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German Pages 296 [299] Year 2001
IMMANUEL KANT
Prolegomena zu einer jeden kÏnftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten kÎnnen Eingeleitet und mit Anmerkungen herausgegeben von KONSTANTIN POLLOK
FELIX MEINERVERLAG HAMBURG
PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 540
Die Deutsche Bibliothek ^ CIP-Einheitsaufnahme Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet Ïber abrufbar. ISBN-13: 978 -3 -7873 -1577-2 ISBN-10: 3 -7873 -1577-2
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Inhalt
Einleitung.Von Konstantin Pollok . . . . . . . . . . .
IX
A. Entstehungsgeschichte der Prolegomena . . .
XVI
1. Der Plan eines Auszugs aus der Kritik der reinen Vernunft . . . . . . . . . . . . . . .
XVI
2. Die GÎttinger Rezension . . . . . . . . . . . XXIII B. Kurze Rezeptionsgeschichte der Prolegomena
XL
C. Editorische Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . XLIX Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LXIII IMMANUEL KANT
Prolegomena zu einer jeden kÏnftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten kÎnnen Vor re d e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Vore r i n ne r u ng von dem EigentÏmlichen aller metaphysischen Erkenntnis . . . . . . (½½ 1-3)
16
½ 1. Von den Quellen der Metaphysik . . . .
16
½ 2. Von der Erkenntnisart, die allein metaphysisch heiÞen kann . . . . . . . . . . . .
17
a) Von dem Unterschiede synthetischer und analytischer Urteile Ïberhaupt . .
17
VI
Inhalt
b) Das gemeinschaftliche Prinzip aller analytischen Urteile ist der Satz des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . c) Synthetische Urteile bedÏrfen ein anderes Prinzip als den Satz des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . ½ 3. Anmerkung zur allgemeinen Einteilung der Urteile in analytische und synthetische . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18 18
25
½ 4. Der Prolegomenen a l lge me i ne F rage : Ist Ïberall Metaphysik mÎglich? . . . . . . . . .
26
½ 5. Prolegomena. A l lge me i ne F rage : Wie ist Erkenntnis aus reiner Vernunft mÎglich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
De r t ra n s z e nd e nt a l e n H aupt f rage e r s t e r Te i l : Wie ist reine Mathematik mÎglich? . . . (½½ 6 -13) Anmerkung I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkung II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkung III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37 46 48 50
De r t ra n s z e nd e nt a l e n H aupt f rage z we i t er Te i l : Wie ist reine Naturwissenschaft mÎglich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (½½ 14 -38) Logische Tafel der Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . Transzendentale Tafel der Verstandesbegriffe . . . Reine physiologische Tafel allgemeiner GrundsÌtze der Naturwissenschaft . . . . . . . . . .
57 68 69 70
Inhalt
½ 36.Wie ist Natur selbst mÎglich? . . . . . . . . . . ½ 39. Anhang zur reinen Naturwissenschaft: Von dem System der Kategorien . . . . . . . .
VII
90 96
De r t ra n s z e nd e nt a l e n H aupt f rage d r i t t e r Te i l : Wie ist Metaphysik Ïberhaupt mÎglich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (½½ 40 - 56) 103 ½ 45. VorlÌufige Bemerkung zur Dialektik der reinen Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 ½ 46. I. Psychologische Ideen . . . . . (½½ 46 - 49) 111 ½ 50. II. Kosmologische Ideen . . . . (½½ 50 - 54) 118 ½ 55. III. Theologische Idee . . . . . . . . . . . . . .
132
½ 56. Allgemeine Anmerkung zu den transzendentalen Ideen . . . . . . . . . . . . . . . .
133
BeschluÞ.Von der Grenzbestimmung der reinen Vernunft . . . . . . . . . . . . (½½ 57- 60) 135 Au f lÎ s u ng d er a l lge me i ne n F rage d e r Prole gome ne n : Wie ist Metaphysik als Wissenschaft mÎglich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
156
A n h a ng. Von dem, was geschehen kann, um Metaphysik als Wissenschaft wirklich zu machen . . . . . 165 Probe eines Urteils Ïber die Kritik, das vor der Untersuchung vorhergeht . . . . . . . . . . . . . . . 167 Vorschlag zu einer Untersuchung der Kritik, auf welche das Urteil folgen kann . . . . . . . . . . . . . 177 Beilage. Die GÎttinger Rezension . . . . . . . . . . . .
183
VIII
Inhalt
Anmerkungen des Herausgebers . . . . . . . . . . . . .
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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung
Die Prolegomena von 1783 sind eine Gelegenheitsschrift Kants. Sie besitzen weder denselben systematischen Status wie die drei Kritiken, die Kant zwischen 1781 und 1790 publiziert hat, noch haben sie den vorbereitenden Charakter der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten oder der Metaphysischen AnfangsgrÏnde der Naturwissenschaft. Die Prolegomena haben nur die Funktion, Kants Metaphysikkritik zu erlÌutern ^ ein Satellit, der die Kritik der reinen Vernunft umkreist. Auf den ersten Blick zumindest. Auf den zweiten Blick jedoch stellt man fest, daÞ diese kleine Schrift eine Sprengwirkung entfalten kann und entfaltet hat, die dem ersten Augenschein verborgen blieb. Kant gibt hier seiner Kritischen Philosophie eine Wendung, die aus der Sicht der Kritik der reinen Vernunft nicht nur unerwartet ist, sondern in mancher Hinsicht auch kaum erklÌrbar scheint. Zum ersten Mal propagiert und verteidigt Kant hier den wissenschaftlichen Charakter der Metaphysik. Die beiden exakten Wissenschaften, Mathematik und Naturwissenschaft, gelten ihm nicht lÌnger nur als Paradigmen der ErkenntnisgewiÞheit, vielmehr dienen in den Prolegomena die anschauliche und begriffliche GewiÞheit der Mathematik und der Naturwissenschaft dazu, auch der Metaphysik das PrÌdikat einer Wissenschaft zu verleihen: wenn die metaphysischen Ergebnisse der Transzendentalen Østhetik und Analytik apodiktische Wissenschaften wie Mathematik und Naturwissenschaft ermÎglichen, dann kann auch die Metaphysik selbst als eine Wissenschaft gelten. Kant interessierte sich nach den Prolegomena immer weniger fÏr eine Kritik an der Ïberkommenen Metaphysik. Er beschÌftigte sich nunmehr eigentlich nur noch konstruktiv mit dieser neuen Metaphysik, die als Wissenschaft
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Konstantin Pollok
wird auftreten kÎnnen. So kommt es auch, daÞ er ^ bewuÞt oder unbewuÞt, auf jeden Fall aber inkorrekt ^ 1788 rÏckblickend auf sein Hauptwerk die Transzendentale Dialektik, d. h. die Kritik einer ýLogik des Scheinsû, vÎllig unterschlÌgt und die ýLogik der Wahrheitû ins Zentrum der Forschung rÏckt. 1 ^ Ein mÎglicher Grund fÏr diese verzerrende Darstellung speziell in der Kritik der praktischen Vernunft wird sich im folgenden noch zeigen. ^ Doch was hat Kant zu diesem neuenWissenschaftsideal bewogen? Ist es wirklich nur das Bestreben, die Vernunftkritik gegen Anfeindungen mutmaÞlicher Rezensenten abzusichern und ihr durch das ýGeprÌnge von GrÏndlichkeit besseren Eingang zu verschaffenû? 2 Oder hat Kant erst in den Prolegomena aufgrund systematischer Ûberlegungen die >kopernikanische Wende< vollstÌndig abgeschlossen, um den Blick von der alten Metaphysik auf die neue Wissenschaft zu richten? Die Philosophiegeschichte nach Kant ist jedenfalls nicht unwesentlich geprÌgt von dieser metaphysischen Wende zur Wissenschaft. Nicht zuletzt das Wissenschaftsideal des Neukantianismus mit all seinen Auswirkungen auf benachbarte StrÎmungen beruhte auf dieser Nobilitierung der Metaphysik als Wissenschaft. Kant hat aus dieser Sicht erst mit den Prolegomena das neuzeitliche In der Kritik der praktischenVernunft schreibt Kant mit Blick auf die Kritik der reinen Vernunft: ýDie Analytik der theoretischen reinen Vernunft wurde in transscendentale Østhetik und transscendentale Logik eingetheilt, [...] die Logik wiederum dort in die Analytik der Begriffe und die der GrundsÌtze.û (AA V 90) In der Tat machen in der Kritik der reinen Vernunft jedoch Transzendentale Analytik und Transzendentale Dialektik zusammen die Transzendentale Logik aus. Die Transzendentale Østhetik gehÎrt zusammen mit derTranszendentalen Logik zur Transzendentalen Elementarlehre. ^ Kants Schriften werden im folgenden nach der Ausgabe der KÎniglich PreuÞischen Akademie der Wissenschaften (AA; Berlin 1900 ff.) zitiert. Die rÎmischen Ziffern geben den Band an, die arabischen Ziffern die Seitenzahl des Bandes. Die Kritik der reinen Vernunft (KrV) wird nach den Originalpaginierungen der Auflagen von 1781 (A) und 1787 (B) zitiert. 2 AA IV 478. 1
Einleitung
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Projekt Francis Bacons einer Instauratio magna, einer groÞen Erneuerung, an welche bereits das Motto der Kritik der reinen Vernunft erinnert, zu seiner eigentlichen Bestimmung gefÏhrt, indem er nicht nur die Erforschung der Natur, sondern die Metaphysik selbst unter die Forderung der Wissenschaftlichkeit gestellt hat. Mit diesem neuartigen Wissenschaftsideal verbunden ist auch die zuerst in den Prolegomena ins Zentrum der Metaphysik gerÏckte Diskussion synthetischer Urteile a priori. Die entsprechende programmatische Frage wird in ½ 5 formuliert: ýWie sind synthetische SÌtze a priori mÎglich?û (S. 30) Zwar handelte von diesen Urteilen auch die A-Auflage der Kritik, doch erst in den Prolegomena werden sie als der ýZweckû und der ýwesentliche Inhalt der Metaphysikû bezeichnet (vgl. S. 24). Solche Urteile, die weder analytisch, d. h. begriffserlÌuternd, noch empirisch sind, markieren von nun an das Gravitationszentrum der Kantischen Metaphysik. Metaphysik ist von nun an der Inbegriff solcher synthetischer Urteile a priori. Die zwei Jahre, die zwischen der Kritik der reinenVernunft und den Prolegomena liegen, haben jedoch nicht nur Kants Sichtweise der Kritik der reinen Vernunft ^ sie wird von ihm seitdem lapidar als ýdie Kritikû bezeichnet (vgl. S. 157 u. Î.) ^ modifiziert. Kant scheint mit den Ûberlegungen zu den synthetischen Urteilen a priori noch eine ganz andere Dimension anzurÏhren. DaÞ es sich dabei um >work in progress< handelt, daÞ Kant also hier mit Gedanken ringt, ohne schon zu einem AbschluÞ gelangt zu sein, kann man daran erkennen, daÞ nur eine unverÎffentlichte Vorarbeit zu den Prolegomena, nicht aber diese selbst AufschluÞ Ïber diese gedankliche Dynamik gewÌhren: ýNun ist die Frage [...] wie ist ein categorischer Imperativ mÎglich wer diese Aufgabe auflÎset der hat das echte princip der Moral gefunden. [...] Der Rec[ensent]: wird sich vermutlich eben so wenig daran wagen wie an das wichtige Problem der Transscendental philos. welches mit jenem der Moral eine auffallende Aehnlichkeit hat. Ich [...] werde die AuflÎsung in
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Konstantin Pollok
Kurzem [...] darlegen [...].û 3 Das hier benannte zweite wichtige Problem, das Problem der >Transscendental-PhilosophieGelegenheitsschrift< erst in ihrer ganzen Dimension klar wird. Die alte Dichotomie zwischen dem Noumenalen und dem PhÌnomenalen, die Kant bereits in ½ 3 seiner Inauguraldissertation De mundi sensibilis atque intelligibilis von 1770 herangezogen hat, dient nun dazu, eine vollkommen Vorarbeit zu den Prolegomena; Scheffner-NachlaÞ, AA XXIII 65 (Hervorhebung: K.P.). Mit dem Rezensenten ist der Autor der sogenannten GÎttinger Rezension gemeint, auf die ich im folgenden noch nÌher eingehen werde. 4 AA IV 454. 3
Einleitung
XIII
neue Theorienkonstellation zu bezeichnen: Es geht nicht mehr um eine Differenzierung in sinnliche (phÌnomenale) Erkenntnis der Dinge, wie sie erscheinen, und eine intellektuelle (noumenale) Erkenntnis der Dinge, wie sie wirklich sind. Auch geht es nicht mehr nur um eine MÎglichkeitserklÌrung der ersteren und eine UnmÎglichkeitserklÌrung der letzteren, wie sie die Kritik der reinenVernunft noch vorstellt. 5 Vielmehr wird nun ^ auf dem gemeinsamen metaphysisch-methodischen Boden synthetischer Urteile a priori ^ die Erkenntnis der Sinnenwelt allein der theoretischen Philosophie, die Erkenntnis der Verstandeswelt dagegen der Moralphilosophie reserviert. Die alte dogmatische Metaphysik mit ihrer noumenalen Erkenntnis der Seele, der Welt und Gottes, die Kant in der Transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft definitiv kritisiert hat, beschÌftigt ihn von nun an nicht mehr wesentlich. Kant ist stattdessen unter dem schon aus den 1760er Jahren bekannten Titel ýMetaphysik der Sittenû 6 bestrebt, den Bereich der nicht-sinnlichen, noumenalen Erkenntnis jetzt selbst neuartig und konstruktiv zu beschreiben und auszufÏllen. Mit seiner Kritik der reinenVernunft hat Kant die erkenntnistheoretische Ordnung der Sinnenwelt neu etabliert: der >mundus sensibilis< wird von den GrundsÌtzen des reinen Verstandes und darauf aufbauend der Newtonischen Physik regiert. Eine Weltordnung des Intelligiblen dagegen >erlÌÞt< Kant mit dem Kategorischen Imperativ in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Die >Gesetzestexte< beider Welten sind nun verfaÞt in synthetischen Urteilen a priori. Erst mit den Prolegomena hat Kant die SchlÏsselrolle dieses Begriffs in der Metaphysik der Natur und der Sitten und damit zur Weiterbestimmung des Kritischen Projekts gefunden. Vgl. KrVA 235 -260. Kant an Herder (9. Mai 1768), AA X 74; vgl. zur Datierung dieses Briefes AA XIII 35 f. 5 6
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Konstantin Pollok
Der Titel Prolegomena besagt soviel wie ýVorbemerkungenû ^ Kant selbst spricht auch von ýVorÏbungenû (S. 11) ^ und ist zu Kants Zeit nicht ungewÎhnlich als buchklassifikatorischer Terminus. So hat beispielsweise Christian Wolff die ½½ 1-26 seiner Philosophia prima sive Ontologia (1728) als Ontologiae Prolegomena Ïberschrieben und Alexander Gottlieb Baumgarten betitelt die ½½ 1-3 seiner Metaphysica (1739) als Prolegomena Metaphysicorum. Auch Kant selbst verwendet den Begriff zu einem Zeitpunkt, da an die vorliegende Schrift von 1783 noch nicht zu denken ist. In einem Brief an Marcus Herz vom 15. Dezember 1778 bezieht er sich mit diesem Terminus auf Abschriften seiner eigenen Metaphysik-Vorlesung: ýGleichwohl wÏnschete ich vornemlich Prolegomena der Metaph: u. die Ontologie nach meinem neuen Vortrage Ihnen verschaffen zu kennen [...].û 7 Kant leitete zu Semesterbeginn alle Vorlesungen mit >Prolegomena< zum entsprechenden Stoff ein. In den Metaphysik-Vorlesungen Ïber das vorstehende Kompendium Baumgartens hÎrten die Studenten also vor den Prolegomena Metaphysicorum Baumgartens allgemeine einfÏhrende Bemerkungen (Prolegomena) Kants. Weshalb die vorliegende Schrift von 1783 den Titel Prolegomena erhalten hat, erklÌrt sich aus dem langen Titel selbst: Wissenschaftliche Metaphysik muÞ den Prinzipien der Vernunftkritik, welche in diesen Prolegomena dargestellt werden, gehorchen. Genau diesen Zusammenhang betont Kant schlieÞlich auch in der Einleitung zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft ^ und kehrt dabei zugleich den Vorwurf der im folgenden noch zu besprechenden GÎttinger Rezension gegen die Ïberkommene Metaphysik: ýDie Kritik der Vernunft fÏhrt also zuletzt nothwendig zur Wissenschaft, der dogmatische Gebrauch derselben ohne Kritik dagegen auf grundlose Behauptun7
AA X 246.
Einleitung
XV
gen, denen man eben so scheinbare entgegensetzen kann, mithin zum Scepticismus.û 8 Die Prolegomena haben die Aufgabe, die zentralen TheoriestÏcke der Kritik der reinen Vernunft herauszuarbeiten und dadurch knapp und Ïbersichtlicher als das Hauptwerk den GrundriÞ einer mÎglichen Metaphysik zu skizzieren. Grundlage dieser AusfÏhrungen bleibt dabei stets die Kritik. WÌhrend aber die Kritik synthetisch vorging, indem sie von der reinen Sinnlichkeit bis zur reinen Vernunft die einzelnen Elemente der Erkenntnis auffÏhrte und deren VerknÏpfung demonstrierte, sollen die Prolegomena nach der analytischen Methode verfaÞt sein, gemÌÞ welcher die Ergebnisse des Hauptwerks als gÏltig vorausgesetzt und lediglich die Stationen seiner DurchfÏhrung nachgezeichnet werden. Kant geht in der Vorrede, am Ende von ½ 4 und in ½ 5 auf diese methodische Eigenart ein, doch sind die Prolegomena faktisch nur bis einschlieÞlich ½ 23 nach dieser analytischen Methode durchgefÏhrt. Der Rest des Werks bis einschlieÞlich ½ 60 verfÌhrt argumentativ analog der Kritik, wenngleich wesentlich knapper, und setzt nicht mehr die fragliche Wissenschaft als wirklich voraus, um ihre MÎglichkeitsbedingungen zu analysieren. Nach derAuflÎsung der allgemeinen Frage der Prolegomenen:Wie ist Metaphysik alsWissenschaft mÎglich? folgt schlieÞlich noch der Anhang, der eine Auseinandersetzung mit der GÎttinger Rezension darstellt. Da auch die einleitenden Paragraphen 1-5 keine Wissenschaft als gegeben annehmen, sondern vielmehr die Argumentation der Einleitung der Kritik der reinenVernunft in modifizierter Form wiedergeben, sind nach der analytischen Methode lediglich Teile der beiden ersten Hauptfragen, also Wie ist reine Mathematik mÎglich? (½½ 6 -13) und Wie ist reine Naturwissenschaft mÎglich? (½½ 14 -23), durchgefÏhrt. In einer FuÞnote zu ½ 5 korrigiert Kant schlieÞlich den Sprachgebrauch von der analytischen Methode zugunsten des Begriffs der regressiven Methode, da so keine Verwechs8
KrV B 22 f.
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Konstantin Pollok
lung mit dem Begriff analytischer SÌtze bzw. dem der Transzendentalen Analytik, die neben der Transzendentalen Dialektik einen Hauptteil der Transzendentalen Logik ausmacht, mÎglich sei. A. Entstehungsgeschichte der Prolegomena 1. Der Plan eines Auszugs aus der Kritik der reinenVernunft David Hume, der nach Auskunft der Prolegomena Kant aus dem ýdogmatischen Schlummerû (S. 9) erweckt hat, gibt seiner EnttÌuschung Ïber das Schicksal seines Treatise of Human Nature folgenden Ausdruck: ýAls Totgeburt fiel er aus der Presse und fand nicht einmal so viel Beachtung, um wenigstens unter den Eiferern ein leises Murren zu erregen.û 9 Die Konsequenz, die Hume daraus zog, war eine Ûberarbeitung von Buch I des Treatise und dessen Publikation unter dem Titel Philosophical Essays Concerning Human Understanding im Jahr 1748. Es folgte nur wenige Jahre spÌter eine deutsche Ûbersetzung dieses Werks, und mit einem Mal stand Hume im Zentrum der philosophischen Diskussion Europas. Immanuel Kant nahm nicht nur teil an dieser Diskussion, sein Anspruch war vielmehr unter anderem, Humes PhilosophischeVersuche Ïber die Menschliche ErkenntniÞ ^ Kant hat englische BÏcher hÎchstwahrscheinlich nur in Ûbersetzung gelesen ^ durch eine Kritik der reinenVernunft zu ersetzen. Dieses Kritische Hauptwerk Kants erzielte zwar nicht denselben publizistischen MiÞerfolg wie HumesTreatise ^ es erschienen immerhin sieben Rezensionen von deren Erstauflage. 10 David Hume: Mein Leben. In: Eine Untersuchung Ïber den menschlichen Verstand. Ûbers. v. Raoul Richter, hg. v. Jens Kulenkampff, PhB Bd. 35, Hamburg 1984, S. LIII. 10 Vgl. dazu Heiner F. Klemmes Verzeichnis der Rezensionen in der Neuedition der Kritik der reinen Vernunft, PhB Bd. 505, hg. v. Jens Timmermann, Hamburg 1998, S. 887 f. ^ Bevor am 19. Januar 1782 die sogenannte GÎttinger Rezension, auf die ich im folgenden noch 9
Einleitung
XVII
Doch auch Kant empfand es als ýKrÌnkung, fast von niemand verstanden worden zu seinû, und ÌuÞerte ýdie BesorgniÞ [...], daÞ ich die Gabe mich verstÌndlich zu machen in so gringem Grade, vielleicht in einer so schweren Materie gar nicht besitze; und alle Arbeit vergeblich aufgewandt haben mÎchte.û 11 Kant war entsetzt von der ýGringschÌtzung und Arroganzû, die seinem Werk, dessen Stoff er ý[...] mehr als 12 Jahre hinter einander sorgfÌltig durchgedacht hatte [...]û,12 entgegengebracht wurden: ýO curas hominum! Schwache Menschen, ihr gebt vor, es sey euch blos um Wahrheit und Ausbreitung der Erkenntnis zu thun, in der That aber beschÌftigt euch blos eure Eitelkeit!û 13 Aufgrund der schwachen Reaktion und der MiÞverstÌndnisse seiner Kritik hatte Kant den Eindruck, daÞ auch noch zwei Jahre nach dem Erscheinen keiner, der das Buch Ïberhaupt zur Kenntnis genommen hatte, dessen wesentliche Aspekte erfaÞt hÌtte. Christian Garve schreibt dies bestÌtigend an Kant: ýIch erkannte bald, da ich das Werk anfing zu lesen, [...] daÞ diese Lecture [...] fÏr mich zu schwer sey. Ich gestehe Ihnen, ich weiÞ kein Buch in der Welt, das zu lesen mir soviel Anstrengung gekostet hÌtte [...].û 14 Die Ratlosigkeit, mit der selbst Autoren vom Format eines Moses Mendelssohn dem Werk gegenÏberstanden, bewirkte bei Kant deutliche Resignation: ýDaÞ aber [...meine] Critik, die nur daeingehen werde, erschien, waren bereits zwei Besprechungen der Kritik publiziert worden (vgl. Frankfurter gelehrte Anzeigen, Nr. 57 und 58, Frankfurt/M., 17./20. Juli 1781, 456 - 461; Neueste Critische Nachrichten, 44. StÏck, Greifswald, 3. November 1781, 345 -346). Die GÎttinger Rezension ist damit zwar vermutlich die erste Rezension der Kritik, die Kant gelesen hat, sie ist aber nicht ýdie erste Besprechung des Werkes Ïberhauptû (Karl VorlÌnder: Prolegomena. 1905, S. XIII f.). 11 Kant an Schultz (26. August 1783), AA X 350 f.; vgl. zur Einordnung des literarischen Erfolgs der Kritik und der Entstehung der Prolegomena in den biographischen Gesamtzusammenhang auch Manfred Kuehn: Immanuel Kant. A Biography. Cambridge 2001, S. 250 -269. 12 Kant an Garve (7. August 1783), AA X 338. 13 Kant an Garve (7. August 1783), AA X 342 f. 14 Garve an Kant (13. Juli 1783), AA X 329.
XVIII
Konstantin Pollok
mit umgeht, den Boden zu jenem GebÌude [sc. der Metaphysik; K.P.] zu untersuchen, Ihre scharfsinnige Aufmerksamkeit nicht auf sich ziehen kan, oder sie alsbald wieder von sich stÎÞt, dauert mich sehr [...].û 15 Doch Kant fÌhrt im selben Atemzug fort: diese fehlende Aufmerksamkeit ý[...] befremdet mich aber auch nicht [...].û 16 Denn ^ im Gegensatz zu Humes enttÌuschter Erwartungshaltung hinsichtlich seines Treatise ^ war dem Autor der Kritik bereits wÌhrend der Niederschrift bewuÞt, daÞ dieses 856 Seiten starke Buch, dessen schriftliche Ausarbeitung Kant in der KÏrze von ý[...] etwa 4 bis 5 Monathen zu Stande brachte [...]û 17, keine leichte LektÏre ist. So rÌt er dem Leser in bezug auf die Transzendentale Deduktion der Kategorien, ý[...] die unvermeidliche Schwierigkeit zum voraus deutlich ein[zu]sehen, damit er nicht Ïber Dunkelheit klage, wo die Sache selbst tief eingehÏllt ist, oder Ïber die WegrÌumung der Hindernisse zu frÏh verdrossen werde [...].û 18 Und im FrÏhjahr 1781, in dem die Kritik der reinen Vernunft erscheint, Kant an Mendelssohn (16. August 1783), AA X 344 f.; vgl. auch den Brief Kants an Marcus Herz vom FrÏhjahr 1781: ýDaÞ Herr Mendelssohn mein Buch zur Seite gelegt habe ist mir sehr unangenehm aber ich hoffe daÞ es nicht auf immer geschehen sein werde. Er ist unter allen die die Welt in diesem Punkte aufklÌren kÎnnten der wichtigste Mann, und auf Ihn, HEn Tetens und Sie mein Werthester habe ich unter allen am meisten gerechnet.û (AA X 270) DaÞ der Adressat Herz im Ansehen Kants trotz der HochschÌtzung nicht zu den zentralen Figuren der zeitgenÎssischen Metaphysik zÌhlt, zeigt eine gewisse Austauschbarkeit, die einem Schreiben Kants an Garve zu entnehmen ist: ýGarve, Mendelssohn u. Tetens wÌren wohl die einzige MÌnner die ich kenne, durch deren Mitwirkung diese Sache [die Metaphysik; K.P.] in eben nicht langer Zeit zu einem Ziele kÎnnte gebracht werden [...].û (AA X 341; vgl. auch AA X 346) Welche Meinung Kant von Garve zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Schreibens (7. August 1783) hatte, wird sich im folgenden noch genauer zeigen. 16 Kant an Mendelssohn (16. August 1783), AA X 345. 17 Kant an Garve (7. August 1783), AA X 338; vgl. auch AA X 345. 18 KrVA 88. 15
Einleitung
XIX
schrÌnkt Kant in einem Brief an Marcus Herz, einen seiner wichtigsten SchÏler, seine Erwartung dahingehend ein, daÞ er auf ein intensives Studium der Schrift ý[...] nur bey sehr wenig Lesern gleich anfangs rechnen darf [...].û 19 Die Dunkelheit der Darstellung, ý[...] die auf einem Wege, der noch ganz unbetreten ist, anfÌnglich unvermeidlich ist [...]û (KrV A 98), wollte Kant nun mit den Prolegomena endgÏltig beseitigen, indem er ýnach vollendetem Werkeû eine Kurzfassung, den GrundriÞ der Kritik, vorlegte. Die Prolegomena sollen eine Erleichterung sein, ý[...] das Ganze zu Ïbersehen, die Hauptpunkte, worauf es bei dieser Wissenschaft ankommt, stÏckweise zu prÏfen [...].û (S. 14) So hoffte Kant von neuem, die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Kritik zu lenken. 20 DaÞ die Kritik der reinen Vernunft nicht auf den ersten Blick als Ganzes in den Griff zu bekommen ist, liegt nach Kant jedoch nicht allein an der Dunkelheit gewisser Passagen. Vielmehr ist die synthetische Methode des Hauptwerks, nach der aus sicheren Begriffen und Annahmen weitere Erkenntnisse erschlossen werden, fÏr diese WeitlÌufigkeit hauptverantwortlich. Dementsprechend verfÌhrt Kant in den Prolegomena nun umgekehrt nach der analytischen Methode, indem er die Existenz der einschlÌgigen Erkenntnisgebiete, Mathematik, Naturwissenschaft und eingeschrÌnkt auch Metaphysik, fÏr gesichert annimmt und deren MÎglichkeitsbedingungen erlÌutert. 21 Kant verweist im Verlauf der Prolegomena wiederholt AA X 269. ýDie erste BetÌubung, die eine Menge ganz ungewohnter Begriffe und einer noch ungewÎhnlichern, obzwar dazu nothwendig gehorigen neuen Sprache, hervorbringen muÞte, wird sich verlieren. Es werden sich mit der Zeit einige Puncte aufklÌren (dazu vielleicht meine Prolegomena etwas beytragen kÎnnen).û Kant an Garve (7. August 1783), AA X 338. 21 In einer vermutlich im Sommer 1782 gehaltenen Vorlesung soll Kant ausweislich der Logik-Nachschrift Hechsel gesagt haben: ýMann theilt die scientifische, in die synthetische und analytische Methode. 19
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auf die thematisch parallelen Passagen der Kritik der reinen Vernunft, da sich die eigentlich wissenschaftliche und systematische Behandlung des Themas im ýscholastischen Vortrageû (KrV A XVIII) des Hauptwerks findet. Die Kritik der reinen Vernunft ist also ^ das muÞ man als Leser des vorliegenden Werks stets vor Augen haben ^ der bestÌndige Referenzpunkt der Prolegomena. Die Schwierigkeiten sowohl des philosophischen Inhalts als auch der Methode der Bearbeitung und der Darstellung waren Kant also bereits bei der Abfassung der Kritik bewuÞt, so daÞ er schon zu dieser Zeit oder spÌtestens kurz nach deren Publikation einen erlÌuternden Essay plant. 22 Unmittelbar nach dem Erscheinen der Kritik Bey der synthetischen fÌngt man bey den Principien der Vernunft an, und geht zu den Principiaten fort, bey der analytischen geht man von den Principiaten, zu den Principien fort. [...] Mit der Popularitaet ist immer die analytische Methode verbunden, denn man gewÎhnt sich immer ehr zu abstracten KentniÞen, wenn man zu den Principien herauf geht, als wenn man dabey anfangen soll. [...] Die wahre Methode des Vortrags ist aber doch synthetisch, denn, wenn ich gleich analytisch die Sache gedacht habe, so macht doch die synthetische sie erst zum system.û (Logik-Nachschrift Hechsel S. 115 f.; zit. nach Immanuel Kant: Logik-Vorlesung. UnverÎffentlichte Nachschriften II. Logik Hechsel Warschauer Logik. Hg. v. Tillmann Pinder, Hamburg 1998, S. 492 f.) Einen VorlÌufer besaÞ Kant diesbezÏglich in Christian Wolff, in dessen Schrift Von dem Begriff eines CÎrpers man mutatis mutandis lesen kann: ýWeil es aber nicht aller Leute Werk ist, dasjenige mit Aufmerksamkeit zu lesen, was (methodo synthetica) aus vorhergesezten GrÏnden durch SchlÏsse erwiesen wird, [...] so haben mich einige ersuchet, daÞ ich den Begriff des CÎrpers rÏkwÌrts (analytica methodo) zergliedern, und ihn aus den gemeinen Begriffen, von welchen unsere ErkenntniÞ anfÌngt, herleiten mÎchte [...].û (In: Gesammlete kleine philosophische Schrifften, welche besonders zu der Natur= Lehre und den damit verwandten Wissenschafften nehmlich der MeÞ= und Arzney=Kunst gehÎren. Halle 1736, S. 190 -256, hier S. 190 f.; Nachdruck in Gesammelte Schriften Bd. 21.1, Hildesheim 1981) 22 DaÞ Kant bereits wÌhrend der Ausarbeitung der Kritik an eine Schrift wie die Prolegomena gedacht hat, legt ein Brief Kants an Herz vom Januar 1779 nahe, in dem er eine alternative Darstellung der Kri-
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schreibt er daher an Marcus Herz: ýSchweer wird diese Art Nachforschung [sc. der Kritik; K.P.] immer bleiben denn sie enthÌlt die Metaphysik von der Metaphysik und gleichwohl habe ich einen Plan in Gedanken nach welchem sie auch PopularitÌt bekommen kan die aber im Anfange da der Grund aufzurÌumen war Ïbel angebracht gewesen seyn wÏrde zumal das Ganze dieser Art der Erkentnis nach aller seiner Articulation vor Augen gestellt werden muÞte [...].û 23 Und noch im selben Jahr berichtet der Kant zu dieser Zeit bereits nicht mehr besonders nahestehende Johann Georg Hamann seinem Freund Johann Gottfried Herder: ýKant ist willens einen populairen Auszug seiner Kritik auch fÏr die Layen auszugeben.û 24 Kant hat also unmittelbar nach AbschluÞ der Kritik an deren kurzgefaÞten Neudarstellung gearbeitet, so daÞ bereits am 19. November 1781 der Verleger Johann Friedrich Hartknoch an Kant schreibt: ýWenn nunmehr tik sowohl hinsichtlich der PopularitÌt als auch hinsichtlich der Methode erwÌgt: ýSeit einiger Zeit sinne ich, in gewissen mÏssigen Zeiten, auf die GrundsÌtze der PopularitÌt in Wissenschaften Ïberhaupt [...] vornemlich in der Philosophie und ich glaube nicht allein aus diesem Gesichtpunkt eine andere Auswahl, sondern auch eine ganz andere Ordnung bestimmen zu kÎnnen, als sie die schulgerechte Methode, die doch immer das Fundament bleibt, erfodert.û (AA X 247) Vgl. zur Auswertung einschlÌgiger Briefe zur Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte der Prolegomena auch unten Abschnitt C, Editorische Hinweise. 23 Kant an Herz (nach dem 11. Mai 1781), AA X 269. 24 Hamann an Herder (12. August 1781), in: Johann Georg Hamann. Briefwechsel, Bd. IV, hg. v. W. Ziesemer u. A. Henkel, Wiesbaden 1959, S. 319. Vgl. auch den Brief Hamanns an seinen (und Kants) Verleger Johann Friedrich Hartknoch vom 11. August desselben Jahres, in welchem er von einem ýAuszuge seiner Kritik im populairen Geschmackû (Briefwechsel IV 323) spricht, sowie das nÌchste Schreiben an denselben Adressaten, in dem es heiÞt: ýKant [...] versicherte mich daÞ sein Auszug nur aus sehr wenigen Bogen bestehen wÏrde.û (14. September 1781; ebd. 333) Vgl. zum VerhÌltnis Hamanns zu Kant mit weiteren Literaturhinweisen GÏnter Wohlfart: ýHamanns Kantkritikû, in: Kant-Studien 75, 1984, S. 398 - 419.
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der Auszug der Kritick, wie ich nicht zweifle, fertig seyn solte, so bitte ihn an den Buchdrucker Grunert in Halle, der das groÞe Werck gedruckt, zu schicken. Mir bitte ich aber, gÏtigst zu melden, sobald das M[anu]s[kri]pt abgegangen ist.û 25 Die Daten, aus denen sich der Plan und die Abfassung der Prolegomena rekonstruieren lieÞen, sind spÌrlich. Wie einer Mitteilung Hamanns an Hartknoch zu entnehmen ist, steht eines aber mindestens fest: das Manuskript ging in diesem Jahr 1781 nicht mehr zum Druck: ýKant arbeitet an der Metaphysik der Sitten ^ fÏr weÞen Verlag weiÞ ich nicht. Mit seiner kleinen Schrift [sc. den Prolegomena; K.P.] denkt er auch gegen Ostern fertig zu seyn.û 26 Doch selbst dazu kam es nicht. Nach den eben angefÏhrten kurzen Briefreferenzen auf die Entstehungsgeschichte der Prolegomena hÌtte die Schrift die endgÏltige Form eines kurzen Auszugs aus der Kritik annehmen mÏssen, wenn nicht in die ohnehin knappe Ausarbeitungszeit neben der eingangs diskutierten gedanklichen Dynamik im Zusammenhang mit dem Kategorischen Imperativ und der damit verbundenen Abfassung der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten noch ein anderes Ereignis gefallen wÌre, das AA X 279. Hartknoch bezieht sich in diesem Brief auf ein Schreiben Kants vom 18. August desselben Jahres; dieses Schreiben ist verschollen. Aus diesem RÏckbezug jedoch zu schlieÞen, daÞ dieses verschollene Dokument ýden entscheidenden Briefû (Karl VorlÌnder: Prolegomena. 1905, S. X; vgl. auch Rudolf Malter: Prolegomena. 1989, S. 171) zur AufklÌrung der Entstehungsgeschichte der Prolegomena ausgemacht hÌtte, ist nicht zwingend. Auch daÞ Kant in diesem verschollenen Brief Hartknoch den >Auszug< zum Verlag angeboten hat (vgl. K. VorlÌnder: Prolegomena. 1905, S. XVII), ist nicht gesichert. Hartknoch hat von Kants Arbeit an einem Auszug aus der Kritik auch von anderer Seite gehÎrt. Solche andere Korrespondenzen legen sogar nahe, den AbschluÞ des Manuskripts zu erwarten. Vgl. dazu die Briefe Hamanns an Hartknoch vom 11. August sowie vom 14. September 1781 (Briefwechsel, IV, S. 323, 333). 26 11. Januar 1782; Briefwechsel, IV S. 364. 25
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nicht nur Auswirkungen auf die Prolegomena hatte, sondern dem ýkritische[n] GeschÌftû 27 Kants im ganzen eine neue Perspektive gab. 2. Die GÎttinger Rezension Am 19. Januar 1782 erschien in einer Zugabe zu den vielgelesenen GÎttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen eine anonyme Rezension der Kritik der reinen Vernunft. 28 ^ Sie ist in vorliegender Ausgabe als Beilage im Wortlaut abgedruckt (vgl. S. 183 -190). ^ Der bereits erwÌhnte und wie Kant in KÎnigsberg lebende Hamann, der die Rezension gelesen und Kants Urteil darÏber zur Kenntnis genommen hatte, ÌuÞerte sich am 22. April 1782 gegenÏber Herder folgendermaÞen: ýDie GÎttingsche Recension von der Kritik der R.V. habe mit VergnÏgen gelesen.Wer mag der Verf. davon seyn. Meiners scheint es nicht; und Feder ist mir gantz unbekannt. Man hat hier auf beyde gerathen. Der Autor [sc. der Kritik der reinen Vernunft; K.P.] soll hier gar nicht zufrieden damit seyn; ob er Grund hat, weiÞ ich nicht. Mir kam selbige grÏndlich und aufrichtig und anstÌndig vor. So viel ist gewiÞ, daÞ ohne Berkeley kein Hume geworden wÌre, wie ohne diesen kein Kant.û 29 Und nur wenige Zeilen spÌter klingt in eben diesem Schreiben zum ersten Mal der Titel des geplanten Auszugs aus der AA V 170. DaÞ die Rezension anonym publiziert wurde, stellt keine Besonderheit dar, sondern entspricht vielmehr den Gepflogenheiten der damaligen Rezensionspraxis. ^ Vgl. zum Kontext der GÎttinger Rezension unter der Perspektive der populÌren Darstellungsart philosophischer Texte auch Klaus Petrus: ý>Beschrieene Dunkelheit< und >SeichtigkeitLebenszeichen< der Prolegomena nach dem Winter 1782/83 entstammt einem Brief des Studenten Friedrich Victor Leberecht Plessing an Kant vom 15. April 1783: ýHE Hamann hat mir aus KÎngbg gemeldet, dass die bewuÞten Prolegomena von Ihnen heraus gekommen [...].û 38 Im FrÏhjahr 1783 also, zur Ostermesse, sind die Prolegomena schlieÞlich erschienen. Das Nachspiel nun, das die GÎttinger Rezension veranlaÞte, begann mit dem Anhang der Prolegomena, in welchem Kant eine ýProbe eines Urteils Ïber die Kritik, das vor der Untersuchung vorhergehtû (S. 167-177) gibt. Diese ýProbeû, oder PrÏfung, ist in einem, bei Kant eher ungewÎhnlichen, ÌuÞerst scharfen Ton geschrieben. Er vergleicht den Rezensenten mit jemandem, der keine Ahnung von Geometrie hat und auf die Frage, worum es in Euklids Elementa, dem Grundbuch der Geometrie, gehe, antworten wÏrde: ýDas Buch ist eine systematische Anweisung zum Zeichnen [...].û (S. 169) Hinter derart gravierenden MiÞverstÌndnissen und der Art der Rezension vermutet Kant eine Strategie: ýDer Verfasser derselben urteilt durch und durch en gros, eine Manier, die klÏglich gewÌhlt ist, weil man dabei sein eigen Wissen oder Nichtwissen nicht verrÌt; ein einziges ausfÏhrliches Urteil en de¨tail wÏrde, wenn es wie billig die Hauptfrage betroffen hÌtte, vielleicht meinen Irrtum, vielleicht auch das MaÞ der Einsicht des Rezensenten in dieser Art von Untersuchungen Ein solches Vorgehen war bei Kant nicht unÏblich, wie die Entstehungsgeschichte der Schrift Zum Ewigen Frieden (1795) zeigt (vgl. dazu die Edition dieses Textes von Heiner F. Klemme, PhB Bd. 443, Hamburg 1992, S. LVIII). 38 AA X 310 f. 37
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aufgedeckt haben.û (S. 171) Geradezu unertrÌglich erscheint Kant jedoch das SchluÞurteil der Rezension: ýEin Urteil, welches alles EigentÏmliche meines Buches, da es vorher metaphysisch-ketzerisch sein sollte, zuletzt in eine bloÞe Sprachneuerung setzt und klar beweist, daÞ mein angemaÞter Richter auch nicht das mindeste davon und obenein sich selbst nicht recht verstanden habe.û (S. 172) Kant fÏhlt sich jedoch nicht nur miÞverstanden, sondern offensichtlich in seiner Ehre verletzt. Er fordert den anonymen Rezensenten zum Îffentlichen intellektuellen Duell auf: der Rezensent mÎge sich im Kapitel Ïber die Antinomien der reinen Vernunft (KrV A 426 - 461) aus den vier Thesen bzw. Antithesen eine beliebige aussuchen und Kants Beweis des Gegensatzes widerlegen. Gelinge ihm eine solche Widerlegung, so wÏrde Kant das negative Urteil Ïber die Kritik anerkennen. Gelinge es ihm jedoch nicht, so sei dies ein Beleg dafÏr, daÞ die dogmatische Metaphysik tatsÌchlich nutzlos gewesen, und damit die Kritik ein berechtigtes Unterfangen und die GÎttinger Rezension ein Fehlurteil ist. Zu einem solchen Îffentlichen Duell kam es jedoch nicht. Denn der Breslauer Philosoph Christian Garve schreibt am 13. Juli 1783 in einem privaten Brief, den der Autor explizit nicht verÎffentlicht sehen will, an Kant: ýNun kan ich zwar diese Recension, so wie sie da ist, auf keine Weise fÏr mein erkennen. Ich wÏrde untrÎstlich seyn, wenn sie ganz aus meiner Feder geflossen wÌre. Ich glaube auch nicht, daÞ irgend ein anderer Mitarbeiter dieser Zeitung, wenn er allein gearbeitet hÌtte, etwas so Ïbel zusammenhÌngendes wÏrde hervorgebracht haben. Aber ich habe doch einigen Antheil daran. Und da mir daran gelegen ist, daÞ ein Mann, den ich von jeher sehr hoch geschÌtzt habe, mich wenigstens fÏr einen ehrlichen Mann erkennt, wenn er mich gleich als einen seichten Metaphysiker ansehen mag: so trete ich aus dem Incognito [...].û 39 39
AA X 328 f.
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Garve nimmt alle in der Rezension erhobenen VorwÏrfe zurÏck ^ bis auf einen, nÌmlich ýdaÞ das Ganze Ihres Systems, wenn es wirklich brauchbar werden soll, populÌrer ausgedrÏckt werden mÏsse, u. wenn es Wahrheit enthÌlt, auch ausgedrÏckt werden kÎnne [...].û 40 Er erklÌrt im folgenden, daÞ er den Rezensionsauftrag angenommen habe, ohne das Werk vorher gesehen zu haben, unter anderem um ýein motif zu haben, dieses Buch mit mehr als gewÎhnlicher Aufmerksamkeit durchzulesenû 41. Diese Entscheidung sei aber, wie er bald eingesehen habe, eine Torheit gewesen. Doch das Versprechen gegenÏber der Zeitung habe ihm keine andere Wahl gelassen, als ein Exzerpt der Kritik anzufertigen und diese 12 Bogen Text zu einer Rezension zu komprimieren, welche allerdings immer noch viel zu lang war, um abgedruckt zu werden. Garve schickte sie dennoch nach GÎttingen, wo der ortsansÌssige Philosoph Johann Georg Heinrich Feder aus der Garve-Rezension die schlieÞlich abgedruckte Version redigierte, oder genauer, den ursprÏnglichen Text auf ein gutes Viertel kÏrzte. 42 AA X 331f. ^ Dieser Vorwurf findet sich in vielfÌltigen Formulierungen auch in der ursprÏnglichen Fassung Garves (vgl. unten Anm. 43). 41 AA X 329. 42 Vgl. zu den philosophischen Differenzen zwischen Feder und Kant Reinhard Brandt: ýFeder und Kantû, in Kant-Studien 80, 1989, S. 249 -264, insbesondere S. 257-264. Das Umfeld Feders in der GÎttinger AufklÌrung untersuchen Walther Ch. Zimmerli: ý>Schwere RÏstung< des Dogmatismus und >anwendbare EklektikunverdÌchtige< Kompendien, implizit aber Ïber Kantische Philosophie vorgetragen hat (vgl. dazu Werner Stark: ýDer Marburger Streit um das VerhÌltnis der Philosophie Kants zur Religion 1786 -1793.û In: Kant-Studien 87, 1996, S. 89 -117, hier S. 90 -100). 53 KrVA 369. 52
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Formen unserer Anschauung, nicht aber an sich gegebene Bestimmungen der Objekte sind, und die Erscheinungen daher als bloÞe Vorstellungen und nicht als Dinge an sich betrachtet werden kÎnnen, von einem ýempirischen Idealismusû 54, nach welchem unsere Vorstellungen von auÞer uns befindlichen Dingen bewirkt werden, deren Dasein wir nur durch den Verstand vermittelt erkennen kÎnnen. WÌhrend der empirische Idealismus die kÎrperliche Welt als bloÞ zu erschlieÞendes Ding an sich und damit problematisch setzt, ist sich der transzendentale Idealist der RealitÌt der KÎrperwelt unmittelbar gewiÞ, da die KÎrperwelt eben kein Ding an sich, sondern raumzeitliche Erscheinung ist. Aus dem empirischen Idealismus resultieren nach Kant zwei weitere Formen von Idealismus: (1) der dogmatische Idealismus, welcher das Dasein der Materie leugnet und von Kant sofort abgelehnt wird; sowie (2) der skeptische Idealismus, welcher das Dasein der Materie nur bezweifelt und von Kant zwar auch abgelehnt, aber dennoch als ein ýWohltÌter der menschlichen Vernunftû 55 betrachtet wird, der uns nÎtige, das Problem der Existenz einer AuÞenwelt ernst zu nehmen. 56 Kant grenzt sich damit von KrVA 372. KrVA 377. 56 Kant stellt durch den Begriff des ýWohltÌtersû eine Assoziation mit einem naheliegenden Kontext her: in seinerVorrede zur deutschen Ûbersetzung von Humes Enquiry schreibt der Herausgeber Johann Georg Sulzer: ýSo ungehalten einige Philosophen auf die Zweifler und Freydenker sind, so sehr glaube ich Ursache zu haben, dieselben, insonderheit, wenn sie von der Art unsers Verfassers sind, fÏr WohlthÌter der Philosophie zu halten.û (Philosophische Versuche Ïber die Menschliche ErkenntniÞ von David Hume, Ritter. Als dessen vermischter Schriften Zweyter Theil. Nach der zweyten vermehrten Ausgabe aus dem Englischen Ïbersetzt und mit Anmerkungen des Herausgebers begleitet. Hamburg 1755, S. I [o. Pag.]; Nachdruck mit einer Einleitung von Heiner F. Klemme, Bristol 2000) Kant stimmt nun der Auffassung von der wohltÌtigen Wirkung des Skeptizismus zu; man darf allerdings nach Kant nicht bei einem solchen Skeptizismus stehenbleiben, sondern muÞ zum Kritizismus fortschreiten, wie aus 54 55
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mÎglichen Idealismen selbst durch einen eigenen Idealismus ab. Und schlieÞlich fÏhrt Kants Abwehr eines Materialismus im Zusammenhang einer Seelenlehre zu dem Fazit, ý[...] daÞ, wenn ich das denkende Subject wegnehme, die ganze KÎrperwelt wegfallen muÞ, als die nichts ist, als die Erscheinung in der Sinnlichkeit unseres Subjects und eine Art Vorstellungen desselben.û 57 Kant hat selbst eingesehen, daÞ Aussagen wie diese mindestens miÞverstÌndlich sind, und konsequenterweise das gesamte entsprechende Kapitel ýVon den Paralogismen der reinen Vernunftû fÏr die zweite Auflage der Kritik der reinen Vernunft (1787) umgearbeitet. DarÏber hinaus hat Kant viele weitere Passagen fÏr diese B-Auflage verÌndert, um dem Idealismusvorwurf zu begegnen, ja die Mehrzahl der VerÌnderungen resultieren aus dieser Rechtfertigung. 58 So heiÞt es beispielsweise in der revidiertenTranszendentalen Østhetik: ýWenn ich sage: im Raum und der Zeit stellt die Anschauung sowohl der ÌuÞeren Objecte, als auch die Selbstanschauung des GemÏths beides vor, so wie es unsere Sinne afficirt, d.i. wie es erscheint, so will das nicht sagen, daÞ diese GegenstÌnde ein bloÞer Schein wÌren.û 59 Kants Bemerkungen zur Antinomie der reinen Vernunft erhellt: auf dem Weg vom Dogmatismus zum Kritizismus ist der Skeptizismus der entscheidende Zwischenschritt, ý[...] so daÞ die Antinomie der reinen Vernunft, die in ihrer Dialektik offenbar wird, in der That die wohlthÌtigste Verirrung ist, in die die menschliche Vernunft je hat gerathen kÎnnen, indem sie uns zuletzt antreibt, den SchlÏssel zu suchen, aus diesem Labyrinthe herauszukommen [...].û (AA V 107; Hervorhebung: K.P.) Das gleichwertige Nebeneinanderstellen gegensÌtzlicher dogmatischer Aussagen, von jeher Aufgabe des Skeptizismus, ruft erst den Kritizismus auf den Plan; mindestens in der RÏckschau war es der Skeptiker Hume, der dem Kritiker Kant ýden dogmatischen Schlummerû (S. 9) unterbrochen hat. 57 KrVA 383. 58 Vgl. zu dieser Bemerkung bereits B. Erdmanns Kant's Kriticismus. Leipzig 1878, S. 238 f. 59 KrV B 69.
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Eine wesentlichere Modifikation der Theorie aufgrund der Idealismus-Abwehr nimmt Kant im Zusammenhang des Grundsatz-Kapitels der Transzendentalen Analytik vor. Allgemein geht es in diesem Kapitel um den Nachweis, wie die reinen Verstandesbegriffe, die Kategorien (vgl. KrV A 80), objektive RealitÌt erlangen kÎnnen, d. h. eine konstitutive Funktion bei der Erkenntnis der Welt haben. WÌhrend dieses Kapitel in der A-Auflage zeigen sollte, daÞ die Kategorien Erkenntnisfunktion nur insofern haben, als sie auf Anschauungen bezogen werden, so streicht Kant in der zweiten Auflage als bemerkenswert heraus, ý[...] daÞ wir, um die MÎglichkeit der Dinge zu Folge der Kategorien zu verstehen und also die objective RealitÌt der letzteren darzuthun, nicht bloÞ Anschauungen, sondern sogar immer ÌuÞere Anschauungen bedÏrfen.û 60 Beispiele sind hier die reinen Begriffe der Substanz oder der KausalitÌt: Sie haben objektive RealitÌt nur deshalb, weil wir die rÌumlichen Vorstellungen von Materie bzw. Bewegung besitzen. Diese Abwandlung der Theorie, die Unterordnung des inneren Sinns unter den ÌuÞeren hinsichtlich der realen Erkenntnis der Welt, soll ^ so darf man als Motiv der Korrektur vermuten ^ dem Vorwurf eines haltlosen Idealismus den Wind aus den Segeln nehmen. DarÏber hinaus hat Kant in diese B-Auflage noch ein ganz eigenstÌndiges TheoriestÏck aufgenommen, das diesem Vorwurf expressis verbis entgegentritt: unter dem Titel ýWiderlegung des Idealismusû versucht Kant zu zeigen, daÞ nicht bloÞ das Cartesische ýIch binû, sondern ebenso ýdas Dasein der GegenstÌnde im Raum auÞer mirû 61 unbezweifelbar gewiÞ ist. Kern des Beweises ist dabei das Argument, daÞ etwas Beharrliches, das den Wechsel meiner Vorstellungen erst als solchen ermÎglicht, nicht selbst wiederum Vorstellung sein kann, sondern ein Ding auÞerhalb meiner Vorstellung sein muÞ. In extremer For60 61
KrV B 291. KrV B 274 f.
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mulierung kommt Kant hier sogar zu dem Ergebnis, daÞ ý[...] innere Erfahrung selbst nur mittelbar und nur durch ÌuÞere mÎglich ist.û 62 Bevor Kant diese Ïberarbeitete Version der Kritik verÎffentlicht, erscheinen 1786 noch seine Metaphysischen AnfangsgrÏnde der Naturwissenschaft, die in derselben Tendenz stehen, nÌmlich Erkenntnis auf die GegenstÌnde des ÌuÞeren Sinnes zu fixieren. Nicht nur, daÞ hier die Naturwissenschaft insgesamt rigoros auf eine KÎrperlehre reduziert wird und die Seelenlehre als unwissenschaftlich abqualifiziert wird. Kant beschreibt vielmehr dieses Werk, das sich ausschlieÞlich mit Materie als dem Grundbegriff ÌuÞerer Erfahrung befaÞt, als einen exemplarischen Fall, die Tragweite der Vernunftkritik zu demonstrieren: ýEs ist auch in der Tat sehr merkwÏrdig [...], daÞ die allgemeine Metaphysik in allen FÌllen, wo sie Beispiele (Anschauungen) bedarf, um ihren reinen Verstandesbegriffen Bedeutung zu verschaffen, diese jederzeit aus der allgemeinen KÎrperlehre, mithin von der Form und den Prinzipien der ÌuÞeren Anschauung hernehmen mÏsse [...]. Und so tut eine abgesonderte Metaphysik der kÎrperlichen Natur der allgemeinen vortreffliche und unentbehrliche Dienste, indem sie Beispiele (FÌlle in concreto) herbeischafft, die Begriffe und LehrsÌtze der letzteren (eigentlich der Transzendentalphilosophie) zu realisieren, d. i. einer bloÞen Gedankenform Sinn und Bedeutung unterzulegen.û 63 Vor der Neuauflage der Kritik und noch vor den Metaphysischen AnfangsgrÏnden der Naturwissenschaft nutzt Kant aber natÏrlich auch die Prolegomena, um dem Vorwurf des Idealismus und Skeptizismus entgegenzutreten. 64 KrV B 277. AA IV 478. ^ Vgl. dazu auch Konstantin Pollok: Kants ýMetaphysische AnfangsgrÏnde der Naturwissenschaftû. Ein kritischer Kommentar. Hamburg 2001, S. 165 -175. 64 Auch nach der umgearbeiteten Neuauflage der Kritik sieht Kant sich genÎtigt, den Vorwurf des Idealismus von seiner Kritischen Philosophie abzuwehren. Die neue ýWiderlegung des Idealismusû hat of62 63
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B. Kurze Rezeptionsgeschichte der Prolegomena Die Prolegomena stehen nicht nur bezÏglich ihrer Entstehung und ihres Inhalts, sondern naturgemÌÞ auch hinsichtlich ihrer Rezeption im Schatten der Kritik der reinen Vernunft. Dennoch forderte gerade die kÏrzere Schrift zahlreiche Autoren zur Auseinandersetzung mit der Kantischen Philosophie heraus und das breite Spektrum ihres Echos lÌÞt sich an den ØuÞerungen zweier in anderer Hinsicht nahestehender Philosophen ablesen. So spricht Arthur Schopenhauer von den Prolegomena geradezu euphorisch als der ý[...] schÎnsten und faÞlichsten aller Kantischen Hauptschriften, welche viel zu wenig gelesen wird, da sie doch das Studium seiner Philosophie auÞerordentlich erleichtert [...].û 65 Am anderen Ende des Spektrums steht die Polemik Friedrich Nietzsches, der die theoretische Philosophie Kants mit der erst in den Prolegomena formulierten Grundfrage identifiziert: ýWie sind synthetische Urteile a priori mÎglich? fragte sich Kant, ^ fenkundig nicht nur die alten Gegner nicht beruhigen kÎnnen, sondern vielmehr neue Gegner auf den Plan gerufen, insbesondere Johann August Eberhard im von ihm herausgegebenen Philosophischen Magazin (4 Bde., Halle 1788 -1792) sowie Gottlob Ernst Schulze in seiner anonym und ohne Angabe des Druckorts publizierten Schrift Aenesidemus oder Ïber die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie (1792). Kant hat zwar keine weiteren Idealismus-Widerlegungen publiziert, doch finden sich in seinem Handschriftlichen NachlaÞ zahlreiche Reflexionen zu dieser Problematik (vgl. Refl. 5653 - 5654 sowie 6311- 6316; AA XVIII 305 -313, 607- 623). Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Reflexion ýVom inneren Sinneû zu, die diese Gedanken offenbar abschlieÞt und erst gegen Ende des letzten Jahrhunderts von Reinhard Brandt verÎffentlicht wurde (ýVom inneren Sinneû. Loses Blatt Leningrad 1, in: Neue Autographen und Dokumente zu Kants Leben, Schriften und Vorlesungen, hg. v. R. Brandt und W. Stark, Hamburg 1987, S. 1-30). 65 Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. Erster Band. In: SÌmtliche Werke, Bd. 2, hg. v. Arthur HÏbscher, Wiesbaden 1961, S. 495.
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und was antwortete er eigentlich? VermÎge eines VermÎgens: leider aber nicht mit drei Worten, sondern so umstÌndlich, ehrwÏrdig und mit einem solchen Aufwande von deutschem Tief- und SchnÎrkelsinne, daÞ man die lustige niaiserie allemande ÏberhÎrte, welche in einer solchen Antwort steckt.û 66 Soviel Distanz herrschte nicht immer in der Aneignung der Schrift. Der Neukantianismus beispielsweise, auf den ich im folgenden noch eingehen werde, stellte zwar dieselbe Frage der Prolegomena ins Zentrum des Interesses, gelangte jedoch zu vÎllig anderen Konsequenzen. Doch nun der Reihe nach. Die frÏheste Rezeption der Prolegomena stand gewissermaÞen noch unter der Schockwirkung, die die GÎttinger Rezension und deren Îffentliches Nachspiel in den Prolegomena unter den Gelehrten ausgelÎst hatten. Es ist auffÌllig, daÞ alle Rezensenten implizit und meistens sogar explizit diese Rezension erwÌhnen, und sich in ÌuÞerster Bescheidenheit gegenÏber Kants Kritischer Philosophie bzw. der Person Immanuel Kants zeigen. Kant wird als ýder grÏndlichste, gelehrteste und scharfsinnigste Philosoph dieser Zeitû 67 bezeichnet. Die Rezensionen sind durchweg wohlwollend und ^ wenn Ïberhaupt von nennenswertem Umfang ^ lediglich ziemlich neutrale Inhaltsreferate ohne wirklich kritische inhaltliche Stellungnahme. Die spÌrliche Kritik bezieht sich zumeist auf die KomplexitÌt der Kantischen Sprache. Johann Christian Lossius ist dabei der Ansicht, das Werk wÌre eventuell verstÌndlicher geworden, wenn Kant es in lateinischer oder franzÎsischer Sprache abgefaÞt hÌtte. Er beklagt sich Ïber den ýlangen und angehÌuften Periodenbauû und gibt mit leicht poleFriedrich Nietzsche: Jenseits von Gut und BÎse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft. [Leipzig 1886] In: Nietzsche Werke. Kritische Gesamtausgabe, hgg. v. Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Bd. VI/ 2, Berlin 1968, S. 18. 67 Gothaische gelehrte Zeitungen, Sechs und achtzigstes StÏck, den fÏnf und zwanzigsten October, 1783, S. 705 -710, hier S. 705. 66
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mischem Unterton den Lesern einen Hinweis zur BewÌltigung dieser Schwierigkeiten: ýUm nur erst den Wortverstand dieser Schrift zu finden, muÞ man sich zuvor eine Nomenklatur Ïber den Gebrauch gewisser Terminologien des Verfassers verfertigen, und sodann mit diesen in der Hand das Buch lesen.û 68 Eine Ausnahme innerhalb dieser Prolegomena-Rezensionen stellt die Besprechung von Hermann Andreas Pistorius in der Allgemeinen deutschen Bibliothek dar. Sie ist zum einen umfangreicher als die anderen und zeugt zum anderen von wesentlich intimerer Textkenntnis. Pistorius skizziert detailliert Aufbau und Inhalt der Schrift, wobei er offensichtlich auch die Kritik der reinen Vernunft im Blick hat, und formuliert EinwÌnde, die bis heute die Kant-Kritik beschÌftigen: ýFrÌgt man, wie der Verf. beweisen kÎnne, daÞ er die Verstandesbegriffe vollstÌndig [...] angegeben habe, so sehe ich nicht, wie es anders bewiesen werden kÎnne, als dadurch, daÞ man bisher keine andere Mannigfaltigkeiten und Gesichtspunkte, woraus sich das Urtheil betrachten lasse, entdeckt habe, als diese vier [...]; allein dies wÌre denn doch gewissermaÞen eine Berufung auf die Erfahrung, die hier nicht schicklich scheinen dÏrfte, da man einen Beweis a priori fordert, daÞ gerade nur diese Momente des Urtheils, nur diese Categorien und sonst keine mÎglich sind.û 69 Eine andere Kritik bezieht sich darauf, den Ursprung der Ideen in den drei Funktionen der VernunftschlÏsse gefunden zu haben. Insbesondere den Uebersicht der neuesten Philosophischen Litteratur von Johann Christian Lossius. Erstes StÏck. Gera 1784, S. 51-70, hier S. 67 f. 69 Allgemeine deutsche Bibliothek. Des neun und funfzigsten Bandes zweytes StÏck, Berlin und Stettin, verlegts Friedrich Nicolai, 1784, S. 322-356, hier S. 335. ^ Zur neueren Diskussion Ïber die VollstÌndigkeit der Urteils-, respektive Kategorientafel vgl. Klaus Reich: Die VollstÌndigkeit der kantischen Urteilstafel. Berlin 21948; Lorenz KrÏger: ýWollte Kant die VollstÌndigkeit seiner Urteilstafel beweisen?û In: Kant-Studien 59, 1968, S. 333 -356; sowie Reinhard Brandt: Die Urteilstafel. Kritik der reinenVernunft. A 67-76; B 92-101. Hamburg 1991. 68
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kategorischen SchluÞ auf die Seele-Problematik und den hypothetischen SchluÞ auf die Welt-Problematik zu beziehen, hÌlt Pistorius fÏr uneinsichtig. 70 Am SchluÞ der Rezension klÌrt Pistorius ^ jedoch ohne Namensnennung ^ die Leser Ïber die EntstehungsumstÌnde der GÎttinger Rezension und deren Nachspiel auf. Eine zweite Ausnahme innerhalb der frÏhen Rezeption der Schrift bilden die ErlÌuterungen Johann Schultz', eines Verteidigers der Kritischen Philosophie, in welchen der Autor kenntnisreich die GedankengÌnge der Kritik erklÌrt, in bezug auf die Prolegomena jedoch zu dem Urteil gelangt, sie wÏrden im Anfang den eigentlichen Zweck der Kritik enthalten, doch seien sie ý[...] im weitern Fortgange in einigen Stellen zu weitlÌuftig, und mit vielen NebenumstÌnden durchflochten [...].û 71 Im Zuge der historisch-kritischen Erfassung von Kants Werken in der zweiten HÌlfte des 19. Jahrhunderts 72 stieÞen die Forscher auf die zahlreichen Probleme, die mit dem Textbestand der Prolegomena verbunden sind. Dementsprechend wurde die Schrift in der Zeit um die Jahrhundertwende intensiv unter philologischen Gesichtspunkten diskutiert. 73 Eine Ausnahme davon bildet der Kommentar von Max Apel (Leipzig 21923), der mindestens bis ½ 39 ^ danach ist er nur mehr kursorisch ausgefÏhrt 74 ^ auch heute noch lesenswert ist. Apel geht in seiner ErklÌrung der Kantischen Argumentation absatzweise vor, berÏcksichtigt neben der Kritik der reinen Vernunft und Vgl. Allgemeine deutsche Bibliothek. Bd. 59/2, Berlin, Stettin 1784, S. 322-356, hier S. 340 ff. 71 ErlÌuterungen Ïber des Herrn Professor Kant Critik der reinen Vernunft. KÎnigsberg (1784) 21791, S. 6 f. 72 Vgl. dazu Wilhelm DiltheysVorwort zu AA I, S.V-XV. 73 Auf diese Diskussionen soll im nachfolgenden Abschnitt C, Editorische Hinweise, kurz eingegangen werden. 74 Die Kommentierung von ½ 40 bis zum SchluÞ der Schrift umfaÞt nicht einmal 1/10 des Gesamtkommentars und ist erst in der zweiten Auflage hinzugekommen. 70
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vorkritischen Schriften auch die Korrespondenz Kants (zumindest die damals bekannten Briefe) und beleuchtet nebenbei auch die historischen HintergrÏnde der Entstehung von Kants Kritischer Philosophie sowie Anspielungen auf andere Autoren innerhalb der Prolegomena. Eine weitere Form der Prolegomena-Rezeption fand um die Jahrhundertwende im Neukantianismus statt. Dabei ging es weniger um eine philologische Untersuchung des Textes und auch eigentlich nicht um eine streng exegetische AnnÌherung. Vielmehr handelte es sich ^ vor allem bei den Autoren des Marburger Neukantianismus, Hermann Cohen und Paul Natorp ^ um eine systematische Aneignung der Prolegomena bzw. um eine Rekonstruktion der Kritischen Philosophie unter dem Vorzeichen der analytischen Methode und deren inhaltlichen Konsequenzen in den Prolegomena. Grundlage einer solchen Rekonstruktion ist in etwa Folgendes: Die Eigenart der Prolegomena im Gegensatz zur ersten Auflage der Kritik 75 klingt bekanntlich bereits im Titel der Prolegomena an. Es geht expressis verbis um die Wissenschaftlichkeit der Metaphysik. Kant nimmt dazu eine Umkehrung der Forschungsmethode vor ^ die Kritik ist in synthetischer, die Prolegomena sind in analytischer Methode verfaÞt. 76 Das bedeutet, daÞ die fragliche ErÛbrigens auch im Gegensatz zur zweiten Auflage; denn wÌhrend in der Einleitung zu dieser zweiten Auflage in unmittelbarer Anlehnung an die Prolegomena die Frage nach der MÎglichkeit synthetischer Urteile a priori (mit deren Aufspaltung in das bekannte Quadrupel) noch gestellt wird (vgl. KrV B 19 -24), hat sich am Aufbau und der inhaltlichen Orientierung der Kritik nichts geÌndert, was mit dieser Fragestellung in direktem Zusammenhang stÏnde. Hierauf hat ^ wenngleich ohne Namensnennung ^ gegen Neukantianer, die die Kritik unter dem Aspekt der WissenschaftsbegrÏndung lasen, bereits Benno Erdmann aufmerksam gemacht (Kant's Kriticismus. Leipzig 1878, S. 177 f.) 76 Vgl. in den Prolegomena die ½½ 4 und 5 sowie den SchluÞ der Vorrede. 75
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kenntnis in ihrem Resultat als bereits gÏltig angenommen und nun in ihre Elemente zergliedert wird. Die Pointe der Prolegomena ist dabei allerdings, daÞ die fragliche Erkenntnis nicht die Vernunfterkenntnis der Metaphysik sein kann, denn eine Metaphysik existiert in Kants Augen eigentlich noch gar nicht. Es werden daher zwei Erkenntnisgebiete (Mathematik und Naturwissenschaft) herangezogen, die zum einen bereits unumstrittene GÏltigkeit besitzen und zum anderen eine wesentliche Gemeinsamkeit mit der Metaphysik teilen. Diese Gemeinsamkeit, die zugleich das Zentrum der problematischen Metaphysik ausmachen soll, besteht nun darin, daÞ sowohl Mathematik und Naturwissenschaft als auch Metaphysik synthetische Urteile a priori enthalten bzw. enthalten sollen. Auf die fragliche Metaphysik als Wissenschaft lÌÞt sich dann folgendermaÞen schlieÞen: Es muÞ zunÌchst anhand der beiden genannten Leitwissenschaften untersucht werden, worin die MÎglichkeit ihrer synthetischen Urteile a priori liegt. Hat man diese GrÏnde solcher Urteile erfaÞt, so ist man unter einer bestimmten Bedingung versichert, daÞ auch Metaphysik eine Wissenschaft mit legitimem Anspruch auf GewiÞheit werden kann: Wissenschaftliche Metaphysik ist als ein System synthetischer SÌtze a priori dann mÎglich, wenn sie auf denselben Grundmauern errichtet wird wie Mathematik und Naturwissenschaft. Diese Grundmauern sind die Transzendentale Østhetik und dieTranszendentale Logik der Kritik der reinenVernunft. Dieses Kantische Programm der Prolegomena zur BegrÏndung der Metaphysik wurde im Neukantianismus nun insofern Ïbernommen, als der LegitimitÌtsnachweis wissenschaftlicher ^ und das soll heiÞen: naturwissenschaftlicher ^ Erkenntnis als die zentrale Aufgabe der theoretischen Kritischen Philosophie angesehen wurde. Mit einer solchen szientistischen und logizistischen Tendenz sollte in Absetzung von den spekulativ-idealistischen Systemen (Fichte, Schelling, Hegel), vor allem aber auch vom zeitgenÎssischen Materialismus (BÏchner, Mo-
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leschott, Vogt), die Philosophie Kants fruchtbar gemacht werden fÏr eine Theorie der wissenschaftlichen Erfahrung. 77 Erst in jÏngerer Vergangenheit, nachdem die philologische Schlacht um den Textbestand der Prolegomena geschlagen war, wandten sich die Autoren wieder verstÌrkt inhaltlichen Problemen der Schrift zu, wenngleich nach wie vor die Prolegomena naturgemÌÞ an Bedeutung hinter der Kritik der reinenVernunft zurÏckstehen und beinahe ausVgl. dazu Hermann Cohen: Kants Theorie der Erfahrung. Berlin 1871 (Nachdruck: Hildesheim 1987); ebenfalls von Cohen: Das Prinzip der Infinitesimal-Methode und seine Geschichte. Ein Kapitel zur Grundlegung der Erkenntniskritik. Berlin 1883 (Nachdruck: Frankfurt/M. 1968); sowie von Paul Natorp die mehr systematisch orientierte Schrift: Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften. Leipzig 1910.Vgl. auch die ebenfalls auf die Prolegomena rekurrierende und fÏr den Marburger Neukantianismus einfluÞreiche Studie von Friedrich Albert Lange: Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart. Iserlohn 1866, Zweites Buch, Erster Abschnitt, ýKant und der Materialismusû; eine interessante VerknÏpfung besteht hier darin, daÞ Lange die zweite Auflage dieses Werks (1873 -75) unter dem Eindruck wiederum von Cohens KantsTheorie der Erfahrung umgearbeitet hat. Vgl. zum Marburger Neukantianismus Helmut Holzhey: Cohen und Natorp. 2 Bde., Stuttgart 1986; sowie Ulrich Sieg: Aufstieg und Niedergang des Marburger Neukantianismus. Die Geschichte einer philosophischen Schulgemeinschaft.WÏrzburg 1994. ^ Zwar hat sich innerhalb des Neukantianismus insbesondere die Marburger Schule mit methodologischen Fragen der WissenschaftsbegrÏndung befaÞt, doch finden sich Ìhnliche Ansichten auch in der sogenannten SÏdwestdeutschen Schule des Neukantianismus; so kann man in Wilhelm Windelbands Einleitung zur Kritik der Urteilskraft in der Akademie-Ausgabe lesen: ýDie teleologische Betrachtung der Natur ist fÏr Kant, wie fÏr das ganze 18. Jahrhundert, umsomehr zu einem Hauptproblem geworden, als die ganze Entwickelung seiner Erkenntnisslehre darauf hinauslief, die philosophischen Grundlagen fÏr die reine Naturwissenschaft, d. h. fÏr Newtons mathematisch-physikalische Theorie, zu finden.û (AA V 512) Eine WeiterfÏhrung der WissenschaftsbegrÏndung unter der Perspektive einer solchen Kant-Interpretation findet sich gegenwÌrtig in den Arbeiten von Michael Friedman, z.B. Kant and the Exact Sciences (Cambridge/Mass. 1992). 77
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schlieÞlich im Zusammenhang mit dieser untersucht werden. 78 DaÞ durch die Prolegomena die Kritik aber nicht in jeder Hinsicht populÌrer, d. h. verstÌndlicher geworden ist, bemerkt ^ etwas Ïbertrieben ^ Rolf-Peter Horstmann an zwei Eigenheiten der Prolegomena: ýNicht nur scheint niemandem irgendetwas in bzw. an der >Kritik der reinen Vernunft< durch die >Prolegomena< verstÌndlicher geworden zu sein, vielmehr boten die >Prolegomena< AnlaÞ zu Diskussionen, die das VerstÌndnis sowohl ihrer selbst als auch der >Kritik der reinen Vernunft< erheblich belasteten. Diese Diskussionen betrafen vor allem die von Kant in den >Prolegomena< eingefÏhrte Unterscheidung zwischen einer analytischen und einer synthetischen Lehrart sowie den im ½ 39 angegebenen Ûbergang von den logischen Formen des Urteils zu den Kategorien.û 79 Solche Probleme, die also das VerhÌltnis zwischen Kritik und Prolegomena betreffen, werden in der lÌngst unÏberschaubaren Anzahl von Publikationen zur Kritik behandelt. Einige wenige Autoren haben sich jedoch auch mit Einzelproblemen der Prolegomena befaÞt, beispielsweise mit dem Problem der inkongruenten GegenstÏcke ( J. V. Buroker, H. Robinson, P. Alexander, J. Van Cleve, P. Rusnock / R. George), mit dem EinfluÞ der nur in den Prolegomena erwÌhnten schotVgl. dazu Heiner F. Klemmes Bibliographie in der Neuedition der Kritik der reinen Vernunft, PhB Bd. 505, hg. v. Jens Timmermann, Hamburg 1998, S. 886 -915. 79 Rolf-Peter Horstmann: ýDie metaphysische Deduktion in Kants Kritik der reinen Vernunftû. In: Probleme der ýKritik der reinen Vernunftû. Kant-Tagung, Marburg 1981. Hg. v. Burkhard Tuschling, Berlin 1984, S. 15 f. Neben dieser negativen EinschÌtzung stehen jedoch auch positive, die den hohen inhaltlichen Wert der Schrift beschreiben: ýDie Prolegomenen geniessen den Ruf, dass sie mehr als jede andere Schrift Kants geeignet sind, in die GedankengÌnge des kritischen Idealismus einzufÏhren.û (B. Erdmann: Einleitung zu den Prolegomena, Leipzig 1878, S. I) Und bereits Johann Christian Lossius bezeichnet die Prolegomena als den ýSchlÏssel zu der Critik der reinen Vernunftû (Uebersicht der neuesten Philosophischen Litteratur. Gera 1784, S. 51-70, hier S. 66). 78
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tischen Philosophen Thomas Reid, James Oswald und James Beattie (R.P. Wolff, M. Kuehn, R.E. Beanblossom), mit der lediglich in den Prolegomena auftretenden Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen 80 (H. Seigfried, D. Gutterer, R.H. Kotzin / J. BaumgÌrtner, J. Freudiger, D. Lohmar, B. Longuenesse, G. Mohr, P. Rohs,Th. Uehling), mit der Beziehung zwischen Geometrie und physischer Astronomie in ½ 38 (M. Friedman) sowie mit Kants Stellung zum Deismus (D.-J. LÎwisch, B. Logan). Der Zusammenhang der Kantischen Philosophie mit derjenigen Humes macht gegenwÌrtig einen nicht unerheblichen Teil des (vor allem angelsÌchsischen) Interesses an der Theoretischen Philosophie Kants aus. Bei diesem Thema sind ^ vielleicht mehr als bei anderen ^ Kants Aussagen in den Prolegomena von Bedeutung, denn er ÌuÞert sich hier ausdrÏcklich und ausfÏhrlich zu Humes Erkenntnistheorie. Wichtige AufsÌtze zu diesem Thema sowie eine entsprechende Schwerpunktbibliographie enthÌlt die amerikanische Edition der Prolegomena von Beryl Logan (London/New York, 1996).
Johann Schultz hatte sich in seiner Rezension von Johann August Heinrich Ulrichs Institutiones logicae et metaphysicae ( Jena 1785) (anonym erschienen am 13. Dezember 1785 in der ýAllgemeinen Literatur-Zeitungû, Bd. IV, Jena 1785, S. 297-299; wiederabgedruckt in A. Landau, 1991, S. 243 -248) expressis verbis auf die AusfÏhrungen der Prolegomena zur Differenz von Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen bezogen und diesbezÏglich eine Irritation konstatiert. Man darf vermuten, daÞ Schultz' AusfÏhrungen mindestens auch ein Grund dafÏr sind, daÞ ^ abgesehen von einer bloÞen Anspielung in KrV B 142 ^ Kant in spÌteren Druckschriften nicht wieder von dieser Differenz gehandelt hat.Vgl. aber ½ 40 in der JÌsche-Logik (AA IX 113). Auf die Schultz-Rezension kommt Kant an einer thematisch weit abliegenden Stelle in den Metaphysischen AnfangsgrÏnden der Naturwissenschaft zu sprechen (vgl. AA IV 474 - 476). 80
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C. Editorische Hinweise Im vorstehenden Abschnitt wurde bereits darauf hingewiesen, daÞ die Prolegomena ab der zweiten HÌlfte des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang einer historischkritischen Erfassung von Kants Werken verstÌrkt aus einer philologischen Perspektive untersucht wurden. Nennenswert innerhalb dieser Diskussionen ist die sogenannte Erdmann-Arnoldtsche Kontroverse. Benno Erdmann ging davon aus, daÞ Kant ursprÏnglich, d. h. bereits 1781, zum einen eine populÌre Darstellung der Ergebnisse der Kritik der reinenVernunft und zum anderen einen kurzen Auszug aus der Kritik fÏr die ýKundigenû 81 geplant hatte. Statt der populÌren Darstellung kam nach Erdmann schlieÞlich dieser >kurze Auszug< zur AusfÏhrung, jedoch unter BerÏcksichtigung von Kants Auseinandersetzung mit der GÎttinger Rezension und anderen ÌuÞeren EinflÏssen. 82 Diesen beiden Motiven Kants lassen sich nach Erdmann innerhalb der Schrift schlieÞlich jeweils verschiedene Textpassagen zuordnen. 83 Er beschreibt diese Modifikation des bereits in Arbeit befindlichen >kurzen Auszugs< durch die BerÏcksichtigung der GÎttinger Rezension mit dem Terminus der ýzweifachen Redaktion der Prolegomenenû 84. Diese Hypothese Erdmanns wurde bereits von Emil Arnoldt an-
B. Erdmann: Historische Untersuchungen Ïber Kants Prolegomena. Halle 1904 (Nachdruck Hildesheim 1975), S. 56. 82 Vgl. dazu B. Erdmann, a. a. O., S. 24 -93, sowie S. 112-121. Abgesehen von der GÎttinger Rezension weist Erdmann auf EinwÌnde von Johann Georg Hamann, Theodor Gottlieb Hippel, Johann Schultz (auch Schulz) und Christian Jacob Kraus hin. 83 In seiner Ausgabe der Prolegomena (Leipzig 1878) hat Erdmann die EinschÏbe, die seiner Auffassung nach Reaktionen auf kritische Bemerkungen darstellen, durch kleineren Druck gekennzeichnet. Vgl. dazu auch seine Einleitung zu dieser Ausgabe, S. XX-XXVII. 84 B. Erdmann: Historische Untersuchungen, S. 24. 81
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gezweifelt. 85 Insbesondere bestreitet Arnoldt zum einen, daÞ der geplante >Auszug< aus der Kritik mit den spÌteren Prolegomena identifiziert werden kann, und zum anderen, daÞ Kant vor dem Erscheinen der GÎttinger Rezension ýauch nur eine Zeile an dem Auszug geschriebenû 86 habe. Stattdessen ist Arnoldt der Ansicht, daÞ der >Auszug< und die Prolegomena zwei verschiedene Werke benennen, von denen nur das letztere Ïberliefert ist. Diese Prolegomena, so Arnoldt, seien zwischen Februar und September 1782 geschrieben worden. 87 Bereits Arnoldt brachte diese Kontroverse jedoch auf den Begriff, wenn er von Erdmanns Theorie sagt, sie sei eine ýblosse Vermutung, der ich eine andere entgegenstellen werde [...].û 88 Den SchluÞstrich unter die Debatte zog Hans Vaihinger mit dem Urteil, ý[...] dass von dem ganzen Streite herzlich wenig Gewinn fÏr die Erkenntniss der Kantischen Philosophie zu erwarten ist [...].û 89 Mit der oben versuchten kurzen Darstellung einiger Stationen der Prolegomena-Entstehung schlieÞe ich mich im groÞen und ganzen der von Vaihinger formulierten und von Karl VorlÌnder rekapitulierten Position an, die zwiE. Arnoldt: ýKant's Prolegomena nicht doppelt redigirt. Widerlegung der Benno Erdmann'schen Hypotheseû, in: Gesammelte Schriften, hg. v. O. SchÎndÎrffer, Bd. III, Berlin 1908, S. 3 -101. 86 Ebd. S. 40. 87 Ebd. S. 45 f. 88 Ebd. S. 34. 89 H. Vaihinger: ýDie Erdmann-Arnoldt'sche Controverse Ïber Kant's Prolegomenaû, in: Philosophische Monatshefte 16, 1880, S. 44 -71, hier S. 47. Die Abhandlungen von Hans Vaihinger, Otto SchÎndÎrffer (ýKant's Briefwechsel. Band I. 1747-1788û, in: Altpreussische Monatsschrift 37, 1900, S. 435 - 475; insbesondere S. 463 - 475) sowie Karl VorlÌnder (ýEinleitung des Herausgebersû, in: Prolegomena, Hamburg 1976, S. XIV-XIX) sind als EntschÌrfungen dieser Debatte zu verstehen; sie plÌdieren fÏr ZurÏckhaltung in der Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte der Prolegomena. Vaihinger und VorlÌnder tendieren dabei eher zur Position Erdmanns, SchÎndÎrffer eher zur Position Arnoldts. 85
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schen Erdmanns und Arnoldts Positionen (mit starkem Ûbergewicht seitens Erdmanns Hypothese) 90 zu lokalisieren ist: aufgrund des ÌuÞerst spÌrlichen Quellenmaterials einer solchen Rekonstruktion lassen sich pointierte Thesen hinsichtlich einer Datierung der Niederschrift einzelner Abschnitte schlichtweg nicht belegen. 91 Das einzige, einVaihinger gibt ein Indiz zur berechtigten Identifikation des geplanten >Auszugs< mit den spÌteren Prolegomena, das zum einen plausibel erscheint und zum anderen die prekÌre Quellenlage dieser Debatten vor Augen fÏhrt: ýWenn sich nachweisen liesse, dass competente Leser in den ýProlegomenaû einen Auszug erkannten, wÌre wenigstens der Beweis erbracht, dass man die Prolegomena wohl als einen Auszuge betrachten kann. Dieser Beweis ist nicht schwer zu erbringen: schon der erste Recensent, Pistorius, nennt in Nicolai's Allgemeiner Deutscher Bibliothek (Band 59, S. 322 u. 323) das Werk einen >fasslichen Auszug< und wiederholt letzteren Ausdruck auf der folgenden Seite, wo er das Buch nicht unrichtig auch als eine Selbstrecension bezeichnet.û (H. Vaihinger: ýDie ErdmannArnoldt'sche Controverseû, S. 55) 91 Karl VorlÌnder schreibt dazu: ýDen Eindruck haben auch auf mich, wie auf Erdmann, die bis zum FrÏhjahr 1782 vorliegenden Nachrichten gemacht, daÞ der Auszug, den Kant schon im August 1781 Hartknoch zum Verlag anbot, und die spÌteren Prolegomena nicht etwa (mit Arnoldt) streng voneinander zu scheiden sind, sondern die letzteren aus dem ersteren sich entwickelt haben. Ich bin nur geneigt, noch weiter zu gehen als Erdmann, nÌmlich auch zwischen dem kurzen und dem populÌren Auszug keine scharfe Trennungslinie zu ziehen, wobei ich mich auf Kants eigene ØuÞerungen in seiner Schrift stÏtze. Die Prolegomena wollen zwar >nicht fÏr Lehrlinge, sondern fÏr kÏnftige Lehrer< (S. 1) geschrieben, aber doch nur >VorÏbungen< (8, vgl. 24) sein, ein >bloÞer Planund auch dem Vortrage nach< besser eingerichtet ist (11), ein >allgemeiner AbriÞ< des Hauptwerks, mit dem dieses gelegentlich zu vergleichen ist (152), und der daher zum >Plane und Leitfaden der Untersuchung< dienen kann (153). [...] Das alles kann, wenn wir die Worte nicht pressen, sowohl auf einen >kurzen< als >populÌren< Auszug gehen. Ja sogar dieser ^ von Kant selbst Ïbrigens nicht einmal mit Sicherheit gebrauchte ^ Ausdruck >Auszug< besagt nicht viel.û (K. VorlÌnder: Prolegomena. 1976, S. XVII f.) Vgl. auch oben Anm. 22. 90
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deutig nach das Erscheinen der GÎttinger Rezension zu datierende TextstÏck ist der Anhang von dem, was geschehen kann, um Metaphysik als Wissenschaft wirklich zu machen , denn hier wird auf diese Rezension verwiesen. Ein zweites, relativ sicher nach der GÎttinger Rezension entstandenes TextstÏck ist die Anmerkung III am Ende von ½ 13, denn hier werden die VorwÏrfe der Rezension diskutiert und auf ýunbefugte Richterû (S. 54) verwiesen. Erdmanns Name ist neben der Rekonstruktion einer Entstehungsgeschichte der Prolegomena noch mit einem anderen philologischen Interesse an den Prolegomena verbunden. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist seine detaillierte Analyse der Erstauflage der Prolegomena. 92 Ausgehend von Gustav Hartensteins Entdeckung, daÞ von den Prolegomena mehrere Exemplare mit derselben Verlagsangabe und Jahreszahl, aber geringfÏgigen Textabweichungen existieren, untersuchte Erdmann zehn Exemplare der Erstausgabe, um diese Differenzen zu klÌren. Dabei spricht er zwar von einer ýkleinliche[n], fÏr den inneren Bestand des Werkes nichtssagende[n] Untersuchungû, sieht es jedoch trotzdem als seine Pflicht an, ýdiese geringste aller KÌrrnerarbeiten auf sich zu nehmen, und sie so auszufÏhren, dass sie nicht noch einmal aufgenommen werden muss.û 93 Abgesehen von der damit verbundenen Verdeutlichung des bereits angesprochenen Problems hinsichtlich der Druckerei >Grunert in Halle< 94 und dem Verdienst, diese minimalen Differenzen verzeichnet und fÏnf verschiedene Exemplarreihen identifiziert zu haben, kann jedoch bezweifelt werden, daÞ es sich bei den von ihm aufgestellten verschiedenen >Exemplar-Typen< um verschiedene Auflagen der Prolegomena handelt. Erdmann ist sich dieser Problematik seiner These bewuÞt, doch schreibt er: ýDer Umstand, dass alle Auflagen Diese Untersuchung findet sich in den Anmerkungen zu Bd. IV der Akademie-Ausgabe (Berlin 1903/1911), S. 607- 615. 93 Ebd. S. 608. 94 Vgl. oben Anm. 34 92
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dieselbe Jahreszahl 1783 tragen, bietet keinen zureichenden Gegengrund.û Und weiter: ýKant fand keinen Antrieb, an dem Inhalt oder auch nur an dem Ìusseren Text der kleinen Schrift irgend etwas zu Ìndern.û 95 TatsÌchlich gibt es jedoch bezÏglich keines dieser vier verschiedenen Drucke einen sicheren ÌuÞeren Anhaltspunkt, der von vier verschiedenen Auflagen zu sprechen erlaubte. 96 Es gibt keine zeitgenÎssische bestÌtigende ØuÞerung solcher Nachdrucke und schon gar keine Hinweise auf eine AuflagenhÎhe etc. Eine dritte philologische Diskussion dieser Zeit betrifft den Textbestand der Prolegomena. Die damit verbundenen Probleme sind derart gravierend, daÞ Georg Kullmann von den Prolegomena sogar als dem ýschlechtest gedruckten Buch[...] der philosophischen Weltliteraturû 97 spricht. Hans Vaihinger hat darauf aufmerksam gemacht, daÞ zu Beginn der Schrift Unstimmigkeiten anzutreffen sind, die mit gutem Grund bezweifeln lassen, daÞ Kant den Text in dieser Form verfaÞt hat. Die vorliegende Neuedition schlieÞt sich dieser sogenannten ýBlattversetzungs-Hypotheseû an und folgt darÏber hinaus einem weiteren Umstellungsvorschlag von Georg Kullmann. Die Diskussion um diese ýBlattversetzungenû soll deshalb kurz skizziert werden. Vaihinger ist in seiner Analyse der Prolegomena als erster auf ý[...] Inconvenienzen und Incongruenzen, die sich in ½ 2 und ½ 4 finden [...]û 98, gestoÞen. Die von ihm dingfest
AA IV 614. Die Differenz zwischen fÏnf Exemplarreihen und vier Drucken ergibt sich nach Erdmann aus dem Umstand, daÞ die Reihen A und B abgesehen von der Differenz in der Seitenzahl ý29û (falsch: ý92û) identisch sind. Vgl. kritisch dazu bereits K. VorlÌnder: Prolegomena. 1976, S. XXXIV. 97 G. Kullmann: Kantiana I. Korrekturen und Konjekturen zu den Prolegomenen.Wiesbaden 1922, S. 11. 98 H.Vaihinger: ýEine Blattversetzung in Kant's Prolegomena.û In: Philosophische Monatshefte 15, 1879, S. 321-332 und S. 513 - 532; hier S. 321. 95
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gemachten zehn Unstimmigkeiten des Textbestands lassen sich folgendermaÞen zusammenfassen: 1. Es ist in ½ 2 zwar von der synthetischen Natur der Erfahrungsurteile und der mathematischen Urteile die Rede, nicht aber von der eigentÏmlichen Erkenntnisart, die allein metaphysisch heiÞen kann, wie die Ûberschrift von ½ 2 ankÏndigt. 2. Das Versprechen, die synthetischen Urteile ýunter Klassenû (S. 19) zu bringen, wird ohne eine BerÏcksichtigung eigentlich metaphysischer Urteile nicht vollstÌndig eingelÎst. 3. Angesichts der ParallelfÏhrung der Gedanken dieses Abschnitts mit denen der Einleitung der Kritik fÌllt das Fehlen der Behandlung eigentlich metaphysischer Urteile auf. 4. Die AbsÌtze, die in ½ 4 auf den ersten Absatz folgen, bilden mit diesem keinen logischen Zusammenhang. 5. Vielmehr setzt der erste Absatz von ½ 4 die nachfolgenden AbsÌtze, daÞ also metaphysische Urteile synthetischer Natur seien, voraus. 6. Der Verweis ý(½ 2, litt. c.)û (S. 27) in ½ 4 ist sinnlos. 7. Der vierte Absatz von ½ 4 handelt von der synthetischen Natur der metaphysischen Urteile, was an dieser Stelle wie ein deplazierter Nachtrag wirkt, der inhaltlich bereits stÌndig vorausgesetzt wurde. 8. Derselbe Absatz beginnt im VerhÌltnis zum Vorhergehenden vÎllig unvermittelt. 9. Der sechste Absatz von ½ 4 ist als SchluÞabsatz an der ursprÏnglichen Stelle sinnlos. 10. Das ýalsoû (S. 28) im siebenten Absatz von ½ 4 ist ebenfalls sinnlos. Diese Unstimmigkeiten lÎsen sich nach Vaihinger jedoch auf, wenn man die AbsÌtze 2- 6 von ½ 4 an den SchluÞ von ½ 2 verschiebt. Vaihinger nimmt fÏr die fehlerhafte Positionierung dieser AbsÌtze eine Vertauschung von Manuskriptseiten durch den Setzer an: ýWahrscheinlich
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schloss mit dem Schluss des ½ 2, wie er in den Ausgaben ist, ein Blatt und begann mit dem Anfang des ½ 4 das uebernÌchste, so dass also der Setzer das dazwischen liegende Blatt (oder Bogen) um eine Stelle verrÏckte [...].û 99 Als Grund fÏr diesen fehlerhaften Satz gibt Vaihinger folgendes an: ýIch habe schon [...] bemerkt, dass der Anfang des Absatzes: >Eigentlich metaphysische Urtheile sind insgesammt synthetisch< die Ziffer 3) tragen musste oder hÌtte tragen sollen. Dass der Setzer sie unterdrÏckte, ist unwahrscheinlich, dagegen ist hÎchst wahrscheinlich, dass, wenn der Absatz jene Ziffer nachlÌssiger Weise nicht trug, der eilfertige Setzer die auf die in ½ 2 angewandten Ziffern 1) und 2) zu erwartende Ziffer 3) mit der Paragaphennummer ½ 3 verwechselte. Nachdem einmal dieser Irrthum begangen war, wurde es nothwendig, den Bogen, auf dem der Schluss von ½ 2 stand, unterzubringen, und so schob man ihn in den ½ 4 hinein. Vielleicht ^ wer mag diese MÎglichkeiten alle erschÎpfen? ^ wurden schon von Kant die einzelnen BlÌtter falsch gelegt und so abgesandt.û 100 UnabhÌngig von der ErklÌrung des Zustandekommens einer Textverschiebung sind Vaihingers sachliche GrÏnde doch mindestens teilweise (Punkte 6, 9, 10) triftig genug, editorisch diesen UmstÌnden Rechnung zu tragen. Neben einer mechanischen Blattversetzung, die an antiker LiteraEbd. S. 329. Ebd. ^ Eine Untermauerung dieser Blattversetzungs-Hypothese findet sich bei Sitzler (o. Angabe des Vornamens): ýZur Blattversetzung in Kants Prolegomena. Mit einem Nachwort von H. Vaihinger.û In: Kant-Studien 9, 1904, S. 538 - 544. Vgl. zu einer Verteidigung des ursprÏnglichen Wortlauts Johann H. Witte: ýDie angebliche Blattversetzung in Kants Prolegomena.û In: Philosophische Monatshefte 19, 1883, S. 145 -174; sowie von demselben Autor: ýProf. H. Vaihinger und seine Polemik.û In: Philosophische Monatshefte 19, 1883, S. 597- 614. Vaihingers Erwiderung auf diese EinwÌnde findet sich in H. Vaihinger: ýEine angebliche Widerlegung der >Blattversetzung< in Kants Prolegomena.û In: Philosophische Monatshefte 19, 1883, S. 401- 416. Vgl. dazu auch K. VorlÌnder: Prolegomena. 1905, S. XXXVII-XL. 99
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tur bereits festgestellt wurde 101, kann auch eine Verwirrung des Setzers durch unprÌzise Verweisungszeichen im Kantischen Manuskript nicht ausgeschlossen werden. Einen weiteren, auf Vaihingers Textverschiebung aufbauenden Ønderungsvorschlag hat Georg Kullmann unterbreitet, der in der vorliegenden Ausgabe der Prolegomena erstmals berÏcksichtigt wird. 102 Kullmann folgt Vaihingers Verschiebung hinsichtlich der AbsÌtze 4 - 6 von ½ 4 an den SchluÞ von ½ 2. Doch weicht Kullmann hinsichtlich der AbsÌtze 2-3 von ½ 4 von Vaihingers Verschiebung ab. Diese beiden AbsÌtze sind nach Kullmann um weitere drei AbsÌtze in ½ 2 nach vorne zu rÏcken, so daÞ sie nun zwischen dem Absatz ýZuvÎrderst muÞ bemerkt werden [...]û (S. 20) und dem Absatz ýMan sollte anfÌnglich wohl denken [...]û (S. 21) stehen. Nach der Feststellung im Absatz ýZuvÎrderst muÞ bemerkt werden [...]û (S. 20), daÞ mathematische Urteile nicht empirisch, sondern stets apriorisch sind, erklÌrt der gemÌÞ Kullmanns Umstellung nachfolgende Absatz ýDas Wesentliche und Unterscheidende [...]û (Ebd.), daÞ Urteile der reinen Mathematik nicht nur Urteile a priori, sondern stets auch synthetisch sind. Der nach Kullmann darauffolgende Absatz ýIch kann aber nicht umhin [...]û (S. 20 f.) stellt einen an Hume erlÌuternden Exkurs wiederum zum Begriff der reinen Mathematik dar ^ es handelt sich gewissermaÞen um eine mathematikbezogene Reprise der Vorrede, wo Kant ýHumes Einwurfû (S. 9) auf die Metaphysik Ïberhaupt ausdehnte ^, bevor in den beiden nachfolgenden AbsÌtzen ýMan sollte anfÌnglich wohl denken [...]û (S. 21) und ýEbensowenig ist irgendein Grundsatz [...]û (S. 22) auf entsprechende Konkretionen in Arithmetik und Geometrie eingegangen wird. Vgl. dazu H. Vaihinger: ýEine Blattversetzung in Kant's Prolegomenaû, S. 330. 102 Vgl. G. Kullmann: Kantiana, S. 5 -15. 101
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Zur ErlÌuterung seiner Umstellung nimmt Kullmann eine Absatznumerierung vor, beginnend mit ½ 2 c, Ziffer 2 (ýMathematische Urteile sind insgesamt synthetischû). Der Einschub von Absatz 8 und Absatz 9 zwischen die AbsÌtze 2 und 3 kann dann folgendermaÞen begrÏndet werden: ýKant will und muÞ beweisen, daÞ alle mathematischen SÌtze synthetisch sind; er kann dies nicht dadurch erreichen, daÞ er eine einzelne Zahlenformel und einen einzelnen geometrischen Grundsatz als synthetisch erweist, wenn er nicht etwa weiterhin erwiese, daÞ diese beiden SÌtze fÏr alle mathematischen SÌtze stehen. Dieser Nachweis wÏrde sich inhaltlich mit der AusfÏhrung in Absatz 8 decken. Offenbar hat Kant aber diesen Umweg einzuschlagen gar nicht beabsichtigt. Der Satz 7 +5 =12 und: die Gerade zwischen zwei Punkten ist die kÏrzeste sind lediglich Beispiele, um an ihnen die vorausgegangene prinzipielle Darlegung zu erÎrtern und Bedenken zu zerstreuen. Eine ErÎrterung von Bedenken ^ Man sollte anfÌnglich wohl denken usw. ^ setzt aber die ErÎrterung, mindestens die ErwÌhnung der Sache, die Bedenken erregt, voraus. Hieran aber fehlt es in der heutigen Fassung vollstÌndig, da zuvÎrderst ja nur von SÌtzen a priori die Rede war. Es besteht sonach auch zwischen den AbsÌtzen 2 und 3 eine Bruchstelle von kaum geringerer SchÌrfe als zwischen 7 und 8 und Absatz 12 und 13. Sie verschwindet durch die vorgeschlagene EinfÏgung von Absatz 8 zwischen 2 und 3. Nunmehr tritt der Gedankengang klar hervor. Absatz 1. Behauptung: Mathematische Urteile sind insgesamt synthetisch. Bemerkung Ïber den Grund der bisherigen Verkennung dieser Tatsache. Absatz 2 und 8. GrundsÌtzliche Darlegung des aprioristischen und synthetischen Charakters aller eigentlich mathematischen SÌtze (Critik S. 713). Absatz 9. Exkurs Ïber die Wichtigkeit dieses Ergebnisses. Absatz 3. ErlÌuterung des Ergebnisses an einer Zahlenformel. Absatz 4. Desgleichen an einem Beispiel aus der Geometrie.
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Absatz 5. SchluÞbetrachtungen. Scheinbare Ausnahme und Darlegung, wie die bisherige irrige Annahme, sie seien analytisch, gemeiniglich entsteht.û 103 Eine weitere Unstimmigkeit besteht hinsichtlich des letztgenannten Absatzes ýEinige andere GrundsÌtzeû (S. 22 f.). Auch hier folgt die vorliegende Neuausgabe der Prolegomena dem Ønderungsvorschlag Kullmanns, auf den ursprÏnglich ebenfalls Vaihinger (wenngleich mit einem anderen Argument) hingewiesen hat: ýDer zweite Teil des Absatzes 5 [sc. nach der eben erwÌhnten Numerierung Kullmanns] von Was uns hier gemeiniglich Glauben macht usw. an gehÎrt zu den AusfÏhrungen in Absatz 3 und 4. Jetzt schiebt sich der erste Teil des Absatzes 5: Einige andere GrundsÌtze bis: Was uns hier gemeiniglich Glauben macht usw. dazwischen. Die Vereinigung des abgetrennten Teiles mit dem Einschiebsel zu einem Absatz ist sicherlich nicht ursprÏnglich. Ob der abgetrennte Teil frÏher hinter Absatz 3 oder Absatz 4 gestanden hat, ist schwer zu sagen. Er paÞt an beide Stellen. Ich mÎchte ihn hinter Absatz 4 setzen, weil die StÎrung sich dann am einfachsten durch eine Vertauschung der beiden HÌlften des jetzigen Absatzes 5 erklÌren lÌÞt und sein Inhalt doch nicht bloÞ auf Absatz 3 Bezug hat.û 104 Ebd. S. 7 f. Ebd. S. 9. Die hier von Kullmann erwÌhnte alternative Verschiebung hinter Absatz 3 wurde bereits von G. Thiele vorgeschlagen (vgl. G. Thiele: Die Philosophie des Selbstbewusstseins und der Glaube an Gott, Freiheit, Unsterblichkeit. Systematische Grundlegung der Religionsphilosophie. Berlin 1895, S. 42 f.; vgl. auch ders.: Wie sind synthetische Urtheile der Mathematik a priori mÎglich? Halle 1869). Eine UnterstÏtzung dieser Verschiebung findet sich neuerdings bei Paul HoyningenHuene : ýEine weitere Textverschiebungshypothese zu Kants Prolegomena (und zur 2. Auflage der KrV).û In: Kant-Studien 89, 1998, S. 84 89. Sein Argument lautet: ýFÏr die geometrischen Urteile liegt dagegen die Gefahr, sie fÏr analytisch zu halten, viel ferner.û (P. Hoyningen-Huene 1998, S. 87) Hoyningen-Huene begrÏndet die fehlerhafte Setzung folgendermaÞen: ýAuch fÏr die hier textlich begrÏndete Verschiebung lÌÞt sich leicht eine Blattverschiebungshypothese formulieren, da das zu verschiebende TextstÏck gerade auf einer Manu103
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Die vorliegende Neuausgabe der Prolegomena nimmt also gegenÏber der Originalausgabe und auch gegenÏber dem Text der Akademie-Ausgabe drei Umstellungen in den ½½ 2 und 4 vor, da die inhaltlichen Kriterien hierfÏr stark und die entsprechenden Verschiebungen relativ reibungslos durchzufÏhren sind, d. h. es handelt sich um geringe Verschiebungsdistanzen und es werden keine Ûberschriften von den Verschiebungen tangiert. Solche Verschiebungshindernisse bestehen hingegen bei folgenden Unstimmigkeiten, die sich weiterhin ^ und keineswegs bereits erschÎpfend ^ im Text der Prolegomena finden. So mÏÞte beispielsweise ½ 21[a], der in der Originalausgabe mit ½ 21 Ïberschrieben ist, obwohl der vorausliegende Abschnitt ebenfalls mit ½ 21 Ïberschrieben ist, eigentlich ½ 22 heiÞen und andererseits dÏrfte ½ 37 eigentlich kein eigenstÌndiger Paragraph sein, sondern mÏÞte als erster Absatz zu ½ 38 gehÎren, um die Ïbrige Paragraphierung wieder in Ordnung zu bringen. Diese Ordnung wird jedoch spÌter erneut gestÎrt, wenn nÌmlich auf ½ 52 nicht ½ 53 folgt, sondern die ½½ 52b und 52c. Eine weitere inhaltliche MerkwÏrdigkeit besteht hinsichtlich ½ 39: Karl VorlÌnder ÌuÞerte schon den skriptseite Platz gefunden haben kÎnnte.û (Ebd. S. 89) Vgl. gegen den Ønderungsvorschlag Thieles bereits H. Vaihinger: Commentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. Zum hundertjÌhrigen JubilÌum derselben. Bd. 1, Stuttgart 1881, S. 303. Das Argument Vaihingers ist inhaltlicher Art ^ der Satz beziehe sich auf die Geometrie ^, das Argument Kullmanns ist satztechnisch-Îkonomischer Art ^ die bloÞe Vertauschung zweier SÌtze sei anspruchsloser als eine weiterreichende Verschiebung. Zustimmung zur Verschiebung des Satzes erteilte bereits Max Apel in seinem Kommentar zu den Prolegomena (Leipzig 21923, S. 59), doch ist nach Apel die Frage nach der richtigen Lokalisation dieses Satzes unentscheidbar. Die vorliegende Ausgabe folgt somit einer kombinierten Argumentation von Apel/Kullmann. Apel fÏhrt in seinem Kommentar dazu aus: ýTatsÌchlich betont Kant den fÏr beide Abschnitte grundlegenden Gedanken, daÞ auch bei synthetischen Urteilen die Verbindung von PrÌdikat und Subjekt keine willkÏrliche, sondern eine notwendige ist [...].û (M. Apel 21923, S. 59; Hervorhebung: K.P.)
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Konstantin Pollok
Verdacht, dieser Anhang sei ý[...] erst spÌter hinzugefÏgt; seinem Inhalte nach wÏrde er bereits an eine frÏhere Stelle, vor oder hinter ½ 21, gehÎrt haben. Er enthÌlt nÌmlich nichts anderes als eine Rechtfertigung der Kantschen Kategorienlehre [...].û 105 In der vorliegenden Ausgabe wurden jedoch abgesehen von dem Zusatz bei ½ 21[a] die originalen Ûberschriften und Textpositionen beibehalten, da im letzteren Fall die Stellung von ½ 39 aufgrund seiner Ûberschrift nicht als ein redaktioneller Fehler, sondern als bewuÞte (wenngleich nicht ganz glÏckliche) Positionierung Kants angesehen werden muÞ und im ersteren Fall eine Verschiebung der Paragraphennumerierung zwischen ½ 21 und ½ 37 mehr Zitierschwierigkeiten nach sich ziehen, als VerstÌndnisprobleme zu beheben helfen wÏrde. Mit den Textumstellungen in der vorliegenden Ausgabe der Prolegomena ist nicht der Anspruch verbunden, nun den originalen Wortlaut dieser Kantischen Schrift zu besitzen ^ dieser Anspruch bleibt aufgrund der problematischen Textgestalt einerseits und fehlender entsprechender Hinweise des Autors andererseits bis auf weiteres uneinlÎsbar. Es handelt sich lediglich um den Versuch, einen kohÌrenteren Lesetext bereitzustellen, als dies die bisherigen Editionen vermochten. Um daneben aber auch Zitierkonstanz zu gewÌhrleisten, sind am AuÞenrand die Paginierung der Originalausgabe und in eckigen Klammern die Paginierung der Akademie-Ausgabe (Bd. IV, S. 255 -383) wiedergegeben. 106 Der jeweilige Seitenumbruch ist dabei mit einem geschlossenen Trennstrich | fÏr die Originalausgabe und eiK.VorlÌnder: Prolegomena. 1905, S. XXVIII. Vgl. zu den mit der Akademie-Ausgabe der Prolegomena verbundenen Schwierigkeiten auch Konstantin Pollok: ýKants Prolegomena zu einer jeden kÏnftigen Metaphysik (1783) und die Metaphysischen AnfangsgrÏnde der Naturwissenschaft (1786). Kritische Anmerkungen zur Akademischen Textedition.û In: Kant-Studien 91, Sonderheft 2000, Zustand und Zukunft der Akademie-Ausgabe von Immanuel Kants gesammelten Schriften, hg. v. Reinhard Brandt und Werner Stark, Berlin 2000, S. 23 -34. 105
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nem unterbrochenen Trennstrich fÏr die Akademie-Ausgabe gekennzeichnet. Die Textabfolge der Erstausgabe kann damit auch in der vorliegenden Studienausgabe nachvollzogen werden, was abgesehen von der Zitierkonstanz auch deshalb von Bedeutung ist, weil man nur so die Rezeptionsgrundlage der Tradition nach Kant vor Augen hat, die Textgestalt also, in der auch Hegel, Schopenhauer und die Neukantianer die Prolegomena gelesen haben. Als unmittelbare Vorlage dieser Neuedition diente die Ausgabe von Karl VorlÌnder (PhB Bd. 40, Hamburg 1905). 107 Damit wird auch dessen Modernisierung von Interpunktion und Orthographie (Lautstand, schriftbedingte Umlaute, Schreibweise von Eigennamen etc.) Ïbernommen. Ein Wort-fÏr-Wort-Vergleich mit einem Exemplar der Originalausgabe 108 wurde durchgefÏhrt. Die dabei bemerkten offenkundigen Schreibfehler der Druckvorlage wurden stillschweigend korrigiert. Die semantisch wesentlichen Abweichungen von der Originalausgabe in anderen Ausgaben, die im Namen eines Herausgebers veranstaltet wurden, sind am SeitenfuÞ notiert (vgl. zu den Namen der Editoren das Verzeichnis der ýAusgaben im Namen eines Herausgebersû in der nachstehenden Bibliographie). Andere Lesarten und VerÌnderungsvorschlÌge, die nicht von Editoren der Schrift stammen, beziehen sich auf folgende Separatpublikationen: Grillo, Fr[iedrich]: ýDruckfehlerverzeichnis in den Schriften des Herrn I. Kant.û In: Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes von einer Gesellschaft gelehrter MÌnner. Hg. v. Ludwig Es bestehen jedoch hinsichtlich der Textanordnung Abweichungen zu dieser Edition, insofern VorlÌnder abgesehen von einer Befolgung der Vaihingerschen >Blattversetzungshypothese< den Text in originaler Gestalt abgedruckt hat. 108 Der Vergleich wurde durchgefÏhrt mit einem Exemplar aus den BestÌnden der Landesbibliothek Coburg als fotomechanischer Nachdruck der Erstausgabe (Fischer Verlag, Erlangen 1988). Nach der Klassifikation Erdmanns handelt es sich dabei um ein Exemplar der Auflage I, Satz I, Reihe B. 107
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Heinrich Jakob, Erster Jahrgang, Halle/Leipzig 1795: 48. StÏck. Den 18. November 1795, S. 383 f.; 49. StÏck. Den 25. November 1795, S. 390 f. Schopenhauer, Arthur: ýDruckfehler in den ýProlegomena zu jeder Metaphysikû, erste u. vermuthl. einzige Aufl. v. 1783.û In: ýDrei Briefe Schopenhauers an Karl Rosenkranz betreffend die Gesammtausgabe von Kants Werken. Mitgetheilt von Rudolf Reicke.û In: Altpreussische Monatsschrift 26, 1889, (S. 310331) S. 327 f. Riehl, Alois: ýKorrekturen zu Kant. Prolegomena.û In: Kant-Studien 5, 1901, S. 269. Paul Menzers Ønderungsvorschlag wird nach dem Lesartenapparat der Akademie-Ausgabe (Bd. IV, S. 618) zitiert. ØnderungsvorschlÌge, die Paul Natorp brieflich an den Herausgeber Karl VorlÌnder (PhB Bd. 40) gerichtet hat und die letzterer in seiner Edition berÏcksichtigt hat, sind als Natorp/VorlÌnder verzeichnet. Kullmann, Georg: Kantiana I. Korrekturen und Konjekturen zu den Prolegomenen. Wiesbaden 1922. Hoyningen-Huene, Paul: ýEine weitere Textverschiebungshypothese zu Kants Prolegomena (und zur 2. Auflage der KrV).û In: Kant-Studien 89, 1998, S. 89.
Editoren, die Ìltere Lesarten Ïbernommen haben, werden an den entsprechenden Stellen nicht eigens angefÏhrt. Ebenfalls nicht angefÏhrt werden Differenzen in den von Erdmann ausgemachten fÏnf Exemplarreihen der Originalausgabe 109. Auf eine Anmerkung des Herausgebers wird seitlich der Textkolumne mit einem Asterisk * verwiesen. FÏr ihre Hilfe bei der KlÌrung editorischer und inhaltlicher Probleme danke ich insbesondere Reinhard Brandt, Werner Stark, Heiner F. Klemme und Manfred KÏhn. FÏr ihre UnterstÏtzung bei der Herstellung des Editionstextes danke ich Melanie OÞwalt. Marburg, im Mai 2001
Konstantin Pollok
Vgl. dazu B. Erdmanns Anmerkungen zu Bd. IV der AkademieAusgabe (Berlin 1903/1911), S. 607- 615. 109
Bibliographie
Aufgrund der inhaltlichen NÌhe der Prolegomena zur Kritik der reinen Vernunft ist nahezu alle Literatur, die sich auf das kritische Hauptwerk bezieht, auch fÏr die Prolegomena relevant. Eine aktuelle und sehr umfangreiche Bibliographie zur Kritik der reinen Vernunft stammt von Heiner F. Klemme; sie ist der Neuedition der Kritik der reinen Vernunft beigefÏgt (>Philosophische Bibliothek< Bd. 505, hg. v. J. Timmermann, Hamburg 1998, S. 881-915). Dort finden sich neben bibliographischen Daten zeitgenÎssischer Rezensionen und spÌterer Schriften, die sich mit Kants Kritik der reinenVernunft befassen, auch die Angaben zur Textgeschichte der Kritik der reinen Vernunft, Angaben zu ihrer Entstehung (Reflexionen, Vorarbeiten und NachtrÌge, Vorlesungsnachschriften sowie Briefe) und Angaben zu weiteren Hilfsmitteln der Kantforschung (Bibliographien, Reihen und Zeitschriften,Varia). Im folgenden sind daher neben den Textausgaben der Prolegomena, einer Vorarbeit und einschlÌgigen Briefen lediglich solche Titel der SekundÌrliteratur verzeichnet, die sich ausdrÏcklich mit den Prolegomena befassen.
A.Verzeichnis der wichtigsten bisherigen Ausgaben 1. Originalausgaben Prolegomena zu einer jeden kÏnftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten kÎnnen, von Immanuel Kant. Riga, bey Johann Friedrich Hartknoch. 1783. 222 Seiten, gr. 8 vo. Von dieser Originalausgabe sind verschiedene Drucke mit der gleichen Jahres- und Verlagsangabe erschienen. Sie werden in der Forschung fÏr rechtmÌÞige Nachdrucke desselben Verlags gehalten. 1 Vgl. dazu oben in der Einleitung des Herausgebers den Abschnitt Editorische Hinweise, S. LII f. 1
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Bibliographie
2. UnrechtmÌÞige Nachdrucke Prolegomena zu einer jeden kÏnftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten kÎnnen von Immanuel Kant. Frankfurt und Leipzig 1794. Prolegomena zu einer jeden kÏnftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten kÎnnen von Immanuel Kant. Neueste Auflage, GrÌtz 1795. Prolegomena zu einer jeden kÏnftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten kÎnnen von Immanuel Kant. Neueste Auflage, Frankfurt und Leipzig 1798.
3. Ausgaben im Namen eines Herausgebers Immanuel Kant's SÌmmtliche Werke. Bd. 3, hrsg. v. Karl Rosenkranz, Leipzig 1838. Immanuel Kant's Werke, sorgfÌltig revidirte Gesammtausgabe in zehn BÌnden. Hrsg. v. Gustav Hartenstein, Bd. 3, Immanuel Kant's kleinere metaphysische Schriften, Leipzig 1838. Immanuel Kant's sÌmmtliche Werke. In chronologischer Reihenfolge hrsg. v. G[ustav] Hartenstein, Bd. 4, Leipzig 1867. Immanuel Kant's sÌmmtliche Werke. Hrsg. und erl. v. J[ulius] H[ermann] Kirchmann. Bd. 3, Abt. 1, Berlin 1869. Immanuel Kants Prolegomena zu einer jeden kÏnftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten kÎnnen. Herausgegeben und historisch erklÌrt von Benno Erdmann, Leipzig 1878. Immanuel Kant. Prolegomena zu einer jeden kÏnftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten kÎnnen. Ph. Reclams Universalbibliothek, Nr. 2469/70, hrsg. v. Karl Schulz, Leipzig, ohne Jahr [das Vorwort des Herausgebers datiert vom Juli 1888]. Kant's gesammelte Schriften. Hrsg. von der KÎniglich PreuÞischen Akademie der Wissenschaften. Abt. 1: Werke, Bd. 4 (Herausgeber: Benno Erdmann), Berlin 1903 (21911). ^ UnverÌnderter photomechanischer Nachdruck: Kants Werke. Akademie-Textausgabe, Berlin 1968. Immanuel Kant's sÌmmtliche Werke. Hrsg. v. P. Gedan, W. Kinkel, J.H. von Kirchmann, F.M. Schiele, Th. Valentiner, K. VorlÌnder. Bd. 3, hrsg. v. K. VorlÌnder, Leipzig 1905.
Bibliographie
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Immanuel Kant's Werke. In Gemeinschaft mit Hermann Cohen, Artur Buchenau, Otto Buek, Albert GÎrland und B. Kellermann hrsg. v Ernst Cassirer. Bd. 4, hrsg. v. Artur Buchenau und Ernst Cassirer, Berlin 1913. Immanuel Kant. Werke in acht BÏchern. AusgewÌhlt und mit Einleitungen versehen v. Hugo Renner, Buch 4, Berlin 1921. Immanuel Kant's sÌmtliche Werke in sechs BÌnden. (GroÞherzog-Wilhelm-Ernst Ausgabe). Bd. 4, Kleinere philosophische Schriften, hrsg. v. Felix Gross, Leipzig 1921. Kants Werke in drei BÌnden. Mit Zugrundelegung der Ausgabe der PreuÞischen Akademie der Wissenschaften hrsg. und eingel. v. August Messer, Bd. 2, Berlin/Leipzig [um 1925]. Immanuel Kant. Werke in sechs BÌnden. Hrsg. v. Wilhelm Weischedel, Band 3: Schriften zur Metaphysik und Logik. Wiesbaden 1958 / Darmstadt 1959. (Die Ausgabe von 1959 wurde mehrfach ÏberprÏft; von Bd. 3 liegt der ý5., erneut ÏberprÏfte reprographische Nachdruckû aus dem Jahr 1983 vor. Diese Werkausgabe wurde 1968 auch als zehnbÌndige Taschenbuchausgabe, text- und seitenidentisch mit der sechsbÌndigen Ausgabe, herausgebracht; die Prolegomena finden sich in Bd. 5, 1983. Die Weischedel-Ausgabe erschien 1968 text- und seitenidentisch im Suhrkamp Verlag als zwÎlfbÌndige Theorie-Werkausgabe; getrennt folgte 1969 ein Register von Rolf-Peter Horstmann; 1977 wurde diese Ausgabe zusammen mit dem Register in die Reihe ýsuhrkamp taschenbuch wissenschaftû Ïbernommen. In dieser sind die Prolegomena in Bd. 6 abgedruckt.) Kant, Immanuel: Prolegomena zu einer jeden kÏnftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten kÎnnen / von Immanuel Kant. Nachdruck der Ausgabe Riga, Hartknoch, 1783. [Kant im Original; Bd. 9] Erlangen 1988. Immanuel Kant. Prolegomena zu einer jeden kÏnftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten kÎnnen. Textkritisch herausgegeben und mit Beilagen versehen von Rudolf Malter. Ph. Reclams Universalbibliothek, Nr. 2468[3] Stuttgart 1989. Immanuel Kant. Werke in sechs BÌnden. Hg. v. Rolf Toman, Bd. 3, Kritik der praktischen Vernunft und andere kritische Schriften, KÎln 1995.
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Bibliographie
Der Text der Prolegomena ist mehrfach (CD-ROM bzw. im Internet) in elektronischer Form erhÌltlich, wodurch Wortrecherchen wesentlich erleichtert werden.
B.Vorarbeiten Die einzige erhaltene Vorarbeit Kants zu den Prolegomena bezieht sich auf den ýAnhang von dem, was geschehen kann, um Metaphysik als Wissenschaft wirklich zu machen. Probe eines Urteils Ïber die Kritik, das vor der Untersuchung vorhergehtû. Es sind zwei Foliobogen, die sich im NachlaÞ von Kants Freund Johann George Scheffner in KÎnigsberg befanden. Diese Vorarbeit wurde von Arthur Warda erstverÎffentlicht (Lose BlÌtter Warda. In: Altpreussische Monatsschrift 37, 1900, S. 533 - 553). In Bd. XXIII, S. 51- 65, der Akademie-Ausgabe ist sie wiederabgedruckt.
C. Briefe von und an Kant Der Briefwechsel Kants findet sich in der zweiten Abteilung der Akademie-Ausgabe von ýKant's gesammelten Schriftenû (Bde. X-XIII; mit einem Personenregister und einem Register zu Kants Schriften in Bd. XIII und einem Nachtrag zum Briefwechsel in Bd. XXIII 491- 500). X 247 f.: an M. Herz ( Januar 1779); X 268 ff.: an M. Herz (nach dem 11. Mai 1781); X 271-273: an J.E. Biester (8. Juni 1781); X 279 f.: von J.F. Hartknoch (19. November 1781); X 309 -314: von F.V.L. Plessing (15. April 1783); X 328 -333: von Ch. Garve (13. Juli 1783); X 336 -343: an Ch. Garve (7. August 1783); X 344 347: an M. Mendelssohn (16. August 1783); X 347 f.: von J.J. Spalding (16. August 1783); X 350 -352: an J. Schultz (26. August 1783); X 352-354: von J. Schultz (28. August 1783); X 392-394: von Ch.G. SchÏtz (10. Juli 1784); X 400 f.: von J. Bering (5. MÌrz 1785); X 402 f.: von J.A.H. Ulrich (21. April 1785); X 411 von J.F. Hartknoch (8. Oktober 1785); X 446 - 449: von J.B. Erhard (12. Mai 1786); X 476 - 478: von J.J. Kausch (29[?]. Februar 1787); XI 466 f.: von J.D. Renne¨ (5. November 1793); XII 362-366: Îffentl. ErklÌrung von J.A. Schlettwein (11. Mai 1797).
Bibliographie
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Zu Kants Korrespondenz vergleiche auch die folgenden Publikationen: Immanuel Kant: Briefwechsel. Auswahl und Anmerkungen von Otto SchÎndÎrffer, bearbeitet von Rudolf Malter. Mit einer Einleitung von R. Malter und J. Kopper. (Leipzig 1924) Hamburg 1986. Rudolf Malter: Zu Kants Briefwechsel. Verzeichnis der seit Erscheinen des XXIII. Bandes der Akademie-Ausgabe bekannt gewordenen Briefe von und an Kant. In: Editio 2, 1988, 192204. Immanuel Kant in Rede und GesprÌch. Herausgegeben und eingeleitet von R. Malter. Hamburg 1990. Werner Stark: Nachforschungen zu Briefen und Handschriften Immanuel Kants. Berlin 1993. Daneben finden sich Hinweise auf die Entstehung der Prolegomena auch im Briefwechsel des Kant nahestehenden Johann Georg Hamann (Briefwechsel. Bde. I-VII. Hg. v. Walther Ziesemer und Arthur Henkel,Wiesbaden / Frankfurt a.M. 1955-1979): IV 315 -320: Hamann an J.G. Herder (5./12./13. August 1781); IV 321-325: Hamann an J.F. Hartknoch (11. August 1781); IV 331334: Hamann an J.F. Hartknoch (14. September 1781); IV 334 337: Hamann an J.G. Herder (15. September 1781); IV 341-344: Hamann an J.F. Hartknoch (23. Oktober 1781); IV 344 ff.: Hamann an J.F. Hartknoch (23 November 1781); IV 346 -352: Hamann an J.F. Hartknoch (8./9. Dezember 1781); IV 363 ff.: Hamann an J.F. Hartknoch (11. Januar 1782); IV 365 f.: Hamann an J.F. Hartknoch (8. Februar 1782); IV 372-377: Hamann an J.G. und C. Herder (20.-22. April 1782); IV 412- 415: Hamann an J.G. Herder (11./12. August 1782); IV 417- 419: Hamann an J.G. Herder (25. August 1782); IV 423 f.: Hamann an J.F. Reichardt (27. August 1782); IV 424 ff.: Hamann an J.F. Hartknoch (16. September 1782); IV 464 ff.: Hamann an J.F. Hartknoch (8. Dezember 1782); IV 471f.: Hamann an J.F. Hartknoch (27. Dezember 1782).
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Bibliographie
D. SekundÌrliteratur 1. ZeitgenÎssische Rezeption Die Namen der Rezensenten werden ^ soweit bekannt ^ in ekkigen Klammern [ ] angefÏgt. Altonaischer Gelehrter Mercurius, 31. StÏck, Altona, den 31 Julii 1783, 243-245. Altonaischer Gelehrter Mercurius, ýKan man sich in der Metaphysick auf gesunden Menschenverstand berufen? (Aus Kant's Prolegomenen.)û, 33. StÏck, Altona, den 14 August 1783, 257-258. Neueste Critische Nachrichten, FÏnf und DreiÞigstes StÏck. Greifswald den 30. August 1783, 280. Gothaische gelehrte Zeitungen, Sechs und achtzigstes StÏck, den fÏnf und zwanzigsten October, 1783, 705-710. Fortsetzung: Sieben und achtzigstes StÏck, den neun und zwanzigsten October, 1783, 715-718. Uebersicht der neuesten Philosophischen Litteratur von Johann Christian Lossius. Erstes StÏck. Gera 1784, 51-70. Allgemeine deutsche Bibliothek. Des neun und funfzigsten Bandes zweytes StÏck, Berlin und Stettin, verlegts Friedrich Nicolai, 1784, 322-356 [H.A. Pistorius]. Allgemeine Literatur-Zeitung, Jena, Nr. 162, Dienstags, den 12ten Julius 1785, 41a-44a; Nr. 164, Donnerstags, den 14ten Julius 1785, 53a-56b; Nr. 178, Freytags, den 29ten Julius 1785, 117a-118b; Nr. 179 (und Beylage) Sonnabends, den 30ten Julius 1785, 121a-128b [Ch.G. SchÏtz]. Russische Bibliothek, zur KenntniÞ des gegenwÌrtigen Zustandes der Literatur in RuÞland, herausgegeben von Hartwick Ludwig Christian Bacmeister. Des zehnten Bandes Erstes, Zweytes, Drittes StÏck, St. Petersburg, Riga und Lipsic 1786, 163-165. Philosophische Unterhaltungen. Hg. v. J.G. MÏller, Bd. I, Leipzig 1786, 122-133. StÎger, Bernhard: H. I. Kant's Prolegomena zu jeder kÏnftigen Metaphysic, die als Wissenschaft wird auftreten kÎnnen, in einem kurzen Auszuge, nebst SÌtzen aus der Logic, Metaphysic und Anthropologie, vorgelegt von B. StÎger und vertheidigt von C. Esslinger und ThaddÌus Gal. Salzburg 1794.
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Grillo, Fr[iedrich]: ýDruckfehlerverzeichnis in den Schriften des Herrn I. Kantû. In: Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes von einer Gesellschaft gelehrter MÌnner. Hg. v. Ludwig Heinrich Jakob, Erster Jahrgang, Halle/Leipzig 1795: 48. StÏck. Den 18. November 1795, 383 f.; 49. StÏck. Den 25. November 1795, 390 f. Kiesewetter, Johann Gottfried Karl Christian: GedrÌngter Auszug aus Kants Prolegomena zu einer jeden kÏnftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten kÎnnen. Berlin 1796.
2. Monographien und AufsÌtze Alexander, Peter: ýThe Presidential Address: Incongruent Counterparts And Absolute Spaceû. In: Proceedings of the Aristotelian Society 85, 1984-1985, 1-21. Anderson, Daniel E.: ýA Note on the Syntheticity of Mathematical Propositions in Kant's Prolegomenaû. In: Immanuel Kant's ýProlegomenaû in focus, hg. v. Beryl Logan, London 1996, 219-225. Apel, Max: Kommentar zu Kants Prolegomena. Eine EinfÏhrung in die Kritische Philosophie. Leipzig 21923. Arnoldt, Emil: ýVergleichung der Garve'schen und der Feder'schen Rezension Ïber die Kritik der reinen Vernunftû. In: Emil Arnoldt. Gesammelte Schriften. Hg. v. O. SchÎndÎrffer, Bd. IV, Berlin 1908, 7-76. ^: ýGarves erster Brief an Kant und Kants Antwortû. In: Emil Arnoldt. Gesammelte Schriften. Hg. v. O. SchÎndÎrffer, Bd. IV, Berlin 1908, 77-118. ^: ýKants Prolegomena nicht doppelt redigiert. Widerlegung der Benno Erdmannschen Hypotheseû. In: Emil Arnoldt. Gesammelte Schriften. Hg. v. O. SchÎndÎrffer, Bd. III, Berlin 1908, 3-101. BaumgÌrtner, JÎrg: ýAn Uncritical Sense of >Subjective< in the Critique of Pure Reason and in the Prolegomenaû. In: Akten des Siebenten Internationalen Kant-Kongresses, KurfÏrstliches SchloÞ zu Mainz, 1990, Band II/1, Hg. v. Gerhard Funke. Bonn 1991, 73-80. Beanblossom, Ronald E.: ýKant's Quarrel With Reid: The Role of Metaphysicsû. In: History of Philosophy Quarterly 5, 1988, 5362.
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Vorerinnerung
rung jedes anderen, auch empirischen Begriffs, der nicht in die Metaphysik gehÎrt (z. B. Luft ist eine elastische FlÏssigkeit, deren ElastizitÌt durch keinen bekannten Grad der KÌlte aufgehoben wird), so ist zwar der|Begriff, aber nicht das analytische Urteil eigentÏmlich metaphysisch; denn diese Wissenschaft hat etwas Besonderes und ihr EigentÏmliches in der Erzeugung ihrer Erkenntnisse a priori, die also von dem, was sie mit allen anderen Verstandeserkenntnissen gemein hat, muÞ unterschieden werden; so ist z. B. der Satz: Alles, was in den Dingen Substanz ist, ist beharrlich, ein synthetischer und eigentÏmlich metaphysischer Satz. Wenn man die Begriffe a priori, welche die Materie der Metaphysik und ihr Bauzeug ausmachen, zuvor nach gewissen Prinzipien gesammelt hat, so ist die Zergliederung dieser Begriffe von groÞem Werte; auch kann dieselbe als ein besonderer Teil (gleichsam als philosophia definitiva), der lauter analytische, zur Metaphysik gehÎrige SÌtze enthÌlt, von allen synthetischen SÌtzen, die die Metaphysik selbst ausmachen, abgesondert vorgetragen werden. Denn in der Tat haben jene Zergliederungen nirgend anders einen betrÌchtlichen Nutzen als in der Metaphysik, d. i. in Absicht auf die synthetischen SÌtze, die aus jenen zuerst zergliederten Begriffen sollen erzeugt werden. Der SchluÞ dieses Paragraphs ist also: daÞ Metaphysik es eigentlich mit synthetischen SÌtzen a priori zu tun habe, und diese allein ihren Zweck ausmachen, zu welchem sie zwar allerdings mancher Zergliederungen ihrer Begriffe, mithin analytischer Urteile bedarf, wobei aber das Verfahren nicht anders ist als in jeder anderen Erkenntnisart, wo man seine Begriffe durch Zergliederung | bloÞ deutlich zu machen sucht. Allein die E r z e u g u n g der Erkenntnis a priori, sowohl der Anschauung als Begriffen nach, endlich auch synthetischer SÌtze a priori und zwar in der philosophischen Erkenntnis, macht den wesentlichen Inhalt der Metaphysik aus. 34 macht ] Natorp/VorlÌnder; Original: machen
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½ 3. Anmerkung zur allgemeinen Einteilung der Urteile
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|½ 3 Anmerku ng zur al lgemei ne n Ei ntei lu ng der Urte ile i n a nalyti sche u nd sy nthetische 5
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Diese Einteilung ist in Ansehung der Kritik des menschlichen Verstandes unentbehrlich und verdient daher | in ihr k l a s s i s c h zu sein; sonst wÏÞte ich nicht, daÞ sie irgend anderwÌrts einen betrÌchtlichen Nutzen hÌtte. Und hierin finde ich auch die Ursache, weswegen dogmatische Philosophen, die die Quellen metaphysischer Urteile immer nur in der Metaphysik selbst, nicht aber auÞer ihr in den reinen Vernunftgesetzen Ïberhaupt suchten, diese Einteilung, die sich von selbst darzubieten scheint, vernachlÌssigten und, wie der berÏhmte Wo l f f oder der seinen FuÞstapfen folgende scharfsinnige B a u m g a r t e n , den Beweis von dem Satze des zureichenden Grundes, der offenbar synthetisch ist, im Satze des Widerspruchs suchen konnten. Dagegen treffe ich schon in L o c k e s Versuchen Ïber den menschlichen Verstand einen Wink zu dieser Einteilung an. Denn im 4. Buch, dem 3. HauptstÏck ½ 9 u. f., nachdem er schon vorher von der verschiedenen VerknÏpfung der Vorstellungen in Urteilen und deren Quellen geredet hatte, wovon er die eine in die IdentitÌt oder Widerspruch setzt (analytische Urteile), die andere aber in die Existenz der Vorstellungen in einem Subjekt (synthetische Urteile), so gesteht er ½ 10, daÞ unsere Erkenntnis (a priori) von der letzteren sehr enge und beinahe gar nichts sei. Allein es herrscht in dem, was er von dieser Art der Erkenntnis sagt, so wenig Bestimmtes und auf Regeln Gebrachtes, daÞ man sich nicht wundern darf, wenn niemand, sonderlich nicht einmal H u m e AnlaÞ daher genommen hat, Ïber SÌtze dieser Art Betrachtungen anzustellen. Denn dergleichen allgemeine und dennoch bestimmte Prinzipien | lernt man nicht leicht von ande23 Widerspruch ] Erdmann(1): den Widerspruch
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ren, denen sie nur dunkel obgeschwebt haben. Man muÞ durch eigenes Nachdenken zuvor selbst darauf gekommen sein, hernach findet man sie auch anderwÌrts, wo man sie gewiÞ nicht zuerst wÏrde angetroffen haben, weil die Verfasser selbst nicht einmal wuÞten, daÞ ihren eigenen Bemerkungen eine solche Idee zum Grunde liege. Die, so niemals selbst denken, besitzen dennoch die Scharfsichtigkeit, alles, nachdem es ihnen gezeigt worden, in demjenigen, was sonst schon gesagt worden, aufzuspÌhen, wo es doch vorher niemand sehen konnte.
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Der Prolegomenen al lgemei ne Frage : Ist Ïberall Metaphysik mÎglich? ½4
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WÌre Metaphysik, die sich als Wissenschaft behaupten kÎnnte, wirklich, kÎnnte man sagen: hier ist Metaphysik, die dÏrft ihr nur lernen, und sie wird euch unwiderstehlich und unverÌnderlich von ihrer Wahrheit Ïberzeugen; so wÌre diese Frage unnÎtig, und es bliebe nur diejenige Ïbrig, die mehr eine PrÏfung unserer Scharfsinnigkeit als den Beweis von der Existenz der Sache selbst betrÌfe, nÌmlich: w i e s i e m Î g l i c h s e i , und wie Vernunft es anfange, dazu zu gelangen. Nun ist es | der menschlichen Vernunft in diesem Falle so gut nicht geworden. Man kann kein einziges Buch aufzeigen, so wie man etwa einen E u k l i d vorzeigt, und sagen: das ist Metaphysik, hier findet ihr den vornehmsten Zweck dieser Wissenschaft, die Erkenntnis eines hÎchsten Wesens und einer kÏnftigen Welt, bewiesen aus Prinzipien der reinen Vernunft. Denn man kann uns zwar viele SÌtze aufzeigen, die apodiktisch gewiÞ sind und niemals bestritten worden; aber diese sind insgesamt analytisch und betreffen mehr die Materialien
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und das Bauzeug zur Metaphysik als die Erweiterung der Erkenntnis, die doch unsere eigentliche Absicht mit ihr sein soll. (½ 2, litt. c.) Ob ihr aber gleich auch synthetische SÌtze (z. B. den Satz des zureichenden Grundes) vorzeigt, die ihr niemals aus bloÞer Vernunft, mithin, wie doch eure Pflicht war, a priori bewiesen habt, die man euch aber doch gerne einrÌumt: so geratet ihr doch, wenn ihr euch derselben zu eurem Hauptzwecke bedienen wollt, in so unstatthafte und unsichere Behauptungen, daÞ zu aller Zeit eine Metaphysik der anderen entweder in Ansehung der Behauptungen selbst oder ihrer Beweise widersprochen und dadurch ihren Anspruch auf dauernden Beifall selbst vernichtet hat. Sogar sind die Versuche, eine solche Wissenschaft zustande zu bringen, ohne Zweifel die erste Ursache des so frÏh entstandenen Skeptizismus gewesen, einer Denkungsart, darin die Vernunft so gewalttÌtig gegen sich selbst verfÌhrt, daÞ diese niemals als in vÎlliger Verzweiflung an Befriedi|gung in Ansehung ihrer wichtigsten Absichten hÌtte entstehen kÎnnen. Denn lange vorher, ehe man die Natur methodisch zu befragen anfing, befrug man bloÞ seine abgesonderte Vernunft, die durch gemeine Erfahrung in gewissem MaÞe schon geÏbt war: weil Vernunft uns doch immer gegenwÌrtig ist, Naturgesetze aber gemeiniglich mÏhsam aufgesucht werden mÏssen; und so schwamm Metaphysik obenauf wie Schaum, doch so, daÞ, sowie der, den man geschÎpft hatte, zerging, sich sogleich ein anderer auf der OberflÌche zeigte, den immer einige begierig aufsammelten, wobei andere, anstatt in der Tiefe die Ursache dieser Erscheinung zu suchen, sich damit weise dÏnkten, daÞ sie die vergebliche MÏhe der ersteren belachten. 32 belachten.] Hier folgen im Original die fÏnf AbsÌtze, die in vorliegender Ausgabe hinter Absatz 4 von ½ 2c (S. 20,9 -21, 24) bzw. an den SchluÞ des ½ 2 (S. 23,12 -24,34) gestellt wurden. Vgl. dazu oben die Einleitung des Herausgebers S. LIII-LXI.
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½ 4. Erste allgemeine Frage
| ÛberdrÏssig also des Dogmatismus, der uns nichts lehrt, und zugleich des Skeptizismus, der uns gar Ïberall nichts verspricht, auch nicht einmal den Ruhestand einer erlaubten Unwissenheit; aufgefordert durch die Wichtigkeit der Erkenntnis, deren wir bedÏrfen, und miÞtrauisch durch lange Erfahrung in Ansehung jeder, die wir zu besitzen glauben, oder die sich uns unter dem Titel der reinen Vernunft anbietet, bleibt uns nur noch eine kritische Frage Ïbrig, nach deren Beantwortung wir unser kÏnftiges Betragen einrichten kÎnnen: I s t Ï b e r a l l M e t a p hy s i k m Î g l i c h ? Aber diese Frage muÞ nicht durch skeptische EinwÏrfe gegen gewisse Behauptungen einer wirklichen Metaphysik (denn wir lassen jetzt noch keine gelten), sondern aus dem nur noch p r o b l e m at i s c h e n Begriffe einer solchen Wissenschaft beantwortet werden. In der K r i t i k d e r r e i n e n Ve r n u n f t bin ich in Absicht auf diese Frage synthetisch zu Werke gegangen, nÌmlich so, daÞ ich in der reinen Vernunft selbst forschte und in dieser Quelle selbst die Elemente sowohl als auch die Gesetze ihres reinen Gebrauchs nach Prinzipien zu bestimmen suchte. Diese Arbeit ist schwer und erfordert einen entschlossenen Leser, sich nach und nach in ein System hinein|zudenken, was noch nichts als gegeben zum Grunde legt auÞer die Vernunft selbst und also, ohne sich auf irgendein Faktum zu stÏtzen, die Erkenntnis aus ihren ursprÏnglichen Keimen zu entwickeln sucht. P r o l e g o m e n a sollen dagegen VorÏbungen sein; sie sollen mehr anzeigen, was man zu tun habe, um eine Wissenschaft womÎglich zur Wirklichkeit zu bringen, als sie selbst vortragen. Sie mÏssen sich also auf etwas stÏtzen, was man schon als zuverlÌssig kennt, von da man mit Zutrauen ausgehen und zu den Quellen aufsteigen kann, die man noch nicht kennt, und deren Entdeckung uns nicht allein das, was man wuÞte, erklÌren, sondern zugleich einen Umfang vieler Erkennt17 synthetisch ] VorlÌnder: s y n t h e t i s c h
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nisse, die insgesamt aus den nÌmlichen Quellen entspringen, darstellen wird. Das methodische Verfahren der Prolegomenen, vornehmlich derer, die zu einer kÏnftigen Metaphysik vorbereiten sollen, wird also a n a l y t i s c h sein. Es trifft sich aber glÏcklicherweise, daÞ, ob wir gleich nicht annehmen kÎnnen, daÞ Metaphysik als Wissenschaft w i r k l i c h sei, wir doch mit Zuversicht sagen kÎnnen, daÞ gewisse reine synthetische Erkenntnis a priori wirklich und gegeben sei, nÌmlich r e i n e M a t h e m a t i k und r e i n e Nat u r w i s s e n s c h a f t ; denn beide enthalten SÌtze, die teils apodiktisch gewiÞ durch bloÞe Vernunft, teils durch die allgemeine Einstimmung aus der Erfahrung, und dennoch als von Erfahrung unabhÌngig durchgÌngig anerkannt werden. Wir haben also einige wenigstens u n b e s t r i t t e n e , | synthetische Erkenntnis a priori und dÏrfen nicht fragen, ob sie mÎglich sei (denn sie ist wirklich), sondern nur: w i e s i e m Î g l i c h s e i , um aus dem Prinzip der MÎglichkeit der gegebenen auch die MÎglichkeit aller Ïbrigen ableiten zu kÎnnen.
Prolegomena
Al lgemei ne Frage : Wie ist Erkenntnis aus reiner Vernunft mÎglich? ½5 25
Wir haben oben den mÌchtigen Unterschied der analytischen und synthetischen Urteile gesehen. Die MÎglichkeit analytischer SÌtze konnte sehr leicht begriffen werden; denn sie grÏndet sich lediglich auf den Satz des Widerspruchs. Die MÎglichkeit synthetischer SÌtze a po9 sei ] VorlÌnder; Original: seyn; Hartenstein, Erdmann(1): Erkenntnisse ... seien 14 - 15 einige wenigstens ] Erdmann(1): wenigstens einige
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½ 5. Zweite allgemeine Frage
steriori, d. i. solcher, welche aus der Erfahrung geschÎpft werden, bedarf auch keiner besonderen ErklÌrung; denn Erfahrung ist selbst nichts anderes als eine kontinuierliche ZusammenfÏgung (Synthesis) der Wahrnehmungen. Es bleiben uns also nur synthetische SÌtze a priori Ïbrig, deren MÎglichkeit gesucht oder untersucht werden muÞ, weil sie auf anderen Prinzipien als dem Satze des Widerspruchs beruhen muÞ. | Wir dÏrfen aber die M Î g l i c h k e i t solcher SÌtze hier nicht zuerst suchen, d. i. fragen, ob sie mÎglich seien. Denn es sind deren genug und zwar mit unstreitiger GewiÞheit wirklich gegeben, und da die Methode, die wir jetzt befolgen, analytisch sein soll, so werden wir davon anfangen, daÞ dergleichen synthetische, aber reine Vernunfterkenntnis wirklich sei; aber alsdann mÏssen wir den Grund dieser MÎglichkeit dennoch u n t e r s u c h e n und fragen, wie diese Erkenntnis mÎglich sei, damit wir aus den Prinzipien ihrer MÎglichkeit die Bedingungen ihres Gebrauchs, den Umfang und die Grenzen desselben zu bestimmen instand gesetzt werden. Die eigentliche, mit schulgerechter PrÌzision ausgedrÏckte Aufgabe, auf die alles ankommt, ist also: Wi e s i n d s y n t h e t i s c h e S Ì t z e a pr i or i m Î g l i c h ? Ich habe sie oben der PopularitÌt zu Gefallen etwas anders, nÌmlich als eine Frage nach der Erkenntnis aus reiner Vernunft, ausgedrÏckt, welches ich dieses Mal ohne Nachteil der gesuchten Einsicht wohl tun konnte, weil, da es hier doch lediglich um die Metaphysik und deren Quellen zu tun ist, man nach den vorher gemachten Erinnerungen sich, wie ich hoffe, jederzeit erinnern wird, daÞ, wenn wir hier von Erkenntnis aus reiner Vernunft reden, niemals von der analytischen, sondern lediglich der synthetischen die Rede sei. 1
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Es ist unmÎglich zu verhÏten, daÞ, wenn die Erkenntnis nach und nach weiter fortrÏckt, nicht gewisse schon klassisch gewordene 35 42 Aus|drÏcke, die noch von dem Kindheitsalter der Wissenschaft her 1
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| Auf die AuflÎsung dieser Aufgabe nun kommt das Stehen oder Fallen der Metaphysik und also ihre Existenz gÌnzlich an. Es mag jemand seine Behauptungen in derselben mit noch so groÞem Schein vortragen, SchlÏsse auf SchlÏsse bis zum ErdrÏcken aufhÌufen; wenn er nicht vorher jene Frage hat genugtuend beantworten kÎnnen, so habe ich recht zu sagen: es ist alles eitele, grundlose Philosophie und falsche Weisheit. Du sprichst durch reine Vernunft und maÞest dir an, a priori Erkenntnisse gleichsam zu erschaffen, indem du nicht bloÞ gegebene Begriffe zergliederst, sondern neue VerknÏpfungen vorgibst, die nicht auf dem Satze des Widerspruchs beruhen, und die du doch so ganz unabhÌngig von aller Erfahrung einzusehen vermeinst; wie kommst du nun hierzu, und wie willst du dich wegen solcher AnmaÞungen rechtfertigen? | Dich auf Beistimmung der allgemeinen Menschenvernunft zu berufen, kann dir nicht gestattet werden; denn das ist ein Zeuge, dessen Ansehen nur auf dem Îffentlichen GerÏchte beruht. Quodcunque ostendis mihi sic, incredulus odi. H o r at .
sind, in der Folge sollten unzureichend und Ïbel anpassend gefunden werden, und ein gewisser neuer und mehr angemessener Gebrauch mit dem alten in einige Gefahr der Verwechslung geraten sollte. Ana25 lytische Methode, sofern sie der synthetischen entgegengesetzt ist, ist ganz was anderes als ein Inbegriff analytischer SÌtze; sie bedeutet nur, daÞ man von dem, was gesucht wird, als ob es gegeben sei, ausgeht und zu den Bedingungen aufsteigt, unter denen es allein mÎglich. In dieser Lehrart bedient man sich Îfters lauter synthetischer 30 SÌtze, wie die mathematische Analysis davon ein Beispiel gibt, und sie kÎnnte besser die r e g r e s s ive L e h r a r t zum Unterschiede von der synthetischen oder p r o g r e s s i ve n heiÞen. Noch kommt der Name Analytik auch als ein Hauptteil der Logik vor, und da ist es die Logik der Wahrheit und wird der Dialektik entgegengesetzt, 35 ohne eigentlich darauf zu sehen, ob die zu jener gehÎrigen Erkenntnisse analytisch oder synthetisch seien.
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½ 5. Zweite allgemeine Frage
So unentbehrlich aber die Beantwortung dieser Frage ist, so schwer ist sie doch zugleich; und obzwar die vornehmste Ursache, weswegen man sie nicht schon lÌngst zu beantworten gesucht hat, darin liegt, daÞ man sich nicht einmal hat einfallen lassen, daÞ so etwas gefragt werden kÎnne, so ist doch eine zweite Ursache diese, daÞ eine genugtuende Beantwortung dieser einen Frage ein weit anhaltenderes, tieferes und mÏhsameres Nachdenken erfordert als jemals das weitlÌufigste Werk der Metaphysik, das bei der ersten Erscheinung seinem Verfasser Unsterblichkeit versprach. Auch muÞ ein jeder einsehende Leser, wenn er diese Aufgabe nach ihrer Forderung sorgfÌltig Ïberdenkt, anfangs, durch ihre Schwierigkeit erschreckt, sie fÏr unauflÎslich und, gÌbe es nicht wirklich dergleichen reine synthetische Erkenntnisse a priori, sie ganz und gar fÏr unmÎglich halten; welches dem D av i d H u m e wirklich begegnete, ob er sich zwar die Frage bei weitem nicht in solcher Allgemeinheit vorstellte, als es hier geschieht und geschehen muÞ, wenn die Beantwortung fÏr die ganze Metaphysik entscheidend werden soll. Denn wie ist es mÎglich, sagte der scharfsinni|ge Mann, daÞ, wenn mir ein Begriff gegeben ist, ich Ïber denselben hinausgehen und einen anderen damit verknÏpfen kann, der in jenem gar nicht enthalten ist, und zwar so, als wenn dieser n o t w e n d i g zu jenem gehÎre? Nur Erfahrung kann uns solche VerknÏpfungen an die Hand geben (so schloÞ er aus jener Schwierigkeit, die er fÏr UnmÎglichkeit hielt), und alle jene vermeintliche Notwendigkeit oder, welches einerlei ist, dafÏr gehaltene Erkenntnis a priori ist nichts als eine lange Gewohnheit, etwas wahr zu finden und daher die subjektive Notwendigkeit fÏr objektiv zu halten. Wenn der Leser sich Ïber Beschwerde und MÏhe beklagt, die ich ihm durch die AuflÎsung dieser Aufgabe 21 sagte] Erdmann(2): sagt
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machen werde, so darf er nur denVersuch anstellen, sie auf leichtere Art selbst aufzulÎsen. Vielleicht wird er sich alsdann demjenigen verbunden halten, der eine Arbeit von so tiefer Nachforschung fÏr ihn Ïbernommen hat, und wohl eher Ïber die Leichtigkeit, die nach Beschaffenheit der Sache der AuflÎsung noch hat gegeben werden kÎnnen, einige Verwunderung merken lassen; auch hat es Jahre lang BemÏhung gekostet, um diese Aufgabe in ihrer ganzen Allgemeinheit (in dem Verstande, wie die Mathematiker dieses Wort nehmen, nÌmlich hinreichend fÏr alle FÌlle) aufzulÎsen und sie auch endlich in analytischer Gestalt, wie der Leser sie hier antreffen wird, darstellen zu kÎnnen. Alle Metaphysiker sind demnach von ihren GeschÌften feierlich und gesetzmÌÞig solange suspendiert, bis sie die | Frage: Wi e s i n d s y n t h e t i s c h e E r k e n n t n i s s e a pr i or i m Î g l i c h ? genugtuend werden beantwortet haben. Denn in dieser Beantwortung allein besteht das Kreditiv, welches sie vorzeigen muÞten, wenn sie im Namen der reinen Vernunft etwas bei uns anzubringen haben; in Ermangelung desselben aber kÎnnen sie nichts anderes erwarten, als von VernÏnftigen, die so oft schon hintergangen worden, ohne alle weitere Untersuchung ihres Anbringens abgewiesen zu werden. Wollten sie dagegen ihr GeschÌft nicht als Wi s s e n s c h a f t , sondern als eine Ku n s t heilsamer und dem allgemeinen Menschenverstande anpassender Ûberredungen treiben, so kann ihnen dieses Gewerbe nach Billigkeit nicht verwehrt werden. Sie werden alsdann die bescheidene Sprache eines vernÏnftigen Glaubens fÏhren, sie werden gestehen, daÞ es ihnen nicht erlaubt sei, Ïber das, was jenseit der Grenzen aller mÎglichen Erfahrung hinausliegt, auch nur einmal zu m u t m a Þ e n , geschweige et8 lang ] VorlÌnder: lange 19 muÞten] Erdmann(1): mÏssen; Erdmann(2): mÏÞten 25 Wollten ] Erdmann(1): Wollen
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was zu w i s s e n , sondern nur etwas (nicht zum spekulativen Gebrauche, denn auf den mÏssen sie Verzicht tun, sondern lediglich zum praktischen) a n z u n e h m e n , was zur Leitung des Verstandes und Willens im Leben mÎglich und sogar unentbehrlich ist. So allein werden sie den Namen nÏtzlicher und weiser MÌnner fÏhren kÎnnen, um desto mehr, je mehr sie auf den der Metaphysiker Verzicht tun; denn diese wollen spekulative Philosophen sein, und da, wenn es um Urteile a priori zu tun ist, man es auf schale | Wahrscheinlichkeiten nicht aussetzen kann (denn was dem Vorgeben nach a priori erkannt wird, wird ebendadurch als notwendig angekÏndigt), so kann es ihnen nicht erlaubt sein, mit MutmaÞungen zu spielen, sondern ihre Behauptung muÞ Wissenschaft sein, oder sie ist Ïberall gar nichts. Man kann sagen, daÞ die ganze Transzendentalphilosophie, die vor aller Metaphysik notwendig vorhergeht, selbst nichts anderes als bloÞ die vollstÌndige AuflÎsung der hier vorgelegten Frage sei, nur in systematischer Ordnung und AusfÏhrlichkeit, und man habe also bis jetzt keine Transzendentalphilosophie. Denn was den Namen davon fÏhrt, ist eigentlich ein Teil der Metaphysik; jene Wissenschaft soll aber die MÎglichkeit der letzteren zuerst ausmachen und muÞ also vor aller Metaphysik vorhergehen. Man darf sich also auch nicht wundern, da eine ganze und zwar aller Beihilfe aus anderen beraubte, mithin an sich ganz neue Wissenschaft nÎtig ist, um nur eine einzige Frage hinreichend zu beantworten, wenn die AuflÎsung derselben mit MÏhe und Schwierigkeit, ja sogar mit einiger Dunkelheit verbunden ist. Indem wir jetzt zu dieser AuflÎsung schreiten und zwar nach analytischer Methode, in welcher wir voraussetzen, daÞ solche Erkenntnisse aus reiner Vernunft wirklich sind, 25 da ] Erdmann(2): daÞ 33 sind ] Erdmann; Hartenstein: seien; Original: seyn
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so kÎnnen wir uns nur auf zwei Wi s s e n s c h a f t e n der theoretischen Erkenntnis (als von der allein hier die Rede ist) berufen, nÌmlich r e i n e M a t h e m a t i k und r e i n e | Na t u r w i s s e n s c h a f t ; denn nur diese kÎnnen uns die GegenstÌnde in der Anschauung darstellen, mithin, wenn etwa in ihnen eine Erkenntnis a priori vorkÌme, die Wahrheit oder Ûbereinstimmung derselben mit dem Objekte in concreto, d. i. i h r e Wi r k l i c h k e i t zeigen, von der alsdann zu dem Grunde ihrer MÎglichkeit auf dem analytischen Wege fortgegangen werden kÎnnte. Dies erleichtert das GeschÌfte sehr, in welchem die allgemeinen Betrachtungen nicht allein auf Fakta angewandt werden, sondern sogar von ihnen ausgehen, anstatt daÞ sie in synthetischem Verfahren gÌnzlich in abstracto aus Begriffen abgeleitet werden mÏssen. Um aber von diesen wirklichen und zugleich gegrÏndeten reinen Erkenntnissen a priori zu einer mÎglichen, die wir suchen, nÌmlich einer Metaphysik als Wissenschaft, aufzusteigen, haben wir nÎtig, das, was sie veranlaÞt und als bloÞ natÏrlich gegebene, obgleich wegen ihrer Wahrheit nicht unverdÌchtige Erkenntnis a priori jener zum Grunde liegt, deren Bearbeitung ohne alle kritische Untersuchung ihrer MÎglichkeit gewÎhnlichermaÞen schon Metaphysik genannt wird, mit einem Worte die Naturanlage zu einer solchen Wissenschaft, unter unserer Hauptfrage mit zu begreifen, und so wird die transzendentale Hauptfrage in vier andere Fragen zerteilt nach und nach beantwortet werden:| 1. Wi e i s t r e i n e M a t h e m a t i k m Î g l i c h ? 2. Wi e i s t r e i n e Nat u r w i s s e n s c h a f t m Î g l i c h ? 3. Wi e i s t M e t ap hy s i k Ï b e r h a u p t m Î g l i c h ? 4. Wi e i s t M e t a p hy s i k a l s Wi s s e n s c h a f t mÎgl ich ? Man sieht, daÞ, wenngleich die AuflÎsung dieser Aufgaben hauptsÌchlich den wesentlichen Inhalt der Kritik darstellen soll, sie dennoch auch etwas EigentÏmliches
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habe, welches auch fÏr sich allein der Aufmerksamkeit wÏrdig ist, nÌmlich zu gegebenen Wissenschaften die Quellen in der Vernunft selbst zu suchen, um dadurch dieser ihr VermÎgen, etwas a priori zu erkennen, vermittelst der Tat selbst zu erforschen und auszumessen; wodurch denn diese Wissenschaften selbst, wenngleich nicht in Ansehung ihres Inhalts, doch, was ihren richtigen Gebrauch betrifft, gewinnen und, indem sie einer hÎheren Frage wegen ihres gemeinschaftlichen Ursprungs Licht verschaffen, zugleich AnlaÞ geben, ihre eigene Natur besser aufzuklÌren.
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Der transzendentalen Hauptfrage erster Teil Wie ist reine Mathematik mÎglich?
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Hier ist nun eine groÞe und bewÌhrte Erkenntnis, die schon jetzt von bewundernswÏrdigem Umfange ist | und unbegrenzte Ausbreitung auf die Zukunft verspricht, die durch und durch apodiktische GewiÞheit, d. i. absolute Notwendigkeit bei sich fÏhrt, also auf keinen ErfahrungsgrÏnden beruht, mithin ein reines Produkt der Vernunft, Ïberdem aber durch und durch synthetisch ist. ýWie ist es nun der menschlichen Vernunft mÎglich, eine solche Erkenntnis gÌnzlich a priori zustande zu bringen?û Setzt dieses VermÎgen, da es sich nicht auf Erfahrungen fuÞt noch fuÞen kann, nicht irgendeinen Erkenntnisgrund a priori voraus, der tief verborgen liegt, der sich aber durch diese seine Wirkungen offenbaren dÏrfte, wenn man den ersten AnfÌngen derselben nur fleiÞig nachspÏrte?
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Wir finden aber, daÞ alle mathematische Erkenntnis dieses EigentÏmliche habe, daÞ sie ihren Begriff vorher i n d e r A n s c h a u u n g und zwar a priori, mithin einer solchen, die nicht empirisch, sondern reine Anschauung ist, darstellen mÏsse, ohne welches Mittel sie nicht einen einzigen Schritt tun kann; daher ihre Urteile jederzeit i n t u i t i v sind, anstatt daÞ Philosophie sich mit d i s k u r s iv e n Urteilen a u s b l o Þ e n B e g r i f f e n begnÏgen und ihre apodiktischen Lehren wohl durch Anschauung erlÌutern, 19 Wir finden aber,] Kullmann: Wir fanden oben [gemeint ist ½ 2] 26 begnÏgen ] Erdmann: begnÏgen muÞ
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niemals aber daher ableiten kann. Diese Beobachtung in Ansehung der Natur der Mathematik gibt uns nun schon eine Leitung auf die erste und oberste Bedingung ihrer MÎglichkeit; nÌmlich, es muÞ ihr i r g e n d e i n e r e i n e A n s c h a u u n g zum | Grunde liegen, in welcher sie alle ihre Begriffe in concreto und dennoch a priori darstellen oder, wie man es nennt, sie ko n s t r u i e r e n kann. 1 KÎnnen wir diese reine Anschauung und die MÎglichkeit einer solchen ausfinden, so erklÌrt sich daraus leicht, wie synthetische SÌtze a priori in der reinen Mathematik und mithin auch, wie diese Wissenschaft selbst mÎglich sei; denn sowie die empirische Anschauung es ohne Schwierigkeit mÎglich macht, daÞ wir unseren Begriff, den wir uns von einem Objekt der Anschauung machen, durch neue PrÌdikate, die die Anschauung selbst darbietet, in der Erfahrung synthetisch erweitern, so wird es auch die reine Anschauung tun, nur mit dem Unterschiede: daÞ im letzteren Falle das synthetische Urteil a priori gewiÞ und apodiktisch, im ersteren aber nur a posteriori und empirisch gewiÞ sein wird, weil diese nur das enthÌlt, was in der zufÌlligen empirischen Anschauung angetroffen wird, jene aber, was in der reinen notwendig angetroffen werden muÞ, indem sie, als Anschauung a priori, mit dem Begriffe vo r a l l e r E r f a h r u n g oder einzelnen Wahrnehmung unzertrennlich verbunden ist.
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Allein die Schwierigkeit scheint bei diesem Schritte eher zu wachsen als abzunehmen. Denn nunmehr lautet die Frage: w i e i s t e s m Î g l i c h , e t wa s a pr i or i a n z u s c h a u e n ? Anschauung ist eine Vorstellung, sowie sie | unmittelbar von der Gegenwart des Gegenstandes abhÌngen wÏrde. Daher scheint es unmÎglich, a priori u r 1
Siehe Kritik S. 713.
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s p r Ï n g l i c h anzuschauen, weil die Anschauung alsdann ohne einen weder vorher noch jetzt gegenwÌrtigen Gegenstand, worauf sie sich bezÎge, stattfinden mÏÞte und also nicht Anschauung sein kÎnnte. Begriffe sind zwar von der Art, daÞ wir uns einige derselben, nÌmlich die, so nur das Denken eines Gegenstandes Ïberhaupt enthalten, ganz wohl a priori machen kÎnnen, ohne daÞ wir uns in einem unmittelbaren VerhÌltnisse zum Gegenstande befÌnden, z. B. den Begriff von GrÎÞe, von Ursache etc.; aber selbst diese bedÏrfen doch, um ihnen Bedeutung und Sinn zu verschaffen, einen gewissen Gebrauch in concreto, d. i. Anwendung auf irgendeine Anschauung, dadurch uns ein Gegenstand derselben gegeben wird. Allein wie kann A n s c h a u u n g des Gegenstandes vor dem Gegenstande selbst vorhergehen?
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MÏÞte unsere Anschauung von der Art sein, daÞ sie Dinge vorstellte, s o w i e s i e a n s i c h s e l b s t s i n d , so wÏrde gar keine Anschauung a priori stattfinden, sondern sie wÌre allemal empirisch. Denn was in dem Gegenstande an sich selbst enthalten sei, kann ich nur wissen, wenn er mir gegenwÌrtig und gegeben ist. Freilich ist es auch alsdann unbegreiflich, wie die Anschauung einer gegenwÌrtigen Sache mir diese sollte zu erkennen geben, wie sie an sich ist, | da ihre Eigenschaften nicht in meine Vorstellungskraft hinÏberwandern kÎnnen; allein die MÎglichkeit davon eingerÌumt, so wÏrde doch dergleichen Anschauung nicht a priori stattfinden, d. i. ehe mir noch der Gegenstand vorgestellt wÏrde; denn ohne das kann kein Grund der Beziehung meiner Vorstellung auf ihn erdacht werden, sie mÏÞte denn auf Eingebung beruhen. Es ist also nur auf eine einzige Art mÎglich, daÞ meine Anschauung vor der Wirklichkeit des Gegenstandes vorhergehe und als Erkenntnis a priori stattfinde, we n n s i e
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nÌml ich nichts anderes e nthÌlt als die Form d e r S i n n l i c h k e i t , d i e i n m e i n e m S u b j e k t vo r a l l e n w i r k l i c h e n E i n d r Ï c k e n vo r h e r g e h t , d a d u r c h i c h vo n G e g e n s t Ì n d e n a f f i z i e r t w e r d e . Denn daÞ GegenstÌnde der Sinne dieser Form der Sinnlichkeit gemÌÞ allein angeschaut werden kÎnnen, kann ich a priori wissen. Hieraus folgt: daÞ SÌtze, die bloÞ diese Form der sinnlichen Anschauung betreffen, von GegenstÌnden der Sinne mÎglich und gÏltig sein werden; imgleichen umgekehrt, daÞ Anschauungen, die a priori mÎglich sind, niemals andere Dinge als GegenstÌnde unserer Sinne betreffen kÎnnen. [283]
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½ 10 Also ist es nur die Form der sinnlichen Anschauung, dadurch wir a priori Dinge anschauen kÎnnen, wodurch wir aber auch die Objekte nur erkennen, wie sie uns (unseren Sinnen) e r s c h e i n e n kÎnnen, nicht, wie sie an sich sein mÎ|gen; und diese Voraussetzung ist schlechterdings notwendig, wenn synthetische SÌtze a priori als mÎglich eingerÌumt oder, im Falle sie wirklich angetroffen werden, ihre MÎglichkeit begriffen und zum voraus bestimmt werden soll. Nun sind Raum und Zeit diejenigen Anschauungen, welche die reine Mathematik allen ihren Erkenntnissen und Urteilen, die zugleich als apodiktisch und notwendig auftreten, zum Grunde legt; denn Mathematik muÞ alle ihre Begriffe zuerst in der Anschauung und reine Mathematik in der reinen Anschauung darstellen, d. i. sie konstruieren, ohne welche (weil sie nicht analytisch, nÌmlich durch Zergliederung der Begriffe, sondern synthetisch verfahren kann) es ihr unmÎglich ist, einen Schritt zu 30 synthetisch ] Erdmann(2): nur synthetisch
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tun, solange ihr nÌmlich reine Anschauung fehlt, in der allein der Stoff zu synthetischen Urteilen a priori gegeben werden kann. Geometrie legt die reine Anschauung des Raums zum Grunde. Arithmetik bringt selbst ihre Zahlbegriffe durch sukzessive Hinzusetzung der Einheiten in der Zeit zustande, vornehmlich aber reine Mechanik kann ihre Begriffe von Bewegung nur vermittelst der Vorstellung der Zeit zustande bringen. Beide Vorstellungen aber sind bloÞ Anschauungen; denn, wenn man von den empirischen Anschauungen der KÎrper und ihrer VerÌnderungen (Bewegung) alles Empirische, nÌmlich was zur Empfindung gehÎrt, weglÌÞt, so bleiben noch Raum und Zeit Ïbrig, welche also reine Anschauungen sind, die jenen a priori zum Grunde liegen und da|her selbst niemals weggelassen werden kÎnnen, aber ebendadurch, daÞ sie reine Anschauungen a priori sind, beweisen, daÞ sie bloÞe Formen unserer Sinnlichkeit sind, die vor aller empirischen Anschauung, d. i. der Wahrnehmung wirklicher GegenstÌnde vorhergehen mÏssen, und denen gemÌÞ GegenstÌnde a priori erkannt werden kÎnnen, aber freilich nur, wie sie uns erscheinen.
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Die Aufgabe des gegenwÌrtigen Abschnitts ist also aufgelÎst. Reine Mathematik ist als synthetische Erkenntnis a priori nur dadurch mÎglich, daÞ sie auf keine anderen als bloÞe GegenstÌnde der Sinne geht, deren empirischer Anschauung eine reine Anschauung (des Raums und der Zeit) und zwar a priori zum Grunde liegt und darum zum Grunde liegen kann, weil diese nichts anderes als die bloÞe Form der Sinnlichkeit ist, welche vor der wirklichen Erscheinung der GegenstÌnde vorhergeht, indem sie die9 bloÞ] VorlÌnder: bloÞe
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selbe in der Tat allererst mÎglich macht. Doch betrifft dieses VermÎgen, a priori anzuschauen, nicht die Materie der Erscheinung, d. i. das, was in ihr Empfindung ist, denn diese macht das Empirische aus, sondern nur die Form derselben, Raum und Zeit.Wollte man im mindesten daran zweifeln, daÞ beide gar keine den Dingen an sich selbst, sondern nur bloÞe ihrem VerhÌltnisse zur Sinnlichkeit anhÌngende Bestimmungen sind, so mÎchte ich gerne wissen, wie man es mÎglich finden kann, a priori und also |vor aller Bekanntschaft mit den Dingen, ehe sie nÌmlich uns gegeben sind, zu wissen, wie ihre Anschauung beschaffen sein mÏsse, welches doch hier der Fall mit Raum und Zeit ist. Dieses ist aber ganz begreiflich, sobald beide fÏr nichts weiter als formale Bedingungen unserer Sinnlichkeit, die GegenstÌnde aber bloÞ fÏr Erscheinungen gelten; denn alsdann kann die Form der Erscheinung, d. i. die reine Anschauung, allerdings aus uns selbst, d. i. a priori vorgestellt werden.
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½ 12 Um etwas zur ErlÌuterung und BestÌtigung beizufÏgen, darf man nur das gewÎhnliche und unumgÌnglich notwendige Verfahren der Geometer ansehen. Alle Beweise von durchgÌngiger Gleichheit zweier gegebenen Figuren (da eine in allen StÏcken an die Stelle der anderen gesetzt werden kann) laufen zuletzt darauf hinaus, daÞ sie einander decken; welches offenbar nichts anderes als ein auf der unmittelbaren Anschauung beruhender synthetischer Satz ist; und diese Anschauung muÞ rein und a priori gegeben werden, denn sonst kÎnnte jener Satz nicht fÏr apodiktisch gewiÞ gelten, sondern hÌtte nur empirische GewiÞheit. Es wÏrde nur heiÞen: man bemerkt es jederzeit 8 sind] Erdmann; Hartenstein: seien; Original: seyn 15 aber ] Erdmann(2): also
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so, und er gilt nur so weit, als unsere Wahrnehmung bis dahin sich erstreckt hat. DaÞ der vollstÌndige Raum (der selbst keine Grenze eines anderen Raumes mehr ist) drei Abmessungen habe, und Raum Ïberhaupt auch nicht mehr | derselben haben kÎnne, wird auf den Satz gebaut, daÞ sich in einem Punkte nicht mehr als drei Linien rechtwinklig schneiden kÎnnen; dieser Satz aber kann gar nicht aus Begriffen dargetan werden, sondern beruht unmittelbar auf Anschauung und zwar reiner a priori, weil er apodiktisch gewiÞ ist; daÞ man verlangen kann, eine Linie solle ins Unendliche gezogen (in indefinitum), oder eine Reihe VerÌnderungen (z. B. durch Bewegung zurÏckgelegte RÌume) solle ins Unendliche fortgesetzt werden, setzt doch eine Vorstellung des Raumes und der Zeit voraus, die bloÞ an der Anschauung hÌngen kann, nÌmlich sofern sie an sich durch nichts begrenzt ist; denn aus Begriffen kÎnnte sie nie geschlossen werden. Also liegen doch wirklich der Mathematik reine Anschauungen a priori zum Grunde, welche ihre synthetischen und apodiktisch geltenden SÌtze mÎglich machen; und daher erklÌrt unsere transzendentale Deduktion der Begriffe von Raum und Zeit zugleich die MÎglichkeit einer reinen Mathematik, die ohne eine solche Deduktion, und ohne daÞ wir annehmen: ýalles was unseren Sinnen gegeben werden mag (den ÌuÞeren im Raume, dem inneren in der Zeit), werde von uns nur angeschaut, wie es uns erscheint, nicht, wie es an sich selbst istû zwar eingerÌumt, aber keineswegs eingesehen werden kÎnnte.
21 von ] Erdmann(2); Original: im
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Diejenigen, welche noch nicht von dem Begriffe loskommen kÎnnen, als ob Raum und Zeit wirkliche Beschaf|fenheiten wÌren, die den Dingen an sich selbst anhingen, kÎnnen ihre Scharfsinnigkeit an folgendem Paradoxon Ïben und, wenn sie dessen AuflÎsung vergebens versucht haben, wenigstens auf einige Augenblicke vonVorurteilen frei, vermuten, daÞ doch vielleicht die AbwÏrdigung des Raumes und der Zeit zu bloÞen Formen unserer sinnlichen Anschauung Grund haben mÎge. Wenn zwei Dinge in allen StÏcken, die an jedem fÏr sich nur immer kÎnnen erkannt werden (in allen zur GrÎÞe und QualitÌt gehÎrigen Bestimmungen) vÎllig einerlei sind, so muÞ doch folgen, daÞ eins in allen FÌllen und Beziehungen an die Stelle des anderen kÎnne gesetzt werden, ohne daÞ diese Vertauschung den mindesten kenntlichen Unterschied verursachen wÏrde. In der Tat verhÌlt sich dies auch so mit ebenen Figuren in der Geometrie; allein verschiedene sphÌrische zeigen, ohnerachtet jener vÎlligen inneren Ûbereinstimmung, doch eine solche Verschiedenheit im ÌuÞeren VerhÌltnis, daÞ sich eine an die Stelle der anderen gar nicht setzen lÌÞt; z. B. zwei sphÌrische Triangel von beiden HemisphÌren, die einen Bogen des Øquators zur gemeinschaftlichen Basis haben, kÎnnen vÎllig gleich sein, in Ansehung der Seiten sowohl als Winkel, so daÞ an keinem, wenn er allein und zugleich vollstÌndig beschrieben wird, nichts angetroffen wird, was nicht zugleich in der Beschreibung des anderen lÌge, und dennoch kann einer nicht an die Stelle des anderen (nÌmlich auf der entgegengesetzten HemisphÌre) gesetzt werden; und hier ist denn doch eine i n n e|r e Verschiedenheit beider Triangel, die kein Verstand als inner20 - 21 solche Verschiedenheit im ] Erdmann; Original: solche im 27 nichts ] Erdmann(1): etwas
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lich angeben kann, und die sich nur durch das ÌuÞere VerhÌltnis im Raume offenbart. Allein ich will gewÎhnlichere FÌlle anfÏhren, die aus dem gemeinen Leben genommen werden kÎnnen. Was kann wohl meiner Hand oder meinem Ohr Ìhnlicher und in allen StÏcken gleicher sein als ihr Bild im Spiegel? Und dennoch kann ich eine solche Hand, als im Spiegel gesehen wird, nicht an die Stelle ihres Urbildes setzen; denn wenn dieses eine rechte Hand war, so ist jene im Spiegel eine linke, und das Bild des rechten Ohres ist ein linkes, das nimmermehr die Stelle des ersteren vertreten kann. Nun sind hier keine inneren Unterschiede, die irgendein Verstand nur denken kÎnnte; und dennoch sind die Unterschiede innerlich, soweit die Sinne lehren, denn die linke Hand kann mit der rechten, ohnerachtet aller beiderseitigen Gleichheit und Øhnlichkeit, doch nicht zwischen denselben Grenzen eingeschlossen sein (sie kÎnnen nicht kongruieren); der Handschuh der einen Hand kann nicht auf der anderen gebraucht werden.Was ist nun die AuflÎsung? Diese GegenstÌnde sind nicht etwa Vorstellungen der Dinge, wie sie an sich selbst sind und wie sie der pure Verstand erkennen wÏrde, sondern es sind sinnliche Anschauungen, d. i. Erscheinungen, deren MÎglichkeit auf demVerhÌltnisse gewisser an sich unbekannter Dinge zu etwas anderem, nÌmlich unserer Sinnlichkeit, beruht.Von dieser ist nun der Raum die Form der ÌuÞeren Anschauung, und | die innere Bestimmung eines jeden Raumes ist nur durch die Bestimmung des ÌuÞeren VerhÌltnisses zu dem ganzen Raume, davon jener ein Teil ist (dem VerhÌltnisse zum ÌuÞeren Sinne), d. i. der Teil ist nur durchs Ganze mÎglich, welches bei Dingen an sich selbst als GegenstÌnden des bloÞen Verstandes niemals, wohl aber bei bloÞen Erscheinungen stattfindet. Wir kÎnnen daher auch den Unterschied Ìhnlicher und gleicher, aber doch inkongruenter Dinge (z. B. widersinnig gewundener Schnecken) durch keinen einzigen Begriff verstÌndlich machen, sondern nur durch das VerhÌltnis zur
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rechten und linken Hand, welches unmittelbar auf Anschauung geht. [287]
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Anmerku ng I Die reine Mathematik und namentlich die reine Geometrie kann nur unter der Bedingung allein objektive RealitÌt haben, daÞ sie bloÞ auf GegenstÌnde der Sinne geht, in Ansehung deren aber der Grundsatz feststeht, daÞ unsere sinnliche Vorstellung keineswegs eine Vorstellung der Dinge an sich selbst, sondern nur der Art sei, wie sie uns erscheinen. Daraus folgt, daÞ die SÌtze der Geometrie nicht etwa Bestimmungen eines bloÞen GeschÎpfs unserer dichtenden Phantasie sind, und also nicht mit ZuverlÌssigkeit auf wirkliche GegenstÌnde kÎnnten bezogen werden, sondern daÞ sie notwendigerweise vom Raume und darum auch von allem, was im Raume angetroffen werden mag, gelten, weil der Raum nichts anderes ist als die Form aller ÌuÞeren Erscheinungen, unter der uns allein | GegenstÌnde der Sinne gegeben werden kÎnnen. Die Sinnlichkeit, deren Form die Geometrie zum Grunde legt, ist das, worauf die MÎglichkeit ÌuÞerer Erscheinungen beruht; diese also kÎnnen niemals etwas anderes enthalten, als was die Geometrie ihnen vorschreibt. Ganz anders wÏrde es sein, wenn die Sinne die Objekte vorstellen mÏÞten, wie sie an sich selbst sind. Denn da wÏrde aus der Vorstellung vom Raume, die der Geometer a priori mit allerlei Eigenschaften desselben zum Grunde legt, noch gar nicht folgen, daÞ alles dieses samt dem, was daraus gefolgert wird, sich gerade so in der Natur verhalten mÏsse. Man wÏrde den Raum des Geometers fÏr bloÞe Erdich-
4 Mathematik ] Erdmann(2; nicht im Nachdruck von 1911!): Mechanik 12 Phantasie sind ] Erdmann; Original: Phantasie, und 13 kÎnnten ] VorlÌnder: kÎnnen
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tung halten und ihm keine objektive GÏltigkeit zutrauen, weil man gar nicht einsieht, wie Dinge notwendig mit dem Bilde, das wir uns von selbst und zum voraus von ihnen machen, Ïbereinstimmen mÏÞten. Wenn aber dieses Bild oder vielmehr diese formale Anschauung die wesentliche Eigenschaft unserer Sinnlichkeit ist, vermittelst deren uns allein GegenstÌnde gegeben werden, diese Sinnlichkeit aber nicht Dinge an sich selbst, sondern nur ihre Erscheinungen vorstellt, so ist ganz leicht zu begreifen und zugleich unwidersprechlich bewiesen: daÞ alle ÌuÞeren GegenstÌnde unserer Sinnenwelt notwendig mit den SÌtzen der Geometrie nach aller PÏnktlichkeit Ïbereinstimmen mÏssen, weil die Sinnlichkeit durch ihre Form ÌuÞerer Anschauung (den Raum), womit sich der Geometer beschÌftigt, jene GegenstÌnde als bloÞe Erscheinungen | selbst allererst mÎglich macht. Es wird allemal ein bemerkungswÏrdiges PhÌnomen in der Geschichte der Philosophie bleiben, daÞ es eine Zeit gegeben hat, da selbst Mathematiker, die zugleich Philosophen waren, zwar nicht an der Richtigkeit ihrer geometrischen SÌtze, sofern sie bloÞ den Raum betrÌfen, aber an der objektiven GÏltigkeit und Anwendung dieses Begriffs selbst und aller geometrischen Bestimmungen desselben auf Natur zu zweifeln anfingen; da sie besorgten, eine Linie in der Natur mÎchte doch wohl aus physischen Punkten, mithin der wahre Raum im Objekte aus einfachen Teilen bestehen, obgleich der Raum, den der Geometer in Gedanken hat, daraus keineswegs bestehen kann. Sie erkannten nicht, daÞ dieser Raum in Gedanken den physischen, d. i. die Ausdehnung der Materie selbst mÎglich mache; daÞ dieser gar keine Beschaffenheit der Dinge an sich selbst, sondern nur eine Form unserer sinnlichen Vorstellungskraft sei; daÞ alle GegenstÌnde im Raume bloÞe Erscheinungen, d. i. nicht Dinge an sich selbst, sondern Vorstellungen unserer sinnlichen Anschauung seien, und da der Raum, wie ihn sich der Geometer denkt, ganz genau die Form der sinnlichen Anschauung ist, die wir a priori in
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uns finden und die den Grund der MÎglichkeit aller ÌuÞeren Erscheinungen (ihrer Form nach) enthÌlt, diese notwendig und auf das prÌziseste mit den SÌtzen des Geometers, die er aus keinem erdichteten Begriff, sondern aus der subjektiven Grundlage aller ÌuÞeren Erscheinungen, nÌmlich der Sinnlichkeit selbst, zieht, | zusammen stimmen mÏssen. Auf solche und keine andere Art kann der Geometer wider alle Schikanen einer seichten Metaphysik wegen der unbezweifelten objektiven RealitÌt seiner SÌtze gesichert werden, so befremdend sie auch dieser, weil sie nicht bis zu den Quellen ihrer Begriffe zurÏckgeht, scheinen mÏssen.
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Alles, was uns als Gegenstand gegeben werden soll, muÞ uns in der Anschauung gegeben werden. Alle unsere Anschauung geschieht aber nur vermittelst der Sinne; der Verstand schaut nichts an, sondern reflektiert nur. Da nun die Sinne nach dem jetzt Erwiesenen uns niemals und in keinem einzigen StÏck die Dinge an sich selbst, sondern nur ihre Erscheinungen zu erkennen geben, diese aber bloÞe Vorstellungen der Sinnlichkeit sind, ýso mÏssen auch alle KÎrper mitsamt dem Raume, darin sie sich befinden, fÏr nichts als bloÞe Vorstellungen in uns gehalten werden und existieren nirgend anders als bloÞ in unseren Gedanken.û Ist dieses nun nicht der offenbare Idealismus? Der Idealismus besteht in der Behauptung, daÞ es keine anderen als denkende Wesen gebe; die Ïbrigen Dinge, die wir in der Anschauung wahrzunehmen glauben, wÌren nur Vorstellungen in den denkenden Wesen, denen in der Tat kein auÞerhalb diesen befindlicher Gegenstand korrespondierte. Ich dagegen sage: Es sind uns Dinge als auÞer 12 mÏssen ] Kullmann: muÞ
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uns befindliche GegenstÌnde unserer Sinne gege|ben, allein von dem, was sie an sich selbst sein mÎgen, wissen wir nichts, sondern kennen nur ihre Erscheinungen, d. i. die Vorstellungen, die sie in uns wirken, indem sie unsere Sinne affizieren. Demnach gestehe ich allerdings, daÞ es auÞer uns KÎrper gebe, d. i. Dinge, die, obzwar nach dem, was sie an sich selbst sein mÎgen, uns gÌnzlich unbekannt, wir durch die Vorstellungen kennen, welche ihr EinfluÞ auf unsere Sinnlichkeit uns verschafft, und denen wir die Benennung eines KÎrpers geben, welches Wort also bloÞ die Erscheinung jenes uns unbekannten, aber nichts desto weniger wirklichen Gegenstandes bedeutet. Kann man dieses wohl Idealismus nennen? Es ist ja gerade das Gegenteil davon. DaÞ man unbeschadet der wirklichen Existenz ÌuÞerer Dinge von einer Menge ihrer PrÌdikate sagen kÎnne: sie gehÎrten nicht zu diesen Dingen an sich selbst, sondern nur zu ihren Erscheinungen und hÌtten auÞer unserer Vorstellung keine eigene Existenz, ist etwas, was schon lange vor L o c ke s Zeiten, am meisten aber nach diesen allgemein angenommen und zugestanden ist. Dahin gehÎren die WÌrme, die Farbe, der Geschmack etc. DaÞ ich aber noch Ïber diese aus wichtigen Ursachen die Ïbrigen QualitÌten der KÎrper, die man primarias nennt: die Ausdehnung, den Ort und Ïberhaupt den Raum mit allem, was ihm anhÌngig ist (Undurchdringlichkeit oder MaterialitÌt, Gestalt etc.), auch mit zu bloÞen Erscheinungen zÌhle, dawider kann man nicht den mindesten Grund der UnzulÌssig|keit anfÏhren; und so wenig wie der, so die Farben nicht als Eigenschaften, die dem Objekt an sich selbst, sondern nur dem Sinn des Sehens als Modifikationen anhÌngen, will gelten lassen, darum ein Idealist heiÞen kann: so wenig kann mein Lehrbegriff idealistisch heiÞen bloÞ deshalb, weil ich finde, daÞ noch mehr, j a al le Eige nschafte n, die die Anschauu ng e i ne s KÎ r p e r s a u s m a c h e n , bloÞ zu seiner Erscheinung gehÎren: denn die Existenz des Dinges, was erscheint, wird
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dadurch nicht wie beim wirklichen Idealismus aufgehoben, sondern nur gezeigt, daÞ wir es, wie es an sich selbst sei, durch Sinne gar nicht erkennen kÎnnen. Ich mÎchte gerne wissen, wie denn meine Behauptungen beschaffen sein mÏÞten, damit sie nicht einen Idealismus enthielten. Ohne Zweifel mÏÞte ich sagen: daÞ die Vorstellung vom Raume nicht bloÞ dem VerhÌltnisse, was unsere Sinnlichkeit zu den Objekten hat, vollkommen gemÌÞ sei, denn das habe ich gesagt, sondern daÞ sie sogar dem Objekt vÎllig Ìhnlich sei; eine Behauptung, mit der ich keinen Sinn verbinden kann, so wenig als daÞ die Empfindung des Roten mit der Eigenschaft des Zinnobers, der diese Empfindung in mir erregt, eine Øhnlichkeit habe. Anmerkung III
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Hieraus lÌÞt sich nun ein leicht vorherzusehender, aber nichtiger Einwurf gar leicht abweisen: ýdaÞ nÌmlich | durch die IdealitÌt des Raums und der Zeit die ganze Sinnenwelt in lauter Schein verwandelt werden wÏrde.û Nachdem man nÌmlich zuvÎrderst alle philosophische Einsicht von der Natur der sinnlichen Erkenntnis dadurch verdorben hatte, daÞ man die Sinnlichkeit bloÞ in eine verworrene Vorstellungsart setzte, nach der wir die Dinge immer noch erkÌnnten, wie sie sind, nur ohne das VermÎgen zu haben, alles in dieser unserer Vorstellung zum klaren BewuÞtsein zu bringen; dagegen von uns bewiesen worden, daÞ Sinnlichkeit nicht in diesem logischen Unterschiede der Klarheit oder Dunkelheit, sondern in dem genetischen des Ursprungs der Erkenntnis selbst bestehe, da sinnliche Erkenntnis die Dinge gar nicht vorstellt, wie sie sind, sondern nur die Art, wie sie unsere 7 Vorstellung vom Raume ] Erdmann; Kullmann: Vorstellungen im Raume; Original: Vorstellungen vom Raume
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Sinne affizieren, und also, daÞ durch sie bloÞ Erscheinungen, nicht die Sachen selbst dem Verstande zur Reflexion gegeben werden: nach dieser notwendigen Berichtigung regt sich ein aus unverzeihlicher und beinahe vorsÌtzlicher MiÞdeutung entspringender Einwurf, als wenn mein Lehrbegriff alle Dinge der Sinnenwelt in lauter Schein verwandelte. Wenn uns Erscheinung gegeben ist, so sind wir noch ganz frei, wie wir die Sache daraus beurteilen wollen. Jene, nÌmlich Erscheinung, beruhte auf den Sinnen, diese Beurteilung aber auf dem Verstande, und es fragt sich nur, ob in der Bestimmung des Gegenstandes Wahrheit sei oder nicht. Der Unterschied aber zwischen Wahrheit und Traum wird nicht durch die Beschaffenheit der Vorstellungen, die auf GegenstÌnde bezogen werden, | ausgemacht, denn die sind in beiden einerlei, sondern durch die VerknÏpfung derselben nach den Regeln, welche den Zusammenhang der Vorstellungen in dem Begriffe eines Objekts bestimmen, und wiefern sie in einer Erfahrung beisammen stehen kÎnnen oder nicht. Und da liegt es gar nicht an den Erscheinungen, wenn unsere Erkenntnis den Schein fÏr Wahrheit nimmt, d. i. wenn Anschauung, wodurch uns ein Objekt gegeben wird, fÏr Begriff vom Gegenstande oder auch der Existenz desselben, die der Verstand nur denken kann, gehalten wird. Den Gang der Planeten stellen uns die Sinne bald rechtlÌufig bald rÏcklÌufig vor, und hierin ist weder Falschheit noch Wahrheit, weil, solange man sich bescheidet, daÞ dieses vorerst nur Erscheinung ist, man Ïber die objektive Beschaffenheit ihrer Bewegung noch gar nicht urteilt. Weil aber, wenn der Verstand nicht wohl darauf acht hat zu verhÏten, daÞ diese subjektive Vorstellungsart nicht fÏr objektiv gehalten werde, leichtlich ein falsches Urteil entspringen kann, so sagt man: sie scheinen zurÏckzugehen; allein der Schein kommt nicht auf Rechnung der Sinne, sondern des Verstandes, dem es allein zukommt, aus der Erscheinung ein objektives Urteil zu fÌllen.
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Auf solche Weise, wenn wir auch gar nicht Ïber den Ursprung unserer Vorstellungen nachdÌchten und unsere Anschauungen der Sinne, sie mÎgen enthalten, was sie wollen, im Raume und Zeit nach Regeln des Zusammenhanges aller Erkenntnis in einer Erfahrung verknÏpfen, so kann, | nachdem wir unbehutsam oder vorsichtig sind, trÏglicher Schein oder Wahrheit entspringen; das geht lediglich den Gebrauch sinnlicher Vorstellungen im Verstande und nicht ihren Ursprung an. Ebenso, wenn ich alle Vorstellungen der Sinne samt ihrer Form, nÌmlich Raum und Zeit, fÏr nichts als Erscheinungen und die letzteren fÏr eine bloÞe Form der Sinnlichkeit halte, die auÞer ihr an den Objekten gar nicht angetroffen wird, und ich bediene mich derselben Vorstellungen nur in Beziehung auf mÎgliche Erfahrung: so ist darin nicht die mindeste Verleitung zum Irrtum oder ein Schein enthalten, daÞ ich sie fÏr bloÞe Erscheinungen halte; denn sie kÎnnen dessenungeachtet nach Regeln der Wahrheit in der Erfahrung richtig zusammenhÌngen. Auf solche Weise gelten alle SÌtze der Geometrie vom Raume ebensowohl von allen GegenstÌnden der Sinne, mithin in Ansehung aller mÎglichen Erfahrung, ob ich den Raum als eine bloÞe Form der Sinnlichkeit oder als etwas an den Dingen selbst Haftendes ansehe; wiewohl ich im ersteren Falle allein begreifen kann, wie es mÎglich sei, jene SÌtze von allen GegenstÌnden der ÌuÞeren Anschauung a priori zu wissen; sonst bleibt in Ansehung aller nur mÎglichen Erfahrung alles ebenso, wie wenn ich diesen Abfall von der gemeinen Meinung gar nicht unternommen hÌtte. Wage ich es aber mit meinen Begriffen von Raum und Zeit Ïber alle mÎgliche Erfahrung hinauszugehen, welches unvermeidlich ist, wenn ich sie fÏr Beschaffenheiten | ausgebe, die den Dingen an sich selbst anhingen (denn was sollte mich da hindern, sie auch von ebendenselben 17 halte ] Grillo; Original: enthalte
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Dingen, meine Sinne mÎchten nun auch anders eingerichtet sein und fÏr sie passen oder nicht, dennoch gelten zu lassen?); alsdenn kann ein wichtiger Irrtum entspringen, der auf einem Scheine beruht, da ich das, was eine bloÞ meinem Subjekt anhangende Bedingung der Anschauung der Dinge war und sicher fÏr alle GegenstÌnde der Sinne, mithin alle nur mÎgliche Erfahrung galt, fÏr allgemein gÏltig ausgab, weil ich sie auf die Dinge an sich selbst bezog und nicht auf Bedingungen der Erfahrung einschrÌnkte. Also ist es soweit gefehlt, daÞ meine Lehre von der IdealitÌt des Raumes und der Zeit die ganze Sinnenwelt zum bloÞen Scheine mache, daÞ sie vielmehr das einzige Mittel ist, die Anwendung einer der allerwichtigsten Erkenntnisse, nÌmlich derjenigen, welche Mathematik a priori vortrÌgt, auf wirkliche GegenstÌnde zu sichern und zu verhÏten, daÞ sie nicht fÏr bloÞen Schein gehalten werde, weil ohne diese Bemerkung es ganz unmÎglich wÌre auszumachen, ob nicht die Anschauungen von Raum und Zeit, die wir von keiner Erfahrung entlehnen und die dennoch in unserer Vorstellung a priori liegen, bloÞe selbstgemachte Hirngespinste wÌren, denen gar kein Gegenstand, wenigstens nicht adÌquat, korrespondierte, und also Geometrie selbst ein bloÞer Schein sei, dagegen ihre unstreitige GÏltigkeit in Ansehung aller GegenstÌnde der Sin|nenwelt ebendarum, weil diese bloÞe Erscheinungen sind, von uns hat dargetan werden kÎnnen. Es ist zweitens soweit gefehlt, daÞ diese meine Prinzipien darum, weil sie aus den Vorstellungen der Sinne Erscheinungen machen, statt der Wahrheit der Erfahrung sie in bloÞen Schein verwandeln sollten, daÞ sie vielmehr das einzige Mittel sind, den transzendentalen Schein zu verhÏten, wodurch Metaphysik von jeher getÌuscht und 3 lassen?); ] VorlÌnder; Erdmann(2): lassen?),; Original: lassen? alsdenn 21 dennoch ] Erdmann(1): demnach
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Der transzendentalen Hauptfrage erster Teil
ebendadurch zu den kindischen Bestrebungen verleitet worden, nach Seifenblasen zu haschen, weil man Erscheinungen, die doch bloÞe Vorstellungen sind, fÏr Sachen an sich selbst nahm; woraus alle jene merkwÏrdigen Auftritte der Antinomie der Vernunft erfolgt sind, davon ich weiterhin ErwÌhnung tun werde, und die durch jene einzige Bemerkung gehoben wird: daÞ Erscheinung, solange als sie in der Erfahrung gebraucht wird, Wahrheit, sobald sie aber Ïber die Grenze derselben hinausgeht und transzendent wird, nichts als lauter Schein hervorbringt. Da ich also den Sachen, die wir uns durch Sinne vorstellen, ihre Wirklichkeit lasse und nur unsere sinnliche Anschauung von diesen Sachen dahin einschrÌnke, daÞ sie in gar keinem StÏcke, selbst nicht in den reinen Anschauungen von Raum und Zeit, etwas mehr als bloÞ Erscheinungen jener Sachen, niemals aber die Beschaffenheit derselben an ihnen selbst vorstellen, so ist dies kein der Natur von mir angedichteter durchgÌngiger Schein, und meine | Protestation wider alle Zumutung eines Idealismus ist so bÏndig und einleuchtend, daÞ sie sogar ÏberflÏssig scheinen wÏrde, wenn es nicht unbefugte Richter gÌbe, die, indem sie fÏr jede Abweichung von ihrer verkehrten, obgleich gemeinen Meinung gerne einen alten Namen haben mÎchten und niemals Ïber den Geist der philosophischen Benennungen urteilen, sondern bloÞ am Buchstaben hingen, bereit stÌnden, ihren eigenen Wahn an die Stelle wohl bestimmter Begriffe zu setzen, und diese dadurch zu verdrehen und zu verunstalten. Denn daÞ ich selbst dieser meiner Theorie den Namen eines transzendentalen Idealismus gegeben habe, kann keinen berechtigen, ihn mit dem empirischen Idealismus des Cartes (wiewohl dieser nur eine Aufgabe war, wegen de18 vorstellen ] Erdmann: vorstelle 27 hingen ] VorlÌnder: hÌngen 33 Cartes ] Erdmann: C a r t e s
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Anmerkung III
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ren UnauflÎslichkeit es nach Cartesens Meinung jedermann frei stand, die Existenz der kÎrperlichen Welt zu verneinen, weil sie niemals genugtuend beantwortet werden kÎnnte), oder mit dem mystischen und schwÌrmerischen des B e r k e l e y (wowider und andere Ìhnliche Hirngespinste unsere Kritik vielmehr das eigentliche Gegenmittel enthÌlt) zu verwechseln. Denn dieser von mir sogenannte Idealismus betraf nicht die Existenz der Sachen (die Bezweiflung derselben aber macht eigentlich den Idealismus in rezipierter Bedeutung aus), denn die zu bezweifeln, ist mir niemals in den Sinn gekommen, sondern bloÞ die sinnliche Vorstellung der Sachen, dazu Raum und Zeit zuoberst gehÎren; und von diesen, mithin Ïberhaupt von allen E r s c h e i n u n g e n habe ich nur gezeigt: | daÞ sie nicht Sachen (sondern bloÞe Vorstellungsarten), auch nicht den Sachen an sich selbst angehÎrige Bestimmungen sind. Das Wort transzendental aber, welches bei mir niemals eine Beziehung unserer Erkenntnis auf Dinge, sondern nur aufs E r k e n n t n i s v e r m Î g e n bedeutet, sollte diese MiÞdeutung verhÏten. Ehe sie aber dieselbe doch noch fernerhin veranlasse, nehme ich diese Benennung lieber zurÏck und will ihn den kritischen genannt wissen. Wenn es aber ein in der Tat verwerflicher Idealismus ist, wirkliche Sachen (nicht Erscheinungen) in bloÞe Vorstellungen zu verwandeln: mit welchem Namen will man denjenigen benennen, der umgekehrt bloÞe Vorstellungen zu Sachen macht? Ich denke, man kÎnne ihn den t r Ì u m e n d e n Idealismus nennen, zum Unterschiede von dem vorigen, der der s c hwÌ r m e n d e heiÞen mag, welche beide durch meinen, sonst sogenannten transzendentalen, besser k r i t i s c h e n Idealismus haben abgehalten werden sollen.
1 Cartesens ] Erdmann: C a r t e s e n s 21 dieselbe] Erdmann; Original: denselben
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Nat u r ist das D a s e i n der Dinge, sofern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist. Sollte Natur das Dasein der Dinge a n s i c h s e l b s t bedeuten, so wÏrden wir sie niemals, weder a priori noch a posteriori, erkennen | kÎnnen. Nicht a priori, denn wie wollen wir wissen, was den Dingen an sich selbst zukomme, da dieses niemals durch Zergliederung unserer Begriffe (analytische SÌtze) geschehen kann, weil ich nicht wissen will, was in meinem Begriffe von einem Dinge enthalten sei (denn das gehÎrt zu seinem logischen Wesen), sondern was in der Wirklichkeit des Dinges zu diesem Begriff hinzukomme, und wodurch das Ding selbst in seinem Dasein auÞer meinem Begriffe bestimmt sei. Mein Verstand und die Bedingungen, unter denen er allein die Bestimmungen der Dinge in ihrem Dasein verknÏpfen kann, schreibt den Dingen selbst keine Regel vor; diese richten sich nicht nach meinem Verstande, sondern mein Verstand mÏÞte sich nach ihnen richten; sie mÏÞten also mir vorher gegeben sein, um diese Bestimmungen von ihnen abzunehmen, alsdann aber wÌren sie nicht a priori erkannt. Auch a posteriori wÌre eine solche Erkenntnis der Natur der Dinge an sich selbst unmÎglich. Denn wenn mich Erfahrung G e s e t z e , unter denen das Dasein der Dinge steht, lehren soll, so mÏÞten diese, sofern sie Dinge an sich selbst betreffen, auch auÞer meiner Erfahrung ihnen n o t we n d i g zukommen. Nun lehrt mich die Erfahrung zwar, was dasei, und wie es sei, niemals aber, daÞ es notwendigerweise so und nicht anders sein mÏsse. 30 dasei ] Hartenstein: da sei
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Der transzendentalen Hauptfrage zweiter Teil
Also kann sie die Natur der Dinge an sich selbst niemals lehren. 73
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|½ 15 Nun sind wir gleichwohl wirklich im Besitze einer reinen Naturwissenschaft, die a priori und mit aller derjenigen Notwendigkeit, welche zu apodiktischen SÌtzen erforderlich ist, Gesetze vortrÌgt, unter denen die Natur steht. Ich darf hier nur diejenige PropÌdeutik der Naturlehre, die unter dem Titel der allgemeinen Naturwissenschaft vor aller Physik (die auf empirische Prinzipien gegrÏndet ist) vorhergeht, zum Zeugen rufen. Darin findet man Mathematik angewandt auf Erscheinungen, auch bloÞ diskursive GrundsÌtze (aus Begriffen), welche den philosophischen Teil der reinen Naturerkenntnis ausmachen. Allein es ist doch auch manches in ihr, was nicht ganz rein und von Erfahrungsquellen unabhÌngig ist: als der Begriff der B e we g u n g , der U n d u r c h d r i n g l i c h k e i t (worauf der empirische Begriff der Materie beruht), der Tr Ì g h e i t u.a.m., welche es verhindern, daÞ sie nicht ganz reine Naturwissenschaft heiÞen kann; zudem geht sie nur auf die GegenstÌnde ÌuÞerer Sinne, also gibt sie kein Beispiel von einer allgemeinen Naturwissenschaft in strenger Bedeutung; denn die muÞ die Natur Ïberhaupt, sie mag den Gegenstand ÌuÞerer Sinne oder den des inneren Sinnes (den Gegenstand der Physik sowohl als Psychologie) betreffen, unter allgemeine Gesetze bringen. Es finden sich aber unter den GrundsÌtzen jener allgemeinen Physik etliche, die wirklich die Allgemeinheit haben, die wir verlangen, als der Satz: d a Þ d i e S u b s t a n z b l e i b t und beharrt, daÞ | a l l e s , wa s g e s c h i e h t , jederzeit d u r c h e i n e Ur s a c h e nach bestÌndigen Gesetzen vorher b e s t i m m t s e i usw. Diese sind wirklich allgemeine Naturgesetze, die vÎllig a priori bestehen. Es gibt also in der Tat eine reine Naturwissenschaft, und nun ist die Frage: w i e ist sie mÎgl ich ?
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Noch nimmt das Wort Nat u r eine andere Bedeutung an, die nÌmlich das O b j e k t bestimmt, indessen daÞ in der obigen Bedeutung sie nur die G e s e t z m Ì Þ i g k e i t der Bestimmungen des Daseins der Dinge Ïberhaupt andeutete. Natur also, materialiter betrachtet, ist der I n b e g r i f f a l l e r G e g e n s t Ì n d e d e r E r f a h r u n g. Mit dieser haben wir es hier nur zu tun, da ohnedem Dinge, die niemals GegenstÌnde einer Erfahrung werden kÎnnen, wenn sie nach ihrer Natur erkannt werden sollten, uns zu Begriffen nÎtigen wÏrden, deren Bedeutung niemals in concreto (in irgendeinem Beispiele einer mÎglichen Erfahrung) gegeben werden kÎnnte, und von deren Natur wir uns also lauter Begriffe machen mÏÞten, deren RealitÌt, d. i. ob sie wirklich sich auf GegenstÌnde beziehen oder bloÞe Gedankendinge sind, gar nicht entschieden werden kÎnnte. Was nicht ein Gegenstand der Erfahrung sein kann, dessen Erkenntnis wÌre hyperphysisch, und mit dergleichen haben wir hier gar nicht zu tun, sondern mit der Naturerkenntnis, deren RealitÌt durch Erfahrung bestÌtigt werden kann, | ob sie gleich a priori mÎglich ist und vor aller Erfahrung vorhergeht. ½ 17
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Das F o r m a l e der Natur in dieser engeren Bedeutung ist also die GesetzmÌÞigkeit aller GegenstÌnde der Erfahrung und, sofern sie a priori erkannt wird, die n o t we n d i g e GesetzmÌÞigkeit derselben. Es ist aber eben dargetan, daÞ die Gesetze der Natur an GegenstÌnden, sofern sie nicht in Beziehung auf mÎgliche Erfahrung, sondern als Dinge an sich selbst betrachtet werden, niemals a priori kÎnnen erkannt werden. Wir haben es aber hier auch nicht mit Din13 deren ] Erdmann; Original: dessen
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gen an sich selbst (dieser ihre Eigenschaften lassen wir dahin gestellt sein), sondern bloÞ mit Dingen als GegenstÌnden einer mÎglichen Erfahrung zu tun, und der Inbegriff derselben ist es eigentlich, was wir hier Natur nennen. Und nun frage ich, ob, wenn von der MÎglichkeit einer Naturerkenntnis a priori die Rede ist, es besser sei, die Aufgabe so einzurichten: wie ist die notwendige GesetzmÌÞigkeit d e r D i n g e als GegenstÌnde der Erfahrung, oder: wie ist die notwendige GesetzmÌÞigkeit d e r E r f a h r u n g selbst in Ansehung aller ihrer GegenstÌnde Ïberhaupt a priori zu erkennen mÎglich? Beim Lichte besehen, wird die AuflÎsung der Frage, sie mag auf die eine oder die andere Art vorgestellt sein, in Ansehung der reinen Naturerkenntnis (die eigentlich den Punkt der QuÌstion ausmacht) ganz und gar auf einerlei | hinauslaufen. Denn die subjektiven Gesetze, unter denen allein eine Erfahrungserkenntnis von Dingen mÎglich ist, gelten auch von diesen Dingen als GegenstÌnden einer mÎglichen Erfahrung (freilich aber nicht von ihnen als Dingen an sich selbst, dergleichen aber hier auch in keine Betrachtung kommen). Es ist gÌnzlich einerlei, ob ich sage: ohne das Gesetz, daÞ, wenn eine Begebenheit wahrgenommen wird, sie jederzeit auf etwas, was vorhergeht, bezogen werde, worauf sie nach einer allgemeinen Regel folgt, kann niemals ein Wahrnehmungsurteil fÏr Erfahrung gelten; oder ob ich mich so ausdrÏcke: alles, wovon die Erfahrung lehrt, daÞ es geschieht, muÞ eine Ursache haben. Es ist indessen doch schicklicher, die erstere Formel zu wÌhlen. Denn da wir wohl a priori und vor allen gegebenen GegenstÌnden eine Erkenntnis derjenigen Bedingungen haben kÎnnen, unter denen allein eine Erfahrung in Ansehung ihrer mÎglich ist, niemals aber, welchen Gesetzen sie ohne Beziehung auf mÎgliche Erfahrung an sich selbst unterworfen sein mÎgen, so werden wir die Natur der Dinge a priori nicht anders studieren kÎnnen, als daÞ wir die Bedingungen und allgemeinen (obgleich subjekti-
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ven) Gesetze erforschen, unter denen allein eine solche Erkenntnis als Erfahrung (der bloÞen Form nach) mÎglich ist, und danach die MÎglichkeit der Dinge als GegenstÌnde der Erfahrung bestimmen; denn, wÏrde ich die zweite Art des Ausdrucks wÌhlen und die Bedingungen a priori suchen, unter de|nen Natur als G e g e n s t a n d der Erfahrung mÎglich ist, so wÏrde ich leichtlich in MiÞverstand geraten kÎnnen und mir einbilden, ich hÌtte von der Natur als einem Dinge an sich selbst zu reden, und da wÏrde ich fruchtlos in endlosen BemÏhungen herumgetrieben werden, fÏr Dinge, von denen mir nichts gegeben ist, Gesetze zu suchen. Wir werden es also hier bloÞ mit der Erfahrung und den allgemeinen und a priori gegebenen Bedingungen ihrer MÎglichkeit zu tun haben und daraus die Natur als den ganzen Gegenstand aller mÎglichen Erfahrung bestimmen. Ich denke, man werde mich verstehen: daÞ ich hier nicht die Regeln der B e o b a c h t u n g einer Natur, die schon gegeben ist, verstehe, die setzen schon Erfahrung voraus; also nicht, wie wir (durch Erfahrung) der Natur die Gesetze ablernen kÎnnen, denn diese wÌren alsdann nicht Gesetze a priori und gÌben keine reine Naturwissenschaft; sondern, wie die Bedingungen a priori von der MÎglichkeit der Erfahrung zugleich die Quellen sind, aus denen alle allgemeinen Naturgesetze hergeleitet werden mÏssen.
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Wir mÏssen denn also zuerst bemerken: daÞ, obgleich alle Erfahrungsurteile empirisch sind, d. i. ihren Grund in der unmittelbaren Wahrnehmung der Sinne haben, dennoch nicht umgekehrt alle empirischen Urteile darum Erfahrungsurteile sind, sondern daÞ Ïber das Empirische | und Ïberhaupt Ïber das der sinnlichen Anschauung Gegebene noch besondere Begriffe hinzukommen mÏssen, die ihren Ursprung gÌnzlich a priori im reinenVerstande haben, unter
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die jede Wahrnehmung allererst subsumiert und dann vermittelst derselben in Erfahrung kann verwandelt werden. E m p i r i s c h e Ur t e i l e , s o f e r n s i e o b j e k t iv e G Ï l t i g k e i t h a b e n , sind E r f a h r u n g s u r t e i l e ; die aber, so n u r s u b j e k t iv g Ï l t i g sind, nenne ich bloÞe Wa h r n e h m u n g s u r t e i l e . Die letzteren bedÏrfen keines reinen Verstandesbegriffs, sondern nur der logischen VerknÏpfung der Wahrnehmungen in einem denkenden Subjekt. Die ersteren aber erfordern jederzeit Ïber die Vorstellungen der sinnlichen Anschauung noch besondere, i m Ve r s t a n d e u r s p r Ï n g l i c h e r z e u g t e B e g r i f f e , welche es eben machen, daÞ das Erfahrungsurteil o b j e k t iv g Ï l t i g ist. Alle unsere Urteile sind zuerst bloÞe Wahrnehmungsurteile; sie gelten bloÞ fÏr uns, d. i. fÏr unser Subjekt, und nur hintennach geben wir ihnen eine neue Beziehung, nÌmlich auf ein Objekt und wollen, daÞ es auch fÏr uns jederzeit und ebenso fÏr jedermann gÏltig sein solle; denn wenn ein Urteil mit einem Gegenstande Ïbereinstimmt, so mÏssen alle Urteile Ïber denselben Gegenstand auch untereinander Ïbereinstimmen, und so bedeutet die objektive GÏltigkeit des Erfahrungsurteils nichts anderes als die notwendige AllgemeingÏltigkeit desselben. Aber auch umgekehrt, wenn wir Ursache finden, ein Ur|teil fÏr notwendig allgemeingÏltig zu halten (welches niemals auf der Wahrnehmung, sondern dem reinen Verstandesbegriffe beruht, unter dem die Wahrnehmung subsumiert ist), so mÏssen wir es auch fÏr objektiv halten, d. i. daÞ es nicht bloÞ eine Beziehung der Wahrnehmung auf ein Subjekt, sondern eine Beschaffenheit des Gegenstandes ausdrÏcke; denn es wÌre kein Grund, warum anderer Urteile notwendig mit dem meinigen Ïbereinstimmen mÏÞten, wenn es nicht die Einheit des Gegenstandes wÌre, auf den sie sich alle beziehen, 24 - 25 notwendig allgemeingÏltig ] Erdmann(1): notwendig und allgemeingÏltig
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mit dem sie Ïbereinstimmen und daher auch alle untereinander zusammenstimmen mÏssen. ½ 19 5
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Es sind daher objektive GÏltigkeit und notwendige AllgemeingÏltigkeit (fÏr jedermann) Wechselbegriffe, und ob wir gleich das Objekt an sich nicht kennen, so ist doch, wenn wir ein Urteil als gemeingÏltig und mithin notwendig ansehen, eben darunter die objektive GÏltigkeit verstanden. Wir erkennen durch dieses Urteil das Objekt (wenn es auch sonst, wie es an sich selbst sein mÎchte, unbekannt bliebe) durch die allgemeingÏltige und notwendige VerknÏpfung der gegebenen Wahrnehmungen; und da dieses der Fall von allen GegenstÌnden der Sinne ist, so werden Erfahrungsurteile ihre objektive GÏltigkeit nicht von der unmittelbaren Erkenntnis des Gegenstandes (denn diese ist unmÎglich), sondern bloÞ von der Bedingung | der AllgemeingÏltigkeit der empirischen Urteile entlehnen, die, wie gesagt, niemals auf den empirischen, ja Ïberhaupt sinnlichen Bedingungen, sondern auf einem reinen Verstandesbegriffe beruht. Das Objekt bleibt an sich selbst immer unbekannt; wenn aber durch den Verstandesbegriff die VerknÏpfung der Vorstellungen, die unserer Sinnlichkeit von ihm gegeben sind, als allgemeingÏltig bestimmt wird, so wird der Gegenstand durch dieses VerhÌltnis bestimmt, und das Urteil ist objektiv. Wir wollen dieses erlÌutern: daÞ das Zimmer warm, der Zucker sÏÞ, der Wermut widrig sei,1 sind bloÞ subjek-
Ich gestehe gern, daÞ diese Beispiele nicht solche Wahrnehmungsurteile vorstellen, die jemals Erfahrungurteile werden kÎnn30 ten, wenn man auch einen Verstandesbegriff hinzu tÌte, weil sie sich bloÞ aufs GefÏhl, welches jedermann als bloÞ subjektiv erkennt und 1
26 erlÌutern: daÞ] VorlÌnder: erlÌutern. DaÞ
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tiv gÏltige Urteile. Ich verlange gar nicht, daÞ ich es jederzeit, oder jeder andere es ebenso wie ich finden soll; sie drÏcken nur eine Beziehung zweier Empfindungen auf dasselbe Subjekt, nÌmlich mich selbst, und auch nur in meinem diesmaligen Zustande der Wahrnehmung aus, und sollen daher auch nicht vom Objekte gelten: dergleichen nenne ich Wahrnehmungsurteile. Eine ganz andere Bewandtnis hat es mit dem Erfahrungsurteile. Was | die Erfahrung unter gewissen UmstÌnden mich lehrt, muÞ sie mich jederzeit und auch jedermann lehren, und die GÏltigkeit derselben schrÌnkt sich nicht auf das Subjekt oder seinen damaligen Zustand ein. Daher spreche ich alle dergleichen Urteile als objektiv gÏltige aus; als z. B., wenn ich sage: die Luft ist elastisch, so ist dieses Urteil zunÌchst nur ein Wahrnehmungsurteil, ich beziehe zwei Empfindungen in meinen Sinnen nur aufeinander. Will ich, es soll Erfahrungsurteil heiÞen, so verlange ich, daÞ diese VerknÏpfung unter einer Bedingung stehe, welche sie allgemeingÏltig macht. Ich will also, daÞ ich jederzeit und auch jedermann dieselbe Wahrnehmung unter denselben UmstÌnden notwendig verbinden mÏsse.
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welches also niemals dem Objekt beigelegt werden darf, beziehen und also auch niemals objektiv werden kÎnnen; ich wollte nur vorderhand ein Beispiel von dem Urteile geben, was bloÞ subjektiv gÏltig ist und in sich keinen Grund zur notwendigen AllgemeingÏltig- 25 keit und dadurch zu einer Beziehung aufs Objekt enthÌlt. Ein Beispiel der Wahrnehmungsurteile, die durch hinzugesetzten Verstandesbegriff Erfahrungsurteile werden, folgt in der nÌchsten Anmerkung.
12 damaligen ] Schulz: dermaligen; Erdmann(1): diesmaligen 20 Wahrnehmung ] Erdmann(2): Wahrnehmungen
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Wir werden daher Erfahrung Ïberhaupt zergliedern mÏssen, um zu sehen, was in diesem Produkt der Sinne und des Verstandes enthalten, und wie das Erfahrungsurteil selbst mÎglich sei. Zum Grunde liegt die Anschauung, deren ich mir bewuÞt bin, d. i. Wahrnehmung (perceptio), die bloÞ den Sinnen angehÎrt. Aber zweitens gehÎrt auch dazu das Urteilen (das bloÞ dem Verstande zukommt). Dieses Urteilen kann nun zwiefach sein: erstlich, indem ich bloÞ die Wahrnehmungen vergleiche und in einem BewuÞtsein meines Zustandes, oder zweitens, da ich sie in einem BewuÞtsein Ïberhaupt verbinde. Das erstere Urteil ist bloÞ ein Wahrnehmungsurteil und hat sofern nur | subjektive GÏltigkeit; es ist bloÞ VerknÏpfung der Wahrnehmungen in meinem GemÏtszustande, ohne Beziehung auf den Gegenstand. Daher ist es nicht, wie man gemeiniglich sich einbildet, zur Erfahrung genug, Wahrnehmungen zu vergleichen und in einem BewuÞtsein vermittelst des Urteilens zu verknÏpfen; dadurch entspringt keine AllgemeingÏltigkeit und Notwendigkeit des Urteils, um deren willen es allein objektiv gÏltig und Erfahrung sein kann. Es geht also noch ein ganz anderes Urteil voraus, ehe aus Wahrnehmung Erfahrung werden kann. Die gegebene Anschauung muÞ unter einem Begriff subsumiert werden, der die Form des Urteilens Ïberhaupt in Ansehung der Anschauung bestimmt, das empirische BewuÞtsein der letzteren in einem BewuÞtsein Ïberhaupt verknÏpft und dadurch den empirischen Urteilen AllgemeingÏltigkeit verschafft; dergleichen Begriff ist ein reiner Verstandesbegriff a priori, welcher nichts tut, als bloÞ einer Anschauung die Art Ïberhaupt zu bestimmen, wie sie zu Urteilen die32 die Art Ïberhaupt zu bestimmen, wie sie zu Urteilen ] Kullmann: die Art zu bestimmen, wie sie zu Urteilen Ïberhaupt
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nen kann. Es sei ein solcher Begriff der Begriff der Ursache, so bestimmt er die Anschauung, die unter ihm subsumiert ist, z. B. die der Luft, in Ansehung des Urteilens Ïberhaupt, nÌmlich, daÞ der Begriff der Luft in Ansehung der Ausspannung in dem VerhÌltnis des Antecedens zum Consequens in einem hypothetischen Urteile diene. Der Begriff der Ursache ist also ein reiner Verstandesbegriff, der von aller mÎglichen Wahrnehmung gÌnzlich unterschieden | ist und nur dazu dient, diejenige Vorstellung, die unter ihm enthalten ist, in Ansehung des Urteilens Ïberhaupt zu bestimmen, mithin ein allgemeingÏltiges Urteil mÎglich zu machen. Nun wird, ehe aus einem Wahrnehmungsurteil ein Urteil der Erfahrung werden kann, zuerst erfordert, daÞ die Wahrnehmung unter einem dergleichen Verstandesbegriffe subsumiert werde; z. B. die Luft gehÎrt unter den Begriff der Ursachen, welcher das Urteil Ïber dieselbe in Ansehung der Ausdehnung als hypothetisch bestimmt. 1 Dadurch wird nun nicht diese Ausdehnung als bloÞ zu meiner Wahrnehmung der Luft in meinem Zustande oder in mehreren meiner ZustÌnde oder in dem Zustande der Wahrnehmung anderer gehÎrig, sondern als dazu n o t w e n d i g gehÎrig vorgestellt, und das Ur-
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Um ein leichter einzusehendes Beispiel zu haben, nehme man folgendes: Wenn die Sonne den Stein bescheint, so wird er warm. 25 Dieses Urteil ist ein bloÞes Wahrnehmungsurteil und enthÌlt keine Notwendigkeit, ich mag dieses noch so oft und andere auch noch so oft wahrgenommen haben; die Wahrnehmungen finden sich nur gewÎhnlich so verbunden. Sage ich aber: die Sonne e r w Ì r m t den Stein, so kommt Ïber die Wahrnehmung noch der Verstandesbegriff 30 der Ursache hinzu, der mit dem Begriff des Sonnenscheins den der WÌrme n o t we n d i g verknÏpft, und das synthetische Urteil wird notwendig allgemeingÏltig, folglich objektiv und aus einer Wahrnehmung in Erfahrung verwandelt. 1
17 Ursachen, welcher ] Erdmann: Ursache, welche 23 das ] Erdmann; Original: dis
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teil: die Luft ist elastisch, wird allgemeingÏltig und dadurch allererst Erfahrungsurteil, daÞ gewisse Urteile vorhergehen, die die Anschauung der Luft unter den Begriff der Ursache und Wirkung subsumieren und dadurch die Wahrnehmungen | nicht bloÞ respektive aufeinander in meinem Subjekte, sondern in Ansehung der Form des Urteilens Ïberhaupt (hier der hypothetischen) bestimmen und auf solche Art das empirische Urteil allgemeingÏltig machen. Zergliedert man alle seine synthetischen Urteile, sofern sie objektiv gelten, so findet man, daÞ sie niemals aus bloÞen Anschauungen bestehen, die bloÞ, wie man gemeiniglich dafÏr hÌlt, durch Vergleichung in ein Urteil verknÏpft worden, sondern daÞ sie unmÎglich sein wÏrden, wÌre nicht Ïber die von der Anschauung abgezogenen Begriffe noch ein reiner Verstandesbegriff hinzugekommen, unter dem jene Begriffe subsumiert und so allererst in einem objektiv gÏltigen Urteile verknÏpft worden. Selbst die Urteile der reinen Mathematik in ihren einfachsten Axiomen sind von dieser Bedingung nicht ausgenommen. Der Grundsatz: die gerade Linie ist die kÏrzeste zwischen zwei Punkten, setzt voraus, daÞ die Linie unter den Begriff der GrÎÞe subsumiert werde, welcher gewiÞ keine bloÞe Anschauung ist, sondern lediglich im Verstande seinen Sitz hat und dazu dient, die Anschauung (der Linie) in Absicht auf die Urteile, die von ihr gefÌllt werden mÎgen, in Ansehung der QuantitÌt derselben, nÌmlich der Vielheit (als judicia plurativa) 1 zu bestimmen, indem unter
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So wollte ich lieber die Urteile genannt wissen, die man in der 30 Logik particularia nennt. Denn der letztere Ausdruck enthÌlt schon den Gedanken, daÞ sie nicht allgemein sind. Wenn ich aber von der Einheit (in einzelnen Urteilen) anhebe und so zur Allheit fortgehe, so kann ich noch keine Beziehung auf die Allheit beimischen; ich denke nur die Vielheit ohne Allheit, nicht die | Ausnahme von dersel- 85 1
13 ein ] Erdmann: einem
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ihnen verstanden |wird, daÞ in einer gegebenen Anschauung vieles Gleichartige enthalten sei. ½ 21 Um nun also die MÎglichkeit der Erfahrung, sofern sie auf reinen Verstandesbegriffen a priori beruht, darzulegen, mÏssen wir zuvor das, was zum Urteilen Ïberhaupt gehÎrt, und die verschiedenen Momente des Verstandes in denselben, in einer vollstÌndigen Tafel vorstellen; denn die reinen Verstandesbegriffe, die nichts weiter sind als Begriffe von Anschauungen Ïberhaupt, sofern diese in Ansehung eines oder des anderen dieser Momente zu Urteilen an sich selbst, mithin notwendig und allgemeingÏltig bestimmt sind, werden ihnen ganz genau parallel ausfallen. Hierdurch werden auch die GrundsÌtze a priori der MÎglichkeit aller Erfahrung als einer objektiv gÏltigen empirischen Erkenntnis ganz genau bestimmt werden. Denn sie sind nichts anderes als SÌtze, welche alle Wahrnehmung (gemÌÞ gewissen allgemeinen Bedingungen der Anschauung) unter jene reinen Verstandesbegriffe subsumieren.
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der Urteile
1. Der QuantitÌt nach Allgemeine Besondere Einzelne
ben. Dieses ist nÎtig, wenn die logischen Momente den reinen Verstandesbegriffen untergelegt werden sollen; im logischen Gebrauche kann man es beim Alten lassen. 6 zum ] VorlÌnder: zu
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Bejahende Verneinende Unendliche
3. D e r Re l at i o n n a c h Kategorische Hypothetische Disjunktive
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Der Modal itÌt nach Problematische Assertorische Apodiktische
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Transzendentale Tafel der Verstandesbegriffe
1. Der QuantitÌt nach Einheit (das MaÞ) Vielheit (die GrÎÞe) Allheit (das Ganze)
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2.
3.
Der QualitÌt nach
D e r Re l at i o n n a c h
RealitÌt Negation EinschrÌnkung
Substanz Ursache Gemeinschaft
4. Der Modal itÌt nach 25
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MÎglichkeit Dasein Notwendigkeit
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Reine physiologische Tafel
allgemeiner GrundsÌtze der Naturwissenschaft
1. Axiome
der Anschauung
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3.
Anti z ipatio ne n
Analogie n
der Wahrnehmung
der Erfahrung
4. Po s t u l at e
des empirischen Denkens Ïberhaupt
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| ½ 21 [a ] Um alles Bisherige in einen Begriff zusammenzufassen, ist zuvÎrderst nÎtig, die Leser zu erinnern, daÞ hier nicht von dem Entstehen der Erfahrung die Rede sei, sondern von dem, was in ihr liegt. Das erstere gehÎrt zur empirischen Psychologie und wÏrde selbst auch da ohne das zweite, welches zur Kritik der Erkenntnis und besonders des Verstandes gehÎrt, niemals gehÎrig entwickelt werden kÎnnen. Erfahrung besteht aus Anschauungen, die der Sinnlichkeit angehÎren, und aus Urteilen, die lediglich ein GeschÌft des Verstandes sind. Diejenigen Urteile aber, die der Verstand lediglich aus sinnlichen Anschauungen macht, sind noch bei weitem nicht Erfahrungsurteile. Denn in einem Fall wÏrde das Urteil nur die Wahrnehmungen verknÏpfen, sowie sie in der sinnlichen Anschau12 ½ 21 [a] ] Erdmann; Original: ½. 21. 26 einem ] Hartenstein: jenem; VorlÌnder: dem einen
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ung gegeben sind; in dem letzteren Falle aber sollen die Urteile sagen, was Erfahrung Ïberhaupt, mithin nicht, was die bloÞe Wahrnehmung, deren GÏltigkeit bloÞ subjektiv ist, enthÌlt. Das Erfahrungsurteil muÞ also noch Ïber die sinnliche Anschauung und die logische VerknÏpfung derselben (nachdem sie durch Vergleichung allgemein gemacht worden) in einem Urteile etwas hinzufÏgen, was das synthetische Urteil als notwendig und hierdurch als allgemeingÏltig bestimmt; und dieses kann nichts anderes sein als derjenige Begriff, der die Anschauung in Ansehung einer Form des Urteils vielmehr als der anderen als an sich | bestimmt vorstellt, d. i. ein Begriff von derjenigen synthetischen Einheit der Anschauungen, die nur durch eine gegebene logische Funktion der Urteile vorgestellt werden kann. ½ 22
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Die Summe hiervon ist diese: die Sache der Sinne ist, anzuschauen; die des Verstandes, zu denken. Denken aber ist: Vorstellungen in einem BewuÞtsein vereinigen. Diese Vereinigung entsteht entweder bloÞ relativ aufs Subjekt und ist zufÌllig und subjektiv, oder sie findet schlechthin statt und ist notwendig oder objektiv. Die Vereinigung der Vorstellungen in einem BewuÞtsein ist das Urteil. Also ist Denken soviel als Urteilen oder Vorstellungen auf Urteile Ïberhaupt beziehen. Daher sind Urteile entweder bloÞ subjektiv, wenn Vorstellungen auf ein BewuÞtsein in 9 - 12 und dieses kann nichts ... bestimmt vorstellt ] Kullmann: und dieses kann nichts anderes sein als derjenige Begriff, der die Anschauung in Ansehung der einen Form des Urteils an sich vielmehr als der anderen, als bestimmt vorstellt 12 anderen] Hartenstein; Original: andere 13 d. i.] Erdmann; Schopenhauer: die ein Begriff ist; Original: die
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einem Subjekt allein bezogen und in ihm vereinigt werden; oder sie sind objektiv, wenn sie in einem BewuÞtsein Ïberhaupt, d. i. darin notwendig vereinigt werden. Die logischen Momente aller Urteile sind soviel mÎgliche Arten, Vorstellungen in einem BewuÞtsein zu vereinigen. Dienen aber ebendieselben als Begriffe, so sind sie Begriffe von der n o t we n d i g e n Vereinigung derselben in einem BewuÞtsein, mithin Prinzipien objektiv gÏltiger Urteile. Diese Vereinigung in einem BewuÞtsein ist entweder analytisch, durch die IdentitÌt, oder synthetisch, durch die Zusammensetzung und Hinzukunft ver|schiedener Vorstellungen zueinander. Erfahrung besteht in der synthetischen VerknÏpfung der Erscheinungen (Wahrnehmungen) in einem BewuÞtsein, sofern dieselbe notwendig ist. Daher sind reine Verstandesbegriffe diejenigen, unter denen alle Wahrnehmungen zuvor mÏssen subsumiert werden, ehe sie zu Erfahrungsurteilen dienen kÎnnen, in welchen die synthetische Einheit der Wahrnehmungen als notwendig und allgemeingÏltig vorgestellt wird. 1
Wie stimmt aber dieser Satz: daÞ Erfahrungsurteile Notwendigkeit in der Synthesis der Wahrnehmungen enthalten sollen, mit meinem oben vielfÌltig eingeschÌrften Satze: daÞ Erfahrung als Erkenntnis a posteriori bloÞ zufÌllige Urteile geben kÎnne? Wenn ich sage: Erfahrung lehrt mir etwas, so meine ich jederzeit nur die Wahrnehmung, die in ihr liegt, z. B. daÞ auf die Beleuchtung des Steins durch die Sonne jederzeit WÌrme folge, und also ist der Erfahrungssatz sofern allemal zufÌllig. DaÞ diese ErwÌrmung notwendig aus der Beleuchtung durch die Sonne erfolge, ist zwar in dem Erfahrungsurteile (vermÎge des Begriffs der Ursache) enthalten, aber das lerne ich nicht durch Erfahrung, sondern umgekehrt, Erfahrung wird allererst durch diesen Zusatz des Verstandesbegriffs (der Ursache) zur Wahrnehmung erzeugt.Wie die Wahrnehmung zu diesem Zusatze komme, darÏber muÞ die Kritik im Abschnitte von der transzendentalen Urteilskraft, S. 137 u. f. nachgesehen werden. 1
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Urteile, sofern sie bloÞ als die Bedingung der Vereinigung gegebener Vorstellungen in einem BewuÞtsein betrachtet werden, sind Regeln. Diese Regeln, sofern sie die Vereinigung als notwendig vorstellen, sind Regeln a priori, und sofern keine Ïber ihnen sind, von denen sie abgeleitet werden, GrundsÌtze. Da nun in Ansehung | der MÎglichkeit aller Erfahrung, wenn man an ihr bloÞ die Form des Denkens betrachtet, keine Bedingungen der Erfahrungsurteile Ïber diejenigen sind, welche die Erscheinungen nach der verschiedenen Form ihrer Anschauung unter reine Verstandesbegriffe bringen, die das empirische Urteil objektiv-gÏltig machen, so sind diese die GrundsÌtze a priori mÎglicher Erfahrung. Die GrundsÌtze mÎglicher Erfahrung sind nun zugleich allgemeine Gesetze der Natur, welche a priori erkannt werden kÎnnen. Und so ist die Aufgabe, die in unserer vorliegenden zweiten Frage liegt: w i e i s t r e i n e Nat u r w i s s e n s c h a f t m Î g l i c h ? aufgelÎst. Denn das Systematische, was zur Form einer Wissenschaft erfordert wird, ist hier vollkommen anzutreffen, weil Ïber die genannten formalen Bedingungen aller Urteile Ïberhaupt, mithin aller Regeln Ïberhaupt, die die Logik darbietet, keine mehr mÎglich sind, und diese ein logisches System, die darauf gegrÏndeten Begriffe aber, welche die Bedingungen a priori zu allen synthetischen und notwendigen Urteilen enthalten, ebendarum ein transzendentales, endlich die GrundsÌtze, vermittelst deren alle Erscheinungen unter diese Begriffe subsumiert werden, ein physiologisches, d. i. ein Natursystem ausmachen, welches vor aller empirischen Naturerkenntnis vorhergeht, diese zuerst 6 ihnen] Grillo; Original: sie 19 Naturwissenschaft ] Schopenhauer; Original: Vernunftwissenschaft 27 enthalten ] Grillo; Original: erhalten
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mÎglich macht und daher die eigentlich allgemeine und reine Naturwissenschaft genannt werden kann. |½ 24
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Der erste1 jener physiologischen GrundsÌtze subsumiert alle Erscheinungen, als Anschauungen im Raum und Zeit, unter den Begriff der G r Î Þ e und ist sofern ein Prinzip der Anwendung der Mathematik auf Erfahrung. Der zweite subsumiert das eigentlich Empirische, nÌmlich die Empfindung, die das Reale der Anschauungen bezeichnet, nicht geradezu unter den Begriff der G r Î Þ e , weil Empfindung keine Anschauung ist, die Raum oder Zeit e n t h i e l t e , ob sie gleich den ihr korrespondierenden Gegenstand in beide setzt; allein es ist zwischen RealitÌt (Empfindungsvorstellung) und der Null, d. i. dem gÌnzlich Leeren der Anschauung in der Zeit, doch ein Unterschied, der eine GrÎÞe hat, da nÌmlich zwischen einem jeden gegebenen Grade Licht und der Finsternis, zwischen einem jeden Grade WÌrme und der gÌnzlichen KÌlte, jedem Grade der Schwere und der absoluten Leichtigkeit, jedem Grade der ErfÏllung des Raumes und dem vÎllig leeren Raume, immer noch kleinere Grade gedacht werden kÎnnen, sowie selbst zwischen einem BewuÞtsein und dem vÎlligen UnbewuÞtsein (psychologischer Dun-
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Diese drei aufeinander folgenden Paragraphen werden schwerlich gehÎrig verstanden werden kÎnnen, wenn man nicht das, was 25 die Kritik Ïber die GrundsÌtze sagt, dabei zur Hand nimmt; sie kÎn- * nen aber den Nutzen haben, das Allgemeine derselben leichter zu Ïbersehen und auf die Hauptmomente achtzuhaben. 1
4 Der ] Erdmann; Original: Das 8 Der ] Erdmann; Original: Das 15 Leeren der Anschauung in der Zeit, doch ] Erdmann: Leeren der Anschauung, in der Zeit doch
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kelheit) immer noch kleinere stattfinden; daher keine Wahrnehmung mÎglich ist, welche einen absoluten Mangel bewiese, z. B. keine psychologische Dun|kelheit, die nicht als ein BewuÞtsein betrachtet werden kÎnnte, welches nur von anderem, stÌrkerem Ïberwogen wird, und so in allen FÌllen der Empfindung; weswegen der Verstand sogar Empfindungen, welche die eigentliche QualitÌt der empirischen Vorstellungen (Erscheinungen) ausmachen, antizipieren kann vermittelst des Grundsatzes, daÞ sie alle insgesamt, mithin das Reale aller Erscheinung Grade habe, welches die zweite Anwendung der Mathematik (mathesis intensorum) auf Naturwissenschaft ist. ½ 25
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In Ansehung des VerhÌltnisses der Erscheinungen, und zwar lediglich in Absicht auf ihr Dasein, ist die Bestimmung dieses VerhÌltnisses nicht mathematisch, sondern dynamisch und kann niemals objektiv gÏltig, mithin zu einer Erfahrung tauglich sein, wenn sie nicht unter GrundsÌtzen a priori steht, welche die Erfahrungserkenntnis in Ansehung derselben allererst mÎglich machen. Daher mÏssen Erscheinungen unter den Begriff der Substanz, welcher aller Bestimmung des Daseins als ein Begriff vom Dinge selbst zum Grunde liegt, oder zweitens, sofern eine Zeitfolge unter den Erscheinungen, d. i. eine Begebenheit angetroffen wird, unter den Begriff einer Wirkung in Beziehung auf eine Ursache oder, sofern das Zugleichsein objektiv, d. i. durch ein Erfahrungsurteil erkannt werden soll, unter den Begriff der Gemeinschaft 17- 18 kann niemals objektiv gÏltig, mithin zu einer Erfahrung tauglich sein,] Schopenhauer; Grillo: niemals objektiv gÏltig, mithin zu keiner Erfahrung tauglich,; Original: niemals objektiv gÏltig, mithin zu einer Erfahrung tauglich sein, 26 eine Ursache] VorlÌnder; Original: Ursache
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(Wechselwirkung) subsumiert werden; und so liegen GrundsÌtze a priori objektiv gÏltigen, | obgleich empirischen Urteilen, d. i. der MÎglichkeit der Erfahrung, sofern sie GegenstÌnde dem Dasein nach in der Natur verknÏpfen soll, zum Grunde. Diese GrundsÌtze sind die eigentlichen Naturgesetze, welche dynamisch heiÞen kÎnnen. Zuletzt gehÎrt auch zu den Erfahrungsurteilen die Erkenntnis der Ûbereinstimmung und VerknÏpfung, nicht sowohl der Erscheinungen untereinander in der Erfahrung, als vielmehr ihr VerhÌltnis zur Erfahrung Ïberhaupt, welches entweder ihre Ûbereinstimmung mit den formalen Bedingungen, die der Verstand erkennt, oder Zusammenhang mit dem Materialen der Sinne und der Wahrnehmung, oder beiden in einen Begriff vereinigt, folglich MÎglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit nach allgemeinen Naturgesetzen enthÌlt; welches die physiologische Methodenlehre (Unterscheidung der Wahrheit und Hypothesen und die Grenzen der ZuverlÌssigkeit der letzteren) ausmachen wÏrde.
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Obgleich die dritte a u s d e r Na t u r d e s Ve r s t a n d e s s e l b s t nach kritischer Methode gezogene Tafel der GrundsÌtze eine Vollkommenheit an sich zeigt, darin sie sich weit Ïber jede andere erhebt, die vo n d e n S a c h e n s e l b s t auf dogmatische Weise, obgleich vergeblich, jemals versucht worden ist oder nur kÏnftig versucht werden mag: nÌmlich daÞ in ihr alle synthetischen GrundsÌtze a priori vollstÌndig und nach einem Prinzip, nÌmlich dem VermÎgen zu | Urteilen Ïberhaupt, welches das We-
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10 ihr ] Natorp/VorlÌnder: im 13 und der ] Kullmann: in der 27 in ihr ] Rosenkranz, Hartenstein; Erdmann(2): daÞ sie ... vollstÌndig enthÌlt; Original: sie 29 Urteilen ] Erdmann(1): urteilen
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sen der Erfahrung in Absicht auf den Verstand ausmacht, ausgefÏhrt worden, so daÞ man gewiÞ sein kann, es gebe keine dergleichen GrundsÌtze mehr (eine Befriedigung, die die dogmatische Methode niemals verschaffen kann), so ist dieses doch bei weitem noch nicht ihr grÎÞtes Verdienst. Man muÞ auf den Beweisgrund achtgeben, der die MÎglichkeit dieser Erkenntnis a priori entdeckt und alle solche GrundsÌtze zugleich auf eine Bedingung einschrÌnkt, die niemals Ïbersehen werden muÞ, wenn sie nicht miÞverstanden und im Gebrauche weiter ausgedehnt werden soll, als der ursprÏngliche Sinn, den der Verstand darin legt, es haben will: nÌmlich daÞ sie nur die Bedingungen mÎglicher Erfahrung Ïberhaupt enthalten, sofern sie Gesetzen a priori unterworfen ist. So sage ich nicht: daÞ Dinge a n s i c h s e l b s t eine GrÎÞe, ihre RealitÌt einen Grad, ihre Existenz VerknÏpfung der Akzidenzen in einer Substanz usw. enthalte; denn das kann niemand beweisen, weil eine solche synthetische VerknÏpfung aus bloÞen Begriffen, wo alle Beziehung auf sinnliche Anschauung einerseits und alle VerknÏpfung derselben in einer mÎglichen Erfahrung andererseits mangelt, schlechterdings unmÎglich ist. Die wesentliche EinschrÌnkung der Begriffe also in diesen GrundsÌtzen ist: daÞ alle Dinge nur a l s G e g e n s t Ì n d e d e r E r f a h r u n g unter den genannten Bedingungen notwendig a priori stehen. Hieraus folgt denn zweitens auch eine spezifisch eigentÏmliche Beweisart derselben: daÞ die gedachten Grund|sÌtze auch nicht geradezu auf Erscheinungen und ihr VerhÌltnis, sondern auf die MÎglichkeit der Erfahrung, wovon Erscheinungen nur die Materie, nicht aber die Form ausmachen, d. i. auf objektiv- und allge12 soll ] VorlÌnder: sollen 18 enthalte ] Hartenstein: enthalten
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meingÏltige synthetische SÌtze, worin sich eben Erfahrungsurteile von bloÞen Wahrnehmungsurteilen unterscheiden, bezogen werden. Dieses geschieht dadurch, daÞ die Erscheinungen als bloÞe Anschauungen, we l c h e e i n e n Te i l vo n R a u m u n d Z e i t e i n n e h m e n , unter dem Begriff der GrÎÞe stehen, welcher das Mannigfaltige derselben a priori nach Regeln synthetisch vereinigt; daÞ, sofern die Wahrnehmung auÞer der Anschauung auch Empfindung enthÌlt, zwischen welcher und der Null, d. i. dem vÎlligen Verschwinden derselben, jederzeit ein Ûbergang durch Verringerung stattfindet, das Reale der Erscheinungen einen Grad haben mÏsse, sofern sie nÌmlich selbst k e i n e n Te i l vo n R a u m o d e r Z e i t e i n n i m m t ,1 aber doch der Ûbergang zu ihr von der leeren Zeit oder Raum nur in der | Zeit mÎglich ist, mithin, obzwar Empfindung, als die QualitÌt der empirischen Anschauung in Ansehung dessen, worin sie sich spezifisch von anderen Empfindungen unterscheidet, niemals a priori erkannt werden kann, sie dennoch in einer mÎglichen Erfahrung Ïberhaupt als GrÎÞe der Wahrnehmung
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Die WÌrme, das Licht etc. sind im kleinen Raume (dem Grade nach) ebensogroÞ als in einem groÞen; ebenso die inneren Vorstellungen, der Schmerz, das BewuÞtsein Ïberhaupt nicht kleiner dem Grade nach, ob sie eine kurze oder lange Zeit hindurch dauern. Daher ist die GrÎÞe hier in einem Punkte und in einem Augenblicke eben- 25 sogroÞ als in jedem noch so groÞen Raume oder Zeit. Grade sind also GrÎÞen, aber nicht in der Anschauung, sondern der bloÞen Empfindung nach oder auch die GrÎÞe des Grundes einer Anschauung, und kÎnnen nur durch das VerhÌltnis von 1 zu 0, d. i. dadurch, daÞ eine jede derselben durch unendliche Zwischengrade bis zum Verschwin- 30 den, oder von der Null durch unendliche Momente des Zuwachses bis zu einer bestimmten Empfindung in einer gewissen Zeit erwachsen kann, als GrÎÞen geschÌtzt werden. (Quantitas qualitatis est gra- * dus.) 1
27 GrÎÞen] Riehl; Original: grÎsser 28 die ] Erdmann: der 28 Grundes ] Rosenkranz: Grades
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intensiv von jeder anderen gleichartigen unterschieden werden kÎnne; woraus denn die Anwendung der Mathematik auf Natur in Ansehung der sinnlichen Anschauung, durch welche sie uns gegeben wird, zuerst mÎglich gemacht und bestimmt wird. Am meisten aber muÞ der Leser auf die Beweisart der GrundsÌtze, die unter dem Namen der Analogien der Erfahrung vorkommen, aufmerksam sein. Denn weil diese nicht, sowie die GrundsÌtze der Anwendung der Mathematik auf Naturwissenschaft Ïberhaupt, die Erzeugung der Anschauungen, sondern die VerknÏpfung ihres Daseins in einer Erfahrung betreffen, diese aber nichts anderes als die Bestimmung der Existenz in der Zeit nach notwendigen Gesetzen sein kann, unter denen sie allein objektiv-gÏltig, mithin Erfahrung ist: so geht der Beweis nicht auf die synthetische Einheit in der VerknÏpfung d e r D i n g e an sich selbst, sondern der Wa h r n e h m u n g e n , und zwar dieser nicht in Ansehung ihres Inhalts, sondern der Zeitbestimmung und des VerhÌltnisses des Daseins in ihr nach allgemeinen Gesetzen. Diese allgemeinen Gesetze enthalten also die Notwendigkeit der Bestimmung des Daseins in der Zeit Ïberhaupt (folglich nach einer Regel | des Verstandes a priori), wenn die empirische Bestimmung in der relativen Zeit objektiv-gÏltig, mithin Erfahrung sein soll. Mehr kann ich hier, als in Prolegomenen, nicht anfÏhren als nur, daÞ ich dem Leser, welcher in der langen Gewohnheit steckt, Erfahrung fÏr eine bloÞ empirische Zusammensetzung der Wahrnehmungen zu halten, und daher daran gar nicht denkt, daÞ sie viel weiter geht, als diese reichen, nÌmlich empirischen Urteilen AllgemeingÏltigkeit gibt und dazu einer reinen Verstandeseinheit bedarf, die a priori vorhergeht, empfehle: auf diesen Unterschied der Erfahrung von einem bloÞen Aggregat von Wahrneh12 nichts ] Hartenstein; Original: nicht
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mungen wohl acht zu haben und aus diesem Gesichtspunkte die Beweisart zu beurteilen. ½ 27
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Hier ist nun der Ort, den Humeschen Zweifel aus dem Grunde zu heben. Er behauptete mit Recht: daÞ wir die MÎglichkeit der KausalitÌt, d. i. der Beziehung des Daseins eines Dinges auf das Dasein von irgendetwas anderem, was durch jenes notwendig gesetzt werde, durch Vernunft auf keine Weise einsehen. Ich setze noch hinzu, daÞ wir ebensowenig den Begriff der Subsistenz, d. i. der Notwendigkeit davon einsehen, daÞ dem Dasein der Dinge ein Subjekt zum Grunde liege, das selbst kein PrÌdikat von irgendeinem anderen Dinge sein kÎnne, ja sogar, daÞ wir uns keinen Begriff von der MÎglichkeit eines solchen Dinges machen kÎnnen (obgleich wir in der Erfah|rung Beispiele seines Gebrauchs aufzeigen kÎnnen), imgleichen, daÞ eben diese Unbegreiflichkeit auch die Gemeinschaft der Dinge betreffe, indem gar nicht einzusehen ist, wie aus dem Zustande eines Dinges eine Folge auf den Zustand ganz anderer Dinge auÞer ihm und so wechselseitig kÎnne gezogen werden, und wie Substanzen, deren jede doch ihre eigene abgesonderte Existenz hat, voneinander und zwar notwendig abhÌngen sollen. Gleichwohl bin ich weit davon entfernt, diese Begriffe als bloÞ aus der Erfahrung entlehnt und die Notwendigkeit, die in ihnen vorgestellt wird, als angedichtet und fÏr bloÞen Schein zu halten, den uns eine lange Gewohnheit vorspiegelt; vielmehr habe ich hinreichend gezeigt, daÞ sie und die GrundsÌtze aus denselben a priori vor aller Erfahrung 4 Humeschen ] Erdmann: H u m i s c h e n 10 - 11 Subsistenz, d. i. der Notwendigkeit davon ] VorlÌnder; Erdmann: Subsistenz, d. i. der Notwendigkeit, darin; Original: Subsistenz d. i. der Notwendigkeit darin
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feststehen und ihre ungezweifelte objektive Richtigkeit, aber freilich nur in Ansehung der Erfahrung, haben. ½ 28 5
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Ob ich also gleich von einer solchen VerknÏpfung der Dinge an sich selbst, wie sie als Substanz existieren oder als Ursache wirken oder mit anderen (als Teile eines realen Ganzen) in Gemeinschaft stehen kÎnnen, nicht den mindesten Begriff habe, noch weniger aber dergleichen Eigenschaften an Erscheinungen als Erscheinungen denken kann (weil jene Begriffe nichts, was in den Erscheinungen liegt, sondern was der Verstand allein denken muÞ, enthalten), so haben wir doch von einer solchen VerknÏpfung der Vorstellungen in unserem | Verstande und zwar in Urteilen Ïberhaupt einen dergleichen Begriff, nÌmlich: daÞ Vorstellungen in einer Art Urteile als Subjekt in Beziehung auf PrÌdikate, in einer anderen als Grund in Beziehung auf Folge und in einer dritten als Teile, die zusammen eine ganze mÎgliche Erkenntnis ausmachen, gehÎren. Ferner erkennen wir a priori: daÞ, ohne die Vorstellung eines Objekts in Ansehung eines oder des andern dieser Momente als bestimmt anzusehen, wir gar keine Erkenntnis, die von dem Gegenstande gelte, haben kÎnnten; und wenn wir uns mit dem Gegenstande an sich selbst beschÌftigten, so wÌre kein einziges Merkmal mÎglich, woran ich erkennen kÎnnte, daÞ er in Ansehung eines oder des andern gedachter Momente bestimmt sei, d. i. unter den Begriff der Substanz oder der Ursache oder (im VerhÌltnis gegen andere Substanzen) unter den Be18 eine ganze mÎgliche Erkenntnis ] VorlÌnder; Kullmann: ein Ganzes mÎglicher Erkenntnis; Original: ein ganzes mÎgliches Erkenntnis 20 eines oder des ] Hartenstein; Original: einer oder der 25 er ] Erdmann; Original: es
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griff der Gemeinschaft gehÎre; denn von der MÎglichkeit einer solchen VerknÏpfung des Daseins habe ich keinen Begriff. Es ist aber auch die Frage nicht, wie Dinge an sich, sondern wie Erfahrungserkenntnis der Dinge in Ansehung gedachter Momente der Urteile Ïberhaupt bestimmt sei, d. i. wie Dinge als GegenstÌnde der Erfahrung unter jene Verstandesbegriffe kÎnnen und sollen subsumiert werden. Und da ist es klar, daÞ ich nicht allein die MÎglichkeit, sondern auch die Notwendigkeit, alle Erscheinungen unter diese Begriffe zu subsumieren, d. i. sie zu GrundsÌtzen der MÎglichkeit der Erfahrung zu brauchen, vollkommen einsehe. 100 [312]
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|½ 29 Um einen Versuch an H u m e s problematischem Begriff (diesem seinem crux metaphysicorum), nÌmlich dem Begriffe der Ursache, zu machen, so ist mir erstlich vermittelst der Logik die Form eines bedingten Urteils Ïberhaupt, nÌmlich eine gegebene Erkenntnis als Grund und die andere als Folge zu gebrauchen, a priori gegeben. Es ist aber mÎglich, daÞ in der Wahrnehmung eine Regel des VerhÌltnisses angetroffen wird, die da sagt: daÞ auf eine gewisse Erscheinung eine andere (obgleich nicht umgekehrt) bestÌndig folgt; und dieses ist ein Fall, mich des hypothetischen Urteils zu bedienen und z. B. zu sagen:Wenn ein KÎrper lange genug von der Sonne beschienen ist, so wird er warm. Hier ist nun freilich noch nicht eine Notwendigkeit der VerknÏpfung, mithin der Begriff der Ursache. Allein ich fahre fort und sage: wenn obiger Satz, der bloÞ eine subjektive VerknÏpfung der Wahrnehmungen ist, ein Erfahrungssatz sein soll, so muÞ er als notwen15 diesem seinem ] Erdmann: dieser seiner 15 nÌmlich ] Erdmann(2): n Ì m l i c h
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dig und allgemeingÏltig angesehen werden. Ein solcher Satz aber wÏrde sein: Sonne ist durch ihr Licht die Ursache der WÌrme. Die obige empirische Regel wird nunmehr als Gesetz angesehen, und zwar nicht als geltend bloÞ von Erscheinungen, sondern von ihnen zum Behuf einer mÎglichen Erfahrung, welche durchgÌngig und also notwendig gÏltige Regeln bedarf. Ich sehe also den Begriff der Ursache als einen zur bloÞen Form der Erfahrung notwendig gehÎrigen Begriff und dessen MÎglichkeit, als | einer synthetischen Vereinigung der Wahrnehmungen in einem BewuÞtsein Ïberhaupt, sehr wohl ein; die MÎglichkeit eines Dinges Ïberhaupt aber als einer Ursache sehe ich gar nicht ein, und zwar darum, weil der Begriff der Ursache ganz und gar keine den Dingen, sondern nur der Erfahrung anhÌngende Bedingung andeutet, nÌmlich, daÞ diese nur eine objektiv-gÏltige Erkenntnis von Erscheinungen und ihrer Zeitfolge sein kÎnne, sofern die vorhergehende mit der nachfolgenden nach der Regel hypothetischer Urteile verbunden werden kann.
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½ 30 Daher haben auch die reinen Verstandesbegriffe ganz und gar keine Bedeutung, wenn sie von GegenstÌnden der Erfahrung abgehen und auf Dinge an sich selbst (Noumena) bezogen werden wollen. Sie dienen gleichsam nur, Erscheinungen zu buchstabieren, um sie als Erfahrung lesen zu kÎnnen; die GrundsÌtze, die aus der Beziehung derselben auf die Sinnenwelt entspringen, dienen nur unserem Verstande zum Erfahrungsgebrauch; weiter hinaus sind es willkÏrliche Verbindungen ohne objektive RealitÌt, deren MÎglichkeit man weder a priori erkennen noch ihre Beziehung auf GegenstÌnde durch irgendein Beispiel bestÌtigen oder nur verstÌndlich machen kann, weil alle Beispiele nur aus irgendeiner mÎglichen Erfahrung entlehnt, mithin auch die GegenstÌnde jener Begriffe nirgend an-
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ders als in einer mÎglichen Erfahrung angetroffen werden kÎnnen. |Diese vollstÌndige, obzwar wider die Vermutung des Urhebers ausfallende AuflÎsung des Humeschen Problems rettet also den reinen Verstandesbegriffen ihren Ursprung a priori und den allgemeinen Naturgesetzen ihre GÏltigkeit als Gesetzen des Verstandes, doch so, daÞ sie ihren Gebrauch nur auf Erfahrung einschrÌnkt, darum weil ihre MÎglichkeit bloÞ in der Beziehung des Verstandes auf Erfahrung ihren Grund hat; nicht aber so, daÞ sie sich von Erfahrung, sondern daÞ Erfahrung sich von ihnen ableitet, welche ganz umgekehrte Art der VerknÏpfung H u m e sich niemals einfallen lieÞ. Hieraus flieÞt nun folgendes Resultat aller bisherigen Nachforschungen: ýAlle synthetischen GrundsÌtze a priori sind nichts weiter als Prinzipien mÎglicher Erfahrungû und kÎnnen niemals auf Dinge an sich selbst, sondern nur auf Erscheinungen als GegenstÌnde der Erfahrung bezogen werden. Daher auch reine Mathematik sowohl als reine Naturwissenschaft niemals auf irgendetwas mehr als bloÞe Erscheinungen gehen kÎnnen und nur das vorstellen, was entweder Erfahrung Ïberhaupt mÎglich macht, oder was, indem es aus diesen Prinzipien abgeleitet ist, jederzeit in irgendeiner mÎglichen Erfahrung muÞ vorgestellt werden kÎnnen.
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Und so hat man denn einmal etwas Bestimmtes, und woran man sich bei allen metaphysischen Unternehmungen, | die bisher kÏhn genug, aber jederzeit blind Ïber alles ohne Unterschied gegangen sind, halten kann. Dogmatische Denker haben sich es niemals einfallen lassen, daÞ 4 Humeschen ] Erdmann: H u m i s c h e n
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das Ziel ihrer BemÏhungen so kurz sollte ausgesteckt werden, und selbst diejenigen nicht, die, trotzig auf ihre vermeinte gesunde Vernunft, mit zwar rechtmÌÞigen und natÏrlichen, aber zum bloÞen Erfahrungsgebrauch bestimmten Begriffen und GrundsÌtzen der reinen Vernunft auf Einsichten ausgingen, fÏr die sie keine bestimmten Grenzen kannten noch kennen konnten, weil sie Ïber die Natur und selbst die MÎglichkeit eines solchen reinen Verstandes niemals entweder nachgedacht hatten oder nachzudenken vermochten. Mancher Naturalist der reinen Vernunft (darunter ich den verstehe, welcher sich zutraut, ohne alle Wissenschaft in Sachen der Metaphysik zu entscheiden) mÎchte wohl vorgeben, er habe das, was hier mit so viel ZurÏstung oder, wenn er lieber will, mit weitschweifigem pedantischem Pompe vorgetragen worden, schon lÌngst durch den Wahrsagergeist seiner gesunden Vernunft nicht bloÞ vermutet, sondern auch gewuÞt und eingesehen: ýdaÞ wir nÌmlich mit aller unserer Vernunft Ïber das Feld der Erfahrungen nie hinauskommen kÎnnenû. Allein, da er doch, wenn man ihm seine Vernunftprinzipien allmÌhlich abfragt, gestehen muÞ, daÞ darunter viele sind, die er nicht aus Erfahrung geschÎpft hat, die also von dieser unabhÌngig und a priori gÏltig sind, wie und mit welchen GrÏnden will er denn den Dogmatiker und sich selbst in Schranken hal|ten, der sich dieser Begriffe und GrundsÌtze Ïber alle mÎgliche Erfahrung hinaus bedient, darum eben, weil sie unabhÌngig von dieser erkannt werden. Und selbst er, dieser Adept der gesunden Vernunft, ist so sicher nicht, ungeachtet aller seiner angemaÞten, wohlfeil erworbenen Weisheit unvermerkt Ïber GegenstÌnde der Erfahrung hinaus in das Feld der Hirngespinste zu geraten. Auch ist er gemeiniglich tief genug drin verwickelt, ob er zwar durch die populÌre Sprache, da er alles bloÞ fÏr Wahrscheinlichkeit, vernÏnftige 26 der sich dieser ] Hartenstein; Original: der dieser
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Vermutung oder Analogie ausgibt, seinen grundlosen AnsprÏchen einigen Anstrich gibt. ½ 32
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Schon von den Ìltesten Zeiten der Philosophie her haben sich Forscher der reinen Vernunft auÞer den Sinnenwesen oder Erscheinungen (Phaenomena), die die Sinnenwelt ausmachen, noch besondere Verstandeswesen (Noumena), welche eine Verstandeswelt ausmachen sollten, gedacht und, da sie (welches einem noch unausgebildeten Zeitalter wohl zu verzeihen war) Erscheinung und Schein fÏr einerlei hielten, den Verstandeswesen allein Wirklichkeit zugestanden. In der Tat, wenn wir die GegenstÌnde der Sinne, wie billig, als bloÞe Erscheinungen ansehen, so gestehen wir hierdurch doch zugleich, daÞ ihnen ein Ding an sich selbst zum Grunde liege, ob wir dasselbe gleich nicht, wie es an sich beschaffen sei, sondern nur seine Erscheinung, d. i. | die Art, wie unsere Sinne von diesem unbekannten Etwas affiziert werden, kennen. Der Verstand also, ebendadurch daÞ er Erscheinungen annimmt, gesteht auch das Dasein von Dingen an sich selbst zu, und sofern kÎnnen wir sagen, daÞ die Vorstellung solcher Wesen, die den Erscheinungen zum Grunde liegen, mithin bloÞer Verstandeswesen nicht allein zulÌssig, sondern auch unvermeidlich sei. Unsere kritische Deduktion schlieÞt dergleichen Dinge (Noumena) auch keineswegs aus, sondern schrÌnkt vielmehr die GrundsÌtze der Østhetik dahin ein, daÞ sie sich ja nicht auf alle Dinge erstrecken sollen, wodurch alles in bloÞe Erscheinung verwandelt werden wÏrde, sondern daÞ sie nur von GegenstÌnden einer mÎglichen Erfahrung gelten sollen. Also werden hierdurch Verstandeswesen zu5 Forscher ] VorlÌnder: die Forscher 27 Østhetik ] Erdmann(1): Analytik
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gelassen, nur mit EinschÌrfung dieser Regel, die gar keine Ausnahme leidet: daÞ wir von diesen reinen Verstandeswesen ganz und gar nichts Bestimmtes wissen noch wissen kÎnnen, weil unsere reinen Verstandesbegriffe sowohl als reine Anschauungen auf nichts als GegenstÌnde mÎglicher Erfahrung, mithin auf bloÞe Sinnenwesen gehen und, sobald man von diesen abgeht, jenen Begriffen nicht die mindeste Bedeutung mehr Ïbrig bleibt. ½ 33
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Es ist in der Tat mit unseren reinen Verstandesbegriffen etwas VerfÌngliches in Ansehung der Anlockung zu einem transzendenten Gebrauch; denn so nenne ich den|jenigen, der Ïber alle mÎgliche Erfahrung hinausgeht. Nicht allein, daÞ unsere Begriffe der Substanz, der Kraft, der Handlung, der RealitÌt etc. ganz von der Erfahrung unabhÌngig sind, imgleichen gar keine Erscheinung der Sinne enthalten, also in der Tat auf Dinge an sich selbst (Noumena) zu gehen scheinen; sondern, was diese Vermutung noch bestÌrkt, sie enthalten eine Notwendigkeit der Bestimmung in sich, der die Erfahrung niemals gleichkommt. Der Begriff der Ursache enthÌlt eine Regel, nach der aus einem Zustande ein anderer notwendigerweise folgt; aber die Erfahrung kann uns nur zeigen, daÞ oft und, wenn es hochkommt, gemeiniglich auf einen Zustand der Dinge ein anderer folge, und kann also weder strenge Allgemeinheit noch Notwendigkeit verschaffen etc. Daher scheinen Verstandesbegriffe viel mehr Bedeutung und Inhalt zu haben, als daÞ der bloÞe Erfahrungsgebrauch ihre ganze Bestimmung erschÎpfte, und so baut sich der Verstand unvermerkt an das Haus der Erfahrung noch ein viel weitlÌufigeres NebengebÌude an, welches er mit lauter Gedankenwesen anfÏllt, ohne es einmal zu merken, daÞ er sich mit seinen sonst richtigen Begriffen Ïber die Grenzen ihres Gebrauchs verstiegen habe.
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Es waren also zwei wichtige, ja ganz unentbehrliche, obzwar ÌuÞerst trockene Untersuchungen nÎtig, welche Kritik, Seite 137 etc. und 235 etc. angestellt worden, durch deren | erstere gezeigt wurde, daÞ die Sinne nicht die reinen Verstandesbegriffe in concreto, sondern nur das Schema zum Gebrauche derselben in die Hand geben, und der ihm gemÌÞe Gegenstand nur in der Erfahrung (als dem Produkte des Verstandes aus Materialien der Sinnlichkeit) angetroffen werde. In der zweiten Untersuchung (Kritik, S. 235) wird gezeigt: daÞ ungeachtet der UnabhÌngigkeit unserer reinen Verstandesbegriffe und GrundsÌtze von Erfahrung, ja selbst ihres scheinbarlich grÎÞeren Umfanges des Gebrauchs, dennoch durch dieselben auÞer dem Felde der Erfahrung gar nichts gedacht werden kÎnne, weil sie nichts tun kÎnnen, als bloÞ die logische Form des Urteils in Ansehung gegebener Anschauungen bestimmen; da es aber Ïber das Feld der Sinnlichkeit hinaus ganz und gar keine Anschauung gibt, jenen reinen Begriffen es ganz und gar an Bedeutung fehle, indem sie durch kein Mittel in concreto kÎnnen dargestellt werden, folglich alle solche Noumena zusamt dem Inbegriff derselben, einer intelligibelen 1 Welt, nichts als Vorstellungen einer Aufgabe | sind, deren Gegenstand an sich wohl mÎglich, deren AuflÎsung aber nach der Natur unseres Verstandes gÌnzlich un-
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Nicht (wie man sich gemeiniglich ausdrÏckt) i n t e l l e k t u e l l e n Welt. Denn i n t e l l e k t u e l l sind die E r ke n n t n i s s e durch den Verstand, und dergleichen gehen auch auf unsere Sinnenwelt; i n t e l l i g i b e l aber heiÞen G e g e n s t Ì n d e , sofern sie b l o Þ d u r c h d e n Ve r s t a n d vorgestellt werden kÎnnen und auf die keine unserer 30 sinnlichen Anschauungen gehen kann. Da aber doch jedem Gegenstande irgendeine mÎgliche Anschauung entsprechen muÞ, so wÏrde man sich einen Verstand denken mÏssen, der unmittelbar Dinge anschaute; von einem solchen aber haben wir nicht den mindesten Begriff, mithin auch nicht von den Ve r s t a n d e s w e s e n , auf die er ge- 35 hen soll. 1
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mÎglich ist, indem unser Verstand kein VermÎgen der Anschauung, sondern bloÞ der VerknÏpfung gegebener Anschauungen in einer Erfahrung ist, und daÞ diese daher alle GegenstÌnde fÏr unsere Begriffe enthalten mÏsse, auÞer ihr aber alle Begriffe, da ihnen keine Anschauung untergelegt werden kann, ohne Bedeutung sein werden.
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Es kann der Einbildungskraft vielleicht verziehen werden, wenn sie bisweilen schwÌrmt, d. i. sich nicht behutsam innerhalb der Schranken der Erfahrung hÌlt; denn wenigstens wird sie durch einen solchen freien Schwung belebt und gestÌrkt, und es wird immer leichter sein, ihre KÏhnheit zu mÌÞigen, als ihrer Mattigkeit aufzuhelfen. DaÞ aber der Verstand, der d e n ke n soll, an dessen Statt s c hwÌ r m t , das kann ihm niemals verziehen werden; denn auf ihm beruht allein alle Hilfe, um der SchwÌrmerei der Einbildungskraft, wo es nÎtig ist, Grenzen zu setzen. Er fÌngt es aber hiermit sehr unschuldig und sittsam an. Zuerst bringt er die Elementarerkenntnisse, die ihm vor aller Erfahrung beiwohnen, aber dennoch in der Erfahrung immer ihre Anwendung haben mÏssen, ins reine. AllmÌhlich lÌÞt er diese Schranken weg, und was sollte ihn auch daran hindern, da der Verstand ganz frei seine | GrundsÌtze aus sich selbst genommen hat? Und nun geht es zuerst auf neu erdachte KrÌfte in der Natur, bald hernach auf Wesen auÞerhalb der Natur, mit einem Wort auf eine Welt, zu deren Einrichtung es uns an Bauzeug nicht fehlen kann, weil es durch fruchtbare Erdichtung reichlich herbeigeschafft und durch Erfahrung zwar nicht bestÌtigt, aber auch niemals widerlegt wird. Das ist auch die Ursache, weswegen junge Denker Metaphysik in echter dogmatischer Manier so lieben und ihr oft ihre Zeit und ihr sonst brauchbares Talent aufopfern. Es kann aber gar nichts helfen, jene fruchtlosen Versu-
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che der reinen Vernunft durch allerlei Erinnerungen wegen der Schwierigkeit der AuflÎsung so tief verborgener Fragen, Klagen Ïber die Schranken unserer Vernunft und Herabsetzung der Behauptungen auf bloÞe MutmaÞungen mÌÞigen zu wollen. Denn wenn die U n m Î g l i c h k e i t derselben nicht deutlich dargetan worden, und die S e l b s t e r k e n n t n i s der Vernunft nicht wahre Wissenschaft wird, worin das Feld ihres richtigen von dem ihres nichtigen und fruchtlosen Gebrauchs sozusagen mit geometrischer GewiÞheit unterschieden wird, so werden jene eitlen Bestrebungen niemals vÎllig abgestellt werden. [318]
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½ 36 Wie ist Natur s elbst mÎgl ich ? Diese Frage, welche der hÎchste Punkt ist, den transzendentale Philosophie nur immer berÏhren mag und | zu welchem sie auch, als ihrer Grenze und Vollendung, gefÏhrt werden muÞ, enthÌlt eigentlich zwei Fragen. E r s t l i c h : Wie ist Natur in m a t e r i e l l e r Bedeutung, nÌmlich der Anschauung nach, als der Inbegriff der Erscheinungen; wie ist Raum, Zeit und das, was beide erfÏllt, der Gegenstand der Empfindung, Ïberhaupt mÎglich? Die Antwort ist: Vermittelst der Beschaffenheit unserer Sinnlichkeit, nach welcher sie auf die ihr eigentÏmliche Art von GegenstÌnden, die ihr an sich selbst unbekannt und von jenen Erscheinungen ganz unterschieden sind, gerÏhrt wird. Diese Beantwortung ist in dem Buche selbst in der transzendentalen Østhetik, hier aber in den Prolegomenen durch die AuflÎsung der ersten Hauptfrage gegeben worden. Zw e i t e n s : Wie ist Natur in f o r m e l l e r Bedeutung als 26 gerÏhrt ] Kirchmann: gefÏhrt 26 Diese ] Erdmann(2): Die
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der Inbegriff der Regeln, unter denen alle Erscheinungen stehen mÏssen, wenn sie in einer Erfahrung als verknÏpft gedacht werden sollen, mÎglich? Die Antwort kann nicht anders ausfallen als: Sie ist nur mÎglich vermittelst der Beschaffenheit unseres Verstandes, nach welcher alle jene Vorstellungen der Sinnlichkeit auf ein BewuÞtsein notwendig bezogen werden, und wodurch allererst die eigentÏmliche Art unseres Denkens, nÌmlich durch Regeln, und vermittelst dieser die Erfahrung, welche von der Einsicht der Objekte an sich selbst ganz zu unterscheiden ist, mÎglich ist. Diese Beantwortung ist in dem Buche selbst in der transzendentalen Logik, hier aber in den | Prolegomenen in dem Verlauf der AuflÎsung der zweiten Hauptfrage gegeben worden. Wie aber diese eigentÏmliche Eigenschaft unserer Sinnlichkeit selbst oder die unseres Verstandes und der ihm und allem Denken zum Grunde liegenden notwendigen Apperzeption mÎglich sei, lÌÞt sich nicht weiter auflÎsen und beantworten, weil wir ihrer zu aller Beantwortung und zu allem Denken der GegenstÌnde immer wieder nÎtig haben. Es sind viele Gesetze der Natur, die wir nur vermittelst der Erfahrung wissen kÎnnen, aber die GesetzmÌÞigkeit in VerknÏpfung der Erscheinungen, d. i. die Natur Ïberhaupt kÎnnen wir durch keine Erfahrung kennen lernen, weil Erfahrung selbst solcher Gesetze bedarf, die ihrer MÎglichkeit a priori zum Grunde liegen. Die MÎglichkeit der Erfahrung Ïberhaupt ist also zugleich das allgemeine Gesetz der Natur, und die GrundsÌtze der ersteren sind selbst die Gesetze der letzteren. Denn wir kennen Natur nicht anders, als den Inbegriff der Erscheinungen, d. i. der Vorstellungen in uns, und kÎnnen daher das Gesetz ihrer VerknÏpfung nirgend anders als von den GrundsÌtzen der VerknÏpfung derselben in uns, d. i. den Bedingungen der notwendigen Vereinigung in einem BewuÞtsein, welche die MÎglichkeit der Erfahrung ausmacht, hernehmen.
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Selbst der Hauptsatz, der durch diesen ganzen Abschnitt ausgefÏhrt worden, daÞ allgemeine Naturgesetze a | priori erkannt werden kÎnnen, fÏhrt schon von selbst auf den Satz: daÞ die oberste Gesetzgebung der Natur in uns selbst, d. i. in unserem Verstande liegen mÏsse, und daÞ wir die allgemeinen Gesetze derselben nicht von der Natur vermittelst der Erfahrung, sondern umgekehrt die Natur, ihrer allgemeinen GesetzmÌÞigkeit nach, bloÞ aus den in unserer Sinnlichkeit und dem Verstande liegenden Bedingungen der MÎglichkeit der Erfahrung suchen mÏssen; denn wie wÌre es sonst mÎglich, diese Gesetze, da sie nicht etwa Regeln der analytischen Erkenntnis, sondern wahrhafte synthetische Erweiterungen derselben sind, a priori zu kennen? Eine solche und zwar notwendige Ûbereinstimmung der Prinzipien mÎglicher Erfahrung mit den Gesetzen der MÎglichkeit der Natur kann nur aus zweierlei Ursachen stattfinden: entweder diese Gesetze werden von der Natur vermittelst der Erfahrung entlehnt, oder umgekehrt, die Natur wird von den Gesetzen der MÎglichkeit der Erfahrung Ïberhaupt abgeleitet und ist mit der bloÞen allgemeinen GesetzmÌÞigkeit der letzteren vÎllig einerlei. Das erstere widerspricht sich selbst, denn die allgemeinen Naturgesetze kÎnnen und mÏssen a priori (d. i. unabhÌngig von aller Erfahrung) erkannt und allem empirischen Gebrauche des Verstandes zum Grunde gelegt werden: also bleibt nur das zweite Ïbrig. 1
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C r u s i u s allein wuÞte einen Mittelweg: daÞ nÌmlich ein Geist, * der nicht irren noch betrÏgen kann, uns diese Naturgesetze ursprÏnglich eingepflanzt habe. Allein, da sich doch oft auch trÏgliche 30 113 GrundsÌtze einmischen, wovon das System dieses Man|nes selbst nicht wenig Beispiele gibt, so sieht es bei dem Mangel sicherer Kriterien, den echten Ursprung von dem unechten zu unterscheiden, mit dem Gebrauche eines solchen Grundsatzes sehr miÞlich aus, indem man niemals sicher wissen kann, was der Geist der Wahrheit oder 35 der Vater der LÏgen uns eingeflÎÞt haben mÎge. 1
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| Wir mÏssen aber empirische Gesetze der Natur, die jederzeit besondere Wahrnehmungen voraussetzen, von den reinen oder allgemeinen Naturgesetzen, welche, ohne daÞ besondere Wahrnehmungen zum Grunde liegen, bloÞ die Bedingungen ihrer notwendigen Vereinigung in einer Erfahrung enthalten, unterscheiden, und in Ansehung der letzteren ist Natur und m Î g l i c h e Erfahrung ganz und gar einerlei; und da in dieser die GesetzmÌÞigkeit auf der notwendigen VerknÏpfung der Erscheinungen in einer Erfahrung (ohne welche wir ganz und gar keinen Gegenstand der Sinnenwelt erkennen kÎnnen), mithin auf den ursprÏnglichen Gesetzen des Verstandes beruht, so klingt es zwar anfangs befremdlich, ist aber nichtsdestoweniger gewiÞ, wenn ich in Ansehung der letzteren sage: d e r Ve r s t a n d s c h Î p f t s e i n e G e s e t z e a pr i or i n i c h t a u s d e r Na t u r, s o n d e r n s c h r e i b t s i e d i e s e r vo r.
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Wir wollen diesen dem Anscheine nach gewagten Satz durch ein Beispiel erlÌutern, welches zeigen soll: daÞ Gesetze, die wir an GegenstÌnden der sinnlichen Anschauung entdecken, vornehmlich wenn sie als notwendig | erkannt worden, von uns selbst schon fÏr solche gehalten werden, die der Verstand hineingelegt, ob sie gleich den Naturgesetzen, die wir der Erfahrung zuschreiben, sonst in allen StÏcken Ìhnlich sind. ½ 38
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Wenn man die Eigenschaften des Zirkels betrachtet, dadurch diese Figur so manche willkÏrliche Bestimmungen des Raums in ihr sofort in einer allgemeinen Regel vereinigt, so kann man nicht umhin, diesem geometrischen Dinge eine Natur beizulegen. So teilen sich nÌmlich zwei
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Linien, die sich einander und zugleich den Zirkel schneiden, nach welchem OhngefÌhr sie auch gezogen werden, doch jederzeit so regelmÌÞig, daÞ das Rektangel aus den StÏcken einer jeden Linie dem der anderen gleich ist. Nun frage ich: ýLiegt dieses Gesetz im Zirkel, oder liegt es im Verstande?û d. i., enthÌlt diese Figur unabhÌngig vom Verstande den Grund dieses Gesetzes in sich, oder legt der Verstand, indem er nach seinen Begriffen (nÌmlich der Gleichheit der Halbmesser) die Figur selbst konstruiert hat, zugleich das Gesetz der einander in geometrischer Proportion schneidenden Sehnen in dieselbe hinein? Man wird bald gewahr, wenn man den Beweisen dieses Gesetzes nachgeht, daÞ es allein von der Bedingung, die der Verstand der Konstruktion dieser Figur zum Grunde legte, nÌmlich der Gleichheit der Halbmesser, kÎnne abgeleitet werden. Erweitern wir diesen Begriff nun, die Einheit mannigfal|tiger Eigenschaften geometrischer Figuren unter gemeinschaftlichen Gesetzen noch weiter zu verfolgen, und betrachten den Zirkel als einen Kegelschnitt, der also mit anderen Kegelschnitten unter ebendenselben Grundbedingungen der Konstruktion steht, so finden wir, daÞ alle Sehnen, die sich innerhalb der letzteren, der Ellipse, der Parabel und Hyperbel schneiden, es jederzeit so tun, daÞ die Rektangel aus ihren Teilen zwar nicht gleich sind, aber doch immer in gleichen VerhÌltnissen gegeneinander stehen. Gehen wir von da noch weiter, nÌmlich zu den Grundlehren der physischen Astronomie, so zeigt sich ein Ïber die ganze materielle Natur verbreitetes physisches Gesetz der wechselseitigen Attraktion, deren Regel ist, daÞ sie umgekehrt mit dem Quadrat der Entfernungen von jedem anziehenden Punkt ebenso abnehmen, wie die KugelflÌchen, in die sich diese Kraft verbreitet, zunehmen, welches als notwendig in der Natur 16 nun, die ] Erdmann(1): nun, um die 25 gleich sind ] Hartenstein; Original: gleich 31 - 32 abnehmen ] Erdmann(1): abnehme; Erdmann(2): abnimmt
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der Dinge selbst zu liegen scheint und daher auch als a priori erkennbar vorgetragen zu werden pflegt. So einfach nun auch die Quellen dieses Gesetzes sind, indem sie bloÞ auf dem VerhÌltnisse der KugelflÌchen von verschiedenen Halbmessern beruhen, so ist doch die Folge davon so vortrefflich in Ansehung der Mannigfaltigkeit ihrer Zusammenstimmung und RegelmÌÞigkeit derselben, daÞ nicht allein alle mÎglichen Bahnen der HimmelskÎrper in Kegelschnitten, sondern auch ein solches VerhÌltnis derselben untereinander erfolgt, daÞ kein ander Gesetz der Attraktion als das des umgekehrten QuadratverhÌltnisses der Entfer|nungen zu einem Weltsystem als schicklich erdacht werden kann. Hier ist also Natur, die auf Gesetzen beruht, welche der Verstand a priori erkennt, und zwar vornehmlich aus allgemeinen Prinzipien der Bestimmung des Raums. Nun frage ich: liegen diese Naturgesetze im Raume und lernt sie der Verstand, indem er den reichhaltigen Sinn, der in jenem liegt, bloÞ zu erforschen sucht, oder liegen sie im Verstande und in der Art, wie dieser den Raum nach den Bedingungen der synthetischen Einheit, darauf seine Begriffe insgesamt auslaufen, bestimmt? Der Raum ist etwas so GleichfÎrmiges und in Ansehung aller besonderen Eigenschaften so Unbestimmtes, daÞ man in ihm gewiÞ keinen Schatz von Naturgesetzen suchen wird. Dagegen ist das, was den Raum zur Zirkelgestalt, der Figur des Kegels und der Kugel bestimmt, der Verstand, sofern er den Grund der Einheit der Konstruktion derselben enthÌlt. Die bloÞe allgemeine Form der Anschauung, die Raum heiÞt, ist also wohl das Substratum aller auf besondere Objekte bestimmbaren Anschauungen, und in jenem liegt freilich die Bedingung der MÎglichkeit und Mannigfaltigkeit der letzteren; aber die Einheit der Objekte wird doch lediglich durch den Verstand bestimmt, und zwar 4 KugelflÌchen ] Erdmann; Original: KugelflÌche
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nach Bedingungen, die in seiner eigenen Natur liegen; und so ist der Verstand der Ursprung der allgemeinen Ordnung der Natur, indem er alle Erscheinungen unter seine eigenen Gesetze faÞt und dadurch allererst Erfahrung (ihrer Form|nach) a priori zustande bringt, vermÎge deren alles, was nur durch Erfahrung erkannt werden soll, seinen Gesetzen notwendig unterworfen wird. Denn wir haben es nicht mit der Natur d e r D i n g e a n s i c h s e l b s t zu tun, die ist sowohl von Bedingungen unserer Sinnlichkeit als des Verstandes unabhÌngig, sondern mit der Natur als einem Gegenstande mÎglicher Erfahrung, und da macht es der Verstand, indem er diese mÎglich macht, zugleich, daÞ Sinnenwelt entweder gar kein Gegenstand der Erfahrung oder eine Natur ist. ½ 39 An ha ng zur rei ne n Naturwi ss e nschaft Vo n dem System der Kategorie n
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Es kann einem Philosophen nichts erwÏnschter sein, als wenn er das Mannigfaltige der Begriffe oder GrundsÌtze, die sich ihm vorher durch den Gebrauch, den er von ihnen in concreto gemacht hatte, zerstreut dargestellt hatten, aus einem Prinzip a priori ableiten und alles auf solche Weise in eine Erkenntnis vereinigen kann. Vorher glaubte er nur, daÞ, was ihm nach einer gewissen Abstraktion Ïbrig blieb und durch Vergleichung untereinander eine besondere Art von Erkenntnissen auszumachen | schien, vollstÌndig gesammelt sei, aber es war nur ein Ag g r e g a t ; jetzt weiÞ er, daÞ gerade nur soviel, nicht mehr, nicht weniger, die Erkenntnisart ausmachen kÎnne, und sah die Notwendigkeit seiner Einteilung ein, 29 die ] Natorp/VorlÌnder: diese 30 sah ] Erdmann(1): sieht
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welches ein Begreifen ist, und nun hat er allererst ein Sy s t e m . Aus der gemeinen Erkenntnis die Begriffe heraussuchen, welche gar keine besondere Erfahrung zum Grunde liegen haben und gleichwohl in aller Erfahrungserkenntnis vorkommen, von der sie gleichsam die bloÞe Form der VerknÏpfung ausmachen, setzte kein grÎÞeres Nachdenken oder mehr Einsicht voraus, als aus einer Sprache Regeln des wirklichen Gebrauchs der WÎrter Ïberhaupt heraussuchen und so Elemente zu einer Grammatik zusammentragen (in der Tat sind beide Untersuchungen einander auch sehr nahe verwandt), ohne doch eben Grund angeben zu kÎnnen, warum eine jede Sprache gerade diese und keine andere formale Beschaffenheit habe, noch weniger aber, daÞ gerade soviel, nicht mehr noch weniger, solcher formaler Bestimmungen derselben Ïberhaupt angetroffen werden kÎnnen. Aristoteles hatte zehn solcher reinen Elementarbegriffe unter dem Namen der Kategorien 1 zusammengetragen. Diesen, welche auch PrÌdikamente genannt wurden, sah er sich hernach genÎtigt, noch fÏnf PostprÌdikamente beizufÏgen, 2 die doch zum Teil schon in jenen liegen | (als prius, simul, motus); allein diese Rhapsodie konnte mehr fÏr einen Wink fÏr den kÏnftigen Nachforscher als fÏr eine regelmÌÞig ausgefÏhrte Idee gelten und Beifall verdienen; daher sie auch bei mehrerer AufklÌrung der Philosophie als ganz unnÏtz verworfen worden. Bei einer Untersuchung der reinen (nichts Empirisches enthaltenden) Elemente der menschlichen Erkenntnis gelang es mir allererst nach langem Nachdenken, die reinen 1 2
1.Substantia. 2. Qualitas. 3. Quantitas. 4. Relatio. 5. Actio. 6. Passio. 7. Quando. 8. Ubi. 9. Situs. 10. Habitus. Oppositum, Prius, Simul, Motus, Habere.
12 eben ] Kullmann: aber 18 Aristoteles ] Erdmann: A r i s t o t e l e s
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Elementarbegriffe der Sinnlichkeit (Raum und Zeit) von denen des Verstandes mit ZuverlÌssigkeit zu unterscheiden und abzusondern. Dadurch wurden nun aus jenem Register die 7., 8., 9. Kategorie ausgeschlossen. Die Ïbrigen konnten mir zu nichts nutzen, weil kein Prinzip vorhanden war, nach welchem der Verstand vÎllig ausgemessen und alle Funktionen desselben, daraus seine reinen Begriffe entspringen, vollzÌhlig und mit PrÌzision bestimmt werden kÎnnten. Um aber ein solches Prinzip auszufinden, sah ich mich nach einer Verstandeshandlung um, die alle Ïbrigen enthÌlt und sich nur durch verschiedene Modifikationen oder Momente unterscheidet, das Mannigfaltige der Vorstellung unter die Einheit des Denkens Ïberhaupt zu bringen, und da fand ich, diese Verstandeshandlung bestehe im Urteilen. Hier lag nun schon fertige, obgleich noch nicht ganz von MÌngeln freie Arbeit der Logiker vor mir, dadurch ich in den Stand gesetzt wurde, eine vollstÌndige Tafel reiner Verstandesfunktionen, die aber in Ansehung | alles Objektes unbestimmt waren, darzustellen. Ich bezog endlich diese Funktionen zu urteilen auf Objekte Ïberhaupt, oder vielmehr auf die Bedingung, Urteile als objektiv-gÏltig zu bestimmen, und es entsprangen reine Verstandesbegriffe, bei denen ich auÞer Zweifel sein konnte, daÞ gerade nur diese und ihrer nur soviel, nicht mehr noch weniger, unsere ganze Erkenntnis der Dinge aus bloÞem Verstande ausmachen kÎnnen. Ich nannte sie wie billig nach ihrem alten Namen K a t e g o r i e n , wobei ich mir vorbehielt, alle von diesen abzuleitenden Begriffe, es sei durch VerknÏpfung untereinander oder mit der reinen Form der Erscheinung (Raum und Zeit) oder mit ihrer Materie, sofern sie noch nicht empirisch bestimmt ist (Gegenstand der Empfindung Ïberhaupt), unter der Benennung der P r Ì d i k a b i l i e n vollstÌndig hinzuzufÏgen, sobald ein System der transzendentalen Philosophie, zu deren Behuf ich es jetzt nur mit der Kritik der Vernunft selbst zu tun hatte, zustande kommen sollte.
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Das Wesentliche aber in diesem System der Kategorien, dadurch es sich von jener alten Rhapsodie, die ohne alles Prinzip fortging, unterscheidet, und warum es auch allein zur Philosophie gezÌhlt zu werden verdient, besteht darin, daÞ vermittelst desselben die wahre Bedeutung der reinen Verstandesbegriffe und die Bedingung ihres Gebrauchs genau bestimmt werden konnte. Denn da zeigte sich, daÞ sie fÏr sich selbst nichts als logische Funktionen sind, als solche aber nicht den mindesten Begriff von einem | Objekte an sich selbst ausmachen, sondern es bedÏrfen, daÞ sinnliche Anschauung zum Grunde liege, und alsdann nur dazu dienen, empirische Urteile, die sonst in Ansehung aller Funktionen zu urteilen unbestimmt und gleichgÏltig sind, in Ansehung derselben zu bestimmen, ihnen dadurch AllgemeingÏltigkeit zu verschaffen und vermittelst ihrer E r f a h r u n g s u r t e i l e Ïberhaupt mÎglich zu machen. Von einer solchen Einsicht in die Natur der Kategorien, die sie zugleich auf den bloÞen Erfahrungsgebrauch einschrÌnkte, lieÞ sich weder ihr erster Urheber noch irgendeiner nach ihm etwas einfallen; aber ohne diese Einsicht (die ganz genau von der Ableitung oder Deduktion derselben abhÌngt) sind sie gÌnzlich unnÏtz und ein elendes Namenregister, ohne ErklÌrung und Regel ihres Gebrauchs. WÌre dergleichen jemals den Alten in den Sinn gekommen, ohne Zweifel: das ganze Studium der reinen Vernunfterkenntnis, welches unter dem Namen Metaphysik viele Jahrhunderte hindurch so manchen guten Kopf verdorben hat, wÌre in ganz anderer Gestalt zu uns gekommen und hÌtte den Verstand der Menschen aufgeklÌrt, anstatt ihn, wie wirklich geschehen ist, in dÏsteren und vergeblichen GrÏbeleien zu erschÎpfen und fÏr wahre Wissenschaft unbrauchbar zu machen. Dieses System der Kategorien macht nun alle Behandlung eines jeden Gegenstandes der reinen Vernunft selbst 5 desselben] Erdmann; Original: derselben
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wiederum systematisch und gibt eine ungezweifelte Anweisung oder Leitfaden ab, wie und durch welche Punk|te der Untersuchung jede metaphysische Betrachtung, wenn sie vollstÌndig werden soll, mÏsse gefÏhrt werden; denn es erschÎpft alle Momente des Verstandes, unter welche jeder andere Begriff gebracht werden muÞ. So ist auch die Tafel der GrundsÌtze entstanden, von deren VollstÌndigkeit man nur durch das System der Kategorien gewiÞ sein kann, und selbst in der Einteilung der Begriffe, welche Ïber den physiologischen Verstandesgebrauch hinausgehen sollen (Kritik, S. 344, imgleichen S. 415), ist es immer derselbe Leitfaden, der, weil er immer durch dieselben festen, im menschlichen Verstande a priori bestimmten Punkte gefÏhrt werden muÞ, jederzeit einen geschlossenen Kreis bildet, der keinen Zweifel Ïbrig lÌÞt, daÞ der Gegenstand eines reinen Verstandes- oder Vernunftbegriffs, sofern er philosophisch und nach GrundsÌtzen a priori erwogen werden soll, auf solche Weise vollstÌndig erkannt werden kÎnne. Ich habe sogar nicht unterlassen kÎnnen, von dieser Leitung in Ansehung einer der abstraktesten ontologischen Einteilungen, nÌmlich der mannigfaltigen Unterscheidung der B e g r i f f e vo n E t wa s u n d N i c h t s Gebrauch zu machen, und danach eine regelmÌÞige und notwendige Tafel (Kritik, S. 292) zustande zu bringen.1
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Ûber eine vorgelegte Tafel der Kategorien lassen sich allerlei ar- 25 tige Anmerkungen machen, als: 1. daÞ die dritte aus der ersten und zweiten, in einen Begriff verbunden, entspringe, 2. daÞ in denen von der GrÎÞe und QualitÌt bloÞ ein Fortschritt von der Einheit zur Allheit, oder von dem Etwas zum Nichts (zu diesem Behuf mÏssen die Kategorien der QualitÌt so stehen: RealitÌt, EinschrÌnkung, vÎl- 30 lige Negation) fortgehe, ohne Correlata oder Opposita, dagegen die 123 der Relation und ModalitÌt | diese letzteren bei sich fÏhren, 3. daÞ, sowie im L o g i s c h e n kategorische Urteile allen anderen zum Grun1
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| Ebendieses System zeigt seinen nicht genug anzupreisenden Gebrauch, sowie jedes auf ein allgemeines Prinzip gegrÏndetes wahre System, auch darin, daÞ es alle fremdartigen Begriffe, die sich sonst zwischen jene reinen Verstandesbegriffe einschleichen mÎchten, ausstÎÞt und jeder Erkenntnis ihre Stelle bestimmt. Diejenigen Begriffe, welche ich unter dem Namen der Re f l e x i o n s b e g r i f f e gleichfalls nach dem Leitfaden der Kategorien in eine Tafel gebracht hatte, mengen sich in der Ontologie, ohne VergÏnstigung und rechtmÌÞige AnsprÏche, unter die reinen Verstandesbegriffe, obgleich diese Begriffe der VerknÏpfung und dadurch des Objekts selbst, jene aber nur der bloÞen Vergleichung schon gegebener Begriffe sind und daher eine ganz andere Natur und Gebrauch haben; durch meine gesetzmÌÞige Einteilung (Kritik, S. 260) werden sie aus diesem Gemenge geschieden. Noch viel heller aber leuchtet der Nutzen jener abgesonderten Tafel der Kategorien in die | Augen, wenn wir, wie es gleich jetzt geschehen wird, die Tafel transzendentaler Vernunftbegriffe, die von ganz anderer Natur und Ursprung sind als jene Verstandesbegriffe (daher auch eine de liegen, so die Kategorie der Substanz allen Begriffen von wirklichen Dingen, 4. daÞ, sowie die ModalitÌt im Urteile kein besonderes PrÌdikat ist, so auch die Modalbegriffe keine Bestimmung zu Dingen hinzutun usw.; dergleichen Betrachtungen alle ihren groÞen Nutzen haben. ZÌhlt man Ïberdem alle P r Ì d i k a b i l i e n auf, die man ziemlich vollstÌndig aus jeder guten Ontologie (z. B. B a u m g a r t e n s ) ziehen kann, und ordnet sie klassenweise unter die Kategorien, wobei man nicht versÌumen muÞ, eine so vollstÌndige Zergliederung aller dieser Begriffe als mÎglich hinzuzufÏgen, so wird ein bloÞ analytischer Teil der Metaphysik entspringen, der noch gar keinen synthetischen Satz enthÌlt und vor dem zweiten (dem synthetischen) vorhergehen kÎnnte und durch seine Bestimmtheit und VollstÌndigkeit nicht allein Nutzen, sondern vermÎge des Systematischen in ihm noch Ïberdem eine gewisse SchÎnheit enthalten wÏrde. 21 daher ] Natorp/VorlÌnder: die daher 24 Modalbegriffe ] Hartenstein; Original: Modelbegriffe
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Der transzendentalen Hauptfrage zweiter Teil
andere Form haben muÞ), von jenen trennen, welche so notwendige Absonderung doch niemals in irgendeinem System der Metaphysik geschehen ist, wo jene Vernunftideen mit Verstandesbegriffen, als gehÎrten sie wie Geschwister zu einer Familie, ohne Unterschied durcheinander laufen, welche Vermengung in Ermangelung eines besonderen Systems der Kategorien auch niemals vermieden werden konnte.
3 wo ] VorlÌnder; Erdmann(1): und daher; Schulz: daher; Erdmann(2): wo daher; Original: ist, jene
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Der transzendentalen Hauptfrage dritter Teil Wie ist Metaphysik Ïberhaupt mÎglich?
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Reine Mathematik und reine Naturwissenschaft hÌtten z u m B e h u f i h r e r e i g e n e n S i c h e r h e i t und GewiÞheit keiner dergleichen Deduktion bedurft, als wir bisher von beiden zustande gebracht haben; denn die erstere stÏtzt sich auf ihre eigene Evidenz; die zweite aber, obgleich aus reinen Quellen des Verstandes entsprungen, dennoch auf Erfahrung und deren durchgÌngige BestÌtigung, welcher letzteren Zeugnis sie darum nicht gÌnzlich ausschla|gen und entbehren kann, weil sie mit aller ihrer GewiÞheit dennoch, als Philosophie, es der Mathematik niemals gleichtun kann. Beide Wissenschaften hatten also die gedachte Untersuchung nicht fÏr sich, sondern fÏr eine andere Wissenschaft, nÌmlich Metaphysik, nÎtig. Metaphysik hat es auÞer mit Naturbegriffen, die in der Erfahrung jederzeit ihre Anwendung finden, noch mit reinen Vernunftbegriffen zu tun, die niemals in irgendeiner nur immer mÎglichen Erfahrung gegeben werden, mithin mit Begriffen, deren objektive RealitÌt (daÞ sie nicht bloÞe Hirngespinste sind), und mit Behauptungen, deren Wahrheit oder Falschheit durch keine Erfahrung bestÌtigt oder aufgedeckt werden kann; und dieser Teil der Metaphysik ist Ïberdem gerade derjenige, welcher den wesentlichen Zweck derselben, wozu alles andere nur Mittel ist, ausmacht, und so bedarf diese Wissenschaft einer solchen Deduktion u m i h r e r s e l b s t w i l l e n . Die uns jetzt vorgelegte dritte Frage betrifft also gleichsam den Kern und das EigentÏmliche der Metaphysik, nÌmlich die BeschÌftigung der Vernunft bloÞ mit sich selbst und, indem sie Ïber ihre eigenen Begriffe brÏtet, die unmittelbar daraus vermeintlich entspringende Bekannt-
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Der transzendentalen Hauptfrage dritter Teil
schaft mit Objekten, ohne dazu der Vermittelung der Erfahrung nÎtig zu haben noch Ïberhaupt durch dieselbe dazu gelangen zu kÎnnen. 1 |Ohne AuflÎsung dieser Frage tut sich Vernunft niemals selbst genug. Der Erfahrungsgebrauch, auf welchen die Vernunft den reinen Verstand einschrÌnkt, erfÏllt nicht ihre eigene ganze Bestimmung. Jede einzelne Erfahrung ist nur ein Teil von der ganzen SphÌre ihres Gebietes; das a b s o l u t e G a n z e a l l e r m Î g l i c h e n E r f a h r u n g ist aber selbst keine Erfahrung und dennoch ein notwendiges Problem fÏr die Vernunft, zu dessen bloÞer Vorstellung sie ganz andere Begriffe nÎtig hat als jene reinen Verstandesbegriffe, deren Gebrauch n u r i m m a n e n t ist, d. i. auf Erfahrung geht, soweit sie gegeben werden kann, indessen daÞ Vernunftbegriffe auf die VollstÌndigkeit, d. i. die kollektive Einheit der ganzen mÎglichen Erfahrung und dadurch Ïber jede gegebene Erfahrung hinausgehen und t r a n s z e n d e n t werden. Sowie also der Verstand der Kategorien zur Erfahrung bedurfte, so enthÌlt die Vernunft in sich den Grund zu Ideen, worunter ich notwendige Begriffe verstehe, deren Gegenstand gleichwohl in keiner Erfahrung gegeben werden k a n n . Die letzteren sind ebensowohl in der Natur der Vernunft als die ersteren in der Natur des Verstandes gelegen, und wenn jene einen Schein bei sich fÏhren, der leicht verleiten kann, so ist dieser Schein unvermeidlich, obzwar, ýdaÞ er nicht verfÏhre,û gar wohl verhÏtet werden kann. |Da aller Schein darin besteht, daÞ der subjektive
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Wenn man sagen kann, daÞ eine Wissenschaft wenigstens in der 30 Idee aller Menschen w i r k l i c h sei, sobald es ausgemacht ist, daÞ die Aufgaben, die darauf fÏhren, durch die Natur der menschlichen Ver126 nunft jedermann vorgelegt und daher auch jederzeit | darÏber viele, obgleich fehlerhafte Versuche unvermeidlich sind, so wird man auch sagen mÏssen: Metaphysik sei subjektive (und zwar notwendigerwei- 35 se) wirklich, und da fragen wir also mit Recht, wie sie (objektive) mÎglich sei? 1
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Grund des Urteils fÏr objektiv gehalten wird, so wird eine Selbsterkenntnis der reinen Vernunft in ihrem transzendenten (Ïberschwenglichen) Gebrauch das einzige Verwahrungsmittel gegen die Verirrungen sein, in welche die Vernunft gerÌt, wenn sie ihre Bestimmung miÞdeutet und dasjenige transzendenter Weise aufs Objekt an sich selbst bezieht, was nur ihr eigenes Subjekt und die Leitung desselben in allem immanenten Gebrauche angeht. ½ 41
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Die Unterscheidung der I d e e n , d. i. der reinen Vernunftbegriffe, von den Kategorien oder reinen Verstandesbegriffen als Erkenntnissen von ganz verschiedener Art, Ursprung und Gebrauch, ist ein so wichtiges StÏck zur Grundlegung einer Wissenschaft, welche das System aller dieser Erkenntnisse a priori enthalten soll, daÞ ohne eine solche Absonderung Metaphysik schlechterdings unmÎglich oder hÎchstens ein regelloser, stÏmperhafter Versuch ist, ohne Kenntnis der Materialien, womit man sich beschÌftigt, und ihrer Tauglichkeit zu dieser oder jener Absicht ein KartengebÌude zusammenzuflicken. Wenn Kritik der reinen Vernunft auch nur das allein geleistet hÌtte, diesen Unterschied zuerst vor Augen zu legen, so hÌtte sie dadurch schon mehr zur AufklÌrung unseres Begriffs und der Leitung der Nachforschung im Felde der Metaphysik beigetragen als alle fruchtlose BemÏhungen, den transzendenten Aufgaben der reinen Vernunft ein | GenÏge zu tun, die man von jeher unternommen hat, ohne jemals zu wÌhnen, daÞ man sich in einem ganz anderen Felde befÌnde als dem des Verstandes, und daher Verstandes- und Vernunftbegriffe, gleich als ob sie von einerlei Art wÌren, in einem Striche hernannte.
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Der transzendentalen Hauptfrage dritter Teil
½ 42 Alle reinen Verstandeserkenntnisse haben das an sich, daÞ sich ihre Begriffe in der Erfahrung geben und ihre GrundsÌtze durch Erfahrung bestÌtigen lassen; dagegen die transzendenten Vernunfterkenntnisse sich weder, was ihre I d e e n betrifft, in der Erfahrung geben noch ihre S Ì t z e jemals durch Erfahrung bestÌtigen noch widerlegen lassen; daher der dabei vielleicht einschleichende Irrtum durch nichts anderes als reine Vernunft selbst aufgedeckt werden kann, welches aber sehr schwer ist, weil ebendiese Vernunft vermittelst ihrer Ideen natÏrlicherweise dialektisch wird, und dieser unvermeidliche Schein durch keine objektiven und dogmatischen Untersuchungen der Sachen, sondern bloÞ durch subjektive der Vernunft selbst, als einem Quell der Ideen, in Schranken gehalten werden kann.
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Es ist jederzeit in der Kritik mein grÎÞtes Augenmerk gewesen, wie ich nicht allein die Erkenntnisarten sorgfÌltig unterscheiden, sondern auch alle zu jeder derselben gehÎrigen Begriffe aus ihrem gemeinschaftlichen Quell ableiten kÎnnte, | damit ich nicht allein dadurch, daÞ ich unterrichtet wÌre, woher sie abstammen, ihren Gebrauch mit Sicherheit bestimmen kÎnnte, sondern auch den noch nie vermuteten, aber unschÌtzbaren Vorteil hÌtte, die VollstÌndigkeit in der AufzÌhlung, Klassifizierung und Spezifizierung der Begriffe a priori, mithin nach Prinzipien zu erkennen. Ohne dieses ist in der Metaphysik alles lauter Rhapsodie, wo man niemals weiÞ, ob dessen, was man besitzt, genug ist, oder ob und wo noch etwas fehlen mÎge. Freilich kann 13 Untersuchungen ] Natorp/VorlÌnder: Untersuchung 14 einem Quell] Erdmann: eines Quells 19 alle ] Grillo; Original: allein
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man diesen Vorteil auch nur in der reinen Philosophie haben, von dieser aber macht derselbe auch das Wesen aus. Da ich den Ursprung der Kategorien in den vier logischen Funktionen aller Urteile des Verstandes gefunden hatte, so war es ganz natÏrlich, den Ursprung der Ideen in den drei Funktionen der VernunftschlÏsse zu suchen; denn wenn einmal solche reine Vernunftbegriffe (transzendentale Ideen) gegeben sind, so kÎnnten sie, wenn man sie nicht etwa fÏr angeboren halten will, wohl nirgend anders als in derselben Vernunfthandlung angetroffen werden, welche, sofern sie bloÞ die Form betrifft, das Logische der VernunftschlÏsse, sofern sie aber die Verstandesurteile in Ansehung einer oder der anderen Form a priori als bestimmt vorstellt, transzendentale Begriffe der reinen Vernunft ausmacht. Der formale Unterschied der VernunftschlÏsse macht die Einteilung derselben in kategorische, hypothetische und disjunktive notwendig. Die darauf gegrÏndeten Ver|nunftbegriffe enthalten also erstlich die Idee des vollstÌndigen Subjekts (Substantiale), zweitens die Idee der vollstÌndigen Reihe der Bedingungen, drittens die Bestimmung aller Begriffe in der Idee eines vollstÌndigen Inbegriffs des MÎglichen. 1 Die erste Idee war
Im disjunktiven Urteile betrachten wir a l l e M Î g l i c h ke i t respektiv auf einen gewissen Begriff als eingeteilt. Das ontologische 25 Prinzip der durchgÌngigen Bestimmung eines Dinges Ïberhaupt (von allen mÎglichen entgegengesetzten PrÌdikaten kommt jedem Dinge eines zu), welches zugleich das Prinzip aller disjunktiven Urteile ist, legt den Inbegriff aller MÎglichkeit zum Grunde, in welchem die MÎglichkeit jedes Dinges Ïberhaupt als bestimmter ange30 sehen wird. Dieses dient zu einer kleinen ErlÌuterung des obigen Satzes: daÞ die Vernunfthandlung in disjunktiven VernunftschlÏssen der Form nach mit derjenigen einerlei sei, wodurch sie die Idee eines Inbegriffs aller RealitÌt zustande bringt, welche das Positive aller einander entgegengesetzten PrÌdikate in sich enthÌlt. 1
29 bestimmter ] Hartenstein: bestimmte; Grillo: bestimmt; Erdmann(2): bestimmbar
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psychologisch, die zweite kosmologisch, die dritte theologisch; und da alle drei zu einer Dialektik AnlaÞ geben, doch jede auf ihre eigene Art, so grÏndete sich darauf die Einteilung der ganzen Dialektik der reinen Vernunft: in den Paralogismus, die Antinomie und endlich das Ideal derselben; durch welche Ableitung man vÎllig sicher gestellt wird, daÞ alle AnsprÏche der reinen Vernunft hier ganz vollstÌndig vorgestellt sind, und kein einziger fehlen kann, weil das VernunftvermÎgen selbst, als woraus sie allen ihren Ursprung nehmen, dadurch gÌnzlich ausgemessen wird. [331]
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½ 44 Es ist bei dieser Betrachtung im allgemeinen noch merkwÏrdig, daÞ die Vernunftideen nicht etwa so wie die | Kategorien uns zum Gebrauche des Verstandes in Ansehung der Erfahrung irgendetwas nutzen, sondern in Ansehung desselben vÎllig entbehrlich, ja wohl gar den Maximen der Vernunfterkenntnis der Natur entgegen und hinderlich, gleichwohl aber doch in anderer, noch zu bestimmender Absicht notwendig sind. Ob die Seele eine einfache Substanz sei oder nicht, das kann uns zur ErklÌrung der Erscheinungen derselben ganz gleichgÏltig sein; denn wir kÎnnen den Begriff eines einfachen Wesens durch keine mÎgliche Erfahrung sinnlich, mithin in concreto verstÌndlich machen; und so ist er in Ansehung aller verhofften Einsicht in die Ursache der Erscheinungen ganz leer und kann zu keinem Prinzip der ErklÌrung dessen, was innere oder ÌuÞere Erfahrung an die Hand
1 psychologisch ] Grillo; Original: physiologisch 10 allen ] Grillo: alle; Erdmann(1): allein 14 Vernunftideen ] Hartenstein; Original: Vernunftidee 18 Vernunfterkenntnis ] Hartenstein: Verstandeserkenntnis
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gibt, dienen. Ebensowenig kÎnnen uns die kosmologischen Ideen vom Weltanfange oder der Weltewigkeit (a parte ante) dazu nutzen, um irgendeine Begebenheit in der Welt selbst daraus zu erklÌren. Endlich mÏssen wir nach einer richtigen Maxime der Naturphilosophie uns aller ErklÌrung der Natureinrichtung, die aus dem Willen eines hÎchsten Wesens gezogen worden, enthalten, weil dieses nicht mehr Naturphilosophie ist, sondern ein GestÌndnis, daÞ es damit bei uns zu Ende gehe. Es haben also diese Ideen eine ganz andere Bestimmung ihres Gebrauchs als jene Kategorien, durch die und die darauf gebauten GrundsÌtze Erfahrung selbst allererst mÎglich ward. Indessen wÏrde doch unsere mÏhsame Analytik des Verstandes, wenn unsere Absicht auf nichts anderes | als bloÞe Naturerkenntnis, sowie sie in der Erfahrung gegeben werden kann, gerichtet wÌre, auch ganz ÏberflÏssig sein; denn Vernunft verrichtet ihr GeschÌft sowohl in der Mathematik als Naturwissenschaft auch ohne alle diese subtile Deduktion ganz sicher und gut; also vereinigt sich unsere Kritik des Verstandes mit den Ideen der reinen Vernunft zu einer Absicht, welche Ïber den Erfahrungsgebrauch des Verstandes hinausgesetzt ist, von welchem wir doch oben gesagt haben, daÞ er in diesem Betracht gÌnzlich unmÎglich und ohne Gegenstand oder Bedeutung sei. Es muÞ aber dennoch zwischen dem, was zur Natur der Vernunft und des Verstandes gehÎrt, Einstimmung sein, und jene muÞ zur Vollkommenheit der letzteren beitragen und kann sie unmÎglich verwirren. Die AuflÎsung dieser Frage ist folgende: Die reine Vernunft hat unter ihren Ideen nicht besondere GegenstÌnde, die Ïber das Feld der Erfahrung hinauslÌgen, zur Absicht, sondern fordert nur VollstÌndigkeit des Verstandesgebrauchs im Zusammenhange der Erfahrung. Diese VollstÌndigkeit aber kann nur eine VollstÌndigkeit der Prinzipien, aber nicht der Anschauungen und GegenstÌnde sein. Gleichwohl, um sich jene bestimmt vorzustellen,
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denkt sie sich solche als die Erkenntnis eines Objekts, dessen Erkenntnis in Ansehung jener Regeln vollstÌndig bestimmt ist, welches Objekt aber nur eine Idee ist, um die Verstandeserkenntnis der VollstÌndigkeit, die jene Idee bezeichnet, so nahe wie mÎglich zu bringen. 133
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|½ 45 VorlÌufige Bemerku ng zur Dialektik der re i ne n Vernu nft Wir haben oben ½½ 33, 34 gezeigt, daÞ die Reinigkeit der Kategorien von aller Beimischung sinnlicher Bestimmungen die Vernunft verleiten kÎnne, ihren Gebrauch gÌnzlich Ïber alle Erfahrung hinaus auf Dinge an sich selbst auszudehnen, wiewohl, da sie selbst keine Anschauung finden, welche ihnen Bedeutung und Sinn in concreto verschaffen kÎnnte, sie als bloÞ logische Funktionen zwar ein Ding Ïberhaupt vorstellen, aber fÏr sich allein keinen bestimmten Begriff von irgendeinem Dinge geben kÎnnen. Dergleichen hyperbolische Objekte sind nun die, so man No u m e n a oder reine Verstandeswesen (besser Gedankenwesen) nennt, als z. B. S u b s t a n z , welche aber o h n e B e h a r r l i c h k e i t in der Zeit gedacht wird, oder eine Ur s a c h e , die aber n i c h t i n d e r Z e i t wirkte usw., da man ihnen denn PrÌdikate beilegt, die bloÞ dazu dienen, die GesetzmÌÞigkeit der Erfahrung mÎglich zu machen, und gleichwohl alle Bedingungen der Anschauung, unter denen allein Erfahrung mÎglich ist, von ihnen wegnimmt, wodurch jene Begriffe wiederum alle Bedeutung verlieren. Es hat aber keine Gefahr, daÞ der Verstand von selbst, ohne durch fremde Gesetze gedrungen zu sein, Ïber seine 1 Erkenntnis ] Kullmann: Einheit 21 in der Zeit ] Kullmann: i n d e r Z e i t
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Grenzen so ganz mutwillig in das Feld von bloÞen Gedankenwesen ausschweifen werde. Wenn aber die Ver|nunft, die mit keinem Erfahrungsgebrauche der Verstandesregeln, als der immer noch bedingt ist, vÎllig befriedigt sein kann, Vollendung dieser Kette von Bedingungen fordert, so wird der Verstand aus seinem Kreise getrieben, um teils GegenstÌnde der Erfahrung in einer so weit erstreckten Reihe vorzustellen, dergleichen gar keine Erfahrung fassen kann, teils sogar (um sie zu vollenden) gÌnzlich auÞerhalb derselben No u m e n a zu suchen, an welche sie jene Kette knÏpfen und dadurch, von Erfahrungsbedingungen endlich einmal unabhÌngig, ihre Haltung gleichwohl vollstÌndig machen kÎnne. Das sind nun die transzendentalen Ideen, welche, sie mÎgen nun nach dem wahren, aber verborgenen Zwecke der Naturbestimmung unserer Vernunft nicht auf Ïberschwengliche Begriffe, sondern bloÞ auf unbegrenzte Erweiterung des Erfahrungsgebrauchs angelegt sein, dennoch durch einen unvermeidlichen Schein dem Verstande einen t r a n s z e n d e n t e n Gebrauch ablocken, der, obzwar betrÏglich, dennoch durch keinen Vorsatz, innerhalb den Grenzen der Erfahrung zu bleiben, sondern nur durch wissenschaftliche Belehrung und mit MÏhe in Schranken gebracht werden kann.
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½ 46 I. Psychologische Ide e n. ( Kriti k, S. 3 41 u. f.) Man hat schon lÌngst angemerkt, daÞ uns an allen Substanzen das eigentliche Subjekt, nÌmlich das, was | Ïbrig bleibt, nachdem alle Akzidenzen (als PrÌdikate) abgesondert worden, mithin das S u b s t a n t i a l e selbst, unbekannt sei, und Ïber diese Schranken unserer Einsicht viel-
26 Ideen.] VorlÌnder: Idee.
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fÌltig Klagen gefÏhrt. Es ist aber hierbei wohl zu merken, daÞ der menschliche Verstand darÏber nicht in Anspruch zu nehmen sei, daÞ er das Substantiale der Dinge nicht kennt, d. i. fÏr sich allein bestimmen kann, sondern vielmehr darÏber, daÞ er es als eine bloÞe Idee gleich einem gegebenen Gegenstande bestimmt zu erkennen verlangt. Die reine Vernunft fordert, daÞ wir zu jedem PrÌdikate eines Dinges sein ihm zugehÎriges Subjekt, zu diesem aber, welches notwendigerweise wiederum nur PrÌdikat ist, fernerhin sein Subjekt und so forthin ins Unendliche (oder soweit wir reichen) suchen sollen. Aber hieraus folgt, daÞ wir nichts, wozu wir gelangen kÎnnen, fÏr ein letztes Subjekt halten sollen, und daÞ das Substantiale selbst niemals von unserem noch so tief eindringenden Verstande, selbst wenn ihm die ganze Natur aufgedeckt wÌre, gedacht werden kÎnne; weil die spezifische Natur unseres Verstandes darin besteht, alles diskursiv, d. i. durch Begriffe, mithin auch durch lauter PrÌdikate zu denken, wozu also das absolute Subjekt jederzeit fehlen muÞ. Daher sind alle realen Eigenschaften, dadurch wir KÎrper erkennen, lauter Akzidenzen, sogar die Undurchdringlichkeit, die man sich immer nur als die Wirkung einer Kraft vorstellen muÞ, dazu uns das Subjekt fehlt. |Nun scheint es, als ob wir in dem BewuÞtsein unserer selbst (dem denkenden Subjekt) dieses Substantiale haben, und zwar in einer unmittelbaren Anschauung; denn alle PrÌdikate des inneren Sinnes beziehen sich auf das I c h als Subjekt, und dieses kann nicht weiter als PrÌdikat irgendeines anderen Subjekts gedacht werden. Also scheint hier die VollstÌndigkeit in der Beziehung der gegebenen Begriffe als PrÌdikate auf ein Subjekt nicht bloÞ Idee, sondern der Gegenstand, nÌmlich das a b s o l u t e S u b j e k t selbst, in der Erfahrung gegeben zu sein. Allein diese Erwartung
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wird vereitelt. Denn das Ich ist gar kein Begriff,1 sondern nur Bezeichnung des Gegenstandes des inneren Sinnes, sofern wir es durch kein PrÌdikat weiter erkennen; mithin kann es zwar an sich kein PrÌdikat von einem anderen Dinge sein, aber ebensowenig auch ein bestimmter Begriff eines absoluten Subjekts, sondern nur, wie in allen anderen FÌllen, die Beziehung der inneren Erscheinungen auf das unbekannte Subjekt derselben. Gleichwohl veranlaÞt diese Idee (die gar wohl dazu dient, als regulatives Prinzip alle materialistischen ErklÌrungen der inneren Erscheinungen unserer Seele gÌnzlich zu vernichten) durch einen ganz natÏrlichen MiÞverstand ein sehr scheinba|res Argument, um aus dieser vermeinten Erkenntnis von dem Substantiale unseres denkenden Wesens seine Natur, sofern die Kenntnis derselben ganz auÞer den Inbegriff der Erfahrung hinausfÌllt, zu schlieÞen. ½ 47
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Dieses denkende Selbst (die Seele) mag nun aber auch als das letzte Subjekt des Denkens, was selbst nicht weiter als PrÌdikat eines anderen Dinges vorgestellt werden kann, Substanz heiÞen: so bleibt dieser Begriff doch gÌnzlich
WÌre die Vorstellung der Apperzeption, das I c h , ein Begriff, wodurch irgendetwas gedacht wÏrde, so wÏrde es auch als PrÌdikat von anderen Dingen gebraucht werden kÎnnen oder solche PrÌdikate 25 in sich enthalten. Nun ist es nichts mehr als GefÏhl eines Daseins ohne den mindesten Begriff und nur Vorstellung desjenigen, worauf alles Denken in Beziehung (relatione accidentis) steht. 1
11 vernichten) ] Im Original steht hinter ývernichtenû ein Asteriskus; die zugehÎrige Anmerkung fehlt. Kullmann schlÌgt vor, den zweiten Satz der vorangehenden Anmerkung (ûNun ist es ... in Beziehung (relatione accidentis) steht.û) als eigenstÌndige Anmerkung zu diesem Asteriskus zu lesen. 14 seine] Erdmann(1): auf seine
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leer und ohne alle Folgen, wenn nicht von ihm die Beharrlichkeit als das, was den Begriff der Substanzen in der Erfahrung fruchtbar macht, bewiesen werden kann. Die Beharrlichkeit kann aber niemals aus dem Begriffe einer Substanz als eines Dinges an sich, sondern nur zum Behuf der Erfahrung bewiesen werden. Dieses ist bei der ersten Analogie der Erfahrung hinreichend dargetan worden (Kritik, S. 182); und will man sich diesem Beweise nicht ergeben, so darf man nur den Versuch selbst anstellen, ob es gelingen werde, aus dem Begriffe eines Subjekts, was selbst nicht als PrÌdikat eines anderen Dinges existiert, zu beweisen, daÞ sein Dasein durchaus beharrlich sei, und daÞ es weder an sich selbst noch durch irgendeine Naturursache entstehen oder vergehen kÎnne. Dergleichen synthetische SÌtze a priori kÎnnen niemals an sich selbst, sondern jederzeit nur in Beziehung auf Dinge| als GegenstÌnde einer mÎglichen Erfahrung bewiesen werden.
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½ 48 Wenn wir also aus dem Begriffe der Seele als Substanz auf Beharrlichkeit derselben schlieÞen wollen, so kann dieses von ihr doch nur zum Behuf mÎglicher Erfahrung, und nicht von ihr als einem Dinge an sich selbst und Ïber alle mÎgliche Erfahrung hinaus gelten. Nun ist die subjektive Bedingung aller unserer mÎglichen Erfahrung das Leben: folglich kann nur auf die Beharrlichkeit der Seele im Leben geschlossen werden, denn der Tod des Menschen ist das Ende aller Erfahrung, was die Seele als einen Gegenstand derselben betrifft, wofern nicht das Gegenteil dargetan wird, als wovon eben die Frage ist. Also kann die Beharrlichkeit der Seele nur im Leben des Menschen (deren Beweis man uns wohl schenken wird), 13 an ] Kullmann: von
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aber nicht nach dem Tode (als woran uns eigentlich gelegen ist) dargetan werden, und zwar aus dem allgemeinen Grunde, weil der Begriff der Substanz, sofern er mit dem Begriff der Beharrlichkeit als notwendig verbunden angesehen werden soll, dieses nur nach einem Grundsatze mÎglicher Erfahrung und also auch nur zum Behuf derselben sein kann. 1 |½ 49
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DaÞ unseren ÌuÞeren Wahrnehmungen etwas Wirkliches auÞer uns nicht bloÞ korrespondiere, sondern auch korreEs ist in der Tat sehr merkwÏrdig, daÞ die Metaphysiker jederzeit so sorglos Ïber den Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanzen weggeschlÏpft sind, ohne jemals einen Beweis davon zu versuchen; ohne Zweifel, weil sie sich, sobald sie es mit dem Begriffe Substanz anfingen, von allen BeweistÏmern gÌnzlich verlassen sahen. Der gemeine Verstand, der gar wohl inne ward, daÞ ohne diese Voraussetzung keine Vereinigung der | Wahrnehmungen in einer Erfahrung 139 mÎglich sei, ersetzte diesen Mangel durch ein Postulat; denn aus der Erfahrung selbst konnte er diesen Grundsatz nimmermehr ziehen, teils weil sie die Materien (Substanzen) bei allen ihren VerÌnderungen und AuflÎsungen nicht so weit verfolgen kann, um den Stoff immer unvermindert anzutreffen, teils weil der Grundsatz No t we n d i g ke i t enthÌlt, die jederzeit das Zeichen eines Prinzips a priori ist. Nun wandten sie diesen Grundsatz getrost auf den Begriff der Seele als einer S u b s t a n z an und schlossen auf eine notwendige Fortdauer derselben nach dem Tode des Menschen (vornehmlich da die Einfachheit dieser Substanz, welche aus der Unteilbarkeit des BewuÞtseins gefolgert ward, sie wegen des Unterganges durch AuflÎsung sicherte). HÌtten sie die echte Quelle dieses Grundsatzes gefunden, welches aber weit tiefere Untersuchungen erforderte, als sie jemals anzufangen Lust hatten, so wÏrden sie gesehen haben: daÞ jenes Gesetz der Beharrlichkeit der Substanzen nur zum Behuf der Erfahrung stattfinde und daher nur auf Dinge, sofern sie in der Erfahrung erkannt und mit anderen verbunden werden sollen, niemals aber von ihnen auch unangesehen aller mÎglichen Erfahrung, mithin auch nicht von der Seele nach dem Tode gelten kÎnne. 1
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spondieren mÏsse, kann gleichfalls niemals als VerknÏpfung der Dinge an sich selbst, wohl aber zum Behuf der Erfahrung bewiesen werden. Dieses will soviel sagen: daÞ etwas auf empirische Art, mithin als Erscheinung im Raume auÞer uns sei, kann man gar wohl beweisen; denn mit anderen GegenstÌnden als denen, die zu einer mÎglichen Erfahrung gehÎren, haben wir es nicht zu tun, ebendarum weil sie uns in keiner Erfahrung gegeben werden kÎnnen und also fÏr uns nichts sind. Empirisch auÞer mir ist das, was im Raume angeschaut wird; und | da dieser samt allen Erscheinungen, die er enthÌlt, zu den Vorstellungen gehÎrt, deren VerknÏpfung nach Erfahrungsgesetzen ebensowohl ihre objektive Wahrheit beweist als die VerknÏpfung der Erscheinungen des inneren Sinnes die Wirklichkeit meiner Seele (als eines Gegenstandes des inneren Sinnes), so bin ich mir vermittelst der ÌuÞeren Erfahrung ebensowohl der Wirklichkeit der KÎrper als ÌuÞerer Erscheinungen im Raume, wie vermittelst der inneren Erfahrung des Daseins meiner Seele in der Zeit bewuÞt, die ich auch nur als einen Gegenstand des inneren Sinnes durch Erscheinungen, die einen inneren Zustand ausmachen, erkenne, und wovon mir das Wesen an sich selbst, das diesen Erscheinungen zum Grunde liegt, unbekannt ist. Der Cartesianische Idealismus unterscheidet also nur ÌuÞere Erfahrung vom Traume und die GesetzmÌÞigkeit als ein Kriterium der Wahrheit der ersteren von der Regellosigkeit und dem falschen Schein des letzteren. Er setzt in beiden Raum und Zeit als Bedingungen des Daseins der GegenstÌnde voraus und fragt nur, ob die GegenstÌnde ÌuÞerer Sinne wirklich im Raum anzutreffen 1 als ] Erdmann(1): aus der 22 erkenne ] Schopenhauer; Erdmann: erkennen kann; Original: erkennen 24 Cartesianische ] Erdmann: C a r t e s i a n i s c h e 25 also nur ] Kullmann: nur alle 27 des letzteren ] Menzer; Original: der letzteren
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seien, die wir darin im Wachen setzen, sowie der Gegenstand des inneren Sinnes, die Seele, wirklich in der Zeit ist, d. i. ob Erfahrung sichere Kriterien der Unterscheidung von Einbildung bei sich fÏhre. Hier lÌÞt sich der Zweifel nun leicht heben, und wir heben ihn auch jederzeit im gemeinen Leben dadurch, daÞ wir die VerknÏpfung der Erscheinungen in beiden nach allgemeinen Gesetzen der Erfahrung unter|suchen, und kÎnnen, wenn die Vorstellung ÌuÞerer Dinge damit durchgehends Ïbereinstimmt, nicht zweifeln, daÞ sie nicht wahrhafte Erfahrung ausmachen sollten. Der materiale Idealismus, da Erscheinungen als Erscheinungen nur nach ihrer VerknÏpfung in der Erfahrung betrachtet werden, lÌÞt also sich sehr leicht heben, und es ist eine ebenso sichere Erfahrung, daÞ KÎrper auÞer uns (im Raume) existieren, als daÞ ich selbst nach der Vorstellung des inneren Sinnes (in der Zeit) da bin; denn der Begriff: a u Þ e r u n s , bedeutet nur die Existenz im Raume. Da aber das Ich in dem Satze: I c h b i n , nicht bloÞ den Gegenstand der inneren Anschauung (in der Zeit), sondern das Subjekt des BewuÞtseins, sowie KÎrper nicht bloÞ die ÌuÞere Anschauung (im Raume), sondern auch das Ding a n s i c h s e l b s t bedeutet, was dieser Erscheinung zum Grunde liegt: so kann die Frage, ob die KÎrper (als Erscheinungen des ÌuÞeren Sinnes) a u Þ e r m e i n e n G e d a n k e n in der Natur als KÎrper existieren, ohne alles Bedenken verneint werden; aber darin verhÌlt es sich gar nicht anders mit der Frage, ob ich selbst als E r s c h e i n u n g d e s i n n e r e n S i n n e s (Seele nach der empirischen Psychologie) auÞer meiner Vorstellungskraft in der Zeit existiere, denn diese muÞ ebensowohl verneint werden. Auf solche Weise ist alles, wenn es auf seine wahre Bedeutung gebracht wird, 25 - 26 G e d a n k e n in der Natur als KÎrper existieren, ohne alles Bedenken verneint] Riehl; Kullmann: an der Natur; Original: G e d a n ke n als KÎrper existieren, ohne alles Bedenken in der Natur verneint
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entschieden und gewiÞ. Der formale Idealismus (sonst von mir transzendentale genannt) hebt wirklich den materiellen oder Cartesianischen auf. Denn wenn der | Raum nichts als eine Form meiner Sinnlichkeit ist, so ist er als Vorstellung in mir ebenso wirklich als ich selbst, und es kommt nur noch auf die empirische Wahrheit der Erscheinungen in demselben an. Ist das aber nicht, sondern der Raum und Erscheinungen in ihm sind etwas auÞer uns Existierendes, so kÎnnen alle Kriterien der Erfahrung auÞer unserer Wahrnehmung niemals die Wirklichkeit dieser GegenstÌnde auÞer uns beweisen.
½ 50 II. Kosmologi sche Ide e n. ( Kr iti k, S. 4 0 5 u. f.) Dieses Produkt der reinen Vernunft in ihrem transzendenten Gebrauch ist das merkwÏrdigste PhÌnomen derselben, welches auch unter allen am krÌftigsten wirkt, die Philosophie aus ihrem dogmatischen Schlummer zu erwecken und sie zu dem schweren GeschÌfte der Kritik der Vernunft selbst zu bewegen. Ich nenne diese Idee deswegen kosmologisch, weil sie ihr Objekt jederzeit nur in der Sinnenwelt nimmt, auch keine andere als die, deren Gegenstand ein Objekt der Sinne ist, braucht, mithin sofern einheimisch und nicht transzendent, folglich bis dahin noch keine Idee ist; dahingegen die Seele sich als eine einfache Substanz denken, schon soviel heiÞt, als sich einen Gegenstand denken (das Einfache), dergleichen den Sinnen gar nicht vorgestellt werden kÎnnen. Demungeachtet erweitert doch die kosmologische Idee die VerknÏpfung des Bedingten mit seiner Bedingung (diese mag | mathematisch oder dyna3 Cartesianischen ] Erdmann: C a r t e s i a n i s c h e n 13 I d e e n . ] Hartenstein: I d e e .
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misch sein) so sehr, daÞ Erfahrung ihr niemals gleichkommen kann, und ist also in Ansehung dieses Punkts immer eine Idee, deren Gegenstand niemals adÌquat in irgendeiner Erfahrung gegeben werden kann. 5
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½ 51 Zuerst zeigt sich hier der Nutzen eines Systems der Kategorien so deutlich und unverkennbar, daÞ, wenn es auch nicht mehrere BeweistÏmer desselben gÌbe, dieser allein ihre Unentbehrlichkeit im System der reinen Vernunft hinreichend dartun wÏrde. Es sind solcher transzendenten Ideen nicht mehr als vier, soviel als Klassen der Kategorien; in jeder derselben aber gehen sie nur auf die absolute VollstÌndigkeit der Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten. Diesen kosmologischen Ideen gemÌÞ gibt es auch nur viererlei dialektische Behauptungen der reinen Vernunft, die, da sie dialektisch sind, dadurch selbst beweisen, daÞ einer jeden nach ebenso scheinbaren GrundsÌtzen der reinen Vernunft ein ihm widersprechender entgegensteht, welchen Widerstreit keine metaphysische Kunst der subtilsten Distinktion verhÏten kann, sondern die den Philosophen nÎtigt, zu den ersten Quellen der reinen Vernunft selbst zurÏckzugehen. Diese nicht etwa beliebig erdachte, sondern in der Natur der menschlichen Vernunft gegrÏndete, mithin unvermeidliche und niemals ein Ende nehmende Antinomie enthÌlt nun folgende vier SÌtze samt ihren GegensÌtzen:
10 - 11 transzendenten ] Kullmann: transszendentalen
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|1.
S at z
Die Welt hat der Zeit und dem Raum nach einen A n f a n g (Grenze).
G e ge n s at z
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Die Welt ist der Zeit und dem Raum nach u n e n d l i c h . 2.
S at z
Alles in der Welt besteht aus dem E i n f a c h e n .
G e ge n s at z
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Es ist nichts Einfaches, sondern alles ist zus amme nges et zt. 3.
S at z
Es gibt in der Welt Ursachen durch F r e i h e i t .
G e ge n s at z
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Es ist keine Freiheit, sondern alles ist Na t u r. 4.
S at z
In der Reihe der Weltursachen ist irgendein n o t w e n d i g We s e n .
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G e ge n s at z
Es ist in ihr nichts notwendig, sondern in dieser Reihe ist a l l e s z u f Ì l l i g. ½ 52 Hier ist nun das seltsamste PhÌnomen der menschlichen Vernunft, wovon sonst kein Beispiel in irgendeinem anderen Gebrauch derselben gezeigt werden kann. Wenn wir, wie es gewÎhnlich geschieht, uns die Erscheinungen der Sinnenwelt als Dinge an sich selbst denken, wenn wir die GrundsÌtze ihrer Verbindung als allgemein von Din-
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gen | an sich selbst und nicht bloÞ von der Erfahrung geltende GrundsÌtze annehmen, wie denn dieses ebenso gewÎhnlich, ja ohne unsere Kritik unvermeidlich ist: so tut sich ein nicht vermuteter Widerstreit hervor, der niemals auf dem gewÎhnlichen dogmatischenWege beigelegt werden kann, weil sowohl Satz als Gegensatz durch gleich einleuchtende klare und unwiderstehliche Beweise dargetan werden kÎnnen, ^ denn fÏr die Richtigkeit aller dieser Beweise verbÏrge ich mich ^, und die Vernunft sich also mit sich selbst entzweit sieht; ein Zustand, Ïber den der Skeptiker frohlockt, der kritische Philosoph aber in Nachdenken und Unruhe versetzt werden muÞ.
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Man kann in der Metaphysik auf mancherlei Weise herumpfuschen, ohne eben zu besorgen, daÞ man auf Unwahrheit werde betreten werden. Denn wenn man sich nur nicht selbst widerspricht, welches in synthetischen, obgleich gÌnzlich erdichteten SÌtzen gar wohl mÎglich ist: so kÎnnen wir in allen solchen FÌllen, wo die Begriffe, die wir verknÏpfen, bloÞe Ideen sind, die gar nicht (ihrem ganzen Inhalte nach) in der Erfahrung gegeben werden kÎnnen, niemals durch Erfahrung widerlegt werden. Denn wie wollten wir es durch Erfahrung ausmachen: ob die Welt von Ewigkeit her sei oder einen Anfang habe? Ob Materie ins Unendliche teilbar sei oder aus einfachen Teilen bestehe? Dergleichen Begriffe lassen sich in keiner, | auch der grÎÞtmÎglichen Erfahrung geben, mithin die Unrichtigkeit des behauptenden oder verneinenden Satzes durch diesen Probierstein nicht entdecken. 16 betreten ] Erdmann(1): betroffen 26 bestehe? Dergleichen ] Erdmann; Original: bestehe, dergleichen 27 Erfahrung geben ] VorlÌnder: Erfahrung nicht geben
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Der einzige mÎgliche Fall, da die Vernunft ihre geheime Dialektik, die sie fÌlschlich fÏr Dogmatik ausgibt, wider ihren Willen offenbarte, wÌre der, wenn sie auf einen allgemein zugestandenen Grundsatz eine Behauptung grÏndete und aus einem anderen, ebenso beglaubigten mit der grÎÞten Richtigkeit der SchluÞart gerade das Gegenteil folgerte. Dieser Fall ist hier nun wirklich und zwar in Ansehung vier natÏrlicher Vernunftideen, woraus vier Behauptungen einerseits und ebensoviel Gegenbehauptungen andererseits, jede mit richtiger Konsequenz aus allgemein zugestandenen GrundsÌtzen entspringen und dadurch den dialektischen Schein der reinen Vernunft im Gebrauch dieser GrundsÌtze offenbaren, der sonst auf ewig verborgen sein mÏÞte. Hier ist also ein entscheidender Versuch, der uns notwendig eine Unrichtigkeit entdecken muÞ, die in den Voraussetzungen der Vernunft verborgen liegt. 1 Von | zwei einander widersprechenden SÌtzen kÎnnen nicht alle beide falsch sein, auÞer wenn der Begriff selbst widersprechend ist, der beiden zum Grunde liegt; z. B. die zwei SÌtze: ein viereckiger Zirkel ist rund, und: ein viereckiger Zirkel ist nicht rund, sind beide falsch. Denn was den ersten betrifft, so ist es falsch, daÞ der genannte Zirkel rund sei, weil er viereckig ist; es ist aber auch falsch, daÞ er
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Ich wÏnsche daher, daÞ der kritische Leser sich mit dieser Anti- 25 nomie hauptsÌchlich beschÌftige, weil die Natur selbst sie aufgestellt zu haben scheint, um die Vernunft in ihren dreisten AnmaÞungen stutzig zu machen und zur SelbstprÏfung zu nÎtigen. Jeden Beweis, den ich fÏr die Thesis sowohl als Antithesis gegeben habe, mache ich mich anheischig zu verantworten und dadurch die GewiÞheit der un- 30 vermeidlichen Antinomie der Vernunft darzutun. Wenn der Leser nun durch diese seltsame Erscheinung dahin gebracht wird, zu der 147 PrÏfung der dabei zum | Grunde liegenden Voraussetzung zurÏckzugehen, so wird er sich gezwungen fÏhlen, die erste Grundlage aller Erkenntnis der reinen Vernunft mit mir tiefer zu untersuchen. 35 1
3 - 4 allgemein ] Hartenstein; Original: allgemeinen
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nicht rund, d. i. eckig sei, weil er ein Zirkel ist. Denn darin besteht eben das logische Merkmal der UnmÎglichkeit eines Begriffs, daÞ unter desselben Voraussetzung zwei widersprechende SÌtze zugleich falsch sein wÏrden, mithin, weil kein Drittes zwischen ihnen gedacht werden kann, durch jenen Begriff g a r n i c h t s gedacht wird. ½ 52 c
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Nun liegt den zwei ersteren Antinomien, die ich mathematische nenne, weil sie sich mit der Hinzusetzung oder Teilung des Gleichartigen beschÌftigen, ein solcher widersprechender Begriff zum Grunde; und daraus erklÌre ich, wie es zugehe, daÞ Thesis sowohl als Antithesis bei beiden falsch sind. Wenn ich von GegenstÌnden in Zeit und Raum rede, so rede ich nicht von Dingen an sich selbst, darum weil ich von diesen nichts weiÞ, sondern nur von Dingen in | der Erscheinung, d. i. von der Erfahrung als einer besonderen Erkenntnisart der Objekte, die dem Menschen allein vergÎnnt ist. Was ich nun im Raume oder in der Zeit denke, von dem muÞ ich nicht sagen, daÞ es an sich selbst, auch ohne diesen meinen Gedanken, im Raume und der Zeit sei; denn da wÏrde ich mir selbst widersprechen, weil Raum und Zeit samt den Erscheinungen in ihnen nichts an sich selbst und auÞer meinen Vorstellungen Existierendes, sondern selbst nur Vorstellungsarten sind, und es offenbar widersprechend ist zu sagen, daÞ eine bloÞe Vorstellungsart auch auÞer unserer Vorstellung existiere. Die GegenstÌnde also der Sinne existieren nur in der Erfahrung; dagegen auch ohne dieselbe oder vor ihr ihnen eine eigene, fÏr sich bestehende Existenz zu geben, heiÞt soviel als sich vorstellen, Erfahrung sei auch ohne Erfahrung oder vor derselben wirklich. Wenn ich nun nach der WeltgrÎÞe, dem Raume und der Zeit nach, frage, so ist es fÏr alle meine Begriffe eben-
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so unmÎglich zu sagen, sie sei unendlich, als sie sei endlich. Denn keines von beiden kann in der Erfahrung enthalten sein, weil weder von einem u n e n d l i c h e n Raume oder unendlicher verflossener Zeit, noch der B e g r e n z u n g der Welt durch einen leeren Raum oder eine vorhergehende leere Zeit Erfahrung mÎglich ist; das sind nur Ideen. Also mÏÞte diese auf die eine oder die andere Art bestimmte GrÎÞe der Welt in ihr selbst liegen, abgesondert von aller Erfahrung. Dieses widerspricht aber dem Begriffe einer | Sinnenwelt, die nur ein Inbegriff der Erscheinung ist, deren Dasein und VerknÏpfung nur in der Vorstellung, nÌmlich der Erfahrung, stattfindet, weil sie nicht Sache an sich, sondern selbst nichts als Vorstellungsart ist. Hieraus folgt, daÞ, da der Begriff einer fÏr sich existierenden Sinnenwelt in sich selbst widersprechend ist, die AuflÎsung des Problems wegen ihrer GrÎÞe auch jederzeit falsch sein werde, man mag sie nun bejahend oder verneinend versuchen. Ebendieses gilt von der zweiten Antinomie, die die Teilung der Erscheinungen betrifft. Denn diese sind bloÞe Vorstellungen, und die Teile existieren bloÞ in der Vorstellung derselben, mithin in der Teilung, d. i. in einer mÎglichen Erfahrung, darin sie gegeben werden, und jene geht daher nur soweit, als diese reicht. Anzunehmen, daÞ eine Erscheinung, z. B. die des KÎrpers, alle Teile vor aller Erfahrung an sich selbt enthalte, zu denen nur immer mÎgliche Erfahrung gelangen kann, heiÞt: einer bloÞen Erscheinung, die nur in der Erfahrung existieren kann, doch zugleich eine eigene, vor Erfahrung vorhergehende Existenz geben, oder zu sagen, daÞ bloÞe Vorstellungen da sind, ehe sie in der Vorstellungskraft angetroffen werden, welches sich widerspricht und mithin auch jede AuflÎsung 4 noch] Grillo; Original: nach 10 - 11 Erscheinung ] VorlÌnder: Erscheinungen 13 Sache an sich, sondern selbst ] Kullmann: Sache an sich selbst, sondern
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der miÞverstandenen Aufgabe, man mag darin behaupten, die KÎrper bestehen an sich aus unendlich vielen Teilen oder einer endlichen Zahl einfacher Teile. |½ 53 5
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In der ersten Klasse der Antinomie (der mathematischen) bestand die Falschheit der Voraussetzung darin, daÞ, was sich widerspricht (nÌmlich Erscheinung als Sache an sich selbst), als vereinbar in einem Begriffe vorgestellt wÏrde. Was aber die zweite, nÌmlich dynamische, Klasse der Antinomie betrifft, so besteht die Falschheit der Voraussetzung darin: daÞ, was vereinbar ist, als widersprechend vorgestellt wird; folglich, da im ersteren Falle alle beide einander entgegengesetzte Behauptungen falsch waren, hier wiederum solche, die durch bloÞen MiÞverstand einander entgegengesetzt werden, alle beide wahr sein kÎnnen. Die mathematische VerknÏpfung nÌmlich setzt notwendig Gleichartigkeit des VerknÏpften (im Begriffe der GrÎÞe) voraus, die dynamische erfordert dieses keineswegs.Wenn es auf die GrÎÞe des Ausgedehnten ankommt, so mÏssen alle Teile unter sich und mit dem Ganzen gleichartig sein; dagegen in der VerknÏpfung der Ursache und Wirkung kann zwar auch Gleichartigkeit angetroffen werden, aber sie ist nicht notwendig; denn der Begriff der KausalitÌt (vermittelst dessen durch Etwas etwas ganz davon Verschiedenes gesetzt wird) erfordert sie wenigstens nicht. WÏrden die GegenstÌnde der Sinnenwelt fÏr Dinge an sich selbst genommen und die oben angefÏhrten Naturgesetze fÏr Gesetze der Dinge an sich selbst, so wÌre | der 1 Aufgabe] Erdmann(1): Aufgabe falsch macht; Schulz: Aufgabe ausschlieÞt; Erdmann(2): Aufgabe unmÎglich macht 8 wÏrde ] Erdmann(1): wurde
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Widerspruch unvermeidlich. Ebenso, wenn das Subjekt der Freiheit gleich den Ïbrigen GegenstÌnden als bloÞe Erscheinung vorgestellt wÏrde, so kÎnnte ebensowohl der Widerspruch nicht vermieden werden; denn es wÏrde ebendasselbe von einerlei Gegenstande in derselben Bedeutung zugleich bejaht und verneint werden. Ist aber Naturnotwendigkeit bloÞ auf Erscheinungen bezogen und Freiheit bloÞ auf Dinge an sich selbst, so entspringt kein Widerspruch, wenn man gleich beide Arten von KausalitÌt annimmt oder zugibt, so schwer oder unmÎglich es auch sein mÎchte, die von der letzteren Art begreiflich zu machen. In der Erscheinung ist jede Wirkung eine Begebenheit oder etwas, das in der Zeit geschieht; vor ihr muÞ nach dem allgemeinen Naturgesetze eine Bestimmung der KausalitÌt ihrer Ursache (ein Zustand derselben) vorhergehen, worauf sie nach einem bestÌndigen Gesetze folgt. Aber diese Bestimmung der Ursache zur KausalitÌt muÞ auch etwas sein, w a s sich ereignet oder g e s c h i e h t ; die Ursache muÞ a n g e f a n g e n haben zu h a n d e l n ; denn sonst lieÞe sich zwischen ihr und der Wirkung keine Zeitfolge denken. Die Wirkung wÌre immer gewesen, sowie die KausalitÌt der Ursache. Also muÞ unter Erscheinungen die B e s t i m m u n g der Ursache z u m Wi r k e n auch entstanden und mithin ebensowohl als ihre Wirkung eine Begebenheit sein, die wiederum ihre Ursache haben muÞ usw., und folglich Naturnotwendigkeit | die Bedingung sein, nach welcher die wirkenden Ursachen bestimmt werden. Soll dagegen Freiheit eine Eigenschaft gewisser Ursachen der Erscheinungen sein, so muÞ sie, respektive auf die letzteren als Begebenheiten, ein VermÎgen sein, sie von s e l b s t (sponte) anzufangen, d. i. ohne daÞ die KausalitÌt der Ursache selbst anfangen dÏrfte und daher keines anderen, ihren Anfang bestimmenden Grundes benÎtigt wÌre. Alsdann aber mÏÞte d i e Ur s a c h e ihrer KausalitÌt nach nicht unter Zeitbestimmungen ihres Zustandes stehen, d. i. gar n i c h t E r s c h e i n u n g sein, d. i.
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sie mÏÞte als ein Ding an sich selbst, die Wi r k u n g e n aber allein als E r s c h e i n u n g e n angenommen werden. 1 Kann man einen solchen EinfluÞ der Verstan|deswesen auf Erscheinungen ohne Widerspruch denken, so wird zwar aller VerknÏpfung der Ursache und Wirkung in der Sinnenwelt Naturnotwendigkeit anhangen, dagegen doch derjenigen Ursache, die selbst keine Erscheinung ist (obzwar ihr zum Grunde liegt), Freiheit zugestanden, Natur also und Freiheit ebendemselben Dinge, aber in verschiedener Beziehung, einmal als Erscheinung, das andere Mal als einem Dinge an sich selbst, ohne Widerspruch beigelegt werden kÎnnen. Wir haben in uns ein VermÎgen, welches nicht bloÞ mit seinen subjektiv bestimmenden GrÏnden, welche die Naturursachen seiner Handlungen sind, in VerknÏpfung steht und sofern das VermÎgen eines Wesens ist, das selbst zu den Erscheinungen gehÎrt, sondern auch auf objektive Die Idee der Freiheit findet lediglich in dem VerhÌltnisse des I n t e l l e k t u e l l e n als Ursache zur E r s c h e i n u n g als Wirkung statt. Daher kÎnnen wir der Materie in Ansehung ihrer unaufhÎrlichen Handlung, dadurch sie ihren Raum erfÏllt, nicht Freiheit beilegen, obschon diese Handlung aus innerem Prinzip geschieht. Ebensowenig kÎnnen wir fÏr reine Verstandeswesen, z. B. Gott, sofern seine Handlung immanent ist, keinen Begriff von Freiheit angemessen finden. Denn seine Handlung, obzwar unabhÌngig von ÌuÞeren bestimmenden Ursachen, ist dennoch in seiner ewigen Vernunft, mithin der gÎttlichen Nat u r bestimmt. Nur wenn durch eine Handlung e t w a s a n f a n g e n soll, mithin die Wirkung in der Zeitreihe, folglich der Sinnenwelt anzutreffen sein soll (z. B. Anfang der Welt), da erhebt sich die Frage, ob die KausalitÌt der Ursache selbst auch anfangen mÏsse, oder ob die Ursache eine Wirkung anheben kÎnne, ohne daÞ ihre KausalitÌt selbst anfÌngt. Im ersteren Falle ist der Begriff dieser KausalitÌt ein Begriff der Naturnotwendigkeit, im zweiten der Freiheit. Hieraus wird der Leser ersehen, daÞ, da ich Freiheit als das VermÎgen, eine Begebenheit von selbst anzufangen erklÌrte, ich genau den Begriff traf, der das Problem der Metaphysik ist. 1
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GrÏnde, die bloÞ Ideen sind, bezogen wird, sofern sie dieses VermÎgen bestimmen kÎnnen; welche VerknÏpfung durch S o l l e n ausgedrÏckt wird. Dieses VermÎgen heiÞt Ve r n u n f t , und sofern wir ein Wesen (den Menschen) lediglich nach dieser objektiv bestimmbaren Vernunft betrachten, kann es nicht als ein Sinnenwesen betrachtet werden, sondern die gedachte Eigenschaft ist die Eigenschaft eines Dinges an sich selbst, deren MÎglichkeit, wie nÌmlich das S o l l e n , was doch noch nie geschehen ist, die TÌtigkeit desselben bestimme und Ursache von Handlungen sein kÎnne, deren Wirkung Erscheinung in der Sinnenwelt ist, wir gar nicht begreifen kÎnnen. Indessen wÏrde doch die KausalitÌt der Ver|nunft in Ansehung der Wirkungen in der Sinnenwelt Freiheit sein, sofern o b j e k t iv e G r Ï n d e , die selbst Ideen sind, in Ansehung ihrer als bestimmend angesehen werden. Denn ihre Handlung hinge alsdann nicht an subjektiven, mithin auch keinen Zeitbedingungen und also auch nicht vom Naturgesetze ab, das diese zu bestimmen dient, weil GrÏnde der Vernunft allgemein, aus Prinzipien, ohne EinfluÞ der UmstÌnde der Zeit oder des Orts Handlungen die Regel geben. Was ich hier anfÏhre, gilt nur als Beispiel zur VerstÌndlichkeit und gehÎrt nicht notwendig zu unserer Frage, welche unabhÌngig von Eigenschaften, die wir in der wirklichen Welt antreffen, aus bloÞen Begriffen entschieden werden muÞ. Nun kann ich ohne Widerspruch sagen: alle Handlungen vernÏnftiger Wesen, sofern sie Erscheinungen sind (in irgendeiner Erfahrung angetroffen werden), stehen unter der Naturnotwendigkeit; ebendieselben Handlungen aber, bloÞ respektive auf das vernÏnftige Subjekt und dessen VermÎgen, nach bloÞer Vernunft zu handeln, sind frei. Denn was wird zur Naturnotwendigkeit erfordert? 9 geschehen ] Kullmann: Geschehen
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Nichts weiter als die Bestimmbarkeit jeder Begebenheit der Sinnenwelt nach bestÌndigen Gesetzen, mithin eine Beziehung auf Ursache in der Erscheinung, wobei das Ding an sich selbst, was zum Grunde liegt, und dessen KausalitÌt unbekannt bleibt. Ich sage aber: d a s Na t u r g e s e t z b l e i b t , es mag nun das | vernÏnftige Wesen aus Vernunft, mithin durch Freiheit Ursache der Wirkungen der Sinnenwelt sein, oder es mag diese auch nicht aus VernunftgrÏnden bestimmen. Denn ist das erste, so geschieht die Handlung nach Maximen, deren Wirkung in der Erscheinung jederzeit bestÌndigen Gesetzen gemÌÞ sein wird; ist das zweite und die Handlung geschieht nicht nach Prinzipien der Vernunft, so ist sie den empirischen Gesetzen der Sinnlichkeit unterworfen, und in beiden FÌllen hÌngen die Wirkungen nach bestÌndigen Gesetzen zusammen; mehr verlangen wir aber nicht zur Naturnotwendigkeit, ja mehr kennen wir an ihr auch nicht. Aber im ersten Falle ist Vernunft die Ursache dieser Naturgesetze und ist also frei, im zweiten Falle laufen die Wirkungen nach bloÞen Naturgesetzen der Sinnlichkeit, darum weil die Vernunft keinen EinfluÞ auf sie ausÏbt; sie, die Vernunft, wird aber darum nicht selbst durch die Sinnlichkeit bestimmt (welches unmÎglich ist) und ist daher auch in diesem Falle frei. Die Freiheit hindert also nicht das Naturgesetz der Erscheinungen, so wenig wie dieses der Freiheit des praktischen Vernunftgebrauchs, der mit Dingen an sich selbst als bestimmenden GrÏnden in Verbindung steht, Abbruch tut. Hierdurch wird also die praktische Freiheit, nÌmlich diejenige, in welcher die Vernunft nach objektiv-bestimmenden GrÏnden KausalitÌt hat, gerettet, ohne daÞ der Naturnotwendigkeit in Ansehung ebenderselben | Wirkungen als Erscheinungen der mindeste Eintrag geschieht. Ebendieses kann auch zur ErlÌuterung desjeni19 laufen ] Erdmann(1): laufen die Wirkungen ... Sinnlichkeit fort
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gen, was wir wegen der transzendentalen Freiheit und deren Vereinbarung mit Naturnotwendigkeit (in demselben Subjekt, aber nicht in einer und derselben Beziehung genommen) zu sagen hatten, dienlich sein. Denn, was diese betrifft, so ist ein jeder Anfang der Handlung eines Wesens aus objektiven Ursachen, respektive auf diese bestimmenden GrÏnde, immer ein e r s t e r A n f a n g , obgleich dieselbe Handlung in der Reihe der Erscheinungen nur ein s u b a l t e r n e r A n f a n g ist, vor welchem ein Zustand der Ursache vorhergehen muÞ, der sie bestimmt und selbst ebenso von einer nah vorhergehenden bestimmt wird: so daÞ man sich an vernÏnftigen Wesen oder Ïberhaupt an Wesen, sofern ihre KausalitÌt in ihnen als Dingen an sich selbst bestimmt wird, ohne in Widerspruch mit Naturgesetzen zu geraten, ein VermÎgen denken kann, eine Reihe von ZustÌnden von selbst anzufangen. Denn das VerhÌltnis der Handlung zu objektiven VernunftgrÏnden ist kein ZeitverhÌltnis; hier geht das, was die KausalitÌt bestimmt, nicht der Zeit nach vor der Handlung vorher, weil solche bestimmende GrÏnde nicht Beziehung der GegenstÌnde auf Sinne, mithin nicht auf Ursachen in der Erscheinung, sondern bestimmende Ursachen als Dinge an sich selbst, die nicht unter Zeitbedingungen stehen, vorstellen. So kann die Handlung in Ansehung der KausalitÌt der Vernunft als ein erster An|fang, in Ansehung der Reihe der Erscheinungen aber doch zugleich als ein bloÞ subordinierter Anfang angesehen und ohne Widerspruch in jenem Betracht als frei, in diesem (da sie bloÞ Erscheinung ist) als der Naturnotwendigkeit unterworfen angesehen werden. Was die v i e r t e Antinomie betrifft, so wird sie auf Ìhnliche Art gehoben, wie der Widerstreit der Vernunft mit 7 e r s t e r A n f a n g, ] Erdmann: erster Anfang, 11 nah ] Erdmann: noch; Kullmann: ihm 31 - 32 Ìhnliche ] Cassirer; Erdmann(2): die nÌmliche; Original: die Ìhnliche
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sich selbst in der dritten. Denn wenn die Ur s a c h e i n d e r E r s c h e i n u n g nur von der Ur s a c h e d e r E r s c h e i n u n g e n , sofern sie als D i n g a n s i c h s e l b s t gedacht werden kann, unterschieden wird, so kÎnnen beide SÌtze wohl nebeneinander bestehen, nÌmlich daÞ von der Sinnenwelt Ïberall keine Ursache (nach Ìhnlichen Gesetzen der KausalitÌt) stattfinde, deren Existenz schlechthin notwendig sei, imgleichen andererseits, daÞ diese Welt dennoch mit einem notwendigen Wesen als ihrer Ursache (aber von anderer Art und nach einem anderen Gesetze) verbunden sei; welcher zwei SÌtze UnvertrÌglichkeit lediglich auf dem MiÞverstande beruht, das, was bloÞ von Erscheinungen gilt, Ïber Dinge an sich selbst auszudehnen und Ïberhaupt beide in einem Begriffe zu vermengen. ½ 54
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Dies ist nun die Aufstellung und AuflÎsung der ganzen Antinomie, darin sich die Vernunft bei der Anwendung ihrer Prinzipien auf die Sinnenwelt verwickelt | findet, und wovon auch jene (die bloÞe Aufstellung) sogar allein schon ein betrÌchtliches Verdienst um die Kenntnis der menschlichen Vernunft sein wÏrde, wenngleich die AuflÎsung dieses Widerstreits den Leser, der hier einen natÏrlichen Schein zu bekÌmpfen hat, welcher ihm nur neuerlich als ein solcher vorgestellt worden, nachdem er ihn bisher immer fÏr wahr gehalten, noch nicht vÎllig befriedigen sollte. Denn eine Folge hiervon ist doch unausbleiblich, nÌmlich daÞ, weil es ganz unmÎglich ist, aus
5 von ] Kullmann: in 26 - 27 befriedigen ] Hartenstein; Schopenhauer: durch die AuflÎsung ... der Leser ... befriedigt werden; Erdmann(2): befriedigt haben; Kullmann: wenn durch die AuflÎsung dieses Widerstreits der Leser; Original: hiedurch noch nicht vÎllig befriedigt werden
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diesem Widerstreit der Vernunft mit sich selbst herauszukommen, solange man die GegenstÌnde der Sinnenwelt fÏr Sachen an sich selbst nimmt und nicht fÏr das, was sie in der Tat sind, nÌmlich bloÞe Erscheinungen, der Leser dadurch genÎtigt werde, die Deduktion aller unserer Erkenntnis a priori und die PrÏfung derjenigen, die ich davon gegeben habe, nochmals vorzunehmen, um darÏber zur Entscheidung zu kommen. Mehr verlange ich jetzt nicht; denn wenn er sich bei dieser BeschÌftigung nur allererst tief genug in die Natur der reinen Vernunft hineingedacht hat, so werden die Begriffe, durch welche die AuflÎsung des Widerstreits der Vernunft allein mÎglich ist, ihm schon gelÌufig sein, ohne welchen Umstand ich selbst von dem aufmerksamsten Leser vÎlligen Beifall nicht erwarten kann. |½ 55 I I I . T h e o l o g i s c h e I d e e . (Kritik, S. 571 u. f.) Die dritte transzendentale Idee, die zu dem allerwichtigsten, aber, wenn er bloÞ spekulativ betrieben wird, Ïberschwenglichen (transzendenten) und ebendadurch dialektischen Gebrauch der Vernunft Stoff gibt, ist das Ideal der reinen Vernunft. Da die Vernunft hier nicht, wie bei der psychologischen und kosmologischen Idee, von der Erfahrung anhebt und durch Steigerung der GrÏnde womÎglich zur absoluten VollstÌndigkeit ihrer Reihe zu trachten verleitet wird, sondern gÌnzlich abbricht und aus bloÞen Begriffen von dem, was die absolute VollstÌndigkeit eines Dinges Ïberhaupt ausmachen wÏrde, mithin vermittelst der Idee eines hÎchst vollkommenen Urwesens zur Bestimmung der MÎglichkeit, mithin auch der Wirklichkeit aller anderen Dinge herabgeht: so ist hier die bloÞe Voraussetzung eines Wesens, welches, obzwar nicht in der Erfahrungsreihe, dennoch zum Behuf der Erfahrung um der Begreiflichkeit der VerknÏpfung, Ord-
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nung und Einheit der letzteren willen gedacht wird, d. i. die I d e e von dem Verstandesbegriffe leichter wie in den vorigen FÌllen zu unterscheiden. Daher konnte hier der dialektische Schein, welcher daraus entspringt, daÞ wir die subjektiven Bedingungen unseres Denkens fÏr objektive Bedingungen der Sachen selbst und eine notwendige Hypothese zur Befriedigung unserer Vernunft fÏr ein Dogma halten, leicht | vor Augen gestellt werden, und ich habe daher nichts weiter Ïber die AnmaÞungen der transzendentalen Theologie zu erinnern, da das, was die Kritik hierÏber sagt, faÞlich, einleuchtend und entscheidend ist.
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½ 56 Al lgeme i ne Anmerku ng zu de n tra ns ze nde ntale n Ide e n Die GegenstÌnde, welche uns durch Erfahrung gegeben werden, sind uns in vielerlei Absicht unbegreiflich, und es kÎnnen viele Fragen, auf die uns das Naturgesetz fÏhrt, wenn sie bis zu einer gewissen HÎhe, aber immer diesen Gesetzen gemÌÞ getrieben werden, gar nicht aufgelÎst werden, z. B. woher Materien einander anziehen. Allein, wenn wir die Natur ganz und gar verlassen oder im Fortgange ihrer VerknÏpfung alle mÎgliche Erfahrung Ïbersteigen, mithin uns in bloÞe Ideen vertiefen, alsdann kÎnnen wir nicht sagen, daÞ uns der Gegenstand unbegreiflich sei und die Natur der Dinge uns unauflÎsliche Aufgaben vorlege; denn wir haben es alsdann gar nicht mit der Natur oder Ïberhaupt mit gegebenen Objekten, sondern bloÞ mit Begriffen zu tun, die in unserer Vernunft lediglich ihren Ursprung haben, und mit bloÞen Gedanken-Wesen, in Ansehung deren alle Aufgaben, die aus dem Begriffe derselben entspringen, | mÏssen aufgelÎst werden kÎnnen, weil die Vernunft von ihrem eigenen Verfahren allerdings vollstÌndige Rechenschaft geben
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kann und muÞ. 1 Da die psychologischen, kosmologischen und theologischen Ideen lauter reine Vernunftbegriffe sind, die in keiner Erfahrung gegeben werden kÎnnen, so sind uns die Fragen, die uns die Vernunft in Ansehung ihrer vorlegt, nicht durch die GegenstÌnde, sondern durch bloÞe Maximen der Vernunft um ihrer Selbstbefriedigung willen aufgegeben und mÏssen insgesamt hinreichend beantwortet werden kÎnnen; welches auch dadurch geschieht, daÞ man zeigt, daÞ sie GrundsÌtze sind, unseren Verstandesgebrauch zur durchgÌngigen Einhelligkeit, VollstÌndigkeit und synthetischen Einheit zu bringen, und sofern bloÞ von der Erfahrung, aber im G a n z e n derselben gelten. Obgleich aber ein absolutes Ganze der Erfahrung unmÎglich ist, so ist doch | die Idee eines Ganzen der Erkenntnis nach Prinzipien Ïberhaupt dasjenige, was ihr allein eine besondere Art der Einheit, nÌmlich die von einem System, verschaffen kann, ohne die unsere Erkenntnis nichts als StÏckwerk ist und zum hÎchsten Zwecke (der immer nur das System aller Zwecke ist) nicht gebraucht werden kann; ich verstehe aber hier nicht bloÞ
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Herr Pl at n e r in seinen Aphorismen sagt daher mit Scharfsin- * nigkeit ½½ 728, 729: ýWenn die Vernunft ein Kriterium ist, so kann kein Begriff mÎglich sein, welcher der menschlichen Vernunft unbegreiflich ist. ^ In dem Wirklichen allein findet Unbegreiflichkeit statt. Hier entsteht die Unbegreiflichkeit aus der UnzulÌnglichkeit 25 der erworbenen Ideen.û ^ Es klingt also nur paradox und ist Ïbrigens nicht befremdlich zu sagen, in der Natur sei uns vieles unbegreiflich (z. B. das ZeugungsvermÎgen), wenn wir aber noch hÎher steigen und selbst Ïber die Natur hinausgehen, so werde uns wieder alles begreiflich; denn wir verlassen alsdann ganz die G e g e n s t Ì n d e , die 30 uns gegeben werden kÎnnen, und beschÌftigen uns bloÞ mit Ideen, bei denen wir das Gesetz, welches die Vernunft durch sie dem Verstande zu seinem Gebrauch in der Erfahrung vorschreibt, gar wohl begreifen kÎnnen, weil es ihr eigenes Produkt ist. 1
1 psychologischen ] Grillo; Original: physiologische 12 im ] Erdmann(1): dem
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den praktischen, sondern auch den hÎchsten Zweck des spekulativen Gebrauchs der Vernunft. Die transzendentalen Ideen drÏcken also die eigentÏmliche Bestimmung der Vernunft aus, nÌmlich als eines Prinzips der systematischen Einheit des Verstandesgebrauchs. Wenn man aber diese Einheit der Erkenntnisart dafÏr ansieht, als ob sie dem Objekte der Erkenntnis anhÌnge, wenn man sie, die eigentlich bloÞ r e g u l a t iv ist, fÏr ko n s t i t u t iv hÌlt und sich Ïberredet, man kÎnne vermittelst dieser Ideen seine Kenntnis weit Ïber alle mÎgliche Erfahrung, mithin auf transzendente Art erweitern, da sie doch bloÞ dazu dient, Erfahrung in ihr selbst der VollstÌndigkeit so nahe wie mÎglich zu bringen, d. i. ihren Fortgang durch nichts einzuschrÌnken, was zur Erfahrung nicht gehÎren kann: so ist dieses ein bloÞer MiÞverstand in Beurteilung der eigentlichen Bestimmung unserer Vernunft und ihrer GrundsÌtze, und eine Dialektik, die teils den Erfahrungsgebrauch der Vernunft verwirrt, teils die Vernunft mit sich selbst entzweit.
|BeschluÞ Vo n der Gre nzbe stimmu ng der re i ne n Vernu nft ½ 57
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Nach den allerklarsten Beweisen, die wir oben gegeben haben, wÏrde es Ungereimtheit sein, wenn wir von irgendeinem Gegenstande mehr zu erkennen hofften, als zur mÎglichen Erfahrung desselben gehÎrt, oder auch von irgendeinem Dinge, wovon wir annehmen, es sei nicht ein Gegenstand mÎglicher Erfahrung, nur auf die 14 - 15 Erfahrung nicht gehÎren ] Kullmann: Erfahrung gehÎren
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mindeste Erkenntnis Anspruch machten, es nach seiner Beschaffenheit, wie es an sich selbst ist, zu bestimmen; denn wodurch wollen wir diese Bestimmung verrichten, da Zeit, Raum und alle Verstandesbegriffe, viel mehr aber noch die durch empirische Anschauung oder Wa h r n e h m u n g in der Sinnenwelt gezogenen Begriffe keinen anderen Gebrauch haben, noch haben kÎnnen, als bloÞ Erfahrung mÎglich zu machen und, lassen wir selbst von den reinen Verstandesbegriffen diese Bedingung weg, sie alsdann ganz und gar kein Objekt bestimmen und Ïberall keine Bedeutung haben. Es wÏrde aber andererseits eine noch grÎÞere Ungereimtheit sein, wenn wir gar keine Dinge an sich selbst einrÌumen oder unsere Erfahrung fÏr die einzig mÎgliche Erkenntnisart der Dinge, mithin unsere Anschauung in Raum und Zeit fÏr die allein mÎgliche An|schauung, unseren diskursiven Verstand aber fÏr das Urbild von jedem mÎglichen Verstande ausgeben wollten, mithin Prinzipien der MÎglichkeit der Erfahrung fÏr allgemeine Bedingungen der Dinge an sich selbst wollten gehalten wissen. Unsere Prinzipien, welche den Gebrauch der Vernunft bloÞ auf mÎgliche Erfahrung einschrÌnken, kÎnnten demnach selbst t r a n s z e n d e n t werden und die Schranken unserer Vernunft fÏr Schranken der MÎglichkeit der Dinge selbst ausgeben, wie davon H u m e s Dialoge zum Beispiel dienen kÎnnen, wenn nicht eine sorgfÌltige Kritik die Grenzen unserer Vernunft auch in Ansehung ihres empirischen Gebrauchs bewachte und ihren AnmaÞungen ihr Ziel setzte. Der Skeptizismus ist uranfÌnglich aus der Metaphysik und ihrer polizeilosen Dialektik entsprungen. Anfangs mochte er wohl bloÞ zugunsten des Erfahrungsgebrauchs der Vernunft alles, was diesen Ïbersteigt, fÏr nichtig und betrÏglich ausgeben; nach und nach aber, 18 wollten ] Grillo; Original: wollte
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da man inne ward, daÞ es doch ebendieselben GrundsÌtze a priori sind, deren man sich bei der Erfahrung bedient, die unvermerkt und, wie es schien, mit ebendemselben Recht noch weiter fÏhrten, als Erfahrung reicht, so fing man an, selbst in ErfahrungsgrundsÌtze einen Zweifel zu setzen. Hiermit hat es nun wohl keine Not, denn der gesunde Verstand wird hierin wohl jederzeit seine Rechte behaupten; allein es entsprang doch eine besondere Verwirrung in der Wissenschaft, die nicht bestimmen | kann, wieweit und warum nur bis dahin und nicht weiter der Vernunft zu trauen sei; dieser Verwirrung aber kann nur durch fÎrmliche und aus GrundsÌtzen gezogene Grenzbestimmung unseres Vernunftgebrauchs abgeholfen und allem RÏckfall auf kÏnftige Zeit vorgebeugt werden. Es ist wahr: wir kÎnnen Ïber alle mÎgliche Erfahrung hinaus von dem, was Dinge an sich selbst sein mÎgen, keinen bestimmten Begriff geben. Wir sind aber dennoch nicht frei vor der Nachfrage nach diesen, uns gÌnzlich derselben zu enthalten; denn Erfahrung tut der Vernunft niemals vÎllig GenÏge; sie weist uns in Beantwortung der Fragen immer weiter zurÏck und lÌÞt uns in Ansehung des vÎlligen Aufschlusses derselben unbefriedigt, wie jedermann dieses aus der Dialektik der reinen Vernunft, die ebendarum ihren guten subjektiven Grund hat, hinreichend ersehen kann. Wer kann es wohl ertragen, daÞ wir von der Natur unserer Seele bis zum klaren BewuÞtsein des Subjekts und zugleich der Ûberzeugung gelangen, daÞ seine Erscheinungen nicht m at e r i a l i s t i s c h kÎnnen erklÌrt werden, ohne zu fragen, was denn die Seele eigentlich sei, und, wenn kein Erfahrungsbegriff hierzu zureicht, allenfalls einen Vernunftbegriff (eines einfachen immateriellen Wesens) bloÞ zu diesem Behuf anzunehmen, ob wir gleich seine objektive RealitÌt gar nicht dar18 frei ] Erdmann(1): so frei 32 immateriellen ] Grillo; Original: materiellen
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tun kÎnnen? Wer kann sich bei der bloÞen Erfahrungserkenntnis in allen kosmologischen Fragen von der Weltdauer und GrÎÞe, der Freiheit | oder Naturnotwendigkeit befriedigen, da, wir mÎgen es anfangen, wie wir wollen, eine jede nach ErfahrungsgrundsÌtzen gegebene Antwort immer eine neue Frage gebiert, die ebensowohl beantwortet sein will und dadurch die UnzulÌnglichkeit aller physischen ErklÌrungsarten zur Befriedigung der Vernunft deutlich dartut? Endlich, wer sieht nicht bei der durchgÌngigen ZufÌlligkeit und AbhÌngigkeit alles dessen, was er nur nach Erfahrungsprinzipien denken und annehmen mag, die UnmÎglichkeit, bei diesen stehen zu bleiben, und fÏhlt sich nicht notgedrungen, unerachtet alles Verbots, sich nicht in transzendente Ideen zu verlieren, dennoch Ïber alle Begriffe, die er durch Erfahrung rechtfertigen kann, noch in dem Begriffe eines Wesens Ruhe und Befriedigung zu suchen, davon die Idee zwar an sich selbst der MÎglichkeit nach nicht eingesehen, obgleich auch nicht widerlegt werden kann, weil sie ein bloÞes Verstandeswesen betrifft, ohne die aber die Vernunft auf immer unbefriedigt bleiben mÏÞte? Grenzen (bei ausgedehnten Wesen) setzen immer einen Raum voraus, der auÞerhalb einem gewissen bestimmten Platze angetroffen wird und ihn einschlieÞt; Schranken bedÏrfen dergleichen nicht, sondern sind bloÞe Verneinungen, die eine GrÎÞe affizieren, sofern sie nicht absolute VollstÌndigkeit hat. Unsere Vernunft aber sieht gleichsam um sich einen Raum fÏr die Erkenntnis der Dinge an sich selbst, ob sie gleich von ihnen niemals bestimm|te Begriffe haben kann und nur auf Erscheinungen eingeschrÌnkt ist. Solange die Erkenntnis der Vernunft gleichartig ist, lassen sich von ihr keine bestimmten Grenzen denken. In der 5 ErfahrungsgrundsÌtzen ] Hartenstein; Original: Erfahrungsgrundgesetzen
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Mathematik und Naturwissenschaft erkennt die menschliche Vernunft zwar Schranken, aber keine Grenzen, d. i. zwar, daÞ etwas auÞer ihr liege, wohin sie niemals gelangen kann, aber nicht, daÞ sie selbst in ihrem inneren Fortgange irgendwo vollendet sein werde. Die Erweiterung der Einsichten in der Mathematik und die MÎglichkeit immer neuer Erfindungen geht ins Unendliche; ebenso die Entdeckung neuer Natureigenschaften, neuer KrÌfte und Gesetze durch fortgesetzte Erfahrung und Vereinigung derselben durch die Vernunft. Aber Schranken sind hier gleichwohl nicht zu verkennen, denn Mathematik geht nur auf E r s c h e i n u n g e n , und was nicht ein Gegenstand der sinnlichen Anschauung sein kann, als die Begriffe der Metaphysik und Moral, das liegt ganz auÞerhalb ihrer SphÌre, und dahin kann sie niemals fÏhren; sie bedarf aber derselben auch gar nicht. Es ist also kein kontinuierlicher Fortgang und AnnÌherung zu diesen Wissenschaften und gleichsam ein Punkt oder Linie der BerÏhrung. Naturwissenschaft wird uns niemals das Innere der Dinge, d. i. dasjenige, was nicht Erscheinung ist, aber doch zum obersten ErklÌrungsgrunde der Erscheinungen dienen kann, entdecken; aber sie braucht dieses auch nicht zu ihren physischen ErklÌrungen; ja, wenn ihr auch | dergleichen anderweitig angeboten wÏrde (z. B. EinfluÞ immaterieller Wesen), so soll sie es doch ausschlagen und gar nicht in den Fortgang ihrer ErklÌrungen bringen, sondern diese jederzeit nur auf das grÏnden, was als Gegenstand der Sinne zur Erfahrung gehÎren und mit unseren wirklichen Wahrnehmungen nach Erfahrungsgesetzen in Zusammenhang gebracht werden kann. Allein Metaphysik fÏhrt uns in den dialektischen Versuchen der reinen Vernunft (die nicht willkÏrlich oder mutwilligerweise angefangen werden, sondern dazu die Natur der Vernunft selbst treibt) auf Grenzen; und die transzendentalen Ideen, ebendadurch daÞ man ihrer nicht Umgang haben kann, daÞ sie sich gleichwohl niemals wollen realisieren lassen, dienen dazu, nicht allein uns
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wirklich die Grenzen des reinen Vernunftgebrauchs zu zeigen, sondern auch die Art, solche zu bestimmen; und das ist auch der Zweck und Nutzen dieser Naturanlage unserer Vernunft, welche Metaphysik als ihr Lieblingskind ausgeboren hat, dessen Erzeugung, sowie jede andere in der Welt, nicht dem ungefÌhren Zufalle, sondern einem ursprÏnglichen Keime zuzuschreiben ist, welcher zu groÞen Zwecken weislich organisiert ist. Denn Metaphysik ist vielleicht mehr wie irgendeine andere Wissenschaft durch die Natur selbst ihren GrundzÏgen nach in uns gelegt und kann gar nicht als das Produkt einer beliebigen Wahl oder als zufÌllige Erweiterung beim Fortgange |der Erfahrungen (von denen sie sich gÌnzlich abtrennt) angesehen werden. Die Vernunft, durch alle ihre Begriffe und Gesetze des Verstandes, die ihr zum empirischen Gebrauche, mithin innerhalb der Sinnenwelt, hinreichend sind, findet doch von sich dabei keine Befriedigung; denn durch ins Unendliche immer wiederkommende Fragen wird ihr alle Hoffnung zur vollendeten AuflÎsung derselben benommen. Die transzendentalen Ideen, welche diese Vollendung zur Absicht haben, sind solche Probleme der Vernunft. Nun sieht sie klÌrlich, daÞ die Sinnenwelt diese Vollendung nicht enthalten kÎnne, mithin ebensowenig auch alle jene Begriffe, die lediglich zum VerstÌndnisse derselben dienen: Raum und Zeit und alles, was wir unter dem Namen der reinen Verstandesbegriffe angefÏhrt haben. Die Sinnenwelt ist nichts als eine Kette nach allgemeinen Gesetzen verknÏpfter Erscheinungen, sie hat also kein Bestehen fÏr sich, sie ist eigentlich nicht das Ding an sich selbst und bezieht sich also notwendig auf das, was den Grund dieser Erscheinungen enthÌlt, auf Wesen, die nicht bloÞ als Erscheinungen, sondern als Dinge an sich 18 von ] Grillo: fÏr 32 Erscheinungen ] VorlÌnder; Original: Erscheinung 33 Erscheinungen ] VorlÌnder; Original: Erscheinung
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selbst erkannt werden kÎnnen. In der Erkenntnis derselben kann Vernunft allein hoffen, ihr Verlangen nach VollstÌndigkeit im Fortgange vom Bedingten zu dessen Bedingungen einmal befriedigt zu sehen. Oben (½ 33, 34) haben wir Schranken der Vernunft in Ansehung aller Erkenntnis bloÞer Gedankenwesen | angezeigt; jetzt, da uns die transzendentalen Ideen dennoch den Fortgang bis zu ihnen notwendig machen und uns also gleichsam bis zur BerÏhrung des vollen Raumes (der Erfahrung) mit dem leeren (wovon wir nichts wissen kÎnnen, den Noumenis) gefÏhrt haben, kÎnnen wir auch die Grenzen der reinenVernunft bestimmen; denn in allen Grenzen ist auch etwas Positives (z. B. FlÌche ist die Grenze des kÎrperlichen Raumes, indessen doch selbst ein Raum, Linie ein Raum, der die Grenze der FlÌche ist, Punkt die Grenze der Linie, aber doch noch immer ein Ort im Raume), dahingegen Schranken bloÞe Negationen enthalten. Die im angefÏhrten Paragraphen angezeigten Schranken sind noch nicht genug, nachdem wir gefunden haben, daÞ noch Ïber dieselben etwas (ob wir es gleich, was es an sich selbst sei, niemals erkennen werden) hinausliege. Denn nun fragt sich: wie verhÌlt sich unsere Vernunft bei dieser VerknÏpfung dessen, was wir kennen, mit dem, was wir nicht kennen und auch niemals kennen werden? Hier ist eine wirkliche VerknÏpfung des Bekannten mit einem vÎllig Unbekannten (was es auch jederzeit bleiben wird), und wenn dabei das Unbekannte auch nicht im mindesten bekannter werden sollte ^ wie denn das in der Tat auch nicht zu hoffen ist ^, so muÞ doch der Begriff von dieser VerknÏpfung bestimmt und zur Deutlichkeit gebracht werden kÎnnen. Wir sollen uns denn also ein immaterielles Wesen, eine Verstandeswelt und ein hÎchstes aller Wesen (lauter | Noumena) denken, weil die Vernunft nur in diesen als 8 uns ] Schopenhauer; Original: nur
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Dingen an sich selbst Vollendung und Befriedigung antrifft, die sie in der Ableitung der Erscheinungen aus ihren gleichartigen GrÏnden niemals hoffen kann, und weil diese sich wirklich auf etwas von ihnen Unterschiedenes (mithin gÌnzlich Ungleichartiges) beziehen, indem Erscheinungen doch jederzeit eine Sache an sich selbst voraussetzen und also darauf Anzeige tun, man mag sie nun nÌher erkennen oder nicht. Da wir nun aber diese Verstandeswesen nach dem, was sie an sich selbst sein mÎgen, d. i. bestimmt, niemals erkennen kÎnnen, gleichwohl aber solche im VerhÌltnis auf die Sinnenwelt dennoch annehmen und durch die Vernunft damit verknÏpfen mÏssen, so werden wir doch wenigstens diese VerknÏpfung vermittelst solcher Begriffe denken kÎnnen, die ihr VerhÌltnis zur Sinnenwelt ausdrÏcken. Denn denken wir das Verstandeswesen durch nichts als reine Verstandesbegriffe, so denken wir uns dadurch wirklich nichts Bestimmtes, mithin ist unser Begriff ohne Bedeutung; denken wir es uns durch Eigenschaften, die von der Sinnenwelt entlehnt sind, so ist es nicht mehr Verstandeswesen, es wird als eines von den PhÌnomenen gedacht und gehÎrt zur Sinnenwelt. Wir wollen ein Beispiel vom Begriffe des hÎchsten Wesens hernehmen. Der d e i s t i s c h e Begriff ist ein ganz reiner Vernunftbegriff, welcher aber nur ein Ding, das alle RealitÌt |enthÌlt, vorstellt, ohne deren eine einzige bestimmen zu kÎnnen, weil dazu das Beispiel aus der Sinnenwelt entlehnt werden mÏÞte, in welchem Falle ich es immer nur mit einem Gegenstande der Sinne, nicht aber mit etwas ganz Ungleichartigem, was gar nicht ein Gegenstand der Sinne sein kann, zu tun haben wÏrde. Denn ich wÏrde ihm z. B. Verstand beilegen; ich habe aber gar keinen Begriff von einem Verstande als dem, der so ist wie der meinige, nÌm26 RealitÌt] VorlÌnder: RealitÌten
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lich ein solcher, dem durch Sinne Anschauungen mÏssen gegeben werden und der sich damit beschÌftigt, sie unter Regeln der Einheit des BewuÞtseins zu bringen. Aber alsdann wÏrden die Elemente meines Begriffs immer in der Erscheinung liegen; ich wurde aber eben durch die UnzulÌnglichkeit der Erscheinungen genÎtigt, Ïber dieselben hinaus zum Begriffe eines Wesens zu gehen, was gar nicht von Erscheinungen abhÌngig oder damit als Bedingungen seiner Bestimmung verflochten ist. Sondere ich aber den Verstand von der Sinnlichkeit ab, um einen reinen Verstand zu haben: so bleibt nichts als die bloÞe Form des Denkens ohne Anschauung Ïbrig, wodurch allein ich nichts Bestimmtes, also keinen Gegenstand erkennen kann. Ich mÏÞte mir zu dem Ende einen anderen Verstand denken, der die GegenstÌnde anschaute, wovon ich aber nicht den mindesten Begriff habe, weil der menschliche diskursiv ist und nur durch allgemeine Begriffe erkennen kann. Ebendas widerfÌhrt mir auch, wenn ich dem hÎchsten Wesen einen | Willen beilege. Denn ich habe diesen Begriff nur, indem ich ihn aus meiner inneren Erfahrung ziehe, dabei aber meiner AbhÌngigkeit der Zufriedenheit von GegenstÌnden, deren Existenz wir bedÏrfen, und also Sinnlichkeit zum Grunde liegt, welches dem reinen Begriffe des hÎchsten Wesens gÌnzlich widerspricht. Die EinwÏrfe des Hume wider den Deismus sind schwach und treffen niemals etwas mehr als die BeweistÏmer, niemals aber den Satz der deistischen Behauptung selbst. Aber in Ansehung des Theismus, der durch eine nÌhere Bestimmung unseres dort bloÞ transzendenten Begriffs vom hÎchsten Wesen zustande kommen soll, sind 8 Bedingungen ] Natorp/VorlÌnder: Bedingung 21 meiner AbhÌngigkeit ] Hartenstein: AbhÌngigkeit meiner Zufriedenheit; Cassirer: AbhÌngigkeit der; Erdmann(2): meine AbhÌngigkeit von GegenstÌnden; VorlÌnder: immer AbhÌngigkeit der; der Text bleibt in allen editorisch vertretbaren Varianten problematisch. 25 Hume ] Erdmann: H u m e
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sie sehr stark und, nachdem man diesen Begriff einrichtet, in gewissen (in der Tat allen gewÎhnlichen) FÌllen unwiderleglich. Hume hÌlt sich immer daran, daÞ durch den bloÞen Begriff eines Urwesens, dem wir keine anderen als ontologische PrÌdikate (Ewigkeit, Allgegenwart, Allmacht) beilegen, wir wirklich gar nichts Bestimmtes denken, sondern es mÏÞten Eigenschaften hinzukommen, die einen Begriff in concreto abgeben kÎnnen; es sei nicht genug, zu sagen: er sei Ursache, sondern: wie seine KausalitÌt beschaffen sei, etwa durch Verstand und Willen; und da fangen seine Angriffe der Sache selbst, nÌmlich des Theismus, an, da er vorher nur die BeweisgrÏnde des Deismus gestÏrmt hatte, welches keine sonderliche Gefahr nach sich zieht. Seine gefÌhrlichen Argumente beziehen sich insgesamt auf den Anthropomorphismus, | von dem er dafÏr hÌlt, er sei von dem Theismus unabtrennlich und mache ihn in sich selbst widersprechend; lieÞe man ihn aber weg, so fiele dieser hiermit auch, und es bliebe nichts als ein Deismus Ïbrig, aus dem man nichts machen, der uns zu nichts nÏtzen und zu gar keinen Fundamenten der Religion und Sitten dienen kann.Wenn diese Unvermeidlichkeit des Anthropomorphismus gewiÞ wÌre, so mÎchten die Beweise vom Dasein eines hÎchsten Wesens sein, welche sie wollen, und alle eingerÌumt werden: der Begriff von diesem Wesen wÏrde doch niemals von uns bestimmt werden kÎnnen, ohne uns in WidersprÏche zu verwickeln. Wenn wir mit dem Verbot, alle transzendenten Urteile der reinen Vernunft zu vermeiden, das damit dem Anschein nach streitende Gebot, bis zu Begriffen, die auÞerhalb dem Felde des immanenten (empirischen) Gebrauchs liegen, hinauszugehen, verknÏpfen: so werden wir inne, daÞ beide zusammen bestehen kÎnnen, aber nur gerade 3 Hume ] Erdmann: H u m e 31 (empirischen) Gebrauchs ] Erdmann; Original: (empirischen Gebrauchs)
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auf der G r e n z e alles erlaubten Vernunftgebrauchs; denn diese gehÎrt ebensowohl zum Felde der Erfahrung als dem der Gedankenwesen, und wir werden dadurch zugleich belehrt, wie jene so merkwÏrdigen Ideen lediglich zur Grenzbestimmung der menschlichen Vernunft dienen, nÌmlich einerseits Erfahrungserkenntnis nicht unbegrenzt auszudehnen, so daÞ gar nichts mehr als bloÞ Welt von uns zu erkennen Ïbrig bliebe, und andererseits dennoch nicht Ïber die Grenze der Erfahrung hin|auszugehen und von Dingen auÞerhalb derselben als Dingen an sich selbst urteilen zu wollen. Wir halten uns aber auf dieser Grenze, wenn wir unser Urteil bloÞ auf das VerhÌltnis einschrÌnken, welches die Welt zu einem Wesen haben mag, dessen Begriff selbst auÞer aller Erkenntnis liegt, deren wir innerhalb der Welt fÌhig sind. Denn alsdann eignen wir dem hÎchsten Wesen keine von den Eigenschaften a n s i c h s e l b s t zu, durch die wir uns GegenstÌnde der Erfahrung denken, und vermeiden dadurch den d o g m at i s c h e n Anthropomorphismus; wir legen sie aber dennoch dem VerhÌltnis desselben zur Welt bei und erlauben uns einen s y m b o l i s c h e n Anthropomorphismus, der in der Tat nur die Sprache und nicht das Objekt selbst angeht. Wenn ich sage: wir sind genÎtigt, die Welt so anzusehen, a l s o b sie das Werk eines hÎchsten Verstandes und Willens sei, so sage ich wirklich nichts mehr als: wie sich verhÌlt eine Uhr, ein Schiff, ein Regiment zum KÏnstler, Baumeister, Befehlshaber, so die Sinnenwelt (oder alles das, was die Grundlage dieses Inbegriffs von Erscheinungen ausmacht) zu dem Unbekannten, das ich also hierdurch zwar nicht nach dem, was es an sich selbst ist, aber doch nach dem, was es fÏr mich ist, nÌmlich in Ansehung der Welt, davon ich ein Teil bin, erkenne.
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Eine solche Erkenntnis ist die n a c h d e r A n a l o g i e , welche nicht etwa, wie man das Wort gemeiniglich nimmt, eine unvollkommene Øhnlichkeit zweier Dinge, sondern eine vollkommene Øhnlichkeit zweier VerhÌltnisse zwischen ganz unÌhnlichen Dingen bedeutet.1 Vermittelst dieser Analogie bleibt doch ein f Ï r u n s hinlÌnglich bestimmter Begriff von dem hÎchsten Wesen Ïbrig, ob wir gleich alles weggelassen haben, was ihn schlechthin und a n s i c h s e l b s t b e s t i m m e n kÎnnte; denn wir bestimmen ihn doch respektiv auf die Welt und mithin auf uns, und mehr ist uns auch nicht nÎtig. Die Angriffe, welche H u m e auf diejenigen tut, welche diesen Begriff absolut bestimmen wollen, indem sie die Materialien dazu von sich selbst und der Welt ent|lehnen, treffen uns nicht; auch kann er uns nicht vorwerfen, es bleibe uns So ist eine Analogie zwischen dem rechtlichen VerhÌltnisse menschlicher Handlungen und dem mechanischen VerhÌltnisse der bewegenden KrÌfte: ich kann gegen einen andern niemals etwas tun, ohne ihm ein Recht zu geben, unter den nÌmlichen Bedingungen ebendasselbe gegen mich zu tun; ebenso wie kein KÎrper auf einen anderen mit seiner bewegenden Kraft wirken kann, ohne dadurch zu verursachen, daÞ der andere ihm ebensoviel entgegenwirke. Hier sind Recht und bewegende Kraft ganz unÌhnliche Dinge, aber in ihrem VerhÌltnisse ist doch vÎllige Øhnlichkeit. Vermittelst einer solchen Analogie kann ich daher einen VerhÌltnisbegriff von Dingen, die mir absolut unbekannt sind, geben. Z. B. wie sich verhÌlt die BefÎrderung des GlÏcks der Kinder = a zu der Liebe der Eltern = b, so die Wohlfahrt des menschlichen Geschlechts = c zu dem Unbekannten in Gott = x, welches wir Liebe nennen; nicht als wenn es die mindeste Øhnlichkeit mit irgendeiner menschlichen Neigung hÌtte; sondern weil wir das VerhÌltnis derselben zur Welt demjenigen Ìhnlich setzen kÎnnen, was Dinge der Welt untereinander haben. Der VerhÌltnisbegriff aber ist hier eine bloÞe Kategorie, nÌmlich der Begriff der Ursache, der nichts mit Sinnlichkeit zu tun hat.
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gar nichts Ïbrig, wenn man uns den objektiven Anthropomorphismus von dem Begriffe des hÎchsten Wesens wegnÌhme. Denn wenn man uns nur anfangs (wie es auch Hume in der Person des Philo gegen den Kleanth in seinen Dialogen tut) als eine notwendige Hypothese den d e i s t i s c h e n Begriff des Urwesens einrÌumt, in welchem man sich das Urwesen durch lauter ontologische PrÌdikate, der Substanz, Ursache etc. denkt ( we l c h e s m a n t u n m u Þ , weil die Vernunft in der Sinnenwelt durch lauter Bedingungen, die immer wiederum bedingt sind, getrieben, ohne das gar keine Befriedigung haben kann, und we l c h e s m a n a u c h f Ï g l i c h t u n k a n n , ohne in den Anthropomorphismus zu geraten, der PrÌdikate aus der Sinnenwelt auf ein von der Welt ganz unterschiedenes Wesen ÏbertrÌgt, indem jene PrÌdikate bloÞe Kategorien sind, die zwar keinen bestimmten, aber auch ebendadurch keinen auf Bedingungen der Sinnlichkeit eingeschrÌnkten Begriff desselben geben): so kann uns nichts hindern, von diesem Wesen eine K a u s a l i t Ì t d u r c h Ve r n u n f t in Ansehung der Welt zu prÌdizieren und so zum Theismus Ïberzuschreiten, ohne eben genÎtigt zu sein, ihm diese Vernunft an ihm selbst als eine ihm anklebende Eigenschaft beizulegen. Denn was das e r s t e betrifft, so ist es der einzige mÎgliche Weg, den Gebrauch der Vernunft in Ansehung aller mÎglichen Erfahrung in der | Sinnenwelt durchgÌngig mit sich einstimmig auf den hÎchsten Grad zu treiben, wenn man selbst wiederum eine hÎchste Vernunft als eine Ursache aller VerknÏpfungen in der Welt annimmt; ein solches Prinzip muÞ ihr durchgÌngig vorteilhaft sein, kann ihr aber nirgend in ihrem Naturgebrauche schaden. Zw e i t e n s aber wird dadurch doch die Vernunft nicht als Eigenschaft auf das Urwesen an sich selbst Ïbertragen, sondern nur a u f d a s Ve r h Ì l t n i s desselben 4 Hume ] Erdmann: H u m e
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zur Sinnenwelt und also der Anthropomorphismus gÌnzlich vermieden. Denn hier wird nur die Ur s a c h e der Vernunftform betrachtet, die in der Welt allenthalben angetroffen wird, und dem hÎchsten Wesen, sofern es den Grund dieser Vernunftform der Welt enthÌlt, zwar Vernunft beigelegt, aber nur nach der Analogie, d. i. sofern dieser Ausdruck nur das VerhÌltnis anzeigt, was die uns unbekannte oberste Ursache zur Welt hat, um darin alles im hÎchsten Grade vernunftmÌÞig zu bestimmen. Dadurch wird nun verhÏtet, daÞ wir uns der Eigenschaft der Vernunft nicht bedienen, um Gott, sondern um die Welt vermittelst derselben so zu denken, als es notwendig ist, um den grÎÞtmÎglichen Vernunftgebrauch in Ansehung dieser nach einem Prinzip zu haben. Wir gestehen dadurch, daÞ uns das hÎchste Wesen nach demjenigen, was es an sich selbst sei, gÌnzlich unerforschlich und a u f b e s t i m m t e We i s e sogar undenkbar sei, und werden dadurch abgehalten, von unseren Begriffen, die wir von der Vernunft als einer wirkenden | Ursache (vermittelst des Willens) haben, keinen transzendenten Gebrauch zu machen, um die gÎttliche Natur durch Eigenschaften, die doch immer nur von der menschlichen Natur entlehnt sind, zu bestimmen und uns in grobe oder schwÌrmerische Begriffe zu verlieren, andererseits aber auch nicht die Weltbetrachtung nach unseren auf Gott Ïbertragenen Begriffen von der menschlichen Vernunft mit hyperphysischen ErklÌrungsarten zu Ïberschwemmen und von ihrer eigentlichen Bestimmung abzubringen, nach der sie ein Studium der bloÞen Natur durch die Vernunft und nicht eine vermessene Ableitung ihrer Erscheinungen von einer hÎchsten Vernunft sein soll. Der unseren schwachen Begriffen angemessene Ausdruck wird sein: daÞ wir uns die Welt so denken, a l s o b sie von einer hÎchsten Vernunft 18 von ] Natorp/VorlÌnder; Original: nach 25 Ïbertragenen] Hartenstein; Original: Ïbertragenden
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ihrem Dasein und inneren Bestimmung nach abstamme, wodurch wir teils die Beschaffenheit, die ihr, der Welt, selbst zukommt, erkennen, ohne uns doch anzumaÞen, die ihrer Ursache an sich selbst bestimmen zu wollen, teils andererseits in d a s Ve r h Ì l t n i s der obersten Ursache zur Welt den Grund dieser Beschaffenheit (der Vernunftform in der Welt) legen, ohne die Welt dazu fÏr sich selbst zureichend zu finden. 1 | Auf solche Weise verschwinden die Schwierigkeiten, die dem Theismus zu widerstehen scheinen, dadurch: daÞ man mit dem Grundsatze des H u m e , den Gebrauch der Vernunft nicht Ïber das Feld aller mÎglichen Erfahrung dogmatisch hinaus zu treiben, einen anderen Grundsatz verbindet, den Hume gÌnzlich Ïbersah, nÌmlich: das Feld mÎglicher Erfahrung nicht fÏr dasjenige, was in den Augen unserer Vernunft sich selbst begrenzte, anzusehen. Kritik der Vernunft bezeichnet hier den wahren Mittelweg zwischen dem Dogmatismus, den Hume bekÌmpfte, und dem Skeptizismus, den er dagegen einfÏhren wollte; einen Mittelweg, der nicht wie andere Mittelwege, die man gleichsam mechanisch (etwas von einem und etwas von dem anderen) sich selbst zu bestimmen anrÌt, und wodurch kein Mensch eines Besseren belehrt wird, sondern einen solchen, den man nach Prinzipien genau bestimmen kann.
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Ich werde sagen: die KausalitÌt der obersten Ursache ist dasjenige in Ansehung der Welt, was menschliche Vernunft in Ansehung ihrer Kunstwerke ist. Dabei bleibt mir die Natur der obersten Ursache selbst unbekannt; ich vergleiche nur ihre mir bekannte Wirkung (die Weltordnung) und deren VernunftmÌÞigkeit mit den mir be30 kannten Wirkungen menschlicher Vernunft und nen|ne daher jene 180 eine Vernunft, ohne darum ebendasselbe, was ich am Menschen unter diesem Ausdruck verstehe, oder sonst etwas mir Bekanntes ihr als ihre Eigenschaft beizulegen. 25
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18 Hume ] Erdmann: H u m e 20 Mittelwege ] VorlÌnder: Mittelwege ist 28 bekannte ] Hartenstein: unbekannte
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Ich habe mich zu Anfang dieser Anmerkung des Sinnbildes einer G r e n z e bedient, um die Schranken der Vernunft in Ansehung ihres ihr angemessenen Gebrauchs festzusetzen. Die Sinnenwelt enthÌlt bloÞ Erscheinungen, die noch nicht Dinge an sich selbst sind, welche letztere (Noumena) also der Verstand, ebendarum | weil er die GegenstÌnde der Erfahrung fÏr bloÞe Erscheinungen erkennt, annehmen muÞ. In unserer Vernunft sind beide zusammen befaÞt, und es fragt sich: wie verfÌhrt Vernunft, den Verstand in Ansehung beider Felder zu begrenzen? Erfahrung, welche alles, was zur Sinnenwelt gehÎrt, enthÌlt, begrenzt sich nicht selbst; sie gelangt von jedem Bedingten immer nur auf ein anderes Bedingtes. Das, was sie begrenzen soll, muÞ gÌnzlich auÞer ihr liegen, und dieses ist das Feld der reinen Verstandeswesen. Dieses aber ist fÏr uns ein leerer Raum, sofern es auf die B e s t i m m u n g der Natur dieser Verstandeswesen ankommt, und sofern kÎnnen wir, wenn es auf dogmatisch-bestimmte Begriffe angesehen ist, nicht Ïber das Feld mÎglicher Erfahrung hinauskommen. Da aber eine Grenze selbst etwas Positives ist, welches sowohl zu dem gehÎrt, was innerhalb derselben, als zum Raume, der auÞer einem gegebenen Inbegriff liegt, so ist es doch eine wirkliche positive Erkenntnis, deren die Vernunft bloÞ dadurch teilhaftig wird, daÞ sie sich bis zu dieser Grenze erweitert; so doch, daÞ sie nicht Ïber diese Grenze hinauszugehen versucht, weil sie daselbst einen leeren Raum vor sich findet, in welchem sie zwar Formen zu Dingen, aber keine Dinge selbst denken kann. Aber die B e g r e n z u n g des Erfahrungsfeldes durch etwas, was ihr sonst unbekannt ist, ist doch eine Erkenntnis, die der Vernunft in diesem Standpunkte noch Ïbrig bleibt, dadurch sie nicht innerhalb der Sinnenwelt 6 noch] Erdmann: doch
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beschlossen, auch nicht | auÞer derselben schwÌrmend, sondern so, wie es einer Kenntnis der Grenze zukommt, sich bloÞ auf das VerhÌltnis desjenigen, was auÞerhalb derselben liegt, zu dem, was innerhalb enthalten ist, einschrÌnkt. Die natÏrliche Theologie ist ein solcher Begriff auf der Grenze der menschlichen Vernunft, da sie sich genÎtigt sieht, zu der Idee eines hÎchsten Wesens (und in praktischer Beziehung auch auf die einer intelligibelen Welt) hinauszusehen, nicht um in Ansehung dieses bloÞen Verstandeswesens, mithin auÞerhalb der Sinnenwelt etwas zu bestimmen, sondern nur, um ihren eigenen Gebrauch innerhalb derselben nach Prinzipien der grÎÞtmÎglichen (theoretischen sowohl als praktischen) Einheit zu leiten, und zu diesem Behuf sich der Beziehung derselben auf eine selbstÌndige Vernunft, als der Ursache aller dieser VerknÏpfungen, zu bedienen, hierdurch aber nicht etwa sich bloÞ ein Wesen zu e r d i c h t e n , sondern, da auÞer der Sinnenwelt notwendig etwas, was nur der reine Verstand denkt, anzutreffen sein muÞ, dieses nur auf solche Weise, obwohl freilich bloÞ nach der Analogie, zu b e s t i m m e n . Auf solche Weise bleibt unser obiger Satz, der das Resultat der ganzen Kritik ist: ýdaÞ uns Vernunft durch alle ihre Prinzipien a priori niemals etwas mehr als lediglich GegenstÌnde mÎglicher Erfahrung und auch von diesen nichts mehr, als was in der Erfahrung erkannt werden kann, lehreû; aber diese EinschrÌnkung hindert | nicht, daÞ sie uns nicht bis zur objektiven G r e n z e der Erfahrung, nÌmlich der B e z i e h u n g auf etwas, was selbst nicht Gegenstand der Erfahrung, aber doch der oberste Grund aller derselben sein muÞ, fÏhre, ohne uns doch von demselben etwas an sich, sondern nur in Beziehung auf ihren eigenen vollstÌndigen und auf die hÎchsten Zwecke gerichteten Gebrauch im Felde mÎglicher Erfahrung zu leh20 dieses nur auf ] Kullmann: dieses nun auf; VorlÌnder: dieses auf
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ren. Dieses ist aber auch aller Nutzen, den man vernÏnftigerweise hierbei auch nur wÏnschen kann, und mit welchem man Ursache hat zufrieden zu sein. ½ 60
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So haben wir Metaphysik, wie sie wirklich i n d e r Na t u r a n l a g e der menschlichen Vernunft gegeben ist, und zwar in demjenigen, was den wesentlichen Zweck ihrer Bearbeitung ausmacht, nach ihrer subjektiven MÎglichkeit ausfÏhrlich dargestellt. Da wir indessen doch fanden, daÞ dieser b l o Þ n a t Ï r l i c h e Gebrauch einer solchen Anlage unserer Vernunft, wenn keine Disziplin derselben, welche nur durch wissenschaftliche Kritik mÎglich ist, sie zÏgelt und in Schranken setzt, sie in Ïbersteigende, teils bloÞ scheinbare, teils unter sich sogar strittige d i a l e k t i s c h e SchlÏsse verwickelt, und Ïberdem diese vernÏnftelnde Metaphysik zur BefÎrderung der Naturerkenntnis entbehrlich, ja wohl gar ihr nachteilig ist, so bleibt es noch immer eine der Nachforschung wÏrdige Aufgabe, die Nat u r z we c k e , worauf diese Anlage zu transzendenten Begrif|fen in unserer Vernunft abgezielt sein mag, auszufinden, weil alles, was in der Natur liegt, doch auf irgendeine nÏtzliche Absicht ursprÏnglich angelegt sein muÞ. Eine solche Untersuchung ist in der Tat miÞlich; auch gestehe ich, daÞ es nur MutmaÞung sei wie alles, was die ersten Zwecke der Natur betrifft, was ich hiervon zu sagen weiÞ, welches mir auch in diesem Fall allein erlaubt sein mag, da die Frage nicht die objektive GÏltigkeit metaphysischer Urteile, sondern die Naturanlage zu denselben angeht und also auÞer dem System der Metaphysik in der Anthropologie liegt. 20 Vernunft ] Erdmann(2): Natur
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Wenn ich alle transzendentalen Ideen, deren Inbegriff die eigentliche Aufgabe der natÏrlichen reinen Vernunft ausmacht, welche sie nÎtigt, die bloÞe Naturbetrachtung zu verlassen und Ïber alle mÎgliche Erfahrung hinauszugehen und in dieser Bestrebung das Ding (es sei Wissen oder VernÏnfteln), was Metaphysik heiÞt, zustande zu bringen, betrachte: so glaube ich gewahr zu werden, daÞ diese Naturanlage dahin abgezielt sei, unseren Begriff von den Fesseln der Erfahrung und den Schranken der bloÞen Naturbetrachtung soweit loszumachen, daÞ er wenigstens ein Feld vor sich erÎffnet sehe, was bloÞ GegenstÌnde fÏr den reinen Verstand enthÌlt, die keine Sinnlichkeit erreichen kann; zwar nicht in der Absicht, um uns mit diesen spekulativ zu beschÌftigen (weil wir keinen Boden finden, worauf wir FuÞ fassen kÎnnen), sondern damit praktische Prinzipien, die ohne einen solchen Raum fÏr | ihre notwendige Erwartung und Hoffnung vor sich zu finden, sich nicht zu der Allgemeinheit ausbreiten kÎnnten, deren die Vernunft in moralischer Absicht unumgÌnglich bedarf. Da finde ich nun, daÞ die p s yc h o l o g i s c h e Idee, ich mag dadurch auch noch so wenig von der reinen und Ïber 1 Wenn ich alle transzendentalen Ideen, deren Inbegriff ] Kullmann: Wenn ich sehe, daÞ der Inbegriff aller transzendentalen Ideen 5 und ] Kullmann: , um 7 betrachte ] VorlÌnder; Hartenstein: vergleiche; Schulz: erwÌge; Erdmann(2): zusammennehme; Original: zu Stande zu bringen, so glaube ich 15 - 16 damit praktische ] Kullmann: mit praktischen 20 bedarf.] Hier fehlt evtl. der SchluÞ des Teilsatzes ýdamit praktische Prinzipien...û; vgl. aber die vorstehende Korrektur Kullmanns; Folgende Autoren ergÌnzen den Satz: Erdmann(1): auÞer dem Felde der Spekulation einen freien Raum erhalten; Rosenkranz (nach Schopenhauer): Gewalt Ïber uns erhalten kÎnnten; Schulz: in dieser Allgemeinheit sich ausbreiten kÎnnen; Erdmann(2): wenigstens als mÎglich angenommen werden kÎnnen (vgl. KrV A 548 f.); Hartenstein Ìndert die ganze Konstruktion in: weil praktische Prinzipien, ohne einen
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alle Erfahrungsbegriffe erhabenen Natur der menschlichen Seele einsehen, doch wenigstens die UnzulÌnglichkeit der letzteren deutlich genug zeige, und mich dadurch vom Materialismus als einem zu keiner NaturerklÌrung tauglichen und Ïberdem die Vernunft in praktischer Absicht verengenden psychologischen Begriffe abfÏhre. So dienen die ko s m o l o g i s c h e n Ideen durch die sichtbare UnzulÌnglichkeit aller mÎglichen Naturerkenntnis, die Vernunft in ihrer rechtmÌÞigen Nachfrage zu befriedigen, uns vom Naturalismus, der die Natur fÏr sich selbst genugsam ausgeben will, abzuhalten. Endlich, da alle Naturnotwendigkeit in der Sinnenwelt jederzeit bedingt ist, indem sie immer AbhÌngigkeit der Dinge von anderen voraussetzt und die unbedingte Notwendigkeit nur in der Einheit einer von der Sinnenwelt unterschiedenen Ursache gesucht werden muÞ, die KausalitÌt derselben aber wiederum, wenn sie bloÞ Natur wÌre, niemals das Dasein des ZufÌlligen als seine Folge begreiflich machen kÎnnte: so macht sich die Vernunft vermittelst der t h e o l o g i s c h e n Idee vom Fatalismus los, sowohl einer blinden Naturnotwendigkeit in | dem Zusammenhange der Natur selbst ohne erstes Prinzip, als auch in der KausalitÌt dieses Prinzips selbst, und fÏhrt auf den Begriff einer Ursache durch Freiheit, mithin einer obersten Intelligenz. So dienen die transzendentalen Ideen, wenngleich nicht dazu, uns positiv zu belehren, doch die frechen und das Feld der Vernunft verengenden Behauptungen des M at e r i a l i s m u s , Nat u r a l i s m u s und F a t a l i s m u s aufzuheben und dadurch den moralischen Ideen auÞer dem Felde der Spekulation Raum zu verschaffen; und dieses wÏrde, dÏnkt mich, jene Naturanlage einigermaÞen erklÌren.
2 - 3 UnzulÌnglichkeit ] Kullmann: UnzugÌnglichkeit; vgl. KrVA 361 15 Einheit ] Kullmann: Freiheit 18 seine ] Kullmann: ihre
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Der praktische Nutzen, den eine bloÞ spekulative Wissenschaft haben mag, liegt auÞerhalb der Grenzen dieser Wissenschaft, kann also bloÞ als ein Scholion angesehen werden und gehÎrt, wie alle Scholien, nicht als ein Teil zur Wissenschaft selbst. Gleichwohl liegt diese Beziehung doch wenigstens innerhalb den Grenzen der Philosophie, vornehmlich derjenigen, welche aus reinen Vernunftquellen schÎpft, wo der spekulative Gebrauch der Vernunft in der Metaphysik mit dem praktischen in der Moral notwendig Einheit haben muÞ. Daher die unvermeidliche Dialektik der reinen Vernunft in einer Metaphysik, als Naturanlage betrachtet, nicht bloÞ als ein Schein, der aufgelÎst zu werden bedarf, sondern auch als Nat u r a n s t a l t seinem Zwecke nach, wenn man kann, erklÌrt zu werden verdient, wiewohl dieses GeschÌft als | Ïberverdienstlich der eigentlichen Metaphysik mit Recht nicht zugemutet werden darf. FÏr ein zweites, aber mehr mit dem Inhalte der Metaphysik verwandtes Scholion, mÏÞte die AuflÎsung der Fragen gehalten werden, die in der Kritik von S. 642 bis 668 fortgehen. Denn da werden gewisse Vernunftprinzipien vorgetragen, die die Naturordnung oder vielmehr den Verstand, der ihre Gesetze durch Erfahrung suchen soll, a priori bestimmen. Sie scheinen konstitutiv und gesetzgebend in Ansehung der Erfahrung zu sein, da sie doch aus bloÞer Vernunft entspringen, welche nicht so wie Verstand als ein Prinzip mÎglicher Erfahrung angesehen werden darf. Ob nun diese Ûbereinstimmung darauf beruhe, daÞ, sowie Natur den Erscheinungen oder ihrem Quell, der Sinnlichkeit, nicht an sich selbst anhÌngt, sondern nur in der Beziehung der letzteren auf den Verstand angetroffen wird, so diesem Verstande die durchgÌngige Einheit seines Gebrauchs zum Behuf einer gesamten mÎglichen Erfahrung (in einem System) nur mit Beziehung auf die Vernunft zukommen kÎnne, mithin auch Erfah19 642 ] Erdmann; Original: 647
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rung mittelbar unter der Gesetzgebung der Vernunft stehe: mag von denen, welche der Natur der Vernunft auch auÞer ihrem Gebrauch in der Metaphysik, sogar in den allgemeinen Prinzipien, eine Naturgeschichte Ïberhaupt systematisch zu machen, nachspÏren wollen, weiter erwogen werden; denn diese Aufgabe habe ich in der | Schrift selbst zwar als wichtig vorgestellt, aber ihre AuflÎsung nicht versucht. 1 Und so endige ich die analytische AuflÎsung der von mir selbst aufgestellten Hauptfrage: Wie ist Metaphysik Ïberhaupt mÎglich? indem ich von demjenigen, wo ihr Gebrauch wirklich, wenigstens in den Folgen gegeben ist, zu den GrÏnden ihrer MÎglichkeit hinaufstieg.
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AuflÎsung
der al lgeme i ne n Frage der Prolegome ne n : Wie ist Metaphysik als Wissenschaft mÎglich? Metaphysik, als Naturanlage der Vernunft, ist wirklich, aber sie ist auch fÏr sich allein (wie die analytische AuflÎsung der dritten Hauptfrage bewies) dialektisch und trÏglich. Aus dieser also die GrundsÌtze hernehmen wollen
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Es ist mein immerwÌhrender Vorsatz durch die Kritik gewesen, nichts zu versÌumen, was die Nachforschung der Natur der reinen Vernunft zur VollstÌndigkeit bringen kÎnnte, ob es gleich noch so tief verborgen liegen mÎchte. Es steht nachher in jedermanns Belieben, wie weit er seine Untersuchung treiben will, wenn ihm nur an- 25 gezeigt worden, welche noch anzustellen sein mÎchten; denn dieses kann man von demjenigen billig erwarten, der es sich zum GeschÌft gemacht hat, dieses ganze Feld zu Ïbermessen, um es hernach zum kÏnftigen Anbau und beliebigen Austeilung anderen zu Ïberlassen. Dahin gehÎren auch die beiden Scholien, welche sich durch ihre 30 Trockenheit Liebhabern wohl schwerlich empfehlen dÏrften und daher nur fÏr Kenner hingestellt worden. 1
21 durch die ] Schulz: bei der 25 Untersuchung ] Natorp/VorlÌnder: Untersuchungen
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und in dem Gebrauche derselben dem | zwar natÏrlichen, nichtsdestoweniger aber falschen Scheine folgen, kann niemals Wissenschaft, sondern nur eitle dialektische Kunst hervorbringen, darin es eine Schule der anderen zuvortun, keine aber jemals einen rechtmÌÞigen und dauernden Beifall erwerben kann. Damit sie nun als Wissenschaft nicht bloÞ auf trÏgliche Ûberredung, sondern auf Einsicht und Ûberzeugung Anspruch machen kÎnne, so muÞ eine Kritik der Vernunft selbst den ganzen Vorrat der Begriffe a priori, die Einteilung derselben nach den verschiedenen Quellen, der Sinnlichkeit, dem Verstande und der Vernunft, ferner eine vollstÌndige Tafel derselben und die Zergliederung aller dieser Begriffe mit allem, was daraus gefolgert werden kann, darauf aber vornehmlich die MÎglichkeit der synthetischen Erkenntnis a priori vermittelst der Deduktion dieser Begriffe, die GrundsÌtze ihres Gebrauchs, endlich auch die Grenzen desselben, alles aber in einem vollstÌndigen System darlegen. Also enthÌlt Kritik und auch sie ganz allein den ganzen wohlgeprÏften und bewÌhrten Plan, ja sogar alle Mittel der Vollziehung in sich, wonach Metaphysik als Wissenschaft zustande gebracht werden kann; durch andere Wege und Mittel ist sie unmÎglich. Es fragt sich also hier nicht sowohl, wie dieses GeschÌft mÎglich, sondern nur, wie es in Gang zu bringen und gute KÎpfe von der bisherigen verkehrten und fruchtlosen zu einer untrÏglichen Bearbeitung zu bewegen seien, und wie eine solche Vereinigung auf den | gemeinschaftlichen Zweck am fÏglichsten gelenkt werden kÎnne. Soviel ist gewiÞ: wer einmal Kritik gekostet hat, den ekelt auf immer alles dogmatische GewÌsche, womit er vorher aus Not vorlieb nahm, weil seine Vernunft etwas bedurfte und nichts Besseres zu ihrer Unterhaltung finden konnte. Die Kritik verhÌlt sich zur gewÎhnlichen Schulmetaphysik gerade wie C h e m i e zur A l c h i m i e , oder wie A s t r o n o m i e zur wahrsagenden A s t r o l o g i e . Ich bin dafÏr gut, daÞ niemand, der die GrundsÌtze der Kritik
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auch nur in diesen Prolegomenen durchgedacht und gefaÞt hat, jemals wieder zu jener alten und sophistischen Scheinwissenschaft zurÏckkehren werde; vielmehr wird er mit einem gewissen ErgÎtzen auf eine Metaphysik hinaussehen, die nunmehr allerdings in seiner Gewalt ist, auch keiner vorbereitenden Entdeckungen mehr bedarf, und die zuerst der Vernunft dauernde Befriedigung verschaffen kann. Denn das ist ein Vorzug, auf welchen unter allen mÎglichen Wissenschaften Metaphysik allein mit Zuversicht rechnen kann, nÌmlich daÞ sie zur Vollendung und in den beharrlichen Zustand gebracht werden kann, da sie sich weiter nicht verÌndern darf, auch keiner Vermehrung durch neue Entdeckungen fÌhig ist; weil die Vernunft hier die Quellen ihrer Erkenntnis nicht in den GegenstÌnden und ihrer Anschauung (durch die sie nicht ferner eines Mehreren belehrt werden kann), sondern in sich selbst hat und, wenn sie die Grundgesetze ihres VermÎgens vollstÌn|dig und gegen alle MiÞdeutung bestimmt dargestellt hat, nichts Ïbrig bleibt, was reine Vernunft a priori erkennen, ja auch nur, was sie mit Grund fragen kÎnnte. Die sichere Aussicht auf ein so bestimmtes und geschlossenes Wissen hat einen besonderen Reiz bei sich, wenn man gleich allen Nutzen (von welchem ich hernach noch reden werde) beiseite setzt. Alle falsche Kunst, alle eitle Weisheit dauert ihre Zeit; denn endlich zerstÎrt sie sich selbst, und die hÎchste Kultur derselben ist zugleich der Zeitpunkt ihres Unterganges. DaÞ in Ansehung der Metaphysik diese Zeit jetzt da sei, beweist der Zustand, in welchen sie bei allem Eifer, womit sonst Wissenschaften allerart bearbeitet werden, unter allen gelehrten VÎlkern verfallen ist. Die alte Einrichtung der UniversitÌtsstudien erhÌlt noch ihren Schatten, eine einzige Akademie der Wissenschaften bewegt noch dann und wann durch ausgesetzte Preise, ein und anderen Versuch 33 ein und anderen ] Hartenstein: einen oder anderen; Erdmann(1): den einen und anderen; Schulz: einen und den anderen; Erdmann(2): einen und anderen
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darin zu machen; aber unter grÏndliche Wissenschaften wird sie nicht mehr gezÌhlt, und man mag selbst urteilen, wie etwa ein geistreicher Mann, den man einen groÞen Metaphysiker nennen wollte, diesen wohlgemeinten, aber kaum von jemanden beneideten Lobspruch aufnehmen wÏrde. Ob aber gleich die Zeit des Verfalls aller dogmatischen Metaphysik ungezweifelt da ist, so fehlt doch noch manches dran, um sagen zu kÎnnen, daÞ die Zeit ihrer Wiedergeburt vermittelst einer grÏndlichen und vollen|deten Kritik der Vernunft dagegen schon erschienen sei. Alle ÛbergÌnge von einer Neigung zu der ihr entgegengesetzten gehen durch den Zustand der GleichgÏltigkeit, und dieser Zeitpunkt ist der gefÌhrlichste fÏr einen Verfasser, aber, wie mich dÏnkt, doch der gÏnstigste fÏr die Wissenschaft. Denn wenn durch gÌnzliche Trennung vormaliger Verbindungen der Parteigeist erloschen ist, so sind die GemÏter in der besten Verfassung, nun allmÌhlich VorschlÌge zur Verbindung nach einem anderen Plane anzuhÎren. Wenn ich sage, daÞ ich von diesen Prolegomenen hoffe, sie werden die Nachforschung im Felde der Kritik vielleicht rege machen und dem allgemeinen Geiste der Philosophie, dem es im spekulativen Teile an Nahrung zu fehlen scheint, einen neuen und viel versprechenden Gegenstand der Unterhaltung darreichen, so kann ich mir schon zum voraus vorstellen, daÞ jedermann, den die dornichten Wege, die ich ihn in der Kritik gefÏhrt habe, unwillig und ÏberdrÏssig gemacht haben, mich fragen werde, worauf ich wohl diese Hoffnung grÏnde. Ich antworte: a u f d a s u nw i d e r s t e h l i c h e G e s e t z d e r No t we n d i g k e i t . DaÞ der Geist des Menschen metaphysische Untersuchungen einmal gÌnzlich aufgeben werde, ist ebensowe18 nun ] Hartenstein; Schulz: um; Original: nur 26 den] Erdmann; Original: der
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nig zu erwarten, als daÞ wir, um nicht immer unreine Luft zu schÎpfen, das Atemholen einmal lieber ganz und gar einstellen wÏrden. Es wird also in der Welt | jederzeit und, was noch mehr, bei jedem, vornehmlich dem nachdenkenden Menschen Metaphysik sein, die in Ermangelung eines Îffentlichen RichtmaÞes jeder sich nach seiner Art zuschneiden wird. Nun kann das, was bis daher Metaphysik geheiÞen hat, keinem prÏfenden Kopfe ein GenÏge tun; ihr aber gÌnzlich zu entsagen, ist doch auch unmÎglich; also muÞ endlich eine Kritik der reinen Vernunft selbst v e r s u c h t oder, wenn eine da ist, u n t e r s u c h t und in allgemeine PrÏfung gezogen werden, weil es sonst kein Mittel gibt, diesem dringenden BedÏrfnis, welches noch etwas mehr als bloÞe WiÞbegierde ist, abzuhelfen. Seitdem ich Kritik kenne, habe ich am Ende des Durchlesens einer Schrift metaphysischen Inhalts, die mich durch Bestimmung ihrer Begriffe, durch Mannigfaltigkeit und Ordnung und einen leichten Vortrag sowohl unterhielt als auch kultivierte, mich nicht entbrechen kÎnnen, zu fragen: h a t d i e s e r Au t o r wo h l d i e M e t a p hy s i k u m e i n e n S c h r i t t we i t e r g e b r a c h t ? Ich bitte die gelehrten MÌnner um Vergebung, deren Schriften mir in anderer Absicht genutzt und immer zur Kultur der GemÏtskrÌfte beigetragen haben, weil ich gestehe, daÞ ich weder in ihren noch in meinen geringeren Versuchen (denen doch Eigenliebe zum Vorteil spricht) habe finden kÎnnen, daÞ dadurch die Wissenschaft im mindesten | weiter gebracht worden, und dieses zwar aus dem ganz natÏrlichen Grunde, weil die Wissenschaft noch nicht existierte und auch nicht stÏckweise zusammengebracht werden kann, sondern ihr Keim in der Kritik vorher vÎllig prÌformiert sein muÞ. Man muÞ aber, um alle MiÞdeutung zu verhÏten, sich aus dem vorigen wohl erinnern, daÞ durch analytische Behandlung unserer Be25 geringeren ] Kullmann: vorherigen
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griffe zwar dem Verstande allerdings recht viel genutzt, die Wissenschaft (der Metaphysik) aber dadurch nicht im mindesten weiter gebracht werde, weil jene Zergliederungen der Begriffe nur Materialien sind, daraus allererst Wissenschaft gezimmert werden soll. So mag man den Begriff von Substanz und Akzidenz noch so schÎn zergliedern und bestimmen; das ist recht gut als Vorbereitung zu irgendeinem kÏnftigen Gebrauche. Kann ich aber gar nicht beweisen, daÞ in allem, was da ist, die Substanz beharre und nur die Akzidenzen wechseln, so war durch alle jene Zergliederung die Wissenschaft nicht im mindesten weiter gebracht. Nun hat Metaphysik weder diesen Satz noch den Satz des zureichenden Grundes, viel weniger irgendeinen zusammengesetzteren, als z. B. einen zur Seelenlehre oder Kosmologie gehÎrigen, und Ïberall gar keinen synthetischen Satz bisher a priori gÏltig beweisen kÎnnen; also ist durch alle jene Analysis nichts ausgerichtet, nichts geschafft und gefÎrdert worden, und die Wissenschaft ist nach soviel GewÏhl und GerÌusch noch immer da, wo | sie zu Aristoteles' Zeiten war, obzwar die Veranstaltungen dazu, wenn man nur erst den Leitfaden zu synthetischen Erkenntnissen gefunden hÌtte, ohnstreitig viel besser wie sonst getroffen worden. Glaubt jemand sich hierdurch beleidigt, so kann er diese Beschuldigung leicht zunichte machen, wenn er nur einen einzigen synthetischen, zur Metaphysik gehÎrigen Satz anfÏhren will, den er auf dogmatische Art a priori zu beweisen sich erbietet; denn nur dann, wenn er dieses leistet, werde ich ihm einrÌumen, daÞ er wirklich die Wissenschaft weiter gebracht habe; sollte dieser Satz auch sonst durch die gemeine Erfahrung genug bestÌtigt sein. Keine Forderung kann gemÌÞigter und billiger sein und im (unausbleiblich gewissen) Fall der Nichtleistung kein Aus2 (der Metaphysik) ] Erdmann; Original: der (Metaphysik)
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spruch gerechter als der, daÞ Metaphysik als Wissenschaft bisher noch gar nicht existiert habe. Nur zwei Dinge muÞ ich, im Fall daÞ die Ausforderung angenommen wird, verbitten: erstlich das Spielwerk von Wa h r s c h e i n l i c h k e i t und MutmaÞung, welches der Metaphysik ebenso schlecht ansteht als der Geometrie; zweitens die Entscheidung vermittelst der WÏnschelrute des sogenannten g e s u n d e n M e n s c h e nv e r s t a n d e s , die nicht jedermann schlÌgt, sondern sich nach persÎnlichen Eigenschaften richtet. | Denn, wa s d a s e r s t e r e a n l a n g t , so kann wohl nichts Ungereimteres gefunden werden, als in einer Metaphysik, einer Philosophie aus reiner Vernunft, seine Urteile auf Wahrscheinlichkeit und MutmaÞung grÏnden zu wollen. Alles, was a priori erkannt werden soll, wird ebendadurch fÏr apodiktisch gewiÞ ausgegeben und muÞ also auch so bewiesen werden. Man kÎnnte ebensogut eine Geometrie oder Arithmetik auf MutmaÞungen grÏnden wollen; denn was den calculus probabilium der letzteren betrifft, so enthÌlt er nicht wahrscheinliche, sondern ganz gewisse Urteile Ïber den Grad der MÎglichkeit gewisser FÌlle unter gegebenen gleichartigen Bedingungen, die in der Summe aller mÎglichen FÌlle ganz unfehlbar der Regel gemÌÞ zutreffen mÏssen, ob diese gleich in Ansehung jedes einzelnen Zufalls nicht genug bestimmt ist. Nur in der empirischen Naturwissenschaft kÎnnen MutmaÞungen (vermittelst der Induktion und Analogie) gelitten werden, doch so, daÞ wenigstens die MÎglichkeit dessen, was ich annehme, vÎllig gewiÞ sein muÞ. Mit der B e r u f u n g a u f d e n g e s u n d e n M e n s c h e nve r s t a n d , wenn von Begriffen und GrundsÌtzen, nicht sofern sie in Ansehung der Erfahrung gÏltig sein sollen, sondern sofern sie auch auÞer den Bedingungen 32 wenn von ] Kullmann: aber bei
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der Erfahrung fÏr geltend ausgegeben werden wollen, die Rede ist, ist es womÎglich noch schlechter bewandt. Denn was ist der g e s u n d e Ve r s t a n d ? Es ist der g e m e i n e Ve r s t a n d , so|fern er richtig urteilt. Und was ist nun der gemeine Verstand? Es ist das VermÎgen der Erkenntnis und des Gebrauchs der Regeln in concreto, zum Unterschiede des s p e k u l at i ve n Ve r s t a n d e s , welcher ein VermÎgen der Erkenntnis der Regeln in abstracto ist. So wird der gemeine Verstand die Regel: daÞ alles, was geschieht, vermittelst seiner Ursache bestimmt sei, kaum verstehen, niemals aber so im allgemeinen einsehen kÎnnen. Er fordert daher ein Beispiel aus Erfahrung und, wenn er hÎrt, daÞ dieses nichts anderes bedeute, als was er jederzeit gedacht hat, wenn ihm eine Fensterscheibe zerbrochen oder ein Hausrat verschwunden war, so versteht er den Grundsatz und rÌumt ihn auch ein. Gemeiner Verstand hat also weiter keinen Gebrauch, als sofern er seine Regeln (obgleich dieselben ihm wirklich a priori beiwohnen) in der Erfahrung bestÌtigt sehen kann; mithin sie a priori und unabhÌngig von der Erfahrung einzusehen, gehÎrt vor den spekulativen Verstand und liegt ganz auÞer dem Gesichtskreise des gemeinen Verstandes. Metaphysik hat es ja aber lediglich mit der letzteren Art Erkenntnis zu tun, und es ist gewiÞ ein schlechtes Zeichen eines gesunden Verstandes, sich auf jenen GewÌhrsmann zu berufen, der hier gar kein Urteil hat, und den man sonst wohl nur Ïber die Achsel ansieht, auÞer wenn man sich im GedrÌnge sieht und sich in seiner Spekulation weder zu raten noch zu helfen weiÞ. | Es ist eine gewÎhnliche Ausflucht, deren sich diese falschen Freunde des gemeinen Menschenverstandes (die ihn gelegentlich hochpreisen, gemeiniglich aber verachten) zu bedienen pflegen, daÞ sie sagen: Es mÏssen doch endlich ei1 - 2 wollen, die Rede ist, ist ] Hartenstein; Original: wollen, ist es, womÎglich,
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AuflÎsung der allgemeinen Frage
nige SÌtze sein, die unmittelbar gewiÞ seien, und von denen man nicht allein keinen Beweis, sondern auch Ïberall keine Rechenschaft zu geben brauche, weil man sonst mit den GrÏnden seiner Urteile niemals zu Ende kommen wÏrde; aber zum Beweise dieser Befugnis kÎnnen sie (auÞer dem Satze des Widerspruchs, der aber die Wahrheit synthetischer Urteile darzutun nicht hinreichend ist) niemals etwas anderes Ungezweifeltes, was sie dem gemeinen Menschenverstande unmittelbar beimessen dÏrfen, anfÏhren als mathematische SÌtze: z. B. daÞ zweimal zwei vier ausmachen, daÞ zwischen zwei Punkten nur eine gerade Linie sei u. a. m. Das sind aber Urteile, die von denen der Metaphysik himmelweit unterschieden sind. Denn in der Mathematik kann ich alles das durch mein Denken selbst machen (konstruieren), was ich mir durch einen Begriff als mÎglich vorstelle; ich tue zu einer Zwei die andere Zwei nach und nach hinzu und mache selbst die Zahl Vier, oder ziehe in Gedanken von einem Punkte zum anderen allerlei Linien und kann nur eine einzige ziehen, die sich in allen ihren Teilen (gleichen sowohl als ungleichen) Ìhnlich ist. Aber ich kann aus dem Begriffe eines Dinges durch meine ganze | Denkkraft nicht den Begriff von etwas anderem, dessen Dasein notwendig mit dem ersteren verknÏpft ist, herausbringen, sondern muÞ die Erfahrung zu Rate ziehen; und obgleich mir mein Verstand a priori (doch immer nur in Beziehung auf mÎgliche Erfahrung) den Begriff von einer solchen VerknÏpfung (der KausalitÌt) an die Hand gibt, so kann ich ihn doch nicht, wie die Begriffe der Mathematik, a priori in der Anschauung darstellen und also seine MÎglichkeit a priori darlegen, sondern dieser Begriff samt den GrundsÌtzen seiner Anwendung bedarf immer, wenn er a priori gÏltig sein soll ^ wie es doch in der Metaphysik verlangt wird ^, eine Rechtfertigung und Deduktion seiner MÎglichkeit, weil 1 seien ] VorlÌnder; Erdmann(2): sind; Original: seyn 10 ausmachen ] Erdmann(1): ausmache
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man sonst nicht weiÞ, wieweit er gÏltig sei, und ob er nur in der Erfahrung oder auch auÞer ihr gebraucht werden kÎnne. Also kann man sich in der Metaphysik als einer spekulativen Wissenschaft der reinen Vernunft niemals auf den gemeinen Menschenverstand berufen, aber wohl, wenn man genÎtigt ist, sie zu verlassen und auf alle reine spekulative Erkenntnis, welche jederzeit ein Wissen sein muÞ, mithin auch auf Metaphysik selbst und deren Belehrung (bei gewissen Angelegenheiten) Verzicht zu tun, und ein vernÏnftiger Glaube uns allein mÎglich, zu unserem BedÏrfnis auch hinreichend (vielleicht gar heilsamer als das Wissen selbst) befunden wird. Denn alsdann ist die Gestalt der Sache ganz verÌndert. Metaphysik muÞ | Wissenschaft sein, nicht allein im ganzen, sondern auch in allen ihren Teilen, sonst ist sie gar nichts; weil sie als Spekulation der reinen Vernunft sonst nirgends Haltung hat als an allgemeinen Einsichten. AuÞer ihr aber kÎnnen Wahrscheinlichkeit und gesunder Menschenverstand gar wohl ihren nÏtzlichen und rechtmÌÞigen Gebrauch haben, aber nach ganz eigenen GrundsÌtzen, deren Gewicht immer von der Beziehung aufs Praktische abhÌngt. Das ist es, was ich zur MÎglichkeit einer Metaphysik als Wissenschaft zu fordern mich berechtigt halte.
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Vo n dem, was ge schehe n ka n n, um Metaphysik als Wissenschaft wirklich zu machen Da alle Wege, die man bisher eingeschlagen ist, diesen Zweck nicht erreicht haben, auch auÞer einer vorhergehenden Kritik der reinen Vernunft ein solcher wohl niemals erreicht werden wird, so scheint die Zumutung nicht 14 auch in allen ] Hartenstein; Original: auch allen
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unbillig, den Versuch, der hiervon jetzt vor Augen gelegt ist, einer genauen und sorgfÌltigen PrÏfung zu unterwerfen, wofern man es nicht fÏr noch ratsamer hÌlt, lieber alle AnsprÏche auf Metaphysik gÌnzlich auf|zugeben, in welchem Falle, wenn man seinem Vorsatze nur treu bleibt, nichts dawider einzuwenden ist. Wenn man den Lauf der Dinge nimmt, wie er wirklich geht, nicht, wie er gehen sollte, so gibt es zweierlei Urteile: ein Ur t e i l , d a s vo r d e r U n t e r s u c h u n g vo r h e r g e h t , und dergleichen ist in unserem Falle dasjenige, wo der Leser aus seiner Metaphysik Ïber die Kritik der reinen Vernunft (die allererst die MÎglichkeit derselben untersuchen soll) ein Urteil fÌllt; und dann ein anderes Ur t e i l , we l c h e s a u f d i e U n t e r s u c h u n g f o l g t , wo der Leser die Folgerungen aus den kritischen Untersuchungen, die ziemlich stark wider seine sonst angenommene Metaphysik verstoÞen dÏrften, eine Zeitlang beiseite zu setzen vermag und allererst die GrÏnde prÏft, woraus jene Folgerungen abgeleitet sein mÎgen.WÌre das, was gemeine Metaphysik vortrÌgt, ausgemacht gewiÞ (etwa wie Geometrie), so wÏrde die erste Art zu urteilen gelten; denn wenn die Folgerungen gewisser GrundsÌtze ausgemachten Wahrheiten widerstreiten, so sind jene GrundsÌtze falsch und ohne alle weitere Untersuchung zu verwerfen. VerhÌlt es sich aber nicht so, daÞ Metaphysik von unstreitig gewissen (synthetischen) SÌtzen einenVorrat habe und vielleicht gar so, daÞ ihrer eine Menge, die ebenso scheinbar als die besten unter ihnen, gleichwohl in ihren Folgerungen selbst unter sich streitig sind, Ïberall aber ganz und gar kein sicheres Kriterium der Wahrheit eigentlich-metaphy|sischer (synthetischer) SÌtze in ihr anzutreffen ist: so kann die vorhergehende Art zu urteilen nicht statthaben, sondern die Untersuchung der GrundsÌtze der Kritik muÞ vor allem Urteile Ïber ihren Wert oder Unwert vorhergehen. 29 sind ] Erdmann; Original: seyn
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P r o b e e i n e s Ur t e i l s Ï b e r d i e K r i t i k , d a s vo r d e r U n t e r s u c h u n g vo r h e r g e h t Dergleichen Urteil ist in den GÎttingischen gelehrten Anzeigen, der Zugabe drittem StÏck, vom 19. Jenner 1782, S. 40 u. f. anzutreffen. Wenn ein Verfasser, der mit dem Gegenstande seines Werkes wohl bekannt ist, der durchgÌngig eigenes Nachdenken in die Bearbeitung desselben zu legen beflissen gewesen, einem Rezensenten in die HÌnde fÌllt, der seinerseits scharfsichtig genug ist, die Momente auszuspÌhen, auf denen der Wert oder Unwert der Schrift eigentlich beruht, nicht an Worten hÌngt, sondern den Sachen nachgeht und bloÞ die Prinzipien, von denen der Verfasser ausging, sichtet und prÏft, so mag dem letzteren zwar die Strenge des Urteils miÞfallen, das Publikum ist dagegen gleichgÏltig, denn es gewinnt dabei; und der Verfasser selbst kann zufrieden sein, daÞ er Gelegenheit bekommt, seine von | einem Kenner frÏhzeitig geprÏften AufsÌtze zu berichtigen oder zu erlÌutern und auf solche Weise, wenn er im Grunde Recht zu haben glaubt, den Stein des AnstoÞes, der seiner Schrift in der Folge nachteilig werden kÎnnte, beizeiten wegzurÌumen. Ich befinde mich mit meinem Rezensenten in einer ganz anderen Lage. Er scheint gar nicht einzusehen, worauf es bei der Untersuchung, womit ich mich (glÏcklich oder unglÏcklich) beschÌftigte, eigentlich ankam; und, es sei nun Ungeduld, ein weitlÌufiges Werk durchzudenken, oder verdrieÞliche Laune Ïber eine angedrohte Reform einer Wissenschaft, bei der er schon lÌngstens alles ins Reine gebracht zu haben glaubte, oder, welches ich ungern vermute, ein wirklich eingeschrÌnkter Begriff daran schuld, dadurch er sich Ïber seine Schulmetaphysik nie11 denen ] Schulz; Original: die 13 bloÞ] Natorp/VorlÌnder; Original: nicht blos
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mals hinauszudenken vermag: kurz, er geht mit UngestÏm eine lange Reihe von SÌtzen durch, bei denen man, ohne ihre PrÌmissen zu kennen, gar nichts denken kann, streut hin und wieder seinen Tadel aus, von welchem der Leser ebensowenig den Grund sieht, als er die SÌtze versteht, dawider derselbe gerichtet sein soll, und kann also weder dem Publikum zur Nachricht nÏtzen, noch mir im Urteile der Kenner das mindeste schaden; daher ich diese Beurteilung gÌnzlich Ïbergangen sein wÏrde, wenn sie mir nicht zu einigen ErlÌuterungen AnlaÞ gÌbe, | die den Leser dieser Prolegomenen in einigen FÌllen vor MiÞdeutung bewahren kÎnnten. Damit Rezensent aber doch einen Gesichtspunkt fasse, aus dem er am leichtesten auf eine dem Verfasser unvorteilhafte Art das ganze Werk vor Augen stellen kÎnne, ohne sich mit irgendeiner besonderen Untersuchung bemÏhen zu dÏrfen, so fÌngt er damit an und endigt auch damit, daÞ er sagt: ýdies Werk ist ein System des transzendenten (oder, wie er es Ïbersetzt, des hÎheren) 1 Idealismusû. Beim Anblicke dieser Zeile sah ich bald, was fÏr eine
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Beileibe nicht der h Î h e r e . Hohe TÏrme und die ihnen Ìhnlichen metaphysisch-groÞen MÌnner, um welche beide gemeiniglich viel Wind ist, sind nicht fÏr mich. Mein Platz ist das fruchtbare B a - * t h o s der Erfahrung, und das Wort: transzendental, dessen so vielfÌltig von mir angezeigte Bedeutung vom Rezensenten nicht einmal 25 gefaÞt worden (so flÏchtig hat er alles angesehen), bedeutet nicht etwas, das Ïber alle Erfahrung hinausgeht, sondern was vor ihr (a priori) zwar vorhergeht, aber doch zu nichts Mehrerem bestimmt ist, als lediglich Erfahrungserkenntnis mÎglich zu machen. Wenn diese Begriffe die Erfahrung Ïberschreiten, dann heiÞt ihr Gebrauch tran- 30 szendent, welcher von dem immanenten, d. i. auf Erfahrung eingeschrÌnkten Gebrauch unterschieden wird. Allen MiÞdeutungen dieser Art ist in dem Werke hinreichend vorgebeugt worden; allein der Rezensent fand seinen Vorteil bei MiÞdeutungen. 1
18 transzendenten ] Erdmann (gemÌÞ dem Wortlaut der GÎttinger Rezension): transscendentellen
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Rezension da herauskommen wÏrde, ungefÌhr so, als wenn jemand, der niemals von Geometrie etwas gehÎrt oder gesehen hÌtte, einen Euklid fÌnde und er|sucht wÏrde, sein Urteil darÏber zu fÌllen, nachdem er beim DurchblÌttern auf viel Figuren gestoÞen, etwa sagte: ýDas Buch ist eine systematische Anweisung zum Zeichnen; der Verfasser bedient sich einer besonderen Sprache, um dunkle, unverstÌndliche Vorschriften zu geben, die am Ende doch nichts mehr ausrichten kÎnnen, als was jeder durch ein gutes natÏrliches AugenmaÞ zustande bringen kann etc.û LaÞt uns indessen doch zusehen, was denn das fÏr ein Idealismus sei, der durch mein ganzes Werk geht, obgleich bei weitem noch nicht die Seele des Systems ausmacht. Der Satz aller echten Idealisten, von der eleatischen Schule an bis zum Bischof Berkeley, ist in dieser Formel enthalten: ýAlle Erkenntnis durch Sinne und Erfahrung ist nichts als lauter Schein, und nur in den Ideen des reinen Verstandes und Vernunft ist Wahrheit.û Der Grundsatz, der meinen Idealismus durchgÌngig regiert und bestimmt, ist dagegen: ýAlle Erkenntnis von Dingen aus bloÞem reinen Verstande oder reiner Vernunft ist nichts als lauter Schein, und nur in der Erfahrung ist Wahrheit.û | Das ist ja aber gerade das Gegenteil von jenem eigentlichen Idealismus; wie kam ich denn dazu, mich dieses Ausdrucks zu einer ganz entgegengesetzten Absicht zu bedienen und, wie der Rezensent, ihn allenthalben zu sehen? Die AuflÎsung dieser Schwierigkeit beruht auf etwas, was man sehr leicht aus dem Zusammenhange der Schrift hÌtte einsehen kÎnnen, wenn man gewollt hÌtte. Raum und Zeit samt allem, was sie in sich enthalten, sind nicht die Dinge oder deren Eigenschaften an sich selbst, sondern gehÎren bloÞ zu Erscheinungen derselben; bis dahin bin ich mit jenen Idealisten auf einem Bekenntnisse. Allein 15 Berkeley,] Erdmann: B e r ke l e y,
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diese, und unter ihnen vornehmlich Berkeley, sahen den Raum fÏr eine bloÞe empirische Vorstellung an, die, ebenso wie die Erscheinungen in ihm, uns nur vermittelst der Erfahrung oder Wahrnehmung zusamt allen seinen Bestimmungen bekannt wÏrde; ich dagegen zeige zuerst: daÞ der Raum (und ebenso die Zeit, auf welche Berkeley nicht acht hatte) samt allen seinen Bestimmungen a priori von uns erkannt werden kÎnne, weil er sowohl als die Zeit uns vor aller Wahrnehmung oder Erfahrung als reine Form unserer Sinnlichkeit beiwohnt und alle Anschauung derselben, mithin auch alle Erscheinungen mÎglich macht. Hieraus folgt: daÞ, da Wahrheit auf allgemeinen und notwendigen Gesetzen als ih|ren Kriterien beruht, die Erfahrung bei B e r k e l e y keine Kriterien der Wahrheit haben kÎnne, weil den Erscheinungen derselben (von ihm) nichts a priori zum Grunde gelegt ward; woraus denn folgte, daÞ sie nichts als lauter Schein sei, dagegen bei uns Raum und Zeit (in Verbindung mit den reinen Verstandesbegriffen) a priori aller mÎglichen Erfahrung ihr Gesetz vorschreiben, welches zugleich das sichere Kriterium abgibt, in ihr Wahrheit von Schein zu unterscheiden.1
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Der eigentliche Idealismus hat jederzeit eine schwÌrmerische Absicht und kann auch keine andere haben; der meinige aber ist lediglich dazu, um die MÎglichkeit unserer Erkenntnis a priori von GegenstÌnden der Erfahrung zu begreifen, welches ein Problem ist, das 25 bisher noch nicht aufgelÎst, ja nicht einmal aufgeworfen worden. Dadurch fÌllt nun der ganze schwÌrmerische Idealismus, der immer (wie auch schon aus dem Plato zu ersehen) aus unseren Erkenntnissen a priori (selbst denen der Geometrie) auf eine andere (nÌmlich intellektuelle) Anschauung als die der Sinne schloÞ, weil man sich 30 gar nicht einfallen lieÞ, daÞ Sinne auch a priori anschauen sollten. 1
1 Berkeley,] Erdmann: B e r k e l e y, 6 Berkeley ] Erdmann: B e r ke l e y 28 Plato ] Erdmann: Pl at o 29 denen ] Erdmann; Original: derer
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Mein sogenannter (eigentlich kritischer) Idealismus ist also von ganz eigentÏmlicher Art, nÌmlich so, daÞ er den gewÎhnlichen umstÏrzt, daÞ durch ihn alle Erkenntnis a priori, selbst die der Geometrie, zuerst objektive RealitÌt bekommt, welche ohne diese meine bewiesene IdealitÌt des Raumes und der Zeit selbst von den eifrigsten Realisten gar nicht behauptet werden kÎnnte. Bei solcher Bewandtnis der Sachen wÏnschte ich, um allen MiÞverstand | zu verhÏten, daÞ ich diesen meinen Begriff anders benennen kÎnnte; aber ihn ganz abzuÌndern, will sich nicht wohl tun lassen. Es sei mir also erlaubt, ihn kÏnftig, wie oben schon angefÏhrt worden, den formalen, besser noch den kritischen Idealismus zu nennen, um ihn vom dogmatischen des B e r k e l e y und vom skeptischen des C a r t e s i u s zu unterscheiden. Weiter finde ich in der Beurteilung dieses Buchs nichts MerkwÏrdiges. Der Verfasser derselben urteilt durch und durch en gros, eine Manier, die klÏglich gewÌhlt ist, weil man dabei sein eigen Wissen oder Nichtwissen nicht verrÌt; ein einziges ausfÏhrliches Urteil en de¨ tail wÏrde, wenn es wie billig die Hauptfrage betroffen hÌtte, vielleicht meinen Irrtum, vielleicht auch das MaÞ der Einsicht des Rezensenten in dieser Art von Untersuchungen aufgedeckt haben. Es war auch kein Ïbel ausgedachter Kunstgriff, um Lesern, welche sich nur aus Zeitungsnachrichten von BÏchern einen Begriff zu machen gewohnt sind, die Lust zum Lesen des Buchs selbst frÏhzeitig zu benehmen, eine Menge von SÌtzen, die auÞer dem Zusammenhange mit ihren BeweisgrÏnden und ErlÌuterungen gerissen (vornehmlich so antipodisch, wie diese in Ansehung aller Schulmetaphysik sind), notwendig widersinnig lauten mÏssen, in einem Atem hintereinander herzusagen, die Geduld des Lesers bis zum Ekel | zu bestÏrmen, und dann, nachdem man mich mit dem sinnreichen Satze, 8 um ] Hartenstein; Original: nun
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daÞ bestÌndiger Schein Wahrheit sei, bekannt gemacht hat, mit der derben, doch vÌterlichen Lektion zu schlieÞen: Wozu denn der Streit wider die gemein angenommene Sprache, wozu denn und woher die idealistische Unterscheidung? Ein Urteil, welches alles EigentÏmliche meines Buchs, da es vorher metaphysisch-ketzerisch sein sollte, zuletzt in eine bloÞe Sprachneuerung setzt und klar beweist, daÞ mein angemaÞter Richter auch nicht das mindeste davon und obenein sich selbst nicht recht verstanden habe. 1 Rezensent spricht indessen wie ein Mann, der sich wichtiger und vorzÏglicher Einsichten bewuÞt sein muÞ, die er aber noch verborgen hÌlt; denn mir ist in Ansehung der Metaphysik neuerlich nichts bekannt geworden, was zu einem solchen Tone berechtigen kÎnnte. Daran tut er aber sehr unrecht, daÞ er der Welt seine Entdeckungen vorenthÌlt; denn es geht ohne Zweifel noch mehreren so | wie mir, daÞ sie bei allem SchÎnen, was seit langer Zeit in diesem Fache geschrieben worden, doch nicht finden konnten, daÞ die Wissenschaft dadurch um einen Finger breit weiter gebracht worden. Sonst Definitionen an-
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Der Rezensent schlÌgt sich mehrenteils mit seinem eigenen Schatten. Wenn ich die Wahrheit der Erfahrung dem Traum entgegensetze, so denkt er gar nicht daran, daÞ hier nur von dem bekannten somnio obiective sumto der Wolffischen Philosophie die Rede sei; * der bloÞ formal ist, und wobei es auf den Unterschied des Schlafens und Wachens gar nicht angesehen ist und in einer Transzendentalphilosophie auch nicht gesehen werden kann. Ûbrigens nennt er meine Deduktion der Kategorien und die Tafel der VerstandesgrundsÌtze: 210 ýgemein bekannte GrundsÌtze der Logik und | Ontologie, auf ideali- 30 stische Art ausgedrÏcktû. Der Leser darf nur darÏber diese Prolegomenen nachsehen, um sich zu Ïberzeugen, daÞ ein elenderes und selbst historisch unrichtigeres Urteil gar nicht kÎnne gefÌllt werden. 1
3 - 4 die gemein angenommene] Erdmann(2); VorlÌnder: die gemeine angenommene; Original: die angenommene 25 Wolffischen ] Erdmann: Wo l f f i s c h e n
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spitzen, lahme Beweise mit neuen KrÏcken versehen, dem Cento der Metaphysik neue Lappen oder einen verÌnderten Zuschnitt geben, das findet man noch wohl, aber das verlangt die Welt nicht. Metaphysischer Behauptungen ist die Welt satt; man will die MÎglichkeit dieser Wissenschaft, die Quellen, aus denen GewiÞheit in derselben abgeleitet werden kÎnne, untersucht wissen und sichere Kriterien haben, den dialektischen Schein der reinen Vernunft von der Wahrheit zu unterscheiden. Hierzu muÞ der Rezensent den SchlÏssel besitzen, sonst wÏrde er nimmermehr aus so hohem Tone gesprochen haben. Aber ich gerate auf den Verdacht, daÞ ihm ein solches BedÏrfnis der Wissenschaft vielleicht niemals in Gedanken gekommen sein mag; denn sonst wÏrde er seine Beurteilung auf diesen Punkt gerichtet und selbst ein fehlgeschlagener Versuch in einer so wichtigen Angelegenheit Achtung bei ihm erworben haben. Wenn das ist, so sind wir wieder gute Freunde. Er mag sich so tief in | seine Metaphysik hineindenken, als ihm gut dÏnkt, daran soll ihn niemand hindern; nur Ïber das, was auÞer der Metaphysik liegt, die in der Vernunft befindliche Quelle derselben, kann er nicht urteilen. DaÞ mein Verdacht aber nicht ohne Grund sei, beweise ich dadurch, daÞ er von der MÎglichkeit der synthetischen Erkenntnis a priori, welche die eigentliche Aufgabe war, auf deren AuflÎsung das Schicksal der Metaphysik gÌnzlich beruht, und worauf meine Kritik (ebenso wie hier meine Prolegomena) ganz und gar hinauslief, nicht ein Wort erwÌhnte. Der Idealismus, auf den er stieÞ und an welchem er auch hÌngen blieb, war nur, als das einige Mittel jene Aufgabe aufzulÎsen, in den Lehrbegriff aufgenommen worden (wiewohl 7- 8 kÎnne, untersucht wissen und ] VorlÌnder; Original: kÎnne, und 8 Kriterien haben, den] VorlÌnder; Original: Kriterien, den 25 MÎglichkeit ] Hartenstein; Original: Metaphysik
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er denn auch noch aus anderen GrÏnden seine BestÌtigung erhielt), und da hÌtte er zeigen mÏssen, daÞ entweder jene Aufgabe die Wichtigkeit nicht habe, die ich ihr (wie auch jetzt in den Prolegomenen) beilege, oder daÞ sie durch meinen Begriff von Erscheinungen gar nicht oder auch auf andere Art besser kÎnne aufgelÎst werden; davon aber finde ich in der Rezension kein Wort. Der Rezensent verstand also nichts von meiner Schrift und vielleicht auch nichts von dem Geist und dem Wesen der Metaphysik selbst, wofern nicht vielmehr, welches ich lieber annehme, Rezensenteneilfertigkeit, Ïber die Schwierigkeit, sich durch soviel Hindernisse durchzuarbeiten, entrÏstet, einen nachteiligen Schatten auf | das vor ihm liegende Werk warf und es ihm in seinen GrundzÏgen unkenntlich machte. Es fehlt noch sehr viel daran, daÞ eine gelehrte Zeitung, ihre Mitarbeiter mÎgen auch mit noch so guter Wahl und Sorgfalt ausgesucht werden, ihr sonst verdientes Ansehen im Felde der Metaphysik ebenso wie anderwÌrts behaupten kÎnne. Andere Wissenschaften und Kenntnisse haben doch ihren MaÞstab. Mathematik hat ihren in sich selbst, Geschichte und Theologie in weltlichen oder heiligen BÏchern, Naturwissenschaft und Arzneikunst in Mathematik und Erfahrung, Rechtsgelehrsamkeit in GesetzbÏchern und sogar Sachen des Geschmacks in Mustern der Alten. Allein zur Beurteilung des Dinges, das Metaphysik heiÞt, soll erst der MaÞstab gefunden werden (ich habe einen Versuch gemacht, ihn sowohl als seinen Gebrauch zu bestimmen).Was ist nun so lange, bis dieser ausgemittelt wird, zu tun, wenn doch Ïber Schriften dieser Art geurteilt werden muÞ? Sind sie von dogmatischer Art, so mag man es halten, wie man will; lange wird keiner hierin Ïber den anderen den Meister spielen, ohne daÞ sich einer findet, der es ihm wieder 1 seine] Erdmann; Original: ihre
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vergilt. Sind sie aber von kritischer Art, und zwar nicht in Absicht auf andere Schriften, sondern auf die Vernunft selbst, so daÞ der MaÞstab der Beurteilung nicht schon angenommen werden kann, sondern | allererst gesucht wird: so mag Einwendung und Tadel unverbeten sein, aber VertrÌglichkeit muÞ dabei doch zum Grunde liegen, weil das BedÏrfnis gemeinschaftlich ist und der Mangel benÎtigter Einsicht ein richterlich entscheidendes Ansehen unstatthaft macht. Um aber diese meine Verteidigung zugleich an das Interesse des philosophierenden gemeinen Wesens zu knÏpfen, schlage ich einen Versuch vor, der Ïber die Art, wie alle metaphysischen Untersuchungen auf ihren gemeinschaftlichen Zweck gerichtet werden mÏssen, entscheidend ist. Dieser ist nichts anderes, als was sonst wohl Mathematiker getan haben, um in einem Wettstreit den Vorzug ihrer Methoden auszumachen, nÌmlich eine Ausforderung an meinen Rezensenten, nach seiner Art irgendeinen einzigen von ihm behaupteten wahrhaftig metaphysischen, d. i. synthetischen und a priori aus Begriffen erkannten, allenfalls auch einen der unentbehrlichsten, als z. B. den Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz oder der notwendigen Bestimmung der Weltbegebenheiten durch ihre Ursache, aber, wie es sich gebÏhrt, durch GrÏnde a priori zu erweisen. Kann er dies nicht (Stillschweigen aber ist Bekenntnis), so muÞ er einrÌumen: daÞ, da Metaphysik ohne apodiktische GewiÞheit der SÌtze dieser Art ganz und gar nichts ist, die MÎglichkeit oder UnmÎglichkeit derselben vor allen Dingen zuerst in einer Kri|tik der reinen Vernunft ausgemacht werden mÏsse; mithin ist er verbunden, entweder zu gestehen, daÞ meine GrundsÌtze der Kritik richtig sind, oder ihre UngÏltigkeit zu beweisen. Da ich aber schon zum voraus sehe, daÞ, so unbesorgt er sich auch bisher auf die GewiÞ21 erkannten ] VorlÌnder: erkannten Satz
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heit seiner GrundsÌtze verlassen hat, dennoch, da es auf eine strenge Probe ankommt, er in dem ganzen Umfange der Metaphysik auch nicht einen einzigen auffinden werde, mit dem er dreist auftreten kÎnne, so will ich ihm die vorteilhafteste Bedingung bewilligen, die man nur in einem Wettstreite erwarten kann, nÌmlich ihm das onus probandi abnehmen und es mir auflegen lassen. Er findet nÌmlich in diesen Prolegomenen und in meiner Kritik, S. 426 bis 461 acht SÌtze, deren zwei und zwei immer einander widerstreiten, jeder aber notwendig zur Metaphysik gehÎrt, die ihn entweder annehmen oder widerlegen muÞ (wiewohl kein einziger derselben ist, der nicht zu seiner Zeit von irgendeinem Philosophen wÌre angenommen worden). Nun hat er die Freiheit, sich einen von diesen acht SÌtzen nach Wohlgefallen auszusuchen und ihn ohne Beweis, den ich ihm schenke, anzunehmen; aber nur einen (denn ihm wird Zeitverspillerung ebensowenig dienlich sein wie mir), und alsdann meinen Beweis des Gegensatzes anzugreifen. Kann ich nun diesen gleichwohl retten und auf solche Art | zeigen, daÞ nach GrundsÌtzen, die jede dogmatische Metaphysik notwendig anerkennen muÞ, das Gegenteil des von ihm adoptierten Satzes gerade ebenso klar bewiesen werden kÎnne, so ist dadurch ausgemacht, daÞ in der Metaphysik ein Erbfehler liege, der nicht erklÌrt, viel weniger gehoben werden kann, als wenn man bis zu ihrem Geburtsort, der reinen Vernunft selbst, hinaufsteigt; und so muÞ meine Kritik entweder angenommen oder an ihre Statt eine bessere gesetzt, sie also wenigstens studiert werden; welches das einzige ist, das ich jetzt nur verlange. Kann ich dagegen meinen Beweis nicht retten, so steht ein synthetischer Satz a priori aus dogmatischen GrundsÌtzen auf der Seite meines Gegners fest, meine Beschuldigung der gemeinen Metaphysik war darum ungerecht, und ich erbiete mich, seinen Tadel meiner Kritik (obgleich das lange noch nicht die Folge sein dÏrfte) fÏr rechtmÌÞig zu erkennen. Hierzu aber wÏrde es, dÏnkt mich, nÎtig sein, a u s d e m I n ko g -
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n i t o z u t r e t e n , weil ich nicht absehe, wie es sonst zu verhÏten wÌre, daÞ ich nicht statt e i n e r Aufgabe von ungenannten und doch unberufenen Gegnern mit mehreren beehrt oder bestÏrmt wÏrde. 5
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|Vorsch lag zu ei ner Untersuchu ng der Kriti k, auf welche das Urte il folge n ka n n Ich bin dem gelehrten Publikum auch fÏr das Stillschweigen verbunden, womit es eine geraume Zeit hindurch meine Kritik beehrt hat; denn dieses beweist doch einen Aufschub des Urteils und also einige Vermutung, daÞ in einem Werke, was alle gewohnten Wege verlÌÞt und einen neuen einschlÌgt, in den man sich nicht sofort finden kann, doch vielleicht etwas liegen mÎge, wodurch ein wichtiger, aber jetzt abgestorbener Zweig menschlicher Erkenntnisse neues Leben und Fruchtbarkeit bekommen kÎnne, mithin eine Behutsamkeit, durch kein Ïbereiltes Urteil das noch zarte Pfropfreis abzubrechen und zu zerstÎren. Eine Probe eines aus solchen GrÏnden verspÌteten Urteils kommt mir nur eben jetzt in der Gothaischen gelehrten Zeitung vor Augen, dessen GrÏndlichkeit (ohne mein hierbei verdÌchtiges Lob in Betracht zu ziehen) aus der faÞlichen und unverfÌlschten Vorstellung eines zu den ersten Prinzipien meines Werks gehÎrigen StÏcks jeder Leser von selbst wahrnehmen wird. Und nun schlage ich vor, da ein weitlÌufig GebÌude unmÎglich durch einen flÏchtigen Ûberschlag sofort | im ganzen beurteilt werden kann, es von seiner Grundlage an StÏck fÏr StÏck zu prÏfen und hierbei gegenwÌrtige Prolegomena als einen allgemeinen AbriÞ zu brauchen, mit welchem dann gelegentlich das Werk selbst verglichen 2 e i n e r ] VorlÌnder; Original: einer 3 doch] Kullmann setzt dieses ýdochû vor ýstattû.
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werden kÎnnte. Dieses Ansinnen, wenn es nichts weiter als meine Einbildung von Wichtigkeit, die die Eitelkeit gewÎhnlichermaÞen allen eigenen Produkten leiht, zum Grunde hÌtte, wÌre unbescheiden und verdiente mit Unwillen abgewiesen zu werden. Nun aber stehen die Sachen der ganzen spekulativen Philosophie so, daÞ sie auf dem Punkte sind, vÎllig zu erlÎschen, obgleich die menschliche Vernunft an ihnen mit nie erlÎschender Neigung hÌngt, die nur darum, weil sie unaufhÎrlich getÌuscht wird, es jetzt, obgleich vergeblich, versucht, sich in GleichgÏltigkeit zu verwandeln. In unserem denkenden Zeitalter lÌÞt sich nicht vermuten, daÞ nicht viele verdiente MÌnner jede gute Veranlassung benutzen sollten, zu dem gemeinschaftlichen Interesse der sich immer mehr aufklÌrenden Vernunft mitzuarbeiten, wenn sich nur einige Hoffnung zeigt, dadurch zum Zweck zu gelangen. Mathematik, Naturwissenschaft, Gesetze, KÏnste, selbst Moral etc. fÏllen die Seele noch nicht gÌnzlich aus; es bleibt immer noch ein Raum in ihr Ïbrig, der fÏr die bloÞe reine und spekulative Vernunft abgestochen ist, und dessen Leere uns zwingt, in | Fratzen oder TÌndelwerk oder auch SchwÌrmerei dem Scheine nach BeschÌftigung und Unterhaltung, im Grunde aber nur Zerstreuung zu suchen, um den beschwerlichen Ruf der Vernunft zu ÏbertÌuben, die ihrer Bestimmung gemÌÞ etwas verlangt, was sie fÏr sich selbst befriedige und nicht bloÞ zum Behuf anderer Absichten oder zum Interesse der Neigungen in GeschÌftigkeit versetze. Daher hat eine Betrachtung, die sich bloÞ mit diesem Umfange der fÏr sich selbst bestehenden Vernunft beschÌftigt, darum weil eben in demselben alle anderen Kenntnisse, sogar Zwecke zusammenstoÞen und sich in ein Ganzes vereinigen mÏssen, wie ich mit Grund vermute, fÏr jedermann, der es nur versucht hat, seine 32 - 33 und sich in ] VorlÌnder; Original: und in
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Begriffe so zu erweitern, einen groÞen Reiz, und ich darf wohl sagen einen grÎÞeren als jedes andere theoretische Wissen, welches man gegen jenes nicht leichtlich eintauschen wÏrde. Ich schlage aber darum diese Prolegomena zum Plane und Leitfaden der Untersuchung vor und nicht das Werk selbst, weil ich mit diesem zwar, was den Inhalt, die Ordnung und Lehrart und die Sorgfalt betrifft, die auf jeden Satz gewandt worden, um ihn genau zu wÌgen und zu prÏfen, ehe ich ihn hinstellte, auch noch jetzt ganz wohl zufrieden bin (denn es haben Jahre dazu gehÎrt, mich nicht allein von dem Ganzen, sondern bisweilen auch nur von einem einzigen Satze in Ansehung | seiner Quellen vÎllig zu befriedigen), aber mit meinem Vortrage in einigen Abschnitten der Elementarlehre, z. B. der Deduktion der Verstandesbegriffe oder dem von den Paralogismen der reinen Vernunft, nicht vÎllig zufrieden bin, weil eine gewisse WeitlÌufigkeit in denselben die Deutlichkeit hindert, an deren statt man das, was hier die Prolegomenen in Ansehung dieser Abschnitte sagen, zum Grunde der PrÏfung legen kann. Man rÏhmt von den Deutschen, daÞ, wozu Beharrlichkeit und anhaltender FleiÞ erforderlich sind, sie es darin weiter als andere VÎlker bringen kÎnnen.Wenn diese Meinung gegrÏndet ist, so zeigt sich hier nun eine Gelegenheit, ein GeschÌfte, an dessen glÏcklichem Ausgange kaum zu zweifeln ist und woran alle denkenden Menschen gleichen Anteil nehmen, welches doch bisher nicht gelungen war, zur Vollendung zu bringen und jene vorteilhafte Meinung zu bestÌtigen; vornehmlich, da die Wissenschaft, welche es betrifft, von so besonderer Art ist, daÞ sie auf einmal zu ihrer ganzen VollstÌndigkeit und in denjenigen b e h a r r l i c h e n Zu s t a n d gebracht 6 das Werk ] Schopenhauer; Original: des Werks 33 b e h a r r l i c h e n Zu s t a n d ] Erdmann: b e h a r r l i c h e n Zustand
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werden kann, da sie nicht im mindesten weiter gebracht und durch spÌtere Entdeckung weder vermehrt noch auch nur verÌndert werden kann (den Ausputz durch hin und wieder vergrÎÞerte Deutlichkeit oder angehÌngten Nutzen in allerlei Absicht rechne ich hierher nicht): ein Vor|teil, den keine andere Wissenschaft hat noch haben kann, weil keine ein so vÎllig isoliertes, von anderen unabhÌngiges und mit ihnen unvermengtes ErkenntnisvermÎgen betrifft. Auch scheint dieser meiner Zumutung der jetzige Zeitpunkt nicht ungÏnstig zu sein, da man jetzt in Deutschland fast nicht weiÞ, womit man sich auÞer den sogenannten nÏtzlichen Wissenschaften noch sonst beschÌftigen kÎnne, so daÞ es doch nicht bloÞes Spiel, sondern zugleich GeschÌft sei, wodurch ein bleibender Zweck erreicht wird. Wie die BemÏhungen der Gelehrten zu einem solchen Zweck vereinigt werden kÎnnten, dazu die Mittel zu ersinnen, muÞ ich anderen Ïberlassen. Indessen ist meine Meinung nicht, irgend jemanden eine bloÞe Befolgung meiner SÌtze zuzumuten, oder mir auch nur mit der Hoffnung derselben zu schmeicheln, sondern es mÎgen sich, wie es zutrifft, Angriffe, Wiederholungen, EinschrÌnkungen oder auch BestÌtigung, ErgÌnzung und Erweiterung dabei zutragen: wenn die Sache nur von Grund aus untersucht wird, so kann es jetzt nicht mehr fehlen, daÞ nicht ein LehrgebÌude, wenngleich nicht das meinige, dadurch zustande komme, was ein VermÌchtnis fÏr die Nachkommenschaft werden kann, dafÏr sie Ursache haben wird, dankbar zu sein. Was, wenn man nur allererst mit den GrundsÌtzen der Kritik in Richtigkeit ist, fÏr eine Metaphysik ihr| zufolge kÎnne erwartet werden, und wie diese keineswegs, dadurch daÞ man ihr die falschen Federn abgezogen, armselig und zu einer nur kleinen Figur herabgesetzt erscheinen dÏrfe, sondern in anderer Absicht reichlich und anstÌndig ausgestattet erscheinen kÎnne, wÏrde hier zu zeigen zu weitlÌufig sein; allein andere groÞe Nutzen, die eine sol-
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che Reform nach sich ziehen wÏrde, fallen sofort in die Augen. Die gemeine Metaphysik schaffte dadurch doch schon Nutzen, daÞ sie die Elementarbegriffe des reinen Verstandes aufsuchte, um sie durch Zergliederung deutlich und durch ErklÌrungen bestimmt zu machen. Dadurch ward sie eine Kultur fÏr die Vernunft, wohin diese sich auch nachher zu wenden gut finden mÎchte. Allein das war auch alles Gute, was sie tat. Denn dieses ihr Verdienst vernichtete sie dadurch wieder, daÞ sie durch waghalsige Behauptungen den EigendÏnkel, durch subtile AusflÏchte und BeschÎnigung die Sophisterei und durch die Leichtigkeit, Ïber die schwersten Aufgaben mit ein wenig Schulweisheit wegzukommen, die Seichtigkeit begÏnstigte, welche desto verfÏhrerischer ist, je mehr sie einerseits etwas von der Sprache der Wissenschaft, andererseits von der PopularitÌt anzunehmen die Wahl hat und dadurch allen alles, in der Tat aber Ïberall nichts ist. Durch Kritik dagegen wird unserem Urteil der MaÞstab zugeteilt, wodurch Wissen von Scheinwissen mit Sicherheit unterschieden werden kann, und diese grÏn|det, dadurch daÞ sie in der Metaphysik in ihre volle AusÏbung gebracht wird, eine Denkungsart, die ihren wohltÌtigen EinfluÞ nachher auf jeden anderen Vernunftgebrauch erstreckt und zuerst den wahren philosophischen Geist einflÎÞt. Aber auch der Dienst, den sie der Theologie leistet, indem sie solche von dem Urteil der dogmatischen Spekulation unabhÌngig macht und sie ebendadurch wider alle Angriffe solcher Gegner vÎllig in Sicherheit stellt, ist gewiÞ nicht gering zu schÌtzen. Denn gemeine Metaphysik, ob sie gleich jener viel Vorschub verhieÞ, konnte doch dieses Versprechen nachher nicht erfÏllen und hatte noch Ïberdem dadurch, daÞ sie spekulative Dogmatik zu ihrem Beistand aufgeboten, nichts anderes getan, als Feinde wider sich selbst zu bewaffnen. SchwÌrmerei, die in einem 11 BeschÎnigung] Natorp/VorlÌnder: BeschÎnigungen
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aufgeklÌrten Zeitalter nicht aufkommen kann, als nur wenn sie sich hinter einer Schulmetaphysik verbirgt, unter deren Schutz sie es wagen darf, gleichsam mit Vernunft zu rasen, wird durch kritische Philosophie aus diesem ihrem letzten Schlupfwinkel vertrieben, und Ïber das alles kann es doch einem Lehrer der Metaphysik nicht anders als wichtig sein, einmal mit allgemeiner Beistimmung sagen zu kÎnnen, daÞ, was er vortrÌgt, nun endlich auch Wi s s e n s c h a f t sei und dadurch dem gemeinen Wesen wirklicher Nutzen geleistet werde.
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Die Rezension erschien anonym in der Zugabe zu den GÎttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen unter der Aufsicht der KÎnigl. Gesellschaft der Wissenschaften. Der erste Band. auf das Jahr 1782. GÎttingen, gedruckt bey Johann Christian Dieterich., 3. StÏck, den 19. Januar 1782, S. 40 48. C r i t i k d e r r e i n e n Ve r n u n f t . Vo n I m m a n . K a n t . 1781. 856 S. Oktav. Dieses Werk, das den Verstand seiner Leser immer Ïbt, wenn auch nicht immer unterrichtet, oft die Aufmerksamkeit bis zur ErmÏdung anstrengt, zuweilen ihr durch glÏckliche Bilder zu Hilfe kommt oder sie durch unerwartete gemeinnÏtzige Folgerungen belohnt, ist ein System des hÎhern, oder, wie es der Verf. nennt, des transscendentellen Idealismus; eines Idealismus, der Geist und Materie auf gleiche Weise umfaÞt, die Welt und uns selbst in Vorstellungen verwandelt, und alle Objekte aus Erscheinungen dadurch entstehen lÌÞt, daÞ sie der Verstand zu e i n e r Erfahrungsreihe verknÏpft, und daÞ sie die Vernunft in e i n ganzes und vollstÌndiges Weltsystem auszubreiten und zu vereinigen, notwendig, obwohl vergeblich, versucht. Das System des V. beruht ungefÌhr auf folgenden HauptsÌtzen. Alle unsere Erkenntnisse entspringen aus gewissen Modifikationen unserer selbst, die wir Empfindungen nennen. Worin diese befindlich sind, woher sie rÏhren, das ist uns im Grunde vÎllig unbekannt. Wenn es ein wirkliches Ding gibt, dem die Vorstellungen inhÌrieren, wirkliche Dinge unabhÌngig von uns, die dieselben hervorbringen: so wissen wir doch von dem einen so wenig als von dem andern das mindeste PrÌdikat. Demohnerachtet nehmen wir Objekte an; wir reden von uns selbst, wir reden von den KÎrpern
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als wirklichen Dingen, wir glauben beide zu kennen, wir urteilen Ïber sie. Die Ursache hiervon ist nichts anders, als daÞ die mehreren Erscheinungen etwas miteinander gemein haben. Dadurch vereinigen sie sich untereinander und unterscheiden sich von dem, was wir u n s s e l b s t nennen. So sehen wir die Anschauungen der ÌuÞeren Sinne als Dinge und Begebenheiten auÞer uns an, weil sie alle in einem gewissen Raume nebeneinander und in einer gewissen Zeit aufeinander erfolgen. Das ist fÏr uns wirklich, was wir uns irgendwo und irgendwann vorstellen. Raum und Zeit selbst sind nichts Wirkliches auÞer uns, sind auch keine VerhÌltnisse, auch keine abstrahierte Begriffe, sondern subjektive Gesetze unseres VorstellungsvermÎgens, Formen der Empfindungen, subjektive Bedingungen der sinnlichen Anschauung. Auf diesen Begriffen von den Empfindungen als bloÞen Modifikationen unserer selbst (worauf auch B e r k e l e y seinen Idealismus hauptsÌchlich baut), vom Raum und von der Zeit beruht der eine Grundpfeiler des Kantschen Systems. ^ Aus den s i n n l i c h e n E r s c h e i n u n g e n , die sich von anderen Vorstellungen nur durch die subjektive Bedingung, daÞ Zeit und Raum damit verbunden sind, unterscheiden, macht der Ve r s t a n d Objekte. Er m a c h t sie. Denn er ist es erstlich, der mehrere successive kleine VerÌnderungen der Seele in ganze vollstÌndige Empfindungen vereinigt; er ist es, der diese Ganzen wieder so miteinander in der Zeit verbindet, daÞ sie als Ursache und Wirkung aufeinander folgen, wodurch jedes seinen bestimmten Platz in der unendlichen Zeit, und alle zusammen die Haltung und Festigkeit wirklicher Dinge bekommen; er ist es endlich, der durch einen neuen Zusatz von VerknÏpfung die zugleich seienden GegenstÌnde, als wechselseitig ineinander wirkende, von den successiven, als nur einseitig voneinander abhÌngigen, unterscheidet und auf diese Weise, indem er in die Anschauungen der Sinne Ordnung, RegelmÌÞigkeit der Folge und wechselseitigen EinfluÞ hineinbringt, die Natur im eigentlichen Verstande
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schafft, ihre Gesetze nach den seinigen bestimmt. Diese Gesetze des Verstandes sind Ìlter als die Erscheinungen, bei welchen sie angewandt werden: es gibt also Verstandesbegriffe a priori. Wir Ïbergehen den Versuch des Verf., das ganze GeschÌfte des Verstandes noch weiter aufzuklÌren, durch eine Reduktion desselben auf vier Hauptfunktionen und davon abhÌngige vier Hauptbegriffe, nÌmlich QualitÌt, QuantitÌt, Relation und ModalitÌt, die wieder einfachere unter sich begreifen und in der Verbindung mit den Vorstellungen von Zeit und Raum die GrundsÌtze zur Erfahrungskenntnis geben sollen. Es sind die gemein bekannten GrundsÌtze der Logik und Ontologie nach den idealistischen EinschrÌnkungen des Verf. ausgedrÏckt. Gelegenheitlich wird gezeigt, wie Leibniz auf seine Monadologie gekommen sei, und es werden ihr Bemerkungen entgegengesetzt, die grÎÞtenteils auch unabhÌngig von dem transscendentellen Idealismus des V. erhalten werden kÎnnen. Das Hauptresultat aus allem, was der V. Ïber das GeschÌft des Verstandes angemerkt hat, soll denn dies sein: daÞ der rechte Gebrauch des reinen Verstandes darin bestehe, seine Begriffe auf sinnliche Erscheinungen anzuwenden und durch Verbindung beider E r f a h r u n g e n zu formieren, und daÞ es ein MiÞbrauch desselben und ein nie gelingendes GeschÌft sein wird, aus Begriffen das Dasein und die Eigenschaften von Objekten zu schlieÞen, die wir nie erfahren kÎnnen. (Erfahrungen, im Gegensatz auf bloÞe Einbildungen und TrÌumereien, sind dem Verf. sinnliche Anschauungen, mit Verstandesbegriffen verbunden. Aber wir gestehen, daÞ wir nicht einsehen, wie die dem Menschenverstande insgemein so leichte Unterscheidung des Wirklichen vom Eingebildeten, bloÞ MÎglichen, ohne e i n Merkmal des Ersteren in der Empfindung selbst anzunehmen, durch b l o Þ e Anwendung der Verstandesbegriffe zureichend gegrÏndet werden kÎnne, da ja auch Visionen und Phantasien, bei TrÌumenden und Wachenden, als ÌuÞerliche Erscheinungen im Raume und in der Zeit und Ïberhaupt unter
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sich selbst aufs ordentlichste verbunden vorkommen kÎnnen; ordentlicher bisweilen, dem Anscheine nach, als die wirklichen Ereignisse.) ^ AuÞer dem Verstande tritt nun aber noch zur Bearbeitung der Vorstellungen eine neue Kraft hinzu, die Ve r n u n f t . Diese bezieht sich auf die gesammelten Verstandesbegriffe, wie der Verstand auf die Erscheinungen. So wie der Verstand die Regeln enthÌlt, nach welchen die einzelnen PhÌnomene in Reihen einer zusammenhÌngenden Erfahrung gebracht werden: so sucht die Vernunft die obersten Prinzipien, durch welche diese Reihen in ein vollstÌndiges Weltganzes vereinigt werden kÎnnen. So wie der Verstand aus den Empfindungen eine Kette von Objekten macht, die aneinander hÌngen, wie die Teile der Zeit und des Raums, wovon aber das letzte Glied immer noch auf frÏhere oder entferntere zurÏckweist: so will die Vernunft diese Kette bis zu ihrem ersten oder ÌuÞersten Gliede verlÌngern; sie sucht den Anfang und die Grenze der Dinge. Das erste Gesetz der Vernunft ist, daÞ, wo es etwas Bedingtes gibt, die Reihe der Bedingungen vollstÌndig gegeben sein oder bis zu etwas Unbedingtem hinaufsteigen mÏsse. Zufolge desselben geht sie auf eine zwiefache Art Ïber die Erfahrung hinaus. Einmal will sie die Reihe der Dinge, die wir erfahren, viel weiter hinaus verlÌngern, als die Erfahrung selbst reicht, weil sie bis zur Vollendung der Reihen gelangen will. Sodenn will sie uns auch auf Dinge fÏhren, deren Ìhnliche wir nie erfahren haben, auf das Unbedingte, absolut Notwendige, UneingeschrÌnkte. Aber alle GrundsÌtze der Vernunft fÏhren auf Schein oder auf WidersprÏche, wenn sie ausgedehnt werden, wirkliche Dinge und ihre Beschaffenheiten zu zeigen, da sie bloÞ dem Verstande zur Regel dienen sollten, in der Erforschung der Natur o h n e E n d e f o r t z u g e h e n . Dies allgemeine Urteil wendet der Verf. auf alle Hauptuntersuchungen der spekulativen Psychologie, Kosmologie und Theologie an; wie er es Ïberall bestimmt und zu rechtfertigen sucht, wird nicht vollstÌndig, doch einigermaÞen durch das Nachfolgende begreif-
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lich werden. Bei der Seelenlehre entstehen die TrugschlÏsse, wenn Bestimmungen, die bloÞ den Gedanken als Gedanken zukommen, fÏr Eigenschaften des denkenden Wesens angesehen werden. Der Satz: I c h d e n k e , die einzige Quelle der ganzen rÌsonnierenden Psychologie, enthÌlt kein PrÌdikat von dem I c h , von dem Wesen selbst. Er sagt bloÞ eine gewisse Bestimmung der Gedanken, nÌmlich den Zusammenhang derselben durch das BewuÞtsein aus. Es lÌÞt sich also aus demselben nichts von den reellen Eigenschaften des Wesens, das unter dem Ich vorgestellt werden soll, schlieÞen. Daraus, daÞ der Begriff vom M i r das Subjekt vieler SÌtze ist und nie das PrÌdikat irgend eines werden kann, wird geschlossen, daÞ I c h , das denkende Wesen, eine Substanz sei; da doch dies letztere Wort bloÞ das Beharrliche in der ÌuÞeren Anschauung anzuzeigen bestimmt ist. Daraus, daÞ in meinen Gedanken sich nicht Teile auÞer Teilen finden, wird auf die Einfachheit der Seele geschlossen. Aber keine Einfachheit kann in dem, was als wirklich, d.h. als Objekt ÌuÞerer Anschauung betrachtet werden soll, stattfinden, weil die Bedingung davon ist, daÞ es im Raum sei, einen Raum erfÏlle. Aus der IdentitÌt des BewuÞtseins wird auf die PersonalitÌt der Seele geschlossen. Aber kÎnnte nicht eine Reihe von Substanzen einander ihr BewuÞtsein und ihre Gedanken Ïbertragen, wie sie einander ihre Bewegungen mitteilen? (Ein auch von Hume und lÌngst vor ihm schon gebrauchter Einwurf.) Endlich wird aus dem Unterschiede zwischen dem BewuÞtsein unserer selbst und der Anschauung ÌuÞerer Dinge ein TrugschluÞ auf die IdealitÌt der letzteren gemacht, da doch die inneren Empfindungen uns ebensowenig absolute PrÌdikate von uns selbst, als die ÌuÞeren von den KÎrpern angeben. So wÌre also der gemeine oder, wie ihn der Verf. nennt, der empirische Idealismus entkrÌftet, nicht durch die bewiesene Existenz der KÎrper, sondern durch den verschwundenen Vorzug, den die Ûberzeugung von unserer eigenen Existenz vor jener haben sollte. ^ Unvermeidlich seien die
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WidersprÏche in der Kosmologie, so lange wir die Welt als eine objektive RealitÌt betrachten und als ein vollstÌndiges Ganzes umfassen wollen. Unendlichkeit ihrer vergangenen Dauer, ihrer Ausdehnung und ihrer Teilbarkeit seien dem Verstande unbegreiflich, beleidigen ihn, weil er den Ruhepunkt nicht findet, den er sucht. Und die Vernunft findet keinen hinlÌnglichen Grund, irgendwo stehen zu bleiben. Die Vereinigung, die der Verf. hierbei ausfindet, das echte Gesetz der Vernunft, soll, wenn wir ihn recht verstehen, darin bestehen, daÞ diese den Verstand zwar anweise, Ursache von Ursachen, Teile von Teilen ohne Ende aufzusuchen, in der Absicht, die VollstÌndigkeit des Systems der Dinge zu erreichen, ihn doch aber zugleich auch warne, keine Ursache, keinen Teil, den er je durch Erfahrung findet, fÏr den letzten und ersten anzunehmen. Es ist das Gesetz der Approximation, das Unerreichbarkeit und bestÌndige AnnÌherung zugleich in sich schlieÞt. ^ Das Resultat von der Kritik der natÏrl. Theologie ist den bisherigen sehr Ìhnlich. SÌtze, die Wirklichkeit auszusagen scheinen, werden in Regeln verwandelt, die nur dem Verstande ein gewisses Verfahren vorschreiben. Alles, was der Verf. hier Neues hinzusetzt, ist, daÞ er das praktische Interesse zu Hilfe ruft und moralische Ideen den Ausschlag geben lÌÞt, wo die Spekulation beide Schalen gleich schwer oder vielmehr gleich leer gelassen hatte. Was diese letztere herausbringt, ist folgendes. Aller Gedanke von einem eingeschrÌnkten Reellen ist dem von einem eingeschrÌnkten Raume Ìhnlich. So wie dieser nicht mÎglich sein wÏrde, wenn nicht ein unendlicher allgemeiner Raum wÌre: so wÌre kein bestimmtes endliches Reelles mÎglich, wenn es nicht ein allgemeines unendliches Reelles gÌbe, das den Bestimmungen, d.h. den EinschrÌnkungen der einzelnen Dinge zum Grunde lÌge. Beides aber ist nur wahr von unseren Begriffen, ein Gesetz unseres Verstandes, inwiefern eine Vorstellung die andere voraussetzt. ^ Alle andere Beweise, die mehr dartun sollen, findet der Verf. bei seiner PrÏfung fehlerhaft oder un-
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zulÌnglich. Die Art, wie der Verf. endlich der gemeinen Denkart durch moralische Begriffe GrÏnde unterlegen will, nachdem er ihr die spekulativen entzogen hat, Ïbergehen wir lieber ganz, weil wir uns darein am wenigsten finden kÎnnen. Es gibt allerdings eine Art, die Begriffe vom Wahren und die allgemeinsten Gesetze des Denkens an die allgemeinsten Begriffe und GrundsÌtze vom Rechtverhalten anzuknÏpfen, die in unserer Natur Grund hat und vor den Ausschweifungen der Spekulation bewahren oder von demselben zurÏckbringen kann. Aber diese erkennen wir in der Wendung und Einkleidung des Verf. nicht. Der letzte Teil des Werks, der die Methodenlehre enthÌlt, zeigt zuerst, wofÏr die reine Vernunft sich hÏten mÏsse, das ist die D i s z i p l i n , zweitens die Regeln, wonach sie sich richten mÏsse, das ist der K a n o n der reinen Vernunft. Den Inhalt davon kÎnnen wir nicht genauer zergliedern; er lÌÞt sich auch aus dem Vorhergehenden schon gutenteils abnehmen. Das ganze Buch kann allerdings dazu dienen, mit den betrÌchtlichsten Schwierigkeiten der spekulativen Philosophie bekannt zu machen und den auf ihre eingebildete reine Vernunft allzu stolz und kÏhn sich verlassenden Erbauern und Verfechtern metaphysischer Systeme manchen Stoff zu heilsamen Betrachtungen vorhalten. Aber die MittelstraÞe zwischen ausschweifenden Skeptizismus und Dogmatismus, den rechten Mittelweg, mit Beruhigung, wenngleich nicht mit vÎlliger Befriedigung, zur natÏrlichsten Denkart zurÏckzufÏhren, scheint uns der Verf. nicht gewÌhlt zu haben. Beide, dÏnkt uns doch, sind durch sichere Merkmale bezeichnet. ZuvÎrderst muÞ der rechte Gebrauch des Verstandes dem allgemeinsten Begriffe vom Rechtverhalten, dem Grundgesetz unserer moralischen Natur, also der BefÎrderung der GlÏckseligkeit, entsprechen. Wie daraus bald erhellt, daÞ er seinen eigenen Grundgesetzen gemÌÞ angewendet werden mÏsse, welche den Widerspruch unertrÌglich und zum Beifall GrÏnde, bei GegengrÏnden
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Ïberwiegende dauerhafte GrÏnde nÎtig machen: so folgt auch eben daraus, daÞ wir an die stÌrkste und dauerhafteste E m p f i n d u n g oder den stÌrksten und dauerhaftesten Schein, als an unsere ÌuÞerste RealitÌt, uns halten mÏssen. Dies tut der gemeine Menschenverstand. Und wie kommt der RÌsonneur davon ab? Dadurch, daÞ er die b e i d e n G at t u n g e n von E m p f i n d u n g , die innere und ÌuÞere, gegeneinander aufbringt, ineinander zusammenschmelzen oder umwandeln will. Daher der Materialismus, Anthropomorphismus u. s. w., wenn die Erkenntnis der innern Empfindung in die Form der ÌuÞern umgewandelt oder damit vermengt wird. Daher auch der Idealismus, wenn der ÌuÞern Empfindung ihr Rechtsbestand neben der innern, ihr EigentÏmliches angefochten wird. Der Skeptizismus tut bald das eine, bald das andere, um alles durcheinander zu verwirren und zu erschÏttern. Unser Verfasser gewissermaÞen auch; er verkennt die Rechte der innern Empfindung, indem er die Begriffe von der Substanz und Wirklichkeit als der ÌuÞern Empfindung allein angehÎrig angesehen wissen will. Aber sein Idealismus streitet noch mehr gegen die Gesetze der ÌuÞern Empfindung und die daher entstehende unserer Natur gemÌÞe Vorstellungsart und Sprache. Wenn, wie der Verfasser selbst behauptet, der Verstand nur die Empfindungen bearbeitet, nicht neue Kenntnisse uns liefert: so handelt er seinen ersten Gesetzen gemÌÞ, wenn er in allem, was Wirklichkeit betrifft, sich mehr von den Empfindungen leiten lÌÞt, als sie leitet. Und wenn, das ØuÞerste angenommen, was der Idealist behaupten will, alles, wovon wir etwas wissen und sagen kÎnnen, alles nur Vorstellung und Denkgesetz ist, wenn die Vorstellungen in uns modifiziert und geordnet nach gewissen Gesetzen just das sind, was wir Objekte und Welt nennen: wozu denn der Streit gegen diese gemein angenommene Sprache? Wo z u denn und wo h e r die idealistische Unterscheidung?
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Anmerkungen des Herausgebers
5, 25 L o c ke s und L e i b n i z e n s Versuchen] Kant war mit den Gedanken dieser beiden Philosophen vertraut. Als Vertreter des Empirismus bzw. des Rationalismus werden John Locke (1632-1704) bzw. Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 -1716) von ihm mehrfach gegenÏbergestellt (vgl. KrV A 271, A 854,VIII 211; vgl. auch Kants Antwort auf ein Schreiben Christian Garves vom 7. August 1783, X 340). Der Begriff des Versuchs kann hier als Anspielung auf die entsprechenden Werke der beiden Denker verstanden werden. Kant kannte Lockes Essay Concerning Human Understanding (London 1690) vermutlich in einer lateinischen Ûbersetzung der vierten Originalausgabe (London 1700): Johannis Lockii, Armigeri Libri IV De Intellectu Humano. Novissima Editio Juxta Exemplar Londini Anno 1701. In Sol. Editum, Expressa, Summoque Studio A Vitiis Typographicis In Illo Occurrentibus Purgata. London 1701 / Leipzig 1709 (eine weitere lat. Ausgabe wurde von Gotthelff Henr. Thiele herausgegeben, Leipzig 1741). Ebenfalls weit verbreitet war folgende deutsche Ûbersetzung: Herrn Johann Lockens Versuch vom Menschlichen Verstande. Aus dem Englischen Ïbersetzt von Heinrich Engelhard Poleyen. Altenburg 1757. Eine Kenntnis von Leibniz' Nouveaux essais sur l'entendement humain (Amsterdam/Leipzig 1765) in deutscher Ûbersetzung liegt ebenfalls nahe; diese erschien in zwei BÌnden: Gottfried Wilhelm von Leibniz Philosophische Werke nach Raspens Sammlung. Aus dem FranzÎsischen mit ZusÌtzen und Anmerkungen von Johann Heinrich Friderich Ulrich (Halle 1778/1780). 5,30 D av i d H u m e ] Der EinfluÞ David Humes (1711-1776) auf die Entwicklung von Kants Transzendentalen Idealismus beschÌftigt die Forschung bis heute. Kant besaÞ ein Exemplar von Humes Enquiry Concerning Human Understanding (London 1748) in deutscher Ûbersetzung: Philosophische Versuche Ïber die Menschliche ErkenntniÞ von David Hume, Ritter. Als dessen vermischter Schriften Zweyter Theil. Nach der zweyten vermehrten Ausgabe aus dem Englischen Ïbersetzt und mit Anmerkungen des Herausgebers begleitet. Hamburg 1755. Anonymer Herausgeber dieser Schrift war Johann Georg Sulzer (1720 -1779), Ïbersetzt wurde sie von dem ebenfalls nicht genannten Hermann Andreas Pistorius (1730 -1798). Vgl. zum VerhÌltnis Kants zu Hume auch Manfred Kuehn: ýKant's Conception of Hume's Problem.û In: Journal of the History of Philosophy 21, 1983, 175 -
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Konstantin Pollok
193; Lothar Kreimendahl: Kant. Der Durchbruch von 1769. KÎln 1990; vgl. auch die informativen Rezensionen zum vorstehenden Buch Kreimendahls von Reinhard Brandt in Kant-Studien 83, 1992, 100 111; sowie von Lorne Falkenstein: ýThe Great Light of 1769 - A Humeian Awakening? Comments on Lothar Kreimendahl's Account of Hume's Influence on Kant.û In: Archiv fÏr Geschichte der Philosophie 77, 1995, 63 -79. 5,36 H o r at .] Die Epistulae des rÎmischen Dichters Quintus Horatius Flaccus (65 - 8 v. Chr.) entstanden zwischen dem Jahr 23 und den letzten Lebensjahren des Dichters. Die von Kant zitierte Passage lautet in der Ûbersetzung: ýDer Bauer wartet, daÞ der Strom abflieÞe, aber dieser flieÞt dahin und wird in alle Ewigkeit dahinflieÞen.û (Horaz, Epistulae, I,2,42f.) Bereits John Locke zitiert eben diese Passage in seinen Essays (II/17,19); vgl. zu Locke auch die Anmerkung zu 5, 25. 6,36 (Versuche 4. Teil, S. 214, deutsche Ûbersetzung)] Die Passage, wie Kant sie zitiert, ist so nicht zu finden. Denn in den Versuchen [Ïber die Menschliche ErkenntniÞ] befindet sich S. 214 nicht im 4. Teil. Wahrscheinlicher ist, daÞ sich Kant auf den 4. Teil der Vermischten Schriften bezieht, der in der Ûbersetzung Von den KÏnsten und Wissenschaften (engl. Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences) betitelt ist. Dort findet sich auf S. 214 der Satz: ýNicht zu gedenken, daÞ Monarchien, weil sie ihre vornehmste StÌrke von einer aberglÌubischen Ehrfurcht gegen die Priester und Prinzen haben, allezeit die Freiheit abschneiden, Religions- und Staatssachen, und folglich metaphysische und moralische Dinge vernÏnftig zu untersuchen. Alle diese machen die wichtigsten Zweige der Wissenschaft aus. Die Mathematik und Naturphilosophie, welche die einzigen sind, die Ïbrig bleiben, sind nicht halb so wichtig.û In dieser Passage fehlt jedoch die von Kant im Vorsatz hergestellte Verbindung zwischen Metaphysik und zerstÎrender Philosophie (Skeptizismus). Eine solche Verbindung beschreibt Hume jedoch im 4. Teil der Philosophischen Versuche Ïber die Menschliche ErkenntniÞ, also dem 2. Teil der Vermischten Schriften, S. 75: ýDie allervollkommenste Weltweisheit in natÏrlichen Dingen schiebt nur unsere Unwissenheit ein wenig weiter hinaus: so wie vielleicht die vollkommenste Weltweisheit von der sittlichen oder metaphysischen Art allein dienet, weilÌufigere Theile unserer Unwissenheit zu entdecken. Also ist die Bemerkung der menschlichen Unwissenheit und Schwachheit die letzte Frucht aller Weltweisheit [...].û Hier werden auch, wie in der gegenwÌrtigen Kantischen Passage, Metaphysik und Moral genannt. Vgl. dazu auch Reinhard Brandt / Heiner Klemme: David Hume in Deutschland, Marburg 1989, S. 17 f.
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7,11-12 Re i d , O s w a l d , B e at t i e und zuletzt noch P r i e s t l e y ] Thomas Reid (1710 -1796) begrÏndete mit seiner Inquiry into the Human Mind on the Principles of Common Sense (Edinburgh 1764; dt.: Untersuchungen Ïber den menschlichen Geist, nach den GrundsÌtzen des gemeinen Menschenverstandes. Aus dem Englischen, nach der dritten Auflage Ïbersetzt, Leipzig 1782) die schottische Schule des Common sense. James Oswald (1703 -1793) mit seinem Appeal to Common Sense in Behalf of Religion (2 vols., Edinburgh 1766/1772; dt. Appelation an den gemeinen Menschenverstand zum Vortheil der Religion. 2 Bde., Ïbers. v. F.E. Wilmsen, Leipzig 1774), sowie James Beattie (1735 -1803) mit seinem Essay on the Nature and Immutability of Truth in Opposition to Sophistry and Scepticism (Edinburgh 1770; dt.: Versuch Ïber die Natur und UnverÌnderlichkeit der Wahrheit; im Gegensatze der KlÏgeley und Zweifelsucht. Aus dem Englischen. Copenhagen und Leipzig 1772) fÏhrten die Philosophie des Common sense mit gewissen Abwandlungen fort. Joseph Priestley (1733 -1804), ein heftiger Kritiker der drei vorgenannten schottischen Philosophen, gilt als MitbegrÏnder der Assoziationspsychologie. WÌhrend Kant die Prolegomena ausarbeitete, erschienen Priestleys Letters to a Philosophical Unbeliever, Containing an Examination of the Principals Objections to the Doctrines of Natural Religion, and especially those contained in the Writings of Mr. Hume (Bath 1780) in einer deutschen Ûbersetzung unter dem Titel Joseph Priestley's Briefe an einen philosophischen Zweifler in Beziehung auf Hume's GesprÌche, das System der Natur, und Ìhnliche Schriften. Aus dem Englischen Ïbersetzt, Leipzig 1782. Entscheidend fÏr die gegenwÌrtige Replik Kants dÏrfte auch eine Rezension in den GÎttingischen Anzeigen, Nr. 92, 17. August 1775, S. 777-783, des folgenden Werks Priestleys sein: An Examination of Dr. Reid's Inquiry into the Human Mind, Dr. Beattie's Essay on the Nature and Immutability of Truth, and Dr. Oswald's Appeal to Common Sense. London 1775. Vgl. dazu auch Manfred Kuehn: Scottish Common Sense in Germany, 1768 -180 0. A Contribution to the History of Critical Philosophy. Kingston (Ont.) 1987. 8,33^9,1 H u m e habe auf einen gesunden Verstand ebensowohl Anspruch machen kÎnnen als B e at t i e ,] In James Beatties Essay (vgl. dazu auch die vorstehende Anmerkung) finden sich lÌngere Exzerpte, Referate und kritische Anmerkungen zu Humes Werken, insbesondere in Hinsicht auf dessen Theorien der KausalitÌt und der personalen IdentitÌt. Vgl. dazu auch Robert Paul Wolff: ýKant's Debt to Hume via Beattie.û In: Journal of the History of Ideas 21, 1960, S. 117-123. 12,33 -34 M o s e s M e n d e l s s o h n ; ] Kant war mit der Philosophie Moses Mendelssohns (1729 -1786) vertraut, sowohl mit dessen
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Phaedon oder Ïber die Unsterblichkeit der Seele in drey GesprÌchen (Berlin/Stettin 1767) als auch mit dessen spÌteren Schriften. Die beiden Philosophen standen zudem in Briefkontakt. Mendelssohn war in den sechziger Jahren Kant in einem Preiswettbewerb Ïberlegen mit der Arbeit Abhandlung Ïber die Evidenz in Metaphysischen Wissenschaften, welche den von der KÎniglichen Academie der Wissenschaften in Berlin auf das Jahr 1763 ausgesetzten Preis erhalten hat. Nebst noch einer Abhandlung Ïber diesselbe Materie, welche die Academie nÌchst der ersten fÏr die beste gehalten hat (Berlin 1764). Die in diesem Titel genannte zweite Arbeit ist Kants Aufsatz Ûber die Deutlichkeit der GrundsÌtze der natÏrlichen Theologie und der Moral. Neben dieser frÏhen Niederlage krÌnkte Kant in den achtziger Jahren die Nichtbeachtung seiner Kritik der reinen Vernunft durch Mendelssohn (vgl. X 270; vgl. auch den Brief Kants an Mendelssohn vom 16. August 1783, X 344 -347). 15,8 Ignavum, fucos, pecus a praesepibus arcent. Vi r g .] Die in den Jahren 37-29 v. Chr. entstandene Georgica des rÎmischen Dichters Publius Vergilius Maro (70 -19 v. Chr.) ist ein Lehrgedicht Ïber den Landbau. Die von Kant zitierte Passage lautet in der Ûbersetzung: ýsie halten das faule Vieh, die Drohnen, von den BienenkÎrben fern.û (Vergil, Georgica, IV 168) 16,34 -35 Kritik der reinen Vernunft, S. 712 u.f.] Vgl. Kritik der reinen Vernunft, A 712-738, Der Transzendentalen Methodenlehre erstes HauptstÏck, Die Disziplin der reinen Vernunft im dogmatischen Gebrauche. 19, 21-22 Zergliederer der menschlichen Vernunft] In Christian Wolffs (1679 -1754) VernÏnftigen Gedancken von den KrÌfften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauch in ErkÌntniÞ der Wahrheit (Halle 1713) heiÞt es: ý½ 8. Es hat diese Zergliederung der SÌtze ihren vielfÌltigen Nutzen [...]. Daher auch in der Mathematick fast alle SÌtze solchergestalt ausgedrucket werden.û Vgl. auch ebd. ½ 9. 20,12-13 Konstruktion der Begriffe (Kritik S. 713)] Vgl. Kritik der reinen Vernunft, A 713, Der Transzendentalen Methodenlehre erstes HauptstÏck, Die Disziplin der reinen Vernunft im dogmatischen Gebrauche. 22,3 - 4 S e g n e r in seiner Arithmetik] Vgl. dazu: Johann Andreas von Segner (1704 -1777), AnfangsgrÏnde der Arithmetic, Geometrie und der Geometrischen Berechnungen (2. Aufl. Halle 1773), Erster Abschnitt, ½½ 3, 31. 25,13 -14 der berÏhmte Wo l f f oder der seinen FuÞstapfen folgende scharfsinnige B a u m g a r t e n ,] Nach Gottfried Wilhelm Leibniz sind ýzween HauptgrÏnde unserer VernunftschlÏsseû anzunehmen: ýder Grund des Widerspruchs, welcher mit sich bringt, daÞ unter
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zween sich widersprechenden SÌtzen, der eine wahr, und der andere falsch ist: und der Grund der bestimmenden Ursache, nach welchem niemals etwas ohne eine Ursache, oder ohne bestimmenden Grund geschieht; das ist, ohne etwas, dadurch man a priori Grund geben kann, warum diese Sache vielmehr da ist, als nicht da ist? warum sie so, und nicht vielmehr ganz anders ist?û (Theodice¨ e, Teil I, ½ 44; vgl. auch in der Monadologie ½½ 31f.) Die von Kant genannten FortfÏhrer der Leibnizianischen Philosophie knÏpfen den Satz vom zureichenden Grund an den Satz vom Widerspruch; vgl. Christian Wolff: Philosophia prima sive Ontologia. Francofurti et Lipsiae 1728, ½ 70 Principium rationis sufficientis probatur; Alexander Gottlieb Baumgarten (1717-1762): Metaphysica (1739) Editio VII, Halae 1779, ½ 20. In den Wolffischen ýFuÞstapfenû folgte jedoch nicht nur Baumgarten, sondern auch der frÏhe Kant selbst: In seiner zweiten Dissertation (dissertatio pro receptione), der Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio schreibt Kant in Prop. V.: Es ý[...] ist in jeder Wahrheit etwas, das durch AusschlieÞung des gegenteiligen PrÌdikats die Wahrheit des Satzes bestimmt. Da dies als bestimmender Grund vorkommt, muÞ man feststellen, daÞ nichts wahr ist ohne bestimmenden Grund.û (I 393; Ûbers. der Weischedel-Ausgabe, Bd. 1, S. 429) 25,17-18 L o c k e s Versuchen Ïber den menschlichen Verstand] John Locke behandelt in Buch IV, Kap. III, ½½ 7-21, seines Essay die vier Wissensarten IdentitÌt (und Verschiedenheit), Koexistenz, Relation und reale Existenz. 26, 26 E u k l i d ] Euklids (4./3. Jh. v. Chr.) Elemente sind das bekannteste systematische Lehrbuch der griechischen Mathematik. In Johann Friedrich Gensichens NachlaÞ (1808) befand sich eine Ausgabe von Johann Friedrich Lorenz' Ûbersetzung Die sechs ersten BÏcher der geometrischen AnfangsgrÏnde (2. Aufl. Halle 1781), die evtl. aus Kants BÏcherbesitz stammte. In der SchloÞbibliothek KÎnigsberg befand sich ein Exemplar von Euclidis Geometria: a Boetio in Latinum translata (Paris 1538). 31, 20 Quodcunque ostendis mihi sic, incredulus odi. H o r at .] Der Vers findet sich in Horaz'Ars poetica und lautet in der Ûbersetzung: ýAlles, was du mir so zeigst, das glaube ich nicht und hasse ich.û (Horaz, Epistulae, II,3,188) 38,33 Siehe Kritik S. 713.] Vgl. Kritik der reinen Vernunft, A 713, Der Transzendentalen Methodenlehre erstes HauptstÏck, Die Disziplin der reinen Vernunft im dogmatischen Gebrauche. 47,19 Mathematiker, die zugleich Philosophen waren,] Die Passage enthÌlt eine Selbstkritik Kants eigener vorkritischer Auffassung, insofern der hier angesprochene Zweifel an der mÎglichen Verbin-
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dung von Geometrie und Metaphysik den frÏhen Kant zu seiner Schrift Metaphysicae cum geometriae iunctae usus in philosophia naturali, cuius specimen I. continet monadologiam physicam (1756) bewegte. Nach dieser Monadologia physica (Sectio I) kann ein Element unbeschadet seiner (metaphysischen) Einfachheit einen Raum erfÏllen, der seinerseits (geometrisch) ins Unendliche teilbar ist. Denn was rÌumlich getrennt wird an einem einfachen Element, ist nicht dieses selbst. Der Raum der physischen Monade ist teilbar, die Monade selber ist es nicht, da der Raum nur eine Erscheinung der ÌuÞeren VerhÌltnisse der Monaden ist. Folgende Debatte steht dabei im Hintergrund: mit dem Briefwechsel zwischen Leibniz und dem Newtonianer Samuel Clarke (1715/16) hat ein Gelehrtenstreit Ïber das Wesen des Raums begonnen. WÌhrend die 'Mathematiker', die Partei der Newtonianer, auf der Absolutheit des Raums bestanden, um die GewiÞheit geometrischer Theoreme zu sichern, behaupteten die 'Metaphysiker', die AnhÌnger von Leibniz und Wolff, der Raum bestehe nur in den phÌnomenalen VerhÌltnissen, allen wirklichen und mÎglichen Entfernungen zwischen KÎrpern und sei damit gerade nicht absolut, sondern relativ. Durch die Preisfrage der Berliner Akademie ^ Darstellung und Kritik der Monadenlehre unter BerÏcksichtigung einer Deduktion des Ursprungs und der Bewegung von KÎrpern ^ im Jahr 1747 wurde diese Debatte schlieÞlich auf die Alternative zwischen prinzipieller (mathematischer) Teilbarkeit des Raums und allem, was in diesem ist, sowie letzter (metaphysischer) Elemente der KÎrper, die unteilbar und einfach seien, fokussiert. 49, 20 L o c k e s Zeiten] John Locke fÏhrt in Buch II, Kap. VIII, ½½ 9 -22 seines bereits mehrfach genannten Essay die Unterscheidung zwischen primÌren und sekundÌren QualitÌten ein: primÌre QualitÌten werden danach in allen Teilen der KÎrper entdeckt, sie werden auch dann in ihnen angenommen, wenn die Teile fÏr die Wahrnehmung zu klein sind (Festigkeit, Ausdehnung, Gestalt, Beweglichkeit, Zahl). SekundÌre QualitÌten sind KrÌfte der KÎrper, die in uns gewisse Ideen (Farben, TÎne, Geschmack etc.) und in anderen KÎrpern andere QualitÌten hervorrufen. Ideen der primÌren QualitÌten sind Ebenbilder der primÌren QualitÌten, Ideen der sekundÌren QualitÌten haben nichts Entsprechendes in den Objekten. SekundÌre QualitÌten werden zwar den GegenstÌnden zugeschrieben, sind aber eigentlich nichts als KrÌfte der primÌren QualitÌten. 50,23 verworrene Vorstellungsart] Vgl. dazu Kants Allgemeine Anmerkungen zur Transzendentalen Østhetik in der Kritik der reinen Vernunft, A 42- 46 sowie den Zusatz in B 69 -71. Die Identifikation von sinnlicher Wahrnehmung und Verworrenheit findet sich in einer fÏr die Schulphilosophie wichtigen Abhandlung von Gottfried Wil-
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helm Leibniz von 1684, Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis (wiederabgedruckt in: Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz. Hg. v. C.I. Gerhardt, Bd. IV, Berlin 1880, S. 422 f.) 54,6 weiterhin] Vgl. ½½ 50 - 54 der Prolegomena. 54,22 unbefugte Richter] Die GÎttinger Rezension (vgl. dazu die Beilage zur vorliegenden Ausgabe, S. 183 -190) handelt sowohl von George Berkeleys (1685 -1753) Idealismus als auch von einem empirischen Idealismus, den Kant mit dem Namen Rene¨ Descartes' (1596 1650) verbindet. In Kants BÏcherbestand fanden sich George Berkeley's Philosophische Werke (aus dem Englischen Ïbersetzt, und mit einigen Nachrichten von dem Leben, und den Ïbrigen Schriften desselben versehen. Leipzig 1781). Kants Kenntnis des folgenden Werks ist nicht nachgewiesen, ausgeschlossen ist sie aber nicht: Samlung der vornehmsten Schriftsteller die die WÏrklichkeit ihres eignen KÎrpers und der ganzen KÎrperwelt lÌugnen. Enthaltend des Berkeleys GesprÌche zwischen Hylas und Philonous und des Colliers Allgemeinen SchlÏssel. Uebersetzt und mit wiederlegenden Anmerkungen versehen nebst einem Anhang Worin die WÏrklichkeit der KÎrper erwiesen wird von Joh. Christ. Eschenbach. Rostock 1756.Vgl. dazu auch Wolfgang Breidert: ýDie Rezeption Berkeleys in Deutschland im 18. Jahrhundert.û In: Revue Internationale de Philosophie 39, 1985, S. 223 -241. Von Descartes besaÞ Kant sowohl Renati Des Cartes Meditationes de prima philosophia, in quibus dei existentia & animae humanae a corpore distinctio, demonstrantur: His adjuncta sunt variae objectiones doctorum virorum in istas de deo et anima demonstrationes; Cum responsionibus authoris. (3. Aufl. Amsterdam 1650), als auch die Principia Philosophiae (Amsterdam 1644). Gegen Descartes' Idealismus (vgl. insbes. die Erste und die Zweite Meditation) ist in der Kritik der reinen Vernunft der Abschnitt Kritik des vierten Paralogisms der transzendentalen Psychologie gerichtet (vgl. A 367-380). Dieser Abschnitt fehlt in der zweiten Auflage (1787), stattdessen findet sich dort eine Widerlegung des Idealismus (vgl. B 274 -279). 72,33 -34 Abschnitte von der transzendentalen Urteilskraft, S. 137 u.f.] Vgl. Kritik der reinen Vernunft, A 137-147: Der Transzendentalen Doktrin der Urteilskraft (oder Analytik der GrundsÌtze) Erstes HauptstÏck, Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe; sowie A 148 -235: Der Transzendentalen Doktrin der Urteilskraft (oder Analytik der GrundsÌtze) Zweites HauptstÏck, System aller GrundsÌtze des reinen Verstandes. 74,26 die Kritik Ïber die GrundsÌtze] Vgl. Kritik der reinen Vernunft, A 148 -235: Der Transzendentalen Doktrin der Urteilskraft (oder Analytik der GrundsÌtze) Zweites HauptstÏck, System aller GrundsÌtze des reinen Verstandes.
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78,33 -34 (Quantitas qualitatis est gradus.)] Die GrÎÞe der QualitÌt ist der Grad. 80,4 Humeschen Zweifel] Vgl. dazu insbes. die Abschnitte IV und VII in Humes Enquiry, sowie oben die Anm. zu S. 5,30 und 6,36. 80,28 vielmehr habe ich hinreichend gezeigt,] Vgl. dazu in der Kritik der reinen Vernunft, A 64 -130: Der Transzendentalen Analytik Erstes Buch, Die Analytik der Begriffe; A 130 -292: Der Transzendentalen Analytik Zweites Buch, Die Analytik der GrundsÌtze. 86,5 -7 Sinnenwesen oder Erscheinungen (Phaenomena), die die Sinnenwelt ausmachen, noch besondere Verstandeswesen (Noumena),] Ein locus classicus dieser Unterscheidung ist Platons Politeia (BÏcher VI und VII), die drei Gleichnisse der Sonne, der Linie und der HÎhle. Die gegenwÌrtige Passage enthÌlt jedoch auch eine Selbstkritik Kants, insofern er selbst in seiner Inauguraldissertation De mundi sensibilis atque intelligibilis (1770) die Bereiche der Phaenomena und der Noumena hinsichtlich ihrer Wirklichkeit differenziert hat: ýDer Gegenstand der Sinnlichkeit ist sensibel; was aber nichts enthÌlt, als was man durch die Verstandesausstattung erkennen kann, ist intelligibel. Das erstere hieÞ in den Schulen der Alten Phaenomenon, das letztere Noumenon. Die Erkenntnis, sofern sie den Gesetzen der Sinnlichkeit unterworfen ist, ist sinnlich, sofern der Verstandesausstattung, intellektuell oder rational. [...] so ist ersichtlich, daÞ das sinnlich Gedachte in Vorstellungen der Dinge besteht, wie sie erscheinen, das Intellektuelle aber, wie sie sind.û (II 392; Ûbers. der Weischedel-Ausgabe, Bd. 5, S. 29) 88,3 - 4 Kritik, Seite 137 etc. und 235 etc.] Vgl. Kritik der reinen Vernunft, A 137-147: Der Transzendentalen Doktrin der Urteilskraft (oder Analytik der GrundsÌtze) Erstes HauptstÏck, Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe; und A 235 -260: Der Transzendentalen Doktrin der Urteilskraft (Analytik der GrundsÌtze) Drittes HauptstÏck, Von dem Grunde der Unterscheidung aller GegenstÌnde Ïberhaupt in Phaenomena und Noumena. 92, 28 C r u s i u s ] Christian August Crusius (1715 -1775), den Kant an frÏherer Stelle despektierlich nicht als Philosophen, sondern als FÎrderer der Philosophie bezeichnet (vgl. I 398), schreibt in seinem Weg zur GewiÞheit und ZuverlÌÞigkeit der menschlichen ErkenntniÞ (Leipzig 1747): ý[...] der Satz vom Widerspruch selbst ist eigentlich deswegen wahr, weil er ein Satz aus dem gÎttlichen Verstande ist. Die Ïbrigen SÌtze [...] mÏssen eben sowohl wahr seyn, wofern sie auch aus dem gÎttlichen Verstande sind.û (½ 432) 95,10 -11 Gesetz der Attraktion] Von diesem Gesetz handelt Isaac Newton (1643 -1727) in Buch III, Proposition V, Korollar II seines Hauptwerks Philosophiae Naturalis Principia Mathematica (London
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1687): ýDie Schwere, die zu einem bestimmten Planeten hin gerichtet ist, verhÌlt sich umgekehrt wie das Quadrat des Abstandes der Orte von seinem Mittelpunkt.û Kant kannte auch die Schrift des NewtonSchÏlers John Keill, ýEpistola ad Cl. virum Gulielmum Cockburn, Medicinae Doctorem. In qua Leges Attractionis aliaque Physices Principia tradunturû (in: Philosophical Transactions, Bd. 26, London 1708, S. 97-110, hier S. 97-100), die fÏr die Diskussion der Newtonischen Attraktionsbestimmungen einschlÌgig war. 97,18 Aristoteles] Aristoteles (384 -322 v. Chr.) fÏhrt diese PrÌdikamente und PostprÌdikamente in seiner Schrift Von den Kategorien (Kap. 4, bzw. Kap. 10 -15) sowie in derTopik (1. Buch, Kap. 9) an. Die Ûbersetzungen der Kategorien lauten: 1. Substanz; 2. Eigenschaft; 3. GrÎÞe; 4.VerhÌltnis; 5.Wirken; 6. Leiden; 7.Wann; 8.Wo; 9. Lage; 10. Zustand. Die Ûbersetzungen der PostprÌdikamente lauten: 1. Gegensatz; 2.Vorher; 3. Zugleich; 4. Bewegung; 5. Haben. 98,17 Arbeit der Logiker] Man kann hier an folgende, zu Kants Zeit einschlÌgige Logiken denken: die von Antoine Arnauld und Pierre Nicole verfaÞte, anonym erschienene ýLogik von Port-Royalû, die das Schulbuch der cartesianischen Logik war (La Logique ou L'art de Penser, contenant outre les Regles communes, plusieurs observations nouvelles propres a© former le jugement. Paris 1662; Nachdruck dieser Ausgabe: hg. v. B. Baron v. Freytag-LÎringhoff und H. E. Brekle, Stuttgart 1965); Christian Wolff: VernÏnftige Gedancken von den KrÌfften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauche in ErkÌntniÞ der Wahrheit (Halle 1713; Nachdruck der Ausgabe von 1754: Hildesheim 1965); ebenfalls von Ch.Wolff: Philosophia rationalis sive logica (Francofurti et Lipsiae 1728; Nachdruck der Ausgabe von 1740: Hildesheim 1983); Johannes Peter Reusch: Systema logicum, antiquiorum atque recentiorum item propria praecepta exhibens ( Jenae 1734; Nachdruck: Hildesheim 1990); Alexander Gottlieb Baumgarten: Acroasis logica (Halae 1761; Nachdruck: Hildesheim 1983); Hermann Samuel Reimarus: Die Vernunftlehre, als eine Anweisung zum richtigen Gebrauche der Vernunft in der ErkenntniÞ der Wahrheit, aus zwoen ganz natÏrlichen Regeln der Einstimmung und des Wiederspruchs hergeleitet (Hamburg 1756).Vgl. dazu auch Wilhelm Risse: Die Logik der Neuzeit. Bd. II: 1640 -1780, Stuttgart 1970. 100,10 -11 (Kritik, S. 344, imgleichen S. 415)] Vgl. in der Kritik der reinen Vernunft, A 344: Des Zweiten Buchs der transzendentalen Dialektik Erstes HauptstÏck, Von den Paralogismen der reinen Vernunft (Topik der rationalen Seelenlehre); A 415: Der Antinomie der reinen Vernunft Erster Abschnitt, System der kosmologischen Ideen (vier kosmologische Ideen). 100, 24 (Kritik, S. 292)] Vgl. Kritik der reinen Vernunft, A 292: An-
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merkung zur Amphibolie der Reflexionsbegriffe (Tafel der Einteilung des Begriffs von Nichts). 101,15 -16 (Kritik, S. 260)] Vgl. Kritik der reinen Vernunft, A 260 268: Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe durch die Verwechselung des empirischen Verstandesgebrauchs mit dem transzendentalen. 101, 27-28 guten Ontologie (z. B. B a u m g a r t e n s ) ] Alexander Gottlieb Baumgartens Metaphysica (Halle 1739; wiederabgedruckt in der Akademie-Ausgabe von Kant's Gesammelten Schriften, Bde. XV 5 - 54 u. XVII 5 -226) ist ein Kompendium der Leibniz-Wolffischen Schulmetaphysik, das auch Kant seinen Vorlesungen zugrunde legte, und das er selbst als das ýnÏtzlichste und grÏndlichste unter allen HandbÏchern seiner Artû (I 503) bezeichnete. Die Ontologia macht vor Cosmologia, Psychologia und Theologia den ersten Teil der Metaphysica aus. Vgl. auch Kants Brief an Johann Schultz vom 26. August 1783 (X 350 -352), in dem Kant unter RÏckbezug auf gegenwÌrtige Passage von einer Ars characteristica combinatoria spricht. 111, 26 (Kritik, S. 341 u.f.)] Vgl. Kritik der reinen Vernunft, A 341405: Des Zweiten Buchs der transzendentalen Dialektik Erstes HauptstÏck, Von den Paralogismen der reinen Vernunft. Kant hat dieses TheoriestÏck fÏr die zweite Auflage (1787) wesentlich umgearbeitet (vgl. B 406 - 432). 111, 27 Man hat schon lÌngst angemerkt] Vgl. dazu John Lockes Essay, Buch II, Kap. XXIII, ½½ 1- 6. 114,8 (Kritik, S. 182)] Vgl. Kritik der reinen Vernunft, A 182-189: Erste Analogie, Grundsatz der Beharrlichkeit. Kant hat die Formulierung dieses Grundsatzes sowie dessen Beweis fÏr die zweite Auflage (1787) umgearbeitet (vgl. B 224 -225). 115,11 die Metaphysiker] Vgl. z. B. Alexander Gottlieb Baumgartens Metaphysica (1739), Pars III, Caput II, Psychologia rationalis. 116, 24 Cartesianische Idealismus] Vgl. dazu oben die Anmerkung zu S. 54,22. 118,13 (Kritik, S. 405 u.f.)] Vgl. Kritik der reinen Vernunft, 405 567: Der Transzendentalen Dialektik Zweites Buch, Zweites HauptstÏck, Die Antinomie der reinen Vernunft. 132,17 (Kritik, S. 571 u.f.)] Vgl. Kritik der reinen Vernunft, A 571583: Des dritten HauptstÏcks Zweiter Abschnitt, Von dem Transzendentalen Ideal (Prototypon transzendentale). Vgl. zu Kants Kritik der ýAnmaÞungen der transzendentalen Theologieû insgesamt Des Zweiten Buchs der transzendentalen Dialektik Drittes HauptstÏck, Das Ideal der reinen Vernunft, A 567- 642. 134,21 Herr Pl at n e r in seinen Aphorismen] Vgl. Ernst Platner (1744 -1818): Philosophische Aphorismen nebst einigen Anleitungen zur philosophischen Geschichte. (Leipzig 1776. Anderer Theil, Leipzig
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1782). Die von Kant angefÏhrten Passagen finden sich im vierten HauptstÏck des ersten Teils des Werks und lauten korrekt: ý½. 728. Wenn die menschliche Vernunft ein Kriterium ist, (706) so kann kein Begriff mÎglich seyn, welcher der menschlichen Vernunft unbegreiflich ist. [...] ½. 729. In dem Wirklichen allein findet Unbegreiflichkeit statt. Hier entstehet die Unbegreiflichkeit aus UnzulÌnglichkeit der erworbenen Ideen ^ niemals aus Schwachheit der Vernunft, oder aus einer mÎglichen TrÏglichkeit ihrer hÎchsten GrundsÌtze.û 136, 26 H u m e s Dialoge] David Humes Dialogues concerning Natural Religion (London 1779) wurden von K.G. Schreiter ins Deutsche Ïbersetzt und von E. Platner mit einemVorwort versehen (ûLeipziger Michael=Messe, 1781û). Kant besaÞ ein Exemplar dieser GesprÌche Ïber natÏrliche Religion von David Hume. Nach der zwoten Englischen Ausgabe. Nebst einem GesprÌch Ïber den Atheismus von Ernst Platner (Leipzig 1781). Der gegenwÌrtige und der nachfolgende ½ 58 stellen eine Auseinandersetzung mit Humes Dialogues dar. Kant waren die Dialogues bereits im Sommer 1780 in einer unverÎffentlichten Ûbersetzung von Johann Georg Hamann bekannt, noch bevor also die Schreiter'sche Ûbersetzung erschien. Vgl. dazu Dieter-JÏrgen LÎwisch: ýKants Kritik der reinen Vernunft und Humes Dialogues Concerning Natural Religionû In: Kant-Studien 56, 1965, S. 170 -207. 155,19 -20 Kritik von S. 642 bis 668] Vgl. Kritik der reinen Vernunft, A 642- 668: Anhang zur transzendentalen Dialektik, Von dem regulativen Gebrauch der Ideen der reinen Vernunft. 158,31-32 eine einzige Akademie der Wissenschaften] Die Rede ist von der Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Vgl. dazu Cornelia Buschmann: ýDie philosophischen Preisfragen und Preisschriften der Berliner Akademie der Wissenschaften im 18. Jahrhundert.û In: AufklÌrung in Berlin, hg. v. Wolfgang FÎrster, Berlin 1989, S. 165 -228. 167,1-2 P r o b e e i n e s Ur t e i l s Ï b e r d i e K r i t i k , d a s vo r d e r Un t e r s u c h u n g vo r h e r g e h t ] Diese Probe stellt eine Auseinandersetzung mit der als Beilage zur vorliegenden Ausgabe (S. 183 -190) abgedruckten GÎttinger Rezension (in Zugabe zu den GÎttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen unter Aufsicht der KÎnigl. Gesellschaft der Wissenschaften. Der erste Band. auf das Jahr 1782. 3. St., 19. Januar 1782, S. 40 - 48), dar. 168,23 -24 B at h o s ] griech.: Tiefe. ^ Kant hat dasselbe Bild in vorkritischer Zeit benutzt, jedoch um seine Position als die des gemeinen Menschenverstandes zu kennzeichnen: ýVorher wandelten wir wie Demokrit im leeren Raume, wohin uns die SchmetterlingsflÏgel der Metaphysik gehoben hatten, und unterhielten uns daselbst mit gei-
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Konstantin Pollok
stigen Gestalten. Jetzt, da die stiptische Kraft der SelbsterkenntniÞ die seidene Schwingen zusammengezogen hat, sehen wir uns wieder auf dem niedrigen Boden der Erfahrung und des gemeinen Verstandes; glÏcklich! wenn wir denselben als unseren angewiesenen Platz betrachten [...].û (TrÌume eines Geistersehers, 1766, II 368) RÏckblickend auf die Transzendentale Elementarlehre heiÞt es jedoch im Sinne der gegenwÌrtigen Passage der Prolegomena zu Beginn der Transzendentalen Methodenlehre der Kritik: ýFreilich fand es sich, daÞ, ob wir zwar einen Thurm im Sinne hatten, der bis an den Himmel reichen sollte, der Vorrath der Materialien doch nur zu einem Wohnhause zureichte, welches zu unseren GeschÌften auf der Ebene der Erfahrung gerade gerÌumig und hoch genug war, sie zu Ïbersehen [...].û (KrV A 707) 169,14 Der Satz aller echten Idealisten] In den Untersuchungen Ïber den Menschen (Anderer Theil, Leipzig 1777) von Dieterich Tiedemann findet sich eine Darstellung ýVom Idealismusû (S. 1-35). Tiedemann skizziert hier nicht nur eine Geschichte des Idealismus von den Eleaten (ûItaliÌnische Schuleû) bis zu Berkeley, sondern fÏhrt auch die Unterscheidung zwischen einem ýidealistischen System, wenn es die dogmatische Miene annimmtû, und einem zweifelnden Idealismus an. Kant ordnet diese beiden Positionen den Philosophen Berkeley bzw. Descartes zu. Als Eleatische Schule (um 580 - 430 v. Chr.) kÎnnen die Philosophen Xenophanes, Parmenides, Zenon (der Eleat) sowie Melissos bezeichnet werden. Eine Identifikation von Kants Idealismus mit demjenigen Berkeleys hinsichtlich Raum und Zeit nimmt der Autor der GÎttinger Rezension vor (vgl. Beilage zur vorliegenden Ausgabe, S. 183 -190). Eine Identifikation der eleatischen Philosophie mit derjenigen Berkeleys erscheint sachlich ÌuÞerst fragwÏrdig.Vgl. auch oben die Anmerkung zu S. 54,22. 172, 25 somnio obiective sumto der Wolffischen Philosophie] latein.: objektiv angenommener Traum. Vgl. dazu ½ 493 in Christian Wolffs Philosophia prima sive Ontologia (Francofurti et Lipsiae 1728) sowie ½½ 120 -137 dess. Psychologia empirica (Francofurti et Lipsiae 2 1738) und ½½ 799 - 805 dess. VernÏnfftige Gedancken von Gott (Deutsche Metaphysik) (Halle 111751). 173, 2 Cento] latein.: Lumpenrock. 176,9 Kritik, S. 426 bis 461] Vgl. Kritik der reinen Vernunft, A 426 461: Die Antinomie der reinen Vernunft. 176,37^177,1 I n ko g n i t o ] Die GÎttinger Rezension, eine Gemeinschaftsproduktion der Philosophen Christian Garve (1742-1798) und Johann Georg Heinrich Feder (1740 -1821), war einem Ïblichen Usus folgend anonym publiziert worden. 177,19 -20 Gothaischen gelehrten Zeitung] Die Rezension er-
Anmerkungen
203
schien anonym in Gothaische gelehrte Zeitungen auf das Jahr 1782, 68. St., Gotha 1782, 560 - 563. [Rezensent: Schack Hermann Ewald ] Sie ist wiederabgedruckt in Albert Landau (Hg.): Rezensionen zur Kantischen Philosophie 1781-1787. Bebra 1991, S. 17-23. 179,14 -15 einigen Abschnitten der Elementarlehre] Sowohl der Abschnitt Der Analytik der Begriffe Zweites HauptstÏck, Von der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe (A 84 -130 / B 116 -169), als auch der Abschnitt Des Zweiten Buchs der transzendentalen Dialektik Erstes HauptstÏck, Von den Paralogismen der reinen Vernunft (A 341- 405 / B 399 - 432), wurden von Kant zur zweiten Auflage (1787) wesentlich umgearbeitet.
Register
Als Grundlagen der beiden nachfolgenden Register dienten die Register der Prolegomena-Editionen von Karl VorlÌnder (Hamburg 6 1976 [Leipzig 1905]) sowie Rudolf Malter (Stuttgart 1989). Die Seitenzahlen beziehen sich auf die dem Text als Marginalien in eckigen Klammern [ ] beigegebenen Seitenzahlen der AkademieAusgabe (Bd. IV, S. 255-383); die im Anhang abgedruckte GÎttinger Rezension ist im Register nicht erfaÞt. Auf Kants FuÞnoten wird mit einem (A) verwiesen.
A. Personenregister Aristoteles (384 -322 v.Chr.) 323, 368 Baumgarten, Alexander Gottlieb (1717-1762) 270, 325(A) Beattie, James (1735 -1803) 258, 259 Berkeley, George (1685 -1753) 293, 374 -375 Crusius, Christian August (1715 1775) 319(A) Descartes (Cartesius), Rene¨ (1596 -1650) 293, 337, 375 Eleaten, die 374 Euklid (4./3. Jh. v. Chr.) 271, 374 Quintus Horatius Flaccus (Horaz) (65 - 8 v. Chr.) 257(A), 277 Hume, David (1711-1776) 257262, 270, 272, 277, 310, 312313, 351, 356, 358 -360
Leibniz, GottfriedWilhelm von (1646 -1716) 257 Locke, John (1632-1704) 257, 270, 289 Mendelssohn, Moses (1729 1786) 262 Oswald, James (1703 -1793) 258 Platner, Ernst (1744 -1818) 349(A) Platon (428/27-347 v.Chr.) 375(A) Priestley, Joseph (1733 -1804) 258 Reid,Thomas (1710 -1796) 258 Segner, Johann Andreas von (1704 -1777) 269 PubliusVergilius Maro (Vergil) (70 -19 v. Chr.) 264 Wolff, Christian (1679 -1754) 270, 376(A)
206
Register
B. Sachregister A Ableitung, der Erscheinungen 354 f. Abstraktion 322 actio 323(A) Aggregat 310, 322 (s.a. System) Akademie derWissenschaften 366 Akzidenz(en) 308, 333, 368 Alchimie 366 Allgegenwart 356 AllgemeingÏltigkeit, notwendige 298 ff. Allgemeinheit 278 Allheit, Kategorie 325(A) Allmacht 356 >als ob< (von den Ideen) 357, 359 Analogie, Erkenntnis nach der 358 -360, 369 ^ en der Erfahrung 303, 309 f., 335 Analysis, Grundsatz der (= Satz desWiderspruchs) 267 ^ eines reinen Verstandesbegriffs 273 ^, mathematische 276(A) ^ und Metaphysik 368 Analytik (alsTeil der Logik) 276(A) ^ desVerstandes 315 (s.a. 331) analytisch 266 ff., 294, 305 ^ e Methode (Gegs. synthetische) 263, 275, 276(A), 279, 365, 368 ^ e SÌtze (Urteile) 266 ff., 271 Anfang der Zeit und des Raums 339 f. ^ derWelt 344(A) ^ einer Handlung 343, 344(A), 346
^, erster und subalterner 346 Anlage, zu transzendenten Begriffen in unsererVernunft 362 (s.a. Metaphysik, Naturanlage) anschauen, a priori 281f. Anschauung 281, 288 ^, formale 287 ^, mathematische 268 f., 272 ^, reine (a priori) 280 f., 289 ^, empirische (zufÌllige) 281, 283 f., 350 ^, sinnliche 282 f., 353 ^, ÌuÞere 291 ^, intellektuelle 316(A), 375(A) ^, innere 337 ^, unmittelbare 334 Anthropologie 362 Anthropomorphismus 356, 358 f. ^, dogmatischer 357 ^, objektiver 358 ^, symbolischer 357 Antinomie(n) 292, 330, 333, 339, 341(A), 379 ^, mathematische 341, 343 ^, erste 341f. ^, zweite 342 ^, dynamische 343 ^, dritte 343 -347 ^, vierte 347 Antithesis 341 Antizipationen der Wahrnehmung 303 (s.a. 307) antizipieren 307 apodiktisch, s. GewiÞheit, Urteil a posteriori 267, 275, 281, 294, 305, (A) Apperzeption 318, 334(A) a priori 267, 275, 277 f., 281, 319, 373(A) 375
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Register Arithmetik 268, 283, 369 Assoziation derVorstellungen 258 Østhetik, transzendentale 315, 318 Astrologie 366 Astronomie 321, 366 Attraktion, wechselseitige 321 Aufgabe(n) der reinenVernunft 317, 329, 348 f., 362 aufgeklÌrt, s. Zeitalter Ausdehnung 266, 288, 301 AusfÏhrlichkeit 279 auÞer uns 337 Axiome der reinen Mathematik 273, 301 ^, der Anschauung 303
B Bathos der Erfahrung 373(A) Bedeutung 282, 332, 355 Bedingungen, formale der Sinnlichkeit 283 (s.a. Form, Raum, Zeit) ^ der Urteile 305, s.a. 307 ^, Reihe 332, 338, s.a. 348, 354, 360 ^ und Bedingtes 338 BedÏrfnis derWissenschaft 377 Begrenzung des Erfahrungsfeldes 361 Begriff(e), bloÞe 260 ^, abgezogene 263 f. ^, Zergliederung 269 ^, Definition 273 ^ und Anschauung (in Mathematik) 281f. ^, vor aller Erfahrung 281 ^, Denken eines Gegenstandes Ïberhaupt 282
^, fremdartige 326 ^, a priori (VollstÌndigkeit in der AufzÌhlung) 329 f. ^, transzendentale 330 ^ ohne Bedeutung 355 ^, transzendente (Anlage zu) 362 ^, analytische Behandlungsart 368 ^, mathematische Konstruktion 269, 370 Beharrlichkeit, s. BewuÞtsein, Substanz Behauptungen, dialektische 338 ^, metaphysische 377 Beobachtung, Regel 297 Bewegung 284 f. ^, Begriff 295 ^ der Planeten 291 Beweisart 308 f. beweisen, auf dogmatische Art a priori 368 BewuÞtsein (s.a. Ich) ^, klares 290 ^, empirisches 300 ^ Ïberhaupt 300, 304 f., 309(A), 312 ^ in einem Subjekt 304 ^, Vereinigung von Vorstellungen in einem B. (Denken) 305 ^, UnbewuÞtsein (psychologische Dunkelheit) 307 ^ unserer selbst 334 ^, Beharrlichkeit 334 f. ^, Unteilbarkeit 335(A)
C (s.a. K) calculus probabilium 369 Chemie 366 crux metaphysicorum 312
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Register
D Dasein 294, 303 (s.a. Wirklichkeit) Deduktion der Kategorien 260, 376(A), 381 ^, transzendentale 285 ^, kritische 315 ^ und Metaphysik 327 ^, subtile 331 ^ aller unserer Erkenntnis a priori 348 ^ von Raum und Zeit 284 Definition(en) 273 Deismus 355-360 Denken 304 f. ^, reines 259 ^, dunkel 269 ^, letztes Subjekt des Denkens (Seele) 334 denkend, -esWesen 334 Denkkraft 370 Deutsche 382 Dialektik der reinenVernunft 276(A), 330, 332, 340, 350 f., 362 dialektisch(e) 329 (s.a. Schein) ^ Behauptungen 334 ^ Kunst 365 ^ SchlÏsse 362 ^, Vernunftgebrauch 347 ^ Versuche 353 Ding(e), Ïberhaupt 332 ^ an sich 282 f., 290 -294, 301f., 332, 336, 339 ^, inkongruente 286 ^, Dasein 294, 310 ^, MÎglichkeit 297 ^, GegenstÌnde der Erfahrung 308 ^, Gemeinschaft 310 ^, Zustand 310 ^, das alle RealitÌt enthÌlt 355
diskursiv 281, 295, 333 Disziplin 362 Dogma 348 Dogmatik 340, 383 Dogmatiker dogmatisch, -es Denken 313 f., 317 ^ e Manier 317 ^ er Anthropomorphismus 357 ^ e Begriffe 361 ^ e Beweisart 368 ^ es GewÌsche 365 ^ e GrundsÌtze 379 ^ er Idealismus 375 ^ e Metaphysik 367, 379 ^ e Methode 308 ^ e Philosophen 269 ^ er Schlummer 260, 338 ^ e Schriften 378 ^ e Spekulation 382 ^ er Weg 339 Dogmatismus 274, 360 Dunkelheit (der KrV) 261, 264 ^ derVorstellungen 290 dynamisch, s. Antinomien, GrundsÌtze
E EigendÏnkel 382 Eigenliebe 368 Eigenschaften, reale 333 f. ^, persÎnliche 369 Einbildung 337 Einbildungskraft 257 f., 317 EindrÏcke, wirkliche 282 einfach, -e Substanz 331 ^ es Wesen 331 Einfache, das 338 f. EinfluÞ immateriellerWesen 353
Register Eingebung 282 Einheit, Kategorie 303, 325(A) ^ der Anschauungen 304, 309 ^ derWahrnehmungen 297, 310, 312, 322 ^ des BewuÞtseins 355 ^ des Denkens Ïberhaupt 323 ^, kollektive E. der Erfahrung 328, s.a. 349 ^ der Erkenntnisart 350 ^ des Gegenstandes 298 ^ der Konstruktion 322 ^ der Objekte 322 ^ der Prinzipien 361 ^ des reinenVerstandes 310 ^, synthetische bzw. systematische des Verstandesgebrauchs 350, 361, 363 ^, mathematische 268 f. ^, regulative und konstitutive 350 EinschrÌnkung 325(A) ElastizitÌt 273 eleatische Schule 374 Elementarbegriffe 323, 382 Elementarerkenntnisse 317 Elementarlehre 381 Ellipse 321 Empfindung 284, 306, 324, 318 empirisch, s. Anschauung, BewuÞtsein, Idealismus, Seele, Urteil Empirisches 283 erdichten 361 Erdichtung 258, 287, 317 Erfahrung, ÌuÞere 265, 331, 336 ^, innere 265, 331, 336 ^, kontinuierliche Synthesis derWahrnehmungen 275, s.a. 290 f., 310 ^, Begriffe vor aller E. 281 ^, Wahrheit der E. 292
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^ lehrt, was dasei 294 ^ lehrt nicht die Natur der Dinge 294 ^, Produkt der Sinne und des Verstandes 300, 304, 316 ^, MÎglichkeit 278, 291f., 297, 302, 307, 309, 311, 319, 351 ^, GrundsÌtze der MÎglichkeit aller E. 302, 305 -310 ^, MÎglichkeit der E. und Gesetz der Natur 319 ^, synthetischeVerknÏpfung der Erscheinungen 305 ^ und reine Verstandesbegriffe 305 f. ^, Form und Materie 309 ^, besondere 322 f. ^ begrenzt sich nicht selbst 360 f. ^ bei Hume 277 Erfahrungsfeld 361 Erfahrungsgebrauch 313 f., 324, 327, 330 f., 349(A), 350 ErfahrungsgrÏnde 280 Erfahrungsprinzipien 352 Erfahrungsurteile 268, 298 -305, 309, 311f., 324 Erkenntnis(se), alte abgenutzte 261 ^, metaphysische 266 -274 ^ a priori 277, 365 ^ alsWissenschaft 265 ^, reine philosophische 266 ^, reine mathematische 268 f., 272 f., 280 -288 ^ aus reinerVernunft 277 f. ^, theoretische 279 ^, intellektuelle 316(A) ^, Regeln 319 ^, spekulative 371 Erkenntnisart 265 ^, metaphysische 266 ^, Einheit der E. 350
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Register
Erkenntnisgrund 280 Erkenntnisquelle 265 ErkenntnisvermÎgen 293 ErklÌrungsarten, UnzulÌnglichkeit 352 ^, hyperphysische 359 erscheinen 283 Erscheinung(en), wirkliche 284 ^, Materie (Empfindung) 284 ^, Form 284 ^, MÎglichkeit ÌuÞerer 287 ^, Vorstellungen unserer sinnlichen Anschauung 288 ^, Vorstellungen, die die GegenstÌnde in uns wirken 289, 307, 319, 342 ^, bloÞeVorstellungen 292 ^, mathematische und dynamische 307 ^ und Schein 306 ff., 310, 314 f., 339, 341, 343 ^, Ursache 331 ^, Beziehung der inneren E. auf das unbekannte Subjekt derselben 334 ErwÌrmung 305(A) Etwas 325 Evidenz 327 Ewigkeit 340, 356 Existenz 289, 308, 310 extensiv, s. GrÎÞe
Form, der sinnlichen Anschauung (Sinnlichkeit) 282 ff., 288, 291, 305, 375 ^ der Erfahrung 296 f., 309 ^ der Erscheinung 284, 324 ^ des Denkens 305, 355 ^ des Urteilens Ïberhaupt 300 formal, s. Anschauung, Bedingungen, Idealismus, Natur Formale, das Formale der Natur 296 Fortdauer, notwendige 335(A) Freiheit 343 f. ^ Idee 344(A) ^, KausalitÌt derVernunft in der Sinnenwelt 345 ^, praktische 346 ^, transzendentale 346 ^, ihr Subjekt 343 ^ der obersten Intelligenz 344(A), 363 ^ und Naturnotwendigkeit 339, 343 -347 Funktion(en), logische Funktion der Urteile 304 ^ desVerstandes 323 f. ^ derVernunftschlÏsse (als Ursprung der Ideen) 330 ^ logische Funktionen der Kategorien 332
F
G
Fakta 279 Falschheit 291, 327, 343 Farbe(n) 289 Fatalismus 363 Fesseln der Erfahrung 362 Figuren in der Geometrie 285 f., 320 f. Folge 311
Ganze(s), organischer KÎrper 263 ^ und Teil 269, 286 ^, das absolute Ganze aller mÎglichen Erfahrung 327 f., 349 Gebrauch (s.a. Vernunftgebrauch,Verstandesgebrauch)
Register ^ spekulativer Gebrauch der Vernunft 278, 363 f. ^, praktischer 278 ^ der praktischenVernunft in der Moral 363 f. ^ der Begriffe in concreto 282 ^ sinnlicherVorstellungen im Verstande 291 ^, transzendenter 315 f., 328, 332 f., 348, 373(A) ^, immanenter 328, 356, 373(A) ^, Ïberschwenglicher 328, 348 ^ der Ideen 331 ^, natÏrlicher G. der Vernunft 362 Geburt, neue G. der Metaphysik 257 Gedankendinge 296 Gedankenwesen 332, 349 (s.a. Noumena) GefÏhl 299(A) Gegenstand der Erfahrung 295, 308, 311, 350 f. ^ der Empfindung 318 ^ Ïberhaupt 282 Geist, philosophischer 383 ^ und Buchstabe 293 gemeinesWesen 378, 383 Gemeinschaft, Kategorie der 303 ^, Grundsatz der G. 307 (s.a. 310, 311) Genie 262 f. Geometer 269, 284, 287 f. Geometrie, reine 269, 283, 291f. ^, Methode 284 ^, Erkenntnisse a priori 375(A) ^, ÌuÞere Anschauungen 291 ^, ebene und sphÌrische 285, 369, 372, 375 Gerade 269 (s.a. Linie)
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Geschmack 289 ^, Muster der Alten 378 Gesetz(e) 294 -297, 306 -322 ^, subjektive 296 f. ^ und GrundsÌtze mÎglicher Erfahrung 306 ^ der Natur und der MÎglichkeit der Erfahrung 319 ^, physisches 321 ^, im Gegs. zur Regel 312 Gesetzgebung derVernunft 364 GesetzmÌÞigkeit, notwendige G. der Natur 295 f. ^ der Erfahrung 295 f. Gestalt 289 GewiÞheit, apodiktische 268, 284 f. ^, empirische 284 f. ^, geometrische 317 Gewohnheit 257, 277, 311 Glaube, vernÏnftiger 278, 371 Gleichartiges 302, 341, 343 GleichgÏltigkeit 367 Gleichheit 284 ff. GlÏck 357(A) Gold 267 Gott 271, 357 ff. (s.a. hÎchstes Wesen, Ideal, Deismus) ^ als Inbegriff des MÎglichen 330 (s.a. 330(A), 344(A)) ^ als Idee 348, 352, 355 f. ^, seine Anschauung und Verstand 355 ^, seinWille 356 ^ und Welt 357 Grad 306 f., 308 f. Grammatik 323 Grenzbestimmung der reinen Vernunft 350 -357 Grenze(n), allerWissenschaften 265 ^ der Erfahrung 278, 333, 361f.
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Register
^ der reinenVernunft 313 f. ^ des Gebrauchs der Verstandesbegriffe 316 f. ^ und Schranken der Vernunft 352, 354, 356, 360 f. ^, etwas Positives 354, 360 f. GrÎÞe, Begriff 301, 303, 306, 308, 343 ^, intensive 309 ^, QuantitÌt 325(A) Grund, Satz des Grundes 270 f., 368 ^ der MÎglichkeit aller Erscheinungen 288 ^ einer Anschauung 309(A) ^ und Folge 311f. Grundsatz/GrundsÌtze, des gemeinenVerstandes 259 ^ der reinen Geometrie 269 ^ der GrÎÞe und des Grades 306 ^ der Substanz, KausalitÌt und Gemeinschaft 307 ^ der MÎglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit 308 ^, allgemeine G. der Naturwissenschaft 306, 319 ^ mÎglicher Erfahrung (= allgemeine Gesetze der Natur) 302, 308, 311, 313 ^, mathematische und dynamische 306 f. ^, Beweisart 308 ff. ^, synthetisch a priori (= Prinzipien mÎglicher Erfahrung) 306 ^, dogmatische 379 ^, physiologischeTafel 303 (derenVollkommenheit 308) GÏltigkeit, objektive 260, 287, 298, 362
H Habere 323(A) Habitus 323(A) Hand, rechte/linke 286 Handlung(en) 257, 315 ^ Gottes 344(A) ^ nach Maximen 345 f. ^, Analogie mit KrÌften 357(A) HimmelskÎrper 321 Hirngespinste 292, 314 hÎchstesWesen, s.Wesen Hyperbel 321 hyperphysisch 359 Hypothese 308, 348 hypothetisch s. Urteil
I Ich, (kein Begriff) Gegenstand des inneren Sinnes, der inneren Anschauung 334, 337 ^, bloÞes GefÏhl des Daseins 334(A) ^, Subjekt des BewuÞtseins 337 Ideal der reinenVernunft 330, 348 Idealismus 288 -293, 336 f., 373 ff., 377 ^, eigentlicher (wirklicher) 289 f., 293, 375(A) ^, schwÌrmerischer Platos 375(A) ^, empirischer, materialer, skeptischer I. des Cartesius 293, 336, 375 ^, mystischer, schwÌrmerischer, dogmatischer I. Berkeleys 293, 375 ^, transzendentaler, formaler,
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Register kritischer I. Kants 293, 337, 375 ^, kein >hÎherer< 373(A) Idealist 289, 374 IdealitÌt, Raum und Zeit 290, 292, 375 Idee(n) 327 f. ^, im Unterschied zu den Kategorien 328 f., 349 ^, Ursprung in den Funktionen derVernunftschlÏsse 330 ^, Zahl und Einteilung 330 ^, psychologische 333 -337, 363 ^, kosmologische 331, 338 348, 363 ^, mathematische und dynamische 338 ^, theologische 348, 363 ^, regulativ statt konstitutiv 350, 363 ^, moralische 362 ^, transzendentale 326, 330, 333, 338, 348 f., 350, 353, 362 ^, transzendente 352 ^, Vernunftprobleme 362 IdentitÌt der Urteile 270, 305 immanent, s. Gebrauch Induktion 369 inkongruent, s. Ding Innere, das (der Dinge) 353 intellektuell, -e Erkenntnis 316(A) ^ e Ursache 352 intelligibel 316, 361 Intelligenz, oberste 363 Intensive, das 307, 309 intuitiv 281 Irrtum 291, 329 iudicia plurativa/particularia 301f.
K KÌlte 273 Kategorie(n), s.a. Verstandesbegriffe ^, System der 322-326 ^, Nutzen 325, 338 ^ des Aristoteles 323 ^, Entstehung der Kantischen 323 f. ^, Bedeutung 324 ^, Tafel 303, 325 KausalitÌt 310 ^, Anzweiflung durch Hume 257, 272, 310 ^ und Freiheit 343 -347 ^ durchVernunft 358, 360(A) Kegel 321f. Kegelschnitte 321 Keplersche Gesetze 321 kollektiv, s. Einheit Kompendium, metaphysisches 256, s.a. 325(A) kongruieren 286 konstruieren, in der Mathematik 281, 283, 370 Konstruktion (anschauliche Darstellung), mathematischer Begriff 268 f., 281, 283, 321, 370 f. KÎrper 289 ^, organisierter 263 ^, Ausdehnung 266 ff., 289 ^, Raum 288 f. ^, Idealismus 288 f. ^, reale Eigenschaften 333 f. ^, auÞer uns im Raum 337 ^, Teilungsantinomie 342 Kosmologie 368 kosmologisch, s. Idee Kraft 257, 315, 321, 333 f., 357(A) Kritik, derVernunft 338 f., 345, 351, 353, 358, 365 f. ^ desVerstandes 331
214
Register
^ der Schulmetaphysik 366, s.a. 382 ^, wissenschaftliche 365 f. Kritik der reinen Vernunft 261ff., 266, 274, 279, 395(A), 306(A), 316, 318, 325 f., 329, 335, 347, 363, 364(A), 365 f., 372 ff. kritisch, s. Idealismus, Philosophie KugelflÌchen 321 Kultur 366, 368, 382 Kunst 278, 338, 366 Kupferstechen 259
L Lauf der Dinge 372 Leben und Tod 335 Lehrart, (s.a. Methode) ^, synthetische 263 ^, progressive/regressive 276(A) Lehrbegriff, idealistischer 289 Leitung, desVerstandes und Willens 278 Liebe 357(A) Linie 269, 284 f., 288, 301, 370 Logik, Analytik/Dialektik 267(A) ^, transzendentale 318 ^, formale 302(A), 306, 325(A) Logiker 323 logisch ^ er Gebrauch 392(A) ^ e Tafel 302 ^ es System 306 ^ e Funktionen 324, 330 ^ e VerknÏpfung 304 Logisches 325(A) LÏgen,Vater der 319(A) Luft 273, 299 ff.
M MaÞ 303 MaÞstab,Wissenschaften 378 Materialismus 334, 362 materialistisch, -e ErklÌrung der Seele 351 MaterialitÌt 289 Materie, ausgedehnte 288, 344(A) ^, empirischer Begriff 295 ^, Anziehung 349, ^, Undurchdringlichkeit 295, 335(A) ^, Teilbarkeit 340 ^ der Metaphysik 273 Mathematik (s.a. Arithmetik, Axiome, Geometrie, Konstruktion) 266, 268 f., 272, 275, 279, 313, 327, 331 ^, Allgemeinheit 278 ^, Anwendung auf Erfahrung 306, 311 ^, Anwendung aus Naturerscheinungen 295, 309, 353 ^, MÎglichkeit 280 -294 ^, Urteile 301 ^, SchlÏsse 268 ^, synthetische Erkenntnis 284 f. mathesis intensorum 307 Mechanik 283 Menschenvernunft 257, 277 Menschenverstand, gemeiner 259, 371 ^, schlichter 259 ^, gesunder 369 ff. Metaphysik, MÎglichkeit 271275, 280, 327-365 ^, UnmÎglichkeit (Hume) 258, 277, 329, 365 ^, Schicksal 256, 366 ^, Materie 273
215
Register ^, Quellen 265, 276, 377 ^, analytische SÌtze / synthetische SÌtze a priori 273 f. ^ alsWissenschaft 255 -264, 271f., 274 f., 278 f., 365 -371, 382 ^, Existenz 276 ^, SchlÏsse 276 ^, Naturanlage 285, 353, 361f., 363, 365 ^, Nutzen 382 ^, seichte 288 ^, sophistische Scheinwissenschaft 366 ^, Studium der reinen Vernunft 324 f. ^, analytischer und synthetischer Teil 325(A) ^, System 326, 362 ^ und Moral 353, 363 ^, vernÏnftelnde 362 ^, dialektisch und trÏglich 365 ^, dogmatische 367, 379 ^, Wiedergeburt 367 ^, Philosophie aus reiner Vernunft 369 ^, spekulativeWissenschaft 371 ^, gemeine 372, 379, 382 ^, Erbfehler 379 ^, Lehrer 383 ^, vornehmster (wesentlicher) Zweck 271, 327, 362 Metaphysiker 278, 335(A), 366 ^, spekulative Philosophen 278 metaphysisch, -e Erkenntnis 265 -274 ^ e Kompendien 256 ^ e Untersuchungen 313, 367, 378 Methode, analytische/syntheti-
sche 263, 274 f., 276(A), 279 ^, kritische 308 ^, dogmatische 308 Methodenlehre, physiologische 308 Mittelweg zwischen Dogmatismus und Skeptizismus 360 Modalbegriff 325(A) ModalitÌt der Urteile 303, 325(A) MÎglichkeit, s.a. Erfahrung, Mathematik, Metaphysik, Natur, Naturwissenschaft, Raum, Zeit ^, Kategorie 303, 308 ^, Inbegriff aller M. 230(A) ^, der Natur 318 Momente, logische des Urteilens 302, 305, 311, 323 ff. Moral 353, 356, 360, 363 f., 381 moralische, Absicht 363 ^, Ideen 363 motus (Motus) 323 MutmaÞungen 278, 317, 369
N Natur, formaliter 294, 296 f., 318 ^, materialiter 295, 297, 318 f. ^, GesetzmÌÞigkeit 294 f., 318 ff. ^, gÎttliche 359 Naturalismus 363 Naturalist 313 Naturanlage, derVernunft 353, 362, 365 (s.a. Anlage, Metaphysik) Naturanstalt (Dialektik) 364 Naturbegriffe 327 Naturbetrachtung 362 Natureigenschaften 352 f. Natureinrichtung 331
216
Register
Naturerkenntnis 295 ^, MÎglichkeit 296 ^, reine und empirische 306 Naturgeschichte 364 Naturgesetz(e), allgemeine (reine) 294, 296 f., 306, 313, 319 ^, eigentliche 307 ^, empirische 320 ^, imVerstand 320 ff. Naturlehre 295 Naturnotwendigkeit (Gegs. Freiheit) 343 f. ^, blinde 363 Naturordnung 321, 363 Naturphilosophie 331 Natursystem 306 Naturwissenschaft, reine 275, 280 ^, MÎglichkeit 294 -326, 313, 327 ^, allgemeine 295, 306, 308 ^, GrundsÌtze 303 ^, empirische 353, 369 Naturzwecke 362 Negation, Kategorie 303 ^, vÎllige 325(A) Neigung 357(A), 367, 380 f. Nichts 325 Notwendigkeit, s.a. AllgemeingÏltigkeit, Apperzeption, GesetzmÌÞigkeit, GewiÞheit, Urteil,Vereinigung ^, Kategorie 303, 308 ^, Ursache-Wirkung 257 f. ^, subjektive und objektive 257 f., 277 ^, absolute (apodiktische GewiÞheit) 280 ^, Zeichen eines apriorischen Prinzips 335(A) ^, Gegs. zum Zufall 339 ^, unwiderstehliches Gesetz der N. 367
Noumena 312, 314 ff., 332 f., 354, 360 Null 306, 309(A) Nutzen, negativer N. der Humeschen Philosophie 258
O Objekt 289, 295 objektive GÏltigkeit (RealitÌt) 287, 298, 300, 302, 305, 310, 324, 375 Ontologie 325(A), 326, 376(A) ontologisch 325 ^ e PrÌdikate Gottes 356, 358 ^ es Prinzip 330(A) Opposition 323(A) Ordnung 279
P Parabel 321 Paralogismus 330, 333, 381 Passio 323(A) Perzeption, s.Wahrnehmung Phaenomena 314 Phantasie 287 Philosoph(en), dogmatische 270 ^, spekualtive 278 ^, der kritische 340 philosophia definitiva 273 f. Philosophie, Geschichte 255, 287 f. ^, grundlose 277 ^, kritische 339, 382 ^, reine 330 ^, spekulative 367, 380 ^, aus reinerVernunft (s.a. Transzendentalphilosophie) 362, 369 ^ und Mathematik 327
217
Register ^, zerstÎrende 258 Physik 265, 295 physiologisch(e) GrundsÌtze 303 ^ e Methodenlehre 308 Planeten 291, 321 PopularitÌt 261f., 276, 383 PostprÌdikamente 323 Postulat(e) 303, 335(A) PrÌdikabilien 324, 325(A) PrÌdikamente 323 PrÌdikat(e) 266, 269, 330(A), 333, 356 (s.a. Subjekt) praktisch, s. Gebrauch, Prinzipien Praktische, das 371 Prinzip(ien), allgemeine 261 ^ der Mathematik 269 ^ der metaphysischen Erkenntnis 265 ^ der MÎglichkeit der Erfahrung 351 ^ der Naturgeschichte 363 ^, physische 265 ^, ontologisches 330(A) ^, regulative 334 ^, praktische 363 ^, ihreVollstÌndigkeit 332 Prius (prius) 323 problematisch, s. Urteil Prolegomena 255, 257, 261, 262264, 274 f., 310, 366 f., 376(A), 377 f., 379 -382 Proportion, geometrische 320 f. Psychologie 265, 295, 304, 337 psychologisch(e), s.a. Idee ^ e Dunkelheit 307 Publikum, gelehrtes 380 Punkt(e) 288, 370 PÏnktlichkeit 261f.
Q Qualitas 309(A), 323(A) QualitÌt, der Urteile 302 ^, der Kategorien 303 ^, GrÎÞe 309(A) ^, primÌre und sekundÌre QualitÌten der KÎrper 289 Quando 323(A) Quantitas 309(A), 323(A) QuantitÌt der Urteile 301f. ^ der Kategorien 303 Quellen, derVernunft 255, 265 f., 329, 338
R Raum ^, reine Anschauung 283 f. ^, bloÞeVorstellungsart 341 ^, Form der ÌuÞeren (sinnlichen) Anschauung 286, 287, 291, 322 ^, Form der ÌuÞeren Erscheinungen 283, 287, 291, 324 ^, Form der Sinnlichkeit 291, 337 ^, drei Abmessungen 284 ^, Teile 301 ^, geometrischer und physischer 287 ^, IdealitÌt 290 ^, GrÎÞe 309 ^, MÎglichkeit 318 ^, leerer 307, 309, 342 ^, GleichfÎrmigkeit 321 ^, Unendlichkeit 339, 342 Reale, das R. der Anschauung 306 Realisten 375 RealitÌt (Empfindungsvorstellung) 306, 308, 315, 325(A)
218
Register
^ objektive 287, 298, 300, 302, 305, 310, 324, 375 ^ der Erfahrung 295 f. ^ der Empfindung 306 ^, Inbegriff 330(A) Recht 357(A) reflektieren 288 Reflexion 290 Reflexionsbegriffe 326 Reform 257 f., 373 Regel 305, 310, 369 ^, der Logik 306 ^, empirische (Ggs. zum Gesetz) 312 Regellosigkeit 337 regulativ, s. Prinzip Reihe, der Bedingungen 338 Rektangel 321 Relatio 323(A) Relation 302 f., 325(A) Religion 356 Rezensentenpflicht 372, 377 Rhapsodie (Gegs. System) 323 f., 329 f. Richtigkeit, objektive 311
S Sachen (an sich) 293 Satz/SÌtze, mathematische 268 f., 272 f., 370 ^, der arithmetische 268 f. ^, identische 269 ^, analytische 266 f., 275, 276(A), 294 ^, synthetische SÌtze a priori 274 ff. ^ und Gegensatz 339 ^ der transzendentalen Vernunfterkenntnisse 329 ^, unmittelbar gewisse 370 ^, widersprechende 340 f.
^, Satz desWiderspruchs 267 ff., 272, 275, 277, 370 ^, Satz des zureichenden Grundes 271, 273 f., 368 Scharfsinnigkeit 271 Schein, 290 -293 ^, dialektischer 328 f., 334, 340, 347 f., 365, 377 ^, natÏrlicher 365 ^, transzendentaler 292 ^ und Wahrheit 290 ff. ^, unvermeidlich 328, 333 Schema 316, vgl. 305(A) Schicksal (der Metaphysik) 258 Schlafen/Wachen 376(A) SchluÞ/SchlÏsse 268, 362 Schmerz 309(A) SchÎnheit 325(A) Schranke(n), der Erfahrung 317 ^ derVernunft 317 ^ unserer Einsicht 333 ^, bloÞeVerneinungen (Negationen) 352, 354 ^ in Mathematik und Naturwissenschaft 352 ^ der Naturbetrachtung 362 f. Schulmetaphysik 373, 376, 383 SchwÌrmerei 317, 375(A), 381 schwÌrmerische Begriffe 359 Seele, 334 (s.a. BewuÞtsein, denkendesWesen, Ich) ^, einfache Substanz 331 ^, Beharrlichkeit 333 -337 ^, Gegenstand des inneren Sinnes 337, vgl. 334 f., 351, 363 ^ und KÎrper 336 f. ^, materialistische ErklÌrung 351f. ^, immateriellesWesen 352 ^, Natur der Seele 363 Seelenlehre 368
219
Register Sehen 289 SelbstbewuÞtsein 334 Selbsterkenntnis derVernunft 317, 328 Simul 323 Sinn (und Bedeutung) 282, 332 Sinn(e), ÌuÞerer/innerer 285, 295, 334, 337 ^ und anschauen 304 Sinnenwelt 314, 316(A) ^, Inbegriff der Erscheinungen 342, 357, vgl. 350 f., 353, 355, 357 Sinnlichkeit, 363, 370 ^ bei Leibniz (verworrene Erkenntnis) 290 Sitten 356 Situs 323 Skeptiker 340 Skeptizismus 262, 271, 339, 351, 360 Sollen, das 345 Sophisterei 383 Spekulation(en) 259, 363, 370 f., 383 Sprache, populÌre 314 ^, Regeln 323 Sprachneuerung 376 Steuermannskunst 262 Subjekt, als Substanz 273 ^, Idee des vollstÌndigen Subjekts 330 ^, letztes, absolutes 333 f. ^, denkendes 334 substantia 323(A) Substantiale 333; vgl. 330, 334 f. Substanz(en) 273, 295, 307 f., 310 f., 315, 325(A), 331-335, 338, 358, 368, 378 ^, Beharrlichkeit 295, vgl. 307, 310, 332, 335 ^, einfache 331 ^ und Akzidenzen 333, 368
^, Materie 335(A) Synthesis, geometrische 271 ^ derWahrnehmungen 305(A) synthetisch(e) Erkenntnis 305 ^ Methode 263, 276(A) ^ Urteile 266 -270, 273 f., 275, 279 System, 322 ^, logisches 306 ^, transzendentales 306 physiologisches (Natursystem) 306 ^ der Kategorien 333 ^ der transzendentalen Philosophie 324, vgl. 338 ^ der Metaphysik 326 ^ aller Erkenntnisse 328 f. ^, Ganzes der Erkenntnis 349 f. ^ aller Zwecke 350 ^ der transzendentalen Philosophie 324 ^ des transzendentalen Idealismus 373 ^ des hÎheren Idealismus 373 Systematische, das 306, 325(A)
T Tafel, logischeT. der Urteile 302 ^, transzendentaleT. der Verstandesbegriffe/Kategorien 303, 324, 325(A), 365 ^, physiologischeT. der GrundsÌtze 303, 325, 376(A) ^ der Begriffe von Etwas und Nichts 325 ^ der Reflexionsbegriffe 326 Talent 263 Teil 269, 286 Teilbarkeit/Teilung 340, 342
220
Register
Theismus 356, 358, 360 Theologie 378 ^, natÏrliche 361 ^, transzendentale 348 ^ und Kritik 382 Thesis 341 Tod 335 TrÌgheit 295 transzendent (Gegs. zu immanent) 373 ^ e Aufgaben 329 ^ e Begriffe 362 ^ er Gebrauch (der reinen Vernunft) 292, 315, 327 f., 332, 338, 350, 359 transzendental (s.a. Deduktion, Freiheit, Idee, Idealismus, System) 293, vgl. 373(A) ^ e Hauptfrage 280 ff. ^ e Logik 318 ^ e Philosophie 318, 324 ^ e Østhetik 315, 318 ^ e Begriffe der reinen Vernunft 330 ^ e Ideen 326, 330, 333, 338, 348 f., 350, 353, 362 Transzendentalphilosophie 279 ^, hÎchster Punkt 311 ^, System 324, vgl. 376(A) Traum 336 f., 376(A) Triangel 286
U Ubi 323(A) Ûbereinstimmung, vÎllige innere 285 f. Ûberredung, trÏgliche 365 Ûberzeugung 365 Unbegreiflichkeiten in der Natur 349(A) UnbewuÞtsein 307
Undurchdringlichkeit 295 Unendlichkeit (Raum und Zeit) 339, 342 UniversitÌten 366 UnmÎglichkeit, eines Begriffs 341 Untergang (der Seele als Substanz) 335(A) Unterscheidung, idealistische 376 Urbild 286, 351 Ursache (s.a. KausalitÌt) 295, 301, 305(A), 315, 332, 343 f. ^, oberste 357(A) 360(A) Ursprung, der Kategorien und Ideen 330 Urteil(e) (s.a. Erfahrungs- und Wahrnehmungsurteile) ^, analytisch 266 f. ^, erlÌuternd 266 ^, erweiternd 266 ^, synthetisch a priori 266 269, 272 ff., 275 -280 ^, synthetisch a posteriori 267 f., 281 ^, empirisch 267, 298, 300 ^, bloÞ zufÌllig 305(A) ^, subjektiv 304 f. ^, objektiv 291, 304 f. ^, subjektiv gÏltig / objektiv gÏltig 298 ^, allgemeingÏltig 300 ^, apodiktisch gewiÞ 268 f., 281 ^, Notwendigkeit 268 f. ^, diskursiv/intuitiv 281 ^, bejahend/verneinend 267, 302 ^, hypothetisch 301, 302, 312 ^, kategorisch 302, 325(A) ^, disjunktiv 302, 330(A) ^, mathematisch 268, 301, 370 ^, (eigentlich) metaphysisch
Register 273, 370 ^, transzendent 356 ^, Ïberhaupt 300 f., 302, 311 ^, Formen (Tafel) 302 f. ^ und Kategorien 323 ff. Urwesen (s.a. Gott) 356
V VerÌnderung(en) 283, 285 Vereinigung vonVorstellungen 304 f. Verfahren, synthetisches 279 Vergleichung 304, 326 VerhÌltnisbegriff 357(A) VerknÏpfung 257 f. ^ der Dinge 260 ^, logische 298, 304 ^, synthetische 308 ^, Ursache undWirkung 310 ff. ^, mathematische 343 ^, dynamische 343 Vermutungen, vernÏnftige 314 Vernunft 327-371 ^, Quellen 255 ^, baulustig 256 ^, Interesse 257 ^, gemeine und spekulative 369 ^, spekulative und praktische 258(A), 278, 350, 381 ^, kritische 259 ^, reine 263, 266 f., 274, 278, 313 f. ^, gesunde 313 f. ^, Selbsterkenntnis 317 ^, Quelle der Ideen 329 ^, Naturbestimmung 339, 347, 350, 363 ^, Grenzbestimmung 350 362 ^, ewige (gÎttliche Natur)
221
344(A), 359 ^, unterschieden vom Verstand 331, 360 f., 365 ^, FreiheitsvermÎgen 345 ^, sich aufklÌrende 380 f. Vernunftbegriffe, reine 325 329, 349, 352, 355 (s.a. Ideen) Vernunfterkenntnisse, reine 276, 324, 329 ff. ^, transzendente 329 ^, Maximen 331 Vernunftform 359 f. Vernunftgebrauch, praktischer 346 ^, reiner 275 ^, spekulativer und praktischer 278, 363 ^, empirisch-immanenter 355 f. ^, Grenzbestimmung 351f. ^, zwei Arten 266 Vernunftgesetze, reine 270 VernunftgrÏnde, objektive 346 Vernunfthandlung 330 Verunftideen (und Verstandesbegriffe) 326, 331 VernunftschlÏsse 330 VernunftvermÎgen 261, 330 VernÏnfteln 362 Verschiedenheit, innere 286 Verstand, gemeiner 259, 335(A), 369 ^, gesunder 259 f., 351, 369 ^, spekulativer 259, 369 ^ reflektiert (urteilt) nur 288, 291, 296, 300 ^, VermÎgen zu denken (urteilen) 304 ^, verknÏpft gegebene Anschauungen in der Erfahrung 316 ^, schreibt der Natur die Gesetze vor 320, 321
222
Register
^, bestimmt die Einheit der Objekte 322 ^, diskursiv 333, 351 Verstandesbegriffe, reine (s.a. Kategorien) 302, 305, vgl. 298 f., 300 ^, Tafel 302 303 ^, immanenter Gebrauch 329 vgl. 315, 350, 354, 355 Verstandesfunktionen,Tafel reiner 323 f. Verstandesgebrauch 349(A) ^, physiologischer 325 ^, VollstÌndigkeit 332 Verstandeswelt 314 ^, Verstandeswesen 315, 333, 344, 349 Vielheit, Kategorie 301ff. VollstÌndigkeit, der Erfahrung 328 ^, desVerstandesgebrauchs 332 ^, Verlangen nach 354 Vorstellung(en), innere 309(A) Vorstellungsart, verworrene 290 ^, subjektive/objektive 291 Vorstellungskraft 282, 337 Vorurteile 285
W Wahrheit 279 ^, innere 258 f. ^ und Traum 290, 336, 376(A) ^ und Schein 290 -293, 375 ^ der Erfahrung 292 ^ und Hypothese 308 ^, objektive 336 ^ metaphysischer SÌtze 372 ^, Kriterien 375 Wahrnehmung (empirische Anschauung) 284, 350
^, ihreVerknÏpfung (Synthesis) in einem denkenden Subjekt 297 f., 305(A), 310 ff. ^, Beziehung auf das Subjekt / auf den Gegenstand 298 Wahrnehmungsurteil 297-301, 304 f., 309, 312 Wahrscheinlichkeit 283, 369 ff. WÌrme 289, 301(A), 305(A), 306, 309, 312 Wechselbegriffe 298 Wechselwirkung (s.a. Gemeinschaft) 307 Weg, analytischer 279 Weisheit, undWissenschaft 256 ^, falsche 277 ^, wohlfeil erworbene 314 ^, eitle 366 Welt 339 ^, kÏnftige 271 ^, kÎrperliche 293 ^, intelligible 316, 361 ^, intellektuelle 316(A) ^, Anfang/Ewigkeit 331, 339 ^, GrÎÞe 342 ^ und Gott 357 f. Weltsystem 321 Wesen, denkendes 289 ^, logisches 294 ^, notwendiges 347 ^, hÎchstes 271, 359 Widerspruch, Satz desW.s 267, vgl. 270 f., 275, 277, 370 Widerstreit 339 f. Wiedergeburt der Metaphysik 367 Wille 258(A), 331, 356 Wirklichkeit (Gegs. logisches Wesen) 294, vgl. 293 ^, Kategorie 308 Wirkung, s. Ursache Wissen 278, 362, 366, 371, 381, 383
Register Wissenschaft (Metaphysik) 255264, 271f., 274 f., 278 f., 365 371, 382 ^, neue 262, 279 ^, Grenzen 265 ^, Form 306 Witzling, der populÌre 259 Wohlfahrt des menschlichen Geschlechts 357(A)
Z Zahlbegriffe 283 Zeit 283 -285 ^, als reine Anschauung 283 f. Grundlage der Mathematik 283 ^, formale Bedingung unserer Sinnlichkeit 283 ^, bloÞe Form der Sinnlichkeit 291 ^, reine Form der Erscheinung 324 ^, Form des inneren Sinnes 337 ^, Deduktion 285 ^, IdealitÌt 290
223
^, MÎglichkeit 318 ^, Voraussetzung der GrÎÞe und des Grades 306, 308, vgl. 318 ^, leer 309, 342 ^, relativ 310 ^, unendlich 339, vgl. 350, 354, 375 Zeitalter, aufgeklÌrtes 383 ^, unausgebildetes 314 ^, denkendes 380 Zeitbestimmung 310, 344 Zeitfolge 307, 312, 343 ZeugungsvermÎgen 349(A) Zirkel 320 ff. ^, viereckiger 341 Zufall 339, 363 Zusammengesetzte, das (Gegs. das Einfache) 339 Zweck, organisierter KÎrper 263 ^ derWissenschaft/Metaphysik 271, 273 f., 327, 362 ^ der Natur 362 ^, hÎchster derVernunft 350, s.a. 333, 353 ^, Ganzes der Zwecke 381 Zweifel 262, 310 f.