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German Pages 307 [329] Year 2018
Manfred Frank
»Reduplikative Identität« Der Schlüssel zu Schellings reifer Philosophie
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Schellingiana frommann-holzboog
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Schellingiana Quellen und Abhandlungen zur Philosophie F.W. J. Schellings Herausgegeben von Walter E. Ehrhardt und Jochem Hennigfeld im Auftrag der Internationalen Schelling-Gesellschaft
Band 28
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Manfred Frank
»Reduplikative Identität« Der Schlüssel zu Schellings reifer Philosophie
frommann-holzboog
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Das handschriftliche Original des Vierzeilers auf Seite 1 Ich bin der ich war. Ich bin der ich sein werde. Ich war der ich sein werde. Ich werde sein der ich bin aus dem Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Archiv-Sign.: NL Schelling, 86, S. 20
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-7728-2841-6 eISBN 978-3-7728-3210-9
© frommann-holzboog Verlag e.K. · Eckhart Holzboog Stuttgart-Bad Cannstatt 2018 www.frommann-holzboog.de Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Gesamtherstellung: Laupp & Göbel, Gomaringen Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier
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„Was ist aber der Idealismus? Ein Pferdescheuer Schrecken vor dem Materialismus.“ Friedrich Christoph Oetinger (Die Lehrtafel der Prinzessin Antonia, 1977b, Teil 1, 136)
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Inhalt Vorwort .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. IX I. TEI L – Fünf Voraussetzungen der Natur-Geist-Identität in
Schellings philosophischen Anfängen .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 001 01. Anregungen aus Reinholds Verfahren bei der
Deduktion der Kategorien (1789). Die Abhängigkeit der Analysis von der Synthesis und der darauf begründete Vorrang der dritten Kategorie jeder Klasse .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 008 02. Zum Koinón des Timaeus: der ‚Geist‘ als
selbstaffirmativer Organismus .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 019 0 3. Schellings Platonismus ist nachhaltig geprägt 0
durch Oetinger und Hahn .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 029 4. Die Bedeutung der Kategorie Gemeinschaft,
0
der Schritt über Kants ‚Als-ob‘-Restriktion hinaus und der „Grundsatz aller Grundsätze “.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 042 5. Ein Vorblick auf die fortwirkende Sonderstellung
0
von ‚Gemeinschaft‘ in Schellings spätesten Vorlesungen: das Vorbild von Kants ‚Ideal der Vernunft‘ .. .. .. .. .. .. .. 060 6. Eine letzte Quelle der „Urform“ alles Wissens: Schelling
auf den Spuren von Diez und die subjektzentrische Umbildung der Reinhold’schen Vorstellungs-Theorie .. .. .. 065 II. TEI L – Unterwegs zum „absoluten Identitätssystem“ .. .. .. 091 07. ‚Absolut‘-‚relativ‘ .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 091
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08. Exkurs: Das „Subjektiviren“ des Absoluten oder die verkehrte Stellung der mentalen Repräsentation zum ‚eigentlich Seienden‘.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 098 0 9. Identität und Differenz: Leibniz und Hume .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 104 10. Schon die Wolff-Schule kannte eine differenzsensitive
Form der Identität .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 110 11. System und All-Einheit .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 115 12. Das Absolute ist ‚Affirmierendes und Affirmiertes
von sich selbst‘.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 118 13. Eine Zwischenbetrachtung: ‚Subjekt-Objekt‘ oder
‚Subjekt-Prädikat‘? .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 122 14. In der Binarität der ‚Form‘ steckt der Keim der
Selbstentfremdung des Absoluten .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 127 15. Das Begriffswörtchen ‚als‘ zeigt auf die Sollbruch-
stelle der absoluten Identität .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 143 16. Gängige Urteilslehren an der Nürtinger
Lateinschule und im Tübinger Stift .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. 154 17. Ein genauerer Blick auf Ploucquets
Identitätstheorie des Urteils .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 165 18. Umfangsgleichheit und Bedeutungsverschiedenheit der
Urprädikate. Weisen der Identität und die Schwächung des Satzes vom Widerspruch .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 172 19. Exkurs: Parallelen zu Ploucquet finden sich noch
in Schellings schwacher Unterscheidung von Kontradiktion und Kontrarietät in den späten Vorlesungen zur „reinrationalen Philosophie“.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 180
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20. Noch einmal Ploucquet: Im Urteil koinzidiert die ‚Form‘
mit dem ‚Wesen‘. Sie muss als „Selbstoffenbarung (manifestatio sui)“ desselben verstanden werden .. .. .. .. 186 21. Prädikation (‚relative Setzung‘) verstanden als ‚Mindersein‘
einer ‚absoluten Setzung‘: Urteilslogische Konsequenzen aus Kants These übers Sein .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 196 22. ‚Reduplicatio‘: Der entscheidende Anstoß durch Leibniz, Wolff und die ‚ältere Logik‘ .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 212 23. Parallelen zur Theorie der ‚relativen Identität‘ und
zum ‚anomalen Monismus‘ .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 219 24. Ein Ausblick auf Schellings späte Ontologie .. .. .. .. .. .. 236 III. Zusammenfassung: Der Gang der Argumentation .. .. .. .. .. 245
Siglen .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 271 Bibliographie .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 273 Namenregister .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 303
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Vorwort Ohne auf den Titel eines Schelling-Spezialisten Anspruch zu erheben, haben mich Schellings Gedanken mein ganzes intellektuelles Leben begleitet: Gleich nach der Doktorarbeit über Das Problem ,Zeit‘ in der deutschen Romantik (1972), in der Schellings ZeitTheorie eine Rolle spielt, schrieb ich Der Unendliche Mangel an Sein (1975). Die Abhandlung breitet des späten Schellings Gründe für die Unhaltbarkeit eines erkenntnistheoretischen und ontologischen Idealismus aus. Vor allem zeigt sie, wie Schelling sich gegen Hegels Konkurrenzunternehmen wendet und damit den Denkweg Feuerbachs und des frühen Marx bahnt. Ein drittes Mal, in Der Kommende Gott (1982), wurde mir Schellings Idee einer ,Neuen Mythologie‘ aus seiner Jenaer und Würzburger Zeit wichtig. Kondensiert sich doch in dieser Utopie die Pathologie der Moderne, die das In-eins von politischer Partizipation, religiöser Kultfeier (d. h. normativer Lebens- und Gesellschafts-Rechtfertigung) und Dichtung auf höchstem Niveau, wie es die griechische Tragödie einmal hatte verkörpern können, als ein unwiederherstellbares Ideal verloren geben muss. Wenig später – an meinem 40. Geburtstag – überredete mich der Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld in Genf zu einer populären Einführung in Schellings Philosophie (1985), die einen Teilnachdruck seiner Schriften (1985) interpretierend begleiten und das chronologische Widerlager zu meiner Arbeit über Schellings Spätwerk errichten sollte – denn sie berichtet nur über den Denkweg bis 1801. Ich bin noch zweimal auf Schelling zurückgekommen: 1989 in meiner Einführung in die frühromantische Ästhetik, die den großen frühromantischen Gedanken nachvollzieht, dass die Kunst ex negativo leistet, woran die philosophische (und die wissenschaftliche) Reflexion scheitert. Und 2007, in den Texten 13 und 14 der Auswege aus dem Deutschen Idealismus, komme ich
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VORWORT
erstmals auf Schellings Identitätstheorie der Prädikation und den Gedanken der ,reduplicatio‘ zu sprechen. Dicht vor meinem Ausscheiden aus dem universitären Dienst baten mich die Studierenden, Ihnen doch einmal eine Vorlesung über Schelling zu halten – was ich in meinem akademischen Leben (mit einer Genfer Ausnahme) nie getan hatte. Ich willigte ein unter der Bedingung, meine neuesten, nicht sonderlich populären Einsichten zur mittleren Phase Schellings, der sogenannten Identitätsphilosophie, vortragen und mich auch dabei ganz auf den Zusammenhang dreier Begriffe, den der Identität, des Urteils und der Existenz, konzentrieren zu dürfen. Aus einem Semester wurden zwei (2008/09). Ein junger italienischer Kollege, Emilio Corriero, übersetzte die Vorlesung, deren zweiten Teil er besucht hat, in einer (von ihm) gekürzten Fassung ins Italienische (Frank 2010). Was ich hier vorlege, ist aber nicht die alte, gekürzt ins Italienische übertragene Vorlesung, sondern eine völlige Neubearbeitung – wenige Teile des Schlusses ausgenommen. Ich bin am System Schellings als solchem uninteressiert – das ist mit dem Autor untergegangen. Aber seine scharfsinnig und klar vorgetragenen Gedanken zu einzelnen Sachproblemen, zumal seine tief eindringenden und analytisch erhellenden Kommentare zu antiken Autoren, zu Descartes, Spinoza, Leibniz, Kant, Fichte oder Hegel haben überdauert. Auch die Gedanken, die in der vorliegenden Abhandlung zur Diskussion kommen, sind solche, die nicht mit der Wahrheit ,seines Systems der Philosophie‘ stehen und fallen, wie er sein erstes Hauptwerk ebenso überstürzt wie naseweis nannte. Mir geht es um die Einsichten, die er in wiederholten Anläufen, mit immer tiefer eindringendem Sachverstand, erheblichem Scharfsinn und nie nachlassender intellektueller Neugier dem Problem der Natur-Geist-Identität abgerungen hat. Damit schreibe ich, rein historisch betrachtet, die Einführung in Schellings Philosophie (1985) fort, mit der ich wegen ihrer problemverharmlosenden Popularität nicht zufrieden war. Mir war erst in
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VORWORT
der Zwischenzeit der Sinn von Schellings dunkler Formel von der Identität der Natur und des Geistes als eines ,reduplikativen‘ Verhältnisses aufgegangen. Ich konnte nun erklären, warum es sich hier um eine Identität handelt, die einen Unterschied in sich einschließt, um den sich die übergreifende Identität gleichsam verdoppelt. Ich verstand nun auch, dass nicht Hegel, sondern Schelling Urheber des berühmten, stets mit Hegels Namen verbundenen Gedankens (wenn nicht der Formel) der ,Identität der Identität und der Differenz‘ ist. Ich glaube, einer analytisch präzisen Erklärung dieser Formel ohne falschen Tiefsinn und spekulativen Zungenschlag nahezukommen. Das war nur möglich durch Aufmerksamkeit auf kleinste Andeutungen, die Schelling – von der Forschung übersehen, missachtet oder missdeutet – auf wesentliche Anregungen seines Denkens gibt: die Inversion der kantischen Kategorientafel, zentral die der ,Relation‘, so dass ,Wechselwirkung‘ zur Grundsatz-Kandidatin aufsteigt; die Identifikation des ,Bandes‘, des desmós, aus Platons Timaios mit der kantischen Organismusformel ,von sich selbst zugleich Ursache und Wirkung‘; schließlich die Aufklärung des dunklen Zusammenhangs, den Schelling zwischen den Ausdrücken ,Identität‘, ,Satz-Form‘ und ,Sein‘ entdeckt. Den Kern der folgenden Überlegungen bildet die Auswertung zweier entscheidender Anregungen, die Schellings „absolutes Identitätssystem“ erfahren hat: die Wirkung des Tübinger Stift-Logikers und Metaphysikers Gottfried Ploucquet sowie der Reduplikationstheorie der Leibnizianer. Schelling ist ein Denker, der stark auf Denkanstöße Fremder reagiert – und diese besonders gern herunterspielt oder unkenntlich macht. Auf sie muss achten, wer ihn selbst stark und originell erleben will. Von Ploucquet übernimmt Schelling (wie andere Stiftler) die Auffassung, dass Urteile – unter gewissen Auflagen – als Subjekt-Prädikat-Identifikationen analysiert werden können, womit er sich de facto stark von Kants Subsumtionsauffassung der Prädikation absondert, ohne das ausdrücklich zu vermerken. Von den Leibnizianern lässt er sich belehren,
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VORWORT
dass Identität für eine Art von Differenz der Identifizierten aufgeschlossen werden muss, ohne die ihre Identifikation zur gehaltlosen (tautologischen) ,Einerleiheit‘ verkümmern würde. Beide Anregungen sind, soviel mir bekannt ist, nie wirklich aufgedeckt, geschweige denn in hinreichender Ausführlichkeit untersucht und interpretiert worden. Dabei hoffe ich, nicht nur eine historische Arbeit im Geiste der ,Konstellationsforschung‘ vorzulegen. Ich glaube, dass Schelling – mit den beschränkten (logischen) Mitteln seiner Zeit – über die Lösung eines Sachproblems nachgedacht hat, und zwar auf so ingeniöse und zuweilen überraschende Weise, dass zeitgenössische analytische Leib-Seele-Identitätstheorien gut daran täten, sie nicht hochmütig zu ignorieren. Mit ihnen suche ich jedenfalls den Blickwechsel. Ich habe meine Abhandlung in zwei Teile gegliedert. Den Kerngedanken des II. Teils habe ich eben skizziert. Der I. Teil blickt auf das Werden des identitätsphilosophischen Grundgedankens in Schellings frühesten, eigentlich philosophischen Schriften des Jahres 1794 zurück: den Timaeus-Kommentar und die so genannte Formschrift. Tatsächlich ist in den Aufzeichnungen des Frühjahrs und des Sommers 1794 die ,Keimidee‘ von Schellings reifer Philosophie schon erkennbar für den, dem die Augen dafür geöffnet sind. Sie wird aber nicht verständlich ohne den Verweis auf allerlei Anregungen, darunter die frühe Lektüre Oetingers und Hahns, des Timaios und Philebos (nach der Zweibrücker Platon-Ausgabe), der Elementarphilosophie Reinholds und der Zweifel des Aenesidemus, einer gründlichen Auseinandersetzung mit Kants Kategoriendeduktion nach der Zweitauflage der Kritik der reinen Vernunft und vor allem des teleologischen Teils der Kritik der Urteilskraft, der ReinholdKritik seines Tübinger Stift-Lehrers Diez, die schließlich, wie Schelling sagt, nur noch „bekräftigt“ werden mussten durch Fichtes Aenesidemus-Rezension (vom Februar 1794) und seine Programmschrift Über den Begriff der Wissenschaftslehre vom Mai 1794. Darum beginne ich den I. Teil meines Büchleins mit einer Skizze der
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VORWORT
Traditionslinien, die in der Formschrift zusammenfinden und die Schelling seit 1800/01 in den Gedanken einer differenzsensitiven Identität entfaltet. Mit der Wissenschaftslehre selbst, die Fichte ja wöchentlich in Bögen an seine Hörer verteilte, wurde Schelling höchstwahrscheinlich erst nach Abschluss der Formschrift bekannt. Den Schluss (III.) bildet eine Zusammenfassung des gesamten Argumentationsgangs. Sie gibt einen gedrängten Abriss des Schelling’schen Grundgedankens, der ausdrücklich so abgefasst ist, dass er auch für sich gelesen werden kann. Auf die Bedeutung des Timaeus-Kommentars für Schellings gesamtes Denken hat mich zuerst Claudia Bickmann gestoßen. Sie schenkte mir – lange vor der Publikation – eine Kopie der Handschrift. Der viel zu früh Verstorbenen ist dieses Buch gewidmet. Manfred Frank, Bielefeld im August 2017
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I . T E I L – Fünf Voraussetzungen der Natur-Geist-Identität in Schellings philosophischen Anfängen Einem bekannten Diktum zufolge habe jeder bedeutende Denker einen und nur einen (wesentlichen) Gedanken gefasst und in seinem Gesamtwerk lediglich ausgeführt. Die Fruchtbarkeit dieses Grundgedankens habe sich eben in der Vielfalt der Anwendungen bewährt, deren er sich fähig zeigte. Schelling wurde aus nachvollziehbaren Gründen der ,Proteus der Philosophie‘ genannt. In der Abfolge seiner philosophischen Aufzeichnungen ist der Grundgedanke so heftigen Pendelausschlägen und Verwandlungen ausgesetzt, dass er unkenntlich zu werden droht. Dennoch, scheint mir, lässt er sich klar bezeichnen. In einer Vorlesung über „Die Philosophie des deutschen Idealismus“ vom Wintersemester 1965/66 hat Dieter Henrich das wie folgt versucht. Fichte, Schelling und Hegel seien gemeinsam der Grundüberzeugung gewesen, im selbstbewussten Ich sei ein Unbedingtes zu denken. Fichte habe den Akzent auf das Ich als den Ort dieses Gedankens gesetzt, Hegel auf den Anspruch, das Unbedingte im Ich in Gedanken zu erfassen. Schelling aber habe dem Satz diese Wendung gegeben: „Das Unbedingte im Ich ist als ein solches zu denken.“ Seine zweite eigentlich philosophische Publikation heißt denn auch Vom Ich als Prinzip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen. Der Titel ist noch zweideutig, denn er lässt sich als durchaus Fichte’sch fassen: Das Unbedingte wird im menschlichen Wissen Ereignis. Aber Schelling unterscheidet, was er ,Ich‘ nennt, anders als Fichte und gemeinsam mit Hölderlin (1795/96), vom ,Selbstbewusstsein‘. Schon in der Formschrift vom Sommer 1794 macht der 19-Jährige „das Unbedingte […] u n a b h ä n g i g vom Bewußt-
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I. TEIL: FRÜHE VORAUSSETZUNGEN (1794)
seyn“ (SW I/1, 100). Das so genannte „absolute Ich“ – das eben wegen seiner Absolutheit nicht ,Ich‘ heißen sollte1 – ist aus der Position der ihrer selbst explizit bewussten Person nicht erkennbar, ja „S e l b s t b e w u ß t s e y n setzt die Gefahr voraus, sein Ich zu verlieren“, das sich allerdings einer intellektualen Anschauung enthülle (SW I/1, 180 f.).2 Das veranlasste Johann Benjamin Erhard in einer einflussreichen Rezension der Ich-Schrift zu der höhnischen Feststellung, er sei sich eines absoluten Ichs im Selbstbewusstsein nicht bewusst, verfüge auch nicht über die intellektuale Anschauung einiger indischer Sekten, die nach dem großen Nichts schmachten, und halte beide Ausdrücke für selbstwidersprüchlich (Erhard 1796, l. c., 90 f.).3 Indes: Schelling wird sich den Fängen von Erhards Einwand schon 1795 in seinen Philosophischen Briefen über Dogmatismus und Kriticismus listig entwinden und in scheinbar kräftiger Formulierung feststellen: „Kein Satz kann seiner Natur nach g r u n d l o s e r seyn, als der, der ein Absolutes im menschlichen Wissen be1 Und eben darum konsequenterweise von Hölderlin in Urtheil und Seyn auch nicht so genannt wird: „Wenn ich sage: Ich bin Ich, so ist das Subject (Ich) und das Object (Ich) nicht so vereiniget, daß gar keine Trennung vorgenommen werden kann, ohne das Wesen desjenigen, was getrennt werden soll, zu verlezen; im Gegenteil, das Ich ist nur durch diese Trennung des Ichs vom Ich möglich“ (Hölderlin 1991, 156, Z. 8 – 11). Zwar lässt Hölderlin, wie Schelling, der fugenlosen Einheit des „Seyns“ eine „intellectuale Anschauung“ entsprechen (Z. 7); die aber scheint, wie bei Schelling, kein epistemischer Zustand eines selbstbewussten Wesens zu sein. Vgl. Henrich 2004, 1586 f. Auch Fichte habe in der Begriffsschrift das ,absolute Ich‘ noch von unseren Gedanken darüber abgelöst (GA I.2, 148 f. = Fichte 1971, I, 70 ff.). 2 So auch Hölderlin in Urtheil und Seyn (Hölderlin 1991, 156, Z. 20). 3 Ähnliche Reserve hatte schon Hölderlins Brief an Hegel vom 26. Jan. 1795 gezeigt (Mat. 124, 2. Abschn.). Bitterer musste Fichte die Bemerkung seines vertrauten Schulfreundes Friedrich August Weißhuhn aufstoßen, der in einer Rezension von Fichtes Begriffsschrift (ausgerechnet in Carl Christian Erhard Schmids Journal) beklagte, „als Einer aus dem Volke“ eines absoluten Ichs sich nicht bewusst zu sein. Allgemein bedauert er, dass „meinen natürlichen Augen da Dinge gezeigt werden, die sie nicht fassen und von welchen […] der natürliche Verstand nichts begreift“ (Weißhuhn 1794, 157).
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I. TEIL: FRÜHE VORAUSSETZUNGEN (1794)
hauptet“ (SW I/1, 308).4 Schellings Pointe ist freilich (einmal mehr), dass das Absolute nicht an der Bedingung eines menschlichen Wissens hänge. Noch die Abhandlungen zur Erläuterung des Idealismus der Wissenschaftslehre (1796/97) kommen zu dem Schluss, dass wir die Grenzen des Bewusstseins (und damit der Transzendentalphilosophie) hinter uns lassen müssen, wenn wir „die Nothwendigkeit eines philosophischen Princips“ anerkennen, aus dem Bewusstsein erst hervorgehe. Das „G e i s t i g e im Menschen“ sei nicht das ihm Bewusste, also keine Reinhold’sche ,Tatsache des Bewusstseins‘; es sei vielmehr „dasjenige, was j e n s e i t s des Bewußtseyns liegt“ (SW I/1, 442 f.). Tatsächlich war dies schon die Position der Formschrift. In einer Anmerkung (I/1, 92) stellt der jugendliche Verfasser fest, dass, wenn es überhaupt eine „Urwissenschaft“ geben solle, diese sich nicht in Abhängigkeit von einem „menschlichen Wissen“ begeben dürfe. „Das Absolute kann nur für das Absolute gegeben seyn.“ Damit stand Schelling von Beginn an auf der Kippe eines Denkens, das berechtigterweise ,idealistisch‘ heißen darf und dem er von der Philosophiegeschichte doch immer zugeschlagen wurde. Denn unter ,Idealismus‘ versteht man die Überzeugung, die Wirk-
4 Zwar fährt Schelling so fort: Ein evidenter Grundsatz sei eben ein solcher, der aus sich selbst einleuchtet, also keines weiteren Grundes bedarf, den ein endliches Bewusstsein liefern könnte. Aber damit ist die Position des Dogmatikers bezeichnet, der sich über das begründungspflichtige (endliche) Denken hinwegsetzt. Die erste Berliner Vorlesung (1841/42) kommt auf diesen Passus zurück, deutet ihn nun als Ausdruck der Transzendenz des Seins gegenüber dem Bewusstsein (Schelling 1993, 159 ff.) und gibt an, schon an dieser Stelle seiner Philosophischen Briefe über Dogmatismus und Kriticismus (1795 [SW I/1, 303]) behauptet zu haben, „daß, dem Kritizismus gegenüber auch ein mächtigerer, herrlicherer Dogmatismus sich erhebe; und das war nichts Anderes als die positive Philosophie. So lange Zeit schreibt sich bei mir die Ahnung einer positiven Philosophie her“ (Schelling 1993, 137).
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I. TEIL: FRÜHE VORAUSSETZUNGEN (1794)
lichkeit lasse sich auf Tatsachen des Bewusstseins5 reduzieren – gemäß der (frei übersetzten) Berkeley’schen Devise: „Sein heißt: vom Bewusstsein erfasst werden“ (Berkeley 1980, 77 f. = Part I, § 1 f.). Aber nicht nur für die Einheit in Schellings Denken mache ich mich im Folgenden stark. Ich glaube, dass Schelling seinen einen Gedanken schon in seiner (bereits erwähnten) ersten spezifisch philosophischen Publikation umkreist. Sie trägt den Titel Ueber die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt und ist im September 1794 erschienen (die Nachschrift ist von Schelling selbst auf den „9. September 1794“ datiert).6 5 Ich darf in diesem Kontext den bedeutenden Unterschied zwischen ,Denken‘ und ,Bewusstsein‘ vernachlässigen. Er wird im sogenannten deutschen Idealismus oft, ja meist ignoriert. 6 Mit Post vom 26. September 1794 hat Schelling die Schrift an Fichte verschickt. Das beigefügte Schreiben betont, genau wie der Vorspann zur Formschrift, dass Fichtes Publikationen Schellings philosophischen Erstling nur „zum Theil“ und nur mit „veranlaßt“ haben (GA III.2, 201; Schelling 1968, 57). Die Formschrift beginnt mit den Worten: „Die Gedanken, welche in gegenwärtiger Abhandlung ausgeführt sind, wurden, nachdem sie der Verfasser einige Zeit schon mit sich herumgetragen hatte, durch die neuesten Erscheinungen in der philosophischen Welt, auf’s neue in ihm rege gemacht“ (SW I/1, 87; HKA I.1, 265). Schellings Sohn behauptet in seinem kurzen Abriss der Jugendbiographie seines Vaters ohne weiteren Beleg, Schelling habe seinen Erstling „im Anschluß [… auch] an die ersten Bogen der Wissenschaftslehre“ verfasst (Plitt I, 54; auf S. 58 wiederholt er, Schelling habe im Sommer 1794 „nur die ersten Bogen derselben […] benutzt“). Die ganze Schrift sei ja erst zur Ostermesse 1795 auf den Markt gekommen. Was einen möglichen Überbringer der ersten Bögen der Grundlage betrifft, hat Henrichs Edition der Briefe Carl Immanuel Diezens an Süßkind und Niethammer eine neue Quelle aufgetan: Im Brief an Niethammer vom 25. und 27. Juli 1794 (aus Würzburg, auf dem Weg nach Tübingen) schreibt Diez, der Fichtes Kolleg in Jena nicht mehr erlebt hat: „Was Du mir von Fichte schriebst, war mir, so wenig es auch war, angenehm. Ich erwarte, daß Du mir sein Programm [die Begriffsschrift] und sein Kompendium [die Grundlage] nach Tübingen schickst“ (Henrich 1997, 328; vgl. Kommentar 739 f.). Das wird Niethammer sicher getan haben. Aber weitere Auskunft besitzen wir nicht, obwohl auch der editorische Bericht der Akademie-Ausgabe sicher davon ausgeht, dass Schelling lediglich die Begriffsschrift vor der Niederschrift der Formschrift kannte (HKA I.1, 250 – 252). Gegen eine Lektüre der ersten Bögen der Grundlage während der
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I. TEIL: FRÜHE VORAUSSETZUNGEN (1794)
Er scheint sie „frühestens Mitte bis Ende Mai“ 1794 begonnen zu haben (HKA I.1, 250 – 252). Unmittelbar zuvor, nämlich zwischen Januar und Mai, hatte Schelling – damals noch Student im Tübinger Stift und nur zum Zwecke der Selbstverständigung, nicht zur Publikation – an einem Kommentar zu Platons Timaios und Philebos gearbeitet, dessen Transkription erst 1994 unter dem Titel „Timaeus.“ (1794) im Druck erschienen ist. Inzwischen hat ihn der 5. Nachlassband der HKA in der Version und mit den Anmerkungen des ersten Herausgebers reproduziert (HKA II.5, 143 – 196).7 Der Text hatte sich im Nachlass unter Schellings Studienheften (Nr. 7) gefunden. Der Einbanddeckel trug den (wahrscheinlich nicht von Schelling stammenden und viel ausgreifenderen) Titel Ueber den Geist der Platonischen Philosophie (Buchner in: Schelling 1994, 3; diese Aufzeichnungen finden sich inzwischen ebenfalls in HKA II.5, 125 – 142). Der enge Zusammenhang zwischen diesen Schriften ist in drei neueren Publikationen betont, aber von keiner ausgeschöpft worden (Franz 1996, Kap. 6 und 7; Henrich 2004, Kap. XXVI; Matthews 2011, Kap. 4 und 5). Zwar betont der Herausgeber des „Timaeus.“ (1794), Hartmut Buchner, ebenso wie Michael Franz, dass die „Form der Platonischen Philosophie“ schon ein Augenmerk von Papieren bildet, die dem eigentlichen Timaios-Kommentar in der Kladde vorArbeit an der Formschrift spricht Schellings Mitteilung im zitierten Brief an Hegel, Fichte habe ihm diese ersten Bögen der Grundlage „nun“ selbst geschickt. Er finde seine „Prophezeiungen“ durch die Lektüre bestätigt (Plitt I, 73 f.). Das klingt nicht so, als habe Schelling sie schon früher gekannt. Dazu passt sein späterer Brief an Niethammer vom 22. Januar 1796, worin er angibt, den praktischen (dritten) Teil der Wissenschaftslehre noch gar nicht gelesen, ja, „bisher nicht Zeit genug gehabt [zu] habe[n], diß Werk eigentlich zu studiren“ (Fuhrmans I, 60; HKA I.1, 252). Aus eben diesem Grunde nimmt er Niethammers Angebot einer Rezension der Grundlage freudig an. 7 Darum zitiere ich den Text nach dem Erstdruck (Schelling 1994) und unter Benutzung des instruktiven editorischen Berichts durch Hartmut Buchner, der dem Nachdruck in HKA II.5 fehlt.
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ausgehen (Buchner in: Schelling 1994, 16 f.; Franz 1996, 222 ff.).8 Worin diese Konvergenz besteht, ist aber nur von Bruce Matthews näher angegeben worden. Nicht nur spürt er Gedanken zur „Urform“ der Philosophie schon im Timaeus auf, sondern er zeigt vor allem, dass Schellings Blick auf den Timaios (und den Philebos) beeinflusst war durch eine frühe Prägung durch Oetinger und Hahn (Matthews 2011, Kap. 2, 4 und 5). Dafür spielt Diez bei Matthews keinerlei Rolle; er figuriert nicht einmal im „Index“ seines Buches. Henrichs weit ausholende Studie macht, ohne die Bedeutung der platonischen Komponente zu leugnen (Henrich 2004, 1554 f., bes. 1662 – 1664),9 vor allem sichtbar, was Schelling viel zu knapp andeutet: „die Gedanken“, die er vor der Bekanntschaft mit Fichtes Publikationen von 1794 – der Aenesidemus-Rezension und der Begriffsschrift – „mit sich herumgetragen hatte“ (SW I/1, 87; HKA I.1, 265). Und das können nur diejenigen sein, die „aus den Tübinger Stiftsstuben hervorging[en]“ und maßgeblich durch Immanuel Carl Diez’ Kritik an den Gebrechen von Reinholds Fundament der Philosophie angeregt worden waren (Henrich 2004, 1576). Die Bedeutung dieser auf Diez’ Reinhold-Kritik verweisenden Spur werde ich kurz in Erinnerung 8 Es handelt sich um einen Entwurf mit vielen Leerseiten, zuerst gedruckt in Franz (1996, 306 – 319) und seit kurzem zugänglich auch in: HKA II.5, 125/133 – 142. Er benennt nur mit Mühe als ,formal‘ zu charakterisierende Aspekte der platonischen Dialoge (nämlich ,dialogische Form‘, ,maieutische Methode‘, ,Platons Mythen‘, sein ,eigentümlicher philosophisch-ästhetischer Charakter‘, ,Charakter des Sokrates‘, sein ,Daimonion‘, sowie einige philologische und exegetische Quisquilien). Den Mythos der Totenrichter hat Schelling vollständig übersetzt und Referenzen notiert auf Werkstellen und Sekundärliteratur wie Diogenes Laertius, dessen Platon betreffendes Buch im ersten Band der Zweibrücker Ausgabe mitabgedruckt war (Platon 1781, III–LX) und Dietrich Tiedemann, dessen Dialogorum Platonis Argumenta den 12. Band der Zweibrücker Platon-Ausgabe füllten (1786). 9 Henrich kommt zu dem abschätzigen und von Matthews (2011) angefochtenen Urteil, diese Aufzeichnungen lieferten „nur eine ferne und dunkle Spiegelung des Standes von Schellings philosophischem Problembewußtsein“ (Henrich 2004, 1664). Henrich zeigt in der Tat wenig Interesse an einer Aufklärung der Motive von Schellings Inversion der kantischen Relationskategorien.
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bringen,10 da sie nie gehörig in den Anregungszusammenhang eingebracht worden ist, der Schellings früheste Philosophie angestoßen hat. Mir geht es einleitend also zunächst darum, das durch die Schwabenväter vermittelte platonische Erbe mit den – unter Diezens Einfluss – im Tübinger Stift vor Niederschrift der Formschrift gebildeten und durch Fichtes Aenesidemus-Rezension und die Begriffsschrift, wie Schelling schreibt: nur „bestärkten“ früheren Überzeugungen zu einem Zusammenklang zu führen (SW I/1, 88; HKA I.1, 266).11 Dabei erschließt sich neben Schellings erstaunlicher Kenntnis der kantischen Naturteleologie (nach der dritten Kritik) und seiner Hochschätzung von Reinholds Umbildung der kantischen Kategorien-Deduktion (nach der B-Auflage [SW I/1, 110, Anm. 1]) eine weitere wichtige Referenz (SW I/1, 241 mit Anm. 2).12 Auf diese letztere möchte ich allem Weiteren zuvor eingehen. Ich komme so zur Fünfzahl von Voraussetzungen des Schelling’schen Frühwerks: 1. Platons Timaios und Philebos, 2. der kantische Organismus-Gedanke und seine Inversion der Relationskategorie in der B-Auflage der KrV, 3. der Platonismus Oetingers und Hahns, 4. der Einfluss von Diezens subjektzentrischer Umbildung 10 ,Kurz‘, weil Henrichs monumentaler Studie sachlich nichts hinzuzufügen ist. Mir geht es nur um den erwähnten Zusammenhang, der auch bei Henrich nicht vollständig zur Darstellung kommt. 11 Ich zitiere aus Schellings Formschrift nach den Sämmtlichen Werken (SW mit Angabe der Abteilung, des Bandes und der Seitenzahl: I/1, 87 – 112), gleiche aber den Text mit dem der kritischen Ausgabe (HKA I.1, 265 – 300) ab, die die Paginierung der Sämmtlichen Werke am Rand mit anführt. 12 Ein weiteres Bekenntnis aus der Ich-Schrift: „Wer Kant’s Deduktion der Kategorien und die Kritik der teleologischen Urtheilskraft mit dem Geist gelesen hat, mit dem alles von ihm [sc.: Kant] gelesen werden muß, sieht eine Tiefe des Sinns und der Erkenntniß vor sich, die ihm beinahe unergründlich scheint“ (SW I/1, 232, Anm. 1). Auf diese Stelle weist Schellings Sohn in der unvollendeten biographischen Skizze hin, die in die Grundüberzeugungen von Schellings „Jünglingsjahren“ einführt (Plitt I, 1869, 53; K. F. A. Schelling versehentlich: „theologischen Urteilskraft“).
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der Reinhold’schen Elementarphilosophie, 5. das Vorbild von Reinholds metaphysischer Deduktion der Kategorien. Mit der letzteren beginne ich, wie gesagt, diesen ersten Teil.
1. Anregungen aus Reinholds Verfahren bei der Deduktion der Kategorien (1789). Die Abhängigkeit der Analysis von der Synthesis und der darauf begründete Vorrang der dritten Kategorie jeder Klasse Nicht nur, weil der arrogante und mit Lob geizende Jüngling Schelling sie in der Formschrift rühmt (SW I/1, 110, Anm. 1), lohnt ein Blick auf Reinholds Umbildung der Kant’schen Kategorien-Deduktion. Die Formschrift zeigt sich bis in begriffliche Details Reinholds Neuer Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens verpflichtet. (Auch Aenesidems Kritik, auf die er stark Rücksicht nimmt, sowie Diezens Revision beziehen sich ausschließlich auf diese Schrift bzw. die „Neue Darstellung der Hauptmomente der Elementarphilosophie“, die Reinhold im I. Band seiner Beyträge nachgeliefert hat [Reinhold 1790, 165 – 254].) Aber schon Schellings erstes Magister-Specimen vom Herbst 1792 trug den Titel Über die Möglichkeit einer Philosophie ohne Beynamen, nebst einigen Bemerkungen über die Reinholdische Elementarphilosophie (Fuhrmans I, 41). Das zweite Magister-Specimen (ungefähr aus derselben Zeit) behandelt die „Uebereinstimmung“ der beiden ersten Kritiken, „besonders in Bezug auf den Gebrauch der Categorien“ (Franz 1996, 153; Henrich 2004, 1560).13 Also auch diese waren Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit des Studenten. Wir können mithin von einer gründlichen Bekanntschaft des Studenten Schelling mit der Elementarphilosophie ausgehen und werden kaum fehlge13 Franz und Henrich hatten bei dieser Angabe das gedruckte Magisterprogramm der Universität Tübingen von 1792 vor Augen. Den Untertitel des zweiten Specimens habe ich unvollständig zitiert. Er fährt nach „Categorien“ fort: „und der Realisirung der Idee einer intelligiblen Welt durch ein Factum in der lezteren“.
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hen, wenn wir Einsichten, die er in den Tübinger Prüfungsschriften zuerst vorgestellt hatte, im Überzeugungsschatz seiner nachfolgenden Arbeiten erhalten glauben. Von guter Reinhold-Kenntnis künden jedenfalls die Formschrift (explizit die Einleitung: SW I/1, 87 f.) und weite Teile der Abhandlungen zur Erläuterung des Idealismus der Wissenschaftslehre (von 1796/97, bes. I/1, 407 ff.). Aber schon der Timaeus-Kommentar hält sich weitestgehend im Kielwasser der Reinhold’schen Begrifflichkeit. Schelling lobt Reinholds Neufassung der Kategoriendeduktion als „in f o r m a l e r Rücksicht ein Meisterstück philosophischer Kunst“ (SW I/1, 110, Anm. 1). Henrich hat auf Reinholds Selbstlob in dessen Aufsatz „Ueber das Verhältniß der Theorie des Vorstellungsvermögens zur Kritik der reinen Vernunft“ (Reinhold 1790, 257 – 338, hier: 316 f.) hingewiesen und über Reinholds Erzählung, „dass mir [nach langem Grübeln] die Hauptidee dieser Deduktion […] im Traum eingefallen ist“, eine weitere Quelle erschlossen. Der im Tübinger Stift viel beachtete ehemalige Repetent und an der inspirativen Kraft von Träumen interessierte empirische Psychologe Gottlob Christian Rapp hatte Reinholds Traum-Fund bereits als „Meisterstück“ gelobt (Rapp 1792). Und dieses Lob, meint Henrich, schränke Schelling nun ein, indem er es ,nur in formaler Hinsicht‘ gelten lasse, weil es sich nicht auch auf die „Substanz“ erstrecke (Henrich 2004, 1667 f.).14 Ich werde zu zeigen versuchen, dass 14 Freilich hatte Reinhold selbst im zweiten Band der Beyträge bei Gelegenheit von Kants „meisterhafte[n] Erörterungen“ der „Grundsätze“ davon gesprochen (Reinhold 1794, 427), aber Kants Annahme, synthetische Sätze a priori, wie es die Grundsätze sind, seien in der Erfahrung aufzuweisen, als zirkulär kritisiert (Belege bei Bondeli 2006, 244 ff.). Maimon hat den Zirkularitätsvorwurf schon 1789, erneut 1794 erhoben (Belege bei Bondeli 2006, 301 ff.). Vielleicht hat Schelling, wenn er nun auch Reinholds Deduktionsversuch Zirkularität vorwirft (SW I/1, 100, Anm. 1), diese Debatte im Gedächtnis (er zitiert ja Maimon [1794] ebenfalls anerkennend [l. c., 89]). Eine andere Lesart der Wendung ,in formaler Hinsicht‘ hat Matthews vorgeschlagen: Reinholds Deduktion habe die Inhalts-, die synthetische oder ,progres-
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Schelling auch inhaltlich von Reinholds Deduktion profitiert hat; denn was er im Text der Formschrift beanstandet, ist lediglich, dass Reinhold seine Ableitungen aus ,schon gegebenen Begriffen‘ vorgenommen habe, ohne diese selbst aus einem höheren Prinzip abzuleiten (SW I/1, 100). Denn natürlich lassen sich aus den Ableitungen Rückschlüsse auf die Verfassung des Prinzips ziehen. (Nichts anderes tut Diez.) Im gleichen Zusammenhang ist wichtig, dass Schelling seine Leugnung eines prinzipiellen Unterschieds analytischer und synthetischer Urteile von Reinhold übernimmt (z. B. SW I/1, 103 – 105, 354 u.). Reinhold hatte Kants Ansicht, jede Analyse setze eine Synthese voraus,15 so ausgelegt, dass auch die Analyse („Erläuterung“) eines synthetischen, eines „Erweiterungs“-Urteils ,analytisch‘ heißen darf. (Für Kant waren analytische Urteile mit widerspruchsfreien, also formallogisch richtigen einerlei:16 KrV A 150 ff.) So kann es nach Reinhold durchaus „analytische Urteile a posteriori“ geben (Bondeli zu Reinhold 2013, 537, Kommentar-Note 625). ,Analytisch‘ und ,synthetisch‘ sind also zwei Gliederungsansichten desselben Urteils (Reinhold 1789, 443, 2. Absatz). Daraus zieht Schelling starke Konsequenzen. So deutet er die Analytizität des Satzes ,Ich = Ich‘ als Resultat einer Synthesis, „die ihr vorangeht, und in der That nichts anderes bedeutet, als daß das Ich ursprünglich die Construktion von sich selbst ist“, so wie die Linie außer ihrer (syntheti-
sive‘ Seite vernachlässigt, die die Urform der Philosophie einzubeziehen habe (Matthews 2011, 243). Dieser Vorwurf wäre ungerecht, da Aenesidemus Reinhold gerade umgekehrt vorwirft, die Formseite vom inhaltlichen Grundsatz des Vorstellungsvermögens her erschlichen zu haben. 15 Ein Zitat für viele: Analysis setzt Synthesis voraus, „denn wo der Verstand vorher nichts verbunden hat, da kann er auch nichts auflösen“ (KrV B 130; vgl. A 78 f., B 104 f., B 133 f.). 16 Womit natürlich seine Wahrheit nicht begründet ist (KrV A 100).
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schen) Konstruktion „nichts ist“ (SW I/1, 448 f. [im Orig. teilweise kursiviert]; vgl. 424 f.).17 Die Reinhold-Abhängigkeit des 19-jährigen Schelling erhellt schon aus der Allgegenwart des Ausdrucks „VorstellungsVermögen“ im Timaeus-Kommentar, womit Reinhold die oberste Gattung aller Widerfahrnisse und Handlungen unseres Geistes anspricht (Schelling 1994, 10 f., 23, 31 f., 68, 70, 72), erst recht aus der Fixierung auf ein Grundmuster der Reinhold’schen Kategorien-Deduktion: die Zusammenführung von Einheit und Mannigfaltigkeit (35 ff.) und die ganz unkantische Identifikation der Mannigfaltigkeit mit der Vielheit. So schreibt er, „daß [nach Ansicht der Alten] aus Einheit u. Mannigfaltigkeit (Vielheit) alles, was je vorhanden war, entstand“ (36). Und Vielheit identifiziert er sodann mit dem %peiqom des Timaios (und des Philebos) sowie die Einheit mit der formgebenden Kraft der Beschränkung (t¹ p´qar). Der Gedanke ist: Ein formloses, darum in die schlechte Unendlichkeit ausuferndes Chaos (oder Tohuwabohu) wird durch Begrenzung oder Beschränkung, eben die formgebende Kraft eines Verstandes, ,bezwungen‘. Über beiden aber postuliert er etwas aus Vielheit und Einheit Gemischtes, das joimºm oder lijtºm des Platon.18 Da Platon geradeso wie Kant Materie (das sinnlich Gegebene, ,mundum materialiter spectatum‘ [vgl. 26 nach Kant KrV B 163, 165; B 446 Anm.]) radikal von der einheitgebenden Form (unseres Verstandes) abgrenzt, bedarf es eines verbindenden Dritten oder einer göttlichen Mischung. So heißt es im Timaios:
17 An dem „Satz“, nach dem die synthetische Einheit des Bewusstseins der analytischen vorausgehe, moniert Schelling lediglich, dass sie immer noch „unerklärt und unverstanden da[stehe], obgleich er den K e r n der Kantischen Philosophie enthält“ (SW I/1, 448). Die Formschrift war deutlicher, indem sie auch Kant und Reinhold vorwarf, diese (subalterne) Einheit nicht aus einem obersten Prinzip abgeleitet zu haben. 18 Schelling (1994), 27 f., 41, 47, 59 – 66, 67 – 70, zum joimom speziell: 41, 63 f., 67, 69. In den Abhandlungen von 1796/97 kommt Schelling ausführlich und sehr lichtvoll auf diesen Punkt zurück: SW I/1, 356 f.
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Denn das Viele in Eins zu mischen und wiederum aus dem Eins das Viele herauszulösen, da versteht sich nur Gott richtig darauf, und er allein hat auch die Macht dazu (68d).
Schelling kommentiert: u. weil er [Platon] die Ursache dieser Verbindung der Form (peqar) mit der Materie (apeiqom) weder in jener noch in dieser allein noch in beiden zugleich finden konnte (denn er sah sie als einander beständig entgegenstrebende Dinge (Regelmäßigkeit u. Regellosigkeit) an) so war (siehe Philebos) ein 3tes nothwendig, das beide mit einander vereinigte oder ,der Welt eine Form gab, die ein Nachbild der ursprünglichen, reinen Verstandesform war‘ (Schelling 1994, 27).19 Die Art nun, wie beide verbunden worden seien, stellt er [Platon] so dar: p. 313 [der Zweibrücker Ausgabe]. ,Aus der unteilbaren und unwandelbarem ousia (der Weltseele) u. der teilbaren cörperlichen Materie, mischte er (der Demiurg) eine 3te, zwischen beiden mitten inne stehende Art von Substanz. Da beide einander widerstrebten, weil die eine überall d a ß e l b e, die andre durchaus v e r s c h i e d e n a r t i g (to aleqer – to leqistom – t’auto duslijtom) ist, so zwang er sie mit Gewalt zusammen, u. mischte diese zusammengezwungne Materie wieder mit dem leqistom u. dem aleqer u. brachte auf diese Art Ein Ganzes hervor!‘ (l. c., 41; vgl. schon 32; die gleiche Platon-Referenz greift Schelling auf in SW I/1, 356 f. und I/2, 42, 55).
Ich werde in den folgenden (2. und 4.) Kapiteln mehr zur Funktion dieses vereinigenden Dritten und seiner ,Geist‘-Natur sagen. Für den Augenblick will ich nur rasch nachweisen, dass Schelling Platons Gedanken des vermittelnden Bandes wirklich in den ersten Entwürfen seiner eigenen Naturphilosophie (Ideen zu einer Philosophie der Natur) aufgreift und ohne Umstände an Kants Organismus-Formel anknüpft, hier in der Version, dass in einem Organismus die Teile nur durch den Vorblick auf den Sinn des Ganzen (= eine Idee) und das Ganze umgekehrt nicht anders als „durch Wechselwirkung der Theile möglich“ sind. 19 Michael Franz hat ganz recht, diese vermittelnde reine Verstandesform Platons auf die „Urform“ der Formschrift zu beziehen, die ja auch zwischen in sich Heterogenen vermittelt (Franz 1998, 63).
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Was haben auch diese Theile, die doch nur Materie sind, mit einer I d e e gemein, die der Materie ursprünglich fremd ist, und zu der sie doch zusammenstimmen? Hier ist keine Beziehung möglich, als durch ein Drittes, zu dessen Vorstellungen beides, Materie und Begriff, gehört. Ein solches Drittes aber ist nur ein anschauender und reflektirender Geist. Also müßt ihr einräumen, daß Organisation überhaupt nur in Bezug auf einen G e i s t vorstellbar ist (SW I/2, 42 [von mir kursiviert, M. F.]).
Reinhold hatte Kants sogenannte ,metaphysische Deduktion‘ der Kategorien aus Urteilsformen durch einen nur auf den ersten Blick komplizierten Vorschlag zu vereinfachen und dabei auch zu plausibilisieren versucht. Urteile bilden nämlich ein Mannigfaltiges, indem sie in Subjekt und Prädikat zerfallen, und die werden nach vier von Kant für irreduzibel gehaltenen ,Urteilsformen‘ oder Modifikationen des „Verhältniswörtchens ist“ (KrV B 141) zu einem Urteil vereinigt. Dieselben Urteilsfunktionen sind als Prädikate oder „Begriffe von einem Gegenstande überhaupt“ am Werk (KrV B 128), wenn es um die Synthesis nicht von Subjekt und Prädikat, sondern des Mannigfaltigen der Anschauung zu einem einigen Objekt geht, wobei diese Synthesisformen mit denen der entsprechenden Urteilsform jeweils einerlei sind (KrV A 79). Kant hatte behauptet, die Verwandlung von Urteilsformen in Kategorien ,deduziert‘ zu haben, aber, außer an zwei Beispielen, dem des Verhältnisses von kategorischem Urteil und der Kategorie Substanz (KrV B 128 f.) sowie dem des disjunktiven Urteils und der Kategorie Gemeinschaft (B 111 f.), nirgends transparent gemacht, wie das genau geschehen soll. Diesen Schritt und die daran anschließende sogenannte „transzendentale Deduktion der Kategorien“ hat er selbst für den dunkelsten und angreifbarsten seiner theoretischen Philosophie gehalten (KrV B XXXVIII, A 88 f.) und damit Heerscharen von Verbesserern mit je neuen Verdeutlichungsversuchen auf den Plan gerufen (zuletzt und durchaus in Reinhold’schem Geiste: Bunte 2016). (Urteils-)Subjekte können, schlägt Reinhold vor, jeweils nach Gesichtspunkten der Einheit, der Vielheit oder der „Einheit und
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Vielheit zugleich“ auf ihre zugehörigen Prädikate bezogen werden. Dadurch fällt der jeweils dritten Kategorie jeder Gruppe eine Schlüsselstellung zu, die schon der Timaeus betont, aus der aber erst die Formschrift steile Konsequenzen zieht. Noch die Abhandlungen zur Erläuterung des Idealismus der Wissenschaftslehre stellen die keineswegs rhetorische Frage: „Warum hat nun K a n t gleichwohl d i e s e Ordnung der Kategorien gewählt, warum ist er bei seinem Entwurf der Kategorien nicht von der d r i t t e n Kategorie jeder Klasse ausgegangen […]?“ (SW I/1, 426) Warum hat also Kant die umgekehrte Reihenfolge gewählt, nämlich diese: „1) Bedingung, 2) Bedingtes, 3) der Begriff, der aus der Vereinigung [dem joimºm] des Bedingten und seiner Bedingung entspringt“ (l. c., 425, ein Zitat aus KU B LVII)? Dies ist die wesentliche Frage, der Schelling sich im Folgenden stellt. Er wird sie mit einer Kritik an der von Kant gewählten Reihenfolge beantworten, durch die er sich durch Reinhold wie durch Platon ermutigt fühlen durfte. Aber tun wir einen Schritt nach dem anderen. Zunächst identifiziert Reinhold – und Schelling folgt ihm – das (von Kant so genannte) „Mannigfaltige“ (egal, ob der Anschauung oder des Urteils) ohne Weiteres mit der „Vielheit“ und stellt ihr die „objektive Einheit“ des durch den Verstand (bzw. „das Ich“) Verbundenen gegenüber (Reinhold 1789, 444 mit Anm.).20 Das Mannigfaltige kann, wie wir sahen, einerseits das der (in Teilanschauungen – z. B. Empfindungen – zerfallenden) Anschauung, andererseits das des (in Subjekt und Prädikat auseinandertretenden) Urteils sein (437). So viele 20 Kant hatte dunkel von der prä-kategorialen „qualitativen Einheit“ gesprochen, die durch das ,Ich verbinde‘ zustande komme, nicht zu verwechseln mit der „Einheit“ der gleichnamigen Quantitäts-Kategorie (KrV B 114, B 131; Reinhold zitiert das: Reinhold 1789, 451 f.). Die Einheit und Vielheit, mit deren Hilfe Reinhold die Deduktion der Kategorien durchführt, kann also nicht die Einheit und Vielheit der Kategorie sein. Vielleicht unterstellt Schelling ihm das mit dem Zirkularitäts-Vorwurf SW I/1, 110, Anm. 1: „Auch mußte Reinhold die Formen der Einheit und der Vielheit schon voraussetzen, um sie nebst den übrigen Formen deduciren zu können.“ Dazu klärend Henrich 2004, 1671 ff.
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Urteilsformen, so viele „Modifikationen der objektiven Einheit“ oder „Kategorien“ (440 f.).21 Das Urteil hat nun – gemäß einer logischen Tradition, in die sich noch Kant einfügt (KrV A 266 = B 322) – sowohl eine „logische Materie“ als auch eine „logische Form“ (Reinhold 1789, 444 f.). Unter der ersteren versteht Reinhold die (,materiellen‘) Komponenten Subjekt und Prädikat, die sich jeweils zur objektiven Einheit eines der beiden „wie Einheit oder wie Vielheit oder wie Einheit und Vielheit zugleich“ verhalten können (daraus sollen die je drei Subkategorien der Quantität – bezogen aufs Subjekt – und Qualität – bezogen aufs Prädikat – entspringen). Unter der „logischen Form“ verstehen Kant und Reinhold das Verhältnis von Subjekt und Prädikat „(vermittelst der Copula)“. Hier geht es zunächst um die zu verbindenden Teile („das Zusammenzufassende“), dann um die verbindende Instanz („das Zusammenfassende“) – differenziert jeweils durch den Gesichtspunkt, ob die „Einheit des Objektes“ oder „das zusammenfassende Subjekt (das Denkende)“ im Blick stehen; daraus sollen die Kategorien der Relation und der Modalität entspringen. Diese Operationen erfolgen auch bei der Deduktion dieser beiden letzten Kategorien nach dem „Grundmuster […] von ,Einheit‘, ,Vielheit‘ und ,Einheit und Vielheit zugleich‘“.22 Im Fall der Relationskategorien werden Subjekt und Prädikat ,zusammengenommen‘ auf die Einheit des Objekts bezogen, im Falle der Modalität auf das die Zusammenfassung leistende „vorstellende Ich als Subjekt des Verstandes“, das nach Reinholds damaliger Auffassung „nur durch das Bewußtseyn des Zusammenfassens“ vorstellbar ist (446). So dachte sich das schon Kant, der sagte, die Modalität bestimme nicht den Gegenstand selbst, sondern dessen Verhältnis zu unserem Erkenntnisvermögen („dessen 21 Die Rede von der „objektiven Einheit“ entnimmt Reinhold natürlich dem § 19 der Kant’schen B-Deduktion („Was objektive Einheit des Selbstbewußtseins sei“: KrV B 139 f.). 22 Bondelis Kommentar (S. 538) zu Reinhold 1789, 444 ff. Auch Henrich erklärt Reinholds Theoriestück (Henrich 2004, 1669 – 1671).
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empirischen Gebrauch“) (KrV A 233 f. = B 286 f; vgl. A 74 f. = B 99 f.).23 So ist wirklich, was aktuell wahrgenommen wird, möglich, was realiter denkbar ist, und notwendig, dessen „blosse Vorstellung des Zusammenfassens […] vom wirklichen Zusammenfassen unzertrennlich“ ist (Reinhold 1789, 447). Kann man sagen, dass Reinholds Operation mit Einheit und Vielheit und dem aus beiden Zusammengefassten einen Schritt weit auf den jungen Schelling zugegangen ist? Sicherlich. Denn in der Formschrift wird nicht nur Reinholds Verfahren der KategorienAbleitung gelobt, sondern Schelling greift auch zustimmend auf seine Umdeutung des Verhältnisses analytischer und synthetischer Urteile zurück und postuliert für sie eine gemeinschaftliche „Urform“, die am ehesten aus Reinholds Grundintuition sich erschließen ließe (SW I/1, 104 f.). Wir sahen: Reinhold macht nicht die grundsätzliche Unterscheidung, die Kant trifft, sondern nimmt dessen Anweisung beim Wort, dass nämlich nichts auseinanderzunehmen (wörtlich: zu analysieren) ist, wo nicht zuvor etwas zusammengesetzt worden ist (Reinhold 1789, 443): Beim analytischen Urtheilen kommen ein (bereits synthetisch erzeugtes) Prädikat und Subjekt, folglich zwey Vorstellungen vor, deren vorher synthetisch be23 Kants bekannte Formulierung lautet: „Die Grundsätze der Modalität sind aber nicht objektivsynthetisch, weil die Prädikate der Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit den Begriff, von dem sie gesagt werden, nicht im mindesten vermehren, dadurch, daß sie der Vorstellung des Gegenstandes noch etwas hinzusetzten. Da sie aber gleichwohl doch immer synthetisch sind, so sind sie es nur subjektiv, d. i. sie fügen zu dem Begriffe eines Dinges, (Realen,) von dem sie sonst nichts sagen, die Erkenntniskraft hinzu […]“. Modalität sei „bloß eine Position des Dinges in Beziehung auf den Verstand (dessen empirischen Gebrauch) […], so ist Wirklichkeit zugleich eine Verknüpfung desselben [des Dinges] mit der Wahrnehmung“ (KrV A 233 f. = B 286 f.). Vgl. schon früher bei der Vorstellung der Urteilsformen: „Die Modalität der Urteile ist eine ganz besondere Funktion derselben, die das Unterscheidende an sich hat, daß sie nichts zum Inhalte des Urteils beiträgt, (denn außer Größe, Qualität und Verhältnis ist nichts mehr, was den Inhalt eines Urteils ausmachte,) sondern nur den Wert der Copula in Beziehung auf das Denken überhaupt angeht“ (A 74 f. = B 99 f.).
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stimmtes Verhältnis zur objektiven Einheit im Bewußtseyn bestimmt wird; und man kann den Unterschied zwischen dem analytischen und synthetischen Urtheile auch damit erklären, daß beim analytischen Urtheile mit dem Gegenstande dasselbe Merkmal im Bewußtseyn verbunden wird, welches durch das synthetische Urtheil vermittelst der Zusammenfassung des Mannigfaltigen der Anschauung v o r dem Bewußtseyn erzeugt wurde.
Nehmen wir dazu Kants Auskunft zur Kategorientafel aus der BAuflage, aus der Schelling so viel machen wird (KrV B 110 f.), dass nämlich die jeweils „dritte Kategorie aus der Verbindung der ersten und zweiten entspringt“. So sei die Allheit „nichts anderes als Vielheit als Einheit betrachtet“ oder Gemeinschaft nichts anderes als Kausalität als substantielle Einheit betrachtet. Versteht man Kants Auskunft in dem weiten Sinne, den Reinhold den Momenten Einheit und Vielheit verleiht, so kann man durchaus auf Schellings Gedanken kommen, Kants Beobachtung lasse sich ins Grundsätzliche wenden, und der oberste Grundsatz der Philosophie sei nicht in Bedingung oder Bedingtem realisiert, sondern in dem, was sich bei der Entäußerung an sein Anderes nicht verliert, sondern in diesem Anderen sich selbst affirmiert (SW I/1, 99 f.). Im Bedingten treffe die Bedingung also auf sich selbst. Das ist der Kerngedanke, aus dem Schelling gleich im ersten Schritt auf eine Theorie der schlechthinnigen Identität des Bedingenden und des Bedingten hinblickt. [Wir können] dieses D r i t t e […] nicht anders erklären als durch eine u r sprüngliche Vereinigung des Bedingens und des Bedingtwerdens in der Handlungsweise eines vorstell e n d e n W e s e n s (SW I/1, 426),
wobei hier die kantische Betonung des Handlungscharakters der Intelligenz24 eine freundliche Geste Schellings an die Adresse Fichtes darstellt, von der wir absehen dürfen. Auch sagt Schelling gleich 24 Kant identifiziert ja weitgehend die Begriffe der ,Spontaneität‘ und des ,Intellektuellen‘: „Intellectuel ist das, dessen Begrif ein Thun ist“ (Reflexion Nr. 4182, AA XVIII, 447).
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darauf, „das ursprüngliche V o r s t e l l e n [sei] gar nicht Princip der g e s a m m t e n Philosophie“, die Vorstellen und Handeln übergreife und beide erst aus einem höheren Prinzip ableiten/einsichtig machen müsse. Noch mehr wundert man sich darüber, wenn man seine [Kants] eigne Versicherung liest, daß alle diese Formen, die er nach vier Momenten ordnet, etwas Gemeinschaftliches untereinander haben, daß z. B. allwärts eine gleiche Zahl der Formen jeder Klasse, nämlich drei seyen, daß überall die d r i t t e Form aus der Verbindung der ersten und zweiten ihrer Klasse entspringt u. s. w. Dieß weißt doch gerade auf eine U r f o r m hin, unter der sie a l l e g e m e i n s a m stehen, und die ihnen allen dasjenige mittheilt, was sie in Rücksicht auf ihre Form Gemeinschaftliches haben (SW I/1, 105).
Was aber macht Schelling aus dieser zustimmend zitierten Beobachtung? Gleich in seiner ersten philosophischen Publikation zeichnet er die „aus beiden zusammengesetzte Form“ als die Grundoder Urform der Philosophie aus – anders als Fichte, der nach Art Kants in den ersten drei Grundsätzen der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre vom Unbedingten über das Bedingte zu dem aus beiden Gemischten fortschreitet. Für Schelling aber erhält die „durch Unbedingtheit bestimmte Bedingtheit (Satz der Disjunction)“ den obersten Rang. Die Disjunktion erläutert er wiederum durch die Reinhold’sche Wendung „Verbindung der analytischen und synthetischen Form“ (SW I/1, 104). Und fügt hinzu: Dieß weißt doch gerade auf eine U r f o r m [„alles Wissens, der analytischen und synthetischen“] hin, unter der sie [die Vorgänger-Formen] a l l e g e m e i n s c h a f t l i c h stehen, und die ihnen allen dasjenige mittheilt, was sie in Rücksicht auf ihre Form Gemeinschaftliches haben (105).
Und wieder gelingt es ihm, genau diesen Gedanken in einer durchaus an Reinhold angelehnten Sprache schon bei Platon aufzuweisen: Die Idee der Verbindung der E i n h e i t u. der M a n n i g f a l t i g k e i t oder Vielheit ist 1ne bei Plato durchaus herrschende Idee, die er nicht nur l o g i s c h , sondern […] auch als N a t u r b e g r i f f anwendet, u. überall als 1ne
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Form betrachtet, die die ganze/Natur umfaßt, durch deren Anwendung auf die formlose Materie nicht nur einzelne Gegenstände hervorgebracht, sondern auch das Verhältniß der Gegenstände zu1ander, u. ihre Unterordnung unter Gattungen und Arten möglich geworden sei (Schelling 1994, 36 f.).
2. Zum Koinón des Timaeus: der ,Geist‘ als selbstaffirmativer Organismus Wir treffen hier auf folgendes Syndrom: In der Dialektik von Einheit und Vielheit, die Reinholds Kategorien-Deduktion zugrunde liegt, schiebt sich die Synthesis von „Einheit und Vielheit zugleich“ in den Vordergrund. Reinhold unterstützt diesen Eindruck durch seine starke Interpretation von Kants Überzeugung, dass Analysen nichts anderes sind als Zergliederungen vorgängiger Synthesen. Wendet man das auf die Urteilsformen an, so springt – abermals ermutigt durch Kant – die besondere Bedeutung der jeweils dritten Kategorie einer jeden Gruppe in den Blick. Das scheint der Kerngedanke des 19-jährigen Schelling gewesen zu sein. Er deutet sich an im Timaeus-Kommentar und drängt sich in der Formschrift als ihre Grundeinsicht in den Vordergrund. In einer aus der Identitäts-Philosophie genommenen Formulierung können wir diesen sich vordrängenden Gedanken so wenden: Nicht das Affirmierende, nicht das Affirmierte, sondern die Interaktion beider bildet das höchste Prinzip der Philosophie. Die Synthesis geht der Analysis voraus. Und weil diese Interaktion auf eine Selbstbegegnung hinausläuft, dürfen wir von einer Identität beider sprechen. Denn wie in Kants Organismus-Formel ist die Selbigkeit der Relata durch die Formulierung „von sich selbst“ gewährleistet.25 Schelling spricht zwei Jah25 Kant spricht in der großen Fußnote zum § 87 von einer „Einsicht in das übersinnliche Substrat der Natur und dessen Einerleiheit mit dem, was die Kausalität durch Freiheit in der Welt möglich macht“ (KU 421 u. [kursiv von mir]). Dies Zitat, das ich bei Schelling nirgends benutzt gefunden habe, scheint mir das Bindeglied zwischen Kants Projekt mit der Teleologie als Mittlerin zwischen Theo-
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re später von einer ,geistigen Selbsttätigkeit‘ (SW I/1, 357), die auch darum ,geistig‘ heißen dürfe, weil ihr Produkt eine Selbsterkenntnis ist. Geist heiße nämlich dasjenige, ,das sich selbst erkennt‘ (l. c.). Noch deutlicher: „G e i s t heiße ich, was nur s e i n e i g n e s Objekt ist“ (ebd., 366).26 Wir werden im Folgenden sehen, dass diese selbstbezügliche Geist-Struktur sowohl nach dem Schema des kantischen Organismus wie des platonischen f`om mogtºm modelliert ist. Vorderhand wollen wir festhalten, dass Schellings basale Intuition 1794 – wenn nicht sogar schon in seinem zweiten Magister-Specimen vom Herbst 1792 – erheblichen Auftrieb erhalten hatte durch die Annahme eines Mittelglieds, das mit dem „vollkommensten aller Bänder“ des Timaios identifiziert wird und zwischen dem Bereich der Theorie und der Praxis vermittelt: der Zweckmäßigkeit. Ich verweise zunächst auf die Passage aus dem Timaios (31c–32a), die Hegel in seiner Differenzschrift zur Verdeutlichung von Schellings reifem Identitätsgedanken anführt (1970, 97 f.). Das herrlichste aller Bänder (deslo¸), heißt es dort, sei dasjenige, das nicht nur die von ihm Verbundenen, sondern sich selbst mit den Verbundenen noch einmal verbindet, so dass alle drei untereinander eins werden.
rie und Praxis und Schellings Identitätsphilosophie zu liefern; denn Kant spricht ja von nicht weniger als der ,Einerleiheit‘ des übersinnlichen Substrats der auf Freiheit gegründeten und der mechanischen Welt. – Im Briefwechsel mit Fichte beruft sich Schelling am 3. Okt. 1801 auf die inexistente Anmerkung zu KU § 74 (Schelling 1968, 133). Er wird die obige meinen. 26 Michael Franz, der Schellings frühe Antikenforschung am besten überblickt, verweist auf Schellings Studienhefte, in denen die Überlagerung des orientalisch-jüdischen pmeula durch den platonischen mour Gegenstand der Aufmerksamkeit war. Er nennt auch das im Stift beachtete Buch von Schellings Vetter Christoph Gottfried Bardili über die Geschichte u. a. des Begriffs ,Geist‘ (1788), das gerade diese Überlagerung zum Thema hat (Franz 1998, 54).
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2. ZUM KOINÓN DES TIMAEUS
D¼o d³ lºm\ jak_r sum¸stashai tq¸tou wyq·r oq dumatºm· desl¹m c±q 1m l´s\ de? tim± !lvo?m sumacyc¹m c¸cmeshai. Desl_m de j²kkistor br #m art¹m ja· sumdo¼lema fti l²ksta 4m poi0 (Tim. 32b).27
Der komplizierte Gedanke, der die reife Identitätsphilosophie wie ein Leitmotiv durchziehen wird, findet sich also wirklich im Timaios, wird von Oetinger aufgegriffen, und der junge Schelling hat Platons (und Oetingers) Rede von der Welt als einem f`om mogtºm, ohne zu zögern, auf die Formel bezogen, die Kant (in der „Critik der Urteilskraft § 65“) für die innere Verfasstheit des Organismus geprägt hatte. Schelling schreibt im Timaeus-Kommentar: Wir müßen uns ferner erinnern, daß Plato die ganze Welt als ein fyom, d. h. als ein organisirtes Wesen ansah, deßen Teile nur durch ihre bestimmte Beziehung auf das Ganze möglich sind, deßen Teile wechselseitig sich gegen einander als Mittel und Zwek verhalten, u. sich also einander ihrer Form sowol als Verbindung nach wechselseitig hervorbringen. [Dazu die Fußnote:] Siehe Critik der Urteilskraft §. 65. (Schelling 1994, 33)
Der Bezug ist überdeutlich. Er verlangt aber einige Kontextarbeit. Denn seine Bedeutung für die gleich im Anschluss an den Timaeus entstandene Formschrift ist nicht ohne Weiteres durchsichtig. Letztere entscheidet sich ja für die dritte Relationskategorie als synthetische Urform der Philosophie. ,Gemeinschaft‘ heißt, was „von sich selbst (obgleich in zwiefachem Sinne) Ursache und Wirkung ist“ (KU B 286; vgl. B 290 f., 295 f.; Kant 1996, 733, 736, 740). Genau 27 Die vollständige und wörtliche Übersetzung der Passage in Hegels Fußnote ebd. lautet: „[Zwei Dinge schön zusammenzufügen ohne ein Drittes, das ist nicht möglich; denn es muss doch zwischen den beiden ein Band (deslºr) sein, das sie zusammenhält.] Das wahrhaft schöne Band ist [aber] das, welches sich selbst und die Verbundenen eins macht. Denn wenn von irgend drei Zahlen oder Massen oder Kräften das Mittlere, was das Erste für dasselbe ist, eben das für / das Letzte ist, und umgekehrt, was das Letzte für das Mittlere ist, das Mittlere eben dies für das Erste ist, – und dann das Mittlere zum Ersten und Letzten geworden ist, das Erste und Letzte aber umgekehrt, beide zum Mittleren geworden sind, so werden sie notwendig alle dasselbe sein; die aber dasselbe gegeneinander sind, sind alle Eins [Timaios, Steph. 31 – 32]“ (Hegel 1970a, 97 f.).
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dies ist aber die Definition, die Kant im besagten § 65 (schon im § 64, wieder im § 66) der KU vom Organismus geben wird (drei Jahre nach der B-Ausgabe der KrV). Schelling identifiziert diese beiden Bestimmungen und schiebt dabei ihre (bei Kant durchaus verschiedenen) Kontexte ineinander. Nun heißt ein Wesen, das die Wirkursächlichkeit (den, wie Kant sagt, nexus effectivus) unter die Botmäßigkeit eines vorbedachten ,Zwecks‘ – eines nexus finalis – bringt, eben ,zweckmäßig‘. Denn Zwecke sind Zielursachen, die ein Wesen (kausal) dazu veranlassen, seine ,bewegenden Kräfte‘ auf die Herbeiführung dieses Ziels hin zu richten.28 Es steckt aber noch etwas anderes in der eben zitierten TimaeusStelle: Nicht nur als Wechselwirkung zweier Typen von Kausalität bestimmt Kant Organizität, sondern als Vorgängigkeit der Idee des Ganzen vor der kausalen Interaktion seiner Teile. Kant nennt diese letztere Art von Abfolge oft ,mechanisch‘, womit er eine unerkannte Äquivokation erzeugt: Einmal meint nämlich ,mechanisch‘ wirkursächlich (z. B. KU, § 65, B 289 ff., passim), ein andermal die Construktion eines Ganzen aus seinen Teilen (KU, § 77, B 349, 351). Umgekehrt wird bei der Auffassung der Irreduzibilität von Zweckursachen auf mechanische Wirkkräfte vorausgesetzt, dass es einen Typ von Kausalität wirklich gebe, bei dem die Idee des Ganzen die Anordnung der Teile kommandiert. Tatsächlich hat Véronique Zanetti (1993), anknüpfend an Peter McLaughlin (1989), gezeigt, dass es zu einer ,Antinomie der teleologischen Urteilskraft‘ – also einem Streit der mechanistischen und der teleologischen Erklärungsart – nur kommt, wenn zwei Formulierungen gegeneinander ins Feld geschickt werden (und Kant tut das eben nicht auf durchsichtige Weise): 28 Nach Schelling haben sowohl Kant als auch Platon Lebewesen verstanden als ,beseelte‘ Wesen: solche mit „u r s p r ü n g l i c h e [ r ] B e w e g u n g s k r a f t“ (Schelling 1994, 29, schon 28). Diesen Gedanken werde ich gleich erläutern und durch Kant- und Schelling-Zitate belegen.
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1. Das Ganze eines Organismus ist zu erklären aus der „mechanischen“ Interaktion der Teile, d. h. aus seinen anorganischen („bewegenden“) Kräften. 2. Die Teile eines Organismus wirken überhaupt nur auf Geheiß (der Idee) eines Ganzen. Diese Art von Kausalität heißt „bildende Kraft“29 (Zanetti 1993; dieselbe im Kommentar zu Kants „Dialektik der teleologischen Urteilskraft“ mit allen einschlägigen Belegen [Kant 1996, 1286 – 1309]). Auch diesen Gedanken glaubt Schelling also, wie sein Zitat belegt, schon bei Platon nachweisen zu können. Und zwar erstens in dessen Unterscheidung einer irdischen (mechanischen) und einer göttlichen (zweckgeleiteten) Kausalität. Und zweitens an seiner Überzeugung, dass „organischen Wesen“ eine Geist-Struktur, also ein mour eingebildet ist (Schelling 1994, 30).30 Ad 1. Die Unterscheidung einer irdischen (notwendigen) und einer göttlichen Ursächlichkeit (Timaios 68e5 – 69a1) wird in einem Studienheft Schellings vom August 179231 hervorgehoben. Es trägt als Motto das besagte Timaios-Zitat:
29 Das Zitat, das bewegende und bildende Kraft der Natur unterscheidet, ist aus KU B 292 f. 30 Dass Kants Organismus-Bestimmung Patin stand bei Schellings Geist-Konzeption, habe ich detaillierter gezeigt in Frank 1991, Kap. III, 98 ff. 31 Binnendatierungen zeigen freilich, dass wichtige Notate nicht vor 1793/Frühjahr 1794 geschrieben sein können. Auf dem Heftdeckel steht von Schellings Hand „Vorstellungsarten der alten Welt / über / Verschiedene Gegenstände / gesammelt / aus Homer, Plato u. a.“ (Hartmut Buchners Kommentar zu Schelling 1994, 14 f.). Das Heft enthält auch einen ausführlichen Entwurf seiner Dissertation über Marcion und den Entwurf einer Geschichte des Gnosticismus (inzwischen abgedruckt in HKA II.5) und 17 Seiten Aufzeichnungen gemischten Inhalts, aber durchgängig zu Platon (in HKA II.4, 9 – 28).
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Duo aitiar eidg wqg dioqifeshai ·32 to lem, amacjaiom. to de, heiom. jai to lem heiom em "pasi fgteim jtgseyr 2meja eudailomor biou, jahf bsom Blym B vusir emdewetai.33
Dieses Zitat bezieht Schelling ohne Weiteres auf Kants Idee eines Organismus oder vielmehr: der Welt (die anorganische und die geistige Natur einbegriffen) als eines ,Gesamtorganismus‘. Wenn wir (im obigen Zitat) ,notwendige‘ durch ,mechanische‘ oder wirkursächliche und ,göttliche‘ durch ,finale‘ Kausalität (oder ,Zweckmäßigkeit‘) ersetzen und zwischen kantischen und platonischen Zweckideen nicht unterscheiden, sind wir sogleich bei dem Gedanken, der Weltbaumeister habe der Materie eine Form eingebildet, und die habe sie wie ein eingebauter Plan zur Produktion eines Wesens veranlasst, „deßen Teile nur durch ihre Beziehung auf das Ganze möglich sind, u. sich also einander ihrer Form sowol als Verbindung nach wechselseitig hervorbringen“ (Schelling 1994, 33; unter Bezug auf KU B 291). Dabei müssen Gesetze als am Werk gedacht werden, die nicht der Materie als solcher, „sondern einer reinen F o r m der E i n h e i t [zuzuschreiben sind]. Werk einer I n t e l l i g e n z“ (l. c.). Ein anderer Beleg: „Der Welt als Einem großen fyom mußte Eine Idee im göttlichen Verstande zu Grunde liegen, die nicht nur eine besondere Gat/tung oder Art organischer Wesen darstellte [als welche man Platons Ideen gemeinhin ausgelegt hat], sondern als eine allgemeine Idee a l l e r dienen konnte“ (38 f.). Überhaupt heißen Geschöpfe „mogta“ nur, „insofern sie i n d e r I d e e vorhanden sind“ (31 oben). Darum nennt Platon den Wel32 Zit. nach Buchner, in: Schelling 1994, 15. Im Original heißt es: „Di¹ dµ wqµ d¼û aQt¸ar dioq¸feshai“ (usw.). 33 „Zwei Ursachen gilt es zu unterscheiden, eine notwendige und eine göttliche. Diese aber muss man in allem suchen um der Glückseligkeit willen, soweit unsere Natur es nur zulässt.“ Die Bedeutung der göttlichen Ursache bei Platon ist Schelling außer durch die Schwabenväter durch zwei Aufsätze von Tennemann (1791) und Tiedemann (1786) nahegelegt worden, auf die er in Timaeus zurückgreift.
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tenorganismus auch ein ,intelligentes Tier‘, ein ,fyom mogtom‘ oder einen ,joslor mogtor‘ (31). Die Welt bildet aber auch darum einen Gesamtorganismus, weil „die Idee des Ganzen wiederum als vorausgehend, u. a priori die Form der Teile in ihrer Harmonie bestimmend gedacht werden muß“ (33, vgl. 41 f.). Wie Kant spricht Schelling von der „Caußalität eines Begriffs, einer Idee“ am Ursprung jedes einzelnen wie des Gesamt-Organismus (l. c.). Auch sonst betont der Timaeus-Kommentar durchgängig, dass die Vielzahl der platonischen Ideen, die man als Gattungsbegriffe verstanden hat, alle von Einer grundlegenden Idee kontrolliert werden, die dafür sorgt, dass die empirischen (also nicht a priori antizipierbaren) Naturgesetze ein kohärentes System oder, wie der Timaeus formuliert, eine „Harmonie“ bilden. Eben das ist mit dem Ausdruck ,Gesamtorganismus‘ gemeint.34 Anders, als es der Oberflächeneindruck des naturteleologischen Teils der KU suggeriert, integriert er auch die anorganische Natur unter ihren ,Endzweck‘; nur dieses Ganze darf ,fyom mogtom‘ heißen. Wem übrigens die Unterscheidung einer ,notwendigen‘ von einer ,göttlichen Ursächlichkeit‘ altfränkisch oder pietistisch vorkommt, muss sich nur daran erinnern, dass Kant denselben Unterschied auch als den von „realen“ und „idealen Ursachen“ wiedergibt (KU B, 290). Jedenfalls war Schelling diese platonische Unterscheidung so wichtig, dass er sie in den Untertitel seines Dialogs Bruno (von 1802) stellt: oder über das göttliche und natürliche Princip der Dinge. Auf diese Passage, die vollständig zitiert wird, macht Schelling selbst in einer Fußnote aufmerksam (SW I/4, 330, erste Anm.; dazu Matthews 2011, 20 ff., bes. 25). Es ist schwer zu glauben, dass Schelling mit dieser Projektion Kants auf Platon – und der enharmonischen Verwechslung der ,Ide34 Zur Idee des Gesamtorganismus vgl. Véronique Zanettis und mein Kapitel im Kommentar zur Kritik der Urteilskraft, das überschrieben ist: „Innere und äußere Zweckmäßigkeit: Kants Theorie der belebten Natur und der Natur als Gesamtorganismus“, in: Kant 1996, 1270 – 1286, 1324 ff.
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en‘-Begriffe beider – nicht Gedanken reaktiviert haben sollte, die ihn bei der Niederschrift seines zweiten Magister-Specimens über die Teleologie als Vermittlerin von theoretischer und praktischer Vernunft („besonders in Bezug auf den Gebrauch der Categorien“) geleitet hatten.35 Noch in der Ich-Schrift beschwört er diesen urkantischen Gedanken mehr, als dass er ihn ausbreitete. Soll es ein „absolutes Ich“ geben, so muss in ihm der Unterschied zwischen Mechanismus und Zweckmäßigkeit aufgehoben sein. Nur dann können aus ihm Wesen erklärt werden, in denen „Technik Mechanism und Mechanism Technik“ wäre, wie es bei den von irdischer und himmlischer Kausalität gemeinschaftlich gesteuerten Organismen der Fall ist (SW I/1, 241; ganz ähnlich bis in den Wortlaut der Timaeus, 34). Der Grundgedanke ist: Der teleologische Gesichtspunkt lässt die nach mechanischen Gesetzen arbeitende Natur insgesamt als ein Wesen erscheinen, das von den Ideen der praktischen Vernunft geleitet ist. Für die behauptet Kant ein „Faktum der [reinen] Vernunft“ in Gestalt des „Sittengesetzes“, das den Tatsachen unseres Bewusstseins tief eingesenkt sei (KpV 55 f., 81 f.) – auch dieses „Faktum“ figurierte ja im Titel von Schellings zweitem Magister-Specimen. 1797 fügt er der Bemerkung, die Natur befinde sich insgesamt unter der Botmäßigkeit dieser Zweckidee, die Fußnote hinzu: „Hieraus erhellt auch, wie und inwiefern Teleologie das verbindende Mittelglied zwischen theoretischer und praktischer Philosophie ist“ (SW I/1, 241, Anm.). Ad 2. Was aber hat dieser kantisch-platonische Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis mit dem moOr zu tun – außer dass mit der Zweckidee ein Gedanke der übersinnlichen Welt aufgerufen ist? Zunächst ist Schelling damit zufrieden, nachgewiesen zu haben, dass Platon selbst den moOr als Vermittler zwischen Materie und Form bemüht. Ab 1796 führt Schelling dann selbst den Ausdruck 35 Meine Vermutung: Beim Bezug des Gedankens der Theorie und Praxis verbindenden Zweckmäßigkeit auf den Gebrauch der Kategorien stand die Kategorie ,Gemeinschaft‘ Pate.
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2. ZUM KOINÓN DES TIMAEUS
,Geist‘ in sein Philosophieren ein und unterlegt ihm genau die Struktur des Organismus, die er dem platonischen moOr nachgewiesen hatte. Es ist, glaube ich, der erste Auftritt dieses Schlüsselbegriffs im so genannten deutschen Idealismus (SW I/1, 356 ff., 366 ff., 386 f.). Selbst die „Geschichte des Selbstbewußtseyns“ (382 [im Orig. gesp.]) erscheint nun als eine solche des nach ihm ringenden „Geistes“.36 Die so genannten „Handlungen“ dieses „Geistes“ beruhen auf ,Selbsttätigkeit‘ (SW I/1, 357) und dürfen auch darum, fährt Schelling fort, ,geistig‘ heißen, weil ihr Produkt eine Selbsterkenntnis ist. Geist heiße das- und nur dasjenige, „das s i c h s e l b s t e r k e n n t“ (l. c.). Eine andere Formulierung: „G e i s t heiße ich, was nur s e i n e i g n e s Objekt ist“ (366 u.). Und noch später wird die Struktur des Geistes geradezu durch diejenige des Organismus erläutert: ,Geistig‘ heißt nun, was seine eigenen Vorstellungen producirt, „in welchem produktive Kraft ist“ (386) – wie in einer Pflanze einerseits, im sich selbst als sich setzenden Ich37 andererseits (darum kann Schelling die Pflanze den „verschlungenen Zug der Seele“, ihr Symbol, nennen; l. c.). Was verbindet die Struktur des Organismus mit dem Selbstbewusstsein? Beide Male trifft ein Relat in der Verdopplung durch sein Anderes auf sich selbst oder ein ,Momentum‘ seiner selbst. Denn so wie Selbstbewusstsein sein Objekt „als sich selbst“38 auffasst, so sind im Organismus Wirkendes und Bewirktes solche „von sich selbst“. 36 „Durch dasselbe [das Selbstbewusstsein] ist der ganze Umkreis des Geistes beschrieben, denn in allen seinen Handlungen strebt er nach Selbstbewußtseyn“ (SW I/1, 383). 37 Das ist Fichtes berühmte Formulierung aus der Wissenschaftslehre nova methodo von 1798 (GA IV.2, § 1, 32), die in Hölderlins Urtheil und Seyn ihren Vorläufer hat: Hölderlin 1991, 156, Z. 11 – 15. 38 Der Clou ist das Begriffswörtchen ,als‘. Es verhindert, dass ich mich im Objekt lediglich auf mich beziehe. Ich muss das in Kenntnis dessen tun, dass das Objekt ich selbst bin.
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Der Punkt ist für Schellings Identitätsphilosophie so entscheidend, dass ich bei ihm noch einen Augenblick verweilen muss. Die im Organismus waltende ,produktive Kraft‘ (der der Biologe Blumenbach den Namen „Bildungstrieb“ verliehen hatte) dient Schelling nämlich als Schema für das, was er seit 1796 den „Geist“ nennt und wovon das Selbstbewusstsein nur die höchste Ausprägung ist. Der Bildungstrieb ist dadurch ausgezeichnet, dass er nach einem Plan produziert (oder zu produzieren scheint). ,Nach einem Plan produzieren‘ heißt: das Ergebnis, das Worumwillen der Produktion bei der Auslösung der wirkenden Ursachen schon vorschweben haben wie ein Richtmaß, an dem sich der Produzent orientiert. Ein solches Richtmaß hatte Kant den ,Zweck‘ einer Produktion genannt. Zwecke sind selbst Ursachen. Aber ihre Kausalität besteht darin, die Wirkursachen ihrerseits dazu zu bringen, auf das beabsichtigte Ergebnis hinzuarbeiten. Die Formel ,von sich selbst zugleich Ursache und Wirkung‘ meint ja, dass ich jedes Teil eines organischen Ganzen zweifach deuten kann: 1. als bewirkend ein anderes, eben das unmittelbar von ihm Verursachte; 2. als seinerseits bewirkt durch eine Endursache, die diesen ersten (,mechanischen‘) Kausalprozess ihrerseits ausgelöst hat. Man kann also das Spezifikum des Organismus resümierend so charakterisieren: Wir haben mit einem nach einer Zweckidee organisierten Wesen zu tun, wenn Folgendes gilt: Gegeben sei ein Teil x und ein Ganzes y, 1. x ist ein Teil von y, 2. x ist die Ursache von y, 3. y bestimmt x (Zumbach 1984, 106).
Und diese Formel, die er schon in den Notizen zu Platons Timaios freudig aufgegriffen hatte (Schelling 1994, 33), taucht nun 1796/97 bei der Beschreibung der Struktur des Geistes – ja, als das nunmehrige Definiens des Geistes – in den Abhandlungen wieder auf: Insofern sie [die produktive Kraft oder der Bildungstrieb] i h r e e i g e n e n Vorstellungen p r o d u c i r t, insofern ist sie von sich selbst w e c h s e l s e i t i g U r s a c h e u n d W i r k u n g. Sie wird sich also als ein Objekt anschauen, d a s v o n s i c h s e l b s t w e c h s e l s e i t i g U r s a c h e u n d W i r -
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3. OETINGER UND HAHN
k u n g ist, oder, was dasselbe ist, als e i n e s i c h s e l b s t o r g a n i s i r e n d e N a t u r (SW I/1, 386).
Wie im Heft zum Timaeus wird Kants Bestimmung des Organismus ohne Weiteres auf Platons Modell zweier sich antagonistisch in einem Dritten (joimºm) vereinigenden Kräfte zurückbezogen: der ungeformten materiellen, die ins Unendliche geht (%peiqom), und der Form gebenden, Begrenzung schaffenden (p´qar [Schelling 1994, 59 ff.]). Diese Interaktion von zwei gegenläufigen Kräften ist breit exponiert zu Beginn der Schrift Von der Weltseele (1798), und zwar in dem Eröffnungsaufsatz „Ueber die erste Kraft der Natur“ (HKA I.6, 75/77 ff.; = SW I/2, 379/381 ff.). Die wechselseitige Durchdringung der beiden Tätigkeiten erzeugt „eine 3te, zwischen beiden mitten inne stehende [,gemischte‘] Art von Substanz“ (Timaios 35a1b3; Schelling 1994, 41). Damit eine Beziehung zweier gegenstrebiger Tätigkeiten „Ein Ganzes“ erzeugt (l. c.) und zur Selbstbeziehung wird, musste in ihr jenes ,schönste aller Bänder‘ (desl_m de j²kkiotor) walten (Timaios 31 c), das sie nicht nur miteinander, sondern auch noch mit dem verbindet, das diese Verbindung durchführt: Dieses schönste Band vermittelt also nicht zwischen zwei Separaten, die es der Identität überführte. Es verknüpft „sich selbst“ mit dem von ihm Verbundenen als mit sich selbst (SW I/2, 361), so dass das Verbundene auch das Andere seiner selbst (oder „i n diesem Anderen sich selbst das Eine“) heißen darf (SW I/7, 54 [f.]). Nur wenn die Teile des Verbundenen „für sich“, also vom Bande abstrahiert, auftreten, heißen sie dem ,bloß Einen‘ gegenüber ,das Viele‘.
3. Schellings Platonismus ist nachhaltig geprägt durch Oetinger und Hahn Es scheint, als habe Schelling diesen Gedanken nicht erst aus seiner Tübinger Platon- oder Kant-Lektüre gewonnen, sondern aus einem
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I. TEIL: FRÜHE VORAUSSETZUNGEN (1794)
noch viel früheren Studium der ,Schwabenväter‘. Auf diese Abhängigkeit will ich nun einen eigenen Blick werfen. Die Tatsache selbst ist unbestritten, in zahlreichen historischen Studien betont und im Detail nachgewiesen worden. Ich will hier lediglich zeigen, wie sie den Blick auf Platon und die besondere Aufmerksamkeit auf die Spitzenstellung der Kategorie ,Wechselwirkung‘ befördert hat. Ich beginne mit einer kurzen biographischen Erinnerung. Schelling ist durch sein Elternhaus und die großartige Bibliothek des Vaters von Kind an tief geprägt vom Geist des so genannten ,spekulativen Pietismus‘ (Plitt I, 21). Sein Vater, der sich einen „Schüler Bengels im weiteren Sinn“ nannte und in dessen Haus Philipp Matthäus Hahn verkehrte, trat als Prälat in Murrhardt in die Nachfolge Oetingers. Ausschlaggebend für Schellings Studium der ,Schwabenväter‘ waren freilich die dreieinhalb Jahre in der Nürtinger Lateinschule (1783 – 1786). Der achtjährige Knabe war nicht nur in der Wohnung seines Onkels mütterlicherseits, des Diakons Nathanael Köstlin, untergebracht, sondern wurde auch von ihm selbst unterrichtet. Hier wurde Schelling erst so richtig vertraut mit den Lehren und den reichlich in der Bibliothek vorhandenen Schriften Johann Albrecht Bengels, Friedrich Christoph Oetingers und besonders Philipp Matthäus Hahns.39 Auch der Onkel Faber väterlicherseits in Neuffen war „ein feuriger Anhänger Oetingers“ (Plitt I, 4). Durch die spekulativen Pietisten war platonisch-neuplatonisches Gedankengut, angereichert mit jüdisch-kabbalistischer und protestantischer Mystik (Isaak Luria, Jacob Böhme) höchst gelehrt und geistvoll tradiert worden, wenn auch gelegentlich im Konflikt mit dem kirchlichen Konsistorium Württembergs. All das ist wohlbekannt. Aber wie genau imprägniert die Lektüre Oetingers und Hahns Schellings frühe Platon-Studien und das Gewicht, das er Kants Organismus-Gedanken zumisst? 39 Vgl. u. a. Rudolf Schneider 1938; Reiner Heinze 1969; Volker Schäfer 1989; Gerhard Schäfer 1995; Tonino Griffero 2000; Bruce Matthews 2011, 53 – 68.
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3. OETINGER UND HAHN
Da ist allem voran das Timaios-Zitat, das sich fast in jeder von Schellings Publikationen des Jahres 1806 direkt oder leicht abgewandelt findet. Es ist dasselbe, das Hegel unter Angabe der Quelle in seiner Differenzschrift übersetzt hat, um das Eigene von Schellings Identitäts-Auffassung historisch zuzuordnen (Hegel 1970a, 97 f.) Ausgerechnet diese Stelle bleibt im Timaeus-Kommentar unerwähnt, Schellings Kommentierung überspringt sie auffällig.40 Bruce Matthews hat sie dagegen als Motto über seine Doktorarbeit gestellt (Matthews 2011, v). Obwohl ich sie im letzten Abschnitt zitiert und besprochen habe, rufe ich sie rasch in Erinnerung: D¼o d³ lºm\ jak_r sum¸stashai tq¸tou wyq·r oq dumatºm· desl¹m c±q 1m l´s\ de? tim± !lvo?m sumacyc¹m c¸cmeshai. Desl_m de j²kkistor br #m art¹m ja· sumdo¼lema fti l²kista 4m poi0 (Timaios 31b–c). Zwei Dinge allein auf vollkommene Weise zusammenzufügen ohne ein Drittes, das geht gar nicht. Ein Band muss ihren Zusammenhalt vermitteln. Das vollkommenste aller Bänder aber ist dasjenige, das sich selbst und die Verbundenen so fest als möglich zu Einem macht/flicht. (Übersetzung von M. F.)
Der Sinn dieser merkwürdigen Passage wird uns zu beschäftigen haben. Hier ist nur eine kurze Ad-hoc-Lesehilfe: Das Band verbindet sich selbst mit den Verbundenen, sagt Platon (und Oetinger zitiert das), so dass sich die Identität verdoppelt. Einmal ist das Band (deslºr) mit dem einen, ein zweites Mal mit dem anderen Relat verbunden; und erst dadurch sind es die Relata – mittelbar – untereinander. Das ist die Keimzelle der berühmt-berüchtigten ,Identität der Identität und der Differenz‘; denn ohne das Band differieren die Relata natürlich, sie sind zweier-, nicht einerlei.41 Diese In-einsVerflechtung wird Oetinger ,Simplification‘ nennen. 40 Zwischen der Stelle 31b8 und 32c klafft eine Kommentierungs-Lücke. 41 Vgl. den Kommentar mit detaillierten Nachweisen der Textstellen, auf die sich Oetinger oder die von ihm benutzten Texte beziehen (1977a, 2. Teilband, 147 ff.). Der Kommentar, in dem eine riesengroße Arbeit steckt, ist auch für alle weiteren hier herangezogenen Textstellen äußerst nützlich.
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Wiederholt kritisiert Oetinger Leibnizens Lehre von der undifferenzierten Ein(erlei)heit der Monade und setzt ihr die Vorstellung einer organischen Vielfalt von Kräften entgegen, die er mit dem Freiherrn von Creutz auch recht platonisch „ein Mittelding“ nennt, das ,weder einfach noch zusammengesetzt‘ sei (Oetinger 1977b, 138 – 143).42 Wie ein solches näherhin strukturiert sein könnte, wird in 18 kettenschlussartig angeordneten Thesen durchaus scharfsinnig erwogen. Von Creutz kommt zu dem Schluss, es sei ein Wesen denkbar, das durch diese beiden entgegengesetzten, aber sich nicht widersprechenden Prädikate charakterisiert werden könne: als „außer einer andern vorstellbare Wirklichkeit [Entität]“ und als „nicht ohne eine andere vorstellbare Wirklichkeit [Entität]“ (142, Satz 21 – 22). Das erste Horn der Alternative könne als eine einfache Kraft gedacht werden, ohne andere auszuschließen, das zweite nicht; es sei aber mit dem ersten dann nicht im Widerspruch, wenn die Vielheit der Teile so beschaffen sei, dass diese ohne einander nicht existieren können, also ebenfalls, und zwar notwendig, eine (synthetische) Einheit bilden (Satz 21). Ich denke, das ist recht genau die Struktur, die Kant und Schelling einem Organismus zuschreiben. Es ist die Struktur der Gemeinschaft. Sie schlägt übrigens durch auf Schellings berühmte Bestimmung der Liebe: [D]ieß ist das Geheimniß der Liebe, daß sie solche verbindet, deren jedes für sich seyn könnte und doch nicht ist, und nicht seyn kann, ohne das andere (SW I/7, 408; ganz ähnlich schon: I/7, 174, Nr. 163).
Im 8. § der „Neue[n] Metaphysische[n] Erwegungen [sic!] über das Cabbalistische System, woraus die 10 Ausflüsse Gottes begreiflicher werden“ (Oetinger 1977b, 170), hebt Oetinger noch einmal zu einer „Wiederlegung [sic!] der Monaden“ (175) an. Diesmal nicht mit Mitteln der Logik, sondern nur durch den Nachweis, dass das 42 Oetinger zitiert zustimmend aus dem Versuch über die Seele des Freiherrn Friedrich Carl Casimir von Creutz.
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unauflösliche Band der Kräfte mit dessen Auflöslichkeit im Leben der Kreatur unverträglich ist: Wenn nun in dem Leben Gottes verschiedene Kräften seyn, welche sich in die Creatur deriviren, so kann auch kein einfach Ding ohne Verschiedenheit der Kräften entstehen. [„Ohne Verschiedenheit der Kräfften könnte der Creatur keine Selbstbewegung mitgetheilt werden; denn die zwey widrige CentralKräfften, welche NEUTON aus der Natur erfunden, sind der Grund der SelbstBewegung.“] Mit dieser Verschiedenheit ist also jedes Geschöpffe auflößlich. Gott kann der Creatur die Unauflößlichkeit und die Ausnahm von der Finsterniß nicht communiciren, daher ist einfach seyn und zugleich mit Verschiedenheit der chaotischen Kräften geschaffen werden contradictorisch (175; das Zitat in eckigen Klammer aus dem § 9).
Unter dem Lemma „Wille“ kommt Oetinger auf die LeibnizWolff’sche Monadologie noch einmal geistvoll zurück (Oetinger 1999 I, 356 f.). Hier stellt sich das Problem folgendermaßen: Dass ein ,einheitliches denkendes Wesen‘ (eine Kant’sche Apperzeption) aus der Zusammensetzung einzelner Vorstellungen oder Vorstellungstypen (Sehen, Hören, Riechen, Denken) entstünde, ist unverständlich. Die Zusammensetzung wäre vielmehr „überflüssig“. Denn die Einzelvorstellungen wären ja in sich schon einig. (Der Gedanke ähnelt auffällig dem kantischen eines „Selbst[s]“ das nicht von Vorstellung zu Vorstellung ein anderes wird [KrV B 134].) Die Einheit eines Wesens, das sie alle im Bewusstsein vereinigt, muss also anders erklärt werden, und hier wählt Oetinger die mystische Formulierung vom „wechselseitigen Innestehen einer Kraft in der andern“. Was er in dunklen Metaphern sagen will, scheint dies zu sein: Die ,organische‘ Durchdringung oder Integration der subalternen Einheiten ist „keine Zusammensetzung, sondern eine ineinander Wirkung“, eine „Erhöhung der Kräften, die ineinander seyn“ (Oetinger 1999, 356 f.). Die Vereinigung der mannigfaltigen Kräfte/ Vermögen darf nicht additiv erfolgen, sondern muss auf ein integrales Vereinigungsvermögen zurückgreifen, das, dem platonischen ,Dritten‘ gleich, eine „Simplification“ der Verschiedenen tatsächlich
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bewirken kann. Dazu muss es ursprünglich schon (Kant würde sagen: a priori) in sich selbst einig sein, um seine Einheit den zu vereinigenden „Teilen“ mitteilen, nicht von ihnen synthetisch erben zu können. Um auf den Kettenschluss des Freiherrn von Creutz zurückzukommen: Schelling wird durch die Unterscheidung des praeter se und des extra se zeigen (z. B. SW II/3, 352), dass die Reflexionsbestimmungen Einheit und Verschiedenheit sich (unter einer bestimmten Deutung) nicht widersprechen; und diese Indifferenz der Verhältnisse in Gott gibt Oetinger ja selbst zu. Warum aber spart Schellings Timaeus die Kern-Passage 31c–32a aus seinem jugendlichen Kommentar aus? Dafür habe ich ebenso wenig einen Beleg wie für sein wiedererwachtes Interesse an Oetinger und dem Timaios gerade in der Zeit um 1806. Tagebücher oder Briefe, die uns diese Information lieferten, sind (mir) nicht bekannt. Natürlich mag sich Schellings Auskunfts-Unfreudigkeit 1806 auf den Timaios – die Quelle auch für Oetinger – selbst beziehen; denn zwischen Philosophie und Religion (1804) und der Freiheitsschrift (1809) waren ihm, auch in Reaktion auf zeitgenössische Platon-Forschungen, ernste Zweifel an Platons Verfasserschaft gekommen.43 Im Übrigen haben wir bei Schelling immer damit zu rechnen, dass er seine geheimen Inspirationsquellen verbirgt, wenn es nicht gerade Autoren wie Platon oder Kant sind. Erst Tagebuch-Einträge vom 7.–9. März 1809 und vom 26. Januar 1810 geben Auskunft darüber, dass er sich mit Oetingers Abhandlung über die Irrdische und 43 Der Hauptbeleg ist Schellings Brief an Carl Josef Windischmann, der ihm gerade ein Exemplar seiner deutschen Übersetzung des Timaios zugeschickt hatte. Im Dankesschreiben vom 16. 1. 1804 behauptet Schelling, der Timaios sei gar „kein Werk des Plato“, sondern womöglich ein ganz spätes, vielleicht christliches, „das den Verlust des ächten ersetzen sollte“ und so ein gutes Lehrstück biete zum Studium des „Unterschied[es] des Antiken und Modernen“ (Fuhrmans III, 46; so auch SW I/6, 36 f.). Weitere Belege bei Krings (1994, 119, Anm. 6, und 145 ff., bes. 148 – 151).
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himmlische Philosophie […] (1765) beschäftigt hat,44 die ausdrücklich auf diese Passage des Timaios Bezug nimmt: Aus Ezechiel Cap. 1 u. 10 erhellet, daß diese Kräffte in einander sind, wie ein Rad in dem andern, wie ein fyom in dem andern. Sie sind nicht auseinander gesezt, wie die Simplicia/ monadum. Sondern sie sind von GOtt zur gegenseitigen Inexistenz d. i. Intensität [sic! eine Art der Wechselwirkung] gebracht. Dieses Band der Kräfften heißt das Leben Gottes und das Leben der Creatur. In Gott ist es indissoluble, in der Creatur selbst nach Plato [an der eben angegebenen Stelle 31c und 41a-b] dissoluble (Oetinger 1765, 183 f.; = Oetinger 1977a 2, 260 f.).45
Diese Art der Zusammenfügung nennt Oetinger in seiner Privatsprache ,Essentiierung‘, wobei er sich aber immer noch an Platons Metapher vom Band orientiert, das Materie und Geist ,zu einem Einem flicht‘ (,simplificirt‘): GOtt allein ist der Essentiator: Er fügt die Dinge zusammen, daß der Stoff zu Geist werde; Er macht, daß alles im ewigen Wort simplificirt werde, was materialisch ist; daher wird die Seele nicht aus Kräfften componirt, sondern essentificirt. Essentificiren heißt, ad inexistentiam et intensitatem bringen. (l. c., 184/261)
Im göttlichen Logos, im göttlichen Wort seien die Kräfte vereint (zu ,Einem‘ geworden: „simplificirt“), die in der und durch die 44 Oetingers Schrift wird oft auf den Titel Swedenborg gekürzt. Im Tagebuch von 1809/10 notiert Schelling: „Teils mit Umschreibung des Vorherg[ehenden: gemeint wohl Friedrich Schlegels Abhandlung über Sprache und Weisheit der Indier], teils mit Studien fürs folg[ende] zugebr[acht]; dazu gelesen Oetingers Swedenborg und a[uch] das vortrefflich.“ „Oetingers [Schriften] gelesen – Swedenborg“ (Schelling 1994a, 12 f.; vgl. den Hinweis der Herausgeber S. 45, dass Schelling damals Swedenborg überhaupt nur durch Oetingers Vermittlung kannte). 45 Vgl. l. c., 236 f.: „Aus dem Anschauen der Welt, die so unver/änderlich zusammen gehalten wird, mußt du schließen, es sei ein ewig unauflöslich Band der Gottheit, wodurch alles zusammen gehalten wird.“ Und: „Das ganze Gesicht [gemeint ist eine Vision Ezechiels, Cap. 43] malt uns ab das unauflösliche Band der Kräfte Gottes in dem ewigen Leben, davon die nächsten Geschöpfe mehr, die entfernteren weniger an sich tragen“ (348, vgl. 354).
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Schöpfung auseinandertreten, indem sie aus einem Zustand der „Indifferenz der Kräfte“46 in einen solchen tatsächlicher Trennung übergehen (Oetinger 1999 I, 246): „N a t u r ist ein Drittes aus zweien, nemlich ex agente et patiente“ (Oetinger 1977a 2: 383), und oft werden die auseinandertretenden und doch aneinander gefesselten Strebungen mit Newtons Widerstreit ausdehnsamer und kontraktiver Kräfte47 oder – mit Pseudo-Dionysius – als Antagonismus dunkler und lichter Kräfte identifiziert. Fast gleichlautend – diesmal unter Bezug auf biblische Quellen – äußert sich Oetinger in der Lehrtafel der Prinzessin Antonia (1763). Nur was aus „zwey widrige[n] Kräften“ konstituiert ist, verfügt über „Selbst-Bewegung“ oder „freithätige Kraft“ (Oetinger 1999 I, 356):48 Die Freitätigkeit (Aktion) ist die Wirkung einer Selbstbewegung oder eines Selbst-Vermögens […]. Die freythätige Kräften [sind Kräfte der göttlichen Weisheit] und [als solche] alle gewurzelt in dem unauflöslichen Band der Kräften des Lebens GOttes (Hebr. 7, 16). Diß unauflösliche Band ist in Gott nothwendig, d. i. es kan nicht anders als unauflöslich seyn; hingegen ist alles, was aus dem Leben GOttes zur Würcklichkeit eines Geschöpfes gelangt, auflößlich, contingent, und hat statt der blossen Endlichkeit, wie die Philosophen sagen, zuerst Finsterniß, d. i. der Kräften 46 In Oetinger (1977b, 179) ist auch von ,chaotischer‘ „Indisctinction“ die Rede, aus der die Kräfte in eine „formirte Unterschiedenheit“ heraustreten. 47 Die Irdische und himmlische Philosophie enthält ein ganzes Kapitel über die „Newtonsche Philosophie“ (Oetinger 1977b 2: 198 – 214, darin einen Abschnitt mit der Überschrift „Von den Kräften“: 99 ff.). Anderswo: „Es sind 2 CentralKräften NEUTONS [sic!], die streiten in der ewigen Natur“ (Oetinger 1999 I, 247). 48 Im Artikel „Wille, Thelema“ heißt es näherhin: „Gott hat aus dem Grund seiner Freiheit der Kreatur zwei widrige Kräfte eingesenkt, damit die Kreatur nicht von Ewigkeit seie, sondern Anfang und Ende habe, und die unerschöpfliche Zufälligkeit oder Contingenz der Kreatur einen wahren Grund in der Freiheit habe, dabei aber doch den Character der Freiheit von Gott in der Selbst-Bewegung empfange, dardurch wird der Pantheismus oder Spinozismus aus der Wurzel getilgt“ (Oetinger 1999 I, 356; Oetinger verweist hier selbst auf das nachfolgende Zitat aus der Lehrtafel).
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chaotische Modification [331] an sich, biß die Finsterniß ins Licht verwandelt wird (Oetinger 1977b, 174; vgl. 174, 179, 204).49
Der Vers aus dem Hebräerbrief – er spricht von der Unsterblichkeit des Hohepriesters („kraft seines unauflöslichen Lebens“, „jat± d¼malim fy/r !jatak¼tou“) – trägt semantisch gar nicht, was Oetinger ihn sagen lässt. Viel signifikanter ist das wahre Vorbild des Timaios (41a–b): [Der höchste Gott spricht:] ich bin euer Schöpfer (dgliouqcor) und der Vater der Werke, die durch mich entstanden sind (di’ elou cemolema) und nicht zerstört werden können (akuta),50 solange ich nicht will. Freilich kann alles[, was verbunden ist,] wieder aufgelöst werden (pam kutom); doch das, was vollkommen zusammengefügt und in einem guten Zustand ist (to ce lgm jakyr "qloshem jai 1wom eq), wieder aufzulösen, kann nur ein Frevler (jajou) wollen. Darum seid auch ihr, da ihr ja entstanden seid, nicht unsterblich und völlig unauflöslich (akutoi). Indes sollt ihr doch nicht aufgelöst werden (outi lem dg kuhgseshe) und auch nicht dem Todesschicksal verfallen, weil ihr meinen Willen in euch tragt, und der ist ein noch stärkeres und mächtigeres Band (deslou […] juqioteqou), als es jene Bänder waren, mit denen ihr bei eurer Entstehung gebunden wurdet.
Aber auch im Biblischen und Emblematischen Wörterbuch gibt es zahlreiche Belege für die Überzeugung, „daß verschiedene Kräften in GOtt seyen in einem einigen Band“ (Oetinger 1999 I, 331). Und ebenso zum Unterschied des in Gott unauflöslichen Bandes von seiner durch „Mißbrauch der Freiheit, nicht aber von aussen“ bewirkten ,Zertrennung‘ (l. c.):
49 Wichtig der Kommentar (2. Teilband, S. 131 zu S. 132, Z. 21 f., des Textbandes): „Vgl. auch PLATON, Timaios 31b und dazu PROCLI DIADOCHI in PLATONIS Timaeum commentaria edidit ERNESTUS DIEHL. I, Lipsiae 1903, S. 457 f. zu PLATON, 31 b“. 50 Oetingers Artikel „Unauflößlich. Akalytos“ (im Biblischen und Emblematischen Wörterbuch) ersetzt den platonischen Ausdruck durch den neutestamentlichen (Oetinger 1999 I, 331 f., unter Verweis auf Ebr. 7, 16 und Matth. 10, 28).
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Aus der [der] Kreatur anhängigen Einschrenkung, Limitation und Finsterniß macht sich GOtt Wege, als ein [S. 453 Erstdruck] unauflößlich Band der Kräften (Ebr. 7, 16), ohne seine Auflösung sich zu offenbaren51 […] (246). Daß die Kräften im Geschöpf zertrennlich seyen von innen durch Mißbrauch (Matth. 10, 28 [Platons ,Frevel‘]); Daß in dieser Zertrennlichkeit der Kräfte [S. 637 Erstdruck] der Grund der Möglichkeit des Falls, daß der Philosophen Begriff von Endlichkeit nichts tauge (331).
Diese Gedanken weisen freilich voraus auf den Schelling der Weltalter-Phase (die Selbst-Repräsentation Gottes in der und als Indifferenz der gegenläufigen Strebungen löst das ewige Band nicht, das kann nur die frevelnde Freiheit des Geschöpfes tun) und entfernen sich von der Identitätsphilosophie. Eine zweite, viel weniger beachtete Quelle für den pietistischen Filter, der über Schellings jugendlicher Platon-Lektüre lag, ist Philipp Matthäus Hahn, auch er vom württembergischen Konsistorium wegen ketzerischer Lehren gemaßregelt, ja seines Pfarramts enthoben (Stäbler 1992, 17). Diesem Mann war der „kleine Knabe“ schon im Elternhaus oder bei Köstlin mit Ehrfurcht begegnet. Als Hahn 1790 starb, schrieb ihm der 15-jährige Schelling die erstaunlich frühreife Elegie bei Hahn’s Grabe gesungen (HKA I.1, 43 f.). Im Rückblick sagt Schelling über ihn:
51 D. h.: Seine Kräfte verharren im Zustand der Indifferenz; sie sind Gott sichtbar (durch das Spiel der Weisheit/Sophia: „Sprüchw. 8, 30“), aber noch nicht entäußert. (Oetinger 1999 I, 331: „Daß diese Kräften in GOtt nicht getrennt werden können.“) L. c., 247: „Man stelle sich vor, daß der Wille GOttes sich selbst gefaßt. Es hat sich die anziehende Kraft, die ewige Attraction, mit ins Spiel gemischt. Die ausdehnende Kraft mußte dieser zusammenziehenden widerstehen.“ Was in diesem Widerspiel entsteht, ist „eine geformte Kraft“. Dabei spielten Gestalten vor Gottes Weisheit: Es sind die Präfiguration künftiger Kreationen, die sich im Mittel einer ins Unendliche gehenden und einer limitativen Tätigkeit einfinden. Man sieht hier einmal mehr, wo des späten Schellings anthropomorphe Bilderwelt sich bedient hat.
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Ich habe diesen großen Mann auch als kleiner/ Knabe mit geheimer, unverstandener Ehrfurcht gesehen; und sonderbar genug, mein erstes Gedicht, deren ich in meinem Leben wenige gemacht, war auf seinen Tod. Nie werde ich seinen Anblick vergessen (Brief an Gotthilf Heinrich Schubert vom 4. April 1811, in: Plitt II, 251 f.; auch HKA I.1, 34).
Wieder hat Matthews anzugeben versucht, was genau diesen tiefen Eindruck hervorgerufen haben mag,52 sofern er über die Person hinaus auf Kenntnis von Publikationen beruhte. Mit Hahn teilt Schelling die Doppelneigung zur übersinnlichen Welt (zur Spekulation, ja zur bibelgestützten Geisterseherei) bei großem Respekt vor der Beschaffenheit und dem genauen Studium der materiellen Wirklichkeit (Hahn war einer der begnadetsten Mechaniker und Erfinder seiner Zeit). Das Motto über Schellings Studienheft zu Platon, das die irdische von der göttlichen Kausalität sowohl unterscheidet als auch zusammenführt (Timaios 68e5 – 69a1, vgl. hier S. 23 f.) hätte ebenso gut über Hahns Schriften stehen können (Matthews 2011, 52). Hahn vor allen scheint Schelling nämlich den Schlüsselgedanken seiner Naturphilosophie zu verdanken, wonach das All als etwas Belebtes zu denken sei: als ein „Tier“, ja, als „Weltseele“ im Geiste von Platons Timaios. Wie dieser sieht er im „Leben“ einen Widerstreit von Materie und Form oder, wie er mit Newton und Böhme (und, nicht zu vergessen, Kant) lieber sagt, anziehenden und abstoßenden Kräften, die in einem Dritten, der göttlichen Indifferenz, gleichsam ruhen (Hahn 1779, 17, 14 f.). In dieser Ruhe (oder Indifferenz), die wie später bei Schelling „als ein Nichts“ vorzustellen sei, hält sich der kabbalistische „Ensoph“ oder „Ungrund“ (Hahn 1989a, 434; Schulte 1994). Wie den Gott des Timaios haben wir ihn uns als irreduzibel auf das Widerspiel der Kräfte vorzustellen, die in ihm in einen Zustand der Latenz gebunden oder virtualisiert sind. Hahn spricht gar von einer Dreiheit oder Trinität von 52 Matthews (2011, 51 – 68). Vgl. Jörg Jantzens Editorischen Bericht zu HKA I.1, 36; Stäbler 1992.
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„Ichheiten“, die mit der Anthropogenese als Leib, Seele und Geist auseinandertreten (zit. Stäbler 1992, 59, vgl. 63). Natur sei ,ein Drittes aus Zweien‘ (Hahn 1989a, 20 [ff.]), sie zerreiße das göttliche Band, aber nicht ganz, so dass es als Organismus fortexistieren könne. Der Organismus ist gleichsam die irdische Überlebens-Form der göttlichen Dreieinigkeit: eine durch Zweckmäßigkeit gelenkte mechanische Kausalität. Die Rede ist von einer differenzsensitiven Form der Identität, wie sie auch Schelling annehmen wird: Das, was eins ist, ist auch das, was alles ist. Tatsächlich ringt Hahn ständig um Metaphern, die die Gleichursprünglichkeit von Differenz und Einheit nicht nur sichtbar, sondern auch fasslich machen, etwa die der ,Verwobenheit‘ beider wie in einer Tapisserie (Hahn 1779, 126). Oder ,zweier Seiten einer Münze‘, ja einer „gegenseitigen Reflexion“, die dem Reflexe-Spiel von Schellings Ferneren Darstellungen (1802)53 ähnelt 53 „Die reflektirte Welt ist eben diejenige, in welcher Unendliches und Endliches getrennt erscheinen. Die Einheit beider kann daher, inwiefern sie in die Sinnenwelt selbst fällt, nur entweder im U n e n d l i c h e n oder im E n d l i c h e n reflektirt werden. Die beiden Reflexe sind das, was wir Zeit und Raum nennen (Verhältniß beider = subjektiv : objektiv). Die Einheit beider – nicht wieder, es sey im Unendlichen oder im Endlichen, sondern – a n s i c h angeschaut, ist nur Princip der absoluten Wissenschaft, ist der Gegenstand der r e i n e n intellektuellen Anschauung, und zugleich sie selbst, weil hier Anschauung und Gegenstand eins“ (SW I/4, 369, Anm.). (Die intellektuelle Anschauung hat natürlich ihrerseits in Hahns „Zentralschau“ ihr Vorbild.) Nimmt man drei weitere Stellen hinzu (denn das Gespenst der intellektuellen Anschauung soll uns hier nicht aufhalten), sieht man erst Schellings Pointe, die durchaus an Hahn erinnert: Wäre das Absolute nichts als ein ,sich selbst spiegelnder Spiegel‘ (Hahns „gegenseitige Reflexion“), so würden sich die beiden Reflexe zwar wechselseitig ihr (unabhängiges) Sein aberkennen, aber keins bezeugen. Denn als bloße Reflexe borgen sie ihr Sein beim anderen, das selbst keins hat und wieder beim ersten borgen muss, wodurch sich beide „gegenseitig“ vernichten (I/4, 343 f., 397; I/6, 195 f.). Ist nun ein Absolutes (das meint: soll dieser Begriff nicht leer sein), so kann sein Bestand (sein ,Sein‘) sich nicht auf das Widerspiel leerer Reflexe gründen. Darum betont Schelling immer wieder „die gänzliche und absolute Unabhängigkeit der I d e n t i t ä t oder der G l e i c h h e i t a n s i c h s e l b s t von dem Subjektiven und Objektiven“ als ihren Reflexen (vgl. l. c., 163 f.; so schon I/4,
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(Hahn 1779, 136; Stäbler 1992, 199). Matthews identifiziert Hahns „medium conjugendi der 2 Extrema“ (Hahn 1989a, 394 f., 321) ohne Weiteres mit Platons „deslºr“ (Matthews 2011, 56 f.), erläutert die Parallelen zu Platons „Band des Lebens“ (Timaios, 73b3) und zu Oetingers ,Band der Kräfte im Leben Gottes‘. Auch den durch die jüdische Mystik vermittelten Gedanken des Zimzum, der Freisetzung einer Welt durch die „Contraction“ Gottes (Habermas 1971a, 1971b;54 Scholem 1967; Schulte 1994), scheint Schelling Hahn zu verdanken.55 Wie Oetinger nimmt Hahn an, dass das in Gott ,unauflösliche Band‘ – nach dem Rückzug („Contraktion“) Gottes auf seine erste Gestalt – im und vom Menschen aufgesprengt werden kann. Das ist die Geschichte, die Schelling von Philosophie und Religion (1804 [SW I/6, 42 im Kontext]) übers Würzburger System (SW I/6, 552, 561) und die Freiheitsschrift bis in die Spätphilosophie hinein nicht müde wird zu erzählen. Freiheit erscheint hier unter negativem Vorzeichen, als „Mißbrauch“, wie Oetinger, oder als „Frevel“, wie es der Gott des Timaios nennt (41a–b). Aber die Verfolgung dieses Gedankens gehört nicht in den BegriffsZusammenhang, um den es mir hier geht.
117, § 3, passim). Ein hübsches Gleichnis (wieder aus demselben Kontext des Würzburger Systems): „Wie das Auge, indem es sich selbst im Widerschein, z. B. im Spiegel, erblickt, sich selbst s e t z t, sich selbst anschaut, nur inwiefern / es d a s R e f l e k t i r e n d e – den Spiegel – als nichts für sich setzt, und wie es gleichsam Ein Akt des Auges ist, wodurch es sich selbst setzt, sich selbst sieht, und das Reflektirende nicht sieht, es nicht setzt: so setzt oder schaut das All s i c h s e l b s t, indem es das Besondere nicht-setzt, nicht-schaut“ (I/6, 197 f.; fast ebenso: I/7, 172 [Nr. 150]; vgl. schon I/1, 389, Anm. 1). Man könnte das Argument, frei nach Sartre, den ,ontologischen Beweis der Reflexion‘ nennen (Sartre 1943, 28). 54 Zu Habermas’ früher Schellingforschung vgl. Frank (2009). 55 Schulte freilich gibt Oetinger als Quelle an (Oetinger 1979, Teil 1, S. 151, Zeile 18 f.): „Nulla enim neque creatio neque manifestatio fieri potest sine attractione, quod Hebraeis est Zimzum.“ Schelling sei mit der lurianischen Kabbala nicht aus den hebräischen Quellen, sondern durch Oetinger bekannt geworden, wie auch Franz Baader (Schulte 1994, 11 f., Anm. 33).
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4. Die Bedeutung der Kategorie ,Gemeinschaft‘, der Schritt über Kants ,Als-ob‘-Restriktion hinaus und der „Grundsatz aller Grundsätze“ Ich wollte im vorigen Abschnitt zeigen, welch kräftige Winke Schelling der Lektüre Oetingers und Hahns verdankt. Ich habe, Bruce Matthews ergänzend, die ausgewählt, die in die Richtung des Timaeus-Kommentars und der Formschrift weisen. Dies ist die zugrunde liegende Intuition: Die Grundstruktur des Organismus, des ,geistigen Tiers‘, ist durch die dritte Relationskategorie bestimmt: ,von sich selbst zugleich Ursache und Wirkung‘. Indem er von ihr her die Formel für das oberste Prinzip der Philosophie gewinnt, nähert sich Schelling der Wendung von der Identität ihrer selbst und des Gegensatzes. Denn durch die Reflexivität der Beziehung (,von sich selbst‘) lässt sich die Wechselwirkung nicht von der Idee einer differenzsensitiven Selbigkeit ablösen. In diese Richtung wies bereits Oetingers Kritik an Leibniz’ Monadologie. Dass die Selbstbeziehung Disparater – eines Wirkenden und eines Bewirkten, des Vielen und des Einen, der Materie und der Form, des Affirmierenden und des Affirmierten – den „Charakter des Geistes“ ausmache (SW I, 386), das steckt den begrifflichen Rahmen ab, innerhalb dessen die Gemeinschafts-Kategorie ihre in Schellings frühestem Werk erschließende Bedeutung entfalten konnte. Ich habe mehrfach darauf hingewiesen: Die Überschrift seiner zweiten Magister-Abhandlung hebt nicht bloß die hohe Bedeutung der Kritik der Urteilskraft als Vermittlerin zwischen Theorie und Praxis hervor, sondern auch Schellings besonderes Interesse an Kants Kategorien (und womöglich an Reinholds Umgestaltung ihrer Deduktion). Und das verdient in der Nachbarschaft zum Thema seiner ersten Dissertation (über Reinholds Elementarphilosophie) unsere besondere Aufmerksamkeit. Das gilt erst recht, wenn wir bedenken, dass Schelling seinen Prüfer (Jacob Friedrich Abel, Schil-
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4. BEDEUTUNG DER KATEGORIE ,GEMEINSCHAFT‘
lers Schul- und Jugendfreund) erfolgreich darum gebeten hatte, die Titel seiner Probearbeiten (die man ,Specimina‘ nannte) selbst wählen zu dürfen; üblich waren Verteidigungen von vorgegebenen Thesen der Stifts-Professoren. Die inhaltliche Nähe der beiden Arbeiten wird dadurch noch signifikanter, dass Schelling nur eine hätte schreiben müssen; aber er setzte durch, zwei zu verfassen. Die Wahl Abels als Prüfer lag auch darum nahe, weil Abel gerade und nur im Sommersemester 1792 über Reinhold gelesen hatte (Henrich 2004, 1660 ff.).56 Schellings Specimina waren überdies die ersten am Stift 56 Da wir über Abels Kolleg weiter nichts wissen, müssen wir uns mit einer kurzen Angabe in Abels „Lebensbericht“ begnügen. Er sagt da, dass er sich durch die Umstände genötigt sah, „für Schüler, welche die schwersten philosophischen Schriften lasen, sich mehr anzustrengen und tiefer einzudringen“. Doch scheinen diese Schüler viel mehr in privaten Debattierclubs und durch die Repetenten, besonders durch Diez, gelernt zu haben als durch Abel, der zwar über Reinhold vortrug, aber mit deutlicher Reserve, ja Kritik. Abel sagt, „die Anhänglichkeit einiger Matadore an die neueste Philosophie und mein Widerspruch gegen diese“ habe bei den Studenten, die obendrein „eine Art von halbabgeschlossener Gruppe bildeten“, „Abneigung“ erregt, die Hörerzahl sei zunehmend geschrumpft (zit. Henrich 2004, 1562). Es ist nicht schwer, sich auszumalen, dass Schelling, Hölderlin und Hegel Abel nicht gemocht haben, zumal er gut kollegiale Beziehungen zur Tübinger Orthodoxie, außer zu Flatt nämlich auch zu Storr, unterhielt (Henrich 2004, 1562 f.; zu Abels Reinhold-Rezeption auch: 1660 – 62). Flatt schreibt später an Süßkind (30. Juni und 3. Juli 1797), früher Diezens Freund und Briefpartner, dann zunehmend konservativ, er habe unter der Ablehnung von „Schelling und seine[n] Freunde[n]“ (damit wird wohl der „halbabgeschlossene Kreis“ identifiziert sein) sehr gelitten, ja sich ,gekränkt‘ gefühlt, „da ich so genau wußte[,] wie ganz planmäßig sie daran arbeiteten, das Gute, das ich wirken wollte[,] zu verhindern, und mir auf alle Art wehe zu thun“. So bleibt das Bild, das die kantische Philosophie in Tübingen keine Unterstützung durch Professoren fand, sondern nur unter Vorbehalten – oder als Gegenstand von Warnungen/Widerlegungen – ins Lehrprogramm einrückte. Sowohl Flatt als auch Abel verteidigten die Möglichkeit einer Metaphysik als einer Erkenntnisform gegen Kant; und der Tübinger Kanzler LeBret (bei dem auch Schelling Veranstaltungen besuchte) warnte öffentlich vor Schriften Kants, Reinholds und (später) Fichtes. Schließlich: Wir lernen aus Flatts Brief an Süßkind, dass Schelling die „Zentralperson“, ja der „Rädelsführer“ der Gruppe war (Henrich 2004, 1571), die Flatts christliche Dogmatik verachtete und gegen sie agitierte. Noch am 4. August 1797
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geschriebenen, die ausschließlich Themen der neuesten kantischen Philosophie gewidmet waren. Kantische Themen waren seitens der orthodox-protestantischen Professorenschaft starkem Gegenwind ausgesetzt. Beide Specimina gelten als verloren.57 Schaut man aus weitem Winkel auf die Erstlingsschrift, wird man rasch mehrere Motive ausmachen, die um jeden Preis nach einer Vereinigung suchen. Die Ungeduld verleitet den jugendlichen Verfasser zu Gedankensprüngen und Lücken im Argument, die die geneigteste Leserin und den bestwilligen Leser (jedenfalls mich) überfordern. Da wabert zunächst die (platonische, kantische, Reinhold’sche) Frage, die Aenesidemus zugespitzt hatte: ob sich über Materie und Form ein beide überwölbender höherer Baustoff (oder Grundsatz) erschließen lasse. Der schwache Skeptiker Aenesidemus hatte zwei Annahmen als unmittelbar gewiss gelten lassen, aber den Gedanken abgewiesen, eine lasse sich aus der anderen oder beide lassen sich aus einer höheren ableiten: 1. dass es „Vorstellungen in uns [giebt], an welchen sowohl mancherley Unterschiede von einander vorkommen, als auch gewisse Merkmale angetroffen werden, in Ansehung welcher sie mit einander übereinstimmen“. Schelling nennt das grosso modo den ,materiellen‘ Grundsatz; 2. dass der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch das höchste Formalprinzip dieser (und aller) Philosophie sei: „Der Probierstein aller Wahrheit ist die allgemeine Logik; und jedes Raisonnement über Thatsachen kann nur in so fern auf Richtigkeit Ansprüche mabittet Schelling Niethammer, den „theol. Schund eines Flatt“ in der Jenaer Allgemeinen Literaturzeitung möglichst schlecht zu rezensieren, da er sich das als Württemberger nicht leisten könne. Damit hat Schelling in Flatts Erinnerung nach dem Weggang seines Lehrers Diez offenbar sogar die Vorreiterrolle übernommen (Henrich 2004, 1567 f.; der Brief befindet sich in Henrichs Privatbesitz: 1115, Anm. 169). 57 Fuhrmans 1962, 21, 41; Jacobs 1989, 74, 284; sie könnten sich in Abels Nachlass befinden, nach dem nie gründlich geforscht wurde: Henrich 2004, 1559 f.
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chen, als es mit den Gesetzen der allgemeinen Logik übereinstimmt“ (Aenesidemus 1792, 45 f.; vgl. schon 24). Schon Reinhold hatte versucht, beide Ansprüche durch seinen „Satz des Bewusstseins“ zu befriedigen, das heißt in seiner Sprache: sie aus einem und demselben Prinzip ,abzuleiten‘ oder zu ,deduzieren‘ (Frank 1998, 9. Vorl.).58 Fichte wird ihm folgen, indem er das Prinzip der Elementarphilosophie in ein ,sich selbst setzendes‘ absolutes Ich höherverlegt – denn höher muss dieses Prinzip angesetzt sein, sollen Vorstellung und ausgeschlossener Widerspruch aus ihm erst folgen. Ähnlich wie Reinhold tut Fichte das, indem er den Widerspruchs-Satz als unmittelbares Implikat der bewussten Selbstidentifikation des Ichs (,Ich = Ich‘) ,ableitet‘; denn aus der mit Ge-
58 Das hatte Aenesidemus beanstandet. Reinholds Satz des Bewusstseins sei nur ,material‘; er besage etwas. Aber er tue es in der Form eines prädikativen Aussagesatzes, die er keineswegs ableite. Vielmehr setze Reinhold stillschweigend allerlei voraus. Er setze, wie es Schelling zustimmend resümiert, vor allem „schon eine Form voraus […], die ein Verhältniß des Subjekts und Prädikats ausdrückt“ (SW I/1 93). Ferner das Verständnis der Ausdrücke ,Beziehen‘ und ,Unterscheiden‘, das aus dem Bewusstseinssatze gar nicht ,abgeleitet‘ war (Aenesidemus 1792. 84 ff.) Fichte ist in seiner Grundlage bemüht, Reinholds Versäumnis gutzumachen: In Wolff-Baumgarten’scher Tradition spricht er von ,Beziehungs‘- und ,Unterscheidungsgrund‘, die gleichursprünglich aus der Selbstsetzung eines absoluten Ichs folgten (Fichte 1971 I, 111; dazu Frank 2007, 381, 396 f.). Ebenso meint Schelling, Form und Inhalt müssen also gleichursprünglich aus einem beiden übergeordneten Wechsel-Grundsatz fließen: einem solchen, in dem „[eine] wechselseitige Begründung des einen durch den andern“ geschieht (SW I/ 1, 95 mit Anm. 1), statt dass sich die beiden wie exklusive Alternativen zueinander verhalten. Bei Reinhold und bei Aenesidemus seien die Grundsatzkandidaten – hier material, dort formal – nicht falsch bestimmt, sondern lediglich defizient: mit einer Beraubung angesetzt. Beide bearbeiten „immer nur einen Theil des Problems“ (95). – Dass es allerdings keine inhaltsfreie formale Logik gebe, wird von Schelling grundlos vorausgesetzt; und um die Einsichtigkeit seiner Urform darf man sich auch Sorgen machen. Darum geht es mir im gegenwärtigen Zusammenhang nicht.
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wissheit vollzogenen Selbstidentifikation des Ich scheint der Widerspruch als etwas ipso facto Ausgeschlossenes zu folgen.59 Das sieht näherhin so aus: Ist der Bestand eines ,Ichs‘ ausgemacht, so ist es damit als mit sich identisch verstanden, und die Identität ist seine Form – ebenso dies, dass es sich von dem, was nicht es selbst ist, unterscheidet. Denn ohne Unterscheidung würde es seine eigene Bestimmtheit einbüßen – gemäß Fichtes (zwei oder drei Jahre später aufgestelltem) REFLEXIONS-Gesetz aller unseres Erkenntniß – nemlich: Nichts wird erkannt, was es sey, ohne uns das mit zu denken, was es nicht sey. […] Und eben diese Art uns[erer] Erkenntniß, nemlich etwas vermittelst des Gegensatzes erkennen heißt etwas BESTIMMEN (GA IV.2, 41).
Damit formuliert Fichte eine der zeitgenössischen Philosophie gemeinsame Grundeinsicht. Novalis gab ihr schon 1795/96 diese Wendung: „Jedes Ding ist nur dann entgegengesezt, wenn es das, was es ist[,] nur durch ein bestimmtes Seyn des Andern ist“ (Novalis 1965, 234, Nr. 411). Und Schelling wird 1810 vom „G r u n d g e s e t z d e s G e g e n s a t z e s“ sprechen: „Jedes Ding, um sich zu manifestiren, bedarf etwas, was nicht e s s e l b s t ist sensu stricto“ (SW I/7, 435). Daraus lassen sich scheinbar ohne Weiteres die beiden formallogischen Trivialitäten ,A = A‘ und ,A ¼ 6 -A‘, aber auch das Konditional ,A ! A‘ oder ,- (A & -A)‘ ableiten. Allerdings muss man, wenn dies als Konsequenz durchgehen soll, eine gewagte Kontamination von Gegenstandsdiskrimination und Satzwahrheit in Kauf nehmen. Das Reflexionsgesetz erklärt, wie sich Gegenstände gegeneinander profilieren, und hier hat die Negation die Peirce’sche Bedeutung des ,anders als‘. Natürlich folgt daraus nicht, wie Fichte (und Schelling) wollen, der Satz vom Widerspruch als ein Ausgeschlossenes: ,Ich kann eine Proposition nicht zugleich annehmen 59 „Identische Sätze verhalten sich zu analytischen wie Art zur Gattung“, resümiert Schelling (SW I/1,106; sie sind Einzelfälle eines Allgemeinen: 109).
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und negieren.‘ Identität findet zwischen Gegenständen („principe des indiscernibles“), Widerspruch(sfreiheit) zwischen Sätzen (,principium substituabilitatis duarum propositionum salva veritate‘) statt. Nur, weil Leibniz’ Rationalismus60 diesen Unterschied (zwischen Gegenständen und Aussagen) nicht streng beachten zu müssen glaubte (Frank 1991, 83 ff.; Frank 2007, 376 ff., 411 ff.) und Schelling ihm in dieser Nichtfestlegung folgt, kann er glauben, die ausgeschlossene Negation sei einem mit sich identischen Inhalt immanent, gemäß dem berühmten Quine-Wort ,No entity without identity‘ (vgl. Grau 1999).61 Nachdem dies ,geklärt‘ ist, kommt Schelling noch einmal auf die Frage zurück, warum nicht – wie es Aenesidemus fordert – von zwei Grundsätzen, einem inhaltlichen und einem formalen, ausgegangen werden könne. Seine Antwort: Weil es dann keine einheitliche Wissenschaftlichkeit gäbe oder weil Wissenschaft dann nicht ,eine‘ und aus einem Guss wäre. Es gäbe eine Reihe mit einem Inhalt und eine andere mit einer Form, „was unmöglich ist“ (SW I/1, 95, Anm. 1). Form und Inhalt müssen sich eben wechselseitig durchdringen und bestimmen – wie im Grundsatz der Wechselwirkung. In ihm sieht er, in durchaus platonischer Formulierung, die „bestimmte Form der Verbindung dieser beiden […] gegeben“ (94).
60 Auf Leibniz’ angeblich bloß formalen „oberste[n] Grundsatz“ gibt Schelling eine kurze Hindeutung (SW I/1, 93 f.). 61 In seinen Briefen über die neuere Philosophie (1797) hat der Reinhold-Schüler Friedrich Karl Forberg Fichtes erste drei Grundsätze und Schellings Umgang mit denselben einer sehr kritischen logischen Analyse unterzogen. Er zeigt, dass Fichte und Schelling in ihren Reden von Widerspruch, Negation, Anderssein-als, Nichtsein, Kontradiktion und Subkontrarietät ihre Gegenstände nicht deutlich entflechten und so Äquivokationen und Erschleichungen produzieren. Insbesondere sei uneinsichtig, wie die Kontradiktion Ich = Nicht-Ich durch eine „Quantifizierung“ der Sphären von Ich und Nicht-Ich in einer Fifty-fifty-Teilung entschärft werden könne (dazu ausführlich: Frank 1998, 23. Vorl., 634 ff.). Im gegenwärtigen Zusammenhang darf ich dieses Zusatzproblem ausblenden.
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Dies einmal zugestanden, sieht man das aus Fichtes Begriffsschrift vertraute Programm sich abspulen: Ausgehend vom Ich übers NichtIch kommt der Prozess zum vorläufigen Stillstand bei der Interaktionsform beider: Beide müssen sich ihre Sphären ,teilen‘, aus Position und Negation ergibt sich Limitation. Wie Fichte spricht Schelling vom Unbedingten, vom Bedingten und der durch Unbedingtheit bestimmten Bedingtheit (SW I/1, 101). Anders als bei Fichte, tritt nun aber der erste Grundsatz hinter dem dritten zurück, und dieser heißt auch nicht, wie bei Fichte, „Quantitabilität“ oder „Theilbarkeit“ (Grundlage, § 3), sondern ,Wechselbestimmung‘ oder ,Wechselbegründung‘ (94 f.). Das zeigt sich am auffälligsten in der Rede von einem „Grundsatz aller Grundsätze“ (95 f., 100). Der soll sich von seinen beiden Vorgängern (dem sich materialiter wie formaliter unbedingt setzenden Ich, dem sich formaliter unbedingt entgegensetzenden Nicht-Ich) durch seine höhere Integrations- oder „Verbindungs“-Fähigkeit unterscheiden: Aus ihm, der nur seinem Inhalt nach (materialiter) unbedingt, seiner Form nach aber durch den zweiten Grundsatz bedingt ist, lassen sich die Vorgänger fast analytisch gewinnen (nämlich durch Analyse herauslösen), während er nicht in gleicher Weise aus seinen Vorgängern folgt (99, 104 f.).62 Er hat noch einen – fast unbemerkten – Vorzug vor Fichtes Ausgang vom absoluten Ich: Er kann eine Binnen-Differenz verkraften, ohne seine Identität zu gefährden. Denn wenn das Ich sich zum Nicht-Ich ,entäußert‘, verliert es sich nicht, sondern gewinnt sich selbst in bereicherter Gestalt. Die Entäußerung hat den Charakter eines Erweiterungsurteils oder eines synthetischen Satzes.63 Es wird 62 Der Gerechtigkeit halber sollten wir zugeben, dass dieser Vorrang des dritten Grundsatzes auch schon bei Fichte vorgebildet war. 63 Henrich (2004, 1675) weist darauf hin, dass Schelling die Form der Kategorien in der „Urform“ des Prinzips nicht nur vorgebildet, sondern in sie eingebettet denkt. Darin unterscheide er sich deutlich sowohl von Kant wie von Reinhold und Fichte. Bei Kant sind die vom Ich konstituierten Kategorien doch keine „Momente“ desselben, noch weniger ist es das Mannigfaltige, auf das sie sich be-
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ein Anderes in die Sphäre eines übergreifenden Ich oder eines resorbierenden Selbigen einbezogen (wie bei einer Zellkern-Verschmelzung). Ich versuche eine andere Plausibilisierung dieses hochspekulativen Gedankens: Findet sich innerhalb des angenommenen Unbedingten eine begriffliche Binnendifferenzierung, so kann diese nur als Resultat einer S e l b s t b e s t i m m u n g des Unbedingten erklärt werden. Diese Selbstbestimmung heißt auch – Anleihe bei Fichtes Begriffsschrift – ,Sich-selbst-Setzen‘. Enggeführt mit der Organismus-Formel: Das Gesetzte dieses Akts (die Form) und das Setzende (der Inhalt) sind Setzendes und Gesetztes „von sich selbst“ – also über ihren Ursprung identisch. (Wie es das Organismus-Schema des Geistes verlangt.) Aus diesem Gedanken sehe ich Schellings spätere Operation mit einer reduplikativen Identität sich entwickeln. In seinem Erstling scheint Schelling den gleichen Ursprung von Inhalt und Form in einem höheren und gemeinsamen Grundsatz mit der Gleichursprünglichkeit von Analyse und Synthese engzuführen. Dazu kurz eine Erinnerung: Mit Reinhold versteht Schelling Analytizität und Synthetizität als zwei Seiten derselben Urteilsbildung. Das rühmt er nicht als Reinholds, sondern schon als Kants große, von den „meisten seiner Schüler“ nicht verstandene Einsicht, wirft ihm nur vor, das „höhere Princip“ nicht aufgezeigt zu haben, aus dem sich diese Gleichursprünglichkeit herleiten lasse (103). Schelling identifiziert es mit dem fehlenden einen Prinzip Kants, „in dem“ die obersten Grundsätze aller analytischen und aller synthetischen Urteile gleichermaßen „gegründet [sind]“. Pathetisch stellt er die (seines Erachtens) rhetorische Frage:
ziehen. Die Form der Urteile ist im Ich begründet, aber sie bildet nicht selbst eine Unterform des Grundsatzes aller Grundsätze.
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Woher jene Unterscheidung analytischer und synthetischer Urtheile? Wo das Princip, in dem diese Urform gegründet ist? Wo das Princip, aus dem die einzelnen Formen des Denkens [die Urteilsformen bzw. Kategorien] abgeleitet sind, die er ohne alle Rückweisung [Rückführung] auf ein höheres Princip aufstellt? (SW I/1, 103; ähnlich schon Reinhold 1789, 443, 2. Abs.).
Wenn Kant also dieses oberste Prinzip selbst auch nicht aufgestellt habe, so finde sich doch bei ihm für die Gleichursprünglichkeit von Analyse und Synthese eine wichtige Stütze in einer Bemerkung, die er der Zweitauflage der Kritik der reinen Vernunft hinzugefügt hat (KrV B 110 f.), dass nämlich in jeder Kategorien-Klasse die dritte Subkategorie eine Verbindung der beiden Vorgängerinnen leiste (SW I/1, 105). Man wunder[e] sich, daß er den Zusammenhang der einzelnen Formen des Wissens, die er in der [Kategorien-]Tafel vorstellig macht, mit jener Urform nirgends bestimmt angibt,64 und daß er gerade so, wie er jene Urform, ohne sie an ein Princip anzuknüpfen – gleichsam ex abrupto –, aufstellt, auch die abgeleiteten Formen als von keinem Princip abhängig dargestellt hat (SW I/1, 105 [von mir kursiviert]).
Noch mehr wundere man sich, dass er aus der Analyse und Synthese zusammenschließenden Form der jeweils dritten Unterkategorie keinen Schluss auf eine „U r f o r m“ gezogen habe, „unter der a l l e [sc.: einander entsprechenden Formen jeder Klasse] g e m e i n s c h a f t l i c h stehen, und die ihnen allen dasjenige mittheilt, was sie in Rücksicht auf ihre Form Gemeinschaftliches haben“ (l. c.). Diese Konsequenz kommt überraschend. Sie ist auch – wie so vieles in diesem Erstling – weder hieb- noch stichfest und überrascht mehr durch spekulative Verwegenheit und Wendigkeit im Assoziieren als durch Stringenz. Wohl aber lässt sie sich mühelos Schellings Basis-Intuition aus dem Timaeus zuordnen. Vor allem aber macht sie verständlich, warum sich Schelling gerade hier der 64 An dieser Stelle gibt Schellings Fußnote eben den der Zweitauflage der KrV zugefügten § 11 der KrV (bes. B 110 f.) als Kants einzige „H i n w e i s u n g“ an.
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Kategorie Wechselwirkung besinnt. Sie hatte schon im Timaeus dazu gedient, Platons vermittelndes Drittes bzw. ,das vollkommenste aller Bänder‘ der kantischen Organismus-Definition anzuverwandeln (Schelling 1994, 33). Denn in der Tat charakterisiert Kant in der Überarbeitung der Kritik der reinen Vernunft das Wesen der Wechselwirkung (oder Gemeinschaft) in fast genau denselben Worten, mit denen er zwei Jahre später den Organismus bestimmen wird – und man fragt sich nun, warum er den Gedanken des Organismus einer ,regulativen Idee‘ anvertraut, statt ihn zu einer Instanz der dritten Relations-Kategorie zu erklären. So wie es Schelling in späteren Publikationen tut, wenn er (z. B. im System des transcendentalen Idealismus) zwischen ,Wechselwirkung‘ und ,Von-sich-selbst-zugleich-Ursacheund-Wirkung-Sein‘ gar nicht mehr unterscheidet.65 In diese Hinsicht bewegte sich schon Kant selbst 1787 (in der Zweitauflage der KrV), wenn er den Zusammenhang der dritten Urteilsform (Disjunktion) und der Kategorie Gemeinschaft erklärt und dabei Wechselwirkung mit der Wendung ,von sich selbst zugleich Ursache und Wirkung‘ erläutert: Nun wird eine ähnliche66 Verknüpfung in einem G a n z e n d e r D i n g e gedacht, da nicht eines, als Wirkung, dem anderen, als Ursache seines Daseins, u n t e r g e o r d n e t, sondern zugleich und wechselseitig als Ursache in Anse65 Vgl. z. B. SW I/3, 475: „Der Grundcharakter der Organisation ist also, daß sie mit sich selbst in Wechselwirkung, Producirendes und Produkt zugleich sey, welcher Begriff Princip aller organischen Naturlehre ist, aus welchem alle weiteren Bestimmungen der Organisation a priori abgeleitet werden.“ Ähnlich neuerdings Bunte (2016, 94 ff.). 66 Kant kommt der Frage des Lesers/der Leserin zuvor, wie die Ableitung der Kategorie Gemeinschaft aus der Form des disjunktiven Urteils zu denken sei, indem er bemerkt, im disjunktiven Urteile werden nicht Individuen unter einem Begriff subsumiert, sondern gedacht wie Teile eines Ganzen, also nicht sub-, sondern einander „koordiniert“, so dass sie einander nicht „einseitig“ (transitiv), sondern „wechselseitig [symmetrisch …] bestimmen“ (KrV B 112). Darauf bezieht sich der im obigen Satz durch „ähnlich“ eingeleitete Vergleich.
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hung der Bestimmung der anderen b e i g e o r d n e t wird, (z. B. in einem Körper, dessen Teile einander wechselseitig [an]ziehen, und auch widerstehen,) welches eine ganz andere Art der Verknüpfung ist, als die, so im bloßen Verhältnis der Ursache und Wirkung (des Grundes zur Folge) angetroffen wird, in welchem die Folge nicht wechselseitig wiederum den Grund bestimmt und darum mit diesem (wie der Weltschöpfer mit der Welt) nicht ein Ganzes ausmacht (KrV B 112).
Sehr ähnlich äußert sich Kant in einer Fußnote zum Ende der „Dritten Analogie“, deren Anfang auch für die B-Auflage neu geschrieben wurde und die den Grundsatz des Zugleichseins „nach dem Gesetze der Wechselwirkung, oder Gemeinschaft“ betrifft (KrV B 256 ff.): Die Einheit des Weltganzen, in welchem alle Erscheinungen verknüpft sein sollen, ist offenbar eine bloße Folgerung des insgeheim angenommenen Grundsatzes der Gemeinschaft aller Substanzen, die zugleich sind: denn, wären sie isoliert, so würden sie nicht als Teile ein Ganzes ausmachen, und wäre ihre Verknüpfung (Wechselwirkung des Mannigfaltigen) nicht schon um des Zugleichseins willen notwendig, so könnte man aus diesem, als einem bloß idealen Verhältnis, auf jene, als ein reales, nicht schließen (l. c., A 218).
Man könnte sagen, Kant gebe hier eine Auskunft über die innere Verfassung des Gesamtorganismus, und er tue es wieder getreu seiner Bemerkung, die dritte Kategorie einer jeden Klasse bestehe in einer Verbindung ihrer Vorgängerinnen. Hier geht es um die Wechselwirkung, die man kurz charakterisieren kann als durchgängige Kausalität unter dem Gesichtspunkt der substantiellen Einheit. In der A-Auflage, insbesondere in der Ideen-Lehre, hatte Kant das noch nicht so gesehen. Zwar hatte er deutlich gemacht, dass die „q u a l i t a t i v e E i n h e i t“, zu der der Verstand fähig sei, „das S y s t e m a t i s c h e der Erkenntnis […], d. i. de[n] Zusammenhang derselben aus einem Prinzip“, nicht erfasse, dass es dazu vielmehr des Vorgriffs auf eine „Idee“ bedürfe,
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die von der Form eines Ganzen der Erkenntnis, welches vor der bestimmten Erkenntnis der Teile vorhergeht und die Bedingungen enthält, jedem Teile seine Stelle und Verhältnis zu den übrigen zu bestimmen (A 645 mit einer Wort-Ergänzung aus B 673).
Kant spricht hier, wie Schelling, von der Form einer Erkenntnis, und zwar einer solchen, in der die Anordnung der Teile ,vollständig‘ von der Idee eines Ganzen vorgegeben wird. Eine solche Idee dürfe ,unbedingt‘ heißen, weil mit der „Summe der Bedingungen [… auch] das schlechthin Unbedingte gegeben“ sei (l. c. [im Orig. gesp.]). Er stellt sich das so vor, dass mit der Vollständigkeit einer geordneten Reihe von Bedingungen automatisch ein Glied erreicht (und eingeschlossen) ist, das kein weiteres als es bedingend ,voraussetzt‘ (416 f.). Unbedingtheit kann aber sehr wohl auch aufgefasst werden als Eigenschaft eines Gliedes, das nicht „Teil der Reihe“ ist, sondern von der die ganze Reihe der Bedingungen abhängt. An einer späteren Stelle erklärt Kant: Würde ein Unbedingtes zur Erscheinung nicht hinzugedacht als ihr ,Grund‘, so verliefe die Kette der Bedingungen buchstäblich im Leeren und bestünde die Welt aus bloßen, unfundierten Erscheinungen, die insofern nicht einmal ,Erscheinungen‘ heißen dürften, als in ihnen nichts erscheint (vgl. KrV A 583 f.).67 Eine solche Annahme sei aber eben „nur eine Idee“ (416 f. mit Anm.), und sie ,postuliere‘ nur, wozu die Verstandeskategorien explanatorisch nicht zureichen, weil es sich hier nicht um das Ganze der ,Gegenstände überhaupt‘ (414), sondern um die Totalität der wirklich (in der Natur) existierenden „Erscheinungen“ handele (416). Der Verstand, und mithin auch seine Kategorie Gemeinschaft, bringe eben keine vollständige Einheit der Erscheinungswelt nach notwendigen Gesetzen zuwege. Die Ordnung der Teile nach Maßgabe der Idee eines Ganzen ist nun aber genau das, was organische Systeme von bloßen Aggregaten unterscheide. 67 So auch: Prolegomena, § 32. Nicolas Rescher hat diesen Gedanken verteidigt (Rescher 1974).
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So deute ich den Passus A 414, der den Kategorien Substanz-Akzidens und Gemeinschaft die Eignung (Kant sagt: das ,Sich-Schicken‘) ,zu transzendentalen Ideen‘ abspricht. Die letztere – Gemeinschaft – genüge dem Anspruch nicht, weil sie eine Wechselwirkung zwischen Substanzen erklärt, die bloß aggregatartig verbunden seien „und keinen Exponenten einer Reihe haben“. Kant meint: Kein Glied dieser Interaktionskette verhalte sich zu seinem Vorgänger als durch ihn bedingt und zu seinem Nachfolger als ihn bedingend. (Darum zeichnet er hier allein die Kausalität als dieser minimalen Rationalitäts-Anforderung ,der Vernunft‘ genügend aus.) Aber eben diese Auffassung wird in der dritten Kritik durch die Anwendung der Wechselwirkungs-Definition auf die Organismus-Struktur korrigiert. Hier sorgt die Vorgängigkeit der Idee eines Ganzen vor der Interaktion der Teile überhaupt erst für die Intelligibilität/Einsichtigkeit der gesamten Anordnung. Und Kant selbst zögert im Teleologie-Teil der KU immer wieder, ob er den Organismus geradehin als ,existierendes empirisches Objekt‘ oder – wegen seiner Idee-Abhängigkeit – nur als Quasi-Objekt ansprechen darf. In KU B 295 schreibt er etwa: „Zweck der Natur ist objektive Realität.“ Anders gesagt: Kant schwankt zwischen den Optionen, die ,Idee‘ nur als Erkenntnis- oder gar als Realgrund organischer Strukturen gelten zu lassen. Man kann auch sagen: Er erwägt zuweilen, der Idee – in der Gestalt der Wechselwirkung – konstitutive, nicht nur regulierende Kraft zuzusprechen.68 Die Aufzeichnungen des Nachlasswerks enthalten Notate, die dem Organismus durchaus ohne Einschränkung durch ein ,als ob‘ objektive, ja physische Existenz zuerkennen. Auch hier schwankt Kant zwischen Formulierungen, die nicht die Idee, sondern die „innere Form des Ganzen vor dem Begriffe der Composition aller seiner Theile […] in Ansehung ihrer bewegenden Kräfte vorher68 Dies ist reich belegt und kommentiert durch Frank/Zanetti in: Kant 1996, 1279 ff., 1302 ff.
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geh[en]“ lassen (AA XXI, 210), und solchen, die der „Idee“ dies Privileg zuerkennen – freilich in einer Weise, als habe sie konstitutive Kraft (l. c., 69). In den früheren Definitionen war vor allem die Rede von der Beziehung von Wirkung und Gegenwirkung, von der Wechselwirkung zwischen Teilen und dem Ganzen. Jetzt ist die Idee des Einheitsprinzips, des Ganzen, in den Vordergrund gerückt. Kant scheint aber noch immer unzufrieden über einen Aspekt dieser Definition: Der der Idee (dem übersinnlichen Einheitsprinzip) zugebilligte Vorrang setzt immer noch eine äußere und mithin nicht integrierte Wirkursache voraus; der Organismus „wäre nicht rein physisch“ (AA XXI, S. 210). Darum versucht Kant noch eine letzte Definition: „Organischer Körper ist der, dessen jeder Teil absolute Einheit der Existenz aller übrigen seines Ganzen ist“ (l. c.).69 Das passt nicht nur zu Leibnizens Auffassung, sondern konkreter in die spätere Zellbiologie: Jeder Teil, selbst der kleinste, enthält, in seiner vollständigen Beziehung zu allen anderen, wieder den Bauplan des gesamten Organismus, zu dem er gehört. Er ist seine Einheit als faktisch existierendes Glied derselben.70 Der junge Schelling tendiert im Timaeus und in der Formschrift jedenfalls entschieden zu einer spekulativ kühneren Position, die sich über das kantische ,als ob‘ hinwegsetzt, dass nämlich, wo wir Teile notwendig als durch den Vorblick auf ein Totum zusammen69 In dieser Definition begegnen wir einer Vorstellung, die schon in einem der Unterbeispiele der allerersten Organismus-Bestimmung (aus dem § 65 der KU) gegenwärtig war (dem des Teils eines Birnreises, der, auf einen Apfelbaum gepfropft, Birnen hervorbringt, denn dieser Teil enthält in sich alle Informationen über sein spezifisches Ganzes). Diese Vorstellung ist hier nun einfach ins Extrem getrieben: Jeder Teil, selbst der kleinste, stellt, in seiner vollständigen Beziehung zu allen anderen, selbst den kleinsten, wieder den gesamten Organismus dar, zu dem er gehört. Er ist seine Einheit als faktisch existierendes Glied. Kant würde diese Eigenschaft des Organismus herzlich gerne empirisch nennen, und die Zellular-Biologie des 19. Jahrhunderts (Schleiden, Virchow) würde gewiss nicht zögern, ihn dazu zu ermutigen. 70 Dazu ausführlich: Frank/Zanetti im Kommentar zu: Kant (1996, 1273 – 1281).
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gesetzt denken, „eine allen Gegenständen zu G r u n d liegende lezte I d e e voraussetzen“ (Schelling 1994, 36). Er hält ,Idee‘ aber nicht für eine ,bloße Idee‘, sondern für konstitutiv, weil in der Struktur der Weltseele (im f`om mogtºm) tatsächlich realisiert.71 An eben dieser Stelle verweist er auf Kants Unterscheidung eines „Weltbegriffs“ von einem „Naturbegriff“ (l. c.; KrV A 418 f.).72 Im Weltbegriff – hatte Kant gesagt – sei lediglich die mathematische Summe aller Erscheinungen angesprochen, eben als Größe, die sich in einer offenen (,potentiellen‘) Unendlichkeit, einem unendlichen Regress, verlaufe; der Naturbegriff begreife dieselbe Summe actualiter, damit als „dynamisches Ganzes“ von konkreten kausalen Interaktionen. Und ein solcher Begriff befasse mehr als „die Aggregation [der Teile] im Raume oder der Zeit“, er begreife nämlich „die Einheit im D a s e i n der Erscheinungen“, also das verknüpfende Band aller wirklich existierenden Naturprodukte. Eine solche Einheit könnte nicht von gleicher Art sein wie die „Reihe“ der Bedingungen. Bedingtes führe immer nur – „analytisch“ – auf ein Bedingendes, nie auf ein „Unbedingtes“. Mit dem Unbedingten kommt also ein „synthetischer“ Begriff ins Spiel (A 307 f.; Freuler 1992, 81). Und einen solchen Begriff lehnt Kant eben als „transzendent“ (die Bedingungen menschlicher Erkenntnis übersteigend) ab, obwohl er heuristisch für die Naturerklärung von Nutzen sei (A 418 – 420).73 71 Das ist jedenfalls – im Blick auf die Eignung der Kategorie Wechselwirkung zur Konstitution von Organismen – deutlich so in späteren Schriften. Ich nenne nur zwei Passagen: SW I/2, 40; I/3, 495 f. (im weiteren Kontext). 72 Dazu Matthews (2011, 17 – 20 mit Anm. 34, S. 229). Matthews bringt noch einen weiteren Gedanken ins Spiel, den, dass jede Idee ein „Maximum“ (eine maximale Versammlung der in ihr befassten Bedingungen) darstellen muss (vgl. KrV A 665), aber nicht ohne Regress die Erweiterung ins Unbedingte stoppen kann. Hier lässt er die jede Ausdehnung niederschlagende Idee einer „absoluten Größe“ oder einer „absoluten Totalität [bzw.] Vollständigkeit“ (KrV A 409) aus der Ästhetik des Erhabenen intervenieren (KU B 266). Vgl. auch das ganze 3. Kapitel seines Buchs. Diesen Gedanken werde ich nicht verfolgen. 73 Bei solchen Regeln der Naturforschung, die nicht aus Erfahrung bewiesen und auch nicht aus Verstandesbegriffen eingesehen werden können, handelt es sich
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4. BEDEUTUNG DER KATEGORIE ,GEMEINSCHAFT‘
Nachdem wir Schelling durchaus bestätigen dürfen, sich auf von Kant selbst angelegten Bahnen zu bewegen, stellt sich eine grundsätzliche Frage: Wie geraten gerade die Kategorie Wechselwirkung und die Urteilsform Disjunktion, aus der sie gebildet ist (KrV B 111 – 113), in diese herausgehobene, ja prinzipiengleiche Stellung? Und wie geht es zu, dass alle anderen Kategorien aus ihr abgeleitet werden können?74 Tatsächlich sagt er in der Formschrift, die „Formen der R e l a t i o n“ liegen allen übrigen „zugrunde“, ja, sie seien „wirklich identisch mit der Urform (der analytischen, der synthetischen, und der gemischten75)“ (SW I/1, 107). Eine erste Vermutung könnte so lauten: Wenn organische Kooperation von Ursachen verschiedenen Typs (Wirk- und Zweckursachen) nur mit Hilfe regulativer Ideen verständlich gemacht werden kann (und dahin zielt der Timaeus-Kommentar), gilt für sie, was für Kants Ideen im Allgemeinen gilt. Sie werden, wie die Kategorien aus Urteilsformen (KrV A 321 = B 378), aus so genannten ,Vernunftschlüssen‘ hergeleitet. Und da Vernunftschlüsse hinsichtnur um „M a x i m e n der Vernunft“, nicht um „objektive Prinzipien“ (KrV A 666 im weiteren Kontext; mehr dazu bei Frank/Zanetti im Kommentar zu: Kant 1996, 1182 f.). 74 Vgl. SW I/1, 107 – 110. Diese Ansicht sollten wir allerdings nicht zu hoch hängen, denn gleich ein halbes Jahr später (in der Ich-Schrift), sucht Schelling das gleiche von der Kategorie der Modalität her (§ 16, bes. SW I/1, 266 ff.). Bei diesem letzteren Versuch lässt er sich leiten von der Semantik des Wortes ,Setzen’ (das ja im Wort ,Gesetztsein‘ nur ins nominalisierte Passiv-Perfekt transformiert ist). Kant hatte ,Sein‘ in zwei Urbedeutungen unterteilt: ,absolutes‘ und ,relatives Gesetztsein‘. Das absolute liegt vor bei dem, was wir ,Existenz‘ nennen, das zweite bei jeder Form von prädikativem Urteil, durch das ein Raum von Möglichem eröffnet wird. Möglichkeit und Wirklichkeit sind Modalkategorien (AA II, 72 – 78). 75 Die Wahl des Ausdrucks „gemischten“ ist natürlich völlig unkantisch, spiegelt aber die gerade zurückliegende Philebos-Lektüre. Im Bruno (1802) korrigiert Schelling die Rede von der Mischung und auch vom aus Zweien gemischten „Dritten“ (SW I/4, 237) durch die der absoluten „Einheit der Einheit und des Gegensatzes“ (l. c., 239, passim). Aber er greift den Ausdruck unter klarer Anspielung auf Timaios und Philebos zustimmend wieder auf in den Aphorismen (von 1806: SW I/7, 165, Nr. 118).
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lich ihrer Modalität notwendig, hinsichtlich ihrer Bejaht- oder Verneintheit (Qualität) indifferent und, was ihre Quantität betrifft, allgemein(geltend) sind, taugt als Leitfaden ihrer ,Deduktion‘ nur die Kategorie Relation.76 Aber das entspricht nicht dem kecken deduktiven Duktus der Formschrift, die den Grundsatz aller Grundsätze als nicht bloß regulativ oder idealiter bestehend ansetzt, sondern für Evidenz-gesichert hält.77 Stolz erklärt er ja in SW I/1, 101, mit der Auffindung der Urform sei das eigentliche „Problem“ der Abhandlung „gelöst“, und die „Evidenz“ dieser Lösung sei nur noch an die folgende Ausarbeitung weiterzugeben. Ich glaube, wir sollten hier nicht weiter bohren. Die ,Deduktion‘ aller übrigen Kategorien, die Schelling am Schluss der Programmschrift aus der Urform der Wechselwirkung versucht (SW I/1, 107 ff.), verrät spekulatives Geschick, wird aber nur eine kurze Halbwertzeit haben.78 Denn, wie wir sahen, wird Schelling densel76 Warum das so ist, wird erklärt in Véronique Zanettis und meinem Kommentar zu Kant (1996), 1175 ff., bes. 1176 – 1179. Die Deduktion der drei Vernunftideen am einzigen Leitfaden der Relation hat etwas Künstliches, das uns hier nicht beschäftigen muss (KrV 304; dazu: Freuler 1992, § 19, 83 ff.; Mohr 2004, 274 f.). So präsentiert sich (nach Kant) das Unbedingte erstens als kategorische Synthesis in einem Subjekt, zweitens als hypothetische Synthesis der Glieder einer Reihe und drittens als disjunktive Synthesis der Teile eines Systems (KrV A 323). Spuren dieses letzten Gedankens sieht man deutlich in der Formschrift. 77 Obwohl wir sahen, dass, um Vorstellung und Bewusstsein aus ihnen herzuleiten, Schelling die Schwelle dieser beiden keck hinter sich lässt. Und wie Evidenz ohne Bewusstsein – etwa in einer ,intellektualen Anschauung‘ – gesichert sein soll, ist schwer verständlich – aber das ist eine andere Diskussion. 78 Die Ich-Schrift erscheint ein halbes Jahr nach der Formschrift. Allerdings kommt Schelling an einem unerwarteten Ort, der kleinen Wende-Schrift Philosophie und Religion (1804), noch einmal auf die Urform der Disjunktion bzw. der Gemeinschaft zurück. Man kann die Passage als spätes Echo der Formschrift betrachten (SW I/6, 21 ff.; Schellings Sohn verweist freilich auf eine Passage im Bruno von 1802: SW I/4, 300). Hier zwar steht der Akzent auf dem Unterschied des absoluten und des bedingten, in „Reflexionsbegriffen“ sich auslegenden Denkens. Bedingt erkannt wird dort, wo sich die erscheinende Wirklichkeit als „unangemes-
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4. BEDEUTUNG DER KATEGORIE ,GEMEINSCHAFT‘
ben Versuch bald erneut, und diesmal aus der Urform der Modalität versuchen. Bei genauem Hinsehen sind auch die Relations-Kategorien minder bedeutend, als was Schelling die „Urform […] der analytischen, der synthetischen, und der gemischten“ nennt, die „allen übrigen [Kategorien] zu Grunde liegen“ (107). Das Wesentliche dieser ,Umkehrung der kantischen Kategorien-Ordnung‘, die Bruce Matthews so hoch bewertet (Matthews 2011, 154 f., 170 ff.), scheint mir das Ineinanderschieben der Gedanken der organischen Wechselwirkung und des Sich-selbst-Setzens. Wenn das Unbedingte und das Bedingte, das Setzende und das Gesetzte es „von sich selbst“ sind, wie das Würzbürger System emphatisch formulieren wird (SW I/6, § 18, 161 ff.), ist die entscheidende Weiche für Schellings differenzsensitive Auffassung der höchsten Identität von Natur und Geist gestellt. Der Rest ist geduldige und gedankenreiche Ausarbeitung. Diesen Weg wollen wir im II. Teil nachvollziehen.
sen“ ihrem Wesen oder wo die Begrifflichkeit sich ihrem (wesentlichen) Sein „inadäquat“ erweist. Unbedingtes Wissen findet mithin dort statt, wo das ,Sein‘ dem ,Wesen‘ adäquat ist, wie das nur in einer ,unmittelbar anschauenden Erkenntniß‘ der Fall sein könne, die „jede Bestimmung durch Begriff unendlich übertrifft“ (23). Von hier geht Schelling ohne Weiteres über zur Ableitung dreier Formen des ,Setzens‘ (ein vorher nicht benutzter Ausdruck), so wie sie (sc.: die Formen) sich dem Blick der Reflexionsbegriffe darstellen: der kategorischen, der hypothetischen und der disjunktiven Form. Sub specie reflexionis werde die erste Form durch ein ,weder – noch‘ (weder das Affirmierende noch das Affirmierte) aufgefasst, die zweite „hypothetische“ durch ein ,wenn – dann‘ (das eine ursprüngliche Gleichmöglichkeit in ein einseitiges Bedingungsverhältnis zerlegt), die dritte „disjunktive“ durch ein ,sowohl als auch‘: „[D]iese Form entspringt aus der Verbindung der beiden ersten; denn jenes Eine und selbe, das, nicht zugleich, aber auf gleiche Weise, jetzt als das eine, jetzt als das andere betrachtet werden kann, ist eben deßwegen an sich w e d e r das eine n o c h andre (nach der ersten Form), und doch zugleich das gemeinschaftliche W e s e n, die Identität beider (nach der zweiten Form), indem es, in seiner Unabhängigkeit von beiden,/ dennoch gleicher Weise jetzt unter diesem, jetzt unter jenem Attribut betrachtet werden kann“ (24 f.).
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I. TEIL: FRÜHE VORAUSSETZUNGEN (1794)
5. Ein Vorblick auf die fortwirkende Sonderstellung von ,Gemeinschaft‘ in Schellings spätesten Vorlesungen: das Vorbild von Kants ,Ideal der Vernunft‘ Die Kategorie Wechselwirkung hat noch einmal einen markanten Auftritt in Schellings letzten Vorlesungen aus den 1850er Jahren (SW II/1, 282 – 288; 585 f. im Kontext). Er kommt hier auf zwei eng verknüpfte Theoreme Kants zurück: 1. auf dessen Einsicht, dass die Wirklichkeit (das existentielle Sein) der Möglichkeit vorausgehen müsse (AA II, 78 – 80) – Schelling wird vom „unvordenklichen Seyn“ sprechen, das aller „Potenz“, allem Wissen oder „Was“ zuvor besteht (Schelling 1993, 227 f.; II/1, 587);79 2. auf Kants „Ideal der reinen Vernunft“ (KrV A 571 – 583). Von ihm sagt Schelling nicht weniger, als dass hier „die Keime“ gelegt seien, aus denen die ganze auf Kant folgende spekulative Philosophie sich entwickelt habe.80 Ein Ideal ist eine Idee in individuo, so, wie die klassische Metaphysik, die metaphysica specialis, sich Gott als einen „e i n z e l n e [ n ] G e g e n s t a n d“ dachte (SW II/1, 283); aber selbst in der Aufblähung zum Ideal bleibt dieser Gegenstand eben doch eine „bloße Idee“ (586). Was da aber gedacht wird, ist der „Inbegriff“ aller, wie Leibniz sagte, kompossiblen oder, wie Kant sagt, widerspruchsfrei diesem Einzelgegenstand zusprechbaren Prädikate (KrV 79 „Allein, daß irgend eine Möglichkeit sei und doch gar nichts Wirkliches, das widerspricht sich, weil, wenn nichts existiert, auch nichts gegeben ist, das da denklich wäre“ (AA II, 78). Ich werde in Kapitel 24 auf dieses Theorem zurückkommen. 80 „Diejenigen unter Ihnen, welche mit den nachkantischen Entwicklungen bekannt sind, mögen hier leicht die Keime später wirklich hervorgetretener Gedanken zu erblicken glauben“ (SW II/1, 287). In einer Anmerkung bestimmt er Kants Lehre vom transzendentalen Ideal als den „bestimmten Punkt […], an den die weitere Entwicklung sich als eine nothwendige Folge anschloß“ (283). Dazu und zum Folgenden die wichtige Studie Wolfram Hogrebes (1989, bes. §§ 11 und 12). Zum transzendentalen Ideal auch Claudia Bickmann (1996, bes. LXXIII f., 258 ff.).
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5. DAS VORBILD VON KANTS ,IDEAL DER VERNUNFT‘
A 573). So lässt sich dieser Gegenstand ad hoc durch das zutreffende Prädikat F bestimmen und in der Folge durch G oder -G „weiterbestimmen“ (Hogrebe 1989, 59). Ein Individuum ist – nach Leibniz – ein durchgängig bestimmter Gegenstand, d. h. der Referent eines Subjekt-Ausdrucks, dem kein mögliches Prädikat abgeht. Bezieht man dieses Subjekt auf Gott als Referenten, so hat man ihn gedacht als „All der Realität (omnitudo realitatis)“ (KrV A 575 f.), also als vollständige Instanziierung des Inbegriffs aller möglichen Prädikate. Da aber realitas existentia nicht einschließt,81 sondern voraussetzt (wie Kant 1763 gezeigt hatte), muss dem Ideal eine „materielle Bedingung seiner Möglichkeit“ zugrunde liegend gedacht werden (A 576), die (der späte) Schelling das „reine Daß“ oder die „reine Wirklichkeit“ nennt. Sie bedarf zwar der Ergänzung durch ein prädikatives „Etwas“, legt diesem aber den (Seins-)Grund (SW II/1, 585 – 7 [alle Ausdrücke im Orig. gesp.]). Vom Individuellen, hatte Aristoteles gesagt, gibt es keine Wissenschaft; gewusst wird nur das Allgemeine (B 1pist¶lg toO jahºkou). Nun gründet Kant – in Schellings Anverwandlung seines Gedankens – das Allgemeine auf ein Individuelles, ein nacktes vorbegriffliches Dass und Dies-da (586). Und ein solch vorbegriffliches ,Dies-da‘ (tºde ti) wird nicht gedacht, sondern erfahren. (Hogrebe spricht treffend von ,pronominalem‘ [oder indexikalischem] Sein – im Gegensatz zum ,prädikativen‘: Hogrebe 1989, §§ 13, 14.) Wie aber kommt der Gedanke der Wechselwirkung hier ins Spiel? Wir erinnern uns: Wechselwirkung ist die Kategorie, die aus der Urteilsform Disjunktion entwickelt ist. Nun gilt: Wenn alles, was existiert, nur durch Einschränkung des Alls der Möglichkeiten Bestimmung erfährt, muss jedes Ding als Teilsphäre dieser allbefassenden Sphäre (des Inbegriffs möglicher Prädikate) verstanden werden, „die durch die Negation aller anderer ihrer Teilsphären be81 Schelling übersetzt ,Realität‘ durch ,Möglichkeit‘ und ,Möglichkeit‘ wiederum durch ,Denkbarkeit‘ (SW I/1, 586) – auch das ganz im Sinne Kants.
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I. TEIL: FRÜHE VORAUSSETZUNGEN (1794)
stimmt ist“ (Mohr 2004, 307). Kant kommentiert das hier waltende Verfahren so: Die logische Bestimmung eines Begriffs durch die Vernunft beruht auf einem disjunktiven Vernunftschluß, in welchem der Obersatz eine logische Einteilung (die Teilung der Sphäre eines allgemeinen Begriffs) enthält, der Untersatz diese Sphäre bis auf einen Teil einschränkt/ und der Schlußsatz den Begriff durch diesen bestimmt (KrV A 576 f. [von mir kursiviert]).
Kant unterstellt dies disjunktive Verfahren einem ,Grundsatz der Bestimmbarkeit‘ (A 571), der, logisch oder formaliter, dafür sorgt, dass jedem Ding von zwei widersprechenden Prädikaten notwendig eins zukommt. Aber, anders als Kategorien, interpretieren Ideen die empirische Realität (nicht bloß die von ,Gegenständen überhaupt‘); ihre Einteilung geschieht also materialiter oder an Erfahrungsmaterial. Dafür ist ein zweiter (materialer) Grundsatz zuständig, der ,Grundsatz der durchgängigen Bestimmung‘. Schelling illustriert seine Funktion, viel anschaulicher als Kant selbst, so: Die materielle Möglichkeit eines Dings [eines konkreten existierenden Naturprodukts] dagegen beruht auf seiner durchgängigen Bestimmtheit, d. h. [darauf,] daß es durch alle m ö g l i c h e n Prädicate hindurch ein bestimmtes ist, indem von allen einander entgegengesetzten je eines ihm zukommen m u ß. Ein jedes Ding wird entweder körperlich seyn oder unkörperlich, wenn körperlich, entweder organisch oder unorganisch, wenn unorganisch, starr oder flüssig, wenn starr, der Grundgestalt nach regelmäßig oder unregelmäßig, wenn regelmäßig, wird es einer der fünf regulären Körper seyn müssen, der ihm zu Grunde liegt, z. B. die Pyramide oder der Cubus; immer aber wird die ihm zugeschriebene jede andere ausschließen. Hier werden also nicht Begriffe unter sich bloß logisch, sondern es wird d a s D i n g s e l b s t mit der g e s a m m t e n M ö g l i c h k e i t, mit dem Inbegriff aller Prädicate verglichen, welcher die nothwendige Voraussetzung jeder Bestimmung ist, und weil das Bestimmen Sache des Verstandes ist, nur als I d e e in der Vernunft seyn kann, durch welche diese dem Verstande die Regel seines vollständigen Gebrauchs vorschreibt [KrV A 571 – 73] (SW II/1, 284).
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5. DAS VORBILD VON KANTS ,IDEAL DER VERNUNFT‘
Im logischen Satz der Bestimmbarkeit formuliert der Obersatz nach Kant eine Disjunktion: (x) (xF ! xG V x-G), der Untersatz schränkt diese Einteilung „bis auf einen Teil ein“, den der Schlusssatz dem Begriff x („de[m] allgemeine[n] Begriff einer Realität überhaupt“) als Prädikat zuerkennt. Hier aber geht es um die Vollbestimmung eines bestimmten empirischen Gegenstandes a, und die Alternationskette liest sich so: aF V a-F V aG V a-G (usw.). Dieses Bestimmungsverfahren muss man sich als fortlaufend vorstellen: Durchs Aussortieren einer Eigenschaft entsteht ein ständig stärker eingeschränkter Gegenstandsbegriff. Das „Entweder-Oder des disjunktiven Obersatzes“ sorgt also – sortierend – für eine schrittweise Einteilung aller Gegenstände der Kandidatenliste, denen jeweils einige Eigenschaften der disjunktiven Reihe zukommen, während die anderen Kandidaten des „Universalregisters der Prädikate“82 über Bord gehen.83 Schließlich bleibt nur ein einziger Gegenstand übrig, eben das ,Urwesen‘, der ,Inbegriff‘, ,die Idee in individuo‘.84 Aus ihr, meint Hogrebe, lässt (der späte) Schelling seine Weltalter hervorgehen nach dem Gesetz der Prädikation, nach dem das völlig 82 Der glückliche Ausdruck ist von Wolfram Hogrebe (1989, 60). 83 „Ein jedes Ding ist an sich selbst durchgängig determinirt, aber nicht ein jeder Begriff ist durchgängig determinirt. Um also ein Ding gantz zu erkennen, ist es nicht gnug, das zu erkenen, was es ist, sondern auch, was es nicht ist; denn wäre dieses weggelassen, so ist es unbestimt, ob/ außer dem, was an ihm erkannt wird, ihm nicht noch mehr zukomt“ (Refl. 4244 [AA XVII, 477 f.]) „[U]m ein Ding ganz zu erkennen, muß man nicht allein wissen, was es enthält, sondern überdem alles, was ihm fehlt, damit man es auch in relation erkenne“ (Refl. 6209 [AA XVIII, 495]). 84 Hogrebe macht auf eine von Kant nicht offengelegte Bedeutungsverschiebung des Ausdrucks ,Inbegriff‘ aufmerksam, der zunächst extensional und „unter der Hand“ intensional verstanden wird: als „maximaler Steigerungsgrad einer Sache“, als Muster oder Norm (Kant sagt: Prototyp), hier: „des Möglichen“ (Hogrebe 1989, 62). Nur kraft dieser Bedeutungsverschiebung kann ,Inbegriff’ auf nur einen einzigen Gegenstand (ein Individuum) angewendet werden. Dies Problem ist ohne Belang für den Schelling der Identitätsphilosophie. Und ich will hier auch nur die Wiederkehr der Kategorie Wechselwirkung bei der Bestimmung des ,Urwesens‘ belegen.
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I. TEIL: FRÜHE VORAUSSETZUNGEN (1794)
unbestimmte pronominale Sein sukzessive nach prädikativer Fortbestimmung schmachtet (vom ,Hunger nach Bestimmung‘ spricht Schelling gelegentlich). Das war noch nicht das Denkthema des frühen und nicht einmal des identitätsphilosophischen Schelling. Er hat den „Naturbegriff“ der erscheinenden Welt im Blick, in der alle Bestimmungen systemisch auf die Idee eines Ganzen blicken, dessen Vollbestimmung sie verursachen, während sie zugleich von ihr kausal auf den Weg gebracht werden. Im Blick steht eine Welt sub specie communionis, wie sie das Grundsätze-Kapitel antizipiert hatte (KrV A 218). Wie das längere Zitat belegt, das Kants materialen Grundsatz der Bestimmung am Werk zeigt, geht es Schelling nicht um die disjunktive Reihe aller Gegenstände, sondern um das naturalistische Prinzip der Spezifikation, das auch Kant, allerdings in einem anderen Zusammenhang (KrV A 577 – 9), am Herzen liegt. Dies Gesetz teilt insbesondere das All natürlicher Gegenstände in Gattungen, Arten und Individuen.85 Der kleinste Teil wird wie der umfassendste, das „Urwesen“, vollbestimmt sein. Der Vergleich eines jeden gegebenen Gegenstandes mit dem Inbegriff aller möglichen Prädikate, also das Herauseinzeln aller existierenden Gegenstände aus dem Skopus des Universalregisters, ist natürlich einem endlichen Verstand nicht möglich, also bloß Idee (KrV A 573). Diese Einschränkung missachtet Schelling. Er behandelt die regulative Idee des Inbegriffs aller kompossiblen Prädikate wie eine Kategorie oder vielmehr: wie einen (konstitutiven obersten) Grundsatz. Nun ist die Kategorie, die aus dem disjunktiven Urteil gebildet 85 Kant spricht von „Gesetz der Spezifikation“ (KrV A 656 [im Orig. gesp.]), ohne das eine konkrete Naturforschung, etwa Linnés Klassifikation der Pflanzen und Tiere, nicht möglich wäre. Und schon hier greift er auf den Grundsatz der durchgängigen Bestimmung vor: „Die Erkenntnis der Erscheinungen in ihrer durchgängigen Bestimmung (welche nur durch Verstand möglich ist) fordert eine unaufhörlich fortzusetzende Spezifikation seiner Begriffe, und einen Fortgang zu immer noch bleibenden Verschiedenheiten, wovon in dem Begriffe der Art, und noch mehr dem der Gattung, abstrahiert worden.“
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6. SCHELLING AUF DEN SPUREN VON DIEZ
wird, die der Wechselwirkung (oder Gemeinschaft). Durch Anwendung dieser Kategorie formiert sich die Totalität aller Erscheinungen – nach ihrem „Naturbegriff“ (KrV A 420) – zu einem nach verschiedenen Bildungsniveaus gestaffelten Gesamtorganismus. In ihm erscheint jeder Teil wechselseitig als Ursache und Wirkung jedes anderen. Die Welt zeigt sich als System, in dem alle Teile nach einem intelligiblen Bauplan („architektonisch“) ausgerichtet und dadurch untereinander verbunden sind. Und tatsächlich fällt dem transzendentalen Ideal der Vernunft nach Kants eigener Einteilung der Ideen am Leitfaden der drei Relationskategorien (KrV A 323, 339 f., 567 ff.) der dritte Platz zu; und das ist der der Wechselwirkung, der „d i s j u n k t i v e n Synthesis der Teile in einem S y s t e m“ (A 323). Die dritte Kategorie vollbringt ja prinzipiell eine Synthese der ersten und der zweiten Subkategorie jeder Gruppe („so daß der zweite Begriff, mit dem ersten verbunden, auf den dritten, als einen notwendigen Schlußsatz führ[t]“ [B 395, Anm.]). Und so ist Gemeinschaft nichts anderes als die ,Totalität der Reihe aller Bedingungen‘ sub specie substantiae. „Diesen dialektischen Vernunftschluß werde ich das I d e a l der reinen Vernunft nennen“ (A 340).
6. Eine letzte Quelle der „Urform“ alles Wissens: Schelling auf den Spuren von Diez und die subjektzentrische Umbildung der Reinhold’schen Vorstellungs-Theorie Vom „Weg (bdºr)“, der zur „reinen, ursprünglichen Form [des Philosophirens]“ führt, hatte wieder Platon zuerst gesprochen, und Schelling zitiert die Passage aus dem Philebos (15d8–e5) in seinem Timaeus-Kommentar (Schelling 1994, 35 f.). Es ist die Stelle, in der Platon von dieser Form der E i n h e i t i n d e r M a n n i g f a l t i g k e i t [spricht, die] überall in allen Reden u. Untersuchungen von jeher bis auf unsere Zeit ge-
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I. TEIL: FRÜHE VORAUSSETZUNGEN (1794)
herrscht hat. Diese Form zu denken wird niemals aufhören, u. hat auch nicht jetzt erst angefangen, sondern sie ist eine ewige, niemals alternde Eigenschaft jeder Untersuchung.
Schelling kommentiert die Stelle (die ich in seiner Übersetzung angeführt habe) im Folgenden. Dabei hebt er einmal mehr das Dritte über dem Gegensatz (l. c., 27)86 besonders heraus. Noch der Dialog Bruno (1802) rückt, was 1794 noch „Grundsatz aller Grundsätze“ hieß, in die Nähe der platonischen „Idee aller Ideen“ (SW I/4, 242 f.).87 Eine Stelle in der Formschrift sieht Matthews unmittelbar an Kants Suche nach der „Form eines Ganzen der Erkenntnis“ (KrV A 645) anknüpfen und assoziiert diese wieder mit Platons Urform des Erkennens, aus der „die Formen von Einheit und Vielheit“ entspringen (SW I/1, 111; Matthews 2011, 141).88 Das scheint mir weitgehend unstrittig. Doch nicht Platon, auch nicht ein durch die Brille von Kants Naturteleologie aktualisierter, sondern die fundamentalistische Wende, die die zeitgenössische Philosophie mit Jacobi, Reinhold und Fichte gleichsam vor Schellings Augen genommen hatte, hat den Ausschlag dafür gegeben, die reine, ursprüngliche Form der Philosophie aus der Struktur der Subjektivität verständlich zu machen. Nun beginnt Schellings Formschrift mit der stolzen Versicherung, er habe „die Gedanken, welche in gegenwärtiger Abhandlung ausgeführt sind, […] einige Zeit schon mit sich herumgetragen“ (SW I/1, 87) – und zwar vor der Bekanntschaft mit Fichtes Aenesidemus-Rezension und Be86 In der Formschrift heißt es: „ein D r i t t e s, das beides [Ich und Nicht-Ich] vereinigt“ (SW I/1, 101). 87 Dazu ausführlich Matthews (2011, 20 – 27, 130 – 135). 88 Matthews übertreibt die Bedeutung, die der Ausdruck „Form der Platonischen Philosophie“ in einem Studienheft Schellings (von 1794) hatte. Die Formulierung kommt in Wirklichkeit nur ein einziges Mal vor (HKA II.5, 133). Ihr folgt, mit „1.“ gezählt, ein knapper bibliographischer Hinweis auf Tiedemann (1786). Im Folgenden versammelt Schelling Allotria aller Art (vgl. oben Anm. 8 zu S.6), das mit der idealistischen Suche nach einer ,Urform‘ der Philosophie überhaupt nichts zu tun hat.
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6. SCHELLING AUF DEN SPUREN VON DIEZ
griffsschrift (1794). Das hat, wie wir sahen, Henrich dazu veranlasst, den Einfluss Immanuel Carl Diezens auf die in der Formschrift gärenden Gedanken des 19-jährigen Stiftlers hin zu untersuchen; denn Diez war es, der den obersten Grundsatz der Reinhold’schen Fundamentalphilosophie zuerst von der anonymen Vorstellung ins selbstbewusste Subjekt verlegt hatte. Davon handeln besonders die Kapitel VI, VII, XIV und XVI von Henrichs monumentaler Abhandlung.89 Ich zerlege die gigantische Aufgabe in eine Reihe übersichtlicher Schritte – und habe nicht den Ehrgeiz, Henrichs großartige Konstellationsforschung zu resümieren. Meine Themen sind Schellings Identitätstheorie des Urteils und sein Rückgriff auf die ,reduplicatio‘ der ,älteren Logik‘. Darum darf ich mich strikt auf einige Spuren beschränken, die die Keimidee durchscheinen lassen, aus der sich Schellings spätere Identitätsauffassung entwickeln konnte. Am Anfang steht die von Henrich und seinen Schülern reichlich ausgebeutete VII. Beilage der Zweitauflage von Jacobis Spinozabüchlein (erschienen im April 1789). Diese Publikation lag vor, kurz bevor Reinhold sein Hauptwerk veröffentlichte – und mehrfach nimmt er auf sie Bezug. Ich muss nur den Kerngedanken in Erinnerung bringen, der eigentlich nichts tut, als uralte (z. B. aristotelische) Argumente für einen obersten Grundsatz der Philosophie in Erinnerung zu bringen. Jacobi zeigt in dieser Beilage, dass die alte Theaitetos-Definition von ,Wissen‘ als ,begründete wahre Meinung‘ (Steph. 187a-d) – die ja Sokrates selbst als unzureichend zurückgewiesen hatte – in einen unendlichen Regress führt. Der Nachweis erfolgt so: Gewusst werden Sachverhalte, und die werden durch (Aussage-)Sätze (also kantische ,Urteile‘) formuliert. Ist ein Sachverhalt eine Tatsache (also etwas Gewusstes), so muss die entsprechende Aussage per definitionem begründet sein. Also muss sie 89 Eine bündigere Darstellung des Einflusses, den Diez’ Kritik auf die Umorganisation von Reinholds Grundsatzphilosophie hatte, gebe ich in der 15. Vorlesung meiner „Unendliche[n] Annäherung“ (Frank 1998).
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in einer anderen Aussage ihren Grund haben, für die nun aber wieder das Entsprechende gilt: Sie hat ihren Grund in einer höheren, die ihn wieder in einer höheren hat und so ad infinitum. Wäre nun all unser Meinen bedingt durch anderes Meinen, so kämen wir nie zu einem Wissen. Also muss es, wenn wir an der starken Definition von ,Wissen‘ festhalten, mindestens einen Satz geben, der nicht bedingungsweise, sondern unbedingt gilt. „Gibt es überhaupt ein Wissen“, so resümiert Schelling 1795 Jacobis Konsequenz, „so muß es ein Wissen geben, zu dem wir nicht durch ein anderes Wissen gelangen, und durch welches allein alles andere Wissen Wissen ist“ (SW I/1, 162 [f.]). ,Un-bedingt‘ meint: gültig gerade darum, weil er seine Geltung nicht aus der Bedingung zieht, dass ein anderer Satz ihn begründet.90 Das Wissen, das von einem un-bedingt einsichtigen Satz ausgedrückt wird, nannte Jacobi ,Gefühl‘ (oder ,Glaube‘). ,Glauben‘ meint: einer Tatsache ohne Weiteres gewiss sein, die eben nicht kraft einer zusätzlichen Begründung, sondern sogleich und aus sich selbst einleuchtet (so ist ja auch das Euklid’sche !n¸yla, wörtlich übersetzt, eine Glaubensannahme): ,einer Begründung weder fähig noch bedürftig‘ (Jacobi 1789, 389 – 434, bes. 424 ff., 430 ff.). Jacobi schreibt: Wie können wir nach Gewißheit streben, wenn uns Gewißheit nicht zum voraus schon bekannt ist; und wie kann sie uns bekannt seyn, anders als durch etwas[,] das wir mit Gewißheit schon erkennen? Dieses führt zu dem Begriff einer unmittelbaren Gewißheit, welche nicht allein keiner Gründe bedarf, sondern schlechterdings alle Gründe ausschließt, und einzig und allein die mit dem 90 Wieder gibt Schelling Jacobis Gedanken in noch eindrucksvollerer Formulierung wieder: „Ein Wissen, zu dem wir nur durch ein anderes Wissen gelangen, heiße ich ein b e d i n g t e s Wissen. Die Kette unseres Wissens/ geht von einem Bedingten zum andern; entweder muß nun das Ganze keine Haltung haben, oder man muß glauben können, daß es so ins Unendliche fortgehe, oder es muß irgend einen Punkt geben, an dem das Ganze hängt, der aber eben deßwegen allem, was noch in die Sphäre des Bedingten fällt, in Rücksicht auf das Princip seines Seyns geradezu e n t g e g e n g e s e t z t, d. h. nicht nur unbedingt, sondern schlechthin u n b e d i n g b a r seyn muß“ (SW I/1, 163 f.).
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vorgestellten Dinge übereinstimmende Vorstellung selbst ist. Die Ueberzeugung aus Gründen ist eine Gewißheit aus/ der zweyten Hand (215 f.).
Hier füge ich einen kleinen Exkurs ein. Es geht bei Jacobi – wie später bei Reinhold und Fichte – um Wissensbegründung; und Wissen ist Thema in wahren Sätzen. ,Wissen‘ in abstracto wird im damaligen Sprachgebrauch auch durch ,Wissenschaft‘ wiedergegeben. Der Titel von Fichtes ,Wissenschaftslehre‘, die ja keine Wissenschaftstheorie im modernen Sinne sein will, zeigt das augenfällig. Und ,Form der Wissenschaft‘ meint dann: „ein Ganzes [von Wissensbeständen], das unter der Form der E i n h e i t steht“, „ihr Inhalt sey, welcher er wolle“ (SW I/1, 90). So schon Reinhold: „Der Grundsatz bestimmt nur die Form, nicht die Materie anderer Sätze“ (Reinhold 1790, 115). Wir nennen ja auch die Logik formal, weil sie nur die Verknüpfungsregeln zwischen Inhalten zum Thema hat, nicht diese Inhalte selbst. Die Ganzheit wiederum wird durch den logischen Zusammenhalt der Sätze verbürgt: durch ihre Kohärenz. Da aber auch falsche Überzeugungssysteme kohärent sein können, bedarf es einer zusätzlichen Garantie durch einen Jacobi’schen höchsten Satz, dessen Wahrheit unmittelbar eingesehen werden kann und der darum Grund-Satz heißt. „Grundsatz heißt jeder Satz, durch welchen mehrere andere Sätze bestimmt werden“ (Reinhold, l. c.). Sollen aber gar alle Sätze, die auf Wahrheit Anspruch machen, durch den Grundsatz bestimmt werden, so muss er unzweifelhaft gewiss sein, und alle Sätze, in denen ein Wissen zum Ausdruck kommt, müssen gleichermaßen aus ihm fließen. Man könnte von einem Transport der Gewissheit aus dem Grundsatz auf alle daraus fließenden Einzelsätze sprechen; und so tut es Fichte in der Begriffsschrift, wenn er sagt, der oberste Grund teile seine Gewissheit den Folge-Sätzen mit (Fichte 1971 I, 40 u.: „Mithin müsste wenigstens Ein Satz gewiss seyn, der etwa den übrigen seine Gewissheit mittheilte“). „Sätze“, greift Schelling den Gedanken auf, sind die „Theile der Wissenschaft“; denn nur sie können in inferen-
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ziellen (kohärenten) Beziehungen zu anderen Teilen ihresgleichen stehen (SW I/1, 90); Einzelgegenstände, Empfindungen oder Gefühle (mentale Zustände, die sich diesseits der Wissens- bzw. der Satzgrenze ,zeigen‘) könnten das nicht. Einen solchen unbedingt gültigen und ohne Weiteres einsichtigen Grundsatz glaubte Reinhold im gleichen Jahr, in dem die erweiterte Zweitauflage des Spinozabüchleins erschien, in seinem Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens (1789) gefunden zu haben. Er nannte ihn wenig später „Satz des Bewußtseyns“ und gab ihm zunächst diese Wendung: Die Vorstellung wird im Bewußtseyn vom Vorgestellten und Vorstellenden unterschieden und auf beyde bezogen (Reinhold 1790, 144).
Warum der ,Vorstellung‘? Reinhold meint, mit dieser Wortwahl nur Kants allgemein anerkannter Begrifflichkeit zu folgen. Denn Kant hatte ,Vorstellung‘ zum Gattungsnamen aller mentalen Akte und Erleidnisse (Kant sagt: aller „Modifikationen des Gemüts“, KrV A 99) erklärt. Dabei bezieht sich Kant zustimmend auf die Terminologie der Schulphilosophie, die Vorstellungen überhaupt (,repraesentationes‘, ,représentations‘) in unbewusste und bewusste, diese in subjektive Sensationen (,Empfindungen‘) und objektbezogene Perzeptionen (,cognitiones‘), diese in Begriffe und Anschauungen und beide wieder jeweils in emprirische und reine (,notiones‘) unterteilt. Kant fügt noch Ideen als ,Begriffe aus Notionen‘ hinzu (KrV A 320; vgl. B 676 f.; genauer Freuler 1992, 46 – 48). Damit schien der Elementarbegriff der Philosophie gefunden, aus dem sich all die von Kant angeführten Spezifikationen durch ein fortschreitendes disjunktives Einteilungsverfahren einsichtig machen lassen. Aber seit dem 1. § der „Neuen Darstellung der Hauptmomente der Elementarphilosophie“ im 1. Band der Beyträge (1790) findet sich der Satz des Bewusstseins ohne weitere Erklärung so abgewandelt:
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Im Bewußtseyn wird die Vorstellung durch das Subjekt vom Subjekt und Objekt unterschieden und auf beyde bezogen (Reinhold 1790, 167; so auch Reinhold 1791, 78 [von mir kursiviert]).
Der Zusatz „durch das Subjekt“ ist von großer Bedeutung. Durch ihn verschiebt Reinhold, zunächst noch ohne eigens auf das Problem gerichtete Aufmerksamkeit, sein Projekt von der Vorstellung auf das Subjekt als Grundbegriff seiner Elementarphilosophie. In den ursprünglichen Entwürfen der Elementarphilosophie gehört ja das Subjekt – gerade wie das Objekt – zu den ,äußeren Bedingungen‘ der Vorstellung,91 also zu denen, von denen die Theorie zu abstrahieren hat – ist doch die Theorie des Vorstellungsvermögens die „Wissenschaft der innern Bedingungen der wesentlichen Merkmale der Vorstellung, desjenigen, wodurch die Vorstellung zur Vorstellung wird“ (Reinhold 1790, 158).92 Dennoch unterläuft es Reinhold von Zeit zu Zeit, dass er die Vorstellung für eine Modifikation „des 91 Zu dieser Unterscheidung am ausführlichsten Reinhold 1789, 199 [ff.] „Es giebt ä u s s e r e und i n n e r e Bedingungen der Vorstellung. Aeussere, die ausser der Vorstellung selbst vorkommen, von ihr nothwendig unterschieden werden müssen, aber gleichwohl als nothwendige Bedingungen mit ihr verknüpft sind. Innere, die in der Vorstellung selbst vorkommen müssen, wesentliche Bestandtheile derselben ausmachen, und nicht von ihr unterschieden werden können, ohne sie selbst aufzuheben.“ „Aus diesem Inbegriffe, welcher das blosse Vorstellungsvermögen enthält, [ist] das vorstellende Subjekt und das vorgestellte Objekt ausgeschlossen“ (218). Noch deutlicher S. 220 f.: „Der Inbegriff desjenigen, was zu den inneren Bedingungen der Vorstellung über/haupt gehört; oder das Vorstellungsvermögen in engster Bedeutung, läßt sich seiner Beschaffenheit nach weder von dem vorstellenden Subjekte, oder der Seele, noch von den vorgestellten Objekten, sondern nur allein aus dem richtigen Begriffe der blossen Vorstellung ableiten.“ 92 Früher hatte er das Selbstbewusstsein allein aus den „inneren Bedingungen des Vorstellungsvermögens“ zu erklären versucht, nämlich als „Bewußtseyn des Vorstellenden als eines solchen“ oder als das Bewusstsein „seiner selbst als des Vorstellenden insbesondere“, das er auch als ,deutliches‘ oder eben als ,Selbstbewusstsein‘ bestimmt (Reinhold 1789, 222, §. XXXI; vgl. 228 f., § XXXIII). Aber auch das war nur eine der Erschleichungen seiner Elementarphilosophie, die er seit 1790 tastend zu korrigieren beginnt.
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vorstellenden Subjektes“ erklärt, ja so weit geht, zu sagen, die Vorstellung sei in demselben „gegründet“ (136).93 Hier deutet sich also Klärungsbedarf an. Diese Verschiebung des Prinzips von der Vorstellung aufs Subjekt der Vorstellung muss uns jetzt interessieren. Es scheinen vor allem zwei philosophierende Zeitgenossen gewesen zu sein, die Reinhold zu dieser Revision seines Systems veranlasst haben: Hardenbergs früherer Hauslehrer Carl Christian Erhard Schmid94 und der Tübinger Repetent (ungefähr vergleichbar einem heutigen Assistenten) Immanuel Carl Diez. In einem Brief an Johann Benjamin Erhard (vom 18. Juni 1792) gibt Reinhold zu – und das ist ein Zugeständnis, das sich in keiner seiner gleichzeitig veröffentlichten Schriften wiederfindet –, dass seine Philosophie auf Prämissen beruht, die sie nicht gleich anfangs, sondern erst in der Folge begründen kann.95 Im Falle des Prinzips der Reinhold’schen 93 Eine ähnliche Unaufmerksamkeit ist am Werk, wenn Reinhold in derselben Schrift das ,Ich‘ als dasjenige auszeichnet, das die Vorstellung allein und unmittelbar im bloßen Bewußtsein ,wahrnehme‘ (Reinhold 1790, 152). In der revidierten Version der Fundamentallehre, die im Sommer 1792 einsetzt, wird dann gesagt, die Tatsachen, die diese Lehre aufstelle, seien „unmittelbar im Subjekte des reinen Selbstbewußtseyn gegründet“ (Reinhold 1794, 65). Im Rückblick des programmatischen Aufsatzes „Über den gegenwärtigen Zustand der Metaphysik und der transcendentalen Philosophie überhaupt […]“ (in: Reinhold 1797, 276) wird geradezu das „Subjekt […] des reinen Selbstbewußtseyns“, und nicht mehr das von ihm ,abhängende‘ Vorstellungsvermögen „für das Fundament der Elementarphilosophie“ ausgegeben. Vgl. auch Reinholds Brief an Baggesen vom 15. Januar 1795: „Mein Satz des t r a n s c e n d e n t a l e n S e l b s t b e w u ß t s e i n s sollte der Theorie der drei Grade der S p o n t a n e i t ä t des transcendentalen Subjectes zum Grunde liegen“ (Baggesen 1831, II, 5). 94 Der Schmid’sche Beitrag zu Reinholds Systemkrise wird von Henrich und seinen Schülern durchgängig unterbewertet. Zur Gegensteuerung vgl. Berger (1998). 95 Reinhold referiert Schmids und Diezens Einwände in einem Brief an Johann Benjamin Erhard vom 18. Juni 1792 wie folgt: „Ich sehe nun deutlich ein[,] das[s] in dem Ersten Theil der Fundamentallehre der Elementarphilosophie, Theoreme vorkommen[,] bey denen ich selbst hätte ausdrücklich zeigen sollen[,] daß sie nicht unmittelbar aus dem Satze des Bewußtseins[,] sondern nur vermittelst anderer Sätze[,] die ich in dieser Elementarlehre ohne Beweis als Aussprüche des
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,Elementarphilosophie‘ ist die implizit gemachte Voraussetzung die der ,Selbsttätigkeit‘ des Subjekts, das ja in allen Zügen, von denen der ,Satz des Bewußtseins‘ handelt, der alleinige Agent96 ist. So geschieht Begründung statt aus einem gleich anfangs aufgestellten Grundsatz eher aus einer Finalidee. Sie muss ,Idee‘ auch in jenem ursprünglichen Sinne Kants heißen (nämlich als eine zum Zweck der Systematisierung unserer Erkenntnisse ins Unbedingte erweiterte Relationskategorie). Nun gelten Ideen nur hypothetisch. Sie regulieren unser Nachdenken über die Welt, konstituieren aber keine Objekte. Erfolgt Letztbegründung nur aus Ideen, so erfolgt sie sens[us] comm[unis] aufstelle[,] erfolgen, und welche Sätze mir dann erst erweisliche Aussprüche der philosophirenden Vernunft werden können, wenn die übrigen Sätze des Bewußtseyns aufgestellt und entwickelt sind. Z. E. das Theorem, daß der Stoff gegeben[,] die Form hervorgebracht[,] die Vorstellung erzeugt sey, wobey Selbstbewußtseyn und bewußtseyn der Selbsthätigkeit, das nicht im Bewußtseyn überhaupt liegt[,] vorausgesetzt wird. Allein jene Ansprüche des gemeinen Verstandes müssen schlechterdings lemmatisch in der Elementarphilosophie angenommen werden; da nur vom gemeinen Verstand zur philosophirenden Vernunft übergegangen werden kann; aber sie müssen durch die letztere in der Folge gerechtfertigt werden. Das Fundament der Elementarphilosophie sind lauter Fakta des Bewußtseyns, unter denen der eine[,] der den Satz des B.[ewußtseins] überhaupt ausdrückt[,] der allgemeinste und in sofern im System der erste ist. Die Elementarphilosophie stellt erst die Principien der Philosophie auf, kann also von keinen solchen Principien ausgehen[,] sondern von blossen Thatsachen[,] die sich durch ihren Unterschied und Zusammenhang erläutern, und aus denen jene Principien alsdann von selbst hervorgehen“ (in: Diez 1997, 912 f.). 96 Ich sage etwas ungenau „Agent“, obwohl das „Gemüt“ sich bei Kant ja auch passiv verhält, so bei der Aufnahme der von den Dingen an sich zugestellten sinnlichen Informationen. Reinhold sieht aber auch in der sinnlichen Rezeptivität ein Minimum an Selbsttätigkeit am Werk, die in der sogenannten „Apprehension“ minimal, beim „reine[n] Verstand oder in der „Apperception“ entschieden, wenn auch nur ,theoretisch’ wirksam, in der „eine[n] Vernunft“ vollständig und auch praktisch ausgeprägt ist: „Vernunfteinheit ist die einzig denkbare absolute Wirkung des vorstellenden Subjektes“. Hierin besteht seine Lehre von den „drei Graden der Spontaneität“ (Reinhold 1789, 535 [ff.], 537; Reinhold an Baggesen am 15. Jan. 1795, in: Baggesen 1831, II, 5 f.).
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eben – paradox gesagt – nie ultimativ. Und so verwandelt sich das Programm einer Deduktion aus oberstem Grundsatz in eine unendliche Approximation an ein nie ultimativ zur Gewissheit zu bringendes Principium, eben eine Idee. Reinholds ehemaliger Schüler Novalis resümiert diese Wende (deren Resultat für ihn selbst verbindlich bleiben sollte) in der Wendung, „das absolute Ich“ müsse sich in ein „Approximationsprincip“ verwandeln (Novalis 1968, 296, Nr. 314, Z. 15 f.).97 Versuchen wir nun ein Resümee der ziemlich dichten Argumentationsskizze, die Reinholds Brief an Erhard vom 18. Juni 1792 gibt und die ich in der letzten Fußnote vollständig zitiert habe. Diez scheint Reinhold vorgeworfen zu haben, sein Grundsatz trage sich gar nicht selbst, sondern nehme Prämissen in Anspruch, die er erst viel später begründen könne. Das ergibt einen Zirkel in der Erklärung. Denn das, was erst später eine Begründung erfährt, wird ja von Reinhold für das ausgegeben, was aus dem obersten Grundsatz 97 Novalis führt hier gleichsam die Riege der Grundsatzkritiker unter Reinholds ehemaligen Schülern an. Ihre Gedankenschicksale erzählen Frank (1998) und Henrich (2004). Schelling steuert zuerst mit Ungestüm auf eine beinharte Philosophie-aus-oberstem Grundsatz zu, verbittet sich aber in einer „Antikritik“ auf Benjamin Erhards rüde und obendrein spöttisch vorgetragene Kritik an seiner Ichschrift jede Zuschreibung von Sympathie mit den „unglücklichen Untersuchungen über e i n e n e r s t e n G r u n d s a t z d e r P h i l o s o p h i e“ (SW I/1, 242). Den Abhandlungen (von 1796/97) ist dann ein „Anhang […] Ueber Postulate in der Philosophie“ angehängt, der – wie Diez, Schmid und Reinhold nach seiner Systemwende – das Ich als kantische Finalidee oder praktisches Postulat, nicht als ursprünglichen ,Besitz‘ oder Wissensbestand rekonstruiert (SW I/ 1, 444 – 452). Dass das nicht schon in den ersten Publikationen seine Überzeugung war (und auch nicht lange bleiben wird), zeigt seine Kritik (in der Ichschrift) an der Irrealität von Reinholds Satz des Bewusstseins: Wer das Subjekt aus den bloß immanenten Bedingungen der Vorstellungen konstruiere, verleihe ihm dadurch „gar keine als bloß denkbare Realität“. Objekt und Subjekt der Vorstellung einander äußerlich bleiben zu lassen, heiße, sie „bloß l o g i s c h“ zu bestimmen. Wie aber könne man ein „h ö c h s t e s Princip“ der Philosophie seiner Realität berauben? Schelling bezieht sich mit dieser Kritik auf Maimon (SW I/1, 208 mit Anm.).
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fließt bzw. aus ihm ,deduziert‘ werden kann. Ein Beispiel für dieses zirkelhafte Verfahren führt Reinhold selbstkritisch selbst an: Es ist die These (die angeblich aus dem bloßen Begriff der Vorstellung abgeleitet wird), dass der Stoff gegeben, das Vorstellungsvermögen aber Produzent der Form ist, unter der sich der Stoff darbietet. Um Produzent zu sein, muss aber dem Vorstellungsvermögen Selbsttätigkeit (,Spontaneität‘) zugeschrieben werden – und sogar, wie Reinhold schreibt, Selbstbewusstsein. Denn im Satz des Bewusstseins begegnet die Tätigkeit der Vorstellung in allen Zügen, die sie ausführt, sich selbst, und zwar – da alles vom Satz des Bewusstseins Umschriebene im Raum des Bewusstseins sich abspielt – bewusst sich selbst: Sie (die Selbsttätigkeit des Subjekts) ist es, die die Vorstellung aufs Subjekt – also auf sich selbst – teils bezieht, teils von sich unterscheidet (wenn sie etwa äußere Ursachen hat). Und aufs Objekt – könnte man sagen – bezieht sie sich, indem sie 1. das Objekt durch eine vorgängige Selbstunterscheidung von sich ausgrenzt und für diese Ausgrenzung 2. Selbstbewusstsein braucht (denn sonst wüsste sie nicht, was sie ausgrenzen muss). Die frühe Elementarphilosophie hatte aber umgekehrt Selbsttätigkeit und Selbstbewusstsein als (analytische) Konsequenzen aus dem Gedanken der Formurheberschaft abgeleitet – ein manifester Zirkel. Etwas ganz Ähnliches hat Diez offenbar gegen Reinholds These eingewendet, hinsichtlich ihrer Form sei die Vorstellung einig, hinsichtlich ihres Stoffes mannigfaltig. Diese Behauptung ließe sich ohne logischen Widerspruch umkehren; sie hat also per se nichts Zwingendes. Reinholds Satz wäre nur dann zu begründen, wenn man von einem anderen Grundsatz ausgeht, der die Spontaneität eines seiner selbst bewussten Ichs von Anfang an ins Spiel bringt (wie das übrigens Kant im § 16 der B-Deduktion getan hatte). Denn Selbstbewusstsein ist ein Einheitsprinzip. Das Ich dürfte nicht selbstbewusst heißen, wenn es mit seiner Einheit nicht auch bekannt wäre. Und wer von einem solchen Prinzip ausgeht, hat keine Schwierigkeit mit der Erklärung, warum Ich-Gedanken ihrer Form
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nach einig sein müssen und dem vom Stoff beigetragenen Mannigfaltigen eine Einheit verleihen können. Von hier wird auch die Unterscheidbarkeit eines subjektiven Wissens a priori von einem gegenstandsgestützten Wissen a posteriori einsichtig, nicht aber aus dem bloßen Begriff der Vorstellung und dem, was in ihm begrifflich impliziert ist (vgl. Henrich 2004, 354). Rückblickend hat Diez (in einem Brief an Niethammer vom 25. Juli 1794, schon im Blick auf Fichtes ihm damals nur vom Hörensagen bekannte Begriffs-Schrift) geschrieben: „Vom Ich auszugehen und dies als das Fundament anzunehmen, scheint mir der beste Weg zu sein“ (Diez 1997, 328). Auf die Zirkularität von Reinholds Verfahren – dass er nämlich die Prämissen seiner Ableitungen voraussetze – hatte auch Schmid schon, den Reinhold in seinem Brief ja gleichberechtigt neben Diez nennt, im 6. Abschnitt der Einleitung zu seiner Empirische[n] Psychologie hingewiesen (Schmid 1791, 19 f.): Reinhold habe zunächst versucht, bereits vorliegende empirische Befunde „unter abstrakte Begriffe und in systematische Ordnung zu bringen“; von dort aber sei er auf dem „synthetischen Weg“ wieder herabgestiegen, bemüht, aus einem Begriffe von der menschlichen Seele […] durch Schlüsse a priori herauszubringen, was für Vermögen und Kräfte der menschlichen Seele zukämen und nach welchen Gesetzen diese würkten. […] Es waren also keine neuen Entdeckungen hier zu erwarten, sondern nur eine veränderte Stellung, in welcher die Wahrheiten dort analytisch, hier aber synthetisch erschienen.
Diesen Vorwurf hatte noch früher Heydenreich in einer vielbeachteten Kritik an Reinholds Deduktionsverfahren formuliert, und Reinhold hat sie durch Abdruck im Anhang seiner Beyträge I gewürdigt: Die Vorstellung und das Vorstellungsvermögen sind nicht das prius, sondern das posterius, und können auf keine Weise Prämissen für die Wissenschaft abgeben (Heydenreich in: Reinhold 1790, 427 f.).
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In den Beyträgen I revidiert Reinhold denn auch stillschweigend seine Auffassung, aus einem Allgemeinbegriff, der allererst durch Abstraktion aus den „unter ihm enthaltenen“ Vermögen gebildet worden sei, lassen sich nun umgekehrt diese Vermögen eins ums andere ,ableiten‘ (l. c., 115 ff.). Ein Sinn von Reinholds Deduktions-Programm war ja gewesen, dass erst im Ausgang von einfachen (d. h. nicht weiter zu analysierenden) Elementen Schritt für Schritt komplexere Sachverhalte definiert und abgeleitet werden sollten. Von daher erklärt sich überhaupt der Name ,Elementarphilosophie‘, den Reinhold seinem Programm gab. Nun zeigt sich, dass gerade umgekehrt das Komplexe den Grund der Einsichtigkeit des vergleichsweise Einfacheren enthält – und damit ist die Methode der Elementarphilosophie auf den Kopf gestellt. Begründung geschieht nicht vom Anfang, sondern vom Ende der Voraussetzungsreihe aus: ein Verfahren, das der Adressat von Reinholds Brief, nämlich Johann Benjamin Erhard, als ,analytisch‘ charakterisiert hatte (Frank 1998, 18. Vorl.; Henrich 2004, 1254 ff. und 1291 ff.). Nach damaligem Wortgebrauch meint das, mit Blick auf ein methodisches Verfahren: vom (vorliegenden) Begründeten zum (anfangs nur vorausgesetzten) Grund aufsteigend (Marcelo Stamm in Diez 1997, 905 ff.). Reinhold schaut dieser Konsequenz wacker ins Auge, wenn er in seinem Brief zugibt: Die Elementarphilosophie verfüge anfänglich nur über Tatsachen („Fakta“) des Bewusstseins, und dazu scheine auch der Satz des Bewusstseins zu gehören. Zwar habe der Satz des Bewusstseins in der Ordnung der Forschung weiterhin für den ,ersten‘ Satz (also für das ,Fundament‘ der Theorie) zu gelten, schon weil er der vergleichsweise ,allgemeinste‘ von allen ist. Aber er ist noch nicht derjenige, der das ganze System ,rechtfertigt‘. Ein solcher könne nicht mehr als Deduktionsgrund, sondern müsse eher als ein Schlussgedanke, eine Final- oder Vernunftidee von der Art eines kantischen regulativen Prinzips betrachtet werden. (Schmid spricht von einem ,normalen‘ Gedanken oder einer ,Normalidee‘; er
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meint damit Gedanken, in denen eine Norm wirkt und die mithin die Theorie an die praktische Philosophie verweisen, nach dem Vorbild einer Ableitung aus einer bloß hypothetisch erschlossenen ,regulativen Idee‘ [Schmid 1792, 58 f.].)98 Reinhold greift diese Kritik in seinem Wende-Aufsatz von 1792 durch Dissoziation seiner Methodologie auf: ,Aussprüche des gemeinen Verstandes‘ müssen von ,Begründungen/Rechtfertigungen aus der philosophierenden Vernunft‘ unterschieden werden. So hat das Selbstbewusstsein den Satz des Bewusstseins zu seinem Fundament, lässt sich aber erst in einer Theorie der – auch die Praxis einbeziehenden – Vernunft ,beweisen‘, und das heißt: ,begründen‘. Reinholds Brief an Erhard beruft sich zusätzlich noch aufs methodische Prinzip des Zusammenhangs aller Sätze der Vorstellungstheorie: ihre Kohärenz. Dabei taucht der Ausdruck ,lemmatisch‘ auf. Lemmata sind ad hoc angenommene, noch nicht beweiskräftige Hilfsannahmen oder Zwischenschritte in einem Beweis. Reinhold will Erhard dies mitteilen: ,Lemmatisch‘ in Anspruch genommene Begründungen des Satzes des Bewusstseins – oder vielmehr: aller Sätze des sens commun – lassen sich erst dann auch als „,Aussprüche der philosophierenden Vernunft‘ [einsehen]“, wenn sie 1. vollständig aufgestellt und entwickelt und wenn sie 2. in ihrem „Unterschied und Zusammenhang“ durchsichtig geworden sind, d. h. ,aus ihren wechselseitigen Explikationsverhältnissen her einsichtig gemacht sind‘ (Marcelo Stamm in Diez 1997, 908). Reinhold gibt uns in seinem Brief an Erhard selbst die Versicherung, dass Diezens Einwände ihm Anlass zur Revision der Methode der Elementarphilosophie geliefert hätten und dass man den Niederschlag dieser Revisionsarbeit im „Zweyten Theil der besagten Abhandlung fürs nächste Stück der Beyträge“ gewärtigen dürfe.99 98 Ausführlich werden Schmids Einwände gewürdigt in der 13. Vorlesung von Frank (1998, 349 ff.). 99 In einer ähnlichen Wendung würdigt er Schmids Rezension im Schreiben an Baggesen vom 2. April 1792 (Baggesen I, 176). Im Übrigen handelt ja auch Rein-
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Auf diesen Text mit dem Titel „Ueber den Unterschied zwischen dem gesunden Verstande und der philosophierenden Vernunft in Rücksicht auf die Fundamente des durch beyde möglichen Wissens“ (Reinhold 1794, 1/3 – 72) spielt ja auch Reinholds Rede im Brief an Erhard von den Ansprüchen des gemeinen Verstandes gegenüber der philosophierenden Vernunft verschiedentlich an.100 Zu fragen bleibt nun: Welche Einflüsse mögen Diezens Überlegungen auf Schellings philosophischen Erstling gehabt haben? Das ist Gegenstand des Schluss-Abschnitts (9.) von Henrichs letztem Kapitel (XVI). Da ist zunächst die titelgebende „Grundlegung [des Wissens] aus dem Ich“ – und es ist kein Wunder, dass Diez Fichtes erste öffentliche Schritte in diese Richtung ausdrücklich guthieß; allerdings schloss er nicht Fichtes Fundamentalismus und Begründungspraxis in sein Lob sein. Er hielt zwar die Logik für aus dem Ich erklärlich, bleibt aber darin Kant treu, dass er am passiven Gegebensein der Dinge von außerhalb unseres Geistes festhält: Das Subjekt bringe die vorgestellten Dinge nicht hervor (an Niethammer aus Würzburg, 25. Juli 1794, 328 f.). Auch arbeitet seine (uns nicht überlieferte) Skizze zu einer Theorie der ersten Gründe nicht an einem Grundsatz, sondern lässt – kantisch, wie Carl Christian Erhard Schmid – mehrere davon zu. Nun wird man sagen: Als Diez diese Gedanken durch den Kopf gingen, war ihm keine erkenntnistheoretische Schrift Fichtes bekannt. Um so mehr rückt eben sein Schüler Schelling in den Skopus. Denn bevor Fichte sein eigenes Programm einer Grundlegung aus dem Ich öffentlich machte, hatte Schelling schon auf möglicherweise Diez’scher Basis den Entwurf einer gegen Reinhold gerichteholds Brief an Erhard von 18. Juni 1792 von Schmids für eine künftige Überarbeitung der Elementarphilosophie zu beachtenden Einwänden. 100 Ich habe diesen Text (in: Frank 1998, 18. Vorlesung) ausführlich analysiert – auch den Prinzipienwechsel von der Vorstellung zum absoluten Subjekt. Wesentlich ausführlicher: Henrich 2004, Kap. VI: „Diez’ Studium und Kritik von Reinhold“, bes. 294 ff.
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ten Fundamentalphilosophie mit dem absoluten Ich als oberstem Grundsatz unternommen und sogar veröffentlicht. Diese Vorgeschichte im Blick, war von Schellings Form-Schrift zu zeigen, daß Schelling [bei ihrer Abfassung] viel von dem vor Augen stand, was aus den dichtliegenden Quellen zu Diez’ Theoretisieren und Agitieren erschlossen worden ist. Das lässt es zu, vor allem zu zeigen, daß die Interessen und die Positionen von Diez und von Schelling in einem nahen sachlichen Zusammenhang zu sehen sind. Doch war die sachliche Nähe in diesem Fall auch durch eine persönliche Nähe vermittelt (Henrich 2004, 23 f., 1572).
Zunächst ein Wort zu dieser persönlichen Nähe: Diez wurde 1766 in Stuttgart geboren als eines von 14 (meist bald nach der Geburt gestorbenen) Kindern eines in Tübingen und Bebenhausen tätigen Amtsarztes, besuchte in Tübingen die Schule, später die Lateinschule, ging anschließend nach Bebenhausen, lebte dort u. a. anderthalb Jahre im Hause des dortigen Lehrers und Vaters Schellings (1780/81). 1783 wechselte Diez – trotz lebhafter naturwissenschaftlicher Interessen – ans Tübinger Stift, hörte Vorlesungen bei Flatt, verteidigte seine Dissertation (Ad Esaiae C. XXVII.) – wie nachmals Schelling – bei Schnurrer, schrieb Magisterspecimina Über das Wesen der Seele (wohl bei Flatt) und Über einige Grundsätze der Statik und Mechanik nach Erxleben (wohl bei Pfleiderer). Nach Beendigung seines Studiums (1788) war Diez zunächst Vikar, weil er sich auf ein geistliches Amt vorbereitete, geriet aber in eine Glaubenskrise und wurde im Oktober 1790 zum Repetent im Tübinger Stift ernannt. Er hat das Amt wider Willen übernommen, heftig beklagt, ja verwünscht, anfangs vielleicht darum, weil er sich auf eine Karriere als Medizinprofessor eingestellt hatte, mit der Zeit mehr und mehr, weil er sich innerlich vom Christentum und vom Pfarramt losgesagt hatte (Henrich 2004, 895 f[f.]; vgl. Brief an Niethammer vom 12. Okt. 1790: „Ich bin [am 8. Okt.] zum Repetenten ernannt. Hätte der Teufel wohl eine schwärzere Plage mir aufbinden können?“ [Diez 1997, 39 [f.]]). Als Repetent, zumal durch seine ,en-
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ragiert‘101 antidogmatische Agitation daselbst und seine revolutionsfreundliche Einstellung, wurde Diez ein ganz besonders einflussreicher Lehrer Schellings (während dessen zwei ersten Studienjahren, die ganz dem Philosophiestudium gewidmet waren). Diez trat in Debattierklubs auf, in denen die neuesten Schriften des Kantianismus behandelt wurden und über die Hegels Freund Leutwein berichtet (Henrich 1965, 56 f.) – allerdings erzählt er nicht, dass neben Schelling auch Hegel (oder Hölderlin) daran teilgenommen hätten. Überhaupt muss Henrich einschränkend zugeben, „dass er einen philosophischen Austausch zwischen Diez und Schelling nicht belegen, dass er nur „eine Nähe in der Sache“ nachweisen kann (Henrich 2004, 1695). Diez propagierte die sonst nirgends in Lehrveranstaltungen unter positiven Vorzeichen präsente (seit 1790 allenfalls bekämpfte) kantische Philosophie, legte sich mit der Tübinger Dogmatik an und eröffnete den Philosophiestudenten erste Einblicke in Reinholds Kant-Umbildung. Er ließ sie auch unmittelbar teilnehmen an den verschiedenen Schritten seiner Reinhold-Kritik. Und das macht es wahrscheinlich, dass er auch berichtete, wie er sich eine Alternative zu dessen Idee einer Begründung aus oberstem Grundsatz vorstellte. Die Quintessenz von Henrichs Aufmerksamkeit steckt in diesem Satz: „Das Interesse an der frühen Ausbildung von Schellings Position geht also auf die markanteste Gestalt des Philosophierens, das aus den Tübinger Stiftsstuben hervorging“ (Henrich 2004, 1576). Eine wichtige Eigentümlichkeit von Schellings philosophischen Anfängen, die sich aus dem Umgang mit Diez erkläre, formuliert Henrich so: Schelling habe sich nicht aus Reinholds Elementarphilosophie gelöst, sondern sie mit Mitteln Diezens nur ,völlig umorganisiert‘ (l. c., 1589 f.). Dabei sei dies der entscheidende Zug dieser Transformation: Nachdem die Unbedingtheit dem Subjekt, die Be101 Einen „kantischen enragé“ nennt ihn Christian Philipp Leutwein in einem Brief, der über die gemeinsam mit Hegel im Stift verbrachte Zeit berichtet. Dazu Henrich (1965, 57).
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dingtheit dem Objekt und die Vorstellung dem aus beiden ,Gemischten‘ zugeordnet seien, gelingen alle weiteren Ableitungen leicht nach dem Schema, „daß das Subjekt im Dritten (der Vorstellung) sich zum Objekt wie das Bestimmende zum Bestimmten (wie Einheit zur Vielheit, Realität zur Negation, Möglichkeit zur Wirklichkeit) verhalte“ (SW I/1, 111). Henrich betont nun, man könne in diesem fast beiläufig formulierten Resümee Schellings leicht übersehen, dass, was aus jenem „einzigen Satze“ deduziert werde, nicht weniger umfasse als „alle übrigen Sätze der Elementarphilosophie[, und zwar] bündig und in leichterem Zusammenhange, als in der Theorie des Vorstellungsvermögens […] begründet ist“ (l. c.). Henrich kommentiert: Mit dieser Formulierung resümiere Schelling eigentlich nur und genau das Programm der Reinhold’schen Elementarphilosophie, „die wir als Gegenstand von Diez’ Reinhold-Kritik bereits erörtert hatten“ (Henrich 2004, 1681, unter Verweis auf l. c., 275 ff.). Es bleiben Zweifel an der Triftigkeit von Henrichs Rekonstruktion. Wohl mag es so sein, dass Schelling die Umbildung der Reinhold’schen Vorstellungstheorie vom Subjekt her zunächst mit Mitteln angegangen ist, die er von Diez gelernt hat. Das Ich, von dem in der Formschrift die Rede ist, ist, wie wir wiederholt sahen, aber eben nicht das des „Selbstbewusstseins“ oder der ihrer bewussten „Selbsttätigkeit“, von der Reinhold in seinem Brief an Erhard schreibt. Vielmehr entzieht Schelling, wie übrigens auch Fichte, das Subjekt als Un-bedingtes der Bedingung eben dieses Bewusstseins. Ja, in der Ichschrift verwahrt er sich gegen die Verwechslung des Subjekts, das nur als Relationsterm in Abhebung gegen den des Objekts Bedeutung habe, mit dem „absoluten Ich“ (SW I/1, 165 f., § 2, 180, passim) – und provoziert damit die Verständnislosigkeit des ,Mannes aus dem Volke‘, der sich wohl seiner selbst, aber nicht eines absoluten Ichs bewusst sei (Weißhuhn 1794, 157). Noch grimmiger fiel, wie wir sahen, der Spott Johann Benjamin Erhards aus (1796, bes. 90 f.; vgl. hier S. 3; vgl. die S. 74, 87 u. 94).
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Sodann: Henrich hat Schelling beim Übergang von dem Satz, unbedingt gesetzt sei, was durch nichts Höheres gesetzt sei, zu dem Satz, ein solches sei also allein durch sich selbst gesetzt, ein non sequitur vorgeworfen (Henrich 2004, 1635 f., 1644 unter Bezug vor allem auf SW I/1, 93, 94 Anm., 96). Er stellt es so dar, als sage Schelling, was nicht weiter begründet ist, sei also selbstbegründet. Das wäre natürlich Unsinn. Aber es lässt sich eine günstigere Lesart für Schellings gedanklichen Rösselsprung aufbieten. Um sie zu rechtfertigen, muss ich etwas ausholen. Zunächst ist, was Diez vorschlägt, ja der Umbau von Reinholds Prinzip. Statt in einer Gewissheit (einer ,Tatsache des Bewusstseins‘) wird es in eine kantische Idee verlegt. Also in eine ,bloße‘ Idee, die wir vernünftigerweise postulieren dürfen, die wir aber nicht erkennen. Eine Idee erfüllt damit eines der von Jacobi und Reinhold angegebenen Kriterien für ein unmittelbares Wissen nicht, wie es auch der frühe Schelling angenommen hatte (SW I/1, 162 f.). Aber auch in der spekulativ dünneren Luft von Ideen kann man sich in einen Regress verstricken. Schelling mag eine Passage aus Kants Ideen-Lehre über einen infiniten Aufstieg (Kant spricht umgekehrt von einem ,Regressus‘) über Bedingungen von Bedingungen zum definitiv Unbedingten vorgeschwebt haben, als er (in der Formschrift) dies notierte: Sollten wir von Grundsatz zu Grundsatz, von Bedingung zu Bedingung bis zu dem obersten absolut kategorischen zurückgehen? Allein wir müßten nothwendig von d i s j u n c t i v e n Sätzen anfangen, d.h. jeder Grundsatz würde, insofern er weder durch sich selbst (denn sonst wär’ er der oberste) noch durch einen höhern (den wir erst suchen wollen) bestimmt ist, nicht einmal tüchtig dazu seyn, der erste Punkt einer regressiven Untersuchung zu werden. Doch das erste Merkmal, das im Begriff eines schlechthin unbedingten Satzes liegt, weist uns selbst einen ganz andern Weg an, ihn zu suchen. Ein solcher nämlich kann nur durch sich s e l b s t bestimmt seyn [ein Beleg für Henrichs non sequitur], nur durch s e i n e e i g e n e n M e r k m a l e gegeben seyn. Nun hat er aber kein Merkmal, als das
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Merkmal der absoluten Unbedingtheit; alle anderen Merkmale, die man von ihm außer diesem angeben möchte, würden diesem entweder widersprechen, oder schon in ihm enthalten seyn (SW I/1, 96).
Den drohenden Regress, der – nach dem Vorbild Kants – von Bedingung zu Bedingendem aufsteigt und kein Kriterium zum Anhalten findet, wird durch eine begriffliche Stipulation machtwortartig beendet: Ein schlechthin Unbedingtes ist so beschaffen, dass es eben durch nichts außer, neben oder über ihm bedingt ist. Von dieser begrifflichen Zurichtung geht’s im Sauseschritt zu seiner Existenz/Realität (nach Art des ontologischen Gottesbeweises) und, nachdem die Argumentation einmal Fahrt aufgenommen hat, vom Aus-sich-selbst-Sein des Unbedingten zu seiner „absolute[n] Causalität“, also zu einer Art transzendentaler Freiheit nach Art der These von Kants dritter Antinomie. Schließlich könne nichts ,schlechthin gesetzt‘ sein „als das, wodurch alles andere gesetzt wird“ (l. c.). Das ist eine für den jugendlichen Schelling typische Passage. Sie verbindet Ungeduld im Vorhasten auf kühne Konsequenzen mit erheblichem Scharfsinn und überraschender Belesenheit, davon abgesehen, dass sie ein durchs Schaltwerk der Gedanken rasendes Assoziationstalent verrät. Man kann an der schwindelerregenden Abfolge dieser ,Konsequenzen‘ studieren, wie der Mechanismus philosophischer Intuitionen funktioniert. Die Kant-Stelle, an die auch Matthews sofort gedacht hat (2011, 18 f. mit 229, Anm. 34), hatten wir schon im Zusammenhang der Unterscheidung des Welt- und Naturbegriffs diskutiert. Sie findet sich im Vorspann zu den sogenannten kosmologischen Antinomien. Kant unterscheidet dort, wie bei den Kategorien und Grundsätzen, mathematische von dynamischen Ideen, wobei Ideen ins Unbedingte erweiterte/verabsolutierte Kategorien sind. Unbedingtheit wiederum meint: vollständige Versammlung aller Bedingungen, aus denen ein bestimmtes Bedingtes sich ergibt, „weil außer ihr [der
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vollständigen Reihe der Bedingungen] keine Bedingungen mehr sind“ (KrV A 417, Anm.). Dies zugegeben, seien zwei Fälle möglich: Entweder bestehe das Unbedingte in einer Reihe von Gliedern, so dass „nur das Ganze derselben schlechthin unbedingt wäre, und dann heißt der Regressus unendlich“ (A 417). Oder „das absolut Unbedingte ist nur ein Teil der Reihe, dem die übrigen Glieder derselben untergeordnet sind, der selbst aber unter keiner anderen Bedingung steht“ (A 418).102 Das scheint zu meinen: Das Unbedingte geht entweder als Glied mit ein in die Reihe der Bedingungen,103 ist den übrigen Gliedern der Reihe also homogen; dann sieht man nicht, wie es als solches unbedingt heißen könnte. Oder es bleibt draußen, ist nicht von gleicher Art wie die übrigen Glieder, sondern verhält sich zu der Reihe wie ihr externer Grund.104 Im ersten Fall hätten wir mit einer mathematischen (offene raum-zeitliche Größe), im zweiten mit einer dynamischen Idee (Interaktion aller Teile eines Ganzen) zu tun, so, dass ,das Ganze‘ mehr ist als die Summe der Teile, denn es kommandiert ihre Wechselwirkung wie ein Gesetz ,von außen‘. Ein mathematisch Unbedingtes ist zwar eine widersprüchliche Idee, aber sie überschreitet, sagt Kant, den Skopus der erscheinenden Welt nicht, während die dynamische Naturidee das tut: Indem das Unbedingte hier der Reihe zugrunde liegt (ihr äußerlich bleibt), gehört es 102 Diesen Satz finde ich schwer verständlich, weil er zugleich sagt, das dynamisch Unbedingte sei Teil der Reihe und kein Teil der Reihe (weil externer Grund der Reihe). So vor allem, wenn man die in meiner folgenden Anm. 104 zitierte Refl. 6411 zur Deutung heranzieht. 103 Kant blendet in diese Diskussion noch die alte aristotelische Unterscheidung einer potentiellen von einer aktuellen Unendlichkeit ein. In der ersten zerfließt das Unendliche, indem ich ans letzte Glied immer noch ein ,+ 1‘ anfügen kann. Das ,aktual‘ Unendliche verhält sich der zerfließenden Zeit gegenüber wie die Ewigkeit. Sie ist die zur Nuss geballte Versammlung der Glieder der Reihe und darum, weil sich ihr nichts hinzufügen lässt, reicher als diese. Schellings (und Hegels) Identitätsphilosophien arbeiten gern mit dieser Unterscheidung (Kunz 2013, Kreis 2015). 104 Dazu, wenn auch ohne Bezug auf KrV A 417 f., erhellend Allison (1983, 312 f.).
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nicht zur Welt der Erscheinungen. (Darum lehnt Kant diese Idee ja zunächst auch als ,transzendent‘ ab, rehabilitiert sie aber im Lichte seiner Postulatenlehre und – für Schelling wichtiger – im Namen eines ,Endzwecks‘ des Naturprozesses.)105 Wir geraten also an eine ,intelligible‘ Größe (Freiheit, ,absolute [meint wohl: nicht mechanische] Kausalität‘. Deren Erkenntnisgrund, hatte Kant in der zweiten Kritik gelehrt, ist das Sittengesetz, das einzige „Faktum“, das sich in unserer Vernunft findet und das im Titel von Schellings zweiter Probearbeit von 1792 genannt ist. Dieses Faktum verlangt zu seiner Erklärung eine Idee (die wäre der Realgrund des Faktums). Da Freiheit nur durch das Sittengesetz verbürgt wird (andernfalls bloße Willkür wäre) und das Sittengesetz ein Zweck in sich selbst ist, darf dieser Idee also auch Selbstzweckhaftigkeit zuerkannt werden.106 105 Ich habe in diese erläuternde Paraphrase von KrV 417 f. eine Reflexion Kants aus den frühen 1790er Jahren eingeblendet, die Georg Mohr in seinem Kommentar zu den Antinomien heranzieht. Sie erläutert zwar vordergründig den Unterschied zwischen den konträren mathematischen und den subkonträren dynamischen Antinomien, aber wirft auch Licht auf die von Schelling umworbene dunkle Passage: „In den Mathematischen Antinomien sind beyde Sätze falsch, weil das unbedingte ein Theil der Erscheinungen seyn soll und [es] doch als ein solches nie unbedingt seyn kann. In der dynamischen können alle beyde wahr seyn, weil das unbedingte den Erscheinungen zum Grund gelegt wird, aber nicht ein Theil derselben ist und der eine Satz von den Dingen in der Erscheinung, der Andere von ihnen in Beziehung auf den intelligiblen Grund gilt. Die zwey erste Antinomien gründen sich auf die unbedingte Totalität der Bedingungen, die zwei andere auf den Unbedingten Grund der Existenz des Bedingten. Dabei sind die 2 erste falsch; die andern können wahr seyn“ (AA XVIII, Refl. 6411, S. 711; vgl. Mohr 2004 298 f.). 106 Ich muss an dieser Stelle einen Seufzer loswerden, den ich im Text selbst unterdrücke. Die Höher- und Immer-höher-Verlegung von Erklärungsgründen und Grundsätzen bis über die Schwelle sogenannter (bloßer) ,Tatsachen‘ des Bewusstseins hinaus hat etwas Schwindelerregendes, ja Anrüchiges, das Sympathie mit dem Spott des Aenesidemus erregt. Der hatte bei der Prüfung der §§ VI – VIII von Reinholds Neuer Darstellung eingewendet, Reinhold schließe von der Existenz der Vorstellungen regelmäßig zurück auf die Existenz eines (die konstituierte Bewusstseins-Tatsache lediglich verdoppelndes) Vorstellungs-Vermö-
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Genau das tut der moraltheologische Schlussteil der Kritik der Urteilskraft. Mit der Einführung des Begriffs ,Endzweck‘ füllt Kant eine argumentative Lücke, die die Annahme einer (sogenannten ,äußeren‘) Zweckmäßigkeit der Naturevolution bis dahin gelassen hatte. Sollte der Mensch, wie Kant sich ausdrückt, ,der letzte Zweck‘ des Naturlaufs sein, auf den mithin alle vorangehenden Produktionen als auf ihr ,Um-willen‘ hinblicken, so entstünde ein unendlicher Regress. Denn wenn jedes Naturprodukt seine Rechtfertigung dargens (als seines Konstitutionsgrundes) (Aenesidemus 1792, 97 ff.). Vielleicht hat dieser Spott auf Herbart und schließlich über Schopenhauer auf Nietzsche gewirkt. Im Ersten Hauptstück von Jenseits von Gut und Böse spottet er über die manifeste Zirkularität der Kantischen Antwort auf die Frage, wie synthetische Urteile a priori möglich seien, nämlich: „V e r m ö g e e i n e s V e r m ö g e n s“ (Nietzsche 1988, Bd. 5, 24 – 26, Nr. 11). Das sei, wie wenn man, nach Art des Molière’schen Arztes, die Frage, wie das Opium schlafen mache, beantworten wolle durch die Erklärung: „,Vermöge eines Vermögens‘, nämlich der virtus dormitiva […].“ Urheber dieses Typs von Kritik ist übrigens Crusius, der direkt und indirekt auf Aenesidems Überzeugungssystem eingewirkt hat. Im Nachlass hat Nietzsche den Spott auf Schelling selbst ausgedehnt: „Der Unfug Kants mit ,Erscheinung‘. Und wo er keine Erklärung fand, ein V e r m ö g e n anzusetzen! Dieser Vorgang war’s, worauf der große Schelling-Schwindel losging“ (l. c., Bd, 11, 273). Vorher hatte schon Johann Benjamin Erhard Fichtes System „als die höchste Verirrung der ihre Schranken verkennenden Vernunft“ verworfen (Brief an Niethammer vom 16. Juni 1796 [in: Niethammer 1995, 177]). Und als Reinhold von einem angeblich den Tatsachen des Bewußtseins gründend Vorausgehenden hört, wehrt er sich gegen die Zumutung, „die Thathandlung des absoluten Setzens [… sei] das Unbegreifliche, was allem Begreiflichen zum Grunde liege. Ich für meinen Theil halte noch immer das B e w u ß t s e i n für das Fundament der Philosophie, und die L e h r e v o m B e w u ß t s e i n [, die] als solche weder rein noch empirisch, weder theoretisch noch praktisch ist. In der O r d n u n g d e r E r k e n n t n i ß geht das Bewußtsein dem Ich und Nicht-Ich vorher, und ist das durch sich selbst Klare, wodurch alles andere klar wird, eben darum durch nichts anderes klar werden kann“ (Brief an Baggesen vom 1. Juni 1796 [Erhard 1833, 420]; vgl. schon den Brief vom 6. Dezember 1794 an denselben, wo Baggesens Kritik an Fichtes „Hinausschreiten über das Bewußtsein“ zustimmend unterschrieben und als „s a l t o m o r t a l e“ verspottet wird [Baggesen 1831 I, 395]).
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aus bezieht, dass es um willen eines höheren Naturprodukts besteht, so gilt dies auch für das letzte, als das der Mensch angesehen wird. Aber wozu soll es Menschen geben? Die Frage schneidet Kant durch das ab, was er den „Endzweck“ nennt. Als unter dem Gebot des Sittengesetzes stehend, ist der Mensch das einzige Naturprodukt, dessen Existenz aus sich selbst gerechtfertigt ist. Er ist der einzige Selbstzweck der Natur. Aber durch seine Existenz ist die Natur insgesamt – als Gesamtorganismus – gerechtfertigt.107 Ihre Zweckmäßigkeit schlägt um von einem äußeren Verwiesensein vieler Glieder auf ein jeweils Höheres (KU, § 63) zu einem vollkommen gerechtfertigten Selbstverweis/Selbstzweck. Kant spricht von einer ,inneren Zweckmäßigkeit‘. Durch sie also – das war das Ziel meiner umständlichen Erklärung – sieht Schelling im zweiten Abschnitt von SW I/1, 96 den angedeuteten Regressus gestoppt. Und zwar in einer Argumentation, die nicht mehr als non sequitur gemaßregelt werden muss. Abgesehen davon, dass Schelling Kants vorsichtiges ,als ob‘ über Bord wirft, folgt er doch – wie im Timaeus und in der Formschrift – durchgängig dessen Kritik der teleologischen Urteilskraft. Nur durch Kants Erklärung des Gesamtorganismus kommt Platons fyom mogtom zum Leben. Und da es ,von sich selbst zugleich Ursache und Wirkung‘ ist, diese Formel aber die dritte Relationskategorie verwendet, die wiederum dem Grundsatz aller Grundsätze zugrunde liegt, scheint der Kreis geschlossen. Von hier öffnet sich auch die Möglichkeit eines weiteren, von Henrich so nicht vorgesehenen Anschlusses an Schmid und Diez. Die sahen ja eine Umgestaltung/Höherverlegung des Reinhold’schen Prinzips vor. Statt in einer Tatsache des Bewusstseins sollte es in einer Vernunftidee bestehen. Was in der Ordnung des Bewusstseins das Erste schien, stellt sich in der Ordnung der Grün107 Das ist umständlich begründet in Véronique Zanettis und meinem Kommentar zur KU: Kant 1996, 1322 ff. (Kapitel „Die Lehre vom letzten Zweck und vom Endzweck der Natur“).
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de als das Spätere/Letzte heraus. Gerade so, wie, was in der Ordnung der Schelling’schen Grundsätze das Letzte schien (,Gemeinschaft‘), sich als die eigentliche Urform der Philosophie herausstellte. Von sich selbst zugleich Ursache und Wirkung zu sein, ist aber eine Struktur, die sich leicht aus der Selbstzweckhaftigkeit dieser, wie Schmid sagt, ,Normalidee‘ verständlich machen lässt. Noch einmal in anderen Worten: Wenn die Suche nach der Urform der Philosophie erst im dritten (disjunktiven, Analysis und Synthesis verbindenden) Grundsatz ins Ziel und zur Ruhe kommt (SW I/1, 104 f.), warum darf dann nicht von einer Selbstbegegnung des Setzenden und des Gesetzten die Rede sein? Das gilt umso mehr, wenn man die Reorganisation der Elementarphilosophie der „Idee aller Ideen“ zutraut und diese nicht nur platonisch, sondern im Sinne der kantischen Zweckidee interpretiert. Das jedenfalls scheint mir zu sein, was Schelling tastend, in oft überhasteter Argumentation, gar zu vieles zusammenführen wollend, eigentlich im Sinn hat. Er gewinnt aus diesem Assoziationstaumel den Kerngedanken seiner späteren, seiner reifen IdentitätsAuffassung. Denn auch die hält sich an Kants Organismus-Formel, die zur Erzeugung der Wendung „das Affirmirende und Affirmirte von sich selbst“ nur mäßig umformuliert bzw. variiert werden musste. Ihrer Herleitung und Analyse widme ich den II. Teil dieser Abhandlung.
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I I . T E I L – Unterwegs zum „absoluten Identitätssystem“ Lassen wir uns von dem Namen auf den Weg bringen, den Schelling 1801 für sein reifes System der Philosophie ins Auge gefasst hat: „absolutes Identitätssystem“ (SW I/4, 113). Da ist zunächst der Ausdruck ,absolut‘, der der Klärung bedarf. Er bringt bei der bloßen Worterklärung seinen Gegensatz ,relativ‘ ins Spiel.
7. ,Absolut‘-,relativ‘ ,Denn absolut‘ wird von Schelling gern aus seiner lateinischen Wortbedeutung erklärt als „id, quod est omnibus relationibus absolutum“: dasjenige, das frei, das losgelöst, das unabhängig ist von allen Relationen. Relationen sind Beziehungen zwischen Termini. Ausgezeichnete Beispiele Schellings sind die Kausalität und die Zeit. Die Kausalität bezeichnet einen wesentlichen Bezug zwischen je zwei Ereignissen, so, dass, wenn das Ereignis A eingetreten ist, notwendig das Ereignis B eintreten muss, und zwar nach einer Regel, die wir gewöhnlich als Naturgesetz (oder als kantischen Grundsatz: als apriorische Übergangsregel zwischen mindestens zwei Termini) formulieren. Kausalität verläuft in der Zeit, sie hat die Zeit sozusagen als Dimension; denn in der Zeit ist das wesentliche Verhältnis je zweier Termini begründet: Ein Jetztpunkt hat notwendig einen künftigen Nachfolger und einen soeben in die Vergangenheit abgesunkenen Vorgänger. Die Zeit lässt sich als kontinuierliche Vorher-nachher-Abfolge charakterisieren. Da Kausalfolgen in der Zeit stattfinden müssen, scheint sichergestellt, dass Ursache und Wirkung notwendig auf zwei Zeitpunkte verteilt sind (KrV B 233, A 199 ff.). Beide Relationen sind offenbar Verfehlungen eines AbsolutheitsIdeals. Jedenfalls ist das Schellings Auffassung. Relativ ist, was nur besteht, sofern ein anderes besteht. Relativ Seiende sind im Wort-
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sinne unselbständig. Etwas ist vergangen nur, insofern es nicht mehr gegenwärtig ist. Und etwas ist Wirkung nur, insofern es von einem anderen verursacht wurde, also seinen Bestand nicht in sich selbst hat, sondern einem anderen verdankt. Diese Unselbständigkeit hält Schelling für das Grundcharakteristikum der Welt, in der wir leben. Er nennt sie (platonisch) die ,erscheinende‘ – offenbar darum, weil er sie von der an sich existierenden unterscheiden will, der er eigentliches ,Seyn‘ oder eigentliche ,Realität‘ zuspricht: derjenigen, der er bisher die Auszeichnung der Absolutheit zuerkannt hat. Die Welt, sofern sie erscheint, ist insgesamt durch Verhältnisse von der Art der Zeitlichkeit und der Ursache-Wirkung-Beziehungen geprägt. Schelling charakterisiert nun diesen Unterschied negativ: als Verfehlung eines Zustands der Selbständigkeit (oder des An-sich-Seins). Bevor ich diese Behauptung durch ein paar charakteristische Zitate belege, muss ich betonen, wie wichtig es für ein angemessenes Verständnis von Schellings Rede vom Absoluten ist, dass er die (erscheinende) Wirklichkeit als einen Zustand beschreibt, den wir nicht als solchen erfassen können, ohne eine notwendige Voraussetzung zu machen. Ähnlich wie Kant, der meinte, wer ,Erscheinung‘ sagt, meine impliciter, ein an sich Seiendes bringe sich zur Erscheinung, sonst wäre die Erscheinung leer, weil im Wortsinne nichts in ihr erscheint (KrV B XXVI f.; vgl. A 251, 253; AA IV, § 49, 337); oder ähnlich wie Jacobi, der meinte, die conditio humana als ,bedingt‘ zu verstehen heiße, sie an ein ,Unbedingtes‘ zu knüpfen (Jacobi 1789, 423); ebenso begreift Schelling die erscheinende Welt als einen defizitären Zustand, also als das Negativ eines Positivs, das notwendig mitgedacht ist. Ohne das zu bedenken, könnte man glauben: Schelling, ein vormoderner Autor, philosophiere noch im seligen Glauben an übersinnliche Hinterwelten, die das Elend unserer Endlichkeit überhöhen und durch eine Art transzendenter Rechtfertigung erträglich machen. Damit haben wir aber Schellings Ansicht nicht genau er-
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7. ,ABSOLUT‘-,RELATIV‘
fasst. Sie besagt vielmehr: Eine phänomenologisch genaue Beschreibung unserer endlichen Wirklichkeit als einer endlichen (und defizienten) kann nicht gelingen, ohne dass wir Maß nehmen an der Idee einer unendlichen. Die mag ,bloße Idee‘ sein, wie Kant es ausdrückte – aber ihr Begriff ist intrinsisch eingearbeitet in den der endlichen. Noch deutlicher wird das, wenn wir für ,endlich-unendlich‘ den Gegensatz ,bedingt-unbedingt‘ einsetzen, mit dem der frühe Schelling (in der Ich-Schrift von 1795) und auch die Frühromantik ständig arbeiten. Das 1. Blüthenstaub-Fragment des Novalis hatte gelautet: „Wir suchen überall das Unbedingte, und finden immer nur Dinge“ (Novalis 1965, 413, Nr. 1; vgl. SW I/1, 166 f.). Das meint: Wer unsere Endlichkeit/Zeitlichkeit überhaupt als ein Reich von Bedingtheit beschreibt, der begreift sie eben dadurch als verfehlte Unbedingtheit – und mithin bezieht er sich negativ auf den Begriff des Unbedingten, den wir hier einfach mit dem des Absoluten identifizieren wollen. Anders (und mit einem von Schelling geliebten Ausflug ins Griechische): ,Bedingtheit‘ ist eine mit einer Beraubung (st´qgsir) gesetzte Unbedingtheit. Der deutsche Idealismus, dem die Philosophiegeschichte das Werk des frühen und mittleren Schelling üblicherweise zurechnet, wäre keine intellektuelle Bewegung, die Kants transzendentalphilosophisches Erbe antritt, wenn der Begriff des Absoluten nicht auch ein erkenntnistheoretisches Standbein hätte. Das Unbedingte, von dem wir gerade sprachen, muss nämlich im menschlichen Wissen angetroffen (oder als eine Voraussetzung unseres Wissens gefordert) werden. Man nennt diejenige erkenntnistheoretische Position, die unser Wissen aus einer unbezweifelbaren, insofern absoluten Gewissheit ableiten möchte, ,Grundsatzphilosophie‘ (oder ,Fundamentalismus‘). Das frühe und mittlere Werk Schellings kann als grundsatzphilosophisch charakterisiert werden. Einige Vorbehalte gegenüber dieser Bestimmung werde ich an geeignetem Ort kenntlich machen.
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Ich beginne gleich mit einer ersten Beobachtung. Der Ausdruck ,Grundsatz‘ ist vieldeutig; und noch unübersichtlicher sind die Programme eines sogenannten ,Deduzierens‘ aller auf Geltung Anspruch machenden Sätze aus einem solchen obersten Grundsatz. Da Schelling früh (1795) Benjamin Erhards Vorwurf zurückgewiesen hat, in der Ich-Schrift einen obersten Grundsatz haben aufstellen zu wollen und diese Versuche insgesamt „unglücklich“ nennt (SW I/1, 242), werde ich mich ganz auf den Kontext konzentrieren, in dem sich seine Gedanken zum Sinn der ,Identität von Natur und Geist‘ halten. Von Deduktionen und Grundsätzen ist dabei wenig oder nie die Rede; und Schelling bemerkt, „daß abstrakte Grundsätze an der Spitze dieser Wissenschaft der Tod aller Philosophie seyen“ (l. c.). Gleichwohl ist nicht zu leugnen, dass er sich in der Darstellung und im Würzburger System des mos geometricus bedient, den er von Spinoza übernimmt, der wiederum die Elementa des Euklid nachahmt. Es ist die Methode, die aus einigen wenigen Grundsätzen (Axiomen) und Definitionen ein ganzes wissenschaftliches System logisch ableitet. Auch Wolff und die von Schelling gelobte ,ältere Logik‘ hatten sich dieses Verfahrens bedient, bis Kant der Orientierung der Philosophie an der Methode der Mathematik den Garaus machte (KrV A 712 ff.). Schelling ist ein Beispiel dafür, wie kurz die Halbwertzeit der Kritik des „alles zermalmenden Kant“1 währte. Wenn nicht ,Grundsatz‘, so sollten wir doch ein Quasi-Synonym des Ausdrucks ,das Absolute‘ ernst nehmen, nämlich die durch Jacobi eingeführte Rede vom ,Unbedingten‘, die – Novalis vielleicht abgerechnet – kein Zeitgenosse so emphatisch wie Schelling aufgegriffen hat. Jacobi meinte ja, die Erfahrung der eigenen Bedingtheit setze die Annahme eines Unbedingten logisch voraus. In der VII. Beilage schreibt er (Epoche machend): Ich nehme den ganzen Menschen, ohne ihn zu teilen, und finde, daß sein Bewußtseyn aus zwey ursprünglichen Vorstellungen, der Vorstellung des B e 1 Nach dem berühmten Wort des Moses Mendelssohn (1785, 1).
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d i n g t e n und des U n b e d i n g t e n zusammen gesetzt ist. Beyde sind unzertrennlich miteinander verknüpft, doch so, daß die Vorstellung des Bedingten die Vorstellung des Unbedingten voraussetzt, und in d i e s e r nur gegeben werden kann (Jacobi 1789, 423).
Hier wird also geradezu behauptet, die Erfahrung des Bedingten werde nur innerhalb der Vorstellung des Unbedingten überhaupt gegeben – und zwar als ein Minder-Sein, ein Verfehlen oder ein Missrepräsentieren des Unbedingten. Wählen wir das Gegensatzpaar ,relativ‘-,absolut‘, so müssen wir diese Auffassung so umformulieren: Alle Rede von Relativität ist einem Rekurs aufs Absolute verpflichtet, aber das Umgekehrte scheint nicht ebenso zu gelten. (Eine spöttischere Version dieser Weisheit kennt Friedrich Schlegel: „Wer etwas Unendliches will, der weiß nicht[,] was er will. Aber umkehren läßt sich dieser Satz nicht“ [Schlegel 1967, 153, Nr. 47].) Dass Schelling genau dieser Ansicht ist, will ich nun belegen an einem charakteristischen Zitat aus dem Würzburger System (von 1804): Durch diese Bestimmung [nämlich dass keine Relation unmittelbar aus dem Absoluten entstehen kann] wird eine absolute Verneinung des a n-s i c h-Seyns, d. h. des wahren Seyns der einzelnen Dinge als einzelner, ausgesagt. W a s daher auch an dem Ding durch das Gesetz von Ursache und Wirkung bestimmt ist, ist immer und nothwendig die Negation der Realität an ihm, oder das, wodurch es vielmehr nicht ist, als ist. – B l o ß diesem Schatten der Realität, kraft des Nichts, entspringen die Dinge auseinander. Ein Nicht-Wesen sucht in dem andern seine Realität, die es an sich nicht hat, es sucht sie in einem andern, das selbst keine hat, und sie gleichfalls wieder in einem andern sucht.2 Dieses unendliche Anhängen der Dinge aneinander durch/ Ursache und Wirkung ist also selbst nur das Zeugniß gleichsam und der Ausdruck der Eitelkeit, der sie unterworfen sind, und des Zurückstrebens in die Einheit, von der sie losgerissen sind, und in der alles allein Wahrheit hat. Und jene Negation spricht sich nicht nur 2 In einem anderen Text merkt Schelling an: „Wie die englische Staatsschuld. Beständiges Borgen von einem zweiten, um den ersten, von einem dritten, um den zweiten zu bezahlen“: SW I/4, 344; wir könnten sagen: wie der finanzkrisengeschüttelte Spätkapitalismus.
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II. TEIL: UNTERWEGS ZUM „ABSOLUTEN IDENTITÄTSSYSTEM“
überhaupt, sondern als eine u n e n d l i c h e aus, daher jener Zusatz, der dem Causalgesetz angesetzt zu werden pflegt. u. s. f. ins U n e n d l i c h e, welcher nichts anderes sagt, als daß das einzelne Endliche ins Unendliche fort niemals weder unmittelbar aus dem Absoluten entstehen noch etwas an sich seyn kann (SW I/6, 195 f.).
Die Sphäre der bedingten Welt kann also aus eigenen Ressourcen nicht bestehen, sie vernichtet sich selbst. Hat sie aber Bestand, so kann diese ihre Realität nicht aus ihr selbst geschöpft sein. Sie hat ihr Standbein in dem, was selbst nicht ,ins Unendliche fort‘ bedingt ist. Ebenso negativ fällt die Charakterisierung der Zeit aus, in der das Kausalgesetz sich erstreckt: Sie sei eine besondere Art von Zersetzung des An-sich- (oder Absolut-)Seins: nämlich eine Trennung, die wiedervereinigt (Sartre 1943, 177), oder – in Schellings Worten – ein ständiges „Zurückrufen des unendlichen Begriffs aus der unendlichen Flucht“ (SW I/4, 119). Die zugrunde liegende Vorstellung ist: Ein in sich Einiges wird in kleinste, aufeinanderfolgende Elemente zerschmettert, aber eben so, dass diese Folge 1. doch einen Begriff, eine Regel zum Ausdruck bringt und ein Kontinuum bildet (also nicht vollkommen auseinanderfällt), und 2. durch ihre Unendlichkeit anzeigt, dass sie gleichsam aus der Endlichkeit wieder herausstrebt. In den Weltaltern wird Schelling den Zeitfluss „eine beständige Sucht nach der Ewigkeit“ nennen (Schelling 1946, 124; SW I/8, 235). Sie ist, wie Friedrich Schlegel es ausdrückt, „eine aus den Fugen gebrachte Ewigkeit“ (Schlegel 1969, 550). Durch den ihr eingearbeiteten Widerspruch zeigt sie sich als eine unangemessene, eine misslungene Repräsentation der absoluten Einheit, die sie eben – das ist das Entscheidende – voraussetzt. Denn unendlich verfließen kann nur, was aus einem unversiegbaren Reservoir schöpft. Zeitlichkeit ist „die nothwendige Form dieser Differenz“ von Wirklichund ungesättigtem Möglich-Sein (SW I/6, 45); sie ist das Zeichen der Unselbständigkeit der sich endlos aneinander anklammernden Dinge, die in alle Ewigkeit nicht zur Fülle ihres Daseins finden.
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7. ,ABSOLUT‘-,RELATIV‘
Schelling nennt die Zeit auch eine „bloß trügerische Unendlichkeit […], die nicht Kraft einer absoluten untheilbaren Position, sondern bloß durch den Mangel an Grenzen oder durch endlose Addition gesetzt ist“ (SW I/6, 160 u.). Die am häufigsten variierte Formel für diese Missrepräsentation lautet: Zeitlich ist nämlich alles, dessen Wirklichkeit [= Aktualität] von dem Wesen übertroffen wird, oder in dessen Wesen mehr enthalten ist, als es der Wirklichkeit nach fassen kann (SW I/2, 364; vgl. z. B. I/6, 158 u., I/6, 45, 275 ff., I/7, 238 f.; dazu Frank 1992, 329 f.).3
Von solcher Art darf also das Absolute nicht sein, als dessen Verfehlung wir die Zeit beschrieben sehen. Es ist frei von Relativität, in ihm herrscht keine Beziehung eines auf ein anderes. Man könnte auch sagen: Das Absolute ist reine Beziehung eines nur auf sich selbst. So stellt es sich uns wenigstens bei einer ersten groben Bedeutungsanalyse dar. Den Metaphysik-kritischen Spott über die Annahme eines Absolutum unterdrückt Schelling durch den listigen Bescheid, dass 1. die Zeit sich nicht als ,schlechte Unendlichkeit‘ erstrecken oder entfalten könnte, wäre sie nicht der Ausfluss einer unendlich kompakten (einer aktuellen) Unendlichkeit. Anders gesagt (und 2.): Wer das Absolute leugnet, spricht dem Bedingten alle Realität ab; denn was in der relativen Welt eigentlich ist (Platons emtyr em), das eben ist absolut.
3 Eine Formulierung über die Zeit, die am engsten mit der aus dem Würzburger System über die Kausalität zusammenstimmt, habe ich in Philosophie und Religion (aus dem gleichen Jahr 1804) gefunden: „Das in-sich-selbst-Seyn getrennt von der anderen Einheit involvirt unmittelbar das Seyn mit Differenz der Wirklichkeit von der Möglichkeit (die Negation des wahren Seyns); die allgemeine Form dieser Differenz ist die Z e i t, denn jedes Ding ist zeitlich, welches die vollkommene Möglichkeit seines Seyns nicht in sich selbst, sondern in einem andern hat, und die Zeit ist daher das Princip und die nothwendige Form aller Nicht-Wesen“ (SW I/6, 45).
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8. Exkurs: Das „Subjektivieren“ des Absoluten oder die verkehrte Stellung der mentalen Repräsentation zum ,eigentlich Seienden‘ Hier ist der Ort für eine eingeschobene Erklärung. Wir sahen, dass Schelling schon in seinem philosophischen Erstling und in der Ichschrift davor warnt, das Absolute – kantisch, fichtisch – zu einem Gegenstand des menschlichen Bewusstseins zu depotenzieren. Tatsächlich beginnt die Würzburger Vorlesung, der ich die meisten der obigen Zitate entnommen habe, mit einer Polemik gegen den „Reflexions“-Standpunkt und das „Subjektiviren“ des Absoluten (SW I/6, 142 [ff.]). Das ,Erkennen‘ sei dem Absoluten selbst eingebildet, es sei des Absoluten ureigene „Form“, nicht ein Modus menschlichen Wissens. Obwohl dies vermutlich auch Fichtes Ansicht war, unterstellt ihm Schelling, auf dem „Reflexionsstandpunkt“ stehengeblieben zu sein und das Absolute in die Abhängigkeit von einer Bewusstseinsperspektive gebracht zu haben. Als er, gerade 26-jährig, die Darstellung meines Systems der Philosophie veröffentlichte, wollte er sich damit – öffentlich sichtbar – von Fichtes Subjektivismus abgrenzen.4 4 Ein persönliches Motiv trat hinzu: Schelling war empfindlich über Fichtes Ankündigung einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre (vom 24. Februar 1801), die von Schelling herablassend als seinem „geistvollen Mitarbeiter“ sprach (HKA I.10, 26; III 2,1, 82, 405). Schellings Stolz drängte dahin, sich nicht zum Kärrner am Dombau der Wissenschaftslehre herabgesetzt und vereinnahmt zu sehen, sondern sich als einen Denker zu beweisen, der sich zu einem von der Transzendentalphilosophie nunmehr völlig unabhängigen Standpunkt erhoben hat. Die Zeitgenossen haben sich übrigens lustig gemacht über das in Geltungsfragen ebenso unangebrachte wie anmaßende Possessivpronomen im Titel der (obendrein Fragment gebliebenen) Abhandlung: Darstellung meines Systems der Philosophie (1801). Für diese Empörung hatte Friedrich Schlegels 99. Athenäumsfragment den Ton vorgegeben: „Bei den Ausdrücken, Seine Philosophie, Meine Philosophie, erinnert man sich an die Worte in NATHAN: ,Wem eignet Gott? Was ist das für ein Gott, der einem Menschen eignet?‘“ (Schlegel 1967, 180; Schlegel zitiert frei Rechas empörten Ausruf aus Lessings Nathan: „,Sein, sein Gott! für den er
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8. EXKURS: DAS „SUBJEKTIVIEREN“ DES ABSOLUTEN
In der „Vorerinnerung“ nennt er seinen eigenen, nunmehr von Fichte unabhängigen Standpunkt „das absolute Identitätssystem, welches ich hierdurch aufstelle, und welches sich vom Standpunkt der Reflexion völlig entfernt, weil diese nur von Gegensätzen ausgeht und auf Gegensätzen beruht“ (SW I/4, 113; vgl. Schelling 1989, 55; SW I/10, 107). Indem sich das neue System vom Reflexionsstandpunkt löst, der durch die Positionen Kants und Fichtes klar bezeichnet wird (SW I/6, 156, 143), stützt es sich auf „eine Erkenntniß, die von aller Subjektivität völlig unabhängig und nicht mehr ein Erkennen des Subjekts als Subjekts, sondern ein Erkennen dessen [ist], was allein überhaupt auch ist, und allein erkannt werden kann, des schlechthin E i n e n“ (SW I/6, 143 f.; vgl. 126 f.). Zwischen 1800 und 1804 stößt man immer wieder auf Erklärungen wie diese: Der nothwendige Cirkel, in dem die Wissenschaftslehre befangen ist, und in dem sie den menschlichen Geist überhaupt befangen glaubt, ist folgender: ,Das Unendliche, das An-sich, ist immer nur/ f ü r mich; denn i c h bin es ja, der es denkt oder anschaut; es ist also immer nur in meinem Wissen, nicht unabhängig von demselben. Nun ist aber das A n - s i c h eben etwas, das unabhängig von meinem Denken und Wissen existirt, demnach nichts Absolutes,5 oder w e n n, so als schlechthin unabhängig von mir, und demnach nicht für mein Wissen oder im W i s s e n (1804 in Propädeutik der Philosophie: SW I/6, 126 f.; fast ebenso im Würzburger System: l. c., 144 f.; am ausführlichsten und lichtvollsten im § I. der Ferneren Darstellungen aus dem System der Philosophie von 1802: I/ 4, 353 – 360).
kämpft!‘/Wem eignet Gott? was ist das für ein Gott,/Der einem Menschen eignet?“ (III, 1). 5 Diese Verneinung ist nicht einleuchtend. Sie fehlt auch in den Parallelformulierungen, z. B. des Würzburger Systems, wo Fichte erneut dieser Gedanke in den Mund gelegt wird: „,[…] Nun wird aber schon im Begriff des An-sich, im Begriff des Absoluten gedacht, daß es u n a b h ä n g i g v o n m i r, unabhängig von meinem Wissen sey. Also ist eine Erkenntniß desselben eine völlig unmögliche.‘ In diesem Schluß ist nur ein Fehler gemacht, nämlich der der Voraussetzung, daß es nothwendig ich bin, der das An-sich erkennt, daß es m e i n Wissen ist, wodurch es erkannt wird“ (SW I/6, 144).
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Die Vergegenständlichung des Absoluten (oder An-sich) durch ein es denkendes Subjekt macht jenes zu einem „b l o ß e [ n ] G e d a n k e n d i n g f ü r d i c h“ (SW I/6, 142), womit es aufhört, ansich zu existieren. Ein An-sich-für-Mich ist, wie Sartre wiederholen wird, ein hölzernes Eisen (Sartre 1947, 390 f.): ein widersprüchlicher Gedanke, den Schelling als ,Reflexionsstandpunkt‘ identifiziert und verwirft. Die Grundoperation des neuen Identitätssystems besteht also im ,Entsubjektivieren‘ der Identität des Reellen und des Ideellen, die allein auf den Titel des Seins Anspruch erheben darf: durch Fokussierung auf das, was ist (SW I/4, 114 f. [§ 1]; I/6, 142 ff.). Die Unterscheidung beider sei „schon ein Produkt unserer Subjektivität“ und verwandle die absolute Identität von einem Seienden in eine bloße „Erscheinung“, ein „non-ens“ „etwas, das aus der Philosophie gänzlich zu verschwinden hat“. Daß ich sage, ich weiß, ich bin der Wissende, ist schon das pq_tom xeOdor. I c h weiß n i c h t s, oder m e i n Wissen, insofern es wirklich m e i n e s ist, ist kein wahres Wissen (I/6, 140 [ff.]; noch drastischer: I/7, 148, Nr. 44).
Die Identität heißt absolut, weil sie aus allen Relationen gelöst (absolviert) ist, auch aus der auf ein sie in Gedanken erfassendes oder gar konstituierendes (transzendentales) Ich. Von ihm ist zu ,abstrahiren‘. Diese Abstraktion – das macht gleich der 1. § von Schellings Darstellung klar – bringt erst den Inhalt der absoluten Identität als solchen in den Blick. Es heißt dort: Das Denken der Vernunft ist jedem anzumuthen; um sie als absolut zu denken, um also auf den Standpunkt zu gelangen, welchen ich fordere, muß vom Denkenden abstrahirt werden. Dem, welcher diese Abstraktion macht,/ hört die Vernunft unmittelbar auf etwas Subjektives zu seyn, wie sie von den meisten vorgestellt wird (I/4, 114 f.).
Die Stelle hat eine Vorgängerin in dem Aufsatz, in dem Schelling seine Abwendung von der transzendentalphilosophischen Beschrän-
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kung der Fichte’schen Wissenschaftslehre zuerst hat deutlich werden lassen, nämlich der Abhandlung Ueber den wahren Begriff der Naturphilosophie und die richtige Art, ihre Probleme aufzulösen. Der Grund, daß auch solche, die den Idealismus wohl gefaßt haben, die Naturphilosophie nicht begreifen, ist, weil es ihnen schwer oder unmöglich ist, sich von dem Subjektiven der intellektuellen Anschauung loszumachen. – Ich fordere zum Behuf der Naturphilosophie die intellektuelle Anschauung, wie sie in der Wissenschaftslehre gefordert wird; ich fordere aber außerdem noch die Abstraktion von dem/ A n s c h a u e n d e n in dieser Anschauung, eine Abstraktion, welche mir das rein Objektive dieses Aktes zurückläßt, welches an sich bloß Subjekt-Objekt, keineswegs aber = Ich ist, aus dem mehrmals angezeigten Grunde (I/4, 87 f.).
Schelling greift die alte aristotelische Unterscheidung auf, nach der das Erste-für-Uns (prôton pros hämâs) nicht das An-sich-Erste (prôton tä physei) und nicht einmal das Erste in der Kette der Gründe ist. Und er gibt ihr diese Wendung: Dem Fichte’schen Idealismus, der vom Standpunkt des Bewusstseins anhebt, stellt sich das Nicht-Ich (oder die Natur) als ein Nachträgliches oder Abkünftiges dar. Verfolgen wir dagegen den Weg der Tätigkeit, die auch Fichte die ,unbewusste‘ oder ,reelle‘ nennt, so finden wir das vom Bewusstsein am weitesten Entfernte (die Materie) als Erstes und verfolgen nach, wie in einer Kette aufeinanderfolgender Idealisierungen („Potenzierungen“) nach und nach, über die Stadien des ,dynamischen Prozesses‘ und des ,Organismus‘, erst so etwas wie Subjektivität entsteht und sich über Empfindung, Anschauung, Reflexion, absichtliches und sittliches Handeln allererst auf den Standpunkt des seiner selbst bewussten Ichs hinaufarbeitet. Nicht wird also bestritten, dass die Naturevolution ein solches seiner selbst bewusstes Ich hervorbringt, und auch nicht, dass es für uns ein natürlicher Ausgangspunkt des Denkens ist. Sondern das Ich wird vor den Augen des Philosophen aus seiner geistfernsten Potenz Schritt um Schritt hinaufgeführt auf diesen Standpunkt, von
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dem Fichte, „wie aus der Pistole mit dem absoluten Wissen unmittelbar anfang[end]“ (Hegel 1952, 26), sein Philosophieren anhebt. Schelling spricht bekanntlich von einer ,Depotenzierung‘ der Transzendentalphilosophie: Sie hat aus der höchsten Potenz zur niedrigsten hinabzusteigen, um von ihr aus den Prozess bis zur Potenz des Selbstbewusstseins nachzukonstruieren (SW I/4, 84 f.). Das nennt er auch den Gang vom objektiven zum subjektiven Subjekt-Objekt (Schelling 1989, 42). Denn beide, die geistfernste wie die geistigste Potenz, sind nur Stadien auf dem Weg des Zu-sich-Kommens der einen und selben Natur. Noch in den Einleitungsvorlesungen seiner Erlanger Initia philosophiae universae (1820/21) ist Schelling diesem ,ordo inversus‘ methodisch treu geblieben. Was vom Standpunkt der Reflexion das Erste scheint, ist in Wahrheit (oder „im Grunde“) das Zweite oder Letzte. Aber die Reflexion hat in ihrer eigenen Struktur das Mittel, sich ihrer verkehrten Stellung gegen das ,Sein‘ bewusst zu werden und durch Selbstanwendung die verkehrten Verhältnisse wieder ins Richtige zurückzuspiegeln: Die jedesmalige Gestalt des Bewusstseins erkennt sich als bloßer „Reflex (das U m g e k e h r t e )“ der wirklichen Gestalt (Schelling 1969, 47 f.; = SW I/9, 234).6 Übrigens findet sich in Schellings allererster eigentlich philosophischer Publikation, der Form-Schrift (vom Sommer 1794), eine lange Anmerkung, die klarstellt, dass und warum die Begriffe ,Be6 Genau diesen Gedanken hat Novalis zu Beginn seiner Fichte-Studien entwickelt (unter der Überschrift „Unbestimmte Sätze“, es handelt sich vor allem um die Aufzeichnungen Nr. 15 – 43). Der Text ist aber erst 1965 von Hans-Joachim Mähl vollständig und in gehöriger Ordnung publiziert worden und war Novalis’ Zeitgenossen gänzlich unbekannt, außer vielleicht Friedrich Schlegel, der im Sommer 1796 – zwischen dem 29. Juli und dem 6. August 1796 – diese frühesten philosophischen Aufzeichnungen seines Freundes durchsehen durfte, zum ordo inversus aber nirgendwo sich geäußert hat (Novalis 1965, 113 – 133; eine ausführliche Interpretation in Frank 1998, 32. Vorlesung; zu Schlegels Kenntnis der Fichte-Studien vgl. Friedrich Schlegel 1987, 319; 326 f.; vgl. Kommentar 509, Brief 165, Anm. 2; dazu Frank 1998, 35. Vorlesung, S. 893 f.).
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wusstsein‘ und ,Vorstellung‘ nicht als die obersten Grundsätze einer ,Elementarphilosophie‘ gelten können. Wer vom „unbedingten Ich“ aus deduziert, will das (bedingte) „S e l b s t b e w u ß t s e y n“ ja erst ableiten. Dies ist ein aus dem ersteren selbst Abkünftiges und „setzt die Gefahr voraus, das [unbedingte] Ich zu verlieren“ (SW I/ 1, 180 mit Anm. 1). Das gelte erst recht für die Begriffe ,Bewusstsein‘ und ,Vorstellung‘, die aus einer „objektiven“ Entität abgeleitet werden müssen (110 f.), die selbst „u n a b h ä n g i g vom Bewußtseyn“ bestehe (I/1, 100, Anm. 1). Nun folgt dasselbe Argument wie 1801: Der Akt, der dem Philosophen (der Zeit nach) zuerst vorkommt, ist allerdings der Akt des Bewußtseyns, aber Bedingung der Möglichkeit dieses Akts muß ein [nicht ins Bewußtseyn fallender] höherer Akt des menschlichen Geistes seyn (l. c.).
Eine solche Beobachtung wiederholt auch der ,ideale‘ Teil des Würzburger Systems (1804): Es ist bemerklich gemacht worden, daß, was in der Idee durchaus das Erste ist, in der reflektirten Erkenntniß als das Dritte oder die Synthesis erscheinen müsse (SW I/6, 521).
Man beobachtet hier eine „Verkehrung (inversion)“. Das in der Ordnung des Bewusstseins (dem „order of discovery“) Erste ist das in der Ordnung der Entstehung Nachträgliche (Matthews 2011, 133).7 Wir haben zu Beginn des I. Teils gesehen, dass Schelling daraus starke Konsequenzen für die Anordnung der in Prinzipienrang erhobenen Relationskategorien zieht: „[T]he third form [Gemeinschaft, Wechselwirkung] is the whole that must be posited as the first cause […] of the ensuing multiplicity of the triad.“
7 Matthews (2011, 28) zitiert eine Stelle aus den Abhandlungen, wo Schelling auf einen „gemeinschaftlichen Fehler“ aller Versuche hinweist, „das, was allen Begriffen vorausgeht, durch Begriffe zu erklären“ (SW I/1, 376). Allerdings hat Bewusstsein einen größeren Umfang als Begrifflichkeit.
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Man fragt sich natürlich, warum dieser höhere Akt des Geistes als ein „menschlicher“ ausgezeichnet wird und wie Schelling ihn dem endlichen Bewusstsein zu vermitteln gedenkt. Obwohl er – gerade im ,idealen‘ Teil des Würzburger Systems – allerlei dazu sagt, darf diese Vermittlung als Schwachpunkt des Schelling’schen Systems gelten. Er ist für den Gegenstand dieses Büchleins Gott sei Dank nicht entscheidend.
9. Identität und Differenz: Leibniz und Hume Der absolutistische Sound, den wir bis hierhin vernommen haben, differenziert sich erheblich, wenn wir zum zweiten der klärungsbedürftigen Ausdrücke in Schellings Kurzformel ,absolutes Identitätssystem‘ übergehen, nämlich: ,Identität‘. Was immer die spekulative Absicht sein mag, die Schelling mit diesem in Prinzipienrang erhobenen Begriff verbindet: Spontan scheint er uns wieder keine Verständnisschwierigkeiten zu bereiten. Was ,Identität‘ meint, das glauben wir sofort zu verstehen, haben wir doch an der Identität unserer selbst – unserer eigenen Person – über die Zeit hinweg eine durch hohe Erlebnisgewissheit verbürgte Illustration. Auf den zweiten Blick erweisen sich wenige Begriffe als so schwer zu fassen wie der der Identität. An ihm haben sich viele Philosophen die Begriffs-Zähne stumpf gebissen. Geht man die Tradition kursorisch durch, so nimmt es sich aus, als dürfe man sich erst bei den Schriften des Leibniz eine Pause gönnen (und so tut das auch regelmäßig Schelling selbst, wo immer er sein absolutes Identitätssystem in die neuzeitliche philosophische Tradition einzuordnen versucht).8 Leibniz war es, der das Problem zuerst als die Prin8 Leibniz ist überhaupt die graue Eminenz im Hintergrund von Schellings philosophischen Anfängen, viel mehr als der exponiertere Spinoza. Schelling ist oft da am stärksten, wo er nicht eigene, sondern fremde Positionen vorstellt, kritisiert oder geistvoll kommentiert. Leider hat er das Projekt einer eigenen „Untersuchung“ über Leibniz nicht ausgeführt, das er am Schluss der Abhandlungen (1797) keck in
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9. IDENTITÄT UND DIFFERENZ (LEIBNIZ UND HUME)
zipienfrage durchschaut hat, die es ist, und gleichzeitig mit zweierlei Antworten bedacht hat, die verschiedenen Diskursen zugehören (Lorenz 1969). Der erste ist logisch, der zweite metaphysisch (oder ontologisch). Im ersten wird auf die Satzform reflektiert, im zweiten über Gegenstände der realen Welt gehandelt. Im ersten macht Leibniz geltend, zwei Ausdrücke seien identisch, die in Sätzen ohne Verlust des Wahrheitswerts (salva veritate) durcheinander ersetzt werden können (GP VII, 219, 228; Leibniz 1903, 240, 362 f., 519 f.). Das zweite Prinzip, bekannt als ,principe des indiscernables‘, ist ontologisch und erklärt sich über innerweltliche Substanzen. Über sie stellt es fest, „qu’il n’est pas vray, que deux substances se ressemblent entierement [c’est-à-dire selon toutes leurs dénominations intrinsèques] et soyent differentes solo numero“ (Discours de Métaphysique, § 9; vgl. Monadologie, § 9 [PS 1, 76, 442]). Diese beiden Anwendungen des Identitätsprinzips – das logische und das ontologische – müssen sorgfältig entflochten werden; man kann sogar zweifeln, ob es sich wirklich um ein und dasselbe Gesetz handelt, wie viele meinen.9 diesen Worten in Aussicht stellt: „Die Geschichte der Philosophie enthält Beispiele von Systemen, die mehrere Zeitalter hindurch räthselhaft geblieben sind. Ein Philosoph, dessen Principien alle diese Räthsel auflösen werden [gemeint ist Fichte 1971 I, 512 – 5 = GA I.4, 263 – 5]), urtheilt noch neuerdings von L e i b n i z, er sey wahrscheinlich der einzige Ueberzeugte in der Geschichte der Philosophie. Der Einzige also, der i m G r u n d e recht hatte. Diese Aeußerung ist merkwürdig, weil sie verräth, daß die Zeit, Leibnizen zu verstehen, gekommen ist. Denn, so wie er b i s h e r verstanden ist, kann er nicht verstanden werden, wenn er i m G r u n d e recht haben soll. Diese Sache verdient eine nähere Untersuchung“ (SW I/1, 443; zu Schellings Leibniz-Rezeption vgl. Neumann 2016). 9 Einwände gegen Leibnizens undifferenzierte Gleichbehandlung von logischer und ontologischer Identität reichen von Clarke über Hume, Kant, Peirce, Wittgenstein zu Max Black und Alfred Ayer. Er lautet so: Wäre Identität natürlicher Gegenstände logisch zu rechtfertigen, so geschähe die Rechtfertigung a priori. Wir können aber bei der Identifikation natürlicher Gegenstände, da sie ohne Zutun unseres Geistes vorliegen, von Zahl und raumzeitlicher Position nicht absehen. So können wir uns widerspruchsfrei eine symmetrische Welt ausdenken, in der Gegenstände, die hinsichtlich ihrer ,dénominations intrinsèques‘ ununterscheidbar
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Bedenken daran hat zuerst David Hume geäußert. Hume besteht darauf, dass in der Wendung ,mit sich selbst gleich‘ der mit der Reflexivpronomen bezeichnete Gegenstand von dem geradehin bezeichneten in einer Hinsicht verschieden sein müsse (sonst sage das Urteil zweimal dasselbe, sei also nichtssagend [Hume 1888, 200 f.]).10 Aus diesem Einwand, der Identität letztlich zu einem Unentscheidbaren macht, hat Kant dann bedeutende Konsequenzen gezogen für den Status der ,numerischen Identität‘ (KrV A 365) des Prinzips seiner theoretischen Philosophie, des Selbstbewusstseins (Henrich 1976, 1988). Beide (Hume wie Kant) schlagen vor, das sind, gleichwohl nach Zahl, Ort oder Zeit unterschieden auftreten, wie etwa rechts- oder linkshändige Moleküle. (Es hat sich herausgestellt, dass z. B. Terpentinöl linksdrehend und wässrige Lösungen von Rohrzucker rechtsdrehend sind; vgl. Linus Pauling [1969], 137). Für solche Unterschiede ist Leibnizens Identitätsgesetz nicht feinmaschig genug. Denn ,dénominations intrinsèques‘ werden durch Prädikate (generelle Termini) ohne Zuhilfenahme von singulären Termini (Demonstrativpronomen oder Eigennamen) ausgedrückt. Verzichtet man unter diesen Umständen auf eine logische Definition der Identität, dann verwandelt sich Identifikation in ein empirisches Problem à la Hume oder Kant: Dass wir zwei natürliche Gegenstände (oder einen Gegenstand über die Zeit) identisch nennen, meint dann einfach, dass unsere physikalischen Parameter und unsere fünf Sinne nicht beliebig fein sind, um sie unterscheiden zu können. Was dagegen die Rede von der Identität abstrakter Gegenstände (z. B. Zahlen, geometrischer Figuren) betrifft, so gibt es Stellen, an denen Leibniz selbst ihren Sinn zu leugnen scheint. Beispiele in Lorenz (1969, 153 ff.). 10 Der Fall der sterilen Sich-selbst-Gleichheit Eines (simplicity): „For in that proposition, an object is the same with itself, if the idea express’d by the word, object, were no ways distinguish’d from that meant by itself; we really shou’d mean nothing” (200). Diese nichtssagende (triviale) Sich-selbst-Gleichheit nennt Hume „unity“, die gehaltvolle „identity“. Der nicht-triviale Fall wirklicher Identität, wo eine – z. B. zeitliche – minimale Verschiedenheit die beiden Relata trennt, wird so vorgestellt: „And this idea we call that of identity. We cannot in any propriety of speech, say, that an object is the same with itself, unless we mean, that the object existent at one time is the same with itself existent at another. By this means we make a difference, betwixt the idea meant by the word, object, and that meant by itself, without going the length of number, and at the same time without restraining ourselves to a strict and absolute unity“ (201).
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9. IDENTITÄT UND DIFFERENZ (LEIBNIZ UND HUME)
Identitätsprinzip von dem des Widerspruchs zu trennen. Letzteres ist logischer, dieses ontologischer Natur. Das erstere besagt, dass man etwas nicht zugleich behaupten und verneinen (oder: dass man eine Sache nicht zugleich mit ihrem Gegenteil setzen) kann; das letztere macht geltend, dass etwas nicht identisch heißen kann, wenn seine Eigenschaften sich verändern. Das erstere versteht sich von selbst; dem letzteren zufolge bildet Identität ein echtes Verhältnis zwischen zweien, denen es nicht auf die Stirn geschrieben steht, dass sie Eines sind. Etwas mit etwas zu identifizieren heißt dann: eine wirkliche Erkenntnis erwerben, während widerspruchsfrei urteilen etwas Selbstverständliches oder Nicht-Informatives ist, etwas, das unsere Kenntnis einer Sache nicht erweitert. So scheint Identität (im Gegensatz zur logischen Widerspruchsfreiheit) eine Art von Differenz einzuschließen; und da liegt das Problem, dem sich Schellings Identitätsphilosophie stellt. Es artikuliert sich in der an Leibniz anschließenden neuzeitlichen Tradition zunächst als ein Paradox: Einerseits muss, wer sinnvoll und nicht-trivial von Identität reden will, distinkte Zustände eines Gegenstandes oder Gegenstände selbst voneinander unterscheiden können (also etwa A von B; Beispiele für Letzteres: ,Der Monte Cervino ist das Matterhorn‘, ,Mount Everest = Chomolungma‘, ,Jade ist Nephrit oder Jadeit‘, ,Temperatur ist mittlere Molekülbewegung‘, ,Der Abendstern ist derselbe Planet wie der Morgenstern‘, ,Psychische Erlebnisse sind physische Ereignisse‘ usw.). Wird andererseits die Bedeutung von ,Identität‘ im denkbar stärksten Sinne genommen, so schlägt sie alle Differenz von Zuständen (Eigenschaften, Prädikaten etc.) nieder und nimmt dann typischerweise die Form der Identifikation Eines ,nur‘ mit sich selbst an (A = A). Solche Sätze erweitern unser Wissen nicht; sie sind im Wortsinne nichtssagend. Paradox erscheint nun, dass ein objektiv (de re) nicht bestehender Unterschied sich im kognitiven Gehalt so aufsässig bemerkbar machen kann. Aus dieser Paradoxie sind mehrere Konsequenzen gezogen worden. Eine wäre, überhaupt nur noch extensio-
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nale Kontexte oder de-re-Verhältnisse zuzulassen, die subjektive Erkenntnisperspektiven (,kognitive Gehalte‘) ausschließen. Komplementär dazu kann man, wie es Hector-Neri Castañeda vorgeschlagen hat, die gegenständliche Welt in eine Menge von FregeSinnen („guises“) zerlegen und Frege-Bedeutungen (mit ihnen die Identität von Subjekten oder Einzelgegenständen) gleichsam als Konstrukte aus solchen ,particular-guises‘ bzw. ,I-guises‘ entstehen lassen (Castañeda 1975; 1999, 180 – 203; 228 – 250). Klassisch ist Leibnizens Reaktion, „gewaltstreichartig“ alle wahren Sätze zu analytischen zu erklären (Wolff 1986, 100). Die unerwünschten Konsequenzen, die der erste und der letzte Ausweg mit sich bringen, können vermieden werden, wenn man das zu strenge Identitätskriterium lockert. Castañeda, der diese Lockerung ins Extrem treibt, beruft sich selbst auf Frege. Frege hatte Identität nicht als sterile Selbstbeziehung eines Relats (einer Sache ,nur‘ auf sich) verstanden, sondern als echte Beziehung zwischen verschiedenen Namen oder Zeichen einer Sache. Danach hätten die beiden Kennzeichnungen ,Abendstern‘ und ,Morgenstern‘ denselben Sachbezug (dieselbe ,Bedeutung‘), aber verschiedenen ,Sinn‘. Diese Lösung ist aber ihrerseits unbefriedigend, da sie auf einen infiniten Regress hinausläuft: Identität wird als Bedeutungsidentität erklärt. Wird gesagt, der Abendstern sei der Morgenstern, so werden nicht zwei verschiedene Gegenstände (A und B) miteinander identifiziert, sondern A und B werden als Bedeutungen desselben identifiziert („die Bedeutung von ,A‘ = die Bedeutung von ,B‘“). Aber die Identität der Bedeutungen der Ausdrücke A und B muss (durch Wiedereinsetzung des Analysandums in die Gleichung) erneut über die Identität ihrer Bedeutungen erklärt werden, und so entsteht eine unendliche Potenzierung von Bedeutungs-Bedeutungen (Wolff 1986, 100 f.). So scheint neben der Auffassung, wonach Identität der Bezug eines Relats ,nur‘ auf sich sei, auch diejenige zu scheitern, die Identität als Bezug zweier Relata deutet. Dennoch scheinen wir auf Iden-
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9. IDENTITÄT UND DIFFERENZ (LEIBNIZ UND HUME)
titäts-Unterstellungen in unserem Leben und Sprechen nicht verzichten zu können – denn unsere Prädikationen gehen einerseits auf identifizierte Dinge (sonst redeten wir von ,nichts‘, „no entity without identity“), und andererseits ist deren Identität over time – wie z. B. die unserer selbst als Personen – ein Hauptbelang unserer Sorge und unseres Nachdenkens. Anders gesagt: Wir unterstellen zwar in abstracto, jeder Gegenstand sei mit sich selbst identisch; aber wir wissen in unserer Sprache, die überflüssig viele Bezeichnungen enthält, sehr oft nicht, ob sie für dieselbe Sache stehen (die Identität von Dingen ist uns sehr oft unbekannt). Das Problem entsteht, wenn man zwischen der irrelationalen und der relationalen Auffassung von Identität zu wählen hat und die erste gehaltlos, die zweite paradox findet. Schelling war, soviel ich sehe, der erste Denker der Neuzeit, der vermutet hat, dieser Notstand könne ein fundamentum in re haben und es verführerisch erscheinen lassen, im Gedanken der Identität sowohl Einfachheit wie Unterschiedenheit – also so etwas wie Selbstunterscheidung – anzunehmen. Damit begegnen wir nun der logisch-semantisch undurchsichtigen Wendung von der „Identität der Identität und der Nichtidentität“, die Hegel in der Differenz-Schrift in den Diskurs der Philosophie eingeführt hat, um das Eigene des Schelling’schen Ansatzes hervorzuheben (Hegel 1970a, 96). Ist diese Formel minder paradox, als es ihre (irrelationalen und relationalen) Vorgängerinnen waren? Diesen Verdacht auszuräumen, war ein Hauptinteresse der Schelling’schen Identitätsphilosophie. Sie versucht, ,Identität‘ so zu fassen, dass in diesem Verhältnis zwei konträre (A und nicht A), ja selbst kontradiktorische Prädikationen (A und Nicht-A) auf eine und dieselbe Sache zutreffen (so etwa Schelling 1993, 102 f.). Damit nimmt sie die Hume’sche Herausforderung an, die ja besagt hatte, ein Ding mit sich nicht-trivial zu identifizieren, heiße voraussetzen, dass es anders geworden sei. Während aber Humes Argument in die skeptische Leugnung der Feststellbarkeit von Identität überhaupt mündet, sucht Schelling zu zeigen, dass der Gedanke der
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II. TEIL: UNTERWEGS ZUM „ABSOLUTEN IDENTITÄTSSYSTEM“
Veränderung überhaupt nur in dem der Einheit eines Selbigen sich entfalten kann. Nur was ein Anderes sein könnte, nur von dem ist es sinnvoll zu sagen, es sei sich selbst gleich: Unter seiner Sichselbstgleichheit [sagt Schelling in der Einleitung in die Philosophie von 1830] ist das sich selbst Ungleichwerdenkönnen verborgen. Diese Möglichkeit liegt in der Einheit verborgen; denn das Sichselbstungleichseinkönnen ist ja das sich selbst Gleiche; demnach schließt es bereits die Möglichkeit in sich ein, aus sich selbst herauszutreten (1989, 49).
10. Schon die Wolff-Schule kannte eine differenzsensitive Form der Identität Obwohl ich im 22. Kapitel zeigen werde, dass Schellings Identitätsphilosophie eine entscheidende Anleihe bei Christian Wolff macht, habe ich keinen Beleg dafür gefunden, dass Schelling auch mit den folgenden Überlegungen des Wolffianers Alexander Gottlieb Baumgarten vertraut war. Die Übereinstimmung in der Sache ist aber so auffällig, dass ich Baumgartens Überlegungen zur Differenzsensitivität der Identität hier einblenden möchte. Sein Keimgedanke kommt mit dem Schelling’schen überraschend überein, ja er könnte Schellings Rede von einer quantitativen Differenz bei qualitativer Einheit der Substanz geradezu erklären. In Kürze sind Baumgarten wie Schelling der Meinung, dass Differenz kein wesentlicher (die Substanz selbst betreffender) Zug ist, sondern nur auf einem Mehr oder Weniger der Merkmale-Verteilung beruht. So tritt neben Hume Baumgarten als eine denkbare zweite Quelle für Schellings Aufweichung des gar zu rigiden Leibniz’schen Identitäts-Konzepts. Die Spanne der Merkmale-Verteilung in der Charakteristik einer Substanz reicht bei Baumgarten von ,mehr als nichts‘ bis ,vollständig‘ (Baumgarten, Metaphysica, §§ 68 – 72, § 161,
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10. DIFFERENZSENSITIVE IDENTITÄT (BAUMGARTEN)
§ 174, § 265)11: „identitas minima est, si unica minima determinatio sit paucissimis minimis communis“). Hier könnten wir den Ursprung von Schellings ,Potenzen‘-Lehre sehen. Potenzen sind quantitative Abschattungen der Substanz, die sich dem Wesen („qualitate“) nach in allen Erscheinungen identisch durchhält („quantitative Differenz“). Nur quantitativ, durch ein Überwiegen oder Zurücktreten der Aspekte des Reellen und des Ideellen kann Physisches sich gegen Geistiges demarkieren: Die Besonderheit der endlichen Dinge, durch welche das reale All als reales, das ideale als ideales erscheint, können nur entweder auf einem wechselseitigen/ Ueberwiegen des einen Faktor12 [sic!] über den andern oder auf dem Gleichgewicht beider beruhen (SW I/6, 209 f., § 54 [im Orig. gesp.]). Alle Differenzen auch der Natura naturata (der realen sowohl als idealen) sind nur quantitativer Art, nur Unterschiede der Potenz, nicht des Wesens (l. c., 211, § 58 [im Orig. gesp.]). Dem Erscheinungsleben nach gleich endlich und gleicherweise nur unter Relationen geboren, unterscheiden sich also die Dinge durch Grade der Realität: wie in der Zahl 3, obschon sie endlich ist gleich 1, dennoch ein größerer Gehalt ist denn in dieser (SW I/7, 187, Nr. 218 [von mir kurs.]).
In seiner Metaphysica, auf die Kant seine Vorlesungen zur Metaphysik stützte, hatte schon Baumgarten – wie Hume – zwischen einem strengen und einem lockeren Sinn von ,Identität‘ unterschieden; und Maimon hatte in „Meine Ontologie“ diese Unterscheidung übernommen (Maimon 1790/1975, 239 ff.; Frank 2007, Text 11 Die Paragraphen-Angaben beziehen sich auf den Text der Metaphysica, wie er im Band XVII der Kantischen Akademie-Ausgabe („Erläuterungen zu A. G. Baumgartens Metaphysica.“) abgedruckt ist (AA XVII, 5 – 226). 12 So nennt Schelling in dieser Zeit (schon ab 1797, besonders in der ersten identitätsphilosophischen Phase) mit seinem Vorbild Eschenmayer, was er sonst, auch von diesem angeregt, ,Potenz‘ nennt (vgl. HKA I.10, 16 ff.; SW I/4, XIII f., I/5, 62). Von Eschenmayer hat Schelling auch die Gradationstheorie der Materie übernommen, wonach alle Individualität in der Natur aus graduellen Abstufungen der Vereinigung der beiden Grundkräfte (des Reellen und des Ideellen) entspringt.
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II. TEIL: UNTERWEGS ZUM „ABSOLUTEN IDENTITÄTSSYSTEM“
14). Während die strenge Identität „numerisch“ oder „vollständig“ ist („completa“, „totalis“: Gleichheit hinsichtlich aller ihrer Eigenschaften), erlaubt die lockere Identität mehrerer Einzelgegenstände eine Graduierung. Zwei Gegenstände können mehr oder weniger ähnlich sein (wobei die Skala von ähnlich in nur einem zu ähnlich in allen Merkmalen reicht: 267). Daher Baumgartens Prinzip des verneinten Totalunterschieds (principium negatae totalis dissimilationis/diversitatis) zwischen Einzelgegenständen (§ 268). Vollständig identische Individuen sind numerisch identisch – wobei diese strikte Identitäts-Form sich in die triviale Selbigkeit eines „nur“ mit sich selbst auflöst. Unmöglich könnten zwei Individuen (duo extra se singularia) vollständig oder absolut differieren (§ 269). In § 3 seiner ersten Wissenschaftslehre (1794) verteidigt Fichte ausdrücklich das Wolff’sche fundamentum divisionis13 (vgl. Maimon 1794/1970, 53/111 und 119/177; Fichte übersetzt: „Unterscheidungsgrund“): Jedes Entgegengesetzte ist seinem Entgegengesetzten in Einem Merkmal = X gleich; und jedes Gleiche ist seinem Gleichen in einem Merkmale = X entgegengesetzt (Fichte 1971 I, 111).
Von Interesse für Schelling könnte auch gewesen sein, was Baumgarten über die conceptus reflexionis (oder comparationis) Identität und Differenz zu sagen weiß. Sie werden behandelt in der Sektion „ENS“ als diejenigen Eigenschaften ,des Seienden‘, durch die es sich unserem Erkennen mitteilt (§ 67). Eigenschaften sind Bestimmungen (determinationes) oder Merkmale (notae characteristicae, discrimina) des ,Seienden‘. Sie können innerlich (wenn dem Ding wesentlich) oder äußerlich sein (wenn auf etwas anderes bezogen: § 68 f.). Innere Eigenschaften sind nochmals unterteilt in solche, die in dem Seienden per se erkennbar sind, und solche, die eigens angegeben (dari) werden müssen. Diese „Data“ können wiederum un13 Natürlich, ohne Wolffs oder Baumgartens Namen zu nennen.
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10. DIFFERENZSENSITIVE IDENTITÄT (BAUMGARTEN)
bezogen auf anderes (in und durch sich selbst „erkenntlich“) sein oder nicht. Im ersten Falle haben wir mit „Qualitäten (qualitates)“, im zweiten mit „Quantitäten (quantitates)“ zu tun. Nun soll es sich bei Identität (oder Selbigkeit) und Verschiedenheit um Relationen handeln, die entweder qualitativ oder quantitativ realisiert sein können. Falls qualitativ realisiert, heißen sie „similia“, falls quantitativ (nach dem Mehr oder Weniger von Qualitäten-Mengen) „aequalia“, falls gleichermaßen qualitativ wie quantitativ: „congruentia“ (§ 70, § 265). So ist Kongruenz die feinstkörnige Weise der Ähnlichkeit. („Diversitas“, „inaequalitas“ und „discongruentia“ sind die entsprechenden Negationen; ihr Gesamt erschöpft den Raum der „Reflexionsbeziehungen“ [§ 71].) Nun meint Baumgarten, dass Differenz von Einzelgegenständen eine minimale Ähnlichkeit und Ähnlichkeit von Einzelgegenständen eine minimale Entgegensetzung in mindestens einem (Unterscheidungs-)Merkmal voraussetzt. (Er spricht durchaus von ,Identität‘, nicht bloß von ,Ähnlichkeit‘, wie das gleich folgende Zitat belegt.) Die Rede ist von einem Prinzip der „verneinten Total-Identität“ und der „verneinten Total-Diversität“ (siehe die schon zitierten §§ 265 f. und § 174). In anderen Worten: Divergenz in nur einer Eigenschaft verbietet nicht die Rede von „Identität“, die dann – im Gegenteil – „maximal“ (wenn auch nicht „total“) ist. Umgekehrt ist die (Identität) minimal, wenn zwei Einzelgegenstände in nur einem Merkmal konvergieren (§ 174; „minimal“ ist definiert als „mehr als nichts“ und dass „dessen weitere Reduktion/Verkleinerung unmöglich ist“ [§ 161]). Die Spannweite reicht von ,total‘ zu ,mehr als nichts‘: Differenz lässt sich also nur als quantitative berücksichtigen; und minimale Verschiedenheit vereitelt nicht die Rede von Identität. Nun vertritt Schelling die Ansicht, dass Identität von Subjekt und Objekt oder von Geist und Natur sich nicht nach dem Schema einer totalen Ununterschiedenheit denken lässt – so, als sei A als solches und in derselben Hinsicht zugleich totaliter B. Das hindert
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II. TEIL: UNTERWEGS ZUM „ABSOLUTEN IDENTITÄTSSYSTEM“
uns aber nicht, A und B eins ums andere X zuzuschreiben (das allein und im strengen Sinne analytisch mit sich selbst identisch ist). Nicht nur lag Baumgartens Metaphysica Kants Metaphysik-Vorlesungen zugrunde (und ist in ihren wesentlichen Teilen im entsprechenden Reflexionen-Band der Akademieausgabe abgedruckt: AA XVII). Auch Salomon Maimons entscheidender Versuch einer Releibnizianisierung Kants stützt sich auf Baumgartens „Ontologia“, den Abschnitt der Metaphysik, auf den ich mich eben – im Vorblick auf Schelling – bezogen habe.14 So ,dupliziert‘ sich das Identitäts-Urteil in zwei Unter-Unterteile (,X = A‘ und ,X = B‘): Das, was A ist, ist auch das, was B ist: Fa ! ($x) (x=a 6 Fx) oder: (x) [(Fx ! ($y) (Gy 6 x=y)]. Was allein wirklich existiert („ist“), ist X, „das Subjekt“, und es ist indistincte und toto cœlo mit sich selbst identisch, fugenlos und ohne innere Verdopplung. Dagegen existieren B and A („seine wesentlichen Prädikate“) nicht an sich, sondern nur, insofern sie von X ,gewesen werden‘ (Schelling 1946, 26 ff.). Da B nur das symbolische Kürzel für Differenz und A dasjenige für Identität (von A und B) ist, nimmt die vollständig entfaltete Identitätsformel diese Gestalt an: Es gibt ein X, das sich selbst (unter dem Exponenten oder der Prädominanz von A) mit sich selbst (unter dem Überwiegen/dem Exponenten von B) identifiziert (nach SW I/7, 370): (A = B)B ! (A = B)A Nun ist Überwiegen ein Quantitäts-Merkmal. Darum hält sich Schelling für berechtigt, wenn er strenge (oder aktuale) Identität für qualitativ und Differenz für quantitativ (oder potentiell) erklärt. 14 Das habe ich gezeigt in: Frank 2007, 397 [ff.], bes. 404, Anm. 25. Maimon (1965) bezieht sich in seinem Versuch über die Transcendentalphilosophie (vom richtig datierten Spätherbst 1789), wie seine Nummerierung der Paragraphen beweist, nicht auf Baumgartens Ontologie direkt, sondern auf Eberhards stark gestraffte Übersetzung und Ausgabe von Baumgartens Metaphysica (Eberhard 1783). Diesen Nachweis verdanke ich Dagmar Mirbach, die Eberhards gekürzte und von Georg Friedrich Meier ins Deutsche übertragene Version von Baumgartens Metaphysik neu editiert hat: Baumgarten 2004.
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11. SYSTEM UND ALL-EINHEIT
11. System und All-Einheit Kommen wir jetzt zum dritten Begriff in der Formel ,absolutes Identitäts-System‘, dem des Systems. Schelling hat ihn aus seiner griechischen Wurzel s¼stgla gedeutet (von: sum-Vstgli). System ist, in dem ein All, eine Totalität von Erkenntnissen zusammenbesteht. ,System‘ meint: Kohärenz der Fülle von Überzeugungen (oder auch von Gegenständen, wenn ich z. B. von einem natürlichen System spreche, wie es etwa die Biologie tut). Dazu bedarf es aber einer zentralen Hinsichtnahme, eines Prinzips. Das war schon Kants Auffassung, der „das Systematische der Erkenntnis[se]“ in dem „Zusammenhang derselben aus einem Prinzip“ sah (KrV A 645 = B 673). Was nämlich aus demselben Prinzip fließt, das muss auch miteinander zusammenhängen. Und was die Erkenntnisse zu einem Totum, zu einem All schmiedet, kann nur eine Einheit – hier: ein einiges Prinzip – sein, aber eben ein Prinzip, das vieles, das einander eigentlich widerstrebt, zu einem Zusammenhaltenden zusammenfügt. Das unterscheidet ein System von einem ,bloß zufälligen Aggregat‘, in dem Gegenstände bzw. Erkenntnisse versammelt sind, die nicht aus einem und demselben Grundsatz fließen und darum miteinander nicht durch Kohärenz verknüpft sind, wie Mengen aus Ungleichartigem: z. B. Liebeskummer, eine Stecknadel, Schellings Identitätsphilosophie und die Quadratwurzel aus -2. Nur was – bei aller individuellen Verschiedenheit – unter ein und derselben systematischen Hinsichtnahme versammelt ist, von dem kann gesagt werden, es bilde ein All oder gehöre zum selben Ganzen. Den Zusammenhang der Begriffe Einheit und Allheit hatte Kant an der Quantitätskategorie illustriert, die ja in die drei Unterkategorien Einheit – Vielheit – Allheit zerfällt (KrV A 80) – mit der uns wohlbekannten Pointe, dass die dritte Kategorie ihre beiden Vorgängerinnen zusammenfasst: „So ist die Allheit (Totalität) nichts anderes als die Vielheit als Einheit betrachtet“ (KrV B 111). Auch aus dem Grundsatz der Gemeinschaft ließe sich die systematische Anordnung unserer Kenntnisse erklären, denn eine jede ist in einem
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II. TEIL: UNTERWEGS ZUM „ABSOLUTEN IDENTITÄTSSYSTEM“
System mit jeder anderen verbunden, wenn auch nicht horizontal als disjunktive Reihe, sondern auf verschiedenen Ebenen stammbaumartig nach dem Gesetz der Spezifikation sich verzweigend (von Gattungen über Arten zu Individuen). Vom vertrauten Grundsatz der Wechselwirkung aus macht Schelling den Begriff ,System‘ fasslich in seiner Erlanger Einleitungsvorlesung vom 4. Januar 1821, die an Kants Organismus-Definition und die frühe Timaios-Lektüre gleichermaßen anknüpft: Der Begriff ,System‘ ist nicht schwer zu definiren, man kann sagen: jedes zusammengesetzte Ganze von sich gegenseitig bedingenden u. wechselseitig voraussetzenden Gliedern ist ein System. Nur solche Glieder bilden ein Ganzes, die sich wechselseitig Mittel u. Zweck sind u. sich gegenseitig bedingen. Sehr treffend sagt man daher: ,Planetensystem‘, ,Weltsystem‘ etc., weil da ein Glied durch alle u. alle durch eines bedingt sind, so [dass,] wenn Eines wankte, das Ganze zusammenstürzte, weil Ein Glied mit dem andern lebt u. stirbt u. durch ein unauflösliches Band verknüpft ist (Schelling 1969, 1).
Deutlich anschließend an die Lehre vom transzendentalen Ideal der Vernunft, geht Schelling von einem „eigentlichen Subjekt der Philosophie“ (A) aus, das sehr gut als pronominales Sein charakterisiert werden kann, weil es nach prädikativer Bestimmung hungert und seine erste Erfüllung durch die Prädikation ,A = B‘ erfährt. Die prädikative Ergänzung B aber sättigt das Subjekt nicht, es ist auch C, es ist auch D (usw.), kurz: Es strebt danach, von einem maximal Unbestimmten zu einer vollendeten Fülle von (widerspruchsfrei kompossiblen) Bestimmungen sich zu ergänzen; und erst dann, wenn es durch alles hindurchgegangen, in nichts geblieben ist und auch noch die letzte Bestimmung in sich aufgenommen hat, erst dann hat es sich im Wortsinne in einem System abgeschlossen (15 f.).15 15 Freilich nehmen die Erlanger Vorlesungen mit dem Titel Initia philosophiae universae nicht diese Wendung aufs System, sondern auf die indefinible Freiheit (Schelling 1969, 21), die sich, wie die romantische Ironie, über jede beschließende Bestimmung hinwegsetzt. Von diesem unendlich bestimmbaren und nie zu Ende
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11. SYSTEM UND ALL-EINHEIT
Man muss also im Begriff ,System‘ den der überwundenen „Asystasie“ mithören, „daß es [das menschliche Wissen] ursprünglich und von sich selbst nicht im System – daß es also ein !s¼statom, ein nicht Zusammenbestehendes, sondern vielmehr sich Widerstreitendes ist“ (8 [= SW I/9, 209]). Es wäre darum falsch, das System auf eine „bloße E i n h e i t“ zu gründen (wie es die tautologische des A = A ist). System darf vielmehr nur heißen, was ein Auseinanderstreben seiner Teile bändigt oder bezwingt. Mit der Einheit habe die „Nicht-Einheit gleiche Rechte“, und das wahre System [kann] eben nur dasjenige seyn […], welches Einheit der Einheit und des Gegensatzes ist, d. h. welches zeigt, wie die Einheit mit dem Gegensatz und der Gegensatz mit der Einheit zugleich bestehe, ja wie es zum Besten des andern nothwendig sey – dieß alles mußte vorausgehen, ehe im Platon auch nur die wahre I d e e eines Systems erscheinen konnte. Also der Zeit nach sind die S y s t e m e vor dem System. Bedürfniß der Harmonie kommt erst aus Disharmonie (9 [= SW I/9, 209] [von mir kursiviert]).
Damit ist die berühmte Pantheismusformel des ,Eins und Alles‘ erreicht. Griechisch hieß sie 4m ja· p÷m. In Schellings Identitätsphilosophie spielt sie eine überragende Rolle, und durch Jacobis Spinozabüchlein (wie Matthias Claudius das respektable Opus verniedlichend nannte) wurde sie zu einem Lieblingszitat, ja zu einem
bestimmten Subjekt sagt Schelling (fast in den Worten des Meisters Eckhart): „Dieses ist schlechthin indefinibel. Denn 1) es ist nichts – nicht e t w a s, und selbst dieß wäre eine negative Definition; allein es ist auch nicht nichts, d. h. es ist alles. Es ist nichts einzeln, stillstehend, insbesondere; es ist B, C, D u. s. w. nur, sofern jeder dieser Punkte zu dem Fluß der unzertrennlichen Bewegung gehört. Es ist nichts, das es wäre, und es ist nichts, das es nicht wäre. Es ist in einer unaufhaltsamen Bewegung, in keine Gestalt einzuschließen, das Incoercible, das Unfaßliche, das wahrhaft Unendliche“ (l. c., 17; = SW I/9, 217). Darum erinnert Schelling anfangs an den defizitären Beigeschmack, den die alten Griechen im Ausdruck ,System‘ mit spürten: als Stockung, Stehenbleiben, Gerinnen (der Milch z. B.): l. c., 2 f.
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Schlüsselwort der Goethezeit.16 Alle idealistischen Systeme sind AllEinheits-Systeme, und das Feuerbach-Marx’sche ebenso. Der Sinn der Formel ist, dass das, was Eins ist, auch das ist, was Alles ist. Damit wird die Vielfalt der Erscheinung monistisch gebändigt, aber nicht wegreduziert: Was immer auf den Titel eines Seienden (emtyr em) Anspruch macht, also: von was immer wir sagen, es sei (oder es existiere), wird für Entfaltung eines Einfachen und Einzigen gehalten (SW I/6, 156 f., § 1; 183 o.; Schelling 1988, 50 [= Troxler-Nachschrift des Kollegs von 1801]).17 Schelling nennt es in gewöhnungsbedürftiger Hypostasierung ,das Identische‘ oder nur ,die Identität‘ – als könne es eine Identität einfachhin geben, den Relata über- und vorgeordnet, auf sie irreduzibel (vgl. l. c., 147, 163 f.) – eine Identität-an-sich, Punkt.
12. Das Absolute ist ,Affirmierendes und Affirmiertes von sich selbst‘ Damit sind wir an einem entscheidenden Wendepunkt angekommen, auf den der ganze I. Teil vorbereitend hingearbeitet hat: ,Iden16 Die Wendung findet sich zuerst bei den Eleaten Zenon und Melissos (Diels/ Kranz 1992, 29 A 30 [I 255,6] = 30 A 13 [I 267,30]; vgl. den Index im dritten Band, S. 149 unter dem Lemma EXr.) 17 Seit 1806 betont Schelling das Sein des Absoluten schon in der Terminologie, die er später als die der ,positiven Philosophie‘ auszeichnen wird, z. B. in der FichteStreitschrift: „Ist sonach Philosophie eine Wissenschaft des Göttlichen, so ist sie nicht eine Wissenschaft desselben als eines Wesens, das bloß in Gedanken ist, oder allein durch diesen kann ergriffen werden, sondern sie ist eine Wissenschaft Gottes als des allein-Wirklichen, eben daher allein Anschaulichen und in allem Anschaubaren wirklich allein Angeschauten: (denn eine Anschauung, die nicht Anschauung des Wirklichen wäre, wäre auch nicht Anschauung)“ (SW I/7, 29 u.). „Das Eine unmittelbar Erkennbare ist der wahren Philosophie gerade das schlechthin Positive, das absolut-Wirkliche, d. h. Gott“ (l. c., 34 u.). Vgl. ebd., 43 f.: „die Naturphilosophie, welche allein auf Anschauung des Wirklichen, auf die vollkommene Identität/ des Idealen mit dem Realen gegründet ist“; 64: „Die Naturphilosophie stellt in der Natur unmittelbar das Positive dar […].“
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12. ,AFFIRMIERENDES UND AFFIRMIERTES VON SICH SELBST‘
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tität‘ meint bei Schelling nicht: das Nichtsein von Differenz, also „nicht, daß es Differenz überhaupt nicht gebe, sondern nur, daß sie nichts Letztes sei. Alle Differenz besteht nur in Beziehung auf Eines, kraft dessen sie sein kann. Sie ist nur, insofern dieses Eine ist“ (Henrich 1980, 29 f.; 1982, 146 f.). Das Umgekehrte gilt nicht: Gott ist das an sich identische, gleiche Wesen des Affirmirenden und des Affirmirten; a b e r nicht umgekehrt gehören dieses a l s dieses und jenes a l s jenes z u m W e s e n G o t t e s (SW I/6, 162).
Diese Asymmetrie zwischen dem Absoluten und seinen Gliedern drückt Schelling auch so aus: Es erhellt zugleich aus diesem Princip [der Identität] die gänzliche und absolute Unabhängigkeit der I d e n t i t ä t oder G l e i c h h e i t a n s i c h s e l b s t von dem Subjektiven und dem Objektiven. Die Q u a l i t ä t [Wiebeschaffenheit] des Subjekts und des Prädicats ist für die Identität völlig gleichgültig, woraus sich zum voraus einsehen läßt, wie jene ewige Einheit als Einheit nie negirt werden könne, sondern dieselbe bleibe, das [negierbare] Subjekt und das Objekt mag [sich] wandeln, wie es will. Nicht durch das Subjekt und das Objekt besteht die Gleichheit, sondern umgekehrt, nur sofern die Gleichheit ist, d. h. nur sofern beide ein und dasselbe sind, sind auch Subjekt und Objekt (SW I/6, 147; 162; ebenso I/4, 117, § 6; 120 u., Zusatz 1 zu § 15; 123, § 24).
Hier wird also gesagt, dass die absolute Einheit ihre Relata als Relata begründet, aber nicht umgekehrt aus ihnen verständlich gemacht werden kann. Ist nun die Identitätsformel ,A = A‘, so kann sie nicht „das S u b j e k t als Subjekt“ meinen oder als „das Erkennende“ (I/ 6, 147) oder das Objekt als das Erkannte. Durch das Begriffswörtchen ,als‘ (oder qua, Ø) wird immer eine Bestimmung, und damit eine Einschränkung ausgedrückt, die vom Gedanken der absoluten Identität fernzuhalten ist. Das bedeutet dann aber, wie Schelling sich ausdrückt (und dieser Gedanke wird uns noch beschäftigen müssen), dass nicht eine Konstante (,A‘) mit sich selbst (oder mit einem Anderen, ,B‘), sondern dass das, was schon identisch ist, mit sich selbst identifiziert wird: Identität ist prinzipiell Identität zwei-
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II. TEIL: UNTERWEGS ZUM „ABSOLUTEN IDENTITÄTSSYSTEM“
er. Aber die sind sich nicht von Natur aus gleich, sondern nur dadurch (um an das Platon-Wort zu erinnern), dass die Identität sich mit ihnen noch einmal identifiziert. So verdoppelt sie sich zur ,Identität der Identität‘. Mit dem Ausdruck ,Selbstaffirmation‘ ist nichts als die Tatsache gemeint, dass das Absolute „seine eigene Bekräftigung“ ist: „[W]äre es nicht wesentlich Selbstbejahung, so wäre es nicht das Absolute, nicht ganz und gar von und aus sich selbst“ (SW I/7, 52). Der Schein einer Zweiheit oder gar Mehrheit (SW I/6, 157 f., § 12) entsteht, wenn man die Reflexivität im Ausdruck ,Selbstaffirmation der Identität‘ unter die Lupe legt: Da taucht eben ein Subjekt und ein Objekt der Selbstbekräftigung (oder „Selbstoffenbarung“ [I/7, 54, 59]) auf. Die beiden Ausdrücke stehen doch nur für zwei Weisen der Selbstpräsentation der Identität. Diese ist ,absolut einfach‘ (SW I/6, 164), weil es ein und dasselbe – oder noch besser: weil es sie selbst (die Identität selbst) ist –, das bzw. die sich als Subjekt in Objekt-Position bekräftigt. Es ist hier überall keine T h e i l u n g möglich, so daß etwa ein Theil von Gott das Bejahende seiner Realität, der andere das Bejahte wäre, sondern jedes das Bejahende und das Bejahte ist das g a n z e Absolute (164).
Diesen auf Anhieb nicht leicht einsichtigen Gedanken formuliert Schelling erstmals in seiner Darstellung meines Systems der Philosophie (von 1801) wie folgt: In dem Satz A = A aber wird dasselbe sich selbst gleich, d. h. es wird eine Identität der Identität gesetzt. Die absolute Identität ist also nur als die Identität einer Identität, und dieß ist die vom Seyn selbst [Ontologie] unzertrennliche [Satz-] Form ihres Seyns (I/4, 121, § 16).18 18 In einer konzentrierten Fußnote zur 2. Erklärung zum § 41 („Jedes Einzelne ist in Bezug auf sich selbst eine Totalität“ [im Orig. gesp.]) findet sich im Zusammenhang der Einführung des Begriffs ,Potenz‘ eine ähnliche Erklärung für die Verdopplung der Identitätsformel jedes der miteinander identifizierten Relate: „Ferner das Seyn [oder Wesen] ist unendlich wie das Erkennen [oder die Form],
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12. ,AFFIRMIERENDES UND AFFIRMIERTES VON SICH SELBST‘
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Im Würzburger System wird diese dunkle These nur wenig expliziter vorgetragen. Aber ein Argument kommt entscheidend dazu: Das Absolute wird nun beschrieben als „das Affirmirende und das Affirmirte v o n s i c h s e l b s t“ (I/6, 148, § 6).19 Wir haben im I. Teil gesehen, dass Schelling die Formel, die Kant für den Organismus entwickelt hatte, nämlich ,von sich selbst zugleich Ursache und Wirkung zu sein‘,20 damit nur auf die Struktur des binnendifferenzierten Absoluten überträgt. Dies ist der Sinn dieser Übertragung: Sind die beiden Termini in der Identitäts-Gleichung von sich selbst, nicht nur eins vom anderen, zugleich Setzendes und Gesetztes, so folgt, dass jedes in sich schon das ganze Absolute ist (§ 18): beides, das Affirmirende und das Affirmirte, jedes für sich, ist Identität des Affirmirenden und des Affirmirten (SW I/6, 164; vgl. 162).21 und b e i d e s, unendliches Seyn und unendliches Erkennen, wird ausgedrückt durch den Satz A = A. Da der Satz beides ausdrückt, so steht das Unendliche in Ansehung des Erkennens sowohl als des Seyns unter der Form des Satzes A = A. Die Indifferenz vom Erkennen und Seyn ist also nicht e i n f a c h e Identität von A als Subjekt und A als Objekt (Spinoza), sondern Indifferenz von A = A als Ausdruck des Seyns und A = A als Ausdruck des Erkennens. Q u a l i t a t i v e Indifferenz wäre gesetzt, wenn A als Subjekt und A als Objekt einander entgegengesetzt wären. Dieß ist aber nie der Fall als in Bezug aufs Endliche. In Bezug auf das Unendliche ist nicht A als Subjekt und A als Objekt, sondern A = A und A = A, d. h. eine Identität gegen die andere im Gegensatze. Jedes ist gleich unendlich, also ununterscheidbar […]“ (SW I/4, 134, § 42, Anm. 1). Vgl. auch die lange Fußnote zu den Aphorismen I/7, 239 f. 19 Die Formel wird expliziert und entwickelt im zentralen § 18, 161 ff. 20 Schelling erklärt, warum er vom Affirmierenden/Bejahenden bzw. Affirmierten/ Bejahten und nicht von Ursache und Wirkung spricht, obwohl er gerade diese Ausdrücke überträgt. Affirmierendes und Affirmiertes sind einerlei, aber „[u]nter Ursache verstehe ich hier ein Affirmirendes, das von seinem Affirmirten verschieden ist“ (SW I/6, 177; 194 f., § 40). In Kontexten, in denen Schelling mehr auf den copulativen Sinn der Identifikation abhebt, heißt das Affirmierende ,das Subjekt (oder das Prädicirende)‘ und das Affirmierte auch ,das Prädicat (oder das Prädicirte)‘ (so in der „Anmerkung [zur Fußnote] zum XXII. Aphorismus“ l. c. [SW I/7, 219], verweisend auf S. 202). 21 Schelling behauptet, durch die Ineinanderverschachtelung des Affirmierenden und des Affirmierten sei „[a]ller Regressus ins Unendliche […] abgeschnitten“
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II. TEIL: UNTERWEGS ZUM „ABSOLUTEN IDENTITÄTSSYSTEM“
Von dieser (besonders auffälligen) Formulierung ist der Weg zur Formel von der Identität der Identität leichter nachvollziehbar als im Zitat aus der Darstellung, obwohl wieder nur in unwilliger Explizität: In dem Satz A = A wird nicht Ungleiches Ungleichem, sondern dasselbe wird sich selbst gleich gesetzt. Das A als Subjekt ist schon das Ganze, ebenso das A als Prädicat ist das Ganze, es wird nicht eine einfache Identität, sondern es wird die I d e n t i t ä t e i n e r I d e n t i t ä t gesetzt. Wie nun in dem Satz A = A das erste A nicht bloß ein Theil des Ganzen, sondern das ganze untheilbare A selbst ist, ebenso das Prädicat etc.[,] so ist das Absolute, als das Bejahende von sich selbst nicht bloß ein Theil des Absoluten, sondern das ganze Absolute. Ebenso das Bejahrte von sich selbst (I/6, 165; vgl. 173).
13. Eine Zwischenbetrachtung: ,Subjekt-Objekt‘ oder ,Subjekt-Prädikat‘? Ich komme zurück auf das Zitat, das die völlige Unabhängigkeit der Identität von der Qualität – der inhaltlichen Erfüllung – der Relata betont. Das gibt willkommenen Anlass, zwei Zwischenbeobachtungen einzuschieben. Sie scheinen bloß terminologischer Natur, betreffen aber die Sache der Identitätsphilosophie im Kern und helfen, Konfusionen vorzubeugen. Erstens ist zu bemerken, dass Schelling sich bald an der Sache der wissenden Selbstbeziehung (wenn er die Relata ,Subjekt‘ und ,Objekt‘ nennt), bald an der Satzform orientiert (in der ein ,Subjekt‘ als ein ,Prädicirendes‘ – wie er sich ausdrückt – mit einem ,Prädikat‘ oder ,Prädicirten‘ identifiziert wird). Beide – die Sache und die (SW I/6, 165 o.). Vielleicht, aber gewiss nicht der Zirkel, den Herbart Fichtes Theorie des sich je schon immer als wissenden Selbstbezug voraussetzenden Selbstbezugs vorwerfen konnte. Ist ,Ich‘ definiert als ,das Sich Vorstellende‘, so kommt es mit jeder weiteren Substitution von ,Sich‘ zu einer absehbar endlosen Iteration, und das Verständnis von ,Ich‘ wird zirkulär nur vorausgesetzt (Herbart 1824 in: Frank 1991, 70 ff., 482 ff.).
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13. ,SUBJEKT-OBJEKT‘ ODER ,SUBJEKT-PRÄDIKAT‘?
Satzform – werden auch als das ,Wesen‘ und die ,Form‘ des Absoluten unterschieden (durchgängig so in den Ferneren Darstellungen [1802; vor dem § III] und noch in den Stuttgarter Privatvorlesungen [1810, SW I/7, 421 ff.]). Dem Unterschied entspricht, wie wir sehen werden, auch der von absoluter Identität und relativer Identität (= Indifferenz). Bleiben wir aber zunächst bei der ,Wesen‘-,Form‘-Unterscheidung. ,Wesen‘ meint: was das Absolute ist; Form, wie es sich sprachlich-logisch artikuliert (I/4, 120 ff., § 15 ff.). Darum lässt sich die Form auch mit dem Sich-Erkennen oder der Selbstoffenbarung des Wesens gleichsetzen (§ 17; SW I/7, 54); und ferner lässt sich von der Form sagen, sie sei die ,Art und Weise‘, wie das ,Seyn‘ oder ,Wesen‘ (für sich selbst) da sind.22 Die Form ist daher auch der Modus der Selbsterkenntnis des Wesens (SW I/4, bes. 37). In einer Fußnote der Freiheitsschrift spricht er von der Form als „dem logischen Begriff“ (I/7, 343) – im Gegensatz zur Substanz als dem Wesen. Natürlich ist immer zu bedenken: Dass Schelling die Satz-Copula als Identitätsanzeige verstanden hat, unterliegt keinem Zweifel, und wir müssen auf diese für die Identitätsphilosophie ausschlaggebende Eigentümlichkeit im Zusammenhang mit seiner PloucquetAufnahme noch zurückkommen. Seit seiner Darstellung meines Systems der Philosophie (1801) hat er das Wesen der absoluten Identität von Natur und Geist durch die Form des Urteils erläutert, in der sie sich ausspricht, die Form aber zugleich in eine einseitige Abhängigkeit vom Wesen gebracht. Die Satz- oder die logische Form artikuliert nur die Einheit der Substanz. In ihrer Zweigliedrigkeit ist sie zugleich das Einfallstor für die Ablösung der endlichen Welt von der unendlichen, von der ab Philosophie und Religion (1804), drastischer in der Freiheitsschrift (1809) und im ganzen Spätwerk gehandelt werden wird. 22 Schelling kann sich also Selbsterkenntnis gar nicht anders denn als ein SubjektObjekt-Verhältnis, ausgedrückt durch einen prädikativen Aussagesatz, vorstellen.
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II. TEIL: UNTERWEGS ZUM „ABSOLUTEN IDENTITÄTSSYSTEM“
Schelling unterscheidet den Gehalt oder das Wesen der Identität zunächst ganz arglos von der Form des Urteils, durch das es (das Wesen) sich dem Erkennen vermittelt, also von „A als Subjekt und A als Prädicat“. Sagt man statt ,Wesen‘ ,Seyn‘, so können die Satzglieder auch Seinsweisen oder ,Arten des Seyns‘ heißen.23 Während das Wesen selbstständig existiert, können die kopulativ Verbundenen „nicht von sich selbst seyn“: Sie bestehen nur als vom Wesen Verbundene (SW I/4, 120 f.).24 Ungeachtet der Tatsache, dass die 23 In dieser idealistischen Phase macht Schelling allerdings – philologisch streng genommen – noch einen Unterschied zwischen ,Wesen‘ und ,Sein‘. Zum Sein, sagt er, gehört die Aktuierung einer vormaligen Potenz (SW I/4, 122 f., § 24 und 134, § 31). In der Satzform ,A = A‘ ist der Unterschied der Relate zwar angezeigt, aber nur als begrifflicher oder virtueller; er ist noch nicht wirklich vollzogen, die beiden unterscheiden sich ja nicht. Erst mit der Aktuierung der beiden Glieder beginnt offenbar ihr ,Sein‘. Von diesem Augenblick an herrscht – bei fortwährender ,qualitativer Identität‘ – ,quantitative Differenz‘. Und jetzt muss die alte Formel ,A = A‘ in ,A = B‘ umgeschrieben werden, weil die Relate darin inhaltlich (begrifflich) auseinandertreten (124, Erl. zum § 23). Diese Differenzierung darf ich im Folgenden vernachlässigen, weil Schelling die absolute Identität ja in der Folge als ,unbedingtes Gesetztsein‘ oder ,absolute Position‘, mithin eben doch – in Kants Tradition – als Sein charakterisiert (Fußnote zum § 6, S. 117; I/7, Anm. 1). Im Würzburger System (1804) ist die terminologische Verschleifung von Sein und Wesen dann explizit vollzogen. Vgl. SW I/6, 156 (§ 10 mit Folgesatz). Es findet hier eine direkte Gleichsetzung zwischen ,allem, was ist, insofern es ist‘, mit ,absoluter Identität‘ statt. Sein = Identisch-Sein. Es heißt ferner: Das, worin überhaupt Verschiedenheit gesetzt sei, „gehört nicht zum Wesen, zum wahren esse, sondern zum non-esse, zum Nichtseyn der Dinge“. Hier werden ,Wesen‘ und ,Sein‘ einfachhin identifiziert. Am konsequentesten finde ich diese terminologische Verschleifung vollzogen in Schellings Streitschrift gegen Fichte (von 1806: SW I/7, 52 ff.). „[D]as Wesen oder das Seyn“, heißt es nun, sei das Positive oder Bejahte der Selbstaffirmation; die Form oder das Bejahende füge das Erkenntnis-Moment hinzu. Weil aber auch die Form (oder Erkenntnis) nicht ist, sofern sie nicht vom Sein = Wesen ,gewesen‘ werde, dürfe auch sie selbst positiv heißen (I/7, 53,3). Das ist die logische Implikation der Rede des ,Von-sich-selbst-zugleich-Bejahendes-und-BejahtesSein‘, dass beide Relate wieder das Eine und ganze Absolute sind. 24 Vgl. SW I/2, 360 f. Am explizitesten über die Wesen-Form-Unterscheidung ist der Beginn der Stuttgarter Privatvorlesungen von 1810: SW I/10, 421 ff.; vgl. aber
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13. ,SUBJEKT-OBJEKT‘ ODER ,SUBJEKT-PRÄDIKAT‘?
Satzform mithin unmittelbar mit dem Sein der absoluten Identität mitgesetzt ist (l. c., § 15), gilt doch ein zwar nicht zeitlicher oder aktueller, aber doch (onto-)logischer Vorrang des Wesens vor der Form: Was zugleich mit der Form des Satzes A = A gesetzt ist, ist auch unmittelbar mit dem Seyn der absoluten Identität selbst gesetzt, es gehört a b e r n i c h t z u i h r e m W e s e n, sondern nur zu der Form oder Art ihres Seyns (l. c., Zusatz 1; deutlicher ebenso SW I/6, 147, 3. Abschn. und 163 u.).
Es gibt also eine asymmetrische Abhängigkeit der Form vom Sein oder Wesen, die nur mühsam im Verband einer Identität beider unterkommt: eine für Schelling charakteristische Annahme. Dazu passt, dass Schelling die Form des Satzes stets als etwas einführt, in dem sich das Wesen des Absoluten nur ,ausspricht‘ oder ,ausdrückt‘ (z. B. SW I/6, 150, Zusatz zum § 7). In Form der Vernunft (oder des Erkennens) – und nichts anderes ist die Form des absoluten Satzes – „w i e d e r h o l t“ sich nur die absolute und vorprädikative Identität (l. c., 151, 2. Abschn.; 155 o.). In den Ferneren Darstellungen aus dem System der Philosophie (1802) wird die Vernunft ganz klar als „unmittelbares Abbild der ewigen Einheit“, als „Reflex“ und als Organ des Erkennens derselben ausgewiesen – und, zusammen mit der ,Form‘, als eine ,Art des Seyns‘ dieser Einheit gegenübergestellt (bes. SW I/4, 389 – 91). In den Ferneren Darstellungen wird auch viel klarer, dass in der Form, also der Vernunft als (ideellem) Widerhall der (reellen) Identität, zuerst das Differenzmoment aus seiner bisherigen Potentialität sich zur Aktualität durcharbeitet (389, 4. Abschn.). Alle diese Zitate artikulieren das Absolute durch die Satzform, die wiederum als eine Form der Identifikation verstanden wird (denn sie ist ja der Ausdruck, der Reflex der absoluten Identität). Dazu passt, dass die beiden Glieder, die sonst ,das Bejahende‘ und schon den § III der Ferneren Darstellungen aus dem System der Philosophie von 1802, wo die ,Form‘ mit dem ,Erkennen‘ gleichgesetzt wird (SW I/4, bes. 373).
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II. TEIL: UNTERWEGS ZUM „ABSOLUTEN IDENTITÄTSSYSTEM“
,das Bejahte‘ heißen, auch ,Subjekt‘ und ,Prädikat‘ – oder auffälliger: ,das Prädicirende‘ und ,das Prädicirte‘ genannt werden (SW I/7, 219; eben da zeigt sich auch besonders deutlich, dass Schelling nur Kants Formulierung ,von sich selbst zugleich Ursache und Wirkung‘ aufgreift und umwandelt; denn er nennt „das Bewirkende = A“ und „das Bewirkte = B“). Daneben aber ist von ,Subjekt‘ und ,Objekt‘ die Rede – und plötzlich sind wir aus dem logisch-semantischen Zusammenhang heraus- und wieder in einen ontologischen (oder wenn man will: erkenntnistheoretischen) Diskurs eingetreten. Dazu passt auch, dass Schelling (man muss hinzufügen: in dieser Phase seines Philosophierens) gar keinen Unterschied zwischen Existenz und Identität macht. Existenz ist eine (uneigentliche, höherstufige) Eigenschaft von Gegenständen, nämlich die, zu einer nicht-leeren Begriffsklasse zu gehören, also wirklich von wenigstens einem Gegenstand instanziiert zu werden. Und Identität ist eine relationale Eigenschaft, wenn sie auch von einigen Logikern schamhaft ,die allerfeinste‘ genannt wird. An der eben angegebenen Stelle aus den Aphorismen über die Naturphilosophie, sagt Schelling gar, „[a]lle Existenz beruh[e] auf der unauflöslichen Verknüpfung des Subjekts mit einem Prädicat, die in jenem Satze [A=A] nicht für den besondern Fall, sondern allgemein und schlechthin / ausgesagt ist“ (I/7, 218 f). Dieses Changieren zwischen Ontologie und Semantik ist auch für Hölderlins Argumentationsskizze Urtheil und Seyn und für den Beginn von Hardenbergs sog. Fichte-Studien charakteristisch. Es hängt zusammen mit einer Identitätstheorie der Prädikation, die zugleich das Weltgeschehen am Leitfaden fortschreitender prädikativer Bestimmung eines (anfangs nur pronominal bestimmten) Ursubjekts begreift (Hogrebe 1989; siehe oben, Kap. 5, 61 ff.) und deren Grundlagen Hölderlin, Hegel und Schelling noch im Tübinger Stift erwarben.25
25 Dazu ausführlicher unten Kapitel 16.
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14. DIE ,FORM‘ ALS KEIM DER SELBSTENTFREMDUNG
Eine 2. Beobachtung steht an, die sich eigentlich von selbst versteht und die ich immer wieder nebenbei mit bedient habe: Die durch die Großbuchstaben B und A bezeichneten/symbolisierten Relata [z. B. SW I/6, 165]) stehen freilich für Natur (die Totalität des Physischen) und Geist. Schellings Prinzip formuliert also auch (und wesentlich) eine These über die Identität des Physischen und des Geistigen. Wir wissen aus der Einleitung, dass seine Konzeption/Theorie kompliziert, aber von eigentümlicher Eleganz ist und noch heutige Leib-Seele-Theorien inspirieren kann. Auch das wird noch zur Sprache kommen.
14. In der Binarität der ,Form‘ steckt der Keim der Selbstentfremdung des Absoluten Nach dieser terminologischen Zwischenbetrachtung möchte ich zum Kernthema dieser Abhandlung zurückkehren. Es hat sich gezeigt, dass Schelling die Leibniz’sche Auffassung der Identität, die er durch Ausdrücke wie ,Einerleiheit‘ oder ,Identität nur mit sich‘ wiedergibt, zu starr findet und durch Humes (und eventuell Baumgartens) Auffassung überlagert, wonach Selbigkeit eine minimale Differenz einschließen muss. Anders müssten wir ihr jeden Erkenntniswert (wie Frege sagt) absprechen. Bisher hat uns Schelling diesen Gedanken aber in einer Weise vorgeführt, die zwar ein Wesen an eine Form (der Selbsterkenntnis in Gestalt eines Satzes) bindet. Und damit eine Zweiheit, eine Relation, in die Identität einbettet. Aber er hat keine Gelegenheit versäumt, die Asymmetrie dieses Verhältnisses zu unterstreichen. Die Identität strahlt in einer ,freien Bloßheit‘ (Schelling 1989, 49),26 die 26 Auch diesen Ausdruck schöpft Schelling aus Oetinger, vgl. den Artikel „Freiheit, Eleutheria“ seines Biblischen und Emblematischen Wörterbuchs. „Und wo du anfangst, Dich zu Gott zu nahen […], so erfährest du an dir selbst, was Freiheit seye, viel besser als wenn wenn du philosophisch nachdenkest, daß bei der Frei-
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II. TEIL: UNTERWEGS ZUM „ABSOLUTEN IDENTITÄTSSYSTEM“
die Binarität ihrer Selbstoffenbarung gleichsam ausblendet oder vielmehr zu einem Schlemihl’schen Schatten verkümmern lässt. Jedenfalls wird überaus deutlich, dass er die Identität keinesfalls – wie Hegel es unternehmen wird – aus dem Reflexe-Spiel der Relata (Subjekt und Objekt, Ideelles und Reelles, Subjekt und Prädikat) erklären will (Henrich 1971, 1976a). Die sind vielmehr einseitig abhängig von der Identität und würden eine Selbstbeziehung ohne die Dominanz des Identitäts-Moments aus eigenen Mitteln nicht generieren können. Anders: Zwar bedarf das Absolute einer Selbstoffenbarung, und die bringt ein Moment der Differenz (oder Alterität) ins Spiel. Aber nicht die Differenz als Differenz erklärt den Erfolg der Selbstoffenbarung. Am Beispiel des Selbstbewusstseins hatte Schellings Freund Hölderlin diesen Punkt früh deutlich gemacht (obwohl nicht bekannt ist, ob Schelling dies Argument der Jahreswende von 1795/9627 von ihm kannte): Wie kann ich sagen: Ich! ohne Selbstbewußtseyn? Wie ist aber Selbstbewußtseyn möglich? Dadurch dass ich mich mir selbst entgegenseze, mich von mir selbst trenne, aber ungeachtet dieser Trennung mich im entgegengesezten als dasselbe erkenne. Aber in wieferne als dasselbe? Ich kann, ich muß so fragen; denn in einer andern Rüksicht ist es sich selbst entgegengesezt (Hölderlin 1991, 156, Z. 20 – 26).
Wir brauchen Einheit zum Verständnis von Selbstbewusstsein: denn mit ,Ich‘ meinen wir uns als eine(n), nicht als mehrere; aber wir brauchen auch Differenz, weil wir die Einheit nur durch Refleheit eine Indifferenz, eine Gleichgültigkeit der Kräften seye“ (Oetinger 1999 I, 221 f.). 27 Über diese Datierung siehe Strack (2013, 8 ff., bes. 17). Henrich (1965/66) hatte das Notat aufgrund von Indizien auf vor dem 20. April 1795, „vermutlich um den Beginn des Monats“ entstanden datiert (Henrich 1991, 56). Schellings IchSchrift war erst zur Ostermesse 1795 erschienen. Während Henrich ihren Einfluss auf Hölderlin leugnet, hält Strack ihn – mit seiner späteren Datierung – für ausschlaggebend.
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14. DIE ,FORM‘ ALS KEIM DER SELBSTENTFREMDUNG
xion erkennen können, und Reflexion ,ur-teilt‘ und spaltet die ursprüngliche Identität. – Da Schelling diese fortbestehende (und im späteren Werk wieder auflebende) Orientierung am Selbstbewusstsein nicht ausdrücklich macht, wirkt die Unterlegung der Begriffsanalyse von Absolutheit und Identität durch die Selbstaffirmation aufgesetzt, und damit auch das plötzliche Auftauchen eines Mehrals-Einheit,28 ohne das wir die Formel ,Hen kai pan‘ doch nicht verstehen könnten. Bei Schelling wird diese ur-teilende Zweiheit von der ,absoluten‘ Identität gleichsam verschluckt. Die Frage ist also: Wie bringt Schelling sie dennoch so zur Geltung, dass seine kühne Formel von der ,Einheit der Einheit und des Gegensatzes‘ Kontur gewinnt und glaubwürdig wird. Anders gefragt: Wie macht sich das DifferenzMoment in der dialektischen Identitäts-Formel geltend? Als ich eben daran erinnerte, dass Schelling die (zu starke) Leibniz’sche Identitätsformel mit einem Schuss Hume’scher Skepsis lockert, meinte ich genau den Einbau der Differenz in die Identitätsformel. Der Schweizer Arzt und Naturphilosoph Ignaz Paul Vital Troxler hat eine Nachschrift des Vortrags von Schellings erstem Kolleg über sein Identitätssystem aus dem Jahr 1801 hinterlassen. Diese Nachschrift ist an einigen Stellen expliziter als der höchst wortkarge, trockene und mit Erklärungen geizende Vortrag des gedruckten Fragments, das obendrein Spinozas mos geometricus verständniserschwerend nachahmt. Zum hier angesprochenen Problem hat Troxler dies notiert:
28 Mit ,Mehr-als-Einheit‘ meine ich Hölderlins und Schellings gemeinsame Überzeugung, dass „Identität“, wie Novalis sagt, „ein subalterner Begriff“ ist (Novalis 1965, 187, Z. 3 f.). Beim frühen Schelling und bei Hölderlin stehen „Seyn“ oder „das Absolute“ höher (am höchsten) in der Hierarchie, jedenfalls noch über ,Identität’ (Hölderlin 1991, 136, Z. 7: „Aber dieses Seyn muß nicht mit der Identität verwechselt werden“; Schelling SW I/1, 178: „Mithin wird selbst alle Form der Identität (A = A) erst durch das absolute Ich begründet“).
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II. TEIL: UNTERWEGS ZUM „ABSOLUTEN IDENTITÄTSSYSTEM“
Jener Satz a = a drückt das Absolute dadurch aus, indem er die Indifferenz und Differenz zugleich setzt. Er ist wohl zu unterscheiden von dem, wo die erstre im Gegensatz gegen die letztre ist, wie im Fichtischen Ich = Ich, in dem, wie aus dem zweiten und dritten Grundsatz seiner Wissenschaftslehre erhellt, keine Differenz inbegriffen ist (Schelling 1988, 34).29 Es wird also gefordert eine absolute Indifferenz zwischen Objektivität und Subjektivität. Mit gleicher Notwendigkeit muß das Identische weder das eine noch das andre und das eine und das andre zugleich sein. Diesem entspricht der Satz: a = a. Er drückt die Existenz, das Wesen und die Form der absoluten Identität aus. Er sagt, die Identität a ist identisch mit der Identität a – Subjektobjekt a und Subjektobjekt a sind eins und ebendasselbe. Diese beiden, wie sie hier ausgesprochen sind, sind im a 1 wie a 2 – die aber beide a sind (l. c., 50; vgl. Schelling 1989, 48 ff.).
,Schön und gut‘, werden wir sagen. ,Da scheint der kluge mitschreibende Student manches selbst nicht genau verstanden zu haben. Wieso ist, was da eins ist, zugleich von sich verschieden, außer weil es zweimal ausgesprochen wird? Das aber gilt doch für den angeblich leeren Reflexionsbegriff Fichtes (,Ich = Ich‘) ebenso. Wichtiger: Wie genau wird denn begründet, dass das, was Eins ist, auch das ist, was Alles ist – ja, woher kommt denn überhaupt auch nur der Schein einer Mehrheit ins völlig einfache Eins?‘ In der Tat, das scheint zu den Erschleichungen zu gehören, an denen Schellings Nachahmung der geometrischen Methode des Spinoza nicht arm ist. Sie entmutigt den/die gutwillige(n) Leser(in). Alles wird präsentiert als aus einem einzigen Grundsatz, A = A, mit mathematischer Notwendigkeit folgend, der gleich anfangs auch schon als Urform der ,Vernunft‘ (SW I/4, 114, § 1) bzw. des ,Wissens‘ (I/6, 137, § 1) ausgegeben war. Wer sich dazu weitere Auskunft erhofft, wird abgespeist mit der rüden Auskunft: „Das Denken der Vernunft ist jedem anzumuthen“ (I/4, 114). 29 Das leere Ich = Ich Fichtes, sagt Schelling später, ist kein Fall von informativer Identität, sondern exemplifiziert lediglich die „unveränderliche E i n e r l e i h e i t“ eines nur mit sich selbst: „der bekannte Reflexionsbegriff an die Stelle der absoluten Identität gesetzt“ (SW I/7, 69; dazu der 14. Text in: Frank 2007).
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14. DIE ,FORM‘ ALS KEIM DER SELBSTENTFREMDUNG
Der Schein einer der absoluten Identität eingearbeiteten Vielheit wird erregt durch die stillschweigend zu ihrer Artikulation eingesetzte Formel der Selbstaffirmation des Absoluten. Schelling macht es seinen Leser(inne)n darum schwer, weil er das Differenz-Moment in der Identitätsformel zugleich unterschlägt und an die große Glocke hängt. Was immer ,Selbstaffirmation‘ sonst noch bedeuten mag: Die Wendung meint ein epistemisches Sich-auf-sich-Beziehen. Und dass dies Selbsterkennen – im Gegensatz zur ,unären‘ Essenz des Absoluten selbst30 – in der ,binären‘ Form eines Satzes erfolgt, daran lässt Schelling keinen Zweifel. Wir haben also (Subjekt-Prädikat-)Relation und Selbigkeit zugleich. Aber der Zusatz, dass die Selbstaffirmation als „ein Selbsterkennen beschrieben“ werden könne, wird erst im § 19 ganz explizit gemacht (I/6, 168 [im Orig. gesp.]). Wie kämen wir aber dahin, wenn wir nicht insgeheim von Anfang an außer vom Begriff der Identität zugleich auch von dem der wissenden Selbstbeziehung (,Reflexion‘), und damit auch der Selbstunterscheidung, ausgegangen wären? Die Rede vom ,Wesen in der Form‘ will diesen Gedanken der Selbstreflexion ja wohl nur als Platzhalter vorläufig besetzen. Reflexion ist nun eine Beziehung besonderer Art: nämlich eine Beziehung auf sich selbst (als auf sich selbst), und dazu noch eine wissende Selbstbeziehung (unterschieden etwa von selbstregulativen Beziehungen innerhalb einer organischen Struktur, die zwar bestehen, aber nicht notwendig eine Kenntnis von sich ausbilden: Man denke an einen unbedingten Reflex). Obwohl er gleich zu Beginn seiner Darstellung jeden Bezug auf ein (zur absoluten Vernunft äußerlich noch hinzutretendes) erkennendes Subjekt abweist (SW I/4, 114 f.; wir sahen: im Würzburger System ist polemisch von ,Subjektiviren‘ des Absoluten die Rede: I/ 6, 142), ist doch ganz klar, dass Schelling, was er ,absolutes Wissen‘ oder ,Vernunft‘ nennt, am Modell des (Fichte’schen) Selbstbewusst30 Zur Unterscheidung von ,binär‘ und ,unär‘ vgl. Wehmeier 2012.
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seins orientiert. In dieser Struktur ist es aber ganz leicht, ein Einheits- und ein Differenz-Moment als gleichermaßen konstitutiv auszumachen. Daran sollte das obige Hölderlin-Zitat aus Urtheil und Seyn erinnern. De facto scheint Schelling so vorzugehen: Den ersten Schritt macht die Rede von der Unendlichkeit des Absoluten (Würzburger System, § 16). Unterschieden wird eine „aktuelle Unendlichkeit“ von einer durch bloße Addition angestrebten (oder potentiellen) Endlosigkeit. Die eine ist in sich gefasst, die andere verfließt im schlechten Sinne im Unendlichen: wie Zeit und Kausalkette (SW I/ 6, 160). Klar, dass die letztere, die Hegel die ,schlechte Unendlichkeit‘ nennen wird, sich nicht als Kandidatin zur Erläuterung der Formel der absoluten Selbstaffirmation des Absoluten eignet. In die erste ist aber der Begriff der ,omnitudo realitatis‘ hineingeschwindelt; und in der Tat werden wir zugeben, dass, wer behauptet, alles sei Eins, meinen muss, dass es irgendwie Vieles gebe. Denn ,alles‘ meint ja: jeder der unendlich vielen Gegenstände, deren jeder numerisch von allen anderen wohl unterschieden ist. – Aber wie haben wir diese Vielheit eingeführt, wo kommt sie her? Offenbar ist die Zweiheit der Keim der Dissemination; und zu ihr kommt Schelling durch das Als-zwei-Zählen der Glieder (oder „Faktoren“31 [208, 210, passim; so schon 1801: Schelling 1988, 46]) Affirmierendes und Affirmiertes. Zur Drei kommt er, indem er 31 Den Ausdruck ,Faktor‘ hat Schelling wie andere Elemente seiner Potenzenlehre von der Gradationstheorie Carl August Eschenmayers übernommen, der Qualitätsunterschiede der Materie aus den Dichtigkeiten der Materie, und diese wieder aus unterschiedlichen Verhältnissen der Attraktions- und der Repulsivkraft quasi-mathematisch ableitete und schon eine Abfolge der Höherpotenzierung vorgesehen hatte. Vgl. des Herausgebers (Manfred Durner) editorischen Bericht zu HKA I.10, 14 – 19 und das Namenregister („Eschenmayer“). Noch instruktiver ist der Kommentar zu Eschenmayers bedeutendem Brief an Schelling vom 07. 02. 1801 (HKA III.2,1, 357 – 363), nämlich HKA III.2,2, 739 – 742). Direkt auf die Herkunft des Ausdrucks ,Faktor‘ geht ein Francesco Moiso im Erg.bd. zu den Bd. 5 – 9 der HKA, 217 mit Fn. 183, verweisend auf Eschenmayer 1798: 37 f.
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14. DIE ,FORM‘ ALS KEIM DER SELBSTENTFREMDUNG
auch die Totalität (die wieder als Einheit gefasste Vielheit) als eigenständiges Glied berücksichtigt – alles natürlich zunächst in verneinenden Wendungen: Die Einheit dürfe, sofern sie der absoluten Identität eingebildet sei, gerade nicht als eigenständig gezählt werden: Gott selbst [ist] nicht das eine und das andere/ insbesondere, noch selbst die Einheit beider; die letzte nicht, denn diese ist nach § 23 nur a f f i r m i r t durch die Idee Gottes, also n i c h t d i e I d e e G o t t e s s e l b s t (SW I/6, 201 f.).
Wieder müssen wir auf den Gebrauch des Begriffswörtchens ,als‘ achten, das den ihm folgenden Ausdruck ,bestimmt‘, d. h. ein- bzw. ausgrenzt aus dem Verband der Identität. Diese Aussonderung wird ja von dem Adverb ,insbesondere‘ ausgedrückt. Das Absolute selbst ist also nicht Affirmierendes, nicht Affirmiertes noch auch die Einheit beider insbesondere. Wie aber kommen die drei Faktoren zu ihrer – und sei’s scheinbaren – Verselbständigung, ohne die es keine wirkliche, keine erscheinende Welt gäbe? Zunächst beutet Schelling den Doppelsinn von ,Unendlichkeit‘ aus, indem er die eine Bedeutung unerlaubt in die andere hinüberspielen lässt. (Das nennt man in der Argumentationstheorie eine Äquivokation.) Der Schluss lässt sich wie folgt rekonstruieren: ,Aktuelle Unendlichkeit ist omnitudo realitatis. Nun ist Allheit nichts als die erschöpfende Versammlung alles Einzelnen32 („Denn so gewiß sie unendlich ist, so gewiß ist n i c h t s au32 Das entspricht genau Georg Cantors späterer Definition der aktuellen Unendlichkeit (= des Absoluten): „[Ich gebrauche] den Ausdruck ,absolut‘ nur für das, was nicht mehr vergrößert, resp. vervollkommnet werden kann, in Analogie des ,Absoluten‘ der Metaphysik“ (Cantor 1991, 139). Vgl. ders. 1932, 378: „Es wurde das A.-U. [Aktual-Unendliche] nach drei Beziehungen unterschieden, erstens sofern es in der höchsten Vollkommenheit, im völlig unabhängigen, außerweltlichen Sein, in Deo realisiert ist, wo ich es Absolut-Unendliches oder kurzweg Absolutes nenne; zweitens sofern es in der abhängigen, natürlichen Welt vertreten ist; drittens sofern es als mathematische Größe, Zahl oder Ordnungstypus vom Denken in abstracto aufgefaßt werden kann, In den beiden letzten Beziehungen, wo es offenbar als beschränktes, noch weiterer Vermehrung fähiges und insofern
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ßer ihr, dasjenige aber, außer welchem nichts ist, ist nothwendig das A l l“ [174, § 24]). Also impliziert sie (= die aktuelle) die schlechte Unendlichkeit, d. h. die additive oder aggregatartige Versammlung alles realen Einzelnen.‘ Dabei ist schon vorausgesetzt, dass Einzelnes existiert.33 Aber wie das möglich sein soll, wenn außer dem All nichts real ist, hatte Schelling uns noch gar nicht gezeigt. Er versucht es uns aber zu zeigen, und zwar ungefähr so: Die einzigen Elemente, mit denen sich arbeiten lässt, wenn man vom einsamen Einen zum Vielen und Verschiedenen gelangen will, sind – wie wir sahen – die Faktoren des Absoluten: Affirmierendes, Affirmiertes und die Einheit beider – sagen wir (mit Troxler): Subjekt, Objekt und Subjekt-Objekt. Diese sind identisch, solange sie es miteinander sind. Ihr Unterschied ist nicht aktuell, sondern nur begrifflich (das ist ein Grund, warum Schelling die Faktoren ,Potenzen‘, ,Möglichkeiten‘ nennen wird). Tritt einer der Faktoren aus dem Zustand der Möglichkeit (potentia) in den der Wirklichkeit (actualitas) über, so schließt er seine Mit-Faktoren von sich aus. Das Affirmierende, das vordem mit dem Affirmierten begrifflich dem Endlichen verwandtes A.-U. sich darstellt, nenne ich es Transfinitum und setze es dem Absoluten entgegen.“ Zum Bezug Cantors auf Schelling vgl. Kunz (2013), zu Kants und Hegels Bezug auf Cantor: Kreis (2015). 33 Die Äquivokation wird noch gesteigert dadurch, dass Schelling – mit Spinoza – in der Selbstaffirmation nicht nur Unendliches impliziert sieht, „sondern auch a u f u n e n d l i c h e W e i s e: Mit andern Worten: A l l e s, was kraft der Selbstaffirmation Gottes möglich ist, ist auch unmittelbar wirklich durch sie. Das aber, worin alle Möglichkeiten Wirklichkeiten sind [die omnitudo realitatis] ist nothwendig ein solches, dem nichts gebricht: es ist A l l […]“ (SW I/6, 174, § 24; vgl. die „Erläuterung“ zum § 25, S. 176). Die Erschleichung besteht darin, dass numerische Vielfalt oder Einheit vom All geleugnet (§ 25, 175), zugleich aber vorausgesetzt wird: „[W]as aus Gott auf unendliche Weise folgt, und was daher in der Erscheinung [deren Möglichkeit doch erst erklärt werden soll] als ein Verschiedenes sich darstellen kann, ist doch in der absoluten Position der unendlichen Realität [hier wechselt die Bedeutung von ,unendlich‘ zu ,aktuell unendlich‘], d. h. in der Idee Gottes selbst, Eins“ (176). Wie kann, was nicht Vieles ist, sich in der Erscheinung als Vieles darstellen?
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identisch war, schließt dieses wie Ursache die Wirkung von sich aus: Es muß hier immer etwas von dem Begriff, von dem Denken Unabhängiges hinzukommen, damit der Gegensatz s e y. Indem ich irgend einen Gegenstand = A denke, so denke ich nur A, ich denke nichts anderes, welches in dieser Qualität noch A wäre. Aber ist dieses A ein Nichtabsolutes, so ist es durch ein anderes bestimmt – ein anderes ist sein Affirmirendes – ich muß also auf etwas von meinem Denken, welches ein bloßes Denken von A ist, Unabhängiges, auf ein anderes als A, auf B hinausgehen, um A als reell zu setzen, von B wieder auf C, u. s. f. (SW I/4, 149; vgl. I/7, 204, Anm. 2).
Was nur der Möglichkeit nach verschieden war, sich aber faktisch nicht unterschied, kann ein und denselben Ort mit diesem Anderen einnehmen. Erst mit der wirklichen Ausgrenzung voneinander wird Eines zu Dreien. Das ist das Wesen der Bestimmung, die „B e s t i m m u n g d u r c h a n d e r e s“ ist (I/6, 195), also einem Gegenstand einen Raum, eine Sphäre zumisst, der die Sphäre aller anderen Seienden von sich ausschließt.34 Statt mit den anderen potentia¯ identisch zu sein, sondert er sie actu von sich aus. Der Faktor ist nun, wie Schelling früher gesagt hatte, Affirmierendes insbesondere oder Einheit insbesondere, also verhält sich jeder Faktor exklusiv gegen die anderen (SW I/6, 181). Vielheit ist also ein Schein: „Das Concrete ist also Vieles, eben weil es nicht das W a h r e ist“ (191; gegen die Verwechslung von ,Einheit‘ mit ,numerischer Einfachheit‘ vgl. 34 In der Darstellung wird die Anreicherung der Identität mit der Totalität offenbar vom Auftauchen der quantitativen Differenz und der Einzelheit abhängig gemacht und ist insofern ein Zug der endlichen (erscheinenden) Welt. Dem § 30 hat Schelling eine eigene und ausführliche „Deduktion [angefügt], daß die absolute Identität nothwendig Totalität ist“ (SW I/4. 126 f.). Danach scheint deutlich, dass Totalität aktuelle Vielheit, Verschiedenheit und Einzelheit enthält bzw. voraussetzt und dass Totalität nichts ist als „[d]iese Differenz im Einzelnen […] und Indifferenz im Ganzen“ (127). Demnach ist Totalität noch kein gleichsam geborener Charakter der absoluten Identität, sondern gehört zur Erscheinung. Dafür spricht auch, dass Schelling sie einmal „das erste Seyn“ nennt (128), ähnlich später die Materie, die er hier und später gern das ,primum existens‘ (144 o.) nennt.
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auch 175, § 25). Von dieser Absonderung vom Wahren spricht Schelling auch als von einer Abstraktion, einer Ablösung. Sie erzeugt abstrakte Existenzen (I/7, 190: „abstrahirte[s] Daseyn der Dinge“): [D]as Besondere [entsteht] nur durch Abstraktion von dem Wesen (SW I/6, 185). Durch die Einheit sowohl als Vielheit wird nichts zum Wesen eines Dings Gehöriges ausgedrückt. Beide sind n u r F o r m e n d e r A b s t r a k t i o n v o n d e m A l l , d . h . Formen des Nichtseyns (192). Denn das Unendliche ist unendlich und für sich selbst, nur inwiefern es in Gott als absoluter Einheit begriffen ist; abgesehen von dieser Einheit, fiele es der bloßen Relation mit anderem anheim (I/7, 161, Nr. 90). Das Endliche k a n n nicht getrennt von dem Unendlichen seyn, weil es an sich nichts seyn würde, da es nur auf Relationen beruht, diese aber nichts seyn können ohne das, wovon sie es sind. / Wird das Endliche abstrahirt gedacht vom Unendlichen, so verlangt es seinen eignen Ursprung und wirkliches Daseyn, und d i e b l o ß e R e l a t i o n s e l b s t m u ß d a n n [per impossibile] z u e t w a s R e a l e m u n d W i r k l i c h e m g e m a c h t w e r d e n . / Dagegen als gleich ewig mit dem Unendlichen gesetzt, ist das Endliche, eben deshalb, auch als nichtig gesetzt. – (l. c., 190 f.). Das Seyn der Dinge in Gott ist […] ihr nicht-Seyn in Relation auf/einander, so wie dann im Gegentheil ihr Seyn in Relation aufeinander nothwendig ihr nichtin-Gott-Seyn oder ihr nicht-Seyn in Ansehung Gottes involvirt (l. c., 196 f.). Klar ist, daß […] dem Einzelnen, wie es n u r relativ auf andere Einzelne, d. h. abstracte [abgesehen] von dem Unendlichen, ist, diese andere Einzelne nicht in der Ungeschiedenheit und Klarheit des Centri, sondern allein in […] unwesentlicher Verknüpfung offenbar und gegenwärtig seyn können (208, Nr. XLVII; zur ,abstrakten‘ Existenz des relativ nicht Seienden vgl. Nr. LIII, S. 209).
Das „Absehen von dem Reellen“ nennt Schelling gelegentlich auch „ein Imaginiren“ (l. c., 61; vgl. 164, Nr. 111; 169, Nr. 133; 171, Nr. 145). Der Ausdruck ,Einbildung‘ passt ins Wortfeld ,Schein‘, ,Erscheinung‘, ,lµ em‘ oder ,bloßes Gedankending‘. Es ist nur Schein, dass die Dinge sich in einem Außereinander individuieren
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oder dass sie sich von ihrem wahren Sein, dem platonischen emtyr em, ,abstrahieren‘ lassen: Das Seyn als S e y n kann sich daher […] nicht außer dem Seyn befinden; betrachtest du demnach die Vielheit und das Außereinander, so betrachtest du nicht das S e y n, und siehst du das S e y n, so siehst du eben deshalb die Vielheit und das Außereinander nicht (l. c.).
Aus all diesen Zitaten könnte man sich nun das Bild machen, die Identitätsphilosophie, die im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts so naturfreundlich begonnen hatte, sei zu einer platonischen Verachtung der erscheinenden Welt übergegangen. Denn die Form zeigt sich ja nun nicht als harmlose Verdoppelung oder Selbstoffenbarung des Wesens, sondern vielmehr als eine Art von Fehl- oder Missrepräsentation seiner. Das Wesen an ihm selbst ist eben nicht seine Form. Und wenn es der Form bedarf, um das Wesen der Erkenntnis zu vermitteln, so könnte man urteilen, dass diese Selbstoffenbarung gerade daran scheitert, dass sie das fugenlose Eine zu einer judikativen Zweiheit entstellt. Das zeigt sich auch an einem Zug, den, soviel ich weiß, Schelling nie explizit gemacht hat. In den frühesten Fassungen des Magnetismus-Schemas, das die Vereinbarkeit absoluter Identität mit quantitativer Differenz illustrieren soll (siehe unten, Kap. 15, 150 – 152), soll die Identität der Linie durch das „A = A“ verbürgt sein. Später wird die Form oder das vom Band der absoluten Identität Verbundene als B bezeichnet: mit der erneuten Zweideutigkeit, dass ,B‘ bald ,das vom Band Verbundene‘ (also eine Zweiheit), bald nur das einsame Korrelat von A bedeutet. Da es nun, nach Voraussetzung, außer A nichts gibt, muss B als eine Art Schein- oder Miss-Repräsentation von A erscheinen; eben als der Preis, den A dafür erbringen muss, sich selbst in Satz-Form zu artikulieren und damit dem Erkennen zugänglich zu machen. (Wobei die interessante Voraussetzung waltet, dass nur satzförmig Artikuliertes möglicher Gegen-
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stand eines Erkennens ist. Danach brächte es die so genannte ,intellektuale Anschauung‘ eben nicht zur ,Erkenntnis‘ des Absoluten.) Seit der Weltalter-Phase ist das dominante A (das außerdem zu einer idealistischen Missinterpretation von Schellings im Grund hinsichtlich Idealismus und Naturalismus neutralem Monismus verleiten könnte, denn ,A‘ steht ja für ,Geist‘) stillschweigend (nämlich ohne jede diesbezügliche Aufklärung des Lesers/der Leserin) durch ,X‘ ersetzt worden. ,X‘ heißt nun das absolute Band, und die von ihm Verbundenen heißen A (Geist) und B (Natur). B ist in dieser neuen Formel (die im unten abgebildeten Magnetismus-Schema schon 1806 auftaucht) gleichursprünglicher Partner von A, nicht dessen verzerrte oder entfremdete ,Form‘. Die ersten Jahre des 19. Jahrhunderts zeigen Schelling angelegentlich bemüht, den schlechten Ruf der ,Form‘ zu korrigieren. Fortan zeigt er sich interessiert an der Körperlichkeit und Einzelheit des Einzeldings, überhaupt dem Gedanken der Individualität (und Personalität). Ihnen scheint er eine neue Würde verleihen zu wollen – während sie früher als Scheinrepräsentationen und damit Verfehlungen des Absoluten abqualifiziert wurden. In der Form, die seit 1802 auch gelegentlich ein ,anderes Absolutes‘ (SW I/4, 31 [ff.]) heißt, gründet, was seit 1804 für den „Abfall“ von der Idee des Absoluten Verantwortung trägt (SW I/6, 38 ff.; vgl. 552). Ein für die frühe Identitätsphilosophie typischer hochmütiger Satz lautete: „Nichts ist an sich betrachtet endlich“ (SW I/4, 119. § 14 [im Orig. gesp.]; so auch I/6, 161). Nun scheint sich Schelling davon zu überzeugen, dass sich nichts ,an sich‘ betrachten lässt. In den Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie (von 1806) schreibt er recht salbungsvoll, aber ohne die mindeste Aufklärung der verblüfften Leserin: Wessen ich mich rühme? – Des Einen, das mir gegeben ward, daß ich die Göttlichkeit auch des Einzelnen, die mögliche Gleichheit/ aller Erkenntniß ohne
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Unterschied des Gegenstandes, und damit die Unendlichkeit der Philosophie verkündigt habe (SW I/7, 143 f.).
,Wie und wo das?‘, werden wir nach Kenntnisnahme der Zitate fragen, die ich eben umständlich ausgebreitet habe. Wenn Schelling nun sagt (in den Aphorismen von 1806), die Anschauung (die ja schon in den Abhandlungen von 1796/97 als das Höchste im menschlichen Geiste, nicht als das Tiefste oder Unterste gerühmt worden war) schaue „in jedem [Einzelnen] die Allheit“ (l. c., 146), so sieht man eine Akzentverschiebung. Sieht man auch einen Theoriewechsel? Ihn möchte Schelling um jeden Preis verleugnen oder doch unauffällig halten. Schauen wir genauer hin. Das Sein der Dinge im Absoluten, hatte Schelling in derselben Schrift gesagt, ist ihr Nicht-Sein-in-Relation (196 f.). Denn im Absoluten selbst ist nichts Relatives, „kein Vor oder Nach“ (SW I/6, 160 [im Orig. gesp.]). Da die Dinge nur in Abstraktion vom eigentlichen Sein ihr geborgtes oder Quasi-Sein haben, muss von dieser Abstraktion selbst noch einmal abstrahiert werden, wenn ihr eigentliches Sein in den Blick kommen soll. Man kann das – hegelisch – auch als Selbstnegation der Negativität, des lµ eWmai der endlichen Dinge, beschreiben. Der sprechendste, Hegels Grundüberzeugung am nächsten kommende Beleg für diese Negation der Negation findet sich in Schellings Vergleich mit dem Auge im Spiegel, das sich selbst setzt, indem es den Spiegel nicht setzt, und den Spiegel setzt, indem es sich selbst nicht setzt (SW I/6, 197 f.). Der Spiegel ist die Metapher der Endlichkeit oder des Nicht-Seins – auch der ,Form‘, in der sich das Absolute satzförmig erkennbar macht oder ,selbstoffenbart‘. So setzt sich das einzelne Ding, indem es das nicht setzt, was an ihm nicht ist, und das ist – wie wir wissen – seine Relativität auf andere Dinge. Die Deutung des Vergleichs: […] es ist ein und derselbe untheilbare Akt, das ewige Schaffen der Idee Gottes, wodurch das All i s t und das Besondere n i c h t ist, wodurch das All sich als All gesetzt, und wodurch das Besondere, als solches, relativ auf das All als
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n i c h t - r e a l gesetzt ist. Da es nun die absolute Position des All, d. h. es das All selbst ist, wodurch das Besondere als bloßes Nicht-Seyn gesetzt wird, so ist das Nichtseyn a l s Nichtseyn, und eben dadurch, d a ß es Nichtseyn ist, Ausdruck des All, das All in ihm erkennbar, nicht unmittelbar, aber mittelbar, d. h. durch Reflex, durch Widerschein: – und hiermit ist denn zuerst die Bedeutung der E r s c h e i n u n g ausgesprochen (SW I/6, 197, § 41). [Das besondere Leben] wird in der ewigen Affirmation Gottes in einem und demselben Akt geschaffen und vernichtet; geschaffen als absolute Realität, vernichtet, weil es kein besonderes vom All abtrennbares Leben für sich, sondern eben nur das Leben im All hat ([Leibniz’] Fulguration – Ausstrahlen und Zurücknehmen –) (187).
In der Einleitung zu den Aphorismen findet sich folgender Aphorismus (Nr. 222): Ja das Einzelne selbst ist, durch seine Existenz, gerade weil es dieß [sc.: Einzelnes] ist, der unmittelbarste Widerschein Gottes und der Totalität, weil es am wenigsten aus sich selbst sein kann, und sein Leben am wenigsten am Leben des All hängt (I/7, 188; vgl. 191 f.).
Durch die schärfste Richtung auf einen Punkt ist die Einzelheit ein privilegierter Reflex der All-Einheit; denn wie diese ist sie die Versammlung einer Fülle (von Eigenschaften) in der Einheit einer Form. (Individualität ist ja Vollbestimmtheit; keine individuierende Eigenschaft fehlt; natürlich ist sie – intensional betrachtet – der unterste Gegenpol einer omnitudo realitatis.) Freilich: Was an ihr (der Einzelheit) ist, ist gerade der Einstand des Einen in ihr, nicht ihre Bezogenheit auf alles andere, dem sie ihre schärfste Individuierung (Bestimmung) verdankt. Man könnte sagen: Durch Vollbestimmtheit symbolisiert das Einzelne am vollkommensten, wenn auch in gerade umgekehrter Weise, das All, das ja alle Bestimmungen in sich enthält. (Ohnehin gilt: Dem Wesen nach sind alle Gegenstände Eins, auch der einzelne; nicht aber der ,besonderen Art ihres Seins‘ nach, die von der Relation auf Anderes bestimmt ist: SW I/4, 133, § 40 f.)
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Diese Fähigkeit, das Einzelne nicht aus einem Bruch mit dem Einen, sondern als verborgene Implikation des Einen und aus dem Einen verständlich machen zu können, hat Schelling mit Recht als einen Triumph seiner All-Einheits-Theorie gefeiert. Nicht nur der Aphorismus, den ich als salbungsvoll bezeichnet habe, belegt das. Schelling traf den Ton der Goethezeit, wenn er dem Einzelnen – dem Gestirn, dem Stein, dem Metall, dem Organismus – seine Würde als Behältnis eines unendlichen Gehalts wiederschenken konnte. Am leidenschaftlichsten vertritt er die Interessen der stummen Natur gegen die Usurpationen einer naturfeindlich-moralisierenden Ich-Philosophie in der Streitschrift gegen Fichte (1806). Ich fasse die Konsequenz, zu der dieser Abschnitt kommt, zusammen: Wenn Schellings Identitätsphilosophie dem Einzelnen in seiner Einzelheit besondere Würde glaubt zusprechen zu können, so muss er zwei Prämissen in gleicher Weise Rechnung tragen: 1. muss alles Endliche als Entfaltung eines einigen Prinzips erklärt werden können; 2. muss alles Endliche aus Relationen zu anderem Endlichen verständlich gemacht werden – Relationen, in denen die Absolutheit außer Kraft gesetzt ist (Henrich 1980, 12). Damit die beiden Prämissen die Systemeinheit nicht auseinanderbrechen, muss außerdem garantiert sein, dass Differenz selbst zur Struktur der Einheit gehört, ihr gleichsam ,eingebildet‘ ist (wie Schelling gern sagt). Das erreicht Schelling erstens durch eine schwache Fassung des Begriffs ,Identität‘, der (Hume’sche) Andersheit/Veränderung inkorporiert, und zweitens durch eine Auslegung der Selbstidentität als ein zwei geschiedene ,Faktoren‘ einbegreifendes Selbstbejahungs-Geschehen. Die Differenzierung der beiden Faktoren (oder Relata) der Selbstbejahung lässt sich dann begreiflich machen, indem nur noch die Negation als weitere Mitspielerin zugelassen wird (sie ist ihrerseits nichts als Aufhebung oder Gegensatz der Bejahung): Etwas wird als endlich verstanden, nicht, indem es gar nicht zugelassen wird (das wäre selbstwiderlegend). Das Absolute selbst verendlicht sich, indem es von seiner Absolutheit absieht
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(,abstrahiert‘). Und das wiederum geschieht einzig durch Negation, d. h. durch Abgrenzung des Einzelnen von all den anderen Einzelnen, die außerhalb seiner zu seiner Bestimmung beitragen. Wir können auch sagen: indem die aktuelle Unendlichkeit (das All, der Inbegriff aller möglichen Prädikate des Einen) seinen Inhalt Stück um Stück freigibt und sich so nicht nur in eine Zeitreihe, sondern auch in eine Kausalkette entlässt, worin wir Grundstrukturen unserer Endlichkeit erkennen.35
35 Ich blende absichtlich Vorstufen differenzsensitiver Identität in Schellings naturund transzendentalphilosophischer Phase (1797 – 1800) aus und erwähne nur den Gegensatz einer reellen (,ins Unendliche gehenden‘) und einer ideellen (,limitativen‘) Tätigkeit, von deren Antagonismus sich noch Spuren in der Darstellung finden (SW I/4, 141). Schelling hat dieses Wechselspiel von Selbsterschaffung und Selbstbeschränkung wiederholt durch das arithmetische Beispiel der Reihe 1 – 1 + 1 … usw. illustriert (I/3, 289; 313, Anm. 381). Man stelle sich, sagt er, eine absolute Größe (= 1) vor, die in dieser Reihe abwechselnd vernichtet und wiederhergestellt wird, so dass durch diese stets unterbrochene Wiederkehr zwar nicht sie selbst, wohl aber eine mittlere Größe zwischen ihr und ihrer Negation produziert wird: ein Bruch der ursprünglichen Einheit, der weder das anfängliche Unendliche noch auch null, 1 sondern deren Synthese sein wird. 2 Eine andere Illustration: Das Absolute muss sich in der erscheinenden Wirklichkeit als unendliches Werden, als „E v o l u t i o n“ darstellen, das sich über jede Schranke hinwegsetzt, um seine aktuelle Unendlichkeit zu behaupten (I/3, 15). Dabei werden gewisse ,Epochen’ oder Stadien der Evolution abgesteckt und überschritten. Schelling vergleicht sie den Wirbeln in einem Flusslauf. In diesem Gleichnis soll die unendliche Aktivität durch das eindimensionale Fließen des Stroms symbolisiert werden, während das Bild des Wirbels die rückschlägige und hemmende Kraft bezeichnet. Der Fluss strömt in gerader Linie, bis er sich an einem Widerstand bricht; da er zu fließen nicht aufhört, kreist er im Wirbel um den Hemmungspunkt (I/3, 18, Anm. 1; 289, 491). So auch kann jedes Naturprodukt – und allen voran die Organisation – als ein solcher Wirbel angesehen werden, der im Grunde nichts Starres oder Fixes, sondern etwas stets in Bewegung Befindliches ist, das sich beständig reproduziert. „Wir sehen eigentlich“, sagt Schelling, „nicht das Bestehen, sondern das beständige Reproducirtwerden der Naturprodukte“ (l. c., 18, Anm. 2).
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15. DAS BEGRIFFSWÖRTCHEN ,ALS‘
15. Das Begriffswörtchen ,als‘ zeigt auf die Sollbruchstelle der absoluten Identität Wie dieser Zersetzungsvorgang genau geschieht, dazu hat uns Schelling bisher nur sehr allgemein das Mittel gezeigt. Wir möchten aber erfahren, wie aus der absoluten Einheit von Wesen und Form, in welcher der Keim einer Differenz steckt, ein wirklicher Naturprozess seinen Ausgang nehmen kann, der sich dann in einem geistigen Prozess fortsetzt. Einen solchen Gesamtprozess hat Schelling nur ein einziges Mal, im Würzbürger System, durchkonstruiert – und dies System hat er zwar (fast) ausformuliert, aber zu Lebzeiten nicht publiziert. Gesehen haben wir: Das Form-Moment und die in ihm angelegte Möglichkeit des Abstrahieren-, ja ,Abfallen‘-Könnens von der wesentlichen Einheit haben offenbar allein die Kraft zu dieser Abspaltungsleistung. Sie ist, wie Schelling seit den Ferneren Darstellungen (1802) sagt, „in der Idee des Absoluten nur potentialiter enthalten“, noch nicht in aktualisierter Form vollzogen (SW I/4, 389). Wie diese Möglichkeit der Absonderung in ihre Verwirklichung übergeht, das wollen wir nun aus größerer Nähe ansehen – ohne auf die in der Literatur gut erschlossene Lehre von der Potenzierung der Evolutionskette und dem Auseinandertreten der qualitativen Identität und der quantitativen Differenz (bzw. Indifferenz) mehr als nötig einzugehen (vgl. dazu Rang 2000). Schauen wir noch einmal auf die Metapher der ,Absonderung‘ oder ,Abs-traktion‘. ,An sich‘ ist das Andere gleichursprünglich mit dem Einen. Das Andere taucht auf, so wie das Eine sich affirmiert – getreu dem Reflexionsgesetz, das Bestimmung an Diskrimination bindet (vgl. Kap. 4). Nur die Abstraktion von dem ,Band‘ lässt es als ein Besonderes, im Extrem: als ein Einzelnes – von allen anderen Abgeschiedenes, gleichsam Selbstgenügsames – erscheinen. In den Publikationen von 1806 tritt an die Stelle der Unterscheidung des Einen von seinem Gegensatz immer häufiger die kompliziertere Ti-
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maios-Formel der Unterscheidung des ,Bandes‘ (oder der ,Copula‘) von dem ,Verbundenen‘ (die wiederum in A und B zerfallen). Und in diesem Zusammenhang taucht auch immer häufiger das Begriffswörtchen ,als‘ auf, dem die Abstraktionsleistung eigentlich zufällt. Es ist dort immer wieder die Rede vom ,Einen als Einen‘ und dem ,Vielen als Vielen‘ (z. B. SW I/7, 57). Aber erst später, besonders in der Weltalter-Phase, wird auf die Fähigkeit dieses Begriffswörtchen reflektiert, die Einheit zu konservieren und doch die Trennung anzubahnen. Den sprechendsten Beleg für diese Reflexion finde ich in einer Vorlesung auf dem Sommersemester 1830. Es handelt sich um die Einleitung in die Philosophie, die Schellings Lieblingsschüler, der spätere Bayernkönig Maximilian II., als „die Basis [seiner] gesamten Philosophie“ besonders schätzte. Schelling hat sich die Mühe gemacht, eine ordentliche Nachschrift für ihn eigenhändig zu korrigieren. Sie darf darum für einigermaßen authentisch gelten und ist von dem Schelling-Forscher Walter E. Ehrhardt 1989 aus dem Nachlass Hubert Beckers’ publiziert worden (Schelling 1989, IX). In der XIII. Vorlesung wird zur Bedeutung des „Wörtchens ,als‘“ dies gesagt: Ich stoße hier wieder auf einen Ausdruck, den ich erklären zu müssen glaube: es ist das Wörtchen ,als‘, das in der Philosophie von großer Bedeutung ist. Die Partikel drückt immer etwas über das Wesen hinzukommendes, akzessorisches, zufälliges aus; sie hat daher auch in dem [gegenwärtigen] Gebrauche eine attrahierende Bedeutung. Man sieht diesen Unterschied besonders bei solchen Eigenschaften, die der Mensch hat, ohne daß er es weiß, daß er sie hat, die er hat nur, inwieferne er sie sich nicht zu Gemüte führt (Schelling 1989, 44).
Was Schelling mit ,attrahierend‘ meint – ein Ausdruck, dessen er sich im gesamten Spätwerk bedient –, machen Beispiele deutlich, die er gleich anfügt: Z. B. verliert eine anmutige Frau ihre Anmut, sobald sie darauf reflektiert, sie als Anmut ,sich anzieht‘ – so, wie in Kleists Marionettentheater der junge Mann, der von ungefähr sei-
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nen Fuß auf einen Schemel setzt, um ihn abzutrocknen, seine frappierende Ähnlichkeit mit dem anmutigen kapitolinischen Dornauszieher verliert, sowie er die im Spiegel erhaschte Körperhaltung noch einmal mit Absicht und Bewusstsein wiederherzustellen versucht (l. c., 45; Kleist 1986, 478). Das ,als‘ besiegelt diesen Übergang von der Unbefangenheit/Naivität zur Reflexion und hängt dem ursprünglichen Zustand etwas an, das früher in ihm verborgen, jedenfalls unmerklich war (daher: ,Ak-zidens‘, ,sul-bebgjºr‘), das sich wenigstens nicht als solches in Szene gesetzt hatte. Schelling fährt mit einer rückblickenden Erklärung auf das fort, was er in seiner natur- und identitätsphilosophischen Phase unter Potenzierung verstanden hatte. Diese Operation hat zu tun mit dem Explizit-Machen eines vordem Impliziten. Eine Natur-Geist-Identität wird als solche bewusst, indem ich aus ihr heraustrete, und sie damit zerstöre. Aus dem ,A = B‘ wird durch das Setzen des B als B ein (A = B)B. B erscheint nun, wie das Würzburger System das genannt hatte, als ,Exponent‘ über der Gleichung und zeigt an ein ,Überwiegen‘, also eine quantitative Differenz, ein Übergewicht von B über A und damit eine Zerstörung des bisherigen Indifferenzverhältnisses von A und B. Die muss A im anschließenden Evolutionsprozess durch Höherpotenzierung wieder einholen bzw. wettmachen, bis es selbst überwiegt. (Verwirrenderweise gibt Schelling sein berühmtes Magnetismusschema in verschiedenen Versionen. In einer geht es von überwiegendem B – Reellem – zu überwiegendem Ideellen (A); in anderen potenziert sich nur A von der ersten zur dritten – im Würzburger System bis zur sechsten – Potenz, es wird also keineswegs Indifferenz als Zielpunkt angestrebt. Darüber gleich mehr.) Deutlicher als in den Schriften aus der identitätsphilosophischen Zeit erklärt Schelling in der Einleitung in die Philosophie von 1830 das Heraustreten der Differenten aus der wesentlichen Einheit. Es ist nun die Rede von einem Prozess der Aktualisierung, des InsSein-Tretens eines vordem nur Virtuellen (Schelling 1989, 49 f.;
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ganz ähnlich SW I/10, 100 f.). Was sich aktualisiert (oder in die Wirklichkeit [lat. actualitas] wendet), tritt aus einem Raum bloßer Möglichkeit (lat. potentia) heraus, in dem es es selbst (A) oder ein Anderes (B) sein konnte, aber nicht war. Was nur verschieden sein kann, aber von dieser Lizenz keinen Gebrauch macht, was gleichsam ,an sich hält‘, stört den Raum der „Sichselbstgleichheit“ nicht. Da, wo A ist, ist auch B; sie verdrängen sich nicht von ihrem Platz, weil sie ihn nicht tatsächlich zu zweit und in Konkurrenz miteinander einnehmen, sondern nur einnehmen könnten. Nun aber, mit dem Actu-B-geworden-Sein, reduziert sich das gleichgültige Schweben zwischen A und B auf B – das zeigt das Begriffswörtchen ,als‘ an – und verdrängt seine Möglichkeit/Potenz, auch A zu sein, von seiner Stelle.36 Es ist nun B insbesondere oder entschieden, es ist – sagt Schelling – ,als B‘ geworden. Da es aber wesentlich A ist, wird es sich gegenüber dem B-Gewordensein durch Höherpotenzierung, durch ,Selbsterhöhung‘ zu behaupten suchen.37 Es wird also dem (A = B) gegenüber als A2 sich geltend machen und es zu ,überwiegen‘ versuchen. Nun ist es wieder ,als A‘ geworden, wie es im Ausgang sein wollte. Denn durch ,B‘ ist ja nicht ein wahrhaft Anderes bezeichnet, sondern A’s durch falsche Selbstbehauptung „zugezogenes […], von seinem reinen Wesen verschiedenes“ Sein. (Hier tauscht Schelling das Verbum ,attrahiert‘ gegen das deutsche ,zuge36 „Diese drei Momente [die Potenzen oder Faktoren] sollen nun aber in dem absoluten Ich nicht auseinander, sondern das[,] was das Erste ist, ist auch das Zweite, und was das Erste und Zweite ist, ist auch das Dritte, wie in einem geometrischen Punkte die Peripherie gleich dem Radius, und Peripherie und Radius gleich dem Zentrum ist“ (Schelling 1989, 54). Dieses Vergleichs hatte sich Schelling gelegentlich schon in seinen identitätsphilosophischen Schriften bedient, am ausführlichsten im § 18 des Würzburger Systems (SW I/6, 165 ff.). 37 Auch diesen Ausdruck mag Schelling von Oetinger übernommen haben. Der spricht in dem wichtigen Artikel „Wille“ des Biblischen und Emblematischen Wörterbuchs von einer ,Erhöhung‘, ja ,Verdopplung‘ der Kräfte (noch einmal wie Schelling), die aus einem Zustand des Gegeneinanders und Miteinanders in einen solchen wirklicher Einheit übergehen (Oetinger 1999 I, 357).
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zogen‘.)38 Wenn A aus seiner ,freien Bloßheit‘ heraustritt und sich als A setzt, zieht es sich versehentlich und unbeabsichtigt B zu, die entfremdete Reflexionsgestalt seiner selbst, gegen die es sich nun durch Selbstmultiplikation, durch Selbst-,Reduplikation‘, also eben durch Höherpotenzierung behaupten muss.39 Dass B als eine missglückte Selbstdarstellung von A zu gelten hat, die in der Folge von A wieder ,verdrungen‘ wird (wie Schelling gern sagt), das zeigt klarer ein früherer Passus derselben Vorlesung (45). Hier ändert Schelling einmal wieder die Begrifflichkeit und spricht von einem ,Unendlichen‘ als erstem Moment oder erster Potenz. Die Unendlichkeit ist der ersten Potenz wesentlich, sie ist sie. Und da sie sie wesentlich ist, kann sie diese Eigenschaft im Fortgang nicht verlieren. Aber, fährt Schelling fort, sowie sie die Eigenschaft „als solche sein [will]“, wird sie sich darüber ein „Etwas oder Endliches“, also gerade nicht das, was sie eigentlich wollte. (Diese Fehlrepräsentation war in der früheren Begrifflichkeit durchs ,B‘-Werden bezeichnet.) Der Preis der Aspekt-Festlegung durch das Begriffswörtchen ,als‘ ist also eine unversehene Verendlichung, über die sich das „an und vor sich Seiende“ hinwegsetzt durch Redupli38 „Diese Möglichkeit liegt in der Einheit verborgen; denn das Sichungleichseinkönnen ist ja das sich selbst Gleiche; demnach schließt es bereits die Möglichkeit in sich ein, aus sich selbst herauszutreten“ (Schelling 1989, 49). 39 In dem Auszug aus Schellings großer Münchener Vorlesung, die Schellings Sohns unter dem irreführenden Titel Geschichte der neueren Philosophie isoliert ediert hat, sagt Schelling sehr ähnlich: „Das als A gesetzte A ist aber nicht mehr das einfache A, sondern A, das A ist, nicht – ist und nicht ist, sondern entschieden ist. A, das A ist, ist das mit sich selbst duplicirte A (in der älteren Logik wurde diese Art des Setzens, wo A nicht simpliciter, sondern a l s A gesetzt wird, die reduplicative oder Reduplicatio genannt), also das als A gesetzte A ist nicht mehr einfaches, sondern duplicirtes A, das wir (nachdem der Begriff erklärt ist) der Kürze wegen A2 [also: A in zweiter Potenz] nennen können, und wir hätten also nun auf der einen Seite A, das B [Objekt] geworden ist, auf der andern im Gegensatz und in der Spannung mit diesem – aber eben darum zugleich in der Erhöhung d u r c h dieses – A2 (das in sich selbst erhöhte A, denn das heißt das als solches gesetzte A)“ (SW I/10, 103).
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kation: durch Höherpotenzierung. Nennen wir das Anfängliche A und das verendlichte A B, so werden wir die zweite Potenz A2 nennen müssen. Auch hier bedient sich Schelling eines Ausdrucks aus der metaphorischen Familie des Sich-Anziehens oder Sich-etwasZuziehens: Das Wesen, das zwischen der Möglichkeit schwankte, es selbst (Wesen) oder nicht es selbst („Nicht-Wesen“) zu sein, ist nun durch das reduplikative ,als‘40 auf ein Etwas-Sein festgelegt, es ist „mit Zufälligkeit behaftet“, es ist ein „mit dem Sein befangenes“, es ist ein ,Entstelltes‘, ein „sui dissimile“ geworden (l. c., 45 f.). Hier wird B also nicht als ursprünglicher Gegenspieler von A in Anschlag gebracht, sondern es entsteht unwillentlich durch Reduplikation von A, das in zweiter Potenz einer ersten entgegengesetzt ist, von der er sich nun actualiter unterscheidet. Das ist die Sollbruchstelle der absoluten Identität, ,sobald sie sich bewegt‘, sagt Schelling (l. c.). Diese mit dem Begriffswörtchen ,als‘ bezeichnete Aspektfestlegung durch Selbstpotenzierung, gibt Schelling hier zu, habe die ,ältere Logik‘, z. B. Christian Wolff, noch gekannt. Ich habe das in der „Einleitung“ vorweggenommen und werde auf diese wichtige Übernahme eines Theorems der Leibniz-Schule im 22. Kapitel zurückkommen. Schelling ist im mündlichen Vortrag oft viel deutlicher, weil expliziter als in seinen für den Druck bestimmten früheren Texten. Trotzdem will der Passus, den ich eben darum so ausführlich vergegenwärtigt habe, ja nur die Grundoperation der Selbstdifferenzierung des Einen fasslich machen, von der schon die Darstellung von 1801 gehandelt hatte. Damals lag die Sollbruchstelle in der ,Form‘, in der sich das Absolute zeigt (d. h. dem Erkennen ,zeigt‘) und dadurch zugleich ,als‘ Absolutum verstellt (SW I/4, 124, samt Erläuterung zum § 23). Nicht im ,Wesen‘, allein in der Form liege der 40 Was das Begriffswörtchen ,als‘ mit der ,Reduplikation‘ zu tun hat, wird unten im 22. Kapitel dieses Teils erklärt.
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Keim zur ,Absonderung‘, und weil das so sei, dürfe man von einer „differentia formalis“ sprechen (127, Anm.). Sie quantifiziert die vormals qualitative Einheit (oder Identität) zur Indifferenz, in der sich die Potenzen nicht absolut vereinigen, sondern nur wie auf einer Waage das Gleichgewicht halten. Auch der Begriff der ,Potenz(en)‘ wird hier eingeführt. Das ist in der Literatur gut erschlossen (z. B. durch Rang 2000). Und da mir an der Klärung von Schellings Verständnis des Ausdrucks ,Einheit von Einheit und Gegensatz‘ liegt, werde ich mich mit den bekannten Details nicht nacherzählend aufhalten. Ich will nur kenntlich machen, wieso die rückblickende Selbstdeutung des Kollegs von 1830 glauben konnte, das reduplikative ,als‘ vollbringe eben die begriffliche Differenzierung, die früher der absondernden Form zugefallen war. Tatsächlich kommt Schelling hier auf das Magnetismus-Schema zurück, durch das er das Zugleich von durchgängiger (,wesentlicher‘) Identität und erscheinender (,quantitativer‘) Differenzierung in romantischer Zeit so wirkungsmächtig illustriert hatte. 1830 erzählt er seinen Studenten, „in der ersten noch jugendlichen Freude über dieses gefundene Verhältnis [habe er dasselbe] als ein Polarisationsverhältnis dargestellt“. Die beiden Pole des Magneten fliehen jede die homogene Seite, doch die Entgegengesetzten ziehen sich auch wieder an und liefern so eine anschauliche Darstellung des ,Lebens‘ als einer sich widerstrebenden Einheit, die als drittes Moment den Indifferenzpunkt einschließt (Schelling 1989, 59). So verhalte es sich in der ganzen Natur: Kein Produkt sei rein nur es selbst, in jedem seien die Gegensätze harmonisiert,41 aber sie sind es in unterschiedener Proportion, nach Graden des Überwiegens und Zurücktretens der Potenzen. Jedes Naturprodukt ist wesentlich durch ,A = B‘ charakterisiert, aber auf der Naturseite überwiegt in je drei Potenzierungen 41 „Es ist also im Universum kein r e i n Reales, oder rein I d e a l e s, und das W e s e n des Realen wie des Idealen = Indifferenz (quantitative Differenz nach § 30)“ (SW I/6, 205).
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das B (das ,Realprinzip‘), auf der ideellen in ebenfalls je drei Potenzierungen das Idealprinzip, so dass der ganze Prozess, der von der Materie zum menschlichen Bewusstsein schreitet, auf diese Formel gebracht werden kann: (A = B)B ! A = B)A (SW I/7, 370). Es lässt sich denken, dass dies Schema Goethes lebhafte Zustimmung finden musste.42 Man kann das Überwiegen oder Zurücktreten der Faktoren mit einem Plus- oder Minuszeichen über den Potenzen (A und B) markieren, und dann sieht das Schema (nach einer Version der Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie [SW I/7, 184, Anm. 1]) so aus:
Die Deutung: Alles, was auf der Horizontale (hier durch den Großbuchstaben X symbolisiert)43 liegt, ist durch wesentliche Identität 42 Am 27. Sept. 1800 schreibt er an Schelling: „[…] In den geistigen Regionen der Wissenschaft […] habe ich selten hier oder dorthin einen Zug verspürt; zu Ihrer Lehre ist er entschieden. Ich wünsche eine völlige Vereinigung, die ich durch das Studium Ihrer Schriften, noch lieber durch persönlichen Umgang […] früher oder später zu bewirken hoffe“ (HKA III.2,1, S. 239). Das Knittelvers-Gedicht Epikurisch Glaubensbekenntniß Heinz Widerpostens (1800), ,geschrieben in der Frau Venus Horst‘, das sich in derber Polemik gegen Novalis’ und Schleiermachers Spiritualisierungen der sinnlichen Natur wendet, zeigt, dass Schelling den Goethe’schen Sound, wie man ihn aus dem Faust kennt, voll beherrschte (Mat., 145 – 153; inzwischen auch im Band HKA II.6, 497 – 524, der den Text in zwei Versionen verfügbar macht). Goethe unterband freilich den Druck, nicht mangels Zustimmung, sondern aus ministerlicher Furcht vor einem Skandal. 43 Ich weise noch einmal darauf hin, dass hier erstmals das Symbol ,X‘ zur Bezeichnung der Identität auftaucht. Die Symbolisierung steht in Spannung zu dem „A = A“, das wie in früheren Versionen des Schemas die ,Form‘ der Identität ausdrücken soll. Das macht aber den Einsatz von ,B‘ unverständlich; denn B ist doch nun gleich ursprünglich mit A und nicht mehr bloß dessen uneigentliche Reprä-
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ausgezeichnet (also auch jedes einzelne Ding). Verhältnisse des ,rechts von‘ und ,links von‘ einem Punkt der Linie gehen die Identität gar nichts an. Das Differieren der Einzelerscheinungen c, d und f ist nur durch das Absehen von der Identität der Linie möglich, also aufgrund quantitativer Differenz, die macht, dass ein Ding den Grund seines Seins nicht – wie die Identität – in sich, sondern in einem anderen hat. Ganz links auf der Linie steht das Zeichen A – das Zeichen für das Idealprinzip – unter positivem Exponenten, ganz rechts B als das Realprinzip unter ebensolchem. Der Weg auf der Linie von rechts nach links geht von der Einheit des Reellen mit dem Ideellen (unter überwiegender Realität) durch einen Indifferenz- oder Gleichgewichtspunkt (A = B)44 zu jenem Einheitspunkt des Ideellen und des Reellen im Bewusstsein45, bei dem das Ideelle exponentiell den Ausschlag gibt. Das entsprechende Schema aus der Darstellung (I/4, 137): sentation. Um diese Emanzipation von B (der Natur) zu würdigen, musste Schelling das Symbol für die absolute Einheit von A auf X verlagern. 44 Im Schema steht in der Mitte „A = A“. Die Formel bezeichnet die durchgehende Identität der Linie selbst. Sinnvollerweise hätte Schelling „A = B“ schreiben sollen. Dass er es nicht tut, hängt damit zusammen (siehe die vorige Fußnote), dass er in dieser Phase ,B‘ nicht für ein Eigenständiges, sondern für eine Erscheinung, ja eine Missrepräsentation von A, als dessen inneres Doppel oder als seinen uneigentlichen Reflex versteht. So kann er meinen, ,alles, was auf der Linie liegt, sei A‘. 45 So sagt es Schelling noch 1830 (Schelling 1989, 59). Aber nach meinem Verständnis ist doch das Bewusstsein kein Indifferenzpunkt, sondern eine maximal ins Ideelle verzerrte Synthesis. Der Indifferenzpunkt sollte im Organismus liegen, in dem, wie wir sahen, alle Teile einander wechselseitig Ursache und Wirkung, Affirmierendes und Affirmiertes, in einer Art Homöostase sind (also ohne Überwiegen eines ,Faktors‘ über den anderen). So erwägt es Schelling selbst einmal im § 190 des Würzburger Systems: „Der Organismus in specie ist also […] der vollkommenste Ausdruck jenes allgemeinen Verhältnisses der Erscheinungswelt zur absoluten, kraft welcher nämlich jene das Gegenbild oder Organ von dieser ist. Der Organismus in specie ist nämlich eben dadurch, daß er in sich selbst eine Totalität, eine Allheit ist, auch das unmittelbarste Gegenbild und Organ der absoluten Identität“ (SW I/6, 377).
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Eine andere Form des Schemas benützt keine Plus-Zeichen über den Buchstaben (und keine die Identität anzeigende Horizontallinie), sondern wirkliche Potenzen/Hochzahlen; und dabei gibt es wieder zwei Möglichkeiten: In jeder Reihe, der reellen und der ideellen, lässt sich bis zur dritten Potenz aufsteigen,46 oder man kann, wie es im Würzburger System geschieht, die Potenzen bis zur 6. durchzählen (und dann Kunst, Philosophie und Staat in den ideellen Indifferenzpunkt stellen, wie es auch die Aphorismen tun: SW I/ 7, 184, Anm. 1).47 Das sähe dann – schematisch – so aus:
46 Warum nur bis zur dritten? Weil mehr als die drei Schritte in der Formel von der „Einheit der Einheit und des Gegensatzes“ (so z. B. Schelling 1969, 9 = SW I/9, 209) nicht vorgesehen sind: Sie formuliert die Totalität der Glieder, die aus relativer Identität, relativem Gegensatz und relativer Totalität bestehen (SW I/4, 149 u.). 47 Durchgezählt sind das erstens die Materie (als Synthesis aus Schwerkraft und Licht oder aus Kohäsion und Expansion); die zweite begreift die Materie, insofern in ihr die Formen der Bewegung Formen der Tätigkeit sind (sie entsteht aus dem Zusammenwirken von Magnetismus, Elektrizität und chemischem Prozess); die dritte Potenz ist die organische Natur (ihre Elemente [nach Blumenbach und Kielmeyer]: Reproduktion, Irritabilität und Sensibilität); die vierte Potenz, die bereits den Blitzeinschlag der Intelligenz erfahren hat, ist die des Wissens (mit den ihm untergeordneten Formen der Empfindung, der produktiven Anschauung und der freien Reflexion); die fünfte Potenz ist die der Praxis (ihre Momente sind die Willkür, die Freiheit und das prinzipiengeleitete – sittliche – Handeln): die sechste und letzte Potenz ist der Kunst aufgespart, sofern sie symbolisch die Selbstvergegenwärtigung der unendlichen Produktivität des absoluten Geistes leistet in Gestalt einer von keiner Deutung ausschöpfbaren Unendlichkeit der Anschauung (SW I/3, 620; 627; I/6, 134 – 136; im Rückgriff auf Kant: KU B, § 49, 192 f.).
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1. Potenz: A = (A = B) 2. Potenz: A2 = (A = (A = B)) 3. Potenz: A3 = (A2 = (A = (A = B))) [usw.] Diese Folge ließe sich auch, wie es die Aphorismen (von 1806) tun, so schreiben, dass das Gleichheitszeichen – das Schelling nun die ,ewige Copula‘ nennt – durch die Horizontallinie ersetzt wird (SW I/7, 204 f., Anm. 2):
A3 stünde über dem Trennstrich im Mittelpunkt, weil ja der Indifferenzpunkt nicht an eines der Linien-Enden (die Schelling auch ,Pole‘ nennt), sondern in die Mitte gehört: zwischen das „relativreale“ und das „relativ-ideale All“ (I/7, 184, Anm. 1). Sehr ähnlich ist auch das Schema der Stuttgarter Privatvorlesungen (1810):
Wieder markiert die Mittellinie die durchgängige Identität (auch durch ,A‘ bezeichnet); und B und C sind identisch, „weil sie dem Wesen nach A, aber verschieden sind […] voneinander als Formen, oder für sich betrachtet“ (SW I/7, 422).48 48 Sehr ernste und scharfsinnige Zweifel an der Angemessenheit und damit Erklärungskraft der mathematischen Potenzierungsmetapher hat ausgerechnet ihr Erfinder Eschenmayer geäußert (vgl. bes. seinen Brief an Schelling vom 21. Juli 1801 [Plitt I, 336 ff. = HKA III.2.1, 357 – 363]). Schelling gibt sich, als sei ihm sein
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16. Gängige Urteilslehren an der Nürtinger Lateinschule und im Tübinger Stift Schelling verweist in mehreren Schriften seit etwa 1809, verstärkt seit 1811, auf das, was er die ,ältere Logik‘ nennt. Wir haben eben einen wichtigen Beleg durchinterpretiert und werden im 22. Kapitel bemerken, dass er gar den sonst so oft verspotteten Christian Wolff als einen Logiker rühmt, dem der Gedanke der ,Reduplikation‘ des Identitätsurteils noch vertraut gewesen sei (Schelling 1994, 49 f.). Offenbar hat er gerade von ihm etwas Entscheidendes gelernt. Stillschweigend – jedenfalls, soviel ich weiß, im publizierten Werk und in den nachgelassenen Vorlesungen nirgends ausdrücklich – verweist Schelling auch auf Ploucquets Urteilslehren49 sowie auf solche von Leibniz, Letzteres auch ausdrücklich und öffentlich in Publikationen. Alle drei nimmt er erkennbar in Anspruch, aber außer Leibniz, von dem sich seine Abhängigkeit von selbst zu verstehen scheint, nennt er keines der übrigen Vorbilder beim Namen (allenfalls sehr mittelbar in Briefen und frühen Zeugnissen noch aus dem Stift; auch benutzt er in seinen ersten philosophischen Schriften Ploucquets Zeichen für die Verschiedenheit zweier Ausdrücke: >).50 Was Kants These vom Sein betrifft, so steht sie zwar im ZenVerfahren so klar, dass er, der doch ein so sprachgewandter Erklärer sein kann, diesmal jeder weiteren Auskunft überhoben ist. 49 Natürlich ist Kants Urteilslehre omnipräsent in Schellings Werk, bis hinein in die letzten Vorlesungs-Aufzeichnungen über Kants Lehre vom transzendentalen Ideal (vgl. oben, Kap. 5). Er macht aber nirgends explizit deutlich, dass seine eigene Urteilstheorie nicht dem Kant’schen Subsumtionsmodell, sondern der Leibniz-Wolff’schen Identitäts-Auffassung der Prädikation folgt. Viele Interpreten, die den sogenannten deutschen Idealismus für eine Fortbildung Kants halten, haben das gar nicht bemerkt und die absonderlichsten Kontinuitäten ersonnen. Man versteht ihre Schellingdeutung auch darum so schlecht, weil sie dem Wortlaut von Schellings Texten ständig Gewalt antun muss, um sie auf die kantische Linie zu trimmen. 50 Genauer als: mengentheoretische Disjunktheit der beiden Begriffsumfänge (Lenzen 2008a, Kap. 3; Lenzen 2008b, Kap. 3.1).
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trum von Schellings Spätphilosophie; und ich habe in anderem Zusammenhang im Blick auf sie von „Schellings später Rückkehr zu Kant“ gesprochen (Frank 2007, Text 13). Aber dieser späte Zusammenhang ist nicht geeignet, uns über Schellings Umgang mit Kants Theorie des Seins als absoluter bzw. relativer Position während der identitätsphilosophischen Phase aufzuklären. (Ich komme auf Schellings Abhängigkeit von Kants These übers Sein im 21. Kapitel zu sprechen.) Warum sollen wir uns dann überhaupt die Mühe dieses historischen Umwegs machen? Ist es nicht schwer genug, in der spekulativen Höhenluft von Schellings Identitätsdenken einen einzigen Schritt bergauf zu tun? Ich glaube, die Orientierung in dieser hochstufigen SpekulationsAtmosphäre wird erheblich erleichtert, wenn wir nicht immanent an Schellings Buchstaben kleben, sondern drei von ihm aufgegriffene (und im Folgenden beschriebene) Anregungen zur Kenntnis nehmen. Wenn Schelling – in immer wieder auf verwirrende Art wechselnder Terminologie – ein Wesen von einer Form des Absoluten unterscheidet und diese Form bald als Subjekt-Objekt-, bald als Subjekt-Prädikat-Beziehung auszeichnet, wechselt er (wie wir sahen) zwischen einer ontologischen und einer logisch-semantischen Auffassung von Identität – genau wie das schon Leibniz tat, der ein ontologisches principium identitatis indiscernibilium von der Ersetzbarkeit von Sätzen salva veritate unterschied und doch nicht konsequent auseinander hielt. Leibniz hielt alle wahren Sätze für identisch (für Analysen des im Subjekt-Terminus, wie immer verborgen, Enthaltenen). Das tat auch Ploucquet, die Logik-Autorität im Tübinger Stift zur Zeit der Ausbildung Hölderlins und Hegels – und indirekt noch Hegel. Und so tut es auch Schelling, der die Identitäts-Formel ,A = A‘ für die Matrix aller wahrheitsfähigen Aussagen hält (SW I/7, 218 f., 342). Wie aber kam er dazu? Nicht durch Kant, der doch gemeinhin für den Gründungsvater des deutschen Idealismus ausgegeben wird.
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Kant hat sich nicht nur gegen die Identitätsauffassung des Urteilens gewandt (Stuhlmann-Laeisz 1976, bes. 73 ff.). Er vertrat ein klares Subsumtionsmodell des Urteils, wonach ,urteilen‘ heißt: einen Gegenstand (ausgedrückt durch einen grammatischen Subjekt-Terminus) unter einen Begriff (ausgedrückt durch einen Prädikat-Terminus) aufnehmen.51 Begriffe sind (nach dieser Auffassung) Klassifikationsausdrücke; sie klassifizieren Gegenstände nach einem, wie Kant sich ausdrückt, ,mehreren Vorstellungen gemeinsamen Merkmal‘, das dann als Prädikat eines Urteils dient (z. B. KrV A 68 f.). Von einer Identität von Subjekt und Prädikat ließe sich also in einer kantischen Sprache gar nicht sinnvoll reden; das Verhältnis der von diesen Ausdrücken bezeichneten Gegenstände ist vielmehr eines des ,Enthaltenseins-unter‘ (das ist Kants Ausdruck) – im Gegensatz zum ,Enthaltensein-in‘, womit ein Teil-Ganzes-Verhältnis angesprochen ist (etwa durch den Satz: ,Jeder Körper ist im Raum‘; vgl. KrV B 40; dazu Michael Wolff 1995, 243 ff.; eine real existierende Katze ist aber natürlich nicht ,im‘ Begriff ,Katze‘ enthalten, sie fällt nur, wie man eben darum sagt, ,unter‘ den Begriff). Demgegenüber vertritt Schelling – wie wir im Vorbeigehen mehrfach Anlass hatten zu beobachten – eine Identitätstheorie der Prädikation; und das trifft auch für Hölderlin und Hegel zu und bestätigt eine allgemeine Beobachtung: Weit entfernt, an Kant anzuknüpfen, geht der so genannte ,deutsche Idealismus‘, schon seit Salomon Maimon (Frank 2007, Text 14), auf die Leibniz-Wolff’sche Tradition zurück, so gern und so oft er sich über die letztere lustig macht. Für die drei idealistischen Stiftler ist das ganz manifest. Und Michael Franz hat uns durch eine Reihe von Aufsätzen und den Neudruck der Ploucquet’schen Logik (Ploucquet 2006) auch Teile der Quellen wieder zugänglich gemacht, die diese Leibniz’sche Tradition sinnenfällig machen: Ploucquets Urteilslehre. 51 Auch hier ist Schelling inkonsequent. Im ,idealen‘ Teil des Würzburger Systems z. B. trägt er die denkbar traditionellste Lehre von Begriff, Urteil und Schluss vor: SW I/6, 526 (im Kontext).
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Sie war nicht die einzige, die die Tübinger Stiftler von Kants Subsumtions-Modell der Prädikation wegführten. Hölderlin und Schelling jedenfalls haben noch im Stift wesentliche Anregungen für Ihre Urteils-Theorie aus der Lektüre Gottfried Ploucquets und schon in der Nürtinger Lateinschule aus dem Knaus’schen Lehrbuch bezogen, das ihrem Logik-Unterricht zugrunde lag. 1. Doch zunächst zu Ploucquets Logik. In der Tat vertrat dieser eine pointierte und zu seiner Zeit stark beachtete Identitäts-Auffassung der Prädikation. Zwar war er 1782 durch einen Schlaganfall als tätig Lehrender der Philosophie ausgeschieden und 1790, als Schelling sein Tübinger Studium begann, gerade gestorben. Doch stützte sich Johann Friedrich Flatt, als Extraordinarius gewissermaßen Ploucquets intermittierend für die theoretische Philosophie eingesetzter und minderformatiger Vertreter, bei seinen Vorlesungen über Logik und Metaphysik (ab 1785/86) auf Ploucquets Kompendium letzter Hand (1782), die Expositiones philosophiae theoreticae (Henrich 2004, 77); und auch Christoph Gottfried Bardili legte sie in den Jahren 1788 – 1790 seinen Repetitorien zugrunde, zu deren Besuch die Stiftler verpflichtet waren. Dem ontologischen Part von Ploucquets Kompendium sind wiederum die Magistralthesen entnommen, die Hölderlin und Hegel 1790 im Fach Philosophie zu verteidigen hatten. Möglicherweise hat Flatt die Auswahl der Thesen vorgenommen (Franz 1996, 110 ff.; Franz 2005b, 30 ff.; 39 f.; 61). Auch der fünf Jahre jüngere Schelling hatte zu Ploucquets Werk Zugang und hat sich noch in späteren Jahren daraus belehren lassen (Franz 2005b, 39, 532). In der Biographie seines Vaters, die den von Plitt herausgegebenen Briefwechsel einleitet, berichtet Schellings Sohn: Schelling scheint sich auch nach vorhandenen Spuren [seinen Studienheften?] mit dem System des kurz zuvor [nämlich vor Schellings Eintritt ins Tübinger Stift] gestorbenen, in ziemlichem Ansehen stehenden Professors der Philosophie, Gottfried Ploucquet, bekannt gemacht zu haben. Ploucquet war ein An-
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hänger der Leibnitzischen Philosophie, welche er durch die Anwendung des logischen Calculs weiter zu bilden versuchte (Plitt I, 28).
Allerdings wird Schellings Sohn eher das System der Metaphysik als die Schriften zum logischen Kalkül im Blick gehabt haben; auch die 1790 im MA-Examen zu verteidigenden Thesen betrafen, wie gesagt, nur die zur Ploucquet’schen Ontologie, nicht zur Logik.52 Das logische Defizit in der Ausbildung der Tübinger Fraktion des deutschen Idealismus ist immer wieder bedauert worden; und auch Flatt war kein vollwertiger Ersatz für Ploucquet. Gleichwohl ist überliefert, dass sich Schelling noch als Student verschiedene Kalkulationen nach Ploucquets Methode in seine Studienhefte notiert hat (Franz 2005b, 532); und in der Form- sowie in der IchSchrift benutzt er das Ploucquet’sche Zeichen für die Verschiedenheit zweier Ausdrücke: „ist nicht: >“) (SW I/1, 98, 108; 222). In die für seine reife Identitätstheorie des Urteils so wichtige WeltalterPhase fällt die (für einen von sich so eingenommenen Professor wie Schelling) durchaus anerkennende Bemerkung im Brief an einen vertrauten Freund (den Rat Eberhard Friedrich Georgii, 12. Jan. 1812): Könnten sie [die Tübinger Professoren] mir vorerst den alten Ploucquet wieder von den Todten erwecken; das war wenigstens Metaphysik und schon als solche erhebend zum Geistigen. Von diesem Mann schreibt sich die Gediegenheit, der tüchtige Sinn, die Festigkeit unserer alten Pfarrer noch her, an der ich mich oft erbaut habe und gegen welche die Leerheit und bloße Buchstabenweisheit der jüngeren so stark absticht (Plitt II, 280).
Bereits 1802, in der Zeit der Ausarbeitung seines Jenaer „absoluten Identitätssystems“, hatte sich Schelling „die Ploucquetschen philosophischen Schriften, besonders seine L o g i k u n d M e t a p h y -
52 „Die Inauguralthesen zum Magisterium in Tübingen 1790 – 1792“, in: Franz 2005b, 24 – 69.
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s i k, ferner ü b e r d i e M o n a d e n l e h r e“,53 von seinem Vater erbeten (an die Eltern vom 8. Juli: Plitt I, 373; HKA III.2,1, 442).54 Freilich – man darf das bedauern – scheinen ihn beide Male nicht der logische, sondern der ontologische und der metaphysische Teil der Ploucquet’schen Lehre interessiert zu haben. Doch kann man vermuten, dass er auch ihnen einen Gedanken55 schuldet, der mit 53 Ein Verzeichnis aller Schriften Ploucquets findet sich in Franz (2005b, 65 – 69). Schelling scheint neben der Berliner Preisschrift Primaria Monadologiae Capita […] (Ploucquet 1758) vor allem die Expositiones Philosophiae Theoreticae („editio ultima“, Stuttgart 1782; Neudruck des logischen Teils in: Ploucquet 2006) im Sinn zu haben. Sie wurden auch nach Ploucquets Ausscheiden aus der aktiven Lehrtätigkeit als Kompendium den (z. B. Flatt’schen) Vorlesungen über „Logik und Metaphysik“ zugrunde gelegt (Franz 2005b, 40). Die Expositiones fanden sich in Schellings nachgelassener Bibliothek (Neumann 2016, 88, Anm. 62; vgl. HKA III, 2.2, 806 f.). Ihnen sind auch fast wörtlich die Inauguralthesen entnommen, die Hölderlin und Hegel 1790 zu verteidigen hatten (Franz 2009, 55, 59 [ff.]). Schellings Vater hatte selbst bei Ploucquet 1758 mit einer Dissertation über die Monadenlehre (Schelling 2009) promoviert, die Ploucquet sehr dicht an seinen eigenen Überzeugungen fand (Franz/Neumann 2009, 339, 398 f.). 54 Schellings Vater hatte sein eigenes Studium bei Ploucquet schon vor dem Erscheinen der Erstauflage (unter dem Titel Fundamenta […] 1759) des gewünschten Werks abgeschlossen, so dass der Sohn sich den Kauf des Buches erbitten musste. Es war außerhalb von Württemberg nicht zu erhalten. Darum drängt Schelling seinen Vater, ihm die Auslagen erstatten zu dürfen. Schelling bittet übrigens „dann zweytens [um] einige der vorzüglichsten, am meisten philo- und theosophischen Schriften von Oetinger“ (HKA III.2,1, 442). 55 Den bei Ploucquet vielfach und zentral präsenten Ausdruck „Weltseele“ hat Schelling natürlich aus Platons Timaios geschöpft. Dennoch mag auch Ploucquet bei der Namenswahl Pate gestanden haben. Für seine Arbeit an der Weltseele (1798) bittet Schelling am 4. September 1797 seinen Vater um die Zusendung von naturphilosophischen Schriften Ploucquets und anderer Autoren, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben. Namentlich führt er an: „Ploucquet de notione Vitae, de mensura virium, de Hylozoismo“ und fügt an: „auch wenn Ploucquet sonst etwas über die Physik geschrieben hat“ (HKA I.6, 3 f.; dort gibt es eine ausführliche Bibliographie der genannten Texte mit dem Zusatz, dass eine Schrift De notione Vitae nicht zu ermitteln war; Schelling mag die von seinem Onkel Nathanael Köstlin verteidigte Dissertatio de vi animae se sibi manifestandi, charactere eius primitivo […], Tübingen 1764, gemeint haben). Ploucquets Dissertation De hylozoismo veterum et recentiorum (Tübingen 1775) dagegen enthält we-
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der Identitätsauffassung des Urteils in indirekter Beziehung steht und zunächst aus davon unabhängigen Gründen unser Interesse verdient (darüber gleich mehr). 2. Eine weitere Anregung für Schellings Identitäts-Auffassung des kopulativen ,ist‘, noch aus der Nürtinger Lateinschulzeit, mag das Logik-Lehrbuch des Philosophie-Professors und späteren Stuttgarter Gymnasialrektors Johann Christoph Knaus (1709 – 1796) geliefert haben. Das Knaus’sche Lehrbuch (Knaus 1751)56 war nichts anderes als die lateinische Übersetzung des deutschen Logik-Kompendiums von Paul Eugen Layritz (Layritz 1743)57; sie war im Auftrag des Stuttgarter Konsistoriums erfolgt (Franz in: Franz/Jacobs 2004, 214 – 225; bes. 220 – 225). Das Kompendium wurde in pietistisch orientierten Ländern wie Württemberg dem Schulunterricht zugrunde gelegt (nach Auskunft von Schenk [1999] sollte die Übersetzung zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, nämlich auch Schulübungszwecken im Lateinischen dienen). Das Lehrbuch basiert wesentlich auf Wolffs lateinischer Logik, teilweise auf Baumgarten und Meier. Die Knaus’sche Logik gibt auch eine ganz unkantische Erklärung der Rolle der Copula (l. c., 316 ff., 332). Sie sei eine Identitätsanzeige gemäß der Inhärenztheorie des Prädikats im Subjekt. Die Wolff’sche Definition, der gemäß im Urteil Begriffe aufeinander bezogen oder voneinander getrennt werden (Wolff 1983, 129 – 131, = §§ 39/40; vgl. „De judicio in specie“ 216 ff., = §§ 198 ff.), wird übernommen. Im ersten Falle wird das Subjekt durch das Prädikat bejaht oder eher: bestätigt (es steckt im Subjekt sentliche theoretische Winke auf die „anima mundi“ und auf literarische Quellen zu diesem Begriff. Auf S. 77 der Weltseele scheint sich Schelling indirekt auf Ploucquets Schrift zu beziehen (vgl. den editorischen Bericht S. 15 f.). 56 Abbildung der Titelseite in Franz/Jacobs 2004, 188. 57 Abbildung in Franz/Jacobs 2004, 223. Vgl. Knaus 1751, Vorwort; in l. c., 220 f. Layritz erklärt seinerseits, die gründlichen und deutlichen Institutiones philosophiae logicae des Wolffianers Friedrich Christian Baumeister nur an den Schulgebrauch didaktisch adaptiert zu haben (222 f.).
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drin),58 im anderen ausgeschieden (es steckt nicht darin). Damit hängt auch die so genannte ,Konvertibilitätsbedingung‘ zusammen, die in den mittelalterlichen Logiken eine große Rolle spielte und mit der noch Schleiermachers Dialektik arbeitet (Schleiermacher 2001 II, 364 ff.): Wenn Subjekt und Prädikat „einerlei“ sind, kann man den Satz salva veritate in beiden Richtungen lesen; d. h., man darf Subjekt und Prädikat – ohne Rücksicht auf ihren Quantor – miteinander ,vertauschen‘; andernfalls ist die Beziehung asymmetrisch (Schenk 1999, 317; vgl. Wolff 1983, 264 ff. = §§ 282 ff.). 3. Eine dritte wichtige Hindeutung gibt Schelling rückblickend zu Beginn der Freiheitsschrift (1809). Hier bezieht er sich ausdrücklich auf Leibnizens Entgegnung (von 1669) auf die Einwände des polnischen Sozinianers (d. h. hier: Trinitäts-Leugners) Andreas Wissowatius (latinisiert, eigentlich Andrzej Wiszowaty)59 – eine Auseinander-
58 Gemäß der Leibniz’schen inesse-Relation inhäriert das Prädikat dem Subjekt (Couturat 16 f., 402, 474; vgl. Mates 1986 84 ff.). Die Relation des inesse impliziert ontologische Homogenität zwischen Subjekten und Prädikaten (Prädikate sind inkomplette Teile von Begriffen [Mates 1986, 60 f.]). Ferner gilt für die inesse-Relation: A ist in B enthalten oder wird von B genau dann impliziert, wenn es unmöglich ist, dass ein Gegenstand unter A, aber nicht unter B fällt. Und: Begriff A ist in B enthalten genau dann, wenn alle einfachen Bestandteile von A auch Bestandteile von B sind. So ist der Begriff ,Tier‘ im Begriff ,Mensch‘ enthalten, denn traditionell gilt es für unmöglich, dass etwas ein Mensch ist, ohne ein Tier zu sein; also lässt sich (in dieser Tradition) der Begriff ,Mensch‘ durch ,vernünftiges Tier‘ analysieren (Mates 1986, 87). Daraus ergibt sich die (noch von Maimon und Schleiermacher vertretene) Ansicht, dass es gar keine synthetischen Urteile, sondern nur solche geben kann, deren Analytizität dem Urteilenden – wegen der Beschränktheit seines Verstandes – nicht oder noch nicht bekannt ist. Das ist der Fall, wenn etwas „in dem Umfang des Begriffs mitgesetzt“ ist, „was in Beziehung auf ihn zufällig ist, was aber der Möglichkeit nach Urteile enthält“ (Schleiermacher 2001, II, 201). 59 Responsio ad objectiones. Contra Trinitatem & Incarnationem Dei altissimi (meist kurz zit.: Defensio Trinitatis contra Wissowatium). Im 1. Teilband des VI. Bandes der Akademieausgabe kritisch ediert: VI, 1, 518 – 530 (krit. Apparat und Anm.: 573 – 577).
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setzung, der Lessing eine ganze Abhandlung gewidmet hat.60 Schelling gibt dort auch (ausnahmsweise) seine Quelle kund: nämlich die Leibnizausgabe des Louis Dutens, die 1786 sechsbändig in Genf erschienen war (SW I/7, 342, Anm.).61 Aus dem ersten Band zitierend, bezieht er sich vor allem auf Leibnizens Unterscheidung der tautologischen „Einerleiheit“ (oder „Gleichheit“) von der (differenzsensitiven) „Identität“ oder „Einheit“ (l. c., 343, dieselbe Anm.; vgl. 342) und wirft z. B. Reinhold in rüden Beschimpfungen vor, diesen Unterschied nicht wahrgenommen zu haben und Spinoza, mithin auch Schelling, per absurdum so zu interpretieren, als meinten beide, alle Dinge seien in Gott (oder ,an sich‘) einerlei. Leibniz habe die Copula im bejahenden Aussagesatz zwar als Identitätszeichen verstanden (und dem schließt sich Schelling an). Aber er habe zwei Formen der Identität deutlich auseinandergehalten: die nichtssagende ,Einerleiheit‘ und die gehaltvolle Identität zweier, deren Verknüpfung durch die Satz-Copula einen Erkenntniswert mit sich führe (Neumann 2012, 111 ff.). In der Tat zeigt Leibniz in seiner „Defensio Trinitatis“ die Widerspruchslosigkeit der Annahme, dass die eine (göttliche) Substanz unter drei Hinsichtnahmen charakterisiert werden könne („en contienne plusieurs respectives“: Leibniz 1768c, 26). Das belegt Leibniz an der Funktion der Copula, und Schelling gibt seinen Gedanken zu Recht als Logik der Ein- und Ausfaltung („implicitum et explicitum“) wieder (SW I/7, 342).
60 „Des Andreas Wissowatius Einwürfe wider die Dreieinigkeit“, in: Lessing 1976, 203 – 216. Lessing hat Wissowatius’ Text samt Leibnizens Antwort vollständig ediert. Schelling geht in der Freiheitsschrift nicht direkt auf diesen Text, sondern auf die Erziehung des Menschengeschlechts ein (SW I/7, 412), die wiederum Leibnizens Vorspann zur Théodicée, dem „Discours de la conformité de la foi avec la raison“ verpflichtet ist: PS 2.1, 68 – 205. Dazu und zum Folgenden: Neumann 2012. 61 Wie gut Schelling diese Ausgabe kannte, zeigt sein Gedächtniszitat aus dem 5. Bd. in einem Brief an Georgii (Plitt II, 279 f.). Dazu Neumann 2012, 108 f.
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Die alte tiefsinnige Logik [die des Leibniz]/ unterschied Subjekt und Prädicat als vorangehendes und folgendes (antecedens et consequens), und drückte damit den reellen Sinn des Identitätsgesetzes aus. Selbst in dem tautologischen Satz, wenn er nicht etwa ganz sinnlos seyn soll, bleibt dieß Verhältniß. Wer da sagt, der K ö r p e r ist Körper, denkt bei dem Subjekt des Satzes zuverlässig etwas anderes als bei dem Prädicat; bei jenem nämlich die Einheit, bei diesem die einzelnen im Begriff des Körpers enthaltenen Eigenschaften, die sich in demselben wie Antecedens zu Consequens verhalten. Eben dieß ist der Sinn einer andern älteren Erklärung, nach welcher Subjekt und Prädicat als das Eingewickelte und Entfaltete (implicitum et explicitum) entgegengesetzt werden62 (SW I/7, 342).
Das folgt aus der Annahme praedicatum inest subjecto (Discours de Métaphysique, § 8 [PS 1, 74]), die sich auch so umformulieren lässt: Das Subjekt ist ein Inbegriff an Merkmalen, die alle in ihm eingefaltet („impliziert“) sind und in Prädikatstellung „einzeln“ entfaltet („expliziert“) werden (können). Beim Fall der Tautologie wendet Schelling dies so, dass alle Merkmale, eins ums andere, aus der aktuellen Einheit des Inbegriffs sich herausfalten, während ein im umgangssprachlichen Sinne gehaltvolles Urteil nicht alle auf einmal, sondern jeweils eines oder mehrere in der jeweiligen Gesprächssituation signifikante Prädikate aus der Totalität herausholt (auswickelt, expliziert). Jedenfalls kann hinsichtlich dieses Ganzes-Teil-Verhältnisses von Einerleiheit oder Selbigkeit nicht die Rede sein.63 Aber ein Weiteres entnimmt Schelling Leibnizens „Defensio Trinitatis“: Die Unterscheidung eines Enthaltenseins des Prädikats per se oder per accidens (Leibniz 1768a, 11; vgl. Leibniz 2006a, AA 62 Wie oft, gibt Schelling keinen Hinweis, an wen er denkt. An Nikolaus von Kues oder Giordano Bruno? 63 In „Events“ macht David Lewis übrigens eine ganz ähnliche Unterscheidung zwischen ,Differenten‘, die aber nicht notwendig ,distinkt‘ sein müssen: „,Distinct‘ does not mean ,non-identical‘. I and my nose are not identical, but neither are we distinct. There is a clear sense in which our second event is part of the first: the subclass is part of the class, they are neither identical nor distinct. […] Indeed, we dare not count the two as distinct“ (Lewis 1986, 256).
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VI,1, 520, Z. 5 – 7). Ein Prädikat ist per se enthalten, wenn es dem Subjekt wesentlich oder unmittelbar zukommt (der Farbe blau die Ausgedehnheit oder dem Ton die Lautstärke); es ist per accidens (oder zufällig oder mittelbar) in ihm enthalten, wenn diese Notwendigkeit fehlt. Schelling illustriert diesen „einem Kinde begreiflich zu machen[den]“ Unterschied an dem Satz „dieser Körper ist blau“ (SW I/7, 341). Er erkläre den Körper und seine Bläue erstens nicht für einerlei und zweitens die Eigenschaft ,blau‘ auch nicht für eine notwendige Implikation von ,Körper‘. Sondern der Sinn des Satzes sei dieser: „dasselbe, was dieser Körper ist, sey, obgleich nicht in dem nämlichen Betracht [Leibnizens respective], auch blau“ (ebd). Mit dieser Wendung geht Schelling über den Leibniz der „Defensio“ ein Stück hinaus, freilich ohne sich von Leibniz zu trennen. Ich werde das im Abschnitt über die Reduplicatio erläutern (Kap. 22). In den Weltaltern ist der Schritt explizit vollzogen. Schelling kann das Beispiel aus der Freiheitsschrift („das Vollkommene ist das Unvollkommene“ [SW I/7, 341]) nun anders deuten denn als ein Enthaltensein des Prädikats per accidens. Vielmehr kann er beide Ausdrücke zu ,Prädikaten‘ eines in der Oberflächengrammatik des Satzes verborgenen Subjekts (er nennt es ,X‘) erklären (Schelling 1946, 27, 2. Abschn.) und den Sinn des Satzes dann so deuten: Das, was im strengen Sinne der Einerleiheit ,es selbst‘ ist (das X, das wahre ,Subjekt‘ des Satzes), sei in einem Betracht (als erstes Prädikat) das Vollkommene, in einem anderen (als das zweite Prädikat) das Unvollkommene, ohne dass Vollkommenheit und Unvollkommenheit dadurch einfachhin gleichgesetzt würden (denn „das Unvollkommene ist nicht dadurch, daß und worin es unvollkommen ist, sondern durch das Vollkommene, das in ihm ist“ [SW I/7, 341]). Der „Grundsatz des Widerspruchs“, erläutert Schelling, besage, „richtig verstanden […], nichts anderes, als daß entgegengesetzte Subjekte nicht als Subjekte Eins seyn können, was aber nicht verhindert, daß sie als Prädicate Eins seyen“ (Schelling 1946, 27) –
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wenn sie nämlich nach einer Hinsichtnahme spezifiziert werden (28, Z. 10/11 von unten). Der wahre Sinn eines jeden Urtheils, z. B. des einfachsten, A ist B, [ist] eigentlich der: das, was A ist, i s t das, was auch B ist, wobei sich zeigt, wie das Band [die Copula, das ,ist‘] sowohl dem Subjekt [X] als auch dem Prädikate [A, B] zu Grunde liegt. Es ist hier keine einfache Einheit, sondern eine in sich verdoppelte oder eine Identität der Identität. In dem Satz, A ist B, ist enthalten, erstens der Satz A ist X (jenes nicht immer genannte d a s s e l b e, von dem Subjekt und Prädicat beyde Prädikate sind); zweitens der Satz X ist B; und erst dadurch, daß diese beyden wieder verbunden werden, also durch Reduplikation des Bandes entsteht drittens der Satz A ist B (ebd., von mir kursiviert; wieder nennt Schelling den Begriff das „eingewickelte“, den Schluss das „entfaltete Urtheil“).
Ein Beispiel, das Leibnizens „Defensio“ entgegenkommt: Als Mensch ist Jesus unvollkommen (z. B. sterblich, fehlbar), als Christos ist er Gott gleich, unsterblich und vollkommen. (Wir werden später [Valicella 2004] sehen, dass hier in Wahrheit ein ungetilgter konträrer Widerspruch waltet, vgl. unten Kap. 18.)
17. Ein genauerer Blick auf Ploucquets Identitätstheorie des Urteils Zunächst verdient die Art und Weise Aufmerksamkeit, wie Schelling sich Ploucquets logische Grundintuition zugeeignet hat. Wir verfügen nur über indirekte Belege und müssen darum offenlassen, ob seine Identitäts-Auffassung des Urteils direkt durch Ploucquet angeregt war – dafür sprechen, wie gesagt, frühe Übungen Schellings zum logischen ,Calculus‘, wie sie in seinen Studienheften erhalten sind, und seine Übernahme von Ploucquets Symbol für die Verschiedenheit (>) in seinen ersten philosophischen Schriften. Eine bloße Konvergenz in der Sache wäre eine zu schwache These; aber diese wäre jedenfalls belastbar, wie ich im Folgenden ausführlicher zeigen will.
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Ploucquet war, wie gesagt, der Auffassung, dass wir in jedem (außer dem existentiellen) Urteil zwei Begriffe miteinander ,vergleichen‘ und im Falle des bejahenden Urteils sogar identifizieren. Ich glaube, trotz Michael Franz’ Pionierarbeit in der Erschließung von Ploucquets Einfluss auf die Tübinger Stiftler im Allgemeinen ist Schellings Prägung durch die Identitätstheorie der Prädikation nie bemerkt, geschweige denn ausbuchstabiert worden. Sie bedarf also einer eigenen Hervorhebung. Darum will ich insbesondere zeigen, wie sich für Schelling auch von hier ein theoretischer Weg öffnete, der Identitätsformel ein wesentliches Moment von Differenz ,einzubilden‘. Der Ausgangspunkt seiner Überlegung ähnelt der Ploucquet’schen erkennbar: Schelling versteht das Urteilen als eine Art von Zur-Deckung-Bringen zweier Begriffsumfänge, die aber in ihrem Inhalt (ihrer ,Intension‘, wie man sagte) sehr wohl differieren dürfen. ,Extension‘ oder ,Umfang‘ meint: die Menge der Gegenstände, die unter einen Begriff fallen (das ist das Subsumtionsmodell des Urteils). ,Intension‘ oder ,Begriffsinhalt‘ meint die Gesamtheit der begrifflichen Merkmale, die in einem Begriff enthalten sind. Extensional ist ein Begriff umso reicher, je mehr Gegenstände unter ihn fallen (,Lebewesen‘ ist also reicher als ,Mensch‘). Intensional herrscht gerade das umgekehrte Verhältnis; denn das Begriffsmerkmal ,Mensch‘ kommt nun zu dem von ,Lebewesen‘ hinzu. Nach Ploucquet werden in jedem (prädikativen) Urteil zwei Begriffe („notiones“), nämlich ein Subjekt- und Prädikat-Begriff, miteinander ,verglichen‘: „Judicium est comparatio notionis cum notione“ (Ploucquet 1970, 47; vgl. Ploucquet 2006, 2: „Judicium est intellectio factae comparationis duarum notionum. Ratiocinium est intellectio factae comparationis duorum judiciorum“). Solche Vergleichungen sind das Werk der Reflexion. Im Reflektieren geschieht eine „Vergleichung schon gegebener Begriffe“, wie noch Kant sagt (AA IV, 326). Genauer: Die Reflexion legt zwei oder mehrere Begriffsumfänge übereinander und „überlegt“ (das meint: ,reflek-
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tiert‘), wie viele sich davon überschneiden und wie viele von ihnen differieren. Ein Urteil ist demnach bejahend, wenn in ihm eingesehen wird, dass Subjekt und Prädikat sich vollständig decken („Intellectio identitatis subjecti et praedicati est affirmatio“). In diesem Falle lassen sich die beiden Ausdrücke umkehren, d. h. ohne Verlust des Wahrheitswerts in beiden Richtungen lesen („Conversio propositionis est commutatio subjecti cum praedicato“; vgl. 2006, 114, § 207: „Cum in definitione subjectum & praedicatum eandem notionem exhibeant; omnis definitio est propositio convertibilis seu reciprocabilis“). Das Urteil ist verneinend, wenn das Subjekt als vom Prädikat verschieden eingesehen wird; in solchen Urteilen sind die Termini nicht vertauschbar (Ploucquet 1970, 48). Bloße Verschiedenheit von Begriffsumfängen begründet also die Negation.64 Soviel zum Gedanken des Urteilens als eines Vergleichens von Begriffsumfängen. Darin liegt die Möglichkeit, dass sie nicht zur Deckung kommen oder sich nur teilweise überschneiden. Das Faktum der Verneinung – sowohl im harten Sinn der Kontradiktion als auch im weicheren der (sub)konträren Entgegensetzung – lässt sich nun aus dem der Nicht-Überschneidung oder der völligen Unverträglichkeit von Begriffsgehalten der Glieder eines Aussagesatzes fasslich machen. Differenz setzt freilich Identität voraus, nicht umgekehrt – wie ein Parasit von seinem Wirt abhängt. In bejahenden Aussagen gibt es vollkommene Umfangsgleichheit („aequalitas“) zwischen Subjekt und Prädikat – ist doch das Prädikat auf den Umfang des Subjektausdrucks ,komprimiert‘ (dann wird es „kompre-
64 Michael Franz machte mich darauf aufmerksam, dass Ploucquet für die Verschiedenheit das Größer-als-Zeichen > wählt, das Schelling 1794/95 ebenfalls zweimal verwendet. „Wenn die Gleichheit von S[ubjekt] und P[rädikat] verneint wird, dann liegt eben automatisch eine Größer-als- oder eine Kleiner-als-Relation vor. (Und das, wie im Einzelnen gezeigt werden könnte, sowohl für die intensionale Interpretation, bei der die Merkmale gezählt werden, als auch für die extensionale Interpretation, bei der die Exemplare gezählt werden.)“
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hensiv“ verstanden);65 wenn nicht, wenn es also über den Gehalt des Subjekts übersteht oder hinter seinem Umfang zurückbleibt oder ihm total ungleich ist, wird das Ungleiche teilweise oder toto coelo (,der ganzen Weite/Quantität nach‘) von ihm ausgeschlossen („Exklusion“ [Ploucquet 2006, § 30 f.]). Da dabei das Prädikat quantifiziert werden muss, spielt es keine Rolle, wie der Subjektausdruck quantifiziert ist: Das Prädikat wird sich in jedem Fall an ihn angleichen (et vice versa). Darum geschieht der Universalität einiger bejahender Sätze kein Abbruch. Eine Eigentümlichkeit der Ploucquet’schen Logik ist nämlich die Voraussetzung, dass Komprehension Allgemeinheit nicht ausschließt (Ploucquet 1970, 175, 4.). Ploucquet meint, partikulare Quantifikation (,einige S‘) lasse sich in zweierlei Sinn praktizieren (Ploucquet 2006, § 14 f.): im ,komprehensiven‘ Sinne, wenn offen bleiben darf, ob die quantifizierten Einzelgegenstände einer Menge mit ihrer Allheit zusammenfallen (Allheit ist dann ein Grenzfall der Partikularität; hier hat der Quantor ,einige‘ den Sinn von ,wenigstens einer‘, kann aber ,alle‘ einschließen; z. B., wenn ich Bäume beobachte und sehe, dass die Eiche, die Fichte und die Ulme Samen trägt und dann induktiv schließe: ,Wenigstens ein Baum, aber vielleicht alle Bäume tragen Samen‘). Oder im ,exklusiven‘ Sinne, wenn der Quantor ,einige‘ so gelesen wird: ,Einige S sind F, einige andere [S] aber sind nicht F‘). Damit steht ein ,logischer Sinn’ („sensu logico“ [§ 16]) einem ,umgangssprachlichen Sinn’ der Partikularität gegenüber („in linguis usitatis“ [§ 31]). Im ersten lässt die Partikularität die Universalität als Extrem oder Grenzfall zu, im zweiten legt sie uns auf ein ausschließendes Entweder-oder fest. Dieser zweite Fall ist gegeben bei einer Nicht-Überschneidung des (extensionalen) Gehalts von Subjekt- und Prädikat-Terminus. Hier findet Differenz oder Negation statt: ,Einige S sind nicht F‘. Und 65 Das entspricht der Definition der ,aequalitas‘ als Umfangs-Gleichheit zweier Termini: „Identitas inter plures quantitates qua tales est aequalitas“ (Ploucquet 1782, 160 [zit. nach Franz 2005a, 106]).
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dann wird das Ausgeschlossene (F) universal verstanden (§ 31: „Integra enim praedicati notio negatur de subjecto“; auch Ploucquet 1970, 175). Die für unsere Fragestellung wichtigste These Ploucquets – zugleich diejenige, die Maimon in seinem Versuch über die Transcendentalphilosophie (1789) ausführlich und zustimmend zitiert (Maimon 1965, 380 – 384 [= Ploucquet 1970, 48 – 53]) – ist die der Subjekt-Prädikat-Identität im wahren bejahenden Urteil; und Schellings Formel ,A = A‘ ist ja bejahend. Ploucquet illustriert sie in Kürze am folgenden Beispiel: ,Jeder Kreis ist eine (quaedam) krumme Linie‘ muss in der komprehensiven Lesart so verstanden werden: Wir haben eine „notionem cujusdam lineae curveae, quae vocatur circulus“, also einer (sc.: ganz bestimmten oder wenigstens einer) gekrümmten Linie, eben der, die da ,Kreis‘ genannt wird (50). Nicht haben wir zu tun mit jeder beliebigen krummen Linie, etwa einer Parabel, die nicht in sich zurückläuft und die keinen Punkt hat, der von allen Punkten der Peripherie gleich weit entfernt ist (51). Wir können den Kreis also nicht mit jeder beliebigen Krümmung, sondern dürfen ihn nur mit derjenigen identifizieren, die begriffsgleich ist mit ,Krümmung, deren Peripherie-Punkte alle gleich weit entfernt sind von einem Mittel-Punkt‘. So ist der eigentliche Sinn des Satzes ,Der Kreis ist eine gekrümmte Linie’ dieser: ,Eine krumme Linie, die in sich selbst zurückläuft, ist eine bestimmte (quaedam) krumme Linie.‘ Das bedeutet, dass das Prädikat um der Wahrheit des Satzes willen nicht in seiner vollen, sondern in der auf den Umfang des Subjekt-Terminus zusammengedrängten (,komprehensiven‘) Extension genommen wird: ,einer bestimmten krummen Linie‘; und dieser Satz ist identisch, weil seine beiden Extreme (so nannte man die Eck-Termini, die den – im Schluss verschwindenden – Mittelbegriff – terminus medius – umgreifen) im Grunde nur einen einzigen Begriff bilden: „ille mentis actus, quo circulus concipitur esse quaedam [eine bestimmte] linea curvea, nihil aliud est quam intellectio unius notionis“ (51; vgl. 52; diese Kon-
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sequenz, „daß nämlich ein Urtheil nur einen Begriff enthält“ [Maimon 1965, 380 u.], war übrigens Maimons Motiv, den eben wiedergegebenen Passus aus Ploucquets Kalkül-Schrift ausführlich zu zitieren: l. c., 381 – 384). Ein möglicher Einwand: ,Krummlinig‘ meine in beiden Fällen extensional (,per notionem genericam‘) dasselbe, egal, ob an einen Kreis oder eine Parabel gedacht wird. Replik: Jedes Prädikat wird dem Subjekt nicht überhaupt, sondern in einer bestimmten Hinsicht zugesprochen („tali modo“, „relatio ad subjectum“): eben der, in der es mit dem Subjekt einen einzigen Begriff bildet, ja, in der es ihm leibnizisch inhäriert („inest subjecto“ [52]). Sage ich etwa: ,Ich sehe diesen runden Stein‘, so habe ich nicht zwei zu konjugierende Begriffe, sondern nur einen: „Licet enim judicium dicatur comparatio ideae cum idea (mag immer das Urteil als Vergleich einer Idee mit einer anderen ausgedrückt werden); idem tamen comparatum cum semet ipso non sistit res duas, vel sed unam (so stellt doch dasselbe, mit sich selbst verglichen, nicht zwei, sondern eines dar)“ (l. c.). Gäbe es nicht klare Belege für Ploucquets Auffassung der komprehensiven Prädikate als ,extensionaler Quantitäten‘ (z. B. Ploucquet 1970, 18, 54), so würde seine eben zitierte Replik auf den Einwand, Begriffe seien doch Extensionen, nahe legen, dass er sehr wohl an ein intensionales Verhältnis gedacht hat. Dafür spricht schon die Leibniz’sche Ausdrucksweise (inest subjecto praedicatum) und die klar analytische Auffassung der Prädikation, die dem Subjekt-Terminus nichts hinzufügt. Dafür spricht auch Ploucquets Deutung eines Begriffs nicht als disjunktive Klasse von Gegenständen, sondern als konjunktive Merkmalsmenge, in der die Prädikate (selbst Merkmale) enthalten sind wie Raumteile im Raum. Anders würde es keinen Sinn ergeben, das Urteil ,Alle Kreise sind krumme Linien‘ durch folgende Auslegung ad absurdum führen zu wollen: ,Alle Kreise sind Wellenlinien und Ellipsen und Parabeln und Ovale etc.‘ Das aber tut er, z. B. in folgender Überlegung: Im Urteil ,Jeder Mensch ist sterblich‘ „setzen wir nicht nur Menschheit in Umfangeinheit mit Sterblichkeit, sondern innerhalb
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des Gegenstandes ,jeder Mensch‘ stellen wir als eines seiner Merkmale das ,Sterblichsein‘ vor, und so ist es unmöglich, dass die Einheitsvorstellung ,sterblicher Mensch‘ gedanklich auseinandergerissen wird“ (Rülf 1920, 20). Das ,Rundsein‘ wohnt als ein Teilbegriff oder Merkmal dem Subjekt ,dieser Stein‘ inne („ipsa haec notio partialis modo determinato inest subjecto“), und so wird das Subjekt als ein in solcher Weise bestimmtes (qua tali modo determinatum) begriffen und so vom Geiste ein Begriff gewahrt (observatur): runder Stein. Durch diesen Satz denke ich tatsächlich nichts anderes als einen Begriff, nämlich den eines runden Steines, indem zwei Termini auch durch einen ausgedrückt werden können.66 Mag allemal das Urteil Vergleich einer Vorstellung (ideae) mit einer anderen genannt werden, so wird doch das nämliche (idem) mit sich selbst (semet ipso) verglichen, nicht gibt es zwei Dinge, sondern nur eine (Ploucquet 1970, 52). Es erhellt, dass sich alle bejahenden Schlüsse (syllogismos) auf einen Begriff (unam notionem) reduzieren lassen. Was aber auf eine bejahende Aussage (propositionem) reduziert werden kann, wird damit auf zwei identische Ausdrücke (terminos) zurückgeführt, mithin auf einen Begriff (l. c., 73 u.).
Diese Einheit lässt sich intuitiv oder auf einen Blick erfassen: „uno obtutu“ (l. c.). Ein anderes Beispiel: ,Alle Löwen sind Tiere.‘ Das Urteil besagt nicht, dass die Löwen unter die Klasse aller Tiere, also auch der Hunde, Pferde und Katzen zu rechnen seien, sondern nur, dass zu jedem Löwen das Merkmal Tier67 gehört. „[D]enn der Löw ist nicht das Thier in abstracto, sondern in concreto, auch nicht das Thier Tiger etc., sondern das Löw-Thier, oder Thier-Löw“ (l. c., 66 Wenig früher sagt Ploucquet, die Subjekt-Prädikat-Diversität sei (im bejahenden Urteil) nur ein Schein: Subjekt und Prädikat müssen „als verschiedene Zeichen derselben Sache“ betrachtet werden (Ploucquet 1970, 50,4). 67 Ploucquet präzisiert, dass selbstverständlich das Prädikat nur einen Teil des Subjekts ausmache, dass aber dennoch von einer Identität zwischen beiden gesprochen werden dürfe, weil das Prädikat in seiner komprehensiven Eingrenzung nur diesem bestimmten Subjekt zukomme und, „wenn man es nur unter seinen Bestimmungen verstehe (sub sui determinationibus intellectum), denselben Begriff wie das Subjekt bilde […]“ (Ploucquet 1970, 52 f.).
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II. TEIL: UNTERWEGS ZUM „ABSOLUTEN IDENTITÄTSSYSTEM“
175 f.). Die Begriffs-Identität und das logische Immanenzverhältnis könnten nicht kürzer bezeichnet werden (gerade weil Ploucquet an der eben zitierten Stelle die Sprache der intensionalen, nicht der Umfangs-Logik spricht: „obwohl ein Thier ohne Absicht auf diesen Saz [sic!] [dass es nämlich ein Löwe ist] eine größere Weite [= Extension] hat, und z. E. Pferde, Tiger, Hunde etc. i n s i c h [nicht: unter sich] begreift“ [von mir gesperrt]). Extensionen sind Disjunktionen von Gegenständen; aber bei einer intensionalen Betrachtung (worauf Lenzen hinweist) „enthält ein Begriff A einen Begriff B genau dann, wenn A mit der Konjunktion AB (bzw. BA) zusammenfällt. Da der Begriff ,Löwe‘ den Begriff ,Tier‘ enthält, ist ,Löwe‘ also mit ,Löwen-Tier‘ bzw. mit ,Tier-Löwe‘ identisch“ (Lenzen 2008b, 93). Die Kopula, eigentlich bestimmt, diese Identität zwischen Subjekt und Prädikat anzuzeigen, stellt sich in unserer nicht kalkülisierten Umgangssprache dagegen als eine Art ElementarTeilung dar; und das hat damit zu tun, dass die Extension von ,Löwe‘ mit der von ,Tier‘ eben nicht identisch ist, sondern von der Letzteren überragt wird (l. c., 50; vgl. Hölderlins berühmte Überlegung zu Urtheil und Seyn).
18. Umfangsgleichheit und Bedeutungsverschiedenheit der Urprädikate. Weisen der Identität und die Schwächung des Satzes vom Widerspruch 1. Ich habe durch die Intension-Extension-Unterscheidung bisher nur einen objektiv bestehenden Grund angegeben, warum Schelling seine erkennbar mit Ploucquets verwandte Identitätsauffassung der Prädikation mit der der Differenz der Glieder vereinbaren zu können glaubt – dies alles ohne die Feinmechanik der modernen Semantik. Koextensionalität der Begriffe A (Geist) und B (Natur) schließt ihre Bedeutungsverschiedenheit (also ihre inhaltliche – oder intensionale – Unterschiedenheit) gerade nicht aus. Um den Über-
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gang vom allein existierenden Absoluten (emtyr em, X) zu A und B verständlich zu machen, greift er auf die (mittelalterliche) logische Operation mit der ,reduplicatio‘ zurück, mit der wir uns detailliert im 22. Kapitel auseinandersetzen werden. X ist nicht an ihm selber, sondern nur als A Geist und nur als B Natur. Daraus folgt nicht die Inhaltsgleichheit von Natur und Geist, sondern nur ihre Koinzidenz in X, von dem – dem eigentlichen Satzsubjekt – sie im transitiven Sinne ,gewesen werden‘. Dieses ,wesende Subjekt‘ wäre selbst einfach (im Sinne der analytischen Einerleiheit:68 es wäre nichts als ,es selbst‘), und die Prädikate (A und B [vgl. Schelling 1946, 27, 2. Abschn.]) wären eins nur in Bezug aufs Subjekt, beziehungsweise sofern sie vom Subjekt ,gewesen werden‘, nichts hingegen (bloße lµ emta) außerhalb dieses Bezugs. Wer verliebt ist, ist insofern nicht zornig (Liebe und Zorn sind semantisch distinkt – bei Jacob Böhme, an den Schelling hier denkt, bezeichnen die Ausdrücke einen konträren Gegensatz); aber es ist durchaus denkbar, dass der Verliebte und der Zornige die nämliche Person sind (wie Kafkas Kleine Frau, die dem Ich-Erzähler ganz konträre Botschaften sendet). Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit – darauf insistiert Schelling (Schelling 1946, 27) – wird hier also durch das Identitätsprinzip überhaupt nicht verletzt.69 Ein Beispiel: Die Seele ist nicht der Leib, 68 „Der wahre Sinn des Urtheils, z. B. das A ist B, kann nur dieser seyn: d a s, w a s A i s t, i s t d a s , w a s B ist, oder d a s, w a s A , und d a s w a s B ist, ist einerlei“ (SW I/8, 213 [der entscheidende Ausdruck von mir kursiviert]). „Der wahre Sinn jener anfangs behaupteten Einheit ist daher dieser: ein und dasselbe = X ist sowohl die Einheit als der Gegensatz“ (l. c., 217). 69 Dass Schelling den Satz des Widerspruchs respektiert (nach seiner Meinung: im Gegensatz zu Hegel), zeigt auch diese Passage: „Daß also je das Ideale als solches das Reale sey, und umgekehrt, Ja Nein und Nein Ja, dieß ist ja wohl unmöglich; denn dieß behaupten, hieße den menschlichen Verstand, die Möglichkeit sich auszudrücken, ja den Widerspruch selbst aufheben. Wohl möglich aber ist, daß ein und dasselbe = X sowohl Ja als Nein, Liebe und Zorn, Milde und Strenge sey“ (SW I/8, 214).
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und der Gedanke in seiner mentalen Selbstdarstellung ist kein neurophysiologischer Prozess in meinem Hirn. Beide sind strikt nur mit sich identisch und von ihrem Korrelat unterschieden. Aber aus der Unmöglichkeit zu sagen, das Denken sei als solches ein neuronaler Prozess, folgt nicht – so Schelling –, dass man mithin nicht sagen darf, „dasselbe, was in dem einen Betracht Leib ist, sey in dem andern Seele“ (l. c., 28): erster Morgenschimmer einer Identitätstheorie im zeitgenössischen Sinne, auch wenn wir die Feinmechanik von Theorien der Supervenienz des Einen über dem Anderen von einem philosophischen Klassiker nicht erwarten dürfen (dazu Beckermann 2008, 8. Kap., 203 ff.). Ploucquets Überlegungen könnten Schellings Versuchen zur Aufklärung der Identitätsformel eine wesentliche Hilfestellung geboten haben: Wenn das bejahende Urteil auf beiden Seiten der Copula Äquivalente verteilt, dürfen die Glieder von Sätzen wie ,A = B‘ oder ,Geist ist Natur‘ als umfangsgleich gelten. Denn genau dann, wenn etwas Natur ist, so ist es auch Geist (et vice versa). Das impliziert nun nicht, dass ,Geist‘ und ,Natur‘ auch bedeutungsgleich sind und denselben Wahrheitsbedingungen unterstehen. Sie können sehr wohl, wie man damals sagte, inhaltlich oder intensional verschieden sein. Wie das letztere möglich ist, das sucht Schelling unter Rückgriff auf die alte logische Figur der Reduplikation zu erklären – darüber mehr im 22. Kapitel. 2. Noch eine Konvergenz mit Ploucquet verdient unsere Aufmerksamkeit. Obwohl Schelling das Widerspruchsprinzip ausdrücklich nicht in Frage stellt, darf man doch von einer merkwürdigen Schwächung seiner Geltung bei ihm sprechen (vgl. SW I/7, 205, Anm. 1). Das gilt auch dann, wenn man sich klarmacht, dass er für die Erklärung seiner Identitätsformel 1. nur auf affirmative Urteile zurückgreifen musste, 2. eine besondere Erklärung für die SinnVerschiedenheit von umfangsgleichen Prädikaten hatte (,reduplikative Lesart‘) und 3. ausdrücklich – wahrscheinlich gegen Hegel – betonte, dem Satz des Widerspruchs allen denkbaren Respekt wi-
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derfahren zu lassen – freilich mit einer bemerkenswerten Schwächung seiner Geltung. Dafür findet sich ein früher und auffälliger Beleg in den Aphorismen über die Naturphilosophie (1806): Es sei „Mißverstand des ersten Gesetzes aller Logik“, wenn einer den Satz ,A = B‘ so lesen wollte, als werde A als A geradehin mit B identifiziert. A sei „das Wesen oder E s s e von B“, nicht B in concreto, und B als ein Partikulares sei nur, insofern es von A in diesem seinem Sein unterhalten werde (es sei nur, insofern A es – akkusativisch oder transitiv – ist), so wie ein Prädikat nicht an sich, sondern nur an einem Subjekt auftrete, ohne mit ihm zusammenzufallen. Dennoch hält Schelling, „so paradox es […] scheinen mag“, daran fest, von einem Verhältnis der Identität zwischen A und B, Subjekt und Prädikat, zu sprechen, weil er eben eine Identitätsauffassung der Prädikation vertritt (SW I/7, 205, Anm. 1; auch in den Weltalter-Entwürfen wird der Satz des Widerspruchs mit Nachdruck verteidigt [Schelling 1946, 27, 128; Hogrebe 1989]). Ich will nur, so kurz und einfach wie möglich, für diese – nicht Aufhebung, aber Abschwächung des Sinns der Kontradiktion eine Parallele bei Ploucquet sichtbar machen. Wir erinnern uns, dass Ploucquet den Charme seiner Identitätstheorie darin sah, dass er eine Misslichkeit der klassischen (aristotelischen) Logik vermeiden könne: In seiner Fassung kann man die Reihenfolge von Subjektund Prädikatbegriff samt ihren Quantoren salva veritate vertauschen (,Konversion‘), wahre Sätze also in beiden Richtungen lesen; bei Aristoteles gilt dies nur für die beiden Fälle der universell verneinenden und der partikular bejahenden Aussage. Also: (Konv. 1) SeP $ PeS (,Kein Mensch ist ein Engel‘ $ ,Kein Engel ist ein Mensch‘) (Konv. 2) SiP $ PiS (,Einige Menschen sind arm‘ $ ,Einige Arme sind Menschen‘)
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Aber schon bei der Vertauschung von SaP und SoP70 geht das nicht mehr (Konv. 3 und Konv. 4). Aus ,Alle Menschen (S) sind sterblich (P)‘ folgt nicht ,Alles Sterbliche (P) ist ein Mensch (S)‘; und aus ,Einige Lebewesen (S) sind keine Menschen (P)‘ folgt nicht ,Manche Menschen (P) sind keine Lebewesen (S)‘. In diesen letzteren Fällen kann der Wahrheitswert der Konversion nur erhalten werden, wenn nicht nur – wie in den zwei vorigen Beispielen – die beiden Termini simpliciter, sondern auch die Quantität verändert wird. Man spricht in dem letzteren Fall von ,Konversion per accidens‘. (Urteile der Form O – ,einige S sind nicht P‘ – sind danach gar nicht konvertibel. Wir werden aber gleich sehen, dass und wie Ploucquet mit dieser Auskunft sich nicht zufrieden gibt, sondern dass er auch die vierte Satzform SoP mit feinsinnigen Auflagen für konvertibel hält.) In der komprehensiven Lesart – meint Ploucquet – gelte die Konvertierbarkeit der Aussagen nun aber durchgängig, auch für die negierten Sätze; und das erleichtere den logischen Formalismus erheblich („Ein partikular-verneinender Satz ist eben so wohl convertibel, als ein allgemeiner, wenn man nur dem Prädikat seine allgemeine Grösse lässt“ [Ploucquet 1970, 178]). Ploucquet illustriert das in einem „Exempla Conversionum“ überschriebenen Abschnitt u. a. an folgenden beiden Beispielen, die auch Lenzen (2008a, 105) diskutiert: Quædam religio non est rationalis. Cum omne rationale negetur de Quadam religione; patet, propositionem conversam esse hanc: Nullum rationale est Quædam religio; non autem hanc: Nullum rationale est religio; quia non omnis religio, sed Quædam religio negatur de
70 Ich benutze die klassische (auf Aristoteles aufbauende) Notation: S steht für Subjekt, P für Prädikat, und ,a‘, ,e‘, ,i‘ ,o‘ für die vier Figuren des so genannten logischen Quadrats: a ist ein allgemein bejahendes (,Alles S ist P‘), e ein allgemein verneinendes (,Kein S ist P‘), i ein partikulär bejahendes (,Einiges S ist P‘) und o ein partikulär verneinendes Urteil (,Einiges S ist nicht P‘). Zur raschen Übersicht: Tugendhat/Wolf 1983, Kap. 5, bes. 73 im Kontext.
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omni rationali: Neque propositio conversa in formâ potest esse: quoddam rationale non est religio; quia rationalis sumitur universaliter. Quædam creatura non est homo: Convertendo erit: Nullus homo est quædam creatura, quia omnis homo negatur de quadam creatura, v. g. ligno, lapide &c. (Ploucquet 1970, 55).
In der komprehensiven Lesart trete also nicht der traditionelle Schulbuch-Widerspruch zwischen SiP und SeP (und analog zwischen SoP und SaP) auf, also nicht zwischen Aussagen wie: ,Manche S sind P‘ (,Ein bestimmtes Geschöpf ist ein Mensch‘ oder ,Einige Geschöpfe sind Menschen‘) und ,Kein S ist P‘ (,Kein Mensch ist ein [bestimmtes] Geschöpf‘)
bzw. ,Einige S sind nicht P‘ (,Einige Geschöpfe sind keine Menschen‘) und ,Alle S sind P‘ (,Unter allen Geschöpfen befinden sich einige Menschen‘) (Ploucquet 1970, 55).
Nämlich dann nicht, wenige ,einige‘ (,manche‘, ,wenigstens ein‘) so gelesen wird, wie wir es kennen, nämlich als: ,wenigstens ein, aber grenzwertig auch alle‘. Dann stehen sich nämlich S und P nicht kontradiktorisch, sondern bloß konträr gegenüber, d. h., dass sie zwar nicht beide wahr, aber beide falsch sein können. Aber, wird man einwenden, wie soll denn das möglich sein, dass diese beiden, einander entgegengesetzten Aussagen sich nicht strikt widersprechen? Ploucquet hat seine „Abänderung der logischen Construction“ (Ploucquet 1970, 155) in einer ausführlichen Replik auf Lamberts Anmerkungen zu seinem Verfahren (1765) lichtvoll verteidigt. Es sei irrig, sagt er dort, partikulare Sätze für ausschließend, nämlich für die Allgemeinheit verneinend anzusehen. Dieser Irrtum habe von Aristoteles bis auf seine Zeit zum unrichtigen Beweis der Schlussarten Baroco und Bocardo geführt (l. c., 177). Diese Schlussarten betreffen die falsche Verneinung eines partikularen Satzes. In
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ihm wird das Prädikat falsch von seinem Subjekt verneint; wahr wäre also die Bejahung des Prädikats. Aber, sagt Ploucquet, das ändert doch den Umfang des Subjekt-Ausdrucks nicht (Ploucquet 2006, § 37, 12): Da nun dasselbe Subjekt particular ist, so ist schlechterdings nothwendig, daß es seine Partikularität auch in dem bejahenden Satze beibehalte. Wenn es falsch ist, dass einige A, nicht B sind; so ist nothwendig wahr, daß diese einige A, B sind, nicht aber, daß alle A, B sind; dann [sic!] der Fehler wurde bey dem Prädikat, nicht bey dem Subjekt begangen (Ploucquet 1970, 177).
Mit anderen Worten: Das Subjekt büßt seine Partikularität in der Negation nicht ein, sondern behält sie; nur das Prädikat wird einmal bejaht, das andere Mal verneint. (Wenn ich glaube, Maulwürfe haben keine Augen, so glaube ich, einige Tiere haben keine Augen – und meine mit ,einige Tiere‘ genau und nur die Maulwürfe.71 Wenn das falsch ist, so ist das Gegenteil zu meiner Überzeugung nicht: „Alle Thiere haben Augen: sondern nur: Einige Tiere, d. i. diejenigen Thiere, von denen ich glaubte, daß sie keine Augen haben, haben [sehr wohl] Augen“ [l. c., 178].) Daraus ergibt sich nun, dass die traditionelle Unvereinbarkeit (sub)konträrer und kontradiktorischer Gegensätze ihre Schärfe verliert (Franz 2005b, 88, 101; Lenzen 2008b, 76, 98 ff.; Lenzen 2008a). Konträr heißt ein Gegensatz, in dem nicht beide Prädikate auf ein Subjekt zutreffen, wohl aber beide falsch sein können (ist also eines wahr, so ist das andere notwendig falsch: SaP [,Alle S sind P‘] und SeP [,Kein S ist P‘]; Beispiel: ,Alle Farben sind eckig/süß‘, ,Keine Farbe ist eckig/süß‘ – weil die Prädikate ,eckig‘ und ,süß‘ nicht in denselben Prädikationsspielraum wie Farben gehören [vgl. Tugendhat/Wolf, 1983, 71 f., 57 ff.]).72 Subkonträr heißen Urteile, in denen 71 Der Satz ist natürlich empirisch falsch; aber Ploucquet gebraucht ihn. 72 „Wenn der Saz, da Etliche exclusiv genommen wird, falsch ist: so können folgende beide Säze wahr seyn: Alle A sind B, und: Kein A ist B“ (Ploucquet 1970, 178).
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beide Prädikate zwar nicht zusammen falsch, wohl aber zusammen wahr sein können: SiP [,Einige S sind P‘] und SoP [,Einige S sind nicht P‘]; Beispiel: ,Einige Bücher sind rot‘ und ,Einige Bücher sind nicht rot, z. B. blau‘; Tugendhats Beispiel ist: ,Einige Philosophen sind langweilig‘ und ,Einige Philosophen sind nicht langweilig‘, die beide wahr sein können: Tugendhat/Wolf 1983, 72). Kontradiktorisch heißt ein Urteil, in dem ein Prädikat zugleich mit seiner Verneinung gesetzt wird und also notwendig eines von beiden zutreffend, das andere falsch sein muss, weil sie eben kein gemeinsames Drittes haben (SaP [,Alle S sind P‘] und SoP [,Einige S sind nicht P‘] bzw. SeP [,Kein S ist ein P‘] und SiP [,Mindestens ein S ist P‘]). Gegen diesen in der logischen Tradition seit Aristoteles akzeptierten Usus behauptet nun Ploucquet in der Tat (und Lenzen findet: zu Unrecht), die Urteile SiP (,Wenigstens ein [quoddam] S ist P‘) und SeP (,Kein [Nullum] S ist P‘) stünden sich nicht kontradiktorisch, sondern konträr gegenüber, und zwar dann, wenn man die Negation so lese: ,Kein S ist ein bestimmtes P‘ (sie könnten also beide falsch, und ein Drittes könnte wahr sein) – und entsprechend die zugehörige Negation: SoP (,Wenigstens ein [quoddam] S ist nicht P‘) und SaP (,Jedes [Omne] S ist P‘): beide könnten falsch sein. Während also – in der traditionellen Logik – die negativen Sätze ,Einige Religionen sind [= wenigstens eine bestimmte Religion ist] nicht vernünftig‘ dem positiven Allsatz ,Alle Religionen sind vernünftig‘ kontradiktorisch gegenüberstünde, wählte Ploucquet die – zugegeben – sprachunübliche Wendung ,Keine vernünftige Theorie ist eine bestimmte Religion‘, die dem ersten (partikularen) Satz zwar, wie es das Viereck der Gegensätze verlangt, eine universelle Formulierung gegenüberstellt, aber Subjekt und Prädikat vertauscht und so mit der ursprünglichen Formulierung kompatibel ist. Um diese Abschwächung des Sinns der Kontradiktion zu erreichen, muss Ploucquet die Beispiele ,komprehensiv‘, und eben nicht ,exklusiv‘ interpretieren: Wenn wenigstens eine Religion nicht vernünftig ist, kann die Umkehrung nur lauten, dass unter allem
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Nichtvernünftigen sich auch wenigstens eine Religion befindet, nicht aber, dass alle Religionen unvernünftig sind. Eine solche Umkehrung geht eben nur, wenn ,wenigstens ein‘ und ,alle/kein‘ die komprehensive Lesart erfahren, wonach der Umfang des SubjektTerminus bei der Umkehrung gewahrt bleibt, also mit dem Umfang des Prädikats ,geglichen‘ wird: „Idem enim, quod negatur, per affirmationem affirmatur“ (Ploucquet 2006, 12, § 37; vgl. das negative Pendant im § 38 und die §§ 40 ff. „De Conversione“). Verneint wird die Vernünftigkeit einer bestimmten Religion; bejaht wird die Unvernünftigkeit dieser nämlichen (bestimmten) Religion. Hier herrscht ein Sowohl-als-auch-Verhältnis (also ein Teils-teils-) bzw. ein Weder-noch-Verhältnis. Wenn einige Religionen den Kriterien der Rationalität nicht genügen, so gilt das (wenigstens in der Logik) nicht per se von allen Religionen. Hier wird also die Kontradiktion – mit ihrem tertium non datur – aufgeweicht zum subkonträren Gegensatz à la Tugendhat: ,Einige Philosophen sind langweilig‘ und ,Einige Philosophen sind nicht langweilig‘ – Sätze, die beide wahr sein können. (Ploucquet sagt, der Satz: „Etliche A sind nicht B“, sei im komprehensiven Sinne so zu verstehen: „diese Etliche A [sind] keine B, es mögen andere A, die unter diesen Etlichen nicht begriffen sind, B seyn, oder nicht seyn“ [Ploucquet 1970, 178].)
19. Exkurs: Parallelen zu Ploucquet finden sich noch in Schellings schwacher Unterscheidung von Kontradiktion und Kontrarietät in den späten Vorlesungen zur „reinrationalen Philosophie“ In Lyotards Le Différend findet sich eine „Notice ARISTOTE“ (Lyotard 1984, 111 – 116). Es werden dort zwei ,Operationen‘ diskutiert, die nach Aristoteles beim Argumentieren auftreten, t¹ ûla und t¹ pqºteqom, das Vor und Nach, die Zeitfolge; ist doch die Zeit „die Zahl der Bewegung nach ihrem Vor und Nach“ (Physik 219 b
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19. EXKURS: KONTRADIKTION UND KONTRARIETÄT
1 – 2). Der Satz vom Widerspruch schließt widersprechende Prädikate in Bezug auf ein und dasselbe Subjekt ja nur aus, wenn sie ihm zugleich beigelegt werden. Der jetzt sitzende Sokrates kann sehr wohl zu einer anderen Zeit aufrecht stehen. Gibt man die Zeitstelle nicht an, so entstehen Paralogismen von der Art: „Derselbe sitzt und steht, denn um zu stehen, muss er sich erheben, und erheben kann sich nur, wer sitzt“ (zit. Lyotard 1984, 111). Allerdings räumt Aristoteles ein, dass das Jetzt, welches Vor und Nach scheidet, eigentlich ein ausdehnungsloser Ort ist, den wir – sprechend – nur zu früh oder zu spät benennen können; außerdem ist die Selbigkeit des in der Zeit sich Erstreckenden nie ausgemacht. Es ist, sagt Aristoteles, „einerseits nicht und andererseits doch dasselbe“ (Physik 219 b 12 – vgl. Hegels Definition der Zeit als des ,Seins, das, indem es ist, nicht ist, und indem es nicht ist, ist‘ [Hegel 1970b, Enzyklopädie Bd. II, § 258, S. 48]). Das gilt auch für die physische Seite jeder Rede, nicht aber für das von ihr – als kºcor !povamtijºr – thematisierte jetzt Seiende (zit. Lyotard 1984, 114), das damit als propositionaler Gehalt aus dem Zeitfluss herausgehoben ist: [Ainsi,] Aristote déconnecte les opérateurs diachroniques, jouant dans les univers de phrase et l’occurence de la phrase (ou l’occurence-phrase). La présentation ,actuelle‘ est imprésentable, l’événement s’oublie comme tel en tant qu’il se conserve (l’après), s’anticipe (l’avant), ou se ,maintient‘ (le maintenant). (l. c.)
Diese ,Entflechtung‘ will Lyotard zurücknehmen zugunsten einer Indifferenz (wenn ich recht sehe) von physisch-zeitlichem Vorkommnis (Sprache als Schall-Fluss) und Rede-Inhalt (Bedeutung und Referenz). So würde Rede als „Ereignis“ (à la Heidegger) genommen, aber ohne sie einem privilegierten „Dasein“ (einem Menschensubjekt) als Adressaten zuzueignen (l. c. ,115). Ich verstehe nicht, was man sich unter dieser adressatenlosen, hinsichtlich ihres Sinns neutralisierten und doch angeblich nicht bloß physischen ,chaîne phonatoire‘ vorstellen soll, möchte aber stattdessen bei der Frage verweilen, ob die Gleichzeitigkeit/Un-
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gleichzeitigkeit eine essentielle Qualität ins Widerspruchsprinzip einbringt oder nicht. In einigen Formulierungen des Grundsatzes des Aristoteles fehlt der Zeitindikator (ûla) in der Tat nicht, etwa in der folgenden, von Schelling ausführlich kommentierten (Metaphysik IV, 6 extr.): „(Epe· d(!d¼matom, tµm !mt¸vasim !kghe¼eshai ûla jat± toO aqtoO“ (Da es unmöglich ist, dass Widersprechendes zugleich von demselben mit Wahrheit gesagt werde). An dieser Stelle folgert Aristoteles daraus aber noch mehr (in Schellings Übersetzung): [Da dies so ist,] ist offenbar, daß auch Entgegengesetztes [t!mamt¸a] nicht zugleich eines und dasselbe sein kann. Denn das eine der Entgegengesetzten ist Beraubung [t_m l³m c±q 1mamt¸ym h²teqom st´qgs¸r 1stim], Beraubung aber nicht weniger Verneinung [!pºvasim], nämlich einer bestimmten Art (des S e y n s z. B., nicht des Seyns überhaupt). Wenn es also etwas Unmögliches ist, mit Wahrheit zugleich zu bejahen und zu verneinen [ûla jatav²mai ja· !pov²mai !kgh_r], so wird auch unmöglich seyn, daß Entgegengesetzte zugleich eines und dasselbe seyn, man beschränke denn jedes auf ein besonderes Wo, oder sage das eine vom bestimmten Theil (s c h w a r z z. B./ vom Auge), das andere (w e i ß ) schlechthin vom Ganzen (SW II/1, 305 f.).
Schelling findet an diesem Zitat „[m]erkwürdig […], wie hier dem ,n i c h t z u g l e i c h‘ das ,n i c h t a n d e r s e l b e n S t e l l e‘ substituiert ist, und leicht mag Aristoteles sinnliche Beispiele, wie die von uns (ähnliche hat Alexander [der Kommentator des Aristoteles]) beigefügten im Sinne gehabt haben“ (l. c., 306). ,An derselben Stelle‘ ist nicht notwendig räumlich zu verstehen, es kann meinen: eines könne nicht mit gleicher Geltung fürs andere stehen (wie in der Substitutionsregel salva veritate oder im Leibniz’schen Ununterscheidbarkeitsgrundsatz). Nun ergibt dies Räsonnement nur Sinn, wenn der hier waltende Typ von Gegensatz nicht der „formelle Widerspruch“ ist: nicht die kontradiktorische, sondern die konträre Entgegensetzung (l. c., 308 f.; schon 304 f.). In der traditionellen Logik nennt man zwei Begriffe konträr, wenn zwischen ihnen im Rahmen eines höheren Begriffes der denkbar größte Unter-
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19. EXKURS: KONTRADIKTION UND KONTRARIETÄT
schied besteht. Konträre Begriffe sind etwa – in Bezug auf Spinozas höchstes Wesen – „reell“ und „ideell“ oder – in Bezug auf moralische Qualität – „gut“ und „böse“. Konträre Begriffe werden also so gebildet, dass eine Klasse von Dingen derart in Unterklassen aufgespalten wird, dass die Teilklassen nach einem bestimmten Ordnungsprinzip in einer Reihe angeordnet sind. Dann nennen wir die an den beiden Enden stehenden Grenzbegriffe einander konträr entgegengesetzt. Da dieses jeweilige Ordnungsprinzip intensional (auf Wortbedeutung beruhend) ist, fällt der konträre Gegensatz gar nicht in die formale Logik. – Nun gleitet unser Aristoteles-Zitat unversehens aus der Beschreibung des kontradiktorischen in die des konträren Gegensatzes: Auch Entgegengesetzte (t!mamt¸a) – nicht nur Widersprechende (tµm !mt¸vasim) – können, sagt er, nicht zugleich von demselben mit Wahrheit gesagt werden, und verweilt dann bei der Erörterung nur des konträren Gegensatzes. Entgegengesetzte sind mit einer Verneinung, einer Beraubung (!mt¸vasir, st´qgsir) gesetzt; sie müssen, um miteinander bestehen zu können, einander einen Teil ihrer Realität abtreten.73 Darum unterscheidet Aristoteles die unbedingte oder absolute Verneinung (B !pºvasir B "pk_r kecol´mg), die besagt: fti oqw rp²qwei (1je?mo) 1je¸m\, von der bedingten oder relativen: fti oqw rp²qwei (1je?mo) tim· c´mei (Metaphysik IV, 2, 63, 8 ff.). Mit der ersten ist die bloße Möglichkeit eines Prädikats einem Subjekt abgesprochen (z. B. ist ,weiß‘ kein denkbares Prädikat von ,Stimme‘, und zwar zu keiner Zeit), mit der zweiten ist nur die Wirklichkeit, nicht aber die Möglichkeit eines Prädikats verneint: Ein böser Mensch, der seiner Natur nach gut sein könnte, ist 73 Mithin ist, beiläufig bemerkt, der berühmte 3. Grundsatz der Wissenschaftslehre von 1794 kein solcher des Widerspruchs, sondern nur der Entgegensetzung: Ich und Nicht-Ich sind einander konträr entgegengesetzt, fallen mithin als äußerste Endglieder einer Unterklasse unter den übergeordneten Begriff des absoluten Ichs und müssen miteinander – sich ,quantifizierend‘ – in die Realität teilen (Fichte 1971 I, 110 – 112).
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II. TEIL: UNTERWEGS ZUM „ABSOLUTEN IDENTITÄTSSYSTEM“
nur nicht gut, lµ !cahºr, könnte aber gut sein und wird durch die Verneinung nur zu einer besonderen Art (c´mor) des auch gut sein Könnenden. Dies l¶ verneint also nur auf gewisse Weise, es beraubt nicht schlechterdings oder ganz und gar (toO fkou kºcou), wie das oqj em (Metaphysik X, 4, 201) tut. Die absolute Verneinungspartikel ist im Griechischen das oq(j), das schlechterdings und in jeder Hinsicht Verneinte ist mithin das oqj em (vgl. SW II/1, 288 f., 303 – 308): das überhaupt, weil schlechterdings nicht sein Könnende. Zur Formulierung des Widerspruchsprinzips gebraucht Aristoteles nun charakteristischerweise die Wendung ûla eWmai ja· lµ eWmai, nie sagt er ûla eWmai ja· oqj eWmai, „wie er müßte, wenn der Grundsatz ihm bloß die formelle Bedeutung hätte, von der die Neueren allein wissen“ (l. c., 308). Formeller (kontradiktorischer) Gegensatz findet nach Aristoteles in zwei Fällen statt (Peq· 2qlge¸ar 6 und 7): 1. wenn ein allgemein bejahender einem partikular verneinenden Satz entgegensteht (z. B. „Von Natur sind alle Menschen weiß“, „Von Natur sind einige Menschen nicht weiß“) – wären nämlich beide Sätze universell bejahend oder verneinend, wäre der Gegensatz bloß konträr, beide könnten falsch sein, nicht kontradiktorisch, so, dass der eine notwendig falsch, der andere also notwendig wahr ist. Von eben solchen Sätzen auszusagen, dass sie „nicht zugleich“ wahr sein können, ist sinnlos, denn wie könnten Widersprechende zu verschiedenen Zeiten beide wahr sein? Der andere Fall eines analytisch evidenten Widerspruchs ist derjenige, wo – ohne Rücksicht auf den Quantifikator – einfach Bejahung und Verneinung einander entgegenstehen („z. B. die Sonne bewegt sich um die Erde“ und „Die Sonne bewegt sich nicht um die Erde“) – auch hier ist es unmöglich zu sagen, weil undenkbar, sie bewege sich und bewege sich nicht, nur nicht in derselben Zeit. Einer ganz anderen Situation begegnen wir in dem Satz „Peter schreibt, Peter schreibt nicht“. Meint ,schreibt nicht‘ dasselbe wie das Dispositionsprädikat ,ist Analphabet‘, dann haben wir natürlich den formellen analytischen Widerspruch, und es ist wieder über-
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19. EXKURS: KONTRADIKTION UND KONTRARIETÄT
flüssig zu betonen, dass beides nicht zugleich auf Peter zutreffen könne. ,Peter schreibt nicht‘ kann aber von einer Person gesagt sein, die schreiben kann und diese Fähigkeit nur gerade nicht ausübt, und hier ist es nicht unmöglich, d. h. es ist kein Widerspruch, zu sagen, daß derselbe auch schreibt, nur i n e i n e r a n d e r n Z e i t. Also gerade nur wo bloße Entgegensetzung, ist das Aristotelische ,n i c h t z u g l e i c h‘ an seiner Stelle, und Kant, der den Grundsatz nur als formellen kennt, hat ganz Recht, wenn er die Einschränkung verwirft, Unrecht jedoch, wenn er meint, wo sie unvermeidlich, sey bloß Ungenauigkeit des Ausdrucks daran schuld (l. c., 309, unter Bezug auf KrV 152 f.).
Ein Behältnis, das leer ist, kann sehr wohl voll sein – nämlich zu einer anderen Zeit; ein nicht Gelehrter (z. B. ein Kind) kann sehr wohl, nämlich zu einer anderen Zeit (als Erwachsener) gelehrt sein, ebenso der Böse gut usw. Kant, der meinte, der apodiktisch gewisse Widerspruchssatz werde durch den Zusatz des ,nicht zugleich‘ unstatthaft, nämlich durch die Zeit affiziert, hält Schelling entgegen, dass im reinen Denken sehr wohl ein „Vor und Nach“ stattfinde (SW II/1, 311; vgl. 182, 234 f.). Er spricht auch von einer, wiewohl nur ,noetischen Folge‘, in welcher reine Denkbestimmungen (als bloße Potenzen, als der Wirklichkeit harrende) in eine Abfolge gebracht sind, die ihrer Simultaneität keinen Abbruch tut. Aber dieses „zugleich“ hebt nicht auf, daß das eine Moment noetisch eher sey als das andere. Der Natur nach (d. h. eben in Gedanken) ist darum das Erste doch das Erste, das Dritte das Dritte; was Subjekt und Objekt in Einem ist, kann nicht mit Einem Moment, es kann nur mit verschiedenen Momenten, und da unsere Gedanken derselben successiv sind, auch nicht mit einer und derselben Zeit (jat± t¹m aqt¹m wqºmom [Metaphysik XI, 5]) gesetzt werden, wenn nämlich, was hier bloß noetisch gemeint ist, zum realen Prozeß wird (l. c., 312).
In der Einleitung zur ersten Berliner Vorlesung (von 1841/42) interpretiert Schelling den noetischen Gegensatz der Potenzen sehr wohl als kontradiktorisch. Aber der Widerspruch bleibe virtualisiert:
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Was nur sein kann, aber nicht ist, widerspreche dem nicht, das nicht einmal sein kann. Schelling nennt die beiden Relata der „Urpotenz“ hier „das ins Sein Übergehende und das ins Sein Nichtübergehende“ (Schelling 1993, 102). Die Urpotenz (die unendliche Potenz des Seins) schließt nichts aus und läßt zwei kontradiktorische Gegenteile zu. Das was potentiâ das Übergehenkönnende ist, ist potentiâ zugleich das schlechthin sich Gleiche und Identische. (Wer nur potentiâ krank ist, ist auch potentiâ gesund, und umgekehrt. [Dies freilich ist ein nur konträrer Gegensatz; die Person könnte tot sein.]) Das Sein können, die Urpotenz läßt sich keinen entschiedenen Charakter abgewinnen; denn seiner Natur nach kann es eben sowohl das übergehende, als das sich selbst gleichbleibende sein. Sind diese beiden Möglichkeiten ursprünglich mit einander und unentschieden, so kommt die Unterscheidung erst/ herein durch das wirkliche Übergehen der ersten; die zweite wird dadurch erst gesetzt. Denn ihrer Natur nach ist sie nicht zum Sein geneigt, vielmehr demselben entgegen. Ausgeschlossen von jener Unentschiedenheit wird die zweite Möglichkeit erst in Kraft gesetzt (102 f.).
20. Noch einmal Ploucquet: Im Urteil koinzidiert die ,Form‘ mit dem ,Wesen‘. Sie muss als „Selbstoffenbarung (manifestatio sui)“ desselben verstanden werden Die Eleganz von Ploucquets Konvertibilitäts-Konzession selbst an die Paarung universell verneinter und partiell bejahter Sätze ist mit einem gewissen Aufweichen der Unterscheidung von Kontradiktion und Kontrarietät erkauft. Ich wollte zeigen, dass Schelling bis in die letzten Jahre seines Lebens damit ringt, wie das, was er den Gegensatz der Urpotenzen (Natur und Geist, rein Seinkönnendes und rein Seiendes usw.) nennt, näher zu bestimmen sei.74 Es sollte sich 74 Oetinger ist über diesen Punkt sehr klar. Er hält den Antagonismus der Kräfte im Leben Gott für das Widerspiel „conträrer Triebe“ (Oetinger 1977a 2: 266) – im Zusammenhang mit seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem „noch jetzt lebenden Herrn Prof. Ploucquet“.
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nicht um Prädikate handeln, die, einem absoluten Subjekt (= X) zugesprochen, auf einen Widerspruch führen – wie er Hegel im Verdacht hat, das mit seiner Dialektik zu tun. Aber selbst mit dieser Möglichkeit ringt er. Ich werde nicht weiter in die logisch heikle Materie eindringen; denn mir lag nur daran zu zeigen, dass Schellings Identitätstheorie der Prädikation auch dies Problem von seinem Stiftlehrer Ploucquet geerbt haben könnte. Wolfgang Lenzen (2008a, 2008b) vor allem hat gezeigt, dass Ploucquet es sich beim Versuch einhandelt, die von Aristoteles überkommene Lehre von der Inkonvertibilität einiger verneinender Urteile durch seine komprehensive Lesart zu entkernen. Kehren wir von diesem Exkurs zurück zu Schellings Interpretation der Satz-Copula als Identitätszeichen: Dass er die Copula, die er gern auch (platonisch) das ,Band‘ oder ,das ewige Band‘ nennt, als Identitätszeichen verstanden hat, unterliegt keinem Zweifel. Seit seiner Darstellung meines Systems der Philosophie (1801) hat er das Wesen der absoluten Identität von Natur und Geist durch die Form des Urteils erläutert, in der sie sich ausspricht. Dabei unterscheidet er, wie wir wissen, den Gehalt oder das Wesen der Identität von der Form des Urteils, durch das es (das Wesen) sich dem Erkennen vermittelt, also von „A als Subjekt und A als Prädicat“. Sagt man statt ,Wesen‘ ,Seyn‘, so können die Satzglieder auch Seinsweisen oder ,Arten des Seyns‘ heißen. Während das Wesen selbständig existiert, können die kopulativ Verbundenen „nicht von sich selbst seyn“: Sie bestehen nur als vom Wesen Verbundene (SW I/4, 120 f.). Ungeachtet der Tatsache, dass die Satzform mithin unmittelbar mit dem Sein der absoluten Identität mitgesetzt ist (l. c., § 15), gilt doch ein zwar nicht zeitlicher oder aktueller, aber doch (onto)logischer Vorrang des Wesens vor der Form: Was zugleich mit der Form des Satzes A = A gesetzt ist, ist auch unmittelbar mit dem Seyn der absoluten Identität selbst gesetzt, es gehört aber nicht zu ihrem We-
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sen, sondern nur zu der Form oder Art ihres Seyns (l. c., Zusatz 1; deutlicher ebenso SW I/6, 147, und 163 unten).
Es gibt also – wie wir früher sahen – eine asymmetrische Abhängigkeit der Form vom Sein oder Wesen, die nur mühsam im Verband einer Identität beider unterkommt: eine für Schelling charakteristische Annahme. Dazu passt, dass Schelling die Form des Satzes stets als etwas einführt, in dem sich das Wesen des Absoluten nur ,ausspricht‘ oder ,ausdrückt‘ (z. B. SW I/6, 150, Zusatz zum § 7). In den Weltaltern unterscheidet er ein Aussprechliches von einem Aussprechenden und dieses wieder von dem Ausgesprochenen (Schelling 1946, 124 ff., 168 ff.). In Form der Vernunft (oder des Erkennens) – und nichts anderes ist die Form des absoluten Satzes – „w i e d e r h o l t“ sich nur die absolute und vorprädikative Identität (SW I/6, 151; 155 o.). Der Aussagesatz steht also in einer Art Repräsentationsverhältnis zur absoluten Einheit. Auch in der AbbildForm identifiziert er, diesmal nicht ein Subjekt und ein Objekt, sondern ein (Satz-)Subjekt mit einem Prädikat. Und so wie auf der ontologischen, der Ebene des Wesens, ein Affirmierendes, das selbst schon affirmiert war, einem Affirmierten gleichgesetzt wurde, das selbst schon affirmierend war, so wird in der Form des Identitäts-Satzes A = A (oder besser: A = B) nicht eines mit sich selbst, sondern A, insofern es von X ,gewesen‘ wird, mit B, insofern es von demselben X ,gewesen‘ wird, gleichgesetzt. Im absoluten IdentitätsUrteil werden also zwei Unter-Identitäts-Urteile noch einmal identifiziert (Schelling 1946, 27 – 29 und 126 – 131); und die Form des Urteils wiederholt in ihrer „Doppelheit“ (129) – ,spricht aus‘ – die Natur eines „Doppelwesen[s]“ (29). Hier – zwischen den Jahren 1811 und 1813 – begegnet Schelling der alten Timaios- und Oetinger-Formel von der „mit sich gedoppelten“ Identität oder der „Identität der Identität“ wieder (28), ja selbst der Formel von der „Einheit der Einheit und des Gegensatzes“ (63).
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Es lassen sich hieraus verschiedene Folgerungen ziehen; z. B. daß das Band (das Ist) im Urtheil nicht ein bloßer Theil desselben ist, sondern gleicherweise allen Theilen zu Grunde liegt; daß Prädicat und Subject jedes für sich schon eine Einheit sind, daß also das Band im Urtheil niemals ein einfaches, sondern ein mit sich selbst so zu sagen verdoppeltes, eine Einheit von Einheiten ist (129).
Den genauen Sinn der Theorie des Doppelurteils werden wir besser verstehen, wenn wir uns mit Schellings Aufnahme der Figur der Reduplikation aus der „alte[n] tiefsinnige[n] Logik“ (SW I/7, 342) vertraut gemacht haben (im 22. Kapitel). Während der identitätsphilosophischen Phase ist Schelling über den Abbild-Charakter der Urteils-Kopula sowie der Aussage, dass ihr wahrer Sinn der einer doppelten Identifikation sei, nirgends so explizit wie in den Aphorismen über die Naturphilosophie (von 1806). Hier weicht die in den klassischen identitätsphilosophischen Texten überwiegende Rede vom Affirmierenden/Bejahenden und Affirmierten/Bejahten explizit dem prädikationslogischen Vokabular. Das Affirmierende heißt nun Subjekt, das Affirmierte Prädikat; das erste heißt Antecedens, das zweite Consequens (342). Und der Satz ,A=A‘ selbst heißt hier „der höchste Existentialsatz“ (weil Schelling in dieser Phase seines Philosophierens die Ausdrücke ,Wesen‘ und ,Existenz‘ noch nicht unterscheidet). Er bildet die allgemeine Matrix aller wahrheitsfähigen Aussagen, deren „Princip“ er ist – und löst nebenbei den Unterschied analytischer von synthetischen Urteilen auf (I/7, 218). Alle Existenz beruht auf der unauflöslichen Verknüfung des Subjekts mit einem Prädicat, die in jenem Satze [A=A] nicht für den besondern Fall, sondern allgemein und schlechthin/ ausgesagt ist. Wird nun zugegeben, wie denn zugegeben werden muß, daß das Verhältniß des Prädicats (d. h. des Prädicirten) zum Subjekt (d. h. dem Prädicirenden) das Verhältniß eines solchen sey, das an und für sich selbst n i c h t seyn könnte, durch die Verknüpfung mit dem Subjekt aber i s t, so erhellt, daß der Satz A=A, das Princip der Identität, nichts anderes aussagt denn d i e e w i g e C o p u l a d e s s e n, d a s a n s i c h s e l b s t i s t [das Subjekt], m i t d e m, d a s a n u n d f ü r s i c h s e l b s t n i c h t
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s e y n k ö n n t e [das Prädikat], d. h. die absolute Identität des Unendlichen und des Endlichen. Es erhellt eben daraus, dass durch jede Verknüpfung, die in Kraft dieses Gesetzes geschieht, also überhaupt in jedem Vernunftsatz, nicht Gleiche, sondern wirklich Entgegengesetzte verbunden werden, die sich immer so verhalten, wie sich Prädicirendes und Prädicirtes verhält. Beide wären formal oder analytisch nicht eins; sie wären nicht eins o h n e G o t t; durch Gott sind sie aber auch nicht synthetisch, sondern eben absolut-eins (218 f.).
Dieser dichte Passus verlangt nach einem Kommentar. Es gehen mehrere gedrängte Argumentationsstränge durcheinander, die ich entflechten möchte. Die These selbst ist kaum misszuverstehen: Was Schelling ,Form‘ nennt, ist die Urteils-, die Aussage-Ebene, auf der einem Subjekt ein Prädikat beigelegt wird. Auf dieser Ebene erst entsteht, wie Schelling an anderen Stellen deutlich macht, so etwas wie ,Erkenntnis‘; denn erkannt wird das Wahre, und Wahrheit ist eine Eigenschaft von Aussagen, nicht von Wesenheiten. Was da näherhin erkannt wird, ist die substantielle Subjekt-Objekt-Identität des ,Wesens‘, die Schelling besser mit ,A = B‘ statt durch ,A = A‘ symbolisiert hätte. Denn der Schluss des Zitats macht deutlich, dass Schelling meint, die nicht-triviale Identifikation, die in Aussageform stattfindet, binde einen Gegensatz in die Identitätsformel ein, so eben (wie wir es von Schelling gewöhnt sind), dass in ihr eine Einheit einen Gegensatz einschließt. Die Identität heißt eben darum – auch das verstehen wir – ,gedoppelt‘, weil sie nicht zwei Relata identifiziert, sondern die Identität beider mit ihrer NichtIdentität. So verstehen wir nun auch die These, die erweiterte Identitätsformel überwinde den kantischen Gegensatz von Erläuterungs- und Erweiterungs- (oder analytischen und synthetischen) Urteilen. Hier kommt ein Keimgedanke der Formschrift zur reifen Entfaltung. Seit Aristoteles heißen Subjektausdrücke (Ausdrücke, die für ,Substanzen‘ stehen) solche, die für sich alleinstehen können; Prädikate aber heißen unselbständig, weil sie parasitär an einem Selbständigen haften, mit dem sie nicht im trivialen Sinne verschmelzen. Während
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die Formel ,A = A‘ zur Bezeichnung der strikten Selbstidentität der Substanz (analytisch) annehmbar ist, passt sie nicht auf die Synthese des Subjekts mit dem ihm beigelegten, aber nicht im strikten Sinne identischen Prädikat. Und doch ist Prädikat (nach Schelling) ja nichts anderes als das ,Aussprechende‘ des verborgenen Wesens, das ihm also nichts anderes zufügt, sondern es allererst wahrheitsförmig (in Aussagesatzform) artikuliert. Wir erinnern uns: Schelling war im Verlauf seines Nachdenkens über den Sinn des Gedankens einer Identität von Natur und Geist dahin gekommen, zwei Bedeutungen von ,identisch‘ zu unterscheiden: die analytische oder tautologische, in der ein Subjekt-Ausdruck einfach durch sich selbst bestimmt wird (,A = A‘ oder ,wenn A, dann A‘); und die synthetische, in der die Bedeutungen von Subjekt und Prädikat in wenigstens einem Aspekt differieren (,A = B‘): gemäß der Hume’schen Vorgabe, dass das ,sich selbst’ der Identitäts-Formel nicht haargenau dasselbe bedeuten dürfe wie das Nomen, auf das es sich als Reflexivpronomen bezieht – denn würde es das tun, so hätten wir wieder den ,sinnlosen‘, ,nichts sagenden‘ Kasus der Selbstidentifikation. Gehaltvolle Identifikation muss also ein Differenz-Moment einschließen, das Prädikat muss die Bedeutung des Subjekts synthetisch erweitern; und genau das will Schellings Formel von der Identität der Identität und der Nicht-Identität ausdrücken. Wittgenstein hat das Problem im Tractatus so zugespitzt: „Beiläufig gesagt: Von zwei Dingen zu sagen, sie seien identisch, ist ein Unsinn, und von Einem zu sagen, es sei identisch mit sich selbst, sagt gar nichts“ (5.5303). Ulrich Pardey hat sich differenzierte Strategien ausgedacht zur Vermeidung dessen, was allgemein als die Antinomie oder das Paradox der Identität bezeichnet wird. Es kommt dadurch zustande, dass man die Identitätsaussage (ich bleibe bei Schellings Symbolismus) ,A = B‘ als Aussage über Dinge versteht und dann zu der Absurdität kommt, zwei Dinge als ein Ding fassen zu müssen (Pardey 1994, 106 im Kontext). Damit hängt
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der Fehler zusammen, Identität überhaupt als eine Relation – genauer, als eine reflexive Relation – zu bestimmen. Relationsprädikate sind typischerweise zweistellig; das gilt auch für die – wie die Logiker sagen – ,feinste‘ aller Relationen, die Identität bzw. die Reflexivität. Es wäre ein Irrtum, Identität und Reflexivität als Grenzfälle von Relationalität aufzufassen. Denn für ,normale‘ Relationen gilt, was Ulrich Pardey die ,Verschiedenheits-Voraussetzung‘ nennt (l. c., 5, 30 ff.). Sie führt in die seit Frege bekannten Paradoxien der Identität/Reflexivität, die ,a = a‘ als einen Grenzfall von ,a = b‘ behandeln und reflexive Relationen (,sich kennen‘, ,sich lieben‘) für einen Spezialfall transitiver und asymmetrischer (,jemanden kennen‘, ,jemanden lieben‘). In dem Satz ,Ödipus heiratet Iokaste‘ ist präsupponiert, dass er sie nicht für seine Mutter hält; und in ,Peter wirft Paul ins Wasser‘ ist vorausgesetzt, dass Peter nicht mit Paul identisch ist. Anders gesagt, wir brauchen eine Auffassung, die A und B wider den reflexiv-pronominalen Sprachgebrauch auf bare fugenlose Identität (sagen wir: Einerleiheit) gründet (und Einerleiheit nicht für eine normale, nämlich nicht für eine zweistellige Relation hält). Selbstbewusstsein ist so ein Fall, in dem das Andere als dasselbe wie das Eine erkannt wird – und das Selbstbewusstsein schwebt Schelling denn (neben dem kantischen Organismus) auch vor als Modell für die Rede, jedes der beiden, das Affirmierende (Subjekt) und das Affirmierte (Prädikat) sei es „von sich selbst“. Wenn wir über Schellings Theorie der Reduplikation verfügen, werden wir verstehen, dass und wie er den strikten und den lockeren Sinn von Identität tatsächlich glaubt zusammendenken zu können, ohne (im Sinne Wittgensteins) damit etwas Unsinniges oder etwas Triviales/Nichtssagendes gesagt zu haben. Damit sind wir nun scheinbar vom Ploucquet’schen Kontext – der Identitätstheorie der Prädikation – abgekommen. Aber das ist nur ein Schein. Denn erstens mag Schelling von Ploucquet etwas für seine Identitätsphilosophie Ausschlaggebendes gelernt haben, nämlich dass wahrheitsfähige Urteile nicht nach dem Kant’schen Sub-
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sumtionsmodell der Prädikation verstanden werden müssen, sondern als Weisen der Identifikation von Subjekt und Prädikat – allerdings bemüht sich Schelling um den Zusatz, dass diese Identifikation nicht als triviale Analyse des Subjekt-Terminus verstanden werden darf. Aber Schellings ganze Unterscheidung eines Wesens von einer Form der Identität geht auf Ploucquet zurück. Zu den Grundüberzeugungen von dessen Ontologie (wir sahen: dem alleinigen Gegenstand der 1790 im Stift zu verteidigenden Inauguralthesen) gehört, dass sich die Substanz in sich selbst offenbart (,manifestiert‘). Substanz ist, wie bei Leibniz, der basale Gegenstand der Ploucquet’schen Ontologie. Es gibt nur eine: die Gottes. Wie bei Leibniz und Wolff ist sie, und zwar wesentlich – nicht bloß akzidentell – durch Kraft charakterisiert. Aber, anders als bei Leibniz oder Wolff, äußert sich die Kraft der Substanz nicht als Ursprung für das Fortschreiten von einer Vorstellung zur anderen (Monadologie § 15)75 oder als „Quelle von Veränderungen“ (Wolff 1720/1725, II. Kap., § 115), sondern darin, sich selbst ein Licht über sich anzünden (oder Selbstbewusstsein gewinnen) zu können:76 „substantia est id, quod in se est manifestabile“ (Ploucquet 1782, Ontologia § 153; ähnlich der § 161: „Substantia, quae Principium Manifestationis in se sola habet […]“).77 Aber die Substanz ist nur der Realgrund der 75 Die Kraft (Force), die die Monade belebt, ist nur eine abgeleitete oder eine Erscheinungs-Form dieser „Appetition“. Vgl. 1978, 148 f., Anm.; ferner S. 41. In dem Lettre II. à Mr. Bourguet schreibt er: „De la manière que je définis perception et appétit, il faut que toutes les monades en soient douées. Car perception m’est la représentation de la multitude dans le simple, et l’appétit est la tendance d’une perception à une autre […].“ 76 Eine bekannte Parallelformulierung bei Schelling: „Jenes absolute Licht, die Idee Gottes, schlägt gleichsam ein in die Vernunft, und leuchtet in ihr fort als eine ewige Affirmation von Erkenntniß“ (SW I/6, 155). 77 In der XXIII. Inauguralthese von 1790 ist die Definition präsent im dem Satz: „Vis est principium manifestationis“ (entspricht Ontol. § 62; in: Franz 2005b, 32). Zu Ploucquets Selbstmanifestations-Theorie siehe Neumann 2009, 229 ff.
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Manifestation, nicht ihr Erkenntnisgrund. Das, was die Substanz (unabhängig von ihrer Offenbarung, gleichsam an ihr selbst) ist, nennt Ploucquet ihr Wesen; das ihr innewohnende Prinzip, das sie (die Substanz) dem Erkennen enthüllt (ihre „intellegibilitas“), nennt er ihre Form.78 Entsprechend werden in den §§ 7 und 8 der Ontologia zwei Weisen der Einsichtigkeit/Intelligibilität der Substanz unterschieden: die intelligibilitas, quae und die intelligibilitas, qua¯. Jene geht auf das Was, diese auf das Wodurch der Einsicht. Das nimmt Schellings spätere Theorie auffallend vorweg. Übrigens hat Oetinger, der einen so großen Einfluss auf Schellings Timaios-Aneignung hatte, Ploucquets eben vorgestelltes Theorem in einem ganzen Abschnitt des II. Teils seiner Irrdischen und Himmlischen Philosophie und abermals im Eintrag „Offenbaren, Phaneroo“ seines Biblischen und Emblematischen Lexikons, kritisiert. (Merkwürdigerweise geht Oetinger in seinen verschiedentlichen Angriffen auf Ploucquet auf die für Schelling ungleich wichtigere Identitätstheorie des Urteils gar nicht ein.) Ich zitiere Oetingers Bemerkungen zum SelbstoffenbarungsTheorem, wie es Ploucquet im II. Kapitel seiner Schrift Principia de Substantiis & Phænomenis vorgestellt hatte, weil ich sie noch nirgends beachtet gefunden habe, aber bemerkenswert finde. Es sei ein Non sequitur, aus der Annahme der Aktivität der Substanzen (= Monaden) zu folgern, „daß die Substanzen in sich selbst offenbar seyn müssen“ (Oetinger 1765, 194 f.; = Oetinger 1977a 2: 267). Das folgt […] nicht: denn agiren heißt nicht, ein reflexives Bild formiren. Wann die Substanzen ein Bild in sich hätten, daß sie sich offenbar wären, so muß es Spiegelhaft in einem zweyten Wesen repräsentirt, und von da wieder zurückgeworfen werden. So daß/ zwey Sachen, die zusammen eine Substanz ausmachten, doch eines wären. Wer bringt aber das Bild in die Substanz? Wenn statt Nichts Etwas ist, so ist noch keine manifestatio sui da; es muß etwas zuerst in sich selbst agiren, ehe es sich selbst offenbar seyn kann. Folglich ist das ein gro78 Belege in Franz 2005b, 47 ff., 55 ff.
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ßer Saltus: Agere est aliquid in se exprimere, seu sibimet esse manifestatum […] Wie kommt diese [die vis manifestativa sui] in die Substanz? Kommt sie aus Nichts oder aus vorher würckenden Realitäten? Antwort: Es müssen viel Realitäten vorher gehen, ehe eine vis manifestativa sensoriata werden kann. Also Substanz nicht ein absolutum, nicht ein primitivum, sondern die Substanz stehet unter vorgängigen Realitäten, Sonst müßt die Imago aus nichts in der Substanz entstehen.
Zunächst hält Oetinger Substanzen nicht für sui-suffizient, sondern für erschaffen. Auch die ,frei tätige Selbstbewegung‘ ist ihm nur Abglanz der göttlichen Freiheit, und mit dieser Klarstellung glaubt er allen „Pantheismus oder Spinozismus aus der Wurzel getilgt“ (Oetinger 1999 I, 356). Freilich drückt er sich über den Willen kurios aus (man glaubt, Fichte zu lesen): Er sei eine Wirkung der freithätigen Kraft, welche in sich selbst geht, damit sie sich ausser sich offenbare, also ist der Wille niemal [sic!] ohne in sich selbst laufende Kraft. Wenn der Wille in sich selbst geht, so bringt er aus seiner Verborgenheit ein Bild seiner selbst durch Vervielfältigung der in einander laufenden Kräften hervor, er wird sich selbst zu seinem eigenen Spiegel, in welchen die Finsterniß vergeht. Es entsteht nicht nur eine Selbst-Erkenntniß, sondern es werden aus dunklen klare Begriffe, auf diese Art entsteht die Kraft zu unterscheiden, und aus dieser Kraft zu vergleichen, sich selbst zu verstehen, über sich selbst zu denken, kurz eine Kraft sich gegen sich und andere zu offenbaren. Dieß kann nicht geschehen ohne Simplification79 des ewigen Worts in der Seele (l. c.).
79 Dem Ausdruck sind wir oben schon begegnet (Kap. 3). Er meint: aus vielen ,Ineinander-Wirkungen getrennter Kräfte’ die Einheit Einer Vorstellung hervorbringen, was aus der puren Mannigfaltigkeit diskreter Impressionen, Sinnesorgane und materieller Kräfte nicht denkbar wäre, so wenig, wie Leibniz und Wolff recht haben, die Einheit der Monaden aus den Einzelvorstellungen ihrer Teile hervorgehen zu lassen. Oetinger denkt an eine Art kantischer Apperzeption, von der er bei Abfassung seines Artikels noch nichts wissen konnte (Oetinger 1999 I, 356 f.). Er spricht auch von einer „Innestehung“ der auseinanderstrebenden Kräfte zu „einer Kraft“ (l. c. [von mir kursiviert]); das erinnert erneut an das zwischen Materie und Form vermittelnde Dritte des Timaios oder Philebos, über das nur Gott (oder eine schwäbische ,Zentralschau‘) verfügt.
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Dies scheint Oetinger also vorzuschweben: Bevor eine Kraft sich ihr selbst offenbart, muss schon eine Selbstbewegung, eine zentripetale Wendung in ihr stattgefunden haben, eben eine ,innere‘ Reflexion, an die die (,äußere‘) spiegelbildliche Repräsentation anknüpft. Denn Repräsentation ist eine zweistellige Relation, die der ,Simpli (fi)kation‘ im Wege ist. Und Oetinger kann sich nicht vorstellen, dass die Substanz sie ohne innere Verdoppelung in sich selbst sollte darstellen können. Eine innere Verdoppelung kann er sich wiederum nur als Hinzufügung einer weiteren Substanz (oder irgendwelcher zusätzlichen, extra-monadischen ,Realitäten‘) vorstellen, die der ersten ihr Spiegelbild zurückwerfen. Die Frage, die er sich nicht stellt, stellt auch Schelling sich nicht: Wenn die Selbstrepräsentation des Umwegs über eine (numerisch) andere Substanz bedarf, was garantiert dann der ersten, dass sie das ,Spiegelbild‘ der zweiten als sich selbst oder als ihr eigenes erfasst – es also zur ,Simplification‘ bringt? Eine bloße Rückwendung auf sich selbst genügt nicht, denn auch die ,in sich gehende Tätigkeit‘ der Reflexion bewirkt eine Art innerer Verdopplung, die die ,Simplifikation‘ nicht erklärt. (Mehr freilich erklärt auch Oetinger nicht.)
21. Prädikation (,relative Setzung‘) verstanden als ,Mindersein‘ einer ,absoluten Setzung‘: Urteilslogische Konsequenzen aus Kants These übers Sein Wie steht es nun um eine weitere wesentliche Voraussetzung, die in Schellings reife Identitätstheorie des Urteils einfließt, aber Wurzeln weder in seiner Nürtinger noch in der Stifts-Ausbildung hat80 und 80 Natürlich kann ich nicht ausschließen, dass Kants These schon in den Gesprächen mit Diez und in Schellings früher Lektüre der KrV eine Rolle spielte. Aber ich habe dafür keinerlei Beleg. Ich weiß ebenso wenig, ob Schelling über „Urtheil und Seyn“ mit Hölderlin gesprochen hat. Ich zeige im Folgenden nur die fakti-
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21. PRÄDIKATION ALS ,MINDERSEIN‘
die er als solche ebenfalls nur sehr versteckt preisgibt? Überhaupt verwandelt sich der gründliche Schelling-Interpret wiederholt von einem Hermeneutiker in einen detektivisch arbeitenden Spurenleser. Ich meine Kants Auffassung vom Sinn von ,Sein‘ und die in diese berühmte These eingebettete Deutung des Wesens der Prädikation. Zunächst ist ganz klar (ich sagte es schon), dass Kant mit der Identitätstheorie der Prädikation gar nichts im Sinn hat: Er hat der Identitätsauffassung der Leibnizianer entschieden widersprochen. Und doch hat er mit seiner berühmten These übers Sein tief auf den Denkweg der Stiftler und auch auf ihre Auffassung vom Wesen der Prädikation eingewirkt, wie sich besonders an Hölderlin und Schelling zeigen lässt. Ja, Kant hat – sehr mittelbar – die reduplikative Lesart, die Schelling dem Ausdruck des absoluten Seins gibt, ermutigt. Sagen wir: Es hat sie nicht absichtlich, aber de facto gefördert. Beginnen wir bei Kants Überzeugung, dass der Ausdruck ,Sein‘ in allen seinen Verwendungen eine grundlegend einheitliche Bedeutung hat. Schon zu Beginn der Schrift über den Einzig möglichen Beweisgrund (1763) wird diese ,völlige Einfachheit‘ betont (AA II, 73; vgl. 70, Z. 17). Sie hat ein Echo in Hölderlins Rede vom „Seyn, im einzigen Sinne des Worts“ (Hölderlin 1984, 163, Z. 1 f.). Der Name für diesen einfältigen Sinn ist ,Position‘, deutsch ,Setzung‘, griechisch ,Thesis‘ (so Schelling, schon unter dem terminologischen Einfluss der Wissenschaftslehre, im § 16 der Ich-Schrift, wo Setzung als die Urtätigkeit des Absoluten Ichs genommen wird, aus der alle – übrigen – Kategorien sich ableiten). ,Position‘ ist gleichsam der Gattungsname für ,Sein‘,81 der – sagt Kant – begrifflich „beinahe unauflöslich“ sei (AA II, 73 u.). Beinahe, denn es gelinge gleichwohl eine zweifache Spezifikation: die in relative und absolute Setzung. Relativ heißt eine Setzung, die einen Klassifikator relativ auf ein sche Übereinstimmung beider in der Deutung des Zusammenhangs von existentiellem und prädikativem ,Sein‘. 81 „Der Begriff der Position oder Setzung ist völlig einfach und mit dem von Seyn überhaupt einerlei“ (AA II, 73).
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Subjekt setzt, wie es in gewöhnlichen prädikativen Aussage-Sätzen der Fall ist. Absolut dagegen ist ein Begriff gesetzt, wenn ihm überhaupt etwas entspricht, wenn er also keine Leermenge beschreibt, wie exemplarisch die (prädikatlosen) Sätze: ,Es ist ein Gott‘ oder ,Ich bin‘. Streng genommen beschränkt sich also die Bedeutung von ,Sein‘ (qua ,Existenz‘) auf die der absoluten Setzung. Der späte Schelling nennt Aussagen übers existentielle Sein ,absolut prädikatlos‘ oder ,nicht-attributiv‘ (Schelling 1972, 426; SW II/3, 162). Warum ,Position‘? Kant folgt dem lateinischen Wortgebrauch Baumgartens, dessen Metaphysica (in der 4. Ausgabe von 1757) seinen entsprechenden Vorlesungen als Vorlage diente. In Pars I („Ontologia“), Caput I, Sectio III („Ens“) sagt Baumgarten: „Quod aut ponitur esse A, aut ponitur non esse A, determinatur. Quod vero tantum ponitur esse aut A, aut non-A, est indeterminatum“ (§ 34 [AA VII, 33]). Baumgarten kennt auch schon die Unterscheidung des logischen oder prädikativen Seins vom Sein überhaupt, das er als bestimmbar, aber nicht bestimmt bezeichnet. Entsprechend unterscheidet er, wie Kant, ,absolute‘ (bestimmungsunabhängige) und ,relative‘ (bestimmungsfähige) Begriffe (§ 37, vgl. Reflexion Nr. 3525 [l. c., 35]). Natürlich versteht Baumgarten etwas anderes unter ,absoluten Begriffen‘, als was Kant seit 1763 ,absolute Position‘ nennt – ein Standpunkt, der ja gerade der Leibniz-Wolff’schen Ontologie den Garaus machen will. Kants These hat einen ontologischen und einen erkenntnistheoretischen Aspekt. Der erste erklärt Sein (im Sinne von Existenz) zu einem Denkunabhängigen. Der zweite verweist es an den anderen Erkenntnisstamm: die Wahrnehmung, welche Empfindung einschließt (AA II, 72, 80 f. unten, KrV A 225 = B 272 f.). Das existentielle Sein (Wirklichkeit, Dass-Sein) geht der Möglichkeit (dem Wesen oder Was-Sein) voraus (AA II, 72, 77 f.). „L‘existence précède l’essence“ (Sartre 1947, 385): die These, auf der die seither so genannte Existenzphilosophie beruht, die mit Recht auf den späten Schelling zurückgeführt wird (vgl. Schelling
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1993, 125). Ganz in kantischen Bahnen bewegt sich Hölderlin in Urtheil und Seyn: Wirklichkeit wird von der Wahrnehmung, Möglichkeit vom Denkvermögen erschlossen. Wahrnehmung stellt einen „unmittelbaren“ (vorbegrifflichen), Denken einen „mittelbaren“ (begriffsvermittelten) Kontakt zu den Gegenständen her (Hölderlin 1991, 156, Z. 28 ff.). Und: Wenn ich einen Gegenstand als möglich denke, so wiederhohl’ ich nur das vorhergegangene Bewußtseyn, kraft dessen er wirklich ist. Es giebt für uns keine denkbare Möglichkeit, die nicht Wirklichkeit war (l. c., Z. 30 – 32).
Damit greift Hölderlin natürlich Kants Beobachtung auf: „[…] daß irgend eine Möglichkeit ist und doch gar nichts Wirkliches, das widerspricht sich“ (AA II, 78). Doch mit dieser Konsequenz ist – nach Schellings und seines Freundes Hölderlins Überzeugung – der Reichtum von Kants These übers Sein noch nicht erschöpft. Im Frühjahr 1795 deuten sie Kants Rede von der im Urteil vorliegenden Relativierung eines „unbedingte[n] Gesetztseyns“ (SW I/4, 117, Anm. 1) als einen ,Ableitungs‘-Zusammenhang (I/1, 154). ,Sein‘ hat die (alleinige) Bedeutung von Identität, Identität ist tätig in der Urteil-Synthesis, und das ,ist‘ des Urteils kann, ja muss als eine Minderform (ein Sartre’sches „moindre-être“) des kompakten/fugenlosen Seins verstanden werden. Die Intuition, die diese Spekulation anleitet, ist minder abwegig, als es zunächst den Anschein haben mag. Auch Frege hat einen tiefen, wenn auch dunklen Zusammenhang von ,Identität‘ und ,Existenz‘ (im ,Erkenntniswert‘ augenfällig) vermutet (Frege 1975, 40 f.). Und wenn wir eine Entität, die da ist, mit dem „Wert einer gebundenen Variable“ gleichsetzen (Quine 1980a, 12 f.), dann rückt ihre Existenz ganz nahe heran an die Identifikation des Einzelgegenstandes in einer Wahrnehmungs- oder Zeigehandlung. Schon Kant sah ,im Wahrgenommenwerden den einzigen Charakter der Wirklichkeit‘, sofern Wahrnehmungen auf Einzelnes gehen und vorbe-
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grifflich sind; Begriffe – ausgedrückt durch Prädikate – gehen auf Klassen von Einzelnem; darum ist Wirklichkeit „kein reales Prädikat“ (KrV A 225; A 598). Für Hume schrumpft die relationslose Sichselbstgleichheit eines Einzeldings auf die Eigenschaft seiner Existenz zusammen (Hume 1888, 200; vgl. Quine 1980b, 208). So schon Christian Wolffs Logica § 270 (Wolff 1983, 260): „idem ens est illud ipsum ens, quod est, seu, omne A est A, ubi A denotat generatim ens cujuscunque speciei vel generis, sive in communi, sive in singulari.“ Auch wirkungsgeschichtlich erfuhr Kants Seins-These zunächst Unterstützung durch Frege (und an ihn anschließend durch Russell), und in unseren Tagen wurde Freges und Russells Rettungsversuch Kants durch Kripke zurückgewiesen, der aber ebenfalls Interesse daran zeigt, Kants These in einer ganz anderen Lesart zu verteidigen. Beide Deutungsversuche scheinen mir erhellend, und sie werfen Licht auch auf den begrifflichen Rahmen, in dem sich die recht spekulativen Deutungen Hölderlins und Schellings bewegen. Manche Interpreten meinen, bei Freges Rekurs auf Kant handle es sich vielmehr um eine Widerlegung Kants. Aber man kann Freges Neubearbeitung des kantischen Problems auch als konstruktiven Verbesserungsvorschlag verstehen, zumal er sich ja freundlich auf ihn bezieht. Existentielles Sein, hatte Kant gesagt, sei keine reale Eigenschaft, keine Eigenschaft, die das Was einer Sache bestimmt. Anders: keine Eigenschaft, die etwas innerhalb eines Prädikationsspielraums ,herauseinzelt‘. Sondern die feststellt, dass ein Gegenstand innerhalb dieses Prädikations-Spielraums wirklich instanziiert ist: „Die Vorstellung des Seeeinhorns […] ist die Vorstellung eines existierenden Dinges“ (AA II, 72 unten). Descartes hätte (in scholastischer Tradition) gesagt, sie habe kein objektives, sondern ein formales Sein. So drückt sich auch Kant in der Sprache der Schulphilosophie gelegentlich aus. Daher sprach Frege von einer Eigenschaft zweiter Stufe: Eine Eigenschaft erster Stufe einzelt einen Begriff aus, unter den Gegen-
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stände fallen; Eigenschaften zweiter Stufe einzeln Begriffe aus, unter die Begriffe fallen. Und zwar fällt ein Begriff erster Stufe genau dann unter den (höherstufigen) Begriff ,Existenz‘, wenn unter ihn mindestens ein Gegenstand (z. B. ein Seeeinhorn) fällt (oder: wenn ein Individuum die Begriffs-Funktion ,erfüllt‘; „sättigt“, sagt Markus Gabriel [2016, 98]). Anders: Etwas als wirklich qualifizieren heißt, das qualifizierende Prädikat als nicht-leer erweisen. (Frege gibt kein Existenz-Kriterium an; Kants Kriterium ist ,Wahrnehmung = Empfindung + Bewusstsein‘ [KrV A 225 f.].) Kant sagt in diesem Sinne durchaus treffend: „Es ist daher kein völlig richtiger Ausdruck zu sagen: Ein Seeeinhorn ist ein existierend Tier, sondern umgekehrt, einem gewissen existierenden Seetiere kommen die Prädikate zu, die ich an einem Einhorn zusammen gedenke“ (AA II, 73). Frege fügt im Blick auf Kant an: „Der ontologische Beweis für das Dasein Gottes leidet an dem Fehler, daß er die Existenz wie einen Begriff erster Klasse behandelt“ (Frege 1975, Anm. 8, S. 36; vgl. Frege 1987 , S. 86 f., = § 53). Tobias Rosefeldt gehört zu den Philosophen, die Freges entgegenkommende Lesart von Kants These für „unhaltbar“ erklärt haben. Denn Kant halte im Grunde an der Auffassung fest, Existenz sei eine Eigenschaft von Gegenständen, also eine Eigenschaft erster Stufe, nur eben keine real-mögliche, sondern eine tatsächlich instanziierte (Rosefeldt 2011). Diese These lasse sich besser mit Alexius Meinong erläutern, der ja nicht-wirkliche Intentional-Gegenstände als irgendwie existierend zugelassen und darüber eine bekannte Auseinandersetzung mit Bertrand Russell geführt hat. Nach Meinongs Klassifikation sind alle Eigenschaften in konstitutorische und außerkonstitutorische zu unterteilen: a) Für jede vollständige und widerspruchsfreie Klasse konstitutorischer Eigenschaften gibt es einen möglichen Gegenstand, dem genau die Elemente dieser Klasse als Eigenschaften zukommen.
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b) Davon sind ausgenommen außerkonstitutorische Eigenschaften, als da sind die Eigenschaften, ein unmöglicher oder ein existierender Gegenstand zu sein. Aber: Haben Frege und Meinong eigentlich ein Kriterium, um zu entscheiden wann Eigenschaften zweiter Stufe, also ,außerkonstitutorische Eigenschaften‘ instanziiert sind? Kant hat immerhin eins (wenn auch ein wegen seiner Enge fragwürdiges): Erfahrung, Empirizität. Gegen Rosefeldt möchte ich Frege verteidigen: Kant lässt sich leicht mit Frege vereinbaren, wenn man seine Unterscheidung von Subjekt- und Prädikat-Ausdrücken aufgibt und beide Ausdrücke – wie Kant es tut – indistincte¯ als „Begriffe“ auffasst. Das ist der allgemeine Sprachgebrauch der damals üblichen Logik. ,Es ist ein Gott‘ meint dann nicht mehr die ,absolute Setzung‘ des (Referenten des) Subjekt-Ausdrucks – ohne weitere Prädikation –, sondern, dass das Prädikat ,Gott‘ (das für einen ,Begriff‘ steht) als nicht-leer ,gesetzt‘ wird: 9x (xG). Gott ist allmächtig‘ müsste dann – wie bei Russell (1956, 252) – so wiedergegeben werden 9x (xG 6 xA).82 Kant hat aber einen Vorzug vor Frege: Er verfügt über ein epistemisches Kriterium für Existenz: (Bestätigung durch) Erfahrung (oder vorsichtiger: Gegenstand möglicher Erfahrung zu sein). (Dies Kriterium ist allerdings, wie gesagt, zu eng.) Frege, der die Einmischung epistemischer Kriterien in die Logik/ formale Semantik wie der Teufel das Weihwasser scheut, verfügt 82 Russell wiederholt Freges Ansicht ausdrücklich, wenn er feststellt, dass in Sätzen wie ,Einhörner existieren‘ oder ,Der Verfasser der Ilias existiert‘ oder ,Homer existiert‘ das Wort ,existieren‘ semantisch nicht als Prädikat, sondern als Existenzoperator zu verstehen ist. So sagt er: Der Eigenname ,Homer‘ könne durch die Kennzeichnung „der Autor der Ilias“ ersetzt werden. Und statt dieser Person geradehin ein Existenzprädikat zuzuschreiben („das wäre Unsinn“), solle man stattdessen sagen, dass diese Person tatsächlich unter die Kennzeichnung fällt (Russell übersetzt den Frege’schen Ausdruck durch ,definite description‘): ,hat die Ilias gedichtet‘ (Russell 1956, 252).
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über kein solches Kriterium. Er drückt sich davor, indem er vom „Erfassen“ von Gedanken spricht, denen aber kein (individueller) psychischer Akt entsprechen soll. Das ist unplausibel. Die Frege’sche Reduktion von Existenz auf das Enthaltensein in einer Menge ist ebenfalls zu eng (Gabriel 2016, 123 ff., 141 ff.). Außerdem ist Freges Extensionalismus erkenntnistheoretisch blind – ein Einwand, der Kant nicht trifft. Dieser Vorwurf ist Frege oft gemacht worden, am eindrucksvollsten von Gianfranco Soldati. Frege setzt die Erklärung von Begriffen mit der Angabe ihres Umfangs gleich, statt etwas über den „psychischen Vorgang“ auszusagen, „der zur Entstehung dieses Begriffes führt“ (Soldati 1994, Kap. 3). Frege sieht von Privatgegebenheiten eines individuellen Bewusstseins kategorisch ab. Soldati kann sehr schön zeigen, dass die FregeSemantik über den kognitiven Gehalt von Gedanken keine Rechenschaft ablegen kann (sie muss Frege-Sinn-gleiche Sätze mit verschiedenem kognitiven Gehalt – z. B. „x ist die Schnittkante einer Ebene und eines Kreiskegelmantels“ und „x ist eine ebene Kurve, deren Gleichung in Parallelkoordinaten vom zweiten Grade ist“ [Frege 1971, 319 f.; Soldati 1994, 77 ff.] – als denselben Wahrheitsbedingungen unterstehend annehmen: ,Frege-Sinn reicht nicht aus, den psychischen Gehalt vollständig zu bestimmen‘ [97]). Nimmt man nun an, es gebe hier einen kognitiven Unterschied, dann muss man urteilen, dass Frege dessen Realität in seiner Theorie nicht erfassen kann. Schellings Identitätstheorie ist aber sehr daran interessiert, den Erkenntnisunterschied von Sätzen wie ,X = A‘ und ,X = B‘ hochzuhalten. Das meint auch Markus Gabriel (2016, 120 ff.). Aber diese Kritik treffe auch Freges Restriktion auf nicht-leere Mengen. Sie erkläre eigentlich nur die Existenz von Zahlen („mathematische Existenz“ [125]). Freilich kann man sich fragen, ob Gabriels Unterstellung der Existenzfrage unter die Kategorie der ,Sinnfelder‘ nicht Kants und Freges Deutung der Existenz als eines Instanziierungs-Verhältnisses erbt. Das ist aber nicht Thema meiner Abhandlung.
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Wohl aber lohnt sich ein kurzer Blick auf Kripkes berühmte Kritik an der von ihm so genannten Frege-Russell-Doktrin; denn er nimmt Kant ausdrücklich vor deren Vereinnahmung in Schutz. Nach Kripke existieren Gegenstände geradehin und, wenn ,rigide‘ identifiziert, quer durch alle möglichen Welten. Seine bevorzugten Beispiele sind, wie bei Kant, empirische Gegenstände, die in Wahrnehmungssituationen individuiert, gleichsam von Angesicht zu Angesicht ,getauft‘ werden und sich als dieselben erhalten durch eine auf die Taufsituation direkt rückbezügliche Kausalgeschichte. Das aber bedeute nicht, dass sie in allen möglichen Welten dieselben Eigenschaften instanziieren müssen. Ihre Existenz ist also kein ,reales Prädikat‘, das kontrafaktischer Instanziierung bedarf. Der Mann Moses – geradehin und, wieder wie bei Kant, in einer Wahrnehmungssituation identifiziert – wäre in allen Welten er selbst geblieben, wenn er die Israeliten nicht aus Ägypten geführt hätte (oder hat). Klebte seine Existenz an einer ,Eigenschaft zweiter Ordnung‘, so wären Frege und Russell im Falle des Nicht-Zutreffens der individuierenden Eigenschaft (,der Mann, der die Israeliten aus Ägypten geführt hat‘) zu einer Kombination widersprüchlicher Aussagen gezwungen: ,Möglicherweise gab es genau ein x so, dass x die Israeliten aus Ägypten geführt und sie nicht aus Ägypten geführt hat.‘ Der Widerspruch fände aber nicht statt, wenn man so formuliert: ,Es gibt ein x so, dass x (und nur x) die Israeliten aus Ägypten geführt hat, aber Moses hätte die Israeliten auch nicht aus Ägypten führen können – und wäre trotzdem Moses geblieben: in einer anderen möglichen Welt‘ (Kripke 2013, 33). Das hält Kripke für einen starken Einwand gegen Freges und Russells Umdeutung Kants, der zwar wegen ,Dunkelheit‘ auch kritisiert wird, dessen These Kripke aber nachvollziehbarer findet als die Frege’sche Umdeutung: Existenz sei sehr wohl eine direkte Eigenschaft (,erster Klasse‘) von Gegenständen, und keine Eigenschaft zweiter Ordnung (also von Begriffen). Kant habe gemeint, dass, einem Subjekt die Existenz abzusprechen, etwas anderes sei, als ihm
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eine sachbeschreibende Eigenschaft abzusprechen; und das Existenzprädikat darum ,logisch‘ und ,nicht real‘ genannt (l. c., 35 f., Anm. 6). Auch diesen Streit müssen wir nicht hier entscheiden. Natürlich sind solche Überlegungen Zukunftsmusik aus der Perspektive Hölderlins und Schellings. Aber es sind doch Versuche, Kant – nach dessen eigener Devise – besser zu verstehen, als er sich selbst verstanden hat (KrV A 314). Dazu taugen sowohl die FregeRussell-Doktrin als auch Kripkes Einspruch. Mit dem Letzteren wäre Hölderlin z. B. darin einverstanden, dass Existenz von partikularen Gegenständen eine Frage der Wahrnehmung ist, auch wenn er, ebenso wie sein Freund Schelling, auf einem spekulativ viel belasteteren Gleis fährt. Hölderlin hat das früh, Schelling erst seit 1827 klar so gesehen (wenn er von einem ,höheren Empirismus‘ der Existenz-Auffassung spricht (z. B. Schelling 1972, 34.–38. Vorl.). Früh (1794/95) aber beuten die beiden Kants berühmte These übers Sein für eine Identitäts-Auffassung der Prädikation aus: Einträchtig denken sie, dass Kant einen nicht weiter ausgeführten Zusammenhang zwischen absoluter und relativer Setzung andeutet. Ihn wollen sie unter dem Einfluss Ploucquets (und Fichtes) einsichtig machen. Etwa so: Die in der Copula ,ist‘ besiegelte Identität zweier Glieder muss 1. zwar als die feinste aller Relationen, aber gleichwohl als Relation und damit als Minderform des kompakten existentiellen Seins verstanden werden, sofern man, wie Schelling es tut, das absolute Sein als omnibus relationibus absolutum versteht. Man könnte sagen, die im Urteil vorliegende Identität sei eine verzerrte ehedem absolute. Akzeptiert man dies, so nimmt man an, dass ,Sein‘ im Ableitungszusammenhang höher steht als Identität (wie es Hölderlin und Schelling 1795 tatsächlich vertreten: Hölderlin 1991, 156, Z. 7 und 18; SW I/1, 177 f.). Ich unterbreche hier kurz, um zwei auf der Hand liegenden Einwürfen zu begegnen. Erstens, wird man sagen, hat der reife Kant doch keine Identitäts-, sondern eine Subsumtionstheorie des Urteils
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vertreten. Das habe ich oben selbst betont und die mit Maimon einsetzende Umbildung Kants als eine ,Releibnizianisierung’ der kantischen Transzendentalphilosophie bezeichnet (vgl. oben, Kap. 10). Der vorkritische Kant, besonders der Verfasser des Einzig möglichen Beweisgrunds zur Demonstration des Daseins Gottes (von 1763), hatte aber mit Leibnizens Urteilslehre noch keineswegs gebrochen. Sodann (2. Einwand): Bei der Kunde, es werde heutzutage ernsthaft eine Identitätstheorie der Prädikation diskutiert, werden einige in die Jahre gekommene Sprachanalytiker ausrufen: ,Sauve qui peut!‘ Allen voran Ernst Tugendhat, der Schellings Satz vom Anfang des Transcendentalsystems (1800), wonach Wissen/Wahrheit in der „Uebereinstimmung eines Objektiven mit einem Subjektiven“ [SW I/3, 339; vgl. I/6, 138] bestehe und Übereinstimmung wiederum in Identität gründe, als Musterbeispiel einer Nonsense-Philosophie anführt. Tugendhat nennt Schellings Bestimmung der Wahrheit als Identität von Subjekt und Objekt „umwerfend primitiv“ oder auch ,höchst phantastisch‘ (Tugendhat 1979, 316; Tugendhat 1976, 250). So sehe ein Denken aus, das sich beim Versuch einer Überbietung der Tradition in den schlimmsten Unsinn verrenne. Tugendhat übersieht, dass Schelling sich in weitgehender Übereinstimmung mit der Tradition befindet (die Tugendhat allerdings nicht kennt) und dass Kants/Freges Subsumtionsmodell der Prädikation keineswegs das einzig denkbare, wenn auch das heute machthabende ist. Wolfgang Lenzens Diskussion der Ploucquet’schen Ansicht hat neben Schwächen durchaus auch Stärken und pragmatische Vorzüge der Identitätstheorie aufgewiesen. Mit seinem vernichtenden Urteil setzt Tugendhat eine anti-realistische Wahrheitstheorie voraus, die sowohl mit der Korrespondenz- als auch mit einer Identitätsauffassung allerdings unverträglich ist und Widerstand schon von der stark überwiegenden realistischen Fraktion der analytischen Philosophie von Putnam bis Dretske erfahren (in der Sache; soviel ich weiß, zitieren beide Auto-
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ren Tugendhat nirgends). Aber das reicht nicht schon hin, um die letztere zu disqualifizieren. Der reife Schelling würde sagen, eine Prädikation sei genau dann wahr, wenn der Prädikatsausdruck eine mögliche Bestimmung der unendlichen Bestimmbarkeit des Subjekts sei – gemäß der Annahme, dass das unendliche Subjekt durch alles, d. h. durch alle (widerspruchsfrei kompossiblen) Bestimmungen, hindurchgehe und nichts sei, „nämlich nicht so sey […], dass es nicht auch anderes seyn könnte“ (Schelling 1969, 16). Damit glaubt er übrigens, wie wir eingangs sahen (vgl. oben, Kap. 5), Kants ,Grundsatz der Bestimmbarkeit‘ zu folgen (KrV A 571), der die „materielle Möglichkeit eines Dings […] auf seiner durchgängigen Bestimmtheit [beruhen lässt], d. h. [darauf,] dass es durch alle m ö g l i c h e n Prädicate hindurch ein bestimmtes ist, indem von allen einander entgegengesetzten je eines ihm zukommen m u ß“ (SW II/1, 284).83 Diese Bestimmung des Subjekts darf – unter Bedingungen einer Identitätstheorie – nicht als Kausalbezug gedacht werden (denn die Substanz könne nicht auf sich selbst wirken), sondern als eine der (partiellen oder aspektuellen) Identität, indem das Subjekt der Reihe seiner Bestimmungen nicht gleichsam träge „zu Grunde“ liege, sondern „die Mannichfaltigkeit der Dinge […] vielmehr als die vollständige F o l g e aus ihm betrachtet werden [müsse]“ (SW II/1, 287). So kann nur ein Leibnizianer sprechen. Zu erinnern wäre noch, dass Schelling – in Leibniz’scher Tradition – die Kausalität, mit deren Hilfe bei Kant die Wirklichkeit unsere Sinnlichkeit affiziert, ihrerseits als defizienten Modus der Identität betrachtet. In grober Vereinfachung meint das, der Satz vom Grunde habe in der Tatsachenwelt die Stellung, die der Identitätssatz in der Welt der Vernunftwahrheiten innehat. Kausalität sei gerade so eine aus den Fugen geratene (oder Minderform von) Identität, wie es das Urteil in der Logik ist. Wären Ursache/Affirmierendes und Wir83 Das ist ein unendliches disjunktives Urteil: die Welt durch die Kategorie der Wechselwirkung bestimmt.
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kung/Affirmiertes im Absoluten nicht eines, so könnten sie in der erscheinenden Welt nicht auseinandertreten und trotzdem ihren intrinsischen Bezug aufeinander bewahren. Ohne Identität als Ausgangspunkt oder Zielgröße wäre Kausalität gar nicht zu denken: Ein Nicht-Wesen – so hatte sich Schelling ausgedrückt – sucht sein Sein in einem anderen, das selbst keines hat und es in einem weiteren sucht, und so ad infinitum (SW I/6, 195 f.; vgl. I/4, 130 f., 343 f., 397). Gäbe es nicht ein Seiendes, das sein Sein in sich, statt in einem weiteren hätte (das also absolute-, nicht relative- existierte), bräche die ganze Kausalkette als eine haltlose, auf nichts Unabhängiges gestützte Relativität in Nichts zusammen.84/85 2. Auch von Kants These übers Sein her lässt sich also eine Identitätstheorie der Prädikation rechtfertigen, wie sie Schelling zeitlebens verfochten/vorgeschwebt hat und für die er (wie gezeigt) schon im Stift Anregungen empfangen haben mag. ,Sein‘ und ,absolute Identität‘ werden synonym verwendet mit ,absolutes Band‘ oder ,absolute Copula‘ (SW I/2, 360; I/7, 204); und von ihr wird gesagt, „das Urteil sey eigentlich nur das entfaltete Band“ (Schelling 1946, 28) – darüber gleich mehr. 3. Das Charakteristikum dieser Kant-Umdeutung ist die systematische Engführung (man könnte auch sagen: enharmonische Verwechslung) logisch-semantischer und ontologischer Fragestellungen – worauf zuerst Wolfram Hogrebe (1989) hingewiesen hat. Die Zersetzung des Seins in ein Ur-teil, das Begriffe identifiziert (und dabei trennt), wird – sowohl von Hölderlin wie von Schelling – ohne Weiteres auch als Subjekt-Objekt-Identifikation und -Tren84 Näheres zu dieser (eigentlich leibnizischen) Auffassung in meiner Einleitung zu Schleiermacher 2001 I, 97 ff. 85 Im Übrigen hat der alte Schelling noch ein weiteres – anti-idealistisches – Motiv für den Wiederanschluss an die Korrespondenz-Theorie darin gesehen, dass die Vernunft nur die Möglichkeit, nur die „Potenz des Erkennens“ in sich enthalte, so dass ihr „Inhalt“ ohne den Bezug auf ein unabhängiges Seiendes leer bleibe („[d]a allem Erkennen ein Sein entspricht, so entspricht der unendlichen Potenz des Erkennens die unendliche Potenz des Seins“ [Schelling 1993, 100]).
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nung charakterisiert. Auch das Selbstbewusstsein unterliegt der Urteilsstruktur: In ihm bezieht sich eines auf sich selbst als auf sich selbst; und das wäre nach Hölderlins Überzeugung aus der bloßen Relation eines Subjekts auf ein Objekt nicht verständlich zu machen (Hölderlin 1991, 156, Z. 13 – 15). 4. Diese „gänzliche und absolute“ Abhängigkeit sowohl der Satz-Glieder Subjekt und Prädikat als auch der Relata des Selbstbewusstseins vom Sein muss als eine unumkehrbar-einseitige betrachtet werden. Das heißt, der Gedanke ,Sein‘ wäre aus dem ReflexeSpiel der Urteils-Glieder unerklärbar – damit ist Hegels Versuch, das Sein auf die autonom gedachte Reflexion zu reduzieren, abgewiesen, bevor er noch an die Öffentlichkeit trat (Hölderlin 1991, Z. 7 ff.; SW I/4, 117, § 6; 120 u., § 15 Zusatz 1; deutlicher I/6, 147, 163 f.). Noch eine Überzeugung, die versteckt in Hölderlins und Schellings Kant-Umdeutung eingeht, bedarf der Explizitation. Die Vorstellung, dass jede Identifikation auch trennt, war in der Schulphilosophie durchaus verbreitet. Ich erinnere daran, dass Baumgarten die Reflexionsbestimmungen (conceptus reflexionis, charakteristisch auch ,Verhältnis‘- oder ,Vergleichungsbegriffe‘ genannt) Identität und Differenz (deutsch ,Einerleiheit‘ und ,Verschiedenheit‘, nicht zu verwechseln mit den objektkonstitutiven Kategorien ,Einheit‘ und ,Vielheit‘), – Baumgarten also hatte hinsichtlich dieser Begriffe ein principium negatae totalis dissimilationis et diversitatis formuliert. Es gilt für natürliche Gegenstände und besagt, stark verkürzt, es sei unmöglich, dass zwei getrennte Einzelgegenstände völlig oder schlechterdings verschieden sind (§ 269 mit §§ 267 und 74 [AA XVII, 84 f., 43]). Umgekehrt müssen zwei Gleiche in wenigstens einem Merkmal differieren.86 86 Im ersten Weltalter-Entwurf bezieht sich Schelling charakteristischerweise direkt auf Leibniz, den er wiederum in die scholastische Tradition stellt. Leibniz habe die Unwahrheit der bekannten Formel aufgewiesen, „Disparate können weder von sich gegenseitig noch von einem dritten ausgesagt werden“. Was in einer
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Die Pointe dieser Spekulationen ist allemal, dass sich die Einheit des Seins aus dem Widerspiel der Satz-Glieder so wenig verständlich machen lässt wie die epistemische Einheit (der wissende Selbstbezug) des Ich aus dem Widerspiel der Reflexe von Ich-Objekt und Ich-Subjekt.87 Schelling sagt: Unbedingt gesetzt sei die Einheit, nicht gesetzt (oder – in Kants Redeweise – nicht absolut, sondern nur relativ gesetzt) seien die Satzglieder Subjekt und Prädikat (Anm. zum § 6 der Darstellung [SW I/4, 117]). Das Eine als ,bloßes Eins‘ darf in der Relation nicht dem Vielen als Vielen entgegengesetzt werden, so wenig wie das Unendliche als solches dem Endlichen. Wer so spricht, hält sich an „Reflexions- [oder] Verhältnißbegriff[e]“ (SW I/7, 58). Was allein wirklich existiert, ist die „Ineinsbildung“ der Relata: das Band oder die Copula zwischen dem Band und dem von ihm abstracte¯ verbundenen und unterschiedenen Einen und Vielen (l. c., 60). In der Folge unterscheidet Schelling bekanntlich die Thesis als das ,Wesen‘ von dessen Selbstoffenbarung in der ,Form‘. Wir können dieses sattsam bekannte Verhältnis im Lichte der Deutung von Kants Seins-These nun neu bestimmen: Unter ,Form‘ versteht Schelling eben die „Satz“- oder Urteilsform, in der sich die höchste Thesis zugleich dem Bewusstsein mitteilt und als undifferenzierte Einfachheit entzieht (I/4, 117 f.; I/4, §§ 15 f, S. 120 f.; 133, Anm.; I/7, 425). Mitteilt, denn nur als bewusste ist sie uns bekannt; entzieht, denn nur unbedingt Gesetztes ist im emphatischen Wortsinne. In den Aphorismen (1806) findet Schelling diese fast Hegel’sche Wendung: „Das Seyn der Dinge in Gott […] ist ihr nicht-Seyn in Relation auf/einander“, wo das Sein (die absolute Position) mit der Selbstnegation der relativ nicht Seienden (der lµ emta) geradehin Hinsicht Seele, könne in einer anderen Hinsicht Leib sein (Schelling 1946, 28; ausführlicher ebenso 127). 87 Der Punkt ist, „daß ich mich mir selbst entgegenseze, mich von mir selbst trenne, aber ungeachtet dieser Trennung mich im entgegengesezten als dasselbe erkenne“ (Hölderlin 1991, 156, Z. 13 – 15 [meine Kursivierung]).
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identifiziert wird (SW I/7, 196 f., auch 194; ganz ähnlich schon die Fichte-Streitschrift I/7, 61 f.; vgl. Henrich 1982, 167 ff.). Hölderlins Freund Isaac Sinclair findet die glücklichste Formulierung: „Die verschiedenen sind nicht verschieden, insofern sie sind. (Ich setze die verschiedenen nicht verschieden[,] insofern ich sie setze)“ (Sinclair 1991, 48). Und Novalis notiert 1795/96: „Alles Denken ist also eine Kunst des Scheins. […] Denken ist der Ausdruck /die Äußerung/ des Nichtseyns. […] Aller Denkstoff ist Scheinstoff“ (NS II, 181 o. und Z. 14; 146, Z. 25 f.; als bloße Einbildung/Imagination hatte auch Schelling 1806 die Ansicht des Verbundenen ,unter Absehung vom Band‘ charakterisiert: SW I/7, 60 ff.; man sehe nur das Band, nicht die von ihm abgelösten Relata als solche). Was ergibt sich daraus für die Struktur des Urteils? Zunächst einmal: Schellings Ansichten darüber dürfen als kühne Variationen des von Kant zuerst 1763 angestimmten Themas verstanden werden. Erst in den Weltalter-Entwürfen finden sie, wie zuerst Hogrebe (1989) gezeigt hat, zu einem einigermaßen deutlichen (urteilslogischen) Selbstbewusstsein.88 Das Urteil wird dort analysiert als Konjunktion zweier Unterurteile. (Für diese Auffassung haben wir schon in der identitätsphilosophischen Phase und zu Beginn der Freiheitsschrift Vorstufen gefunden.) ,Geist und Natur sind Eines‘ wird verstanden als: Es gibt ein X, und dies X ist einerseits A (Geist) und andererseits B (Natur). B als B ist nicht ,einerlei‘ mit A; und A als A ist nicht einerlei mit B. Die Identität beider beruht auf ihrem Gleichermaßen-im-Sein-erhalten-Werden durch X (oder das absolute Sein). Scheiden sie aus diesem Identitätsverbund aus, so verkommen sie zu abgelösten, zu ,abstrakten Existenzen‘ (SW I/7, 241, Nr. CCXXXI; 190; 208 f.; I/7, 55, 61; passim), zu platonischen lµ emta – darüber gleich mehr. Nur X ist im strengen Sinne mit sich selbst nicht nur generisch identisch, sondern strikt als Individuum
88 Dazu, und unter Bezug auf Hogrebe, auch lichtvoll Gabriel (2014).
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II. TEIL: UNTERWEGS ZUM „ABSOLUTEN IDENTITÄTSSYSTEM“
,einerlei‘.89 A und B interpretiert Schelling – wider die Oberflächengrammatik der Formel ,A = B‘ – nicht als singuläre Termini, also nicht als Substanz- oder Individuen-Konstanten, sondern als Aspekte – Beschreibungen oder „Prädikate“ – von X (Schelling 1946, 26 f., 128 f.). Damit glaubte Schelling eine urteilslogisch befriedigendere Erklärung des Wesens der absoluten Identität gegeben zu haben, als es ihm in den (das Würzburger System ausgenommen) unvollendeten Entwürfen der identitätsphilosophischen Phase gelungen war. Freilich auch dort gab es schon deutliche Spuren einer Identitätsauffassung der Prädikation. Schon im Würzburger System analysiert Schelling den (freilich tautologischen) Satz „der Kreis ist rund“ als Konjunktion der beiden Unter-Urteile: ,Dies ist ein Kreis‘ und ,Dies ist rund‘. Das (grammatische, nicht logische) „Subjekt“ des Satzes nennt Schelling auch „das Prädicirende“, die Prädikate ,ist rund‘ bzw. ,ist ein Kreis‘ „das Prädicirte“. „Ich setze rund nur, inwiefern K r e i s gesetzt ist“ (SW I/6, 146). Auf Schellings Anleihe bei Leibniz und „d[er] alte[n] tiefsinnige[n] Logik“ (SW I/7, 342) zu Beginn der Freiheitsschrift mit ihrer hilfreichen Unterscheidung von Einerleiheit und Identität hatte ich schon verwiesen (16. Kapitel, S. 161 ff.). Wer Prädikation als ,Explikation‘ eines im Subjekt-Begriff Implizierten (,Eingewickelten‘) versteht, hat sich natürlich weit von Kants Urteilslogik entfernt.
89 Darum kann Schelling die Lehre, wonach das Absolute durch generische Identität, also durch Gleichheit ,dem Allgemein- oder Gattungsbegriff nach‘ ausgezeichnet sei, barsch verwerfen (SW I/4, 376). Seine Rede von ,qualitativer Identität‘ meint die Identität eines seiner Allgemeinheit ungeachtet „i n d i v i d u e l l e [ n ] Wesen[s]“ (I/7, 438) in numerischer Selbigkeit. Dass die Form des Identitätssatzes eine Zweiheit artikuliert, schließt die (numerische) Einerleiheit des in der Form behaupteten Wesens (= X) nicht aus.
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22. ,REDUPLICATIO‘
22. ,Reduplicatio‘: Der entscheidende Anstoß durch Leibniz, Wolff und die ,ältere Logik‘ Wir stehen hier an der Schwelle einer letzten, der entscheidenden Voraussetzung, die in Schellings Identitätstheorie der Prädikation eingeht, ja seine Theorie der Identität von Geist und Natur fast ganz allein durchsichtig macht, obwohl sie dabei auf die Bausteine zurückgreift, durch die wir uns bisher durchgekämpft haben. Es ist umso erstaunlicher, dass dieser Einfluss weder erkannt noch gebührend aufgeklärt wurde. Das hängt natürlich damit zusammen, dass Schelling seine gedanklichen Abhängigkeiten gerne verborgen und auch hier nur recht vage angedeutet hat, am ehesten noch beiläufig im mündlichen Vortrag, wenn er sich vor der Publikation einigermaßen geschützt glaubt.90 Ich habe die entscheidende Stelle im 15. Kapitel, das die Rolle des Begriffswörtchens ,als‘ beleuchtet, schon angeführt, ohne Schellings erstaunliche Angabe seiner Quelle zu präzisieren. Ich bringe nur den Kontext in Erinnerung, Das Ich „in freier Bloßheit“ (potenzloses a oder a0) – heißt es in der Einleitung in die Philosophie (Schelling 1989, 49 f.) – muss als völlige Bestimmungsunabhängigkeit oder Ununterschiedenheit der in ihm gelegenen Möglichkeiten (eben als ,Indifferenz‘) vorgestellt werden. Sowie es ,sich bewegt‘ und als das setzen will, was es ist, also als a, zieht es sich eine Bestimmung zu oder wird ,Etwas‘. Diese ungewollte Entfremdungsgestalt zieht sich a zu, wie Schelling sich anthropomorphistisch ausdrückt (45), wie ein Mensch sich eine Krankheit zuzieht. Es ist nun aufs entschiedene b-Sein festgelegt. Und da diese Bestimmung seinem freien Wesen widerspricht, muss es sich ihr gegenüber zu a2 ,erhöhen‘, ,sich mit sich selbst multiplizieren‘, d. h. a in zweiter Potenz werden. Und an dieser Stelle spielt
90 Ich sage ,einigermaßen‘. Denn das Zirkulieren von Vorlesungsnachschriften war der große Kummer seiner Lehrtätigkeit, seitdem er fast überhaupt nichts mehr selbst publizierte. Vgl. z. B. Schelling 1972, 488.
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Schelling zum ersten und einzigen Mal mit offenen Karten und deckt seine Abhängigkeit von Christian Wolff auf. Von den beiden in ihm [d. h. in a0] liegenden Möglichkeiten [= Potenzen] ist eine jetzt erfüllt. Vorher waren beide Möglichkeiten in ihm äquivalent, jetzt aber ist das als a gesetzte a mit sich selbst dupliziert. Wenn sich dieser Ausdruck nicht mehr in der neueren Logik findet, so ist er doch in der Wolff’schen/ üblich, in welcher der Ausdruck reduplikatives Setzen soviel bedeutet, als dass das a aus dem impliziter b sein können heraustritt, und dann als a folglich mit sich selbst multipliziertes a ist. A kann also nicht b sein, ohne nicht [sic!] zugleich als a zu sein. Wir hätten nun auf der einen Seite a = b; auf der andern Seite a im Gegensatze und in der Spannung, wodurch das a zu einem a2 wird (Schelling 1989, 49 f.; vgl. 45).
Soviel ich weiß, ist das der einzige Hinweis in Schellings bislang publizierten Schriften, in dem eine direkte, und gar eine sehr weitreichende Abhängigkeit von Wolff eingestanden wird. Sonst wird über Wolff, „langweiligen Angedenkens“ (SW I/10, 60), nur spöttisch in Schellings Vorlesungen abgeurteilt, und selbst in der Nachschrift des Kronprinzen dauert es nicht lange, bis Schelling wieder zu den vertrauten Schmähungen des Wolff’schen Rationalismus zurückfindet und sie im ebenfalls oft wiederholten Vorwurf gipfeln lässt, Hegel sei so etwas wie ein Wolffius redivivus: Wenn dieser Wolffianismus die Wissenschaft auch nicht weiterbrachte, so hat er sie doch von der frühern Bahn abgelenkt; er hat eine Stockung hervorgebracht, die in allen Fächern auch jetzt noch empfindbar ist. Die objektive Richtung wurde durch ihn unversehens in die subjektive verkehrt. Es scheint, man müsse die Frage aufwerfen, wie denn dieser Wolffische Rationalismus so schnell in Deutschland Eingang finden konnte; allein näher betrachtet ist die Sache sehr einfach. Dieser Rationalismus, der im Grunde nur aus Tautologien besteht, und auf die Hauptsache keine Antwort gibt,
der habe auch Hegels Behauptung gegen die Naturphilosophie „in höherer Potenz“ ermöglicht und einer „unüberwindliche[n] Nei-
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22. ,REDUPLICATIO‘
gung der Deutschen zum Subjektiven“ noch einmal und zur Unzeit zum Durchbruch verholfen (Schelling 1989, 66 f.). Der Passus, der die Übernahme von Wolffs Operation mit der Reduplikation gesteht, wirft ein Licht auf Schellings Motiv, sich der mathematischen Potenzierung als Metaphernspenders zu bedienen. Das haben wir schon diskutiert; hier aber taucht ein neues Motiv auf: Bei grundlegender Indifferenz von a und b überwiegt kein Aspekt den anderen, beide sind ,äquipollent‘, wie Schelling gern sagt, oder auch ,äquivalent‘, gleichwertig, keins dominiert das andere. Setze ich aber a unter dem Aspekt von (respectu) B, so ist a mit B multipliziert: Ba. Entsprechend ist A, unter seinem eigenen Aspekt gesetzt (,a, insofern es A ist‘): Aa, also = a2. Es findet, wie Schelling Wolff zitiert, eine Reduplikation oder, was hier dasselbe meint, eine Multiplikation von a durch sich selbst statt. (Schelling kennt wie seine Zeitgenossen keinen graphischen Unterschied in der Notation von Gegenständen und Eigenschaften.) Schellings Sohn hat einen ähnlichen Passus aus einer Münchener Vorlesung des Vaters Zur Geschichte der neueren Philosophie, ebenfalls aus den 1830er Jahren (SW I/10, 103), überliefert. Schelling kommt auch hier, wie in der Einleitung in die Philosophie, auf die eigene Naturphilosophie und das in ihr thematisierte Verhältnis des Absoluten zu seinen Prädikaten zu sprechen. Erneut ist von einem in sich duplizierten Setzen oder von einer, wie die ältere Logik das genannt habe, Reduplikation die Rede. Doch erfährt Wolff nicht die Ehre der Erwähnung: A, das A ist, ist das mit sich selbst duplicirte A (in der älteren Logik wurde diese Art des Setzens, wo A nicht simpliciter, sondern a l s A gesetzt wird, die reduplicative oder Reduplicatio genannt), also das als A gesetzte A ist nicht mehr einfaches, sondern duplicirtes A, das wir (nachdem der Begriff erklärt ist) der Kürze wegen A2 [also: A in zweiter Potenz] nennen können.
In der Tat benutzte die ,ältere Logik‘, die Schelling (1946, 28, 127) über Leibniz hinaus als die scholastische identifiziert – z. B. Thomas
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von Aquin in seinem Sentenzenkommentar91 (8415 f., 8690) oder Jean Buridan in seinen Organon-Kommentaren92 –, den Ausdruck reduplicatio im Sinne einer Aspekt-Festlegung („praecisio“) des Subjekts, die vom eigentlichen Prädikat („praedicatum principale“) noch unterschieden ist. (Der ebenso mögliche Fall einer Reduplikation des Prädikats interessiert im gegenwärtigen Kontext nicht.) Ein Beispiel: „Homo est sensibilis inquantum animal.“ Typischer-, aber nicht notwendigerweise ist der reduplikative Ausdruck („terminus reduplicativus“: animal) mit dem des eigentlichen Prädikats (sensibilis) nicht identisch (ist er identisch oder ist das Prädikat im Subjekt impliziert, so heißt die Reduplikation „inutilis“: Beispiel: „omniscius“ und „spiritus sapientissimus“ [vgl. Leibniz 1999, N. 241, 1243]). Die Reduplikation selbst wird ausgedrückt durch Konjunktionen bzw. Adverbien, je nachdem, ob ein Nebensatz oder eine Nominalphrase folgt: (pro)ut, respectu, quatenus, qua, in quantum, quando, secundum quod, qua ratione u. ä. (Bäck 1996). Der SubjektAusdruck biegt sich gleichsam auf sich zurück und reflektiert sub respectu quodam seine Bedeutung, die sich dadurch in zwei aufspaltet (,dupliziert’). Die Idee: Von jedem Subjekt-Terminus kann in mehrfacher Hinsicht die Rede sein. Die Reduplikation soll den gerade relevanten semantischen Gesichtspunkt festlegen. Ein Standard-Beispiel: „Ein Mensch, insofern er Mensch ist, ist das würdigste aller Geschöpfe; insofern er aber ein ruchloser Übeltäter ist, verdient er Verachtung.“ Oder: „Wer Menschen als Kranke heilt, ist Arzt; wer sie als Sünder heilt, ist Geistlicher.“ Oder: „Als Konsul hat Fabius Maximus Autorität über seinen Vater; aber als Sohn 91 Scripta super libros sententiarum (1252 – 1256). Das erste Hauptwerk bietet einen sehr freien Kommentar zu den Libri quattuor sententiarum des Petrus Lombardus (1150 – 1152). 92 Quaestiones in Analytica Priora (Liber primus, Quaestio 43a) und Posteriora (Liber secundus, Quaestio 21a); auch im Tractatus de Consequentiis, 4.4 „De syllogismis ex propositionibus reduplicativis“, 28a. (Ich verdanke Christian Ströbele die Kenntnis dieser signifikanten Passagen.)
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22. ,REDUPLICATIO‘
steht er unter des Vaters Autorität“ (ein Beispiel aus Plutarchs Leben des Fabius Maximus). „Ein Zylinder ist hinsichtlich seiner Basis größer als ein anderer, kleiner hinsichtlich seiner Höhe.“ „Blume B ist der Form nach schöner als Blume A, die wiederum einen schöneren Geruch hat“ [Beispiele aus Leibniz 1999, N. 241, 1242 f.]). Oder: „Als Amphib schwimmt das Krokodil im Wasser und läuft am Lande.“ Vorbild sind ein berühmter Passus aus Aristoteles’ Analytica Priora (1.38) und seine metaphysische Rede vom ,Seienden als Seienden‘ (oder, wie es üblicherweise übersetzt wird, vom ,Sein des Seienden‘: t¹ cm Ø em [Metaphysik IV, 1003a; dazu Angelelli 1978; Honnefelder 1989, 102 f.; Brands, in: Sherwood 1995, 260, Anm. 141]). Wer etwa reduplikativ vom Guten ,als vom Guten‘ oder ,soweit es gut ist‘ spricht, greift den für seinen Kontext wesentlichen Aspekt heraus und schließt die übrigen aus. Meister Eckhart musste sich wegen der reduplikativen Rede vom „Guten, insofern er gut ist (Bonus inquantum bonus)“, in Avignon verteidigen, zumal er sie mit „der Güte“ schlechthin identifizierte. Dabei hatte er durchaus nichts anderes getan als einer, der die Wendung vom ens qua ens durch Sein des Seienden übersetzt.93 Offenbar war die Reduplicatio für mittelalterliche Theologen vor allem darum wichtig, weil es galt, die doppelte Natur Christi (ganz 93 Eckhart meinte: Der abstrakte Terminus Güte vertrage nicht die Eigenschaft der ,Geborenheit‘ (freilich stört das einem Universale nicht einsichtig zukommende Maskulinum ,bonus‘ statt ,bonum‘; siehe die Ausgabe von Gabriel Théry (1926/ 27, 156 ff.; 186 ff.). – Ähnlich wird die Frage beschieden, ob man zukünftigem oder vergangenem Sein den Modus der Notwendigkeit zusprechen dürfe, da doch alles Seiende notwendig sei: Nein, man dürfe das nicht von Zukünftigem als Zukünftigem oder von Vergangenem als Vergangenem sagen, sondern nur vom Seienden qua Seienden. „Der Sinn ist: Alles, was ist, wenn/insofern es ist (si sit), ist notwendig […]. Lässt man die Reduplikationsformel weg, wird der Satz [nämlich: ,Alles Seiende ist notwendig‘] falsch. Denn von dem, was sein wird, lässt sich doch vorstellen, es werde nicht sein (Nam quod futurum est tamen intelligi potest non fore). Und von dem, was nicht gewesen ist, lässt sich doch vorstellen, es wäre gewesen (Et quod non fuit tamen intelligi potest fuisse)“ (Eckhart 1994, 66/8 [meine Übersetzung]).
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II. TEIL: UNTERWEGS ZUM „ABSOLUTEN IDENTITÄTSSYSTEM“
Mensch und ganz Gott) als widerspruchsfrei denkbar auszuweisen. Aber die Sätze „x, insofern es F ist, ist H“ und „x, insofern es G ist, ist nicht H“ laufen eben doch auf eine Kontradiktion hinaus, weil F-heit H-heit einschließt (,entails‘), G-heit aber nicht. Ohne Kontradiktion geht es im Falle Bobs ab, der als Ehemann scheidbar ist, nicht aber als Kapitän der Marine (der Kapitänsrang schließt Ehescheidungsfähigkeit weder ein noch aus: Vallicella 2004; Bäck 2003). Schelling legt das Problem von Beginn vorsichtiger an, indem er von der Natur-Geist-Identität (X) als Prämisse ausgeht und dann nur noch verständlich machen muss, wie diese beiden einzigen Prädikate (oder Kennzeichnungen) der absoluten Identität als Reduplikationen von X miteinander bestehen können. Dabei beruft er sich explizit auf Leibniz (Schelling 1946, 28, 127), der für einige scheinbar inkompatible philosophische Überzeugungen nach einer „konkordistischen“ Lösung suchte (Schulthess 2009). Leibniz, sagt Schelling dort, habe die Unwahrheit jener viel zitierten logischen Regel gezeigt, die da lautet: „Disparate können weder von sich gegenseitig noch von einem Dritten ausgesagt werden“ (l. c.). ,Konkordistisch‘ heißt der Vermittlungsversuch zwischen zwei Thesen, weil und wenn er die eine „en un bon sens“, also unter einer wohlwollenden Deutung (reduplicatio) liest, in der sie mit der anderen nicht mehr unvereinbar ist. So die These der Kompatibilität unserer Leiblichkeit und Geistigkeit (GP IV, 523 f.; PS 3.1, 4 ff.), die unserer Determiniertheit und Freiheit oder die der sinnlichen Empfangenheit vs. Angeborenheit unserer Ideen: Der Dialog zwischen Philalethes und Theophile in den Nouveaux Essais ist durchgängig nach der konkordistisch-reduplikativen Methode gearbeitet, wie gerade der Beginn des I. Buches illustriert: Philosophen – selbst ,Sektierer‘ unter ihnen – haben oft Recht in dem, was sie behaupten, Unrecht nur in dem, was sie leugnen. Daniel Schulhess hat genau gezeigt, wie die nach dieser Einsicht arbeitende konkordistische Methode funktioniert: Man verwandelt Thesen (Behauptungen) in Disjunktionen einander entgegengesetzter Unterthesen (disjuncta), von denen eine – und mithin die Disjunktion als gan-
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23. ,RELATIVE IDENTITÄT‘ UND ,ANOMALER MONISMUS‘
ze – notwendig wahr ist. Nach dem später nach dem Logiker Augustus De Morgan genannten, aber dem späten Mittelalter vertrauten Gesetz (Kneale & Kneale 1962, 295) ist die Negation einer disjunktiven Aussage die Konjunktion der Negationen ihrer Teile: - (P V Q) $ (-P 6 -Q). Damit sind aber nun beide Hörner der Alternative verneint, während in der (bejahten) Ausgangsform ein Horn der Alternative wahr sein musste. Konsequenz: Man darf Theorien nie pauschal verwerfen: „Raison tu as/ en ce qu’affirmes, tort/ en ce que tu nies“ (vgl. Leibniz’ Briefe an N. Rémond vom 10. Jan. und vom 14. Aug. 1714 [PS 5.2, 322, 340 ff.]; Schulthess 2007, 213 ff.; Schulthess 2009, 259 f.). Heute würde man von „schwachen“ oder „kompatibilistischen“ Theorien sprechen, die alternative Standpunkte nicht gegeneinander ausspielen, sondern auf einem bescheideneren Niveau bzw. in konzilianterer Einstellung integrieren.
23. Parallelen zur Theorie der ,relativen Identität‘ und zum ,anomalen Monismus‘ Mir scheint, dass, sucht man nach einer Parallele zur neueren Philosophie, der Gedanke der reduplikativen Hinsichtnahme auf ein Subjekt am ehesten mit Peter Geachs Theorie der Relativität von Identität verglichen werden kann. Geach war ein herausragender Mittelalter-Kenner, obwohl er sich nicht auf die Operation mit der reduplicatio beruft. Geach nennt ,strikte‘ oder ,absolute‘ Identitätsaussagen über zwei Dinge oder Namen oder Prozesse sinnlos, sofern und solange wir den Aspekt (repräsentiert durch einen count noun, mass oder general term) nicht spezifizieren, hinsichtlich dessen wir sie identifizieren. Strikte Identitätsaussagen, die zwei Terme schlechterdings gleichsetzen, haben die Form ,x = y‘ oder, genauer, ,Fy $ $x (Fx 6 x=y)‘ oder ,Fb 6 b=a ! Fa‘; ,relative‘ – nämlich aspektrelativierte – Identitätsaussagen haben dagegen die Form: ,x ist dasselbe A wie y; aber x ist nicht (notwendig auch z. B.) dasselbe
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II. TEIL: UNTERWEGS ZUM „ABSOLUTEN IDENTITÄTSSYSTEM“
B wie y‘. ,x ist mit y identisch‘ wird mithin als eine unvollständige Aussage analysiert. In relativen Identitätsaussagen ist der Quantor unbeschränkt („unrestricted“). Ein solcher (durch einen generellen Terminus bezeichneter) Aspekt liefert, sagt Geach, das Identitätskriterium der Relation zwischen x und y (Geach 1968, 63 f.; vgl. 149 ff.). Das der vermeintlich strikten Identitäts-Auffassung zugrunde liegende Identitätskriterium gebe – bei genauer Analyse – nur die Ununterscheidbarkeit zweier Gegenstände in einer Theorie an, stelle sich aber theorieunabhängig (,was immer von x gilt, gilt auch von y, egal, welche Theorie zugrunde liegt‘). Darum ziehe sich die strikte Identitäts-Auffassung das Problem zu, dass, was in einer Theorie ein Identitäts-Prädikat, in einer anderen Theorie desselben Gegenstandsbereichs möglicherweise keines mehr sei (,Grellings Paradox‘ [Geach 1972c]). Beispiele für relative Identität: ,Spricht1‘ ist dasselbe Wort wie ,spricht2‘. Sie differieren aber als Einzelzeichen (tokens); nie wird ,spricht‘ zweimal völlig gleich ausgesprochen oder hingeschrieben. Der Beefeater vor dem Tower ist als Funktionsträger der nämliche wie gestern, aber nicht als individuelle Person: Gestern war es Mr. Foster, heute heißt er Mr. Smith. Lord Newriche spricht am Montag und Dienstag mit demselben Herold Bluemantle; aber er spricht mit zwei verschiedenen Männern, weil es von Montag auf Dienstag einen Personalwechsel gegeben hat (dazu Griffin 1977; Henrich 1979, 146 – 148). Oder, um ins Mittelalter zurückzukehren, ein Beispiel Buridans:94 Sokrates ist als Mensch lächerlich, als Philosoph nicht. Man kann auch sagen: Unter einer Beschreibung ist x F, unter einer anderen G (vgl. Anscombe 1981). In diesem Sinne definiert ein frühneuzeitliches philosophisches Lexikon (von 1613) die Reduplicatio als „quaedam conditio posita in propositione reddens rationem, qua praedicatum attribuitur Subjecto, vt[,] Qua, Jat² [in 94 Aus dem Kommentar zu den Analytica Priora, Quaestio 43a, 4.; vgl. Tractatus de consequentiis, 4.4.3 und Kap. 5.8.5 des logischen Hauptwerks, der Summulae de Dialectica 5.8.5.
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23. ,RELATIVE IDENTITÄT‘ UND ,ANOMALER MONISMUS‘
Text fälschlich: Jah¸], Quatenus“, also: als eine Bedingung, die in einer Aussage gesetzt (oder: einer Aussage beigefügt) wird und eine Berechtigung dafür angibt, das Prädikat dem Subjekt zuzusprechen: als, insofern (Goclenius 1980, 965).95 Und gerade in diesem Sinn, als „conditio, sub qua praedicatum convenit subjecto termino“, kennt sie dann auch der von Schelling eben darum ausgezeichnete Wolff (Wolff 1983, 230 [ff.], = § 227 [ff.]); allerdings habe ich, entgegen Schellings Versicherung, den Ausdruck, den Leibniz geläufig benutzt,96 in Wolffs Logiken nicht gefunden.97 Auch ohne dies ist die Ähnlichkeit mit Schelling einerseits, Geach andererseits aber unübersehbar. Ein Satz klinge gelegentlich kategorisch, obwohl eine Analyse seiner Tiefenstruktur eine Hypothese (eine verborgene Bedingung) ans Licht bringe, unter der der Subjekt-Ausdruck de facto stehe. Buchstabiere man diese (implizite) Bedingung aus, so lese sie sich wie folgt: ,sofern das Subjekt so oder so spezifiziert/bestimmt ist‘: „Kommt nämlich das Prädikat dem Subjekt nicht schlechthin (absolute), sondern nur unter einer Bedingung zu, so tritt die Bedingung doch nicht so zurück, dass die Konditionalpartikel [als] nicht ausdrücklich gesetzt würde (expresse ponatur). Die Aussage bleibt also hypothetisch“ (Wolff 1983, § 218.). Wolff illustriert das an dem Satz: ,Ein aus großer 95 In Goclenius’ Aufzählung von Äquivalenten des Begriffswörtchens ,als‘ fehlt die !va¸qesir, das von Aristoteles so häufig benutzte Ø (vgl. oben, Kap. 9). 96 Leibniz beruft sich gelegentlich auf Joachim Junges Hamburgische Logik (1638, Jungius 1977; Leibniz’ Exzerpte „Logica de notionibus Jungiarum Schedarum excerpta annotata“, in: Leibniz 1999, VI, N. 241, S. 1211 – 1299, hier bes. S. 1241 – 144 („quatenus“); über Leibnizens Hochschätzung von Jungius: Leibniz 1999, N. 162, S. 726. 97 Zu Leibniz’ Verwendung der Reduplikation: Nuchelmans 1983, 223 f.; Burkhardt 1980, 230 f.; Schulthess 2007, 2009. Bei Wolff, wie gesagt, habe ich den Ausdruck nicht gefunden, wohl aber die Sache, besonders in der lateinischen Ontologia (Wolff 1977, 232 ff., = §§ 285 ff.) und der Logica (Philosophia rationalis sive logica, §§ 227 [ff.], = Wolff 1983, 230 [ff.]). Das könnte bedeuten, dass Schelling diese Sache so klar war, dass er sie bei Wolff nicht über den Fachausdruck identifizieren musste.
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II. TEIL: UNTERWEGS ZUM „ABSOLUTEN IDENTITÄTSSYSTEM“
Höhe gefallener Stein hat eine gewaltige Wucht (impetum)‘. Er ist formal kategorisch, aber versteckt hypothetisch, denn verborgen wird gesagt: ,sofern er aus großer Höhe fällt‘ (l. c., 231 [§ 227]). Heutige Leib-Seele-Theorien arbeiten mit ganz ähnlichen Beispielen. Nimmt man (wie etwa Davidson [1986, Essays 11 und 13]) an, dass es 1. Mentales gibt (vertritt also einen mentalen Realismus), 2. dass zwischen Mentalem und Physischem in beide Richtungen kausale Verbindungen bestehen, und 3., dass die physische Welt einen geschlossenen Determinismus bildet (anders: dass nur Physisches auf Physisches wirkt), während 4. psychische Ereignisse keinen ähnlich gesetzmäßigen Zusammenhang aufweisen (,Anomalie‘ des Psychischen) – macht man diese vier Annahmen zugleich, so erzeugt man eine inkonsistente Überzeugungsreihe: Einen dieser Sätze muss man aufgeben. Davidsons Lösungsvorschlag ist bekannt (Davidson 1980, 207 ff.): Satz 2 ist richtig, muss aber so interpretiert werden: Jedes mentale Ereignis wird durch ein physisches Ereignis ,realisiert‘. Das Problem: Wir müssen also diejenigen physikalischen Eigenschaften, die Mentales realisieren, vor solchen auszeichnen können, die sich auf ihre Physik reduzieren. Anders gesagt: Es muss kraft seines mentalen Charakters sein, dass dieser bestimmte physische Zustand als Realisator dieser bestimmten mentalen Eigenschaft aufgefasst werden darf. Und dieses kraft (das wir durch qua oder inquantum oder quatenus latinisieren dürfen) steht für eine reduplikative Verwendung genau im Sinne Christian Wolffs. Dieses reduplikative qua ist darum so wichtig, weil particulars (z. B. Ereignisse) ihre Wirkungen kraft ihrer Eigenschaften verursachen, und nicht einfach schlechthin. Dies kann man an einem ganz ähnlichen Beispiel wie dem Wolff’schen illustrieren: „Der Apfel qua 200 Gramm schwer“ ist Ursache dessen, dass der Messzeiger an der Waage bis zu einer bestimmten Markierung ausschlägt, aber nicht „der Apfel qua grün“. So auch „diese Ereignisfolge qua beabsichtigt von Subjekt S“, aber nicht „diese Ereignisfolge qua ausgelöst durch diese (physiologisch ausbuchstabierte) Muskelkontraktion“.
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23. ,RELATIVE IDENTITÄT‘ UND ,ANOMALER MONISMUS‘
Hier muss ich eine Geschichte einfügen. 1995 war Davidson Ernst-Bloch-Professor in Tübingen. Ich hatte ihn mit den Teilnehmer(inne)n meines Philosophy-of-Mind-Oberseminars zu einem Brunch nachhause eingeladen, während dessen er mit gezielten Fragen besonders zum obigen Thema gelöchert wurde. In einer Pause schlenderte er in mein angrenzendes Arbeitszimmer, das ein wundervolles Panaroma auf die Schwäbische Alb bot, setzte sich an meinen Schreibtisch, zog seine dickbeglaste Hornbrille auf und studierte eine Passage aus dem gerade aufgeschlagenen Würzburger System Schellings. Mir war äußerst peinlich, dass er mich beim Studium so offenkundiger ,Nonsense‘-Philosophie ertappte, da ich mich ihm bisher als wacker mithaltenden Analytiker präsentiert hatte. Ich stammelte, das sei ein deutscher Text, obendrein in Fraktur gesetzt, nichts, das ihn interessiere. Er sah mich amüsiert an: Ob ich nicht wisse, dass er Altphilologie studiert und über den Philebos promoviert habe? Altphilologen seien in Harvard verpflichtet gewesen, Deutsch wenigstens zu lesen, und die meisten Texte der klassischen deutschen Altphilologie seien in Fraktur gesetzt. Danach beugte er sich über die aufgeschlagenen Seiten und las Deutsch: „Zwischen Realem und Idealem, Seyn und Denken ist kein Causalzusammenhang möglich, oder das Denken kann nie Ursache einer Bestimmung im Seyn, oder hinwiederum das Seyn Ursache einer Bestimmung im Denken seyn. Denn Reales und Ideales sind nur verschiedene Ansichten einer und derselben Substanz; sie können also so wenig etwas ineinander bewirken, als eine Substanz etwas in sich bewirken kann“ (SW I/6, 500 f., im Orig. teilweise gesp.).98 „But that’s the gist of my anomalous monism“, rief er aus, griff sich ein Papier und schrieb die Passage auf. Den inzwischen herbeigeströmten übrigen Gästen erklärte er sein erstaunliches Bekenntnis. Eigentlich habe ihn früh Spinoza auf die Spur einer Na98 Später wendet Schelling diesen Satz selbst auf die Identität von Leib und Seele an, zwischen denen aus demselben Grund kein Kausalzusammenhang bestehen könne (SW I/6, 548 f.).
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tur-Geist-Identitätstheorie gesetzt. Der anomale Monismus sei eine Position, „die nicht allzu verschieden von der Spinozas ist“ (Davidson 1993b, 162); und Schelling sei doch nichts als ein etwas aufgemöbelter Spinoza. Klar, Identität sei kein Kausalverhältnis, nur Physisches wirke auf Physisches. Geistiges (der Bereich des Rationalen) sei aber nicht inexistent, sondern präsentiere sich nur nicht in ähnlich ordentlichen (gesetzförmigen) Verhältnissen. Die Kausalkette zwischen Ereignissen laufe ganz unabhängig davon ab, unter welcher Beschreibung wir sie erfassen. Aber nur den Bereich des Physischen erfassen wir ,nomologisch‘. Eigentlich habe er sich auf den modischen Weg des Materialismus drängen lassen. Seine (Davidsons) Herzensoption sei eine Art ,neutraler Monismus‘ gewesen. Denn Identität sei doch eine symmetrische Beziehung. Sie privilegiere keines ihrer Relata. Darum sei es unsinnig, eine Identitätstheorie eher ,idealistisch/mentalistisch‘ als ,materialistisch‘ zu nennen.99 Sie sei keins von beiden und beides zugleich, wie es Schelling so schön gesagt habe. Wir waren baff und fanden diese Charakterisierung von Identitätstheorien in früheren und späteren Publikationen von Davidsons Philosophy of Mind wieder. Mir fällt sie hier ein; und es gelingt mir nicht, den unschulmäßigen Verweis auf Davidsons Theorie des anomalen Monismus als jüngeren (freilich durch neuere Theorien inzwischen arg bedrängten)100 Beleg für die Aktualität Schellings zu unterdrücken. 99 „I see no good reason for calling identity theories ,materialist‘: if some mental events are physical events, this makes them no more physical than mental. Identity is a symmetrical relation“ (Davidson 1987, 453; dazu Frank 1991, 115 ff.). 100 Inzwischen hat sich der Materialismus vom Identitätsgedanken abgekehrt (auch unter dem Einfluss des lange Zeit modischen Gedankens, dass die mentale Software in multipler Hardware realisiert werden kann) und sich ,Supervenienz‘ und ,Grounding‘ zugewandt. Diese Beziehung ist asymmetrisch und erklärt vielleicht auch besser die Idee, dass die Materialisten/Physikalisten der physikalischen Realität den Vorrang geben. Die erkenntnistheoretische Problematik selbst des Materialismus und Funktionalismus hat in jüngerer Zeit Ned Block
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Man könnte sich außer auf diesen eigenwillig ausgelegten ,anomalen Monismus‘ ebenso gut auf Saul Kripkes sogenanntes ,cartesianisches Argument‘ für den Leib-Seele-Dualismus berufen: Identität ist eine notwendige Beziehung, während B auch nicht A sein könnte (eine C-Faser-Reizung verursacht im Hirn keinen Schmerz, ihre Verbindung ist jedenfalls ,kontingent‘; sie ist nicht von der Art der Identität von H2O und Wasser oder Wärme und mittlerer Molekülbewegung). Aber notwendig ist Schmerz bewusst oder fallen Sein und Sich-Erscheinen hier zusammen.101 Und ebenso notwendig ist X mit sich selbst einerlei. A und B sind nur identisch, wenn und insofern sie von X ,gewesen werden‘. Sie sind eben nur Potenzen (Möglichkeiten) von X. Genau darin kommt die reduplikative Lesart zum Tragen. Aber durch sie vollziehen wir nur einen Schluss auf die beste Erklärung. Wir unterlegen ihm keine Notwendigkeit. (Das zeigt übrigens, dass Schellings Identitätsphilosophie nicht als Philosophie aus oberstem, Evidenz-gesicherten Grundsatz charakterisiert werden darf.) Die Nicht-Notwendigkeit, eine Nervenfaserreizung als ,Realisatorin‘ eines phänomenalen Zustands zu deuten,102 hat neben Kripke scharfsinnig und umständlich aufgedeckt (Block 2005). Ich werde gleich darauf eingehen. 101 „If X = Y, then X and Y share all properties, including modal properties. If X is a pain and Y the corresponding brain state, then being a pain is an essential property of X, and being a brain state is an essential property of Y. If the correspondence relation is, in fact, identity, then it must be necessary of Y that it corresponds to a pain, and necessary of X that it corresponds to a brain state, indeed to this particular brain state, Y. Both assertions seem false; it seems clearly possible that X should have existed without the corresponding brain state; or that the brain state should have existed without being felt as pain. Identity theorists cannot, contrary to their almost universal present practice, accept these intuitions; they must deny them, and explain them away. This is none too easy a thing to do“ (Kripke 1971, 146, Anm. 1). 102 Von ,Realisierung‘ mentaler (oder allgemeiner: funktionaler) Zustände ist ständig die Rede in der Philosophy of Mind. Der zugrunde liegende Gedanke: Unter ,funktionaler Zustand‘ wird eine Art ,dispositionaler Eigenschaft‘ verstan-
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auch andere neuere Bewusstseinsphilosophen zum Dualismus verführt, z. B. (wenigstens während einer Phase ihres Denkens) Frank Jackson (1982) oder Ned Block (2005). Der Letztere hat die Schwierigkeit für ein epistemisches Subjekt, einen Zustand des Zumuteseins als identisch mit einem physischen Ereignis im Hirn zu verstehen, ,das schwierige (hard) Problem‘ des Bewusstseins getauft. Ned Block, der weitgehend Chalmers’ Ansicht den Weg bereitet hatte, hat dies Problem inzwischen für leicht löslich erklärt. Man müsse nur ,Begriffe‘, d. h. ,mentale Repräsentationen‘ und ,Eigenschaften‘ auseinanderhalten und statt von subjektiven und objektiven Eigenschaften von subjektiven bzw. objektiven Begriffen einer und derselben Eigenschaft sprechen. Die kann sich (das ist Blocks Beispiel) objektiv als unwillkürliche heftige Muskelkontraktion oder – subjektiv – als Gefühl eines Krampfes darstellen – eben so, dass der subjektive und der objektive Begriff dieselbe Eigenschaft ,herausgreifen‘ (Block 2005, 43 ff.). „Wir können also einen Dualismus der Eigenschaften durch einen Dualismus der Begriffe ersetzen“ (46). Das ist ein Lösungsvorschlag, der Schelling offensichtlich entgegenkommt. Aber dieser Vorschlag überspringt natürlich das „schwieden. Es handelt sich bei ihr um eine Eigenschaft höherer Ordnung, die bestimmte Eigenschaften niederer Ordnung festlegt, die wiederum ihre eigene kausale Geschichte haben. So wird (die Disposition) ,Schlafförderlichkeit‘ z. B. durch ein Barbiturat ,realisiert‘ – aber auch durch eine lange erschöpfende Wanderung. Eng verwandt ist der Begriff der ,Supervenienz‘. Man sagt: Die realisierte Eigenschaft ,superveniert‘ auf dem Realisierer (und ,erklärt‘ ihn dadurch). Der Begriff der ,Konstitution‘ wiederum lässt sich leicht von dem der Realisation her einführen: Wenn der mentale Zustand M eine funktionale Rolle hat, die genau von dem (physischen) Zustand N realisiert wird, können wir sagen, dass N M ,konstituiert‘. N konstituiert aber nicht ein funktionales Äquivalent von M, nämlich ein solches, dem ein wesentliches Merkmal von M fehlt, nämlich das Zumuteseins-Bewusstsein. Wenn M Schmerz ist, ist ihm ein bestimmtes Zumutesein wesentlich, und ein funktionales Äquivalent von M, dem dies Bewusstsein abgeht, würde nicht von N realisiert (Block 2005, 51 – 53 mit 71). Darüber gleich mehr.
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rigere“, nämlich das erkenntnistheoretische Problem des Bewusstseins, mit dem sich Block im Weiteren auseinandersetzt. Aufs Äußerste vereinfacht, sieht sein Argument so aus: Ein mit uns gleich verdrahtetes Wesen – Block spricht von einem ,oberflächlich funktionalen Äquivalent‘ – muss uns weder physisch noch geistig gleich sein. Was das Zweite betrifft, so gibt es vielmehr Gründe, an seiner Bewusstseinsfähigkeit zu zweifeln (53 ff.). Alternative Realisationen ,derselben‘ funktionalen Rolle können sehr wohl darin differieren, dass die eine bewusst ist (sich irgendwie anfühlt), die andere nicht (59). Block meint nun, wir hätten nicht einmal die Spur einer rationalen Begründung für die Annahme, dass Commander Data (die Figur aus der Science-Fiction-Serie Star Trek) in funktional gleichen, aber – im Vergleich mit uns – physikalisch unterschiedlich realisierten Zuständen bei Bewusstsein ist, d. h., dass Bewusstsein statt durch proteinbasierte Schwingungen durch nicht-schwingende kupferne SilikonChips ,konstituiert‘ werden kann (60, 62).103 Der so genannte Disjunktivismus lässt eine strikte Identität gelten zwischen zwei Instanziierungen eines identischen (funktionalen) Typs: Bewusstsein habe eben entweder die neuronale Basis, die es beim Menschen hat, oder werde (z. B.) durch die elektronischen Mechanismen realisiert, über die Datas Gehirn-Analogon verfügt. Die Realisatoren der M-Zustände können also ,grundlegend verschieden‘ sein; und ohnehin hapert es bei genauem Hinsehen auch mit ihrer strengen funktionalen Isomorphie. Nur ein „superficialism“ kann diesen Unterschied ignorieren. Daraus zieht Block den Schluss, dass ein ,phänomenaler Realist‘ (also ein Theoretiker, der Zumuteseins-Zustände für Realitäten hält) nicht den Anflug eines Motivs hat, an eine Disjunktion der physikalischen Basen unserer bewussten Zustände und Commander Datas funktional äquivalenter Zustände zu glauben (68 ff.). Wohlbemerkt: Der Disjunktivis103 Durchgängig macht Block die Voraussetzung, dass bei der Zuschreibung von Bewusstsein die materielle Konstitution (und Struktur) die Funktion „übertrumpft“ (Block 2005, 77 f.).
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mus ist nicht in ontologischer, er ist lediglich in epistemischer (erkenntnistheoretischer) Hinsicht suspekt: „Wir haben keine Vorstellung davon, wie wir wissen können, ob er wahr ist oder nicht“ (77). Wir können weder wissen noch ausschließen, dass Data ein Zombie ist. „Die Identifikation wirft also ein explanatorisches Problem auf“ (72). Ich habe es (ungefähr) in der Sprache der Philosophy of Mind formuliert. Aber ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass Schelling sich mühelos in diese Argumentation einklinken könnte. Auf einer ontologischen Ebene gibt es keinen Konflikt zwischen den XKennzeichnungen A und B. Aber epistemisch ist keineswegs einsichtig, dass A durch B ,realisiert’ werden muss. Vor allem: Schelling schließt mit der Identifikation von A und B nur auf die beste Erklärung. Er behauptet nicht (wie Fichte), diese Identität als eine Evidenz unseres Bewusstseins darstellen zu können (denn die ,intellektuelle Anschauung‘ scheint kein Zustand unseres Bewusstseins zu sein). Block spricht von der ,epistemischen Unzugänglichkeit‘ dieser Identität (60, 73, 91). Hier waltet also ein Moment von Kontingenz, das sich gut in den modalontologischen Rahmen von Schellings späten Überlegungen fügt.104 Die reduplikative Wende und der Rückgriff auf den Timaios setzt – wie wir schon mehrfach sahen, aber jetzt besser zuordnen 104 Den modalen Hang teilt übrigens Schellings Rückgriff auf die Figur der reduplicatio (,als a- oder als b-sein-Können‘ und In-Widerspruch-Geraten erst mit der Aktualisierung der reduplizierenden Position) nicht erst mit Kripke, sondern schon mit Christian Wolffs Logica, die assertorische prädikative Aussagen als versteckte Konditionale interpretiert. Das gilt auch, wenn man in die der Modalität gewidmeten Paragraphen seiner Ontologia schaut (Wolff 1977, 232 ff., = §§ 285 ff.). Dort wird – in charakteristisch reduplikativer Rede – begründet, warum ein Mögliches notwendig möglich ist und jedes Seiende, als sich ergebend aus dem Satz des zureichenden Grundes, notwendig seiend ist („Quodlibet, dum est, necessario est“, l. c., 233, = § 288 und 234, = § 289). Freilich vertritt Schelling diese letzte These gerade nicht, weil er Existenz für empirisch und kontingent hält.
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können – massiv in allen Publikationen des Jahres 1806 ein. Christian Danz, der Mitherausgeber des Nachlassbandes mit Tübinger Studienheften (HKA II.5), hat mir auf der Suche nach Spuren von Übungen des Studenten Schelling zum Ploucquet’schen „Calculus“ Einträge aus der Zeit um 1806105 mitgeteilt, die die massive Rückbesinnung auf das Timaios-Zitat vom Band der Kräfte belegen, das sich selbst mit dem Verbundenen verbindet und mit dem Akt der „Selbstbejahung“ identifiziert wird. Freilich fehlt auch hier der Hinweis auf den Timaios oder auf Oetinger/Hahn als Quelle(n). Überall wird in den Schriften des Jahres 1806 die Urteils-Copula als Identifikationszeichen verstanden und Identität mit Existenz gleichgesetzt. Identifiziert werden durch das judikative ,ist‘ „das Prädicirende mit dem Prädicirten“. Dabei kann nun zweitens entweder „auf die absolute Gleichheit [Ploucquets „aequalitas“], die Copula selbst, oder auf das Subjekt und das Prädikat, als die [unterschiedenen] Gleichgesetzten“, reflektiert werden (SW I/2, 361). Die erste Einheit ist nur das uninteressante Sich-selbst-Gleichsein des Wesens ,nur mit sich selbst‘, nicht mit seinem Anderen („ein reines bloßes Eins, in dieser seiner abstrakten Einheit“). Damit kommt der dritte (platonische, Oetinger-Hahn-vermittelte) Gedanke zum Zug: Die eigentliche gehaltvolle Identität findet statt zwischen dem Wesen (dem, worüber – Hahn sagt auch: wodurch/kraft dessen – geur105 Der Zeitpunkt ist durch gleiche Schrift und datierte Honorarabrechnungen nahegelegt. Schelling hat seine Studienhefte – hier das Heft NL 31 – oft für spätere Aufzeichnungen wiederbenutzt. Sie unterbrechen die Auslegung der Psalmen unter dem Titel „Analecta philosophica“ nach dem 98. Psalm. 66r setzt der erhaltene Text (nach einer 5-seitigen Lücke im Ms. – wieder ein mit: „1. In jedem Ding ist eine bestimmte/Selbstbejahung des … = A …/ … = B die Form; u uns/eine Form eines Dinges … …./die bestimmte Weise der Selbst/ bejahung der … im E. 2. das Verbinden.. oder/die Copula – die … jene/Bejahung ist das allg./Band der Dinge = C 3. Jede … jener Art eingtl. 1 Act der/Einheit [?]; aber da C. ;/ 4. C ist in jeder besd … Form/3. B. A = B, A = C pp nur / als D. Band aller Dinge/oder Form nach d. Band/dieser u. die Kraft dieser/Form. u. er kann …“
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teilt wird) und seiner Form (der zweigegliederten Prädikation), die in einem trivialen (tautologischen) Sinne nicht ,dasselbe‘ ist wie das Wesen („daß das, was als Eins i s t, oder existirt, in dem S e y n nothwendig ein Band seiner selbst und eines Anderen sey“ [SW I/7, 55,1]). Nenne ich jenes das Verbindende, diese die Verbundenen, so komme ich zu der eben zitierten Formel einer Einheit, die „das Verbundene mit dem Band“ selbst noch verknüpft (I/2, 61): das ,vermittelnde Dritte‘ der platonischen Spätdialoge. Wir haben dann nicht mehr mit einem Gegensatz des Einen und des Vielen oder des Unendlichen und des Endlichen zu tun, sondern d a s s e l b e, was die Vielheit ist, dasselbe ist auch die Einheit, und was die Einheit ist, d a s s e l b e ist auch die Vielheit, und dieses nothwendige und unauflösliche Eins der Einheit und Vielheit selbst in ihr nennst du ihre Existenz (SW I/7, 56; ebenso Schelling 1946, 26 f.: „dasselbe Existirende/ welches das eine ist, ist auch das, welches das andere ist“; vgl. schon I/7, 341).
Wir sahen, dass diese Formulierung in den Weltaltern die reduplikative Deutung erfährt, dass ,A = B‘ als Doppelurteil oder vielmehr: als Konjunktion zweier Unterurteile verstanden werde müsse. Das erste Urteil ist ,X = A‘, das zweite ,X = B‘, und erst aufgrund des Gleichermaßen-durch-X-gewesen-Werdens sind A und B miteinander gleich – aber ohne die Notwendigkeit, die allein der strikten Sich-selbst-Gleichheit von X zukommt. Ferner: Das Urteil wird als das „entfaltete Band“ charakterisiert, was zu der kühnen Deutung passt, Schelling habe Kants These der Abkünftigkeit der relativen von der absoluten Setzung im Sinne Leibniz’ umgedeutet: als Explikation eines vorher nur Implizierten (Schelling 1946, 28; ausführlicher 129). Formalisieren könnte man das auf verschiedene Weise: Wir haben eine Individuenkonstante a (Geist), eine Individuen-Variable x (das Absolute) und eine Prädikatskonstante F (Natur). Damit wird einer Unterscheidung Rechnung getragen, die Schelling (in Hogrebes Vokabular) anstellt zwischen ,pronominalem‘ und ,prädikati-
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vem‘ Sein. Das erste wird durch singuläre Termini (also referentielle Ausdrücke) symbolisiert, das zweite durch Ausdrücke für generelle Termini (eben Prädikate). Dann gilt: Fa ! ($x) (x=a 6 Fx) (Geist ist Natur. Daraus folgt: Es gibt genau ein x so, dass x gleich Natur, und Geist gleich x ist.) Oder auch (Vorschlag von Jürgen Pafel): „ x(ax) = x(Bx) [,Das, was A ist, ist das, was auch B ist‘].“
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„Seit Peano ist es in der Logik üblich, die Zeichenfolge x’ – in der Bedeutung ,das Objekt x, so dass‘ zu verwenden. Damit wird aus den zusammengesetzten singulären Termini ,der Autor von Waverley‘ und ,die Primzahl zwischen 5 und 11‘: x (x hat Waverley geschrieben) [und] x (x ist prim . 5 < x < 11) Singuläre Termini in dieser Form geschrieben heißen Kennzeichnungen.“ (Quine 1974, 276 f.). i
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Wir haben dann die Identität als Subjekt und A und B als Prädikate/Kennzeichnungen. Mir scheint dies das zu sein, was Schelling in dem Weltalter-Zitat vorschlägt. Noch eine andere Formel wäre denkbar (Hogrebe 1989, 81): Wir haben jetzt zwei Individuen-Variablen x und y und zwei Eigenschafts-Konstanten F (Natur) und G (Geist). Dann gilt: (x) [Fx !($y) (Gy 6 x=y)]. (Für alle x gilt: Wenn x Natur ist, dann gibt es ein y, so dass y Geist ist und x [Natur] gleich y [Geist] ist.) In der Münchener Einleitung in die Philosophie (1830) wird Schelling diese Differenzierungsleistung, die das eine Band in zwei Verbundene auseinanderlegt, als Leistung der Begriffs-Partikel ,als‘ erklären (Schelling 1989, 44 f., 49 f.; vgl. oben Kap. 15). Eine anmutige Frau verliert diesen Reiz in dem Augenblick, da sie sich als anmutig betrachtet. Ein König reist incognito, hört damit aber nicht auf, König zu sein, nur reist er nicht als König. So ist das Absolute selbst (= X) nicht als A oder als B, und die beiden Beschreibungen/
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Kennzeichnungen drücken beide das ganze und ungeteilte Wesen von X aus, ohne dass sie sich in Äußerungen durch einander ersetzen ließen (A und B haben also verschiedene Wahrheitsbedingungen): Das Unendliche ist nicht als solches das Endliche, so wie der Freie nicht als solcher der Angekettete ist (SW I/7, 205, Anm. 1). Entsprechend gilt: Meine Verliebtheit ist nicht als solche eine V-Faser-Reizung von Nervenfasern in meinem Cortex. Aber es mag Eines geben, das unter einer (epistemischen) Beschreibung Verliebtheit und unter einer anderen (neurobiologischen) ein elekro-magnetisches Hirnphänomen ist. Ja, man mag so weit gehen zu sagen, die Hirnfaserreizung sei die einzige physische Realisatorin des Bewusstseinszustandes. Wir haben hier mit einer Alternative zu tun, die durchaus dem scheinbaren Dilemma ähnelt, das Schelling nach der reduplikativen Methode zu lösen gedenkt. Der Proponent sagt etwa, phänomenale Zustände seien subjektiv, weil es für ihr Auftreten notwendig ist, dass einem Subjekt dabei irgendwie zumute ist. Das ist aber für neuronale Zustände nicht so, sie sind völlig objektiv. Mithin – so scheint es – ist kein seelischer Zustand – seinem Typ nach – neuronal (Nagel 1979). Wenden wir die reduplicatio an, ergibt sich diese kompatibilistische Lesart: Typen seelischer und Typen neuronaler Zustände sind nicht an sich – oder nicht metaphysisch – verschieden (nämlich nicht, insofern sie von X unterhalten werden). Sie sind es nur unter einer begrifflichen (oder epistemologischen) Perspektive. Ein Zustandstyp kann unter einem Begriff subjektiv (phänomenal) und unter einem anderen (neurowissenschaftlichen) objektiv sein. Wir können dann sagen: Als phänomenaler Zustand ist er subjektiv, und als neuronaler ist er objektiv. (Natürlich bleiben McGinns und Blocks Fragen auch von Schelling unbeantwortet, nämlich wie ich mir diese Wahrheit ihrerseits subjektiv – „epistemisch“ – fasslich machen oder vorstellen kann, da ich ja nur mit dem einen Horn der Alternative vertraut bin: Ich spüre meinen Schmerz, aber nehme insofern keine C-Faser-Reizung wahr.
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McGinn spricht von einer prinzipiellen Grenze der Verständlichkeit, die er „cognitive closure“ nennt: „You cannot see a brain state as a conscious state“ [McGinn 1991, 11; noch sophistizierter zur selben Unmöglichkeit Ned Block in „Das Schwierigere Problem des Bewusstseins“: Block 2005, bes. 90 f.]. Und Levine sagt, von der einen Seite der Identitäts-Relation haben wir ein unbezweifelbares Bewusstsein, während uns die andere nur als hypothetischer Gegenstand bekannt ist: Levine 2006: 188. Die Identität von Leib und Seele ist nie als solche interner Bewusstseins-Bestand.) Identität – das ist Schellings Gedanke in Kürze – darf nicht eliminativ verstanden werden, so, als meine ,Identität von Natur und Geist‘ dies: ,Natur, und nicht Geist‘ oder: ,Geist nur, sofern er – unter genauer Analyse – in Natur kollabiert‘. Nach seiner Überzeugung begeht der Fichte’sche Idealismus nur den umgekehrten Fehler des Materialismus. Diese durch die wohlverstandene (,in sich duplizierte‘) Identität garantierte Identität nennt Schelling gern die ,Gleichursprünglichkeit’ von Natur und Geist, so in den Weltalter-Entwürfen: „Also sind Natur und Geisterwelt gleich ursprünglich, und (auch in ihrer Scheidung) gleichzeitig“ (Schelling 1946, 252). Schellings Beispiel liegt – unter Berufung auf Leibniz – ganz auf dieser Linie: „Ebenso könne zwar nicht gut geradezu gesagt werden: die Seele sei der Leib, der Leib Seele; wohl aber, dasjenige, was in dem einen Betracht Leib ist, sey in dem andern Seele“ (Schelling 1946, 28). Von diesen ließe sich, mit einer gewissen Gewalt gegen die Sprache, sagen, dass sie von X, dem eigentlich Seienden (emtyr em), dem „Band im Urteil“ (l. c.), ,gewesen werden‘. Die Formel ,être été‘ stammt zwar von Sartre (1943, 58, 162, passim), doch hat sie in Schellings Werk eine bedeutende Vorläuferin. Ich meine den Gedanken des ,transitiven‘ Seins, welches das von ihm Durchwaltete bzw. Gewesene damit ins Sein hebt (SW II/1, 293; II/3, 227). Für diesen Gedanken gibt es ein Vorbild schon 1806 in den Aphorismen (SW I/7, 205, Anm. 1). Dort wird die spinozistische Formel ,Gott
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ist alle Dinge‘ „invita latinitate“ so übersetzt, dass die von Gott gewesenen, also ins Sein versetzten Dinge im Akkusativ stehen: „Deus est res cunctas“ (dazu ausführlich Frank 2002, 234 ff.). Noch eine Passage aus der letzten Fassung der Weltalter, die ganz nebenbei die Unaufgebbarkeit des Widerspruchsprinzips für alles gehaltvolle Sprechen betont: Daß also je das Ideale als solches das Reale sey, und umgekehrt, Ja Nein und Nein Ja, dieß ist ja wohl unmöglich; denn dieß behaupten, hieße den menschlichen Verstand, die Möglichkeit sich auszudrücken, ja den Widerspruch selbst aufheben. Wohl möglich aber ist, daß ein und dasselbe = x sowohl Ja als Nein, Liebe und Zorn, Milde und Strenge sey (SW I/8, 214).
Die Person, welche anmutig und liebenswert ist, ist genau dieselbe wie die, welche garstig und plump ist – das impliziert keineswegs, dass Anmut und Garstigkeit dasselbe sind. Die A sein kann (aber nicht ist), ist dieselbe wie die, die B sein kann (aber nicht ist). Aber einmal aktualisiert, schließen sich A und B als zwei konträre, im Extrem gar kontradiktorische Prädikationen des allein wahrhaft Seienden, der Copula x, aus.106 Nur von ihr gilt die rigide, irrelative, widerspruchsgeschützte Identität, die Schelling „Einerleiheit“ 106 Das bloße Können-aber-nicht-Sein ist eine Denkmöglichkeit, die Schellings gesamte Spätphilosophie leitmotivartig eher heimsucht als begleitet. Gewöhnlich bezieht er sich auf Platon oder Plutarch, einmal (spät, nach 1850) auf Aristoteles als Quelle (die Stelle passt in den Kontext, den ich als Schwächung der Geltung des Widerspruchsprinzips ausgemacht habe: 19. Kap.): „Das ,nicht‘, wie Aristoteles […] erklärt [Metaph. X, 4 (tot.)], beraubt entweder ganz (fkyr) oder nur auf gewisse Weise, z. B. daß nur der Actus geleugnet wird, das gleich s e y n, nicht auch das gleich seyn können. Was A nicht ist, ist entweder das ganz des Aseyns Unfähige (t¹ !d¼matom fkyr 5weim), oder das es seyn kann aber nicht ist (t¹ !d¼matom fkyr lµ 5weim), oder das es seyn kann aber nicht ist (t¹ pevuj_r 5weim lµ 5w,). Ist Beraubung eine Verneinung des H a b e n s, so setzt sie entweder ein absolutes nicht haben-Können (!dumal¸a dioqishe9sa), oder sie setzt das Subjekt, das haben-Könnende, voraus (ist sumeikgll´mg t` dejtij`), wo sie erst Beraubung im engern Sinn ist. Gleich oder nicht gleich (oqj Usom) ist alles, gleich oder ungleich (!m¸som) aber nicht alles, sondern nur was der Größe fähig [also quantifizierbar] ist [V, 22 (114,10])]“ (SW II/1, 307).
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nennt. Das Identische von A und B ist das „x“, von dem sie beide wahr sind, das aber an ihm selbst „eigenschaftslos“ und darum ,unfaßlich‘ ist (Schelling 1946, 15), so dass sich nicht anders als nichtssagend (tautologisch) von ihm sprechen lässt, es sei strikt nur mit sich selbst identisch („x = x“). Das auch B sein könnende A oder das auch A sein könnende B sind Prädikate (mögliche Ergänzungen) von x, die untereinander keineswegs identisch sind im Sinne der Einerleiheit. Diese mögliche Aussagbarkeit unterschiedener Prädikate vom Absoluten nennt nun Schelling in den WeltalterEntwürfen ihre „Aussprechlichkeit“ und ihre faktische Aktualisierung ihr „Ausgesprochensein“. Fassen wir alles zusammen, so können wir uns so erklären: Nach der ersten Idee ist das Ewige [= X] Seyendes [= A] und Seyn [= B], oder diese beyde sind, zwar nicht das Ausgesprochene, aber das Aussprechliche von ihm. Es selbst aber, das sie [transitiv] ist, oder von dem sie das Aussprechliche sind, kann als solches weder das eine noch das andere seyn, sondern nur das Aussprechende von beyden. Daß es sie aber wirklich ausspricht, sich offenbart, als das Aussprechende von beyden, ist mit der ersten Idee nicht gesetzt (130).
Wer ,A‘ sagt, sagt insofern nicht ,B‘, aber er muss, wenn er A gesagt hat, auch ,B‘ sagen, denn das in der Bedeutung des Bandes Implizierte muss sich, wenn A einmal aktuiert ist, nach dem Gesetz der Notwendigkeit entfalten. Es bleibt die im Zusammenhang der Ploucquet-Rezeption erwähnte Zweideutigkeit in Schellings Umgang mit dem Ausdruck ,Gegensatz‘. An eine Kontradiktion will er nicht denken, ja, er schützt sich in der Zeit zwischen den Aphorismen und den Weltaltern – wahrscheinlich, um sich von Hegel abzugrenzen – mehrfach vor dem Vorwurf, das Prinzip der traditionellen Logik zu verletzen. Die Aufnahme der Reduplikations-Theorie ist ein einziger Versuch, diesen Anspruch einzulösen. Aber es besteht eine offenkundige Spannung zwischen den Sätzen „X = X“ (tautologisch verstanden, mit der Umkehrung „X ¼ 6 -X“: dem Satz des Wider-
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spruchs), „A ¼ 6 B“ (den zwei konträren oder subkonträren Eigenschaften von X) und dem Anspruch, A und B seien das Aussprechliche von X. Wie soll man ,aussprechlich‘ und ,ausgesprochen‘ anders verstehen als in dem Sinne, den Schelling 1806 „das Prädicirte“ oder „das Prädicat“ genannt hatte. Sind aber A und B Eigenschaften (ausdrückt durch Prädikate) von X (und seien es solche, die „in der ersten Idee“ nur potentia¯ in X lagen – sonst wären sie nicht das „Aussprechliche“ von X –, so wäre dieses nicht im denkbar radikalsten Sinne „eigenschaftslos“.
24. Ein Ausblick auf Schellings späte Ontologie Dieser Gedanke wird in den identitätsphilosophischen Schriften aber immer noch durch das idealistische Vorurteil verdunkelt, Sein sei (im Absoluten) ein Implikat des Wesens (so z. B. SW I/4, 118, § 8, Zusatz 1; vgl. das fröhliche Geständnis in den Weltaltern, gegen den recht verstandenen ontologischen Gottesbeweis sei „schlechterdings nichts einzuwenden“: Schelling 1946, 105).107 Erst das Spätwerk ändert die Vorzeichen und macht das Wesen ontologisch einseitig abhängig vom Sein. Fortan gilt: Es könnte kein Denken geben ohne ein Sein, das sich damit in dessen Intentionalobjekt verwandelt; wohl aber kann es ungedachtes (oder unerkanntes) Sein geben. Das wäre sogar der Normalfall. „Unser Ausgangspunkt ist [fortan] das allem Denken zuvor, das unbedingt Existirende“ (SW II/4, 337). „In i h m s e l b s t ist kein W a s, e[s] ist das reine D a ß – actus purus“ (SW II/1, 586). „Denn nicht weil es ein Denken gibt, gibt es ein Seyn, sondern weil es ein Seyn gibt, gibt es ein Denken“ (SW II/ 3, 161, Anm. 1).108 107 Das ergibt sich schon aus der Behauptung, außer der Vernunft (praeter ipsam) sei nichts, in ihr alles (SW I/4, 115, § 2; 116, § 3; 118, § 10). 108 Einen Vorläufer des Gedankens eines Vorrangs des Seins vor dem Nichts kann man in den Weltaltern finden. Mehrfach betonen sie: „Nur das Etwas ist der Träger des Nichts, das selbst nicht seyn kann“ (Schelling 1946, 19, passim).
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24. EIN AUSBLICK AUF SCHELLINGS SPÄTE ONTOLOGIE
Versteht man Denken, wie Schelling es tut, als Entwerfen von Möglichkeiten, so ließ sich ein weiteres Mal die Wirkung von Kants Seinsthese von 1763 belegen. Kant hatte ja in seinem Text über den Einzig möglichen Beweisgrund auch dies gezeigt, dass Sein – als absolute Position – nicht aus einer ihm vorausgehenden Möglichkeit verständlich gemacht werden kann, wie das die Wolff-Schule und Descartes’ ontologischer Gottesbeweis gewollt hatten. Genauer: Es könnte nicht etwas eine Möglichkeit von etwas sein, das nicht zunächst (im Modus der Wirklichkeit) existierte. Hebe ich das Dasein schlechthin auf, so ist auch nichts mehr gegeben, dessen Möglichkeiten sich entwerfen ließen: Es gäbe, hatte Kant gesagt, „kein Materiale [mehr] zu irgend etwas Denklichem, und alle Möglichkeit fällt weg“ (AA II, 78). Es ist zwar logisch nicht widersprüchlich, alle Existenz zu verneinen, indem man hier etwas setzt und wieder aufhebt. Dort aber eine Aufhebung oder eine Potentialisierung vornehmen zu wollen, wo gar nichts Wirkliches gegeben ist, das widerspricht sich. Daraus ergibt sich, dass die Negation hier nie schlechthin, sondern nur partial auftreten könnte: als (teilweise) Einschränkung eines Positiven, das zu anderen Teilen fortbesteht, mithin als Bestimmung. Wieder ist dieser Gedanke durch Maimon an Fichte weitergeleitet worden (Maimon 1965, 111 ff.; vgl. Frank 2007, Text 14.). Erst im Alter kommt Schelling auf diese kantische Einsicht explizit zurück. Unter Verweis auf KrV A 613 f. und die dort ausgesprochene Ehrfurcht vor dem alles Denken niederschlagenden Sein schreibt Schelling: „Ich führe diese Worte an, weil sie Kants tiefes Gefühl für die Erhabenheit dieses allem Denken zuvorkommenden Seyns ausdrücken“ (SW II/3, 153). Keine Potenz, lehrt er in der ersten Berliner Vorlesung, ,präveniert‘ den actus purus der Existenz (Schelling 1993, 168), und der Gedanke Gottes als causa sui, als Ursache seiner eigenen Wirklichkeit, ist schlicht abwegig (l. c., 154 f., 166 f.). Denn dann müsste per impossibile Wirkliches aus einer Denkbestimmung, die einen Raum möglicher Gegenstände be-
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schreibt, also aus einer Potenz hervorgehen (l. c., 160). Wirklichkeit ist aber die potentia potentiae: diejenige (nur uneigentlich so genannte) „Potenz, die die Potenz [selbst noch] in ihrer Hand hat“, indem sie allererst diesen Entwurf, die Potenz, diese d¼malir ontisch fundiert (l. c., 162 f., 166 u.). Erst dem „blinden Sein“ zeigt sich post actum ein Seinkönnen (165); auch das „Sein Gottes kommt selbst seinem eigenen Denken zuvor“ (163). Möglich also, haben wir gesehen, d. h. durch die Natur des Seienden nicht widersprochen, ist die dem Sein nachfolgende Potenz; denn erst das Reinseiende kann das Seinkönnende [transitiv] sein. Die potentia pura, der Anfang der negativen Philosophie, war sogar impotent, Potenz zu sein und konnte sich als solche nicht halten. Erst das rein Seiende ist das der Potentia Mächtige, und da es nicht Potenz des Actus sein kann, ist es materiell schon potentia potentiae. Was immer sein Sein voraus hat, ist das eigentlich etwas wollen- oder anfangenkönnende, dadurch, daß es sein Sein unabhängig von sich hat, sein Sein voraus hat und desselben sicher ist (165). Der reine Geist ist absolute Wirklichkeit, v o r aller Möglichkeit – Wirklichkeit, der k e i n e Möglichkeit vorhergeht (SW II/3, 262).
Ganz Kant-treu hatte Schellings Jugendfreund Hölderlin in Urtheil und Seyn dies genau gesehen. Nicht so Schelling in seiner wenig früher entstandenen Ich-Schrift. Zwar geht auch er mit Kant (und Fichte) von der obersten Thesis aus, dem unbedingten Gesetztsein. Anders als Hölderlin hält er sie aber nicht für eine nicht in Bewusstsein auflösbare Voraussetzung des Bewusstseins, sondern für ein ihm Innerliches. Und außerdem deutet er die als Möglichkeit (als ,absolute Setzbarkeit‘ bzw. als ,objektiv-logische Möglichkeit‘ [SW I/1, 226 f.]). Dieser idealistische Fehlschluss liegt ganz auf der Linie seiner Missachtung von Kants Argument gegen den ontologischen Gottesbeweis, das auf der Unableitbarkeit der Existenz aus ,realen‘ Begriffsbestimmungen beruht.109 Schelling ist in dieser Pha109 Wolff hatte die Existenz als „Ergänzung der Möglichkeit“ erklärt; Baumgarten hatte gedacht, ein Ding existiere aufgrund „durchgängige[r] innere[r] Bestimmung“ (AA II, 76). Populär gesagt, meinte die Wolff-Schule, ein Ding dürfe
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se noch arglos einig mit Fichte, der vom „Prädicat des reellen Seyns“ spricht, als hätte er nie von Kants Widerlegung dieser Auffassung gehört (Fichte 1971 I, 496 f.). Wie aber greift Schellings – durch Rückgang auf Kant erworbene – späte Einsicht in den Vorrang der Wirklichkeit vor der Möglichkeit/dem Denken? So, dass Schelling Denkbestimmungen in eine einseitige ontologische Abhängigkeit vom existentiellen Sein bringt: Denkbestimmungen – und das Subjekt als ihr Prinzip vorab – werden vom Sein getragen. In der Tat bestimmt Schelling das selbstbewusste Subjekt ontologisch (im Anschluss an Platon und Plutarch – und, wie wir sahen, Aristoteles) als ein lµ em. Ein lµ em ist – im Gegensatz zum oqj em – nicht ein Nichtseiendes, also eines, das in keiner Hinsicht existent genannt werden kann. Ein lµ em ist dagegen, wie Schelling sich ausdrückt, nur nicht seiend, oder es ist nicht das Seiende selbst. Zu ihm verhält es sich vielmehr parasitär: als ein relativ Seiendes, das sein Quasi-Sein beim Seienden-im-emphatischen-Sinne borgt. Von ihm wird es ,gewesen‘. Schelling sagt zu dieser merkwürdigen Seinsart, die sich obendrein als eine Relation dann existent heißen, wenn all das, was in seinem Wesen enthalten (oder gedacht) ist, ihm auch tatsächlich (d. h. erschöpfend) zukommt. Als ,Ergänzung‘ erscheint die Existenz hier darum, weil sie auch dasjenige noch bestimmt, was durch die im Wesen eines Dinges gedachte Eigenschaftsmenge allenfalls noch unbestimmt gelassen war. Der Fehler dieser Auffassung ist, dass sie den Begriff der Wirklichkeit mit dem der Möglichkeit als gleichartig denkt. Auf diese Weise wird der Begriff der Existenz in den der Möglichkeit hinübergezogen. Das ist, wie Kant gezeigt hat, falsch. Z. B. kann auch ein Einhorn voll (oder ausreichend) bestimmt sein (in Legende und Märchen ist es ein pony- oder ziegenähnliches Tier, trägt ein Horn auf der Stirn, ist weiß, lässt sich nur von einer Jungfrau zähmen, usw.), ohne darum zu existieren. Durch Vollbestimmtheit erfährt das Wesen keine Ergänzung, wie der Erfahrungsbezug eine wäre (Existenzsätze sind nach Kant grundsätzlich synthetisch [KrV A 598]). Kant sagt, auch ein als existent gewahrter Gegenstand kann begrifflich unterbestimmt sein; ja, das ist ein Charakteristikum der uns umgebenden Dinge. Wären sie vollbestimmt aufgrund ihrer bloßen Existenz, so wäre Wissen(schaft)sfortschritt unerklärlich.
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zwischen Sein und Nicht-etwas- oder Ungegenständlich-Sein darstellt: Wir könnten für d i e s e Art des Seyns, zu großer Erleichterung des Verständnisses, wohl ein eignes Wort, anstatt des jetzt zu allen Arten des Seyns promiscue angewendeten Worts Seyn, brauchen, wenn nicht leider in der deutschen Sprache das alte Verbum W e s e n außer Gebrauch gekommen wäre (es findet sich nur noch in der vergangenen Zeit – in der Form gewesen), wir könnten jenes ungegenständliche Seyn, das darum nicht ein völliges n i c h t Seyn ist, das rein W e s e n d e nennen (SW II/3, 212).
Schelling meint das Subjekt, das er ,ungegenständlich‘ nennt, weil es nicht sich selbst, sondern das wirkliche Sein außer sich zum Gegenstand hat. Seine Quasi-Nichtigkeit erlaubt ihm, sich nicht mit sich selbst, sondern mit dem zu befassen, von dem es ein Bewusstsein ist. Dazu muss das Bewusstsein (Erkenntnisprinzip im kantischen Sinne) ,an Inhalt völlig leer‘ sein (KrV A 345 f.; vgl. B 408). Anders gesagt: Sein Blick auf die Gegenstände darf nicht durch die Einkapselung eines Gegenstandes gehemmt sein; ein innerbewusster Inhalt würde die Durchsichtigkeit des Bewusstseins für sich trüben. Dann würde aber einleuchtender dieses wirkliche Sein dasjenige genannt, das das rein Wesende „im t r a n s i t i v e n Sinn“ ist; und so tut es Schelling auch wenig später (SW II/3, 227; vgl. II/1, 293; der Sache nach schon 1806: I/7, 205, Anm. 1). Eine Passage, in der Schelling seinen Gedanken explizit an Kants These über das Sein anschließt, macht noch deutlicher, dass es das nicht-prädikative, das existentielle oder, wie Schelling hier sagt, das verbale (aber nominalisierte) Sein in Subjekt-Position ist, dem diese transitive Natur zugesprochen werden muss: Dieses bloß Existirende ist in seiner Art auch das Existirende selbst, aqt¹ t¹ em, wenn wir nämlich em im verbalen Sinn nehmen. Insofern kann man ihm das Seyn nicht attributive [als Prädikat] beilegen; was s o n s t das Prädikat ist [eine Flexionsform des Hilfswörtchens ,sein‘], ist hier das Subjekt, ist selbst an der
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Stelle des Subjekts. Die Existenz, die bei allem anderen als accidentell erscheint, ist hier das Wesen (SW II/3, 162).
,Transitiv sein‘ meint dann: Das ungegenständliche Subjekt (nicht, wie im obigen Zitat, das grammatische, sondern diesmal das Subjekt der Erkenntnis, das, weil kein Gegenstand, insofern nicht ist) wird vom verbalen, aber nominalisierten Sein (im Sinne von Existenz) ,gewesen‘, d. h. in seinem Quasi-Sein unterhalten. In der Berliner Vorlesung 1841/42 findet sich die charakteristische Formulierung (die vielleicht im obigen Zitat aus einem späteren Vortrag – 1842/ 43? – nur wieder aufgegriffen wurde), „daß dies Reinseiende […] bloß im verbalen Sinne, als das Existierende in actu puro existentiae zu nehmen ist und daß sein Wesen eben dies ist, das rein Existierende zu sein. Es hat kein Wesen außer dem Sein“ (Schelling 1993, 161). Schelling erläutert diese Seinsart des transitiven Seins, für die er wieder im Deutschen keine Bezeichnung finde, am Arabischen. Hier werde das ,ist‘ (die Copula) wie unser deutsches ,können‘ mit dem Akkusativ konstruiert, so dass die Araber statt ,homo est sapiens‘ etwa sagten ,homo est sapientem‘. Angewendet auf die Relation, die das existentielle Sein zum rein wesenden Bewusstsein unterhält, müsste man sagen, dass in ihr das Sein das Subjekt akkusativisch trägt, durchwaltet, zur Erscheinung bringt – oder wie man sich ausdrücken will (SW II/3, 162,3; 227 – 229; vgl. I/10 265).110 Ein weiterer Beleg für diese transitive (den Akkusativ nach sich ziehende) Bedeutung des existentiellen Seins: „[E]rst das Reinseiende kann das Seinkönnende sein“ (Schelling 1993, 165). Auch das Französische, sagt Schelling, sei ontologisch differenzierter als das Deutsche, da es zwei Wörter zur Bezeichnung des Nichtseienden kenne: rien und néant (SW I/10, 284 f.; vgl. Schelling 1972, 385 f.; ähnlich Sartre 1943, 51, 65). ,Rien‘ wäre eine denkbare Übersetzung für ,oqj em‘ so wie ,néant‘ das griechische ,lµ em‘ wiedergeben könnte. Im ersten 110 Schelling sagt, das ,ist‘ werde analog dem deutschen ,kann‘ konstruiert und laute auch „im Arabischen kan, im Hebräischen kun” (SW I/10, 265).
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Fall wird ein striktes und unspezifiziertes Nichtsein ausgesagt, im zweiten ein Nur-nicht-Sein. Im ersten Falle wird selbst die Möglichkeit, im zweiten nur die Wirklichkeit eines Sachverhalts verneint. Schelling illustriert das an einer dem Altgriechischen möglichen Unterscheidung, die wir im Deutschen nicht nachahmen können: Wenn jemand den Vorsatz zu einer Handlung, etwa zu einem Verbrechen gefaßt, ihn aber nicht ausgeführt hat, so würde ich gut griechisch bloß sagen können: lµ 1po¸gse, er hat es nur nicht g e t h a n, nur die Ausführung, das wirkliche Geschehenseyn, die Position wird geleugnet; wenn aber ein Verbrechen begangen worden, und der Thäter zweifelhaft ist, wird man von dem, welcher auch nicht einmal den Vorsatz gefaßt hatte, wo also auch die Möglichkeit geleugnet wird, nothwendig sagen müssen: oqj 1po¸gse (SW I/10, 284).
Diesen „Begriff des relativ Nichtseienden ausgesprochen zu haben“, schreibt Schelling seinem System im Rückblick der Berliner Vorlesung von 1841/42 als den „logisch vielleicht […] größte[n] Gewinn“ zu (Schelling 1993, 114). Seine Überlegung bewegt sich in so verblüffender Nähe zum Grundgedanken von Sartres philosophischem Hauptwerk, dass der Verweis sich förmlich aufdrängt. Schon der Titel L’être et le néant bringt die Kernthese auf den Punkt, dass das néant, das als Bewusstsein oder Subjektivität vorliegt, ontisch einseitig vom existentiellen Sein ,gewesen‘ wird (est été [Sartre 1943, 58, 162, passim]), dem es umgekehrt zur Erkenntnis verhilft. Erkenntnis besteht danach von Seiendem, aber sie ist nicht im gleichen Sinne wie das, von dem sie Erkenntnis ist. Das erlaubt ihr aber, als diejenige sich selbst durchsichtige Leere zu ,wesen‘, die nicht überhaupt nicht ist, sondern die nur nicht das gegenständliche Seiende ist, dem sie zur Erkenntnis verhilft und von dem sie (transitiv) gewesen wird. In einer Vorlesung von 1833 sagt Schelling: „G r u n d ist gegen das, d e m es Grund ist, nicht seiend“ (Schelling 1972, 440) – nämlich dann, wenn ,Grund‘ als Erkenntnisgrund verstanden wird. Als Grund da-
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für, dass das gegenständliche Sein sich dem Bewusstsein zeigt (oder ihm erscheint), ist das Bewusstsein selbst auf das Sein nur bezogen, d. h. es ist nicht selbst das Sein (Kant würde sagen: es ist nur relative, nicht absolute Setzung seines Gegenstandes). Anderswo im selben Vorlesungszyklus sagt Schelling: „Das nur Wissende [oder Subjektive] ist eben darum das nicht-selbst-Seiende. Diesem nichtselbst-Seienden, bloss Wissenden, kann von der anderen Seite/ nur das unendliche Positive [„das reine Sein“] entsprechen“ (l. c., 310 f.). Schelling nennt das rein Seiende auch das ,gegenständliche‘ und das rein Wesende das ,urständliche Sein‘ (l. c., 408; SW I/10, 133). Nach dieser Sprachregelung gilt, dass ohne das rein ,gegenständliche‘ Sein das reine ,urständliche‘ Subjekt sich in ein Nichtseiendes, ein oqj em oder rien, auflösen würde.111
111 Ich habe in einer frühen Publikation über Schelling (1975) an mehreren Belegen gezeigt, dass Schelling mit einem ähnlichen Argument schon in seiner identitätsphilosophischen Phase gearbeitet hat (Frank 1992, 193 ff. [„Der ontologische Beweis der Reflexion“]). Anders als Hegel besteht er auf der Unabhängigkeit seines Prinzips, der so genannten absoluten Identität, von den durch sie verbundenen Relaten (z. B. SW I/6, 147,3). In dieser Unabhängigkeit bestehe das Sein des Absoluten, das sich auf Gedankenverhältnisse (auf die ,Reflexion‘, sagt Schelling) nicht reduzieren lasse. Für diese These argumentiert Schelling durch eine reductio ad absurdum: Wird die Reflexion als autark gedacht, so bedarf sie keines Existenz-Inputs. Dann gälte aber, dass jedes Relat sein Sein aus dem Verweis auf sein anderes beziehen muss. In diesem existenzlosen Spiel können sich die Relate zwar wechselseitig ihr unabhängiges Bestehen absprechen, aber keines begründen: Ein Nichtseiendes hat sein Sein im anderen, das es selbst nicht in sich hat und darum in seinem anderen sucht, wodurch sich ein unendlicher Begründungs-„Cirkel“ ergibt, der das Sein auf immer in der Schwebe lassen oder bloß voraussetzen muss (SW I/4, 358; vgl. I/6, 185).
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III. Zusammenfassung Der Gang der Argumentation 1. Das Problem. All-Einheits-Lehren, wie Schellings reife Philosophie zwischen 1800 und 1806 eine ist, kämpfen mit einer besonderen Schwierigkeit. In den Aphorismen über die Naturphilosophie (von 1806) bringt er sie so auf den Punkt, wobei es hier die Begriffe ,Unendlichkeit‘ und ,Einheit‘ sind, die die Spannung erzeugen: Die Unendlichkeit der Dinge, wenn gleich für sich [der Zahl, Gestalt und Komposition nach] unermeßlich, gehört doch a l s s o l c h e nur zu E i n e m Wesen, dessen Natur es ist[,] alle Dinge zu seyn, und in dessen Einheit sie daher nothwendig sich durchdringen und selbst eins werden (SW I/7, 200, Nr. XIII).
Knapper, aber nur scheinbar fasslicher, weil auf die Einheit des Seins in aller Mannigfaltigkeit zugespitzt, 1804: A l l e s, w a s i s t, i s t, i n s o f e r n e s i s t, E i n s; nämlich es ist die ewig gleiche Identität, das E i n e, das überhaupt i s t (SW I/6, 156).
Wie soll das möglich sein, und wie lässt sich dergleichen auch nur verstehen, geschweige denn vernünftig erklären? Eines ist von Beginn an auffällig, zumal angesichts der mächtigen Tradition, die von Parmenides über Plotin, die Mystik zu Spinoza und Goethe reicht: Schelling entwickelt früh eine Neigung zu Formulierungen, die das Viele und das Eine nicht geradehin identifizieren, sondern eine Verdoppelung der zu identifizierenden Relata vorsehen. Er nennt das seit 1801 – ungeschickt, aber vielsagend – eine ,Identität der Identität‘, später auch eine ,in sich duplizierte Identität‘ und erläutert den dunklen Ausdruck seit 1806 etwa so: ,Das, was Eins ist, ist auch das, was Vieles ist.‘ Nicht als solche werden also Eines und Vieles – oder, was nicht dasselbe ist: Selbiges
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und Verschiedenes1 – identifiziert, sondern über ein Drittes, das er, Platons Timaios folgend, früh das „Band“ (den „deslºr“) oder – im Vorgriff auf seine Identitäts-Theorie der Aussage – die „Copula“ nennt. Verbunden werden vom Band nicht Eines und Vieles, sondern das Eine, das Eines ist, mit demselben Einen, das Vieles ist. 1.1 Das Leitbild des „Timaios“ und von Kants „teleologischer Urteilskraft“. Wir sahen: Schellings All-Einheits-Lehre teilt ihr Zentralproblem mit den Versuchen aller seiner Vorläufer von Parmenides bis Spinoza. Mit dieser Feststellung ist freilich das Problem noch nicht analysiert. Hegel hat ihm 1801 im Blick auf Schellings „Identitäts-System“ diese paradoxe Wendung gegeben: Das, was verschieden an Zahl, und das, was Eins ist, die müssen selbst wieder als Eines begriffen werden („Identität der Identität und Nichtidentität“ [Hegel 1970a, 96]). Er verweist (l. c., 97 f.) auf Timaios (31c–32a), mit dem der 19jährige Schelling sich ausführlich auseinandergesetzt hatte (Schelling 1994): Das herrlichste aller Bänder (deslo¸) sei dasjenige, das nicht nur die von ihm Verbundenen, sondern sich selbst mit den Verbundenen noch einmal verbindet, so dass alle drei untereinander eins werden. D¼o d³ lºm\ jak_r sum¸stashai tq¸tou wyq·r oq dumatºm· desl¹m c±q 1m l´s\ de? tim± !lvo?m sumacyc¹m c¸cmeshai. Desl_m de j²kkistor br #m art¹m ja· sumdo¼lema fti l²kista 4m poi0 (Tim. 32b).2 1 Einheit und Vielheit sind Quantitätskategorien; Identität und Verschiedenheit Reflexionsbestimmungen. (Vgl. Frank 2007, Text Nr. 14.) 2 Die vollständige und wörtliche Übersetzung der Passage in Hegels Fußnote ebd. lautet: „Zwei Dinge schön zusammenzufügen ohne ein Drittes, das ist nicht möglich; denn es muss doch zwischen den beiden ein Band (deslºr) sein, das sie zusammenhält. Das schönste aller Bänder ist aber das, welches sich selbst und die Verbundenen eins macht. Denn wenn von irgend drei Zahlen oder Massen oder Kräften das Mittlere, was das Erste für dasselbe ist, eben das für /das Letzte ist, und umgekehrt, was das Letzte für das Mittlere ist, das Mittlere eben dies für das Erste ist, – und dann das Mittlere zum Ersten und Letzten geworden ist, das Erste
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Der komplizierte Gedanke findet sich wirklich im Timaios, wird von Oetinger und Hahn aufgegriffen, und der junge Schelling hat Platons (und Oetingers/Hahns) Rede von der Welt als einem f`om mogtºm, ohne zu zögern, auf die Formel bezogen, die Kant (in der „Critik der Urteilskraft § 65“) für die innere Verfasstheit des Organismus geprägt hatte. Schelling schreibt dort: Wir müßen uns ferner erinnern, daß Plato die ganze Welt als ein fyom, d. h. als ein organisirtes Wesen ansah, deßen Teile nur durch ihre Beziehung auf das Ganze möglich sind, deßen Teile wechselseitig sich gegeneinander als Mittel u. Zwek verhalten u. sich also einander ihrer Form sowol als Verbindung nach wechselseitig hervorbringen (Schelling 1994, 33).
Kants Formel hatte gelautet: „von sich selbst (obgleich in zwiefachem Sinne) Ursache und Wirkung“ (Kant 1996, 733 [= KU B 286]). Schelling greift sie in seinem zweiten (Würzburger) SystemEntwurf, gearbeitet nach Spinozas mos geometricus, wörtlich auf und gibt ihr eine Wendung, die den Bezug zu Kants KU ebenso wie zum Timaios noch deutlicher hervortreten lässt: Das Absolute sei „das Affirmirende und das Affirmirte von sich selbst“ (SW I/6, 148, § 6; § 18, 162 ff.; explizit verweist Schelling auf die Übernahme von Kants Rede von ,Ursache und Wirkung‘ ebd., 177; 194 f., § 40). Das heißt aber in der Konsequenz: beides, das Affirmirende und das Affirmirte, jedes für sich, ist Identität des Affirmirenden und des Affirmirten (l. c., 164).
Weil die „Ursache ([das] Prädicirende)“ ebenso wie „die Wirkung (d. h. das Prädicirte)“ (SW I/7, 219 [auf „das erste und vornehmste Band“ des Timaios verweist S. 202]) je in sich das ganze Absolute darstellen, kann der Unterschied beider nur als ein Überwiegen bzw. Zurücktreten von Aspekten – also nur quantitativ – sich gelund Letzte aber umgekehrt, beide zum Mittleren geworden sind, so werden sie notwendig alle dasselbe sein; die aber dasselbe gegeneinander sind, sind alle eins“ (Hegel 1970a, 97 f.).
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tend machen. Der Qualität (oder dem ,Wesen‘) nach sind beide ja eines. Das steckte in der auf beide Relata anzuwendenden ReflexivFormulierung ,von sich selbst‘. Und nun versteht man Schellings – auf den Timaios blickende – Rede von der Reduplikation/Verdoppelung des Bandes (deslºr): Im Absoluten ist nicht Affirmierendes (oder Ideelles) mit Affirmiertem (oder Reellem) direkt oder geradehin verbunden, sondern das Band selbst verknüpft sich abermals mit den Verbundenen. Das ist die Intuition, die Schellings dunkle Rede von einer „Identität der Identität“ (SW I/4, 121 f.; Schelling 1988, 34, 50: SW I/6, 165, 168, 173, 187) oder einer in sich „duplicirten Identität“ (SW I/6, 117; I/7, 424 f.; I/8, 216; I/10, 103) leitet.3 Schelling nennt das eigentlich Verbindende oder „das Band“ in späteren Texten X, das Ideelle A, das Reelle B. Dann findet die Reduplikation/Identifikation nicht zwischen A und B (simpliciter) statt, sondern zwischen den Teilurteilen ,X = A‘ und ,X = B‘ (z. B. Schelling 1946, 28, 128 f.). A und B sind also nicht einfachhin verknüpft (oder vielmehr identifiziert), sondern durch ihr gemeinschaftliches Von-X-verbunden-Sein (oder ,-gewesen-Werden‘, wie der späte Schelling sagen wird). Nur X ist im strengen Sinne mit sich identisch, d. h. einerlei; A als A ist nicht B; und B als B ist nicht A (Schelling 1946, 130). Beide lassen sich nicht einmal aufeinander reduzieren, so dass der Materialismus ebenso abgewiesen ist wie der Spiritualismus. Unter Rückgriff auf Lehren Leibnizens, „der hiermit wieder die Scholastiker zu Vorgängern hat“ (l. c., 127), und Christian Wolffs wird Schelling in der Münchener und Erlanger
3 Diese Formel ist nicht zu verwechseln mit Schellings Rede von einem „g e d o p p e l t e n L e b e n“ aller endlichen Dinge: in sich selbst (als von anderen unterschiedene Einzeldinge) oder im Absoluten oder im All (als absolut eins und einig: SW I/6, 187). Ein Einzelding betrachtet sub specie aeternitatis nennt Schelling platonisch „Idee“. (Diese Stelle ist das einzige direkte Zitat in Dieter Henrichs Aufsatz „Andersheit und Absolutheit des Geistes. Sieben Schritte auf dem Wege von Schelling zu Hegel“ (Henrich 1982, 151, der Nachweis: 172.)
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Zeit von einer „Reduplikation“ von X sprechen (Schelling 1989, 49 f.). In der Zwischenzeit, besonders in den Schriften von 1806: den Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie, den Aphorismen über die Naturphilosophie, der Polemik gegen Fichte und der neuen Einleitung zur Weltseele, spricht Schelling, frei den Timaios zitierend, von dem „Band eines Wesens als Einen mit ihm selbst als einem Vielen“ (SW I/7, 56, 58, 60; I/7, 239 f. Anm.; I/2, 361, 363). Dort ist auch bereits (der Sache nach) von einem ,transitiven Sein‘ des Absoluten die Rede, das die von ihm ,gewesenen‘ Relata A und B durchwirkt und damit im Sein erhält.4 In den Aphorismen wird die Spinoza’sche Formel ,Gott ist alle Dinge‘ „invita latinitate“ so übersetzt, dass die von Gott gewesenen, also ins Sein versetzten Dinge im Akkusativ stehen: „Deus est res cunctas“ (SW I/7, 205, Anm. 1). 2.0 Später wird man von einer „Aporie der Identität“ sprechen. Z. B. Wittgenstein: Von zwei Dingen zu sagen, sie seien identisch, ist ein Unsinn, und von Einem zu sagen, es sei identisch mit sich selbst, sagt gar nichts (Tractatus 5.5303).
Sein Vorschlag: Sinnvolles Sprechen sollte reflexive Ausdrücke und vor allem das Identitätszeichen vermeiden: Gleichheit des Gegenstands drücke ich durch Gleichheit des Zeichens aus, und nicht mit Hilfe eines Gleichheitszeichens. Verschiedenheit der Gegenstände durch Verschiedenheit der Zeichen (l. c., 5.53 [ff.]; vgl. Pardey 1994; Wehmeier 2012). 4 So besonders häufig in den späten Vorlesungen (SW II/1, 293; II/3, 227): „In dem Satz: das Ideal [der Vernunft] ist die Idee, hat also das ist nicht die Bedeutung der bloßen logischen copula. Gott ist die Idee heißt nicht: er ist selbst nur Idee, sondern: er ist der Idee (der Idee in jenem hohen Sinn, wo sie der Möglichkeit nach alles ist), er ist der Idee Ursache des Seyns, Ursache daß sie Ist, aQt¸a toO eWmai, im aristotelischen Ausdruck“ (II/1, 586). Darüber genauer und belegreicher: Frank 2002, 234 ff.
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2.1 Ein Blick auf die Vorläufer: Hume, Leibniz, Kant samt einem Vorblick auf Frege. Wittgenstein verweist indirekt auf Hume. Der hatte festgestellt: " Nur in der Logik (im Bereich der „relations of ideas“) könne von strikter Identität die Rede sein. (Ein tautologischer Bezug geschieht doppelt und „in derselben Hinsicht“: Hume 1902 [= Abschnitt IV, 1. Teil des Enquiry Concerning Human Understanding].) " Nicht so in der Ontologie natürlicher Gegenstände (wo es um „matters of fact“ geht). Das (in der Formel „the same with itself“) vom Reflexivpronomen bezeichnete Objekt müsse in wenigstens einer Hinsicht von dem geradehin bezeichneten Objekt unterschieden sein. Sonst würde das Urteil zweimal dasselbe und somit gar nichts sagen [Treatise of Human Nature, Book I, Part IV, Sect. II; in: Hume 1988, 200 f.]).5 Mit dieser Sprachregelung greift Hume Leibniz’ Vermengung logischer und ontologischer Identität an – jedenfalls scheint das seine Absicht zu sein. " Logisch: Substituabilitas duarum propositionum salva veritate, d. h. ohne Verlust ihres Wahrheitswertes (Leibniz 1903, 10). " Ontologisch: Le principe des indiscernables: „Es ist nicht wahr, dass zwei Substanzen einander vollständig ähnlich sein und lediglich der Zahl nach [solo numero] differieren können“ (Discours de Métaphysique, § 9; vgl. Monadologie, § 9). Leibniz unterscheidet die beiden Verwendungen nicht streng, wenn überhaupt. Die Nachwelt spricht einfach von „Leibniz’ Gesetz“ (Lorenz 1969).
5 Für Hume schrumpft die relationslose Sichselbstgleichheit („unity“) eines materiellen Einzeldings auf die Eigenschaft seiner Existenz zusammen (Hume 1888, 200; vgl. Quine 1980b, 208). So schon Christian Wolffs Logica § 270 (Wolff 1983. 260): „idem ens est illud ipsum ens, quod est, seu, omne A est A, ubi A denotat generatim ens cujuscunque speciei vel generis, sive in communi, sive in singulari.“
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Eine Art ersten Vermittlungsversuchs hat Kant mit seiner Unterscheidung eines analytischen von einem synthetischen Ich unternommen: Damit zieht er aus Humes Einwand gegen Leibniz Konsequenzen für den Status der ,numerischen Identität‘ des Prinzips seiner theoretischen Philosophie, des Selbstbewusstseins: Selbstbewusstsein sei nicht nur analytisch eines (so, dass ich bei jeder Analyse eines ,ich‘Gedankens auf die mögliche Vorstellung ,Ich denke‘ treffe: KrV B § 16); Selbstbewusstsein besitze auch synthetische Einheit (die Kant ,Identität‘ nennt): Es überstehe nämlich auch den Wechsel seiner Zustände, indem es sich im Übergang vom einen zum anderen als dasselbe ,durchhalte‘. So schlägt Kant – unter Berufung auf Hume und in Opposition zu Leibniz – vor, das (ontologische) Identitätsprinzip von dem (logischen) des Nicht-Widerspruchs zu trennen. Letzteres besagt, dass man etwas nicht zugleich behaupten und verneinen (oder: dass man eine Sache nicht zugleich mit ihrem Gegenteil setzen) kann; dieses macht geltend, dass etwas nicht identisch heißen kann, wenn seine Eigenschaften sich verändern (dazu Henrich 1976 und 1988). Das erstere versteht sich von selbst (es ist trivial); dem letzteren zufolge bildet Identität ein echtes Verhältnis zwischen zweien, denen es nicht auf die Stirn geschrieben steht, dass sie Eines sind. Etwas mit etwas identifizieren heißt dann: eine wirkliche Erkenntnis erwerben, während widerspruchsfrei urteilen etwas Selbstverständliches ist. Damit scheint Identität (im Gegensatz zur logischen Widerspruchsfreiheit) eine Art von Differenz einzuschließen. So etwa müssen wir uns die Problemlage vorstellen, von der Schellings berühmte These über die Identität von Natur und Geist ihren Ausgang nimmt. Tun wir noch einen kurzen Vorblick auf Freges Versuch, den Begriff der Identität zu differenzieren: " Bezugnahmen auf den gleichen Gegenstand können in ihren „Hinsichtnahmen“ („Sinnen“, „Weisen des Gegebenseins“) differieren und haben dann einen verschiedenen „Erkenntniswert“ bei gleicher „Bedeutung“ (= Referenz, Extension) (Frege 1975, 40). Nur die Identifikation der Hinsichtnahmen ist erkenntniser-
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weiternd. („Der Sieger von Jena und Auerstädt ist der Verlierer von Waterloo“ [Husserl 1980 II/1, 47]) – im Gegensatz zur Tautologie „Napoleon = Napoleon“.) " Folglich scheint Identität (im Gegensatz zu Widerspruchsfreiheit) eine Art (möglicher) Verschiedenheit in sich zu schließen. Damit ist recht genau das (Sach-)Motiv für Schellings berühmte These einer differenzsensitiven Identität von Natur und Geist bezeichnet. 2.2 Schelling möchte der gar zu strikten (Leibniz’schen) Identität eine minimale (Hume-)Differenz einbilden. Er diskutiert die Differenzsensitivität der Identität unter vier Hinsichten und hält sie mit der ursprünglichen Form des Urteils für vereinbar: a. der des Wesens oder des Identischen-selbst; b. der der Satz-Form A = A, in der das Wesen des ,Identischenselbst‘ sich (sprachlich) ausdrückt: Mit der Satzform kommt ein virtueller oder „verborgener“, aber noch nicht „aktuierter“ Gegensatz ins Spiel. c. Dieser virtuelle Gegensatz aktualisiert sich in der Formel A = B. Sie sieht ein Sich-ungleich-Werden der (vormals) Ununterschiedenen vor. B war an ihm selbst ungleich mit A, erfährt aber nun seine Gleichsetzung mit A. d. Schelling spricht fortan – im Blick auf die Identität, die einen aktuellen Gegensatz inkorporiert – von „Identität der Identität“ (SW I/4, 121 f.; Schelling 1988, 34, 50: SW I/6, 165, 168, 173, 187) oder in sich „duplicirte[r] Identität“ (SW I/6, 117; I/7, 424 f.; I/8, 216; I/10, 103). Sind diese Formeln minder paradox als ihre (irrelationalen und relationalen) Vorgängerinnen? Dies ist, was Schelling versucht: Er möchte Identität so denken, dass in diese Beziehung zwei verschiedene, aber gleichermaßen rigide Kennzeichnungen (A und B) eintreten, deren jede genügen würde, den Gegenstand hinreichend zu bestimmen und die beide auf
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ein und dasselbe Ding (X) zutreffen. Während sich A und B unterscheiden, bleibt X streng (analytisch) mit sich selbst gleich. Schelling unterscheidet „Identität“ (vieler) von der „Einerleiheit“ (oder Selbigkeit, der sterilen Sich-selbst-Gleichheit, zuerst im Vorspann der Freiheitsschrift 1809 [SW I/7, 341 f.] und dann durchgehend in den Weltalter-Entwürfen 1811 – 1813). Durchs Übereinanderstülpen der Hume’schen und der Leibniz’schen Position will Schelling zeigen, dass der Gedanke der Veränderung (oder besser: ,Veranderung‘) überhaupt nur in dem der Einheit eines Selbigen sich entfalten kann. Unter seiner Sichselbstgleichheit ist das sich selbst Ungleichwerdenkönnen verborgen. Diese Möglichkeit liegt in der Einheit verborgen; denn das Sichselbstungleichseinkönnen ist ja das sich selbst Gleiche; demnach schließt es bereits die Möglichkeit in sich ein, aus sich selbst herauszutreten (Schelling 1989, 49).
2.3 Auch bei der Wolff-Schule macht Schelling (möglicherweise) eine Anleihe. Sein Keimgedanke: Differenz ist kein wesentlicher (die Substanz selbst betreffender) Zug, sondern beruht nur auf einem Mehr oder Weniger der Merkmale-Verteilung. So hat Baumgarten in seiner Metaphysica zwischen einem strengen und einem lockeren Sinn von ,Identität‘ unterschieden. Während die strenge Identität „numerisch“ oder „vollständig“ ist („completa“, „totalis“: Gleichheit hinsichtlich aller ihrer Eigenschaften), erlaubt die lockere Identität mehrerer Einzelgegenstände eine Graduierung. Zwei Gegenstände können mehr oder weniger ähnlich sein (wobei die Skala von ähnlich in nur einem zu ähnlich in allen Merkmalen reicht: § 267). Daher Baumgartens Prinzip des verneinten Totalunterschieds (principium negatae totalis dissimilationis/diversitatis) zwischen Einzelgegenständen (§ 268). Vollständig identische Individuen sind numerisch identisch – wobei diese strikte Identitätsform sich in die triviale Selbigkeit eines „nur“ mit sich selbst auflöst. Unmöglich könnten
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zwei Individuen (duo extra se singularia) vollständig oder absolut differieren (§ 269). Identität erlaubt also eine Graduierung der Merkmalsverteilung. Anders gesagt: Sie lässt quantitative Differenz bei qualitativer Identität zu. Läge hier nicht ein Vorbild für Schellings Rede vom ,Überwiegen‘ oder ,Zurücktreten‘ von Merkmalen (,Faktoren‘, ,Potenzen‘)? A (Geist) ist demnach von B (Natur) nicht qualitativ, sondern nur nach überwiegenden Exponenten des einen Merkmals über das andere verschieden. In der Grundformel stünde dann „(A = B)“ und als Hochzahl über der Klammer stünde einmal A, das andere Mal B (SW I/7, 370). 2.4 Das Absolute ist das Bejahende und das Bejahte seiner selbst. Notabene: Die Formel einer qualitativen Identität bei quantitativer Differenz passt zu Schellings (ab 1804 ausgeprägter Rede) vom ,Affirmierenden und Affirmierten seiner selbst‘. Durch die Reflexivität dieser Beziehung ist sichergestellt, dass ,Affirmierendes‘ und ,Affirmiertes‘ – schon durch die Aktiv- und Passiv-Form deutlich unterschieden – nichts anderes als zwei Stellungen zu einem und demselben Phänomen bezeichnen. Das Affirmierende bezieht sich in der Relation aufs Affirmierte auf sich selbst, und so auch umgekehrt das Affirmierte im Bezug aufs Affirmierende. Schelling sagt: Jedes, Affirmierendes wie Affirmiertes, ist je in sich schon das ganze und nämliche Absolute (SW I/6, 161 ff. [= § 18]). Deutlich lässt grüßen Kants Organismus-Formel „von sich selbst zugleich Ursache und Wirkung“, die Schelling, wie wir sahen, schon im Timaeus auf Platons Gedanken vom doppelten Band und von der Weltseele projiziert. 2.5 Unterscheidet sich Schellings Identitäts-These von Freges? Ja. Für Frege ist ,a=a‘ 1. eine genuine – eine reflexive –, eine zweistellige Beziehung: aRa
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2. und der Spezialfall einer transitiven, einer asymmetrischen, einer Fremd-Beziehung aRb (Pardey 1994, 30 ff.). Nicht so für Schelling. a. Erstens identifiziert er strikte Identität (,X = X‘) mit einem erfolgreichen Akt der Bezugnahme auf ,das Höchste‘ (,es gibt ein X‘), womit er einer von Wittgensteins Forderungen an Identität entspricht. ,Es gibt ein X‘ – diese Feststellung steht für eine indexikalische Identifikation eines ,thin [oder: bare] particular‘ und nicht für die Individuierung von X durch Aussondern (,singling out‘) einer oder mehrerer seiner intrinsischen Eigenschaften; es gibt keine. Und ebenso selbstverständlich setzt die Bezugnahme auf einen Einzelgegenstand dessen Existenz voraus. – Wir müssen das im Kopf haben, um Schellings platonistische Rede vom Absoluten als dem Identischen oder der Identität überhaupt zu akzeptieren (und in der Folge seine Identifikation von ,Identität‘ mit ,Existenz‘).6 b. Ferner, und wieder anders als Frege, unterscheidet Schelling die strikte Identität (,X=X‘ oder ,Es gibt ein X‘) von ,A=B‘. Letztere ist eine echte Fremd-Beziehung und weist einen ,Erkenntniswert‘ auf, während ,X=X‘ eine einstellige oder vielmehr überhaupt keine ,wirkliche‘ Beziehung ist. Die Formel bedeutet lediglich: ,Es gibt ein X‘, nicht: ,X steht in einer Beziehung zu sich selbst‘. c. Schließlich besteht der späte Schelling, treu seinem „aufrichtige[n] Jugendgedanke[n]“ von 1801 – 1804 (Marx an Feuerbach am 3. Okt. 1843, in: Schelling 1993, 568) darauf, dass die Wahrheit von ,A = B‘ streng von der Existenz von X abhängt, oder: dass 6 Die eigenwillige Übernahme von Kants Lehre vom ,transzendentalen Ideal der Vernunft‘ (vgl. oben, 5. Kap.) führt Schelling auch dazu, ,das‘ Identische – unerachtet seiner Abstraktheit – als ein wirkliches Individuum/Einzelwesen zu denken. Denn es gibt nur EINES, von dem die Prädikate A und B transitiv unterhalten werden: „Das [aktuelle oder individuelle] Seyn ist das Erste, das Denken erst das Zweite oder Folgende“ (SW II/1, 587, 285, 287; Hogrebe 1989, 37 f.; §§ 11 f.).
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die übergreifende Identität nicht aus der Beziehung von Identität und Differenz als den Relata verständlich gemacht werden kann (SW I/4, 117, § 6; 120, Zusatz 1 zu § 15; 123, § 24; I/6, 147, 162 f.). Relationale Identität hängt von strikter oder fugenloser „Einerleiheit“ ab, nicht umgekehrt. Dies ist die genaue Gegenposition zu Freges, der „a = a“ für einen abkünftigen (und Sonder-)Fall von „a = b“ hielt. Schelling kann strenge Identität (oder Existenz: X = X) von der Relation A = B (die Erkenntniswert aufweist) unterscheiden. Mithin vertritt er nicht eine Abart von Freges Reflexivitätsthese (Pardey 1994, 102 ff.; Wehmaier 2012). Die Bedeutungen des ,=‘ in ,X = X‘ und in ,A = B‘ sind verschieden. Das liegt an der Verschiedenheit des ,Bandes‘ (oder der ,Copula‘, wie Schelling sagt) und des von ihm ,Verbundenen‘. Um diese Unterscheidung stimmig zu machen, bedarf es eines Arguments, das das copulative (oder prädikative) ,ist‘ als Ausdruck des strengen (oder existentiellen) ,ist‘ deutbar macht. Genau das gibt Schelling im „Identitätssystem“ von 1801, indem er das „Wesen an sich“ (= Identität) unterscheidet von seiner „[sprachlichen, logischen] Form“ oder „Selbst-Offenbarung“, dem „Satz A = A“, durch welchen das Wesen sich unserer „Erkenntniß“ erschließt (SW I/4, 120 f.; I/4, 373; I/6, 147 und 163; I/2, 360 f.; vgl. I/10, 421 ff.). 3.0 Prädikation ist als eine Weise der Identifikation zu denken. 3.1 Schelling übernimmt Gottfried Ploucquets Identitätstheorie der Prädikation. An dieser Stelle zeigt sich Schelling gleich doppelt dem Metaphysiker und Logiker Gottfried Ploucquet verpflichtet, dessen Lehrbücher im Tübinger Stift und noch in Schellings Studienzeit Pflichtlektüre waren. Verpflichtet ist Schelling 1. Ploucquets Idee einer Selbst-Offenbarung des Wesens des Absoluten in der Form der prädikativen Aussage und
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2. Ploucquets Auffassung der Prädikation als einer Form der Identifikation. Ad 1: Die Selbst-Offenbarung der Substanz in ihrer Form: „substantia est id, quod in se est manifestabile“ (Ploucquet 1782, Ontologia § 153; cf. § 161: „Substantia, quae Principium Manifestationis in se sola habet […]“). Die Substanz ist nur der Real- („causa realis“), nicht der Erkenntnis-Grund („causa cognoscendi“) dieser Offenbarung. Ploucquet nennt das, was die Substanz unabhängig von ihrer Offenbarung –„an ihr selbst“ – ist, ihr „Wesen“. Dies der Substanz einwohnende Prinzip, welches ihre Erkenntnis möglich macht, nennt Ploucquet ihre „Form“. Entsprechend unterscheiden die §§ 7 und 8 seiner Ontologia zwei Weisen der Einsichtigkeit der Substanz: die intelligibilitas, quae und die intelligibilitas, qua¯. Die erste erfasst das Was, die zweite das Wodurch der Einsicht. Schelling scheint Ploucquets Konzeption einfach übernommen zu haben! Ad 2: In bejahenden Aussagen, meint Ploucquet, haben Subjekt und Prädikat des Satzes den gleichen Begriffsumfang (dieselbe ,Extension‘, wie man auch damals sagte). Urteilen heißt: (wenigstens) zwei Begriffe vergleichen. Was bei diesem Vergleich gleichsam übersteht (nicht zur Deckung kommt), wird negiert. Das zwingt Ploucquet zur Quantifikation auch des Prädikators. So wird der Satz ,Alle Löwen sind Säugetiere‘ quantifikatorisch so umgewandelt: ,Alle Löwen sind einige Säugetiere‘ – mit der vorteilhaften Konsequenz, dass man bejahende Urteile salva veritate umkehren („konvertieren“) kann. Auch Schelling, der noch im Stift Übungen zu Ploucquets „Calculus“ anstellte und in seinen ersten Publikationen auf dessen Symbolismus zurückgriff, hält Identität (die Satzform ,A = A‘) für die Matrix aller wahren Prädikationen. Das Grundgesetz der Vernunft und aller Erkenntniß, sofern sie Vernunfterkenntniß ist, ist das Gesetz der Identität oder der Satz A = A (SW I/6, 145, § 5 [im Original gesp.]).
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Warum aber identifiziert er sie mit der Existenz? Das Mittelglied findet er in Kants „These übers Sein“. 3.2 Was Schelling aus Kants These übers Sein macht. Schelling (und seinen Freund Hölderlin) interessierte an ihr allein dies: Mit der Bestimmung von ,Sein überhaupt‘ als „Position“ hatte Kant von Anbeginn eine Theorie des Urteils im Blick. Tatsächlich unterschied Kant eine a) ,absolute‘ von einer b) ,relativen Position‘ (AA II, 72 ff.; KrV A 598 ff.). a) In der absoluten Position wird die Existenz des Gehalts eines Subjekt-Terminus als solche ,gesetzt‘ – ohne jede weitere prädikative Qualifizierung („existentielles ,ist‘“: ,Ich bin‘, ,Es ist ein Gott‘: Hier wird von einem Begriff bestätigt, dass er keine Leermenge bildet, sondern wenigstens eine wirkliche Instanz kennt). b) In der relativen Position (Prädikation, Urteil) wird ein SubjektTerminus auf ein Prädikat ,bezogen‘ und dadurch bestimmt („prädikatives ,ist‘“). 3.3 Was hat ,Urteil‘ mit ,Existenz‘ zu tun? Anders: Warum sollen Existenz und Prädikation Varietäten der ,Position‘ sein? In beiden ,Seins‘-Varietäten geschieht eine ,Setzung‘ (Kant, AA II, 73 f.). Das kann so verstanden werden, dass judikatives oder prädikatives Sein eine ,abkünftige‘ (,mindere‘, ,geringere‘ oder ,uneigentliche‘) Form der absoluten Setzung/Position sind (Schelling 1989, 77 f.). Als Mittelglied für diese Bedeutungsverschiebung kommt ,Identität‘ in Frage – vorausgesetzt, wir verstehen Prädikation als eine Form von Identifikation: S als P seiend (und Existenz als strenge und irrelative Identität). Die Passage über das Doppelurteil, als die Identifikation in den Weltaltern verstanden wird (Schelling 1946, 28, 128), macht den Sachverhalt noch deutlicher: A und B werden als ,aussprechlich‘ und X als das ,Aussprechende‘ beider bezeichnet. Das Aussprechliche heißt auch ,Prädikat‘. Das Subjekt (X) selbst kann also nur in-
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dexikalisch (vor-prädikativ) bezeichnet werden (Hogrebe [1989] spricht von „pronominalem Sein“). Gelingende indexikalische Identifizierung impliziert aber Existenz des Identifizierten. 3.4 Absolutes ,Band‘ (deslºr) oder ,Copula‘. Genau dies hatte Schelling von Beginn an vor Augen. In seinem System von 1801 schreibt er: […] das einzige Seyn, das durch diesen Satz [A = A] gesetzt wird, ist das der Identität selbst, welche daher von dem A als Subjekt und von dem A als Prädicat völlig unabhängig ist (SW I/4, 117; im Orig. gesp.).
Ein anderes Zitat (von 1806): Nämlich, was ist denn nun eigentlich vermöge jenes Bandes der Existenz? – Das Viele als das Viele? Keineswegs; dieses kann ewig nicht seyn, sondern ewig ist in ihm nur das Eine; da ja aber auch dieses Eine nicht als das Eine existirt, sondern nur insofern es als das Eine das Viele ist, so existirt wahrhaft weder das Eine als das Eine noch das Viele als das Viele, sondern eben nur die lebendige copula beider, ja eben diese copula ist allein die Existenz selbst und nichts anderes (SW I/7, 57).
Seinem naturphilosophischen Konkurrenten Eschenmayer wirft er ebendort vor, die Indifferenz (A3), die nur in Relation auf die Differenz besteht, mit der absoluten Identität (= A0), dem „in jeder Rücksicht Bestimmungslose[n]“ oder „Potenzlose[n]“ verwechselt zu haben. Wäre allein das Ewige (= A3), so wäre, da dieses [nach Eschenmayer] Indifferenz ist, eben damit weder das Endliche noch das Unendliche gesetzt; es wäre n u r Indifferenz gesetzt, allein in/ dem Absoluten ist die Differenz (in diesem Betracht) ebenso absolut als die Indifferenz, die Einheit und die Entgegensetzung sind selbst wieder eins (SW I/7, 173 f., Nr. 215 mit Anm.),
womit Hegels Formel von 1801 wieder zu Ehren kommt.7 7 Die kürzeste und deutlichste Unterscheidung von Identität und Indifferenz findet sich in Schellings Würzburger System (SW I/6, § 53, S. 209). Indifferenz ist „quan-
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3.5 Schellings Annahme einer ,existentiellen Copula‘ ist (wahrscheinlich) nach Leibniz’ „copulativer Theorie der Existenz“ modelliert. Diese Theorie beruht auf zwei Prämissen: a) „The concept of existence is ultimately a form of predication, a copula. b) Existence itself is simply what is represented by the existential copula within a true proposition whose major logical operation is the logical copula [itself].“ Nun gibt es zwei Weisen der Verknüpfung (= Identifikation) von Subjekt und Prädikat: eine notwendige (analytische, wesentliche) und eine kontingente (synthetische, empirische) (Castañeda 1990a, 5, 11; unter Bezug auf Leibniz’ Discours, Ende Kap. 13 und Generales Inquisitiones, Nr. 11; Castañeda 1990b; ganz ebenso Schelling z. B. SW I/7, 219 über den Unterschied analytischer und synthetischer sowie apriorischer und empirischer von identitären Urteilen). 3.6 So auch der späte Schelling. Auch sein „höherer Empirismus“ denkt die Existenz des Absoluten als ein empirisches, ein aposteriorisches (ein „positives“, ein „transcendentes“, ein „nacktes“, ein „blindes“, ein „sinnloses“, ein „grundloses“, ein „kontingentes“) Faktum (z. B. Schelling 1972, 238 ff., 272/279 ff.; 432, 438; Schelling 1993, 102, 158, 164 ff.; SW X, 232 ff., 377 f., 423, 456 [ff.]; Schelling 1993, 144 ff., 159 f.). Darum taufte er seine spätere Philosophie „positive Philosophie“, in Anspielung auf Kants Gleichsetzung von ,Existenz‘ mit ,absoluter Position‘– und auf Kants These, Existenz sei nichts a priori durch Gedanken, sondern allein etwas a posteriori – aus „Erfahrung“ – Bekanntes (AA II, 80 f.; Prolegomena § 14; KrV A 167, 224 f., 723) – einschließlich der Existenz des Cogito selbst (AA titatives Gleichgewicht“, nicht „qualitative Einheit“. So „stellt z. B. der Cubus oder die Sphäre auch eine Gleichheit der drei Dimensionen dar, aber nicht als absolute Identität, sondern nur im Gleichgewicht oder als Indifferenz“.
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XXVIII/1, 206; IV, 334; AA XVIII, 318 f. [= Refl. 5661]; KrV B XI f., B 422 f.). Ferner gilt, wie schon Hölderlins Argumentationsskizze Urtheil und Seyn (1795/96) betont hatte, dass Wirklichkeit (mithin Wahrnehmung) dem Denken vorausgeht, wobei Denken mit ,Urteilen‘ und ,Entwerfen von Räumen des Möglichen‘ gleichgesetzt wird: „Es giebt für uns keine Möglichkeit, die nicht Wirklichkeit war. […] Der Begriff der Möglichkeit gilt von den Gegenständen des Verstandes, der der Wirklichkeit von den Gegenständen der Warnehmung […]“ (Hölderlin 1991, 156, Z. 31 f., Z. 35 – 37). Diese These, die die berühmte Sartre’sche vorwegnimmt („l’existence précède l’essence“ [Sartre 1947, 385]), hat ebenfalls in Kants These übers Sein (von 1763) ihren Ursprung. Schon er hatte sich Crusius’ Formel zu eigen gemacht, dass Denken die Form des Möglichen, Wahrnehmung das Organ der Wirklichkeitserfassung sei (Kant AA II, 76). „Daher sagen wir auch: möglich ist, was sich dencken läßt“ (Crusius 1745, 95, § 56). Und er unterscheidet mit Nachdruck – in scholastischer Tradition, aber mit antiessentialistischer Stoßrichtung – an jedem Ding die zwei Aspekte, dass es ist, und was es ist. Der erste heißt Existenz, der zweite Wesen (29 f., § 17; so auch Schelling 1993, 98 f.). Der Bewusstseinsmodus, der der Existenz entspricht, ist ihm darum (wie Kant) nicht der Gedanke, sondern die unmittelbare und nicht-inferentielle Kenntnisnahme, die in der empiristischen Tradition ,Empfindung‘ genannt wird (17 – 19, § 16). Und Kant hatte hinzugefügt, dass wir nicht etwas als möglich denken können, ohne ein anderes als bereits wirklich vorauszusetzen (AA II, 78). Also schon für Kant galt Schellings späte Einsicht, dass Existenz (Wirklichkeit, quodditas) dem Was-Sein (quidditas) vorausgeht. 4.0 Schellings zweite Anleihe bei der Wolff-Schule: „Reduplikation“. Eine weitere entscheidende Abhängigkeit von der Leibniz-
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Wolff-Schule hat Schelling verschleiert: das Theorem der „Reduplikation“. Nur in einem unveröffentlichten Text, nämlich einer studentischen Vorlesungsnachschrift ist davon die Rede. Nämlich in einer Nachschrift der Einleitung in die Philosophie (1830), die Schelling eigenhändig für seinen Lieblingsschüler, den bayerischen Kronprinz Maximilian, überarbeitet hat. Dort wird der Prozess der Höherpotenzierung von A (Geist) über B (Natur) als ,Reduplikation‘ von A erklärt. Ausgangspunkt ist die Indifferenz von A und B. Und da B nur A’s Entäußerungsform und A das Symbol der ursprünglichen Indifferenz ist, wird dieser Zustand als A in „freier Bloßheit“ oder als A0 charakterisiert. Will nun A als A sich geltend machen, muss es aus der Unentschiedenheit gegenüber B heraustreten und entschieden A sein. Da es mit B aber seinem Wesen nach identisch ist, muss es sich potenzieren, d. h. ,mit sich selbst duplizieren‘, also A2 werden. Wenn sich dieser Ausdruck nicht mehr in der neueren Logik findet, so ist er doch in der Wolff’schen/ üblich, in welcher der Ausdruck reduplikatives Setzen soviel bedeutet, als daß das a aus dem impliziter b sein können heraustritt, und dann als a folglich mit sich selbst multipliziertes a ist. A kann also nicht b sein, ohne nicht zugleich als a zu sein. Wir hätten nun auf der einen Seite a = b; auf der andern Seite a im Gegensatze und in der Spannung, wodurch das a zu einem a2 wird (Schelling 1989, 49 f.).
(Schelling unterscheidet graphisch nicht zwischen Symbolen für Gegenstände und Eigenschaften; darum sind A und B mal groß, mal klein geschrieben.) 4.1 ,Die ältere Logik‘ („die alte tiefsinnige Logik“ [SW I/7, 340]). Mit dieser in der Weltalter-Phase häufig wiederholten Wendung meint Schelling eine Tradition, die er über Wolff und Leibniz bis in die Scholastik zurückdatiert (Schelling 1946, 28, 127).
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Philosophen in dieser Tradition haben den Ausdruck ,reduplicatio‘ benutzt, um die Spezifikation eines Aspekts anzuzeigen, unter dem das (Satz-)Subjekt betrachtet wird (durch qua¯, quatenus u. dgl.). Oft zitierte Beispiele sind: „Ein Mensch als Mensch ist das würdigste aller Lebewesen; als Bösewicht verdient er dagegen Verachtung.“ Oder: „Wer Kranke als Sieche heilt, ist Arzt; wer sie als Sünder heilt, ist Priester.“8 Oder: „Als Konsul hat Fabius Maximus Autorität über seinen Vater; aber als Sohn steht er unter seines Vaters Botmäßigkeit.“ Gerne angeführte Beispiele, die Schelling selbst hinzufügt (und deren erstes an Kleists Marionettentheater erinnert): „Anmut, dieser höchste Reiz weiblicher Natur [verschwindet] augenblicklich, sobald jemand sie [sich] anzieht“, also als solche ausstellt: „Anmut besteht nur im Nichtanziehen ihrer selbst“ (Schelling 1989, 44). Oder: „Ein König reist/ incognito, dadurch hört er nicht auf, König zu sein, aber er reist nicht als König“ (l. c., 44 f. [von mir kursiviert]). Das Vorbild für diese ,etwas-als-etwas‘-Formulierungen findet sich bei Aristoteles: das Seiende als Seiendes, t¹ cm Ø em (z. B. Analytica Priora 1.38). 4.2 Schelling übernimmt dieses Theorem („reduplicatio“). Dabei setzt er die Natur-Geist-Identität als höchsten Gegenstand (X) und muss dann einsichtig machen, wie die beiden Kennzeichnungen der absoluten Identität (A und B) als Reduplikationen von X zusammenbestehen können. Vorbild ist Leibnizens „Konkordismus“ (Schelling 1946, 28, 127): „Disparate können weder von sich gegenseitig noch von einem Dritten ausgesagt werden.“ (Also: Das Kalte kann nicht heiß genannt
8 Jedenfalls im Christentum. Schamanen der Bön-Religion oder buddhistische Priester kooperieren bei der Krankenheilung.
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werden noch das Heiße kalt, noch kann Wasser zugleich warm und kalt heißen.) Darum widerspricht sich nicht, wer annimmt, der Geist als Geist unterscheide sich vom Körper (in wenigstens einer Hinsicht), sowie der Körper als Körper sich (in wenigstens einer Hinsicht) vom Geist unterscheide, obwohl es ein X gebe, das („transitiv“) sowohl Geist als auch Leib und im strengst denkbaren Sinne – ohne Wechsel der ,Hinsicht‘ – mit sich selbst einerlei ist. 4.3 Auch liegt kein Widerspruch in der Behauptung, Schellings Identitätstheorie sei nicht-reduktionistisch. Unter ,Reduktion‘ versteht man die gelingende Ersetzung einer Klasse von Phänomenen durch eine andere salva veritate. So kann ich Aussagen über mentale Phänomene in solche über materielle überführen. Schelling macht nun geltend, dass mentale und geistige Zustände gleich mögliche Kennzeichnungen des Absoluten (oder X) heißen dürfen, dass sie sich aber nicht aufeinander reduzieren lassen. Die Rede von Geistigem unterliegt nämlich anderen Wahrheitsbedingungen als die Rede von Körperlichem. (Wir werden eine Liebeserklärung nicht durch den Satz „In meinem Hirn feuern V-Fasern“ übermitteln.) Ich zitiere zwei neuere Anti-Reduktionisten, die den Schelling’schen Punkt (versteht sich: ohne Referenz auf ihn) wunderbar deutlich machen: You cannot see a brain state as a conscious state (McGinn 1991, 11).
D. h.: Es genügt nicht, die Identität des Geistigen und des Materiellen festgestellt zu haben. Diese Identität wäre dem Geist darüber hinaus einsichtig zu machen. Was aber Teil einer Identitäts-Relation ist, kann die ganze Relation nicht in sich darstellen. Anders: Die Vorstellung, bewusster und neurophysiologischer Zugang seien zwei Wege zur selben Realität, ist unverständlich. Das sieht auch Joseph Levine so:
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Rather we’re thinking of the fact that on one side of the identity is a representation that somehow involves a full-fledged conscious experience whereas the other side does not (Levine 2006, 188).
4.4 Schellings Operation mit der Figur der ,Reduplikation‘ bewegt sich in auffälliger Nähe zu Peter Geachs Theorie „relativer Identität“. Der kundige Mediävist Geach findet „absolute Identifikationen“ à la Leibniz oder Quine „sinnlos“. ,Relativ‘ werden dagegen Identitätssätze genannt, die auf einen Aspekt relativiert wurden. Sie sehen so aus: ,x ist dasselbe A wie y; aber x ist nicht notwendig auch (z. B.) dasselbe B wie y.‘ (,Sokrates ist lächerlich als Mensch, aber nicht als Philosoph.‘) Man kann auch sagen, dass „unter einer Beschreibung“ x F ist, unter einer anderen G (vgl. Anscombe 1981). Solch eine Hinsicht oder Beschreibung (bezeichnet durch einen generellen Terminus oder „count name“) liefert nach Geach das Identitätskriterium für die Beziehung von x und y (Geach 1968, 63 f.; vgl. 149 ff.). Genau in Geachs Sinne, als eine „conditio, sub qua praedicatum convenit subjecto termino“, wurde das Verfahren der Reduplikation schon von Wolff eingesetzt (Wolff 1983, 230 ff., § 227 ff.) – auch wenn ich, wider Schellings eigene Behauptung, keine Textstelle in seinem Werk gefunden habe, die von ,reduplicatio‘ spricht. Hier ist ein weiteres Beispiel für Wolffs Praxis der Reduplikation: Ein Satz klingt manchmal kategorisch, obwohl eine Analyse seiner Tiefenstruktur eine Hypothese (eine verborgene Bedingung) ans Licht bringt, unter der der Subjekt-Ausdruck tatsächlich steht. Buchstabiert man diese (implizite) Bedingung aus, liest sie sich so: ,sofern das Subjekt so oder so spezifiziert/bestimmt ist‘. Kommt nämlich das Prädikat dem Subjekt nicht schlechthin (absolute¯), sondern nur unter einer Bedingung zu, so tritt die Bedingung doch nicht so zurück, dass die Konditionalpartikel [als] nicht ausdrücklich gesetzt würde (expresse ponatur). Die Aussage bleibt also hypothetisch (Wolff 1983, § 218).
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Wolff illustriert das an dem Satz: ,Ein aus großer Höhe gefallener Stein hat eine gewaltige Wucht (impetum).‘ Er ist formal kategorisch, aber versteckt hypothetisch, denn verborgen wird gesagt: ,sofern er aus großer Höhe fällt‘ (l. c., 231 [§ 227]). 4.5 Zeitgenössische Leib-Seele-Theorien arbeiten mit ähnlichen Beispielen. " Davidson, zum Beispiel, vertritt eine Token-Identitäts-Theorie. Danach supervenieren mentale Ereignisse auf physikalischen, ohne dass sich ein allgemeines Gesetz der Verknüpfung physischer und mentaler Typen auffinden ließe. Es ist dann entscheidend, die Hinsicht zu spezifizieren, in der das physische Ereignis mentale Eigenschaften ,realisiert‘, und sie von ,bloß‘ physischen Eigenschaften zu unterscheiden (Davidson 1986, Essays 11 und 13). " Ein dem Wolff’schen vergleichbares Beispiel: Wenn der Zeiger an der Waage auf ,200‘ steigt, ist die Ursache ,der Apfel qua¯ 200 Gramm schwer‘, und nicht ,der Apfel qua¯ grün‘. Ähnlich ist die Ursache einer menschlichen Handlung ,diese Folge von Ereignissen qua¯ beabsichtigt von Subjekt S‘, und nicht ,diese Sequenz von Ereignissen qua¯ ausgelöst durch diese (physiologisch spezifizierte) Muskelkontraktion‘. " Ein weiteres Echo bei Davidson (1987, 453). Wie Schelling betont er den Unsinn, diese Identität eher idealistisch als materialistisch zu verstehen. „Identität ist eine symmetrische Beziehung“ („I see no good reason for calling identity theories ,materialist‘: if some mental events are physical events, this makes them no more physical than mental. Identity is a symmetrical relation“ [Davidson 1987, 453; dazu Frank 1991, 115 ff.]); Geist und Natur zu identifizieren, kann nicht heißen, Natur über Geist zu stellen (oder umgekehrt). Identitätstheorien können
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nicht eher materialistisch als mentalistisch/idealistisch heißen. Beide Denker haben einen Hang zum neutralen Monismus.9 4.6 Dies führt uns zurück auf Schellings reduplikatives Verständnis von ,Identität‘. Denn die Identität, von der er handelt, ist nicht einfache Identität, sondern ,in sich duplizierte oder ,Identität der Identität‘. Die Verdopplung der Identität verlangt dann eine begriffliche Überarbeitung der Identitätsformel, die Schelling – diesmal unter Bezug auf Kants Bestimmung des Organismus als ,Ursache und Wirkung von sich selbst‘ (Kant AA V: 370, 373, 376) – so vornimmt: Das Absolute ist ,von sich selbst das Affirmierende und Affirmierte‘ oder ,das Setzende und das Gesetzte‘ (SW I/6, 148, 161 ff.; Schelling 1943, 125 f.). Die Formel „von sich selbst“ ist reduplikativ zu lesen. Ihre genaue Auslegung bringt zutage, dass beide, das Affirmierende wie das Affirmierte, (unter wechselnden Exponenten) das ganze Absolute verkörpern, keineswegs nur je einen Teil (Schelling 1946, 125 unten). 4.7 Diese Interpretation war in Schellings Schriften von 1806 vollendet. Dort hieß es, „daß, was als Eines ist, in dem Seyn selbst, nothwendig ein Band seiner selbst als Einheit, und seiner selbst als des Gegentheils, oder als Vielheit seyn müsse“ (SW I/7, 55). Ein ähnliches Zitat aus derselben Schrift (der Polemik gegen Fichte): Dasselbe, was die Vielheit ist, dasselbe ist auch die Einheit, und was die Einheit ist, dasselbe ist auch die Vielheit, und dieses nothwendige und unauflösliche Eins der Einheit und Vielheit selbst in ihr nennst du ihre Existenz (SW I/7, 56).
" Inwiefern expliziert diese komplizierte Formel die frühere von der ,Identität der Identität‘ reduplikativ? Offenkundig zitiert die Rede vom „Band“ Platons „desmós, der sich selbst [= das Band] 9 Hierher gehört die Anekdote über Davidsons heimlichen Spinozismus, die ich auf S. 222 ff. erzähle.
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abermals mit den Verbundenen verbindet“ (Timaios 31b–32a). Die Verbundenen sind die Unter-Urteile „A ist X“ und „B ist X“; „und erst dadurch, daß diese beyden wieder verbunden werden, also durch Reduplikation des Bandes, entsteht […] der Satz A ist B“ (Schelling 1946, 28). " So auch die spätere Einleitung (von 1806) zur Weltseele: Nenne ich das erste das Verbindende, das zweite das Verbundene, komme ich zur eben zitierten Formel der reduplikativen Identität, die selbst noch einmal „das Band mit dem Verbundenen“ verbindet (SW I/2, 61): das ,verbindende Dritte‘ Platons. " Gleichzeitig hält diese Formel Ploucquet die Treue: Die ,Copula‘ (oder das ,Band‘) identifiziert „das Prädicirende mit dem Prädicirten“ (durch das judikative ,ist’: SW I/2, 61), erklärt sie aber eben dadurch nicht für „einerlei“ (I/7, 341 f.). Das Band ist „das Wesende“ der Urprädikate A und B (II/3, 212). Und wenn man B als Symbol für „das Verbundene als solches“, A als das Band versteht, kommt man zu der Formulierung von 1806, das Band sei ,,das Wesende von B“ (SW I/2, 364). Dieser Gedanke erfährt seine lichtvollsten Erklärungen in den Weltaltern: „[D]asselbe Existirende/ welches das eine ist, ist auch das, welches das andere ist“ (Schelling 1946, 26 f.). Die Reduplikation wird nun als Konjunktion eines Doppelurteils interpretiert: ,X = A‘ und ,X = B‘; und nur kraft der gleichursprünglichen ,Von-Xgewesen-Werdens‘ sind auch A und B miteinander identisch, als solche (isoliert) differieren sie voneinander. So schließt die höchste Identität, die des ,Bandes‘, eine Differenz in sich ein (Schelling 1946, 28 und 129). Damit werden zugleich zwei Bedeutungen von ,Identität‘ sichtbar: der enge oder strikte Sinn von ,Einerleiheit‘ und der lose Sinn, in dem ,Identität‘ ein Anderes in sich einbettet. (Diesen Gedanken hatte Schelling unter Verweis auf Leibniz’ Kampfschrift gegen den Sozinianer Wissowatius schon in der Freiheitsschrift angedeutet: SW I/7, 341; vgl. Buchheim 1997, 11; Neumann 2012, 107 ff.)
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5.0 Ein Blick auf Schellings Erbe. Er hat den Ausweg gezeigt aus einer Jahrtausende alten naturfeindlich-spiritualistischen Subjektphilosophie und die Natur auf Augenhöhe zum Geist gebracht. Marx ist ihm gefolgt, wenn er 1844 die „Resurrektion“ der durch menschliche Zurichtung gefallenen Natur, einen ,durchgeführten Naturalismus der Menschheit und Humanismus der Natur‘ herbeisehnt (Marx 1968, 536, 538; vgl. Schelling 1989, 52 o.). Heine schrieb 1833/34 über Schelling: „,Gott‘, welcher […] von den deutschen Philosophen das Absolute genannt wird, ,ist alles was da ist‘, er ist sowohl Materie wie Geist, beides ist gleich göttlich, und wer die heilige Materie beleidigt, ist dabei so sündhaft, wie der, welcher sündigt gegen den heiligen Geist“ (Heine 1997, 565 f.).
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Namenregister
Abel, Jacob Friedrich 42 – 44 Aenesidemus XII, 8, 10, 44 f., 47, 86 f. Alexander von Aphrodisias 182 Allison, Henry E. 85 Angelelli, Ingnacio 217 Anscombe, G. Elizabeth M. 220, 265 Aristoteles 61, 175 – 177, 179 – 184, 187, 190, 217, 221, 234, 239, 263 Ayer, Alfred J. 105 Baader, Franz Xaver von 41 Bäck, Allan 216, 218 Baggesen, Jens 72 f., 78, 87 Bardili, Christoph Gottfried 20, 157 Baumeister, Friedrich Christian 160 Baumgarten, Alexander Gottlieb 45, 110 – 114, 127, 160, 198, 209, 238, 253 Becker, Hubert 144 Beckermann, Ansgar 174 Bengel, Johann Albrecht 30 Berger, Andreas 72 Berkeley, George 4 Bickmann, Claudia XIII, 60 Black, Max 105 Block, Ned 224 – 228, 232 f. Blumenbach, Johann Friedrich 28, 152 Böhme, Jacob 30, 39, 173
Bondeli, Martin 9 f., 15 Brands, Hartmut 217 Bourguet, Louis 193 Bruno, Giordano 163 Buchheim, Thomas 268 Buchner, Hartmut 5 f., 23 f. Bunte, Martin 13, 51 Burkhardt, Hans 221 Buridan, Jean 216, 220 Cantor, Georg 133 f. Castañeda, Hector-Neri 108, 260 Chalmers, David J. 226 Clarke, Samuel 105 Claudius, Matthias 117 Corriero, Emilio X Creutz, Friedrich Carl Casimir von 32, 34 Crusius, Christian August 87, 261 Danz, Christian 229 Davidson, Donald 222 – 224, 266 f. Descartes, René X, 200, 237 Diels, Hermann 118 Diez, Immanuel Carl XII, 4, 6 – 8, 10, 43 f., 65 – 89, 196 Dretske, Frederick I. 206 Durner, Manfred 132 Dutens, Louis 162 Eberhard, Johann August 114 Eckhart, Meister 117, 217 Ehrhardt, Walter E. 144 Erhard, Johann Benjamin 2, 72, 74, 77 – 79, 82, 87, 94, 144
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NAMENREGISTER
Eschenmayer, Carl August 111, 132, 153, 259 Euklid 68, 94 Faber, Gotthard Friedrich 30 Faust, Heinrich 150 Feuerbach, Ludwig IX, 118, 255 Fichte, Johann Gottlieb X, XII f., 1 f., 4 – 7, 17 f., 20, 27, 43, 45 – 49, 66, 69, 76, 79, 82, 87, 98 f., 101 f., 105, 112, 118, 122, 124, 126, 130 f., 141, 159, 168, 183, 195, 205, 211, 228, 233, 237 – 239, 249, 267 Flatt, Johann Friedrich 43 f., 80, 157 – 159 Forberg, Friedrich Carl 47 Frank, Manfred X, 23, 41, 45, 47, 54 f., 57, 67, 74, 77 – 79, 97, 102, 111, 114, 122, 130, 155 f., 224, 234, 237, 243, 246, 249, 266 Franz, Michael 5 f., 8, 12, 20, 156 – 160, 166 – 168, 178, 193 f. Frege, Gottlob 108, 127, 192, 199 – 206, 250 f., 254 – 256 Freuler, Léo 56, 58, 70 Gabriel, Markus 201, 203, 211 Geach, Peter 219 – 221, 265 Georgii, Eberhard Friedrich 158, 162 Grelling, Kurt 220 Goclenius, Rodolphus 221 Goethe, Johann Wolfgang 150, 245 Grau, Alexander 47 Griffero, Tonino 30 Griffin, Nicholas 220 Habermas, Jürgen 41
Hahn, Philipp Mathäus XII, 6 f., 29 – 42 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm IX–XI, 1 f., 5, 20 f., 31, 43, 81, 85, 102, 109, 126, 128, 132, 134, 139, 155 – 157, 159, 173 f., 181, 187, 209 f., 214, 235, 243, 246 – 248, 259 Heidegger, Martin 181 Heine, Heinrich 269 Heinze, Reiner 30 Henrich, Dieter 1 f., 4 – 9, 14 f., 43 f., 48, 67, 72, 74, 76 f., 79 – 83, 88, 106, 119, 128, 141, 157, 211, 220, 248, 251 Herbart, Johann Friedrich 87, 122 Heydenreich, Karl Heinrich 76 Hogrebe, Wolfram 60 f., 63, 126, 175, 208, 211, 230 f., 255, 259 Hölderlin, Friedrich 1 f., 27, 43, 81, 126, 128 f., 132, 155 – 157, 159, 172, 196 f., 199 f., 205, 208 – 211, 238, 258, 261 Homer 23, 202 Honnefelder, Ludger 217 Hume, David 104 – 107, 109 – 111, 127, 129, 141, 191, 200, 250 – 253 Husserl, Edmund 252 Jackson, Frank C. 226 Jacobi, Friedrich Heinrich 66 – 69, 83, 92, 94 f., 117 Jacobs, Wilhelm C. 44, 160 Jantzen, Jörg 39 Jungius, Joachim 221 Kafka, Franz 173 Kant, Immanuel X–XII, 6 – 26, 28 – 30, 32 – 34, 37, 39, 42 – 44, 48 – 67,
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NAMENREGISTER
70, 73 – 75, 77, 79, 81, 83 – 89, 91 – 94, 98 f., 105 f., 111, 114 – 116, 121, 124, 126, 134, 152, 154 – 157, 160, 166, 185, 190, 192, 195 – 212, 216, 230, 237 – 240, 243, 246 f., 250 f., 254 f., 258, 260 f., 267 Kielmeyer, Karl Friedrich 152 Kleist, Heinrich von 144 f., 263 Knaus, Johann Christoph 157, 160 Kneale, Martha 219 Kneale, William 219 Köstlin, Nathanael 30, 38, 159 Kranz, Walther 118 Kreis, Guido 85, 134 Krings, Hermann 34 Kripke, Saul A. 200, 204 f., 225, 228 Kues, Nikolaus von 163 Kunz, Hans-Peter 85, 134 Laertius, Diogenes 6 Lambert, Johann Heinrich 177 Layritz, Paul Eugen 160 LeBret, Johann Friedrich 43 Leibniz, Gottfried Wilhelm X f., 32 f., 42, 47, 55, 60 f., 104 – 108, 110, 127, 129, 140, 148, 154 – 156, 158, 161 – 165, 170, 182, 193, 195, 197, 198, 206 – 209, 212 f., 215 – 219, 221, 230, 233, 248, 250 – 253, 260 – 263, 265, 268 Lenzen, Wolfgang 154, 172, 176, 178 f., 187, 206 Lessing, Gotthold Ephraim 98, 162 Leutwein, Christian Philipp 81 Levine, Joseph 233, 264 f. Lewis, David 163 Linné, Carl von 64
Lombardus, Petrus 216 Lorenz, Kuno 105 f., 250 Luria, Isaak 30, 41 Lyotard, Jean-François 180 f. McGinn, Colin 232 f., 264 McLaughlin, Peter 22 Mähl, Hans-Joachim 102 Maimon, Salomon 9, 74, 111 f., 114, 156, 161, 169 f., 206, 237 Mates, Benson 161 Matthews, Bruce 5 f., 9 f., 25, 30 f., 39, 41 f., 56, 59, 66, 84, 103 Marcion 23 Marx, Karl Heinrich IX, 118, 255, 269 Maximilian, bis 1848 Kronprinz, später als Maximilian II. Joseph König von Bayern 144, 262 Meier, Georg Friedrich 114, 160 Meinong, Alexius 201 f. Melissos von Helikarnass 118 Mendelssohn, Moses 94 Mirbach, Dagmar 114 Mohr, Georg 58, 62, 86 Moiso, Francesco 132 Molière (eigentl. Jean-Baptiste Poquelin) 87 De Morgan, Augustus 219 Nagel, Thomas 232 Neumann, Hanns-Peter 105, 159, 162, 193, 268 Newton, Isaac 36, 39 Niethammer, Friedrich Immanuel 4 f., 44, 76, 79 f., 87 Nietzsche, Friedrich 87
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NAMENREGISTER
Novalis (Hardenberg, Friedrich von) 46, 74, 93 f., 102, 129, 150, 211 Nuchelmans, Gabriel 221 Oetinger, Friedrich Christoph XII, 6 f., 21, 29 – 38, 41 f., 127 f., 146, 159, 186, 188, 194 – 196, 229, 247 Pafel, Jürgen 231 Pardey, Ulrich 191 f., 249, 255 f. Parmenides 245 f. Pauling, Linus 106 Peano, Giuseppe 231 Peirce, Charles S. 46, 105 Pfleiderer, Christoph Friedrich 80 Philalethes 218 Platon XI f., 5 – 7, 11 f., 14, 18, 20 – 26, 28 – 31, 34 f., 37, 38 f., 41, 51, 65 f., 88, 97, 117, 120, 137, 159, 234, 239, 246 f., 254, 267 f. Plotin 245 Ploucquet, Gottfried XI, 154 – 160, 165 – 172, 174 – 180, 186 f., 192 – 194, 205 f., 229, 235, 256 f., 268 Plutarch 217, 234, 239 Pseudo-Dionysius 36 Putnam, Hilary W. 206 Quine, Willard V. O. 47, 199 f., 231, 250, 265 Rang, Bernhard 143, 149 Rapp, Gottlob Christian 9 Reinhold, Carl Leonhard XII, 3, 6 – 11, 13 – 19, 42 – 45, 48 – 50, 65 – 67, 69 – 79, 81 – 83, 86 – 88, 159, 162 Rémond, Nicolas François 219 Rescher, Nicolas 53 Rosefeldt, Tobias 201 f.
Rülf, Friedrich 171 Russell, Bertrand 200 – 202, 204 f. Sartre, Jean-Paul 41, 96, 100, 198 f., 233, 241 f., 261 Schäfer, Gerhard 30 Schäfer, Volker 30 Schelling, Joseph Friedrich 30, 80, 159 Schelling, Karl Friedrich August 4, 7, 58, 147, 157 f., 215 Schenk, Günter 160 f. Schlegel, Friedrich 35, 95 f., 98, 102 Schleiden, Matthias Jacob 55 Schleiermacher, Friedrich 150, 161, 208 Schlemihl, Peter 128 Schmid, Carl Christian Erhard 2, 72, 74, 76 – 79, 88 f. Schneider, Rudolf 30 Schnurrer, Christian Friedrich 80 Scholem, Gershom 41 Schopenhauer, Arthur 87 Schubert, Gotthilf Heinrich 39 Schulte, Christoph 39, 41 Schulthess, Daniel 218 f., 221 Schulze, Gottlob Ernst (siehe Aenesidemus) Sherwood, William of 217 Sinclair, Isaak von 211 Soldati, Gianfranco 203 Spinoza, Baruch de X, 94, 104, 121, 129 f., 134, 162, 183, 223 f., 245 – 247, 249 Stäbler, Walter 38 – 41 Stamm, Marcelo 77 f. Storr, Gottlieb Christian 43
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NAMENREGISTER
Strack, Friedrich 128 Stuhlmann-Laeisz, Rainer 156 Süßkind, Friedrich Gottlieb 4, 43 Swedenborg, Emanuel 35 Tennemann, Wilhelm Gottlob 24 Théry, Gabriel 217 Théophile 218 Thomas von Aquin 216 Tiedemann, Dietrich 6, 24, 66 Troxler, Ignaz Paul Vital 118, 129, 134 Tugendhat, Ernst 176, 178 – 180, 206 f. Unseld, Siegfried IX Vallicella, William F. 218 Virchow, Rudolf Ludwig Karl 55 Wehmeier, Kai F. 131, 249
Weißhuhn, Friedrich August 2, 82 Widerporst, Heinz 150 Windischmann, Carl Joseph 34 Wissowatius, Andreas (Wiszowaty, Andrzey) 161 f., 268 Wittgenstein, Ludwig 105, 191 f., 249 f., 255 Wolf, Ursula 176, 178 f. Wolff, Christian 33, 45, 94, 110, 112, 148, 154, 156, 160 f., 193, 195, 198, 200, 213 – 215, 221 f., 228, 237 f., 248, 250, 253, 261 f., 265 f. Wolff, Michael 108, 156 Zanetti, Véronique 22 f., 25, 54 f., 57 f., 88 Zenon 118 Zumbach, Clark 28
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SCH E LLI N G IANA Quellen und Abhandlungen zur Philosophie F.W. J. Schellings Herausgegeben von Walter E. Ehrhardt und Jochem Hennigfeld im Auftrag der Internationalen Schelling-Gesellschaft. Die ›Schellingiana‹ wollen die Kenntnis der Schelling’schen Philosophie und ihre Erforschung fördern. 1989 ff. Broschur. ISBN 978 3 7728 1207 1. 24 Bände lieferbar Christopher Arnold SCHELLINGS FRÜHE PAULUS-DEUTUNG
Eine Untersuchung zur Entwicklung von F.W.J. Schellings Schriftinterpretation im Zusammenhang der Tübinger Theologie seiner Studienzeit und der hermeneutischen Theoriebildung seit der Frühaufklärung. – Schellingiana 29. Ca. 480 S. Broschur. ISBN -2857 7. November 2018 Mit diesem Band liegt die erste systematische Untersuchung der frühen biblisch-exegetischen Schriften aus Schellings Schul- und Tübinger Studienzeit (1787–1795) vor. Diese Schriften stellt Arnold in den Horizont der komplexen Problemgeschichte der Spätaufklärung: Neben der generellen Herausforderung der Theologie durch die Rezeption Kants waren im Vorfeld Grundsatzdebatten zur Authentizität und zum göttlichen Autoritätsanspruch der Bibel aufgebrochen. Dabei zeigt Arnold, dass Schelling diese Kontroversen intensiv rezipiert und zu einer eigenen hermeneutischen Methodik ausgearbeitet hat. Schellings aus dieser Auseinandersetzung entwickelte Theorie der Schriftinterpretation, der christlichen Religion und des Glaubensbegriffs ist gerade auch für das Verständnis seines späteren geschichts- und moralphilosophischen Œuvres bedeutsam. Christian Danz (Hrsg.) SCHELLING IN WÜRZBURG
Mit Beiträgen von Christopher Arnold, Ulrich Barth, Christoph Binkelmann, Christian Danz, Georg Essen, Michael Hackl, Jan Rohls, Alexander Schuhbach, Sebastian Schwenzfeuer, Clemens Tangerding und Paul Ziche. – Schellingiana 27. 2017. VII, 375 S. Br. ISBN -2790 7. Lieferbar
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In seiner Würzburger Zeit von 1803 bis 1806 hat Schelling mehrfach sein ›System der gesammten Philosophie und der Naturphilosophie insbesondere‹ vorgetragen. Hierbei handelt es sich um die einzige Gesamtdarstellung der identitätsphilosophischen Konzeption, welche sowohl Naturals auch Geistphilosophie umfasst. Die Beiträge des Bandes thematisieren das Würzburger System vor seinem werk- und problemgeschichtlichen Hintergrund sowie in seinem debattengeschichtlichen Kontext. Xavier Tilliette UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE INTELLEKTUELLE ANSCHAUUNG VON KANT BIS HEGEL
Herausgegeben von Lisa Egloff und Katia Hay. Aus dem Französischen übersetzt von Susanne Schaper. Mit einem Geleitwort von Volker Gerhardt und Wilhelm G. Jacobs. – Schellingiana 26. 2015. X, 473 S. Broschur. ISBN 978 3 7728 2622 1. eBook. Lieferbar Die Diskussion der intellektuellen Anschauung erreicht ihren Höhepunkt in der Zeit zwischen Kant und Hegel. Dabei verschleiert der Ausdruck »intellektuelle Anschauung« die Mehrzahl derjenigen Begriffe, die durch ihn bezeichnet werden. Es ist keinesfalls gleichgültig, wer diesen Ausdruck benutzt, oft nicht einmal, in welcher Phase seines Denkens er ihn verwendet. Der Interpret hat sich stets erneut zu fragen, was genau mit diesem Ausdruck gemeint ist. Die Uneindeutigkeit des Ausdrucks gründet darin, dass die verhandelte Frage, nämlich die nach der Begründung jeglichen Wissens, zentral für die Philosophie ist und entsprechend kontrovers beantwortet wurde. Tilliette geht der Geschichte dieser Frage, die um 1800 weder erstmals gestellt noch bereits abgehakt werden kann, am Leitfaden des Ausdrucks nach und stellt sie historisch philosophierend mit französischem Charme dar. Paul Ziche / Gian Franco Frigo (Hrsg.) »DIE BESSERE RICHTUNG DER WISSENSCHAFTEN«
Schellings ›Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums‹ als Wissenschafts- und Universitätsprogramm. – Schellingiana 25. 2011. VII, 431 S. Broschur. ISBN 978 3 7728 2598 9. Lieferbar
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Die Reorganisation des Wissenschaftssystems ist Kant und den Idealisten ein zentrales Anliegen. In seinen Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums von 1802/03 entwickelt Schelling eine besonders interessante Form der Wissenschaftsreflexion. Ausgehend von der universitären Praxis diskutiert er die seinerzeit gelehrten Wissenschaftsgebiete und zeigt, wie sein eigener Wissenschaftsbegriff die Brücke schlägt zur akademischen Realität. Resultat ist ein Wissenschaftsprogramm, das zugleich praxisnah und revolutionär ist. Der Band kommentiert in internationalen Beiträgen Schellings ›Vorlesungen‹ philosophisch und wissenschaftshistorisch und zeigt die Aktualität von Schellings Ansatz im Kontext gegenwärtiger Universitätsdebatten auf. – Mit Beiträgen von F. Abbri, C. Danz, P. Del Negro, G. F. Frigo, K. Köchy, K. Leonhard, J. Nida-Rümelin, H. J. Sandkühler, W. R. Shea, J. A. Steiger, H. Zedelmaier, P. Ziche u. G. Zöller. Lore Hühn (Hrsg.) SCHOPENHAUER LIEST SCHELLING
Arthurs Schopenhauers handschriftlich kommentiertes Handexemplar von F. W. J. Schelling: ›Philosophische Untersuchung über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände‹. – Lektüren F.W. J. Schellings II. Unter Mitarbeit von Sebastian Schwenzfeuer. – Schellingiana 23. Ca. 210 S., ca. 120 Abb. Broschur. ISBN 978 3 7728 2465 4. 1. Halbjahr 2019 Lore Hühn / Jörg Jantzen (Hrsg.) HEIDEGGERS SCHELLING-SEMINAR (1927/28)
Die Protokolle von Martin Heideggers Seminar zu Schellings ›Freiheitsschrift‹ (1927/28) und die Akten des Internationalen Schelling-Tags 2006. – Lektüren F. W. J. Schellings I. Unter Mitarbeit von Philipp Schwab und Sebastian Schwenzfeuer. – Schellingiana 22. 2011. VIII, 481 S., 3 Abb. Broschur. ISBN 978 3 7728 2464 7. Lieferbar Dieser Band enthält die wichtigsten Dokumente von Martin Heideggers Marburger Auseinandersetzung mit F. W. J. Schelling. Die Protokolle eines Seminars, das Heidegger zu Schellings ›Freiheitsschrift‹ im WS 1927/28 gehalten hat, stammen aus der Feder seiner Marburger Schüler
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Walter Bröcker, Gerhard Krüger, Käte Oltmanns, Hans Jonas u.a. Dieses Protokollheft wird erstmals der Forschung zugänglich gemacht. Paul Ziche / Petr Rezvykh SYGKEPLERIAZEIN – SCHELLING UND DIE KEPLER-REZEPTION IM 19. JAHRHUNDERT
Unter Mitwirkung von Daniel A. DiLiscia. – Schellingiana 21. 2013. 299 S., 6 Abb. Br. ISBN 978 3 7728 2441 8. eBook. Lieferbar Johannes Kepler spielte als genialer Entdecker von Naturgesetzen eine zentrale Rolle in der frühen Naturphilosophie Schellings und Hegels; die Romantik feierte ihn als Prototypen des Genies schlechthin. Um 1840 setzt sich Schelling in einem stark veränderten Kontext für die erste Gesamtausgabe der Werke Keplers ein: Die Naturphilosophie wird nun vom Empirismus und Induktivismus scharf kritisiert. Neu entdeckte Dokumente belegen, wie man dennoch auf Kepler zurückgriff und welche Rolle Schelling dabei spielte; gezeigt wird, dass sich idealistische und nach-idealistische Philosophieauffassungen also nicht ausschließen, sondern dass die von Idealisten und Romantikern betonte Genialität Keplers, etwa seine Phantasie und Intuition, zu Kennzeichen wissenschaftlicher Methode umgedeutet werden können. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling EINLEITUNG IN DIE PHILOSOPHIE
Herausgegeben von Walter E. Ehrhardt. – Schellingiana 1. XIII, 153 S. Gebunden. ISBN 978 3 7728 1208 8. Lieferbar In seinen Münchener Vorlesungen des Sommersemesters 1830 hat Schelling selbst eine Einleitung in seine Philosophie vorgetragen – wohl einen Königsweg: Maximilian II. von Bayern, von dem sich Schelling stets verstanden fühlte, urteilte, der vorgelegte Text sei als Basis von Schellings gesamter Philosophie zu betrachten.
frommann-holzboog https://doi.org/10.5771/9783772832109 .
Nie ist genau erklärt worden, was Schelling unter »Identität von Natur und Geist« verstand. Dabei hat er sein reifes Denken »Identitätssystem« genannt und sich zeitlebens um kein zweites Problem begrifflich ähnliche Mühe gegeben. Schelling hat seinen Kerngedanken in einzelne entscheidende Argumente versteckt, die, wären sie bekannt, sein gesamtes Denken durchsichtiger machen würden. Der vorliegende Band deckt neben diesen werkimmanenten Forschungslücken auch wichtige Quellen für Schellings Entwicklung einer differenzsensitiven Identitätsform auf, die er selbst kunstvoll verborgen hat. Es sind erstens die Identitätstheorie der Prädikation von Ploucquet, zweitens die logische Figur der »reduplicatio«, die einen identischen Gegenstand mithilfe des Begriffswörtchens »als« in zwei Aspekte zerlegt. Damit lässt sich die Schelling’sche Formel von der Identität der Identität und Differenz dem gesunden Menschenverstand vermitteln und Schellings »aufrichtiger Jugendgedanke« (Marx) aktualisieren. Er schneidet respektabel ab im Wettbewerb mit allerlei heutigen Leib-Seele-Identitätstheorien.
ISBN 978 3 7728 2841 6
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