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German Pages 314 [315] Year 2006
JYH-HUEI CHEN
Das Garantensonderdelikt
Strafrechtliche Abhandlungen • Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (t) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg
Herausgegeben von Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 181
Das Garantensonderdelikt Zugleich ein Beitrag zur Dogmatik der Unterlassungsdelikte und der Sonderdelikte
Von
Jyh-Huei Chen
Duncker & Humblot • Berlin
Gedruckt mit der Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Dr. h.c. Bernd Schünemann, München Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D 19 Alle Rechte vorbehalten © 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-11476-0 978-3-428-11476-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die Abhandlung ist im Wintersemester 2003/2004 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München als Dissertation angenommen worden. Das Manuskript ist Ende September 2003 abgeschlossen worden. Für die Drucklegung konnten Rechtsprechung und Schrifttum bis Dezember 2003 berücksichtigt werden. Vor allem ist an dieser Stelle auch das Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes zu erwähnen, das es mir für vier Jahre und sechs Monate ermöglicht hat, mich auf das Verfassen der Dissertationsschrift zu konzentrieren. Zuerst möchte ich mich bei meinem hochverehrten Lehrer und Doktorvater, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Bernd Schünemann, für die wohlwollende Betreuung ganz herzlich bedanken. Seine andauernde Gesprächsbereitschaft, seine wertwollen Anregungen, seine konstruktive Kritik, sein besonderes Verständnis zu ausländischen Doktoranden und die ausgezeichneten Arbeitsbedingungen an seinem Lehrstuhl haben wesentlich zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen. Er hat meinen wissenschaftlichen Werdegang stets aufmerksam verfolgt. Ich bin sehr froh, dass mir das Glück vergönnt war, als Doktorand von ihm lernen zu können. Zu Dank verpflichtet, bin ich weiterhin Herrn Professor Dr. Lothar Philipps für die freundliche Erstellung des Zweitgutachtens in kürzester Zeit. Besonders bedanken möchte ich auch bei Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Claus Roxin für seine Großzügigkeit, ständige Gesprächsbereitschaft und freundliche Ermutigung bei der Anfertigung meiner Dissertation, obwohl sein Begriff der Pflichtdelikte grundsätzlich unter den kritischen Gesichtspunkten in dieser Arbeit analysiert worden ist. Mein herzlicher Dank gilt auch meiner akademischen Lehrerin in Taiwan, Frau Prof. Dr. Yü-hsiu Hsü, die mein Interesse am Strafrecht geweckt, sowie seit dem Beginn meiner Studienzeit meinem wissenschaftlichen Werdegang maßgeblich beeinflusst und gefördert hat. Bei der Fertigstellung schulde ich vielen hilfsbereiten Personen meinen herzlichen Dank. An dieser Stelle ist Frau Judith Hauer zu erwähnen, die durch umfangreiches Korrekturlesen mir viel geholfen hat. Danken möchte ich auch den Herausgebern dieser Schriftenreihe für die Aufnahme meiner Arbeit und Frau Andrea Engel vom Verlag Duncker & Humblot für die gute Zusammenarbeit. Gewidmet ist das Buch meiner Familie und insbesondere meiner Frau, die wesentlich zum Zustandekommen dieses Buches beigetragen hat. Sie hat stets Verständnis für ungewöhnliche Arbeitszeiten gezeigt und mich liebevoll unterstützt. Taipeh, im Oktober 2006
Jyh-Huei Chen
Inhaltsübersicht Einleitung
25 Allgemeiner Teil
§ 1 Die Lehre von den Pflichtdelikten bei Roxin
§2
§3
29
A. Der Begriff der Pflichtdelikte
29
B. Die praktische Bedeutung der Pflichtdeliktslehre
32
C. Der Anwendungsbereich der Pflichtdelikte
35
Darstellungen der für und gegen die Pflichtdeliktslehre vorgebrachten Argumente und deren Beurteilung
38
A. Die positive Würdigung der Pflichtdeliktslehre
38
B. Die Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre und deren Beurteilung
39
C. Stellungnahme
68
Formelle Weiterentwicklung der Pflichtdelikte durch Jakobs
72
A. Darstellung
72
B. Kritik
76
C. Eigene ergänzende Kritik
79
§ 4 Schünemanns Herrschaftstheorie: Eine Theorie der Garantensonderdelikte ...
80
A. Darstellung
80
B. Positive Würdigung
86
C. Auseinandersetzung mit den Einwänden
87
D. Stellungnahme und zugl. Zusammenfassung von § 1 bis § 4
108
Besonderer Teil: Analyse der einzelnen Tatbestände §5
Nichtbegehungsentsprechende Garanten-Unterlassungsdelikte
117
A. Zur angemessenen Terminologie
117
B. Die Unterscheidung zwischen begehungsentsprechenden und nichtbegehungsentsprechenden Unterlassungsdelikten 119
8
§6
Inhaltsübersicht C. Die Dreiteilung der Unterlassungsdelikte
125
D. Deliktsstruktur einzelner nichtbegehungsentsprechender Garanten-Unterlassungsdelikte
131
Untreue (§ 266)
172
A. Geschütztes Rechtsgut
172
B. Wesen der Untreue
173
C. Verhältnis zur Verletzung von Privatgeheimnissen
174
D. Verhältnis der beiden Tatbestandsalternativen
175
E. Untreue und Treuepflichtverletzung
177
F. Erklärung für die Deliktsausgestaltung der Untreue durch viktimodogmatische Gesichtspunkte und Herrschaftstheorie 191 §7
Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten (§ 266 b)
192
A. Strafbarkeitslücken
192
B. Geschütztes Rechtsgut
195
C. Wesen des Scheck- oder Kreditkartenmissbrauchs
198
D. Strafbarkeit der missbräuchlichen Weitergabe der Kreditkarte durch den Karteninhaber 199
§8
E. Ergebnis
201
Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203)
203
A. Geschütztes Rechtsgut
203
B. Deliktsausgestaltung durch das Zufallsprinzip?
205
C. Erklärung der Ausgestaltung als Sonderdelikt durch den Grundsatz des vom Geschützten frei gewählten Vertrauensverhältnisses? 205 D. Erklärung der Ausgestaltung als Sonderdelikt durch die Viktimodogmatik
206
E. Erklärung der Ausgestaltung als Sonderdelikt durch die Pflichttheorie oder den Herrschaftsgedanken 209 §9
Das Vereiteln der Zwangsvollstreckung (§ 288)
211
A. Geschütztes Rechtsgut und Tatbestandsstruktur
211
B. Der Täterkreis und die Erklärung für dessen Beschränkung
212
§ 10 Personengefahrdung durch Bauarbeiten (§ 319)
218
A. Geschütztes Rechtsgut und Tatbestandsstruktur
218
B. Der Täterkreis und die Erklärung für dessen Beschränkung
219
Inhaltsübersicht § 11 Die sog. unechten Sonderdelikte
9 228
A. Der bisherige Meinungsstand zu den unechten Sonderdelikten
228
B. Eigene Stellungnahme
230
§ 12 Die schlichten Sonderdelikte
252
A. Friedensgefährdende Beziehungen (§ 100)
252
B. Schiffsgefährdung durch Bannware (§ 297 a. F.)
257
§ 13 Problem der Anwendung des § 28 im Lichte der Theorie der Garantensonderdelikte
262
A. Der gegenwärtige Meinungsstand
262
B. Zwei unlösbare Probleme und ein scheinbares Problem
264
C. Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des § 28
267
D. Lösungsvorschlag und dementsprechend reformbedürftige Tatbestände
269
E. Die Anwendung des § 28 Abs. 1 im Lichte der Theorie der Garantensonderdelikte 272 § 14 Ergebnisse der Untersuchung
274
A. Theorie der Garantensonderdelikte und Rechtsgüterschutz
274
B. Die Fallgruppen der Garantensonderdelikte im Einzelnen
277
Anhang: Gegenüberstellung des § 100 mit dem § 100 d a. F. und den Reformentwürfen 285
Literaturverzeichnis
289
Sachwortregister
313
Inhaltsverzeichnis Einleitung
25 Allgemeiner Teil
§ 1 Die Lehre von den Pflichtdelikten bei Roxin A. Der Begriff der Pflichtdelikte I. Herrschafts- und Pflichtdelikte II. Von der „Verletzung außerstrafrechtlicher Sonderpflichten" als Táterschaftskriteriums der Pflichtdelikte zur „erfolgsbezogenen Verletzung der tatbestandsspezifischen Pflicht" III. Die beiden Arten der täterschaftsbegründenden Pflichten B. Die praktische Bedeutung der Pflichtdeliktslehre I. Das Problem des qualifikationslosen dolosen Werkzeugs II. Das Problem der Teilnahme an einer unvorsätzlichen Haupttat bei den Pflichtdelikten C. Der Anwendungsbereich der Pflichtdelikte I. Rahmen und Festlegung der Pflichtdelikte II. Unechte eigenhändige Delikte als verkappte Pflichtdelikte §2
29 29 29
30 31 32 32
32 35 35 36
Darstellungen der für und gegen die Pflichtdeliktslehre vorgebrachten Argumente und deren Beurteilung
38
A. Die positive Würdigung der Pflichtdeliktslehre
38
B. Die Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre und deren Beurteilung
39
I. Pauschale Ablehnung der Figur der Pflichtdelikte 1. Positionsgedanke aufgrund des Tatherrschaftsprinzips bei Hardwig ..
40 40
12
nsverzeichnis 2. Konflikt mit § 28 Abs. 1 und § 30 Abs. 1 laut Langer? 3. Tatherrschaft als unverzichtbares Täterschaftskriterium bei Gössel .. II. Andere kritische Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre 1. Zutreffende Kritikpunkte
44 46 46
a) Untreue als unbestrittenes Beispiel der Pflichtdelikte
46
b) Hinweis auf den uneinheitlichen Gesetzeswortlaut der einzelnen Pflichtdeliktstatbestände
48
c) Zweifel an der Bestrafungsmöglichkeit von Teilnahmehandlungen des Intraneus als mittelbarer Täter bei den Pflichtdelikten ...
50
d) Unterlassungsprobe zur Begründung des materiellen Grunds für die Beschränkung der Täterschaft der Sonderdelikte bei Seier
53
2. Unzutreffende Kritikpunkte
54
a) Die Pflichtdeliktslehre als Verstoß gegen das Analogieverbot
54
b) Die Verlegenheitslösungen zu der Problematik des qualifikationslosen dolosen Werkzeugs
56
c) Das Scheitern der Unterlassungstäterschaft des Sonderpflichtigen bei den Pflichtdelikten an der Entsprechungsklausel
58
d) Verletzung einer außerstrafrechtlichen Sonderpflicht als „Zauberformel" bei Freund
68
C. Stellungnahme I. Die intrasystematische Friktion in der Pflichtdeliktslehre Roxins II. Der Bruch der Pflichttheorie III. Fazit §3
41
68 68 70 70
Formelle Weiterentwicklung der Pflichtdelikte durch Jakobs
72
A. Darstellung
72
I. Die Unterscheidung zwischen Delikten kraft Organisationszuständigkeit und Delikten kraft institutioneller Zuständigkeit II. Der Unterschied zwischen Jakobs' und Roxins Ansatz B. Kritik I. Kritik am Begriff „Organisationskreis" II. Kritik am Konzept der institutionellen Zuständigkeit C. Eigene ergänzende Kritik
72 73 76 76 77 79
nsverzeichnis §4
Schünemanns Herrschaftstheorie: Eine Theorie der Garantensonderdelikte ... A. Darstellung I. Die Herrschaft über den Grund des Erfolges als übergeordnete Gleichstellungsrichtlinie bei den Unterlassungsdelikten II. Garantensonderdelikte anstelle der Pflichtdelikte
80 80
80 81
III. Übernahme einer Garantenstellung als Grund der Vertreterhaftung
83
IV. Organisationsdelikte als unabhängige Deliktsgruppe
84
V. Konsequenz: Eine einheitliche monistische Täterlehre
85
B. Positive Würdigung
86
C. Auseinandersetzung mit den Einwänden
87
I. Methodologische Bedenken gegen Schünemanns Herrschaftsansatz — II. Verwechselung der aktuellen Herrschaft mit der potentiellen Herrschaft
87 88
III. Unbestimmtheit des Herrschaftsbegriffs
90
IV. Zweifel an der Ableitung der Ähnlichkeitsregeln aus dem Haftungsgrund bei den Begehungsdelikten
93
V. Zweifel an der Aktualität der Herrschaft VI. Ingerenz und Herrschaft VII. Produkthaftung und Herrschaft VIII. Kritik an der Herrschaft über die Hilflosigkeit des Opfers IX. Missverständnis des Herrschaftsbegriffs bei Manfred Heinrich X. Semantische Zweifel am Herrschaftsbegriff
95 97 100 101 103 104
XI. Theorie der systemischen Repräsentantenhaftung als Erklärung des Strafgrundes der Organ- und Vertreterhaftung 105 D. Stellungnahme und zugl. Zusammenfassung von § 1 bis § 4
108
I. Die Theorie der Garantensonderdelikte als befriedigendste Lösung für die Sonderdelikte
108
II. Die Erweiterung und zugleich Reduzierung des Bereichs der Sonderdelikte durch die Garantentheorie
111
III. Die Aufnahme eines Teils der unechten eigenhändigen Delikte i.S. Roxins in den Begriff der Garantensonderdelikte und die Zuordnung der echten eigenhändigen Delikte zu den Handlungsherrschaftsdelikten 112
14
nsverzeichnis Besonderer Teil: Analyse der einzelnen Tatbestände
§5
Nichtbegehungsentsprechende Garanten-Unterlassungsdelikte
117
A. Zur angemessenen Terminologie
117
B. Die Unterscheidung zwischen begehungsentsprechenden und nichtbegehungsentsprechenden Unterlassungsdelikten 119 I. Die konventionellen Unterscheidungskriterien und die Kritik daran II. Hinreichende Begehungsähnlichkeit als Abgrenzungskriterium C. Die Dreiteilung der Unterlassungsdelikte I. Der Ansatz von Silva Sanchez und die Kritik daran II. Eigene Auffassung III. Die praktische Bedeutung D. Deliktsstruktur einzelner nichtbegehungsentsprechender Garanten-Unterlassungsdelikte I. Die Verletzung der Unterhaltspflicht gemäß § 170? 1. Geschütztes Rechtsgut und Tatbestandsstruktur
119 123 125 125 128 130
131 131 131
a) Geschütztes Rechtsgut
131
b) Tatbestandsstruktur
132
2. Der Täterkreis und die Erklärung für dessen Beschränkung
133
a) Der Täterkreis
133
b) Erklärung der Tätereigenschaft durch die Pflichttheorie?
134
c) § 170 als Garantensonderdelikt?
135
d) § 170 als formelles Sonderdelikt
138
II. Das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gemäß § 266 a ... 139 1. Geschütztes Rechtsgut und Tatbestandsstruktur
139
a) Geschütztes Rechtsgut
139
b) § 266 a als Spezialfall der Untreue?
141
c) Tatbestandsstruktur
141
2. Der Täterkreis und die Erklärung für dessen Beschränkung a) Der Täterkreis
142 142
nsverzeichnis b) Erklärung der Tatereigenschaft durch die Pflichttheorie?
143
c) § 266 a als Garantensonderdelikt
143
3. Zwischenergebnis III. Das Unterlassen der Verlustanzeige und die Insolvenzverfahrensverschleppung gemäß § 84 GmbHG 1. Geschütztes Rechtsgut und Tatbestandsstruktur
148
148 148
a) Geschütztes Rechtsgut
148
b) Tatbestandsstruktur
150
2. Der Täterkreis und die Erklärung für dessen Beschränkung
153
a) Der Täterkreis
153
b) Erklärung der Tätereigenschaft durch die Pflichttheorie
153
c) § 84 GmbHG als Garantensonderdelikt
161
3. Anwendungsmöglichkeit des § 14 bei § 84 GmbHG
163
4. Zwischenergebnis
163
IV. Die Pflichtverletzung von Vorstandsmitgliedern gemäß § 401 AktG 1. Geschütztes Rechtsgut und Tatbestandsstruktur
164 164
a) Geschütztes Rechtsgut
164
b) Tatbestandsstruktur
166
2. Der Täterkreis und die Erklärung für dessen Beschränkung
166
3. Zwischenergebnis
167
V. Kurze Bemerkungen zu den übrigen Strafvorschriften: §§ 326 Abs. 3, 328 Abs. 2 Nr. 1, § 41 WStG 167 1. Herrschaft über die gefährliche Sache (Gefahrenquelle) als Erklärung für die Tätereigenschaft bei §§ 326 Abs. 3, 328 Abs. 2 Nr. 1 .... 167 2. Herrschaft über die zu beaufsichtigenden Personen als Erklärung der Tätereigenschaft bei § 41 WStG 169 §6
Untreue (§ 266)
172
A. Geschütztes Rechtsgut
172
B. Wesen der Untreue
173
C. Verhältnis zur Verletzung von Privatgeheimnissen
174
16
nsverzeichnis D. Verhältnis der beiden Tatbestandsalternativen
175
E. Untreue und Treupflichtverletzung
177
I. Treupflichtverletzung
177
II. Treuepflicht kraft tatsächlichen Treue Verhältnisses III. Vermögensbetreuungspflicht
177 179
1. Die beiden Tatbestandsalternativen „Wahrnehmen" und „Betreuen" .. 179 2. Die Lösungsansätze der Rechtsprechung
179
3. Die Lösungsansätze der Literatur
181
4. Stellungnahme
183
a) Zweifel an der Abgrenzungsgrundlage der Rechtsprechung
183
b) Abgrenzung von Haupt- und Nebenpflicht als untaugliches Kriterium 184 c) Das Betreuungsverhältnis als Geschäftsbesorgung?
185
d) Selbständigkeit als Eingrenzungskriterium?
186
e) Dauer und Umfang der Betreuungstätigkeit als unwesentliche Kriterien 189 f) Richtige Einordnung der Vermögensfürsorgepflicht
189
g) Zwischenergebnis
190
F. Erklärung für die Deliktsausgestaltung der Untreue durch viktimodogmatische Gesichtspunkte und die Herrschaftstheorie 191 §7
Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten (§ 266 b)
192
A. Strafbarkeitslücken
192
B. Geschütztes Rechtsgut
195
C. Wesen des Scheck- oder Kreditkartenmissbrauchs
198
D. Strafbarkeit der missbräuchlichen Weitergabe der Kreditkarte durch den Karteninhaber 199
§8
E. Ergebnis
201
Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203)
203
A. Geschütztes Rechtsgut
203
nsverzeichnis B. Deliktsausgestaltung durch das Zufallsprinzip?
205
C. Erklärung der Ausgestaltung als Sonderdelikt durch den Grundsatz des vom Geschützten frei gewählten Vertrauensverhältnisses? 205 D. Erklärung der Ausgestaltung als Sonderdelikt durch die Viktimodogmatik I. Begründung II. Viktimodogmatik als Erklärung für den Schutzbereich des § 203
206 206 208
E. Erklärung der Ausgestaltung als Sonderdelikt durch die Pflichttheorie oder den Herrschaftsgedanken 209 §9
Das Vereiteln der Zwangsvollstreckung (§ 288)
211
A. Geschütztes Rechtsgut und Tatbestandsstruktur
211
B. Der Täterkreis und die Erklärung für dessen Beschränkung
212
I. Der Täterkreis
212
II. Die Erklärung der Tätereigenschaft durch die Pflichttheorie, die Garantentheorie oder einen anderen Ansatz? 213 III. Konsequenzen
215
1. Die Problematik des qualifikationslosen dolosen Werkzeugs
215
2. Die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 1
217
§10 Personengefahrdung durch Bauarbeiten (§ 319)
218
A. Geschütztes Rechtsgut und Tatbestandsstruktur
218
B. Der Täterkreis und die Erklärung für dessen Beschränkung
219
I. Zur Feststellung der leitenden Maxime für die Bestimmung des Täterkreises 219 II. Der Täterkreis im Einzelnen 1. Der Täterkreis des Absatzes 1
2 Chen
220 220
a) Bauplaner
220
b) Bauleiter
221
c) Bauausführer
224
18
nsverzeichnis 2. Der Täterkreis des Absatzes 2
225
III. Erklärung der Deliktsgestaltung durch die Pflichttheorie oder die Herrschaftstheorie? 225 § 11 Die sog. unechten Sonderdelikte
228
A. Der bisherige Meinungsstand zu den unechten Sonderdelikten
228
B. Eigene Stellungnahme
230
I. Die falsche Einordnung des § 203 Abs. 2 als unechtes Sonderdelikt
230
II. Der Doppelcharakter der Tätereigenschaft bei den unechten Sonderdelikten 231 1. Die Grundgedanken
231
2. Die Herleitung der Garantenstellung des Amtsträgers aus der Übernahme einer Schutzfunktion 232 a) Die Entstehung der Garantenstellung des Amtswalters im Allgemeinen 232 b) Bei der Gefangenenbefreiung im Amt (§ 120 Abs. 2)
233
c) Bei dem Verwahrungsbruch im Amt (§ 133 Abs. 3)
234
d) Bei der Strafvereitelung im Amt (§ 258 a)
234
e) Bei der Körperverletzung im Amt (§ 340) - zugleich Diskussion über die Garantenstellung der Polizeibeamten gegenüber dem Bürger 236 f) Bei der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes im Amt (§ 201 Abs. 3) 245 3. Die Garantenstellung bei anderen unechten Sonderdelikten
247
a) Veruntreuung (§ 246 Abs. 2)
247
b) Kindestötung (§ 217 a. F.)
249
c) Schwangerschaftsabbruch durch die Schwangere (§218 Abs. 3) .. 249 III. Ergebnis
251
§ 12 Die schlichten Sonderdelikte
252
A. Friedensgefährdende Beziehungen (§ 100) I. Entstehungsgeschichte II. Rechtsgut und Täterkreis der Friedensgefährdenden Beziehungen
252 252 253
Inhaltsverzeichnis
19
III. Problematik des Täterkreises
253
IV. Lösungsansätze der Rechtsprechung und der Literatur
253
V. Reaktionen in der Strafrechtsreform VI. Kritik und Gesetzesänderungsvorschlag B. Schiffsgefährdung durch Bannware (§ 297 a. F.) I. Entstehungsgeschichte
254 255 257 257
II. Untersuchung der möglichen Grundlage der Täterkreisbeschränkung in § 297 a.F. 258 III. Reformvorschlag
260
§ 13 Problem der Anwendung des § 28 im Lichte der Theorie der Garantensonderdelikte
262
A. Der gegenwärtige Meinungsstand
262
B. Zwei unlösbare Probleme und ein scheinbares Problem
264
C. Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des § 28
267
D. Lösungsvorschlag und dementsprechend reformbedürftige Tatbestände
269
E. Die Anwendung des § 28 Abs. 1 im Lichte der Theorie der Garantensonderdelikte 272 § 14 Ergebnisse der Untersuchung A. Theorie der Garantensonderdelikte und Rechtsgüterschutz
274
B. Die Fallgruppen der Garantensonderdelikte im Einzelnen
277
I. Nichtbegehungsentsprechende Garanten-Unterlassungsdelikte II. Untreue gemäß § 266
277 279
III. Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten gemäß § 266 b
279
IV. Die Verletzung von Privatgeheimnissen gemäß § 203
280
V. Das Vereiteln der Zwangsvollstreckung gemäß § 288
280
VI. Die Personengefährdung durch Bauarbeiten gemäß §319 2*
274
281
20
nsverzeichnis VII. Die sog. unechten Sonderdelikte
281
VIII. Problem der Anwendung des § 28 im Lichte der Theorie der Garantensonderdelikte 283 Anhang: Gegenüberstellung des § 100 mit dem § 100 d a. F. und den Reformentwürfen 285
Literaturverzeichnis
289
Sachwortregister
313
Abkürzungsverzeichnis a. A.
andere Ansicht
a. a. O.
am angegebenen Ort
abl.
ablehnend
Abs.
Absatz
abw.
Abweichend
AE
Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuch
a. F.
alte Fassung
AG
Amtsgericht
AK
Alternativkommentar zum Strafgesetzbuch
AktG
Aktiengesetz
Alt.
Alternative
Anm.
Anmerkung
ARSP
Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie
Art.
Artikel
AT
Allgemeiner Teil
AtomG
Atomgestz
Aufl.
Auflage
BayObLG
Bayerisches Oberstes Landesgericht
BayObLGSt
Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen
BB
Der Betriebs-Berater
Bd.
Band
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BGH
B undesgerichtshof
BGHSt
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen
BKA
Bundeskriminalamt
BT
Besonderer Teil
BT-Drs.
Bundestagsdrucksache
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
bzw.
beziehungsweise
DAR
Deutsches Autorecht
DB
Der Betrieb
ders.
derselbe
dies.
dieselbe
Abkürzungsverzeichnis
22 Diss.
(unveröffentlichte) Dissertation
DJ
Deutsche Justiz
DJT
Deutscher Juristentag
DJZ
Deutsche Juristenzeitung
DÖV
Die öffentliche Verwaltung
DR
Deutsches Recht
DRZ
Deutsche Richterzeitung
DStR
Deutsches Steuerrecht
DStrR
Deutsches Strafrecht
E 1927
Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1927 (mit Begründung und 2 Anlagen) - Reichstagsdrucksache III/3390 Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) 1962 (mit Begründung) Bundestagsdrucksache 4/650 Einführung
E 1962 Einf. E EGStGB EGOWiG EGStGB f. (ff.)
Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (BT-Drs. 7/550) Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten v. 24. 5. 1968 (BGBl. IS. 503) Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch v. 2. 3. 1974 (BGBl. I, S. 469; BGBl. 1975 I, S. 1916) folgende Seite(n)
FamRZ
Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht. Zeitschrift für das gesamte Familienrecht
FG
Festgabe
Fn.
Fußnote
FS
Festschrift
GA
Goltdammer's Archiv für Strafrecht
GG
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
GmbH
Gesellschaften mit beschränkter Haftung
GmbHG
Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung
GmbHR
GmbH-Rundschau
GS
Der Gerichtssaal / Gedächtnisschrift
Halbs.
Halbsatz
h.M.
herrschende Meinung
h.L.
herrschende Lehre
HRR
Höchstrichterliche Rechtsprechung
hrsg.
herausgegeben
Hrsg.
Herausgeber
i.d.F
in der Fassung
i.d.R.
in der Regel
i.e.S.
im engen Sinne
i.S.
im Sinne
i. S. d.
im Sinne des
Abkürzungsverzeichnis i.V.m.
in Verbindung mit
JA
Juristische Arbeitsblätter
JR
Juristische Rundschau
Jura
Juristische Ausbildung
JuS
Juristische Schulung
JW
Juristische Wochenschrift
JZ
Juristenzeitung
KG
Kammergericht
KK-OWiG
Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
KO
Konkursordnung
LG
Landgericht
LK
Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch
LPK
Lehr- und Praxiskommentar
LZ
Leipziger Zeitschrift für Handels-, Konkurs- u. Versicherungsrecht
m.
mit
MDR
Monatsschrift für Deutsches Recht
m.E.
meines Erachtens
MedR
Medizinrecht
MK
Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch
MschKrim
Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform
MStGB
Militärstrafgesetzbuch
m. w. N.
mit weiteren Nachweisen
n. E
neue Fassung
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NJW-RR
NJW-Rechtsprechungs-Report
NK
Nomos Kommentar zur Strafgesetzbuch
Nr.
Nummer
NStZ
Neue Zeitschrift für Strafrecht
NStZ-RR
NStZ-Rechtsprechungs-Report-Strafrecht
NuR
Natur und Recht. Zeitschrift für das gesamte Recht zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Umwelt
OGHSt
Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen
OLG
Oberlandesgericht
OWiG
Gesetz über Ordnungswidrigkeiten v. 24. 5. 1968, BGBl. IS. 481
öStGB
österreichisches Strafgesetzbuch
PrStGB
Preußisches Strafgesetzbuch
RG
Reichsgericht
RGBl. I
Reichsgesetzblatt, Teil I
RGSt
Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen
RStGB
Reichsstrafgesetzbuch (bis 1945)
Rdn.
Randnummer
s.
siehe
Abkürzungsverzeichnis
24 S.
Seite
seil.
scilecet (= nämlich)
SchwZStr
Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht
SGB
Sozialgesetzbuch
SK
Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch
sog.
sogenannte(r)
StGB
Strafgesetzbuch
StPO
Strafprozessordnung
StRÄndG
Strafrechtsänderungsgesetz
StrRG
Gesetz zur Reform des Strafrechts
StrSchV
Strahlenschutzverordnung v. 30. 6. 1989 (BGBl. I, S. 1321)
StuB
Studienbuch
StV
Strafverteidiger
TuT
Täterschaft und Tatherrschaft
TZStW
Taiwanesische Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
u. a.
und andere
u. ä.
und ähnliche(s)
(Criminal Law Journal)
Univ.
Universität
usw.
und so weiter
Urt.
Urteil
v.
von/vom
VDB
Vergleichende Darstellung des Strafrechts, Besonderer Teil
vgl.
vergleiche
VO
Verordnung
WiKG
Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität
WiStR
Wirtschaftsstrafrecht
wistra
Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht
WStG
Wehrstrafgesetz
ZAkDR
Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht
z. B.
zum Beispiel
ZfBR
Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht
ZGR
Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht
ZHR
Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht
Ziff.
Ziffer
ZIP
Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis
ZPO
Zivilprozessordnung
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik
ZStW
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
zust.
zustimmend
Einleitung Der Begriff der Sonderdelikte existiert bereits seit langem. Obwohl Roxin bereits 1963 in seiner Habilitationsschrift „Tatherrschaft und Täterschaft" den Begriff der Pflichtdelikte zur Ersetzung des Begriffs der Sonderdelikte entwickelt hat, entstand die erste Monographie zu diesem Thema erst 36 Jahre später. Es ist die von Jakobs betreute Dissertation „Pflichtdelikt und Beteiligung" von Sánchez-Vera . Die mit der Thematik vertrauten Leser werden sofort bemerken, dass diese Arbeit zum „Garantensonderdelikt" eine andere Position vertritt. Dieser Eindruck ist richtig, weil diese Arbeit bewusst auf die zwei Hauptentwicklungen der Sonderdelikte hinweisen will. Dies ist zum einen die von Roxin konstituierte Pflichtdeliktslehre (§ 1). Diese Lehre findet zwar viele Anhänger in der Literatur, stößt aber auch auf viele Einwände. Die Frage, ob diese Einwände durchgreifen, wurde bereits von SánchezVera behandelt, wobei er jedoch m.E. einige wichtige Aspekte außer Acht gelassen hat, die in der vorliegenden Arbeit thematisiert werden. Im Hinblick auf seinen pflichttheoretischen Ausgangspunkt ist es im Übrigen fraglich, ob sich hieraus wirklich ein überzeugendes Ergebnis ergeben würde. Daher werden alle Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre gründlich untersucht und daraus eine Zwischenbilanz gezogen (§ 2). Es ist bemerkenswert, dass Roxin sich im zweiten Band seines gerade erschienen Lehrbuchs zum Allgemeinen Teil des Strafrechts zum ersten Mal schriftlich zum Haftungsgrund für unechte Unterlassungsdelikte geäußert hat und Schünemanns Gedanken von der „Herrschaft über den Grund des Erfolges" für den plausibelsten hält, und so die von Schünemann seit 1995 gehegte Erwartung bestätigt. Im Hinblick darauf, dass auch unechte Unterlassungsdelikte von Roxin in den Begriff der Pflichtdelikte eingeordnet werden, ist es zweifelhaft, ob die Pflichtdeliktslehre noch überzeugend ist. Nach Roxins Meinung stammt die wichtigste Weiterentwickelung der Pflichtdelikte von Jakobs und seinem Schüler Sánchez-Vera . Daher wird auf die von ihnen verwendeten Begriffe der Organisationszuständigkeit und der institutionellen Zuständigkeit eingegangen (§ 3). Zum anderen wird Schünemanns Theorie der Garantensonderdelikte erörtert, die im Gegensatz zur Pflichttheorie versucht, die Beschränkung des Täterkreises bei den Sonderdelikten materiell zu begründen. Da der Begriff der Garantensonderdelikte auf Schünemanns Herrschaftsansatz beruht, bedarf es eines vollständigen Verständnisses des dem Herrschaftsansatz zugrunde liegenden monistischen Täterbegriffs bei Schünemann. Danach werden zahlreiche Einwände gegen Schüne* §§ ohne Gesetzesangabe sind im Folgenden solche des StGB.
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Einleitung
manns Herrschaftsansatz dargestellt und analysiert. Daraus ergibt sich die hier vertretene Konsequenz, dass die Garantensonderdeliktstheorie der plausibelste Ansatz ist, die Begrenzung des Täterkreises bei den meisten Sonderdelikten zu begründen
(§4). Es ist nicht ausreichend, lediglich die Garantensonderdeliktslehre als den plausibelsten Ansatz festzustellen, weil das Dilemma der Abgrenzung zwischen Tatherrschaftsdelikten und Sonderdelikten in Wahrheit ein Auslegungsproblem des Besonderen Teils des Strafrechts ist. Der erste Arbeitsgang im Besonderen Teil der Arbeit besteht daher darin, diejenigen Straftatbestände zusammenzustellen, bei denen eine Charakterisierung als Sonderdelikt in Betracht kommt, wo also in irgendeiner Weise eine Einschränkung der Täterstellung vom Gesetzgeber vorgenommen worden ist. Anschließend sind die Straftatbestände auf die Struktur ihres Unrechts und die Struktur der Täterschaft hin zu analysieren. Da es über 70 die Begrenzung des Täterkreises betreffenden Strafvorschriften im StGB gibt, ist es natürlich ausgeschlossen, in einer Dissertation sämtliche Delikte, die als Sonderdelikte in Betracht kommen, vollständig zu analysieren. Nur ein Teil dieser Delikte kann als Hauptgegenstand der Untersuchung herausgegriffen werden, während zu den restlichen Delikten nur ganz kurze Bemerkungen gemacht werden können. Der Täterschaftsbereich der analysierten Straftatbestände ist dann daraufhin zu überprüfen, ob er durch die Theorie der Garantenstellungen1 erklärt werden kann. Mann wird im vorhinein keinesfalls die These formulieren können, dass alle Tatbestände als Garantensonderdelikte interpretierbar sind. Denn es ist ja durchaus vorstellbar, dass der Gesetzgeber auch andere Kriterien zur Beschränkung der Täterschaft herangezogen hat, etwa solche der Viktimodogmatik oder schlicht ein „Häufigkeitsprinzip": Er könnte etwa aus der Gesamtzahl der gleichermaßen strafwürdigen Rechtsgutsverletzungen die typischen Begehungsformen herausgreifen, die in der Praxis eine Rolle spielen, auch wenn das naturgemäß zu einer Ungleichheit führt, weil dann ebenso strafwürdige Fälle straflos bleiben. Es ist mir zunächst aufgefallen, dass es eine besondere Gruppe der Sonderdelikte gibt, die entweder nach dem formellen oder nach dem materiellen Abschichtungskriterium der h.L. als echte Unterlassungsdelikte definiert werden. Die Tätereigenschaft dieser Deliktsgruppe kann durch die Theorie der Garantensonderdelikte erklärt werden. Es sind die nichtbegehungsentsprechenden GarantenUnterlassungsdelikte . Die Einführung dieser Deliktsgruppe führt zu einer Dreiteilung der Unterlassungsdelikte. Zu behandelnde Straftatbestände sind die §§ 170, 266 a, 326 Abs. 3, 328 Abs. 2 Nr. 1, § 84 GmbHG, § 401 AktG und § 41 WStG (§ 5). Ferner wird die unbestritten als Pflichtdelikt betrachtete Vorschrift der Untreue gemäß § 266 sowie der Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten gemäß § 266 b 1 Ziel der Arbeit ist es hierbei allerdings nicht, eine ins Detail gehende Garantenstellungsdogmatik zu entwickeln. Vielmehr sollen lediglich Leitlinien angegeben werden, die die Beschränkung des Täterkreises bei den Sonderdelikten überzeugend erklären können.
Einleitung
und die Verletzung von Privatgeheimnissen gemäß § 203 behandelt (§ 6, § 7 und § 8). Bei der Tätereigenschaft dieser Straftatbestände handelt es sich um die Herrschaft über die Hilflosigkeit des Opfers bzw. des geschützten Rechtsguts. Weiterhin werden das Vereiteln der Zwangsvollstreckung gemäß § 288 und die Personengefährdung durch Bauarbeiten gemäß § 319 in die Diskussion gebracht (§ 9 und § 10), wobei man den Täterkreis hier durch die Herrschaft über die wesentliche Erfolgsursache bzw. Gefahrenquelle abgrenzen kann. Im Übrigen werden die sog. unechten Sonderdelikte analysiert (§ 11). Die Tätereigenschaft dieser Deliktsgruppe wird in der Regel als „strafschärfendes" Unrechtsmerkmal betracht. Ob diese Ansicht zu eng ist und ob die Begriffsbildung der sog. unechten Sonderdelikte wirklich einen Sinn hat, wird untersucht. Es steht sich die Frage, ob die zuletzt zu behandelnde Deliktsgruppe der bloßen Sonderdelikte, deren Tätereigenschaft mit der Theorie der Garantenstellung nichts zu tun hat, wirklich den Sonderdelikten zugerechnet werden. Wie die Begrenzung ihres Täterkreises erklärt werden kann, wird behandelt (§ 12). Schließlich wird die Anwendungsfrage des § 28 im Lichte der Garentensonderdeliktslehre erörtert (§ 13).
Allgemeiner Teil § 1 Die Lehre von den Pflichtdelikten bei Roxin A. Der Begriff der Pflichtdelikte I. Herrschafts- und Pflichtdelikte Roxin definiert den Täter der Straftat als die „Zentralgestalt " oder die „Schlüsselfigur des konkreten HandlungsgeschehensBei den meisten Delikten werde die Zentralgestalt durch die Merkmale der Tatherrschaft gekennzeichnet. Wer die Tatherrschaft über die Verwirklichung eines Tatbestandes innehabe, sei der Täter. Die Tatherrschaft trete in den Erscheinungsformen der Handlungsherrschaft , Willensherrschaft und funktionellen Tatherrschaft auf. Das heißt, der Täter müsse nicht unbedingt die Tatbestandshandlung selbst ausführen, er könne auch die Tatbestandsverwirklichung beherrschen, indem er kraft Nötigung, Irrtums oder organisatorischer Machtapparate die Willensherrschaft ausübe oder indem er arbeitsteilig mit einem anderen im Ausführungsstadium mitwirke 2 . Roxin nennt die betreffenden Delikte Herrschaftsdelikte 3. Ferner meint Roxin, dass die Tatherrschaft kein Universalprinzip sei4. Es gebe Strafbestimmungen, bei denen die Tatherrschaft nicht zur Bestimmung der Täterschaft herangezogen werden könne. Beispielsweise wenn ein Nichtbeamter einen Beamten zu einer Aussagenerpressung (§ 343) nötige. Obwohl der Extraneus die Tatherrschaft über das Geschehen habe, sei er nicht Täter einer Aussagenerpressung nach § 343, weil der Tatbestand dieser Bestimmung einen Beamten als Deliktssubjekt voraussetze5. Diese Deliktsgruppe seien Sonderdelikte , bei denen Täter nur sein könne, wer eine bestimmte Eigenschaft („Täterqualifikation") aufweise 6. Es könne damit als gesichert angesehen werden, dass nur ein Intraneus Täter der Amtsdelikte sein könne. Fasse man den im obigen Beispiel für die Täterschaft entscheidenden Gesichtspunkt näher ins Auge, so zeige sich, dass es nicht die Beam1 Roxin, TuT 7 , S. 25 ff., 108, 335 ff., 527; ebenso ders., JZ 1966, S. 293. 2 Roxin, TuT 7 , S. 527 ff.; ders., AT/2, 25/27 f.; zum allgemeinen Täterkriterium der Tatherrschaft bei den Begehungsdelikten siehe nur Roxin, L K 1 1 , § 25 Rdn. 7 ff., 34 ff. 3 Roxin, TuT 7 , S. 354 f.; ders., AT/2, 25/267. 4 Roxin, L K 1 1 , § 25 Rdn. 36. 5 Roxin, TuT 7 , S. 352. 6 Roxin, AT /1 3 , 10/128.
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§ 1 Die Lehre von den Pflichtdelikten bei Roxin
teneigenschaft und auch nicht die abstrakte Qualifikation als Untersuchungsführer sei, die jemanden zum Täter mache: Es sei vielmehr die aus der Befassung mit einer konkreten Rechtssache sich ergebende spezifische Pflicht zur sachgemäßen Vernehmung der Beteiligten, deren bewusste Verletzung die Täterschaft begründe. § 340 etwa erfasse nur die Körperverletzung durch einen Beamten, die im Zusammenhang mit einem konkreten Akt der Amtsausübung begangen sei; die öffentlichrechtliche Pflicht verlange, sich bei der Amtsausübung nicht zu Misshandlungen hinreißen zu lassen, deren Verletzung den Handelnden zum Täter des qualifizierten Tatbestandes erhebe; der Arzt und der Rechtsanwalt müssten nach § 300 a. F. (§ 203 Abs. 1, Nr. 1 u. 3 n. F.) die aus einer konkreten Lebenssituation entspringende Schweigepflicht gebrochen haben, um Täter dieses Tatbestandes zu werden7. Da diese Eigenschaft in aller Regel in einer außerstrafrechtlichen Pflichtstellung bestehe, propagiert Roxin deshalb, man spreche hier besser von „Pflichtdelikten " 8. II. Von der „Verletzung außerstrafrechtlicher Sonderpflichten" als Täterschaftskriteriums der Pflichtdelikte zur „erfolgsbezogenen Verletzung der tatbestandsspezifischen Pflicht" Mit der „Pflicht" der Pflichtdelikte war nach Roxins ursprünglicher Meinung nicht die aus den Strafrechtsnormen entspringende Pflicht gemeint, deren Missachtung die im Tatbestand vorgesehene Sanktion auslöse. Diese Pflicht bestehe bei jedem Delikt, vor allem erstrecke sie sich auch auf nichtqualifizierte Anstifter und Gehilfen; denn wenn die Teilnehmer nicht als Normadressaten von der Verpflichtungswirkung erfasst würden, ließe sich ihre Strafbarkeit nicht begründen. Es handele sich vielmehr bei dem über die Täterschaft entscheidenden Element um die Verletzung einer außerstrafrechtlichen Pflicht, die sich zwar nicht notwendig auf jeden Deliktsbeteiligten erstrecke, die aber für die Tatbestandserfüllung erforderlich sei. Dabei gehe es allemal um Pflichten, die der Strafrechtsnorm logisch vorgelagert seien und im Allgemeinen anderen Rechtsgebieten entsprängen. Die öffentlich-rechtlichen Beamtenpflichten, die standesrechtlichen Schweigegebote und die zivilrechtlichen Vermögensfürsorgepflichten seien nur Beispiele dieser Art 9 . Roxin identifizierte das Täterschaftsspezifikum dieser Deliktsgruppe also mit der Verletzung einer außerstrafrechtlichen Sonderpflicht und gab die folgende Definition von Pflichtdelikten: Pflichtdelikte seien Tatbestände, bei denen Täter nur sein könne, wer eine bestimmte Pflichtenstellung innehabe und eine dem Tatbestand vorgelagerte außerstrafrechtliche Sonderpflicht verletze 10. Die Eigenart der Pflichtdelikte bestehe darin, dass die Verletzung der vorstrafrechtlichen Son7 Roxin, TuT 7 , S. 353. 8 Roxin, AT/1 3 , 10/128. 9 Roxin, TuT 7 , S. 354. 10 Zusammenfassung von Roxin, TuT 7 , S. 352 ff.; ders., Diskussionsantwort in: Chengchi Law Review Volume 50 (1994), S. 414; ders., L K 1 1 , § 25 Rdn. 37.
. Der egri der Pflichtdelikte
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derpflicht allein und völlig unabhängig von anderen Merkmalen (wie etwa der Tatherrschaft) die Täterschaft begründe, während das Fehlen der tatbestandsspezifischen Pflichtverletzung auch bei bestehender Tatherrschaft immer nur zur Annahme einer Beihilfe führen könne 11 . Später hat Roxin 12 hat in der 7. Auflage seiner „Täterschaft und Tatherrschaft" 2000 ausdrücklich zugestanden, dass „mir auch zweifelhaft geworden ist, ob die strafbarkeitsbegründenden Sonderpflichten, wie ich ursprünglich annahm, alle außerstrafrechtlicher Art sind". Deshalb vermeidet Roxin 13 in dem soeben erschienenen zweiten Band seines Lehrbuches zum Allgemeinen Teil des Strafrechts die Formulierung „Verletzung außerstrafrechtlicher Sonderpflicht " als Täterkriterium bei den Pflichtdelikten. Statt dessen wird „die erfolgsbezogene Verletzung der tatbestandsspezifischen Pflicht" bzw. „der täterschaftsbegründenden Pflicht" als Täterschaftskriterium in Anwendung gebracht, obwohl eine vorstrafrechtliche Sonderpflicht an anderer Stelle seines Lehrbuches noch in Rede steht14. Auf den ersten Blick haben diese neuen Ausdrücke keine andere Bedeutung im Vergleich zu dem alten, weil beide Ausdrücke gleichermaßen in der Pflichttheorie zu wurzeln scheinen.
I I I . Die beiden Arten der täterschaftsbegründenden Pflichten Unter den täterschaftsbegründenden Pflichten versteht Roxin zwei verschiedene Arten. Zum einen gehe es meist um diejenige, welche ein den Täter betreffendes Sonderunrecht bezeichnen, wie die Amtsträgereigenschaft bei den §§ 331 ff., die berufliche Schweigepflicht bei § 203, die Vermögensbetreuungspflicht in § 266 oder das Anvertrautsein in § 246 Abs. 1, 2. Alt. Zum anderen dienten einige Pflichten gelegentlich nur der Einschränkung des Tatbestandes auf den vom Gesetzgeber ins Auge gefassten typischen Täter, wie die Wartepflicht des Unfallverursachers nach § 142 oder die Vermögensbereithaltungspflicht des Vollstreckungsschuldners nach § 288. Jedoch hebt Roxin hervor, dass diese Unterscheidung für die schlichte Qualifizierung als Pflichtdelikt überhaupt keine Rolle spielt, und dass die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei beiden Gruppen immer in gleicher Weise vorgenommen wird. Die praktische Bedeutung einer solchen Unterscheidung liege in der Anwendbarkeit des § 28 Abs. 1; denn nur in der ersten Gruppe finde § 28 Abs. 1 Anwendung15.
h Roxin, L K 1 1 , § 25 Rdn. 37. 12 Roxin, TuT 7 , S. 697. 13 Roxin, AT/2, 25/271 ff. 14 Vgl. etwa Roxin, AT/2, 27/61. 15 Vgl. Roxin, AT/2, 25/273.
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§ 1 Die Lehre von den Pflichtdelikten bei Roxin
B. Die praktische Bedeutung der Pflichtdeliktslehre I. Das Problem des qualifikationslosen dolosen Werkzeugs Mit der Anerkennung der Pflichtdelikte lässt sich vor allem ein Problem lösen, an dem die Tatherrschaftslehre gescheitert ist: der Fall der mittelbaren Täterschaft mit Hilfe eines qualifikationslosen dolosen Werkzeugs 16. Das folgende Lehrbuchbeispiel ist von Roxin gebildet worden: Der in Amerika weilende Vermögensverwalter bittet einen unbeteiligten Dritten, das ihm anvertraute Vermögen ins Ausland zu transferieren, wo beide die Beute teilen wollen. Der Dritte, der zwar die alleinige Tatherrschaft habe, könne aber nicht Täter sein, sondern nur Gehilfe. Denn es fehle ihm das täterschaftsbegründende Kriterium, die Verletzung der Vermögensfürsorgepflicht. Der Verwalter, der zwar an der Tatherrschaft keinen Anteil habe, werde aber durch die Verletzung der ihm obliegenden zivilrechtlichen Treupflicht zur Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens17. Ein anderes Beispiel: Der Beamte, der, ohne die Tatherrschaft zu haben, einen Extraneus veranlasse, den rechtlich missbilligten Erfolg herbeizuführen, sei mittelbarer Täter nach § 348, während der unmittelbar handelnde Extraneus mangels Täterqualifikation nur Gehilfe sei 18 . In kurzen Worten: Der Intraneus, der sich eines allein die Ausführung vornehmenden und damit Tatherrschaft ausübenden Extraneus bedient, ist mittelbarer Täter, weil die erfolgsbewirkende Verletzung der tatbestandsspezifischen Pflicht auch ohne Tatherrschaft die Täterschaft begründet 19. Roxin 20 ist der Auffassung, „diese glatte, kriminalpolitisch vernünftige und im Ergebnis von Rechtsprechung und h.M. immer schon praktizierte Annahme lässt sich aber mit der weithin für ausnahmslos gültig gehaltenen Tatherrschaftslehre nicht vereinbaren".
II. Das Problem der Teilnahme an einer unvorsätzlichen Haupttat bei den Pflichtdelikten Eine andere praktische Bedeutung der Pflichtdeliktslehre sah Roxin in der Lösung für das Problem der Teilnahme an einer unvorsätzlichen Haupttat. Entgegen der h.L. hielt Roxin 21 ursprünglich 22 die Teilnahme an einer vorsatzlosen Haupttat 16 Roxin, L K 1 1 , § 25 Rdn. 134; ders., AT/2, 25/275. 17 Roxin, TuT 7 , S. 360 f.; ders., L K 1 1 , § 25 Rdn. 37. 18 Roxin, TuT 7 , S. 361; ders., L K 1 1 , § 25 Rdn. 134. 19 Roxin, AT/2, 25/275; daran anschließend Blei, AT 1 8 , § 71 II lb; Cramer, FS-Bockelmann, 1979, S. 395 f.; Ebert, AT 3 , S. 195 f.; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 32; Jakobs, AT 2 , 21/104 116 ff.; Sánchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 163 f.; Cramer/Heine, in: Schänke /Schröder 26, § 25 Rdn. 44; Wessels/Beulke, AT 3 2 , Rdn. 521. 20 Roxin, PK 12,251215. 21 Roxin, TuT 7 , S. 370.
B. Die praktische Bedeutung der Pflichtdeliktslehre
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bei den Pflichtdelikten für sehr wohl möglich, weil „hier nicht der Vorsatz, sondern die Pflicht das maßgebende Unterscheidungsmerkmal zwischen Täterschaft und Teilnahme abgibt". Zur Verdeutlichung erwähnte Roxin zwei Beispiele: Im ersten veranlasst der Angeklagte A einen Arzt unter der Vorspiegelung, es handle sich um eine zulässige kollegiale Auskunft, zur Preisgabe des Berufgeheimnisses 23. Im zweiten bewegt der an einem Unfall nicht Beteiligte N den Fahrer (also einen Unfallbeteiligten) durch die unrichtige Behauptung, dass alles in Ordnung sei, zum Verlassen der Unfallstelle 24. Nach der Tatherrschaftslehre ist in diesen Fällen keine Teilnahme möglich, weil eine solche Konstruktion nach der Logik sinnvoller Begriffsbildung unzulässig ist. Denn wenn der Hintermann den Sachverhalt durchschaut, kann er gerade nicht Teilnehmer sein, weil er den Ablauf beherrscht; anderseits kann der nicht tatherrschaftlich handelnde Vordermann nicht Täter sein, weil Täterschaft Tatherrschaft voraussetzt 25. Nach der Pflichtdeliktslehre Roxins ist aber eine Teilnahme an einer unvorsätzlichen Haupttat denkbar; denn die Teilnahme werde bei den Pflichtdelikten nicht mehr durch eine Mitwirkung ohne Tatherrschaft, sondern durch eine Beteiligung ohne Sonderpflichtverletzung charakterisiert. Die beiden Außenstehenden seien also Erfolgsbewirker ohne Sonderpflichtverletzung und erfüllten damit alle Voraussetzungen, die an einen Teilnehmer bei Pflichtdelikten zu stellen seien. Sie könnten daher als Anstifter zu einer Tat nach §§ 203 bzw. 142 StGB bestraft werden 26. Bloy lehnt aus zwei Gründen die Teilnahmemöglichkeit an einer unvorsätzlichen Tat bei den Sonderpflichtdelikten ab. Diese Möglichkeit bedeute einerseits für den Täterbegriff „eine immense Ausweitung" 27 . Gemeint sei nicht der dem geltenden Recht widersprechende extensive Täterbegriff, sondern ein spezieller Täterbegriff für die Haupttat als Voraussetzung der Teilnahme28, wenn Roxin die Meinung vertritt, die personale Beziehung des Täters zu seiner Tat schon durch die objektive Pflichtverletzung ausreichend gekennzeichnet zu haben. Anders als für die Tatherrschaft solle für die Pflichtverletzung die Vorsätzlichkeit des Verhaltens irrelevant sein 29 . Im Hinblick darauf, dass der Vorsatz zu den subjektiven Unrechtselementen gezählt werde, und dass das (täter-)tatbestandliche (Handlungs-)Unrecht erst bei der vorsätzlichen Vornahme der Tathandlung des Täters vollständig vorliege, sei Täterschaft eines unvorsätzlich Handelnden in Bezug auf ein Vörsatzdelikt eine 22
Roxin hat später diese Meinung geändert (dersin: Roxin/Stree/Zipf/Jung, Einführung in das neue Strafrecht, 1. Aufl., 1974, S. 30; 2. Aufl., 1975, S. 31; ders., T u T 4 " 7 , 1984-2000, S. 552). 2 3 BGHSt 4, 355 ff.; dazu Roxin, TuT 7 , S. 368 f. 2 4 OLG Stuttgart JZ 1959, 579 = MDR 1959, 508; dazu Roxin, TuT 7 , S. 369. 25 Roxin, TuT 7 , S. 365 f. 2 6 Roxin, TuT 7 , S. 370. 27
Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 233. « Bloy, a. a. O. S. 235. 29 Roxin, TuT 7 , S. 367 f., 370. 2
3 Chen
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§ 1 Die Lehre von den Pflichtdelikten bei Roxin
contradictio in adiecto 30. Roxins These müsse widersprochen werden, denn „als Zurechnungsformen des tatbestandlichen Unrechts leiten Anstiftung und Beihilfe ihren Handlungsunwert aus dem der Haupttat ab" 31 . Andererseits führe die Ausklammerung der personalen Seite des Unrechts bei der Teilnahme am Pflichtdelikt zu einer partiellen Auflösung des Akzessorietätsprinzips, denn die Mitwirkung des Intraneus sei in dieser Sicht für den Extraneus nur als ein für die kausale Erfolgsherbeiführung erforderliches Bindeglied von Belang. Im Gegensatz zu den echten, auf einer personalen Täter/Teilnehmerbeziehung beruhenden Teilnahmefällen laufe die Konzeption der Teilnahme an einer unvorsätzlichen Haupttat in der Sache auf eine Wiederbelebung der Urheberschaft hinaus32. Angesichts der fragmentarischen Natur des Strafrechts könne es sein, dass in dem einen oder anderen Einzelfall eine kriminalpolitisch als schmerzlich empfundene Lücke bestehe, die jedoch nur durch die Schaffung weiterer Urhebertatbestände zu schließen sei, wie sie teilweise (§§ 160, 271) schon beständen33. Bloys Kritik beruht darauf, dass das geltende Recht (§§ 26, 27) eine vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat für die Bestrafung wegen Anstiftung und Beihilfe voraussetzt. Aufgrund des Prinzips der limitierten Akzessorietät besteht kein Raum für die Teilnahme an einer unvorsätzlichen Tat bei den Pflichtdelikten. Aber Bloy hat zunächst übersehen, dass damals, als Roxin diese Rechtsfigur entwickelte, eine vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat für die Teilnahme nach dem Gesetz nicht zwingend war 34 . Dies änderte sich erst mit dem am 1. 1. 1975 in Kraft getretenen 2. StrRG 35 . Roxin hat seine Ansicht 1984 deswegen geändert und diese Rechtsfigur bei den Pflichtdelikten für überflüssig gehalten. Bloy hat in seiner Arbeit von 1986 die geänderte Ansicht Roxins 36, dass die Teilnahmemöglichkeit an einer unvorsätzlichen Tat bei den Pflichtdelikten wegen des Wortlauts der §§ 26, 27 nicht mehr vertretbar ist, nicht berücksichtigt. 37 Das nimmt der Argumentation Bloys den Wert, obwohl seiner Ansicht aufgrund der neuen Rechtslage im Ergebnis zuzustimmen ist. Die Kritik an Roxins vormaliger Meinung war dagegen unberechtigt, weil diese mit der damals geltenden Rechtslage durchaus im Einklang war.
30 Bloy, a. a. O. S. 234. 31 Bloy, a.a.O.S. 183 f., 235 32 Bloy, a. a. O. S. 235 f. 33 Bloy, a. a. O. S. 236. 34 Vgl. AE 1966, 2. Aufl., 1968, S. 67. 35 Schmidhäuser kritisiert (in: AT 2 , 14/94), dadurch werde die Strafbarkeit unangemessen eingeschränkt. 36 Roxin, in: Roxin/Stree/Zipf/Jung, Einführung in das neue Strafrecht, 1. Aufl., 1974, S. 30; 2. Aufl., 1975, S. 31; ders., T u T 4 " 7 , 1984-2000, S. 552. 37 Die genannte neue Meinungsentwicklung von Roxin ist weder im Text von Bloys Habilitationsschrift (Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 233-236) noch in seinem Schrifttumsverzeichnis (S. 393) zu finden.
C. Der Anwendungsbereich der Pflichtdelikte
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Diese Rechtsfigur hat nach dem geltenden Recht keinen Raum mehr, was auch dadurch bestätigt wird, dass Roxin diese Rechtsfigur bei den Pflichtdelikten im zweiten Band seines „Allgemeinen Teil des Strafrechts" 38 nicht mehr vertritt.
C. Der Anwendungsbereich der Pflichtdelikte I. Rahmen und Festlegung der Pflichtdelikte Nach Roxins Auffassung gehören zu den Pflichtdelikten zunächst die echten und unechten Beamtenstraftaten (§§ 331 ff.); außerdem die Standesdelikte (§ 203); ferner die Untreue (§ 266) und die Veruntreuung als qualifizierter Fall der Unterschlagung (§ 246 a. F.). Weitgehend unproblematisch seien auch die vom Strafgesetzgeber - zum Teil nachträglich - pönalisierten Verstöße gegen bestimmte familiäre oder familienrechtsähnliche Verpflichtungen (§§ 170, 170 a-d, 171, 172). Dazu kämen die verstreuten, teils strafbegründenden, teils qualifizierenden Verletzungen von Obhuts- und Fürsorgeaufgaben (z. B. §§ 174, 175 a Ziff. 2, 181 Abs. 1 Ziff. 2, 221 Abs. 1, 2. Alt., Abs. 2, 223 b); ferner § 142 39 . Im Übrigen gehörten unechte Unterlassungsdelikte auch zu den Pflichtdelikten 40, weil ihr Täterschaftskriterium die Verletzung der tatbestandsbegründenden Erfolgsabwendungspflicht und die Erfüllung der sonstigen Tatbestands Voraussetzungen sei. Fahrlässigkeitsdelikte, die Roxin ursprünglich als Pflichtdelikte ansah41, hat er später von der Reichweite der Pflichtdelikte ausgeschieden42, weil die das Unrecht der fahrlässigen Straftaten konstituierende Verletzung der allgemeinen Sorgfaltspflicht nur die jeden Staatsbürger treffende Vermeidepflicht bezeichne, die auch den Vorsatztatbeständen zugrunde liege 43 . Bei einigen Tatbeständen bedürfe es bisweilen auch einer tieferdringenden Analyse, um die aus dem Gesetzeswortlaut nicht ohne weiteres ersichtliche Täterschaftsstruktur deutlich hervortreten zu lassen. Als Beispiel dieser Art diene § 288. Über Täterschaft und Teilnahme könne nicht nach dem Tatherrschaftsprinzip entschieden werden. Denn wer den Akt des Beiseiteschaffens allein beherrsche, könne doch nicht Täter sein, wenn die Zwangsvollstreckung nicht ihm drohe und es sich nicht um sein Vermögen handele. Zur richtigen Lösung komme man, wenn man eine der Strafrechtsnorm vorgelagerte Pflicht annehme, die nur dem Schuldner auf38
Erschienen im Mai 2003. 39 Roxin, TuT 7 , S. 384 f. 40 Roxin, TuT 7 , S. 459-469, 702; ders., AT/2, 31 /140. 41 Roxin, T u T 1 - 2 , S. 527-577. 42 Diese Bedenken zeigen sich bereits bei Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 2. Aufl., 1973, S. 22 Fn. 51, S. 49 Fn. 16; ders., FS-Gallas, 1973, S. 241 Fn. 3; ders., ZStW 85 (1973), 103 Fn. 14. Ab die 3. Auflage von TuT (1975) ist das Kapitel über die Fahrlässigkeitsdelikte eliminiert worden. 43 Roxin, TuT 7 , S. 697. 3*
§ 1 Die Lehre von den Pflichtdelikten bei Roxin
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erlegt sei und die ihm gebiete, sein Vermögen dem Zugriff des Gläubigers offen zu halten. Die Pflicht sei also die Kehrseite des Gläubigeranspruchs, und es habe einen guten Sinn, wenn der Gesetzgeber als Zentralgestalt des Geschehens - unabhängig von der äußeren Form des Verhaltens - denjenigen ansehe, an den sich der Gläubiger halten müsse, der ihm hafte, während Dritte außerhalb der Bindung ständen und mit dem Gläubiger unmittelbar nichts zu tun hätten44. Die Ausgestaltung eines Tatbestands als Herrschafts- oder als Pflichtdelikt sei selbstverständlich Sache einer gesetzgeberischen Wertentscheidung. Diese hänge davon ab, für wie bedeutsam der Gesetzgeber eine Pflichtenstellung im Rahmen der Rechtsgutsverletzung ansehe. Werde der Strafwürdigkeitsgehalt des Delikts durch die Pflichtenstellung nach seiner Meinung wesentlich beeinflusst, so werde er den Pflichtigen ohne Rücksicht auf den Handlungsverlauf im Zentrum des Geschehens sehen und die Strafbarkeit Außenstehender erheblich einschränken. Sei er anderer Ansicht, so werde er die Herrschaftsstruktur vorziehen und damit das Gewicht auf die Dominanz im äußeren Verhalten legen 45 . Die Abgrenzung von Pflicht- und Herrschaftsdelikten sei keine logisch-begriffliche, sondern eine ausgesprochen teleologische Frage, und zwar ein Problem der Auslegung des einzelnen Tatbestandes46.
II. Unechte eigenhändige Delikte als verkappte Pflichtdelikte Eine Gruppe von Tatbeständen, die im Allgemeinen als eigenhändige Delikte aufgeführt werden, gehört nach Roxins Auffassung ebenfalls zu den Pflichtdelikten. Es gehe um Delikte, bei denen der Täter die täterschaftsbegründende Pflicht innehabe, deren Verletzung nur durch eine unmittelbar persönliche Vornahme der Tatbestandshandlung erfolgen könne. Für die Täterschaft maßgebend sei aber auch hier die Verletzung einer außerstrafrechtlichen Sonderpflicht und nicht ein bestimmtes Verhalten. Deshalb sei die Kennzeichnung solcher Delikte als „eigenhändig" recht äußerlich und treffe nicht das eigentlich täterschaftsbegründende Element. Da der Pflichtgedanke die Eigenart dieser Bestimmungen besser erkläre als der Eigenhändigkeitsgedanke, sei die Einführung einer weiteren Täterkategorie überflüssig. Um einer Verwechselung dieser Tatbestände mit den echten eigenhändigen Delikten vorzubeugen, bei denen die Eigenhändigkeit sich nicht aus dem Pflichtprinzip, sondern aus anderen Erwägungen ergebe, bezeichnet Roxin diese höchstpersönlichen Pflichtdelikten als „unechte eigenhändige Delikte" 47 . Ein Beispiel dafür sei die Unfallflucht, deren Tatbestand noch heute fast immer als paradigmatischer Fall des eigenhändigen Delikts angeführt werde. Es handele 44 45 46 47
Roxin, Roxin, Roxin, Roxin,
TuT 7 , TuT 7 , TuT 7 , TuT 7 ,
S. 385. S. 385 f. S. 386; in gleichem Sinne ders., L K 1 1 , § 25 Rdn. 166. S. 392 f.; vgl. auch ders., AT/2, 25/306.
C. Der Anwendungsbereich der Pflichtdelikte
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sich in Wirklichkeit um ein reines Pflichtdelikt, dessen Bedeutung für die Täterlehre ganz ohne Rückgriff auf die „Eigenhändigkeit" verstehbar sei. Das Entscheidende sei nicht, dass der Deserteur „mit eigenen Beinen entlaufe", sondern das Gesetz stelle stattdessen auf die Rechtsbeziehungen (Pflichten) ab. Das heißt, nicht der äußere Vorgang des Laufens, sondern die Pflichtverletzung sei täterschaftsbegründend 48. Auch bei den §§ 153, 154 und 156 handele es sich um Pflichtdelikte. Schon die Existenz des § 160 beweise hier, dass kein Herrschaftsdelikt gegeben sei. Denn da der Hintermann, der sich eines gutgläubigen Werkzeuges bedient, unzweifelhaft die Tatherrschaft besitze, müsste in diesem Fall eine mittelbare Täterschaft vorliegen, und eine Sondervorschrift wäre überflüssig. Wer immer eine nach den §§ 153, 154, 156 strafbare Falschaussage machen könne, habe unbestreitbar eine prozessuale Wahrheitspflicht, die den Außenstehenden nicht treffe. Nur wer selbst als Zeuge vor Gericht geladen sei, habe eine Pflicht zu wahrheitsgemäßer Aussage; wer sonst an der Irreführung des Gerichts mitwirke, indem er etwa dem Meineidigen die gefälschten Unterlagen verschaffe, könne gegen die persönlichkeitsgebundene Zeugnispflicht nicht verstoßen und deshalb immer nur Teilnehmer sein 49 .
48 Roxin, TuT 7 , S. 393. 49 Roxin, TuT 7 , S. 394.
§ 2 Darstellungen der für und gegen die Pflichtdeliktslehre vorgebrachten Argumente und deren Beurteilung A. Die positive Würdigung der Pflichtdeliktslehre Die Lehre von den Pflichtdelikten ist seit ihrem Entstehen1 mit Ausnahme der Kritik von Hardwig 2, Langer 3 und Gössel 4 und über Auflösung in der umfassenden Herrschaftstheorie Schünemanns (siehe dazu § 4 dieser Arbeit) bisher kaum auf grundsätzliche Ablehnung gestoßen. In der Literatur 5 ist sie zwar teils vielfach zögernd und nur punktuell rezipiert oder kritisiert worden, was sogleich in B I I dieses Kapitels zu erörtern ist, aber sie hat eine steigende Zahl von Befürwortern gefunden6, die sie allerdings meist ohne Begründung anerkennen und deren Darstellungen deshalb an dieser Stelle entbehrlich erscheinen. Nach Roxins Einschätzung7 hat die Auffassung Jakobs ' als bisher wichtigste Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt zu gelten. Die Konzeptionen von Jakobs und seinem Schüler Sánchez-Vera , dessen Dissertation, nach Roxins Worten 8, den von Jakobs aufgenommenen und verbesserten Ansatz weiter ausgearbeitet und in die einstweilen avancierteste Form gebracht hat, werden im nächsten Kapitel (§ 3) erörtert.
1 Ein Überblick über den Pflichtgedanken in der Entwicklung der Tatherrschaftslehre vor dem Entstehen der Pflichtdeliktslehre findet sich bei Roxin , T u T , S. 379-384. 2 Hardwig , JZ 1965, 667, 669 f.; ders., JZ 1967, 86 ff. 3 Langer, Das Sonderverbrechen, 1972, S. 223-227. 4 Maurach/Gössel, AT/2 7 , 47 / 91; Gössel, GA 1990, 377. 5 Stratenwerth, AT 1 , 1971, Rdn. 851-857; AT 2 , 1976, Rdn. 794-800; AT 3 , 1981, Rdn. 793-798; AT 4 , 2000, 12/38-41; Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 230-241; Otto, Jura 1987, 246, 255 f.; Seier, JA 1990, 383; Bottke, Täterschaft und Gestaltungsherrschaft, 1992, S. 109-118; SK5-Samson, § 25 Rdn. 108 f.; SKn-Hoyer, § 25 Rdn. 21-25; Freund, AT, 10/49; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, 1997, S. 27-30,172 f., 284; Krey, AT/2, 2002, Rdn. 92. 6 Blauth, „Handeln für einen anderen" nach geltendem und kommendem Strafrecht, 1968, S. 76 ff.; Blei, AT 1 8 , § 71 I I lb; Gramer, FS-Bockelmann, 1979, S. 395 f.; Ebert, AT 3 , S. 43, 191; Gropp, AT 2 , 10/39; Haft, AT 8 , S. 195; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 33; Jakobs, AT 2 , 21/116 ff.; Kühl, AT 4 , 20/14; Cramer/Heine in: Schänke / Schröder 26, vor §§ 25 ff., Rdn. 84, wo die Anerkennung der Pflichtdelikte als „h.M." bezeichnet wird; § 25 Rdn. 78; Wagner, Amtsverbrechen, 1975, S. 70 ff., 72; Wessels/Beulke, AT 3 2 , Rdn. 521; Tröndle / Fischer , Vor § 25 Rdn. lb; M. Heinrich, Rechtsgutszugriff und Entscheidungsträgerschaft, 2002, S. 9 ff., 305 ff.; MK-Joecks, § 25 Rdn. 43.
7 Roxin, TuT 7 , S. 705. 8 Roxin, TuT 7 , S. 696, 704 Fn. 590.
B. Die Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre
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Die Lehre von den Pflichtdelikten ist in die Rechtsprechung noch nicht ausdrücklich aufgenommen 9. Aber die von Roxin 10 erwähnte Entscheidung des BGH (BGHSt 9, 204, 217 f.) in einem Fall der Untreue nach der aufgehobenen Vorschrift des § 81a GmbHG a. F. stimmt der Sache nach mit der Pflichtdeliktslehre überein, obwohl sie die dehnbaren und nichtssagenden Formeln der subjektiven Theorie nur zur Verhüllung einer rein objektiven Lösung verwendet, indem sich der BGH folgendermaßen äußert: „Wirken die in § 81a GmbHG genannten Personen (etwa Aufsichtsratsmitglied) bei einer Schädigung der Gesellschaft mit, so sind sie grundsätzlich als Täter, nicht bloß als Teilnehmer verantwortlich" 11. „Denn sie verletzen, auch wenn sie nur zulassen oder fördern, dass ein anderer durch sein Verhalten die Körperschaft unmittelbar benachteiligt, doch eine gerade ihnen persönlich auferlegte Vermögensfürsorgepflicht; da darin der Kern ihres Verschuldens liegt, haben sie in solchen Fällen unter dem Gesichtspunkt der gesellschaftsrechtlichen Untreue jedenfalls in der Regel notwendigerweise den Täterwillen" 12 . Langer 13 widerspricht dieser Einordnung der Entscheidung des BGH als einer Bestätigung der Pflichtdeliktslehre, weil die Begründung der Täterschaft des Aufsichtsratsmitglied in der fraglichen Entscheidung nicht in der spezifischen Pflichtenstellung des Deliktssubjekts liege, sondern „allein in der tatbestandlich geschilderten Art der Rechtsgutsverletzung". „Das Gesetz spricht hier vom vorsätzlichen Handeln zum Nachteil der Gesellschaft und verwendet damit eine Formulierung von ähnlicher Weite wie beim Verursachen der Fahrlässigkeitsstraftaten; infolge der Abhängigkeit des Täterbegriffs eines jeden Delikts von der tatbestandlichen Schilderung der Verletzungsart kommt hier wie dort nur ein extensiver Täterbegriff in Betracht". Allerdings ist Langers Gegenmeinung m.E. nicht überzeugend, weil der extensive Täterbegriff der Pflichtdelikte nur eine Folge ist, die die Möglichkeit nicht ausscheiden kann, ihre Ursache zu finden. Die Pflichtenstellung könnte die Ursache repräsentieren.
B. Die Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre und deren Beurteilung Die im Laufe der Jahre gegen die Annahme von Pflichtdelikten vorgebrachten Einwände sind quantitativ nicht gering. Um festzustellen, ob die Lehre von den Pflichtdelikten alle Einwände überstehen kann oder nicht, müssen alle bisher vor-
9 Dass Roxin in JZ 1995, 49, 51 die Urteile (BGHSt 32, 165, 178; 35, 347; 37, 106; 38, 325) für eine implizite Bestätigung der Lehre von den Pflichtdelikten hielt, erscheint nicht überzeugend. Jetzt anders Roxin, AT/2, 25/270. 10 Roxin, TuT 7 , S. 356; ders., AT/2, 25/280. 11 BGHSt 9, 204. 12 BGHSt 9, 217. 13 Langer, Das Sonderverbrechen, 1972, S. 226.
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§ 2 Für und gegen die Pflichtdeliktslehre vorgebracht
gebrachten Argumente durchgesehen werden. Zuerst werden die Ablehnungsmeinungen von Hardwig, Langer und Gössel besprochen. Im Hinblick auf die sich mehr oder weniger überschneidenden Meinungen der anderen Autoren sollen danach die anderen kritischen Stellungnahmen nicht je nach Autor chronologisch dargestellt und analysiert, sondern alle bisher vorgebrachten Argumente verschiedener Autoren zusammengefasst und so eine Zwischenbilanz gezogen werden.
I. Pauschale Ablehnung der Figur der Pflichtdelikte 1. Positions gedanke aufgrund des Tatherrschaftsprinzips bei Hardwig Hardwig 14 übt in seiner Rezension zu der Habilitationsschrift Roxins seine Kritik an dem Konzept der Pflichtdelikte als selbständige Kategorie, indem er mit der traditionellen Auffassung am zusätzlichen Erfordernis der Tatherrschaft auch bei diesen Delikten festhält. Er hält die von Roxin gebildete Gruppe der Pflichtdelikte für „zu starr und schematisch", so dass „sich hieraus insbesondere für die Pflichtbegehungsdelikte falsche Lösungen ergeben" 15. In dem Fall, dass von zwei Vermögensverwaltern der A nur vorbereitend tätig wird, während der B die vermögensschädigende Transaktion selbst vornimmt, will Hardwig - „unbehelligt von Dogmen", wie er schreibt - zu dem Ergebnis kommen, dass A trotz der Verletzung seiner Sonderpflicht nur Teilnehmer ist, weil A im Verhältnis zum im Zentralbereich stehenden unmittelbaren Ausführenden B „am Rande des Geschehens bleibt" 16 . Zur Verdeutlichung seiner Argumentation wird ein anderes Beispiel angeführt: „Postbeamter PI öffnet unbefugt ein Paket, Postbeamter P2 reicht ihm dazu eine Schere. PI begeht eine Verletzung des Postgeheimnisses nach § 354 a. F. P2 hilft ihm dabei, obwohl auch er eine Sonderpflicht verletzt". Es könne wohl nicht ernstlich bezweifelt werden, dass es sich in diesen Fällen um ein Positionsproblem handele, das nach dem Tatherrschaftsprinzip zu lösen sei 17 . Das heißt, Hardwig will P2 nur als Gehilfen bestrafen. Obwohl der Gesetzgeber nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 354 a. F. 18 die Mitwirkungshandlungen der Täterschaft gleichgestellt habe, könne dies nicht die Theorie Roxins bestätigen, sondern 14 Hardwig, JZ 1965, 667, 669 f.; ders., JZ 1967, 86 ff.; Erwiderung von Roxin, JZ 1966, 293 ff. 15 Hardwig, JZ 1965, 667. 16 Hardwig, JZ 1965, 667, 670. 17 Hardwig, a. a. O. S. 670. 18 § 354 i.d.F. des RStGB vom 15. 5. 1871 lautete: „Ein Postbeamter, welcher die der Post anvertrauten Briefe oder Pakete in anderen als den im Gesetze vorgesehenen Fällen eröffnet oder unterdrückt oder einem anderen wissentlich eine solche Handlung gestattet oder ihm dabei wissentlich Hilfe leistet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren bestraft".
B. Die Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre
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bei Sonderpflichtverletzungen (etwa bei § 354 a. F.) auch einen guten Sinn haben, weil sonst die Beamten die Tat gegenseitig aufeinander abschieben könnten19. Hardwigs Ansicht ist unhaltbar. Denn sein vom Tatherrschaftsprinzip ausgehender Positionsgedanke kann dem Wortlaut der beiden genannten Vorschriften nicht standhalten. Bei der Untreue, die keine bestimmte Tathandlung umschreibt, werden alle Handlungen des Vermögensverwalters, sowohl pflichtwidriges Unterlassen als auch eine bloße Teilnahmehandlung, unter den Tatbestand subsumiert. Hardwig übersieht, dass der Vermögensverwalter A gegenüber dem geschützten Rechtsgut Garant ist, der rechtlich dafür einzustehen hat, dass den betreuten Vermögensinteressen kein Nachteil zugefügt wird. Der nur vorbereitend tätige A hat deshalb nicht nur eine straflose aktive Vorbereitung begangen, sondern auch eine täterschaftliche Unterlassungsstraftat. A wegen Beihilfe zu bestrafen, ist deshalb unzutreffend. Ein ähnlicher Vorwurf würde dann auch für den Postbeamten P2 im angeführten Beispiel gelten, wenn Hardwig P2 nur wegen Beihilfe bestrafen wollte. In der Tat hat er das nicht getan, weil er erkennt, dass bloße Beihilfehandlungen vom Gesetzgeber dort der Täterschaft gleichgestellt werden. Er möchte nur Roxins These, der eine Sonderpflicht Verletzende sei immer Täter 20, widersprechen. Hardwigs Zweifel ist jedoch nicht ganz wertlos, obwohl sein Ausgangspunkt vom Tatherrschaftsprinzip in den genannten beiden Vorschriften verfehlt ist, weil er die folgende erste Frage auslöst: Welche Art der Täterschaft ist für den Sonderverpflichteten entstanden, falls man Roxins These bejaht? Unmittelbare, mittelbare Täterschaft oder Unterlassungstäterschaft? Ist es überzeugend, dass Roxin sich für mittelbare Täterschaft entscheidet? Diese Frage ist in B II 1 c dieses Kapitels zu erörtern.
2. Konflikt mit § 28 Abs. 1 und § 30 Abs. 1 laut Langerl Langer 21 lehnt die Roxin'sehe Pflichtdeliktskategorie pauschal ab, weil diese Begriffsbildung ihm erstens „als mit dem positiven Recht unvereinbar" erscheint. Zum einen meint er, dass der Begriff der Pflichtdelikte „im Widerspruch zur Vorschrift des § 28 Abs. 2 2 2 steht". § 28 Abs. 2 „regelt ausdrücklich auch den Fall, dass die Qualifikation nur beim Teilnehmer vorliegt". „Ein qualifizierter Teilnehmer soll nicht entgegen der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzes als Täter bestraft werden" 23 . Mit einer anderen Argumentation wirft auch Bottke 24 der Lehre 19 Hardwig, JZ 1967, 86, 87. 20 Hardwig, a. a. O. S. 87. 21 Langer, Das Sonderverbrechen, 1972, S. 223-227; Antikritik von Roxin, TuT 7 , S. 696 Fn. 537. 22 Die ursprünglich von Langer genannte Vorschrift des § 50 Abs. 3 n. F. entspricht dem geltenden § 28 Abs. 2, der durch das 2. StrRG v. 4. 7. 1969 geschaffen geworden ist. 23 Langer, Das Sonderverbrechen, 1972, S. 224. 24 Bottke, Täterschaft und Gestaltungsherrschaft, 1992, S. 118 f.
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§ 2 Für und gegen die Pflichtdeliktslehre vorgebracht
von den Pflichtdelikten vor, dass sie mit § 28 in Konflikt komme. Die Sonderpflichtverletzung wirke sich gemäß § 28 nur auf die Strafzumessung aus. Hierin liegt die „legislatorische Aussage", dass sie „nicht täterschaftsbegründende Relevanz hat". Aber weder Langers noch Bottkes Argumentation ist überzeugend. Langers Argumentation ist eine durch nichts zu begründende petitio principii 25. Denn die Funktion des § 28 Abs. 2 liegt, wie Langers Schüler Deichmann 26 selbst auch anerkannt hat, „nicht in der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, sondern setzt sie voraus und behandelt auf der Grundlage einer nach allgemeinen Lehren bestehenden Täter-Teilnehmer-Beziehung die Akzessorietät bei besonderen persönlichen Merkmalen" 27 . Bottkes Annahme enthält zwar keinen Zirkelschluss wie Langers, aber ist auch unzutreffend 28, weil Bottke nur die Strafzumessungswirkung des § 28 gesehen, jedoch die täterschaftsbegründende Wirkung besonderer persönlicher Merkmale nach dem deutlichen Wortlaut des § 28 Abs. 1 übersehen hat. Deshalb kommt Bottke 29 zu Unrecht zu dem Ergebnis, das nach seiner Ansicht „gemeinsprachgerecht, lebensnah und integrationspräventiv sinnvoll" ist, jedoch gegen den Wortlaut des § 340 Abs. 1 verstößt, dass ein gleichrangiger Polizist nur als Anstifter zu einer Körperverletzung im Amt verurteilt werden solle, wenn er einen Dienstkollegen zu dieser Straftat veranlasse. Aber das führt zu Ungereimtheiten: Lässt ein Polizist im Amt eine Körperverletzung durch einen Extraneus begehen, ist er nach dem eindeutigen Wortlaut Täter des § 340, ohne dass es des § 28 bedürfte 30. Gegen Bottke speziell ist, worauf Roxin 31 mit Recht hinweist, weiterhin noch anzuführen, dass es, wenn nach dem von Bottke überall angewendeten Kriterium der „Gestaltungsherrschaft" 32 sogar der Unterlassende Täter sein könne, widersprüchlich ist, wenn bei Begehungs-Pflichtdelikten die Täterschaft an das bei Herrschaftsdelikten geltende Kriterium der Tatherrschaft gebunden werden soll. Denn auch derjenige, der als Träger einer Sonderpflicht durch aktives Handeln den Tatbestandserfolg verursacht, hat Gestaltungsherrschaft im Sinne eines alle Erscheinungsformen der Täterschaft zusammenführenden Kriteriums. Zum anderen verstößt die Begriffsbildung der Pflichtdelikte nach Langers Meinung auch gegen § 30 Abs. 1. Denn „jede erfolglose Anstiftung zu einem Pflicht25 Mit Recht hat Roxin (TuT 7 , S. 696 Fn. 537) darauf hingewiesen. 26 Deichmann, Grenzfälle der Sonderstraftat, 1994, S. 17, der sich Roxins Meinung anschließt. 27 Roxin, TuT 7 , S. 696 Fn. 537. 28 Ebenso Roxin, AT / 2, 25 / 286. 29 Bottke, Täterschaft und Gestaltungsherrschaft, 1992, S. 120. 30 Vgl. Roxin, AT / 2, 25 / 286. 31 Vgl. Roxin, AT/2,25/287. 32 Bottke, Täterschaft und Gestaltungsherrschaft, 1992, passim; zusammenfassend siehe ders., Coimbra-Symposium, 1995, S. 235.
B. Die Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre
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delikt durch einen Intraneus erhält dessen Sonderpflichtverletzung und ist daher folgerichtig als täterschaftlicher Deliktsversuch strafbar". Diese würde auch zu einer unzulässigen Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 30 Abs. 1 führen, wenn der Versuch „bei allen Vergehen für strafbar erklärt ist" 3 3 . Hoyer 34 kritisiert ähnlich, keines der Pflichtdelikte dürfe sich mit der Verletzung einer bestimmten Sonderpflicht begnügen. Stets bedürfe es „vielmehr der Beeinträchtigung eines Rechtsguts mindestens in Form einer abstrakten Gefährdung". Etwa im Fall des § 266 müsse der Täter nicht nur eine Vermögensbetreuungspflicht verletzen, sondern auch dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, einen Nachteil zufügen. Dieselbe Kritik treffe auch für unechte eigenhändige Delikte (etwa §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 und 316) zu. Denn die täterschaftliche Verletzung der Sonderpflicht begründe bei Verletzungs- und konkreten Gefährdungsdelikten und sogar bei abstrakten Gefährdungsdelikten nur einen Teil des tatbestandlichen Unrechts. Um zur Zentralgestalt des gesamten tatbestandlichen Geschehens zu werden, müsse vielmehr stets die Beeinträchtigung eines Rechtsguts mindestens in Form einer abstrakten Gefährdung hinzukommen. Aber diese Kritik geht ebenfalls fehl, weil sie das Täterschaftskriterium mit dem Strafgrund verwechselt. Nach der richtigen Meinung von Roxin liefert „die Pflichtverletzung nur ein Täterschaftskriterium, nicht den Strafgrund, der auch bei Pflichtdelikten in einer Rechtsgüterverletzung besteht, nur das unmittelbare Ansetzen zur tatbestandlichen Rechtsgüterverletzung begründet hier wie sonst den Versuch" 35. Joecks wirft auch Hoyer vor, dass Hoyer übersehe, dass „§ 266 ein verkapptes Unterlassungsdelikt insofern ist, als dem Treupflichtigen vorgeworfen werden kann, er habe die Nachteilszufügung durch den Dritten nicht verhindert; wäre ihm dies möglich gewesen, ist er schon deshalb Täter einer Untreue" 36 . Die These von einer unzulässigen Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 30 Abs. 1 überzeugt ebenso nicht. Denn bei den Fällen der Allgemeindelikte, in denen das Tatherrschaftsprinzip ein tragfähiges Täterschaftskriterium ist, kommen die Teilnahmeregelungen der §§ 26, 27 sowie § 30 zweifellos zur Anwendung. Sobald die Untauglichkeit der Tatherrschaft für die Täterschaftsfrage bei Pflichtdelikten festgestellt worden ist, ist es keineswegs ausgeschlossen, auch den Anwendungsrahmen dieser Vorschriften zu überprüfen. In der Tat handelt es sich um eine Aufwertung der Teilnahmehandlungen des Intraneus zur Täterschaft. Diese Aufwertung ist vom Gesetzgeber in einigen Straftatbeständen ausdrücklich (z. B. bei §§ 120, 340) oder konkludent (z. B. bei §§ 266, 266 b, 319) geregelt, was auch der Lehre von den Pflichtdelikten entspricht. Zu dieser Aufwertung kommt bei den genannten Delikten auch die Pflichtdeliktslehre. Wo die Aufwertung nicht geregelt ist, kann man aufgrund der jeweiligen Täterstellung aus den Teilnahmehandlungen des Intraneus zumindest eine Unterlassungs33 34 35 36
Langer, Das Sonderverbrechen, 1972, S. 224. SK7-Hoyer, § 25 Rdn. 22-25. Roxin, TuT 7 , S. 696 Fn. 537. MK-Joecks, § 25 Rdn. 43.
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§ 2 Für und gegen die Pflichtdeliktslehre vorgebracht
täterschaft begründen, da nach der Analyse der jeweilige Intraneus eine Garantenstellung hat. Dies wird später noch erörtert 37. Zweitens ist Langer der Meinung, dass auch der Gesetzeswortlaut einzelner Pflichtdeliktstatbestände diese Begriffsbildung nicht zu bestätigen vermöchte. Ihr sei aus einem doppelten Grund zu widersprechen 38. Er weist erstens mit Recht auf den uneinheitlichen Gesetzeswortlaut einzelner Pflichtdeliktstatbestände hin. Darauf ist in B I I 1 b dieses Kapitels einzugehen. Zweitens gebe es Gemeinverbrechen mit entsprechender Tatbestandsfassung wie beim Pflichtdelikt, z. B. § 120 Abs. 1 im Verhältnis zu § 347 a. F. (= § 120 Abs. 2 n. F.) Das schwäche die Beweiskraft der Fassung einzelner Pflichtdeliktstatbestände ab 39 . Auch diese Kritik verdient aber keine Zustimmung, weil sie das Wesen des Delikts der normalen Gefangenenbefreiung verkennt. Die Selbstbefreiung fällt schon dem Wortlaut nach nicht unter den Tatbestand40. Die Begehungsarten des Verleitens und Förderns sind der Sache nach zu selbständigen Tatbeständen erhobene Teilnahmehandlungen an der nicht mit Strafe bedrohten Selbstbefreiung 41. Es ist deshalb bloß ein Zufall, dass ein Herrschaftsdelikt (Allgemeindelikt) wie § 120 Abs. 1 äußerlich die Struktur eines Pflichtdelikts hat, und hat mit der Entkräftigung der Existenz der Pflichtdelikte nichts zu tun.
3. Tatherrschaft
als unverzichtbares bei Gössel
Täterschaftskriterium
Auch Gösset 42 lehnt die Figur der Pflichtdelikte ab. Zunächst widerspricht er terminologisch dem Begriff der Pflichtdelikte. Nach dem von Gössel vertretenen normtheoretischen Fundament verletzt „jeder Täter mit seinem normwidrigen Handeln eine Gesetz und Tatbestand vorgelagerte Pflicht". Insoweit seien die Pflichtdelikte nicht verschieden von den Herrschaftsdelikten. Gleiches gelte für die von Jakobs 43 vorgeschlagene Unterscheidung zwischen Organisations- und Pflichtdelikten. Erst die Beschränkung der Strafbarkeit normwidriger Handlungen durch 37 Vgl. § 2 B I I l c ; § 2 B I I 2 c und eingehende Analyse der einzelnen Tatbestände (§§5-11 dieser Arbeit). 38 Langer, Das Sonderverbrechen, 1972, S. 224 f. 39 Langer, Das Sonderverbrechen, 1972, S. 225. 40 BGHSt 4, 400; Arzt/Weber, BT, 45/55; SK6-Horn, § 120 Rdn. 8; AK-Zielinski, § 120 Rdn. 8; L K n - v . Bubnoff, § 120 Rdn. 34; a.A. Schmidhäuser, BT 2 , 22/20, wonach lediglich ein Schuldausschluss vorliege.
41 So die h.M.: BT-Drs. 7/550, S. 220; L K 1 1 -v.Bubnojf, § 120 Rdn. 2a; Lackner/Kühl 24, § 120 Rdn. 8; Siegert, JZ 1973, 308, 309; NK-Ostendorf, § 120 Rdn. 13; Schönke/Schröder/ Eser 26, § 120 Rdn. 2„Otto, BT 6 , 92/5; Arzt/Weber, BT, 45/58; a.A. AK-Zielinski, § 120 Rdn. 8. 42 Maurach/Gössel, AT/2 7 ,47/90 f.; Gössel, GA 1990, 377. 43 Jakobs, AT 2 , 7/70 u. 28/14.
B. Die Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre
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den gesetzlichen Tatbestand auf bestimmte Tatsubjekte (z. B. Amtsträger) erlaube die Rede von Sonderpflichtigen (vor der tatbestandlichen Beschreibung sei jedermann - wenn auch nicht unter Strafandrohung - verpflichtet)" 44 . Ferner weist Gössel auf die Verstrickung in einen Widerspruch hin, weil Roxin einerseits die Täterschaftsmerkmale dem Tatbestand zuweise45, anderseits aber die Innehabung der täterschaftsbegründenden Sonderpflicht als dem Tatbestand vorgelagert ansehe46. Schließlich erkennt Gössel die Bedeutung der /toxw'schen Lehre nur bezüglich des Tatsubjekts selbst an. „Auch bei den Pflichtdelikten ist die Tatherrschaft unverzichtbares Täterschaftskriterium - kann aber allein nicht für jedermann Täterschaft begründen, sondern nur für das jeweils vom Gesetz genau bezeichnete Tatsubjekt - so insbesondere bei den unechten Unterlassungsdelikten. Die Tatherrschaft ist damit stets notwendiges, aber nicht immer hinreichendes Täterschaftsmerkmal." 47 Deshalb betont er 48 . dass er insbesondere nach wie vor die Existenz reiner Pflichtdelikte nicht anerkennen könne, weder bei den unechten Unterlassungsdelikten noch im Fall des § 266. Gössels Kritik ist teils zu widersprechen, teils beizupflichten. Der erste Kritikpunkt von Gössel ist zutreffend. Denn die Pflichten, die Roxin gemeint hat, sind nach seiner neueren Terminologie die tatbestandskonstituierenden bzw. täterschaftsbegründenden Pflichtendie nur bestimmte Intranei verletzen können. Auf den ersten Blick scheint es zwar wörtlich zu sein, dass sich diese Pflichten von den Gesetz und Tatbestand vorgelagerten Pflichten nämlich unterscheiden, den aus der Verhaltensnorm hergeleiteten Pflichten, die im Hinblick auf Rechtsgüterschutz jedermann betreffen. Aber wenn Roxin 50 an zwei Arten der täterschaftsbegründenden Pflichten festhält, wobei diese Unterscheidung für die schlichte Qualifizierung als Pflichtdelikt ohne Belang sei, dann trifft Gössels Kritik zu, weil etwa die Vorschrift des § 183, in der die Beschränkung des Täterkreises sich aus der Beschaffenheit des vom Gesetzgeber ins Auge gefassten Wirklichkeitsausschnittes ergibt und ein strafrechtliches Jedermann-Gebot umschreibt 51, nach Roxins Begriffsbildung konsequenterweise zu Pflichtdelikten zu zählen ist. Es betrifft dort jedoch die sowohl für Männer als auch für Frauen 52 geltende Pflicht, eine andere Person nicht durch eine exhibitionistische Handlung zu belästigen. Insoweit ist diese Pflicht nichts anderes als die aus der Verhaltensnorm hergeleitete. 44 Maurach/Gössel, AT/2 7 ,47/91. 45 Roxin in: L K 1 0 , § 25 Rdn. 26 = L K 1 1 , § 25 Rdn. 34. 46 Roxin in: L K 1 0 , § 25 Rdn. 29 = L K 1 1 , § 25 Rdn. 37. 47 Maurach/Gössel, AT / 2 7 , 47 / 91. 48 Gössel, GA 1990, 377. 49 Roxin, AT/2, 25/271 ff. 50 Roxin, AT / 2, 25 / 273. 51 Vgl. LK 11-Roxin, § 28 Rdn. 67 und AT/2, 25/273. 52 Weiblicher Exhibitionismus ist aus kriminalpolitischen Gründen nur in § 183 Abs. 4 berücksichtigt.
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§ 2 Für und gegen die Pflichtdeliktslehre vorgebracht
Gössels zweiter Kritikpunkt trifft m.E. den Nagel auf den Kopf, denn dass eine (dem Tatbestand vorgelagerte) außerstrafrechtliche Sonderpflicht die Täterschaft begründet, ist keine Begründung, vielmehr eine Behauptung. Roxin 53 selbst sind auch Zweifel gekommen, ob die strafbarkeitsbegründenden Sonderpflichten alle außerstrafrechtlicher Art sind. Auch dass Roxin 54 im 2. Band seines Strafrechtslehrbuches statt der Formulierung „Verletzung außerstrafrechtlicher Sonderpflichten" die „erfolgsbezogene Verletzung der tatbestandsspezifischen oder täterschaftsbegründenden Pflicht" verwendet, ist eine bloße petitio principii 55, weil die Bestimmung der Täterschaft von der Verletzung der täterschaftsbegründenden Pflicht abhängt. Gössels dritte These, der bisher ein Teil der Lehre 56 folgt, ist wiederum unrichtig. Insofern ist Gössel inkonsequent, weil er seinerseits auch Stratenwerths Meinung teilt 57 , „dass eine Täterschaft des Hintermannes häufig dann angenommen werden kann, wenn der Tatbestand als Tathandlung lediglich die Herbeiführung eines Erfolgs durch ein sehr allgemein bezeichnetes Verhalten (z. B. § 266) beschreibt". Ein Vermögens Verwalter, der einen Extraneus veranlasst, den von ihm wahrzunehmenden Vermögensinteressen Schaden zuzufügen, übt keine Tatherrschaft aus, ist aber trotzdem nach Gössels Ansicht Täter der Untreue. Dieser Fall kann Roxins Grundsatz nur bestätigen58, dass die Tatherrschaft kein Universalprinzip ist.
II. Andere kritische Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre 1. Zutreffende
Kritikpunkte
a) Untreue als unbestrittenes Beispiel der Pflichtdelikte Roxin 59 nennt die Untreue (§ 266) ein klassisches Pflichtdelikt. Bei der Untreue könne die vermögensschädigende Pflichtverletzung durch vielfältig verschiedenes Handeln und auch durch Unterlassen erfolgen, ohne dass es aber auf diese Äußerlichkeiten für die Tatbestandserfüllung ankomme. Denn nach dem klaren Gesetzes53 Roxin, TuT 7 , S. 697. 54 Roxin, AT/2, 25/268, 271, 273. 55 Vgl. Arthur Kaufmann, Über den Zirkelschluss in der Rechtsfindung, FS-Gallas, 1973, S. 1 ff., 13. 56 SK7-Hoyer, § 25 Rdn. 21-25; Krey, AT/2, Rdn. 93; Otto, AT 6 , 21/107; ders., Jura 1987, 257; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, 1997, S. 27-29; Pizarro Beleza, Coimbra-Symposium, 1995, S. 279; Freund, Strafrecht AT, 10/49; Murmann, Die Nebentäterschaft im Strafrecht, 1993, S. 181 f. 57 Maurach/Gössel, AT/2 7 , 48 / 57. 58 LK U-Roxin, § 25 Rdn. 36. 59 Roxin, AT 72,25/ 271.
B. Die Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre
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Wortlaut sei Täter, wer in vermögensschädigender Weise die tatbestandsspezifische Pflicht verletze. Diese Ansicht wird sogar von den Vertretern der Gegenmeinung zum Teil anerkannt 60. Stratenwerth bestreitet zwar im Prinzip den Begriff der Pflichtdelikte, aber er selbst erkennt an ausnahmsweise61, dass dieser Begriff für Tatbestände wie § 266 gelte, die gar keine bestimmte Tathandlung umschrieben, sondern jede Verletzung der Sonderpflicht mit Strafe bedrohten. Auch Samson62 stimmt insofern Roxins Meinung zu. Bloy 63 folgt ebenfalls der Ansicht von Stratenwerth und vertritt eine vermittelnde Meinung. Er will neben der Tatherrschaft auch die Innehabung einer Sonderpflicht als täterschaftsbegründende Elemente anerkennen, wobei er drei verschiedene Deliktsklassen unterscheidet: reine Tatherrschafts-, reine Pflichtdelikte sowie gemischte Pflicht- und Herrschaftsdelikte, bei denen erst das kumulative Zusammentreffen von Tatherrschaft und Innehabung einer Sonderpflicht die Täterschaft begründen kann. Nur die Vorschriften, die auf die Beschreibung eines besonderen Handlungstypus verzichten und sich auf die Schilderung einer Sonderpflichtverletzung beschränken, sind nach seiner Meinung zu den Pflichtdelikten zu zählen, z. B. §§ 266 und 170. Nach Seiers Meinung 64 ist die Figur der Pflichtdelikte nur unter zwei Vorbehalten unbedenklich. Einerseits muss es sich um eine echte Sonderpflicht gegenüber dem betroffenen Rechtsgut handeln. Der tatbestandliche Unwert muss gerade in einer besonderen personalen Pflichtenverletzung bestehen. Anderseits muss das Gesetz für die Tatbestandserfüllung jedes beliebige Handeln des Sonderpflichtigen ausreichen lassen65. Die Untreue erfülle beide Voraussetzungen. Auch Gössel sieht die Untreue als Pflichtdelikt an, obwohl er ausdrücklich betont, dass er die Existenz reiner Pflichtdelikte nicht anerkenne66. Denn er meint 67 , dass Stratenwerth treffend darauf hingewiesen habe, dass Täterschaft des Hintermannes häufig dann angenommen werden könne, wenn der Tatbestand als Tathandlung lediglich die Herbeiführung eines Erfolgs durch ein sehr allgemein bezeichnetes Verhalten (z. B. § 266) beschreibt. Schließlich erkennt auch Otto 68 die Untreue als Pflichtdelikt an, obwohl er die Tatherrschaft und die Sondereigenschaft als gemeinsame Elemente für die Begründung der Täterschaft bei den Sonderdelikten ansieht. Denn er hat bei § 266 diese Anforderungen nicht anerkannt, sondern sich Roxins Meinung angeschlossen, wenn er meint, der Ver-
60 Roxin, AT/2, 25/281, 284. 61 Bereits Stratenwerth, AT 1 , 1971, Rdn. 856; AT 2 , 1976, Rdn. 799; AT 3 , 1981, Rdn. 797; fortsetzend ders., AT 4 , 2000, 12/40. 62 SK5-Samson, § 25 Rdn. 109. 63 Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 230. 64 Seier, JA 1990, 383. 65 66 67 68
Zur Darstellung des zweiten Vorbehalts von Seier und dessen Kritik, siehe § 2 B I I 2 a. Gössel, GA 1990, 377. Maurach/Gössel, AT / 2 7 , 48 / 57. Otto, Jura 1987, 257.
§ 2 Für und gegen die Pflichtdeliktslehre vorgebracht
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mögensverwalter V, der einen dolosen Extraneus veranlasse, aus dem von V verwalteten Vermögen einzelne Vermögensobjekte beiseite zu schaffen, sei Täter der Untreue, weil V der für die Integrität des verwalteten Vermögens Verantwortliche sei. Aufgrund der Verletzung seiner Vermögensfürsorgepflicht sei V die Schädigung als eigene Schädigung zuzurechnen. Umstritten ist freilich das von Roxin vertretene Ergebnis, den auf irgendeine Weise mitwirkendenden Intraneus als mittelbaren Täter zu bestrafen. Entgegen RoXins Meinung möchten Stratenwerth 69, Herzberg 70, Bloy 71 und Sánchez-Vera 72 den Intraneus, der andere veranlasst oder ihnen hilft, das ihm anvertraute Vermögen zu schädigen, als unmittelbaren Täter ansehen. Diese Frage, ob der Intraneus in einer solchen Situation als mittelbarer oder unmittelbarer Täter bestraft werden soll, wird sogleich unter c besprechen.
b) Hinweis auf den uneinheitlichen Gesetzeswortlaut der einzelnen Pflichtdeliktstatbestände Langer 73 hat bereits darauf hingewiesen: „Wäre nämlich wirklich jede Sonderpflichtverletzung täterschaftsbegründend, dann wäre die vereinzelte Aufnahme von Beihilfehandlungen Qualifizierter in die gesetzlichen Tatbeschreibungen überflüssigweil „die betreffenden Handlungen" (z. B. das „Befördern" der Gefangenenbefreiung im Amt in § 347 a. F. und das „Hilfeleisten" beim unbefugten Öffnen oder Unterdrücken von Postsendungen in § 354 a. F.) „ohnehin von der eigentlichen Deliktsschilderung umfasst wären, und irreführend, weil durch die Aufnahme zwangsläufig die Frage nach den nicht erwähnten Beihilfeformen aufgeworfen würde". In diesem Punkt stimmt Hoyer, der zwar die Notwendigkeit des Begriffs der Pflichtdelikte nicht bestreitet, Langers Kritik zu und konkretisiert die Zweifel: „Träfe die Roxin!sehe Substitutionsthese zu, so wäre es eigentlich überflüssig, dass das Gesetz für einige Pflichtdelikte ausdrücklich die nicht-tatherrschaftliche der tatherrschaftlichen Deliktsbeteiligung gleichstellt (z. B. § 340: ... begeht oder begehen lässt; § 344: ... verfolgt oder auf eine solche Verfolgung hinwirkt)" 74 . „Ebenso wäre es inkonsequent, wenn das Gesetz in anderen Pflichtdelikten auf eine solche Gleichstellung verzichtet (z. B. §§ 343, 348)" 75 . Bloy ist der Meinung, 69 Stratenwerth, 2000, 12/40.
AT 1 , 1971, Rdn. 856; AT 2 , 1976, Rdn. 799; AT 3 , 1981, Rdn. 797; AT 4 ,
70
Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 33 Fn. 64, der Stratenwerths Einordnung für konsequenter hält. 71 Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 238 Fn. 203. 7 2 Sánchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 161 ff. 73
Langer, Das Sonderverbrechen, 1972, S. 224 f. 74 SK1-Hoyer, § 25 Rdn. 21, der jedoch irrtümlich Schmidhäusers These (AT 2 , 14/51), auf die später zurückzukommen ist, als Stütze betrachtet. 7
5 SK1-Hoyer, § 25 Rdn. 21.
B. Die Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre
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dass die Abhängigkeit der Täterschaft von der bloßen, wie auch immer gearteten Pflichtverletzung jedoch keineswegs selbstverständlich sei, „denn die erweiternden Zusätze bei § 120 Abs. 1, 2 und § 340 ließen sich eliminieren, ohne dass die Normen dadurch sinnlos würden" 76 . Die Lehre von den Pflichtdelikten scheitere an den gemischten Pflicht- und Herrschaftsdelikten, deren Tatbestand mit sog. spezialisierter Begehungsweise ausgerüstet werde. Beispiele sind die Aussageerpressung (§ 343 Abs. 1) und die Falschbeurkundung im Amt (§ 348 Abs. 1). Bei ihnen sei die Tathandlung gesetzlich näher umgeschrieben: Nur körperliche Misshandlung, sonstige Gewaltanwendung, Androhung von Gewalt und seelisches Quälen reichten als Nötigungshandlung bei § 343 Abs. 1 aus, nur falsches Beurkunden einer rechtlich erheblichen Tatsache und falsches Eintragen in öffentliche Register bzw. Bücher bei § 348 Abs. 1; die Tathandlung erschöpfe sich also nicht in der Pflichtverletzung 77, deshalb seien das Begehenlassen und das Fördern einer solchen Tathandlung nicht dem Begehen gleichgestellt78. Dies gilt auch für die Aussetzung in der zweiten Alternative des § 221 Abs. 1 a.F 79 ' 8 0 , obwohl es sehr umstritten war, ob das Verlassen in hilfloser Lage eine spezialisierte Begehungsweise verlangte, nämlich eine räumliche Trennung zwischen Schutzpflichtigem und Schützling81. Im Ergebnis schließt Bloy sich Schroeders 82 Meinung an: Die Schaffung eines Sonderpflichtdelikts solle nur „den Kreis der möglichen Tatherren begrenzen, nicht aber einen Verzicht auf das Erfordernis der Tatherrschaft zum Ausdruck bringen" 83 . Roxin S4 stellt dieser Kritik entgegen, dass es „wohl nur aus stilistischen Gründen" an einer solchen Gleichstellung bei allen Pflichtdelikten fehle. Seine Erklärung ist m.E. jedoch nicht überzeugend. Denn wie Hoyer 85 ihm mit Recht vorwirft, liegt es bei systematischer Gesetzesauslegung näher, anzunehmen, dass die Auf76
Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 230 f.; positive Buchbesprechung von Gössel, GA 1987, 376 f. 77 Bloy, a. a. O. S. 231 f. 78
Bloy, a. a. O. S. 232 (Hervorhebung nicht im Original). 79 § 221 Abs. 1 a. F. lautete: „Wer eine wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hilflose Person aussetzt, oder wer eine solche Person, wenn sie unter seiner Obhut steht oder wenn er für ihre Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme zur sorgen hat, in hilfloser Lage verlässt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren bestraft". so Bloy, a. a. O. S. 232. 81 Bejahend die h.M.: RG 10, 184; 38, 378; BGHSt 38, 78, 80 (m. zust. Anm. Horn, JR 1992, 248; Müsch, StV 1992, 318 bzw. m. krit. Anm. Schroeder, JZ 1992, 378; Walter, NStZ 1992, 231); Geilen, JZ 1973, 324; SK5-Horn, § 221 a. F. Rdn. 7; Küper, Jura 1994, 523; L K 1 1 -Jähnke, § 221 a. F. Rdn. 14; Tröndle 48, § 221 a. F. Rdn. 6; a.A. Schönke/Schröder/ Eser 25, § 221 a. F. Rdn. 7; Blei, Strafrecht I I 1 2 , S. 64; Gössel, BT/1, 8/21; Maurach/Schweden B T / 1 9 , 4 / 1 0 ; Welzel, Das Deutsche Strafrecht 11, S. 296. 82 Schroeder, Der Täter hinter dem Täter, 1965, S. 87. 83 Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 233. 84 Roxin, TuT 7 , S. 698. 85 Kritik von Hoyer in: SK 7 , § 25 Rdn. 21. 4 Chen
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§ 2 Für und gegen die Pflichtdeliktslehre vorgebracht
nähme der Teilnahmehandlungen des Intraneus in die gesetzlichen Tatbeschreibungen nur bei den §§ 340, 344 usw. entbehrlich sein solle. Die statistische Feststellung, dass solche Pflichtdelikte (Gruppe A), deren Tatbeständen eine Gleichstellung zwischen der nicht-tatherrschaftlichen und der tatherrschaftlichen Deliktsbeteiligung fehlt, im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches in quantitativer Beziehung dominieren 86, während die Pflichtdelikte (Gruppe B), in denen das Gesetz ausdrücklich (z. B. bei §§ 97, 120 Abs. 2, 206 Abs. 2 Nr. 3, 340, 344, 357 Abs. 1) oder konkludent (z. B. bei §§ 171, 266, 319, 356) eine solche Gleichstellung regelt, quantitativ die Minderheit darstellen, zeigt darüber hinaus deutlich die Unhaltbarkeit der stilistischen Erklärung, denn eine solche stilistische Differenz müsste ein gravierender Fehler des Gesetzgebers sein, weil der Gesetzgeber auf die Aufnahme der Teilnahmehandlungen des Intraneus in die gesetzlichen Tatbeschreibungen bei den meisten Pflichtdelikten verzichtet hat. Sollte die Aufnahme der Teilnahmehandlungen des Intraneus in die gesetzlichen Tatbeschreibungen in der Gruppe B einen Sinn haben, dann dürften die Teilnahmehandlungen des Intraneus in der Gruppe A aufgrund eines argumentum e contrario nicht als Begehungstäterschaft bestraft werden. Sonst könnte der Garantietatbestand87 übergegangen werden 88. Auf jeden Fall ergibt sich aus der hier dargestellten Kritik folgendes: Nach der Art der gesetzlichen Tatbeschreibungen gibt es Sonderdelikte mit und ohne Aufnahme von Beteiligungshandlungen des Intraneus. Wie dieser sich aus den verschiedenen Tatbeschreibungen ergebende innere Widerspruch zwischen den beiden von Roxin als Pflichtdelikte betrachteten Deliktsgruppen beseitigt werden kann, muss noch geklärt werden. Es ist jedenfalls nicht nur ein stilistischer Grund. c) Zweifel an der Bestrafungsmöglichkeit von Teilnahmehandlungen des Intraneus als mittelbarer Täter bei den Pflichtdelikten Dass Roxin die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft bei den Pflichtdelikten erweitern möchte und es damit zweierlei Kategorien der mittelbaren Täterschaft geben würde, ist im Hinblick auf das Schweigen des Gesetzgebers zu den Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft in § 25 Abs. 1 zwar logisch durchführbar, jedoch m.E. aus zwei Gründen zweifelhaft. Erstens würde der Begriff der mittelbaren Täterschaft durch zwei durchaus verschiedene Konzeptionen begründet, nämlich die Tatherrschaft und die Verletzung der Sonderpflicht, zwischen denen keine hinreichende Ähnlichkeit besteht, wie z. B. die Gleichstellung zwischen Begehungs- und Unterlassungsstrafbarkeit sie 86 Es gibt z. B. §§ 133 Abs. 3, 203, 204, 218 Abs. 3, 218b Abs. 1 S. 2, 218c, 221 Abs. 1 Nr. 2, 225, 236, 258 a, 266 b, 278, 283 ff., 288, 290, 331, 332, 336, 339, 343, 345, 348, 353, 353a, 353 b und 355. 87 Vgl. Roxin, AT/1 3 , 10/4; NK-Puppe, Vor § 13 Rdn. 21. 88 So auch Müller, Falsche Zeugenaussage und Beteiligungslehre, 2000, S. 139 Fn. 91.
B. Die Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre
51
erfordert. Stattdessen wäre ein äußerliches Begehen „durch einen anderen" für die Bildung des Typenbegriffs der mittelbaren Täterschaft ausreichend. Das würde aber zu einer unangemessen konturlosen mittelbaren Täterschaft führen, da z. B. die zwangfreie Einwirkung des Beamten gegenüber einem Intraneus nach Roxins Definition auch als mittelbare Täterschaft bestraft würde, wenn der Intraneus ohne Zwang eine rechtlich erhebliche Tatsache ins Grundbuch falsch einträgt. Bei genauem Hinsehen steht Roxins Lösung, den Beamten bei der Benutzung eines qualifikationslosen dolosen Werkzeugs als mittelbaren Täter des § 348 zu bestrafen, methodologisch der damaligen h.M. 8 9 zu derselben Frage näher. Denn die damalige h.M erweiterte den ursprünglichen Sinn der Tatherrschaft, in dem sie die Tatherrschaft normativ begründete, während Roxin den Rahmen der mittelbaren Täterschaft ausdehnt90. Insofern schließt auch Schünemann sich Roxins Lösung an, weil die Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft durch Benutzung eines qualifikationslosen dolosen Werkzeuges geradezu im Kern der „Begehung durch einen anderen" liege 91 . Beide Lösungsvorschläge haben also versucht, verschiedene Sachverhalte unter einen Begriff zu subsumieren. Im Übrigen ist aber Roxins Lösung eigentlich keine neue Erfindung, sondern im Ergebnis auf die Entscheidung RGSt 28, 109 f. zurückzuführen 92. In dieser Entscheidung geht es um einen Fall des § 348 Abs. 2 a. F. 93 : Ein Beamter, welcher die Verfälschung einer ihm amtlich anvertrauten oder zugänglichen Urkunde vorsätzlich durch einen dolosen Dritten, der selbst nicht Beamter war, ausführen ließ, wurde als mittelbarer Täter gemäß § 348 Abs. 2 a. F. bestraft. Der Senat hat zwar nicht erklärt, wie die Strafbarkeit als mittelbarer Täter zu begründen ist, aber im Hinblick auf die damals in der Rechtsprechung des Reichsgerichts vorherrschende 94 - heute wissenschaftlich überholte 95 - subjektive Theorie ist es nicht überraschend, dass der Senat im vorliegenden Fall auch von dieser Theorie ausgegangen ist und wegen des vorhandenen Täterwillens (animus auctoris) den veranlassenden Beamten als mittelbaren Täter angesehen hat. Auffällig ist nur, dass diese auf der subjektiven Theorie beruhende Lösung auch Anhänger 96 in der Literatur gefunden hat, die die subjektive 89 Vgl. nur Jescheck/Weigend, AT 5 , § 62 I I 7, S. 670 Fn. 33 mit weiteren Literaturnachweisen; siehe auch § 2 B I I 2 b) dieser Arbeit. 90 Roxin, TuT 7 , S. 385; LK n-Roxin, § 25 Rdn. 134. 91 L K 1 1 -Schünemann, § 288 Rdn. 39. 92 So ausdrücklich in: LK u -Roxin, § 25 Rdn. 134 Fn. 205. 93 § 348 Abs. 2 a. F. lautete: „Dieselbe Strafe trifft einen Beamten, welcher eine ihm amtlich anvertraute oder zugängliche Urkunde vorsätzlich vernichtet, beiseite schafft, beschädigt oder verfälscht." 94 LK n-Roxin, § 25 Rdn. 14 m. w. N. 95 Vgl. nur LK11-Roxin, § 25 Rdn. 30 ff. 96 Vgl. v. Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts 21 " 22 , 1919, S. 211 Anm. 10 und v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts 26, 1932, S. 331; Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich 18 , 1931, S. 107 f.; im Ergebnis auch an die Rechtsprechung des Reichsgerichts anschließend: v. Hippel, Deutsches Strafrecht Bd. 2, 1930, S. 474; Mezger, 4*
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§ 2 Für und gegen die Pflichtdeliktslehre vorgebracht
Theorie immer scharf abgelehnt haben. Aber die entscheidende Frage ist, ob es notwendig ist, den Begriff der mittelbaren Täterschaft zu erweitern, um den den Extraneus bestimmenden Beamten zu bestrafen. Diese Frage ist in der nachfolgenden Erörterung zu behandeln und zu verneinen. Zweitens kann man die Problematik des qualifikationslosen dolosen Werkzeugs lösen, ohne die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft zu ändern. Zum einen ist es bei den Tatbeständen, die nur eine Pflichtverletzung durch eine beliebige Handlung voraussetzen, wie z. B. die Untreue, oder die Mitwirkung ohne Tatherrschaft (§§ 120 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1, 206 Abs. 2 Nr. 3, 340, 344 und 357 Abs. 1) ausdrücklich oder konkludent der Begehungstäterschaft gleichstellen, auf der Grundlage des Pflichtgedankens richtiger, von unmittelbarer Täterschaft zu sprechen, weil die Pflichtverletzung, welche ja die Täterschaft des Sonderpflichtigen begründen soll, nicht durch die Mitwirkung eines anderen vermittelt wird, sondern unmittelbar durch die Mitwirkungshandlung des Intraneus begangen wird 9 7 . Sánchez-Vera !98 weist im Hinblick auf die Pflichtverletzung des positiv Verpflichteten auch zutreffend darauf hin, dass die Figur der mittelbaren Täterschaft nicht geeignet sei, um die unmittelbare Haftung des Intraneus zu erklären. Denn „die Pflicht des positiv Verpflichteten bezieht sich eben ausschließlich auf den Schutz des ihm anvertrauten Rechtsgutes, ohne Rücksicht darauf, woher und auf welche Weise diesem Gefahren drohen. Aus dieser positiv unmittelbaren Bindung ergibt sich dann auch die unmittelbare Haftung des verpflichteten Hintermannes, ohne dass es auf die Figur der mittelbaren Täterschaft ankäme". Zum anderen kann man bei den Tatbeständen mit einer besonderen Verletzungshandlung, wie z. B. bei der Aussageerpressung (§ 343) - aber nicht bei der Falschbeurkundung im Amt (§ 348) 99 - die Teilnahmehandlungen des Intraneus problemlos täterschaftlich bestrafen, ohne die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft zu ändern , weil der Sonderpflichtige, wie Schmidhäuser 100 bereits 1975 feststellte Strafrecht 3, 1949, S. 428; Floegel, DRZ 1932, 169, 170; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer, Strafrecht und Strafverfahren, 37. Aufl., 1961, § 348 Anm. 9, S. 415 sowie die von v. Liszt/ Schmidt aufgeführten zahlreichen Autoren, in: Lehrbuch des Deutschen Strafrechts 26, 1932, S. 332 Anm. 8. 97 Stratenwerth, AT 1 , 1971, Rdn. 856; AT 2 , 1976, Rdn. 799; AT 3 , 1981, Rdn. 797; AT 4 , 2000, 12/40; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 33 Fn. 64, der Stratenwerths Einordnung für konsequent hält; Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 238 Fn. 203; ausführlich Hake, Beteiligtenstrafbarkeit und „besondere persönliche Merkmale", 1994, S. 170 Fn. 14; so auch Pizarro Beleza in: Coimbra-Symposium, 1995, S. 273 f. 98 Sänchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 162 f.; wenn er aber dort im Übrigen argumentiert, dass es an der Verbindung (durch Herrschaft) zwischen Hintermann und Vordermann fehle, so dass eine mittelbare Täterschaft streng genommen nicht möglich ist, so ist seine Kritik an Roxins Konzept insofern verfehlt, weil er nicht erkennt, dass Roxin dort eine alternative mittelbare Taterschaft vertritt. 99 Siehe § 2 B I I 2 c cc) (1) und (2). 100 Schmidhäuser, AT 2 , 1975, 14/51; ders., StuB2, 1984, 10/97.
B. Die Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre
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und von Samson101 Zustimmung erhielt, eine Garantenstellung innehabe, „kraft deren er zum Einschreiten verpflichtet ist, wenn ein anderer in seinem Amtsbereich störend tätig wird". Nach dem Gedanken des „ Ockhamschen Rasiermessers" 102 sind einfache Denkmodelle den komplizierten vorzuziehen. Deswegen darf nicht auf das einfache Denkmodell, wonach entweder die unmittelbare Täterschaft aus dem Gesetzeswortlaut oder die Unterlassungstäterschaft aufgrund der Garantenstellung der Intraneieigenschaft herangezogen wird, verzichtet werden und statt dessen eine komplizierte, mit dem Urtyp unvergleichbare neue Figur der mittelbaren Täterschaft gebildet werden. Roxins Lösungsmodell der erweiterten mittelbaren Täterschaft ist deswegen überflüssig. Die Figur der mittelbaren Täterschaft würde dann einen Sinn machen, wenn man auf die Unterlassungstäterschaft des Intraneus den § 13 Abs. 2 anwenden will, denn dann hätte die mittelbare Täterschaft die Funktion, ihre Strafmilderungsmöglichkeit auszuschließen.
d) Unterlassungsprobe zur Begründung des materiellen Grunds für die Beschränkung der Täterschaft der Sonderdelikte bei Seier Seier 103 möchte mit Hilfe der Unterlassungsprobe den materiellen Grund für die Beschränkung der Täterschaft der Sonderdelikte begründen. Nach seiner Meinung ist die Figur der Pflichtdelikte nur unter zwei Bedingungen unbedenklich. Die erste Bedingung sei erfüllt, wenn es sich - wie bei §§ 170, 266 - um eine „echte" Sonderpflicht dem betroffenen Rechtsgut gegenüber handele. Der tatbestandliche Unwert müsse gerade in einer besonderen personalen Pflichtenverletzung bestehen. Daran fehle es bei den Tatbeständen, bei denen der Gesetzgeber die Strafbarkeit auf einen bestimmten typischen Täterkreis begrenze, weil die Tatbegehung durch Außenstehende selten und atypisch sei. Zu erwähnende Beispiele sind die §§ 283 und 288, die nicht Ausdruck einer besonderen Treuepflicht des Schuldners gegenüber dem Gläubigervermögen seien, sondern reine „Rechtsbeschädigungsdelikte" darstellten 104. Die „ Unterlassungsprobe" sei ein Indikator, um zu überprüfen, ob die bezüglichen Strafnormen eine „echte" Sonderpflicht enthielten. Eine durch Unterlassen begangene Vollstreckungsvereitelung scheitere daran, dass der Vollstreckungsschuldner keine Garantenstellung innehabe105.
101 SK5-Samson, 1993, § 25 Rdn. 109. 102 Vgl. Wörterbuch der philosophischen Begriffe, 1998, Stichwort: Ockhamsches Rasiermesser, S. 467. 103 Seien JA 1990, 383. 104 Seier, JA 1990, 383 (Mitte der 1. Spalte), der insofern Herzbergs Meinung (Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 33 f.) folgt. 105 Seier, JA 1990, 383 (Ende der 1. Spalte), der sich insoweit Strees Auffassung (in: Schönke/Schröder 16, § 13 Rdn. 31) anschließt.
§ 2 Für und gegen die Pflichtdeliktslehre vorgebracht
54
Der Sinn der Begriffe „echte" Sonderpflicht und „besondere personale Pflichtenverletzung" scheint mir darin zu bestehen, sich vom Begriff außerstrafrechtlicher Sonderpflichten abzusetzen, obwohl sie doch noch sehr pflichttheoretisch klingen. Denn Seier versucht, mit der Hilfe der „Unterlassungsprobe" den materiellen Grund für die Beschränkung der Täterschaft der Sonderdelikte zu begründen. Nach seiner Meinung kann nur ein Garant eine echte Sonderpflicht bzw. eine besondere personale Pflichtenstellung haben. Dieser Gedanke kommt insoweit im Kern der Herrschaftstheorie Schünemanns nahe, auf die ich noch zurückkommen werde 106 . Aber ob die angeführten Vorschriften, wie Seier meint, die Unterlassungsprobe nicht durchstehen können, das heißt ob § 288 auch durch Unterlassen erfüllt werden kann oder ob der Schuldner nur zur Duldung der Zwangsvollstreckung verpflichtet ist, bedarf einer genaueren Untersuchung, die zur Aufgabe des Besonderen Teils dieser Arbeit gehört. Im Übrigen hat Seier 101 richtigerweise auf ein verborgenes täterschaftlich begangenes Unterlassungsdelikt in der tatherrschaftslosen Aktivbeteiligung des Sonderpflichtigen bei den betreffenden Strafnormen hingewiesen. Dieser Gedanke knüpft wieder an die oben genannte Unterlassungsprobe an und lässt sich nur anhand der Analyse einzelner betreffender Tatbestände des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches genauer bestimmt. 2. Unzutreffende
Kritikpunkte
a) Die Pflichtdeliktslehre als Verstoß gegen das Analogieverbot Stratenwerth 108 hielt zwar ursprünglich den Vorschlag, „bei den ,Pflichtdelikten 4 einen anderen Täterbegriff zugrunde zu legen als bei den ,Herrschaftsdelikten' und allein auf die Täterqualifikation, nicht auf die Tatherrschaft abzustellen", für konsequenter als den der damaligen h.M. 1 0 9 , „den Begriff der Tatherrschaft so zu erweitern, dass er nicht nur die Steuerung des Geschehensablaufs, sondern auch die Innehabung der Täterqualifikation umfasst". Denn „das ist nicht mehr als eine Scheinlösung, die das Erforderais der Sonderpflicht umdeutet in ein Moment der Herrschaft, dabei den ursprünglichen Sinn des Kriteriums der Tatherrschaft missachtet". Aber Stratenwerth hat ohne Begründung in der 4. Auflage seines Strafrechtslehrbuches seine positive Würdigung für den Begriff der Pflichtdelikte wieder beseitigt und geht von einer grundsätzlichen Ablehnung der Figur der Pflicht106 § 4 dieser Arbeit. 107
Seier, JA 1990, 383 (Ende der 2. Spalte), der in dieser Hinsicht daran anknüpft: Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 94 Fn. 43; Samson, in: SK I StGB, § 25 Rdn. 35; Schmidhausen AT 2 , 14/51; ders., AT StuB2, 10/97. los Stratenwerth, AT 1 , 1971, Rdn. 853; ders., AT 2 , 1976, Rdn. 796; ders., AT 3 , 1981, Rdn. 795. 109 Vgl. nur Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, 1968, S. 102; Welzel, Das Deutsche Strafrecht 11, S. 104: „soziale Tatherrschaft".
B. Die Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre
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delikte aus 110 . Statt dessen sagt er nun, es „liegt darin ein klarer Verstoß gegen den Grundsatz ,nullum crimen sine lege', dass jede, auch die entfernteste Mitwirkung des Intraneus an einer Handlung, die - von ihm selbst vorgenommen - den Tatbestand erfüllen würde, zur Täterschaft befördert wird". „Wer einen anderen bloß veranlasst, eine Falschbeurkundung zu begehen (§ 348), beurkundet nichts". In die gleiche Richtung betont Seier 111, dass das Gesetz für die Tatbestandserfüllung jedes beliebige Handeln des Sonderpflichtigen ausreichen lassen müsse, um die Figur der Pflichtdelikte anzuerkennen. Sobald es sich, wie in §§ 343 und 348, auf spezifische Handlungsmodalitäten festlege, bringe es damit unmissverständlich zum Ausdruck, dass die Verletzung der Sonderpflicht nur bei bestimmten Angriffsarten tatbestandsmäßig sei. Dehne man den Katalog der Handlungstypen kurzerhand auf ein „Verleiten" oder „Fördern" aus, verstoße es gegen den Grundsatz „nullum crimen sine lege scripta". Krey 112 ist ebenfalls der Meinung, dass Roxins Ansicht gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstößt. Denn zumindest für die Begehungsdelikte, also die Strafbarkeit durch aktives Tun, spreche der Wortlaut des § 25 dafür, dass Begehung einer Tat Erfüllung des Straftatbestandes in Tatherrschaft bedeute. Gegen diesen Vorwurf wendet Roxin ein, der Wortlaut des § 25 Abs. 1 zeige bereits deutlich auf, dass die Straftat nicht notwendig vom Täter „selbst" verwirklicht werden muss, sondern auch „durch einen anderen" begangen werden kann. Stratenwerths Meinung beruhe allein auf der irrtümlichen Prämisse, dass „die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft überall die gleichen sein müssten", gleichgültig ob bei den Herrschaftsdelikten oder Pflichtdelikten. Das sei eine Verabsolutierung des Tatherrschaftsgedankens, für die das Gesetz keinen Anhalt biete 1 1 3 . Eine solche gesetzliche Bindung an die ausnahmslose Geltung des Tatherrschaftsprinzips sei gesetzgeberisch durchaus unvernünftig 114 . Insofern sind die Bedenken, die Pflichtdeliktslehre verstoße gegen das Analogieverbot, beseitigt 115 . Jedoch führt Roxins Lösung zu einem neuen Problem, nämlich einer neuen Figur der mittelbaren Täterschaft, deren Unangemessenheit und Überflüssigkeit bereits oben in B II 1 c) festgestellt worden ist.
HO Stratenwerth, AT 4 , 2000, 12/40. i " Seien JA 1990, 383 (2. Spalte). 112 Krey, AT/2, Rdn. 93. 113 Vgl. Roxin, TuT 7 , S. 701. 114 Roxin, AT/2,25/279 Fn. 368. Iis Ebenso Freund, AT, 10/74: „Der Wortlaut der Strafnorm (§ 288 Abs. 1 i.V.m. § 25 Abs. 1 Alt. 2) dürfte ein solches Verständnis zulassen".
§ 2 Für und gegen die Pflichtdeliktslehre vorgebracht
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b) Die Verlegenheitslösungen zu der Problematik des qualifikationslosen dolosen Werkzeugs Beim Problem des qualifikationslosen dolosen Werkzeugs hat Gallas 116 darauf hingewiesen, dass „die Lösung nur in einer Täterschaft des Hintermannes liegen kann, der innerhalb des Gesamtgeschehens die beherrschende Stellung einnimmt. Er ist zwar nicht Herr über die Person des unmittelbar Handelnden, wohl aber insofern über die Tat als Ganzes, als deren Charakter als Delikt von der Qualifikation ... abhängt, die er mitbringt. Ohne diese besonderen in der Person des Hintermannes gegebenen Umstände wäre das Verhalten des unmittelbar Handelnden strafrechtlich belanglos". „Die Rolle des Hintermannes beschränkt sich als nicht darauf, den Tatentschluss des Vordermannes zu wecken; der Hintermann hat es vielmehr darüber hinaus kraft seiner Qualifikation ...in der Hand, ob es überhaupt zu einem deliktischen Geschehen kommt. Der Anstiftungsakt wird so zur Ausübung von Tatherrschaft und damit der eigenhändigen Vornahme der tatbestandsmäßigen Handlung gleichwertig". Im Anschluss an den Gedanken von Gallas, den Tatherrschaftsbegriff normativ zu begründen, wird dem qualifizierten Hintermann eine „soziale" 111 oder „normativ-psychologische" 118 Tatherrschaft zugesprochen, die Jescheck folgendermaßen 119 begründet: „Die Straftat kann von dem Tatmittler ohne die Mitwirkung des Hintermannes gar nicht begangen werden, ein strafrechtlich erhebliches Geschehen entsteht überhaupt erst dadurch, dass dieser die vom Tatbestand geforderte ... Eigenschaft mitbringt. Der rechtlich notwendige Einfluss des Hintermannes, nämlich eine psychische Einflussnahme auf den Vordermann, ist für die Tatherrschaft ausreichend". Diese Argumentation ist nicht überzeugend. Zum einen ist das nicht mehr als eine von Stratenwerth 120 mit Recht so bezeichnete Scheinlösung, die das Erfordernis der Sonderpflicht in ein Moment der Herrschaft umdeutet, dabei aber den ursprünglichen Sinn des Kriteriums der Tatherrschaft missachtet. Zum anderen enthalt diese Argumentation einen Zirkelschluss 121. Denn ob der Einsatz eines „qualifikationslosen dolosen Werkzeugs" durch den Hintermann „ein strafrechtlich 116 Gallas, Täterschaft und Teilnahme, in: Materialien zur Strafrechtsreform, 1. Bd., 1954, S. 136 = ders., Beiträge zur Verbrechenslehre, 1968, S. 101 f.; zur gründlichsten Kritik an diesen Thesen findet sich bei Roxin, TuT 7 , S. 255, der aber m.E. die Auffassung von Gallas unrichtig als Annahme mittelbarer Täterschaft einordnet (S. 253). 117
Welzel, Das Deutsche Strafrecht 11, S. 104 aber ohne nähere Begründung. Iis Jescheck/Weigend, AT 5 , § 62 II 7, S. 670. 119 Ähnlich Blei, AT 1 8 , § 72 I 1 b), S. 257; Bockelmann/Volk, AT 4 , § 22 2 a) dd), S. 180; Dreher, StGB 37 , § 25 Rdn. 3 g; Tröndle/Fischer* 1, § 25 Rdn. 3b; Lackner/Kühl 24, § 25 Rdn. 4. 120 Stratenwerth, AT 4 , Rdn. 12/40. 121 Roxin, TuT 7 , S. 253-258, 699 f.; ders., L K 1 1 , § 25 Rdn. 137; ders., AT/2, 25/277; zustimmend Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 32; ebenso Freund, AT, 10/73; Köhler, AT, S. 511 f.; SK 5-Samson, § 25 Rdn. 109; Jakobs, AT 2 , 21/104; Otto, AT 6 , 21/94; Maurach/Gössel, AT/2 7 , 48 / 56.
B. Die Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre
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erhebliches Geschehen" erzeugt, ist gerade fraglich. Selbst wenn Gallas hinzufügt, es handele sich hier „um eine Begehungsform eigener Art, die der Mittäterschaft näher steht als der mittelbaren Täterschaft, jedenfalls in deren herkömmlicher, auf die Beherrschung des Tatmittlers abstellender Bedeutung" 122 , kann diese Erwägung die Annahme einer Täterschaft vom Standpunkt der Tatherrschaftslehre aus nicht rechtfertigen, weil eine Mittäterschaft - von der fehlenden Qualifikation des Handelnden abgesehen - das Teilhaben an der Tatherrschaft durch den Hintermann voraussetzt. Diese Voraussetzung lässt sich nicht erfüllen, weil die Tätigkeit der Hintermannes - wie auch Gallas annimmt - „an sich" nur einen Anstiftungsakt darstellt 123 . Bei der Lösung dieser Problematik zeigt Stratenwerth eine bemerkenswerte Verlegenheit. Schon in der 1. Auflage (1971) seines Lehrbuches propagierte er eine durchaus andere Konstruktion, nämlich dass der Intraneus, der einen Extraneus veranlasse, die Ausführungshandlung eines Sonderdelikts vorzunehmen, eine „Mischform" zwischen Anstiftung und Täterschaft verwirkliche. Deshalb sei es angemessen, „den Intraneus wie einen Anstifter zu bestrafen, nach den Regeln, die für die leichtere der in der Mischform enthaltenen Rollen gelten" 124 . Aber diesem Vorschlag steht derselbe Einwand entgegen, den Stratenwerth gegen Roxins Konzeption erheben zu können meint. Eine solche Beteiligungsform, einen Verursacher, der nach Stratenwerths Lehre weder Täter noch Anstifter ist, dennoch wie einen Anstifter zu bestrafen, ist ein glatter Verstoß gegen das Analogieverbot 125. Zwar hat Stratenwerth 126 in der 2. Auflage (1976) seines Lehrbuchs diesen Fehler zugegeben, er hat sich jedoch zu dem unerträglichen Ergebnis gewendet, „sowohl den Intraneus als auch den Extraneus grundsätzlich straflos zu lassen" 127 . Dieses Ergebnis kann nicht richtig sein, wie Roxin zu Recht meint, „denn danach brauchte jeder Qualifizierte sich zur Ausführung der Tatbestandshandlung nur eines Extraneus zu bedienen, um straflos davonzukommen". „Es ist ein kriminalpolitisch unerträgliches und vom Gesetzgeber zweifellos nicht gewolltes Ergebnis" 128 . Stratenwerth hat anscheinend selbst das Problematische seiner Lösung empfunden und auch die Lösung von „straflos" aufgegeben, indem er in der 4. Auflage seines Lehrbuches diesen Vorschlag völlig gestrichen hat. Wie die Problematik des qualifikationslosen dolosen Werkzeugs behandelt werden soll, lässt er nun aber völlig offen. 122 Gallas, in: Materialien zur Strafrechtsreform, 1. Bd., 1954, S. 136 = ders., Beiträge zur Verbrechenslehre, 1968, S. 102. Vgl. Roxin, TuT 7 , S. 255 f. 2 i * Stratenwerth, AT 1 , 1971, Rdn. 854. 125 Roxin, ZStW 84 (1972), 993, 1008 f.; ders., TuT 7 , S. 701; ihm zustimmend Herzberg, JuS 1974, 377; ders., Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 34; Samson, SK zum StGB, Bd. 1: Allgemeiner Teil, 1. Aufl. (1975), § 25 Rdn. 35: „Stratenwerths Mischform der Beteiligung schließlich ist dem Gesetz unbekannt". 126 Stratenwerth, AT 2 , Rdn. 798. 127 Stratenwerth, AT 2 , Rdn. 799; ders., AT 3 , Rdn. 797.
128 Roxin, TuT 7 , S. 701.
§ 2 Für und gegen die Pflichtdeliktslehre vorgebracht
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Bloy 129 hält Roxins Lösung für das Problem des qualifikationslosen dolosen Werkzeugs nur bei den reinen Pflichtdelikten für überzeugend. In den Fällen der gemischten Pflicht- und Herrschaftsdelikte folgt er der von Stratenwerth in der 3. Auflage seines Lehrbuches vertretenen - jedoch in der 4. Auflage gestrichenen Auffassung und kommt zu dem Ergebnis, dass bei Einschaltung eines qualifikationslosen dolosen Werkzeugs Intraneus und Extraneus straflos ausgehen, obwohl auch ihm das von Roxin 130 hervorgehobene, kriminalpolitisch unerträgliche Ergebnis aufgefallen war 1 3 1 . Es gehe um eine „strafrechtlich irrelevante Mischform der Beteiligungsrolle" 132 . Den Intraneus wie einen Anstifter zu betrafen, sei ausgeschlossen, weil das einen Verstoß gegen das Analogieverbot bedeuten würde 133 . Auch Otto 134 kommt bei dieser Problematik zu demselben Ergebnis, dass es hier Strafbarkeitslücken gibt, die der Gesetzgebers schließen müsste. Insofern bieten Stratenwerth, Bloy und Otto keine befriedigende Lösung. Es ist nach der hier vertretenen Auffassung fraglich, ob diese Strafbarkeitslücken wirklich vorhanden sind. Die Antwort ist anschließend im Punkt c zu finden.
c) Das Scheitern der Unterlassungstäterschaft des Sonderpflichtigen bei den Pflichtdelikten an der Entsprechungsklausel aa) Stratenwerth 135 kritisiert den bereits von Schmidhäuser entwickelten und von Samson übernommenen Gesichtpunkt136, dass zur Lösung die Unterlassungstäterschaft des Sonderpflichtigen herangezogen werde. Er meint: „Das lässt sich jedoch nur dort vertreten, wo schon der Tatbestand des (echten) Sonderdelikts das Unterlassen einbezieht oder wo doch ein Unterlassen denkbar ist, das dem geforderten Tun entspricht. Der Beamte, der eine Falschbeurkundung nicht verhindert, begeht sie jedoch auch durch Unterlassen nicht". Bloy 137 schließt sich Stratenwerths Zweifeln an der Erfüllung der Entsprechungsklausel des § 13 Abs. 1 an und verneint die Unterlassungstäterschaft des Intraneus. Er argumentiert, „die in der Intraneieigenschaft liegende Sonderpflichtigkeit bei den gemischten Pflicht- und Herrschaftsdelikten kann für die Begründung einer Unterlassungstäterschaft nicht 129
Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 238. 130 Roxin, TuT 7 , S. 356 f.; ders., L K 1 0 , § 25 Rdn. 93. 131 Bloy, a.a.O. S. 239-241. 132 Vgl. die Überschrift in: Bloy, a. a. O. S. 237. 133 Bloy, a. a. O. S. 240, der in dieser Hinsicht der Kritik Roxins (TuT 7 , S. 701; ders., L K 1 1 , § 25 Rdn. 139; ders., ZStW 84 [1972], 1008) und Herzbergs (Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 34) zustimmt. 134 Otto, Jura 1987, 246, 255 f.; ders., AT 6 , 21/96. 135 Stratenwerth, AT 3 , Rdn. 798; AT 4 ,12/41. 136 Schmidhäuser, AT 2 , 1975, 14/51; ders., StuB2, 1984, 10/97; SK5-Samson, 1993, § 25 Rdn. 109. 137 Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 240 f.
B. Die Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre
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ausreichend sein". „Erforderlich ist hierfür vielmehr eine unabhängig von der Subjektsqualität vorliegende Garantenstellung". „Ein Beamter, der nicht dagegen einschreitet, dass jemand eine falsche Eintragung in ein öffentliches Register macht, ist allein deshalb noch nicht Unterlassungstäter des § 348 Abs. 1. Ist die handelnde Person z. B. sein minderjähriges Kind, so wäre hingegen eine Falschbeurkundung im Amt durch Unterlassen zu bejahen". Stratenwerth und Bloy bestreiten nicht die Herleitung der Garantenstellung und der Unterlassungstäterschaft aus der Intraneieigenschaft bei reinen Pflichtdelikten. Insofern bewegen sie sich auf festem Boden. Das lässt sich im Besonderen Teil dieser Arbeit feststellen. Sie bezweifeln vielmehr nur, dass die Unterlassungstäterschaft schon allein aus der Intraneieigenschaft bei sog. gemischten Pflicht- und Herrschaftsdelikten abgeleitet werden kann. Nach ihrer Meinung scheitert sie an dem Mangel des Entsprechens. Insofern handelt es sich um ein Problem des Verständnisses der Entsprechungsklausel. Bevor auf dieses Problem einzugehen ist, muss man zunächst beachten, dass Bloy unbegründet auf eine unabhängig von der Subjektsqualität vorliegende Garantenstellung zur Begründung einer Unterlassungstäterschaft hingewiesen hat. Denn es ist nicht einzusehen, warum die Unterlassungstäterschaft aus der Beamteneigenschaft in Bezug auf die Falschbeurkundung im Amt an der Entsprechungsklausel scheitert, die aus dem Eltern-Kind-Verhältnis aber nicht. bb) Die Bedeutung der Entsprechungsklausel ist umstritten und wenig geklärt 1 3 8 . Sie wird teils sogar für gänzlich funktionslos gehalten 139 . Eine ähnliche Auffassung vertritt Seelmann 140, der die Entsprechungsklausel „als Aufforderung zu einer besonders eingehenden Prüfung der Strafwürdigkeit des Verhaltens" interpretiert. Denn eine solche Prüfung müsste auch ohne Entsprechungsklausel bei Bestimmung der Garantenstellung vorgenommen werden 141 . Herrschend 142 ist die Lehre von der „Modalitätenäquivalenz". Bei den reinen Erfolgsdelikten (Totschlag, einfache Körperverletzung, Sachbeschädigung), die 138 Vgl. Schünemann, ZStW 96 (1984), 287, 312; NK-Seelmann, § 13 Rdn. 67; eine ausführliche Darstellung über den Meinungstand findet sich in der einzigen diesem Thema gewidmeten Monographie von Nitze, Die Bedeutung der Entsprechensklausel beim Begehen durch Unterlassen (§13 StGB), 1989, S. 26 ff.; Roxin hat m.E. in seiner lehrreichen Abhandlung (FS-Lüderssen, 2000, S. 577 ff. = AT/2, 32/218 ff.) diese Problematik sehr überzeugend behandelt. 139 Baumann, AT 8 , 1977, S. 249; Nitze, Die Bedeutung der Entsprechensklausel beim Begehen durch Unterlassen (§ 13 StGB), 1989, S. 111, 189. 140 NK-Seelmann, § 13 Rdn. 70. 141 So Roxin, FS-Lüderssen, 2002, S. 579 = AT/2, 32/224. 142 BGHSt 28, 300, 307; Freund, AT, § 6 Rdn. 8; Gropp, AT 2 , 11/79 ff.; Baumann/ Weber/Mitsch, AT 1 0 , 15/77 f.; Jakobs, AT 2 , 29/7, 78 ff.; Jescheck/Weigend, AT 5 , § 59 V, S. 629 f.; LKU-Jescheck, § 13 Rdn. 5; Köhler, AT, S. 230; Krey, AT/2, Rdn. 374 f.; Lackner/ Kühl 24, § 13 Rdn. 16 (Lackner/Kühl 23, § 13 Rdn. 16 vertritt jedoch eine Mindermeinung); Kühl, AT 4 , § 18 Rdn. 122 ff.; Maurach/Gössel, AT/2 7 , 46 / 55 f.; Roxin, JuS 1973, 199;
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§ 2 Für und gegen die Pflichtdeliktslehre vorgebracht
keine nähere Umschreibung der tatbestandsmäßigen Handlung haben, entspricht danach die Nichtabwendung durch einen Garanten stets der Begehung durch aktives Handeln, so dass die Entsprechungsklausel insoweit keine selbständige Bedeutung gewinnt 143 . Anderes gilt bei den „ verhaltensgebundenen Deliktendie über die Erfolgsverursachung hinaus bestimmte Handlungsmodalitäten (wie das „Täuschen" beim Betrug oder „Gewalt" und „Drohung" bei der Nötigung) verlangen. Das Unterlassen muss hier denselben sozialen Sinngehalt aufweisen wie das im jeweiligen Tatbestand umschriebene Tun. Hier sollen die Garantenstellungen nicht allein über die Gleichstellung entscheiden. Vielmehr soll es immer noch eine in den Besonderen Teil gehörende Frage der Auslegung des jeweiligen Tatbestandes sein, ob ein Unterlassen einer aktiven Betrugs- oder Nötigungshandlung usw. entspricht. Die h.M. vermag jedoch nicht zu überzeugen. Denn die inhaltlichen Voraussetzungen für die Bejahung des Entsprechungserfordernisses sind bislang nicht geklärt. Das Gesetz weist nicht auf die Beschaffenheitsmerkmale hin, die ein Unterlassungs-Sachverhalt aufweisen muss, damit das Verhalten der tatbestandsmäßigen Begehung entspricht 144 . Deshalb ist es nicht überraschend, dass unglücklicherweise in der neueren Literatur 145 der Gedanke, dem Richter die Einschätzung des Einzelfalls zu überlassen, der der wegen der Gefährdung der Rechtssicherheit zu widersprechenden Gesamtbetrachtungslehre 146 nahe steht, wiederauflebt. In den Fällen der bloßen Ausnutzung eines beim Opfer bereits vorhandenen Irrtums 147 wird ein Betrug durch Unterlassen 148 von der Rechtsprechung und der Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik der unechten Unterlassungsdelikte und Gedanke der Ingerenz, 1966, S. 63 f.; SK1-Rudolphi, § 13 Rdn. 18; Stratenwerth, AT 4 , 13/62; Tröndle/Fischer 51, § 13 Rdn. 17; Schänke/ Schröder/Stree 26, § 13 Rdn. 4; Welp, Vorangegangenes Tun als Grundlage einer Handlungsäquivalenz der Unterlassung, 1968, S. 18 ff.; Wessels/ Beulke, AT 3 2 , Rdn. 730. 143 Dagegen hält die Mindermeinung das Entsprechenskriterium auch bei den reinen Erfolgsdelikten für unverzichtbar, vgl. etwa Arzt, JA 1980, 712, 717; Androulakis, Studien zur Problematik der unechten Unterlassungsdelikte, 1963, S. 219 ff.; Henkel, MschrKrim 1961, 178 f.; Kahlo, Das Problem des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1990, S. 322; Arthur Kaufmann/Hassemer, JuS 1964, 153; Pallin, ZStW 84 (1972), 200; diese Auffassung ist abzulehnen, vgl. nur Roxin, FS-Lüderssen, 2002, S. 580; Schünemann, ZStW 96 (1984), 312. 144 Vgl. Krey, AT/2, Rdn. 375; ders., B T / 2 1 2 , Rdn. 357; Baumann/Weber/Mitsch, AT 1 0 , 15/79; ähnliche Bedenken bei Jescheck/Weigend, AT 5 , § 59 V, S. 630. 145 So etwas Baumann/Weber/Mitsch, AT 1 0 , 15/79. 146 Nachweise über die „in dieser Richtung" argumentierenden Autoren bei Jescheck/ Weigend, AT 5 , § 59 V, S. 630 Fn. 75; kritische Darstellung der Gesamtbewertungstheorie vgl. Nitze, Entsprechungsklausel, 1989, S. 29-31; vgl. auch die Kritik an der Gesamtbewertung bei Roxin, FS-Lüderssen, 2002, S. 578 f., 580. 147 Beispiele von Roxin (FS-Lüderssen, 2002, S. 582): Ein Bankkassierer zahlt auf Grund eigenen Verschuldens zuviel Geld aus, das der dies erkennende Kunde schweigend entgegennimmt; für eine Ware wird versehentlich ein zu niedriger Kaufpreis berechnet; der Fehlüberweisung- (BGHSt 39, 392) und Fehlbuchungsfälle (BGHSt 46, 196). Dabei sind häufig
B. Die Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre
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h . M . 1 4 9 mit Recht abgelehnt. Die Begründung beruht nicht auf einer fehlenden Entsprechung, sondern allein darauf, dass die Garantenstellung des Unterlassenden verneint wird. Auch i m Fall der Nötigung, wo die Handlungsmodalitäten der „Gewalt" oder der „Drohung mit einem empfindlichen Übel" den Deliktstyp bezeichnen, bedarf es einer weitergehenden Entsprechung der Nichtverhinderung des Geschehens mit einer aktiven Herbeiführung nicht, wenn jemand den Schutz eines anderen gegen Angriffe (Nötigungen) übernommen hat und dennoch eine Nötigung geschehen lässt, die durch sein Eingreifen verhindert worden w ä r e 1 5 0 . Die Entscheidung BGHSt 29, 300 f f . 1 5 1 , in der ein Lastwagenfahrer die fehlerhaften Aufzeichnungen seines Fahrtenschreibers, für die er nicht verantwortlich war, zur Vortäuschung einer niedrigeren Geschwindigkeit ausnutzte, wurde in der Literatur also eine Entscheidung zur Entsprechungsklausel aufgefasst 152 , ist in Wahrheit aber eine Überprüfung der Garantenstellung, die durchweg verneint w i r d 1 5 3 . Überzeugender sind deshalb die vermittelnde Lösung von Roxin 154 und Schünemanns M e i n u n g 1 5 5 , wonach das Einstehenmüssen i m Prinzip zur Gleichstellung schlüssige Täuschungshandlungen zunächst (richtigerweise) abzulehnen, dazu vgl. etwa Ranft, JuS 2001, 854 ff.; LKl 0-Lackner, § 263 Rdn. 48; L K 1 1 -Tiedemann, § 263 Rdn. 39. 148 Die Möglichkeit, Betrug durch Unterlassen zu begehen, wird von einem Teil des Schrifttums ausgeschlossen, vgl. Hellmuth Mayer, AT, 1953, S. 152; Naucke, Zur Lehre vom strafbaren Betrug, 1964, S. 166 ff., 214; Grünwald, FS-Hellmuth Mayer, 1966, S. 291; Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1971, S. 72. 149 OLG Düsseldorf NJW 1969, 623 f. (m. Anm. Deubner); OLG Köln NJW 1980, 2366 f. (mit Bespr. Volk, JuS 1981, 880); OLG Köln JZ 1988, 101 ff.; BGHSt 39, 392, 397 ff. (m. Anm. Naucke, NJW 1994, 2809; Joerden, JZ 1994, 422 ff.); BGHSt 46, 196, 202 f. (m. Anm. Hefendehl, NStZ 2001, 281 ff.; Ranft, JuS 2001, 854 ff.; Joerden, JZ 2001, 614 ff.); Bockelmann, FS-Eb. Schmidt, S. 441 ff.; ders., BT/1, S. 67 f.; Krey, B T / 2 1 2 , Rdn. 363; Preisendanz, StGB 30 , § 263 Anm. 4 b cc, S. 831; Gössel, BT/2, 21/65; Maaß, Betrug verübt durch Schweigen, 1982, S. 41 f., 108; Otto, BT 6 , 51/20; Rengier, B T / 1 5 , 13/12; Wessels/Hillenkamp, B T / 2 2 5 , Rdn. 507; Mitsch, B T / 2 / 1 2 , 7/28; Ranft, JuS 2001, 854, 857; Tröndle/ Fischer 51, § 263 Rdn. 21 und 28; Schünemann, ZStW 96 (1984), 313 f.; Roxin, FS-Lüderssen, 2002, S. 582; ders., AT/2, 32/233; LK n-Tiedemann, § 263 Rdn. 64; Schönke/Schröder/ Cramer 26, § 263 Rdn. 22. 150 Vgl. Roxin, FS-Lüderssen, 2002, S. 582 = AT/2, 32/234. 151 Ob im vorliegenden Fall überhaupt eine Garantenstellung bestand, lässt der BGH offen (BGHSt, 29, 308), bezieht sich aber auch nicht ausdrücklich auf die Entsprechungsklausel, wie Roxin zu Recht anmerkt, vgl. FS-Lüderssen, 2002, S. 582 = AT/2, 32/235. 152 Etwa bei Jescheck/Weigend, AT 5 , § 59 V, S. 629; SK 1-Rudolphi, § 13 Rdn. 18; Lackner/Kühl 24, § 268 Rdn. 9: Das bloße Unterlassen eines Garanten, ein defektes Gerät zu entstören, „entspricht" nicht einer störenden Einwirkung nach § 268 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1, weil diese eine menschliche Einwirkung in den Aufzeichnungsvorgang voraussetzt. 153 Roxin, FS-Lüderssen, 2002, S. 582 = AT/2, 32/235; im Ergebnis auch NK-Puppe, § 268 Rdn. 43. 154 Roxin, FS-Lüderssen, 2002, S. 580 ff. = AT/2, 32/228 ff. 155 Schünemann, ZStW 96 (1984), 287, 312-314; allerdings hat Roxin (in: FS-Lüderssen, 2002, S. 579 Fn. 13 = AT/2, 32/225 Fn. 367) insoweit zu Unrecht Schünemanns Meinung in die Modalitätenäquivalenztheorie eingeordnet; zur richtigen Einordnung vgl. etwa Lackner/ Kühl 24, § 13 Rdn. 16.
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des Unterlassens mit dem Begehen führt und damit die Entsprechungsklausel bei den meisten Delikten überflüssig ist. Zur Ablehnung der Modalitätenäquivalenztheorie gibt Roxin 156 eine nach der wissenschaftlichen und legislatorischen Entwicklung überzeugende Erklärung. Die Modalitätenäquivalenztheorie habe eine gewisse Berechtigung bei einer Herleitung der Garantenstellungen aus der formellen Rechtspflichttheorie gehabt. Denn es könne eine (zivil- oder öffentlich-rechtliche) Verpflichtung aus Gesetz, Vertrag oder Ingerenz gegeben sein, ohne dass „das sich darauf beziehende Unterlassen zu einer Gleichstellung mit dem Begehen führen müsste. Unter dieser Voraussetzung könnte es einen Sinn haben, die Gleichstellungskriterien, die zu Gesetz, Vertrag und Kausalität hinzukommen müssen, in einer Entsprechungsklausel zusammenzufassen" 157. Man kann daher die Bedeutung der Entsprechungsklausel dahin verstehen, eine auf einer bloß aus der formellen Rechtspflichttheorie hergeleiteten Garantenstellung basierende Gleichstellung zu beschränken. „In einer Zeit jedoch, in der die formelle Rechtspflichttheorie allgemein aufgegeben worden ist 1 5 8 und die Schutz- und Überwachungsgarantie von vorhinein nach den für die Gleichstellung maßgebenden Gesichtspunkten bestimmt werden 159 , bleibt im Regelfall nichts mehr übrig, was unter dem Gesichtpunkt einer Entsprechungsklausel geprüft werden könnte" 160 . Die legislatorische Entwicklung, nämlich die Schaffung der heutigen, bei den Diskussionen der Großen Strafrechtskommission und im E 1962 noch nicht vorgesehenen Strafmilderungsmöglichkeit des § 13 Abs. 2, macht im Übrigen nach Roxins Auffassung die Möglichkeit des Ausweichens in eine zur Straflosigkeit führende Entsprechungsklausel überflüssig 161. Die Entsprechungsklausel hat nur einen Platz bei Delikten mit Zueignungsabsicht (§ 242 Abs. 1), eigenhändige Delikten (§§ 173 und 154), Delikten mit begehungstäterbezogenen Qualifikationsmerkmalen („heimtückisch" und „verdecken" bei § 211), erfolgsqualifizierten Delikten usw. Dies bedarf einer speziellen Untersuchung, die hier nicht unternommen werden kann 162 . cc) Die damit gewonnene Erkenntnis, dass die Entsprechungsklausel prinzipiell überflüssig ist, kann man entsprechend auf § 343 und § 348 anwenden.
156 Roxin, FS-Lüderssen, 2002, S. 580 f. = AT/2, 32/228 f. 157 Roxin, AT/2, 32/228. 158 Zur Ablehnung der formellen Rechtspflichttheorie vgl. auch Roxin, AT/2, 32/10 ff. 159 Die Erörterung würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen; hierzu eingehend Roxin, AT/2, 32/17 ff. 160 Roxin, FS-Lüderssen, 2002, S. 580 f. = AT/2, 32/228. 161 Roxin, FS-Lüderssen, 2002, S. 581 = AT/2, 32/229. 162 Hierzu eingehend Roxin in: FS-Lüderssen, 2002, S. 583-586 = AT/2, 32/239-249; Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 371 ff.; ders., ZStW 96 (1984), 287, 312-314; Arzt, Mord durch Unterlassen, FS-Roxin, 2001, S. 855 ff.; Ingelflnger, Die Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen und die Entsprechensklausel des § 13 Abs. 1 Halbs. 2 StGB, GA 1997, 573 ff.
B. Die Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre
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(1) Falschbeurkundung im Amt gemäß § 348: a) Die Falschbeurkundung im Amt ist tatsächlich nur eine vorsätzliche Herstellung einer echten öffentlichen Urkunde oder Datei mit unwahrem Inhalt durch einen zuständigen Amtsträger. Es ist daher nicht einzusehen, warum diese aktive Herstellung nicht wie bei anderen Delikten durch die garantenpflichtwidrige Nichtabwendung des Erfolges, der hier in einer echten öffentlichen Urkunde oder Datei mit unwahrem Inhalt besteht, ersetzt werden können sollte. Es liegt keine strukturelle Besonderheit vor, die es rechtfertigen könnte, die Falschbeurkundung im Amt nicht als ein Erfolgsdelikt zu behandeln163. Um die Unterlassungstäterschaft des zuständigen Urkundsbeamten festzustellen, sind zwei Fragen zu klären. Die erste ist, ob eine Garantenstellung aus der Amtsträgereigenschaft des § 348 Abs. 1 hergeleitet werden kann. Die zweite lautet: Wie weit reicht diese strafrechtliche Verantwortlichkeit? Mit anderen Worten: Begründen alle Unterlassungen des zuständigen Urkundsbeamten eine Unterlassungstäterschaft gemäß § 348 Abs. 1? ß) Sinn des § 348 ist ein umfassender Schutz des allgemeinen Vertrauens in die Wahrheitspflicht der mit der Aufnahme öffentlicher Urkunde betrauten Amtspersonen 164 . Da der Staat selbst die Zuverlässigkeit (bzw. Wahrheit) öffentlicher Urkunden, ein kollektives Rechtsgut mit unmittelbarer Präsenz für die Allgemeinheit, wie Hefendehl 165 es bezeichnet, nicht schützen kann, bedarf er der Amtsträger, die diese Schutzfunktion übernehmen. Dem Amtsträger, der zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugt ist, ist es vom Staat anvertraut, im Rahmen seiner Zuständigkeit die Wahrheit öffentlicher Urkunden zu gewährleisten. Er besitzt eine Monopolstellung über das öffentliche Urkundswesen und ist damit eine Zentralgestalt für die Genese öffentlicher Urkunden. Der Inhalt öffentlicher Urkunden hängt allein von der konkreten Willensentscheidung und -betätigung bestimmter kompetenter hoheitlicher Funktionsträger ab. Die kompetenten Urkundsbeamten beherrschen die Hilflosigkeit des Rechtsguts der Wahrheit öffentlicher Urkunden im Sinne Schünemanns und sind deshalb aus strafrechtlicher Sicht Garanten und verpflichtet, die Wahrheit öffentlicher Urkunden zu garantieren 166. Die erste Frage ist damit zu bejahen.
163 Vgl. Roxins Zweifel, FS-Lüderssen, 2002, S. 581 = AT/2, 32/230. 164 BGHSt 37, 208, 209; Tröndle/Fischer 51, § 348 Rdn. 1; Lackner/Kühl 24, § 348 Rdn. 1; Schänke /Schröder/ Cramer 26, § 13 Rdn. 64; SK5-Hoyer, § 348 Rdn. 1; Freund, Urkundenstraftaten, 1996, Rdn. 300; ähnlich NK-Puppe, § 348 Rdn. 1: die strafrechtliche Garantie der Zuverlässigkeit bestimmter Beweisformen und Beweisverfahren im Sinne der klassischen Lehre von der fides publica. 165 So Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, 2002, S. 244 ff., 248. 166 So im Ergebnis auch Hüwels, Fehlerhafter Gesetzesvollzug und strafrechtliche Zurechnung, 1986, S. 146, 170; Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht vom Amtsträgern, 1989, S. 547 f., der den zuständigen Urkundsbeamten als „Hütergaranten" für die Sicherung der Wahrheit öffentlicher Urkunden bezeichnet; Folgt man Roxins Konzeption der Garantenstellung (AT/2, 32/77 ff.), kommt man auch zu diesem Ergebnis.
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§ 2 Für und gegen die Pflichtdeliktslehre vorgebracht
7) Im Hinblick auf die zweite Frage ist festzustellen, dass die Unterlassungstäterschaft des Urkundsbeamten von den Autoren, die sich zu diesem Thema äußern, unbestritten bejaht wird, wenn er es bewusst unterlässt, eintragungsbedürftige Tatsachen ordnungsgemäß zu vermerken 167 oder zu verhindern, dass eine von ihm nur als Entwurf gefertigte oder irrtümlich vollzogene Urkunde in den Rechtsverkehr gebracht wird, nachdem er ihre Unwahrheit erkannt hat 1 6 8 . Problematisch sind aber die Fälle, in denen der Urkundsbeamte einen dolosen Qualifikationslosen nicht daran hindert, eine unwahre „öffentliche Urkunde" herzustellen, oder einen dolosen Extraneus veranlasst, unwahre Tatsachen ins Grundbuch einzutragen. Schmidhäuser 169 und Samson170 möchten wenigstens im letzten genannten Fall die Strafbarkeit des Urkundsbeamten wegen Falschbeurkundung im Amt durch Unterlassen bejahen. Jedoch ist diese Ansicht nach der hier vertretenen Auffassung unhaltbar. Denn eine öffentliche Urkunde liegt nach der auch für das Strafrecht 171 geltende Legaldefinition des § 415 Abs. 1 ZPO nur dann vor, wenn die Urkunde von einer öffentlichen Behörde im Rahmen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb ihrer sachlichen Zuständigkeit in der vorgeschriebenen Form aufgenommen ist und außerdem - im Rechtsverkehr - erhöhte Beweiskraft für und gegen jedermann genießt 172 . Eine Urkunde, die nicht von der befugten Amtsperson, sondern von einem Außenstehenden hergestellt wurde, ist nur eine „unechte" Urkunde (eine scheinbare öffentliche Urkunde), nicht jedoch eine den Anforderungen der §§ 271 und 348 genügende „öffentliche Urkunde" 173 . Sangenstedt 174 hat dies am ausführlichsten mit zwei Gründen abgesichert: Zum einen erforderten einige Vorschriften (etwa §§13 Abs. 3 S. 1 und 37 Abs. 3 Beurkundungsgesetz) eine eigenhändige Unterschrift des Ausstellers 167 Binding, Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts, BT, Bd. 1 Abteilung 1, 2. Aufl., 1904, S. 287 f.; Olshausen, StGB 11 , § 348 Anm. 7, S. 1877; Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich 18 , § 348 Anm. I 3; Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht vom Amtsträgern, 1989, S. 549; Tröndle/Fischer 51, § 348 Rdn. 7. 168 Der Sachverhalt lag der Entscheidung des BGH in NJW 1952, 1064 zugrunde; es ist jedoch nicht überzeugend, dass der BGH dort die Strafbarkeit des Urkundsbeamten mit dem positiven Tun begründete; vgl. auch Dalcke/Fuhrmann/Schäfer, Strafrecht und Strafverfahren, 37. Aufl., 1961, § 348 Anm. 7, S. 414; Sangenstedt, Garantenstellung und Garanten16 pflicht vom Amtsträgern, 1989, S. 549; Schönke/Schröder/Cramer , § 348 Rdn. 10; NKPuppe, § 348 Rdn. 23.
169 Schmidhäuser, AT 2 , 14/51; ders., StuB2, 10/97. 170 SK5-Samson, § 25 Rdn. 109. 171 Vgl. nur SK6-Hoyer, § 271 Rdn. 9; Küper, BT 5 , S. 311. 172 RGSt 71, 101, 102; BGHSt 19, 19, 21; SK6-Hoyer, § 271 Rdn. 9; Schönke/Schröder/ Cramer 26, § 271 Rdn. 4; Tröndle/Fischer* 1, § 271 Rdn. 12; § 348 Rdn. 5; kritisch zu den Merkmalen „öffentlicher Glaube" und „Beweiswirkung für und gegen jedermann" als Kriterien der öffentlichen Urkunde, NK-Puppe, § 271 Rdn. 8 ff. 173 NK-Puppe, § 271 Rdn. 29; a.A. SKe-Hoyer, § 271 Rdn. 8: „Auch unechte Exemplare zählen zu den öffentlichen Urkunden". 174 Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht vom Amtsträgern, 1989, S. 550 ff.
B. Die Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre
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als essentielle Gültigkeitsvoraussetzung einer öffentlichen Urkunde. Die bloße Absicht des Amtsträgers, sich die von fremder Hand geschaffene Aufzeichnung als eigene zurechnen zu lassen, sei dann ersichtlich ungeeignet, den Rechtsverstoß zu heilen 175 . Zum anderen lasse sich eine öffentliche Urkunde auch nicht von einem beauftragten Extraneus errichten, selbst wenn die Gültigkeit einer Urkunde nicht von der eigenhändigen Unterschrift des Ausstellers abhänge. Denn nach den verwaltungsrechtlichen Vertretungsregeln, wonach Angehörige der Exekutive ihre amtlichen Befugnisse insbesondere nicht willkürlich an private Subjekte delegieren können, sei eine derartige auf einen beliebigen privaten Dritten zu übertragende „Bevollmächtigung" verwaltungsrechtlich unbeachtlich und demgemäß außerstande, einer von ihrem Aussteller 176 fixierten Gedankenerklärung den Charakter einer amtlichen Äußerung zu verleihen 177 . Der in § 348 Abs. 1 beschriebene Taterfolg - das Entstehen einer rechtswirksamen inhaltlich unrichtigen öffentlichen Urkunde - ist deshalb von vornherein nicht eingetreten. Nach der h.M. 1 7 8 macht ein solcher Täter sich nur der Urkundenfälschung (§ 267) und der Amtsanmaßung (§ 132) schuldig. Dementsprechend scheidet auch die Strafbarkeit nach § 271 aus, wenn das Einspeichern von unwahren Daten oder das Verändern von Daten in einer öffentlichen Datei vom unbefugten Extraneus unternommen worden ist. Bei ihm kommt allerdings die Fälschung beweiserheblicher Daten nach § 269 in Betracht. Der unterlassende oder veranlassende Urkundsbeamte ist nach der hier vertretenen Auffassung in den zwei letztgenannten Fällen je nach den Umständen als Gehilfe durch Unterlassen oder als Anstifter aus den entsprechenden Strafvorschriften zu bestrafen. Dieses spezielle Formerfordernis als Tatbestands Voraussetzung des § 348 Abs. 1 ist auch von Bloy 179 übersehen worden, der deshalb irrtümlich zu dem Ergebnis kommt, den Urkundsbeamten, der die vorsätzliche falsche Eintragung seines minderjährigen Kinds nicht verhindert, wegen Falschbeurkundung im Amt zu bestrafen. (2) Aussageerpressung gemäß § 343: § 343 ist ein gutes Beispiel, um zu zeigen, dass die Figur der mittelbaren Täterschaft von Roxin bei der Benutzung des qualifikationslosen dolosen Werkzeugs durch den Intraneus überflüssig ist. a) § 343 schützt zuerst die Rechtspflege, die vor dem Versuch bewahrt werden soll, die Rechtsordnung mit gesetzwidrigen Vernehmungsmethoden durchsetzen zu wollen, und daneben auch die Willensfreiheit des Tatbetroffenen 180. Ob beide 175
Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht vom Amtsträgern, 1989, S. 550 f. Die dort zu findende Bezeichnung „Adressat" ist in diesem Zusammenhang wohl falsch und wurde daher durch „Aussteller" ersetzt. 177 Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht vom Amtsträgern, 1989, S. 552 f. 178 NK-Puppe, § 271 Rdn. 29; Schänke/ Schröder/Cramer 26, § 271 Rdn. 26; Tröndle/Fischer>\ § 271 Rdn. 15; Lackner/Kühl 24, § 271 Rdn. 8; Wessels/Hillenkamp, B T / 1 2 5 , Rdn. 914; a.A. Möhrenschlager, wistra 1986, 128, 136. 179 Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 241. 176
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§ 2 Für und gegen die Pflichtdeliktslehre vorgebracht
Schutzgüter den gleichen Rang haben 181 oder ob die Rechtspflege vorrangig geschützt wird 1 8 2 , spielt für die vorliegende Untersuchung keine Rolle. Denn abgesehen davon wird allgemein konsentiert, dass die Einwilligung des Tatbetroffenen wegen des überindividuellen Rechtsguts keine rechtfertigende Wirkung hat 1 8 3 . ß) Sehr umstritten ist die Frage, ob § 343 ein echtes oder unechtes Amtsdelikt ist. Nach der These vom unechten Amtsdelikt ist § 343 ein qualifizierter Fall der versuchten Nötigung (§ 240) 184 . Diese These wäre aber nur dann richtig, wenn es sich bei den in § 343 Abs. 1 angeführten Zwangsmitteln um eine nähere Umschreibung der Zwangsmittel des § 240 handelte. Das ist jedoch nicht der Fall, weil das seelische Quälen Tathandlung nur des § 343 Abs. 1, nicht auch des § 240 Abs. 1 ist 1 8 5 . Dagegen hält die h.M. 1 8 6 § 343 für ein echtes Amtsdelikt. Denn § 343 trage nicht nur dem erhöhten Maß der Pflichtwidrigkeit Rechnung, die in der Verletzung des individuellen Rechtsguts der Willensfreiheit durch einen Amtsträger liege. Vielmehr erfasse diese Vorschrift auch den Angriff auf die Integrität des jeweiligen Verfahrens und sei deshalb als echtes Amtsdelikt zu verstehen. Eine vermittelnde Meinung wird propagiert von Schmidhäuser 1* 7, dass es sich bei den ersten drei Varianten um einen qualifizierten Straftatbestand der versuchten Nötigung handele (unechtes Amtsdelikt); die Handlung des seelischen Quälens sei dagegen ein echtes Amtsdelikt, da hierzu ein allgemeines Delikt fehle. Die Unterscheidung ist für die h.M. wichtig, weil sich die Teilnahme des Extraneus am echten Amtsdelikt nach § 28 Abs. 1 richtet, während nichtqualifizierte Teilnehmer am unechten Amtsdelikt gemäß § 28 Abs. 2 hier nur aus § 240 bestraft würden 188 . Diese praktische Bedeutung der Abgrenzung von echtem und unechtem Amtsdelikt ist wegen der sich aus der Anwendung des § 28 Abs. 2 ergebenden ungerechten Behandlung nach der hier vertretenen Auffassung zweifelhaft. Die neue 180 LKn-Jescheck, § 343 Rdn. 1; Schänke/ Schröder/Cramer 26, § 343 Rdn. 1; Tröndle/ Fischer 51, § 343 Rdn. 1; Lackner/Kühl 24, § 343 Rdn. 1; NK-Kuhlen, § 343 Rdn. 3. 181 Schänke /Schröder/Cramer 26, § 343 Rdn. 1. 182 LKn-Jescheck, § 343 Rdn. 1; Tröndle/Fischer 51, § 343 Rdn. 1; Lackner/Kühl 24, § 343 Rdn. 1. 183 LKn-Jescheck, § 343 Rdn. 1; Schänke /Schröder/Cramer 26, § 343 Rdn. 17; Tröndle/ Fischer§ 343 Rdn. 9; Lackner/Kühl 24, § 343 Rdn. 5; NK-Kuhlen, § 343 Rdn. 3; SK 1-Horn/Wolters, § 343 Rdn. 2. 184 Schänke /Schröder/Cramer 26, § 343 Rdn. 1, 19; Maiwald, JuS 1977, 353, 358; Maurach/Schroeder/Maiwald, B T / 2 8 , 77/23; Lackner/Kühl 24, § 343 Rdn. 1; Bernd Heinrich, Der Amtsträgerbegriff im Strafrecht, 2001, S. 181; Joecks, StGB4, § 343 Rdn. 4 Nr. (3); so auch Otto, BT 6 , 98/7. 185 So NK-Kuhlen, § 343 Rdn. 18; solche Bedenken finden sich bereits bei Blei, BT 1 2 , § 112 Anm. 14, S. 442. 186 Arzt /Weber, BT, 49/90; Lackner / Kühl 24, § 343 Rdn. 1; LK n-Jescheck, § 343 Rdn. 1; Geppert, Jura 1981, Tröndle/Fischer 51, § 343 Rdn. 1; SK 1-Horn/Wolters, § 343 Rdn. 2; NKKuhlen, § 343 Rdn. 18; offen gelassen: Kindhäuser, LPK-StGB, § 343 Rdn. 3. 187 Schmidhäuser, BT 2 , 4 / 22. 188 Vgl. etwa Arzt/Weber, BT, 49/4 ff., 110.
B. Die Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre
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Untersuchung von Puppe 189 kommt zu demselben Ergebnis, nämlich dass „das Pflichtmerkmal stets als strafbegründendes i.S. von § 28 Abs. 1 behandelt wird; ( . . . ) es gibt keine unechten Amtsdelikte" 190 . Darauf ist in § 11 und § 13 dieser Arbeit näher einzugehen. 7) Die Beziehung zwischen dem tauglichen Täter und den geschützten Rechtsgütern des § 343 lässt sich durch den Begriff der „Vertrauensdelikte zum Schutz vor Internen" 191 oder der „inneren Rechtspflegedelikte" 192 bezeichnen. Es handelt sich um Beeinträchtigungen von innen heraus, die sich auf die Funktionsbedingungen gegenüber dem Staat und dem Tatbetroffenen beziehen können und wiederum zwei Schutzrichtungen haben: Zum einen betraut der Staat den zur Mitwirkung an einem Verfahren bestimmter Art berufenen Amtsträger mit der Aufgabe, die Rechtspflege zu schützen. Im betreffenden Verfahrensbereich hat der berufene Amtsträger nicht bloß eine günstige Möglichkeit 193 , die Rechtspflege zu verletzen, sondern beherrscht aufgrund des staatlichen Vertrauensaktes den Prozess und besitzt eine entsprechende Monopolstellung. Die Integrität der Rechtspflege hängt von ihm ab. Zum anderen ist der berufene Amtsträger wegen des Gewaltmonopols Herr des betreffenden Verfahrens, so dass der Tatbetroffene ihm gegenüber hilflos ist und unter seiner Kontrolle steht. Der berufene Amtsträger ist insoweit ein Schutzgarant gegenüber den geschützten Rechtsgütern. Schreitet ein Polizist nicht ein, wenn ein Extraneus oder sein Kollege einen anderen körperlich misshandelt, um ihn zu nötigen, im polizeilichen Vernehmungsverfahren etwas auszusagen, macht er sich nach § 343 durch Unterlassen strafbar. Einer weitergehenden Entsprechung der Nichtverhinderung des Geschehens mit einer aktiven Herbeiführung, wie es Stratenwerth und Bloy 194 gefordert haben, bedarf es deshalb nicht. Da Roxin 195 im Fall der Nötigung eine weitergehende Entsprechung der Nichtverhinderung des Geschehens mit der aktiven Herbeiführung für überflüssig hält, müsste er konsequenterweise anerkennen, dass dies auch für den Fall der Aussageerpressung gilt. Daraus können wir folgern, dass die Figur der mittelbaren Täterschaft von Roxin bei Benutzung des qualifikationslosen dolosen Werkzeugs durch den Intraneus im Fall der Aussageerpressung völlig entbehrlich ist. 189 NK-Puppe, §§ 28 f. Rdn. 32 ff. (Stand: 13. Lieferung, März 2003). 190 NK-Puppe, §§ 28 f. Rdn. 39. 191 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, 2002, S. 331 ff. 192 Arzt /Weber, BT, 49/72. 193 Wenn Hefendehl (in: Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, 2002, S. 332) meint, generell werde für die Tathandlung von Vertrauensdelikten zum Schutz vor Internen kein vertrauensbegründender Umstand, sondern eine bloße günstige Möglichkeit in Anspruch genommen (Beispiel: Der Amtsträger eignet sich Büromaterial zu.), so passt diese Ansicht bestimmt nicht zu § 343. 194 Stratenwerth, AT 4 , 12/41; Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 240 f. 195 Roxin, AT/2, 32/234 = FS-Lüderssen, 2002, S. 582. 5*
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§ 2 Für und gegen die Pflichtdeliktslehre vorgebracht
d) Verletzung einer außerstrafrechtlichen Sonderpflicht als „Zauberformel" bei Freund Freund 196 stellt fest, „der kritische Beobachter kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass mit der Pflichtdeliktskategorie je nach Bedarf nur die Leerform der Tatherrschaft durch die Zauberformel der Verletzung einer außerstrafrechtlichen Sonderpflicht ausgetauscht wird". Freunds Kritik ist jedoch nicht überzeugend. Vielmehr fällt ihm selbst jene „Sünde der Zauberformel" zur Last, die er anderen ankreiden möchte. Man kann hierzu auf die Antikritik von Schünemann 197 an Freunds Kriterium der Sonderverantwortlichkeit 198 anführen, das das Wesen des Erfolgsdelikts ausmachen und den für die Begehung wie für das unechte Unterlassen gemeinsam Grund der Bestrafung bezeichnen soll. Im Hinblick auf die semantische Inhaltslosigkeit der Sonderverantwortlichkeit und die deshalb nach Belieben entstandene Subkategorienbildung zeigt dieses Kriterium noch deutlicher den Charakter der Zauberformel als das der „Verletzung einer außerstrafrechtlichen Sonderpflicht". Freund meint, eine Integration der als maßgeblich angesehenen außerstrafrechtlichen Sonderpflicht in den strafrechtlichen Tatbestand sei ebenso wenig gelungen wie die des Herrschaftsbegriffs. Eine selbständige Kategorie der Pflichtdelikte erübrige sich bei einem angemessenen Verständnis der Delikte, für die verbreitet noch immer die Tatherrschaft als Täterschaftskriteriums aufgefasst werde 199 . Dennoch erkennt er immerhin den Begriff der Pflichtdelikte an, wenn er bei dem Fall des qualifikationslosen dolosen Werkzeugs anhand der besonderen Pflichtbindung die Täterschaftsstrafbarkeit des Veranlassungsverhaltens des Intraneus begründet 200.
C. Stellungnahme I. Die intrasystematische Friktion in der Pflichtdeliktslehre Roxins Noch bevor die schärfste Kritik an der Pflichtdeliktslehre Roxins, die Schünemann vom Standpunkt der Garantensonderdelikte her übt (dazu siehe § 4 A II), erörtert wird, lässt sich bereits das Schicksal der Pflichtdeliktslehre für die Fälle der Sonderdelikte leicht bestimmen. Denn neben den oben unter B II 1 dargestellten Kritikpunkten ist m.E. noch eine gravierende intrasystematische Friktion in der 196 Freund, Strafrecht AT, 10/49. 197 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 51 ff.; In Bezug auf die Garantenstellung wirft auch Roxin (AT/2, 32/31) Freund mit Recht vor, dass dessen Kriterium der „Sonderverantwortlichkeit" im Grunde nur umschreibe, was schon durch den Begriff der Garantenstellung ausgedrückt werde, ohne über deren konkrete Inhalte etwas aussagen zu können. 198 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 116 ff., 139 ff. 199 Freund, Strafrecht AT, 10/49. 200 Freund, Strafrecht AT, 10/74.
C. Stellungnahme
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Pflichtdeliktslehre Roxins hervorzuheben, wenn er einerseits behauptet201, dass zwei verschiedene Arten unter den Pflichtdelikten zu verstehen seien und „die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei beiden Gruppen immer in gleicher Weise vorgenommen" werde, andererseits aber im zweiten Band seines gerade erschienenen Lehrbuches zum Allgemeinen Teil des Strafrechts den von Schünemann202 gewählten Auslegungsansatz über die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, dass nämlich die „Herrschaft über den Grund des Erfolges" die hinreichende Ähnlichkeit mit der bei den Begehungsdelikten geltenden Tatherrschaft habe, zum zentralen Merkmal der Garantenstellung erhoben werden soll, für den plausibelsten203 hält. Damit „kann man von einer alle Garantenstellungen kennzeichnenden Kontrollherrschaft sprechen, die in die beiden Formen der Schutzherrschaft (= Obhutsherrschaft) und Sicherungsherrschaft (= Überwachungsherrschaft) zerfällt und der Steuerungsherrschaft der Begehungsdelikte so nahe steht, dass eine Gleichstellung den gesetzlichen Bestimmtheitsanforderungen entspricht" 204 . „Bei Pflichtdelikten hat die Unterscheidung von Begehung und Unterlassung kaum praktische Bedeutung und weist die Gleichstellung keine Probleme auf. Die Pflichtdelikte bilden also gerade eine Brücke zwischen Begehungs- und Unterlassungsdelikten, indem sie die Gleichstellung durch das Kriterium der Kontrollherrschaft schon vorzeichnen" 2 0 5 . Denn bei den Pflichtdelikten, deren Täterschaft nach Roxins Worten von der Kontrollherrschaft anhängt, handelt es sich um Garantenpflichten. Die genauere und richtige Bezeichnung wäre „GarantenpflichtdelikteBei den sog. Pflichtdelikten, bei denen der Gesetzgeber wegen des Häufigkeitsprinzips den Täterkreis auf die typischen Täter eingeschränkt hat, geht es allerdings um jedermann betreffende Pflichten 206 . Entgegen Roxins Meinung spielt die Unterscheidung von Begehung und Unterlassung in der letztgenannten Deliktsgruppe eine bedeutende Rolle. Zum Beispiel: Exhibitionistische Handlungen gemäß § 183 sollten nach Roxins Einordnung konsequenterweise auch zu Pflichtdelikten gehören 207 , weil die Pflicht, dass Männer nicht andere durch exhibitionistische Handlung belästigen dürfen, auch eine Unterart der täterschaftsbegründenden Pflichten ist. Ein Mann, der einem anderen nur bei exhibitionistischen Handlungen zuschaut und nicht eingreift, wird nicht wegen seines männlichen Geschlechts bestraft, sondern ist straflos. Das gilt auch für die Schiffsgefährdung durch Reisende in § 297 a. F., weil ein Reisender nicht bestraft wird, wenn er sieht, dass ein Dritter heiße Ware in seinen Koffer einsteckt, und das nicht verhindert. Wenn der Grundgedanke, „bei Pflicht201 Roxin, AT / 2, 25 / 273. 202 Schünemann, ZStW 96 (1984), 294; dazu vgl. auch § 4 dieser Arbeit. 203 Die Erörterung der Dogmatik der unechten Unterlassungsdelikte würde den Rahmen dieser Arbeit zersprengen. Sie kann nicht hier geführt werden, obwohl der Untertitel dieser Dissertation sich auf diese Thematik bezieht. 204 Roxin, AT/2,32/19. 205 Roxin, AT/2, 32/20. 206 Dazu vgl. die bereits oben unter § 2 B 13 analysierte Kritik von Gössel 207 Vgl. Roxin, AT/2, 25/273, auch in: L K 1 1 , § 28 Rdn. 67.
§ 2 Für und gegen die Pflichtdeliktslehre vorgebracht
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delikten hat die Unterscheidung von Begehung und Unterlassung kaum praktische Bedeutung", zutreffend ist, muss die letztgenannte Deliktsgruppe, nämlich die bloßen Sonderdelikte 208, aus dem Bereich der Pflichtdelikte ausgeschieden werden 209 . Das entspricht der engeren Zusammenführung von Schünemann, der auch von der hier vertretenen Auffassung gefolgt wird und in § 4 dieser Arbeit zu erörtern ist.
II. Der Bruch der Pflichttheorie Sobald die bloßen Sonderdelikte aus dem Umfang der Pflichtdelikte ausgeschieden sind, gibt es keinen Grund mehr, den Begriff der Pflichtdelikte weiterhin zu behalten, weil Roxin sich Schünemanns Herrschaftsansatz anschließt und die „Herrschaft über den Grund des Erfolges" als übergeordnete Gleichstellungsrichtlinie der unechten Unterlassungsdelikte anerkennt. Die Pflichttheorie wird dadurch obsolet. Hinter der Pflichttheorie stecken die auf dem Herrschaftsansatz basierenden Garantenpflichten. Tatsächlich hat Roxin den Begriff der Pflichtdelikte selbst auch aufgegeben. Zwar lehnt Roxin die Garantentheorie als den Strafgrund der Organ- und Vertreterhaftung des § 14 ab und hält an der Theorie der Pflichtenübernahme210 fest, weil seiner Meinung nach nicht alle täterschaftlichen Statusbezeichnungen eine Garantenstellung begründen. Zum Beispiel könnten die Pflichten des Schuldners nach § 288 gemäß § 14 unbestritten auch vom Vertreter wahrgenommen werden, obwohl es sich dabei nicht um eine Garantenstellung handele, so dass § 28 Abs. 1 auf dieses Merkmal nicht anwendbar sei 211 . Jedoch ist es nicht möglich, die Herleitung einer Garantenstellung aus dem Schuldnerstatus abzulehnen, bevor nicht § 288 näher untersucht wurde, weil es hier, wie Roxin selbst hervorhebt 212 , um ein Problem der Auslegung des einzelnen Tatbestandes geht. Diese Untersuchung findet sich in § 9 dieser Arbeit.
III. Fazit Nach der hier ausgeführten Analyse ist die von Roxin entwickelte Pflichtdeliktslehre nicht überzeugend. Obwohl diese Lehre wegen der offenen Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft bei § 25 Abs. 1 den Vorwurf eines Verstoßes gegen das 208
Näher siehe § 12 dieser Arbeit; diese Terminologie findet sich zuerst bei Manfred Heinrich, Rechtsgutszugriff und Entscheidungsträgerschaft, 2002, S. 314-317, der allerdings die Körperverletzung im Amt (§ 340) zu Unrecht als ein bloßes Sonderdelikt ansieht; a. A. siehe § l l B I I 2 e . 209 Im Ansatz auch Cramer /Heine in: Schänke /Schröder 16, Vor § 25 Rdn. 84a; unentschieden MK-Joecks, § 25 Rdn. 43. 210 Roxin, AT/2, 27/98. 2
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Roxin, AT / 2, 27 / 99. Roxin, TuT 7 , S. 386.
C. Stellungnahme
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Analogieverbot überstehen kann (oben B I I 2 a), ist eine solche Art der mittelbaren Täterschaft unangemessen und überflüssig (oben B II 1 c). Die Pflichtdeliktslehre ist aber auch unfähig, für einzelne Sonderdeliktstatbestände mit uneinheitlichem Gesetzeswortlaut eine überzeugende Erklärung zu bieten (oben B II 1 b). Nachdem die Bedeutung der Entsprechungsklausel geklärt worden ist (oben B I I 2 c), eröffnet sich eine Möglichkeit, die materielle Begründung für die Sonderdelikte zu finden. Sie liegt in der aus der bestimmten Tätereigenschaft hergeleiteten Garantenstellung. Bevor auf diesen Gedanken eingegangen wird, ist die formelle Weiterentwicklung der Pflichtdeliktslehre von Jakobs und seinem Schüler Sánchez-Vera im nächsten Kapitel zu besprechen.
§ 3 Formelle Weiterentwicklung der Pflichtdelikte durch Jakobs A. Darstellung I. Die Unterscheidung zwischen Delikten kraft Organisationszuständigkeit und Delikten kraft institutioneller Zuständigkeit Jakobs 1 hat im Vorwort zur 1. Auflage seines Strafrechtslehrbuches erklärt, dass bei der gebotenen Renormativierung und Funktionalisierung aller strafrechtlichen Begriffe die Entgegensetzung von Begehungsdelikten und Unterlassungsdelikten an Schärfe verliere, weil beide auf Organisationszuständigkeit oder auf institutioneller Zuständigkeit beruhten. Jakobs 2 geht davon aus, dass „Menschen die Welt gestalten (organisieren) können, aber auch immer in einer schon gestalteten Welt mit Institutionen leben". Deshalb „können sich die für die Ermöglichung sozialer Kontakte unumgänglichen, stabilen normativen Erwartungen auf zwei verschiedene Gegenstandsbereiche beziehen". Einerseits sei eine Erwartung notwendig, dass alle Menschen ihren Organisationskreis in Ordnung hielten und somit Außenwirkungen ausblieben, durch die andere geschädigt werden könnten. Die Stabilität dieser Erwartung sei nicht nur unumgänglich, weil niemand alle Organisationskreise zusammen beherrschen könne, sondern auch weil wegen des Rechts auf eine eigene Organisation niemand solchermaßen umfassend herrschen dürfe. Diese Erwartung habe nur einen negativen Inhalt: „Die Organisationskreise sollen getrennt bleiben". Die Enttäuschung der Erwartung führe zu Delikten, die Herrschaftsdelikte hießen oder Delikte kraft Organisationszuständigkeit 3. Nach Jakobs wird „der Organisationskreis so definiert, dass er den Aufwand erfasst, der nötig ist, um Schaden bei anderen zu vermeiden, (denn) wer Handlungsfreiheit so gebraucht, soll den Aufwand tragen" 4. Der Umfang des Organisationskreises richte sich also nach den potentiellen Wirkungen eines schon abgeschlossenen Tuns oder Unterlassens5. Deshalb seien zu 1 Jakobs , AT 1 , 1983, S. VI. Jakobs , AT 2 , 1991, 1/7; Seine Konzeption der Pflichtdelikte wurde von seinem Schüler Sánchez-Vera (Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 29 ff.) ausführlich ausgearbeitet. 3 Jakobs, PK 2, 1/7. 4 Jakobs, AT 2 , 28/14. 2
5 Jakobs, AT 2 , 29/29, 38; dieser Gedanke wird näher bei Timpe (Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB und das Doppelverwertungsverbot, 1983, S. 176 ff.) weiter ent-
A. Darstellung
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den Delikten kraft Organisationszuständigkeit nicht nur die Begehungs-Herrschaftsdelikte, sondern auch derartige „unechte" Unterlassungsdelikte zu zählen, bei denen die Garantenstellung auf vorangegangenem Tun, Verkehrspflichten oder übernommenen Erfolgsabwendungspflichten beruhten6, weil ihr Haftungsgrund identisch sei: Rücksichtnahme auf andere bei der Gestaltung eines Organisationskreises 1. Andererseits sei eine Erwartung des ordnungsgemäßen Funktionierens der elementaren Institutionen notwendig. Diese Erwartung habe einen positiven Inhalt: Die Institutionen werden auf den Organisationskreis einzelner Personen abgestimmt. Die Enttäuschung dieser Erwartung führe zu Delikten, die Pflichtdelikte hießen oder Delikte kraft institutioneller Zuständigkeit 8. Diese Pflichten seien an Institutionen gebunden. Die institutionelle Zuständigkeit solle durch einen Status des Täters im Verhältnis zum Rechtsgut bestimmt werden9. Die Garantie für ein Gut oder für das Fehlen einer Gefahr werde bei diesen Pflichten von einer Garantie der Institutionen flankiert. Die durch eine Verletzung solcher Pflichten gekennzeichneten Unterlassungsdelikte fänden ihr Gegenstück bei der Handlung in den Pflichtdelikten 10. Als Institutionen sind nach der ursprünglichen Auffassung von Jakobs das Eltern-Kind Verhältnis, die Ehe, die besonderen Vertrauensverhältnisse und die „genuin staatlichen Pflichten" zu nennen11. Seit der Einführung der erleichterten Scheidungsmöglichkeit durch die Eherechtsreform muss die Begehungsgleichheit der Garantenstellung aus einer Ehe zweifelhaft sein 12 . Deshalb hat Jakobs später die Ehe als eine Institution aus dieser Liste gestrichen 13.
II. Der Unterschied zwischen Jakobs 9 und Roxins Ansatz Obwohl der von Roxin entwickelte Begriff der Pflichtdelikte von Jakobs aufgenommen wird, bestehen jedoch Unterschiede zwischen beiden Konzeptionen sowohl in der Begründung als auch im Umfang 14 . Roxin 15 sieht die Verletzung der wickelt; vgl. auch Hüwels, Fehlerhafter Gesetzesvollzug und strafrechtliche Zurechnung, 1986, S. 69 f. 6 Jakobs, AT 2 , 23/24, 28/13 f., 29/29 ff., 46 ff. 7 Jakobs, AT 2 , 28/14 a.E. 8 Jakobs, AT 2 , 1 /7. 9 Jakobs, AT 2 , 7/70 f. 10 Jakobs, AT 2 , 28/15. 11 Jakobs, AT 2 , 28/15, Einzelheiten unten 29/57 ff. 12 Jakobs, AT 2 , 29/58 Fn. 117. 13 Jakobs, Die strafrechtliche Zurechnung von Tun und Unterlassen, 1996, S. 35 mit Anm. 76. 14 Sánchez-Vera (Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 34-37) hat diese Unterschiede dargestellt. 15 Roxin, AT/2, 25/267 ff.
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§ 3 Formelle Weiterentwicklung der Pflichtdelikte durch Jakobs
Pflicht nur als ein entscheidendes Merkmal für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme an, während für Jakobs die Verletzung der Pflicht - neben der Ausdehnung des Organisationskreises - den Strafgrund der Tat bildet, denn der materielle Gehalt des Verbrechens bestehe nicht in einer Rechtsgüterverletzung, sondern in einer Normverletzung 16. Da nach Jakobs alle Delikte, deren Täter als Garanten zu institutionell abgesicherter Fürsorge für ein Gut verpflichtet sind, zu den Pflichtdelikten gehören, sind nicht nur alle unechten Unterlassungsdelikte mit einer Garantenpflicht kraft institutioneller Zuständigkeit zu den Pflichtdelikten zu zählen, sondern auch alle Begehungsdelikte, die von Personen begangen werden, die zugleich Garanten kraft institutioneller Zuständigkeit sind 17 . Zum Beispiel ist die Tötung ihres minderjährigen Kindes für die Eltern ein Pflichtdelikt. Unabhängig vom Maß ihrer Beteiligung (sei es Anstiftung, Beihilfe oder aktive Tötung) liegt bei den Eltern stets Täterschaft vor 1 8 , weil sie durch ihre Handlung ihre institutionelle Sonderpflicht zum Schutz des Kindes verletzen. Insofern wird der Bereich der Pflichtdelikte im Vergleich zu Roxins Konzeption durch die Einfügung der Institution erweitert. Es ist jedoch zu beachten, dass Jakobs 19 hier dazu neigt, den positiv Verpflichteten wegen mittelbarer Täterschaft zu bestrafen, während sein Schüler Sánchez-Vera 20 aufgrund der unmittelbaren Pflichtverletzung konsequenterweise ihn als unmittelbarer Täter betrachtet. Im Übrigen unterscheidet Jakobs 21 Pflichtdelikte (sog. Sonderdelikte im engeren Sinn) von „Sonderdelikten im weiteren Sinn u, in denen die strafrechtlich sanktionierte Pflicht weder ein Teil eines institutionell abgesicherten Bündels von Beziehung ist (Beamter, Soldat, Vater, Muter, Vormund, Vertrauensempfänger etc.) noch den Pflichtigen in eine Institution hineinzieht (etwa den Zeugen bei den Aussagedelikten oder die Hilfsperson in § 203 Abs. 3). Solche strafrechtlich sanktionierte Pflichten seien nur isolierte Pflichten (etwa die Leistungspflicht eines vermögensrechtlichen Schuldners gemäß § 370 AO), die nicht ihrerseits den Status eines „Pflichtigen" begründeten 22. Nach Jakobs 23 beschränken Sonderdelikte im weiteren Sinn den Täterkreis vielmehr nur, weil tatbestandsmäßiges Handeln überhaupt oder in praktisch relevanter Weise nur so möglich sei, oder weil nur von einigen Personengruppen ein Gut in besonders leichter oder praktisch relevanter Art und Weise anzugreifen sei. Beispiele seien: Grundfall der Unterschlagung (§ 246 Abs. 1 a. F.), unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142), Gefangenen16 Jakobs, AT 2 , 1 / 9 , 2 / 2 . 17 Ausführlich dazu Jakobs, AT 2 , 7 / 70, 21 /115 ff. 18 Jakobs, AT 2 , 21/116. 19 Jakobs, AT 2 , 21/116. 20 Sánchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 162-164. 21 Jakobs, AT 2 , 23/24. 22 Jakobs, AT 2 , 25/46. 23 Jakobs, AT 2 , 23/24, 28/14, 29/28.
A. Darstellung
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meuterei (§ 121), Schiffsgefährdung (§ 297 a. F.), exhibitionistische Handlungen (§ 183), unbefugter Gebrauch von Pfandsachen (§ 290), Vereiteln der Zwangsvollstreckung (§ 288), Bankrott (§ 283) usw. Alle unechten Unterlassungsdelikte aufgrund einer Garantenpflicht kraft Organisationszuständigkeit (Verkehrpflichten, Ingerenz und Übernahme) seien dem Haftungsgrund nach parallel zu den Begehungs-Herrschaftsdelikten zu beurteilen und gehörten deshalb nicht zum Bereich der Pflichtdelikte, sondern zu den Sonderdelikten im weiteren Sinn. Damit wird der Bereich der Pflichtdelikte nach Jakobs wegen der Bindung an eine Institution teilweise reduziert. Die Täterkonzeption von Jakobs lässt sich schematisch etwa so darstellen 24: Täter
Organisationszuständigkeit
institutionelle Zuständigkeit
Herrschaftsdelikte
Jedermannsdelikte
Pflichtdelikte
unechte eigenhändige Delikte
Eltern-Kind Verhältnis
Teilnahmehandlung des Garanten kraft institutioneller besonderes Vertrauen Zuständigkeit Sonderdelikte
i.w.S.
genuin staatliche Pflichten
(Ehe) Ingerenz Verkehrspflichten
Übernahme von Pflichten
Begehungsdelikte
Unterlassungsdelikte
24 Ein Schema des Jakobs'schen Täterschaftsbegriff findet sich in einem Aufsatz von Hsü aus Taiwan (Der materielle Täterbegriff, TZStW Volume 41 Heft 6 [1997], S. 41). Sie hat allerdings wie Herzberg (GA 1991, 145, 162 f.), was von Puppe in: NK, § 28 f. Rdn. 118 mit Recht kritisiert wird, in ihrem Schema (Jakobs missverstehend) die Garantenpflichten aus Organisationszuständigkeit mit den Überwachergarantenstellungen und die aus institutioneller Zuständigkeit mit den Beschützergarantenstellungen gleichgesetzt.
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§ 3 Formelle Weiterentwicklung der Pflichtdelikte durch Jakobs
B. Kritik Die Konzeption von Jakobs basiert darauf, dass die materielle Legitimation des Strafrechts nicht auf dem Rechtsgüterschutz beruhe, sondern auf der Garantie von Normen 25 . Das ist nicht nur zirkulär, weil es sich hierbei nach Schünemann 26 ja nur um eine Umschreibung der Normverletzung handelt und damit um eine formale und positivistische Verweisung auf die Gesamtheit der Strafrechtsnormen, also um eine zirkuläre Definition der normverletzenden Handlung durch die Normwidrigkeit, sondern widerspricht auch der so gut wie unbestrittenen Zweckbestimmung des Strafrechts im demokratischen Rechtsstaat durch den Rechtsgüterschutz27. Abgesehen davon ist der Begriff der Zuständigkeit qua Organisation oder qua Institution ebenfalls zweifelhaft. Die Hauptkritik wird von Schünemann 28 überzeugend vorgelegt. Ihr ist m.E. zu folgen. Sie kann man folgendermaßen zusammenfassen: I. Kritik am Begriff „Organisationskreis" Der von Jakobs geprägte Ausdruck des „Organisationskreises" klinge zwar soziologisch, sei es aber nicht. Denn während man in der Soziologie unter Organisationen soziale Teilsysteme verstehe, die auf die Erreichung spezifischer Ziele gerichtet seien, über eine verhältnismäßig stark formalisierte Binnenstruktur verfügten und durch ihre überindividuelle Ordnung einen strukturellen Unterschied zum Individuum markierten, setze Jakobs „Organisieren" mit menschlichem Gestalten gleich und verwende „Organisationsdelikte" als Synonym für Herrschaftsdelikte. Er scheine also zunächst auf den Herrschaftsansatz zuzusteuern, um aber dann den „Organisationskreis bis hin zu den potentiellen deliktischen Erfolgen" und damit auf die bloßen Kausalfolgen einer gefährlichen Vorhandlung zu erstrecken 29 . Die oben gerade erwähnte Definition des Organisationskreises von Jakobs ist nach Schünemann 30 ersichtlich nichts anderes als die Definition einer völlig unlimitierten Ingerenz-Garantenstellung und eine reine Dezision, obwohl sich bei der Ingerenz-Garantenstellung die von einem Individuum lediglich verursachten Geschehnisse, die ebenfalls von Jakobs 31 als Organisationskreis des Individuums bezeichnet werden, außerhalb von dessen Herrschaftssphäre abspielen. 25 Jakobs, AT 2 , 2 / 1 ff. 26 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 51. 27 Vgl. nur Schünemann, GA 1995, 201 ff., 218; ders., FS-Roxin, 2001, S. 16; Roxin, AT/1 3 , 2 / 1 ff. und 2/28 Fn. 69 m. w. N. 28 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 50-62; ders., Strafrechtsdogmatik als Wissenschaft, in: FS-Roxin, 2001, S. 19 f.; vor ihm vgl. Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht von Amtsträgern, 1989, S. 350 ff. 29 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 57. 30 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 57; ders., FS-Roxin, 2001, S. 19. 31 Jakobs, AT 2 , 29/29 ff.
B.
Kritik
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II. Kritik am Konzept der institutionellen Zuständigkeit Noch fragwürdiger ist nach Schünemann 32 die Einfügung der „institutionellen Zuständigkeit" in das Strafrecht. Nach seiner Meinung setzt Jakobs sich einer doppelten, sowohl auf der methodologischen als auch auf der inhaltlichen Ebene durchgreifenden Kritik aus, soweit Jakobs an außerstrafrechtliche, namentlich zivilrechtliche Rechtsregeln anknüpfe. Die Heranziehung der Regelungen über die zivilrechtlichen Rechte und Pflichten von Eltern oder Vormündern zeige deutlich, dass Jakobs sein Heil zur Ausfüllung seiner Leerformeln im Gesetzespositivismus suchen müsse, wobei er, weil das Strafrecht die Antwort schuldig bleibe, auf andere Rechtsgebiete zurückzugreifen versuche. Inhaltlich sei dieser Rückgriff aber schon deshalb unschlüssig, weil, wie die von Schünemann zitierten Arbeiten von Schaffstein und Nagler 33 aus den 30er Jahren zeigen, zivilrechtliche Pflichten als solche keine strafrechtlichen Pflichten auslösen können - was Jakobs vielleicht deshalb nicht störe, weil er ja auch schon die Strafe ganz allgemein aus der bloßen Normverletzung ableiten zu können vermeine. Die Anknüpfung der „institutionellen Zuständigkeit" an außerstrafrechtliche rechtliche Institutionen durch Jakobs wird von Schünemann als ein Rückschritt zu der obsoleten formellen Rechtspflichttheorie beurteilt. Im Übrigen ist der Begriff der „Institution" wegen seines inhaltlich noch höheren Abstraktionsgrad als der Begriff der Organisation weder imstande, Kriterien für die strafrechtliche Begehungsgleichheit des Unterlassens zu liefern 34 , noch geeignet, die Beschränkung des Täterkreises der Sonderdelikte zu erklären. Dieser Begriff ist nach Jakobs 35 im sozialwissenschaftlichen Sinn als dauerhafte und rechtlich anerkannte Beziehungsform einer Gesellschaft zu verstehen, die der Disposition des einzelnen Menschen entzogen sei, ihn vielmehr mitkonstituiere. Aber wenn man auf die von Jakobs zitierte Stelle 36 näher eingeht, sind noch zwei Sätze zu berücksichtigen: „Wer das Wort Institution in die Sozialwissenschaften eingebracht hat, ist schwer auszumachen. Dies würde auch zur Problemgeschichte wenig beitragen, da es zahlreiche semantisch eng verwandte Worte gibt". Wenn man von der Übertragung eines solch vagen Begriffs wie Institution von der Sozialwissenschaft auf die Strafrechtswissenschaft glänzende Aussichten erwartet, muss man also zwangsläufig davon enttäuscht werden. In der von Jakobs gemeinten Beziehungsform der Gesellschaft wird ein Bündel thematisch zusammengehöriger Normen festgesetzt und durchgesetzt, so dass die „institutionelle Zuständigkeit", wie Schünemann 37 ihm mit Recht vorwirft, nichts anderes bedeute als ein von 32 Schünemann, FS-Roxin, 2001, S. 19 f. 33 Schaffstein, FS-Graf Gleispach, 1936, S. 70 ff.; Nagler, GS 111(1938), 1, 59. 34
Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 60 f. 35 Jakobs, AT 2 , 29/57 Fn. 114. 36 H. Dubiel in: J. Ritter und K. Gründer (Hrsg.) Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. IV, 1976, Stichwort Institution Nr. 5. 37 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 60 f.
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§ 3 Formelle Weiterentwicklung der Pflichtdelikte durch Jakobs
irgendeiner sozialen Norm (also noch nicht einmal von einer Rechtsnorm) vorgeschriebenes Verhalten. Aber natürlich könne nicht jede Verletzung einer Rechtsoder gar Sozialnorm schon ein unechtes Unterlassungsdelikt konstituierten, wie ja schon allein die Existenz der echten Unterlassungsdelikte beweise, weshalb sich Jakobs auf solche Institutionen beschränke, die „für den gesellschaftlichen Bestand von demselben elementaren Gewicht" seien wie etwa bei dem Eltern-Kind-Verhältnis, der Ehe und dem besonderen Vertrauen. Dadurch verdünne Jakobs einerseits seine Basiskategorie, weil „besonderes Vertrauen" keine konkrete gesellschaftliche Institution, sondern ein Teilaspekt unterschiedlichster sozialer Interaktionen sei. Die viel zu unbestimmte Abgrenzungsformel „elementares Gewicht für den gesellschaftlichen Bestand" von Jakobs eröffne andererseits eine falsche Perspektive, weil es für die Begehungsgleichheit des Unterlassens ja nicht auf die Schutzwürdigkeit der Institution, sondern auf die des bedrohten Rechtsgutes ankommen müsse. Die Institution der Bergführung sei zwar (erst) in der gegenwärtigen Freizeitgesellschaft notwendig, aber die Garantenstellung aus Gefahrengemeinschaft sei bereits im 19. Jahrhundert (als nur Exzentriker auf Berge gestiegen seien) aus der Übernahme der Obhut über das hilflose Rechtsgut erwachsen und sei völlig unabhängig von der Legalität des verfolgten Zweckes. Auch wenn ein Berg verbotenerweise bestiegen werde, sei die Garantenstellung des Bergführers gegeben, während Jakobs die Legalität der mit der Gefahrengemeinschaft verfolgten Zwecke verlange (AT 2 , 29/71) und damit die Beziehung des Täters zum Rechtsgut als Gleichstellungskriterium durch die Schutzwürdigkeit der Institution ersetze. „Die gleiche Verwechselung unterläuft ihm bei der Ehe, die auch ohne eine praktizierte Lebensgemeinschaft eine garantenstellungserzeugende Pflicht zu deren Herstellung begründen soll {Jakobs, AT 2 , 29 / 64)", weshalb er im Hinblick auf die erleichterte Scheidungsmöglichkeit seit der Eherechtsreform in seiner kleinen Studie „Die strafrechtliche Zurechnung von Tun und Unterlassen" (1996, S. 35 Fn. 76) die Begehungsgleichheit der Garantenstellung aus Ehe gestrichen hat. Mit den Worten von Schünemann 38 lautet das Fazit wie folgt: „Falls Jakobs aber auch soziale Institutionen ausreichen lassen will, wofür seine Bemerkungen über Institutionen von elementarem Gewicht wie bei einem besonderen Vertrauen sprechen könnten, würde er erstens seinem eigenen normativistischen Ansatz untreu, weil er ja auf die Beziehung von Menschen als Individuen und nicht als Personen abheben würde, und müsste zweitens aus soziologischen und damit empirischen Prämissen Rechtsfolgen ableiten, was auf den von ihm sonst harsch gegeißelten naturalistischen Fehlschluss hinauslaufen würde".
38 Schünemann, FS-Roxin, 2001, S. 19 f.
C. Eigene ergänzende Kritik
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C. Eigene ergänzende Kritik Eine weitere Kritik betrifft die Erweiterung des Bereichs der Pflichtdelikte auf alle Begehungsdelikte, die von Personen begangen werden, die zugleich Garanten kraft institutioneller Zuständigkeit sind. Wenn man wie Jakobs' Schüler Sánchez-Vera 39 der Ansicht ist, dass der Väter, der dem Mörder seines Sohnes ein Messer reiche, wegen der direkten Verletzung der zur Institution Eltern-Kind-Verhältnis gehörenden Sonderpflicht ein Pflichtdelikt begehe und aus unmittelbarer Begehungstäterschaft bestraft werden muss, verstößt das gegen den Grundsatz des Analogie Verbots. Denn die Möglichkeit unmittelbarer Begehungstäterschaft in diesen Fällen ist angesichts der explizit zur Täterschaft erhobenen Fälle der Teilnahme etwa bei der Körperverletzung im Amt gemäß § 340 oder der Untreue gemäß § 266 als unbestrittene Fälle der Pflichtdelikte nämlich e contrario ausgeschlossen. Dagegen hat Jakobs 40 sich nicht für die unmittelbare Täterschaft entschieden, sondern mittelbare Täterschaft angenommen. Im Ergebnis schließt er sich hier Roxins Lösung an, obwohl er eine mittelbare Täterschaft des Intraneus bei Benutzung eines qualifikationslosen dolosen Werkzeugs inkonsequenterweise verneint 41. Das verdient ebenfalls keinen Beifall, wie ich bereits oben dargestellt habe 42 , weil die Lösung mit Hilfe eines von der Tatherrschaft abweichenden Begriffs der mittelbaren Täterschaft ungeeignet und überflüssig ist. Ein Hinweis auf die zutreffende Lösung ist in dem von Sánchez-Verá 43 vielmals zitierten, berühmten Worten von Radbruch 44 zu finden: „Das Gesetz kann klüger sein als seine Verfasser - es muss sogar klüger sein als seine Verfasser". Die Lösung findet sich schon bei unechten Unterlassungsdelikten. Der Vater, der dem Begehungstäter ein Messer reicht, hat nicht nur eine vollendete aktive Beihilfe begangen, sondern auch eine täterschaftliche Unterlassung. Beide Straftaten stehen im Verhältnis von Idealkonkurrenz. Die Strafmilderungsmöglichkeit gemäß § 13 Abs. 2 ist jedoch wegen der Beihilfe (oder Anstiftung) des unterlassenden Garanten auszuscheiden.
39 Sánchez-Vera , Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 34 f., 163, 199. 40 Jakobs, AT 2 , 21/116. 41 Jakobs, AT 2 , 21 /104. 42 Siehe § 2 B I I c. 43 Sánchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, etwa wie S. 7, 62, 226. 44 Radbruch, Rechtsphilosophie, 8. Auflage, 1973, S. 207.
§ 4 Schiinemanns Herrschaftstheorie: Eine Theorie der Garantensonderdelikte Um den Begriff der Garantensonderdelikte von Schünemann genau erfassen zu können, ist unentbehrlich, sein gesamtes Täterschaftskonzept zu überblicken. Das Täterschaftskonzept 1 beabsichtigt, den von Roxin entwickelten pluralistischen 2 Täterbegriff auf einem einheitlichen monistischen Täterbegriff mit dem gemeinsamen Kriterium der „aktuellen Herrschaft" aufzubauen, nämlich der „Herrschaft über den Grund des Erfolgesdie bei den Begehungsdelikten durch die Tatherrschaft und bei den unechten Unterlassungsdelikten und Garantensonderdelikten durch eine schon vorher existierende Kontrolle über einen sozialen Bereich (Gefahrenquelle bzw. hilfloses Rechtsgutsobjekt) gekennzeichnet wird. Die Herrschaft über den Grund des Erfolges ist das einheitsstiftende materielle Prinzip für die unterschiedlichen Täterschafts-Phänotypen bei den Begehungsdelikten (Tatherrschaftsdelikte und Organisationsdelikte), den unechten Unterlassungsdelikten und den Garantensonderdelikten 3.
A. Darstellung I. Die Herrschaft über den Grund des Erfolges als übergeordnete Gleichstellungsrichtlinie bei den Unterlassungsdelikten Schünemann hat ursprünglich in seiner Göttingener Dissertation von 1971 über „Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte" das Gleichheitsprinzip der „Herrschaft über den Grund des Erfolges" zunächst aus der Idee heraus entwickelt, dass „eine Bestrafung des Unterlassens aus dem Begehungstatbestand nur sachgerecht sein kann, wenn der Unterlassungstäter zu dem rechtsgutsverletzenden Geschehen eine ähnliche Stellung einnimmt wie der Begehungstäter kraft seiner 1 Schünemann hat dies zuerst 1979 in seiner Schrift „Unternehmenskriminalität und Strafrecht, S. 92 ff." skizziert und später in GA 1986, 331-336 zusammengefasst. 2 Denn Roxin (AT/2, 25/297 ff.) ist der Meinung, dass echte eigenhändige Delikte, nämlich verhaltensgebundene (z. B. § 173) und täterstrafrechtliche Delikte (z. B. § 181a) bloße Überbleibsel älterer Strafrechtskonzeptionen seien, deren Bestrafung aufgrund des Mangels der Sozialschädlichkeit nicht legitim sei und sich auf die Dauer nicht werde behaupten können. Unechte eigenhändige Delikte seien bei den Pflichtdelikten einzuordnen. Deshalb ist sein Täterbegriff in Wahrheit pluralistisch. 3 Schünemann, GA 1986, 293, 334, 336; ders., L K 1 1 , § 14 Rdn. 17, 21; ders., L K 1 1 , § 266 Rdn. 55 f., 91, 160.
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Tatherrschaft" 4. Diese „Herrschaft über den Grund des Erfolges" müsse in einer Beherrschung (= Kontrolle) des sozialen Bereiches bestehen, in dem sich der rechtsgutsverletzende Kausalverlauf vollziehe, so dass man ebenso wie bei der Tatherrschaft durch eine Körperbewegung als aktives Tun sagen könne, dass das Geschehen das Werk des Täters sei und Ausdruck der von ihm getroffenen Entscheidung, was in seinem Herrschaftsbereich passieren solle und was nicht. Aus dieser Prämisse ließen sich dann die beiden großen Gruppen von Garantenstellungen ableiten, nämlich die Herrschaft über eine wesentliche Erfolgsursache und die Herrschaft über die Hilflosigkeit des Opfers 5. Die daraus abzuleitenden konkreten Garantenstellungen (etwa die Aufsichtsgarantenstellungen über einen gefährlichen Hund, eine gefährliche Industrieanlage oder über einen gefährlichen Geisteskranken bzw. die Obhutsgarantenstellungen der Mutter über das neugeborene Kind, des Arztes über den Patienten oder des Bergführers über den unerfahrenen Bergsteiger) seien auch von der traditionellen Auffassung durchwegs anerkannt; weil die traditionelle Auffassung aber keine einheitliche Garantentheorie besitze, sei sie niemals davor gefeit, neue Garantenstellung auch dort zu „erfinden", wo keine Herrschaft über den Grund des Erfolges und damit auch keine wirkliche Begehungsgleichheit vorliege 6.
II. Garantensonderdelikte anstelle der Pflichtdelikte Für die Sonderdelikte hatte Schünemann sich zunächst7 der Auffassung Roxins angeschlossen, dass ihr entscheidendes Zurechnungskriterium ausschließlich in der Verletzung der außerstrafrechtlichen Rechtspflicht zu sehen sei, die dem Tatbestand sein Gepräge verleihe und vollständig an die Stelle der bei den Herrschaftsdelikten gültigen Zurechnungskriterien trete. Später8 hebt Schünemann bei diesen Delikten hervor, dass die darin vorausgesetzte besondere Täterqualifikation (von wenigen Ausnahmen abgesehen) immer an eine Garantenstellung, sei es aus der Aufsicht über Gefahrenquellen oder aus der Obhut über Rechtsgüter anknüpfe. Die von Roxin hier angeführte außerstrafrechtliche Sonderpflicht sei dabei aus der Sicht des Strafrechts keine Prämisse, sondern ein Epi-Phänomen dieser Herrschaftsposition und sei dementsprechend auch nicht Grund, son4
Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikten, 1971, S. 232 ff., 236 ff.; Zusammenfassend in: ders., Madrid-Symposium, 1995, S. 72. 5 Zur Herrschaft über die Hilflosigkeit des Opfers siehe Schünemann, Grund und Grenzen der Unterlassungsdelikte, 1971, S. 334 ff., 342 ff., 348 ff., 354 ff.; zur Herrschaft über eine wesentliche Erfolgsursache siehe ders., a. a. O. S. 294 f., 323 ff., 327 ff. 6 Schünemann in: Chengchi Law Review Volume 50 (1994), S. 415 f. 7 Schünemann, Grund und Grenzen der Unterlassungsdelikte, 1971, S. 370. 8 Die erste Entwicklung dieser Konzeption findet sich in: Schünemann, Zeitschrift für Schweizer Recht 1978, S. 131, 153 ff.; vgl. auch ders., Jura 1980, 568, 582 f.; ders., Unternehmenskriminalität und Strafrecht, 1979, S. 92 ff.; ders., GA 1986, 293, 334 ff.; ders. in L K 1 1 , § 14 Rdn. 14 ff., 67 ff. 6 Chen
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§ 4 Schiinemanns Herrschaftstheorie
dem nur Indiz der strafrechtlichen Rechtspflicht, das im Einzelfall auch fehlen könne9. Bei genauerer Prüfung erweise sich die von Roxin hierbei vorausgesetzte Akzessorietät des strafrechtlichen Täterbegriffs gegenüber dem Zivilrecht oder dem öffentlichen Recht allenfalls dort am Platz, wo die Tathandlung rechtsgeschäftliche Qualitäten aufweisen müsse wie etwa beim Missbrauchstatbestand des § 266 1. Alternative 10. Schon beim Treubruchtatbestand des § 266 2. Alternative gehe es dem Gesetzgeber aber ersichtlich nicht um eine zivilrechtsakzessorische Bestrafung der Verletzung zivilrechtlicher Pflichten, weil die Täterqualifikation auch durch ein „tatsächliches Treueverhältnis" begründet werde. Wer die durch einen Vertrauensakt eingeräumte Obhutsstellung und Näheposition zu einem fremden Vermögen illoyal ausübe, werde gemäß dem Treubruchtatbestand pönalisiert. Damit entspreche die Täterqualifikation beim Treubruchtatbestand strukturell jener Garantenstellung aus „Herrschaft über die partielle Hilflosigkeit des Opfers infolge eines fremden Vertrauensaktesdie unter der Bezeichnung „Übernahmegarantenstellung" vor allem zum Schutze personaler Rechtsgüter einhellig anerkannt sei, aber selbstverständlich nach der Art der durch den Vertrauensakt übertragenen Schutzherrschaft auch Vermögensgüter als Schutzobjekte umfassen könne 11 . Auch § 203 könne als Beispiel dafür angeführt werden, dass die Einzelausgestaltung der Sonderdelikte durch den Gesetzgeber und die Beschreibung des jeweiligen konkreten Täterkreises mit der „Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsgutsobjektes" am besten erklärt werden könne. Gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 1 werde entgegen Roxin 12 der Täter nicht nur durch den Bruch der vorstrafrechtlichen ärztlichen Schweigepflicht charakterisiert, sondern auch jeder erfasst, der das fremde Geheimnis etwa auch durch seine Tätigkeit als Hilfsperson des Arztes oder sogar nach dessen Tod aus dem Nachlass erlangt habe (vgl. § 203 Abs. 3). Der Strafrechtsschutz knüpfe hier also an die Einräumung einer Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsgutsobjektes durch die sozial notwendige Öffnung der eigenen Geheimsphäre gegenüber dem Arzt an, ohne den Täterkreis etwa auf die Träger standesrechtlicher Sonderpflichten zu beschränken13. Es erscheint Schünemann 14 deshalb zwangsläufig, zur Bestimmung des Tätermerkmals über die „außerstrafrechtliche Sonderpflicht" hinauszugreifen und auf die Verbindung von Vertrauensakt und Obhutspflichten abzustellen. 9 Schünemann, GA 1986, 293, 332; ders. in: Chengchi Law Review Volume 50 (1994), S. 416. 10 Auch hier ist Schünemann inzwischen von einer strengen Zivilrechtsakzessorietät abgegangen, siehe L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 53. 11 Schünemann, GA 1986, 293, 333; ders., L K 1 1 , § 14 Rdn. 17. 12 LK n-Roxin, § 25 Rdn. 37. 13 Schünemann, GA 1986, 293, 333; ders., L K 1 1 , § 14 Rdn. 17; eingehend ders., ZStW 90 (1978), 11,51 ff., 57 ff. 14 Schünemann, GA 1986, 293, 333.
A. Darstellung
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In diesem Sinne versteht Schünemann deshalb die Sonderdelikte nicht wie Roxin als Pflichtdelikte, sondern als Garantensonderdelikte 15, bei denen also jegliche Täterschaft an die Innehabung einer Garantenstellung geknüpft sei und für die es deshalb auch gleichgültig sei, ob der Täter (der sog. Intraneus) aktiv handele oder nur die Rechtsgutsverletzung in seinem Herrschaftsbereich geschehen lasse16.
III. Übernahme einer Garantenstellung als Grund der Vertreterhaftung Nach Schünemann 17 ist die in § 14 angeordnete Gleichstellung des „Vertreters" mit dem in den Tatbeständen des Besonderen Teils gekennzeichneten Täter deshalb dann und nur dann gerechtfertigt, wenn der „Vertreter" gerade durch sein Handeln für einen anderen (den im Tatbestand bezeichneten tauglichen Täter) in dessen Position hineinwächst und jene Attribute auf sich zieht, die bei der Vertypung des betreffenden Sonderdelikts durch den Gesetzgeber den Grund der Strafbarkeit abgegeben haben. Die Herrschaftsverhältnisse über die Hilflosigkeit des Rechtsgutes könnten die Problematik der strafrechtlichen Vertreterhaftung am besten erklären, da die Anknüpfung an die Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsgutes zwanglos darstelle, warum die Strafdrohung auch gegenüber demjenigen gelten müsse, der diese Herrschaftsposition von dem ursprünglichen Inhaber übernehme. Bei der sachlogischen Struktur der Vertreterhaftung handele es sich um nichts anderes als die Übernahme einer Garantenstellung 18. Auch Roxin 19 hat ausdrücklich die Richtigkeit eines solchen Verständnisses des § 14 bestätigt und betrachtet konsequenterweise § 14 nur auf Pflichtdelikte anwendbar. Sogar Jakobs kommt, wie Schünemann 20 hervorhebt, bei der Vertreterhaftung im Ergebnis ebenfalls zu einer
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Diese Terminologie findet sich zuerst bei Schünemann, Jura 1980, 576 f., 582 f.; dazu näher, ders., GA 1986, 334 f.; ders., LK n (1993), § 14 Rdn. 12, 17; ders. in: Chengchi Law Review Volume Volume 50 (1994), S. 416; ders., LK n (1998), § 266 Rdn. 55, 91, 160. L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 17; ders. in: Chengchi Law Review Volume 50 (1994), S. 416. 17 Vgl. bereits Schünemann, Jura 1980, 568 ff, 575 im Anschluss an „Unternehmenskriminalität und Strafrecht, 1979, S. 131 ff.; ders., Zeitschrift für Schweizerisches Recht, 1978, S. 155; ders., GA 1986, 334. 18 Schünemann, Zeitschrift für Schweizerisches Recht, 1978, S. 155; ders., Unternehmenskriminalität und Strafrecht, 1979, S. 138; ders., Jura 1980, 577; ders., wistra 1982, 46; ders., L K 1 1 , § 14 Rdn. 13. 19 Dazu vgl. LK 10-Roxin, § 14 Rdn. 9 f.; er änderte jedoch später seine Meinung (Roxin, AT/2, 27/99) und bezweifelt nun eine völlige Gleichstellung der Pflichtenstellung in § 14 mit der Garantenlehre der unechten Unterlassungsdelikte, weil von seinem Standpunkt aus nicht alle täterschaftliche Statusbezeichnungen eine Garantenstellung begründen, z. B. die Pflichten des Schuldners nach § 288. 20 Jakobs, AT 2 , 2 1 / I I . 6*
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§ 4 Schnemanns Herrschaftstheorie
Garantentheorie, auch wenn Jakobs dies ausdrücklich nicht einräumt 21. Denn bei seinem einzigen Gegenbeispiel, bei dem der für einen Kaufmann die Handelsbücher führende Betriebsleiter im Fall der Verletzung der Buchführungspflicht wegen § 14 nach § 283 haften solle, obgleich er nicht der buchführungspflichtige Kaufmann sei, geht es um nichts anderes als um die von Jakobs im Zusammenhang der Unterlassungsdelikte selbst anerkannte partielle Übernahme einer Garantenstellung, in Jakobs' Terminologie der Organisationszuständigkeit des Schuld-
IV. Organisationsdelikte als unabhängige Deliktsgruppe Bei den Herrschaftsdelikten unterteilt Schünemann prinzipiell im Anschluss an Roxins Meinung drei Erscheinungsformen: Handlungsherrschaft, Willensherrschaft funktionelle Tatherrschaft. Aber die Organisationsdelikte, die bei Roxin unter den übergeordneten Begriff der Willensherrschaft fallen, werden von Schünemann kraft der Organisationsherrschaft als unabhängige Deliktsgruppe im Vergleich zu den Tatherrschaftsdelikten und den Garantensonderdelikten angesehen. Unter Organisationsherrschaft versteht Schünemann zwei Deliktskategorien: Die erste Deliktsgruppe der Organisationsdelikte bestehe in allen Nicht-Verbrechensorganisationen, in denen der Täter durch die Beherrschung über betriebliche Abläufe die Straftat begehe. Die zweite Deliktsgruppe der Organisationsdelikte entspreche der von Roxin 23 entwickelten Tatherrschaft kraft organisierter Machtapparate. Die Täterschaft sei bei beiden Deliktsgruppen durch die Organisationsherrschaft charakterisiert. Entgegen der h.L. 24 , die etwa die Tatbestände des Glückspiels gemäß § 284 und der Lotterie gemäß § 287 als Sonderdelikte interpretierte und hier § 14 Abs. 1 in Anwendung bringe, wenn der Veranstalter oder Halter eine juristische Person oder Personalgesellschaft sei, ist Schünemann bei dieser Deliktsgruppe der Meinung, dass die eine betriebliche Tätigkeit beschreibenden Deliktstatbestände von vornherein auf (alle) diejenige Personen anzuwenden seien, die diese Tätigkeit insgesamt beherrschten, was sich regelmäßig aus ihrer Position innerhalb der betrieblichen Hierarchie ergebe. Solche spezifischen Organisationsdelikte seien keine Sonderdelikte, knüpften aber im Unterschied zur großen Masse der anderen Delikte nicht an bestimmte einzelne Handlungen des Täters (Einzelaktsdelikte) an, 21
Weil Jakobs (in: AT 2 , 21/11 Fn. 19) Schünemanns Garantentheorie dahin verzeichnet, dass Schünemann eine Beschränkung auf übernommene Pflichten vertreten würde, obwohl es in Schünemanns Theorie - ausgedrückt in Jakobs' Terminologie - um die Übernahme einer organisatorischen oder institutionellen Zuständigkeit gehe, vgl. L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 16, Fn. 65. 22 L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 16. 2 3 Roxin, TuT 7 , S. 242-252. 2 * Vgl. LK 10 -v. Bubnojf, § 284 Rdn. 12; § 287 Rdn. 19 (jetzt anders L K n - v . Bubnoff, § 284 Rdn. 18; § 287 Rdn. 25, der sich Schünemanns Meinung anschließt); Tröndle/Fischer 51, § 14 Rdn. 5; § 284 Rdn. 12; Eser/Heine in: Schönke/Schröder 26, § 284 Rdn. 13; § 287 Rdn. 21.
A. Darstellung
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sondern an ein Ensemble von betrieblichen Abläufen, als deren „Täter" derjenige im Tatbestand bezeichnet werde, der allein oder mit anderen über diese Abläufe die Entscheidungsmacht ausübe, d. h. der der betrieblichen Organisation eines strafrechtlichen unerwünschten Erfolges vorstehe. Mit anderen Worten: Der Zurechnungsgrund der Organisationsdelikte liege im tatsächlichen Einfluss auf die Tätigkeit der Organisation. Der formale Status sei hier ohne Bedeutung25. Für eine Heranziehung des § 14 bestehe bei diesem Konzept weder Raum noch Bedürfnis, weil die Täterschaft unmittelbar aus der Organisationsherrschaft folge und deshalb die formelle Tatbestandsmäßigkeit dem materiellen Unrecht optimal korrespondiere. Alle auf betriebliche Abläufe gemünzten Delikte sollten als Organisationsdelikte interpretiert werden. Das gelte insbesondere für die §§ 284, 287, 327 und § 34 AWG, denn beim Veranstalten eines Glückspiels oder von Lotterien, Betreiben einer Anlage, Ausführen von verbotenen Waren und Handeltreiben gehe es typischerweise um komplexe Abläufe innerhalb einer arbeitsteiligen Organisation, so dass die Tathandlung nicht in dem bloßen körperlichen Vollzug, sondern in der Ausübung organisatorischer Leitungs- und Entscheidungsmacht zu sehen sei. Eine Anlage werde i.S. des § 327 also noch nicht von jedem darin tätigen Arbeiter, aber auch nicht erst von der Aktiengesellschaft als Inhaberin des Unternehmens betrieben, sondern von dem in der betrieblichen Hierarchie für die Führung dieser Anlage primär zuständigen Mitarbeiter bis hinauf zu denjenigen zuständigen Entscheidungsträgern in der Unternehmensspitze, die mit Wissen der nachgeordneten Organe um den konkreten Anlagebetrieb wüssten und ihn durch diese Reflexivität des Wissens konkludent billigten 26 .
V. Konsequenz: Eine einheitliche monistische Täterlehre Mit diesem Herrschaftsansatz hat Schünemann unter Vernachlässigung rudimentärer Deliktskategorien, wie etwa der der eigenhändigen Delikte 27 , eine einheitliche monistische Täterlehre konzipiert, in der die „Herrschaft über den Grund des Erfolges" die allgemeine Täterschaftsstruktur darstellt, die sich bei den Begehungsdelikten in die Tatherrschaft i.e.S., bei den unechten Unterlassungsdelikten und den Garantensonderdelikten in die Garantenherrschaft und bei den Organisationsdelikten in die Organisationsherrschaft aufgliedert. Sein Täterbegriff könnte sich schematisch etwa so darstellen lassen28: 25 LKn-Schünemann, § 14 Rdn. 21. 26 L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 21; ders., Zur Dogmatik und Kriminalpolitik des Umweltstrafrechts, FS-Triffterer, 1996, S. 437; gegen die Ausdehnung der Organisationsherrschaft auf wirtschaftliche Unternehmungen siehe Roxin, AT/2, 25/129 ff. Eine genauere Auseinandersetzung lässt sich hier nicht unternehmen, weil sie den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. 27 Schünemann, GA 1986, 293, 336. 28 Vgl. Yü-hsiu Hsü, Der materielle Täterbegriff, TZStW Volume 41 Heft 6 (1997), S. 39.
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§ 4 Schnemanns Herrschaftstheorie Herrschaft über den Grund des Erfolges
u.T. = unmittelbare Täterschaft; m.T. = mittelbare Täterschaft; Mt.= Mittäterschaft
B. Positive Würdigung Schünemanns Herrschaftstheorie als übergeordnete Gleichstellungsrichtlinie bei den unechten Unterlassungsdelikten ist seit ihrer Entstehung von einigen Autoren wie etwa Rudolphi, Bottke und Sangenstedt 29 in den wesentlichen Punkten akzeptiert worden. Auch Roxin nimmt im zweiten Band seines gerade erschienenen Lehrbuches zum Allgemeinen Teil des Strafrechts Schünemanns Herrschaftsansatz, d. h. die „Herrschaft über den Grund des Erfolges", auf und erhebt sie zum zentralen Merkmal der Garantenstellung 30, was Schünemanns Erwartung 31 entspricht. Obwohl die Zahl der Befürworter noch klein ist, bedeutet das nach der zutreffenden Meinung Schünemanns 32 aber nicht, dass ein endgültiger Ausgang der Unterlassungskontroverse gegeben wäre. Denn „auch die rivalisierenden Theorien sind stets nur vereinzelt auf eine umfassende Zustimmung gestoßen. Erst recht 29 SK1-Rudolphi, § 13 Rdn. 26 ff., 46 ff., passim; Bottke, Täterschaft und Gestaltungsherrschaft, 1992, S. 122 ff.; Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht von Amtsträgern, 1989, S. 291 ff.; ein Überblick der Differenzen zwischen ihren Garantenkonzeptionen und Schünemanns Konzeption findet sich bei Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 72 f. Fn. 102. 30
Roxin, AT/2, 32/17 ff.; die größte Differenz zu Roxins Garantenkonzeption besteht darin, dass Roxin im Anschluss an Rudolphi und im Gegensatz zu Schünemann eine IngerenzGarantenstellung anerkannt (vgl. Roxin, AT/2, 32/143 ff.). 31 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 82. 32 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 73.
C. Auseinandersetzung mit den Einwänden
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gibt es hier im strengen wissenschaftlichen Sinn keine herrschende Lehre, weil die in Deutschland gerne dafür gehaltenen Autoren der Standardlehrbücher und Kommentare gerade in der Garantenfrage einem theorielosen Eklektizismus huldigen, der weniger eine wissenschaftliche Gleichstellungstheorie als vielmehr ein bloßes Entscheidungsregister repräsentiert und meistens bei der formellen Rechtspflichttheorie unterschlüpft". Und Schünemanns Theorie gibt dagegen für die Gleichstellung von Tun und Unterlassen ein einheitliches Prinzip und damit einen überzeugenden Grund an.
C. Auseinandersetzung mit den Einwänden Die gegen Schünemanns Herrschaftsansatz vorgebrachten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen und beurteilen:
I. Methodologische Bedenken gegen Schünemanns Herrschaftsansatz Otto 33 hat zuerst die Kritik geübt, dass Schünemann den Begriff der „Natur der Sache" leichtfertig und zu oft als Surrogat für ein Argument verwendet habe. Sein Schüler Brammsen ist dieser Auffassung gefolgt und hat Schünemann fehlende Ausführungen zu Inhalt, Anwendungsgegenstand und -umfang der „Natur der Sache" vorgeworfen 34. Er hat diese Rechtsfindung aus der „Natur der Sache" als ein „Phänomen" mit völlig unbekanntem Inhalt und das mit der „Natur der Sache" eng verbundene „typologische Denken" als nicht nachvollziehbar bezeichnet35. Dieser Einwand ist allerdings nicht überzeugend36. Denn „die Natur der Sache ist der Topos, in dem sich Sein und Sollen begegnen, sie ist der methodische Ort der Verbindung (Entsprechung) von Wirklichkeit und Wert. Der Schluss vom Sachverhalt zur Norm bzw. der Norm zum Sachverhalt ist daher immer ein Schluss über die Natur der Sache. Die Natur der Sache ist der Angelpunkt des Analogieschlusses, sie ist das Fundament des analogischen Verfahrens sowohl der Gesetzgebung als auch der Rechtsfindung". Dies hat Arthur Kaufmann zum Verhältnis von der Natur der Sache und dem Typus geschrieben37, und an späterer Stelle : „Die Natur der Sache verweist auf den Typus. Das Denken aus der Natur der Sache ist typologisches Denken" 38 . Das typologische Denken, dessen logische Struktur damals 33 Otto, MschrKrim 1974, S. 125. 34 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 70 f. 35 Brammsen, Die EntstehungsVoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 71 f. 36 Gegenkritik bei Schünemann, GA 1974, 234 Fn. 22; ders., Madrid-Symposium, 1995, S. 74 f. 37 Arthur Kaufmann, Analogie und „Natur der Sache", 2. Aufl., 1982, S. 44. 38
Arthur Kaufmann, Analogie und „Natur der Sache", 2. Aufl., 1982, S. 47.
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§ 4 Schnemanns Herrschaftstheorie
noch nicht endgültig entschlüsselt war, als Schünemann anhand der Natur der Sache den als Typus qualifizierten Herrschaftsbegriff konkretisierte, kann heute nach treffender Auffassung Schünemanns auch im Anschluss an Kuhlen 39 und Puppe 40 präzisiert werden als schrittweise erfolgende Entnormativierung von Rechtsbegriffen mit komplexen und abstufbaren Merkmalen durch Entwicklung und Konkretisierung von fallgebundenen Ähnlichkeitsregeln 41. Dieses logische Präzisierungsverfahren zeigt sich in der Konkretisierung des Herrschaftsbegriffs, indem er nach Schünemann durch die Herrschaft über die Gefahrenquelle und über die Hilflosigkeit des Rechtsguts entnormativiert werden kann. Schünemann versucht, sowohl den von Neukantianismus heftig kritisierten naturalistischen Fehlschluss42, der die Rechtsfolge aus der Wirklichkeit ableitet, als auch den normativistischen Fehlschluss43 im Sinne von Jakobs und seinen Anhängern zu vermeiden, der die Zurechnungsprinzipien vollständig zur Disposition des Gesetzgebers oder einer mit im Grunde genommen beliebigem Inhalt anzufüllenden Systemtheorie stellt und die Rücksicht auf die vorrechtlichen Sachstrukturen vollständig preisgibt. Er vertritt eine mittlere Linie, die auf der (naturwissenschaftlich, humanwissenschaftlich und sozialwissenschaftlich zu bestimmenden) empirisch erfassbaren Wirklichkeit (der „Natur der Sache") beruht und nach den sachlogischen Strukturen sucht, die der legislatorischen Wertentscheidung hinsichtlich der Begehungsgleichheit bei den Unterlassungsdelikten entsprechen. Diese mittlere Linie zwischen Naturalismus und Normativismus stellt sich nach der hier vertretenen Ansicht als die allein richtige Rechtsfindungsmethode dar 44 .
II. Verwechselung der aktuellen Herrschaft mit der potentiellen Herrschaft Herzberg hat die Verwechselung der aktuellen Herrschaft mit der potentiellen Herrschaft und damit den zentralen stereotypen Fehlschluss in der Kritik des Herrschaftsansatzes sozusagen begründet, wenn er Schünemann vorhält: Er gebe „als zwingende Schlussfolgerung (aus), was in Wahrheit auch bei intrasystematischer 39 Kuhlen in: Herberger/Neumann/Rüßmann (Hrsg.), Generalisierung und Individualisierung im Rechtsdenken, ARSP-Beiheft 45, 1992, S. 101, 119 ff. 40 Puppe, GS-Armin Kaufmann, 1989, S. 25 ff. 41 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 75; dazu vgl. auch Schünemann, FS-Arthur Kaufmann, 1993, S. 299 ff., 304 ff. 42 Vgl. Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikten, 1971, S. 18 ff., 36 ff.; ders., Madrid-Symposium, 1995, S. 74 f.; Schünemann (in: Chengchi Law Review 50 [1994], S. 286) hat die Zweifel, ob er aus dem „Sein" (der ontologischen Grundlage des strafrechtlichen Normensystem) ein „Sollen" (die strafrechtliche Zurechnung) ableiten möchte, sehr lehrreich behoben. 43 Vgl. Schünemann, FS-Rudolf Schmidt, 1992, S. 117, 130 f.; ders., Madrid-Symposium, 1995, S. 74 f. 44 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 74 f.
C. Auseinandersetzung mit den Einwänden
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Würdigung doch nur dezisionistische Festsetzungen sind"; „denn wieso eigentlich ist einerseits am Aktualitätsmerkmal unbedingt festzuhalten, was zur erklärten Folge hat, dass die altehrwürdige, im Grundsätzlichen bislang unangezweifelte Ingerentenhaftung in Acht und Bann getan werden muss, und wieso ist andererseits das Merkmal wesentliche Erfolgsursache' verzichtbar, so dass an seiner Stelle auch die ,Hilflosigkeit des Opfers' treten kann? Schünemann hätte doch ebensogut die Ingerenz halten können, indem er für die Begehungsähnlichkeit genügen ließe, dass beim Unterlasser eine in der Vergangenheit liegende aktuelle Herrschaft über eine wesentliche Erfolgsursache aufzuweisen ist, die sich zur potentiellen Herrschaft (Abwendungsmöglichkeit) verdünnt hat" 45 . Denn Herzberg versucht, das Aktualitätsmerkmal aus dem Herrschaftsbegriff zu entfernen. Stattdessen reiche eine potentielle Herrschaft bereits für die hinreichende Begehungsähnlichkeit aus. Diese Verwechselung wird später von Maiwald aufgenommen, indem er die begriffliche Unklarheit der Herrschaft bei Schünemann hervorhebt und sagt: „Wie steht es hier mit dem Einbrecher, der, während die Eltern im Kino sind, in die Wohnung eindringt und faktisch die schlafenden Kinder »beherrscht': Rückt er zu ihren Gunsten in eine Garantenstellung ein? ... " 4 6 Auch Timpe 47 meint, dass ein dem hilflosen Kind Helfender eine „aktuelle" Herrschaft hätte. Brammsen hat zwar richtig erkannt, dass die „bloße Möglichkeit der Erfolgsverhinderung nicht allein für die Unterlassung als solche, sondern ebenso bei dem Begehungsdelikt relevant ist, denn strafrechtliche Verantwortlichkeit setzt immer die Erfolgsvermeidemöglichkeit voraus" 48. Allerdings hat er sich der von Maiwald und anderen Autoren oben geübten Kritik unzutreffenderweise angeschlossen, indem er auf die Existenz nichtgarantenpflichtenbegründender faktischer Herrschaftsverhältnisse hingewiesen hat, und hält deswegen die „Aktualität" der Herrschaft von Schünemann für „willkürlich" 49 . Eine besonderes extreme Ansicht wird von Schürmann 50 vertreten, wenn er davon ausgeht, dass „auch der allein die Hilfeleistung Unterlassende und damit etwa der den drohenden Tod des Opfers Nichtabwendende in der von § 323c vorausgesetzten Situation die ,Herrschaft über die Hilflosigkeit des Opfers' hat". Die gleiche Verwechselung kommt immer wieder vor und unterläuft auch noch Freund 51 und Vogel 52. Das Problem liegt in einem Missverständnis des Herrschaftsbegriffs von Schünemann. Eine aktuelle Herrschaft im Sinn Schünemanns wird nicht nur durch die 45 4
Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972, S. 192 f. 6 Maiwald, JuS 1981, 473, 480.
47 Timpe, Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB und das Doppelverwertungsverbot, 1983, S. 165. 48 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 76. 49 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 75 f. 50 Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit und Gesetzlichkeitsgrundsatz, 1986, S. 106. 51 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, 1992, S. 141 f. 52 Vogel, Norm und Pflicht bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1993, S. 352 Fn. 278.
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Tatherrschaft bei den Begehungsdelikten, sondern auch durch die Kontrollherrschaft 53 bei den unechten Unterlassungs- und Garantensonderdelikten charakterisiert. Eine solche Kontrollherrschaft ist sozusagen „prästabiliert, weil die Quelle und das Objekt des Verletzungsgeschehens schon vorher kontrolliert wird und weil deshalb der verpönte Geschehensablauf in dem vom Unterlassungstäter kontrollierten, ganz gegenständlich zu verstehenden sozialen Bereich als Werk seines Willens qualifiziert werden muss" 54 . Sie ist eine „aktuelle Herrschaft" und darf also „nicht etwa mit der Abwendungsmöglichkeit im Sinn der Prüfung der hypothetischen Kausalität verwechselt werden". „Eine solche Abwendungsmöglichkeit", die die oben erwähnten Kritiker dargestellt haben, „kann auch ein Passant besitzen, der zufällig vorbeikommt und mit dem Geschehen sonst nichts zu tun hat" 55 .
III. Unbestimmtheit des Herrschaftsbegriffs Die gerade dargestellte Verwechselung der aktuellen Herrschaft mit der potentiellen Herrschaft, der die Kritiker unterliegen, lässt sich auf die vermeintliche Unbestimmtheit des Herrschaftsbegriffs bei seiner Anwendung auf die Unterlassungsdelikte 56 zurückführen. Maiwald meint, dass „der Ausdruck ,Herrschaft' so unklar gehalten wird, dass praktisch alle gewünschten Ergebnisse mit seiner Hilfe erzielt werden können" 57 . Vogel und Brammsen 58 schließen sich dieser Meinung an. Nach ihrer Bewertung ist der Herrschaftsbegriff bald faktisch, bald normativ und deshalb beliebig einsetzbar 59 bzw. auf eine normativ Basis im Sinne einer Verantwortlichkeit angewiesen60. Dieser Einwand ist eigentlich nicht neu, sondern wurde, worauf Vogel 61 hinweist, bereits von Höpfner vorgebracht: Der „Ausdruck Herrschaftsbereich' möchte doch wohl sehr der wünschenswerten Gewissheit entbehren" 62. Bei genauerer Analyse richtet sich Höpfners Ansicht aber gegen Traegers Herrschaftsbegriff 63, der mit der von Schünemann geforderten aktuellen Kontrolle über den Grund des Erfolges nicht kommensurabel ist und eine bloße Mischung aus Zustandshaftung und Rettungsmonopol bedeutet64. Obwohl der Unterschied seines 53 Vgl.Roxin, AT/2, 32/19 f. 54
Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 72; zusammenfassend ders., L K 1 1 , § 14 Rdn. 17. 55 Vgl. Schünemann, Chengchi Law Review Volume 50 (1994), S. 416. 56 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 76. 57 So Maiwald, JuS 1981, 473, 480. 58 Vogel, Norm und Pflicht bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1993, S. 351 f.; Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 75. 59 Maiwald, JuS 1981, 473, 480. 60 Vogel, Norm und Pflicht bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1993, S. 351 f. Vogel, Norm und Pflicht bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1993, S. 351. 62 Höpfner, ZStW 36 (1915), 103, 124 Fn. 23. 63 Traeger, Das Problem der Unterlassungsdelikte im Straf- und Zivilrecht, 1913, S. 108. 61
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Herrschaftsansatzes zu Traegers Herrschaftsbegriff von Schünemann selbst betont wird 6 5 , hat Vogel dies übersehen und unrichtigerweise Traeger als den gedanklichen Schöpfer des von Schünemann entwickelten Herrschaftsgedankens bezeichnet 66 . Deswegen verfehlt Vogels Kritik das Ziel. Es ist deshalb nicht richtig, wenn Vogel 67 die Kritik Welps am Herrschaftsgedanken als „scharfsinnig" bezeichnet und gegen Schünemanns Herrschaftskonzeption anführt, weil Welps Angriff 68 allein den Herrschaftsbegriff Traegers trifft 69 . Der Unbestimmtheitsvorwurf lässt sich durch ein richtiges Verständnis der Logik der typologischen Rechtsfindung beseitigen, das bei der Konkretisierung der Herrschaftskonzeption von Schünemann angewendet wird. Nach der von Schünemann aus der Struktur des Begehungsdelikts entwickelten Ähnlichkeitsregel bedeutet „Herrschaft im Kern selbstverständlich eine faktische, sozial wirksame Willensmacht". „Im Übrigen resultiert selbstverständlich bei der typologischen Rechtsfindung noch auf jeder Stufe ein im Zuge der Konkretisierung abnehmender Bereich semantischer Unschärfe, der von dem Bedeutungshof der für die jeweilige Explikation verwendeten umgangssprachlichen Termini gebildet wird. Der Begriff der faktischen Herrschaft (= Willensmacht, Kontrolle) über einen sozialen Bereich besitzt nun, wie die zahlreichen evidenten Herrschaftsverhältnisse (Mutter und Säugling, Chirurg und Patient, Fahrzeugführer und Kraftfahrzeug, Hundehalter und Hund) belegen, einen enorm großen Bedeutungskern und damit von Anfang an eine starke ,extensionale Sättigung4, die naturgemäß im Zuge der fortlaufenden Konkretisierung und Entnormativierung noch weiter zunimmt" 70 . Wird die Logik der typologischen Rechtsfindung richtig erfasst, können die von Maiwald erwähnten Fälle, in denen es eine sog. „faktische" Herrschaft im Sinn von Maiwald gibt und an denen sich Schünemanns Herrschaftskonzept angeblich die Zähne ausbeißen soll 71 , einfach gelöst werden. Nach Schünemann 12 haben der Einbrecher gegenüber im Haus schlafenden Kindern und der Empfänger unverlangt zugesandter 64
Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 251 f.; ders., Madrid-Symposium, 1995, S. 76. 65 Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 246. 66 Vogel, Norm und Pflicht bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1993, S. 351. 67 Vogel, Norm und Pflicht bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1993, S. 351 Fn. 273. 68 Welp, Vorangegangenes Tun als Grundlage einer Handlungsäquivalenz der Unterlassung, 1968, S. 249 ff. 69 Vgl. Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 58 Fn. 45; siehe näher ders., Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 249 ff. 70
Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 76 f. Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 77. 72 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 77; näher zur Notwendigkeit eines Herrschaftswillens vgl. Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 243, 293, 316, 343 ff.; zum Vertrauensakt als Begründung einer Obhutsherrschaft a. a. O. S. 344 ff., 350 ff. 71
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Gegenstände73 hierdurch noch keine Obhutsherrschaft erlangt, weil es ihnen am Herrschaftswillen und Vertrauensakt fehlt. Hier geht es nur um die im Falle eines Gefahreintritts bestehende Abwendungsmöglichkeit, die für eine aktuelle, d. h. schon vor der Unterlassung etablierte Herrschaft über den Grund des Erfolges nicht ausreicht, die aus den Begehungsähnlichkeitsregeln und einem Gegenschluss zu § 323c hergeleitet wird 74 . Wenn Maiwald 75 meint, dass die Herrschaft über den eigenen Körper keine Garantenstellung mit der rechtlichen Verpflichtung begründe, Gefahren vom eigenen Körper fernzuhalten, dann übersieht er, dass sich eine Person, die sich vor dem Hagelschlag nicht in Sicherheit bringt (Herrschaft über den eigenen Körper), unter dem Aspekt der Selbstverletzung straflos selbst verletzt 76 . Auch die Behauptung Vogels 77, dass die „Herrschaftsbehauptungspflicht" keinesfalls aus dem Faktum der Herrschaft - aus der Willensmacht, die stets auch die Macht zur Herrschaftsaufgabe umfasst - abgeleitet, sondern normativ begründet wird, ist nach der zutreffenden Kritik Schünemanns 78 unrichtig, denn „wenn der Halter etwa seinen zum nächtlichen Blutsaugen aufbrechenden Vampir nicht zurückpfeift, dann ist diese Unterlassung noch im Stadium der Herrschaft begangen und deshalb ohne weiteres begehungsgleich". Die Fragen nach den Grenzen der Herrschaft, etwa wann genau die Herrschaft endet und welchen Umfang die Obhutsherrschaft der ins Kino gegangenen Eltern über ihre daheim schlafenden Kinder noch hat 79 , scheinen prima facie die Zweifel an der Unbestimmtheit des Herrschaftsbegriffs zu rechtfertigen. In Wahrheit sind solche Fragen unschwer zu erklären, wenn man beachtet, wo tatsächliche Einflussmöglichkeit und Herrschaftswille nicht mehr zur Deckung gelangen80. Um die Grenzen der Herrschaft zu verdeutlichen, seien zwei Fälle von Schünemann 81 angeführt: Ein Lastwagenfahrer verliert unvermeidbar einen Teil der Ladung, die aus Ton besteht, auf der Strasse, lässt sie liegen, und hierdurch wird ein Unfall verursacht, dessen Zurechnung auf sorgfaltswidriger Herrschaftsaufgabe gründet (Tonkuhlenfall) 82; ein Kraftfahrer fährt einen Baum so unglücklich an, dass dieser auf die Strasse fällt und ein Hindernis bildet. Ein Unfall wird später verursacht 73 74 75 76 77 78
Fälle aus Maiwald, JuS 1981, 480. Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 77. Maiwald, JuS 1981,480. Gegenkritik bei Schünemann in: Madrid-Symposium, 1995, S. 78. Vogel, Norm und Pflicht bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1993, S. 352. Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 78.
79 Vogel, Norm und Pflicht bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1993, S. 351; Maiwald, JuS 1981, 480. 80 Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 302. 81 Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 300 f. 82 Vgl. OLG Düsseldorf (Zs) DR 1939, 1892 f.
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(Baumfall) 83 . Im Tonkuhlenfall ist die „Gefahrenquelle" Ton Bestandteil des Herrschaftsbereichs und die Herrschaftsbeziehung wird durch das Nichtaufsammeln der Tonbrocken beendet84. Im Baumfall liegt die Gefahrenquelle im „Auto", aber es besteht zwischen dem Fahrer und dem Baum keine Herrschaftsbeziehung 85. Was den Umfang der Herrschaft betrifft, erklärt Schünemann 86 mit Recht, „die (wenn auch reduzierte) faktische Herrschaft der Eltern zeigt sich etwa darin, dass sie über den Wohnungsschlüssel verfügen, den Aufenthaltsort der Kinder und Gefahrenquellen der Wohnung kennen u. a.m.". Der Versuch, den Herrschaftsansatz Schünemanns mit Hilfe der unschwer zu erklärenden Abgrenzungsdetails zu entkräften, ist deshalb misslungen.
IV. Zweifel an der Ableitung der Ähnlichkeitsregeln aus dem Haftungsgrund bei den Begehungsdelikten Der nächste Kritikpunkt betrifft Schünemanns Ableitung der „Ähnlichkeitsregeln" aus dem Bestrafungsgrund bei den Begehungsdelikten87: Erstens bemängelt Jakobs, der Begriff der aktuellen Herrschaft sei bei Unterlassungen stets nur mit Modifikationen gegenüber der Begehung zu gebrauchen, und man dürfe die Unterlassung nicht von den Begehungsdelikten abkopieren, sondern müsse Begehung und ebenso originär wie Begehung gedachte Unterlassung systematisieren88. Sein Schüler Sánchez-Vera benutzt zwar nicht den Ausdruck „Abkopieren", bleibt aber im Ansatz Jakobs' Kritik treu, weil er Schünemann vorwirft, dass eine Herrschaft in der Tat nicht nur bei der Produkthaftung, sondern auch ebenso im Falle der ins Kino gegangenen Eltern gegenüber ihren daheim schlafenden Kindern abzulehnen sei, wenn man von einer „aktuellen Tatherrschaft" i.S. Schünemanns ausgehe. Diese Eltern hätten eigentlich eine nur potentielle Herrschaft inne, wenn der Begriff „Herrschaft" der „aktuellen Tatherrschaft" treu bleibe 89 . Sánchez-Vera meint also, dass Schünemann die inhaltlich identische aktuelle Herrschaft als den gemeinsamen Haftungsgrund beim Begehungs- und Unterlassungsdelikt fordern sollte. Zweitens hebt Jakobs hervor, schon bei der Begehung sei die aktuelle Herrschaft nicht der einzige Haftungsgrund, wie die Pflichtdelikte zeigten90. Drittens 83 Vgl. OLG Celle NJW 1969, 1184 f. 84 Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 301; allerdings vermeint Vogel (Norm und Pflicht bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1993, S. 350 f. Fn. 267) zu Unrecht, dass die Herrschaftsbeziehung erst durch das Weiterfahren beendet wurde. Denn das Weiterfahren bedeutet nur ein Indiz für die Herrschaftsaufgabe. 85 Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 300 f. 86 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 78 Fn. 130. 87 Die Thesen dieses Kritikpunktes werden von Schünemann (in: Madrid-Symposium, 1995, S. 75 f.) zusammengefasst und analysiert. 88 Jakobs, AT 2 , 29/28 Fn. 53. 89 Sánchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 128 f.
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werfen Jakobs' Schüler Timpe und im Ansatz auch Sangenstedt Schünemann vor, die Herrschaft der Person über den Körper sei selbst beim aktiven Tun keine (seil, vorrechtliche) sachlogische Struktur, sondern eine vom Recht vorgenommene „normative Festlegung"91. Nach Schünemanns Gegenkritik 92 sind alle diese Einwände auf dem falschen Weg. Dem ist nach der hier vertretenen Auffassung zuzustimmen. Zunächst widerlegen sich die beiden ersten Einwände Jakobs' selbst, weil die von Schünemann initiierte Suche nach der Gleichstellungsrichtlinie zwischen Unterlassungsdelikten und Begehungsdelikten von Anfang an kein „Abkopieren" war, das dem Wortlaut nach eine inhaltliche Identität bedeutet, sondern die Entwicklung einer „Ähnlichkeitsregel", die gewisse Modifikationen durchaus zulässt, sofern diese nur unter dem leitenden Wertungsgesichtspunkt irrelevant sind. Wie Schünemann zutreffend erklärt, kann „die Entwicklung dieser Ähnlichkeitsregel natürlich nur bei dem vom Gesetzgeber als Basis ganz konkret geregelten Begehungsdelikten ansetzen, um daraus durch Verallgemeinerung den Oberbegriff der Herrschaft über den Grund des Erfolges zu entwickeln und wieder in Richtung auf die unechten Unterlassungsdelikte zu konkretisieren, wie es der Gesetzgeber schließlich in § 13 vorgesehen hat" 93 . Mit anderen Worten möchte Schünemann von vornherein weder den Tatherrschaftsbegriff „erweitern", um ihn den unechten Unterlassungsdelikten bzw. Pflichtdelikten anzupassen, wie Sánchez-Vera 94 meint, noch den Gedanken der aktuellen Tatherrschaft in solchen Delikten durchsetzen95. Vielmehr geht es um die Entwicklung eines mit der Tatherrschaft (Steuerherrschaft) vergleichbaren Begriffs der Kontrollherrschaft. Ferner ist die Kategorie der „Pflichtdelikte" für die Allgemeingültigkeit des Herrschaftsprinzips kein Hindernis. Denn der Angelpunkt der Pflichtdelikte liegt nicht in der aktuellen Tatherrschaft, sondern in der aktuellen Kontrollherrschaft über einen sozialen Bereich 96. Diese Kategorie kann kurzerhand mit der von Schünemann entwickelten Rechtsfigur „Garantensonderdelikt" entschlüsselt werden und ist damit eine Art spezielles Herrschaftsdelikt: Wie im Besonderen Teil dieser 90 Jakobs, AT 2 , 29/28 Fn. 53; ihm folgt Vogel, Norm und Pflicht bei den unechten Unterlassungs- delikten, 1993, S. 351. 91 Timpe, Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB und das Doppelverwertungsverbot, 1983, S. 171 ff.; zustimmend Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht von Amtsträger, 1989, S. 294 ff. 92 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 76. 93 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 76. 94 Sánchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 128. 95 Im Falle der ins Kino gegangenen Eltern geht Sánchez-Vera (Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 129) von der Prämisse einer aktuellen „Tatherrschaft" aus und lehnt dort eine solche ab. Das zeigt deutlich, dass er gar nicht verstanden hat, dass Schünemann in diesem Fall eine „aktuelle Kontrollherrschaft" statt einer aktuellen Tatherrschaft als den Haftungsgrund anführt. 96 Vgl. nur LK U-Schünemann, § 14Rdn. 17.
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Arbeit im Einzelnen analysiert wird, lassen sich fast alle im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches geregelten Sonderdelikte als vom Gesetzgeber speziell geregelte Garantensonderdelikte begreifen 97. Dies zeigt eine Analyse der die Pflichtdelikte betreffenden einzelnen Strafvorschriften im Besonderen Teil dieser Arbeit. Im Übrigen ist bezüglich der letzten These der Gegenkritik Schünemanns zuzustimmen: „Die angebliche normative Festlegung' der Herrschaft der Person über ihren Körper ist ein typisch normativistischer Denkfehler. Denn wenn der Mensch nicht realiter in der Lage wäre, über seinen Körper zu gebieten, sondern als permanenter Epileptiker durchs Universum zucken würde, dann hätte auch kein Gesetzgeber oder Strafrechtstheoretiker das autonome Individuum kreieren können, zumal dann auch keine Gesetzgebung oder Strafrechtstheorie, sondern nur permanente Zuckungen existieren würden" 98 . Mit dieser polemischen Zuspitzung ist gemeint, dass kein normatives Prinzip ohne eine dazu adäquate Realitätsstruktur gehaltvoll sein kann - so eben die „aktuelle Steuerungsherrschaft" als Grund der täterschaftlichen Zurechnung bei den Begehungsdelikten und damit auch als „AnJcerpunkt" für die Gleichstellung der unechten Unterlassungsdelikte.
V. Zweifel an der Aktualität der Herrschaft In den Augen einiger Kritiker hat Schünemann selbst die „Aktualität" der Herrschaft vernachlässigt. Landau beanstandet, die Forderung nach der Aktualität der Herrschaft stoße bei der Sachherrnhaftung, und zwar zumindest im Fall des „gestuften Sachherrschaft" bei § 855 BGB, auf kaum lösbare Schwierigkeiten. Denn es sei im Verhältnis Besitzer und Besitzdiener möglich, dass der Besitzdiener trotz Weisungsgebundenheit die tatsächliche Herrschaft über die Sache allein ausübe. Man dürfe dort nicht die Sachherrschaft des „Oberbesitzers" als eine „aktuelle, faktische" oder „gegenwärtige" bezeichnen99. Der Begriff der „vergeistigten" Herrschaft beinhalte vielmehr in Wahrheit nichts anderes, als dass der „Oberbesitzer" auf Grund der rechtlichen Zuordnung der Sache zu seiner Person rechtlich jederzeit in der Lage sei, auf diese einzuwirken, und zwar auch und gerade dann, wenn sie von einem Dritten allein beherrscht werde 100 . Diesem Kritikpunkt folgt auch Brammsen 101.
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Vgl. bereits Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 76, 81 sowie eingehend unter §§5-11 dieser Arbeit. 98 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 76. 99 Landau, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit aus Eigentum und Besitz bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1976, S. 81. 100 Landau, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit aus Eigentum und Besitz bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1976, S. 82. 101 So auch Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 76, allerdings ohne eigene Begründung.
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Dieser Einwand ist m.E. zurückzuweisen. Denn Landau hat übersehen, dass die Anerkennung gestufter Herrschaftsbeziehungen im Sinne Schünemanns dem Phänomen Rechnung trägt, dass eine faktische Gewalt über eine Sache nicht nur durch deren körperliche Innehabung, sondern auch durch eine Organisation hergestellt werden kann, deren Leiter die zentrale Macht über alle in die Organisation eingegliederten Sachen besitzt 102 . Eine solche Entscheidungsmacht ist beim Oberbesitzer zu finden. Diese Entscheidungsmacht ist nicht nur als Umschreibung des rechtlichen Könnens zu verstehen, wie Landau es darstellt, sondern auch als eine faktische Befehlsgewalt, wobei der Unterbesitzer den auf die Sache bezogenen Weisungen des Oberbesitzers Folge zu leisten hat und, wie in Betonung der Faktizität hinzuzufügen ist, auch tatsächlich Folge leistet 103 . Diese sachlogische Herrschaftsbeziehung ist nicht zu vernachlässigen. Die Herrschaftsform hat sich nur von der körperlichen Innehabung über eine Sache in die Aufsichtsbeherrschung über den Besitzdiener verwandelt. Der Oberbesitzer ist also als Garant haftbar für Auswahlund Kontrollfehler Das lässt sich an einem Beispiel näher erklären: Der Hundehalter H eines Kampfhundes, der eine Woche lang verreisen will, bittet seinen Nachbar N darum, dass N sich während seiner Reise um den Hund kümmert und jeden Nachmittag mit dem Hund spazieren geht. Nach der Ankunft im Hotel ruft er N an, um zu wissen, wie es läuft. Die Ehefrau von N sagt ihm, dass N ein Alkoholiker sei. Er sei den ganzen Nachmittag betrunken gewesen, und der Hund habe während des Spaziergangs fast einen anderen gebissen. H tut nichts und genießt weiter seine Reise. Am nächsten Tag wird ein Passant gebissen. Alternativ kann man auch annehmen, H habe bereits vor dem Aufsichtsauftrag gewusst, dass N ein Alkoholiker ist. Trotzdem erteilt er N diesen Auftrag. H ist als Hundehalter verpflichtet, Verletzungen Dritter durch seinen Hund zu verhindern. Obwohl seine Verpflichtungen mit der Beauftragung auf den N übergehen, scheidet H nicht vollständig aus seiner Garanten-Verantwortung, weil er die Befehlsgewalt innehat. Wenn er weiß, dass N nicht in der Lage ist, die Aufgabe zu erfüllen, muss er auf ihn als Aufsichtsperson verzichten und einen Geeigneten finden. Unterlässt er die Absicherungsmaßnahmen, ist er jedenfalls wegen fahrlässiger Körperverletzung durch Unterlassen zu bestrafen. Dagegen ist eine solche Herrschaftsbeziehung beim Eigentümer, dessen Fahrzeug gestohlen und von dem Dieb gegen eine Mauer gefahren wird, wo es dann die öffentliche Sicherheit gefährdet 104, nicht zu finden, weil der Eigentümer jegliche Herrschaft verloren hat. Das Eigentumsrecht ist deshalb in diesem Fall für die Frage nach der Garantenhaftung völlig irrelevant 105 .
102
Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 294. Vgl. Schünemann, a. a. O. 104 Das Beispiel stammt von Schröder (in: Schänke /Schröder 11, Rdn. 131 vor § 1), der allerdings aus den Regeln über eigenes vorangegangenes Tun die Verantwortlichkeit des Eigentümers ableitet. 103
105
Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 298 f.
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VI. Ingerenz und Herrschaft Die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun 1 0 6 , die man auch Ingerenz nennt, ist auch heute noch von der Rechtsprechung 107 und der h. L . 1 0 8 anerkannt. Nach Schünemanns Gleichstellungsrichtlinie der „Herrschaft über den Grund des Erfolges" ist eine Garantenstellung aus vorangegangenem Tun abzulehnen109, weil der Ingerent keine Herrschaft über die Gefahrenquelle habe. Die Herrschaft des Ingerenten liege vollständig in der Vergangenheit. Ihr fehle die für die Begehungsgleichheit erforderliche Aktualität, denn der Ingerent habe den Kausalverlauf aus seinem Herrschaftsbereich entlassen' und besitze daher lediglich eine durch die Abwendungsmöglichkeit gekennzeichnete potenzielle Herrschaft über das Geschehen, nicht anders als jeder rettungsmächtige quivis ex polupo ... Wenn der Ingerent später dolos werde, so sei das ein Vorsatz ohne Herrschaft und daher bloßer böser Wille ohne Tat (i. e. dolus subsequens). Eine aktuelle Herrschaft bedürfe eines gegenständlichen Substrats, in dem sie wirke 1 1 0 . Auch eine Obhutsgarantenstellung lehnt er ab, weil es hierfür an dem erforderlichen Herrschaftswillen des Ingerenten und auch an der Unterwerfung des Opfers fehle 111 . Die Ingerenz-Garantenstellung habe in der Dogmengeschichte in einer verworrenen Mischung aus Kausalmonismus und dolus subsequens, Obhutsübernahme und Verkehrspflichten eine ebenso hartnäckige wie dubiose Rolle gespielt 112 . Roxin vertritt die Ansicht, dass eine Garantenstellung aus vorangegangenem Tun grundsätzlich möglich und auch mit dem Kriterium der Kontrollherrschaft als oberstem Gleichstellungsmaßstab vereinbar sei 113 , obwohl er sich Schünemanns Gleichstellungsrichtlinie der „Herrschaft über den Grund des Erfolges" anschließt 114 . Roxin nimmt die Gedanken des von den meisten Autoren 115 der h.L. vertretenen „Evidenzerlebnisses" auf, wonach (dass) „man als Garant für die Be106 Die Erörterung dieser Problematik bedarf einer eigenen Abhandlung. Deswegen kann hier nur ein Überblick verschafft werden. •07 RG 24, 339; 64, 273, 276; BGHSt 4, 20, 22; 26, 35, 37; 37, 106, 115. 108 Vgl. nur Roxin, AT/2, 32/143; Jescheck/Weigend, AT 5 , § 59 IV 4 a, S. 625 und Fn. 50 m. w. N. 109
Die sog. Antiingerenztheorie, deren Bezeichnung von Hillenkamp (in: 32 Probleme aus dem Strafrecht, 10. Aufl., 2002, S. 190) stammt, 110 Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 316; ders., GA 1974, 235. 111 Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 316; ders., GA 1974, 235 f. 112 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 59; näher dazu ders., Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 313 ff.; ders., GA 1974, 231 ff.; ders., Unternehmenskriminalität und Strafrecht, 1979,S. 80 ff., 100 f.; ders., ZStW 96 (1984), 308 f.; ders., GA 1985, 376 f. 113 Roxin, AT/2,32/150. 114 Roxin, AT/2, 32/17 ff. Iis Vgl. etwaStratenwerth, AT 4 , 13/27; Kühl, AT 4 , 18/91. 7 Chen
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seitigung selbst geschaffener Gefahren einstehen muss, als nahezu evident empfunden wird" 1 1 6 . Mit anderen Worten lautet der maßgebende normative Grund: „Wenn man für die Verhinderung eines Kausalverlaufs rechtlich einstehen muss, muss dies für jede Phase seiner Entwicklung gelten". Rudolphis Gesichtspunkt, dass der Ingerent durch sein pflichtwidriges Vorverhalten das Opfer schutzlos mache 117 , verstärkt Roxins Überzeugung, die Ingerenz-Garantenstellung anzuerkennen. Die Grenzen des Kontrollbereiches (Herrschaftsbereiches) sind daher nach Roxins Auffassung in Fällen der Ingerenz auch „normativ " zu bestimmen, wenn eine aktuelle Herrschaftssituation fehlt 118 . Im Hundefall, bei dem jemand beim Spaziergang seinen Hund nicht anleint und dieser über einen Passanten herfällt, fragt Roxin: „Wie ist es aber, wenn der Hund auf die Zurufe seines Herren nicht hört, also nicht gehorsamsbereit ist? ( . . . ) Beurteilt man aber, wie es angemessen ist, auch das unterlassene Zurückreißen als begehungsgleich, ist nicht einzusehen, warum andere Fälle, in denen der durch vorangegangenes Tun in Gang gesetzte Kausalverlauf hätte gestoppt werden können, nicht begehungsgleich sein sollen" 119 . Jedoch ist Roxin Auffassung nach der hier vertretenen Meinung unzutreffend, weil der Herrschaftsbegriff, den Roxin bei der Ingerenz entwickelt, ein normatives Gebilde, also keine reale Herrschaft, sondern ein bloßes rechtliches Urteil ist, das mit den anderen auf der aktuellen Herrschaft beruhenden Garantenstellungstypen unvergleichbar ist. Roxins Argumentation ist eine methodisch nicht tragfähige und deshalb unangemessene Analogie. Denn Roxin hebt von vornherein hervor, dass sein Herrschaftsbegriff eine „aktuelle" Herrschaft fordere 120 . Im Anschluss an Schünemann begründet er im Weg eines Ähnlichkeitsschlusses die Gleichstellung der unechten Unterlassungsdelikte. Bei der Entwicklung einer Ähnlichkeitsregel sind jedoch gewisse Modifikationen nur dann zuzulassen, wenn diese unter dem leitenden Wertungsgesichtspunkt irrelevant sind 121 . Der leitende Wertungsgesichtspunkt dieses Ähnlichkeitsschlusses ist aber die aktuelle Herrschaft, die der Ingerent gerade nicht besitzt. Deshalb fehlt es Roxins weiterem Ähnlichkeitsschluss an dem leitenden Wertungsgesichtspunkt. Auch Rudolphis Ansicht, dass der Ingerent durch sein pflichtwidriges Vorverhalten das Opfer schutzlos zu machen scheint, kann an der Ablehnung der Ingerenz-Garantenstellung nichts ändern, sondern lediglich nach der viktimodogmatischen Ansicht im Rahmen der Strafzumessung für die etwa wegen Fahrlässigkeit strafbare Vorhandlung berücksichtigt werden, weil die Schutzlosigkeit des Opfers zwar durch das pflichtwidrige Vörverhalten des Ingerenten verursacht, aber nicht vom Ingerenten (aktuell) beherrscht wird. Auch Roxins Vorschlag, dass eine obligatorische Strafmilderung bei Inge116 Roxin, AT/2, 32/146 und 150 f. 117 SK 7-Rudolphi, § 13 Rdn. 38. Iis Roxin, AT/2,32/151. 119 Roxin, AT/2,32/152. 120 Roxin, Chengchi Law Review Volume 50 (1994), S. 415. 121 Vgl. Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 76.
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renzfällen gelten sollte 122 , rechtfertigt nicht die Inkonsequenz seines Herrschaftsbegriffs, sondern bestätigt vielmehr Schiinemanns Lösung, eine Qualifizierung der unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323c zu schaffen 123. Die Argumente gegen die Anerkennung der Ingerenz-Garantenstellung lassen sich mit zwei aus der Regelung der erfolgsqualifizierten Delikte und des Rücktritts vom Versuch hergeleiteten systematischen Thesen ergänzen, die zuerst von Hsii 124 geltend gemacht worden sind und von Schünemann 125 konkretisiert werden: „Wenn man die These der Ingerenz-Garantenstellung ernst nähme, so müsste man bei jedem Delikt mit Rücktrittsmöglichkeit einen vorsätzlichen Versuch durch aktives Tun in Verbindung mit einem anschließenden vollendeten Delikt durch Unterlassen konstruieren, so dass der Rücktritt nur die Nichterfüllung des Unterlassungstatbestandes bedeuten würde und im strengen Sinne niemals freiwillig, sondern in Erfüllung einer Rechtspflicht geschähe. Konsequenterweise dürfte nicht der Rücktritt im Sinne völliger Straffreiheit privilegiert werden, sondern es müsste die Nichtausnutzung einer Rücktrittsmöglichkeit zu einer Strafschärfung führen. Die Rücktrittsregelung macht also in systematischer Hinsicht nur Sinn, wenn man das Unterlassen nach einer gefährlichen Vorhandlung nicht als eine eigenständige begehungsgleiche Delikts Verwirklichung ansieht" 126 . „Und auch die Kategorie der erfolgsqualifizierten Delikte macht deutlich, dass dem Gesetzgeber die Idee einer Ingerenz-Garantenstellung fern gelegen hat. Denn die Verursachung einer vom ursprünglichen Tätervorsatz nicht erfassten schweren Folge wird etwa in den §§ 224-226 a. F. (= §§ 226, 227 n. F.) umfassend geregelt und benutzt als Differenzierungskriterium den zum Zeitpunkt der Verletzungshandlung gegebenen oder fehlenden Vorsatz bezüglich der schweren Folge, ohne auf die hier besonders nahe liegenden Ingerenzfälle irgendeine Rücksicht zu nehmen. Die Konstruktion einer Ingerenz-Garantenstellung würde ersichtlich auch deshalb den Intentionen des Gesetzgebers widerstreiten, weil dann zumindest eine Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 226 a. F. (= § 227 n. F.) regelmäßig zu einer Aussetzung durch Unterlassen mit Todesfolge gemäß § 221 Abs. 3, 2. Alternative i.V.m. Abs. 1, 2. Alternative führen würde, was dann die vom StGB im Falle des unterlassenen •22 Roxin, AT/2,32/153. '23 Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 381. 124 Hsü, Chengchi Law Review Volume 50 (1994), S. 349-352, 361-364. 125 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 59; ders., Chengchi Law Review Volume 50 (1994), S. 370 f.; den Reformvorschlag Hsüs, der Gesetzgeber solle eine neue Regelung für den „Rücktritt von fahrlässigen Delikten" schaffen und die Ingerenzfälle durch „einen neuen Typus erfolgsqualifizierter Delikte (Fahrlässigkeit-Vorsatz-Kombination)" ersetzen, hat Schünemann aber nicht aufgenommen, obwohl er ihr Argument für wichtig hält, das die in der bisherigen Kritik vorherrschenden Argumente aus dem Entstehungsgrund der Garantenstellung von Normlogik und von der Gerechtigkeit des Ergebnisses her ergänze (in: Chengchi Law Review Volume 50 [1994], S. 371). Aus rechtsökonomischen Gründen schließe ich mich Schünemanns Reformvorschlag an. Eine nähere Erörterung ist hier nicht möglich. 126 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 59.
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Rücktritts gerade nicht angeordnete Strafschärfung zur Folge hätte (§ 221 Abs. 3 kennt keine minderschweren Fälle!) - woraus der Rückschluss zwingend erscheint, dass die Aussetzung durch Unterlassen nicht schon durch Ingerenz, sondern nur durch eine ,echte' Garantenstellung im Sinne eines Herrschaftsverhältnisses begründet werden kann" 1 2 7 . Die Ingerenzfälle sind deshalb für Schünemanns Herrschaftsansatz als übergeordnete Gleichstellungsrichtlinie kein Hindernis.
VII. Produkthaftung und Herrschaft Die Problematik der strafrechtlichen Produkthaftung bedarf einer eigenen Untersuchung128. Hier soll nur die Garantenstellung des Produzenten eines gefährlichen Produkts behandelt werden. Sánchez-Vera bemängelt die ungleiche Behandlung durch Schünemann, weil dieser eine Rückrufpflicht des Herstellers eines gefährlichen Produkts mangels Herrschaft - und zwar selbst bei sorgfaltswidrigem Handeln des Herstellers - verneint, obwohl er die Rettungspflicht der ins Kino gegangenen Eltern über ihre daheim schlafenden Kinder bejaht 129 . Zuerst muss eine Fehlbestimmung des Umfanges der Garantenpflichten geklärt werden. Die strafrechtliche Garantenstellung kann nach der zutreffenden Meinung Schünemanns 130 hier ausschließlich die Pflicht zu einer Warnung der Konsumenten begründen, selbst wenn zivilrechtlich ein Anspruch des Konsumenten auf Rücknahme oder Ersatz des gefährlichen Produkts bestehen sollte. Eine strafrechtliche Erfolgsabwendungspflicht könne immer nur auf die Weitergabe der Gefahreninformation und damit auf eine Warnung zielen, die jedermann ohne weiteres möglich sei, nicht aber auf einen Rückruf, weil der Konsument natürlich allein selbst zu entscheiden habe, ob er das in seinem Eigentum stehende gefährliche Produkt weiter benutzen wolle oder nicht. Im Übrigen hatte Schünemann ursprünglich in früheren Veröffentlichungen eine Garantenstellung des Herstellers abgelehnt131, weil der Produzent eines bereits in 127
Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 59 f. Vgl. etwa folgende Abhandlungen und Monographien: Kuhlen, Fragen einer strafrechtlichen Produkthaftung, 1989; ders., BGH-FG, 2000, S. 647 ff. m. w. N.; Hilgendorf, Strafrechtliche Produzentenhaftung in der „Risikogesellschaft", 1993, Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 2. Aufl., 1996; Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. S. 66-71; ders., BGH-FG, 2000, S. 634-642; Eichinger, Die strafrechtliche Produkthaftung im deutschen im Vergleich zum anglo-amerikanischen Recht, 1997; Schwartz, Strafrechtliche Produkthaftung, 1999; Spitz, Strafrechtliche Produkthaftung - Übertragbarkeit zivilrechtlicher Betrachtungsweisen?, 2001. 128
Sánchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 128 f. 130 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 67 f.; ders., BGH-FG, 2000, Bd. IV, S. 638.
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Verkehr gebrachten Produktes jegliche Sachherrschaft daran verloren habe. Er hat aber im Jahre 2000 seine Meinung geändert und sieht nunmehr die definitiv überzeugende Lösung im Horizont der Herrschaftstheorie 132. Der Produzent verspreche gegenüber dem Kunden, das Produkt fortlaufend zu beobachten, und der Kunde verlasse sich in der Weise darauf, dass er nicht anders als der Patient gegenüber dem Hausarzt oder der Kraftfahrzeughalter gegenüber der Werkstatt die Sorge für die Gefahrlosigkeit des Produkts ( . . . ) in die Hände des Produzenten lege. Unter dieser Voraussetzung entsteht eine Herrschaft über die partielle Hilflosigkeit des Opfers i.S. Schünemanns, die er als eine Unterform der Garantenstellung aus Übernahme anerkannt hat 1 3 3 . Dieser Auffassung ist zuzustimmen, und auch Roxin 134 folgt ihr. Er ergänzt die Begründung zu Recht. Der Erwerber habe in der modernen Warengesellschaft in der Regel keine Möglichkeit, die gesundheitliche Unbedenklichkeit und sonstige Unschädlichkeit gekaufter Waren zu überprüfen. Deshalb müsse er sich notgedrungen darauf verlassen, dass der Produzent nicht nur alle Sicherheitsstandards einhalte, sondern ihn auch über nachträglich bekannt gewordene Risiken informiere 135 . Eine unangemessene, ungleiche Behandlung i.S. Sánchez-Veras liegt deshalb nicht (mehr) vor. Deshalb ist dieser Kritikpunkt von Sánchez-Vera überholt. VIII. Kritik an der Herrschaft über die Hilflosigkeit des Opfers Nach Auffassung der Kritiker ist die „Herrschaft über die Hilflosigkeit des Opfers" mit der Herrschaft beim Begehungsdelikt oder mit der „Herrschaft über eine wesentliche Erfolgsursache" beim unechten Unterlassungsdelikt nicht vergleichbar 136 . Herzberg 137 hält deshalb allein eine „wesentliche Erfolgsursache" für 131 Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 289 f.; ders., Unternehmenskriminalität und Strafrecht, 1979, S. 99; ders., wistra 1982, 44 f.; ders., Madrid-Symposium, 1995, S. 67 f. 132 Schünemann, BGH-FG, 2000, Bd. IV, S. 40; diesen Ansatz hat er bereits 1995 (in: Madrid-Symposium, 1995, S. 70 f.) erwogen. 133 Vgl. Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 348 ff. 134 Roxin, AT/2, 32/210 ff. 135 Während Schünemann die Garantenstellung des Produzenten auf „Markenware" beschränken will (in: BGH-FG, 2000, Bd. IV, S. 641), lehnt Roxin diese Beschränkung ab (in: AT/2, 32/213). Die Antwort auf diese Frage ändert aber nichts an dem grundsätzlichen Standpunkt dieser Arbeit. Roxins Meinung erscheint mir überzeugender zu sein als Schünemanns, denn „der höhere Preis der Markenware signalisiert nicht größeren Schutz vor Gefahren, sondern teils bessere Qualität und teils auch nur den höheren Wert, den bestimmte Marken als Statussymbol haben. Auch wäre es bedenklich, wenn Hersteller durch den Verzicht auf Markenproduktion sich ihrer Schutzverpflichtung erziehen könnten" (Roxin, a. a. O.). 136 Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972, S. 193 f.; Vogel, Norm und Pflicht, 1993, S. 352. 137 Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972, S. 193, 196.
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einen mit der Handlung beim Begehungsdelikt kommensurablen „Grund des Erfolges". Im Übrigen passe der Begriff der Herrschaft nicht auf die „Hilflosigkeit", und die Hilflosigkeit des Opfers sei nicht der „Grund des Erfolges", sondern ein sich von außen auf das Opfer zubewegender Angriff durch einen anderen, den der Unterlassende aber gerade nicht beherrsche 138. Vogel konkretisiert die Bedenken in der Weise, dass „Hilflosigkeit" ein Dispositionsprädikat sei, das nicht den Erfolg erkläre, weil etwa nicht die Hilflosigkeit des in den ungesicherten Brunnen gefallenen Kindes, sondern nur die Tatsache des Hineinfallens und der fehlenden Hilfe seinen Tod erklären könne 139 . Auch diese Angriffe gehen fehl. Denn nach der zutreffenden Gegenkritik Schünemanns hat der Begriff „Grund des Erfolges" mit der philosophischen Kausalitätstheorie nichts zu tun 1 4 0 . Die von ihm entwickelte Kategorie, durch die die übergeordnete Gleichstellungsrichtlinie der „Herrschaft über den Grund des Erfolges" in die „Herrschaft über wesentliche Erfolgsursachen" einerseits und die „Herrschaft über die Hilflosigkeit des Opfers" andererseits ausdifferenziert werde, werde rein auf einem Common Sense-Niveau vorgenommen und dürfe nicht mit erkenntnistheoretischen Folgerungen verwechselt werden. Es gehe vielmehr nur um die vom Alltagsverstand leicht zu fassende und zu beurteilende Unterscheidung zwischen dem sich auf das Rechtsgutsobjekt zu bewegenden, durch beobachtbare Gegenstände und Ereignisse beschreibbaren externen Verlauf und den rechtsgutsinternen Dispositionen, die die unter anderen Umständen leicht abzuwehrende Verletzung zur Entstehung kommen ließen 141 . Entscheidend sei ja gerade, dass das Wohl und Wehe des Opfers nicht mehr oder zumindest allein von diesem selbst kontrolliert werden könne, sondern beim Säugling in der Hand der Mutter oder Amme, beim Patienten in derjenigen des Chirurgen und bei zwei angeseilten Amateurbergsteigern in der Bergwand jeweils partiell in der Hand des anderen liege 142 . In der Tat ist diese Form des „Erfolgsgrundes" so evident, dass man ihre Leugnung durch Schünemanns Kritiker (bei vollständiger Anerkennung der daraus abgeleiteten Ergebnisse!) nicht mehr rational, sondern nur durch die vorgefasste Absicht erklären kann, Schünemanns Garantentheorie auf keinen Fall zu akzeptieren. Besonders instruktiv (wenn auch in einem anderen als dem vom Autor beabsichtigten Sinn) erscheinen hierfür die Spitzfindigkeiten Vogels, der die Hilflosigkeit des Kleinkindes nicht als „Erklärung" für dessen Tod durch Ertrinken gelten lassen will, weil es sich dabei um eine bloße Disposition handele, die in dem in der 138
Landau, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit aus Eigentum und Besitz bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1976, S. 80 f.; Maiwald, JuS 1981, 480; Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 76. 139 Vogel, Norm und Pflicht, 1993, S. 352 f. 140 141 142
Dazu näher Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 79. Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 78 f. Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 80.
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modernen Philosophie üblicherweise benutzten Schema der kausalen Erklärung keinen Platz habe. Denn in diesem prätentiös klingenden Argument steckt gleich ein vierfacher Fehler: (1) Die Kategorie der Dispositionsbegriffe hat ihre Bedeutung in der Sprachphilosophie und ist selbst dort bis heute nicht restlos geklärt 143 , hindert aber mitnichten die Benutzung der spezifischen Fragilität eines Kleinkindes als Randbedingung in der kausalen Erklärung seines Todes. (2) Es ist heute so gut wie unbestritten, dass es bei den Unterlassungsdelikten nicht um einen Kausalzusammenhang im Sinne des Bewirkens, sondern um „Quasikausalität" geht. (3) Irgendein in der Philosophie beliebtes Schema der kausalen Erklärung ist deshalb für die strafrechtliche Zurechnung nicht verbindlich, sondern stellt sogar (4) einen eklatanten Rückfall in der kausalmonistischen Naturalismus des 19. Jahrhunderts 144 dar, der in Vogels mit einem normativistischen Anspruch auftretender Arbeit zu den unechten Unterlassungsdelikten geradezu peinlich wirkt.
IX. Missverständnis des Herrschaftsbegriffs bei Manfred Heinrich Heinrich hebt hervor, dass die von Schünemann entworfene Herrschaftskonzeption mit der gängigen „Tatherrschaftslehre" - etwa Roxin'scher Ausprägung „durchaus zu vereinbaren" sei 1 4 5 . Der Gewinn der Angleichungsbemühungen Schünemanns sei aber nicht allzu groß, weil das Tatherrschaftskriterium bei den Pflichtdelikten jede Bedeutung abgesprochen bekomme 146 . Nachdem nun aber doch das Tatherrschaftskriterium nach Schünemanns eigenem Ansatz nicht weniger eine Ausformung des übergeordneten Gesichtspunktes der „Herrschaft über den Grund des Erfolges" sei, als das den Sonderpflichtigen zum Täter stempelnde Kriterium der faktischen Schutzherrschaft über das Rechtsgut bzw. die Geschehensherrschaft i.S. der Kontrolle über einen sozialen Bereich, sei die Ablehnung des Tatherrschaftsgedankens in diesen Fällen nicht systemimmanent, sondern allein unter Heranziehung eines außerhalb des Herrschaftsgedankens stehenden Gesichtspunktes erklärbar 147 . Aber Heinrich hat Schünemanns Herrschaftsansatz falsch verstanden. Wenn er behauptet, dass Schünemanns Herrschaftsansatz mit der „Tatherrschaftslehre durchaus zu vereinbaren" 148 sei, dann verkennt er diese Konzeption. Denn dies behauptet weder Roxin noch Schünemann. Bei genauerer Überprüfung der von 143
Vgl. nur Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, Band 2, 8. Aufl., 1987, S.275. 144 Zu diesem Begriff und deren Kritik vgl. Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 218 ff.\ 145 Manfred Heinrich, Rechtsgutszugriff und Entscheidungsträgerschaft, 2002, S. 11 f. 146 Manfred Heinrich, Rechtsgutszugriff und Entscheidungsträgerschaft, 2002, S. 12. 147 148
Manfred Heinrich, Rechtsgutszugriff und Entscheidungsträgerschaft, 2002, S. 12 f. Manfred Heinrich, Rechtsgutszugriff und Entscheidungsträgerschaft, 2002, S. 11 f.
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Heinrich zitierten Annahme Roxins 149 und der von Roxin angeführten Stellungnahme Schünemanns 150 zeigt sich deutlich das Missverständnis bei Heinrich. Schünemann meint, dass die von ihm versuchte „systematische Vereinheitlichung auch für die von Roxin entwickelte Täterschaftskonzeption akzeptabel sein müsste" 1 5 1 . Wenn man nicht darauf achtet, dass Schünemann im Anschluss an Roxins Auffassung die Tatherrschaft nicht als ein Universalprinzip ansieht 152 , würde man mit Heinreich zu diesem Missverständnis kommen. Nach dem Kontext muss der Satz von Schünemann dagegen so verstanden werden, dass Schünemann ein einheitliches, normatives Grundprinzip der Herrschaft über den Grund des Erfolges herausbilden will, indem er die Pflichtdelikte als Fälle einer „Schutzherrschaft über das Rechtsgut" oder in neuerer Formulierung als „Geschehensherrschaft i.S. der Kontrolle über einen sozialen Bereich" und damit als eine weitere Erscheinungsform der Herrschaftsdelikte deutet 153 . Die Tatherrschaft ist dort kein gültiges Täterschaftskriterium. Das stimmt völlig mit der von Roxin entwickelten Täterschaftskonzeption überein. Deshalb ist eine „solche Bemühung" nach Roxins Auffassung „fruchtbar" 154 . Wenn Heinrich erkennen würde, dass Schünemann die in der Tatherrschaftslehre enthaltenen Herrschaftsgedanken nicht direkt auf die Pflichtdelikte anwendet, sondern nur eine mit der Tatherrschaft vergleichbare faktische Herrschaftsbeziehung sucht, wobei dieses mit der „Natur der Sache" eng verbundene „typologische Denken" bereits erklärt wurde (oben unter C I), dann könnte er das Missverständnis vermeiden und verstehen, dass die Ablehnung des Tatherrschaftsgedankens bei den Pflichtdelikten durch Schünemann zweifellos „systemimmanent" ist.
X. Semantische Zweifel am Herrschaftsbegriff Hsü 155 ist der Meinung, dass sich hinter dem Herrschaftsgedanken ein argumentum ad absurdum verstecke. Denn die Herrschaftsstellung bezeichne zweifellos die Innehabung von Macht. Macht bedeute Handlungsfreiheit, während Pflicht Handlungsunfreiheit darstelle. Aus Autorität und Herrschaft, die die Macht sowie das Recht bezeichneten, lasse sich eine Handlungspflicht nicht ableiten. Nach dem Wortlaut bedeutet Herrschaft unbestritten, worauf Hsü zu Recht hingewiesen hat, „Recht und Macht, über jemanden zu herrschen" 156. Aber nach der 149 LK"-Roxin, § 25 Rdn. 39. 150 Schünemann, GA 1986, 336. 151 Schünemann, GA 1986, 293, 336. 152 Schünemann, GA 1986, 331. 153 Vgl. Roxin, AT 12,251274. 154 Roxin, AT 12,251274. 155 Hsü, Garantenstellung des Betriebsinhabers zur Verhinderung strafbarer Handlungen seiner Angestellten?, 1986, S. 242 f.; dies., Chengchi Law Review Volume 50 (1994), S. 358 f.
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hier vertretenen Auffassung können auch diese Zweifel das Herrschaftskonzept Schünemanns nicht stürzen, weil Schünemann nicht im Sinne des naturalistischen Fehlschlusses die Rechtsfolge aus der Wirklichkeit ableitet, sondern nur die physikalischen, biologischen und soziologischen Realitäten berücksichtigen will, auf die durch die rechtliche Bewertung Bezug genommen wird. Zur Erklärung wandelt Schünemann 157 einen Satz von Kant l5 S ab, wonach Begriffe ohne Anschauungen leer, Anschauungen ohne Begriffe dagegen blind sein. Eine Wertung beziehe sich ja immer auf ein Wertungsobjekt, also auf etwas Ontologisches, und sei ohne diese ontologische Basis leer. Umgekehrt bleibe die Wirklichkeitsanalyse unter rechtlichen Aspekten blind, solange es nicht aus dem Recht entnommen werde, welcher Teil der Wirklichkeit rechtlich relevant sei. Es sei also eine Synthese zwischen faktischer und normativer (deskriptiver und präskriptiver) Betrachtung notwendig und auch möglich. In der Tat will Hsü Schünemann nicht einen solchen naturalistischen Fehlschluss von Sein auf Sollen vorwerfen, sondern nur gegen die These vorgehen, dass die Verhinderungspflicht zur Rechtsgüterverletzung (= Garantenstellung) auf der Herrschaft über den Kausalverlauf der Rechtsgüterverletzung (= Steuerung der Möglichkeit der Rechtsgüterverletzung) beruhe 159 . In der Tat lässt sich eine Garantenstellung nicht bloß aus einer potentiellen Herrschaft ableiten. Schünemanns Herrschaftskonzept bedeutet aber auch keinesfalls eine solche bloße Erfolgsabwendungsmöglichkeit (das wurde oben unter C II festgestellt), sondern setzt sie voraus. Deshalb betrifft Hsüs Kritik nicht Schünemanns Herrschaftskonzept, sondern einen davon verschiedenen allgemeinen Herrschaftsbegriff. Wenn man trotzdem diese Kritik gegen Schünemanns Herrschaftskonzept üben möchte, trifft ein solcher Vorwurf also nur eine mögliche, für Schünemanns Theorie aber gerade nicht zutreffende, mehr nicht.
XI. Die Theorie der systemischen Repräsentantenhaftung als Erklärung des Strafgrundes der Organ- und Vertreterhaftung 1) Neuerdings schließt Radtke 160 sich in seinen Ausführungen zu § 14 im Münchener Kommentar Rogalls Auffassung 161 an und lehnt Schünemanns Garanten156 Vgl. Duden, Deutsches Universal Wörterbuch A-Z, 2. Aufl., 1989, Stichwort: Herrschaft, S. 696. 1 57 Schünemann, Chengchi Law Review Volume 50 (1994), S. 286. 158 Der originale Text bei Kant lautet: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind" (Kritik der reinen Vernunft, 2. Aufl. 1787, in: Immanuel Kant Werken in sechs Bänden, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Band II, Darmstadt 1956, S. 98). 159 Hsü, Chengchi Law Review Volume 50 (1994), S. 369 f. 160 MK-Radtke, § 14 Rdn. 19 ff. 161 Rogall, Die strafrechtliche Organhaftung, in: Amelung (Hrsg.), Individuelle Verantwortung, 2000, S. 160-166; ders. in: KK 2 -OWiG, § 9 Rdn. 17-20.
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theorie ab. Er hält nur die Theorie der systemischen Repräsentantenhaftung für die plausibelste Erklärung des Strafgrundes der Organ- und Vertreterhaftung. Diese Ansicht zu bearbeiten, ist die Aufgabe einer speziellen Abhandlung. Hier können nur einige Bemerkungen geleistet werden. Dass Radtke hier vielfach mit bloßen Zweitzitaten arbeitet, sieht man etwa daran, dass er Zitate Rogalls aus einer Hamburger Dissertation von Ulrike Kawan 162 übernimmt, ohne dabei, wie es korrekt gewesen wäre, im Literaturverzeichnis anzugeben, dass es sich um eine unveröffentlichte Dissertation handelt. Die Dissertation von Kawan 163 marschiert inhaltlich in den Fußstapfen der alten Arbeit von Blauth 164, die aber weder für § 14 noch für § 28 die dogmatische Situation geklärt hat. Blauth 165 beruht auf der in eine dogmatische Sackgasse führenden formalen Pflichttheorie und entwickelt eine besonders komplizierte dreifach gestufte Pflichtenkonstruktion: Die übergegangenen zivilrechtlichen Pflichten des Vertretenen, eine öffentlich-rechtliche „Sekundärpflicht" zur Wahrnehmung der Interessen der Vertretenen sowie eine selbständige durch § 14 neu geschaffene strafrechtliche Handlungspflicht. „Dem liegt ein ähnlicher Irrtum", worauf Schünemann 166 zutreffend hinweist, „zugrunde wie der früheren sog. formellen Rechtspflichttheorie zur Garantenstellung beim unechten Unterlassungsdelikt, die aus einer außerstrafrechtlichen (zivilrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen) Pflicht die strafrechtliche (Unterlassungs-)Täterstellung ableiten zu können vermeinte, während es dabei in Wahrheit nur um zivilrechtliche bzw. öffentlich-rechtliche Epi-Phänomene der die strafrechtliche Erfolgszurechnung begründenden Garantenstellung etwa aus Übernahme der Obhutsherrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsgutes geht". Die Arbeit von Kawan ist im Grunde noch konfuser und verzettelt sich zumeist in nicht weiterführenden normentheoretischen Betrachtungen. Insbesondere findet Kawan auch an keiner einzigen Stelle den Weg aus der von Blauth 167 begründeten Sackgasse der „höchstpersönlichen Pflichtenstellungenwonach höchstpersönliche Pflichtenstellungen i. S. d. § 28 grundsätzlich nicht dem § 14 unterstellt werden könnten. Diese Annahme ist jedoch unzutreffend. Denn das besondere Vertrauen, das dem Inhaber einer höchstpersönlichen Pflichtenstellung entgegengebracht wird, genießt zwar der extrane „Jedermann" nicht; die Übertragbarkeit der Pflichtenstellung auf bestimmte in die Täterstellung einrückende Substituten schließt das 162 Kawan, Die strafrechtliche Organ- und Vertreterhaftung (§14 StGB) in ihrem normlogischen Begründungszusammenhang, Hamburg, Univ., Diss., 1993. 163 Kawan, Die strafrechtliche Organ- und Vertreterhaftung (§ 14 StGB) in ihrem normlogischen Begründungszusammenhang, 1993, S. 165 ff. 164 Blauth, „Handeln für einen anderen" nach geltendem und kommendem Strafrecht, 1968. 165 Blauth, „Handeln für einen anderen" nach geltendem und kommendem Strafrecht, 1968, S. 81 f.; daran anschließend, KK 2 -OWiG/Rogall, § 9 Rdn. 15, 19. 166 Vgl. LK 111 -Schünemann, § 14 Rdn. 10. 167 Blauth, „Handeln für einen anderen" nach geltendem und kommendem Strafrecht, 1968, S. 52 ff., 92 ff., 109 ff., 114; ebenso Gallas, ZStW 80 (1968), 22.
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aber nicht aus 168 . Dieser Begriff macht keinerlei Sinn in einem rechtsgüterschützenden 169 Strafrecht und ist ein eigentlich längst überwundener dogmatischer Irrweg der 60er Jahre. Die ganze Arbeit von Kawan ist m.E. deshalb völlig wertlos, so dass ihre Wiederbelebung durch das Zweitzitat von Radtke im Münchener Kommentar zum StGB wenig Sinn macht. 2) Da Radtke die Position von Rogall vertritt, ist Rogalls Meinung in den Blick zu nehmen. Rogall kritisiert die Garantentheorie. Sein Hauptargument lautet, dass es auf jeden Fall einen Übertragungsakt geben müsse, während die bloße Usurpierung der Position die Täterstellung nicht begründen könne 170 . Aber seine Kritik ist unschlüssig, weil sie offensichtlich die Garantentheorie missversteht. Einen konkreten Fall, wie die bloße Usurpierung der Position vor sich gehen soll, nennt Rogall nicht. Am Beispiel der Nichtabführung von Sozialbeiträgen durch den Arbeitgeber: Eine Usurpierung kann man sich hier ja wohl nur in der Form vorstellen, dass jemand sich einen ganzen Betrieb zueignet, womit er dann aber ohne weiteres originärer Arbeitgeber wird. Das weitere kritische Argument, dass eine Delegation nur an solche Personen stattfinden dürfe, die dieser Aufgabe auch gewachsen seien 171 , ist eine bloße Frage der eventuell fortbestehenden Überwachungshaftung bei unvollständiger Delegation oder der fortbestehenden Kontrolle des Vorgesetzten 172, letztlich einer möglichen Fahrlässigkeitshaftung des Vorgesetzten. Für die Frage, ob derjenige, der die Herrschaft über die betreffenden Verrichtungen tatsächlich übernimmt, für das Geschehen in diesem Bereich auch verantwortlich ist, spielt dieses Argument keine Rolle. Nach Rogalls Theorie der systemischen Repräsentantenhaftung 173 haften Organe und Vertreter nicht als Individuen, sondern in ihrer „Rolle als Repräsentant des (jeweiligen) SystemDas über § 14 straftatbestandliche Verhalten der Repräsentanten müsse sich als Ausdruck einer fehlerhaften kollektiven Sinnsetzung darstellen. Voraussetzung dafür sei die den Repräsentanten übertragene „Kompetenz zur kollektiven Sinnbestimmung". Diese Theorie ist m.E. ein merkwürdiges Gebilde, das in die strafrechtlichen Zurechnungsstrukturen nicht hineinpasst, wie sich schon durch die dunkle Wendung der typisch zivilrechtlichen „Repräsentantenhaf168 Vgl. nur Roxin, AT/2, 27/101; ferner eingehend LKn-Schünemann, § 14 Rdn. 33 f. 169 Vgl. etwa Jescheck/Weigend, AT 5 , S. 7 f.; W. Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, 1973, S. 87 ff.; Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, 1972, passim; Roxin, AT/1 3 , 2/1; Maurach/Zipf, AT/1 8 , 19/4; Schünemann, FS-Roxin, 2001, S. 26 ff.; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, 2001, passim. 170 YX}-OW\GIRogall, § 9 Rdn. 17.
ivi KK 2 -OWiG / Rogall, § 9 Rdn. 18. 172 Vgl. L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 14. 173
Rogall, Die strafrechtliche Organhaftung, in: Amelung (Hrsg.), Individuelle Verantwortung, 2000, S. 165; ders. in: KK 2 -OWiG, § 9 Rdn. 20; zustimmend MK-Radtke, § 14 Rdn. 19 ff.
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tung" bzw. der „Kompetenz zur kollektiven Sinnbestimmung4' ergibt. Der „kollektive Sinn in der Organisation", von dem Rogall spricht, hat etwas mit Kommunikation und vielleicht noch mit „Unternehmensphilosophie" zu tun, steht aber in keinem erkennbaren Zusammenhang zur Idee des Rechtsgüterschutzes. Vollends dunkel ist die Wendung, dass der Vertreter nicht als Individuum hafte, sondern in seiner Rolle als Repräsentant des Systems, weil nur dann der Normbruch als Ausdruck einer fehlerhaften kollektiven Sinnsetzung erscheine. Dieses Kriterium mag man heranziehen, insoweit man eine eigene strafrechtliche Sanktion gegen den Verband selbst betrachtet, indem man damit die Frage beantworten will, wie die Position derjenigen Organe beschaffen sein muss, deren Verhalten als ein Verhalten des Verbandes gewertet werden kann. Für die persönliche Haftung dieser Personen ist der Gesichtspunkt aber offensichtlich deplaziert. Dass Rogall hier immer wieder auf die fehlerhafte kollektive „Sinnsetzung" abstellt 174 , die jedoch ein abermals im rechtsgüterschützenden Strafrecht irreführender Terminus darstellt, eröffnet auch deshalb eint fehlerhafte Perspektive, weil die Vertreterhaftung natürlich auch in einem Zweipersonenverhältnis in Betracht kommt. Rogall konstruiert die Vertreterhaftung sozusagen von hinten, indem er eine systemische Haftung des Verbandes schon unterstellt 175 , die auf der Ebene der Vertreterhaftung aber noch gar keine Rolle spielt.
D. Stellungnahme und zugl. Zusammenfassung von § 1 bis § 4 I. Die Theorie der Garantensonderdelikte als befriedigendste Lösung für die Sonderdelikte 1) Die Pflichtdelikte waren in der 1. Auflage von „Täterschaft und Tatherrschaft" bei Roxin eindeutig gekennzeichnet, dass der Täter eine außerstrafrechtliche Pflicht verletzte, so dass also die strafrechtliche Zurechnung an ein rein zivilrechtliches Verhältnis anknüpfte. Dies war aber von Anfang an zweifelhaft, denn seit der Schrift von Bruns über die „Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken" (1938) war die bloßen Zivilrechtsakzessorietät des Strafrechts nicht mehr überzeugend zu begründen 176. Ein solches an die Verletzung außerstrafrechtlicher Pflicht anknüpfendes Tätermerkmal passt nicht in das rechtsgüterschützende Strafrecht hinein, weil eine Akzessorietät des Strafrechts gegenüber dem Zivilrecht oder dem öffentlichen Recht beinhalten wird, deren Normzweck zumindest nicht selbstverständlich auf den Rechtsgüterschutz zielt 1 7 7 . Im Grunde hat sich Roxin auch 174 KK 2 -OWiG/Rogall, § 9 Rdn. 3, 17 ff. 175
Rogall, Die strafrechtliche Organhaftung, in: Amelung (Hrsg.), Individuelle Verantwortung, 2000, S.165 176 Vgl. Schünemann, GA 1986, 293, 332. 177 Vgl. Schünemann, a. a. O.
D. Stellungnahme von § 1 bis § 4
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durch die Entwicklung der Theorie der objektiven Zurechnung vollständig von diesem Gedankengang gelöst, denn eine rein zivilistische Konstruktion kann man in die materielle Doktrin der objektiven Zurechnung, die letztlich die umfassende Theorie auch für die Täterschaft ist, nicht einfügen. Es konnte noch plausibel wirken, bei den unechten Unterlassungsdelikten Pflichtdelikte anzunehmen, als die Pflichtdelikte von Roxin entwickelt wurden, weil die formelle Rechtspflichttheorie noch nicht endgültig widerlegt war. Heutzutage kann man aber nicht mehr ernsthaft davon sprechen, dass die formelle Rechtspflichttheorie noch vertretbar sei, worauf Schünemann 178 und Roxin 119 bereits hinweisen, und damit ist es natürlich auch nicht mehr möglich, die unechten Unterlassungsdelikte als Pflichtdelikte im ehemaligen Sinn der genannten Monographie zu qualifizieren. Im Hinblick darauf, dass Roxin sich im 2. Band seines Lehrbuches zum Allgemeinen Teil des Strafrechts auch bei den unechten Unterlassungsdelikten der Lehre von der Herrschaft über den Grund des Erfolges anschließt 180 , ist es nur noch konsequent, auch für die Sonderdelikte i.e.S. die frühere Idee außerstrafrechtlicher Pflichtdelikte preiszugeben. Dies folgt übrigens auch aus der früheren Beweisführung von Roxin selbst, weil er ja immer darauf abgehoben hat, dass es bei den Sonderdelikten keine Rolle spielt, ob der Täter durch Handeln oder Unterlassen den Tatbestand verwirklicht 181 : Gerade dadurch hat Roxin den entscheidenden Fingerzeig dafür geliefert, dass es eben um ein Garantensonde rdelikt geht, bei dem das Rechtsgut im Unterschied zu den Herrschaftsdelikten nur gegenüber dem Garanten und nicht gegenüber dem Extraneus geschützt wird. Der Grund liegt eben darin, dass der Extraneus normalerweise keinen ausreichenden Zugang zum Rechtsgut besitzt oder dass ein derartiger Zugang für ihn zur allgemeinen Handlungsfreiheit gehört. Indem Roxin nunmehr die erfolgsbezogene Verletzung der tatbestandsspezifischen Pflicht bzw. der täterschaftsbegründenden Pflicht als Täterschaftskriterium bei den Pflichtdelikten verwendet, lässt er es ziemlich im Dunkeln, ob es um eine außerstrafrechtliche oder um die strafrechtsspezifische Pflicht geht, welche letztere ja aus dem Tatbestand erwächst und damit nichts anderes als die spezifisch strafrechtliche Rechtswidrigkeit ist. Damit ist aber sein System unheilbar unklar geworden. Selbst wenn Roxin sich nunmehr auf Jakobs und Sánchez-Vera beruft 182 , so führt er Zeugen an, die für seine Konzeption gerade nicht dienlich sind, weil Jakobs in seiner gesamten Täterlehre nirgendwo auf Geschehensherrschaft als Kriterium der Zurechnung der Rechtsgutsverletzung abstellt, sondern immer nur auf inhaltsleere Blankette, wozu natürlich die Verletzung irgendeiner beliebigen 178
Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 221 ff. 179 Roxin, AT/2, 32/10 ff. 180 Roxin, AT/2, 32/17 ff. 181 Roxin, T u T 1 - 7 , S. 352 ff.; ders., AT/2, 25/273. 182 Roxin, AT/2, 25/269 f.
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Pflicht besonders gut passt. Nicht so bei Roxin, dessen Tatherrschaftslehre mit Recht die Geschehensbeherrschung als Grund der Verantwortung für die Rechtsgutsverletzung ins Zentrum gerückt hat 2) Zur Widerlegung der Lehre von den Pflichtdelikten kann man noch sagen, dass die Pflichtdeliktslehre nicht in der Lage ist, den uneinheitlichen Wortlaut der betreffenden Tatbestände überzeugend zu erklären. Denn wie es bereits festgestellt wurde (siehe § 2 B II 1 a und b), gibt es aufgrund des unterschiedlichen Wortlaut bei den Sonderdelikten, die Roxin als Pflichtdelikte ansieht, drei Kategorien 183 . Bei genauerer Untersuchung der betreffenden Tatbestände hat der Gesetzgeber in den meisten Fällen („1. Kategorie") keine Gleichstellung der nicht-tatherrschaftlichen mit der tatherrschaftlichen Deliktsbeteiligung geregelt 184 . Nur in einigen Fällen ist eine solche Gleichstellung ausdrücklich („2. Kategorie") 185 oder konkludent („3. Kategorie") 186 zu finden. Die Pflichtdeliktslehre scheitert an der überwiegenden Anzahl der Sonderdelikte, bei der eine Gleichstellung der nicht-tatherrschaftlichen mit der tatherrschaftlichen Deliktsbeteiligung fehlt. Roxin möchte deshalb bei der Problematik des qualifikationslosen dolosen Werkzeugs den Begriff der mittelbaren Täterschaft erweitern, um den Intraneus wegen seiner nicht-tatherrschaftlichen Deliktsbeteiligung (Anstiftung oder Beihilfe) als Täter zu bestrafen. Eine solche Erweiterung ist nach meiner Untersuchung (siehe § 2 B II lc) unangemessen und überflüssig. Denn es führt einerseits zu einem konturlosen Begriff der mittelbaren Täterschaft. Andererseits lässt sich die Problematik des qualifikationslosen dolosen Werkzeugs auf der Grundlage des geltenden Rechts lösen, ohne den Begriff der mittelbaren Täterschaft zu erweitern, sei es, indem man unmittelbare Täterschaft annimmt (wenn die Teilnahme des Intraneus vom Gesetzgeber ausdrücklich oder konkludent zur Täterschaft erhoben wird), sei es, indem man Unterlassungstäterschaft annimmt (wenn eine Gleichstellung zwischen der nicht-tatherrschaftlichen und der tatherrschaftlichen Deliktsbeteiligung fehlt). Im Übrigen ist der Begriff der Pflichtdelikte i.S. Roxins noch in zwei weiteren Punkten zweifelhaft. Erstens ist es ein Zirkelschluss, wenn das Täterschaftskriterium bei den Pflichtdelikten in der Verletzung der täterschaftsbegründenden Pflicht liegt, weil die täterschaftsbegründende Pflicht selbst eine zu erklärende Definition ist 1 8 7 . Zweitens lässt sich aus der Tätereigenschaft der bloßen Sonderdelikte, die mit den anderen von Roxin ebenfalls als Pflichtdelikte bezeichneten Fällen der Sonderdelikte nicht vergleichbar sind, eine Garantenstellung nicht herleiten 188 . 183
Die bloßen Sonderdelikte (dazu vgl. § 12 dieser Arbeit) stehen hier nicht in Rede. 184 §§ 133 Abs. 3, 203, 204, 218 Abs. 3, 218b Abs. 1 S. 2, 218c, 221 Abs. 1 Nr. 2, 225, 236, 258 a, 266 b, 278, 283 ff., 288, 290, 331, 332, 336, 339, 343, 345, 348, 353, 353a, 353b und 355. iss 186 187 188
Z. B. bei §§ 97, 120 Abs. 2, 206 Abs. 2 Nr. 3, 340, 344 und 357 Abs. 1. z. B. bei §§ 171, 266, 319 und 356. Dazu vgl. § 2 B I 3. Dazu vgl. § 2 C I.
D. Stellungnahme von § 1 bis § 4
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3) Der Schlüssel zur Lösung in fast allen Fällen der Sonderdelikte findet sich vielmehr in der aus der Intraneieigenschaft hergeleiteten Garantenstellung. Das entspricht der von Schünemann entwickelten Theorie der Garantensonderdelikte. Schünemann hat seine Garantentheorie für die Sonderdelikte zwar als eine Weiterentwicklung von Roxins Theorie ausgegeben, bei präziser analytischer Sicht bedeutet sie aber natürlich die Ersetzung der außerstrafrechtlichen Pflicht durch ein strafrechtliches Herrschaftsverhältnis, bei dem die Pflicht lediglich die Folge der Herrschaft ist und auch keine außerstrafrechtliche Bedeutung hat, sondern schlicht die aus dem Tatbestand folgende Rechtswidrigkeit wiedergibt. Bei den Garantensonderdelikten ist eine Herrschaftsbeziehung im Sinne der Kontrolle über einen sozialen Bereich als Voraussetzung der Täterschaft vertypt. Die Theorie der Garantensonderdelikte versucht, den materiellen Grund für die Beschränkung des Täterkreises der Sonderdelikte zu finden. Diese Bemühungen stimmen mit Roxins Gedanken durchaus insofern überein, als Roxin die formelle Rechtspflichttheorie ablehnt und Schünemanns Herrschaftsansatz der „Herrschaft über den Grund des Erfolges" als dogmatische Grundlage der unechten Unterlassungsdelikte akzeptiert 1 8 9 . Von diesem Standpunkt her muss es auch die konsequente Folge sein, den Begriff der Garantensonderdelikte anzuerkennen. 4) Es ist eine Frage der Auslegung der einzelnen Tatbestände des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs, ob eine Strafvorschrift ein Herrschaftsdelikt in Sinne der Tatherrschaft oder ein Garantensonderdelikt ist. Die Antwort auf diese Frage liegt darin, ob eine Garantenstellung aus der Tätereigenschaft der Sonderdelikte hergeleitet werden kann. Dies bedarf deshalb einer speziellen Analyse der als Sonderdelikte bezeichneten Tatbestände, die also die Aufgabe des Besonderen Teils dieser Arbeit sein wird und in den folgenden Kapiteln (von § 5 bis § 12) unternommen wird. Das entscheidende Kriterium für die Beurteilung liegt in einer Herrschaftsbeziehung im Sinne der Kontrolle über einen sozialen Bereich. Falls eine solche Herrschaftsbeziehung zwischen dem Täter und dem geschützten Rechtsgut oder zwischen dem Täter und der Gefahrenquelle nicht besteht, ist dieses Sonderdelikt aus dem Bereich der Garantensonderdelikte auszuscheiden.
II. Die Erweiterung und zugleich Reduzierung des Bereichs der Sonderdelikte durch die Garantentheorie Nach der Theorie der Garantensonderdelikte ist der Bereich der Sonderdelikte einerseits reduziert, andererseits erweitert. Wie schon ausgeführt wurde 190 , sind die bloßen Sonderdelikte mit der Theorie der Garantensonderdelikte nicht vereinbar und deshalb aus dem Bereich der Sonderdelikte auszuscheiden. Aber die Bemühungen der Garantensonderdeliktstheorie weisen nicht nur auf eine engere 189 Roxin, AT/2, 32/17 ff., 33 ff. 1 90 Dazu vgl. § 2 C und nähere Behandlung in § 12.
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§ 4 Schnemanns Herrschaftstheorie
Zusammenführung 191, sondern im Vergleich mit dem Konzept der Pflichtdelikte auch auf eine berechtigte Erweiterung in den Fällen hin, in denen die Täterqualifikation zwar nicht durch die Verletzung außerstrafrechtlicher Pflichten, aber durch eine aktuelle Herrschaftsbeziehung im Sinne der Kontrolle über einen sozialen Bereich begründet wird. Beispiele sind etwa der oben von Schünemann 192 angeführte Treubruchtatbestand des § 266 2. Alt., wo die Täterqualifikation auch durch ein „tatsächliches Treueverhältnis" begründet wird, und die strafrechtliche Verantwortlichkeit des faktischen Geschäftsführers, die in § 5 D II 2 c und § 5 D III 2 b zu behandeln ist. III. Die Aufnahme eines Teils der unechten eigenhändigen Delikte i.S. Roxins in den Begriff der Garantensonderdelikte und die Zuordnung der echten eigenhändigen Delikte zu den Handlungsherrschaftsdelikten Als Schünemann seine auf dem Herrschaftsansatz beruhende einheitliche monistische Täterlehre entwickelte, ging er davon aus, dass die eigenhändigen Delikte nicht in dieses Tätersystem passen. Jedoch bedarf diese Ansicht m.E. zweier Modifikationen. Nach Roxins Auffassung 193 sind bei den eigenhändigen Delikten drei Fallgruppen zu unterscheiden, die verhaltensgebundenen Delikte (z. B. der Inzest nach § 173), die täterstrafrechtlichen Delikte (z. B. die Zuhälterei nach § 181a) und die höchstpersönlichen Pflichtdelikte (hierher gehören die Aussagedelikte der §§ 153, 154, 156, das unerlaubte Entfernen vom Unfallort nach § 142, die Doppelehe nach § 172, der Völlrausch nach § 323a und die Rechtsbeugung nach § 339 194 ). Die ersten zwei Gruppen sind echte eigenhändige Delikte, deren Unrecht in der Verwerflichkeit eines bestimmten Verhalten liegt, ohne dass ein sozialschädlicher Erfolg nachweisbar wäre (bei § 173) 195 , oder die nicht eine konkrete, ggf. der Beherrschung oder Mitbeherrschung durch Nichtausführende zugängliche Tat umschreiben, sondern eine bestimmte Lebensführung zum Gegenstand der Strafbarkeit machen (bei § 181a) 196 . Eigenhändige Delikte solcher Art sind im heutigen 191 floxm, AT/2,25/274. 192 Dazu vgl. § 4 A II. 193 Roxin, TuT 7 , S. 410 ff.; ders., AT/2, 25/297 ff. 194 Die Rechtsbeugung nach § 339 wurde ursprünglich von Roxin als ein „echtes" eigenhändiges Delikt betrachtet {Roxin, TuT 7 , S. 428 ff.; ders., L K 1 1 , § 26 Rdn. 44). Diese Missverständnis übernimmt auch Müller, Falsche Zeugenaussage und Beteiligungslehre, 2000, S. 139. Roxin hat im 2. Band seines Lehrbuchs zum Allgemeinen Teil des Strafrechts diesen Fehler korrigiert (AT/2, 25/304). 195 Vgl. Roxin, AT/2, 25/297. Zur Frage der Legitimität zuletzt eingehend Hörnle, Grob anstößiges Verhalten (Münchener Habilitationsschrift 2003), § 25 Nr. 2, die demnächst erscheinen wird. 196 Vgl Roxin, AT/2,25/301.
D. Stellungnahme von § 1 bis § 4
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modernen Strafrecht ein „Anachronismus" und erscheinen nur als „dahinschwindende Relikte" oder „Überbleibsel älterer Strafrechtskonzeptionen" 197. Die Fragen, ob diese Unterteilung Zustimmung verdient und welche Tatbestände den höchstpersönlichen Pflichtdelikten zuzuordnen sind, bedürfen noch weiterer Erörterung 198 , die hier nicht geleistet werden kann. Der erste zu modifizierende Punkt der gerade erwähnten Ansicht Schünemanns ist: Ein Teil der unechten eigenhändigen Delikte, die Roxin als eine Untergruppe der Pflichtdelikte auffasst 199, lässt sich konsequenterweise auch in Schünemanns Garantensonderdelikte eingliedern. Denn wenn die Sonderdelikte aufgrund der bestimmten Tätereigenschaft als Garantensonderdelikte erklärt werden können, dann lassen sich auch die unechten eigenhändigen Delikte als bestimmte Garantenpflichten verletzende Delikte ansehen. Ihre Höchstpersönlichkeit erklärt nur, dass diese Garantenstellung nicht übertragbar ist 2 0 0 . Hierfür bedarf es ebenfalls einer weiteren Analyse, die jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Deshalb kann ich hier nur exemplarisch einige Tatbestände anführen. Bei § 153 wird man sagen können, dass der Zeuge deshalb Garant für die Wahrheit der Aussage ist, weil er ja das Beweismittel schafft, so dass dieses in seiner ausschließlichen Herrschaft steht: Allein er bestimmt, welche Gestalt die Zeugenaussage hat. Wer den Zeugen unter den Voraussetzungen des § 35 zu einer Falschaussage nötigt, hat zwar die Tatherrschaft, kann wegen der fehlenden höchstpersönlichen Garantenstellung aber nicht als mittelbarer Täter des § 153, sondern nur als Anstifter bestraft werden. Falls die Falschaussage des Aussagenden durch eine Täuschung seitens des Extraneus veranlasst wird, kann der Täuschende wegen der fehlenden höchstpersönlichen Garantenstellung nicht mittelbarer Täter des § 153 sein, sondern hat sich wegen einer Verleitung zur Falschaussage gemäß § 160 strafbar gemacht. Abgesehen von dem Streit um die Eigenhändigkeit201 bei der Rechtsbeugung nach § 339 ist der Richter jedenfalls Garant für die Rechtspflege 202, weil der Staat •97 Vgl. Roxin, AT/2, 25/300, 302, 306. Nach Hörnle sollte der Inzest nach § 173 aufgehoben werden (a. a. O.); a.A. Stratenwerth, FS-Hinderling, 1976, S. 312 f. 198 Wichtige Abhandlungen zu den eigenhändigen Delikten: Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 ff.; Auerbach, Die eigenhändige Delikte unter besonderer Berücksichtigung der Sexualdelikte des 4. StrRG, 1978; Schall, JuS 1979, 104 ff.; Haft, JA 1979, 651 ff.; Schubarth, SchwZStr 114 (1996), 325 ff.; ders., ZStW 110 (1998), 827 ff.; Straftenwerth, SchwZStr 115 (1997), 86 ff.; Wohlers, SchwZStr 116 (1998), 95 ff. 199 Vgl. § 1 C II dieser Arbeit und Roxin, AT/2, 25/303-307. Mittler verteidigt die Eigenhändigkeit als selbständige Kategorie und wirft Roxin vor: „Dass die Pflicht der Beweispersonen bei § 153 nur höchstpersönlich besteht, ergibt sich aber nicht schon aus dem Deliktscharakter Pflichtdelikt" (Falsche Zeugenaussage und Beteiligungslehre, 2000, S. 138). „Der Erklärungsansatz beruht eben nicht darauf, dass es sich um ein Sonderdelikt handelt, sondern darauf, dass es sich um ein eigenhändiges Delikt handelt. Nicht weil das Delikt Pflichtdelikt ist, wäre es unecht eigenhändig" (S. 140). 200
Diese Stellungnahme findet sich bereits bei Yü-hsiu Hsü, Der materielle Täterbegriff, TZStW Volume 41 Heft 6 (1997), S. 45 Nr. 5. 8 Chen
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§ 4 Schnemanns Herrschaftstheorie
ihn beauftragt, die Rechtspflege in seinem Aufgabenbereich zu gewährleisten. Der Richter ist deshalb der Herr des Verfahrens und verfügt über die Machtstellung, das Gesetz zu interpretieren, und über die Kompetenz, die Entscheidung zugunsten oder zum Nachteil einer Partei zu treffen. Allein der Richter bestimmt, ob die Leitung eines Rechtsverfahrens oder sein Urteil das Gesetz beugt oder dem Gesetz entspricht. Der zweite zu modifizierende Punkt betrifft die Einordnung der echten eigenhändigen Delikte, die sowohl in Roxins als auch in Schünemanns Täterlehre ein Fremdkörper sind. Nach der hier vertretenen Auffassung passen die echten eigenhändigen Delikte auch in Schünemanns Täterlehre, wenn man sie als eine Untergruppe der Handlungsherrschaft in Betracht zieht, weil die Handlungsherrschaft sich durch eigenkörperliche Aktivität (also i.d.R mit eigener Hand) bezeichnen lässt. Dass der Begriff der Handlungsherrschaft ursprünglich als ein Täterkriterium bei den Allgemeindelikten konzipiert worden ist, hindert nicht daran, ihn auch bei den echten eigenhändigen Delikten anzuwenden. Das kann mit den Fällen der bloßen Sonderdelikte erläutet werden, in denen die Tatherrschaft für das Täterkriterium von Bedeutung ist. Man muss nur beachten, dass ein nicht eigenhändig Handelnder nicht als Täter der echten eigenhändigen Delikte bestraft werden kann, auch wenn er eine andere Form der Tatherrschaft (z. B. Irrtumsherrschaft, funktionelle Herrschaft) hat. Anhand der Doppelehe nach § 172 soll der zweite Punkt erläutert werden. Nach Roxins Meinung handelt es sich bei der Doppelehe um eine unechte eigenhändige Straftat, weil der Gesetzgeber den Partnern der „Zweitehe" eine Sonderpflicht auferlegt habe, sich nicht über eine schon bestehende eheliche Bindung hinwegzusetzen 203 . Es ist fraglich, ob man die Doppelehe als ein unechtes eigenhändiges Delikt, nämlich als ein verkapptes Pflichtdelikt ansehen kann, weil es hier nur um die jedermann treffende Pflicht, die staatlich gewährleistete Garantie der Ehe als Institution nicht zu gefährden, geht. Der Grund, warum Roxin die Doppelehe bei den unechten eigenhändigen Delikten einordnet, liegt meiner Vermutung nach darin, dass es hier ein konkretes Rechtsgut, nämlich „die staatlich gewährleistete Garantie der Ehe als Institution" 204 , gibt und dass dies der Voraussetzung der echten eigenhändigen Delikte, einen sozialschädlichen Erfolg nicht zu verursachen, nicht 201 Bejahend: LK"-Roxin, § 25 Rdn. 40, 44; ders., AT/2, 25/304; Jescheck/Weigend, AT 5 , § 26 II 6, S. 267; Wessels/Beulke, AT 3 2 , Rdn. 40; Welzel, Das Deutsche Strafrecht 11, S. 546; Stratenwerth, AT 4 , 12/75; a.A. LK U-Spendel § 339 Rdn. 114; Tröndle/Fischer 51, § 339 Rdn. 5; NK-Kuhlen, § 339 Rdn. 82. 202
Vgl. Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht von Amtsträgern, 1989, S. 543; im Ergebnis auch Hüwels, Fehlerhafter Gesetzesvollzug und strafrechtliche Zurechnung, 1986, S. 139 ff., 146, 170; Schultz, Amtswalterunterlassen, 1984, S. 173 f. 2 03 Roxin, TuT 7 , S. 428. 2 04 LK 10 -Dippel, § 171 Rdn. 3; Schänke/ Schröder/Lenckner 26, § 172 Rdn. 1; SK7-Horn/ Wolters, § 172 Rdn. 2; Lackner/Kühl 24, § 172 Rdn. 1; Tröndle/Fischer 51, § 172 Rdn. 2; NKFrommel, § 172 Rdn. 2.
D. Stellungnahme von § 1 bis § 4
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entspricht. Meiner Meinung nach ist eine überzeugende Rechtsgutsbenennung für die Doppelehe nicht zu finden. Das genannte Rechtsgut ist eigentlich eine tautologische Begründung. Denn Doppelehe ist deshalb verboten, weil Einehe die normative Vorgabe ist 2 0 5 . Der Strafgrund der Doppelehe liegt vielmehr darin, dass die Vorstellung einer Mehrehe abendländischen moralischen Vorstellungen widerstrebt, weil es nämlich um einen Tabubruch geht 206 . Deshalb sollte das Verbot der Doppelehe nach Roxins Einordnung an sich ein echtes eigenhändiges Delikt, und zwar ein verhaltensgebundenes Delikt sein, das auch eine Handlungsherrschaft voraussetzt. Ein Außenstehender kann zwar durch Irrtumsherrschaft das Deliktsgeschehen beherrschen, ist aber nie Täter, weil er die unentbehrliche Handlungsherrschaft durch eigenkörperliche Aktivität nicht ausübt. Ein „wahrer" einheitlicher monistischer Täterbegriff kann also durchaus herausgebildet werden, wenn ein Teil der unechten eigenhändigen Delikte i.S. Roxins in den Begriff der Garantensonderdelikte umgewandelt wird und die echten eigenhändigen Delikte in die Handlungsherrschaftsdelikte eingeordnet werden. Im Kontext der vorliegenden Arbeit ist es jedoch nicht möglich, dieses - hier nur angedeutete - Konzept weiter zu entfalten.
205 Stratenwerth, SchwZStR 115 (1997), 91; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten (Habilitationsschrift), § 25 1 a, S. 463, die näher auf das geschützte Rechtsgut des § 172 eingeht. 206 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten (Habilitationsschrift), § 25 1 c, S. 464, hält deshalb die Begründung des strafrechtlichen Verbots der Doppelehe (§ 172) für nicht hinreichend. Diese Vorschrift könnte abgeschafft werden oder die Bestrafung sollte auf Handlungen ohne Wissen bzw. gegen den Willen der betroffenen Ehepartner beschränkt werden (S. 465). 8=
Besonderer Teil: Analyse der einzelnen Tatbestände § 5 Nichtbegehungsentsprechende Garanten-Unterlassungsdelikte In diesem Kapitel geht es um eine besondere Gruppe der Sonderdelikte, die entweder nach einem formellen Abgrenzungskriterium oder nach dem materiellen Abschichtungskriterium der herrschenden Lehre als echte Unterlassungsdelikte betrachtet werden (z. B. §§ 123 Abs. 1 Alt. 2, 170, 264 Abs. 1 Nr. 3, 264 a Abs. 1, 265 b Abs. 1 Nr. 2, 266 a, 283 Abs. 1 Nr. 5, 7b, 326 Abs. 3, 328 Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 1 Nr. 2 WStG, 41 Abs. 1 WStG, 84 GmbHG, 401 AktG). Nach der Unrechtsstruktur der obengenannten Delikte kann nicht jeder Täter sein, während Täter der §§ 138, 323c, die von der h.L. auch als echte Unterlassungsdelikte eingeordnet werden, jedermann sein kann. Es besteht daher ein Unrechtsunterschied zwischen den beiden als echte Unterlassungsdelikte bezeichneten Gruppen. Um den Diskussionsgegenstand genauer einzugrenzen, müssen wir die herkömmliche Unterscheidung zwischen echten und unechten Unterlassungsdelikten betrachten. Bevor ich jedoch auf diese Unterscheidung eingehe, möchte ich die angemessene Terminologie klarstellen. Denn „die Begriffe müssen", wie der einzigartige große Lehrer der Menschheit Konfuzius bereits vor 2500 Jahren hervorgehoben hat1, „unbedingt richtiggestellt" werden. „Sind die Begriffe nicht richtiggestellt, so entspricht, was man sagt, nicht den Tatsachen".
A. Zur angemessenen Terminologie Die übliche Bezeichnung „echte" und „unechte" Unterlassungsdelikte geht auf Luden 2 zurück und wurde bereits von v. Hippel 3 dahingehend kritisiert, dass diese Bezeichnung eine recht sinnlose sei. Diese historisch überkommene Bezeichnung ist heutzutage anerkanntermaßen sachlich verfehlt 4. Denn hinter dieser Bezeichnung stand die Fehlvorstellung, unechte Unterlassungsdelikte seien „eigentlich" Bege1 Konfuzius (551-479 v. Chr.), Gespräche des Meisters Kung (Lun Yü), hrsg. von Ernst Schwarz, Kapitel XIII 3, 6. Auflage 1994, S. 91 f. 2 Luden, Abhandlungen aus dem gemeinen teuschen Strafrecht, Bd. II, 1840, S. 219 ff. 3 V. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 2, 1930, S. 153 Fn. 6. 4 Jescheck/Weigend, AT 5 , § 58 III 2, S. 606; Freund, AT, 6/12; Schmidhäuser, AT 2 , 16/18 f.
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§ 5 Nichtbegehungsentsprechende Garanten-Unterlassungsdelikte
hungsdelikte. Leider möchte die h.L. an der überkommenen Terminologie festhalten, weil der herkömmliche Sprachgebrauch so eingebürgert sei, dass man davon nicht abgehen sollte5. Trotzdem kann dies nicht davon abhalten, die angemessene Terminologie herauszufinden. Wie die folgende Darstellung über die Unterscheidung zwischen echten und unechten Unterlassungsdelikten zeigen wird, haben alle unterschiedlichen Begriffsbildungen mit „echt" und „unecht" nichts zu tun. Die Ausdrücke „echt" und „unecht" sind eigentlich wie inhaltsleere Hülsen. Eine solche Terminologie ist nutzlos und stiftet nur Verwirrung. Deswegen möchte ich mich hiermit Schmidhäusers Appell 6 anschließen, diese Terminologie aufzugeben. Man könnte ein echtes Unterlassungsdelikt auch als „einfaches", ein unechtes als „qualifiziertes" bezeichnen7. Denn im Vergleich zu den Fällen echter Unterlassungsdelikte ist der Unrechtsgehalt und Schuldgehalt der unechten Unterlassungsdelikte im Allgemeinen gravierender. Aber wie § 95 Abs. 1, 2. Halbsatz öStGB8 zeigt, ist der Fall der Qualifikation einer unterlassenen Hilfeleistung denkbar. Wenn man also die Terminologie „ einfach " und „ qualifiziert " übernimmt, wäre es problematisch, den Qualifikationsfall unterlassener Hilfeleistung zu nennen. Logischerweise sollte er dann „qualifiziertes einfaches" oder „erfolgsqualifiziertes einfaches Unterlassungsdelikt" heißen, das sich dann allerdings begrifflich sehr schwierig von der Bezeichnung „qualifiziertes oder verschärftes Unterlassungsdelikt" unterscheiden lässt. Deshalb ist diese Bezeichnung ebenfalls inadäquat. Die von Freund und aber auch von Silva-Sanchez verwendeten Bezeichnungen „begehungsgleiche" und „nichtbegehungsgleiche" Unterlassungsdelikte sind begrifflich ebenfalls unplausibel. Da Freund vom geltenden deutschen Recht ausgeht und trotzdem die Bezeichnung „begehungsgleich" für die unechten Unterlassungsdelikte verwendet9, wird damit inhaltlich unmittelbar verneint, was man zunächst behauptet10. Die Bezeichnung „begehungsgleich" von Freund hat nämlich inhaltlich mit „begehungsgleich" im eigentlichen Sinn nichts zu tun. Nach dem eigentli5 Vgl. etwa Jescheck/Weigend, 6
AT 5 , § 58 III 2, S. 606.
2
Schmidhäuser, AT , 16/19. Vgl. dazu Landsberg, Die sog. Commissivdelikte durch Unterlassung im deutschen Strafrecht, 1890, S. 181 f.; Drost, Der Aufbau der Unterlassungsdelikte, GS 109 (1937), 1, 7 f.; ähnliche bedenkliche Ausdrücke bei Silva-Sanchez: einfache Unterlassungsdelikte, qualifizierte bzw. verschärfte Unterlassungsdelikte, in FS-Roxin, 2001, S. 648, 650. 7
8 § 95 Abs. 1 öStGB (Unterlassung der Hilfeleistung) lautet: Wer es bei einem Unglücksfall oder einer Gemeingefahr (§ 176) unterlässt, die zur Rettung eines Menschen aus der Gefahr des Todes oder einer beträchtlichen Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung offensichtlich erforderliche Hilfe zu leisten, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen, wenn die Unterlassung der Hilfeleistung jedoch den Tod eines Menschen zur Folge hat, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen, es sei denn, dass die Hilfeleistung dem Täter nicht zuzumuten ist. 9 Freund, AT, § 6. 10 In Anlehnung an die Kritik von Silva-Sanchez an der geltenden deutschen Gesetzgebung, FS-Roxin, 2001, S. 647.
B. Die Unterscheidung zwischen Unterlassungsdelikten
119
chen Sinne begehungsgleicher Unterlassungsdelikte sollte der Unterlassende ceteris paribus genauso bestraft werden wie der Begehungstäter. In der Tat verdienen aber nur einige Fälle unechter Unterlassungen unter gleichen Umständen die identische Strafe wie bei den Begehungsdelikten. Wenn man aber die Bezeichnung „begehungsgleich" streng ernst nimmt wie Silva-Sanchez n, wonach begehungsgleiche Unterlassungsdelikte keine Strafmilderung verdienten, dann weicht das völlig von dem geltenden deutschen Recht (§ 13 Abs. 2) ab 12 . Die de lege lata geeignete Terminologie ist die Bezeichnung „begehungsentsprechende" (oder „begehungsähnliche") und „nichtbegehungsentsprechende" (oder „nichtbegehungsähnliche"). Die Suche nach der strukturellen Identität der unechten Unterlassung mit der Begehung bleibt erfolglos. Obwohl der Unterlassende den entsprechenden Risikozusammenhang genauso wie der Begehungstäter beherrscht 13, kann man nicht verneinen, dass man mehr Fleiß aufwenden muss, um den Kausalverlauf eines Begehungstäters zu verhindern als den eines Unterlassenden 14 . Nach dem geltenden deutschen Recht wird auch nicht eine Identität des Unterlassens mit der Begehung gefordert, sondern nur eine hinreichende Ähnlichkeit oder eine Entsprechung. Deshalb werden die Bezeichnungen „begehungsentsprechend" und „nichtbegehungsentsprechend" in dieser Arbeit gewählt. Nur wegen des gewöhnlichen Sprachgebrauches verwende ich bei der Darstellung der konventionellen Unterscheidung von Unterlassungsdelikten die Bezeichnungen „echtes" und „unechtes" Unterlassungsdelikt, um Verwechslungen zu vermeiden.
B. Die Unterscheidung zwischen begehungsentsprechenden und nichtbegehungsentsprechenden Unterlassungsdelikten Die Unterscheidung von nichtbegehungsentsprechenden (echten) und begehungsentsprechenden (unechten) Unterlassungsdelikten ist zwar eingebürgert und wird zwar also solche grundsätzlich kaum bestritten 15, aber das Kriterium der Abgrenzung ist sehr umstritten 16. Man kann grundsätzlich auf viererlei Weise die Unterscheidung darstellen. I. Die konventionellen Unterscheidungskriterien und die Kritik daran Erstens kann man allein auf das positiv rechtliche Kriterium abstellen. Dabei werden alle im jeweiligen Tatbestand des Besonderen Teils geregelten Unterlas11
Dazu siehe unten C I. >2 Wie Silva-Sanchez selbst zugesteht, FS-Roxin, S. 641 ff., 645. 13
Schiinemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 72 ff. Vgl. Hsü, Die dogmatische Grundlage der Garantenstellung, in: Die strafrechtlichen Probleme und ihre Strategie (chinesisch), Taipeh 1999, S. 110. •5 Roxin, AT/2,31/16. 16 Jescheck/Weigend, AT 5 , § 58 III 2, S. 605. 14
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§ 5 Nichtbegehungsentsprechende Garanten-Unterlassungsdelikte
sungsdelikte, und zwar unabhängig davon, ob der Erfolgseintritt Tatbestandsmerkmal ist oder nicht, als echte Unterlassungsdelikte bezeichnet, als unechte Unterlassungsdelikte dagegen die Fälle des aus einem Begehungstatbestand zu bestrafenden Unterlassens. Diese Meinung hat sich weit verbreitet 17. Ob eine solche rein „äußerliche" Unterscheidung einen Sinn hat, ist aber fraglich. Eine rein „positivrechtliche" Abgrenzung ist in den meisten Fällen zufällig und damit willkürlich. Denn wenn der Gesetzgeber die böswillige Vernachlässigung nicht ausdrücklich in § 225 Abs. 1 Alt. 2 anführen würde, könnte man sie auch über § 13 als Misshandlung durch Unterlassung qualifizieren, womit dann dasselbe Unterlassen plötzlich „unecht" würde. Das gibt keinen Sinn 18 . Dasselbe Gegenargument gilt auch für die anderen vom Gesetzgeber ausdrücklich oder konkludent im Besonderen Teil geregelten Unterlassungen, wie in §§ 123 Abs. 1 Alt. 2, 266, 319 usw. Zweitens man kann mit der h.L. „normentheoretisch " vorgehen, indem die echten Unterlassungsdelikte durch schlichte Untätigkeit, die unechten durch einen Erfolgseintritt gekennzeichnet sind 19 . Danach sind echte Unterlassungsdelikte Straftaten, die sich in der Nichtvornahme einer vom Gesetz geforderten bestimmten Handlung erschöpfen. Zwar dienen diese vom Gesetz geforderten Handlungen der Vermeidung von Unrechtserfolgen. Doch kommt es für die Tatbestandsmäßigkeit des Unterlassens nicht auf das Verhindern des Erfolges an, sondern allein auf das Unterlassen der geforderten Handlung. Deshalb gehört der Eintritt des Erfolges nicht zum Tatbestand. Bei den unechten Unterlassungsdelikten gehört dagegen der Eintritt des Erfolges zum Tatbestand, das Gebot ist also nicht nur auf Vornahme einer bestimmten Handlung, sondern direkt auf Erfolgsabwendung gerichtet. Der Garant, der seine Erfolgsabwendungspflicht verletzt, wird mit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für den tatbestandsmäßigen Erfolg belastet. Doch gestattet auch diese Unterscheidung keine überzeugende Abgrenzung 20. Denn einerseits hat jedes Delikt einen Erfolg im weiteren Sinne. Bei schlichten Tätigkeiten liegt der Erfolg in der Täterhandlung selbst, die sich als Tatbestandserfüllung darstellt 21. So liegt z. B. bei der zweiten Alternative des Hausfriedensbruchs, die positivrechtlich und normentheoretisch als echtes Unterlassungsdelikt betrachtet •7 Vgl. Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959, S. 206 ff., 275; ders., JuS 1961, 174; Jakobs, AT 2 , 28/9; Maurach/Gössel, AT/2 7 , 45/38; Schönke/Schröder /Stree 26, vor § 13 Rdn. 137; Stratenwerth, AT 4 , 13/6 ff.; Welzel, Das Deutsche Strafrecht 11 , S. 202 f.; Mitsch in: Baumann/Weber/Mitsch, AT 1 0 , 15/2 ff. 18 Roxin, AT/ 2, 31 / 26; dazu kritisch auch Köhler, AT, S. 211. 19 LKU-Jescheck, vor § 13 Rdn. 91; Jescheck/Weigend, AT 5 , § 58 III 2, S. 605 f.; Wessels/Beulke, AT 3 2 , Rdn. 696 f.; Blei, AT 1 8 , S. 313; Bockelmann/Volk, AT 4 , S. 133; Böhm, JuS 1961, 178; Gallas, Deutsches Landesreferate, S. 349; Georgakis, Hilfepflicht und Erfolgsabwendungspflicht im Strafrecht, 1938, S. 15 f.; LK9-Heimann/Trosien, Einl. Rdn. 143 ff.; Meister, MDR 1953, 658; M.E. Mayer, Lehrbuch, S. 190; SK1-Rudolphi, vor § 13 Rdn. 10, der aber zu Unrecht Schünemanns These (ZStW 96 [1984], 303) in dieses Kriterium eingeordnet hat. 20 Roxin, AT/2, 31/22. 21 Roxin, AT/1 3 , 10/104.
B. Die Unterscheidung zwischen Unterlassungsdelikten
121
wird, der Erfolg in der Störung des Hausfriedens, die durch die unerwünschte Anwesenheit einer unbefugten Person herbeigeführt wird. Bei § 323 c liegt der Erfolg in der fortdauernden Hilflosigkeit des Verunglückten. Im Falle des § 138, der ebenfalls positivrechtlich und normentheoretisch ein echtes Unterlassungsdelikt ist, richtet sich das Handlungsgebot auf die Erstattung einer Anzeige. Der tatbestandsmäßige Erfolg besteht hier also in der fortdauernden Ahnungslosigkeit des potentiellen Opfers 22. Die Tat in § 266 a Abs. 1 ist mithin auch ein Erfolgsdelikt. Der Erfolg liegt in einer Verkürzung fälliger Beitragsansprüche, die den Arbeitnehmerbeitrag betreffen. Er tritt ein, wenn der Arbeitgeber bei Fälligkeit nicht zahlt 23 . Andererseits liegt zwar vielen sog. echten Unterlassungsdelikten ein Gebot zu einer schlichten Tätigkeit ohne unmittelbare Erfolgstendenz zugrunde, aber einige der sog. echten Unterlassungsdelikte enthalten auch einen Erfolg im Sinne der Zurechnungslehre, der von der Tatbestandshandlung umgefasst werden muss24. Armin Kaufmann hat mit Recht § 41 Abs. 1 WStG als Beispiel eines echten Unterlassungsdeliktes mit Erfolgsabwendungsgebot angeführt 25. Ein anderes Beispiel dieser Kategorie findet sich auch in § 170. Auch wenn die Ursache für die Nichtleistung in einem positiven Tun bestehen kann, ändert dies nichts daran, dass die Tathandlung des Sichentziehens im Kern ein echtes Unterlassen ist 26 . Taterfolg ist hier die Gefährdung des Lebensbedarfs des Berechtigten 27. Herzberg verkennt die Struktur derartiger echter Unterlassungsdelikte, wenn er meint, dass sie ein Erfolgsabwendungsgebot nicht enthielten, aber „erfolgsbeschränkt" seien28. Die Stellung des Merkmals „erfolgsbeschränkt" im Verbrechensstufensystem stellt er nicht klar. Sie kann wohl nur mit den objektiven Strafbarkeitsbedingungen verglichen werden, auf die sich Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Täters nicht zu beziehen braucht 29. Eine solche Schlussfolgerung ist aber zu widerlegen, weil der Eintritt einer schwerwiegenden Folge in § 41 Abs. 1 WStG wenigstens von der Fahrlässigkeit des Täters umfasst sein muss30. Auch die Gefährdung des Lebensbedarfs des Unterhaltsberechtigten oder die Möglichkeit der Gefährdung bei Ausbleiben der Hilfe anderer in § 170 muss vom Vorsatz umfasst sein31. Damit gehören sie zu Tatbestandsmerkmalen. 22 Roxin, AT/2, 31/22. 23 LK U-Gribbohm, § 266 a Rdn. 63. 24
So auch Stree in: Schänke /Schröder 16, Vor § 13 Rdn. 137, der allerdings ein positivrechtliches Abgrenzungskriterium vertritt. 25 Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959, S. 207. 26 LK W-Dippel, § 170 b Rdn. 51; Schönke/Schröder/Lenckner 26, § 170 Rdn. 27; SK5-Günther, § 170 b Rdn. 29; Maurach/Schroeder/Maiwald, B T / 2 8 , 63/36; Lackner/ Kühl 24, § 170 Rdn. 9; Welzel, Das Deutsche Strafrecht 11, S. 428; a.A. BGHSt 14, 165; 18, 379; Tröndle/Fischer* 1, § 170 Rdn. 9. 2v Tröndle/Fischer 51, § 170 Rdn. 10; LK W -Dippel, § 170 b Rdn. 57; SK 5-Günther, § 170 b Rdn. 30. 28 Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972, S. 26 f. 29 Roxin, AT/1 3 , 23/2. 30 Scholz/Lingens, Wehrstrafgesetz, 4. Aufl. 2000, § 41 Rdn. 2. 31 Lackner/Kühl
24
, § 170 Rdn. 11; UL 10-Dippel, § 170 b Rdn. 69.
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§ 5 Nichtbegehungsentsprechende Garanten-Unterlassungsdelikte
Im Übrigen hängt es völlig vom Zufall ab, ob der Gesetzgeber in den einzelnen Strafvorschriften den Eintritt eines Erfolges ausgestaltet oder nicht. § 283 ist ein gutes Beispiel gegen das Abschichtungskriterium der Erfolgs- und Tätigkeitsbezogenheit. § 283 Abs. 1 bindet die Strafbarkeit an keinerlei tatbestandsmäßigen Erfolgseintritt und erfordert auch - entgegen dem § 271 E 1962 und dem E EGStGB 32 - keine konkrete Gefährdung der Befriedigungsinteressen der Gläubiger. Im Gegensatz dazu ist § 283 Abs. 2 als Erfolgsdelikt ausgestaltet. Nach dem normentheoretischen Abgrenzungskriterium wird § 283 Abs. 1 Nr. 5 und 7b als echtes Unterlassungsdelikt betrachtet 33, und § 283 Abs. 2 in Verbindung mit § 283 Abs. 1 Nr. 5 und 7b wird konsequenterweise als unechtes Unterlassungsdelikt angesehen. Bei der Anwendung der Strafmilderungsvorschrift des § 13 Abs. 2 kommt es zu einem ungerechten Ergebnis. Die fakultative Strafmilderung gemäß § 13 Abs. 2 kommt nämlich für das Unterlassen in § 283 Abs. 1 Nr. 5 und 7b nicht in Betracht, da die Anwendungsmöglichkeit der Strafmilderung gemäß § 13 Abs. 2 bei den echten Unterlassungsdelikten von vornherein ausgeschlossen ist. Im Gegensatz dazu kann die Strafmilderungsvorschrift des § 13 Abs. 2 für das in § 283 Abs. 2 in Verbindung mit § 283 Abs. 1 Nr. 5 und 7b ausdrücklich geregelte unechte Unterlassen analog anwendbar sein 34 . Auch wird niemand behaupten wollen, dass der unbestritten als echtes Unterlassungsdelikt betrachtete § 323 c ein unechtes Unterlassungsdelikt wäre, wenn der Gesetzgeber auch in dieser Vorschrift den Eintritt eines erheblichen Schadens an Leib oder Leben oder an bedeutenden Sachwerten anderer als Tatbestandserfolg einfügte oder einen qualifizierten Fall der unterlassenen Hilfeleistung vorsähe, wenn mit der erforderlichen Hilfe die Folge vermieden worden wäre 35 , obwohl dies die logische Konsequenz des normentheoretischen Ansatzes wäre. Dies zeigt, das Abgrenzungskriterium von „tätigkeits-" und „erfolgsbezogen" ist nicht ernstlich durchführbar 36. Drittens kann man eine ältere „normentheoretische " Abgrenzung vertreten, die auch noch in BGHSt 14, 281 herangezogen wurde, indem die echten Unterlassungsdelikte gegen eine Gebotsnorm verstoßen, die unechten gegen eine VerbotsIQ
OQ
norm . Das wird heute im Anschluss an Engisch und Armin Kaufmann aber durchweg schon aus „normlogischen" Gründen abgelehnt: Jedes strafrechtlich 32 Vgl. L K 1 1 -Tiedemann, § 283 Rdn. 3. 33 Vgl. nur Jescheck/Weigend, AT 5 , § 58 III 4, S. 607. 34
Vgl. LKu-Schiinemann, § 266 Rdn. 161, Hervorhebung nicht im Original. 35 Wie in § 95 Abs. 1, Fall 2 öStGB, vgl. dazu z. B. Kienapfel, FS-Bockelmann, 1979, S. 591 ff., 596 f.: „erfolgsqualifiziertes echtes Unterlassungsdelikt". 36 So auch Roxin, AT/2, 31 /23; Freund, AT, 6 /11. 37 v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, AT 2 6 , S. 173; v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 2, S. 153 f.; Mezger, Strafrecht, Ein Lehrbuch, 3. Aufl. 1949, S. 130 ff.; Nagler, GS 111 (1938), 17 ff.; ders., LK 8 , Bd. 1, S. 33 f.; Schmitt, JZ 1959,432; Kohlrausch/ Lange43, S. 6; Maurach, Deutsches Strafrecht 4, S. 581; Baumann/Weber, AT 9 , S. 197 f. 38 Engisch, MschrKrim 1939, 424. 39 Arthur Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959, S. 3 ff.
B. Die Unterscheidung zwischen Unterlassungsdelikten
123
relevante Unterlassen, ob echt oder unecht, könne immer nur gegen eine Gebotsnorm verstoßen. Diese Unterscheidung hilft uns also nicht weiter, weil sie im Grunde nur die These umschreibt, dass unechte Unterlassungsdelikte eigentlich Begehungsdelikte seien oder mindestens als solche behandelt werden müssten. Unter welchen Voraussetzungen ein Unterlassen gegen eine Verbotsnorm verstößt, muss aus einem anderen Gesichtspunkt entwickelt werden 40. II. Hinreichende Begehungsähnlichkeit als Abgrenzungskriterium 41 Schließlich kann man die Abgrenzung „sachlogisch" vornehmen, indem alle begehungsentsprechenden Unterlassungen den unechten Unterlassungsdelikten zugeordnet und unter dem Begriff der echten Unterlassungsdelikte nur die nichtbegehungsentsprechenden Unterlassungen, die also mit keiner Tatbestandserfüllung durch aktives Tun korrespondieren, verstanden werden. Die vorhandene oder fehlende „hinreichende Begehungsähnlichkeit/-entsprechung" als Kriterium der Abschichtung ist richtig 42 . Die Begehungsähnlichkeit ist bei zwei gesetzlich geregelten Formen der Unterlassung vorhanden 43: Erstens bei den Unterlassungen, die durch § 13 Abs. 1 der Verwirklichung des Tatbestandes durch aktives Handeln gleichgestellt werden 44. Zweitens bei den Unterlassungen, die im Besonderen Teil dem Tun unter dort ausdrücklich genannten Voraussetzungen an die Seite gerückt werden, und zwar unabhängig davon, ob der Eintritt eines Erfolges zum Tatbestand gehört oder nicht. Für die letzte Gruppe werden der Hausfriedensbruch (§ 123) und die Aussetzung durch Unterlassen (§ 221 Abs. 1 Nr. 2) häufig als Beispiele angeführt. Im Tatbestand des Hausfriedensbruchs stimmt das Sich-nicht-Entfernen in der Tatbestandsverwirklichung mit dem aktiven Eindringen überein. Im Aussetzungstatbestand wird das Im Stich-Lassen durch Untätigbleiben der aktiven Versetzung „in eine hilflose Lage" gesetzgeberisch gleichgestellt. Die Fälle der §§ 264 Abs. 1 Nr. 3, 264 a Abs. 1, 265 b Abs. 1 Nr. 2, 283 Abs. 1 Nr. 5, 7b und 283 b Abs. 1 Nr. 1, 3b sind nach dem positivrechtlichen und normentheoretischen Abgrenzungskriterium als echte Unterlassungsdelikte anzusehen45, aber nach dem
40 Roxin, AT/2, 31/27. 41
Es ist vorab klarzustellen, dass die Terminologie „hinreichende Begehungsähnlichkeit" hier den Ausdruck „Begehungsgleichheit" von Roxin (AT/2, 31/17) ersetzt. Die im Folgenden verwendeten Begriffe „begehungsentsprechende" und „nichtbegehungsentsprechende Unterlassungsdelikte" sind nichts anderes als die Ausdrücke „begehungsgleiche" und „nichtbegehungsgleiche Unterlassungsdelikte" bei Roxin. 42 Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 44; ders., ZStW 96 (1984), 287, 302 f.; Roxin, AT/2, 31 /17-20. 43 Roxin, AT/2,31/17. 44
Die Diskussion über die Garantenstellung der unechten Unterlassungsdelikte gehört zum Thema einer anderen Arbeit. 4 5 Vgl. etwa Jescheck/Weigend, AT 5 , § 58 III 4, S. 607; Lackner/Kühl 24, § 264 Rdn. 21; § 264 a Rdn. 12; § 265 b Rdn. 6; § 283 Rdn. 17; § 283 b Rdn. 1; L K 1 1 -Tiedemann, § 264 Rdn.
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§ 5 Nichtbegehungsentsprechende Garanten-Unterlassungsdelikte
sachlogischen Kriterium sind sie als begehungsentsprechende (seil, unechte) Unterlassungsdelikte zu betrachten. Denn der Gesetzgeber hat soweit wie möglich ausdrücklich in den genannten Tatbeständen ein Unterlassen dem Tun gleichgestellt, und zwar auch dann, wenn der Eintritt eines Erfolges nicht zu deren Tatbestand gehört: das Unterlassen der Aufklärung dem Machen von unrichtigen oder unvollständigen Angaben (§ 264 Abs. 1 Nr. 1, 3), das Verschweigen nachteiliger Tatsachen dem Machen von unrichtigen vorteilhaften Angaben (§ 264a Abs. 1), das Nichtmitteilen der Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse dem Vorlegen von unrichtigen oder unvollständigen Unterlagen (§ 265b Abs. 1 Nr. 1, 2), das Unterlassen der Buchführung dem Erschweren der Übersicht über den Vermögensstand durch aktives Tun (§§ 283 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 1, 2, 283b Abs. 1 Nr. 1), das Unterlassen der rechtzeitigen Bilanz- oder Inventaraufstellung dem Aufstellen einer mangelhaften unübersichtlichen Bilanz (§§ 283 Abs. 1 Nr. 7 lit. a, b, 283b Abs. 1 Nr. 3 lit. a, b) und das beharrliche Nichtbefolgen eines Befehls der demonstrativen Verweigerung des Gehorsams (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 WStG) 46 . Auch wenn der Gesetzgeber diese Unterlassungsalternativen nicht ausdrücklich in den obengenannten Vorschriften anführen würde, würden sie doch bestraft, weil unter Erfolg in § 13 Abs. 1 nicht nur der Verletzungserfolg und der Gefahrerfolg, sondern auch die Verwirklichung eines schlichten Begehungstatbestandes bzw. das tatbestandsmäßige Geschehen durch Unterlassen zu verstehen ist 47 . Deshalb ist § 13 Abs. 1 nicht nur bei Erfolgsdelikten anwendbar, sondern auch bei abstrakten Gefährdungsdelikten und sonstigen schlichten Tätigkeitsdelikten48. Bei den §§ 138, 323 c fehlt es demgegenüber an einer solchen Begehungsähnlichkeit, weil ein Begehungstatbestand, der auf das Unterlassen erstreckt werden könnte, nicht vorhanden ist. Diese Tatbestände umfassen nur das beschriebene Un88, 93; § 264 a Rdn. 61; § 265 b Rdn. 92-96; § 283 Rdn. 103; § 283 b Rdn. 7; Tröndle/ Fischer 51, § 283 Rdn. 29. 46 § 20 Abs. 1 Nr. 2 WStG wird entweder nach dem normlogischen oder erfolgsbezogenen (ausdrückliche Erwähnung bei Jescheck/Weigend, AT 5 , § 58 III 4, S. 607) Abgrenzungskriterium als echtes Unterlassungsdelikt bezeichnet. Nr. 1 dieser Vorschrift betrifft die demonstrative Verweigerung des Gehorsams. Gemeint ist nach der Definition von Scholz/Lingens ein aktives Verhalten, indem der Untergebene den Befehl ablehne, sich gegen ihn wende und nicht befolgen wolle (Wehrstrafgesetz 4, § 20 Rdn. 5). Ein bloßes Passivbleiben könne schon begrifflich nicht als Auflehnung verstanden werden (a. a. O. Rdn. 6). 4 ? Dazu BayObLG JR 1979, 289 m. Anm. Horn; Prot. V/1864\.Arzt/Weber, BT, 37/19 Fn. 16; Schänke/ Schröder/Stree 26, § 13 Rdn. 3; Jakobs, AT 2 , 29/2; Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen und Strafgesetz, 1974, S. 326; Tröndle/Fischer 51, § 13 Rdn. 3; Graul, Abstrakte Gefährdungsdelikte und Präsumtionen im Strafrecht, 1991, S. 20; Tenckhojf, FSSpendel, S. 347, 359; a.A. L K 1 1 -Jescheck, § 13 Rdn. 2, 15; ders., FS-Tröndle, S. 796; Bockelmann/Volk\ AT, § 17 A II; Maurach/Gössel, AT/2 7 , 46 / 7; Stratenwerth, AT 4 , 8/13; Welzel, Das Deutsche Strafrecht 11, S. 211. 4 « Vgl. etwa Baumann/Weber/Mitsch, A T 1 0 , 15/43; Schänke/ Schröder/Stree 26, § 13 Rdn. 161; Vögel, Norm und Pflicht bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1993, S.101 .
. Die
reiung
e Unterlassungsdelikte
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terlassen und haben einen selbständigen Strafrahmen 49. Auch in den Fällen der §§ 170, 266 a, 326 Abs. 3, 328 Abs. 2 Nr. 1, § 84 GmbHG, § 401 AktG und § 41 Abs. 1 WStG fehlt es an einer Begehungsähnlichkeit. Die Einordnung in die eine oder andere Kategorie der Unterlassungsdelikte ist nicht vom Eintritt eines Erfolges abhängig. Sie sind deshalb richtigerweise nichtbegehungsentsprechende (seil, echte) Unterlassungsdelikte. Man muss jedoch beachten, dass es einen wichtigen Unterschied in der Unrechtsstruktur zwischen §§ 138, 323 c und der zuletzt genannten Deliktsgruppe gibt, obwohl die beiden Gruppen als nichtbegehungsentsprechende Unterlassungsdelikte eingeordnet werden. Die erste Gruppe nenne ich „nichtbegehungsentsprechende A//gememunterlassungsdelikte", die letzte „nichtbegehungsentsprechende Gizrarctettunterlassungsdelikte". Sie werden im folgenden Abschnitt C besprochen. Nach dem Abschichtungskriterium hinreichender Begehungsähnlichkeit sind die meisten von der h.M. als echte Unterlassungsdelikte betrachteten Straftaten eigentlich begehungsentsprechende (unechte). Begehungsentsprechende Unterlassungen liegen auch dort vor, wo ein Unterlassen auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Gesetz unter einen Begehungstatbestand subsumiert werden kann. So kann z. B. eine Rechtsbeugung (§ 339) auch durch Unterlassen (Vorenthaltung sachgemäßer Verteidigung) begangen werden (BGHSt 10, 294, 298). Untreue (§ 266) kann ohne weiteres durch Unterlassen (der erforderlichen vermögensfürsorgerischen Maßnahmen) verübt werden. Parteiverrat (§ 356) kann auch begehen, wer zum Vorteil der Gegenpartei bestimmte Fristen verstreichen lässt50.
C. Die Dreiteilung der Unterlassungsdelikte I. Der Ansatz von Silva Sanchez und die Kritik daran Entgegen der traditionellen Zweiteilung der Unterlassungsdelikte vertrete ich also eine Dreiteilung der Unterlassungsdelikte, die aber von der vergleichbaren Konzeption von Silva Sanchez 51 abweicht. Um eine Verwechslung zu vermeiden, wird hier seine Konzeption zunächst kurz dargestellt und dann analysiert. Im Hinblick darauf, dass die Konzeption einer fakultativen Strafmilderung für konventionell als unecht bezeichnete Unterlassungsdelikte dogmatisch dem Begriff begehungsentsprechender Unterlassungen widerspreche und kriminalpolitisch die Ausdehnung der milderen Unterlassungsbestrafung ermögliche 52, fordert er, dass
49 Roxin, AT/2,31/19. 50 Roxin, AT/2, 31/20. 51 Silva Sanchez, Zur Dreiteilung der Unterlassungsdelikte, FS-Roxin, 2001, S. 641 -650. 52 Silva Sanchez, FS-Roxin, 2001, S. 641, 647; ähnliches Bedenken siehe bereits Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen und Strafgesetz, 1974, S. 339; Böhm, JuS 1961, 181;
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§ 5 Nichtbegehungsentsprechende Garanten-Unterlassungsdelikte
man zwischen echten und auch im Strafwürdigkeitsgehalt begehungsgleichen unechten Unterlassungsdelikten noch eine dritte Gruppe einschiebt und nur bei dieser den Strafrahmen des Begehungsdeliktes mildern darf. Danach nimmt er bei den Unterlassungsdelikte die folgende Dreiteilung vor: Es seien begehungsgleiche Unterlassungsdelikte zu finden, die auf dem Gedanken der Verantwortung aus Organisation bzw. der Risikoherrschaft beruhten; man könne anderseits einfache echte - Unterlassungsdelikte feststellen, bei denen die Verletzungen der Rechtspflichten aus Mindestsolidarität bestraft werden; und es gebe zuletzt verschärfte nichtbegehungsgleiche Unterlassungsdelikte, die auf dem Gedanken der Verantwortung aus qualifizierter (institutioneller) Solidarität basierten 53. Wie Silva-Sanchez aber bereits selbst zugesteht54, weicht die auch von ihm verwendete Bezeichnung „begehungsgleich" und „nichtbegehungsgleich" vom geltenden deutschen Recht ab. Die dogmatischen und kriminalpolitischen Bedenken, die Silva-Sanchez vorbringt, können im Übrigen überwunden werden. Denn einerseits war die Anforderung der allgemeinen Gleichwertigkeit von Begehen und unechtem Unterlassen vom Anfang an missverständlich. Bis 1974 fand sich eine gesetzliche Regelung der Unterlassungsdelikte nur in einigen Strafbestimmungen des Besonderen Teils. Nach der am 1. 1. 1975 in Kraft getretenen Strafrechtsreform enthält § 13 eine allgemeine Gleichstellungsklausel zwischen Begehen und Unterlassen. Die inhaltliche Voraussetzung der Gleichstellbarkeit von Tun und unechtem Unterlassen wurde leider von einem Teil der Lehre missverstanden. Während des Gesetzgebungsverfahrens hat der E 1962 den Begriff der Gleichwertigkeit in § 13 Abs. 1 entworfen und wollte damit die Möglichkeit der Strafmilderung bei unechten Unterlassungen ausscheiden. Der Gleichwertigkeitsbegriff ist vom Gesetzgeber durch den Begriff des Entsprechens ersetzt worden 55. Der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform hat den Entsprechungsbegriff aus § 12 AE entnommen, der zwar durchaus nicht weniger als die „Gleichwertigkeit" des E 1962 verlangen wollte und dessen Begründung (S. 49) für die Strafmilderungsmöglichkeit keinen Anhaltspunkt gab 56 . Aber auf Hinweis der Rechtslehre hat der Gesetzgeber dann die richtige Entscheidung getroffen und doch eine fakultative Milderungsmöglichkeit geschaffen. Unter sonst gleichen Umständen wiege das Unterlassen regelmäßig weniger schwer als positives Tun 57 . Um einen Kausalverlauf Metzen, Die Problematik und Funktion der fakultativen Strafmilderung für die Begehung durch Unterlassen, Diss. Köln 1977, S. 171. 53 Silva Sanchez, FS-Roxin, 2001, S. 641, 650. 54 Silva Sanchez, FS-Roxin, 2001, S. 641, 645. 55 Vgl. Roxin, AT/2, 31/237. 56 Das kritisiert Roxin, in: Roxin/Stree/Zipf/Jung, Einführung in das neue Strafrecht, 2. Aufl. 1975, S. 8 Fn. 26. 57 BT-Drs. V/4095, S. 8; vgl. auch BGHSt 36, 228 f.; BGH StV 1987, 527; Gründwald, GA 1959, 113; Jescheck/Weigend, AT 5 , § 58 V 1, S. 610; LKU-Jescheck, § 13 Rdn. 61; SK 1-Rudolphi, § 13 Rdn. 65; Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959, S. 302 f.; Welzel, Das Deutsche Strafrecht 11, S. 222.
C. Die Dreiteilung der Unterlassungsdelikte
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durch Begehen zu verhindern, muss man mehr Energie aufwenden, als um einen durch Unterlassen zu vereiteln. Ein Unterlassen ist deswegen normalerweise einem Begehen nicht gleichwertig. Nur in einigen Fällen wiegen Unterlassungstaten keineswegs weniger schwer als Begehungstaten: Ob eine Mutter ihr Kind verhungern lässt oder durch eine aktive Handlung zu Tode bringt, macht für die Strafzumessung keinen Unterschied. Das gilt ebenso für die Strafwürdigkeit eines Weichenwärters, der einen Zugzusammenstoß herbeiführen will und dafür eine Weiche falsch stellt oder die gebotene Weichenstellung absichtlich unterlässt 58. In der Begründung des 2. StrRG wird ausdrücklich angeführt, dass dieser etwas neutralere Begriff (entsprechen) gewählt wurde, weil sich der Ausschuss aus den nachstehend dargelegten Gründen für die Zulassung einer fakultativen Milderung entschied, für eine solche Regelung aber kein Raum gewesen wäre, wenn man an dem Erfordernis festgehalten hätte, dass die Unterlassung der aktiven Verwirklichung des Tatbestandes tatsächlich gleich sein muss59. Mit anderen Worten beruhen die dogmatischen Bedenken auf dem Begriff der Gleichwertigkeit, wie ihn der E 1962 vorsah, aus dem nämlich die Gleichstellung der Strafe zwischen Tun und Unterlassen zwingend zu folgern wäre. Er ist nach der Einfügung der Entsprechungsklausel durch das 2. StrRG gegenstandslos. Denn wie Schünemann erklärt, müsse man die in § 13 erhaltene Entsprechungsklausel nicht formal, sondern materiell interpretieren und dementsprechend fordern, dass der Unterlassungstäter zu der Rechtsgutsverletzung in einer ähnlichen Beziehung stehe wie der Begehungstäter, diese also als sein Werk erscheine 60. Die Beziehung des Garanten zum Erfolg müsse nicht begehungsgleich im Sinne einer Identität sein 61 . Es genügt für die Entsprechungsklausel, falls die Unterlassung der Tatbestandsverwirklichung durch das aktive Tun ungefähr gleich sein 62 . Ein Verhältnis der vollen Gleichheit zwischen Unterlassen und Tun muss nicht tatsächlich vorhanden sein. Dass nach h.M. auch bei den im Besonderen Teil ausdrücklich geregelten Unterlassungsdelikten die Strafmilderungsvorschrift des § 13 Abs. 2 nicht anwendbar sein soll 63 , ist deshalb ein Fehler aus der Annahme voller Gleichheit des Tuns und des dort geregelten Unterlassens; diese für die nichtbegehungsentsprechenden (echten) Unterlassungsdelikte zwingende Folgerung ist für die begehungsentsprechenden keinesfalls überzeugend64. Denn auch wenn diese Unterlassungen nicht 58 Vgl Roxin, AT/2, 31/242. 59 BT-Drs. V/4095, S. 8. 60 Schünemann, ZStW 96 (1984), 287, 304. 61 Schünemann, in: Gimbernat/ Schünemann / Wolter (Hrsg.), Internationale Dogmatik der objektiven Zurechnung und der Unterlassungsdelikte, 1995, S. 72. 62 Inhaltlich dasselbe Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit und Gesetzlichkeitsgrundsatz, 1986, S. 115, der zugesteht, dass „Entsprechung" als „annähernde, ungefähre Gleichheit" verstanden wird. 63 Vgl. LKn-Jescheck, § 13 Rdn. 9 f.; Jescheck/Weigend, AT 5 , § 58 V 4, S. 611 f.; SK7-Rudolphi, § 13 Rdn. 65; Rudolphi, ZStW 86 (1968), 69; Lackner/Kühl 24, § 13 Rdn. 19; Tröndle / Fischer 5 \ § 13 Rdn. 3; Schänke/ Schröder/Stree 26, vor § 13 Rdn. 136.
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§ 5 Nichtbegehungsentsprechende Garanten-Unterlassungsdelikte
im Besonderen Teil ausdrücklich geregelt wären, könnte man durch die Anwendung des § 13 Abs. 1 diese Unterlassungen als begehungsentsprechende Unterlassungsdelikte betrachten und bestrafen. Danach wäre die fakultative Strafmilderung gemäß § 13 Abs. 2 nicht ausgeschlossen. Es ist daher nicht haltbar, dass es für die Anwendungsmöglichkeit der fakultativen Strafmilderung nur auf einen rein gesetzestechnischen Unterschied ankommt. Andererseits besteht die Gefahr der Ausweitung des milderen Strafrahmens für Unterlassungsstraftaten tatsächlich. Aber sie lässt sich durch eine restriktive Auslegung bannen65. Ein zweistufiges Verfahren bei der Strafzumessungsentscheidung ist prinzipiell anerkannt 66: Zunächst ist zu prüfen, ob das Unterlassen dem milderen Strafrahmen des § 13 Abs. 2 unterstellt werden soll. Dabei dürfen nur „unterlassungsbezogene" Gesichtspunkte berücksichtigt werden, also der in vielen Fällen geringere Unrechts- und Schuldgehalt des Unterlassens im Verhältnis zum aktiven Tun 67 . Dann erst sind die Gesichtspunkte zu prüfen, die für Tun und Unterlassen gleichermaßen strafzumessungsrelevant sind 68 . Ein Unterlassen kommt dem aktiven Handeln an Strafwürdigkeit immer dann völlig gleich, wenn das gebotene Tun, wie es bei der Kinderernährung und beim Weichenstellen des Bahnbeamten der Fall ist, in den normalen Regelablauf des Lebens von vornherein eingeplant ist 69 . Ein unterschiedlicher Strafrahmen für Tun und Unterlassen ist auch bei Fahrlässigkeitsdelikten nicht angemessen70. Bei einer solchen restriktiven Auslegung ist die Milderungsmöglichkeit berechtigt.
II. Eigene Auffassung Nach meiner Auffassung sind Unterlassungsdelikte in drei Kategorien einzuteilen, und zwar basierend auf der hinreichenden Begehungsähnlichkeit des Unterlassens mit dem Begehen. Es sind begehungsentsprechende Unterlassungsdelikte 71 64 Schünemann, ZStW 96 (1984), 287, 303 Fn. 50, S. 317 Fn. 101; zustimmend BGHSt 36, 227 (zu § 266); Maurach/Gössel, AT/2 7 , 46/143 f.; Jakobs, AT 2 , 28/10, obwohl er das positivrechtliche Abgrenzungskriterium vertritt. 65 Vgl. Roxin, AT/2, 31/239. 66 Vgl. nur Roxin, AT/2, 31/244 f.; LKU-Jescheck, § 13 Rdn. 63; SK1-Rudolphi, § 13 Rdn. 66; Schönke/Schröder/Stree 26, § 13 Rdn. 64. 67 Roxin, AT/2, 31/244, 239-243 m. w. N. 68 Roxin, AT/2,31/244. 69 Roxin, in: Roxin / Stree / Zipf/ Jung, Einführung in das neue Strafrecht 2, S. 9; ders., TuT 1 " 7 , 1963-2000, S. 465 ff.; ders., Kriminalpolitik und Strafrechtssystem 2, S. 18 ff.; Dem folgen z. B. Jescheck,/Weigend, AT 5 , § 58 V 2, S. 611 Fn. 64; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rdn. 64. 70 Roxin, AT/2, 31/243; a.A. SK 1-Rudolphi, § 13 Rdn. 65. 71 Es geht auch um einen Fall der begehungsentsprechenden Garanten-Unterlassung, wenn der Vater, der als Garant nicht verhindert, dass sein Kind ausgeraubt wird, (mangels Zueignungsabsicht nicht Täter, sondern) Gehilfe durch Unterlassen zum Raub (§§ 249, 13, 27) ist.
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C. Die Dreiteilung der Unterlassungsdelikte
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zu finden, wo ein Begehungstatbestand existiert, der auf das Unterlassen erstreckt werden kann. Diese umfassen nicht nur die Unterlassungen, die gem. § 13 Abs. 1 der Verwirklichung des Tatbestandes durch aktives Tun hinreichend ähneln können, sondern auch die, die vom Gesetzgeber im Besonderen Teil neben dem Begehungstatbestand ausdrücklich oder konkludent geregelt werden. Ob der Eintritt eines Erfolges zum Tatbestandsmerkmal gehört, ist überhaupt nicht maßgebend. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen liegt nur darin, dass die Delikte der erstgenannten Gruppe § 13 Abs. 1 zur Begründung der Strafbarkeit anführen müssen, während die Anwendung von § 13 Abs. 1 für Delikte der zweiten Gruppe wegen der Einbeziehung des hinreichend begehungsähnlichen Unterlassens im Straftatbestand nicht nötig ist. Zum letzten Fall gehören §§ 123 Alt. 2, 174 ff., 221 Abs. 1 Nr. 2, 264 Abs. 1 Nr. 3, 264 a Abs. 1, 265 b Abs. 1 Nr. 2, 266, 283 Abs. 1 Nr. 5, 7b, 283 b Abs. 1 Ni. 1, 3b, 319, 339, 20 Abs. 1 Nr. 2 WStG. Die Unterlassungsdelikte, bei denen es an einem auf das Unterlassen zu erstreckenden Begehungstatbestand fehlt, weil nämlich keine hinreichende Begehungsähnlichkeit besteht, sind nichtbegehungsentsprechende Unterlassungsdelikte, die noch zwei Unterklassen haben: es gibt nichtbegehungsentsprechende AllgemeinUnterlassungsdelikte, bei denen die Verletzungen der Handlungspflicht aus Mindestsolidarität bestraft werden, z. B. § 138 und § 323 c. Dabei ist § 170 ein spezieller bzw. qualifizierter Fall eines nichtbegehungsentsprechenden Allgemein-Unterlassungsdelikts. Auf ihn ist später noch im Einzelnen einzugehen. Des Weiteren gibt es nichtbegehungsentsprechende Garanten-Unterlassungsdelikte 72, die im Gegensatz zu nichtbegehungsentsprechenden Allgemein-Unterlassungsdelikten eine besondere Täterstellung im Tatbestand fordern. Es handelt sich hier um die im Besonderen Teil ausführlich geregelten Garantenstellungen, die also § 13 Abs. 1 zur Begründung der Strafbarkeit nicht anwenden müssen. Aber wegen der Nichtexistenz eines auf das Unterlassen zu erstreckenden Begehungstatbestandes sind sie als nichtbegehungsentsprechende Garanten-Unterlassungsdelikte zu bezeichnen. Als Beispiele hierfür sind die §§ 266 a, 326 Abs. 3, 328 Abs. 2 Nr. 1, § 84 GmbHG, § 401 AktG und § 41 Abs. 1 WStG 73 anzuführen. Der Ansatz, die Garantenpflicht bei einem unechten Unterlassungsdelikt dürfe nicht aus einem echten Unterlassungsdelikt, insbesondere den §§ 138, 323 c entnommen werden, ist zwar im Schrifttum 74 und in der Rechtsprechung75 allgemein anerkannt, ist aber in die72 Insofern sind die Meinungen von Seelmann (NK, § 13 Rdn. 17: nichterfolgsbezogene Garanten-Unterlassungstatbestände) und Silva-Sanchez (FS-Roxin, 2001, S. 649 Fn. 35: nichtbegehungsgleiche nichterfolgsbezogene und erfolgsbezogene Garanten-Unterlassungen) nur teilweise richtig, da die Erfolgsbezogenheit bei der Feststellung der Unterteilung keine Rolle spielt. 73 Zu weiteren Beispielen von „echten" Unterlassungsdelikten im Nebenstrafrecht siehe Harzer, Die tatbestandsmäßige Situation der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c StGB), 1999, S. 17 f. 74 Vgl. Roxin, AT/2, 31/29; Schänke/ Schröder/Stree 26, § 13 Rdn. 57; LK n-Jescheck, § 13 Rdn. 19; Maurach/Gössel, AT/2 7 , 46 / 75; Lackner/Kühl 24, § 13 Rdn. 7; Tröndle/Fischer*\ § 13 Rdn. 13.
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ser Allgemeinheit nicht ganz richtig76 und muss korrigiert werden. Denn es gibt auch eine Garantenstellung in den nichtbegehungsentsprechenden Garanten-Unterlassungsdelikten, die von der h.L. als echte Unterlassungsdelikte bezeichnet werden. Der richtige Ansatz sollte deswegen lauten, dass niemals eine Garantenstellung aus der Handlungspflicht eines nichtbegehungsentsprechenden AllgemeinUnterlassungsdelikts abgeleitet werden darf.
III. Die praktische Bedeutung Die praktische Bedeutung der hier vertretenen Dreiteilung der Unterlassungsdelikte liegt nicht darin, dass das Problem der Garantenstellung, das das schwierigste und wichtigste Problem der Unterlassungsdogmatik ist, auf die unechten (seil, begehungsentsprechenden) Unterlassungsdelikte beschränkt wird 7 7 , weil die Problematik der Garantenstellung auch bei den nichtbegehungsentsprechenden Garanten-Unterlassungsdelikten besteht. Die Garantenstellungen lassen sich zwar im wesentlichen aus § 13 Abs. 1 entwickeln, aber man kann auch im Besonderen Teil viele Unterlassungstatbestände finden, die die Garantenstellung selbständig und ausführlich beschreiben und nicht auf die Garantenlehre des Allgemeinen Teils zurückgreifen müssen. Dies gilt sowohl für die begehungsentsprechenden Unterlassungsdelikte, deren Garantenstellungsvoraussetzungen im Besonderen Teil bereits ausdrücklich oder konkludent geregelt sind, als auch für die nichtbegehungsentsprechenden Garanten-Unterlassungsdelikte. Nichtbegehungsentsprechende Garanten-Unterlassungsdelikte unterscheiden sich von begehungsentsprechenden Unterlassungsdelikten ihrer Unrechtsstruktur nach nur durch den Mangel des auf das Unterlassen zu erstreckenden Begehungstatbestandes. Die praktische Bedeutung der hier vertretenen Dreiteilung der Unterlassungsdelikte ergibt sich vielmehr daraus, dass zahlreiche Unterlassungstatbestände des Nebenstrafrechts sowie auch einige im Strafgesetzbuch geregelte, wie §§123 Alt. 2, 174 ff., 221 Abs. 1 Nr. 2, 264 Abs. 1 Nr. 3, 264 a Abs. 1, 265 b Abs. 1 Nr. 2, 266, 283 Abs. 1 Nr. 5, 7b, 283 b Abs. 1 Nr. 1, 3b, 319, 339 ein begehungsentsprechendes Unterlassen beschreiben und deshalb nach der hier vertretenen Definition begehungsentsprechende, für die zwar § 13 Abs. 1 nicht anzuwenden ist, aber die Anwendung des § 13 Abs. 2 nicht ausgeschlossen ist, nach der formellen oder normentheoretischen Definition dagegen echte Unterlassungsdelikte wären, für die die fakultative Strafmilderung gem. § 13 Abs. 2 von vornherein nicht in Betracht kommt. Die Unterteilung von nichtbegehungsentsprechenden Allgemein- und Garanten-Unterlassungsdelikten hat bei der Anwendung des § 28 Abs. 1 einen Sinn. 75 RGSt 64, 276; 73, 55; BGH 3, 65; JR 1956, 347; NJW 1983, 351. 76 Dies hat Meyer-Bahlburg früher schon entdeckt (Die Garantenstellungen bei echten Unterlassungsdelikten, GA 1966, 205), es fehlt leider an einer weiteren Entwicklung dieses Gedankens. 77 So aber Roxin, AT / 2, 31 / 28.
D. Deliktsstruktur einzelner Garanten-Unterlassungsdelikte
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Bei nichtbegehungsentsprechenden Garanten-Unterlassungsdelikten ist die Strafmilderungsvorschrift des § 28 Abs. 1 anwendbar. Darüber hinaus ist die Anwendungsmöglichkeit von § 13 Abs. 1 und 2 selbstverständlich für nichtbegehungsentspreche Garanten-Unterlassungsdelikte ausgeschlossen.
D. Deliktsstruktur einzelner nichtbegehungsentsprechender Garanten-Unterlassungsdelikte Sämtliche nichtbegehungsentsprechenden Garanten-Unterlassungsdelikte gleichermaßen vollständig zu analysieren, würde den hier gesetzten Rahmen sprengen. Ich möchte mich deshalb auf die folgenden Strafvorschriften konzentrieren: §§ 266 a, 84 GmbHG und 401 AktG. Zu den Vorschriften §§ 326 Abs. 3, 328 Abs. 2 Nr. 1, 41 Abs. 1 WStG kann ich nur kurze Bemerkungen machen. Die Verletzung der Unterhaltspflicht gemäß § 170 scheint nur auf den ersten Blick auch zu dieser Deliktsgruppe zu gehören. Deshalb wird hier zunächst mit der Analyse von § 170 begonnen. I. Die Verletzung der Unterhaltspflicht gemäß § 170 78 ? 1. Geschütztes Rechts gut und Tatbestandsstruktur a) Geschütztes Rechtsgut Zur Rechtsgutsfrage wird allgemein ausgeführt, § 170 Abs. 1 diene dem Schutz des Unterhaltsberechtigten vor der Gefährdung seines Lebensbedarfs und daneben der Bewahrung der Allgemeinheit vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme öffentlicher Mittel 7 9 . Geschütztes Rechtsgut ist somit nicht die ordnungsgemäße Erfüllung gesetzlicher zivilrechtlichen Unterhaltsansprüche schlechthin, sondern die Sicherstellung der materiellen Existenz des Berechtigten sowie - zweitrangig - die 78 Zur Kritik an der Strafbedürftigkeit der Verletzung der Unterhaltspflicht, vgl. AE 2 , 1968, S. 71; Mittelbach, MDR 1957, 65; Hellmer, ZStW 70 (1958), 381; Peters, ZStW 77 (1965), 488; H. Mayer, Strafrechtsreform für heute und morgen, 1962, S. 101 f.; Seeboden, JZ 1972, 389-394; Kritiken an der Schöpfung des § 170 Abs. 2, vgl. Tröndle, NJW 1995, 3017 f.; Beckmann, ZfL 1995, 30 f.; Otto, Jura 1996, 144; Schittenhelm, NStZ 1997, 169 ff.; SK^-Günther, § 170 b Rdn. 10: symbolische Bedeutung; Arzt/Weber, BT, 10/34: leere Geste des Gesetzgebers. 7 9 Etwa BVerfGE 50, 142 f., 153, 162; BGHSt 26, 226; 29, 85, 87 f.; OLG Saarbrücken NJW 1975, 506, 507 f.; LK W-Dippel, Vor § 169 Rdn. 6, § 170 b Rdn. 3; Lackner/Kühl 24, § 170 Rdn. 1; Schänke/ Schröder/Lenckner 26, § 170 Rdn. 1; Martin, Strafbarkeit grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen, 1989, S. 53; Maurach/Schroeder/Maiwald, B T / 2 8 , 63/25; SK5-Günther, § 170 b Rdn. 2, 11; Tröndle/Fischer* 1, § 170 Rdn. 2; Kindhäuser, LPK-StGB, § 170 Rdn. 1; Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 318; NK-Frommel, § 170 Rdn. 5. *
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Schonung der öffentlichen Finanzen80. Absatz 2 bezwecke zusätzlich den Schutz des ungeborenen Lebens, indem er die Entscheidungsfreiheit der Schwangeren flankierend stütze81. Arzt S2 vertritt dagegen eine radikale Meinung und betrachtet zu Unrecht § 170 als reines Vermögensdelikt. Denn die bloße Nichterfüllung des dem Gläubiger gegen den Schuldner zustehenden Anspruches hat lediglich zivilrechtliche Folgen und kann strafrechtliche nicht begründen. Zur Legitimierung der Bestrafung der Verletzung der Unterhaltspflicht bedarf es weiterer Unrechtselemente. Das Bundesverfassungsgericht stellte bei § 170 b a. F. zu Recht fest, dass die „Sicherung des Lebensbedarfs" und die „Abwehr unberechtigter Inanspruchnahme öffentlicher Mittel" die Pönalisierung privatrechtlicher Verhaltensvorschriften legitimiere 83 .
b) Tatbestandsstruktur Gegen die Auffassung, § 170 Abs. 1 sei insgesamt als konkretes Gefährdungsdelikt einzuordnen 84, wird zu Recht vorgebracht, dass § 170 Abs. 1 nach seiner Struktur eine Kombination eines konkreten (1. Alternative) und in seinem Anwendungsbereich eingeschränkten potentiellen Gefährdungsdelikts (2. Alternative) darstellt 85. Dass die h.M. § 170 Abs. 2 für einen Qualifikationstatbestand des Absatzes 1 hält 86 , ist nicht plausibel, weil Absatz 2 eine besondere Schutzrichtung verfolgt und nicht in vollem Umfang auf Absatz 1 Bezug nimmt 87 . Die Tat des so BVerfGE 50, 142, 153. 81 Kindhäuser, LPK-StGB, § 170 Rdn. 1; NK-Frommel, § 170 Rdn. 6; Lackner/Kühl 24, § 170 Rdn. 1; Schänke/ Schröder/Lenckner 26, § 170 Rdn. 1. 82 Arzt /Weber, BT, 10/33. 83 BVerfGE 50, 142, 161, 162; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 297, der als zusätzliche Voraussetzung ein spezifisches „Gemeinwohlinteresse" fordert. 84 Vgl. nur SK5-Günther, § 170 b Rdn. 30. 85 LK X 0 -Dippel, § 170 b Rdn. 6, 57; mit Fn. 182, 60; Maurach/Schroeder/Maiwald, B T / 2 8 , 63/37; ebenfalls in BVerfGE 50, 142, 149, ist von der „Ursächlichkeit für die potentielle Gefährdung" die Rede, zudem von „drohender Gefährdung" (a. a. O. S. 157 f.). BGHSt 12, 185, 188, benutzt die Formulierung „drohende Gefahr"; Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, S. 318 ff., 323, der die Gefährdungsdeliktsstruktur des § 170 Abs. 1 ausführlich dargelegt hat; Ostendorf verkennt dies und meint, § 170 Abs. 1 Alt. 2 sei ein Verletzungsdelikt, da die hypothetische Gefährdung des Unterhaltsberechtigten in Wirklichkeit einen Verletzungserfolg beim Hilfeleistenden bedeute (JuS 1982, 426, 427; ihm anschließend Schänke /Schröder/Lenckner 26, § 170 Rdn. 26). Denn der Schutz der Allgemeinheit vor ungerechtigter Inspruchnahme stellt sich lediglich als Zwischenrechtsgut dar, ohne dass dieses Auswirkungen auf die Deliktsnatur des § 170 Abs. 1 Alt. 2 hat, vgl. Zieschang, a. a. O. S. 322. 86 SK5-Günther, § 170 b Rdn. 38; Lackner/Kühl 24, § 170 Rdn. 1 Maurach/Schroeder/ Maiwald, B T / 2 8 , 63/45; Tröndle/Fischer 51, § 170 Rdn. \\\Arzt/Weber, BT, 10/34. 87 Schänke /Schröder/Lenckner 26, § 170 Rdn. la; Schittenhelm, NStZ 1997, 169 f.; Otto, BT 6 , 65/19 Fn. 24; Kindhäuser, LPK-StGB, § 170 Rdn. 1.
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§ 170 Abs. 2 ist ein Verletzungsdelikt 88, da der Schwangerschaftsabbruch nach dem Gesetzwortlaut durch das Vorenthalten bewirkt sein muss89. Bemerkenswert sind die Tathandlungen in § 170. Die Tathandlung nach dem Absatz 1 ist das Sichentziehen der gesetzlichen Unterhaltspflicht, die nach Absatz 2 das Vorenthalten des Unterhalts 90. Trotz dieser rhetorisch unterschiedlichen Umschreibungen der Tathandlung entspricht das Vorenthalten dem Entziehen und besteht in der Nichtleistung von Unterhalt 91. Auch wenn die Ursache für die Nichtleistung in einem positiven Tun bestehen kann, z. B. durch ständigen Wohnsitzwechsel oder Verschwendung, ändert das nichts an dem Unterlassungscharakter des Entziehens92. Damit erweist sich § 170 strukturell als ein nichtbegehungsentsprechendes Unterlassungsdelikt, weil es an einem entsprechenden Begehungstatbetsand fehlt, auf den das Unterlassen sich erstrecken kann.
2. Der Täterkreis
und die Erklärung für dessen Beschränkung a) Der Täterkreis
Tauglicher Täter des § 170 Abs. 1 kann nur sein, wer zur Leistung gesetzlichen Unterhalts verpflichtet ist. Maßgeblich für das Bestehen des Unterhaltsanspruchs ist grundsätzlich das deutsche bürgerliche Recht. Eine selbständige „strafrechtliche" Unterhaltspflicht gibt es nicht 93 . Es besteht für das Tatbestandsmerkmal der „gesetzlichen Unterhaltspflicht" eine Akzessorietät zum Bürgerlichen Recht 94 . Die Entstehungsgründe gesetzlicher Unterhaltspflichten finden sich in den familien88
Maurach/Schroeder/Maiwald, B T / 2 8 , 63 / 47, die entgegen der h.L. hier ein erfolgsqualifiziertes Delikt annehmen und nach § 18 Fahrlässigkeit hinsichtlich des Bewirkens genügen lassen. 89
Kritisch wegen der Nachweisschwierigkeit, Tröndle, NJW 1995, 3009, 3018; auch Schittenhelm, NStZ 1997, 169, 171. 90 Das Vorenthalten des Unterhalts muss laut dem Gesetzwortlaut in verwerflicher Weise erfolgen. Dazu kritisch Schittenhelm, NStZ 1997, 169, 171; nach Schänke /Schröder/Lenckner 2 (§ 170 Rdn. 34c) hat dieses Merkmal keine eigenständig einschränkende Bedeutung. 9
1 Vgl. nur Lackner/Kühl 24, § 170 Rdn. 13; Kindhäuser, LPK-StGB, § 170 Rdn. 5. 92 Köln NJW 1981, 63; Lackner/Kühl 24, § 170 Rdn. 9; SV?-Günther, § 170 b Rdn. 29; Maurach/Schroeder/Maiwald, B T / 2 8 , 63/36; Schänke/ Schröder/Lenckner 26, § 170 Rdn. 27; LK y o -Dippel, § 170 b Rdn. 51; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 295; Kindhäuser, LPK-StGB, § 170 Rdn. 3; Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972, S. 55 Fn. 11; a.A. BGHSt 14, 165; 18, 379; Tröndle/Fischer- 51, § 170 Rdn. 9, die aber in Rdn. 11 meinen, dass Abs. 2 ein echtes Unterlassungsdelikt ist. 93 LK l 0 -Dippel, § 170 b Rdn. 7; Schröder, JZ 1958, 346. 94 -Günther, § 170 b Rdn. 17; BVerfGE 50, 142, 153; BGHSt 12, 166 m. zust. Bespr. H Schröder, JZ 1959, 346; 26, 113; BayObLG JZ 1961, 671 m. zust. Anm. Dünnebier; Welzel, FS-H. Mayer, 1966, S. 396; Lüke, FS-Arthur Kaufmann, 1993, S. 565; Lackner/Kühl 24, § 170 Rdn. 3; LK l 0 -Dippel, § 170 b Rdn. 7.
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rechtlichen Bestimmungen des BGB; hingegen begründen Unterhaltspflichten, die auf anderen Rechtsgrundlagen beruhen, regelmäßig keine gesetzliche Unterhaltspflicht 95 . Die gesetzliche Unterhaltspflicht knüpft an ein bestimmtes enges Familienverhältnis an. Sie ist grundsätzlich unabhängig vom Fehl- oder Wohlverhalten des Unterhaltsberechtigten. Solche Unterhaltspflichten bestehen zunächst zwischen allen Personen, die in gerader Linie miteinander verwandt sind, also Eltern, Großeltern, Kindern und Enkeln (§§ 1601 ff. BGB). Dabei ist die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber Kindern die bei weitem bedeutendste. Gesetzliche Unterhaltspflichten bestehen ferner gegenüber dem Ehegatten (§§ 1360 ff. BGB), und zwar auch dann, wenn die Ehe geschieden ist (§§ 1569 ff. BGB) 9 6 . Eine gesetzliche Unterhaltspflicht begründet schließlich der als Ergänzung der besonderen Regelung der Unterhaltsbeziehung zwischen dem Vater und seinem nichtehelichen Kind geschaffene Anspruch der Mutter des nichtehelichen Kindes auf Unterhalt aus Anlass der Geburt (§§ 1615 1 BGB) 9 7 . Vertragliche Pflichten als solche reichen dagegen nicht aus, weil der Parteiwille keine gesetzliche Unterhaltspflicht begründen kann 98 . Die Täterschaft bei § 170 Abs. 2 knüpft wie bei § 170 Abs. 1 an die gesetzliche Unterhaltspflicht an. Einschränkend ist jedoch eine besondere, aus enger persönlicher Verbundenheit erwachsende Verantwortung des Täters für die Schwangere und den Embryo vorauszusetzen99. Einzubeziehen sind Personen, die für die Schwangerschaft Verantwortung tragen, wie die ehelichen Erzeuger, und die, für die durch die Schwangerschaft eine besondere Verantwortung entsteht, wie bei den Eltern einer noch minderjährigen Schwangeren 100. Der nichteheliche Erzeuger scheidet deshalb regelmäßig als Täter aus, da dessen gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber der Kindsmutter nach § 1615 1 Abs. 1 BGB erst ab sechs Wochen vor der Geburt beginnt und 8 Wochen danach endet bzw. unter den Voraussetzungen von § 1615 1 Abs. 2 S. 3 BGB frühestens vier Monate vor der Entbindung und 3 Jahre danach endet 101 . b) Erklärung der Tätereigenschaft durch die Pflichttheorie? Nach Roxins Auffassung handelt es sich hier um die Verletzung einer außerstrafrechtlichen Pflicht, nämlich um Verstöße gegen bestimmte familiäre oder familienrechtsähnliche Verpflichtungen. Deshalb gehöre § 170 zu den Pflichtdelikten 102. 95 LK l 0 -Dippel, § 170 b Rdn. 8. 96 LK l 0 -Dippel, § 170 b Rdn. 8. 97 LK 10-Dippel, § 170 b Rdn. 8. 98 LK 10-Dippel, § 170 b Rdn. 9. 99 SK 5-Günther, § 170 b Rdn. 40. 100 BVerfGE 88, 203, 297. 101 Kindhäuser, LPK-StGB, § 170 Rdn. 5; Tröndle/Fischer* 102 Roxin, TuT 7 , S. 354, 384.
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, § 170 Rdn. 11.
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Aber wenn man nur mit dem Begriff der metastrafrechtlichen Sonderpflicht das strafrechtliche Täterkriterium erklären möchte, besteht die Gefahr, dass dies vom strafrechtlichen Rechtsgüterschutzsystem wegführt. Denn es wird damit eine Akzessorietät des Strafrechts gegenüber dem Zivilrecht impliziert, deren Vereinbarkeit mit dem Rechtsgüterschutz zumindest nicht selbstverständlich ist 1 0 3 . c) § 170 als Garantensonderdelikt? Die Frage, ob die Adressaten dieser Norm auch Garanten, und zwar Beschützergaranten sind, ist wenig diskutiert und ihr muss hier nachgegangen werden. Einige Autoren haben die Garantenstellung des Unterhaltsverpflichteten gegenüber dem Berechtigten festgestellt 104, weil der Vater für den Lebensbedarf seines Kindes einzustehen habe, gleichgültig, ob das Kind von ihm abstammt oder scheinehelich ist 1 0 5 , weil die Unterhaltsschuldner der Schwangeren zugleich eine (Beschützer-)Garantenstellung gegenüber dem nasciturus hätten 106 , weil es sich um ein erfolgsbezogenes, ausdrückliches Garantenunterlassungsdelikt handele 1 0 7 und weil die Vorschriften des BGB über die Unterhaltspflicht (§§ 1601 ff. BGB) eine Garantenstellung gegenüber den Vermögensinteressen der Unterhaltsberechtigten (§ 170 b a. F.) begründeten 108. Als besonders entschiedener Verfechter der Garantenstellung aus dem Verhältnis des Unterhaltsschuldners zum Unterhaltsgläubiger darf Herzberg 109 nicht unerwähnt bleiben, der der Meinung ist, die Strafdrohung im Falle des § 170 b a. F. (= 170 Abs. 1 n. F.) beschränke sich auf ganz bestimmte Personen, die sich bei näherem Zusehen als echte Garanten erwiesen. Wenn dort das Untätigbleiben des Unterhaltsschuldners eine deliktische Haftung nach sich ziehe, so bedeute das ein Handlungsgebot, das ausschließlich die Beschützer des konkret gefährdeten Schutzbefohlenen betreffe. Die Garantenstellung sei ausdrücklich in die tatbestandliche Täterbeschreibung aufgenommen. Und deshalb könne in der Tat die spezifische Problematik der unechten Unterlassungsdelikte hier nicht entstehen: Nämlich die Notwendigkeit, durch Auslegung und manchmal äußerst zweifelhafte Grenzziehung sämtliche in Betracht kommenden Garantenpositionen in einen Gesetztatbestand hineinzulesen, dessen Wortlaut den Rechtsanwender im Stich lasse. 103 Schünemann, GA 1986, 293, 332; ähnliche Bedenken vgl. LK l0-Dippel, § 170b Rdn. 5; LK 9-Heimann-Trosien, § 170 b Rdn. 5. 104 Schünemann hat die Deliktsnatur verkannt und behauptet, dass es in § 170b buchstäblich nur um die kleine Münze der familiären Obhutsstellungen geht, die als Garantenstellungen für Leib und Leben im Rahmen des § 13 von Dritten (z. B. Kindermädchen) übernommen werden können, siehe LK u -ders., § 14 Rdn. 41. 105 LK i0-Dippel, § 170 b Rdn. 19. 106 Schänke/ Schröder/Lenckner 26, § 170 Rdn. 34a. 107 Schmidhäuser, BT 2 ,13/12 i.V.m. AT 2 StuB, 12/6-10. 108 Maurach/Gössel, AT/2 1, 46/77. 109 Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972, S. 46 f.
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Obwohl eine Garantenstellung aus „natürlicher" oder „enger persönlicher" Verbundenheit (z. B. zwischen Verwandten in gerader Linie und zwischen Ehegatten) heute überwiegend anerkannt ist 1 1 0 , beschränkt sich diese Garantenpflicht eigentlich auf die Abwendung einer Gefahr für Leib oder Leben 111 . Sie bezieht sich also nur auf Rettungspflichten. § 170 Abs. 1 beweckt dagegen nicht die Abwehr von Gefahr für Leib oder Leben des Unterhaltsberechtigten, sondern lediglich die der Gefahr für den Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten. Da die Vorschrift des § 170 Abs. 1 die Strafbarkeit nur an die Nichtzahlung des Unterhalts knüpft, bildet sie ein Vermögensschutzgesetz i.S. des § 823 Abs. 2 BGB 1 1 2 . Aus einer Unterhaltspflicht, die auf den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, nicht aber auf einer strafrechtlichen Abhängigkeitsbeziehung beruht, kann eine Garantenstellung nicht begründet werden. Dies zeigen die Fälle der nachehelichen Unterhaltspflicht und der des Scheinvaters deutlich. Der Scheidungsunterhalt wird als Nachwirkung der ehelichen Beistandspflicht charakterisiert, und die Unterhaltsansprüche werden aus der fortwirkenden (nach)ehelichen Solidarität hergeleitet 113. Auch die nicht auf blutmäßiger Abstammung beruhende Unterhaltspflicht des Scheinvaters, der die Ehelichkeit des Kindes nicht angefochten hat, gehört zu den gesetzlichen Unterhaltspflichten 114. In den beiden Fällen jedoch besteht unstreitig trotz der Unterhaltspflicht keine strafrechtliche Abhängigkeitsbeziehung. Obwohl § 170 Abs. 2 den Schutz der Entscheidungsfreiheit der Schwangeren und dem Schutz des ungeborenen Lebens bezweckt, ist es jedoch fraglich, ob die Adressanten dieser Norm auch Garanten, und zwar Beschützergaranten des nasciturus sind. Denn eine besondere Pflicht gegenüber dem werdenden Leben zum Schutze des Kindes vor Angriffen durch die Mutter oder sonstigen Gefahren kann nur dann abgeleitet werden, wenn die Unterhaltspflichtigen das zu schützende ho Schänke/ Schröder/Stree 26, § 13 Rdn. 17 ff.; LK n-Jescheck, § 13 Rdn. 21; Welzel, Das Deutsche Strafrecht 11, S. 213 f.; Stratenwerth, AT 4 , 13/18; Otto, AT 6 , 9/48; Jescheck/ Weigend, AT 5 , § 59 IV 3, S. 621 f.; Baumann/Weber/Mitsch, AT 1 0 , 15/53; Schmidhäuser, 2 AT , 16/42; kritisch dazu Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 341 ff. in Welzel, Das Deutsche Strafrecht 11, S. 214. 112 BGHZ 28, 359; SK^-Günther, § 170 b Rdn. 11; LK l 0 -Dippel, § 170 b Rdn. 4; Tröndle/ Fischer* 1, § 170 Rdn. 2. 113 Palandt/Diederichsen 61, Einf. v. § 1569 Rdn. 5; Diederichsen, NJW 1993, 2267, 2275 kritisiert die Überforderung des Geschiedenenunterhalts in seiner jetzigen Ausgestaltung; so auch die Minderheit im Rechtsausschuss (BT-Drs. 7/4361, S. 15); Schwab, in: Beiträge zur Familienrechtsreform, 1974, S. 27 ff.; Beitzke/Lüderitz, Familienrecht 26, 1992, § 20 III 1, S. 188; Gernhuber/Coester-Waiden, Lehrbuch des Familienrechts, 4. Aufl., § 3012, S. 404 f. meinen, weiter führe erst der Gedanken der „ehebedingten Bedürftigkeit"; die Verknüpfung mithin von (beendeter) Ehe und Unfähigkeit des berechtigten Ehegatten, sich aus Eigenmitteln zu unterhalten. Dieser Gedanke wirke jedoch im Gesetz (§§ 1569 ff. BGB) als Tendenz, deren Grenze auch die Grenze der vollkommenen Rationalität des nachehelichen Unterhaltsrechts bezeichne. Kritisch zur nachehelichen Solidarität als Rechtsgrundsatz (m. w. N.) van Eis, FamRZ 1992, 625 ff. 114 BGHSt 12, 166; Welzel, Das Deutsche Strafrecht 11, S. 427.
D. Deliktsstruktur einzelner Garanten-Unterlassungsdelikte
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Kind tatsächlich in ihrer Obhut haben 115 . Wenn der Unterhaltspflichtige in keinerlei Sonderbeziehungen (Abhängigkeitsbeziehungen) zu dem werdenden Kind steht, scheidet die Strafbarkeit wegen offensichtlichen Fehlens einer Garantenstellung ohnehin aus 116 . Eine derartige Obhutsbeziehung zum nasciturus haben nur der Ehemann 117 , der mit der Schwangeren zusammenlebende nichteheliche Erzeuger 1 1 8 und unter bestimmten einschränkenden Voraussetzungen auch die Eltern der noch minderjährigen Schwangeren 119. Dagegen hat der nichteheliche Vater, der nicht mit der werdenden Mutter zusammenlebt, ein solches Obhutsverhältnis zum nasciturus nicht. Zur Begründung behauptet Schünemann 120 mit Recht, es bestehe zwar kein Zweifel daran, dass ein Vater, der etwa einer Abtreibung der von ihm verlassenen, verzweifelten Schwangeren hohnlächelnd zusehe, ein Schurke sei und Strafe durchaus verdient habe, aber diese Entrüstung über seine moralische Minderwertigkeit könne nichts daran ändern, dass sein Unterlassen eben nicht begehungsgleich sei. Es bleibe nur untätig gegenüber den Anforderungen der Ethik, aber mit dem Geschehen selbst habe er nichts zu tun. Was sich im Mutterleibe abspiele, beherrsche nur die Schwangere allein, dritte Personen hätten darauf nur dann einen aktuellen Einfluss, wenn sie die Mutter in ihrer Aufsichts- oder Schutzgewalt hätten - was auf den getrennt lebenden Erzeuger beides nicht zutreffe. Für ihn kam daher nur eine Bestrafung nach § 170 c a. F. 1 2 1 , jetzt aber vielleicht nur noch nach § 323 c und vor allem wegen Anstiftung und Beihilfe zur Abtreibung in 115 SK1-Rudolphi, § 13 Rdn. 48; Jescheck/Weigend, AT 5 , § 59 IV 3a, S. 622; L K 1 1 Jescheck, § 13 Rdn. 21, 23; Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 347 f.; a.A. Geilen, FamRZ 1961, 152; Kohlrausch/Lange, StGB 43 , vor § I I I B II, S. 8; Schänke/ Schröder/Stree 26, § 13 Rdn. 18 f. 116 Schittenhelm, NStZ 1997, 170. i n BGHSt 7, 272; BGH bei Daliinger MDR 1973, 369 mit zust. Anm. Blei JA 1973, 463; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1951, 75; LK 10-Jähnke, § 218 Rdn. 33; LYL n-Jescheck, § 13 Rdn. 22; Jescheck/Weigend, AT 5 , § 59 IV 3a, S. 622; SK 1-Rudolphi, § 13 Rdn. 47; für den Erzeuger generell Schänke/ Schröder/Eser 26, § 218 Rdn. 29; Schänke /Schröder/Stree 26, § 13 Rdn. 18; Tröndle/Fischer 51, § 218 Rdn. 7; Lackner/Kühl 24, § 218 Rdn. 3; a.A. Jedoch Jakobs, AT 2 , 29/61 (Garant frühestens nach Vollendung der Geburt); Otto/Brammsen, Jura 1985, 538; ferner auch Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 347 f., der von einer „Ausschließlichkeit der mütterlichen Herrschaft" ausgeht und die Garantenstellung des mit der Schwangeren nicht zusammenlebende Vaters ablehnt. HS So LK 10-Jähnke, § 218 Rdn. 33; SK1-Rudolphi, § 13 Rdn. 48. Ii 9 RGSt 39, 397; 64, 316, wo die Garantenstellung der Großmutter für das Kind aus der gegenüber der Kindsmutter bestehenden Fürsorgepflicht abgeleitet wurde, die auf sie übergehe, wenn die Mutter außerstande ist, für das neugeborene Kind zu sorgen; ferner RGSt 72, 373; OGHSt 1, 88, die jedoch bei der Bejahung einer Garantenstellung der Großmutter zusätzlich darauf abstellten, dass sie als Haushaltsvorstand die Betreuung des Kindes und der Kindsmutter übernommen hatte. 12° Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 347 f.; so im Ergebnis auch Jakobs, AT 2 , 29 / 62. 121 § 170c a. F. lautete: „Wer einer von ihm Geschwängerten gewissenlos die Hilfe versagt, deren sie wegen der Schwangerschaft oder Niederkunft bedarf, und dadurch Mutter oder Kind gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft" (Aufgehoben durch Art. 1 Nr. 12 des 4. StrRG v. 23. 1. 1973).
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Frage. Der Vorschrift des § 170 c a. F. lag also der Gedanke einer moralischen Pflicht zum Beistand zugrunde 122 , nicht aber eine Garantenstellung. Nach dem Wortlaut des § 170 Abs. 2 fällt auch der frühere Ehemann darunter, der nach Scheidung der von einem anderen Mann schwanger gewordenen Frau den geschuldeten Unterhalt vorenthält 123 . Es fehlt hier ebenfalls an einem die Garantenstellung begründenden Obhutsverhältnis. d) § 170 als formelles Sonderdelikt Bei der Feststellung der Garantenpflichten muss man, wie Stratenwerth 124 überzeugend dargelegt hat, beachten, dass selbst dann, wenn sich die Pflicht, zum Schutz oder zur Wahrung von Rechtsgütern oder Interessen tätig zu werden, unmittelbar aus dem Gesetz ergebe, sie keineswegs immer eine Garantenpflicht bilde. Vielmehr komme es darauf an, welche Art von Beziehung zwischen dem Verpflichteten und dem zu schützenden Gut oder Interesse bzw. der Gefahrenquelle das Gesetz seinerseits voraussetze oder herstelle. Die Nichtzahlung des Unterhalts ist in schlichten Worten die Verletzung einer ursprünglich moralischen Pflicht. Wie Gallas 125 bereits mit Recht angemerkt hat, sind Unterhaltspflichten keine Sorgepflichten. In Wahrheit sind es moralische Pflichten, die hier über das Strafrecht verrechtlicht werden. Auf das Gleiche läuft es hinaus, wenn im Schrifttum solche Pflichten aus einem Angehörigkeitsverhältnis als Garantenpflichten bezeichnet werden. Die „Nähe" des Garanten zum geschützten Rechtsgut, auf die man sich dabei beruft, bedingt hier eine moralische Pflicht, und diese ist grundverschieden von der auf der Abhängigkeit des Rechtsguts beruhenden Schutzfunktion des Garanten. Bei näherem Hinsehen gibt es eine Strukturverwandtschaft zwischen § 170 Abs. 1 und § 323 c. Denn die Beistandspflicht aus § 170 Abs. 1 ist dem Wesen nach auch eine Hilfspflicht. Die tatbestandsmäßige Situation der beiden Vorschriften, die die Hilfs- bzw. Unterhaltspflicht begründet, ist qualitativ gleich. In § 323 c ist eine Unfallsituation das pflichtenauslösende Ereignis, in § 170 Abs. 1 verlangt das Gesetz Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten (§ 1602 BGB). Bedürftig im Sinne des § 1602 BGB ist, wer sich nicht selbst helfen kann. Wer sich bei einer Unfallsituation im Sinne des § 323 c selbst zu helfen vermag, hat gleichfalls keinen Anspruch auf Hilfe Dritter. Das heißt, in beiden Fällen muss die Gefahr einer Verschlechterung der sozialen Lebensbedingungen gegeben sein. Dieser Gefahr zu begegnen und einen bestimmten, von der Allgemeinheit für wertvoll erachteten Zustand zu erhalten, ist hier wie dort Inhalt des Normbefehls. Beide Tatbestände 122 Schänke /Schröder
12
, § 170 c Rdn. 1; Kohlrausch/Lange, 16
StGB 43 , § 170 c S. 409.
123 Schänke/ Schröder/Lenckner , § 170 Rdn. 34a. 124 Stratenwerth, AT 4 , 13/16. 125 Gallas, Die Garantenpflicht des Unterlassungstäters, in: Studien zum Unterlassungsdelikt, 1989, S. 93.
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verlangen darüber hinaus lediglich ein Tätigwerden in engen Grenzen, gezogen durch die Begriffe der Zumutbarkeit (§ 330 c) und der Leistungsfähigkeit (§ 170 Abs. 1 i.V.m. § 1603 BGB) 1 2 6 . Obgleich die Intensität der Notlage gemäß § 170 Abs. 1 geringer als die gemäß § 323 c ist, wird dieses Weniger an Intensität durch die Einschränkung auf einen bestimmten Täterkreis ersetzt. Aufgrund dieser Strukturverwandtschaft ist § 170 Abs. 1 eine Abwandlung und Qualifikation der allgemeinen unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323 c. Deswegen ist m.E. auch der höhere Strafrahmen des § 170 Abs. 1 gerechtfertigt. In diesem Sinne ist § 170 Abs. 2 ebenfalls eine Abwandlung der unterlassenen Hilfeleistung. Denn es geht auch in § 170 Abs. 2 um die Verletzung gesetzlicher Unterhaltspflichten. Der tatbestandsmäßige Erfolg des Schwangerschaftsabbruchs legitimiert insofern nur den höheren Strafrahmen im Vergleich zu dem des § 170 Abs. 1. Die Beschränkung des Täterkreises in § 170 Abs. 1 und Abs. 2 hängt allein von der Wertentscheidung des zivilrechtlichen Gesetzgebers ab. Dieser geht zunächst vom Kernbereich der Verwandtschaftsverhältnisse aus und statuiert eine Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber Kindern und von Ehegatten untereinander. Diese ist eine erhöhte moralische Pflicht. Um das Interesse minderjähriger Kinder zu schützen, gehört die Unterhaltspflicht des Scheinvaters nach der Rechtsprechung des B G H 1 2 7 auch zu der gesetzlichen Unterhaltspflicht. Auch ein nichtehelicher Vater hat auch der Mutter für die Dauer von sechs Wochen vor und bis zu drei Jahren nach der Geburt des Kindes Unterhalt zu gewähren (§ 1615 1 BGB). Darüber hinaus bestehen die Gedanken erhöhter Moralpflicht auch beim nachehelichen Unterhalt. Roxins Pflichtdeliktsbegriff kann zwar eine Erklärung für die Beschränkung des Täterkreises in § 170 geben, er eröffnet aber auch eine Möglichkeit, Delikte mit verschiedenem Wesen unter ein umfangreiches Sammelbecken zu subsumieren. Meines Erachtens ist § 170 ein reines Pflichtdelikt und ein formelles Sonderdelikt, aber nicht in Form eines Garantensonderdelikts.
II. Das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gemäß § 266 a 1. Geschütztes Rechts gut und Tatbestandsstruktur a) Geschütztes Rechtsgut § 266 a beinhaltet zwei unterschiedliche Tatbestandsgruppen und schützt in den einzelnen Absätzen verschiedene Rechtsgüter. In den Absätzen 1 und 3 wird das Interesse der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherung geschützt128. Ob Absatz 1 daneben auch das Ver126 Vgl. Eggert, Der Strafrechtliche Schutz des gesetzlichen Unterhaltsanspruches, 1973, S. 60 f. und Fn. 26. 127 BGHSt 12,166 ff.
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mögen des einzelnen Arbeitnehmers schützt, ist sehr umstritten. Die h.L. verneint die doppelte Schutzrichtung des § 266 a Abs. 1, weil der Arbeitnehmer für die Durchsetzung seiner Sozialversicherungsansprüche nur nachzuweisen braucht, dass er sich in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis befunden h a t 1 2 9 , und weil dieser durch die Nichtabführung seines Beitragsanteils durch den Arbeitgeber i m Versicherungsschutz keine Nachteile erleidet 1 3 0 . Aber bei näherem Hinsehen bestehen die wirtschaftlichen Schäden darin, dass sich die Säumigkeit des Arbeitgebers doch aufgrund der i m Sozialversicherungsrecht geltenden Wartezeiten sowie der Schmälerung der Rente nachteilig für den Arbeitnehmer auswirken und damit die Schadenersatzpflicht des Arbeitgebers begründen k a n n 1 3 1 . Außerdem kann man die gesetzliche Ungleichbehandlung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen gerade auch mit dem Schutz vermögenswerter Ansprüche des Arbeitnehmers erklären 1 3 2 . Ginge es allein um den Schutz des Beitragsaufkommens der Sozialversicherungsträger und um den Schutz der Solidargemeinschaft der Versicherten, so müsste der Gesetzgeber zwangsläufig auch die Nichtabführung der Arbeitgeberanteile mit Strafe bedrohen 1 3 3 . Deshalb gehört das Vermögen der Sozial Versicherungsnehmer auch zum geschützten Rechtsgut 134 . 128 Die h.M.: BT-Drs. 10/5058 S. 31; Celle NJW 1992, 190; Bottke, wistra 1991, 8; Fisseler, Die Strafbarkeit der Nichtzahlung von Beiträgen zur sozialen Sicherung, 1985, S. 44 ff.; Kindhäuser, LPK-StGB, § 266 a Rdn.l; Lackner /Kühl 24, § 266 a Rdn. 1; Maurach/Maiwald, B T / 1 9 , 45/63; Martens, wistra 1986, 155; Otto, BT 6 , 61/68; SK5-Samson/Günther, § 266 a Rdn. 4; Schlüchter, Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1987, S. 164; Lenckner/Perron in: Schänke /Schröder 26, § 266 a Rdn. 2; Tröndle/Fischer* 1, § 266 a Rdn. 2; Stapelfeld, BB 1991, 1505; Wessels/Hillenkamp, B T / 2 2 5 , Rdn. 785; Weber, NStZ 1986,488. 129 Weber, NStZ 1986, 481, 487; Arzt/Weber, BT, 23/4. 13° Vgl. Bente, Die Strafbarkeit des Arbeitgebers wegen Beitragsvorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt (§ 266 a StGB), 1992, S. 27 ff.; Fisseler, Die Strafbarkeit der Nichtzahlung von Beiträgen zur sozialen Sicherung, 1985, S. 53 ff. m. w. N.; Lenckner/Perron in: Schänke /Schröder 26, § 266 a Rdn. 2. 131 Preis in: Dieterich/Hanau/ Schaub (Hrsg.) Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2003, § 611 BGB Rdn. 776; Heitmann in Müller-Gugenberger/Bieneck, WiStR 3 , § 36 Rdn. 12; Nach Tag in: NK, § 266 a Rdn. 10 und ebenso in: Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung, 1994, S. 36 ff. dienst § 266 a dem Schutz der sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche von illegal Beschäftigten. Dies wird von Rönnau (wistra 1997, 179 f.) zu Recht kritisiert. 132 Vgl. NK-7izg, § 266 a Rdn. 12; dies., Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung, 1994, S. 39. 133 LK n -Gribbohm, § 266 a Rdn. 5; vgl. auch SK 5-Samson/Günther, § 266 a Rdn. 21; Weber, NStZ 1986, 481, 488; Martens, wistra 1985, 51, 53; a.A. Martens, wistra 1986, 154, 155; Martens/Wilde, Strafrecht und Ordnungsrecht in der Sozialversicherung, 4. Aufl. 1987, S. 76. 134 Im Ergebnis ebenso. Preis in: Dieterich / Hanau / Schaub (Hrsg.) Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2003, § 611 Rdn. 899; Heitmann in Müller-Gugenberger/Bieneck, WiStR 3 , § 36 Rdn. 12; Gössel, BT/2, 26/1 [Heitmann und Gössel bezeichnen sogar das Vermögen als primäres Schutzgut]; BSG 78, 20, 23 f.; LK n-Gribbohm, § 266 a Rdn. 5; Ranft, DStR 2001, 132, 134; Tag, Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozial- und
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Absatz 2 hat das Veruntreuen von Arbeitsentgelt zum Gegenstand und schützt damit das Vermögen des betroffenen Arbeitnehmers 135. b) § 266 a als Spezialfall der Untreue? Da jedoch dem jeweils Verpflichteten kein nennenswerter Spielraum für eine selbständige Erledigung dieser Pflicht eingeräumt ist, unterscheidet sich § 266 a nach gängiger Auffassung von § 266 durch das Fehlen einer Vermögensbetreuungspflicht 136 . c) Tatbestandsstruktur Die Tathandlung umschreibt das Gesetz in Absatz 1 mit „vorenthalten". Vorenthalten ist die Nichtzahlung der Beiträge zum Fälligkeitszeitpunkt. Es handelt sich somit um ein Unterlassen. Die in § 266 a Abs. 1 normierte Tat ist also nach der h.M. ein echtes Unterlassungsdelikt 131. Die Tathandlung des Absatzes 2 ist zweiaktig und besteht aus einem doppelten Unterlassen des Arbeitgebers: Er muss zum einen Lohnteile „einbehalten" 138 , also an den Arbeitnehmer nur ein um den abzuführenden Betrag gekürztes Arbeitsentgelt auszahlen139, und diesen so einbehaltenen Anteil gleichzeitig „nicht" bis zum Tag der Fälligkeit an die entsprechende Stelle „zahlen". Dieser erste Teilakt des tatbestandsmäßigen Verhalten ist ein (echtes) Unterlassen 140: Die Nichtzahlung an den Gläubiger. Zum anderen muss er es „unterlassen", den Arbeitnehmer von der Nichtzahlung an die entsprechende Stelle zu „unterrichten" 141 . Das ist ein zusätzliches, den Unrechtskern bildendes Merkmal 142 . Arbeitslosenversicherung, 1994, S. 33 ff.; dies., NK, § 266 a Rdn. 6 ff.; Tiedemann, JZ 1986, 874; Mitsch, B T / 2 / 2 , 4 / 5 . 135 Das ist einheitliche Meinung, vgl. nur BT-Drs. 10/5058 S. 31; Lackner/Kühl 24, § 266 a Rdn. 1; Otto, BT 6 , 54/ 56; Tag, Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung, 1994, S. 33 ff.; Kindhäuser, LPK-StGB, § 266 a Rdn. 1; Maurach/Maiwald, BT/1 8 ,45/63. 136 Gössel, BT/2, 26/2; Maurach/Maiwald, B T / 1 9 , 45/64. 137 BGHZ 134, 304; BGH NJW 1998, 1306; OLG Celle NStZ 1998, 303; OLG Celle JR 1997,478,479; OLG Celle wistra 1996, 114 mit Anm. Bente und Bespr. Rönnau wistra 1997, 13; Winkelbauer, wistra 1988, 16, 17; Wegner, wistra 1998, 283, 288; Arzt /Weber, BT, 23/13; Maurach/Maiwald, B T / 1 9 , 45/67; Lackner / Kühl 24, § 266 a Rdn. 8; SK 5-Samson/Günther, § 266 a Rdn. 23; Mitsch, B T / 2 / 2 , 4/17; NK-7ag, § 266 a Rdn. 51; Tröndle/Fischer* 1, § 266 a Rdn. 15; Kindhäuser, LPK-StGB, § 266 a Rdn. 8; Gössel, BT/2, 26/5 a.A. L K 1 1 -Gribbohm, § 266 a Rdn. 65: Begehung auch durch positives Tun möglich. 138 Nach Mitsch, BT 1212, 4 / 39 ist das Einbehalten kein Handlungsmerkmal. 139 Lackner/Kühl 140
24
, § 266 a Rdn. 12.
Mitsch, B T / 2 / 2 , 4/42; Tag, Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialund Arbeitslosenversicherung, 1994, S. 183; Arzt/Weber, BT, 23/23; Lackner/Kühl 24, § 266 a Rdn. 12.
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§5 Nichtbegehungsentsprechende Garanten-Unterlassungsdelikte
Das Vorenthalten bestimmt sich in Absatz 3 nach den gleichen Grundsätzen wie bei Absatz 1, so dass die in § 266 a Abs. 3 normierte Tat also nach der Terminologie der h.M. auch ein echtes Unterlassungsdelikt ist. Da es an einem entsprechenden Begehungstatbestand fehlt, auf den sich das Unterlassen erstrecken kann, erweist sich § 266 a damit strukturell als ein nichtbegehungsentsprechendes Unterlassungsdelikt, und zwar in der Form eines nichtbegehungsentsprechenden Garanten-Unterlassungsdelikts, dessen Begründung im folgenden Abschnitt 2 besprochen wird. 2. Der Taterkreis
und die Erklärung für dessen Beschränkung a) Der Täterkreis
Die Formulierungen „wer als Arbeitgeber" und „wer als Mitglied einer Ersatzkasse" bringen zum Ausdruck, dass § 266 a ein Sonderdelikt 143 ist: Täter kann nur sein, wer die erwähnten Eigenschaften aufweist. Wer sie nicht hat, kann nur Anstifter oder Gehilfe sein. Tauglicher Täter der Absätze 1 und 2 ist dem Gesetzeswortlaut nach der Arbeitgeber nebst den in Absatz 4 bezeichneten Personen. Tauglicher Täter des Absatzes 3 ist dagegen ein Arbeitnehmer, der Mitglied einer Ersatzkasse ist. Da eine eigenständige strafrechtliche Definition für den Begriff des Arbeitgebers fehlt, bestimmen sich die Normadressaten von § 266 a Abs. 1 nach den Grundsätzen des Sozialversicherungsrechts sowie ergänzend nach denen des Arbeitsrechts 144. Arbeitgeber ist hiernach derjenige, dem der Arbeitnehmer gemäß §§ 611 ff. BGB Dienste leistet und zu dem dieser im Verhältnis persönlicher Abhängigkeit steht, die sich vornehmlich in dessen Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers äußert 145 . Im Unterschied zu Absatz 1 bewehrt Absatz 2 nicht (auch) 141 Kindhäuser, LPK-StGB, § 266 a Rdn. 16. 142 BT-Drs. 10/318 S. 29; Tag, Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialund Arbeitslosenversicherung, 1994, S. 183; Mitsch, B T / 2 / 2 , 4/44; Lackner/Kühl 24, § 266 a Rdn. 13. 143 OLG Hamm NStZ - RR 2001, 173, 174; Tröndle/Fischer* 1, § 266 a Rdn. 3; Perron/ Lenckner in: Schänke /Schröder 26, § 266a Rdn. 11; Arzt/Weber, BT, 23/27; LK U -Gribbohm, § 266 a Rdn. 14; SK5-Samson/Günther, § 266 a Rdn. 6, 35; Lackner/Kühl 24, § 266 a Rdn. 2; NK-Tag, § 266 a Rdn. 15; Fries, Strafrechtliche Probleme im Zusammenhang mit illegaler Arbeitnehmerüberlassung, insbesondere die Strafbarkeit des Ver- und Entleihers nach § 266 a I StGB, 1987, S. 12; Kindhäuser, LPK-StGB, § 266 a Rdn. 1; Mitsch, B T / 2 / 2 , 4/8; Maurach/Maiwald, B T / 1 9 , 45/66; Bente, Die Strafbarkeit des Arbeitgebers wegen Beitragsvorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt (§ 266 a StGB), 1992, S. 30. 144 Lenckner/Perron in: Schänke /Schröder 26, § 266 a Rdn. 11; Wegner, wistra 1998, 283, 284; eingehend Tag, Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung, 1994, S. 41 ff. 145 So BSG NJW 1967, 2031; BSGE 26, 282; 34, 113; Tag, Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung, 1994, S. 41 ff.; Lackner/Kühl 24, § 266 a Rdn. 3; Tröndle/Fischer* 1, § 266 a Rdn. 4.
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das Verletzen sozialversicherungsrechtlicher, sondern allein die Missachtung arbeitsrechtlicher Pflichten mit Strafe. Daher ist in Absatz 2 die Arbeitgebereigenschaft allein nach arbeitsrechtlichen Kriterien zu bestimmen 146 . Arbeitgeber kann aber auch eine juristische Person sein. § 14 erweitert hier die Arbeitgebereigenschaft auf ihre Organe, Vertreter und Substituten147. b) Erklärung der Tätereigenschaft durch die Pflichttheorie? Unter Anwendung von Roxins Pflichttheorie hat Tag us versucht, die Beschränkung des Täterkreises des § 266 a zu erklären. Im Rahmen des § 266 a Abs. 1 stehe für die Täterschaft nicht so sehr die Eigenschaft als Arbeitgeber im Vordergrund. Maßgeblich sei vielmehr, dass der Normadressat unter Missachtung der aus seiner Stellung erwachsenden Pflicht, die Arbeitnehmeranteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle zu leisten, gehandelt habe. Bedeutsam sei weiterhin, dass der Arbeitgeber nicht nur kraft öffentlichen Rechts (Zahlungspflicht des Arbeitgebers gemäß § 28e SGB IV), sondern auch aufgrund der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht gehalten sei, die Arbeitnehmerbeiträge ordnungsgemäß an die Einzugsstelle abzuführen. Dementsprechend vereinige Absatz 1 die Merkmale eines Sonder- und Pflichtdelikts. Obwohl Tag die Taten der Absätze 2 und 3 nicht ebenfalls Pflichtdelikte nennt, sollten sie konsequenterweise wegen der Verletzung arbeitsrechtlicher Fürsorgepflichten durch den Arbeitgeber (Abs. 2) und wegen der Verletzung der öffentlichen Abführungspflichten des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer (Abs. 3) nicht nur als echte Sonderdelikte 149, sondern auch als Pflichtdelikte bezeichnet werden. c) § 266 a als Garantensonderdelikt Bei genauerem Hinsehen der in § 266 a angesprochenen Verpflichtungen des Arbeitgebers zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge usw. kann man nun aber feststellen, dass das Gesetz dem entsprechenden Täter eine Garantenstellung zugewiesen hat 1 5 0 . Denn der Arbeitgeber kontrolliert hinsichtlich der Abführung 146 Otto, BT 6 , 54/58; Lenckner/Perron in: Schänke /Schröder 26, § 266 a Rdn. 15; Tag, Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung, 1994, S. 148 ff.; dies., NK, § 266 a Rdn. 75. 147 Lackner/Kühl 24, § 266 a Rdn. 4; L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 41; Tröndle /Fischer* 1, § 266 a Rdn. 5; Kindhäuser, LPK-StGB, § 14 Rdn. 5, 14 und § 266 a Rdn. 3; Mitsch, B T / 2 Tb. 2,4/10; NK -Tag, § 266 a Rdn. 24. 148 Tag, Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung, 1994, S. 41. 149 Tag, Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung, 1994, S. 148; dies., NK, § 266 a Rdn. 74. 150 Maurach/Schroeder/Maiwald, B T / 1 9 , 45/66.
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der Sozialversicherungsbeiträge usw. einen sozialen Bereich und hat damit Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsgutes. Abgesehen von seiner geringen praktischen Bedeutung151 gilt dies auch für § 266 a Abs. 3, denn dort übernimmt der Arbeitnehmer die Garantenstellung des Arbeitgebers. Für die Frage, ob die Beschränkung des Täterkreises des § 266 a durch die Pflichttheorie problemlos erklärt werden kann, kann die Problematik der strafrechtlichen Verantwortlichkeit eines faktischen Geschäftsführers oder eines Scheingeschäftsführers, wenn Arbeitgeber eine juristische Person ist, Prüfstein sein. Hier geht es um das Problem der faktischen Vertretungsverhältnisse. Unproblematisch sind zunächst die Fälle, in denen es zwar zu einem förmlichen Bestellungsakt des Gesellschaftsorgans gekommen ist, die Bestellung aber zivilrechtlich unwirksam ist. Gemäß § 14 Abs. 3 ist die Unwirksamkeit des Bestellungsakts für die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Gesellschaftsorgans ohne Bedeutung. Entscheidend ist allerdings, dass der Betroffene sich mit seiner Bestellung einverstanden erklärt 152 und sein Amt tatsächlich wahrgenommen hat 1 5 3 . Dagegen ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines nicht einmal förmlich bestellten faktischen Geschäftsführers sehr umstritten. Entgegen einer im Schrifttum 154 verbreiteten Meinung, der faktische Geschäftsführer könne bei einem Mangel an einem förmlichen Bestellungsakt als vertretungsberechtigtes Organ wegen eines Verstoßes gegen den natürlichen Wortsinn des § 14 Abs. 3 und damit wegen des Verstoßes gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG enthaltene Analogieverbot nicht Normadressat des § 266 a Abs. 1 sein, erscheint mir die Bejahung der strafrechtlichen Verantwortung des faktischen Geschäftsführers gemäß §§ 14, 266 a überzeugender 155, auch 151 Vgl. nur Lenckner/Perron in: Schänke /Schröder 16, § 266 a Rdn. 16; LK U-Gribbohm, § 266 a Rdn. 74. 152 H.M. vgl. etwa Baumbauch/Hueck/Schulze-Osterloh, Kommentar zum GmbHG, 17. Aufl. 2000, § 82 Rdn. 19, § 84 Rdn. 77; Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 82 Rdn. 41, 77; Löffeler, wistra 1989, 123; RGSt 64, 81 (84). 153 BGHSt 3, 37 ff.; BGH GmbHR 1955, 61; BGH GA 1971, 36; BGH bei Holtz MDR 1980, 453; Rowedder/Fuhrmann, GmbHG-Kommentar, § 82 Rdn. 6; Tiedemann, GmbHStrafrecht 4, § 82 Rdn. 41; Kratzsch, ZGR 1985, 506, 533; 154 Diese Meinung findet sich bereits bei Tiedemann, NJW 1977, III, 779 f.; 1979, 1849, 1850 f.; ders., L K 1 1 , vor 283 Rdn. 69; ders., GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 27 ff.; umfassende Kritik aus strafrechtlicher und zivilrechtlicher Sicht bei Stein, Das faktische Organ, 1984; dies., ZHR 148 (1984), 207 ff.; Hoyer, NStZ 1988, 369; Kaligin, BB 1983, 790; Hachenburg/Kohlmanr?, GmbHG, § 84 Rdn. 18 ff.; Schulze-Osterloh in: Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz17, § 82 Rdn. 77, § 84 Rdn. 13; Kratzsch, ZGR 1985, 312 ff.; Otto, Bankentätigkeit und Strafrecht, 1983, S. 22 ff.; ders., StV 1984, 462; Reich, DB 1967, 1667; Weber, StV 1988, 16; Winkelbauer, JR 1988, 33; Lenckner/Perron in: Schänke /Schröder 26, § 14 Rdn. 42/43; § 266 a Rdn. 11; Hildesheim, wistra 1993, 166, 167; Wegner, wistra 1998, 283, 284 f.; NK-Marxen, § 14 Rdn. 43; Ransiek, Unternehmensstrafrecht, 1996, S. 93 ff.; Entgegen der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur strafrechtlichen Verantwortung des faktischen Geschäftsführers schließt sich das KG Berlin in: NJW-RR 1997, 1126 der oben genannten überwiegenden Meinung im Schrifttum an.
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wenn ein formeller Bestellungsakt fehlt. Denn es geht in § 14 Abs. 3, wie Schünemann156 mit Recht ausführlich darlegt, nicht um eine künstliche und von Haus aus dubiose Ausdehnung eines in § 14 Abs. 1 und 2 aus dem Zivilrecht übernommenen Organ- und Beauftragtenbegriffs, sondern um die Verdeutlichung des von § 14 von vornherein gemeinten Phänomens, nämlich der Delegation und Übernahme einer Herrschaftsposition, so dass § 14 Abs. 1 und Abs. 3 zusammen gelesen werden müssen und das Missverständnis einer eigentlich zivilrechtsakzessorischen strafrechtlichen Organ- und Substitutenhaftung, das das Schrifttum immer noch bewegt, von vornherein gar nicht aufkommen kann. Die Figur der faktischen Geschäftsführung kann deshalb vollständig und ausschließlich durch die von Schünemann zur Interpretation der strafrechtlichen Vertreterhaftung entwickelte Garantentheorie erklärt werden 157 , nach der es um nichts anderes als um die Übertragung und Übernahme einer Herrschaftsposition geht, die zumindest bei der großen Masse der Sonderdelikte als Voraussetzung der Täterstellung vom Gesetz beschrieben wird 1 5 8 . Sowohl nach der Konzeption des Gesetzgebers bei Schaffung des § 14 Abs. 3 als auch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes 159 besteht die Essenz der Vertreterposition in völliger Übereinstimmung mit der Garantentheorie der Vertreterhaftung in der tatsächlichen Einnahme des Wirkungskreises mit dem Einverständnis des primären Normadressaten bzw. eines anderen zur Delegation Befugten, also in der Übernahme eines Herrschaftsbereiches, weshalb strafrechtlich auch derjenige als Organ angesehen werden muss, der diese Position auch ohne förmliche Bestellung und Eintragung im Handelsregister im Einverständnis des maßgeblichen Gesellschaftsorgans tatsächlich einnimmt 160 . 155 ständige Rechtsprechung: BGHSt 3, 32, 33, 37; 6, 315 f. = GmbHR 1955, 43 m. Anm. Vogel, NJW 1954, 18; BGHSt 21, 101; BGH GA 1971, 36; BGHSt 31, 118 f.; BGH M D R / H 1980, 453; BGH wistra 1984, 178 = StV 1984, 461 m. Anm. Otto; BGH NJW 1984, 2958; OLG Düsseldorf NJW 1988, 3166 = wistra 1989, 152 = DB 1988, 224; BGH wistra 2000, 307, 308 = BGHSt 46, 62, 64 (ein konstruktiver Überblick über Rechtsprechung findet sich bei Löffeler, wistra 1989, 121, 123 f. und Kohlmann, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des GmbH-Geschäftsführers, 1990, S. 7 ff.); obwohl die Rechtsprechung zu § 84 GmbHG ergangen ist, ist sie m.E. dennoch auch auf § 266 a zu übertragen; dieser Rechtsprechung zustimmend: Rowedder/Fuhrmann, § 82 Rdn. 5; LK w -Roxin, § 14 Rdn. 43; LK n -Schünemann, § 14 Rdn. 69; ders., Unternehmenskriminalität, S. 129 f.; KK^OWiG/ Cramer, § 9 Rdn. 55; C. Schäfer, GmbHR 1993, 722 f.; Bruns, JR 1984, 133 ff.; Gübel, Die Auswirkungen der faktischen Betrachtungsweise auf die strafrechtliche Haftung faktischer GmbH-Geschäftsführer, 1994, S. 170; Müller-Gugenberger / Schmidt, WiStR 3 , § 30 Rdn. 10 ff. 18; LK n-Gribbohm, § 266 a Rdn. 15. 156 LKU-Schünemann, § 14 Rdn. 68; ders., FS-50 Jahre BGH, Bd. IV, 2000, S. 644. 157 Vgl. Schünemann, Zeitschrift für Schweizerisches Recht, 1978, 131, 153 ff.; ders., Jura 1980, 354 ff., 568 ff.; ders., Unternehmenskriminalität und Strafrecht, 1979, S. 131 ff.; ders., GA 1986, 293, 334 ff.; LK n -ders., § 14 Rdn. 14 ff., 67 ff. 158 Schünemann, FS-50 Jahre BGH, Bd. IV, 2000, S. 644 f. 159 BGHSt 3, 32, 37 ff.; 6, 314, 315 f.; 21, 101, 103; 31, 118 ff.; 34, 221, 222; 34, 379, 384; BGH StV 1984, 461; BGH wistra 1990, 97; zuletzt BGH NStZ 2000, 34; BGHSt 46, 62, 64; weitere Nachweise bei Fuhrmann, FS-Tröndle, 1989, S. 140 ff. 10 Chen
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Das Wortlautargument beruht auf der unausgesprochenen und doppelt unrichtigen Prämisse, dass § 14 Abs. 3 die Extension des in Absatz 1 verwendeten, an sich im Sinne zivilrechtlich wirksamer Bestellung gemeinten Organbegriffs erweitern solle. In Wahrheit macht aber die Garantentheorie deutlich, dass bereits der Organbegriff des Absatzes 1 im Sinne der tatsächlichen Herrschaftsübernahme zu verstehen ist und darin durch Absatz 3 lediglich bestätigt wird 1 6 1 . Nachdem auch inzwischen im Gesellschaftsrecht der Schritt zur Anerkennung des faktischen Organs getan worden ist 1 6 2 , besteht erst recht kein Grund, diesen Schritt im Strafrecht wieder zurückzunehmen oder einzuschränken 163. Allerdings erscheint es im Hinblick darauf, dass etwa die Tätigkeit eines Prokuristen oder eines aktiven Mehrheitsgesellschafters in der Praxis nicht leicht von der faktischen Geschäftsführung abgegrenzt werden kann, im Interesse der Anwendungssicherheit und Beweisklarheit geboten, durch eine ins materielle Recht transponierte „Beweissicherheit" zu verlangen, dass dem faktischen Geschäftsführer neben einem eingetragenen und etwa ebenfalls tätigen Geschäftsführer ein Übergewicht zukommt 164 . Andererseits fehlt es bei den sog. „Strohmann- bzw. Strohfraufällen", deren Besonderheit darin besteht, dass zwar nach außen wirksam bestellte Organe oder Geschäftsführer handeln, die tatsächliche Herrschaftsfunktion der Firma aber faktisch von einem Hintermann geleitet wird, an der Übernahme einer Herrschaftsposition. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung 165 und den überzeugenden Meinungen im Schrifttum 166 ist ein nur als Strohmann im Handelsregister eingetragener Geschäftsführer kein tauglicher Täter des § 266 a, weil allein der bloße Formalakt der Bestellung und Eintragung eines Geschäftsführers in das Handelsregister zwar einen Rechtsschein erzeuge, dieser allein jedoch noch nicht zu einer tatsächlich ausübbaren Herrschaftsfunktion führe 167 . Wenn man dagegen hier an der Pflichttheorie festhalten wollte, müsste man konsequenterweise allein zum Er160 LK n-Schünemann, § 14 Rdn. 69; ders., FS-50 Jahre BGH, Bd. IV, 2000, S. 645. 161 Vgl. L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 69. 162 BGHZ 65, 15; 95, 330; 104,44. 163 Schünemann, FS-50 Jahre BGH, Bd. IV, 2000, S. 645; so auch bereits in L K 1 1 , § 14 Rdn. 69. 164 Vgl. L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 70, 72; zusammenfassend ders., FS-50 Jahre BGH, Bd. IV, 2000, S. 645 f.; BGH wistra 1984, 178; demgegenüber verlangte der BGH früher und auch neuerdings wieder überwiegend in allen Fällen eine „überragende Stellungvgl. BGHSt 3, 32, 37; 21, 101, 103; 31, 118, 122; BGH NStZ 1998, 568; zust. Achenbach, NStZ 1998, 560. 165 OLG Hamm, StV 2002, 204 = NStZ-RR 2001, 173. 166 Lackner/Kühl 24, § 266 a Rdn. 7; Tag, Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung, 1994, S. 76 f.; dies., NK, § 266 a Rdn. 26; LK 10-Roxin, § 14 Rdn. 44; L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 71; a.A. Lenckner/Perron in: Schänke /Schröder 26, § 266 a Rdn. 11; Ursula Stein, DStR 1998, 1055, 1058; so auch Tiede4 mann, allerdings bezogen auf § 84 GmbHG, in: GmbH-Strafrecht , § 84 Rdn. 30. 167 OLG Hamm, StV 2002, 204; vgl. auch L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 71; LK l 0 -Roxin, § 14 Rdn. 44; KK^OWiG/ Cramer, § 9 Rdn. 55; Göhler, OWiG 12 , § 9 Rdn. 47.
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gebnis kommen, dass der Strohmann wegen der Verletzung außerstrafrechtlicher (sozialversicherungsrechtlicher) Pflichten gemäß § 266 a bestraft wird, ohne dass er eine Herrschaftsposition besitzt. Dieser Auffassung ist allerdings nicht beizupflichten, weil auch bei § 266 a die tatsächliche Möglichkeit zur Erfüllung der dem Arbeitgeber obliegenden Pflicht die tatbestandliche Voraussetzung des Vörenthaltens darstellt 168 . Diese Möglichkeit zur Erfüllung der Pflicht entsteht nicht durch die formelle Benennung als Geschäftsführer, sondern mit der faktischen Herrschaftsposition. Setzt man den Grundgedanken der Übernahme der Herrschaftsposition durch, dann ist es nicht schwer, die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des nach § 106 KO gerichtlich bestellten Sequesters zu beantworten. Zur Klarstellung darf der Sequester dem Konkursverwalter, gesetzlichem Vertreter gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 3, nicht gleichgestellt werden, weil die Veräußerung des Schuldnervermögens nicht zu den Rechten und Pflichten des Sequesters gehört 169 . Damit bleibt die naheliegende Möglichkeit der Überwälzung strafrechtlicher Pflichten gemäß §14 Abs. 3. Der Aufgabenbereich des Sequesters ist nicht feststehend, sondern durch die Anordnung des Gerichts im Einzelfall bestimmt 170 . Obwohl die Sequestration in der Regel auf die Vermögenssicherung und die Vorbereitung des Konkursverfahrens beschränkt ist 1 7 1 , verneint das OLG Zweibrücken die Überwälzung der Arbeitgeberstellung auf den Sequester nicht komplett, weil der Sequester darüber hinaus ausnahmsweise mit der Fortführung der Geschäfte beauftragt werden kann und ihm dann eine arbeitgebergleiche Position zukommt 172 . Deshalb ist entscheidend, ob der Sequester tatsächlich die Arbeitgeberfunktion übernimmt, also auch Entscheidungen über die Lohnauszahlung bzw. Beitragsabführung in seine Kompetenz fallen 173 . Schließlich bleibt das weitere Problem, ob auf die Frage einer Substituierbarkeit der Täterqualifikation die allgemeine Regel der Übertragung von Garantenstellungen oder die spezielle Vorschrift des § 14 anzuwenden ist. Obwohl es sich bei § 266 a um ein Garantendelikt handelt, das nach den allgemeinen Zurechnungs168 So OLG Hamm, StV 2002, 204; BGH NStZ 1997, 125, 126 m. w. N. 169 Vgl. Tag, Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung, 1994, S. 60 f.; a.A. Schlüchter, Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1987, S. 168, die meint, dass die Stellung des Sequesters sich nicht wesentlich von der des Konkursverwalters unterscheidet. 170 Kilger/Karsten
Schmidt 11, § 106 KO Anm. 4.
171 Vgl. z. B. OLG Zweibrücken wistra 1995, 319, 320; Wegner, wistra 1998, 283, 285. 172 Kuhn/Uhlenbrock, Kommentar zur Konkursordnung, 11. Aufl. 1994, § 106 Rdn. 7, 12; Kilger/Karsten Schmidt 17, § 106 KO Anm. 4; im Ergebnis ebenso Tag, Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung, 1994, S. 61; OLG Zweibrücken wistra 1995, 319, 320, lässt das nur offen, ob diese Situation im zu entscheidenden Fall vorliegt. 173 So Bente, Die Strafbarkeit des Arbeitgebers wegen Beitragsvorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt (§ 266 a StGB), 1992, S. 32; Martens, wistra 1986, 154, 156; im Ergebnis ebenso LK n -Gribbohm, § 266 a Rdn. 15. 10*
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regeln eigentlich eine Übertragung der Garantenstellung ähnlich wie im Fall des § 13 Abs. 1 zulassen müsste, dürften die besseren Argumente dafür sprechen, dass der Gesetzgeber - nach dem Wortlaut eindeutig - die Substituierung in § 14 abschließend geregelt hat. Der Grundsatz „nulla poena sine lege" würde dann eine Schließung jener Strafbarkeitslücke verbieten, die sich insbesondere bei § 14 Abs. 2 Nr. 2 zeigt: Wenn etwa im Fall des § 266 a einem Mitarbeiter ein klar umrissener, keinen weiteren Entscheidungsspielraum lassender Auftrag zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitgeberanteils erteilt worden ist, so ist nach herrschender Auffassung 174 mangels einer selbständigen Entscheidungsbefugnis mit einem gewissen Bewegungsspielraum in seinem Tätigkeitsbereich die Substituierungsvorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 2 nicht anwendbar. Irgendein tieferer Grund aus der Sicht des betroffenen Rechtsguts lässt sich dafür freilich nicht anführen. Es würde sich dann um eine echte Strafbarkeitslücke 175 handeln, die nur der Gesetzgeber schließen könnte.
3. Zwischenergebnis § 266 a ist nach der hier vertretenen Auffassung wegen des Mangels eines entsprechenden Begehungstatbestands ein nichtbegehungsentsprechendes GarantenUnterlassungsdelikt. Da die Herrschaftstheorie für die Beschränkung des Täterkreises in § 266 a überzeugendere Argumente als die Pflichttheorie bietet, ist § 266 a auch Garantensonderdelikt.
I I I . Das Unterlassen der Verlustanzeige und die Insolvenzverfahrensverschleppung gemäß § 84 GmbHG 7. Geschütztes Rechts gut und Tatbestandsstruktur a) Geschütztes Rechtsgut § 84 Abs. 1 GmbHG beinhaltet zwei unterschiedliche Straftatbestände, die teilweise identische, teilweise aber auch verschiedene Rechtsgüter schützen176. Nach dem Wortlaut des § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG sollen die Gesellschafter im Falle eines Verlustes in Höhe der Hälfte des Stammkapitals unterrichtet werden, um in die Lage versetzt zu werden, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere die Gesellschaft durch Zuführung neuen Kapitals zu sanieren 177. Deshalb sind 174 BT-Drs. V/2601, S. 15; OLG Düsseldorf VRS 1963, 135, 137; Lenckner/Perron in: Schönke/Schröder 16, § 14 Rdn. 35; Kindhäuser, LPK-StGB, § 14 Rdn. 37; Tröndle/Fischer 51, § 14 Rdn. 13; Lackner/Kühl 24, § 14 Rdn. 3. 175 Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, 1979, S. 150 ff. 176 Vgl. Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 6.
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die Gesellschafter vom Geschäftsführer über den eingetretenen Verlust zu informieren. § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG schützt daher die Informations- und Vermögensinteressen der Gesellschafter. Da ihre Interessen an der Erhaltung der GmbH mit dem rechtlichen Bestandsinteresse der GmbH identisch sind, wird auch die Gesellschaft selbst geschützt178. Fuhrmann 179 will durch § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG auch die sonst an der GmbH interessierten Dritten (Gesellschaftsgläubiger, Arbeitnehmer, sonstige Vertragspartner) geschützt sehen. Dies wird von der h.L. 1 8 0 mit Recht abgelehnt. Denn § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG ist grundsätzlich an § 49 Abs. 3 GmbHG angeknüpft 181, er erfordert im Verhältnis zu § 49 GmbHG lediglich eine Anzeige gegenüber den Gesellschaftern, nicht hingegen eine Einberufung der Gesellschafterversammlung, weil die erforderliche Unterrichtung der Gesellschafter je nach Lage des Einzelfalles auch in anderer Weise als durch Einberufung der Gesellschafterversammlung geschehen kann 182 . Durch die Verlustanzeige soll den Gesellschaftern lediglich die Möglichkeit eröffnet werden, im Interesse der Gesellschaft tätig zu werden 183 . Dass zivilrechtlich der gegen § 49 Abs. 3 GmbHG verstoßende Geschäftsführer nach § 43 Abs. 2 GmbHG nur der Gesellschaft auf Schadenersatz haftet, nicht dagegen den Gläubigern oder sonstigen Dritten ersatzpflichtig wird, korrespondiert mit der strafrechtlichen Einschränkung auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz 184 . Daher ist der Gläubigerschutz bei § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbH nicht bezweckt. § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG will die rechtzeitige Einleitung des Insolvenzverfahrens sicherstellen, von der jeder betroffen ist, der Ansprüche an die Gesellschaft stellen kann. Geschützt sind deshalb primär die Vermögensinteressen der Gläubi4 177 Vgl. Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schaal , GmbHG, § 84 Rdn. 1; Hachenburg/Kohlmann*, GmbHG, § 84 Rdn. 4; Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 11; Kaligin, NStZ 1981,90,91. 178 Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 11; Hachenburg /Kohlmann*, GmbHG, § 84 Rdn. 4; anschließend Michalski-Dannecker, GmbHG, § 84 Rdn. 7. 179 Rowedder/Fuhrmann 2, GmbHG, § 84 Rdn. 1; ders., in: Erbs/Kohlhaas, 83. Ergänzungslieferung, GmbHG, § 84 Anm. la; anders fetzt Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schaaf, GmbHG, § 84 Rdn. 1; Schaal, in: Erbs/Kohlhaas, 134. Ergänzungslieferung (Sept. 1999), GmbHG, § 84 Rdn. 1. 180 Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schaaf, GmbHG, § 84 Rdn. 1; Hachenburg/Kohlmann*, GmbHG, § 84 Rdn. 4; Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 12; Schulze-Osterloh, in: Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz17, § 84 Rdn. 10; Michalski-Dannecker, GmbHG, § 84 Rdn. 8.
181 Ausdrücklich im Regierungsentwurf zu § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG, vgl. BT-Drs. 8/1347, S. 20. 182 Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages, BT-Drs. 8/3908, S. 40, 78; Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 2. 183 Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 12; Michalski-Dannecker, GmbHG, § 84 Rdn. 8. 184 Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 12.
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ger der GmbH. Hierzu gehören auch die Arbeitnehmer der GmbH, soweit sie ebenfalls - etwa wegen ihrer Gehalts- und Lohnforderungen usw. - Gesellschaftsgläubiger sind 185 . Der Gläubigerschutz ist erforderlich, weil die GmbH aufgrund ihrer Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen typische Gefahren für die Gläubiger in sich birgt und das GmbHG diesen Gefahren durch spezielle gesetzliche Vorschriften, die eine sachgemäße insolvenzrechtliche Abwicklung in einem ordnungsgemäßen Verfahren garantieren, entgegengetreten w i l l 1 8 6 . Ein rechtzeitiger Insolvenzantrag führt erfahrungsgemäß zu einer besseren Erhaltung der Haftungsmasse und damit zu einer größeren Befriedigung aller Gläubiger 187 . Dabei ist der Schutz des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG nicht auf die gegenwärtigen Gläubiger beschränkt, die im Zeitpunkt der Unterlassung der Antragstellung Gesellschaftsgläubiger waren. Vielmehr werden auch die Vermögensinteressen derjenigen geschützt, die erst nach dem Zeitpunkt des erforderlichen Insolvenzantrages Gesellschaftsgläubiger werden. Denn die Verpflichtung der Geschäftsführer und Liquidatoren zur Antragstellung besteht auch nach Ablauf der Dreiwochenfrist solange weiter, wie die Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet ist 1 8 8 . Der Insolvenzantrag soll nicht zwingend zur Zerschlagung der Gesellschaft führen, sondern möglicherweise auch zu einer Sanierung der Gesellschaft. Daher wird von § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG sekundär auch die Gesellschaft mitgeschützt189. Da die GmbH um der Zwecke der Gesellschafter willen besteht, werden letztlich auch die Gesellschafter mitgeschützt190.
b) Tatbestandsstruktur aa) §§84 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GmbHG als abstrakte Gefährdungsdelikte und ihr Verhältnis zu anderen Straftaten: Die Nichtanzeige des Kapitalverlustes bzw. die NichtStellung des Insolvenzantrages gefährdet zwar die Interessen der Gesellschafter bzw. der Gläubiger der GmbH, deren Strafbarkeit hängt aber nicht von iss Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 9; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schaaf, GmbHG, § 84 Rdn. 1; Hachenburg/Kohlmann*, GmbHG, § 84 Rdn. 33; Michalski-Dannecker, GmbHG, § 84 Rdn. 9. 186 Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 9; Michalski-Dannecker, GmbHG, § 84 Rdn. 9. 187 Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 7; ders., L K 1 1 , vor § 283 Rdn. 7. 188 BGHZ 29, 100, 104; Hachenburg/Kohlmann 9, GmbHG, § 84 Rdn. 34; Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 9. 189 Näher dazu L K 1 1 -Tiedemann, Vor § 283 Rdn. 48; vgl. auch Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 8; Michalski-Dannecker, GmbHG, § 84 Rdn. 10; übereinstimmend, aber ohne Begründung: Hachenburg/Kohlmann*, GmbHG, § 84 Rdn. 33; Rowedder/SchmidtLeithoff/Schaal 4, GmbHG, § 84 Rdn. 2; a.A. Schulze-Osterloh in: Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz17, § 84 Rdn. 19. 190 Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 8; daran anschließend Michalski-Dannecker, GmbHG, § 84 Rdn. 10; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schaaf, GmbHG, § 84 Rdn. 2.
D. Deliktsstruktur einzelner Garanten-Unterlassungsdelikte
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dem Eintritt eines bestimmten Gefährdungserfolges oder eines Schadens ab. Die Verhütung konkreter Gefahren und Verletzungen ist also nur gesetzgeberisches Motiv, ohne dass deren Vorliegen Tatbestandsvoraussetzung wäre 191 . Es handelt sich daher bei den Tathandlungen des § 84 Abs. 1 GmbHG um abstrakte Gefährdungsdelikte im Vorfeld zur Bekämpfung von Vermögensschädigungen der Gesellschaftsgläubiger sowie auch der Gesellschafter 192. § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG ist eine untreueähnliche Vorschrift. Bei genauem Hinsehen sind das Gesellschaftsvermögen und sämtliche Interessen der Gesellschaft dem Geschäftsführer anvertraut. Aus dem Vertrauensakt besitzt der Geschäftsführer die Kontrolle über einen gesellschaftlichen Bereich und verfügt über eine Obhutsstellung und Näheposition zum Gesellschaftsvermögen. Daher ist er verpflichtet, das Gesellschaftsvermögen und die Gesellschaftsinteressen zu betreuen. Obwohl dem Geschäftsführer nicht gegenüber den Gesellschaftern, sondern gegenüber der Gesellschaft organschaftliche Pflichten zur ordnungsgemäßen Unternehmensleitung obliegen 193 , hat der Geschäftsführer den Gesellschaftern, den Verlust anzugeben, weil deren Interessen betroffen sind. Gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft ist der Geschäftsführer selbst. Eine Aufforderung, sich selbst eine Mitteilung zu machen, wäre absurd. § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG unterscheidet sich von der Untreue als Erfolgsdelikt also nur durch die Vörverlagerung des Rechtsgüterschutzes in den Gefährdungsbereich und führt damit zu einer Ausweitung des Strafbarkeitsbereiches. Der Strafrechtsschutz ist hier wegen der Vermögenszerstörung „von innen heraus" wie bei § 266 1 9 4 notwendig. § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG hat einen niedrigeren Strafrahmen (bis zu drei Jahren) als § 266 (bis zu fünf Jahren) vorsieht und fordert einen bilanziellen Verlustausweis als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal 195, der die beachtliche Strafhöhe für das Unrecht des (vor allem fahrlässigen) Unterlassens der Verlustanzeige hinreichend rechtfertigt. Dadurch werden die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Verhältnismäßigkeits- und Tatbestandsbestimmtheitsgebot überwunden. Die Insolvenzverfahrensverschleppung gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG gehört zu den Insolvenzstraftaten 196. Im Vergleich mit den anderen, ebenso als abstrakte 191 Roxin, AT/1 3 , 11/127. 192 BGHSt 14, 280, 281; 28, 371, 380; Canaris, JZ 1993, 649, 651; Hachenburg/Kohlmann*, GmbHG, § 84 Rdn. 7, 35; Müller-Gugenberger/Bieneck, WiStR 3 , § 84 Rdn. 3; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schaaf, GmbHG, § 84 Rdn. 7. 193 Vgl. nur Scholz/Uwe H SchneiderGmbHG, 194 Vgl. nur LKu-Schünemann, § 266 Rdn. 1.
§ 43 Rdn. 1, 211.
195 Diese Problematik kann nicht näher erörtert werden. Die hier vertretene Ansicht ist die Mindermeinung von Tiedemann, GmbHR 1985, 281, 282; ders., in: GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 3; daran anschließend Meyer-Landrut/Miller/Niehus, GmbHG, § 84 Rdn. 6; a.A. die h.M.: BGHSt 33, 21, 24 f.; Hachenburg/Kohlmann*, GmbHG, § 84 Rdn. 19; Rowedder/ Schmidt-Leithoff/Schaaf, GmbHG, § 84 Rdn. 15; Erbs/Kohlhaas/Schaal, GmbHG, § 84 Rdn. 7; Richter, GmbHR 1984, 113, 121; Pfeiffer, FS-Rowedder, 1994, S. 347, 353.
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Gefährdungsdelikte bezeichneten Insolvenzdelikten gemäß §§ 283 bis 283c (abgesehen von § 283 Abs. 2) wird der Zeitpunkt der Strafbarkeit in § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG noch weiter vorverlagert, und es wird damit eine Ausweitung des Strafbarkeitsbereiches bewirken 197 . Die besondere Bedeutung dieser Vorschrift liegt jedoch in ihrem Charakter als relativ leicht nachweisbares Formaldelikt und damit als Auffangtatbestand für schwerer beweisbare Konkursstraftaten 198. Im Gegensatz zu § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG ist § 84 Abs. 1 Nr. 2 keine untreueähnliche Vorschrift. Während sich das Verhalten des Geschäftsführers bei der Untreue gegen die GmbH richtet, für deren Vermögen der Täter zu sorgen hat, verletzt die Nichtstellung des Insolvenzantrages des Geschäftsführers die Gläubigerinteressen an der Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Gesellschaft. Beide Verhaltensweisen schließen sich jedoch nicht wechselseitig aus, da ein und dasselbe Handeln zugleich den Vermögensinteressen der Gläubiger und der GmbH zuwiderlaufen kann - und im Regelfall auch zuwiderläuft 199 . bb) Nichtbegehungsentsprechende Garanten-Unterlassunsdelikte: Sowohl nach dem positivrechtlichen als auch nach dem formell-normentheoretischen Abgrenzungskriterium 200 besteht Einigkeit, dass §§84 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GmbHG echte Unterlassungsdelikte 201 sind. Zur allgemeinen Kennzeichnung der Deliktsnatur von § 84 GmbHG gehört die Feststellung, dass sowohl die Tat nach Nr. 1 als auch diejenige nach Nr. 2 ein echte Sonderdelikte sind 202 . Da es keinen entsprechenden Begehungstatbestand gibt, auf den sich das Unterlassen erstrecken kann, erweist sich § 84 Abs. 1 GmbHG nach der hier vertretenen Auffassung damit strukturell als ein nichtbegehungsentsprechendes Unterlassungsdelikt, und zwar in Form eines Garantenunterlassungsdelikts; die Begründung für diese Einordnung wird im folgenden zweiten Abschnitt entwickelt.
196 Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 283 Rdn. 1. 197 Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 5b; Müller-Gugenberger/Bieneck, WiStR 3 , § 75 Rdn. 64. 198 Müller-Gugenberger/Bieneck, WiStR 3 , § 84 Rdn. 3; Tiedemann, GmbH-Strafrecht 3, Vor §§ 82 ff. Rdn. 9. 199 Vgl. Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 283 Rdn. 8. 200 Siehe oben B II. 201 BGHSt 14, 280, 281; 28, 371, 380; Hachenburg/Kohlmann*, GmbHG, § 84 Rdn. 6, 4 35; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schaal , GmbHG, § 84 Rdn. 3; Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 13; Müller-Gugenberger/Bieneck, WiStR 3 , § 84 Rdn. 4; Pfeiffer, FS5 Rowedder, 1994, S. 349 f.; Jescheck/Weigend, AT , § 58 III 4, S. 607. 202 Müller-Gugenberger/Bieneck, WiStR 3 , § 84 Rdn. 5; Schulze-Osterloh in: Baumbach/ Hueck, GmbH-Gesetz1 , § 84 Rdn. 3; Hachenburg/Kohlmann*, GmbHG, § 84 Rdn. 9, 35; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schaaf, GmbHG, § 84 Rdn. 8; Schaal, in: Erbs/Kohlhaas, GmbHG, § 84 Rdn. 4.
D. Deliktsstruktur einzelner Garanten-Unterlassungsdelikte
2. Der Taterkreis
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und die Erklärung für dessen Beschränkung a) Der Täterkreis
§ 84 GmbHG beschränkt den Kreis tauglicher Täter ausdrücklich auf Geschäftsführer (Nr. 1 und Nr. 2) sowie Liquidatoren. Zu den Geschäftsführern gehören auch deren Stellvertreter (§ 44 GmbHG), wenn sie im fraglichen Zeitraum tatsächlich vertretungsweise tätig geworden sind 203 , sowie nach der ständigen Rechtsprechung und der h.L. 2 0 4 die faktischen Geschäftsführer, die nicht rechtswirksam zu diesen Ämtern bestellt wurden, aber tatsächlich die mit diesem Amt verbundenen Aufgaben wahrnehmen. b) Erklärung der Tätereigenschaft durch die Pflichttheorie aa) Man kann versuchen, aus der Pflichttheorie 205 die Beschränkung des Täterkreises des § 84 GmbHG dadurch zu erklären, dass der Geschäftsführer eine aus seiner Stellung erwachsende gesellschaftsrechtliche bzw. die insolvenzrechtliche Pflicht, den Gesellschaftern einen Verlust in Höhe der Hälfte des Stammkapitals anzuzeigen oder bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen, verletzt. bb) Aber ähnlich wie im Fall des § 266 a ist Roxins Pflichttheorie auch bei § 84 GmbHG nicht in der Lage, die Beschränkung des Täterkreises überzeugend zu begründen. Dies kann auch hier mit der Lösung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit eines faktischen Geschäftsführers oder eines Scheingeschäftsführers begründet werden. (1) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines faktischen Geschäftsführers: faktische Geschäftsführer, bei dem die Akzessorietät des Strafrechts fehl am Platz ist und die Pflichttheorie den Boden unter den Füßen verliert 206 , kann ebenfalls 203 BGHSt 6, 314, 315 f. 204 BGHSt 3, 32, 33, 37; 6, 315 f. = GmbHR 1955, 43 m. Anm. Vogel, NJW 1954, 18; BGHSt 21, 101; BGH GA 1971, 36; BGHSt 31, 118 f.; BGH M D R / H 1980, 453; BGH wistra 1984, 178 = StV 1984, 461 m. Anm. Otto; BGH NJW 1984, 2958; OLG Düsseldorf NJW 1988, 3166 = wistra 1989, 152 = DB 1988, 224; BGH wistra 2000, 307, 308 = BGHSt 46, 62, 64 (ein konstruktiver Überblick über Rechtsprechung findet sich bei Löffeler, wistra 1989, 121, 123 f. und Kohlmann, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des GmbHGeschäftsführers, 1990, S. 7 ff.); zust. Rowedder/Fuhrmann, § 82 Rdn. 5; LK l 0 -Roxin, § 14 Rdn. 43; LKu-Schünemann, § 14 Rdn. 69; ders., Unternehmenskriminalität, S. 129 f.; LK n -Gribbohm, § 266 a Rdn. 15; KK*-OWiG/ Cramer, § 9 Rdn. 55; C. Schäfer, GmbHR 1993, 722 f.; Bruns, JR 1984, 133 ff.; Gübel, Die Auswirkungen der faktischen Betrachtungsweise auf die strafrechtliche Haftung faktischer GmbH-Geschäftsführer, 1994, S. 170; Müller-Gugenberger/Schmidt, WiStR 3 , § 30 Rdn. 10 ff. 18. 205 Im Gegensatz zu § 266 a wird § 84 GmbHG bisher noch nicht von den Autoren, die § 84 GmbHG kommentieren, als Pflichtdelikt bezeichnet. 206 Vgl. Gübel, Die Auswirkungen der faktischen Betrachtungsweise auf die strafrechtliche Haftung faktischer GmbH-Geschäftsführer, 1994, S. 83.
Der
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tauglicher Täter des § 84 GmbHG sein. Dieser durch eine faktische Betrachtungsweise 207 geprägte Begriff des faktischen Geschäftsführers beruht auf einer langjährigen gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung 208 zum Gesellschaftsrecht. Der BGH will denjenigen nicht straflos lassen, der „unter Missbrauch wirtschaftlicher Macht und rechtlicher Gestaltungsmöglichkeit Strohmänner als Vorstandsmitglieder vorschiebt (und) als eigentlicher Leiter der Gesellschaft die Gesetzesverletzungen herbeigeführt hat" 2 0 9 und hält nicht nur den formell zum Geschäftsführer Berufenen, sondern auch denjenigen, der die Geschäftsführung mit Einverständnis der Gesellschafter ohne förmliche Bestellung faktisch übernommen und ausgeübt hat, für einen Geschäftsführer 210. Das Argument von Karsten Schmidt 211: „Das materiell Unerlaubte besteht bei der Insolvenzverschleppung nicht darin, dass der (faktische) Geschäftsführer die Antragstellung unterlässt, sondern in dem unerlaubten Betrieb des insolventen Unternehmens, und zu diesem ist fähig, wer das Unternehmen führt. Wer nach außen und innen Kompetenzen wie ein Geschäftsführer wahrnimmt, trägt auch dessen Verkehrspflicht gegenüber dem Rechtsverkehr", ergänzt die Argumentation der Rechtsprechung. Die Gegenansicht212 lehnt diesen von der Rechtsprechung entwickelten Begriff ab und will ihn nur für die Fälle anerkennen, in denen der Täter wegen eines Feh207 Dazu eingehend etwa Bruns, JR 1984, 133 ff.; L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 23 ff., 70 ff. 208 Vgl. Fn. 204; diese Rechtsprechung findet auch zahlreiche Zustimmung im Schrifttum: Fuhrmann, FS-Tröndle, 1989, S. 139 ff.; Bruns, JR 1984, 133; ders., GA 1986, 1, 12; H. Schäfer, wistra 1990, 81 ff.; C. Schäfer, GmbHR 1993, 717, 723; Gübel, Die Auswirkungen der faktischen Betrachtungsweise auf die strafrechtliche Haftung faktischer GmbHGeschäftsführer, 1994, S. 79 ff., 179; Meyer-Landrut/Miller/Niehus, GmbHG, § 82 Rdn. 3; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schaaf, GmbHG, § 84 Rdn. 11; Schaal, in: Erbs/Kohlhaas, GmbHG, § 82 Rdn. 7; § 84 Rdn. 5; Fuhrmann in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Krooff, AktG, § 399 Rdn. 10; L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 23, 72; Scholz/Karsten Schmidt, GmbHGesetz, § 64 Rdn. 7. 209 BGHSt 21,101,105. 210 BGHSt 3, 32, 37; 21, 101, 103; 31, 118, 122; 46, 62, 64; BGH wistra 1990, 60, 61; NStZ 2000, 34, 35; 211 Scholz/Karsten Schmidt 9, GmbH-Gesetz, § 64 Rdn. 7; obwohl er in einem früheren Aufsatz (in: FS-Rebmann, 1989, S. 419,425) m.E. unzutreffend meint, dass das bloße Einverständnis der Gesellschafter zivilrechtlich kein Organbestellungsakt sei, so dass der BGH in Wahrheit durch falsche Anwendung des Zivilrechts die Strafbarkeit im Verhältnis zur RGRechtsprechung ausdehne, ändert nicht daran, dass er die Rechtsprechung und die h.L. im Ergebnis zustimmt. 212 Langjährig umfassende, tiefgründige und unermüdliche Kritik bei Tiedemann, NJW 1977, 779; NJW 1979, 1849, 1850 f.; ders. in: L K 1 1 , vor § 283 Rdn. 68 ff.; ders., GmbHStrafrecht 4, § 84 Rdn. 27 ff. Vgl. ferner Lenckner/Perron in: Schänke /Schröder 16, § 14 Rdn. 42/43; NK-Marxen, § 14 Rdn. 43 f.; Hachenburg/Kohlmann*, GmbHG, § 84 Rdn. 18 f.; Cadus, Die faktische Betrachtungsweise, 1984, S. 146 f. und passim; Otto, Bankentätigkeit und Strafrecht, 1983, S. 22 ff.; ders., StV 1984, 462 f.; Hoyer, NStZ 1988, 369; Kratzsch, ZGR 1985, 506, 512; Achenbach, NStZ 1989, 497, 498; Hildesheim, wistra 1993, 166 ff.; Kaligin, BB 1983, 790; Montag, Die Anwendung der Strafvorschriften des GmbH-Rechts auf
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lers beim Bestellungsakt rechtlich keine Organstellung gewonnen hat. Ein formeller Bestellungsakt ist in den Augen der Kritiker stets erforderlich, auch wenn dieser fehlerhaft oder steckengeblieben ist 2 1 3 . Die Argumente der Gegenansicht können folgendermaßen zusammengefasst werden: Erstens sei die „faktische Betrachtungsweise" nur ergänzend, nicht aber in dem Sinne verdrängend anzuwenden, dass ein gesellschafts- und zivilrechtlich wirksam zum Geschäftsführer Bestellter strafrechtlich als Normadressat des § 84 GmbHG ausscheide. Stattdessen gehe es nur darum, ob und wieweit neben dem bestellten Strohmann-Geschäftsführer auch der „wahre" Geschäftsführer strafrechtlicher Täter des § 84 GmbHG sei 2 1 4 . Zweitens sei die faktische Betrachtungsweise verfassungsrechtlich zweifach bedenklich: Einerseits verstoße die faktische Betrachtungsweise gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, weil sie zu konturenlos sei 2 1 5 , so dass etwa ein Mehrheitsgesellschafter, der Nichtgeschäftsführer sei, tatsächlich aber einen maßgebenden Einfluss ausübe, nach Ansicht der gesellschaftsrechtlichen Literatur 216 in den Normadressatenkreis des § 64 einzubeziehen sei. Dieser Ausweiterung sei unter strafrechtlichem Blickwinkel (§ 84 GmbHG) mit Nachdruck zu widersprechen 217. Die faktische Betrachtungsweise laufe andererseits der Sache nach nicht selten auf eine - durch Artikel 103 Abs. 2 GG untersagte - analoge RechtsanWendung zuungunsten des Täters hinaus, weil nur dort, wo es um rechtlich (zivilrechtlich) nicht vorgeprägte Begriffe geht, Raum für eine faktische Auslegung sei. Damit sei die faktische Betrachtungsweise keine durchgehende Interpretationsmethode des Strafrechts 218 . Alle Argumente der Gegenansicht sind m.E. nicht überzeugend. Denn erstens geht es bei der faktischen Betrachtungsweise nicht um die absolute Verdrängung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des zivilrechtlich wirksam bestellten Geschäftsführers, sondern um die Rechtfertigung für den Strafgrund des Normadressaten des § 84 GmbHG. Das heißt, ein zivilrechtlich wirksam zum Geschäftsführer Bestellter kann als Normadressat des § 84 GmbHG qualifiziert werden, wenn er faktische Geschäftsführer, 1994, S. 65; Schuppen, DB 1994, 197, 203; Ursula Stein, Das faktische Organ, 1984, S. 70, 130 ff.; dies., ZHR 1984, 202, 222; Joerden, wistra 1990, 1, 4; Ransiek, ZGR 1992, 203, 209; Hildesheim, wistra 1993,166 ff. 213 Diese Auffassung findet sich zuerst bei Ursula Stein (Das faktische Organ, 1984, S. 194 ff.; dies., ZHR 148 [1984], 223) und ist neuerdings einflussreich geworden. Dazu vgl. Marxen, JZ 1988, 286; Hoyer, NStZ 1988, 369; SK5-Samson, § 14 Rdn. 7b; Lenckner/Heine in: Schönke/Schröder* 6, § 13 Rdn. 42/43; Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 33. 214 Vgl. nur Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 30; Otto, StV 1984,463. 21
5 Dieser Vorwurf findet sich zuerst bei Kaligin, BB 1983, 790. Vgl. auch Kratzsch, ZGR 1985, 512; Hachenburg/Kohlmann*, GmbHG, § 84 Rdn. 19; Ursula Stein, Das faktische Organ, 1984, S. 133. 216 Lutter/Hommelhojf 5, GmbHG, § 64 Rdn. 49; Roth, ZGR 1989, 427 f.; a.A. SchulzeOsterloh in: Baumbach/Hueck 11, GmbH-Gesetz, § 64 Rdn. 40; Hachenburg/ Ulmer*, GmbHG, § 64 Rdn. 13; Scholz/Karsten Schmidt 9, GmbH-Gesetz, § 64 Rdn. 9. 217 Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 31. 218 Vgl. nur Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 32; Otto, StV 1984,462 f.
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auch nach der faktischen Betrachtungsweise als Geschäftsführer gelten kann. Anderenfalls wird er als Normadressat ausgeschieden. Daher ist eine strafrechtliche Verantwortung sowohl des zivilrechtlich wirksam zum Geschäftsführer Bestellten wie auch des faktischen Geschäftsführers möglich. Die Ausscheidung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für einen nur „formell zivilrechtlich wirksam zum Geschäftsführer Bestellten" stellt nur ein konkretisiertes Ergebnis des Schuldprinzips dar, das durch die Anwendung der faktischen Betrachtungsweise sichergestellt wird. Die Prämisse, dass ein zivilrechtlich wirksam zum Geschäftsführer Bestellter unabhängig davon, ob er die Geschäftsführung faktisch ausübt oder nicht, jedenfalls als Täter gemäß § 84 GmbHG bestraft wird, wenn die anderen Voraussetzungen erfüllt sind, verstößt m.E. gegen das Schuldprinzip. Auch ob der StrohmannGeschäftsführer dem § 84 GmbHG unterliegt, ist daher fraglich. Diese Problematik ist sogleich weiterhin unter (2) eingehend zu besprechen. Zweitens : Wenn man wie Schünemann 219 die Garantentheorie, nach der es bei der strafrechtlichen Vertreterhaftung um nichts anderes als um die Übertragung und Übernahme einer Obhuts- oder Aufsichtsposition geht, als Basis der faktischen Geschäftsführung versteht, können die Bedenken gegen das Bestimmtheitsgebot beseitigt werden, weil ein Mehrheitsgesellschafter, der nur einen maßgebenden Einfluss auf die Entscheidungen des Geschäftsführers und keine Obhuts- oder Aufsichtsposition gegenüber der Gesellschaft ausübt, nach der Garantentheorie als Normadressat des § 84 GmbHG ausscheidet. Auch wenn man einen solchen Mehrheitsgesellschafter als faktischen Geschäftsführer ansieht und ihn in den Normadressatenkreis des § 64 einbezieht, haftet er nur zivilrechtlich der Gesellschaft auf Schadenersatz gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG, hat aber keine strafrechtliche Verantwortlichkeit gemäß § 84 GmbHG. Und im Hinblick darauf, dass die Rechtsprechung eine überragende Stellung 220 des faktischen Geschäftsführers neben einem eingetragenen und etwa ebenfalls tätigen Geschäftsführer verlangt, wird den Bedenken gegen den Bestimmtheitsgrundsatz der Boden noch weiter entzogen221. Drittens: Wie oben unter D I I 2 c zu § 266 a bereits festgestellt wurde, müssen § 14 Abs. 1 und Abs. 3 zusammen gelesen werden, dann kann das Missverständnis einer eigentlich zivilrechtsakzessorischen strafrechtlichen Organ- und Substitutenhaftung von vornherein gar nicht aufkommen 222 . Der Ausdruck in § 14 Abs. 3 ist nach Schüne219 Vgl. L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 17, 68; ders., FS-50 Jahre BGH, Bd. IV, 2000, S. 644 f. 220 BGHSt 3, 32, 37; 21, 101, 103; 31, 118, 122; BGH NStZ 1998, 568; zust. Achenbach, NStZ 1998, 560; demgegenüber verlangt BGH wistra 1984, 178 = StV 1984, 461 mit kritischer Anm. von Otto nur ein „Übergewicht" (an Otto anschließend: Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 33 Fn. 86 m. w. N.). Aber die Unterschiede zwischen einen Übergewicht und einer überragenden Stellung sind nach Schünemanns Meinung (Schünemann, FS-50 Jahre BGH, Bd. IV, 2000, S. 646) schon sprachlich kaum greifbar, so dass gute Gründe dafür sprechen, sich für alle Fälle auf die gemeinsame Formel der „überragenden Stellung" zu einigen. Dem wird auch hier gefolgt. 221 Vgl. LKn-Schünemann, § 14 Rdn. 70; ders., FS-50 Jahre BGH, Bd. IV, 2000, S. 646. 222 Vgl. LKn-Schünemann, § 14 Rdn. 68; ders., FS-50 Jahre BGH, Bd. IV, 2000, S. 644.
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manns überzeugender Erklärung als Redaktionsversehen des Gesetzgebers zu erklären und nicht etwa zur Wortlautgrenze aufzubauschen 223. Der Begriff des faktischen Geschäftsführers unterfällt deshalb noch dem natürlichen Wortsinn des Geschäftsführers bei § 84 GmbHG 224 . Insbesondere nach der im heutigen Zivilrecht h.M. 2 2 5 ist der faktische Geschäftsführer Normadressat der Antragspflicht gemäß § 64 Abs. 1 GmbHG, so dass es keinerlei Grund gibt, wie Schünemann 226 mit Recht hervorhebt, diesbezüglich ausgerechnet im Strafrecht von einem formellen Begriffsverständnis auszugehen und eine von Tiedemann 221 konstatierte Normspaltung zwischen § 64 und § 84 GmbHG zu konstruieren. Allerdings betont Schünemann22*, dass das in § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG vorausgesetzte pflichtwidrige Unterlassen nur dann in Betracht komme, wenn der faktische Geschäftsführer nach der internen Geschäftsverteilung auch die Insolvenzantragstellung zumindest mit übernommen habe, was nur im Falle seiner überragenden Stellung gegenüber dem wirksam zum Geschäftsführer Bestellten angenommen werden könne. Deshalb schließt Schünemann 229 sich bei § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG im Ergebnis Tiedemann^ Meinung 230 an, dass der faktische Geschäftsführer nur verantwortlich sei, wenn nicht erwartet werden könne, dass „die Organpflichten durch einen eingetragenen Geschäftsführer wahrgenommen und erfüllt werden". (2) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Strohmann-Geschäftsführers: Nach der im Gesellschaftsrecht herrschenden Ansicht 231 unterliegt der StrohmannGeschäftsführer auch der strafrechtlichen Haftung gemäß § 84 GmbHG. Die Hauptargumente dieser Ansicht, die vor allem von Siegmann und Vogel 232 vorgelegt werden und auf Tiedemanns Einwand 233 gegen die faktische Betrachtungsweise zurückzuführen sind, können folgendermaßen zusammengefasst wer223 Vgl. L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 69. 224 im Ergebnis ebenso Schaal in: Erbs/Kohlhaas, GmbHG, § 82 Rdn. 7; LK U-Schüne4 mann, § 14 Rdn. 68; Rowedder/Schmidt-Leithojf/Schaal , GmbHG, § 84 Rdn. 10; Fuhrmann, FS-Tröndle, 1989, S. 139,150 f. 225 Vgl. BGHZ 65, 15; 95, 330; 104, 44; Scholz/Karsten Schmidt 9, GmbH-Gesetz, § 64 Rdn. 7 m. w. N. 226 L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 72. 227 Dazu näher Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 30 und a. a. O. Fn. 89 m. w. N. 228 L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 72. 229 Schünemann, a. a. O. 230 Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 34. 231 Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 30; Otto, StV 1984, 463; Siegmann/Vogel, ZIP 1994, 1821, 1823 (zu § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG); Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz17, § 84 Rdn. 13, 26; Michalski-Dannecker, GmbHG, § 84 Rdn. 10 (zu § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG); Müller-Gugenberger/W. Schmidt, WiStR 3 , § 29 Rdn. 4; a.A. Rowedder/SchmidtLeithojf/Schaal 4, GmbHG, § 84 Rdn. 11; Schaal in: Erbs/Kohlhaas, GmbHG, § 84 Rdn. 5. 232 Siegmann/Vogel, ZIP 1994, 1821, 1822. 233 Tiedemann, in: Handwörterbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts (HWiStR), Stand: Mai 1990, Stichwort: „Auslegung", S. 2; ders., GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 30.
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den: aa) Die faktische Betrachtungsweise sei kein durchgängiges Auslegungsprinzip des Strafrechts. Im Hinblick auf grundlegende Bedenken, die mit den Schlagworten der Einheit der Rechtsordnung und der grundsätzlich akzessorischen (oder sekundären) Natur des Strafrechts bezeichnet würden, sei der faktischen Betrachtungsweise zu widersprechen. Im Bereich der Sonderpflichtdelikte erschiene deren teleologische Reduktion aus strafrechtlicher Sicht schwerlich mit dem Gesetz vereinbar. bb) Grenzen der strafrechtlichen Haftung des Strohmann-Geschäftsführers könnten sich nur aus allgemeinen Grundsätzen, insbesondere aus der (faktischen oder rechtlichen) Unmöglichkeit oder der weitend ermittelten Unzumutbarkeit pflichtgemäßen Verhaltens, ergeben 234. Diese Grenzen seien aber in der Praxis ohne Bedeutung. Der Strohmann-Geschäftsführer habe nicht nur rechtlich die vollen Befugnisse eines Geschäftsführers, die gemäß § 134 BGB zivilrechtlich unwirksamen und strafrechtlich unbeachtlichen Weisungen des wahren Geschäftsführers abzulehnen, sondern sei auch faktisch in der Lage, gegen Missstände einzugreifen, indem er das Geschäftsführersamt niederlege mit der Folge, dass es an einem notwendigen Handlungsorgan der GmbH (bis zur Bestellung eines Notgeschäftsführers) fehle und weiterem Schaden vorgebeugt werden könne 235 . Doch diese Argumente verdienen keinen Beifall, und die Ansicht der h.M. sollte abgelehnt werden 236 . Die faktische Betrachtungsweise ist zwar kein durchgängiges Auslegungsprinzip des Strafrechts, weil sie bei denjenigen Straftatbeständen beachtlichen Einwänden begegnet, deren Unrecht ein rechtsgeschäftliches Handeln (oder dessen Unterlassen) voraussetzt, wie beim Missbrauchstatbestand des § 266 2 3 7 und der Verletzung gesellschaftsrechtlicher Antrags- und Mitteilungspflichten nach § 82 Abs. 1 Nr. 1, 2, 5 GmbHG 238 . Es ist aber als methodologisches Prinzip anzusehen, das in durchaus kasuistischer, bei den Sonderdelikten jedoch besonders häufig zu beobachtender Weise die Tatbestandsauslegung nicht an die zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche Rechtslage, sondern an die tatsächlichen Gegebenheiten knüpft 239 . Die Bedenken, dass die faktische Betrachtungsweise inhaltslos sei wie ein „Zylinder ohne Kaninchen", wird durch die Anknüpfung an Schünemanns Ansatz der „Herrschaft über den Grund des Erfolges als allgemeine normative Struktur der Täterschaft" überwunden 240. Im Übrigen ist der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung umstritten. Dieser Aspekt bedürfte einer eigenen Abhandlung und kann hier nur kurz zusammenge234
Vogel, Norm und Pflicht bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1993, S. 182 ff. 35 Siegmann/Vogel, ZIP 1994, 1821, 1822. 2 36 Im Ergebnis so: OLG Hamm StV 2002, 204 = NStZ-RR 2001, 173, 174; LK l 0 -Roxin, § 14 Rdn. 44; LK U-Schünemann, § 14 Rdn. 71; Göhler, OWiG 12 , § 9 Rdn. 47; KK^OWiG/ Cramer, § 9 Rdn. 55. 2 37 L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 17. 2
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38 Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 82 Rdn. 42; L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 71. 9 L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 28. 24 0 L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 29; dersGA 1986, 328, 336. 23
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fasst werden. Das genannte Prinzip meint heutzutage häufig das Bemühen, trotz ausufernder Gesetzgebung begriffliche und systematische Unterschiede sowie Wertungsunterschiede zwischen verschiedenen Rechtsgebieten zu vermeiden 241 . Im Strafrecht wird dieses Prinzip hauptsächlich im Gebiet der Rechtswidrigkeit durchgeführt 242, weil die Rechtsordnung nur einen einheitlichen Begriff der Rechtswidrigkeit kennt. Demgemäss müssen auch die Rechtfertigungsgründe aus der Gesamtheit der Rechtsordnung hergeleitet werden 243 . Roxin meint mit Recht 244 , „dass die viel berufene Einheit der Rechtsordnung keinen axiomatischen Charakter hat und dass ein strafrechtlicher Unrechtsausschluss für andere Rechtsgebiete nicht verbindlich sein muss. Z. B. bei Eingriffen in das Vermögen Minderjähriger bleibt die mutmaßliche Einwilligung trotz der Zivilrechtswidrigkeit ein strafrechtlicher Rechtsfertigungsgrund." Aber abgesehen davon ist der Charakter des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung eine negative Regelung zur Ausschließung der Strafbarkeit. Denn was die Primärordnung erlaubt, kann der Strafgesetzgeber nicht pönalisieren 245. Bei der Meinung, dass die zivilrechtliche Ansicht, nach der der Strohmann-Geschäftsführer mit allen Rechten und Pflichten wirksam bestellt ist, für die strafrechtliche Täterstellung präjudiziell ist, geht es dagegen um eine zweifelhafte positive Regelung zur Einschließung der Strafbarkeit. Ein solches Verständnis vom Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung steht auf schwachen Füßen. Denn in einem dem Primat des Rechtsgüterschutzes verhafteten Strafrecht kommt es nicht auf die Statusinhaberschaft, sondern auf die Funktionsträgerschaft an. Damit werden auch die Strafwürdigkeits- und Strafbedürftigkeitsbedingungen durch die Übernahme der Funktion erfüllt, so dass der den Statusbegriff verwendende Straftatbestand das am Rechtsgüterschutz ausgerichtete materielle Unrecht verkürzt 246 . Aufgrund der verschiedenen Zurechnungsprinzipien und Aufgabenbestimmungen des Strafrechts und des Zivilrechts würde eine Ableitung strafrechtlicher Pflichten aus dem Zivilrecht den Unterschied beider Rechtsgebiete verwischen. Hier muss eben gefragt werden, ob der zivilrechtlich mit allen Rechten und Pflichten verbindlich ausgestaltete Strohmann nur aufgrund seiner Statusinhaberschaft strafbar ist? Die Einheit der Rechtsordnung ist m.E. dafür kein überzeugendes Argument und sie dient auch nicht dazu, 241 Vg. Creifelds, Rechtswörterbuch, 17. Aufl. 2002, unter Stichwort: „Einheit der Rechtsordnung", S. 380. 242 Wie der Kapiteltitel von Günthers Habilitationsschrift: „Zur Lehre vom einheitlichen Begriff der Rechtswidrigkeit" zeigt, in: Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 9 ff.; exemplarisch Schänke/ Schröder/Lenckner 16, Vorbem. §§ 32 Rdn. 27; Jescheck/Weigend, A T , §§ 31 III, 32 I I lc; Jakobs, AT 2 , 11/4 ff. 243 Vgl. nur Jescheck/Weigend, AT 5 , § 31 III 1, S. 327. 244 Roxin, Die notstandsähnliche Lage - ein Strafunrechtsausschließungsgrund?, FS-Oehler, 1985, S. 181, 195. 245 Frisch, Verwaltungsakzessorietät und Tatbestandsverständnis im Umweltstrafrecht, 1993, S. 8. 246 Vgl. LKn-Schünemann, § 14 Rdn. 12.
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die Unterschiede zu überbrücken. Sie sind vielmehr widerspruchsfrei, mithin in einer dem jeweiligen Rechtsgebieten entsprechenden und angemessenen Weise zu lösen 247 . Darüber hinaus trifft das Argument der akzessorischen (oder sekundären) Natur des Strafrechts auch nicht zu, da die Abhängigkeit des Strafrechts von anderen Rechtsgebieten und deren Begriffsbildung nicht als apodiktische Regel gelten kann, sondern es vielmehr jeweils auf die Umstände ankommt 248 . In der Tat stellt es hier gerade eine Durchbrechung der Abhängigkeit des Strafrechts dar. Die Ausdehnung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit auf den Strohmann-Geschäftsführer verstößt gegen das Subsidiaritätsprinzip des Strafrechts, wonach das Strafrecht die ultima ratio des Staates zum Schutze von Rechtsgütern ist, da es hier an der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit fehlt. Durch die auf dem Gedanken der Übernahme der Funktion basierende faktische Betrachtungsweise wird der Strohmann-Geschäftsführer, der zwar nach dem Gesetzwortlaut tauglicher Täter ist, aus dem Täterkreis ausgeschieden und durch den eigentlichen Herrn des Geschehens ersetzt. Und strafrechtlich ist es sachgemäß, diese und nur diese Person als Täter verantwortlich zu machen. Im Hinblick darauf, dass § 84 GmbHG vom Gesetzgeber als abstraktes Gefährdungsdelikt konstruiert ist, ist eine solche teleologische Reduktion 249 der strafrechtlichen Verantwortung des Strohmann-Geschäftsführers zugunsten des „eigentlichen" Täters daher zulässig und entspricht dem Zweck des Gesetzes. Das zweite Argument, dass das pflichtgemäße Verhalten rechtlich dem Strohmann-Geschäftsführer zumutbar ist, ist nur zum Teil richtig. Das Argument der angeblich faktischen Zumutbarkeit ist irrelevant, da es vom Tatbestand dem Strohmann-Geschäftsführer ja gerade nicht abverlangt wird, das Geschäftsführersamt niederzulegen. Ebenso wenig vermöchte ein solches Niederlegen dem möglichen Schaden für Gläubigerinteressen vorzubeugen. Der Schwerpunkt der strafrechtlichen Bewertung liegt vielmehr darin, ob es ihm zumutbar ist, den Zustand der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft zu kennen und sich sodann pflichtgemäß zu verhalten 250 . Dies kann aber nur der „wahre" Geschäftsführer, der tatsächlich die Geschäfte leitet und die Näheposition zur Erkenntnis der bilanziellen Situation der Gesellschaft besitzt. Allein der bloße Formalakt der Bestellung und Eintragung eines Geschäftsführers in das Handelsregister erzeugt zwar einen Rechtsschein, begründet aber keine tatsächlich ausübbare Herrschaftsfunktion, weil der Strohmann keine tatsächliche Möglichkeit zur Ermittlung des 247
Vgl. Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflichten im Strafrecht?, 2001, S. 132. 24 « Jescheck/Weigend, AT 5 , § 7 II 2, S. 53 f. 24 9 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 391 ff.; Altpeter, Strafwürdigkeit und Straftatsystem, 1990, S. 275. 2 50 Diese faktische Unzumutbarkeit wird auch von Ursula Stein (DStR 1998, 1055, 1058 zur Strafbarkeit nach § 266 a) mit Recht hervorgehoben, obwohl sie die strafrechtliche Verantwortlichkeit bejaht.
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bilanziellen Zustandes der Gesellschaft und zur Entscheidung hat 2 5 1 . Folgte man dem nicht und hielte nun die Nichterfüllung der Insolvenzantragspflicht des Strohmann-Geschäftsführers für strafbar, würde es zu einem widersprüchlichen Ergebnis zwischen dem allgemeinen Strafrecht und GmbH-Strafrecht führen, weil der bloß im Handelsregister eingetragene Strohmann-Geschäftsführer nach der bisher zu dieser Problematik geäußerten zutreffenden Meinung im Schrifttum 252 kein tauglicher Täter des § 266 a sein kann. Als Ergebnis ist damit festzuhalten, dass bei Existenz sowohl eines alleinigen faktischen Geschäftsführers als auch eines reinen Strohmann-Geschäftsführers allein der erstere tauglicher Täter ist, nicht aber der letztere. Die von der h.M. vertretene Auffassung, auch den StrohmannGeschäftsführer als Täter zu behandeln, führt zu einer kriminalpolitisch unnötigen Verdoppelung der tauglichen Täter und ist deshalb abzulehnen, zumal diejenigen Gründe, die für eine Täterstellung des faktischen Geschäftsführers sprechen, die Anerkennung einer Täterstellung des Strohmann-Geschäftsführers gerade ausschließen. Es ist jedoch anders zu behandeln, wenn die Person nicht lediglich als Strohmann fungiert, sondern einen Teil der Aufgaben der Gesellschaft auch tatsächlich wahrnimmt, das heißt, wenn es ihr faktisch zumutbar ist, den bilanziellen Zustand der Gesellschaft zu erkennen, obwohl der faktische Geschäftsführer ihr gegenüber ein Übergewicht und die Entscheidungsbefugnis zum letzten Wort hat. Denn in diesem Fall übernimmt ein solcher Strohmann immerhin eine Teilherrschaftsposition zur GmbH. Eine ausschließliche Herrschaftsfunktion innezuhaben, ist für die Begründung der Strafbarkeit nicht notwendig.
c) § 84 GmbHG als Garantensonderdelikt Ob eine Garantenstellung des Geschäftsführers gegenüber den Gesellschafteroder Gläubigerinteressen über § 84 GmbHG begründet werden kann, ist noch zu entscheiden. Wie ich oben dargestellt habe, verfügt der Geschäftsführer im Fall von § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG über eine Obhutsstellung und Näheposition zum Gesellschaftsvermögen und ist daher verpflichtet, das Gesellschaftsvermögen und die 251 Dass die Treuepflichten aus § 266 i.V.m. §§ 35, 43 GmbHG auch den Strohmann-Geschäftsführer treffen, wie Schünemann selbst meint (LKu-Schünemann, § 266 Rdn. 125 b; vgl. auch Siegmann/Vogel ZIP 1994, 1821 ff.; Müller-Gugenberger/W. Schmidt, WiStR 3 , § 29 Rdn. 5; anders Lenckner/Perron in: Schönke/Schröder 16, § 13 Rdn. 64.), ist deshalb im Rahmen seiner Herrschaftstheorie nicht konsequent. 2 2 5 OLG Hamm, StV 2002, 204 = NStZ-RR 2001, 173; Lackner/Kühl 24, § 266 a Rdn. 7; Tag, Das Vorbehalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung, 1994, S. 76 f.; dies., NK, § 266 a Rdn. 26; LK 10-Roxin, § 14 Rdn. 44; LKu-Schünemann, § 14 Rdn. 71; a.A. Lenckner/Perron in: Schönke /Schröder 26, § 266 a Rdn. 11; bezogen auf § 84 GmbHG, Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 30; Ursula Stein, DStR 1998, 1055, 1058.
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Gesellschaftsinteressen zu betreuen bzw. weiteren Verlust des Gesellschaftskapitals zu vermeiden. Obwohl diese Vorschrift von der h.M. als echtes Unterlassungsdelikt angesehen wird, aus dem nach fast einhelliger Meinung keine Garantenstellung abzuleiten ist, ändert das nichts daran, dass § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG im Vorfeld des § 266 steht und trotz des Fehlens des Schadenserfolges seinem Wesen nach eine Garantenstellung gegenüber dem Gesellschaftsvermögen voraussetzt. Daher ist § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG ein Garantensonderdelikt. Dass der Geschäftsführer erst von dem Zeitpunkt an, wenn ein Eigenkapitalverlust entstanden ist, der das Reinvermögen der Gesellschaft auf den Betrag des halben Stammkapitels vermindert 253 , verpflichtet ist, die Gesellschafter darüber zu informieren, kann im übrigen sowohl aus der Theorie der objektiven Zurechnung, die die Schaffung eines unerlaubten Risikos verlangt, als auch aus der Sekundarität des Strafrechts 254 abgeleitet werden. Die Frage, ob auch § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG eine Garantenstellung des Geschäftsführers gegenüber den Vermögensinteressen der Gläubiger begründen kann, wird im Schrifttum 255 ausdrücklich verneint. Das Hauptargument beruht dabei auf der traditionellen Festlegung der Deliktseinreihung als echtes Unterlassungsdelikt. Aber bei genauerer Überprüfung steht die h.M. zu der hier vertretenen Auffassung nicht im Widerspruch, weil die Garantenstellung, deren Vorhandensein von der h.M. in § 84 GmbHG abgelehnt wird, im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB zu verstehen ist. Der Typus der Garantenstellung, den ich hier heranziehen möchte, betrifft hingegen die Gruppe, dass der Gesetzgeber im Besonderen Teil die Strafbarkeit des Unterlassens ausdrücklich oder konkludent neben dem Begehungstatbestand angeordnet hat (begehungsentsprechendes Unterlassen) oder dass es zwar keine von dem Unterlassenstatbestand erfassten Begehungstatbestände gibt, aber sich das Wesen des Delikts von dem der §§ 138, 323 c (nichtbegehungsentsprechendes Allgemein-Unterlassen) deutlich unterscheidet und man eine Garantenstellung im Kern der Beschränkung der Täterstellung finden kann (nichtbegehungsentsprechendes Garanten-Unterlassen). Für die Bejahung dieser beiden Typen der Garantenstellung braucht man § 13 Abs. 1 gar nicht anzuwenden. Eine Garantenstellung gegenüber den Gläubigerinteressen der GmbH kann problemlos aus der Herrschaft des Geschäftsführers über das Gesellschaftsvermögen als Grund des Erfolges abgeleitet werden. Aber diese Garantenstellung entsteht erst dann, wenn die Gesellschaft in die Zahlungsunfähigkeit oder Überschul253 Nach der einhelligen Ansicht im Schrifttum ist der Wortlaut sowohl von § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG als auch von § 49 Abs. 3 GmbHG verunglückt. Gemeint ist nicht ein bloß betragsmäßiger Bilanzverlust in Höhe des halben Betrages des Stammkapitals. Vgl. Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 42; Hachenburg/Kohlmann*, GmbHG, § 84 Rdn. 18; Schulze-Osterloh in: Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz17, § 84 Rdn. 11c; Rowedder/ Schmidt-Leithojf/Schaaf, GmbHG, § 84 Rdn. 10. 2 54 LK U-Schünemann, § 288 Rdn. 28. 2 55 Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 14; Michalski-Dannecker, GmbHG, § 84 Rdn. 13 f.
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dung gerät. Diese Beschränkung kann, wie ich oben erwähnt habe, sowohl aus der Theorie der objektiven Zurechnung, die die Schaffung eines unerlaubten Risikos verlangt, als auch aus der Sekundarität des Strafrechts abgeleitet werden. Vor diesem Zeitpunkt ist der Geschäftsführer gegenüber den Gläubigerinteressen kein Garant, vielmehr beschränkt sich seine Garantiefunktion solange auf die GmbH selbst.
3. Anwendungsmöglichkeit des § 14 bei § 84 GmbHG Da nur natürliche Personen Geschäftsführer der GmbH sein können, gibt es hier keinen Raum für die Anwendung des § 14 Abs. I 2 5 6 . Die Anwendungsmöglichkeit des § 14 Abs. 2 ist auch verdrängt, wenn es um einen stellvertretenden Geschäftsführer geht, weil § 44 GmbHG in Verhältnis dazu eine Sonderregelung darstellt, wonach die für die Geschäftsführer gegebenen Vorschriften (etwa § 84 GmbHG 257 ) auch für Stellvertreter von Geschäftsführer gelten. Allerdings ist ein Missverständnis wie bei Schaal zu vermeiden, dass § 14 hier überhaupt keine Bedeutung habe 2 5 8 , weil einerseits der Liquidator als tauglicher Täter des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG auch eine juristische Person sein kann und für diese eine der in § 14 genannten natürlichen Personen handeln kann 259 . Anderseits ist auch der Fall vorstellbar, dass ein Rechtsanwalt vom Geschäftsführer ausdrücklich beauftragt ist, in eigener Verantwortung zu entscheiden, ob ein Insolvenzantrag im Namen des Geschäftsführers gestellt wird oder nicht. § 14 Abs. 2 Nr. 2 ist in diesem Fall anwendbar. Wenn dagegen ein Rechtsanwalt, der ausdrücklich beauftragt ist, den Insolvenzantrag im Namen des Geschäftsführers zu stellen, dies unterlässt, ist die SubstituierungsVorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 2 nach herrschender Auffassung 260 aber mangels eines Entscheidungsspielraumes nicht anwendbar.
4. Zwischenergebnis Zusammengefasst ist § 84 GmbHG meiner Beurteilung nach wegen des Fehlens eines dem Unterlassen entsprechenden Begehungstatbestands ein nichtbegehungsentsprechendes Garanten-Unterlassungsdelikt. Da die Herrschaftstheorie für die Beschränkung des Täterkreises in § 84 GmbHG überzeugendere Argumente als die Pflichttheorie bietet, ist § 84 GmbHG auch ein Garantensonderdelikt. 256 Vgl. nur Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 82 Rdn. 39. 257 Vgl. etwa Zöllner in: Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz17, § 44 Rdn. 2. 4 258 Vgl. Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schaal , GmbHG, § 84 Rdn. 10. 4 259 Tiedemann, GmbH-Strafrecht , § 84 Rdn. 19. 260 Vgl. nur EEGOWiG, S. 65; Tröndle/Fischer* 1, § 14 Rdn. 13; Lackner/Kühl 24, § 14 Rdn. 3; Lenckner/Perron, in: Schänke /Schröder 26, § 14 Rdn. 35; L K 1 1 -Schünemann, § 14 Rdn. 60. Ii
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IV. Die Pflichtverletzung von Vorstandsmitgliedern gemäß § 401 AktG 1. Geschütztes Rechts gut und Tatbestands struktur a) Geschütztes Rechtsgut § 401 Abs. 1 AktG knüpft in Nr. 1 und Nr. 2 an zwei unterschiedlich gefährliche Krisensituationen an. Die Krisensituation nach Nr. 1 bedeutet bereits eine erhebliche Gefährdung für die Existenz der Gesellschaft und für das Vermögen ihrer Aktionäre. Wesentlich aber ist, dass in dieser Situation den Aktionären rechtzeitig Möglichkeiten zur Sanierung der Gesellschaft eröffnet werden. Geschütztes Rechtsgut im Rahmen der Nr. 1 sind nach der h.M. nur Vermögensinteressen der Gesellschaft und der Aktionäre 261 . Gläubigerinteressen als geschütztes Rechtsgut werden von meisten Autoren entweder nicht erwähnt 262 oder abgelehnt263. Diese enge Ansicht ist richtig. Beim Vergleich zwischen dem Wortlaut von §§84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG und 401 Abs. 1 Nr. 1 AktG zeigt sich zwar, dass die Strafe bei § 401 Abs. 1 Nr. 1 AktG nicht wie bei § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG an die Unterrichtung der Gesellschafter anknüpft, sondern an die Nichteinberufung der Hauptversammlung. Aber die Unterschiede an die Anforderungen für die Erfüllung des Tatbestandes beruhen auf der unterschiedlichen Natur von Aktiengesellschaft und GmbH. Die Anzahl von Aktionären ist in der Regel viel größer als die der Gesellschafter. Während die Gesellschafter ohne die Gesellschafterversammlung durch die Anzeige des Geschäftsführers Sanierungsmaßnahmen ergreifen können, sind die Aktionäre ohne die Hauptversammlung nicht in der Lage, die notwendigen Entscheidungen über die in Betracht kommenden Maßnahmen (Sanierung oder Auflösung) zu treffen. Im Übrigen werden die sonst an der Gesellschaft interessierten Dritten (Gesellschaftsgläubiger, Vertragspartner, Arbeitnehmer) durch einen solchen Kapitalverlust nicht in dem Maße betroffen wie die Aktionäre, weil das Restkapital der Gesellschaft ausreichen muss, um ihre Ansprüche zu befriedigen; andernfalls wäre eine Überschuldung eingetreten 264. Klug 265 hat bereits vor fast dreißig Jahren argumentiert: „Eine Beschränkung der Schutzfunktion der Nr. 1 auf die Gesellschaft und ihre Aktionäre würde der verfassungsrechtlichen Sozialbindung des Eigentums und der damit zusammenhängenden weitreichenden Informationsfunktion der Hauptversammlung (Veröffentlichung von Berichten über die bevorstehenden und über die abgelaufene Hauptversammlung in der Presse, Teilnahme von Arbeit261 Otto in: Großkommentar zum Aktiengesetz4, § 401 Rdn. 2; Baumbach/Hueck 13, AktG, § 401 Rdn. 2; Geßler/Fuhrmann, AktG, § 401 Rdn. 2; Geilen, Aktienstrafrecht, § 401 Rdn. 3. 262 Otto in: Großkommentar zum Aktiengesetz4, § 401 Rdn. 2; Baumbach/Hueck 13, AktG, § 401 Rdn. 2; Geßler/Fuhrmann, AktG, § 401 Rdn. 2. 2 63 Geilen, Aktienstrafrecht, § 401 Rdn. 3. 2 64 Geßler/Fuhrmann, AktG, § 401 Rdn. 2. 265
Klug in: Großkommentar zum Aktiengesetz3, § 401 Anm. 2.
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nehmervertretern aus dem Aufsichtsrat in der Hauptversammlung; u. ä.) nicht gerecht". Trotzdem können Gläubigerinteressen nicht als mitgeschütztes Rechtsgut angesehen werden. Denn die Hauptversammlung bezweckt weder die Information der Öffentlichkeit im Allgemeinen noch diejenige der Gläubiger oder künftiger Aktionäre der Gesellschaft im Besonderen 266. In den Schutzbereich des § 92 Abs. 1 AktG einbezogen sind die Gesellschaft und die Aktionäre, nicht die Gesellschaftsgläubiger und die künftige Aktionäre 267 . Außerdem würde es bei Anerkennung der Gläubigerinteressen als geschütztes Rechtsgut in diesem Fall zu dem weiten Ergebnis führen, dass letztlich alle Vorschriften des Aktiengesetzes über eine sachgerechte Gestaltung der Institution der Aktiengesellschaft das Gläubigerinteresse schützen. Der strafrechtlichen Einengung auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz entspricht es, dass zivilrechtlich die Vorstandsmitglieder, die gegen § 92 Abs. 1 AktG verstoßen, nach § 93 Abs. 2 AktG nur der Gesellschaft auf Schadensersatz haften, nicht dagegen den Gläubigern oder sonstigen Dritten ersatzpflichtig werden 268 . Deshalb ist Gläubigerschutz nicht bezweckt und reicht allenfalls für ein Reflexinteresse. In der Krisensituation nach Nr. 2 sind hingegen die Interessen aller Personen, die rechtliche oder wirtschaftliche Beziehungen zu der Gesellschaft unterhalten oder aufnehmen, konkret gefährdet. Geschütztes Rechtsgut in § 401 Abs. 1 Nr. 2 AktG sind wie in § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG primär die Vermögensinteressen der (gegenwärtigen oder künftigen) Gesellschaftsgläubiger und aller sonstigen Dritten, die rechtliche oder wirtschaftliche Beziehungen zur Gesellschaft unterhalten oder aufnehmen wollen. Sie wären bei rechtzeitigem Insolvenzantrag gewarnt und dadurch vor Schaden bewahrt worden 269 . Auch wenn Aktionäre erst während der Insolvenzverzögerung eine Beteiligung an dem Unternehmen erwerben, gehören sie dazu 270 . Ferner wird sekundär auch die Aktiengesellschaft mitgeschützt, weil durch früher eingeleitete Sanierungsbemühungen eventuell die Aktiengesellschaft gerettet hätte werden können. Daraus folgt, dass auch die davon betroffenen Aktionäre mitgeschützt sind 271 .
266 Vgl. nur BGH NJW 1979, 1829, 1831; Habersack in: Großkommentar zum Aktiengesetz4, § 92 Rdn. 2; Hühher, Aktiengesetz, § 92 Rdn. 1; Martens in: Kölner Kommentar zum Aktiengestz2, § 92 Rdn. 10; a.A. Martens, ZGR 1972, 254, 271 (dem Schutz des Aktienmarkts dienende Publizitätsnorm). 267 Habersack in: Großkommentar zum Aktiengesetz4, § 92 Rdn. 26, 28. 268 Tiedemann, GmbH-Strafrecht 4, § 84 Rdn. 12 (zum geschützten Rechtsgut des § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG). 269 Geilen, Aktienstrafrecht, § 401 Rdn. 4; Geßler/Fuhrmann, AktG, § 401 Rdn. 2. 270 Geilen, Aktienstrafrecht, § 401 Rdn. 4; Geßler/Hefermehl, AktG, § 92 Rdn. 24; a.A. Geßler/Fuhrmann, AktG, § 401 Rdn. 3. 271 Geilen, Aktienstrafrecht, § 401 Rdn. 4; Otto in: Großkommentar zum Aktiengesetz4, § 4 0 1 Rdn. 3, er kennt aber keinen Unterschied von primär und sekundär geschütztem Rechtsgut.
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b) Tatbestandsstruktur Wegen der „Beinahe-Identität" der Deliktsstruktur von § 84 GmbHG und § 401 AktG darf ich diese Thematik wie folgt zusammenfassen, um Wiederholungen zu vermeiden. § 401 AktG ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt 272. Nr. 1 dieser Vorschrift ist auch eine untreueähnliche Vorschrift und unterscheidet sich von der Untreue nur durch die Vorverlagerung des Rechtsgüterschutzes in den Gefährdungsbereich. Die Insolvenzverfahrensverschleppung nach Nr. 2 gehört zu den Insolvenzstraftaten. Ihr Zeitpunkt der Strafbarkeit ist im Vergleich mit anderen Insolvenzstraftaten vorgelagert. Während § 401 AktG von der herrschenden Meinung als echtes Unterlassungsdelikt 273 angesehen wird, sollte er nach der hier vertretenen Dreiteilung der Unterlassungsdelikte wegen des Fehlens eines entsprechenden Begehungstatbestands und wegen der besonderen Tatereigenschaft als ein nichtbegehungsentsprechendes Garanten-Unterlassungsdelikt eingeordnet werden, das auch zu den Garantensonderdelikten gehört.
2. Der Taterkreis
und die Erklärung für dessen Beschränkung
Als tauglicher Täter des § 401 AktG kommen nur Vorstandsmitglieder (Nr. 1 und Nr. 2) sowie Abwickler (Nr. 2) in Betracht. Zu den Vorstandsmitgliedern gehören auch die stellvertretenden Vorstandsmitglieder, die strafrechtlich nach Art und Umfang wie die ordentlichen Vorstandsmitglieder (§ 94 AktG) haften 274 , wenn sie Geschäfte des Vorstands wahrnehmen, sowie die faktischen Vorstandsmitglieder, die zwar unwirksam oder nicht förmlich dazu bestellt und ohne im Handelsregister eingetragen zu sein, aber im Einverständnis oder zumindest mit Duldung des Aufsichtsrats die tatsächliche Stellung eines Vorstandsmitglieds ausüben, nämlich tatsächlich die mit diesem Amt verbundenen Aufgaben wahrnehmen 275. Bemerkenswert ist, dass diese Einwirkung der faktischen Betrachtungsweise im aktienrechtlichen Schrifttum wenig diskutiert wird und es daher weniger Widerstand gegen sie gibt als im gesellschaftlichen Schrifttum. Bemerkenswert ist auch, dass Otto 276 in einer Rechtsprechungsanmerkung an dem Vorhandensein des formellen Bestellungsakts für faktische Geschäftsführer als Voraussetzung festhielt, dreizehn Jahre 272 Außer der GmbHG-Literatur, vgl. Otto in: Großkommentar zum Aktiengesetz4, § 401 Rdn. 2; Geßler/Fuhrmann, AktG, § 401 Rdn. 4; Geilen, Aktienstrafrecht, § 401 Rdn. 9. 273 Geilen, Aktienstrafrecht, § 401 Rdn. 7; Otto in: Großkommentar zum Aktiengesetz4, § 401 Rdn. 7; Geßler/Fuhrmann, AktG, § 401 Rdn. 4; Klug in: Großkommentar zum Aktiengesetz3, § 401 Anm. 1. 274
Otto in: Großkommentar zum Aktiengesetz4, § 399 Rdn. 28. 5 Otto in: Großkommentar zum Aktiengesetz4, § 401 Rdn. 9 i.V.m. § 399 Rdn. 21; Geßler/Fuhrmann, AktG, § 399 Rdn. 10, § 401 Rdn. 5; Geilen, Aktienstrafrecht, § 399 Rdn. 32; zu den Grenzen der Reichweite der faktischen Betrachtungsweise siehe Otto, a. a. O., § 399 Rdn. 25. 27 6 BGH StV 1994, 461 m. Anm. von Otto (462 f.). 27
D. Deliktsstruktur einzelner Garanten-Unterlassungsdelikte
167
später in seiner Kommentierung zum Aktienstrafrecht anscheinend inkonsequent, aber richtigerweise auf diese formelle Voraussetzung verzichtet 277 . Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Strohmann-Vorstandsmitglieder ist nach meinen Feststellungen zu verneinen 278. Wegen der Anerkennung der faktischen Vorstandsmitglieder und der Verneinung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Strohmann-Vorstandsmitglieder ist Roxins Pflichttheorie nicht in der Lage, die Tätereigenschaft in § 401 AktG zu erklären. Vielmehr vermag die Garantentheorie, die Täterkreisbeschränkung in dieser Vorschrift überzeugend zu erklären. § 401 Abs. 1 Nr. 1 AktG steht im Vorfeld des § 266 und kann trotz des Fehlens des Vermögensschadenserfolges dem Wesen nach eine Garantenstellung gegenüber dem Gesellschaftsvermögen begründen. Eine Garantenstellung gegenüber den Interessen der Gläubiger der Aktiengesellschaft (§ 401 Abs. 1 Nr. 2 AktG) kann auch problemlos aus der Herrschaft der Vorstandsmitglieder über das Gesellschaftsvermögen beim Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft als Grund des Erfolges abgeleitet werden. Man muss aber aufpassen, die hier vertretene Ansicht nicht mit der anderen zu vermischen, dass eine Garantenstellung aus § 401 AktG mit Wirkung auch für andere Tatbestände (etwa §§ 263, 266) abzuleiten ist. Die Problematik der Anwendungsmöglichkeit des § 14 bei § 401 AktG ist genauso zu behandeln wie bei § 84 GmbHG und braucht nicht wiederholt zu werden. 3. Zwischenergebnis § 401 AktG ist meiner Feststellung nach wegen des Fehlens eines entsprechenden Begehungstatbestands ein nichtbegehungsentsprechendes Garanten-Unterlassungsdelikt. Da die Herrschaftstheorie die Tätereigenschaft von § 401 AktG besser begründen kann als die Pflichttheorie, ist § 401 AktG auch ein Garantensonderdelikt.
V. Kurze Bemerkungen zu den übrigen Strafvorschriften: §§ 326 Abs. 3,328 Abs. 2 Nr. 1, § 41 WStG 7. Herrschaft über die gefährliche Sache (Gefahrenquelle) als Erklärung für die Tatereigenschaft bei §§ 326 Abs. 3, 328 Abs. 2 Nr. 1 Während § 326 Abs. 3 und § 328 Abs. 2 Nr. 1 von der h.M. als echte Unterlassungsdelikte 219 bezeichnet werden, diese Vorschriften meiner Definition nach nichtbegehungsentsprechende Garanten-Unterlassungsdelikte. 277 Otto in: Großkommentar zum Aktiengesetz4 (1997), § 399 Rdn. 21. 278 Begründung siehe in diesem Kapitel, D III 2 b (zur Strafbarkeit des Strohmann-Geschäftsführers); a.A. im aktienrechtlichen Schrifttum Geilen, Aktienstrafrecht, § 399 Rdn. 33, aber ohne Begründung.
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§ 5 Nichtbegehungsentsprechende Garanten-Unterlassungsdelikte
Bei beiden Vorschriften geht es im Prinzip um einen Fall der Verwaltungsrechtsakzessorietät 28°, obwohl der Gesetzgeber in ihren Tatbeständen verschiedene Formulierungen („unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten" und „Verpflichtung zur Ablieferung der Kernbrennstoffe auf Grund des Atomgesetzes") angewendet hat. Aber durch sprachliche Erweiterung der Norm auf die Verletzung „verwaltungsrechtlicher Pflichten" in § 326 Abs. 3 wird auch der Verstoß gegen durch Verwaltungsakt (z. B. Ablieferungsanordnung nach § 19 Abs. 3 AtomG, § 85 StrSchV) begründete Pflichten kriminalisiert 281 . Als tauglicher Täter des § 326 Abs. 3 kommt nach klarer gesetzlicher Regelung gemäß § 9 a Abs. 2 S. 1 AtomG nur der Besitzer der radioaktiven Abfälle in Betracht. Besitzer ist der unmittelbare Besitzer, der die tatsächliche Gewalt über die Gegenstände ausübt 282 . Als Normadressat des § 328 Abs. 2 Nr. 1 nennt § 5 Abs. 3 AtomG auch den unmittelbaren Besitzer 283, wobei nach dem Sinn der Regelung kein Unterschied zu § 9 a Abs. 2 AtomG zu machen sein dürfte 284 . Entscheidend hierfür ist nach dem Sinn der Regelung, wer die tatsächliche Gewalt über die Kernbrennstoffe ausübt. Dies kann in einem Unternehmen, dessen Genehmigung durch Fristablauf geendigt hat, sowohl die betriebsintern verantwortliche Person sein als auch derjenige, der die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit besitzt, etwa der LKW-Fahrer, der auf dem Wege zur Ablieferungsstelle eigenmächtig die Ablieferungspflicht unterläuft 285 . Für die Erklärung der Tätereigenschaft schließen sich Cramer/Heine ausdrücklich an Roxins Pflichttheorie an und bejahen §§ 326 Abs. 3, 328 Abs. 2 Nr. 1 als Pflichtdelikte, weil Täter hier nur sein könne, wem eine Ablieferungspflicht bezüglich radioaktiver Abfälle oder Kernbrennstoffe obliege 286 . Es ist zwar nicht zu bestreiten, dass es sich hier um eine strikte Verwaltungsakzessorietät des Strafrechts handelt, und dass bei beiden Vorschriften die strafrechtliche Pflicht aus verwaltungsrechtlichen Pflichten hergeleitet werden kann und der Begriff der Pflicht279 LKn-Steindorf, § 326 Rdn. 125, § 328 Rdn. 17; Lackner/Kühl 24, § 326 Rdn. 9, § 328 Rdn. 4; Cramer/Heine in: Schönke/Schröder 26, § 326 Rdn. 13; Tröndle/Fischer 51, § 326 Rdn. 12; SK6-Horn, § 326 Rdn. 27; NK-Ransiek, § 326 Rdn. 49; Franzheim/Pfohl, Umweltstrafrecht 2, 2001, Rdn. 323, 431; Michalke, Umweltstrafsachen, 2. Aufl., Rdn. 281; Winkelbauer in: Meinberg/Möhrenschlager/Link (Hrsg.), Umweltstrafrecht, S. 75; abw. Kloepfer/ Vierhaus, Umweltstrafrecht 1, Rdn. 140 (zu § 326 Abs. 3): abstraktes Gefährdungsdelikt im Sinne eines „unechten" Unterlassungsdelikts. Aber das scheint mir ein redaktioneller Fehler zu sein, weil dort auf „LK10-Steindorf, § 326 Rdn. 54" hingewiesen wird. Dieser Fehler ist in der 2. Auflage beseitigt (Kloepfer/Vierhaus, Umweltstrafrecht 2, Rdn. 140). 6 280 SK -Horn, vor § 324 Rdn. 7, § 328 Rdn. 5. 281 BT-Drs. 12/192, S. 21; Kloepfer/Vierhaus, Umweltstrafrecht 2, Rdn. 140; Franzheim/ 2 Pfohl, Umweltstrafrecht , Rdn. 325. 282 LK U-Steindorf, § 326 Rdn. 128. 283 Bartholme, JA 1996, 730, 732. 284 Cramer/Heine in: Schönke/Schröder/Stree 26, § 328 Rdn. 12. 285 L K 1 1 -Steindorf, § 328 Rdn. 16. 286 Cramer/Heine in: Schönke/Schröder § 326 Rdn. 13, 21; § 328 Rdn. 12.
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, Vor §§ 25 ff. Rdn. 84a; Vor § 324 Rdn. 25;
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delikte widerspruchsfrei ist. Bei genauerem Hinsehen versteckt sich aber der Herrschafts gedanke hinter den verwaltungsrechtlichen Pflichten. Denn die von dem Gedanken der Übernahme der Herrschaftsfunktion abhängige faktische Betrachtungsweise wird auch im Begriff des unmittelbaren Besitzers angewendet und durchgehalten. Auch wenn man den Besitz illegal angestrebt hat, unterliegt dieser den beiden Bestimmungen. Schwerpunkt ist die besondere Gefährlichkeit dieser Abfallart und Stoffe 287 . Wer über diese gefährlichen Sachen verfügt, ist dann verpflichtet, sie unverzüglich 288 an eine Zwischen- oder Endlagerstätte anzuliefern. Die Vorverlagerung der Strafbarkeit auf die Verletzung der verwaltungsrechtlichen Ablieferungspflicht lässt sich nur mit Hilfe der Herrschaftstheorie rechtfertigen. Trotz des nicht als Tatbestandsmerkmal geforderten Verletzungserfolgs ändert es nichts daran, dass der Charakter der Tätereigenschaft in der Herrschaft über die Gefahrenquelle liegt. Der Besitzer der radioaktiven Abfälle oder Kernbrennstoffe ist deshalb Überwachungsgarant für den Schutz der menschlichen Gesundheit und die Reinhaltung der ökologischen Umwelt sowie ökologisch oder wirtschaftlich bedeutsamer Tiere und Pflanzen 289 . Im Unterschied zu §§ 138, 323 sind die §§ 326 Abs. 3, 328 Abs. 2 Nr. 1 nichtbegehungsentsprechende Garanten-Unterlassungsdelikte und gehören zur Deliktskategorie der Garantensonderdelikte. Täter der §§ 326 Abs. 3, 328 Abs. 2 Nr. 1 kann deshalb immer nur derjenige sein, der die Überwachungsstellung innehat, sei es auch in Form einer Übertragung durch den ursprünglich Überwachungspflichtigen, so dass das Verhalten der Organe und Substituten direkt unter §§ 326 Abs. 3, 328 Abs. 2 Nr. 1 subsumiert werden kann und es wegen der darin steckenden Spezialregelung keines Rückgriffs auf die allgemeine Vertreterhaftung gemäß § 14 bedarf 2 9 0
2. Herrschaft über die zu beaufsichtigenden Personen als Erklärung der Tätereigenschaft bei § 41 WStG Die Vorschrift des § 41 WStG bietet eines der besten Beispiele, um dem von der h.L. vertretenen normentheoretischen Abgrenzungskriterium der Unterlassungsdelikte zu widersprechen und seine Ungeeignetheit zu demonstrieren. Während die 287 BT-Drs. 8/2382, S. 19. 288 Obwohl der Gesetz Wortlaut in § 326 Abs. 3 nicht die Unverzüglichkeit auffordert wie in § 328 Abs. 2 Nr. 1, ist mit Rücksicht auf die abstrakte Gefährlichkeit radioaktiven Abfalls sowie im Hinblick auf die durch diese Norm geschützten Rechtsgüter die Ablieferungspflicht seitens des Abfallbesitzers auch unverzüglich zu erfüllen. So h.M.: Cramer/Heine, in: Schänke/ Schröder/Stree 26, § 326 Rdn. 13; LK U-Steindorf, § 326 Rdn. 129; Lackner/ Kühl 24, § 326 Rdn. 10; SK6-Horn, § 326 Rdn. 27; NK-Ransiek, § 326 Rdn. 49. 289 Vgl. nur Tröndle/Fischer 51, § 326 Rdn. 1; Cramer/Heine in: Schänke /Schröder § 326 Rdn. 1; Rengier, NJW 1990,2512. 290 Vgl. LKn-Schünemann, § 266 Rdn. 160; anders Winkelbauer in: Meinberg / Möhrenschlager/Link (Hrsg.), Umweltstrafrecht, S. 76.
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Tat des § 41 WStG wegen des Erfordernisses einer konkreten Gefahr nach dem normentheoretischen Abgrenzungskriterium konsequenterweise als unechtes Unterlassungsdelikt bezeichnet wird 2 9 1 , ist sie nach dem positivrechtlichen Kriterium ein echtes Unterlassungsdelikt 292. Beide Ansichten verdienen keine Zustimmung. Diese Vorschrift entspricht grundsätzlich dem früheren § 147 MStGB 2 9 3 . Nach § 147 MStGB war die Verabsäumung der Aufsichtspflicht ohne Rücksicht auf irgendwelche Folgen strafbar, während § 41 WStG den Eintritt einer schwerwiegenden Folge im Sinne des § 2 Nr. 3 WStG (das heißt einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, der Schlagkraft der Truppe, Leib oder Leben eines Menschen oder Sachen von bedeutendem Wert) fordert. Es ist hier ein sehr gutes Beispiel, dass es völlig vom Zufall hängt, ob der Gesetzgeber eine Regelung als Erfolgsdelikt oder Tätigkeitsdelikt ausgestaltet. Dieses Gesetzgebungsspiel kann an der Einordnung der Unterlassungsdelikte nichts ändern. Richtig ist, die Tat des § 41 WStG bei den nichtbegehungsentsprechenden Garanten-Unterlassungsdelikten einzureihen, weil sie keine Entsprechung in einem Begehungstatbestand hat 2 9 4 und das Wesen der Tätereigenschaft in einer Garantenstellung liegt. Täter kann nur ein Vorgesetzter des Untergebenen sein. Nach der gesetzlichen Definition ist Vorgesetzter, wer befugt ist, einem Soldaten Befehle zu erteilen (§ 1 Abs. 5 S. 1 SG). Der Vorgesetzte hat die Pflicht zur Dienstaufsicht, die sich aus §10 Abs. 2 SG sowie aus Dienstvorschriften und Einzelbefehlen ergibt, die auf § 10 Abs. 2 SG beruhen 295 . Die Dienstaufsichtspflicht nach § 10 Abs. 2 SG und nach § 41 WStG sind dasselbe296. Diese Dienstaufsichtspflicht entspricht gleichzeitig der Befehlsbefugnis 297. Für die Erklärung der Tätereigenschaft des § 41 WStG muss ich zwar zugestehen, dass der Begriff der Pflichtdelikte hier durchführbar ist, weil die strafrechtliche Pflicht aus militärverwaltungsrechtlichen Pflichten hergeleitet werden kann. Deshalb besteht hier eine militärverwaltungsrechtliche Akzessorietät des Wehrstrafrechts. Aber es lässt sich nicht verneinen, dass sich auch eine Garantenstellung aus § 41 WStG ergibt. Strafrechtliche Verantwortlichkeit für Straftaten anderer 291 Jescheck/Weigend, AT 5 , § 58 III 4 a.E., S. 608. 292 Scholz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4, § 41 Rdn. 2, 17; Dau in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 143. Lieferung (Oktober 2001), Wehrstrafgesetz § 41 Rdn. 7. 293 Der Gesetztext des § 147 MStGB lautet: (1) Wer die ihm obliegende Beaufsichtigung seiner Untergebenen vorsätzlich oder fahrlässig verabsäumt, wird mit Freiheitsstrafe bestraft. (2) Die Bestimmung des Abs. 1 gilt nicht bei der Verabsäumung der Beaufsichtigung Untergebener im militärischen Verwaltungsdienst. 294 Die mangelnde Entsprechung mit einem Begehungstatbestand hat Jescheck/Weigend zu Recht auch erkannt (AT , § 58 III 4 a.E., S. 607). 295 Scholz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4, § 41 Rdn. 7. 296 Schwenck, Wehrstrafrecht im System des Wehrrechts und in der gerichtlichen Praxis, 1973, S. 200; Arndt, Grundriss des Wehrstrafrechts, 1966, S. 249; Scholz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4, § 41 Rdn. 4. 297 Scholz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4, § 41 Rdn. 3.
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kann sich aus Autoritätsstellungen ergeben, aufgrund derer dem Unterlassenden eine Aufsichtspflicht obliegt 298 . Maßgebend ist dabei der Gedanke, dass die Allgemeinheit im Hinblick auf bestehende Autoritäts- und Aufsichtsstellungen darauf vertraut, dass der Pflichtige Gefahren, die von der zu überwachenden Person ausgehen, beherrscht 299. Dies gilt für die Aufsichtspflicht des militärischen Vorgesetzten gegenüber dem Untergebenen 300. Die von Hoyer 301 vertretene und sich an Stratenwerth 302 anschließende Gegenmeinung, dass der Vorgesetzte des § 41 WStG nicht als Garant im Sinne des § 13 anzusehen sei, steht nicht im Widerspruch zu der hier vertretenen Auffassung. Denn bei der von mir hier gemeinten Garantenstellung geht es nicht um eine Garantenstellung im Sinne des § 13, sondern die des nichtbegehungsentsprechenden Garanten-Unterlassungsdelikts 303. Erkennt man hier das Vorliegen dieser Deliktskategorie an, deren Garantenstellung im Straftatbestand selbst geregelt ist und bei der deshalb § 13 Abs. 1 sowie die Strafmilderungsvorschrift gemäß § 13 Abs. 2 nicht anwendbar sind, wird diese Problematik aufgelöst. § 33 WStG regelt zwar das aktive Tun des Vorgesetzten im Verhältnis zu § 41 WStG, aber der Gesetzgeber stellt das Vorgesetztenhandeln dem Unterlassen im Wehrstrafrecht nicht gleich, weil der in § 33 WStG vorausgesetzte „Missbrauch der Befehlsbefugnis" mit viel höherer Strafe bedroht ist. Es scheint nach Auffassung des Gesetzgebers ein erheblich schwereres Unrecht darzustellen als der bloße Nichtgebrauch einer Befehlsbefugnis 304. Der Vorgesetzte des § 41 WStG ist deshalb m.E. gegenüber dem Untergebenen Überwachungsgarant für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, die Schlagkraft der Truppe, Leib oder Leben eines Menschen oder Sachen von bedeutendem Wert. Die Tat des § 41 WStG ist ein nichtbegehungsentsprechendes Garanten-Unterlassungsdelikt und gehört zur Deliktskategorie der Garantensonderdelikte. 298 Schänke/ Schröder/Stree 26, § 13 Rdn. 52. 299 Jescheck/Weigend, AT 5 , § 59 4 c, S. 628. 300 H.L.: Jescheck/Weigend, AT 5 , § 59 4 c, S. 628; Schönke/Schröder/Stree 26, § 13 Rdn. 52; Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972, S. 321; Andrews, Verleitung und Geschehenlassen i.S. des § 357, 1996, S. 112; SK7-Rudolphi, § 13 Rdn. 35; nur in eingeschränktem Umfang: Lackner/Kühl 24, § 13 Rdn. 14; Köhler, AT, S. 222, 225. 301 Hoyer, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit innerhalb von Weisungsverhältnissen, 1998, S. 21. 302 Stratenwerth, AT 4 , 13/19. 303 Dieser Gedanke wird in einer anderen Abhandlung von Hoyer bestätigt (Sonderregeln für Amts- und Wehrdelikte und ihre Übertragbarkeit auf privatrechtlichen Organisationen, in: Amelung (Hrsg.), Individuelle Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse bei Straftaten in bürokratischen Organisationen des Staates, der Wirtschaft und der Gesellschaft, Sinzheim 2000, S. 192 f., 202) 304 Bezüglich des Fehlens der Gleichstellung zwischen § 33 WStG und § 41 WStG hat Hoyer Recht, siehe, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit innerhalb von Weisungsverhältnissen, 1998, S. 31.
§ 6 Untreue (§ 266) A. Geschütztes Rechtsgut Als geschütztes Rechtsgut der Untreue bezeichnet die h.L. das Vermögen1 bzw. das fremde Vermögen2. Im Einklang mit der herrschenden Meinung sehen sich auch Hübner 3 und Schünemanh\ obwohl sie das geschützte Rechtsgut mit dem Zusatz „das fremder Hand anvertraute Vermögen" charakterisieren. Eine heute noch vertretene Ansicht sieht neben dem Vermögen auch das Vertrauen als zusätzlich geschütztes Rechtsgut an. Die genannte Ansicht wird in zwei Spielarten vertreten: Teilweise wird das zweite Rechtsgut des § 266 als das „besondere individuelle Vertrauensverhältnis" bezeichnet, das zwischen dem Täter und dem Träger des geschützten Vermögens bestehe und das der Täter durch Untreue immer auch verletze5. Die andere Auffassung vom doppelten Rechtsgut des § 266 besteht in der Annahme, außer dem Vermögen sei das „Vertrauen in die Redlichkeit des Rechtsund Wirtschaftsverkehrs" geschützt6. Strafrechtliche Untreue sei „nicht nur Vermögensschädigung durch Vertrauensbruch, sondern zugleich Vertrauensbruch durch Vermögensschädigung"7. Dieses Wortspiel kehrt indes die Ursächlichkeit um, verlagert also den Schwerpunkt und müsste außerdem gleichermaßen für den Betrug gelten, bei dem aber ganz allgemein das Vermögen allein als geschütztes Rechtsgut erachtet wird. Das Vertrauensverhältnis wird nicht als solches, sondern nur in seiner Vermögensbeziehung geschützt; der Vertrauensbruch ist nur das Angriffsmittel für das geschützte Rechtsgut. Dominierend ist die Vermögenskomponente8. Heute herrscht die Auffassung vor, dass die Untreue ein reines Ver1 SK5-Samson/Günther, § 266 Rdn. 2; Lenckner/Perron in: Schänke/Schröder 26, § 266 Rdn. 1; Joecks, Zur Vermögensverfügung beim Betrug, 1982, S. 63 f.; Labsch, Untreue, 1983, S. 57; Otto, BT 6 , 54/2; Lackner/Kühl 24, § 266 Rdn. 1. 2 Maurach/Schroeder/Maiwald, B T / 1 9 , 45/1. l0 3 LK -Hübner, § 266 Rdn. 19. 4 L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 28. 5 18 Schönke/Schröder/Cramer , § 266 Rdn. 1 (ausdrücklich aufgegeben ab der 19. Aufl.); Dunkel, Erfordernis und Ausgestaltung des Merkmals „Vermögensbetreuungspflicht" im Rahmen des Missbrauchstatbestandes der Untreue (§ 266 I 1 Alternative), 1976, S. 41 ff., 109 ff., 112, 169; ders., GA 1977, 334 f.; Eser, Strafrecht IV, 3, Fall 17; Luthmann, NJW 1960,420; D. Meyer, MDR 1971, 894; ders., JuS 1973, 215. 6 Bockelmann, ZStW 79 (1967), 28 ff., 32 f.; Dunkel, GA 1977, 329, 334. 7 Klug bei Haschenburg Großkommentar GmbHG, 6. Aufl. 1959, Bd. 2, § 81a Anm. 1; ders., Großkommentar AktG, 2. Aufl. 1965, § 294 Anm. 4.
8 L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 28; im Ergebnis ebenso Otto, BT 6 , 54/2.
B. Wesen der Untreue
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mögensdelikt ist und insoweit dem Betrug gleicht, mit dem sie in demselben Gesetzesabschnitt untergebracht ist 9 Die Untreue schützt ausschließlich das Vermögen10. Die von beiden in § 266 erhaltenen Tatbeständen geforderte Treuwidrigkeit kennzeichnet die der Untreue eigenen Angriffsmodalitäten auf das Vermögen, nicht eine zusätzliche Rechtsgutsverletzung.
B. Wesen der Untreue Es lässt sich ein beiden Alternativen der Untreue gemeinsamer Unrechtskern herausschälen, der im Sinne einer typologischen Betrachtungsweise wie folgt charakterisiert werden kann: Untreue ist die vorsätzliche Schädigung fremden Vermögens von innen heraus, sei es durch rechtswidrigen Gebrauch einer rechtsgeschäftlichen Machtstellung, sei es durch zweckwidrigen Gebrauch einer fremdnützigen anvertrauten Obhutherrschaft 11. In einer Wettbewerbswirtschaft versteht es sich zunächst von selbst, dass das Vermögen keinen strafrechtlichen Rundumschutz genießen kann, so dass die Aufgabe des Gesetzgebers darin besteht, die auch in einer Wettbewerbswirtschaft zu respektierenden Schutzbereiche, die sozialschädlichen Angriffsformen und den nach dem ultima-ratio-Prinzip unverzichtbaren Strafrechtsschutz festzulegen 12. § 266 muss als Baustein eines - bis heute nur in Umrissen erkennbaren - Vermögensstrafrechts verstanden und ausgestaltet werden, das die Balance zwischen Handlungsfreiheit, Rechtsgüterschutz durch Strafrecht und ultima-ratio-Prinzip herzustellen hat. Hierbei kommt dem Untreuetatbestand die Aufgabe zu, die unter viktimodogmatischen Aspekten schutzlose, d. h. vom Rechtsgutsträger nicht ausreichend absicherbare Rechtsgutsflanke gegenüber den gerade zum Schutz des Vermögens bestellten Personen mit den Mitteln des Strafrechts zu bewehren, eben die eingangs angesprochene „Verletzung von innen heraus" einzudämmen13. Nach dem traditionellen Konzept des StGB ist das Vermögen als solches gegenüber Angriffen von außen gegen die Angriffsformen des Zwanges (§ 253) und der Täuschung (§ 263) umfassend geschützt, darüber hinaus in einzelnen spezialisierten Vermögensrechten mit dem Prototyp des Eigentums, das gegen eine Beschädigung oder auf Dauer berechnete Vorenthaltung in den §§ 242, 246 und 303 umfassend geschützt ist. Die den Typus der Untreue bestimmende kriminalpolitische Aufgabe besteht also in dem Schutz des Vermögensinhabers gegen eine von innen heraus, d. h. von einer in seinem Lager stehenden Person bewerkstelligte Schädigung14. 9 Statt aller siehe nur L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 28; Otto, BT 6 , 54/2. EingehendNelles, Untreue zum Nachteil von Gesellschaften, 1991, S. 283-305. 11 L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 1. 12 L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 18. 13 L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 2. 14 L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 18.
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§ 6 Untreue (§ 266)
Die Interpretation muss deshalb, um der komplexen teleologischen Struktur des § 266 gerecht zu werden, auf der einen Seite einen möglichst wirkungsvollen Schutz des Rechtsgutes „Vermögen" sicherstellen und auf der anderen Seite die Strafbarkeitseinschränkung beachten, die sich aus der Beschränkung des tatbestandsmäßigen Schutzes auf die Angriffsform der „Verletzung von innen heraus" ergibt. Außer durch die viktimodogmatische Leitlinie der „Verletzung von innen heraus" wird das (verfassungsrechtlich verankerte) ultima-ratio-Prinzip vor allem durch die Fragestellung verkörpert, ob bzw. in welchem Umfange die Schutzmechanismen des Zivilrechts ausreichen bzw. welche Momente die Notwendigkeit des Strafrechtsschutzes auslösen15.
C. Verhältnis zur Verletzung von Privatgeheimnissen Geschütztes Rechtsgut des § 203 ist die Individualsphäre des Einzelnen. Aber das Strafrecht bezweckt keinen umfassenden Schutz der Privatsphäre. Es beschränkt sich darauf, bestimmte Angriffe mit Strafe zu bedrohen. Durch diese Zurückhaltung ist es dem Gesetzgeber gelungen, relativ scharf konturierte Straftatbestände zu schaffen, obwohl sich das geschützte Rechtsgut einer präzisen Definition entzieht16. Dabei wird der strafrechtliche Schutz auf zwei Weisen verwirklicht 17 : Einige Vorschriften stellen bereits das unbefugte Eindringen in den persönlichen Lebens- und Geheimbereich unter Strafe. Voraussetzung ist allerdings, dass das Eindringen in qualifizierter Form erfolgt oder dass besondere Schutz Vorkehrungen getroffen wurden, die zu überwinden sind (vgl. §§ 201, 202, 202a). Sind dem Täter Tatsachen aus dem persönlichen Lebens- und Geheimbereich bereits bekannt, bedarf es danach keines Eindringens mehr, kann auch die unbefugte Weitergabe dieser Kenntnisse oder deren widerrechtliche Verwertung strafbar sein. Hier setzt der Tatbestand jedoch voraus, dass der Täter bestimmten, im Gesetz abschließend aufgeführten Personengruppen angehört und in dieser Eigenschaft zum Geheimnisträger wurde (§§ 203, 204). Im letzten Fall ist das Opfer notwendig gezwungen, die eigenen Geheimnissphäre zu öffnen. Es ist deswegen schutzbedürftig. Im Verhältnis zu Privatgeheimnissen genießt das Vermögen den umfassenderen Strafrechtsschutz. Der Beweis dafür ist der höhere Strafrahmen der Vermögensdelikte. Bei der Untreue wird der notwendige Zwang nicht als Tatbestandsmerkmal gefordert. Das Opfer hat vielmehr meist aus der Freiwilligkeit dem Täter die Befugnis für die Vermögensbetreuung verliehen.
15 LKU-Schünemann, § 266 Rdn. 2. 16 Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 13 f.; ders., L K 1 1 , Vor § 201 Rdn. 6. 17 Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 32 f.
D. Verhältnis der beiden Tatbestandsalternativen
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D. Verhältnis der beiden Tatbestandsalternativen In BGHSt 24, 386 forderte der Bundesgerichtshof für den Täter des Missbrauchstatbestandes dieselbe Vermögensfürsorgepflicht wie für den Täter des Treubruchstatbestandes18. Die h.M. 1 9 schließt sich dieser Rechtsprechung an. Zur Begründung hat Hübner ausführlich ausgeführt, dass das Gesetz nun einmal für beide Alternativen des § 266 den Relativsatz „dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat" verwende, dieses ein Merkmal des ganzen gesetzlichen Tatbestandes sei, dass als solches die Missbrauchsuntreue wie die Treubruchsuntreue ergreife, und die sprachliche und gedankliche Satzeinheit nicht zerrissen werden könne. Deshalb setze es eine für beide Fälle identische Vermögensbetreuungspflicht voraus 20. Dieser Meinung ist jedoch so nicht beizupflichten. Es lässt sich nicht bestreiten, dass eine Vermögensbetreuungspflicht in den beiden Alternativen des § 266 vorausgesetzt wird. Streitig ist jedoch der Inhalt dieser Pflicht. Mit der Vermögensbetreuungspflicht kann man in logischer Hinsicht zwei ganz verschiedene Dinge verstehen: Entweder die Rücksichtnahmepflicht, die sich bei einer über fremdes Vermögen eingeräumten Rechtsmacht aus einem wie auch immer beschaffenen Innenverhältnis zum Vermögensinhalber ergibt, oder die Pflege- und Förderungspflicht, die nicht einer eingeräumten Rechtsmacht als Kautel nachfolgt und gewissermaßen deren Domestizierung garantiert, sondern von einer das fremde Vermögen ergreifenden Rechtsmacht völlig unabhängig ist und selbst in dem Fall, dass eine Rechtsmacht eingeräumt wird, deren Grund und nicht etwa deren kompensatorische Folge ist 21 . Die herrschende Ansicht hat das elementare grammatische Prinzip übersehen, dass nämlich der Relativsatz den Sinn des Hauptsatzes erläutert, aber nicht verändert, so dass es in sprachlicher Hinsicht nicht den geringsten Bedenken begegnet, wenn der Begriff der „Betreuung von Vermögensinteressen" in Bezug auf den Missbrauchstatbestand die erste Kategorie, in Bezug auf den Treubruchstatbestand die zweite Kategorie der Äquivokation „Betreuungsverhältnisse" aufgreift - allein vorausgesetzt, dass in den jeweiligen Hauptsätzen der Tatbestandsbeschreibung zunächst die erste und dann die zweite Kategorie gemeint ist. Unter grammatischen und sprachlogischen Aspekten tritt mit anderen Worten 18 Ebenso BGHSt 33, 244, 250 m. abl. Anm. Bringewat NStZ 1983, 457; OLG Hamm NJW 1977, 1834 f.; OLG Köln JR 1989, 77 m. zust. Anm. Keller. 19 Hübner, JZ 1973, 407; ders., L K 1 0 , § 266 Rdn. 5, 9; Lackner/Kühl 24, § 266 Rdn. 4; Arzt/Weber, Strafrecht BT, 22/79; Maurach/Schroeder/Maiwald, B T / 1 9 , 45/11; Krey, 12 B T / 2 , Rdn. 542; Dunkel, GA 1977, 330 f.; Fabricius, NStZ 1993, 415; SK 5-Samson/Günther, § 266 Rdn. 5; Wittig /Reinhart, NStZ 1996,471; Dunkel, Erfordernis und Ausgestaltung des Merkmals „Vermögensbetreuungspflicht" im Rahmen des Missbrauchstatbestandes der Untreue, 1976, 407, 410; ders., GA 1977, 329 ff.; Gössel, BT/2, 25/15; Schmidhäuser, BT 2 , 11/60, 62; Schreiber/Beulke, JuS 1977, 656 ff.; Seeboder, JR 1973, 117, 119 f.; Vormbaum, JuS 1981, 18, 20 f. 20 LKl 0-Hübner, § 266 Rdn. 5, 7 a.E., 8, 11, 14. 21 LKU-Schünemann, § 266 Rdn. 12.
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§ 6 Untreue (§ 266)
überhaupt kein Widerspruch auf, wenn der auf zwei Hauptsätze bezogene Relativsatz mit einem Oberbegriff arbeitet, dessen Gesamtextension die jeweilige Extension der Hauptsätze als Teilmenge enthält. Als Beispiele kann völlig heterogene Begehungsformen des Mordes in § 211 und höchst unterschiedliche Opfergruppen in § 225 angeführt werden, bei denen es zusammenfassend von einer „Pflicht, für sie zu sorgen" gesprochen wird. In Anlehnung an Wittgensteins Familienähnlichkeit der Begriffe 22 kann man eine sich unter einer bestimmten Perspektive abzeichnende Ähnlichkeit mit ein und demselben Ausdruck belegen. Die Familienähnlichkeit besteht in den beiden unterschiedlichen Kategorien von Betreuungsverhältnissen. In der Terminologie der modernen Semantik wird dargestellt: Wenn die Extension des Missbrauchstatbestandes und die Extension des Treubruchstatbestandes in ihrer Summe die Extension des Relativsatzes „dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat" ausmachen, dann ist nicht der geringste Grund dafür ersichtlich, die Intension des Innenverhältnisses beim Missbrauchstatbestand mit derjenigen beim Treubruchstatbestand in eins zu setzten23. Nach der monistischen Theorie ist der Missbrauchstatbestand ein ausgestanzter Unterfall, eine präzis gestaltete Erscheinungsform der Treubruchstatbestände. Nach der hier vertretenen Meinung kommt - je nach den Gegebenheiten des einzelnen Falles - sowohl eine Spezialität des Missbrauchstatbestandes als auch ein Ergänzungsverhältnis von Missbrauchs- und Treubruchstatbetsand in Betracht. Wenn das Innenverhältnis bei einer Missbrauchsuntreue die spezifischen Voraussetzungen des Treubruchstatbestandes erfüllt, so sind nach dem Wortlaut beide Untreueformen gegeben. Obwohl im strengen logischen Sinne kein Verhältnis der Subordination vorliegt, erscheint es gleichwohl teleologisch gerechtfertigt, in diesem Fall von einer Spezialität des Missbrauchstatbestandes zu sprechen. Bei allen eigennützigen Treuhandverhältnissen kommt dagegen allein eine Erfüllung des Missbrauchstatbestandes in Betracht, wie umgekehrt bei qualifiziert vermögensfürsorglichen Verhältnissen ohne rechtsgeschäftliche Kompetenzen des Treuepflichtigen allein der Treubruchstatbestand erfüllt sein kann. Von der Extension her kann man sich das Verhältnis von Missbrauchs- und Treubruchstatbestand deshalb am besten durch das Bild zweier sich schneidender Kreise veranschaulichen 24 Der BGH 2 5 hat in einer Entscheidung zur Hinweispflicht nach § 265 StPO festgestellt, dass der Missbrauchstatbestand gegenüber dem Treubruchstatbestand enger sei; zudem seien vereinzelt Fälle denkbar, in denen eine Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis i. S. des Missbrauchstatbestandes bestehe, ohne dass zugleich eine Vermögensfürsorgepflicht i. S. des Treubruchstatbestandes angenom22
Wittgenstein , Philosophische Untersuchungen, in: Ludwig Wittgenstein Werkausgabe Bd. 1, S. 278, Nr. 67 ff. 23 LK n-Schünemann, § 266 Rdn. 13; Argumentation aus historischer Hinsicht siehe ders., L K 1 1 , § 266 Rdn. 14 ff. 24 L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 25. 2
5 BGHNJW 1954, 1616.
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men werden kann 26 . Missbrauchs- und Treubruchstatbestand seien deshalb im Verhältnis zueinander andere Strafgesetze i. S. des § 265 StPO. Dem stimmt auch das strafprozessrechtliche Schrifttum zu 2 7 .
E. Untreue und Treupflichtverletzung I. Treupflichtverletzung Der typische Unrechtsgehalt der Untreue liegt nach herrschender Meinung in der Treupflichtverletzung. Der Inhalt der Treuepflicht ist nach dem Wortlaut des Gesetzes, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen bzw. zu betreuen. Hier sind drei Fragen zu beantworten: Was ist die Grundlage der Vermögensfürsorgepflicht? Nach welchen Kriterien wird die Vermögensbetreuungspflicht bestimmt? Wer hat diese Pflicht? Die Antworten auf die ersten beiden Fragen bieten zugleich die Lösung der dritten Frage.
II. Treuepflicht kraft tatsächlichen Treueverhältnisses § 266 nennt vier Wurzeln, aus denen sich die Vermögenswahrnehmungspflicht ergeben kann: Gesetz, behördlicher Auftrag, Rechtsgeschäft und Treueverhältnis. Es besteht keinen Streit über die Begründung der Treuepflicht kraft der ersten drei treuepflichtbegründenden Umstände. Besondere Schwierigkeiten bereitet aber die vierte Kategorie der möglichen Wurzeln. Nach einem Teil der Lehre und der Rechtsprechung28 ist bei sittenwidrigen oder gesetzwidrigen Treueverhältnissen eine strafbare Untreue abzulehnen. Haas hat sogar versucht, den Begriff des tatsächlichen Treueverhältnisses abzulehnen29. Das Reichsgericht hat schon vor 1933 die Formel aufgestellt, dass es auf die (seil, zivilrechtliche) Gültigkeit des Vertragsverhältnisses nicht ankomme und dass auch ein tatsächliches Treueverhältnis genüge30. Der Gesetzgeber hat also ledig26 So auch BGH 4 StR 29/59 v. 13. 3. 1959 und BGHSt 26, 167, 174; ebenso Bringewat, GA 1973, 362; Wolter, Alternative und eindeutige Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage im StrafR, 1972, S. 69 f. 27 KK4-Engelhardt, § 265 Rdn. 8; Schlächter, SK-StPO, § 265 Rdn. 12; Küpper, NStZ 1986, 249, 252 f. 28 Vgl. RG 70, 7; RG HRR 42/612; BGH NJW 1954, 889; SK5-Samson/Günther, § 266 Rdn. 36; Lenckner/Perron in: Schänke /Schröder 16, § 266 Rdn. 31; Schmidhäuser, BT 2 , 11/66; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT / 1 9 , 45/28; a.A. BGHSt 8, 254, 256 ff. mit zust. Anm. Bruns, NJW 1956, 151 und Härtung, JZ 1956, 572; 20, 143; Luthmann, NJW 1960, 419; Franke, JuS 1981, 446; LK l0-Hübner, § 266 Rdn. 79; Lackner/Kühl 24, § 266 Rdn. 10; Tröndle/Fischer 51, § 266 Rdn. 33. 29 Haas, Die Untreue (§ 266 StGB), 1997, S. 31-35. 30 RG JW 1930, 1404; RG JW 1931, 1366; BGHSt 6, 67 f. 12 Chen
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lieh die schon vom Reichsgericht gewonnene Erkenntnis übernommen, dass die Untreuekonstellation der Schädigung des Vermögens von innen heraus, bei einer im Einverständnis mit dem Vermögensinhaber übernommenen Herrschaftsposition, völlig unabhängig davon gegeben ist, ob die Übernahme auch zu einem zivilrechtlich gültigen Vertragsverhältnis geführt hat oder nicht 31 . Es geht bei dem „Treueverhältnis" schlicht um eine „Befreiung des Straf recht vom zivilrechtlichen Denken 32, wie sie sich etwa zur gleichen Zeit auch bei den allgemeinen Garantenstellungen in Gestalt der Ersetzung der Garantenstellung aus Vertrag durch diejenige aus Übernahme durchgesetzt hat 33 . Die strafrechtliche Vermögensfürsorgepflicht aus einem Treueverhältnis setzt deshalb (nur und immerhin) zweierlei voraus 34: erstens, dass der Täter eine untreuespezifische Herrschaftsposition über das fremde Vermögen innehat35, und zum zweiten, dass nicht diejenigen Gründe, die unter zivilrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Aspekten zur rechtlichen Unwirksamkeit des Verhältnisses führen, auch unter strafrechtlichen Aspekten eine Ausnahme vom Prinzip des Rechtsgüterschutzes begründen 36. Die Ansicht von Haas, dass die Annahme eines tatsächlichen Treueverhältnisses nicht geboten sei 37 , begeht methodologisch einen Fehler. Es fehlt eine vollständige Begründung. Er hat einige Beispiele angefühlt, in denen man die Vermögensfürsorgepflicht nicht aus einem tatsächlichen Treueverhältnis, sondern nur aus den zivilrechtlichen Normen herleiten kann. Es lässt sich aber nicht verneinen, dass die Notwendigkeit besteht, alle unter ein tatsächliches Treueverhältnis eingeordneten Fälle zu überprüfen, da die Kategorie eines tatsächlichen Treueverhältnisses subsidiäre Natur hat 38 . Die Kritik 3 9 an der Annahme eines tatsächlichen Treue Verhältnisses bei der Kompetenzüberschreitung eines Amtsträgers 40 oder bei den Beziehungen zwischen Ehegatten41 ist zwar richtig, da der aufgrund der Kompetenzüberschreitung pflichtwidrig handelnde Amtsträger Inhaber einer durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumten Rechtsstellung bleibt und die Pflicht zur Wahrnehmung der Vermögensinteressen des anderen Ehegatten 31 LKn-Schünemann, § 266 Rdn. 61 32 L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 61. 33 Grundlegend Schaffstein, FS-Gleispach, 1936, S. 73 ff.; Nagler, GS 111, 59 ff.; zur weiteren Entwicklung s. Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 218 ff.; ders., ZStW 96 (1984), 292 f., 306. 34 L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 61. 35 Im Ansatz auch zust. Sax, JZ 1977, 705 f.; BGH NJW 1984, 800; BGH NStZ 1996, 540; BGH NStZ 1997, 124, 125. 36 LKn-Schünemann, § 266 Rdn. 61. 37 Haas, Die Untreue (§ 266 StGB), 1997, S. 31-35. 38 Maurach/Schroeder/Maiwald, B T / 1 9 , 45/27. 39 Haas, Die Untreue (§ 266 StGB), 1997, S. 32, 34. 40 LK 10-Hübner, § 266 Rdn. 78; ebenso angeführt in L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 63. 41 RGSt 70, 205, 207; Arzt/Weber, LH 4, Rdn. 161; aber dieser Fall ist in der neuen Auflage (Arzt/Weber, BT, 2000, 22/51) entfallen.
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durch Gesetz (§ 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB „Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft") begründet werden kann. Aber es überzeugt noch nicht, daraus die Folgerungen zur Ablehnung eines tatsächlichen Treueverhältnisses zu ziehen. Denn in vielen nicht geprüften Beispielen ist ein solches anzunehmen. Bei den rechtsunwirksamen Betreuungsverhältnissen findet man zahlreiche Beispiele, deren zivil- oder öffentlich-rechtlicher Mangel das aus der tatsächlichen Herrschaftsbegründung durch Vertrauensakt resultierende strafrechtliche Schutzbedürfnis unberührt lässt: Der Vater hatte auf Grund des später für nichtig erklärten § 1629 Abs. 1 BGB für das Kind allein einen Abfindungsvergleich geschlossen, ein Mitglied des Vorstandes einer AG war durch den nicht vorschriftsmäßig besetzten Aufsichtsrat bestellt worden usw 42 . Die tatsächliche Herrschaftsposition bietet vor allem eine überzeugende Begründung für die Strafbarkeit der sog. Ganovenuntreue. Es handelt sich beim Treueverhältnis auch nicht um ein eigenes und deshalb in sittenwidrigen Verhältnissen nicht schutzwürdiges Rechtsgut des § 266, sondern nur um die Beschreibung der Obhutsposition des Täters und damit der Angriffsrichtung „von innen heraus" gegen das geschützte Vermögen, für die die etwaige Sittenwidrigkeit der weiteren Zwecke, die mit der Einräumung der Herrschaftsposition über das fremde Vermögen verfolgt werden, an sich gleichgültig ist 43 .
III. Vermögensbetreuungspflicht 1. Die beiden Tatbestandsalternativen
„Wahrnehmen" und „Betreuen"
Wie Sax zutreffend darlegt 44, besteht bei einer umgangssprachlich-etymologischen Auslegung45 zwischen „Wahrnehmen" und „Betreuen" ein Bedeutungsunterschied. Wahrnehmen erreicht danach nicht die Begriffsintensität des Betreuens; ihm fehlt das Element verantwortlicher Fremdfürsorge, das die Betreuung auszeichnet. Der Gesetzgeber hat diese Ausdrücke jedoch nicht bewusst zur Differenzierung, sondern synonym verwendet, weshalb die grammatisch-etymologische Interpretation nicht weiterhilft 46 . 2. Die Lösungsansätze der Rechtsprechung Rechtsprechung und Lehre haben versucht, dem Tatbestand durch eine restriktive Interpretation der Vermögensfürsorgepflicht schärfere Konturen zu geben. Die 42 L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 63 m. w. N. « 44 45 46 12*
LK n-Schünemann, § 266 Rdn. 65. Sax, Überlegungen zum Treubruchstatbestand des § 266 StGB, JZ 1977, 665 f. Dazu eingehend LK 10-Hübner, § 266 Rdn. 23. L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 71.
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§ 6 Untreue (§ 266)
Rechtsprechung hat, intuitiv im Einklang mit den Regeln der typologischen Rechtsfindung, die Erscheinungsformen in einzelne Abgrenzungsmomente aufgegliedert, die bei der Lösung der Einzelfälle in der Rechtsprechung wie im Schrifttum 47 jedoch ausdrücklich nur als Anhalt dienten48. Von grundlegender Bedeutung ist die alsbald nach der Neufassung des Untreuetatbestandes im Jahre 1933 ergangene Entscheidung RGSt 69, 58 vom 14. 12. 1934, der sich der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung angeschlossen hat 49 . Sie nennt nach Webers Einordnung 50 bereits die drei Kriterien, die bis heute herangezogen werden: (1) Vermögensbetreuung als Hauptpflicht; (2) Selbständigkeit des Treuepflichtigen; (3) Umfang und Dauer der Treuepflicht 51. a) Einen Anhaltspunkt zur Auslegung der Vermögensfürsorgepflicht könne geben, ob die das Vermögen des anderen berührende Obliegenheit des Täters den wesentlichen Inhalt oder nur eine Nebenpflicht des zwischen den beiden bestehenden Innenverhältnisses bilde 52 . Es müsse einiges Gewicht und gewisse Bedeutung haben53. Die Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen müsse den wesentlichen Inhalt bilden und nicht nur von untergeordneter Bedeutung sein 54 . Die Verpflichtungen, deren Verletzung § 266 erfasse, müssten vielmehr ihrem Wesen nach Treueverpflichtungen sein. Die allgemeine Verpflichtung, nach Treu und Glauben zu handeln, genüge nicht 55 . Die Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen müsse der typische und hauptsächliche Inhalt des den Tater mit dem Vermögensinhaber verbindenden Verhältnisses sein 56 . Damit werden aus dem Anwendungsbereich des § 266 zunächst Rechtsverhältnisse ausgeschieden, die primär der Wahrung eigener Vermögensinteressen dienen, also Austauschverträge, wie etwa der Kaufvertrag und der Mietvertrag. b) Der Verpflichtete müsse für die Erfüllung seiner Pflichten einen gewissen Spielraum, eine gewisse Bewegungsfreiheit oder Selbständigkeit haben57. Nicht hierher würden in der Regel rein „mechanische" Tätigkeiten gehören; so die bloße 47 Schänke/Schröder/Cramer™, § 266 Rdn. 21; Welzel, Das Deutsche Strafrecht 11, S. 387 f.; Maurach, Deutsches Strafrecht, BT 5 , § 39 II A 2, S. 343 f.; Schmidhäuser, Strafrecht BT 2 , 11/62. 48 L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 73. 49 BGHSt 13, 315 ff. mit weiteren Angaben. 50 Arzt/Weber, BT, 22/57. 51 Im Anschluss daran RGSt 69, 279, 280. 52 RGSt 69, 58, 62; 71,90, 91; BGHSt 6, 315, 318; 22, 190, 192; 33, 244, 250. 53 RGSt 69, 279; BGHSt 3, 289, 293 f.; 4, 170, 172; BGH GA 1979, 144. 54 BGH wistra 1987, 136, 137 = NStE Nr. 4 zu § 266 StGB; ferner BGH NJW 1998, 690 = wistra 1998, 116 = StV 1999, 31; BGH StV 2000, 30. 55 RGSt 73, 299, 300; BGH StV 1986, 204; BGH NStZ 1986, 361; BGH StV 1997,459. 56 RGSt 69, 58, 61 f.; 71, 91; 73, 300; 77, 150; BGHSt 1, 186, 188 f.; 5, 188; 6, 318; 22, 190, 191; BGH StV 2001,296. 57 RGSt 69, 58, 61; im Anschluss daran, BGHSt 3, 289, 293 f.; 4, 170, 172; BGH 5 StR 435/71 v. 12. 10. 1971; OLG Hamm NJW 1972, 298, 301; BGH NStZ 1982, 201.
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Botentätigkeit als solche oder die Erledigung untergeordneter Einzelaufträge 58. Ausnahmen seien freilich auch hier denkbar, wie etwa die Tätigkeit eines Kassenboten 59 . Hier zeigt sich übrigens die Fruchtbarkeit der Anbindung des strafrechtlichen Treuebegriffs an die zivilrechtliche Geschäftsbesorgung, die ja ebenfalls eine selbständige Tätigkeit vorausgesetzt60. c) Schon in RGSt 69, 58, 61 f. sowie in späteren Entscheidungen61 wird aus dem Begriff „Vermögensinteressen" in Verbindung mit den Ausdrücken „betreuen" und „wahrnehmen" noch entnommen, „dass an Pflichten oder Pflichtenkreise gedacht ist, die sich ihrer Dauer nach über eine gewisse Zeit oder ihrem Umfang nach über bloße Einzelfälle hinaus erstrecken". Im Großen und Ganzen spielen die vom Reichsgericht entwickelten Abgrenzungskriterien in der Praxis eine dominierende Rolle. Sie haben auch Einfluss auf die Arbeiten zur Strafrechtsreform genommen62.
3. Die Lösungsansätze der Literatur Dem vom Wortlaut des § 266 I 2. Alt. eröffneten ausgedehnten Anwendungsbereich der Treubruchsalternative stand man anfangs in der Lehre durchaus positiv gegenüber63. Doch bemühten sich andere Stimme alsbald nach Verkündung der Novelle von 1933 - zuerst wohl Schwinge /Siebert 64 - , die als zu weit eingeschätzte Tatbestandsbeschreibung anhand spezieller Kriterien greifbarer werden zu lassen. Hier taucht erstmals die Überlegung auf, die Wahrnehmungspflicht fremder Vermögensinteressen im Treubruchstatbestand sei „der typische und wesentliche Inhalt des Innenverhältnisses"65 bzw. „Hauptpflicht". Dieser Gedanke wurde in der Folgezeit vom Reichsgericht (in RGSt 69, 58 ff., 62) aufgenommen. Viele Stimmen bewegen sich in den Bahnen von RGSt 69, 58 und BGHSt 13, 315 und 58 RGSt 69, 58, 61 f.; ständige Rechtsprechung, siehe RGSt 70, 55; 71, 296; 73, 236 f.; 76, 27 f.; 77, 38; BGHSt 13, 315, 319; BGH NJW 1996, 66; OLG Celle, NJW 1959, 496; BGH NJW 1973, 1809 m. Anm. Burkhardt, S. 2190; OLG Koblenz GA 1975, 122; BGH GA 1979, 143. 59 RGSt 69, 58, 62. 60 BGH GA 1977, 18, 19; NJW 1983, 461 m. Anm. Keller JR 1983, 516; NStZ 1989, 72 m. Anm. Otto, JR 1989, 208. 61 Vgl. z. B. BGHSt 13, 315, 317; BGH wistra 1992, 66. 62 H. Mayer, Die Untreue, Materialien zur Strafrechtsreform, 1. Bd., S. 350 ff.; E 1962, Begründung zu § 263, S. 433 ff. 63 Hierzu: E. Schäfer, DJZ 1933, Sp. 789 ff., 794 f.; L. Schäfer/Richter/Schafheutie, § 266 Anm. 10. 64 Schwinge /Siebert, Das neue Untreuestrafrecht in strafrechtlicher und zivilrechtlicher Beleuchtung, 1933, S. 33 f. 65 Schwinge/Siebert, a. a. O. S. 33; vgl. weiter, Schlosky, DStrR 1938, 228, 232.
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heben hervor, die Vermögensbetreuungspflicht müsse zum Hauptinhalt der Beziehungen zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten gehören, das Vorliegen einer bloßen Nebenpflicht sei dagegen nicht ausreichend66. Abgestellt wird auch darauf, ob dem Täter des Treubruchstatbestandes ein gewisser Spielraum (Selbständigkeit) bei seinen Verpflichtungen eingeräumt sei. Mechanische und untergeordnetete Dienst seien auszuscheiden67. Die Selbständigkeit soll nach Hübners Formel, die gelegentlich in der Rechtsprechung benutzt wird 6 8 , nach einem Ermessensspielraum bestimmt werden, d. h. danach, „ob der Betreuer so handeln muss oder auch anders handeln darf' 6 9 . Als eigener Ansatz findet sich schließlich noch die Forderung einer Garantenpflicht 70 bzw. einer „besonders qualifizierten Garantenbeziehung " zu dem fremden Vermögen 71, die durch eine Pflicht zur Vermögensmehrung gekennzeichnet sein soll. Nicht ausreichend sei die Pflicht, drohende Gefahren von dem Vermögen abzuwehren (z. B. Nachtwächter in der Fabrik), vielmehr müsse die Pflicht den Täter in die Sphäre des Opfervermögens miteinbeziehen als einen, der für das Opfer - sozusagen gleichgerichtet - dessen Interessen wahrzunehmen habe72. Die wirtschaftliche Bedeutung der Pflicht wird hervorgehoben 73. Kein Kriterium für das Bestehen der Treuepflicht ist dagegen die Dauer der Tätigkeit 74 . Eine herkömmliche 75, aber in der letzten Zeit von vielen Autoren 76 vertretene Ansicht zur Beschreibung der Vermögensbetreuungspflicht versucht, das Betreu66 Blei, Strafrecht I I 1 2 , § 65 IV 3; Krey, B T / 2 1 2 , Rdn. 555; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT/1 9 ,45/30; Lackner/Kühl 24, § 266 Rdn. 11. 67 Tröndle / Fischer 51, § 266 Rdn. 29; LK 10-Hübner, § 266 Rdn. 30; Haschenburg / Kohlmann, Vor § 82 Rdn. 32; ders., JA 1980, 228, 230; Lackner/Kühl 24, § 266 Rdn. 9; SK 5-Samson/Günther, § 266 Rdn. 25; Lenckner/Perron in: Schänke/Schröder 26, § 266 Rdn. 24; 12 Arzt/Weber, BT, 22/63; Blei, Strafrecht I I , § 65 IV 3; Bockelmann, B T / 1 2 , § 18 III 2 a; Maurach/Schroeder/Maiwald, B T / 1 9 , 45/34; Otto, Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970, S. 311 f. 68 BGH NStZ 1982, 201 - was im konkreten Fall freilich schon deshalb neben der Sache lag, weil es um einen Werkvertrag und damit schon nicht um ein fremdnütziges Rechtsverhältnis ging (Kritik von Schünemann: L K 1 1 , § 266 Rdn. 83, Fn. 337). 69 LK W-Hübner, § 266 Rdn. 32; ihm folgend Otto, Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970, S. 257; ders., BT 6 , 54/22. 70 SK5-Samson/Günther, § 266 Rdn. 27. 71 Lenckner/Perron in: Schänke / Schröder 26, § 266 Rdn. 23 a. 72 SK5-Samson/Günther, § 266 Rdn. 28. 73 BGH M D R / H 78, 625; BGHSt 13, 315, 317; 28, 20, 23; OLG Köln NJW 1963, 1992; OLG Hamm NJW 1973, 1810; SK5-Samson/Günther, § 266 Rdn. 25; a. A. Lenckner/Perron in: Schänke/Schröder 26, § 266 Rdn. 23 a; Mitsch, B T / 2 / 1 , 8/43; Heinitz , FS-H. Mayer, 1966, S. 438. 74 RG HRR 41, Nr. 700; Lenckner/Perron in: Schänke / Schröder 16, § 266 Rdn. 23 a; Mitsch, B T / 2 / 1 , 8/44; Nelles, Untreu zum Nachteil von Gesellschaften, 1991, S. 540; SK5-Samson/Günther, § 266 Rdn. 31; LKW-Hübner, § 266 Rdn. 33; L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 87; Arzt/Weber, BT, 22/66; Kohlmann, JA 1980, 228, 230; Blei, Strafrecht I I 1 2 , § 65 IV 3.
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ungsverhältnis als Geschäftsbesorgung i. S. des § 675 BGB aufzufassen, da die Vermögensbetreuung „wesenhaft bürgerlich-rechtlicher Art" sei 77 . Die die Geschäftsbesorgung charakterisierenden Merkmale decken sich mit den die Vermögensbetreuungspflicht kennzeichnenden insoweit, als eine Tätigkeit vorliegen muss, die ausreichenden Spielraum für eigenverantwortliche Überlegungen und Willenbildung lässt78. Die Kasuistik der Rechtsprechung wird von der Lehre kritisiert, weil eine erhebliche Unsicherheit in den Tatbestand hineingetragen werde 79 , dadurch, dass die Rechtsprechung die Konturen der Kriterien für die Eingrenzung der Vermögensbetreuungspflichten ziemlich verwischen habe80. Deswegen sind im Schrifttum immer wieder Bedenken laut geworden, ob der Treubruchstatbestand die Bestimmtheitsforderung der Art. 103 I I GG erfüllt 81 . 4. Stellungnahme a) Zweifel an der Abgrenzungsgrundlage der Rechtsprechung Die Abgrenzungsgrundlage, deren Gesichtspunkte vom Reichsgericht aufgezählt sind und auf die die höchstrichterliche Rechtsprechung zurückgreift, ist bedenklich. Denn das Reichsgericht selbst hatte ja von Anfang an eingeräumt, die erörterten Anhaltspunkte könnten dem Richter lediglich einen „Hinweis dafür geben, auf welche Anzeichen er bei der von ihm zu treffenden Entscheidung zu achten habe", wobei eigentlich ausschlaggebend aber sein „vernünftiges Ermessen" sei 82 . Ob eine Vermögenswahrnehmungspflicht im Sinne des Treubruchstat75 So schon Kohlrausch, HdR VIII, S. 740, 747 und im Anschluss dazu, Sannwald, Der gemeinsame Rechtsgedanke von Mißbrauchs- und Treubruchstatbestand des § 266 n. E StGB, 1953, S. 46; ähnlich Nagler, ZakDR 1940, 16. 76 LKl 0-Hübner, § 266 Rdn. 26; Lenckner/Perron in: Schönke/Schröder 16, § 266 Rdn. 23; Nelles, Untreu zum Nachteil von Gesellschaften, 1991, S. 536; Arzt/Weber, Strafrecht BT, 22/60; Wentzel, Das Scheckkartenverfahren der deutschen Kreditinstitute, 1974, S. 250; Wessels /Hillenkamp, B T / 2 2 5 ' Rdn. 752; Haas, Die Untreue (§ 266 StGB), 1997, S. 39 f.; Otto, BT 6 , 54/20.
ii LK 10-Hübner, § 266 Rdn. 26. 78 Haas, Die Untreue (§ 266 StGB), 1997, S. 39. 79 SK5-Samson/Günther, § 266 Rdn. 24. so Heinitz, FS-H.Mayer, 1966, S. 438, 443; Sax, JZ 1977, 663 f.; Lenckner/Perron Schönke/Schröder* 6, § 266 Rdn. 24; LK ^-Hühner, § 266 Rdn. 25.
in:
81 Grundlegend H Mayer, Die Untreue, 1954, insbes. S. 337, 345; AE BT, Straftaten gegen die Wirtschaft (1977), S. 127; Arzt, FS-Bruns, 1978, S. 367; Gribbohm, JuS 1965, 391; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT 5 , § 15 I 3; Arzt/Weber, Strafrecht BT, 22/67; Otto, Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970, S. 311; Samson, Strafrecht II 5 , Fall 9, S. 95; Welzel, Das deutsche Strafrecht 11, § 5 I I 3 a.E.; § 56 B; klar für Verfassungswidrigkeit, Labsch, Untreue, 1983, S. 177-202; auf diese Frage eingehend, siehe LKn-Schünemann, § 266 Rdn. 29-31. 82 RGSt 69, 58, 62; hervorgehoben von Labsch, Untreue, 1983, S. 163 f.
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bestandes vorliege, könne nur nach den gesamten Umständen des Falles entschieden werden 83; die erwähnten Eingrenzungspunkte seien hierfür nur Beweisanzeichen* 4, nämlich nur Indizien für das Vorliegen der Vermögensfürsorgepflicht. b) Abgrenzung von Haupt- und Nebenpflicht als untaugliches Kriterium Der BGH hat erst nach 60 Jahren seine ständige Rechtsprechung, die Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen müsse den wesentlichen Inhalt Treueverhältnisses bilden 85 , geändert und die Kritik von Hübner 86 aufgenommen. Er verneint jetzt die Tauglichkeit dieses Eingrenzungskriteriums. Eine Einstufung, ob die Verpflichtung als eine Haupt- oder eine Nebenpflicht zu qualifizieren ist, gebe kein sicheres Erkennungszeichen gegen das Vorliegen einer Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des Treubruchtatbestandes 87. Schünemann begründet dies mit Recht wie folgt: Die Anknüpfung der Vermögensfürsorgepflicht an die zivilrechtliche Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenpflicht setzt eine Zivilrechtsakzessorietät voraus. Dieser Anhaltspunkt ist doppelt fehlerhaft, weil weder die zivilrechtliche Pflichtkategorie überhaupt noch die Unterscheidung zwischen verschiedenen Pflichtenformen für das strafrechtliche Treueverhältnis eine Vorentscheidung trifft. Freilich kann eine fremdnützige Obhutsstellung auch durch Nebenabreden zu solchen Verträgen eingeräumt werden, deren Typus auf eine andere als eine vermögensfürsorgerische Hauptpflicht gerichtet ist 8 8 , z. B. beim Kaufvertrag unter Eigentumsvorbehalt 89 oder bei einem Darlehen gegen Sicherungsübereignung 90 . Dass diese Nebenabreden ein regelrechtes Betreuungsverhältnis begründen, setzt freilich die tatsächliche Übernahme einer selbständigen Obhutsstellung voraus. Bloß zum Zweck der „Strafrechtsbewehrung" formulierte Vertragsklauseln, namentlich in AGB, genügen dafür nicht. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob die Nebenabrede derart im Mittelpunkt eines gemeinhin anders gearteten Vertragstypus steht, dass der Vertrag ohne sie gar nicht zustandgekommen wäre, sondern ob durch die Nebenabrede die für den Treubruchstatbestand nicht ausreichende Austauschbeziehung partiell in eine fremdnützige Obhutsbeziehung verwandelt oder dadurch ergänzt worden ist 91 . Der § 266 ist nicht schon deswegen 83 BGHSt 13,315. 84 BGHSt 13, a. a. O.; wie RGSt 69, 279. 85 Bereits RGSt 69, 58, 62 (von 1934); anschließend BGHSt 6, 314, 318 (von 1954). 86 In: L K 1 0 , § 266 Rdn. 34 87 BGHSt 41, 224, 228 f. = NJW 1996, 65 f.; ebenso LKn-Schünemann, § 266 Rdn. 68; Lenckner/Perron in: Schänke/Schröder 26, § 266 Rdn. 24; ähnliche Kritik vgl. auch Bringewat, NStZ 1985, 535, 537; Sowada, JR 1997, 30. 88 BGH 4 StR 86/59 v. 24. 4. 1959 unter Berufung auf BGHSt 1, 186, 189. 89 BGH 5 StR 587/69 v. 12. 12. 1969. 90 BGH 4 StR 178/53 v. 25. 6. 1953; 5 StR 652/53 v. 9. 2. 1954. 91 LK n-Schünemann, § 266 Rdn. 88.
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unanwendbar, weil die Vermögensfürsorge in einer Nebenabmachung zu einem Leistungsaustauschvertrag verabredet ist. Im Ergebnis trifft es zu, dass eine Vermögensfürsorgepflicht besteht, wenn ein Mieter schon vor Beginn des Mietverhältnisses einen Baukostenzuschuss an den Vermieter zwecks Errichtung der Mietsache bezahlt (BGHSt 8, 271, 272 f.). Aber der Grund dafür ist nicht, dass diese Pflicht wirtschaftlich im Mittelpunkt des Vertrages steht und diesem einen auftragähnlichen Inhalt gibt (BGHSt 8, 271, 272), sondern darin, dass eine fremdnützige Obhutsbeziehung dadurch begründet wird.
c) Das Betreuungsverhältnis als Geschäftsbesorgung? Die Abgrenzungsfunktion der Geschäftsbesorgung ist auch bedenklich, weil sie wegen des unscharfen Randes des Begriffskerns der „Geschäftsbesorgung" (im sog. Bedeutungshof) in unklaren Untreuefällen auch nicht mehr weiterhelfen kann. Aber sie vermag als Kristallisationspunkt zu dienen für die einzelnen Kriterien der Selbständigkeit, Bewegungsfreiheit und Verantwortlichkeit. Freilich lassen sich nicht alle Fälle der fremdnützigen Herrschaft über das Vermögen eines anderen als eine Geschäftsbesorgung einordnen, so etwa der Bereich der sog. Computerkriminalität 92. Seit der Einfügung des § 263 a durch das 2. WiKG kann jede Überdehnung des § 266 gegenüber der Computerkriminalität vermieden werden, ohne dass dadurch kriminalpolitische Unzuträglichkeiten entstünden. Ausgangspunkt ist der Befund, dass die Arbeit am Computer als solche nur ein Hantieren mit Sachen ist, welche unter § 266 nur subsumiert werden kann, wenn eine darüber hinausreichende Obhutsherrschaft über das fremde Vermögen ausgeübt wird 9 3 . Deshalb ist § 266 2. Alt. in zahlreichen Fällen nicht anwendbar. Dies gilt insbesondere für Manipulationen von Lochern und Operatoren, die lediglich mechanische Tätigkeiten ausführen, sowie für Manipulationen von Programmierern, die keine inhaltliche Entscheidungsfreiheit ausüben und lediglich über das technische „Wie", nicht jedoch über das sachliche „Was" entscheiden können 94 . Die von ihnen begangenen Inputmanipulationen erfasst grundsätzlich § 263 a 9 5 . Nur in Ausnahmefällen, wenn dem Programmierer eine gewisse wirtschaftliche Gestaltungsfreiheit bei der Programmierung eingeräumt wird, lässt sich die Auffassung vertreten, dass ein Treueverhältnis zwischen ihm und dem Betrieb besteht, kraft dessen ihm die Pflicht obliegt, die Vermögensinteressen der Firma wahrzunehmen 96. Den Computermanipulationen wirksam zu begegnen, ist der § 266 aber auch nicht vorherbestimmt 97. 92 Lampe, GA 1975, 14; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminalität (1976), Bd. II, S. 157; Sieben JZ 1977,412; LKn-Schünemann, § 266 Rdn. 74. 93 L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 110. 94 Sieben JZ 1977, 412. 95 L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 110. 96 Lampe, GA 1975, 14. 97 L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 74.
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d) Selbständigkeit als Eingrenzungskriterium? In der Auslegung der „Selbständigkeit" im Rahmen des Einkassierens, Aufbewahrens und Ablieferns von Geld für einen Auftraggeber hat die Rechtsprechung weder vorher noch nachher selten einmal mit dem Selbständigkeitserfordernis wirklich ernst gemacht und hat dieses Kriterium häufig bis zur Bedeutungslosigkeit abgewertet sowie damit den Täterkreis des Treubruchstatbestandes bei weitem überdehnt 98. So wird intensiv kritisiert, dass das Merkmal der Selbständigkeit in der Rechtspraxis ein „Mauerblümchendasein" führe 99 . In den Fällen, in denen die Rechtsprechung die Selbständigkeit verneint, geht es nur um ganz untergeordnete und unbedeutende Tätigkeiten, z. B. beim Verladen und Abliefern von Gabenpaketen für mildtätige Zwecke (RGSt 69, 297); wenn eine Behördenschreibkraft von Antragstellern Geld für die Beschaffung von Stempelmarken entgegennimmt (BGHSt 3, 289); wenn ein Vorarbeiter Arbeiter und Fahrzeuge an den Arbeitsplätzen einsetzt und die Art der Beschäftigung bestimmt (BGHSt 4, 170). In den für die Selbständigkeit angeführten Fällen 100 , in denen die Rechtsprechung die Wahrnehmungspflicht bejaht, wurde dies eigentlich nicht mit der Selbständigkeit begründet. Erst BGHSt 13, 315, 319 hat zur Beurteilung der Selbständigkeit ausgeführt, die Tätigkeit des Verwalters eines Fahrkartenschalters erschöpfe sich nicht in der Entgegennahme, Verwahrung und Ablieferung der Gelder, vielmehr habe er zur Kontrolle der Einnahme und der Ablieferungen Bücher zu führen, unter Umständen auch Quittungen zu erteilen, ferner Wechselgeld herauszugeben. Das seien Tätigkeiten, die eine gewisse Selbständigkeit und Bewegungsfreiheit voraussetzten101. Gelegentlich wird in der Rechtsprechung jedoch auch Hübners Formel benutzt, ob der Verpflichtete so handeln muss oder ob er auch anders handeln darf 102 . Ausgangspunkt muss, wie Schünemann darlegt, in der Tat die Garantenstellung des Täters über das fremde Vermögen sein, deren Konturen aber in anderer Weise bestimmt werden müssen als in der Konzeption von Lenckner/Perron 103 und Samson/Günther 104. Zunächst einmal reicht nicht jede Garantenstellung aus 105 , die auch ein mit sachgebundenen Verrichtungen betrauter Arbeitnehmer über die sei98 Lenckner/Perron in: Schänke /Schröder 16, § 266 Rdn. 24; Arzt /Weber, BT, 22/64; Heinitz, FS-H. Mayer, 1966, S. 438; Labsch, Untreue, 1983, S. 163 ff.; L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 82 f. 99 So Schomburg, wistra 1984, 143,144; Sowada, JR 1997, 28, 30. 100 RGSt 73, 235; 74,171; BGHSt 2, 324. 101 Ähnlich OLG Hamm NJW 1973, 1809, 1810; BGH NStZ 1983, 455; 1994, 586; BGH wistra 1987, 27; 1989, 60 f. 102 Vgl. Fn. 68. 103 In: Schänke /Schröder 16, § 266 Rdn. 23 a. 104 In: SK 5 , § 266 Rdn. 27. 105 Insoweit zutr. Lenckner/Perron in: Schänke /Schröder SK 5-Samson/Günther, § 266 Rdn. 27.
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, § 266 Rdn. 23 a; unklar
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ner Obhutsherrschaft anvertrauten Sachen besitzt; vielmehr muss der Herrschaftsbereich über eine einzelne Sache hinausgehen und in diesem Sinne das Vermögen als solches betreffen. Entgegen Lenckner/Perron kann das hierfür notwendige Differenzierungskriterium aber nicht in der Pflicht zur Vermögensmehrung gefunden werden, die sich weder als eine notwendige noch als eine hinreichende Bedingung begründen lässt. Denn während der von jedem Arbeiter für den Arbeitgeber pflichtgemäß zu schaffende „Mehrwert" unstreitig keine Grundlage für eine Vermögensfürsorgepflicht des Arbeiters liefert, kann man sich zahllose Geschäftsbesorgungsverhältnisse vorstellen, bei denen es nur auf die Wahrung des status quo ante ankommt - weshalb § 266 ja auch nur eine Schädigung und nicht das Unterlassen einer Vermögensmehrung voraussetzt. Die Differenzierung muss deshalb aus dem Begriff der Garantenstellung selbst entwickelt werden 106 . Auf den ersten Blick scheint Hübners Kriterium der Entscheidungsfreiheit diese Voraussetzung zu erfüllen, weil man darin eine gesteigerte Form der Herrschaft über das Vermögen erblicken könnte. Aber dieser Schein trügt, denn die Wahlfreiheit betrifft die Pflichtbindung im Innenverhältnis, während die Garantenstellung als Gestaltungsherrschaft über das fremde Vermögen im „Außenverhältnis" wirkt. Und auch hiervon abgesehen, lässt sich eine mit weiten Entscheidungsspielräumen ausgestattete Position zwar als eine besonders intensive Ausprägung des Typusmerkmals „Selbständigkeit" begreifen, schwerlich aber nach Art eines klassifikatorischen Begriffs als Grundbedingung des Treueverhältnisses hinstellen. Denn weil die den Treubruchstatbestand erfüllende Handlung auf jeden Fall pflichtwidrig sein muss und deshalb außerhalb jedes denkbaren Entscheidungsspielraumes liegt, leuchtet es nicht ein, warum die Strafbarkeit davon abhängen soll, ob dem Täter eine oder zwei legale Alternativen zu Gebote gestanden hätten. Und schließlich lassen sich leicht bedeutsame Managementaufgaben mit exakt gebundener Marschroute vorstellen, so wie umgekehrt auch ein bloßer Handlanger einen Handlungsspielraum haben kann, etwa wenn eine Haushaltshilfe entscheidet, ob sie erst die Betten macht oder die (sonst sauer werdende) Milch in den Kühlschrank stellt 107 . Die Probleme werden durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs demonstriert. In BGHSt 41, 224, 229 war der BGH darüber im Zweifel, ob allein deswegen eine Vermögensfürsorgepflicht verneint werden kann, weil der Vermieter für den Umgang mit der Mieterkaution nach § 550 b Abs. 2 BGB nur einen relativ engen Entscheidungsspielraum hat. Denn das Kriterium der eingeengten Handlungsfreiheit des Verpflichteten dient dazu, die Vermögensbetreuung im Sinne des Untreuetatbestandes von solchen „Diensten der Handreichung" abzugrenzen, wie sie etwa von Kellnern, Lieferausträgern, Chauffeuren und Boten erbracht werden. Es verbietet sich, den Vermieter als treuhänderischen Verwalter der Mieterkaution hiermit gleichzustellen. Im Übrigen verfügt selbst der Notar, Rechtsanwalt oder Steuerberater, der seinem Mandanten zustehendes Geld emp106 L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 85. 107 L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 85.
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fängt, es zu halten und schließlich an ihn auszukehren hat, nur über einen engen Entscheidungsspielraum beim Umgang mit dem Geld; gleichwohl wird in diesen Fällen eine Vermögensbetreuungspflicht im Hinblick auf den Umgang mit dem Geld angenommen. Schünemann findet dafür eine faszinierende Erklärung. Entscheidend sei die Abwesenheit von Kontrolle , wobei unter Kontrolle nicht die Frage einer nachträglichen Nachprüfung, sondern die gleichzeitige Steuerung und Überwachung zu verstehen sei. Tauglicher Täter des Treubruchstatbestandes sei dementsprechend, wer sich bei seiner fremdnützigen Tätigkeit gewissermaßen selbst zu kontrollieren habe, und genau das habe die Rechtsprechung in hervorragender Intuition bei Kassenboten, Kassierern und ähnlichen Personen zum Kriterium für die Erfüllung des Treubruchtatbestandes gemacht: Wenn der Täter selbst über seine Tätigkeit Buch zu führen habe, dann handele er ohne aktuelle Kontrolle und übe durch die in seine Kompetenz fallende Rechenschaftslegung eben auch eine Herrschaft nicht nur über einzelne Sachen, sondern über das Vermögen als solches aus 108 . Die in der Rechtsprechung überwiegend bevorzugte extensive Interpretation des den Treubruchtypus kennzeichnenden Merkmals der „Selbständigkeit" durch Einbeziehung der Fälle, in denen ein mit sachgebundenen Verrichtungen Betrauter buchhalterische Aufstellungen über seine Tätigkeit anzufertigen und mit deren Hilfe gegenüber dem Auftraggeber abzurechnen hat 1 0 9 , sei deshalb grundsätzlich zu billigen 110 . Die Anforderungen an die Selbständigkeit wurden nach der hier vertretenen Auffassung in der Rechtsprechung nicht als positiver Faktor eingesetzt, sie wurden vielmehr sehr häufig als negativer Begrenzungsfaktor verwendet 111. Es wird hier nicht das Vorliegen der Selbständigkeit überprüft, sondern deren Fehlen. Die Beurteilung des Fehlens der Selbständigkeit ist eine Ausschließungsregel, die zwar ein sicheres Beurteilungskriterium bietet und nach der rein mechanisch-technische Tätigkeiten vom Treubruchstatbestand ausgeschieden werden. Aber sie ist für die positive Auslegung nicht hinreichend, weil man mit dieser Regel nur die Fälle ausscheiden kann, bei denen es leicht zu erkennen ist, dass es nicht um eine Vermögensfürsorgepflicht geht. Sie ist auch nicht in der Lage festzustellen, dass eine Vermögensbetreuungspflicht in den übrigen Fällen besteht. Außerdem ist das Kriterium der Selbständigkeit nur eine Konsequenz der fehlenden Kontrolle. Die Momente der Selbständigkeit sind, wie Schünemann darstellt 112 , als Attribute der Herrschaftsposition zu begreifen.
LOS L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 85. 109 Vgl. BGHSt 13, 315, 319. HO L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 86. in Ebenso Sowada, JR 1997, 28, 30. ii2 L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 58.
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e) Dauer und Umfang der Betreuungstätigkeit als unwesentliche Kriterien Die Dauer und der Umfang der Betreuungstätigkeit sind für die Vermögensbetreuungspflicht bedeutungslos. So wird zwar häufig eine längere Tätigkeit zu einer Umwandlung der Fremdkontrolle in Selbstkontrolle und damit zu einer Selbständigkeit des Beauftragten führen, notwendig ist das aber nicht: Der Kassenbote, der die Tageseinnahmen seiner Firma zur Bank zu bringen hat und nach 25j ähriger solcher Tätigkeit mit einer Million durchbrennt, hatte dennoch nicht einen Augenblick Vermögensinteressen seiner Firma (seil, selbständig) wahrzunehmen gehabt. Anderseits kann der Auftrag zu einem einzelnen Vermögensgeschäft sehr wohl mit der für § 266 erheblichen Vermögensbetreuungspflicht verbunden sein, z. B. der Auftrag, nach sachverständigem Ermessen das Gemälde eines alten Meisters zu ersteigern, ein Aktienpaket zu erwerben, einen Kraftwagen bestmöglich, jedoch nicht unter einem bestimmten Limit zu versilbern, ein Sonderkonto nach Weisungen zu verwalten und zu verwenden. Das Gesetz lässt jede Art von Rechtsgeschäft oder behördlichem Auftrag als Grundlage der Vermögensbetreuungspflicht gelten. Es unterscheidet nicht zwischen Einzel- und Dauer-Rechtsverhältnissen113.
f) Richtige Einordnung der Vermögensfürsorgepflicht Die Vermögensfürsorgepflicht ist nur die zusammenfassende Bezeichnung für die strafrechtliche Konsequenz aus der vom Täter eingenommenen Herrschaftsposition über das fremde Vermögen. Im Normalfall ist die Beschreibung des strafrechtlich relevanten Betreuungsverhältnisses durch die daran geknüpften außerstrafrechtlichen, vor allem zivilrechtlichen Rechtsfolgen unschädlich. Diese Redeweise ist namentlich auch deshalb zweckmäßig, weil der Gegenstand des Betreuungsverhältnisses vom Vermögen gebildet wird und damit auf den strafrechtlichen Vermögensbegriff verweist. Wegen dieser doppelten zwar nicht Zivilrechtsakzessorietät, aber doch -affinität der „Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen", wird bei der Interpretation dieses Tatbestandsmerkmals von Schünemann mit Recht an die zivilrechtlichen Kategorien angeknüpft, aber immer auch im Auge behalten, dass es für die Erfüllung des Treubruchstatbestandes nicht eigentlich auf die zivilrechtliche Pflicht, sondern auf das ihr zugrunde liegende Herrschaftsverhältnis ankommt 114 .
113 LKn-Schünemann, § 266 Rdn. 87; in die gleiche Richtung Lenckner/Perron Schänke/ Schröder* 6, § 266 Rdn. 23 a; Arzt /Weber, BT, 22/66. 1 L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 8.
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g) Zwischenergebnis Trotz der geringen Tauglichkeit der von der Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien für die Beurteilung der Vermögensbetreuungspflicht im Treubruchstatbestand hat die Rechtsprechung grundsätzlich die methodologisch zutreffende, der typologischen Rechtsfindung angemessene Tendenz verfolgt, im konkreten Einzelfall jeweils die Ausprägung der einzelnen Typusmerkmale zu analysieren, und bei einer hinreichenden Gesamtintensität der Einzelzüge, die die „fremdnützige, über bloße sachgebundene Verrichtungen hinausgehende Obhutsherrschaft über fremdes Vermögen" als Typus charakterisieren, das Tatbestandsmerkmal der „Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen" mit Recht bejaht 115 . Im Schrifttum ist es außer Schünemanns vorstehend wiedergegebenen Herrschaftsgedanken keinem Ansatz gelungen, sichere und verallgemeinerungsfähige Kriterien zur Feststellung der im Treubruchstatbestand aufgeführten Pflicht, „fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen", herauszufinden. Methodologisch überzeugender ist deshalb, dem schon von Binding bezeichneten Unrechtskern der Untreue 116 , nämlich die Verletzung des fremden Vermögens von innen heraus, die ihm gebührende zentrale Rolle zuzuweisen „und die Momente der Selbständigkeit und des Entscheidungsspielraumes als Attribute der Herrschaftsposition und damit der Garantenstellung über das fremde Vermögen zu begreifen, so dass dann die strafrechtliche Treuepflicht eine bloße Folge der Herrschaft ist, gegenüber der die in den meisten Fällen parallel verlaufende zivilrechtliche Pflicht zur Wahrnehmung der fremden Vermögensinteressen sogar nur ein Epi-Phänomen darstellt" 117 . Und in anderer Formulierung Schünemanns „ist die qualifizierte Treuepflicht nicht der harte Felsen des Treubruchtatbestandes, sondern nur ein Spiegel oder ein Indiz für die eigentliche Struktur, nämlich die Herrschaft. Die Treue ist nur die Schale, durch die man auf den Kern der Herrschaft zugreifen muss. Oder schließlich: Treue ist nur die normative Konsequenz aus der vom Gesetz für maßgeblich erklärten sachlogischen Struktur der Herrschaft" 118 . Nur von diesem Ansatzpunkt aus kann es auch gelingen, das vom Gesetzgeber dem zivilrechtlichen Fürsorgeverhältnissen an die Seite gestellte „Treueverhältnis" nicht als einen Fremdkörper, sondern als eine weitere Herrschaftskategorie in den Treubruchstatbestand einzuordnen 119.
Iis L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 73. 116 Binding, Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts, BT, Bd. I 2 , § 92 II, S. 397. 117 LK n-Schünemann, § 266 Rdn. 58. Iis L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 20 119 L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 58.
F. Erklärung für die Deliktsausgestaltung der Untreue
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F. Erklärung für die Deliktsausgestaltung der Untreue durch viktimodogmatische Gesichtspunkte und die Herrschaftstheorie Die engere Bestimmung des Täterkreises der Untreue könnte sich aus viktimodogmatischen Gesichtspunkten heraus erklären lassen, wie Schünemann 120 behauptet, denn das Gefährlichkeitsspezifikum liegt gerade in der Verbindung von eigener Tätigkeit und eigener Abrechnung, der das Opfer zunächst wehrlos ausgeliefert ist, während es bei bloßen Handlangertätigkeiten normalerweise ohne besondere Hindernisse die Korrektheit oder Inkorrektheit überblicken kann. Der Aspekt der Viktimodogmatik kann hier letzten Endes in eine Herrschaftsbeziehung eingebracht werden, Die Konsequenz aus Roxins Pflichttheorie 121 , dass beim Treubruchstatbestand des § 266 2. Alt. nur der Träger der strafrechtsunabhängigen Vermögensfiirsorgepflicht als Täter in Betracht komme, ist dem gegenüber verfehlt. Es handelt sich nach dem Willen des Gesetzgebers hier nicht um eine zivilrechtsakzessorische Bestrafung der Verletzung zivilrechtlicher Pflichten, weil auch ein „tatsächliches" Treueverhältnis die Täterschaft begründen kann. Übt eine Person illoyal die durch einen Vertrauensakt eingeräumte Obhutsstellung und Näheposition zu einem fremden Vermögen, soll sie nach dem Treubruchstatbestand bestraft werden 122 . Damit entspricht die Täterqualifikation beim Treubruchstatbestand aber strukturell der Garantenstellung aus Herrschaft über die partielle Hilflosigkeit des Opfers aufgrund eines fremden Vertrauensaktes. In der Rechtsprechung (BGHSt. 24, 386 ff.) wird der Missbrauchstatbestand in die gleiche Richtung orientiert, indem über die Verpflichtungs- oder Verfügungsmacht hinaus eine Vermögensfürsorgepflicht und damit die gleiche Obhutsstellung wie beim Treubruchstatbestand verlangt wird 1 2 3 . Deshalb kann der Täterschaftsbereich der Untreue durch die Theorie der Garantenstellung erklärt werden. Es handelt sich bei § 266 also um ein Garantensonderdelikt, und zwar in Form der Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsgutes124. In der ohne Weiteres vom Gesetzestatbestand erfassten Begehungsform des Unterlassens liegt deshalb ein begehungsentsprechendes Garanten-Unterlassungsdelikt vor.
120 LK n-Schünemann, § 266 Rdn. 86. 121 LK n -Roxin, § 25 Rdn. 37. 122 Schünemann, GA 1986, 293 ff., 333; ders., L K 1 1 , § 14 Rdn. 17. 123 Schünemann, GA 1986, 293 ff., 333. 124 L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 55.
§ 7 Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten (§ 266 b) A. Strafbarkeitslücken 1 Nach traditioneller Auffassung erfordert der Missbrauchstatbestand der Untreue keine fremdnützige Vermögensfürsorgepflicht wie sie der Treubruchstatbestand voraussetzt2. Dementsprechend war der Missbrauch einer Scheck- bzw. Kreditkarte durch den berechtigten Inhaber ein geradezu klassischer Fall der Verwirklichung des Missbrauchstatbestandes der Untreue: Der berechtigte Inhaber der Scheck- oder Kreditkarte ist vertraglich verpflichtet, Schecks nur im Rahmen seines Guthabens oder Kredits zu begeben bzw. Verpflichtungen unter Vorlage der Kreditkarte nur soweit zu begründen, wie er ausgleichsfähig und -bereit ist. Verletzt er diese Verpflichtung, so begründet er eine Zahlungsverpflichtung der Bank bzw. des Kreditkartenunternehmens, die eine Vermögensschädigung der Betroffenen darstellt, wenn der Zahlungsverpflichtung bzw. Zahlung kein wertgleicher Ausgleichsanspruch gegenübersteht. Der Täter hat die ihm vertraglich eingeräumte Verpflichtungsmacht zu einer Schädigung seines Vertragspartners genutzt, indem er das rechtliche Dürfen im Rahmen des rechtlichen Könnens widerrechtlich (missbräuchlich) überschritt 3. In den ersten Entscheidungen, die sich mit der vorsätzlichen Begabung ungedeckter Scheckkartenschecks durch den berechtigten Scheckkarteninhaber befassten, kamen die Gerichte übereinstimmend zu dem Ergebnis, der Scheckaussteller begehe Untreue in der Form des Missbrauchstatbestandes des § 266. Er habe die ihm nach außen wirksam eingeräumte Befugnis, einen anderen zu verpflichten, missbraucht, als er entgegen der vertraglichen Vereinbarung mit dem Kreditinstitut einen Scheck ausstellte, obwohl dieser weder durch Guthaben noch durch Kredit gedeckt und der Täter nicht jederzeit fähig und willig war, für Deckung zu sorgen4. 1 Informative Darstellungen finden sich bei Otto (wistra 1986, 150 f.), Labsch (NJW 1986, 106 f.), Ranft (JuS 1988, 673 f.) und Mitsch (BT 2, Tb. 2, 4/52 ff.); ferner eingehend Schünemann,, L K 1 1 , § 266 Rdn. 4 ff., 23 ff. 2 Vgl. Arzt , FS-Bruns, 1978, S. 370 f.; Bockelmann, Strafrecht B T / 1 2 , § 18 III 1, S 141; Heimann-Trosien, JZ 1976, 551; Labsch, Untreue, 1983, S. 212 ff., 305 ff.; ders ., NJW 1986, 106, 110; SK4-Samsom, § 266 Rdn. 13 (a.A. SK5-Samsom/Günther, § 266 Rdn. 3 ff., 16); Schlüchter, JuS 1984, 680. 3 Otto, wistra 1986, 150 f. 4 OLG Hamm NJW 1972, 298 ff.; OLG Köln vom 25. 4. 1972, Ss 28/72 (unveröffentlicht, zitiert von Otto, Bargeldloser Zahlungsverkehr und Strafrecht, 1978, S. 96 Fn. 6); LG Dortmund NJW 1971, 65.
A. Strafbarkeitslücken
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Diese Ansicht fand im Schrifttum sowohl Zustimmung5 als auch Ablehnung. Die Ablehnung wurde einmal damit begründet, dass die Missbrauchsalternative des § 266 Abs. 1 den Missbrauch einer Vertretungsmacht voraussetze, der Scheckaussteller jedoch Bote6 und nicht Vertreter 7 des Kreditinstituts sei. Zum anderen wurde die Ablehnung auf die Behauptung gestützt, der Missbrauchstatbestand setze, wie der Treubruchstatbestand, ein zur Fürsorge für fremde Vermögensinteressen verpflichtendes Vermögens-Betreuungsverhältnis voraus. Dieses sei im Verhältnis des Scheckausstellers zum Kreditinstitut nicht gegeben8. Der zuletzt genannten Auffassung schloss sich der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs an und lehnte die Ansicht der oben genannten Untergerichte im Scheckkarten-Urteil vom 26. Juli 1972 ab. Er führte zur Begründung aus, dass beide Untreuealternativen nach dem Gesetzwortlaut einem inhaltlich identischen einschränkenden Kriterium unterlägen, nämlich voraussetzten, dass der Täter „fremde Vermögensinteressen von einiger Bedeutung zu betreuen habe". Daraus ergebe sich die Folgerung, dass der Scheckkarteninhaber mangels einer Fürsorgepflicht für das Vermögen des Scheckausstellers den Missbrauchstatbestand nicht erfüllen könne, obwohl er durch die Legitimation, die der Besitz der Scheckkarte begründet, über die Fähigkeit verfüge, das Vermögen der Geldinstitute mit rechtlicher Wirksamkeit zu beeinträchtigen. Das Verhalten sei daher strafrechtlich nicht als Untreue zu erfassen, sondern als Betrug, weil der Täter den Schecknehmer und die einlösenden Geldinstitute über die Deckung seines Kontos getäuscht habe9. Hinsichtlich der Annahme des Vorliegens des Betruges durch den Missbrauch der Scheckkarte ist die Entscheidung im Schrifttum fast einhellig auf Ablehnung gestoßen10. Es wird bereits bestritten, dass in der Scheckbegebung die - regelmäßig überhaupt nur in Betracht kommende - konkludente Erklärung liege, das Konto des Ausstellers weise eine ausreichende Deckung aus, denn der Aussteller weiß, dass eine derartige Erklärung vom Schecknehmer mit Sicherheit nicht erwartet wird. Gerade die Zusicherung, der Scheck werde unabhängig von der 5 Eser, Strafrecht IV 2 , S. 187; Gross, NJW 1973, 603; Heimann-Trosien, JZ 1976, 549 ff.; D. Meyer, JuS 1973, 215; Preisendanz, § 266 Anm. II; Schröder, JZ 1972, 707 ff. 6 So z. B. Vornahme, NJW 1971, 443; Zahrnt, NJW 1972, 277; ders., NJW 1972, 1095. 7 Als Vertreter sehen den Scheckkarteninhaber an: Eisenhadrt, MDR 1972, 731; HeimannTrosien, JZ 1976, 549; Hübner, JZ 1973, 412; Schaudwet, NJW 1968, 9 f.; Schröder, JZ 1972, 708. 8 Vgl. nur Dunkel, GA 1977, 339; Hübner, JZ 1973, 410 f.; Seebode, JR 1973, 119; Sennekamp, MDR 1971, 638; ders., BB 1973, 1006; Vornähme, NJW 1971, 443; Zahrnt, NJW 1972, 277; ders., NJW 1972, 1095. 9 BGHSt 24, 386 ff.; sich dem anschließend OLG Köln, NJW 1978, 713 ff.; OLG Hamm, NJW 1977, 1834 ff.; OLG Hamburg, NJW 1983, 768 f.; OLG Hamm NJW 1984, 1634 ff. 10 Anhänger des Bundesgerichtshofs sind nur Heimann-Trosien, JZ 1976, 552 und Willms, L M Nr. 5 zu § 263.
13 Chen
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§ 7 Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten
Deckung durch den Aussteller eingelöst, habe den wirtschaftlichen Rang des Scheckkartenschecks begründet 11. Daher liege keine Täuschung12, zumindest aber kein Irrtum vor 1 3 , da die Bonität des Karteninhabers für das Vertragsunternehmen keine Rolle spielt. Diejenigen, die das Vorliegen eines Betruges ablehnten sowie für beide Alternativen des Untreuetatbestandes eine Vermögensfürsorgepflicht des Täters gegenüber dem Geschädigten voraussetzten und deren Vorliegen zugleich verneinten, kamen deshalb zu dem Ergebnis, der Scheckaussteller einer ungedeckten Scheckkarte sei nach geltendem Recht (vor dem 2. WiKG) überhaupt nicht strafbar 14. In der späteren Kreditkartenentscheidung vom 13. Juni 1985 hat der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zwar mit Recht erkannt, dass bei dem Einsatz einer Kreditkarte zum Kauf von Waren und zur Inanspruchnahme von Dienstleistungen weder eine konkludente Täuschung noch ein Irrtum über die Deckung im Innenverhältnis vorliegt 15 . Er ging aber immer noch zu Unrecht davon aus, eine Bestrafung wegen Betrugsversuches auf einen bloß umgekehrten Subsumtionsirrtum des Täters über das Vorliegen einer Täuschung stützen zu können 16 . Er nimmt ferner zu Unrecht eine Strafbarkeitslücke, deren Ausfüllung Aufgabe des Gesetzgeber ist 1 7 , an, weil er den Missbrauchstatbestand in den Fußstapfen von BGHSt 24, 286 mangels einer „eigenverantwortlichen Vermögensbetreuungspflicht" des Kreditkartennehmers verneint hat 18 . Wegen der andauernden Rechtsunsicherheit hat der Gesetzgeber deshalb durch das 2. WiKG die Strafvorschrift des § 266 b in den Besonderen Teil des StGB eingefügt.
11 Vgl. z. B. Labsch, Untreue, 1983, S. 119. 12 Labsch, Untreue, 1983, S. 119; LK10-Lackner, § 263 Rdn. 230; Schroth, NJW 1983, 718 f.; Vormbaum, JuS 1981, 23. 26 13 Gross, NJW 1973, 601; Schänke/Schröder/Cramer , § 263 Rdn. 50; Schroth, NJW 1983, 719 f.; Steinhilper, Jura 1983, 404; Schröder, JZ 1972, 707; Gössel, MDR 1973, 177; Sennekamp, BB 1973, 1005.
14 LG Bonn, DB 1974, 1375 f.; Billmann, Die Rechtsgrundlagen des Scheckkartenverfahrens, Diss. Heidelberg 1971, S. 153 f.; Dreher 37, § 266 Rdn. 1; Dunkel, Erfordernis und Ausgestaltung des Merkmals „Vermögensbetreuungspflicht' 4 im Rahmen des Missbrauchstatbestandes der Untreue (§ 266 1 1. Alt.), 1976, S. 248; Gössel, MDR 1973, 117 ff.; Hübner, JZ 1973, 412; Seebode, JR 1973, 120; Sennekamp, BB 1973, 1008; Wentzel, Das Scheckkartenverfahren der deutschen Kreditinstitute, 1973, S. 242; Knauth, NJW 1983, 1287 ff. 15 BGHSt 33, 248-250. 16 BGHSt 33, 248 im Anschluss an Knauth, NJW 1983, 1287 ff.; im Ergebnis zustimmend Otto, JZ 1985, 1008, der allerdings derartige Vorstellungen eines Karteninhabers für „recht fernliegend" hält; das richtige Ergebnis soll die Annahme eines straflosen Wahndelikts sein, vgl. Bringewat, NStZ 1985, 536; Küpper, NStZ 1988, 62; LKn-Schünemann, § 266 Rdn. 128 Fn. 642. 17 BGHSt 33, 251. 18 BGHSt 33, 250 f.
B. Geschütztes Rechtsgut
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B. Geschütztes Rechtsgut Bevor ich auf das Wesen des Missbrauchs von Scheck- und Kreditkarten eingehe, muss das geschützte Rechtsgut des § 266 b festgestellt werden. Nach fast einhelliger Ansicht schützt diese Vorschrift das Vermögen des Scheckbzw. Kreditkartenausstellers, das auf Grund der Garantiefunktion, die der Karte eigen ist, bei missbräuchlicher Kartenbenutzung geschädigt wird. Ob § 266 b neben dem Vermögen als Individualrechtsgut zugleich die mit der Scheck- und Kreditkarte ermöglichten Formen des bargeldlosen Zahlungsverkehrs schützt, ist allerdings sehr umstritten. Vielfach wird die Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs zum Rang eines eigenen überindividuellen Rechtsguts erhoben 19. Dagegen vertritt die Mehrheit die Auffassung 20, dass es sich insoweit nur um einen mittelbaren Schutz, Schutzreflex bzw. Nebeneffekt handelt, den die Strafvorschrift allein aber nicht tragen würde. Leider werden die angeführten Meinungen nur sehr kurz oder gar nicht begründet. Bernsau 21, der eine extreme Auffassung vertritt und nur den „unbaren Zahlungsverkehr" als geschütztes Rechtsgut ansieht, hat in seiner von Hillenkamp betreuten Dissertationsschrift noch die ausführlichste Begründung hierfür abgegeben. Zwar habe § 266 b eine sprachliche Anbindung an § 2661. Alt. 1, jedoch seien die Tatmittel auf zwei bestimmte Modalitäten, die Scheck- und die Kreditkarte, beschränkt. Beide Mittel seien Möglichkeiten, unbar seine Rechnungen zu bezahlen22. In Anbetracht des vor dem 2. WiKG bestehenden strafrechtlichen Schutzes des unbaren Zahlungsverkehrs sei damit erkennbar, dass das Strafrecht durch die Vorschrift des § 263 fast alle Verfahren des unbaren Zahlungsverkehrs schütze, mit Ausnahme von Scheck- und Kreditkarte, obwohl in diesen Verfahren eine Bonitätsprüfung wie bei Überweisung, Lastschrift etc. nicht möglich sei. § 266 b sei nur zum Schutz vor Missbrauch des Berechtigten im unbaren Zahlungsverkehr geschaffen worden. Nur in diesem Bereich habe eine strafrechtliche Lücke bestanden, die nur durch § 266 b geschlossen werden könne 23 .
19 Bereits Weber, FS-Dreher, 1977, S. 563; BT-Drs. 10/5058, S. 32; BGH 1. StR 849/92 Beschluss vom 2. 2. 1993 = NStZ 1993, 283 = wistra 1993, 183; BGH 2. StR 260/01 - Beschluss vom 21. 11. 2001 (LG Kassel); Granderath, DB 1986, Beil. 18, 9; Lackner/Kühl 24, § 266 b Rdn. 1; Tröndle/Fischer* 1, § 266 b Rdn. 2; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechts, 1996, S. 298 f.; Rengier, B T / 1 5 , 19/1; Arzt/Weber, BT, 23/42, 54. 20 Gogger, Die Erfassung des Scheck-, Kredit- und Codekartenmissbrauchs, 1991, S. 85 f.; Gössel, Strafrecht BT/2, 26/20; Hellmann, A / W , § 24 V I Rdn. 4; Maurach/Schroeder/ Maiwald, B T / 1 9 , 45/72; Otto, wistra 1986, 152; ders., BT 6 , 54/41; Mitsch, JZ 1994, 887; ders., B T / 2 / 2 , 4 / 5 7 ; Ranft, JuS 1988, 675; SK5-Samson/Günther, § 266 b Rdn. 1; Schönke/ Schröder/Lenckner-Perron 26, § 266 b Rdn. 1 a.E; Wessels/Hillenkamp, B T / 2 2 5 , Rdn. 792; 12 Krey, B T / 2 , Rnd. 550. 21 Bernsau, Der Scheck- oder Kreditkartenmissbrauch durch den berechtigten Karteninhaber, 1990, S. 63 ff., 72. 22 Bernsau, Der Scheck- oder Kreditkartenmissbrauch, 1990, S. 64. 23 Bernsau, Der Scheck- oder Kreditkartenmissbrauch, 1990, S. 66-72.
13*
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§ 7 Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten
Der Argumentation von Bernsau ist jedoch nicht beizupflichten. Es besteht zwar kein Zweifel, dass der Stellenwert des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, der in einer modernen Volkswirtschaft einen wichtigen Platz hat, beträchtlich und deshalb ein Schutz notwendig ist. Aber Bernsau überschätzt die Funktion des § 266 b. Diese Fehlvorstellung ist meiner Vermutung nach auf die Begründung des Gesetzgebers zurückzuführen, in der dieser hervorgehoben hat, dass § 266 b zum Schutze der Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, der eine volkswirtschaftliche Bedeutung erlangt habe, notwendig sei 24 . Ob § 266 b in der Tat geeignet ist, dem Schutz der Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs zu dienen, ist jedoch zweifelhaft. Denn wenn man die praktisch geringe Bedeutung dieser Vorschrift im Verhältnis zur weiten Verbreitung von Scheck- und Kreditkarten in Betracht zieht (z. B. wurden im Jahre 2000 4.306 polizeilich erfasste Taten des § 266 b von 1.606 Tatverdächtigen begangen; deren Anteil beträgt nur 0,069% von den gesamten 6.264.723 Straftaten.) 25, kann man sich kaum vorstellen, dass die Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs wegen des Scheck- oder Kreditkartenmissbrauchs durch den Karteninhaber erschüttert würde. § 266 b ist von der Arbeitsverteilung der einzelnen Straftatbestände weder in der Lage noch geeignet, die Aufgabe zum Schutze der Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs übertragen zu erhalten. Vielmehr übernimmt der Straftatbestand des § 152 a n. F. (Fälschung von Zahlungskarten und Vordrucken für Euroschecks) die Aufgabe zum Schutze der Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, indem der Gesetzgeber durch das 6. Strafrechtsreformgesetz die Strafbarkeit der Herstellung und des Gebrauchs der gefälschten Zahlungskarten eingefügt hat. Mit der Schaffung § 152 a n. F. hat der Gesetzgeber die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs als eigenständiges Rechtsgut anerkannt 26 . Im Ergebnis vertritt Lagodny die gleiche Auffassung wie Bernsau. Seine Erwägung 27 , „bei § 266 b darf man aus grundrechtlicher Sicht überhaupt nicht auf das Vermögen als geschütztes Gemeinwohlinteresse oder Rechtsgut rekurrieren. Dies würde nämlich bedeuten, dass ein Partikularinteresse geschützt ist, das Vermögen von Kreditkartenunternehmen oder Banken. Bei der Untreue (§ 266) kann jedes geschäftsfähige Individuum Treuhandgeber sein. Bei § 266 b kann hingegen schon faktisch nicht jeder die Erlaubnisvoraussetzungen nach § 33 Kreditwesengesetz 24 BT-Drs. 10/5058, S. 32. 25 Vgl. BKA Polizeiliche Kriminalstatistik 2000. 26 Bereits BT-Drs. 10/5058, S. 26; BT-Drs. 13/8587, S. 29; BGHSt 46,48 und 146; Lackner/Kühl 24, § 152 a Rdn. 1; Otto, wistra 1986,153; ¿fers., BT 6 ,75/25; SK6-Rudolphi, § 152 a Rdn. 1; LK U -Ruß, § 152 a Rdn. 2; Tröndle / Fische?\ § 152a Rdn. 1; a.A. NK-Puppe, § 152 a Rdn. 3 ff. 27
Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 298 f.; ob er wie Bernsau die Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs für das einzige geschütze Rechtsgut in § 266 b hält, teilt er nicht eindeutig mit. Jedoch stimmt er im Ergebnis Bernsau zu.
B. Geschütztes Rechtsgut
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erfüllen. § 266 b kann deshalb nur über den Schutz des bargeldlosen Zahlungsverkehrs als solchen legitimiert werden.", überzeugt aber auch nicht. Das von Lagodny hervorgehobene Gemeinwohlinteresse ist eigentlich nichts anderes als der Gemeinschaftswert oder -belang. Es ist also der Gemeinschafts- oder Sozialbezug, der von Verfassung wegen strafschutzwürdige Werte oder Belange kennzeichnet. Der erforderliche Gemeinschafts- und Sozialbezug zwingt weiterhin dazu, die Strafschutzwürdigkeit von Gütern aus der Sicht der Öffentlichkeit und Allgemeinheit festzulegen (auch wenn es um den Schutz von Individualrechtsgütern geht!), wodurch ihr Schutz zur öffentlichen Aufgabe wird 28 . Damit ist zwar ein reiner Partikularinteressenschutz durch das Strafrecht verfassungsrechtlich ausgeschlossen, aber er wird dann legitim, wenn er auch im öffentlichen Interesse gewährt wird 2 9 . Auch wenn man hier das Vermögen der Geldinstitute als Partikularinteresse ansieht, handelt es sich um ein das öffentliche Interesse tangierendes Partikularinteresse, weil der Schutz des Vermögens der Geldinstitute nämlich auch die Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs betrifft. Wäre übrigens, das Rechtsgut ein kollektives, nämlich die Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, so wäre § 266 b tendenziell als (Kreditwesen-) Gefährdungsdelikt zu begreifen 30, und das würde bedeuten, den missbräuchlichen Einsatz der genannten Karten nur dann als tatbestandlich und strafbar anzusehen, wenn die Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs auch wirklich mindestens gefährdet wäre 31 . Wie die geringe Zahl in der Kriminalstatistik gezeigt wird, sind die sich daraus ergebenen Schäden aber so bedeutungslos, dass die Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs kaum beeinträchtigt wird. Mangels einer real zu befürchtenden Rechtsgutsbeeinträchtigung müsste der Tatbestand entfallen. Deshalb ist nur das Vermögen des Geldinstituts geschütztes Rechtsgut des § 266 b. Erwähnenswert ist, dass der Bundesgerichtshof anhand der Anerkennung der Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs als das zweite geschützte Rechtsgut des § 266 b zu begründen versucht, dass der Kreditkartenmissbrauch nach dem Erschleichen der Kreditkarte regelmäßig nicht bloß mitbestrafte Nachtat gegenüber § 263 sei 32 . Denn der Schuldspruch aus §§ 263, 27 und § 267, 27 bringe 28 Jakobs, AT 2 , 2/10. 29
Vogel, Strafrechtsgüter und Rechtsgüterschutz durch Strafrecht im Spiegel der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, StV 1996, 110, 111. 30 Insoweit ergibt sich eine ähnliche Kritik wie bei § 203. 3 1 Gössel, BT/2,26/20. 32 BGH 1. StR 849/92 - Beschluss vom 2. 2. 1993 = NStZ 1993, 283 = wistra 1993, 183, der aber offenlässt, ob in den zu entscheidenden Fällen Tateinheit oder Tatmehrheit besteht; BGH 2. StR 260/01 - Beschluss vom 21. 11. 2001 (LG Kassel) [Tateinheit]; Abweichend Uckner-Perron in: Schönke/Schröder 16, § 266 b Rdn. 14; Küpper, NStZ 1988, 60, 61; Schlüchter, Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1987, S. 117; Henke, Bargeldlose Zukunft und Kartenkriminalität, 1989, S. 31; Eckert, Die strafrechtliche Erfassung des Check- und Kreditkartenmissbrauch, S. 200 [mitbestrafte Nachtat]; Bernsau,
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§ 7 Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten
die Beeinträchtigung dieses speziellen Rechtsguts nicht zum Ausdruck 33. Die Rechtsmeinung des Bundesgerichtshofs verdient aber keinen Beifall. Auch wenn die Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs nicht als das zweite geschützte Rechtsgut in § 266 b angesehen wird, ist es leicht, das richtige Ergebnis, nämlich die Annahme einer Tateinheit zwischen § 266 b und § 263 34 , zu finden, wenn man zu der Erkenntnis kommt, dass das Wesen der Tateinheit in der Erfolgseinheit 35 besteht.
C. Wesen des Scheck- oder Kreditkartenmissbrauchs Der Inhaber einer Kreditkarte hat - ebenso wie der Inhaber einer Scheckkarte von dem Geldinstitut die in der Karte gem. § 167 BGB verlautbarte Vollmacht erhalten, den Vollmachtgeber gegenüber dem Vertragspartner des Karteninhabers (im „Außenverhältnis") unabhängig von einer etwaigen Deckung im Innenverhältnis (zwischen Vollmachtgeber und Karteninhaber) zu einer Zahlung zu verpflichten. Der Karteninhaber besitzt also eine Verpflichtungsmacht, welche prinzipiell weiter reicht als die (etwa auf ein Guthaben oder eine Kreditlinie beschränkte) Gestattung im Innenverhältnis, und der Missbrauch dieser Verpflichtungsmacht bedeutet auch eine Schädigung des Vermögens des Vollmachtgebers von innen heraus, die sich nicht im Rahmen des Hantierens mit Sachen vollzieht und deshalb ein typisches Unrecht des Missbrauchstatbestandes verkörpert 36. Deshalb ist der traditionellen „ Untreuelösung " zuzustimmen. Dass die Judikatur sich hartnäckig auf Dauer dieser einfachen Lösung verschließt, indem sie den Missbrauchstatbestand fehlerhaft interpretiert 37, ändert nicht daran, dass der Scheck- oder Kreditkartenmissbrauch seiner Unrechtsstruktur nach ein Unterfall der Missbrauchsuntreue ist. Richtigerweise erfüllt der ohne Deckung erfolgende und deshalb pflichtwidrige, die Bank bzw. das Kreditkartenunternehmen schädigende Einsatz der Kreditkarte im sog. Drei-Partner-System wie auch der Scheckkarte den Missbrauchstatbestand, weil es dafür genügt, dass der Täter außerhalb Der Scheck- oder Kreditkartenmissbrauch, 1990, S. 133; Gössel, BT/2, 26/57; Lackner/ Kühl 24, § 266 b Rdn. 9 [Tatmehrheit]; Mitsch, JZ 1994, 877, 886 und zust. LK n-Gribbohm, § 266 b Rdn. 55 [Betrug als mitbestrafte Vortat]. 33 Hervorgehoben von Mitsch, JZ 1994, 877, 887. 34 Weber t JZ 1987, 215, 216; ders., Konkurrenzprobleme bei der strafrechtlichen Erfassung der Euroscheck- und Euroscheckkartenkriminalität durch das 2. WiKG, FS-Küchenhoff, 1987, S. 487; Tröndle / Fischer*\ § 266 b Rdn. 25. 35 Dazu vgl. NK-Puppe, Vor § 52 Rdn. 27 ff.; die Fragen zur Tateinheit fallen aus dem Rahmen meines Themas und kann hier nicht erörtert werden. 36 LK n-Schünemann, § 266 Rdn. 128 am Anfang. 37 BGHSt 24, 286; 33, 244; Schünemann hat das Scheckkartenurteil stark kritisiert und wegen einer unrichtigen Restriktion des Missbrauchstatbestandes und wegen einer unhaltbaren Extension des Betrugstatbestandes zur peinlichsten dem BGH je unterlaufenen dogmatischen Fehlleistung gestempelt, vgl. LKu-Schünemann, § 266 Rdn. 128.
D. Strafbarkeit der missbräuchlichen Weitergabe der Kreditkarte
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des bloßen Hantierens mit Sachen eine Treuhandposition missbraucht 38. Nachdem nunmehr der Gesetzgeber den Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten in § 266 b als Spezialtatbestand im weiteren Bereich der strafrechtlichen Untreue geregelt hat, schließt § 266 b als die speziellere Norm jedoch § 266 aus, der nach den Grundsätzen der Gesetzeskonkurrenz zurücktritt 39 .
D. Strafbarkeit der missbräuchlichen Weitergabe der Kreditkarte durch den Karteninhaber 40 Nach der Feststellung des Wesens des Scheck- oder Kreditkartenmissbrauchs durch den Karteninhaber liegt es nahe, weshalb die Täterschaft nur auf den berechtigen Karteninhaber beschränkt ist. Denn nur er besitzt die Verpflichtungsmacht, nur ihm ist nämlich die Möglichkeit eingeräumt, den Aussteller zur Zahlung zu veranlassen. Eine solche enge Bestimmung des Täterkreises kann auch aus viktimodogmatischen Ansätzen heraus abgeleitet werden, da das Opfer dem berechtigen Karteninhaber die Verpflichtungsmacht ausgeliefert hat und deshalb gegenüber dem Täter wehrlos und schutzbedürftig ist. § 266 b ist auch in dieser Sicht ein Delikt, das mit § 266 verglichen werden kann, so dass auch der Aspekt der Viktimodogmatik letzten Endes in die Begründung einer Vertrauensbeziehung und damit einer Herrschaftsbeziehung eingebracht werden kann. § 266 b ist deswegen ein Sonderdelikt 41, und zwar in Form des Garantensonderdelikts. Der Karteninhaber übt eine Obhutsherrschaft über fremdes Vermögen aus. Mit der Annahme, dass es sich bei § 266 b um ein Garantensonderdelikt handelt, kann man eine überzeugende Lösung für die Problematik der missbräuchlichen Weitergabe der Kreditkarte durch den Karteninhaber finden. Mitsch hat zwar be38 Im Sinne der Untreuelösung zustimmend: Bringewat, JA 1984, 352 ff.; ders., NStZ 1985, 537; Labsch, NJW 1986, 104 ff., 110; Otto, JZ 1985, 1009 f. 39 LK n-Schünemann, § 266 Rdn. 128 am Ende; im Ergebnis so auch die ständige Rechtsprechung BGH NStZ 1987, 120; KG JR 1987, 257; OLG Hamm MDR 1987, 514; OLG Stuttgart NJW 1988, 981, 982; Otto, wistra 1986,150, 153; Weber, NStZ 1986,484; ders., JZ 1987, 216; Arzt/Weber, BT, 23/53; Geppert, Jura 1987, 165; Mitsch, JZ 1994, 884; Lackner/Kühl 24, § 266 b Rdn. 9; Maurach/Schroeder/Maiwald, B T / 1 9 , 45/76; Bühler, MDR 1989, 24; Lenckner-Perron, in: Schänke /Schröder/ 2 6 , § 266 b Rdn. 14; Tröndle/Fischer 51, § 266 b Rdn. 23. 40 Im Rahmen des Scheckkartenverfahrens ist die Weitergabe der Karte grundsätzlich erlaubt, so dass von vornherein ein Missbrauch ausscheidet, vgl. Gogger, Die Erfassung des Scheck-, Kredit- und Codekartenmissbrauchs, 1991, S. 150. 41 Lackner/Kühl 24, § 266b Rdn. 2; Mitsch, B T / 2 / 2 , 4/61; Tröndle/Fischer 51, § 266 b Rdn. 21; Weber, NStZ 1986, 481, 484; ders., JZ 1987, 215, 217; Arzt/Weber, BT, 23/51; Ranft, JuS 1988, 677; L K 1 1 -Gribbohm, § 266 b Rdn. 46; SK5-Samson/Günther, § 266 b Rdn. 2; Joecks, StGB4, § 266 b Rdn. 16; Wessels/Hillenkamp, B T / 2 2 5 , Rdn. 792; Rengier, B T / 1 5 , 19/3; Gogger, Die Erfassung des Scheck-, Kredit- und Codekartenmissbrauchs, 1991, S. 90; Schlächter, Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1987, S. 109; im Ergebnis ebenso Maurach/Schroeder/Maiwald, BT / 1 9 , 45/75.
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§ 7 Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten
reits vermutet, dass dieses Zurechnungsproblem mit den Instrumenten „mittelbare Täterschaft mit qualifikationslosem Werkzeug" oder „Pflichtdelikt" dogmatisch zu bewältigen wäre 42 , aber er hat diesen Ansatz leider ohne eingehende Untersuchung zum Scheitern verurteilt: Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung die Strafbarkeit der unberechtigten Weitergabe der Kreditkarte an einen Dritten durch den Karteninhaber gemäß § 266 b Abs. 1 verneint, da die Vorschrift nicht vor jeder Art vertragswidriger Benutzung von Kreditkarten und den damit verbundenen Missbrauchsmöglichkeiten schützen wolle. Sie richte sich nur gegen das Verhalten, das weder vom Untreue- noch vom Betrugstatbestand erfasst werde. § 266 b sollte die Strafbarkeitslücke zwischen § 263 und § 266 schließen. Es bestehe deshalb kein Anlass, den mit geringerer Strafdrohung versehenen Auffangtatbestand des § 266 b auf andere Missbrauchsfälle auszudehnen, die herkömmlich bereits von § 263 oder § 266 erfasst würden 43 . Diese Begründung der Rechtsprechung erscheint aber unzutreffend. Einerseits ist § 266 b zwar für die Erfassung des Scheck- oder Kreditkartenmissbrauchs durch den Karteninhaber geschaffen, der Gesetzgeber hat jedoch nicht die Möglichkeit ausgeschlossen, § 266 b auch in den anderen entsprechenden Fällen heranzuziehen. Die Judikatur hat insoweit ihre Grenze überschritten. Andererseits sollte die Judikatur bei der Beurteilung eines Sachverhalts alle an sich erfüllten Tatbestände herausfinden. Erst nach deren Feststellung kommt die Frage der Konkurrenz. Bei einer vorab bestimmte Straftatbestände ausschließenden Beurteilung besteht die Gefahr einer Strafbarkeitslücke. Der folgende Fall ist denkbar: Ein Dritter D, dem der Karteninhaber K die Kreditkarte unberechtigt weitergeben hat, hat wegen einer Nötigung durch einen Gewalttätigen G die Karte missbraucht, um sein eigenes Leben zu retten. Die Betrugsoder Urkundenfälschungshandlung von D ist wegen Notstand (§ 34) gerechtfertigt. Könnte § 266 b diesen Fall nicht erfassen, wäre die Beihilfe zum Betrug oder zur Urkundenfälschung von K deshalb auch straflos. Die unberechtigte Weitergabe der Kreditkarte von K ist aber mindestens genauso sozialschädlich wie der Kreditkartenmissbrauch durch den Karteninhaber oder sogar gravierender als dieser (denn die Höchstfreiheitsstrafe von § 263 und § 267 ist bis zu fünf Jahren). Nach dem argumentum a minore ad maius sollte K auch bestraft werden. Darüber hinaus ist Missbrauch nach dem möglichen umgangssprachlichen Wortsinn nicht nur die eigenhändige Benutzung der Kreditkarte gegenüber einem Vertragsunternehmen durch den Karteninhaber selbst44, sondern auch die Benutzung durch einen berech42 Mitsch, JZ 1994, 877, 887. 43 BGH von 3. 12. 1991-4. StR 538/91 = NStZ 1992, 118 = wistra 1992, 102; zustimmend LK n-Gribbohm, § 266 b Rdn. 30. 44 Unglücklicherweise hat Mitsch zum einen die Rechtsmeinung des 4. Strafsenats des BGH (3. 12. 1991-4 StR 538/91 = NStZ 1992, 278) dahingehend missverstanden, dass Missbrauch nur die eigenhändige Benutzung der Kreditkarte gegenüber einem Vertragsunternehmen durch den Karteninhaber selbst sei (JZ 1994, 877, 887). In der Tat hat der BGH die eigenhändigen Betrugshandlungen durch einen Dritten gegenüber dem Kreditunternehmen gemeint; seine Anführung betrifft überhaupt nicht ein eigenhändiges Delikt. Zum anderen hat er eine inhaltlich für den Fall der missbräuchlichen Weitergabe einer Kreditkarte unbehelf-
E. Ergebnis
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tigen Dritten und das Nichteinschreiten 45 bei der Benutzung durch einen unberechtigten Dritten. In dem ersten Fall geht es darum, dass ein Dritter als doloses Werkzeug gemäß einem Auftrage des Karteninhabers die Karte im Verhältnis zum Kreditinstitut missbraucht. Der Karteninhaber hat sich damit gemäß § 266 b in unmittelbarer Täterschaft strafbar gemacht, weil die Benutzung durch einen berechtigen Dritten auch direkt unter den Begriff des Missbrauchs subsumiert werden kann, während die zu dieser Thematik sich äußernden Autoren 46 der Meinung sind, dass der Karteninhaber als mittelbaren Tater bestraft werden müsse. Der Dritte macht sich wegen des Fehlens der Tätereigenschaft in einem solchen Fall der Beihilfe zum Kreditkartenmissbrauch schuldig. In dem letzten Fall handelt es sich um einen „Missbrauch durch Unterlassen". Zunächst ist die unberechtigte Weitergabe der Kreditkarte an einen Dritten zwar von der Außenwelt her ein aktives Verhalten, aber der Karteninhaber hat ein zu erwartendes positives Tun unterlassen, durch das der Erfolg abgewendet worden wäre 47 . Objekt der Herrschaft sind bei dem Tatbestand des Kreditkartenmissbrauchs die rechtlichen Beziehungen des Vermögens, deren pflichtwidrige Gestaltung sowohl durch rechtsgeschäftliche Maßnahmen als auch dadurch vorgenommen werden kann, dass die zur Erhaltung der Rechtspositionen notwendigen rechtlichen Maßnahmen nicht vorgenommen werden. Diese den sachlogischen Strukturen der Garantenherrschaft entsprechende Interpretation ist auch mit dem Wortlaut des § 266 b ohne weiteres zu vereinbaren, weil auch die Nichtvornahme eines (rechtlich gebotenen) Verfügungsaktes umgangsprachlich ohne weiteres als ein Missbrauch der Verfügungsbefugnis bezeichnet werden kann. Entgegen der Auffassung in der Rechtssprechung48 und im Schrifttum 49 folgt daraus, dass der die Kreditkarte unberechtigt an einen Dritten weitergebende Karteninhaber den Kreditkartenmissbrauchstatbestand erfüllt. Wegen der Erfolgseinheit besteht dabei Tateinheit zwischen § 266 b und §§ 263, 27 sowie §§ 267, 27.
E. Ergebnis Festzuhalten ist: Das geschützte Rechtsgut des § 266 b ist nur das Vermögen, während die Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs als Schutzliche Entscheidung des 1. Senat des BGH (BGH von 2. 2. 1993-1. StR 849/92 = NStZ 1993, 283 f. = wistra 1993, 183 f.) angeführt (JZ 1994, 877, 887). 45 LKU-Schünemann, § 266 Rdn. 55. 46 Bernsau, Der Scheck- und Kreditkartenmissbrauch, 1990, S. 107; Schlächter, Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1987, S. 111; LK n -Gribbohm, § 266 b Rdn. 47; Gogger, Die Erfassung des Scheck-, Kredit- und Codekartenmissbrauchs, 1991, S. 150 ff. Die Unangemessenheit und die Überflüssigkeit dieser Lösung wurde bereits oben unter § 2 B I I c festgestellt. 47 Siehe nur Jescheck/Weigend, AT 5 , § 58 I I 2, S. 603; LKU-Jescheck, Rdn. 83 Vor § 13. 48 BGH von 3. 12. 1991 - 4 . StR 538/91 = NStZ 1992, 118 = wistra 1992, 102. 49 Lackner/Kühl 24, § 266 b Rdn 5; Mitsch, JZ 1994, 877, 887; Gogger, Die Erfassung des Scheck-, Kredit- und Codekartenmissbrauchs, 1991, S. 149 f.; LK U-Gribbohm, § 266 b Rdn. 30.
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§ 7 Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten
reflex anzusehen ist. Der Scheck- oder Kreditkartenmissbrauch ist dem Wesen nach ein Unterfall der Missbrauchsuntreue. Darüber hinaus ist § 266 b ein Sonderdelikt, und zwar in Form des Garantensonderdelikts. Anhand des Begriffs des Garantensonderdelikts ist die Problematik der Strafbarkeit missbräuchlicher Weitergabe der Kreditkarten durch den Karteninhaber leicht zu lösen.
§ 8 Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203) Das Strafrecht legt nicht jedermann, dem fremde Geheimnisse anvertraut oder bekannt werden, eine Schweigepflicht auf, sondern nur bestimmten Berufsgruppen, Amtsträgern und amtsnahen Personen. Taugliche Täter sind die in dem Täterkatalog des § 203 Abs. 1 und 2 aufgeführten Personen, außerdem die Personen, auf die sich die Schweigepflicht in Absatz 3 erstreckt (Gehilfe, Lernende, durch den Tod des Betroffenen schweigepflichtig Gewordene)1. § 203 stellt deshalb ein Beispiel für ein Sonderdelikt dar, weil die Strafbarkeit des Täters vom Vorliegen des in § 203 genannten besonderen persönlichen Merkmals der Berufsangehörigkeit abhängt. Auf die Frage, nach welchem Grundprinzip dieser Personenkreis ausgewählt worden ist, werde ich im Folgenden näher eingehen.
A. Geschütztes Rechtsgut Offenbar hängt dieses Grundprinzip mit dem in § 203 geschützten Rechtsgut zusammen, das deshalb zuerst klargestellt werden muss. Über das geschützte Rechtsgut des § 203 besteht ein erbitterter Streit. Eine Betrachtung, welche herausgehobene Berufe wie insbesondere den des Arztes im Blickfeld hat, sieht neben dem Geheimhaltungsinteresse des Patienten das öffentliche Interesse an der Funktionsfähigkeit dieser Berufe als sekundär2 mitgeschütztes Rechtsgut oder sogar als primär 3 geschützt an. Danach soll das allgemeine Vertrauen in die Verschwiegenheit des Arztes als Kollektivrechtsgut eine effektive Gesundheitspflege gewährleisten, weil der Patient die erforderlichen Angaben nur mache, wenn die Vertraulichkeit gesichert ist 4 . Ebenso sei das Vertrauen in die Ver1 Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald, B T / 1 9 , 29/27; L K 1 1 -Schünemann, § 203 Rdn. 58. 6 2 NJW 1968, 2288; Otto, BT , 34/26; Krey, B T / 1 1 1 , Rdn. 457; Maurach/Schroeder/ Maiwald, B T / 1 9 , 29/4; Tröndle / Fischer 51, § 203 Rdn. 2; Michalowski, ZStW 109 (1997), 522; Lackner/Kühl 24, § 203 Rdn. 1; Gallas, ZStW 1963, 23 f.; Geppert, Die ärztlichen Schweigepflicht im Strafvollzug, 1983, S. 13; Höh, Strafrechtlicher Anonymitätsschutz des Beschuldigten vor öffentlicher Identifizierung durch den Staatsanwalt, 1985, S. 19; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 1988, S. 222; Timm, Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht, 1988, S. 22; Cramer, Strafprozessuale Verwertbarkeit ärztlicher Gutachten aus anderen Verfahren, 1995, S. 43. 3 OLG Köln, NStZ 1983,412; Eh. Schmidt, NJW 1962, 1745; Schlund, JR 1977,265, 269; Schänke/Schröder/Lenckner 26, § 203 Rdn. 3. 4 OLG Celle, MDR 1952, 376 m. Anm. Maaßen; OLG Karlsruhe, NJW 1984, 676; OLG Köln, NStZ 1983, 412 m. Anm. Rogall; LG Aurich, NJW 1971, 252; Arloth, MedR 1986,
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§ 8 Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203)
schwiegenheit von Amtsträgern notwendige Voraussetzung für die Bereitschaft des Bürgers, der öffentlichen Verwaltung die von ihr benötigten Angaben zugänglich zu machen5. Dieses institutionenbezogene Argument ist aber nicht überzeugend, weil seine Stütze auf dem alten Gesetzeswortlaut basierte, der den Strafschutz auf anvertraute Geheimnisse beschränkte. Diese Stütze ist jedoch weggefallen, seitdem ihn § 13 der Reichsärzteordnung auf „zugänglich gewordene" und das 3. StRÄndG allgemein auf „bekannt gewordene" Geheimnisse ausdehnte6. Im Übrigen spricht die Dispositionsbefugnis des Schutzadressaten eine deutliche Sprache7. Zwar meint Lenckner, dessen Antragsbefugnis damit rechtfertigen zu können, dass die Vertrauensbeziehung eben nur nach Maßgabe des Willens des unmittelbar Betroffenen schutzbedürftig sei8. Mit dieser „Sachwalterkonstruktion" wird jedoch eigentlich die Priorität des persönlichen Geheimnisschutzes anerkannt9. Darüber hinaus besteht das Wesen aller in § 203 aufgeführten Tätigkeiten darin, dass sie in die Privatsphäre eindringen und teilweise mit Geheimnissen intimer Natur umgehen. Auch im Bereich der Verwaltung (Absatz 2 Satz 1) setzt der Strafschutz des § 203 nicht bereits ein, wo das Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit der Amtsverschwiegenheit berührt ist, sondern erst beim Umgang mit privaten Geheimnissen10. Wäre Rechtsgut ein allgemeines, zur Funktionsfähigkeit der Berufe erforderliches Vertrauen in die Verschwiegenheit ihrer Angehörigen, so wäre § 203 tendenziell als (Gesundheits-) Gefährdungsdelikt zu begreifen 11. Ferner gehörte sein Absatz 2 systematisch als Amtsdelikt in den 30. Abschnitt; dort würde er mit § 353 b kollidieren und wäre zudem überflüssig 12. Geschütztes Rechtsgut ist deshalb die Individualsphäre des Einzelnen 13. Das Vertrauen in die Verschwiegenheit des Berufsangehörigen ist mithin nichts anderes 295, 296; Becker, MDR 1974, 888, 891 \ Bockelmann, Strafrecht des Arztes, 1968, S. 34; Eser, ZStW 97 (1985), 1, 41; Fink, DÖV 1957, 447, 448; Haffke, GA 1973, 65, 67; Henkel, Der Strafschutz des Privatlebens gegen Indiskretion, Gutachten für den 42. DJT (1957) D, S. 135; Arthur Kaufmann, NJW 1958, 272; Kierski, BB 1964, 395; Lenckner, NJW 1965, 321, 322; B. Lilie, Medizinische Datenverarbeitung, Schweigepflicht und Persönlichkeitsrecht im deutschen und amerikanischen Recht, 1980, S. 79; Martin, DAR 1970, 302; Marx, GA 1983, 160, 168; Schlund, JR 1977, 265, 269; Eb. Schmidt, JZ 1951, 211; ders., NJW 1962, 1745, 1747; Schönke/Schröder/Lenckner 16, § 203 Rdn. 3; Weichbrodt, NJW 1983, 311, 314; Zieger, StV 1981, 559, 562; s. ferner Sauter, Das Berufsgeheimnis und sein strafrechtlicher Schutz, 1910, S. 32 ff., 45 ff. 5 Knemeyer, NJW 1984, 2242; Schönke/Schröder/Lenckner 16, § 203 Rdn. 3. 6 So schon zuvor die Rechtsprechung RGSt 13, 60, 62; RG GA 57 (1910), 207; s. Rogall, NStZ 1983, 413; Eb. Schmidt, Arzt im Strafrecht, S. 31; LKl 0-Jähnke, § 203 Rdn. 14; LKn-Schünemann, § 203 Rdn. 14. 7 Vgl. SK7-Hoyer, § 203 Rdn. 3 8
Schönke/Schröder/Lenckner 26, § 203 Rdn. 3. 9 NK-Jung, § 203 Rdn. 3. 10 L K 1 1 -Schünemann, § 203 Rdn. 15. 11 L K 1 1 -Schünemann, § 203 Rdn. 15; ders., ZStW 90 (1978), 11, 61; Ostendorf, 444,446. 12 L K 1 1 -Schünemann, § 203 Rdn. 15.
JR 1981,
C. Erklärung der Ausgestaltung als Sonderdelikt
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als eine typische Begleiterscheinung, als eine Art generalpräventiver Reflex, wie er in ähnlicher Weise bei anderen Straftatbeständen zum Schutz von Individualrechtsgütern vorkommt 14 . Daraus ergibt sich zugleich, dass auch die Bezeichnung „das Vertrauen in die Verschwiegenheit des Berufsangehörigen als sekundäres Rechtsgut" nicht trägt 15 .
B. Deliktsausgestaltung durch das Zufallsprinzip? Nach Maurach /Schmeder/Maiwald haftet der Auswahl des in § 203 verpflichteten Personenkreises etwas Zufälliges an, da im Gesetzgebungsverfahren einige sachfremde Gesichtspunkte hinzutraten 16. Sowohl der Bundestag als auch das Bundesjustizministerium wurden von den verschiedensten Berufsverbänden, die erreichen wollten, dass ihre Berufsangehörigen in den § 203 (damals § 300) aufgenommen werden, geradezu bestürmt. Durch Aufnahme in den Katalog des § 203 wollten manche Berufe sich ein größeres Sozialprestige verschaffen als andere. Diese Bestrebungen sind nur aus dem Gesichtspunkt des Privilegium odiosum erklärlich, das für die betreffenden Berufe von großer Bedeutung ist 17 . Aber dieses „Zufalls-Argument" lässt sich nur rechtfertigen, wenn ein normatives Grundprinzip für die Erklärung der Ausgestaltung des § 203 als Sonderdelikt nicht aufgefunden oder begründet werden kann. Die Ablehnung eines solchen normativen Grundprinzips erfolgt damit also noch zu früh.
C. Erklärung der Ausgestaltung als Sonderdelikt durch den Grundsatz des vom Geschützten frei gewählten Vertrauensverhältnisses? Die Überschrift des § 185 im Entwurf von 1962 bezeichnete den Täterkreis als „Inhaber einer Vertrauensstellung". Der E 1962 hat die Berufe nach dem „Grundsatz des vom Geschützten frei gewählten Vertrauensverhältnisses" ausgewählt18. Dieses Kriterium ist jedoch nicht verwendbar, weil z. B. bereits in einer großen 13 Schünemann, ZStW 90 (1978), 11 ff.; LK n -ders., § 203 Rdn. 14; LK l0-Jähnke, § 203 Rdn. 14; NK-Jung, § 203 Rdn. 3; SK1-Hoyer, § 203 Rdn. 1 ff.; Rogall, NStZ 1983, 1, 5; Schmitz, JA 1996, 772; Meurer in: Szwarc (Hrsg.), AIDS und Strafrecht, 1996, S. 133, 137; Arzt /Weber, BT, 8/29, der Schünemanns Argument für überzeugend hält und es sogar als h.M. bezeichnet; zu § 300 a. F. s. OLG Celle, NJW 1962, 693; LK9-Mösl, § 300 Rdn. 1. 14 Schmidhäuser, BT 2 , 6/27; Jung, GS-Constantinesco, S. 355, 360; ders. in: NK, § 203 Rdn. 3; L K 1 1 -Schünemann, § 203 Rdn. 15. 15 Ostendorf, JR 1981, 444, 447; L K 1 1 -Schünemann,, § 203 Rdn. 15. 16 Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT / 1 9 , 29/27. 17 Vgl. Schafheutie in Niederschriften Band 9, S. 208. 18 Entwurf 1962, Begründung S. 334.
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§ 8 Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203)
Klinik das Verhältnis zwischen Arzt und Patient im Regelfall nicht mehr jenes auf die Person bezogene Vertrauensverhältnis aufweist, das in einer Privatpraxis Fundament der Behandlung ist. Im Heilwesen und in den angegliederten Berufen, wie der Sozialversicherung und ihren Trägern, den sonstigen Kranken-, Unfall- und Lebensversicherungen ist nur ein anonymes Verhältnis zwischen Betroffenen und Berufsausübenden vorhanden. Die freie Wahl eines bestimmten Berufsvertreters ist schließlich überall dort nicht möglich, wo der Staat Aufgaben der Wohlfahrtspflege wahrnimmt. Der E 1962 gibt zwar zu, dass dieser „systematische Gesichtspunkt (des frei gewählten Vertrauensverhältnisses) praktisch nicht rein durchführbar" ist, doch sind die von ihm aufgeführten Durchbrechungen dieses Grundsatzes so zahlreich, dass sie ihren Ausnahmencharakter verlieren 19.
D. Erklärung der Ausgestaltung als Sonderdelikt durch die Viktimodogmatik I. Begründung Es ist auffallend, dass das Gesetz den Kreis der schweigepflichtigen Personen nicht funktional, d. h. von dem Gegenstand der Berufsausübung her, abgrenzt, sondern sich einer scheinbar vordergründigen Kasuistik befleißigt und dabei die Einbeziehung der im Gesetz einzeln aufgezählten Beratungsberufe von einer staatlichen Anerkennung der betreffenden Berufsqualifikation abhängig macht, so dass Heilpraktiker, Prozessagenten oder Psychotherapeuten ohne staatlich anerkannte Abschlussprüfung die ihnen anvertrauten, zweifellos nicht weniger heiklen Geheimnisse straflos verraten dürfen, während die Sekretärin des Anwalts oder die Sprechstundenhilfe des Arztes über Abs. 3 in den Strafbarkeitsbereich einbezogen ist 20 . Ein vernünftiger Sinn in der Täterbegrenzung des § 203 kann dagegen durch die Viktimodogmatik und das hinter ihr stehende Subsidiaritätsprinzip gefunden werden. Indem § 300 des RStGB von 1871 den Geheimnisverrat von seinem alten Verständnis als Standesvergehen ablöste und zugleich den im ausländischen und partikularen Strafrecht z.T. anzutreffenden uferlosen Schutz jedes Berufsgeheimnisses auf die Rechtspflege- und Medizinalberufe einschränkte, konkretisierte er (auch wenn ihm das vielleicht nicht klar bewusst war) lediglich die viktimologische Maxime unter Beachtung der damaligen sozialen Verhältnisse. Wichtige Geheimnisse können zwar in allen Berufen, z. B. als Friseur bezüglich der Haarfarbe des Bundeskanzlers, als Schneider bezüglich der „Echtheit" der Oberweite eines Stars oder als Prostituierte bezüglich perverser Neigungen des Erzbischof, erfahren werden; ein Selbstschutz des Geheimnisträgers vereitelnder faktischer Zwang, die eigenen Geheimnisse fremden Personen anzuvertrauen, bestand damals aber nur gegenüber Rechtsanwälten und Ärzten und den diesen eng verwandten Berufen. 19 Siehe Kritik in AE, Besonderer Teil, 2. Halbband, S. 41. 20 L K 1 1 -Schünemann, § 203 Rdn. 16.
D. Ausgestaltung als Sonderdelikt durch die Viktimodogmatik
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Der Strafrechtsschutz des § 300 griff also dort ein, wo der Selbstschutz des Opfers versagen musste, weil es zur Öffnung seiner Geheimsphäre gegenüber Ärzten oder Rechtsanwälten wohl oder übel gezwungen war 21 . Die Ausdehnung des schweigepflichtigen Personenkreises im Rahmen der Novellengesetzgebung zum StGB ist dementsprechend nichts anderes gewesen als die Anpassung des Rechts an die durch die sozialen Veränderungen eingetretenen Offenbarungszwänge: In den Medizinalbereich mussten die Berufspsychologen als die modernen Seelenärzte sowie diejenigen privaten Versicherungen aufgenommen werden, denen von ihrer Funktion her der Zugang zu medizinischen Geheimnissen nicht verwehrt werden kann. Ferner sind die Ehe-, Erziehungs-, Jugend-, Suchtund Schwangerschaftsberater sowie die Sozialarbeiter und Sozialpädagogen hinzugefügt worden, weil die Inanspruchnahme dieser Berufe bei den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht mehr als ein Luxus angesehen werden kann, so dass die mit einer solchen Konsultation zwangsläufig verbundene Öffnung der eigenen Geheimsphäre keine Vernachlässigung des zumutbaren Selbstschutzes darstellt 22 Auch die Herausnahme einzelner Beratungsberufe ohne staatliche Prüfung oder Anerkennung aus dem Täterkreis, also etwa der Heilpraktiker, Prozessagenten u. ä., kann in dieses System bruchlos eingefügt werden. Denn weil der Staat auf den Gebieten der Gesundheits- und Rechtspflege für die Verfügbarkeit kompetent ausgebildeter Personen wie der Ärzte und Rechtsanwälte gesorgt hat, besteht für niemanden ein faktischer Zwang, sich den staatlich nur geduldeten Außenseitern anzuvertrauen. Wenn jemand das dennoch tut, so ist das in den Worten Schünemanns jedenfalls eine sozial nicht notwendig Luxushandlung, die nach dem Subsidiaritätsprinzip keines Strafrechtsschutzes bedürfe 23. Zur Kritik an der viktimodogmatischen Betrachtungsweise von Schünemann hat Lenckner ein Beispiel angeführt: Arbeitsuchende müssen ihrem künftigen Arbeitgeber in vielen Sachen Geheimnisse i.S. des § 203 offen legen, wobei der faktische Zwang, der den billigerweise zu verlangenden Selbstschutz vereitelt, hier vielfach nicht geringer sei als bei der Inanspruchnahme der in § 203 genannten Berufe 24. Diese Ansicht geht aber fehl. Wieweit der Arbeitgeber von Stellenbewerbern und Bediensteten die Preisgabe ihrer Geheimnisse verlangen darf, unterliegt der arbeitsgerichtlichen Rechtskontrolle 25. Der Gesetzgeber durfte sie als ausreichend betrachten 26. Die viktimodogmatische Maxime liefert auch eine überzeugende Begründung für die Reichweite einer Kriminalisierung der Verletzung des Bankkundengeheim21 Schünemann, ZStW 90 (1978), 54; ders. in: L K 1 1 , § 203 Rdn. 16. 22 Schünemann, ZStW 90 (1978), 54 f.; ders. in: L K 1 1 , § 203 Rdn. 16. 23 Schünemann, ZStW 90 (1978), 55. 24 Schänke /Schröder/Lenckner 16, § 203 Rdn. 3. 25 Arzt /Weber, BT, 8/24; s. ferner Hinrichs, DB 1980, 2287, 2289. 26 LK 10-Jähnke, § 203 Rdn. 14; L K 1 1 -Schünemann, § 203 Rdn. 14.
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§ 8 Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203)
nisses. Dass das Bankgeheimnis bei öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten wie den Sparkassen und den Landesbanken(nämlich über § 203 Abs. 2), nicht aber bei privaten Geschäftsbanken Strafrechtsschutz genießt, lässt sich wegen der identischen Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zum Kunden ebenso wenig rechtfertigen wie bei einem entweder von der öffentlichen Hand oder von privater Hand getragenen Unternehmen des sozialen Wohnungsbaus. Hier folgt aus der Viktimodogmatik also eine kriminalpolitische Forderung an den Gesetzgeber.
II. Viktimodogmatik als Erklärung für den Schutzbereich des § 203 Von dem viktimodogmatischen Obersatz aus lassen sich für zahlreiche Anwendungsprobleme des § 203 ebenso einfache wie überzeugende Lösung finden. 1. Der an sich vom Geheimnisträger zu erwartende Selbstschutz war gerade wegen der spezifischen Bedingungen einer Arzt- oder Anwaltskonsultation usw. geschwächt. Das Preisgaberisiko war durch den beruflichen Kontakt erhöht. Die pauschale Annahme der h.M., dass alle Beobachtungen des Arztes bei einem Hausbesuch seiner Schweigepflicht unterfielen 27, dürfte infolgedessen zu weit gehen; denn wenn etwa der Geldfälscher aus Bequemlichkeit die Blüten auf dem Tisch liegen lässt, so steht der Arzt insoweit nicht anders als jeder normale Besucher da; ebenso, wenn Familienmitglieder des Kranken während der Visite einen Deliktsplan besprechen. Hinter der Einbeziehung solcher von Patienten ohne berufsbezogenen Grund preisgegebenen Geheimnisse in die ärztliche Schweigepflicht ist laut Schünemann mit Recht kein kriminalpolitischer Sinn zu erblicken 28. 2. Nach der traditionellen Auffassung sollen Drittgeheimnisse vollständig oder wenigstens „in gewissen Grenzen" als ein selbständiges Rechtsgutsobjekt geschützt sein, in dessen Verletzung nicht der Patient etc. oder der Anvertrauende, sondern nur der Geheimnisträger selbst einwilligen könne, dem auch als alleinigem Verletzten das Strafantragsrecht gemäß § 205 zustehen soll 29 . Dies soll sogar zufällige ärztliche Beobachtungen an einer Begleitperson im Wartezimmer oder Klatschgeschichten des Patienten in der Sprechstunde erfassen und mit den Bestrebungen zur Einführung eines allgemeinen Indiskretionsdelikts sowie der Einbeziehung der „sonst bekanntgewordenen" Geheimnisse in den Tatbestand begründet werden 30. Aber das überzeugt, denn weil die Bemühungen zur Einführung eines allgemeinen Indiskretionsdelikts die Grenzen der Strafwürdigkeit überschritten 27 Schänke/ Schröder/Lenckner 26, § 203 Rdn. 15; SK7-Hoyer, § 203 Rdn. 26; LK l0-Jähnke, § 203 Rdn. 35; Lackner/Kühl 24, § 203 Rdn. 16; Tröndle/Fischer 51, § 203 Rdn. 9; MüllerDietz, Juristische Grundlagen und Dimensionen der Schweigepflicht des Arztes, in: H. Jung (Hrsg.), Aktuelle Probleme und Perspektiven des Arztrechts, 1989, S. 39,42. 28 Schünemann, ZStW 90 (1978), 57. 29 Gössel, BT/1, § 37 Rdn. 118; LK l0-Jähnke, § 203 Rdn. 36, § 205 Rdn. 6; Rogall, NStZ 1983,413 f.; Schlund, JR 1977, 265, 266; Welp, FS-Gallas, 1973, S. 391, 394. 30 LKl 0-Jähnke, § 203 Rdn. 36.
E. Ausgestaltung als Sonderdelikt durch die Pflichttheorie
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und deshalb mit Recht sämtlich gescheitert sind 31 , ergeben sie umgekehrt ein starkes Argument für eine restriktive Bestimmung des Drittgeheimnisschutzes. Richtigerweise ist aus der Beschränkung des Straftatbestandes auf die Partner bestimmter Vertrauensverhältnisse und der sie erklärenden viktimodogmatischen Betrachtungsweise eine Begrenzung des den Drittgeheimnissen zukommenden Strafschutzes zu folgern 32 . Drittgeheimnisse fallen danach nur dann in den Schutzbereich des § 203, wenn sie im Rahmen einer dort aufgeführten Vertrauensbeziehung entweder innerhalb des ausdrücklich oder konkludent bestimmten Verschwiegenheitsrahmens vom Patienten oder einem anderen Anvertrauenden mitgeteilt oder in einem inneren Zusammenhang damit erfahren worden sind, beispielsweise wenn der Hausarzt die erforderliche Familienanamnese erhebt oder ein angetrunkener Retter ein Unfallopfer zum Arzt bringt, der dabei dessen Fahruntüchtigkeit erkennt 33.
E. Erklärung der Ausgestaltung als Sonderdelikt durch die Pflichttheorie oder den Herrschaftsgedanken Der Aspekt der Viktimodogmatik kann letzten Endes hier in eine Vertrauensbeziehung und damit in eine Herrschaftsbeziehung eingebracht werden. Denn die Ausgestaltung des § 203 als Sonderdelikt kann mit der „Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsgutsobjektes" am besten erklärt werden. Dagegen hält Roxin 34 § 203 für ein Pflichtdelikt, weil die Verletzung der berufsspezifischen bzw. außerstrafrechtlichen Schweigepflicht täterschaftsbegründend wirke. Diese Ansicht findet neuerdings die ausdrückliche Zustimmung von Jung, Hoyer und Puppe 35, die aber stets nicht begründet, sondern bloß behauptet wird. Roxins Auffassung ist jedoch aus zwei Aspekten nicht überzeugend: Zum einen wird der Täter des § 203 Abs. 1 Nr. 1, wie oben unter § 4 A II dargelegt wurde, nicht durch den Bruch der vorstrafrechtlichen ärztlichen Schweigepflicht charakterisiert, sondern es wird jeder erfasst, der das fremde Geheimnis etwa auch durch seine Tätigkeit als Hilfsperson des Arztes oder einen anderen Vertrauensakt erlangt hat (vgl. § 203 Abs. 3). Zum anderen verlieren außerstrafrechtliche (zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche) Sonderpflichten die Grundlage, wenn die Bestellungsakte aus irgendeinem Grunde (z. B. wegen Unwirksamkeit des Vertrags oder wegen eines Berufsverbots) unwirksam sind 36 . Dagegen betont Schü31 L K 1 1 -Schiinemann, § 203 Rdn. 39; eingehend ders., ZStW 90 (1978), 11, 35 ff. 32 L K 1 1 -Schiinemann, § 203 Rdn. 39. 33 LKn-Schünemann, § 203 Rdn. 39. 34 Roxin, TuT 7 , S. 353; ders. in: L K 1 1 , § 25 Rdn. 37; ders., AT/1 3 , 10/128; ders., AT/2, 25/273. 35 NK-Jung, § 203 Rdn. 40; SK7-Hoyer, § 203 Rdn. 38; NK-Puppe, §§ 28 f. Rdn. 108; SK7-Hoyer, § 203 Rdn. 38. 14 Chen
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§ 8 Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203)
nemann37mit Recht, der Strafrechtsschutz knüpfe nicht an das formelle Rechtsverhältnis, sondern an die Einräumung einer Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsgutsobjektes durch die sozial notwendige Öffnung der eigenen Geheimsphäre gegenüber dem Arzt an, ohne den Täterkreis etwa auf die Träger standesrechtlicher Sonderpflichten zu beschränken. Bei der Bestimmung des Tätermerkmales greife das Gesetz zwangsläufig über die außerstrafrechtliche Sonderpflicht hinaus und stelle auf die Verbindung von Vertrauensakt und Obhutspflichten ab 38 . Dass Schünemann auf die materielle Herrschaftsbeziehung zwischen dem Täter und dem Opfer eingegangen ist, verdient Beifall. Denn die Schweigepflicht in § 203 knüpft nicht an die formale standesrechtliche Stellung an, sondern an eine Obhutsstellung und Näheposition zu einer fremden Geheimsphäre. Zum Schutz der Betroffenen lässt der Gesetzgeber in § 203 Abs. 3 deshalb auch die Obhutsstellung und Näheposition zu einer Geheimsphäre von bestimmten Mitwissern ausreichen, die die Herrschaft über die fremde Geheimsphäre ausüben. Die außerstrafrechtliche Pflicht ist also auch hier wieder nicht ratio essendi der Strafbarkeit, sondern ein bloßes Epi-Phänomen.
36 Vgl. L K 1 1 -Schünemann, § 203 Rdn. 59. 37 Schünemann, GA 1986, 333; ders. in: L K 1 1 , § 14 Rdn. 17. 38 Schünemann, GA 1986, 293 ff., 333.
§ 9 Das Vereiteln der Zwangsvollstreckung (§ 288) A. Geschütztes Rechtsgut und Tatbestandsstruktur Geschütztes Rechtsgut des § 288 ist nach der fast einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum - im Gegensatz zu den §§ 283 ff., die dem Schutz der Gesamtvollstreckung (Insolvenz) dienen, - das sachliche Befriedigungsrecht des auf die Einzelvollstreckung in das Vermögen des Schuldners verwiesenen Einzelgläubigers. Hieraus wird die Konsequenz gezogen, dass § 288 einen von Rechts wegen bestehenden materiell-rechtlichen Anspruch des Gläubigers voraussetze1, dessen Bestehen Tatbestandsmerkmal, nicht bloß Bedingung der Strafbarkeit sei2. § 288 verlangt nicht den Eintritt eines Vereitelungserfolges bezüglich der Befriedigung des Gläubigers im objektiven Tatbestand. Vielmehr begnügt sie sich für das strafwürdige Unrecht mit einer die Befriedigungschance lediglich beeinträchtigenden Handlung (dem Veräußern oder Beiseiteschaffen) und setzt eine Absicht des Täters voraus, die sich auf die Vereitelung der Befriedigung des Gläubigers bezieht. Somit erweist sich § 288 seiner Tatbestandsstruktur nach ähnlich wie § 242 als „kupiertes Erfolgsdelikt" 3. Entgegen Arzt /Weber 4 handelt es sich bei § 288 nicht um ein schlichtes Tätigkeitsdelikt. Denn nach der zutreffenden Feststellung von Schünemann setzt der Tatbestand voraus, dass die von der Vereitelungshandlung betroffenen Vermögensstücke dem Vollstreckungszugriff rechtlich oder tatsächlich entzogen werden, so dass ein relevanter Gefährdungs-Zwischenerfolg eintreten muss, der den Charakter des Delikts als ein konkretes oder potentielles 1 RGSt 13, 292, 294; 44, 251; 63, 341; 71, 230; HRR 1934, Nr. 332; RG JW 1926, 1198 mit Anm. Oetker; RG JW 1930, 1405, 1406; 1937, 1336; OLG Hamm NJW 1956, 194; BGH 16, 334; BGH NJW 1991, 2420; Lackner/Kühl 24, § 288 Rdn. 1; LK^-Schäfer, § 288 Rdn. 2, 10; LK n-Schünemann, § 288 Rdn. 2; Eser/Heine in: Schänke /Schröder 26, § 288 Rdn. 1; Tröndle/Fischer* 1, § 288 Rdn. 1 f.; Arzt/Weber, BT, 16/32, 34; H.-J. Bruns, FS-Lent, 1957, S. 148; H Bruns, ZStW 53 (1934), 457, 483; Gössel, BT/2, 28/69, 72; Krey, B T / 2 1 2 , Rdn. 288 f.; Maurach/Schroeder/Maiwald, B T / 1 9 , 47/3; Rengier, B T / 1 5 , 27/1, 3; Wessels/Hillenkamp, B T / 2 2 5 , Rdn. 446; Müsch, B T / 2 / 2 , 5/93; Geppert, Jura 1987, 427 f.; Welzel, Das Deutsche Strafrecht 11, S. 364 f.; Otto, BT 6 , 50/12, 14; Kindhäuser, LPK-StGB, § 288 Rdn. 1, 5; a.A. SK6-Hoyer, § 288 Rdn. 5 ff.; NK-Wohlers, § 288 Rdn. 3 ff. Daran übt Schünemann (LK 1 1 , § 288 Rdn. 3) eingehende Kritik zu Recht. 2 RGSt 63, 341; BGH 1 StR 180/64 v. 7.7. 1964; Tröndle/Fischer* 1, § 288 Rdn. 2; LK W-Schäfer, § 288 Rdn. 33. 3 L K 1 1 -Schünemann, § 288 Rdn. 6; SK6-Hoyer, § 288 Rdn. 2; NK -Wohlers, § 288 Rdn. 6. 4 Arzt/Weber, BT, 16/43. 14*
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§ 9 Das Vereiteln der Zwangsvollstreckung (§ 288)
Gefährdungsdelikt mit überschießender Innentendenz begründet5. Würde man dagegen § 288 als bloßes Tätigkeitsdelikt einstufen, dann wäre der Tatbestand schon durch eine fehlschlagende Vereitelungshandlung bzw. durch einen untauglichen Versuch des Schuldners erfüllt 6 . Dem ist jedoch nicht zuzustimmen. Denn das Gesetz erfordert zwar nicht ausdrücklich einen solchen gefährdenden Zwischenerfolg, aber dieses Erfordernis kann nach zutreffender Auffassung von Schünemann aus zwei Aspekten abgeleitet werden. Zum einen fehlt bei § 288 ein der Krise in § 283 entsprechendes, einschränkendes Tatbestandsmerkmal, obwohl der gewährte Schutz beider Vorschriften abgesehen von dem jeweiligen Erstreckungsbereich (auf die Einzelvollstreckung bei § 288 und auf die Gesamtvollstreckung bei § 283) inhaltlich ebenfalls dem Befriedigungsrecht des Gläubigers dient7. Zum anderen wird die Tatsituation der „drohenden Zwangsvollstreckung" in der Rechtsprechung8 enorm weit ausgelegt9, da diese bereits vorliegen soll, wenn konkrete Anhaltspunkte darauf hindeuten, dass der Gläubiger seinen Anspruch alsbald zwangsweise durchsetzen werde. Das rechtfertigt das Erfordernis eines die Befriedigung des Gläubigers gefährdenden Zwischenerfolges als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 288, damit eine rechtsstaatlich unerträgliche Vorverlagerung der Strafbarkeit in den Bereich der Privatautonomie des Vermögensinhabers verhindert werden kann 10 .
B. Der Täterkreis und die Erklärung für dessen Beschränkung I . Der Täterkreis
Tauglicher Täter einer Völlstreckungsvereitelung kann nach dem Gesetzwortlaut nur sein, wem die Zwangsvollstreckung droht, also der Völlstreckungsschuldner. Aufgrund der von der h.M. vertretenen, gerade erwähnten Definition des geschützten Rechtsguts ist er derjenige, der aus irgendeinem sachlich-rechtlichen Grund die Zwangsvollstreckung des Gläubigers in Bestandteile des ihm gehörigen oder seiner Beherrschungsmacht unterliegenden Vermögens zu dulden hat 11 . § 288 ist ein Sonderdelikt 12, weil Personen, denen nicht selbst die Zwangsvollstreckung 5 LK n-Schünemann, § 288 Rdn. 6, 26; im Ergebnis so ebenfalls NK-Wohlers, § 288 Rdn. 6. Zum Begriff der potentiellen Gefährdungsdelikte näher Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, 1998, passim; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, 2000, S. 162 ff. 6 Vgl. L K 1 1 -Schünemann, § 288 Rdn. 6. 7 L K 1 1 -Schünemann, § 288 Rdn. 2, 42. 8 RGSt 44, 252; 63, 341; BGH 1 StR 638/52 v. 10. 2. 1953 bei Pfeiffer /Maul/Schulte, Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 288 Anm. 2; BGH M D R / H 1977, 638; BGH NJW 1991, 2420; dazu näher vgl. nur L K 1 1 -Schünemann, § 288 Rdn. 16 m. w. N. 9 LK n-Schünemann, § 288 Rdn. 15 f., 42. 10 L K 1 1 -Schünemann, § 288 Rdn. 26, 42. 11 Vgl. nur L K 1 1 -Schünemann, § 288 Rdn. 37.
B. Der Täterkreis und die Erklärung für dessen Beschränkung
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droht, grundsätzlich nicht als Tater, sondern nur als Teilnehmer bestraft werden können. Daraus ergeben sich zwei zu klärende Fragen. Erstens die Problematik des qualifikationslosen dolosen Werkzeugs, bei der der Völlstreckungsschuldner einen Extraneus veranlasst, die ihm drohende Zwangsvollstreckung zu vereiteln. Zweitens hat man die Frage zu beantworten, ob die Schuldnereigenschaft ein besonderes persönliches Merkmal nach § 28 Abs. 1 ist. Den Schlüssel zur Lösung beider Fragen liefert m.E. die Erklärung für die Beschränkung des Taterkreises bei § 288.
II. Die Erklärung der Tätereigenschaft durch die Pflichttheorie, die Garantentheorie oder einen anderen Ansatz? 1. Denkbar wäre, den § 288 zu den Pflichtdelikten zu zählen13. Denn die Innehabung der Tatherrschaft vermag hier nicht als die leitende Grundlinie für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme zu dienen. Die Tätereigenschaft dieser Vorschrift wird vielmehr nach Roxin durch die Verletzung einer der Norm des § 288 vorgelagerten und nur dem Vollstreckungsschuldner auferlegten Sonderpflicht 14 , sein Vermögen dem Zugriff des Gläubigers offen zu halten, oder nach seiner neuen Terminologie durch die Verletzung seiner tatbestandspezifischen Vermögensbereithaltungspflicht 15 bezeichnet; der Völlstreckungsschuldner werde dadurch - unabhängig von der äußeren Form des Verhaltens - zur „Zentralgestalt des Geschehens". Herzberg lehnt es ab, § 288 als Pflichtdelikt zu begreifen, weil „der Vollstreckungsschuldner nicht ,auf Seiten' seines Gläubigers steht. Er wird im vorstrafrechtlichen, sozialen Raum nicht als Beschützer und Wahrer der Gläubigerinteressen angesehen, sondern als ihr gefährlichster Gegner ( . . . ) Seine soziale Beziehung zum Gläubiger unterscheidet sich grundlegend von der des Prokuristen, Vaters oder Beamten gegenüber Prinzipal, Kind und Staat. Solche Sonderpflichtigen üben im Normalfall tatsächlich das Amt des Beschützers oder Interessenwahrers aus. § 288 stellt demgegenüber keine Treuepflichtverletzung unter Strafe, sondern eine ,Rechtsbeschädigung4, die an sich jedermann begeht, der einem Gläubiger die Vollstreckungsmöglichkeiten verkürzt" 16 . Auch Krey und Geppert 17 stimmen Herzbergs Meinung zu. Jedoch geht dieser Einwand fehl, weil Roxin von vornherein nicht eine Treuepflicht gemeint hat, sondern außerstrafrechtliche oder tatbestandsspezifische Sonderpflichten, die sich bei § 288 in der Vermögensbereithaltungspflicht finden lassen. § 288 als Pflichtdelikt zu begreifen, ist nach Roxins 12 Arzt/Weber, BT, 16/46; Lackner / Kühl 2*, § 288 Rdn. 7; Mitsch, B T / 2 / 2 , 5/89; 11 L K -Schünemann, § 288 Rdn. 37; NK-Wohlers, § 288 Rdn. 7; Gössel, BT/2, 28/74; Wessels/Hillenkamp, B T / 2 2 5 , Rdn. 452. 13 Roxin, AT/2, 27/59. 14 Roxin, TuT 7 , 2000, S. 385. 15 Roxin, AT / 2, 25 / 271 - 273. 16 Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 33 f. 17 Krey, B T / 2 1 2 , Rdn. 292; Geppert, Jura 1987, 427, 431.
214
§ 9 Das Vereiteln der Zwangsvollstreckung (§ 288)
Konzeption ein konsequentes Ergebnis 18. Bemerkenswert ist allerdings, dass § 288 nach der Meinung der gerade entschiedensten Anhänger der Pflichtdeliktstheorie überhaupt nicht unter die Pflichtdelikte eingereiht wird, weil die Leistungspflicht eines vermögensrechtlichen Schuldners nicht auf einer Institution basiert, sondern zu den isolierten Pflichten gehört, die nicht den Status eines „Pflichtigen" begründen können19. 2. Ferner könnte man § 288 als ein Garantensonderdelikt verstehen. Das setzt voraus, dass eine Garantenstellung aus der Schuldnereigenschaft hergeleitet werden kann. Nach Kindhäuser 20 scheidet eine Tatbestandsverwirklichung des Schuldners durch Unterlassen (des Eingreifens gegen das Handeln des Dritten) regelmäßig aus, weil der Schuldner dem Gläubiger gegenüber keine Garantenstellung habe. Nach Schünemann 21 kann diese Garantenstellung dagegen problemlos aus der Herrschaft des Schuldners über sein Vermögen als Grund des Erfolges abgeleitet werden. In noch genaueren Formulierung: Es handelt sich bei der Schuldnereigenschaft um die Herrschaft über eine wesentliche Erfolgsursache infolge einer sachlichen Herrschaftsposition des Schuldners über die Bestandteile seines Vermögens. Man muss beachten, dass eine Garantenstellung des Vollstreckungsschuldners jedoch erst vom dem Zeitpunkt an gegeben ist, ab dem das Zwangsvollstreckungsrecht eine Rechtspflicht des Schuldners statuiert, für den Fortbestand eines bestimmten Vollstreckbarkeitsniveaus zu sorgen. Diese Beschränkung kann sowohl aus der Theorie der objektiven Zurechnung, die die Schaffung eines unerlaubten Risikos verlangt, als auch aus dem Vorrang der speziellen vollstreckungsrechtlichen Gestattung und der daraus folgenden Sekundarität des Strafrechts abgeleitet werden 22. Im Übrigen ergänzen zwei Argumente nach Schünemann 23 die Gründe für diese Begrenzung. Diese Begrenzung folge einerseits auch aus dem argumentum ad absurdum, dass „dem Schuldner dann auch lukrative Tätigkeiten zwecks Kompensation der sonst durch die normale Lebenshaltung drohenden Abschmelzung seines Vollstreckbarkeitsniveaus vorgeschrieben sein müssten, was auf die indiskutable Vorstellung einer lückenlosen Reglementierung der beruflichen Existenz jedes Schuldners und damit praktisch jedes Menschen hinauslaufen würde". Sie folge andererseits auch aus § 283 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 per argumentum e contrario, dass „selbst der aktive Verbrauch übermäßiger Beträge durch unwirtschaftliche Ausgaben vor der sog. Krise (Überschuldung oder zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit) bzw. ohne deren Verursachung strafrechtlich irrelevant ist, so dass auf der Ebene eines einzigen Schuldverhältnisses ein Verbrauch durch Unis So auch Puppe in NK, § 28 f. Rdn. 111. 19 Jakobs, AT 2 , 25/46; Sánchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 35. 20 Kindhäuser, LPK-StGB, § 288 Rdn. 2; so auchRoxin, AT/2, 27/99. 21 L K 1 1 -Schünemann, § 288 Rdn. 28. 22 Vgl. L K 1 1 -Schünemann, § 288 Rdn. 28 und Fn. 29; er weist zu Recht darauf hin, dass diese Konsequenz für die Anhänger einer formellen Rechtspflichttheorie jedoch selbstverständlich sei. 23 LK11-Schünemann, § 288 Rdn. 28.
B. Der Täterkreis und die Erklärung für dessen Beschränkung
215
terlassen nicht generell strafbar sein kann". Ich halte Schünemanns Garantensondertheorie für überzeugend. Denn der Fall, dass der Vollstreckungsschuldner unabhängig von der äußeren Form seines Verhaltens immer als Täter bestraft werden kann, setzt eine Garantenstellung des Vollstreckungsschuldners voraus. Eine Garantenstellung vermag aber nicht schon allein aus einer außerstrafrechtlichen Vermögensbereithaltungspflicht hergeleitet zu werden, wie dies nach der Pflichtdeliktstheorie der Fall wäre. Im Hinblick darauf, dass Roxin selbst die Herleitung einer Garantenstellung aus der formellen Rechtspflichttheorie ablehnt, ist es deshalb hier auch für Roxin konsequent, auf die Pflichtdeliktstheorie zu verzichten. 3. Man könnte zuletzt wie Herzberg behaupten, dass die Täterbegrenzung auf Vollstreckungsschuldner ihren Grund allein darin habe, dass Eingriffe durch Dritte untypisch und selten seien und deshalb die ultima-ratio-Waffe der Strafdrohung nicht herausforderten 24. Auch wenn diese These der wirklichen Situation entspricht 25 , so hindert dies nicht, eine Garantenstellung aus der Eigenschaft des Vollstreckungsschuldners herzuleiten, falls die Voraussetzungen einer Garantenstellung hier vorliegen. Das heißt, es ist nicht von vornherein auszuscheiden, dass sich die vom Gesetzgeber geregelte Begrenzung auf einen bestimmten Täterkreis sowohl durch das Häufigkeitsprinzip als auch durch die Garantensonderdeliktstheorie parallel erklären lässt. Diese Situation liegt m.E. gerade bei der Vereitelung der Zwangsvollstreckung durch den Schuldner vor. Da die „Häufigkeitstheorie" nur kausal, aber nicht dogmatisch erklärt, muss die Garantentheorie dogmatisch vorgegangen werden.
III. Konsequenzen 1. Die Problematik des qualifikationslosen
dolosen Werkzeugs
Wenn ein Dritter D auf Bitten des auf Reisen befindlichen Vollstreckungsschuldners V dessen Vermögensbestandteile beiseiteschafft, scheitert die Tatherrschaftslehre an der Begründung der Strafbarkeit von V und D, weil V mangels Tatherrschaft nicht mittelbarer Täter und D mangels Sondereigenschaft nicht unmittelbarer Täter sein kann. Aufgrund einer fehlenden Haupttat kann V aber auch nicht Anstifter und D nicht Gehilfe sein. Einigkeit besteht zwar, dass das Verhalten von V und D strafwürdig ist, aber es ist sehr umstritten, ob und wie sich nach der lex lata eine Strafbarkeit des V als Täter und des D als Gehilfen begründen lässt. 24 Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 33 f.; ders., GA 1991, 173 ff., 179; ganz ähnlich Roxin in: L K 1 1 , § 28 Rdn. 56; ders., AT/2, 27/59. 25 Es ist bereits umstritten, ob solche Delikte typischerweise durch den Schuldner selbst oder durch einen anderen begangen werden. Schünemann ist der Meinung, dass die Begehung durch einen anderen für § 288 geradezu typisch sei (in: L K 1 1 , § 288 Rdn. 39).
216
§ 9 Das Vereiteln der Zwangsvollstreckung (§ 288)
Nach der früheren h.M. 2 6 wurde die Tatherrschaft in einem sozialen oder normativen Sinn erweitert, damit V als mittelbarer Täter und D als Gehilfe bestraft werden konnten. Dass diese Ansicht nicht überzeugend ist, wurde bereits oben unter § 2 B II 2 b festgestellt. Nach Roxins 21 Pflichtdeliktstheorie ist V als mittelbarer Täter strafbar 28, weil er eine der Norm des § 288 vorgelagerte und nur dem Vollstreckungsschuldner auferlegte Pflicht, sein Vermögen dem Zugriff des Gläubigers offen zu halten, verletzt, wenn er den qualifikationslosen D veranlasst, zur Vereitelung der Befriedigung des Gläubigers seine Vermögensbestandteile beiseitezuschaffen. Die Unangemessenheit und die Überflüssigkeit des von Roxin aus der Pflichtdeliktslehre gebildeten Begriffs einer erweiterten mittelbaren Täterschaft wurden bereits festgestellt (unter § 2 B I I 1 c). Auch die von vielen Autoren 29 vorgeschlagene Lösung, dass V und D im Ausgangsfall beide straflos wären, ist kriminalpolitisch unerträglich und diesem Ergebnis ist m.E. hier nur teilweise akzeptabel. Nach der hier vertretenen Auffassung kann die Veranlassung des V nach dem Entstehungszeitpunkt seiner Garantenpflicht eine Unterlassungsstrafbarkeit begründen, wobei die Strafmilderungsmöglichkeit gemäß § 13 Abs. 2 bei V ausgeschlossen ist. D ist Gehilfe eines Unterlassungstäters. Wenn die Veranlassung des V bereits vor dem Entstehungszeitpunkt seiner Garantenpflicht erfolgt, dann handelt es sich um eine wirkliche Straßarkeitslücke, deren Schließung die Aufgabe des Gesetzgebers ist. Das kann nur durch die Erweiterung des Täterkreises auf den Extraneus ausgelöst werden, so dass § 288 von einem Sonderdelikt in ein Allgemeindelikt umgewandelt wird, was § 269 Abs. 2 E 196230 bereits vorschlug.
26 Bockelmann/Volk, AT 4 , § 22 2 a) dd), S. 180; Gallas, Täterschaft und Teilnehme in: Materialien zur Strafrechtsreform, 1. Bd., 1954, S. 135 f.; Jescheck/Weigend, AT 5 , § 62 I I 7, S. 670; Welzel, Das deutsche Strafrecht 11, 1969, S. 104; wohl auch Lackner/Kühl 24, § 25 Rdn. 4; Tröndle/Fischer* 1, § 25 Rdn. 3b. 27 Roxin, TuT 7 , 2000, S. 385; ders., AT/2, 25/271 -273, 27/59. 28 So auch Schünemann im L K 1 1 , § 288 Rdn. 39, obwohl er die Pflichtdeliktslehre ablehnt und eine Garantensonderdeliktslehre vertritt. 29 Herzberg, JuS 1974, 377 = Täterschaft und Teilnahme, 1997, S. 34; Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 241; Krey, B T / 2 1 2 , Rdn. 293; Mitsch, B T / 2 / 2 , 5/108; Otto, Jura 1987, 256; ders., AT 6 , 21/96; Wessels/Hillenkamp, B T / 2 2 5 , Rdn. 452; NK-Wohlers, § 288 Rdn. 8. 30
§ 269 Abs. 2 E 1962 lautet: „Ebenso wird bestraft, wer die Tat bei einer einem anderen drohenden Zwangsvollstreckung an Vermögensbestandteilen des anderen mit dessen Einwilligung oder zu dessen Gunsten begeht". Zur Begründung (S. 443) wird angeführt: „Das geltende Recht beschränkt die Täterschaft auf die Vollstreckungsschuldner. Das ist offenbar unbillig, weil Taten, die zugunsten des Schuldners begangen werden, unter demselben rechtlichen Gesichtspunkt Strafe verdienen. Das zeigt schon ein Vergleich mit den Vorschriften des geltenden Rechts über die Pfandkehr (§ 289) und über die Schuldnerbegünstigung in der Gesamtvollstreckung".
B. Der Täterkreis und die Erklärung für dessen Beschränkung
217
2. Die Anwendbarkeit von § 28 Abs. 1 Entgegen der überwiegend vertretenen Auffassung 31, dass eine Anwendung des § 28 Abs. 1 nicht in Betracht komme, weil es sich bei der Vollstreckungsschuldnerschaft um kein besonderes persönliches Merkmal handele, sondern um einen deliktstypisierenden Umstand oder um ein tatbezogenes Merkmal, ist die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 1 hier geboten, weil die Schuldnereigenschaft ein strafbegründendes, die Tat und das tatbestandsmäßige Unrecht charakterisierendes Merkmal und deshalb ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne § 28 Abs. 1
31 LK u -Roxin, § 28 Rdn. 56, 68; ders., AT, 27/59, 70; Herzberg, JuS 1975, 647, 648 f.; ders., ZStW 88 (1976), 68, 111, ders., GA 1991, 145, 181; Lackner/Kühl 24, § 288 Rdn. 7; LK 10-Schäfer, § 288 Rdn. 30;: Schänke /Schröder/Eser 26, § 288 Rdn. 25/26; Arzt/Weber, BT, 16/47; Geppert, Jura 1987, 427, 431 Gössel, BT/2, 28/74; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT /1 9 , 47/11; Wessels/Hillenkamp, B T / 2 2 5 , Rdn. 452; NK-Wohlers, § 288 Rdn. 9. 32 Im Ergebnis ebenso LKu-Schünemann, § 288 Rdn. 41; SK6-Hoyer, § 288 Rdn. 11; Tröndle/Fischet* 1, § 288 Rdn. 14; NK-Puppe, § 28 f. Rdn. 111.
§ 10 Personengefährdung durch Bauarbeiten (§ 319) A. Geschütztes Rechtsgut und Tatbestandsstruktur Diese Vorschrift dient nicht dem Schutz des Eigentums1, sondern soll Leben und Gesundheit eines anderen Menschen gegen die Gefahren schützen, die aus dem fehlerhaften Betrieb des Baugewerbes entspringen2. Geschützt sind nicht nur Bewohner 3 und Passanten, sondern auch die beim Bau beschäftigten Arbeiter, soweit sie nicht an der Tat beteiligt sind4. Deshalb haben Maurach/Schroeder/Maiwald mit Recht angeführt, dass die 1974 vom Gesetzgeber aus dem Schrifttum übernommene Bezeichnung „Baugefährdung" unzutreffend sei, weil es sich hier um Personengefährdung durch Bau- und Einbauarbeiten handele5. Der Tatbestand des § 319 verlangt einen Erfolg, der in der Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen bestehen muss. Da diese Gefährdung nicht wie bei den abstrakten Gefährdungsdelikten bloß das Motiv des Gesetzgebers für die Pönalisierung einer regelmäßig gefährlichen Handlung darstellt, sondern wirklich eingetreten sein muss, geht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut hervor, dass § 319 ein konkretes Gefährdungsdelikt ist 6 .
1 Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich 18 , § 330 a. F. III, S. 746; § 337 des StGB-Entwurfes 1962 will dagegen auch „fremde Sachen von bedeutendem Wert" in den Schutz einbeziehen. 2 RGSt 25, 90, 92 f.; 28, 318, 320; 29, 71, 73; 31, 180, 181; 39, 417, 418; vgl. auch SK49-Horn, § 319 Rdn.2; Gallas, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der am Bau Beteiligten, 1963, S. 13; Scherer, Strafrecht in der Baupraxis, 1965, S. 13; LKu-Wolff, § 323 a. F. Rdn. 1. 3 RGSt 27, 388, 391. 4 RGSt 31, 180, 182. 5 Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald, B T / 2 8 , 54/1. 6 Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich 18 , § 330 a. F. III, S. 746; Kohlrausch/Lange 43, § 330 a. F. S. 661; Lackner/Kühl 24, § 319 Rdn. 1; Landau, wistra 1999,47; NK-Herzog, § 319 Rdn. 2; Cramer/Sternberg-Lieben in: Schänke /Schröder 26, § 319 Rdn. 6; Schünemann, ZfBR 1980, 163; ders., Lexikon des Rechts, Strafrecht/Strafverfahrensrecht, 2. Auflage, S. 79; Tröndle/Fischer* 1, § 319 Rdn. 1 halten aber nur Absatz 1 und 2 für konkrete Gefahrdungsdelikte.
B. Der Täterkreis und die Erklärung für dessen Beschränkung
219
B. Der Taterkreis und die Erklärung für dessen Beschränkung I. Zur Feststellung der leitenden Maxime für die Bestimmung des Täterkreises Entgegen einer überholten extensiven Auffassung, die sämtliche an der Entstehung des Baues geistig oder körperlich durch Ausführung oder Überwachung beteiligten Personen als Täter ansieht7, kommt nur der an der Planung, Leitung oder Ausführung des Baues unmittelbar Mitwirkende als tauglicher Täter des § 319 in Betracht 8. Daraus folgt, dass folgende Personen aus dem gesamten baubezogenen Geschehen aus dem Tatbestand auszuscheiden sind: der die Baugenehmigung erteilende Beamte, der die Prüfstatik erstellende freie Ingenieur, der für die Überwachung des Bauunternehmers im Auftrage des Bauherrn zuständige Architekt und der die Baumaterialien anliefernde Händler. Aber nach der grammatischen Auslegung kommt eine extensive Auslegung der Begriffe „Bauplanung", „Bauleitung" oder „Bauausführung" ohne Verletzung der durch Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz vorgegebenen Wortlautgrenze durchaus in Betracht, denn es wäre grundsätzlich ohne Kollision mit den Regeln des sozialen Sprachgebrauches möglich, die Erteilung der Baugenehmigung und die Erstellung der Prüfstatik als eine Mitwirkung bei der Planung, die interne Überwachung des Bauunternehmens durch Bauherrn und/oder Architekten als eine Mitwirkung bei der Bauleitung und die Anlieferung der Baustoffe als eine Mitwirkung bei der Bauausführung zu bezeichnen. Infolgedessen ist die Frage zu beantworten, ob eine einschränkende Auslegung des Täterkreises legitim ist, die die bezeichneten entfernten Mitwirkungsformen lediglich als Teilnahme qualifiziert 9. Schünemann hat mit Recht angedeutet, der systematische Aspekt scheine zunächst dafür zu sprechen, auch die genannten Personen als taugliche Täter zu qualifizieren. Denn die Täterstellung in § 319 hänge offenbar in einer noch genauer zu beschreibenden Weise mit der Existenz einer Garantenstellung gemäß § 13 zusammen, und die Rollenträger seien allesamt Inhaber einer Garantenstellung, die sie bei einem im Rahmen ihrer Tätigkeit drohenden Unfall gemäß § 13 erfolgsabwendungspflichtig macht und bei einer Verletzung dieser Pflicht zur Strafbarkeit nach § 229 oder § 222 führt. Jedoch beweise die Haftung der genannten Personen wegen einer Tötung oder Körperverletzung durch unechtes Unterlassen überhaupt nichts für ihre Strafbarkeit aus § 319, denn die hier statuierte Vorverlegung der Strafbarkeit in den Bereich einer bloßen Gefährdung erfordere offenbar eine Kompensation durch eine Einschränkung des Täterkreises, wenn sie nicht im Ergebnis zu einer rechtsstaatlich unerträglichen Strafbarkeitshypertrophie führen solle. Gerade die 7 Vgl. Neumeyer, Gefährliche Bauführung (§ 330 RStGB), VDB Bd. IX (1906), S. 179. 8 H.M.; vgl. Schünemann, ZfBR 1980, 4, 6; Bottke/Mayer, ZfBR 1991, 235; Landau, wistra 1999, 47; Lackner/Kühl 24, § 319 Rdn. 5; Cramer/Sternberg-Lieben in: Schänke /Schröder 26, § 319 Rdn. 7; Tröndle/Fischer 51, § 319 Rdn. 2. 9 Vgl. Schünemann, ZfBR 1980, 4, 6.
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§10 Personengefährdung durch Bauarbeiten (§319)
systematische Betrachtung spreche infolgedessen dafür, die Vorverlagerung der Strafbarkeit in § 319 auf die eigentliche, unmittelbare Planung, Leitung und Ausführung eines Baues zu beschränken10. Auch die historische Betrachtung spreche in besonderem Maße für die Richtigkeit dieser restriktiven Interpretation. Vor der Erweiterung des Baugefährdungstatbestandes durch das EGStGB habe die Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass nur diejenige Person Bauleiter ist, die über die Art und Weise der technischen Ausführung des gesamten Baues zu entscheiden hat, und dass an der Ausführung des Baues nur diejenige Personen beteiligt sind, die bei der Vornahme von Bauarbeiten unmittelbar mitwirken. Und da im EGStGB über diese Rechtsprechung entsprechend der amtlichen Begründung nur insoweit hinausgegangen werden sollte, als auch die eigentliche Aufstellung des Bauplanes einschließlich der zugrunde liegenden statischen Berechnungen in den Tatbestand einbezogen werden sollte, biete auch die Gesetzesänderung keinen Anhaltspunkt dafür, um den Tatbestand plötzlich auch auf die bloß mittelbaren Mitwirkungsformen auszudehnen11. Schließlich erscheine auch in teleologischer Hinsicht die angemessene Begrenzung der Strafbarkeitsausdehnung durch Schaffung bloßer Gefährdungstatbestände wichtiger als ein uferloser Rechtsgüterschutz durch Pönalisierung auch ganz entfernter Gefährdungshandlungen 1 2 . Das Ergebnis, dass Täter nur der unmittelbar den Bau oder den Abbruch eines Bauwerks Planende, Leitende oder Ausführende sein kann, ist deshalb richtig.
II. Der Täterkreis im Einzelnen Nach der Abklärung der leitenden Maxime für die Bestimmung des Täterkreises im § 319 fällt die Beantwortung der verbleibenden Einzelfragen nicht weiter schwer.
1. Der Täterkreis
des Absatzes 1
a) Bauplaner Unter der Planung eines Baues ist nicht das Vorhaben als solches zu verstehen, sondern die konkreten Planungsarbeiten, die Grundlage des Baues werden sollen und Ursache späterer Gefährdung sein können 13 . Demzufolge ist in § 319 mit „Planung" nur die Erstellung des eigentlichen Bauplanes und der Bauzeichnungen so10 Schünemann, ZfBR 1980, 4, 6. 11 Schünemann, a. a. O. 12 Schünemann, a. a. O. 13 Tröndle/Fischer* 1, § 319 Rdn. 4.
B. Der Täterkreis und die Erklärung für dessen Beschränkung
wie der erforderlichen genehmigungsverfahren unter diesen Begriff der genehmigungsbehörden sind 15 .
221
statischen Berechnungen gemeint14. Das gesamte Baueinschließlich der Prüfstatik fällt dagegen nicht mehr unmittelbaren Bauplanung, so dass die Beamten der Bauund der Prüfingenieur für Statik keine tauglichen Täter
Hierher gehört in erster Linie der die Bauzeichnungen anfertigende Architekt sowie auch der Statiker 16. Der Bauherr als tauglicher Täter, der im Grunde noch vor dem Architekten und dem Statiker betroffen ist, wird von der h.L. entweder gar nicht erwähnt 17 oder als Täter abgelehnt18. Die Ausscheidung des Bauherrn als tauglicher Täter überzeugt dagegen nicht, da die letzte Entscheidung über die Ausgestaltung des Bauvorhabens ja allein dem Bauherren zusteht, der infolgedessen auch das primäre Planungssubjekt ist und sich dabei lediglich der sachkundigen Hilfe des Architekten und des Statikers bedient. Dass der Bauherr diese Planungsbefugnis in der Praxis vielfach stillschweigend preisgibt und dem Architekten bei der Ausgestaltung des Bauvorhabens weitgehend freie Hand lässt, ändert an dieser Planungskompetenz im Grundsatz nichts, denn auch die Delegation ist ja ein Akt der Kompetenzausübung. Deswegen sind die tauglichen Täter in der Tatbestandsalternative der Bauplanung der Bauherr, sein Architekt und der hinzugezogene Statiker 19 .
b) Bauleiter Bauleiter im Sinne des § 319 ist derjenige, der technisch die Ausführung des Bau- oder Abbruchverfahrens als Ganzes nach seinen Anordnungen und Weisungen tatsächlich und maßgebend bestimmt 20 . Diese Definition wird in der Tat noch restriktiver angewendet. Denn entgegen dem natürlichen Sprachgebrauch hat die Rechtsprechung „Bauunternehmer" mit „Bauleiter" gleichgesetzt und „in aller Regel allein den Bauunternehmer und dessen Beauftragte" für Bauleiter gehalten. 14 Vgl. BT-Drs. 7/550, S. 267 sowie bereits OLG Köln MDR 1963, 186. 15 Schünemann, ZfBR 1980, 6. 16 Cramer/Sternberg-Lieben in: Schänke /Schröder 16, § 319 Rdn. 10; Lackner/Kühl 24, § 319 Rdn. 5; Tröndle/Fischer 51, § 319 Rdn. 4. 17 Vgl. Cramer/Sternberg-Lieben in: Schänke /Schröder 26, § 319 Rdn. 10; Tröndle/ Fischer 1, § 319 Rdn. 4; SK1-Horn, § 319 Rdn. 5.
18 Lackner/Kühl 24, § 319 Rdn. 5 19 Schünemann, ZfBR 1980, 7. 20 RG GA 39, 323; 45, 263; 46, 209; 50, 309; RGSt 57, 205; BayObLGSt 58, 217, 227; NJW 1959, 900; OLG Frankfurt MDR 1958, 425; OLG Hamm NJW 1969, 2211; vgl. auch BGH NJW 1965, 1340; zustimmend Gallas, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der am Bau Beteiligten, 1963, S. 15; Velten, Die Baugefährdung, 1965, S. 53; Scherer, Strafrecht in der Baupraxis, 1965, S. 26; LKu-Wolff, § 323 Rdn. 6; Tröndle/Fischer* 1, § 319 Rdn. 5; Lackner/Kühl 24, § 319 Rdn. 5; Cramer/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder 26, § 319 Rdn. 8; SK7-Horn, § 319 Rdn. 5.
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§10 Personengefährdung durch Bauarbeiten (§319)
Zur Begründung wird angefühlt, dass § 319 nicht die Vernachlässigung einer Aufsichtspflicht, sondern die Verletzung der Regeln der Baukunst unter Strafe stelle und infolgedessen die Beachtung dieser Regeln nur dem auferlege, der sie unmittelbar selbst bei der Bauleitung oder Bauausführung anwende21. Dies entspricht im Prinzip der oben entwickelten Auslegungsmaxime für die Bestimmung des Täterkreises: Die Vorverlegung der Strafbarkeitsgrenze soll nur diejenige treffen, die an dem Baugeschehen unmittelbar selbst teilnehmen. Deshalb ist die Ansicht, der Bauunternehmer sei typischer Bauleiter, zutreffend 22. Mehrere Unternehmer, die entsprechend den einzelnen Gewerken den Bau sukzessive ausführen, sind für den jeweiligen Bauabschnitt selbständig verantwortlich und können jeder für seinen Bereich Bauleiter sein 23 . Die Frage, ob der vom Bauherr mit der Bauaufsicht betraute Architekt auch Bauleiter im Sinne des § 319 ist, wenn er sog. „verantwortlicher Bauleiter" nach den Landesbauordnungen ist, scheint überwiegend verneint zu werden. Nach Gallas' Auffassung ist die Stellung des „verantwortlichen Bauleiters" im Sinne der Bauordnung in strafrechtlicher Hinsicht prinzipiell irrelevant. Er hat zur Begründung angeführt, dass § 319 nur auf solche Personen Anwendung finde, die, sei es durch Ausübung unmittelbarer Befehlsgewalt über das ausführende Personal, sei es durch körperliche Bautätigkeit, an der Ausführung des Baues unmittelbar beteiligt seien, wohingegen der „verantwortliche Bauleiter" eine bloße Überwachungsfunktion habe, die von der Bauausführung gedanklich abzusondern sei und auch in teleologischer Hinsicht keine Gleichbehandlung erheische 24. Ihm folgen die Rechtsprechung und die überwiegende Auffassung im Schrifttum 25. Aber Gallas hat auch zugestanden, dass der mit der Oberleitung oder Bauführung beauftragte Architekt ausnahmsweise zum Bauleiter im Sinne des § 319 werden könne, wenn er, sei es aufgrund besonderer Vereinbarung zwischen dem Bauherrn und Bauunternehmer, sei es ohne eine solche rechtliche Grundlage, die Bauausführung tatsächlich beherrsche. Das heiße die sonst dem Unternehmer vorbehaltene Befehlsgewalt grundsätzlich an sich ziehen und sich damit gegenüber dem Unternehmer und dessen Personal auch durchsetzen26. 21 BGH NJW 1965, 1340; zustimmend LKn-Wolff, § 323 Rdn. 6; Tröndle/Fischer* 1, § 319 Rdn. 5; Lackner/Kühl 24, § 319 Rdn. 5; Cramer/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder 26, § 319 Rdn. 8; a. A. SK7-Horn, § 319 Rdn. 5; Schünemann, ZfBR 1980, 7 - 9 . 22 Schünemann, ZfBR 1980, 8. 23 Vgl. RG GA 38,439; BayObLGSt 29, 63; Gallas, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der am Bau Beteiligten, 1963, S. 16 f.; Scherer, Strafrecht in der Baupraxis, 1965, S. 27; Schünemann, ZfBR 1980, 7; SK1-Horn, § 319 Rdn. 5. 24 Gallas, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der am Bau Beteiligten, 1963, S. 15 ff., 58. 25 Vgl. insbesondere BGH NJW 1965, 1340; OLG Hamm GA 1966, 250; Scherer, Strafrecht in der Baupraxis, 1965, S. 31 f.; LK9-Mösl, § 330 Rdn. 4; LK U-Wolff, § 323 Rdn. 7; Tröndle/Fischer 0, § 319 Rdn. 5; Lackner/Kühl 24, § 319 Rdn. 5; Cramer/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder 26, § 319 Rdn. 8.
B. Der Täterkreis und die Erklärung für dessen Beschränkung
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Auch Schünemann bestreitet nicht, dass die Bauüberwachung durch den Architekten aus dem Täterkreis in der Tatbestandsalternative der Bauleitung auszuscheiden ist. Diese Ausscheidung entspricht auch dem oben von ihm entwickelten Grundsatz einer angemessenen Restriktion des § 319. Schünemann tritt eigentlich auch nicht für die allgemeine Ineinssetzung des öffentlich-rechtlichen und des strafrechtlichen Bauleiterbegriffs ein. Vielmehr möchte er darauf hinweisen, unter welchen Voraussetzungen der Architekt selbst tauglicher Träger der Tatbestandsalternative „Bauleitung" wäre. Nach seiner Meinung sei der vom Bauherrn mit der Bauaufsicht betraute Architekt jedenfalls auch insoweit Bauleiter im Sinne des §319, als die notwendige Koordinierung der einzelnen Bauhandwerker durch die Baupläne noch nicht vollständig sichergestellt sei, sondern konkretisierende Einzelanweisungen auf der Baustelle erfordere. Darüber hinaus avanciere der Architekt auch insoweit zum Bauleiter, als er auf der Baustelle tatsächlich Einzelanweisungen erteile, für deren Richtigkeit er dann gemäß § 319 einzustehen habe. Der Architekt hafte mit anderen Worten für aktive Leitungsmaßnahmen auf der Baustelle immer nach § 319, während er durch das Unterlassen notwendiger Leitungsmaßnahmen den Tatbestand der Baugefährdung nur dann erfüllen könne, wenn es um die erforderliche Konkretisierung der Bauplanung gehe, die die Koordination der einzelnen Bauhandwerker betreffe und deshalb nur durch eine Einzelanweisung des Architekten geleistet werden könne. Wenn der Architekt dagegen die Baupläne so detailliert ausgestaltet habe und sich die erforderliche Koordination aus ihnen unmittelbar ergebe, so sei die bloße Überwachung der Einhaltung der Bauplanung durch die einzelnen Bauunternehmer keine effektive Leitungstätigkeit, sondern eine bloße Überwachungsmaßnahme, die für § 319 nicht ausreiche 27. Schünemann geht es also eigentlich nichts um anderes als um die Weiterentwicklung bzw. Präzisierung der von Gallas dargestellten Ausnahmefälle. Denn Schünemann geht wie Gallas auch von der tatsächlichen Funktion des Architekten auf der Baustelle aus. Wenn der Architekt die tatsächliche Befehls- oder Koordinationsmacht besitzt, dann geht er über die Grenze der Überwachungsrolle hinaus und rückt als Herr der Bauausführung in die „Bauleitung" auf. Wenn er keine solche Machtstellung hat, ist er nur Überwachungsorgan und macht sich nicht nach § 319 verantwortlich. Deswegen besteht meiner Meinung nach nur ein Scheinwiderspruch zwischen den Auffassungen von Gallas und Schünemann. Die grundsätzliche Einbeziehung des Architekten in den Täterkreis der Tatbestandsalternative „Bauleitung" ist kriminalpolitisch auch zutreffend, um eine empfindliche Strafbarkeitslücke für den Bereich der mangelhaften Koordination der einzelnen Gewerke zu vermeiden. Denn es ist denkbar, dass die Ausführung eines jeden Gewerkes für sich betrachtet ordnungsgemäß ist, aus der unzulänglichen Synchronisation der einzelnen Baukomplexe aber Gefahren entstehen. Es fehlt dann an einer Person, die für das ordnungsgemäße Ineinandergreifen der einzelnen Bauleitungen verant26 Gallas, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der am Bau Beteiligten, 1963, S. 21; ihm schließt Horn sich ohne Begründung auch an, vgl. in: SK 7 , § 319 Rdn. 5. 27 Schünemann, ZfBR 1980, 8 f.
224
§ 10 Personengefährdung durch Bauarbeiten (§319)
wortlich ist, wenn der Architekt nicht als Bauleiter in Sinne des § 319 angesehen werden kann 28 . Darüber hinaus kann der Bauherr, der einen Bau in Selbsthilfe oder Eigenregie errichtet, auch Bauleiter sein 29 . Er ist selbst „Unternehmer", erteilt als solcher den zugezogenen Hilfskräften die technischen Weisungen und beherrscht also tatsächlich die Bauausführung. Die Rechtsprechung hat auch mit Recht keine Bedenken gehabt, den nicht fachkundigen Bauherrn dann als Bauleiter anzusehen, wenn er „die technische Anordnung des ganzen Baues selbst in die Hand nimmt 30 . Die Gefahr für Dritte, die vom nicht fachkundigen Bauherr verursacht wird, ist in einem solchen Falle nicht geringer, als wenn ein Fachmann baut, der die Regeln kennt, sie jedoch nicht beachtet31. Zusammenfassend kann damit festgestellt werden, dass taugliche Täter in der Tatbestandsalternative der Bauleitung vor allem der Bauunternehmer, unter Umständen auch der Bauherr und sein mit der Bauaufsicht betrauter Architekt sind.
c) Bauausführer Bauausführender ist jeder, der irgendwie bei der Herstellung oder beim Abbruch eines Baues mitwirkt 32 . Die Rechtsprechung hat sich schon sehr früh dazu entschlossen, den Begriff des Bauausführers weit auszulegen, so dass alle Personen darunter fallen, die die Durchführung im einzelnen betreuen oder sonst bei der Herstellung des Baues in irgendeinem Teile mitwirken 33 , also die Bauarbeiter und die Poliere 34 , die Bauaufseher und Bauhandwerker, die Hersteller von Baugerüsten 35 und Schutzdächern36 sowie auch diejenigen Personen, die mit der Anwendung der Schutzmaßregeln für das Publikum 37 , darunter auch dem Absperren der Baustelle38 und mit der Aufstellung von Leitern zum Besteigen des Baues39 be28
Schünemann, ZfBR 1980, 8, der insgesamt 4 Gründe dafür angeführt hat. 29 OLG Hamm GA 1966, 250 f.; zustimmend auch das Schrifttum. 30 RG, GA 50 (1903), 390. 31 Gallas, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der am Bau Beteiligten, 1963, S. 18; OLG Hamm, GA 1966, 251. 32 RG DJ 40, 707; vgl. auch Gallas, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der am Bau Beteiligten, 1963, S. 23 ff.; (Cramer/Sternberg-Lieben in: Schänke /Schröder 16, § 319 Rdn. 9) 33 34 35 36 37 38 39
RG DR 40, 2239; RGSt 23, 277. OLG Koblenz GA 1974, 87. RG-Rspr. 10, 242. BGHUrt.V. 10.5. 1955-5. StR 31/55. RG GA 56 (1909), 219. RGSt 46, 347. RGSt 39, 417.
B. Der Täterkreis und die Erklärung für dessen Beschränkung
225
traut sind, selbst wenn ihre Arbeiten nur vorbereitende Natur haben oder nach Fertigstellung des eigentlichen Baues in Wegfall kommen 40 . Nach dem normalen Sprachgebrauch erfasst der Begriff der Bauausführung alle unmittelbaren Verrichtungen auf der Baustelle. Deshalb ist die in der Rechtsprechung entwickelte extensive Auslegung zu billigen 41 . Der Lieferant von mangelhaften Materialien wirkt zwar auch am Bau mit, aber er wird nicht unter dieses Merkmal subsumiert, weil es an der Unmittelbarkeit am Bau fehlt. Er kann sich zwar gegebenenfalls wegen fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung, nicht aber wegen Baugefährdung strafbar machen42. Jeder Ausführende ist nur im Kreis der ihm zugewiesenen Tätigkeit und im Rahmen der ihm eingeräumten Bewegungsfreiheit für die Beobachtung der anerkannten Regeln der Baukunst verantwortlich 43.
2. Der Täterkreis
des Absatzes 2
Der Absatz 2 dieser Vorschrift, der den Einbau von Maschinen, Heizanlagen, Gasrohren oder elektrischen Anlagen betrifft, ist durch EGStGB 1974 eingefügt worden. Im Vergleich mit dem Absatz 1 beschränkt der Absatz 2 den Täterkreis auf diejenigen, die in Ausübung eines Berufs oder Gewerbes handeln, um eine zu weitgehende Ausweitung der Strafvorschrift zu vermeiden 44. Deshalb ist der Gebäudeeigentümer oder der Mieter, der häufig solche Anlage selbst einbaut, aus dem Täterkreis auszuscheiden.
III. Erklärung der Deliktsgestaltung durch die Pflichttheorie oder die Herrschaftstheorie? Da nicht jedermann als Täter, sondern nur ein am Bau unmittelbar Beteiligter in Frage kommt, ist § 319 Sonderdelikt 45, und zwar ein echtes Sonderdelikt. 40 RG GA 56 (1909), 219; zustimmend Schütz, Die Baugefährdung, Diss. Erlangen 1932, S. 32. 41 Schünemann, ZfBR 1980, 9. 42 So zutreffen SK1-Horn, § 319 Rdn. 5; Tröndle /Fischer 51, § 319 Rdn. 11; Schünemann, ZfBR 1980, 9, 114. 43 RG DJ 40, 707. 44 BT-Drs. 7/550, S. 268. 45 Tröndle/Fischer* 1, § 319 Rdn. 2; Cramer/Sternberg-Lieben in: Schänke /Schröder § 319 Rdn. 14; Arzt/Weber, BT, 37/93; LKn-Wolff, § 323 Rdn. 1; Lackner/Kühl 24, § 319 Rdn. 5, 6; Velten, Die Baugefährdung, 1965, S. 67; Veit, Die Rezeption technischer Regeln im Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht unter besonderer Berücksichtigung ihrer verfassungsrechtlichen Problematik, 1989, S. 155; Gallas, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der am Bau Beteiligten, 1963, S. 13; aber SK 1-Horn, § 319 Rdn. 14 und NK-Herzog, § 319 Rdn. 3 sehen nur Absatz 2 als Sonderdelikt an. 15 Chen
26
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§10 Personengefährdung durch Bauarbeiten (§319)
Roxin hat ganz kurz ohne Begründung § 330 a. F. (=§ 319 n. F.) als Pflichtdelikt angesehen46. Die mögliche Begründung könnte wie folgt lauten: § 319 ist ein Pflichtdelikt, weil Täter nur sein kann, wer eine dem Tatbestand vorgelagerte außerstrafrechtliche (zivilrechtliche oder verwaltungsrechtliche) Sonderpflicht verletzt. Dieser Ansicht ist aus drei Gründe nicht beizupflichten. Erstens besteht zwar normalerweise zwischen dem Bauherrn und dem Bauplaner (Bauleiter oder Bauausführer) eine wirksame Rechtsgrundlage. Es kommt jedoch entscheidend auf die tatsächliche Stellung des Betreffenden an, nicht auf das Rechtsverhältnis, aufgrund dessen er tätig wird 4 7 . Zweitens kann die zivilrechtliche Akzessorietät die Stellung des Bauherrn als tauglicher Täter bei der Bauplanung oder Bauleitung überhaupt nicht erklären. Denn es besteht keine zivilrechtliche Grundlage. Es bleibt schließlich die letzte Möglichkeit übrig, eine Sonderpflicht verwaltungsrechtlich herzuleiten. Es müsste dann aber vorausgesetzt werden, dass jede vom Täter verletzte allgemein anerkannte Regel der Technik zugleich die Verletzung einer verwaltungsrechtlichen (baupolizeilichen) Vorschrift darstellte. Aber nach der herrschenden Lehre sind Regeln dieser Art „Erfahrungssätze, die sich aus Praxis und Theorie entwickelt haben und bezogen sind (auch) auf größtmögliche Vermeidung von Verletzungen, die aus den entsprechenden Verhaltensweisen erwachsen können" 48 ; gemeint sind neben den bautechnischen Regeln im engeren Sinne zum Beispiel auch Regeln, die die Feuersicherheit des Bauwerks betreffen; solche, die die an einen Bau zu stellenden gesundheitlichen Anforderungen festlegen; schließlich Regeln, die der Unfallverhütung oder der baulichen Sicherung dienen; wobei allen gemeinsam sei, dass ihre Verletzung zu Gefahren für Menschen führen können. Es geht mit anderen Worten nicht um Rechtsnormen, sondern um Regeln der Technik, die sich vielfach in baupolizeilichen Vorschriften, in Normenkatalogen (wie DIN- und VDE-Vorschriften) und in Unfallsverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften niedergeschlagen haben49. Da die letzteren keine Rechtsnormen sind, so dass sie tatrichterlicher Feststellung bedürfen, können die Regeln der Technik im Sinne des § 319 nicht ohne weiteres und in jedem Fall mit verwaltungsrechtlichen Vorschriften gleichgesetzt werden 50. Deshalb steckt der Pflichtgedanke hier in einer Sackgasse. Dagegen bietet die Herrschaftstheorie dafür eine überzeugende Lösung. Hier findet sich ein gutes Beispiel, in dem sich die engere Bestimmung des Täterkreises 46 Roxin, TuT 7 , S. 395. 47 RG DJ 1940, 707; RG LZ 1925, 214; RG GA 45 (1897), 263; 46, 209; RGSt 57, 205 f.; Gallas, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der am Bau Beteiligten, 1963, S. 15; Scherer, Strafrecht in der Baupraxis, 1965, S. 26 f.; Lackner/Kühl 24, § 319 Rdn. 5; L K 1 1 - Wolff, § 323 a. F. Rdn. 6; diese These ist zwar zur Erklärung des Begriffs von Bauleiter erwähnt, aber gilt auch für die anderen Täterträger. 48 SK 1-Horn, § 319 Rdn. 7. 49 LKn-Wolff, § 323 a. F. Rdn. 11 unter Hinweis auf RGSt 27, 388 f.; ferner Cramer/ Sternberg-Lieben in: Schänke / Schröder 26, § 319 Rdn. 4; Tröndle /Fischer* 1, § 319 Rdn. 11; Landau, wistra 1999,47, 48. so Landau, wistra 1999, 47, 48.
B. Der Täterkreis und die Erklärung für dessen Beschränkung
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der Sonderdelikte nicht aus viktimodogmatischen Ansichten heraus erklären lassen kann. Aber man kann mit der Theorie der Garantenstellung den Täterschaftsbereich gut erklären. Denn es handelt sich bei der Planung, Leitung oder Ausführung eines Baues um nichts anderes als um die Ausübung einer Herrschaft über gefährliche Sachen oder Verrichtungen 51. Es geht also bei § 319 um ein Garantensonderdelikt, und zwar in Form der Herrschaft über die Gefahrenquelle. Täter kann deshalb immer nur derjenige sein, der diese Aufsichtsstellung innehat.
5i Schünemann, ZfBR 1980, 115. 15*
§ 11 Die sog. unechten Sonderdelikte A. Der bisherige Meinungsstand zu den unechten Sonderdelikten Unechte Sonderdelikte sind ein Stiefkind des Strafrechts, weil sie seit langem von der Diskussion ignoriert werden. Dies zeigt sich die Tatsache, dass es Monographien oder Abhandlungen zu diesem Thema nicht gibt, sich in dem Lehrbüchern zum Allgemeinen Teil des Strafrechts 1 nur kurze Darstellungen zum Zweck des Vergleichs mit den echten Sonderdelikten finden und sich den Lehrbüchern zum Besonderen Teil des Strafrechts auf schlichte Behauptungen beschränken. Die einzige Ausnahme scheint die Abhandlung von Cortes Rosa2 zu sein, die sich jedoch hauptsächlich mit einem Auslegungsproblem des § 28 bei den unechten Sonderdelikten befasst. Die Definition unechter Sonderdelikte scheint zwar unstreitig zu sein. Dass nämlich das Tätermerkmal bei unechten Sonderdelikten nur strafschärfend wirke, während es bei echten Sonderdelikten strafbegründende Wirkung habe. Im Gegensatz zu echten Sonderdelikten könne die Grundform unechter Sonderdelikte von jedermann begangen werden3. Aber diese Definition ist unbefriedigend, weil unechte Sonderdelikte mit strafmildernder Wirkung außer Betracht bleiben, wenn sich auch die meisten Fälle der unechten Sonderdelikte strafschärfend auswirken. Deshalb besteht die präzisere Definition unechter Sonderdelikte, wie Roeder 4 ausgeführt hat, darin, dass es bei ihnen nur eine strafändernde Täterqualifikationen geht, sei es strafschärfende oder strafmildernde. Bei genauerer Betrachtung stößt man auf den interessanten Befund, dass es keinen Autor gibt, der alle unechten Sonderdelikte aufgeführt oder aufzuführen versucht hat, obwohl die Anzahl der möglichen Vorschriften sehr gering ist. All1
Überhaupt nicht erwähnt wurde sie bei: Hellmuth Mayer, AT, 1967; Blei, AT 1 8 ; Bockelmann/Volk, AT 4 : Freund, AT; Gropp, AT 2 ; Baumann/Weber/Mitsch, AT 1 0 ; Kienapfel, AT 4 ; Haft, AT 8 . 2 Cortes Rosa, Teilnahme am unechten Sonderverbrechen, ZStW 90 (1978), 411 f. 3 Roxin, AT/1 3 , 10/129; Jescheck/Weigend, AT 5 , § 26 II 6, S. 266 f.; Jakobs, AT 2 , 6/91; Langer, Das Sonderverbrechen, 1972, S. 456; Stratenwerth, AT 4 , 8/4; Maurach/Zipf, AT/1 8 , 21 /13 f.; Lackner/Kühl 24, Vor § 13 Rdn. 33; Wessels/Beukle, AT 3 2 , Rdn. 39; Krey, AT/1, Rdn. 194; Schmidhäuser, AT 2 , 8/86; ders., AT StuB2, 5/90; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rdn. 234; unklare Darstellung, aber im Ergebnis ebenso siehe Otto, AT 6 , 4/20; Schänke/ Schröder/Lenckner 26, Vor §§ 13 ff. Rdn. 131. 4 Roeder, ZStW 69 (1957), 223, 241.
A. Der bisherige Meinungsstand zu den Sonderdelikten
229
gemein als unechte Sonderdelikte anerkannte Vorschriften sind die Körperverletzung i m A m t (§ 340) 5 und die Strafvereitelung i m A m t (§ 258 a) 6 . I m Einzelnen werden noch die Gefangenbefreiung i m A m t (§ 120 Abs. 2 ) 7 , der Verwahrungsbruch i m A m t (§ 133 Abs. 3 ) 8 , die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes i m A m t (§ 201 Abs. 3 ) 9 und die Veruntreuung (§ 246 Abs. 2 ) 1 0 sowie die sog. neuen unechten Amtsdelikte (die Qualifikationen von § 263, § 264 und § 2 6 7 ) 1 1 erwähnt. Dazu w i r d auch die Verletzung von Privatgeheimnissen i m A m t (§ 203 Abs. 2) gezählt 1 2 . Eine sehr umstrittene Vorschrift ist die Aussageerpressung (§ 3 4 3 ) 1 3 . Das wurde bereits oben unter § 2 B I I 2 c cc (2) E2 erörtert. Die Einordnung als ein eigentliches
oder uneigentliches
Amtsdelikt
ist wichtig, weil nach der h . M . 1 4
das Fehlen des besonderen persönlichen Merkmals beim Teilnehmer bei den echten Sonderdelikten
zu einer Strafmilderung nach § 28 Abs. 1 führt, während der
Extraneus bei den unechten Sonderdelikten
gemäß § 28 Abs. 2 nach dem Strafrah-
men des Gemeindelikts bestraft wird. Das heißt, wenn man § 343 als ein uneigentliches Amtsdelikt ansieht, führt die Anwendung von § 28 Abs. 2 auf den teilnehmenden Extraneus zu einer Senkung der Höchststrafe von 10 Jahre auf 3 Jahre (die Höchststrafe des § 240 Abs. 1), während die Anwendung von § 28 Abs. 1 nur eine 5 Etwa Roxin, A T / 1 3 , 10/129; Je Scheck/Weigend, AT 5 , S. 267; Jakobs, AT 2 , 6/91; Stratenwerth, AT 4 , 8/4; Lackner/Kühl 24, Vor § 331 Rdn. 2; Tröndle/Fischer 51, § 340 Rdn. 1; Kindhäuser, LPK-StGB, § 340 Rdn.l; Otto, BT 6 , 19/1; Krey, B T / 1 1 1 , Rdn. 643 f.; Wessels/ 26 Beukle, AT 3 2 , Rdn. 39; Schänke /Schröder/Lenckner/Cramer , § 340 Rdn. 1; Schmidhäu2 ser, BT , 1 /19, Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 116. 6 Z. B. Lackner/Kühl, § 258 a Rdn. 1; Tröndle/Fischer* 1, § 258 a Rdn. 1 Kindhäuser, LPK-StGB, § 258 a Rdn.l; Otto, BT 6 , 96/20; Krey, B T / 1 1 1 , Rdn. 656; Schänke /Schröder/ Lenckner/Stree 26, § 258 a Rdn. 1; Schmidhäuser, BT 2 , 23/38; Wessels/Beukle, AT 3 2 , Rdn. 39. 7 Wessels/Beulke,
AT 3 2 , Rdn. 39; Geppert, Jura 1981, 42, 43.
8 Wessels/Beukle,
AT 3 2 , Rdn. 39; Geppert, Jura 1981, 42, 43.
9
Schänke /Schröder/Lenckner 26, § 201 Rdn. 28; Geppert, Jura 1981, 42, 43; SK7-Hoyer, § 201 Rdn. 32; LKu-Schünemann, § 201 Rdn. 48; Tröndle/Fischer 51, § 201 Rdn. 15. 10 Otto, AT 6 , 4/20; Schmidhäuser, AT 2 , 8/86. 11 NK-Puppe, §§ 28 f. Rdn. 35. Die Bezeichnung „neu" meint den zeitlichen Zusammenhang. Die neuen unechten Amtsdelikte haben im Vergleich zu den klassischen eine weit höhere Höchststrafe als ihre Grundtatbestände. 12 Geppert, Jura 1981,42, 43. 13 Als eigentliches Amtsdelikt sieht sie die h.M.: Arzt/Weber, BT, 49/89 f.; Lackner/ Kühl 24, § 343 Rdn. 1; LKU-Jescheck, Vor § 331 Rdn. 11, § 343 Rdn. 1; Maurach/Zipf, A T / 1 8 , 21/9; Preisendanz, StGB 30 , § 11 Anm. I I 2a; SK1-Horn/Wolters, § 343 Rdn. 2; Tröndle/Fischer 51, § 343 Rdn. 1; als uneigentliches Amtsdelikt sehen sie: Maiwald, JuS 1977, 353, 358; Maurach/Schroeder/Maiwald, B T / 2 8 , 77/23; Schänke /Schröder/Cramer 26, § 343 Rdn. 1; Otto, BT 6 , 98/7; Wagner, Amtsverbrechen, 1975, S. 178; Welzel, Das Deutsche Strafrecht 11, § 78 B IV vor 1 und ld; Bernd Heinrich, Der Amtsträgerbegriff im Strafrecht, 2001, S. 181. 14 Vgl. nur Jescheck/Weigend, AT 5 , S. 657; Lackner/Kühl 24, § 28 Rdn. 7 f.; Cramer/ Heine in: Schänke/ Schröder 26, § 28 Rdn. 8; MK-Joecks, § 28 Rdn. 47; Kühl, AT 4 , 20/149 ff.; Roxin, AT/2, 27/6; Wessels/Beulke, AT 3 2 , Rdn. 556 f.
230
§ 11 Die sog. unechten Sonderdelikte
Senkung der Höchststrafe auf 7,5 Jahre bewirkt, falls § 343 als ein eigentliches Amtsdelikt betrachtet wird. Im Hinblick auf dieses dadurch drohende, ungleiche und damit ungerechte Behandlung benachbarter Sachverhalte ist es m.E. zweifelhaft, ob die Abgrenzung zwischen echten und unechten Sonderdelikten wirklich einen Sinn hat. Wie lässt sich eine harmonische Lösung für die Anwendung des § 28 auf dem Feld von echten und unechten Sonderdelikten finden kann, wird in § 13 dieser Arbeit behandelt. Die oben genannten Vorschriften gehören zu strafschärfenden unechten Sonderdelikten und werden auch als uneigentliche Amtsdelikte 15 bezeichnet. Beispiele für strafmildernde unechte Sonderdelikte sind die Kindestötung (§ 217 a. F.) 16 und m.E. die Schwangerschaftsabbruch durch die Schwangere (§218 Abs. 3) zu nennen.
B. Eigene Stellungnahme I. Die falsche Einordnung des § 203 Abs. 2 als unechtes Sonderdelikt Dass die Verletzung von Privatgeheimnissen im Amt gemäß § 203 Abs. im Schrifttum 2 zum Teil 1 7 als unechtes Sonderdelikt eingeordnet wird, ist unrichtig. Unechte und echte Sonderdelikte unterscheiden sich nur durch das Vorhandensein der Grundform unechter Sonderdelikte. Die Grundform des § 340 ist die einfache Körperverletzung gemäß § 223. Entsprechend sind die Grundformen der §§ 120 Abs. 2, 133 Abs. 3, 201 Abs. 3, 258 a, 246 Abs. 2 jeweils die Gefangenbefreiung gemäß § 120 Abs. 1, der Verwahrungsbruch gemäß § 133 Abs. 1, die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 Abs. 1 und die Strafvereitelung gemäß § 258 sowie die Unterschlagung gemäß § 246 Abs. 1. Die Grundformen unechter Sonderdelikte sind Gemeindelikte, die sich von jedermann begehen lassen. Demgegenüber ist die Vorschrift des § 203 Abs. 1, die angeblich die Grundform des § 203 Abs. 2 darstellt, nicht ein Gemeindelikt wie die Grundformen anderer unechter Sonderdelikte, sondern ein echtes Sonderdelikt und zwar in Form des Garantensonderdelikts. Im Falle des § 203 Abs. 2 ist das Opfer gezwungen, seine Geheimsphäre gegenüber dem Amtsträger wie gegenüber dem Anwalt oder Arzt zu öffnen. Der Amtsträger ist wegen seiner Herrschaftsstellung über die Hilflosigkeit des Opfers Garant und als solcher verpflichtet, über ihm anvertraute Privatgeheimnisse zu schweigen. Deshalb ist § 203 Abs. 2 ebenso wie Abs. 1 ein echtes Sonder15 Bernd Heinrich, Der Amtsträgerbegriff im Strafrecht, 2001, S. 179 ff.; LK n-JeScheck, Vor § 331 Rdn. 12 (unechte Amtsdelikte). 16 BGHSt 1, 236, 237, 240; Roeder, ZStW 69 (1957), 223, 241; § 217 a. F. wurde vom Gesetzgeber als nicht mehr zeitgemäß empfunden und deshalb durch Art. 1 Nr. 35 des 6. StrRG aufgehoben worden. 17 Geppert, Jura 1981,42,43.
B. Eigene Stellungnahme
231
delikt in Form des Garantensonderdelikts. Die Tätereigenschaft ist ein straßegründendes persönliches Merkmal 18. Für den Teilnehmer des § 203 Abs. 2, der selbst nicht schweigepflichtig ist, gilt daher § 28 Abs. 1, nicht § 28 Abs. 2.
II. Der Doppelcharakter der Tätereigenschaft bei den unechten Sonderdelikten 1. Die Grundgedanken Die Behauptung der h.M. 1 9 , dass das Tätermerkmal bei unechten Sonderdelikten nicht strafbegründend, sondern nur strafändernd (sei es strafschärfend oder strafmildernd) wirke, scheint mir zweifelhaft zu sein. Dieses Missverständnis kann m.E. auf die ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts 20 zur Anwendbarkeit des § 50 RStGB (= § 28 Abs. 2) zurückgeführt werden. Danach kommt es für das Problem der Abgrenzung strafändernder von strafbegründenden Merkmalen darauf an, „ob das betreffende Merkmal zu einem neuen Tatbestand führt - dann wirke es strafbegründend - oder ob es den alten Tatbestand gleichsam nur modifiziert dann sei es strafändernd" 21. Sänchez-Vera 22 hält ein solches Beurteilungskriterium mit Recht für „zirkulär und nichts sagend". Denn „ob das Merkmal zu einem neuen Tatbestand führt (bzw. führen kann) oder den alten Tatbestand (sog. Grundtatbestand) modifiziert, ist ja gerade die Frage". Abgesehen davon, dass das Abgrenzungskriterium nicht überzeugt, ist die Unterscheidung zwischen strafändernden und strafbegründenden Merkmalen inzwischen so ausgeprägt, dass man übersieht, dass es auch Merkmale gibt, die beide Charaktere haben. Soll etwa die Beamteneigenschaft in §§ 120 Abs. 2, 133 Abs. 3, 258a, 340 nur den straferhöhenden Charakter berühren? Vielmehr zeigt das Tätermerkmal bei unechten Sonderdelikten sowohl eine strafändernde als auch ein strafbegründende Wirkung 23 , wenn es um ein Begehen durch Unterlassen und um einen Fall der Teilnahme des Intraneus an Haupthandlungen des Extraneus geht. Denn bei der Modalität des Begehens z. B. hat die Amtsträgerschaft zwar nur strafschärfende Wirkung. Aber die Amtsträgerschaft wirkt sich unter zwei Aspekten 18 BGH 4, 355, 359; Tröndle/Fischer* 1, § 203 Rdn. 49; L K 1 1 -Schünemann, § 203 Rdn. 160; NK-Jung, § 203 Rdn. 40; Lackner/Kühl 24, § 203 Rdn. 2; Wessels/Hettinger, BT/126, 4 6 Rdn. 561; SK -Samson, § 203 Rdn. 51; Otto, BT , 34/29; Arzt/Weber, BT, 8/35; Herzberg, GA 1991, 167, 179; Kindhäuser, LPK-StGB, § 203 Rdn. 2; a.A. Gössel, BT/1, 37/102; Schönke/Schröder/Lenckner 26, § 203 Rdn. 73; Grünwald, GS-Armin Kaufmann, S. 563. 19 Vgl. nur Roeder, ZStW 69 (1957), 223, 241. 20 RGSt 22, 51; 25, 234; 36, 148; 51, 53; 55, 181; vgl. auch Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich 18 , § 50 Anm. I, S. 135. 21 Zitat von Schwerdtfeger, Besondere persönliche Unrechtsmerkmale, 1992, S. 62. 22 Sánchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 204 Fn. 61. 23 Ebenso Sánchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 204.
232
§ 11 Die sog. unechten Sonderdelikte
auch strafbegründend aus. Zum einen kann ein Unterlassender nicht schon wegen seines Unterlassens aus einem Begehungstatbestand bestraft werden, wenn er keine Garantenstellung hat. Die (bei der Begehung strafschärfende) Tätereigenschaft des Amtsträgers bei unechten Sonderdelikten knüpft gerade an eine (beim Unterlassungsdelikt strafbegründende) Garantenstellung an. Zum anderen wird der Fall der Teilnahme des Amtsträgers an der Grundform unechter Sonderdelikte zur Täterschaft erhoben. Dies lässt sich in den Diskussionen zuerst über die Entstehung der Garantenstellung des Amtswalters und dann über die Garantenstellung bei anderen unechten Sonderdelikten entwickeln.
2. Die Herleitung der Garantenstellung des Amtsträgers aus der Übernahme einer Schutzfunktion a) Die Entstehung der Garantenstellung des Amtswalters im Allgemeinen Im Hinblick auf die Handlungsunfähigkeit der juristischen Person des Privatrechts zum Schutz ihrer Rechtsgüter haben ihre Organe durch die Übernahme der Organstellung die Aufgabe zum Schutz der Rechtsgüter der juristischen Person übernommen. Aufgrund der Übernahme der Schutzfunktion ist ein Organ verpflichtet, Schaden von der juristischen Person fernzuhalten. Verursacht ein Organ im Rahmen seines Aufgabenbereichs durch Unterlassen einen Schaden für die juristische Person, kann er wegen Untreue bestraft werden 24. Entsprechendes gilt auch für juristische Personen des öffentlichen Rechts, also vor allem für den Staat25. Da der Staat als solcher nicht gegen Eingriffe wehren kann, besteht das Bedürfnis, dass Beamte und Angestellte eine Schutzfunktion übernehmen und den Staat vor Schaden bewahren 26. Diese Garantenpflicht umfasst einerseits den Schutz der fiskalischen Rechtsgüter wie z. B. des Eigentums und Vermögens des Staates. Wenn ein Beamter im Rahmen seines Aufgabenbereichs die Vermögensinteressen des Staates nicht wahrnimmt, kann er wegen Untreue durch Unterlassen bestraft werden 27. Sie betrifft andererseits aber in gleicher Weise auch die Abwehr von Angriffen auf die sonstigen Rechtsgüter des Staats, also z. B. den Schutz des staatlichen Steueranspruchs, der Strafverfolgung, Strafvollstreckung oder der Staats- und Amtsgeheimnisse28. Insoweit sind den 24 Vgl. SK7-Rudolphe § 13 Rdn. 54; Kühl, AT 4 , 18/78; Roxin, AT/2, 32/77. 25
Vgl. dazu eingehende neuere Monographien: Schultz, Amtswalterunterlassen, 1984; Hüwels, Fehlerhafter Gesetzesvollzug und strafrechtliche Zurechnung, 1986; Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflichten von Amtsträgern, 1988; siehe auch SK 7-Rudolphi, § 13 Rdn. 54a; Kühl, AT 4 , 18/78; Roxin, AT/2, 32/78. 26 Kühl, AT 4 , 18/78; Roxin, AT/2, 32/78; Rudolphi, NStZ 1991, 361, 366. 27 Roxin, AT/2, 32/78. 28 SK7-Rudolphi, § 13 Rdn. 54a; Kühl, AT 4 , 18/78; NK-Seelmann, § 13 Rdn. 139.
B. Eigene Stellungnahme
233
Amtswaltern des Staats hoheitliche Rechte anvertraut, für deren Wahrnehmung sie einzustehen haben29. Diese Herleitung der Garantenstellung aus einer Amtsträgerstellung ist auch bei den uneigentlichen Amtsdelikten am Platze, auf die ich sogleich im Folgenden eingehen werde.
b) Bei der Gefangenenbefreiung im Amt (§ 120 Abs. 2) § 120 im dient Rahmen des rechtsstaatlich legitimierten Gewaltmonopols30 dem Schutz der staatlichen Verwahrungsgewalt über Gefangene 31. Um diesen Schutzzweck zu erreichen, bedarf der Staat Beamter und Angestellter, denen die Verwahrungsgewalt über Gefangene anvertraut ist. Diese Funktionsträger haben im Rahmen ihres Aufgabenbereichs die Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsguts und sind daher Beschützergaranten. Die Tat kann folglich durch Unterlassen begangen werden 32, wenn z. B. ein Strafvollzugsbeamter die Zugangstür unverschlossen lässt33 und Gefangene deshalb fliehen. Der Beamte hat sich damit gemäß §§ 120 Abs. 2, 13 Abs. 1 strafbar gemacht. Darüber hinaus kann die Garantenstellung hier auch in Form der Überwachung einer Gefahrenquelle auftreten, wenn ein Unternehmer, der ohne förmliche Verpflichtung im Sinne des § 11 Gefangene bei sich beschäftigt, eine Garantenstellung aus freiwilliger Übernahme und Übertragung von Aufsichtsgewalt hat 34 . Während es im zweiten Fall um eine Überwachungsgarantenstellung ohne strafschärfende Wirkung geht, handelt es sich im ersten Fall um eine Beschützergarantenstellung aus der Amtsträgerfunktion, und zwar mit strafschärfender Wirkung. V. Bubnofß Auffassung 35, dass § 120 Abs. 2 nicht erschöpfend alle möglichen Garantenstellungen umschreibe, sondern nur diejenigen, bei denen der Gesetzgeber eine Strafschärfung für angezeigt gehalten habe, ist daher richtig und bestätigt meinen Verdacht, dass die Amtsträgereigenschaft neben der strafschärfenden auch strafbegründende Wirkung auslöst. Am deutlichsten legt Jung dar, dass die garantenpflichtbegründenden Merkmale im Ergebnis doppelt, nämlich zur Begründung der Strafbarkeit und zur Strafschärfung verwertet würden 36. Nach meiner Festlegung hat § 120 Abs. 2 den Charakter eines Garantensonderdelikts. Die Bedeutung der Anerkennung der Tat des § 120 Abs. 2 29 Roxin, AT/2, 32/78. 30 AK-Zielinski, § 120 Rdn. 2. 31 Vgl. nur BGHSt 9, 62, 64; Kindhäuser, LPK-StGB, § 120 Rdn. 1; L K n - v . Bubnoff, § 120 Rdn. 6; Schänke/ Schröder/Eser 26, § 120 Rdn. 1. 32 Schänke/ Schröder/Eser 26, § 120 Rdn. 13; Lackner/Kühl 24, § 120 Rdn. 10. 33 Beispiel von Ostendorf, in: NK, § 120 Rdn. 15. 34 Schänke/ Schröder/Eser 26, § 120 Rdn. 13; SK6-Horn, § 120 Rdn. 14; L K n - v . Bubnoff, § 120 Rdn. 32; Siegert, JZ 1973, 308, 310. 35 L K n - v . Bubnoff, § 120 Rdn. 32. 36 Jung, in: Roxin / Stree / Zipf / Jung, Einführung in das neue Strafrecht 2, S. 119 f.
234
§ 11 Die sog. unechten Sonderdelikte
als Garantensonderdelikt zeigt sich in den Fällen der Teilnahme des Amtsträgers an der einfachen Gefangenenbefreiung. Bezüglich der Strafbarkeit solcher Fälle hat der Gesetzgeber wegen der straflosen Selbstbefreiung der Gefangenen und daher mangelnden akzessorischen Strafgrundlage für die Teilnahme die Handlungen der Teilnahme im Tatbestand genau formuliert. Deswegen ist dieser Effekt, die Teilnahme des Amtsträgers an dem Grundtatbestand zur Täterschaft zu erheben, in § 120 nicht deutlich aufgewiesen. Aber man kann diesen Effekt bei der Vorschrift des § 133 deutlich beobachten. c) Bei dem Verwahrungsbruch im Amt (§ 133 Abs. 3) § 133 dient dem Schutz des amtlichen Verwahrungsbesitzes und dem allgemeinen Vertrauen in die Sicherheit einer solchen Aufbewahrung 37. Beamte und Angestellte sind vom Staat beauftragt, den dienstlichen Gewahrsam gegen unbefugte Eingriffe und das Vertrauen in die staatliche Herrschaftsgewalt zu schützen, und üben deshalb die Verwahrungsgewalt aus. Die Funktionsträger des § 133 Abs. 3 besitzen wegen dieses Übertragungsakts oder ihrer Näheposition zum geschützten Rechtsgut im Rahmen ihres Aufgabenbereichs die Herrschaft über die Hilflosigkeit des amtlichen Verwahrungsbesitzes und des allgemeinen Vertrauens in die Sicherheit einer solchen Aufbewahrung. Sie sind daher Beschützergaranten. Zwar wird der Tatbestand nach dem Gesetzwortlaut meistens durch Begehen (Zerstören, Beschädigen, Unbrauchbarmachen u. a.) erfüllt, aber § 133 kann auch durch Unterlassen begangen werden 38, z. B. wenn der Täter bei einem ordnungswidrigen Besitz die Herausgabe ablehnt39. Deshalb hat § 133 Abs. 3 deutlich den Charakter eines Garantensonderdelikts, der eine besondere Wirkung äußert, wenn ein Amtsträger nur an der Haupthandlung Dritter teilnimmt. Er muss trotzdem als Täter gemäß §133 Abs. 3 bestraft werden, weil er Garant ist. Wegen seiner Garantenstellung wird die Teilnahme des Amtsträgers an der Haupthandlung Dritter zur Täterschaft erhoben. d) Bei der Strafvereitelung im Amt (§ 258 a) § 258 a garantiert außer der Durchsetzung der gesetzmäßigen Strafe und Maßregeln durch die Sicherung der inländischen Rechtspflege 40 auch das Legalitäts37 Vgl. nur BGHSt 5, 155, 159 f.; 35, 340, 341; 38, 381, 386; Geppert, Jura 1986, 590, 595; Kindhäuser, LPK-StGB, § 133 Rdn. 1; Tröndle/Fischer* 1, § 133 Rdn. 2; Lackner/ Kühl 24, § 133 Rdn. 1; Bernd Heinrich, Der Amtsträgerbegriff im Strafrecht, 2001, S. 274 m. w. N. 38 In den Kommentaren zu § 133 wird dies nicht ausdrücklich hervorgehoben, sondern nur auf das Zerstören oder die Beschädigung durch Unterlassen zurückgeführt, siehe etwa Tröndle/Fischer* 1, § 133 Rdn. 9 i.V.m. § 303 Rdn. 15. 39 BGHSt 3, 87; Tröndle/Fischer* 1, § 133 Rdn. 11; Cramer/Sternberg-Lieben in: Schänke /Schröder 26, § 133 Rdn. 15.
B. Eigene Stellungnahme
235
prinzip (§§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO) 41 . Die Strafverfolgungsgewalt ist denjenigen anvertraut, die z. B. Ämter als Strafrichter, Staatsanwälte, Polizeibeamte oder Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft (vgl. §§ 160, 161, 163 Abs. 1 StPO, § 152 GVG) 4 2 bekleiden und mit der Strafverfolgung befasst sind. Die Strafrechtspflege ist im Rahmen der jeweiligen Zuständigkeit der Herrschaft dieser Funktionsträger untergeordnet. Sie sind daher Garanten und machen sich nach § 258 a strafbar, wenn sie pflichtwidrig eine notwendige Verfolgungshandlung unterlassen und deswegen die Bestrafung eines Rechtsbrechers ausbleibt43. Dagegen haben Strafvollzugsbeamte und andere Amtsträger, die nicht an der Strafverfolgung mitwirken, keine Garantenpflicht, ihnen bekannt gewordene Straftaten anzuzeigen44. Die aus den Dienstvorschriften abgeleitete Anzeigepflicht, deren Verletzung dienstrechtlich geahndet werden kann, begründet nicht erst deswegen keine Garantenstellung, weil sie „nicht der Gewährleistung der vom § 258 a geschützten Strafverfolgung dient", sondern ausschließlich der „Aufrechterhaltung der Disziplin der Beamtenschaft sowie der Funktionsfähigkeit der Exekutive" 45 , sondern ist dazu von vornherein ungeeignet, weil es an einer Herrschaft des Vollzugsbeamten über die Strafverfolgung fehlt. Im Übrigen muss man beachten: Wenn man hier dem ursprünglichen Gedanken Roxin'scher Pflichttheorie folgte und § 258 a als Pflichtdelikt ansähe, wäre es m.E. inkonsequent, die Ableitung der Garantenstellung aus öffentlich-rechtlichen Pflichten abzulehnen. Denn die aus §§ 2, 156 StVollzG abgeleitete und leitenden Beamten einer Strafvollzugsanstalt unterliegende Anzeigepflicht ist eine justizverwaltungsrechtliche Pflicht, deren Verletzer nach dem Grundsatz des Pflichtdelikts als Täterschaft bestraft werden sollte, während Roxin 46 eine Garantenstellung von Strafvollzugsbeamten (im Ergebnis zutreffend, aber inkonsequent) verneint. Sollte der Begriff des Pflichtdelikts sinnvoll beibehalten werden, muss man ihn also offenbar auch nach Roxins heutiger Auffassung so verstehen, dass die 40 Vgl. nur BGHSt 43, 82, 84; 45, 97, 101; Schönke / Schröder / Stree 26, § 258 Rdn. 1; Kindhäuser, LPK-StGB, § 258 Rdn. 1; Lackner/Kühl 24, § 258 Rdn. 1; U. Günther, Das Unrecht der Strafvereitelung (§ 258 StGB), 1998, S. 25 ff., 38. 41 Vgl. Rudolphi, JuS 1979, 859, 861; Schönke/Schröder/Stree ser, LPK-StGB, § 258 a Rdn.l. 42 BGHSt 43, 85.
26
, § 258 Rdn. 1; Kindhäu-
43 Roxin, AT/2, 32/80; Rudolphi, JR 1995, 168; im Ergebnis ebenso, aber ohne Begründung SK6-Hoyer, § 258 Rdn. 32. Im Gegensatz zu der hier vertretenen Auffassung leitet Stree (in: Schönke/Schröder 26, § 13 Rdn. 31, § 258 a Rdn. 9 ff.) die Garantenstellung des Amtsträgers aus der formellen Rechtspflichttheorie ab. So wohl auch BVerfGE von 21. 11. 2003, NJW 2003, 1030. 44 So die h.M.: BGHSt 43, 82, 85 m. w. N.; Roxin, AT/2, 32/81; Lackner/Kühl 24, § 258 Rdn. 7a; SK6-Hoyer, § 258 Rdn. 32; Klesczewski, JZ 1998, 313; Rudolphi, NStZ 1997, 599; Seebode, JR 1998, 338; Verrel, GA 2003, 595 ff.; dagegen bejaht OLG Hamburg 1996, 102 eine Garantenpflicht des Leiters der Strafvollzugsanstalt, Straftaten anzuzeigen, wenn ein Gefangener während der Haft schwere Straftaten begangen hat, mit zust. Anm. Klesczewski und abl. Anm. Volckart, StV 1996, 608; Küpper, JR 1996, 524. 45 So Rudolphi, NStZ 1991, 361 ff., 367; zustimmend Roxin, AT/2, 32/81. 46 Roxin, AT/2, 32/82.
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§ 11 Die sog. unechten Sonderdelikte
sog. Pflicht nicht eine außerstrafrechtliche, sondern eine Garantenpflicht ist. Dadurch wird dann aber der Begriff des Pflichtdelikts in der Tat in denjenigen des Garantensonderdelikts gewendet, weil die Garantenpflicht eine Garantenstellung voraussetzt, und verliert jede eigenständige Bedeutung. Bei der Strafvollstreckung ist die Vollstreckungsgewalt den Strafvollzugsbeamten anvertraut, die deshalb eine Garantenstellung haben und verpflichtet sind, sicherzustellen, dass Gefangene ihre Freiheitsstrafe ordnungsgemäß verbüßen. In den Fällen des Nichteinschreitens gegen einen Flüchtigen, Nichtbetreibens der Straf- oder Maßnahmenvollstreckung sowie des Absehens eines Widerrufs der Aussetzung einer Vollstreckung trotz Vorliegens der Widerrufsgründe 47 können sich Strafvollzugsbeamte also wegen Vollstreckungsvereitelung durch Unterlassen gemäß §§ 258 a, 13 Abs. 1 strafbar machen. § 258 a ist m.E. ein Garantensonderdelikt 4S. Dadurch werden auch die Fälle der Teilnahmehandlungen der Strafverfolgungsbeamten im Rahmen der Strafverfolgung und der Teilnahmehandlungen der leitenden Strafvollzugsbeamten im Rahmen des Strafvollzugs bei der Vollstreckungsvereitelung zur Täterschaft erhoben.
e) Bei der Körperverletzung im Amt (§ 340) zugleich Diskussion über die Garantenstellung der Polizeibeamten gegenüber dem Bürger aa) Geschütztes Rechtsgut des § 340 ist allein die körperliche Integrität des Opfers 49. Die Annahme 50, dass neben Individualinteressen auch ein Allgemeinrechtsgut des Vertrauens in den Staat geschützt werden solle, verdient keine Zustimmung. Denn nachdem das 6. StrRG durch den in § 340 Abs. 3 enthaltenen Verweis auf § 228 die Einwilligungsmöglichkeit geregelt hat 51 , besteht kein Raum für diese überholte Auffassung 52. § 340 beschreibt in der Modalität des „Begehens" (Abs. 1 S. 1 Fall 1) einen qualifizierten Fall der einfachen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 sowie in der 47 Beispiele von Schänke/ Schröder/Stree 26, § 258 a Rdn. 14. 48 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 64 Fn. 74 (Hervorhebung nicht im Original). 49 Tröndle/Fischer 51, § 340 Rdn. 1, 7; NK-Kuhlen, § 340 Rdn. 4 f.; Schänke /Schröder/ Cramer 26, § 340 Rdn. 1. so SK 7-Horn/Wolters, § 340 Rdn. 2b; LK n-Hirsch, § 340 Rdn. 1; Wagner, Amtsverbrechen, 1972, S. 165, der die „Rechtsstaatlichkeit des Staates" als eigenständiges Rechtsgut ansieht; kritisch dazu Hirsch, ZStW 88 (1976), 774 ff. 51 Kritisch dazu Jäger, JuS 2000, 32, 38, der aufgrund der systematischen Stellung des § 340 den Verweis auf § 228 als ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers betrachtet und die Einwilligungsmöglichkeit bei § 340 nach wie vor für ausgeschlossen hält. 52 Lackner/Kühl 24, § 340 Rdn. 4; NK-Kuhlen, § 340 Rdn. 4 f.; SK7-Horn/Wolters, § 340 Rdn. 8 f.; Rengier, B T / 2 3 , 62 / 5.
B. Eigene Stellungnahme
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Modalität des „Begehenlassens" (Abs. 1 S. 1 Fall 2) einerseits einen zur Täterschaft erhobenen Fall der Teilnahme an der einfachen Körperverletzung und andererseits einen vertypten Sonderfall der einfachen Körperverletzung durch Unterlassen53. Der Gesetzgeber hat m.E. in diesem Straftatbestand ausdrücklich das Unterlassen dem Begehen gleichgestellt und eine besondere Garantenstellung im Besonderen Teil geregelt. Die hier gemeinte Garantenstellung kann natürlich nicht bloß aus einer formellen Amtspflicht hergeleitet worden, sondern gründet sich auf der Machtbefugnis und der Übernahme einer Schutzfunktion seitens des Amtsträgers. Es genügt daher nicht, dass der Amtsträger schlicht den tatbestandlichen Erfolg des § 223 Abs. 1 abwenden kann. Vielmehr muss sich für eine täterschaftliche Verwirklichung auch eine rechtliche Einstandspflicht ergeben 54. Das hier entstandene Garantenstellungsproblem des Amtsträgers betrifft eigentlich nur einen Teil der nach Rudolphi „zu den bisher noch ungelösten und heftig umstrittenen Problemen der strafrechtlichen Garantendogmatik gehörenden" 55 Frage, ob der Polizeibeamte gegenüber dem straftatbedrohten Bürger eine Garantenstellung hat 56 . bb) Die ältere Rechtsprechung57 bejahte aufgrund der obsoleten formellen Rechtspflichttheorie umfassend die Garantenstellung der Polizeibeamten. In BGH NJW 1987, 199 (= NStZ 1986, 503) hat der 4. Strafsenat die ältere Rechtsprechung bekräftigt und den Leiter der Ordnungsbehörde zum Garanten für die Entschlussfreiheit von Prostituierten erklärt sowie diesen im Falle der Duldung eines unerlaubten Bordellbetriebes wegen Beihilfe zur Förderung der Prostitution durch Unterlassen nach §§ 180 a, 27 verurteilt. Es wird vom Schrifttum mit Recht kritisiert, dass der Strafsenat über die Frage der Begehungsgleichheit des behördlichen Nichteinschreitens nicht ernsthaft nachgedacht hat und der im Polizei- und Ordnungsrecht allgemein geltende Grundsatz, nämlich der Ermessensspielraum der Behörde für das Einschreiten, außer Betracht geblieben ist 58 . Diese Gleichsetzung von öffentlich-rechtlichen Pflichten zum Schutz strafrechtlich geschützter Rechtsgüter und strafrechtlicher Garantenpflicht i.S. des § 13 bedeute eine Rückkehr zu der längst überwunden geglaubten formellen Rechtspflichtlehre 59.
53 SK 7-Horn/Wolters, § 340 Rdn. 2. 54 SK7-Horn/Wolters, § 340 Rdn. 3c. 55 Rudolphi, JR 1987, 336; ebenso Wessels/Beukle, AT 3 2 , Rdn. 721; Winkelbauer, JZ 1986, 1119. 56 Eine gute Darstellung des aktuellen Meinungsstandes findet sich bei Pawlik, ZStW 111 (1999), 335 ff. 57 RG JW 1939, 543; BGHSt 8, 186, 189; BGH NJW 1958, 956. 58 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 63; Rudolphi, JR 1987, 336; Winkelbauer, JZ 1986, 1119; Ranft, JZ 1987, 914; NK-Seelmann, § 13 Rdn. 139 a.E.; nur im Ergebnis zust. Wagner, JZ 1987, 658, 712 m. w. N. 59 Rudolphi, JR 1987, 336; ders., Gleichstellungsproblematik, 1966, S. 27 ff.; Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 63 ff., 218 ff.; Welp, Vorangegangenes Tun als Grundlage einer Handlungsäquivalenz der Unterlassung, 1968, S. 61 ff.
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§ 11 Die sog. unechten Sonderdelikte
Die für die Praxis heute maßgebliche Entscheidung BGHSt 38, 388 ff. geht davon aus, dass „die öffentlich-rechtliche Pflicht des Polizeibeamten, Straftaten zu verhindern, zumindest auch dem Zweck (dient), das von dem jeweiligen Straftatbestand geschützte Rechtsgut vor der ihm konkret drohenden Gefahr zu bewahren. Beide Schutzzwecke - Verhinderung oder Beseitigung normwidriger Zustände im Interesse der Allgemeinheit und Sicherung von Individualrechtsgütern im Interesse des einzelnen - sind untrennbar miteinander verbunden. Die Aufgabe, den einzelnen Bürger vor Straftaten zu schützen, ist damit nicht nur Reflex- oder Nebenwirkung einer Berufspflicht anderen Inhalts, sondern sie ist wesentlicher Bestandteil der Berufspflicht des Polizeibeamten. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Bürger Träger subjektiver Rechte gegen den Staat ist. Somit hat er einen Anspruch darauf, dass die Polizei zum Schutze seiner Rechtsgüter eingreift." 60 Trotz einer Verteidigungsmöglichkeit des bedrohten Bürgers bejaht der BGH ausdrücklich eine „Obhuts"- oder „Beschützergarantenstellung", „weil Polizeibeamte kraft ihrer hoheitlichen Eingriffsrechte wirksamere Maßnahmen der Gefahrenabwehr treffen können". Freilich macht der BGH zwei Einschränkungen. Zum einen müsse der Beamte nach seiner konkreten Dienstpflicht örtlich und sachlich für das geschützte Rechtsgut verantwortlich sein 61 . Zum anderen besitze ein Polizeibeamter eine Garantenstellung für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter nur im Rahmen seiner Dienstausübung 62 . Wenn er in seiner Freizeit gegen Körperverletzungen nicht einschreite, hafte er wie jeder Bürger nur nach § 323 c 6 3 . Bei außerdienstlich erlangter Erkenntnis von Straftaten, die während der Dienstausübung fortwirken, bestehe eine Garantenpflicht zum Einschreiten auch außerhalb des Katalogs des § 138 bei schweren Straftaten. Die Grenze solle aber von der Abwägung im Einzelfall abhängen, ob das öffentliche Interesse privaten Belangen vorgeht. Beispiele hierfür sind die schwere Körperverletzungen, erhebliche Straftaten gegen die Umwelt und Delikte mit hohem wirtschaftlichen Schaden oder besonderem Unrechtsgehalt. So werde ein Polizeibeamter ungeachtet privater Interessen in der Regel zum Einschreiten verpflichtet sein, wenn er von schwerwiegenden Verstößen mit Dauercharakter, nicht auf den Einzelfall beschränktem Handel mit harten Drogen oder Schutzgelderpressung erfahre. Gleiches gelte für Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität, die erfahrungsgemäß auf Wiederholung angelegt seien (S. 392). Die Frage, ob Polizeibeamten bei außerdienstlich erlangter Kenntnis von der Förderung der Prostitution eine Garantenstellung haben, wird in dem von BGH entschiedenen Fall im Ergebnis mit Recht verneint. Dieser Rechtsprechung folgt BGH NStZ 2000, 147 64 bei Vermögensstraftaten mit hohem wirtschaftlichen Schaden oder besonderem Unrechtsgehalt. 60 Dieses und das nächste Zitat finden sich in BGHSt 38, 388, 390. 61 BGHSt 38, 388, 390. 62 So auch schon BGH NJW 1989, 914; BGH NStZ 1993, 383. 63 BGHSt 38, 388, 391. 64 Zugleich BGH wistra 2000, 92 m. krit. Bespr. Wollweber,
wistra 2000, 338.
B. Eigene Stellungnahme
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Roxin 65 meint zwar, der BGH folge insoweit also der neueren Funktionenlehre und befinde sich mit der Annahme einer Beschützergarantenstellung im Einklang mit der h.M. Aber der BGH gründet eine Beschützergarantenstellung der Polizeibeamten mit der öffentlich-rechtlichen Pflichtenstellung der Polizei 66 . Diese Ansicht wird in BGH NStZ 2000, 147 durch den Hinweis, dass hier eine Rechtspflicht zum Handeln aus der öffentlich-rechtlichen Pflichtenstellung als Polizei-(Kriminal)beamte abgeleitet wird, noch deutlicher bestätigt. Im Hinblick darauf, dass die Garantenstellung unter unausgesprochener Erneuerung der formellen Rechtspflichttheorie allein aus der „Berufspflicht des Polizeibeamten" und abermals ohne Thematisierung des hier zentralen Ermessensgrundsatzes abgeleitet worden ist, ist der BGH gezwungen, den „allgemein anerkannten Grundsatz, dass nicht jede öffentlich-rechtliche Handlungspflicht zu einer strafrechtlichen Garantenstellung führt" 67 , auszunutzen und die zwei oben genannten Einschränkungen zur Vermeidung der extremen Ausuferung zu entwickeln 68 . Nach Rudolphis Auffassung würde die Ansicht des BGH, dass eine Garantenstellung allein aus der Berufspflicht hergeleitet wird, zu einer grenzenlosen Ausdehnung der Garantenstellungen führen 69. cc) Die wohl noch als herrschend bezeichnete Meinung 70 stimmt der neueren Rechtsprechung zu, bietet bei genauerem Hinsehen jedoch nur eine bloße Wiederholung der Argumentation der Rechtsprechung. Es erscheint mir deshalb plausibel zu sein, was Schünemann bereits im Jahr 1995 zum dogmatischen Streit der Unterlassungsdelikte propagiert hat, dass es hier nämlich im strengen wissenschaftlichen Sinn keine herrschende Lehre gebe, weil die in Deutschland gerne dafür gehaltenen Autoren der Standardlehrbücher und -kommentare gerade in der Garantenfrage einen theoretischen Eklektizismus verträten, der weniger eine wissenschaftliche Gleichstellungstheorie als vielmehr ein bloßes Entscheidungsregister repräsentiere 65 Roxin, AT/2, 32/87. 66 BGHSt 38, 388, 389 f.; dazu kritisch Rudolphi, JR 1995, 167 f.; Mitsch, NStZ 1993, 384. 67 Siehe bereits Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, 1966, S. 27 ff.; ders., JR 1995,
168.
68 Kritik von Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 64. 69 Rudolphi, JR 1995, 168. 70 Androulakis, Rechtsproblematische Studien über die unechten Unterlassungsdelikte, 1963, S. 206 f.; Bärwinkel, Zur Struktur der Garantie Verhältnisse bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1968, S. 74; Birnbacher, Tun und Unterlassen, 1995, S. 300 f.; Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 193 ff.; Rainer Frank, Strafrechtliche Relevanz rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungshandelns, 1985, S. 109 f.; Freund, AT, § 6 Rdn. 93; Gallas, Studien zum Unterlassungsdelikt, 1989 (1963), S. 84; LKU-Jescheck, § 13 Rdn. 27, 29; Köhler, AT, S. 226, 228; Otto, AT 6 , 9/67 f.; Otto/Brammsen, Jura 1985, 597; Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht von Amtsträgern, 1989, S. 606 ff.; NK-Seelmann, § 13 Rdn. 139; Stratenwerth, AT 4 , 13/17; Tröndle/ Fischer*\ § 13 Rdn. 6a; Wagner, Amtsverbrechen, 1975, S. 251 ff.; Wernicke, ZfW 1980, 263; Wessels/Beulke, AT 3 2 , Rdn. 721.
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und meistens bei der formellen Rechtspflichttheorie unterschlüpfe 71. Auch die Ansicht von Sangenstedt, die die faktische Herrschaft durch eine bloße Pflichtenstellung ersetzen möchte wie bei der Garantenstellung von Polizeibeamten72, verlasse die Grundgedanken des Herrschaftsprinzips und nähere sich der formellen Rechtspflichttheorie 73. dd) Dagegen verneint eine starke, zahlenmäßig nur knapp unterlegene Mindermeinung 74 eine Garantenstellung der Polizei gegenüber dem Bürger, weil zwischen dem einzelnen Bürger und dem konkreten Amtswalter das für die Bejahung einer Garantenstellung erforderliche spezifische Abhängigkeitsverhältnis fehle. Der Bürger sei normativ in seinen Verteidigungsmöglichkeiten nicht beschränkt und besitze umfangreiche Notwehr-, Notstands- und Selbsthilfebefugnisse. Damit bleibe er aber prinzipiell selbst dafür zuständig und verantwortlich, sich und seine Rechtsgüter vor Schaden zu bewahren. Raum für eine besondere Obhutsgarantenstellung des Staates und seiner Amtsträger sei daneben nicht mehr gegeben75. Für eine Schutzgarantenstellung mangelt es nach Schünemanns Auffassung an einem konkreten Dispositionsakt des Opfers. In der Untätigkeit des Polizisten liege daher nur eine (allerdings besonders strafwürdige) echte Unterlassung, deren Bestrafung einen Spezialtatbestand voraussetze. Die Spezialvorschrift des § 340 gestatte eine angemessene Ahndung des echten Unterlassungsdelikts im Amt 7 6 . Darüber hinaus bestehe die Funktion der Polizei angesichts der empirischen Situation gar nicht darin, die Rechtsgüter der Bürger lückenlos zu schützen, sondern sei viel bescheidener: Es solle verhindert werden, dass kriminelle Aktivitäten in der Gesellschaft geradezu die Überstand gewönnen. Es gehe mit anderen Worten nicht um lückenlosen individuellen Schutz, sondern um ein Mindestmaß an kollektiver Sicherheit 11 . ee) Kühl 78 und sein Schüler Bergmann 19 vertreten eine vermittelnde Meinung und wollen die Annahme einer Garantenstellung von Polizeibeamten auf die Fälle 71
Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 73. Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht von Amtsträgern, 1989, S. 606 ff. 73 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, S. 72 f., Fn. 102. ™ Grünwald, ZStW 70 (1958), 425, 428; Gürbüz, Zur Strafbarkeit von Amtsträgern im Umweltstrafrecht, 1997, S. 181 ff., 183; Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972, S. 356; Hohmann, NuR 1991, 12; Immel, Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Amtsträgern im Umweltstrafrecht, 1987, S. 183 f.; Mitsch, NStZ 1993, 384; Nestler, GA 1994, 524; Ranft, JZ 1987, 914 f.; Roeder, DStR 1941, 112 f.; Rudolphi, Dünnebier-FS, 1982, S. 580; ders., JR 1987, 336 ff.; ders., JR 1995, 167 f.; ders., SIC, § 13 Rdn. 36, 54b ff.; Schall, JuS 1993, 723; Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 329, 363; ders., ZStW 96 (1984), 311; ders., GA 1985, 380; ders., wistra 1986, 243 f.; ders., Madrid-Symposium, 1995, S. 62 ff. 7 5 SK7-Rudolphi, § 13 Rdn. 54c; so auch Schünemann, wistra 1986, 244. 72
76
Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 363. Schünemann, wistra 1986, 243 f.; ähnlich auch Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972, S. 356. 7 « Kühl, AT 4 , 18/87-90. 77
B. Eigene Stellungnahme
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beschränken, in denen erstens aufgrund der Intensität der Störung oder Gefährdung wichtiger Rechtsgüter eine Pflicht des Beamten zum Einschreiten besteht (= Ermessensreduzierung auf Null) und in denen zweitens der Träger des betroffenen Rechtsguts einen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten geltend macht. Dadurch werde eine personale Beziehung zwischen Amtsträger und Bürger geltend gemacht und eine uferlose Ausdehnung der Garantenpflichten verhindert 80. Auf die ausdrückliche Geltendmachung des Anspruchs sei jedoch zu verzichten, wo sie aufgrund der tatsächlichen Situation nicht möglich sei und wo wegen der Bedeutung des Rechtsguts und der Intensität der Gefährdung ein entgegenstehender Wille des Rechtsgutinhabers unbeachtlich sei, z. B. bei Straftaten gegen Leben und Gesundheit 81 . Roxin stimmt im Ergebnis Kühls Meinung zu und erkennt den Gründen, die für eine Garantenstellung der Polizei sprechen, das größere Gewicht zu 8 2 . Roxin unterstützt zwar ausdrücklich im 2. Band seines Lehrbuchs zum Allgemeinen Teil des Strafrechts Schünemanns Herrschaftsansatz 83 und benutzt das Kriterium der Kontrollherrschaft als das oberste Leitprinzip für das Gleichstellungsproblem 84, er versucht aber entgegen Schünemanns Meinung, die Schutzgarantenstellung der Polizeibeamten zu begründen. Roxin meint, der Dispositionsakt des Bürgers, der eine besondere Abhängigkeitsbeziehung voraussetze und der die Schutzfunktion des Staates begründe, entstehe bei Eintritt in den bürgerlichen Zustand. Der Staatsvertrag werde gerade um des Schutzes willen abgeschlossen, den der Staat dem einzelnen gewähren solle 85 . Diese Begründung scheine zwar auf den ersten Blick staatsphilosophisch, sogar zu normativistisch zu sein. Aber ein solches Schutzverhältnis müsse nicht nur auf einem die Obhut übertragenden Willensakt des zu Beschützenden beruhen. Es könne sich auch auf Realakte wie eine Lebensgemeinschaft gründen, man könne aber auch in ein Schutzverhältnis hineingeboren werden. Das gelte gerade für den Urtyp aller Obhutsgarantenstellungen, das Verhältnis der Mutter zum Kind. Sie sei im Augenblick der Geburt Beschützergarantin, obwohl psychische Dispositionsakte des Neugeboren nicht vorliegen könnten und ein Wille der Mutter zur Übernahme der Schutzfunktion ebenfalls nicht zu bestehen brauche. In dieser vergleichbaren Weise wird der Mensch nach Roxins Auffassung in den Schutz des Staates hineingeboren 86. Übrigens ist Roxin der Meinung, dass alle Verteidigungsmöglichkeiten des Bürgers nichts an der Schutzgarantie des 79 Bergmann, StV 1993, 518. so Kühl, AT 4 , 18/87; Bergmann, StV 1993, 518. 81 Kühl, AT 4 , 18/88 f.; Bergmann, StV 1993, 518 f. 82 Roxin, AT/2, 32/93, 97. 83 Roxin, AT/2, 32/17 ff., der damit Schünemanns Appell aus dem Jahr 1995 [in: Gimbernat (Hrsg.), Internationale Dogmatik der objektiven Zurechnung und der Unterlassungsdelikte, 1995, S. 82] mit positiver Bewertung beantwortet. 84 Roxin, AT/2, 32/19 ff. 85 Roxin, AT/2, 32/93. 86 Roxin, AT/2, 32/94. 16 Chen
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Staates ändern würden. Trotz aller Eigenbefugnisse (z. B. Notwehr-, Notstand- und Selbsthilferechte), die freilich waffenrechtlich sehr eingeschränkt seien, sei der Bürger für seine Sicherheit auf den Schutz des Staates angewiesen und müsse sich ihm anvertrauen. Gäbe es keinen Staat und keine Polizei, würde die Gesellschaft in Anarchie versinken 87. Die Schutz Vorkehrungen des Einzelnen könnten doch nur effektiv sein auf der Basis einer vom Staat gewährten Grundsicherheit. Private Zusatzmaßnahmen könnten nur die Lücken füllen, die auch der staatliche Schutz noch lasse. Private Anstrengungen könnten nur dann hinreichenden Schutz gewährleisten, wenn der Staat prinzipiell seine Hand über uns halt. Der Staat habe nicht nur eine abstrakte Sicherheit und Ordnung zu schützen, bei der sich der Schutz des einzelnen nur als Reflexwirkung ergebe, sondern er sei gerade um des Individualschutzes willen vorhanden. Aus seiner Gewährleistung ziehe der Staat seine Existenzberechtigung 88. Zuletzt ergänzt Roxin, erst bei einer Ermessensreduzierung auf Null entwickele sich aus der Schutzfunktion eine unmittelbares Eingreifen erfordernde Erfolgsabwendungspflicht. Eine solche Reduzierung liege vor, sobald ein Polizist mit einem konkreten Rechtsgutsangriff konfrontiert werde, gegen den sofort eingeschritten werden müsse, wenn schwere Schäden vermieden werden sollten 89 . ff) Roxins Argumentation hat m.E. erfolgreich Schiinemanns Zweifel an dem fehlenden Dispositionsakt des Bürgers beseitigt. Dass Schünemann die Aufgabe der Polizei nur auf den Schutz der kollektiven Sicherheit beschränken möchte, erscheint mir zu „bescheiden" und daher unzutreffend. Selbstverständlich kann und wird die Polizei dem Bürger keinen lückenlosen individuellen Schutz bieten. Aber das bedeutet nicht, dass die Polizei damit auf individuellen Schutz verzichtet. Wäre ein Polizist beim zufälligen Anblick einer schweren Körperverletzungnicht verpflichtet, dagegen einzuschreiten, würde der Verletzende sich darüber sehr freuen und lachen und ohne Bedenken die Tat vollenden. Auch wenn die Polizei in der Regel zu spät zur Stelle ist 9 0 , kommt noch eine Strafbarkeit wegen Versuchs in Betracht. Insoweit hat Roxin mit Recht der Argumentation des BGH zugestimmt, dass das tatsächliche Bestehen einer durch die Polizei auszuübenden Schutzfunktion sich auch aus dem subjektiven öffentlichen Recht des Bürgers auf ein Ergreifen der Polizei in einer Notlage ergebe. Beim Erscheinen der Polizei wegen des Anrufs des Hilfesuchenden übernehme die Polizei zweifellos eine Schutzfunktion. Jedoch sei es ebenso wenig sinnvoll, eine Garantenstellung abzulehnen, wenn der Polizist auf einem nächtlichen Streifengang einem rechtswidrigen Einbruch zusehe und nicht eingreife. Denn jedermann vertraue sich dem Schutz der Polizei gegen rechtswidrige Eingriffe an, solange er sich diesen nicht ausdrücklich verbitte. Das sei ein Bestandteil des Staatsvertrages und auch eine soziale Realität. Denn wenn 87 Roxin, AT/2, 32/93. 88 Roxin, AT/2, 32/95. 89 Roxin, AT/2, 32/98. 90
So kritisiert Schünemann, wistra 1986, 243.
B. Eigene Stellungnahme
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der Polizist etwa aus Bequemlichkeit den Einbruch geschehen lasse, werde jeder das empört als ein Versagen des Staates vor seiner Schutzaufgabe betrachten 91. Obwohl Roxin bei der Darstellung von Kühls Meinung nicht wie Kühl deutlich vom Anfang an den zentralen Grundsatz der Ermessensreduzierung auf Null betont, sondern erst am Ende der Diskussion diesen Grundsatz erwähnt hat 92 , sowie nur in einer Fußnote93 von der auf die Amtspflicht abhebenden Auffassung von Köhler 94 spricht, würde er keinesfalls der Kritik von Mitsei? 5 erliegen, dass die Garantenstellung sich auf die Ermessenshandhabung des Garanten richte, was der Entscheidung BGH 38, 388 ff. gerade auch wegen der Verletzung des Bestimmtheitsgebots vorgeworfen worden ist 96 . Ich schließe mich deswegen Kühls Auffassung an. Aber die Geltendmachung des Anspruchs auf behördliches Einschreiten bedeutet, wie Roxin richtig kritisiert 97 , nicht die Entstehung der staatlichen Funktion, sondern nur die Konkretisierung. Zur Begründung des Bestehens einer Abhängigkeitsbeziehung bin ich mit Roxin der Meinung, dass der Dispositionsakt des Bürgers in dem Eintritt in die bürgerliche Gesellschaft entsteht. Dass der BGH jedenfalls bei dienstlich erlangtem Wissen von Straftaten eine allgemeine Amtsträgergarantenstellung angenommen hat 98 , ist dagegen bedenklich99. Richtig ist, dass erst im Fall der Ermessensreduzierung auf Null eine Schutzgarantenstellung der Polizeibeamten gegenüber dem Rechtsgut des Bürgers besteht. Mit diesem Grundsatz kommt man zu demselben Ergebnis wie in dem von BGHSt 38, 388 ff. entschiedenen Fall. Gleichgültig, ob ein Polizeibeamter innerhalb oder außerhalb seiner Dienstausübung von der Förderung der Prostitution weiß, hat er wegen seines umfangreichen Ermessensspielraums keine Garantenstellung. Falls es sich dagegen um gravierende Straftaten wie in BGHSt 38, 392 handelt, z. B. Straftaten bei § 138, Straftaten gegen Leben und Gesundheit usw., besteht eine Ermessensreduzierung auf Null, und der Polizist muss die drohende Straftat verhindern. Dies widerspricht nicht, sondern entspricht umgekehrt gerade dem Argument des Hauptgegners Rudolphi 100. Bezüglich der Situation, in der es keinen Fall der Ermessensreduzierung auf Null gibt, besteht die Möglichkeit der Bestrafung wegen aktiver psychischer Beihilfe, falls Polizeibeamte regelmäßig die Bar besuchen und die Inhaberin der Bar 91 Roxin, AT/2, 32/96. 92 Roxin, AT/2, 32/98. 93 Roxin, AT/2, 32/98 Fn. 154. 94 Köhler, AT, S. 227 95 Mitsch, NStZ 1993, 384. 96 Neben der Kritik von Mitsch, a. a. O. vgl. auch Schünemanns, Madrid-Symposium, 1995, S. 63. 97 Roxin, AT/2, 32/97. 98 BGHSt 38, 391. 99 Vgl. Schünemanns, Madrid-Symposium, 1995, S. 65. 100
16*
Rudolphi, JR 1995, 167: Schrumpfen des Einschreitensermessens.
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weiß, dass die Polizisten wissen, dass hier Prostitution gefördert wird, worauf Schünemann zu Recht hingewiesen hat 1 0 1 . Die nonverbale Kommunikation mit der Inhaberin wäre als eine Billigung der dort stattfindenden Prostitution und damit als stillschweigende Duldung zu qualifizieren sowie als eine Beihilfe durch positives Tun zu beurteilen. gg) Zurück zur Problematik des § 340: M.E ist es nicht richtig, dass man § 340, wie Schünemann 1971 gemeint hat 1 0 2 , als eine mit § 323 c vergleichbare Spezialvorschrift, nämlich in Bezug auf die Modalität des Begehenlassens als eine Qualifikation des § 323 c betrachtet. Denn dadurch kann man zum einen nicht erklären, warum der Strafrahmen der Untätigkeit des Polizisten dem der aktiven Begehung gleichgestellt wird. Im Hinblick auf den viel höheren Strafrahmen des § 340 (von 3 Monaten bis 5 Jahren), während § 323c nur Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vorsieht, findet es keine Rechtfertigung, § 340 bloß als eine Qualifikation des § 323 c einzustufen und die Untätigkeit des Polizisten der aktiven Modalität in § 340 gleichzustellen. Zum anderen wäre der zur Täterschaft erhobene Fall der Teilnahme an der einfachen Körperverletzung durch den Polizisten in der Modalität des „Begehenlassens" (§ 340 Abs. 1 S. 1 Fall 2) ein Fremdkörper sein. Es ist zwar theoretisch denkbar, dass eine selbständige Unterlassung nach der vorherigen Teilnahme konstruiert würde, ebenso wie man in derselben, m.E. unakzeptablen Weise jede Unterlassung automatisch mit einer Begehung begründen könnte. Aber das ist nur ein Wortspiel und hilft wegen der fehlenden Zumutbarkeit nicht weiter, auch wenn man (anders als Schünemann) eine Garantenstellung aus Ingerenz anerkennen würde. Die richtige Lösung besteht deswegen darin, eine Garantenstellung der Polizeibeamten gegenüber der körperlichen Integrität des Bürgers anzuerkennen, falls ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. In einer solchen Notlage muss der Polizist einschreiten, um den Verletzungserfolg zu verhindern. Wenn man also § 340 als ein Garantensonderdelikt ansieht, liefert dieser Tatbestand einen überzeugenden Stützpunkt für die Täterschaftsqualifikation einer für sich allein bloßen Teilnahme durch den Intraneus, weil die Haupthandlung und die Teilnahme durch den Intraneus in der Unrechtsstruktur der Garantensonderdelikte vom Gesetz gleich behandelt werden. Ob eine Körperverletzung durch Naturkausalitäten oder deliktisches Handeln Dritter droht, macht für die Anwendungsmöglichkeit der fakultativen Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 keinen Unterschied 103. Denn unabhängig von dem notwendigen Rückgriff auf § 13 Abs. 1 ist die fakultative Strafmilderung gemäß § 13 Abs. 2 wegen des kriminalpsychologischen Unterschieds zwischen aktivem Tun und Unterlassen und der im Unterlassen ceteris paribus manifestierten geringeren kriminellen Energie analog anzuwenden104. 101
Schünemanns, Madrid-Symposium, 1995, S. 65. Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 363. 103 Anders SK1-Horn/Wolters, § 340 Rdn. 3c und 3d. 104 Vgl. L K 1 1 -Schünemann, § 266 Rdn. 161. 102
B. Eigene Stellungnahme
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f) Bei der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes im Amt (§ 201 Abs. 3) aa) § 201 schützt die Vertraulichkeit und Unbefangenheit des gesprochenen Wortes 105 . Im Gegensatz zur Sonderdeliktsstruktur des § 203 Abs. 1 kann Täter des Grundtatbestands nach § 201 Abs. 1 jedermann sein, weil der Rechtsgutsträger hier nicht wie in der Situation des § 203 gezwungen ist, bestimmten Personen seine Privatsphäre zu öffnen und deshalb besonders hilflos ist. Der Wortlauts des § 201 Abs. 3 ist meiner Meinung nach unbefriedigend, weil sich im Tatbestand explizit keine Beschränkung findet und deshalb der Eindruck einer uferlosen Ausdehnung der Strafbarkeit entsteht, indem nämlich der Täter auch dann gemäß § 201 Abs. 3 bestraft wird, wenn die Tat in keinem Zusammenhang mit seiner dienstlichen Tätigkeit begangen wird. Wenn zum Beispiel B aus Spaß ein Telefongespräch seiner Nachbarin N, der Ex-Freundin von A, mit einem Abhörgerät abhört, bei dem es um einen telefonischen Geschlechtsverkehr zwischen N und ihrem neuen Freund geht, und B seinem Freund A, der Amtsträger ist, das Tonband gibt, das dieser aus Wut in Internet veröffentlicht, dann kann A richtigerweise nur wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß dem Grunddelikts des § 201 Abs. 1 bestraft werden. Da § 201 die zuvor in den §§ 298 und 353 d Abs. 1 a. F. 1 0 6 enthaltenen Regelungen zusammenfasst 107 und der Strafrahmen des § 201 Abs. 3 dem des § 353d a. F. entspricht 108 , hat die h.M. 1 0 9 mit Recht betont, Absatz 3 sei nur dann erfüllt, wenn 105 Vgl. nur LKu-Schünemann, § 201 Rdn. 2 m. w. N.; SK4-Samson, § 201 Rdn. 1 f.; Lackner/Kühl 24, § 201 Rdn. 1; einzelne kleine Meinungsunterschiede im Schrifttum beeinflussen den Ausgangspunkt meiner Diskussion nicht und müssen aus Raumgründen beiseite gelassen. 106 § 298 a. F. lautete: (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer unbefugt 1. das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt oder 2. eine so hergestellte Aufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht. (2) Ebenso wird bestraft, wer das nicht zu seiner Kenntnis bestimmte nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen unbefugt mit einem Abhörgerät abhört. (3) Der Versuch ist strafbar. (4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. Daneben kann auf Geldstrafe erkannt werden. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht handelt, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögens vorteil zu verschaffen oder jemanden einen Nachteil zuzufügen. (5) Die Tonträger und Abhörgeräte, die der Täter oder Teilnehmer verwendet hat, können eingezogen werden. § 40a ist anzuwenden. (6) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt. Die Zurücknahme des Antrags ist zulässig. § 353 d Abs. 1 a. F. lautete: Ein Beamter, der in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Amtes die Vertraulichkeit des Wortes verletzt (§ 298 Abs. 1 und 2), wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar. 107 Zur Entstehungsgeschichte des § 201, vgl. LKu-Schünemann, § 201 Rdn. 1. los LKn-Schünemann, § 201 Rdn. 48.
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der Täter die Tat bei der Ausübung des Dienstes oder zu dienstlichen Zwecken begehe. Diese Einschränkung entspricht gerade dem Tatbestandsmerkmal des § 353 d a. F. „in Ausübung seines Amtes". Umstritten ist die Strafbarkeit, wenn der Amtsträger die ihm aufgrund seiner Dienststellung gegebene Möglichkeiten für seine Ziele ausnutzt, etwa außerhalb der Dienstzeit ihm dienstlich zugängliche Einrichtungen dazu missbraucht, um Telefongespräche anzuhören 110. Die Antwort auf diese Frage muss in dem Tatbestandsmerkmal des § 353 d a. F. „in Veranlassung der Ausübung seines Amtes" zurückgeführt werden. Erforderlich ist, dass die Tat in einem inneren Zusammenhang mit dem Amt steht. Eine bloße äußere, gelegentliche Beziehung ist nicht ausreichend 111. Im Hinblick auf den fehlenden inneren Zusammenhang zwischen der Tat und der Amtsausübung kann der Täter im letzten Fall also nur wegen § 201 Abs. 2 Nr. 1 bestraft werden. bb) Nach dem heutigen Diskussionstand erscheint es geradezu atavistisch, eine Garantenstellung direkt aus der Amtspflicht oder aus dem Beamtenstatus abzuleiten, denn das wäre ein Rückfall in die formelle Rechtspflichttheorie. Ein Polizeibeamter, der an sich für Abhören zuständig ist, ist deshalb nicht als Täter des § 201 Abs. 2 zu bestrafen, wenn er als zufälliger Zeuge von Abhörmaßnahmen eines Dritten nicht einschreitet. Denn nach der oben genannten Feststellung112 hat er wegen des umfangreichen Ermessungsspielraums keine Garantenstellung. Ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null liegt ebenfalls nicht vor, solange es sich hier nicht um gravierende Straftaten (z. B. Straftaten des § 138, Straftaten gegen Leben und Gesundheit) handelt. Jedoch besteht die Möglichkeit, ihn wegen aktiver psychischer Beihilfe zu bestrafen, falls der Dritte weiß, dass der Amtsträger Kenntnis hat, dass ein unbefugtes Abhören stattfindet, und nicht einschreitet. Die Begründung einer Garantenstellung des Amtsträgers in Bezug auf § 201 lässt sich nur unter den Gesichtpunkten der Theorie der Garantensonderdelikte entwickeln. Nach den §§ 100 a ff. StPO darf die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation zu Strafverfolgungszwecken angeordnet werden. Obwohl dieses amtliche Handeln die „Vertraulichkeit und Unbefangenheit des gesprochenen Wortes" verletzt, muss der Bürger diesen Eingriff dulden, weil dieser gerechtfertigt ist. Der Bürger ist also gezwungen, seine eigene Geheimsphäre gegenüber dem mit dem Abhören beschäftigten Beamten zu öffnen. Der Strafrechtsschutz knüpft hier folglich an einen Dispositionsakt des Opfers an, und damit besteht eine Herrschaftsbeziehung zwischen der Hilflosigkeit des Rechtsgutobjekts und dem zuständigen Amtsträger. Diese enge Bestimmung des Täterkreises kann auch aus viktimo109 L K 1 1 -Schünemann, § 201 Rdn. 48; Tröndle/Fischer* der/Lenckner 16, § 201 Rdn. 28; NK-Jung, § 201 Rdn. 14.
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, § 201 Rdn. 15; Schänke /Schrö-
ho Beiahend: L K 1 1 -Schünemann, § 201 Rdn. 48; LK W-Träger, Fischer , § 201 Rdn. 15; Verneinend: Schänke /Schröder/Lenckner Jung, § 201 Rdn. 14; Gössel, BT /1, 37/51.
§ 201 Rdn. 32; Tröndle/ 16 , § 201 Rdn. 28; NK-
in RGSt 6, 20, 21; 17, 165, 166; LK9-Schäfer, § 353 d Rdn. 3 i.V.m. § 340 Rdn. 5; ebenfalls Lackner/Kühl 24, § 201 Rdn. 17 und Kindhäuser, LPK-StGB, § 201 Rdn. 19. ii2 § I I B e ff.
B. Eigene Stellungnahme
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dogmatischen Ansätzen heraus abgeleitet werden, da der Bürger dem zuständigen Amtsträger oder Verpflichteten seine Geheimsphäre ausgeliefert hat und daher ihm gegenüber wehrlos und schutzbedürftig ist. Insofern ist § 201 Abs. 3 i.V. m Abs. 1 und 2 ein mit den §§ 203, 266 und 266 b vergleichbares Delikt, so dass auch der Aspekt der Viktimodogmatik letzten Endes in die Begründung einer Herrschaftsbeziehung eingebracht werden kann, selbst wenn eine Vertrauensbeziehung, die sich bei den §§ 203, 266 und 266 b finden lässt, bei § 201 Abs. 3 nicht existiert. § 201 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 und 2 ist daher auch ein Garantensonderdelikt. Wenn der für das Abhören zuständige Amtsträger z. B. im Rahmen seiner Amtsausführung zusieht, wie ein unbefugter Dritter ins Büro eintritt und das Abhörgerät zur Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes des Opfers benutzt, aber nicht einschreitet, so hat der Amtsträger sich durch Unterlassen als Täter gemäß § 201 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 strafbar gemacht. Wenn der Amtsträger einen unbefugten Extraneus veranlasst oder ihm hilft, das Abhörgerät zu benutzen, wird der Amtsträger nicht nur als Anstifter oder als Gehilfe wegen des Grundtatbestands bestraft, sondern begeht auch ein Unterlassungsdelikt bezüglich des Qualifikationstatbestand. Wegen der Erfolgseinheit besteht Tateinheit zwischen den beiden Straftatbeständen.
3. Die Garantenstellung bei anderen unechten Sonderdelikten a) Veruntreuung (§ 246 Abs. 2) Geschütztes Rechtsgut bei der Unterschlagung ist allein das Eigentum 113 . Der B G H 1 1 4 folgte der Rechtsprechung des RG 1 1 5 und sah § 246 a. F. der Sache nach als Sonderdelikt an. Daraus folgte, dass Mittäter einer Unterschlagung nur derjenige sein konnte, der eigenen, mindestens aber Mitgewahrsam an der Sache hatte 116 . Demgegenüber sah die h.M. im Schrifttum in dem Gewahrsamsmerkmal kein spezielles Tätermerkmal. Die Tatherrschaft spiele hier die dominierende Rolle für das Mittäterschaftsproblem. So müsse ein Mittäter nur spätestens mit der Zueignung Gewahrsam erlangen 117. Irgendwelche Bedürfnisse und gesetzgeberischen 113 H.M., vgl. nur Lackner/Kühl 24, § 246 Rdn. 1; Kindhäuser, LPK-StGB, § 246 Rdn. 1; ders., NK, § 246 Rdn. 3; Schänke/ Schröder/Eser 26, § 246 Rdn. 1; SK6-Hoyer, § 246 Rdn. 1; LK 11-Ruß, § 246 Rdn. 1. 114 BGHSt 2, 317, 320; anders BayObLG GA 74 (1930), 312; OLG Nürnberg MDR 1950, 627 unter Berufung auf BayObLG GA 74 (1930), 312; OLG Bremen SJZ 1950, 357 mit ablehnender Anm. Busch. 115 RGSt 53,162, 163; 72, 326, 327. 116 BGHSt 2, 317, 318; zustimmend LK 11-Ruß, § 246 Rdn. 24; Lackner/Kühl 24, § 246 Rdn. 12; Gössel, BT/2, 11/27 ff.; Arzt, LH 3, S. 88, der meint, dass § 246 a. F. einem Sonderdelikt ähnelt. 117 Schänke /Schröder/Eser 25, § 246 Rdn. 27; Maurach/Schweder, B T / 1 8 , 34/38; Charalambakis, Der Unterschlagungstatbestand de lege lata und de lege ferenda, 1985,
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Motive für eine Sonderdeliktsnatur des § 246 seien nicht erkennbar. Dieser Streit ist allerdings obsolet geworden, nachdem das Gewahrsamserfordernis durch das 6. StrRG gestrichen worden ist und die Formulierung „eine fremde bewegliche Sache, die er in Besitz oder Gewahrsam hat" in § 246 Abs. 1 a. F. durch das Wort „eine fremde bewegliche Sache" ersetzt wurde. Die Tat des § 246 Abs. 1 n. F. ist ersichtlich ein Allgemeindelikt. Die h.M. 1 1 8 betrachtet § 246 Abs. 2 n. F. als Qualifikationstatbestand des Abs. 1, der dem Anvertrauen eine strafschärfende Wirkung beilegt. Ob diese Auffassung zutreffend ist, scheint mir zweifelhaft. Eine Veruntreuung liegt vor, wenn die unterschlagene Sache dem Täter anvertraut ist. „Anvertraut" sind nach h.M. solche Sachen, die der Täter mit der Verpflichtung erlangt habe, sie zurückzugeben oder nur zu bestimmten Zwecken zu verwenden 119. Ein Treueverhältnis i.S. von § 266 soll nicht erforderlich sein 120 . Ein Anvertrauen liegt daher z. B. bei einem Auftrag oder einem Leih vertrag, bei der Miete eines Kraftwagens 121 oder bei unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Sachen vor vollständiger Bezahlung 122 vor. Im Übrigen wird das Anvertrautsein nicht dadurch ausgeschlossen, dass mit der Überlassung der Sache ein gesetz- oder sittenwidriger Zweck verfolgt wird oder das zugrunde liegende Rechtsgeschäft unwirksam ist 1 2 3 . Abgesehen von dem Streit, ob ein Anvertrautsein nach dem Wegfall des Gewahrsamserfordernisses in Abs. 1 in jedem Fall Gewahrsam des Täters voraussetzt 124, muss zumindest eine Sachherrschaft, etwa durch mittelbaren Besitz, gefordert werden 125 . Mit anderen Worten erhält der Täter durch das Anvertrautsein eine Sachherrschaft über die Sache, nämlich die Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsguts. Das löst nicht nur die strafschärfende, S. 122 ff.; Roxin, TuT 7 , S. 386 f.; ders., L K 1 1 , § 25 Rdn. 168; Dreher/Tröndle 4*, § 246 Rdn. 20; Tenckhojf, JuS 1984, III f.; Rengier, FS-Lenckner, 1998, S. 801, 808 f.; umfassend Küper, ZStW 106 (1994), 354 ff., 379. HS Vgl. nur LK n -Ruß, § 246 Rdn. 25; Tröndle/Fischer* 1, § 246 Rdn. 16; NK-Kindhäuser, § 246 Rdn. 1; SK6-Hoyer, § 246 Rdn. 42; Schänke/ Schröder/Eser 26, § 246 Rdn. 29; Müsch, B T / 2 / 1 2 , 2/60. 119 RGSt 4, 386, 6, 117; 29, 239; 40, 222, 223; BGHSt 9, 90, 91; 16, 280, 282; Schänke/ Schröder/Eser 26, § 246 Rdn. 29; Rengier, B T / 1 5 , 5/25; Krey, B T / 2 1 2 , Rdn. 169; Tröndle/ Fischer* 1, § 246 Rdn. 16. 120 BGHSt 9, 90, 92. 121 BGHSt 9, 90. 122 BGHSt 16, 280. 123 H.M. BGH NJW 1954, 889; OLG Braunschweig NJW 1950, 656; Lackner/Kühl 24, § 246 Rdn. 13; Wessels/Hillenkamp, B T / 2 2 5 , Rdn. 296; LK n-Ruß, § 246 Rdn. 26; Rengier, B T / 1 5 , 5/26; Tröndle/Fischer* 1, § 246 Rdn. 16; Maurach/Schroeder, B T / 1 8 , 34/41; a.A. Mitsch, B T / 2 / 1 2 , 2/64; NK-Kindhäuser, § 246 Rdn. 72; Schänke /Schröder/Eser 26, § 246 Rdn. 30; Kohlrausch/Lange 43, § 246 Anm. VI; einschränkend SKe-Hoyer, § 246 Rdn. 47 (nur bei durch betrügerische Täuschung zustande gekommenem Vertrauensverhältnis). 124 Bejahend: Schänke /Schröder/Eser 26, § 246 Rdn. 29; SK6-Hoyer, § 246 Rdn. 43; Wessels/Hillenkamp, B T / 2 2 5 , Rdn. 295; Lackner/Kühl 24, § 246 Rdn. 13; verneinend: Friedl, wistra 1999, 206; Mitsch, ZStW 111 (1999), 65, 93. 125 So Küper, BT 5 , S. 24.
B. Eigene Stellungnahme
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sondern auch die von der h.M. ignorierte strafbegründende Wirkung aus. Der Täter, dem die Sache i.S. von § 246 Abs. 2 anvertraut ist, ist Garant. Daraus folgt, dass der als Täter einer Veruntreuung durch Unterlassen bestraft wird, der bei dem Verkauf eines von ihm gemieteten Wagens durch seinen erwachsenen Sohn nicht einschreitet. Die Tat des § 246 Abs. 2 ist also ein unechtes Sonderdelikt, aber auch ein Garantensonderdelikt. b) Kindestötung (§ 217 a. F.) Der Täterkreis der Kindestötung gemäß § 217 a. F. war auf die Mutter eines nichtehelichen Kindes beschränkt. Die Rechtsprechung fasste § 217 a. F. als unechtes Sonderdelikt auf 1 2 6 . Die Kindestötung war rechtssystematisch ein privilegierter Tatbestand gegenüber § 212 und zugleich ein Spezialgesetz im Verhältnis zu § 211. Das Verhältnis der Mutter zum Kind stellt den Urtyp aller Obhutsgarantenstellungen dar. Bei Unterlassungstaten ist die Mutter stets Garantin des Lebens ihres Kindes, weil die Mutter die Herrschaft über die Hilflosigkeit des Kindes ausübt. Deshalb hatte § 217 a. F. sowohl eine strafmildernde als auch strafbegründende Wirkung. Anders formuliert, hatte der Gesetzgeber in § 217 a. F. nicht nur eine Schuldminderung, sondern auch eine besondere Garantenstellung geregelt. Danach wurde die Mutter eines nichtehelichen Kindes, wenn sie ihr Neugeborenes nicht ernährte, Beihilfe zur Tötung ihres Kindes durch einen Dritten leistete oder einen Dritten zur Tötung anstiftete, immer wegen täterschaftlicher Unterlassung gemäß § 217 a. F. bestraft.
c) Schwangerschaftsabbruch durch die Schwangere (§218 Abs. 3) Geschütztes Rechtsgut des § 218 ist das ungeborene menschliche Leben 127 . Daneben dient die Vorschrift nach verbreiteter Ansicht auch den Gesundheitsinteressen der Schwangeren 128. Täterschaftlicher Schwangerschaftsabbruch ist sowohl in Form des Fremdabbruchs durch einen Dritten (§218 Abs. 1) als auch des Selbstabbruchs durch die Schwangere (§218 Abs. 3) möglich. Während die Tat des Fremdabbruchs Allgemeindelikt ist, kann der Selbstabbruch nur durch die Schwangere begangen werden. Das - bis 1974 im Gesetz ausdrücklich erwähnte - Zulassen der Abtreibung durch die Schwangere, sei es durch ein ausdrückliches oder stillschweigendes Ein126 RGSt 59, 8; BGHSt 1, 235, 237, 240; BayObLGSt 1949-1951, 126; OLG Frankfurt am Main NJW 1950, 157; LK l0-Jähnke, § 217 a. F. Rdn. 2. 127 H.M.: BVerfGE 39, 36; 88, 251; BGHSt 28, 11, 15; Lackner/Kühl 24, § 218 Rdn. 1; Kindhäuser, LPK-StGB, § 218 Rdn. 1; LK n-Kröger, § 218 Rdn. 26; Otto, BT 6 , 13/6; Maurach/Schweden B T / 1 8 , 6/8 f.; SK6-Rudolphi, Vor § 218 Rdn. 55. 128 Vgl. nur Schänke/ Schröder/Eser 26, Vor § 218 Rdn. 12; Tröndle/Fischer 51, Vor § 218 Rdn. 17; a.A. Otto, BT 6 , 13/6; LK11-Kröger, § 218 Rdn. 27 m. w. N.
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§ 11 Die sog. unechten Sonderdelikte
Verständnis der Schwangeren mit dem Eingriff, ist nach h.M. nicht als Unterlassen 129 , sondern als Begehen 130 zu beurteilen, weil in der Hingabe des Körpers der Schwangeren ein positives Tun liegt. Dass das Zulassen des Schwangerschaftsabbruchs stets eine Täterschaft der Schwangeren begründet, wird nach der Mindermeinung von Tröndle 131, der auch Anstiftung und Beihilfe für möglich hält, zu Unrecht verneint. Die h.M. bejaht dagegen eine Mittäterschaft der Schwangeren, wenn die Schwangere auf Grund ihres Ermöglichens des Schwangerschaftsabbruchs und ihres Einverständnisses mit den Abbruchshandlungen Mitinhaberin funktioneller Tatherrschaft ist 1 3 2 . Entgegen der h.M. sehe ich sowohl das Ergebnis als auch die Argumentation anders. Ich widerspreche auch Stratenwerths Meinung 133 , wonach das Merkmal „Schwangere" im Verbrechensaufbau erst bei der Wertungsstufe der Schuld untergebracht werde. Denn nach allgemein anerkannter Ansicht hat die Schwangere eine Garantenstellung gegenüber dem Embryo 134 . Die Schwangere als Beschützergarantin übt die Herrschaft für die Hilflosigkeit des Lebens ihres Embryos aus. Deshalb entspricht die Tat des § 218 Abs. 3 m.E. dem Begriff des Garantensonderdelikts. Danach ist die Schwangere beim Zulassen des Schwangerschaftsabbruchs stets als Täterin zu bestrafen, nicht aber als Mittäterin135. Im Übrigen wird die Teilnahme (Anstiftung oder Beihilfe) der Schwangeren an der Haupthandlung durch einen Dritten zur Täterschaft erhoben. Schwangerschaftsabbruch durch Unterlassen der Schwangeren ist denkbar, wenn das Leben des Embryos durch einen gegen den Willen der Schwangeren vorgenommenen Eingriff (oder eine Krankheit) bedroht wird und die Schwangere nichts zur Gefahrabwendung unternimmt 136 . Das zeigt: In § 218 Abs. 3 ist vom Gesetzgeber eine besondere Garantenstellung geregelt, die hier nicht nur unter Schuldaspekten eine strafmildernde Wirkung, sondern auch eine strafbegründende zeitigt. § 218 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 ist also ein unechtes Sonderdelikt, und zwar in Form des Garantensonderdelikts.
»» So LK9-Lay, § 218 Rdn. 32; Bernsmann, JuS 1994, 9; von Renesse, ZRP 1991, 321, 322. 130 H.M. siehe z. B. Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen und Strafgesetz, 1974, S. 215 m. w. N.; Lackner/Kühl 24, § 218 Rdn. 3; Roxin, JA 1981, 42 Fn. 3; Tröndle/ Fischer§ 218 Rdn. 7; Arzt /Weber, BT, 5/33; Schönke/Schröder/Eser 26, § 218 Rdn. 31. 131 Tröndle /Fischer 49, § 218 Rdn. 8. 132 Roxin, JA 1981, 542; SK6-Rudolphi, § 218 Rdn. 17; LK "-Kröger, § 218 Rdn. 30; LK 10-Jähnke, § 218 Rdn. 27; Tröndle/Fischer* 1, § 218 Rdn. 9; Lackner/Kühl 24, § 218 Rdn. 15. 133 Stratenwerth, AT 4 , 8/6. 134 SK6-Rudolphi, § 218 Rdn. 18; SK 5-Horn, § 217 a. F. Rdn. 12; Schönke/Schröder/ Eser 26, § 218 Rdn. 31; Lackner/Kühl 24, § 218 Rdn. 3, 15; Tröndle/Fischer* 1, § 218 Rdn. 7; Arzt /Weber, BT, 5/33. 135 Vgl. Sánchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 158 ff. 136 Arzt/Weber, BT, 5/33.
B. Eigene Stellungnahme
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III. Ergebnis Nach der hier ausgestellten Untersuchung sind die sog. „unechten" Sonderdelikte dem Wesen nach nichts anders als die „echten" Sonderdelikte, weil die vom Gesetzgeber mit einer strafschärfenden oder strafmildernden Wirkung geregelte Tätereigenschaft bei den unechten Sonderdelikten ebenfalls eine strafbegründende Wirkung zeitigt, wie sie die Besonderheit der echten Sonderdelikte ausmacht. Beide Deliktsgruppen sind als Garantensonderdelikte zu bezeichnen und es gibt daher für unechte Sonderdelikte keinen Raum 137 . Die Bezeichnung „echt" oder „unecht" ist nicht treffend für die Beschreibung einer Sondereigenschaft, weil die Sondereigenschaft immer „echt" ist. Es gibt in der Tat keine „unechte" Sondereigenschaft. Die einzige praktische Bedeutung dieser Bezeichnung liegt in der Frage der Anwendung des § 28 Abs. 1 oder Abs. 2: Das Fehlen des besonderen persönlichen Merkmals beim Teilnehmer bei den echten Sonderdelikten führt zu einer Strafmilderung nach § 28 Abs. 1, während der Extraneus bei den unechten Sonderdelikten gemäß § 28 Abs. 2 aus dem Strafrahmen des Gemeindelikts bestraft wird. Ob diese praktische Bedeutung auch noch für die geltende Rechtslage zutrifft, ist jedoch m.E. zweifelhaft. Diese Frage wird in § 13 dieser Arbeit erörtert.
137 im Ergebnis ebenso Sánchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 197; NKPuppe, §§ 28 f. Rdn. 39.
§ 12 Die schlichten Sonderdelikte A. Friedensgefährdende Beziehungen (§ 100) I. Entstehungsgeschichte Der Tatbestand ist dem der früheren „Agententätigkeit" nach § 100 d a. F. nachgefolgt, der neben der Form der Friedensgefährdung durch geplante fremde Gewaltmaßnahmen oder Zwangsmaßregeln (§ 100 d Abs. 1 a. F.) noch wesentlich weitergehend solche Beziehungen unter Strafe stellte, die Maßnahmen und Bestrebungen von außerhalb herbeiführen oder fördern sollten, welche darauf gerichtet waren, Bestand oder Sicherheit der Bundesrepublik zu beeinträchtigen (§ 100 d Abs. 2 a. F.), und der überdies die sogenannte Lügenpropaganda mit Strafe bedrohte (§ 100 d Abs. 3 a. F.)1. § 388 E 1962 sah einen an § 100 d Abs. 1 a. F. anknüpfenden Tatbestand „landesverräterische Friedensgefährdung" vor 2 , während der von Professoren vorgelegte AE wegen der Unbestimmtheit des Tatbestandes die Bestimmung ganz gestrichen wissen wollte 3 . Ein SPD-Entwurf 4 aus dem Jahr 1965 hielt § 100 d a. F. bis auf dessen Absatz 1 für entbehrlich. Der Regierungsentwurf des 8. StRÄndG aus dem Jahr 1966 entsprach im Wesentlichen dem § 100 d Abs. 1 und Abs. 4 a. F. und dem § 388 E 19625. Die gegenwärtige Fassung6 des § 100 ist auf der Grundlage der Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform aus dem Jahr 19687 entstanden. Die frühere dritte Alternative der „Zwangsmaßregeln" (§ 100 d Abs. 1 a. F.) ist wegen eines Verstoßes gegen das Bestimmtheitsprinzips weggefallen 8. Nur die landesverräterische Konspiration mit dem Ziel eines Krieges oder bewaffneten Unternehmens gegen die Bundesrepublik blieb übrig (zur Gegenüberstellung des § 100 mit dem § 100 a. F. und den Reformentwürfen vgl. Anhang).
1 LK11-Träger, § lOOvorRdn. 1. 2 E 1962, BT-Drs. IV/650, S. 579. 3
Aiternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches, BT Politisches Strafrecht, 1968, S. 75. 4 BT-Drs. V/102, Begründung S. 9. 5 BT-Drs. V / 898, S. 8,36. 6 BGBl. 1968 I, S. 746. 7 BT-Drs. V/2860, S. 23. 8 Vgl. Sonderausschussbericht, BT-Drs. V/2860, S. 24.
A. Friedensgefährdende Beziehungen (§ 100)
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II. Rechtsgut und Täterkreis der Friedensgefährdenden Beziehungen Geschütztes Rechtsgut dieser Vorschrift ist die äußere Sicherheit der Bundesrepublik. Im Gegensatz zu den sonstigen Landesverratsdelikten, die von jedermann begangen werden können, kann der Täter der hochverräterischen Konspiration nur ein Deutscher sein, der seine Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich des StGB hat 10 . Die Beschränkung des Täterkreises weist nach h.M. diesen Tatbestand als ein echtes Sonderdelikt 11 aus, dem auch der Treubruchsgedanke zugrunde liege.
III. Problematik des Täterkreises Nach dem § 100 d a. F. konnte Täter jedermann, sogar auch ein Ausländer im Ausland sein 12 . Eine dem Wortlaut entsprechende Anwendung der Vorschrift hätte den Täterkreis außerordentlich weit gezogen und ein Verhalten strafrechtlich erfasst, das bei aller Anerkennung der Notwendigkeit wirksamen Schutzes der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik kaum noch als strafwürdig bezeichnet werden konnte. So wäre jeder Angehörige der SED oder jedes Mitglied „sowjetzonaler" politischer Organisationen allein wegen seiner Mitgliedschaft strafbar gewesen13.
IV. Lösungsansätze der Rechtsprechung und der Literatur Um die obenerwähnte Situation der Anwendung der Vorschrift zu vermeiden, musste der Tatbestand in Bezug auf den Täterkreis einschränkend ausgelegt werden, wie der BGH zuerst dargestellt hat. Der Partner der in § 100 d a. F. gemeinten Beziehungen müsse auch für den Täter „fremd" sein. Denn § 100 d a. F. sei unter die Bestimmungen über den „Landesverrat" eingeordnet, sei also ein Verratsdelikt und nur vom Verratsgedanken her richtig auszulegen. Verrat in diesem Sinne könne nur begehen, wer zur Treue verpflichtet sei. Eine solche Treuepflicht gegenüber der Bundesrepublik obliege sicher nur dem Deutschen, der sich im Bundesgebiet dauernd aufhalte und hier seine Lebensgrundlage habe. Der Tatbestand des § 100 d 9 SK6-Rudolphi, § 100 Rdn. 1 (Stand: Okt. 2001); Stree/Sternberg-Lieben, Schröder 26, § 100 Rdn. 1; Tröndle /Fischer 51, § 100 Rdn. 1.
in: Schönke/
10 Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht B T / 2 8 , 85 / 67. n e 11 LK -Träger, § 100 Rdn. 1; SK -Rudolphi, § 100 Rdn. 1, 7; Lackner/Kühl 24, § 100 Rdn. 2; Tröndle/Fischer 51, § 100 Rdn. 2; Steinkamm, in: LdR/Strafrecht, Strafverfahrensrecht, 2. Aufl. 1996, S. 575; AK-Sonnen, § 100 Rdn. 3. 12 LKS-Jagusch, § 100 d, Anmerkung 7, S. 675. 13 Kritik an dieser Problematik: BGHSt 10, 47; Ruhrmann, NJW 1959, 1202; Mattil, GA 1958, 150.
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§ 12 Die schlichten Sonderdelikte
Abs. 2 a. F. könne deshalb nicht von Personen verwirklicht werden, die weder dauernd in der Bundesrepublik lebten noch zu ihr in einem besonderen Schutz- oder Treueverhältnis standen14. Völlige Übereinstimmung über diese eingeschränkte Auslegung der Vorschrift haben die Rezensionen von Ruhrmann 15 und Mattil 16 bekundet.
V. Reaktionen in der Strafrechtsreform Weder im Regierungsentwurf 1962 noch im SPD-Entwurf 1965 wurde der Täterkreis gesetzlich beschränkt. Eine Treuepflicht des Täters gegenüber der Bundesrepublik Deutschland gesetzlich zu begründen, erschien dem SPD-Entwurf nicht erforderlich. Denn der SPD-Entwurf ging davon aus, dass eine solche Treuepflicht, die für den § 100d Abs. 2 a. F. von der Rechtsprechung vorausgesetzt wurde, auch für Absatz 1 gelte 17 . Bei dem Regierungsentwurf 1966 blieb der Täterkreis unverändert. Erst in einem schriftlichen Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform wurde der Tatbestand aufgrund eines kriminalpolitischen Bedürfnisses eingeengt18, indem der Täterkreis auf deutsche Staatsangehörige beschränkt wurde, die ihre Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes haben. Der zu den Regierungsparteien gehörende Bundestagsabgeordnete Güde hat in der dritten Beratung des Entwurfs des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes das kriminalpolitische Bedürfnis klargestellt 19: „Es gibt drei Richtpunkte für unsere Arbeit an dieser Reform. Der eine Richtpunkt war die stärkere Anpassung an das Grundgesetz, und zwar nicht nur in der Tatbestandsbestimmtheit, ( . . . ) sondern wir wollten vielmehr auch ernst machen mit der Freiheit der geistigen Auseinandersetzung im politischen Raum und wollten Hemmungen, die auf diesem Feld bestanden, ausschalten. Ein zweites Ziel war die Anpassung an die gesamtdeutsche Auseinandersetzung. Es sollten Hindernisse im Verhältnis zwischen den Deutschen hüben und drüben beseitigen werden, Hindernisse auf dem Wege zu dem Ziel der Wiedervereinigung. Es gab einen dritten Punkt der Anpassung: das Bild relativer politischer Entspannung im Verhältnis von West und Ost. Unter allen drei Gesichtspunkten hieß und heißt die Folgerung: Einschränkung des politischen Straf rechts". Unter dem Einfluss des Gedankens der Einschränkung des politischen Strafrechts 20 ist es verständlich und vorstellbar, dass die gegenwärtige Fassung des §100 damit an die Rechtsprechung zu § 100 d Abs. 2 a. F. anknüpft, wonach als Täter nur Personen in Betracht kommen, die dauernd in der Bundesrepublik 14 BGHSt 10,46 ff. 15 Ruhrmann, NJW 1959,1203. 16 Mattil, GA 1958, 150. 17 BT-Drs. V/102, S. 9. 18 BT-Drs. V/2860, S. 23. 19 Siehe Deutscher Bundestag, 5. Wahlperiode, 177. Sitzung, S. 9540. 20 LKn-Träger, Vor § 93, Rdn. 2.
A. Friedensgefährdende Beziehungen (§ 100)
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Deutschland leben oder zu ihr in einem besonderen Schutz- oder Treueverhältnis stehen21. VI. Kritik und Gesetzesänderungsvorschlag 1. Es soll zwar Beifall verdienen, dass der Gesetzgeber bei dem Entwurf für das 8. StRÄndG bestrebt war, die Tatbestände des politischen Strafrechts in Orientierung am Grundgesetz zu präzisieren und das StGB von Bestimmungen zu entlasten, die begrüßenswerte Kontakte zwischen Menschen aus beiden Teilen Deutschlands oder die geistige Auseinandersetzung mit dem Kommunismus behindert hätten 22 . Aber es ist ziemlich zweifelhaft, ob eine solche Beschränkung des Täterkreises in dieser Vorschrift heutzutage noch notwendig ist, weil nach dem Untergang der DDR und der UdSSR die Privilegierung der DDR-Bürger, die Angehörige der SED und sonstiger Ostblock-Organisationen zur Förderung der Verständigung sind, nicht mehr erforderlich ist. 2. Der Abschnitt, in dem sich § 100 d a. F. befand, hieß „Landesverrat", obwohl jedermann § 100 d a. F begehen konnte. Wenn die Überschrift des Abschnitttitels des § 100 immer noch „Landesverrat" hieße, hätte man vielleicht Recht zu kritisieren, dass Verrat in diesem Sinne nur begehen könne, wer zur Treue verpflichtet sei. Eine solche Treuepflicht obliege nur dem Deutschen, der zur Bundesrepublik in einem Schutz- oder Treueverhältnis stehe. Das treffe außer auf Beamte der Bundesrepublik nur auf die Deutschen zu, die sich „in der Bundesrepublik ständig aufhalten und hier ihre Lebensgrundlage haben" 23 . Nach dem 8. StRÄndG ist die Überschrift des zweiten Abschnittes aber „Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit" 24 geworden, wonach sowohl Inländer als auch Ausländer für die Rechtsgüterverletzung qualifiziert sein können. Wenn man streng von der äußeren Systematik des Gesetzes ausgeht, kann es also nur ein einziges Ergebnis geben: Der Täterkreis des § 100 d a. F. wird auf Inländer beschränkt, der des § 100 bleibt aber unbeschränkt. Dieses Ergebnis entspricht allerdings nicht den beiden gesetzlichen Bestimmungen. Die äußere Systematik des Gesetzes kann zwar einen Hinweis auf die sachliche Zusammengehörigkeit von Vorschriften bieten 25 , aber sie ist nicht das einzige Mittel zur Auslegung der Tatbestände. Die systematische Auslegungsmethode hat deswegen hier für die Beschränkung des Täterkreises in § 100 keine Aussagekraft. 3. Im 19. Jahrhundert war der Treubruch des Staatsbürgers gegenüber seinem Staat charakteristisch für den Landesverrat 26. Im 20. Jahrhundert hat Arndt sogar 21 Siehe die Begründung in: BT-Drs. V/2860, S. 23. 22 BT-Drs. V/2860, S. 1. 23 So etwa BGHSt 10, 50; Ruhrmann, NJW 1959, 1203. 24 Kritik an diese gesetzliche Überschrift siehe Maurach/Schroeder/Maiwald, 85/3. 25 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1990, S. 324 ff.
BT/28,
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§12 Die schlichten Sonderdelikte
versucht, die Treuepflichtverletzung unter Einbeziehung ausländischer Täter zum entscheidenden Kriterium des Landesverrats zu erheben 27. Der Treubruchsgedanke als Grundlage des Tatbestandes der „Friedensgefährdenden Beziehungen" ist aber meiner Meinung nach schon im Ansatz fragwürdig. Schon in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts hat v. Kries betont, dass es ein fundamentaler Irrtum sei, wenn man das Wesen des Landesverrats in dem Treubruch gegenüber dem eigenen Staat finde und demgemäß prinzipiell nur den Inländer zum möglichen Täter erkläre. Verraten könne jeder, die Verletzung der Treueverpflichtung werde bei der Strafzumessung berücksichtigt 28. Eine ähnliche sachliche Begründung hat auch der Entwurf 1962 angeführt, der davon ausgeht, dass sich der Staat des Angriffs gegen seine Belange ohne Rücksicht darauf erwehren müsse, von welcher Seite er komme. Die Tatbestände des „Landesverrats" setzten daher nicht voraus, dass der Täter durch die Tat ein besonderes Schutzoder Treueverhältnis verletze. Stelle die Handlung einen „Verrat" des Täters am eigenen Staat dar, werde dies bei der Strafbemessung innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens zu berücksichtigen sein 29 . Der früher für das Staatsschutzstrafrecht maßgebende Ausgangspunkt der Treuepflichtverletzung als unrechtbegründendes Merkmal ist also im Zuge der „Modernisierung" durch den Schutzgedanken weitgehend abgelöst worden 30 . Der Treupflichtverletzungsgedanke findet sich im 2. Abschnitt des Besonderen Teils nur noch in § 100 wieder und klingt in den vom Gesetz ausgewiesenen besonders schweren Fällen an, die gleichzeitig auf die allgemeine Bedeutung dieser Verratskomponente für das Strafmaß hinweisen31. 4. Stattdessen kann die viktimodogmatische Maxime kann einen aussagekräftigen Hinweis für die stärkere Bestrafung der Inländer im Gegensatz zu den Ausländern bieten. Der Inländer, der ein Staatsgeheimnis seines Heimatlandes einer fremden Macht verrät, hat in der Regel einen leichteren Zugang zum Geheimnis. Dies kann zu Strafschärfungsmöglichkeiten bei der Strafbarkeit des inländischen Verräters führen, weil er das Vertrauen des Staates missbraucht. Gegen den Ausländer die gleiche Strafandrohung zur Anwendung zu bringen, erscheint dagegen problematisch. Das Fehlen der leichteren Zugriffsmöglichkeit beim ausländischen Spion kann daher zu Strafmilderungsmöglichkeiten führen. 5. Die Beschränkung des Täterkreises in § 100 ist eigentlich ein Fehler des Gesetzgebers, indem er die DDR-Bürger aus dem Täterkreis wie bei § 100 d a. F. aus26 Siehe z. B. Binding, Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts, BT, 2. Bd., 2. Abteilung, § 204 S. 457, 460; H. Mayer, GS 98 (1929), S. 32, 41; zustimmend v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts 25, S. 768. 27 Arndt, Landesverrat, 1966, S. 23 ff. 28 v. Kries, ZStW 7 (1887), 597, 608 f. 29 E 1962, BT-Drs. IV/650, Begründung S. 572. 30 Vgl. Maurach, DStrR 1938, 1; Jagusch, MDR 1958, 829; Maurach/Schroeder/Maiwald, B T / 2 8 , 82/24; LKn-Träger, Vor § 93, Rdn. 3, Fn. 9.
31 LKn-Träger, Vor § 93, Rdn. 3, Fn. 9.
B. Schiffsgefährdung durch Bannware (§ 297 a. F.)
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schließen wollte. Wegen der gesetzlichen Beschränkung kann ein ausländischer Spion das Verbrechen weder täterschaftlich noch mittäterschaftlich begehen. Der Treubruchsgedanke kann aber nicht die Grundlage für den Straftatbestand der Friedensgefährdenden Beziehungen sein, vielmehr kann er bei der Strafzumessung berücksichtigt werden. Es bedarf folglich wegen Art. 103 Abs. 2 GG des Gesetzgebers, um diese Gesetzlücke auszufüllen. Hierzu möchte ich folgenden Vorschlag zur Gesetzesänderung unterbreiten:
§100 Abs. 1: Wer in der Absicht, einen Krieg oder ein bewaffnetes Unternehmen gegen die Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen, zu einer Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes oder zu einem ihrer Mittelsmänner Beziehungen aufnimmt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. Abs. 2: In besonderen schweren Fällen ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. zur Bundesrepublik in einem besonderen Schutz- oder Treueverhältnis steht, oder 2. durch die Tat eine schwere Gefahr für den Bestand der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt. Abs. 3 bleibt unverändert.
B. Schiffsgefährdung durch Bannware (§ 297 a. F.) I. Entstehungsgeschichte Die Bestimmung des § 297 a. F. entstammt dem § 278 PrStGB von 185132 und mittelbar dem preußischen Seerecht von 1727 Kap. 4 Art. 31 3 3 . Nur die in den letzteren fehlenden Worte „oder die Ladung" und „oder der Ladung" sind aus dem lübeckschen StGB vom 20. Juli 1863 (§ 233) übernommen 34. Der Täterkreis dieser Vorschrift war vor dem 6. StrRG von 1998 immer auf Reisende und Schiffsleute, die ohne Vorwissen des Schiffers handelten, sowie ohne Vörwissen des Reeders handelnde Schiffer beschränkt 35. Der vom Reichsjustizministerium vorgelegte Ent32 § 278 PrStGB lautet: Reisende oder Schiffsleute, welche ohne Vörwissen des Schiffers, ingleichen Schiffer, welche ohne Vorwissen des Rheders Gegenstände an Bord nehmen, welche das Schiff gefährden, indem sie dessen Konfiskation oder Beschlagnahme veranlassen können, sind mit Gefängnis bis zu zwei Jahren zu bestrafen. 33 Liszt/Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 25. Aufl. 1927, S. 696. 3 4 Pappenheim, Zum § 297 des Reichsstrafgesetzbuches, ZStW 13 (1893), 842. 3 5 LKn-Schünemann, § 297 Rdn. 16; Schänke /Schröder/Eser 15, § 297 Rdn. 2.
17 Chen
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§ 12 Die schlichten Sonderdelikte
wurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch von 1919 hat versucht, einem in Schifffahrtskreisen mehrfach beklagten Mangel abzuhelfen, indem er den Täterkreis erweiterte. Nicht nur der Reisende, Schiffsmann oder Schiffer konnte die Tat begehen, sondern jedermann, also z. B. auch der Befrachter, Ablader oder Lotse. Der Täter brauchte sich nicht an Bord des Schiffes zu befinden; denn neben dem gegenwärtig allein strafbaren Anbordnehmen bedrohte der Entwurf auch das Anbordbringen einer Konterbande 36. Daran hat sich der Entwurf 1962 angeschlossen und propagiert, dass der Täterkreis dieser Vorschrift ohne einleuchtenden Grund auf den Reisenden, den Schiffsmann und den Schiffsführer beschränkt worden sei 37 . Die Reform Vorschläge haben sich sodann erst nach knapp achtzig Jahren 38 durch das 6. StrRG von 1998 verwirklicht, das diese Beschränkung der Unrechtsmaterie auf ein Sonderdelikt getilgt hat. Nach dem 6. StrRG kommen als Täter jetzt nicht mehr nur ein Reisender, Schiffsmann und -führer in Betracht, sondern auch alle Externen, namentlich also auch der Befrachter, der Ablader und der Lotse 39 . Allerdings handelt es sich in den speziellen Fällen der § 297 I 2. Alt., § 297 II, § 297 I 2. Alt., IV und § 297 II, IV. formal immer noch um Sonderdelikte 40.
II. Untersuchung der möglichen Grundlage der Täterkreisbeschränkung in § 297 a. F. Auf die Frage, ob die Auswahl dieser Personen und die Unterstellung eben nur der drei genannten Kategorien unter die Vorschrift des § 297 a. F. sachlich begründet war, wird hier ungeachtet der Änderung der Rechtslage wegen der instruktiven Bedeutung dieser Frage eingegangen. Man muss fragen, ob die Stellung des Reisenden, des Schiffsmannes oder des Schiffers als diejenige eines Garanten für sein Gepäck oder die schiffsgefährdenden Gegenstände qualifiziert werden konnte. Ein Reisender könnte eine Aufsichtsstellung haben, weil er die Herrschaft über das Gepäck als Gefahrenquelle besitzt. Aber es lässt sich nicht erklären, warum ein Kofferträger, der heimlich „heiße Ware" an Bord schmuggelt, dann selbst schnell wieder verschwindet und nach dem Alltagssprachgebrauch deswegen nicht als „Reisender" gemäß § 297 a. F. verstanden werden kann, nicht als Täter bestraft werden konnte, obwohl er die Herrschaft über die für das Schiff gefährliche Bann36 Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, Dritter Teil: Denkschrift zu dem Entwurf von 1919, S. 212; zustimmend Niemeyer, Die Konterbande, Deutsche Strafrechtszeitung, 9 (1922), 95 ff. 37 Entwurf eines Strafgesetzbuches, 1962, BT-Drs. IV/650, S. 534. 38 Wenn man die Änderungsvorschläge von Pappenheim (ZStW 13[1893], 842 ff., insbes. S. 848) berücksichtigt, sind bereits 95 Jahre überschritten. 39 BT-Drs. 13/7164, S. 46; 13/8575, S. 46. 40 Müsch, BT/2/2,5/192.
B. Schiffsgefährdung durch Bannware (§ 297 a. F.)
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wäre auch ausübt. Die Rechtsgütergefährdung wäre nämlich nach den allgemeinen Zurechnungsregeln auch von ihm zu verantworten 41. Die Beschränkung des Täterkreises des § 297 a. F. könnte sich vielleicht aus den von Schünemann vorgeschlagenen viktimodogmatischen Gesichtspunkten erklären lassen: Das Gepäck des Reisenden kann normalerweise nicht kontrolliert werden, so dass ihm gegenüber das Rechtsgut besonders hilflos ist, während bei Sachen, die andere Personen an Bord bringen können, eine strenge Überprüfung geschieht. § 297 a. F. ist in dieser Sicht dann ein Delikt, das mit § 266 verglichen werden kann, so dass der Aspekt der Viktimodogmatik letzten Endes in eine Vertrauensbeziehung und damit in eine Herrschaftsbeziehung eingebracht werden kann: Wenn der Inhaber des Schiffes jedem Reisenden ohne besondere Kontrolle gestattet, Gepäck mit auf das Schiff zu nehmen, dann übt insoweit der Reisende tatsächlich die alleinige Herrschaft über das Gepäck als mögliche Gefahrenquelle aus. Um zu beweisen, dass aus den viktimodogmatischen Gesichtspunkten ein einleuchtendes Argument für die Beschränkung des Täterkreises bei § 297 a. F. entstehen könnte, muss vorausgesetzt werden, dass das Gepäck des Reisenden normalerweise nicht kontrolliert wird. Aber die wirkliche Situation ist, dass das an Bord genommene Gepäck immer kontrolliert wird, gleichgültig ob es sich um das von den anderen Personen an Bord gebrachte oder um das vom Reisenden selbst mitgenommene handelt42. Die Erklärung liegt deshalb meiner Meinung nach darin, dass der Täterkreis, hier „Reisender", in einer kriminal-phänomenologischen Betrachtung rein faktisch beschränkt ist. Hier wird keine Garantenstellung in Betracht kommen, sondern die Beschränkung der Täterqualifikation ergibt sich allein aus der Beschaffenheit des vom Gesetzgeber ins Auge gefassten Wirklichkeitsausschnittes. Unter Berücksichtigung der Häufigkeit hat der Gesetzgeber die typischen Begehungsformen herausgriffen und die Täterschaft auf den „Reisenden" beschränkt 43. Deshalb übt der Reisende keine besondere strafrechtliche Herrschaft über das Gepäck als Gefahrenquelle aus. Eine Garantenstellung kann aus der Stellung des Reisenden nicht abgeleitet werden. Dagegen hat der Schiffer eine Obhutsstellung. Denn der Schiffer ist vom Reeder bestellt (§ 2 Abs. 1 Seemannsgesetz) und der Führer des Schiffs. Er steht in der Regel in einem Anstellungsverhältnis zum Reeder. Durch diesen Vertrauensakt verfügt der Schiffer über die Obhutsstellung und Näheposition zum Vermögen des Reeders. Der Schiffer ist bezüglich des Eigentums des Reeders zum Schutz verpflichtet. Wenn der Schiffer die Anbordnahme der schiffsgefährdenden Gegenstände durch andere Personen duldet, steht es seiner eigenen Tat ohne Vorwissen des Reeders gleich 44 . Die Frage, ob der Schiffsmann im Verhältnis zum Eigentum 41 L K 1 1 -Schünemann, § 14, Rdn. 12. 42 Nach dem Terroranschlag vom 11. 09. 2001 in den USA wird weltweit das Gepäck der Reisenden sogar strenger kontrolliert. 43 Vgl. LK n -Roxin, § 28 Rdn. 67; Herzberg, GA 1991, 145 ff., 177 ff. 17*
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§ 12 Die schlichten Sonderdelikte
des Reeders Garant ist, ist in der Literatur nicht direkt diskutiert. Ich tendiere zu einer Verneinung, weil die Betreuung des Vermögens des Reeders nicht der wesentliche Gegenstand des Arbeitsvertrages des Schiffsmannes ist 45 . Der Schiffsmann hat keine selbständige Entscheidungsfreiheit, Vermögensinteressen des Reeders zu betreuen, sondern füllt vermögensfürsorgerische Maßnahmen nach der strikten Weisung des Schiffers aus. Deshalb übt er keine Herrschaft über den Beladevorgang aus. Wenn man Einblick in die Entstehungsgeschichte des § 297 nimmt, ist es nicht schwer zu begreifen, wie das Gesetz zu der Täterkreisbeschränkung gekommen ist. Der einheitliche Grundgedanke des § 297 a. F. ist die Anwesenheit des Täters an Bord. Wie die Worte „Gegenstände an Bord nimmt" erkennen lassen, geht § 297 a. F. von der Voraussetzung aus, dass der Handelnde sich selbst an Bord des Schiffes befindet. Dies versteht sich bei den im Gesetz genannten Personenklassen schon von selbst46. Die Vorschrift knüpft an ein Verbot an, welches sich gegen den Schleichhandel der Schiffsmannschaft richtet47. Trotz des vom Gesetzgeber unpassend ausgewählten Ausdrucks bezieht sich der Begriff Schiffsmann nach der herrschenden Meinung 48 auf die gesamte Schiffsbesatzung. Es fallen hierunter Matrosen, Schiffsoffiziere und alle sonstigen Angestellte. Hier war stets die Anwesenheit des Täters an Bord gegeben. Als die Ausdehnung auch auf andere Personen erfolgte, dachte der Gesetzgeber nur an den nächstliegenden Fall und beschränkte sich deshalb auf den Reisenden49. Einige Autoren haben seit langem mit Recht kritisiert, dass die Beschränkung auf bestimmte Personen bei § 297 a. F. nicht dem Wesen der Sache entspreche50. Der Täterkreis des § 297 a. F. sei nämlich sehr willkürlich gezogen51. Nach meiner Analyse bestand in der Tat außer bei der Ausnahme der Stellung des Schiffsführers keine sachliche Begründung für die Beschränkung des Täterkreises in § 297 a. F. III. Reformvorschlag Es verdient Beifall, dass der Gesetzgeber mit dem 6. StrRG von 1998 die Vorschrift des § 297 von einem Sonderdelikt in ein Allgemeindelikt umgewandelt hat. 44 LKxo-Schäfer, § 297 Rdn. 8; LKn-Schünemann, § 297 Rdn. 5; Tröndle 48, § 297 Rdn. la; Tröndle/Fischer* 1; § 297 Rdn. 8. 45 BGHSt 4, 170, 172; Otto, BT 6 , § 54 Rdn. 27; LKu-Schünemann, § 266 Rdn. 103. 46 Pappenheim, ZStW 13 (1893), 846. 47 Pappenheim, ZStW 13 (1893), 847. 48 LK7-Nagler/Schinnerer, § 297 II 2; LK*-Jagusch, § 297 Anm. 3; LKl0-Schäfer, § 297 Rdn. 8; Schiffsoffiziere sind ausgeschieden (Dreher/Tröndle 4*, § 297 Rdn. 3). 49 Pappenheim, ZStW 13 (1893), 848. 50 Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich 18 , § 297 Anm. 2; Schönke/Schröder/Eser 15, § 297, Rdn. 2. 51 SK-Samson, § 297 a. F. Rdn. 2 (Stand: Feb. 1987).
B. Schiffsgefährdung durch Bannware (§ 297 a. F.)
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Aber die unübersichtliche und komplizierte Neufassung wird in der Literatur 52 als „grob missglückt " bezeichnet, da sie zu erheblichen Teilen überflüssig sei. Der Fall des Absatzes 2 sei in Absatz 1 Nr. 2 schon enthalten. Auch Absatz 1, 2. Halbsatz könne bereits nach Halbsatz 1 erfasst werden 53. Diese Alternativen sollten de lege ferenda entfallen. Aus viktimodogmatischen Aspekten sind das Vermögen und die Freiheit der Reeder im Verhältnis zum Schiffer, dem durch einen Vertrauensakt eine Obhutsstellung eingeräumt worden ist, besonderes hilflos und deshalb schutzbedürftig. Dies sollte bei der Strafzumessung strafschärfend berücksichtigt werden. Deshalb lautet mein Vorschlag für die Reform des § 297 wie folgt: § 297 Gefährdung von Schiffen, Kraft- und Luftfahrzeugen durch Bannware (1) Wer ohne Wissen des Reeders oder Schiffsführers eine Sache an Bord eines deutschen Schiffes bringt oder nimmt, deren Beförderung 1. für das Schiff oder die Ladung die Gefahr einer Beschlagnahme oder Einziehung oder 2. für den Reeder oder Schiffsführer die Gefahr einer Bestrafung verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Absatz 1 Nr. 1 gilt für ausländische Schiffe, die ihre Ladung ganz oder zum Teil im Inland an Bord genommen haben. (3) In besonderen schweren Fällen ist die Strafe (z. B.) von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter zum Reeder oder Schiffsführer in einem besonderen Schutz- oder Treueverhältnis steht. (4) Die Absätze 1 bis 3 sind entsprechend anzuwenden, wenn Sachen in Kraftoder Luftfahrzeuge gebracht oder genommen werden. An die Stelle des Reeders und des Schiffsführer treten der Halter und der Führer des Kraftund Luftfahrzeugs.
52 Tröndle/Fischer 53 Tröndle /Fischer
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, § 297 Rdn. 1; ebenso L K 1 1 -Schünemann, § 297 vor Rdn. 1. , § 297 Rdn. 4a.
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§ 13 Problem der Anwendung des § 28 im Lichte der Theorie der Garantensonderdelikte A. Der gegenwärtige Meinungsstand § 28 bedeutet eine Akzessorietätslockerung und stellt sich als Einschränkung der §§ 26, 27 in Bezug auf das dort festgelegte Ausmaß an Teilnahmeakzessorietät dar 1. Wenn beim Anstifter oder Gehilfen „besondere persönliche Merkmale" fehlen, kommt es für die Strafe der Teilnehmer nach der h.M. 2 darauf an, ob es sich um strafbegründende oder strafändernde besondere persönliche Merkmale handelt. Bei der Beteiligung eines Extraneus an einem echten Sonderdelikt, dessen Tätereigenschaft strafbegründende Wirkung hat, ist die Strafe für den Teilnehmer gemäß § 28 Abs. 1 zu mildern. Bei den unechten Sonderdelikten stellt die Tätereigenschaft nur einen Strafschärfungsgrund dar, so dass für außenstehende Teilnehmer § 28 Abs. 2 anzuwenden ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 28 Abs. 1 soll sich die Akzessorietätslockerung bei den strafbegründenden Merkmalen gemäß § 28 Abs. 1 lediglich auf den Strafrahmen beziehen, der für den Teilnehmer nach § 49 Abs. 1 zu mildern ist. Stiftet ein Extraneus z. B. einen Richter zu einer Rechtsbeugung an, soll der Extraneus wegen Anstiftung zur Rechtsbeugung gemäß §§ 339, 26 bestraft werden und die Strafe gemäß § 28 Abs. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 nach dem Strafrahmen der Rechtsbeugung zu mildern sein. Bei den strafschärfenden Merkmalen ist es aber sehr umstritten, ob sich der extrane Teilnehmer bei den unechten Sonderdelikten in jeder Hinsicht allein nach dem Grundtatbestand schuldig macht, so dass der Schuldspruch gegen den Außenstehenden nur wegen Teilnahme an dem Grunddelikt zu erfolgen hat (Tatbestandsverschiebung ), oder ob der extrane Beteiligte bei den unechten Sonderdelikten nach der Qualifikation bestraft wird und nur die Strafe aus dem Grundtatbestand zu entnehmen ist (, Strafrahmenverschiebung ). Die Mehrheitsmeinung 3 vertritt die erste Ansicht. 1 Vgl. SK 7-Horn, § 28 Rdn. 1; Roxin, AT/2, 27/4. 2 Vgl. nur Jescheck/Weigend, AT 5 , S. 657; Lackner/Kühl 24, § 28 Rdn. 7 f.; Cramer/ Heine in: Schönke/Schröder 26, § 28 Rdn. 8; MK-Joecks, § 28 Rdn. 47; Kühl, AT 4 , 20/149 ff.; Roxin, AT/2,27/6; Wessels/Beulke, AT 3 2 , Rdn. 556 f. 3 Vgl. etwa BGH StV 1994, 17; 1995, 84; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 116 f.; ders., GS 1991, 161 ff.; Köhler, AT, S. 548 f.; Kühl, AT 4 , 20/151; Baumann/ Weber/Mitsch, AT 1 0 , 32/24; Maurach/Gössel, AT/2 7, 53/129; SK 5-Samson, § 28 Rdn. 24 (a.A. SK7-Hoyer, § 28 Rdn. 1 - 5 , 43 ff.); Tröndle / Fischer* 1, § 28 Rdn. 8 ff.; Cramer/Heine in: Schönke/Schröder 26, § 28 Rdn. 28; Küper, ZStW 104 (1992), 559, 581; Jescheck/
A. Der gegenwärtige Meinungsstand
263
Danach soll derjenige, der einen Polizisten zur Körperverletzung im Amt (§ 340) anstiftet, nicht wegen Anstiftung zur Körperverletzung im Amt gemäß §§ 340, 26, sondern nur wegen Anstiftung zur Köperverletzung gemäß §§ 223, 26 bestraft werden und die Strafe aus dem Strafrahmen des § 223 zu entnehmen sein. Eine solche Lösung bedeutet eine Durchbrechung der Akzessorietät' 4 und ist mit dem allgemein anerkannten Strafgrund der Teilnahme nicht zu vereinbaren, weil das Unrecht der Teilnahme entgegen der allgemeinen Akzessorietätsregelung nicht aus der Tätertat abgeleitet, sondern selbständig bestimmt wird. Sie entspricht also der reinen Verursachungstheorie, die den Teilnehmer nur wegen des von ihm selbst bewirkten Unrechts bestraft. Aber nach dieser Lehre ist wiederum § 28 Abs. 1 unerklärbar und sachlich falsch, weil der Extraneus, der z. B. einen Richter anstiftet, eine Rechtsbeugung zu begehen, mangels Täterqualifikation den Tatbestand der Rechtsbeugung nicht erfüllen kann und straflos sein müsste5. Im Übrigen wird darauf verzichtet, dem Teilnehmer ein durch persönliche Merkmale erhöhtes Haupttatunrecht zuzurechnen6. Denn es macht danach keinen Unterschied, ob jemand einen „normalen" Bürger anstiftet, eine Körperverletzung gemäß § 223 zu begehen, oder einen Polizisten anstiftet, eine Körperverletzung im Amt gemäß § 340 zu begehen. Nach der Mehrheitsmeinung werden die Anstifter in beiden Fällen gleichermaßen wegen Anstiftung zur Köperverletzung gemäß §§ 223, 26 bestraft, und ist die Strafe aus dem Strafrahmen des § 223 zu entnehmen. Dagegen betrachtet die Mindermeinung 1, die aber zunehmend Anhänger gewinnt 8 , § 28 Abs. 2 bei besonderen persönlichen Unrechtsmerkmalen genauso wie § 28 Abs. 1 nur als Strafzumessungsregel Wenn z. B. ein Privatmann einen Gefängniswärter zur Gefangenenbefreiung im Amt anstiftet, ist er also nicht, wie es der Mehrheitsmeinung entspricht, nach §§120 Abs. 1, 26, sondern - ganz entsprechend der in § 28 Abs. 1 getroffenen Regelung - nach §§120 Abs. 2, 26 zu bestrafen; nur das Strafmaß ist aus dem Strafrahmen des § 120 Abs. 1 zu entnehmen9. Dadurch werden einerseits die Bedenken einer Durchbrechung der AkzessoWeigend, AT 5 , § 61 V I I 4 , S. 657; Grünwald, GS-Arthur Kaufmann, 1993, S. 555, 564; Eser, Strafrecht II, Nr. 42 A 23. Weitere Nachweise kann man bei Sánchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 181 Fn. 6 finden. 4 Vgl. nur Sánchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 182. 5 Vgl. Roxin, AT/2, 27/18; SK 1-Hoyer, § 28 Rdn. 4. 6 Vgl. SK1-Hoyer, § 28 Rdn. 4; Sánchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 183. 7 Diese Ansicht ist zuerst von Wagner (in: Amtsverbrechen, 1975, S. 398) für die sog. „unechten" Staatzurechnungsdelikte entwickelt und dann von Cortes Rosa (in: ZStW 90 [1978], 413 ff.) eingehend begründet worden. 8 Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 187; Hake, Beteiligtenstrafbarkeit und „besondere persönliche Merkmale", 1994, S. 141 ff.; Hirsch, FSTröndle, 1989, S. 35; SK 5-Rudolphi, vor § 331 Rdn. 5; SK1-Hoyer, § 28 Rdn. 1 - 4 , 45; SK6-Hoyer, § 211 Rdn. 24, 26; Ulrich Stein, Die strafrechtliche Beteiligungsformenlehre, 1988, S. 49 f.; Schünemann, GA 1986, 340; LK U-Roxin, § 28 Rdn. 3, 9; ders., AT/2, 27/19 ff.; MK-Joecks, § 28 Rdn. 5.
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§ 13 Problem der Anwendung des § 28
rietät, die sich aus der Lösung der Mehrheitsmeinung bei der Anwendung des § 28 Abs. 2 ergeben, beseitigt, weil der Teilnehmer, bei dem besondere persönliche Unrechtsmerkmale nicht vorliegen, nicht nur im Einzugsbereich des § 28 Abs. 1 aus dem Tatbestand der Tätertat zu verurteilen ist, sondern auch im Einzugsbereich des § 28 Abs. 2. Andererseits wird auch die Ungereimtheit beseitigt, dass der Unterschied zwischen z. B. der Anstiftung zur Körperverletzung und der Anstiftung zur Körperverletzung im Amt verschwindet. § 28 enthält also bei rechtem Verständnis keine Durchbrechung des Grundsatzes der limitierten Akzessorietät 10. Dass die Strafe auf verschiedene Weise zu bilden ist, nämlich bei strafbegründenden Merkmalen mit Hilfe des § 49 Abs. 1 und bei strafschärfenden durch den Rückgriff auf den Strafrahmen des Grunddelikts, ist nach Roxins Auffassung 11 nur ein „kleiner Schönheitsfehler". Aber auch dieser Position ist der Kritik ausgesetzt: Die Lösung der Strafrahmenverschiebung verfolgt zwar das richtige Ziel (Strafzumessung), aber auf einem falschen Weg 12 . Sie scheint zwar plausibler als die Lösung der Tatbestandsverschiebung zu sein. Aber es ist m.E. zweifelhaft, ob die oben dargelegte verschiedenartige Anwendungsweise der Strafmilderung für die Bestrafung des extranen Teilnehmers wirklich nur ein „kleiner Schönheitsfehler" ist. Denn die nachfolgend zu betrachtende Problematik der unberechtigten Ungleichbehandlung ist nach der Lösung der Strafrahmenverschiebung ebenso wie nach derjenigen der Tatbestandsverschiebung unlösbar.
B. Zwei unlösbare Probleme und ein scheinbares Problem 1. Die Privilegierung des Extraneus bei strafschärfenden Merkmalen, wie sie in § 28 Abs. 2 angeordnet ist, ist erstens zu weitgehend, wie sich insbesondere auch bei einem Vergleich mit § 28 Abs. 1 zeigt: Strafbegründende Merkmale werden dem extranen Teilnehmer gemäß § 28 Abs. 1 im Prinzip angerechnet. Er bekommt lediglich eine Strafmilderung konzediert. Diese Regelung des § 28 Abs. 1 ist in der Sache auch berechtigt, denn die Unterstützung eines Intraneus gegenüber dem geschützten Rechtsgut bedeutet einen größeren Unwert, als wenn der Extraneus für sich ganz allein gehandelt hätte, weil ihm gegenüber das Rechtsgut ja auch nicht 9 Vgl. Roxin, AT/2, 21 Hl. Das ursprüngliche Beispiel von Roxin bezieht sich auf eine Körperverletzung im Amt (§ 340). 10 LK 11 -Roxin, § 28 Rdn. 9. Nach Roxins Meinung (in: AT/2, 27/220 f.) hat die Lösung der Strafrahmenverschiebung nicht nur eine bessere theoretische Erklärung, sondern auch große praktische Bedeutung, die sich zum Beispiel auf die Einwilligung und die Antragsdelikte (§§ 223, 228, 340), auf die persönlichen Strafausschließungsgründe (§ 258 Abs. 6) und die Verurteilung des Extraneus nach dem Grundtatbestand beim strafbaren Unterlassen eines Amtswalters bezieht
11 LK 11-Roxin, § 28 Rdn. 5. So bereits Hake, Beteiligtenstrafbarkeit und „besondere persönliche Merkmale", 1994, S. 192; Sánchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 186 ff.; NK-Puppe, §§ 28 f. Rdn. 39. 12
B. Zwei unlösbare Probleme und ein scheinbares Problem
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geschützt wird. Bei § 28 Abs. 2 wird dagegen die Qualifikation dem Extraneus überhaupt nicht angerechnet, so dass er nur so bestraft wird, als wenn er Beihilfe oder Anstiftung zum Grunddelikt geleistet hätte, selbst wenn der Schuldspruch gegen ihn wegen Teilnahme an der Qualifikation zu erfolgen hat. Das heißt: Wer einem Amtsträger zur Körperverletzung im Amt gemäß § 340 Beihilfe leistet, wird nicht strenger bestraft als derjenige, der zu einer beliebigen Körperverletzung Beihilfe leistet. Sachlich ist aber natürlich die Hilfe zur Körperverletzung eines Beamten viel gravierender als die Hilfe zur Körperverletzung irgendeines beliebigen Täters 13, weil das Opfer gegenüber einem Beamten in viktimodogmatischer Hinsicht besonders schutzwürdig ist. Das gilt auch für die Bestrafung des Teilnehmers an einer Gefangenenbefreiung (§ 120 Abs. 1) oder einer Gefangenenbefreiung im Amt (§ 120 Abs. 2). Derjenige, der einen Gefängniswärter zur Gefangenenbefreiung im Amt oder irgendeinen beliebigen Täter zur Gefangenenbefreiung anstiftet, wird aus dem Strafrahmen des Grunddelikts bestraft, obwohl die Anstiftung zur Gefangenenbefreiung im Amt einen größeren Unwert als die Anstiftung zur Gefangenenbefreiung hat. 2. Zweitens ergibt sich aus den Strafzumessungsregeln gemäß § 28 Abs. 1 und § 28 Abs. 2 bei den Sonderdelikten eine unberechtigte Ungleichbehandlung. Denn die Strafmilderung, die sich nach § 28 Abs. 2 aus dem Grundtatbestand für den Extraneus ergibt, ist nach Puppes 14 scharfsinniger Beobachtung oft wesentlich geringer als diejenige, die sich bei Anwendung des Milderungsschlüssels nach § 28 Abs. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 auf den Qualifikationstatbestand ergeben würde, bei manchen Tatbeständen ist es dagegen umgekehrt. Diese Ungleichbehandlung ist seit dem 6. StrRG noch deutlicher. Bei den von Puppe 15 als neue unechte Amtsdelikte bezeichneten Delikten, also beim Betrug im Amt (§ 263 Abs. 3 Nr. 4), Subventionsbetrug im Amt (§ 264 Abs. 2 Nr. 2) 1 6 und bei der Urkundenfälschung im Amt (§ 267 Abs. 3 Nr. 4), führt die Anwendung von § 28 Abs. 2 auf den teilnehmenden Extraneus zu einer Senkung der Höchststrafe von 10 Jahre auf 5 Jahre, also zu einer Halbierung, während die Anwendung von § 28 Abs. 1 nur eine Senkung auf die Höchststrafe von 7 Jahre und 6 Monate bewirkt. Bei der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 wird die Differenz der Höchststrafe verkürzt, weil die Anwendung von § 28 Abs. 1 zu einer Senkung der Höchststrafe auf 3 Jahre und 9 Monate führt, die Anwendung von § 28 Abs. 2 dagegen eine 13 Vgl. auch Hardwig, GA 1954, 71; Bockelmann, Studien zum Täterstrafrecht, 2. Teil, 1940, S. 73; Wagner, Amtsverbrechen, 1975, S. 391 ff., 394, 396; Sánchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 183. Auch die Anhänger für der Tatbestandsverschiebung wie Cramer/Heine (in: Schönke/Schröder 16, § 28 Rdn. 30) sind der Meinung, dass die Verletzung einer besonderen Pflicht durch den Haupttäter bei der Strafzumessung für den Teilnehmer strafschärfend berücksichtigt werden müsse. 14 NK-Puppe, § 28 f. Rdn. 7.
15 NK-Puppe, § 28 f. Rdn. 35. 16 Die Vorschrift ist bereits durch das am 1.9. 1976 in Kraft getretene 1. WiKG eingefügt worden.
266
§13 Problem der Anwendung des § 28
Senkung der Höchststrafe auf 3 Jahre bewirkt. Bei den klassischen unechten Amtsdelikten 17, nämlich der Körperverletzung im Amt (§ 340) und der Strafvereitelung im Amt (§ 258 a), ist es hingegen umgekehrt. Die Anwendung von § 28 Abs. 1 wäre für den teilnehmenden Extraneus wesentlich günstiger als die des § 28 Abs. 2, weil die Höchststrafe von 5 Jahre bei der Qualifikation und dem Grunddelikt die gleiche ist, so dass sich die Anwendung von § 28 Abs. 2 auf den Strafrahmen nicht auswirkt. Dagegen würde eine Anwendung von § 28 Abs. 1 zu einer Absenkung dieser Höchststrafe von 5 Jahre auf 3 Jahre und 9 Monate 18 führen, so dass es für den Extraneus günstiger wäre, sich an einem unechten Amtsdelikt zu beteiligen als an einem Gemeindelikt. 3. Ferner gibt es in den Augen von Cortes Rosa19 noch ein kompliziertes Problem, wenn er meint, dass die Unterlassungstaten, die formell in Tatbeständen unechter Sonderdelikte mitbeschrieben würden, der Sache nach „echte" Sonderverbrechen seien, weil bei ihnen die Sonderqualifikation des Intraneus nicht strafschärfend, sondern strafbegründend wirke 20 . Wenn ein Qualifikationstatbestand durch Tun begangen wird, ist dies seiner Meinung nach ein unechtes Sonderdelikt und ist der extrane Teilnehmer gemäß § 28 Abs. 2 nach dem Grundtatbestand zu bestrafen. Wenn dieser Qualifikationstatbestand durch Unterlassen verwirklicht werde, bilde er ein „echtes" Sonderdelikt, weil ein entsprechendes Grunddelikt gar nicht vorliege. Deshalb sei der extrane Teilnehmer nach der Tätertat zu bestrafen. Zum Beispiel 21 : Ein Extraneus verleitet einen Gefängniswärter zu einer Gefangenenbefreiung im Amt (§ 120 Abs. 2) durch das Öffnen der Tür oder durch das Nichtabschließen einer Zellentür. Im Fall der Begehung des Intraneus liege ein unechtes Sonderdelikt vor. Der extrane Anstifter sei gemäß § 28 Abs. 2 nach § 120 Abs. 1 zu bestrafen. Die Höchststrafe sei hier eine Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren. Dagegen sei der extrane Anstifter im Fall der Begehung durch Unterlassen des Täters nach §§ 120 Abs. 2, 26 i.V.m. § 28 Abs. 1 und § 49 Abs. 1 zu bestrafen. Die Höchststrafe sei dann eine Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren und 9 Monaten. Jedoch handelt es sich hierbei um ein Scheinproblem, weil ein entsprechendes Grunddelikt auch im Fall der Begehung durch Unterlassen des Intraneus von vornherein besteht22. Selbst wenn die Qualifikation wie § 120 Abs. 2 nicht geregelt wäre, könnte man zweifellos den Gefängniswärter, der die Zellentür vorsätzlich nicht abschließt und deswegen zu einer Gefangenenbefreiung im Amt verleitet, als Unterlassungstäter gemäß §§ 120 Abs. 1, 13 Abs. 1 bestrafen. Deshalb sind die 17 NK-Puppe, § 28 f. Rdn. 35. 18 Dass die Anwendung von § 28 Abs. 1 bei den §§ 258 a, 340 zu einer Senkung der Höchststrafe auf 3 Jahre und 9 Monate führen würde, bringt die weitere Frage mit sich, ob die Höchststrafe der beiden Vorschriften dem höheren Unwert des Amtsdelikts entspricht. 19 Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), 411,429 ff. 20 Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), 411,429. 21 Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), 411,429. 22 Ebenso Sánchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 190.
C. Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des § 28
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Unterlassungsstraftaten, die formell in Tatbeständen unechter Sonderdelikte mitbeschrieben werden, nach h.M. auch „unechte" Sonderdelikte. Der extrane Teilnehmer, der einen Gefängniswärter zu einer Gefangenenbefreiung im Amt (§ 120 Abs. 2) durch das Öffnen der Tür oder durch das Nichtabschließen einer Zellentür verleitet, ist also nach der Lösung der Tatbestandverschiebung und der Strafrahmenverschiebung stets aus dem Strafrahmen des § 120 Abs. 1 zu bestrafen. 4. Nur die ersten beiden Probleme erscheinen mithin sowohl nach der Theorie der Strafrahmenverschiebung und als auch nach derjenigen der Tatbestandsverschiebung unlösbar. Um gleichwohl eine Lösung dieser Probleme zu erreichen, muss man zum gemeinsamen Ausgangspunkt der beiden genannten Lösungen zurückkehren. Man muss nämlich fragen, ob es sich auch bei den unechten Sonderdelikten um die Fälle handelt, die unter § 28 Abs. 1 fallen. Die Antwort auf diese Frage lässt sich durch einen Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des § 28 finden.
C. Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des § 2 8 2 3 I. Das StGB von 1871 enthielt in § 50 eine Vorschrift, die als Vorläufer des heutigen § 28 Abs. 2 angesehen werden kann. § 50 RStGB lautete: „ Wenn das Gesetz die Strafbarkeit einer Handlung nach den persönlichen Eigenschaften oder Verhältnissen desjenigen, welcher dieselbe begangen hat, erhöht oder vermindert, so sind diese besonderen Tatumstände dem Täter oder demjenigen Teilnehmer (Mittäter, Anstifter, Gehilfe) zuzurechnen, bei welchem sie vorliegen ". Der Grund, warum die sog. strafbegründenden Merkmale ungeregelt geblieben sind, lässt sich nicht mehr ermitteln 24 . Durch die VO v. 29. 5. 194325 wurde der heutige § 29 als § 50 Abs. 1 RStGB eingefügt, der bisherige § 50 RStGB wurde § 50 Abs. 2 RStGB und durch die Einbeziehung der strafausschließendenden persönlichen Eigenschaften und Verhältnisse erweitert. § 50 Abs. 2 i.d.F. der Novelle v. 29. 5. 1943 lautete: „Bestimmt das Gesetz, dass besondere persönliche Eigenschaften oder Verhältnisse die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen, so gilt dies nur für den Tater oder Teilnehmer, bei dem sie vorliegenDie strafbegründenden Merkmale blieben auch hier noch außer Betracht. Man kann den Vorläufer des heutigen § 28 Abs. 1 am ehesten auf § 32 Abs. 1 E 1927 zurückführen. § 32 Abs. 1 E 1927 lautete:
23 Ausführlich dazu Schwerdtfeger, Besondere persönliche Unrechtsmerkmale, 1992, S. 33 ff.; Hake, Beteiligtenstrafbarkeit und „besondere persönliche Merkmale", 1994, S. 14 ff., 28 ff.; überblicklich LK U-Roxin, § 28 Entstehungsgeschichte. 24 Schwerdtfeger, Besondere persönliche Unrechtsmerkmale, 1992, S. 37; ebenso SánchezVera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 203. 25 RGBl. I, S. 339.
268
§ 13 Problem der Anwendung des § 28
„ Wegen einer Tat, deren Strafbarkeit durch besondere Eigenschaften oder Verhältnisse begründet wird, sind Anstifter und Gehilfe strafbar, wenn diese Eigenschaften oder Verhältnisse bei ihnen 26 oder beim Täter vorliegen. Liegen sie beim Anstifter nicht vor, so kann seine Strafe gemildert werden (§ 73 j 27". Warum der Gehilfe nicht wie der Anstifter auch unter § 32 Abs. 1 E 1927 fiel, erklärte die Begründung damit 28 , dass die Milderung beim Gehilfen in jedem Fall nach § 30 E 192729 eintreten müsste. Dieser Gedanken von § 32 Abs. 1 E 1927 wurde vom E 1962 übernommen, der in § 33 Abs. 1 eine mit dem heutigen § 28 Abs. 1 vergleichbare Vorschrift enthielt. § 33 Abs. 1 E 1962 lautete: „Fehlen besondere persönliche Merkmale (§14 Abs. 1), welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe), so ist dessen Strafe nach § 64 Abs. 7 3 0 zu mildern In der Begründung sagte der Gesetzgeber des E 1962, nicht ausdrücklich geregelt sei im geltenden Recht die Frage, was gelte, wenn besondere persönliche Merkmale die Strafbarkeit erst begründeten. Die Teilnehmerstrafe richte sich in diesem Fall mangels einer anderen gesetzlichen Regelung immer nach der Täterstrafe, gleichgültig, ob beim Teilnehmer diese strafbegründenden Merkmale vorlägen oder nicht. Das habe zu unausgewogenen gesetzlichen Strafdrohungen geführt, weil die Strafe für den extranen Teilnehmer bei den unechten Sonderstraftaten nach § 50 Abs. 2 a. F. (= heutigen § 28 Abs. 2) zu mildern sei 31 . § 30 Abs. 1 AE 1966 stimmte § 33 Abs. 1 E 1962 völlig zu, weil die „oft gerügte Ungereimtheit des geltenden Rechts", nämlich die bereits dargelegte ungerechte Ungleichbehandlung von strafbegründenden und strafschärfenden Merkmalen, beseitigt werden könne 32 . Durch das EGOWiG v. 24. 5. 1968 sind § 33 Abs. 1 E 1962 und § 30 Abs. 1 E 1966 positives Recht geworden. Demgemäß wurde ein dem geltenden § 28 Abs. 1 entsprechender § 50 Abs. 2 3 3 geschaffen und der ursprüngliche § 50 Abs. 2 in § 50 Abs. 3 verwandelt 34. § 50 Abs. 2 i.d.F. v. 24. 5. 1968 lautete: „Fehlen besondere 26 Der E 1927 sah einen erweiterten Teilnahmebegriff vor, weil die Haupttat sich nicht wie die heutigen §§ 26, 27 auf eine vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat beschränkte. § 29 E 1927 lautete: „Wer vorsätzlich veranlasst, dass ein anderer eine Tat ausführt, wird als Anstifter gleich einem Täter bestraft". 27
§ 73 E 1927 lässt sich als Vorläufer des heutigen § 49 Abs. 1 ansehen. 28 E 1927, Begründung, S. 30. 29 Die Vorschrift lautete: „Wer vorsätzlich einem anderen zu einer Tat Hilfe leistet, wird als Gehilfe nach den für den Täter geltenden Vorschriften bestraft; doch ist die Strafe zu mildern (§ 73)". 30 § 64 Abs. 1 E 1962 entspricht dem geltenden § 49 Abs. 1. 31 E 1962, Begründung, S. 152. 32 AE 1966, 2. Aufl., S. 69. 33 § 50 Abs. 2 i.d.F. v. 24. 5. 1968 lautete: „Fehlen besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände (besondere persönliche Merkmale), welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer, so ist dessen Strafe nach den Vorschriften über die Bestrafung des Versuchs zu mildern".
D. Lösungsvorschlag und reformbedürftige Tatbestände
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persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände (besondere persönliche Merkmale), welche die Strafbarkeit des Taters begründen, beim Teilnehmer, so ist dessen Strafe nach den Vorschriften über die Bestrafung des Versuchs zu mildern Erst durch das 2. StrRG v. 4. 7. 1969, das am 1. 1. 1975 in Kraft getreten ist, sind die §§ 50 Abs. 2 und 3 i.d.F. von 24. 5. 1968 zu den heute geltenden §§ 28 Abs. 1 und 2 geworden. Gleichzeitig wurde der ursprüngliche Verweis auf die fakultative Strafmilderung des Versuchs bei den strafbegründenden Merkmalen (§ 50 Abs. 2 i.d.F. von 1968) in einen Verweis auf die obligatorische Strafmilderung gemäß § 49 Abs. 1 verwandelt. II. Durch den Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des § 28 kann man feststellen, dass dem Gesetzgeber bewusst war, dass es unausgewogene gesetzliche Strafdrohungen gibt, wenn der Teilnehmer eines echten Sonderdelikts, bei dem die strafbegründenden Merkmale nicht vorliegen, immer nach der Täterstrafe bestraft wird, während der extrane Teilnehmer eines unechten Sonderdelikts eine Strafmilderung erhält. § 28 Abs. 1 wurde nur geschaffen, um diese Ungereimtheit zu beseitigen. Die oben in B erwähnten beiden Probleme standen jedoch außerhalb der Vorstellung des Gesetzgebers. Aus der Entstehungsgeschichte des § 28 kann man jedenfalls keinen Grund finden, um der These zu widersprechen, dass es sich nicht nur bei den echten Sonderdelikten, sondern auch bei den unechten um Fälle handelt, die eigentlich unter § 28 Abs. 1 fallen müssten.
D. Lösungsvorschlag und dementsprechend reformbedürftige Tatbestände I. Richtigerweise sollte also demjenigen, der zum Qualifikationsdelikt eines Intraneus Beihilfe leistet, die die Qualifikation begründende Situation partiell zugerechnet werden, partiell sollte er aber natürlich auch gegenüber dem Intraneus privilegiert werden. Das gilt auch für den extranen Teilnehmer eines echten Sonderdelikts, weil der Unrechtsgehalt des echten Sonderdelikts nur teilweise auf ihn zurückzuführen ist, so dass er deshalb eine Privilegierung verdient. In der Praxis läuft es auf das gleiche hinaus, denn § 28 Abs. 1 bedeutet eine obligatorische Strafmilderung und § 28 Abs. 2 bedeutet wegen der Haftung aus dem Grunddelikt auch nur eine Strafmilderung. Jedoch bedeutet die Strafmilderung für den extranen Teilnehmer, die auf verschiedene Weise, nämlich bei den echten Sonderdelikten nach § 28 Abs. 1 und bei den unechten Sonderdelikten nach § 28 Abs. 2 erfolgt, nicht nur einen „kleinen Schönheitsfehler", sondern führt zu den oben dargelegten bei34 Vgl. LK n -Roxin, § 28 Entstehungsgeschichte. Gleichzeitig wurden die „besonderen persönlichen Eigenschaften oder Verhältnisse" auf „besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände" erweitert und dem Oberbegriff der „besonderen persönlichen Merkmale" unterstellt.
270
§ 13 Problem der Anwendung des § 28
den unlösbaren Problemen 35. Nach der hier vertretenen Auffassung wäre es sachlich deshalb am vernünftigsten, auf strafschärfende und Straße gründende Merkmale gleichermaßen die Vorschrift des § 28 Abs. 1 anzuwenden. Dieser Lösungsvorschlag ist nicht neu und lässt sich zumindest auf Hardwig 36 zurückführen. Als Hardwig seinen Gedanken entwickelte, lag eine dem heutigen § 28 Abs. 1 entsprechende Regelung noch nicht vor. Er kritisierte zutreffend § 50 Abs. 2 i.d.F. der Novelle v. 29. 5. 1943, der dem heutigen § 28 Abs. 2 entspricht, und hielt die Unterscheidung zwischen strafbegründenden und qualifizierenden Umständen für belanglos. Es sei nicht gerechtfertigt, den extranen Teilnehmer einer Qualifikation nur nach dem Strafrahmen des Grunddelikts zu beurteilen. Die Formulierung von § 50 Abs. 2 i.d.F. der Novelle v. 29. 5. 1943 sei verfehlt, weil allein sie dazu zwinge, die Teilnahme zwischen echten und unechten Sonderdelikten zu unterscheiden37. Dass der Teilnehmer am personalen Unrechtsgehalt der Tat des Täters teilnehme, gelte grundsätzlich gleichermaßen für die qualifizierenden und strafbegründenden Unrechtsmomente. Deshalb müsse § 50 Abs. 2 i.d.F. der Novelle v. 29. 5. 1943 noch sachgemäßer formuliert werden 38. Nach der Einführung einer dem heutigen § 28 Abs. 1 entsprechenden Strafmilderungsvorschrift für den extranen Teilnehmer am echten Sonderdelikt durch das EGOWiG v. 24. 5. 1968 bemerkte Wagner 39 mit Recht, die einzig richtige Lösung wäre, den extranen Teilnehmer am echten wie am unechten Staatszurechnungsdelikt40 stets aus dem Amtsverbrechenstatbestand zu bestrafen und die Strafe zu mildern. Auch Stratenwerth 41 und Herzbergkommen zu dem gleichen Ergebnis. Nach Hakes 43 Vorschlag sollte der heutige § 28 Abs. 2 abgeschafft wer-
35 36 37 38 39
Vgl. NK-Puppe, §§ 28 f. Rdn. 38. Hardwig, GA 1954, 65, 71 ff. Hardwig, GA 1954, 65, 72. Hardwig, GA 1954, 65, 76. Wagner, Amtsverbrechen, 1975, S. 396.
40 Nach Wagner ist Unrechtsgehalt der Staatszurechnungsdelikte (z. B. §§ 340, 343 und 344), dass der Amtsträger unter Missbrauch seines Amtes eine Individualrechtsgutsverletzung bewirke, die dem Staat zurechnen sei. Dazu ausführlich vgl. Wagner, Amts verbrechen, 1975, S. 236 f., 238 ff. 41 Stratenwerth, A T 2 - 3 , Rdn. 941 (ab der 4. Aufl. ist diese Meinung unbegründet wegfallen). 42 Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 1977, S. 120. 43 Hake, Beteiligtenstrafbarkeit und „besondere persönliche Merkmale", 1994, S. 193. Der von ihm vorgeschlagene § 28 lautet: „(1) Fehlen besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände (besondere persönliche Merkmale), welche die Strafbarkeit des Täters begründen oder erhöhen, beim Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfen), so ist dessen Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern. Das gleiche gilt, wenn beim Teilnehmer ein besonderes persönliches Merkmal vorliegt, das im Falle seines Vorliegens beim Täter zu dessen milderer Bestrafung führen würde. (2) Besondere persönliche Merkmale sind nur solche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände, welche das Unrecht der Tat begründen, erhöhen oder vermindern".
D. Lösungsvorschlag und reformbedürftige Tatbestände
271
den und eine einheitliche Strafmilderung für den extranen Teilnehmer, einerlei ob ihm strafbegründende oder strafmodifizierende Merkmale fehlen, in § 28 Abs. 1 geregelt werden. Diese Meinungen beeinflussen auch Sánchez-Vera 44, der eingehend die einheitliche Anwendung der Strafmilderung für den extranen Teilnehmer an einem echten und unechten Sonderdelikt gemäß § 28 Abs. 1 begründet. Diese Lösung ist entgegen der bisherigen Meinung für ihn jedoch „innerhalb und nicht außerhalb des Wortrahmens von § 28", so dass verfassungsrechtliche Bedenken dagegen nicht zu erheben seien45. Puppe 46 schließt sich im Ergebnis Sánchez-Veras Meinung an, obwohl Sánchez-Veras Monographie weder im Literaturverzeichnis noch im Text ihrer Kommentierung im Nomos-Kommentar von §§ 28 f. angegeben wird. Für Puppe darf ein und dasselbe persönliche Tatbestandsmerkmal nicht in einem Tatbestand als strafbegründendes, in einem anderen als strafmodifizierendes auftauchen 47 . Die angestrebte Gleichbehandlung des Fehlens von Pflichtenstellungen beim teilnehmenden Extraneus könne nur dadurch erreicht werden, dass das Pflichtmerkmal stets als strafbegründendes i.S. von § 28 Abs. 1 behandelt werde 48 . „Dadurch, dass die Sonderpflichtmerkmale aus dem Anwendungsbereich des § 28 Abs. 2 ausgegliedert und zu § 28 Abs. 1 zugewiesen werden, wird nicht nur für § 28 Abs. 1 ein einheitliches Konzept erreicht, sondern auch für § 28 Abs. 2" 4 9 . Der Grundsatz der limitierten Akzessorietät lasse sich konsequent durchhalten 50. Sánchez-Veras und Puppes Meinung ist zuzustimmen. Man sollte § 28 Abs. 1 und Abs. 2 zusammenlesen und wie Puppe die meist durch eine Amtsträgereigenschaft bezeichneten strafschärfenden Merkmale bei den unechten Sonderdelikten dem § 28 Abs. 1 zuweisen, weil nach der genauen Analyse 51 diese Merkmale zugleich auch strafbegründend wirken. Diese Lösung ist m.E. noch mit dem geltenden Recht zu vereinbaren. Um noch mehr Klarheit zu haben, ist freilich eine Umgestaltung des § 28 de lege ferenda empfehlenswert. II. Der Strafrahmen einiger Straftatbestände muss de lege ferenda korrigiert werden, weil die hier vertretene Lösung, dass § 28 Abs. 1 einheitlich für den extranen Teilnehmer, bei dem die Sonderpflichtmerkmale bzw. Garantenstellungen nicht vorliegen, anwendbar ist, wegen der gleichen Höchststrafe von Qualifikation und Grunddelikt bei einigen Fällen zu einer anderen Ungereimtheit führen würde. Zum Beispiel ist die Höchststrafe der Körperverletzung gemäß § 223 und der Körper44 Sánchez-Vera , Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 180 ff., 192 ff., 202. 45 Sánchez-Vera , Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999, S. 202 Fn. 55 am Ende. 46 NK-Puppe, §§ 28 f. Rdn. 32 ff., 39. 47 NK-Puppe, §§ 28 f. Rdn. 18. 48 NK-Puppe, §§ 28 f. Rdn. 39. 49 NK-Puppe, §§ 28 f. Rdn. 41. Nach Puppes Auffassung bleiben für den Anwendungsbereich des § 28 Abs. 2 nur strafmodifizierende Tatmotive, also reine Schuldmerkmale übrig. Das kann hier nicht erörtert werden. 50 NK-Puppe, §§ 28 f. Rdn. 41. 51 Vgl. § 11 B dieser Arbeit.
272
§ 13 Problem der Anwendung des § 28
Verletzung im Amt gemäß § 340 beide Male 5 Jahre. Bei der Anwendung des § 28 Abs. 1 für den extranen Anstifter zu einer Körperverletzung im Amt ist die Höchststrafe von 5 Jahren auf 3 Jahre 9 Monaten gesenkt, während bei der Anwendung des § 28 Abs. 2 die Höchststrafe unverändert bleibt. Diese weitgehende Strafmilderung ist nicht gerechtfertigt. Die ungerechte Behandlung ist noch deutlicher, wenn man die Höchststrafe für den extranen Anstifter zu einer Körperverletzung im Amt mit derjenigen für den normalen Anstifter zu einer einfachen Körperverletzung vergleicht, weil die Höchststrafe für den Letzteren 5 Jahre ist. Richtigerweise sollte der Strafrahmen der Körperverletzung im Amt gemäß § 340 erhöht werden. Das gleiche gilt für die Strafvereitelung im Amt gemäß § 258a, weil die Höchststrafe dieser Vorschrift genauso hoch (5 Jahre) ist wie die ihrer Grundform (§ 258).
E. Die Anwendung des § 28 Abs. 1 im Lichte der Theorie der Garantensonderdelikte In den Augen der Theorie der Garantensonderdelikte spielt die Unterscheidung zwischen dem echten und unechten Sonderdelikt praktisch keine Rolle, weil nur wichtig ist, ob bei den zu berücksichtigenden Sonderdelikten eine aktuelle Herrschaftsbeziehung zwischen dem geschützten Rechtsgut und dem Täter besteht. Wenn der Täter Herrschaft über die Hilflosigkeit des geschützten Rechtsguts oder über die Gefahrenquelle hat, ist er Garant. Die von ihm begangenen Sonderdelikte, seien es echte oder unechte Sonderdelikte, sind Garantensonderdelikte. Die Garantenstellung ist ein besonderes persönliches strafbegründendes Merkmal i.S. von § 28 Abs. 1. Der Teilnehmer, den die Garantenpflicht nicht betrifft, kann nicht als Täter bestraft werden; seine Strafe ist gemäß § 28 Abs. 1 zu mildem. § 28 Abs. 1 ist also für die Teilnehmer an denjenigen Delikten anwendbar, die von dieser Arbeit als Garantensonderdelikte bezeichnet werden. Dagegen ist § 28 Abs. 1 für die Teilnehmer an den schlichten Sonderdelikten 52, in denen die Beschränkung des Täterkreises nichts mit der Garantenstellung zu tun hat, nicht anwendbar. Denn bei den bloßen Sonderdelikten ist der Unrechtsgehalt, den der intrane Teilnehmer verursacht hat, nicht gravierender als der durch den extranen Teilnehmer. Dies gilt, wenn zum Beispiel eine Frau einen Mann anstiftet, eine andere Person durch eine exhibitionistische Handlung zu belästigen. Für die Anstifterin ist § 28 Abs. 1 nicht anwendbar 53, weil der Unrechtsgehalt der von ihr angestifteten Tat nicht leichter wiegt als bei der von einem Mann angestifteten Tat. 52 Vgl. § 12 dieser Arbeit. 53 Lackner/Kühl 24, § 183 Rdn. la; Herzberg, GA 1991, 145, 169; LK u -Roxin, § 28 Rdn. 67; Maurach/Schroeder/Maiwald, B T / 1 9 , 22/6; Lenckner/Perron in: Schänke /Schröder 26, § 183 Rdn. 7; Kindhäuser, LPK-StGB, § 183 Rdn. 1; a. A. SK 1-Horn/Wolters, § 183 Rdn. 7.
E. Die Anwendung des § 28 Abs. 1
273
Die Beschränkung des Täterkreises ergibt sich, worauf Roxin 54 zutreffend hinweist, aus der Beschaffenheit des vom Gesetzgeber ins Auge gefassten Wirklichkeitsausschnittes. Der Gesetzgeber hat nämlich nach dem Häufigkeitsprinzip die typisch Begehenden als Täter geregelt, wie etwa noch bei den Merkmalen „Mann" (§ 175 a. F.), „Gefangener" (§121), „Deutscher" (§ 100) oder „Reisender" (§ 297 a. F.).
54 L K 1 1 -Roxin, § 28 Rdn. 67. 18 Chen
§ 14 Ergebnisse der Untersuchung A. Theorie der Garantensonderdelikte und Rechtsgüterschutz I. Das Rechtsgüterschutzprinzip gilt als der harte Fels unseres heutigen modernen Strafrechts. Als Angelpunkt für alle teleologischen Argumentationen im Bereich des strafrechtlichen Unrechts ist das Prinzip des Rechtsgüterschutzes unentbehrlich. Der Gedanke des Rechtsgüterschutzes stellt also einen unverzichtbaren Baustein im Strafrechtssystem dar 1. Aufgrund dieser Prämisse ist es fraglich, ob ein an die Verletzung außerstrafrechtlicher Sonderpflichten anknüpfendes Gebilde wie das der Pflichtdelikte in unser rechtsgüterschützendes Strafrecht hineinpassen kann. Denn der Normzweck des Zivilrechts oder des öffentlichen Rechts ist nicht selbstverständlich mit dem Rechtsgüterschutz vereinbar 2. Das wurde in der vorliegenden Arbeit festgestellt, wobei die Pflichttheorie bei vielen Tatbeständen3 nicht geeignet ist, die Beschränkung des Täterkreises überzeugend zu erklären. Im Hinblick darauf, dass Roxin einerseits die unechten Unterlassungsdelikte als eine Untergruppe der Pflichtdelikte einordnet, andererseits die formelle Rechtspflichttheorie ablehnt und Schünemanns Herrschaftsansatz als den plausibelsten für die Erklärung des Haftungsgrundes bei den unechten Unterlassungsdelikte ansieht, ist es inkonsequent, den Begriff der Pflichtdelikte i.S. der Verletzung außerstrafrechtlicher Pflichten weiterhin beizubehalten. Die Berufung auf Jakobs ' und SánchezVeras Konzeption4 bei Roxin hilft nicht weiter, weil das von Jakobs und seinen Schülern konstruierte und in sich geschlossene bzw. zirkuläre Strafrechtssystem von unserem rechtsgüterschützenden Strafrecht abweicht. Ihre aus dieser Grundlage erwachsende Täterlehre, die kraft „Organisationszuständigkeit" oder kraft „institutioneller Zuständigkeit" die Täterschaft charakterisieren will, überzeugt auch nicht, weil die erwähnte Definition des „Organisationskreises" von Jakobs 5 ersichtlich nichts anders ist als die Definition einer völlig unbeschränkten Ingerenz1 Vgl. nur Roxin, A T / 1 3 , 2 / 2 ff.; Schünemann, FS-Roxin, 2001, S. 1,27 und Fn. 1 m. w. N. Zum jüngsten Stand der Auseinandersetzung über die Rechtsgutstheorie siehe den von Hefendehl u. a. herausgegebenen Sammelband „Die Rechtsgutstheorie, Legitimationsbasis des Strafrechts oder dogmatisches Glasperlenspiel?", Baden-Baden 2003. 2 Vgl. § 4 A II, D I . 3 Siehe § 5 D I I 2 b), III 2 b), IV 2, § 6 F, § 7 D, § 8 E, § 9 B II, § 10 B III und § 11 B II 2
e),f). 4 Siehe § 3 A 5 Siehe § 3 A I.
A. Theorie der Garantensonderdelikte und Rechtsgüterschutz
275
Garantenstellung, die aber ein zweifelhaftes Gebilde ist 6 , und weil die Anknüpfung den Begriff der „institutionellen Zuständigkeit" an außerstrafrechtliche rechtliche Institutionen einen Rückschritt zu der obsoleten formellen Rechtspflichttheorie bedeutet7. II. Der neue Ausdruck von Roxin, nämlich die „erfolgsbezogene Verletzung der tatbestandsspezifischen Pflicht bzw. der täterschaftsbegründenden Pflicht" als Täterschaftskriterium bei den Pflichtdelikten, kann den oben erwähnten Mangel nicht beseitigen, weil er selbst ein Zirkelschluss 8 ist: Das „Täterschaftskriterium" bei den Pflichtdelikten knüpft an die „täterschaftsbegründende Pflicht" an. Man kann die sog. tatbestandsspezifische Pflicht in drei Richtungen verstehen. Erstens so, dass sie inhaltlich unverändert wie die außerstrafrechtliche Pflicht bleibt. Das ist jedoch nach der vorliegenden Untersuchung nicht überzeugend. Zweitens kann man annehmen, dass sie aus dem Tatbestand erwächst und damit nichts anderes als die spezifisch strafrechtliche Rechtswidrigkeit ist. Ein solches Verständnis betrifft jedoch nicht nur die Sonderdelikte, sondern auch die Allgemeindelikte. Es bleibt damit die letzte Möglichkeit, sie als Garantenpflichten zu verstehen. Bei einem solchen Verständnis bedeutet der Begriff der Pflichtdelikte in Wahrheit Garantenpflichtdelikte 9 und verliert damit seinen ursprünglichen Sinn. III. Die bisher im Allgemeinen anerkannte Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft bei Benutzung eines qualifikationslosen dolosen Werkzeugs von Roxin ist einerseits unangemessen, weil sie mit der klassischen mittelbaren Täterschaft nicht zu vergleichen ist und deshalb zu einem konturlosen Begriff der mittelbaren Täterschaft führt. Diese Begriffsbildung ist andererseits auch überflüssig, wenn man davon ausgeht, dass bei den Garantensonderdelikten jedes Verhalten den Intraneus zum Täter macht. Man könnte hier den Intraneus stets als unmittelbaren Täter ansprechen, weil der Intraneus in jedem Fall seine Garantenpflicht unmittelbar verletzt 10 IV. Nur die Theorie der Garantensonderdelikte liefert also eine überzeugende Erklärung für die Beschränkung des Täterkreises bei den Sonderdelikten. Garantensonderdelikte lassen sich wie folgt definieren: Garantensonderdelikte sind Tatbestände, bei denen Tater nur sein kann, wer eine bestimmte Garantenstellung innehat und die Garantenpflicht verletzt. Die Garantensonderdelikte sind durch eine prästabilierte Geschehensherrschaft i.S. der Kontrolle über einen sozialen Bereich gekennzeichnet. Aus dieser Prämisse kann man die beiden großen Gruppen der Garantenstellungen ableiten, nämlich die Herrschaft über eine wesentliche Erfolgsursache und die Herrschaft über die Hilflosigkeit des Opfers. Bei den Garantensonderdelikten spielt es keine Rolle, ob der Täter durch Handeln, Unterlassen 6 Siehe § 4 C VI. 7 Siehe § 3 B II. 8 Siehe § 2 B 13. 9 Siehe § 2 C I. 10 Siehe § 2 B I I 1 c). 18*
276
§ 14 Ergebnisse der Untersuchung
oder Teilnahmehandlungen den Tatbestand verwirklicht. Durch die Theorie der Garantensonderdelikte lässt sich der uneinheitliche Wortlaut der Sonderdelikte erklären: In den meisten Fällen der Garantensonderdelikte (1. Kategorie) 11 hat der Gesetzgeber eine Gleichstellung der nicht-tatherrschaftlichen mit der tatherrschaftlichen Deliktsbeteiligung nicht geregelt. Trotzdem können die Teilnahmenhandlungen des Täters wegen Unterlassungstäterschaft bestraft werden 12, wenn die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Eine Gleichstellung ist nur in einigen Fällen ausdrücklich (2. Kategorie) 13 oder konkludent (3. Kategorie) 14 zu finden. V. Nur in einigen Fällen der Sonderdelikte kann die Beschränkung des Täterkreises nicht durch die Theorie der Garantensonderdelikte erklärt werden. Der Gesetzgeber hat z. B. aus einem kriminalpolitischen Bedürfnis heraus, nämlich um die damaligen DDR-Bürger, die Angehörigen der SED und sonstiger Ostblock-Organisationen zur Förderung der Verständigung zu privilegieren, den Täterkreis des § 100 auf Deutsche beschränkt, die ihre Lebensgrundlage in der Bundesrepublik Deutschland haben. Dieses Bedürfnis ist nunmehr obsolet. Im Hinblick darauf, dass Ausländer genauso wie Inländer die äußere Sicherheit der Bundesrepublik gefährden können, ist die Beschränkung des Täterkreises auf Deutsche nicht legitim und muss reformieret werden 15. Die Schiffsgefährdung durch Bannware von Reisenden gemäß § 297 a. F. ist auch ein bloßes Sonderdelikt, weil ein Reisender weder eine Obhutsstellung gegenüber dem Reeder oder Schiffer noch eine Aufsichtsstellung gegenüber seinem Gepäck hat. Der Gesetzgeber hat die Reisenden als Täter ausgewählt, weil er dachte, dass die Reisenden typische Täter wären. Diese willkürliche Beschränkung ist durch das 6. StrRG beseitigt worden 16 . Die bloßen Sonderdelikte sollen aus dem Rahmen der Garantensonderdelikte ausscheiden. VI. Alle Einwände gegen Schünemanns Herrschaftsansatz sind nach der vorliegenden Untersuchung nicht überzeugend17. Die Bemühungen der Kritiker, Schünemanns Herrschaftsansatz keinen Einfluss gewinnen zu lassen, sind m.E. erfolglos. Die eigenhändigen Delikte, die für Schünemanns Herrschaftsansatz ein Fremdkörper waren, lassen sich in Schünemanns einheitliche monistische Täterlehre einpassen, wenn man einen Teil der unechten eigenhändigen Delikte i.S. Roxins (z. B. §§ 153, 154, 339) in den Begriff der Garantensonderdelikte aufnimmt, weil der jeweilige Täter eine höchstpersönliche Garantenstellung innehat18, und wenn man 11 Siehe § 4 D12) und Fn. 184 m. w. N. 12 Siehe § 2 B I I 2 c) cc), § 7 D, § 9 B III 1, § 11 B II 2 e) und3 a). 13 Siehe § 4 D 1 2 und Fn. 185 m. w. N.; ferner vgl. § 11 B II 2 b) und e). 14 Siehe § 4 D12. 15 Siehe § 12 A. 16 Siehe § 12 B. 17 Siehe § 4 C I bis XI. 18 Siehe § 4 D I.
B. Die Fallgruppen der Garantensonderdelikte im Einzelnen
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die „echten eigenhändigen Delikte" den Handlungsherrschaftsdelikten zuordnet, weil die Handlungsherrschaft eben durch die eigenhändige Verwirklichung der Tatbestandshandlung gekennzeichnet ist 19 . Dadurch lässt sich ein „wahrer" einheitlicher monistischer Täterbegriff bilden.
B. Die Fallgruppen der Garantensonderdelikte im Einzelnen I. Nichtbegehungsentsprechende Garanten-Unterlassungsdelikte 1. Die de lege lata geeignete Terminologie für Unterlassungsdelikte ist die Bezeichnung „begehungsentsprechend" und „nichtbegehungsentsprechend"20. 2. Die traditionellen Unterscheidungskriterien der Unterlassungsdelikte haben sich in eine Sackgasse verrannt. Überzeugender ist das an hinreichende Begehungsähnlichkeit anknüpfende sachlogische Abgrenzungskriterium 21. Danach kann eine Unterlassung dann begehungsentsprechend genannt werden, wenn sie der Tatbestandsverwirklichung durch aktives Tun strafrechtlich hinreichend ähnelt, und zwar gleichgültig, ob dies vom Gesetzgeber im Besonderen Teil ausdrücklich angeordnet wurde oder sich aus der allgemeinen Gleichstellungsrichtlinie des § 13 Abs. 1 ergibt (gegen das positivrechtliche Abgrenzungskriterium), und gleichgültig, ob die Vorschriften vom Gesetzgeber als Erfolgsdelikte oder Tätigkeitsdelikte eingeordnet werden (gegen das Abgrenzungskriterium von Erfolgsbezogenheit und Tätigkeitsbezogenheit). Die folgenden Vorschriften gehören zu den begehungsentsprechenden Unterlassungsdelikten: §§ 123 Alt. 2, 174 ff., 221 Abs. 1 Nr. 2, 264 Abs. 1 Nr. 3, 264 a Abs. 1, 265 b Abs. 1 Nr. 2, 266, 283 Abs. 1 Nr. 5, 7b, 283 b Abs. 1 Nr. 1, 3b, 319, 339, 20 Abs. 1 Nr. 2 WStG. Die Unterlassungsdelikte, bei denen es keinen auf das Unterlassen zu erstreckenden Begehungstatbestand gibt und somit keine hinreichende Begehungsähnlichkeit besteht, sind nichtbegehungsentsprechende Unterlassungsdelikte 22. 3. Der Ansatz von Silva Sanchez der Dreiteilung der Unterlassungsdelikte ist mit der geltenden Gesetzeslage nicht vereinbar. Die hier vertretene Lösung, die ebenfalls eine Dreiteilung der Unterlassungsdelikte vernimmt, geht zuerst vom sachlogischen Abgrenzungskriterium aus. Danach unterteile ich aufgrund des Mangels oder des Vorhandenseins einer Garantenstellung nichtbegehungsentsprechende Unterlassungsdelikte jeweils in nichtbegehungsentsprechende Allgemeinund Garanten-Unterlassungsdelikte. Die letztgenannte Deliktsgruppe ist das Garantensonderdelikt 23. 19 Siehe § 4 D III. 20 Siehe § 5 A. 21 Siehe § 5 B. 22 Siehe § 5 B II. 23 Siehe § 5 C.
§14 Ergebnisse der Untersuchung
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4. Nach der vorliegenden Untersuchung gehören die Vorschriften der §§ 138, 323 c, 170 zu den nichtbegehungsentsprechenden Allgemein-Unterlassungsdelikten. §§ 266 a, 326 Abs. 3, 328 Abs. 2 Nr. 1, § 84 GmbHG, § 401 AktG und § 41 WStG sind nichtbegehungsentsprechende Garanten-Unterlassungsdelikte bzw. Garantensonderdelikte 24, weil sich aus der Tatereigenschaft dieser Vorschriften jeweils eine Garantenstellung ergibt, die vom Gesetzgeber auch in der Vorschrift ausdrücklich geregelt wird. Eine solche Garantenstellung lässt sich nicht im Sinne des § 13 Abs. 1 verstehen und schließt deshalb eine fakultative Strafmilderung gemäß § 13 Abs. 2 aus. Diese nichtbegehungsentsprechenden Garanten-Unterlassungsdelikte lassen sich im Einzelnen wie folgt zusammenfassen: (1) § 266 a ist ein Garantensonderdelikt. Bei § 266 a kontrolliert der Arbeitgeber hinsichtlich der Abführung der Sozialversicherungsbeträge usw. einen sozialen Bereich. Allein er entscheidet, ob das Interesse der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherung verletzt wird oder nicht. Deshalb hat er die Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsgutes 25. (2) § 84 GmbHG ist ein Garantensonderdelikt. § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG ist eine untreueähnliche Vorschrift. Das Gesellschaftsvermögen und sämtliche Interessen der Gesellschaft sind dem Geschäftsführer anvertraut, der durch diesen Vertrauensakt die Kontrolle über die Tätigkeit der Gesellschaft erlangt hat und über eine Obhutsstellung und Näheposition zum Gesellschaftsvermögen verfügt. Deshalb hat der Geschäftsführer die Herrschaft über die Hilflosigkeit des Gesellschaftsvermögens und sämtlicher Interessen der Gesellschaft. Dass der Geschäftsführer erst von dem Zeitpunkt an, ab dem ein Eigenkapitalverlust entstanden ist, der das Reinvermögen der Gesellschaft auf den Betrag des halben Stammkapitals vermindert, verpflichtet ist, die Gesellschafter darüber zu informieren, kann im Übrigen sowohl aus der Theorie der objektiven Zurechnung, die die Schaffung eines unerlaubten Risikos verlangt, als auch aus der Sekundarität des Strafrechts abgeleitet werden 26. Beim Unterlassen des Insolvenzantrages gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 2 kann eine Garantenstellung des Geschäftsführers gegenüber den Gläubigerinteressen der GmbH problemlos aus der Herrschaft des Geschäftsführers über das Gesellschaftsvermögen als Grund des Erfolges abgeleitet werden. Aber diese Garantenstellung entsteht erst dann, wenn die Gesellschaft in die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gerät. Diese Beschränkung kann, wie ich oben erwähnt habe, sowohl aus der Theorie der objektiven Zurechnung als auch aus der Sekundarität des Strafrechts abgeleitet werden. Vor diesem Zeitpunkt ist der Geschäftsführer gegenüber den Gläubigerinteressen kein Garant, vielmehr beschränkt sich seine Garantiefunktion bis dahin auf die GmbH selbst27. (3) Die Nichtablieferung radioaktiver Abfälle gemäß § 326 Abs. 3 und das Nicht-Unverzüglich-Abliefern der Kernbrennstoffe gemäß § 328 Abs. 2 Nr. 1 sind ebenso Ga24 25 26 27
Siehe § 5 D Siehe § 5 D Siehe § 5 D Siehe § 5 D
I I 2 c), III 2 c) und IV 2. I I 2 c). III 2 c) und IV 2. III 2 c) und IV 2.
B. Die Fallgruppen der Garantensonderdelikte im Einzelnen
279
rantensonderdelikte, weil der Besitzer die Herrschaft über die Gefahrenquelle hat 28 . (4) Die mangelhafte Dienstaufsicht des Vorgesetzten gemäß § 41 WStG ist ebenfalls ein Sonderdelikt, weil der Staat ihm eine Autoritäts- und Aufsichtsstellung anvertraut, um seine Untergebenen zu überwachen 29. 5. Die Trennung dieser Deliktskategorie von den traditionell als den „echten" bezeichneten Unterlassungsdelikten hat nach der h.M. ihre praktische Bedeutung bei der Teilnahmelehre, weil § 28 Abs. 1 für den extranen Teilnehmer nicht anwendbar ist 30 . II. Untreue gemäß § 266 Die Untreue gemäß § 266 ist ein Garantensonderdelikt. Beim Missbrauchstatbestand des § 266 1. Alternative, wo die Tathandlung rechtsgeschäftliche Qualitäten aufweisen muss, ist die Anknüpfung an die zivilrechtliche Pflicht zwar geeignet, die Beschränkung des Täterkreises zu erklären. Aber beim Treubruchtatbestand des § 266 2. Alternative scheitert die Pflichttheorie daran, dass die Täterqualifikation auch durch ein „tatsächliches Treueverhältnis" begründet werden kann. Demgegenüber kann Schünemanns Herrschaftsgedanke problemlos die Unrechtsstruktur der Untreue erklären. Zunächst liefert Schünemanns Herrschaftsgedanke sichere und verallgemeinerungsfähige Kriterien zur Feststellung der im Treubruchstatbestand aufgeführten Pflicht, „fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen", herauszufinden. Die für diese Vermögensbetreuungspflicht entscheidenden Momente der Selbständigkeit und des Entscheidungsspielraumes lassen sich als Attribute der Herrschaftsposition und damit der Garantenstellung über das fremde Vermögen begreifen, so dass dann die strafrechtliche Treuepflicht eine bloße Folge der Herrschaft ist, gegenüber der die in den meisten Fällen parallel verlaufende zivilrechtliche Pflicht zur Wahrnehmung der fremden Vermögensinteressen sogar nur ein Epi-Phänomen darstellt 31. Der Täter der Untreue übt nämlich eine durch einen Vertrauensakt eingeräumte Obhutsstellung und Näheposition zu einem fremden Vermögen aus und hat die Herrschaft über die Hilflosigkeit des Opfers 32.
III. Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten gemäß § 266 b Das geschützte Rechtsgut des § 266 b ist nur das Vermögen des Geldinstituts, während die Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs als Schutz28 Siehe § 5 D V 1. 29 Siehe § 5 D V 2. 30 Siehe § 5 C III. 31 Siehe § 6 E I I und III 4 g). 32 Siehe § 6 E III 4 g).
§ 14 Ergebnisse der Untersuchung
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reflex anzusehen ist 33 . Der Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten gemäß § 266 b ist dem Wesen nach ein missbrauchähnlicher Tatbestand. Denn der Karteninhaber besitzt eine Verpflichtungsmacht, welche prinzipiell weiter reicht als die (etwa auf ein Guthaben oder eine Kreditlinie beschränkte) Gestattung im Innenverhältnis, und der Missbrauch dieser Verpflichtungsmacht bedeutet auch eine Schädigung des Vermögens des Vollmachtgebers von innen heraus, die sich nicht im Rahmen des Hantierens mit Sachen vollzieht und deshalb ein typisches Unrecht des Missbrauchstatbestandes verkörpert 34. Deswegen ist § 266 b ein Garantensonderdelikt. Mit diesem Verständnis lässt sich die Problematik der missbräuchlichen Weitergabe der Kreditkarte durch den Karteninhaber leicht lösen, weil der Karteninhaber seine Verpflichtungsmacht missbraucht und seine Garantenpflicht verletzt 35 .
IV. Die Verletzung von Privatgeheimnissen gemäß § 203 § 203 ist ein Garantensonderdelikt. Die Pflichttheorie ist hier nicht überzeugend, weil der Täter des § 203 Abs. 1 Nr. 1 nicht durch den Bruch der vorstrafrechtlichen ärztlichen Schweigepflicht charakterisiert wird, sondern jeder erfasst wird, der das fremde Geheimnis etwa auch durch seine Tätigkeit als Hilfsperson des Arztes oder einen anderen Vertrauensakt erlangt hat (vgl. § 203 Abs. 3). Darüber hinaus verlieren außerstrafrechtliche (zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche) Sonderpflichten die Grundlage, wenn die Bestellungsakte aus irgendeinem Grunde (z. B. wegen Unwirksamkeit des Vertrags oder wegen eines Berufsverbots) unwirksam sind. Statt dessen knüpft der Strafrechtsschutz hier an die Einräumung einer Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsgutsobjektes durch die sozial notwendige Öffnung der eigenen Geheimsphäre gegenüber dem Arzt an, ohne den Täterkreis etwa auf die Träger standesrechtlicher Sonderpflichten zu beschränken. Bei der Bestimmung des Tätermerkmales greift das Gesetz zwangsläufig über die außerstrafrechtliche Sonderpflicht hinaus und stellt auf die Verbindung von Vertrauensakt und Obhutspflichten ab 36 .
V. Das Vereiteln der Zwangsvollstreckung gemäß § 288 Das Vereiteln der Zwangsvollstreckung gemäß § 288 ist ein Garantensonderdelikt. Bei § 288 kann eine Garantenstellung problemlos aus der Herrschaft des Schuldners über sein Vermögen als Grund des Erfolges abgeleitet werden. Denn es 33 34 35 36
Siehe § 7 B. Siehe § 7 C. Siehe § 7 D. Siehe § 8.
B. Die Fallgruppen der Garantensonderdelikte im Einzelnen
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handelt sich bei der Schuldnereigenschaft um die Herrschaft über eine wesentliche Erfolgsursache infolge einer sachlichen Herrschaftsposition des Schuldners über die Bestandteile seines Vermögens. Die Garantenstellung des Völlstreckungsschuldners ist jedoch erst vom dem Zeitpunkt an gegeben ist, ab dem das Zwangsvollstreckungsrecht eine Rechtspflicht des Schuldners statuiert, für den Fortbestand eines bestimmten Vollstreckbarkeitsniveaus zu sorgen. Diese Beschränkung kann sowohl aus der Theorie der objektiven Zurechnung, die die Schaffung eines unerlaubten Risikos verlangt, als auch aus dem Vorrang der speziellen vollstreckungsrechtlichen Gestattung und der daraus folgenden Sekundarität des Strafrechts abgeleitet werden 37.
VI. Die Personengefährdung durch Bauarbeiten gemäß § 319 § 319 ist ein Garantensonderdelikt. Denn es handelt sich bei der Planung, Leitung oder Ausführung eines Baues um nichts anderes als um die Ausübung einer Herrschaft über gefährliche Sachen oder Verrichtungen. Die Pflichttheorie ist hier nicht überzeugend, weil die bautechnischen Regeln nicht bloß verwaltungsrechtliche Regelungen enthalten, sondern auch solche, die keine Rechtsnormen sind (wie etwa Erfahrungssätze) 38. Die Anknüpfung an die Verletzung gewohnheitsrechtsähnlicher Pflichten ist für unser rechtsgüterschützendes Strafrecht fremd und sogar verboten 39.
VII. Die sog. unechten Sonderdelikte Die sog. „unechten" Sonderdelikte sind dem Wesen nach nichts anderes als die „echten" Sonderdelikte, weil die vom Gesetzgeber mit einer strafschärfenden oder strafmildernden Wirkung geregelte Tätereigenschaft bei den unechten Sonderdelikten ebenfalls eine strafbegründende Wirkung zeitigt, wie sie die Besonderheit der echten Sonderdelikte ausmacht. Beide Deliktsgruppen sind als Garantensonderdelikte zu bezeichnen und es gibt daher für unechte Sonderdelikte keinen Raum. Die einzelne Analyse der sog. unechten Sonderdelikte lässt sich wie folgt zusammenfassen: (1) Die Verletzung von Privatgeheimnissen im Amt gemäß § 203 Abs. 2 ist in der Tat wie § 203 Abs. 1 ein echtes Sonderdelikt, auch wenn man an der Zweiteilung der Sonderdelikte festhält 40. (2) Eine Garantenstellung kann aus der Amtsträgereigenschaft abgeleitet werden, aber nicht aus reinen Amtspflichten, sondern 37 38 39 40
Siehe § 9. Siehe § 10 B III. Vgl. Roxin, AT / 1 3 , 5 / 45 ff. Siehe § 11 B I.
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§14 Ergebnisse der Untersuchung
aufgrund der Übernahme der Schutzfunktion, die der Staat dem Amtsträger im Rahmen seines Aufgabenbereichs anvertraut hat 41 . (3) Die Gefangenenbefreiung im Amt gemäß § 120 Abs. 2 ist ein Garantensonderdelikt. Der Strafvollzugbeamte hat im Rahmen seines Aufgabenbereichs die Herrschaft über die Hilflosigkeit der staatlichen Verwahrungsgewalt über Gefangene und ist daher Beschützergarant 42. (4) Der Verwahrungsbruch im Amt ist ein Garantensonderdelikt, weil die Funktionsträger des § 133 Abs. 3 wegen eines Übertragungsakts oder ihrer Näheposition zum geschützten Rechtsgut im Rahmen ihres Aufgabenbereichs die Herrschaft über die Hilflosigkeit des amtlichen Verwahrungsbesitzes und des allgemeinen Vertrauens in die Sicherheit einer solchen Aufbewahrung besitzen und daher Beschützergaranten sind 43 . (5) Die Strafvereitelung im Amt gemäß § 258 a ist ein Garantensonderdelikt. Die Strafrechtspflege ist im Rahmen der jeweiligen Zuständigkeit der Herrschaft der Funktionsträger des § 258 a untergeordnet. Sie sind daher Garanten und machen sich nach § 258 a strafbar, wenn sie pflichtwidrig eine notwendige Verfolgungshandlung unterlassen und deswegen die Bestrafung eines Rechtsbrechers ausbleibt44. (6) Die Körperverletzung im Amt ist ein Garantensonderdelikt, in dem der Gesetzgeber eine Garantenstellung ausdrücklich geregelt hat. Die Polizisten übernehmen eine Schutzfunktion gegenüber dem Bürger. Die Polizeibeamten haben eine Garantenstellung gegenüber der körperlichen Integrität des Bürgers, falls ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. In einer solchen Notlage muss der Polizist einschreiten, um den Verletzungserfolg zu verhindern. Daraus, dass § 340 ein Garantensonderdelikt ist, lässt sich überzeugend die Täterschaftsqualifikation einer für sich allein bloßen Teilnahme durch den Intraneus ableiten, weil die Haupthandlung und die Teilnahme durch den Intraneus in der Unrechtsstruktur der Garantensonderdelikte vom Gesetz gleich behandelt werden 45. (7) Die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes im Amt gemäß § 201 Abs. 1 i.V.m. Abs. 1 und 2 ist ein Garantensonderdelikt. Wegen der Verbrechensbekämpfung oder Strafverfolgung ist der Bürger gezwungen, seine eigene Geheimsphäre gegenüber dem mit dem Abhören beschäftigten Beamten zu öffnen, und ist daher gegenüber dem gerade erwähnten Beamten wehrlos und schutzbedürftig. Der mit dem Abhören beschäftigten Beamte hat deshalb im Rahmen seiner Amtsausführung eine Garantenstellung gegenüber dem Bürger und ist verpflichtet, stillschweigen über die abgehörten Gespräche zu bewahren und den Missbrach der Abhörgeräte zu vermeiden 46. (8) Auch bei den §§ 246 Abs. 2, 217 a. F. und 218 Abs. 3 geht es um Garantensonderdelikte 47.
41 42 43 44 45 46 47
Siehe ?i I I B I I 2 a). Siehe §\ I I B I I 2 b). Siehe §j I I B I I 2 c ) Siehe §\ 11 B II 2 d). Siehe {f 11 B I I 2 e), insbesondere ff). Siehe §i I I B I I 2 f.). Siehe §\ 11 B II 3.
B. Die Fallgruppen der Garantensonderdelikte im Einzelnen
283
VIII. Problem der Anwendung des § 28 im Lichte der Theorie der Garantensonderdelikte Die einzige praktische Bedeutung der Begrenzung der echten oder unechten Sonderdelikte liegt nach der h.M. in der Frage der Anwendung des § 28 Abs. 1 oder Abs. 2: Das Fehlen des besonderen persönlichen Merkmals beim Teilnehmer bei den echten Sonderdelikten führt zu einer Strafmilderung nach § 28 Abs. 1, während der Extraneus bei den unechten Sonderdelikten gemäß § 28 Abs. 2 aus dem Strafrahmen des Gemeindelikts bestraft wird. Obwohl die Theorie der Strafrahmenverschiebung versucht, den Mangel der Lehre von der Tatbestandsverschiebung zu beseitigen, nämlich dass ein extraner Teilnehmer bei den unechten Sonderdelikten nur wegen Anstiftung oder Beihilfe zum Grunddelikt bestraft wird und deshalb äußerlich genauso wie ein Teilnehmer am Grunddelikt behandelt wird 4 8 , bleiben zwei Probleme unlösbar. Das eine ist, dass auch die Theorie der Strafrahmenverschiebung nicht kennzeichnen kann, dass z. B. die Beihilfe zur Körperverletzung eines Beamten viel gravierender als diejenige zur Körperverletzung irgendeines beliebigen Täters ist, weil die Strafe für die beiden Gehilfen ebenfalls dem Strafrahmen des Grunddelikts zu entnehmen ist 4 9 . Beim zweiten Problem handelt es sich um eine unberechtigte Ungleichbehandlung, die sich aus den Strafzumessungsregeln gemäß §§28 Abs. 1 und Abs. 1 bei den Sonderdelikten ergibt 50 . Durch den Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des § 28 kann man feststellen, dass § 28 Abs. 1 nur geschaffen wurde, um die Ungereimtheit, dass der extrane Teilnehmer bei den unechten Sonderdelikten eine Privilegierung erhielt, aber bei den echten Sonderdelikten nicht, zu beseitigen. Aus der Entstehungsgeschichte des § 28 kann man jedenfalls keinen Grund finden, der These zu widersprechen, dass es sich nicht nur bei den echten Sonderdelikten, sondern auch bei den unechten um Fälle handelt, die eigentlich unter § 28 Abs. 1 fallen müssten51. Der richtige Weg ist deshalb, die Vorschrift des § 28 Abs. 1 sowohl auf strafschärfende als auch auf strafbegründende Merkmale anzuwenden, wenn solche Merkmale beim extranen Teilnehmer nicht vorliegen. Dies ist kein Vorschlag de lege ferenda, sondern eine Auslegung de lege lata. Dadurch wird die Abgrenzung von echten und unechten Sonderdelikten bedeutungslos. Dazu muss die Höchststrafe von den §§ 258 a, 340 erhöht werden, damit der Strafrahmen ihrem höheren Unrechtsgehalt im Vergleich zu demjenigen der jeweiligen Grunddelikte entspricht 52.
48 Siehe § 13 A. 49 Siehe § 13 B 1. so Siehe § 13 B 2. 51 Siehe § 13 C. 52 Siehe § 13 D.
284
§ 14 Ergebnisse der Untersuchung
Mit Ausnahme von denjenigen Delikten, die zwar auch Garantensonderdelikte sind, aber solche mit strafmildernder Wirkung (z. B. §§ 217 a. F., 218 Abs. 3), ist § 28 Abs. 1 bei allen in dieser Arbeit als Garantensonderdelikte bezeichneten Delikten für den extranen Teilnehmer anwendbar.
Anhang: Gegenüberstellung des § 100 mit dem § 100 d a.F. und den Reformentwürfen § 100 d a.F. vor 8. StrÄG
§ 388 E1962
§ 100 d SPD-E 1965 (BT-Drs. V/102)
(1) Wer in der Absicht, einen Krieg, ein bewaffnetes Unternehmen oder Zwangsmaßregel gegen die Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder herbeizuführen oder zu fördern, zu einer Regierung, einer Partei, einer anderen Vereinigung oder einer Einrich- tung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes oder zu einer Person, die für eine solche Regierung, Partei, Vereinigung oder Einrichtung tätig ist, Beziehungen aufnimmt oder unterhält, wird mit Zuchthaus bestraft.
(1) Wer zu einer Regierung, einer Partei, einer anderen Vereinigung oder einer Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes oder zu einem ihrer Mittelmänner Beziehungen aufnimmt oder unterhält und dadurch absichtlich oder wissentlich Bestrebungen, die auf einen Krieg oder ein bewaffnetes Unternehmen gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet sind, verfolgt oder sich in ihren Dienst stellt, wird mit Zuchthaus bis zu fünfzehn Jahren bestraft.
Unverändert wie § 100 d Abs. 1 StGB
(2) Handelt der Täter in der Absicht, sonstige Maßnahmen oder Bestrebungen einer Regierung, einer Partei, einer anderen Vereinigung oder einer Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes herbeizuführen oder zu fördern, die darauf gerichtet sind, den Bestand (§ 88 Abs. 1) oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen oder einen der in § 88 bezeichneten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen, außer Geltung zu setzen
(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe lebenslanges Zuchthaus nicht unter fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
§ 100 d Abs. 2, 3 und 4 StGB werden gestrichen.
1.eine besondere Treuepflicht verletzt, die ihm kraft einer verantwortlichen Stellung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland obliegt, oder 2. durch die Tat der Bundesrepublik Deutschland schweren Nachteil zufügt.
286
Anhang
oder zu untergraben, so ist die Strafe Gefängnis. Der Versuch ist strafbar. (3) Wer in der Absicht, eine der in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Maßnahmen oder Bestrebungen herbeizuführen oder zu fördern, unwahre oder gröblich entstellte Behauptungen tatsächlicher Art aufstellt oder verbreitet, wird mit Gefängnis bestraft. Der Versuch ist strafbar.
(3) Sind in den Fällen des Absatzes 1 die Bestrebungen auf Zwangsmaßregeln gegen die Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gerichtet, so ist die Strafe Zuchthaus bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Gefängnis von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
(4) In besonders schweren Fällen des Absatzes 1 kann auf lebenslanges Zuchthaus, in besonders schweren Fällen der Absätze 2 und 3 auf Zuchthaus erkannt werden.
§ 100 a RegE 1966 (BT-Drs. V/898) (1) Wer in der Absicht, einen Krieg oder ein bewaffnetes Unternehmen gegen die Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder herbeizuführen oder zu fördern, zu einer Regierung, einer Partei, einer anderen Vereinigung oder einer Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes oder zu einem ihrer Mittelsmänner Beziehungen aufnimmt oder unterhält, wird mit Zuchthaus bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe lebenslanges Zuchthaus nicht unter fünf Jahren.
AE 1967
§ 100 vom 8. StrÄG 1968 (BGBl. I, S. 746)
gestrichen
(1) Wer als Deutscher, der seine Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes hat, in der Absicht, einen Krieg oder ein bewaffnetes Unternehmen gegen die Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen, zu einer Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes oder zu einem ihrer Mittelsmänner Beziehungen aufnimmt oder unterhält, wird mit Zuchthaus bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe lebenslanges Zuchthaus oder Zuchthaus nicht
Anhang Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. eine besondere Treuepflicht verletzt, die ihm kraft einer verantwortlichen Stellung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland obliegt, oder
287 unter fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall wenn der Täter liegt in der Regel vor, wenn der Täter durch die Tat eine schwere Gefahr für den Bestand der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt.
2. durch die Tat einen schweren Nachteil für die Stellung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber einer fremden Macht herbeiführt. (3) Handelt der Täter in der Absicht, Zwangsmaßregel gegen die Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder herbeizuführen, so ist die Strafe Zuchthaus bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Gefängnis nicht unter sechs Monaten.
(3) In minder schweren Fällen ist die Strafe Gefängnis nicht unter einem Jahr.
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Sachwortregister Amtsdelikt 29, 66 f., 204, 229 f., 233, 265 f. Analogieverbot 54 ff., 71, 79, 144 Aussageerpressung 49, 52, 65 ff., 229 Dreiteilung der Unterlassungsdelikte 26, 125 ff. - begehungsentsprechende Garanten-Unterlassungsdelikte 117 ff. - nichtbegehungsentsprechende AllgemeinUnterlassungsdelikte 129 - nichtbegehungsentsprechende GarantenUnterlassungsdelikte 129, 167,169, 278 Eigenhändige Delikte 75, 112 ff. - echte eigenhändige Delikte 112 ff. - unechte eigenhändige Delikte 112 ff. Entsprechungsklausel 58 ff., 127 exhibitionistische Handlungen 69, 75 Falschbeurkundung im Amt 49,52,59,63 ff. Friedensgefährdende Beziehungen 252 ff. Garantensonderdelikt 25 f., 68, 80 ff., 135 ff. 143 ff., 161 ff., 166 ff., 169, 171, 191, 199 ff., 214 f., 227, 230, 233 ff., 244, 272, 275 ff. Garantenstellung - Garantenstellung der Polizeibeamten gegenüber dem Bürger 241 ff. - Garantenstellung des Amtswalters im Allgemein 236 ff. Garantenpflichtdelikte 69, 275 Garantentheorie 70, 81, 84, 102, 107, 111, 145 f., 156, 167, 213, 215 Geschehensherrschaft 103 f., 109, 275 Herrschaft - aktuelle Herrschaft 89 ff., 93, 97 f., 112, 272 - Begriff 80 ff.
- Herrschaft über den Grund des Erfolges
86 - Herrschaft über die Gefahrenquelle 27, 80 f., 88, 93, 97, 111, 138, 167, 169, 227, 233, 258 f., 272, 279 - Herrschaft über die Hilflosigkeit des Opfers 27, 81 f., 89, 101 f., 191, 230, 275, 279 - Herrschaftsdelikte 26, 29, 36, 42, 44, 47, 49, 54 f., 58 f., 72, 75 f., 80 f., 84, 104, 109, 112, 115, 277 - Obhutsherrschaft 69, 92, 106, 185, 187, 190, 199 - potenzielle Herrschaft 88, 97 hinreichende Begehungsähnlichkeit 50, 69, 89, 119, 123 ff., 128 f., 277 Ingerenz 62, 75 f., 89, 97 ff. Insolvenzverfahrens Verschleppung 148, 151, 166 institutionelle Zuständigkeit - Begriff 72 ff. - Kritik 77 ff. Kontrollherrschaft 69, 90, 94, 97 Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten 26, 192 ff., 279 f. mittelbare Täterschaft 32, 37, 40 ff., 48, 50 ff., 70 f., 74, 79, 86, 110, 113, 121, 168 f., 195, 200 f., 215 f., 220 ff., 245, 248, 275 Normverletzung 74, 76 f. Organisationszuständigkeit - Begriff 72 ff. - Kritik 76 Organisationsdelikte 76, 80, 84 ff.
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Sachwortregister
Personengefährdung durch Bauarbeiten 218 ff. Pflichtdelikte - Begriff 5 ff. - Einwände 15 ff. - verkappte Pflichtdelikte 36 - positive Würdigung der Pflichtdeliktslehre 14 ff. - Weiterentwicklung 72 ff. Pflichtdeliktslehre, siehe Pflichtdelikte Pflichttheorie 25, 31, 62, 70, 77, 87, 106, 109, 111, 143 f., 146, 148, 153, 167 f., 191, 209, 213, 225, 235, 274, 279 ff. Pflichtübernahme 51 Problematik des qualifikationslosen dolosen Werkzeugs 52, 56 f., 110, 213, 215 Produkthaftung 93, 100 f. Repräsentantenhaftung siehe Vertreterhaftung Schiffsgefährdung durch Bannware 257 ff. Schutzherrschaft 69, 82, 103 f. Sicherungsherrschaft 69 Sonderdelikte - echte Sonderdelikte 143, 152, 230 - im engeren Sinn/im weiteren Sinn 74 - schlichte (= bloße) Sonderdelikte 27, 70, 110 ff., 252 ff., 272, 276 - unechte Sonderdelikte 227 ff. Steuerungsherrschaft 69, 95
Tatherrschaft 25 ff., 68 f., 79, 81, 84, 90, 93 f., 103 f., 108 ff., 213, 215 f., 247, 250 Übernahme der Schutzfunktion 63, 232 ff., 282 Unterlassen der Verlustanzeige 148 Unterlassungsdelikte - echte Unterlassungsdelikte 26, 117 ff. - unechte Unterlassungsdelikte 35, 73, 117, 120, 123 f. Unterlassungsprobe 53 f., Untreue als Pflichtdelikt 26, 35, 39, 41, 43, 46 ff., 52,79,125,141, 151 f., 166, 172 ff. Vereiteln der Zwangsvollstreckung 27, 75, 211 ff. Verletzung - Verletzung der Unterhaltspflicht 131 ff., - Verletzung außerstrafrechtlicher Sonderpflichten 30,46, 274 - Verletzung der tatbestandsspezifischen Pflichten 30 ff., 46 f., 109, 213, 275 - Verletzung der täterschaftsbegründenden Pflichten 31 - Verletzung von Privatgeheimnissen 27, 174, 203 ff., 229 f., 280 f. Vertreterhaftung 70, 83, 105 ff., 145, 156, 169 Viktimodogmatik 26, 191, 199, 206 ff., 247, 259 Vorenthalten und Vertreuen von Arbeitsentgelt 139 ff. Zufallsprinzip 205