venezuela. 98 Resolution 486-B (XVI) vom 9. Juni 1953 und Resolution 1430 (XLVI) vom 6. Juni 1967. 92
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
Aus dem gleichen Grunde war man unzufrieden mit der um einen Kompromiß bemühten Arbeit der UNO-Kommission, die - wie Atchabahian sich ausdrückt - nicht die erforderliche Aufmerksamkeit jenen Punkten geschenkt hätte, die schließlich zu ihrer Bildung geführt hätte, nämlich die Suche nach steuerlichen Möglichkeiten, den Kapitalfluß aus den Industriestaaten in die sich entwickelnden Länder zu erleichtern. 99 Die Konsequenz von Überlegungen zu diesem Komplex war dann die Ausarbeitung eines eigenen Modells der Anden-Gruppe unter starker Betonung des Quellenprinzips. Es sieht die ausschließliche Besteuerung aller Einkommensarten im Quellenstaat vor. 100 Das Anden-Modell hat sich - wohl gerade wegen seiner völlig einseitigen Betonung des Quellenprinzips - in der Staatenpraxis nicht durchsetzen können. So liegt etwa dem DBA Ecuador erkennbar das OECD-MA 1977 zugrunde, wenn auch zum Teil Kompromisse hinsichtlich stärkerer Quellenbesteuerung erkennbar sind. 101 Daß es sich bei den Vorschriften des Anden-Modells um eine unglücklich formulierte und wenig praxisgerechte Regelung handelt, zeigt gerade Art. 19 I, der das Verständigungsverfahren betrifft. In schwer verständlicher Form werden dort unter Außerachtlassung einer Beteiligungsmöglichkeit des Steuerpflichtigen Tatbestandsmerkmale von Konsultations- und Verständigungsverfahren miteinander vermengt. Insgesamt gesehen handelt es sich um eine Regelung, die in die Zeit vor Verabschiedung des OECD-MA 1963 zurückführt, da auf die dringend erforderliche Bürgerbeteiligung verzichtet wird. ee) USA-Muster Neben den erwähnten Modellabkommen internationaler Organisationen verdient das Musterabkommen der USA - auch wegen seiner Relevanz für die Staatenpraxis - erhebliche Beachtung. Die Vereinigten Staaten haben aus Gründen, die sie wohl in der Struktur ihres Steuerrechts sehen 102 , bereits seit geraumer Zeit bei DBA-Verhandlungen stets Atchabahian, BIFD 1974, 316. Das Anden-Modell besteht aus zwei verschiedenen Modellen, eines für die Verwendung innerhalb der Staatengruppe, eines für die Verwendung gegenüber Industriestaaten. Beide MA unterscheiden sich nur marginal. Mit der sogenannten Entscheidung 40 wurde dieses Modell für die Mitgliedstaaten der Anden-Gruppe verbindlich gemacht und gleichzeitig empfohlen, das zweite Muster bei Abkommen mit dritten Staaten zumindest den Verhandlungen zugrunde zu legen. Rechtsgrundlage für diese Entscheidung war Art. 89 des Cartagena-Abkommens. Vgl. hierzu auch Atchabahian, BIFD 1974, 317ff. 101 Dies zeigt sich auch bei neueren Verhandlungen von Staaten der Anden-Gruppe etwa mit den USA, wo dementsprechend das US-Modell zugrundegelegt wurde. 102 Die Gründe hierfür lagen im amerikanischen Revenue Act von 1936 begründet: Nach den Regeln dieses Act wurden Ausländer, die dienstlich oder geschäftlich in den USA waren, einer vollen Quellenbesteuerung unterworfen, und zwar unabhängig von der 99
100
II. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
143
auf ein eigenes Modell-Abkommen zurückgegriffen, so bereits beim ersten Abkommen mit der Bundesrepublik Deutschland (1954).103 Dieses Modell existierte - zunächst unveröffentlicht - als privates Dokument. Veröffentlicht wurde es zum erstenmal im Mai 1976. 104 Relativ schnell erschien bereits im Mai 1977 eine überarbeitete Fassung, die allerdings nur geringfügige Änderungen enthielt. lOS Die jüngste Fassung stammt aus dem Juni 1981.106 Strukturell handelt es sich bei den US-Modellen um stark an die OECD-MA angelehnte Muster. Der Grund für die weitgehende Übernahme bestand darin, daß die amerikanische Steuerverwaltung in den OECD-MA eine für die Praxis - wenn auch nicht perfekte - so doch zumindest gut geeignete Verhandlungsgrundlage sah. Deren Übernahme war auch deshalb angezeigt, weil aufgrund der hohen internationalen Akzeptanz dieser Muster eine relativ hohe internationale Steuer-Harmonisierung möglich war. Aus diesen Gründen erschien aus amerikanischer Sicht der mit der Übernahme verbundene Nachteil, daß in den OECD-MA eine dem amerikanischen Steuerrecht fremde Rechtssprache verwandt wurde, geringer zu wiegen. 107 Gleichwohl enthält das US-MA gegenüber seinen OECD-Vorlagen einige Abweichungen, deren wichtigste die Besteuerung von Zinsen (Art. 11) und von Gesellschaften betreffen (Art. 16).108 Frage, ob diese Einkünfte diesen Geschäften zugerechnet werden können. Demgegenüber konnte das Einkommen solcher Personen, soweit es aus ausländischen Quellen stammte, selbst dann nicht besteuert werden, wenn es - wirtschaftlich gesehen - einem USUnternehmen zugerechnet werden konnte. Vgl. §§ 211 (b), 231 (b) Revenue Act, 49 Stat. 1648 sowie §§ 211 (b), 231 (b) Internal Revenue Code 1939 und §§ 871 (c), 882 (a) Internal Revenue Code 1954. Vgl. auch Shannon, RIW / AWD 1986,272. 103 Vgl. BT-Drs. 1I/894, S. 11. 104 U.S. Treasury, Treasury Department's Model Income Tax Treaty, U.S. Treasury Press Release, May 18, 1976. lOS U.S. Treasury, Treasury Department's Model Income Tax Treaty, U.S. Treasury Press Release, May 17, 1977. 106 United States Draft Model Income Tax Treaty of June 16, 1981 in der Fassung des United States Model Income Tax Treaty vom 23. Dezember 1981, wiedergegeben in Harvard International Law Journal 1983, 317ff. 107 Vgl. Rosenbloom/ Langbein, Columbia Journal of Transnational Law 1981 (Vol. 19), 398. Bedenken gegen einen Teil der in den OECD-MA getroffenen Regelungen, die darin verwendete Rechtssprache und die aus amerikanischer Sicht an der kontinentaleuropäischen Begriffswelt orientierten Vorstellungen, die in den Abkommen zum Ausdruck kommen, zeigen sich auch in den US-amerikanischen Bedenken gegen Art. 4 OECD-MA. Vgl. hierzu im einzelnen: 2. Kapitel, III, Fn. 20. Demgegenüber meint Shannon, RIW 1986, 272, der Grund für die Anpassung des US-Musters an das OECDMuster sei die Erkenntnis des amerikanischen Finanzministeriums gewesen, daß die USA nicht mehr in der Lage gewesen seien, ihr Abkommensnetz auszubauen, ohne die Mustervorschriften zu akzeptieren, die von den meisten Staaten der Welt angewandt wurden.
144
2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
Die weitaus meisten Abweichungen sind aber wohl in bestimmten, besonderen Strukturen des amerikanischen Steuerrechts begründet 109, so daß sie sich aus einer Anpassung an das interne Steuerrecht des Internal Revenue Act erklären. Dabei ist auffällig, daß bestimmte Abweichungen gegenüber dem OECD-Muster schon Anpassungen an erwartete Änderungen des US-amerikanischen Steuerrechts vorwegnehmen. 110 Die wichtigsten Unterschiede zwischen dem US-MA und dem OECD-Modell 1977 bestehen in einer stärkeren Verminderung der Quellenbesteuerung, einem unterschiedlichen Konzept bei der Besteuerung des Einkommens Selbständiger und den Einkünften aus der Vermietung von Ausrüstungsgegenständen. Außerdem sollen in stärkerem Umfang Mißbrauchsmöglichkeiten ausgeschlossen werden. 111 Die Vereinigten Staaten bezeichnen zwar - auch in internen Veröffentlichungen - ihre Modelle lediglich als Ausgangspunkt der Verhandlungen 112, haben aber gleichzeitig erkennen lassen, daß sie zu einer Reihe von Zugeständnissen derzeit nicht bereit sind, so z. B. zu einem Abweichen von der Praxis der Besteuerung der US-Bürger auf der Grundlage der Staatsbürgerschaft. 113 Die Funktionsweise der US-Modelle hinsichtlich der Verständigungsklausel und die Unterschiede zwischen den beiden US-Modellen soll im folgenden näher untersucht werden. Art. 25 I des US-MA 1981 ist im wesentlichen wortgleich mit Art. 25 I des OECD-MA 1963. Der Hauptunterschied dieser Fassung gegenüber der von 1977 wird darin gesehen, daß sie das aus amerikanischer Sicht unerwünschte Zeit-Limit von drei Jahren beinhaltet. Das Gesuch auf Einleitung des Verständigungsverfahrens kann also ohne zeitliche Begrenzung bei den zuständigen Stellen (Competent Authority) angebracht werden. Dabei wird in der amerikanischen Literatur - m. E. durchaus zu Recht - darauf hingewiesen, daß es zwar vom Standpunkt einer ordentlichen Steuerverwaltung durchaus wünschenswert sein könne, eine zeitliche Beschränkung in irgendeiner Form zu haben, daß aber die in Art. 25 I OECD-MA 1977 verwendete Formulierung, wonach der Fall "innerhalb von drei Jahren nach der ersten Mitteilung der Maßnahme unterbreitet werden (müsse), die zu einer dem Abkommen nicht 108 Text wiedergegeben im Harvard International Law Journal 1983, 322, 324. Siehe vor allem die wiedergegebenen Änderungen im sogenannten December-Draft. Die Auffassung der USA zum OECD-Modell wird wiedergegeben bei Carro/l, BIFD 1972,
142.
109
Rosenbloom/ Langbein, Columbia Journal of Transnational Law 1981 (Vol. 19),
110
Rosenbloom/ Langbein, Columbia Journal of Transnational Law 1981 (Vol. 19),
399. 399.
111
112 113
399.
Vgl. Patrick, Law and Policy in International Business 1978, 615. "Suggested starting point" für Vertragsverhandlungen, vgl. 41 Fed. Reg. 20, 427. Rosenbloom / Langbein, Columbia Journal of Transnational Law 1981 (V01. 19),
11. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
145
entsprechenden Besteuerung" geführt habe, dringend der Klarstellung bedürfe. 114 Hinzu kommt außerdem, daß die amerikanische Steuerverwaltung schon wegen der langen Zeit, die die innerstaatlichen Rechtsbehelfe in Anspruch nehmen, einer zeitlichen Beschränkung ablehnend gegenübersteht. 115
Art. 25 11 des US-MA 1981 entspricht wörtlich dem OECD-MA 1977 mit der Besonderheit, daß die vereinbarte Regelung nicht nur ohne Rücksicht auf Fristen, sondern darüber hinaus auch unabhängig von irgendwe1chen prozessualen Beschränkungen durchgeführt werden soll. Dieser Zusatz ist weniger für das amerikanische Steuerrecht von Bedeutung, wo es weder zeitliche noch verfahrensrechtliche Beschränkungen gibt, die die Umsetzung des Verständigungsergebnisses in innerstaatliches Recht verhindern. Zielrichtung ist hier vielmehr der im Wege des Verständigungsverfahrens angegangene Vertragsstaat. Von amerikanischer Seite wird gerade die Bedeutung dieses Zusatzes, vor allem wegen der möglichen Dauer des Verständigungsverfahrens hervorgehoben. 116 Zweck der Klausel ist es vor allem, Fristenregelungen der nationalen Steuergesetze zu suspendieren, um die Durchführung des Verständigungsverfahrens nicht unnötig zu behindern. Denn wenn die Steuerbehörden die Durchführung des Verständigungsverfahrens ablehnen oder wenn die zwischen ihnen erreichte Übereinstimmung für den Steuerzahler nicht annehmbar ist, soll dieser sich - verfahrensmäßig und rechtlich - in keiner schlechteren Position befinden als der, die er innehatte, bevor er die Durchführung des Verständigungsverfahrens beantragte. 117 Nach der Entscheidung der Steuerbehörde dürfte nämlich eine Frist zur Durchführung innerstaatlicher Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe in der Regel verstrichen sein. Die größten Unterschiede gegenüber den OECD-MA weist Art. 25 III USMA auf. Art. 25 III US-MA 1981 ist auch der einzige Absatz des Art. 25, der gegenüber dem US-MA 1977 Veränderungen von einiger Bedeutung erfahren hat. Während Art. 25 III S. 1 und 2 US-MA 1981 mit dem OECD-MA 1963 und 1977 wortgleich sind, wurde im amerikanischen Modell ein Satz 3 eingefügt, der die Kompetenzen der Behörden im Rahmen des Verständigungsverfahrens genauer beschreibt. Nach Art. 25 III 3 US-MA 1981 soll die Steuerverwaltung zwar nur "insbesondere" (in particular) die nachfolgend näher zu erläuternden Befugnisse haben. Dies bedeutet aber zumindest für das amerika nische Recht auch eine abschließende Aufzählung, da dem amerikanischen Steuerrecht 114 New York State Bar Association, Tax Section, Harvard International Law Journal 1983 (Vol. 23), 312; vgl. hierzu auch Rosenbloomj Langbein, Columbia Journal of Transnational Law 1981 (Vol. 19), 390, die darauf hinweisen, es sei sinnvoll, dem Steuerpflichtigen soviel Hilfe zu gewähren wie möglich. 115 Vgl. Pa trick, Law and Policy in International Business 1978, 619. 116 New York State Bar Association, Tax Section, Harvard International Law Journal 1983 (Vol. 23), 313. 117 New York State Bar Association, Tax Section, Harvard International Law Journal 1983 (Vol. 23), 313.
10 Gloria
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
zufolge die Steuerverwaltung einer Rechtsgrundlage bedarf, die nur in dem DBA selbst bestehen kann. 1l8 So können sich die Vertragsstaaten darüber verständigen, daß Einkommen, Abzüge, Gutschriften oder Steuer-Anrechnungen eines Unternehmens eines Vertragsstaates übereinstimmend einer Betriebsstätte zugerechnet werden, die in dem anderen Vertragsstaat liegt. In gleicher Weise können Einkommen, Steuerabzugsbeträge, Steuergutschriften oder -anrechnungen zwischen Personen übereinstimmend aufgeteilt werden. Eine Verständigung kann weiter über eine übereinstimmende Qualifizierung bestimmter Einkünfte erfolgen sowie über eine übereinstimmende Anwendung der Grundsätze über die Quellenbesteuerung im Hinblick auf bestimmte Einkünfte. Eine für die Praxis wichtige Vorschrift ist Art. 25 III 3 lit. e), in der festgelegt ist, daß eine Verständigung auch über die gewöhnliche Bedeutung eines Abkommensbegriffes erfolgen kann. Gegenstand eines Verständigungsverfahrens kann ferner die Erhöhung bestimmter Beträge, auf die in dem Abkommen Bezug genommen wird, dann sein, wenn wirtschaftliche oder monetäre Entwicklungen dies erfordern, sowie die Anwendung des nationalen Steuerrechts, bezogen auf Strafen, Bußen und Zinsen, soweit dies mit den Zielen des Abkommens vereinbar ist. Art. 25 11 US-MA 1981 entspricht in Satz 1 dem OECD-MA von 1977 mit der Besonderheit, daß die Vorschrift über die gemeinsame Kommission zum mündlichen Meinungsaustausch fehlt. Das US-MA 1977 enthielt zusätzlich einen in das Modell von 1981 nicht mehr aufgenommenen Abs. 5, in dem die zuständigen Behörden ermächtigt wurden, durch Verwaltungsvorschriften die Ausführung des Abkommens zu regeln. b) Abkommenstypen Naturgemäß finden sich die oben wiedergegebenen Entwicklungsstrukturen auch in den heute in der Bundesrepublik Deutschland anzutreffenden Doppelbesteuerungsabkommen wieder, diese lassen sich - je nachdem, welches Muster bei ihrer Aushandelung zugrunde gelegen hat - in verschiedene Gruppen einteilen, die - jedenfalls hinsichtlich der Form, in der das Verständigungsverfahren geregelt wurde - charakteristisch sind. aa) Die Vorkriegsabkommen Die älteste Gruppe wird dabei von den Abkommen gebildet, die abgeschlossen wurden, bevor durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges der Abschluß von DoppeJbesteuerungsabkommen zum Erliegen kam. Das einzige Abkom118 Vgl. hierzu unten, 3. Kapitel, VII; sowie ColejHustonjWeiß, CDFI 1981; das verkennt Shannon, RIW 1986, 282.
II. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
147
men dieser Gruppe, das heute noch in Kraft ist, ist das DBA ltalien. 1l9 Vorschriften, die die Möglichkeit regeln, eine trotz DBA bestehen bleibende Doppelbesteuerung zu beseitigen, finden sich in den Art. 15-17 sowie in Nr.17 des Schlußprotokolls. Da die genannten Artikel im Abschnitt über die historische Entwicklung der Verständigungsverfahren wiedergegeben worden sind, erübrigt sich hier ein weiteres Eingehen darauf. bb) Die Abkommen bis 1962 Eine weitere zeitliche Zäsur ergibt sich im Jahr 1962. Die Bundesrepublik Deutschland hat nämlich nach dem Abschluß des DBA mit Italien am 17.10. 1962 bis Mitte 1966 keine weiteren Abkommen abgeschlossen. Hier liegt die Vermutung nahe, daß dies deshalb nicht geschah, weil man die Ergebnisse des OECD-Musters von 1963 abwarten bzw. auswerten und umsetzen wollte. Dabei fallt auf, daß in allen diesen Abkommen eine Bestimmung enthalten ist, wonach die Finanzbehörden Vereinbarungen über die Beseitigung von Schwierigkeiten oder Zweifeln bei der Auslegung und Anwendung treffen können; eine Ausnahme bildet nur das DBA Indien. 120 Ausnahmslos alle Abkommen enthalten auch eine Vorschrift, wonach es einem von einer Doppelbesteuerung betroffenen Steuerpflichtigen gestattet ist, hiergegen Einspruch zu erheben, und zwar bei seinem Ansässigkeitsstaat. Hinsichtlich der übrigen DBA ist zu unterscheiden: (1) Die anglo-amerikanische Abkommensgruppe 121
Diese Abkommen zeichnen sich dadurch aus, daß eine Vorschrift fehlt, wonach auch über solche Fälle von Doppelbesteuerungen, die im Abkommen nicht geregelt sind, eine Verständigung herbeizuführen ist. 122 Demgemäß ist es auch folgerichtig, wenn diese Abkommen eine Verständigung in billiger Weise, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, nicht vorsehen, wie dies Art. 15 S. 2 DBA Italien tut. Das gleiche gilt auch für die billige Entscheidung, die Art. 17 DBA Italien vorsieht; auch sie fehlt. An die Stelle der umfassenden Konsultationsklausel dieser Vorschrift ist eine Klausel getreten, die im wesentlichen dem Art. 25 III OECD-MA 1963/1977 119 Einen Sonderfall bildet insoweit das DBA Finnland 1935, das zwar 1979 durch ein neues Abkommen ersetzt wurde, aber in der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Steuern, die für Veranlagungszeiträume erhoben werden, die vor dem 1. Januar 1981 liegen, noch (begrenzte) Anwendungsmöglichkeiten finden mag. 120 Es sind dies: Art. 21 II DBA Österreich; Art. 17 II DBA Pakistan; Art. 26 III DBA Luxemburg; Art. 25 III DBA Norwegen; Art. 25 II DBA Schweden; Art. 25 II DBA Niederlande; Art. 25 III DBA Frankreich; Art. 20 II DBA Ägypten; Art. 25 III DBA Dänemark; Art. 21 II DBA Israel; Art. 24 II DBA Irland (in zeitlicher Reihenfolge). 121 Terminologie nach Mülhausen, S. 70ff. 122 Es sind dies die DBA Ägypten, Griechenland, Großbritannien, Ceylon, Israel, Irland, Indien, Kanada 1956, Pakistan, USA.
10'
148
2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
entspricht, wobei lediglich hinzugefügt wurde, daß die Verständigung zu einem möglichst frühen Zeitpunkt erfolgen soll.123 (2) Die kontinental-europäische Abkommensgruppe
Diese Gruppe von DBA zeichnet sich dadurch aus, daß sie Vorschriften über die Beseitigung von Doppelbesteuerungen auch für die Fälle enthält, die nicht im Abkommen selbst behandelt sind, also eine Vorschrift, die Art. 25 111 2 OECD-MA 1977 entspricht. l24 Die systematische Stellung dieser Klausel im Rahmen der Vorschrift über das Konsultationsverfahren bei den Abkommen dieses Typs geben ihr jedoch im Gegensatz zu der Bedeutung, die ihr im Rahmen das DBA Italien zukommt, nur eine eingeschränkte Bedeutung: Während es im Rahmen des DBA Italien möglich ist, sowohl Einzelfalle zu regeln, als auch allgemeine Vorschriften zu erlassen,125 dient die Vorschrift bei der kontinentaleuropäischen Abkommensgruppe dazu, über Schwierigkeiten und Differenzen bei der Auslegung und Anwendung der DBA im allgemeinen hinwegzuhelfen. 126 Ebenso ist auch die Regelung in Art. 25 III 2 OECD-MA 1977 zu verstehen. 127 Ergänzend ist noch zu bemerken, daß der größte Teil dieser Abkommen zusätzlich eine Regelung enthält, wonach ein Einvernehmen auch zur Beseitigung von Härten aufgrund einer Doppelbesteuerung in Fällen, die in den Abkommen nicht geregelt sind, herbeigeführt werden soll.128 Die kontinental-europäische und die anglo-amerikanische Abkommensgruppe haben darüber hinaus zwei gemeinsame Merkmale, durch die sie sich signifikant von der Gruppe der nach Entwicklung des OECD-MA 1963 abgeschlossenen Abkommen unterscheiden: Dies ist zum einen der Gegenstand des Verständigungsverfahren. Während es nach den OECD-Modellen erforderlich ist, daß eine dem Abkommen nicht entsprechende Besteuerung vorliegt, genügt bei den vor 1962 abgeschlossenen DBA eine Doppelbesteuerung. Diese Regelung ist für den Steuerpflichtigen ersichtlich günstiger, da es auch Fälle geben kann, in denen das Bestehenbleiben einer Doppelbesteuerung abkommensgemäß ist, etwa, weil die Vertragsstaaten
123 Vgl. DBA Ägypten, Art. XX Abs. 2; DBA Großbritannien 1954, Art. XVII Abs. 2 (anders jetzt DBA Großbritannien 1964/70, Art. XVIII a) Abs. 3). 124 Es sind dies: Art. 21 II DBA Österreich, Art. 26 III DBA Luxemburg, Art. 25 III DBA Norwegen, Art. 25 II DBA Schweden, Art. 25 II DBA Niederlande, Art. 25 III DBA Frankreich und Art. 25 III DBA Dänemark. 125 Komi Debatin, DBA Italien, S. 33. 126 So zutreffend auch Mülhausen, S. 72. 127 Vgl. auch Kommentar zu Art. 25 OECD-MA 1977, Anm. 29, 30, wiedergegeben bei Komi Debatin, Anhang A. 128 Es handelt sich um: Art. 21 II DBA Österreich, Art. 26 III DBA Luxemburg, Art. 25 III DBA Norwegen, Art. 25 II DBA Schweden, Art. 25 II DBA Niederlande, Art. 25 III DBA Dänemark. Eine entsprechende Formel fehlt nur im DBA Frankreich.
11. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
149
sich nicht in allen Punkten über die Art und Weise geeinigt haben, in denen ein durch die DBA vereinbarter Steuerverzicht eingreift. 129 Eine weitere Besonderheit betrifft die Antragsvoraussetzungen: Während es hierfür nach Art. 25 I 1 OECD-MA 1963/1977 genügt, daß eine Person der Auffassung ist, daß Maßnahmen eines oder beider Vertragsstaaten für sie zu einer abkommenswidrigen Besteuerung führen oder führen werden, verlangen die vor 1963 abgeschlossenen D BA den Nachweis einer Doppelbesteuerung. 130 Formal stellt hier die Regelung in den älteren DBA den Steuerpflichtigen schlechter, eben weil ein Nachweis verlangt wird. Inhaltlich ist jedoch anzumerken, daß es bei beiden Abkommensgruppen maßgeblich darauf ankommt, daß die zuständige Behörde die Einwendung des Steuerpflichtigen für begründet erachtet, was sie sowohl bei den älteren Abkommen als auch bei den nach 1963 abgeschlossenen Verträgen in der Regel nur unter gleichen Bedingungen tun dürfte, so daß sich der Unterschied in der Formulierung im Ergebnis nicht auf die Rechtsstellung des Steuerpflichtigen auswirken dürfte. 131 ce) Die Abkommen nach den OECD-Mustern Die letzte Abkommensgruppe besteht aus jenen DBA, die nach Vorlage des ersten OECD-Modells von 1963 und unter Zugrundelegung der beiden Muster abgeschlossen wurden. Es ist dies die weitaus größte Gruppe von Abkommen, zumal in einer Reihe von Fällen bestehende DBA durch Revisionsprotokolle ergänzt worden sind und dadurch eine nachträgliche Anpassung an die Muster vorgenommen wurde. Beispiele hierfür sind etwa die DBA USA, Großbritannien, Frankreich und Pakistan. In anderen Fällen, etwa bei den DBA Finnland 1935, Kanada 1956 und Ceylon 1962 wurden die alten Abkommen durch neue, nach dem OECD-Modell entwickelte, ersetzt. Die Übereinstimmung mit den zugrundegelegten Mustern ist so groß, daß hinsichtlich der Struktur der Verständigungsvorschriften auf die Vorschriften der OECD-MA hingewiesen werden kann.
129 Vgl. hierzu Kluge, RIW / AWD 1975, 93, der zu Recht - darauf hinweist, daß trotz DBA u. U. weiterhin bestehende Doppelbesteuerungsfalle nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern z. T. sogar gewollt seien. 130 Vgl. Art. XX Abs. 1 DBA Ägypten; Art. 21 I DBA Dänemark; Art. 25 I DBA Frankreich; Art. XIX Abs. 1 S.l DBA Ceylon; Art. XVIII S. 1 DBA Indien; Art. XXIV Abs. 1 S. 1 DBA Irland; Art. 21 I 1 DBA Israel; Art. XVIII Abs. 1 S. 1 DBA Kanada; Art. 22 I DBA Luxemburg; Art. 22 I DBA Niederlande; Art. 21 I DBA Norwegen; Art. 19 I DBA Österreich; Art. XVII Abs. 1 S. 1 DBA Pakistan; Art. 23 I DBA Schweden und Art. XVII Abs. 1 S. 1 DBA USA. Von den nach 1963 abgeschlossenen DBA trifft nur das DBA Griechenland eine vergleichbare Regelung. 131 Es soll allerdings nicht verkannt werden, daß der Steuerausschuß der OECD auf die Festlegung des Erfordernisses eines Nachweises aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung verzichtet hat.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
c) Struktur der Vorschriften über das Verständigungsverfahren in den geltenden DBA
Für den weiteren Verlauf der Untersuchung ist es erforderlich, über die rechtliche Ausgestaltung des Institutes des Verständigungsverfahrens in den deutschen DBA im einzelnen Klarheit zu gewinnen. Die hierdurch gewonnenen Erkenntnisse schaffen erst die Möglichkeit, zum einen das Verständigungsverfahren in Beziehung zu setzen zum völkerrechtlichen Rechtsinstitut des diplomatischen Schutzes, zum anderen sollen sie Aufschlüsse darüber vermitteln, ob den Verständigungsklauseln ein subjektiv-öffentliches Recht innewohnt. Es liegt auf der Hand, daß sich Schwierigkeiten bei einer Untersuchung über die Struktur der Vorschriften über das Verständigungsverfahren in den deutschen DBA aus der im historischen Teil dargestellten Vielfalt von Erscheinungsformen solcher Klauseln ergeben. Aus diesem Grunde soll an die im vorangegangenen Abschnitt vorgenommene Typisierung von Verständigungsvorschriften angeknüft und die für die Ausgestaltung des Verständigungsverfahrens geltenden Grundsätze anhand dieser Fallgruppen dargestellt werden. In diesem Zusammenhang wird auch auf Abweichungen einzugehen sein. Da die meisten der derzeit geltenden DBA dem Art. 25 OECD-MA 1977 nachgebildet sind, soll die Erörterung jeweils hier beginnen. aa) Begriffsabgrenzung Art. 25 OECD-MA sieht drei Verfahrensarten vor, die sämtlich unterschiedliche Voraussetzungen haben, die aber nebeneinander Anwendung finden können und auch ineinander übergehen. Das für den Steuerpflichtigen bedeutungsvollste dieser drei Verfahrensarten ist das Verfahren nach Art. 25 I und II OECDMA 1977, für das sich die Bezeichnung" Verständigungsverfahren im engeren Sinne" eingebürgert hat 132 als Gegenbegriff zum" Verständigungsverfahren im 132 Vogel, DBA, Art. 25 Rz. 8; Mülhausen, S. 30; Weber, Verständigungsverfahren, S. 212; Hintzen, DB 1979, 1909; Koch, CDFI 1981, 19; Lehner, RIW IAWD 1981, 12; Strobl, CDFI 1981, 173.Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß hinsichtlich der verwendeten Bezeichnungen ganz erhebliche terminologische Unterschiede bestehen: Reich, S. 26 benutzt den Begriff Verständigungsverfahren i. w. S., wenn die Verhandlungen auf innerstaatlicher Ebene (Kantonatsebene ) geführt werden und den Begriff Verständigungsverfahren i. e. S., wenn dies auf zwischenstaatlicher Ebene geschieht. Kluge, S. 163 unterscheidet nur Verständigungsverfahren und Konsultationsverfahren, ebenso Kommentar zu Art. 25 OECD-MA 1977, Rz. 6ff., wiedergegeben bei Komi Debatin, Systematik, Anhang A, S. 188 a)ff.; Fischer, AWD 1961,93 und StuW 1975,237 ff. spricht nur vom Verständigungsverfahren. Debatin, AWD 1969, 485f. spricht vom Verständigungsverfahren (Art. 25 I OECD-MA) und vom erweiterten Verständigungsverfahren (Art. 25 III OECD-MA). Demgegenüber sprechen Komi Debatin, Systematik III, Rz. 158, 168ff., 208 vom Verständigungsverfahren im Einzelfall, für das sie die Bezeichnung "Beschwerdeverfahren" für kennzeichnender halten, vom Konsultationsverfahren zur Beseitigung von Schwierigkeiten bei Anwendung und Auslegung eines DBA und vom Billigkeitsverfahren zur Beseitigung von Doppelbesteuerungen in Fällen, die nicht im
11. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
151
weiteren Sinne", das als Oberbegriff für alle in Art. 25 OECD-MA geregelten Verfahren verwendet wird. Das Verständigungsverfahren im engeren Sinne dient der Venneidung einer dem Abkommen nicht entsprechenden Besteuerung in Einzelfällen.
Darüber hinaus wird das sogenannte Konsultationsverfahren in Art. 25 In OECD-MA geregelt. Es betrifft die Anwendung und Auslegung eines Doppelbesteuerungsabkommens im allgemeinen und ist auch ohne Initiative eines Steuerpflichtigen möglich. Das Konsultationsverfahren kann in zwei Fällen Anwendung finden: zum einen zur Beseitigung von Schwierigkeiten oder Zweifeln bei der Auslegung oder Anwendung des Abkommen (Art. 25 In 1 OECD-MA 1977) und zum anderen zur gemeinsamen Beratung der beteiligten Finanzbehörden darüber, wie die Doppelbesteuerung in den Fällen zu beseitigen ist, die im Abkommen nicht geregelt sind (Art. 25 III 2 OECD-MA 1977). Zwar hat sich für beide Verfahren der einheitliche Begriff Konsultationsverfahren eingebürgert; beide Verfahren betreffen jedoch etwas grundsätzlich Verschiedenes. Im einen Fall wird Abkommensrecht angewandt, im anderen wird das Abkommensrecht quasi fortgedacht, um auch in nicht geregelten Fällen die Doppelbesteuerung zu beseitigen. Die unterschiedliche Qualität beider Verfahren zeigt sich gerade daran, daß eine Art. 25 III 2 OECD-MA 1977 entsprechende Vorschrift in einem Teil der DBA fehlt. Aus diesem Grund soll das Verfahren nach Art. 25 In 1 als konkretes, das nach Art. 25 111 2 als abstraktes Konsultationsverfahren bezeichnet werden. bb) Das Verständigungsverfahren im engeren Sinne Voraussetzung für ein Verständigungsverfahren im engeren Sinne ist im Grundsatz, daß ein Verstoß gegen ein Doppelbesteuerungsabkommen vorliegt. 133 Bei der Antragsberechtigung gibt es jedoch im einzelnen erhebliche Unterschiede. Für die Doppelbesteuerungsabkommen, die Verständigungsklauseln aufweisen, die Art. 25 I OECD-MA 1977 nachgebildet sind, ist Voraussetzung, daß eine Person, die in einem der Vertragsstaaten ansässig ist, meint, daß die Maßnahmen eines oder beider Vertragsstaaten für sie zu einer Besteuerung führt oder führen wird, die dem Abkommen nicht entspricht. Aus der in Art. 25 I OECD-MA 1977 benutzten Fonnulierung "ist eine Person der Auffassung" könnte man entnehmen, daß die bloße subjektive Vorstellung eines Steuerpflichtigen, eine bestimmte Besteuerung sei abkommenswidrig, zur Vennittlung der Antragsberechtigung genüge, also deren Nachweis nicht erforderlich sei. l34 Abkommen selbst geregelt sind. Die Liste solcher Begriffe könnte beliebig fortgesetzt werden. 133 Weber, Verständigungsverfahren, S. 213; Mülhausen, S. 32 verlangt zusätzlich,daß ein Steuerpflichtiger dadurch betroffen ist. 134 So in der Tat Vogel, DBA, Art. 25 Rz. 30, 43, der darauf hinweist, daß in der Staatenpraxis ein solcher Nachweis nicht erforderlich sei.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
Demgegenüber heißt es in dem Kommentar zum OECD-MA 1977 ausdrücklich, daß der Nachweis, daß Maßnahmen eines oder beider Vertragsstaaten zu einer solchen Besteuerung nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich seien, "genüge". 135 In der Tat spricht mehr dafür anzunehmen, daß der Steuerpflichtige so lückenlose Informationen über die Maßnahmen vorlegen muß, die zu einer abkommenswidrigen Besteuerung führen oder führen werden, daß die mit der Angelegenheit befaßte Finanzbehörde einen Abkommensverstoß erkennt oder doch zumindest weiter ermitteln kann. 136 Zulässigkeitsvoraussetzung für das Verständigungsverfahren nach Art. 25 I OECD-MA 1977 ist weiterhin, daß der entsprechende Antrag bei der zuständigen Behörde des Wohnsitzstaates des Steuerpflichtigen angebracht wird. Eine Ausnahme hierfür gilt nur für den Fall, daß der Steuerpflichtige geltend macht, daß er in seinem Wohnsitzstaat einer Maßnahme oder Besteuerung unterworfen ist, die im Sinne von Art. 24 I OECD-MA diskriminierend ist. In allen anderen Fällen hat er seine Einwendungen in seinem Wohnsitzstaat geltend zu machen, und zwar ohne Rücksicht darauf, in welchem der beiden beteiligten Staaten die beanstandete Besteuerung vorgenommen wurde und ob eine doppelte Besteuerung erfolgt ist oder nicht. 137 Die zur Erhebung der Einwendungen zuständige Behörde ist in allen den OECD-MA nachgebildeten DBA der Bundesminister der Finanzen. 138 Voraussetzung für die Abkommensberechtigung ist auch nach dem Modell von 1977 die Ansässigkeit in einem Vertragsstaat, soweit nicht die Voraussetzungen des Art. 24 I OECD-MA 1977 vorliegen. 139 Hinsichtlich der Antragsvoraussetzungen bestehen somit zwischen den Modellen von 1977 und 1963 keine wesentlichen Unterschiede. Das Vorkriegsabkommen mit Italien knüpft die Antragsberechtigung daran, daß die Maßnahmen der Finanzbehörden der vertragsschließenden Staaten für den Steuerpflichtigen die Wirkung einer Doppelbesteuerung gehabt haben. 140 135 Kommentar zu Art. 25 OECD-MA 1977, Rz. 11, wiedergegeben bei Komi Debatin, Anhang A, S. 190. 136 Das ergibt sich schon daraus, daß die Finanzbehörde nach Art. 25 II 1 OECD-MA 1977 die Einwendung bei Steuerpflichtigen für begründet erachten muß, wozu sie ohne lückenlose Informationen des Steuerpflichtigen, die praktisch einem Nachweis gleichkommen, regelmäßig nicht in der Lage sein wird. Nur hingewiesen werden soll auf die Tatsache, daß der Steuerausschuß aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung darauf verzichtet hat, das Erfordernis des Nachweises der Doppelbesteuerung ausdrücklich zu normieren, vgl. van den Tempel, Rz. 81. 137 Kommentar zu Art. 25 OECD-MA 1977, Rz. 13f., wiedergegeben bei Komi Debatin, Anhang A, S. 190; Vogel, DBA, Art. 25 Rz. 28. 138 Weber, Verständigungsverfahren, S. 216 empfiehlt gleichwohl, in allen Fällen, in denen neben einer ausländischen auch die deutsche Besteuerung berührt ist, den Antrag über das zuständige Finanzamt, die OFD und das Finanzministerium des betreffenden Bundeslandes an den Bundesfinanzminster zu leiten. 139 Vogel, DBA, Art. 25 Rz. 28. Obwohl dieses Erfordernis im MA 1977 im Gegensatz zu dem Modell von 1963 nicht mehr ausdrücklich erwähnt wird, ergibt es sich dennoch aus Art. 1 des Musters, das den persönlichen Geltungsbereich auf Personen beschränkt, die in einem der bei den Vertragsstaaten ansässig sind.
II. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
153
Während in den OECD-Modellen eine abkommenswidrige Besteuerung genügt - was auch zu bejahen wäre, wenn eine Steuer lediglich zu hoch festgesetzt worden wäre -, verlangt dieses Abkommen eine konkrete Doppelbesteuerung, die zudem ausdrücklich nachgewiesen werden muß. 141 Die DBA der kontinental-europäischen Abkommensgruppe sehen als Voraussetzung für ein Verständigungsverfahren vor, daß Maßnahmen der Finanzbehörden der Vertragsstaaten für sie die Wirkung einer Doppelbesteuerung gehabt haben, die den Grundsätzen des Abkommens widerspricht. 142 Die D BA der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe gewähren die Befugnis zur Einleitung eines Verständigungsverfahren, wenn ein Steuerpflichtiger nachweist, daß die Maßnahmen der Steuerbehörden der Vertragsstaaten die Wirkung einer den Vorschriften des Abkommens widersprechenden Doppelbesteuerung haben oder haben werden. 143 Nach dem Wortlaut der Vertragstexte ist sowohl bei der kontinentaleuropäischen als auch bei der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe das Vorliegen einer Doppelbesteuerung erforderlich; bei einer lediglich abkommenswidrigen Besteuerung, die nicht auch zugleich zu einer Doppelbesteuerung führt, kann grundsätzlich kein Verständigungsverfahren eingeleitet werden. 144 Soweit die entsprechenden Klauseln lediglich eine abkommenswidrige Besteuerung verlangen, ist relativ klar, was darunter zu verstehen ist: Nämlichjede steuerliche Maßnahme eines Vertragsstaates, die gegen irgendeine Bestimmung oder gegen tragende Grundsätze des einschlägigen Abkommens verstößt. 14S 140 Art. 15 DBA Italien. Erforderlich ist hier der Nachweis einer solchen Doppelbesteuerung. Ganz ähnlich auch Art. 25 DBA Frankreich, der verlangt, daß eine Person nachweist, daß Maßnahmen der Finanzbehörden der Vertragsstaaten für sie die Wirkung einer Doppelbesteuerung gehabt haben oder haben können. 141 Aus diesem Grunde ist es nicht generell zutreffend, wenn Korn / Debatin, Systematik III, Rz. 172 anmerken, die im Verständigungsverfahren zu rügende, an der Besteuerung aufzuzeigende Abkommensverletzung verlange nicht die Geltendmachung einer Doppelbesteuerung. Zutreffend aber Schubert, S. 177. 142 So der Wortlaut von Art. 19 I DBA Österreich, Art. 21 I DBA Norwegen; ganz ähnlich Art. 23 I DBA Schweden, Art. 21 I DBA Dänemark ("Maßnahmen der Finanzbehörden der Vertragsstaaten"); vergleichbar auch Art. 22 I DBA Luxemburg, Art. 22 I DBA Niederlande (.. Wirkung einer Doppelbesteuerung (. . .), die dem Abkommen widerspricht. "), Art. 25 I DBA Belgien ("Doppelbesteuerung (. . .), die dem Abkommen nicht entspricht"). 143 So Art. XVII DBA USA (1966), Art. 17 I DBA Pakistan, Art. 18 Indien, Art. 20 I DBA Ägypten, Art. 24 I DBA Irland; ganz ähnlich: Art. 21 I DBA Israel und Art. 20 I DBA Griechenland. 144 Weber, Verständigungsverfahren, S. 214 weist allerdings darauf hin, daß von deutscher Seite stets ein Verständigungsverfahren versucht werde, wenn eine abkommenswidrige Besteuerung festgestellt werde. 145 Reich, S. 56; vgl. auch Vogel, DBA, Art. 25 Rz. 32, der verlangt, daß eine Steuerpflicht geltend gemacht oder durchgesetzt wird, die sich bei richtiger Auslegung und Anwendung auf den richtig festgestellten Sachverhalt so nicht ergibt.
154
2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
Der Begriff der Doppelbesteuerung ist jedoch Gegenstand tiefgreifender wissenschaftlicher Kontroversen. Von Doppelbesteuerung läßt sich sprechen, wenn derselbe Tatbestand mehr als einmal mit Steuern belegt wird. l46 Unter internationaler Doppelbesteuerung ist eine Normenkonkurrenz im zwischenstaatlichen Bereich zu verstehen, die dann vorliegt, wenn Steuergewalten verschiedener ursprünglicher Abgabenhoheiten berechtigt sind, denselben Steuerschuldner wegen desselben Steuergegenstandes gleichzeitig zu einer gleichen oder gleichartigen Steuer heranzuziehen. 147 Eine solche zwischenstaatliche Normenkonkurrenz zweier ursprünglicher Abgabenhoheiten liegt jedenfalls dann vor, wenn die Besteuerungsrechte zweier Völkerrechts subjekte miteinander konkurrieren. l48 Erforderlich ist weiter, daß hinsichtlich der erhobenen Steuer Steuersubjektidentität besteht, also dasselbe Steuersubjekt zur Zahlung verpflichtet wird. 149 Hierbei kann es sich um natürliche oder juristische Personen oder auch um andere wirtschaftliche Einheiten handeln. Abgabensubjekt ist dabei grundsätzlich der Steuerpflichtige als derjenige, dessen Steuerfähigkeit durch den Steuertatbestand angedeutet wird. ISO Gleichwohl ist nach überwiegender Auffassung im internationalen Bereich auch dann von einer Doppelbesteuerung auszugehen, wenn eine Gesamthandsgemeinschaft in dem einen Staat selbständig zur Steuer herangezogen wird, während der andere Staat lediglich die hinter diesem Gebilde stehenden Personen zur Besteuerung heranzieht. 151 Komi Debatin, Systematik I, Rz. 9. Spitaler, Doppelbesteuerungsproblem, S. 133; Ebling, S. 49; Kluge, S. 8; vgl. ebenso Komi Debatin, Systematik I, Rz. 9; Bühler, S. 32; vgl. auch Musterabkommen OECD 1963, S. 13; Knechtle, S. 29f. 148 Kluge, S. 8. Im einzelnen ist hier streitig, ob jede zwischenstaatliche Konkurrenz von Steuergewalten eine Doppelbesteuerung auslöst (so Flick, AWD 1958, 124f.), oder ob die miteinander konkurrierenden Abgabengewalten den Bereichen verschiedener ursprünglicher Abgabenhoheiten angehören (so Ebling, S. 23 m. w. N.; Kluge, S. 8). Zur Abgabenhoheit im einzelnen vgl. Spitaler, Doppelbesteuerungsproblem, S. 150fT. 149 Zum Steuersubjekt: Spitaler, Doppelbesteuerungsproblem, S. 170. 150 Flick, StuW 1960, 341; Wengier, Doppelbesteuerung, S. 103, 105f.; Kluge, S. 9. 151 Kluge, S. 9 m. w. N. Fehlt es in diesem Sinne an einer Subjektidentität, so kommt es im internationalen Bereich mitunter zu sogenannten" wirtschaftlichen Doppelbesteuerungen" (vgl. Bühler, Prinzipien, S. 33; Komi Debatin, Systematik I, Rz. 11; Vogel, DBA, Ein!. Rz. 2). Diese Erscheinungen treten z. B. auf, wenn bei sogenannten verbundenen Unternehmen die aus ihrer gegenseitigen Geschäftsbeziehung herrührenden Gewinne sowohl bei dem einen Staat bei seinem Unternehmen als auch im anderen Staat bei dem dort befindlichen Unternehmen besteuert werden. Mangels Subjektidentität wäre in diesen Fällen eine Doppelbesteuerung zu verneinen. Die Abkommenspraxis hat in diesen problematischen Fällen jedoch durch Aufnahme von Klauseln über Gewinnberichtigungen Rechnung getragen; vgl. Art. 9 OECD-MA). Sieht man die Aufgabe der DBA weiter gefaßt auch darin, auch in diesen Fällen Steuerüberlagerungen abzubauen, so wäre das Merkmal der Subjektidentität als BegrifTsmerkmal nur noch von eingeschränkter Bedeutung (so zutreffend Komi Debatin, Systematik I, Rz. 11). So gesehen wäre auch hier ein Verständigungsverfahren möglich. Hebing, HWStR I, S. 365 weist dementsprechend 14(;
147
II. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
155
Die beteiligten Steuergewalten müssen mit ihrer Besteuerung außerdem denselben Steuergegenstand (Steuerobjekt) erfassen. Nach h. M. versteht man unter Steuergegenstand denjenigen Tatbestand, aufgrund dessen die Verpflichtung zur Entrichtung einer bestimmten Steuer entsteht. 152 Es genügt jedoch, wenn die fraglichen Steuergegenstände einander stark ähneln; völlige Übereinstimmung ist nicht erforderlich. 153 Relativ unproblematisch läßt sich in der Regel ermitteln, ob die Steuern auch
gleichzeitig, also für den gleichen Besteuerungszeitraum erhoben wurden. l54
Schwierig ist es dagegen festzustellen, ob wegen desselben Steuergegenstandes auch eine gleiche oder gleichartige Steuer erhoben wird. Da eine Gleichheit von Steuern verschiedener Abgabengewalten selten ist, wird es maßgeblich auf die Gleichartigkeit bzw. Vergleichbarkeit ankommen. 155 Im einzelnen gibt es jedoch gravierende Meinungsverschiedenheiten, da sich sofort die Frage stellt, anhand welcher Kriterien die Gleichartigkeit zu ermitteln ist. In seinem Gutachten vom 20. 10. 1923 hatte sich der Reichsfinanzhof mit dieser Frage zu befassen. 156 Er kam dabei zu dem Ergebnis, daß weder die Tatsache, daß der Kreis der steuerpflichtigen Personen sich mehr oder weniger decke, noch daß die Steuern an gleiche äußere Anlässe anknüpfen, entscheidendes Begriffsmerkmal der Gleichartigkeit seien. Auch Verwendungszweck oder fiskalische Gleichwertigkeit der Steuern seien ohne Bedeutung. Der RFH stellte deshalb entscheidend darauf ab, ob die konkurrierenden Steuern auf gleicher wirtschaftlicher Grundlage aufgebaut seien oder ob sie in ihrem wirtschaftlichen Erfolg auf das gleiche hinauslaufen. 157 Demgegenüber ist mit Spiraler vom Steuerobjekt daraufhin, daß von deutscher Seite in diesen Fällen regelmäßig ein Verständigungsverfahren betrieben werde. Ob auch eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung abkommenswidrig ist, kann aber nur im Einzelfall und durch Auslegung des DBA geklärt werden. Vgl. etwa für das DBA Schweiz: BFH BStBl. 1982 II, 583, 585, wo das Erfordernis einer Subjektidentität für Art. 13 DBA Schweiz betont wird. Demgegenüber hat der BFH in BStBl. 1977 II, 265 für das DBA Schweiz die Verständigungsmöglichkeit auch zur Beseitigung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung bejaht. Für das DBA Italien wiederum hat der RFH eine bloße wirtschaftliche Doppelbesteuerung nicht als ausreichend angesehen, vgl. RFH in StuW 1938, 328 und 681. Nach Rädler( Raupach, S. 614f. sieht das OECD-MA insoweit für den Steuerpflichtigen eine günstige Regelung vor, als es nur eine abkommenswidrige Besteuerung verlange, also auf das Erfordernis der Subjektidentität verzichtet. Bedenklich ist allerdings, wenn sie dies als Anhaltspunkt für die Auslegung bestehender DBA in dem Sinne sehen, daß der Begriff der Doppelbesteuerung wirtschaftlich zu verstehen sei. Vgl. weiter Kaligin, Die Wirtschaftsprüfung 1982, 218. IS2 Knechtle, S. 30; Teichner, S. 19. Vgl. auch Wengier, Doppelbesteuerung, S. 150; Spitaler, S. 105f. und Ebling, S. 28ff. Auch Bayer in Festschriftfor Mosler, S. 61, ist der Auffassung, für die Gleichartigkeit von Steuern sei der Steuergegenstand entscheidend. IS3 Kluge, S. 9 m. w. N. 154 Vgl. Teichner, S. 21; Kluge, S. 9; Ebling, S. 28. Zur Bedeutung des Zeitfaktors in der Einkommensbesteuerung vgl. Birtel, insb. S. 72ff. ISS Knechtle, S. 30; Teichner, S. 21; Kluge, S. 10. Hierzu auch Bayer in Festschrift for Mosler, S. 61 f., sowie Tipke, StuW 1975, 242ff. und Hahn, DStR 1980, 215ff. 156 RFHE 13, 38.
156
2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
auszugehen. Die Frage der Gleichartigkeit von Steuern steht nämlich im engen Zusammenhang mit der Identität des Steuergegenstandes. 158 Die abkommenswidrige Besteuerung muß nach Art. 25 I OECD-MA auf Maßnahmen eines oder beider Vertragsstaaten beruhen. "Maßnahmen" können sowohl in einem Handeln, als auch in einem Unterlassen bestehen, das jedoch für die abkommenswidrige Besteuerung ursächlich gewesen sein muß. 159 Das OECD-MA 1977 sieht darüber hinaus in Art. 25 I 2 vor, daß der Antrag innerhalb von drei Jahren nach der ersten Mitteilung der Maßnahme, die zu der abkommenswidrigen Besteuerung geführt hat, zu stellen ist. Diese Fristbestimmung findet sich jedoch nur in vier der deutschen DBA.I60 Nach der Stellung des Antrages hat die angerufene Behörde zu prüfen, ob die vom Antragsteller erhobene Einwendung zutrifft oder nicht. Dabei hat sie den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln ( § 88 I 1 AO). Außerdem hat sie den Steuerpflichtigen im Rahmen von § 89 AO zu beraten und ihm Auskünfte über ihm zustehende Rechte zu erteilen. 161 Den Steuerpflichtigen treffen allerdings nach § 90 11 AO erweiterte Aufklärungs- und Mitwirkungspflichten. Hält die angerufene Behörde die Einwendung für begründet, so hat sie in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob sie selbst in der Lage ist, eine befriedigende Lösung herbeizuführen. Diese Regelung in Art. 25 11 OECD-MA gibt der Behörde also eine einseitige Abhilfemöglichkeit. 162 Ratio legis dieser Regelung ist, der Behörde in den Fällen, in denen der Eintritt der abkommenswidrigen Besteuerung auf eine Maßnahme ihrer selbst zurückgeht, also grundsätzlich 157 Vgl. auch RFHE 9,123; in diesem Sinne auch Teichner, S. 20 und wohl auch Tipke, StuW 1975, 245. Dagegen Hahn, DStR 1980, 218. 158 So zutreffend Spitaler, S. 118ff.; ebenso Kluge, S. 10; Ebling, S.41; Mersmann, S. 92, sowie Bayer in Festschrift for Mosler, S. 61. Kontrovers ist hier, ob es sich um eine rechtliche Gleichartigkeit handelt ( so Markull, S. 603f.), oder ob auch wirtschaftliche Gesichtspunkte eine Rolle spielen (so Spitaler, S. 121 f.). In den DBA wird oft die Gleichartigkeit der Steuern besonders vereinbart, vgl. etwa Art 1 DBA Italien. Vgl. ferner Anlage 10 zu dem EStG 1978. 159 Vogel, DBA, Art. 25 Rz. 34. 160 Art. 25 I DBA Belgien; Art. 26 I DBA Portugal (je zwei Jahre); Art. 25 I DBA Kenia, Art. 26 I DBA Mauritius (je drei Jahre). 161 Soweit hierzu die Mitwirkung von Behörden im Vertragsstaat erforderlich ist, schaffen die Art. 25 OECD-MA entsprechenden Abkommensvorschriften die Voraussetzungen für eine zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe in Steuersachen; vgl. im einzelnen Runge, RIW / AWD 1979, 73. 162 Eine solche Abhilfemöglichkeit ist nicht ausdrücklich vorgesehen in den DBA Ägypten, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Indien, Irland, Israel, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Pakistan, Schweden, Südafrika, USA und UdSSR. Vogel, DBA, Art. 25 Rz. 77, weist allerdings - m. E. zutreffend - daraufhin, aus dem Fehlen einer solchen ausdrücklichen Regelung könne selbstverständlich nicht geschlossen werden, die innerstaatlichen Behörden hätten keine Abhilfemöglichkeiten. Vielmehr richte sich die Abhilfemöglichkeit in diesen Fällen nach dem nationalen Recht der Vertragsstaaten.
II. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
157
kein Anlaß besteht, die Behörden des Vertragsstaates einzuschalten, eine Korrekturmöglichkeit zu schaffen. Denn nur in diesen Fällen ist sie zu einer Abhilfe auch in der Lage. In der Literatur ist die Frage aufgeworfen worden, ob einer Abhilfemöglichkeit auch eine Abhilfeverpflichtung gegenübersteht. 163 M. E. ist diese Frage klar zu bejahen. Bekanntlich folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechtsartikeln der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung, also der Grundsatz, daß Besteuerung nur zulässig ist, sofern ein gesetzlicher Tatbestand erfüllt ist, an den die Rechtsfolge einer Steuer geknüpft iSt. I64 Daraus, daß eine Steuer nur erhoben werden darf, wenn sie tatbestandsmäßig hinreichend bestimmt ist, folgt auch, daß eine übererhobene Steuer jedenfalls dann zurückzuzahlen ist, wenn sie ausschließlich durch eine Maßnahme dieser Behörde erhoben wurde. 165 Das innerstaatliche Vorprüfungsverfahren endet mit der Feststellung der Behörde, daß sie selbst nicht in der Lage ist, eine für den Steuerpflichtigen befriedigende Lösung zu erreichen, weil der abkommenswidrige Zustand, bzw. die Doppelbesteuerung auf eine der Maßnahmen des anderen Vertragsstaates zurückzuführen ist. Den nächsten Schritt, den die Behörde nun tun muß, und der den Beginn des eigentlichen Verständigungsverfahrens kennzeichnet, umschreibt Art. 25 11 OECD-MA so, daß die Behörde sich bemühen werde, den Fall durch Verständigung mit der zuständigen Behörde des anderen Vertragsstaates so zu regeln, daß eine abkommenswidrige Besteuerung vermieden wird. Das DBA Italien als das einzige noch bestehende Vorkriegsabkommen sieht vor, daß die beiden obersten Finanzbehörden sich verständigen können, um in billiger Weise eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. 166 Die DBA der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe verwenden dagegen eine Formulierung, die eine Verpflichtung der angegangenen Behörde stärker betont: "Werden die Einwendungen des Steuerpflichtigen als begründet erachtet, so wird die zuständige Behörde des angerufenen Staates anstreben, sich mit der zuständigen Behörde des anderen Staates über eine Vermeidung der Doppelbesteuerung zu verständigen." 167 Lehner, S. 46. Stern II, § 46 I 5 c); Tipke, § 3, 6.1. 165 Auf völkerrechtlicher Ebene ergibt sich das daraus, daß Art. 25 11 OECD-MA der Behörde eben nur die Möglichkeit läßt, entweder selbst zu einer (für den Steuerpflichtigen) befriedigenden Möglichkeit zu kommen, oder das Verständigungsverfahren einzuleiten. Vgl. Komm. zu Art. 25 0 ECD-MA 1977, Rz. 19, wiedergegeben bei Korn I Debatin, Anhang A, S. 191. 166 Art. 15 DBA Italien, vgl. im einzelnen Korn I Debatin, DBA Italien, S. 32. 167 So Art. 17 I 2 DBA USA. Gleichlautend oder ähnlich: Art. XX Abs. 1 S. 2 DBA Ägypten, Art. XX Abs. I S. 2 DBA Griechenland, Art. Art. XVII S. 2 DBA Indien, Art. XXIV Abs. 1 S. 2 DBA Irland, Art. 21 I 2 DBA Israel, Art. 17 I 2 DBA Pakistan. 163
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
Demgegenüber legen die DBA der kontinental-europäischen Abkommensgruppe fest: "Werden die Einwendungenfor begründet erachtet, so soll die nach Absatz 1 zuständige Behörde versuchen, sich mit der zuständigen Behörde des anderen Staates zu verständigen, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. "168 Es liegt auf der Hand, daß diese unterschiedlichen Formulierungen bei der Untersuchung der Frage, ob die Verständigungsklauseln subjektiv-öffentliche Rechte gewährleisten, noch einer Analyse unterzogen werden müssen. Die Einleitung des Verständigungsverfahrens dient dazu, eine abkommenswidrige Besteuerung zu vermeiden (OECD-MA), bzw. eine Doppelbesteuerung (kontinental-europäische Abkommensgruppe) oder eine abkommenswidrige Doppelbesteuerung (anglo-amerikanische Abkommensgruppe) zu beseitigen. Nach der Rechtspraxis in der Bundesrepublik sind Verständigungsverfahren und Rechtsbehelfsverfahren nebeneinander möglich. 169 cc) Das konkrete Konsultationsverfahren Eine Vorschrift, die es ermöglicht, Schwierigkeiten oder Zweifel, die bei Auslegung oder Anwendung des Abkommens entstehen, in gegenseitigem Einvernehmen zu beseitigen, enthalten die meisten der deutschen DBA mit der einzigen Ausnahme des DBA Indien.
Im Gegensatz zum Verständigungs verfahren im engeren Sinne, das stets die Regelung eines Einzelfalles im Auge hat, soll das konkrete Konsultationsverfahren Anwendungs- und Auslegungshilfen herbeiführen, die für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen Geltung haben. Diese Bestimmungen ermöglichen es daher den Behörden, die Definition von Ausdrücken, die im Abkommen unvollständig oder nicht eindeutig definiert sind, zu ergänzen oder klarzustellen, um etwaigen Schwierigkeiten vorzubeugen, oder - wenn Änderungen in der Gesetzgebung eines Staates eingetreten sind, die die Ausgewogenheit oder den wesentlichen Inhalt des Abkommens nicht beeinträchtigen - die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten zu bereinigen. 17o Auslegung ist dabei Klarstellung des Inhaltes einer Rechtsnorm. Im Unterschied von der Auslegung durch die nationalen Steuergerichte und Verwaltungsbehörden besteht das Besondere der Verständigung als Auslegung darin, daß sie nicht einseitig nur nach dem nationalen Steuerrecht eines Vertragsstaates, 168 So Art. 21 II DBA Norwegen. Gleichlautend oder ähnlich: Art. 21 II DBA Dänemark, Art. 22 II DBA Luxemburg, Art. 2211 DBA Niederlande, Art. 1911 DBA Österreich, Art. 23 II DBA Schweden. Leicht abweichend Art. 25 II DBA Frankreich: " ... , so kann sich die zuständige Behörde dieses Staates mit der zuständigen Behörde des anderen Staates verständigen, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden." 169 Strobl, CDFI 1981, 176; BFH BStBI. 198211,583; 1967 III, 495; RFH RStBI. 1934, 40; vgl. ferner Vogel, DBA, Art. 25 Rz. 68 für die Rechtslage in anderen Ländern. 170 Komm. zu Art. 25 OECD-MA, Rz. 31, wiedergegeben bei Komi Debatin, Anhang A, S. 192.
11. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
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sondern unter Berücksichtigung auch des materiellen Steuerrechts des fremden Staates erfolgt. l7l In der Vertragspraxis der Bundesrepublik werden die Konsultationsverfahren in der Regel eingeleitet, um eine gemeinsame Auslegung von bestimmten Begriffen vorzunehmen (Betriebsstättenbegriff, Wohnsitzbegriff, Begriff des Grenzgängers, etc.),die Anwendung bestimmter Vorschriften des DBA zu klären und die Durchführung bestimmter Regelungen des DBA im Rahmen der innerstaatlichen Besteuerung (Besteuerung von Dividenden, Zinsen, Lizenzgebühren) zu erleichtern. 172 Das konkrete Konsultationsverfahren wird in der Staatenpraxis weiter durchgeführt, um Anwendungschwierigkeiten, die in einem auf Begehren eines Steuerpflichtigen eingeleiteten Verständigungsverfahren im engeren Sinne bereits angesprochen wurden, aber darüber hinaus eine ganze Gruppe von Steuerpflichtigen zumindest potentiell betreffen, zu beseitigen. 173 dd) Das abstrakte Konsultationsverfahren Das OECD-MA sieht in Art. 251II 2 darüber hinaus vor, daß die zuständigen Behörden auch gemeinsam darüber beraten können, wie eine Doppelbesteuerung auch in den Fällen vermieden werden kann, die im Abkommen nicht behandelt sind. Eine entsprechende Vorschrift enthält auch das DBA Italien. 174 Darüber hinaus ist in diesem Abkommen eine Bestimmung enthalten, die vorsieht, daß die obersten Finanzbehörden beider Staaten mit der billigen Entscheidungjeder anderen Frage betraut werden sollen, die überhaupt auf dem Gebiete der direkten Steuern auftreten kann, ohne daß es darauf ankommt, ob diese Fragen in dem jeweiligen Abkommen ausdrücklich entschieden sind. 175 In den DBA der kontinental-europäischen Abkommensgruppe ist eine Verständigung der Behörden zur Beseitigung von Härten aufgrund einer Doppelbesteuerung in Fällen, die in den Abkommen nicht geregelt sind, vorgesehen. 176 Enger als Art. 25 III 2 OECD-MA verlangen diese DBA den Spitaler, StuW 1950, 810; Teichner, StuW 1965, 350; Fischer, StuW 1975, 239. Weber, Verständigungsverfahren, S. 222; Boos, ASAR 1984, 599. 173 Boos, ASAR 1984, 599. Im Rahmen des DBA Schweiz wurde von einem Steuerpflichtigen die Frage der Besteuerung von Ausschüttungen der KomplementärGmbH & Co. KG in einem Verständigungsverfahren aufgeworfen. Deutscher Ansicht zufolge sind diese Ausschüttungen Einkünfte aus Gewerbebetrieb, also steuerlich wie ein Gewinn aus der KG zu behandeln, nämlich nach Art. VII DBA Schweiz. Nach Schweizer Ansicht sind es jedoch Dividenden nach Art. 10 VI DBA Schweiz. Die Frage wurde dann zum Gegenstand eines Konsultationsverfahrens gemacht. 174 Art. 16 DBA Italien 175 Art. 17 DBA Italien 176 So Art. 25 111 DBA Norwegen. Gleichlautend oder ähnlich: Art. 25 III DBA Dänemark, Art. 26 III DBA Luxemburg, Art. 25 II 1 DBA Niederlande, Art. 21 II DBA Österreich, Art. 25 II DBA Schweden. Etwas abweichend Art. 25 III DBA Frankreich: Verständigung ist hier möglich "zur Vermeidung der Doppelbesteuerung in den Fällen, die in diesem Abkommen nicht geregelt sind". 171
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
Eintritt einer Härte aufgrund einer Doppelbesteuerung, lassen es damit also nicht genügen, daß eine bestimmte Frage in einem Doppelbesteuerungsabkommen nicht nur nicht geregelt ist. Für den Steuerpflichtigen wird sich dieser Unterschied wohl nicht bemerkbar machen, da das Bestehenbleiben einer Doppelbesteuerung für ihn immer eine Härte bedeuten wird. Das Entscheidende an dieser Form der Verständigungsklausel bei der kontinental-europäischen Abkommensgruppe ist jedoch, daß es sich hier im Grunde nicht um ein abstraktes Konsultationsverfahren im Sinne von Art. 25 III 2 OECD-MA handelt. Im Gegensatz zu der entsprechenden Klausel des OECD-Musters sollen nicht die Abkommen durch gemeinsame Beratungen der beteiligten Finanzbehörden und entsprechende Konsultationsvereinbarungen auch auf nicht geregelte Fälle erweitert werden. Gegenstand dieser Klausel ist vielmehr eine Erweiterung der Verständigungsklausel. Hier ist für die DBA der kontinental-europäischen Abkommensgruppe erforderlich, daß eine Doppelbesteuerung vorliegt, die den Grundsätzen des Abkommens widerspricht, also abkommenswidrig ist. Durch die fragliche "Härten-Vorschrift" wird die Klausel dahingehend ergänzt, daß auch dann, wenn eine Doppelbesteuerung eintritt, weil es an einer Regelung fehlt, eine Verständigung möglich sein soll, sofern dies eine "Härte" ausgelöst hat. Andererseits deutet eben diese Formulierung darauf hin, daß eine über den Einzelfall hinausgehende Konsultation möglich sein soll, da der Begriff der "Härte" gerade impliziert, daß ein Einzelfall vorliegt. 177 Strukturell handelt es sich bei dieser Klausel um eine Sonderregelung für das Verständigungsverfahren. In der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe fehlt eine Art. 25 III 2 OECD-MA entsprechende Vorschrift völlig.ns Das abstrakte Konsultationsverfahren ermöglicht es den zuständigen Behörden der Vertragsstaaten, über den Rahmen des Abkommens hinaus auch über die Beseitigung von Doppelbesteuerungen zu verhandeln, die im Abkommen nicht geregelt sind. Die auf der Grundlage dieser Bemühungen erreichten Konsultationsvereinbarungen stellen eine Form der Abkommensergänzung, der Rechtsfindung dar. 179 Das abstrakte Konsultationsverfahren hat damit gesetzesergänzende, also gesetzgeberische Funktion. 180
177 Aus diesem Grunde ist Vogel, DBA, Art. 25 Rz. 94 zu widersprechen, wenn er ausführt, die DBA Dänemark und Norwegen wichen in der Weise inhaltlich vom MA ab, daß nicht über diejenigen Fälle von Doppelbesteuerungen beraten werden könne, die in den Abkommen nicht geregelt seien. Die vorstehenden Ausführungen zeigen, daß dies in Fällen des Vorliegens einer "Härte" sehr wohl möglich ist. 178 Es sind dies die DBA USA, Pakistan, Indien, Ägypten, Israel, Irland, Griechenland, Großbritannien, Südafrika. 179 Vgl. KornjDebatin, Systematik III, Rz. 215f.; Teichner, StuW 1965, 350; Avery Jones, BTR 1980, 13 ff. 180 Mülhausen, S. 92; Avery Jones, BTR 1980, 13.
II. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
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Das abstrakte Konsultationsverfahren hat in der Staatenpraxis fast keine Bedeutung, weil diese Form der Rechtssetzung von Völkerrecht durch Verwaltungsbehörden von einer Reihe von Staaten als unvereinbar mit ihrem nationalen Recht angesehen wird. 181 Im Zusammenhang mit den Doppelbesteuerungsabkommen der Bundesrepublik Deutschland ist es bisher zweimal zu Vereinbarungen auf der Grundlage von Art. 25 III 2 OECD-MA 1977 gekommen, einmal beim DBA Rumänien 182, einmal beim DBA Niederlande. 183
3. Verständigungsverfahren und Völkerrecht a) Die Rechtsnatur des Verständigungsverfahrens Der OECD-Steuerausschuß hat in seinem Kommentar zum MA 1977 die Auffassung niedergelegt, das Verständigungsverfahren i. e. S. sei eindeutig ein besonderes Verfahren außerhalb des innerstaatlichen Rechtes. Deshalb könne es nur dann in Anspruch genommen werden, wenn '~ine Steuer entgegen den Abkommensbestimmungen erhoben werde oder erhoben werden solle. 184 In der Tat ist ein Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens kein steuerlicher Rechtsbehelf im Sinne der AO.18S Dementsprechend verlangt die deutsche Finanzverwaltung grundsätzlich zunächst die positive Feststellung des die Doppelbesteuerung bewirkenden deutschen Steueranspruehs in der ersten Rechtsmittelinstanz, bevor sie einen auf die Einleitung eines Verständigungsverfahrens gerichteten Rechtsbehelf nach einem Doppelbesteuerungsabkommen prüft und gegebenenfalls an die zuständige Behörde des anderen Vertragsstaates weiterleitet. 186
Vgl. hierzu Avery Jones, BTR 1980, 17 m. w. Nachweisen. Nach rumänischer Auffassung fallen Provisionen, die aus Rumänien stammen und an selbständig tätige Handelsvertreter gezahlt werden, die in der Bundesrepublik Deutschland ansässig sind und in Rumänien weder eine Betriebsstätte noch einen ständigen Vertreter haben, nicht unter die Regelungen in den Art. 6 bis 17 des D BA Rumänien. Dementsprechend werden diese Provisionen in Rumänien einer 15 %igen Quellensteuer unterworfen. Um die sich hieraus für deutsche Handelsvertreter ergebende Doppelbesteuerung zu vermeiden, wurde im Wege des Konsultationsverfahrens vereinbart, daß die rumänische Quellensteuer auf 5 % begrenzt und auf die in der Bundesrepublik zu zahlende Steuer angerechnet wird. Vgl. im einzelnen das Schreiben des Bundesfinanzminsters vom 15.03. 1978 (BStBl. 1978 I, 158f.). 183 Vgl. im einzelnen: Avery Jones, BTR 1980, 16f. m. w. Nachweisen. 184 Komm. zu Art. 25 OECD-MA 1977, Rz. 7, wiedergegeben bei Komi Debatin, AnhangA, S.189zuArt. 25 I und II. Ebenso Strobl, CDFI 1981, 171. Debatin,AWD 1969, 485 ist der Auffassung, die DBA eröffneten einen besonderen Rechtsbehelf, nämlich die Verständigungsverfahren. 185 So zutreffend Teichner, StuW 1965, 345. 186 Bachmayr, StuW 1964, 889; Teichner, StuW 1965, 345. 181
182
11 Gloria
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
aa) Verständigungsverfahren als diplomatisches Streiterledigungsmittel Funktion des Verständigungsverfahrens ist es, einen durch die Abkommensanwendung entstehenden Besteuerungskonflikt zwischen zwei Staaten beizulegen, die beide in gleicher Weise für sich ein Besteuerungsrecht reklamieren. So gesehen dient das Verständigungsverfahren zum Ausgleich eines internationalen Disputes zwischen Staaten. Das Völkerrecht kennt drei verschiedene Formen der Beilegung solcher internationaler Konflikte, nämlich: - durch diplomatische Mittel - durch internationale Schiedsgerichtsbarkeit - durch Entscheidungen internationaler Gerichte. 187 Das am weitesten verbreitete und älteste Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten sind Verhandlungen auf diplomatischem Wege. Der Unterschied zwischen den diplomatischen Mitteln zur Streiterledigung und denen durch Einschaltung eines Gerichtes besteht darin, daß bei den diplomatischen Streiterledigungsmitteln die streitenden Parteien Herren des Streites bleiben. Demgegenüber ist die Entscheidung eines Schiedsgerichtes bindend; es entscheiden nicht mehr die Parteien selbst, sondern maßgebend ist die autoritative Entscheidung eines von den Parteien verschiedenen Willens. 188 Aufschluß darüber, welcher dieser Gruppen das Verständigungsverfahren zuzuordnen ist, gibt Art. 25 11 1 OECD-MA 1977. Nach dieser Vorschrift werden sich die zuständigen Behörden bemühen, den Fall so zu regeln, daß eine abkommenswidrige Besteuerung vermieden wird. Das zeigt, daß andere als die jeweiligen Vertragspartner an der Lösung des internationalen Disputes hinsichtlich der Beseitigung der Doppelbesteuerung nicht beteiligt sind. Vielmehr wird der Konflikt durch die Parteien selbst beigelegt. Es handelt sich damit um ein diplomatisches Streiterledigungsmittel. 189 187 Die Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung nebst einer (nicht abschließenden) Aufzählung der in Betracht kommenden Möglichkeiten normiert Art. 33 UNO-Charta. Vgl. im einzelnen Goodrich/ Hambro / Simons, Art. 33, S. 259; Verdross/ Simma, §§ 1312ff.; Berber UI, 27ff.; Sohn in Bernhardt, EncycIopedia, Vol. 1, 154; vgl. ferner: Avery Jones, BTR 1980337; Lehner, S. 61. 188 Berber III, S. 44; Lehner, S. 63f.; Mülhausen, S. 84; vgl. auch Reich, S. 34. 189 Demgegenüber sieht Reich, S. 40, das Verständigungsverfahren als politisches Streiterledigungsmittel an, da weder eine den streitenden Vertragsparteien neutral gegenüberstehende Instanz geschaffen noch ein Verfahren vorgeschrieben oder ein Ergebnis gewährleistet werde. Das Verständigungsverfahren wolle nicht eine Lösung unter streng rechtlichen Kriterien herbeizuführen, sondern nach Berücksichtigung aller Umstände eine billige und zwanglose Einigung unter Völkerrechtssubjekten ermöglichen. Die bisherigen Überlegungen haben jedoch gezeigt, daß die Unterscheidung zwischen diplomatischen Streiterledigungsmechanismen und der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit gerade danach getroffen wird, ob die Parteien Herren des Verfahrens bleiben, oder ob ihnen eine Instanz gegenübergestellt wird. Ebenso wenig ist es für diplomatische Streiterledigungsmechanismen charakteristisch, daß ein Verfahren vorgeschrieben oder
II. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
163
Von den in Art. 33 UN-Charta aufgezählten diplomatischen Streiterledigungsmitteln rallt das Verständigungsverfahren unter die Kategorie der Verhandlungen 190, also Meinungsaustausch und Verständigung zwischen Staaten auf direktem diplomatischen Wege. 191 Des näheren werden die Verständigungsklauseln als pactum de negotiando bezeichnet 192, zum Teil auch als pactum de contrahendo oder pactum de negotiando, wobei beide Bezeichnungen offenbar synonym verwendet werden. 193 Worum handelt es sich bei diesen Begriffen? Als pactum de contrahendo bzw. als pactum de negotiando werden Klauseln in völkerrechtlichen Verträgen bezeichnet, in denen zwei oder mehr Parteien im Hinblick auf eine spätere Einigung bestimmte gegenseitige Handlungspflichten eingehen. 194Ein pactum de contrahendo ist ein Vorvertrag zu einem völkerrechtlichen Vertrag. Aus einem solchen pactum ergibt sich für die Beteiligten die Verpflichtung, bezogen auf die in diesem Voivertnrg' geregelten Sachmaterien, ein Abkommen zu schließen. 195 Die Ver.handlungen müssen im Geiste der Grundsätze geführt werden, die auch dem betreffenden pactum de contrahendo zugrundeliegen. l96 Das bedeutet zunächst, daß die Verhandlungen unter ein Ergebnis gewährleistet wird. Unzutreffend ist auch Reichs Ansicht, ein politisches Streiterledigungsmittelliege vor, weil die Einigung nicht unter streng rechtlichen Kriterien herbeigeführt werde. Ausgangspunkt des zwischenstaatlichen Verständigungsverfahrens ist gerade, daß eine der nationalen Steuerbehörden eine abkomrnenswidrige Besteuerung für gegeben hält (bei der OECD-Abkommensgruppe). Rechtlicher Rahmen für die Verhandlungen ist damit das betreffende Abkommen. Insgesamt läßt sich damit feststellen, daß der rechtliche Rahmen, den die DBA für das Verständigungsverfahren eröffnen, nicht enger oder weiter ist, als dies typischerweise bei dem diplomatischen Streiterledigungsmittel der Verhandlung der Fall ist. Dies verkennt auch Lehner, S. 68 f. Vgl. auch Mössner, RIW 1983, 362, der ausführt, das Verständigungsverfahren sei ein diplomatisches und politisches Verfahren, da seine Ergebnisse nicht im Wege der Anwendung bestehenden Rechts gefunden würden. Das Verständigungsverfahren schaffe eine neue Vereinbarung zwischen den beteiligten Staaten. Die Ergebnisse solcher Verständigungsverfahren bedürfen daher nicht der begründeten Ableitung aus bestehendem Recht. Inwieweit diese Annahmen zutreffen, wird unten noch näher zu untersuchen sein. 190 So zutreffend Mülhausen, S. 84f. Zu Verhandlungen als Mittel zur Streitbeilegung: Fleischhauer in Bernhardt, Encyclopedia, Vol. 1, S. 152. 191 Vgl. Kunzmann in Strupp/Schlochauer, Bd. II, S. 403. 192 So von Mülhausen, S. 85. 193 So von Strohl/Zeller, StuW 1.978, 245 und Avery Jones, BTR 1979, 337. 194 Beyerlin, ZaöRV 1976, 407. 195 Dischler in Strupp / Schlochauer, Bd. II, S. 716f.; Verdross/ Simma, § 548; Thode in Menzel/lpsen, S. 76; McNair, S. 27ff.; Dahm III, S. 66ff.; O'ConnellII, 1067, 1077 -1079 m.w.N. 196 Verdross/ Simma, § 548 m. w. N.; vgl. weiter die Schiedssprüche in der Angelegenheit Tacna-Arica, RIAA II, 930; im Falle Lac Lanoux, RIAA XII, 307; sowie in der Angelegenheit Aminoil, ILM 1982, 1014. 11'
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben geführt werden müssen und mit dem Ziel, eine Einigung zu erreichen. Bei den Verhandlungen darf demgemäß keine der Parteien einseitig auf ihrem Standpunkt beharren, ohne bereit zu sein nachzugeben. 197 Auch verpflichtet ein solches pactum die Vertragsparteien, die Verhandlungen über eine angemessene Zeitspanne fortzuführen und eine akzeptable Lösung zu suchen, die den Interessen beider Parteien gerecht wird. 198 Im Einzelfall können die Parteien sogar verpflichtet sein, einen Streitpunkt, der durch Verhandlungen nicht beseitigt werden kann, einem Schiedsgericht vorzulegen. l99 Demgegenüber verpflichtet ein pactum de negotiando die Parteien nur, ernsthafte Vertragsverhandlungen zu führen. 2 °O Ein pactum de negotiando ist daher dann anzunehmen, wenn der Inhalt der späteren Übereinkunft eines pactum de contrahendo so unbestimmt ist, daß er sich auch anhand des Vorvertrages bei Gebrauch der üblichen Auslegungsmethoden als unbestimmbar erweist, so daß er nur als Umdeutung in ein pactum de negotiando als verbindliches, juristisch erfaßbares Verhaltensrichtmaß Gewicht behält. 201 Das pactum de negotiando ist auch keineswegs rechtlich wirkungslos. Beide Parteien müssen sich auch hier um eine Kompromißlösung bemühen, die für beide befriedigend ist, und zwar auch dann, wenn dies nur unter Aufgabe bislang unnachgiebig behaupteter Positionen möglich ist. Dies setzt auch die Bereitschaft voraus, früher eingenommene Standpunkte aufzugeben und der anderen Partei entgegenzukommen. 202 Der Unterschied in der Bindungswirkung für die Parteien ist es daher, der es ermöglicht, beide Rechtsinstitute zu unterscheiden. In beiden Fällen besteht eine Verpflichtung zumindest auch zum Verhandeln, für das im wesentlichen die gleichen Grundsätze gelten. 203 Im Falle des pactum de contrahendo stehen die Parteien jedoch unter der weitergehenden und absoluten Verpflichtung, eine Einigung zu erzielen, eine Verpflichtung, die beim pactum de negotiando fehlt. 204 Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des Inhalts des Endvertrages 197
(4).
So ausdrücklich der IGH im Nordsee-Festlandsockel-Fall, LC.J.-Reports 1969, 3
Vgl. den Schiedsspruch in der Angelegenheit Aminoil, ILM 1982, 1014. Beyerlin in Bemhardt, Encyc1opedia, Vol. 7, S. 376. 200 Thode in Menze/fIpsen, S. 76; VerdrossfSimma, S. 548. 201 So zutreffend Hahn, AWD 1972,492. 202 So das Urteil des Schiedsgerichtshofes für das Abkommen über deutsche Auslandsschulden vom 26. 01. 1972 betreffend griechische Entschädigungsforderungen gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Neutralitätsverletzung im ersten Weltkrieg, AVR 16 (1973-1975),339 (344). 203 Hierzu wird im Aminoil-Schiedsspruch vom 24. März 1982 verlangt: " ... goodfaith as proper/y to be understood; sustained upkeep of the negotiations over aperiod appropriate to the circumstances; awareness ofthe interests of the other party; and a persevering quest for an acceptable compromise."; ILM 1982, 1014. 204 McNair, S. 27ff.; Hahn, AWD 1972,492; O'ConnelllI, 1077; prägnant formuliert 198
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11. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
165
kennzeichnen das pactum de contrahendo, ihr Fehlen das pactum de negotiando. 20s Nach einer in der Literatur vertretenen neueren Ansicht gibt es keinen völkerrechtlich relevanten Unterschied zwischen den beiden pacta. 206 In keinem einzigen Fall sei von einem internationalen Gericht eine absolute Verpflichtung zum Abschluß eines Vertrages anerkannt worden. 207 Aus diesem Grunde könnten sich lediglich die vertraglichen Verpflichtungen, in gutem Glauben zu verhandeln, die in dem jeweiligen pactum - sei es ein pactum de negotiando oder ein pactum de contrahendo - niedergelegt seien, von Fall zu Fall geringfügig unterscheiden. Der rechtliche Rahmen, der den Parteien für ihre Verhandlungen vorgegeben sei, sei demgemäß mal enger oder mal weiter, je nachdem, in welchem Umfang der Inhalt des Endvertrages durch das jeweilige pactum vorgegeben sei. Davon hänge es auch ab, ob die eine Partei der anderen vorwerfen könne, nicht das Beste getan zu haben, um eine Einigung zu erzielen. 208 Dem ist entgegenzuhalten, daß auch in der neueren internationalen Rechtsprechung nach wie vor an der Unterscheidung zwischen pactum de contrahendo und pactum de negotiando festgehalten wird. 209 Zwar ist einzuräumen, daß von keiner Partei verlangt werden kann, einen unzumutbaren Vertrag abzuschließen. Das heißt aber nicht, daß zwei Völkerrechtssubjekte nicht überhaupt die vertragliche Verpflichtung übernehmen können, einen Vertrag abzuschließen. Wenn später eine dieser Parteien unter Berufung auf Treu und Glauben sich weigert, den ins Auge gefaßten Endvertrag abzuschließen, so verhindert dies lediglich das Zustandekommen dieses Vertrages. Kann aber eine entsprechende Verpflichtung rechtswirksam vereinbart werden, so bekommt ein solcher auf den Abschluß eines späteren Vertrages gerichteter Vorvertrag, ein solches pactum de negotiando eine grundsätzlich andere Qualifikation als ein das der Ständige Internationale Gerichtshof:" ... an obligation to negotiate does not imply an obligation to reach an agreement." P.C.I.J., Series AlB, No. 42, S. 116 (1931). 205 Kron, S. 24ff., 45; ein Beispiel, bei dem Kron, S. 23f., wegen Bestimmbarkeit des Inhalts des späteren Endvertrages ein pactum de contrahendo annimmt, ist Art. 9 des Friedensvertrages der Alliierten mitJapan vom 8. 09.1951 (UNTS, Vol.136, S. 45ff. (56)): "Japan will enter promptly into negotiations with the Allied Powers so desiring for the conclusion of bilateral and multilateral agreements providing for the regulation or limitation of fishing and the conservation and development of fisheries on the high seas." 206 Beyerlin in Bernhardt, EncycIopedia, Vol. 7, S. 376; Beyerlin, ZaöRV 1976, 407ff.; Marion, RGDIP 1978, 351 ff. 207 Beyerlin in Bernhardt, Encyclopedia, Vol. 7, 376; in diesem Sinne äußert sich auch Berber I, S. 449, der im übrigen auch nur das pactum de contrahendo als eigenständiges Rechtsinstitut anzuerkennen scheint. 208 Beyerlin in Bernhardt, EncycIopedia, Vol. 7, S. 376. 209 So im Urteil des Schiedsgerichtshofes für das Abkommen über deutsche Auslandsschulden vom 26. 01. 1972 betreffend griechische Entschädigungsforderungen gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Neutralitätsverletzung im ersten Weltkrieg, AVR 16 (1973-1975), 339 (344) im Erwägungsgrund 62.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
Vertrag, der lediglich auf ein bloßes Verhandeln gerichtet ist, zumal die Unzumutbarkeit ein Ausnahmefall sein dürfte, der sich erst im Einzelfall später herausstellt. Stellen die Klauseln über das Verständigungsverfahren in den deutschen Doppelbesteuerungsabkommen nun ein pactum de contrahendo oder ein pactum de negotiando dar? In Art. 25 11 OECD-MA heißt es, die zuständige Behörde werde sich - falls sie die Einwendung für begründet halte - und selbst nicht in der Lage sei, eine befriedigende Lösung herbeizuführen - bemühen, den Fall so zu regeln, daß eine abkommenswidrige Besteuerung vermieden werde. Das Musterabkommen legt damit lediglich fest, daß die Behörde versuchen soll, die abkommenswidrige Besteuerung zu vermeiden. Keineswegs wird ein Erfolg, nämlich das Erreichen einer Einigung über die Beseitigung der abkommenswidrigen Besteuerung zur Pflicht gemacht. Schon der Wortlaut der Vorschrift legt damit das Ergebnis nahe, daß trotz Verhandlungen der beteiligten Behörden die abkommenswidrige Doppelbesteuerung bestehenbleiben kann, wenn eine Verständigung der Behörden fehlschlägt. Bestätigt wird dieses Ergebnis auch durch den Kommentar zum MA 1977, in dem es heißt, Art. 2511 OECD-MA verpflichte zweifellos zum Verhandeln; was aber die Erzielung einer Verständigung betreffe, so seien die zuständigen Behörden lediglich verpflichtet, sich nach Kräften zu bemühen; sie seien aber nicht verpflichtet, ein Ergebnis zu erzielen. 210 Legen damit die den Musterabkommen entsprechenden Doppelbesteuerungsabkommen nur eine Pflicht zum Verhandeln fest, nicht aber eine Pflicht zur Erzielung einer Einigung, so handelt es sich nach der oben vorgenommenen Begriffsabgrenzung um pacta de negotiando. Eine bemerkenswerte Ausnahme innerhalb der Gruppe der Abkommen, die nach dem OECD-MA 1977 abgeschlossen worden sind, stellt das durch die Vorstellungen der Grupo Andino beeinflußte D BA Ecuador dar. Nach Art 25 11 dieses Abkommens hat die zuständige Behörde den Fall im Einvernehmen mit der zuständigen Behörde des anderen Vertragsstaates so zu regeln, daß eine dem Abkommen nicht entsprechende Besteuerung vermieden wird. Aus dieser Formulierung ist zu entnehmen, daß die Vertragsparteien den Finanzbehörden offenbar eine weitergehende Verpflichtung auferlegen wollten, als dies nach den Modellen der Fall ist. Die Vorschrift verpflichtet die beteiligten Behörden, auf jeden Fall eine Einigung darüber zu erzielen, wie eine nicht abkommensgemäße Besteuerung zu vermeiden ist. Anders als in den OECD-Modellen vorgesehen, kann also das Ergebnis des Verständigungsverfahrens im Rahmen des DBA Ecuador nicht sein, daß eine abkommenswidrige Besteuerung bestehenbleibt. Es besteht damit eine Einigungspflicht. Die Vorschrift beinhaltet mithin ein pactum 210 Komm. zu Art. 25 OECD-MA 1977, Rz. 25, wiedergegeben bei Korn/Debatin, Anhang A, S. 191 a. Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, daß der Kommentar weiter ausführt, die Vertragsstaaten könnten sich aber auf eine weitergehende Verpflichtung einigen, wonach das Verständigungsverfahren und die Erörterungen in der gemischten Kommission zu einer Beilegung des Streitfalles führen müßten.
H. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
167
de contrahendo. Soweit ersichtlich handelt es sich beim D BA Ecuador allerding~ um das einzige Abkommen dieser Gruppe, das eine solche Abweichung beeinhaltet. Ähnlich wie bei den DBA der OE CD-Gruppe im allgemeinen ist das Ergebnis beim DBA Italien. Dort heißt es, die zuständige Behörde könne sich verständigen, um in billiger Weise eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. 2Il Diese Formulierung, die wie eine bloße Ermächtigung zur Verständigung anmutet, beinhaltet ebenfalls keine auf den Abschluß eines Vertrages gerichtete Verpflichtung; auch hier liegt ein pactum de negotiando vor. Nicht wesentlich anders heißt es bei den DBA der kontinental-europäischen Abkommensgruppe, die zuständige Finanzbehörde solle versuchen, sich zu verständigen. 212 Auch hier steht im Mittelpunkt lediglich eine Verpflichtung zur Führung von Verhandlungen - es handelt sich um pacta de negotiando. Nach den DBA der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe wird die zuständige Behörde anstreben, sich zu verständigen. 213 Wie in den anderen Fällen läßt sich diesen Klauseln keine hinreichend deutliche Bindung zum Abschluß einer Verständigung entnehmen, auch hier handelt es sich um pacta de negotiando. Was bedeutet die Einordnung der Verständigungsklauseln sämtlicher Vertragstypen als pactum de negotiando nun im einzelnen? In erster Linie sind die Parteien verpflichtet, darüber zu verhandeln, wie die abkommenswidrige Besteuerung (bzw. bei den anderen Abkommenstypen die Doppelbesteuerung oder die abkommenswidrige Doppelbesteuerung) beseitigt werden kann. Oben wurde bereits dargestellt, daß beide Parteien dabei den Abschluß eines Vertrages im Auge haben müssen, woraus sich für sie bestimmte aus Treu und Glauben folgende Verhaltenspflichten ergeben. 214 Während dieser Verhandlungen ist die Inanspruchnahme eines anderen Streiterledigungsmittels ausgeschlossen. Eine Reihe von deutschen Doppelbesteuerungsabkommen treffen außerdem Aussagen darüber, in welcher Form die Verhandlungen geführt werden. Ähnlich wie dies Art. 25 IV 2 OECD-MA tut, sehen einige DBA vor, daß - falls ein mündlicher Meinungsaustausch für die Herbeiführung einer Einigung zweckmäßig ist - ein solcher Meinungsaustausch in einer Kommission durchgeführt Art. 15 DBA Italien So Art. 21 H DBA Norwegen, gleichlautend oder ähnlich: Art. 21 II DBA Dänemark, Art. 22 II DBA Luxemburg, Art. 22 II DBA Niederlande, Art. 19 II DBA Österreich, Art. 23 II DBA Schweden; vgl. auch Art. 25 II DBA Frankreich:" ... kann sich ... verständigen." 213 So Art. 17 I 2 DBA USA. Gleichlautend oder ähnlich: Art. XX I 2 DBA Ägypten, Art. XX I 2 DBA Griechenland, Art. XVII S. 2 DBA Indien, Art. XXIV I S. 2 DBA Irland, Art. 21 I 2 DBA Israel, Art. 17 I 2 DBA Pakistan. 214 Der IGH faßte dies im Festlandsockelfall folgendermaßen zusammen: "The parties 211
212
are under an obligation to act in such a way ... that equitable principles are applied."; LC.J.Reports 1969, 47.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
werden kann, die aus Vertretern der zuständigen Behörden der Vertragsstaaten besteht. 215 Diese Regelung ergänzt die übrigen Verfahrensbestimmungen, die davon ausgehen, daß die Verständigung zwischen den beteiligten Steuerbehörden schriftlich erfolgen soll. 216 Nach Art. 25 IV OECD-MA liegt es in der Hand der Vertragsparteien zu bestimmen, wieviel Mitglieder die Kommission haben soll und nach welcher Verfahrensordnung die Kommission ihre Entscheidungen treffen soll. Aus dem Zusammenhang und der Stellung von Art. 25 IV OECD-MA lassen sich weitere Aufschlüsse über die Qualität der von der Kommission zu leistenden Arbeit gewinnen. Dabei wird erkennbar, daß der von Art. 25 IV OECD-MA vorgesehene Meinungsaustausch dazu dienen soll, eine Einigung bei den Verfahren nach den Art. 25 I-lU OECD-MA zu erzielen. Ein solcher Meinungsaustausch im Rahmen einer Kommission kann daher nicht nur beim Verständigungsverfahren im engeren Sinne, sondern insbesondere auch beim abstrakten und konkreten Konsultationsverfahren sinnvoll sein. Die Kommissionen können deshalb sowohl in Einzelfällen tätig werden als auch zur Erzielung einer Einigung in solchen Fällen, die über den Einzelfall hinausgehen. Darüber hinaus können die Kommissionen in den Fällen des Art. 251II 2 OECD-MA 1977 auch zur Fortentwicklung der Abkommen in den Fällen beizutragen, die im Abkommen selbst nicht geregelt sind. Bei den Kommissionen, die die gesamten DBA zum Meinungsaustausch vorsehen, handelt es sich um sogenannte gemischte Kommissionen. 217 Die Behandlung internationaler Fragen durch gemischte Kommissionen ist die gebräuchlichste Organisationsform institutionalisierter Zusammenarbeit. 218 Rechtsgrundlage für die Errichtung einer internationalen gemischten Kommission ist grundsätzlich ein völkerrechtlicher Vertrag. Da die gemischte Kommission auf der Rechtsgrundlage der Doppelbesteuerungsabkommen errichtet wird, leitet sie auch ihre Befugnisse hieraus ab und ist als Gemeinschaftsorgan beider Staaten anzusehen. Gemischte Kommissionen kommen in der Staatenpraxis in vielerlei Form vor: Die Kommissionsmitglieder können unabhängig oder Weisungen ihrer Regierungen unterworfen sein. Sie können einstimmige Entscheidungen treffen oder dem Mehrheitsprinzip verpflichtet sein. Sie können ferner ständige Institutionen sein oder ad hoc zur Beilegung eines Streitfalles im Einzelfall gebildet werden. 219 215 Es sind dies: Art. 25 IV DBA Frankreich; Art. 25 IV DBA Island; Art. 25 IV DBA Kenia; Art. 24 IV DBA Neuseeland; Art. 26 IV DBA Portugal; Art. 26 IV DBA Schweiz; Art. 25 IV DBA Spanien; Art. 22 III DBA Südafrika; Art. 25 IV DBA Tunesien; Art. 25 IV DBA Ungarn. 216 Der Kommentar zu Art. 25, Rz. 37, sieht ausdrücklich vor, daß das Verfahren schriftlich abgewickelt wird. 217 Zum Begriff: v. Mangoldt in Bernhardt, Encyclopedia, Vol. 1, 149ff.; Hallier in Strupp / Schlochauer, Bd. I, S. 641 ff. 218 Hallier in Strupp / Schlochauer, Bd. I, S. 641.
11. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
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Gemischte Kommissionen können darüber hinaus fakultativ auch ein unabhängiges Element enthalten, etwa ein Mitglied eines dritten Staates oder einer internationalen Organisation. Gemischte Kommissionen stellen ursprünglich die erste Form kollegialer Schiedsgerichte dar. 220 Je nach ihrer Struktur können sie Organe der Schiedsgerichtsbarkeit, Schlichtungs- und Vermitdungsorgane oder Verwaltungs organe sein oder sonstige Funktionen erfüllen. Sie können also zur Erfüllung so verschiedener Aufgaben geschaffen werden, daß sich über den Umfang ihrer Befugnisse keine allgemeine Aussage treffen läßt. 221 Für die Untersuchung der Frage, ob die gemischten Kommissionen im Bereich der DBA nun den diplomatischen Streiterledigungsmitteln oder der Schiedsgerichtsbarkeit zuzuordnen sind, kommt es nach der oben getroffenen Unterscheidung darauf an, ob die Parteien Herren des Streites bleiben, oder ob die autoritative Entscheidung eines von den Streitparteien verschiedenen Willens maßgeblich ist. 222 . Die gemischten Kommissionen, deren Bildung die DBA ermöglichen, sind mit der gleichen Anzahl von Regierungsvertretern besetzt, die zudem weisungsgebunden sind. Die Hinzuziehung eines neutralen Elements ist nicht vorgesehen. Der Entscheidungsprozeß innerhalb der Kommissionen ist nicht formalisiert; die Entscheidung erfolgt durch Einigung über die zu behandelnden Sachfragen. Darüber hinaus erwächst eine Entscheidung der gemischten Kommissionen auch nicht in Rechtskraft. Bei den gemischten Kommissionen im Bereich der DBA handelt es sich mithin trotz ihrer Form als Kollegialorgane um diplomatische Streiterledigungsmittel. 223 bb) Billigkeit als Verfahrensziel beim Verständigungsverfahren Schon in den ersten deutschen DBA finden sich Klauseln, die es nahelegen, daß die Erreichung von Billigkeit beim Verständigungsverfahren im engeren Sinne das Verfahrensziel ist. So heißt es in Art. 15 DBA Italien, die Finanzbehörden der Vertragsstaaten könnten sich verständigen, um in billiger Weise eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. 224 Von den übrigen Abkommenstypen enthalten nur die DBA der kontinental-europäischen Abkommensgruppe eine ähnliche Formulierung: Sie sehen ein Verständigungsverfahren vor zur Beseitigung von Härten aufgrund einer Doppelbesteuerung in Fällen, die in den v. Mangoldt in Bernhardt, Encyc1opedia, Vol. 1, S. 150. Hallier in Strupp / Schlochauer, Bd. I, S. 642; Mülhausen, S. 116. 221 Hallier in Strupp / Schlochauer, Bd. I, S. 642; v. Mangoldt in Bernhardt, Encyc1opedia, Vol. 1, S. 150; Mülhausen, S. 118. 222 Berber III, S. 44; Lehner, S. 63f.; Mülhausen, S. 84; vgl. auch Reich, S. 34. 223 So zutreffend auch Mülhausen, S. 118. 224 Dorn, der deutsche Verhandlungsführer, bemerkt hierzu (StuW 1926, 115):"In dieser Bestimmung dürfte der Keim zu einer internationalen Rechtsentwicklung liegen, einer Entwicklung, die von der Billigkeitsinstanz der zusammenwirkenden Verwaltungsstellen zu einer Rechtsinstanz fohrt." 219
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
Abkommen selbst nicht geregelt sind. Mülhausen ist zuzustimmen, wenn er annimmt, mit dieser Formulierung in den kontinental-europäischen DBA sei sachlich das gleiche gemeint wie im DBA Italien. 225 Sowohl bei den DBA der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe als auch bei der Gruppe der OECDMA DBA fehlen entsprechende Klauseln. Aus diesem Grunde fragt es sich bei den übrigen DBA, ob auch hier das Verständigungsverfahren als Billigkeitsverfahren begriffen werden kann, eine Frage, die von einem großen Teil der Literatur bejaht wird. 226 Aufgrund der oben angestellten Überlegungen über die Struktur der Verständigungsklausel, die deren hohe Komplexität gezeigt haben, dürfte es aber wohl unzutreffend sein, das Verständigungsverfahren generell als Billigkeitsverfahren zu charakterisieren. 227 Fraglich kann daher nur sein, ob es zumindest auch ein Billigkeitsverfahren darstellt. Einen ersten Hinweis in dieser Richtung hat der OECD-Fiskalausschuß in seinem Kommentar zum OECDMA 1977 ausgeführt: "Bei der Suche nach einer Verständigung haben sich die zuständigen Behörden selbstverständlich in erster Linie an die Vorschriften ihres Steuerrechts und des Abkommens zu halten, die beide for sie ebenso verbindlich sind, wie for den Steuerpflichtigen. Macht die strenge Anwendung dieser Vorschriften eine Einigung unmöglich, so ist es sinnvoll, wenn die zuständigen Behörden - wie bei internationalen Schiedsverfahren - subsidiär auch Billigkeitserwägungen berücksichtigen, um dem Steuerpflichtigen zu entsprechen."228
Insgesamt gesehen beruht die Kennzeichnung der Verständigungsverfahren als Billigkeitsverfahren auf einer deutlich erkennbaren Tendenz zur Ablehnung rechtlicher Bindungen und geht mit ihr Hand in Hand. So führt Reich aus, die Vertragsunterhändler beschränkten sich auf die Festlegung genereller Grundsätze und stellten die nähere Ausfertigung dem Ermessen der Verwaltungs behörden der beiden Vertragsstaaten anheim. 229 Auch Lenz ist der Auffassung, das Verständigungsverfahren sei ein außerrechtliches Verfahren. 230 Aufschluß darüber zu gewinnen, ob das Verständigungsverfahren ein Billigkeitsverfahren ist, macht es zunächst erforderlich, Aufschluß über den Begriff der Billigkeit zu gewinnen. 231 In der Völkerrechtswissenschaft wird heute Mülhausen, S. 165. Schmidt, Steuerwarte 1967, 71; PhilIipp, DStZ (A) 1964, 169; Watzkel Pollackl Philipp, S. 20; Rennebauml ZitzlajJ, S. 27; Mersmann, StuW 1966, 338; Mersmann, Ertragsbesteuerung, S. 194; vgl. auch Koch, CDFI 1981,26; dagegen Fischer, StuW 1975, 233 f., der ausführt, das Bemühen um eine Verständigung sei kein "Gnadenerweis mit CDFlair". 227 Dagegen zu Recht auch Mülhausen, S. 165. 228 Rz. 26 zu Art. 25, wiedergegeben bei Korn I Debatin, Anhang A, S. 191 a. 229 Reich, S. 33. 230 Lenz, CDFI, Vol. XLII, S. 317 ohne nähere Begründung. 231 Vgl. hierzu im einzelnen: VerdrosslSimma, § 648f.; Thode in Menzeillpsen, S. 91; Schindler, S. 161f.; Rousseau, S. 400ff.; de Visscher, S. 391 ff.; Dahm, Völkerrecht I, 225 226
H. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
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zwischen drei Formen der Billigkeit unterschieden, nämlich intra legern, praeter legern und contra legern. 232 In ihrer Hauptbedeutung - intra legern - ist die Billigkeit heute Gemeingut aller Privatrechtsordnungen der Kulturstaaten. Es handelt sich in diesem Sinne um eine kraft der Rechtsüberzeugung der Rechtsgenossen in das Recht eingefügte, zur Rechtsnorm erhobene Vorschrift zu dem Zwecke, durch besondere Berücksichtigung konkreter Verhältnisse Härten des Rechts zu mildern. 233 So gesehen dient die Billigkeit dazu, zwischen mehreren denkbaren Auslegungsmöglichkeiten diejenige zu wählen, die im konkreten Streitfall am besten der Lage der Streitparteien und der billigen Abwägung ihrer gegenseitigen Rechte und Pflichten entspricht. 234 Diese Möglichkeit, Rechtshärten zu glätten, ist aber nur insoweit zulässig, wie die Rechtsnorm, die den Obersatz bildet, es gestattet. 235 Bei dieser Form der Billigkeit handelt es sich damit um eine innerrechtliche Billigkeit,236 bei den beiden folgenden um sogenannte außerrechtliche Billigkeit. Kennzeichen der Billigkeit praeter legern ist ihre lückenfüllende Funktion. Eine Entscheidung praeter legern kommt in Betracht, wenn das bestehende Recht Lücken aufweist, also zu einer bestimmten Frage schweigt. Diesem Fall ist der Fall gleich zu achten, in dem die Anwendung des Rechts im konkreten Fall zu einer unerträglichen Belastung einer Partei führen würde oder ein offenbares Mißverhältnis entsteht zu dem der anderen Partei erwachsenen Vorteil. Die dritte Stufe der Billigkeit - und zwar ebenfalls einer außerrechtlichen Billigkeit - ist dann gegeben, wenn das Gericht in keiner Weise an das bestehende Recht gebunden ist, sei es, daß es bestehende Rechte aufheben oder S. 39ff.; Dahm, Völkerrecht II, S. 545ff.; Strupp, S. 97ff.; sowie Janis in Bernhardt, Encyc1opedia, Vol. 7, 74ff. 232 Vgl. vor allem Janis in Bernhardt, Encyc1opedia, Vol. 7, S. 75 und Strupp, S. 97ff. 233 Strupp, S. 99f. 234 So Schindler, S. 161; vgl. ebenso Janis in Bernhardt, Encyc1opedia, Vol. 7, 75; Strupp, S. 100f. 235 Die Tatsache, daß es eine dem Völkerrecht innewohnende Billigkeit gibt, hat der lOH im Festlandsockelfall mit der Bemerkung anerkannt, daß es Völkerrechtsnormen gebe, die selbst die Mitberücksichtigung von Billigkeitsgesichtspunkten erforderten, 1. C.J. -Reports 1969, 46 ff. (47):" ... it is not a question ofapplying equity simply as a matter of
abstract justice, but of applying a rule of law which itself requires the application of equitable principles ... "; vgl. ferner die Fisheries Jurisdiction Cases (1.C.J.-Reports 1974, 33, 202), in
denen sich der lOH ebenfalls mit der völkerrechts-immanenten Billigkeit beschäftigt. 236 Hierzu der lOH im Festlandsockelfall, 1.C.J.-Reports 1969, 48: "What ever the legal
reasoning of a court ofjustice, its decisions must by definition be just, and therefore in that sense equitable. Nevertheless, when mention is made of a court dispensingjustice or declaring the law, what is meant is that the decision finds its objective justification in considerations lying not outside but within the rules, and in this field it is precisely a rule of law that calls for the application of equitable principles."
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
abändern kann (Billigkeit contra legern), sei es, daß es dort Verpflichtungen schaffen kann, wo solche noch nicht bestanden. 237 Irgendwelche völkerrechtlichen Organe, die eine Entscheidung treffen müssen, die sich mangels abweichender Vereinbarungen nach dem Völkerrecht richtet, dürfen aber - wenn keine gegenteilige Übereinstimmung erzielt wurde - ebenso wie bei partiellen Lücken, niemals aber nach außerrechtlicher Billigkeit entscheiden. 238 Die Kompetenz, eine "billige" Entscheidung zu treffen, bedarf also besonderer Ermächtigung insoweit, als sie außerrechtliche Billigkeit betrifft. Umgekehrt bedeutet dies, daß die Gerichte oder andere kompetente Rechtsanwender die Billigkeit - soweit sie Teil des geltenden Rechtes ist - auch dann ihrer Entscheidung zugrunde legen können, wenn sie der entsprechende Vertrag nicht (ausdrücklich) dazu ermächtigt. Die Befugnis, nach geltendem Recht zu entscheiden, schließt eben die Befugnis zur Entscheidung nach Billigkeit ein. 239 Das bedeutet gleichzeitig, daß die rechts-akzessorische Billigkeit, d.h. die Herstellung einer Harmonie zwischen Tatbestand und Rechtsnorm unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse der konkreten Sachlage, sich kraft Völkerrechts bei allen Rechtsentscheidungen von selbst versteht und daher ein besonderer Hinweis auf sie überflüssig ist. 240 Fraglich ist aber, wie eine Klausel in einem Vertrag zu verstehen ist, daß ein Gericht nach der Billigkeit zu entscheiden habe. Ist dann die außerrechtliche oder die innerrechtliche Billigkeit gemeint? Man könnte hier zunächst daran denken, dem Ejjektivitätsprinzip (ut res magis valeat quam pereat) zu folgen und eine außerrechtliche Billigkeit mit der Überlegung annehmen, ein Hinweis auf die innerrechtliche Billigkeit sei als überflüssig auch entbehrlich - somit komme der entsprechenden Klausel keine wirkliche Bedeutung zu. Demgegenüber tendieren die internationalen Schiedsgerichte bei Billigkeitsformeln in internationalen Verträgen dazu, die Grenzen des geltenden Rechts nicht zu überschreiten. 241 Von einem positivistischen Standpunkt aus mag dies mit der Überlegung erklärbar sein, die Parteien eines völkerrechtlichen Vertrages erwarteten unter normalen Umständen, daß internationale Gerichte und Schiedsgerichte internationales Recht anwendeten und nicht es verbesserten, und daß die Richter dementsprechend zurückhaltend sind, die Grenzen des positiven Rechts zu übersteigen, wenn ihnen nicht die Rechtsrnacht, dies zu tun zweifelsfrei übertragen wurde. 242 Dementsprechend ist stets dann von inner237 Vgl. im einzelnen Schindler, S. 162; Strupp, S. 107fT.; zur Unterscheidung zwischen rechtlicher und außerrechtlicher Billigkeit siehe Verdross / Simma, § 658. 238 Vgl. Strupp, S. 105, 107; Janis in Bernhardt, Encyc1opedia, Vol. 7, 76. 239 So zutreffend Dahm, Völkerrecht 11, S. 546. 240 So im Ergebnis auch Strupp, S. 106. 241 Vgl. Dahm, Völkerrecht 11, S. 546 mit zahlreichen Nachweisen bei Fn. 21; ebenso Ralston, S. 36f. 242 Vgl. auch Janis in Bernhardt, Encyclopedia, Vol. 7, 76.
II. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
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rechtlicher Billigkeit auszugehen, wenn nicht zweifelsfrei nach außerrechtlicher Billigkeit entschieden werden darf. 243 Ist damit hinreichend deutlich, was es bedeutet, wenn in einem völkerrechtlichen Vertrag auf Billigkeit verwiesen wird, bzw. unter welchen Voraussetzungen der Richter innerrechtliche oder außerrechtliche Billigkeit zur Grundlage einer Entscheidung machen darf, so bedarf noch der Erörterung, wann es gerechtfertigt ist, ein Verfahren wie das Verständigungsverfahren als Billigkeitsverfahren zu bezeichnen. Die Bezeichnung "Billigkeitsverfahren" läßt zwar deutlich werden, daß Billigkeit geübt wird oder werden soll, aber nicht, welche Form der Billigkeit. Ist es schon dann gerechtfertigt, von Billigkeitsverfahren zu sprechen, wenn nur die akzessorische Billigkeit gemeint ist und angewendet werden soll, oder soll diese Bezeichnung nur bei selbständiger Billigkeit Anwendung finden dürfen? Die Antwort liegt auf der Hand. Da das geltende Recht die Billigkeit einschließt 244 , ist es nur dann gerechtfertigt, das Verständigungsverfahren als Billigkeitsverfahren zu bezeichnen, wenn die so in Bezug genommene Billigkeit als selbständige Kategorie neben das Recht tritt und damit gleichzeitig darüber hinaus weist. Soweit also die Billigkeit lediglich Bestandteil des Rechtes ist und es sich nur darum handelt, zwischen verschiedenen möglichen Auslegungen eines Rechtssatzes diejenige zu wählen, die im konkreten Streitfall am besten der Lage der Streitparteien und der Abwägung ihrer gegenseitigen Rechte und Pflichten entspricht, ist es m. E. nicht gerechtfertigt, das Verständigungsverfahren als Billigkeitsverfahren zu bezeichnen. Diese Bezeichnung verdient es als Charakterisierung vielmehr erst dann, wenn mit Billigkeit die nicht-akzessorische Billigkeit gemeint ist, nämlich die Billigkeit praeter legern und contra legern. Betrachtet man Art. 15 S. 2 DBA Italien, so ergibt sich, daß die Finanzbehörden beider Vertragsstaaten sich verständigen können, um in billiger Weise eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Maßstab für die Antragsberechtigung ist nach Art. 15 S. 1, daß Maßnahmen der Finanzbehörden für den Steuerpflichtigen die Wirkung einer Doppelbesteuerung gehabt haben. Art. 16, 1. Alt. DBA Italien trifft die ergänzende Regelung, daß die beteiligten Finanzbehörden besondere Vereinbarungen zur Beseitigung von Doppelbesteuerungen in Fällen, die in dem Abkommen nicht ausdrücklich geregelt sind, treffen können. Ziff. 17 des Schlußprotokolls zu diesem Abkommen stellt klar, daß Einvernehmen darüber besteht, daß die durch Art. 16 den Finanzbehörden übertragene 243 Strupp, S. 106, ist der Auffassung, daß eine irgendwie geartete Verweisung auf Billigkeit (sofern nicht auf absolute Billigkeit verwiesen wird) identisch sei mit dem Begehr eines Entscheides, der mit dem subjektiven Empfinden des Richters wie der Gerechtigkeit in Einklang stehe. Die so verstandene Billigkeit bedeute also eine, eventuell im Sinne der akzessorischen Billigkeit modifizierte Gerechtigkeit, die ja ebenso streng wie positives Recht sein könne. Diese Billigkeit sei also objektive Gerechtigkeit und subjektives Empfinden des Richters, die zusammenfallen könnten, aber nicht müßten. 244 Vgl. Strupp, S. 99f.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
Befugnis den Zweck hat, die Anwendung der in den Abkommen aufgestellten Grundsätze auf Fälle zu ermöglichen, die etwa in den Abkommen nicht vorgesehen oder nicht geregelt sind, nicht aber den Zweck zu gestatten, daß Grundsätze aufgestellt werden, die von denen, die im Abkommen selbst enthalten sind, differieren. Was das Zusatzprotokoll hier - zumindest für das Konsultationsverfahren - umschreibt, ist nichts anderes als die Billigkeit praeter legern. Da es außerdem nicht als wahrscheinlich erscheint, daß der Finanzverwaltung beim Konsultationsverfahren weitergehende Befugnisse eingeräumt werden sollten, als beim Verständigungsverfahren im engeren Sinne, ist davon auszugehen, daß diese Grundsätze auch für das Verständigungsverfahren gelten sollen. Das Verständigungsverfahren im DBA Italien ist daher auch ein Billigkeitsverfahren. Wie schon erwähnt, wird der Begriff der Billigkeit in den DBA der kontinental-europäischen Abkommensgruppe nicht erwähnt. Diese Doppelbesteuerungsabkommen sehen vor, daß die Finanzbehörden der beteiligten Staaten versuchen sollen, sich zu verständigen, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. 24s In einer ergänzenden Vorschrift heißt es, die Verständigung erfolge u. a. zur Beseitigung von Härten aufgrund einer Doppelbesteuerung in Fällen, die in den Abkommen nicht geregelt seien. 246 Zutreffender Ansicht nach ist mit der Härte-Klausel das gleiche gemeint wie im DBA Italien. 247 Auch hier wird deutlich, daß eine Billigkeitsentscheidungpraeter legern ermöglicht werden soll. Demgegenüber sehen die DBA der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe lediglich vor, daß die zuständigen Behörden im Verständigungsverfahren Schwierigkeiten oder Zweifel beseitigen können, die sich bei Auslegung oder Anwendung des Abkommens ergeben können. 248 Vorschriften, die es ermöglichen, Härten auszugleichen oder nach Billigkeit zu entscheiden, enthalten diese Abkommen nicht. Insbesondere fehlt auch eine Klausel, die es ermöglichen würde, sich darüber zu verständigen, wie die Doppelbesteuerung in den Fällen zu beseitigen ist, die nicht im Abkommen selbst erwähnt sind. Die erforderliche ausdrückliche Ermächtigung zu einer Billigkeitsentscheidung ist damit durch diese DBA nicht eingeräumt. Von Mülhausen wird allerdings argumentiert, die auf der Grundlage der Billigkeitsklausel der Vorkriegsabkommen getroffenen Vereinbarungen seien völkerrechtliche Verträge. Bei der Frage der Vertragsab24S Art. 21 II DBA Norwegen; Art. 21 II DBA Dänemark; Art. 22 II DBA Luxemburg; Art. 22 II DBA Niederlande; Art. 19 II DBA Österreich; Art. 23 II DBA Schweden; vgl. auch Art. 25 II DBA Frankreich. 246 Art. 25 III DBA Norwegen; Art. 25 III DBA Dänemark; Art. 26 III DBA Luxemburg; Art. 25 II DBA Niederlande; Art. 21 II DBA Österreich; Art. 25 II DBA Schweden; Art. 25· III DBA Frankreich enthält demgegenüber keine Härte-Klausel. 247 Mülhausen, S. 165. 248 Art. 17 I 1 DBA USA; Art. 17 I 1 DBA Pakistan; Art. 18 DBA Indien; Art. 20 I 1 DBA Ägypten; Art. 24 I 1 DBA Irland; Art. 21 I 1 DBA Israel; Art. 20 I 1 DBA Griechenland.
H. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
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schlußkompetenz sei daher auf die allgemeinen Grundsätze über die Vertretung eines Staates zurückzugreifen. Durch die Bestimmungen der DBA sei die völkerrechtliche Vertretungsmacht des Bundespräsidenten nach Art. 59 I 1 GG auf den Bundesfinanzminister delegiert worden. Die Kompetenzen des Bundesfinanzminsters zum Billigkeitserlaß bestimmten sich nach § 131 AO (alter Fassung; jetzt §§ 163, 227 AO 1977). Folglich könnten im Rahmen dieser gesetzlichen Ermächtigung auch entsprechende völkerrechtliche Vereinbarungen getroffen werden, wenn das betreffende DBA keine Billigkeitsklausel enthalte. 249 Dem ist folgendes entgegenzuhalten: Wenn die Verständigungsvereinbarungen als völkerrechtliche Verträge qualifiziert werden, so bedarf es zu ihrem Abschluß durch Verwaltungsbehörden einer Kompetenz. Diese Kompetenz kann auch durch ein DBA übertragen werden. Keinesfalls kann aber die innerstaatliche Kompetenz, die in dieser Weise durch ein DBA eingeräumt wird, weiter gehen, als es das DBA zuläßt. Dementsprechend ist es verfehlt, die zwischenstaatliche Vertragsabschlußkompetenz durch eine Vorschrift des nationalen Rechts auf die Fälle zu erstrecken, die im Abkommen selbst nicht geregelt sind. Die Billigkeitsvorschriften der §§ 163,227 AO können daher selbst dann nicht dazu dienen, die in den DBA niedergelegten Befugnisse zu erweitern, wenn sie der Steuerverwaltung ein Recht geben, in ähnlichen, nur das nationale Recht betreffenden Fällen, auch außerrechtliche Billigkeit anzuwenden. Hinzu kommt, daß Mülhausen übersieht, daß eine Befugnis, wie sie die §§ 163, 227 AO den deutschen Steuerbehörden einräumen, nicht in allen anderen nationalen Steuerrechten in dieser Form enthalten ist, was aber Voraussetzung dafür wäre, um in der beschriebenen Weise einen Vertrag darüber zu schließen, wie die Doppelbesteuerung im Wege der Billigkeit zu beseitigen ist. Der BFH hat darüber hinaus festgestellt, daß ein Billigkeitserlaß aus sachlichen Gründen nur in dem Staat erfolgen könne, durch dessen Besteuerung und Steuersystem die Härte verursacht wurde. 250 Nach dieser Rechtsprechung kann es im Falle eines Steuerkonfliktes nie zu einer kongruenten Befugnis beider Vertragsstaaten, einen Billigkeitserlaß vorzunehmen oder dahingehende Vereinbarungen zu treffen kommen. Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, daß die Verständigungsklauseln der DBA der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe keine - auch keine durch das nationale Steuerrecht vermittelte - Befugnis beinhalten, Billigkeitsvereinbarungen zu treffen. Zu untersuchen ist schließlich, ob die DBA der OECD-Gruppe die Möglichkeit zu einer Billigkeitsentscheidung beinhalten. Ziel des Verständigungsverfahrens ist es nach Art. 25 11 1 OECD-MA 1977, den Fall so zu regeln, daß eine abkommenswidrige Besteuerung vermieden wird. Das Verständigungsverfahren dient damit in erster Linie dazu, eine abkommensgerechte Besteuerung zu gewährleisten. Darüber hinaus ist es nach Art. 25 111 2 OECD-MA 1977 24Q
250
Mülhausen, S. 172. BFH BStBI. 1970 H, 392 (394).
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
möglich, auch gemeinsam darüber zu beraten, wie eine Doppelbesteuerung auch in solchen Fällen vermieden werden kann, die in den Abkommen nicht behandelt sind. Hier steht also die Vermeidung der Doppelbesteuerung in den in den Abkommen nicht erwähnten Fällen im Vordergrund. Da das Bestehenbleiben einer Doppelbesteuerung stets eine unbillige Härte darstellt, gestattet das OECD-MA 1977 somit eine Entscheidung nach der Billigkeit (und zwar praeter legem). Auch bei den DBA der OECD-Gruppe ist damit beim Verständigungsverfahren im engeren Sinne eine Billigkeitsentscheidung möglich, wiederum mit der Überlegung, daß beim abstrakten Konsultationsverfahren keine weitergehenden Kompetenzen bestehen können als beim Yerständigungsverfahren im engeren Sinne. Dieser Befund gilt jedoch nur für die D BA, die eine Art. 25 III 2 OECD-MA 1977 entsprechende Vorschrift beinhalten. b) Die Verständigungsvereinbarung als völkerrechtlicher Vertrag
Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß das Verständigungsverfahren ein Mittel zur Beilegung eines internationalen Steuerkonfliktes ist, und zwar im Wege der Verhandlung. Schon im vorangegangenen Abschnitt wurde angedeutet, daß es sich bei dem Ergebnis der zwischenstaatlichen Verhandlungen, nämlich der erzielten Verständigungsvereinbarung, um einen völkerrechtli-chen Vertrag handelt. Ein völkerrechtlicher Vertrag ist eine ausdrückliche oder durch konkludente Handlungen zustandegekommene, vom Völkerrecht bestimmte Willenseinigung zwischen zwei oder mehreren Staaten oder anderen Völkerrechtssubjekten, in denen sich diese zu bestimmten einseitigen oder korrespondierenden, gleichen oder verschiedenen, einmaligen oder wiederholten Leistungen,Unterlassungen oder Duldungen verpflichten. 251 So heißt es in Art. 2 Nr. 1 lit a) WVK: "Im Sinne dieses Übereinkommens bedeutet 'Vertrag' eine in Schriftform geschlossene und vom Völkerrecht bestimmte internationale Übereinkunft zwischen Staaten, gleichviel ob sie in einer oder mehreren zusammengehörigen Urkunden enthalten ist und welche besondere Bezeichnung sie hat."252
Obwohl sich die WVK nur auf schriftliche Übereinkünfte bezieht, schreibt das Völkerrecht keine bestimmte Form für den Abschluß völkerrechtlicher Verträge vor, läßt also auch mündliche Übereinkommen zu. 253 Demgemäß steht 251 Verdross / Simma, § 534; vgl. ebenso McNair, S. 4fT.; Guggenheim/ Marek in Strupp/Schlochauer, Bd. III, S. 528ff.; Bernhardt in Bernhardt, Encyc1opedia, Vol. 7, S. 459ff.; Lagoni in Menzel/lpsen, S. 299. 252 BT-Drs. 10/1004, S.7. 253 Bernhardt in Bernhardt, Encyc1opedia, Vol. 7, S. 460; Guggenheim/ Marek in Strupp / Schlochauer, Bd. III, S. 531; Verdross / Simma, § 683; Müller, Vertrauensschutz, S. 104; vgl. auch Art. 3 WVK, wonach der Umstand, daß das Übereinkommen nicht auf nicht schriftlich geschlossene Übereinkünfte anwendbar sei, die rechtliche Gültigkeit solcher Übereinkünfte nicht berühre.
11. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
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es im Ermessen der beteiligten Völkerrechtssubjekte, welche Form sie wählen wollen. Dabei kommt es am häufigsten vor, daß ein Vertrag in der Form eines gemeinsam unterzeichneten Schriftstückes geschlossen wird. Darüber hinaus gibt es - vor allem im Bereich der Doppelbesteuerung - häufig die Form des Noten- und Briefwechsels. Beim Verfahren zum Abschluß von völkerrechtlichen Verträgen gibt es zwei Abschlußformen: Nämlich das einfache und das zusammengesetzte Verfahren. Charakteristisch für das einfache Verfahren ist, daß es nur aus der Verhandlung und dem Eingehen der völkerrechtlichen Bindung besteht. Die Organe der Vertragsparteien, die die Verhandlungen führen, Text und Inhalt des Vertrages angeben und die völkerrechtliche Verpflichtungserklärung abgeben, sind identisch. 254 In der Staatenpraxis wird das einfache Verfahren dann angewandt, wenn der Vertragsschluß nicht der Zustimmung durch die Legislative bedarf (sog. Exekutivverträge) und der Vertrag auch nicht wichtig genug ist, um ihn feierlich zu ratifizieren. 255 Darüber hinaus kann das einfache Verfahren auch angewandt werden, wenn die notwendige parlamentarische Zustimmung im voraus erteilt wurde. 256 Beim zusammengesetzten Verfahren fallen die Feststellung des Vertragsinhaltes und das Eingehen der völkerrechtlichen Bindung auseinander. An der Festlegung des Vertrags textes auf der einen und der Herbeiführung seiner Verbindlichkeit auf der anderen Seite sind zudem verschiedene Organe der Vertragsparteien beteiligt. Der Vertragsabschluß verläuft dabei folgendermaßen: Der in den Vertragsverhandlungen ausgehandelte Text wird durch die Unterzeichnung amtlich festgestellt. Im anschließenden parlamentarischen Zustimmungsverfahren wird der Vertrag dem Legislativorgan zur Annahme vorgelegt. Bei dessen Zustimmung erfolgt die völkerrechtliche Verpflichtungserklärung (Ratifikation), mit der der Staat zum Ausdruck bringt, völkerrechtlich gebunden zu sein. 257 Nach heute herrschender Meinung besteht für die Staaten keine Ratifikationspflicht, und zwar selbst dann nicht, wenn das Parlament seine Zustimmung bereits erteilt hat. 258 Problematisch ist jedoch, ob ein Vertrag der Ratifikation bedarf, wenn er keine ausdrücklichen Regelungen hierzu enthält. In der älteren Rechtsprechung war ein solches Ratifikationserfordernis anerkannt. 259 254 Lagoni in Menzel( lpsen, S. 304; Guggenheim( Marek in Strupp( Schlochauer, Bd. IlI, S. 534; Verdross (Simma, § 697; Geiger, § 27 III 1, S. 119; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rz. 18t. 255 Lagoni in Menzel (lpsen, S. 304. 256 Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rz. 181 a, 157. 257 Zum zusammengesetzten Verfahren: Lagoni in Menzel (lpsen, S. 304; Guggenheim( Marek in Strupp( Schlochauer, Bd. IlI, S. 534; Verdross) Simma, §§ 698, 700ff.; Geiger, § 27 III 2, S. 119ff.; Seidl-Hohenveldern, Rz. 182ff.; Öhlinger in SeidlHohenveldern, LdR(VR, S. 319. 258 Guggenheim( Marek in Strupp (Schlochauer, Bd. III, S. 534; Verdross (Simma, § 707; vgl. ebenso Jayme, NJW 1979, 2426 bei Anm. 9.
12 Gloria
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
Eine Norm des Völkergewohnheitsrechts mit dem Inhalt, daß Staatsverträge grundsätzlich für ihre völkerrechtliche Wirksamkeit der Ratifikation bedürfen, dürfte sich jedoch heute kaum nachweisen lassen. 260 Insbesondere ergibt sich auch aus Ratifikationsklauseln, die in vielen Verträgen enthalten sind, keine entsprechende Regel des Völkergewohnheitsrechts, da sie auch deshalb in diese Verträge aufgenommen worden sein können, weil das Ratifikationserfordernis ohne sie nicht bestünde. 261 Dementsprechend hat die ILC in ihrem Kommentar zum Entwurf der WVK daraufverzichtet, eine solche Regel völkervertragsrechtlich zu verankern. 262 Es läßt sich also feststellen, daß völkerrechtliche Verträge grundsätzlich keiner Ratifikation bedürfen. Ein Vertrag ohne Ratifikationsklausel wird daher schon mit seiner Unterzeichnung verbindlich, wenn sich die Ratifikationsbedürftigkeit nicht aus einer entsprechenden Klausel des Vertrages oder aus einem anderweitig klar erkennbaren Willen der Vertragsparteien ergibt. 263 Bei den Verständigungsverfahren handelt es sich um eine besondere Form des zwischenstaatlichen Vertrages, die als Verwaltungsabkommen bezeichnet wird. 264- An Versuchen, dieses Rechtsinstitut begrifflich zu erfassen, hat es bisher 259 Vgl. etwa den StIGH im Fall der Internationalen Oderkommission, P.C.I.J. Series A, No. 23, S. 20:" ... les conventions, sauf quelques exceptions particulieres, ne deviennent obligatoires qu'en vertu de leur ratifikation." 260 Guggenheim / M arek in Strupp / Schlochauer, Bd. III, S. 534; Rosenne in Bernhardt, Encyclopedia, Vol. 7, S. 466; vgl. auch Fitzmaurice, BYIL 1934, 122ff., 129:" ... a treaty does not require ratification in the international sense ofthe term unless it says so expressly, or unless an inference to that effect is to be drawn either from the terms of the treaty, the preparatory documents, or the surrounding circumstances "; a. A. Öhlinger in SeidlHohenveldern, LdR/VR, S. 322; Reich, S. 105. 261 Vgl. Fitzmaurice, BYIL 1934, 126 m. w. N. und Guggenheim/ Marek in Strupp / Schlochauer, Bd. III, S. 534. 262 Vgl. Wetzel/ Rauschning, S. 135. So zeigt auch die Untersuchung der Staatenpraxis, daß die Zahl der ratifikationsbedürftigen Staatsverträge immer weiter zurückgegangen ist (Fitzmaurice, BYIL 1934, 127). 263 Vgl auch Art. 14 WVK: Zustimmung, durch einen Vertrag gebunden zu sein, durch Ratifikation, Annahme oder Genehmigung (1) Die Zustimmung eines Staates, durch einen Vertrag gebunden zu sein, wird durch Ratifikation ausgedrückt, a) wenn der Vertrag vorsieht, daß diese Zustimmung durch Ratifikation ausgedrückt wird; b) wenn anderweitig feststeht, daß die Verhandlungsstaaten die Ratifikation einvernehmlich für erforderlich hielten; c) wenn die Vertreter des Staates den Vertrag unter Vorbehalt der Ratifikation unterzeichnet haben oder d) wenn die Absicht des Staates, den Vertrag unter Vorbehalt der Ratifikation zu unterzeichnen, aus der Vollmacht seines Vertreters hervorgeht oder während der Verhandlungen zum Ausdruck gebracht wurde. (2) Die Zustimmung eines Staates, durch einen Vertrag gebunden zu sein, wird durch Annahme oder Genehmigung unter ähnlichen Bedingungen ausgedrückt, wie sie für die Ratifikation gelten.
H. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
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in der Literatur nicht gefehlt. Einigkeit wurde aber nicht erzielt. 265 Ein Teil der Lehre versteht darunter rein formal völkerrechtliche Verträge, die zwischen Exekutivorganen der Staaten abgeschlossen werden und ein Mittel internationaler Verwaltung darstellen. 2OO Unter den Verwaltungsabkommen wird weiter zwischen Regierungsabkommen und Ressortabkommen unterschieden, je nachdem, ob sie von einer Regierung oder von einem Ressortministerium abgeschlossen wurden. Neben dieser ebenfalls formalen Unterscheidung wird eine Unterscheidung nach den in dem jeweiligen Verwaltungsabkommen geregelten Gegenständen vorgenommen. Danach wird unterschieden zwischen Abkommen, die sich auf die Regelung administrativer Angelegenheiten beschränken und keine Verpflichtung zur innerstaatlichen Rechtssetzung begründen (Verwaltungsabkommen) und Verpflichtungen zur Rechtssetzung, die aber den Sachbereich eines Verordnungsrechts nicht überschreiten und als delegierte Rechtssetzung noch zur Kompetenz der Exekutive gehören (normative Verwaltungsabkommen).267 Vertragsschließende Organe bei den Verständigungsvereinbarungen sind nach den Verständigungsklauseln aller Abkommenstypen die beteiligten zuständigen Behörden der Vertragsstaaten, soweit das fragliche DBA - wie dies die OECD-MA tun - einen unmittelbaren Behördenverkehr zuläßt. Soweit das nicht der Fall ist, sind Vertragssubjekte die jeweiligen Finanzministerien. Bei Verständigungsvereinbarungen handelt es sich somit um Ressortabkommen. Die Verständigungsvereinbarung basiert - da sie in Ausführung eines DBA ergeht - auf dem Völkerrecht und ist damit auch ein völkerrechtlicher Vertrag. 268 Bei den Verständigungsvereinbarungen handelt es sich grundsätzlich um unselbständige Verwaltungsabkommen, die dazu dienen sollen, die DBA zu ergänzen, nämlich sie auszuführen oder zu interpretieren, nicht um normative Verwaltungsabkommen. Wie in den vorangegangenen Abschnitten bereits angesprochen wurde, besteht jedoch bei einem Teil der Abkommen die Möglichkeit, auch darüber zu beraten, wie die Doppelbesteuerung in den Fällen zu beseitigen sei, die in den Abkommen nicht geregelt sind, und darüber eine Verständigungsvereinbarung zu treffen. Hier ist nicht Ergänzung, also AusfühSo zutreffend Mülhausen, S. 132; Reich, S. 104. Vgl. hierzu die Darstellung bei Mülhausen, S. 188. 266 Bülck in Strupp I Schlochauer, Bd. III, S. 562; vgl. ferner die rechtstatsächliche Bestandsaufnahme und Kategorisierung in der Abhandlung von Härle, JIR 12, 93ff. Weitere Nachweise und Darstellung des Streitstandes bei Rudolf, Völkerrecht, S. 220; vgl. auch McNair, S. 64f. 267 Härle, JIR 12, 97. Demgegenüber unterscheidet Bülck in Strupp I Schlochauer, Bd. III, S. 562 zwischen unselbständigen Verwaltungsabkommen, die der Ergänzung und Ausführung von bestehenden Verträgen, besonders Normverträgen dienen und selbständigen Verwaltungsabkommen, die zur Umbildung alter und zur Begründung neuer normativer Ordnungen verwendet werden. 268 Zum möglichen Einwand, es handele sich bei der Verständigung um ein "gentleman 's agreement" der beteiligten Beamten, vgl. Wengier, Völkerrecht 11, S. 28 f. und Reich, S. 105. 264
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
rung oder Interpretation des fraglichen Vertrages das Ziel der Verständigungsvereinbarung, sondern - weitergehend - ein normatives Tätigwerden. 269 Inwieweit hier ein Zustimmungsakt des Gesetzgebers erforderlich ist, wird im anschließenden Abschnitt noch zu untersuchen sein. Aus dem Charakter des Verständigungsverfahrens, das in der Regel schriftlich abläuft und nur ausnahmsweise in der Form einer gemischten Kommission, läßt sich entnehmen, daß es im einphasigen Verfahren abgeschlossen werden kann und eine Ratifikation überflüssig ist. Das schwerfällige Ratifikationsverfahren würde die Flexibilität des Verständigungsverfahrens erheblich beeinträchtigen. Charakteristisch für die Verständigungsverfahren als völkerrechtliche Verträge ist ferner, daß die bei ihrem Abschluß beteiligten Beamten keiner schriftlichen Vollmacht bedürfen, wie sie etwa Art. 7 WVK verlangt. Grundsätzlich ist zum Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages eine Legitimation erforderlich. Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Außenminister sind zum endgültigen Abschluß von völkerrechtlichen Verträgen befugt, ohne eine Vollmacht vorlegen zu müssen. Alle anderen Organe benötigen eine besondere Vollmacht, wenn nicht aus den Umständen 4t:s Vertragsschlusses hervorgeht, daß sie ohne eine solche Vollmacht zum Abschluß ermächtigt sind. 270 Solche Umstände ergeben sich hier aus Art. 25 OECD-MA und den dieser Vorschrift entsprechenden Klauseln der anderen DBA. Es ist erkennbar, daß die Verständigungsklauseln den Abschluß der Vereinbarungen den beteiligten Behörden ermöglichen sollen, ohne daß hier noch eine besondere Vollmacht erteilt zu werden braucht. Aus der Vertragsqualität der Verständigungsvereinbarungen ergibt sich, daß die beteiligten Behörden völkerrechtlich an die erzielte Einigung gebunden sind. Die beteiligten Staaten sind dementsprechend verpflichtet, die Verständigungsvereinbarungen durchzuführen, ihnen also innerstaatlich Geltung zu verschaffen. Eine Verletzung dieser Verpflichtung begründet eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Staates. 4. Verständigungsverfabren und innerstaatlicbes Recbt
Während im vorangegangenen Abschnitt das Verhältnis zwischen Verständigungsverfahren und Völkerrecht einer näheren Untersuchung unterzogen wurde, soll im folgenden der Beziehung zwischen dem Verständigungsverfahren und dem innerstaatlichen Recht nachgegangen werden.
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Zu undifTerenziert: Mülhausen, S. 132 sowie Reich, S. 104. Vgl. statt vieler Verdross! Simma, § 686 f.
II. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
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a) Das InkraJtsetzungserJordernis bei der Verständigung
Das auf völkerrechtlicher Ebene abgeschlossene Verständigungsverwaltungsabkommen erlangt mit seinem Inkrafttreten nicht notwendigerweise auch eine Verbindlichkeit im innerstaatlichen Bereich. Für die Erstreckung seiner Verbindlichkeit in den innerstaatlichen Bereich bedarf es eines besonderen Rechtsaktes der Exekutive. 271 Das ergibt sich daraus, daß einem Abkommen, an dem die Legislative nicht beteiligt war, ipso iure die unmittelbare innerstaatliche Geltung fehlt. 272 In der Literatur hat es verschiedentlich Ansätze gegeben, nach denen das Ergebnis eines Verständigungsverfahrens durch eine antizipierte Transformation Bestandteil des deutschen Rechtes werden soll. Obwohl auch nach der Vollzugstheorie eine Vollzugserklärung erforderlich sei, um die innerstaatliche Geltung zu bewirken, seien Auslegungsabkommen zu einem für vollziehbar erklärten Vertrag völkerrechtlich gesehen dem Vertrag gleichwertig und daher bereits von dem Vollzugsbefehl für den Vertrag umfaßt. 273 Zum Teil wird dies auch mit der Behauptung begründet, daß eine Interpretationsvereinbarung nur konkretisiere, was bereits bei Vertragsschluß der von den Parteien gewollte Vertragsinhalt war. Weder nach der Transformations- noch nach der Vollzugstheorie sei eine nachträgliche Vereinbarung vom ursprünglichen Zustimmungsbeschluß des Gesetzgebers gedeckt, die - selbst wenn sie sich als Interpretationsvereinbarung bezeichne - Bestimmungen enthalte, die ihrem Wesen nach keine Interpretation seien, also nicht Beseitigung eines im Vertragstext begründeten Zweifels über den Inhalt des Parteiwillens, sondern Änderung oder Ergänzung des Vertrages. 274 271 Teichner, StuW 1965, 351; Geiger, § 39 III 1, S. 200; Grawert, S. 115. Für das bayerische Landesrecht hat der Bayerische VGH in DVBI. 1964, 642 die Auffassung vertreten, ein Staatsvertrag sei nach bayerischem Recht auch ohne ein formelles Gesetz schon aufgrund formloser Zustimmung des Landtages ein materielles Gesetz mit normativer Wirkung für Dritte. Kritisch hierzu Kalkbrenner, BayVBL. 1965, 109ff., 149 ff.. Für das schweizerische Landesrecht vertritt Reich, S. 109 ff. die Auffassung, durch die Delegation der Kompetenz zum endgültigen Abschluß der Verständigungen von der Bundesversammlung an die Eidgenössische Steuerverwaltung verzichte diese auf die an sich erforderliche Genehmigung. Dies geIte - so Reich - sowohl bei Verständigungsvereinbarungen, die die Auslegung eines DBA beträfen, als auch bei Verständigungen über Fragen, die in den einschlägigen Abkommen nicht behandelt seien, sofern die Verständigung nur dort vereinbart werde, wo die zu regelnde Materie einen engen Zusammenhang mit bereits bestehenden Bestimmungen aufweise. In den DBA würden nämlich die primären Rechtsnormen unter Mitwirkung der Legislative gesetzt, deren Durchführung und Interpretation dann die zuständige Behörde durch Setzung sekundärer Normen besorge. Die Verpflichtungen, welche die sekundären Normen statuierten, seien alle zumindest latent in den DBA enthalten. 272 Vgl. Bernhardt, Abschluß völkerrechtlicher Verträge, S. 162f. Abwegig deshalb Strobl/Zeller, StuW 1978, 246 und Kaligin, Die Wirtschaftsprüfung 1982, 222. 273 Vgl. die Nachweise bei Partsch, S. 116. 274 So Boehmer, S. 94; ebenso Seidl-Hohenveldern, ICLQ 1963, 119; Bolewski, S. 179; Fischer, AWD 1961, 93 ist der Auffassung, die Verständigungsklausel sei eine Art
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
Dagegen ist einzuwenden, daß bei derartigen Vereinbarungen die Absicht, die "richtige" Auslegung zu ermitteln, die Absicht, zu einem Komprorniß über die Streitfrage zu gelangen, und die Absicht, einen Vertrag mit Rücksicht auf Meinungsverschiedenheiten zu modifizieren, oft untrennbar ineinanderlaufen. 275 Hinzu kommt, daß Verwaltungsabkommen nur unter den Voraussetzungen von Art. 59 II 2, 80 GG zulässig sind mit der Konsequenz, daß Inhalt, Zweck und Ausmaß der Auslegungsvereinbarung im Zustimmungsgesetz vorgezeichnet sein müssen. Es ist jedoch kaum ein Auslegungsabkommen denkbar, dessen Inhalt und Ausmaß bei der Erteilung der Ermächtigung schon bestimmt werden könnte. 276 Es ist also daran festzuhalten, daß die Verständigungsvereinbarungen einer Inkraftsetzung bedürfen, um innerstaatliche Geltung zu erlangen. Es fragt sich damit, wie die Inkraftsetzung bei einer Verständigungsvereinbarung erfolgen kann. Da in aller Regel Verständigungsvereinbarungen als Verwaltungsabkommen ohne die Zustimmung eines Legislativorganes zustandekommen, kann die Inkraftsetzung nur mit genuin der Exekutive zustehenden Mitteln erfolgen, also durch Rechtsverordnung oder durch Verwaltungsvorschrift. aa) Die Inkraftsetzung beim Verständigungsverfahren im engeren Sinne Es liegt auf der Hand, daß beim allgemeinen Verständigungsverfahren im engeren Sinne, soweit es die Regelung eines Einzelfalles betrifft, nur eine Umsetzung der Verständigungsvereinbarung durch Verwaltungsanordnung in Betracht kommt. 277 Die solcherart erlassenen Verwaltungsanordnungen binden zwar die im Behördenaufbau untergeordneten Verwaltungsbehörden, nicht aber haben sie dergestalt Außenrechtscharakter, daß eine in Verständigungsvereinbarungen getroffene Regelung auch für die Gerichte verbindlich wäre.
Teichner hat untersucht, unter welchen Voraussetzungen Verständigungsvereinbarungen als Verwaltungsvereinbarungen wirksam in Kraft gesetzt sind. Erforderlich ist nach seiner Meinung eine ausdrückliche Ermächtigung in Form einer Rechtsgrundlage, die er z.B in §§ 19 III und 45 II AO a.F. erblickt. 278 Dem ist entgegenzuhalten, daß die Befugnis zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften Generalklaus~l, die die Vertragspartner in den Stand versetze, mit materiell-rechtlicher Wirkung das Vertragswerk für einzelne Fälle oder auch für Fallgruppen unter Wahrung der Vertragsgrundsätze zu ergänzen, und zwar im Verwaltungswege, d. h. ohne sich den für eine formelle Vertragsergänzung sonst notwendigen völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Formalien unterwerfen zu müssen. 275 So zutreffend Wengier, Völkerrecht I, S. 806 bei Fn. 2. 276 Partsch, S. 116f.; vgl. auch Fischer, StuW 1975,236. 277 Grawert, S. 115 führt aus, daß Verwaltungsabkommen, deren Inhalt dem von Verwaltungsvorschriften gleicht, durch innerdienstliche Anweisung in Kraft gesetzt werden. 278 Teichner, StuW 1965, 355.
II. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
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der Exekutivgewalt inhärent ist. Gesetze, die den Erlaß von Verwaltungsvorschriften regeln, sind deshalb im allgemeinen lediglich Kompetenznormen, nicht aber Ermächtigungsgrundlagen. 279 Nicht zugestimmt werden kann Teichner ferner, soweit er die Mitwirkung des Bundesrates in Form einer Zustimmung für eine Wirksamkeitsvoraussetzung der Verständigungs-Verwaltungsvorschrift hält. 280 Teichner ist der Auffassung, die Inkraftsetzung der Verständigung sei eine Regelung, die deshalb in die Verwaltungsangelegenheiten der Länder eingreife, weil sich die DBA auf die Einkommens- und Vermögenssteuern bezögen, damit auf Steuern, die ganz oder teilweise den Ländern zuflössen (Art. 10511 und 111 GG), und zwar indem sie die (nationale) Steuerfestsetzung der Höhe nach beeinflusse. Für ein wirksames Zustandekommen einer solchen zustimmungsbedürftigen Verwaltungsanordnung sei damit eine Zustimmung des Bundesrates erforderlich. Dem ist jedenfalls für die Verständigung i. e. S. entgegenzuhalten, daß es bei der Umsetzung einer Verständigungsvereinbarung durch Verwaltungsvorschrift am Merkmal der "Allgemeinheit" im Sinne von Art. 108 VII, 8411 und 85 11 GG fehlt. Unter allgemeinen Verwaltungsvorschriften im Sinne dieser Normen sind nur solche Regelungen zu verstehen, die für eine abstrakte Vielheit von Sachverhalten des Verwaltungsgeschehens, ohne auf eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet zu sein, rechtsverbindliche Aussagen treffen. 281 An einer solchen abstrakten Vielheit von Sachverhalten des Verwaltungsgeschehens fehlt es jedoch, wenn lediglich eine Vereinbarung, die ein Verständigungsverfahren i. e. S. betrifft, innerstaatlich in Kraft gesetzt werden soll. Da hier nur ein Steuerpflichtiger und nur ein einziger Sachverhalt betroffen ist, selbst, wenn dieser mehrere Veranlagungszeiträume betrifft, kann schon das Erfordernis der Abstraktheit nicht als gegeben angesehen werden. Darüber hinaus wird für die Auftragsverwaltung der Länder, wo der Bund ebenfalls nach Art. 85 11 GG allgemeine Verwaltungsvorschriften nur mit Zustimmung des Bundesrates erlassen kann, die Ansicht vertreten, daß angesichts des Weisungsrechtes aus Art. 85 111 GG argumentiert werden könne, ein Verwaltungsabkommen des Bundes in diesem Bereich werde durch Weisung des Bundes für die Länder verbindlich gemacht und bedürfe daher nicht der Zustimmung des Bundesrates. 282 Folgt man dieser Argumentation für jene Verständigungsvereinbarungen, die im Wege des Konsultationsverfahrens für eine abstrakte Vielheit von Sachverhalten vereinbart wurden, so läßt sie sich auch auf das Steuerrecht übertragen, da Art. 85 111 über Art. 108111 2 GG dort entsprechend gilt. Teichner fordert darüber hinaus aus Gründen der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit die amtliche Bekanntgabe einer Verwaltungsanordnung, mit 279
280 281 282
Ossenbühl in Erichsen/ Martens, § 7 IV 5 a, S. 94f. Teichner, StuW 1965, 355f. Lerche in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 84 Rz. 96. Haas, AöR 78, 387.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
der eine Verständigung für verbindlich erklärt werde. 283 In diesem Punkte ist Teichner Recht zu geben; Verwaltungsvorschriften bedürfen als Rechtssätze der Veröffentlichung, soweit ihnen Außenwirkung zukommen kann. Erst die Publikation verhilft einem rechtserheblichen Akt dem Betroffenen gegenüber zur Existenz und schafft die Voraussetzungen für eine Bindung. 284 Die Publikation einer Verwaltungsvorschrift ist damit eine Voraussetzung der Normentstehung, auf die nicht verzichtet werden kann. 28s Wenn auch über das Publikationserfordernis als solches im wesentlichen Einigkeit besteht, so ist doch im einzelnen fraglich, in welcher Form diese Publikation zu erfolgen hat. Ossenbühl hat zutreffend dargelegt, daß die Publizität eine Funktion der Normeffektivität ist. Das bedeutet, daß eine Norm nur für den wirksam ist, dem sie auch bekanntgegeben wurde. Ossenbühl schließt daraus, daß eine bloß formlose Bekanntgabe an die Amtswalter je nach der Effektivität der Verwaltungsvorschrift durchaus genügen könne. 286 Das gelte aber dann nicht, wenn aus dem Rechtssicherheitsprinzip die Voraussehbarkeit einer Gesetzesanwendung gefordert werden müsse. Für den bis jetzt untersuchten Fall eines Verständigungsverfahren im engeren Sinne kann nach dem bisher Gesagten nicht von einer Verpflichtung zur Publikation in Gesetz- oder Verordnungsblättern o. ä. ausgegangen werden, da das Verständigungsergebnis nur einen Einzelfall betrifft und damit die Information des zuständigen Amtswalters und ggf. des betroffenen Steuerpflichtigen genügt. Darüber hinaus kommt der Einigung der beteiligten Steuerbehörden beim Verständigungsverfahren auch keine Präjudizwirkung für die Zukunft zu, solange die Frage nicht Gegenstand eines Konsultationsverfahren war, so daß sich auch aus diesem Gesichtspunkt eine Publikationspflicht in Gesetz- oder Verordnungsblättern o. ä. nicht herleiten läßt. 287
Teichner, StuW 1965, 356. Grawert, S. 120; Weber, Verkündung, S. 7f., 25, 38. 285 Ossenbühl, S. 462; Hallier, AöR 85, 405; Vogel, VVDStRL 24, 164; Weber, Verkündung, S. 7f.; BVerfGE 7, 330 (337); 40,237 (253); OVG Berlin, DVBI. 1976,266. Demgegenüber räumt das Bundesverwaltungsgericht den Beteiligten zwar ein Auskunftsrecht ein, soweit es um Ermessensrichtlinien geht, versagt aber z. B. Rechtsanwälten einen Anspruch auf Bekanntgabe oder Auskunft, vgl. BVerwGE 61, 15; 61,40. 286 Ossenbühl, S. 464. 287 Zu weitgehend daher Teichner, StuW 1965,356, der verlangt, daß die Veröffentlichung durch Veröffentlichung in den dazu bestimmten, vom Staat herausgegebenen amtlichen Verkündungsblättem zu geschehen hat. Hierzu rechnet er das BGBI., allenfalls noch den BAnz. Die Veröffentlichung im MinBI. erscheint ihm zweifelhaft, die im BStBl. genügt ihm nicht. Gerade Verständigungsvereinbarungen werden jedoch in der Regel (nur) im BStBl. amtlich veröffentlicht, vgl etwa die Verständigungsvereinbarung zur Anwendung der Grenzgängerregelung beim DBA Österreich, RIW 1987, 166f. 283
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11. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
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bb) Konsultationsklausel und Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen Anders als bei der Verständigung i. e. S., die nur den Einzelfall betrifft, liegt die Angelegenheit bei Vereinbarungen, die im Wege des Konsultationsverfahrens erzielt worden sind. Hier soll eine Einigung über einen Besteuerungskonflikt erzielt werden, die über den Einzelfall hinausgeht und eine ganze Gruppe von Steuerpflichtigen betrifft. In diesen Fällen kommt neben einer Inkraftsetzung durch Verwaltungsvorschrift ebenfalls eine Inkraftsetzung durch Rechtsverordnung in Betracht. Der Erlaß einer solchen Rechtsverordnung bedarf aber nach Art. 59 11 2, 80 I 2 GG einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, in der Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung angegeben sind. Da als Ermächtigungsgrundlage für eine solche Rechtsverordnungskompetenz in erster Linie die Konsultationsklauseln der DBA in Betracht kommen, fragt es sich vor allem, ob eine Verordnungsermächtigung in völkerrechtlichen Verträgen enthalten sein kann. Nach den in den DBA enthaltenen Vorschriften über das Konsultationsverfahren werden sich die zuständigen Behörden des Vertragsstaates bemühen, Schwierigkeiten oder Zweifel, die bei der Auslegung oder Anwendung eines DBA entstehen, im gegenseitigen Einvernehmen zu beseitigen (vgl. Art. 25 1111 OECD-MA). Solche Klauseln in Staatsverträgen, in denen eine Vereinbarung über Ausführungs- oder Ergänzungsabkommen getroffen wird, hält Backsmann für Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen, die durch das Transformationsgesetz vermittelt werden. Er vertritt dabei die Ansicht, über ein formelles Gesetz nach Art. 59 11 GG könne eine Ermächtigung zur Rechtssetzung, die in einem völkerrechtlichen Vertrag enthalten sei, in innerdeutsches Recht transformiert werden. Die transformierte Vorschrift müsse darüber hinaus aber auch noch die Anforderungen des Art. 80 GG erfüllen. 288 In der Tat ist der Bundesregierung verschiedentlich in völkerrechtlichen Verträgen eine Rechtsverordnungsbefugnis übertragen worden, so z. B. durch § 1 des Anhangs zum Zehnten Teil des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstehender Fragen. 289 Selbstverständlich ergibt sich eine Rechtsverordnungsbefugnis für die Bundesregierung innerstaatlich nach dem oben Gesagten nicht schon aus dem völkerrechtlichen Vertrag, sondern erst aus der innerstaatlichen Inkraftsetzung durch die Zustimmung der Legislative, also des Bundestages in der Form eines Bundesgesetzes. 290 Backsmann, DVB!. 1956, 749; in diesem Sinne wohl auch Haas, AöR 78, 384f. BGB!. 1955 II, 405, 454. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:"Die Bundesregierung kann Vorschriften zur Durchführung dieses Anhanges erlassen." 290 So auch Baade, S. 94. Baade, ebenda, bezeichnet die zitierte Vorschrift als "gänzlich vertragsfremde Bestimmung", denn diese Befugnis könne der Bundesregierung nicht von den Vertragspartnern der Bundesrepublik Deutschland, sondern nur unter den in Art. 80 GG aufgestellten Voraussetzungen durch Bundesgesetz verliehen werden. 288
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
Mülhausen hat die Auffassung vertreten, die Konsultationsklauseln der DBA entsprächen insoweit nicht den Erfordernissen von Art. 80 I 1 GG, als diese keine Bestimmung über den Ermächtigungsadressaten treffen, wie dies die genannte Vorschrift verlange. 291 Hinzu komme, daß in dem ermächtigenden Gesetz bestimmt sein müsse, daß es sich bei den zu erlassenden Vorschriften um Rechtsverordnungen handele. 292 Besonders hinsichtlich des ersten Erfordernisses ist Mülhausen zu widersprechen: Die Klauseln über das Konsultationsverfahren nehmen als präsumtiven Ermächtigungsadressaten zwar die "zuständige Behörde" in Bezug. Bis auf zwei DBA enthalten aber alle Abkommen darüber hinaus eine Definitionsvorschrift, in der erläutert ist, welche Behörde das ist. 293 In den deutschen DBA, die eine solche Vorschrift enthalten, ist durchweg der BundesJinanzminister die "zuständige Behörde".
Das überzeugendste Argument gegen die Zulässigkeit der Übertragung einer Kompetenz zum Erlaß von Rechtsverordnungen in völkerrechtlichen Verträgen lautet, dies widerspreche dem Sinn der verfassungsmäßigen Regelung. Die ratio legis der Vorschrift geht nämlich dahin, die Macht der Exekutive im Bereich der Rechtssetzung zu begrenzen und die Verantwortung der Legislative für den Inhalt der Rechtsverordnung zu stärken. Art. 80 GG soll den Gesetzgeber zwingen, die für die Ordnung eines Lebensbereiches entscheidenden Vorschriften selbst zu setzen und, soweit Einzelregelungen der Exekutive überlassen bleiben, sie nach Tendenz und Ausmaß so weit selbst zu bestimmen, daß der mögliche Inhalt der zu erlassenden Verordnung voraussehbar ist. 294 Nach Sinn und Zweck des Art. 80 GG kann ein Rechtsverordnungsbefugnisse übertragendes Gesetz nur ein nach eingehender Diskussion und Wägung vom Bundestag verabschiedetes Bundesgesetz sein. Die in der Geschäftsordnung des Bundestages getroffene Regelung, wonach zu Verträgen mit auswärtigen Staaten nach Art. 59 11 GG Änderungsanträge nicht zulässig sind 295 , verhindert eine 291 Mülhausen, S. 207. Auch das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht hat in einer Entscheidung in EFG 71, 578 (580) unter Berufung auf Tittel, S. 120f., und Teichner, StuW 1965,343 ff., die Verbindlichkeit einer Verständigungsvereinbarung für ein Gericht mit der Begründung verneint, eine Ermächtigung der Finanzbehörden, außerhalb des förmlichen Oesetzgebungsverfahrens rechtsverbindliche Normen zu setzen, sei allenfalls unter den in Art. 80 GG genannten Voraussetzungen für den Erlaß von Rechtsverordnungen denkbar. Die Ermächtigung in Art. 25 11 3 DBA Dänemark entspreche jedoch nicht diesen Voraussetzungen. 292 Mülhausen, S. 207; Maunz in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 80 Rz. 27, hält in der Zweitkommentierung von 1978 nunmehr eine Ermächtigungsnorm mit folgendem Inhalt für rechtmäßig:" Die Bundesregierung wird ermächtigt, zur Ausführung dieses Gesetzes (Zweck) das Verfahren der Enteignung (Inhalt) näher zu regeln." An dem (mehr formalen) Erfordernis, in dem ermächtigenden Gesetz zu bestimmen, daß die zu erlassenden Vorschriften Rechtsverordnungen seien, will er also offensichtlich nicht festhalten. 293 Die beiden Ausnahmen sind das DBA Finnland 1935 (jetzt ersetzt durch das DBA Finnland 1979) und das DBA Italien. 294 BVerfGE 7, 282 (301); vgl. ferner BVerfGE 1, 372 (395); 2, 307 (334f.); 4, 7 (21); 5, 71 (76f.); 10, 251 (258); 18, 52 (61); 20, 257 (269); 38, 61 (83).
II. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
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Einzelberatung und die Möglichkeit einer Streichung oder Einschränkung der in diesen Verträgen enthaltenen Ermächtigungen zur Normsetzung durch Regierungsverordnungen und höhlt somit die vom Grundgesetz gewollte Herrschaft des Bundestages über diese Ermächtigungen weitgehend aus. 296 Letztlich bestimmt damit bei einer Rechtsverordnungs-Ermächtigung, die in einem völkerrechtlichen Vertrag enthalten ist, nicht der Ermächtigende, sondern der Ermächtigungs-Adressat selbst die Reichweite der Ermächtigung. Dies stehtzumal im Hinblick auf die eingeschränkten legislativen Möglichkeiten, die Ermächtigungsgrundlage einer parlamentarischen Kontrolle zu unterwerfen im Widerspruch zu Art. 80 GG. Die Möglichkeit einer Ermächtigung der Exekutive zum Erlaß von Rechtsverordnungen in völkerrechtlichen Verträgen besteht damit nach deutschem Verfassungsrecht nicht, so daß die innerstaatliche Inkraftsetzung eines Verwaltungsabkommens durch Rechtsverordnung ausscheidet.297 Auch bei Konsultationsvereinbarungen kommt also nur eine innerstaatliche Inkraftsetzung durch Verwaltungsvorschriften in Betracht. 298 Dabei gelten wiederum die oben erwähnten Wirksamkeitsvoraussetzungen, wobei insbesondere das Publizitätserfordernis nicht in der Weise erfüllt werden kann, wie dies bei Verständigungsregelungen für den Einzelfall möglich ist. Erforderlich bleibt hier die Veröffentlichung in einem amtlichen Veröffentlichungsorgan. 299 295 § 82 II GOBT in der Fassung der Bekanntmachung vom 02. Juli 1980 (BGBI. 1980 I, 1237; geändert durch Bekanntmachung vom 17. 03. 1982, BGBI. 1982 I, 400). 296 Baade, S. 95. Hinzu kommt folgendes: Während normalerweise über einzelne, mehrere oder alle Teile eines Gesetzentwurfes gemeinsam abgestimmt werden kann (§ 81 IV 1 GOBT), kann über Verträge mit auswärtigen Staaten nach Art. 59 II GG nur im ganzen abgestimmt werden (§ 81 IV 2 GOBT). Vgl. hierzu auch Härle, JIR 12, 112. 297 Darüber hinaus werden Bedenken dagegen geltend gemacht, daß eine eventuelle Rechtsverordnungsbefugnis in den Konsultationsvorschriften der DBA den inhaltlichen Anforderungen, die Art. 80 GG aufstellt, hinsichtlich einer ausreichenden Bestimmtheit in Bezug auf Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung genügt; vgl. zu dieser Frage, der hier nicht weiter nachgegangen werden kann, im einzelnen: Mülhausen, S. 204ff.; Avery Jones, BTR 1979, 349, der im übrigen Art. 41I a) des OECD-MA für eine ausreichend konkrete Ermächtigung hält und Teichner, StuW 1965, 352 und Fn. 35. 298 In welcher Weise die Praxis hierbei verfahrt, zeigt die Verständigungsvereinbarung zum DBA Schweiz, betreffend Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Hier wurde die entsprechende Verständigungsvereinbarung, die auf der Grundlage des Art. 26 III DBA Schweiz ergangen war, zunächst durch Schreiben des BMF vom 18.12.1985 - IV C 6S. 1301 Schz - 138/85 bekanntgemacht (wiedergegeben in RIW 1986, 154). Das Finanzministerium Nordrhein-Westfalen publizierte dieselbe Verständigungsvereinbarung wortgleich mit Erlaß vom 02.01. 1986 - S. 1301 - Schweiz 86 - V B5 für seinen Geschäftsbereich "im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen" (wiedergegeben in RIW 1986, 324). 299 Demgegenüber besteht bei der Finanzverwaltung eine sehr geringe Bereitschaft, Verständigungsvereinbarungen zu veröffentlichen. Ein Beispiel hierfür ist das Verständigungsprotokoll zum Protokoll vom 17. September 1965 zum DBA USA, das bishersoweit erkennbar - nicht amtlich v..:rörrentIicht worden ist. Kritik hieran bei Becker, AWD 1966, 229 und Meilicke, AWD 1966, 232. Zur rechtlichen Beurteilung des Verständigungsmemorandums insgesamt: Meilicke, AWD 1966,231 f.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
b) Die Bindungswirkung von Verständigungsvereinbarungen
Nach den bisherigen Untersuchungen steht fest, daß die Inkraftsetzung von Verständigungsvereinbarungen nur durch Verwaltungsvorschrift erfolgen kann. Deshalb fragt es sich, wieweit die innerstaatliche Bindungswirkung solcher Verwaltungsvorschriften reicht. Die Frage nach der Rechtsquelleneigenschaft von Verwaltungsvorschriften ist lange Zeit eines der zentralen Probleme der Verwaltungsrechtswissenschaft gewesen. 3OO Dabei hat sich gezeigt, daß die Frage nach der Rechtsquelleneigenschaft oft mit der Frage vom materiellen Gesetzescharakter solcher Verwaltungsvorschriften überlagert und vermengt wurde. 301 Heute hat sich die Erkenntnis, daß Verwaltungsvorschriften Rechtscharakter aufweisen, allgemein durchgesetzt. 302 Das eigentlich zentrale Problem - das der Bindungswirkung der Verwaltungsvorschriften - dem im folgenden weiter nachgegangen werden soll, bleibt mit dieser Kategorisierung allerdings ungelöst. Verwaltungsvorschriften sind an nachgeordnete Behörden oder Amtswalter gerichtet und regeln deren Verhalten. Innerhalb dieses Verwaltungsinnenbereichs besteht die Bindungswirkung der Verwaltungsvorschriften im Rahmen der Organisations- und Weisungs befugnis der erlassenden Behörde. Die Verbindlichkeit von Verwaltungsvorschriften im Verwaltungsinnenbereich gehört zum gefestigten Bestand verwaltungsrechtlicher Dogmatik und ist niemals ernstlich bezweifelt worden. Besondere Bedeutung können die Verwaltungsvorschriften aber auch im Außenbereich erhalten. Faktische Außenwirkung entfalten solche Rechtssätze jedenfalls dadurch, daß sie bestimmen, in welcher Form Behörden ihre Verwaltungsaufgaben im Außenbereich gegenüber den Bürgern wahrnehmen. 303 Eine Aussage über die Geltungskraft von Verwaltungsvorschriften ist nur im Rahmen einer Betrachtung möglich, die nach Vorschriftentypen differenziert. 3Q4. Diese Differenzierung erfolgt dabei herkömmlicherweise im Rahmen der klassischen Unterscheidung zwischen ermessensbindenden und norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften sowie Beurteilungsrichtlinien. 305 Die ErmesVgl. die Darstellung bei Ossenbühl, S. 154ff. Vgl. Böckenförde / Grawert, AöR 95, 18f.; Ossenbühlin Erichsen/ Martens, § 7 IV 3, S. 88; Ossenbühl, S. 160ff. J02 Vgl. die Darstellung bei Ossenbühl, S. 153ff., insb. S.163 m. w. N.; Maurer, § 24 Rz. 2; Böckenförde/Grawert, AöR 95, 18f.; Vogel, VVDStRL 24,163. JOJ Kritik an der Gegenüberstellung von Außen- und Innenbereich übt Ossenbühl in Erichsen/ Martens, § 7 IV 4 b), S. 89 m. w. N. 304 Zur Typologie der Verwaltungsvorschriften vgl. Ossenbühl, S. 250ff. JOS Vgl. hierzu Ossenbühl in Erichsen/Martens, § 7 IV 4 d), S. 90f.; Ossenbühl in JOO
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II. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
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sensrichtlinien betreffen jenen Bereich der Verwaltung, in dem die Verwaltung bei einer postulierten Entscheidungsfreiheit auf der Rechtsfolgeseite einer Norm eigene Maßstäbe setzen kann und einen Entscheidungsspielraum hat, der nur im beschränkten Umfang einer richterlichen Kontrolle unterliegt. Die Außenwirkung solcher Vorschriften wird über den Gleichheitssatz des Art. 3 I GG hergestellt. 306 Auf die hiermit zusammenhängenden Fragen soll an dieser Stelle jedoch nicht weiter eingegangen werden, da es sich bei den Verwaltungsvorschriften, durch die Verständigungsvereinbarungen umgesetzt werden, nicht um Ermessensrichtlinien handeln kann; die Verständigungsvereinbarungen sinddas ist ihr Charakteristikum - auf der Rechtsfolgeseite bindend. Ebenso kann offenbleiben, wie Beurteilungsrichtlinien zu würdigen sind; sie spielen im materiellen Steuerrecht keine Rolle. 307 Mülhausen hat in seiner Untersuchung die These vertreten, bei den Verwaltungsvorschriften, mit denen Verständigungsvereinbarungen innerstaatlich in Kraft gesetzt würden, handele es sich um norminterpretierende Verwaltungsvorschriften. 308 Da eine administrative Selbstbindung nur im Bereich eigener Entscheidungsfreiheit der Verwaltung möglich ist, wird bei norrninterpretierenden Verwaltungsakten im allgemeinen ein eigenfunktioneller Bereich der Verwaltung nicht anerkannt. 309 Dementsprechend haben norminterpretierende Verwaltungsvorschriften für den Richter keinen größeren "Beweis oder Bindungswert" als Stellungnahmen des Schrifttums. 31o Konsequenterweise verneint Mülhausen die Verbindlichkeit sogenannter norrninterpretierender Verständigungsvereinbarungen für Gerichte und Steuerpflichtige. Mülhausen ist jedoch schon in seinem Ausgangspunkt zu widersprechen, bei den hier in Rede stehenden Verwaltungsvorschriften handele es sich um norminterpretierende Verwaltungsvorschriften. Gesetzesauslegung bedeutet Ermittlung des geistigen Gehaltes einer nicht eindeutigen Norm, Klarstellung und Verdeutlichung einer legislativen oder auch in einem völkerrechtlichen Vertrag enthaltenen Aussage. 311 Einen Text "auszulegen" heißt also, sich für Festgabe Bundesverwaltungsgericht, S. 444f.; Maurer, § 24 Rz. 20ff.; auch Mülhausen, S. 179 ff. folgt dieser Differenzierung. 306 Vgl. BVerwGE 34, 278 (280); 36, 313; 36, 323; 44, 1; 44, 136 sowie Ossenbühl in Erichsen/ Martens, § 7 IV 4 d) bb), S. 92. 307 So zutreffend Mülhausen, S. 179. 308 Mülhausen, S. 179. 309 Ossenbühl, S. 544; Ossenbühlin Erichsen/ Martens, § 7 IV 4 d), S. 90; BVerwG NJW 1972, 1483; OVG Münster, NJW 1976, 2360. 310 Aufschlußreich hierzu ist die Rechtslage in der Schweiz, wo die Meinung dahin geht, eine Einigung über Auslegung und Anwendung eines Doppelbesteuerungsabkommens im Verständigungsverfahren sei für die Handhabung des Vertrages durch das auf die staatsrechtliche Beschwerde hin entscheidende Bundesgericht nur als "Material" von Bedeutung, nicht aber innerstaatlich verbindlich (vgl. Verwaltungsentscheide der Bundesbehörden (der Schweiz), Bd. 9 (1935), Nr. 9); vgl.ferner Hackworth, Vol. 4, S. 373ff. 3ll Larenz, Methodenlehre, S. 195ff.; Ossenbühl, S. 283; Schneider, VVDStRL 20,5.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
eine unter mehreren möglichen Deutungen aufgrund von Überlegungen zu entscheiden, die diese als die hier "zutreffende" erscheinen lassen. 312 Die solcherart beschriebene und mit dem Rationalisierungseffekt der normauslegenden Verwaltungsvorschriften zu rechtfertigende Gesetzesinterpretation durch die Verwaltung hat jedoch Grenzen. Verwaltung soll nämlich im Bereich der Gesetzesanwendung Vollziehung eines fremden Willens sein und muß sich deshalb darauf beschränken, diesen fremden Willen zu ermitteln; sie darf diesen Willen insbesondere nicht korrigieren oder unbeachtet lassen. Da für die Verwaltung das Gesetz die Grenze des Dürfens bildet, ist ihr die Rechtsschöpfung praeter legern versagt. Ebenso kann diese Grenze bei Analogien und extensiver Auslegung überschritten sein. 313 Schon oben wurde dargelegt, daß auch das Verständigungsverfahren i. e. S. zum Teil als Billigkeitsverfahren ausgestaltet ist, da es eine Rechtsschöpfung praeter legern ermöglicht. 314 In allen diesen Fällen kann die Umsetzung entsprechender Verständigungsvereinbarungen von vornherein nicht durch bloße norminterpretierende Verwaltungsvorschriften erfolgen, da die Verwaltung hier die Grenzen des gesetzten Rechts überschreitet. Aber auch in den übrigen Fällen, in denen keine Rechtsschöpfung erfolgt, bestehen Zweifel, ob für die Umsetzung der so gewonnenen Verständigungsvereinbarungen von norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften gesprochen werden kann. Denn es handelt sich hierbei um zwischenstaatliche Vereinbarungen über den Inhalt einer Völkerrechtsnorm, nicht um einseitige Auslegung staatlichen Rechts durch eine nationale Verwaltungsbehörde, also um "subsequent agreements" i. S. v. Art. 31 III a) WVK.315 Soweit also Verwaltungsvorschriften lediglich ein Verwaltungsabkommen innerstaatlich in Kraft setzen sollen, ist es gerechtfertigt, sie als Verwaltungsvorschriften eigener Art anzusehen, da sie sich einer Kategorisierung im zuvor erwähnten Sinne entziehen. Erkennt man aber an, daß die im Verständigungsverfahren getroffenen Regelungen strukturell etwas anderes darstellen, als bloße Norminterpretationen, so entfällt das wichtigste Argument der Gegner der Bindungswirkung der Auslegungsvereinbarung, das dahin geht, in der Bundesrepublik sei die Auslegung des geltenden Rechts eine Prärogative der Gerichte, Larenz, Methodenlehre, S. 196. Vgl. Ossenbühl, S. 287. 314 Ausgenommen sind nach den oben dargestellten Überlegungen lediglich die DBA der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe. 315 Auch wenn aus diesem Grunde die Verständigungsvereinbarung als authentische Interpretation anzusehen sein wird (vgl. Wengler, Doppelbesteuerung, S. 188; Teichner, StuW 1965, 349; Salditt, StuW 1972, 23; a. A.: Watzke/ Pollack/ Philipp, S. 19), läßt sich aus dieser begriffiichen Einordnung für die innerstaatliche Verbindlichkeit nichts herleiten, da der moderne Staat für sich das Recht reklamiert, selbst darüber zu befinden, welche von der Völkerrechtsgemeinschaft ausgearbeiteten Normen den seiner Hoheitsgewalt unterworfenen Gebieten von den Rechtsanwendungsorganen zu beachten sind; so zutreffend Partsch, S. 25; Mosler, Praxis, S. 7; Boehmer, S. 2. 312
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11. Doppelbesteuerungsabkommen und Verständigungsverfahren
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die man auch durch völkerrechtliche Vereinbarungen nicht beschränken dürfe. 316 Die Lösung für die Frage nach der innerstaatlichen Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften muß demgemäß auch hier gesucht werden, indem geprüft wird, in welchen übrigen Fällen Verwaltungsvorschriften eine Bindungswirkung zukommt. Über die bisher genannten Fälle der Selbstbindung der Verwaltung hinaus kommt Verwaltungsvorschriften nach der Rechtsprechung vor allem dann eine Außenwirkung zu, wenn sie eine gesetzesgleiche (unmittelbare) Regelungswirkung haben. 317 Verwaltungsvorschriften haben nämlich - sofern sie Gesetzesrecht konkretisieren und perfizieren - kraft ihres Inhaltes und ihrer Funktion unverminderte Gesetzeswirkung und stellen insoweit ein eigengeartetes administratives Ergänzungsrecht dar. Sowohl Bundesverwaltungs- als auch Bundesverfassungsgericht haben eine Bindungskraft solchen administrativen Ergänzungsrechtes in mehreren Entscheidungen bejaht. Das Bundesverwaltungsgericht hat in zwei Entscheidungen Ergänzungsrecht angenommen, in denen durch Verwaltungsvorschriften Zuständigkeitsregelungen begründet wurden. 318 Auch das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1975 eine Verwaltungsvorschrift für verbindlich gehalten und" wie eine Norm des objektiven Rechts angewendet". Ausgangspunkt der Überlegungen des Gerichts war dabei die Feststellung, eine gesetzliche Vorschrift sei bewußt unvollständig und bedürfe der Vervollständigung durch Verwaltungsvorschrift. 319 Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Rechtsprechung später auch auf andere Fälle erweitert, in denen keine bloßen Zuständigkeitsregelungen getroffen wurden. 320 In dieser Entscheidung hatte das Gericht zu prüfen, ob die Durchführung eines Kaufkraftausgleichs durch Verwaltungsvorschrift des Bundesinnenministers zulässig war. Es bejahte dies mit der Überlegung, die Bestimmung des Kaufkraftausgleichs entziehe sich angesichts der ständigen Schwankungen der Währungsparitäten einer Dauerregelung durch Gesetz. Andererseits sei eine Bestimmung durch Rechtsverordnung nicht geboten, da der Kaufkraftausgleich sich im Kern und dem Grunde nach bereits aus dem Gesetz ergebe und kein selbständiger Bestandteil der Auslandsdienstbezüge sei. Demzufolge könne die Gesetzesergänzung hier durch VerwaltungsvorWengIer, Völkerrecht I, S. 806; Tittel, S. 115. Vgl. hierzu Ossenbühl, S. 509fT.; Ossenbühl in Bachof/ Heigl/ Redeker, S. 437; Ossenbühl in Erichsen/ Martens, § 7 IV 4 c), S. 89fT. 318 BVerwG DÖV 1971, 317; DÖV 1972, 129 (130). In der ersten Entscheidung ging es um die Frage, ob die Regelung von Organisation und Zuständigkeits bereichen der Wehrersatzbehörden durch Verwaltungsvorschrift erfolgen kann, eine Frage, die das Gericht unter Bezugnahme auf Ossenbühl, S. 250fT (266, 276f.) bejahte. Im zweiten Fall hatte das Bundesverwaltungsgericht zu prüfen, ob die Bestimmung der Zuständigkeit von Landesbehörden zur Ausführung des Bundesfemstraßengesetzes durch Verwaltungsanordnung möglich ist, was ebenfalls bejaht wurde. 319 BVerfGE 40, 237 (255), wiederum unter Berufung auf Ossenbühl, S. 509fT. 320 BVerwGE 38, 139. 316
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
schrift vorgenommen werden, da sie die Rechtsstellung des einzelnen unmittelbar beeinflußten und ausformten. 321 Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch in allen genannten Fällen geprüft, ob sich aus dem Vorbehalt des Gesetzes oder aus einer eventuellen grundrechtlichen Betroffenheit etwas anderes ergeben kann. 322 Die Übertragung dieser Grundsätze auf die mit dem Verständigungsverfahren zusammenhängenden Fragen führt zu dem Ergebnis, daß auch hier eine gesetzesgleiche Regelungswirkung zu bejahen ist, da Gesetzesrecht konkretisiert und perfiziert wird. Die Vorschriften über das Verständigungsverfahren dienen dazu, mit Hilfe des flexiblen Verständigungsverfahrens Schwierigkeiten bei Auslegung und Anwendung der Vorschriften der Doppelbesteuerungsabkommen im Wege gegenseitiger Verständigung so zu regeln, daß eine abkommenswidrige Besteuerung vermieden wird. Die Vorschriften über das Verständigungsverfahren sind damit gesetzliche Regelungen, die ausdrücklich die Möglichkeit schaffen, durch Verwaltungsabkommen die bestehenden Normen eines Doppelbesteuerungsvertrages so zu ergänzen, daß zwischenstaatliche Besteuerungskonflikte beigelegt und vermieden werden können. Darüber hinaus schaffen sie dort, wo sie Billigkeitsentscheidungen praeter legern zulassen, die Gelegenheit, Doppelbesteuerungsverträge auf nicht geregelte Fälle zu erweitern. Die Verständigungsklauseln sind damit Ausdruck der Erkenntnis der Vertragsparteien, daß die von ihnen getroffenen Regelungen unvollständig sind und der Ergänzung bedürfen. Ähnlich wie in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Beispiel ist diese Unvollständigkeit schon deshalb zwangsläufig, weil sich die zugrundeliegenden Lebensverhältnisse nicht umfassend vertraglich regeln lassen, da sie in der Regel auf Auslegungs- und Qualifikationsproblemen beruhen dürften. Hinzu kommt, daß die Regelungen in den Doppelbesteuerungsverträgen auch nicht in Grundrechte eingreifen können, da die DBA nach den Ergebnissen im ersten Kapitel als System gegenseitiger Steuerverzichte keine neuen steuerlichen Verpflichtungen begründen können. Im Ergebnis ist daher bei den Verwaltungsvorschriften, mit denen Verständigungsergebnisse innerstaatlich umgesetzt in Kraft gesetzt werden, eine gesetzesgleiche (unmittelbare) Regelungs- und Bindungswirkung zu bejahen. 323 321 Vgl. hierzu auch die Entscheidung BVerwGE 48, 305 (Verleihung des Rechtes zur Führung des Titels "Ingenieur"). 322 Vgl. BVerwG DÖV 1972, 129 (130) einerseits und BVerwG NJW 1977, 915 andererseits, wo das Gericht die als Verwaltungsvorschriften erlassenen Vergaberichtlinien für die Bewerberauswahl bei Güterfernverkehrsgenehmigungen für verfassungswidrig erklärte. 323 Demgegenüber hat das Schleswig-Holsteinische FG in EFG 71, 578 (580) unter Berufung auf Tittel, S. 120 f., und Teichner, StuW 1965, 343 ff., eine Verbindlichkeit einer Verständigungsvereinbarung für ein Gericht mit der Begründung verneint, eine Ermächtigung der Finanzbehörden, außerhalb des förmlichen Gesetzgebungsverfahrens rechtsverbindliche Normen zu setzen, sei allenfalls unter den in Art. 80 GG genannten
111. Die besondere Ausprägung durch das Verständigungsverfahren
193
Das Finanzgericht Freiburg hat sich in einem Urteil aus dem Jahre 1961 an die in einem Verständigungsverfahren vereinbarten Auslegungen gebunden gefühlt, da es darauf "ankomme, den Vertragswillen der heiden Vertragspartner zu erforschen". Demgemäß seien die übereinstimmenden Erklärungen beider Delegationen auch für das Gericht von Bedeutung. 324 Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat der Bundesfinanzhofhierzu ausgeführt, die Verständigungsvereinbarung sei zu Recht zugrundegelegt worden, da diese Erläuterungen den Willen der Vertragsparteien wiedergebe. 325
III. Der diplomatische Schutz in seiner besonderen Ausprägung durch die Verständigungsklauseln Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten die Strukturen des diplomatischen Schutzes und des steuerlichen Verständigungsverfahrens dargestellt worden sind, gilt es nun zu untersuchen, ob und in welcher Form das Verständigungsverfahren eine besondere Form dieses Rechtsinstitutes darstellt. 1. Völkerrechtliches Delikt
Die Doppelbesteuerungsabkommen gehören als völkerrechtliche Verträge zu den Rechtsquellen des Völkerrechts. Die Verletzung von Pflichten aus einem solchen Vertrag ist ein völkerrechtliches Delikt. Demgemäß ist schon eine abkommenswidrige Besteuerung eines Staates als Bruch seiner einem anderen Staat gegenüber bestehenden Verpflichtungen ein völkerrechtliches Delikt. Erforderlich zur Einleitung eines Verständigungsverfahrens ist entweder eine dem Abkommen nicht entsprechende Besteuerung (DBA der OECD-Gruppe), eine Doppelbesteuerung, die den Grundsätzen der Abkommen widerspricht (DBA der kontinental-europäischen Abkommensgruppe), eine dem Abkommen widersprechende Doppelbesteuerung (anglo-amerikanische Abkommensgruppe) oder einfach eine Doppelbesteuerung (DBA Italien). In den ersten drei der genannten Fallgruppen ergibt sich das Vorliegen eines völkerrechtlichen Deliktes schon aus dem Verstoß gegen Normen eines DBA als Antragsvoraussetzung für ein Verständigungsverfahren. Schwieriger liegen die Dinge beim D BA Italien als dem einzigen noch gültigen DBA der Vorkriegsabkommensgruppe. Hier ist Antragsvoraussetzung das bloße Vorliegen einer Doppelbesteuerung. Ein völkerrechtliches Delikt kann dies - abgesehen vom Fall der falschen Abkommensanwendung - nur in folgenden zwei Fällen sein: Wenn nämlich - erstens - das Bestehenbleiben Voraussetzungen für den Erlaß von Rechtsverordnungen denkbar. Die Ermächtigung in Art. 25 11 3 DBA Dänemark entspreche jedoch nicht diesen Voraussetzungen. 324 AWD 1962, 21. 325 BFH in BStBl. 1963 III, 212 (213). 13 Gloria
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
einer Doppelbesteuerung im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Italien deswegen einen Verstoß gegen die in den Abkommen getroffenen Regelungen darstellt, weil dieser Vertrag die Möglichkeit des Bestehenbleibens von zwischenstaatlichen Besteuerungskonflikten völlig ausschließen wollte, oder wenn - zweitens - eine Doppelbesteuerung unabhängig vom Bestehen eines DBA völkerrechtswidrig war. Die erste der genannten Möglichkeiten scheidet schon aus Überlegungen aus, die im ersten Kapitel angestellt wurden: Völkerrechtliche Verträge schaffen jeweils neue, im allgemeinen Völkerrecht noch nicht enthaltene Rechte und Pflichten. Es kann daher nicht angenommen werden, sie enthielten regelmäßig eine vollständige, in jeder Hinsicht sachgerechte und effektive Regelung. 1 Auch der zweite denkbare Ansatzpunkt hilft im Ergebnis nicht weiter: Das internationale Steuerrecht ist beherrscht vom Souveränitätsprinzip. 2 Der wichtigste Inhalt dieser Steuersouveränität ist das ausschließliche Recht eines jeden Staates zur Ausübung der Steuergewalt auf seinem Gebiet. Aus dieser Souveränität im Bereich des Fiskalrechtes, also der nicht abgeleiteten, nach außen und innen grundsätzlich unbeschränkten Hoheitsgewalt eines Staates, die sich anderen Staaten gegenüber in alleiniger Kompetenz zu Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungsakten innerhalb des territorialen Machtbereiches des Staates äußert, folgt nach außen die grundsätzlich unbeschränkte Steuerhoheit der Bundesrepublik. 3 Das Recht eines Staates, Steuern zu erheben, ist im Völkerrecht nie in Zweifel gezogen worden. Sowohl der Ständige Internationale Gerichtshof als auch der Internationale Gerichtshof sind, soweit sie sich mit Steuerfragen zu befassen hatten, davon ausgegangen, daß jeder Staat eine grundsätzlich unbeschränkte Steuerhoheit besitzt. 4 Das Völkerrecht selbst beschränkt die Steuersouveränität in territorialer Hinsicht sowie in persönlicher und sachlicher Hinsicht. 5 Es läßt jedoch zu, daß 1 Vgl. hierzu Bernhardt, Auslegung, S. 96. Dieser Grundgedanke führt zu einer Einschränkung des Effektivitätsgrundsatzes - ut res magis valeat quam pereat. S. auch das Friedensvertragsgutachten des IGH in I.C.J.-Reports 1950, 229 sowie Rest, S. 48f. m. w. Nachweisen aus der Judikatur des StIGH. 2 Bühler, Prinzipien, S. 132; Teichner, S. 48; Friedrich, S. 5. 3 Teichner, S. 6f., der darauf hinweist, daß sich die Beschränkung aus völkerrechtlichem Gewohnheitsrecht ergibt, während die Beschränkbarkeit, auch soweit es sich um Verträge handelt, auf gesetztem Recht beruht. Die staatliche Steuerhoheit ist allerdings nur in den Grenzen des Völkerrechts unbeschränkt. Vgl. dazu unten Fn. 5. 4 Siehe im einzelnen: Gutachten in der Angelegenheit deutsch-österreichische Zollunion, P.C.I.J. SeriesAI B, No. 41; Urteil inder Angelegenheit Free Zones ofUpper Savoy and Gex Case, P.c.I.J. Series AlB, No. 46 sowie das Urteil im Streit um die Rechte amerikanischer Staatsangehöriger in Marokko, I.C.J.-Reports 1952, 176ff. Aus dem Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit vgl. den Schiedsspruch der General Claims Commission vom 08. 10. 1930 in der Angelegenheit Cook, RIAA IV, 593 ff., 595: "The right of the State to levy taxes constitutes an inherent part ofits sovereignty; it is afunction necessary to its very existence ... ".
III. Die besondere Ausprägung durch das Verständigungsverfahren
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die Besteuerung an einen Geschehensablauf anknüpft, der sich im Ausland zugetragen hat, wenn die hoheitliche Gewalt gegenüber einer Person ausgeübt wird, die der inländischen Staatsgewalt unterworfen ist, da die gesetzliche Regelung von Auslandssachverhalten nicht völkerrechtswidrig ist. 6 Dementsprechend ist die internationale Doppelbesteuerung die Folge der Anknüpfung mehrerer Steuerrechtsordnungen an denselben Steuertatbestand. Läßt das Völkerrecht selbst aber die Mehrfachanknüfung an steuerliche Tatbestände zu, und zwar schon dadurch, daß es für die einzelnen Steuerobjekte keine völkerrechtlichen Zuteilungsnormen bereitstellt, so läßt sich natürlich erst recht kein völkergewohnheitsrechtlicher Rechtssatz nachweisen, wonach die internationale Doppelbesteuerung völkerrechtswidrig ist. 7 Soweit also im DBA Italien als Antragsvoraussetzung für das Verständigungsverfahren an das bloße Vorliegen einer Doppelbesteuerung angeknüft wird, ist zu unterscheiden: Ist diese Doppelbesteuerung dadurch zustande gekommen, daß das Abkommen falsch angewandt wurde, so ergibt sich das Vorliegen eines völkerrechtlichen Deliktes schon aus dem Verstoß gegen das Abkommensrecht. Verbleibt es trotz richtiger Abkommensanwendung bei einer Doppelbesteuerung, so liegt darin kein völkerrechtliches Delikt. Demgemäß kann in der Einleitung eines Verständigungsverfahrens in diesen Fällen auch nicht die Ausübung diplomatischen Schutzes im engeren Sinne liegen. Da jedoch auch in diesen Fällen eine Demarche gegenüber den Steuerbehörden eines fremden Staates erfolgt, kann es sich hier um diplomatischen Schutz im weiteren Sinne handeln. 8 Allgemein anerkannte Rechtsfolge der Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung ist die Wiedergutmachung. 9 Diese Wiedergutmachungspflicht ist 5 Teichner, S. 8. Zu den Grenzen der Steuersouveränität in territorialer Hinsicht siehe im einzelnen Friedrich, S. 16ff.; in personaler Hinsicht Croxatto, StuW 1964, 880ff.; in sachlicher Hinsicht im Hinblick auf die Exterritorialität: Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rz. 754ff.; Lagoni in Menzel j Ipsen, S. 280; Zeileissen, Die abgabenrechtlichen Prinzipien; vgl. ferner BFH BStBl. 1969 II, 355. Zur völkerrechtlichen Unzulässigkeit der deutschen Körperschaftsbesteuerung mangels Anknüpfungspunkt, vgl. im einzelnen Künkele, S. 88 ff. Auf die sich in diesem Zusammenhang ergebenden Fragen soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht weiter eingegangen werden. 6 Vgl. Vogel, DStR 1968,430; Teichner, S. 7; Friedrich, S. 19; vgl. ferner BFHE 95,345; RFHE 27,85. 7 Berber I, S. 383; Bühler, Prinzipien, S. 34;. Dahm, Völkerrecht I, S. 519, 523; Dorn, StuW 1928, 911; Vogel, Anwendungsbereich, S. 353; Vogel, DStR 1968, 430, der darauf hinweist, daß sich insbesondere aus der Tatsache, daß die Staaten Verträge zur Vermeidung der Doppelbesteuerung schlössen, solange sich kein gewohnheitsrechtliches Verbot der Doppelbesteuerung herleiten ließe, als nicht feststehe, daß diesen Verträgen eine entsprechende Rechtsüberzeugung zugrunde liege; Bühler in Strupp j Schlochauer, Bd. I, S. 397; abwegig daher Fricke, AWD 1960, 197ff. 8 Vgl. hierzu im einzelnen: 2. Kapitel, 1.3.; siehe außerdem wegen der Einzelheiten: Schneeberger, SJZ 1943,493; Brunner, S. 77; Ress in Seidl-Hohenveldern, LdRjVR, S. 54. 9 Vgl. das Urteil des StIGH im Fa11eChorzow, SeriesA, No. 9, S. 21, sowie des IGHs in der Angelegenheit Bernadotte, I.C.J.-Reports 1949, 184; vgl. ferner Kelsen, ZÖR 12
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
neben der sie auslösenden Pflicht zur Einhaltung der materiellen Vorschriften des Völkerrechts eine neue und selbständige Verpflichtung. Außer der Wiedergutmachung gibt es gewöhnlich in Fällen von wertmäßig nicht erfaßbaren Völkerrechtsverletzungen, zuweilen aber auch neben der Wiedergutmachung die Genugtuung. lO Die Wiedergutmachung muß wenn möglich in der Form geleistet werden, daß der frühere Zustand wiederhergestellt wird, also durch Naturalrestitution. Wo dies nicht oder nicht vollständig möglich ist, ist Wertersatz zu leisten. ll 2. Berechtigung zur Schutzgewährung
a) Grundsatz: Steuerinländer
Wie oben schon im einzelnen dargestellt, bedarf ein Staat, der diplomatischen Schutz gewähren will, hierzu einer besonderen Berechtigung, die im Regelfall bei natürlichen Personen durch die Staatsangehörigkeit bzw. bei juristischen Personen durch die Staatszugehörigkeit vermittelt wird. 12 Dieser Grundsatz kann jedoch durch völkerrechtliche Verträge in der Weise modifiziert werden, daß die Staaten auch zugunsten anderer Personen als ihrer eigenen Staatsangehörigen diplomatischen Schutz ausüben können. 13 Die OECD-Doppelbesteuerungsabkommen knüpfen bei den Verständigungsklauseln hinsichtlich der Abkommensberechtigung grundsätzlich an die Ansässigkeit an (Art. 25 I 1 OECD-MA 1977) und nur ausnahmsweise, nämlich z. B. im Falle des Art. 24 I OECD-MA 1977 an die Staatsangehörigkeit. Dasselbe gilt auch für die DBA der kontinental-europäischen Abkommensgruppe 14 und der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe. 15 In Art. 4 I OECD-MA 977 wird definiert, was unter dem Ausdruck "eine in einem Vertragsstaat ansässige Person" im Sinne der DBA zu verstehen ist. Das Musterabkommen versteht darunter eine Person, die nach dem Recht des betreffenden Vertragsstaates dort aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen (1932), 545 ff., sowie Aga in seinem dritten Bericht zur Staatenverantwortlichkeit, YBILC 1971 II 1, 209f.; lpsen in Menzelj lpsen, S. 371. 10 lpsen in Menzelj lpsen, S. 372. 11 lpsen in Menzeljlpsen, S. 372; vgl. auch das Urteil des StIGH im Falle Chorzow, Series A, No. 17, 47. 12 Vgl. hierzu im einzelnen: 2. Kapitel, I. 1. b) bb). 13 Vgl. oben, 2. Kapitel, I. 1. b) bb). 14 Art. 19 I DBA Österreich; Art. 21 I DBA Norwegen; Art. 23 I DBA Schweden; Art. 21 I DBA Dänemark. Strukturell insoweit abweichend können nach Art. 22 I DBA Luxemburg und Art. 22 I DBA Niederlande sowohl die Behörde des Wohnsitzstaates als auch die Behörde des Staates angegangen werden, deren Staatsangehörigkeit der Steuerpflichtige besitzt. 15 Art. 17 I DBA Pakistan; Art. 20 I DBA Ägypten; Art. 19 I DBA Israel; Art. 21 I DBA Irland; Art. 24 I DBA Griechenland. Abweichend Art. XVII Abs. 1 DBA USA (Staatsangehörigkeit oder Wohnsitz).
In. Die besondere Ausprägung durch das Verständigungsverfahren
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Aufenthaltes, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmales steuerpflichtig ist. Die persönliche Schutzzugehörigkeit eines Steuerpflichtigen wird also im Anwendungsbereich der DBA durch das Kriterium der Ansässigkeit vermittelt. Diese Ansässigkeit wird durch eine Reihe von Merkmalen beschrieben, die im nationalen Recht eine umfassende Steuererfassung ermöglichen im Gegensatz zu der Regelung in Art. 4 I 2 OECD-MA 1977, wonach eine Person, die in einem Vertragsstaat ansässig ist, nicht als dort ansässig gilt, wenn sie in diesem Staat nur mit Einkünften aus Quellen in diesem Staat oder mit in diesem Staat belegenem Vermögen steuerpflichtig ist. Daraus ergibt sich, daß dem Abkommensmerkmal der Ansässigkeit im innerstaatlichen Recht die unbeschränkte Steuerpflicht entspricht. 16 Eine Person ist demnach dann in einem Vertrags staat im Sinne von Art. 25 11 OECD-MA 1977 ansässig, wenn sie Merkmale aufweist, die in diesem Staat eine unbeschränkte Steuerpflicht begründen; also eine Besteuerung wie bei Inländern erfolgen kann. Da die Anknüpfung an die Steuerpflicht erfolgt, genügt es, daß die Person in dem betreffenden Vertragsstaat die Voraussetzungen erfüllt, die zu einer unbeschränkten Steuerpflicht führen können. Es ist nicht erforderlich, daß tatsächlich eine unbeschränkte Besteuerung erfolgt. 17 Für Gesellschaften ist nach Art. 4 I 1 OECD-MA 1977 der Ort der Geschäftsleitung das maßgebende Kriterium für die Ansässigkeit. Dieser Ort der Geschäftsleitung ist nach § 10 AO der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung. Hinsichtlich einer Abkommensberechtigung ist wie folgt zu differenzieren: Werden die Personengesellschaften in ihrem Errichtungsstaat als eigenständige Steuersubjekte erfaßt, so muß ihnen nach den DBA auch ein eigener Abkommensschutz zustehen. Werden sie hingegen nicht als Steuersubjekte selbständig erfaßt, so kann die Abkommensberechtigung nur von den betroffenen Gesellschaftern geltend gemacht werden. 1B Wegen der ausdrücklichen Verweisung in Art. 4 11 OECD-MA 1977 auf das Recht des Wohnsitzstaates ist für den Begriffsinhalt vQn Wohnsitz und ständigem Aufenthalt die Begriffsbestimmung in diesem Staat maßgeblich. 19 Nach § 8 AO hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Nach § 9 AO hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufuält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend weilt. 16 Vogel, DBA, Art. 4 Rz. 25; Komi Debatin, Systematik III, Rz. 22; zur unbeschränkten und beschränkten Einkommenssteuer im einzelnen vgl. Bayer in Festschrift für Mosler, S. 59fT. 17 Vogel, DBA, Art. 4 Rz. 25. 18 Komi Debatin, Systematik In, Rz. 25. 19 Vgl. MA-Komm. 1977, Rz. 8: "Diese Definition verweist auf den BegrifT des Wohnsitzstaates (Residence) des innerstaatlichen Rechtes." Vgl. auch Debatin, AWD 1969,481.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
Es geschieht in der Praxis häufig, daß die nationalen Steuerrechtsordnungen die unbeschränkte Steuerpflicht aufgrund von unterschiedlichen Wertungen auch unterschiedlich definieren. In diesen Fällen kommt es zu zwischenstaatlichen Überschneidungen der unbeschränkten Steuerpflicht. Die Folge ist abkommensrechtlich gesehen - eine doppelte Ansässigkeit. b) Abkommensberechtigung bei natürlichen Personen mit Ansässigkeit in beiden Vertragsstaaten
Vorschriften darüber, wie die abkommensrechtliche Ansässigkeit zu bestimmen ist, wenn der Steuerpflichtige nach Art. 4 I 1 OECD-MA 1977 in beiden Vertragsstaaten einer unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt, enthält Art. 4 II OECD-MA 1977. 20 Problematisch ist bereits das Verhältnis dieser Vorschrift zum innerstaatlichen Recht. Während Art. 4 I der Vorschrift insoweit einen klaren Rückgriff auf das nationale Recht enthält, als die Ansässigkeit einer Person unter Zuhilfenahme der Bestimmungen des jeweiligen Vertragsstaates über den Wohnsitz bestimmt werden muß, fehlt eine entsprechende Klausel bei Art. 4 II. Da die DBA als völkerrechtliche Verträge nach den Untersuchungen im ersten Kapitel aber schon deshalb vertragsimmanent auszulegen sind, weil die Vertragspartner mit den Abkommen gemeinsames Recht schaffen wollten, kommt ein Rückgriff auf innerstaatliches Recht nur in Betracht, wenn die Abkommen hierauf verweisen. Eine solche Verweisung könnte die oben angesprochene sogenannte Lex-Fori-Klausel beinhalten, wonach jeder im Abkommen nicht definierte Begriff die Bedeutung hat, die ihm nach dem Recht des anwendenden Staates zukommt, sofern der Zusammenhang nicht anderes erfordert. Schon oben wurde jedoch dargelegt, daß die Vorschrift nur dann 20 Zur Auslegung und Anwendung von Art 4 II der OECD-MA vgl. Lederer, R1W / AWD 1981, 463ff.Erhebliche Bedenken gegen die Regelungen in Art. 4 OECDMA, vor allem wegen der darin verwendeten Rechtssprache und den an der kontinentaleuropäischen Begriffswelt orientierten Vorstellungen, die in der Vorschrift zum Ausdruck kommen, werden vor allem von amerikanischer Seite vorgetragen. Vgl. Department 01 Treasury, Technical Explanation of Proposed United States/Netherlands Estate Tax Convention (Oct. 6, 1970), Hearings before the Senate Committee on Foreign Relations on Estate Tax Convention with the Netherlands, 91 st Congress, 2nd Session (1970), 1976-1 C. B. 477, 479. Diese Bedenken äußern sich auch in deutlichen Unterschieden zwischen den Formulierungen von Art. 4 I OECD-MA und Art. 4 I US-MA: Nach dem US-Muster ist eine Person in einem Vertragsstaat ansässig, wenn sie dort aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthaltes, ihrer Staatsangehörigkeit, des Ortes ihrer Geschäftsleitung, des Ortes ihrer Errichtung oder eines anderen, ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist. Nach dem OECD-MA gilt die Staatsangehörigkeit einer Person nicht als Merkmal, das den - abkommensrechtlichen - Wohnsitz begründen kann, da es keine ortsbezogene Anknüpfung für die unbeschränkte Steuerpflicht ist, vgl. Vogel, DBA, Art. 4 Rz. 31. Die Staatsangehörigkeit ist jedoch nach dem US-amerikanischen Steuerrecht Anknüpfung für die unbeschränkte Steuerpflicht. Folge: Jeder US-Bürger gilt als in den USA ansässig. Zum Ganzen vgl. Shannon, R1W 1986, 275. Zu den Gründen für die Unterschiede zwischen Art. 4 US-MA und Art. 4 OECD-MA vgl. auch New York State Bar Association, Harvard International Law Journal, Vol 23 (1983), 238f.
In. Die besondere Ausprägung durch das Verständigungsverfahren
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eingreifen kann, wenn dem betreffenden Abkommen überhaupt keine Rechtsaussage entnommen werden kann. 21 Demgegenüber sprechen gerade hinsichtlich von Art. 4 II OECD-MA 1977 eine Reihe von Gründen für eine rein abkommensbezogene Auslegung. Gerade weil in Art. 4 I OECD-MA 1977 auf das innerstaatliche Recht Bezug genommen wird, ist es möglich, daß eine doppelte Ansässigkeit im Sinne dieser Vorschrift entsteht. Schon die Logik gebietet es daher, bei der Auslegung der übrigen Kollisionsregeln der Vorschrift (möglichst) vertragsimmanent zu interpretieren. Das Erfordernis vertragsimmanenter Interpretation tritt besonders deutlich hervor bei Art. 4 II lit. a), soweit dort auf den Mittelpunkt der Lebensinteressen abgestellt wird. Dieser Ort ist nach dem Wortlaut der Vorschrift die Wohnstätte, zu der die Person die engeren wirtschaftlichen Beziehungen hat. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen einer Person erschließt sich nur durch einen Vergleich der Beziehungen zu zwei Wohnstätten in zwei verschiedenen Staaten und ist damit von vornherein einer Regelung durch nationale Vorschriften nicht zugänglich. Ähnliche Überlegungen zwingen auch bei den übrigen Begriffen des Art. 411 OECD-MA zu einer vertragsimmanenten Interpretation, allerdings mit der Ausnahme von dem in Art. 4 11 lit. c) verwendeten Begriff der "Staatsangehörigkeit". Hier scheidet eine vertragsimmanente Interpretation von vornherein aus; die Staatsangehörigkeit läßt sich nur durch nationales Recht regeln. 22 Regelungen darüber, wo eine natürliche Person abkommens berechtigt ist, die nach Art. 4 I OECD-MA 1977 in beiden Vertragsstaaten ansässig ist, trifft zunächst Art. 4 II lit. a), wonach es in erster Linie darauf ankommt, in welchem Staat der Steuerpflichtige über eine ständige Wohnstätte verfügt. 23 Der Begriff 21 Zur Bedeutung der Lex-Fori-Klausel im einzelnen vgl. Gloria, RIW 1986, 975ff., insb. 978. 22 So zutreffend auch Lederer, RIW/AWD 1981, 465; Avery Jones, BTR 1981, 20. Einschränkend Vogel, DBA, Art. 4 Rz 80, der die Auffassung vertritt, mit der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit beziehe sich das Musterabkommen auf das Rechtsverhältnis zu einem Vertragsstaat. Ob dieses Rechtsverhältnis gegeben sei, könne allein das Recht des betreffenden Staates bestimmen. Welche Rechtsverhältnisse gemeint seien, bestimme dagegen das Abkommensrecht autonom. Die Staatsangehörigkeit ist jedoch eine rechtliche Eigenschaft, nämlich die Mitgliedschaft in einer einen Staat bildenden Gebietskörperschaft (Makarov in Strupp / Schlochauer, Bd. In, S. 323). Erwerb und Verlust der Eigenschaft als Staatsangehöriger wird jedoch grundsätzlich durch innerstaatliche Rechtsvorschriften geregelt (Makarov, ebenda). Überläßt aber das Völkerrecht die Begründung und Ausgestaltung dieses Rechtsverhältnisses dem Staat, so läßt sich ein begriffiicher Dualismus zwischen völkerrechtlicher und staatsrechtlicher Staatsangehörigkeit nicht aufrechterhalten. Zur Kritik an einem solchen Dualismus des Staatsangehörigkeitsbegriffes: Makarov in Strupp/ Schlochauer, Bd. In, S. 324, sowie Makarov, Allgemeine Lehren, S. 10ff. m. w. N. 23 Korn / Debatin, Systematik In, Rz. 182, vertreten die Auffassung, wenn der Steuerpflichtige in beiden Vertragsstaaten unbeschränkt steuerpflichtig sei, erfordere es der Grundsatz sachgerechter Flexibilität, daß der Steuerpflichtige den Verständigungsantrag in dem Staat anbringen könne, von dem er in erster Linie Abhilfe erwarte. Die Regelung über die Bestimmung des U nterbreitungsadressaten wolle den Steuerpflichtigen
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
der Wohnstätte ist eine Übersetzung der Begriffe "home" bzw. "foyer d'habitation" der Originalsprachen des Musterabkommens. Durch diese Begriffe werden emotionale Beziehungen und Familienbeziehungen angesprochen. 24 Sie enthalten eine persönliche Beziehung zu der jeweiligen Wohngelegenheit. 2S Dementsprechend muß der Terminus" Wohnstätte" enger verstanden werden als der Begriff der Wohnung, den der BFH als Raum, der Menschen für ihr Privatleben zur Verfügung steht, definiert hat. 26 Die Wohnstätte im Sinne von Art. 411 OECD-MA 1977 ist somit als Ort zu verstehen, an dem jemand mit seiner Familie lebt, oder wohin er sonst persönliche Bindungen hat. 27 Entscheidend ist, daß es sich um eine ständige Wohnstätte handelt. Das ist der Fall, wenn die natürliche Person Vorkehrungen dafür getroffen hat, daß ihr die Wohnstätte ständig zur Verfügung steht und nicht nur für Gelegenheitsaufenthalte, die ihrem Anlaß nach nur von kurzer Dauer sein können. 28 "Ständig" ist dabei im Gegensatz zu "befristet" gemeint. 29 Eine Person "verfügt" über eine Wohnung im Sinne von Art. 411 lit a) OECD-MA, wenn sie Vorkehrungen dafür getroffen hat, daß ihr die Wohnung jederzeit ständig zur Verfügung steht. 30 nicht benachteiligen. Es solle vielmehr nur sichergestellt werden, daß der Fall zunächst in dem Staat geprüft werde, in dem der Steuerpflichtige kraft seiner persönlichen Bindung einer seine gesamten Verhältnisse umspannenden Steuerbehandlung unterliegt, in deren Rahmen deshalb auch zuvörderst Beschwerdebeseitigung zu erwarten sei. Dem ist zu widersprechen. Die DBA enthalten - wie in der Folge darzustellen sein wird - eine detaillierte Regelung darüber, wie der Wohnsitzstaat zu bestimmen ist. Nicht ersichtlich ist, daß die für die Abkommensberechtigung als solche geltenden Grundsätze nicht auch hinsichtlich der Frage des Unterbreitungsadressaten gelten sollen. Es ist auch nicht ersichtlich, daß dies für den Steuerpflichtigen irgendwelche Nachteile haben kann, da eine unzuständige Behörde dies entweder dem Steuerpflichtigen mitteilen oder den Antrag von Amts wegen weitergeben wird. Fristen schließlich laufen beim Verständigungsverfahren nicht. 24 Vgl. Hornby, S. 409, Stichwort "home": "Place where one lives, especially with one's family." 2S Lederer, RIW/AWD 1981,466; Vogel, DBA, Art. 4 Rz. 68; KornlDebatin, DBA Schweiz, S. 433. 26 BFH BStBl. 1967 II1, 727. Zum Begriff der Wohnung: Tipkel Kruse, § 8 Rz. 2. Dementsprechend definiert das Verhandlungsprotokoll vom 18. 06. 1971 zu Art. 4 11 DBA Schweiz wie folgt: "Als ständige Wohnstätte gelten nicht eine Wohnung oder Räumlichkeiten, die nach Charakter und Lage ausschließlich Erholungs-, Kur-, Studien- oder Sportzwecken dienen und nachweislich nur gelegentlich und nicht zum Zwecke der Wahrnehmung wirtschaftlicher und beruflicher Interessen verwendet werden.", zitiert nach Korn I Debatin, DBA Schweiz, S. 191. 27 So zutreffend Lederer, RIW I AWD 1981, 466'; vgl. auch Korn I Debatin, DBA Schweiz, S. 433: "ständiges Heim", sowie Systematik II1, Rz. 38 a. 28 Vgl. Komm. zum MA 1977, Art. 4 Rz. 12. 29 Ob allerdings hier eine Abweichung vom Wohnsitzbegriff des § 8 AO insoweit festzustellen ist, als dieser auch Ferien-, Jagd- und Wochendhäuser erfaßt, wie Lederer, RIW I AWD 1981,466 meint, erscheint zweifelhaft. Denn hier kommt es gerade darauf an, ob die Wohnung unter Umständen innegehabt wird, die darauf schließen lassen, daß die Wohnung beibehalten und benutzt wird. Vgl. hierzu Tipke I Kruse, § 8 Rz. 3 f. 30 Komm. MA 1977, Art. 4 Rz. 13.
III. Die besondere Ausprägung durch das Verständigungsverfahren
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Hat der Steuerpflichtige unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe eine Wohnstätte in beiden Vertragsstaaten, so gilt derjenige Staat als Wohnsitzstaat, in dem der "Mittelpunkt der Lebensinteressen" dieser Person liegt. 31 Das ist der Staat, zu dem die (natürliche) Person die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Interessen hat. Dabei sind nach den Ausführungen des MA-Kommentars die familiären und gesellschaftlichen Beziehungen des Steuerpflichtigen, seine berufliche, politische, kulturelle und sonstige Tätigkeit, der Ort seiner Geschäftstätigkeit, der Ort, von dem aus er sein Vermögen verwaltet und ähnliches zu berücksichtigen. 32 Diese Umstände - so der Kommentar - seien als Ganzes zu prüfen. Funktion dieser Regelung ist es offensichtlich, bei Wohnsitzen in mehreren Staaten zu ermitteln, wo die engere persönliche Bindung des Steuerpflichtigen liegt. Kontrovers wird die Frage beantwortet, wie zu verfahren sei, wenn die persönlichen und die wirtschaftlichen Beziehungen einer Person zu zwei unterschiedlichen Vertragsstaaten bestehen. Dann ist zweifelhaft, ob den persönlichen oder den wirtschaftlichen Beziehungen der Vorrang einzuräumen ist bzw. wie überhaupt verfahren werden soll. 33 Der BFH hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1971, die das D BA Schweiz betraf, festgestellt, daß die geschäftlichen Interessen des Steuerpflichtigen nicht isoliert von den persönlichen Interessen bewertet werden können. Sie könnten aber für die Bestimmung des Mittelpunkts der Lebensinteressen nur dann ausschlaggebend sein, wenn sie den überwiegenden Teil der Gesamtinteressen des Steuerpflichtigen darstellen. Wer sich in der Bundesrepublik nur noch aufhalte, um seine beruflichen oder geschäftlichen Interessen abzuwickeln, während sein Aufenthalt in der Schweiz dadurch bestimmt sei, dort den Lebensabend mit Familie zu verbringen, habe deshalb den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in der Schweiz. 34 Dem Bundesfinanzhof ist in seiner Argumen31 Im Gegensatz zu dem US-Modell genügt es für das OECD-MA 1977 bei der Anknüpfung an den Mittelpunkt der Lebensinteressen nicht, wenn der Steuerpflichtige in keinem der beiden Vertragsstaaten eine Wohnstätte hat. Vgl. New York State Bar Association, Harvard International Law Journal, Vol. 23 (1983), S. 238. 32 Komm. MA 1977, Art. 4 Rz. 15. Lederer, RIW / AWD 1981, 467f. ist der Frage nachgegangen, in welcher Beziehung der Klammerzusatz (Mittelpunkt der Lebensinteressen) zum übrigen Teil der Vorschrift des Art. 4 II Ht. a) OECD-MA 1977 steht. Ihm erscheint die These am wahrscheinlichsten, daß die Formulierung aus bereits bestehenden Verträgen, wie zum Beispiel dem deutsch-französischen Abkommen von 1959 als eine Art historischer Anknüpfung übernommen wurde. Vgl. auch Avery Jones, BTR 1981, 104. 33 Vgl. hierzu das (schweizerische) Bundesgericht im ASAR, Bd. 40 (1971/72), 527ff. einerseits und BFH BStBl. 1971 II, 758 andererseits. 34 BFH BStBI. 1971 II, 758. Zu diesem Urteil siehe auch Vogel, DBA, Art. 4 Rz. 73 und Korn / Debatin, DBA Schweiz, S. 433. Zu dem Begriff "Mittelpunkt der Lebensinteressen" vgl. auch Lederer, RIW / AWD 1981, 468, der allerdings in seinem methodischen Ausgangspunkt fragwürdig ist, da er zur Auslegung des Musterabkommens in diesem Punkte schweizerisches Recht mit der Begründung heranziehen will, das schweizerische Steuerrecht komme in diesem Punkte dem MA am nächsten. Sein Rechtfertigungsversuch,
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
tation zuzustimmen. Nach dem Wortlaut von Art. 411 lit. a) OECD-MA 1977 kommt es in gleicher Weise auf beide Merkmale an; ein Vorrang entweder der persönlichen oder der wirtschaftlichen Interessen des Steuerpflichtigen ist dem Wortlaut der Vorschrift nicht zu entnehmen. Auch der Kommentar läßt erkennen, daß eine "Gesamtschau" erforderlich ist. Im Gegensatz zu einer mehrfach vertretenen Auffassung dürfte es daher auch unzutreffend sein, wenn bei gleichem Gewicht beider Merkmale dem persönlichen Faktor der Vorrang eingeräumt wird. 35 Dieser Ansicht ist vor allem entgegenzuhalten, daß die Notwendigkeit, die beiden Faktoren gegeneinander zu gewichten, schon deshalb nicht besteht, weil Art. 411 OECD-MA 1977 eine Reihe von anderen Merkmalen enthält, an die angeknüpft werden kann, wenn eine Anknüpfung an den "Mittelpunkt der Lebensinteressen" deshalb versagt, weil sich ein eindeutiges Übergewicht nicht feststellen läßt. 36 Wenn der Steuerpflichtige in bei den Vertragsstaaten über eine ständige Wohnstätte verfügt und sich der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen unter Zugrundelegung der bisher entwickelten Kriterien nicht ermitteln läßt, oder weil die Vorschrift deshalb überhaupt nicht anwendbar ist, weil er in keinem der beiden Staaten über eine ständige Wohnstätte verfügt, so gilt er gern. Art. 411 lit. b) OECD-MA in dem Staat als ansässig, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt (habitual abode) hat. 37 Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in dieser Vorschrift wird in dem Kommentar nicht näher erläutert; sein Inhalt ist deshalb schwierig zu bestimmen. Aus dem Aufbau der Vorschrift, die zwei Fälle erfaßt, nämlich den Fall, daß der Steuerpflichtige in beiden Vertragsstaaten über eine ständige Wohnstätte verfügt und der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen nicht ermittelt werden kann und den Fall, daß er in beiden Staaten über keine ständige Wohnstätte verfügt, lassen sich jedoch Aufschlüsse gewinnen. Da im diese Vorgehensweise stehe deshalb nicht im Widerspruch zum Erfordernis der abkommensimmanenten Interpretation, weil es nicht um die Anwendung nationalen Steuerrechts gehe, sondern einer bestimmten Rechtsordnung, die den gleichen Begriffwie das OECDMA verwende, Interpretationshilfen entnommen werden sollen, überzeugt in keiner Weise. Die Interpretationsvorschriften der WVK lassen eine derartige Vorgehensweise nicht zu. ' 3S SO Lederer, RIW I AWD 1981,469; Avery Jones, BTR 1981, 107, die dies aus einer Formulierung im Kommentar (Komm. MA 1977, Art. 4 Rz. 15) schließen zu können glauben, wonach "Erwägungen, die sich aus dem persönlichen Verhalten der natürlichen Person ergeben, ... selbstverständlich erhöhte Bedeutung" haben. Vgl. im übrigen unten Fn.42. 36 Ähnlich Vogel, DBA, Art. 4 Rz. 73. 37 AveryJones, BTR 1981,114; und Lederer, RIW I AWD 1981, 469f. haben Bedenken gegen die Übersetzung der Begriffe aus dem Text des Modells "habitual abode" mit "gewöhnlicher Aufenthalt", da diese Formulierung wörtlich § 9 AO entspreche. Diese Kritik ist nicht berechtigt. Ein Rückgriff auf den oder eine Verwechslung mit dem Begriffsinhalt von § 9 AO ist schon aufgrund des Erfordernisses vertragsimmanenter Interpretation ausgeschlossen. Die Erscheinung, daß Rechtsbegriffe in unterschiedlichen Gesetzen unterschiedliche Bedeutungen haben, ist kein Einzelfall.
III. Die besondere Ausprägung durch das Verständigungsverfahren
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ersten Fall in beiden Staaten eine ständige Wohnstätte besteht, kann es auf den regelmäßigen und wiederholten Gebrauch dieser Wohnstätten allein nicht ankommen. Entscheidend muß daher hier sein, wie oft und wie lange sich die Person in dem jeweiligen Vertragsstaat aufhält und zwar auch an solchen Orten, die nicht mit der ständigen Wohnstätte identisch sind. 38 Dabei ist ein Vergleich zwischen den Aufenthalten in beiden Vertragsstaaten anzustellen, wobei es dies ergibt sich aus der Struktur der Vorschrift - möglich ist, daß ein Steuerpflichtiger zwei gewöhnliche Aufenthalte hat. 39 Da die Vorschrift das Ziel hat zu ermitteln, wo eine Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat 40 , muß der Ort als gewöhnlicher Aufenthalt angesehen werden, der der Verwirklichung der persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen dient. 41 Hinweise auf subjektive Merkmale, wie die Absicht, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen, lassen sich der Vorschrift nicht entnehmen. Fehlt es im zweiten Fall in beiden Staaten an einer ständigen Wohnstätte, kann die Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthaltes ausschließlich anhand der Besuche in den Vertragsstaaten erfolgen. Dabei ist dem Kommentar insoweit zuzustimmen, als er ausführt, die Gründe für diese Besuche brauchten nicht ermittelt zu werden. 42 Führen die bisher erörterten Kriterien zu keinem Ergebnis hinsichtlich der Ansässigkeit, hat also der Steuerpflichtige entweder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in beiden Vertragsstaaten oder in keinem von ihnen, so gilt er nach Art. 411 lit. c) OECD-MA in dem Staat als ansässig, deren Staatsangehöriger er ist. 43 Dieses Kriterium ist - das wurde oben bereits erwähnt - ausschließlich nach innerstaatlichem Recht zu bestimmen. 44 Eine besondere Form des Verständigungsverfahrens, nämlich ein Verständigungsverfahren über die Frage der Ansässigkeit, sieht Art.411 lit. c) OECD-MA 38 Folgerichtig daher der Kommentar: "Dabei sind nicht nur die Aufenthalte der natürlichen Person in der ständigen Wohnstätte in diesem Staat in Betracht zu ziehen, sondern auchjene an irgendeinem anderen Ort in demselben Staat." (Komm. zu OECD-MA 1977, Art. 4 Rz. 17 a. E.) 39 Vgl. hierzu Komm zu OECD-MA 1977, Art. 4 Rz. 19: ob es sich bei dem Aufenthalt in jedem der beiden Staaten um einen gewöhnlichen Aufenthalt handelt . .. ". 40 So ausdrücklich Komm. zu OECD-MA 1977, Art. 4 Rz. 17. 41 So zutreffend Vogel, DBA, Art. 4 Rz. 77. 42 Kommentar zu OECD-MA 1977, Art. 4 Rz. 18. Dieser Hinweis in dem Kommentar spricht ebenfalls dafür, daß bei der Ermittlung des Mittelpunktes der Lebensinteressen persönliche und wirtschaftliche Beziehungen als gleichwertig anzusehen sind. Die Befürworter der Ansicht vom Vorrang der persönlichen Beziehungen müßten hier untersuchen, ob die Besuche in dem jeweiligen Vertragsstaat zu persönlichen oder wirtschaftlichen Zwecken erfolgt sind. 43 Folgende DBA der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe enthalten keine Regelung zur Bestimmung der Ansässigkeit bei doppeltem Wohnsitz: DBA Ägypten, Indien, Irland, Pakistan und USA. 44 So zutreffend Lederer, RIW I AWD 1981,470. A.A. offenbar Vogel, DBA, Art. 4 Rz. 80f.; vgl. im übrigen oben Fn 22. H'
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
1977 für den Fall vor, daß auch die Staatsangehörigkeit kein taugliches Kriterium zur Ermittlung der Ansässigkeit war, weil der Steuerpflichtige entweder Staatsangehöriger beider oder keiner der Vertragsstaaten ist. In diesem Falle sollen die zuständigen Behörden diese Frage in gegenseitigem Einvernehmen lösen. Solange ein solches Einvernehmen der Behörden über die Frage der Ansässigkeit des Steuerpflichtigen in diesen Fällen nicht durch ein Ansässigkeits-Verständigungsverfahren geklärt ist, müssen die zuständigen Behörden beider Vertragsstaaten als zuständig zur Einleitung dieses besonderen Verständigungsverfahrens angesehen werden. 45 Das Ansässigkeits-Verständigungsverfahren weist zwei Besonderheiten gegenüber dem üblichen Verständigungsverfahren auf: Zum einen besteht eine unbedingte Verpflichtung, die Ansässigkeitsfrage zu klären. Das ergibt sich schon aus der Formulierung:" ... regeln ... ".46 Zum anderen hat die angegangene Behörde keine AbhilfeBefugnis; sie ist demgemäß verpflichtet, durch die Einleitung dieses Verfahrens eine Stellungnahme der anderen Behörde einzuholen. Der Wortlaut der Vorschrift läßt nicht erkennen, welche Kriterien letztlich zur Ermittlung der Ansässigkeit herangezogen werden sollen. Da das Verfahren jedoch nur dann eingeleitet werden soll, wenn die bisher erörterten Kriterien zu keinem Erfolg führen, müssen zwangsläufig andere Kriterien herangezogen werden können. c) Abkommensberechtigung bei nicht-natürlichen Personen mit Ansässigkeit in beiden Vertragsstaaten
Eine doppelte Ansässigkeit im Sinne von Art. 4 I OECD-MA 1977 ist auch bei nicht-natürlichen Personen denkbar. Zur Regelung der sich hieraus ergebenden Fragen bestimmt Art. 4 III OECD-MA, daß andere als natürliche Personen, die in beiden Vertragsstaaten nach Art. 4 I ansässig sind, in dem Staat als ansässig gelten, in dem sich der Ort ihrer tatsächlichen Geschäftsleitung befindet. 47 Lederer, RIW/AWD 1981,470; Vogel, DBA, Art. 25 Rz. 37. Im Komm. zu OECD-MA 1977, Art. 4 Rz. 20 heißt es: Jst die natürliche Person in diesen Fällen Staatsangehöriger beider Vertragsstaaten oder keines der Staaten, so verpflichtet Buchstabe b die zuständigen Behörden, die Frage im gegenseitigen Einvernehmen zu regeln." 47 Besonderheiten in diesem Punkte weist die Rechtslage in einer Reihe von DBA der angelsächsischen Länder auf. So fehlt z. B. im DBA Großbritannien - USA aus dem Jahre 1980 nicht nur eine Art. 4 III OECD-MA 1977 entsprechende Vorschrift völlig, sondern in Art. 1 II dieses Vertrages sind Gesellschaften mit einer Ansässigkeit in beiden Staaten (dual-resident corporations) ausdrücklich aus dem Geltungsbereich des Vertrages ausgenommen. In den Fällen, in denen beide Staaten das Besteuerungsrecht ausüben, wird eine Doppelbesteuerung hier nur durch die Mechanik des sog. "tax credit" vermieden. Der Grund für diese Regelung liegt wohl darin, daß die Rechtssysteme bei der Bestimmung der Ansässigkeit sich so weit unterscheiden, daß die Einführung irgendeines neuen Kriteriums zu einer einseitigen Bevorzugung eines der beiden Länder führt. Vgl. hierzu im einzelnen: Zakas, S. 570ff. Zur Bedeutung der Konstruktion von Gesellschaften mit doppelter Staatszugehörigkeit im Verhältnis USA - Großbritannien zur geplanten Erzielung von Verlusten vgl. Schmidt, RIW 1987, 37.Demgegenüber wird im DBA Bundesrepublik 4S
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ur. Die besondere Ausprägung durch das Verständigungsverfahren
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Der Begriff der "Person" umfaßt nach der vertragstextlichen Definition in Art. 3 I lit a) OECD-MA 1977 natürliche Personen, Gesellschaften und alle anderen Personenvereinigungen. Soweit also Art. 4 III "andere als natürliche Personen" in Bezug nimmt, sind dies demnach Gesellschaften und andere Personenvereinigungen. Der Kommentar erläutert zusätzlich und im Sinne dieser Begriffsbestimmung auch zutreffend, daß es keine Rolle spielt, ob es sich hierbei um juristische Personen handele oder nicht. 48 Anknüpfungskriterium soll der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung sein. Dieser Begriff ist - wie die meisten der in Art. 411 verwendeten Begriffe - vertragsimmanent auszulegen. 49 Art. 4 III OECD-MA läßt erkennen, daß nicht maßgeblich auf rechtlich-formale Gesichtspunkte wie die Gründung der nicht-natürlichen Person oder ihren Sitz abgestellt werden soll, sondern daß in erster Linie wirtschaftliche Faktoren eine Rolle spielen sollen. 50 Der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung ist damit dort, wo die für die Geschäftsleitung charakteristischen Entscheidungen getroffen werden, also in der Regel der dienstliche Aufenthalt des Geschäftsführers, bei mehreren Geschäftsführern der Aufenthalt desjenigen mit den weitestgehenden Befugnissen. 51 3. Local remedies rule In der Literatur ist die Auffassung vertreten worden, die Bedeutung der in den Verständigungsklauseln enthaltenen Bestimmungen, wonach das VerständiDeutschland - Großbritannien das Problem der Doppelansässigkeit in Art. II(1)(h)(III) unter Hinweis auf den Sitz der "tatsächlichen Geschäftsleitung" bzw den "place of effective management" geregelt. Das ist insofern von Bedeutung, als die Ansässigkeit im internen britischen Steuerrecht seit der Entscheidung De Beers Consolidated Mines v. Howe, 5 TC 198 (1906) folgendermaßen bestimmt wird: "The decision of Chief Baron Kelly and Baron Huddleston in the Calcutta Jute Mills v. Nicholson, now thirty years ago, involved the principle that a company resides, for the purpose oflncome Tax, where its real business is carried on. (... ) I regard that as the true rule; and the real business iscarried on where the central management and control actually abides." Nach Auffassung der britischen Steuerverwaltung können der Ort des "central management and control" durchaus vom Ort des "effective management" abweichen. Zu den Einzelheiten vgl. Schmidt, RIW 1987, 35f. 48 Komm. zum OECD-MA 1977, Art. 4 Rz. 21. 49 Einen fundamentalen Verstoß gegen die völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze stellt es dar, wenn Vogel, DBA, Art. 4 Rz. 101 f. mit der Überlegung, die Rechtsprechung zu § 10 AO, wonach die Geschäftsleitung der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung sei, bestimme diesen Mittelpunkt nach den tatsächlichen Verhältnissen annimmt, diese könne demgemäß grundsätzlich zur Auslegung des Abkommensbegriffes herangezogen werden. Diese Ansicht ist daher abzulehnen. so In diesem Sinne auch Korn / Debatin, Systematik III, Rz. 39. S1 Neuseeland hat zu Art. 4 III OECD-MA 1977 erklärt, es lege den Ausdruck "tatsächliche Geschäftsleitung" im Sinne der praktischen Führung der Tagesgeschäfte, ohne Berücksichtigung des Ortes der obersten Geschäftskontrolle aus. Vgl. Komm. zu Art. 4 OECD-MA 1977, Rz. 25. Einzelfragen, wo im deutsch-britischen Verhältnis der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung liegt, erörtert Schmidt, RIW 1987, 36f.
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2. Kap.: Das Verständigungsverfahren als diplomatischer Schutz
gungsverfahren unbeschadet der nach dem innerstaatlichem Recht dieser Staaten vorgesehenen Rechtsbehelfe durchgeführt werden könne, liege darin, daß hierdurch die local remedies rule abbedungen werde. 52 Diese Ansicht erscheint jedoch als zu undifferenziert. Charakteristisch für die Ausgestaltung, die das Verständigungsverfahren durch die Verständigungsklauseln erfahren hat, ist gerade, daß die Durchführung dieses Verfahrens nur im Ansässigkeitsstaat beantragt werden kann. Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, daß der Ansässigkeitsstaat unter Umständen sogar durch ein Ansässigkeits-Verständigungsverfahren zu bestimmen ist, wenn in dieser Hinsicht Zweifel bestehen. Das bedeutet, daß ein Steuerpflichtiger im Anwendungsbereich eines Doppelbesteuerungsabkommens stets nur in einem der beiden Vertragsstaaten die Durchführung des Verständigungsverfahrens beantragen kann und zwar auch dann, wenn die abkommenswidrige Besteuerung im jeweils anderen Staat erfolgt ist. Es sind damit drei Gründe denkbar, die zu einer Doppelbesteuerung oder einer abkommenswidrigen Besteuerung geführt haben: Die abkommenswidrige Besteuerung erfolgt durch eine Maßnahme des Staates, in dem der Steuerpflichtige ansässig ist. In diesem Fall wird sich dieser Staat selbst bemühen, die Falschbesteuerung zu beseitigen, also eine für den Steuerpflichtigen befriedigende Lösung herbeizuführen. Im zweiten denkbaren Fall ergibt sich eine abkommenswidrige Besteuerung durch eine Maßnahme des jeweils anderen Vertragsstaates. Hier wird ebenso ein Verständigungsverfahren durchgeführt wie im dritten denkbaren Fall, daß nämlich eine Doppelbesteuerung in einem Fall auftritt, der in dem jeweiligen Abkommen nicht geregelt ist. Die Funktion der Klausel, daß der Steuerpflichtige den Antrag auf Durchführung des Verständigungsverfahrens "unbeschadet der nach innerstaatlichem Recht dieser Staaten vorgesehenen Rechtsmittel" stellen kann, besteht nun darin, daß das Verständigungsverfahren in Gang gesetzt werden kann, ohne daß abgewartet werden muß, bis die beanstandete Besteuerung durchgeführt oder wirksam geworden ist. 53 In zwei der drei genannten Fälle scheidet eine vertragliche Befreiung vom Erfordernis des exhaustion ofthe local remedies rule schon deshalb aus, weil sie dort von vornherein nicht anwendbar ist. Soweit das Verständigungsverfahren in Anspruch genommen wird, um Fälle von Doppelbesteuerungen zu beseitigen, die im fraglichen DBA nicht geregelt sind, bedarf es der Ausschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe schon deshalb nicht, weil kein völkerrechtswidriges Handeln des Vertragsstaates vorliegt. Ebenso ist die local remedies rule in den Fällen ohne Belang, in denen sich der Steuerpflichtige gegen eine 52 Mülhausen, S. 125; Vogel, DBA, Art. 25 Rz. 36. In diesem Sinne äußern sich auch Strobl/ Zeller, StuW 1978, 250 und Kaligin, Die Wirtschaftsprüfung 1982, 219. 53 Vgl. Komm. zum OECD-MA 1977, Rz. 11. Gleichwohl verlangt die deutsche Steuerverwaltung das Vorliegen zumindest der ersten Rechtsmittelentscheidung.
111. Die besondere Ausprägung durch das Verständigungsverfahren
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abkommenswidrige Besteuerung im Wohnsitzstaat wendet. Diplomatischer Schutz kann nur gegenüber demjeweils anderen Vertragsstaat ausgeübt werden. Nur im dritten Fall, dem der abkommenswidrigen Besteuerung durch den Vertragsstaat, stellt die geschilderte Regelung eine Befreiung vom Erfordernis der Rechtsmittelausschöpfung dar, da er die Einleitung eines Verständigungsverfahrens bereits vorher ermöglicht. 4. Verjährung Die Frage einer Verjährung oder Verwirkung für die Ausübung des diplomatischen Schutzes stellt sich im Anwendungsbereich der Doppelbesteuerungsabkommen praktisch nicht. Art. 25 I 2 OECD-MA 1977 enthält eine Bestimmung, wonach der Antrag auf Durchführung des Verständigungsverfahrens innerhalb von drei Jahren zu stellen ist. Da der Antrag nicht zu einer sofortigen Durchführung des Verständigungsverfahrens nötigt, kann die Behörde die Einleitung des zwischenstaatlichen Verfahrens von der erfolglosen Beschreitung des innerstaatlichen Rechtsweges abhängig machen. 54 Die Folge wäre, daß vom Zeitpunkt der AntragsteIlung bis zur Durchführung des Verfahrens ein unter Umständen erheblicher Zeitraum vergeht. ss Gleichwohl würde dies auf der Seite des Vertragsstaates keinen Vertrauenstatbestand schaffen, da die Beschreitung des Rechtsweges nur zur Voraussetzung des Verfahrens gemacht wird und damit feststeht, daß nach Abschluß des Rechtsweges ein Verständigungsverfahren durchzuführen ist. 5. Form der Ausübung diplomatischen Schutzes Nach den bisher angestellten Überlegungen ist klar, daß es sich bei der Einleitung des Verständigungsverfahrens um eine Form der Ausübung diplomatischen Schutzes handelt. Noch weitergehend scheint nunmehr auch die Annahme berechtigt, daß die Staaten durch den Abschluß von Doppelbesteuerungsverträgen, die Verständigungsklauseln enthalten, für den Bereich dieser Verträge eine besondere Form der Ausübung diplomatischen Schutzes geschaffen haben, nämlich eben das Verständigungsverfahren. S6 Der Schutz, den ein Staat - nunmehr allerdings nicht seinem Staatsangehörigen, sondern seinem Steuerinländer - gewährt, der von einer abkommenswidrigen Besteuerung des jeweils anderen Vertragsstaates betroffen wird, besteht darin, daß er den Vertragsstaat auffordert, mit ihm über die Beseitigung der abkommenswidrigen Besteuerung in nähere Verhandlungen einzutreten. So zutreffend Vogel, DBA, Art. 25 Rz. 40. Der Antrag auf Durchführung des Verständigungsverfahrens hemmt nach §§ 169 11 Nr. 2 LV.m. 171 III AO den Ablauf der Steuerfestsetzungsfrist. Vgl. Vogel, DBA, Art. 25 Rz. 40; Lehner, S. 110. S6 SO auch schon Mülhausen, S. 149; BFH FR 1982,467 (468). 54
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Drittes Kapitel
Der Anspruch des Steuerpflichtigen auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens Die bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, daß die Rechtsstellung des Steuerpflichtigen bei der Durchführung des Verständigungsverfahrens in erster Linie durch negative Merkmale geprägt ist: Der Steuerpflichtige kann zwar was an sich selbstverständlich sein müßte - einen Antrag auf Durchführung eines Verständigungsverfahrens stellen und ist nach Treu und Glauben auch verpflichtet, an einer eventuellen Durchführung mitzuwirken; er ist jedoch kein Verfahrens beteiligter. Obwohl ein Einigungszwang der beteiligten Staaten de lege ferenda wünschenswert erscheintl, stehen die Vertragsstaaten eines Doppelbesteuerungsabkommens nach derzeit geltendem Abkommensrecht unter keiner Verpflichtung, sich zu einigen. Die Verständigungsklauseln enthalten - das wurde ausgeführt - äußerstenfalls ein pactum de negotiando. Dementsprechend hat der Steuerpflichtige in einer Anzahl von Fällen auch keinen Anspruch auf Beseitigung einer bestehen bleibenden Doppelbesteuerung. Ebenso wenig hat der Steuerpflichtige einen Anspruch auf Abhilfe gegen eine Abkommensverletzung. Der Steuerpflichtige hat auch keinen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung im Verständigungsverfahren. 2 Von wesentlich größerer Bedeutung für den Steuerpflichtigen und von hoher Relevanz für die Praxis ist aber vor allem die Frage, ob der Steuerpflichtige gegen seinen Heimatstaat ein subjektiv-öffentliches Recht auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens hat, wenn er die Voraussetzungen erfüllt, die die DBA an die Durchführung knüpfen.
I. Die bisher geäußerten Rechtsauffassungen Die Frage nach einem subjektiv-öffentlichen Recht des Steuerpflichtigen wird in Literatur und Rechtsprechung ausgesprochen kontrovers diskutiert. Ein Teil der Literatur und insbesondere die Verwaltung sind der Auffassung, dem 1 So ausdrücklich der deutsche Nationalberichterstatter beim IFA-Kongreß 1981; vgl. Strobl, CD FI 1981, 177. 2 Zu den negativen "Rechten" des Steuerpflichtigen im Verständigungsverfahren vgl. Weber, Verständigungsverfahren, S. 211 ff.; Fischer, AWD 1961, 92ff.; Teichner, StuW 1965, 345ff.
1. Die bisher geäußerten Rechtsauffassungen
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Steuerpflichtigen stehe ein subjektiv-öffentliches Recht nicht zu. l Die Rechtsprechung und ein anderer Teil der Literatur bejahen jedoch einen Anspruch des Steuerpflichtigen auf fehlerfreie Ermessensbetätigung der Behörde bei der Entscheidung über die Einleitung eines Verständigungsverfahrens. 2 Der Bundesfinanzhof hat zu dieser Frage folgendes ausgeführt: "Aus dem Wortlaut der Verständigungsklausel . .. als einer Kannvorschriftfolgt, daß es im Ermessen der zuständigen Behörde steht, ob sie ---'-- selbst bei Nachweis einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung . ..- dem Antrag eines Steuerinländers auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens nachkommen will. ... Ist der Behörde ein Ermessen eingeräumt, hat der Steuerpflichtige einen nach Art. 19 IV GG vor den Gerichten durchsetzbaren Anspruch, daß die angegangene Behörde ihr Ermessen fehlerfrei ausübt. "3
Eine Reihe von Autoren ist aber auch bereit, dem Steuerpflichtigen einen Anspruch gegen die Steuerbehörde einzuräumen.4 Es fällt auf, daß die Vertreter der Auffassung, die einen Anspruch auf Durchführung eines Verständigungsverfahrens negieren, dies ohne eine Begründung tun; dies gilt auch, soweit wenigstens ein Recht auf fehlerfreie Ermessensbetätigung bejaht wird. Soweit ein Rechtsanspruch auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens bejaht wird, geschieht dies z. T. unter Betonung eines Anspruches des Staatsbürgers auf Schutz gegenüber Beeinträchtigungen durch fremde Staaten, z. T. aber auch unter Betonung des Billigkeitscharakters der Verständigungsklauseln. Eine dritte Meinung bejaht einen Anspruch mit der Begründung, bei den VerständigungsklauseIn liege ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vor. Diese Ansichten sollen zunächst kurz vorgestellt werden.
1. Betonung eines Anspruches des Staatsbürgers auf Schutz gegenüber Beeinträchtigungen durch fremde Staaten Bachmayr untersucht die Frage, ob die Finanzbehörden der beteiligten Vertragsstaaten verpflichtet sind, ein Verständigungsverfahren einzuleiten, anhand der Vorfrage, ob und inwieweit der deutsche Staatsbürger einen Anspruch gegenüber der Bundesrepublik auf Schutz gegenüber Beeinträchtigungen besitzt, die er seitens eines fremden Staates dadurch erfährt, daß 1 So Strobl, CDFI 1981, 177; Weber, Verständigungsverfahren, S. 219; Teichner, StuW 1965, 345f.; Studer, Steuer-Revue, Bd. 26, 187. 2 So Debatin, AWD 1969, 483; Komi Debatin, Systematik III, Rz. 193; Vogel, DBA, Art. 25 Rz. 64; Kaligin, Die Wirtschaftsprüfung 1982,220; Tipke, AWD 1972, 592. 3 So BFH BStBI. 1982 II, 583 (586). Das Gericht übersieht hierbei, daß ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensbetätigung voraussetzt, daß die das Ermessen begründenden Rechtsnormen auch individualschützenden Charakter haben; vgl. etwa Maurer, § 8 Rz. 15 m. w. Nachweisen. 4 Mülhausen, S. 149ff.; Fischer, StuW 1975,233; Bachmayr, StuW 1964, 890f.; Reich, S. 55; Kluge, S. 163; Schmitz II, S. 1268.
14 Gloria
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
dieselben Vermögens- und Einkommensteile auch dort einmal mit einer der inländischen ähnlichen Steuer belastet werden. 5
In der Bundesrepublik gelte heute der Rechtssatz, daß der Staat seine Angehörigen vor Unrecht zu schützen habe, das ihnen in einem fremden Staat widerfahre. Die Bundesrepublik habe eine solche Schutzpflicht auch bei rechtswidrigen Eingriffen eines fremden Staates in sein Vermögen und sein Eigentum. Dies gelte auch dann, wenn der Eingriff in das Vermögen des Staatsangehörigen durch eine Besteuerung erfolge, die zu einer Doppelbesteuerung führe, da eine Doppelbesteuerung nicht mit der in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Rechtsordnung übereinstimme und stets insoweit einen Verstoß gegen das Gebot der steuerlichen Gleichbehandlung darstelle, als es keinen einleuchtenden sachlichen Grund gebe, der eine Doppelbesteuerung rechtfertigen könne. 6 Die Bundesrepublik wirke an dem Eintritt dieser Doppelbesteuerung zudem mit, so daß sie auch aus eigenem Unrechtstun verpflichtet sei, auf deren Beseitigung hinzuwirken. Dieser Schutzanspruch - so Bachmayr - komme allerdings nur Deutschen zugute; bei Ausländern oder Staatenlosen fehle es für diesen Schutzanspruch an einem Anknüpfungspunkt. Die Bundesrepublik könne das Schutzbegehren des betroffenen Staatsangehörigen auch nicht mit dem Hinweis auf das Überwiegen allgemeiner politischer Interessen über das Einzelinteresse zurückweisen, weil hier dem Betroffenen das Unrecht nicht allein durch den fremden Staat zugefügt werde, sondern die Bundesrepublik hieran mitwirke. 7 Es gehe in diesen Fällen nicht an, daß die Bundesrepublik zunächst das Unrecht der Doppelbesteuerung mit verursache und sich dann auf den Standpunkt stelle, Gesichtspunkte des allgemeinen Staatswohls verböten es, bei dem anderen Staat in irgendeiner Weise zur Vermeidung dieses Unrechts vorstellig zu werden. Die Schutzverpflichtung der Bundesrepublik unterliege auch nicht deshalb einer Einschränkung, weil der Deutsche sich freiwillig in eine fremde Rechtsund Wirtschaftsordnung begebe und dadurch ein gewisses Risiko auf sich genommen habe, da in Bezug auf die Staaten, mit denen die Bundesrepublik ein DBA abgeschlossen habe, durch deren Abschluß die Frage, ob und wie der Betroffene zu schützen sei, einer rechtlichen Regelung zugeführt worden sei. Durch den Abschluß des Abkommens bringe der Staat zum Ausdruck, daß der Behandlung der geregelten Fragen im zwischenstaatlichen Verkehr keine Interessen des Staates entgegenständen. Der Schutzanspruch ihres Staatsangehörigen verpflichte die Bundesrepublik, auch in solchen Fällen Maßnahmen zum Schutze ihrer Staatsangehörigen zu ergreifen, in denen es sich um eine Steuer handele, die nicht von einem bestehenden DBA erfaßt werde, insbesondere dann, wenn dieses eine Vorschrift enthalte, daß die beteiligten Staaten sich 5 6 7
Bachmayr, StuW 1964, 887. Bachmayr, StuW 1964, 887f. Bachmayr, StuW 1964, 890.
I. Die bisher geäußerten Rechtsauffassungen
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auch über Fälle von Doppelbesteuerungen verständigen könnten, die in den Abkommen nicht geregelt seien. Diese Schutzpflichten gälten nach Bachmayr allerdings auch, wenn kein DBA bestehe; die Bundesrepublik sei nicht dadurch gerechtfertigt, daß sie kein DBA abgeschlossen habe. 8 2. Betonung des Billigkeitscharakters der DBA
Tipke geht - auf dem Boden der Transformationstheorie - davon aus, daß ein DBA seine steuerrechtliche Geltung lediglich aus dem Transformationsakt beziehe, durch den die Regelungen des Abkommensrechts in die Hierarchie der internen deutschen Rechtsnormen einbezogen werden, so daß das Zustimmungsgesetz für das Rechtsverhältnis bestimmend sei, nicht die völkerrechtliche Rechtsquelle. 9 In transformierter Form könnten Völkerrechts normen unter dem Einfluß verfassungsrechtlicher Grundnormen eine neue, das Individualinteresse zur Geltung bringende Bedeutung empfangen. Ob eine Norm den Individualinteressen der Betroffenen diene und ihnen ein Recht auf die Innehaltung rechtlicher Bindungen durch eine Behörde verleihe, lasse sich nur von Fall zu Fall nach den Regeln der Logik entscheiden. 10 Dabei habe sich die Grenze zwischen Rechtsreflexen und subjektiv-öffentlichen Rechten mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes verschoben: Nur ungewollte, zufällige Begünstigungen des einzelnen hätten Reflexcharakter behalten. Soweit der Gesetzestext eine eindeutige Zuordnung eines in praxi begünstigten Individualinteresses zu einer der beiden Gruppen (subjektives Recht oder Rechtsreflex) nicht erkennen lasse, sei diejenige Interpretation vorzuziehen, die dem Bürger ein subjektives Recht einräume. Allgemein anerkannt sei heute, daß eine gerechte Besteuerung nach der steuerlichen Leistungsfähigkeit ausgerichtet werden müsse; dies zwinge bei internationaler Betätigung des Steuerpflichtigen dazu, die inländische und die ausländische Steuer aufeinander abzustimmen. Die DBA-Transformationsgesetze müßten im Lichte verfassungsrechtlicher Grundwertungen auch als Versuch verstanden werden, die individuelle steuerliche Belastung gerecht auszugestalten. Dementsprechend könne dem Steuerpflichtigen, der sich auf die Verständigungsklausel berufe, nicht entgegengehalten werden, es handele sich um eine Regelung, die kein subjektives Recht gewähre. l l Allerdings sage dies noch nicht ohne weiteres etwas über die inhaltliche Beschaffenheit der Rechtsbindungen aus, denen der Staat beim Verständigungsverfahren ausgesetzt sei. Der Verzicht auf Steuern bedürfe einer gesetzlichen Ermächtigung. Zuweilen werde die Ansicht vertreten, Abkommensvorschriften Bachmayr, StuW 1964, 890f. Tipke, AWD 1972,590. 10 Tipke, AWD 1972, 590, im Anschluß an Forsthoff. 11 Tipke, AWD 1972, 590.
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
über das Verständigungsverfahren könnten eine solche Ermächtigung noch nicht beinhalten und bedürften einer Konkretisierung durch internes Recht. Individuelle Rechte brauchten jedoch nicht qua Völkerrecht zu entstehen, sondern erst auf dem Umweg über die nationalen Gesetze, die der Staat zur Erfüllung seiner Verpflichtungen erlasse, oder sonst durch Regeln des innerstaatlichen Rechts. 1z Es gebe deshalb keine prinzipiellen Einwände dagegen, die Verständigungsvorschriften der Doppelbesteuerungsabkommen als hinreichende Grundlage für einen Steuerverzicht anzusehen. 13 Die Frage, ob die Verständigungsklausein der DBA oder § 131 AO a. F. (jetzt §§ 163, 227 AO 1977) die Rechtsgrundlage für einen Steuerverzicht darstellten, der im Verständigungswege vereinbart worden sei, könne jedoch letztlich auf sich beruhen, da die Gerichte bei der Anwendung der Vorschrift der AO zwar von einer Ermessensentscheidung ausgingen, dies aber auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Billigkeit überprüften. Dennoch bleibe es letztlich auch bei § 131 AO bei einem Ermessen, so daß der Steuerpflichtige nach § 131 AO keine weitergehenden Rechte habe als nach den Verständigungsklauseln. 14 Eine Doppelbesteuerung könne jedoch nicht stets als unvereinbar mit den Grundsätzen der Billigkeit i. S. v. §131 AO a.F. angesehen werden, da sonst der Ermessensspielraum der Behörde so schrumpfe, daß ein Anspruch auf eine Milderungsmaßnahme entstehe, was insoweit bedenklich sei, als sie auch das Risiko einer ungerechtfertigten ausländischen Besteuerung einseitig dem deutschen Fiskus auferlege. Die Konsequenz dieser Überlegungen sei, daß der Steuerpflichtige, wenn und soweit er kein Gericht anrufe, der Doppelbesteuerung umso sicherer unterworfen bleibe. Diese Konsequenz zu vermeiden sei jedoch gerade die Funktion der Verständigungsklauseln, die im Wege des Kompromisses die fiskalische Einbuße auf beide Staaten zu verteilen suche. Demgemäß sei der Versuch, eine Verständigung zu erreichen, gegenüber §131 AO a.F. ein Minus, das im Ergebnis nicht verweigert werden dürfe. 15 Es sei daher ermessensfehlerhaft, die Einleitung eines Verständigungsverfahrens zu verweigern. 3. Die Verknüpfung der allgemeinen diplomatischen Schutzpflicht mit dem Regelungszweck der Verständigungsklauseln
Mülhausen ist der Ansicht, die Begründungsversuche Bachmayrs und Tipkes seien - jeder für sich genommen - nicht haltbar. Er schlägt deshalb vor, die Kernpunkte der beiden Argumentationen zusammenzunehmen, um zu einer richtigen Fragestellung zu kommen. Entscheidend sei, ob auf die Gewährung Tipke, AWD 1972,591 unter Bezugnahme auf Dahm, Völkerrecht III, S. 115f. Tipke, AWD 1972, 591; anderer Ansicht Weber, Verständigungsverfahren, S. 220f. 14 Tipke, AWD 1972, 591 unter Bezugnahme auf GmS-OGB in BStBI. 1971 11,603. Zum Begriff der "Unbilligkeit" bei § 131 AO a. F. vgl. auch Kloepfer, StuW 1971, 277ff. 15 Tipke, AWD 1972, 592. 12
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I. Die bisher geäußerten Rechtsauffassungen
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diplomatischen Schutzes, der für den Bereich der DBA im Wege des Verständigungsverfahrens geltend zu machen sei, ein subjektiv-öffentliches Recht bestehe, oder ob die Ausübung der diplomatischen Protektion für den Bürger nur ein Rechtsreflex sei. 16 Sowohl Bachmayr als auch Tipke gingen von einer verfehlten Fragestellung aus, ob nämlich ein Rechtsanspruch auf Schutz gegen eine internationale Doppelbesteuerung bestehe bzw. ein Rechtsanspruch auf Beseitigung der Folgen einer Doppelbesteuerung. Es gebe jedoch kein völkerrechtliches Verbot der Doppelbesteuerung. 17 Sinn des Verständigungsverfahrens i. e. S. sei es, primär eine den Regelungen des jeweiligen DBA entsprechende Besteuerung zu gewährleisten. Erst wenn eine solche Feststellung getroffen sei, könne das Verständigungsverfahren als Billigkeitsverfahren fortgesetzt werden. Entgegen Bachmayr sei ein rechtswidriger Eingriff in das Vermögen eines deutschen Staatsangehörigen erst dann zu bejahen, wenn eine Besteuerungsmaßnahme gegen das Völkerrecht verstoße, was aber erst bei einer konfiskatorischen Besteuerung zu bejahen sei, bzw. wenn eine abkommenswidrige Besteuerung vorliege. Im Bereich der DBA sei das Verständigungsverfahren das vertraglich vorgeschriebene Mittel der Protektion. Die richtige Fragestellung müsse daher lauten, ob der Steuerpflichtige insoweit ein subjektiv-öffentliches Recht auf Ausübung der diplomatischen Protektion habe. 18 Hinsichtlich der Ausübung diplomatischer Protektion gelte im Grundsatz, daß der Bürger einen Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung habe. Wegen der vielfältigen Möglichkeiten, in denen diplomatischer Schutz in Betracht komme, und der unterschiedlichen Mittel, die ein Staat zum Schutze seiner Staatsangehörigen einsetzen könne, sei es sicherlich nicht vertretbar, dem Bürger für alle denkbaren Fallgestaltungen ein subjektiv-öffentliches Recht auf Schutzausübung zuzuerkennen. Für das nationale Steuerrecht stelle sich die Frage der Schutzausübung aber nicht in dieser generellen Form, da durch die Konsultationsklausel in den DBA das Mittel der diplomatischen Protektion völkervertragsrechtlich festgelegt sei. Mit der Aufforderung zur Einleitung eines Verständigungsverfahrens werde ein Anspruch geltend gemacht, zu dessen Einhaltung der andere Staat sich verpflichtet habe. 19 Halte die zuständige Behörde die Einwendungen des Steuerpflichtigen für begründet, seien atypische Fälle, auf die die ratio leges offenbar nicht zutreffe, nicht denkbar. Das spreche dafür, daß dem Sollen der Behörde nicht nur ein subjektiv-öffentliches Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch, sondern ein striktes subjektiv-öffentliches Recht entspreche. 20
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Mülhausen, Mülhausen, Mülhausen, Mülhausen, Mülhausen,
S. S. S. S. S.
141. 141. 142. 149. 152.
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
Für dieses Ergebnis spreche auch die Struktur der Vorschriften, die neben dem Konsultationsverfahren eben auch das Verständigungsverfahren vorsehen, das auch dem Steuerpflichtigen eine Einwendungsbefugnis gebe und daher nur den Sinn haben könne, daß dem Steuerpflichtigen ein subjektiv-öffentliches Recht zusteht. 21 Dieses Ergebnis folge auch aus der Vermutung für das Bestehen eines subjektiv-öffentlichen Rechts. 22 4. Kritik
Mülhausen ist in seinem grundsätzlichen Ausgangspunkt insoweit Recht zu geben, als er die Stellungnahmen sowohl Bachmayrs als auch Tipkes zur Begründung eines subjektiv-öffentlichen Rechts des Steuerpflichtigen auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens nicht für ausreichend hält.
Einen Rechtsanspruch auf Schutz gegen eine internationale Doppelbesteuerung, wie Bachmayr ihn postuliert, setzt - jedenfalls soweit dieser Schutz in einem völkerrechtlichen Tätigwerden eines Staates in der Form der Ausübung diplomatischer Protektion besteht - notwendigerweise die Völkerrechtswidrigkeit dieser Doppelbesteuerung voraus. Oben wurde bereits ausgeführt, daß es weder ein völkergewohnheitsrechtliches Verbot der Doppelbesteuerung gibt 23 , noch daß die DBA ihrerseits ein allgemeines Verbot der Doppelbesteuerung aufstellen. Hinzu kommt, daß das Verständigungsverfahren nach den Feststellungen im zweiten Kapitel die Funktion hat, eine abkommensgemäße Besteuerung zu gewährleisten, nicht aber die völlige Beseitigung der Doppelbesteuerung in jeder Form bezweckt. 24 Selbst soweit das Verständigungsverfahren als Billigkeitsverfahren angesehen werden kann, ist es erforderlich, zuvor die Feststellung zu treffen, daß auf Seiten beider Vertragsstaaten eine abkommensgemäße Besteuerung vorgelegen hat; diese muß allerdings dann zu einer unbilligen Härte geführt haben. Widersprochen werden muß Bachmayr ferner, soweit er einen aus den DBA sich ergebenden Schutzanspruch nur für Deutsche anerkennen will, bei Ausländern und Staatenlosen aber das Fehlen eines Anknüpfungspunktes moniert, der die Bundesrepublik zur Ausübung diplomatischen Schutzes berechtigte. 2s Nach den Überlegungen, die oben angestellt wurden, ist bei den DBA und den auf ihnen fußenden Möglichkeiten der Ausübung diplomatischer Protektion die Mülhausen, S. 152. Mülhausen, S. 153 unter Bezugnahme auf MaunzjDürigjHerzogjScholz, Art. 19 Abs. IV, Rz. 37 m. w. N. (Erstkommentierung Dürig 1958). 23 Vgl. im einzelnen: Dorn StuW 1928,911; Bühler, Prinzipien, S. 34; Vogel, DStR 1968, 430; Vogel, Anwendungsbereich, S. 353; Bühler in Strupp j Schlochauer, Bd. I, S. 397; Dahm, Völkerrecht I, S. 519,523; Berber I, S. 383; Spitaler, Doppelbesteuerungsproblem, S. 532, 550; a.A. Fricke, AWD 1960, 197ff. 24 Darauf hat auch Mülhausen, S. 141, zutreffend hingewiesen. 25 Bachmayr, StuW 1964, 888. 21
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I. Die bisher geäußerten Rechtsauffassungen
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Anknüpfung der Schutzausübungsberechtigung an die Staatsbürgereigenschaft ersetzt durch eine Anknüpfung an die Eigenschaft als Steuerinländer, so daß die Staatsbürgereigenschaft nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Stellt die Doppelbesteuerung an sich aber kein völkerrechtswidriges Handeln dar, so gilt es noch die These Bachmayrs zu widerlegen, die Bundesrepublik sei auch aus eigenem Unrechtstun zur Beseitigung der eingetretenen Doppelbesteuerung aufgrund ihrer Verpflichtungen ihrem Staatsbürger gegenüber gehalten.26 Dem ist folgendes entgegenzuhalten: Ist die Besteuerung des anderen Vertragsstaates rechtswidrig und führt sie aus diesem Grunde zu einer Doppelbesteuerung, so kann von einem Unrechtstun der Bundesrepublik keine Rede sein. Liegt ein Verstoß gegen die Besteuerungsgrundsätze eines DBA auf Seiten der Bundesrepublik vor, so ist diese schon aus diesem Grunde verpflichtet, die Besteuerung zu korrigieren. Eines Verständigungsverfahrens bedarf es dann ebenfalls nicht. Kommt es zu einer Doppelbesteuerung aber aufgrund völkerrechtlich rechtmäßiger Besteuerungsmaßnahmen beider Staaten, so können diese dem Steuerpflichtigen gegenüber allenfalls zu einer Billigkeitsmaßnahme i. S. v. §§ 163, 227 AO 1977 verpflichtet sein. Eine solche Verpflichtung würde aber - darauf weist Tipke zu Recht hin 27 - auch das Risiko einer ungerechtfertigten ausländischen Besteuerung einseitig dem deutschen Fiskus aufbürden. Eine Verpflichtung zur Einleitung eines Verständigungsverfahrens begründet sie jedoch nicht. Aber auch die Ausführungen von Tipke zur Begründung eines subjektivöffentlichen Rechtes auffehlerfreien Ermessensgebrauch bei der Frage nach der Einleitung des Verständigungsverfahrens überzeugen in der Begründung nicht. Gegen die von Tipke aufgeworfene Fragestellung, ob nämlich ein Rechtsanspruch auf Beseitigung der Folgen einer Doppelbesteuerung besteht, läßt sich dasselbe einwenden wie gegen die Fragestellung Bachmayrs: Es ist nicht nachweisbar, daß eine internationale Doppelbesteuerung völkerrechtswidrig wäre. Auch hinsichtlich seiner These, die Einleitung eines Verständigungsverfahrens sei ein Minus gegenüber den Vorschriften der Abgabenordnung über den Billigkeitserlaß (§ 131 AO a.F.; jetzt §§ 163, 227 AO 1977) und könne nicht verweigert werden, ist Tipke zu widersprechen. Zwar mag eine Doppelbesteuerung nach Lage des einzelnen Falles "unbillig" i. S. v. §§ 163,227 AO 1977 sein, und damit auch im Einzelfall die Festsetzung einer niedrigeren Steuer rechtfertigen. Zu bestreiten ist jedoch, daß die Durchführung eines Verständigungsverfahrens demgegenüber ein Minus ist. Das Verständigungsverfahren hat in einer Reihe von Fällen - wie dargestellt - insofern Billigkeitscharakter, als es den Finanzbehörden die Möglichkeit eröffnet, in den vom Abkommen nicht erfaßten Fällen über die Beseitigung einer bestehen bleibenden Doppelbesteuerung Vereinbarungen zu treffen. Im Grundsatz jedoch haben sie die Funktion, eine abkommensgerechte Besteuerung zu gewährleisten. Vor allem aus dem 26
27
Bachmayr, StuW 1964, 890. Vgl. Tipke, AWD 1972,591.
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
Grunde, daß nicht in allen Abkommen den Finanzbehörden die Möglichkeit eingeräumt ist, eine Billigkeitsentscheidung zu treffen 28 , verbietet es sich, die Durchführung eines Verständigungsverfahrens gegenüber dem Billigkeitserlaß nach §§ 163, 227 AO als Minus anzusehen. 29 Zu widersprechen ist Tipke schließlich insofern, als er davon ausgeht, die Transformation nach Art. 5911 GG verwandele eine Völkerrechtsnorm dergestalt in einen Satz innerstaatlichen Charakters, daß eine Vermutung dafür bestehe, daß dem Bürger ein subjektives Recht eingeräumt werden solle, soweit der Gesetzestext eine eindeutige Zuordnung eines in praxi begünstigten Individualinteresses entweder zum subjektiven Recht oder zum Rechtsreflex nicht erkennen lasse. 30 Schon im ersten Kapitel war festgestellt worden, daß völkerrechtliche Verträge auch nach ihrer Einbeziehung in die innerstaatliche Rechtsordnung nach völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätzen zu interpretieren sind. Nach der Vollzugstheorie, der hier gefolgt wird, ergibt sich dieses Ergebnis daraus, daß der Vollzugsbefehl als innerstaatliche Geltungsanweisung den völkerrechtlichen Geltungsgrund unangetastet läßt. 31 Die Frage, welchen Inhalt eine Völkerrechtsnorm durch die Einbeziehung in eine nationale Rechtsordnung durch die Interdependenz mit nationalem Verfassungsrecht im Einzelfall erlangt, muß im Zusammenhang mit der Frage nach einer Wechselwirkung zwischen Völkerrecht und Verfassung bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge gesehen werden. 32 Solche Wechselwirkungen zeigen sich dort, wo in den Auslegungsvorgang sowohl verfassungsrechtliche als auch völkerrechtliche Überlegungen 28 So enthalten etwa die DBA USA, Pakistan, Indien, Ägypten, Irland, Israel und Griechenland (anglo-amerikanische Abkommensgruppe) eine derartige Vorschrift nicht; vgl. auch BFH BStBI. 1970 II, 392 (394). 29 Mülhausen, S. 143, wendet gegen die Argumentation Tipkes ein, in den Nachkriegsabkommen sei der Begriff der Billigkeit in den Vorschriften über das Verständigungsverfahren i. e. S. nicht mehr enthalten. Lediglich die Ergänzungsklauseln in den meisten Verträgen der kontinental-europäischen Abkommensgruppe enthielten noch die Regelung, daß "zur Beseitigung von Härten aufgrund einer Doppelbesteuerung in Fällen, die in diesen Abkommen nicht geregelt sind", ein Einvernehmen herbeigeführt werden soll. Die Frage, ob Art. 25 I OECD-MA, den Tipke heranziehe, oder § 131 AO (a. F.) Rechtsgrundlage für einen Steuerverzicht sein könne, stelle sich daher für die Nachkriegsabkommen nicht. Mülhausens Kritik ist aber jedenfalls in diesem Punkte ungerechtfertigt. Tipke, AWD 1972, 592 geht erkennbar davon aus, eine Doppelbesteuerung sei gemessen am Ziel der Leistungsfähigkeitsbesteuerung - unbillig. Dies gelte für jede Ausübung der nationalen Steuergewalt ohne Rücksicht aufSteuerlasten im Ausland. Für Tipke ist es demnach folgerichtig, aus der Überlegung heraus, sie dienten generell der Vermeidung der Doppelbesteuerung, Parallelen zu den Billigkeitsvorschriften des nationalen Rechts zu ziehen. Sein gedanklicher Fehler liegt in der Verkennung der Funktion der Verständigungsklauseln. 30 Tipke, AWD 1972, 590. 31 Partsch, S. 109; Boehmer, S. 88ff. 32 Vgl. hierzu Ress in Ress / Schreuer, S. 7 ff.; Schreuer in Ress / Schreuer, S. 61 ff.; Strebel, ZaöRV 1976, 168ff.
1. Die bisher geäußerten Rechtsauffassungen
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einfließen. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung kann auf die Vielzahl schwieriger Auslegungsprobleme, die sich in diesem Bereich ergeben, nur am Rande eingegangen werden. Aus diesem Grunde sollen nur die Grundzüge der Kritik vorgebracht werden. Wechselbeziehungen zwischen Völkerrecht und Verfassung, die in der Auslegung ihren Niederschlag finden können, sind prinzipiell bei völkerrechtlichen Verträgen denkbar, wenn diese auf das Verfassungsrecht eines oder mehrerer Partner verweisen oder einen einzelnen verfassungsrechtlichen Begriff rezipieren. 33 Wechselwirkungen kann es darüber hinaus noch geben, wenn Vertrags- und Verfassungsbegriffe im Rahmen einer durch einen Vertrag geschaffenen gemeinsamen Wertordnung normativ durchdrungen werden. 34Schon dieser kurze Überblick zeigt, daß eine nur durch die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages beantwortete Rechtsfrage - hier: ob sich aus einer Norm des Völkervertragsrechtes ein subjektiv-öffentliches Recht ergibt - nicht dadurch eine andere Qualität gewinnen kann, daß diese Völkerrechtsnorm in innerstaatliches Recht einbezogen wird. Nach den Überlegungen, die im ersten Kapitel angestellt wurden, kann die Frage, ob einer in innerstaatliches Recht einbezogenen Völkerrechtsnorm ein subjektiv-öffentliches Recht innewohnt, nur durch eine Auslegung nach völkerrechtlichen Grundsätzen beantwortet werden. Denn zu einer Auswechslung von Adressaten und Geltungsgrund kommt es nach der Vollzugslehre ja gerade nicht. Das bedeutet, daß es rein dogmatisch gesehen eine Verformung eines völkerrechtlichen Auslegungsergebnisses - abgesehen von den oben genannten Ausnahmefällen - durch Einflüsse nationalen Rechts nicht geben kann. 3s So gesehen ist es nicht vertretbar, davon auszugehen, eine gewollte Begünstigung in einem völkerrechtlichen Vertrag "verwandele" sich durch die Einbeziehung in nationales Recht unter den grundlegenden Leitideen des Grundgesetzes in Berechtigungen. 36 Gegen diese Annahme Tipkes spricht auch folgende Überlegung: Nimmt man an, daß eine Begünstigung, die in einem völkerrechtlichen Vertrag enthalten ist, sich unter der Geltung des Grundgesetzes in eine echte Berechtigung in der Form eines subjektiv-öffentlichen Rechts verwandelt, so führt dies dazu, daß die Vertragspflichten der Vertragspartner divergieren; in der Bundesrepublik sind sie - wegen des Einflusses des Grundgesetzes - stärker als in anderen Staaten. 33 Vgl. dazu Strebel, ZaöRV 1976, 181ff.; Ress, ZaöRV 1976, 253ff.; Ress in Ress/Schreuer, S. 17, 54. Zur Möglichkeit einer Parteiverweisung siehe insbesondere Aselmann, S. 219ff. 34 Ein Beispiel hierfür ist die EMRK; vgl. im einzelnen Ress in Ress / Schreuer, S. 17. 35 Das bedeutet natürlich auch, daß etwa nur eine von divergierenden Auslegungen staatlicher Gerichte völkerrechtskonform sein kann, wenn auch divergierende Entscheidungen als solche als soziologisches Faktum bestehenbleiben; vgl. hierzu Seidl-Hohenveldem, Präjudizentscheidungen, S. 480. 36 So aber Tipke, AWD 1972, 590.
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
Es wäre jedoch von der Natur und der Grundstruktur eines völkerrechtlichen Vertrages her gesehen ungewöhnlich, wenn sich nach dem Willen der Vertragspartner die Vertragspflichten je nach dem Bereich, in dem der Vertrag zur Anwendung kommt, ändern könnten. Vielmehr entspricht es sowohl in Leistungsaustauschverhältnissen als auch in rechtssetzenden Verträgen dem Willen der Vertragsparteien am besten, wenn streng auf eine Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten geachtet wird, der Vertrag also möglichst kongruent angewandt wird. 37 Mülhausen kommt das Verdienst zu, als erster die Fragestellung zutreffend dahingehend formuliert zu haben, ob der Steuerpflichtige ein subjektivöffentliches Recht auf Ausübung der diplomatischen Protektion in der Form der Einleitung und der Durchführung eines Verständigungsverfahrens hat. Wenn Mülhausen dadurch auch die Weiche in die richtige Richtung gestellt hat, so sind ihm doch bei deren Beantwortung eine Reihe von methodischen Fehlern vorzuwerfen.
Ebenso wie Tipke geht Mülhausen von der- soeben widerlegten - These aus, daß eine Vermutung für das Bestehen eines subjektiv-öffentlichen Rechtes spreche, wenn der Gesetzestext nicht eindeutig erkennen lasse, ob ein Individualinteresse als subjektives Recht geschützt sei oder bloß einen Rechtsreflex ausgelöst habe. 38 Bei der Prüfung der Frage, ob die Verständigungsklauseln der Doppelbesteuerungsabkommen dem Steuerpflichtigen ein subjektiv-öffentliches Recht im oben erwähnten Sinne einräumen, untersucht Mülhausen, ob diese Vorschriften dem Interesse des Steuerpflichtigen dienen sollen. 39 Dabei zieht er im Rahmen einer historischen Interpretation neben Vorschriften alter Doppelbesteuerungsabkommen wie dem Romvertrag, dem DBA Italien-Tschechoslowakei und dem DBA Italien auch schriftliche Äußerungen des deutschen Verhandlungsführers Dorn zur Unterstützung seiner Arbeitshypothese heran, es entspreche dem "Willen des historischen Gesetzgebers", daß den in den Verträgen Begünstigten unmittelbar verfolgbare Rechte gegen den verpflichteten Staat erwachsen sollten. Dieses Vorgehen ist nach den Auslegungsregeln der WVK, die im ersten Kapitel im einzelnen dargestellt wurden, nicht zulässig. Es liegt auf der Hand, daß es sich sowohl bei den Äußerungen Dorns als auch bei den früheren DBA nicht um Materialien handelt, die im Rahmen von Art. 31 WVK heranziehbar sind: Es handelt sich hier nicht um "Zusammenhang" i. S. v. Art. 31 Abs. 2 WVK. Bei den alten, heute obsoleten Doppelbesteuerungsabkommen mag es sich zwar insofern um auf den Vertrag (nämlich das konkret auszulegende DBA) 37 Ress in Ress / Schreuer, S. 42; Hilf, S. 179; vgl. auch Seidl-Hohenveldern, Präjudizentscheidungen, S. 480. 38 Mülhausen, S. 153. 39 Mülhausen, S. 149.
II. Völkerrechtliche Gesichtspunkte
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sich beziehende Übereinkünfte handeln, als diese als Vorlagen für die späteren Abkommen gedient haben mögen. Ganz gewiß handelt es sich jedoch nicht um Übereinkünfte, die zwischen allen Vertragsparteien anläßlich des Vertragsschlusses getroffen wurden. Darüber hinaus läßt Art. 31 Abs. 3 WVK nur spätere, nicht aber frühere Übereinkünfte und Übungen zur Berücksichtigung zu. Offenbleiben kann an dieser Stelle, ob die früheren Verträge möglicherweise als "vorbereitende Arbeiten" nach Art. 32 WVK überhaupt hätten Berücksichtigung finden dürfen, da - dies unterstellt - ihre Heranziehung nur zulässig gewesen wäre, wenn die Auslegung nach Art. 31 WVK die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel gelassen hätte, oder wenn sie zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis geführt hätte. 4O Sie können jedoch niemals - wie bei Mülhausen - primär Ansatzpunkt für die Auslegung sein.
11. Völkerrechtliche Gesichtspunkte "Many writers eonsider diplomatie protection a duty of the state, as weil as a right. /f it is a duty internationally, it is only a moral and not a legal duty,for there is no means of enforcing its fulfillment. In as mueh as the state may determine in his discretion whether the injury to the citizen is sufficiently serious to warrant or whether politieal expedieney justifies the exercise of the proteetive forees of the eolleetivity in his behalf, - for the interests of the majority eannot be sacrified - it is elear that by international law there is no legal duty ineumbent upon the state to extend diplomatie proteetion. Whether sueh a duty exists toward the eitizen is a matter of munieipallaw of his own eountry, the general role being that even under municipallaw the state is under no legal duty to extend diplomatie proteetion." 1 40 Es erscheint zweifelhaft, ob die früheren DBA zu den vorbereitenden Arbeiten eines konkreten DBA mit zwei anderen Vertragspartnern gerechnet werden können. In der völkerrechtlichen Literatur und der Rechtsprechung internationaler Gerichte ist die parallel gelagerte Frage heftig umstritten, ob die vorbereitenden Arbeiten einer multilateralen Konvention solchen Staaten entgegengehalten werden können, die nicht an ihrer Aushandelung mitgewirkt haben. Dagegen war etwa der Ständige Internationale Gerichtshofim Oder-Fall, P.C.I.J., Series A, No. 23, einer Entscheidung aus dem Jahre 1929. Demgegenüber war die International Law Commission aus "Praktikabilitätsgründen" anderer Auffassung; vgl. YBILC 1966 II, 223. In zwei Schiedsgerichtsentscheidungen, die solche Fälle betrafen (Italien. /. Bundesrepublik Deutschland, LL.R., Vol. 29, 442 und Griechenland ./. Bundesrepublik Deutschland, I.L.R., Vol. 34, 219 (329» wurden die vorbereitenden Arbeiten ebenfalls herangezogen. Im bereits erwähnten Fall der YoungLoan-Arbitration wurde die Frage erneut virulent. Mit einer vier zu drei Entscheidung verwarf das Schiedsgericht die Heranziehung von Materialien, die der Bundesrepublik Deutschland, obwohl sie Vertragspartei war, nicht bekannt gewesen sein sollen (I.L.R., Vol. 54, 544 f (564». Zum Young-Loan-Fall und der Bedeutung der vorbereitenden Arbeiten für die Entscheidung vgl. Hahn, NYIL 1983, 13f.; zum ganzen: Sinclair, S. 141 ff. 1 Borchard, S. 29.
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
Beeinflußt durch diese Äußerung Borchards war und ist es die überwiegende Ansicht der internationalen Gerichte und Schiedsgerichte, daß ein Anspruch des Bürgers auf diplomatischen Schutz durch das Völkerrecht nicht gewährleistet wird. 2 1. Völkerrecht und individueller Schutzanspruch
Die hier zu erörternde Frage, ob das Individuum aus einer Norm des Völkerrechts Rechte herleiten kann, steht in engem Zusammenhang mit der im zweiten Kapitel bereits behandelten Frage, ob das Individuum oder der Staat Träger des Anspruches ist, der mit der diplomatischen Protektion geltend gemacht wird. Während nach der klassischen Völkerechtslehre dem Individuum die Eigenschaft, Träger von Rechten und Adressat von Pflichten zu sein, im Rahmen der Völkerrechtsordnung völlig abgesprochen wurde 3 , oder nur im Rahmen einer Völkerrechtssubjektivität die Möglichkeit anerkannt wurde, daß das Individuum Adressat einer Völkerrechtsnorm sein kann4, geht die neuere Lehre davon aus, daß die Völkerrechtsordnung Einzelpersonen auch ohne Mediatisierung über den Staat unmittelbar berechtigen oder verpflichten kann. 5 Bei der Prüfung, ob eine Norm des Völkerrechts dem Einzelnen ein Recht gewährt, was mit der neueren Lehre für zulässig gehalten werden muß, ist begrifflich streng zu unterscheiden zwischen einer echten völkerrechtlichen Berechtigung und einer bloßen Begünstigung des Individuums, die als Reflex aus einer Berechtigung und Verpflichtung eines Staates entstehen kann. Das maßgebliche Kriterium, das es ermöglicht, eine solche völkerrechtliche Berechtigung von einer Begünstigung als Reflex einer Völkerrechtsnorm zu unterschei2 Vgl. die Entscheidung des IGH in der Angelegenheit Barcelona-Traction, I.c.J.Reports 1970, 45; die Entscheidung des StIGH im Mavrommatis-Konzessionen-Fall, Series A, No. 2, S. 12 (aus dem Jahre 1924); vgl. ebenso Guggenheim, Völkerrecht I, S. 281; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rz. 1245; Zellweger, SJZ 1932, 273; Geck in Strupp I Schlochauer, Bd. I, S. 383; Doehring, Pflicht des Staates, S. 11 tT.. Kritisch dieser Ansicht gegenüber vor allem Brunner, S. 95 ff. Gegen die oben wiedergegebene Ansicht Borchards wendet er ein, der Umstand, daß das Völkerrecht keine Zwangsmittel kenne, um die Erfüllung der sich ergebenden völkerrechtlichen Verpflichtungen durchzusetzen, könne nicht die Pflicht selbst aufueben; ansonsten - so Brunner - sei wohl der größte Teil des Völkerrechts hinfällig (Brunner, S. 97). Anderer Ansicht ebenfalls dezidiert Katzarov, ÖZöR 1957/58, 443 und Doehring für das Fremdenrecht (Doehring, Fremdenrecht, S. 105). 3 Vgl. die Darstellung bei Magiera in Menzelilpsen, S. 117ff. und VerdrosslSimma, §§ 423 ff.; Berber I, § 21 V, S. 170, weist darauf hin, daß diese Ansicht einhellig von der sozialistischen Völkerrechtslehre vertreten wird. 4 Vgl. hierzu die kritische Würdigung bei Manner, AJIL 1952, 428ff. Zur Objekttheorie: Triepel, S. 13ff., 21, 259ff., 329; Borchard, S. 16ff. 5 Magiera in Menzelilpsen, S. 118; VerdrosslSimma, §§423ff.; Doehring, Fremdenrecht, S. 105ff.; Katzarov, ÖZöR 1957/58, 443ff.; Brunner, S. 95ff.; Berber I, S. 173.
II. Völkerrechtliche Gesichtspunkte
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den, die dadurch entsteht, daß ein Staat völkerrechtlich verpflichtet wird, ist die Bereitstellung eines völkerrechtlichen Verfahrens zur Durchsetzung dieser Rechte. 6 Eine völkerrechtliche Berechtigung im eigentlichen Sinne liegt nur dann vor, wenn den Individuen durch eine Völkerrechtsnorm unmittelbar die Befugnis eingeräumt wird, von einem Staat in einem völkerrechtlichen Verfahren ein bestimmtes Verhalten zu verlangen. 7 Das wichtigste Beispiel einer solchen Durchbrechung der Mediatisierung der Rechte von Einzelpersonen durch die Staaten enthält die EMRK.8 Zwar um Ansprüche aus völkerrechtlichen Verträgen, aber nicht um eigentliche völkerrechtliche Berechtigungen handelt es sich, wenn diese Ansprüche nur infolge eines staatlichen Durchführungsaktes oder einer verfassungsrechtlichen Adoption in innerstaatliches Recht zustandekommen und auch nur vor innerstaatlichen Gerichten geltend gemacht werden können. Eine steigende Anzahl von völkerrechtlichen Verträgen beinhaltet solche Ansprüche, die nur vor staatlichen Gerichten geltend gemacht werden können. 9 Diese kurze Gegenüberstellung zeigt schon, daß es sich bei Ansprüchen irgendwelcher Art, die aus Doppelbesteuerungsabkommen herrühren, nicht um echte völkerrechtliche Berechtigungen handeln kann. Nach den im ersten Kapitel angestellten Überlegungen bedürfen die DBA einer Einbeziehung in nationales Recht. Soweit sie - was im folgenden noch näher zu untersuchen sein wird - dem Steuerpflichtigen Ansprüche gewähren, kann es sich nur um 6 Vgl. zu dieser Differenzierung etwa Berber I, S. 171ff.; Magiera in Menzel/lpsen, S. 118f.; Verdross / Simma, §§ 423ff. 7 Verdross / Simma, § 424. 8 Nach Art. 25 EMRK kann jede natürliche Person, nichtstaatliche Organisation oder Personenvereinigung die Europäische Kommission für Menschenrechte anrufen, wenn sie sich durch eine Verletzung der in der Konvention anerkannten Rechte beschwert fühlt, vorausgesetzt, der betreffende Staat hat die Zuständigkeit der Kommission zur Entgegennahme solcher Gesuche anerkannt. Die Möglichkeit zur Anrufung der Kommission stellt zwar noch keinen Zugang zu einem internationalen Gericht dar und gewährleistet noch keine ParteisteIlung vor einem solchen Gericht. Es ermöglicht jedoch die Einleitung eines quasi-gerichtlichen Verfahrens, das einer Entscheidung des letztlich entscheidenden Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte lediglich vorgeschaltet ist. Das Beschwerderecht selbst wird durch die bloße Erklärung eines Staates nach Art. 25 I 1, 2. Halbsatz EMRK ausgelöst und ergibt sich damit, da es nicht von einer innerstaatlichen Durchführung abhängt, direkt aus einem völkerrechtlichen Vertrag. Zu den Einzelheiten vgl. Frowein/ Peukert, Art. 25 Rz. 1 ff.. Rudolf, Völkerrecht, S. 50, merkt kritisch an, die EMRK sei eine Ausnahme gewesen, die bisher nicht wieder vorgekommen sei. Bei realistischer Betrachtung der gegenwärtigen internationalen Situation könne von einer direkten Anwendung völkerrechtlicher Normen auf das Individuum unter Ausschaltung des staatlichen Rechts keine Rede sein. Weitere Beispiele aber bei Verdross / Simma, §§ 424ff.; zu vordergründig jedoch Janis, S. 71, der dem Mediatisierungsgedanken offenbar keine Bedeutung beimißt. 9 Verdross / Simma, § 423.
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
Begünstigungen handeln, nicht um völkerrechtliche Berechtigungen; auch völkerrechtliche Mittel zu ihrer Durchsetzung werden nicht bereitgestellt. Das eingangs wiedergegebene Statement Borchards bedarf damit der Relativierung: Wenn das Völkerrecht dem Individuum als Reflex objektiven Rechts Begünstigungen einzuräumen imstande ist, die dieser als Ansprüche vor innerstaatlichen Gerichten (und Behörden) seinerseits geltend machen kann, so folgt daraus zumindest, daß wenigstens die Möglichkeit besteht, daß auch aus dem Völkerrecht ein Anspruch auf Ausübung diplomatischer Protektion fließen kann. lo
In der Tat räumt Doehring ein: "Vertragliche Verpflichtungen, durch die ein Staat ein bestimmtes Verhalten gegenüber seinen eigenen Staatsangehörigen anderen Staaten verspricht, sind durchaus denkbar und auch eingegangen worden (. . .). Liegt eine solche vertragliche Verpflichtung vor, so könnte sich aus ihr sogar ein Anspruch der Einzelperson ergeben, sei es au/grund einer ausdrücklichen Verpflichtung eines Staates, einen solchen Anspruch zu eröffnen. Bei allen diesen vertraglichen Verpflichtungen aber handelt es sich nicht um allgemeine Regeln des Völkerrechts, die in dem hier interessierenden Zusammenhang von Bedeutung sein könnten, und unter all diesen völkerrechtlichen Verpflichtungen, die den Schutz des Individuums zum Gegenstand haben, ist keine solche bekannt, die darauf hindeutet, auch die diplomatische Protektion der eigenen Staatsangehörigen sei nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts eine Pflicht des Staates."ll
Für die vorliegende Untersuchung ist nun wie folgt zu differenzieren: Die Doppelbesteuerungsabkommen stellen als partikulares Völkerrecht eine mögliche Quelle eines Anspruches eines Individuums auf Gewährung diplomatischen Schutzes in der Form der Einleitung und Durchführung eines Verständigungsverfahrens dar. Ein solcher Anspruch wurzelte - wenn er den Doppelbesteuerungsabkommen entnehmbar wäre - im Völkerrecht. Abgesehen von diesem Fall kann sich ein Anspruch des Staatsbürgers auf Gewährung diplomatischen Schutzes im allgemeinen noch aus seinem Rechtsverhältnis zu seinem Heimatstaat ergeben. Dieses Rechtsverhältnis ist nach der überkommenen Lehre dem staatlichen Recht zuzuordnen. 12 10 Ein solcher aus dem Völkerrecht fließender Anspruch bleibt auch nach seiner Einbeziehung in nationales Recht ein völkerrechtlicher Anspruch. Er wird auch durch die Einbeziehung nicht etwa zu einem Anspruch nationalen Rechtes, da nach der hier vertretenen Vollzugstheorie eine Änderung von Adressaten und Geltungsgrund gerade nicht eintritt. 11 Doehring, Pflicht des Staates, S. 13. Geck in Festschrift für Carstens, S. 339ff. geht der Frage nach, in welcher Form sich eine Ausweitung von Individualrechten durch völkerrechtliche Verträge auf eine mögliche Erweiterung der Befugnisse des Staates, diplomatischen Schutz zu gewähren, auswirkt. Als Beispiel für eine solche Ausweitung nennt er ausdrücklich die Doppelbesteuerungsabkommen. Wie Doehring hier auch Geck, ZaöRV 1956/57, 512.
II. Völkerrechtliche Gesichtspunkte
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2. Völkerrecht und die Ausübung diplomatischen Schutzes Der Anspruch des Individuums auf diplomatischen Schutz ist auf der anderen Seite auch durch das Völkerrecht selbst begrenzt. Der Heimatstaat muß naturgemäß bei der Gewährung des diplomatischen Schutzes die allgemein vom Völkerrecht gesetzten Grenzen einhalten. 13 Für den vorliegend aus einem völkerrechtlichen Vertrag folgenden möglichen Anspruch des Steuerinländers auf Einleitung und Durchführung eines Verständigungsverfahrens folgt dies schon aus der Überlegung, daß das Völkerrecht dem Individuum keine Begünstigung gewähren kann, die ihrerseits wiederum völkerrechtswidrig wäre. Soweit das Individuum einen aus dem nationalen Recht fließenden Anspruch geltend macht, kann sich diese Begrenzung auch nur aus dem staatlichen Recht ergeben. Hier ist gesagt worden, daß es nach dem Recht der Bundesrepublik mit Sicherheit ausgeschlossen wäre, wenn der Staatsbürger eine Handlung verlangte, die völkerrechtlich unzulässig wäre. 14 Für die vorliegende Untersuchung hat diese notwendige Einschränkung jedoch keine Bedeutung. In den Doppelbesteuerungsabkommen selbst ist festgelegt, daß zur Gewährleistung einer abkommensgerechten Besteuerung und zur Beseitigung einer trotz DBA bestehen bleibenden Doppelbesteuerung im Einzelfall eine Verständigung der zuständigen Behörden möglich ist. Damit steht fest, daß das Völkerrecht die entsprechende Form der Schutzausübung nicht nur für zulässig erklären, sondern auch gewährleisten will. Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich, daß der Staat im steuervölkerrechtlichen Bereich einem möglichen Anspruchsdualismus ausgesetzt ist. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung soll zunächst der Frage nachgegangen werden, ob ein Staat aufgrund innerstaatlicher Verpflichtungen zur Gewährung diplomatischen Schutzes verpflichtet sein kann, wobei zunächst die Struktur des subjektiv-öffentliches Rechtes der Aufhellung bedarf. Anschließend wird zu prüfen sein, ob völkerrechtliche Verpflichtungen bestehen, die diese Pflicht auslösen können. Vorher ist jedoch noch zu klären, in welchem Verhältnis die beiden Ansprüche stehen. 3. Das Verhältnis der Ansprüche auf Gewährung diplomatischen Schutzes nach deutschem Staatsrecht und nach den DBA Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß die möglichen Ansprüche, denen die Bundesrepublik im steuer-völkerrechtlichen Bereich ausgesetzt ist, 12 Von Katzarov, ÖZöR 1957/58, 443ff.; Brunner, S. 95ff. und Doehring, Fremdenrecht, S. 105 ff. wird diese Ansicht angegriffen. Gleichwohl soll ihr hier gefolgt werden, weil sie die Ansicht der Mehrheit der Völkerrechtssubjekte ist und damit gewohnheitsrechtliche Bedeutung hat. 13 Doehring, Die Pflicht des Staates, S. 16; Geck in Strupp/ Schlochauer, Bd. I, S. 384. 14 Doehring, Die Pflicht des Staates; S. 17.
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
differenziert zu betrachten sind. Es ist zunächst klargeworden, daß sich ein Anspruch auf die Gewährung diplomatischen Schutzes in erster Linie aus dem Rechtsverhältnis ergeben kann, das einen Staatsbürger mit seinem Heimatstaat verbindet. Hier liegt eine denkbare Quelle für einen Anspruch im Hinblick auf eine Verhinderung der Doppelbesteuerung, wobei nur eine abkommenswidrige Besteuerung in Betracht kommt, da nur diese ein völkerrechtliches Delikt darstellen kann. Darüber hinaus gewähren möglicherweise auch die DBA selbst einen Anspruch auf die Ausübung diplomatischer Protektion - in der Form, die das Verständigungsverfahren darstellt. Klarheit darüber, ob diese beiden Ansprüche bestehen, wird erst der weitere Verlauf der Untersuchung bringen. Wenn diese Ansprüche allerdings beide bestehen, so fragt es sich, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Führt der Abschluß eines DBA dazu, daß der sich aus dem Staatsrecht ergebende Anspruch modifiziert wird, untergeht oder zurücktritt? Von den denkbaren Möglichkeiten erscheint nur diejenige erwägenswert, wonach der aus den DBA folgende Anspruch gegenüber dem sich aus dem Staatsrecht ergebenden Anspruch die lex specialis ist. Im logischen Verhältnis der Spezialität stehen zwei Normen zueinander dann, wenn der Anwendungsbereich der spezielleren Norm völlig in dem der allgemeineren aufgeht, wenn also alle Fälle der spezielleren Norm auch solche der allgemeineren Norm sind. Das ist der Fall, wenn der Tatbestand der spezielleren Norm alle Merkmale der allgemeineren Norm und darüber hinaus noch mindestens ein zusätzliches Merkmal enthält. 1s Ohne daß hier bereits auf Einzelfragen eingegangen zu werden braucht, läßt sich doch soviel sagen, daß Voraussetzung für die Gewährung des allgemeinen, sich aus dem Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland ergebenden Rechtes auf diplomatischen Schutz die Staatsangehörigkeit ist. Demgegenüber knüpft die Abkommensberechtigung nach den DBA, die auch die Befugnis vermittelt, die Durchführung eines Verständigungsverfahrens zu beantragen, an die Ansässigkeit an. Ansässigkeitsbegründende Merkmale des innerstaatlichen Rechts sind für die Zwecke der Abkommensanwendung aber solche, die in dem jeweiligen Vertragsstaat zu einer Besteuerung als Inländer führen, also zu einer unbeschränkten Steuerpflicht nach deutschem Steuerrecht. Unbeschränkt steuerpflichtig in der Bundesrepublik Deutschland können jedoch auch Personen sein, die eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen, also nicht Deutsche sind. Das bedeutet, daß die Tatbestandselemente beider Formen diplomatischer Protektion sich teilweise decken, teilweise aber nicht. Anders ausgedrückt: Die Tatbestandselemente beider Formen der Ausübung diplomatischen Schutzes in der Form der Einleitung eines Verständigungsverfahrens sind nach den DBA IS
Larenz, S. 256f.
1Ir. Das subjektiv-öffentliche Recht und seine Struktur
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zum Teil enger, zum Teil aber auch weiter als bei den durch das deutsche Staatsrecht gewährleisteten Formen der Protektion. Ein Spezialitätsverhältnis besteht damit zwischen ihnen nicht. Da - schon wegen der hiergegen zu erhebenden verfassungsrechtlichen Bedenken - auch nicht davon ausgegangen werden kann, der Gesetzgeber habe durch den Abschluß von Doppelbesteuerungsabkommen diejenigen deutschen Staatsangehörigen, die in der Bundesrepublik nicht auch zugleich abkommensberechtigt sind, von der Möglichkeit, für sie diplomatisch tätig werden zu können, entkleiden wollen, ist davon auszugehen, daß beide Formen nebeneinander möglich sind, also eine Anspruchskonkurrenz vorliegt. 16
III. Das subjektiv-öffentliche Recht und seine Struktur Der Begriff des subjektiv-öffentlichen Rechtes wird nur deutlich, wenn er im Zusammenhang mit dem Rechtsreflex gesehen wird. Ausgangspunkt der Überlegungen ist dabei, daß es von jedem Satze des objektiven Rechts selbstverständlich ist, daß er staatlichen Zwecken dienen muß, also im Gemeininteresse gegeben ist. Nicht erforderlich ist allerdings, daß jeder Rechtssatz auch individuellen Zwecken dienen muß. Denn die Rechtsordnung hat Bestandteile, die zwar im öffentlichen Interesse bestehen, aber nur insoweit, als sich die Förderung eines Individualinteresses gleichzeitig auch als öffentliches Interesse darstellt. Wenn nun die Rechtssätze des öffentlichen Rechts im Gemeininteresse den staatlichen Organen ein bestimmtes Tun oder Unterlassen gebieten, kann im Ergebnis dieses Tun oder Unterlassen bestimmten Individuen zugute kommen, ohne daß gleichzeitig die Rechtsordnung beabsichtigt hätte, die Rechtssphäre gerade dieser Personen zu erweitern. Diese Fälle werden als rechtliche Reflexwirkungen objektiven Rechts bezeichnet. 1 Der Begriff des subjektiven Rechts selbst ist ungemein kontrovers und die Reihe der ihm gewidmeten Erörterungen, die zudem oftmals auch gerade die Abgrenzung zum Rechtsreflex zum Gegenstand haben, ist fast unübersehbar. 2 Da es nicht die Aufgabe der vorliegenden Untersuchung sein kann, dem Streit über den Begriff des subjektiven Rechts weitere Ausführungen hinzuzufügen, soll hier dem Ansatz Bachofs gefolgt werden, der heute noch als grundlegend angesehen wird. 3 Zum Begriff vgl. Larenz, S. 258. lellinek, System, S. 69 f. Der Begriff der Reflexwirkung geht zurück auf lhering, § 61, S. 339; vgl. weiter Bachof, Reflexwirkungen, S. 288; Wolf!! Bachof, § 43 I b, S. 321. 2 Vgl. etwa die Nachweise bei Bachof, Reflexwirkungen, S. 291 und Wolf!! Bachof, § 43, S.318f. 3 So z. B. von Erichsen in Erichsen! Martens, § 10 11 5, S. 151. Bemühungen um eine Neubestimmung des subjektiven öffentlichen Rechts, vor allem von Henke, Bartlsberger, VerwArchiv 1969, 47f. und Lorenz, S. 54, haben sich nicht durchsetzen können; vgl. auch Zuleeg, DVBI. 1976, 509ff. und neuestens Bauer, DVBI. 1986, 208ff. 16
1
15 Gloria
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
Terminologisch ist an dieser Stelle noch zu erwähnen, daß ein subjektives Recht - sei es öffentlichen oder zivilrechtlichen Charakters - nicht gleich einem Anspruch ist. Der Anspruch ist nur eines der drei Erscheinungsformen des subjektiven Rechts. Neben dem Anspruch zählen noch Beherrschungs- und Gestaltungsrechte zu den subjektiven Rechten. 4 Für die vorliegende Untersuchung ist dies jedoch ebenfalls ohne Belang, da - soweit hier von subjektiven Ansprüchen gesprochen wird - nur Ansprüche gemeint sein können, die Doppelbesteuerungsabkommen gewähren, nicht aber Beherrschungs- und Gestaltungsrechte. Ein subjektives Recht ist seinem Inhalt nach eine dem einzelnen durch das objektive Recht zuerkannte "Willensmacht" oder "Rechtsrnacht"; es dient seinem Zweck nach zur Befriedigung menschlicher Interessen, und zwar grundsätzlich der eigenen Interessen des Inhabers jener Rechtsrnacht. 5 Die eigentlich zentrale Frage, an der sich heute wie früher der Streit um das subjektive Recht entzündet, ist, unter welchen Voraussetzungen eine objektivrechtliche Begünstigung des öffentlichen Rechts jene "Rechtsrnacht" oder "Willensmacht" gewährt, die erst die Begünstigung zum subjektiven Recht werden läßt. 6 Nach der klassischen Definition Ottmar Bühlers bringt ein Rechtssatz subjektive öffentliche Rechte für den Untertan dann und nur dann zur Entstehung, wenn er 1. zwingenden Charakter trägt, d. h. das freie Ermessen der Verwaltung bei seiner Anwendung ausschließt, 2. zugunsten bestimmter Personen oder Personenkreise zur Befriedigung ihrer Individualinteressen und nicht nur im Interesse der Allgemeinheit erlassen ist, und wenn er 3. im Interesse dieser Personen mit der Wirkung erlassen ist, daß sie sich auf ihn berufen sollen, um mittels desselben ein bestimmtes Verhalten seitens der Verwaltungsbehörde herbeiführen zu können. 7 1. Zwingender Rechtssatz
Ein zwingender Rechtssatz liegt vor, wenn die Möglichkeit besteht, einen gewissen Zwang auf die Verwaltung auszuüben, von ihr ein bestimmtes 4 Bachof, Reflexwirkungen, S. 293; Wolf!/ Bachof, § 43 I a) 3), S. 320f.; Baumann, § 8 II, S.237ff. 5 Bachof, Reflexwirkungen, S. 292. 6 Bachof, Reflexwirkungen, S. 294. 7 Bühler, Subjektives öffentliches Recht, S. 21; Bühler, Begriff und Bedeutung, S. 274; ebenso Bachof, Reflexwirkungen, S. 294, der diese Begriffsbestimmung auch heute noch für maßgeblich hält; Erichsen in Erichsen/ Martens, § 10 II 5, S. 151; Wolff/ Bachof, § 43 I b 2., S. 323; Maurer, § 8 Rz. 8, S. 117.
III. Das subjektiv-öffentliche Recht und seine Struktur
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Verhalten zu verlangen. 8 Daran fehlt es vor allem in zwei Fällen: Ein Rechtssatz weist dann keinen zwingenden Charakter auf, wenn und soweit er dem betreffenden Träger öffentlicher Verwaltung Ermessen einräumt. In diesen Fällen weist der fragliche Rechtssatz zwar keinen zwingenden Charakter hinsichtlich der erstrebten Rechtsfolge auf, jedoch ist hier das Verwaltungshandeln nicht schlechthin ungebunden, denn die Behörde darf ihr Ermessen ohnehin nur pflichtgemäß ausüben, muß also sachgerechte und irrtumsfreie Ermessenserwägungen angestellt haben. 9 Es besteht demgemäß eine Verpflichtung der Verwaltung zur Einhaltung dieser Ermessensgrenzen und insoweit kann auch ein Anspruch bestehen, der sich dann als Anspruch auf fehlerfreie Ermessensbetätigung darstellt. 10 In gleicher Weise besteht eine Verpflichtung der Verwaltung zur Einhaltung solcher Grenzen, die dem Ermessen in anderer Hinsicht gesetzt sind, etwa durch Verfassungsrechtssätze. Darüber hinaus wird die Bindung der Verwaltung auch durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe gelockert. Solche unbestimmten Rechtsbegriffe können im Einzelfall der Behörde einen Beurteilungsspielraum eröffnen, der ebenso wie das Ermessen in der konkreten Auswirkung für den Bürger den zwingenden Charakter eines Rechtssatzes entfallen lassen kann. 11 2. Schutz von Individualinteressen Als zweites und eigentlich entscheidendes Kriterium des subjektiv-öffentlichen Rechts ist zu prüfen, ob der fragliche Rechtssatz, wenn auch nicht ausschließlich, so doch zumindest auch dem Individualinteresse desjenigen zu dienen bestimmt ist, der sich auf ihn beruft. Zur Abgrenzung der subjektivöffentlichen Rechte von den Rechtsreflexen kommt es maßgeblich auf den Schutzzweck des jeweils einschlägigen Rechtssatzes an; dieser Schutzzweck ist durch Auslegung zu ermitteln. 12 8 Vgl. Bühler, Subjektive öffentliche Rechte, S. 22; Bachof, Reflexwirkungen, S. 295; Erichsen/ Martens in Erichsen/ Martens, § 10 11 5, S. 151 sprechen dagegen von "Verhaltenspflichten ". 9 Bachof, Reflexwirkungen, S. 295; Erichsen/ Martens in Erichsen/ Martens, § 10 II 5, S. 151. Ähnlich schon Bühler, Subjektive öffentliche Rechte, S. 24ff. 10 Bachof, Reflexwirkungen, S. 295; Erichsen/ Martens in Erichsen/ Martens, § 10 II 5, S. 151; zum Rechtsinstitut des Anspruchs auf fehlerfreie Ermessensbetätigung: Bühler, Subjektive öffentliche Rechte, S. 162; Maurer, § 8 Rz. 15, S. 123f.; RandelzhoJer, BayVBI. 1975, 573ff., 607ff. 11 Bachof, Reflexwirkungen, S. 296; zum Beurteilungsspielraum vgl. ebenso Ule, Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 309ff., sowie grundlegend Bachof, lZ 1955, 97ff. und BachoJlZ 1972,641 ff. Bühler, Subjektive öffentliche Rechte, S. 27ff. und Bühler, Begriff und Bedeutung, S. 275 ist - wohl im Gegensatz zu BachoJ - der Ansicht, in unbestimmten Begriffen könne kein Hindernis für die Entstehung eines subjektiven öffentlichen Rechtes gesehen werden. 12 WolfJ/ Bachof, § 43 I b 2, S. 322.
15"
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
Dabei ist grundsätzlich auf das rechtlich geschützte Interesse abzustellen, nicht auf die Schutzwürdigkeit. Die Schutzwürdigkeit spielt jedoch eine Rolle, wenn die Frage auftritt, ob ein Rechtssatz, der tatsächlich ein bestimmtes Interesse schützt, auch dazu bestimmt ist, dieses Interesse zu schützen. In diesen Fällen besteht eine Vermutung dafür, daß ein Rechtssatz, der einem Individualinteresse tatsächlich zugute kommt, auch die Funktion hat, dieses Interesse tatsächlich zu schützen, wenn es schutzwürdig ist. Die Vermutung geht also dahin, daß ein faktisch begünstigtes Interesse dann, wenn es allgemein als schutzwürdig angesehen wird, auch rechtlich geschützt ist. 13 Bei der Ermittlung der Schutzwirkung eines Rechtssatzes ist die Abgrenzung des Gemeininteresses vom Individualinteresse besonders schwierig. Hier kommt es entscheidend darauf an, ob der Rechtssatz ein Hoheitssubjekt deshalb verpflichtet - und zwar nicht ausschließlich, aber auch - weil ein unmittelbares Eigeninteresse des begünstigten Individuums als vorrangig anerkannt und deshalb geschützt werden soll, oder ob das Hoheitssubjekt allein um allgemeiner oder besonderer öffentlicher Interessen willen zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet wird. 14 Zur Ermittlung dieser Schutzwirkung muß eine in einem Rechtssatz enthaltene Begünstigung im Zusammenhang mit der Gesamtrechtsordnung gesehen, auf die ihm zugrundeliegende Interessenwertung untersucht werden. Hier bekommt also das den Rechtssatz umgebende Normengefüge und seine institutionellen Rahmenbedingungen eine Bedeutung. Der Schutzzweck eines Rechtssatzes ist dabei anhand einer gegenwärtigen Interessenwertung zu ermitteln. Läßt der historische Wille des Gesetzgebers positiv eine Individual-Begünstigungsabsicht erkennen, so kommt es auf weitere Interpretationsregeln nicht mehr an. Läßt sich eine Begünstigungsabsicht hingegen nicht eindeutig nachweisen, so bedeutet dies gleichwohl nicht, daß dieser Norm nach heutiger Wertung nicht trotzdem ein subjektiv-rechtlicher Gehalt innewohnen kann. Derlei Wandlungen der einer Norm zugrundeliegenden Interessenwertungen sind gerade seit Geltung des Grundgesetzes nicht selten. 15 Im Rahmen der Prüfung einer Interessenwertung zur Erhellung des Bachof, Reflexwirkungen, S. 296. Wolffj Bachof, § 43 I b 2, S. 322; Bachof, Reflexwirkungen, S. 296 f.; Erichsen j Martens in Erichsenj Martens, § 10 11 5, S. 152; Bühler, Subjektive öffentliche Rechte, S. 42ff. Dieser als Schutznormlehre bezeichnete Ansatz ist nach heutigem Verständnis eine Sammelbezeichnung für einen Kanon von Methoden und Regeln, nach denen der subjektiv-rechtliche Gehalt eines Rechtssatzes erschlossen werden soll; vgl. SchmidtAßmann in MaunzjDürigjHerzogjScholz, Art. 19 IV, Rz. 128ff. Während sie in der Rechtsprechung unangefochten gilt (vgl. BVerwGE 1, 83; 27, 29 (31 f.); 32, 173; 41, 58 (63); 52,122 (129); 61 256 (262); BGH DVBI. 1983,628 (629», mehren sich in der Literatur die kritischen Stimmen (vgl. etwa Henke, S. 54, 57, 60; Bernhardt, Jz 1963, 302; Henke DÖV 1980, 621; Bartlsberger, VerwArchiv 1969, 49; Zuleeg, DVBI. 1976, 515; die nicht auf den Schutzzweck der anwendbaren Normen sondern auf die tatsächliche Betroffenheit des jeweiligen Rechtsträgers abstellen wollen). Kritik auch bei Berger, S. 146ff. 13
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IH. Das subjektiv-öffentliche Recht und seine Struktur
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Schutzzweckes eines Rechtssatzes gewinnt die Ausstrahlungswirkung der Verfassungsordnung erhebliche Bedeutung. Eine Unterscheidung danach, ob eine Norm von ihrem Schutzzweck her dem Einzelnen als Teil des öffentlichen Interesses schützt, oder aber darauf abzielt, Individualinteressen zu schützen, setzt voraus, daß der Interessenschutz eines Rechtssatzes in einer spezifischen Weise auch dem Rechtskreis des Individuums zugeordnet werden kann. Das bedeutet, daß der Kreis der Interessenten hinreichend bestimmt sein muß. Denn ein Rechtssatz, der nicht eine Anzahl in ihrer Individualität geschützter Personen bestimmt, dient eben nur dem Allgemeininteresse. 16 Unerheblich für die Abgrenzung zwischen geschütztem Individualinteresse und öffentlichem Interesse ist jedoch die Anzahl der Interessenten. Denn subjektive öffentliche Rechte können auch solchen Rechtssätzen inhärent sein, die sich an alle, aber an jeden Einzelnen in seiner Individualität wenden. 17 Auf der anderen Seite impliziert ein beschränkter Personenkreis nicht, daß auch Individualinteressen geschützt werden sollen, da der fragliche Rechtssatz die Interessen dieses Kreises auch als öffentliche Interessen zu schützen beabsichtigen kann. 18 Feste Kriterien, anhand derer sich die Prüfung einer Vorschrift im Hinblick darauf, ob sie individualschützenden Charakter aufweist oder nur den Interessen des gemeinen Wohls zu dienen bestimmt ist, hat die Schutzzwecklehre jedoch nicht bereitgestellt. 19 Sie begnügt sich mit der Erkenntnis, es könne nur jeweils von Fall zu Fall entschieden werden, ob eine Norm allein dem Gemeininteresse oder (wenigstens auch) einem Individualinteresse zu dienen bestimmt sei. 20
15 Bachof, Reflexwirkungen, S. 297; Schmidt-Aßmann in Maunz; Dürig ; Herzog; Scholz, Art. 19 IV, Rz. 128, 138; Wolff; Bachof, § 43 I b 2, S. 322. Beispiele aus der Rechtsprechung für den Einfluß sich wandelnder Wertvorstellungen einer Norm: BVerwGE 1, 159 (160f.); 9, 78 (80). 16 Bachof, Reflexwirkungen, S. 297; Schmidt-Aßmann in Maunz; Dürig ; Herzog; Scholz, Art. 19 IV, Rz. 140. 17 Das ergibt sich gerade aus den Grundrechten. Zu Recht kritisiert Bachof, Reflexwirkungen, S. 297, daher OVG Hamburg, DÖV 1955, 151 (151), wonach ein Recht auf Gemeingebrauch, "da es jedem anderen auch zukommt. schlechterdings kein subjektives öffentliches Recht sein kann". 18 Bachof, Reflexwirkungen, S. 297; Schmidt-Aßmann in Maunz; Dürig ; Herzog; Scholz, Art. 19 IV, Rz. 140. 19 Vgl. hierzu die dezidierten Angriffe Bergers, S. 149ff., der ein entsprechendes Erkenntnisdefizit der Rechtswissenschaft rügt. 20 So Bachof, Reflexwirkungen, S. 298. Es liegt auf dieser Linie, wenn Schmidt-Aßmann in Maunz; Dürig; Herzog; Scholz, Art. 19 IV Rz. 128, ausführt, der Kanon der unter dem Begriff "Schutznormlehre" zusammengefaßten Regeln und Methoden sei nicht in sich geschlossen, sondern entwicklungsoffen. Das Gewicht der einzelnen Kriterien habe in der Vergangenheit geschwankt und werde dies auch weiterhin tun.
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
3. Rechtsmacht zur Durchsetzung eines rechtlich geschützten Interesses
Ein objektiv-rechtlich Begünstigter, der im Sinne der vorstehenden Ausführungen Träger eines rechtlich geschützten Interesses ist, muß sich schließlich als drittes Charakteristikum des subjektiv-öffentlichen Rechtes - in der Weise auf den Rechtssatz berufen können, daß er mittels dieses Rechtssatzes ein bestimmtes Verhalten der verpflichteten Behörde herbeiführen kann, daß er also eine Rechtsrnacht zur Durchsetzung seines Interesses hat. 21 Erst durch die Rechtsrnacht des Inhabers des geschützten Interesses, vom rechtlich Verpflichteten die Erfüllung seines Begehrens verlangen zu können, wird sein rechtlich geschütztes Interesse zum subjektiven Recht. Eine individuelle Begünstigung ohne eine durch die Rechtsordnung bereitgestellte Ermächtigungsnorm zur Durchsetzung dieses Verlangens ist lediglich ein Reflex objektiven Rechts. 22 Unter der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, insbesondere unter der Geltung von Art. 19 IV GG sind objektiv-rechtlich gewährte und gewollte Begünstigungen des öffentlichen Rechts zu subjektiven Rechten geworden. 23 Fraglich ist, ob das Erfordernis der Klagemöglichkeit in diesem Zusammenhang ein denkbares Kriterium darstellt. Art. 19 IV GG stellt jedoch bei Vorliegen eines subjektiven Rechtes generell die Klagbarkeit sicher. Da diese Vorschrift gerade das Bestehen eines Rechtes voraussetzt, kann sie zur Ermittlung eines subjektiven Rechtes nichts beitragen. 24 Die Eröffnung des Rechtsweges ist darüber hinaus überhaupt nicht als maßgebliches Kriterium für das subjektiv-öffentliche Recht anzusehen. 2s Bedeutung bekommt die Klagemöglichkeit im Rahmen der vorliegenden Untersuchung jedoch für die Zeit vor Inkrafttreten des Grundgesetzes. Die Gewährleistung einer Klagemöglichkeit macht die Begünstigung stets zum subjektiven Recht. Durch die Möglichkeit, rechtliche, individuelle Ansprüche zu erzeugen, unterscheidet sich das subjektive 21 Bachof, Reflexwirkungen, S. 299; Bühler, Subjektive öffentliche Rechte, S. 47ff; Jellinek, System, S. 127ff.; Schmidt-Aßmann in Maunz j Dürig j Herzog j Schotz, Art. 19 IV, Rz. 146. 22 Bachof, Reflexwirkungen, S. 299, weist allerdings zutreffend darauf hin, daß diese Form des Reflexes objektiven Rechtes als gewollte Begünstigung sich grundlegend von der Form des Rechtsreflexes unterscheide, die sich als rein tatsächliche, ungewollte und mehr oder minder zufällige Begünstigung darstelle; vgl. auch Bachof, VVDStRL 12, 75. 23 Bachof, Reflexwirkungen, S. 299; demgegenüber glaubt Jellinek, VVDStRL 12, 119 (Diskussions beitrag), der Gesetzgeber könne zumindest in gewissen Grenzen bestimmen, ob er ein subjektives Recht verleihen wolle, oder nicht. Wie Bachof Erichsenj Martens in Erichsenj Martens, § 10 Ir 5, S. 153; BVerfGE 227,297 (308); vgl. auch Lorenz, S. 55 f. Wie sich dies auf eventuelle aus völkerrechtlichen Verträgen herrührende subjektiv-öffentliche Rechte auswirkt, wird im weiteren Verlauf der Untersuchung noch zu klären sein. 24 Bachof, Reflexwirkungen, S. 300. 2S Bachof, Reflexwirkungen, S. 300; Forsthoff, § 10.3, S. 187; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 686.
IIl. Das subjektiv-öffentliche Recht und seine Struktur
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Recht vom Rechtsreflex. Denn niemals kann ein durch ein Rechtsmittel zu verfolgender Anspruch nur Rechtsreflex sein. 26 Die Klagemöglichkeit bekommt damit für die Rechtsrnacht zur Durchsetzung eines rechtlich geschützten Interesses in zweierlei Hinsicht Bedeutung: Ist eine Klagemöglichkeit gewährleistet, so bedeutet dies, daß ein rechtlich geschütztes Interesse fast stets die Qualität eines subjektiven Rechtes erlangt; nämlich immer dann, wenn der Klageberechtigte eigene Interessen verfolgt. 27 Der umgekehrte Schluß wäre jedoch verfehlt. Beim Fehlen einer gerichtlichen Rekurs-Möglichkeit läßt sich nicht zwingend schließen, in diesen Fällen fehle auch das subjektiv-öffentliche Recht; es ist vielmehr nach anderen Kriterien zu seiner Ermittlung zu suchen. Zusammenfassend läßt sich daher mit Jel/inek festhalten: "Kann aus dem Fehlen eines Rechtsmittels nicht der zwingende Schluß auf das Fehlen eines subjektiv-rechtlichen Anspruches gezogen werden, so beweist doch umgekehrt das Dasein streng individualisierten, durch Gesetz gewährten Rechtsschutzes das Dasein individualisierter Fähigkeit."28
Für die Klagbarkeit genügt nach Bachof heute die Geltendmachung eines objektivrechtlich geschützten Interesses, einer von der Rechtsordnung gewährten und gewollten Begünstigung, denn solche geschützten Interessen bzw. gewollten Begünstigungen seien heute von Verfassungs wegen "subjektive Rechte".29 Dabei ist im Zweifel davon auszugehen, daß im Rechtsstaat des Grundgesetzes eine Rechtsvorschrift auch entsprechende subjektive Rechte des durch sie begünstigten Bürgers begründet. 30
Jellinek, System, S. 106; Bachof, Reflexwirkungen, S. 300. Bachof, Reflexwirkungen, S. 300. 28 Jellinek, System, S. 106. Anderer Ansicht ist hier Doehring, Die Pflicht des Staates, S. 90f. Er ist der Auffassung, eine Bemerkung Forsthaffs, ein subjektives öffentliches Recht liege nur vor, wenn ein Rechtsmittel gegeben sei, sei berechtigt. Ein Rechtsmittel sei durch die Generalklausel des Art. 19 IV GG immer gegeben. Nicht ganz verständlich sei daher Bachofs Argument, die Klagbarkeit sei kein Wesensmerkmal des subjektiven Rechts (Bachof, Reflexwirkungen, S. 300), denn die Durchsetzbarkeit bleibe ein Merkmal jedenfalls für das öffentliche Recht der Bundesrepublik, auch wenn sie im Einzelfall schwer festzustellen sei. Eine Trennung zwischen actio und Anspruch findet sich auch bei Henke, S. 4ff. 29 Bachof, Reflexwirkungen, S. 301. 30 Bachof, Reflexwirkungen, S. 303; Wolff/ Bachof, § 43 I b 1, S. 321; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 684; Kopp, VwGO, § 42 Rz. 68; Lorenz, SD. 55; BVerfGE 15, 273 (282); 27, 297 (308); BVerwGE 1, 159. 26 27
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
IV. Auslandsschutz und subjektiv-öffentliches Recht Im gleichen Umfange, wie die Wirtschaftstätigkeit der Bürger eines Staates im Ausland zunimmt, wie die seit 150 Jahren fortschreitende Verflechtung nationaler und internationaler Interessen fortschreitet, steigt die Bedeutung der Frage, welche Ansprüche ein Bürger gegen seinen Heimatstaat hat, gegen Beeinträchtigungen durch fremde Mächte geschützt zu werden. Ob und in welcher Form ein Staat seinen Bürgern in diesem Bereich beisteht, ist mit dafür maßgeblich, ob diese geneigt sind, die Risiken etwa einer wirtschaftlichen Betätigung im Ausland auf sich zu nehmen. 1 In Deutschland war der diplomatische Schutz seit über 130 Jahren Gegenstand verfassungsrechtlicher Erörterungen. Im Gegensatz zu vielen anderen Staaten wurde auch bereits sehr früh eine verfassungsrechtliche Regelung zum diplomatischen Schutz getroffen. Die als Produkt der bürgerlichen Revolution von 1848 am 28.03.1849 beschlossene sog. Paulskirchenverfassung sah in § 189 vor:
"Jeder deutsche Staatsbürger hat Anspruch auf Schutz des Reiches."2Da diese Verfassung nie in Kraft trat, konnte sie für die Bürger auch zu keinem Zeitpunkt Rechte irgendwelcher Art entfalten. Die entsprechende Klausel diente jedoch als Vorlage für ähnliche Bestimmungen in anderen Verfassungen. 1. Die Rechtslage unter der Geltung der Verfassung
des Deutschen Reiches von 1871
Die Verfassung des Deutschen Reiches aus dem Jahre 1871 bestimmte in Art. 3 IV:
"Dem Auslande gegenüber haben alle Deutschen gleichmäßig Anspruch auf den Schutz des Reiches."3 Ergänzt wurde diese Bestimmung durch Art. 4 Nr. 7 dieser Verfassung:
"Der Beaufsichtigung seitens des Reiches und der Gesetzgebung desselben unterliegen die nachstehenden Angelegenheiten: Organisation eines gemeinsamen Schutzes des deutschen Handels im Auslande, der deutschen SchifJahrt und ihrer Flagge zur See und Anordnung gemeinsamer konsularischer Vertretung, welche vom Reich ausgestattet wird."4 Vgl. Geck, ZaöRV 1956/57, 477; Schneeberger, SJZ 1955,1. Zitiert nach Franz, S. 166. 3 Zitiert nach Franz, S. 169. Eingang in die Reichsverfassung von 1871 hat diese Bestimmung über Art. 3 VI der Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1967 gefunden, der lautet: "Dem Auslande gegenüber haben alle Bundesangehörigen Anspruch auf den Bundesschutz ... (zitiert nach Huber, Dokumente 2, S. 227). Zu den Rechten der Bundesangehörigen gegenüber der Bundesgewalt: Meyer, Bundesrecht, S. 116. 4 Zitiert nach Franz, S. 169f. 1
2
IV. Auslandsschutz und subjektiv-öffentliches Recht
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Fraglich ist zunächst, wem gegenüber der Schutzanspruch bestand; konnte eine eventuelle Rechtspflicht nur gegenüber einem der im Reich zusammengeschlossenen Staaten bestehen? Laband meint hierzu, auch in diesem Bereich seien die Kompetenzen der Einzelstaaten nicht völlig durch diejenigen des Reiches verdrängt. Eine Trennung zwischen Zentralgewalt und Einzelstaatsgewalt besteht nach seiner Meinung nicht einmal in diesem Bereich, in dem die Machtbefugnisse des Reiches am meisten entwickelt seien. Es sei den Einzelstaaten - so Laband - unbenommen, Landes-Gesandtschaften zu unterhalten, denen der Schutz und die Vertretung der Interessen des Landesangehörigen zunächst obliege. Dementsprechend sei es den Einzelstaaten unbenommen, sich selbst ihrer Angehörigen im Ausland anzunehmen. Jeder Deutsche habe demgemäß die Wahl, ob er sich an die Regierung seines Heimatstaates oder an die Organe des Reiches wende. 5 So gesehen kommt es zu einem eigentümlichen Anspruchsdualismus; ein Anspruch kann sich nach Landes-Staatsrecht gegen das Heimatland des Betreffenden richten und nach Reichs-Staatsrecht gegen das Reich. Die zentrale Frage im Zusammenhang mit Art. 3 VI der RV 1871 war die Rechtsnatur dieses Schutzanspruches. Labandwar der Ansicht, die Grundrechte seien überhaupt keine Rechte im subjektiven Sinne, da es sich um Normen für die Staatsgewalt handelte, die diese sich gebe; sie bildeten Schranken für die Machtbefugnisse der Behörden und sie sicherten dem Einzelnen seine natürliche Handlungsfreiheit in bestimmtem Umfange, aber sie begründeten keine subjektiven Rechte. 6 Demgegenüber komme dem Schutzanspruch die Qualität eines subjektiven Rechtes zu. Denn das Recht auf Schutz sei das Korrelat dieser staatlichen Pflicht des Reiches zum Schutze seiner Angehörigen. Die Pflicht zum Schutz eines Reichsangehörigen sei als Rechtspflicht des Reiches verfassungsmäßig anerkannt; durch die Gewährung derselben werde dem Einzelnen keine Gnade erwiesen, sondern ihm sein Recht getan. 7 Demgegenüber war Jellinek der Meinung, gerade das Recht aufvölkerrechtlichen Schutz im Auslande sei ein wichtiges Beispiel eines materiellen Anspruches, der sich formell nur als Reflex darstelle. 8 Auch Pohl war der Auffassung, obwohl die Verfassung sich des Begriffes "Anspruch" bediene, handele es sich um nichts anderes als eine Reflexwirkung objektiven Rechts, den Reflex der verfassungsrechtlich festgesetzten Schutzpflicht der das Reich nach außen hin 5 Laband I, S. 153. Meyer, Staatsrecht, § 216 Nr. 1, S. 650; a. A. ist in diesem Punkt Doehring, Pflicht des Staates, S. 26. Unrichtigerweise zieht Doehring für seine abweichende Auffassung gerade die hier ebenfalls angezogene Stelle bei Laband heran. Triepel, Reichsaufsicht, S. 469 weist - klarstellend - daraufhin, zwar bestehe ein Schutzrecht des Einzelstaates gegenüber dem anderen Einzelstaat. Aber es beschränke sich durchaus auf den Kreis derjenigen Angelegenheiten, die von der Reichsaufsicht unberührt geblieben seien. Gegen diese Ansicht aber dezidiert: Dambitsch, Anm. VII zu Art. 3, S. 94. 6 Laband, S. 15t. 7 Laband, S. 152. 8 Jellinek, System, S. 119.
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
repräsentierenden Organe. Das ergibt sich für Pohl vor allem daraus, daß der Reichsangehörige keinen realisierbaren Anspruch habe, den Auslandsschutz zu fordern, wenn das Auswärtige Amt ihm einen negativen Bescheid erteile. 9 Auch von Seydel war der Auffassung, der Schutz im Auslande sei - Art. 3 VI RV 1871 ungeachtet - kein "Recht" des Staatsangehörigen, sondern lediglich eine Staatsaufgabe. Der für von Seydel maßgebliche Gesichtspunkt, ein subjektives Recht zu verneinen, war die für ihn fehlende Bestimmbarkeit des Inhaltes dieses Rechtes. 10 Ebenfalls ein echtes Individualrecht sahen in Art. 3 VI Meyer ll und Dambitsch l2 • Letzterer war allerdings der Auffassung, die Entscheidung darüber, welche Mittel zum Schutz der bedrohten Interessen anzuwenden seien, liege lediglich in dem freien, durch keine Verfassung oder sonstige gesetzliche Bestimmung beschränkten Ermessen der zuständigen Reichsbehörden. Auch Stoerk ist ohne Einschränkung der Auffassung, die innerhalb des Völkerrechtsindeginats stehenden Personen hätten einen Anspruch auf völkerrechtlichen Schutz. 13 Anschütz bezeichnet den Anspruch auf Schutz des Reiches als Recht auf eine positive Leistung des Staates, als Recht vom Typus eines positiven Status, der überall da vorliege, wo dem Einzelnen Ansprüche auf gewisse, seinem Interesse dienenden Verwaltungstätigkeiten des Reiches oder seiner Untergliederungen durch besondere Gesetze eröffnet seien. 14
Auch Triepel hat sich im Rahmen einer Untersuchung über die auswärtige Politik von Privatpersonen mit der Bedeutung von Art. 3 VI RV 1871 befaßt. Ein geeignetes Mittel zur Verhinderung des Tätigwerdens Privater im Ausland in rnißbilligenswerter Weise ist Triepel zufolge die Verweigerung des Schutzes, wenn eine ausländische Regierung dieser Privatperson entgegengetreten sei. 15 Es sei nämlich keineswegs so, daß jeder Staatsangehörige ein unbedingtes Recht auf diplomatischen Schutz gegenüber dem Ausland besitze, und zwar habe der diesen Anspruch auch dann nicht, wenn er ihm dem Wortlaut der Verfassung zustehe, wie dies bei Art. 3 VI RV 1871 der Fall sei. Wenn man davon absehe, daß der diplomatische Schutz an "alle" und "gleichmäßig" zu gewähren sei, 9 Pohl in Schmollers Jahrbuch, Bd. 43, S. 558. Allerdings fügt Pohl seinen Ausführungen hinzu, der schutz begehrende Deutsche bitte nicht um ein Geschenk, für das er zu danken habe; die Schutzgewährung sei nichts als die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Reichsorgane. 10 Von Seydel I, S. 173, bei Fn. 55:" Hat der Schutzangehörige das Recht, daß wegen der Unbill, die er persönlich erlitten, sein Staat mit einem anderen Krieg anfängt '(' 11 Meyer, § 216, Nr. 1, S. 650. 12 Dambitsch, Anm. VIII zu Art. 3, S. 93. 13 Stoerk in v. HoltzendorffII, S. 633, 635. 14 Anschütz in Kohler / Holtzendorff, Bd. 4, S. 89. IS Triepel, ZaöRV 1939/40, 19ff.
IV. Auslandsschutz und subjektiv-öffentliches Recht
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unterliege es dem pflichtgemäßen Ermessen der Regierung, ob und in welchem Maße sie sich für ihre Bürger im Ausland einsetzen wolle. 16 Insgesamt läßt sich festhalten, daß offenbar der größere Teil der Staatsrechtslehre im Kaiserreich der Auffassung zu sein schien, daß eine Verpflichtung des Reiches zur Gewährung diplomatischen Schutzes zu bejahen seiY Es fehlen jedoch Aussagen der Staatsrechtslehre, die erhellt hätten, was hinter dem Begriff des Anspruches, dem eigentlich zentralen Begriff des Art. 3 VI RV 1871 zu verstehen war. Beinhaltete die Vorschrift ein subjektiv-öffentliches Recht, einen Rechtsreflex oder wenigstens einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensbetätigung? Die Tatsache, daß gegen eine Verletzung des Anspruches der Reichsbürger aus Art. 3 VI RV 1871 keine Klagemöglichkeit eröffnet war, steht nach den oben gewonnenen Erkenntnissen der Annahme, hier sollte ein subjektiv-öffentliches Recht eröffnet werden, eigentlich nicht entgegen. Die wiedergegebenen Ausführungen Labands, Anschütz' und M eyers' zeigen, daß die auf dem Reich lastende Rechtspflicht als besonders stark angesehen wurde. Ein anderes in den Äußerungen von Seydels' anklingendes Argument ist es jedoch, das dafür zu sprechen scheint, die Existenz eines Art. 3 VI RV 1871 inhärenten subjektivöffentlichen Rechtes zu leugnen: Entscheidend ist tatsächlich, ob der Staatsangehörige ein durch diese Vorschrift vermitteltes Recht darauf hat, daß das Reich gegenüber einem fremden Staat eine bestimmte, von ihm angegebene Maßnahme ergreift. In diesem Punkte ist von Seydel und Triepel Recht zu geben: Ob und welche Maßnahmen das Reich ergreifen sollte, war letztlich seinem Ermessen anheim gestellt. So gesehen vermittelte die Reichsverfassung den Bürgern kein subjektiv-öffentliches Recht. 2. Die Rechtslage unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung von 1919 Art. 112 11 WRV hatte folgenden Wortlaut: "Dem Auslande gegenüber haben alle Reichsangehörigen inner- und außerhalb des Reichsgebietes Anspruch auf den Schutz des Reichs."18
Die Vorschrift war systematisch im Grundrechtskatalog der Weimarer Verfassung verankert. 19 Der Stand der Diskussion in der Weimarer Republik kam inhaltlich nicht wesentlich über das hinaus, was schon im Kaiserreich hierzu gesagt worden war. Triepel, ZaöRV 1939/40, 20. Je/linek, System, S. 119; Geck, ZaöRV 1956/57,480; Doehring, Pflicht des Staates, S.29. 18 Zitiert nach Franz, S. 212. 19 Sie befand sich im H. Hauptteil: Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen. 16
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
Charakteristisch hierfür war etwa die Äußerung Anschütz', der sich darauf beschränkte, auf Art. 3 VI der RV. 1871 zu verweisen. 20 Giese meinte, das wichtigste bürgerliche Recht jedes Deutschen sei trotz der damaligen Schwierigkeiten bei seiner Verwirklichung der Anspruch auf Staatsschutz gegenüber drohenden oder erlittenen Verletzungen durch fremde Staaten. Auf ein völkerrechtliches Vorgehen des Reiches gegen eine fremde Macht habe der verletzte Deutsche gegen das Reich einen staatsrechtlichen Anspruch. 21 Auch nach Hatschek / Kurtzig besteht ein solcher Anspruch auf völkerrechtlichen Schutz durch das Reich 22 , ebenso nach Meißner 23 und H oche 24 • Bredt bejahte sogar eine unmittelbare Wirkung dieses Grundrechtes. 25
Kritisch - allerdings ohne sich mit der Bedeutung des Begriffes "Anspruch" auseinanderzusetzen - äußert sich hingegen v. Freytagh-Loringhoven, der kritisiert, daß die Weimarer Verfassung in Art. 11211 dem Reichsangehörigen einen Anspruch auf Schutz gegenüber dem Ausland zugesprochen habe. Denn das Reich sei nicht in der Lage, ihn zu gewähren. Sowohl im besetzten Gebiet als auch im Auslande seien Deutsche jeder Willkür wehrlos preisgegeben. 26 Eine der ausführlichsten und instruktivsten Äußerungen der Rechtslehre der Weimarer Republik zur Tragweite von Art. 112 11 WRV stammt von Pohl. Seiner Auffassung nach stellt die Schutzpflicht , zu der sich das Reich bekenne, eine Gegenleistung für die jedem Deutschen obliegende Treuepflicht dar.' Ein wirklicher Anspruch auf Auslandssschutz stehe dem Reichsangehörigen trotz der verfassungsrechtlichen Versicherung allerdings so lange nicht zu, als ihm nicht die ausschließliche Befugnis erteilt und auch rechtlich verbürgt sei, die staatlichen Organe im Einzelfall trotz einer ablehnenden Entscheidung in dieser Richtung zur Gewährung des Schutzes anzuhalten. Aus diesem Grunde handele es sich bei diesem sogenannten Anspruch auf Auslandsschutz nur um eine Reflexwirkung objektiven Rechts. Denn der Reichsangehörige habe keinen aus eigener Rechtsmacht heraus durchführbaren Anspruch. 27 Besonders klar ergibt sich dies für Pohl aus § 5 Nr. 2 des Gesetzes über die Haftung des Reiches für seine Beamten aus dem Jahre 1910. 28 Hier trete besonders deutlich zutage, daß nach dem Willen des Reichsgesetzgebers der Reichsangehörige nicht nur kein Rechtsmittel in Händen habe, widerstrebende Organe der auswärtigen Verwaltung zur Schutzgewährung anzuhalten, sondern 20 21
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Anschütz, Art. 112 Anm. 2; ähnlich Poetzsch-HeJJter, Art. 112 Anm. 3. Giese, S. 196. Hatschek I Kurtzig, S. 528. Meißner, S. 163. Hoche in de Grass I Peters I Hoche, S. 22. Bredt, S. 267. v. Freytagh-Loringhoven, S. 304. Pohl in Nipperdey I, S. 257. RGBI. 1910, 798.
IV. Auslandsschutz und subjektiv-öffentliches Recht
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auch in der Frage der Haftung des Reichs für den durch Schutzverweigerung entstandenen Vermögensschaden ohne wirklichen Rechtsschutz bleiben solle, da es der Reichskanzler in der Hand habe, durch die Erklärung, das Verhalten des mit Angelegenheiten des auswärtigen Dienstes befaßten Beamten habe politischen oder internationalen Rücksichten entsprochen, die Anwendung des Gesetzes auszuschließen. 29 Triepelhat auch zu Art. 112 II WRV die gleiche Meinung geäußert wie zu Art. 3 VI RV 1871. Nach Triepel unterliegt es dem pflichtgemäßen Ermessen der Regierung, ob und in welchem Maße sie sich für ihre Bürger im Ausland einsetzen wolle. 30
Eine dezidierte Stellungnahme zur Reichweite von verfassungsrechtlich verbürgten Rechten des Einzelnen auf positive Leistungen stammt von Carl Schmitt. Er war der Ansicht, ein Staatswesen, das statt auf negativen Freiheitsrechten aufpositiven, mit Grundrechtscharakter ausgestatteten Ansprüchen der Staatsangehörigen aufgebaut sei, sei kein bürgerlicher, sondern ein sozialistischer Rechtsstaat und setzte eine andere staatliche Organisation und andere als prinzipiell unbegrenzte Freiheitsrechte voraus. Für die Weimarer Verfassung ergeben sich Carl Schmit! zufolge solche Ansprüche des Einzelnen, soweit es sich nicht um verfassungsgesetzliche Einzelbestimmungen handelt, nicht aus der Verfassung, sondern erst aus einem Gesetz, das die in einem Verfassungsgrundsatz oder einer Zielsetzung enthaltene Verfassungsanweisung vollzieh bar mache. Die in der Verfassung enthaltenen, einen "Anspruch" vermittelnden Bestimmungen seien Richtlinien für den Gesetzgeber, für die Verwaltung und die Rechtspflege. Das Wort "Anspruch" beweise nicht, daß hier unmittelbar rechts- oder gar klagebegründende Leistungs-, Unterlassungs- oder Schadloshaltungsansprüche der Interessenten vorlägen. 31 In Art. 112 II sieht er demgemäß eine grundsätzliche, bereits für die Gegenwart (der Weimarer Republik) richtungsgebende und in diesem Sinne aktuelle Weisung an alle staatlichen Instanzen. Diese Weisung soll in Gesetzge29 Pohlin Nipperdey I, S. 258. Gegen dieses Argument wenden Geck, ZaöRV 1956/57, 504 und Oberthür, S. 31 ein, die Regelung des § 5 Ziff. 2 RBHG sei gerade deshalb erforderlich gewesen, weil der Gesetzgeber den Schutzanspruch grundsätzlich anerkannt habe. 30 Triepel, ZaöRV 1939/40, S. 20. Doehring, Die Pflicht des Staates, S. 32 kritisiert, daß Triepel aus Art. 3 VI RV 1871 und Art. 112 II WRV weiterhin den Schluß zieht, auch die Bestimmung der WRV habe wesentlich die Gleichbehandlung aller Deutschem im Auge. Doehring erscheint dieser Schluß jedoch fragwürdig. Die U nzulässigkeit einer U ngleichbehandlung habe sich schon aus Art. 109 WRV ergeben. Jedenfalls erscheine Triepels Bemerkung, durch Art. 112 II WRV solle eine ungleiche Behandlung der Staatspersonen ausgeschaltet werden, als einziger Inhalt der Bestimmung zu eng. Soweit Triepel darlege, daß es dem pflichtgemäßen Ermessen der Regierung anheimgestellt sei, ob und in welchem Maße sie sich für ihre Bürger im Ausland einsetzen wolle, sei dieser Ansicht zwar zuzustimmen, sie finde jedoch im Wortlaut des Verfassungstextes keine Stütze. 31 Schmitt in Anschütz / Thoma II, S. 594.
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
bung, Reichsaufsicht, Verwaltung oder Justiz und als allgemeine, nach Möglichkeit zu beachtende Handlungs- oder Auslegungsgesichtspunkte wirksam werden. Dieser Verfassungssatz sei auch juristisch beachtlich. Er sei von allen Stellen, die es angehe, loyal zu berücksichtigen und anzuwenden, sei also insofern aktuell und verbindlich. Aber insgesamt gebe es verschiedene Stufen von Positivität und Aktualität. Und die Überordnung der Verfassung über den Gesetzgeber sei eine andere Art Überordnung als die des Gesetzes über die gesetzesanwendenden oder gesetzesgebundenen Stellen. 32 Das Reichsgericht hat sich zweimal mit dieser Problematik beschäftigen müssen. In einem Urteil aus dem Jahre 1927, in dem es darum ging, ob wegen eventueller Ansprüche gegen das Deutsche Reich aus der Entziehung von deutschen Auslandspatenten der Rechtsweg eröffnet sei, befand das Gericht: "Es ist aber weiter auch nicht angängig (. ..), aus der Art und Weise, wie sich die deutsche Regierung gegenüber diesem englischen Vorgehen verhält, Ersatzansprüche der Geschädigten herzuleiten, die vor den Gerichten verfolgt werden könnten. Was in dieser Hinsicht die Regierung tut oder nicht tut, liegt auf dem Gebiet der Ausübung von Hoheitsrechten und kann von den Gerichten weder auf seine Rechtmäßigkeit noch auf seine Zweckmäßigkeit nachgeprüft werden."33 In einer weiteren Entscheidung aus dem Jahre 1937 ging es darum, ob es zu den Pflichten der Beamten des Auswärtigen Amtes gehörte, Reichsangehörige bei der Verfolgung von Rechtsansprüchen im Ausland zu unterstützen. Das Gericht führte aus: "Daß etwa das Auswärtige Amt willkürlich oder offensichtlichfehlerhaft gehandelt habe oder die gebotene Sorgfalt so außer acht gelassen habe, daß sich sein Verhalten als unsachlich darstellte, ist dem Vorbringen des Klägers nicht zu entnehmen (. .. ). Das Auswärtige Amt (war) nicht gehalten, dagegen in bestimmter Weise vorstellig zu werden (. .. ). Im diplomatischen Verkehr sind die üblichen Formen innezuhalten und die Belange der Gesamtheit ganz besonders gegenüber den Einzelinteressen in Erwägung zu ziehen. Deswegen hat bereits das Reichshaftungsgesetz vom 22. Mai 1910 (Nachweis) in § 5 Nr. 2 die Bestimmung aufgenommen, daß seine Vorschriften keine Anwendung finden, soweit es sich um das Verhalten eines mit Angelegenheiten des auswärtigen Dienstes befaßten Beamten handelt und dieses Verhalten nach einer amtlichen Erklärung des Reichskanzlers politischen oder internationalen Rücksichten entsprochen hat (. .. ). Aber es liegt auf der Hand und es war der Grund for die angefohrte Gesetzesvorschrift, daß über den Umfang des einem Deutschen im Auslande zu gewährenden Schutzes bei der Wahrnehmung seiner Belange und die dabei anzuwendenden Mittel das politische Ermessen zu entscheiden hat."34
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Schmitt in Anschütz / Thoma II, S. 604; vgl. hierzu auch Geck, ZaöRV 1956/57, 482f. RGZ 117, 195 (202). RG, Seufferts Archiv, Bd. 91, 338 (338f.)
IV. Auslandsschutz und subjektiv-öffentliches Recht
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Auch unter der Geltung der Weimarer Verfassung war ein Rechtsweg gegen die Akte der Reichsgewalt nur dann gewährleistet, wenn nach dem Enumerationsprinzip eine solche Klagebefugnis ausdrücklich zuerkannt war. 35 Bereits bei der vorangegangenen Untersuchung über die Struktur des subjektiv-öffentlichen Rechts war jedoch festgestellt worden, daß die Klagbarkeit kein Wesensmerkmal des subjektiven Rechtes ist 36 , so daß ein auf das Fehlen der Klagbarkeit gerichtetes Argument nicht durchgreift. 37 Der Anspruch des Staatsbürgers auf die Gewährung diplomatischen Schutzes, dem das Reich ausgesetzt war, war aber - und das findet seinen Niederschlag auch in den wiedergegebenen Literaturstimmen und Äußerungen der Rechtsprechung - in zweierlei Hinsicht beschränkt. Zum einen fehlte diesem "Anspruch" die Konkretisierung. Pohl nennt als Möglichkeiten zur Erfüllung dieses Schutzanspruchs: Warnung und Raterteilung an Deutsche im Auslande, Auszahlung von Unterstützungsgeldern, nachrichtliche Mitteilungen an die zuständigen Behörden des fremden Staates, inoffizielle Schritte unserer Auslandsvertreter bei lokalen oder zentralen Behörden, offiziöse und offizielle Kundgebungen in Presse und Parlament, Drohungen und Kriegserklärungen, Empfehlungen von Reichsangehörigen, Unterstützung und Verteidigung ihrer Rechte und Interessen in diplomatischen Noten, Ersuchen um Aufklärung, um Mitteilung tatsächlicher Vorgänge, um Untersuchung von Vorkommnissen, Beschwerden, Proteste, Einreichung von Entschädigungsforderungen, Retorsionen, Repressalien usw. 38 Diese - nicht abschließende - Aufzählung zeigt, daß der auswärtigen Verwaltung ein reiches Instrumentarium zur Verfügung gestanden hat, um die Interessen der Reichsbürger zu schützen. Eine so weitgehende Verrechtlichung dieses Instrumentariums an Reaktionsmöglichkeiten der zuständigen Organe, daß immer oder auch nur häufig festgestanden hätte, welches der zahlreichen Mittel anzuwenden gewesen wäre, gab es jedoch unter der Geltung der Weimarer Verfassung nicht und konnte es auch nicht geben. Vielmehr war es ausschließlich von Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten abhängig, welches der zur Disposition der Reichsorgane stehenden Mittel im Einzelfall eingesetzt wurde. Die Exekutive selbst war am besten in der Lage, abzuschätzen, welche Wirkungen ein bestimmtes Mittel haben würde, und welchen Erfolg es im Einzelfall versprach. 39 Vgl. auch Doehring, Die Pflicht des Staates, S. 31. Oben, 3. Kapitel, III. 3. 37 Vgl. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 11 ff. Wie hier im Ergebnis auch Doehring, Die Pflicht des Staates, S. 31. 38 Pohl, Schmollers Jahrbuch, Bd. 43, 571. Im Gegensatz zu der hier vertretenen Ansicht differenziert Pohl offensichtlich nicht zwischen diplomatischem Schutz im engeren und im weiteren Sinne. 39 Wie hier auch Doehring, Die Pflicht des Staates, S. 40; Geck, ZaöRV 1956/57, 494f. 3S
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
Aus diesen Gründen war es nur folgerichtig, den Reichsbürgern im Hinblick auf die Wahl des jeweils zu wählenden Mittels keine Klagemöglichkeit zu gewähren. Aber auch in einer anderen Hinsicht ergeben sich Bedenken, die dagegen sprechen, in Art. 112 11 WRV einen Anspruch auf ein Einschreiten auf diplomatischem Wege zu sehen. Es ist dies der vom Reichsgericht angesprochene Gesichtspunkt, daß die Schutzgewährung eines Staates zugunsten seines Bürgers immer unter dem Vorbehalt der praktischen politischen Vernunft stand. Bei der Entscheidung über die Gewährung diplomatischen Schutzes spielten Überlegungen eine Rolle, die die Interessen des Staatsganzen betrafen. Denn der Vorschrift des Art. 11211 WRV kann genau genommen nicht die Verpflichtung entnommen werden, den Schutzanspruch überhaupt und immer zu erfüllen. Bleiben etwa alle Schritte des Staates unterhalb der Gewaltgrenze ergebnislos, so müssen die zuständigen Staatsorgane im Interesse des Staatsganzen selbst von Gewaltmaßnahmen, die das Völkerrecht zuläßt, nicht nur Abstand nehmen, wenn diese voraussichtlich keinen Erfolg versprechen, sondern auch, wenn zwar mit einem Erfolg im Hinblick auf das spezielle Ziel, zugleich aber mit einem unverhältnismäßigen Schaden für die Gesamtheit zu rechnen ist. 40 Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß die Abwägung der Interessen des Individuums mit den Interessen des Staatsganzen dazu führen konnte, daß die Organe des Reiches auf bestimmte Formen der Ausübung diplomatischen Schutzes und damit letztlich auch auf die Gewährung von Schutz überhaupt verzichten konnten. Damit fehlt Art. 11211 WRV eine der Eigenschaften, die oben als konstitutiv für ein subjektiv-öffentliches Recht erkannt worden waren: nämlich der Charakter eines zwingenden Rechtssatzes. Aus den wiedergegebenen Äußerungen des Reichsgerichts läßt sich jedoch entnehmen, daß zumindest eine Verpflichtung bestand, die Grenzen des so gewährten Ermessens zu beachten. 41 Es bestand damit wohl ein Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung. 42 3. Die Rechtslage unter der Geltung des Grundgesetzes
a) Die Verpflichtung zur Gewährung diplomatischen Schutzes
Im Gegensatz zu seinen Vorläufern findet sich im Grundgesetz keine Bestimmung, die einen Schutzanspruch der Staatsbürger gegenüber ausländischen Mächten normiert. Es stellt sich daher zunächst die Frage, ob das 40 Vgl. hierzu Geck, ZaöRV 1956/57,497; vgl. auch Doehring, Die Pflicht des Staates, S.41f. 41 RG, Seufferts Archiv, Bd. 91, 336 (338f.) 42 In diesem Sinne auch Geck, ZaöRV 1956/57, 503. Demgegenüber für einen "Reflex objektiven Rechts" Doehring, Die Pflicht des Staates, S. 41.
IV. Auslandsschutz und subjektiv-öffentliches Recht
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Grundgesetz 1949 eine zu diesem Zeitpunkt bereits 100 Jahre bestehende Verfassungstradition aufgeben wollte und aus diesem Grunde die Verfassung keine ausdrückliche Schutzpflicht statuiert, oder ob trotz des Fehlens einer entsprechenden Bestimmung ein Schutzanspruch bestehen sollte. In der Rechtslehre besteht Einigkeit darüber, daß aus dem Schweigen des Grundgesetzes zu einem Schutzanspruch nicht geschlossen werden kann, daß eine Rechtstradition, die lange Zeit zurückreicht, aufgegeben werden sollte. 43 Der Grund für das Schweigen des Grundgesetzes in diesem Punkte wird mit der besonderen politischen Situation Deutschlands zur Zeit der Entstehung der Verfassung erklärt. Die Bundesrepublik besaß auch zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Grundgesetzes keine volle und uneingeschränkte Souveränität. In Nr. 2 des Gen~hmigungsschreibens der Militärgouverneure zum Grundgesetz vom 12. Mai 1949 wurden die Befugnisse von Ländern und Gemeinden aus dem Grundgesetz dem Besatzungsstatut unterstellt. 44 In Ziff. 2 c. des Besatzungsstatuts hatten sich die Regierungen der Westalliierten unter anderem die Befugnisse auf dem Gebiet der auswärtigen Gewalt vorbehalten. 4s Die Pflege auswärtiger Beziehungen oblag damit den Alliierten. Das bedeutet, daß die deutschen Exekutivorgane gar nicht in der Lage gewesen wären, gegenüber ausländischen Mächten diplomatischen Schutz auszuüben, wenn diese gegenüber Deutschen im Auslande etwa die Regeln des Fremdenrechts mißachtet hätten. 46 Auch nach der Änderung des Besatzungsstatuts im Jahre 1951 47 verhinderten die alliierten Vorbehalte die Schutzausübung gegenüber den Alliierten in gleicher Weise wie gegenüber anderen Staaten. 48 Das Schweigen des Grundgesetzes zur Frage des diplomatischen Schutzes könnte jedoch dann als Abkehr von der Verfassungstradition angesehen werden, wenn die Verfassungsredaktoren davon ausgehen konnten, daß eine entsprechende Vorschrift im Grundgesetz die Zustimmung der Alliierten gefunden hätte. Genau dieser Schluß ginge jedoch zu weit. Es wäre verfehlt zu glauben, daß aus der Tatsache, daß die Alliierten - wenn auch unter Vorbehalt - eine Vorschrift wie Art. 32 GG genehmigten, auch ihre potentielle Zustimmung zu einer Nachfolgervorschrift von Art. 11211 WRV gegeben hätten. Aus diesen Gründen haben vor allem in den Beratungen des Parlamentarischen Rates erhebliche Bedenken dagegen bestanden, eine entsprechende Formulierung in das Grundgesetz aufzunehmen. 49 43 Doehring, Die Pflicht des Staates, S. 43ff.; Geck, ZaöRV 1956/57, 508ff.; vgl. auch Meyer, JZ 1956, 6. Zu den geschichtlichen Wurzeln des Schutzanspruches im germanischen Recht siehe Mettgenberg, S. 5ff. und Schröder, S. 37. 44 Vgl. Verordnungsblatt für die Britische Zone 1949, 416. 45 Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission, Nr. 1, vom 23.09.1949, S. 213f. 46 Doehring, Die Pflicht des Staates, S. 44; vgl. auch Kraus, S. 7 ff. 47 Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission, Nr. 49, vom 06. 03. 1951, 792ff. 48 Vgl. Geck, ZaöRV 1956/57, 510.
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
Man kann daher wohl davon ausgehen, daß die Aufnahme einer Nachfolgevorschrift von Art. 11211 WRV nicht deshalb unterblieben ist, weil ein Bruch mit der Verfassungstradition beabsichtigt war, sondern weil Rücksichten auf die Stellung der Alliierten und ihrer Besatzungsrechtspositionen genommen werden sollten, war also bedingt durch die besondere Lage Deutschlands. so Woraus kann sich nun eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland ergeben, ihren Staatsbürgern diplomatischen Schutz angedeihen zu lassen, wenn eine solche Verpflichtung sich nicht aus der Verfassungsurkunde ergibt? Häufig wird die Ansicht vertreten, die Pflicht des Staates zum Schutze seiner Angehörigen vor Übergriffen fremder Staaten ergebe sich aus dem Rechtsverhältnis, das das Individuum mit seinem Heimatstaat verbindet. Der Schutz der Gesamtheit und des Einzelnen wird als eine der wichtigsten Aufgaben des Staates überhaupt angesehen. SI Hergeleitet wird dies aus einem gegenseitigen Schutz- und Treueverhältnis, das zwei Seiten habe: Auf der einen Seite seien die Deutschen im In- und Ausland zum Schutze ihres Vaterlandes verpflichtet. Daraus folge für den Staat die Verpflichtung, sie ohne Rücksicht auf ihre Würdigkeit im Inland und soweit wie möglich auch im Ausland bedingungslos zu schützen und sie vor allem nicht fremder Herrschaft preiszugeben. 52 Nach Dürig folgt die Verpflichtung eines Staates zur Gewährung diplomatischen Schutzes aus einem reflexartig nachwirkenden Recht der Auswanderungsfreiheit, die selbstverständlich das Minus der Ausreisefreiheit zu vorübergehendem Aufenthalt einschließt und damit das im Aufnahmeland wirksam bleibende Recht auf diplomatischen Schutz. 53 Auch das Bundesverfassungsgericht hatte sich verschiedentlich mit der Frage nach einer Rechtspflicht der Bundesrepublik Deutschland zum Schutze seiner 49 Vgl.die Äußerungen des Abgeordneten Lehr in: Parlamentarischer Rat, S. 442; vgl. ebenso Doehring, Die Pflicht des Staates, S. 44; Geck, ZaöRV 1956/57, 509f. so So im Ergebnis auch: Doehring, Die Pflicht des Staates, S. 44f.; Geck, ZaöRV 1956/57, 510f.; Oberthür, S. 10; Kraus, S. 8f. 51 Vgl. etwa Pohl in Nipperdey I, S. 255; Jellinek, Staatslehre, S. 248; besonders deutlich auch LabandI, S. 140, 153, der den Anspruch, im Staate und unter dem Schutz des Staates leben zu können, als die ursprünglichste, natürlichste und im ganzen oft wichtigste Seite des Staatsbürgerrechts bezeichnet; vgl. ebenso Nawiasky 11, 1, S. 157, 160; Süsterhenn in: Der Kampf um den Wehrbeitrag I, S. 260; Doehring, Die Pflicht des Staates, S. 46. 52 Meyer, JZ 1956, 6. Zur Pflicht des Staates, seine Angehörigen zu schützen im Zusammenhang mit einer Auslieferung, vgl. BVerfGE 4, 299 (304). Auch Maunz in Maunz 1Dürig 1Herzog 1Scholz, Art. 16 Rz. 8 (Kommentierung 1968) bejaht mit gewissen Einschränkungen eine Verpflichtung des Staates zum diplomatischen Schutz seiner Angehörigen. Er hält es allerdings für zweifelhaft, ob diese Pflicht mit einem Anspruch des Steuerpflichtigen korrespondiert und lehnt es ab, diesen Anspruch Art. 16 GG zu entnehmen. Ähnlich wie M eyer und das Bundesverfassungsgericht äußert sich auch Geck, ZaöRV 1956/57, 513 ff., der aus dem Gedanken von einem gegenseitigen Treueverhältnis vor allem auch im Lichte von Art. 1 1,11 GG eine staatliche Verpflichtung ableiten will; vgl. auch Oberthür, S. 11 und Grützner in Nipperdey 11, S. 588. 53 Dürig in NeumannlNipperdeylScheuner, Bd. 11, S. 519.
IV. Auslandsschutz und subjektiv-öffentliches Recht
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Bürger im Ausland zu befassen. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1955 sprach das Gericht aus, im kontinentaleuropäischen Recht habe sich der Gedanke durchgesetzt, daß die Pflicht des Staates, seine Angehörigen zu schützen, einer Auslieferung eigener Staatsangehöriger an fremde Staaten entgegensteht. 54 Im Grundlagenvertragsurteil stellte das Gericht fest, daß der Status des Deutschen im Sinne des Grundgesetzes, der die in diesem Grundgesetz statuierte deutsche Staatsangehörigkeit besitze, durch keine Maßnahme, die der Bundesrepublik zuzurechnen sei, gemindert oder verkürzt werden dürfe. Dies folge so das Gericht - aus der mit dem Status des Staatsangehörigen verbundenen Schutzpflicht des Heimatstaates. Das Grundgesetz gebe der Bundesregierung die Pflicht auf, allen Deutschen im Sinne von Art. 116 GG Schutz und Fürsorge angedeihen zu lassen. 55 Noch deutlicher formulierte das Gericht im Urteil zu den Ostverträgen: "Den Organen der Bundesrepublik Deutschland obliegt von Verfassungs wegen die Pflicht zum Schutze deutscher Staatsangehöriger und ihrer Interessen gegenüber fremden Staaten. Wird diese Pflicht verletzt, kann dies objektiv eine Verfassungsverletzung darstellen. "56
In zwei weiteren Urteilen hat das Gericht mit den gleichen Wendungen eine entsprechende Verpflichtung der Organe der Bundesrepublik, insbesondere aber der Bundesregierung, bejaht. 57 Bereits 1961 hatte das 0 VG Münster anerkannt, daß die Schutzpflicht sich aus allgemeinem Recht und sozialstaatlichen Grundsätzen der Verfassung ergebe; der Schutz der Staatsangehörigen gehöre zu den obersten Pflichten des Staates 58 , ebenso das Bundesverwaltungsgericht 1981. 59 Insgesamt gesehen ist es daher gerechtfertigt, mit der unbestrittenen Lehre und Rechtsprechung eine nicht verfassungstextlich benannte Verpflichtung der Bundesrepublik, ihren Bürgern diplomatischen Schutz zu gewähren, zu bejahen. Diese Schutzverpflichtung gegenüber dem Ausland kann man zu den die einzelnen Sätze der geschriebenen Verfassung verbindenden, innerlich zusammenhaltenden allgemeinen Grundsätzen und Leitideen rechnen, die der Verfassungsgeber, weil sie das vorverfassungsmäßige Gesamtbild geprägt haben, von BVerfGE 4, 299 (304). BVerfGE 36, 1 30f.). Das Bemerkenswerte an dieser Entscheidung ist, daß das Gericht ausdrücklich ausgesprochen hat, daß alle Ausführungen der Urteilsbegründung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Teilen der die Entscheidung tragenden Gründe erklärt werden (vgl. BVerfGE 36, 1 (36)) und damit nach § 31 I BVerfGG Gesetzeskraft haben. 56 BVerfGE 40, 141 (177). 57 Vgl. BVerfGE 41, 127 (182); 55, 349 (364)(Hess). 58 OVG Münster, OVGE 17, 106 (109)(Eichmann). 59 BVerwGE JZ 1981, 390 (391)(Hess). 54
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
dem er ausgegangen ist, nicht in einem besonderen Rechtssatz zu konkretisieren brauchte. 60 b) Der Anspruch auf diplomatischen Schutz
Nachdem aufgrund der vorstehenden Überlegungen feststeht, daß die Verpflichtung der deutschen Staatsorgane zur Gewährung diplomatischen Schutzes zumindest eine Pflicht des objektiven Rechts ist, ist nun zu untersuchen, ob diese Rechtspflicht des Staates mit einem subjektiv-öffentlichen Recht der Staatsangehörigen korrespondiert, oder ob die Schutzpflicht für den Bürger nur ein Reflex objektiven Rechts ist. Aus der erörterten Struktur des subjektiv-öffentlichen Rechts ergibt sich, daß die Existenz eines zwingenden Rechtssatzes erforderlich ist. Geck hat in seiner Untersuchung einen Anspruch des Bürgers bejaht, wenn die anhand der Weimarer Verfassung herausgearbeiteten Voraussetzungen in vollem Umfange erfüllt sind und die Interessen der Allgemeinheit der Schutzgewährung nicht entgegenstehen. Außerdem ist er der Ansicht, den zuständigen Stellen bleibe bei der Auswahl der Mittel die gleiche Entscheidungsfreiheit wie unter der Weimarer Verfassung. Damit handelt es sich nach Geck letztlich um eine Pflicht der zuständigen Behörden und Staatsorgane zur fehlerfreien, das heißt rechtlich einwandfreien Vollziehung der objektiven Rechtsnorm. 61 Geck bejaht damit . eigentlich einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensbetätigung. Oberthür bejaht demgegenüber ein subjektiv-öffentliches Recht. Er glaubt, durch die Unbestimmtheit der Wege zu seiner Erfüllung unterscheide sich der Schutzanspruch zwar von allen anderen subjektiv-öffentlichen Rechten, die auf eine bestimmte und fest umrissene Tätigkeit des Staates gerichtet seien. Für ein subjektiv-öffentliches Recht genüge jedoch die dem Einzelnen gegenüber bestehende Verpflichtung des Staates, einen bestimmten Erfolg herbeizuführen, ohne daß ihm auch das "wie" seines HandeIns vorgeschrieben zu werden brauche. Er weist auf die sozialen Grundrechte hin, bei denen das ebenso sei und denen gleichwohl ihr Charakter als subjektiv-öffentliche Rechte nicht aberkannt werde. 62 Dagegen ist einzuwenden, daß Oberthür in diesem Punkte von einem gewandelten Verständnis der Grundrechte ausgeht, denen er unmittelbare Leistungsansprüche entnehmen will. Hat die Verfassung in irgendeiner Form Wertvorstellungen formuliert, so sind diese - selbstverständlich - für die Verfassungsorgane verbindlich. Keinesfalls aber läßt sich ihnen zwangsläufig eine Leistungsverpflichtung gegenüber dem Individuum entnehmen. 63
Die eigentlich durchgreifenden Argumente gegen einen Anspruch auf diplomatischen Schutz sind daher unter der Geltung des Grundgesetzes im wesentli60 61 62
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Vgl. Geck, ZaöRV 1956/57, 516f. Geck, ZaöRV 1956/57, 518. Oberthür, S. 41. Darauf hat Klein, DÖV 1977, 706f., zutreffend hingewiesen.
IV. Auslandsschutz und subjektiv-öffentliches Recht
245
chen die gleichen wie unter der Geltung der WRV. Doehring hat gemeint, ein subjektives Recht auf Schutz könne es bei der auswärtigen Verwaltung schon deshalb nicht geben, weil der Gesetzgeber, der die Bindung der Verwaltung durch Änderung der Gesetze erträglich zu machen vermöge, in diesem Bereich - nämlich gegenüber fremden Mächten - machtlos sei, die Bindung der Verwaltung daher unerträglich. 64 Anknüpfend an die Ausführungen zum subjektiv-öffentlichen Recht aus Art. 11211 WRV kann für die Rechtslage auch unter der Geltung des Grundgesetzes festgestellt werden, daß für die auswärtige Verwaltung im Hinblick auf die Gewährung diplomatischen Schutzes charakteristisch ist, daß die zuständigen Behörden in eine Abwägung darüber eintreten müssen, ob sie privaten Interessen oder den Interessen der Allgemeinheit den Vorzug einräumen wollen. Die schwierigen Verhältnisse dieser Behörde, die sich ständig wechselnden Verhältnissen gegenübersieht und die aus diesem Grunde gezwungen ist, diese Abwägung von Fall zu Fall zu wiederholen und der zu erwartenden Reaktion des fremden Staates anzupassen, machen die strikte Bindung an eine bestimmte Rechtsfolge unmöglich. Es ist daher Doehring zuzustimmen, der ausgeführt hat: "Die auswärtige Verwaltung ist sinnvoll bei der Schutzausübung nur als freie, nicht als gebundene Verwaltung denkbar, und zwar nicht nur hinsichtlich des anzuwenden Mittels, sondern auch hinsichtlich der Frage, ob sie überhaupt tätig wird."6s
Konkret bedeutet das, daß die um Schutzgewährung angegangene Behörde die Interessen des betroffenen Individuums mit den Interessen der Allgemeinheit abzuwägen hat. Dabei kann sie auf der einen Seite, falls es erforderlich sein sollte, auch erhebliche Verletzungen der Rechte des Individuums hintanstellen, wenn höherwertige Gemeininteressen das erfordern. Auf der anderen Seite ist sie zur Schutzgewährung verpflichtet, wenn Gründe des Allgemeinwohls der Schutzausübung nicht entgegenstehen. 66 Der Bestand und die Pflege möglichst unbelasteter Beziehungen liegt jedoch immer im öffentlichen Interesse, so daß in diesen Fällen stets das Interesse der Allgemeinheit gegenüber den betroffenen Individualinteressen vorrangig ist. 67 Kritik an der Ansicht Doehrings, aus der Tatsache, daß die Gewährung diplomatischen Schutzes davon abhängig sei, daß öffentliche Interessen nicht berührt seien, folge, daß dem Staatsbürger kein subjektiv-öffentliches Recht zustehe, übt Oberthür.68 Doehring erkenne an - so Oberthür - , daß selbst zum Doehring, Die Pflicht des Staates, S. 93; ähnlich Geck, ZaöRV 1956/57, 500. Doehring, Die Pflicht des Staates, S. 94; ebenso Klein, DÖV 1977, 705; Treviranus, DÖV 1979, 36f.; Hecker, A 63; Hoffmann, 1.1, S. 21. 66 So OVG Münster, DVBI. 1962, 140. 67 So OVG Münster, Urteil vom 12. 03. 1979, I A 825 (76 - nicht veröffentlicht. Vgl. auch Hoffmann, 1.1, S. 21. Im Ergebnis ebenso Oberthür, S. 46 und Geck, ZaöRV 1956/57, 524. 64
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
Wesen der Grundrechte die Beschränkung gehöre, daß ihre Ausübung die Interessen der Allgemeinheit nicht beeinträchtigen dürfe. Wenn aber Grundrechte ihre Qualität als subjektiv-öffentliche Rechte durch diesen Vorbehalt nicht verlören, so sei nicht einzusehen, warum dies hinsichtlich des Schutzanspruches gelten solle. M. E. unterliegt Oberthür mit seiner Argumentation einem Zirkelschluß. Oben war dargestellt worden, daß eines der Wesensmerkmale des subjektivöffentlichen Rechts ein zwingender Rechtssatz ist. Daran fehlt es zweifellos dann, wenn eine Norm einen Abwägungsvorgang zuläßt oder anordnet. Erst wenn feststeht, daß ein zwingender Rechtssatz vorliegt, kann einem Rechtssatz die Qualität zuerkannt werden, subjektive Rechte zu gewährleisten. Oberthür geht den umgekehrten Weg: er postuliert, daß die Verpflichtung zur Gewährung von Auslandsschutz ein zwingender Rechtssatz sei und legt sich anschließend die Frage vor, ob nicht auch ein solcher eingeschränkt werden könne. Seine Kritik überzeugt daher in keiner Weise. Aus diesen Gründen ist mit der herrschenden Meinung davon auszugehen, daß die Schutzpflicht der deutschen Staatsorgane jedenfalls insoweit nicht als zwingender Rechtssatz angesehen werden kann, als den auswärtigen Behörden die Möglichkeit verbleibt, bei Vorliegen der Voraussetzungen, an die die Gewährung diplomatischen Schutzes geknüpft ist, noch Ermessenserwägungen anzustellen, die das Vorgehen der Behörde ihrer Art nach bestimmen und zwar auch im Hinblick darauf, ob überhaupt eingegriffen werden soll. Einen zwingenden Rechtssatz stellt die Schutzverpflichtungjedoch insoweit dar, als sie die zuständigen Behörden verpflichtet, die ihnen gesetzten Ermessensgrenzen nicht zu überschreiten und sachgerechte Ermessenserwägungen anzustellen. Aus diesen Gründen kann zwar kein subjektiv-öffentliches Recht auf Schutzgewährung bestehen; in Betracht kommt aber ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensbetätigung. Er setzt voraus, daß die Schutzverpflichtung deutscher Behörden auch Individualinteressen zu dienen bestimmt ist. 69 Daran, daß diese Voraussetzung beim diplomatischen Schutz vorliegt, kann kein ernsthafter Zweifel bestehen. Die aus der staatlichen Schutz- und FürsorgeverpfliC;,htung für seine Bürger folgende Pflicht zum Auslandsschutz ist als eine dem Staat obliegende Aufgabe individualschützend, wie kaum eine andere der vom Staat wahrgenommenen Aufgaben. Als Ergebnis läßt sich damit festhalten, daß deutsche Staatsangehörige gegenüber der Bundesrepublik Deutschland einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensbetätigung bei der Entscheidung über das "ob" und "wie" der Schutzgewährung haben. 70 Oberthür, S. 47. Vgl. oben, 3. Kapitel, III.2. 70 So Doehring, Die Pflicht des Staates, S. 94; Treviranus, DÖV 1979, 37; Hecker, A 62; Hoffmann, 1.1, S. 21; OVG Münster, DVBI. 1962,140; OVG Münster, Urteile vom 12. 03 68
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V. Verständigungsklauseln und subjektiv-öffentliches Recht
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V. Verständigungsklauseln der DBA und subjektiv-öffentliches Recht Nachdem im vorangegangen Abschnitt untersucht worden ist, ob sich aus dem Rechtsverhältnis des Staatsbürger zu seinem Heimatstaat ein Anspruch auf die Gewährung diplomatischen Schutzes ergibt, wird nun zu prüfen sein, ob sich ein Anspruch auf diplomatischen Schutz in der Sonderform der Einleitung eines Verständigungsverfahrens aus den Verständigungsklauseln der DBA ergeben kann. Da die Merkmale des subjektiven öffentlichen Rechts sämtliche Merkmale der unmittelbaren Anwendbarkeit in sich einschließen und zusätzliche enthalten,l soll zunächst der unmittelbaren Anwendbarkeit der Verständigungsklausein nachgegangen werden. 1. Die unmittelbare Anwendbarkeit
Die unmittelbare Anwendbarkeit in der im ersten Kapitel dargestellten Form setzt in erster Linie voraus, daß die fragliche Norm nach ihrem Wortlaut, Zweck und Inhalt ein Individuum berechtigen oder verpflichten kann. 2 Dieses Merkmal ist vor allem bei solchen Verträgen zu verneinen, die sich nur an Staaten wenden und nur zwischen diesen Rechts- und Pflichtenbeziehungen schaffen wollen. Demgegenüber wird durch die Verständigungsklauseln nach den Ergebnissen im zweiten Kapitel gerade zwischen einem Individuum und den Behörden des Ansässigkeits-Staates eine Rechts- und Pflichten beziehung hergestellt; sie begründen keine Handlungspflichten von Staaten nur mit Bezug auf die internationale Ebene. Die unmittelbare Anwendbarkeit setzt als zweites Kriterium voraus, daß es sich bei den Verständigungsklauseln um Normen, also um Rechtssätze, um objektives Recht handelt. 3 Eine Vorschrift eines völkerrechtlichen Vertrages besitzt diese Eigenschaft, objektives Recht zu verkörpern, wenn sie geeignet ist, im innerstaatlichen Bereich wie ein Gesetz abstrakt benannte Fälle zu regeln. 4 Auch bezüglich dieses Erfordernisses bestehen bei den Verständigungsklauseln keinerlei Bedenken. Sie bestehen - wie jede Rechtsnorm, die geeignet ist, einen Anspruch zu vermitteln - aus einer Tatbestands- und einer Rechtsfolgenseite. S Für die unmittelbare Anwendbarkeit genügt es jedoch schon, wenn es sich bei 1979- I A 1310/76 und vom 12. 03.1979- I A 825/76- nicht veröffentlicht; BVerwG JZ 1981, 390 (391)(Hess); BVerfGE 36, 1 (30f.);40, 141 (177);41, 127 (182); 55,349(364). 1 Vgl. oben, 1. Kapitel, I.2.b). 2 BVerfGE 29, 248 (260); Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 262ff.. 3 Sog. Normentheorie; vgl. Boehmer, S. 8; Seidl-Hohenveldem, ICLQ 1963, 115; Mosler, Praxis, S. 19ff.; Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 244ff.; Triepel, Völkerrecht, S. 9 ff.; 21 .; 111 ff.; Pigorsch, S. 82; Partseh, S. 20. 4 Vgl. Pigorsch, S. 82 S Zur logischen Struktur eines Rechtssatzes im allgemeinen und zu den Bestandteilen des (vollständigen) Rechtssatzes, vgl. Larenz, S. 240ff..
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
dem fraglichen Rechtssatz um eine Norm des objektiven Rechts handelt, die die staatlichen Organe zu befolgen haben. 6 Auch das Vorliegen dieses Erfordernisses ist angesichts der bereits erörterten Struktur der Verständigungsklauseln nicht problematisch. Als drittes Erfordernis zur Bejahung der unmittelbaren Anwendbarkeit kommt es darauf an, daß die Verständigungsklauseln zu ihrer Anwendung keines innerstaatlichen Ausführungsaktes mehr bedürfen. 7 Dieses Merkmal ist zu bejahen, wenn ein Vertrag sich an die Individuen und an den Richter wendet, nicht aber an den Gesetzgeber, also nicht die Zuständigkeit politischer Organe, also von Regierung oder Parlament für die Ausführung im Vertrage festgelegt wird. 8 Es liegt nach den oben angestellten Überlegungen zur Struktur der Verständigungsklauseln auf der Hand, daß ein Ausführungsakt des staatlichen Gesetzgebers nicht mehr erforderlich ist, nachdem die Doppelbesteuerungsabkommen in den innerstaatlichen Rechtsraum einbezogen worden sind. Nach dem Aufbau der Vorschrift bedarf es weder eines weiteren Gesetzes noch einer Rechtsverordnung, um die unmittelbare Anwendbarkeit herzustellen. Auch das letzte zu prüfende Merkmal, nämlich die ausreichende Bestimmtheit, die es ermöglicht, konkrete Rechtsfolgen aus einer Norm abzuleiten, wird im Falle der Verständigungsklauseln anzunehmen sein. 9 Letztlich ist damit angesprochen, daß eine Norm nur dann unmittelbar durch den Richter anwendbar ist, wenn sie justiziabel ist, wenn also die Vertragsnorm im Syllogismus der Rechtsfolgebestimmung als Obersatz fungieren kann. lO In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes hat dieses Merkmal eine besondere Beachtung erfahren. Zuerst im Falle Costa / ENEL hat der Gerichtshof die in späteren Entscheidungen weiter ausgeführte Ansicht vertreten, eine Vertragsvorschrift sei nur dann unmittelbar anwendbar, wenn sie durch keinerlei Bedingungen eingeschränkt sei, mithin eine unbedingte Verpflichtung begründe. l1 Daraus ist geschlossen worden, daß eine Vorschrift des EWGVertrages, die den Mitgliedstaaten oder den Gemeinschaftsorganen beim Vollzug der Vorschrift ein gewisses Ermessen gewährt, nicht unmittelbar anwendbar ist. 12 Die vom EuGH in diesem Zusammenhang geprägten Begriffe 6 So Boehmer, S. 9; vgl. ebenso: Partsch, S. 20; Bühler, ZaöRV 1958, 679f.; Ipsen, NJW 1963, 1381 f.. Siehe ebenso die ausführliche Kritik an der Normentheorie bei Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 244ff., auf die vorliegend jedoch nicht weiter eingegangen werden soll. 7 Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 29Of.; RGZ 119, 156 (162); 121,7 (9),124,204 (205); vgl. aus der Rechtsprechung zum europäischen Gemeinschaftsrecht auch EuGHE 1966, 266 (Lütticke) und EuGHE 1963, 1273 (Costa/ENEL); Koller, S. 174ff.. 8 Vgl. Erades/Gould, S. 321; Walz, S. 204; Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 291. 9 Vgl. Öhlinger, S. 142f.; RGZ 121,7 (9); BVerfGE 29,348 (360); Öst.VGH. JBI. 1961, 362; Ros, S. 22. 10 Koller, S. 71; Ros, S. 23f. 11 EuGHE X, 1273 (Costa/ENEL); XII, 266 (Lütticke). 12 Koller, S. 181; vgl. auch Ros, S. 23ff. und EuGHE XIV, 692 (Salgoil).
V. Verständigungsklauseln und subjektiv-öffentliches Recht
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der Klarheit und Eindeutigkeit sind weitgehend mit ermessensloser Bindung der Vertragsstaaten gleichgesetzt worden. 13 Bei einer Analyse der EuGH-Rechtsprechung, wann ein Ermessensspielraum angenommen worden ist, stellt sich heraus, daß abstrahierende Aussagen kaum zu machen sind, da das Gericht stets nur auf die Besonderheiten der jeweiligen Vorschrift abstellte. In der Angelegenheit Molkerei-Zentrale nahm der EuGH an, daß den Staaten bei der Festlegung der Durchschnittsbeträge nach Art. 97 EWGV ein bestimmtes Maß an Freiheit verbleibe.!4 Beim Berechnungsverfahren nach Art. 97 sind Schätzungen und Pauschalierungen erforderlich, so daß sich aus diesen Gründen hier keine festen Rechtsfolgen aus der Norm ableiten lassen. In der Angelegenheit Salgoil nahm das Gericht hingegen einen Ermessensspielraum bei der Anwendung von Art. 33 I, II EWGV an. Den Staaten verbleibe ein Entscheidungsspielraum, da der EWGV nichts darüber aussage, auf welchen Grundlagen und nach welchen Methoden der Gesamtwert der Globalkontingente und die inländische Erzeugung zu berechnen seien, so daß mehrere Lösungen in Betracht kämen. Den Staaten verbleibe damit eine Bandbreite möglicher Entscheidungen.!5 Diese Erkenntnisse erlauben es, zur Frage, wann einer Vertragsnorm eine unmittelbare Anwendbarkeit zukommt, folgendes festzuhalten: Hat der durch einen völkerrechtlichen Rechtssatz verpflichtete Staat die Möglichkeit, bei der Umsetzung dieser Norm mehrere verschiedene Wege einzuschlagen oder hängt die Anwendung eines solchen Rechtssatzes von außerhalb der Norm liegenden Faktoren ab, die selbst nicht völkerrechtlich definiert sind, so kann die erforderliche Umsetzung nur vom Gesetzgeber selbst vollzogen werden. - Die fragliche Norm ist dann nicht unmittelbar anwendbar.!6 Das bedeutet jedoch nicht, daß es generell keine unmittelbar anwendbaren Völkerrechtssätze geben kann, die Ermessen einräumen. Denn wenn es sich um einen Ermessensspielraum handelt, der über das der Verwaltung üblicherweise eingeräumte, auch durch das Rechtsstaatsprinzip gestattete Ermessen nicht hinausgeht, kann zwar nicht der Richter, wohl aber möglicherweise die zuständige Verwaltungsbehörde den Vertrag auch insoweit anwenden. Es ist Bleckmann zuzugeben, daß Voraussetzung hierfür jedoch ist, daß einerseits der Vertrag nicht eindeutig die Ermessensausübung dem Gesetzgeber zuweist und daß andererseits das zuständige innerstaatliche politische Organ die Ermessensausübung mehr oder weniger ausdrücklich der Verwaltung überläßt.!7
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Daig, EuR 1970, 25. EuGHE XIV, 224f., 226, 234. EuGHE XIV, 692. Vgl. auch Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 314. Bleckmann, Anwendbarkeit, S. 315; vgl. aber auch Triepel, Völkerrecht, S. 425.
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
Es ist also bei Ennessensnonnen zu unterscheiden: Wird durch eine Völkerrechtsnonn ein gesetzgeberisches Ennessen im weitesten Sinne gewährleistet, so fehlt einer solchen Nonn die unmittelbare Anwendbarkeit. Anders ist es hingegen, wenn nur ein Ennessen einer Behörde bestehen soll, ein gesetzgeberisches Tätigwerden also entbehrlich ist. In diesen Fällen kommt eine unmittelbare Anwendbarkeit in Betracht. Bei den Verständigungsklauseln der DBA ist es nun gerade die Frage, ob sie der Behörde ein Ennessen einräumen oder eine unbedingte Handlungsanweisung beinhalten. Es steht jedoch wenigstens so viel fest, daß es sich bei dem durch die Verständigungsvorschriften eventuell eingeräumten Ennessen nur um ein behördliches Ermessen handeln kann. Die fraglichen Vorschriften nehmen ausdrücklich die zuständige Behörde in Bezug. Es scheint daher die Annahme gerechtfertigt, daß die Möglichkeit, die Verständigungsvorschriften ließen u. U. Ennessensentscheidungen zu, ihrer ausreichenden Bestimmtheit nicht entgegensteht. Im folgenden soll nun im einzelnen untersucht werden, ob die in den Doppelbesteuerungsabkommen enthaltenen Verständigungsvorschriften subjektive Rechte vennitteln. Dabei soll entsprechend der im zweiten Kapitel dargestellten Typologie nach Abkommensgruppen getrennt vorgegangen werden. Die bisherige Diskussion zu subjektiven Rechten im Zusammenhang mit den Verständigungsklauseln krankt - wie zu zeigen sein wird - vor allem daran, daß hier keine genügend sorgfältigen Differenzierungen vorgenommen werden. 2. Das Vorkriegsabkommen (DBA Italien) Es ist bereits dargestellt worden, daß das DBA Italien als das einzige noch geltende Vorkriegsabkommen eine ungewöhnlich komplexe und später in dieser Fonn nicht mehr anzutreffende Regelung über das Verständigungsverfahren enthält. lB Sitz eines subjektiv-öffentlichen Rechts des Steuerpflichtigen auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens seines Heimatstaates kann nur Art. 15 S. 2 DBA Italien sein, wonach die oberste Finanzbehörde dieses Staates sich mit der obersten Finanzbehörde des anderen Staates verständigen kann, um in billiger Weise eine Doppelbesteuerung zu venneiden, sofern der vorangegangene Einspruch des Steuerpflichtigen für begründet erachtet wurde. Die im deutschen Vertragstext verwendete Fonnulierung "kann" deutet gesetzessprachlich auf ein Ermessen der beteiligten Behörden hin, also auf einen durch den Vertragstext verliehenen Spielraum zu eigener und eigenverantwortlicher Wahl und Entscheidung. Ausschließlich vom Wortlaut her betrachtet besteht - selbst wenn die Verwaltung den diesbezüglichen Einspruch des 18
Vgl. dazu oben, 2. Kapitel, III. 2. b).
V. Verständigungsklauseln und subjektiv-öffentliches Recht
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Steuerpflichtigen für begründet erachtet - eine zweifache Entscheidungsmög,ichkeit: Die Behörde kann eine Verständigung herbeiführen oder sie kann dies unterlassen. Die im italienischen Text verwendete Formulierung "potr-" hat exakt die gleiche Bedeutung, so daß sich keine Differenz zwischen beiden nach Art. 19 in gleicher Weise verbindlichen Fassungen ergibt. Art. 31 I WVK erfordert, daß die Bestimmungen eines Vertrages in ihrem Zusammenhang und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen sind. Zum Kontext der hier im Mittelpunkt der Überlegungen stehenden Vorschrift des Art. 15 S. 2 DBA Italien gehören vor allem Art. 15 S. 1, Art. 16und 17 sowie Ziff. 17 des Schlußprotokolls. Art. 15 S. 1 DBA Italien betrifft die Einwendungsbefugnis des Steuerpflichtigen, die vorliegt, wenn er nachweist, daß Maßnahmen der Finanzbehörden der vertragsschließenden Staaten für ihn die Wirkung einer Doppelbesteuerung gehabt haben. Art. 16 ermöglicht es den Finanzbehörden, besondere Vereinbarungen zur Beseitigung von Doppelbesteuerungen in den Fällen zu treffen, die in dem Abkommen nicht geregelt sind und in Fällen von Schwierigkeiten bei Auslegung und Anwendung des Abkommens. Ziff. 17 des Schlußprotokolls verbietet es, durch die Anwendung von Art. 16 Grundsätze aufzustellen, die sich von denen des Abkommens unterscheiden. Darüber hinaus ermöglicht es Art. 17 DBA Italien, die obersten Finanzbehörden beider Staaten mit der billigen Entscheidung über jede Frage zu betrauen, die auf dem Gebiet der direkten Steuern überhaupt entstehen kann. Vereinbarungen zwischen Italien und der Bundesrepublik, die irgendwelche Aussagen zur Bedeutung der genannten Vorschriften machen, gibt es außer dem Schlußprotokoll nicht. Eine besondere Bedeutung kommt daher Ziel und Zweck des DBA Italien zu. Ziel und Zweck dieses Abkommens ist nach seiner Überschrift die Vermeidung der Doppelbesteuerung. Im Hinblick darauf ist zu überlegen, ob die Formulierung "kann" nicht zweckmäßigerweise als "muß" gelesen wird, da dem Ziel einer Eindämmung der Doppelbesteuerung natürlich am besten gedient wäre, wenn die entsprechenden Behörden stets verpflichtet wären, mit Hilfe des Verständigungsverfahrens noch bestehenbleibende Doppelbesteuerungen völlig abzubauen. Daß diese Überlegung falsch ist, ergibt sich schon aus Ziff. 17 des Schlußprotokolls, wonach es nicht zulässig ist, Grundsätze aufzustellen, die von denen, die im Abkommen verwendet sind, verschieden sind. Es soll vielmehr nur die Möglichkeit bestehen, die Abkommensgrundsätze auf nicht geregelte Fälle zu erweitern. Daraus läßt sich schließen, daß jedenfalls in solchen Fällen, die sich nicht durch eine Erweiterung der Abkommensgrundsätze regeln lassen, auch in Kauf genommen werden soll, daß eine Doppelbesteuerung bestehen bleibt. Dies bestätigt auch die im ersten Kapitel angestellte Überlegung, daß die DBA als wechselseitige Besteuerungsverzichte schon deshalb nicht so ausgelegt werden können, als wollten sie die Doppelbesteuerung vollständig ausschalten, weil dies einen zusätzlichen Verzicht auf Steuereinnahmen darstellt, der nicht vermutet werden kann, weil er über die ausdrücklich vereinbarten Verzichte hinausgeht
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
und damit die Vertragsparteien über den Vertragswortlaut hinaus zusätzlich belastet. Es geht nun jedoch nicht an, über den Telos des Vertrages - mit der Überlegung, auf diese Weise könne der Vorschrift zu maximaler Wirksamkeit verholfen werden - die verwendete Formulierung "kann" in der Weise umzudeuten, daß sie eine unbedingte Verpflichtung beinhaltet. Die Auslegungsregel des Art. 31 I WVK verlangt es, im Wege einer "single combined operation" Wortlaut, Zusammenhang und Telos eines Vertrages miteinander zu harmonisieren. Das bedeutet zwar grundsätzlich, daß auch nach Art. 31 WVK eine funktionelle Auslegung möglich ist, wenn es der betreffende Vertragsgegenstand erfordert. 19 Gleichwohl ist im Rahmen einer Auslegung insoweit Vorsicht am Platze, als das Ergebnis dem klaren Wortlaut widerspricht. Sowohl der Ständige Internationale Gerichtshof als auch der IGH haben stets einem klaren Wortlaut eine besondere Beachtung geschenkt. "The words (. ... ) must be read in their natural and ordinary meaning, in the sense wh ich they would normally have in their context. It is only if, when this is done, the words ofthe artic/e are ambigious in any way that resort need be had to other methods of construction".20 Noch deutlicher war das Gericht in einem anderen Fall: "The Court considers it necessary to say that the first duty of a tribunal which is called upon to interpret and apply the provisions of a treaty, is to endeavour to give effect to them in their natural and ordinary meaning in the eontext in which they oeeur. lf the relevant words in their natural and ordinary meaning make sense in their eontext, that is an end of the matter". 21
Diese Rechtsprechung internationaler Gerichte berechtigt durchaus zu der Feststellung, daß eine Bevorzugung des Vertragstextes vor allen anderen Erkenntnismitteln zu den wesentlichen Zügen der gerichtlichen Auslegungspraxis gehört hat. Diese Feststellung kann jedenfalls für die Zeit vor Inkrafttreten der WVK uneingeschränkte Geltung beanspruchen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob durch die erwähnten Formulierungen in Art. 31 I WVK eine Änderung eingetreten ist. Genau dies war aber offensichtlich durch die ILC nicht beabsichtigt: ,,( 1) The artic/e as already indieated is based on the view that the text must be presumed to be the authentie expression of the intentions of the parties; and that, in eonsequenee, the starting point ofinterpretation is the elucidation of the meaning of the text, not an investigation ab initio into ofthe intentions ofthe parties ( .... ). In particular, the Court has more than onee stressed that it is not the funetion of 19 Verdross I Simma, § 776; vgl. auch Lagoni in Menzelilpsen, S. 320f.; Bernhardt, Auslegung, S. 60ff.. 20 I.C.J. Reports 1960, 159 f.; vgl. aus der Rechtsprechung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes weiter: P.C.I.J. Series AlB, No. 62,13; P.C.I.J. Series AlB, No. 44, 33; P.C.I.J. Series B, No. 12,22; sowie aus der Rechtsprechung des IGH:l.C.J. Reports 1948, 63; I.C.J. Reports 1952, 45. 21 I.C. J. Reports 1950, 8.
V. Verständigungsklauseln und subjektiv-öffentliches Recht
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interpretation to revise treaties or to read into them what they do not, expressly or by implication, contain". 22
Diese Äußerung der ILC zeigt, daß eine Änderung des Grundsatzes vom Vorrang des Wortlautes nicht beabsichtigt war. Gleichwohl- das ergibt sich aus der Wahl der Formulierung, die Art. 31 I WVK zugrundegelegt wurdesollte offensichtlich eine Interdependenz zwischen Wortlaut, Zusammenhang und Vertragstelos bei der Auslegung erfolgen. Würde man jedoch im vorliegenden Fall über den Vertragstelos die Formulierung "kann" in "muß" umdeuten, käme es nicht zu einer Interdependenz, sondern zu einer Auslegung gegen den Wortlaut. Ein solches Vorgehen stößt aber schon deshalb auf erhebliche methodische Bedenken, weil sich dann die Bedeutung einer Vorschrift, die angesichts des klaren Wortlauts am nächsten liegt, auf dem "Umweg" über den Vertragstelos stark verändert. Als unzulässig muß dies auch deshalb angesehen werden, weil auf diese Weise dem Vertragstelos gegenüber dem Vertragswortlaut sogar der Vorrang eingeräumt würde - ein Ergebnis, das im offenbaren Gegensatz zu der Auslegungsregel des Art. 31 I WVK steht. Aber noch aus anderen Gründen ist es bei der Auslegung von Art. 15 DBA Italien nicht angezeigt, eine Bedeutung für maßgeblich zu erklären, die von der durch die Formulierung "kann" nahegelegten Vermutung für eine Ermessensvorschrift abweicht: Es ist dies allerdings nicht die bereits erwähnte Auslegungsmaxime in dubio mitius, die besagt, daß Einschränkungen der staatlichen Freiheit im Zweifelsfall einschränkend zu interpretieren sind. 23 Bereits oben wurde die Geltung dieses Grundsatzes für Doppelbesteuerungsverträge mit der Überlegung verneint, er könne in diesem Bereich schon deshalb keine Anwendung finden, weil die DBA als System wechselseitiger Besteuerungsverzichte ja gerade eine Einschränkung staatlicher Freiheit intendieren. Das letztlich entscheidende Argument gegen eine Bevorzugung von Ziel und Zweck des Vertrages gegenüber dem Wortlaut von Art. 15 DBA Italien ist dieses: Wenn die Vertragsparteien - hier also das Deutsche Reich und das ehemalige Königreich Italien - bei der Aushandlung eines Doppelbesteuerungsvertrages eine vage Formulierung verwendet haben, wie "kann", obwohl davon ausgegangen werden muß, daß ihnen klar gewesen ist, daß Begriffe wie "muß" oder "wird" zwar auf der einen Seite eine stärkere Beschränkung der staatlichen Souveränität mit sich gebracht hätten, auf der anderen Seite jedoch dem Ziel einer völligen Vermeidung der Doppelbesteuerung besser gerecht geworden wären, so kann die auf der Hand liegende Schlußfolgerung eigentlich nur lauten, daß dies auch nicht beabsichtigt war oder daß es den Parteien nicht möglich war, sich auf eine so weitgehende Formulierung zu einigen .. Auch insoweit verbietet sich mithin eine vom Wortlaut des Art. 15 S. 2 DBA Italien abweichende Auslegung. ILC-Final Draft, YBILC 1966 H, 220; vgl. auch Sinclair, S. 121 ff.. Zum "in dubio mitius"-Grundsatz im einzelnen vgl. bereits oben, 1. Kapitel, H. 3. c) m. w. Nachweisen. 22
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
Da den obersten Finanzbehörden beider Staaten bei der Entscheidung über die Einleitung eines Verständigungsverfahrens Ermessen eingeräumt worden ist, fehlt es in dieser Hinsicht an einen zwingenden Rechtssatz. Die Finanzbehörden sind jedoch verpflichtet, im erwähnten Rahmen Ermessensgrenzen einzuhalten, so daß jedenfalls ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensbetätigung in Betracht kommt. Voraussetzung hierfür ist allerdings noch, daß die in Bezug genommene Verständigungsklausel des DBA Italien auch den Zweck hat, dem Schutz von Individualinteressen zu dienen. Der individualschützende Charakter von Art. 15 erschließt sich durch eine Gegenüberstellung mit Art. 16. Diese Vorschrift ermöglicht es, im Konsultationsverfahren auf dem Verwaltungswege die Vorschriften des DBA Italien mit materiellrechtlicher Wirkung zu ergänzen oder auszulegen. Die Ermächtigung beschränkt sich nicht auf die Entscheidung von EinzeWillen; sie erfaßt auch die Befugnis zum Erlaß allgemeiner Vorschriften. 24 Die zusätzliche Vorschrift des Art. 15, die eine Einwendungsbefugnis des Steuerpflichtigen beinhaltet, hat neben Art. 17 nur dann eine eigenständige Bedeutung, wenn sie dazu dienen soll, Individualinteressen zu schützen, da die im Behördenverkehr auftretenden Differenzen ausnahmslos über Art. 17 geregelt werden können, der auch die Möglichkeit zu Einzelfallentscheidungen einschließt. Zusammenfassend läßt sich damit sagen, daß im Rahmen der Entscheidung der Finanzbehörden, ein Verständigungsverfahren einzuleiten, ein durch Art. 15 S. 2 DBA Italien vermittelter Anspruch auf fehlerfreie Ermessensbetätigung besteht. 25 3. Die anglo-amerikanische Abkommensgruppe a) Anspruch auf Durchftihrung des Verständigungsverfahrens als Grundsatz
Die Verständigungsklauseln der DBA der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe haben typischerweise folgenden Wortlaut: "Werden ihre Einwendungen für begründet erachtet, so wird die zuständige Behörde des angerufenen Staates anstreben, sich mit der zuständigen Behörde des anderen Staates über die Vermeidung der Doppelbesteuerung zu verständigen". 26
Die Einwendungsbefugnis des Steuerpflichtigen ist in diesen Fällen gegeben, wenn eine in einem der Staatsgebiete der Vertragsparteien ansässige Person KornlDebatin, DBA Italien, Anm. zu Art. 17. Nur im Ergebnis ebenso: Mülhausen, S. 153. 26 So Art. XVII Abs. 1 S. 2 DBA Pakistan; gleichlautend oder ähnlich: DBA Ägypten (Art. XX Abs. 1 S. 1); DBA Großbritannien (Art. XVIII A Abs. 2); DBA Israel (Art. 21 I 2); DBA Irland (Art. XXIV Abs. 1 S. 2); DBA Indien (Art. XVIII Abs. 2 S. 1); DBA Griechenland (Art. XX Abs. 1 S. 2); DBA USA (Art. XVII Abs. 1 S. 2). 24 25
V. Verständigungsklauseln und subjektiv-öffentliches Recht
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nachweist, daß Maßnahmen der Steuerbehörden der Vertragsstaaten die Wirkung einer Doppelbesteuerung haben oder haben werden, die den Vorschriften des betreffenden Abkommens widerspricht. Ergänzt werden diese Vorschriften um eine Regelung, die Verständigungen ermöglicht, um Schwierigkeiten oder Zweifel zu beseitigen, die bei Auslegung oder Anwendung der D BA oder im Verhältnis der jeweiligen DBA zu Abkommen der Vertragsstaaten mit Drittstaaten auftreten, also um eine konkrete Konsultationsklausel. Läßt sich diesen Vorschriften ein zwingender Rechtssatz entnehmen? Im Wortlaut der fraglichen Verständigungsklauseln heißt es, die Behörde werde anstreben, sich zu verständigen. Die Wendung, die "Sitz" des subjektivöffentlichen Rechts sein kann, besteht damit aus zwei Teilen, die m.E. unterschiedliche Funktionen haben. "Anstreben, sich zu verständigen" kennzeichnet den Umfang der den Verständigungsklauseln innewohnenden völkerrechtlichen Verpflichtungen. Hier kommt zum Ausdruck, daß die Verständigungsklausein völkerrechtlich gesehenpacta de negotiandi enthalten, aber keine Pflicht zur Einigung normieren. Das dieser Wendung vorgelagerte Verb, also vorliegend "wird", hat demgegenüber einen Bezug zum innerstaatlichen Rechtsverhältnis des Steuerpflichtigen, zu seinem Ansässigkeitsstaat. Es bringt zum Ausdruck, in welchem Umfange eine rechtliche Verpflichtung in diesem Verhältnis besteht, ob also letztlich die Behörde in dieser Beziehung ein Ermessen hat oder nicht. Die Formulierung "wird anstreben" bedeutet nun, daß die Behörde unter der Verpflichtung steht, eine Einigung anzustreben. Die bestimmte Formulierung, die durch die Verwendung des Begriffes "wird" zum Ausdruck kommt, läßt für Ermessensüberlegungen der Behörde keinen Raum. Die Verpflichtung, unter der die Finanzverwaltung hier steht, muß demgemäß in einem zweifachen Licht gesehen werden: Wie dargelegt, handelt es sich bei den Verständigungsklauseln der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe um pacta de negotiando, nicht um pacta de contrahendo. Demgemäß besteht für die beteiligten Organe der Exekutive keine Verpflichtung zur Herbeiführung einer Einigung. Die zusätzliche Verwendung der Formulierung "wird" deutet darauf hin, daß wenigstens eine Verpflichtung besteht, eine Einigung zu versuchen, was wiederum nur möglich ist, wenn es wenigstens zur Einleitung eines Verständigungsverfahrens kommt. Darauf deutet insbesondere auch die Verbindung der Worte "wird" und "bemühen" hin. Ein "Bemühen" um die Vermeidung einer Doppelbesteuerung setzt begrifflich mehr voraus, als die bloße Prüfung, ob ein Antrag zu Recht gestellt wurde, ob also eine Einwendungsbefugnis des Steuerpflichtigen besteht. Ein "Bemühen" verlangt von der angegangenen Behörde ein Tätigwerden gegenüber den Behörden des Vertragsstaates. Die Finanzbehörden genügen mithin nur dann ihrer Verpflichtung aus den Verständigungsklauseln im Bereich der DBA der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe, wenn sie wenigstens das Verständigungsverfahren einleiten. Die Überlegungen zum Vertragszweck, die oben angestellt wurden, und die auch hier gelten, führen zum gleichen Ergebnis.
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
Auch der nach Art. 33 I WVK obligatorische Abkommensvergleich führt zu keinerlei Bedeutungsunterschieden: Das DBA Pakistan benutzt im zweiten Originaltext die Formulierung: "shall endeavour to come to an agreement". Die englische Wendung "shall" bezeichnet in der englischen Rechtssprache eine zwingende Bestimmung in Verträgen und Gesetzen. 27 Die anderen DBA der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe enthalten gleichlautende Formulierungen. 28 Die DBA der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe enthalten damit insoweit einen zwingenden Rechtssatz, als sie die Finanzbehörden der beteiligten Vertragsstaaten verpflichten, bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen ein Verständigungsverfahren einzuleiten; ein Ermessen in dieser Hinsicht besteht nicht. Ebenso wie beim DBA Italien ergibt sich aus einer Gegenüberstellung von Verständigungsklauseln und Vorschriften über das Konsultationsverfahren der individualschützende Charakter jener Vorschriften. Zusammenfassend läßt sich damit sagen, daß die Verständigungsklauseln der DBA der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe dem Steuerpflichtigen ein subjektiv-öffentliches Recht auf Einleitung eines Verständigungsverfahren vermitteln. b) Die Frage der Subjektidentität bei dem Begriff der Doppelbesteuerung und ihre Auswirkung auf die Einwendungsbefugnis des Steuerpflichtigen
Die Einwendungsbefugnis für das Verständigungsverfahren steht dem Steuerpflichtigen im Rahmen der DBA der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe nur zu, wenn Besteuerungsmaßnahmen der Vertragsstaaten eine Doppelbesteuerung bewirken, die den Vorschriften des Abkommens widerspricht. Schon oben wurde im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Begriff der Doppelbesteuerung die Frage aufgeworfen, ob die Fälle, in denen es an einer Subjektidentität fehlt, etwa, weil es sich bei verbundenen Unternehmen um verschiedene Steuerpflichtige handelt, es also zu wirtschaftlichen Doppelbesteuerungen kommt, als Doppelbesteuerungen i. S. der Abkommen angesehen werden können. 29 In diesem Zusammenhang ist in der Praxis die Frage aufgetaucht, ob die Voraussetzungen für die Einleitung eines Verständigungsverfahrens bei unterschiedlicher Ansicht über die Angemessenheit der Verrechnungspreise zwischen verbundenen Gesellschaften gegeben sind. Es wird hier die Ansicht 27 Vgl. Romain I, S. 677. Ebenso Hornby, S. 785: "used with all persons to form statements or questions expressing the ideas of duty, command, obligation, conditional duty (... )". 28 Etwas abweichend lediglich Art. XVIII A DBA Großbritannien in der Fassung des Revisionsprotokolls aus dem Jahre 1970: " ... shall endeavour ... to resolve the case by mutual agreement". 29 Vgl. oben, 2. Kapitel, II. 2. c) bb), insb. Fn. 151.
V. Verständigungsklauseln und subjektiv-öffentliches Recht
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vertreten, bei formeller Betrachtung werde die z. T. noch verlangte Subjektidentität bei verbundenen Unternehmen nicht vorliegen, da die Doppelbesteuerungsabkommen ausdrücklich von einer steuerlichen Selbständigkeit der Konzerngesellschaften ausgehen. Auch der OECD-Steuerausschuß habe dazu die Auffassung vertreten, daß die DBA nur die rechtliche Doppelbesteuerung betreffe, eine Erscheinung, die von der sogenannten wirtschaftlichen Doppelbesteuerung zu unterscheiden sei. 30 Obwohl in der Bundesrepublik Deutschland die Auffassung vertreten wird, es sei das Erfordernis der Subjektidentität zu beachten, verfährt die Praxis nicht immer in dieser Weise. Von Seiten der deutschen Finanzverwaltung heißt es vielmehr, von ihr werde ein Verständigungsverfahren stets dann versucht, wenn eine gegen das Abkommen verstoßende Besteuerung festgestellt werde,3l Noch weitergehend meint z. B. Hebing, in Fällen wirtschaftlicher Doppelbesteuerung werde von deutscher Seite regelmäßig ein Verständigungsverfahren betrieben. 32 Ist nun - wie in den Verständigungsklauseln der DBA der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe - die Einwendungsbefugnis des Steuerpflichtigen an das Vorliegen einer Doppelbesteuerung geknüpft, so fragt es sich, welche Bedeutung dem im Rahmen des Rechtsverhältnisses des Steuerpflichtigen zu seinem Heimatstaat zukommt. In der Literatur ist verschiedentlich der Versuch unternommen worden zu klären, ob der Doppelbesteuerungsbegriff der deutschen DBA enger zu verstehen sei - mit der Folge, daß das Erfordernis der Subjektidentität zu beachten sei - oder weiter. Besonders eingehend hat sich Flick mit dem Erfordernis der Subjektidentität bei Doppelbesteuerungsnormen auseinandergesetzt. 33 Er war der Auffassung, zunächst müsse auf den Wortlaut der DBA abgestellt werden. Im Wortlaut der Doppelbesteuerungsnormen seien Anhaltspunkte für das Erfordernis der Personenidentität aber nur selten zu finden, so daß es erforderlich sei, auf den theoretischen Begriff der internationalen Doppelbesteuerung zurückzugreifen. 34 Die kasuistischen Regelungen der deutschen DBA wie auch der internationalen Praxis ließen aber den Schluß auf den abstrakten Begriff der internationalen Doppelbesteuerung nicht zu. Ebenso scheitert Flicks Versuch, auf rechtsvergleichender Grundlage weiterzukommen. Er kommt zu dem Ergebnis, es gebe keine anerkannte wissenschaftliche Überzeugung, nach der die Subjektidentität für die Annahme einer internationalen Doppelbesteuerung erforderlich sei. 3s 30 Rädler I Raupach, S. 372, 376 f.; vg!. ebenso: Meersmann, Ertragsbesteuerung, S. 193; Schmidt, Steuerwarte 1967, 68; Kluge, S. 9 m. w. Nachweisen; Bühler, S. 33; Komi Debatin, Systematik I, Rz. 11; Vogel, DBA, Ein!. Rz. 2; Mülhausen, S. 155. 31 Weber, Verständigungsverfahren, S. 214. 32 Hebing, HWStR I, S. 365. 33 Flick, StuW 1960, 329ff.. 34 Flick, StuW 1960, 332.
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
Mülhausen ist im Rahmen seiner Ausführungen auch auf diese Frage eingegangen. Er hat ausgeführt, der Abkommensaufbau der deutschen DBA zeige, daß das wichtigste Strukturelement der DBA die Differenzierung zwischen Wohnsitzstaat und Quellenstaat sei. Hieraus und aus der in den DBA enthaltenen Regelung, wie der jeweilige Wohnsitzstaat die bei Aufrechterhaltung der Quellenbesteuerung entstehende Doppelbesteuerung vermeide, ergebe sich, daß den deutschen DBA ein Begriff der internationalen Doppelbesteuerung zugrunde liege, der das Erfordernis der Subjektidentität einschließe. 36
Sowohl die von Mülhausen als auch die von Flick aufgeworfenen Fragen sind jedoch für die hier vorliegende Problemstellung nicht weiter relevant. Im Zusammenhang mit einer Untersuchung, die das Ziel hat, herauszufinden, ob einer bestimmten Formulierung in den deutschen Doppelbesteuerungsabkommen innerstaatlich ein subjektiv-öffentliches Recht entspricht, kann es nicht darum gehen zu prüfen, ob der Begriff der Doppelbesteuerung nun das Erfordernis der Subjektidentität einschließt oder nicht. Da die Einwendungsbefugnis des Steuerpflichtigen durch das Vorliegen einer Doppelbesteuerung vermittelt wird, ist die in diesem Zusammenhang allein entscheidende Frage, ob das konkrete Doppelbesteuerungsabkommen, das die Einwendungsbefugnis an die Doppelbesteuerung knüpft, auch das Ziel hat, die bloß wirtschaftliche Doppelbesteuerung zu beseitigen. 37 Es ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob die DBA der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe eine Subjektidentität verlangen. Dies erschließt sich selbstverständlich ebenfalls nur durch eine an völkerrechtlichen Grundsätzen orientierte Auslegung des fraglichen Abkommens als Ganzem. Führt hier die Auslegung zu dem Ergebnis, daß eine Subjektidentität nicht erforderlich ist, so ist die Einwendungsbefugnis des Steuerpflichtigen ohne weiteres zu bejahen. Fraglich ist jedoch, ob die Bejahung des Erfordernisses der Subjektidentität und damit die Verneinung der Einwendungsbefugnis des Steuerpflichtigen dazu führen kann, daß die Finanzverwaltung rechtmäßigerweise die Einleitung eines Verständigungsverfahrens ablehnt. Der BFH hatte einen parallel gelagerten Fall zu entscheiden, in dem es um das Erfordernis der Subjektidentität beim DBA Schweiz 1931/59 ging. Das Gericht führte dazu aus: "Die Behandlung von Einkünften, die abweichend vom bürgerlichen Recht nach deutschem Steuerrecht (§ 6 StAnpG) einer in der Bundesrepublik ansässigen Person zugerechnet werden, obwohl die Schweiz diese Einkünfte bei einer dort Flick, StuW 1960, 341. Mülhausen, S. 161; ebenso: Lippert, S. 592 ff.; Spitaler, Doppelbesteuerungsproblem, S. 92ff.; 132ff.; Schmitz, S. 16ff.; Weber, Doppelbesteuerungsrecht, S. 104; Bühler, Prinzipien, S. 32; Debatin, DStZ (A) 1962, 5; Rädler I Raupach, S: 346f., 372; Watzke I Pollack I Philipp, S. 3; Teichner, S. 18. 37 So bereits oben 2. Kapitel, II.2.c) bb), insb. Fn 151; ebenso: Vogel, DBA, Ein!. 2f.; Komi Debatin, Systematik I, Rz. 10. 3S
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V. Verständigungsklauseln und subjektiv-öffentliches Recht
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ansässigen Person - hier der GmbH - steuerlich erfaßt, ist im DBA Schweiz 1931/59 nicht geregelt (. .. .); derartige Konflikte können in einem Verständigungsverfahren nach Art. 13 Abs. 2 des Abkommens gelöst werden, vorausgesetzt, daß einer der beiden Staaten von seiner innerstaatlichen Rechtsauffassung abgeht oder beide Staaten im Wege des Kompromisses ihre Steueransprüche ermäßigen. Ziel eines wegen wirtschaftlicher Doppelbelastung einzuleitenden Verständigungsverfahrens ist es, möglichst formlos den heide Vertragsstaaten berührenden Besteuerungskonflikt zu beseitigen". 38
Dieses Urteil ist in folgender Hinsicht bemerkenswert: Zum einen geht das Gericht davon aus, Ziel eines Verständigungsverfahrens sei es, einen Besteuerungskonflikt zwischen zwei Vertragsstaaten zu beseitigen. Im Gegensatz zu einer in der Literatur geäußerten Ansicht ist der Bundesfinanzhof offensichtlich der Ansicht, es bestehe eine Kongruenz zwischen der Konsultationsklausel der DBA und den Voraussetzungen für den Antrag des Steuerpflichtigen auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens, 39 so daß ein Verständigungsverfahren immer dann eingeleitet werden kann, wenn überhaupt ein Konsultationsverfahren in Betracht kommt. Dementsprechend konnte das Gericht - trotz der Tatsache, daß die wirtschaftliche Doppelbesteuerung im D BA Schweiz 1931 /59 nicht geregelt war -lediglich aufgrund der Tatsache, daß die ihm vorliegende Fallgestaltung jedenfalls einen Besteuerungskonflikt darstelle, die Voraussetzungen bejahen, unter denen ein Verständigungsverfahren eingeleitet werden durfte. Es soll an dieser Stelle offenbleiben, ob die vom Gericht angenommene Kongruenz zwischen der Einwendungsbefugnis des Steuerpflichtigen im Rahmen der Klauseln über das Verständigungsverfahren im engeren Sinne und den Konsultationsklauseln tatsächlich besteht. 40 Denn auch aus anderen Gründen muß in den Fällen der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung eine Verpflichtung der angegangenen Finanzbehörden des Ansässigkeitsstaates zur Einleitung eines Verständigungsverfahrens bejaht werden: Wie dargelegt, kann den Abkommen nur durch Auslegung entnommen werden, ob sie auch Fälle wirtschaftlicher Doppelbesteuerungen erfassen. Stellt sich nun die Steuerbehörde des Ansässigkeitsstaates auf den Rechtsstandpunkt, die wirtschaftliche Doppelbesteuerung unterfalle nicht dem Regelungsbereich der Abkommen, und weigert sie sich, ein Verständigungsverfahren einzuleiten, so besteht für den betroffenen Steuerpflichtigen keine Möglichkeit mehr, den Besteuerungskonflikt beizulegen. Auch für den Fall, daß die zur Ablehnung des Antrages führende Rechtsauffassung der Behörde objektiv unrichtig sein sollte, muß es dann bei der Doppelbesteuerung verbleiben; zu einer Verhandlung der beteiligBFH, BStBI. 1982 II, 583 (585). Dies bestreitet z.B. Mülhausen, S. 156, für die anglo-amerikanische und die kontinental-europäische Abkommensgruppe. 40 Dafür könnte etwa die Überlegung sprechen, daß die Finanzbehörden auch im Einzelfall und auf Antrag des Steuerpflichtigen die Befugnisse aus dem Konsultationsverfahren geltend machen können müssen. 38 39
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
ten Behörden mit dem Ziel einer Erledigung des Besteuerungskonfliktes im Verhandlungswege kann es dann nicht mehr kommen. Ganz allgemein gesprochen ist die Möglichkeit einer verbleibenden Doppelbesteuerung umso größer, je weniger die Finanzbehörden in den jeweiligen Vertragsstaaten rechtlichen Bindungen unterworfen sind. Die Benutzung der Formulierung "wird" im Text der Verständigungsklauseln deutet jedoch darauf hin, daß der Umfang der rechtlichen Bindung der Finanzbehörden besonders groß sein soll. Die Finanzbehörden wären in zweifelhaften Fällen gleichwohl unter Hinweis darauf, die Voraussetzungen für eine Einwendungsbefugnis lägen nicht vor, in der Lage, die Einleitung eines Verständigungsverfahrens abzulehnen. Sie erhielten damit für solche Fälle praktisch einen Beurteilungsspielraum, der ihnen nach dem Vertragstext eigentlich nicht zusteht und der auch mit dem Vertragstelos in dieser Form nicht zu vereinbaren wäre. Aus diesen Gründen ist schon immer dann von einer Verpflichtung der Behörden zur Einleitung eines Verständigungsverfahrens auszugehen, wenn nur zweifelhaft ist, ob die Voraussetzungen für eine Einwendungsbefugnis des Steuerpflichtigen vorliegen. 4. Die kontinental-europäische Abkommensgruppe
Die Verständigungsklauseln in den DBA der kontinental-europäischen Abkommensgruppe sehen vor, daß die zuständige oberste Finanzbehörde versuchen soll, sich mit der obersten Finanzbehörde des anderen Staates zu verständigen, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, wenn die entsprechenden Einwendungen des Steuerpflichtigen für begründet erachtet werden. 41 Die Einwendungsbefugnis des Steuerpflichtigen ergibt sich nach den Abkommen dieser Abkommensgruppe aus dem Nachweis, daß Maßnahmen der Finanzbehörden der Vertragsstaaten für den betroffenen Steuerpflichtigen die Wirkung einer Doppelbesteuerung gehabt haben, die den Grundsätzen des jeweiligen Abkommens widersprechen. 42 Darüber hinaus sieht die Klausel über das Konsultationsverfahren bei dieser Abkommensgruppe vor, daß die obersten Finanzbehörden sich zur Beseitigung von Schwierigkeiten und Zweifeln, die bei Auslegung oder Anwendung des Abkommens auftreten, sowie zur Beseitigung von Härten aufgrund einer Doppelbesteuerung in den Fällen, die in den Abkommen nicht geregelt sind, sich gegenseitig ins Einvernehmen setzen werden. Kann den Verständigungsklauseln in den DBA der kontinental-europäischen Abkommensgruppe ein zwingender Rechtssatz entnommen werden? Die Ver41 Art. 19 II DBA Österreich, Art. 22 II DBA Luxemburg; Art: 21 II DBA Norwegen; Art. 23 II DBA Schweden; Art. 22 II DBA Niederlande; Art. 21 DBA Dänemark; etwas abweichend sieht Art. 25 II DBA Frankreich vor, daß die zuständigen Behörden unter den wiedergegebenen Voraussetzungen sich verständigen könnten. 42 Vgl. im einzelnen oben: 2. Kapitel, II. 2. c) bb), bei Fn. 142.
V. Verständigungsklauseln und subjektiv-öffentliches Recht
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wendung einer Formulierung wie "soll" bedeutet, daß die Behörde unter den im Tatbestand näher geregelten Umständen möglichst die durch diese Wendung eingeleitete Rechtsfolge eintreten lassen muß. Darüber kann sie aber unter bestimmten Umständen von der als Regelfall gedachten Rechtsfolge abweichen. Insofern handelt es sich bei einer "Soll"-Vorschrift zwar um eine Ermessensnorm. Der Ermessensspielraum ist jedoch besonders eng. 43 Die Regelung in einer Rechtsvorschrift, daß eine Behörde sich in einer bestimmten Weise verhalten soll, bedeutet in der Regel, daß die Behörde an die Rechtsfolge, die die Norm anordnet, strikt gebunden ist, gestattet aber Abweichungen in atypischen Fällen, in denen besondere, angebbare Gründe für das Abgehen vom Regelfall vorhanden sind. 44 Sind solche Umstände, die einen Fall als atypisch erscheinen lassen, nicht erkennbar, so bedeutet das "Soll" ein "MUß".45 Das bedeutet gleichzeitig, daß - anders als in den normalen Fällen der Ermessensbetätigung - nicht jeder vernünftige Grund zur Verneinung einer Verpflichtung zum Tätigwerden genügt. 46 Für die Handhabung der Vorschriften über das Verständigungsverfahren durch die Finanzbehörden bedeutet dies, daß die Finanzbehörden prüfen müssen, ob im Einzelfall eine rechtliche Konstellation vorliegt, die sich von denjenigen, die die Vertragsparteien bei der redaktionellen Ausarbeitung des Vertragstextes im Auge hatten, grundlegend unterscheidet. Nur wenn und soweit dies der Fall ist, dürfen sie von der als Rechtsfolge vorgesehenen Handlungsweise - nämlich Einleitung eines Verständigungsverfahrens abweichen. Der hohe Umfang der rechtlichen Bindungen, die das Ermessen der Finanzbehörden beim Verständigungsverfahren als Ergebnis der Auslegung begrenzen, zeigt sich auch anhand der besonderen Formulierung, die bei der Fassung der Konsultationsklauseln Verwendung gefunden hat. Hier heißt es, daß die Finanzbehörden sich gegenseitig ins Einvernehmen setzen werden. Diese Formulierung betont wesentlich stärker das Vorhandensein rechtlicher Beschränkungen als es etwa die Konsultationsklausel in den DBA der OECDGruppe tut. Nach Art. 25 III 1 OECD-MA 1977 werden sich die zuständigen Behörden bemühen, Schwierigkeiten oder Zweifel, die bei der Auslegung oder Anwendung des Abkommens entstehen, in gegenseitigem Einvernehmen zu beseitigen. Auch hier zeigt ein Vergleich der unterschiedlichen Textfassungen das im oben dargelegten Sinne eingeschränkte Ermessen. Außer den bisher behandelten Doppelbesteuerungsabkommen, betreffend Einkommen und Vermögen, gibt es ein Erbschaftssteuer-DBA, das der konti43
Eyermann/Fröhler, § 114 Rz. 10; ebenso BVerwGE 20,117, (118); 49,16 (23).
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Kopp, VwGO, § 114 Rz. 21; ebenso BVerwGE 12,284 (285); 16,222 (226); 20,117
(118); 42, 26 (28); 49, 16 (23); 56, 220 (223); 62, 230 (242); OVG Nordrhein-Westfalen, VwRspr 25, 474 (475); VGH Baden-Württemberg DÖV 1968, 422 (423). 45 BVerwGE 56, 220 (223). 46 BVerwGE 20,117 (118)
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
nental-europäischen Abkommensgruppe zuzurechnen ist. Es ist dies das Erbschaftssteuer-DBA Österreich. 47 Dieses Erbschaftssteuer-DBA kann im Rahmen der Auslegung der Einkommensteuer-DBA nach Art. 32 als ergänzendes Auslegungsmittel herangezogen werden, um die sich nach Art. 31 WVK ergebende Bedeutung zu bestätigen. 48 Nach Art. 8 11 ErbSt-DBA Österreich soll die zuständige Finanzbehörde versuchen, sich mit der zuständigen Finanzbehörde des Vertragsstaates zu verständigen, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, sofern die Einwendungen für begründet erachtet werden. Auch hier finden sich mithin die gleichen Formulierungen wie in den Einkommensteuer-DBA. Aus der Tatsache, daß die in diesem ErbSt-DBA enthaltenen Wendungen sich nicht von denen unterscheiden, die im Einkommensteuer-DBA benutzt wurden, läßt sich zumindest soviel entnehmen, daß der Umfang der rechtlichen Bindungen der Finanzbehörden gleich groß sein sollte. Weitergehende Schlüsse sind dem Verhältnis der DBA allerdings nicht entnehmbar. Die bisher zum Rechtsverhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Ansässigkeitsstaat getroffenen Aussagen haben Gültigkeit für die DBA der kontinental-europäischen Abkommensgruppe mit Ausnahme des DBA Frankreich. Die dort vereinbarte Verständigungsklausel unterscheidet sich signifikant von denen der anderen DBA dieser Gruppe. Art. 25 11 DBA Frankreich sieht nur vor, daß die angerufene Behörde sich mit der zuständigen Behörde des anderen Staates verständigen "kann", um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Die in dieser Vorschrift benutzte Formulierung hat damit eine gewisse Ähnlichkeit mit Art. 17 S. 2 DBA Italien, wenn man davon absieht, daß dort noch die Möglichkeit besteht, die Doppelbesteuerung in billiger Weise zu beseitigen. Wie das DBA Italien räumt mithin das DBA Frankreich den zuständigen Behörden bei der Entscheidung über die Einleitung des Verständigungsverfahrens Ermessen ein. Der nach Art. 33 WVK obligatorische Abkommensvergleich fördert allerdings in einem Fall Bedeutungsunterschiede zu Tage. Das DBA Österreich ist nur einsprachig, ebenso das DBA Luxemburg. Identisch mit den in der deutschen Fassung verwandten Inhalten sind ebenso die Verständigungsklauseln der DBA Norwegen, Schweden und Dänemark. Das gilt auch für die französische Fassung des DBA Frankreich, die ebenfalls - wie die deutscheeine "Kann"-Bestimmung enthält, angedeutet durch die Wendung "peut s'entendre".49 BGBI. 1955 II. 755. Diese Wirkung hat das ErbSt-DBA Österreich bei einer Auslegung aber nur für das Einkommenssteuer-DBA Österreich. 49 Art. 25 II DBA Frankreich lautet in der französischen Fassung: "Si le bien-Ionde de cette demande est reconnu, l'autorite competente de cet etat peut s'entendre avec l'autorite competente de l'autre Etat pour eviter la double imposition". 47 48
V. Verständigungs klauseln und subjektiv-öffentliches Recht
263
Eine für die vorliegende Untersuchung höchst interessante Abweichung von der deutschen Fassung, die zugleich die Bedeutung des Erfordernisses des Abkommensvergleichs nach Art. 33 WVK unterstreicht, enthält die niederländische Fassung von Art. 22 11 DBA Niederlande. Sie lautet: "Indien de klacht gegrond wordt geacht, moet de krachtens het eerste lid bevoegde hoogste Belastingautoriteit van de andere Staat in onderlinge Obereenstemming een Regeling de treffen, teneinde dubbele Belastingheffing to vermijden". Die Formulierung "moeten" bedeutet aber im Gegensatz zu "soll", wie es in der deutschen Fassung heißt, "muß". so Offenbart sich - wie hier - ein Bedeutungsunterschied zwischen den beiden Texten, so ist zunächst gern. Art. 31 IV WVK zu versuchen, die beiden Fassungen durch die Anwendung von Art. 31 und 32 WVK miteinander in Einklang zu bringen. (Art. 33 IV WVK). Ist dies nicht möglich, so ist diejenige Bedeutung zugrunde zu legen, die unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck des Vertrages die Wortlaute am besten miteinander in Einklang bringt. Nach den oben angestellten Überlegungen ist das die Bedeutung, die der niederländischen Fassung zugrunde liegt, da aufgrund der hierin zum Ausdruck kommenden engen Bindung der Finanzbehörden die größte Übereinstimmung mit Ziel und Zweck des Vertrages besteht. Für die kontinental-europäische Abkommensgruppe - mit Ausnahme der DBA Frankreich und Niederlande, für die Besonderheiten gelten, - läßt sich folgendes sagen: Ein zwingender Rechtssatz liegt insoweit nicht vor, als die Finanzbehörden eine Ermessensentscheidung treffen können. Zwingend sind die Verständigungsklauseln der DBA dieser Abkommensgruppe jedoch hinsichtlich der Einhaltung der Ermessensgrenzen, wobei aufgrund der Verwendung der Formulierung "soll" die Grenzen enger gesteckt sind, als dies sonst der Fall ist. 5. Die OECD-Abkommensgruppe Art. 25 II 1 OECD-MA 1977 und die DBA, die dieser Vorschrift nachgebildet sind, sehen vor, daß die zuständige Finanzbehörde "sich bemühen (wird)", den Fall durch Verständigung mit der zuständigen Behörde des anderen Vertragsstaates so zu regeln, daß eine dem Abkommen nicht entsprechende Besteuerung vermieden wird. Die Einwendungsberechtigung setzt nach Art. 25 I 1 voraus, daß eine Person der Auffassung ist, daß Maßnahmen eines oder beider Vertragsstaaten zu einer abkommenswidrigen Besteuerung führen oder führen werden. Ergänzt ist diese Regelung durch die Konsultationsklauseln in Art. 25 III 1,2 OECD-MA 1977, die es ermöglichen, sowohl Schwierigkeiten bei Auslegung oder Anwendung des Abkommens im gegenseitigen Einvernehmen 50 Vgl. van Geldern, S. 557. Zwar sind auch Fälle denkbar, in denen "moeten" wie "sollen" übersetzt werden muß; diese sind aber hier - soweit erkennbar - nicht einschlägig. Das in der niederländischen Sprache dem "sollen" entsprechende Wort ist "zullen."
264
3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
beizulegen, als auch gemeinsam darüber zu beraten, wie eine Doppelbesteuerung in nicht geregelten Fällen vermieden werden kann. Die Regelung in den Abkommen der OECD-Gruppe ist - soviel kann gesagt werden - geringfügig weniger bestimmt, als die Formulierungen, die sich bei den Abkommen der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe finden. Die Wendung "wird .... anstreben" läßt der Behörde weniger Spielraum als "werden sich bemühen". Das geringere Maß an Bestimmtheit bezieht sich aber lediglich auf die völkerrechtlichen Rechtsbeziehungen, die damit geregelt werden sollen. Die Formulierung, die für das Rechtsverhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen und den Finanzbehörden des Ansässigkeitsstaates maßgeblich ist, nämlich "wird" bzw. "werden", ist in beiden Fällen gleich. Insoweit läßt sich bei den DBA der OE CD-Gruppe in gleicher Weise wie bei den Verträgen der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe festhalten, daß diese die Finanzbehörden unbedingt - also ohne Ermessensspielraum - zur Einleitung eines Verständigungsverfahrens verpflichten. Ein Teil der Literatur ist der Auffassung, ein Rechtsanspruch auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens stehe dem Steuerpflichtigen auch unter der Geltung von Abkommensvorschriften, die Art. 2511 1 0 ECD-MA nachgebildet sind, nicht zu. 51 Begründungen hierfür werden in der Regel jedoch nicht gegeben - ein überraschender Umstand angesichts der Tatsache, daß der Wortlaut der Vorschrift ein ganz anderes Ergebnis näher zu legen scheint. Für Vogel ergibt sich ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensbetätigung des Steuerpflichtigen und damit ein Ermessen der Finanzbehörden aus der Formulierung "bemühen". 52 Diese Auffassung überzeugt aus den oben bereits wiedergegebenen Gründen in keiner Weise: Der Begriff "bemühen" bezeichnet - wie oben dargelegt - den Teil der völkerrechtlichen Verpflichtung, der die Behörde ausgesetzt ist. Er deutet daraufhin, daß die Verständigungsklauseln auf völkerrechtlicher Ebene pacta de negotiandi, nicht aber pacta de contrahendi sind, so daß die Finanzbehörden in dem oben 53 dargestellten Rahmen nicht zur Erzielung einer tatsächlichen Einigung gezwungen sind. Es wird somit nicht ausreichend zwischen dem Bestandteil der Vorschrift, die die innerstaatlichen, und dem, der die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Finanzbehörden normiert, getrennt.
Vgl. etwa Vogel, DBA, Art. 25 Rz. 64 m. w. Nachweisen, Debatin, AWD 1969,485. Vogel, DBA, Art. 25 Rz 64. Nach Vogel, ebenda, leiten die Finanzverwaltung und die überwiegende Meinung aus der Formulierung "Bemühen" einen Anspruch des Steuerpflichtigen auf fehlerfreie Ermessensausübung ab. Vogel bezieht sich hierbei auf Debatin, AWD 1969,485; Koch, CDFI 1981,30; Mülhausen, S. 153 und Tipke, AWD 1972, 592. Keiner der Angegebenen gibt jedoch diese Begründung; Mülhausen und Tipke sind sogar im Gegenteil der Auffassung, der Steuerpflichtige habe einen Anspruch auf Einleitung des Verständigungsverfahrens. 53 2. Kapitel, IIJ.a) aa). 51
52
V. Verständigungsklauseln und subjektiv-öffentliches Recht
265
Der Abkommensvergleich führt zu folgenden Ergebnissen: Art. 25 11 1 OECD-MA 1977, der hier stellvertretend für die große Zahl von DBAVerständigungsklauseln, die ihm wörtlich entsprechen, genannt werden soll, lautet in der englischen Fassung: "The competent authority shall endeavour ( .. .) to resolve the case by mutual agreement with the competent authority of the other Contracting State, with a view to the avoidance of taxation which is not in accordance with the Convention". 54 Der inhaltliche Unterschied zwischen Art. XVII Abs. 1 S. 2 DBA USA ("shall endeavour to come to an agreement") und Art. 25 11 1 OECD-Muster entspricht dem oben dargestellten Unterschied zwischen "wird .... anstreben" und "werden sich bemühen". Ein Vergleich der deutschen Fassung der DBA der OECD-Gruppe mit den Fassungen in anderen Sprachen - soweit er angesichts der Sprachenvielfalt überhaupt durchgeführt werden konnte - hat im übrigen keine signifikanten Abweichungen ergeben. Eine Bestätigung des bisher für die OECD-Gruppe gefundenen Auslegungsergebnisses, wonach eine Verpflichtung der Finanzbehörden zum Tätigwerden besteht, liefert auch der den OEGD-Modellen beigegebene Kommentar. Im Kommentar zum Musterabkommen von 1963 heißt es noch zurückhaltend: "Absatz 2 bestimmt, daß in Fällen, in denen der Wohnsitzstaat allein nicht in der Lage ist, eine befriedigende Lösung herbeizuführen, die zuständige Behörde dieses Staates sich mit der zuständigen Behörde des anderen Staates in Verbindung setzt, um zu einer Einigung über die strittige Besteuerung zu gelangen". 55
Wesentlich deutlicher ist dann der Kommentar zu dem Modell von 1977: "Ist die zuständige Behörde aber der Auffassung, daß die beanstandete Besteuerung ganz oder teilweise auf eine im anderen Staat getroffene Maßnahme zurückzuführen ist, so ist sie gehalten ,ja verpflichtet- wie aus Absatz 2 eindeutig hervorgeht - , das eigentliche Verständigungsverfahren einzuleiten". 56
Ergänzt wird diese Aussage durch eine Passage im Rahmen der Ausführungen zum völkerrechtlichen Charakter der Verständigungsklauseln: "Absatz 2 verpflichtet zweifellos zum Verhandeln". 57
Bei dem Kommentar zu den Musterabkommen handelt es sich - wie dargelegt _58 um ein ergänzendes Auslegungsmittel nach Art. 32 I WVK. Die Zitiert nach van Raad, S. 86. Musterabkommen OECD 1963, S. 200, Rz. 4. 56 MA-Komm. 1977, Art. 25, Rz. 21; wiedergegeben bei Korn(Debatin, Anhang A, S. 191. 57 MA-Komm. 1977, Art. 25, Rz. 25; wiedergegeben bei Korn(Debatin, Anhang A, S.I92. 58 1. Kapitel, H. 4. 54
55
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
Heranziehung der MA-Kommentare ist nach dieser Vorschrift möglich, um die sich unter Anwendung des Artikels 31 ergebende Bedeutung zu bestätigen. In der Tat liefern vorliegend die wiedergegebenen Teile der jeweiligen Kommentare den letzten Beweis für die Richtigkeit des oben aufgefundenen Auslegungsergebnisses, wonach aus der Formulierung "wird" eine Verpflichtung zur Einleitung des Verständigungsverfahrens für die Finanzbehörden folgt. Mit erfreulicher Klarheit läßt insbesondere der Kommentar zum Modell von 1977 erkennen, daß die Redaktoren der Modell-Abkommen glaubten, dies gehe aus Art. 25 11 OECD-MA "eindeutig" hervor. Nichts anderes gilt auch für den Kommentar zum MA 1963, wo ausgeführt ist, die zuständigen Behörden müßten sich in Verbindung setzen, um zu einem Einvernehmen zu gelangen. Damit meint der Kommentar nichts anderes als die Einleitung des Verständigungsverfahrens. Insgesamt gesehen kann damit kein Zweifel daran bestehen, daß die Verständigungsklauseln der OECD-Gruppe insoweit zwingenden Charakter haben, als sie die Finanzbehörden zur Aufnahme von Verhandlungen verpflichten. Daß sie - ebenso wie die Verständigungsklauseln der DBA der anderen Gruppen - individualschützenden Charakter haben, ergibt sich auch hier aus dem Gegensatz zwischen Verständigungs- und Konsultationsklauseln. Wesentlich deutlicher als den Abkommen der OECD-Gruppe im allgemeinen läßt sich das oben gefundene Ergebnis dem bereits erwähnten DBA Ecuador entnehmen. Nach Art. 2511 dieses DBA hat die zuständige Behörde den Fall im Einvernehmen mit der zuständigen Behörde des anderen Vertragsstaates so zu regeln, daß eine dem Abkommen nicht entsprechende Besteuerung vermieden wird. Ergänzt wird diese Regelung durch die konkrete Konsultationsklausel, die vorsieht, daß Schwierigkeiten oder Zweifel bei der Auslegung oder Anwendung des Abkommens in gegenseitigem Einvernehmen zu beseitigen sind. Die Wahl der hier benutzten Wendungen läßt erkennen, daß die Vertragspartner hier nicht nur eine Verpflichtung der beteiligten Behörden zur Einleitung eines Verständigungsverfahren festlegen wollten, sondern - weitergehend auch die Verpflichtung zur Erzielung einer Einigung um das Auftreten einer abkommenswidrigen Besteuerung auf jeden Fall zu vermeiden. Es handelt sich mithin um eine unbedingte Handlungsanweisung in zweifacher Hinsicht. Das Bestehen eines subjektiv-öffentlichen Rechtes des Steuerpflichtigen ist bei dieser Sachlage zu bejahen. 6. Zusammenfassung
Hinsichtlich der Frage, ob die Verständigungsklauseln der DBA ein subjektivöffentliches Recht des Steuerpflichtigen auf Einleitung eines Verständigungsverfabrens normieren, ergibt sich somit folgendes Bild: Das DBA Italien enthält in diesem Punkte eine Ermessensnorm klassischer Prägung.
VI. Normenkonkurrenz zwischen allgemeinem Schutzanspruch und DBA
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Die DBA der kontinental-europäischen Abkommensgruppe beinhalten hier "Soll"-Bestimmungen, räumen also Ermessen ein, jedoch mit einem engen Ermessensspielraum. Eine Ausnahme ist das DBA Niederlande; es verpflichtet zum Tätigwerden. Demgegenüber enthält das DBA Frankreich eine Ermessensvorschrift. Bei den DBA der anglo-amerikanischen Abkommensgruppe stellt die Verständigungsklausel - ebenso wie bei den DBA der OECD-Gruppe - einen Rechtssatz zwingenden Charakters dar, besonders deutlich beim D BA Ecuador. Diese Vorschriften normieren mithin ein subjektiv-öffentliches Recht, soweit sie eine zwingende Handlungsanweisung darstellen. Soweit das nicht der Fall ist, geben sie zumindest ein Recht auf fehlerfreie Ermessensbetätigung. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung bleiben damit noch zwei Fragen zu erörtern. Es ist dies zum einen die Frage, wie sich der Abschluß eines Doppelbesteuerungsvertrages auf das Rechtsverhältnis des Bürgers zu seinem Heimatstaat im Rahmen der Normenkonkurrenz der allgemeinen diplomatischen Schutzpflicht auswirkt, und zum zweiten die Frage, ob in den Fällen, in denen noch ein Ermessen der Finanzbehörden in Betracht kommt, ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vorliegt.
VI. Die Normenkonkurrenz zwischen dem allgemeinen Schutzanspruch und den Verständigungsklauseln der DBA Die oben angestellten Überlegungen zur Pflicht des Staates zur Gewährung diplomatischen Schutzes und dem damit korrespondierenden Rechtsverhältnis des Bundesbürgers zur Bundesrepublik Deutschland haben deutlich gemacht, daß insoweit ein Ermessen besteht, das den verantwortlichen Exekutivorganen in zweierlei Hinsicht Raum zu Ermessenerwägungen läßt, nämlich zum einen im Hinblick darauf, ob überhaupt ein Tätigwerden angezeigt ist, zum anderen im Hinblick darauf, in welcher Weise dieses Tätigwerden erfolgen soll. In seiner ersten Erscheinungsform bezieht sich dieses Ermessen auf die Frage, ob eine rechtlich vorgesehene, aber nicht vorgeschriebene Rechtsfolge im Einzelfall tatsächlich gesetzt werden soll. Es kann daher als Entschließungsermessen charakterisiert werden. 1 Die zweite Entscheidungsmöglichkeit, die dahingeht, welche von mehreren zulässigen Maßnahmen ergriffen werden soll, ist ein Auswahlermessen. Wie wirkt sich der Abschluß eines Doppelbesteuerungsvertrages auf dieses doppelte Ermessen bei der allgemeinen diplomatischen Schutzpflicht aus?
1
Zur Terminologie vgl. Wolff/ Bachof, § 31 II c) 1., S. 196f.
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
1. Auswirkungen der Doppelbesteuerungsverträge auf das Auswahlermessen bei der diplomatischen Schutzpflicht
Die Überlegungen, die dazu geführt haben, im Bereich der allgemeinen diplomatischen Schutzpflicht dem Heimatstaat ein Auswahlermessen zuzubilligen, gingen dahin, daß aufgrund der erforderlichen Abwägungen der Interessen der Allgemeinheit mit denen des Individuums die Organe des Staates in der Lage sein müßten, die Bedeutung der Angelegenheit mit den mutmaßlichen Reaktionen des anderen Staates in Einklang zu bringen. 2 Dieses Argument verliert jedoch beim Vorliegen eines Doppelbesteuerungsvertrages vollkommen seine Überzeugungskraft. Durch den Abschluß eines DBA verpflichten sich beide Vertragsstaaten, die zur Verfügung stehende Steuermasse durch wechselseitige Besteuerungsverzichte zwischen sich aufzuteilen. Sie verpflichten sich weiter, Besteuerungskonflikte in einer Form beizulegen, die durch das Verständigungsverfahren vorgegeben ist, nämlich durch Verhandlungen mit dem Ziel einer einvernehmlichen Regelung der entstandenen Meinungsverschiedenheiten. Soweit dies durch das jeweilige DBA und seine Regelungen vorgegeben ist, kommt demgemäß für die beteiligten Vertragsstaaten auch zunächst keine weitere Möglichkeit der Beilegung dieses Konfliktes in Betracht als gerade die Durchführung eines Verständigungsverfahrens. 3 Der Kanon der zur Verfügung stehenden Mittel wird demgemäß auf ein einziges reduziert. Die so erfolgte Begrenzung des Auswahlermessens der Organe der Bundesrepublik Deutschland auf das Verständigungsverfahren kann nun nicht ohne Einfluß bleiben auf den konkurrierenden allgemeinen Schutzanspruch. Die durch Normen des Völkervertragsrechts garantierte Einrichtung zur Beilegung eines völkerrechtlichen Disputes durch ein institutionalisiertes Verfahren, ein besonderes diplomatisches Streiterledigungsmittel, wäre in dieser Form völkerrechtlich gesehen wirkungslos, wenn die beteiligten Staaten trotz des Bestehens eines Doppelbesteuerungsvertrages bei Besteuerungskonflikten mit jener Vielfalt von Möglichkeiten vorgehen könnten, für die der diplomatische Schutz so kennzeichnend ist. Es ist daher davon auszugehen, daß die Institutionalisierung des Verständigungsverfahrens durch die DBA auch das Auswahlermessen der Staaten im Bereich des allgemeinen diplomatischen Schutzes auf das Verständigungsverfahren reduziert. Dieses Ergebnis folgt außerdem auch aus folgender Überlegung: Ein Ermessen, das es den verantwortlichen Staatsorganen gestattet, aus einer Mehrzahl von Möglichkeiten zu handeln, eine auszuwählen, kann es dann nicht geben, wenn staatsvertraglich die Regelung eines Konfliktes allgemein oder auch nur für einen bestimmten Fall aus der Sphäre der zwischenstaatlichen Politik auf die 2 3
Vgl. oben, 3. Kapitel, IV. 2,3. Vgl. Mülhausen, S. 149; Bachmayr, StuW 1964, 879f..
VI. Normenkonkurrenz zwischen allgemeinem Schutzanspruch und DBA
269
Ebene des Rechts gehoben wurde. 4 Die durch die Verständigungsklauseln getroffene Regelung hat die Zielsetzung, generell beim Auftreten von Besteuerungskonflikten ein bestimmtes Verfahren zur Beilegung dieses Konfliktes bereitzustellen. Dabei kann es ersichtlich nicht darauf ankommen, ob das Recht zur Gewährung diplomatischen Schutzes sich aus einem Doppelbesteuerungsvertrag ergibt oder aus dem Rechtsverhältnis des Staatsangehörigen zu seinem Heimatstaat. Es kann daher festgehalten werden, daß im Geltungsbereich von Doppelbesteuerungsabkommen das Auswahlermessen der Organe des schutzgewährenden Staates generell auf die Durchführung eines Verständigungsverfahrens reduziert ist. Für die vorliegende Untersuchung bedeutet dies, daß die beiden Formen der Ausübung diplomatischen Schutzes im Bereich der DBA hinsichtlich des zu wählenden Mittels kongruent sind. Das Bestehen einer Kongruenz auch beim Entschließungsermessen für beide Schutzansprüche ist bis hierher für sämtliche DBA zu bejahen, wenn sich nachweisen ließe, daß das Entschließungsermessen auf Null reduziert ist; dies gälte sowohl für die DBA, deren Wortlaut ein Ermessen einräumt, wie das DBA Italien und die Abkommen der kontinentaleuropäischen Abkommensgruppe als auch für den allgemeinen diplomatischen Schutzanspruch. 2. Das Entschließungsermessen bei der Einleitung des Verständigungsverfabrens In einer Entscheidung zum DBA Schweiz 1931/59, die die Verpflichtung der Finanzbehörden zur Einleitung eines Verständigungsverfahrens betraf, hat der BFH ausgeführt:
"Einer zum Handeln im zwischenstaatlichen Bereich berufenen Behörde muß naturgemäß ein weiterer Ermessensspielraum eingeräumt werden. Die Gestaltung zwischenstaatlicher Verhältnisse ist nicht allein. vom Willen der angerufenen nationalen Behörde abhängig. Diese muß ihr Handeln danach ausrichten, ob im konkreten Fall die anzugehende Behörde des anderen Vertragsstaates auf ihr Begehren eingehen und zu Zugeständnissen bereit sein wird. Auch Zweckmäßigkeitserwägungen können das Handeln der angerufenen nationalen Behörde bestimmen. Sie muß sich internationaler Rücksichtnahme befleißigen und ggf. Zurückhaltung üben, um im Interesse der Allgemeinheit ihres Landes einen eigenen Rechtsstandpunkt zu wahren und um etwaige bevorstehende oder laufende zwischenstaatliche Verhandlungen über die Revision eines schon bestehenden Abkommens nicht zu beeinträchtigen". 5
4
5
Oberthür, S. 44; Arndt, DVBI. 1959,272. BFH, BStBI. 198211, 583 (586).
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
Keines dieser Argumente ist zur Begründung eines Entschließungsermessens tragfahig: Wie bereits oben angedeutet worden ist, ist die Verweigerung der Gewährung diplomatischen Schutzes dann nicht zulässig, wenn der Staat, demgegenüber dem zu intervenieren wäre, selbst staatsvertraglich die Regelung des in Frage stehenden Konfliktes allgemein oder für den betreffenden Fall aus der Sphäre der zwischenstaatlichen Politik auf die Ebene des Rechts erhoben hat. 6 Dies ist unter anderem immer dann der Fall, wenn für die Regelung der Konflikte, in denen ein Bürger Rechtsschutz begehrt, ein besonderes rechtliches Verfahren zwischen den beteiligten Staaten vereinbart ist. 7 Die Einfügung einer Vorschrift wie der Verständigungsklausel in ein Abkommen hat die Funktion, für einen als möglich vorhergesehenen Besteuerungskonflikt eine Beilegungsmöglichkeit zu schaffen. Da schon eine Einschränkung des Auswahlermessens durch die Einfügung einer Verständigungsklausel erfolgt ist, ist kein weiterer Ermessensspielraum mehr gegeben. Die von der Behörde zu treffende Entscheidung reduziert sich darauf, ob ein im einzelnen rechtlich genau durchnormiertes Verfahren eingeleitet werden soll oder nicht. Zwar ist die Gestaltung zwischenstaatlicher Verhältnisse - insoweit ist dem Bundesfinanzhof Recht zu geben - nicht allein vom Willen der angerufenen Behörde abhängig. Durch die Verständigungsklauseln haben sich jedoch die beiden Vertragsparteien eines Doppelbesteuerungsabkommens auf eine spezifische Form geeinigt, die eine Gestaltung zwischenstaatlicher Verhältnisse ermöglichen soll. Ob tatsächlich eine Verhandlungslösung erreicht wird, kann dahinstehen. Die Frage nach einem Anspruch des Steuerpflichtigen auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens ist jedoch dieser Gestaltung vorgelagert - und nur um diesen Aspekt geht es vorliegend. 8 Es ist auch nicht ersichtlich, in welcher Weise die Finanzbehörden Zweckmäßigkeitsüberlegungen in die Entscheidung, ob das Verständigungsverfahren einzuleiten ist, oder nicht, einfließen lassen können, wie der BFH offensichtlich glaubt. Es liegt auf der Hand, daß durch ein solches Verfahren das Gebot internationaler Rücksichtnahme nicht verletzt werden kann. Durch die Verrechtlichung internationaler Steuerkonflikte in der Form, die sie durch das Verständigungsverfahren gefunden haben, liegt ein völkervertragsrechtliches Übereinkommen vor, das auch den Inhalt hat, unter den in den Verständigungsklauseln genannten Voraussetzungen zumindest zu verhandeln, also zunächst einmal positiv auf die Anbringung eines Verständigungsgesuches zu reagieren. Dies ergibt sich zwangsläufig aus dem Charakter der Verständigungsklauseln als pacta de negotiandi. 9 Oberthür, S. 44, Arndt, DVBl. 1959, 272. Oberthür, S. 44. 8 Zum Erfordernis dieser Differenzierung vgl. bereits Spitaler, Doppelbesteuerungsproblem, S. 567; vgl. auch Mülhausen, S. 148. 9 Nach Ansicht des Schiedsgerichtshofes für das Abkommen über deutsche Auslandsschulden vom 26. 01. 1972 betreffend griechische Entschädigungsforderungen gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Neutralitätsverletzungen im ersten Weltkrieg sind bei 6
7
VI. Normenkonkurrenz zwischen allgemeinem Schutzanspruch und DBA
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Es ist ebenfalls nicht ersichtlich, inwieweit die Finanzbehörden, wenn sie das Verständigungsverfahren nicht durchführen, im Interesse der Allgemeinheit des Landes einen eigenen Rechtsstandpunkt wahren können, der im Hinblick auf zwischenstaatliche Verhandlungen von Interesse sein könnte. Es dürfte im Gegenteil mehr der Wahrung des eigenen Standpunktes dienen, wenn die Rechte der im eigenen Land ansässigen Steuerpflichtigen durch die Einleitung eines Verständigungsverfahrens gewahrt werden. Im übrigen ist nicht ersichtlich, inwieweit der Versuch einer Einigung im Verständigungsverfahren präjudiziell für eine denkbare Abkommensrevision sein soll, vor allem im Hinblick auf die durch ein pactum de negotiandi eingegangenen Verpflichtungen. Insgesamt gesehen stellen sich die wiedergegebenen Rechtsansichten des Bundesfinanzhofes als Formeln dar, die zwar geeignet sein mögen zu begründen, warum im allgemeinen der Auslandsschutz einer Ermessensverwaltung bedarf. Nach dem Abschluß eines Doppelbesteuerungsabkommens und im Geltungsbereich von Verständigungsklauseln verlieren sie jedoch ihre Überzeugungskraft. Der IFA-Generalberichterstatter hat in seinem Bericht die Ablehnungsgründe, die die Finanzbehörden zum Anlaß für die Ablehnung eines Verständigungsverfahrens nennen, nach Fallgruppen typisiert. 10 Anhand dieser Fallgruppen soll nunmehr untersucht werden, ob diese im Lichte der vorangegangenen Ausführungen eine ablehnende Ermessensentscheidung der deutschen Finanzbehörden rechtfertigen können. Die erste in diesem Zusammenhang zu erwähnende Fallgruppe betrifft die Ablehnung wegen fehlender Erfolgsaussicht. Hierzu gehören zunächst die Fälle unzureichender Sachaufklärung. So soll die Steuerbehörde berechtigt sein, das Verständigungsverfahren abzulehnen, wenn der Steuerpflichtige durch mangelhafte Aufklärung dazu beigetragen hat, daß das Abkommen nicht zutreffend angewendet worden ist. l l Für das Recht in der Bundesrepublik Deutschland kann dies kein Grund sein, aufgrund einer Ermessensentscheidung die Durchführung eines Verständigungsverfahrens abzulehnen. Nach § 88 AO hat die Finanzbehörde den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln 12, wenn auch die Beteiligten nach § 90 AO zur Mitwirkung verpflichtet sind, nach § 90 11 AO insbesondere in Steuerfällen mit internationalem Bezug. Diese Frage betrifft jedoch wohl weniger die von den Finanzbehörden zu treffende Ermessensentscheidung, sondern eher die auf der Tatbestandsseite der Verständigungsklaueinem pactum de negotiandi die Vertragsparteien zumindest verpflichtet, sich ernsthaft um eine Kompromißlösung zu bemühen, und die Verhandlungen mit der Bereitschaft zu führen, eventuell auch früher eingenommene Standpunkte aufzugeben; vgl. AVR 16 (1973-1975), 344. Dies schließt selbstverständlich die Verpflichtung ein, bei der Anbringung eines Verständigungsgesuches auf das Begehren des Vertragsstaates angemessen zu reagieren. 10 Koch, CDFI 1981, 30ff. 11 Koch, CDFI 1981, 30. 12 Vgl. hierzu Tipke/Kruse, § 88, Rz. 2ff.. Dieser Grundsatz gilt jedoch nur für inländische Steuern.
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
seIn vorgelagerte Frage, ob die Einwendungen des Steuerpflichtigen für begründet erachtet werden oder nicht. Zur Feststellung dieser Voraussetzungen muß die Steuerbehörde des Ansässigkeitsstaates gegebenenfalls ein Amtshilfeersuchen an die zuständige Behörde des anderen Vertragsstaates richten. 13 Der Anknüpfungspunkt für die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen ist also Art. 25 I und 11, 1. Halbsatz OECD-MA 1977. Im übrigen ist zu unterscheiden: Bringt der Steuerpflichtige die für die Durchführung des Verständigungsverfahrens erforderlichen Informationen vor Abschluß des Besteuerungsverfahrens bei, so sind sie ohne weiteres noch zu berücksichtigen. Ist dies nicht der Fall, so ist seine Einwendung entweder nicht begründet, oder - wenn sie begründet ist -, ist es dem Steuerpflichtigen verwehrt, sich hierauf zu berufen. 14 Die Ablehnung eines Verständigungsverfahrens soll außerdem dann rechtmäßig sein, wenn die Auslegung des Steuerpflichtigen der Auslegung der nationalen Steuerbehörde widerspricht. 15 Auch diese Annahme entspringt einem falschen Verständnis von der Wirkungsweise der Verständigungsklauseln. Die Voraussetzungen, unter denen eine Einwendungsbefugnis des Steuerpflichtigen besteht, sind in den Verständigungsklauseln festgelegt. Sofern eine bestimmte Rechtsansicht des Steuerpflichtigen von den Finanzbehörden des Ansässigkeitsstaates nicht geteilt wird, können sie eine im Hinblick auf die Durchführung eines Verständigungsverfahrens negative Entscheidung treffen. Allerdings handelt es sich dann ebenfalls nicht um eine Ermessensentscheidung, sondern um eine Verneinung der Einwendungsbefugnis des Steuerpflichtigen, also eine gebundene Entscheidung, weil der Tatbestand nicht erfüllt ist, an den als (mögliche) Rechtsfolge die Einleitung eines Verständigungsverfahrens geknüpft ist. Dasselbe gilt auch für die nächste in diesem Zusammenhang zu erwähnende Konstellation, nämlich der ausschließlichen Verletzung innerstaatlichen Rechts. So wird gesagt, das Verständigungsverfahren sei begrifflich und seinem Wesen nach auf die Fälle beschränkt, in denen eine Verletzung des Doppelbesteuerungsabkommens vorliege. Sei dagegen nur eine Verletzung innerstaatlichen Rechts gegeben, so werde im allgemeinen der Steuerpflichtige auf innerstaatliche Rechtsbehelfe verwiesen. 16 In diesen Fällen kann schon begrifflich keine Form der diplomatischen Protektion vorliegen, weil es an einem völkerrechtswidrigen Handeln des Vertragsstaates fehlt. Daß kein Verständigungsverfahren durchgeführt werden soll, ergibt sich bereits aus der in den Verständigungsklauseln vorgesehenen Voraussetzung, daß die Finanzbehörde nicht in der Lage sein darf, selbst eine befriedigende Lösung zu finden. 13 Vgl. Vogel, DBA, Art. 25 Rz. 61, Art. 26 Rz. 32ff.. Auch Vogel, ebenda, ist offensichtlich der Auffassung, die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen seien im Rahmen der Berechtigung der Einwendung zu prüfen. Siehe ebenso Ule (Becker, S. 34f., die annehmen, aus rechtsstaatlichen Gründen könne kein Beteiligter zur Mitwirkung gezwungen werden. 14 Vgl. Tipke(Kruse, §90, Rz. 6. IS Koch CDFI 1981, 30. 16 Koch, CDFI 1981, 30.
VI. Normenkonkurrenz zwischen allgemeinem Schutzanspruch und DBA
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Anders liegt der Sachverhalt schon, wenn ein erfolgloses Verständigungsverfahren vorangegangen ist. Hier geht die Praxis der Finanzbehörden dahin, ein neues Verständigungsverfahren abzulehnen, wenn es ihnen aussichtslos erscheint. I? Eine solche Entscheidung wäre jedoch ermessensfehlerhaft. Gegeneinander abzuwägen sind das Interesse des Steuerpflichtigen auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens, das letztlich gleichbedeutend ist mit dem Interesse an der Beseitigung der Doppelbesteuerung überhaupt und das Interesse der Allgemeinheit daran, daß das Verfahren unterbleibt. Es ist zunächst denkbar, daß in einem neuen Fall, insbesondere im Hinblick auf zwischenzeitlich eingetretene Entwicklungen oder Änderungen der Auffassung des anderen Vertragsstaates, eine von den bisherigen Stellungnahmen abweichende Entscheidung getroffen werden kann. Solche Entwicklungen oder Änderungen sind von den Finanzbehörden des jeweils anderen Vertragsstaates nicht immer ohne weiteres ersichtlich. Solange solchermaßen kontroverse Fragen nicht Gegenstand eines Konsultationsverfahrens gewesen sind und dort eine grundlegende Klärung gefunden haben, besteht kein Grund zu der Annahme, es sei nicht möglich, in einem konkreten Fall eine Änderung des Rechtsstandpunktes der Behörden des Vertragsstaates zu erreichen. Ein irgendwie beachtenswertes Interesse der Allgemeinheit ist demgegenüber nicht erkennbar. Die durch den Abschluß von Doppelbesteuerungsverträgen erfolgte Anerkennung des Verständigungsverfahrens als Mittel zur Beilegung eines Besteuerungskonfliktes zwingt gerade zu der Annahme, die Vertragsparteien hätten hierdurch wechselseitig zum Ausdruck bringen wollen, daß auch die Durchführung des Verfahrens ihre Interessen nicht berühre. Und nur die Möglichkeit, daß der jeweils andere Vertragsstaat im Verständigungsverfahren seine Interessen verletzt sieht, wäre ein für die angegangene Behörde des Ansässigkeitsstaates im Hinblick auf Interessen der Allgemeinheit ein maßgeblicher Gesichtspunkt, der die Ablehnung dieses Verfahrens rechtfertigen könnte. Eine weitere Fallgruppe betrifft die sogenannten Kompromißvereinbarungen. Hier wird gesagt, daß in den Fällen, in denen mit dem Steuerpflichtigen, z.B. im Rahmen einer Betriebsprüfung, ein Kompromiß gefunden wurde, der alle Zweifelsfragen umfaßte, so daß das Wiederaufrollen einzelner Fragen im Verständigungsverfahren den ganzen Komprorniß in Frage stellen würde, ein ausreichender Ablehnungsgrund für ein Verständigungsverfahren gesehen wird. 18 Auch hier handelt es sich nicht um eine Ermessensentscheidung. Maßgeblich ist vielmehr, ob - wenn man alle Voraussetzungen, an die das Verständigungsverfahren geknüpft ist, - als gegeben unterstellt, die Durchführung dieses Verfahrens durch die Vereinbarung, die dem Kompromiß zugrunde liegt, 17 Koch, CDFI 1981, 30f., der als Ausnahmen die Länder Belgien, Dänemark, Großbritannien und Schweden nennt. 18 Koch, CDFI 1981, 31.
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3. Kap.: Der Anspruch des Steuerpflichtigen
ausgeschlossen ist oder nicht. Ist dies der Fall, hat die Behörde schon aufgrund dieser Tatsache keine weiteren Ennessenserwägungen mehr anzustellen. Eine Parallele hierzu gibt es im innerstaatlichen Steuerrecht in dem Rechtsinstitut der tatsächlichen Verständigung. 19 In einem neueren Urteil hat der BFH die Möglichkeit einer einverständlichen Regelung im Steuerrecht auf tatsächlichem Gebiet für möglich gehalten und lediglich die Frage nach den Grenzen einer solchen für problematisch angesehen. Rechtliche Bindung erfahrt die so zwischen Steuerpflichtigem und Finanzbehörde erzielte Einigung über den Grundsatz von Treu und Glauben. Nach der neueren BFH-Rechtsprechung zu diesem Bereich hindert eine entsprechende Einigung andererseits auch den Steuerpflichtigen daran, das erzielte Einvernehmen durch Rechtsmittel zu beseitigen. In diesen Fällen hat folgendes zu gelten: Wird der Steuerpflichtige als Folge des erzielten Kompromisses von einer Doppelbesteuerung betroffen, sind also die Voraussetzungen zu bejahen, unter denen ein Verständigungsverfahren durchzuführen ist, so ist ohne weiteres ein Verfahren einzuleiten, daß diese Besteuerung wieder beseitigt. Das ergibt sich daraus, daß die Behörde durch den Besteuerungskompromiß die Doppelbesteuerung mit herbeigeführt hat. Gerade die Tatsache, daß der Steuerpflichtige aufgrund des Besteuerungskompromisses einer Doppelbesteuerung oder einer abkommenswidrigen Besteuerung ausgesetzt ist, muß die Behörde verpflichten, im zwischenstaatlichen Bereich dazu beizutragen, die für den Steuerpflichtigen ungünstigen Folgen dieses Kompromisses wieder zu korrigieren. Alles andere verstieße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, der nach der zitierten BFH-Rechtsprechung die Bindungswirkung solcher Vereinbarungen bewirkt. Dagegen kann auch nicht geltend gemacht werden, daß der Kompromiß u. U. für den betroffenen Steuerpflichtigen günstig sei. Die zwischenstaatlichen Doppelbesteuerungsfolgen machen das Gegenteil deutlich. Obwohl die Einleitung eines Verständigungsverfahrens begriffiich nicht von der Höhe der steuerlichen Doppelbelastung abhängig ist, wird u.a. in der Bundesrepublik Deutschland geprüft, ob ein Verständigungsverfahren abgelehnt und ob durch unilaterale Maßnahmen Abhilfe geschaffen werden soll, wenn es sich um verhältnismäßig geringe Beträge handelt. 20 In diesen Fällen sind - ebenso wie in den bereits genannten Beispielen - schon die Voraussetzungen, die an den Tatbestand der Verständigungsklauseln geknüpft sind, nicht erfüllt, da die Behörde selbst in der Lage ist, eine für den Steuerpflichtigen befriedigende Lösung herbeizuführen. Keine Ennessensentscheidung liegt schließlich auch der ablehnenden Entscheidung der Finanzbehörde in den Fällen von Steuerumgehung oder -hinterziehung zugrunde. Nach der Verwaltungspraxis wird in der Bundesrepublik Deutschland ein Verständigungsverfahren von vornherein abgelehnt, wenn 19 Vgl. hierzu neuerdings BFH BStBI. 1985 11, 354ff. sowie Ruppe/, DStR 1985, 684ff. und Röß/er, DB 1985, 1861 ff. 20 Koch, CDFl1981, 32.
VI. Nonnenkonkurrenz zwischen allgemeinem Schutzanspruch und DBA
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eine Doppelbesteuerung dadurch eintritt, daß der Steuerpflichtige in Steuerumgehungs- oder Steuerhinterziehungsabsicht gehandelt hat, seine Pläne aber fehlgeschlagen sind. 21 Dasselbe wird ebenso dann gelten, wenn die Inanspruchnahme des Verständigungsverfahrens eben diesen Zweck hat. 22 Es liegt auf der Hand, daß die Doppelbesteuerungsabkommen nicht der Steuerhinterziehung Vorschub leisten wollen. Dementsprechend können die Verständigungsklauseln auch nicht dazu beitragen dürfen, daß dem Steuerpflichtigen etwas zukommt, was ihm die Völkerrechtsordnung und das nationale Steuerrecht verweigern wollen. So gesehen sind die Finanzbehörden nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, die Einleitung eines Verständigungsverfahrens abzulehnen, wenn sie von derlei Tatsachen Kenntnis erhalten. Aber es handelt sich nicht um ein Argument, das bei Ermessensüberlegungen eine Rolle spielen kann, da die Finanzbehörden im Hinblick auf die Steuerumgehung rechtmäßigerweise kein Verständigungsverfahren einleiten dürften. Für den fehlgeschlagenen Versuch einer Steuerumgehung folgt das gleiche Ergebnis aus § 42 AO, wonach in Mißbrauchsfällen der Steueranspruch so entsteht, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen wirtschaftlichen Gestaltung entsteht. Der BFH hat zum Vorläufer dieser Vorschrift, dem § 6 11 StAnpG ausgeführt, durch die Umgehungsmaßnahmen gehe der Steuerpflichtige das Risiko ein, daß diese Transaktion steuerrechtlich nach der Mißbrauchsvorschrift beurteilt werde. 23 Erforderlich ist jedoch, daß die inländische Steuer richtig festgesetzt wird. Zusammenfassend läßt sich damit feststellen, daß die angegangene Finanzbehörde zwar in einer Reihe von Fällen die Einlei~ung des Verständigungsverfahrens ablehnen kann; jedoch handelt es sich in keinem dieser Fälle um Ermessensentscheidungen. Ist somit kein Fall denkbar, in dem im Rahmen einer solchen Ermessensentscheidung die Ablehnung des Verständigungsverfahrens rechtmäßig wäre, ist es zwingend, von einer Reduktion des Ermessensspielraumes auf Null auszugehen. Es besteht mithin ein Anspruch auf Einleitung des Verständigungsverfahrens, wenn dessen Voraussetzungen vorliegen.
Koch, CDFI 1981, 32. Vgl. hierzu BFH BStBl. 1982 II, 583fT.. 23 BFH, BStBI. 1982 II, 583 (587); wobei der BFH diese Überlegungen Unrecht - im Rahmen einer Ennessenskontrolle anstellt. 21
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IS'
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