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German Pages [348] Year 2017
Refo500 Academic Studies Herausgegeben von Herman J. Selderhuis In Zusammenarbeit mit Günter Frank (Bretten), Bruce Gordon (New Haven), Mathijs Lamberigts (Leuven), Barbara Mahlmann-Bauer (Bern), Tarald Rasmussen (Oslo), Johannes Schilling (Kiel), Zsombor Tjth (Budapest), Günther Wassilowsky (Linz), Siegrid Westphal (Osnabrück), David M. Whitford (Waco).
Band 32
Tobias Schreiber
Petrus Dathenus und der Heidelberger Katechismus Eine traditionsgeschichtliche Untersuchung zum konfessionellen Wandel in der Kurpfalz um 1563
Vandenhoeck & Ruprecht
Dem Andenken meines Vaters Herbert Schreiber (1949–2014)
Mit 12 Tabellen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2197-0165 ISBN 978-3-666-55247-2 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Das Werk wurde fþr den Druck þberarbeitet. Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Thema und Vorklärungen . . . . . . . . 2. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . 4. Aufbau und methodische Anmerkungen
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Erster Teil: Dathenus’ Weg in die Kurpfalz . . . . . . . . . . . . . 1. Von Flandern nach London . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Frankfurt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die niederländische Flüchtlingsgemeinde in Frankfurt . . 2.2 Streitsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Dathenus in Frankfurt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Kontakte in die Kurpfalz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Kurpfalz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die religionspolitische Situation um 1562 . . . . . . . . . 3.2 Die Ansiedlung der Frankenthaler Fremdengemeinde aus religionspolitischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zweiter Teil: Umfang und Charakter der Londoner Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kurpfälzischen Kirchenordnung von 1563 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Katechismen der Londoner Flüchtlingstradition und der Heidelberger Katechismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die vier sog. laskonischen Katechismen . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Vergleich mit dem Heidelberger Katechismus . . . . . . . . . . . 1.2.1 Aufbau und Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Der Einleitungsteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89 90 90 96 98 102
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Inhalt
1.2.2.1 „Trost im Leben und im Sterben“ (HK 1) . . . . . . 1.2.2.2 Die schöpfungsgemäße Bestimmung des Menschen (HK 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Die Auslegung des Glaubensbekenntnisses . . . . . . . . . 1.2.3.1 Gott der Schöpfer (HK 26) . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3.2 Jesusname (HK 29) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3.3 Inkarnation (HK 35–36) . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3.4 Höllenfahrt (HK 44) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3.5 Himmelfahrt (HK 46–49) . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3.6 Heiliger Geist (HK 53) . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3.7 Kirche (HK 54–55) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Sakramente und Schlüsselamt . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4.1 Kindertaufe (HK 74) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4.2 Schlüsselamt (HK 85) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.5 Die Auslegung der Zehn Gebote . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.5.1 Drittes Gebot – Verbot des Namensmissbrauchs (HK 99–101) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.5.2 Viertes Gebot – Feiertagsheiligung (HK 103) . . . . 1.2.5.3 Sechstes Gebot – Tötungsverbot (HK 105–107) . . . 1.2.5.4 Siebtes Gebot – Verbot des Ehebruchs (HK 108–109) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.5.5 Achtes Gebot – Verbot zu stehlen (HK 110–111) . . 1.2.5.6 Neuntes Gebot: Verbot des Falschzeugnisses (HK 112) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.5.7 Zehntes Gebot – Begehrensverbot (HK 113) . . . . . 1.2.6 Die Auslegung des Vaterunsers . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.6.1 Erste Vaterunserbitte (HK 122) . . . . . . . . . . . . 1.2.6.2 Zweite Vaterunserbitte (HK 123) . . . . . . . . . . . 1.2.6.3 Dritte Vaterunserbitte (HK 124) . . . . . . . . . . . 1.2.6.4 Doxologie und „Amen“ (HK 128–129) . . . . . . . . 1.3 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rezeption der Londoner Flüchtlingstradition in der Kurpfälzischen Kirchenordnung von 1563 . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Londoner Gemeindeordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Microns Ordinancien und a Lascos Forma ac ratio . . . . . 2.1.2 Das Verhältnis von Lehre, Ordnung und Bekenntnis in der Londoner Flüchtlingstradition . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.1 Die Verbindung von Bekenntnis, Lehre und Ordnung im Compendium doctrinae . . . . . . . . . 2.1.2.2 Das Verhältnis von Lehre, Ordnung und Bekenntnis in der Forma ac ratio und den Ordinancien . . . . .
102 106 108 108 109 110 111 112 114 115 118 118 119 121 121 122 123 125 126 128 130 130 130 131 131 132 133 136 137 137 143 146 150
7
Inhalt
2.2 Die Londoner Ordnungstradition in der Kurpfälzischen Kirchenordnung von 1563 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Der Londoner Einfluss auf die liturgischen Formulare der Kurpfälzischen Kirchenordnung . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Die Stellung der Lehre in der Kurpfälzischen Kirchenordnung und ihr Verhältnis zur Londoner Ordnungstradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Das Verhältnis von Heidelberger Katechismus und Kurpfälzischer Kirchenordnung . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Die Aufnahme der Londoner Flüchtlingstradition in der Kurpfälzischen Kirchenordnung . . . . . . . . . . . . . .
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Dritter Teil: Petrus Dathenus und der Heidelberger Katechismus . . . . 1. Die Grundzüge von Dathenus’ Theologie anhand seiner Frankfurter Schriften (1557–1561) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die polemischen Schriften in der Folge des Wormser Religionsgesprächs von 1557 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Die literarische Debatte nach dem Scheitern des Religionsgesprächs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Dathenus’ Refutatio und seine Compendiosa & diserta responsio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Die weitere Auseinandersetzung mit Bartholomäus Latomus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Das Gespräch von Oudenaarde und Dathenus’ Verantwoordinghe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Die theologischen Grundzüge der Frankfurter Schriften . . . . . 1.3.1 Der Kirchenbegriff: Innerprotestantische Weite und antirömische Polemik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Schriftverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Rechtfertigung und gute Werke . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4 Sakramente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Das Verhältnis zur Londoner Flüchtlingstradition . . . . . . . . 2. Die Parallelen zum Heidelberger Katechismus . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Parallelen in den Frankfurter Schriften . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Ekklesiologie (HK 52.54–55.82–85) . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Rechtfertigung und gute Werke (HK 60–64.86) . . . . . . . 2.1.3 Sakramente und Abendmahl (HK 65–82) . . . . . . . . . . 2.2 Die Verbindung von Mittlerprädikat und Inkarnation bei Dathenus und im Heidelberger Katechismus (HK 35–36) . . . . 2.2.1 Zur kurpfälzischen Täuferpolitik bis 1571 . . . . . . . . . .
175 175 176 176 182 185 189 192 192 198 201 206 212 216 216 216 221 225 227 227
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Inhalt
2.2.2 Dathenus’ Bedeutung für das Frankenthaler Religionsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Die systematische Stellung der Inkarnation bei Dathenus . 2.2.4 Inkarnation im Heidelberger Katechismus (HK 35–36) . . 2.3 Messpolemik bei Dathenus und im Heidelberger Katechismus (HK 80) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Messkritik und Abgöttereipolemik bei Dathenus . . . . . . 2.3.2 Messpolemik im Heidelberger Katechismus (HK 80) . . . . 2.3.2.1 Aufbau und Wachstum von Fr 80 . . . . . . . . . . . 2.3.2.2 Die Tridentinumsthese . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.3 HK 80 im Lichte zeitgenössischer Messpolemik . . . 2.3.3 Der traditionsgeschichtliche Hintergrund von Fr 80 und das Problem seiner Verfasserschaft . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.1 Der traditionsgeschichtliche Hintergrund von Fr 80. 2.3.3.2 Zur Frage der Verfasserschaft von HK 80 . . . . . . 2.4 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Rezeption des Heidelberger Katechismus und der Kurpfälzischen Kirchenordnung in den Schriften nach 1563 . . . . . 3.1 Die Verteidigung der Kurpfälzischen Abendmahlstheologie in der Bestendigen Antwort von 1571 . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Der erneute Konflikt mit den Frankfurter Stadtpredigern . 3.1.2 Die Abendmahlstheologie der Bestendigen Antwort im Verhältnis zu Dathenus’ Frankfurter Schriften . . . . . . . 3.1.3 Die Rezeption des Heidelberger Katechismus in der Bestendigen Antwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Verwendung des Heidelberger Katechismus in der Samenspreking von 1584 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Die Abfassung in Gent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Strukturelle und theologische Besonderheiten . . . . . . . 3.2.3 Der Heidelberger Katechismus und die Samenspreking . . 3.3 Die Liturgie des Dathenus und die Kurpfälzische Kirchenordnung von 1563 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Die Verhältnisse in der Kurpfalz und in den Niederlanden als historischer Hintergrund des Druckes von 1566 . . . . 3.3.2 Das Verhältnis der Liturgie zur Kurpfälzischen Kirchenordnung von 1563 und zu Microns Ordinancien . . 3.4 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
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Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Einfluss der Londoner Flüchtlingstradition auf den Heidelberger Katechismus und die Kurpfälzische Kirchenordnung von 1563 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dathenus’ Einfluss auf den Heidelberger Katechismus und die Kurpfälzische Kirchenordnung von 1563 . . . . . . . . . . . . . . . .
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Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Register der Stellen des Heidelberger Katechismus . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungen und Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht über die verwendeten Siglen (Katechismen und Kirchenordnungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
347 347
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Vorwort
Die vorliegende Studie wurde im Oktober 2014 der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades vorgelegt. Zum Zweck der Veröffentlichung wurde sie leicht überarbeitet. Ihr Entstehen verdankt sich der Unterstützung Vieler ; einige seien in der Folge stellvertretend genannt. Mein erster Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Christoph Strohm der das Entstehen dieser Arbeit von Anfang an begleitet und gefördert hat. Ohne seine vielfältige Unterstützung, seine Ermutigung und seine Anregungen wäre sie so nicht möglich gewesen. Herrn Prof. Dr. Johannes Ehmann danke ich dafür, die Arbeit in der Rolle des Zweitgutachters von Anfang an begleitet zu haben. Herr Prof. Dr. Thomas Wilhelmi und Herrn Prof. Dr. Cornel A. Zwierlein haben mich freundlicherweise auf mir unbekannte Dathenus-Briefe aufmerksam gemacht. Herr Prof. Dr. Herman J. Selderhuis und dem Herausgeberkreis der Refo500 Academic Studies danke ich für die Aufnahme in die Reihe. Dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht und namentlich Herrn Christoph Spill sei für die zuverlässige Betreuung während des Veröffentlichungsprozesses recht herzlich gedankt. Der Konrad-Adenauer-Stiftung hat durch ihre zeitweilige finanzielle und ideelle Förderung ein konzentriertes Arbeiten ermöglicht. Ohne sie wäre eine Umsetzung meines Dissertationsvorhabens schwer vorstellbar gewesen. Selbiges gilt für das Abschlussstipendium, das mir die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg großzügigerweise zur Fertigstellung der Arbeit gewährt hat. Die Evangelische Kirche im Rheinland und der Förderverein der Theologischen Fakultät Heidelberg haben durch namhafte Druckkostenzuschüsse die Veröffentlichung der Arbeit unterstützt. Der evangelischen Kirchengemeinde Kastellaun, der ich durch meine Vikariatszeit bleibend verbunden bin, danke ich für die Übernahme des Sponsorings für den Förderverein der Theologischen Fakultät. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Doktorandenkolloquiums am Lehrstuhl Strohm haben durch zahlreiche bereichernde Diskussionen und stets
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Vorwort
konstruktive kritische Anmerkungen das Ihre zum Abschluss dieser Arbeit beigetragen. Ebensoviel verdanke ich dem Austausch mit meinem langjährigen Mitbewohner und Kommilitonen der ersten Stunde, Daniel Abendschein. Er hat mir zahlreiche Anstöße gegeben, den Blick über die Grenzen eigener thematischer Schwerpunktbildung hinaus zu weiten. Johanna Kaus und Johannes Fröschle danke ich für ihre intensiven und genauen Korrekturarbeiten. Zur Fertigstellung dieser Untersuchung haben in nicht unerheblichem Maße auch alle diejenigen beigetragen, deren Freundschaft mich über die Jahre des Studiums hinweg begleitet hat. Stellvertretend danke ich hier nur Mike Rottmann für seine humorvollen Betrachtungen über manche Merkwürdigkeit des akademischen Betriebes und Konrad Stockmeier für seine fraglose und herzliche Gastfreundschaft. Meine Eltern haben mir während aller Höhen und Tiefen, die ein solches Projekt mit sich bringt, stets mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Viel verdanke ich meinem Vater, der den Abschluss dieser Arbeit leider nicht mehr erlebt hat. Seinem Andenken widme ich dieses Buch. Kastellaun/Heidelberg im April 2016
Tobias Schreiber
Einleitung
1.
Thema und Vorklärungen
Die konfessionell motivierten Migrationsbewegungen, die im 16. Jahrhundert ausgehend von Frankreich und den Niederlanden Mitteleuropa erfassten, bilden in mehrfacher Hinsicht einen fruchtbaren Gegenstand der Forschung.1 Die aus ihrer Heimat vertriebenen Flüchtlinge übten nicht nur auf die soziale und wirtschaftliche Struktur des jeweiligen Gastterritoriums maßgeblichen Einfluss aus, sondern hatten entscheidenden Anteil bei der Herausbildung innerprotestantischer konfessioneller Identitäten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Beide Aspekte lassen sich mit Blick auf die Kurpfalz exemplarisch studieren: Die schon unter Ottheinrich (1556–1559) vereinzelt und dann seit der Regierung Friedrichs III. (1559–1576) in größerem Maßstab aufgenommenen Glaubensflüchtlinge trugen einerseits zu einem namhaften wirtschaftlichen Aufschwung ihrer Zufluchtsorte bei, etwa durch die Einführung neuer handwerklicher Techniken oder die Etablierung eines Netzes von Handelsbeziehungen. Andererseits wurde durch die an Hof und Universität einflussreichen Fremden die konfessionelle Entwicklung der Kurpfalz unmittelbar mitbestimmt. Es ist das Interesse der vorliegenden Studie, diesem zweiten Zusam1 Zum Einfluss der sog. Konfessionsmigration im Allgemeinen vgl. Bahlcke, Glaubensflüchtlinge. Mit dem Einwirken reformierter Glaubensflüchtlinge auf die konfessionelle Identitätsbildung befasst sich u. a. für die Stadt Frankfurt a.M. Dingel, Religionssupplikationen; für das Gebiet der Kurpfalz Becker, Kirchenordnung; Strohm, Übergang. Der von Heinz Schilling im Zuge seiner sozialgeschichtlichen Forschungen zu den reformierten Fremdengemeinden eingeführte Begriff der „frühneuzeitlichen Konfessionsmigration“ zielt darauf, die wechselseitige Durchdringung von religiöser bzw. konfessioneller und politischer sowie sozialer Sphäre in der Frühen Neuzeit als das für die Ansiedlung der Flüchtlinge zentrale Bestimmungsmoment ins Bewusstsein zu heben. Der Ausdruck beschreibt „nicht in erster Linie […] die religiösen Ursachen und Motive, sondern vielmehr […] die besonderen Siedlungsbedingungen innerhalb der Gastländer, und damit […] die spezifischen Voraussetzungen sowie die Art und Weise, wie sich in diesen Fällen die innovativen Impulse [sc. der Migranten] durchzusetzen hatten bzw. verhindert wurden.“ (Schilling, Exulanten des 16. Jahrhunderts, 69). Weiterführendes zur Terminologie bei Schilling, Konfessionsmigration.
14
Einleitung
menhang anhand der beiden wirkkräftigsten kurpfälzischen Schriften aus dem Jahr 1563, dem Heidelberger Katechismus (in der Folge HK) und der Kurpfälzischen Kirchenordnung aus dem Jahr 1563 (in der Folge KKO) nachzugehen. Den Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen bildet die Beobachtung, dass bei der Abfassung beider Dokumente in nicht unerheblichem Maße auf Katechismen2 bzw. Gemeindeordnungen aus dem Umfeld der Londoner Flüchtlingsgemeinde der Jahre 1550 bis 1553 zurückgegriffen wurde. Unter Edward VI. (1547–1553) gegründet, bot die Londoner Gemeinde ein Refugium für die in ihrer Heimat verfolgten niederländischen und französischen Glaubensflüchtlinge, bis sie 1553 im Zuge der blutigen Rekatholisierungsmaßnahmen Marias I. (1553–1558) ein jähes Ende fand. Geprägt wurde sie insbesondere durch den polnischen Reformator Johannes a Lasco (1499–1560), der als Superintendent sowohl dem niederländischen, wie auch dem französischen Gemeindezweig vorstand.3 Einflussreich für die Entstehung von HK und KKO waren dabei allein die Katechismen und die Gemeindeordnung des niederländischen Gemeindezweigs. Wenn im Folgenden verkürzt von der „Londoner Flüchtlingstradition“ die Rede ist, so bezieht sich dies also auf diejenigen theologischen Schriften, die in der niederländischen Flüchtlingsgemeinde in den Jahren 1550 bis 1553 bzw. in ihrem unmittelbaren historischen Kontext entstanden.4 2 Der Begriff „Katechismus“ wurde im 16. Jahrhundert noch nicht als feststehender literarischer Gattungsbegriff verwendet. Vielmehr bezeichnete er allgemein den Stoff des kirchlichen Unterrichts in der Tradition der altkirchlichen Taufunterweisung, dann im Besonderen auch ein Lehrbuch, das der Unterweisung in die zentralen Lehrstücke des christlichen Glaubens dient. Es umfasste im Allgemeinen eine Auslegung der Zehn Gebote, des Glaubensbekenntnisses und des Vaterunsers, an die weitere Lehrstücke wie Taufe und Abendmahl angelagert sein konnten. Kennzeichen ist häufig eine dialogische Struktur als rhetorischer Nachstellung des Unterrichtsgesprächs, möglich sind jedoch auch ausschließlich referierende bzw. auslegende Formen, vgl. exemplarisch nur den Nürnberger Katechismus von 1533 (Catechismus oder Kinder-Predig, Reu I.1, 462–564). Zur Begriffsgeschichte vgl. Fraas, Art. Katechismus (TRE), 710f. 3 Diese Benennung ist insofern ungenau, als die Niederlande als territoriales Gebilde um 1550 formell nach wie vor zum Heiligen Römischen Reich gehörten, selbst wenn die Provinzen unter Karl V. einen rechtlichen Sonderstatus erlangt hatten (zur rechtlichen Stellung vgl. Parker, Aufstand, 22–26). Selbiges gilt für das Niederländische als eigenständige Sprache, die zur Zeit der Londoner Gemeinde gerade erst im Prozess der Herausbildung begriffen war. Der niederländische Zweig der Londoner Flüchtlingsgemeinde bestand vor allem aus Flamen, der französischsprachige aus Wallonen, darüber hinaus jedoch auch aus Flüchtlingen aus Frankreich selbst (zur Zusammensetzung der Gemeinde vgl. Pettegree, Communities, 77– 112). 4 Von der Londoner Tradition im hier gebrauchten Sinne zu unterscheiden ist insbesondere die Tradition der wallonischen Fremdengemeinde aus Glastonbury, der Val8rand Poullain als Superintendent vorstand. Obgleich sich in den späteren Auflagen von Poullains Liturgia sacra Überschneidungen in den Formularen zur Ämterwahl und zur Kirchenzucht mit der Londoner Ordnung ergeben, handelt es sich doch um ein eigenständiges Werk, das entscheidende
Thema und Vorklärungen
15
Dass die Schriften aus der Londoner Flüchtlingstradition bei der Abfassung von HK und KKO eine Rolle spielten, ist in der Forschung verschiedentlich auf die 1562 ins leerstehende Kloster Frankenthal übergesiedelten Glaubensflüchtlinge bzw. im Besonderen auf ihren Prediger Petrus Dathenus (1531/32–1588) zurückgeführt worden.5 Eine vorläufige Berechtigung erhält diese Zuschreibung durch die Biographie des Niederländers. Kein anderer zeitgenössischer Theologe der Kurpfalz repräsentierte die Londoner Flüchtlingstradition so ungebrochen wie Dathenus, der in London seine theologische Ausbildung erhalten und als Prediger der Frankfurter Flüchtlingsgemeinde einige Zeit unmittelbar mit Johannes a Lasco zusammengearbeitet hatte. Noch im Jahr 1563 übersetzte er den HK ins Niederländische. Im Jahr 1564 nahm er im Auftrag Friedrichs III. gemeinsam mit Zacharias Ursinus (1534–1583), Caspar Olevianus (1536–1587), Michael Diller (gest. 1570) und Petrus Boquinus (gest. 1582) am sog. Gespräch zu Maulbronn teil, dem vorerst letzten Versuch kurpfälzischer und württembergischer Theologen, eine Einigung in der umstrittenen Abendmahlsfrage zu erreichen. Seit 1569 diente Dathenus Kurfürst Friedrich III. als Hofprediger und als Gesandter in diplomatischen Angelegenheiten. Mit großer Wahrscheinlichkeit präsidierte er dem Konvent zu Wesel (1568) und war maßgeblich bei der Organisation der Synode von Emden (1571) beteiligt. In Wesel und Emden trafen sich Vertreter der verschiedenen niederländischen Flüchtlingsgemeinden in Deutschland und der niederländischen Untergrundgemeinden, um in Theologie und Gemeindeordnung eine möglichst umfassende Übereinstimmung zu erzielen. Dass die Synode den deutschen und niederländischen Gemeinden den HK zur Verwendung empfahl,6 ging wohl in nicht unbeträchtlichem Maße auf Dathenus’ Einfluss zurück. Erscheint es vor diesem Hintergrund naheliegend, die Rezeption der Londoner Flüchtlingstradition in HK und KKO Dathenus zuzuschreiben, so bleibt ein solcher Zusammenhang in den bisherigen Forschungsbeiträgen doch im Bereich des Hypothetischen. Dies hängt nicht nur mit der desolaten Quellensituation für die Kurpfalz in den Jahren um 1563 zusammen, die exakte Aussagen Impulse insbesondere von der Ordnung der Straßburger Flüchtlingsgemeinde aufgenommen hat. Auch Poullains Ordnung wurde offenbar neben anderen Quellen bei der Abfassung der KKO herangezogen. Zur Liturgia sacra vgl. insbes. Honders, Pollanus, 1–23. 5 Vgl. z. B. Gooszen, Catechismus, Inl. 53–61; Thompson, Church Order, 14; Goeters, in: EKO XIV, 45f.; Gunnoe, Erastus, 115f.; ders., Origins, 152f.; Neuerdings hat Christoph Strohm die Frage nach einem Einwirken von Dathenus auf die Messpolemik von HK 80 aufgeworfen (vgl. Strohm, Entstehung, 415f.). Vgl. auch Teil Drei, Kapitel 2.3. 6 „Catechismi formulam in ecclesiis quidem Gallicanis Genevensem, in Teutonicis vero Heydelbergensem sequendam duxerunt fratres, sic tamen, ut, si quae ecclesiae alia catechismi formula verbo Dei consentanea utantur, necessitate illius mutandae non astringantur.“ (Goeters, Akten, 16) Zur raschen Verbreitung des HK in den Niederlanden vgl. auch van der Pol, Verbreitung.
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Einleitung
über den Verfasserkreis von HK und KKO erschwert, sondern auch mit dem fehlenden Forschungskonsens in der Frage, in welchem Umfang und mit welcher Absicht das aus der Londoner Flüchtlingsgemeinde stammende Material in den HK und die KKO eingearbeitet wurde. Dazu gesellt sich eine Unkenntnis über die Einzelheiten von Biographie und Theologie des Niederländers, insbesondere im Hinblick auf sein Leben vor 1563. In Anbetracht dessen geht es im Folgenden um ein zweifaches Ziel: Erstens sollen Umfang und Charakter der Rezeption der Londoner Flüchtlingstradition im HK und der KKO genauer als bisher geschehen bestimmt werden. Zweitens soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern es plausibel erscheint, dass Dathenus bei der Abfassung des HK und der KKO einen Einfluss geltend machte, der die intensive Rezeption der Londoner Flüchtlingstradition erklären könnte. Damit wird ein Beitrag zur Aufhellung der Traditionsprozesse geleistet, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zur schrittweisen Herausbildung einer reformierten Konfession in der Kurpfalz führten.
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Quellen
Die in der Folge herangezogenen Quellen lassen sich nach Entstehungsort und Verfasserschaft in drei Gruppen unterteilen. So bilden erstens HK und KKO die zentralen Referenzpunkte der traditionsgeschichtlichen Untersuchung, denen zweitens die katechetische und ordnungstheologische Literatur aus der Londoner Flüchtlingsgemeinde und drittens die Schriften des Petrus Dathenus vergleichend gegenübergestellt werden.7 Der HK wurde im Jahr 1563 in unterschiedlichen Druckfassungen veröffentlicht, die in nicht unerheblicher Weise voneinander abweichen. Die erste Ausgabe erschien in unmittelbarem Anschluss an die Januarsynode von 1563, nachdem der Katechismus vom größten Teil der kurpfälzischen Superintendenten und Kirchenräte gebilligt und seine Verwendung durch Friedrich III. per Dekret angeordnet wurde.8 Offenbar nur wenig später folgte eine zweite Ausgabe, die sich insbesondere durch eine Erweiterung des Fragestücks (im Folgenden: Fr) 36 und die Hinzufügung des Fr 80 über den Unterschied zwischen Messe und Abendmahl, von der vorhergehenden Fassung unterscheidet.9 In der 7 In der Folge wird lediglich ein kurzer Überblick über die herangezogenen Quellen gegeben. Eine ausführliche Kontextualisierung erfolgt in den entsprechenden Abschnitten der Arbeit. 8 Catechismus oder christlicher underricht, wie der in kirchen und schulen der churfürstlichen Pfaltz getrieben wird, Reu I.1, 241–268. Beschreibung des Titelblattes durch Goeters, in: EKO XIV, 41. 9 Titel wie Anm. 8. Beschreibung des Titelblattes durch Goeters, in: EKO XIV, 42.
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sog. dritten Auflage bzw. Ausgabe,10 die spätestens Anfang April in den Druck gegangen sein musste,11 wurde das letztgenannte Fr dann noch einmal erweitert und verschärft. Sie markiert den Endpunkt der Textentwicklung, insofern sie das Kernstück der KKO bildet und die späteren Nachdrucke ihr in aller Regel folgen.12 Über die Abweichungen der drei Ausgaben informieren im Einzelnen die kritischen Editionen von August Lang13 und J. F. Gerhard Goeters.14 Letzterer folgt diese Studie. Noch im Jahr 1563 erschien eine lateinische15 und zwei niederländische Übersetzungen, eine davon durch Petrus Dathenus angefertigt.16 In engem Zusammenhang mit dem HK entstand die KKO, die zwar erst am 15. November 1563 durch Friedrich offiziell in Kraft gesetzt wurde, deren Erarbeitung jedoch spätestens 1562, also etwa zeitgleich mit dem Katechismus, begann.17 Sie bildete ein zentrales Moment im Bemühen Friedrichs um Konsolidierung und Normierung seiner Religionspolitik, insofern sie die von Ottheinrich 1556 eingeführte Ordnung ersetzte und die verschiedenen, in der Kurpfalz in Gebrauch stehenden Katechismen vereinheitlichen sollte. Daneben beschränkte sie sich jedoch auf die Neuregelung der liturgischen Vollzüge: Bestimmungen zur Ämterbesetzung folgten erst ein Jahr später in der Kirchenratsordnung. Über die Einführung der Kirchenzucht entbrannte ein langwieriger Streit unter den kurpfälzischen Theologen und Politikern, den Friedrich erst im Jahr 1570 mit dem Edikt über die Kirchendisziplin beendete.18 Auf Grund der
10 In der Forschung hat sich mit Blick auf die Entstehung des HK die Rede von drei „Auflagen“ etabliert. Für die sog. dritte Auflage lässt sich jedoch ein veränderter Drucksatz nicht konstatieren, vielmehr wurden lediglich in den vorhandenen Bögen Korrekturen (bzw. im Fall von HK 80 Ergänzungen) vorgenommen (zum Problem vgl. Henß, Katechismus, 24). Der Erweiterung von Fr 80 kommt gleichwohl solche Signifikanz zu, dass zumindest die Rede von drei verschiedenen „Ausgaben“ des HK gerechtfertigt scheint. 11 Die Datierung basiert im Wesentlichen auf dem brieflichen Zeugnis von Caspar Olevianus, der am 3. April 1563 an Calvin ein lateinisches Exemplar des HK schickte (CR 47 [CO 19]), 683f.). Die überlieferte lateinische Fassung enthält bereits das erweiterte Fr 80. 12 Zur weiteren Druckgeschichte vgl. Maag, Editions und Gruch, Drucke. 13 Lang, Katechismus, 1–52. 14 EKO XIV, 342–368. 15 Catechesis religionis christianae, quae traditur in ecclesiis et scholis Palatinatus, Heidelberg 1563. Die Übersetzung wurde wahrscheinlich durch Josua Lagus und Lambert Ludolf Pithopoeus angefertigt; vgl. Alting, Historia, 190; danach Goeters, in: EKO XIV, 42f. u. a. 16 Das einzige Exemplar des Erstdruckes der Dathenus-Übersetzung aus dem Jahr 1563 befand sich im Besitz des niederländischen Kirchenhistorikers J.I. Doedes, der es 1881 edierte; vgl. Doedes, Catechismus op nieuw overgezet. 17 So berichtet Ursinus dem Züricher Arzt und Humanisten Conrad Gessner in einem Brief vom 22. März 1562 bereits von den laufenden Arbeiten am HK und der KKO, vgl. Wesel-Roth, Erastus, 132 Anm. 71. 18 Dabei ging es um die Frage, ob die Kirchenzucht von den weltlichen Autoritäten oder, nach dem Genfer Modell, allein von der Kirche auszuüben sei. Ersteres war die Auffassung von Thomas Erastus und seinen Anhängern, letzteres diejenige von Olevianus und auch
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Stellung, die der HK als zentrales kurpfälzisches Lehrdokument in der KKO einnimmt, stellte sie jedoch gleichwohl einen entscheidenden Schritt beim Übergang der Kurpfalz zum reformierten Bekenntnis dar. Die KKO wurde im Zuge der Neuedition der Evangelischen Kirchenordnungen (EKO) 1969 in der Bearbeitung von J.F. Gerhard Goeters herausgegeben.19 Die vorliegende Studie folgt dieser Ausgabe. Die zweite verwendete Quellengruppe besteht vor allem aus den vier Katechismen und den beiden Darstellungen der Gemeindeordnung, die in der Londoner Fremdengemeinde bzw. unmittelbar nach ihrem Ende entstanden. Der große Katechismus von 1551 stellt eine Übersetzung eines nicht überlieferten, von a Lasco bereits in Ostfriesland verfassten Katechismus dar – daher sachlich nicht ganz angemessen zuweilen auch „Großer Emder Katechismus“ genannt. Da dieser sich mit seinen 250 Fr als für die Unterweisung der kleineren Kinder als ungeeignet erwies, ergänzte man ihn bereits 1552 durch einen von Marten Micron (1523–1559) verfassten kleineren Katechismus. Nicht als Unterrichtsbuch für die Jugend, sondern als Bekenntnis der erwachsenen Erstkommunikanten vor dem Abendmahl konzipiert war der kürzeste der aus der Londoner Fremdengemeinde erhaltenen Katechismus, die Korte ondersoeckinge des gheloofs. Im Jahr 1553 erstmals gedruckt, fand er in die beiden Darstellungen der Londoner Gemeindeordnung Aufnahme, die jeweils von Marten Micron und Johannes a Lasco nach dem vorläufigen Ende der Londoner Flüchtlingsgemeinde 1553 veröffentlicht wurden. A Lascos Fassung weicht dabei nicht nur in Bezug auf die verwendete lateinische Sprache, sondern auch in einigen Formulierungen und in der Anzahl der Fr von derjenigen Microns ab. In der Folge wird in der Regel die niederländische Version grundgelegt, die lateinische Fassung a Lascos jedoch bei Bedarf herangezogen. Die drei genannten Katechismen, der große Katechismus von 1551, Microns Katechismus von 1553 und die Korte ondersoeckinge haben ihren Ursprung unmittelbar in der Londoner Fremdengemeinde. Dies gilt nicht für den vierten in der Folge verwendeten Katechismus, den (kleinen) Emder Katechismus von 1554. Dieser entstand erst nach der Übersiedlung eines Teils der Londoner Gemeinde nach Emden. Jedoch rechtfertigt es die Beteiligung a Lascos an dessen Verfasserschaft, seine Abhängigkeit von den genannten Londoner Katechismen und die enge Verflechtung seiner Entstehungsgeschichte mit dem Schicksal der Londoner Glaubensflüchtlinge, ihn für die durchzuführende Untersuchung heranzuziehen. Ähnliches gilt für die beiden Darstellungen der Londoner Gemeindeordnung: Sowohl Microns Ordinancien von 1554, als auch Johannes a Dathenus. Vgl. dazu auch die in Teil Zwei, Kapitel 2.2.1 genannte Literatur (S. 162, Anm. 293). 19 Vgl. EKO XIV, 333–408.
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Lascos Forma ac ratio von 1555 wurden nach dem vorläufigen Ende der Flüchtlingsgemeinde 1553 gedruckt. Der Bezug zur Londoner Gemeinde tritt hier allerdings bereits im Titel der beiden Darstellungen deutlich zu Tage.20 Eine letzte verwendete Quelle aus der Londoner Fremdengemeinde fällt etwas aus dem Rahmen, insofern sie sich weder der Gattung „Katechismus“ zuordnen lässt, noch einfach die Ordnung der Londoner Gemeinde wiedergibt. Beim Compendium doctrinae handelt es sich zunächst um eine mit apologetischem Interesse herausgegebene Darstellung der Lehre der Gemeinde, in die jedoch ein kurzer Abriss ihrer Ämterstruktur integriert wurde. Angehängt wurden darüber hinaus in Gestalt der Forma precum einige liturgische Formulare des Sonntagsgottesdienstes. Der größte Teil der genannten Quellen fand Eingang in die von Abraham Kuyper im Jahr 1866 angefertigte Edition der Werke Johannes a Lascos. Dies gilt für den großen Katechismus von 1551, das Compendium doctrinae von 1551, die Korte ondersoeckinge von 1553, den Emder Katechismus von 1554 und die Forma ac ratio von 1555.21 Microns kleiner Katechismus von 1552 wird zitiert nach der in Langs Edition einiger dem HK „verwandter Katechismen“ aufgenommenen Fassung von 1559.22 Der Auseinandersetzung mit den Ordinancien liegt die Edition W.F. Dankbaars aus dem Jahr 1956 zugrunde.23 Anders als die Quellen aus der Kurpfalz und der Londoner Fremdengemeinde ist die dritte Quellengruppe, die Schriften des Petrus Dathenus, editorisch kaum erschlossen.24 Eine Ausnahme stellt die 1871 durch J.I. Doedes herausgegebene 20 Dies bedeutet freilich nicht, dass Micron und a Lasco die Londoner Gemeindeordnung einfach „eins zu eins“ wiedergeben. Beide haben wohl Kürzungen bzw. Ergänzungen vorgenommen. Vgl. dazu Teil Zwei, Kapitel 2.1.1. 21 Vgl. Kuyper II, 341–475.285–339.477–492.495–543.1–283. Das Compendium doctrinae auch in: Reformierte Bekenntnisschriften 1/3, 64–77 („Niederländer Bekenntnis, London 1550/ 1551; Bearb. Andreas Mühling). Dort ebenfalls die Korte ondersoeckinge nach dem Druck von 1555, vgl. a. a. O., 281–294 (Bearb. J. Marius J. Lange van Ravenswaay) und der Emder Katechismus von 1554, vgl. a. a. O., 304–328 (Bearb. Alfred Rauhaus). Diese Arbeit folgt jeweils der Edition Kuypers. 22 Vgl. Lang, Katechismus, 117–149. 23 Vgl. Dankbaar, Micron; die deutsche Übersetzung von 1565 in EKO VII.2.1, 579–667 (Bearb. Anneliese Sprengler-Ruppenthal). 24 Einen Überblick über die erhaltenen Schriften bietet Ruys, Dathenus, 226–283. Neben den in der Folge genannten Titeln verdienen noch die Kurtze und Warhafftige Erzelung von 1563 und der Libellus supplex von 1570 eine Erwähnung. Die Kurtze und Warhafftige Erzelung beschreibt in apologetischer Weise den Konflikt der niederländischen Fremdengemeinde mit den Stadtpredigern in Frankfurt aus der Perspektive von Dathenus. Der anonym veröffentlichte Libellus supplex stellt eine offizielle Bittschrift an den 1570 in Speyer abgehaltenen Reichstag dar, sich für die unter den spanischen Truppen leidenden Niederländer einzusetzen. Die von Ruys u. a. vermutete Abfassung durch Dathenus wurde in jüngerer Zeit durch D. Nauta in Zweifel gezogen: Nicht er, sondern Philipp von Marnix müsse als Verfasser der Schrift angesehen werden (vgl. Nauta, Libellus). Während die Kurtze und Warhafftige
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Christelijke Samenspreking aus dem Jahr 1585 dar, die 1988 unter Anpassungen an den modernen (niederländischen) Sprachgebrauch nachgedruckt wurde.25 Verwendet wird in der Folge die ältere, sprachlich näher am Original stehende Edition von Doedes. Verschiedene Nachdrucke erfuhr daneben die sich in den Niederlanden über Jahrhunderte hinweg größter Popularität erfreuende Psalmberijming. Ihr Erstdruck von 1566, dem neben dem Dathenus-Psalter auch die Übersetzung des HK ins Niederländische und die in Frankenthal verwendete Liturgie beigefügt waren, liegt seit 1992 als Faksimile in gedruckter Form vor. Von allen anderen Schriften existiert kein Nachdruck neueren Datums, sie sind jedoch durch die Digitalisierungsbestrebungen der letzten Jahre, insbesondere im Zuge des Projekt zur Digitalisierung der im deutschen Sprachbereich des 16. Jahrhunderts erschienen Drucke (VD 16), zum allergrößten Teil online verfügbar.26 In der Folge herangezogen werden die drei in Frankfurt im Kontext der Debatte um das Wormser Religionsgespräch von 1557 entstandenen polemischen Schriften.27 Ebenfalls in Frankfurt verfasste Dathenus die Christelijke verantwoordinghe28, mit der er sich literarisch an einer Auseinandersetzung um den Zusammenhang von Taufe und Kirche innerhalb der Antwerpener Gemeinde beteiligte. Aus seiner Zeit in der Kurpfalz wird exemplarisch die Bestendige Antwort im Hinblick auf die darin zu Tage tretende Abendmahlstheologie untersucht. Mit der Frankfurter Stadtpredigerschaft als ihrem ersten Adressaten verweist die Schrift zurück auf den Frankfurter Kontext. Aufschlussreich für die Herausarbeitung von Dathenus’ Theologie ist zudem das Protokoll des 1571 in Frankenthal mit Vertretern von Täufergruppen geführten Religionsgesprächs.29 Dathenus war mit größter Wahrscheinlichkeit am Zustandekommen des Gesprächs beteiligt und vertrat darin maßgeblich die kurpfälzische Seite. Zur
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Erzelung insbesondere im ersten Teil herangezogen wird, empfiehlt es sich in Anbetracht der offenen Verfasserfrage von der Verwendung des Libellus supplex abzusehen. Vgl. Doedes, Samenspreking. Ausführliche Angaben zu den einzelnen Titeln im Quellenverzeichnis. Die den einzelnen Drucken im VD 16 zugeordnete Nummer wird, falls vorhanden, jeweils angegeben. Brevis ac perspicua […] Refutatio, s.l., 1558; Compendiosa et diserta ad annotationes Papistae cuiusdam anonymi […] responsio, s.l. 1558; Ad Bartholomaei Latomi Rhetoris calumnias […] Petri Dathaeni Responsio Prima. Cuius secunde iam editionis ratio in Epistola prefixa redditur etc., Frankfurt (Main) 1560. Erhalten ist lediglich ein Druck von 1582: Een Christelijcke verantwoordinghe op die Disputacie, ghehouden binnen Audenaerde etc., Antwerpen 1582. Das Vorwort endet mit der Angabe „Ghegheue[n] tot Franckenthal aen die Meyne [sic!], den 1. van Meye 1559 by my aller Christenen goetwillighe Dienaer Peeter Dathenu[m]“. Die Ortsangabe erklärt sich am einfachsten aus einem Fehler des Herausgebers, der anstellte von „Frankfurt“ Dathenus’ späteren Exilsort „Frankenthal“ liest. Protocoll. Das ist, Alle handlungen des gesprechs zu Frankenthal inn der Churfürstlichen Pfalz etc., Heidelberg (Johann Mayer) 1571.
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biographischen und theologischen Einordnung des Niederländers ist schließlich seine Korrespondenz ausschlaggebend.30 Die Schriften von Dathenus unterscheiden sich von den beiden zuvor genannten Quellengruppen im Hinblick auf die Disparatheit der in ihr vertretenen Gattungen. Wurden in diesen nur Katechismen und Kirchenordnungen bzw. Ordnungsentwürfe zusammengefasst, so findet sich in jener ein vergleichsweise breites Gattungsspektrum vertreten, das sowohl kontroverstheologische, wie liturgische, wie paränetisch als Lehrgespräch gestaltete Schriften umfasst. Ein traditionsgeschichtlicher Vergleich wird diesen Sachverhalt berücksichtigen müssen.
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Die Londoner Flüchtlingsgemeinde wie auch die in ihrem Umfeld entstandenen Schriften bilden seit mehr als einem Jahrhundert Gegenstand historischer Forschung. Nach der grundlegenden komparativen Studie Aart A. van Schelvens31 zu den niederländischen Flüchtlingsgemeinden in Ostfriesland, England, Frankfurt und der Kurpfalz war es in jüngerer Zeit insbesondere Heinz Schilling, der aus sozialgeschichtlicher Perspektive die enge Verflechtung der europäischen Fremdengemeinden und ihren Einfluss auf das internationale politische System der Frühen Neuzeit herausarbeitete.32 Mit der Rolle der für die Herausbildung der niederländische Kirche bedeutsamen Emder Gemeinde befasste sich Andrew Pettegree in mehreren Beiträgen.33 Einem ähnlich breiten Ansatz folgt Ole Peter Grells Studie zum Netzwerk der reformierten Glaubensflüchtlinge, womit er seine frühere, auf die englischen Flüchtlingsgemeinden beschränkte Darstellung um eine europäische Perspektive erweitert.34 Diese komparativ angelegten Studien finden ihre Ergänzung in den unterschiedlichen Arbeiten zu den in der Londoner Gemeinde wirkenden Persönlichkeiten. Hingewiesen sei hier allein auf die biographischen und theologischen 30 Diese ist allerdings nur teilweise zugänglich. Neben den verschiedenen biographischen Arbeiten zu Dathenus wurde eine Anzahl von Briefen in einige Quellensammlungen zur niederländischen Geschichte aufgenommen. Hingewiesen sei auf die Briefe bei ter Haar, Specimen; Janssen, Dathenus; Ruys, Dathenus; Jaanus, Art. Dathenus; van Schelven, Vluchtelingenkerken; ders., Dathenus; Hessels, Archivum; Nauta, Bijzonderheden. Die gründliche Aufarbeitung des in den Archiven vermutlich noch vorhandenen Materials bliebe einer größeren biographischen Arbeit vorbehalten. 31 Vgl. Van Schelven, Vluchtelingenkerken. 32 Vgl. exemplarisch Schilling, Exulanten; ders., Konfessionskonflikt; ders., Fundamentalismus; ders., Staatsinteressen, 112–120. 33 Vgl. Pettegree, Communities; ders., Emden. 34 Vgl. Grell, Brethren; ders., Exiles.
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Untersuchungen zur Person Johannes a Lascos als zentraler Gestalt der Gemeinde. Die aus dem 19. Jahrhundert stammende Biographie Herman Daltons wurde zum einen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch Oskar Bartels, zum anderen in jüngerer Zeit durch Henning P. Jürgens ergänzt. Jürgens legt dabei den Schwerpunkt auf das Wirken des polnischen Reformators in Ostfriesland in den Jahren 1542 bis 1549. Die theologische Einordnung a Lascos erfolgte über das in den Biographien Gesagte hinaus in kleineren Studien und Aufsätzen,35 daneben auch in den Untersuchungen seiner Darstellung der Londoner Gemeindeordnung, der Forma ac ratio. Zu nennen sind insbesondere die Arbeiten Anneliese Sprengler-Ruppenthals, die nicht allein im Rahmen der Edition der Ordinancien in den Evangelischen Kirchenordnungen eine genaue überlieferungsgeschichtliche Einordnung geleistet, sondern auch die hinter den sakramentalen Vollzügen der Gemeinde stehenden theologischen Konzepte herausgearbeitet hat.36 Ihre Fortsetzung fand dieses Bemühen um theologische Durchdringung der Londoner Ordnungsdarstellungen jüngst zum einen in der Arbeit Michael S. Springers, der die Spezifika der Forma ac ratio in Beziehung zu anderen reformierten Kirchenordnungen setzt, sowie in der ausführlichen Untersuchung Judith Beckers zur Kirchenzucht in den Londoner und Emder Flüchtlingsgemeinden.37 Die in der Londoner Gemeinde in Gebrauch stehenden Katechismen werden in der genannten Literatur zum Teil ebenfalls besprochen, eine ausführliche traditionsgeschichtliche Untersuchung existiert bislang allerdings allein für den Emder Katechismus von 1554 in der von Alfred Rauhaus vorgelegten Arbeit. Leitend für Rauhaus ist die Frage nach dem Anteil Johannes a Lascos bei der Abfassung des Katechismus. Im Unterschied zu a Lasco lassen sich zur Person von Dathenus nur einige wenige dezidierte Forschungsbeiträge ausmachen. Neben kurzen biographischen Abrissen in den einschlägigen Lexika38 und den älteren Vorarbeiten von Hubertus ter Haar39 und H.Q. Jansen40 stammt die umfangreichste biographische Untersuchung immer noch von Theodorus Ruys.41 Auf ihr basiert im We35 36 37 38
Vgl. insbes. Strohm, a Lasco. Vgl. EKO VII.2.1, 552–578 und Sprengler-Ruppenthal, Mysterium. Vgl. Becker, Gemeindeordnung. Vgl. Kraus, Dathenus (ergänzt durch Van den Velden, Dathenus); van Schelven, Art. Dathenus (NNBW); Cuno, Art. Dathenus (RE3); Bauer, Art. Dathenus (Altpreußische Biographien); Kraft, Art. Dathenus (NDB); Jaanus, Art. Dathenus (Documenta Reformatoria); Christmann, Dathenus; Bautz, Art. Dathenus (BBKL); Nauta, Art. Dathenus (BLGNP); auf Grund sachlicher Mängel überholt: Martin, Art. Dathen (ADB). 39 Vgl. ter Haar, Specimen. Als einzige der in der Folge genannten biographischen Arbeiten versucht sich ter Haar an einem kurzen Abriss der Theologie des Niederländers. 40 Vgl. Jansen, Dathenus. Den Schwerpunkt der Arbeit bildet Dathenus’ Konflikt mit Wilhelm von Oranien im letzten Jahrzehnt seines Lebens. 41 Vgl. Ruys, Dathenus.
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sentlichen die Darstellung von Müller-Diersfordt in den Monatsheften für evangelische Kirchengeschichte des Rheinlands.42 Es ist das bleibende Verdienst Ruys’, angesichts erschwerter Forschungsbedingungen zur Zeit des Ersten Weltkrieges Dathenus’ Leben zum ersten Mal unter systematischer Heranziehung der verfügbaren gedruckten und brieflichen Zeugnisse aufgearbeitet zu haben. Gleichwohl ist festzustellen, dass die äußeren Gegebenheiten seinen Zugang zum Quellenmaterial einschränkten.43 Dem im Zuge des 450-jährigen Jubiläums der Stadt Frankenthal im Jahr 2012 entstandenen Beitrag von Gustav Adolf Benrath44 gelingt es durch die Untersuchung des Protokolls des Frankenthaler Religionsgesprächs von 1571 dann auch, über Ruys Arbeit hinauszugehen. Benrath arbeitet die enge Verflechtung von Dathenus’ Wirksamkeit in der Kurpfalz mit seinem Engagement für die Verbreitung des reformierten Bekenntnisses in den Niederlanden heraus. Trotz dieser wertvollen Ergänzung mangelt es nach wie vor an einer umfangreicheren biographischen Arbeit, die insbesondere die von Ruys nur skizzenhaft geschilderte Tätigkeit von Dathenus als politischer Gesandter Friedrichs III. aufarbeitet. Auf breiteres Interesse stieß in der Forschung hingegen die besondere Stellung der von Dathenus mitbegründeten Frankenthaler Fremdengemeinde, der der Niederländer bis zu seiner Berufung an den kurfürstlichen Hof im Jahr 1569 als Prediger diente. Frankenthal bildete nicht nur den Modellfall für die Gründung weiterer Fremdengemeinden auf dem Gebiet der Kurpfalz,45 sondern entwickelte sich nach dem Eintreffen weiterer Flüchtlingswellen aus den Niederlanden und Frankreich zu einem kulturellen und wirtschaftlichen Zentrum der Region – mit bedeutendem Tuch- und Goldschmiedehandwerk, Gobelinmanufaktur und einer eigenen Malerschule. Erst das Hereinbrechen des Dreißigjährigen Krieges bereitete der Blüte der Stadt ein jähes Ende. Eine ganze Reihe von lokal-46, wirtschafts-47 und sozialgeschichtlichen Forschungsarbei42 Vgl. Müller-Diersfordt, Calvinismus. 43 So konnte beispielsweise D. Nauta Ende der achtziger Jahre einige in Ruys Arbeit nicht genannte Briefe in den Archiven ausfindig machen; vgl. Nauta, Bijzonderheden. 44 Vgl. Benrath, Dathenus. 45 So entstanden die Gemeinden in Schönau (1562), St. Lambrecht (1568) und Otterberg (1579) wie Frankenthal um leerstehende Klöster. 46 Eine Einordnung Frankenthals in den übergreifenden Zusammenhang der Entstehung kurpfälzischer Fremdengemeinden leisten Kohnle, Kurpfalz; Paul, Pfalz; Kuby, Gründe; Raff, Refugium; Kaller, Exulantensiedlungen; Cuno, Fremdengemeinden. Hier ergeben sich auch Anknüpfungspunkte zur Hugenottenforschung: vgl. Hermann, Werden; Kuby, Hugenotten und Andr8, Refugi8s. Zur ersten Frankenthaler Kapitulation und den ihr nachfolgenden Verträgen vgl. Hürkey, Christmann, Kapitulationen und Hussong, Geburtsurkunde, auch Kaller, Exulantensiedlungen. Die erste Kapitulation selbst findet sich abgedruckt bei Hildenbrand, Quellen, 4–12. 47 Mit den verschiedenen Phasen von Aufschwung und Niedergang Frankenthals und der ansässigen Fremdengemeinden beschäftigen sich vor allem regionalgeschichtlich orientierte
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ten48 beschäftigt sich mit den etappenweise durch den Zustrom an Flüchtlingen ausgelösten Entwicklungsschüben der Stadt. Die Kirchenhistorische Forschung stellt demgegenüber stärker die Bedeutung der Gemeinde für die zentralen theologischen Weichenstellungen der im Entstehen begriffenen niederländischen Kirche und die Herausbildung einer reformierten konfessionellen Identität ins Zentrum.49 Eine ausführliche Betrachtung der umfangreichen Forschungsgeschichte zum HK würde an dieser Stelle zu weit führen.50 Da dieselbe jedoch in weiten Teile mit der Frage nach der Entstehung des HK und der KKO eng verknüpft ist, sei hier zumindest ein Überblick gegeben. Die reiche Forschungsentwicklung in den Niederlanden und im angloamerikanischen Raum muss dabei, ebenfalls mit Rücksicht auf den Umfang des Einleitungsteils, weitestgehend außer Acht bleiben, wenngleich auf einzelne, für die Arbeit relevante Beiträge gleichwohl hingewiesen werden soll. Durch die Verwerfungen des Dreißigjährigen Krieges und des pfälzischen Erbfolgekrieges im 17. Jahrhundert ist entscheidendes Quellenmaterial zur Arbeiten. An neuerer Literatur ist an erster Stelle die gerade erschienene umfangreiche Stadtgeschichte Frankenthals zu nennen, die in Einzelaufsätzen der Bogen von der Steinzeit bis in die Gegenwart spannt (vgl. Christmann, Frankenthal, darin insbes. Hürkey, Stadt). Vgl. für die Reformationszeit weiterhin die Beiträge im Katalog zur Ausstellung „Kunst, Kommerz, und Glaubenskampf“ im Frankenthaler Erkenbert-Museum aus dem Jahr 1995 (vgl. Hürkey [Hg.], Kunst). Daneben existiert eine nicht unbeträchtliche Zahl von Einzelaufsätzen zur Ansiedlung der reformierten Glaubensflüchtlinge: vgl. z. B. Christmann, Migrationsziel; ders., „Flecken“; ders., Kirchengemeinde; Kaller, Gesellschaft; ders., Bevölkerung; Amberger, Frankenthal; Biundo, Geschichte. Dank der regen Tätigkeit des Frankenthaler Altertumsvereins ist auch eine Reihe durchaus lesenswerter älterer Literatur zur Stadtgeschichte verfügbar, vgl. z. B. Franz, Geschichte und Cuno, Geschichte. 48 Maßgeblich beeinflusst wurde die sozialgeschichtliche Forschung mit Blick auf die Fremdengemeinden durch die Dissertation Heinz Schillings. In ihr versucht Schilling die materiellen und geistigen Faktoren und ihre jeweiligen Interdependenzen herauszuarbeiten, die für das Gelingen bzw. Scheitern von Ansiedlungsprozessen verantwortlichen waren (vgl. Schilling, Exulanten). Um die genaue Erfassung der verschiedenen Migrationswege der Exulanten bemüht sich Elisabeth Büftering in ihrem 1987 erschienen Aufsatz, in den sie auch umfangreiches Material aus Frankenthal einarbeitet (vgl. Büftering, Exulanten; mit besonderer Zuspitzung auf Frankenthal vgl. dies., Exulanten in Frankenthal). 49 Das Interesse an dem Beitrag der Fremdengemeinden zur Herausbildung fester kirchlicher und theologischer Strukturen teilt eine Reihe von Autoren. Hervorzuheben sind insbesondere die bereits genannte grundlegende Arbeit von A. A. van Schelven (Van Schelven, Vluchtelingenkerken), sowie die umfangreiche Studie von Philipp Denis zu den Fremdengemeinden im Rheinland, die auch den pfälzischen Gemeinden einen eigenen Abschnitt widmet (vgl. Denis, Pglises, 391–398). Vgl. daneben auch van Roosbroeck, Emigranten; mit Zuspitzung auf Frankenthal ders., Glaubensflüchtlinge. Die Frage nach der Rolle Frankenthals im Zuge der Herausbildung einer reformierten Identität stellt insbesondere Judith Becker (Becker, Kirchenordnung). 50 Eine umfassende Sammlung von Literatur bietet die von der Faculteit der Godgeleerdheid Leiden eingerichtete Seite zum HK (www.heidelbergsecatechismus.nl).
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Aufhellung der Entstehungsgeschichte des HK wie die Kirchenratsprotokolle und die Akten der beiden Synoden Ende 1562 und Anfang 1563 verlorengegangen. Lange Zeit griff man daher zur Rekonstruktion der Ereignisse vor allem auf Heinrich Altings (1583–1644) Anfang des 17. Jahrhunderts abgefasste Historia Ecclesiastica Palatina zurück. Die darin formulierte These, Zacharias Ursinus und Caspar Olevianus seien die beiden Hauptverfasser des HK,51 erwies sich bis weit ins 20. Jahrhundert als der wirkmächtigste Erklärungsversuch seiner Genese. Eine Beteiligung des 1561 vom Kurfürsten als Lehrer für Loci praecipui theologici an das Sapienzkolleg nach Heidelberg berufenen Theologen Zacharias Ursinus52 konnte Alting mit gutem Grund annehmen, war er doch „qua Amt“ die erste Adresse, wenn es darum ging, einen einheitlichen kurpfälzischen Katechismus zu erarbeiten. Schon vor Alting benannte Quirinius Reuter (1558–1613) zwei maßgebliche Vorarbeiten aus Ursinus’ Feder : eine ausführliche, für den Unterricht von Studenten konzipierte Summa Theologiae53 (im Folgenden Ma), und eine kürzere Catechesis Minor54 (im Folgenden Mi) zur Unterweisung von Kindern und des einfachen Volkes.55 Alting übernahm diese Angaben Reuters: Gemeinsam mit einer Erklärung des Gnadenbundes des aus Trier stammenden Theologen Caspar Olevianus’56 bildeten Ursinus’ Vorarbeiten die Quellen des HK, der auf einer Synode Ende 1562 durch die pfälzischen Theologen gebilligt worden sei. Die Arbeiten aus dem 18. Jahrhundert, wie Burkard Gotthelf Struves Ausführlicher Bericht von der Pfälzischen Kirchenhistorie57 (1721) und die Monumenta Pietatis58 (1701) Christian Ludwig Miegs folgten in der Regel Altings Darstellung, bisweilen unter ergänzender Hinzuziehung zeitgenössischer Quellen. Auch die Forschung des 19. Jahrhunderts weicht davon grundsätzlich nicht ab, verknüpfte jedoch mit der Frage nach der Verfasserschaft des HK häufig aktuelle kirchenpolitische Interessen. Die Bedeutung und der Umfang der 51 Vgl. Alting, Historia, 189. 52 Zu Ursinus vgl. Sudhoff, Olevianus; Sturm, Ursinus; Visser, Ursinus; Neuser, Väter ; HutterWolandt, Art. Ursinus (BBKL); Burchill, Consolation; Ehmann, Ursinus; zur Theologie insbesondere Metz, Necessitas. Eine umfassende Darstellung der Theologie des (späten) Zacharias Ursinus lieferte jüngst Wagner-Peterson, (Doctrina); mit Blick auf den HK vgl. darin insbes. 346–348. Auffällig ist Wagner-Petersons Zurückhaltung gegenüber einer vorschnellen Zuschreibung des Titels „Hauptautor“ an Ursinus. 53 Vgl. Lang, Katechismus, 151–199. 54 Vgl. Lang, Katechismus, 200–218. 55 Vgl. Reuter, in: Opera I, 10f. 56 Zu Olevianus vgl. Sudhoff, Olevianus; Menk, Olevian; Mühling, Olevian; ders., Überlegungen (Forschungsstand bis 2010); Wittmütz, Art. Olevian (BBKL). Zur Theologie vgl. insbesondere Bierma, Calvinism; Clark, Olevianus; Hufnagel, Position und Goeters, Olevianus. 57 Vgl. Struve, Bericht. 58 Vgl. Mieg, Monumenta.
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Einleitung
Rolle, die Ursinus und Olevianus jeweils beigemessen wurde, hing in hohem Grade von der Prägung der jeweiligen Historiker ab: Stellten konfessionell reformiert geprägte Kirchenhistoriker wie der Frankfurter Pfarrer Karl Jakob Sudhoff (1820–1860) gerne die Bedeutung der Überarbeitung des Katechismus durch den Calvin-Schüler Olevianus heraus – und sahen den HK fest in der reformierten Tradition verwurzelt –,59 so betonten unionistisch gesinnte Forscher wie der Marburger Kirchenhistoriker Heinrich Heppe (1820–1879) demgegenüber die Leistung des in seiner Einschätzung irenisch ausgerichteten Ursinus und konstatierten ein deutliches Übergewicht melanchthonischer Theologie im HK.60 Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts trat die Frage nach dem konfessionellen Charakter des Katechismus etwas in den Hintergrund zu Gunsten einer differenzierteren Wahrnehmung der vielfältigen, im HK rezipierten Traditionslinien. Nach wie vor galten Ursinus und Olevianus als die Hauptverfasser, diese schienen jedoch nicht nur den theologischen Stoff ihrer jeweiligen Lehrer Melanchthon (1497–1560) und Johannes Calvin (1509–1564) verarbeitet, sondern in großer Weite auch andere zeitgenössische Katechismusliteratur herangezogen zu haben. Charakteristisch für diesen Abschnitt der Forschungsgeschichte sind die Arbeiten von J. I. Doedes61, Maurits Albrecht Gooszen62 und August Lang63, die die Theologie des HK durch systematische Vergleiche mit anderen Katechismen bzw. parallelen Formulierungen in theologischen Abhandlungen und Briefen näher zu charakterisieren suchten. Das Heranziehen eines Exemplars des Erstdrucks des HK von Januar 1563 ohne das nachträglich eingefügte Fr 80 und die von Albrecht Wolters durchgeführten Textvergleiche der verschiedenen Druckfassungen ermöglichten darüber hinaus erstmals eine argumentativ genau begründete Rekonstruktion der Textgeschichte.64 Nur eine untergeordnete Rolle spielte die Frage nach der Verfasserschaft des HK in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wichtiger war die unmittelbare Applikation der Theologie des Heidelberger Katechismus auf die Situation der Gemeinden im Kirchenkampf.65 In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg lag der Schwerpunkt der Literatur deutlich auf der gemeindetheologischen Unterweisung und der dogmatischen Relevanz des Katechismus.66 59 Vgl. Sudhoff, Olivianus; im Ganzen für seine konfessionalistische Perspektive charakteristisch auch sein Theologisches Handbuch, Frankfurt 1862. 60 Vgl. Heppe, Geschichte, 443–446. 61 Vgl. Doedes, Catechismus. 62 Vgl. Gooszen, Catechismus. 63 Vgl. Lang, Katechismus. 64 Vgl. Wolters, Katechismus; ders., Urgeschichte. 65 Vgl. dazu exemplarisch Smidt, Katechismus. 66 Prägend wurde insbesondere die 1547 gehaltene und 1549 veröffentlichte Bonner Vorlesung Karl Barths zur Theologie des HK (vgl. Barth, Lehre).
Forschungsstand
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Im Umfeld der 400-Jahr-Feier des HK 1963 entstanden verschiedene Aufsatzsammlungen, in denen die Verfasserfrage nun wieder verstärkt ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte.67 Als Grundtendenz dieser Arbeiten lässt sich eine gegenüber der älteren Forschung gewachsene Skepsis bezüglich der postulierten Endredaktion durch Olevianus beobachten. Exemplarisch steht hierfür der Aufsatz Walter Hollwegs, der mit einer Vielzahl äußerer und innerer (theologischer) Gründe den geringen Umfang von Olevianus’ Anteil am HK zu belegen versuchte.68 Die in der Folgezeit verfassten Arbeiten69 teilen größtenteils die Bedenken Hollwegs gegenüber einer Überbewertung der Rolle Olevianus’: Die Hauptverfasserschaft des Katechismus wird Ursinus zugeschrieben, dessen Entwurf in einem nicht vollständig zu bestimmenden Umfang entsprechend der Vorrede Friedrichs III. zur ersten und zweiten Ausgabe des HK durch ein Gremium kurpfälzischer Theologen überarbeitet wurde.70 Angesichts der fehlenden Quellen bleiben jedoch Unsicherheiten hinsichtlich der Zusammensetzung dieses Gremiums: Genannt werden neben Ursinus und Olevianus immer wieder der Hofprediger Friedrichs III., Michael Diller, die beiden Theologieprofessoren Petrus Boquinus und Immanuel Tremellius (1510–1580), der Schweizer Arzt Thomas Erastus (1524–1583), sowie die Juristen Christoph Ehem (1528–1592) und Wenzel Zuleger (1530–1596) als Mitglieder des Kirchenrates.71 Die von Friedrich selbst hervorgehobene Beteiligung eines Theologengremiums bietet eine elegante Erklärung für die Vielfalt der theologischen Traditionen, an denen der Katechismus partizipiert. Freilich bleibt die Frage, welche dieser Traditionslinien die dominierende sei, auch in der neueren Forschung umstritten,
67 Vgl. Coenen, Handbuch; Herrenbrück, Christ und Hollweg, Untersuchungen, Folge 1 und 2. Zur Einordnung des Jubiläums 1963 in die theologische Landschaft der Zeit vgl. Ulrichs, Bekenntnistreue. 68 Vgl. Hollweg, Untersuchungen I, 124–199. Bereits Gooszen hatte in seiner 1890 erschienen Arbeit zum HK die mögliche Beteiligung der unterschiedlichen kurpfälzischen Theologen herausgestellt (vgl. Gooszen, Catechismus, 1–30). 69 Vgl. z. B. Neuser, Väter ; Henß, Katechismus. Für die Arbeiten aus neuester Zeit vgl. exemplarisch nur Bierma/Gunnoe, Verfasser und Gunnoe, Origins. 70 Eine Stütze findet dies neben der erwähnten Vorrede zur ersten Ausgabe des HK in einem Brief Friedrichs III. an Johann Friedrich II. vom 30. März 1563: „Das ist aber nit one, das ich alle meyne superintendenten fürnehmste kirchendiener und theologos bei aynander gehabt (wie sie da vermög der ordnung alle jar ayn oder zwey mahl zusamen kommen und mir was vor gebrechen hin und wider in kirchen und schulen sindt dieselbige zuverbesseren habe anzaygung thun sollen), welches aynes aynhelligen catechismi, der so wol vor die jugent als die kirchendiener selbs, sich verglichen“ (Kluckhohn, Briefe I, 390). 71 Eine vollständige Auflistung der in Frage kommenden Personen, soweit sie heute namentlich bekannt sind, bieten Bierma/Gunnoe, Verfasser, 66.
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Einleitung
wobei insbesondere der Umfang des Einflusses Heinrich Bullingers (1504–1575) und Johannes Calvins kontrovers diskutiert wurde.72 In der Zeit nach dem Jubiläum von 1963 ging das Interesse der Forschung am HK wieder zurück. Größere Arbeiten entstanden nur wenige und dann zumeist aus systematisch-theologischer Perspektive, so Wulf Metz’ Auseinandersetzung mit der in den Fr 12–18 zum Ausdruck gebrachten Versöhnungslehre und – mehr als dreißig Jahre später – Thorsten Latzels Versuch einer systematischen Bestimmung der theologischen Grundzüge des HK.73 Einen exzellenten Überblick über den aktuellen Forschungsstand zur Entstehungsgeschichte unter Wiedergabe einschlägiger Quellentexte lieferte Anfang der Achtzigerjahre Walter Henß.74 Schließlich gab Lyle D. Bierma der Forschungsdebatte im angloamerikanischen Raum wie auch in Deutschland einen neuen Impuls, indem er den großen Umfang des im HK rezipierten Gemeingutes betonte: In ihm hätten sich die theologisch unterschiedlich geprägten Gruppen in der Kurpfalz wiederfinden können, so dass der Katechismus geradezu als ein Konsenspapier für bestimmte kontroverstheologische Fragen (insbesondere der Sakramentslehre) angesehen werden müsse.75 Im Umfeld des Jubiläumsjahres 2013 erreichte die Zahl der Veröffentlichungen zum HK dann wieder einen Höhepunkt.76 Neben aktualisierenden Auslegungen77, die die Frage nach der Bedeutung des Katechismus für die Gegenwart zu beantworten suchen, und ein für den Bereich der Praktischen Theologie zu beobachtendes neues Interesse an den Katechismen der Reformationszeit,78 erschienen auch diverse kirchenhistorische Beiträge, entstanden vor allem als Frucht verschiedener Forschungstagungen.79 Stärker als bisher ins Zentrum rückte dabei die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte des HK in den jeweiligen Kontexten der Niederlande80, der USA81, der Schweiz82, der Kurpfalz83 72 Vgl. dazu Neuser, Väter. 73 Vgl. Metz, Necessitas. 74 Vgl. Henß, Katechismus. Vgl. weiterhin den instruktiven TRE-Artikel von Wulf Metz (Metz, Art. Heidelberger Katechismus). 75 Vgl. Bierma, Doctrine. Daneben auch ders., Introduction. 76 Ein vollständiger Literaturbericht über die in den letzten Jahren erschienen Arbeiten kann mit Blick auf den Umfang der Einleitung nicht geleistet werden. Einige wichtige Titel seien im Folgenden genannt. 77 Vgl. z. B. Welker, Heidelberger ; Herlyn, Was nützt es dir?; Hauser, Trost; Schächtele, Kanzel; Plasger, Glauben. 78 Vgl. Heimbucher, Zugänge; Schoberth, Wissen. 79 Vgl. Hirzel, Katechismus; Fesko, Handbuch; Freudenberg, Geschichte, Strohm, Profil; Huijgen, Catechism. Hingewiesen sei an dieser Stelle auch auf die Beiträge im Katalog zur Ausstellung „Macht des Glaubens“ des kurpfälzischen Museums Heidelberg (AperlooBoersma, Macht). 80 Vgl. Baars, Heidelberger; van der Pol, Verbreitung; Selderhuis, Rezeption; Verboom, Rezeption; ders., Katechismus-Unterricht.
Aufbau und methodische Anmerkungen
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und weiteren Reichsterritorien84. Auch die Rolle des HK im Prozess der konfessionellen Ausdifferenzierung wurde von verschiedener Seite her thematisiert.85 Eher am Rande stand die genetische Fragestellung: Immerhin konnte Charles R. Gunnoe in seiner ausführlichen Biographie zu Thomas Erastus eine Beteiligung des Arztes an der Abfassung des HK anhand brieflicher Zeugnisse plausibel nachweisen,86 Lyle D. Bierma versuchte durch eine theologische Analyse des gesamten HK seine These von dessen Konsenscharakter argumentativ weiter zu untermauern.87 Mit den höchstwahrscheinlich durch Erastus vermittelten Züricher Einflüssen auf den HK setzt sich Peter Opitz in verschiedenen Beiträgen auseinander.88 Daneben weist Christoph Strohm auf die Bedeutung und zentrale Stellung der westeuropäischen Glaubensflüchtlinge an Universität und kurfürstlichem Hof in Heidelberg hin und ordnet den HK in den geistesgeschichtlichen Zusammenhang des Heidelberger Späthumanismus ein.89
4.
Aufbau und methodische Anmerkungen
Es ist die Absicht der vorliegenden Untersuchung, die Frage nach der Aufnahme der Londoner Flüchtlingstradition im HK und der KKO und einen möglichen Einfluss von Petrus Dathenus auf den Abfassungsprozess beider Schriften zu klären. Hierzu wird in einem ersten Teil Dathenus’ Weg von Flandern in die Kurpfalz mit den Zwischenstationen London und Frankfurt nachgezeichnet und dabei insbesondere die schon von Frankfurt aus geknüpften Kontakte des Niederländers zu zentralen Persönlichkeiten in der Kurpfalz herausgearbeitet. Ziel ist es zum einen, Dathenus’ Übersiedlung von Frankfurt nach Frankenthal deutlicher als bisher geschehen in ihren historischen Kontext einzuordnen, und 81 Vgl. Stievermann, Creeds; ders., Katechismus; Bremer, Catechism; Hunsinger, Catechism; Minkema, Way ; Silliman, Katechismus. 82 Vgl. Opiz, Wirkungsgeschichte; Mühling, Anmerkungen, 103–108. 83 Vgl. Ehmann, Katechismus; ders., „Reste“. Zur Katechismusentwicklung in Baden und der Kurpfalz im Allgemeinen vgl. ders., Unionskatechismen. 84 Vgl. Mühling, Anmerkungen und im Ganzen den von Johannes Ehmann zu dem Thema herausgegebenen Sammelband (Ehmann [Hg.], Verbreitung). 85 Für Luthertum und Reformiertentum vgl. Dingel, Katechismus; dies., Kritik; Strohm, Katechismus; ders., Reformation; Ehmann, Konfession. Für Reformiertentum und römischen Katholizismus vgl. Unterburger, Kirche. 86 Vgl. Gunnoe, Erastus, insbes. 105–131. Vgl. weiterhin die S. 67 Anm. 13 angegebene Literatur. 87 Vgl. Bierma, Theology ; ders., Origins. 88 Vgl. Opitz, Katechismus; ders, Wurzeln; ders., Zugänge. Neben Opiz macht Emidio Campi auf theologische Bezüge insbesondere in HK 47–48 (sog. Extra Calvinisticum) zu Petrus Martyr Vermigli und Heinrich Bullinger aufmerksam; vgl. Campi, Katechismus. 89 Vgl. Strohm, Entstehung; ders., Westeuropa.
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Einleitung
zum anderen die Frage zu klären, ob angesichts der so herausgearbeiteten äußeren Gegebenheiten ein Einfluss auf HK und KKO plausibel erscheint. In einem zweiten Teil wird Umfang und theologischer Charakter der im HK rezipierten Londoner Flüchtlingstradition näher bestimmt. Dazu erfolgt zunächst ein ausführlicher Vergleich der Londoner Katechismustradition mit dem HK, bevor mit der KKO der ordnungstheologische Rahmen in den Blick genommen wird, in den sich der Katechismus einordnet. Auch hier wird nach Bezügen zur Londoner Flüchtlingstraditon, namentlich zur Forma ac ratio und den Ordinancien gefragt. Eine derartige traditionsgeschichtliche Untersuchung hat der methodischen Schwierigkeit Rechnung zu tragen, dass eine Übereinstimmung im Wortlaut oder im Argumentationsgang nicht notwendig eine direkte literarische Abhängigkeit impliziert. Diese könnte immer auch indirekt durch den je voneinander unabhängigen Gebrauch älterer Katechismusliteratur, beispielsweise des weit verbreiteten Genfer Katechismus Calvins von 154290 (in der Folge C) bedingt sein. Die Übereinstimmungen müssen also immer durch das Heranziehen zeitgenössischer Referenztexte auf eine indirekte Abhängigkeit hin geprüft werden, um zu aussagekräftigen Ergebnissen im Hinblick auf die Fragestellung zu gelangen.91 Neben dem Katechismus Calvins sind dies insbesondere die schon von Lang herausgearbeiteten verwandten Katechismen des HK,92 wie z. B. der aus Zürich stammende kürzere Katechismus Leo Juds von 1541 (in der Folge J) oder die Bucerschen Katechismen.93 Der dritte Teil befasst sich mit den Schriften Petrus Dathenus’. Es geht dabei 90 CR 34 (CO 6), 1–160. Neuere Editionen in Calvin-StA 2, 10–135 (Bearb. Ernst Saxer) und Reformierte Bekenntnisschriften 1/2, 289–362 (Bearb. Ernst Saxer). Die Untersuchung folgt dem lateinischen Text der Studienausgabe, da die dort vorgenommene Nummerierung der Fr das Auffinden der Belegstellen erleichtert. 91 Es ist an dieser Stelle dem Missverständnis vorzubeugen, als implizierten die in der Folge herausgearbeiteten Parallelen immer auch zugleich eine einlinige theologische Charakterisierung – etwa nach dem Muster : Die Sakramentstheologie des HK sei wesentlich durch Dathenus bzw. die Londoner Flüchtlingstradition geprägt. Die Theologie a Lascos und auch der Londoner Fremdengemeinde insgesamt behauptete zwar eine gewisse Eigenständigkeit in bestimmten Aspekten wie z. B. der Kirchenzucht, stand aber gleichwohl in Abhängigkeit von den richtungsweisenden Theologen ihrer Zeit. Es geht im Folgenden also nicht so sehr um eine theologische Charakterisierung des HK und der KKO in Gestalt einzelner Eponyme, sondern um die Frage, auf welchem Weg bestimmte Theologumena in den HK eingedrungen sind, mithin also um eine – im Eifer historiographischer Entdeckerfreude bisweilen vielleicht in den Hintergrund tretende – Differenzierung zwischen Ursprüngen und Trägern einer Tradition. 92 Vgl. Lang, Katechismus, 53–116. Einen im Verhältnis zu Langs Arbeit gut lesbaren Überblick über die wichtigsten katechetischen Quellenschriften des HK bieten Bürki/Opiz, Katechismus. 93 Vgl. die Kurtze schrifftliche erklärung von 1534 (BDS 6,3, 51–173), den Kürtzer Catechismus und erklärung der XXI stücken Christlichen glaubens von 1537 (BDS 6,3, 175–223) und den Kürtzer Catechismus von 1543 (BDS 6,3, 225–265).
Aufbau und methodische Anmerkungen
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um die Frage, inwiefern der Annahme eines Einflusses auf den Entstehungsprozess des HK eine innere Plausibilität zukommt, inwiefern sich also von seinen Schriften aus Einflüsse auf den HK bzw. die KKO nachweisen lassen. Dabei werden zunächst die Grundzüge von Dathenus’ Theologie anhand seiner in Frankfurt entstandenen Schriften herausgearbeitet und dann auf Parallelen zum HK hin befragt. Im Anschluss wird seine Stellung zum HK, wie sie in ausgewählten Schriften nach 1563 zum Ausdruck kommt, in den Blick genommen. Methodisch ist bei alldem zu beachten, dass anders als im vorhergehenden Teil jeweils unterschiedliche literarische Gattungen verglichen werden. Wörtliche Übereinstimmungen sind daher in wesentlich geringerem Umfang zu erwarten, und Rückschlüsse mit entsprechender Vorsicht zu ziehen. Darauf wird abschließend eine Antwort auf die beiden Ausgangsfragen formuliert, erstens, in welchem Umfang der HK und die KKO Stoff aus der Tradition der Londoner Flüchtlingsgemeinde rezipierten und zweitens, inwiefern es plausibel erscheint, dass Petrus Dathenus als Träger der Tradition der Londoner Fremdengemeinde in der Kurpfalz tatsächlich einen Einfluss auf den Entstehungsprozess des HK und der KKO ausgeübt hat. Denkbar wäre eine solche vermittelnde Wirksamkeit wiederum in zweifacher Weise: Erstens könnte Dathenus zu dem Kreis der „Superintendenten und fürnemsten Kirchendiener“ gehört haben, die laut der Vorrede Friedrichs III. unmittelbar an der Abfassung des HK beteiligt waren.94 Auf Grund der dargelegten schwierigen Quellensituation erscheint dies allerdings kaum hinreichend belegbar, definitive Aussagen sind hier nicht zu erwarten. Zweitens könnte Dathenus aber auch indirekt, vermittelt über einen oder mehrere Theologen aus dem Verfasserkreis auf die Entstehung von HK und KKO eingewirkt haben. Auch hier sind weitergehende Aussagen durch die fehlenden Quellen erschwert, eine genaue Untersuchung von Dathenus’ Korrespondenz und seiner Theologie dürften jedoch zumindest begründete Plausibilitätsaussagen zulassen.
94 „Und haben demnach mit rhat vnd zuthun Vnserer gantzen Theologischen Facultet allhie, auch allen Superintendenten vnd fürnemsten Kirchendienern einen Summarischen vnderricht oder Catechismum vnserer Christlichen Religion […] verfassen vnd stellen lassen.“ (Lang, Katechismus, 3)
Erster Teil: Dathenus’ Weg in die Kurpfalz
1.
Von Flandern nach London
Über Dathenus’ Jugendzeit ist wenig bekannt. Geboren wurde er zwischen 1530 und 1532 in der heute französischen, im D8partement du Nord gelegenen Ortschaft Cassel, die im 16. Jahrhundert allerdings zur Grafschaft Flandern gehörte und damit in das Gebiet der habsburgischen Niederlande fiel. Im Laufe seiner Jugend muss er ins nahegelegene Karmeliterkloster von Ypern eingetreten sein, jedoch lassen es die fehlenden Quellen nicht zu, den Zeitraum weiter einzugrenzen. Im Kloster folgte dann Dathenus’ Hinwendung zur Reformation – womöglich unter dem Eindruck der blutigen Verfolgungen und des Bekennermuts der Anhänger der neuen Lehre.1 Anders als in Deutschland, wo sich Karl V. (1519–1556) durch die komplexe politische Konstellation im Reich immer wieder zu Konzessionen an die evangelischen Fürsten gezwungen sah, setzte der in Gent geborene und am Brüsseler Hof aufgewachsene Kaiser alles daran, im niederländischen Teil seiner Erblande die bedrohte Glaubenseinheit zu verteidigen. Schon in den Zwanzigerjahren wurden in ersten Edikten der Druck, die Verbreitung und schließlich auch der Besitz von Schriften Martin Luthers (1483–1546) unter Androhung der Todesstrafe verboten. 1525 wurde Jan de Bakker (auch Johannes Pistorius) als erster evangelischer Prediger in Den Haag auf dem Scheiterhaufen verbrannt.2 Mit gleicher Härte ging man gegen die sich im Laufe der Dreißigerjahre ausbreitende Täuferbewegung vor. Trotz drakonischer Maßnahmen gegen die Abweichler erreichte Karl V. sein Ziel nicht, der neuen Lehre in den Niederlanden von Vornherein den Nährboden zu entziehen. Vielmehr überdauerte der evangelische Glaube im Untergrund: Insbesondere in den städtischen Zirkeln gebildeter Humanisten blieb er le1 Vgl. Ruys, Dathenus, 8. 2 Vgl. Pettegree, Emden, 11. Zu Jan de Bakker (ca. 1499–1525) vgl. Itterzon, Art. Bakker (BLGNP); Ulrichs, Art. Pistorius (BBKL); ausführlich Gunst, Pistorius.
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Dathenus’ Weg in die Kurpfalz
bendig und wurde im Geheimen tradiert.3 Der wachsende Einfluss der Schriften Calvins in den Niederlanden gab Anfang der Vierzigerjahre neue Impulse zur Ausbreitung der Reformation, führte im Gegenzug jedoch auch zu einer weiteren Verschärfung der Religionspolitik Karls V.4 Einen vorläufigen Höhepunkt erreichten die Spannungen im Jahr 1550 mit dem Erlass von gleich vier antireformatorischen Edikten – darunter das berüchtigte „Blutedikt“ vom 28. April, das neben der Bekräftigung aller bisher erlassenen Plakate unter anderem den Ausschluss von öffentlichen Ämtern bei dem bloßen Verdacht auf „Häresie“, die Ausweitung der Handlungsvollmacht der Inquisition und eine weitere Verschärfung der Zensurbestimmungen zum Gegenstand hatte.5 Die von den städtischen Magistraten und selbst von Seiten einiger Inquisitoren geäußerten Bitten um milderes Vorgehen gegenüber reumütigen „Häretikern“ lehnte der Kaiser ab. Die kompromisslose Religionspolitik Karls V. nötigte viele Evangelische zur Auswanderung: Nach einem ersten Höhepunkt im Jahr 1544, in deren Folge sich die Gemeinden in Emden, Köln, Wesel, Aachen, Duisburg als Flüchtlingszentren herausbildeten,6 kam es 1550 als Reaktion auf die genannten obrigkeitlichen Maßnahmen zu einer besonders heftigen Auswanderungswelle, in deren Gefolge auch der mittlerweile zur Reformation übergetretene junge Petrus Dathenus seine Heimat verließ. Sein Weg führte ihn nach London, wo just im selben Jahr der niederländisch- und französischsprachigen Gemeinde das Recht auf eigenständige Gottesdienstausübung zugestanden worden war.7 Im Zeitraum zwischen 1547–1552/53 stellte London die wichtigste Anlaufstelle für die niederländischen Glaubensflüchtlinge dar. Einerseits war die Situation in Deutschland nach der Niederlage bei Mühlberg im April 1547 unsicher geworden: In dem im Anschluss oktroyierten Interim wurde den protestantischen Fürsten bis auf Priesterehe und Laienkelch keinerlei Zugeständnisse gemacht. Die Lage der niederländischen Glaubensflüchtlinge hätte sich nach einer Übersiedlung nach Deutschland letztendlich nur in begrenztem Maße verbessert. An eine freie Ausübung ihres Glaubens wäre nach wie vor nicht zu denken gewesen. Andererseits hatte sich die Situation in England seit dem Tod Heinrichs VIII. 1547 deutlich zu Gunsten der Evangelischen gewandelt. Dessen 3 4 5 6 7
Vgl. dazu Pettegree, Emden, 17f. Zum Folgenden vgl. ausführlich Fühner, Religionspolitik, insbes. 287–352. Eine detaillierte Wiedergabe des Inhalts bei Fühner, a. a. O., 315–318. Vgl. van Schelven, Vluchtelingenkerken, 16 und Pettegree, Emden, 25. Aus der umfangreichen Literatur zur Londoner Fremdengemeinde seien hier – ergänzend zu den in der Einleitung aufgeführten Titeln – nur genannt: Lindeboom, Austin Friars; Woudstra, Vreemdelingen-Gemeente; und Schickler, Pglises. Einen Überblick über die Geschichte der Gemeinde geben die entsprechenden Abschnitte bei van Schelven, Vluchtelingenkerken, 57–113 und Becker, Gemeindeordnung, 259–277.
Von Flandern nach London
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Nachfolger, Edward VI., betrieb eine Religionspolitik, die auf eine konsequente Förderung des Protestantismus in England abzielte; hierzu holte er schon bald nach seinem Regierungsantritt namhafte Reformatoren aus ganz Europa nach England, darunter Petrus Martyr Vermigli (1500–1562), Bernhardino Ochino (1487–1564), Martin Bucer (1491–1551) und Paul Fagius (1504–1559). Mit der Erstellung des Book of Common Prayer durch Thomas Cranmer (1489–1556) unter Mitwirkung von Martin Bucer, Paul Fagius und Petrus Martyr Vermigli im Jahre 1549 erhielt die englische Kirche einen ersten deutlichen Impuls in Richtung des kontinentaleuropäischen Reformiertentums. So erschien die englische Hauptstadt in diesen Jahren als das ideale Refugium für Glaubensflüchtlinge verschiedener Herkunft. Gefördert durch John Hooper (1495–1555), dem durch die Theologie Huldrych Zwinglis und Heinrich Bullingers geprägten einflussreichen Prediger des Herzogs Edward Seymour von Somerset (1500–1552), gewannen die Fremdengemeinden in London rasch an Größe. Schon bald erschien der Aufbau fester gemeindlicher Strukturen unumgänglich: Im Jahre 1550 wurde damit der gerade erst aus Ostfriesland nach London gekommene Johannes a Lasco betraut. Es war wohl der Einfluss des polnischen Reformators, der maßgeblich dazu beitrug, dass den Fremden durch das königliche Edikt vom 24. Juli die Kirche Austin Friars zur Abhaltung ihrer Gottesdienste überlassen wurde.8 Wenig später, ab Oktober 1550, wurde auch dem französischsprachigen Gemeindeteil eine eigene Kirche, die Chapel of St. Anthony in der Threadneedle Street zur Verfügung gestellt.9 Aber die Zugeständnisse an die Fremdengemeinde beschränkten sich nicht auf das Überlassen der beiden Kirchen: Intern besaßen die Flüchtlinge vollkommene Freiheit in der Ausgestaltung ihrer sakramentalen Vollzüge, ihrer Liturgie und ihrer Gemeindestruktur. Lediglich Johannes a Lasco war als gemeinsamer Superintendent König Edward selbst Rechenschaft schuldig, etwa bei der Wahl neuer Prediger in den Gemeinden. Die Motive hinter diesen weitgehenden Zugeständnissen an die Fremden, die in dem Gründungsedikt festgehalten sind, liegen wohl in der Hoffnung Edwards VI., die Londoner Fremdengemeinde werde durch den Glaubensmut, die kirchliche Disziplin und die theologische Bildung ihrer Glieder als Kristallisationspunkt für die weitere reformatorische Durchdringung der englischen Kirche fungieren;10 zugleich sollten die „reine Lehre“ gegenüber täuferischen und spiritualistischen Tendenzen bewahrt werden.11 8 Das Edikt findet sich abgedruckt bei Lindeboom, Austin Friars, 198–203. 9 Vgl. Pettegree, Communities, 37. 10 „The charter in effect anticipated, in the midst of an English Church still only partially reformed, a radical Protestant community which by its very existence would serve as a constant spur to further reform in the English Church itself.“ (a. a. O., 35) 11 Vgl. a. a. O., 44f.
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Dathenus’ Weg in die Kurpfalz
Um die Bedeutung der Londoner Zeit für den jungen Dathenus richtig einordnen zu können, ist an dieser Stelle ein kurzer Blick auf die prägenden Gestalten der Gemeinde notwendig. An erster Stelle wird sicherlich Johannes a Lasco genannt werden müssen. Der aus Polen stammende Baron hatte nach seiner Berufung durch Gräfin Anna von Oldenburg (1501–1575) im Jahr 1540 an der Ordnung und Festigung der kirchlichen Strukturen in Ostfriesland mitgewirkt – und zwar wie in London bereits mit der Amtsbezeichnung „Superintendent“. In Folge der Durchsetzung des Interims in Ostfriesland war a Lasco jedoch gezwungen, im Jahr 1549 sein Amt niederzulegen. Sein Weg führte ihn im April 1550 nach London, wo er schon zwei Jahre zuvor während einer Reise Kontakte u. a. zu Thomas Cranmer, dem Erzbischof von London geknüpft hatte. Es war wohl vor allem dem Einfluss Cranmers zu verdanken, dass a Lasco das Amt des Superintendenten der Londoner Fremdengemeinde übertragen wurde.12 Ohne Zweifel übte a Lasco durch seine Person, seine Schriften und seine Theologie größten Einfluss aus und prägte das Bild der ganzen Londoner Fremdengemeinde in entscheidendem Maße. Sein Name steht in der Forschung häufig als Eponym, wenn es darum geht, deren theologische und ekklesiologische Charakteristika näher zu beschreiben. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Gemeinde neben a Lasco noch eine Reihe weiterer, hochkarätiger Theologen mit eigenständigem Profil angehörten. Zu ihnen zählte mit Sicherheit Marten Micron13, Prediger der niederländischen Glaubensflüchtlinge in London. Wie Dathenus aus Flandern stammend, allerdings zehn Jahre älter als dieser, musste Micron nach seinem Bekenntnis zur Reformation bereits Mitte der Vierzigerjahre seine Heimat verlassen und floh in die Schweiz. Geprägt wurde er durch sein Studium in Zürich bei Heinrich Bullinger. In der Schweiz begegnete er darüber hinaus John Hooper, mit dem er gemeinsam 1549 nach England übersiedelte. Neben a Lasco und Micron nahm Jan Utenhove (1520–1565) als einer der vier Ältesten des niederländischen Gemeindeteils eine herausragende Stellung ein.14 Der aus einer angesehenen Familie in Gent stammende Utenhove besaß schon seit den Dreißigerjahren Kontakte zu den humanistisch gesinnten „Rederijkers“, jenen sich in vereinsähnlichen Strukturen, den sog. „kamers“, organisierenden Gruppen von Dichtern und Rhetorikern, die zu den wichtigsten Trägern der frühen reformatorischen Bewegung in den Niederlanden zählten.15 Nach der 12 Vgl. Dalton, a Lasco, 330–333. 13 Zu Micron vgl. insbes. Gerretsen, Micronius; Dankbaar, Gespräche. Einen biographischen Überblick bieten u. a. Ulrichs, Art. Micron (BBKL) und Dankbaar, Art. Micron (BLGNP). 14 Zu Jan Utenhove vgl. Pijper, Utenhove; Jürgens, Vertreibung; Itterzon, Art. Utenhove (BLGNP); Eßer, Art. Utenhove (BBKL). 15 Vgl. Pettegree, Emden. Zu den „Rederijkers“ selbst vgl. Dixhoorn, geesten.
Von Flandern nach London
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Aufführung eines wahrscheinlich von Utenhove selbst verfassten und von der Obrigkeit als häretisch eingeschätzten Theaterstücks musste er wie Micron Mitte der Vierzigerjahre Flandern verlassen. Über Köln gelangte er nach Straßburg, wo er mit Martin Bucer in Kontakt kam und 1548 mit Johannes a Lasco zusammentraf. Von Straßburg aus reiste er sodann zunächst in die Schweiz nach Zürich und Genf, bevor er 1549 nach London übersiedelte. In der Londoner Fremdengemeinde machte sich Utenhove vor allem durch Übersetzungen verschiedener theologischer Schriften ins Niederländische, u. a. des frühen Emder Katechismus a Lascos, und als Psalmendichter einen Namen. Anders als die bislang genannten Theologen, die erst in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Gründung der Fremdengemeinde nach London kamen, befand sich der zweite Prediger der Gemeinde, Walter Delenus16 (1500–1563), schon längere Zeit in England. Ursprünglich aus der Gegend um Antwerpen stammend, machte Delenus rasch durch sein philologisches Talent auf sich aufmerksam, so dass er bereits 1523 als Lehrer für Hebräisch und Griechisch an die Universität von Haarlem berufen wurde. Seit 1533 wechselte er in der gleichen Funktion an die Universität von Amsterdam, wo er jedoch in den Verdacht geriet, Verbindungen zur Täuferbewegung zu besitzen. Der wachsende Druck veranlasste ihn schließlich 1535, nach England auszuwandern. Dort erlangte Delenus die Gunst Heinrichs VIII., für den er als sog. Biblioscopus bibliothekarische Arbeiten ausführte. Nach Heinrichs Tod verblieb Delenus noch einige Zeit in dieser Position, bis er 1550 nach der Gründung der Londoner Fremdengemeinde zum Prediger des niederländischen Zweigs neben Micron bestellt wurde. Über den Aufenthalt von Petrus Dathenus selbst in London sind wir nur höchst unzureichend informiert. Es ist davon auszugehen, dass a Lasco als Superintendent, Micron und Delenus als Prediger und Utenhove als theologisch herausragend gebildeter Ältester den größten Einfluss auf die theologische Prägung des jungen Mannes ausübten. Daneben wird er aber auch in Kontakt zu weiteren Gemeindegliedern, insbesondere auch zu den Ältesten sowie den Pastoren des französischen Zweigs der Fremdengemeinde FranÅois P8russel (1534–1567) und Richard Vauville (gest. 1555) gestanden haben. Inwiefern sich hier intensivere Beziehungen, ein Lehrer-Schüler-Verhältnis oder gar Freundschaften entwickelten, lässt sich im Einzelnen nicht mehr nachvollziehen. P8russel und Vauville sollten Dathenus immerhin zu späterer Zeit als Prediger der französischen Fremdengemeinde in Frankfurt noch einmal begegnen. Mit a Lasco wird er dort einige Jahre eng zusammenarbeiten. Seine Korrespondenz
16 Zu Walter Delenus vgl. Pettegree, Art. Delenus (Oxford DNB); Trapman, Art. Delenus (BLGNP).
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Dathenus’ Weg in die Kurpfalz
gibt darüber hinaus Auskunft über bleibende Kontakte zu ehemaligen Londoner Gemeindegliedern, allen voran zu Jan Utenhove. Das einzige Selbstzeugnis, das wir von Dathenus über seine Zeit in London besitzen, stammt aus dem Jahr 1584, als er in Folge der letzten Zuspitzung seines Konflikts mit dem Hause Oranien etwa einen Monat im Gefängnis verbringen musste. Während des sich unmittelbar an seine Gefangennahme anschließenden Verhörs wurden ihm eine Reihe von Fragen vorgelegt, die sich in der Hauptsache auf seinen Aufenthalt in Gent bezogen, anfangs jedoch auch auf allgemeine biographische Angaben zielten. Das Protokoll17 hält auf die Frage, wie lange Dathenus bereits Diener des Wortes Gottes sei und wo er gepredigt habe, die Antwort fest: „Erstens erklärt er, dass er nun beinahe dreiunddreißig Jahre Diener des H. Worts gewesen sei, und an sehr vielen Orten in Deutschland [„overlandt“], den Niederlanden, England und Frankreich gepredigt habe.“18
Darauf folgt die Frage, was zuvor seine Tätigkeit („vocatie“) gewesen sei. Dathenus antwortet, er habe sich bis zum Alter von ungefähr achtzehn oder neunzehn Jahren von der „Tijpographie“ ernährt, bevor er unter König Edward VI. zum Dienst an Gottes Wort berufen worden sei.19 Es ist somit davon auszugehen, dass sich Dathenus während seiner ersten Zeit in London als Setzer bei einem Buchdrucker seinen Lebensunterhalt verdiente. Unklar erscheint jedoch seine folgende Aussage, er sei „nun beinahe dreiunddreißig Jahre“, also seit 1551, Prediger gewesen. Dies deckt sich zwar mit der Angabe, seine Berufung zum Dienst am Wort habe unter König Edward in England stattgefunden, widerspricht jedoch der quellenmäßig gesicherten Wirksamkeit Microns und Delenus’ als Prediger der Gemeinde zu dieser Zeit. Die plausibelste Erklärung dieser Schwierigkeit gelingt van Schelven, wenn er annimmt, dass Dathenus hier bereits seine Teilnahme an den Lehrgottesdiensten der Gemeinde zum Predigerdienst hinzuzählt.20 Zusätzlich zu den sonntäglichen Predigt- und Katechis17 Vgl. Kok, Woordenboek, 53–70. 18 „Eerstelick verklaardt hij, dat hij nu schier XXXIII jaren Dienaar des H. Woords geweest zij, ende in zeer veel plaatsen van Overlandt, Nederlandt, Engelandt en Vranckrijk gepredickt heeft.“ (a. a. O., 53, Hervorhebung im Original) 19 „Dat hij [sc. Dathenus] omtrent XVIII of XIX jaaren oud zijnde, van wegen de waarheid vervolgd wesende, hem mitter Tijpographie geneert heeft, dewelcke hij (onder Conynck Eduardt van Engeland, tot den dienst des Goddelicken woordts beroepen zijnde,) verlaten heeft, om dat hij met het ondersoucken der H. Schrift hem becommeren moet.“ (a. a. O., 54) 20 „Het best zal zijn Datheens uitdrukking ’tot predikant beroepen’ niet te zeer ad litteram op te vatten. Vermoedelijk wil ze niet meer zeggen dan dat hij – wellicht in verband met den druk van een van a Lasco’s of Utenhove’s werken of vertalingen, door den auteur daarvan opgemerkt, in de londensche gemeente toen is begonnen deel te nemen aan de profetie, en onder leiding van genoemden Delenus en Joh. a Lasco aanving te proponeeren.“ (van Schelven, Art. Dathenus, 368)
Von Flandern nach London
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musgottesdiensten kannte man in der Londoner Fremdengemeinde eine Reihe weiterer Lehrformen:21 zum einen die Bibelauslegung in niederländischer bzw. französischer Sprache, in der ein zuvor gelesener Bibeltext reihum von Pastoren, Ältesten oder anderen zugelassenen Gemeindegliedern ausgelegt wurde; zum zweiten die nach dem gleichen Prinzip stattfindende Auslegung in lateinischer Sprache; zum dritten die sog. Prophetia22, in der zuvor von der Gemeinde eingereichte Fragen zu den Predigten der vergangenen Woche von den jeweiligen Predigern beantwortet wurden. Alle diese Gottesdienstformen dienten dazu, die ganze Gemeinde in ihrer theologischen Bildung zu fördern, diese argumentativ zu schulen und das Auftreten von Irrlehren möglichst früh zu erkennen und einzudämmen. Jedes Gemeindeglied war dazu aufgerufen, sich die christliche Lehre mit der Unterstützung der Gesamtgemeinde entsprechend der persönlichen Begabung anzueignen. Darüber hinaus ging es aber auch um die Zurüstung neuer Prediger, zunächst weniger für die eigene Gemeinde als für die „Gemeinden unter dem Kreuz“ in den Niederlanden und die Flüchtlingsgemeinden in Deutschland.23 Es ist sehr wahrscheinlich, dass Dathenus in diesem Sinne seine Ausbildung zum Prediger vor Augen hat, wenn er später davon spricht, dass er in England zum „Dienst des göttlichen Wortes berufen“ wurde. Unter dem Schutz und der Förderung Edwards VI. erfreute sich die Fremdengemeinde in London rasch großen Zulaufs. Auf ihrem Höhepunkt im Jahr 1553 umfassten beide Teilgemeinden zusammen schätzungsweise drei- bis viertausend Personen (Frauen und Kinder eingerechnet).24 Noch im gleichen Jahr bereitete jedoch der frühe Tod Edwards VI. dieser Entwicklung ein jähes Ende. Maria I., die ihm in der Herrschaft nachfolgte, bemühte sich von Anfang ihrer Regierungszeit an um eine vollständige Rückführung Englands zum Katholizismus. Ihr rigoroses Vorgehen gegen die Protestanten im Land brachte ihr bei ihren Gegnern den Beinamen Bloody Mary ein. Auf die Londoner Fremdengemeinde hatte die Wende in der Religionspolitik verheerende Auswirkungen: Bereits im August 1553 erließ Maria ein Predigtverbot für die Prediger der Gemeinde und im Februar 1554 folgte die Ausweisung aller Fremden aus London, die nicht das Bürgerrecht besaßen.25 Ein Teil der Gemeindeglieder wartete diese Entwicklung nicht ab. Am 17. September 1553 brach Johannes a Lasco gemeinsam mit 175 weiteren Gemeindegliedern (darunter Jan Utenhove, Marten Micron und Richard Vauville) auf zwei gecharterten Schiffen Richtung Däne21 Vgl. dazu Becker, Gemeindeordnung, 93–98. 22 Bei a Lasco findet sich für alle genannten Formen von Lehrgottesdiensten die Bezeichnung Prophetia. Man muss bei ihm also eine Verwendung im engeren und weiteren Sinn unterscheiden. Zur Terminologie vgl. Becker, Gemeindeordnung, 94–97. 23 Vgl. Pettegree, Communities, 67. 24 Vgl. a. a. O., 77; dort auch eine Rekonstruktion der Sozialstruktur der Gemeinde. 25 Vgl. a. a. O., 113–119.
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mark auf. Die Flüchtlinge erhofften sich Aufnahme von dem der lutherischen Reformation zugetanen König Christian III. (1534–1559). Auch die übrigen Prediger der Gemeinde, Walter Delenus und FranÅois P8russel verließen nur wenig später im Februar 1554 das Land.26 Dem Richtung Dänemark aufgebrochenen Gemeindeteil war indes wenig Glück beschieden. Christian III. zeigte sich lediglich unter der Bedingung einer vollständigen Anpassung an den Glauben und die Riten der dänischen Kirche bereit, der Bitte der Fremden um Aufnahme zu entsprechen – für die standhaften Flüchtlinge, die bereits zweimal wegen ihres Bekenntnisses das Exil auf sich genommen hatten, eine unannehmbare Forderung. Die Gruppe sah sich gezwungen Dänemark zu verlassen. Es folgte eine einjährige Irrfahrt über verschiedene Städte Norddeutschlands bis man endlich in Emden, a Lascos alter Wirkungsstätte, freundliche Aufnahme fand. Ob Dathenus mit a Lasco selbst das Londoner Exil verließ, oder ob er sich einer späteren Gruppe anschloss, ist nicht bekannt.27 Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darf vermutet werden, dass er sich – wie viele Flüchtlinge – zunächst nach Emden wandte, bevor er 1555 nach Frankfurt berufen wurde. Blickt man auf Dathenus’ Londoner Zeit zurück, so wird man eine dreifache Bedeutung dieses Lebensabschnitts für seine Entwicklung festhalten dürfen: Erstens war es in London, wo der junge Glaubensflüchtling seine theologische Prägung und aller Wahrscheinlichkeit nach auch seine Ausbildung als Prediger erhielt. Inwiefern dies in seinen späteren Schriften seinen konkreten Niederschlag findet, wird im weiteren Verlauf zu zeigen sein. Zweitens fügte sich Dathenus dort in das gerade im Entstehen begriffene Netzwerk von Glaubensflüchtlingen aus den Niederlanden ein, das in späterer Zeit von Deutschland und England aus entscheidenden Einfluss auf die theologische Entwicklung in ihrem Heimatland nahm. Mit vielen der aus London bekannten Gemeindeglieder blieb Dathenus Zeit seines Lebens in ständigem Kontakt; ihre Namen bilden einen festen Bestandteil seiner Korrespondenz. Johannes a Lasco und für kurze Zeit auch Marten Micron sollten ihm darüber hinaus in Frankfurt noch einmal zur Seite stehen. Schließlich dürfte drittens die nach der Flucht aus den Niederlanden nun bereits zum zweiten Male erlittene Vertreibung seine gesamte Theologie in nicht unerheblichem Maße geprägt haben. Dass eine altgläubige Obrigkeit den gerade erst begonnenen Aufbau der Reformation in England rücksichtslos und mit größter Brutalität zerstörte, ließ für Dathenus nun seinerseits nur die rigorose Ablehnung eines jeden Kompromisses mit der römi26 Zum Aufbruch der Flüchtlinge aus London vgl. Jürgens, Vertreibung, 17f. 27 Vgl. Ruys, Dathenus, 17. Ruys vermutet allerdings, dass die fehlende Erwähnung von Dathenus’ Namen in Utenhoves Simplex et fidelis narratio auf einen späteren Aufbruch aus England hindeutet.
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schen Kirche zu – eine Haltung, die ihn später in den Konflikt mit Wilhelm von Oranien (1533–1584) um die Genter Pazifikation stürzen sollte, die sich jedoch bereits während seiner Zeit in Frankfurt in einer massiven antirömischen Polemik niederschlägt.
2.
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Die niederländische Flüchtlingsgemeinde in Frankfurt
Obwohl Johannes a Lasco in Emden auch nach seiner Rückkehr aus London hohes Ansehen genoss, stellte die Stadt für ihn nur eine Zwischenstation dar. Wie schon 1549 war es der Einfluss des kaiserlichen Hofes, der Gräfin Anna im Mai 1555 dazu zwang, a Lasco aus Emden auszuweisen.28 Dieser wandte sich nach Frankfurt, wo er am 18. Juni das Bürgerrecht erwarb.29 A Lasco mag Frankfurt zu dieser Zeit als vielversprechenden Zufluchtsort30 angesehen haben. Als wichtiges Handelszentrum und Kommunikationsknoten zwischen Nord- und Süddeutschland bildete die Messestadt nicht nur den idealen Ausgangspunkt, um die europaweite Korrespondenz des Reformators unter günstigen Bedingungen zu pflegen, der Frankfurter Rat hatte darüber hinaus bereits früher eine gewisse Liberalität in religionspolitischen Fragen bewiesen. Diese rührte aus der theologischen Tradition der Stadt her, die in den Anfangsjahren der oberdeutschen Spielart der Reformation in wesentlich stärkerem Maße zuneigte als dem Wittenberger Einfluss. Die Frankfurter Kirchenordnung aus dem Jahr 153331 weist bereits Züge auf, die in diese Richtung deuten.32 Auch die Pfarrerschaft war 28 Zu diesem zweiten Aufenthalt a Lascos in Emden 1553–1555 vgl. Jürgens, a Lasco, 37–39. 29 Vgl. Meinert, Eingliederung, 12. 30 Zur Frankfurter Flüchtlingsgemeinde vgl. insbes. die beiden grundlegenden Arbeiten Karl Bauers (Bauer, Einstellung; ders., Poullain); vgl. darüber hinaus Ebrard, Gemeinde und Besser, Geschichte. Ihre Ergänzung fanden diese Arbeiten aus der älteren Forschung in neuerer Zeit durch den von Georg Altrock herausgegebenen Sammelband zum 450-jährigen Bestehen der Fremdengemeinde (vgl. Altrock, Migration; darin insbes. Dingel, Entstehung) und die von Irene Dinge edierte Kurze doch wahrhafftige Beschreibung des Frankfurter Kaufmanns Abraham Mangon (d. J., 1666–1734). Vgl. darüber hinaus dies., Religionssupplikationenen und die von Eduard Meinert angefertigte Editionen der Frankfurter Ratsprotokolle (Auszüge) und des Protokollbuchs der Niederländischen Flüchtlingsgemeinde (vgl. Meinert, Eingliederung; ders., Protokollbuch). Einen Überblick über die Geschichte der Gemeinde geben die entsprechenden Abschnitte bei van Schelven, Vluchtelingenkerken, 211–234 und Denis, Pglises, 305–379, sowie Dingel, in: Beschreibung, 11–22. 31 Vgl. EKO IX.2,505f (Bearb. Sabine Arend). 32 Insbesondere die Bestimmungen zu den Kasualien, wo womöglich Anleihen aus Bucers Ulmer Kirchenordnung von 1531 (EKO XVII.2, 124–162) genommen wurden (vgl. Arend, in: EKO IX.2, 478).
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mehrheitlich oberdeutsch geprägt.33 Als der Rat 1536 Peter Geltner (gest. 1572) zum Prediger berief, war dieser der erste Absolvent der Wittenberger Fakultät überhaupt, der in Frankfurt Anstellung fand.34 Die Berufung provozierte prompt Auseinandersetzungen in der Pfarrerschaft um das rechte Verständnis der Abendmahlslehre. Martin Bucer und Caspar Hedio (1494–1552) wurden als Vermittler eingesetzt und es gelang Bucer 1542 durch eine von ihm verfasste Konkordie35, den Frieden zumindest äußerlich wiederherzustellen. Nach der Aufhebung des Interims im Jahr 1552, dem sich auch Frankfurt bis zu einem gewissen Umfang unterwerfen musste, wurden mit Johannes Lullius (geb. in Hochheim, gest.?) und Melchior Ambach (1490–1559) wiederum zwei Prediger berufen, bei denen sich eine humanistische Prägung einerseits mit einer Offenheit für die Theologie Calvins und Bullingers andererseits verband.36 Ein Exponent der vermittelnden Tradition Melanchthons und Bucers war dagegen der Rektor der Frankfurter Lateinschule, Johannes Cnipius Andronicus (gest. 1586).37 Im Rat selbst war das melanchthonische Element durch die einflussreichen Patrizier Adolf (1524–1555) und Johann von Glauburg (1503–1571) und Claus Bromm (1517–1587) vertreten.38 Trotz der starken Stellung der humanistischen Tradition dominierte in Frankfurt 1555 keinesfalls die Theologie Melanchthons oder gar Calvins: Immer noch war mit Peter Geltner ein Vertreter eines strengen Luthertums im Amt, unterdessen noch verstärkt durch die beiden Theologen Matthias Ritter (1526– 1588) und Hartmann Beyer (1516–1577) – letzterer ein enger Freund Joachim Westphals (1510/1511–1574), der sich durch seine standhafte Ablehnung des Interims hohe Reputationen bei der Frankfurter Bevölkerung erworben hatte.39 Die kirchenpolitische Konstellation in Frankfurt wies somit zu Beginn der 33 Von Spannungen zwischen Frankfurt und Wittenberg in der Abendmahlsfrage zeugt Luthers Kritik an der Theologie der Stadtprediger aus dem Jahr 1532 (Ein brieff an die zu Franckfurt am Meyn, WA 30.3, 558–571). Vgl. dazu auch die von Bucer verfasste Entschuldigung der diener am Euangelio Jesu Christi zu Franckfurt am Meyn (BDS 4,312–319). 34 Vgl. Denis, Pglises, 308f. Zu Geltner vgl. Telschow, Pfarrer, 113f. 35 Concordia, Das ist Vereinigungs Articul H. Martini Buceri zwischen den Predigern zu Franckfurt auffgericht, BDS 13, 28–43 (Bearb. Thomas Wilhelmi). 36 Vgl. Bauer, Einstellung, 25f. Zu Johannes Lullius vgl. Telschow, Pfarrer, 219; zu Melchior Ambach vgl. Telschow, Pfarrer, 7 und Brückner, Art. Ambach (ADB). 37 Vgl. Bauer, Entstehung, 18. 38 Vgl. dazu das Urteil Bauers über Johann von Glauburg: „Dem Schüler der Wittenberger Reformatoren, dem Freunde Calvins schwebte als Ideal die Vereinigung der beiden evangelischen Bekenntnisse vor“ (a. a. O., 19). Zu Johann von Glauburg vgl. Lerner, Art. Glauburg (NDB); Frankfurter Biographie I, Art. Glauburg. Zu Claus Bromm vgl. Frankfurter Biographie I, Art. Bromm. 39 Zu Beyer vgl. Bautz, Art. Beyer (BBKL); Andernach, Art. Beyer (NDB); Frankfurter Biographie I, Art. Beyer; Steitz, Prädicant (Biographie). Zu Ritter vgl. Frost, Art. Ritter, Frankfurter Biographie II.
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Fünfzigerjahre bereits vor Ankunft der Fremden ein latentes Konfliktpotential auf, dessen Offenlegung noch ausstand. Retardierend wirkte vor allem die Bucersche Konkordie von 1542, die die konfessionelle Einmütigkeit der Stadt zumindest nach außen hin zu gewährleisten schien. Als sich a Lasco im Sommer 1555 auf den Weg nach Frankfurt machte, dürfte ihm die Reichsstadt also als attraktives Refugium nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere Glaubensflüchtlinge aus den Niederlanden oder aus England erschienen sein – und dies umso mehr, als der Rat 1554 mit der Aufnahme der aus dem englischen Glastonbury geflohenen wallonischen Weber unter Val8rand Poullain40 (1520–1558) bereits einen für die Fremden günstigen Präzedenzfall geschaffen hatte. Wie die Gruppe um Johannes a Lasco sah sich auch Poullain nach dem Regierungsantritt Marias I. in England dazu gezwungen, mit seiner Gemeinde das bisherige Exil in Glastonbury zu verlassen und sich auf die Suche nach einem alternativen Zufluchtsort zu begeben. Zu diesem Zweck reiste Poullain Anfang 1554 nach Köln, wo sein Ersuchen um Aufnahme der Flüchtling vom Rat zwar abgelehnt wurde, er jedoch auf den Frankfurter Ratsherrn Claus Bromm traf.41 Poullain verfasste daraufhin eine Bittschrift an den Frankfurter Rat, der – anders als noch im Jahr 1546, als der gerade aus Gent geflohene Jan Utenhove für sich und eine Gruppe Niederländer eine neue Bleibe suchte – am 18. März 1554 entsprochen wurde.42 Dass sich der Rat im Falle Poullains für eine Aufnahme der Flüchtlinge entschied, dürfte zum einen auf den Einfluss der humanistisch gesinnten Gruppe um Johann von Glauburg, zum anderen aber auf wirtschaftliche Motive zurückzuführen sein: Die Belagerung durch Moritz von Sachsen (1541–1553) und Albrecht von Brandenburg (1514– 1541) während des Fürstenkrieges 1552 hatte die Stadt finanziell stark mitgenommen und die Aufnahme der Wallonen erschien als geeignetes Mittel, neuen Schwung in Handwerk und Handel zu bringen. Mit den wirtschaftspolitischen Interessen des Rates traf es sich, dass Poullain in seinem Aufnahmegesuch angeboten hatte, die eigenen fortschrittlichen Fertigungstechniken an die einheimischen Handwerker weiterzugeben.43 Die Bereitschaft des Rates zu Zugeständnissen geschickt ausnutzend, gelang es Poullain durch das Argument der Sprachdifferenz das Recht auf eigene Gottesdienstausübung, und darüber hinaus die leerstehende Weißfrauenkirche als Gottesdienstraum für seine Gemeinde zu gewinnen. Die abweichenden Abendmahlsriten der Flüchtlingsgemeinde weckten allerdings das Misstrauen der lutherischen Stadtprediger, sodass sich 40 Zu Poullains Biographie vgl. ausführlich Bauer, Poullain; einen Überblick bietet Wenneker, Art. Poullain (BBKL). 41 Vgl. Ebrard, Gemeinde, 51. 42 Die auf den gleichen Tag datierte Supplikation Poullains findet sich wörtlich abgedruckt in FRH I, Beylagen, 1f. 43 Vgl. Schilling, Exulanten, 24 und 35.
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bereits kurz nach Ankunft der Flüchtlinge erste Spannungen andeuteten. Poullain erwies sich jedoch als geschickter Verhandlungspartner, der in gewissem Rahmen zu Zugeständnissen bereit war : Nach einem Gespräch mit Beyer und Ritter und nach Vorlage seines in Glastonbury verfassten Bekenntnisses, der Confession de la foy gelang es ihm mit Hilfe Johanns von Glauburg und anderer Unterstützer, im Rat die Erlaubnis der eigenständigen Feier des Abendmahls ab Pfingsten 1554 durchzusetzen. Wenige Wochen später legte Poullain mit dem Neudruck der Liturgia sacra44 nicht nur das Bekenntnis, sondern auch die Kirchenordnung der Gemeinde aus Glastonbury offen. Die liberale religionspolitische Haltung des Rates führte zu einem starken Anwachsen des Flüchtlingsstromes nach Frankfurt. Noch im Juli 1554 erschien eine Gruppe Engländer in Frankfurt, darunter der für den späteren Verlauf der Reformation in Schottland so bedeutende John Knox45 (1514–1572). Die Gruppe erlangte nach einer entsprechenden Supplikation ebenfalls das Recht auf Aufenthalt und Gründung einer eigenen Gemeinde neben der französischsprachigen Gemeinde Poullains. Schließlich wurde „durch werbung und fürbitt Johan von Lasky“ auch den Niederländern in Frankfurt im Juni 1555 vom Rat die Erlaubnis zur freien Gottesdienstausübung gewährt.46 Als Prediger hatte a Lasco ursprünglich Gaspar van der Heyden47 (1530–1586) aus Antwerpen gewinnen wollen. Weil dieser jedoch ablehnte, berief man Petrus Dathenus in den Dienst der Gemeinde.48 In der Forschung existieren divergierende Meinungen über die Frage, nach welcher Ordnung die niederländische Flüchtlingsgemeinde in Frankfurt eingerichtet war. Stand man noch in Kontinuität zur Londoner Gemeindeordnung49, 44 Liturgia sacra seu ritus Ministerii in Ecclesia peregrinorum Francofordiae ad Moenum. Addita est summa doctrinae seu fidei professio eiusdem Ecclesiae etc., Frankfurt a.M. 1554, VD 16 ZV 186. Die diesem Druck angehängte Professio fidei findet sich in separater Edition in den Reformierten Bekenntnisschriften Bd. 1/3, 89–104 (Bearb. Judith Becker). 45 Vgl. Dawson, Art. Knox. 46 Vgl. Dathenus, Erzelung, 10. 47 Zu van der Heyden vgl. Straßer, Art. Heidanus (NDB); 239; Itterzon, Art. Heyden (BLGNP); van Slee, Art. Heidanus (ADB); ausführlich van Lennep, van der Heyden. 48 Vgl. Ruys, Dathenus, 20f. Das genaue Datum, an dem Dathenus seinen Dienst in Frankfurt antrat, ist unbekannt. Den Eröffnungsgottesdienst am 19. September hielt Marten Micron (vgl. den Fortgang der Darstellung), der erste von Dathenus erhaltene Brief aus Frankfurt ist auf den 2. November datiert (Dathenus an Calvin, in: CR 43 [CO 15], 847f). Möglicherweise handelte es sich bei dem von Micron gehaltenen Gottesdienst um Dathenus’ Einführung als Prediger, also seine „Ordination“ (in diesem Sinne Becker, Kirchenordnung, 281 ohne Quellenangabe). Nach einer anderen Lesart befand sich Dathenus zu dieser Zeit noch nicht in Frankfurt (vgl. Denis, Pglises, 332 ebenfalls ohne Quellenangabe). Denis behauptet darüber hinaus, man hätte Dathenus für zu unerfahren gehalten, um ihn mit der Aufgabe zu betrauen, den Gottesdienst zu leiten. Angesichts seiner Berufung zum Prediger der Gemeinde erscheint dies jedoch wenig überzeugend. 49 In diesem Sinne van Schelven, Vluchtelingenkerken, 215.
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wie sie in der Forma ac ratio a Lascos und den Ordinancien Marten Microns überliefert ist, oder passte man sich an die vorgefundene Ordnung der französischen Gemeinde, mithin an die Liturgia sacra Val8rand Poullains an?50 Zu Gunsten der letzteren Auffassung wurde ins Feld geführt, dass aus dieser Zeit ein Beschluss des Frankfurter Rates überliefert sei, der von allen Fremdengemeinden die Orientierung an der Liturgia sacra verlangte.51 Die genaue Identifizierung eines solchen Beschlusses fällt jedoch schwer. Zum einen überliefert zwar der von Mitgliedern der englischen Flüchtlingsgemeinde im Anschluss an ihre Rückkehr nach England verfasste Brieff discourse52, dass den Flüchtlingen für die Gründung ihrer Gemeinde vom Rat zur Bedingung gemacht wurde, in Lehre und Zeremonien nicht von der französischen Gemeinde abzuweichen sowie das von diesen vorgelegte Glaubensbekenntnis zu unterzeichnen.53 Andererseits nennt Dathenus in seiner Erzelung keine derartige Auflage für die niederländische Gemeinde.54 Dort findet sich lediglich der Hinweis, dass die drei Fremdengemeinden zu Frankfurt „in der lehre und kirchendienst einander gar gleich“55 geblieben seien, ohne genauer zu spezifizieren, welcher Ordnung man folgte. Unterschiede werden sich allein schon aus der Verwendung der jeweiligen Landessprache ergeben haben und zumindest von den Engländern wurde die vom Rat angeordnete Anpassung an die französische Gemeinde nicht allzu strikt ausgelegt, insofern man wenig später daranging, eine eigene Liturgie zu entwerfen56 und zuletzt auch die Verwendung des Prayer Book beim Rat durchsetzte.57 Es spricht einiges dafür, dass Dathenus an der genannten Stelle seiner Erzelung die tatsächlichen, komplexeren Verhältnisse innerhalb der Frankfurter Gemeinden zu Gunsten einer schlagkräftigeren Argumentation in der Auseinandersetzung mit den lutherischen Predigern vereinfachte. Eine allgemeine Gültigkeit der Liturgia sacra für alle Frankfurter Fremdengemeinden wird sich
50 So Becker, Kirchenordnung, 282. 51 Vgl. ebd. 52 A Brieff discours off the troubles begonne at Franckford in Germany Anno Domini 1554. Abowte the Booke off off [sic!] common prayer and Ceremonies, and continued by the Englishe men theyre etc., s.l., 1574. 53 „[…] that the Englushe schulde not discent from the frenchmen in doctrine, or ceremonyes, least they shuld thereby minister occasion off offence, and willed farther, that before they entred their churche, they shulde approve and subscribe the same confession off faith, that the frencemen had then presented“ (a. a. O., VI). 54 Vgl. Dathenus, Erzelung, 10. Auch in den von Meinert veröffentlichten Ratsprotokollen findet sich kein entsprechender Beschluss. 55 Vgl. Dathenus, Erzelung, 10. 56 Vgl. A Brieff discours, VI–VIII. Über die Form des Gottesdienstes (genauer über die Gültigkeit des zweiten Prayer Book) kam es dann zu dem folgenschweren Zerwürfnis zwischen Richard Cox und John Knox und zum Ausschluss des Letzteren aus der Gemeinde. 57 Vgl. Denis, Pglises, 324.
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jedenfalls weder aus der Darstellung des Brieff discourse noch aus derjenigen der Erzelung ableiten lassen.58 Demgegenüber lassen sich einige Indizien zusammentragen, die dafürsprechen, dass sowohl a Lasco als auch Dathenus um eine formale Kontinuität zur Londoner Gemeinde bemüht waren. Bereits der erste Gottesdienst der Gemeinde am 15. September 1555 erweckt diesen Eindruck. Weder a Lasco noch Dathenus fungierten in ihm als Prediger, stattdessen reiste der ehemalige Prediger der Londoner Gemeinde, Marten Micron, zu diesem Zweck extra von Norden her an. A Lasco schreibt darüber am 19. September an Heinrich Bullinger : „Uns wurde hier durch die Gnade Gottes auch eine niederländische Gemeinde zugestanden. Unser Micron ist hierher zu mir aus Friesland gekommen, um sie einzurichten; er wird allerdings wieder nach Friesland zurückkehren, nachdem er den Kirchendienst in derjenigen Weise eingerichtet hat, in der wir ihn in England eingerichtet hatten.“59
A Lasco betont somit ausdrücklich die Absicht Microns, den Kirchendienst entsprechend der Londoner Tradition einzurichten. Dass dies zumindest in Teilen so umgesetzt wurde, geht aus einem Brief hervor, den Dathenus zwei Jahre später, am 27. Februar 1557, an den Kirchenrat in Emden schreibt. Darin beklagt er sich, dass die Gemeinde auf Grund fehlender personeller Unterstützung kaum in der Lage sei, „dat gebruyck der Profecieen“ zu halten.60 Man wird annehmen dürfen, dass er mit dieser Wendung entweder die schon aus London bekannten verschiedenen Formen von Lehrgottesdiensten (Prophetia im weiteren Sinn), 58 Becker scheint zudem davon auszugehen, Dathenus hätte die Liturgia sacra Poullains später in Heidelberg ins Deutsche übersetzt (vgl. Becker, Kirchenordnung, 282 mit Anm. 27). Dies ist jedoch nicht der Fall: Der von Becker als Beleg herangezogene Druck aus dem Jahr 1598, der Dathenus’ Erzelung, a Lascos Purgatio und Poullains Antidotus mit dessen Liturgia sacra zusammenbindet, wurde im Auftrag des Hochstatter Pfarrers Melchior Fronberger zur Unterstützung der reformierten Gemeinde in Frankfurt angefertigt. Vgl. dazu Bauer, Poullain, 10. 59 „Nos hic iam divino beneficio Flandricam quoque ecclesiam impetravimus, ad quam instituendam Micronius noster huc ad me ex Frisia venit, rediturus tamen rursus in Frisiam post institutum ecclesiae ministerium ad quem modum in Anglia institutum habebamus“ (CR 53 [CO 15], 771f, Hervorhebung im Original). Ganz ähnlich die Darstellung Utenhoves, die auch das Datum des ersten Gottesdienstes nennt: „Caeteru[m] Ioannes a Lasco, proximo deinde anno, circiter finem mensis Aprilis, Embda commigrat Francofordiam: ubi a pientissimo Senatu humanissime excipitur, a qui etiam non multo post impetrat potestatem, Belgicae Ecclesae in usum piorum peregrinorum erigendae, ac iuxta diuini uerbi regulam constituendae. Ad cuius faciendae initium Micronius per Ioannem a Lasco, & fratres ibi collectos uocatus, Francofurtu[m] profectus ad decimumquintu[m] Septrembr. diem, anno 1555 primam ei colligende Ecclesiae habuit concionem. Rebusq[ue] illius Ecclesiae mediocriter pro initiis bene constitutis, ac Petro Datheno in ministerio illius Ecclesi[a]e relicto, Nordan ad suos domu[m] reuertitur.“ (Utenhove, Narratio, 233f) 60 „Ten zesten, dat wy qualycken dat gebruyck der Profecieen hebben konnen, mitsgaders dat ick in’t verandtwoorden qualyck geholpen bin.“ (Van Schelven, Vluchtelingenkerken, 406).
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oder aber die für die Londoner Gemeinde charakteristische Form eines Predigtnachgesprächs (Prophetia im engeren Sinn) vor Augen hat.61 Alles in allem sprechen die genannten Indizien jedenfalls dafür, dass für die Niederländer in Frankfurt eher die Formulare der Londoner Ordnung als die Liturgia sacra die Grundlage der Gemeindeordnung bildeten. Dabei wird man jener nicht sklavisch gefolgt sein, sondern sie entsprechend der eigenen Bedürfnisse an die jeweiligen Gegebenheiten angepasst haben, ohne dabei aber die Kontinuität zur Londoner Gemeinde aufzugeben. Abschließend sei an dieser Stelle noch etwas zur Funktion a Lascos in der frühen Phase der Frankfurter Gemeinde gesagt: Ältere Literatur spricht in Übertragung der Londoner Verhältnisse diesbezüglich gerne vom Amt des Superintendenten, das a Lasco in Frankfurt inne gehabt hätte;62 jedoch wurde in neuerer Zeit mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass das einzige zeitgenössische Zeugnis, das a Lascos Tätigkeit in Frankfurt mit dem Titel „Superintendent“ belegt, im Kontext lutherischer Polemik steht.63 Von einem offiziellen Gemeindeamt kann also in der Tat nicht die Rede sein, wohl aber von strukturellen Analogien: So war in vielen Fällen offenbar a Lasco die natürliche Wahl, wenn es darum ging, die Theologie der Fremdengemeinden vor dem Rat zu vertreten.64 Im Konflikt zwischen Val8rand Poullain und Augustin Le Grand übernahm der polnische Baron darüber hinaus neben Calvin und anderen die Rolle eines Vermittlers und Streitschlichters.65 Auf Grund seiner Persönlichkeit und seines Ansehens nahm er in Frankfurt bis zu seiner Abreise 1556 Einfluss auf die Entwicklung der Gemeinde.
61 Zur Unterscheidung vgl. oben S. 39, Anm. 22. 62 Vgl. Ebrard, Gemeinde, 75f.; Besser, Geschichte, 26 Anm. 1; ebenso Bauer, Einstellung, 52. 63 Die entsprechende Stelle findet sich in einem Brief Peter Braubachs an Joachim Westphal vom 20. September 1555: „Peregrini qui hic sunt, quorum a Lasco episcopum et superintendentem agit, multum negotium exhibent nostris concionatoribus.“ (Sillem, Briefsammlung, 205). Vgl. dazu auch Becker, Kirchenordnung, 281 mit Anm. 24 und Denis, Pglises, 332f. Letzterer unterschätzt jedoch a Lascos Position, wenn er dessen „rile relativement modeste“ in Frankfurt mit seiner Unfähigkeit zu illustrieren sucht, die inneren Streitigkeiten der französischen Gemeinde zu schlichten („L’impuissance de cet ancien familier d’Prasme n’en fut que plus d8solante“, a. a. O., 333). Ein ähnliches Urteil ließe sich schließlich auch über Calvin fällen, der trotz intensivem Engagement in Gestalt von Briefen und einer Reise nach Frankfurt die fortwährenden Konflikte der Gemeinde nur in sehr begrenztem Umfang steuern konnte. 64 Vgl. insbes. die schriftlichen Verantwortungen vor dem Rat vom 27. Februar und 13. Mai 1556, die höchstwahrscheinlich von a Lasco verfasst sind (Paraphrase bei Bauer, Einstellung, 52–58). Vgl. darüber hinaus die unmittelbar vor der Abreise a Lascos im Oktober 1556 verfasste Purgatio. 65 Vgl. Denis, Pglises, 244–249.
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Dathenus’ Weg in die Kurpfalz
Streitsachen
Es ist hier nicht der Ort, über die verwickelten Auseinandersetzungen der Frankfurter Fremdengemeinde im Beziehungsgeflecht zwischen Rat, Zünften, lutherischen Stadtpredigern und internen Machtkämpfen im Einzelnen zu informieren.66 Gleichwohl sind die in Frankfurt ausgetragenen Konflikte nicht ohne Relevanz, da in ihnen zum einen der unmittelbare Anlass für den Wechsel eines Teils der Gemeinde nach Frankenthal zu sehen ist und sie zum anderen den impliziten Hintergrund für eine Reihe von Dathenus’ frühen Schriften bilden. Von daher sei in der Folge zumindest ein kurzer Abriss über die Ereignisse in Frankfurt gegeben, wobei ein besonderes Augenmerk auf den Verhältnissen in der niederländischen Flüchtlingsgemeinde liegen wird. Erste Spannungen mit den lutherischen Stadtpredigern, zu deren Sprecher sich im Laufe der Zeit immer mehr Hartmann Beyer entwickelte, traten bereits kurz nach der Etablierung der französischen Gemeinde im Frühjahr 1554 auf: Nachdem Val8rand Poullain sich bei Ritter und Beyer erkundigte, wo er in der Stadt ungesäuertes Brot und Gläser für die Feier des Abendmahls erhalten könnte, erhielt er von den Predigern zur Antwort, dass „solche Zwinglische weise, das Nachtmal zu halten, I[h]n bey uns auch in der Lehr des Zwinglischen irthums verdechtig mecht.“67 Das einmal geweckte Misstrauen konnte Poullain auch durch Vorlage eines schriftlichen Bekenntnisses nicht zerstreuen, vielmehr habe man, so schreibt Beyer später, insbesondere den Abendmahlsartikel als dunkel und zweideutig empfunden.68 In den sich anschließenden Verhandlungen mit dem Rat erklärte sich Poullain bereit, die CA zu unterschreiben – stillschweigend vorausgesetzt wurde offenbar, dass es sich um die Variata handelte –, verweigerte sich jedoch der Forderung der Stadtprediger, sich auch in den Zeremonien an die in Frankfurt herrschende Ordnung anzupassen.69 Durch Intervention der „Patrone“ der Fremden, also des oben genannten Kreises humanistisch gesinnter Ratsmitglieder, wurde dieses Vorspiel der späteren Streitigkeiten schließlich zu Gunsten Poullains entschieden. Der französischen Gemeinde blieb die Feier des Abendmahls nach eigenem Ritus gestattet. 66 Dies ist andernorts ausführlich geschehen: Vgl. a. a. O., 324–379; Bauer, Einstellung; auch Dingel, Religionssuplikationen; Besser, Geschichte, 21–77, van Schelven, Vluchtelingenkerken, 211–229 und Ebrard, Gemeinde, 49–99. 67 „Denn auff mittwoch nach dem Sontag Exaudi, welcher war der neund tag Maij, Ist Valerandus zu uns in unsern Conuent komen, Da haben wir jm nach der leng angezeigt, warumb uns seine Ceremonien beschwerlich weren und entlich auch gemeldet, das solche Zwinglische weise, das Nachtmal zu halten, In bey uns auch in der Lehr des Zwinglischen irthums verdechtig mecht, und ist also aus der ersten spaltung der Ceremonien halb, Die andere, von der Lehr, erwachsen.“ (Gegenbericht, FRH II, Beylagen, 58) 68 Vgl. ebd. 69 Vgl. Denis, Pglises, 315f.
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Um größere Akzeptanz für die Gebräuche und die Theologie seiner Gemeinde zu erlangen, ließ Poullain noch 1554 einen Neudruck seiner Liturgia sacra anfertigen, der die Liturgie, die Kirchenordnung und das Bekenntnis der wallonischen Gemeinde von Glastonbury umfasste. Explizit sollte der Druck dem – wohl von altgläubiger Seite gestreuten70 – Vorwurf begegnen, bei den Fremden handele es sich um Ketzer und Täufer. Die Schrift wurde im September dem Rat vorgelegt, der die Sache damit als erledigt ansah und die freie Religionsausübung der Gemeinde unangetastet ließ. Für knapp ein Jahr blieb die Situation stabil, bis im September 1555 die Gruppe um Beyer durch drei parallele Entwicklungen erneut zu Maßnahmen gegen die Fremden bewegt wurde. Erstens bat die unterdessen in Frankfurt aufgenommene Gruppe englischer Glaubensflüchtlinge den Rat am 5. September um Überlassung der Katharinenkirche, was die lutherischen Stadtprediger als Indiz einer drohenden Überfremdung werteten.71 Zweitens dürfte sich der bereits zuvor aufgekommene Verdacht, man habe es bei den Fremden mit „Zwinglianern“ zu tun, durch die Ankunft Johannes a Lascos im Sommer 1555 zu größerer Gewissheit verfestigt haben. Anders als Poullain, der für die Prediger vor seiner Ankunft wohl in der Tat ein „unbeschriebenes Blatt“ darstellte, genoss a Lasco bei Freunden wie Gegnern den Ruf eines profilierten Theologen, der sich durch eine Reihe pointierter Äußerungen in der Sakraments- und Abendmahlsfrage hervorgetan hatte.72 Dass der Eröffnungsgottesdienst der niederländischen Gemeinde dann ausgerechnet von jenem Marten Micron gehalten wurde, dessen Streit mit Joachim Westphal, dem Freund Beyers und Frankfurter Druckers Peter Braubach (ca. 1500–1567), über die Abendmahlslehre noch wenige Monate zuvor in Hamburg beiderseits größte Erbitterung hervorgerufen hatte, sahen die Stadtprediger nur noch als letzte Bestätigung ihres Urteils über die Fremden.73 In der Tat entwickelte sich Frankfurt im Fortgang der Ereignisse durch die Anwesenheit a Lascos zu einer Schaubühne des zweiten Abendmahlsstreits.74 Noch 1555 ließ der polnische Baron in Frankfurt seine Forma ac ratio drucken, nach eigenen Angaben eine Darstellung der in London verwendeten Kirchenordnung, gleichzeitig jedoch eine apologetische Reaktion auf die von Joachim Westphal und Johann Timann (gest. 1557) geführten Angriffe gegen die lasko70 Vgl. Poullain, Liturgia sacra, Honders, 28f Anm. a). 71 „Und hetten zwar durch ire Patronen dazumal leichtlich eine eigene Kirch aus denen, so ohn das ledig waren, können erwerben, aber sie trachten weiter, und wolten die gelegenheit brauchen, sich auch in unsere Kirchen einzuschleyffen“ (Gegenbericht, FRH II, Beylage 62) 72 Vgl. dazu die Übersicht bei Zwierlein, Erasmianer, 66f. 73 Vgl. van Schelven, Vluchtelingenkerken, 217; Ebrard, Gemeinde, 78 Anm. 1; Besser, Geschichte, 41. 74 Vgl. dazu Pettegree, Marian Protestantism, 55–85 und Jürgens, Vertreibung, 18–21, die jeweils die Rolle der Frankfurter Fremdengemeinde im zweiten Abendmahlsstreit beleuchten.
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nische Abendmahlslehre.75 Als die lutherischen Prediger a Lascos Schrift während der Frankfurter Herbstmesse 1555 zum Verkauf stehen sahen, reichten sie am 5. September beim Rat schriftlich Beschwerde gegen die Fremdengemeinden ein: Diese verträten in der Frage des Abendmahls eine von der CA abweichende Lehre.76 Durch eine dritte Entwicklung erhielt dieses Argument größtes Gewicht: Am 25. September 1555 kamen die seit nunmehr fast einem Jahr laufenden Verhandlungen über einen reichsweiten Religionsfrieden durch die Verkündung des Reichstagsabschiedes in Augsburg zum Abschluss. Mit der Erhebung der CA zu einem Rechtsdokument mit definitorischer Funktion für die protestantische Religionspartei im Reich war den Stadtpredigern ein juristisches Mittel an die Hand gegeben, den Druck auf die Fremden in Frankfurt je nach Bedarf zu erhöhen.77 Die Frage der Lehrkonformität mit der CA entwickelte sich in der Folge zum prägenden Motiv der Auseinandersetzungen. Durch eine Reihe von Eingaben versuchten die Stadtprediger den Rat davon zu überzeugen, dass die Abendmahlslehre und -praxis der Fremdengemeinden von der CA abweiche. Ein vom Rat vorgeschlagenes vergleichendes Kolloquium hielten sie für unnötig mit der Begründung, es genüge, die Liturgia sacra und die Forma ac ratio zu lesen, um die eigene Auffassung bestätigt zu finden.78 Umgekehrt befanden sich die Glaubensflüchtlinge nach 1555 unter dem beständigen Zwang zur Verteidigung ihrer Lehre. Als der Rat sie am 4. Februar 1556 auf die Wittenberger und Frankfurter Konkordie verpflichtete, reagierten die Fremdengemeinden am 27. Februar mit einer ausführlichen Verteidigungsschrift, in der sie explizit ihre Übereinstimmung mit dem Abendmahlsartikel der CA betonten – im Blick war wiederum die Fassung der CA Variata.79 Wenig überraschend zeigten sich die Stadtprediger durch dieses Zugeständnis nicht befriedigt, der Streit zog sich über das ganze Jahr 1556 hin, woran auch eine weitere apologetische Schrift der Fremdengemeinden an den Rat vom 13. Mai 1556 nichts änderte. Vor seiner Abreise aus Frankfurt im Oktober 1556 verfasste a Lasco darüber hinaus noch seine Purgatio der Abendmahlslehre der Fremden, eine Verteidigungsschrift, die 75 Vgl. a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 14. Vgl. auch Teil Zwei, Kapitel 2.1.1 (S. 138). 76 Vgl. Bauer, Einstellung, 42. 77 Dass die Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens ein entscheidendes Motiv für das Vorgehen der Stadtprediger darstellte, betont insbesondere Bauer; vgl. a. a. O., 43f. 78 Vgl. die in den FRH wiedergegebenen Erklärungen der Prediger (FRH I, Beylage 9–11); daneben auch die entsprechende Eintragung in den Ratsprotokollen (Meinert, Eingliederung, 18). 79 Die Verteidigungsschrift der Fremdengemeinden findet sich nicht in den FRH. Eine ausführliche Paraphrase bietet Bauer, Einstellung, 53–58. Vgl. darüber hinaus die Wertung Denis’: „D8sormais, cependant, les 8trangers se trouvaient sur la d8fensive: ils n’8taient plus que tol8r8s. A partir de cette date, tous leurs efforts n’eurent plus qu’un seul but: raffermir leur position.“ (Denis, Pglises, 352)
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von den Predigern der französischen, englischen und niederländischen Gemeinde unterzeichnet wurde. Das in Basel gedruckte Büchlein sollte die Konformität der Fremdengemeinden mit der CA öffentlich belegen. Doch beschränkte sich die Aktivität a Lascos zu Gunsten der Vertriebenen nicht allein auf die Ebene theologischer Auseinandersetzung. Während einer Reise nach Süddeutschland gelang es ihm, namhafte Fürsten auf deren prekäre Situation in Frankfurt aufmerksam zu machen.80 So setzte sich der pfälzische Graf Georg von Erbach (1506–1569) 1556 in Form mehrerer Briefe und durch die Sendung des Michelstadter Pfarrers Andreas Stoltz für die Fremdengemeinden ein.81 Neben Georg verwandte sich Landgraf Philipp von Hessen (1509/1518– 1567) für die Fremden und bat den Rat durch ein Schreiben, deren Verbleib in Frankfurt weiterhin zu tolerieren.82 Im Folgejahr verlor die Auseinandersetzung an Schärfe, nicht allein auf Grund der Interventionen Georgs von Erbach und Philipps von Hessen, sondern auch wegen der nach wie vor indifferenten Haltung des Rates. Dieser begann zwar seit 1556 unter dem Einfluss der Stadtprediger und der zunehmend um ihre wirtschaftliche Stellung besorgten Zünfte einen gewissen Anpassungsdruck auf die Fremdengemeinden auszuüben begann, zeigte sich jedoch noch nicht zu direkten Einschränkung der öffentlichen Religionsausübung bereit. Der im Juni 1557 abgehaltene Frankfurter Konvent bot den Fremdengemeinden zusätzlich Gelegenheit, sich vor einer breiten Öffentlichkeit zu verteidigen. Mit Blick auf das von Kaiser Ferdinand für den August des gleichen Jahres anberaumte Religionsgespräch in Worms hatten sich die evangelischen Fürsten mit ihren Theologen in Frankfurt versammelt, um sich für die anstehende Disputation mit den Altgläubigen auf eine gemeinsame theologische Linie zu einigen. Die Fremdengemeinden nutzten das in Frankfurt in Gestalt der Fürsten und ihrem Gefolge versammelte Forum evangelischer Öffentlichkeit, um den aus ihrer Perspektive bestehenden grundlegenden Glaubenskonsens mit den Ständen der CA breitenwirksam zu dokumentieren. In zwei Schreiben, zum einen an den Rat, zum anderen an die in Frankfurt versammelten evangelischen Fürsten, bekannten sie sich zu dem 1551 verfassten sächsischen Glaubensbekenntnis (der sog. Confessio saxonica), allerdings mit dem Zusatz „man wöll das wörtlein
80 Vgl. dazu den Brief Val8rand Poullains an Calvin vom 9. Juni 1556, CR 44 (CO 16), 185–187. 81 Der erste Brief vom 18. August 1556 findet sich abgedruckt in den FRH II, Beylagen, 279f. Weitere Schreiben – vermutlich von Oktober und November – werden in den Frankfurter Ratsprotokollen erwähnt (vgl. Meinert, Eingliederung, 35.37–38). Zu den Grafen von Erbach vgl. Kapitel 3.1 (S. 76–79). 82 Der Brief vom 13. November wurde am 24. November im Rat verlesen, vgl. Denis, Pglises, 354 Anm. 3; auch Bauer, Einstellung 59f.
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Substantialiter, im artickel vom Heiligen Nachtmal, recht nach laut Göttliches Worts und eigenschafft der Sacrament verstehen“.83 Günstig für die Fremdengemeinde wirkte sich womöglich auch der erneute persönliche Einsatz des im Zuge des Fürstentages in Frankfurt weilenden Georg von Erbach aus84, sowie vor allem das Gutachten Melanchthons vom 13. Juli 1557 an den Frankfurter Rat, in dem der Praeceptor sich in Anbetracht der Annahme der Confessio saxonica durch die Fremden dafür aussprach, diesen in der Stadt weiterhin Zuflucht zu gewähren.85 Die Chance auf eine endgültige Beilegung des Streits schien dann im Frühjahr 1558 gekommen. Nach dem Scheitern des Wormser Religionsgesprächs und angesichts des dort offen zu Tage getretenen Dissenses innerhalb der evangelischen Kolloquenten versuchten die evangelischen Fürsten (ohne ihre Theologen) im März 1558 zu einer innerevangelischen Einigung zu kommen. Der so am 18. März von den Fürsten verabschiedete Frankfurter Rezess86 lehnte sich in seinem dritten Artikel in der Formulierung der Abendmahlstheologie deutlich an die Variata an. So wurde zwar die Auffassung abgelehnt, es handele sich bei den Abendmahlselementen nur um „äusserlich Zeichen“, jedoch zugleich eine substantielle Identifikation des Leibes und Blutes Christi mit Brot und Wein durch die cum-pane-Formel vermieden, sowie die Gegenwart Christi im Mahl im Sinne einer Aktualpräsenz gefasst. Die Formulierung war jedenfalls ausreichend offen, dass die Prediger der Fremdengemeinden sie unterzeichnen konnten.87 Eine gemeinsame Ausgangsbasis für die Überwindung der Streitigkeiten schien gefunden – fast drei Jahre lang enthielten sich beide Parteien jeder Polemik. Bemerkenswerterweise waren es nicht die Stadtprediger, sondern interne Spannungen innerhalb der Fremdengemeinden selbst, die dann im Jahr 1561 den Impuls für neuerliche Auseinandersetzungen gaben. Bereits seit 1559 tobte zwischen den beiden Predigern der französischen Gemeinde FranÅois P8russel und Guillaume Houbraque (1546–1579) ein langwieriger Streit um die Durchführung der Kirchenzucht und die Teilnahme am Abendmahl, dessen theolo83 84 85 86
Dathenus, Erzelung, 12. Vgl. Bauer, Einstellung, 67. Vgl. CR 9, 179f.; auch FRH I, Beylagen, 44f. Vgl. CR 9, 489–507. Der Frankfurter Rezess, dessen Endredaktor wohl nicht wie vielfach angenommen Melanchthon, sondern der Pfalz-Zweibrücker Kanzler Ulrich Sitzinger war, wurde von sechs evangelischen Fürsten – darunter die Kurfürsten Ottheinrich von der Pfalz, August von Sachsen und Joachim von Brandenburg (1583–1600) – unterzeichnet und verfolgte ursprünglich die Absicht, durch eine gemeinsame Erklärung die auf dem Wormser Kolloquium 1557 zu Tage getretenen innerprotestantischen Differenzen zu überbrücken. Dieses Vorhaben scheiterte letzten Endes am Widerstand Johann Friedrichs II. von Sachsen, der dem Dokument seine Unterschrift verweigerte; vgl. Dingel, Einigungsbemühungen. Zur Frage nach dem Endredaktor vgl. Strohm, Theologie, Anm. 23 und Wolf, Geschichte, 125 Anm. 1. 87 Vgl. das entsprechende Schreiben der Prediger an den Rat (FRH I, Beylagen 39–44f.).
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gische Feinheiten hier jedoch beiseitegelassen werden können.88 Im weiteren Verlauf verhängnisvoll wirkte es sich jedenfalls aus, dass der Konflikt durch Johann von Glauburg, der an dem Geschick der Fremdengemeinden von Anfang an lebhaften Anteil genommen hatte, vor den Rat getragen wurde. Der Rat setzte eine Kommission mit Johann an der Spitze ein, die mit der Untersuchung der Streitigkeiten in der französischen Gemeinde betraut wurde.89 Immerhin eineinhalb Jahre dauerte es, bis die Ratsherren im August 1560 zu einem abschließenden Urteil kamen: P8russel wurde von den gegen ihn erhobenen Anschuldigungen freigesprochen, der Rat solle aber eine neue Kirchenordnung für die Gemeinde entwerfen, auf deren Grundlage dann eine Neuwahl der Ältesten abzuhalten sei.90 Die in Frankfurt verbliebenen Anhänger Houbraques – er selbst hatte bereits 1559 die Stadt Richtung Straßburg verlassen – waren offenbar nicht bereit, dieses Urteil zu akzeptieren. Über verschiedene Briefe in die Niederlande und in Frankfurt selbst streuten sie das Gerücht, es handele sich bei dem Urteil nur um eine Privatmeinung der Ratsherren, die nicht durch einen offiziellen Ratsbeschluss gedeckt sei.91 Die drei Kommissionsmitglieder fühlten sich in ihrer Ehre angegriffen und baten den Rat um Bekräftigung ihres Urteils. Im Rat selbst hatte derweil der Einfluss des humanistisch gesinnten Flügels nachgelassen: Bereits 1555 starb Adolf von Glauburg und im Jahr 1558 musste Claus Bromm als Konsequenz finanzieller Fehlentscheidungen seinen Ratssitz aufgeben. Die immer stärker werdenden Ressentiments der Zünfte gegen die wachsenden Fremdengemeinden, die Entwicklung innerhalb der Stadtpredigerschaft, die nach dem Ausscheiden von Lullius und Ambach Ende der Fünfzigerjahre durchweg den lutherischen Standpunkt vertrat, und die dauernden internen Streitigkeiten der Gemeinden taten ihr Übriges, um die Stimmung im Rat gegen die Fremden kippen zu lassen. Vor diesem Hintergrund erklärt es sich womöglich, dass der Rat den Bitten der drei Kommissionsmitglieder um Bestätigung ihres Votums nicht nachkam, sondern am 18. März 1561 beschloss, dasselbe durch zwei Advokaten prüfen zu lassen. Darüber hinaus ordnete er die vorläufige Schließung der Fremdengemeinden bis Ostern desselben Jahres an.92 Nach einer neuerlichen Ratssitzung am 22. April erging ein Tag später die 88 Eine ausführliche Darstellung des Frankfurter Konflikts und seiner Wurzeln bei Denis, Pglises, 367–379. P8russels Haltung wies offenbar Parallelen zu der später von Thomas Erastus im kurpfälzischen Kirchenzuchtssteit eingenommenen Position auf, während Houbraque sich stark an das Modell der Genfer Kirchenzucht anlehnte. 89 Vgl. Denis, Pglises, 364; auch den entsprechenden Vermerk in den Ratsprotokollen bei Meinert, Eingliederung, 62. 90 Vgl. Denis, Pglises, 373; das Urteil im Wortlaut bei van Schelven, Vluchtelingenkerken, 406– 409. 91 Vgl. Denis, Pglises, 375; Bauer, Einstellung, 77. 92 Vgl. FRH I, Beylage, 57.
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Aufforderung an die Prediger der Fremdengemeinden, sich des Predigens so lange zu enthalten, bis sie sich in Lehre und Zeremonien mit den Frankfurter Stadtpredigern gänzlich verglichen hätten.93 Da der Rat nicht weiter präzisierte, auf welchem Wege ein solcher Vergleich zustande kommen sollte, war den Stadtpredigern letztendlich freie Hand gegeben, über den weiteren Fortbestand der Fremdengemeinden nach eigenem Ermessen zu entscheiden. Es kam zwar noch zu Verhandlungen, die intransigente Haltung Beyers machte jedoch eine Verständigung trotz gewisser Zugeständnisse auf Seiten P8russels unmöglich. Indessen taten die Fremdengemeinden alles, um Bewegung in die verfahrene Situation zu bringen. Zum einen versuchten sie durch eine Reihe von Supplikationen beim Rat doch noch eine Aufhebung des Beschlusses vom 22. April zu erreichen,94 jedoch mit dem einzigen Ergebnis, dass der Rat wieder und wieder die Schließung der Gemeinden bestätigte.95 Zum anderen aktivierten sie ihre Beziehungen zu benachbarten Fürsten, die ihnen schon vier Jahre zuvor ihre Unterstützung gewährt hatten. So beauftragte der pfälzische Kurfürst Friedrich III. im Juli 1561 Christoph Ehem nicht nur damit, auf seiner Reise nach Frankfurt den Rat für den jüngst gefassten Beschluss des Naumburger Fürstentages zu gewinnen, sondern sich daneben auch für die Belange der Fremdengemeinden einzusetzen.96 Nach Ehems Rückkehr verlieh der pfälzische Kurfürst seinem Ersuchen durch ein zusätzliches Schreiben besonderen Nachdruck und führte insbesondere die Annahme der Confessio saxonica und des Frankfurter Rezesses zu Gunsten der „vertribenen Christen“ ins Feld. So habt ihr als die verstendigen, selbs vernünfftiglichen zu erachten, was es bey meniglichen für ein Ansehen haben werde, who man sie von wegen ihrer Lehre und Confeßion, die vor so viel stattlichen Chur- und Fürsten, deren gelerten Theologis und Euch selbst zu Franckfurth für genugsam erkant und approbirt, auch sie so lang uff ehedachter Chur- und Fürsten vorbittlich Ansuchen und erfolgter Subscription, Vertröstung und Zusagung, in euer Statt unangefochten gedultet worden, in das Elend zu zeihen verursachen wolte, zugeschweigen das auch solche Handlung ein mercklechen Anstoß und Verhinderung, dem Evangelio in Franckreich und Engelandt, auch Hispania und Italia geberen.“97
In wesentlich zurückhaltenderem Ton verwandte sich darüber hinaus der Londoner Bischof Edmund Grindal (1519–1583) in einem Schreiben vom 12. No93 94 95 96
Vgl. Bauer, Einstelllung, 79. Vgl. dazu ausführlich Dingel, Religionssupplikationen. Vgl. Bauer, Einstellung, 90–99. Vgl. den entsprechenden Vermerk in den Ratsprotokollen vom 24. Juli 1561 (Meinert, Eingliederung, 97). 97 Brief Kurfürst Friedrichs von der Pfalz an den Frankfurter Rat vom 12. August 1561; abgedruckt in FRH I, Beylage, 79f. (mit dem Datum 18. August; zur Korrektur vgl. Bauer, Einstellung 87 und Anm. 349); fehlt bei Kluckhohn.
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vember für die Fremdengemeinden, worin er die bislang vom Rat geübte christliche Nächstenliebe lobte und ihn zugleich darum bat, von dem einmal eingeschlagenen Weg einer Duldung der Fremden nicht abzuweichen.98 Nachdem der Rat die genannten Interventionen unter Verweis auf die Souveränität der Stadt in religiösen Dingen abschlägig beschieden hatte, wandten sich die Fremden in einem weiteren Versuch, ihre Lage zu verbessern an die theologischen Fakultäten in Heidelberg und Marburg mit Bitte um ein Gutachten. Das von Caspar Olevianus, Petrus Boquinus und Immanuel Tremellius verfasste Votum der Heidelberger Fakultät wurde am 19. März 1562 im Rat verlesen,99 bewegte denselben aber genauso wenig zu einer Änderung seiner Haltung wie das am 31. März durch die Fremdengemeinden vorgelegte Gutachten der Marburger Fakultät.100 Auch eine zwischenzeitlich eingetroffene Gesandtschaft Philipps von Hessen und Friedrichs III., zu der wiederum Christoph Ehem zählte, vermochte den Rat nicht dazu zu bewegen, das Verbot der öffentlichen Religionsausübung gegenüber den Fremdengemeinden zu überdenken.101 Für die in Frankfurt anwesenden Glaubensflüchtlinge bedeutete das Scheitern dieser letzten Initiative das vorläufige Ende der Hoffnung auf Selbstständigkeit. Auf absehbare Zeit war mit der Möglichkeit einer freien Ausübung ihres Gottesdienstes nicht mehr zu rechnen. Ein großer Teil der niederländischen Gemeinde verließ daraufhin die Stadt, zurück blieb lediglich eine Rumpfgemeinde, deren Versammlungen in Privathäusern der Rat stillschweigend duldete.102 Selbst das Wiederanwachsen des Flüchtlingsstromes in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre änderte daran nichts, vielmehr verhinderte das sich in Frankfurt früh in Richtung Orthodoxie entwickelnde Luthertum erfolgreich jedwede Zugeständnisse in Richtung einer öffentlichen Ausübung des reformierten Gottesdienstes innerhalb der Stadtmauern. So urteilt Karl Bauer am Ende seiner bemerkenswerten Abhandlung über die Ereignisse in Frankfurt der Jahre 1554 bis 1561: 98 Vgl. FRH I, Beylage, 80f. 99 Vgl. Meinert, Eingliederung, 107. Das Gutachten selbst scheint nicht erhalten. Auch ist unklar, welche Textgrundlage die Fremdengemeinden den beiden Fakultäten zur Begutachtung zukommen ließen. In Frage kämen die Confession de la foy Poullains, das Bekenntnis Arnaud Bancs (FRH II, Beylage, 327–330), des 1561 nach Frankfurt gekommenen neuen Predigers der französischen Gemeinde, ein Heidelberger Druck der Confessio gallicana, die die Fremden dem Frankfurter Rat in der Hoffnung auf Einigung Anfang März 1562 vorlegten (vgl. das Gutachten der Stadtprediger vom 19. März 1562, FRH II, Beylage, 335–342) oder auch eine nicht erhaltene, neu verfasste Bekenntnisschrift. 100 Lediglich das Begleitschreiben der Fremdengemeinden an den Rat findet sich in FRH I, Beylage, 85f. 101 Vgl. den entsprechenden Vermerk in den Ratsprotokollen (Meinert, Eingliederung, 105). Dazu auch Bauer, Einstellung, 95. Das Gutachten selbst nicht in den FRH. 102 Vgl. Denis, Pglises, 390f.
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„Tatsächlich waren die Einheimischen und die Fremden jetzt nicht mehr bloß, wie zu Beginn, durch die Sprache geschieden. Sie standen sich nun vielmehr wirklich als Lutheraner und Reformierte mit verschiedenen dogmatischen Anschauungen gegenüber, wie denn auch die Fremden sich zuletzt selber als „reformiert“ bezeichneten. Die Einstellung des reformierten Gottesdienstes in Frankfurt bildet hiernach einen Ausschnitt aus jener größeren kirchen- und dogmengeschichtlichen Entwicklung, welche sich als Rückgang des Philippismus seit den fünfziger Jahren des 16. Jahrhunderts in Deutschland allgemein beobachten läßt.“103
Wenn man auch zu fragen haben wird, in welcher Bedeutung die Fremden sich 1561 als reformatus bezeichneten, ob das Attribut also tatsächlich im Sinne konfessioneller Abgrenzung verwendet wurde, wie Bauer offenbar annimmt, so ist die Gesamtentwicklung einer sich unter der Anwesenheit der Niederländer und Wallonen vergleichsweise frühzeitig vollziehenden Konfessionalisierung Frankfurts hier treffend auf den Punkt gebracht. Es zeugt von der Nachhaltigkeit dieses Prozesses, wenn den Reformierten in Frankfurt die Erlaubnis zur öffentlichen Feier ihrer Gottesdienste innerhalb der Stadt erst im ausgehenden 18. Jahrhundert wieder zugestanden wurde.104
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Die internen und externen Auseinandersetzungen der Frankfurter Flüchtlingsgemeinden lassen erahnen, welch schweren Stand Dathenus als einer ihrer Prediger hatte.105 Insbesondere seit dem Weggang a Lascos im Oktober 1556 ruhte die Verantwortung für die niederländische Gemeinde ganz allein auf seinen Schultern – einer Belastung, der sich der Siebenundzwanzigjährige offenbar nur eingeschränkt gewachsen sah. Im Frühjahr 1557 verfasste er eine Reihe von Briefen an den Kirchenrat in Emden, in denen er um die Entsendung personeller Unterstützung für seine Gemeinde bittet. Erhalten geblieben ist ein Brief vom
103 Bauer, Einstellung, 101. 104 Zum Wiederaufbau der französischen Gemeinde in den Jahren 1787–1793 vgl. Ebrard, Gemeinde, 131–140. 105 Dathenus’ Frankfurter Jahre haben in der bisherigen Literatur vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ruys beschränkt sich im Wesentlichen auf das Referat der aus diesen Jahren überlieferten Briefe und bringt dieselben nur ansatzweise mit der Gesamtentwicklung der Fremdengemeinden oder gar Dathenus’ weiterer literarischer Tätigkeit in der Reichsstadt in Zusammenhang (vgl. Ruys, Dathenus, 19–45). Auch der neueste – und im deutschsprachigen Raum mit einigem Abstand genaueste – Beitrag Benraths zur Bedeutung des niederländischen Predigers für die Kurpfalz beschränkt sich auf eine Darstellung seines Lebensweges seit seinem Umzug in die Kurpfalz im Jahre 1562 (vgl. Benrath, Dathenus).
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27. Februar 1557106, dem weitere Schreiben vorausgegangen sein müssen. Darin unterstreicht Dathenus die Dringlichkeit seines Anliegens und erhebt gleichzeitig schwere Vorwürfe gegen die Brüder in Emden. Diese hätten nicht nur keine Hilfe geschickt, sondern auch diejenigen, die nach Frankfurt kommen wollten, explizit davon abgehalten.107 Die aus Emden vernommenen Entschuldigungen tut er als Ausflüchte ab: Hätten etwa Entschuldigungen denjenigen geholfen, die nach Lk 14 zur Hochzeit eingeladen gewesen seien?108 Mit einer Aufzählung von nicht weniger als zehn Punkten versucht Dathenus den Adressaten die desolate Situation seiner Gemeinde zu verdeutlichen, die ihn dazu zwinge „so dringlich um Hilfe zu bitten“: Diejenigen, die in der Gemeinde Dienst tun, seien dazu nicht geeignet; sie könnten kein Latein, nicht einmal Französisch und seien daher nicht in der Lage, mit den deutschen, französischen oder englischen Predigern zu verhandeln; die Aufrechterhaltung der „Profecieen“ sei kaum möglich; wenn Dathenus einmal krank sei oder verreise, müsse der Gottesdienst ausgesetzt werden usw.109 Der in einem aufgeregten, geradezu vorwurfsvollen Ton verfasste Brief verdeutlicht nicht allein, in welch schwieriger Lage sich Dathenus sah. Er lässt darüber hinaus einen gewissen Rückschluss auf die Zusammensetzung der niederländischen Gemeinde zu. Offenbar bestand sie nicht, wie in der Forschung zuweilen vermutet,110 zum größten Teil aus Flüchtlingen aus London. Ausdrücklich beschwert sich Dathenus darüber, dass „es nicht einen gibt, der auch in anderen Gemeinden gewesen“ sei und dass deshalb die Gemeindeglieder „für das kirchliche Regiment ungeeignet“ seien.111 Die Kontinuität zur Flüchtlingsgemeinde in London gewährleisteten wohl vor allem Johannes a Lasco und Dathenus selbst, nicht jedoch die Gemeindeglieder, die offenbar unmittelbar aus den Niederlanden bzw. Frankreich nach Frankfurt gekommen waren. Eine Reaktion aus Emden auf Dathenus’ Schreiben ist nicht erhalten, jedoch ein weiterer Brief aus seiner Feder vom 21. Mai 1557. Der Prediger hatte mittlerweile von den Bemühungen des Emder Kirchenrates, Unterstützung für seine Frankfurter Gemeinde zu finden, erfahren, und wurde offenbar von einem schlechten Gewissen geplagt: Man solle seinen letztes Schreiben nicht für ungut 106 Abgedruckt bei van Schelven, Vluchtelingenkerken, 403–406. Der zweite Brief vom 21. Mai 1557 in Meiners, Geschiedenisse, 379–383. 107 „Waer geschieht dat, dat Salomo pryst segghende, den broeder die van den broeder geholpen is, is als een vaste stat! Int contrarium verhyndert ghy deghenen ende ontraetse die gewillich syn om ons te helpen.“ (van Schelven, Vluchtelingenkerken, 404) 108 „Hebben ooc die ontschuldyngen connen helpen denghenen die (Luc 14) totter bruloft ghenoot waren?“ (ebd.) 109 Vgl. a. a. O., 406. 110 Vgl. Dalton, a Lasco, 462. Kritisch dazu Meinert, Eingliederung, XV. 111 „Ten zevenden, om dat ’er niet een en is, die ooit in andere Gemeenten geweest is, en zo zyne in den Kerkelycken reigmente ongeschikt“ (van Schelven, Vluchtelingenkerken, 406)
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aufnehmen, es sei einem Eifer entsprungen, der hoffentlich kein unchristlicher gewesen sei.112 Den Vorschlag des Kirchenrates, Johannes Dyrkinus113 (gest. vor 1592) zu schicken, müsse die Frankfurter Gemeinde leider ablehnen, da die zur Verfügung stehenden Geldmittel nicht sehr umfangreich seien und die französische Gemeinde lieber Hermes Backerel114 (gest. nach 1579) bei sich hätte. Letzterer habe überdies noch eigene Mittel, so dass er mit dem kleinen Gehalt auskäme.115 Dathenus bittet außerdem um die Entsendung Marten Microns nach Frankfurt, der die Gemeinde für eine möglicherweise bevorstehende Disputation mit den lutherischen Predigern zurüsten solle.116 Die beiden Briefe demonstrieren exemplarisch, dass Dathenus auch nach der Abreise Johannes a Lascos aus Frankfurt um engen Kontakt nach Emden und zum Netzwerk der aus London vertriebenen Glaubensflüchtlinge bemüht war. Emden blieb in dieser Zeit die erste Adresse für Anfragen, wenn es darum ging, neue Mitarbeiter für die eigene Gemeinde zu rekrutieren. Darüber hinaus stand Dathenus jedoch mit weiteren Bekannten aus seiner Londoner Zeit in Verbindung, die nicht in Emden Zuflucht gefunden hatten, so insbesondere mit dem seit 1559 wieder in England weilenden Jan Utenhove, den er während der konfliktreichen Situation in der Gemeinde Anfang der Sechzigerjahre regelmäßig über den Stand der Dinge in Frankfurt informierte.117 Mit seinen im Mai 1557 vorgebrachten Wünschen hatte Dathenus indessen wenig Glück: Hermes Backerel wurde von Emden aus 1558 nach Antwerpen, nicht nach Frankfurt, geschickt, und Micron starb 1559 in Norden, ohne noch einmal den beschwerlichen Weg nach Frankfurt auf sich genommen zu haben. Gleichwohl blieb man dort nicht ohne personelle Unterstützung. Ende 1558, spätestens Anfang 1559 gelangte der Antwerpener Prediger Gaspar van der Heyden118 in die Stadt, der nach standhaftem Ausharren in der Antwerpener Gemeinde, die Ende der Fünfzigerjahre in immer stärkerem Maße von den Übergriffen der katholischen Obrigkeit betroffen war, schließlich unter Le112 „[…] maar om dies wille, dat ons deze neerstige zorgvuldicheit en andere circumstantien meer onbekent geweest zyn, zo hebben wy voormaals een weynich harder geschreven dies wy U. L. hertgrondelyck bidden, dat gy ons schreyven niet voor ongoet wilt afnemen, maar veel meer door de liefde in ’t beste keren: want het quam uit eenen yver, die zo wy verhopen, niet onchristelyk was.“ (Meiners, Geschiedenisse, 380) 113 Zu dem vor allem durch seine Übersetzungen des Neuen Testaments und der Institutio bekannten Dyrkinus vgl. van Schelven, Art. Dyrkinus (NNBW). 114 Vgl. van Schelven, Art. Backerel (NNBW). 115 Vgl. a. a. O., 381. 116 Vgl. a. a. O., 382. 117 Vgl. die Briefe vom 11. April 1560 (Hessels, Archivum, 128–131), vom 28. April 1561 (a. a. O., 157f) und vom 7. Juli 1561 (a. a. O., 169–171). 118 Das genaue Datum seiner Ankunft ist nicht bekannt. Van der Heyden hatte Antwerpen 1558, spätestens 1559 verlassen und es steht zu vermuten, dass er sich danach alsbald nach Frankfurt begeben hat; vgl. dazu van Lennep, van der Heyden, 26–28.
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bensgefahr seine Heimat verlassen musste. Dass van der Heyden offiziell das Amt eines Predigers in der niederländischen Gemeinde in Frankfurt innehatte, lässt sich mit Sicherheit zwar erst für das Jahr 1561 belegen119, jedoch dürfte er unabhängig davon die Gemeinde bereits unmittelbar nach seiner Ankunft mit seinen Fähigkeiten unterstützt und Dathenus dementsprechend entlastet haben. Womöglich lässt sich Dathenus’ enger Kontakt nach Antwerpen in nicht unwesentlichem Maße ebenfalls auf die Person van der Heydens zurückführen. So leitet Dathenus am 20. September 1558 – also entweder kurz vor oder kurz nach der Ankunft van der Heydens in Frankfurt – in einem Schreiben an Johannes Calvin zwei theologische Fragen weiter, die ihm aus der Antwerpener Gemeinde zugekommen waren.120 Es ging dabei zum einen um die Legitimität von Privatversammlungen, wenn, wie im Falle Antwerpens, kein öffentlicher Gottesdienst möglich sei; zum anderen um die Frage der Kindertaufe angesichts der bedrängten Situation der Gemeindeglieder : Sollten die Kinder nach papistischem Ritus getauft werden, wenn dabei ein offenes Bekenntnis abgelegt wurde oder solle angesichts der Abgötterei des Papsttums lieber ganz auf die Taufe verzichtet werden? Beides, so Dathenus, habe seine theologischen Schwierigkeiten und sei zudem mit großen Gefahren für Leib und Leben verbunden. Die Antwort des Genfer Reformators ist nicht überliefert, sie wird sich jedoch ohne weiteres aus seinen parallelen Äußerungen zum „Nikodemitentum“ extrapolieren lassen: Ohne Zweifel wird Calvin gegen eine derartige Inanspruchnahme der „papistischen Taufe“ votiert haben. Dathenus’ Haltung deckt sich damit. Man findet sie festgehalten in seiner Christelijke Verantwoordinghe, einer in Frankfurt 1559 entstandenen Schrift, die einen weiteren Streit in der Antwerpener Gemeinde zum Ausgangspunkt hat. Adrian Haemstede121 (ca. 1525– ca. 1562), ihr zweiter Prediger neben van der Heyden, war über die Frage der Gültigkeit des Gesetzes für die Gerechtfertigten und dem ekklesiologischen Status der römischen Kirche mit Jan Daelman, einem spiritualistischen Apokalyptiker, in Konflikt geraten. Durch ein Kolloquium in der ostflämischen Stadt Oudenaarde bemühte man sich – letztendlich erfolglos – den Streit beizulegen.122 In seiner Verantwoordinghe äußert sich Dathenus zu den dort behandelten Fragen und kommt dabei u. a. auf das Problem der Taufe zu sprechen: Obgleich auch die „papistische“ Taufe Gültigkeit habe, gingen diejenigen Fehl, die ihre Kinder in die römische Kirche brächten, denn erstens gäben sie der römischen Kirche die Ehre, als wäre sie die wahre Kirche, zweitens bereiteten sie denen Anstoß, die lieber das Kreuz tragen und ihre Kinder nicht taufen lassen, drittens 119 120 121 122
Vgl. Denis, Pglises, 383. Vgl. CR 45 (CO 17), 345f. Zu Haemstede vgl. Jelsma, Art. Haemstede und ders., Haemstede. Vgl. dazu ausführlich Teil Drei Kapitel 1.2.
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befestigten sie den Aberglauben der katholischen Kirche, viertens verleiteten sie die einfachen Leute dazu, diesem schlechten Beispiel zu folgen. Den Einwand, wer seine Kinder nicht taufen lasse, mache sich verdächtig, ein Wiedertäufer zu sein, lässt Dathenus nicht gelten. Es sei selbst bei Gefahr für Leib und Leben notwendig, bei der Taufe offen seinen Glauben zu bekennen und sich sowohl vom Papsttum wie den Wiedertäufern deutlich zu distanzieren.123 Man darf annehmen, dass diese Haltung ganz den Empfehlungen Calvins zu der in Antwerpen verhandelten Tauffrage entsprochen haben dürfte, um die Dathenus den Genfer Reformator ein halbes Jahr zuvor gebeten hatte. Einen stärkeren Bezug zur Situation der eigenen Gemeinde weisen die übrigen von Dathenus in Frankfurt abgefassten Schriften auf. Mit ihnen beteiligte sich Dathenus intensiv an der nach dem Scheitern des Wormser Religionsgesprächs von 1557 anhebenden literarischen Debatte. Da diesen Schriften im weiteren Fortgang eine ausführliche Besprechung gewidmet ist, sollen sie hier nur genannt werden. Es handelt sich um die Anfang 1558 entstandene Brevis ac perspicua […] refutatio, die noch im selben Jahr im April herausgegebene Compendiosa et diserta […] responsio und schließlich die Ad Bartholomaei Latomi rhetoris calumnias […] responsio aus dem Jahr 1560. Alle diese Schriften sind durchweg in hartem polemischen Ton gegen die altgläubige Kirche gehalten, verfolgen jedoch zugleich ein apologetisches Interesse mit Blick auf die angespannte Lage der niederländischen Gemeinde in Frankfurt. Wie schon der Frankfurter Konvent Anfang 1557, der zur Vorbereitung auf das Wormser Religionsgespräch diente, so bot auch die im Nachklang des Gesprächs geführte Auseinandersetzung für Dathenus die Gelegenheit, die Theologie seiner Gemeinde als konform mit der CA vor einer breiten literarischen Öffentlichkeit zu präsentieren. Mit einem der Antwerpener Situation von 1558 analogen Problem hatte Dathenus am Ende seiner Frankfurter Zeit in der eigenen Gemeinde zu kämpfen. Nachdem den niederländischen und französischen Predigern im März 1561 die öffentliche Abhaltung von Gottesdiensten in der Stadt vom Rat untersagt worden war, stellte sich angesichts des folgenden Schwebezustands für die Gemeindeglieder die Frage, ob sie ihre Kinder bei den lutherischen Stadtpredigern taufen lassen sollten. Ein Teil von ihnen, darunter der Initiator des Streites, ein gewisser Arnold Banchius, aber auch Gaspar van der Heyden, votierte für die strikte Variante: Die Kinder sollten lieber ungetauft bleiben, da die Stadtprediger die wahre Lehre ablehnten und daher kein Teil der wahren Kirche sein könnten. Auffälligerweise vertrat Dathenus nun anders als im Falle der Antwerpener Gemeinde die liberale Gegenposition: In der Lehre von der Taufe würden die Stadtprediger nicht grundsätzlich von der eigenen Gemeinde abweichen, sie 123 Vgl. Verantwoordinghe, 33v–35v.
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würden keinen Exorzismus abhalten und es könne ein freies Bekenntnis der Wahrheit abgelegt werden. Lediglich die geforderte Absage an den Teufel hält Dathenus für unnötig, aber nicht für gottlos. Die Prediger seien ordentlich von der Obrigkeit zum Dienst an Wort und Sakrament berufen, so dass sie als Glieder der wahren Kirche angesehen werden müssten. Alle diese Argumente führt Dathenus in einem Brief an Johannes Calvin auf, den er wiederum um Stellungnahme in der Auseinandersetzung bat.124 Ein paralleles Schreiben, das die Position der Gegenseite vertrat, wurde von van der Heyden verfasst und ebenfalls an Calvin gesandt.125 Dessen Votum fiel zunächst deutlich zu Ungunsten von Dathenus aus.126 In Anbetracht der geschilderten Situation empfahl Calvin zunächst, den Exilsort zu wechseln. Wenn man unbedingt zum Bleiben gezwungen sei, sei es allerdings eine „allzu sklavische Verstellung“127, die Kinder den bekennenden Feinden Christi zur Taufe zu bringen und vom gegensätzlichen Glauben zu schweigen. Er wisse wohl, dass die Gültigkeit eines Sakraments nicht von der Person abhänge, doch gehe es hier um eine andere Frage: Ob es nämlich erlaubt sei, jemanden als Pastor anzuerkennen, der öffentlich der Kraft, dem rechten Gebrauch und der Einsetzung des heiligen Mahls widerstreite und sich von der wahren Kirche Christi absondere. Jemand der seine Kinder zur Taufe bringe, müsse bekennen, was er vom Abendmahl glaube und zugleich seine Verbundenheit mit allen Gemeinden, die es ebenso halten, kundtun.128 Man merkt Calvins Antwort deutlich seine Enttäuschung über den Verlauf des zweiten Abendmahlsstreites und die intransigente Haltung Joachim Westphals an, dessen Freund Hartmann Beyer nun in Opposition zu den Fremdengemeinden in Frankfurt gegangen war. Anders als für Dathenus bestand für Calvin kein Zweifel, dass sich die Stadtprediger durch ihre Abendmahlslehre von der wahren Kirche trennten. 124 Vgl. Dathenus’ Brief vom 28. April 1562, CR 47 (CO 19), 396–398. 125 Vgl. van Lennep, van der Heyden, 197–203. 126 Das Antwortschreiben Calvins vom 18. Juni 1562 ist in einer lateinischen und einer französischen Version erhalten. Erstere findet sich abgedruckt bei Ruys, Dathenus, 301f.; letztere in CR 47 (CO 19), 461–463. Diese französische Fassung des Schreibens war wohl zur Verlesung in der Gemeinde bestimmt, während die lateinische an Dathenus ging (vgl. a. a. O., 419). Verwendet wird im Folgenden die lateinische Version. 127 „Hoc meo iudicio optimum compendium esset; si vero manere omnino (?) cogat necessitas nimium servilis erit dissimulatio professis Christi hostibus offerre baptisandos infantes et de fide contraria tacere.“ (Ruys, Dathenus, 301; Einfügung im Original) 128 „Lacessat omnis personalis respectus: scio enim sacramentum non pondere a dignitate ministri. Alia questio nunc vertitur, liceatne pro pastore agnoscere, qui palam oppugnet sacrae caenae vim, rectum usum et institutionem, deinde spontaneam discessionem faciat a veris Christi ecclesiis. Quamquam adeo praecise non ago: sed tantum exigo ut qui infantem suum offert ad baptismum ingenue profiteatur quid de caena sentit ac simul testetur, se fraternam coniunctionem colere cum omnibus ecclesiis, quae idem sentiunt.“ (a. a. O., 301f.)
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In markanter Weise tritt der Unterschied zum Genfer Reformator in Dathenus’ Antwortschreiben vom 18. September 1562 zutage.129 Man habe, so Dathenus zunächst, beide Ratschläge Calvins befolgt: Stets habe man die Inanspruchnahme der Taufe durch die Stadtprediger mit einem Bekenntnis der eigenen Abendmahlsauffassung verbunden und die Übereinstimmung mit den gleichgesinnten Gemeinden betont, zum anderen habe man mittlerweile den Exilsort gewechselt – im Juni 1562 war Dathenus mit einem Teil der Frankfurter Gemeinde nach Frankenthal gezogen. Gleichwohl, so Dathenus weiter, hätten die Anhänger von Arnold Banchius sich nicht damit zufrieden gegeben, ihre Kinder nicht zur Taufe zu den Stadtpredigern zu bringen, sondern jene, „deren unbesonnener Eifer größer ist als das, was ihr Wissen und ihre Urteilskraft vermögen“130, würden soweit gehen zu behaupten, dass die Lutheraner nicht zur Kirche Christi gehörten.131 In der Tat scheint diese Frage den eigentlichen Kern der Debatte ausgemacht zu haben, denn Dathenus legt seinem Schreiben eine ausführliche Aufstellung von Fragen und Argumenten zu dem Thema bei.132 Eröffnet wird sie von dem Problem, ob die Stadtprediger in Frankfurt zur wahren Kirche Christi zu zählen seien oder nicht.133 Es fehlt hier der Raum, Dathenus’ Argumente im Einzelnen durchzugehen, festgehalten sei lediglich, dass sich der niederländische Prediger mit Bestimmtheit weigerte, im Falle der Stadtprediger die gleiche Konsequenz zu ziehen, wie er sie selbst gegenüber der altgläubigen Kirche in Antwerpen vertreten hatte. Mit den Stadtpredigern sah er sich trotz allem durch ein gemeinsames Glaubensfundament verbunden,134 so dass er sie als Brüder in Christus grüßen kann.135 Es ist bemerkenswert, wie Dathenus die Bedeutung des Glaubensfundaments für die keinesfalls vorschnell zu ziehende Grenze der Kirche nun ausgerechnet an der Prädestinationslehre, einem in späterer Zeit geradezu „klassischen“ Identitätsmerkmal der reformierten Kon129 Vgl. CR 47 (CO 19), 522–523. 130 „[…] quorum inconsideratus zelus scientia et iudicio, qui pollent, maior est“ (CR 47 [CO 19], 523) 131 Vgl. ebd. 132 Vgl. a. a. O., 524–529. 133 „I. Num ecclesia Francofurtana, cuius concionatores peregrinis templum occludi et ministerio sui idiomatis interdici curarunt, quique puram coenae doctrinam traducunt, ac receptos errores tuentur, in qua denique maior senatus pars iniquitatem concionatorum probat et vincit meliorem, sit non obstantibus hisce doctrinae morumque naevis ecclesia Christi nec ne?“ (a. a. O., 524) 134 „Ad locum es 16 Cap. ad Ro. desumptum quod attinet, eum de illis, qui eodem nobiscum fundamento nituntur ac Christum nobiscum praedicant, non posse intellegi […] sed de talibus quales Act. 15 et Gal. 1 commemorantur, quibus nec Ave dicendum est.“ (a. a. O., 526) 135 „Ego aperte testor, me minstros lutheranae ecclesiae appelare fratres, non quia fraterne mecum agant, sed qui eundem apertem (etiamsi caritatem fraternam graviter laedant) in filio mecum invocant.“ (a. a. O., 527)
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fession, verdeutlicht. Streitpunkt war offenbar die Reichweite der Irrlehrerparänese in Röm 16,17f.: „Denn wenn jene Stelle [sc. Röm 16] so verstanden werden muss, [dass sie] von all jenen [handele], die in irgendeinem Teil etwas gegen die Lehre des Paulus lehrten (obgleich das Fundament dennoch unangetastet bleibe), so wäre eine von beiden Seiten bei uns sektiererisch und daher zu meiden: Denn das, was eine von beiden Seiten hier lehrt, ist der Lehre des Paulus fremd. Schließlich wären auch diejenigen zu meiden, die in unseren Gemeinden die Lehre von der Prädestination in Frage stellen. Sie lehren nämlich etwas, was der Lehre Christi und Pauli widerstreitet. Von daher wäre der Sektiererei kein Ende.“136
Dathenus ist somit weit entfernt davon die Prädestinationslehre zum Identitätsmerkmal einer reformierten „Konfession“ zu erheben, wie dies in späterer Zeit geschah. Die Antwort Calvins137 mag für beide Parteien enttäuschend ausgefallen sein, geht sie doch auf die grundsätzliche ekklesiologische Debatte, wie sie in der Darstellung des Dathenus so zentral ist, gar nicht ein. Stattdessen lobt Calvin zunächst diejenigen, die um der Wahrheit willen den Exilsort gewechselt hätten. Gleichwohl will er auch die, die zurückblieben, nicht verurteilen: Ihnen gebühre vielmehr Mitgefühl, keine Feindseligkeit.138 Anschließend bestätigt Calvin noch einmal seine bereits zuvor geäußerte Auffassung, dass die Taufe durch die lutherischen Prediger nicht ohne ein Bekenntnis der Wahrheit in Anspruch genommen werden dürfe. Sollte diese Bedingung aber erfüllt sein, bestehe kein Grund, jemanden zu verdammen.139 Ausdrücklich lehnt der Genfer Reformator es ab, auf das Examen der beiden streitenden Parteien einzugehen, und ruft dieselben angesichts der veränderten äußeren Situation zur Friedfertigkeit und Versöhnung auf.140 Es ist offensichtlich, dass Calvin an dieser Stelle darum bemüht war, auf den innergemeindlichen Konflikt deeskalierend zu wirken. Gleichwohl dürfte er in der Sache keinesfalls den gleichen Standpunkt wie Dathenus vertreten haben, wie Ruys behauptet.141 Vielmehr sah Calvin die Frankfurter Stadtprediger in 136 „Nam si locus ille de omnibus iis qui aliqua ex parte contra Pauli doctrinam (servato tamen fundamento) quid docent intelligi debet, alteruter nostrum sectarius est, ac proinde fugiendus: nam alteruter hic quid docet a doctrina Pauli alienum. Fugiendi essent denique qui in ecclesiis nostris doctrinam praedestinationis labefactant. Docent enim quod cum Christi et Pauli doctrina pugnat. Hac artione sectariorum nullus esset finis.“ (a. a. O., 526) 137 Vgl. den Brief Calvins vom 27. Oktober 1562, CR 47 (CO 19), 565–567. 138 „[…] ils sont plus tost dignes de compassion que de les vouloir poursuive de quelque malveillance.“ (a. a. O., 566) 139 Vgl. a. a. O., 567. 140 Vgl. ebd. 141 „Zoo blijkt dus [sc. dem Schreiben Calvins vom 27. Oktober], dat Calvijn zich geheel op hetzelfde standpunt stelde als Datheen; en daarmede was tegelij het standpunt van Van der
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einer Fundamentalopposition zur Wahrheit Christi,142 und es ist eher davon auszugehen, dass er mit Rücksicht auf Dathenus und dessen Stellung in der Gemeinde von einer weiteren Erörterung des Themas absah, als dass er umgekehrt Gaspar van der Heyden und die gegnerische Partei implizit verurteilte. Inwieweit der Streit nach diesem Votum Calvins noch weitergeführt wurde, ist unbekannt, jedoch ist zu vermuten, dass er nach 1562 rasch abebbte: Sein eigentlicher Anlass hatte für die Frankenthaler Gemeinde in der Kurpfalz keine weitere Relevanz und die wenigen in Frankfurt verbliebenen Gemeindeglieder dürften ohnehin in größerem Maße zu religiösen Konzessionen bereit gewesen sein. Der weiteren Zusammenarbeit zwischen Dathenus und van der Heyden in Frankenthal hat die Debatte jedenfalls keinen Abbruch getan. Blickt man abschließend auf die Zeit unmittelbar vor und nach dem Verbot öffentlicher Religionsausübung für die Frankfurter Fremdengemeinde, so lassen sich vermehrt Zeugnisse aus Dathenus’ Hand ausmachen, die die Auseinandersetzung mit den Stadtpredigern zum Thema haben. Dazu gehören nicht nur die bereits erwähnten Briefe an Utenhove und Calvin, sondern auch ein Brief Bullingers vom 18. September 1562.143 Zuletzt zeichnet die bereits 1563 in Frankenthal verfasste Kurtze und warhafftige erzelung ein detailliertes Bild der Ereignisse der Jahre 1560 bis 1562 um die Frankfurter Fremdengemeinden. Gemeinsam mit FranÅois Philippis144 Defense des Eglises Estrangiers (1562) und dem von den Stadtpredigern verfassten Gegenbericht stellt sie eine der wichtigsten zeitgenössischen Quellen für die historische Rekonstruktion der Abläufe in Frankfurt Anfang der Sechzigerjahre dar. Über die Person von Dathenus selbst und vor allem über die näheren Einzelheiten seines Wechsels in die Kurpfalz geben sowohl die genannten Briefe wie die Erzelung nur in sehr geringem Umfang Auskunft. Am 26. März 1562 gab er sein Bürgerrecht in Frankfurt auf.145 Offenbar war zunächst jedoch nicht die Kurpfalz, sondern Emden sein Ziel, wie eine entsprechende Anfrage der Frankfurter Flüchtlingsgemeinde in den dortigen Kirchenratsprotokollen nahelegt.146 In Emden zeigte man sich von dem aus Frankfurt kommenden Ansinnen nicht begeistert: Die Gemeinde solle sich zumindest um ein Empfehlungsschreiben des pfälzischen Kurfürsten oder des Landgrafen Wilhelm von Hessen bemühen, besser noch
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Heijden en de zijnen – hoe begripelijk deze opvatting op zichzelf mocht zijn – veroordeeld.“ (Ruys, Dathenus, 42) „[…] car il est certain que ces ministres plains de graise et vivants a leur aise, ne cherchent si non de de triompher de Christ, et de sa verite“ (CR 47 [CO 19], 567) Vgl. van Schelven, Vluchtelingenkerken, 409–411. Philippi fungierte in den Jahren 1560–1561 einige Monate als Prediger der französischen Fremdengemeinde, bevor er nach einem Gefängnisaufenthalt Frankfurt verlassen musste; vgl. Denis, Pglises, 374–377. Vgl. Ruys, Dathenus, 45. Vgl. van Schelven, Vluchtelingenkerken, 235.
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nach England auswandern. Ein Teil von ihr brach daraufhin tatsächlich Richtung London auf, wählte dabei jedoch den verhängnisvollen Weg über die Niederlande, so dass nach Dathenus’ Zeugnis eine große Zahl Flüchtlinge den dortigen Verfolgungen zum Opfer fiel.147 Die übrige Gemeinde bat wohl den pfälzischen Kurfürsten um das angeratene Zeugnis, welches dieser auch gerne gewährte, den Vertriebenen jedoch darüber hinaus die Ansiedlung im leerstehenden Kloster Groß-Frankenthal anbot.148 Am 13. Juni finden wir Dathenus dann bereits in Frankenthal als ersten Unterzeichner der Kapitulationsurkunde, die den knapp sechzig Familien (ca. 300 Personen) aus Frankfurt die Gebäude des ehemaligen Klosters zur Nutzung überlässt.149 Seinem früheren Exilsort kehrte Dathenus jedoch auch nach seinem Umzug in die Kurpfalz nie vollständig den Rücken. Durch Briefe blieb er in ständigem Kontakt zu den seit 1570 in Frankfurt wieder verstärkt präsenten niederländischen Glaubensbrüdern, besuchte wahrscheinlich häufiger die Stadt, insbesondere zu Zeiten der Messe, und stand der dortigen Fremdengemeinde als theologischer Ratgeber zur Seite.150 Nach den Beschlüssen der Synode von Emden aus dem Jahr 1571 bildete die Flüchtlingsgemeinde in Frankfurt zusammen mit den pfälzischen Gemeinden in Heidelberg, Schönau, St. Lambrecht und Frankenthal eine eigene Classicalversammlung.151
2.4
Kontakte in die Kurpfalz
Die besondere Stellung der Frankfurter Fremdengemeinde verdankte sich in nicht unwesentlichem Maße dem Einsatz verschiedener Fürsprecher in- und außerhalb der Stadt. Unterstützung erhielten sie nicht nur von prominenten Vertretern des Rates wie Johann von Glauburg, sondern auch von Philipp von Hessen, der Marburger Fakultät, schließlich auch von unterschiedlicher Stelle aus dem Gebiet der Kurpfalz. So setzte sich bereits im Jahr 1556 Graf Georg von Erbach beim Rat für die Belange der Fremdengemeinde ein und versäumte es ein Jahr später im Zuge seiner Anwesenheit auf dem Frankfurter Fürstentag nicht, 147 148 149 150
Vgl. Dathenus, Erzelung, 50. Vgl. van Schelven, Vluchtelingenkerken, 235. Vgl. Hildenbrand, Quellen, 11. Von einem ersten Besuch in Frankfurt anlässlich der Herbstmesse geben bereits die beiden erwähnten Briefe an Calvin und Bullinger vom 18. September 1562 Zeugnis (wie S. 62, Anm. 129 und S. 64, Anm. 143); weitere erwartete Besuche werden im Protokollbuch der niederländischen Gemeinde in Frankfurt erwähnt (vgl. Meinert, Protokollbuch, 102.129.218). Zahlreich sind die Notizen über die Verlesung von Briefen des Niederländers in der Gemeinde (vgl. a. a. O., 66–71.105.174.177.188). 151 „Classicum conventum constituent utraque ecclesia Francofordensis, Schonovensis, Gallica Heydelbergensis, Franckendalensis et S. Lambertana.“ (Goeters, Akten, 18)
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Dathenus’ Weg in die Kurpfalz
sein Anliegen noch einmal persönlich zur Geltung zu bringen. Der Kontakt zu den Fremdengemeinden in Frankfurt ergab sich offenbar über die Person Johannes a Lascos, der dem Grafen auf seiner Reise durch Süddeutschland 1556 in Speyer begegnete und den er für seinen Plan gewinnen konnte, durch ein gemeinsames protestantisches Konzil die verschiedenen evangelischen Strömungen im Reich zu vereinen.152 Dathenus selbst erwähnt den Erbacher Grafen bereits in seinem Brief an den Emder Kirchenrat vom 21. Mai 1557: Sowohl Philipp von Hessen als auch Georg von Erbach befürworteten die Abhaltung einer öffentlichen Disputation zwischen Vertretern der Fremdengemeinden und den lutherischen Stadtpredigern.153 In der Folgezeit scheint sich auch ohne die Unterstützung a Lascos das Verhältnis zu Georg noch intensiviert zu haben. Der umfangreichsten von Dathenus’ Frankfurter Schriften, der gegen Bartholomäus Latomus (1490–1570) gerichteten Responsio secunda, ist ein ausführlicher Widmungsbrief an die Grafen Georg, Eberhard und Valentin zu Erbach vorangestellt, in welchem der Niederländer den Eifer der Grafen für die Ehre Gottes und die ewige Wahrheit lobt und zugleich seinen Dank für die erhaltene Unterstützung in kunstvolle Rhetorik kleidet.154 Die Fürsten hätten ihr Territorium nicht nur gemäß der reinen und heiligen Lehre des Evangeliums reformiert, sondern sie wachten auch darüber, dass der Dienst des Wortes, der rechte Gebrauch der Sakramente und die wahre Anrufung Gottes in ihrer Kirche geschützt und vermehrt würde; ja, sie ermahnten selbst andere Fürsten dazu, der heiligen Einfachheit der ursprünglichen Kirche mehr und mehr gleich zu werden.155 Am Ende seines Widmungsbriefes ruft Dathenus die Grafen dazu auf, auf dem einmal eingeschlagenen Weg weiter voranzuschreiten, denn den Fürsten obliege es nicht nur, 152 Vgl. Denis, Pglises, 353f. und Besser, Geschichte, 63f. 153 „Een van den principaalsten heren [wohl Johann von Glauburg, TS] heeft ons gezeyt. Dat D. Philippus Melanchthon gewislyck hier wezen zal, en tot zynen huize logieren, en wil te wege brengen, dat beide de parteen voor D. Philippum spreken zullen. Maer den Landtgrave to Hessen, den Grave to Erbach, de Heren tho Franckfort begeerden wel een opentlyke zamensprekinge. Watter uit werden zal, en weet man noch niet zekerlyck.“ (Meiners Geschiedenis, 382) 154 „Nondum enim animo exciderunt infinita illa C[elsitudinum] V[estrarum] beneficia, partim in me, partim in Ecclesias nostras collata, quibus me quasi oberatum devinctumq[ue] eisdem esse non ignoro, sed haec nec immemori, nec ingrato praesita esse, quoad vixero, pro mea tenuitate testari conabor.“ (Dathenus, Responsio secunda, 4) 155 „Sed gratias ago Deo Patri, qui Spiritum suu[m] vere principalem illust[rissimis] Cels[itudinibus] vestris abunde largitus est, quo fit ut non tantu[m] ditiones vobis commissas ad amußim Evangelii pure et sancte reformatas habeatis, verum etiam advigilatis sedulo, ut purum verbi ministerium, legitimusq[ue] Sacramentorum usus, ac vera invocatio in Ecclesiis fidei verstrae commißis retineatur, […], imo etiam aliis Principibus estis adhortatores indefeßi, ut Ecclesias etiam suas ab Antichristianis fecibus purgent, ac purgatas iam, ad primitivae Ecclesiae sanctißima[m] simplicitatem indies magis atq[ue] magis conformare studeant.“ (a. a. O., 7f.)
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Politik zu treiben, sondern auch, sich um die heiligen Dinge zu sorgen, da sie von Gott zu Wächtern der Religion und Frömmigkeit eingesetzt worden seien.156 Niemals sei vom Papst eine echte Reformation der Kirche zu erwarten, es sei denn, man glaube, „dass der satanische Vater der Lüge und der Urheber aller Tyrannei sich selbst einmal unähnlich werden wird.“157 Die Grafen hätten die List des Antichrists jedoch durchschaut und für sich und ihre Untertanen aufs Beste gesorgt.158 In ganz ähnlichem Ton gehalten ist das einzige bislang bekannte Schreiben aus Dathenus’ Feder an einen Erbacher Grafen.159 Es datiert vom 9. April 1560 und war offenbar den an die Erbacher Grafen übersandten Drucken seiner Responsio secunda beigelegt. Adressat ist Graf Georg von Erbach. Wie im gedruckten Widmungsbrief lobt Dathenus in geradezu überschwänglicher Weise die Tugend und die Gotteserkenntnis des Erbacher Grafen und bedankt sich für seine Zuwendung. Zugleich bittet er, jeweils einen der dem Brief beigelegten Drucke an seine Brüder Eberhard und Valentin zu überstellen.160 Das hervorragende Zeugnis, das Dathenus den Erbacher Grafen ausstellt, bekräftigt er in Briefen sowohl gegenüber Bullinger wie Calvin. In seinem Schreiben an den Zürcher Antistes vom 11. September 1560161 gibt er einen Überblick über die im Juni in Heidelberg gehaltene Disputation über das Abendmahl und die folgenden – aus seiner Sicht äußerst positiven – Entwicklungen in der Kurpfalz.162 Nach dem Ausgang des Gesprächs, bei dem neben dem 156 Vgl. a. a. O., 8. 157 „Frustra enim a Romano Pontifice expectatur ulla reformatio […]. Num satanas mendacii pater et tyrannidis omnis autor, sibiipsi aliquando futurus putatur dißimilis, ut cum Christo colligat atq[ue] conservet?“ (a. a. O., 8f.) 158 „Verum Illust[rissimae] C[elsitudines] vestrae Antichristi vafriciem et fraudem et vocatione[m] sua[m] non ignorantes, sine mora sibiipsis suisq[ue] subditis optime consuluerunt“ (a. a. O., 9) 159 Der bislang unbekannte Brief wurde von Frau Antje Vollmer, Archivarin des GräflichErbachischen Archives, in den dort noch vorhandenen Beständen aufgefunden (GrErA Konv. 109 [104] 8_16 Dokument 12). Frau Vollmer danke ich herzlich für ihr Einverständnis, den Brief in dieser Untersuchung verwenden zu dürfen. Mein Dank gilt darüber hinaus Herrn Professor Dr. Thomas Wilhelmi für das Überlassen seines Transskripts und Herrn Prof. Dr. Christoph Strohm für den Hinweis auf den Textfund. 160 „Gratulor aut autem C. tuae hanc veram dei cognitionem quae per charitatem est efficax, et oro filium dei vt favorem illum, quo et Ecclesiastes nostros, et me privatimi praeter omne meritum prosequi dignatus es, magno cum favore et hic et in futura vita rependat. Testandae autem gratitudinis ergo, ausus sum insigni clementia tua fretus, brevem hanc responsionem meam ad Latomi calumnias factam Illustri C. tuae ac Generosis eiusdem fratribus consecrare, quam temeritatem meam vt dextre pro solito suo candore interpretari non gravetur, etiam atque etiam obsecro.” (GrErA Konv. 109 [104] 8_16 Dokument 12; Transskript Wilhelmi) 161 Abgedruckt bei van Schelven, Dathenus, 331–333. 162 Zu der zwischen kurpfälzischen und ernestinisch-sächsischen Theologen abgehaltenen Disputation vgl. unten S. 75. Vgl. darüber hinaus Kunz, Disputation; Kunz wertet nicht
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pfälzischen Kurfürsten und dem Herzog von Sachsen auch Georg von Erbach zugegen gewesen sei, habe der Kurfürst befohlen, öffentlich in der Predigt anzuzeigen, dass er an derjenigen Auffassung vom Abendmahl festhalte, der – so Dathenus – „unsere Gemeinden folgen“.163 Den sich in Heidelberg vollziehenden theologischen Wandel bringt er dabei in engen Zusammenhang mit dem Wirken der Erbacher Grafen, wenn er der Bemerkung, Bullinger könne sich aus dem Geschilderten leicht selbst ein Urteil bilden, hinzufügt: „Die ausgezeichneten und wahrhaft großzügigen Grafen von Erbach sind wie die Lehrer des Kurfürsten.“164 Für den Einfluss der Grafen auf Friedrich bringt Dathenus dann sofort ein sprechendes Beispiel:165 Die sächsischen Theologen hätten ihrem Herzog die Abhaltung einer Synode von Rechtgläubigen vorgeschlagen, und zwar unter Ausschluss der Osiandristen, Wiedertäufer, Schwenckfeldianer und Sakramentierer. Die Grundlage der Synode sollten die Heilige Schrift, die CA sowie die Schmalkaldischen Artikel bilden. Zu diesem Vorschlag habe Georg von Erbach einige treffende Anmerkungen mit Blick auf die „sächsische Tyrannei“ gemacht und eine alternative Synodenform vorgeschlagen, die ohne solche Vorverurteilungen auskomme: Zunächst sollten Kirchendiener aus den wichtigsten Kirchen im Reich zusammengerufen werden und sich miteinander beraten. Erst wenn unter diesen Einigkeit erzielt sei, wären auch Kirchen außerhalb des Reiches hinzuziehen. Wenn jedoch keine Übereinstimmung unter den Theologen im Reich hergestellt werden könne, sollten die ausländischen Kirchen in ihrer bisherigen Freiheit und Unversehrtheit bestehen bleiben. Dathenus zeigt sich überzeugt, dass der Gerechtigkeitssinn der vornehmsten Fürsten und die Klarheit der eigenen Sache so groß seien, dass die eigene Seite den Sieg erlange, wenn sie nur einmal gehört werde. Er habe Georg daher dazu aufgefordert, diese Form den anderen Fürsten unter der Leitung des Kurfürsten vorzuschlagen. In einem auf den 20. September 1560, also nur wenige Tage später, datierten Brief166 an Calvin berichtet Dathenus in ganz ähnlicher Weise über den sächsischen Synodenvorschlag und die Reaktion des Erbacher Grafen. Er kann nun jedoch bereits vermelden, er habe aus dem Mund Valentins von Erbach, des jüngeren Bruders Georgs, erfahren, dass Georg seinen Entwurf mit dem Kurfürsten eingehend beratschlagt habe.167 Auch in diesem Brief hebt Dathenus das
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allein Dathenus’, sondern auch Olevianus’ und Houbraques brieflich überlieferte Beobachtungen zu dem Ereignis aus. „Iussit enim Princeps significari publice pro concione, se eam retinere sententiam quam de coena domini sequuntur ecclesiae nostrae.“ (a. a. O., 332) „Optimi et vere generosi Comites ab Erpach Electori praeceptorum loco sunt“ (ebd.) Zum Folgenden vgl. a. a. O., 332f. Vgl. CR 45 (CO 17), 187–190. „Ipse porro come aliam synodi formam conscripsit, de qua iam aliquot diebus cum Electore (ut ex ore comitis Valentini iunioris fratris intellexi) Heydelbergae deliberat serio.“ (a. a. O., 189; Hervorhebung durch den Herausgeber).
Frankfurt
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ausgezeichnete Verhältnis des Grafen zu Friedrich III. heraus: Der Graf sei für den Kurfürsten wie ein Lehrer und Vater.168 Die Briefe an Bullinger und Calvin geben nicht nur ein Zeugnis davon, welch großen Einfluss Dathenus den Erbacher Grafen am pfälzischen Kurfürstenhof beimaß, sondern lassen auch auf dessen gutes Verhältnis zu den Grafen selbst schließen. Durch Valentin und vor allem Georg, dem Dathenus nach eigener Aussage „so lieb und vertraut wie ein Sohn oder Bruder“ sei169, fand er sich aufs Genaueste über die aktuelle kirchenpolitische Debatte in der Kurpfalz unterrichtet, ja, er vermochte sogar einen gewissen Einfluss darauf auszuüben: Denn das von Georg vorgeschlagene Vorgehen in der Synodenfrage hätte in letzter Konsequenz nicht allein den Reformierten in der Schweiz, in den Niederlanden und in Frankreich den Rücken gestärkt, sondern auch die im Reich ansässigen Fremdengemeinden vor öffentlicher Verurteilung geschützt. Indem Dathenus Georg erfolgreich zur Weiterverfolgung seiner Idee riet, gelang es ihm, die Interessen der Frankfurter Fremdengemeinde bis nach Heidelberg vor den pfälzischen Kurfürsten zu tragen. Es kann vor diesem Hintergrund wenig überraschen, dass in den für die Fremdengemeinden kritischen Jahren 1561/62 neben den Erbacher Grafen auch Friedrich III. seinen Einfluss beim Frankfurter Rat geltend zu machen versuchte, indem er sich brieflich und durch seinen Rat Christoph Ehem für die Fremden einsetzte. Weniger deutlich als der Bezug zu Georg von Erbach bleibt der Kontakt, den Dathenus von Frankfurt aus offenbar zu Caspar Olevianus aufbauen konnte, wenngleich sich auch hierfür Anhaltspunkte in den Quellen finden. So begegnet der Name des Trierer Reformators bereits in dem erwähnten Brief an Bullinger vom 11. September 1560. Dathenus geht dort auf die verschiedenen personellen Veränderungen am kurpfälzischen Hof seit der im Juni abgehaltenen Disputation über das Abendmahl ein:170 Nachdem der zweite Hofprediger neben Michael Diller171 auf Grund der Schmähschriften seines Sohnes gegen den Kurfürsten vertrieben worden sei, sei bisher nur noch ein einziger Pfarrer übriggeblieben, der Luther viel mehr ergeben sei als Christus. Dieser sei jedoch am ersten September seines Amtes enthoben und aus der Kurpfalz verbannt worden. An seine Stelle sei nach Dathenus’ Kenntnis Caspar Olevianus getreten, der vor einem Jahr begonnen habe, das Evangelium in Trier zu verkündigen. Der Mann, so Dathenus, sei in höchstem Maße mit reiner Lehre und Sitten und mit
168 „[…] cui [sc. Electori] quasi paedagogi ac patris loco est“ (ebd.) 169 „[…] cui [sc. Comiti Georgio] praeter omnem meritum, ut filius aut frater ac familiaris et charus sum.“ (Van Schelven, Dathenus, 332) 170 Vgl. van Schelven, Dathenus, 331–333. insbes. 331f. 171 Nach Olevianus’ Zeugnis handelt es sich um einen gewissen Othomarus (Olevianus an Calvin, 22. September 1560, CR 46 [CO 18], 193).
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keinem geringen Eifer ausgestattet.“172 Man muss annehmen, dass diesem Urteil ein wie auch immer gearteter persönlicher oder brieflicher Kontakt vorausging. In eine ähnliche Richtung deutet Olevianus’ Brief an Calvin vom 22. September.173 Olevianus teilt darin dem Genfer Reformator in einer kurzen Notiz mit, er habe von Dathenus erfahren, dass eine Übersetzung seiner Institutio ins Niederländische angefertigt worden sei.174 Da Olevianus seinen Brief von Frankfurt aus schreibt, könnte der Brief unmittelbar nach einem persönlichen Treffen mit Dathenus verfasst worden sein.175 Dass die von Dathenus gegenüber Calvin geäußerte Hochschätzung Olevianus’ durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte, zeigt darüber hinaus dessen Brief an Theodor Beza vom 10. April 1561.176 Auch Beza kann Olevianus über den Druck einer neuen niederländischen Übersetzung unterrichten: Johannes Junius, ein Antwerpener Ratsherr177, habe die Confessio Christianae fidei Bezas ins Niederländische übersetzt. Mit unglaublichem Eifer habe er sie sowohl genau als auch klar angefertigt, was „durch die Urteile gelehrter und frommer Männer, sowohl derer, die bei uns im Sapienzkolleg sind, als auch insbesondere derer, die der niederländischen Gemeinde in Frankfurt vorstehen“ bestätigt worden sei.178 Der Name Dathenus fällt hier zwar nicht explizit, jedoch können mit den Vorstehern der niederländischen Gemeinde in Frankfurt nur er selbst und Gaspar van der Heyden gemeint sein. Womöglich waren es seine Kontakte zu Caspar Olevianus, die Dathenus den Zugang zu gleichgesinnten Theologenkreisen in Heidelberg eröffneten. Ein Zeugnis dieser Verbindung gibt das erwähnte Gutachten der Heidelberger 172 „Vir est doctrina et moribus integerrimis, et felo [lies: zelo, TS] praeditus non mediocri.“ (Van Schelven, Dathenus, 332) 173 Vgl. CR 46 (CO 18), 191–196. 174 „Plura nunc non scribo quam quod intellexi ex Dathaeno Institutionem tuam factam esse flandricam.“ (a. a. O., 196). Gemeint ist offenbar die von Johannes Dyrkinus im gleichen Jahr angefertigte und in Emden gedruckte Institucie ofte onderwijsinghe der Christelicker Religie. 175 Den unmittelbaren Anlass für Olevianus’ Reise nach Frankfurt könnte dabei die Herbstmesse gegeben haben; vgl. Kunz, Disputation, 114 Anm. 12. 176 Vgl. CTB 3, 96f. 177 Über Johannes Junius (gest. ca. 1590) ist der Forschung nur Weniges bekannt. Er gehörte offenbar nicht zur Gruppe der Flüchtlinge, die mit Dathenus 1562 von Frankfurt nach Frankenthal übersiedelte (sein Name taucht nicht als Unterzeichner der Kapitulationsurkunde der Stadt auf). Gleichwohl hielt er sich spätestens seit 1565 in der Kurpfalz auf und stand im Dienste Friedrichs III., der ihn auf diplomatische Missionen nach Frankreich und England entsandte. Vgl. Blok, Art. Junius de Jonghe, 263f. Mehrfach findet Junius in den Briefen Friedrichs III. Erwähnung (vgl. Kluckhohn, Briefe I, 599.633.685.731 und ders., Briefe II, 213). 178 „Nihil in versione effutivit temere, sed incredibili studio bis eam convertit et fideliter et perspicue; judiciis etiam piorum et doctorum Flandrorum examinata est tum eorum qui apud nos sunt in Sapientia, tum vero eorum vel imprimis qui Francofurti praesunt Flandricae ecclesiae.“ (a. a. O., 96)
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Theologischen Fakultät vom März 1562 über die Rechtgläubigkeit der Frankfurter Fremdengemeinden. Als im gleichen Jahr innerhalb der niederländischen Gemeinde die Streitigkeiten um die von den Stadtpredigern vollzogenen Taufen aufbrachen, fragte Dathenus in dieser Angelegenheit nicht nur in Genf und Zürich, sondern auch in Heidelberg um Rat. So teilte er in seinem Brief an Bullinger vom 18. September 1562179 mit, dass neben Calvin und Houbraque auch die Heidelberger Theologen Petrus Boquinus, Immanuel Tremellius und Caspar Olevianus Dathenus’ Vorgehen in dieser Sache gebilligt hätten: Es sei unter den gegeben Umständen keine Verfehlung, die Taufen durch die Stadtprediger vollziehen zu lassen, solange dabei ein offenes Bekenntnis der eigenen Abendmahlslehre abgelegt und die Verbundenheit mit den gleichgesinnten Gemeinden betont würde.180 Man kann festhalten, dass Dathenus während seiner Jahre in Frankfurt Kontakte zu einflussreichen Personen in Heidelberg aufbauen konnte: Über Caspar Olevianus besaß er eine direkte Verbindung zur Universität und insbesondere zur theologischen Fakultät, mit den Grafen von Erbach hatte er einflussreiche Fürsprecher am Hof des Kurfürsten. Auf einen weiteren Bezug nach Heidelberg könnte das zweimalige Auftreten Christoph Ehems zu Gunsten der Fremdengemeinden vor dem Frankfurter Rat hindeuten – womöglich spielten dabei alte Studienkontakte aus dessen Antwerpener Zeit eine Rolle. Auch wenn hier konkrete Hinweise fehlen, wird man Dathenus zumindest eine oberflächliche Bekanntschaft mit dem kurpfälzischen Rat und Juristen unterstellen dürfen. Die Gebrüder Erbach, Olevianus und Ehem – das waren nicht nur zentrale Gestalten an Hof und Universität in Heidelberg, sondern auch in besonderem Maße Exponenten des sich in der Kurpfalz um 1560 vollziehenden theologischen Wandels.
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Die religionspolitische Situation um 1562
In der neueren Forschung zur Konfessionsgeschichte der Kurpfalz181 hat sich im verstärkten Maße ein Problembewusstsein für das komplexe Wechselverhältnis 179 Vgl. van Schelven, Vluchtelingenkerken, 409–411. 180 „Scripserunt ad nos Heidelbergenses Theologi D. Boquinus, Tremelius et Casparus Olevianus, item D. Calvinus, ac ipse D. Guilhelmus Holbrachius, qui omnes factum nostrum iustificant, nec aliud requirunt quam ut qui Baptismo utuntur, de fide contraria in coena testentur, simulque significent, se coniunctionem cum illis ecclesiis colere, quae idem nobiscum sentiunt.“ (a. a. O., 410) 181 Zur konfessionellen Entwicklung der Kurpfalz in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
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von Differenz und Kontinuität ausgebildet, das die Phase zwischen dem Regierungsantritt Friedrichs III. im Februar 1559 und der Veröffentlichung der Kurpfälzischen Kirchenordnung 1563 bestimmte. Sprach man früher noch relativ unbefangen von einer „Hinwendung der Kurpfalz zum Calvinismus“ und nahm damit nicht nur begriffliche Unschärfe sondern auch die Gefahr in Kauf, die Deutungsmuster der konfessionspolemisch aufgeladenen Vokabel „Calvinismus“ unhinterfragt zu übernehmen,182 so ist man heute wesentlich vorsichtiger und beschreibt den Sachverhalt beispielsweise als „Neuorientierung […] von einem melanchthonianisch gedeuteten Luthertum zu einem Religions- und Kirchenverständnis, das wesentliche Elemente schweizerisch-calvinischer Theologie aufnahm und das die Sonderform des pfälzischen Reformiertentums prägte.“183 Die zumindest anfänglich bestehenden Kontinuitäten zwischen Friedrich III. und seinem Vorgänger Ottheinrich erhalten damit das ihnen zukommende Gewicht. Bereits Ottheinrich hatte unmittelbar nach seinem Regierungsantritt eine klare Neuausrichtung der kurpfälzischen Religionspolitik hin zur dezidierten Einführung der Reformation vollzogen, nachdem unter Ludwig V. (1508–1544) und vor allem Friedrich II. (1544–1556) zwar gewisse Sympathien für die neue Lehre vorhanden gewesen waren, diese jedoch in keine eindeutige politische Linie umgesetzt wurden bzw. wie im Falle des späten Friedrich II. auf Grund der reichspolitischen Situation nach dem Interim nicht umgesetzt werden konnten. Ottheinrich zögerte hingegen nicht, die Kurpfalz durch eine Reihe einschneidender kirchenpolitischer Maßnahmen der Reformation zuzuführen. Dazu gehörten das Verbot der katholischen Messe (April 1556) und die Entfernung der Bilder aus den Kirchen, die Einführung einer neuen Kirchenordnung (April 1556), die Durchführung landesweiter Kirchenvisitationen unter Federführung des Straßburger Theologen Johannes Marbach (1521–1581; Visitationen ab August 1556), sowie die Reform der Heidelberger Universität durch die beiden kurfürstlichen Räte Christoph Probus und Christoph Ehem (1558). Das theologische Selbstverständnis, das in den genannten Reformen und Religionsmandaten zum Ausdruck kommt, lässt bereits ein Moment erkennen, das für die spezifische Spielart des Reformiertentums in der Kurpfalz insgesamt charakteristisch werden sollte: Eine irenische Abneigung gegen jede Art innerprotestantischer Streitigkeiten verbindet sich mit scharfer Abgrenzung gegenüber der römischen Kirche.184 Seinen außenpolitischen Niederschlag findet vgl. exemplarisch nur Press, Calvinismus; ders., „Zweite Reformation“; Henss, Kräftespiel; Heckel, Reichsrecht; Wolgast, Konfession; ders., Profil; ders., Faktoren; ders., Kurpfalz; Strohm, Aspekte; ders., Übergang; ders., Westeuropa; Zwierlein, Heidelberg; ders., Palatinate. 182 Zur Begriffsproblematik vgl. Strohm, Übergang, 87–89 und ders., Methodology. 183 Wolgast, Kurpfalz, 139. 184 Vgl. dazu Strohm, Übergang, 104–106.
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dies in dem Streben nach einem einheitlichen Auftreten der evangelischen Reichsstände mit dem Ziel einer antihabsburgischen Koalitionsbildung sowie in der beständigen Forderung nach religiöser Freistellung der Untertanen katholischer Reichsstände.185 Obwohl Ottheinrichs Reformwerk durch seinen frühen Tod 1559 jähen Abbruch erfuhr, sah es zunächst nicht danach aus, als würde Friedrich von dem durch seinen Vorgänger eingeschlagenen Weg abweichen. Umfangreichere Verschiebungen unter den Räten und Hofbeamten gab es zunächst nicht,186 die Instruktionen Ottheinrichs für die kurpfälzischen Gesandten auf dem Augsburger Reichstag in causa religionis übernahm der neue Kurfürst weitestgehend unverändert.187 Weniger das Bewusstsein eines Neuansatzes als das einer kontinuierlichen Fortsetzung der kurpfälzischen Politik prägte das Handeln Friedrichs zu Beginn seiner Regierungszeit. Dass es in der Folgezeit trotzdem zu einschneidenden theologischen und religionspolitischen Veränderungen kam, bedarf somit der Erläuterung. Drei maßgebliche Faktoren werden dabei immer wieder ins Feld geführt: die Person Friedrichs III. und seine Abneigung gegen theologische Streitigkeiten, der Einfluss seines engeren Beraterkreises, sowie die in der Pfalz bereits bei Regierungsantritt Friedrichs an zentralen Stellen präsenten Glaubensflüchtlinge. Friedrichs Abneigung gegen das „geschrey und condemniren“ der Theologen – auch darin zunächst ganz auf der Linie Ottheinrichs – erhellt vielfach aus seinen Briefen.188 Die Streitigkeiten, die sich in den Kreisen der Heidelberger Theologen unmittelbar vor und kurz nach seinem Regierungsantritt ereigneten, 185 Vgl. Wolgast, Faktoren, 168. 186 Dazu Press: „Friedrich brachte nicht nur eine geringe Erfahrung in der großen Politik mit – er hatte auch in den wenigen Jahren seines selbstständigen Regiments keinen eigenen Kreis von Beratern ausbilden können. Zwar scheint er, nach dem Zeugnis eines württembergischen Gesandten, in den ersten Monaten seiner Regierung dem alten Rat seines Vaters Dr. Carsilius Baier von Bellenhofen einen gewissen Einfluß eingeräumt zu haben, aber dieser tritt als Oberamtmann von Kreuznach bald wieder in den Hintergrund. So sind es doch im wesentlichen die Räte Ottheinrichs, auf die sich Friedrich stützen muß.“ (Press, Calvinismus, 224) 187 Vgl. Kluckhohn, Briefe I, 11–23. 188 Vgl. exemplarisch das Schreiben an Johann Friedrich II. vom 7. August 1560: „Das ich aber die corruptelen (deren es E. L. schreyben nach in meynen landen genug) abschaffen solte, druff sag ich, da ich in meynem land und gebieth ayniche ketzerey, rotten oder secten wuste, das ich mich schuldig erkenne, dieselbig auszuschaffen, bin auch darzu mit allem ernst genaygt. Es werden aber dieser zeyt vill corruptelen von etlichen theologis angezogen und condemnirt, mach mir auch kaynen zweyfell, da sie den gewalt hetten, solche one zweyfell auszurotten understehn wurden. Ich wist aber nit, wie sies zur zeyt der ernd, das ist am jungsten tag, vor dem hausvatter, das ist Christo unserm hern und haylandt wolten verantworten, die weyl er inen als den knechten laut der parabell Mattei 13 gebotten und befolhen hett, auff das sie nit zugleych den wayzen mitt außrauffen, sollens sies lass auffwachsen biß zu ernd zeyt.“ (Kluckhohn, Briefe I, 135)
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dürften darum einen besonders negativen Eindruck bei ihm hinterlassen haben. Noch Ottheinrich hatte Anfang 1558 den aus Namitz bei Brandenburg stammenden Theologen Wilhelm Klebitz189 (1533–1568) als Diakon an der Heiliggeistkirche in Heidelberg angestellt. Nur wenig später kam es zwischen ihm und dem streitbaren Generalsuperintendenten der pfälzischen Kirche Tilemann Heshusen190 (1527–1588) zu ersten Reibungen, die dann im Jahre 1559 in verschärfter Form aufflammten. Die durch eine Reise nach Wesel bedingte Abwesenheit Heshusens in Heidelberg nutzte die Theologische Fakultät, um Klebitz zum Baccalaureus zu promovieren, wobei die von Petrus Boquinus verfassten Baccalaureatsthesen eine deutlich reformierte Abendmahlslehre erkennen ließen. Nach Heshusens Rückkehr begann ein öffentlicher Schlagabtausch in Form von Kanzelpolemik und gegenseitiger Verdammung, der trotz obrigkeitlichem Schweigegebot nicht zum Erliegen gebracht werden konnte. Auch die Einbestellung der beiden streitenden Parteien durch Georg von Erbach, der den auf dem Augsburger Reichstag weilenden Kurfürsten als Statthalter vertrat, fruchtete nicht – offenbar griff Heshusen nun Georg selbst offen als Zwinglianer und Sakramentierer an.191 So sah sich Friedrich nach seiner Rückkehr gezwungen, sowohl Klebitz als auch Heshusen aus ihren Ämtern zu entlassen. Darüber hinaus wurde Philipp Melanchthon um ein Gutachten in der Abendmahlsfrage192 gebeten. Das Gutachten stützte nicht nur Friedrichs Vorgehen in der Sache, sondern enthielt darüber hinaus eine deutliche Absage an Heshusens Abendmahlslehre. 189 Zu Klebitz vgl. Janse, Zwinglianer. Dort weitere Literatur (S. 203 Anm. 2.). 190 Zu Heshusen Vgl. Wilkens, Heßhusius; Barton, Erbe; Krüger, Allmacht. Eine Einordnung seiner Person in den weiteren Kontext lutherischer Polemik leistet Halvorson, Heshusius (dort umfangreichere weiterführende Literatur). 191 Davon gibt nicht nur Alting, Historia, 176f. Zeugnis, sondern auch ein Brief Bullingers an Calvin vom 17. September 1559 (CR 45 [CO 17], 640). Was von der sowohl bei Alting als auch in Bullingers Brief erwähnten „Exkommunikation“ Georgs durch Heshusen zu halten ist, ist schwer zu entscheiden. Friedrich III. erwähnt gegenüber Herzog Johann Friedrich II. weder die „Exkommunikation“ noch die fortgesetzten Streitigkeiten: „Da hat meyn schwager, graf Jorg von Erpach, so meyn schwester vermehelt hat und der zeyt meyn statthalter gewesen, sie bede [sc. Klebitz und Heshusen] beschickt, freuntlich ermant und christlich gebetten, sie wilten ihre disputationes uff die canzel oder predigtstuhl nit bringen, die gewissen zu betrüben, sondern wolten innen halten biß zu meiner zukunft, ungezweyfelt, ich wurde alsdan den sachen verner nachdenken. Solches ist beschehen und meynem lieben schwager zugesagt auch gehalten worden, biß zu meiner ankunft.“ (Brief vom 24. Oktober 1559, vgl. Kluckhohn, Briefe I, 100). Eine Exkommunikation hätte einen deutlichen Affront nicht nur gegen Georg von Erbach, sondern auch gegen Friedrich selbst dargestellt. Sollte Friedrich darüber tatsächlich im Unklaren gewesen sein? Oder verschweigt er die Episode bewusst gegenüber Johann Friedrich, um dessen Verdacht, in der Kurpfalz breite sich der „Zwinglianismus“ aus, nicht weitere Nahrung zu geben? 192 Das Gutachten wurde auf Befehl Friedrichs III. 1560 in lateinischer und deutscher Sprache veröffentlicht, abgedruckt in CR 9, 960–966; auch Stupperich, Melanchthon StA VI, 482– 486. Weiteres zur Druckgeschichte bei Henß, Katechismus, 8–12.
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Die Frage nach der rechten Verständnis des Abendmahls bewegte bereits ein Jahr später im Juni 1560 erneut die Gemüter. Angesichts der bevorstehenden Hochzeit von Friedrichs Tochter Dorothea Susanna (1544–1592) mit Johann Wilhelm von Sachsen-Weimar (1554–1573) war man übereingekommen, die zwischen den sächsischen und pfälzischen Theologen bestehenden Differenzen in der Abendmahlslehre durch eine Disputation beizulegen. Die pfälzische Seite sollte Petrus Boquinus vertreten, während für die Gegenseite Johann Stößel (1524–1576), der Hofprediger Johann Friedrichs II. des Mittleren (1554–1566), des älteren Bruder Johann Wilhelms, disputierte. Nachdem sich Boquinus auf Grund von Sprachschwierigkeiten als wenig geeignet erwiesen hatte, den Angriffen Stößels entgegenzutreten, übernahm der Mediziner Thomas Erastus193 die Rolle des pfälzischen Kolloquenten und verteidigte mit einer für alle Teilnehmer überraschenden intellektuellen Gewandtheit seinen Standpunkt. Wie bei derartigen Veranstaltungen nicht unüblich beanspruchten im Nachhinein beide Parteien den Sieg für sich. Auf Friedrich III. haben die Argumente seiner Theologen gleichwohl einen erheblichen Einfluss ausgeübt – in diesen Zusammenhang gehört das bereits oben erwähnte Zeugnis von Dathenus gegenüber Bullinger, der pfälzische Kurfürst sei durch die Disputation in der wahren Auffassung „nicht wenig“ gefestigt worden.194 Es ist anzunehmen, dass der Abendmahlsstreit zwischen Heshusen und Klebitz wie auch die Heidelberger Disputation nicht allein vom Kurfürsten selbst, sondern auch von dessen Beraterkreis mit höchstem Interesse verfolgt wurde. Bereits vor Ottheinrich existierte unter den Heidelberger Hofbeamten, insbesondere unter den humanistisch gesinnten bürgerlichen Räten, eine Tendenz zur Reformation oberdeutscher Prägung,195 die sich trotz einer gewissen Stärkung des Wittenberger Luthertums in Gestalt des neuen Kanzlers Erasmus von Minckwitz (ca. 1512–1562) auch während Ottheinrichs Regierungszeit 193 Zu Erastus vgl. Bonnard, Praste; Wesel-Roth, Erastus; Benrath, Korrespondenz; Maissen, Erastus und ausführlich Gunnoe, Erastus (dort zahlreiche weiterführenden Literatur). Bereits unter Ottheinrich 1558 in die Kurpfalz gekommen, erlangte Erastus rasch eine einflussreiche Stellung innerhalb der Heidelberger Universität und unter Friedrich III. als dessen Leibarzt auch am Kurfürstenhof. Mit seinem Büchlein vom Brotbrechen (1563) griff er darüber hinaus in die zeitgenössische Debatte um das Abendmahl ein. Bei der Umsetzung der Kirchenreformen in der Kurpfalz muss er als einer der maßgeblichen Protagonisten angesehen werden. Im kurpfälzischen Kirchenzuchtstreit vertrat er die Position, dass in einem christlichen Gemeinwesen die Aufsicht über den Lebenswandel der Glieder allein der politischen Obrigkeit, nicht aber einer unabhängigen kirchlichen Einrichtung, zukomme. In der Verknüpfung von Sakramentsteilhabe und Exkommunikation sah Erastus zudem das Relikt eines verfehlten, den römischen Heilsobjektivismus in seiner Grundaussage bestärkenden Sakramentsverständnisses (vgl. Gunnoe, Erastus, 177–192). 194 „Interim non mediocriter ex eo colloquio confirmatus est in vera sententia optimus Princeps (si quis alius) Palatinus“ (van Schelven, Dathenus, 331). 195 Vgl. Press, Calvinismus, 193–195.
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durchhielt.196 Exemplarisch kann hier Christoph Ehem197 angeführt werden, der, von Ottheinrich 1556 an die Heidelberger Universität berufen, maßgeblich an ihrer Reform im humanistischen Geist in den Jahren 1557 und 1558 beteiligt war. Als Mitglied des Kirchenrates nahm Ehem darüber hinaus unmittelbar Einfluss auf die kurpfälzische Religionspolitik, etwa bei der Durchführung der Kirchenvisitationen und der Abfassung der Ehegerichtsordnung (1557). Unter Friedrich III. wurde er 1561 als Pronotar Mitglied des Oberrats, der obersten kurpfälzischen Regierungsbehörde. Auf Ehem, dem die Streitlust der „Gnesiolutheraner“198 missfiel und dessen Schriften einen deutlichen Hang zu einem rationalen Humanismus erkennen lassen, übte die reformierte Abendmahlslehre, wie sie 1560 durch Boquinus und Erastus entfaltet wurde, offenbar eine besondere Anziehungskraft aus.199 Nimmt man den engeren Beraterkreis Friedrichs III. in den Blick, so wird man für die Phase um 1560 insbesondere an die Grafen von Erbach200 zu denken haben. Anders als Ehem gehörten sie dem höfischen Adel an, der traditionell 196 Vgl. a. a. O., 206–211. 197 Zu Ehem vgl. Bezold, Art. Ehem (ADB); Fabian, Art. Ehem (NDB); Drüll, Gelehrtenlexikon, 131–133; Strohm, Aspekte, 335–343. 198 Vgl. zur Kritik an einem vergröbernden und inkohärenten Gebrauch des Begriffs „Gnesiolutheraner“ Kaufmann, Ende, 74–76; dagegen Slenczka, Schisma, 29–36. Die Debatte um die Nomenklatur braucht an dieser Stelle nicht aufgenommen zu werden, da sie für das Anliegen dieser Arbeit nichts austrägt. Mit Rücksicht auf die aufgezeigte Problematik wird der Begriff „Gnesiolutheraner“ im Folgenden allerdings nur in Anführungszeichen für diejenige Gruppe lutherischer Theologen verwendet, die eine scharfe Abgrenzung zum Reformiertentum vollzog. 199 Dazu Strohm: „Das Auftreten Heshusius’ und die anhaltende literarische Auseinandersetzung um das rechte Abendmahlsverständnis haben offensichtlich der Überzeugung zum Durchbruch verholfen, dass das humanistisch geprägte Interesse an Rationalität und Moral im reformierten Protestantismus am besten repräsentiert sei.“ (Strohm, Übergang, 96f.) 200 Trotz ihrer nicht zu unterschätzenden Bedeutung für die Kurpfalz existiert vergleichsweise wenig Literatur zu den drei Erbacher Grafen, was vor allem auf die Zerstörung des Erbacher Samtarchivs während des Zweiten Weltkriegs zurückzuführen ist. Gleichwohl zeigt der jüngst entdeckte Brief von Dathenus an Georg von Erbach (vgl. Teil Eins Kapitel 2.4, S. 67 mit Anm. 159), dass Einzelfunde nach wie vor möglich sind. Das ansonsten bekannte Überlieferungsgut hat Volker Press in detaillierter Form aufgeführt (ders., Grafen; dort weitere Literatur). Heinz Scheible widmet sich über Press hinausgehend dem Verhältnis der Erbacher zu Melanchthon (Scheible, Melanchthon). Neben Press und Scheible beschränkt sich die neuere Literatur üblicherweise auf kurze biographische Abrisse (Hollweg, Reichstag, 15–20; Demandt, Geschichte, 490–496). Ältere Literatur bemüht sich um eine geschichtliche Gesamtschau der Grafschaft bzw. des Hauses Erbach (Schneider, StammTafel; Luck, Genealogie; Simon, Geschichte; Morneweg, Stammtafel). Einige Arbeiten aus neuerer und älterer Zeit widmen sich der Besprechung einzelner erhaltener Überlieferungsstücke (Beck, Landrecht; von der Au, Psalter; Preuschen, Kirchenordnung; Arend, in: EKO IX.2, 414–417). Angesichts der dürftigen Quellenlage bedeutete die Existenz einer eigenen Erbachschen Reformationsgeschichte (Luck, Versuch) einen Glücksfall, wäre dieselbe nicht auf Grund der lutherisch-konfessionalistischen Prägung ihres Autors für den hier zu betrachtenden Zeitraum weitestgehend unbrauchbar.
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eine starke Position am Kurfürstenhof einnahm, seit der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts jedoch in immer stärkerem Maße von den bürgerlichen Beamten zurückgedrängt wurde.201 Im Falle der Gebrüder Erbach trafen sich jedoch die ererbte starke Position am Kurfürstenhof – der auch im 16. Jahrhundert weitergeführte Titel des „Schenken“ deutet auf diese alten Verbindungen hin – mit einer exzellenten humanistischen Bildung, die derjenigen der sich etablierenden Beamtenschicht in keiner Weise nachstand, diese sogar in vielen Fällen übertroffen haben dürfte. Ihrem Vater Eberhard XIII. (1475–1539) war durch staatsmännische Weitsicht und geschickte Außenpolitik eine gewisse Konsolidierung seines Herrschaftsgebietes gelungen: Bereits 1520 ordnete er die Aufzeichnung der Rechtsverhältnisse in seinem Territorium an,202 1532 wurde er trotz offener Sympathien für die evangelische Lehre von Karl V. in den Grafenstand erhoben. Seinen drei Söhnen Georg II. (1506–1569), Eberhard XIV. (gest. 1564) und Valentin II. (1517–1543) ließ er jeweils eine ausgezeichnete Ausbildung zukommen. Georg II. unternahm nach militärischen Diensten im kaiserlichen Heer zunächst eine Pilgerreise nach Jerusalem, im Anschluss eine Studienreise nach Frankreich. Sein Bruder Eberhard studierte in Pavia, BesanÅon und Toul, Valentin in Löwen. In den Jahren 1531 bis 1537 übte Georg das Amt des pfälzischen Unterlandvogts im Elsass aus. Insofern dies die Oberherrschaft über die sog. Dekapolis einschloss, wird man seine Zeit im Elsass als einen für seine geistige Prägung höchst bedeutsamen Lebensabschnitt ansehen müssen. Obwohl nicht unmittelbar zur Dekapolis gehörend, bot sich für Georg Gelegenheit, in Straßburg mit Persönlichkeiten wie Jakob Sturm und Martin Bucer in Kontakt zu kommen. Unklar sind Georgs Bezüge zu Calvin: Alting nennt ihn „olim Calvini discipulum Genevae“203, scheint also von einem Studienaufenthalt in Genf auszugehen. Unmöglich ist dies nicht, blickt man auf die Leidenschaft und den Eifer, mit denen Georg sich den theologischen Fragen seiner Zeit widmete. Er erließ nicht nur eine eigene Kirchenordnung in seiner Erbacher Grafschaft,204sondern verfasste auch eine Reihe eigener theologischer Schriften und Betrachtungen.205 Daneben betrieb er offenbar eine weitläufige Korrespondenz mit zentralen Gestalten der Reformation, die jedoch durch die 201 202 203 204 205
Vgl. Press, Grafen, 655f. Vgl. Beck, Landrecht. Alting, Historia, 171. Vgl. EKO IX.2, 421–449. Dazu Preuschen, Kirchenordnung. Vgl. das Patrocinium Christiani, in: Schneider, Stamm-Tafel, 361–375. Luck führt darüber hinaus nicht weniger als vierzehn Schriftstücke aus der Hand Georgs zu zeitgenössischen theologischen Fragen auf, u. a. „1) Wie man Kirchenzucht anrichten solle; 2) Radschlag auf das Interim […]; 13) Bedenken über Thilemanni Antwort gegen Philippi Schrift, so er an Pfalz gethan“. Darunter findet sich auch unter 4) das von Dathenus in seinen Briefen erwähnte „Bedenken über die Sächsische Supplicanten eines neuen Synodi halben“. (Luck, Genealogie, 24f.)
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Dathenus’ Weg in die Kurpfalz
Zerstörung des Erbacher Archivs im Zweiten Weltkrieg beinahe vollständig verloren ist. Kontakte bestanden neben Calvin zu Melanchthon, Bullinger und Martyr.206 Um einen längeren Aufenthalt in Genf mit Sicherheit zu belegen, erscheinen die erhaltenen Zeugnisse aber nicht hinreichend. Auf die theologische Entwicklung der Kurpfalz um 1560 übten Georg und seine beiden Brüder jedenfalls maßgeblichen Einfluss aus. Seit 1558 hatte Eberhard das Amt des Großhofmeisters in Heidelberg inne und war damit nominell der höchste Beamte am kurfürstlichen Hof.207 Valentin stand ebenfalls im Dienste des Kurfürsten, wurde zuweilen zu Sitzungen des Oberrats hinzugezogen208 und führte bei verschiedenen Gelegenheiten politische Gesandtschaften an.209 Georg selbst scheint kein Amt bei Hofe bekleidet zu haben, allerdings war er seit 1537 mit Elisabeth von Pfalz-Simmern (1520–1564), der Schwester Friedrichs III. verheiratet. Von seiner einflussreichen Position zeugt die Übernahme der Statthalterschaft während der Abwesenheit des Kurfürsten anlässlich des Augsburger Reichstages 1559 – weshalb Georg direkt an den Ereignissen um den Abendmahlsstreit zwischen Heshusen und Klebitz beteiligt war. Im Zuge dieser Auseinandersetzung war Georg bereit, sich selbst durch eine deutliche Stellungnahme zum Abendmahl zu exponieren. So berichtet Bullinger an Calvin, der Graf habe sowohl die Auffassung einer manducatio oralis wie einer manducatio impiorum im Mahl abgelehnt.210 Auch sonst scheinen die drei Grafen aus ihrer Haltung in der Abendmahlsfrage keinen Hehl gemacht zu haben. Darauf deuten nicht nur die Vorwürfe Heshusens gegen Georg hin, sondern auch die Wahrnehmung Valentins, die Christoph von Württemberg (1550–1568) bezüglich dessen Auftreten auf dem Augsburger Reichstag 1559 gegenüber Friedrich III. äußerte: „E. l. kan ich auch bruederlicher wolmeinung nit bergen, das graf Valtin von Erpach etwas hitzig und dermassen, daz er in beratschlagung der sachen den Zwinglianismus verthedingen will; sagt, die Augsburger Confession und Frankfortische abschid seien 206 Vgl. Press, Grafen, 668. 207 Zum Amt des Großhofmeisters vgl. Press, Calvinismus, 27f. Das Jahr 1558 ist belegt bei Schneider, Stamm-Tafel, Urkunden zum zweyten Satz, 406. Demnach scheint die Angabe von Alting, Historia, 171 und 176 korrekturbedürftig, nach der Georg das Amt des Großhofmeisters und Eberhard das Amt des Marschalls innehatten. 208 Vgl. Press, Calvinismus, 226. 209 So beispielsweise auf dem Reichstag zu Augsburg 1559 (vgl. Hollweg, Reichstag, 15–20) und bei den Verhandlungen über die Freilassung von Olevianus in Trier (vgl. dazu S. 80). 210 Bullinger an Calvin am 17. September 1559: „Idem a ministro quodam Haydelbergensi literas attulit, quibus is mihi significat, contentionem gravem inter doctos esse excitatam de coena Domini: et comitem ab Erbach Georgium, qui Electoris vicem gerit, dum is est aut fuit apud Imperatorem Augustae, coram doctis suam fecisse confessionem de hac re, quod non credat panem esse corpus Domini, neque hoc edi vel ore corporis, vel ab impiis.“ (CR 46 [CO 18], 640)
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nur schlechter menschen thand, das dann allerhand verdacht under den stenden E. l. macht, und were besser, daz er behutsamer were.“211
Schließlich sah Friedrichs Ehefrau, Kurfürstin Maria (1519–1567), in den Grafen von Erbach die Exponenten eines aggressiven Zwinglianismus. Gegenüber ihrem Schwiegersohn Johann Friedrich II. beklagte sie den wachsenden Einfluss des „Zwinglisch gift“ am Hofe, den sie insbesondere auf die beiden Schwager des Kurfürsten, Georg und Eberhard von Erbach zurückführte, die „gar zwinglisch“ seien.212 Alles in allem wird man die Bedeutung der Erbacher Grafen für die theologischen Verschiebungen in der Kurpfalz um 1560 schwer unterschätzen können. Bei Regierungsantritt Friedrichs befanden sich die Erbacher an zentralen „Schaltstellen“ des Kurfürstenhofes und genossen darüber hinaus auf Grund verwandtschaftlicher Beziehungen und mehrerer verdienstvoller Einsätze für das Land das volle Vertrauen Friedrichs III. Es scheint daher kaum zu viel gesagt, wenn Volker Press die Veränderung der religiösen Gesinnung des Kurfürsten vornehmlich den Gebrüdern Erbach zuschreibt: „Daß oberdeutsche reformatorische Tradition und Philippismus die Person des neuen Kurfürsten bald voll ergriffen, wurde wahrscheinlich von den Erbacher Grafen entschieden.“213 Das humanistisch-theologische Anliegen desjenigen Teils der Hofbeamten, dem in den Gestalten der Grafen von Erbach und Christoph Ehems eine exemplarische Betrachtung zuteilwurde, traf sich mit den Interessen einer Reihe von Immigranten deutlich reformierter Prägung. Einige von ihnen waren bereits unter Ottheinrich in die Kurpfalz eingewandert und nahmen 1559 Schlüsselpositionen an Hof und Universität ein:214 So besetzte der Franzose Petrus Boquinus seit 1557 die dritte Professur der Theologischen Fakultät für Loci praecipui theologici, der Schweizer Thomas Erastus wirkte seit 1558 in Heidelberg als Professor für Medizin und als kurfürstlicher Leibarzt. Insbesondere letzterer übte durch seine Verbindungen nach Zürich, seine Tätigkeit im Kirchenrat und seine theologischen Schriften einen beträchtlichen Einfluss auf die Religionspolitik aus. Für die hier angestellten Betrachtungen von größerem Belang ist jedoch der aus Trier stammende Jurist und Theologe Caspar Olevianus. Olevianus hatte in Bourges unter Franciscus Duarenus (1509–1559) Rechtswissenschaft studiert 211 212 213 214
Ernst, Briefwechsel, 657. Vgl. Kluckhohn, Briefe I, 52f. Press, Erbach, 672. Von hier aus lässt sich eine direkte Linie zu der auffälligen „Westorientierung“ der kurpfälzischen Außenpolitik in den Folgejahren ziehen; vgl. dazu Strohm, Entstehung; ders., Westeuropa; Zwierlein, Heidelberg; ders., Palatinate. Zur Rolle der Heidelberger Universität dabei vgl. Wolgast, Universität.
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und dort 1557 den Doktortitel erworben. 1556 versuchte er in einer wagemutigen Rettungsaktion vergeblich, den Sohn des damaligen Pfalzgrafen Friedrich von Simmern, Hermann Ludwig (1541–1556), vor dem Ertrinken zu bewahren, was ihm womöglich bereits zu dieser Zeit die Aufmerksamkeit des späteren Kurfürsten sicherte. In Bourges wurde Olevianus für den evangelischen Glauben calvinischer Prägung gewonnen: Er knüpfte dort nicht nur Kontakte zu seinen Mitstudenten, wie z. B. zu Wenzel Zuleger, sondern auch zu seinen Lehrern an der Universität, insbesondere zu Hugo Donellus (1527–1591) – beiden Männern sollte er später in der Kurpfalz erneut begegnen. An seinen Studienaufenthalt in Bourges schloss sich ein einjähriges Theologiestudium in der Schweiz, zunächst in Genf bei Calvin und dann in Zürich bei Petrus Martyr Vermigli und Heinrich Bullinger an. Nachdem er in seiner Heimatstadt Trier auf die Einführung der Reformation hingearbeitet hatte, musste er dort einen mehrmonatigen Gefängnisaufenthalt auf sich nehmen. Es war niemand anderes als Graf Valentin von Erbach, der ihm und einer Reihe weiterer Gefangener an der Spitze einer kurpfälzischen Gesandtschaft nach Verhandlungen mit dem Rat schließlich zur Freiheit verhalf. Olevianus’ Weg führte darauf von Trier in die Kurpfalz, wo er seit Februar 1560 gemeinsam mit dem Niederländer und ehemaligen Metzer Prediger Petrus Colonius (ca. 1530–ca. 1571) das Sapienzkolleg leitete, eine schon unter Friedrich II. gegründete Burse für Theologiestudenten. Nur wenig später, im Juli 1561, wurde Olevianus auf die dritte Professur der Theologischen Fakultät berufen, nachdem durch das Ausscheiden Heshusens und Paul Einhorns215 Boquinus auf die erste Professur gerückt war. Dass Olevianus mit nur fünfundzwanzig Jahren und einem lediglich einjährigen Theologiestudium als Lehrer an der Universität tätig wurde, lässt sich als deutlicher Niederschlag des theologischen Wandels der Kurpfalz hin zur reformierten Form des Protestantismus verstehen. Zusammen mit Immanuel Tremellius und Petrus Boquinus waren nun alle drei Professuren von landesfremden Theologen calvinischer Prägung besetzt. Im akademischen Jahr 1562 übernahm Olevianus bis zu seinem Ausscheiden aus dem Professorenamt darüber hinaus die Rolle des Dekans der Fakultät. In dieser Funktion unterzeichnete und entwarf er offenbar das Gutachten an den Frankfurter Rat zu Gunsten der Flüchtlingsgemeinden.216 Noch im Juli gleichen Jahres gab Olevianus jedoch sein Professorenamt an den jungen Zacharias Ursinus weiter, wurde Pfarrer an St. Peter sowie Mitglied des Kirchenrates. Die Ergebnisse der Darstellung seien abschließend mit Blick auf Dathenus zusammengefasst: Kurz vor der Übersiedlung eines Teils der Frankfurter Flücht215 Professor für Altes Testament von 1559–1560, vgl. Drüll, Gelehrtenlexikon, 133f. 216 Vgl. Goeters, Olevianus, 298 und Teil Eins Kapitel 2.2 (S. 55 mit Anm. 99).
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lingsgemeinde nach Frankenthal sehen wir den niederländischen Prediger mit herausragenden Persönlichkeiten in der Kurpfalz in Kontakt stehen, die an zentralen Stellen – an der Universität, im Kirchenrat und im Oberrat – die Durchsetzung einer dezidiert reformierten Kirchenpolitik betrieben. Besondere Bedeutung kommt sicherlich den Grafen von Erbach zu, deren von Dathenus beobachteter Einfluss auf den Kurfürsten nach dem Durchgang durch die Überlieferung bestätigt werden kann. Die Verbindungen zu Caspar Olevianus, der trotz seiner erst zwei Jahre währenden Anwesenheit in Heidelberg und seines vergleichsweise geringen Alters bereits eine einflussreiche Stellung im Kirchenrat einnahm, lassen bereits die spätere enge Zusammenarbeit der beiden Theologen im Streit um die Kirchenzucht vorausahnen. Mit einigen Abstrichen, die aus der unzureichenden Quellenlage herrühren, wird man Christoph Ehem als weitere Kontaktperson annehmen dürfen, dessen Biographie, theologischhumanistisches Profil und nachweisliche Sympathien für die Fremdengemeinden mindestens einen oberflächlichen Bezug nach Frankfurt wahrscheinlich machen. Betrachtet man vor diesem Hintergrund den Umzug eines Teils der niederländischen Gemeinde von Frankfurt in die Kurpfalz, so scheint die Ansiedlung der Glaubensflüchtlinge in Frankenthal nicht einfach ein Akt kurfürstlichen Wohlwollens gegenüber den „außlendischen vertribenen Christen“217 gewesen zu sein. Vielmehr muss er als Teil und deutlicher Indikator des fortschreitenden theologischen Wandels am Kurfürstenhof und in Heidelberg verstanden werden.
3.2
Die Ansiedlung der Frankenthaler Fremdengemeinde aus religionspolitischer Perspektive
Dass bei der Ansiedlung der niederländischen Glaubensflüchtlinge in Frankenthal religionspolitische Motive in ganz entscheidendem Maße eine Rolle gespielt haben dürften, bleibt in der bisherigen Forschung zur Stadtgeschichte merkwürdigerweise unterbelichtet. Dies mag auf die seit den Arbeiten von Schilling und Büftering218 zu beobachtende Dominanz einer sozialgeschichtlichen Perspektive innerhalb der Migrationsforschung zurückzuführen sein, die immer auch wirtschaftliche Faktoren mit in den Blick zu nehmen versucht. Betrachtet man den rasanten ökonomischen Aufschwung Frankenthals unter dem Zuzug der handwerklich geschickten und in puncto Produktionstechnik der einheimischen Bevölkerung überlegenen niederländischen Glaubensflüchtlinge, so scheint der Schluss nahezuliegen, dass schon die Ansiedlung der 217 Kurfürst Friedrich III. an den Rat der Stadt Frankfurt, 12. August 1562, FRH I, Beylage 79. 218 Vgl. Schilling, Exulanten; Büftering, Fremdengemeinden; dies., Exulanten.
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ersten Gruppe um Dathenus einem wirtschaftlichen Kalkül folgte: Die Entwicklung der vornehmlich agrarisch geprägten Kurpfalz sollte durch neue Impulse in Handwerk und Gewerbe belebt werden.219 Neben diesem ökonomischen Deutungsansatz treten Überlegungen, die die Entstehung Frankenthals mit der persönlichen Frömmigkeit des Kurfürsten und seiner Sympathie für die konfessionell verwandten Glaubensflüchtlinge in Verbindung bringen. Beide Ansätze scheinen mir jedoch die spezifischen Entstehungsbedingungen Frankenthals nicht hinreichend zu erklären. Gegen die ökonomische Deutung wird man einwenden müssen, dass die politischen Entwicklungen in den Niederlanden und in Frankreich, die Ende der Sechzigerjahre zu einem massiven Anwachsen des Flüchtlingsstromes in die Kurpfalz führten, 1562 noch gar nicht oder nur in groben Zügen absehbar waren. Es dürfte auch nicht dem Charakter der kurpfälzischen Politik unter Friedrich III. entsprochen haben, auf eine Ausweitung der dortigen blutigen Auseinandersetzungen zu spekulieren. Näher läge demgegenüber der Gedanke, die Neubesiedlung Frankenthals sei aus den inneren Überzeugungen des Kurfürsten selbst heraus zu erklären, verleiht dieser doch in seinen Briefen mehrfach seiner Bewunderung für die Glaubenstreue und den Bekennermut der Christen in Frankreich, den Niederlanden und andernorts Ausdruck.220 Jedoch verkennt diese Auffassung m. E. die Komplexität des Zusammenspiels der Einflüsse, die die kurpfälzische Politik nach innen und außen hin bestimmten. Im vorhergehenden Abschnitt wurde bereits deutlich, dass es nicht Friedrich III. allein war, der den konfessionellen Wechsel der Kurpfalz einleitete, sondern dass dieser in ganz entscheidendem Maße durch bestimmte Kräfte am Hof und an der Universität vorangetrieben wurde. Ganz ähnlich dürfte es sich auch im Falle der Frankenthaler Glaubensflüchtlinge verhalten haben: Deren Ansiedlung in der Kurpfalz vollzog sich nicht in einem Raum außerhalb der religionspolitischen Entwicklungen in der Kurpfalz, sondern ordnet sich als ein Element in diese ein. 219 So insbesondere das Votum H. Ambergers: „Neben dem Wunsch, den vertriebenen Glaubensgenossen zu helfen und verwandtschaftlichen Bindungen (Friedrichs Schwester war die Frau des Grafen Egmont, der wenige Jahre später auf Veranlassung Albas hingerichtet wurde) dürften schon damals wirtschaftliche Überlegungen mitgesprochen haben; brachte doch die Ansiedlung der niederländischen Flüchtlinge ein neues Element ins Land, das Gewerbe und Handel nur beleben konnte.“ (Amberger, Frankenthal, 4) Der von Amberger angedeutete Einfluss der verwandtschaftlichen Beziehungen Friedrichs auf die Aufnahme der Glaubensflüchtlinge wird nicht überzubewerten sein. Die adlige Opposition, zu der Egmont zählte, begann sich um 1562 gerade erst zu formieren. Insbesondere war ein Zusammengehen mit der reformierten Bewegung in den Niederlanden im Jahr 1562 noch nicht abzusehen. Dieses erfolgte erst im Zuge der stürmischen Ereignisse im „Wonderjahr“ 1566 (vgl. Parker, Aufstand, 84–89). 220 Vgl. dazu Kluckhohn, Friedrich, 125–128.
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Angesichts der oben angestellten Beobachtungen wird man davon ausgehen dürfen, dass vor allem Dathenus’ Kontakte zu den Grafen von Erbach und zu Olevianus dazu beigetragen haben, den Wechsel nach Frankenthal zu ermöglichen.221 Mit dem streitbaren Prediger, der während seiner Frankfurter Zeit seine theologischen und schriftstellerischen Fähigkeiten in unterschiedlichen Zusammenhängen unter Beweis gestellt hatte, durften diejenigen Kräfte am Hof und an der Universität auf Unterstützung hoffen, die auf die Umgestaltung der kurpfälzischen Religionspolitik im Sinne reformierter Theologie hinarbeiteten. Darüber hinaus könnten die Erwartungen an die schiere Präsenz der Frankenthaler Gemeinde eine gewisse Rolle gespielt haben: Die niederländischen Glaubensflüchtlinge hatten nicht nur durch das Erdulden von Verfolgung und Exil bereits ein beeindruckendes Zeugnis ihrer Glaubenstreue abgelegt, sondern auch unter dem Eindruck der Exilserfahrung zu einer besonders intensiven Form des Glaubenslebens in Gestalt einer ausgebildeten Kirchenzucht und einer spezifischen Gemeindeordnung gefunden. Womöglich sah man in der Kurpfalz in Frankenthal so etwas wie eine Modellgemeinde, die für die weitere Reform des im Umbruch befindlichen kurpfälzischen Kirchwesens Impulse geben und auf die umliegenden Gemeinden durch vorbildlichen Lebenswandel ausstrahlen sollte – ganz ähnlich wie dies im Jahr 1550 in London bei Edward VI. der Fall war. Die Ansiedlung der Niederländer läge dann auf einer Linie mit dem Bemühen um eine vertiefte theologische Durchdringung der pfälzischen Kirche, wie es in der Einführung des Katechismus und der Kirchenordnung 1563 zum Ausdruck kommt. Einen gewissen Anhalt für ein solches religionspolitisches Motiv bietet die Kapitulationsurkunde Frankenthals222, insofern sie erstens der religiösen Ordnung der neuen Gemeinde Priorität einräumt – die Kapitulation beginnt bereits mit dem Hinweis auf die Verfolgungssituation der „verjagte[n] Christen“223, und kommt nach den Bestimmungen zum Untertaneneid unmittelbar auf die religiöse Sphäre zu sprechen – und zweitens der Gemeinde in diesem Bereich Privilegien zugesteht: Die Fremden dürfen eigenständig das Evangelium in ihrer Muttersprache verkündigen und die Sakramente verwalten, wobei sie sich jedoch an die Lehre und Ordnung der kurpfälzischen Kirche halten sollten, „auff das den vmbligenden Stätt, Fleckhen und Dörffern Iren genachparten keine ergernuß noch sonnst zu vnnotturftigem ausschreyen, oder gezannckheit nit vrsach gegeben werden.“224 Desgleichen sollen sie bei der Wahl neuer Pfarrer die 221 Bereits Robert van Roosbroeck hebt die Rolle von Petrus Dathenus bei der Neubesiedlung Frankenthals hervor, jedoch ohne dabei den engeren religionspolitischen Hintergrund in den Blick zu nehmen; vgl. van Roosbroeck, Glaubensflüchtlinge, 16. 222 Abgedruckt bei Hildenbrand, Quellen I, 4–11. 223 A. a. O., 4. 224 A. a. O., 5.
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Bewilligung des Kirchenrates einholen. Theologische Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde waren ebenfalls dem Kirchenrat zur Vergleichung vorzulegen. Es ist deutlich, dass die Zugeständnisse an die Fremdengemeinde nicht so umfassend waren wie diejenigen an die Londoner Gemeinde unter Edward VI. Gleichwohl boten sie ihr ausreichend Freiraum zur Entfaltung des kirchlichen Lebens gemäß den eigenen Traditionen. Mit den Bestimmungen zur Rechenschaft, die die Gemeinde vor dem Kirchenrat über neue Pfarrer und Streitfälle zu geben hatte, war zwar ein Element aufgenommen, das ein gewisses Konfliktpotential barg; dieses kam jedoch in den Folgejahren nie zur Entfaltung: Mit Caspar Olevianus, Christoph Ehem und Petrus Boquinus saßen im Kirchenrat immerhin drei Räte, die entweder selbst Verfolgungserfahrungen durchlitten hatten oder aber den Flüchtlingen Sympathien entgegenbrachten. Die im kirchlichen Bereich gemachten Zugeständnisse gewinnen dagegen ex negativo noch einmal an Bedeutung, wenn man sich vor Augen führt, dass die Kapitulation bis auf den Erlass des Einzugsgeldes für die ersten Siedler keinerlei Privilegien wirtschaftlicher Art vorsieht – ein Hinweis, dass wirtschaftspolitische Motive bei der Neubesiedlung Frankenthals kaum eine Rolle gespielt haben dürften. Nimmt man die Person des Petrus Dathenus im Besonderen in den Blick, so erhärtet sich der Verdacht, man wollte in der Kurpfalz mit der Aufnahme der niederländischen Flüchtlinge nicht nur ein Zeugnis der eigenen christlichen Solidarität geben, sondern darüber hinaus einen fähigen Theologen rekrutieren. Deutlich wird dies insbesondere an Dathenus’ rascher Indienstnahme durch den Kurfürsten. Über die Frage, wann diese genau erfolgte, besteht in der Forschung keine Einigkeit: So stellte Johann Kraus in seinem 1903 erschienen Beitrag zu Petrus Dathenus die Behauptung auf, Dathenus sei bereits 1563 zum kurfürstlichen Hofprediger bestellt worden, was sich bei näherer Betrachtung jedoch als ein Lesefehler des von ihm herangezogenen Aktenstückes herausstellt.225 Kraus’ Angabe wurde dann auch wenig später von Theodorus Ruys mit Verweis auf Dathenus’ Umzug nach Heidelberg 1569 korrigiert: Erst ab diesem Jahr, nicht schon 1563 wird man davon ausgehen können, dass Dathenus als Friedrichs
225 Der fragliche Abschnitt befindet sich im sog. Statutenbuch (FStA Nr. 82, f. 66r–f. 72v,) und ist überschrieben: „Alsoo Inden Jiere uns heeren duysent vyffhondert drientseuentich den 15. Decembris Jn een zeker extraordinarie versametinghe der Ghemeyten alhier tot franckenthale ghehouden […].“ Darin geht es um eine durch die neue Kapitulation vom 7. Mai 1573 notwendig gewordene Wertschätzung der älteren Grundstücke und Häuser, die aus kurfürstlichem Besitz in Gemeindebesitz übergegangen waren. Die Schätzung sollte von einer Kommission durchgeführt werden, die ihre Arbeit jedoch nicht zur Zufriedenheit des Rates erfüllte, so dass ein langwieriger Rechtsstreit die Folge war. Dathenus wurde von der Gemeinde „als haeren ghewesenen Dienaer“ (f. 66v) als Vermittler angerufen. Daneben war der Heidelberger Jurist Petrus Alostanus bei dem Vergleich beteiligt.
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Hofprediger tätig war.226 Gleichwohl rezipiert Ruys Kraus insofern, als er dessen Lesefehler zur Basis für die Vermutung macht, Dathenus sei zu dieser Zeit in den Kreis der Heidelberger „Hoftheologen“ aufgenommen worden. Eine derartige Amts- oder Funktionsbezeichnung begegnet jedoch nirgendwo in den Quellen und sie würde dann auch eher auf die Hofprediger und vielleicht noch auf die Theologen im Kirchenrat hindeuten, zu denen Dathenus 1563 nachweislich nicht gehörte. Spätere Arbeiten sehen daher häufig 1564 als das Jahr, in dem Dathenus das erste Mal offiziell für den Kurfürsten tätig ist. Neben Ursinus, Olevianus, Diller und Boquinus vertrat er in diesem Jahr die kurpfälzische Seite beim Gespräch zu Maulbronn.227 Die Darstellung, die Heinrich Alting vom konfessionellen Übergang der Kurpfalz in den Jahren um 1563 gegeben hat, könnte nun aber einen Hinweis auf eine frühere Wirksamkeit enthalten. Alting beschreibt in seiner Historia die Maßnahmen, die Friedrich III. nach seinem Regierungsantritt zur Durchsetzung der Reformation seiner Kirchen und Schulen in Angriff genommen hatte. Eigentlich habe er Petrus Martyr Vermigli und Wolfgang Musculus (1497–1563) in die Kurpfalz berufen wollen, diese hätten jedoch aus Altersgründen abgelehnt, weshalb er auf eine Reihe anderer Theologen zurückgreifen musste, deren Namen Alting im Folgenden aufzählt. Er nennt: „Den Hofprediger Michael Diller, den Theologen Petrus Boquinus, Petrus Dathenus, der aus Frankfurt zum Dienst in der Heidelberger Kirche herbeigeholt wurde, Caspar Olevianus, der aus Religionsgründen in Trier gefangen war und den er [sc. Friedrich] durch die Sendung Graf Valentins von Erbach, des Präfekten von Alzey, zum Trierer Kurfürsten befreit hatte, den Kirchenrat Thomas Erast und andere mehr in Stadt und Provinz.“228
Hinzu kommen nach Alting diejenigen advocati quoque consularii, die dem orthodoxen Glauben anhingen, nämlich Georg und Eberhard von Erbach, Christoph Probus, Christoph Ehem, Wenzel Zuleger, Stephan Cirler et alii. 226 Vgl. Ruys, Dathenus, 82 mit Anm. 3. 227 Vgl. z. B. Nauta, Art. Dathenus, 111 (jedoch mit der Amtsbezeichnung „hofprediger“ wiederum Kraus’ Lesefehler reproduzierend); Strohm, Übergang 99; Ehmann, Unionskatechismen, 140. 228 „Igitur eos adhibuit, quorum copia erat: Micha[lem Dillerum Pastorem aulicum, Petrum Boquinum Theologum, Petrum Dathenum Francofurto adscitum ad Ecclesiae Heidelbergensis Ministerium, Casparum Olevianum, quem ex captivitate Religionis causa liberaverat Trevitis, misso ad Electorem Trevirensem Comite Valentino ab Erpach, praefecto Alzaeano, Thomam Erastum Senatorem Eccclesiasticum, & alios plures in urbe & provincia. Advocati quoque Consiliarii, Orthodoxae Confessioni addicti: Georgius ab Erpach Comes, Magnus Aulae Palatinae Magister, Calvini, ut supra dictum, & Martyris discipulus, & frater ejus Eberhardus, Archimareschallus, Christophorus Probus post Cancellarius, Christophorus Ehemius JC. Wenceslaus Zuleger, Stephanus Cirlerus, & alii: qui suis judiciis confirmarunt Electorem, & consiliis pium opus promoverunt.“ (Alting, Historia, 183)
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Man wird der Erwähnung von Dathenus’ Namen an dieser Stelle mit einer gewissen Skepsis begegnen müssen, insofern Alting, wie bereits gesehen, in seinem aus dem Abstand mehrerer Jahrzehnte verfassten Bericht den Hergang der Dinge zuweilen nicht korrekt darstellt. Möglicherweise projiziert er an dieser Stelle Dathenus’ spätere starke Stellung als Hofprediger in dessen frühe Zeit in der Kurpfalz zurück. In der Tat besteht angesichts seiner Tätigkeit als Prediger in der Frankenthaler Gemeinde für die Annahme einer festen Anstellung in Heidelberg vor 1568/69 keine Veranlassung. Nichtsdestotrotz fällt die Genauigkeit ins Auge, mit der Alting das am Hof Friedrichs III. vorhandene Personal beschreibt. Dies gilt nicht nur für den Titel Valentins von Erbach als Burggraf von Alzey, sondern auch für Probus, den Alting als post Cancellarius bezeichnet – Probus kehrte 1562 als Nachfolger des lutherisch gesinnten Erasmus von Minckwitz in das Kanzleramt zurück.229 Es könnte also durchaus sein, dass Alting in der Erwähnung des Namens „Dathenus“ an der zitierten Stelle doch einen richtigen Sachverhalt bewahrt: nämlich dass man Dathenus ganz bewusst als einen theologischen Mitarbeiter für die sich vollziehenden und noch anstehenden kirchlichen Umstrukturierungen rekrutieren wollte. Ein briefliches Zeugnis aus der Hand von Dathenus selbst ist geeignet, diese Hypothese zu erhärten. Am 23. Oktober 1563 schreibt dieser an Heinrich Bullinger über die aktuellen Entwicklungen rund um den Heidelberger Katechismus.230 Gegen denselben hätten drei Fürsten, Württemberg, Zweibrücken und Baden, eine fade Kritik (insulsa censura) an den Kurfürsten geschickt,231 auf die Bullinger und einige andere bereits entsprechend geantwortet hätten. Nach einem kurzen polemischen Ausfall gegen Johannes Brenz (1499–1570)232 setzt Dathenus seinen Bericht fort: „Auch wollte unser Fürst erfahren, was ich von der Schrift der Kritiker halte. Daher wurde mir aufgetragen, solange bis ich meine Meinung den Räten vortrage, auch die anderen Urteile durchzulesen, unter denen in der Tat (ich spreche aufrichtig und von Herzen) das deine nicht unverdient den ersten Platz einnimmt. Es haben nämlich jene Kritik auch einige Superintendenten nicht unglücklich widerlegt; daher wurden einem jeden der Fürsten sechs unterschiedliche Widerlegungen der Kritik geschickt, die, wenn sie [die Fürsten] sie durchlesen, in der Tat aufdecken, wie sehr der ubiquarische Brenz (ubiquarius Brentius), soweit der Himmel reicht, irrt und überall Anstoß erregt.“233 229 230 231 232
Vgl. Press, Calvinismus, 232. Vgl. Ruys, Dathenus, 302f. Vgl. Kluckhohn, Briefe I, 449–460. „[…] ut Brentuium cum suo Schwedelino Seraphiis [lies: Suebelino Serapis?, TS] ranis similes futuros sperem.“ (Ruys, Dathenus, 303) 233 „Voluit etiam Princeps noster, quid ego sentirem de Censorum scripto, intelligere, itaque dum sententiam meam Consiliariis offero, aliorum etiam iudicia perlegere iubeor, inter quae sane (syncere et ex animo loquor) tuum primum locum non immerito obtinet. Ref-
Ergebnis
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Es ist nicht ganz klar, ob Dathenus bei den Räten (consiliares), vor denen er seine Widerlegung vortragen sollte, den Kirchen- oder gar den Oberrat vor Augen hatte. Jedenfalls wird deutlich, dass er in den Prozess um die Erarbeitung einer Apologie des HK gegen die Angriffe aus Württemberg einbezogen war. Nur etwas mehr als ein Jahr nach seiner Ankunft in Frankenthal übernimmt Dathenus für den Kurfürsten somit bereits die Rolle eines kirchenpolitischen Beraters, dessen Urteil neben anderen in schwierigen theologischen Fragen eingeholt wird. Die Selbstverständlichkeit, mit der er gegenüber Bullinger von seiner Aufgabe berichtet, die ihn mit den Pfälzer Superintendenten und dem Züricher Antistes zumindest funktional auf eine Stufe stellt, deutet nicht darauf hin, als wäre mit Dathenus 1562 ein theologisch völlig unbeschriebenes Blatt in die Kurpfalz gekommen, das sich seinen Ruf erst erarbeiten musste. Vielmehr wird man dem Hinweis Altings folgend davon ausgehen dürfen, dass der streitbare Niederländer ähnlich wie Olevianus 1560 eben zu dem Zweck in die Kurpfalz geholt wurde, den konfessionellen Wandel des Landes durch theologische und kirchenpolitische Arbeit zu vertiefen.
4.
Ergebnis
Am Ende der historischen Darstellung, die Dathenus’ ereignisreichem Weg von Flandern über London und Frankfurt bis in die Kurpfalz zu folgen versuchte, steht die Ausgangsfrage dieser Arbeit: Übte Dathenus tatsächlich einen Einfluss auf die Entstehung des HK und die KKO aus? Die Antwort wird, wie nicht anders zu erwarten, zunächst eine deutliche Einschränkung erfahren müssen: Die noch vorhandenen Quellen geben über eine unmittelbare Teilnahme an den synodalen Beratungen, die zur Endgestalt des Katechismus führten, kein Zeugnis. Gleichwohl lässt sich anhand verschiedener Indizien mindestens ein indirekter Einfluss mit einem hohem Plausibilitätsgrad erschließen. Erstens wurde gezeigt, dass Dathenus schon in Frankfurt mit einigen für die kurpfälzische Kirchenpolitik zentralen Persönlichkeiten in engem Kontakt stand. Bereits 1560 übte er über die Person Georgs von Erbach einen gewissen, wenn auch nicht zu überschätzenden Einfluss auf den kurpfälzischen Vorschlag einer Synode zur Überwindung der innerprotestantischen Spaltung aus. Die Kontakte zu den Erbacher Grafen und zu Olevianus erklären nicht nur das starke Engagement des Kurfürsten und der Universität für die Fremdengemeinden in Frankfurt, sondern auch die Ansiedlung eines Teils der niederländischen Geutarunt etiam censuram illam non infeliciter nonnulli superintendentes, itaque Principum unicuique sex diversae refutationes censurae, missae sunt, quas si peregerint, deprehendent sane quam toto caelo aberret ac ubique impingat ubiquarius Brentius.“ (ebd.)
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Dathenus’ Weg in die Kurpfalz
meinde in Frankenthal. Vor dem Hintergrund des Wandels in der kurpfälzischen Religionspolitik seit 1560 erscheint es naheliegend, dass man Dathenus als fähigen Theologen für die Kurpfalz gewinnen wollte. Der Niederländer hatte sich in Frankfurt in den Auseinandersetzungen mit der Theologie der Altgläubigen einerseits und den lutherischen Stadtpredigern andererseits profiliert, zur gleichen Zeit war man in der Kurpfalz bemüht, die durch die Entlassung lutherischer Theologen entstehenden Lücken durch jüngeres Personal zu schließen. Eine solche bewusste „Anwerbung“ vorausgesetzt wäre es verwunderlich, hätte man Dathenus bei der Ausarbeitung des HK und der KKO vollständig übergangen. Diese Überlegung wird zweitens durch die Beobachtung ergänzt, dass sich Dathenus bereits 1563 in zweifacher Weise mit dem HK intensiv auseinandersetzte: Zum einen übersetzte er den Katechismus für seine eigene Gemeinde in Frankenthal ins Niederländische, zum anderen erstellte er eine Apologie gegen die aus Württemberg am HK geübte Kritik – in dieser Sache das erste Mal nachweislich im Auftrag des pfälzischen Kurfürsten tätig. Dass sich Dathenus mit seiner Aufgabe in der Gesellschaft von so profilierten Theologen wie Heinrich Bullinger und Zacharias Ursinus befand,234 zeigt, welch hohes Ansehen der Niederländer am Kurfürstenhof bereits genoss. Beide Beobachtungen machen es wahrscheinlich, dass Dathenus auch auf die Ausarbeitung von HK und KKO einen gewissen Einfluss ausübte. Vermittelnd könnte dabei beispielsweise Caspar Olevianus gewirkt haben, mit dem Dathenus mindestens seit September 1560 nachweislich in Kontakt stand. Es ist zu sehen, ob dieses Ergebnis durch die sich anschließenden Einzeluntersuchungen von HK, KKO und den Schriften von Dathenus argumentativ weiter gestützt werden kann.
234 Goeters (Olevianus, 310 mit Anm. 125) vermutet darüber hinaus noch Johannes Sylvanus als weiteren Verfasser.
Zweiter Teil: Umfang und Charakter der Londoner Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kurpfälzischen Kirchenordnung von 1563
Durch die Aufarbeitung von Dathenus’ Lebensweg bis 1563 konnten einige Indizien zusammengetragen werden, die der Annahme eines Einflusses des Niederländers auf den Entstehungsprozess des HK eine gewisse Plausibilität verleihen. Darüber hinaus wurde das Augenmerk auf Dathenus’ biographische Verwurzelung in der Londoner Flüchtlingsgemeinde der Jahre 1550–1553 gelenkt. In ihr erhielt er wahrscheinlich seine theologische Ausbildung, einige der dort geschlossenen Kontakte blieben auch während seiner Tätigkeit in Frankfurt und in der Kurpfalz bestehen. Bevor dazu übergegangen werden kann, die Beziehung zwischen Dathenus und dem HK anhand einer Untersuchung seiner Schriften weiter aufzuarbeiten, ist zunächst die Londoner Flüchtlingstradition selbst in den Blick zu nehmen. Es ist in der Forschung seit längerem bekannt, dass Einflüsse aus der Londoner Fremdengemeinde bei dem konfessionellen Übergang der Kurpfalz um 1563 eine gewisse Rolle spielten. So hatten zunächst Gooszen1 und Lang2, später auch Bart Thompson3 die Bedeutung der Katechismen laskonischer Prägung für die Genese des HK herausgearbeitet. Selbiges gilt mutatis mutandis für die Arbeiten Bassermanns4, Gobius du Sarts5 und vor allem Goeters’6 im Hinblick auf die Rezeption der Londoner Gemeindeordnung in der KKO. Kann in Anbetracht dieser Arbeiten das Vorhandensein eines Einflusses der Londoner Flüchtlingstradition auf HK und KKO als argumentativ gut gesichert gelten, so finden sich zwischen ihnen gleichwohl markante Abweichungen bei der Bestimmung der Intensität, mit der die Londoner Flüchtlingstradition auf die Entstehung der beiden Dokumente eingewirkt hätte. Im Folgenden ist also in kritischer Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der
1 2 3 4 5 6
Vgl. Gooszen, Catechismus. Vgl. Lang, Katechismus. Vgl. Thompson, Church Order. Vgl. Bassermann, Geschichte. Vgl. Gobius du Sart, Geschiedenis. Vgl. EKO XIV, 333–408.
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Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563
Forschung Umfang und Charakter der Londoner Flüchtlingstradition genau zu bestimmen.
1.
Die Katechismen der Londoner Flüchtlingstradition und der Heidelberger Katechismus
1.1
Die vier sog. laskonischen Katechismen
Die Entstehung von L, des ersten hier betrachteten Katechismus aus der Londoner Flüchtlingstradition, steht in engem Zusammenhang mit a Lascos erstem Aufenthalt in Ostfriesland in den Jahren 1542 bis 1549/50 und seinem dortigen Wirken als Superintendent der ostfriesischen Kirche. Die in ihren Ursprüngen stark durch das Gedankengut Zwinglis geprägte ostfriesische Reformation besaß bei Amtsantritt a Lascos auf Grund des verstärkten Zuzugs lutherischer Prediger nach 1529 und der Aktivität täuferischer Gruppen keine einheitliche theologische Gestalt. A Lascos Bemühen richtete sich demgemäß vor allem auf die Herstellung theologischer Einheit und auf die Ausbildung fester kirchlicher Strukturen.7 Dazu gehörte unter anderem die Erstellung eines umfangreichen Katechismus, die a Lasco gemeinsam mit den übrigen Emder Pastoren unternahm.8 Die Einzelheiten des Abfassungsprozesses bleiben dabei allerdings im Dunkeln: Der Katechismus wurde in Ostfriesland nie gedruckt, sondern nur handschriftlich verbreitet. Von dieser ersten, handschriftlichen Fassung – dem eigentlichen großen Emder Katechismus – ist kein Exemplar erhalten. Überliefert ist allein eine niederländische Übersetzung, die Jan Utenhove 1551 für die Londoner Fremdengemeinde zu Unterrichtszwecken anfertigte (L).9 Ob man die ostfriesische Vorarbeit in London nicht nur übersetzte, sondern darüber hinaus theologisch veränderte, muss nach Lage der Dinge unklar bleiben. Der Katechismus galt der Gemeinde jedenfalls nicht als in Stein gemeißelt, wie seine Ergänzung um eine umfangreiche Fragenreihe zum Lehrstück von der Höllenfahrt Christi aus dem Jahr 1553 belegt.10 Man war offenbar bereit, den Text an die 7 Vgl. dazu ausführlich Jürgens, a Lasco, insbes. 222–325. 8 Vgl. a. a. O., 321. 9 Von dem Londoner Katechismus existiert eine recht genaue Übersetzung ins Hochdeutsche aus dem Jahr 1563, deren historische Hintergründe jedoch im Dunkeln liegen. Sie findet sich abgedruckt bei Reu unter dem Titel „Der ostfriesische Katechismus von 1546 in seiner hochdeutschen Ausgabe von 1563“ (Reu, I/3,2,3 1103–1148). Anders als der Titelzusatz „Geschrieben durch Martinum Micron“ vermuten lässt, handelt es sich nicht um eine Übersetzung von M, sondern von L. In der Edition Reus festgehalten sind außerdem Druckort („Freyburgk“) und Drucker („Martinum Mundanum“ evtl. entsprechend der Angaben von VD 16: M 5171 zu korrigieren in „Christianum Mundanum“). 10 Der entsprechende Fragenkomplex als Fußnote in Kuyper II, 424–427.
Die Katechismen der Londoner Flüchtlingstradition
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spezifischen theologischen Debatten innerhalb der eigenen Gemeinde anzupassen. Wenn es vor 1553 bereits Veränderungen gab, so dürften sie allerdings kaum ohne das Einverständnis a Lascos erfolgt sein, denn dieser versandte selbst ein Exemplar des Druckes von 1551 an seinen Freund Hardenberg nach Bremen.11 Trotzdem verbieten es die angestellten Beobachtungen, L ohne weiteres als Referenzpunkt für die Charakterisierung der Theologie a Lascos heranzuziehen, wie dies in der Forschung immer wieder geschehen ist.12 Schon für die nicht erhaltene ostfriesische Vorlage wäre dies nur mit Abstrichen möglich, da bei ihrer Erstellung von einer Beteiligung der übrigen Emder Pastoren auszugehen ist. Das unklare Verhältnis der Übersetzung zu ihrer Vorlage macht den einfachen Rückschluss von L auf die Theologie a Lascos dann im Ganzen methodisch fragwürdig. In Anbetracht des Zieles dieser Arbeit empfiehlt es sich somit, den Katechismus als das zu betrachten, was er selbst dem Titel nach zu sein beansprucht: als das theologische Zeugnis der niederländischen Flüchtlingsgemeinde in London. Mit seinen 250 Fr fällt L schon in seiner ersten Auflage sehr umfangreich aus – für den Unterricht von Jugendlichen und Kindern war er sicherlich nur bedingt geeignet. Bereits ein Jahr später erschien deshalb ein kürzerer, von Marten Micron verfasster Katechismus, der diesem Mangel Abhilfe schaffen sollte (M). Laut a Lascos Vorrede wurde er insbesondere für die Unterweisung der Jugend konzipiert. Die Erstausgabe von 1552 scheint nicht erhalten, der früheste überlieferte Druck stammt aus dem Jahr 1559.13 In seinen theologischen Grundanschauungen stimmt Microns Katechismus zwar mit dem 1551 gedruckten großen Katechismus überein, gleichwohl wird man ihn in Anschluss an Lang kaum einfach als „Auszug“ desselben bezeichnen können.14 Lang selbst macht auf einige Eigentümlichkeiten aufmerksam: So stellt die Einfügung des Abschnittes über die Sakramente in die Auslegung des Glaubensbekenntnisses bei Micron eine auffällige Abweichung von der Gliederung in L dar. Bemerkenswert und für Microns Theologie typisch ist zudem das Zurücktreten juridischen Vokabulars bei der Entfaltung der Rechtfertigungslehre (Fr 41).15 Man wird also eine gewisse Eigenständigkeit von M gegenüber L festhalten dürfen,
11 A Lasco an Hardenberg, 31. Mai 1551, Kuyper II, 652f. 12 Vgl. z. B. Gerretsen, Micronius, 140; Gobius du Sart, Geschiedenis, 74f.80. Demgegenüber weist schon Falkenroth darauf hin, dass L und E nicht notwendig die Theologie a Lascos wiedergeben: „Er [der von Falkenroth bis dahin noch nicht referierte Teil der Schriften a Lascos, TS] besteht aus zwei Katechismen, die am wenigsten für die eigene Lehre Laskis Zeugnis ablegen können und wollen“ (Falkenroth, Gestalt, 2) 13 Vgl. Lang, Katechismus, 117–149. Weitere zeitgenössische Drucke nennt Gerretsen, Micronius, 79f. 14 Vgl. Lang, Katechismus, L. 15 Vgl. dazu ausführlich Gerretsen, Micronius, 24–33.
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Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563
wenn auch der in der Gemeinde verwendete größere Katechismus in weiten Teilen das Ausgangsmaterial für M bereitstellte. Ganz ähnlich verhält es sich mit K16, dem kürzesten der aus dem Umfeld der Londoner Gemeinde erhaltenen Katechismen. Er diente nicht in erster Linie als Lehrbuch der Jugend, sondern war Bestandteil der Londoner Gemeindeordnung: Wer zum Abendmahl zugelassen werden wollte, musste seine Zustimmung zu dem Katechismus öffentlich vor der Gemeinde bekunden.17 Die älteste erhaltene Textfassung aus dem Jahr 1553 wurde in späterer Zeit mehrfach nachgedruckt.18 Aufnahme fand K darüber hinaus in den beiden Darstellungen der Londoner Gemeindeordnung, die jeweils von Marten Micron und Johannes a Lasco in den Jahren 1554 (Micron) und 1555 (a Lasco) nach dem vorläufigen Ende der Londoner Flüchtlingsgemeinde veröffentlicht wurden.19 Anders als Micron, der seine Ordinancien auf Niederländisch verfasste, verwendete A Lasco dabei eine lateinische Version von K, die Brevis fidei exploratio, die sich nicht nur in der Sprache, sondern auch in einigen Formulierungen und im Umfang von der Fassung Microns unterschied.20 Angesichts der beiden divergierenden Textgestalten erfuhr K im Hinblick auf seine Verfasserschaft eine uneinheitliche Bewertung: So vertrat einerseits Abraham Kuyper die Auffassung, der kurze Katechismus sei von Johannes a Lasco ursprünglich auf Latein verfasst und dann von Jan Utenhove – analog zum großen Katechismus von 1551 – ins Niederländische übersetzt worden. Micron habe dann im Zuge der Abfassung seiner Ordinancien auf diese niederländische Fassung zurückgegriffen.21 Auf der anderen Seite votierte Jan Hendrik Gerretsen für Marten Micron als Autor. Neben den offensichtlichen Schwächen in Kuypers Argumentation – eine Übersetzung der Brevis fidei exploratio durch Utenhove ist quellenmäßig nicht belegt – führt Gerretsen als Argument vor allem die sich in K niederschlagende spezifische Theologie Microns an. K atme aufs Ganze gesehen Microns Geist.22 Daneben würde K in zeitgenössischen Quellen mehrfach Micron, nirgendwo aber a Lasco zugeschrieben.23 16 Vgl. Kuyper II, 477–492. Weitere zeitgenössische Drucke nennt Gerretsen, Micronius, 74f. 17 Die Frage, in welcher Form dies zu geschehen hatte, wird von Kuyper und Gerretsen je unterschiedlich beantwortet. Während Kuyper davon ausgeht, K sei vor der versammelten Gemeinde schriftlich unterzeichnet worden, interpretiert Gerretsen die entsprechende Formulierung eines Briefes von a Lacso an Bullinger vom 7. Januar 1551 (Kuyper II, 646) dahingehend, das Einverständnis mit dem Inhalt der Schrift sei nur mündlich vor der Gemeinde erfolgt. 18 Vgl. Gerretsen, Micronius, 73–75. 19 Zur Stellung von K in der Londoner Gemeindeordnung vgl. Teil Zwei Kapitel 2.1.2. 20 Kuyper II, 477–492 führt die Unterschiede in den Marginalien detailliert auf. Vgl. auch Sprengler-Ruppenthal, EKO VII.2.1, 618–626. 21 Vgl. Kuyper I, Praef. C. 22 Vgl. Gerretsen, Micronius, 24. 23 Vgl. ebd.
Die Katechismen der Londoner Flüchtlingstradition
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Es ist hier nicht der Ort, die genannten Argumente im Einzelnen zu diskutieren.24 Wie komplex sich die Verfasserfrage im Falle katechetischer Literatur gestalten kann, zeigt die entsprechende Debatte um den HK. Die Kürze und die Allgemeinheit der in K verwendeten Formulierungen sowie die bei allen Unterschieden im Einzelnen im Ganzen doch festzuhaltende theologische Nähe von Micron und a Lasco in zentralen Fragen erschweren ein argumentativ abgesichertes Urteil über seine Verfasserschaft zusätzlich. Für das hier behandelte Thema empfiehlt sich daher, wie im Falle von L unspezifisch von einem theologischen Zeugnis der Londoner Flüchtlingsgemeinde auszugehen, anstatt eine genaue Zuordnung zu einzelnen Theologen zu versuchen. Im Hinblick auf die Verfasserfrage ähnlich umstritten wie K ist der letzte Katechismus aus der Londoner Flüchtlingstradition, für den ein Einfluss auf die Entstehung des HK diskutiert wird. Von allen bisher genannten Katechismen wurde ihm zugleich das meiste Interesse seitens der Forschung entgegengebracht.25 Sein Abfassungsort ist nicht London, sondern Emden, wo ein Teil der Londoner Gemeinde nach dem Regierungsantritt Maria I. in England und nach längerer Irrfahrt über Dänemark und Norddeutschland Ende 1553 Zuflucht fand. In Emden hatte seit dem Weggang a Lascos nach England im Zuge der Interimsstreitigkeiten Gellius Faber (ca. 1490–1564) die Funktion a Lascos als Organisator der ostfriesischen Kirche übernommen, ohne allerdings den Titel des „Superintendenten“ offiziell zu führen.26 Auch Faber hatte mit dem Problem der divergierenden theologischen Anschauungen in Ostfriesland zu kämpfen, jedoch vertrat er anders als a Lasco in der Abendmahlslehre eine vermittelnde Linie in der Tradition Bucers und Melanchthons.27 Noch vor der Rückkehr a Lascos aus London begann Faber mit der Erstellung eines eigenen Katechismus, der dieser vermittelnden Linie in Ostfriesland Geltung verschaffen sollte. Als a Lasco davon Kenntnis erlangte, sah er seine Bemühungen um die kirchliche Konsolidierung Ostfrieslands in den Jahren 1542–1549 hintertrieben, und es entbrannte ein heftiger Streit um Inhalt und Geltung des Faberschen Katechis24 Mit Blick auf das von Gerretsen vorgebrachte Argument, K zeige deutliche Züge Micronscher Theologie, könnte dies nur durch eine genaue Analyse des Textes und einem Vergleich mit den Schriften a Lascos und Microns erfolgen. Dabei wäre zu beachten, dass der große Katechismus von 1551, wie oben dargelegt, nicht einfach als Referenzpunkt für „die Theologie“ a Lascos herangezogen werden kann, wie dies in Gerretsens Arbeit bisweilen geschieht. 25 Vgl. nicht nur die grundlegende Edition Kuypers sondern auch die darauf aufbauenden Studien von Weerda, Kirchenrat, 118–136 und Rauhaus, Untersuchungen. 26 Zu Fabers Position in Emden vgl. Weerda, Kirchenrat, 113–118. 27 So vermittelte Faber im sog. Norder Streit zwischen dem lutherisch gesinnten Pastor Wilhelm Lemsius und seinen reformierten Amtskollegen Johannes Forstius und Johann Adolf Fusipedius. Dabei kam man in der „Wirdumer Formel“ zwar zu einer vorläufigen Einigung, die den Streit jedoch letztlich nicht beenden konnte, vgl. Weerda, Kirchenrat, 118f; Rauhaus, Untersuchungen, 33–40.
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Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563
mus.28 Nach einigem Hin und Her gelangte man im ostfriesischen Coetus zu dem Kompromiss, drei Katechismen zu drucken: erstens den in einigen Punkten überarbeiteten Katechismus Fabers; zweitens den bereits in Verwendung stehenden, aber nur handschriftlich verbreiteten sog. Großen Emder Katechismus; drittens einen nicht näher spezifizierten Kinderkatechismus.29 Die Einordnung dieses Beschlusses – seine Umsetzung oder vielmehr unterbliebene Umsetzung – bereitet der Forschung seit je Schwierigkeiten; überliefert ist aus dem Jahr 1554 nämlich nur ein einziger in Emden gedruckter Katechismus: E.30 Insbesondere das Fehlen einer Ausgabe des sog. Großen Emder Katechismus legt den Verdacht nahe, dass der Coetusbeschluss nicht oder nur teilweise ausgeführt wurde. Uneinigkeit herrscht weiter über die Frage, um welchen der im Coetusbeschluss genannten Katechismen es sich bei E handelt: um den Katechismus Fabers oder um den zuvor genannten Kinderkatechismus? Die erste Deutung vertritt Jan Remmers Weerda in besonderer Zuspitzung gegenüber der These Kuypers, E sei maßgeblich das Werk Johannes a Lascos.31 Weerda interpretiert die brieflichen Zeugnisse a Lascos von Ende 1553 und Anfang 1554 dahingehend, dass a Lasco die Veröffentlichung des Faberschen Katechismus nicht verhindern, sondern letztlich nur eine Korrektur der darin enthaltenen Sakramentslehre erzwingen konnte.32 E sei nichtsdestotrotz vor allem durch Faber verfasst. Ihren Widerspruch erfuhr diese Deutung durch Alfred Rauhaus: Der Kompromiss, auf den sich der Coetus einigte, bestünde lediglich darin, dass die Veröffentlichung des Faberschen Katechismus mit dem Druck des älteren „Großen Emder Katechismus“ verbunden würde. Die Herausgabe eines Kinderkatechismus sei dabei jedoch gänzlich unabhängig von dem Streit zwischen Faber und a Lasco durch den Coetus festgesetzt worden. Das Vorwort von E gebe den folgenden Katechismus deutlich als den genannten Catechismus pro pueris tenuioribus33 zu erkennen, insofern dort als Abfassungsgrund der Wunsch der Gemeinde genannt wird, für die Unterweisung der Jugend geeigneteres Material zur Verfügung zu haben als es der umfangreiche „Große Emder Katechismus“ bieten konnte.34 Gerade die Tatsache, dass von letzterem kein Exemplar überliefert sei, belege, so Rauhaus, die fehlende Umsetzung des im Coetusbeschluss festgesetzten Kompromisses: Sowohl der Katechismus Fabers wie der „Große 28 29 30 31 32 33 34
Vgl. dazu ausführlich Rauhaus, Untersuchungen, 40–86. Vgl. den Brief a Lascos an Hardenberg vom 1. Januar 1554, Kuyper II, 696. Vgl. Kuyper II, 495–543. Vgl. Kuyper I, XCIII–XCVI. Vgl. Weerda, Kirchenrat, 127. Vgl. dazu auch den Brief a Lascos an Hardenberg vom 1. Januar 1554, Kuyper II, 696. „Daraver juwer vele uns offtmals gebeden hebben, wy wolden tho dem gebruke einen klenen Catechismum schryven, de der Jöget bequem, unde alle Predikern hyr im Lande mochten eindrechtigen lehren.“ (Kuyper II, 497)
Die Katechismen der Londoner Flüchtlingstradition
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Emder Katechismus“ seien letztlich ungedruckt geblieben, so dass die entstandene Leerstelle nun der Kleine Emder Katechismus füllte. Dieser etablierte sich in Emden als wichtigste katechetische Schrift der folgenden Jahrzehnte und behielt selbst nach der Einführung des HK seinen Platz im Leben der Emder Gemeinde.35 Gegen Kuyper betont Rauhaus – in dieser Sache ganz auf der Seite Weerdas – dass E nicht einfach als ein Auszug aus L verstanden und dessen Hauptverfasserschaft nicht Johannes a Lasco zugeschrieben werden könne. Der Katechismus sei vielmehr als das Gemeinschaftswerk aller Emder Prediger anzusehen, in welchem sich verschiedene theologische Einflüsse Geltung verschafften. Dazu zählt Rauhaus freilich auch die Katechismen aus der Londoner Fremdengemeinde, also L, M und K, deren Rezeption den Einfluss a Lascos bei der Erstellung von E widerspiegele.36 Sowohl Weerda wie Rauhaus kommen darin überein, dass E den unmittelbar aus der Londoner Fremdengemeinde stammenden Katechismen L, M und K theologisch ferner steht als dies von Kuyper angenommen wurde. E ist weder ein Exzerpt aus L, noch ohne Weiteres ein Werk Johannes a Lascos. Gleichwohl wird man dessen Beteiligung mindestens für die in E entfaltete Sakramentslehre voraussetzen dürfen. Die von Rauhaus geleistete genaue theologische Analyse offenbart darüber hinaus, dass L, M und K als Quellenschriften das Ausgangsmaterial für die Abfassung von E bildeten.37 Der nachgewiesene enge traditionsgeschichtliche Zusammenhang und die – in welchem Umfang auch immer erfolgte – Beteiligung a Lascos an der Erstellung rechtfertigen es m. E., mit Blick auf E von einem Katechismus zu sprechen, der in einem unmittelbaren historischen Bezug zu den drei übrigen Katechismen der Londoner Flüchtlingstradition steht. Zu Recht wird E daher von der Forschung im Allgemeinen der gleichen Katechismusfamilie zugeordnet. Der Titel „laskonische“ oder „laskysche“ Katechismen scheint dabei insofern unglücklich gewählt, als keiner der vier Katechismen mit Sicherheit auf das alleinige Wirken a Lascos zurückzuführen ist und in keinem von ihnen die laskonische Theologie in ihrer „Reinform“ entfaltet wird. Da hier nicht der Ort ist, die Beziehung der jeweiligen Katechismen zur Person a Lascos im Einzelnen zu klären und in Anbetracht der deutlich zu Tage tretenden Abhängigkeiten der vier Katechismen untereinander, soll im Folgenden die Bezeichnung „laskonische Katechismen“ gleichwohl beibehalten werden.
35 Freilich in seinem Gebrauch dem HK deutlich nachgeordnet, vgl. dazu Rauhaus, Untersuchungen, 210–217. 36 Vgl. a. a. O., 199–201. 37 Vgl. ebd.
96 1.2
Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563
Vergleich mit dem Heidelberger Katechismus
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass in der Forschung im Allgemeinen zwar von einem traditionsgeschichtlichen Zusammenhang zwischen den laskonischen Katechismen und dem HK ausgegangen wird, die Ergebnisse der jeweiligen Einzeluntersuchungen jedoch im Detail sehr unterschiedlich ausfallen. So sieht Gooszen im HK insbesondere Material aus K und M aufgenommen, L und E hätten hingegen keine oder kaum eine Bedeutung für dessen Abfassung besessen.38 Den vorausgesetzten Einfluss von K und M zieht Gooszen bemerkenswerterweise lediglich in geringem Umfang zur Erläuterung des theologischen Profils des HK heran: Am Werke sieht er ihn vor allem bei der Frage der Kirchenzucht,39 sowie in geringerem Umfang vermittelt über Ursinus’ Vorarbeiten im Bereich der Sakramentslehre.40 Neben Gooszen geht August Lang von einer Rezeption aller laskonischen Katechismen während des Abfassungsprozesses des HK aus, wobei er M allein schon durch die vorgenommene Neuedition eine gewisse Sonderstellung einräumt. Daneben sieht er jedoch auch in E eine der „allerwichtigsten Quellenschriften des Heidelberger“.41 Ihren theologischen Niederschlag fänden die laskonischen Katechismen nach Lang bereits in den Vorarbeiten des Ursinus, insbesondere in Mi, und im HK selbst vor allem in den Bereichen der Auslegung des Glaubensbekenntnisses und der Zehn Gebote.42 Die in der Forschung seit der Arbeit Langs wiederholt vertretene Auffassung, E gehöre wie L, M und K zu den katechetischen Quellen des HK,43 wurde insbesondere von Alfred Rauhaus widersprochen. In seiner der Entstehung und der Theologie von E gewidmeten Dissertation befasst er sich in einem eigenen Kapitel mit der Frage des Zusammenhanges von E zum HK und kommt zu dem Ergebnis, „daß bei der Ausarbeitung von HK selbst E nicht zu Rate gezogen worden ist, ein direkter Einfluß von E auf HK mithin nicht besteht.“44 Auch Ursinus habe in seinen Vorarbeiten E nicht verwendet.45 Von diesem Urteil unberührt blieben die übrigen Katechismen aus dem Umfeld der Londoner Fremdengemeinde: Hier sieht Rauhaus durchaus deutliche Bezüge zum HK, sowie zu Ma und Mi. Über den Einfluss von L, K und M hinaus ließen sich jedoch 38 39 40 41 42
Vgl. Gooszen, Catechismus, Inl. 55f. Vgl. a. a. O., Inl. 101. Vgl. a. a. O., Inl. 77f.88. Lang, Katechismus, LII. In diesen Bereichen tragen nach der Analyse Langs die Fr 26, 29 und 53 sowie 101, 103 und 105 Züge eines Einflusses der laskonischen Katechismen (vgl. Lang XCf.XCV). Vgl. dazu die sich anschließende Einzelanalyse. 43 Vgl. z. B. Neuser, Erwählungslehre, 317f. 44 Rauhaus, Untersuchungen, 225. 45 Vgl. a. a. O., 224f.
Die Katechismen der Londoner Flüchtlingstradition
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keine spezifischen Parallelen zu E feststellen, die von Lang u. a. für E herausgearbeiteten Entsprechungen könnten allesamt auf den Einfluss von L, K oder M zurückgeführt werden.46 Unabhängig von der Frage, ob E im Besonderen bei der Abfassung des HK herangezogen wurde, kommen alle bisher genannten Autoren überein, dass die Londoner Flüchtlingstradition einen Einfluss unter mehreren darstellte. Im gleichen Umfang – oder sogar noch häufiger als L, M und K, womöglich auch E, seien andere Katechismen wie C oder Schriften mit katechetischem Charakter wie das Examen ordinandorum Melanchthons rezipiert und in den HK eingearbeitet worden. Demgegenüber bewertet Bard Thompson den Einfluss der Londoner Flüchtlingstradition höher : Zeige sich dieser schon in Ursinus’ Katechismen mit großer Deutlichkeit, so dominiere er vollends im HK.47 Von den 129 Fr des HK zeigten mindestens 35 Einflüsse aus den laskonischen Katechismen.48 Diese verteilten sich nach Thompson relativ gleichmäßig über den ganzen Katechismus, wobei insbesondere die für seinen Gesamtaufriss bedeutsamen Stücke ins Gewicht fielen.49 Das weite Spektrum der in der Forschung vertretenen Auffassungen zwingt zu einer detaillierten Untersuchung der literarischen Bezüge. Mit Blick auf den weiteren Fortgang der Arbeit soll dabei zwischen einem indirekten, über die beiden Katechismen des Ursinus vermittelten und einem direkten Einfluss der laskonischen Katechismen auf den HK differenziert werden. Zwei Einschränkungen erweisen sich jedoch mit Rücksicht auf den Umfang als unumgänglich: Erstens werden nur diejenigen Fr aus Ursinus’ Katechismen in die Untersuchung miteinbezogen und auf eine eventuelle Abhängigkeit von den laskonischen Katechismen befragt, die für die Abfassung der entsprechenden Fr im HK belangreich geworden sind. Das sind, wie Lang gezeigt hat,50 an sich schon nicht wenige, weshalb eine zweite Einschränkung sinnvoll erscheint: Es werden in der Folge nur diejenigen Parallelen im HK und in Ursinus’ Vorarbeiten51 in die 46 Vgl. ebd. 47 „In these three [sc. Ma, Mi und HK], one source becomes increasingly important until, in the Heidelberg Catechism, it outweighs the influence of all other sources – the Calvinism taught by John a Lasco. “ (Thompson, Church Order, 346) 48 Vgl. a. a. O., 347. 49 So etwa die Fr 1.21.26.31.53.54. Vgl. a. a. O., 347. 50 Vgl. Lang, Katechismus, Einl. LXXXVII–XCVI. 51 Im Zuge seiner Auseinandersetzung mit der Theologie des jungen Ursinus hat Erdmann K. Sturm die Bezeichnung „Vorarbeit“ im Hinblick auf Ma zurückgewiesen: Nur Mi sei von Ursinus als unmittelbare Vorarbeit für den HK konzipiert worden, Ma war hingegen von seiner Intention her ausschließlich dem Unterricht der Studenten am Sapienzkolleg gewidmet (vgl. Sturm, Ursin, 240f). Das von Sturm herangezogene Briefzeugnis (Ursinus an Conrad Gesner, 22. März 1562, in: Benrath, Briefe, 100) erscheint diesbezüglich jedoch wenig aussagekräftig, berichtet es doch vom Vorgang, nicht vom Abschluss der Arbeiten an einer forma catechismi und trifft zudem keine genaueren Aussagen über Ursinus’ Anteil an ihnen.
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Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563
Diskussion einbezogen, für die ein direkter oder indirekter Einfluss der laskonischen Katechismen auf Grund gemeinsamer Abhängigkeit von dritten Quellen nicht von vorneherein unplausibel erscheint bzw. ausgeschlossen werden kann.52
1.2.1 Aufbau und Form Bezüglich des Aufbaus lassen sich zwischen dem HK und den laskonischen Katechismen keine spezifischen Gemeinsamkeiten feststellen. Schon L, K, M und E bilden hier keine Einheit: L beginnt einleitend mit der Frage nach der schöpfungsgemäßen Bestimmung des Menschen, dem rechten Gottesdienst (Fr 1) und der rechten Gotteserkenntnis (Fr 2), woran sich das Thema Schrift (Fr 3– 4), und ein Fragenkomplex zur Trinität und den Eigenschaften Gottes (Fr 5–11) anschließen. Danach wird zum eigentlichen Thema des ersten Katechismusteils übergeleitet – zum Gesetz mit der Auslegung der Zehn Gebote (Fr 12–103). Es folgen darauf als weitere, nun mit Überschriften versehene Teile „van der ghenaden Gods ende de artikelen des geloofs“ mit der Auslegung des Apostolikums (Fr 104–193), „van dat ghebet der gheloouigen kinderen Gods“ mit der Auslegung des Vaterunsers (Fr 194–214), und schließlich der Abschnitt „van den sacramenten“ (Fr 215–250). Die Achterstellung des Sakramentsteils in Entsprechung zum Genfer KateIn der Folge wird daher der in der Forschung gängige Sprachgebrauch von den beiden Vorarbeiten beibehalten, zumal auch von Sturm nicht bestritten wird, dass im Zuge der Ausarbeitung des HK Ma letztlich ergänzend zu Mi herangezogen wurde. 52 Dies ist bis zu einem gewissen Grade je ein Ermessensurteil, weshalb die nicht diskutierten Parallelen zumindest für den HK hier genannt seien: HK 21/E 27/M 44–45: Die zweifache Bestimmung des Glaubens als Erkenntnis und Vertrauen schon in Melanchthons Examen ordinandorum (CR 23, 19); HK 9/L 82: Die von Lang (Katechismus, Einl. LXXXVIII) notierte Verwendung von L 82 in HK 9 will weder sprachlich noch thematisch einleuchten. Evtl. ist L 80 gemeint, jedoch dürfte HK 9 vor allem nach Bezas Confessio gestaltet sein (vgl. Hollweg, Untersuchungen I, 106); HK 45/M 62: Überwindung des Todes, Erwerb der Gerechtigkeit, Kraft zu neuem Leben, und die dreigliedrige Struktur gehen parallel, entstammen jedoch allesamt C 74; HK 52/M 65: Die Motive „Verfolgung“ „aus dem Himmel“, und der Verweis auf den doppelten Ausgang des Gerichts wohl thematisch naheliegend (vgl. auch Lang, Katechismus, Einl. XCI); HK 57/L 181–186: Sporadisch taucht gleiches Vokabular auf („Christo jrem haupt“), das sich jedoch ebenfalls aus dem gemeinsamen Thema erklären lässt; HK 66/ M 76/E 53–54: Einzelne terminologische Übereinstimmungen leichter über die beiderseitige Verwendung von Melanchthons Examen ordinandorum (CR 23, 39; dazu auch Gooszen, Catechismus, Inl. 65–66 und Neuser, Erwählungslehre, 311) erklärbar ; gleiches gilt für HK 69/L230–231/E 58, wobei hier darüber hinaus C 325 von Einfluss gewesen sein könnte; HK 75–76/L 244/E 66–67/M 99/K 34: Alle parallelen Aussagen tauchen in C 340–350 auf, insbesondere das vom HK, L und E wörtlich übernommene „[…] nos carnem esse de carne eius, et ossa ex ossibus“ in C 345; HK 94/L 21: „lieben, förchten vnnd ehren“ womöglich in beiderseitiger Anlehnung an Luthers Kleinen Katechismus; HK 114/E 22: Die Gesetzeserfüllung als „Anfang des Gehorsams“ aus C 224–226; HK 127/E 90: Paralleler Abschluss („den sieg […] behalten“) durch die beiderseitige Verwendung von C 290.
Die Katechismen der Londoner Flüchtlingstradition
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chismus unterscheidet L von den übrigen laskonischen Katechismen. Sowohl M, K und E verknüpfen die Lehre von den Sakramenten über den Artikel von der Kirche mit der Auslegung des Apostolikums, hierin wahrscheinlich den Katechismen Bucers folgend.53 Ansonsten verwenden sie jedoch ein ähnliches Schema wie L: Der erste Teil von M (Fr 1–36) steht zwar im Ganzen unter der Überschrift „Van de Kennisse Gods“, doch bilden die Fragen nach dem rechten Gottesdienst und der rechten Gotteserkenntnis (Fr 1–2) wie in L nur den Ausgangspunkt, um vermittels der Themen Schrift (Fr 2–3) und Trinität (Fr 4–5) zur Auslegung der Zehn Gebote überzuleiten (Fr 6–36). Auch der zweite Teil (Fr 37– 119) befasst sich anders als der Titel „Van de kracht des Wets, ende den Ghelooue“ vermuten lässt nur zu Beginn mit dem Thema Gesetzesgehorsam (Fr 37– 43) und geht dann zum Großabschnitt Glauben (Fr 44–119) über, der die Auslegung des Glaubensbekenntnisses (Fr 46–69), die Lehre von Wort und Sakrament als den Kennzeichen der Kirche (Fr 70–81), die Sakramente Taufe (Fr 82– 96) und Abendmahl (Fr 97–102) und die Kirchenzucht (Fr 103–119) umfasst. Der abschließende, kürzeste Teil des Katechismus enthält die Auslegung des Vaterunsers und trägt den Titel „Van het bidden“ (Fr 120–134). Die Gliederung von M findet sich aufs Ganze gesehen auch in K wieder. Auffällig ist lediglich der abweichende Einsatz bei der Frage nach der Gewissheit der Christuszugehörigkeit (Fr 1) und die sich aus ihm ergebenden Verschiebungen.54 Im Anschluss verläuft K jedoch mit den Themen Gesetz und Zehn Gebote (Fr 2–9), Glaube und Glaubensbekenntnis (Fr 10–21), die Kirche und ihre Kennzeichen55 (Fr 22–38) inklusive Sakramentsauslegung (Fr 28–35) und schließlich dem Gebet (Fr 39–40) wieder in den von M her bekannten Bahnen. Auch E weicht von dieser Grundlinie nicht ab: Der Einsatz bei der schöpfungsgemäßen Bestimmung des Menschen (in E verbunden mit der Imago-DeiVorstellung) zum Gottesdienst klingt von L und M her vertraut, wobei mit der Frage nach der Teilhabe an den Heilsgütern (Fr 3) auch ein Motiv aus K aufgenommen wird. Darauf folgt unter dem Oberthema Gesetz (Fr 5–25) die Auslegung der Zehn Gebote (Fr 5–17), woran sich ganz wie in L, M und K der umfangreichste Teil des Katechismus über den Glauben (Fr 26–75) anschließt mit der Auslegung des Apostolikums (Fr 29–50),56 sowie der Behandlung von Sakramenten (53–69) und Kirchenzucht (70–75). Der letzte Teil hat wiederum das christliche Gebet und das Vaterunser (76–94) zum Gegenstand. Beschränkt man sich auf eine Betrachtung der laskonischen Katechismen, 53 Vgl. Lang, Katechismus, Lf. 54 So steht in K die Trinitätslehre nicht wie in M im Eröffnungsteil des Katechismus, sondern im Kontext des dritten Artikels des Apostolikums (vgl. K 19). 55 Anders als M rechnet K die Kirchenzucht explizit zu den notae ecclesiae (vgl. M 24). 56 Wie in K findet sich auch in E die Trinitätslehre im Anschluss an den Artikel vom Heiligen Geist (vgl. E 44).
100 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 wird man zu dem Schluss kommen müssen, die Tradition der Londoner Flüchtlingsgemeinde habe für den Aufbau des HK keine Rolle gespielt. Jene sind darin selbst wenig originell und orientieren sich vornehmlich am Genfer Katechismus und den Katechismen Bucers. Die den HK kennzeichnende Dreiteilung Elend, Erlösung, Dankbarkeit findet sich in ihnen genauso wenig wie die Einordnung der Zehn Gebote in den letzten Katechismusteil: Zwar kennen die laskonischen Katechismen durchaus den Gedanken einer Erfüllung des Gesetzes aus Dankbarkeit für die Gnade Gottes,57 jedoch dürften sie darin schlicht die vorgebildete Tradition aufnehmen.58 Nimmt man jedoch weitere Quellen aus der Londoner Fremdengemeinde hinzu, so fällt ins Auge, dass die Trias SündeErlösung-Dankbarkeit eine beliebte Gliederungsstruktur der Formulare in der Londoner Gemeindeordnung bildet, so dass hier gleichwohl ein Abhängigkeitsverhältnis bestehen könnte.59 Eine eingehende Untersuchung des Sachverhaltes wird an späterer Stelle durchzuführen sein. Verlässt man den Bereich der strukturellen Makroebene und nimmt einzelne formale Gestaltungselemente in den Blick, so lassen sich eine Reihe deutlicher Parallelen zum HK festhalten. Erstens lenken der HK auf der einen wie L und M (weniger E) auf der anderen Seite immer wieder den Blick auf den soteriologischen Nutzen eines bestimmten Lehrstückes (HK 36.43.45.49 usw.; L 92.112; M 43) und fragen nach der tröstenden Vergewisserung, die dem Gläubigen daraus erwächst (HK 1.2.52.57.58; L 125.127; M 57). Es könnte der Schluss naheliegen, der HK habe diese Fragestruktur wie überhaupt das zentrale Thema des Trostes aus den laskonischen Katechismen übernommen.60 Jedoch findet sich die Frage nach dem Nutzen zur weiteren Auslegung der existenziellen Dimension einer theologischen Erkenntnis bereits in der älteren Katechismusliteratur vorgebildet, wird also von dort aus sowohl in den HKwie in L und M eingedrungen sein.61 Inwiefern die spezifische Zuspitzung des Trostgedankens in HK 1 Bezüge zur Londoner Flüchtlingstradition aufweist, wird Gegenstand der sich anschließenden Einzeluntersuchung sein. 57 „Vraghe (99). So sijn wij dan noch verbonden de wet te onderhouden? Ja wij altijts, ende nu veel meer, nae dat de Sonne Gods mensche gheboren, voor ons gheleden heeft, op dat wij also onse danckbaerheyt voor sulcke liefde, die ons so rijcklyc bewese[n] is, tot God onse[n] Heere bewysen ende de eewighe verdoemenisse ontgae[n], die anders op alle ontdancbaren ende verachters der goetheyt Gods vallen sal.“ (L 99) 58 Zum Dreierschema Elend-Erlösung-Dankbarkeit vgl. Teil Zwei Kapitel 2.2.2. 59 Sie findet Anwendung innerhalb der Taufvermahnung (vgl. Micron, Ordinancien, Dankbaar, 75), innerhalb der Selbstprüfung im Vorbereitungsgottesdienst auf das Mahl (vgl. Micron, Ordinancien, Dankbaar, 82) und innerhalb der Gewissensprüfung vor der Abendmahlsfeier (vgl. Micron, Ordinancien, Dankbaar, 98). 60 Vgl. Thompson, Church Order, 346f. 61 So bereits in den Katechismen von Johannes Brenz (vgl. dazu Weisman, Katechismen, 95f.), in J (Fr 118.123.130. u. ö.) und in C (Fr 29.40.71.72. u. ö.). Zur Verwendung der Fragestruktur im HK vgl. auch Latzel, Grundzüge, 92–94.
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Eine gewisse Parallele zur den laskonischen Katechismen findet sich zweitens in der Auslegung der Zehn Gebote nach dem Schema von Gebot und Verbot. Im HK kommt es lediglich beim achten Gebot zur Anwendung, wohingegen es in L und in M (mit Ausnahme des fünften Gebots) ein stets wiederkehrendes Strukturelement der gesamten Gebotsauslegung darstellt. Auch Ma übernimmt das Schema, durchbricht es jedoch beim zweiten und zehnten Gebot, und ergänzt es darüber hinaus durch formal frei gestaltete weiterführende Fr. Könnte gleichwohl die Struktur von HK 110–111 indirekt (vermittelt über Ma) von L abhängig sein? Auch hier scheint Zurückhaltung geboten. Die Auslegung der Zehn Gebote nach dem Schema von Gebot und Verbot begegnet bereits in Melanchthons Loci praecipui theologici62, stellt also keine Besonderheit der laskonischen Katechismen dar. Der Melanchthonschüler Ursinus könnte sie bei der Abfassung von Ma übernommen haben, von dort aus wirkte sie auf HK 110– 111 ein. Ein Heranziehen der laskonischen Katechismen zur Erklärung der Auslegungsstruktur wäre damit obsolet. Die beiden genannten formalen Parallelen belegen angesichts der alternativen Erklärungsmodelle noch nicht hinreichend einen Einfluss der laskonischen Katechismen auf den HK. Deutlich mehr Gewicht kommt demgegenüber drittens der Beobachtung zu, dass sowohl in L wie im HK die Auslegung des Vaterunsers als Gebet gestaltet ist.63 Für diese Verbindung von Gegenstand und Form der Auslegung existieren, soweit ich sehen kann, in der zeitgenössischen Katechismusliteratur keine Analogien, so dass hier von einer direkten formalen Abhängigkeit des HK von L gesprochen werden kann. Schließlich wäre viertens zu erwägen, ob man mit Neuser die im HK häufiger als in Mi und erst recht in Ma gebrauchte Ich-Form der Antworten auf Einflüsse aus den laskonischen Katechismen zurückführen kann.64 Dass das existentielle Ich des Gläubigen65 im HK derartig in den Mittelpunkt gerückt wird, ist auffällig. Die Wurzel dieser formalen Besonderheit könnte in K zu suchen sein, denn dort ist die Ich-Form durch den spezifischen Sitz im Leben als Eintrittsbekenntnis der Londoner Gemeinde leicht zu erklären. K könnte dann entweder unmittelbar oder vermittelt über E in dieser Sache formbildend auf den HK eingewirkt haben.66 Auch in dieser Frage verspricht ein Vergleich der Londoner Gemeindeordnung mit der KKO an späterer Stelle weiterführende Erkenntnisse. 62 63 64 65 66
Vgl. Melanchthon, Loci praecipui theologici, CR 21, 690–711. Vgl. Neuser, Erwählungslehre, 314, wo jedoch fälschlicherweise E statt L als Referenz dient. Vgl. Neuser, ebd. Zur Verwendung der ersten Person Singular im HK vgl. Latzel, Grundzüge, 59. Vgl. Rauhaus, Untersuchungen, 225. Im Zuge seiner These, E sei bei der Abfassung des HK nicht herangezogen worden, bestreitet Rauhaus allerdings einen Einfluss von E auf die im HK gebrauchte Ich-Form (vgl. ebd.). Die hier folgende Detailuntersuchung ergibt jedoch deutliche Hinweise darauf, dass E bei der Abfassung des HK gleichwohl Verwendung fand, so
102 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 1.2.2 Der Einleitungsteil 1.2.2.1 „Trost im Leben und im Sterben“ (HK 1) Die Genese von HK 1 gehört sicherlich zu den in der Katechismusforschung umstrittensten Fragen überhaupt. Dies liegt nicht nur an der prominenten Stellung und dem theologischen Gewicht des Fr, sondern auch an der Vielfalt der erkennbaren Bezüge. So wird auf Parallelen zu Luthers Auslegung der Glaubensartikel im Kleinem Katechismus hingewiesen,67 mit Blick auf den Trostgedanken wird eine Linie zu Melanchthon68, neuerdings auch zu Bullinger gezogen.69 Seine direkten Vorbilder hat das Fr unbestritten jedoch in den beiden Vorarbeiten des Ursinus (Ma 1.3; Mi 1–2). Dass Ursinus in seinen Einleitungsfragen erkennbar Stoff aus den laskonischen Katechismen aufnimmt, wurde insbesondere von August Lang herausgearbeitet: Ma 1, so Lang, unterscheide sich von K 1 „wesentlich nur durch die Hereinziehung des Bundesgedankens“.70 Das scheint freilich zu stark formuliert: K 171 Interrogatio. Undenam certo es persuasus in animo tuo, te vera esse membrum ecclesiae christi? Quod a Deo ad imaginem ejus et vitam Responsio. Sentio Spiritus Sancti aeternam sum conditus: et postquam hanc testimonium in spiritu meo ipsius, quod volens in Adamo amiseram, Deus ex sim filius Patris Dei, adoptatus ab illo gratuito propter filium ipsius, summum immensa et gratuita misericordia me recepit in foedus gratiae suae, ut propter sacerdotem nostrum Christum Iesum, qui me sacrosancti corporis sui sacrificio et obedientiam et mortem Filii sui missi in carnem, donet mihi credenti justitiam et inocentissimi sanguinis sui effusione ab vitam aeternam: atque hoc foedus suum in omnibus peccatis meis repurgatum Patri corde meo per Spiritum suum, ad sui coelesti reconciliauit. Sentio item, me imaginem Dei me reformantem et per eundem ipsum Spiritum sanctum ad clamantem in me Abba Pater, et per legis Divinae obedientiam excitavi et verbum suum et signa hujus foederis commoveri. visibilia obsignavit.
Ma 1 Quam habes firmam in vita et morte consolationem?
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dass beide Alternativen (direkter Einfluss durch K, indirekter Einfluss durch E) in Betracht kommen. Vgl. Goeters, Christologie, 34; Neuser, Väter, 181f.; Bierma, Theology, 16f. Bierma unterstreicht noch einmal die zentrale Rolle der Lutherischen Tradition für den Trostgedanken, wenngleich er in der Folge dann auch den Einfluss von L, M, und K benennt; vgl. a. a. O, 19– 21. Vgl. dazu Goeters, Christologie, 34. Vgl. Opitz, Zugänge, 36–41. Lang, Katechismus, Einl. LXVII. Der besseren Vergleichbarkeit halber zitiere ich hier nach der lateinischen Fassung aus der Forma ac ratio (Kuyper II, 127). Die – für den Vergleich nicht weiter ins Gewicht fallenden – Unterschiede zur niederländischen Fassung in Kuyper II, 479 Anm. 1–6.
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Die Hauptparallele liegt sicher, wie von Lang richtig gesehen, in der Struktur der Frage: dem Versuch, den „gesamten Heilsstand des Gläubigen zusammenzufassen“.72 Darüber hinaus findet sich in beiden Texten der Verweis auf das Wirken des Heiligen Geistes im Gläubigen, sowie die soteriologische Dimension des Kreuzestodes Jesu – beides Elemente, die durch die ähnliche strukturelle Anlage der Fr bedingt sind und die man in einem reformatorischen Katechismus wohl erwarten darf. Gewichtiger scheinen die Unterschiede: Ma 1 fragt einleitend nach dem Trost des Christen im Leben und im Sterben, wohingegen K 1 mit dem Thema des membrum ecclesiae christi auf die Stellung des Einzelnen in der Gesamtgemeinde abzielt. Ma 1 bringt darüber hinaus mit der Bestimmung des Menschen zur Gottebenbildlichkeit, ihrem Verlust durch den Fall Adams und ihrer Wiederherstellung im Heilswirken Gottes eine schöpfungstheologische Dimension ins Spiel, die in K 1 eine Analogie höchstens in der Erneuerung des Gläubigen durch den Heiligen Geist zum Gesetzesgehorsam hat. Die Heilsgüter Christi bestimmt Ma 1 näher als iustitia et vita aeterna, während K 1 zur kultisch konnotierten Kategorie der Reinigung des Sünders durch den Hohepriester Christus in Anlehnung an den Hebräerbrief greift. Schließlich fehlt in K 1 der Bundesgedanke als das spezifische Leitmotiv des Ursinschen Katechismus. Eine erste Analyse ergibt damit wenig Bemerkenswertes: Die einzige deutliche Parallele der beiden Fr scheint in ihrer Anlage zu bestehen, wohingegen in der jeweiligen Ausgestaltung die Unterschiede überwiegen. Dieses Bild ändert sich allerdings vollkommen, wenn man die übrigen Katechismen der Londoner Flüchtlingstradition in den Vergleich miteinbezieht. So finden sich in den ersten drei Fragen von E verschiedene Elemente wieder, die Ma 1 entsprechen: der Einsatz bei der Gottebenbildlichkeit (E 1), ihr Verlust im Sündenfall (E 2), das ewige Leben als die durch Christus erworbene Heilsgabe, derer man durch das Zeugnis des Heiligen Geistes versichert wird (E 3). Dazu gesellt sich die Beobachtung, dass gerade das Thema des Trostes sich als immer wiederkehrendes Motiv durch die laskonischen Katechismen zieht.73 Eine auffällige terminologische Parallele zur Frage von Ma 1 findet sich dabei in L 125: Vraghe (125). Wat troost bringt dat wordeken, Vader, met hem? Antwoorde. Eenen gansch sonderlycke[n] troost int leuen ende steruen te hooren, namelijck dat de alderhoochste God de Vader ons Heeren Christi Jesu, desghelycx onse Vader wilt wesen, dat hie hem onser aermen wormkens sorghe, nyet wenigher, ia veel hertelijcker wilt aennemen, dan een lieflijck vader hem sijns kints nennent, ende ons voor kinderen ende eruen sijn ewighen salighen leuen houden?
72 Lang, Katechismus, Einl. LXVII. 73 Vgl. Lang, Katechismus, LXVII; Thompson, Church Order, 346f.
104 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 Neben dem „Trost im Leben und im Sterben“ taucht auch hier wieder wie in E das Motiv des ewigen Lebens im Zusammenhang mit der Aufnahme in die Gotteskindschaft durch Jesus Christus auf, allerdings nicht im einleitenden Fr, sondern im Zusammenhang der Auslegung des Vaternamens im ersten Glaubensartikel. Nimmt man L 125, K 1 und E 1–3 zusammen so trennt tatsächlich nur noch der Bundesgedanke die Katechismen von Ma 1. Man wird daher mit Lang und Thompson annehmen dürfen, dass Ursinus sich in der Tat bei der Abfassung dieses Fr an den laskonischen Katechismen orientierte: Das Motiv des Trostes stellte er pointiert dem ganzen Katechismus voran, wobei er der Wendung „Trost im Leben und im Sterben“ womöglich direkt L 125 entnahm; an K 1 orientierte er sich jedoch, anders als Lang annahm, in wesentlich geringerem Umfang als an E. Von dort übernahm er lediglich die grundsätzliche Anlage des Fr, wohingegen ihm E 1–3 zentrale theologische Gesichtspunkte für Ma 1 lieferten, die er mit der Bundesidee als dem Leitmotiv des Fr verband. Ganz ähnlich verhält es sich in Mi 1–2, wobei dort jedoch sowohl der Bundesgedanke als auch der Verweis auf die Gottebenbildlichkeit entfallen. Die Ausgangsfrage entspricht Ma 1 mit der Umstellung der Reihenfolge von „Sterben und Leben“. Die Antwort ersetzt die Aufnahme in den Gnadenbund in Ma 1 durch die theologisch unspezifische Rede von der Sündenvergebung, wodurch Mi 1 in seinen Formulierungen etwas näher an E 2 („voldoninge Jesu“) heranrückt. Mi 2 ergänzt das zweifache Zeugnis des Heiligen Geistes in Wort und Sakrament aus Ma 1 noch um den Gottesgehorsam (incoata erga Deum obedientia) als drittes Zeugnis und scheint damit ein Motiv aus K 1 zu übernehmen („ghehoorsaemheit der godtlicker gheboden“; ähnlich auch E 2: „lust […] Gade dem Heren tho denende“). Zu beachten ist dabei jedoch der jeweils unterschiedliche Verwendungskontext (Glaubensgewissheit aus dem Zeugnis des Heiligen Geistes hier, Vollzug des Glaubenslebens im Einklang mit den göttlichen Geboten dort). Wendet man sich im Anschluss an die Vorarbeiten des Ursinus HK 1 zu, so fällt auf, dass die Übereinstimmungen mit den genannten laskonischen Katechismen noch einmal zugenommen haben: Im Unterschied zu Ma 1 und Mi 1–2 rückt in HK 1 stärker die Sühnopfertheologie ins Zentrum des Fr, in dieser Beziehung nicht unähnlich K 1 und mit Abstrichen E 3, ohne dabei freilich wie die beiden laskonischen Katechismen das Hohepriesterprädikat bereits in der Katechismuseröffnung einzuführen. Gänzlich neu tritt in HK 1 die Vorstellung von der providentia Dei zu dem aus Ma und Mi vorgegebenen Stoff hinzu, wodurch HK 1 nun mit der Nennung des Vaternamens eine trinitarische Gliederung erhält. Der seelsorgerliche Einschlag („das one den willen meines Vatters im Himmel kein har von meinem haupt kan fallen“) erinnert in seinem Klang wiederum an die Erläuterung des Vaternamens in L 125 („dat hie hem onser aermen wormkens sorghe“), wenn auch keine unmittelbaren Parallelen auf der
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Sprachebene zu erkennen sind. Schließlich taucht das aus Mi 2 bekannte Motiv des geistgewirkten Gottesgehorsams in Abwandlung am Ende von HK 1 wieder auf, dort weniger auf die Vergewisserung des Glaubens als vielmehr – ganz wie in K 1 und vor allem E 3 – auf die Bereitschaft zur christlichen Existenz zielend („jm forthin zu leben von hertzen willig vnd bereit macht“). Insgesamt lassen sich damit folgende Gemeinsamkeiten zwischen HK 1 auf der einen und L 125, K 1 und E 1–3 auf der anderen Seite konstatieren: erstens die strukturelle Anlage des Fragestücks als Zusammenfassung des Heilsstands des Gläubigen (K 1); zweitens die Wendung „Trost im Leben und im Sterben“ (L 125); drittens das die Erlösung in Christus versichernde bzw. versiegelnde Zeugnis des Heiligen Geistes (K 1 und E 3); viertens die Gabe des ewigen Lebens, die in HK 1 anders als in Ma 1 und Mi 1 nicht unmittelbar an das Heilswerk Christi, sondern in auffälliger Entsprechung zu L 125 an die providentia Dei anknüpft; fünftens der seelsorgerliche Ton, mit dem die providentia-Vorstellung zusammen mit dem Vaternamen zur Sprache gebracht wird (L 125); sechstens die Ausdeutung des Heilswerkes Christi durch die Kategorien der Sühnopfertheologie in deutlichem Unterschied zu Ma 1 und Mi 1–2, jedoch in Entsprechung zu K 1; siebtens die durch den Heiligen Geist gewirkte Bereitschaft zur christlichen Existenz (K 1 weniger deutlich als E 3). Die Punkte eins bis vier finden sich als Parallelen bereits in Ursinus’ Katechismen, sind daher mit Sicherheit über jene in den HK eingedrungen. Die Punkte fünf bis sieben kommen darüber hinaus als weitere Parallelen zu L, K und E in HK 1 neu hinzu. Als Ertrag der Analyse wird sich somit zuallererst das Urteil Langs über HK 1 bestätigen lassen: „Für die berühmte Frage 1 lagen die Materialien in Mi 1–2, Ma 1 u. 3, sowie in K 1, E 2 u. 3 vor“74, wobei diese Aufzählung noch um L 125 als weitere Quelle ergänzt werden könnte. Unbestritten bleibt dabei natürlich die Feststellung, dass die Verfasser von HK 1 das vorgegebene Material souverän zu einer neuen Einheit gestalteten. Zweitens wird sich in Anbetracht dessen Rauhaus’ These, E sei weder bei Ursinus’ Vorarbeiten noch bei der Erstellung des HK herangezogen worden, nicht halten lassen. Insbesondere der dominierende Einfluss von E 1–3 auf Ma 1, der noch deutlich über denjenigen von K 1 hinausgeht, konnte aufgezeigt werden.75 Für HK 1 erscheint dies weniger zwingend: Von den sieben genannten Parallelen betreffen zwei (die Punkte drei und sieben) E 3, daneben jedoch immer auch K 1. Immerhin steht die Formulierung, die HK 1 mit Blick auf das christliche Leben und den Heiligen Geist verwendet, termi74 Lang, Katechismus, LXXXVII. 75 Nicht nachvollziehbar erscheint die Analyse Rauhaus’, der die Parallelen zwischen Ma 1 und E 1–3 auf die imago-Dei-Vorstellung begrenzen will (Vgl. Rauhaus, Untersuchungen, 219). Diese ist, wie Rauhaus zu Recht bemerkt, in der Tat Gemeingut. Auffällig ist jedoch gerade die parallele Abfolge der Motive: Gottebenbildlichkeit, ihr Verlust im Sündenfall, und Zusicherung des ewigen Lebens durch das Zeugnis des Heiligen Geistes in Ma 1 und E 1–3.
106 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 nologisch deutlich näher an E 3 als an K 1.76 Schließlich lässt drittens die Untersuchung von HK 1 bereits erkennen, dass mit einem Einfluss der laskonischen Tradition auf den HK zu rechnen ist, der über denjenigen der Vorarbeiten des Ursinus hinausgeht. Drei der genannten sieben Parallelen in Fr 1 finden sich nicht in Ursinus’ Katechismen, sondern sind spezifisch für den HK. Argumentativ weniger belastbar erscheint dabei die parallele Entfaltung der Sühnopfertheologie. Auf theologischer Ebene handelt es sich um Allgemeingut, auf der Sprachebene decken sich die verwendeten Kategorien nicht gänzlich. Eher könnte man diesbezüglich Luthers Kleinen Katechismus als Referenz heranziehen. Gleichwohl treffen sich das Anklingen der Providenzlehre mit ihrem seelsorgerlichen Ton und die geistgewirkte Bereitschaft zur christlichen Existenz in auffälliger Weise mit den entsprechenden Motiven aus L 125 und E 3, so dass man schließen kann, dass HK 1 sowohl indirekt über die Katechismen des Ursinus wie auch unmittelbar Impulse aus der laskonischen Tradition aufgenommen hat. 1.2.2.2 Die schöpfungsgemäße Bestimmung des Menschen (HK 6) Bereits im vorhergehenden Abschnitt fiel ins Auge, dass alle Katechismen der Londoner Flüchtlingstradition, K ausgenommen, im Anschluss an Calvin mit der Frage nach der schöpfungsgemäßen Bestimmung des Menschen einsetzen. Im HK taucht das Thema im Zusammenhang mit der Unfähigkeit des Menschen zur vollkommenen Gesetzeserfüllung und der sich daraus ergebenden Anfrage an die ursprünglich gute Schöpfung auf (Fr 5–6). In Ursinus’ Vorarbeiten findet Fr 6 seine Entsprechung kaum in Mi 8, das den gesamten Stoff von HK 5–8 nur in geraffter Form darbietet, sondern eher in Ma 11–1477, wobei auch hier wie im Vergleich zu Mi 8 der strukturelle Unterschied von Einzelfrage und Fragenreihe auffällt. Lang sieht an dieser Stelle Stoff aus Melanchthons Loci praecipui theologici78 und C verarbeitet. Zweifellos bildet C 7 eine wichtige traditionsgeschichtliche Wurzel der Fragenreihe, jedoch fehlt dort – wie übrigens auch in Melanchthons Loci an der genannten Stelle – der Verweis auf die ewige Gottesverehrung im Eschaton (Ma 13: in aeterna beatitudine colat). Das Motiv findet sich jedoch sowohl in M 1 wie in Ma 11–14, beide Male eingeordnet in den Kontext der schöpfungsgemäßen Bestimmung des Menschen.79 Ursinus könnte 76 „Darumb er mich auch durch seinen heiligen geist […] im forthin zu leben von hertzen willig und bereit macht“ (HK 1) gegenüber „[…] vth den willen unde lust, den ick nha den inwendigen Minschen, dorch den Geist Gades, in my vole umme Gade dem Heren tho denende“ (E 3) und „Sentio item, me per eundem ipsum Spiritum sanctum ad legis Divinae obedientiam excitavi et commoveri“ (K 1) 77 Vgl. Lang, Katechismus, LXXXVIII. 78 Vgl. Melanchthon, Loci praecipui theologici, CR 21, 669. 79 „Vraghe. Waer toe zijt ghy van God geschapen: ende in dese werelt ghestelt? Antwoorde. Op
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also bei der Abfassung von Ma 11–14 neben C wieder auf einen Katechismus aus der Londoner Flüchtlingstradition zurückgegriffen haben. In HK 6 wurde die Fragenreihe aus Ursinus’ Vorarbeit zu einem einzigen Fr zusammengezogen, wobei für den ersten Teil des Fr offenbar Bezas Confessio Christianae fidei (1560) Pate stand.80 Der zweite Teil von HK 6 ist dagegen neu hinzugekommen: Anders als in Ma 14, wo die der rechten Gotteserkenntnis entsprechende rechte Gottesverehrung allgemein als Gesetzesgehorsam verstanden wird, expliziert HK 6 letzteren als Gottesliebe und Gotteslob. So wird der Bogen zurück zur „Summe des Gesetzes“ in HK 4 geschlagen. Durch diese theologische Verschiebung erinnert der Schluss von HK 6 nun bis in die Wortwahl hinein an L 1: HK 6 Frag. Hat denn Gott den menschen also böß und verkehrt erschaffen? Antwort. Nein, sonder Gott hat den menschen gut und nach seinem ebenbild erschaffen, das ist, in warhaftiger gerechtigkeyt und heiligkeyt, auf daß er Gott, seinen schöpfer, recht erkennte, und von hertzen liebte, und in ewiger seligkeyt mit im lebte, in zu loben vnd zu preisen.
L1 Vraghe (1). Waerom heeft God den mensche gheschape, ende met sulcke groote gauen des verstandts bouen alle andere creaturen begaeft? Antwoorde. Dat hi sijnen God en[de] Schepper recht soude leeren bekennen, beminnen, vreesen, louen ende prijsen, ende alder sijnder goede[n] deelachtich wese[n] soude.
Die Bestimmung von Gottesliebe und Gottesverherrlichung als Ziele des wahren Gottesdienstes verbindet HK 6 und L 1 gegenüber den Vorarbeiten des Ursinus81, aber auch gegenüber anderen Quellen des HK. Lediglich die in L 1 erwähnte Gottesfurcht fehlt in HK 6 als eigenständiges Motiv. Die Beobachtungen legen den Schluss nahe, dass das in Ma 11–14 bereitgestellte Material in HK 6 unter Rezeption von Bezas Confessio und L 1 umgestaltet wurde. Die Confessio bildete dabei das Vorbild für den ersten Teil des Fr, wohingegen sich der zweite Teil in seiner Gestaltung an L 1 orientierte. Auffällig ist dabei, dass bei allen Veränderungen gerade das eschatologische Motiv des ewigen Gotteslobs aus Ma 13 in HK 6 wiederkehrt, also das Motiv, das Ursinus möglicherweise unmittelbar M 1 entnommen hat. Dasselbe wird nun in das von L übernommene Material eingefügt, wobei die Formulierung wiederum M 1, dat ick God mijn leuen lanck, ten rechten leere kennen ende dienen: enn eyndelick met hem inden hemel leue in der eewicheyt.“ (M 1) 80 Vgl. Hollweg, Untersuchungen I, 106. Der entsprechende Abschnitt der Confessio lautet: „Itaque Dominus, eo tempore quo ipsi visum est aeternum illud suum consilium exequi, creavit hominem, tum marem, tum foeminam, ad imagine[m] similtudinemque suum, id est, iustitia veraque sanctitate praeditum.“ (Beza, Confessio, 7) 81 Vgl. auch die deutlich von HK 6 abweichenden Formulierungen in Ma 16.
108 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 nicht Ma 13 entlehnt ist.82 Insgesamt unterscheidet sich der Befund somit von den Ergebnissen des ersten Abschnittes. Zwar könnte Ma 13 durch M 1 angeregt sein, jedoch wurde bei der Abfassung von HK 6 anscheinend weniger auf Ursinus’ Vorarbeiten, sondern auf Bezas Confessio zurückgegriffen, deren Formulierung dann um Material aus L 1 und auffälligerweise wiederum M 1 ergänzt wurde. 1.2.3 Die Auslegung des Glaubensbekenntnisses 1.2.3.1 Gott der Schöpfer (HK 26) Nachdem in den Fr 24 und 25 des HK die Gliederung des Apostolikums Anlass für eine knappe Behandlung der Trinitätslehre gab, beginnt mit Fr 26 die Einzelauslegung des Glaubensbekenntnisses. Sein unmittelbares Vorbild hat das Fr in Mi 17, einer Kompilation unterschiedlichen Materials aus Ma 45–55.83 Bereits Ma 50 geht dabei mit der Themenfolge erstens creatio ex nihilo, zweitens bleibende Gegenwart des bewahrenden Schöpferhandelns im Sinne einer creatio continua und drittens providentia auffällig parallel zu L 123.84 Die Parallelen treten aber in Mi 17 in den Hintergrund, da dort der Gedanke des decretum aeternum denjenigen der bleibenden Gegenwart des Schöpferhandelns (Ma 48) ersetzt bzw. ergänzt – ein deutlicher Hinweis auf die calvinische Prädestinationstheologie, die die laskonischen Katechismen meiden. In HK 26 findet sich das decretum aeternum zwar in Gestalt des „ewigen rahts“ übernommen, nun jedoch nicht mehr wie in Mi 17 als eigenständiges Element dem stets sich vollziehenden Schöpferhandeln beigeordnet (iuxta), sondern als Modus desselben verstanden („durch“), so dass der Gehalt der Wendung letztendlich ganz in der providentia aufgeht („durch seinen ewigen raht und fürsehung“).85 Damit kommt HK 26 aber wieder deutlich näher an der Formulierung von L 123 („met bestandiger ordinancie“) zu stehen. Überhaupt haben die Bezüge zu den laskonischen Katechismen in HK 26 gegenüber Mi 17 auffällig zugenommen: Es finden sich nun nicht nur die über Ma 50 und Mi 17 vermittelten Parallelen zu L 123, sondern auch deutliche
82 „enn eyndelick met hem inden hemel leue in der eewicheyt.“ (M 15) 83 Vgl. Lang, Katechismus, LXXXII. 84 Beide Fr könnten sich an C 27 orientieren (Vgl. Lang, Katechismus, LXVIII), jedoch fehlt dort der Hinweis auf die creatio ex nihilo. 85 Der „ewige rahtschluss“ Gottes geschieht also nicht ein für allemal in der Vergangenheit, sondern vollzieht sich je in der Gegenwart neu. Konsequenterweise zählt Neuser dann auch HK 26 nicht zu den für die Analyse der Erwählungslehre des HK relevanten Fr. Vgl. Neuser, Erwählungslehre, 315.
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Entsprechungen zu M 48 und K12.86 Diese konzentrieren sich vor allem auf die zweite Hälfte des Fr: HK 26 […] auff welchen ich also vertraue, daß ich nicht zweifel, er werde mich mit aller notturft leibs und der seelen versorgen, auch alles ubel, so er mir in diesem jammerthal zuschicket, mir zugut wenden, dieweil er thun kan, als ein allmechtiger Gott und auch thun will als ein getreuer vater.
M 48, K 12 M 48: […] A. Dat is, Ick ghelooue, dat die eewighe God, mijn God ende Vadder is […]. In den welcken alleene ick gansch mijn betrouwen stelle, versekert zijnde dat hy my helpen mach, ende oock wilt, aengesien dat hy almachtich is, ende daer toe mijn Vader. K 12: […] Dat is, Ick stelle mijn vertrouwen in den eewighen ende waerachtighen Godt, versekert zijnde, dat hy my sal bystaen in alderhande noodwendicheit der siele[n] en[de] des lichaems, gemerckt dat hy een almachtigh God, en my een goedtwilligh Vader is.
Offenbar standen bei der Abfassung der zweiten Hälfte von HK 26 M 48 und K 12 Modell: Die Verbindung der Providenzlehre mit dem existenziellen Vertrauen des Gläubigen dürfte M 48 entnommen sein, genauso wie die so geleistete Vermittlung von Allmachts- und Vaterprädikat am Ende des Fr – wobei hier offenbar zusätzlich K 12 herangezogen wurde.87 Ebenfalls aus K 12 stammt wohl die nähere Bestimmung der Fürsorge Gottes durch die Wendung „notturft leibs und der seelen“.88 Die zweite Hälfte von HK 26 entspricht dabei in ihrem seelsorgerlichen Grundton ganz dem folgenden Fr, aber auch HK 1, wo die Providenzlehre ja bereits verbunden mit dem Vaternamen anklang. Zusammen mit den angeführten Parallelen zu L im ersten Teil des Fr kann man HK 26 geradezu als eine Kompilation aus L 123, M 48 und K 12 bezeichnen. Es ist damit deutlich, dass der Einfluss der laskonischen Katechismen sich in HK 26 im Vergleich zu den Vorarbeiten des Ursinus verstärkt hat: Zusätzlich zu L wurden nun auch noch M und K bei der Ausgestaltung des zweiten Teils verwendet. 1.2.3.2 Jesusname (HK 29) Bereits in früheren Forschungsarbeiten wurde darauf hingewiesen, dass die Auslegung des Jesusnamens in HK 29 zwar inhaltlich mit Mi 19 übereinstimmt, 86 Vgl. Lang, Katechismus, XC. 87 Vgl. „allmechtiger Gott“ sowie „getrewer Vatter“ (HK 26) und „almachtigh God“ sowie „goedtwilligh Vader“ (K 12). 88 „[…] alderhande noodwendicheit der siele[n] en[de] des lichaems“ (K 12)
110 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 sich jedoch bei einem direkten Vergleich als Zitat aus M 50 entpuppt.89 Über die Gründe, warum an dieser Stelle M gegenüber Mi den Vorzug gegeben wurde, lässt sich nur spekulieren: Womöglich empfand man die exklusivistische Formulierung von M 50 („in geenen anderen“) und das darin mitschwingende solus Christus als für den Einstieg in die Auslegung des zweiten Glaubensartikels besonders geeignet. Jedenfalls belegt HK 29 deutlich den von Ursinus’ Vorarbeiten unabhängigen Einfluss von M auf den HK. 1.2.3.3 Inkarnation (HK 35–36) Zu den sich an HK 29 anschließenden Auslegungen der Hoheitstitel Jesu („Christus“ in HK 31f; „Sohn“ in HK 33“, „Herr“ in HK 34) finden sich keine signifikanten Entsprechungen in den laskonischen Katechismen. Dies ändert sich wieder bei der Auslegung der Inkarnation und der Jungfrauengeburt in HK 35–36. Während Fr 35 den theologischen Gehalt der Empfängnis und Geburt Christi erläutert, wird in Fr 36 dessen soteriologische Dimension nach dem beliebten „Nutzen“-Schema des Katechismus mit Bezug auf den einzelnen Gläubigen herausgehoben. Beide Fr basieren zum allergrößten Teil auf Mi 23 mit dem Unterschied, dass dort die soteriologische Applikation nicht als eigenes Fr aus der inhaltlichen Erläuterung der Empfängnis und Geburt Jesu ausgekoppelt wird und folglich weniger pointiert zur Geltung gebracht ist. Mi 23–25 entsprechen zwar im Ganzen Ma 69–78, insofern hier wie dort ausgehenden von der Inkarnation die Zwei-Naturen-Lehre zur Entfaltung kommt, jedoch findet das vorgegebene Material nur sporadisch wörtliche Aufnahme. Insbesondere Mi 23 scheint von der Anlage her neu konzipiert. Vorbild könnte K 14 gewesen sein, wo die Übernahme von Fleisch und Blut ex carne et sanguine Mariae virginis auf ganz ähnliche Weise mit der Zwei-Naturen-Lehre verbunden wird.90 Aber auch eine eigenständige Neukonzeption durch Ursinus wird man nicht ausschließen können, insofern die vorhandenen sprachlichen Parallelen auch einfach thematisch bedingt sein könnten. Trotz seiner scheinbar eindeutigen Herleitung aus Mi 23 hat Fr 36 seine Besonderheit: Es ist eine der wenigen Stellen, an der ein markanter Unterschied der zweiten zur ersten Ausgabe des HK zu beobachten ist. In der ersten Ausgabe lautet HK 36: 89 Vgl. Lang, Katechismus, XC. Gooszen, Catechismus, Inl. 101 erwägt den Einfluss der Brevis fidei exploratio, die jedoch in ihren Formulierungen weiter von HK 29 und M 50 entfernt ist. 90 „Wat is: Die daer ontfanghen is van den heylighen Gheest, gheboren wt die maghet Maria? Antwoorde. Dat is: Ick ghelooue, dat de Sone Gods waerachtigh me[n]sche gheworde[n] is, anghenomen hebbende t’vleesch ende bloodt der kindere[n], wt de maget Maria, sonder eenighe vlecke der sonden, Door de kracht des heiligen Gheests, so dat Jesus Christus waerachtich Godt ende mensche sy, de eenighe middelaer, wt de maghet Maria ontfanghe[n] en[de] gheboren, tot mijnder en[de] aller gheloouigher menschen saligheit.“ (K 14)
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„Was nutz bekomestu auß der heiligen empfengnuß Christi? Das er mit seiner unschuldt und volkomenen heiligkeyt meine sünde, darin ich bin empfangen, für Gottes angesicht bedecket.“
Dagegen findet sich in der zweiten Ausgabe die Wendung „und geburt“ an die Frage angehängt sowie „Das er unser mittler ist und“ der Antwort vorangestellt. Könnte die erste Ergänzung noch als eine nachträgliche Anpassung an den Wortlaut des Apostolikums bzw. auch an Mi 23 verstanden werden, so unterscheidet insbesondere die Einfügung des Mittlerprädikats diese zweite Fassung von Mi 23 und lässt weitergehende theologische Motive vermuten. Denn mit der Bezeichnung „Mittler“ verweist HK 36 intratextuell zurück auf Fr 12–18, der Deduktion der Zweinaturenlehre in den gedanklichen Bahnen der Satisfaktionstheologie.91 Traditionsgeschichtlich nimmt das Mittlerprädikat insbesondere bei Calvin eine zentrale Stellung ein, insofern es in dessen Institutio die Brücke zwischen Inkarnation und Zwei-Naturen-Lehre bildet.92 Man wird annehmen dürfen, dass sich in der Ergänzung von HK 36 dieser calvinische Einfluss geltend macht, entweder unmittelbar durch C 50 oder vermittelt über Ma 69–78 oder aber über K 17, dessen Einfluss auf Mi 23 ja bereits erwogen wurde. Ein eindeutiger Nachweis eines Einflusses von K 17 gelingt an dieser Stelle jedoch nicht. 1.2.3.4 Höllenfahrt (HK 44) Deutlicher erkennbar als in der Auslegung von Empfängnis und Geburt Christi ist der laskonische Einfluss im Lehrstück über die Höllenfahrt Christi (HK 44). Das Fr scheint, ganz wie die Parallelen in den beiden Vorarbeiten des Ursinus (Ma 84–86; Mi 31), auf den ersten Blick in seiner theologischen Aussage von C 65–70 abhängig. Gleichwohl lässt sich schon für Ma die Tendenz beobachten, die in C anklingende Relativierung des Leidens Christi zu streichen, insofern die dort getroffene – theologisch unglückliche – Unterscheidung zwischen dem Leiden der verdammten Sünder und dem Leiden Christi (C 70) nicht mitvollzogen wird. Mi 31 führt diese Linie fort: Das Leiden Christi ist in extremo gesteigert, vom Zorn Gottes und dem Leiden der Verdammten ist gar nicht mehr die Rede, sondern nur von den Heilsgütern, die „uns“ zuteilwerden. Ersatzlos gestrichen wurde darüber hinaus das noch in Ma 85 an dieser Stelle aus C 68 rezipierte Extra Calvinisticum. HK 44 entfernt sich noch weiter von C und führt den Gedanken zu seiner soteriologischen Spitze: Der Artikel von der Höllenfahrt Christi wird nicht mehr nur im Sinne einer stellvertretenden Übernahme des 91 Gegen Hollweg, Untersuchungen I, 149f, der das Mittlerprädikat als einen Hinweis auf 1. Tim 2,5f versteht. Ausführlich zu Hollwegs Einordnung von HK 36 Teil Drei, Kapitel 2.2.4. 92 Vgl. Calvin, Institutio, CR 30 (CO 2), 353–361.
112 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 göttlichen Gerichts, mithin als ein Aspekt der Satisfaktionstheologie begriffen, sondern dient der existentiellen Vergewisserung „in höchsten anfechtungen“. Er erhält damit ein spezifisches soteriologisches Gewicht, das über die Aussagen von C hinausgeht.93 Die Höllenfahrt Christi zielt in diesem Verstand auf die Befreiung sowohl von eschatologischer Gerichtsangst, wie von jedweder Existenzangst des Gläubigen. Ganz ähnlich erfolgt die Auslegung des Artikels in den laskonischen Katechismen: In der zweiten Ausgabe von L wurde im Anschluss an die entsprechenden Auseinandersetzungen in der Londoner Gemeinde ein umfangreicher Abschnitt über die Höllenfahrt Christi eingefügt, der in der Frage gipfelt, welche Frucht dem Gläubigen aus der Übernahme aller „pynen ende anexten des toorens Gods“ durch Christus erwächst: Vraeghe. Wat vrucht is in dit verstant des anext Christi gheleghen? Antwoorde. Dat hy niet alleen in syn lichaem het cuiceghe[n], sterue[n] ende begraue[n] […] maer ooc in syn siel, de swaren toore[n] Gods om onser sonde[n] wille ghelede[n] heeft, in alle dynghe[n], so[n]der sonde gheproeft, opdat wy niet allee[n] in de sware laste[n] des lichae[m]s, maer ooc in alle benauthede[n] der sielen, ia in de swaerste anuechtinghe der wanhopicheyt, in dit lyden Christi, sekeren troost hebben souden.94
Das stellvertretende Erleiden der existenziellen Gerichtsangst durch Christus zielt also letztendlich auf den Trost des Gläubigen, der seine eigenen Ängste in diesem Leiden getragen wissen darf – ein Aspekt, der in E 36 auf ganz ähnliche Weise zur Geltung gebracht ist.95 Die entsprechenden Fr in L und E 36 gehen dabei nicht nur inhaltlich parallel mit HK 44, sondern scheinen auch sprachlich einen gewissen Einfluss ausgeübt zu haben („in syn siele“, „pynen ende anexten“, „pyne der Hellen“), so dass hier insgesamt von einer Vorbildfunktion von L bzw. E mindestens auf der Ebene der Sprache für HK 44 gesprochen werden kann. 1.2.3.5 Himmelfahrt (HK 46–49) In der Auslegung des Artikels über die Auferstehung Christi lassen sich zwar Entsprechungen zu den laskonischen Katechismen konstatieren, die jedoch al93 In der Institutio wird dieses existenzielle Moment von Calvin allerdings deutlicher entfaltet: „Ita cum diaboli potestate, cum mortis horrore, cum inferorum doloribus manum conserendo, factum est ut referret de illis victoriam et triumphum ageret, ne iam in morte ea formidemus, quae princeps noster deglutivit.“ (Calvin, Institutio, CR 30 [CO 2], 378) 94 Vgl. Kuyper II, 427 Anm. (Ergänzung zu L) 95 „[…] Dat he ock darbeneven in der anvechtinge des vtherlicken tydtlicken lydens, inwendich an syner seelen, den torn Gades unde pyne der Hellen gesmecket, unde my van dersulvigen erlöset hefft, unde is thor sekerheit synes dodes unde hilliginge myner begreffnisse begraven.“ (E 36)
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lesamt auf die gemeinsame Verwendung von C rückführbar sind.96 Der Einfluss der Londoner Flüchtlingstradition macht sich dann wieder im Fr über die Himmelfahrt Christi (HK 46–49) geltend. Der theologische Gehalt und die sprachliche Form von HK 46–49 sind in weiten Teilen aus Mi 34–36 übernommen. Angesichts der Aufteilung von Mi 34 in zwei Fr erwägt Lang eine Beteiligung von L 157 und L 160 bei der Abfassung von HK 46 und HK 49 – allerdings sei auch ein Einfluss von Johann Meckharts Katechismus von 155797 oder von C 75–79 vorstellbar.98 Sowohl in L und Meckhart findet sich die gleiche soteriologisch zugespitzte Frage nach dem „Nutzen“ der Auferstehung wie in HK 49, was jedoch in Anbetracht der weiten Verbreitung dieser Fragestruktur wenig heißen will.99 Die dreistufige Gliederung des Fr könnte auf L oder C zurückgehen. Inhaltliche Parallelen finden sich demgegenüber in M 63: Deutlich M 63 entnommen scheint in Mi 34 – von dort aus dann auf HK 49 einwirkend – die „Blickrichtung nach oben“ zum auferstandenen Christus hin, die die drei Fr jeweils abschließt. Zu beachten ist dabei jedoch der unterschiedliche Kontext: Wird die Bewegung in M 63 als sich aus der Auferstehung ergebender Auftrag für das christliche Leben formuliert („Daerom behooren wy“, ganz ähnlich auch L 160), so erscheint sie in Mi 34 wie dann auch in HK 49, pneumatologisch vermittelt als Teil des soteriologischen „Nutzens“ der Auferstehung („[…]et Spiritum suum nobis pignus mutuum coelitus demitteret […]“), somit nicht als Anspruch, sondern als Zuspruch. Darüber hinaus erinnert der Rückbezug zur Inkarnation in HK 49 („dasz wir vnser fleisch im Himmel zu einem sichern pfand haben“) an das entsprechende Motiv bei Micron: „Wat is, hy is in de hemelen gheklommen? A. Dat is, Jesus Christus, in dat eenich lichaem ons vleeschs, dat hy wt Maria ghenomen heeft, is nerghens in de werelt, maer bouen de wolcken in den hemel“
Gerade dieses dezidierte Aufgreifen inkarnatorischen Vokabulars verbindet HK 49 mit M 63 gegenüber allen anderen verwandten Katechismen.100 Sollte diese Parallele tatsächlich Micron entstammen, so ergäbe sich für HK 49 ein ähnliches Bild wie in den vorhergehenden Fr (mit Ausnahme von HK 29): Ein bereits vorhandener Einfluss aus den laskonischen Katechismen (der Blick „nach 96 97 98 99 100
Vgl. S. 98, Anm. 52. Vgl. Meckhart, Catechismus, Reu I/1, 827, Z. 16–31. Vgl. Lang, Katechismus, Einl. XCI. Vgl. oben Anm. 61. Vgl. exemplarisch nur Mi, wo an gleicher Stelle nicht der Bezug zur Inkarnation, sondern zur Zwei-Naturen-Lehre hergestellt wird: „[…] Quod naturam suam humanam super omnes coelos visibiles exaltaverit, et secundum eam ad mundi usque ad finem, non in terra, sed in coelo sit et maneat.“ (Mi 34)
114 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 oben“, zum Auferstandenen hin) wurde im HK durch weiteres Material aus der laskonischen Tradition ergänzt (der Rückbezug zur Inkarnation aus M 63, möglicherweise die dreigliedrige Struktur des Fr aus L 160). Jedoch erscheinen diese Parallelen im Ganzen wenig belastbar : HK 46–49 ist in weiten Teilen aus Mi übernommen, die dreigliedrige Struktur von Fr 49 könnte auch aus C 71 stammen oder als allgemeines rhetorisches Mittel von Ursinus unabhängig verwendet worden sein. Der beidermalige Rückverweis auf die Inkarnation geschieht allein durch die parallele Wendung „unser fleisch“, die angesichts des Themas nahegelegen haben mag. Man wird sich somit auf die Feststellung beschränken müssen, dass zwar von M 63 auf den Schluss des Fr ein Einfluss erkennbar ist, dieser jedoch indirekt über Mi 34 seinen Weg in den HK gefunden hat. Ein erneutes Heranziehen der laskonischen Katechismen bei der Abfassung von HK 49 lässt sich demgegenüber nicht mit der nötigen Signifikanz belegen. 1.2.3.6 Heiliger Geist (HK 53) In der Auslegung des dritten Glaubensartikels erscheint ein Einfluss der laskonischen Katechismen zum einen für das eröffnende Fr 53 nach dem Heiligen Geist, zum anderen für die Fr 54–55 über die Kirche erwägenswert. Fr 53 hat wieder in den Vorarbeiten des Ursinus seine Vorlage, unmittelbar vor allem in Mi 39, das die beiden wichtigen Motive des zweiten Teils von HK 53 vorwegnimmt: der wahre Glaube und die Teilhabe an den Wohltaten Christi. Mi 39 selbst ist eine Zusammenstellung von Ma 106–112. Lang erwägt einen Einfluss der Londoner Flüchtlingstradition bereits für die Fragenreihe aus Ma, jedoch so, dass nebenher noch andere Quellen in Betracht kommen.101 In der Tat scheinen die beobachteten Entsprechungen eher auf den Gebrauch gemeinsamer Vorlagen als auf einen unmittelbaren Einfluss zurückzuführen zu sein.102 Für Mi 39 geht Lang zusätzlich von der Verwendung von E 43 aus, wobei er allerdings keine wörtlichen Entsprechungen benennt.103 Auf der inhaltlichen Ebene sind jedoch alle Elemente aus Mi 39 bereits durch Ma 106–112 vorgegeben, so dass Lang an dieser Stelle möglicherweise die Disposition von E 43 vor Augen hatte. Denn sowohl für E 43 wie für Mi 39 ist die Motivfolge: Göttlichkeit des Geistes, Heiligung, Erweckung des Glaubens und dadurch Zueignung der Wohltaten Christi charakteristisch – mit dem Unterschied, dass dieselben in Mi 39 in Allgemeinbegriffen, E 43 in Konkretionen entfaltet werden. Im Vergleich zu der durch Ma vorgegebenen Reihenfolge des Stoffes folgt Mi also einer neuen Anordnung, und 101 Vgl. Lang, Katechismus, LXIX. 102 Für die Teilhabe an Christi Wohltaten (Ma 109; L 165) vgl. z. B. C 91; für das tröstende Wirken des Geistes (Ma 110; L 166) vgl. J 141; dazu auch Lang, Katechismus, LXIX. 103 „Vgl. […] ferner Fr. 39, entstanden aus Ma 106, 107, 109, 110, 112, mit E 43.“ (Lang, Katechismus LXXXIII)
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es erscheint plausibel, dass E 43 in dieser Sache als Vorbild diente.104 Der parallele Aufbau wird freilich in HK 53 durch die Streichung des Heiligungsgedankens sowie die konkretisierende Exposition der „Wohltaten Christi“ durchbrochen („mich tröstet und bey mir bleiben wird biß in ewigkeyt“). Gerade dieser Punkt könnte nun aber wiederum durch E 43 veranlasst sein, nicht nur, weil dort wie in HK 53 das Stichwort des Trostes fällt105, sondern auch, weil gerade die konkrete Aufzählung der Wirkungen des Geistes in E 43 das strukturelle Pendant zu den „Wohltaten“ aus Mi 39 bildet. Erhärtet wird diese Vermutung, insofern der erste Teil von HK 53 wie E 43106 schlicht die Göttlichkeit des Geistes und die Einheit Gottes aussagt, auf weitere terminologische Anleihen aus dem Vokabular der Trinitätslehre ganz im Gegensatz zu den Vorarbeiten des Ursinus jedoch verzichtet. Es ist gerade die durch eine konkretere Sprache und eine reduzierte dogmatische Komplexität erreichte unmittelbare Zugänglichkeit, die HK 53 und E 43 von Ma und Mi abhebt. Ist somit der Einfluss von E in Mi 39 auf die Disposition des Fr beschränkt, so dürfte HK 53 mindestens in seinem zweiten Teil direkt Material aus E 43 übernommen haben. Auch für dieses Fr wird man also eine Zunahme des Einflusses der laskonischen Katechismen konstatieren können. 1.2.3.7 Kirche (HK 54–55) Noch deutlicher als HK 53 tragen die beiden sich anschließenden Fr über die christliche Kirche Spuren der laskonischen Katechismustradition.107 HK 54–55 sind zunächst in Anlehnung an Mi 40–41 aus Ma 125 und 116 unter einigen Abwandlungen gestaltet.108 Bei der Abfassung der entsprechenden Fr hat Ursinus jedoch bereits auf eine Vorlage zurückgegriffen. Nach Lang handelt es sich dabei um E 45 für Ma 125 und E 47 für Ma 116, wobei er in letzterem Falle den Umfang des Einflusses unspezifisch als „formell“ bestimmt.109 Dieser Rekonstruktion des Einflusses von E auf Ma hat Rauhaus widersprochen: Nicht E, sondern die von Johannes a Lasco in seiner Forma ac ratio wiedergegebene lateinische Fassung von K 21 (dort K 23) sei die direkte Vorlage von Ma 125; für Ma 116 ließen sich die Entsprechungen zu E 47 einfacher durch den Gebrauch von L 169f als ge104 Gegen Rauhaus, Untersuchungen, 224. 105 Der Trostgedanke könnte an dieser Stelle auch über J vermittelt sein: „L. Was würckt der heilig geist in den glöubigen? K. Die frücht die ich erst erzelt hab. Item er tröstet vnn sterckt vns güszt die liebe vsz in vnseren hertzen, Rom v. leert vnd berihtet vns, j. Johan. ij. Er gibt ouch vnserm geist zügnusz dasz wir kinder Gottes sind.“ (J 141) 106 „Wat gellvestu in dem drudden Ho[o]vet Artikel van dem hilligen Geiste? Antwordt. Dat de hillige Geist mit Gade dem Vader, unde dem Söne, ein enich unde ewich Godt is“ (E 43) 107 Vgl. Lang, Katechismus, Einl. XCI; Neuser, Erwählungslehre, 317. 108 Vgl. Lang, Katechismus, Einl. LXXXIII und XCI. 109 Vgl. a. a. O., Einl. LXX.
116 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 meinsamer Vorlage als durch einen unmittelbaren Einfluss von E erklären.110 Wendet man sich der Disposition des HK folgend zunächst Ma 125 zu, so kann Rauhaus’ Zurückweisung der Verwendung von E 45 nicht mitvollzogen werden: Ma 125 E 45 / K 21 (= K 23)111 (125.) Quid est credere sanctam Ecclesiam E 45: Catholicam, sanctorum communionem? 45. Frage. Wat gelövestu in dem nhavolgenden Artikel, Ein hillige, Christicke Kercke edde Gemeene? Est non dubitare, ab initio mundi usque ad Antwordt. Ick gelöve dat myn Here Jesus finem a Filio Dei per Spiritum sanctum et Christus, vth disser verdorven böse Werldt, ministerium Evangelii colligi et servari in dorch den hilligen Geist, unde stemme des terris Ecclesiam ad vitam aeternam hilligen Euangeliums, sick van anbeginne electam, quae Deum juxta verbum ipsius der Werldt, ein ewige, hillige, blyvende colat: et nos illius Ecclesiae viva membra Kercke edder Gemene der vtherweelden esse et mansuros in aeternum. hefft versamlet, vnde erholdt, van welckerer Gemene ick my ein lidtmate tho syn bekenne. K 23 (= K21) 23. Interro. Quid credis sub illis verbis: „Sanctam Ecclesiam catholicam“? Respon. Credo, Filium Dei Christum Dominum habuisse ab ipso mundi initio habereque etiamnum et usque ad saeculi consummationem semper habiturum esse unum quendam coetum fidelium, in suo nomine ubique terrarum collectum, cuius me quoque membrum esse agnosco.
Alle drei Katechismen stimmen unübersehbar in der Formulierung des Wirkens Christi per Spiritum sanctum ab initio mundi überein, in welchem die Kirche gründet. Daneben bildet sowohl in M 125 wie in E 45 und K 21 der Hinweis auf den paulinischen Gedanken der Kirche als Leib Christi (et nos […] viva membra esse) den Abschluss der jeweiligen Fr. Trotz dieser Parallelen wird bei einem Vergleich der Texte deutlich, dass K 21 weder im Vokabular noch im Inhalt näher an Ma 125 steht als E 45: Schon im Rahmen der Näherbestimmung von Kirche – dem theologisch zentralen Element aller drei Fr – verzichtet K 21 im Unterschied zu M 125 und E 45 auf den Erwählungsgedanken und spricht stattdessen unspezifisch vom coetus fidelium. Auch die zweifache Weise des Wirkens Christi durch den Heiligen Geist und durch das ministerium Evangelii (Ma 125) bzw. der „stemme des hilligen Euangeliums“ (E 45) schließen Ma und E gegenüber K 110 Vgl. Rauhaus, Untersuchungen, 222. 111 K 21/23 hier zitiert nach Kuyper II, 131. Die deutlich abweichende niederländische Fassung in Kuyper II, 486.
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enger zusammen. Schließlich hat die Wendung colligi et servari aus Ma in E, nicht in K, ihre genaue Entsprechung („versamlet, vnde erholdt“). Dagegen beschränken sich die Übereinstimmung von Ma und K gegenüber E auf die Ersetzung bzw. Ergänzung des Subjektes „Christus“ durch filium Dei sowie die sachlich naheliegende Vervollständigung des Gedankens einer Sammlung der Kirche „vom Anfang der Welt“ durch den Blick in die endzeitliche Zukunft (usque ad finem in Ma 125 bzw. usque ad saeculi consummationem in K 21). Anders als Rauhaus meinte, reicht die lateinische Fassung von K 21 allein nicht hin, um die sprachlichen Übereinstimmungen von Ma 125 mit E 45 zu erklären. Eher scheint es so, als hätte Ursinus K 21 in Ergänzung zu E herangezogen, so dass sich dort nun sowohl Parallelen zu E gegenüber K wie umgekehrt zu K gegenüber E finden. Die Parallelen zu E besitzen gleichwohl das theologisch größere Gewicht. Blickt man von Ma aus auf HK 54, so lässt sich eine beinahe vollständige Übereinstimmung der beiden Fr konstatieren. Eine Ausnahme bildet die Änderung von ecclesia bzw. „Kirche“ zu „Gemein“ bzw. coetus – Vorlage könnte wieder E 45 gewesen sein, wo beide Vokabeln nebeneinander gebraucht werden („Kercke edder Gemene“) –, sowie der neu hinzugekommenen Vorstellung des Glaubens als dem die einzelnen Glieder der Gemeinde verbindenden Bandes. Beide Abweichungen sind bereits in Mi 40 vorhanden und gehen daher auf Ursinus selbst zurück. Gegenüber Ma 115 zeugt Ma 116, die Vorlage von HK 55, von einem freieren Umgang mit dem durch die laskonischen Katechismen bereitgestellten Material. Die beiden parallelen Motive (Gemeinschaft als Teilhabe an den Wohltaten Christi und Gemeinschaft als Auferbauung der Kirche) finden sich jeweils in L 169 und E 47, wobei die gleiche Gewichtung von Zuspruch und Anspruch in Ma 116 wieder mehr an E als an L erinnert, jedoch auch auf Ursinus selbst zurückgehen kann. Rauhaus wäre also darin Recht zugeben, dass durch Ma 116 allein die Verwendung von E bei der Abfassung von Ma nicht begründet werden kann. Hier könnte auch L 169, evtl. auch K 23 (sancti omnes) im Hintergrund stehen. In HK 55 finden sich wiederum nur marginale Änderungen gegenüber der Vorlage, so die Rede von „alle […] gläubigen“ und die Betonung des Anspruchcharakters des zweiten Teils („sich schuldig wissen soll“) im Anschluss an Mi 41. Gänzlich neu auch im Vergleich zu Mi ist hingegen die Einfügung des Leib-Christi-Gedankens im ersten Teil, was womöglich einen erneuten Rückgriff auf E bzw. L darstellt, in seiner Wirkung jedenfalls HK 55 mit dem Schluss von HK 54 organisch verbindet. Im Gegensatz zur Frage nach dem Heiligen Geist sind die Parallelen von HK 54–55 zu den laskonischen Katechismen allesamt über Ursinus’ Vorarbeiten vermittelt. Eine Zunahme ihres Einflusses über Ma und Mi hinaus lässt sich bestenfalls in einem nicht signifikanten Umfang konstatieren – was auch daran
118 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 liegen mag, dass zumindest Ma 125 bereits umfangreicheres Material aus der laskonischen Katechismustradition rezipiert. 1.2.4 Sakramente und Schlüsselamt 1.2.4.1 Kindertaufe (HK 74) Angesichts der Schwierigkeiten, die der traditionsgeschichtlichen Untersuchung der Fr 65–85 durch den auf innerreformierten Konsens zielenden Gesamtcharakter des HK erwachsen, erscheint es notwendig, an eine methodische Vorentscheidung zu erinnern: Von Belang ist an dieser Stelle nicht so sehr die Identifizierung des Ursprungs einer Tradition als vielmehr die Frage, welche Texte den HK in seiner Entstehung unmittelbar beeinflussten. Nimmt man unter dieser Prämisse den Abschnitt über die Sakramente in den Blick, so lassen sich zunächst bei der Begründung der Kirchenzucht auffällige Parallelen zwischen dem HK und E beobachten. HK 74 basiert im Wesentlichen auf Mi 63, wobei schon in letzterem Fr die Deutung der Taufe als Aufnahme in das Reich und den Bund Gottes und die mit ihr einhergehenden Parallelisierung von Beschneidung und Taufe E 61–62 entsprechen. Beide Motive dienen jedoch auch in anderen Katechismen der Legitimierung der Kindertaufe, so bereits in Bucers Kurtze schrifftliche erklärung von 1534112 oder später in Bullingers Catechesis pro adultioribus113, und sind überhaupt in der zeitgenössischen Täuferpolemik als argumentativer Topos verbreitet.114 Weniger die Suche nach Übereinstimmungen im theologischen Gehalt als vielmehr die Frage, auf welche Weise derselbe zur Darstellung gebracht ist, könnte also der Aufhellung der Entstehungsgeschichte von HK 74 dienen. Und hier erinnern einige Passagen aus E 61–62 in der Tat auffällig an HK 74:
112 Vgl. Bucer, Kurtze schrifftliche erklärung, BDS 6,3, 74. 113 „I. Quos nam putas esse baptizandos? R. Qui vel ipsi fidem confitentur, & baptismus sibi dari postulant: vel qui inter fideles deputantur, quos pij petunt inscribi in populum dei. I. Qui nam isti? R. Infantes Christianorum: quos inter fideles numerat dominus, testificans eos sibi curae esse, & ad ipsos pertinere regnum coelorum, sicuti claret Matth. 18. & 19. Iniquum sane foret illis symbolum negare, quibus res symboli a deo negata non est. Et cum veterum libri sint circuncisi, cur negaremus nostris baptismum, qui credimus per aduentum salvatoris, deum non incleme[n]tiorem liberis nostris esse factu[m], quam fuerit olim veteru[m] liberis? Certe ex doctrina Apostolica claret baptismum esse Christi circuncisionem. Claret & illud fidelium libros contineri in aeterno dei foedere.“ (Bullinger, Catechesis pro adultioribus, 64r–v) 114 Dessen Verbreitung scheint Hollweg zu unterschätzen, wenn er in der Deutung der Kindertaufe als Bundeszeichen den Einfluss von Bezas Kurtze Bekanntnuß am Werke sieht. Vgl. Hollweg, Untersuchungen I, 110.
Die Katechismen der Londoner Flüchtlingstradition
HK 74 Frag. Soll man auch die jungen kinder taufen? Antwort. Ja, denn dieweil sie sowol als die alten in den bund Gottes und seine gemein gehören, und ihnen in dem blut Christi die erlösung von sünden und der heilig geist, welcher den glauben würcket, nit weniger denn den alten zugesagt wird, so sollen sie auch durch den tauf, als des bunds zeichen, der christlichen kirchen eingeleibt, und von der ungläubigen kinder underscheiden werden, wie im alten testament durch die beschneidung geschehen ist, an welcher statt im neuen testament der tauf ist eingesetzt.
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E 61–62 61. Frage. Warher bewysestu dat men de Kinder der Gemene ock döpen schal? Antwordt. Nach dem de thom verbunde, unde tho der Gemene Gades hören, unde en vth genaden gemeenschup des Vaders, unde des Söns, unde des hilligen Geistes, sampt der ewigen salicheit tho kumpt usw. 62. Frage. De Kinderken verstaen dennoch van der Döpe geheymenisse nicht? Antwordt. Dat is wol war, överst hyr moth men weten: Thom erssten, dat de angebaren swackheit unde feyl der natur (de Christus gedragen hefft, unde en umme Jesu Christi willen nicht thogereknet wert) nicht wehren kan, dat Godt en syne genade versegele, alse idt in der Besnydinge geschach, aan welckerer stede de Christlicke Gemene de Döpe van dem Heren entfangen hefft etc.
Die bundestheologische Eröffnung des Fr wie sein Abschluss, der über den Gedanken des Bundeszeichens bzw. -siegels als Vergleichspunkt die Verbindung zur alttestamentlichen Beschneidung zieht, scheinen sich in ihrer Formulierung unmittelbar an E 61–62 anzulehnen. Man wird daraus schließen dürfen, dass neben Mi 63 auch E 61–62 bei der Abfassung von HK 74 herangezogen wurde. Ob Mi 63 bzw. Ma 291–292 bereits Impulse von E erfahren hat oder wiederum auf ältere Katechismen zurückgreift, lässt sich angesichts der weiten Verbreitung der in ihm enthaltenen theologischen Aussagen nicht hinreichend belegen. 1.2.4.2 Schlüsselamt (HK 85) Kein Sakrament im eigentlich Sinn, wiewohl über das „Amt der Schlüssel“ thematisch eng mit dem Abendmahl verbunden, ist für den HK die Kirchenzucht (HK 81–85). Mit Ma 311–319 verbindet die Fragenreihe vor allem das gemeinsame Thema. Strukturell schließt sie sich, wie Lang richtig beobachtet, dagegen eng an Calvins Institutio an.115 Gleichwohl meint Gooszen, HK 81–85 als Hauptbeleg für eine Verwendung der laskonischen Katechismen bei der Abfassung des HK über Ma und Mi hinaus heranziehen zu können: Dass die Kirche nach HK 82 und 85 als das eigentliche Subjekt der Zucht zu gelten habe und dass dies in HK 82 gerade mit dem durch die Teilnahme der Unwürdigen am Mahl geschmähten göttlichen Bund begründet würde, seien charakteristische Kenn115 Vgl. Calvin, Institutio, CR 30 (CO 2), 891–894; dazu Lang, Einl. XCIV.
120 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 zeichen der laskonischen Katechismen im Gegenüber zu C.116 Der zweite Teil des Arguments scheint nicht nachvollziehbar : Der Bundesgedanke taucht ganz im Gegensatz zu HK 82 in den laskonischen Katechismen bei der Begründung der Kirchenzucht nicht auf. Überhaupt spielt er, soweit ich sehen kann, auch bei a Lasco selbst im Kontext der Kirchenzucht keine Rolle. Diese wird vielmehr über das Motiv der Kirche als Gemeinschaft des Leibes Christi (communio corporis christi) begründet.117 Der erste Teil des Arguments besitzt dagegen größeres Gewicht: Zwar ist auch nach Calvin jedes Gemeindeglied dazu aufgerufen durch rechte Ermahnungen zur Ausübung der Zucht beizutragen, vor allen anderen hat dies jedoch durch die dazu besonders berufenen Amtsträger zu geschehen, also durch die Hirten und Ältesten. Insbesondere bei der Exkommunikation als letzter Stufe der Zucht ist dann von einer Beteiligung der Gesamtgemeinde keine Rede mehr.118 HK 85 scheint demgegenüber festhalten zu wollen, dass die Ausübung der Zucht prinzipiell der Kirche im Allgemeinen zukommt, in concreto jedoch an bestimmte Ämter delegiert werden kann. Dies ist zugegebenermaßen keine direkte Absage an Calvin, sondern mehr eine theologische Akzentverschiebung. HK 85 positioniert sich somit etwa in der Mitte zwischen Calvin und L 150 bzw. E 72, wo eine Beteiligung der ganzen Gemeinde bei Zucht und Bann nun gerade vorgeschrieben ist.119 Womöglich muss die Formulierung von HK 85 als Kompromiss zwischen den beiden Polen Londoner Flüchtlingstradition auf der einen und Calvin auf der anderen Seite verstanden werden. Dazu gesellt sich die Beobachtung, dass sowohl E 72 wie HK 85 den Ausschluss von der Gemeinde unmittelbar mit der Hoffnung auf Umkehr des renitenten Sünders verknüpfen. Auch bei Calvin findet sich dies,120 jedoch nur als ein Zweck der Kirchenzucht
116 Vgl. Gooszen, Catechismus, Inl. 101. 117 Die Idee der communio corporis Christi nach 1. Kor 10 bildet das theologische Gestaltungsprinzip für den Sakraments- und Kirchenzuchtteil der Forma ac ratio. Die Gemeinde, die die Gemeinschaft des Leibes Christi bildet, muss so eingerichtet sein, dass dies in ihren sakramentalen Vollzügen und der gegenseitigen Verantwortung der Glieder des Leibes füreinander zur Darstellung kommt. Insofern lassen sich alle Ordnungsgestalten der Gemeinde auf die Erhaltung und Förderung der communio corporis Christi, respektive auf die Auferbauung der Gemeinde rückbeziehen. Vgl. dazu insbesondere Sprengler-Ruppenthal, Mysterium und Becker, Gemeindeordnung, 39–68. 118 „Si quis eiusmodi monitiones vel pervicaciter resputat, vel pergendo in suius vitiis contemnere se ostendat, ubi secundo testibus adhibitis monitus fuerit, ad ecclesiae iudicium, qui es seniorum consensus, vocari Christus praecipit (Matth. 18,15 et 17): illic gravius admoneri, quasi publica autoritate, ut si revereatur eccclesiam, subiiciat se et pareat. Si ne sic quidem frangatur, sed in sua nequitia perseveret, tum iubet, tanquam ecclesiae contemptorem, a societate fidelium abdicari.“ (Calvin, Institutio, CR 30 [CO 2], 906) 119 „Want het niemant alleene toe staet, yemant uut de sluite[n], maer het is het were der ganscher Ghemeynten.“ (E 72); „So moten de Dener sampt den Oldesten, mit bewilliginge der Gemene, den ungehorsamen unde haltstarcken vthsluten unde bannen.“ (L 150) 120 Vgl. Calvin, Institutio, CR 30 (CO 2), 907f.
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unter mehreren, wohingegen a Lasco in seiner Forma ac ratio alles Gewicht auf die Umkehr des Sünders als das eigentliche Ziel der Zucht legt.121 Man wird festhalten können, dass die Fragenreihe HK 81–85 nicht, wie Gooszen wollte, als Hauptbeleg für einen Einfluss der laskonischen Katechismen auf den HK herangezogen werden kann: Dafür sind die dort getroffenen Aussagen insgesamt zu wenig profiliert, die Nähe zu Calvin in der über das „Amt der Schlüssel“ laufende Verknüpfung zwischen Zucht und Abendmahl zu groß und die terminologischen Übereinstimmungen mit den laskonischen Katechismen zu gering. Jedoch wird man Gooszen insoweit Recht geben dürfen, dass mit Blick auf die Träger der Zucht und die pointiert zur Geltung gebrachte Hoffnung auf Umkehr des Sünders ein gewisser Einfluss von E 72 auf HK 85 als wahrscheinlich erachtet werden kann. 1.2.5 Die Auslegung der Zehn Gebote 1.2.5.1 Drittes Gebot – Verbot des Namensmissbrauchs (HK 99–101) In den Auslegungen der ersten beiden Gebote lassen sich keine signifikanten Parallelen zur laskonischen Katechismustradition ausmachen. Demgegenüber finden sich in HK 99 einige kleinere Übereinstimmungen im Vokabular zu L 33 („in […] worten vnd wercken gepriesen“, „mit forcht vnd ehrerbietung“), die jedoch auch über Bucers Kurtze schrifftliche erklärung vermittelt sein könnten.122 Für einen Einfluss der laskonischen Katechismen spricht darüber hinaus die Ausweitung des Gebots auf die schweigende Hinnahme der Gotteslästerung anderer, die L 34 mit HK 99 verbindet. Letztere taucht in keinem der verwandten Katechismen, auch nicht in Ma oder Mi auf – ein Befund, der umso auffälliger erscheint, als dem Thema mit HK 100 ein eigenes Fr gewidmet ist, so dass sich eine gewisse Doppelung zu HK 99 ergibt. Nimmt man dies mit den beobachteten sprachlichen Parallelen zusammen, so dürfte bei der Abfassung von HK 99 neben Mi 87 eher L 33, nicht Bucers Katechismus von 1534 hinzugezogen worden sein. Wesentlicher deutlicher kommt der laskonische Einfluss bei der Dispensierung des Schwörens vom Verbot des Namensmissbauchs in HK 101 zum Ausdruck. Nicht Mi 88 bildete dafür die Vorlage, sondern L 35 in Verbindung mit M 17.123
121 Vgl. Becker, Gemeindeordnung, 76. 122 Vgl. Bucer, Kurtze schrifftliche erklärung, BDS 6.3, 115, Z. 30–34. 123 Vgl. Lang, Katechismus, XCV.
122 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 HK 101 L 35 / M 17 Frag. Mag man aber auch gottselig bey dem L 35: namen Gottes einen ayd schweren? Vraghe (35). Noch moet ick hier een dine vraghen. Mach men oock wel bij den naem Gods salichlijck sweeren? Antwort. Ja, wenn es die oberkeyt von iren Jae het wel, als dat von ons nae de ordinunderthanen, oder sonst die noth erforancie Gods van de ouerheyt geeyscht dert, treue und warheyt zu Gottes ehr und wordt, oft wij anders in Godlycke saken, des nechsten heil dardurch zu erhalten und van weghen onser beroepinghe, daer toe zu fürdern. Denn solches eydschweren ist bedwonghen worden, om de waerheyt daer door ter eeren Gods ende ten nutte en[n] in Gottes wort gegründet und derhalben von den heiligen im alten und neuen tes- salicheyt ons naesten, te beuestighen ende tament recht gebrauchet worden. veruoorderen etc. M 17: […] aengemerckt dat sy van God gheboden zijn, enn van Christo enn zijn Apostelen, ende andere heylighe mannen van beyde testamenten ghebruyckt.
Aus L 35 stammt die erste Hälfte des Fr: Auf Befehl der Obrigkeit oder wenn es die Situation erfordert (HK: „die noth“; L: „Godlycke saken, van weghen onser beroepinghe“) ist um der Wahrheit, der Ehre Gottes und des Heils des Nächsten willen das Schwören erlaubt. Die abschließende Begründung durch den Hinweis auf das Alte und Neue Testament ist hingegen M 17 entnommen. Die Übereinstimmungen betreffen dabei nicht nur Inhalt und Aufbau, sondern auch die sprachliche Gestalt von HK 101, so dass im Ganzen von einer Kompilation aus L 35 und M 17 gesprochen werden kann. 1.2.5.2 Viertes Gebot – Feiertagsheiligung (HK 103) Wurde innerhalb der Auslegung des dritten Gebots ein ganzes Fr aus L und M kompiliert, beschränken sich die Bezüge im Feiertagsgebot (HK 103) wiederum auf Einzelmotive. Das Fr hat seine unmittelbare Vorlage in Mi 89, das eine Zusammenfassung der entsprechenden Fragereihe in Ma 185–190 darstellt. Schon den Schluss von Ma 186, sowie darüber hinaus Ma 187 sieht Lang unter dem Einfluss von L 42124 bzw. L 44 stehen, wobei der Vergleichspunkt im ersteren Falle die aufgetragene Bewahrung des geistlichen Amtes, in letzterem die in beiden Katechismen explizierte Verbotsdimension des Feiertagsgebots gewesen sein dürfte. Weitere Übereinstimmungen zwischen Ma 186 und L 42 (Entfaltung des ethischen Gehaltes des Gebots) scheinen zunächst durch C 183 vermittelt, jedoch erinnert die Näherbestimmung des ministerium Ecclesiae in Ma 186 mit seinen zweigliedrigen Wendungen letztendlich doch stärker an L 42 (doceatur et 124 Vgl. a. a. O., LXXII.
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discatur sowie administrentur et usurpentur in Entsprechung zu „te leeren ende te hooren“ sowie „te bedienen ende gebruyken“). In L schlägt sich an dieser Stelle womöglich die für die Tradition der Flüchtlingsgemeinden typische Hochschätzung der Gesamtgemeinde nieder, insofern die Perspektive der Amtsträger („leeren“, „bedienen“) um diejenige des „einfachen“ Gemeindeglieds („hooren“, „gebruyken“) ergänzt wird. Diese Doppelperspektive hat ihren Weg weder in Mi 89 noch in den HK gefunden, so dass der Bezug zu L dort nicht mehr im gleichen Maße deutlich wird. Demgegenüber finden sich im HK wiederum Parallelen, die über diejenigen aus Ma 185–190 hinausgehen, nämlich erstens das Absehen von den eigenen bösen Werken und das Zulassen göttlichen Wirkens, und zweitens der eschatologische Ausblick auf den „ewigen Sabbat“ am Ende des Fr. Die erstgenannte Entsprechung könnte wieder auf einen beiderseitigen Gebrauch von C (Fr 172) hindeuten, letztere fehlt hingegen in allen übrigen verwandten Katechismen und wird höchstwahrscheinlich L 40 entstammen.125 Insgesamt lässt sich für HK 103 damit ein gegenläufiger Umgang mit den laskonischen Quellen festhalten: Die Motive, die in Ma 185–190 parallel zu L gehen, wurden nicht durchgehend übernommen. In HK 103 wird das Feiertagsgebot lediglich in seinem positiven Gehalt zur Geltung gebracht, es fehlt die explizite Thematisierung seiner Übertretungen analog zu Ma 186 (auch Mi 89) und L 42. Darüber hinaus wird die zweigliedrige Beschreibung des Kirchendienstes auf die Perspektive der Amtsträger reduziert, so dass sich wieder eine größere Nähe zu C 183 einstellt. Demgegenüber findet sich der aus L 42 nach Ma 186 übernommene Aufruf zur Bewahrung des geistlichen Amtes – um die Erhaltung der Schulen ergänzt – nun betont am Anfang des Fr und bildet mit dem Ausblick auf den eschatologischen Sabbat eine Klammer um den calvinischen Stoff. 1.2.5.3 Sechstes Gebot – Tötungsverbot (HK 105–107) Innerhalb der Auslegung des fünften Gebots lassen sich keine signifikanten Parallelen zu den laskonischen Katechismen ausmachen. Komplex gestalten sich die Verhältnisse jedoch innerhalb der Auslegung des sechsten Gebots (HK 105– 107). Die Fragenreihe behauptet gegenüber Mi und Ma mit Blick auf die größere Ausführlichkeit und veränderte Disposition eine gewisse Eigenständigkeit.126 Bei der Abfassung von HK 105 dürfte nicht nur Mi 91 und Ma 196–199, sondern auch M 26–27 herangezogen worden sein.
125 So bereits Lang, a. a. O., XCV. 126 Vgl. Lang, a. a. O., XCV.
124 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 HK 105 M 26 Frag. Was wil Gott in dem sechsten gebott? (26.) V. Hoe wort dit ghebot ouerghetreden? Antwort. Das ich meinen nechsten weder A. Ten eersten, als wy yet doen, daer door daten tot dootslaghen koemt: te weten, als mit gedancken, noch mit worten oder geberden, viel weniger mit der that durch wy yemant wter herten quaet gonnen, bemich selbst oder andere schmehen, hassen, nijden, haten, door ghebaer, woorden, oft beleidigen, oder tödten, sonder alle rach- wercken tot gramschap verwecken, ende der ghelijcke. Voorts als wy den broeder die girigkeyt ablegen, auch mich selbst nit beschedigen, oder mutwillig in gefahr be- daer is sondighende, niet willen vermanen, geben sol. Darumb auch die oberkeyt, dem noch tot de Ghemeynte brenghen, als sy de vermaninghe verachten. Ten laetsten, als todschlag zu weren, das schwert tregt. wy de veronghelijckt zjnde, ons seluen soecken te wreken.
Ins Auge fällt die parallele Motivfolge „Worte“, „Gebärden“, „Tat“, die HK 105 und M 26 von den beiden Vorarbeiten des Ursinus abhebt (in Mi 91 und Ma 197 jeweils nur verbis et gestibus). Darüber hinaus besitzt die pleonastische Reihe „schmehen, hassen, beleidigen“ aus HK 105 sprachliche Verwandtschaft mit M 26 („wter herten quaet gonnen, benijden, haten“). Zuletzt schließen sowohl der HKwie M (dann in Fr 27) an die Entfaltung des Tötungsverbotes unmittelbar die Legitimation der Obrigkeit an, wohingegen Ma zunächst den Auftrag zur Nächstenliebe einschiebt (Ma 198). Die Thematisierung der „rachgirigkeyt“ als Wurzel des Totschlags in HK 106 hat zwar eine gewisse Entsprechung in L 57, ist jedoch deutlich Bucers Kurtze schrifftliche erklärung von 1534 entnommen, wie dort überhaupt sachliche Entsprechungen zu HK 105–107 zu beobachten sind.127 HK 107 erinnert dann in seinen Formulierungen noch stärker an die laskonischen Katechismen, allerdings nicht nur an M 25, wie Lang meint.128 Vielmehr scheinen sowohl L 56, E 13 wie M 25 bei der sprachlichen und theologischen Ausgestaltung des Fr eine Rolle gespielt zu haben: So findet sich das Motiv der Feindesliebe in E 13 und M 25, der Auftrag den Nächsten an Leib und Seele zu schützen in allen drei Katechismen, die Vokabel „Freundlichkeit“ in L 56, die Vokabel „Sanftmütigkeit“ in E 13. Versucht man sich an einer Interpretation dieses komplexen Befundes, so scheint die traditionsgeschichtliche Quelle von HK 105–107 am ehesten in Bucers Katechismus von 1534 zu suchen zu sein. Die Bucersche Tradition dringt 127 Neben dem Motiv der „rachgirigkeyt“ sind dies vor allem die Ausweitung des Gebots über das Töten hinaus auf das Unrechttun („mit wort und wercken“) und schließlich auf die negativen Affekte „zorn, unwillen, neid oder haß“, sowie die Legitimierung der Todesstrafe durch die Obrigkeit im Kontext des Tötungsverbots; vgl. Bucer, Kurtze schrifftliche erklärung, BDS 6,3, 132. 128 Vgl. Lang, Katechismus, XCV.
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zum einen unmittelbar (HK 106), zum anderen vermittelt über Ma und Mi129 sowie die laskonischen Katechismen in den HK ein, wobei insbesondere letztere Impulse zur sprachlichen Ausgestaltung der Fr gaben (HK 105 und 107).
1.2.5.4 Siebtes Gebot – Verbot des Ehebruchs (HK 108–109) Wie in der Auslegung des Tötungsverbots wurde auch bei der Abfassung von HK 108–109 mehr als eine Quelle herangezogen. Zunächst sind wieder Ursinus’ Vorarbeiten verwendet: Entscheidende Elemente der beiden Fr entstammen Mi 92; die Aufzählung der unterschiedlichen Dimensionen des Ehebruchverbots in HK 109 („alle unkeusche thaten, geberden, wort, gedancken, lust, und was den menschen darzu reitzen mag“), sowie der Aufruf zu keuschem und züchtigem Leben in und außerhalb der Ehe in HK 108 haben hier ihre direkte Vorlage. Mi 92 gibt sich wiederum als eine Zusammenfassung von Ma 201–202 zu erkennen. Für die letztgenannten Fr erwägt Lang einen Einfluss aus der laskonischen Katechismusfamilie und zwar L 63 für Ma 201, sowie – hinter C 72 – L 64 für Ma 202. Es ist nicht ganz ersichtlich, worauf Lang hier abzielt: Das verwendete Wortfeld um castitas wird schon durch C vorgegeben und auch die Aufzählung in factis, gestibus, verbis, cogitationibus et affectibus aus Ma 201, die sich ganz ähnlich in L 63 findet, scheint eher die entsprechende Figur aus C 203 zugrunde zu liegen (corde, verbis, gestu denique corporis et actione). Bei der Bearbeitung des calvinischen Stoffes dürfte Ursinus vielmehr E 13 ergänzend hinzugezogen zu haben, insofern dort sprachlich ganz parallel zu Ma 201 das Ehebruchverbot in zweifacher Hinsicht erweitert wird: Erstens mit Blick auf seinen Gegenstand über den Ehebruch als solchen hinaus auf „alles, was zu böser Lust Anlass gibt“130, zweitens mit Blick auf die Adressaten, die nicht mehr nur in den Eheleuten, sondern in allen Menschen „in und außerhalb des Ehestandes“ gesehen werden.131 Beide Motive sind über Mi 92 oder aber, da die sprachliche Nähe im Vergleich zu Ma und Mi noch zugenommen hat, durch erneuten Rückgriff auf E 13 in den HK eingewandert.132 Gleichwohl tritt in HK 108–109 auch der Einfluss aus C deutlicher zu Tage, denn nicht nur folgt HK 109 in der Formulierung der Frage nun C 202, auch die Einleitung zu Fr 108 und das Motiv von Leib und Seele 129 Da Ma und Mi in diesem Falle keine direkten Vorlagen für HK 105–107 darstellen, wurde auf eine Einzeluntersuchung der dortigen Fr zum Tötungsverbot verzichtet. Es wäre zu Fragen, ob sich Ma 196–199 und Mi 91 im Ganzen auf Bucer zurückführen lassen, oder ob schon hier ein Einfluss aus den laskonischen Katechismen erkennbar wird. 130 „[…] et omnia, quibus occasio vagis libidinibus praeberi potest“; E 13: „alle overfloet, und orsaken de my thor unküscheit reiszen mögen.“ (Ma 201) 131 „[…] omnes homines vel in vita caelibe, vel qui ad hoc idonei sunt, in conjugio“; E 13: „beyde in unde buten dem Ehestande“. (Ma 202) 132 „[…] lust, vnd was den menschen darzu reitzen mag“ (HK 109); „[…] im heiligen Ehestandt oder ausserhalb desselben“ (HK 108)
126 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 als Tempel des Heiligen Geistes scheinen direkt C entnommen (Fr 201 und Fr 203). Man wird also vermuten dürfen, dass HK 108–109 in erster Linie unter Verwendung von C 201–203, dann aber auch von E 13 formuliert wurde. Womöglich geht auf letzteren oder auf L 62 („sober, en[de] heylichlijck“) darüber hinaus die Verwendung von „sauber“ in HK 109 zurück. Im Zusammenspiel mit „heilig“ meint das Adjektiv an dieser Stelle offenbar nicht einfach „schuld-“ oder „sündlos“, sondern ähnlich wie das lateinische caste in Mi 92 und C 203 „züchtig“ oder „enthaltsam“.133 Könnte es sich hier um die Übernahme eines spezifisch niederdeutschen Sprachgebrauches handeln?134 Immerhin verwenden andere zeitgenössische Katechismen aus dem süddeutschen Raum immer die Vokabeln „rein“ oder „keusch“ bei der Auslegung des Ehebruchverbots, niemals aber „sauber“.135 Erweitert man den Vergleichsrahmen auf nichtkathechetische Literatur, so lässt sich jedoch gleichwohl eine Verwendung von „sauber“ im sexualethischem Kontext belegen,136 so dass die beobachtete Übereinstimmung zu L 62 nicht überzubewerten ist. 1.2.5.5 Achtes Gebot – Verbot zu stehlen (HK 110–111) Ähnlich HK 103 und HK 108–109 wurzelt die Auslegung des achten Gebots (HK 110–111) letztendlich in C. Dies gilt bereits für Ma 204–205: Der Raub fremden Guts durch Gewalt oder List, die persönliche Bereicherung auf Kosten anderer, sowie der gebotene Schutz fremden Guts sind Motive, die sich sprachlich eng an C 205–207 anlehnen. C ist jedoch nicht die einzige Quelle, auf die Ursinus bei der Abfassung der Fr zurückgegriffen hat. Denn das Verbot der Verschwendung eigenen Guts und das Gebot, sich für den in Not geratenen Nächsten entspre133 „Quid ergo plus comprehendit? Ex quo tum corpora nostra, tum animae templa sunt spiritus sancti, ut castam utrisque puritatem praestemus“ (C 203) 134 Vgl. Kilian, Art. „sauber“ (DWb), 1850f.: „[…] sauber = ’rein in geschlechtlicher beziehung, unbefleckt, keusch’ scheint nur im niederdeutschen gebräuchlich zu sein; rein ist in dieser bedeutung gewöhnlich.“ 135 Vgl. z. B. J 6 („rein vnnd heilig“; nach Lang, 67); Bucers Katechismus von 1534 („züchtig und heyliglich“, BDS 6.3, 134, Z.29f.); Zells Gekürtzt Fragbüchlin von 1536 („vnkeüscheyt“, Reu I/1, 134, Z. 41) Meckharts Catechismus von 1557 („züchtig vnd keüsch“, Reu I/1, 823, Z. 23f.); die Nürnberger Catechismus- oder Kinder-Predig („rain vnd keüsch“, Reu I/1, 489, Z. 6.39 u. ö.). 136 So wird die Negation „unsauber“ von Martin Bucer in diesem Sinne verwendet: „Sie [sc. die heiligen Väter] haben auch allen denen, die sich nit enthalten, mit dem lieben Paulo zuo Ehe gerahten, ob sie gleich die verlobt hatten, Dann sie es vil leidlicher geachtet, das sie ein mal den ersten glauben menschlichs gelübds brechen vnd kemen in die H. Ehe, dann das sie den ersten glauben stetigs brechen in übertrettung goettlicher gebotten durch ein onsauber leben, das kein theil am Reich Christi hatt.“ (Bucer, Wie leicht und füglich christliche Vergleich der Religion zu finden, BDS 11,2, 377f). Für den Hinweis auf diese Stelle danke ich Herrn dipl. theol. Daniel Degen, zur Zeit der Abfassung Mitarbeiter der Bucerforschungsstelle der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.
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chend der eigenen Mittel einzusetzen, gehen nicht nur über den Stoff von C hinaus, sondern auch auffallend mit M 30 und 31 parallel.137 Mi 93 entspricht im Ganzen Ma 204–205, neu hinzu kommt lediglich der Auftrag zur treuen Verrichtung der eigenen Arbeit. Der Gedanke fügt sich nicht so recht in die Reihe der beiden anderen aus dem Gebot abgeleiteten ethischen Aufträge ein: Der vorhergehende und der folgende Satz haben jeweils den Nächsten und sein Wohlergehen im Blick, den es zu schützen bzw. dem es in Not beizustehen gilt. Die Diskrepanz lässt sich durch einen Blick auf L 66 auflösen. Dort wird in der zweiten Hälfte des Fr genau der gleiche Gedankengang wie in Mi 93 nur etwas ausführlicher zum Ausdruck gebracht: Man soll des Nächsten Gut bewahren und ihn, so er in Not gerät, entsprechend dem eigenen Vermögen unterstützen. Das Fr schließt mit der Forderung: „[…] daer toe wi ee[n] iegelijck nae sijnen staet ende beroepinghe, gerne ende nerstelijck arbeyden sullen.“138
Auch hier wird zur Ausübung der eigenen Arbeit aufgerufen, allerdings steht der Gedanke nicht wie in Mi unverbunden neben dem Auftrag zur materiellen Unterstützung des Nächsten, sondern wird durch eine finale Präposition mit diesem verknüpft. Ursinus hat anscheinend bei der Abfassung von Mi 93 auf L 66 zurückgegriffen und entweder die dort vorhandene logische Anbindung der Wendung an den Kontext übersehen, so dass es in Mi zu der etwas unglücklichen Reihung kam, oder, was m. E. wahrscheinlicher ist, er hat die Satzstruktur von L 66 übernommen, und es liegt ein Fehler in der Überlieferung vor ;139 das einleitende et des letzten Satzteils von Mi 93 wäre somit in ut zu emendieren.140 Die Vermutung wird gestützt durch die Beobachtung, dass in HK 111 eben jener Gedanke der treuen Verrichtung der eigenen Arbeit genau wie in L 66 durch eine finale Konstruktion mit der Unterstützung des Bedürftigen verknüpft wird: „Dasz ich meines nechsten nutz, wo ich kan vnd mag, fürdere, […] vnd trewlich arbeite, auff das ich dem dürfftigen in seiner noth helffen mög.“
137 „[…] nec nostras facultates temere dilapidemus“ (Ma 204) mit „[…] als wy ons goet onmatelick ouerbrengen.“ (M 31); „[…] et nostris facultatibus proximorum necessitati pro modo earum succurramus“ (Ma 204) mit „[…] als wy de arme, ende in sonderheyt de huyghenooten des gheloofs, na ons vermoghen helpen ende bystaen.“ (M 30) 138 Hervorhebung von mir, TS. 139 Die Textverderbnis wäre leicht aus der Überlieferungsgeschichte von Mi zu erklären, erfolgte doch der (lateinische) Druck durch Reuter erst 1612, also fünfzig Jahre nach der Abfassung des (deutschen) Textes durch Ursinus. Bei Reuter besitzt Mi 93 aber bereits die von Lang wiedergegebene Gestalt (vgl. Reuter, Opera, 38). 140 Der Satzteil lautete im Ganzen dann: „[…] labores nostros faciamus fideliter ut egentibus pro modo nostrarum facultatum succurramus.“
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Überhaupt hat der laskonische Einfluss in HK 110–111 im Vergleich zu Ursinus’ Vorarbeiten wieder deutlich zugenommen: So geht die spezifische Übertragung der C entnommenen instrumentalen Bestimmung sive per violentiam, sive per dolum mit „es sey mit gewalt oder schein des rechtens“ auf den Einfluss von E 14 zurück („dat ick mynes negesten gudt nicht stelen edder dorch jenigen schyn des rechtes, edder andere list effte gyrichteit em entwenden […] schal.“). Auch deren konkrete Entfaltung in einer Aufzählung („als unrechtem gewicht, ellen, maß, wahre, müntz, wucher“) könnte von den laskonischen Katechismen, diesmal von M 30 („ghewichte, ghetal, ende mate“) inspiriert sein. Das Verbot der Verschwendung eigenen Guts ist, wie gesehen, schon von Ursinus für Ma 204 aus M 31 entnommen worden. Nun bildet es den Abschluss von HK 110. In HK 111 scheint schließlich die Goldene Regel („gegen jm [sc. meinen Nächsten] also handle, wie ich wolte das man mit mir handelte“) eine Entfaltung der in L 66 im gleichen Kontext angeführten „regel der Christelijcker liefde[n]“ darzustellen.141 In der Auslegung des achten Gebots lässt sich somit die gleiche Tendenz im Rückgriff auf die Quellen beobachten, wie sie in solcher Klarheit bislang nur für den einleitenden Teil und für die Auslegung des Glaubensbekenntnisses festgehalten wurde: Die schon in Ma und Mi vorhandenen Bezüge im HKwerden um weitere Motive und sprachliche Wendungen aus den laskonischen Katechismen ergänzt. 1.2.5.6 Neuntes Gebot: Verbot des Falschzeugnisses (HK 112) Innerhalb der Auslegung des Falschzeugnisverbots orientiert sich der HK deutlicher als in den vorhergehenden Fr an den Ursinschen Vorarbeiten. Mit nur geringen Abweichungen („bey schwerem gotteszorn“) übernimmt HK 112 das Fr aus Mi 94. Letzteres entspricht sachlich Ma 206–208, variiert jedoch in seinem Aufbau – wie auch sonst innerhalb der Auslegung der Zehn Gebote werden dort die Dimensionen von Verbot und Gebot in ein einziges Fr zusammengezogen – und im verwendeten Vokabular142. Sowohl Mi und Ma weisen dabei einerseits in der Erweiterung des Gebots über den juridischen Kontext hinaus und andererseits in der aufgetragenen Verpflichtung zu Wahrhaftigkeit und Sorge für das Ansehen des Nächsten Parallelen zu den laskonischen Katechismen, insbesondere zu L auf. Beide Motive dürften jedoch auf die Verwendung gemeinsamer Quellen, nämlich C 208–212 und Bullingers Cathechesis pro adultioribus zu141 „Alle rechtuaerdicheyt ende redelijcheyt tot onsen naesten bewijsen, hem tsijne gheven, ende alle naersticheyt, waer wi connen oft moghen (nae de[n] regel der Christelijcker liefde[n]) trouwelijck doen […].“ (L 66) 142 „[…] veritatem constanter dicamus et confiteamur“ ersetzt „Ut veritati studeamus et constantiae“ aus Ma 208; „[…] ac famam proximi, quoad possumus, tueamur“ ersetzt „et honestam eorum [sc. aliorum] existimationem tueamur“ ebenfalls aus Ma 208.
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rückgehen.143 Gleichwohl fällt auf, dass Mi 94 in seinen Abweichungen von Ma sprachlich deutlich näher an L als an C oder Bullingers Katechismus steht. So scheint die Wendung sed in judiciis et omnibus vitae negociis veritatem constanter dicamus et confiteamur L 69 entlehnt („Wanneer wi in al ons leue[n], handelinghe, woorden, ende wercken sonder eenighe gheueynstheyt de waerheyt loue[n] ende spreken“), wohingegen Ma 208 in seinen Formulierungen Bullingers Cathechesis näherzustehen scheint.144 Deutlicher erkennbar ist diese Tendenz an der folgenden Aufforderung, den Ruf des Nächsten zu schützen. Ma 208 übernimmt dort klar das Vokabular von C 212145, während Mi 94 (ac famam proximi, quoad possumus, tueamur) den gleichen Gedanken in der Formulierung von L 69 bringt („[…] so veel wi nae onsen roep vermoghen, onen naesten sijn eere ende faem helpen veruoorderen […]“). Das gleiche Muster begegnet wieder in HK 112, insofern dort die genannte Wendung aus Mi 94 offenbar unter erneuter Hinzuziehung von L 69 ins Deutsche übersetzt wurde („[…] auch meines Nechsten ehre vnd glimpff nach meinem vermögen rette und fürdere“). Über L 70 („achterclap“; vgl. auch E 16 „achterrede“) könnte darüber hinaus die Vokabel „afterreder“ in HK 112 eingedrungen sein, wobei bezüglich der Verbreitung des Wortes in der Kurpfalz zu dieser Zeit keine Aussage getroffen werden kann. Zuletzt ist auch die Ausweitung des Gebots auf die außergerichtliche Sphäre in ihrer Formulierung nun L 70 („het si int ghericht oft elders“) entlehnt und folgt nicht mehr der ebenfalls durch L (Fr 69) beeinflussten Wendung aus Mi 94. Auch HK 112 gibt im Ganzen von einer unmittelbaren Verwendung der laskonischen Katechismen im Entstehungsprozess des HK Zeugnis. Bestätigung findet der Eindruck, dass die Londoner Flüchtlingstradition vor allem auf sprachlicher, weniger auf theologisch-inhaltlicher Ebene den HK prägten: Der theologische Gehalt von HK 112 geht, wie gesehen, vermittelt über Ma und Mi vor allem auf C und Bullingers Cathechesis pro adultioribus zurück; seine Sprachgestalt hingegen trägt deutlich die Züge von L. Damit folgt das Fr einer Tendenz, wie sie sich zuvor innerhalb der Auslegung der Zehn Gebote abzeichnete: Auch, wenn der Gehalt einzelner Auslegungen auf den ersten Blick anderen Katechismen entlehnt scheint, so entsteht angesichts der Übernahme
143 Für Ma 206–208 vgl. auch Lang, Untersuchungen, LXXII. 144 „Ut veritati studeamus et constantiae in judiciis, pactis et omni sermone“ (Ma 208); „Sancitur fides in pactis & constractibus, commendatur omnium virtutum pulcherrima veritas & inegritas synceritasq[ue] in omnibus dictis nostris et factis […].“ (Bullinger, Catechesis pro adultioribus, 25r–v) 145 „[…] de aliis, quantum licet, bene sentiamus et loquamur, et honestam eorum existimationem tueamur.“ (Ma 208); „[…] ut de illis, quantum veritas patitur, bene sentiamus, suamque eis existimationem integram tueri studeamus.“ (C 212)
130 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 bestimmter Wörter und Wendungen eine große sprachliche Nähe zu den laskonischen Katechismen. 1.2.5.7 Zehntes Gebot – Begehrensverbot (HK 113) Kaum Mühe bereitet im Gegensatz zu den zuvor untersuchten Fr die Ableitung der Auslegung des zehnten Gebots: HK 113 entstammt, über Mi 95 vermittelt, wörtlich Ma 210. Für dessen ersten Teil diente L 72 als Vorlage,146,wohingegen der zweite Teil offenbar durch Ursinus in freier Formulierung ergänzt wurde. Die Parallelen zu den laskonischen Katechismen beschränken sich in diesem Falle also auf die Vermittlung von Ma und Mi; weiteres Material wurde im HK nicht herangezogen. 1.2.6 Die Auslegung des Vaterunsers 1.2.6.1 Erste Vaterunserbitte (HK 122) Für die in der Auslegung des Vaterunsers verwendete Gebetsform diente, wie gesehen, L mit gewisser Wahrscheinlichkeit als strukturelle Vorlage.147 In HK 122 hat dieser formale Zusammenhang darüber hinaus offenbar auf der Sprachebene einen Niederschlag gefunden, insofern er Anlass zu einer reicheren Ausgestaltung des Fr im Vergleich zu Mi 101 und Ma 242 geboten haben dürfte. So finden sich die das Fr inhaltlich bestimmenden Aspekte „rechte Erkenntnis Gottes in seinen Eigenschaften“ und „Verherrlichung der göttlichen Majestät“ zwar schon in Ma 242 (wohl in Abhängigkeit von C 267), dann auch in Mi 101, diese werden jedoch im HK durch weitere Vollkommenheiten bzw. weitere doxologische Termini pleonastisch ausgestaltet. Vorbild hierfür wird L 203 gewesen sein, wo der Gehalt von C 267 in ganz ähnlicher Weise in den überschwänglichen Ton der Doxologie überführt wird und sich theologische Aussage und äußere Form miteinander verschränken. Im Ergebnis erinnert HK 122 in Vokabular148 und Aufbau nun deutlich an L 203.
146 „[…] Met dit ghebot werden alle andere geboden er eerste en[en] der ander tafel, verclaert ende uutgheleyt, ende werdt gehouden als wi ganschelijck met der liefde Gods ende ons naesten begaeft, int herte vrij ende leidch sijn van alle boose begheerthen, nummermeer begheeren, dencken noch int herte voor nemen, dan dat de[n] wille Gods ghelijckformich is […].“ (L 72; Hervorhebung von mir, TS) Die Parallele beobachtet schon Lang, Katechismus, Einl. LXXII. 147 Vgl. Teil Zwei Kapitel 1.2.1 (S. 101). 148 HK 122: „weißheyt“, „güte“, „gerechtigkeyt“, „warheyt“, „heiligen, rümen und preisen“, „geehrt und gepriesen“; L 203: „Dat alle creaturen uwe moghentheyt vreesen, uwe eewighe wijsheyt eeren, op uus wordts waerheyt vertrouwen, uwe onuutsprekelijcke goetheyt louen, haer tot den prijs uus naems in alle ghehoorsaemheyt, godsalicheyt, heylicheyt ende gherechticheyt stellen. Op dat ghi alleene de Heere onse God bekent, beleden, gheeert ende
Die Katechismen der Londoner Flüchtlingstradition
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1.2.6.2 Zweite Vaterunserbitte (HK 123) Gegenüber diesen Ergebnissen bleibt ein möglicher Einfluss der laskonischen Katechismen auf die Auslegung der zweiten Vaterunserbitte (HK 123) unklar. Wieder bildet Mi (Fr 102) die direkte Vorlage, das drei Entsprechungen zu L 204 auf der Inhaltsebene gerade im Gegenüber zu Ma 244 aufweist: Erstens eröffnen beide Katechismen das Fr jeweils mit der Bitte um das Regiment des Heiligen Geistes und nicht, wie Ma 244, mit der Bitte um Heiligung; zweitens sprechen beide von der Überwindung der opera Diaboli (Mi 102) bzw. des „rijcke des Sathans“ (L 204) und schließen drittens das Fr mit einem Ausblick auf die Universalität des Heils gemäß 1. Kor 15 („Gott sei alles in allem“). Die genannten Elemente finden sich jedoch auch in C 268 (Regiment des Geistes, Satanae tenebrae) und C 270 (omnia in omnibus), so dass Ursinus bei der Abfassung von Mi 102 so gut auf C wie auf L zurückgegriffen haben könnte. Als Indiz für letzteres ließe sich noch anführen, dass die genannten Aspekte in L 204 wie in Mi 102 anders als in C in ein einziges Fr zusammengeführt wurden. Auch könnte die Ergänzung des Regiments des Geistes durch das Regiment des Worts in Mi 102 (ut verbo et spiritu nos regat) aus M 124 entnommen sein („door het welcke [sc. het rijcke der ghenaden] hy her in ons door synen Geest na zijn woort regneert“).149 Um definitiv von einem Einfluss der laskonischen Katechismen auf Mi 102 zu sprechen, erscheinen diese Beobachtungen jedoch nicht hinreichend, zumal umfangreichere sprachliche Parallelen im Gegensatz zu anderen untersuchten Fr fehlen. Die kleineren Änderungen, die bei der Abfassung von HK 123 offenbar an dem Text von Mi 102 vorgenommen wurden, haben allesamt keine Parallele in den laskonischen Katechismen. 1.2.6.3 Dritte Vaterunserbitte (HK 124) Wie HK 123 ist auch die Auslegung der dritten Vaterunserbitte weitestgehend unverändert aus Mi 103 entnommen. Schärfer als in Ma 248 wird dort der Kontrast von menschlichem Verlangen und dem allein guten Willen Gottes zum Ausdruck gebracht (et voluntati divinae, quae sola est bona […] subjiciamus), in beiden Fr bildet jedoch das Motiv des vorbildhaften Dienstes der Engel im Himmel den jeweiligen Abschluss. Inhaltlich nehmen Ma wie Mi damit Stoff aus C 271–274 auf, auf der Ebene der Sprache und der Disposition orientieren sie sich demgegenüber merklich an der laskonischen Katechismustradition. Schon ae[n]ghebeden wordt, alle godlosoicheyt en[n] uus heylichs naems onteeringe tot scha[n]den worde.“ (Hervorhebungen von mir, TS) 149 In C spricht Calvin demgegenüber nur von der gubernatio spiritu: „In secunda petitione, quid per Dei regnum intelligis? Duobus potissimum membris constat. Ut electos spiritu gubernet suo: et reprobos, qui se illi in obsequium tradere recusant, prosternat, et exitio tradat: ut ita palam fiat, nihil esse, quod resistere eius virtuti queat.“ (C 268; Hervorhebung im Original)
132 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 in Ma 248 erinnert der Schluss in seiner Formulierung an E 84150, wobei auch eine beiderseitig erfolgte Verkürzung von C 274 zur Erklärung des parallelen Abschlusses in Frage käme. Ohne Parallele in C ist jedoch die unmittelbare Gegenüberstellung von verkehrtem menschlichen Willen und gutem Gotteswillen, die Mi 103 und M 126 verbindet.151 Zuletzt könnte auch das Motiv der singulären Güte des göttlichen Willens (quae sola est bona) auf den Einfluss von L 205 zurückzuführen sein152, so dass Ursinus Mi 103 in Anlehnung an Ma 248, M 126 und womöglich L 205 formuliert haben wird. Da HK 124 fast vollständig Mi 103 entspricht, scheint an dieser Stelle wieder der Fall eines mittelbaren Einflusses der laskonischen Katechismen auf den HK gegeben. 1.2.6.4 Doxologie und „Amen“ (HK 128–129) In der vierten, fünften und sechsten Vaterunserbitte lassen sich die wenigen signifikanten Parallelen mit den laskonischen Katechismen durch die Verwendung gemeinsamer Quellen plausibel erklären.153 Dies ändert sich wieder in der Auslegung der Doxologie: Im Gegensatz zu Mi 107 legt HK 128 das Thema deutlich breiter aus, wobei offenkundig nicht Ma 262 verwendet wurde. Neu hinzu kommt mit dem Motiv des allmächtigen Königs vor allem der providentiaGedanke („dasz du als vnser König, vnnd aller ding mechtig, vns alles guts geben wilst“), der die theologische Brücke zurück zu HK 1 schlägt. Wie HK 128 verknüpft auch L 213 die doxologische Zueignung des Gottesreiches im Vaterunser mit der Fürsorge Gottes, wobei wiederum die parallele Wortwahl („almachtich…Coninck“; „alle goet verleenen“) ins Auge fällt.154 Die sprachlichen Übereinstimmungen mit L sprechen dann auch gegen einen Einfluss der Frag vnnd Antwort des Matthäus Zell auf HK 128, den Lang bei der Untersuchung des Fr an dieser Stelle zusätzlich in Erwägung zieht.155 Schließlich könnte auch Fr 129 als Abschluss sowohl der Vaterunserauslegung wie des ganzen HK Spuren der laskonischen Katechismustradition tragen. Von seinem Gehalt her entspricht es prinzipiell Ma 263 und Mi 108, wobei sich seine Formulierungen eher an Mi anlehnen. Die theologische Aussage der beiden 150 „[…] et singuli suum officium tam promte et voluntarie faciant, quam sancti angeli in Coelo.“ (Ma 246); „[…] unde in unser Gade welgevellige beropinge, in vullenkamen gehorsam wandern, wo de Engel im Hemmel.“ (E 84) 151 „[…] dat hy ons een verloocheninghe onses boosen willen gheue, op dat wy ons altijt synen goeden wille onderwerpende.“ (M 126) 152 „[…] dat alle menschen, een yeghelijck in sijnen roep ende dienst uwe[n] wille (die alleene heylich ende goet is) ghehoorsae[m] sijn“ (L 205) 153 Vgl. S. 98 Anm. 52 154 „[…] ghi sijt een almachtich glorieus Coninck van der eewicheyt tot der eewicheyt, die daer lichtelijck uwe kinderen alle goet verleenen ende alle wederstaende macht breken ende vernielen cont […].“ (L 213) 155 Vgl. Lang, Katechismus, Einl. XCVI.
Die Katechismen der Londoner Flüchtlingstradition
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Vorarbeiten des Ursinus wird im HK jedoch noch einmal durch die Einführung des „Herzens“ als Ort des Begehrens und durch die Wendung „viel gewisser…denn“ hyperbolisch gesteigert, so dass sich im Ton eine gewisse Nähe zu E 94 ergibt: 94. Frage. Wat vermanet uns disse bedüdinge [sc. des Wortes „Amen“]? Antwordt. Dat wy alle unse Gebeden, mith vürigen begeerten unde gelövigen herten, tho Godt richten schölen, unde getröstet up de thosage Gades, nicht twivelen, Godt de Vader hebbe unse Gebedt, dorch synen Sön Christum verhöret.
Auch in E wird durch die adverbiale Bestimmung „mith vürigen begeerten und gelövigen herten“ eine Steigerung des Affektes erzielt, die mit der Gewissheit der Gebetserhörung korrespondiert. Gleichwohl lassen sich über die Nähe im Tonfall hinaus keine umfangreicheren Übereinstimmungen auf der Sprachebene finden; gerade das in E zum Abschluss noch einmal aufgenommene Trostmotiv fehlt in HK 129, obwohl sich damit der Bogen zur Katechismuseröffnung ungezwungen schließen ließe. Man wird also bestenfalls davon reden können, dass E 94 – vielleicht gemeinsam mit Bucers Katechismus von 1537, wie Lang vermutet156 – die Formulierungen von HK 129 in gewissem Umfang angeregt haben könnte.
1.3
Ergebnis
Fasst man die Ergebnisse der Detailuntersuchung zusammen, so ergibt sich ein komplexes Bild: Mindestens in 26157 der 129 Fr des HK dürfte ein Einfluss der laskonischen Katechismen auf den HK vorliegen,158 bei insgesamt vier Fr musste das Ergebnis offen bleiben bzw. ließ sich die Entstehung des Fr auch durch die Hinzuziehung anderer Quellen erklären.159 Eine deutliche Konzentration von Parallelstellen lässt sich dabei in den Auslegungen des Glaubensbekenntnisses160, der Zehn Gebote161 und des Vaterunsers162 beobachten, während in der Auslegung der Sakramente163 und im Einleitungsteil164 nur vergleichsweise 156 Vgl. ebd. 157 Nach dieser Untersuchung wäre der Umfang des Einflusses aus den laskonischen Katechismen also deutlich geringer zu veranschlagen, als dies Ergebnisse von Thompson (Church Order, 353) nahelegen. 158 HK 1.6.26.29.44.49.53.54–55.74.85.99.101.103.105.107.108–109.110–111.112.113.122.123. 124.128 159 HK 35–36.123.129 160 HK 26.29.44.49.53.54–55. 161 HK 99.103.105.107.108–109.110–111.112.113 162 HK 122.124.128 163 HK 74.85
134 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 wenig Fr die Spuren eines laskonischen Einflusses trugen – immerhin erwies sich das eröffnende Fr 1 in seiner Sprache und Struktur durch L, E und K inspiriert. Zu Recht wurden die laskonischen Katechismen damit in die Reihe der dem HK verwandten Katechismen aufgenommen, von denen man annehmen darf, dass sie bei dessen Abfassung eine herausragende Rolle als Quellenschriften spielten. Zwei Fr (HK 29.101) wurden im Ganzen direkt den laskonischen Katechismen entnommen, sei es als Zitat aus M (HK 29) oder als Kompilation aus L und M mit leichten sprachlichen Variationen (HK 101). Ein direkter Einfluss in Ergänzung zu den Ursinschen Vorarbeiten ließ sich über diese vollständigen Übernahmen hinaus in 18 weiteren Fr nachweisen,165 wobei einerseits die Tendenz zu beobachten war, dass sich der in Ma und Mi bereits vorhandene laskonische Einfluss im HK noch einmal verstärkte,166 sich derselbe andererseits auch auf solche Fr ausweitete, die in Ursinus’ Vorarbeiten keine literarischen Bezüge erkennen ließen oder aber die im HK neu, womöglich unter Verwendung anderer Quellen wie C, hinzugekommen waren.167 Schließlich existieren einige wenige Fr, in denen die Parallelen zu den laskonischen Katechismen ausschließlich über Ursinus’ Vorarbeiten vermittelt sein dürften.168 Dabei lassen sich die vier Katechismen mit Blick auf die Häufigkeit ihrer Verwendung differenzieren: An erster Stelle steht nach den Ergebnissen der Detailuntersuchung L. Insgesamt 15 Fr169 geben von seiner Verwendung sowohl durch Ursinus wie durch die Verfasser des HK Zeugnis. Hinzu kommt die Übernahme der Gebetsform in der Vaterunserauslegung. Es folgen E und M in etwa gleicher Gewichtung170, schließlich K171 mit lediglich drei signifikanten Parallelstellen, dessen Ich-Form jedoch darüber hinaus, sei es direkt oder vermittelt über E, zur Gestaltung der entsprechenden Fr im HK Anlass gegeben haben könnte. Der abweichenden Häufigkeit, mit der die vier Katechismen im HK herangezogen wurden, muss nicht unbedingt eine theologische Gewichtung zu Grunde liegen. Vielmehr scheint sie in dem jeweiligen Umfang des Katechismus begründet: So stellt L mit seinen 250 Fr für die Bearbeiter des Katechismus erheblich mehr Material zur Verfügung, als K mit seinen 40 Fr. Auch ist nicht erkennbar, dass einer der Katechismen absichtlich oder auf Grund mangelnder Verfügbarkeit überhaupt nicht herangezogen wurde. Die von Rauhaus diesbezüglich für E angemeldeten Bedenken konnten nicht bestätigt werden. 164 165 166 167 168 169 170 171
HK 1.6 HK 1.6.26.44.53.74.85.99.103.105.107.108–109.110–111.112.122.128 (unklar blieb HK 49) So in HK 1.26.44.53.103.110–111.112.122 So in HK 6.74.85.99.105.107.108–109.128 HK 54–55.113.124 HK 1.6.26.44.99.101.103.105.110–111.112.113.122.124.128 E: HK 1.6.53.54.74.85.107.108–109.110–111; M: HK 6.26.29.49.101.107.110–111.124 HK 1.26.54
Die Katechismen der Londoner Flüchtlingstradition
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Fragt man nach dem Charakteristischen des laskonischen Einflusses im HK, so wird man festhalten müssen, dass sich dieser weniger auf der Ebene der Theologie niederschlägt: Von den Spezifika der Theologie der Londoner Gemeinde haben möglicherweise die Anschauungen über die Träger der Kirchenzucht in den entsprechenden Fr des HK ihre Spuren hinterlassen, insofern in HK 85 die Gemeinde als ursprünglicher Träger der Zucht explizit genannt wird. Auf formaler und sprachlicher Ebene erwies sich der Einfluss der lakonischen Katechismen hingegen prägender. So zeigte sich das eröffnende Fr 1 in seiner Konzeption von K inspiriert und in der Wendung „Trost im Leben und im Sterben“ durch L beeinflusst, wobei auch die Perspektive des existenziellen „Ich“ aus K übernommen sein könnte. Die aller Wahrscheinlichkeit auf L zurückgehende Gestaltung der Vaterunserauslegung in HK 119–129 fügt sich in diese Tendenz ein, insofern die christliche Lehre vom Gebet dort nicht einfach in objektivierender Weise dargestellt wird, sondern in den Akt des Betens selbst übergeht. Überhaupt verleiht der sprachliche Einfluss der laskonischen Katechismen den Fr des HK häufig einen Zug ins Existenzielle: So entstammt die Verbindung von Providenzlehre und gläubigem Vertrauen in der Auslegung des ersten Glaubensartikels (HK 26) M 48 und K 12; die sprachliche Gestaltung des calvinischen Gedankengutes über die Höllenfahrt Christi in HK 44 hatte sein Vorbild offenbar in L, insofern hier wie dort die Befreiung des Gläubigen aus existenzieller Gerichtsangst („hellische angst und pein“) im Mittelpunkt steht; in HK 53 geht die konkretisierende Exposition der „Wohltaten Christi“ („mich tröstet etc.“) wohl auf E 43 zurück. Die Ergebnisse der durchgeführten Detailanalyse legen somit den Schluss nahe, dass die Ausrichtung des HK auf die Glaubensexistenz des Christen in nicht unerheblichem Maße durch die Katechismen der Londoner Flüchtlingstradition mitbestimmt ist. Im Hinblick auf die Ausgangsfrage nach dem oder den Trägern der Londoner Flüchtlingstradition lassen sich die Ergebnisse auf zwei Arten deuten: Zum einen könnte die Ausweitung des laskonischen Einflusses auf den HK im Vergleich zu Ma und Mi auf Ursinus selbst zurückgehen. Dieser war offenkundig mit den vier Katechismen aus dem Umfeld der Londoner Gemeinde vertraut, wie deren Rezeption in Ma und Mi belegt. Darüber hinaus kannte der Schlesier Johannes a Lasco spätestens seit dessen Besuch im Hause Melanchthons im Jahre 1556 auch persönlich.172 Ein Kontakt zu Petrus Dathenus für dessen Frankfurter Zeit ist zwar nicht belegbar, jedoch dürfte Ursinus dem Niederländer spätestens seit der Übersiedlung nach Frankenthal ebenfalls persönlich gekannt haben. Insofern ist es denkbar, dass Ursinus die laskonischen Katechismen noch einmal neu in den Abfassungsprozess des HK einbrachte. Gegen diese Deutung spricht vor allem die Erwägung, dass Ursinus dann bei der Erstellung des HK seinen 172 Vgl. Sturm, Ursin, 47f.
136 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 Einfluss dahingehend geltend gemacht haben müsste, seine eigenen Vorarbeiten in nicht unbeträchtlichem Maße durch Material aus den laskonischen Katechismen zu ergänzen bzw. zu ersetzen und damit letztlich zu relativieren. Daneben ist eine zweite Deutung in Betracht zu ziehen: Das Anwachsen des laskonischen Einflusses im HK könnte auf eine oder mehrere weitere Träger der Tradition der Londoner Fremdengemeinde in der Kurpfalz zurückgehen. Angesichts der Ergebnisse des ersten Teils der Arbeit erscheint die Annahme am plausibelsten, dass es sich dabei um Caspar Olevianus gehandelt haben könnte. Olevianus stand nachweislich in Kontakt mit den niederländischen Flüchtlingen in Frankfurt und kannte Dathenus wohl auch persönlich. Daneben könnte auch Dathenus selbst die laskonischen Katechismen in den Abfassungsprozess des HK eingebracht haben, will man voraussetzen, dass er unmittelbar an der Erstellung von HK und KKO beteiligt war. Es wird sich zeigen müssen, ob die Auseinandersetzung mit der Theologie des Niederländers im dritten Teil der Arbeit hier weitergehende Aussagen zulässt. Zunächst ist jedoch mit der KKO das zweite Dokument in den Blick zu nehmen, in dem der Einfluss der Londoner Flüchtlingstradition im Jahr 1563 seinen Niederschlag gefunden hat.
2.
Die Rezeption der Londoner Flüchtlingstradition in der Kurpfälzischen Kirchenordnung von 1563
Wie für den HK selbst konnte die Forschung auch für die KKO einen nicht unbeträchtlichen Einfluss der Londoner Flüchtlingstradition nachweisen: Bereits die liturgiegeschichtlichen Arbeiten Heinrich Bassermanns173 und J. W. F. Gobius du Sarts174 machten den traditionsgeschichtlichen Zusammenhang der KKO mit den Ordinancien Marten Microns deutlich; seit der Bearbeitung der KKO durch Gerhard Goeters in den Evangelischen Kirchenordnungen175 besteht nun auch detaillierte Kenntnis über den Umfang des rezipierten Londoner Traditionsgutes. Anders als in der Frage des Verhältnisses der laskonischen Katechismen zum HK ergeben sich für die Beziehung von KKO und Londoner Gemeindeordnung kaum Unklarheiten, da die aus den Quellen übernommenen Abschnitte in der Regel umfangreicher ausfallen und eine eindeutige Identifizierung der Vorlage ermöglichen. Die folgende Untersuchung kann daher weitestgehend auf den Ergebnissen von Goeters aufbauen, so dass auf eine vollständige Detailanalyse, wie sie im vorangegangenen Kapitel für den HK durchgeführt wurde, verzichtet werden kann. Einer systematischen Herange173 Vgl. Bassermann, Geschichte. 174 Vgl. Gobius du Sart, Geschiedenis. 175 Vgl. EKO XIV, 333–408.
Die Rezeption der Londoner Flüchtlingstradition
137
hensweise ist damit der Vorzug zu geben. Besondere Bedeutung soll dabei der Frage zukommen, welche Stellung die Lehre in Gestalt der Katechismen im Ordnungsgefüge der jeweiligen Kirchen- bzw. Gemeindeordnungen einnimmt.
2.1
Die Londoner Gemeindeordnung
2.1.1 Microns Ordinancien und a Lascos Forma ac ratio Die Gemeindeordnung der niederländischen Fremdengemeinde in London liegt in zwei unterschiedlichen Darstellungen vor: zum einen in den Christelicke Ordinancien Martin Microns, gedruckt in Emden 1554, zum anderen in der Forma ac ratio Johannes a Lascos, gedruckt ein Jahr später in Frankfurt. Beide Schriften geben die Londoner Ordnung lediglich im Rückblick wieder, nachdem ein Teil der niederländischen Flüchtlinge London verlassen und der Regierungsantritt Mary Tudors eine Fortsetzung des gewohnten Gemeindelebens unmöglich gemacht hatte. Schon zwei rein formale Abweichungen deuten dabei auf den unterschiedlichen Entstehungskontext der beiden Ordnungsdarstellungen hin: So schreibt a Lasco seine Forma ac ratio auf Latein, Micron bedient sich hingegen in den Ordinancien mit dem Niederländischen seiner Landessprache. Daneben fällt a Lascos Schrift deutlich umfangreicher aus und ist mit ausführlicheren reflektierenden Einschüben versehen, ganz im Gegensatz zu derjenigen Microns, wo bestimmte Abschnitte ganz fehlen oder in wesentlich kürzerer Form vorkommen. Das Vorhandensein dieser formalen Unterschiede findet seine Erklärung zum Teil in der abweichenden Ausrichtung der beiden Schriften: Microns Version war offenbar in besonderem Maße auf die Umsetzung in kirchliche Praxis gerichtet, wohingegen a Lasco in seiner Forma ac ratio einer apologetischen Zielsetzung folgte.176 Ein Blick auf den ihr vorangestellten Widmungsbrief a Lascos an den polnischen König Sigismund II. (1530–1572) einerseits und auf Microns Einleitung zu den Ordinancien andererseits vermag die unterschiedlichen Kontexte zu verdeutlichen. A Lasco beginnt mit einer grundsätzlichen hermeneutischen Erwägung über das Verhältnis von Lehre und Ordnung: Wie die ganze Lehre der Kirche aus dem Wort Gottes geschöpft werden müsse, so müssten auch die Riten der Gemeinde sich am Wort Gottes messen lassen.177 Nicht etwa das Alter einer Ordnung oder ihre Herkunft von einem bestimmten Kirchenvater, sondern die Übereinstimmung mit der Lehre des Wortes Gottes bildet für die „Auferbauung 176 Vgl. Woudstra, Vremdelingen-Gemeente, 89; van Schelven, Vluchtelingenkerken, 78; Becker, Gemeindeordnung, 37f: „Die Ordinancien sind auf die Norder Verhältnisse beziehungsweise eine unabhängige Gemeinde zugeschnitten.“ 177 Vgl. a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 7.
138 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 der Kirche“ das entscheidende Kriterium. Mit der Inanspruchnahme des solascriptura-Prinzips und seiner Übertragung auf die Gemeindebildung verfolgt a Lasco den Zweck, die spezifische Gestalt der Londoner Gemeindeordnung gegenüber äußeren Angriffen durch den Nachweis der Übereinstimmung mit der Lehre der Apostel und der Schrift zu legitimieren.178 Dies, so der polnische Baron, sei deswegen notwendig, weil einige novi Catones seinen Ruf beim polnischen König zu beschädigen versuchten. Über die konkreten Vorwürfe seiner Gegner schreibt er : „Es sind vor allem zwei Dinge, derenthalben wir von den Händlern […], ich weiß nicht welchen Hühnerfutters [Farragines] angeklagt und zugleich verdammt werden: erstens, dass wir in Bezug auf den Kirchendienst Gottes eigenes Werk nicht auf das Werk des Dieners übertragen; zweitens, dass wir in den Elementen des Herrenmahls die, wie sie es nennen, reale Verborgenheit von Leib und Blut Christi neben der natürlichen Subsistenz [subsistentia] derselben nicht anerkennen.“179
Der Bezug zum Abendmahl rückt die Abfassung der Forma ac ratio in den spezifischen Kontext des zweiten Abendmahlsstreites.180 Die Polemik zu Beginn des zitierten Abschnittes stellt nichts Anderes dar als einen offenen Angriff auf zwei Schriften, die beide unter dem Titel Farrago zum einen von Joachim Westphal und zum anderen von dem Bremer Pastor Johann Timann gegen die reformierte Abendmahlslehre abgefasst wurden. Westphals Farrago erschien bereits 1552, also vor dem Ausbruch der Auseinandersetzung mit a Lasco, Timanns Polemik dagegen ging 1555, also im gleichen Jahr wie die Forma ac ratio, in Frankfurt bei Peter Braubach in den Druck. Die umfangreiche Darstellung der Londoner Gemeindeordnung in der Forma ac ratio diente somit nicht zuletzt
178 „Priusquam igitur quicquam usquam novemus circa cultus divini in Ecclesia aliqua restitutionem, hoc nobis ante omnia est praetestandum, si nulla offendiculorum culpa teneri volumus: Primum, ut palam tot illi Eccesliae ostendamus, ea, quae amoliri cupimus, nullos omnino fontes legitimos in Christi Domini doctrina habere, quae quidem nobis sit per Prophetas ac Apostolos tradita, et proinde, ut omnem plantationem non a Domino plantatam, eradicanda plane esse, utcunque tandem autorum suorum titulis vetustatisve aut consensus perpetui dignitate exornentur. Deinde ut claros ac perspicuos in Christi doctrina fontes eorum omnium publice commonstremus, quae, temporum iniuria abolita, veluti postlimino rursum restitui atque in usum denuo revocar optamus.“ (a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 9; Hervorhebungen im Original). 179 „Duo sunt, quorum nomine potissimum a Farraginum nescio quarum fartoribus […] et accusamur simul et condemnamur. Alterum quod in Ecclesiastico ministerio Dei ipsius opus proprium in ministri opus non transferamus. Alterum, quod in coenae Dominicae elementis realem, ut vocant, corporis et sanguinis Christi delitescentiam iuxta naturalem ipsius subsistentiam non statuamus.“ (a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 14; Hervorhebungen durch den Herausgeber) 180 Zur Beteiligung a Lascos am zweiten Abendmahlsstreit vgl. Kruske, a Lasco, 105–140; Pettegree, Marian Protestantism, 55–85 und Jürgens, Vertreibung, 18–20.
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dem Zweck, a Lasco selbst und die Frankfurter Fremdengemeinde gegenüber den Vorwürfen aus den Reihen um Westphal zu verteidigen.181 Micron hingegen hat in seinen Ordinancien weniger die deutschen Fremdengemeinden und ihre spezifische Auseinandersetzung mit dem sich etablierenden „Gnesioluthertum“ vor Augen, sondern die bedrängten Gemeinden „unter dem Kreuz“ in seiner Heimat. Seine Schrift wendet sich explizit an alle „liefhebbers des eeweghen salicheyts ende waerheyts ouer de gansche Nederlanden“.182 Dabei verfolgt er freilich ebenfalls einen apologetischen Zweck, wenn er in seiner Einleitung die Vorwürfe zurückweist, die gegen die Londoner Fremdengemeinde von verschiedener Seite vorgebracht würden: Man setze in der Londoner Gemeinde die Zucht nicht konsequent genug durch – oder aber, so der gegenteilige Vorwurf, handhabe sie zu streng; man würde Gemeinden mit abweichender Ordnung nicht anerkennen; man schände die Sakramente. Es gäbe auch Gegner, die die Lehre der Gemeinde allein um des Friedens willen, den sie in London eine Zeit lang genossen hätte, ablehnten. Schließlich seien die „Mispapen“ aus vielfältigen Gründen darauf aus, die eigene Gemeinde zu verleumden.183 Die Aufzählung der zum Teil konträren Vorwürfe bildet deutlich die schwierige konfessionelle Gemengelage in den Niederlanden zwischen radikalem Täufertum, römischen Katholizismus, und humanistisch gebildeter Oberschicht ab, die sich in nuce wohl auch in der Londoner Fremdengemeinde niedergeschlagen haben dürfte. Diesen Verleumdungen und Missverständnissen will Micron durch die Darstellung der Ordinancien begegnen und – so wird man die Bemerkung verstehen dürfen, man habe mit der Londoner Ordnung allein die Ehre Christi und die Seligkeit der Gemeinde zu befördern versucht184 – dieselbe den jungen Gemeinden in den Niederlanden zugleich zur Verwendung empfehlen. Angesichts dieser unterschiedlichen Entstehungskontexte sowie der in gewissem Umfang vorhandenen inhaltlichen und formalen Abweichungen stellt sich die Frage, ob der Forma ac ratio oder den Ordinancien für die Rekonstruktion der Londoner Ordnungsverhältnisse Priorität zukommt. Ihre Beantwortung verkompliziert sich durch die Angaben, die a Lasco und Micron jeweils zur Entstehung ihrer Schriften machen. A Lasco berichtet von einer niederländischen Übersetzung seiner lateinischen Kirchenordnung in einer verkürz-
181 Wenn sich a Lasco in der Folge polemisch gegen die Lutheropapistae (vgl. Forma ac ratio, Kuyper II, 22) wendet, so ist dies keineswegs als Generalkritik an Luther bzw. am zeitgenössischen Luthertum zu verstehen, wie Springer meint (vgl. Springer, Restoring, 56), sondern zielt auf ebenjene „Gnesiolutheraner“ um Joachim Westphal. 182 Micron, Ordinancien, Dankbaar, 35. 183 Vgl. a. a. O., 39. 184 Vgl. a. a. O., 40.
140 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 ten Fassung durch Marten Micron,185 während Micron an analoger Stelle in seiner Vorrede angibt, Jan Utenhove habe „dese onse tegenwoordige ordinantien“ aus dem Lateinischen ins Niederländische übersetzt.186 Die beiden sich auf den ersten Blick widersprechenden Angaben bildeten den Kristallisationspunkt einer umfangreicheren Forschungsdebatte, die hier jedoch nicht nachgezeichnet zu werden braucht.187 Ein Ausgleich der Schwierigkeiten gelingt über die Annahme Dankbaars, Utenhove habe für seine „erste“ niederländische Übersetzung auf bereits in der Londoner Gemeinde vorhandenes älteres Material zurückgegriffen, an dem sich dann Micron bei der Abfassung seiner Ordinancien orientierte; gleichzeitig habe er jedoch auch die Vorarbeiten a Lascos zur Forma ac ratio herangezogen.188 So wurden einige Gottesdienstformulare durch die niederländische Flüchtlingsgemeinde bereits 1551 gemeinsam mit dem Compendium doctrinae189 gedruckt. Darüber hinaus ist bekannt, dass a Lasco bereits 1553 in London die Herausgabe einer ausführlichen Gemeindeordnung plante,190 die Fertigstellung sich jedoch auf Grund der unsicheren Lage der Gemeinde nach dem Tod Edwards VI. und der sich lange hinziehende Suche nach einer neuen Bleibe für die Londoner Flüchtlinge verzögerte. In seinem Widmungsbrief an Sigismund II. vermerkt a Lasco dementsprechend, die Ordnung sei während der Flucht noch einmal überarbeitet und erweitert worden.191 Es ist deutlich, dass die Forma ac ratio die Londoner Gemeindeordnung nicht einfach eins zu eins abbildet, sondern bereits eine Interpretation bzw. eine Weiterentwicklung derselben darstellt. Wird man mit Blick auf die Verhältnisse in London also Microns Ordinancien Priorität zuerkennen müssen? Der de185 „Adumbratus sane erat [sc. hic libellus, i. e. Forma ac ratio] cum adhuc in Anglia ministerio nostro fungeremur atque adeo etiam a collega nostro, D. Martino Micronio, compendio quodam Flandrice redditus, et proinde tanquam de re praesenti loquitur.“ (Johannes a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 35) 186 „So hebben wy ten eersten, nae Gods wordt vier mederegierders, die inder Scrift Ouderlinghen ghenaemt sijn, met de bewillinghe der Ghemeynte, vercoren. Waer onder gheweest is Jan Wtenhoue: die dese onse teghenwordeghe ordinantien in onse Nederlandtsche sprake wten latyne ougheset heeft.“ (Micron, Ordinancien, Dankbaar, 37) 187 Einen Überblick bietet Dankbaar, Micron, Inl. 7f. 188 Vgl. a. a. O., 8–10. 189 Zum Compendium doctrinae vgl. Teil Zwei Kapitel 2.1.2.1. 190 Vgl. seine entsprechende Bemerkung in einem Brief an Bullinger vom 7. Juni 1553: „Habeo nunc prae manibus ceremonias nostrae Ecclesiae omnemque illius in nostro ministerio gubernationem. Prodibit spero sub hyemen.“ (Kuyper II, 677). 191 „Sed in itineribus demum meis, ubi Angliam reliquissemus, multis locis recognitus est atque in concionum praeterea argumentis admonitionibusque Ecclesiasticis magna ex parte auctus, quae res paginarum quoque ordinem in ipsa libri aeditione nonnihil interturbavit. Deinde ipsam quoque libelli aeditionem perturbavit inexpecta mea e Frisia migratio.“ (a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 35) Offenbar hatte a Lasco bereits in Emden mit dem Druck der Ausarbeitung begonnen und dieser konnte erst nach dessen Übersiedlung nach Frankfurt fertiggestellt werden. Vgl. dazu Springer, Restoring, 50–58.
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taillierte Vergleich, den Sprengler-Ruppenthal zwischen den aus London vor 1554 bekannten Ordnungsstücken192 und den Ordinancien einerseits bzw. der Forma ac ratio andererseits vorgenommen hat, ergibt diesbezüglich kein einheitliches Bild: Zwar weise die Forma precum als das älteste aus der Londoner Gemeinde erhaltene Gottesdienstformular größere Übereinstimmungen mit Microns Arbeit auf, der von Sprengler-Ruppenthal herangezogene Abschnitt aus Poullains L’ordre des prieres, der ebenfalls Londoner Formulare überliefert, zeige jedoch „im allgemeinen stärkere Verwandtschaft mit der Forma ac ratio, wie sie uns 1555 begegnet, als mit Microns Ordinancien.“193 Wenn auch unklar bleiben müsse, in welchem Maße Poullain in die Formulare eingegriffen habe, so sei doch zumindest der Schluss erlaubt, dass „die Londoner KO [Kirchenordnung] in diesem Teil bereits 1552 schriftlich fixiert war, und zwar stellenweise in einer viel ausführlicheren Fassung, als Micron sie 1554 bietet.“194 Angesichts dieser Ergebnisse wird die Frage, welcher der beiden Ordnungen Priorität zukommt, kaum zu beantworten sein. Sowohl bei a Lascos Forma ac ratio wie bei Microns Ordinancien handelt es sich um spätere Deutungen der Londoner Ordnungsverhältnisse, die das von dort überkommene Material bisweilen abwandeln und der je eigentümlichen Zielsetzung anpassen.195 Der folgende Vergleich mit der KKO wird daher beide Darstellungen zu berücksichtigen haben. Abschließend sei noch in gebotener Kürze auf die Quellen der Londoner Gemeindeordnung eingegangen. Über dieselben ist die Forschung seit den Arbeiten Jan Remmers Weerdas196, Otto Naunins197 und insbesondere Anneliese Sprengler-Ruppenthals198 recht genau im Bilde. Ihre Ergänzung finden sie in der von Judith Becker vorgelegten Untersuchung zur Kirchenzucht in der Londoner und Emder Gemeinde.199 Bereits a Lasco selbst nennt in der Forma ac ratio als Vorbild für die Einrichtung seiner Gemeinde die Genfer Ordnung und die Ordnung der französi-
192 Dabei handelt es sich erstens um die Forma Precum, einer kurzen Ordnung für den Sonntagsgottesdienst, die zusammen mit dem Compendium doctrinae 1551 veröffentlich wurde; zweitens um die Katechismusfragen für Erstkommunikanten – also K; drittens um den in Val8rand Poullains L’ordre des prieres von 1552 überlieferten, jedoch dort unter a Lascos Namen aufgeführten Abschnitt über die öffentliche Buße und Wiederaufnahme eines reuigen Sünders; vgl. EKO VII.2.1, 571–576. 193 A. a. O., 572. 194 Ebd. 195 In diesem Sinne auch Becker, Gemeindeordnung, 37f. 196 Vgl. insbes. Weerda, Kirchenrat; ders., Entstehung. 197 Vgl. Naunin, Kirchenordnungen. 198 Vgl. EKO VII.2.1, 552–578; Sprengler-Ruppenthal, Mysterium. 199 Vgl. Becker, Gemeindeordnung.
142 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 schen Flüchtlingsgemeinde in Straßburg.200 Dabei hatte er wohl kaum die Ordonnances ecclesiastiques vor Augen, die bis zum Druck von 1561 nur als Manuskript existierte, sondern die auf Straßburger Arbeiten Calvins zurückgehende Forme des priHres201 von 1542, womöglich in der Edition von 1545.202 In direkter Beziehung zur Ordnung der Straßburger Flüchtlingsgemeinde steht Poullains Liturgia sacra, deren erste 1551 in London gedruckte Fassung eine Darstellung der Straßburger Ordnung zu sein beansprucht. Obwohl der polnische Baron Straßburg und Genf explizit als Referenzpunkte für die Londoner Ordnung nennt, hielt sich deren unmittelbarer Einfluss gleichwohl in Grenzen, wie ein Vergleich der entsprechenden liturgischen Formulare nahelegt.203 Deutlicher lässt sich hingegen das Einwirken der Bucerschen Ordnungsvorstellungen auf die Londoner Fremdengemeinde belegen, insbesondere im Bereich der Ämterlehre.204 Eine Schlüsselstellung für die Ausgestaltung der Kirchenzucht nahm dabei der 1543 gedruckte Entwurf einer Kirchenordnung für das Erzbistum Köln ein, den Bucer im Auftrag Hermann von Wieds (1477–1552) erarbeitete.205 Einiges Gewicht für die Entstehung der Londoner Gemeindeordnung besaßen daneben diejenigen Ordnungstraditionen, die a Lasco während seiner Zeit in Ostfriesland kennenlernte bzw. in seinen dortigen Kirchenreformbestrebungen weiterentwickelte, so beispielsweise das Superintendentenamt oder das Verfahren zur Wahl der Ältesten und Diakone;206 ob darüber hinaus Einflüsse aus Ostfriesland auch innerhalb der liturgischen Formulare vorliegen, scheint angesichts der schwierigen Quellenlage nicht mit Sicherheit zu beantworten.207 Schließlich werden zur traditionsgeschichtlichen Einordnung der Forma ac ratio bzw. der Ordinancien immer wieder die engen Verbindungen der Londoner Gemeinde nach Zürich ins Feld geführt.208 Micron selbst hatte dort Theologie studiert,209 auch a Lasco pflegte einen regelmäßigen Briefwechsel zu den Züricher Theologen, allen voran zu Heinrich Bullinger. 200 „Nos id quidem in nostris ecclesiis pro nostra virili conati sumus, sumpto exemplo a Genevensi et Argentinensi peregrinorum Ecclesia.“ (a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 50) 201 Vgl. CR 34 (CO 6), 161–224; auch in: Reformierte Bekenntnisschriften 1/2, 371–394 (Bearb. Andreas Marti). 202 Vgl. Spengler-Ruppenthal, in: EKO VII.2.1, 558. 203 Vgl. Dankbaar, Micron, Inl. 21–23. 204 Vgl. Sprengler-Ruppenthal, in: EKO VII.2.1, 559f. 205 Ediert in BDS 11,1, 163–429. Zum Einfluss auf die Forma ac ratio vgl. Sprenglier Ruppenthal, in: EKO VII.1, 562. Ein Einwirken des Kölner Reformationsentwurfes auf die von a Lasco bereits in Emden eingeleiteten Maßnahmen zur Etablierung der Kirchenzucht diskutiert Jürgens, a Lasco, 295–297. 206 Vgl. Sprengler-Ruppenthal, in: EKO VII.2.1, 554f. 207 Vgl. dazu ausführlich Weerda, Entstehung. 208 Vgl. Dankbaar, 17–19; die möglichen Einflüsse aus Zürich diskutiert Sprengler-Ruppenthal, in: EKO VII.2.1, 566–571. 209 Vgl. Gerretsen, Micronius, 6f.
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Bestimmte liturgische Stücke wie die „Offene Schuld“ könnten von dort übernommen sein, wiewohl auch eine je eigenständige Weiterentwicklung spätmittelalterlicher Gottesdienstformen diskutiert wird.210
2.1.2 Das Verhältnis von Lehre, Ordnung und Bekenntnis in der Londoner Flüchtlingstradition Die Spezifika der Londoner Gemeindeordnung – das eigentümliches Verständnis von Amt und Kirche, die als ordnungstheologisches Zentrum fungierende Sakramentstheologie, die charakteristische Ausgestaltung der Kirchenzucht – bilden den Gegenstand unterschiedlicher, teilweise sehr detaillierter Forschungsbeiträge.211 Ohne die Ergebnisse des sich anschließenden Abschnittes vorwegzunehmen, kann schon hier festgehalten werden, dass von diesen Charakteristika bestenfalls Spuren in die KKO eingedrungen sind, deren traditionsgeschichtliche Ursprünge zudem uneindeutig bleiben.212 Weiterführende Aussagen könnten sich jedoch durch eine Betrachtung bestimmter struktureller Merkmale beider Ordnungen ergeben. Bei der folgenden Betrachtung der Londoner Gemeindeordnung soll das Hauptaugenmerk daher auf der strukturellen Frage nach dem Verhältnis von Lehre, Bekenntnis und Ordnung in der Londoner Fremdengemeinde liegen. Bereits in dem der Forma ac ratio vorangestellten Widmungsbrief reflektiert a Lasco ausführlich über das Verhältnis von Lehre und Ordnung: Als Maßstab zur Einrichtung der Riten und Zeremonien in der Gemeinde könne nicht dasjenige gelten, was aus der alten Kirche überliefert sei, denn die Väter hätten sich des Themas nur punktuell und auf sich widersprechende Weise angenommen.213 Wolle man sich dieselben zum Vorbild nehmen, so in dem Punkt, dass sie jede Art der Lehre an der Glaubensanalogie gemessen hätten – ein Grundsatz, der von a Lasco unmittelbar auf die Einrichtung der Gemeindeordnung übertragen wird: „Wie es freilich feststeht, dass in jeder Art kirchlicher Lehre vor allem die Glaubensanalogie notwendig ist, so kann es in der Tat nicht zweifelhaft sein, dass man die 210 In diesem Sinne Sprengler-Ruppenthal: „In ihrer Gesamtheit kann man die Londoner Ordnung des gewöhnlichen Sonntagsgottesdienstes, ähnlich wie die Züricher Ordnung, vielleicht als eine Fort- bzw. Umbildung des mittelalterlichen Predigtgottesdienstes ansehen.“ (Sprengler-Ruppenthal, in: EKO VII.2.1, 568) 211 Vgl. u. a. Becker, Gemeindeordnung; Sprengler-Ruppenthal, Mysterium; dies., in: EKO VII.2.1, 552–578; Naunin, Kirchenordnungen; Weerda, Kirchenrat; ders., Entstehung. 212 Vgl. schon das Fazit Beckers: „Den Gedanken der Gemeindebildung durch das Abendmahl und die Erhaltung der Gemeinde als communio corporis Christi durch die Kirchenzucht haben die Heidelberger Schriften nicht übernommen.“ (Becker, Kirchenordnung, 288) 213 Vgl. a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 5f.
144 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 Glaubensanalogie bei der Aufnahme und Befolgung aller mystischen Riten des Gottesdienstes in der Kirche notwendigerweise beachten muss, weil sie [sc. die Väter] ja alle Riten des Gottesdienstes in der Kirche (insofern sie in der Tat mystische sind und aus äußerlichen und sichtbaren Zeremonien bestehen) für den Teil einer Lehre und daher für Zugaben des Wortes, ja den Gottesdienst selbst sogar für das sichtbare Wort und eine sichtbare Verkündigung halten.“214
Es ist also die aus dem Wort Gottes gewonnene Glaubensanalogie, nicht menschliche Erfindungen oder Traditionen, die nach a Lasco als hermeneutisches Prinzip bei der Einrichtung der Gemeinde zu fungieren habe. An ihr habe sich alle Lehre, insbesondere die als verbum visibile verstandenen Riten des Gottesdienstes zu orientieren. Unter der Glaubensanalogie versteht a Lasco dann in der Folge nichts Anderes als die Lehre Christi, von der die Apostel und die Evangelien zeugten. Die Forderung nach einer alleinigen Ausrichtung der Ordnung auf die Lehre verbindet die Forma ac ratio mit der reformierten Tradition im Allgemeinen. Schon Calvin äußert sich in gleichem Sinne in seiner an Karl V. gerichteten Supplex Exhortatio aus dem Jahr 1544.215 Die zentralen Anliegen des christlichen Glaubens, so Calvin, bestünden darin, den Menschen zu einer doppelten Erkenntnis zu verhelfen: erstens auf welche Weise Gott richtig zu verehren sei, und zweitens wo sie ihr Heil zu suchen hätten. Die Sakramente und die Regierung der Kirche seien diesen beiden Zielen unterzuordnen: „Nur, wenn sie [sc. die Sakramente und die Regierung der Kirche] auf dieses Ziel gerichtet sind, kann richtig bewertet werden, ob sie auch heilig und ordentlich bedient werden. Um es noch klarer und verständlicher zu sagen: Das Regiment der Kirche, das Hirtenamt und die übrige Ordnung zusammen mit den Sakramenten, sind einem Körper gleich; jene Lehre aber, die die Regel für die rechte Gottesverehrung vorschreibt und zeigt, wo die Gewissen der Menschen das Heilsvertrauen gründen lassen dürfen, ist die Seele, die jenen Körper durchhaucht, lebendig und tätig macht, und es schließlich bewirkt, daß er kein toter und nutzloser Leichnam sei.“216
214 „Equidem ut in omni doctrinae Ecclesiasticae genere inprimis esse necessariam constat fidei analogiam, ita, cum ritus omnes cultus divini in Ecclesia (quatenus sane sunt mystici externaque ac visibili ceremonia constant) pars sunt quaedam doctrinae atque hoc etiam nomine verbi appendices, ipsumque adeo visibile verbum ac visibilis quaedam jataccek¸a esse censentur“ (A Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 6) 215 CR 34 (CO 6), 453–534. Dazu Weerda, Ordnung, 147f. 216 „Sequuntur deinde sacramenta, et ecclesiae gubernatio, quae sicut ad huius doctrinae conservationem sunt instituta, sic non alio referri debent: nec aliunde aestimari potest, sanctene et ordine, an secus administrentur, nisi quum ad hunc finem exiguntur. Hoc si clarius et familiaribus habere quis velit: regimen in ecclesia, munus pastorale, et reliquus ordo, una cum sacramentis, instar corporis sunt; doctrina autem illa, quae rite colendi Dei regulam praescribit, et ubi salutis fiduciam reponere debeant hominum conscientiae ostendit, anima est, quae corpus ipsum inspirat, vividum et actuosum reddit: facit denique
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Die Lehre wird von Calvin somit in der Metaphorik von Körper und Seele als das Gestaltungsprinzip jeder Kirchenordnung verstanden. Deren einzelnen Stücke seien gemäß der Lehre einzurichten und hätten zugleich nur dieses eine übergeordnete Ziel, durch ihr Zusammenspiel die Auferbauung der Gemeinde durch die Lehre zu fördern. Deutlicher noch als bei Calvin wurde in die aus der Londoner Gemeinde überlieferten Ordnungsdarstellungen das Element des persönlichen Bekennens217 aufgenommen. Auch Calvin wird man in seiner ekklesiologischen Konzeption ein Interesse am Bekenntnis nicht absprechen können, und zwar erstens, insofern durch Bekenntnis, gutes Leben und Teilnahme an den Sakramenten die Zugehörigkeit zur sichtbaren Kirche nach Calvin überhaupt erst kenntlich wird,218 und zweitens, insofern die Lehre nach reformatorischem Verständnis immer schon auf die existenzielle Aneignung im Bekenntnis ausgerichtet sein sollte.219 Dazu gesellt sich drittens die Beobachtung, dass in Genf eine Reihe von Bekenntnissen durch Calvin selbst oder unter seiner Federführung entstanden sind.220 Blickt man von diesen allgemeinen Beobachtungen jedoch auf die überlieferten calvinischen Kirchenordnungen, die Ordonnances
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ne sit mortuum et inutile cadaver.“ (Calvin, Supplex Exhortatio, CR 34 [CO 6], 459f. Übersetzung nach Weerda, Ordnung, 148.) In der Folge kommt ein engerer Bekenntnisbegriff zur Anwendung. Bekenntnisse werden im Anschluss an Judith Becker verstanden „als von bzw. für Gemeinschaften verfasste Texte, in denen der Glaube dieser Gemeinschaft verbindlich festgelegt wird. Sie werden von Mitgliedern der Gemeinschaft offiziell angenommen, entweder durch mündliche oder durch schriftliche Zustimmung, und markieren den Beitritt zur Gemeinschaft.“ (Becker, Migration, 260) „Et quoniam fidei certitudo necessaria non erat, quoddam caritatis iudicium eius loco substituit: quo pro ecclesiae membris agnoscamus, qui et fidei confessione, et vitae exemplo, et sacramentorum participatione eundem nobiscum Deum ac Christum profitentur.“ (Calvin, Institutio, CR 30 [CO 2], 753). Von hier aus konnten Emile Doumergue und ihm folgend Eberhard Busch Calvins Konzeption der sichtbaren Kirche mit dem Schlagwort „Bekenntniskirche“ versehen. Vgl. Doumergue, Wesen, 104; Busch, Ekklesiologie, 140f. Angesichts der Untersuchungen, die Herman Selderhuis und Theodor Mahlmann zur Verwendung des doctrina-Begriffes in der reformierten Tradition bzw. der lutherischen Orthodoxie angestellt und der begrifflichen Einordnung, die Victor E. d’Assonville und Boris Wagner-Peterson für die Theologie Calvins bzw. Ursinus’ geleistet haben, scheint eine derartige Schlussfolgerung naheliegend. Niemals ging es um eine – heute sehr schnell in pejorativem Sinne herangezogene – Gegenüberstellung von Lehre und Leben, von „bloßer“ Theorie und lebendiger Praxis. Vielmehr implizierte die Rede von der doctrina in der Regel den Bezug zur Praxis bzw. die Aneignung der Lehre im Glaubensleben. Vgl. dazu d’Assonville, Begriff, insbes. 201f; Selderhuis, Begriff; Mahlmann, Doctrina; Wagner-Peterson, Doctrina; mit Blick auf das Verhältnis von Lehre und Ordnung bei Calvin im Besonderen auch Weerda, Ordnung. Vgl. neben C z. B. die kurz nach Calvins (erster) Ankunft in Genf verfasste Instruction et confession de foy von 1536/37 (CR 50 [CO 22], 25–74; auch in: Reformierte Bekenntnisschriften 1/2, 104–136 [Bearb. Anette Zillenbiller]).
146 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 eccl8siastiques221 und die Forme des priHres von 1542222, lässt sich eine unmittelbare Verknüpfung mit einem ausgeführten Bekenntnistext nicht erkennen. Selbiges gilt für die von Calvin in der Institutio vorgelegte Ämterordnung.223 Bekenntnis und Ordnung fallen bei Calvin in verschiedene Schriften auseinander. Dies stellt einen markanten Unterschied zu den Ordnungen aus der Londoner Fremdengemeinde dar, die persönliches Bekenntnis und Gemeindeordnung aufs Engste miteinander verknüpfen. Exemplarisch soll dies zunächst am Compendium doctrinae, dem Londoner Gemeindebekenntnis, verdeutlicht werden, bevor mit Microns Ordinancien und a Lascos Forma ac ratio die beiden Darstellungen der Londoner Gemeindeordnung in den Blick geraten. 2.1.2.1 Die Verbindung von Bekenntnis, Lehre und Ordnung im Compendium doctrinae Im Jahr 1551 hatte Johannes a Lasco gemeinsam mit den übrigen Kirchendienern der Londoner Fremdengemeinde das sog. Compendium doctrinae224 herausgegeben, eine kurze Zusammenfassung ihrer zentralen Glaubenssätze. Wie Kuyper anhand brieflicher Zeugnisse a Lascos nachweisen konnte, wurde das Dokument in der Praxis der Londoner Gemeinde als Bekenntnistext verwendet – wer neu in die Gemeinde kam, hatte es zu unterschreiben.225 Mit der Herausgabe des Compendium doctrinae verband sich darüber hinaus ein apologetisches Interesse: Man wolle zeigen, so a Lasco in dem dem Druck vorangestellten Widmungsbrief an Edward VI., dass die neu eingerichtete Gemeinde den katholischen Glauben der Apostel bekenne.226 Hintergrund bildete die Abwehr von Ketzereivorwürfen, denen die Fremdengemeinde von Seiten der der anglikanischen Kirche ausgesetzt war.227 221 Vgl. CR 38 (CO 10), 91–124. Die Überlieferungsgeschichte der Ordonnances gestaltet sich vergleichsweise komplex: Bereits 1541 legte Calvin dem Genfer Rat einen Ordnungsentwurf vor, der jedoch nur nach einigen, nicht unbedeutenden Eingriffen von demselben approbiert wurde. Gedruckt wurden die Ordonnances erst 1561, wiederum in einer überarbeiteten Version. Zur Textgeschichte vgl. Opitz, in: Calvin StA 2, 227–235. 222 Zu den unterschiedlichen Druckausgaben vgl. Marti, in: Calvin StA 2, 142. 223 Vgl. Calvin, Institutio, CR 30 (CO 2), 776–787. 224 Kuyper II, 285–339. 225 Vgl. Kuyper I, LXXVIIf. Die Frage, ob diese Praxis nur für die Anfangszeit der Gemeinde gilt und das Compendium doctrinae dann in der Folge durch K abgelöst wurde (so Gerretsen Micronius; 27–30, van Schelven, Vluchtelingenkerken, 76f; Falkenroth, Gestalt, 123f.) oder ob beide Texte gleichzeitig in verschiedenen Kontexten in Gebrauch standen (so Kuyper I, LXXVIIf. und CXIXf.), kann hier außen vor bleiben. 226 „Hic vero nos etiam […] Compendium Doctrinae nostrae, qua confessio Apostolica explicatur, edere ante omnia voluimus […], ut omnes intelligant non aliam ullam a nobis Ecclesiam colligi tuae Maiestatis beneficio, quam quae Catholicam illam Apostolorum omnium fidem, ore Petri prolatam, publice profiteatur“ (Compendium doctrinae, Kuyper II, 289f.) 227 Vgl. dazu Van Schelven, Vluchtelingenkerken, 70.
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Angesichts dieser apologetischen Interesses auf der einen, und der Verwendung der Schrift als Gemeindebekenntnis auf der anderen Seite erscheint es kaum überraschend, wenn a Lasco in seinem Widmungsbrief das Compendium doctrinae eine Auslegung des Apostolikums nennt. Irritierend wirkt in der Folge allerdings der originelle Aufbau der Schrift. Statt mit der Auslegung des ersten Glaubensartikels setzt es mit einer Definition des Kirchenbegriffs ein,228 gefolgt von einer Erläuterung der Kennzeichen der Kirche. Diese erscheinen – wiederum höchst eigentümlich – nicht in der „klassischen“ Gestalt von Wortverkündigung, Sakramentsverwaltung und Kirchenzucht. Die vera ecclesia sei, so a Lasco, von jeher anhand ihres Alters, ihres Glauben und ihres Bekenntnisses von allen nur vorgeblichen Kirchen zu unterscheiden gewesen.229 Die ganze folgende Schrift orientiert sich in ihrer Gliederung an dieser Einteilung. Den systematischen Konsequenzen dieser Bestimmung kann hier nicht in extenso nachgegangen werden.230 Allein zwei Aspekte seien herausgehoben: Auch, wenn der Bekenntnisbegriff im letzten Teil der Schrift entfaltet wird, nimmt er doch erstens bereits im Abschnitt über den Glauben der Kirche eine zentrale Stellung ein. Denn seine kürzeste Form, so die Auslegung des Compendium doctrinae, findet der Glaube im Petrusbekenntnis bzw., folgt man der Wortwahl a Lascos, in dem „öffentlichen Bekenntnis der Lehre, das Petrus im Namen aller Apostel und der ganzen Kirche äußerte.“231 Der zentrale Lehrgegenstand des Glaubens ist somit das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus. Bekenntnis und doctrina sind hier aufs engste miteinander verbunden, wobei das Bekenntnis, die professio, den Akt des Sich-öffentlich-Äußerns beschreibt, während mit der doctrina der Gegenstand dieser Äußerung – „Jesus ist Christus“ – bezeichnet ist. Welche Gemeinde auch immer diese doctrina bekenne, so a Lasco, gehöre wahrhaftig zur Kirche Gottes, wie umgekehrt dort, wo derselben Lehre kein Glauben geschenkt würde, keine Kirche existieren könne.232 Weil es aber viele gäbe, die dieses einfache Glaubensbekenntnis der Kirche entstellten, 228 Vgl. Compendium doctrinae, Kuyper II, 294. 229 „Huius porro Ecclesiae tres notas Spiritus Sanctus nobis indicavit, quibus ab aliis simulatis Ecclesiis discerni facile possit: vetustatem illius cum perpetus duratione, fidem eius praeterea, et publicam professionem.“ (Compendium doctrinae, Kuyper II, 296) 230 Verwiesen sei insbes. auf die ausführliche Darstellung bei Falkenroth, Gestalt, 122–156. 231 „Fidem vero Ecclesiae Christi cognoscimus ex publica eius doctrinae professione, quam Petrus omnium Apostolorum totiusque adeo Ecclesiae nomine, protulit, quanque Christus ipsemet Ecclesiae suae sedem esse diserte testatur.“ (Compendium doctrinae, Kuyper II, 300) 232 „Quicunque coetus igitur voce Dei ad unam illam aeternamque Ecclesiam per doctrinam Apostolorum, in eodem ipso Christo Domino evocatus, id vero credit et profitetur, is coetus proculdubio est una cum suo semine Ecclesia Dei, et omnes in eo coeto sunt membra Ecclesiae Dei. Ac rursum ubi eius doctrinae neque fides, neque professio vero habetur, ibi sane nulla est Dei Ecclesia, utcunque tandem ementitus illius titulus ab omnibus iactetur.“ (ebd.)
148 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 entfaltet a Lasco die wahre Lehre in dreifacher Hinsicht: durch eine Auslegung des Jesusnamens, des Christustitels und des Sohn-Gottes-Prädikats.233 Mit dem Jesusnamen wird dabei insbesondere der menschliche Aspekt der zwei Naturen Christi verbunden. Jesus wurde als Mensch empfangen, durch die Jungfrau Maria geboren und in dieser Geburt iuxta naturae legem gründet sich seine Gemeinschaft mit unserem Fleisch und Blut. Die wörtliche Bedeutung des Jesusnamens enthalte außerdem das soteriologische Moment, dass Jesus als der „wahre und vollkommene Retter der ganzen Welt“ geglaubt wird, weil er nicht nur wahrer Mensch, sondern zugleich wahrer Gott ist.234 Die Auslegung des Sohn-Gottes-Prädikats bietet dann im weiteren Fortgang der Schrift Gelegenheit zur Entfaltung der Trinitätslehre. Zunächst aber kommt mit der Auslegung des Christustitels das angeklungene soteriologische Moment zur weiteren Entfaltung. Gemäß der calvinischen Dreiämterlehre wird der Titel „Gesalbter“ in Entsprechung zur alttestamentlichen Priester-, Propheten- und Königssalbung ausgedeutet, dabei jedoch das Prophetenamt eins zu eins mit der Lehrautorität Christi identifiziert.235 Vergegenwärtigt man sich den Aufbau des Compendium doctrinae, wird deutlich, dass sich die systematische Stellung des Petrusbekenntnisses nicht einfach auf diejenige eines Ausgangspunktes beschränkt, von dem aus zu anderen dogmatischen Loci übergegangen wird. Vielmehr bildet es eine Art verdichteten Kern christlicher Lehre: Alle weiteren Lehrgegenstände des christlichen Glaubens, wie die Trinitäts- und die Zwei-Naturen-Lehre, stellen bloße Entfaltungen des in ihm Gesagten dar.236 Durch die herausgehobene Stellung des Bekenntnisbegriffes gelingt es weiterhin – das ist der zweite Aspekte, auf den hier eingegangen werden soll – Aussagen über die Gemeindeordnung in die Systematik der Schrift organisch zu integrieren. So findet sich innerhalb des Abschnittes über das Bekenntnis als des dritten Kennzeichens der Kirche eine Beschreibung der Gemeindeämter in nuce. 233 Vgl. a. a. O., 302. 234 Vgl. ebd. und a. a. O., 304. 235 „Quatenus igitur Christi nostri doctrina est omnium absolutissima, aeterna, plena, plene item ac clarissime scriptis Apostolicis prodita, hactenus sane et Iesus ille, Mariae virginis matris filius, sub Christi titulo, est summus aeternus plenisufficiens ac maxime perspicuus Doctor et Propheta in Ecclesia Dei, sic ut neque aliam nisi ipsius doctrinam, neque alium item ullum salutis nostrae vitaeque aeternae Doctorem ac Prophetam agnoscere […] debeamus“ (a. a. O., 308). 236 Otto Weber hatte ein vergleichbares Vorgehen katechetischer Schriften (vor allem des HK, aber beispielsweise auch C) unter Rückgriff auf die ältere Tradition, insbesondere auf Bartholomäus Keckermann als „analytisches Verfahren“ bezeichnet (Vgl. Weber, Theologie). Diese Benennung findet darin ihre Berechtigung, dass Keckermann seine analytische Methode paradigmatisch anhand des HK entwickelte, wobei sein Interesse allerdings der Entwicklung eines dem praktischen Charakter der Theologie im Ganzen angemessenen methodischen Verfahrens galt; vgl. dazu auch Althaus, Prinzipien, 26–51.
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Möglich wird dies durch die Unterscheidung von privatem und öffentlichem Bekenntnis, sowie die parallel laufende Differenzierung dreier Bekenntnisweisen: des mündlichen Bekenntnisses (professio oris), des Bekenntnisses durch die Zeremonien (professio ceremoniarum) und des Bekenntnisses durch die Erfüllung wechselseitiger Pflichten (professio officiorum). Es mag nach dem oben zitierten Abschnitt aus dem Widmungsbrief der Forma ac ratio nicht überraschen, dass auch die Ausübung der Zeremonien als Aspekt der professio aufgefasst wird. Ganz wie a Lasco in besagtem Widmungsbrief hält auch das Compendium doctrinae daran fest, dass die Zeremonien zum verbum visibile gehören und vom Glauben Zeugnis geben.237 Selbiges gilt nun aber gleichermaßen für die officia, insofern der Glauben die einzelnen Glieder, dann aber auch – mit Blick auf die öffentliche Dimension des Bekenntnisses – die Amtsträger und die Gemeinde zum tätigen Einsatz füreinander verpflichtet.238 Damit ist aber die Brücke geschlagen zu einem skizzenhaft Abriss der Gemeindeämter. Diese verläuft ebenfalls in eher ungewöhnlichen Bahnen, wenn als publica ministeria in der Kirche das Amt des Wortes, das Amt des Schwertes und das Amt der Tafel für die Armen genannt werden.239 Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die darin zum Ausdruck kommende Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche traditionsgeschichtlich einzuordnen.240 Stattdessen soll das Augenmerk darauf gelenkt werden, dass nach dem Compendium doctrinae die soziale Ordnung der Kirche wie des Staates darauf ausgerichtet sein muss, dem Bekenntnis zu Jesus als dem Christus Ausdruck zu verleihen: „Und diejenigen, die diese Ämter [des Wortes, des Schwertes und der Tafel für die Armen] ausfüllen, haben jeweils ihre eigenen Pflichten, die sich nicht auf die anderen erstrecken, […] so dass sie bezeugen, dass sie wahrhaft glauben, dass Jesus, der Sohn
237 „Quemadmodum enim quod corde creditur, ore etiam id, qui modo possunt, profiteri omnes debent, ita cum institutae a Christo Domino in sua Ecclesia ceremoniae sint veluti visibile verbum quoddam, equidem et visibili verbo profiteri omnes debemus fidem nostram in tota Ecclesia et omnibus membris eius“ (Compendium doctrinae, Kuyper II, 326) 238 „Cum enim omnes, quicunque in Ecclesia sumus, unius nos corporis membra esse indubitate credamus, equidem intelligimus, fidem hanc nostram id flagitare, ut nobis invicem omnes etiam omni officiorum genere ne desimus. […] Caeterum publica in praestandis officiis fidei professio in illis potissimum officiis consistit, quae aut publici Ecclesiae ministri plebi, aut plebs simul tota vicissim ministris publice praestare debet.“ (ebd.) 239 „Sunt autem tria potissimum publica ministeria in Ecclesia Christi: Verbi, gladii et mensarum pro egenis.“ (a. a. O., 328). Überraschen mag in diesem Zusammenhang die positive Wertung der Obrigkeit, die ohne Abstriche als Teil der Kirche angesprochen und für dieselbe „in Dienst“ genommen wird. Es handelt sich dabei jedoch um ein im theologischen Werk a Lascos an verschiedener Stelle wiederkehrendes Motiv ; vgl. dazu Falkenroth, Gestalt, 152f. 240 Eine ganz ähnliche Integration der weltlichen Obrigkeit in die Ämterstruktur der Kirche bei Zwingli; vgl. dazu Falkenroth, Gestalt, 151–154.
150 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 der jungfräulichen Mutter, unter dem Titel „Christus“ ihr höchster und ewiger König sei; und dass sie Diener und Hüter seiner Gesetze und Ordnungen seien.“241
Es zeigt sich, dass es nicht nur ein apologetisches Interesse ist, das die Thematisierung der Ämter im Rahmen des Abschnittes über das Bekenntnis bedingt. Vielmehr werden dieselben über das Königsamt Christi mit dem verdichteten Christusbekenntnis systematisch verknüpft. Christus selbst ist es, der als aeternus Rex der Gemeinde ihre Ordnung gibt, ihre Darstellung gehört daher selbstverständlich zur Entfaltung des Christusbekenntnisses bzw. der darin bekannten Lehre, wie sie das Compendium doctrinae leistet. Es erscheint daher nur konsequent, wenn dem Erstdruck von 1551 mit der Forma precum ein Abriss der in der Fremdengemeinde verwendeten Formulare für den Sonntagsgottesdienst angehängt wurde. Auch die liturgische Ordnung wird im Sinne der professio ceremoniarum als Vollzug des Bekenntnisses und als Aneignung der wahren Lehre verstanden. Als Gemeindebekenntnis, das jeder, der in die Londoner Fremdengemeinde aufgenommen werden wollte, durch Unterschrift zu bekennen hatte, umfasst das Compendium doctrinae somit nicht nur das Bekenntnis zur Lehre, sondern auch zur Ordnung der Gemeinde. Charakteristisch erscheint dabei der bruchlose Übergang von der Lehr- zur Ordnungsdarstellung, die über den Bekenntnisbegriff vermittelt ist. Der Einzelne bekennt, in der er sich die im Petrusbekenntnis implizierte Lehre aneignet und in seinem Glaubensleben existenziell verwirklicht. Aber auch die ganze Gemeinde bekennt durch ihre Ordnung, ihre Ämter und ihre Zeremonien, die entsprechend der wahren Lehre eingerichtet sind und in die sich der Einzelne einfügt. 2.1.2.2 Das Verhältnis von Lehre, Ordnung und Bekenntnis in der Forma ac ratio und den Ordinancien Es ist im Folgenden darzustellen, inwiefern die im Compendium doctrinae vorgefundene enge Verbindung von Ordnung, Lehre und Bekenntnis ihren Niederschlag auch in den beiden Darstellungen der Londoner Gemeindeordnung, der Forma ac ratio und den Ordinancien gefunden hat. Auch in diesem Abschnitt wird ein vollständiger Durchgang durch die beiden Schriften nicht erfolgen können. Stattdessen soll wiederum die Frage nach der systematischen Stellung des Bekenntnisses im Mittelpunkt stehen. Die zentrale Bedeutung, die die Londoner Ordnung dem Bekennen beimisst, zeigt sich bereits innerhalb der Bestimmungen über die Einsetzung der Amts241 „Et qui in hisce ministeriis versantur, habent sua quaedam propria officia, quae ad alios non pertinent […], ut testentur se vere credere, quod Iesus, virginis matris filius, sit etiam sub Christi titulo summus ille atque aeternus ipsorum Rex, cuius legum atque ordinationum ipsi ministri ac custodes essent.“ (Compendium doctrinae, Kuyper II, 328)
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träger. Bekanntermaßen werden nach a Lascos Ämterkonzeption nur zwei Ämter prinzipiell unterschieden: Älteste und Diakone.242 Die Ältesten differenzieren sich entsprechend ihrer Aufgabe in Pastoren, die insbesondere mit der Wortverkündigung und der Sakramentsverwaltung betraut sind und die reliqui Seniores, die gemeinsam mit den Pastoren an der Leitung der Kirche mitwirken. Dazu gesellt sich das Amt des Superintendenten, das vor allem darauf ausgerichtet ist, den Lehrkonsens der Gemeinde zu gewährleisten.243 Jedoch haben alle Ämter, nicht nur der Superintendent, die Verpflichtung, an der Prüfung der Lehre und an der Bewahrung der Gemeinde mitzuwirken. Dieses Prinzip wirkt sich dann auch auf die liturgischen Formulare zur Ämterwahl aus: Die gewählten Amtsträger haben öffentlich ihren Glauben an die Prophetica atque Apostolica doctrina – und das heißt in Kürze: an Jesus Christus als wahren Mensch und wahren Gott – zu bekennen und zugleich ihren Einsatz für die Auferbauung der Kirche bzw. deren Lehrfundaments (so bei den Dienern des Wortes) zu geloben.244 Die Amtsträger müssen Zeugnis davon geben, dass sie sich die doctrina, hier pars pro toto in Gestalt der Zweinaturenlehre, zu eigen machen. Gefordert ist dabei nicht allein ein mündliches Bekennen, sondern das tätige Eintreten der Amtsträger für die doctrina im ganzen Leben.245 Diese Forderung nach existenzieller Aneignung der Lehre richtet sich aber über die Amtsträger hinaus an jedes einzelne Gemeindeglied und die Gemeinde als ganzer. Ein wahres, aufrichtiges Bekenntnis wird dabei immer zuerst als durch den Heiligen Geist gewirkt angesehen, der, so die Forma ac ratio, die Affekte zum Glauben hin in Bewegung versetzt.246 Davon unbeschadet weist die Londoner Ordnung allerdings eine Reihe von Einrichtungen auf, die in besonderem Maße darauf ausgerichtet sind, den Weg zu einem bekenntnismäßigen Ergreifen der Lehre zu bahnen. An erster Stelle zu nennen ist die Katechese, die in der Londoner Gemein-
242 Vgl. a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 51; vgl. auch Micron, Ordinancien, Dankbaar, 41. 243 Vgl. a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 51; auch Micron, Ordinancien, Dankbaar, 41. 244 Vgl. die jeweils analog aufgebauten Fragestücke für die Diener des Wortes, die Ältesten und die Diakone (vgl. a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 70f.75.78). Ganz ähnlich, aber etwas verkürzt auch Micron, Ordinancien, Dankbaar, 50.54.56. 245 „3. ,Vultisne huic ipsi fundamento Ecclesiae Dei, quod iam professi estis, modis omnibus pro summa virili vestra in vestra Ministerio insistere, septa illius nusquam transcendere, illud solum et doctrina et vita vestra promovere‘“ (a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 71) 246 Vgl. exemplarisch folgenden Abschnitt innerhalb der am Vortag vor der Abendmahlsfeier abzuhaltenden Ermahnung: „Porro Spiritus sanctus ita nos vult affectos esse proculdubio, ut ipsemet perpetuo affectus est, nempe ut extra Christum arguamus atque accusemus mundum universum et quidquid in illo est ac proinde nos ipsos etiam, – Christi vero solius testes ac glorificatores simus, dum doctrinam ipsius et oris nostri confessione et verae pietatis studio et vitae totius innovatione profitemur.“ (a. a. O., 141) Zur Rolle des Heiligen Geistes und der Affektenlehre bei a Lasco vgl. Sprengler-Ruppenthal, Mysterium, 137–141.
152 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 deordnung zweistufig gegliedert war :247 Die Unterweisung der kleinen Kinder unterlag den elterlichen Pflichten und fand zu Hause statt. Zweimal im Jahr wurde im Anschluss an den sonntäglichen Gottesdienst eine Katechismusprüfung abgenommen, an der alle Kinder ab fünf Jahren teilzunehmen hatten. Die Eltern meldeten hierzu ihre Kinder eine Woche vorher beim Kirchendiener an. Während der Prüfung wurden zunächst diejenigen Kinder abgefragt, die nur die Hauptstücke (Vaterunser, Glaubensbekenntnis und Dekalog) aufsagen sollten, danach folgten diejenigen, die darüber hinaus Kenntnisse im Kleinen Katechismus (M) besaßen. Im Anschluss an die Prüfung wurden die Ergebnisse mit den Eltern besprochen und diese gegebenenfalls zu größerer Sorgfalt in der Unterweisung verpflichtet. Die Unterweisung bzw. Prüfung des Kenntnisstandes der größeren Kinder erfolgte wöchentlich im Anschluss an die Predigt des Sonntagnachmittagsgottesdienstes. Zuerst wurde ein bestimmter Abschnitt aus dem großen Katechismus (L) von den Kindern rezitiert, den der Kirchendiener im Anschluss unter Einbeziehung seiner biblischen Quellen erläuterte und auslegte. Der dargestellte Unterweisungsprozess lässt im Ganzen das Interesse erkennen, die religiöse Bildung der Kinder möglichst intensiv zu begleiten und in die richtigen Bahnen zu lenken: Die Eltern wurden bei der Taufe explizit auf die Unterweisung der Kinder verpflichtet;248 die Namen aller Täuflinge wurden in einem Buch notiert, um einen Überblick über die zu unterrichtenden Kinder zu erhalten;249 schließlich sollten durch wiederholtes Abprüfen des Kenntnisstandes der Kinder eventuelle Versäumnisse der Eltern frühzeitig erkannt und aufgefangen werden. Das vorläufige Ziel aller Bemühungen bildet dabei die Zulassungsprüfung zum Abendmahl250, die regelmäßig acht Tage vor der Feier des Mahls abgehalten wurde. Nach der Predigt und vor dem Psalmengesang wurden diejenigen Jugendlichen, die ein Alter von vierzehn Jahren erreicht hatten, öffentlich vor der Gemeinde über die Hauptstücke des christlichen Glaubens befragt. Danach mussten sie geloben, in diesem Glauben standhaft zu beharren und sich der Kirchenzucht zu unterwerfen. Welch große Bedeutung die Londoner Gemeinde der Aneignung der katechetischen Lehre beimaß, zeigt die explizite Regelung für den Fall des Scheiterns: Sollte sich ein Junge oder ein Mädchen mit vierzehn Jahren noch keine hinreichende Kenntnis über die Hauptstücke des Glaubens erworben haben, so sollten die Eltern nachdrücklich dazu angehalten werden, die Unterweisung mit dem nötigen Ernst zu betreiben. Dies galt jedoch nicht für den Fall, dass das Kind allein, etwa durch fehlenden 247 Vgl. zum Folgenden a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 94–98 und Micron, Ordinancien, Dankbaar, 67–68 (gerafftere Darstellung der Unterweisung). 248 Vgl. a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 113. 249 Vgl. a. a. O., 106. 250 Vgl. zum Folgenden a. a. O., 98–100 und Micron, Ordinancien, Dankbaar, 68f.
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Eifer, die Schuld an seiner Unkenntnis trug. Dann sollten die Eltern getröstet und das Kind „straffelick (met wysheit nochtans)“ ermahnt werden. Stellte sich auch danach keine Besserung ein, blieb es vom Abendmahl ausgeschlossen und wurde – so der Extremfall – zwischen dem 18. und 20. Lebensjahr exkommuniziert. Mit dem Bekenntnis vor dem Abendmahl wurde der Prozess der Lehraneignung allerdings nicht einfach als abgeschlossen angesehen. Er fand seine Fortsetzung in den verschiedenen Lehrgottesdiensten der Gemeinde und in der Kirchenzucht. Jede Maßnahme der Zucht251 zielte dabei einerseits auf die Erhaltung der Gemeinde als communio corporis Christi, andererseits aber auch auf die (Rück-)Gewinnung des Sünders für die wahre Lehre. Auch die Exkommunikation war als ultima ratio vor allem auf dieses zweite Ziel hin ausgerichtet.252 Über die Kirchenzucht hinaus verfolgten die in der Londoner Gemeinde abgehaltenen Lehrgottesdienste den Zweck, der Ausbreitung von Irrlehre innerhalb der Gemeinde vorzubeugen und jedes einzelne Gemeindeglied zu einem vertieften Verständnis des christlichen Bekenntnisses anzuleiten:253 Neben dem Predigtgottesdienst am Sonntagvormittag und dem Katechismusgottesdienst am Sonntagnachmittag kannte man im niederländischen Gemeindezweig Bibellesungen und Auslegungen in lateinischer Sprache – diese fanden wohl unregelmäßig Montags und Mittwochs statt –, sowie die sog. Prophetia am Donnerstag: In einer Art Predigtnachgespräch wurden dabei Fragen und Einwände zu den in der vergangenen Woche gehaltenen Predigten durch die Kirchendiener vorgetragen und von den jeweiligen Predigern beantwortet. A Lasco bezeichnet diese Form des Lehrgottesdienstes daher auch als doctrina examinatio.254 Gemeindeglieder waren insofern beteiligt, als sie sich mit ihren Rückfragen vor dem Gottesdienst an einen bestimmten Kirchendiener wenden konnten, der diese dann stellvertretend formulierte. Neben der Donnerstags-Prophetia beschreibt die Forma ac ratio noch eine weitere Form, die im französischen Teil der Gemeinde am Dienstag gehalten wurde: Hier wurde ein Bibeltext reihum von Kirchendienern, Ältesten, Diakonen und ausgewählten Gemeindeglieder aus-
251 Zum komplexen System der Kirchenzucht in der Londoner Gemeinde vgl. die genaue Analyse Beckers (Becker, Gemeindeordnung, insbes. 39–106). 252 Vgl. die Definition der Kirchenzucht bei a Lasco: „Disciplina Ecclesiastica est certa quaedam e scripturis petita ratio observandi gradatim Christianas admonitiones ex verbo Dei inter fratres invicem omnes in Ecclesia Christi, ut et corpus universum singulaque illius membra in suo officio, quoad eius fieri potest, contineantur, – et, si qui in illa deprehendantur obstinati admonitionum istiusmodi contemptores, ut Satanae ad extremum per excommunicationem tradantur, si quo modo per talem pudefactionem et caro in illis interire, quod ad affectus illius attinet, et spiritus ita demum revocari ad resipiscentiam ac proinde servari etiam possit.“ (a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 170) 253 Vgl. a. a. O., 101–105; dazu auch Becker, Gemeindeordnung, 93–98. 254 Vgl. a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 92.
154 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 gelegt. In den verschiedenen Textinterpretationen offenbare sich, so a Lasco, der Reichtum der Gaben des Heiligen Geistes in der Kirche.255 Die unterschiedlichen Lehrgottesdienste können somit als weiterführende „Bildungseinrichtungen“ der Gemeinde verstanden werden. Die Auseinandersetzung mit der doctrina soll auch im Erwachsenenalter nicht einfach zum Stehen kommen, sondern wird als lebenslanger Prozess begriffen, der darauf abzielt, durch eine tiefere Erkenntnis des Glaubensgehaltes zu einer Festigung im Bekenntnis zu gelangen. Über den jeweiligen Stand innerhalb dieses Prozesses hatte sich jedes Gemeindeglied persönlich Rechenschaft zu geben; in einer institutionalisierten Form geschah dies regelmäßig im Zuge des Vorbereitungsgottesdienstes auf das Abendmahl. Die darin vorgesehene Selbstprüfung trat in die einzelnen Gemeindeglieder mit den Fragen heran, ob sie in sich die Gewissheit verspürten, erstens für sich selbst ein Kind des Zorns und des Todes, zweitens durch Christus erlöst und seiner Ehre und seinem Heil teilhaftig und drittens für die Wohltaten Gottes dankbar zu sein.256 Sowohl a Lasco wie Micron betonen in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit des Bekenntnisses und der freiwilligen Unterwerfung unter die Kirchenzucht für die Teilnahme am Mahl, um einen unwürdigen Vollzug der Mahlfeier auszuschließen.257 Diejenigen, die nicht genügend Kenntnis über die Hauptstücke des christlichen Glaubens besäßen und zu wenig Eifer im Erlernen derselben an den Tag legten, würden nicht zum Mahl zugelassen.258 Ebenso sollten all jene, die neu zur Gemeinde hinzukämen, vor der Teilnahme am Mahl ein besonderes Glaubensbekenntnis ablegen. Es ist dies der Ort, an dem sich der besprochene Kleinstkatechismus der Londoner Gemeinde (K) in die Ordnungsdarstellungen der Forma ac ratio und der Ordinancien einfügt. Charakteristisch erscheint dabei nicht so sehr die Tatsache, dass ein Katechismus Eingang in eine Gemeindeordnung gefunden hat,259 sondern dessen Funktion als Bekenntnistext im Rahmen des Gottesdienstes. Die Kenntnis der doctrina wie ihre bewusste, bekenntnismäßige
255 Vgl. a. a. O., 104. 256 Vgl. a. a. O., 124. Zur Trias Kinder des Zorns, Erlösung, Dankbarkeit vgl. Teil Zwei Kapitel 2.2.2. 257 Vgl. a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 125; ebenso Micron, Ordinancien, Dankbaar, 82. 258 „Sed quia plerique etiam reperiuntur, qui, ad Coenae usum spe maioris circa religionem studii admissi, segniores nihilominus esse postea videntur in ediscendis praecipuis verae religionis capitibus, eos sane reprehensa ipsorum segnitie ac indiligentia a Coenae usu suspendimus, donec specimen aliquod studii sui dent circa religionem et pietatem.“ (a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 126) 259 Bereits in der Württembergische Kirchenordnung von 1536 findet sich ein ausgeführter Katechismus. Dem folgten unterschiedliche süddeutsche Kirchenordnungen wie die von Johannes Brenz verfasste Schwäbisch-Haller Ordnung von 1543, die Württembergische Kirchenordnung von 1553 und auch die von Ottheinrich für die Kurpfalz erlassene Ordnung von 1556; vgl. dazu Schulz, Vorbereitung, 23 Anm. 88.
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Anerkennung bildete in London die Voraussetzung zur Teilnahme an dem die Gemeinde konstituierenden Abendmahl.260 Eine Wahrnehmung des in den Bestimmungen zum Vorbereitungsgottesdienst zum Ausdruck gebrachten Interesses an der individuellen Glaubensexistenz, die hier im Rahmen des Bekenntnisses der erwachsenen Erstkommunikanten noch einmal deutlich zu Tage tritt, scheint in der Forschung bisweilen durch die Konzentration auf das spezifische Gemeindeverständnis der Londoner Ordnung verstellt. So betont Falkenroth im Zuge einer Abwehr der juridisch-vertragsrechtlichen Interpretation von Hoffmanns261 zwar zu Recht, dass nach den Vorstellungen der Forma ac ratio die Kirche nicht in eine juristische Anstalt einerseits und ihre Mitglieder andererseits zerfällt, droht dann aber die Kategorie des Einzelnen gänzlich in einen Kollektivismus aufzulösen: „Das ’Ja’“, so Falkenroth mit Blick auf das Bekenntnis der Erstkommunikanten, „womit die Neuaufgenommenen ihr Christ-sein bekennen sollen, enthält nicht direkt das Gelöbnis zu einem rechten Christenleben nach der Lehre und den Geboten. Es vertraut dieses Gelöbnis vielmehr der Gemeinde an, in der die neuen Glieder fortan zu leben beabsichtigen, […] und durch deren Hilfe sie die dem Christen obliegenden Pflichten erfüllen wollen.“262 Daran ist richtig, dass in der Forma ac ratio wie in den Ordinancien der Einzelne niemals für sich selbst, sondern immer im Verhältnis zur Gemeinde im Blick ist. Gleichwohl sind es beide, die Gemeinde wie jeder Einzelne, die die doctrina existenziell zu verwirklichen haben. So fordert dann auch der Kirchendiener von den aufzunehmenden Gläubigen als allererstes und gerade im Gegensatz zu der zitierten Behauptung Falkenroths ein Gelöbnis zur Verwirklichung des christlichen Glaubens im Leben: „[…] nun sollen sie [sc. die Erstkommunikanten] sich vornehmen, dass sie mit ihrem Herzen der Lehre des Evangeliums Christi mit allen ihren Kräften anhängen, soweit sie in Anbetracht ihrer Schwachheit dafür einstehen können, und dass sie in der Folge ihr Leben gemäß ebendieser Lehre einrichten, indem sie der Welt und all ihren Verlockungen und ihrem Prunk absagen.“263
260 Vgl. die sich an die Wiedergabe von K anschließende, dem Konfirmationsbekenntnis entsprechende dreifache Fragenreihe (a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 135; ebenso Micron, Ordinancien, Dankbaar, 93) 261 Vgl. von Hoffmann, Kirchenverfassungsrecht, 69–76. 262 Falkenroth, Gestalt, 100. 263 „[…] num statuarint in corde suo adhaerere ex animo doctrinae Euangelii Christi pro summa virili sua, quatenus id per suam infirmitatem praestare possint, vitamque deinceps suam etiam iuxta eandem ipsam doctrinam instituere, neglecto mundo hoc eum omnibus illecebris ac pompis ipsius.“ (a Lasco Forma ac ratio, Kuyper II, 135; ähnlich Micron, Ordinancien, Dankbaar, 93)
156 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 Es geht also sehr wohl um den Einzelnen, der sich vor der ganzen Gemeinde (repräsentiert insbesondere durch den Kirchendiener) zu deren Lehre bzw. zur Lehre Christi, deren Wiedergabe sie zu sein beansprucht, ins Verhältnis setzen soll. Wie kein anderer Katechismus aus London steht K in seiner Funktion als Bekenntnis der Erstkommunikanten somit exemplarisch für die enge Verknüpfung von Lehre und Bekenntnis. Die dort durchgängig verwendete IchForm ist nicht einfach eine formale Zufälligkeit, sondern ergibt sich aus der spezifischen Verwendung als Bekenntnistext vor der Zulassung zum Abendmahl. Dabei ging es, wie gesehen, nicht um ein Bekennen im Sinne eines emotiven Aktes: Jedes Gemeindeglied sollte ein Bewusstsein davon besitzen, was es da eigentlich bekannte. Weil dies bei Kindern noch nicht der Fall ist, sind sie einerseits, obschon in den Bund Gottes aufgenommen, vom Abendmahl ausgeschlossen, andererseits jedoch der besonderen Obhut und Verantwortung der Gemeinde übergeben, die alles daranzusetzen hat, den Kindern durch den Unterweisungsprozess die notwendige Kenntnis über die Hauptstücke des christlichen Glaubens zu vermitteln. Aufs Ganze gesehen verbindet die Londoner Ordnung Bekenntnis und Ordnung genau in umgekehrter Weise wie das Compendium doctrinae: Ergab sich hier die Darstellung der Ordnung auf organischer Weise aus der Lehrdarstellung, so findet sich dort das Bekenntnis über das Abendmahl in den Kontext der Ordnungsdarstellung eingebettet. Bildete in dieser die Ordnung als professio ceremoniarum einen eigenen Aspekt des Bekenntnisses, so wird in jener das Bekenntnis in Gestalt von K in die Ordnung aufgenommen. Man wird nicht fehlgehen, dieses Ineinander von Ordnung und Bekenntnis unmittelbar aus der besonderen freikirchlichen Situation der Fremdengemeinde herzuleiten. Durch das Privileg Edwards VI. war ihr größtmögliche Unabhängigkeit von der englischen Kirche zugestanden, und a Lasco nutzte diese Freiheit, um eine reine Bekenntnisgemeinde zu etablieren, die in konzentrischen Kreisen um die Feier des Abendmahls aufgebaut war.264 Das Konzept einer derartigen Bekenntnisgemeinde, wie es in der Londoner Fremdengemeinde mehr oder weniger exemplarisch seine Verwirklichung fand, lässt sich insbesondere auf Martin Bucer zurückführen.265 Auch Bucer hat in seinem Einfältiges Bedenken, dem Kölner Reformationsentwurf aus dem Jahr 1543, Lehre und Ordnung in auffälliger Weise miteinander verknüpft: In Anlehnung an die Brandenburgisch-Nürnbergische Kirchenordnung von 1533266 eröffnet Bucer 264 Vgl. dazu Sprengler-Ruppenthal, Mysterium, 208–214 und dies., in: EKO VII.2.1, 564f; vgl. insbes. auch Becker, Gemeindeordnung, 40–79. 265 Zu Bucers Versuch der Verwirklichung dieses Konzeptes in Straßburg vgl. die nach wie vor grundlegende Arbeit von Bellardi, Geschichte; dann auch Hammann, Bucer, 294–313; Greschat, Bucer, 238–243. 266 Vgl. EKO XI, 140–205 (Bearb. Matthias Simon).
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seinen Entwurf mit einem einleitenden Abschnitt „Von der Lehre“, in dem das Motiv der Auferbauung der Gemeinde auf das Lehrfundament im Zentrum steht: „Dweil dann diese lehr Gottes vnnd vnsers Heilands Jesu Christi in keiner anderen Schrifft vff erden gefaset ist dan alleine in der Propheten vnd Apostell Schrifft, Vnd gewißlich sonst keine lehre ist, darin von anfang Gottes will von seligkeit der Menschen mit gewissem zeugniß geoffenbaret sey dan alleyn diese, Vnd Paulus spricht, das Gottes volck darauf erbawet sey, So ist ja zum ersten vnd hoechsten von noeten, das alle Predicanten in warer Gotes forcht mit hochstem fleyß die gantze heylige Schrifft lesen vnnd betrachten, sich selb vnd andere zu lehren vnd zu vnderweysen“267
Lehre und Unterweisung stellen somit die zentralen Aufgaben der Kirchendiener dar und eine Kirchenordnung, wie Bucer sie verfasst, hat die Aufgabe, die Schriftgemäßheit dieser Lehre zu sichern. Die zentrale Bedeutung der doctrina wird in Bucers Einfältiges Bedenken nun einerseits dadurch unterstrichen, dass den liturgischen Formularen eine ausgeführte Lehrdarstellung von den Ausmaßen einer kleinen Loci-Communes-Dogmatik vorangestellt ist, andererseits führt gerade dieser eigentümliche Aufbau dazu, dass die Ordnung strukturell in zwei große Teile zerfällt: einen ersten „Lehrteil“ und einem zweiten Teil, der die eigentliche Kirchenordnung unter Einschluss der gottesdienstlichen Formulare enthält.268 Dies erweckt zunächst den Eindruck, als seien Ordnung, Lehre und Bekenntnis letztendlich doch voneinander unabhängige Größen, die hier nur lose und ohne explizites Bemühen um Vermittlung miteinander verbunden sind.269 Andererseits findet sich im Bucerschen Ordnungsentwurf im Abschnitt von der Firmung ein Kleinstkatechismus, den die Konfirmanden öffentlich vor der Gemeinde bekennen sollten.270 Funktional entspricht dieser Katechismus der Position von K in der Londoner Gemeindeordnung, auch wenn sich K an neu zur Gemeinde stoßende, also erwachsene Erstkommunikanten richtet. Angesichts der Bedeutung, die Bucers ekklesiologischen Entwürfen für die Londoner Gemeindeordnung insgesamt zukommt, erscheint es wahrscheinlich, dass die strukturelle Stellung von K in der Londoner Ordnung durch das Einfältiges Bedenken angeregt ist. Die enge Verbindung von Ordnung, Lehre und Be267 Bucer, Einfältiges Bedenken, BDS 11,1,170. 268 Vgl. zum Aufbau auch Köhn, Entwurf, 72f. 269 Der Eindruck des Auseinanderfallens beider Teile mag u. a. daher rühren, dass die beiden Kapitel über die Kirche im ersten Teil des Einfältiges Bedenken von Melanchthon, nicht von Bucer, verfasst wurden; dazu Köhn: „Im Blick auf das gesamte Bedenken ist aber nicht zu verkennen, daß diese Ausführungen [sc. Melanchthons] keinen Einfluß auf die übrigen mehr oder minder eingehenden ekklesiologischen Darlegungen, namentlich in Teil II und Teil III, gehabt haben, denn dort macht Bucer seine Ansichten uneingeschränkt geltend, die denen Melanchthons zwar nicht diametral entgegengesetzt sind, sich aber doch charakteristisch von diesen unterscheiden. Diese Differenzen in der Auffassung beider Theologen stehen im Bedenken unausgeglichen nebeneinander.“ (Köhn, Entwurf, 103f.) 270 Vgl. Bucer, Einfältiges Bedenken, BDS 11,1, 318–321.
158 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 kenntnis in der Londoner Ordnung stellt offenbar eine Fortführung Bucerschen Gedankengutes dar.
2.2
Die Londoner Ordnungstradition in der Kurpfälzischen Kirchenordnung von 1563
2.2.1 Der Londoner Einfluss auf die liturgischen Formulare der Kurpfälzischen Kirchenordnung Das für die Londoner Gemeindeordnung herausgearbeitete Verhältnis von Ordnung, Lehre und Bekenntnis ist in der Folge mit den Ausführungen der KKO zu vergleichen. Zuvor soll jedoch ein Überblick über das aus der Londoner Ordnung in die liturgischen Formulare der KKO übernommene Material gegeben werden, wie es durch die bisherige Forschung, insbesondere durch Goeters, herausgearbeitet wurde. Eine erste Konzentration paralleler Formulierungen findet sich im Taufformular :271 So weisen innerhalb der Vermahnung vor dem eigentlichen Taufakt die Abschnitte zur Tauferinnerung in Zeiten der Anfechtung und zur Begründung der Kindertaufe über den Gedanken des Gnadenbundes Entsprechungen zu Microns Ordinancien auf, daneben auch das Dankgebet nach der Taufe. Becker sieht darüber hinaus die Tauffrage272 in Anlehnung an Micron formuliert.273 Innerhalb der übernommenen Passagen lassen sich dabei zwar einige Stichworte identifizieren, die für die Theologie der Londoner Fremdengemeinde von Bedeutung sind, wie „Gnadenbund“, „Wahrzeichen und Sigel“ oder „Geheimnis“, jedoch ohne, dass deren spezifische theologische Note zur Geltung gebracht würde. Immerhin wurde das „onser aller Coninck ende hooghe Priester“ aus dem Dankgebete nach der Taufe in der KKO durch die Hinzufügung des Lehramtes zu einer Anspielung auf die Drei-Ämter-Lehre vervollständigt.274 Dies ließe sich einerseits als Hinweis werten, dass den Verfassern der KKO neben der Forma ac ratio und den Ordinancien auch das Compendium doctrinae nicht unbekannt war, andererseits aber auch als naheliegende Ergänzung des von Calvin her bekannten Lehrstückes. Jedenfalls fiele auch im ersten Fall die Schärfung des Londoner Profils aufs Ganze gesehen marginal aus. 271 Vgl. EKO XIV, 339–341. 272 Die KKO nennt – im Gegensatz zur Kirchenordnung von 1556 – nicht die Adressaten der Frage. Mit Sicherheit richtet sie sich an die Paten (so auch die Ordnung Ottheinrichs, EKO XIV, 123), womöglich darüber hinaus an die Taufeltern bzw. stellvertretend den Vater (vgl. Micron, Ordinancien, Dankbaar, 74). 273 Vgl. Becker, Kirchenordnung, 287. 274 „under unserm einigen lehrer, könig und hohenpriester Christo Jesu“ (EKO XIV, 341)
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Wurden umgekehrt bestimmte Eigenheiten der Londoner Theologie innerhalb des übernommenen Traditionsgutes abgeschliffen? Dies meint Becker unter Verweis auf die genannte Tauffrage, in der bei Micron „das Kind als Kind der Gemeinde bezeichnet, in Heidelberg [dagegen] seine individuelle Kindschaft Gottes besiegelt“ würde.275 Nun lässt sich für die genannte Stelle in der Tat eine gewisse Parallele zwischen der KKO und Micron über die Wendung „unsers samens“ (KKO) bzw. „saet der ghemeinten“ (Ordinancien) festhalten, ansonsten divergieren beide Fragen allerdings sowohl strukturell – Micron kennt zwei, die KKO nur eine Tauffrage – wie auch inhaltlich: In der KKO fehlt der explizite Verweis auf die Zugehörigkeit des Kindes zum Gottesbund und die Erinnerung an die Erbsünde, stattdessen wird terminologisch die Zusage der Treue Gottes an Abraham aufgegriffen. Das verbindende Motiv des „Samens“ könnte also in der KKO auch eigenständig als Reminiszenz an die zuvor geschehene Taufvermahnung verwendet sein.276 Doch selbst wenn man an einem Einfluss der Ordinancien auf die Tauffrage der KKO festhalten wollte, erscheint Beckers einlinige Gegenüberstellung von Gemeinde (Micron) und „Individuum“ (kurpfälzische Theologie) zu kurz gegriffen:277 Das für die „Heidelberger Theologie“ reklamierte Motiv der individuellen Gotteskindschaft taucht, wie gesehen, in der Eröffnungsfrage von K an prominenter Stelle auf und umgekehrt kann die KKO gerade dort die Gemeinde ins Zentrum rücken, wo die Londoner Ordnung eher das Individuum adressiert.278 Im Hinblick auf Übereinstimmungen mit der Londoner Ordnung bildet das Abendmahlsformular einen zweiten Kulminationspunkt. Dabei fällt insbesondere die dreigliedrige Struktur Elend-Erlösung-Dankbarkeit ins Auge, die nach beiden Ordnungen sowohl im Vorbereitungsgottedienst, wie innerhalb der Selbstprüfung unmittelbar vor der Abendmahlsfeier auftaucht – eine strukturelle Parallele, auf die noch näher einzugehen sein wird. Daneben entspricht die Abwehr einer Abendmahlsscheu, wie sie innerhalb der Abendmahlsvermahnung der KKO begegnet, in ihren Formulierungen weitgehend den Ordinancien.279 Schließlich lassen sich in der Gestaltung der unmittelbar vor der Aus275 A. a. O., 287f. 276 „Wiewol aber unsere kindlein dies gemeldten ursachen und geheimnus noch nicht verstehen, vil weniger können bekennen, so sollen sie doch vom heiligen tauf keinswegs außgeschlossen werden, dieweil sie von Gott zu seinem bund berufen seind, den Gott mit Abraham, dem vater aller gläubigen und seinem samen und also auch mit uns und unsern kindern gemacht hat“ (EKO XIV, 339) 277 Vgl. Becker, Kirchenordnung, 288. 278 So im öffentlichen Bekenntnis der Gemeinde im Rahmen des Vorbereitungsgottesdienstes auf das Abendmahl; dazu ausführlich Teil Zwei Kapitel 2.2.2. 279 „Diß aber wirdt uns nicht fürgehalten, lieben christen, die zerschlagen hertzen der gläubigen kleinmütig zu machen, als ob niemands zum abendmal des herrn gehen möchte, dann die one alle sünde weren. Denn wir kommen nicht zu diesem abendmal, damit zu
160 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 teilung ergehenden Aufforderung, die Herzen in den Himmel zu Christus hin zu erheben,280 wörtliche Übereinstimmungen feststellen, die über diejenigen in Calvins Forme des priHres als zweiter in Betracht kommender Vorlage hinausgehen.281 Der Londoner Ordnung entnommen sind darüber hinaus größere Abschnitte des Eheformulars, insbesondere die Entfaltung der Ursachen des Ehestandes (gegenseitige Hilfe, Nachkommen, Meiden von Unkeuschheit) und die an die Eheleute ergehende Ermahnung zu gegenseitiger Achtung, Liebe, und Fürsorge (Mann) bzw. Unterordnung (Frau).282 Drei Entlehnungen geringeren Umfangs finden sich schließlich im Kapitel über das Kirchengebet in der Einleitung des Sündenbekenntnisses283, in der Eröffnung des Abschnittes über das Begräbnis284 (das sich anschließende Formular folgt dann aber vor allem der Kurpfälzischen Kirchenordnung von 1556) und – hierauf macht Ernst Walter Zeeden aufmerksam – in dem Abschnitt über den Krankenbesuch.285 Die Annahme eines Einflusses der Ordinancien auf das letztgenannte Formular erscheint geeignet, eine strukturelle Besonderheit desselben zu erklären: So wird in der Ermahnung der Kranken nach dem Einleitungsteil zwar mit „Erstlich“ eine Gliederung eröffnet, die jedoch im weiteren Fortgang nirgendwo aufgenommen wird.286 Der zur Gliederung hinleitende Teil über die individuelle Gestaltung des Krankenbesuches und der erste Gliederungspunkt, „daß alle kranckheyten […] von der handt Gottes […] uns zugeschicket werden“ sind dabei unter Eintrag des Vorsehungsgedankens Microns
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bezeugen, daß wir volkommen und gerecht seind in uns selbst, sonder dargegen, weil wir unser leben ausserhalb uns in Jesu Christo suchen, bekennen wir, daß wir mitten in dem todt ligen.“ (EKO XIV,384; vgl. Micron, Ordinancien, Dankbaar, 99) Vgl. EKO XIV, 386. So insbesondere das analoge Verhältnis von leiblicher Speisung mit Brot und Wein und geistlicher Speisung der Seelen mit Leib und Blut Christi. Die Formulierungen erinnern dabei jedoch ebenfalls an HK 75, so dass auch C 340 in Verbindung mit der Forme des priHres im Hintergrund stehen könnte. Vgl. EKO XIV, 398.400 und die entspr. Anmerkungen 26.36.40; vgl. Micron, Ordinancien, Dankbaar, 61 (dort jedoch unmittelbar nach der Lesung der Zehn Gebote). Vgl. EKO XIV, 389. Dort ist die pointierte Absage an „alle papistische und abergleubische ceremonien“ offenbar aus den Ordinancien entnommen; vgl. EKO XIV, 406; Micron, Ordinancien, Dankbaar, 151. Vgl. Zeeden, Elemente, 193. „Wiewol nun alle bekümmerte und krancken nit einerley anligen haben und derwegen auch kein solcher trost kan beschrieben werden, der auf die gestalt und umbstende eines jeden anligen gerichtet sey, so sollen dannoch diese nachvolgende hauptstück und lehren gemeinlichen allen krancken fürgetragen werden. Erstlich, daß alle krankckheyten nicht ohne gefähr, sonder von der handt Gottes und seiner väterlichen vorsehung uns zugeschickt werden, auf daß wir unsere sünden als die ursach alles unsers elends erkennen und uns für Gott demütigen.“ (EKO XIV, 402)
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Ordinancien entlehnt,287 während die folgende „seelsorgerliche Anweisung“ den Akzent weg von Microns eher „gesetzlichen“ Deutung der Krankheit als Sündenstrafe, hin zu der dem Kranken in seiner Anfechtung zuzusprechenden Gnade Gottes verschiebt.288 Offenbar wurde es im Zuge des Abfassungsprozesses der KKO versäumt, die Gliederungsstruktur an den redaktionellen Eingriff anzupassen, so dass eine gewisse Ungereimtheit entsteht. Die sich anschließende Ansprache an den Kranken folgt dann wieder ganz der Kurpfälzischen Ordnung von 1556. Überblickt man das aus der Londoner Ordnung übernommene Material in seiner Gesamtheit, so fällt ins Auge, dass man bei der Abfassung der KKO offenbar allein auf die Darstellung Microns zurückgriff. Alle angeführten Stellen entstammen den Ordinancien, die Forma ac ratio wurde offenbar nicht herangezogen. Dies mag zum einen mit der „praxisnäheren“ Konzeption der erstgenannten Darstellung zusammenhängen, die auf ausführliche reflektierende Passagen, wie sie die Forma ac ratio bietet, verzichtet. Zum andern besaßen die von Micron auf Niederländisch abgefassten Ordinancien natürlich mehr Anknüpfungspunkte für eine unmittelbare Übertragung einzelner Passagen und Formulierungen ins Deutsche – 1565 erschien in Heidelberg eine vollständige Übersetzung derselben.289 Beschränkt man sich auf die Ebene des theologischen Gehaltes, wird man den Einfluss der Londoner Ordnung zunächst als wenig signifikant beurteilen müssen: Zwar stellte sie neben der kurpfälzischen Kirchenordnung von 1556, der Forme des priHres bzw. den Ordonnances eccl8siastiques, der Liturgia sacra Poullains eine der am häufigsten verwendeten Quellen der KKO dar, jedoch ohne dass sich dies in der Übernahme zentraler theologischer Motive niederschlüge: Der Gedanke der Gemeinde als communio Corporis Christi steht, wenn überhaupt zu beobachten, eher im Hintergrund, eine Ämterordnung oder ein aus287 „Ende so werdt de crancke mensche besocht, onderwesen ende ghetroost, wt den worde Gods, daer na datmen siet hem noot te hebben. Want het niet wel moghelick is, eenen sekeren siecken troost te beschryuen, die alle menschen euen ghelyck dienen soude: Ghemeinlick nochtans moeten dese nauolghende hooftstucken der leeringhe in alle cranckheit aenghemerckt sijn. Ten eersten, dat de sieckten alleen van God, den menschen toeghesonden werden: ghelijck men ouer al in de Schriftuere beuindt.“ (Micron, Ordinancien, Dankbaar, 149) 288 Der entsprechende Abschnitt, der in der KKO ausgelassen bzw. umgearbeitet wurde, lautet bei Micron: „Ten anderen, dat God de sieckten niet te vergheefs toesendt: mer op datmen daer doer syn gherechticheit ende barmherticheit te beter leere kennen ende mercken. Ende hier in werdt claerlick beuonden het onderscheidt der godloosen ende der kinderen Gods. Want alle die dese gherechticheit ende barmherticheit Gods in haer crancheit niet mercken: bewysen genoechsamelick dat sy gheen kinderen Gods sijn. Ende dan wertmen ten rechte van de gherechticheit Gods doer de cranckheit [sic!] vermaent: alsmen ouerlegt, dat de doot ende al dat daer toe is leidende, sy de loon der sonde.“ (ebd.) 289 Abgedruckt in EKO VII.2.1, 579–667.
162 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 geführtes Formular zur Durchführung der Kirchenzucht fehlen in der KKO völlig.290 Erstere wurde mit der Kirchenratsordnung von 1564291 in Teilen nachgetragen, die Ämterbesetzung regelte man jedoch im Sinne einer deutlichen Orientierung am „hergebrachten“ landesherrlichen Modell und ohne auf das für die Londoner Ordnung charakteristische Prinzip der Gemeindebeteiligung bei der Ämterwahl zurückzugreifen.292 Über die Art und Weise der Verwirklichung der Kirchenzucht entbrannte in den Folgejahren der Streit zwischen den beiden theologischen Lagern in der Kurpfalz, der erst durch das Edikt zur Kirchendisziplin im Jahr 1570 beendet werden konnte.293 Es fehlen der KKO somit zwei Kernelemente, die den Charakter der Londoner Ordnung in hervorragender Weise bestimmen. Ansonsten bleibt das im Taufformular, in der Eheordnung und in der Ordnung des Krankenbesuchs auftauchende Londoner Material für sich genommen wenig aussagekräftig. Einzige Ausnahme bildet das Abendmahlsformular, auf das die Londoner Ordnung offenbar strukturbildend eingewirkt hat. Damit ist aber die Frage aufgeworfen, ob sich der Einfluss der Londoner Ordnung über das unmittelbar in die einzelnen Formulare übernommene Material hinaus für übergreifende strukturelle Elemente der KKO nachweisen lässt. 2.2.2 Die Stellung der Lehre in der Kurpfälzischen Kirchenordnung und ihr Verhältnis zur Londoner Ordnungstradition Die Betrachtung der Londoner Ordnungstradition hatte gezeigt, dass darin Lehre, Ordnung und Bekenntnis aufs Engste miteinander verbunden waren. Nicht nur konnten wie im Compendium doctrinae die Ämterordnung und die liturgischen Formulare selbst als Bekenntnis verstanden werden, auch an den Ordnungsdarstellungen ließ sich in der ausführlichen Beschreibung der unterschiedlichen Lehrinstitutionen und der Aufnahme von K als Abendmahlsbekenntnis ein gesteigertes Interesse an der existenziellen Aneignung der Lehre durch den Gläubigen und die Gemeinde erkennen. Es ist nun zu sehen, in welchem Verhältnis Lehre, Ordnung und Bekenntnis in der KKO stehen. Bereits in seiner Vorrede zur KKO hält Friedrich III. fest, dass diese neben dem Zweck, Einheitlichkeit in den liturgischen Vollzügen herzustellen, dazu diene, die „erkandnuß göttliches worts und willens“ zu befördern.294 Dieses Ziel 290 291 292 293
Vgl. auch Becker, Kirchenordnung, 288. Vgl. EKO XIV, 409–424. Zu den Bestimmungen der Kirchenratsordnung von 1564 vgl. Zeeden, Elemente, 205–212. Zum kurpfälzischen Streit über die Kirchenzucht vgl. insbes. Gunnoe, Erastus, 173–256; Wesel-Roth, Erastus 45–64; einen Abriss bieten Maissen, Erastus; Press, Calvinismus, 245– 252 und Walton, Streit. 294 „Auf daß nun auch in den ceremoniis, administrierung der heiligen sacramenten und
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findet dann innerhalb der durch die Ordnung eingeführten Lehrinstitutionen seinen expliziten Niederschlag: Vorgesehen waren eine Lesung des HK im sonntäglichen Hauptgottesdienst295, die Lesung einer Summa des catechismi im Katechismusgottesdienst am Sonntagnachmittag und vor allem die in seinem Rahmen stattfindende Katechese der Jugend. Diese wurde in einer ganz ähnlichen Form abgehalten wie in der Londoner Fremdengemeinde: Zunächst wurden die jüngeren Kinder abgehört,296 danach folgten die Älteren, die diejenigen Fr aus dem HK aufsagen sollten, die dem vergangenen und dem gegenwärtigen Sonntag zugeordneten waren, schließlich wurden die für den gegenwärtigen Sonntag vorgesehenen Fr durch den Kirchendiener ausgelegt. Angesichts der Präsenz des Katechismus in den gottesdienstlichen Vollzügen drängt sich der Eindruck auf, „dass die ganze Gottesdienstordnung nur um des Katechismus und seiner Einführung willen vorhanden sei und viel mehr als irgend welches liturgisches Prinzip das Bestreben, den Katechismus zum unverlierbaren Eigentum der ganzen Bevölkerung zu machen, dabei massgebend gewesen sei.“297 Ganz ähnlich der Londoner Ordnung zeigt die KKO nun aber das Bemühen, jedem einzelnen Christen nicht nur genaue Kenntnis über den christlichen Glaubensgehalt zu vermitteln, sondern auch zum existenziellen Ergreifen der Lehre im Bekenntnis anzuleiten. Nirgendwo sonst kommt dieses Interesse deutlicher zur Geltung als im Formular für den Vorbereitungsgottesdienst samstags vor der Abendmahlsfeier. In ihm sollte zunächst eine Predigt über den „rechten verstand und brauch des heiligen abendmahls“298 gehalten werden, bevor in einem öffentliche Katechismusverhör die Erstkommunikanten auf ihre Kenntnis des Glaubensbekenntnisses, der Zehn Gebote, des Vaterunsers und der Abendmahlsartikel des HK geprüft wurden. Derartige Rüstgottesdienste mit
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andern kirchenübungen […] ebnermassen erheischender notturft nach ein richtigkeyt und gleichförmigkeyt gehalten werde und also unsere liebe underthonen zugleich in der lehr und auch in den eusserlichen ceremoniis zu rechter erkandnuß göttliches worts und willens durch einen einträchtigen und in der heiligen schrift gegründten weg gebracht […] möchten werden.“ (EKO XIV, 335) Vgl. a. a. O., 342. Die zu lesenden Stücke waren vergleichsweise lang: Der ganze HKwurde in nur neun Teile geteilt, von denen jeden Sonntag einer gelesen werden sollte. Am zehnten Sonntag schloss sich die Lesung der an den HK angehängten Bibelverse an („sprüch, darin ein jeglicher seines berufs erinnert wird“). Die Vorgaben der KKO scheinen an dieser Stelle nicht ganz eindeutig: „Darauf soll er [der Kirchendiener] die angehenden, welche die fragen, so gepredigt werden, noch nit lernen können, verhören und ordenlich erstlich ein zeit lang auf die text, darnach auch allgemach auf die fragestück anleiten.“ (ebd.) Der Abschnitt ist wohl analog zu den Bestimmungen der Londoner Ordnung zu verstehen: Das Verhör der kleinen Kinder umfasste lediglich die katechetischen Hauptstücke, da diese auf Grund ihres Alters den ganzen HK noch nicht beherrschten. Die sich anschließende Unterweisung bezog sich dann sowohl auf die Hauptstücke wie auf die Fr des Katechismus; so auch Bassermann, Geschichte, 69–71. A. a. O., 71. EKO XIV, 381.
164 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 ausführlicher Predigt über das Abendmahl waren im süddeutschen Raum nichts Ungewöhnliches; sie entwickelten sich, wohl unter dem Einfluss der Bucerschen Kirchenordnungen, aus der Einrichtung, ein Privatverhör mit Absolution vor der Feier des Abendmahls abzuhalten;299 auch die Kurpfälzische Kirchenordnung von 1556 weist einen derartigen Gottesdienst auf.300 Ins Auge fällt in der KKO im Vergleich zu ihrer Vorgängerin jedoch das öffentliche Katechismusverhör der Erstkommunikanten. In der Ordnung von 1556 war zwar ebenfalls ein Verhör vorgesehen, jedoch sollte dieses privat vor dem Kirchendiener stattfinden, so dass es als unmittelbare Vorlage für die KKO ausscheidet.301 Demgegenüber beschreibt Bucer in seinem Einfältiges Bedenken eine derartige öffentliche Form, die jedoch nach Bucerscher Vorstellung im Rahmen der Konfirmation nur an einem bzw. zwei besonderen Terminen im Kirchenjahr und nicht innerhalb eines Vorbereitungsgottesdienstes auf das Mahl stattzufinden habe.302 Auch das Fehlen der Handauflegung und die explizite Abwehr der Bezeichnung „Firmung“ in der KKO303 sprechen gegen das Einfältiges Bedenken als Vorlage. Eine naheliegende traditionsgeschichtliche Herleitung liefert Frieder Schulz, wenn er darauf aufmerksam macht, dass schon die Pfalz-Neuburgische Kirchenordnung von 1543 bzw. 1547 ein öffentliches Katechismusverhör im Vorbereitungsgottesdienst auf das Mahl vorsieht. Schulz’ Rekonstruktion hat jedoch mit der Schwierigkeit zu kämpfen, dass das von ihm vermutete Weiterwirken der Pfalz-Neuburgischen Kirchenordnung über die vorläufige Kirchenordnung Friedrichs II. von 1546304 für den Fall des öffentlichen Katechismusverhörs quellenmäßig schwer zu belegen sein dürfte: Letztere zieht zwar die Pfalz-Neuburgische Ordnung an zwei Stellen subsidiär heran,305 lässt jedoch ein öffentliches Katechismusverhör unerwähnt. Eine alternative Herleitung wäre über die Londoner Ordnung möglich. Sowohl die Ordinancien wie die Forma ac ratio beschreiben eine ganz ähnliche Zulassungsprüfung für die jugendlichen und erwachsenen Erstkommunikanten im Rahmen eines Vorbereitungsgottesdienstes auf das Abendmahl ohne Handauflegung.306 Hier wie dort steht das abgehaltene Examen darüber hinaus in engstem Zusammenhang mit einem vor dem Mahl abzulegenden Bekenntnis. Die Londoner Ordnung verband Abendmahl und Bekenntnis innerhalb des 299 Die schrittweise Entwicklung des Vorbereitungsgottesdienstes aus dem Privatverhör skizziert Schulz, Vorbereitung, 2–7. 300 Vgl. EKO XIV,144f. 301 Vgl. a. a. O., 146. 302 Vgl. Bucer, Einfältiges Bedenken, BDS 11,1,317. 303 Vgl. EKO XIV,141f. 304 Vgl. a. a. O., 94–102. 305 Bei der Kommunikantenermahnung, bei Taufe und Eheeinleitung, vgl. Goeters, in: EKO XIV, 17. 306 Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 94–98 und Micron, Ordinancien, Dankbaar, 67–68.
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Vorbereitungsgottesdienstes wie gesehen auf zweifache Weise: zum einen durch das im Anschluss an die Katechismusprüfung bzw. die Prüfung von K abzulegende Gelöbnis auf Bewahrung der Lehre und Unterwerfung unter die Kirchenzucht, zum andern durch die von jedem Gemeindeglied mitzuvollziehende Selbstprüfung. In der KKO schließt sich an das öffentliche Katechismusverhör nun ebenfalls eine Glaubensprüfung an, die jedoch nicht im Stillen von jedem Einzelnen, sondern öffentlich von der ganzen Gemeinde zu leisten ist, in diesem Sinne also keine Selbstprüfung wie in der Londoner Gemeinde darstellt. Sie gliedert sich in drei Fragen, die die Gemeinde jeweils mit Ja zu beantworten hat, danach folgt eine Zusage der Sündenvergebung, die weniger den Charakter einer Absolution als einer Erinnerung an die einmalige durch Christus geschehene Erlösung besitzt.307 Die Prüfung der Gemeinde folgt in ihrem dreigliedrigen Aufbau wiederum dem verdichteten Lehrschema Elend-Erlösung-Dankbarkeit und orientiert sich in ihren Formulierungen eng an den Fr des HK.308 Man kann hier bereits eine strukturelle Parallele zur Londoner Ordnung erkennen, insofern hier wie dort ein besonderes Interesse an der existenziellen Aneignung der Lehre durch die Gemeindeglieder erkennbar ist und beide Ordnungen dafür in Gestalt einer Prüfung bzw. Selbstprüfung einen spezifischen liturgischen Ort schaffen. Die Aneignung der Lehre wird dabei nicht als einmaliger Akt im Sinne eines nachgeholten Taufbekenntnisses verstanden, sondern als jeweils neu zu vollziehendes Ergreifen des Glaubensgehaltes vor dem Abendmahl. Die strukturelle Gemeinsamkeit geht aber noch tiefer, insofern bereits in der Londoner Ordnung innerhalb der Selbstprüfung des Vorbereitungsgottesdienstes die Trias Kinder der Sünde-Kinder Gottes-Dankbarkeit als Gliederungselement auftaucht: KKO Dieweil uns das wort Gottes dise drey stück fürhelt, erstlich unsere sünden, zum andern unserer erlösung, zum dritten die danckbarkeyt, so wir Gott dargegen schuldig seind, so stelle im ein jeder für die augen die summa der gebot Gottes309
Micron, Ordinancien „Ende aengaende de kennenschap ons selfs, die is in drie hooftstucken meest gheleghen. Te weten: dat wy bekennen, wat wy in ons seluen sijn, namelick, kinderen des toornicheits ende doots, slauen des Duyuels ende der sonden. Voorts, wat wy sijn in Christo. Te weten kinderen Gods. Ende ten laetsten, wat God van ons, onse leuen lanck, is eschende, namelick, het ghelooue ende dancbaerheit.“310
307 Vgl. EKO XIV, 382f; zum besonderen Charakter des Schlußteils der Vorbereitung auch Schulz, Vorbereitung, 24–28. 308 Insgesamt finden sich 25 Fr aus dem HK aufgenommen; vgl. die Synopse bei Schulz, Vorbereitung, 11–14. 309 EKO XIV, 382 (Hervorhebungen von mir, TS). 310 Micron, Ordinancien, Dankbaar, 82 (Hervorhebungen von mir, TS).
166 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 Dieselbe parallele Struktur begegnet in beiden Ordnung darüber hinaus an der am Abendmahlstag durchzuführenden Gewissensprüfung, die nun auch nach der KKO in Form einer Selbstprüfung zu geschehen hat. Wie in der Londoner Ordnung so hat auch die von der KKO vorgesehene Prüfung der Gewissen jeweils in drei Schritten zu erfolgen. Der Gläubige solle sich fragen, ob man sich erstens der eigenen Sünde bewusst sei, zweitens die Erlösung in Christus bekenne, und drittens den rechten Vorsatz zur Dankbarkeit (KKO) bzw. zur Besserung des Lebens (Ordinancien) in sich verspüre.311 Angesichts dieses Befundes stellt sich die im vorhergehenden Kapitel angeschnittene Frage nach der Herkunft der dreigliedrigen Struktur „Elend, Erlösung, Dankbarkeit“ im HK erneut. Bezüglich ihrer traditionsgeschichtlichen Herleitung konkurrieren vier312 unterschiedliche Forschungsmeinungen: Abzulehnen ist angesichts der beobachteten Strukturparallele die Auffassung Langs, das Dreierschema sei durch Ursinus unter Aufnahme der lutherischen Gegenüberstellung von Gesetz und Evangelium, womöglich auch unter dem konkreten Einfluss von Luthers Kurze Form der zehn Gebote von 1520 eigenständig gebildet worden.313 Offenbar existierte es bereits vor dem HK, wie schon Reus Hinweis auf den durch Nicolaus Gallus (1516–1570) mit einem Vorwort versehenen Regensburger Katechismus von 1547314 zeigt. Dieser folgt zwar im Ganzen der Gliederung Buße-Evangelium-gute Werke, das angehängte kurze Bekenntnis fasst dies jedoch in der Trias Sünde-Erlösung-Dankbarkeit zusammen.315 Die These Reus erhält besonderes Gewicht durch einen Heidelberger Nachdruck des Regensburger Katechismus aus dem Jahr 1558.316 Unter expliziter Abwehr der These Reus sah demgegenüber Walter Hollweg die unmittelbare Vorlage der Gliederung des HK im kürzeren Bekenntnis Theodor Bezas: Die dort in den Artikeln 17–20 gegebene Übersicht über die
311 Vgl. EKO XIV, 384; Micron, Ordinancien, Dankbaar, 98. 312 Als fünfte Herleitung könnte man darüber hinaus Gooszens Behauptung nennen, das Dreierschema fuße auf einer übergeordneten Einteilung der Loci praecipui theologici Melanchthons von 1521 (Sünde/Gesetz, Gnade/Evangelium, Buße/Liebe/Sakramente); vgl. Gooszen, Catechismus, Inl. 75. Es bleibt jedoch unklar, wo Gooszen den für die Gliederung des HK so markanten Begriff der Dankbarkeit in den letzten Teilen der Loci verortet sieht. Als übergreifendes Gliederungselement fungiert er dort jedenfalls nicht. Zur Kritik vgl. auch Bierma, Ursprünge, 33. 313 Vgl. Lang, Katechismus, Einl. LXXIXf. Ganz ähnlich später auch Weber : „Man wird urteilen müssen, daß die berühmte Dreiteilung, die für das Verständnis des Gesetzes von großem Belang ist, im wesentlichen eine eigenständige, jedoch auf melanchthonische Voraussetzungen beruhende Leistung darstellt.“ (Weber, Theologie, 36f.) 314 Vgl. Reu I,1, 720–734. 315 Vgl. Reu I,1, 198.447f. 316 Ein Kurtze Ordenliche summa, Sign. UB HD, Bibl. Pal., F2827.
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Offenbahrungswahrheiten des christlichen Glaubens zeige ein ganz analoges Dreierschema wie der HK.317 Sowohl die These Hollwegs wie diejenige Reus implizieren mit Blick auf das Dreierschema eine Priorität des HK vor den Formularen der KKO. Von den historischen Gegebenheiten her ist diese Annahme jedoch keinesfalls zwingend. Beide Dokumente entstanden, wie gesehen, etwa zeitgleich, die frühere Veröffentlichung des HK bedeutet nicht, dass zu dieser Zeit nicht bereits Teile der KKO existiert haben könnten. In seinem in der kirchenhistorischen Forschung kaum rezipierten Aufsatz zum Vorbereitungsgottesdienst der KKO formuliert Frieder Schulz daher die Gegenthese: Die enge Verflechtung von Katechismus und Ordnung spräche gegen eine unabhängige Entstehung der beiden Dokumente, mit Blick auf das Dreierschema käme nicht dem HK, sondern der KKO Priorität zu. Dieses lasse sich traditionsgeschichtlich auf Bucers Einfältiges Bedenken aus dem Jahr 1543 zurückführen. Bucer verwendete das Schema in seinen Formularen zum Rüstgottesdienst vor der Taufe, im zweiten Begräbnisgebet und in der Absolutionsformel aus dem Eingang des sonntäglichen Abendmahlsgottesdienstes.318 Von dort sei es dann auch in die Ordnung der Londoner Flüchtlingsgemeinde eingedrungen.319 Die schwächste der genannten Thesen stellt wohl die Auffassung dar, ausschlaggebend für die Übernahme des Dreierschemas sei der genannte Regensburger Katechismus bzw. dessen Heidelberger Nachdruck gewesen. Eine weitere Verwendung dieses Katechismus bei der Erstellung des HK, die über das Dreierschema hinausginge, ist nicht nachweisbar. Ursinus kam erst 1561, also drei Jahre nach dem Heidelberger Druck des Regensburger Katechismus in die Kurpfalz und es ist unklar, inwiefern er ihn bei der Abfassung von Mi überhaupt kannte. Eine elegantere Erklärung böte die These Hollwegs, insofern der Einfluss der beiden Bekenntnisse Bezas auf den HK nach dem von ihm geführten Nachweis trotz einiger Bedenken im Einzelnen als gesichert gelten kann. Mit Blick auf das Dreierschema eignet Hollwegs Argumentation jedoch eine gewisse Schwerfälligkeit: Beza nennt in seinem kürzeren Bekenntnis gerade nicht die Dankbarkeit, sondern die Heiligung als dritte Wirkung des Geistes, ein Unterschied, den Hollweg durch eine umständliche Interpretation des Heiligungsgedankens im HK auffangen muss.320 Wäre es demgegenüber plausibler, der von 317 318 319 320
Vgl. Hollweg, Untersuchungen I, 100f. Vgl. Schulz, Vorbereitung, 17–21. Vgl. ebd. Hollweg ist der Auffassung, dass der Heiligungsgedanke für den HK als Gliederungselement für den dritten Teil ausfällt, weil er schon innerhalb der Auslegung des Apostolikums Verwendung fand. An dessen Stelle setzte man das Motiv der Gebotserfüllung als Ausdruck der Dankbarkeit, die man Bezas Confessio entnahm. Vgl. Hollweg, Untersuchungen I, 101f. Abgesehen davon, dass nicht recht einsichtig ist, welches systematische Defizit dem HK
168 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 Schulz gelegten Spur Richtung Bucer zu folgen? Dessen detaillierte Untersuchung lässt zwar kaum einen Zweifel daran offen, dass das Dreierschema tatsächlich von Bucer her in die Londoner Ordnung eingedrungen ist, bildete das Einfältiges Bedenken doch eine der wichtigsten Bezugspunkte für a Lasco bei deren Gestaltung. Jedoch melden sich Bedenken an, ob Bucers Ordnungsentwurf darüber hinaus die unmittelbare Vorlage für das entsprechende Formular der KKO darstellt: Das Verhältnis der KKO zum Einfältiges Bedenken ist bislang nicht Gegenstand genauerer Untersuchung geworden, Goeters nennt sie nicht unter den Quellenschriften und hält darüber hinaus den Einfluss „des Straßburger liturgischen Erbes auf Kurpfalz […] mittelbar durch die Genfer Ordnung [für] besser verständlich.“321 Erschwerend kommt hinzu, dass das Dreierschema im Einfältiges Bedenken nur im Gottesdienst vor der Taufe, im Begräbnisgebet und im Abendmahlsgottesdienst selbst auftaucht und somit gerade nicht im Vorbereitungsgottesdienst auf das Mahl. Der Durchgang durch die vier Thesen legt den Schluss nahe, dass das Dreierschema Elend-Erlösung-Dankbarkeit offenbar weiter verbreitet war, als dies in der Forschung im allgemeinen angenommen wurde.322 Darin trifft sich diese Arbeit mit den Ergebnissen eines jüngst von Lyle D. Bierma veröffentlichten Aufsatzes zur Dreiteilung des HK.323 Angesichts der zu konstatierenden weiten Verbreitung des Dreierschema möchte Bierma nun allerdings auf eine Rekonstruktion des Überlieferungsweges gänzlich verzichten und begnügt sich mit der allgemeinen Feststellung, die Dreiteilung sei „weitreichend in lutherischer Literatur“ präsent gewesen.324 Zu derartiger Resignation besteht m. E. kein Anlass: Bereits Schulz hatte – im vollen Bewusstsein einer breiteren Verwendung des Dreierschemas in der zeitgenössischen Literatur – den Versuch unternommen, den Weg, auf dem dasselbe in den HK eingedrungen war, traditionsgeschichtlich aufzuhellen. Wenn auch seine Rückführung auf Bucer mit gewissen Schwierigkeiten belastet ist, so zeigt sie doch, dass durch ein Heranziehen der KKO weiterführende Aussagen über die Herkunft des Dreierschemas möglich sind. Die gegen seine These angeführten Einwände ließen sich leicht umgehen, nähme
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hätte erwachsen sollen, wenn nach der Thematisierung des Heiligungsgedankens im Rahmen der Auslegung des Apostolikums auch der dritte Teil unter den Begriff der Heiligung gestellt worden wäre, findet sich auch die Verbindung von Gebotserfüllung und Gebet unter dem Dankbarkeitsmotiv in der Tradition bereits vorgebildet. Vgl. dazu Teil Zwei Kapitel 1.2.1 (S. 100). Goeters, in: EKO XIV, 46. Demgegenüber weist Schulz bereits früh auf eine weitere Verbreitung der Dreiteilung hin: „Jedenfalls ist das berühmte Dreierschema nicht allein auf den HK beschränkt, sondern schon vor ihm zu finden. Gerade im „Quellgebiet“ der KKO, dem Raum Straßburg, Hessen, Cöln, Ostfriesland, gibt es gleich eine ganze Reihe von Beispielen.“ (Schulz, Vorbereitung, 17) Vgl. Bierma, Ursprünge. Vgl. Bierma, Ursprünge, 37.
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man die Londoner Kirchenordnung als eine weitere Stufe in den von Schulz skizzierten Traditionsprozess auf: Dann hätte das Dreierschema seinen Weg von Bucers Einfältiges Bedenken aus in die Londoner Ordnung gefunden, wo sie innerhalb der Taufvermahnung an gleicher Stelle wie bei Bucer zu finden ist, darüber hinaus jedoch die Selbstprüfung innerhalb des Vorbereitungsgottesdienstes auf das Abendmahl und die Prüfung der Gewissen im Abendmahlsgottesdienst selbst strukturiert.325 Die beiden letztgenannten Formulare beeinflussten dann die Gestalt der KKO, insofern sie auf die entsprechenden Texte im Abendmahls- und Vorbereitungsgottesdienst einwirkten. Die in der Londoner Ordnung vorgesehene Selbstprüfung im Vorbereitungsgottesdienst wurde durch die Verfasser der KKO zu einer öffentlichen Prüfung der Gemeinde mit Bekenntnischarakter transformiert und das Dreierschema zugleich zu einem Gestaltungsprinzip der Lehre erhoben. Dementsprechend fungierte es schon in Ursinus’ kleineren Katechismus (Mi) und dann im HK als das zentrale Moment der Stoffgliederung. Diese Rekonstruktion hat den Vorzug, dass das Heranziehen der Londoner Tradition sowohl für die KKO wie für den HK wie auch für Mi unabhängig von der Debatte um das Dreierschema gut belegt ist. Es entfällt somit die Notwendigkeit, einen über die bekannten Quellen hinausgehenden Einfluss auf den HK, die KKO oder Ursinus anzunehmen und dessen Rezeption zu belegen (Regensburger Katechismus bzw. Bucers Einfältiges Bedenken). Die in Katechese, Predigt und Bekenntnis geschehende Aneignung bzw. „Einbildung“326 der Lehre kann – auf Grund der sündhaften Struktur des Menschen – für die KKO nur prozesshaft „je lenger je mehr“ geschehen: Logisch und zeitlich geht diesem Prozess die Taufe als Aufnahme in den Gnadenbund voraus. Mit dem Ablegen des Abendmahlsbekenntnisses nach dem Durchlaufen der Katechese ist jedoch insofern eine neue Qualität erreicht, als erst durch die Kenntnis der zentralen Glaubensgehalte der Gläubige in vollem Sinne zum Be325 Vgl. Micron, Ordinancien, Dankbaar, 75.82.98. 326 Diese Vokabel verwendet die KKO des Öfteren zur Beschreibung des existenziellen Ergreifens der Lehre, exemplarisch sei hier nur die Anweisungen für den Krankenbesuch zitiert: „Wie auch dargegen im fall, der krancke mit schmertzen seines gewissens geengstiget ist, der kirchendiener das verwundte gewissen nicht herter engstiget, sonder vielmehr die heilsame gnad Gottes ime fleissig einbilden soll. Darzu der kirchendiener brauchen mag die erste frag des catechismi und dieselbige dem krancken mit angezogenen sprüchen auß der heiligen schrift wol einbilden, das nemlich der arme, krancke leib, wie er da ligt, sampt der seelen des herrn Christi eigen sey und durch das blut Jesu Christi von allen sünden erlößt und erkauft etc Diß soll auch der kirchendiener zu mehrerm trost durch die artickel des christlichen glaubens dem krancken erklären und ime anzeigen, wie er sich eines jeden artickels für seine eigne person in seiner kranckheyt habe zu trösten, wie dann dasselb leichtlich auß dem catechismo und darbey angezognen sprüchen zu thun ist.“ (EKO XIV, 402; Hervorhebungen von mir, TS) An dem Abschnitt wird deutlich, dass die existenzielle Aneignung der Lehre immer zugleich eine affektive Dimension hat, insofern sie auf den Trost des Gläubigen gerichtet ist.
170 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 kenntnis befähigt ist. Dieses ist aber Bedingung für die Teilnahme am Mahl, wie das öffentliche Gemeindebekenntnis im Vorbereitungsgottesdienst zeigt. Ist die oben vorgenommene traditionsgeschichtliche Herleitung richtig, so zeichnen sich hier Ansätze zur Verwirklichung einer Bekenntnisgemeinde unter den Bedingungen des landesherrlichen Kirchenregiments ab – ein Bemühen, das durch das Fehlen spezifischer Regelungen zur Kirchenzucht und einer Ämterbesetzung „von oben“, wie sie die Kirchenratsordnung von 1564 vorsieht, allerdings sofort wieder konterkariert wurde. Trotz dieser Inkonsequenzen verstärkt die Verwendung des Dreierschemas den Eindruck einer Ausrichtung der gesamten Ordnung auf die Lehre. Denn nicht nur das Gemeindebekenntnis im Vorbereitungsgottesdienst auf das Abendmahl, die Gewissensprüfung im Abendmahlsgottesdienst selbst und der HK besitzen diese dreigliedrige Struktur, sondern auch die schon genannte Kurtze summa des catechismi. Diese sollte in allen Städten am „anfang der mittagspredigt“, also wohl während des zweiten Gottesdienstes am Sonntag verlesen werden. In denjenigen Orten, wo nur eine Predigt am Sonntagnachmittag stattfand, soll die Verlesung der Summa während des Katechismusgottesdienstes erfolgen.327 Auch diese gliedert sich in die drei Teile Elend, Erlösung und Dankbarkeit, übernimmt jedoch nicht die Frage-Antwort-Struktur des HK. Die katechetischen Hauptstücke erscheinen an entsprechender Stelle, die Zehn Gebote sind also dem dritten Teil von der Dankbarkeit zugeordnet. Aus der Perspektive der KKO stellt das Dreierschema offenbar die im höchsten Maße verdichtete Gestalt des Lehrgehaltes dar. So findet sich bereits im zweiten Abschnitt der KKO „Von der lehr und predigt“ eine Charakterisierung des Lehrgehaltes verbunden mit der Anweisung, die Predigt entsprechend der im Wort enthaltenen Lehre einzurichten: „Und nachdem das wort Gottes die lehr dahin pfleget zu richten, das es die menschen erstlich zu erkandtnuß irer sünden und elends einführet, darnach auch sie underweiset, wie sie von allen sünden und elend erlöset werden, und zum dritten, wie Gott für solche erlösung sollen danckbar seyn, so sollen die prediger in ihrem fürhabenden text fleissig auf dise drey stück sehen und also für und für wol acht haben, daß sie die artzney nach notturft der verwundten gewissen recht gebrauchen.“328
Das Dreierschema bildet nach der KKO den hermeneutischen Schlüssel für die Auslegung des Bibeltextes, weil es das zentrale Strukturelement der Lehre, des Wortes Gottes selbst ist.329 Offenbar sah man in Heidelberg das Dreierschema als 327 Vgl. EKO XIV, 378. 328 A. a. O., 337. 329 Vgl. dazu auch Latzel: „Die Dreiteilung wird hier [sc. der oben zitierten Stelle] mit dem medizinischen Bild von „artzney“ und „notturft“ verbunden. Sie leitet sich ab aus dem „wort Gottes“, genauer der auctoritas causativa der Schrift, dient als Hermeneutik bzw.
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171
besonders geeignet an, den Gehalt des christlichen Glaubens zur Darstellung zu bringen und zum existenziellen Ergreifen desselben anzuleiten.
2.3
Ergebnis
2.3.1 Das Verhältnis von Heidelberger Katechismus und Kurpfälzischer Kirchenordnung Die Untersuchung des Zusammenhangs von Lehre, Ordnung und Bekenntnis in der KKO erbrachte das Ergebnis, dass HK und KKO nicht nur in ihrer Entstehungsgeschichte, sondern auch inhaltlich aufs Engste miteinander verknüpft sind. Prinzipiell entspricht dies der Forderung nach einer Ausrichtung der Ordnung auf die Lehre, wie sie für die ganze reformierte Tradition charakteristisch ist.330 Gleichwohl erscheint dieses Verhältnis in der KKO noch einmal gesteigert, so dass man geradezu von einer Durchdringung von Lehre und Ordnung sprechen kann. Das Dreierschema Elend-Erlösung-Dankbarkeit bildet das Gliederungsprinzip nicht nur des HK und der Summe, sondern kommt auch in der KKO an zentraler Stelle zur Anwendung: bei den Empfehlungen für die Gestalt Sonntagspredigt und im Rahmen der öffentlichen Gemeindeprüfung im Vorbereitungsgottesdienst auf das Abendmahl. Zahlreiche liturgischen Formulare nehmen darüber hinaus Formulierungen aus entsprechenden Fr des HK auf. So weist die zweite, am Aufbau des Vaterunsers orientierte Vorlage für das „Gebet am Sontag nach der predigt“ in ihren Formulierungen deutliche Entsprechungen zur Vaterunserauslegung des HK in den Fr 123–127 auf331 und im Rahmen des Gebetes während des Krankenbesuches erscheint der Providenzgedanke in ebenjener Gestalt, in der er auch in HK 1 begegnet.332 Diese Beobachtungen ermöglichen nun eine genauere Einordnung des HK im Hinblick auf seinen „Sitz im Leben“, der sich offenbar nicht auf die Katechese allein einschränken lässt: Der HK fungierte sowohl als Unterrichtsbuch, wie als formgebendes Element der Liturgie, wie als im Glauben zur ergreifendes BeHeuristik für den Umgang mit dem einzelnen „fürhabenden text“ und zielt (als homiletische Anleitung) auf die Predigt. Die Schrift wird demnach als Predigtbuch verstanden, die Predigt als Existenzanalyse mit therapeutischer Funktion, die Existenzanalyse als Analyse der Glaubensexistenz auf Grund des trinitarischen Handelns Gottes.“ (Latzel, Grundzüge, 97) 330 Vgl. dazu Freudenberg, Glauben, insbes. 225–227. 331 Vgl. EKO XIV, 390f. 332 „[…] das weder gesundheyt noch kranckheyt noch irgendetwas guts oder böses unß widerfahren, ja auch kein har von unserm haupt fallen kan one deinen väterlichen willen, auch alles, was uns in diesem leben begegnen mag zu unserm heil und seligkeyt wendest“ (a. a. O., 403)
172 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 kenntnis.333 Alle diese Funktionen fasst die KKO unter dem Begriff der „Lehre“ zusammen, auf die hin die gesamte Kirchenordnung ausgerichtet ist. In der Forschung hat ein falsches Verständnis des Lehrbegriffes und der in der KKO implizierten Beziehung von Ordnung, Bekenntnis und Lehre immer wieder zu Fehldeutungen Anlass gegeben: So stellt es einerseits eine Verkürzung dar, aus der Perspektive einer neuzeitlichen Trennung von religiösem Gefühl und verstandesmäßiger Einsicht der KKO einen objektivierenden Charakter vorzuwerfen,334 denn die geforderte existenzielle Aneignung der Lehre zielt immer auch auf das Herz, auf affektive Betroffenheit.335 Andererseits handelt es sich beim HK nicht einfach um ein „Dokument des subjektiven Spiritualismus“, in dem „die Innerlichkeit im Mittelpunkt der Reflexion“336 steht. Zurückzuweisen ist diese Klassifizierung allein schon mit Verweis auf die den Fr beigegebenen Bibelstellenverweise, die den unhintergehbaren Bezug auf die Lehre des Wortes Gottes festzuhalten beabsichtigen. Mit Blick auf die KKO wird zudem deutlich, dass diese Lehre gleichermaßen nach innen wie nach außen, auf die Gemeinde 333 Diesen Zusammenhang arbeitet schon Karl Koch in seinem 1965 erschienen Aufsatz deutlich heraus: Bereits in der Vorrede Friedrichs zum HK zeige sich, dass derselbe nicht nur als Lehrbuch, sondern auch als Bekenntnis, als „form und maß“ der Unterweisung entworfen sei. Vgl. Koch, Bekenntnis, 185. 334 So etwa das Urteil Bassermanns: „Alles ist kühl und objektiv gehalten; […] das eigentlich Darstellende des religiösen Aktes macht der theologischen Reflexion Platz.“ (Bassermann, Geschichte, 74) 335 Es wäre reizvoll diese affektive Dimension der Lehre ausführlicher zu entfalten, wofür an dieser Stelle jedoch der Raum fehlt. Hingewiesen sei allein auf den eminent tröstenden Charakter, den der HK und KKO der Lehre zuschreiben; vgl. dazu nur HK 1 und die S. 169 Anm. 326 zitierte Anweisung für die Krankenseelsorge. 336 Zimmermann, Katechismus, 203. Es kann hier nicht der Ort sein, den Aufsatz Zimmermanns einer eingehenden Kritik zu unterziehen. Angemerkt sei lediglich, dass seine Definition des kontroverstheologisch aufgeladenen Begriffes „Subjektiver Spiritualismus“ kaum befriedigen kann: „Subjektiver Spiritualismus“ solle als eine Bewegung verstanden werden, „die […] auch innerhalb der konfessionellen Gemeinschaften alle Vorstellung von einer Heilsvermittlung durch äußere Dinge sowie durch ein eigenes kirchliches Lehramt angreift“ (a. a. O., 181). Was meint aber „Heilsvermittlung durch ein kirchliches Lehramt“ – wohlgemerkt: „Heilsvermittlung durch ein kirchliches Lehramt“! Verstünde man diese Bestimmung wörtlich, wären wohl alle Kirchen der Reformation des „subjektiven Spiritualismus“ gleichermaßen verdächtig. Legt man sie jedoch mit einigem Wohlwollen dahingehend aus, dass hier von einer Auffassung die Rede ist, die kirchlichen Ordnungen bei der Heilsverkündigung keinerlei Funktion zuschreibt, ist offenkundig, dass der HK und die KKO damit nicht sachgerecht erfasst sind: „Es spricht der herr Jesus Christus Johannis am 17. capitel [3]: Diß ist das ewig leben, dass sie dich den einigen, waren Gott und, den du gesandt hast, erkennen. Zu diser erkandtnuß und ewigem leben seine außerwehlten zu führen, hat der herr Jesus Christus verordnet die predigt der buß und vergebung der sünden, auf daß die erkandtnuß Gottes und das ewige leben durch solches mittel (so von wegen unserer schwacheyt, welche stimme Gottes nicht ertragen kundt, eingesetzt) auf dieser erden in unsern hertzen angefangen werde, biß das wir im himmel one eusserliche mittel die vollkommenheyt erreichen, wann wir Gott werden anschauen von angesicht zu angesicht.“ (EKO XIV, 336; Hervorhebung von mir, TS)
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hin, zielt, insofern sie im öffentlichen Bekenntnis, in der Feier des Abendmahls und im alltäglichen Leben in der Hinwendung zum Nächsten verwirklicht werden will. Das „Ich“ des HK ist demnach ein solches bekennendes und dann durch die Mahlfeier in die Gemeinde „eingeleibtes“ Ich. Es nimmt eine ähnliche Stellung ein wie sie oben mit Blick auf die Londoner Gemeindeordnung für K, dem Bekenntnis der Erstkommunikanten, herausgearbeitet wurde. Ebenfalls wird man nach dem Gesagten eine Verhältnisbestimmung von Ordnung und Lehre zurückweisen müssen, nach der dem HK lediglich die Funktion zukäme, „die in den jeweiligen liturgischen Vollzügen verkörperten Bedeutungen und Wissensbestände explizit zu machen.“337 Das Gegenteil ist in der KKO der Fall, insofern deren liturgischen Formulare funktional und formal auf den Katechismus als entfalteter Lehre ausgerichtet sind.
2.3.2 Die Aufnahme der Londoner Flüchtlingstradition in der Kurpfälzischen Kirchenordnung Der Einfluss der Londoner Flüchtlingstradition auf die KKO schlägt sich zum einen in bestimmten Formularen, wie dem Tauf- oder Eheformular, in der Übernahme von bestimmten Wendungen, aber auch ganzer Textpassagen aus den Ordinancien Marten Microns nieder. Eine gewisse Parallele lässt sich im Rückblick auch in der jeweiligen Verhältnisbestimmung von Lehre und Ordnung erkennen: Noch über die reformierte Forderung nach einer Ausrichtung der Ordnung auf die Lehre hinaus ließ sich sowohl für die Londoner Flüchtlingstradition wie für die KKO von einer wechselseitigen Durchdringung von Lehre und Ordnung sprechen. Die Lehre bildet als Bekenntnis und strukturierendes Element der Liturgie jeweils einen integrativen Bestandteil der Ordnung selbst (bzw. umgekehrt, wie im Compendium doctrinae, die Ordnung einen Bestandteil der Lehre). Gewichtiger als diese Strukturanalogie erscheint jedoch die Bedeutung für die öffentliche Prüfung der Gemeinde im Vorbereitungsgottesdienst zum Abendmahl und die Selbstprüfung vor der Abendmahlsfeier. Das darin zum Ausdruck kommende, auf Bucer zurückgehende Konzept einer Bekenntnisgemeinde wurde in der Londoner Ordnung zwar wesentlich konsequenter umge337 So Plüss: „Der Heidelberger und andere Katechismen – wie etwa Luthers Kleiner Katechismus – stellen den Versuch dar, die in den jeweiligen liturgischen Vollzügen verkörperten Bedeutungen und Wissensbestände explizit zu machen und die Vielzahl möglicher Deutung zu orientieren und unsachgemässe, widersinnige Bedeutungen abzuwehren. Für eine solche Deutung spricht unter anderem auch der Sachverhalt, dass sich der Heidelbeger mehrheitlich auf liturgiebezogene Stücke beschränkt und etwa die Ekklesiologie oder die Erwählungslehre auslässt.“ (Plüss, Gottesdienste, 216; Hervorhebungen im Original) Es erübrigt sich der Hinweis, dass der HK mit Fr 54 Ekklesiologie und Erwählung alles andere als auslässt.
174 Flüchtlingstradition im Heidelberger Katechismus und der Kirchenordnung von 1563 setzt, insofern er in einem ausgefeilten System der Kirchenzucht seine Stütze fand. Gleichwohl trägt der Einfluss der Londoner Flüchtlingstradition in nicht unerheblichem Maße zur Ausrichtung der KKO insgesamt bei: Hier wie dort besteht ein gesteigertes Interesse an einer existenziellen Aneignung der Lehre im Bekenntnis. Daneben wurde deutlich, dass die Londoner Gemeindeordnung offenbar einen gewissen Einfluss auf die Struktur des HK bzw. der genannten Passagen der KKO ausübte. So entstammte das Dreierschema Elend-ErlösungDankbarkeit dem Formular für die Selbstprüfung im Vorbereitungsgottesdienst auf das Abendmahl aus der Londoner Ordnung, obwohl es dort nicht mit gleicher Häufigkeit zur Anwendung kam. Die angestellten Beobachtungen bestätigen damit prinzipiell die Ergebnisse der traditionsgeschichtlichen Untersuchung des HK: Der Einfluss der Londoner Flüchtlingstradition machte sich weniger in der Übernahme bestimmter theologischer Charakteristika als durch strukturelle bzw. formale Einflüsse geltend. Trug dieselbe dazu bei, im HK selbst die Beziehung der Lehre zur Glaubensexistenz des Einzelnen Christen herauszustellen, so wirkt sie in der KKO auf deren gesteigertes Interesse an einer existenziellen Aneignung der Lehre im Bekenntnis ein. Keine Anhaltspunkte lieferte die Untersuchung der KKO im Hinblick auf die Frage, wer für den Eintrag der Londoner Flüchtlingstradition verantwortlich sein könnte. Der unspezifische Charakter des aus den Ordinancien übernommenen liturgischen Materials lässt genauso wenig weitergehende Rückschlüsse zu, wie die betonte Stellung des Bekenntnisses im Vorbereitungsgottesdienst auf das Abendmahl. Prinzipiell in Betracht kommen alle diejenigen Theologen, deren Vertrautheit mit den Londoner Ordnungsdarstellungen sich aus den bereits im vorigen Kapitel genannten Gründen voraussetzen lässt, also Dathenus, mit größter Wahrscheinlichkeit auch Ursinus und Olevianus. Die letzteren beiden gehörten mit einiger Sicherheit zu der Kommission, die mit der Ausarbeitung der KKO betraut war.338
338 Vgl. Goeters, in: EKO XIV, 44.
Dritter Teil: Petrus Dathenus und der Heidelberger Katechismus
Als Ergebnis des zweiten Hauptteils konnte festgehalten werden, dass der HK und die KKO auf formaler Ebene in nicht unbeträchtlicher Weise durch die Londoner Flüchtlingstradition beeinflusst wurden. Von hier aus ist die Frage zu stellen, ob aus den Schriften von Petrus Dathenus Anhaltspunkte dafür gewonnen werden können, dass es der Niederländer war, der in der Kurpfalz als Träger der dieser Tradition fungierte und, womöglich vermittelt über andere Theologen, Einfluss auf die Abfassung von HK und KKO nahm. Was nach der Darstellung des ersten Hauptteils mit Blick auf die Ereignisgeschichte einleuchtend erschien, soll also in der Folge auf inhaltliche Plausibilität hin geprüft werden. Hierzu sollen zunächst die Grundzüge von Dathenus’ Theologie herausgearbeitet werden, um sie auf eine Abhängigkeit von der Londoner Flüchtlingstradition hin zu befragen. Diese sind in einem zweiten Schritt mit dem HK zu vergleichen, die Möglichkeit eines direkten Einflusses von Dathenus auf den HK ist dabei jeweils zu erwägen. In einem dritten Abschnitt soll dann die Blickrichtung umgekehrt und die nach 1563 verfassten Schriften von Dathenus auf eine Rezeption des HK und der KKO befragt werden.
1.
Die Grundzüge von Dathenus’ Theologie anhand seiner Frankfurter Schriften (1557–1561)
Zur Herausarbeitung der Grundzüge von Dathenus’ Theologie bieten sich insbesondere seine in der Zeit zwischen 1557 und 1561 in Frankfurt entstandenen Schriften an, da diese zum einen auf Grund ihrer polemischen Ausrichtung die Position des Niederländers in einzelnen Streitfragen klar zum Ausdruck bringen und dieselben zum anderen in unmittelbaren zeitlichem Vorlauf zur Abfassung des HK entstanden sind. Wenn auffällige theologische Parallelen zwischen dem HK und Dathenus bestünden, deren argumentatives Gewicht nicht durch den Hinweis auf Abhängigkeit von dem
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kurpfälzischen Katechismus sofort gemindert würde, so müssten sie sich in diesen Schriften finden lassen. In den einschlägigen biographischen Darstellungen zu Dathenus wurden diesen Frankfurter Schriften bislang kaum Aufmerksamkeit gewidmet. Eine knappe Darstellung des Abfassungskontextes liefert Ruys, die allerdings im Ganzen vage bleibt und überdies bisweilen sachliche Mängel aufweist.1 Eine Ergänzung der Arbeiten Ruys’ scheint an dieser Stelle unumgänglich.
1.1
Die polemischen Schriften in der Folge des Wormser Religionsgesprächs von 1557
1.1.1 Die literarische Debatte nach dem Scheitern des Religionsgesprächs Die Beschlüsse des Reichstags von Augsburg 1555 bildeten nach den bewaffneten Auseinandersetzungen des Fürstenkrieges und den daraus resultierenden politischen Verwerfungen zwar den Ausgangspunkt einer längerfristigen Stabilisierung der Verhältnisse im Reich, keinen Fortschritt brachten sie aber im Hinblick auf eine theologische Annäherung der streitenden Parteien. Im Gegenteil schien durch die Anerkennung der evangelischen Stände als „Augsburger Confessionsverwandte“ und dem aus dem Religionsfrieden abgeleiteten Recht des Landesherrn, den Glaubensstand seines Territoriums zu bestimmen2 die religiöse Spaltung nun reichsrechtlich zementiert. Gleichwohl gab der Reichstag zumindest formell die Idee einer Wiederherstellung der religiösen Einheit im Reich nicht auf, sondern verpflichtete die Unterzeichner auf die Suche eines Ausgleichs durch „zimbliche und gepürliche Wege“.3 Eine Gelegenheit zur Durchsetzung dieser Vereinbarung hätte der folgende Reichstag in Regensburg (1557) geboten. Schon im Vorhinein wurde allerdings deutlich, dass auch die kriegerischen Auseinandersetzungen der Vergangenheit an den grundlegenden Differenzen nichts geändert hatten. Bleibende Uneinigkeit bestand schon in der Frage, welches denn die „gebührlichen Wege“ zur Überwindung der Glaubensspaltung sein sollten: Sahen die altgläubigen Stände nach wie vor in einem allgemeinen Konzil unter der Leitung Roms die einzig 1 Vgl. Ruys, Dathenus, 252–260. 2 Bereits in den dem Religionsfrieden unmittelbar vorausgehenden Verhandlungen findet sich die Formel „Ubi unus dominus, ibi una sit religio“ (Handlung der Kön. Maiest., Lehmann, De Pace Religionis, 109). Die Konfessionswahl des Landesherrn war durch den Beschluss des Religionsfriedens allerdings auf die „altgläubige“ und „augsburgische“ Konfession beschränkt, Andersgläubige wurden explizit ausgeschlossen. 3 Brandi, Religionsfriede, 47. Freilich mit dem entscheidenden Zusatz, dass bei einem Scheitern solcher Bemühungen der allgemeine Landfriede nicht angetastet werden solle.
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denkbare Lösung des Konfliktes4, favorisierte die protestantische Seite die Abhaltung eines Religionsgesprächs. An eine echte Überwindung der konfessionellen Spaltung glaubten jedoch auch auf evangelischer Seite die Wenigsten: Die Erwartungen an ein Kolloquium mit den katholischen Theologen fielen denkbar gering aus, das vornehmste Interesse galt der Sicherung des Religionsfriedens und der Abwendung eines Konfessionskrieges im Reich. Angesichts dieser schwierigen Ausgangslage und in der Hoffnung auf zügige Bewilligung seiner von den Fürsten erbetenen Türkenhilfe verzichtete König Ferdinand darauf, die Religionsfrage bei der Ausschreibung des Reichstags in der Vordergrund zu stellen, obgleich er ein natürliches Interesse an der religiösen Einheit im Reich haben musste.5 Dass es dennoch zu einem Beschluss des Reichstages kam, lag vor allem an der Initiative einiger protestantischer Stände (darunter Württemberg und die Kurpfalz) zur Aufhebung des sog. Reservatum ecclesiasticum. War durch das Betreiben der Evangelischen die Religionsfrage ohnehin Gegenstand der Verhandlungen, bot dies für Ferdinand die Gelegenheit, sein Projekt einer Wiederherstellung der religiösen Einheit im Reich voranzutreiben. Nach zähen Verhandlungen einigte man sich auf die Abhaltung eines Religionsgesprächs in Worms ab dem 24. August 1557, das jede Seite mit jeweils achtzehn Teilnehmern6 zu beschicken hatte.7 Der Abschied des Regensburger Reichstages begrenzte das Wormser Kolloquium in seiner Funktion auf eine „Christliche Consultation, Unterrede und Berathschlagung“.8 Dies kam den Interessen beider Parteien entgegen: Aus altgläubiger Perspektive sollte den Verhandlungen eines allgemeinen christlichen Konzils nicht vorgegriffen werden; protestantischerseits sah man in der Abhaltung eines Religionsgesprächs die Chance, die eigene Lehre öffentlichkeitswirksam darzustellen. Trotzdem dominierte bei den Evangelischen die Skepsis, da man nach den Erfahrungen der Religionsgespräche in den Vierzigerjahren des 16. Jahrhunderts nicht nur wenig Hoffnung hatte, tatsächlich 4 Vgl. z. B. die Stellungnahme des Kölner Domkapitels zum Entwurf der kurfürstlichen Instruktion für den Regensburger Reichstag; Exzerpt bei Lutz, Christianitas, 440. 5 Zu Ferdinands Motiven vor und während des Regensburger Reichstages vgl. Bundschuh, Religionsgespräch, 80–82.114.122. 6 Je Sechs Colloquenten, sechs Adjunkten und sechs Auditoren: Für die katholische Seite sollten Michael Helding, Johannes Delphius, Jodokus Tiletanus, Martin Rythovius, Petrus Canisius und Friedrich Staphylus disputieren; die Evangelischen schickten als Colloquenten Philipp Melanchthon, Erhard Schnepf, Joahnnes Brenz, Johannes Pistorius, Georg Karg und Jakob Runge. Unter den evangelischen Adjunkten befanden sich unter anderen der kurpfälzische Generalsuperintendent Heinrich Stoll und der Hofprediger Ottheinrichs, Michael Diller ; vgl. a. a. O., 223 und 382–410. 7 Zum Wormser Religionsgespräche vgl. Dingel, Art. Religionsgespräche IV (TRE), 661f. Ausführlich Bundschuh, Religionsgespräch und Slenczka, Schisma. Dort zahlreiche weiterführende Literatur. 8 Abschied Regenspurg 1557, Reichs-Abschiede, 139.
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Fortschritte bei der Überwindung der religiösen Spaltung zu machen, sondern darüber hinaus befürchtete, bei einer Auseinandersetzung mit den altgläubigen Theologen könnten die nach Luthers Tod aufgebrochenen Lehrdifferenzen in den eigenen Reihen offen zu Tage treten.9 Dass diese Sorge nicht unbegründet war, zeigte der weitere Fortgang der Ereignisse: Trotz intensiver Bemühungen vor und während des Religionsgesprächs gelang es nicht, einen belastbaren Konsens zu finden, der alle theologischen Flügel der Evangelischen gleichermaßen abdeckte und von dem aus man in den Streit mit den altgläubigen Theologen hätte eintreten können.10 Katholischerseits war man sich dieser strategisch schwachen Ausgangssituation der Gegenpartei wohl bewusst: Bereits in seiner ersten Rede während des Gesprächs griff Petrus Canisius11 (1521–1597) das protestantische Verständnis der Schrift als sui ipsius interpres mit Verweis auf die offensichtlichen innerevangelischen Lehrdifferenzen an. Sekundiert wurde er von Michael Helding (1506–1561), der darüber hinaus die Forderung erhob, die Protestanten mögen die der Augsburgischen Confession widersprechenden Lehren klar benennen und dieselben öffentlich verdammen – ein von taktischer Finesse zeugendes Ansinnen, das zunächst zum Streit und schließlich zum offenen Bruch im evangelischen Lager führte. Bereits vor Beginn des Gesprächs hatten die „gnesiolutherischen“ Deputierten (aus dem ernestinischen Sachsen Erhard Schnepf [1495–1558], Viktorin Strigel [1524–1569] und Johann Stößel unterstützt von Joachim Mörlin [1514– 1571] aus Braunschweig und Erasmus Sarcerius [1501–1559] aus Mansfeld) gefordert, die der Lehre Luthers und der CA zuwiderlaufenden „Irrlehren“ namentlich zu verdammen. Dagegen wehrten sich die übrigen Deputierten, im Besonderen aber Johannes Brenz, der eine Verurteilung des Osiandrismus zu verhindern suchte.12 In Folge der Reden von Canisius und Helding brach der
9 So insbesondere die Befürchtung Christophs von Württemberg, vgl. Slenczka, Schisma, 99. 10 Über die Bemühungen seit dem Regensburger Reichstag informiert Slenczka ausführlich und in genauer Kenntnis der Quellen; vgl. a. a. O., 40–366. 11 Zu diesem bedeutenden Träger der Gegenreformation in Deutschland vgl. nur Buxbaum, Art. Canisius (LThK3); Bautz, Art. Canisius (BBKL); Wolter, Art. Canisius (TRE); ausgeführte Biographien bieten Schäfer, Canisius; Brodrick, Canisius; Buxbaum, Erneuerung. Einen Überblick über neuere und ältere Literatur gewährt der anlässlich Caninius’ 400. Todestag im Jahr 1997 durch Rainer Berndt herausgegebene Sammelband (Berndt, Canisius). 12 Vgl. Slenczka, Schisma, 341–347. Zu Brenz’ Motiven für eine Ablehnung der Verwerfung vgl. a. a. O., 185–198 und 498–503. Bei dem Anfang der Fünfzigerjahre ausgebrochene Streit um den Charakter der Rechtfertigung vertrat Andreas Osiander (1498–1552) die Auffassung, Rechtfertigung müsse im Sinne einer „echten“ Wesensveränderung des Menschen (effektive bzw. essentielle Gerechtigkeit) führen, dürfte also nicht als bloße Anrechnung (imputative bzw. forensische Rechtfertgung) verstanden werden. Zu Osiander vgl. Seebaß, Art. Osiander
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ungelöste Konflikt in voller Stärke wieder auf: Ein in letzter Sekunde von Melanchthon aufgesetztes Konsenspapier13 scheiterte am Widerstand von Brenz, während die „gnesiolutherischen“ Deputierten weiterhin auf spezifischen Verwerfungen beharrten. In dieser Situation entschlossen sich die übrigen auf protestantischer Seite anwesenden politischen Räte, die „Gnesiolutheraner“ von der weiteren Teilnahme am Religionsgespräch auszuschließen.14 Deren Reaktion bestand in der offiziellen Übergabe einer Verwerfungserklärung an den Präsidenten des Kolloquiums, Julius Pflug (1499–1564), und schließlich in der Abreise vom Kolloquium unter förmlichem Protest.15 Damit war die Spaltung unter den Evangelischen vor den Augen der altgläubigen Gegenpartei und der kaiserlichen Beamten offen zu Tage getreten. Die altgläubigen Theologen zögerten nicht lange, die Situation zu ihren Gunsten zu nutzen. Mit der Begründung, durch die Weigerung der anwesenden evangelischen Deputierten, eine klare Abgrenzung von den Irrlehren im eigenen Lager zu vollziehen, sei deren Zugehörigkeit zum Bekenntnis der CA selbst fraglich geworden, brachen sie das Gespräch ab. Ein Weiterverhandeln widerspräche dem Beschluss des Regensburger Reichstags, der ein Kolloquium nur mit den Anhängern der CA vorsah.16 Die Auseinandersetzung um die Inhalte und die Deutung des abgebrochenen Gesprächs verlagerte sich in der Folge auf die literarische Ebene. Nach dem Scheitern des Gesprächs in Worms schoben sich beide Parteien gegenseitig die Schuld für den ergebnislosen Ausgang in die Schuhe: Die Evangelischen beharrten darauf, dass die Initiative zum Abbruch von der Gegenseite ausging, während die altgläubigen Deputierten darauf verwiesen, dass nach dem Auseinanderfallen des protestantischen Lagers und dem prinzipiellen Zweifel an dem Bekenntnis der verbliebenen Theologen zur CA eine weitere Verhandlung nicht nur sinnlos, sondern sogar widerrechtlich gewesen wäre. Der Konflikte wurde in der Folge durch eine Reihe polemischer Schriften17 weiter ausgetragen.18
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(TRE); ausführlich ders., Werk; Stupperich, Osiander; Zimmermann, Prediger ; zum Streit mit Melanchthon vgl. Briskina, Melanchthon. Die Forma protestationis, vgl. Slenczka, Schisma, 411–419. Vgl. a. a. O., 430f. Eine genaue Rekonstruktion der Ereignisse bietet Slenczka, a. a. O., 419–473. Vgl. Bundschuh, Religionsgespräch, 483f. In der Forschungsliteratur wird die Bezeichnung „Polemik“ oder „polemisch“ in der Regel uneinheitlich verwendet – das Historische Wörterbuch der Rhetorik spricht diesbezüglich gar von einer „Schwammigkeit des Begriffs selbst“ (Stauffer, Art. Polemik, 1403). Gleichwohl ließen sich zwei Bedeutungsebenen identifizieren: „Zum einen bezeichnet P., im weiteren Sinne, eine bestimmte Verfahrensweise, eine Methode oder Auseinandersetzung; zum anderen, im engeren Sinne, einen literarischen Typus öffentlichen Streitens insbesondere seit der Frühneuzeit.“ (ebd.). Für die vorliegende Arbeit sind beide Ebenen relevant und die Bezeichnung findet dementsprechend in dieser doppelten Hinsicht Verwendung. Meines Wissens existiert bislang keine umfangreichere und vor allem vollständige Ausein-
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Insbesondere die evangelische Seite war um möglichst rasche Schadensbegrenzung bemüht: Bereits am 1. Dezember 1557 veröffentlichten die in Worms verbliebenen evangelischen Theologen einen von Melanchthon verfassten Abschied19, der ihre Bereitschaft zur Durchführung des Kolloquiums, ihre Einigkeit in der Lehre gemäß der Propheten, Apostel und altkirchlichen Symbole und ihr Bekenntnis zur CA betonte. Die Verantwortung für das Scheitern des Gesprächs trügen die Gegner, die „mit geschwindigkeit ein Trennung unter uns gesucht, das sie ein schein hetten, das Colloquim abzuschneyden“.20 Der Abschied schließt mit der Aufforderung an alle Christen „die wunden der Kirchen nicht größer [zu] machen“21 und Streitigkeiten unter den Gottesfürchtigen friedlich beizulegen.22 Der Abschied der evangelischen Kolloquenten evozierte eine Fülle von katholischen Gegenschriften, von denen hier lediglich die für den weiteren Fortgang notwendigen genannt werden: Noch im Dezember 1557 erschien der Wahrhafftige Gegenbericht23, der den Vorwurf zurückwies, die altgläubigen Theologen hätten bewusst auf ein Scheitern des Gesprächs hingearbeitet. Im Gegenteil sei das Gespräch wegen der offenen Spaltung unter den Konfessionisten ausgesetzt, könne jedoch später wiederaufgenommen werden, wenn die „Calvinische, Laskonische un[d] Valerandische subtilitet“24 in der Auslegung des Sakraments- und Abendmahlsartikels der CA öffentlich verdammt würde. Ebenfalls noch im Dezember 1557 verfasste der Wormser Domprediger Jo-
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andersetzung mit den im Anschluss an das Wormser Kolloquium entstandenen Schriften – etwa nach dem Vorbild der in der Reihe Controversia et Confessio erschienen Bände. Eine Auswahl bietet Bundschuh (Religionsgespräch, 533–556), leider jedoch zu oft einseitig im Sinne der römisch-katholischen Position wertend. Dass „der wissenschaftliche Wert der meisten dieser Pamphlete denkbar gering zu veranschlagen“ sei (Bundschuh, Religionsgespräch, 556), wird in der vorliegenden Arbeit für die Schriften des Dathenus widerlegt. Abshied [sic!] der gesandten Augspurgischer Confession, s.l., 1557. Die verschiedenen, inhaltlich identischen, Ausgaben zeigen, dass die Erklärung nahezu zeitgleich in mehreren Städten des Reiches gedruckt wurde. Eine lateinische Ausgabe aus Wittenberg findet sich ediert in CR 9, 385–387. Zitiert wird im Folgenden nach dem angegebenen deutschen Druck. Näheres zur Textgeschichte bei Bundschuh, Religionsgespräch, 535 Anm. 6. Melanchthon, Abshied, f. A iiv. A. a. O., f. A iiiv. Vgl. ebd. Die anonym herausgegebene Schrift könnte auf den Jesuiten Petrus Canisius zurückgehen, vgl. Braunsberger, Streiflichter, 736–738. „Dagegen aber die fünff außgesetzte Theologi mit ire[n] anhengern dies Calvinische, Laskonische un[d] Valerandische subtilitet, od[er] vil mehr impietet vom Sacrame[n]t offentlich un[d] außtruckenlich verdam[m]en wie auch Lutherus dieselbige[n] biß in seine grube verdam[m]t un[d] das nechst jar vor seinem tode die Zwinglianer als unwiderbringliche Ketzer mit grewlichem toben und schelten von sich gestossen und in die helle verdam[m]t hat.“ (Warhafftiger Gegenbericht, f. Bv)
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hannes a Via (1520–1582)25 seine Warhaffte und Bestendige Antwort auff den ungegründeten Abschied der Confessionisten.26 Darin schildert er zunächst weitläufig den Hergang des Gesprächs aus altgläubiger Perspektive, um dann in einem zweiten Teil den Abschied der Evangelischen Kolloquenten im Einzelnen durchzugehen und zu widerlegen. Die Schuld am Scheitern des Gesprächs trügen offenkundig die Widersacher, die in zwei „Rotten“ zerfallen seien und die im Übrigen niemals ernsthaft einen Vergleich mit der eigenen Seite gesucht hätten. Von den beiden letztgenannten Schriften, die thematisch auf das Scheitern des Wormser Religionsgesprächs und die Verhandlung der Schuldfrage beschränkt blieben, hebt sich die ebenfalls noch 1557 in den Druck gegebene Abhandlung Spaltung der Augspurgischen Confession des Trierer Theologen Bartholomäus Latomus27 ab, der die aktuellen Ereignisse zum Anlass nimmt, in grundsätzlicher Weise auf kontroverstheologische Fragen wie Schriftverständnis, Kirchenbegriff und die Verhältnisbestimmung von Rechtfertigung und guten Werken einzugehen Offenbar als eine Art „Argumentationshilfe“ für das Wormser Gespräch konzipiert und dann im Januar 1558 veröffentlicht, stellt schließlich die Theologiae Martini Lutheri Trimembris Epitome28 des Friedrich Staphylus29 (1512– 1564) detailliert und in scharfer Form die Lehrunterschiede innerhalb des Evangelischen Lagers heraus. Ein erster Teil befasst sich mit der Widerlegung von zehn praedicamenta seu topica principia der Theologie Luthers, in einem zweiten Teil werden ähnlich der Spaltung des Latomus kontroverstheologische Streitpunkte abgehandelt, während der dritte Teil die Zerstrittenheit der soboles Lutheri nachzuweisen beansprucht – inklusive eines in seinem Aufbau an den drei unreinen Geistern aus Apk 16,13 orientierten „Stammbaums“ der lutherischen Häresien.
25 Zu Johannes a Via vgl. Springer (BBKL), Art. a Via; Henze, Art. a Via (LThK3); Roth, Johannes zu Wege. 26 Neben der hier verwendeten deutschen existiert auch eine lateinsche Ausgabe: Ad Calumnias Confessionistarum adversus Catholicae Veraeque Religionis defensores, publice post Colloquim sparsas, Responsio Ioannis a Via D. Theologi (s.l., 1557, VD 16: Z 657). 27 Zu Latomus vgl. Smolinsky, Art. Latomus (BBKL), Dom&nguez, Art. Latomus (LThK3); Caspar, Trier, 204–213. 28 Die Datierung ergibt sich aus der Widmung an Kardinal Otto Truchsess vom 31. 12. 1557, die dem angegebenen Exemplar vorangestellt ist. Auch für dieses Schreiben belegen verschiedene erhaltene Druckexemplare sowie eine deutsche Übersetzung die weite Verbreitung, vgl. dazu Soffner, Staphylus, 108; daneben auch Bundschuh, Religionsgespräch, 546 Anm. 45, in dessen Darstellung jedoch die Abhandlung der Epitome nach der Historia des Staphylus und die Wertung der letzteren als „Vorgeplänkel“ (a. a. O., 546) die tatsächliche Chronologie der Schriften verunklart. 29 Zu Friedrich Staphylus vgl. Menecke-Haustein, Art. Staphylus (TRE); Tschackert, Art. Staphylus (RE3). Die einzige umfangreichere biographische Arbeit bietet Soffner, Staphylus.
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1.1.2 Dathenus’ Refutatio und seine Compendiosa & diserta responsio Waren die Warhaffte und bestendige Antwort sowie die Spaltung des Latomus in einem gemäßigten Ton gehalten, lässt sich in den Schriften von a Via und Staphylus eine deutliche Zunahme der Polemik in Umfang und Schärfe beobachten. Eine Reaktion der evangelischen Seite blieb nicht aus: Neben Melanchthon, Brenz u. a.30 griff der seit 1555 in Frankfurt weilende Dathenus in die Debatte ein: In einer Refutatio verteidigte er quasi in einem Rundumschlag die Evangelischen Kolloquenten gegen die Schriften von a Via, Staphylus und Latomus. Dass Dathenus dabei mit spitzer Feder zu Werke ging, verdeutlichen die der Schrift vorangestellten Epigramme auf die drei katholischen Autoren. An polemischer Schärfe steht er ihnen jedenfalls in nichts nach.31 Dathenus’ Vorrede und der Aufbau der Schrift geben von einem dreistufiges Wachstum Zeugnis: Ursprünglich, so Dathenus, sei die Refutatio nur als Reaktion auf a Vias Warhaffte und Bestendige Antwort32 konzipiert. Nach der Begegnung mit Staphylus’ Epitome33 hätte er sich jedoch genötigt gesehen, eine weitere Widerlegung anzufügen,34 nur um zuletzt durch Latomus’ Spaltung35 erneut vom Abschluss des Werkes abgehalten zu werden.36 Der knappen und eher oberflächlichen Auseinandersetzung mit der Spaltung merkt man dabei deutlich an, dass Dathenus seine Arbeit nun zum Abschluss bringen wollte. Es ist auffällig, dass Dathenus entgegen der sich aus den Datierungen der Schriften ergebenden Chronologie zunächst auf die Epitome und dann erst auf die Spaltung des Latomus eingeht. Womöglich war ihm letztere unbekannt und fiel ihm erst später während des Schreibens in die Hände, worauf die eigen30 Einige der protestantischen Gegenschriften nennt Bundschuh; vgl. ders., Religionsgespräch, 549 Anm. 56. 31 Dass sich bei Dathenus tatsächlich „außergewöhnliche Schärfen […] selbst am Grobianismus des 16. Jahrhunderts gemessen“ finden lassen, wie Bundschuh (Religionsgespräch, 554) meint, ist ein Ermessensurteil, welches sich wohl erst nach einer gründlichen Durchsicht einer Mehrzahl der nach dem Wormser Kolloquium entstandenen Schriften bestätigen oder widerlegen ließe. 32 Dathenus verwendete offenbar die lateinische Ausgabe dieser Schrift, vgl. die Nennung von Franciscus Bohemus (Dathenus, Refutatio, f. 2r) und das Eingehen auf die angehängten Briefe (a. a. O., f. 15r–16r), die in der deutschen Ausgabe fehlen. 33 Dass es sich bei der von Dathenus genannten Schrift des Staphylus um die Epitome handeln muss, zeigt ein Vergleich beider Texte. 34 „Confutatis pro me tenuitate mediocriter Ioannis a Via puerilibus ineptiis, defunctum me meo munere sperabam: sed Friderici Staphyli cuiusda[m] Apostatae impudentissimi, libello forte mihi oblato ac perlecto, paucula ad hunc eadem opera obiter respondenda esse existimavi.” (Dathenus, Refutatio, f. 16r) 35 Auch hier nennt Dathenus den Titel nicht explizit, so dass aus der Argumentationsfolge erschlossen werden muss, um welche Schrift es sich handelt. 36 „Arbitrabar candide lector, me declarata Staphilici comenti vanitate, finem operi imposuisse, sed Bartholomaei Latomi, vani loqui Rhetoris scriptum (quod occultando hactenus, omnibus suspectum reddidit) quae sequuntur, a me extorsit.“ (Dathenus, Refutatio, f. 23r)
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tümliche Bemerkung hindeuten könnte, die Schrift sei, weil sie bis jetzt verborgen bleiben musste, „allen verdächtig“.37 Die Tatsache, dass alle genannten Schriften der altgläubigen Theologen Ende 1557 abgefasst wurden, legt den Schluss nahe, dass die Refutatio des Dathenus im Januar, spätestens wohl im Februar 1558 entstanden sein dürfte. In der Feingliederung der einzelnen Teile orientiert sich Dathenus an den Schriften seiner Gegner, wobei er deren Argumente aufgreift, sie mit Bibel- und Väterzitaten widerlegt, um danach zum Gegenangriff überzugehen. Hauptthemen sind die seit dem Scheitern des Wormser Kolloquiums bekannten Streitpunkte: die Betonung der Einheit der Evangelischen gegen den Vorwurf der inneren Zerstrittenheit, die Schuld der Gegenseite am Abbruch des Gesprächs, die Frage nach der Rechtgläubigkeit und wem der Titel „katholische Kirche“ in Wahrheit rechtmäßig zukomme (sc. den Evangelischen), die Abgötterei der Papisten in Messe und Heiligenverehrung, sowie das Verhältnis von Schrift und Tradition. Formal und inhaltlich ganz auf der Linie der Refutatio lag die zweite von Dathenus im Kontext der Auseinandersetzung um das Wormser Kolloquium veröffentlichte Schrift: die Compendiosa et diserta responsio. Sie entstand nur wenige Monate nach der Refutatio im April 1558 als knappe Antwort auf die durch einen „anonymen Papisten“38 mit polemischen Anmerkungen versehene Ausgabe des Abschieds der evangelischen Kolloquenten. Wie in Dathenus’ erster Schrift werden die annotationes des Gegners im Einzelnen durchgegangen und unter Rückgriff auf die Mittel der polemischen Rhetorik zurückgewiesen. Die Vehemenz und das kämpferische Engagement, mit denen sich Dathenus in die Debatte um die Wertung des gescheiterten Religionsgesprächs einschaltete, mag auf den ersten Blick verwundern; immerhin war er selbst am gesamten Hergang des Gesprächs völlig unbeteiligt und hatte darüber hinaus mit Schwierigkeiten in der eigenen Gemeinde zu kämpfen.39 Trotzdem gehört er mit der Refutatio protestantischerseits zu den ersten Theologen, die eine Entgegnung auf die Darstellungen der Altgläubigen zum Wormser Kolloquium ver37 Latomus selbst gibt in seiner Responsio auf Dathenus an, seine Schrift erst noch einige Zeit zurückgehalten zu haben, weil er niemandem zu nahetreten wollte: „Cauillaris editionem meam, quod non statim in lucem atque in ora hominum prodierit, eoq[ue] suspectam fuisse dicis, nec addis tamen, qua de re suspecta[m]. Quid at te, bone vir, si ego in hoc celeberrimo conventu, & temporis & verecundiae meae ratione[m] habere volui, ne obtruderem scilicet omnibus, omniumque oculis ingererem, quod no[n] omnibus gratum fore sciebam“ (Latomus, Responsio, f. A3r) 38 Es handelt sich um das Sciptum Colloquutorum Augustanae Confessionis. Der Autor ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Friedrich Staphylus; vgl. Bundschuh, Religionsgespräch 542 Anm. 31. 39 Vgl. Teil Eins Kapitel 2.3.
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fassten – und zwar, so lässt sich aus dem zweifachen Wachstum der Schrift schließen, ursprünglich wohl mit einem gewissen Anspruch auf Vollständigkeit. Welche Motive bewogen Dathenus, dergestalt die Initiative zu ergreifen? In der Refutatio nennt er zunächst die eigene affektive Betroffenheit: Obwohl er nicht daran zweifle, dass sich die am Gespräch beteiligten evangelischen Theologen zu den unverschämten Verleumdungen des a Via äußern werden, könne er angesichts der Anfeindungen desselben nicht schweigen, sondern wolle, solang diese Verteidigung noch auf sich warten lasse, kurz erklären, wie ungerechtfertigt a Via die evangelische Seite – „hochgeehrte Männer und hervorragende Gemeinden“ – verunglimpfe.40 Dass Dathenus, der zuvor mehrfach unter dem harten Vorgehen katholischer Obrigkeit zu leiden hatte, angesichts der nicht gerade sparsamen Polemik a Vias aus einem gewissen Affekt heraus zur Feder griff, dürfte plausibel sein. Darüber hinaus liegt jedoch die Vermutung nahe, dass die besondere Situation der niederländischen Fremdengemeinde in Frankfurt ihn in entscheidendem Maße zu seinen Äußerungen bewegte. Bereits früh hatte sich im Konflikt mit den Frankfurter Stadtpredigern das Verständnis der Abendmahlslehre und die entsprechenden Aussagen der CA als der Hauptstreitpunkt herauskristallisiert. Um deren Zweifel zu zerstreuen hatte schon Johannes a Lasco 1556 die Purgatio ministrorum in Ecclesia Peregrinorum Francoforti41 verfasst, die neben der anderen Vertreter der Fremdengemeinden auch Dathenus unterzeichnete.42 Dem Bemühen der Frankfurter Fremdengemeinden um Verteidigung ihrer Position war aber, wie gesehen, allenfalls kurzfristiger Erfolg beschieden: Bereits am 21. Mai 1557 berichtet Dathenus an den Kirchenrat in Emden von den fortdauernden Konflikten mit den Stadtpredigern und von seiner Befürchtung, dass es zu einer Disputation käme.43 Nun wurde im selben Jahr auf dem Wormser Kolloquium von den altgläubigen Gesprächsteilnehmern die Verdammung der unter dem Deckmantel der CA eingeschlichenen „Sekten“ gefordert; ausdrücklich genannt wurden dabei u. a. die „Sakramentierer“ Zwingli und Calvin.44 Eine solche namentliche Verdammung verhinderten die evangelischen Kolloquenten nur um den Preis eines Auseinanderbrechens der eigenen Delegation. Die altgläubige Seite hatte ein Mittel 40 „Ego vero, etsi non dubitarem Theologos nostros, huius Aviantis impudentissimis calumniis, manifestissimisq[ue] mendaciis responsuros, (ipsis enim totius Colloquii ratio perspectissima est) non potui tamen ad tam putidas huius miseri obtrectationes prorsus silere, sed volui (dum Theologorum nostrorum expectatur defensio) breviter improbitatem huius […] pro mea virili ostendere, simul etiam quam iniuste tot omni scie[n]tarum genere ornatissimos viros, insignesq[ue] Ecclesias traducat declarare” (Dathenus, Refutatio, f. 2r) 41 Vgl. Kuyper I, 243–269. 42 Als Unterzeichner werden aufgeführt: „Johannes a Lasco, manu propria. Valerandus Pollanus. Gulielmus Houbraque. Robertus Hornus. Petrus Dathenus.“ (a. a. O., 268) 43 Vgl. van Schelven, Vluchtelingenkerken, 403–406. 44 Vgl. Bundschuh, Religionsgespräch, 458.
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gefunden, die Evangelischen bei allen weiteren Auseinandersetzungen in die Enge zu treiben. Auch für die moderaten, auf einen innerevangelischen Ausgleich bedachten lutherischen Theologen gewann die Frage nach einer deutlicheren Abgrenzung von calvinisch beeinflussten Abendmahlstheologien nun neue Relevanz. Für Dathenus und seine Gemeinde besaß dies keine geringe Brisanz: Ein auf Kosten der reformierten Abendmahlspositionen gehender innerlutherischer Konsens musste für die niederländische Gemeinde in Frankfurt unmittelbar existenzbedrohend sein. Nur die Akzeptanz der Konformität ihrer Lehre mit der reichsrechtlich verbindlichen CA schützte sie vor Verfolgung und Vertreibung durch die Obrigkeit. In dieser Situation lässt sich das Eingreifen des Dathenus in die Debatte um das Wormser Kolloquium in zweifacher Hinsicht plausibilisieren: Erstens sollte die seit dem Wormser Kolloquium fraglich gewordene Idee eines einheitlichen evangelischen Glaubensfundaments im Gegenüber zum römischen Katholizismus als dem gemeinsamen Gegner gestärkt werden – die bestehenden innerprotestantischen Differenzen können aus dieser Perspektive höchstens marginale Lehrunterschiede ohne kirchentrennende Bedeutung sein. Zweitens möchte Dathenus seine Theologie und seine Gemeinde als Teil dieses evangelischen Konsenses präsentieren, mithin vor einer breiten Öffentlichkeit den Nachweis der theologischen Konformität mit der CA führen. Gestützt wird diese Deutung durch eine spätere Bemerkung von Dathenus, nach der er die Refutatio der katholischen Theologen deswegen so rasch veröffentlicht habe, um den Frankfurter Kurfürstentag von 1558 nicht ungenutzt verstreichen zu lassen.45 Zu Recht konnte er angesichts der in der Stadt anwesenden Fürsten und deren Gefolge auf eine breitere Rezeption seiner Schriften hoffen.
1.1.3 Die weitere Auseinandersetzung mit Bartholomäus Latomus In seiner Refutatio hatte Dathenus die ausführliche und in vergleichsweise gemäßigtem Ton gehaltene Spaltung des Latomus in einem Zug mit den schärferen Schriften a Vias und Staphylus’ abgehandelt und sie – wenn auch in der inhaltlichen Auseinandersetzung deutlich oberflächlicher – in formaler Perspektive mit der gleichen polemischen Härte bedacht. Latomus, der als einziger von den drei angegriffenen Theologen eine Replik verfasste, legt nun genau auf diese offensichtlichen Schwächen den Finger. Seine während des Frankfurter Fürstentags im März 1558 abgefasste Responsio beginnt mit der lapidaren Frage, ob Dathenus auf Grund der eigenen Unbekanntheit („quisquis es, Dathene“) seine 45 „Nam temporis, ut iam dixi, inopia (instante iam principium ad electionem Imperatoris congregatorum, recessu) vix patiebatur ea, quae pingui Minerua exaraueram relegere“ (Dathenus, Responsio prima et secunda, f. A 1v)
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Beschimpfungen noch während des Fürstentages äußern müsse, um eine größeres Publikum zu erreichen.46 Wie gesehen traf er damit wohl ein Hauptinteresse von Dathenus für die Abfassung. Im Folgenden weist Latomus die Angriffe auf die altgläubigen Theologen zurück, insbesondere Dathenus’ Verunglimpfung des Jesuiten Petrus Canisius als eines „hündischen Verfolgers der Glieder Christi“.47 Mehrfach betont Latomus, dass seine Person grundlos in einen Zusammenhang mit Staphylus und a Via gestellt würde.48 In der Auseinandersetzung mit Dathenus dominiert nun deutlich die persönliche Ebene, die sich Latomus – ähnlich seinem Kontrahenten – mit beißender Polemik zu betreten nicht scheut. Die Abschnitte mit vorwiegend inhaltlich-diskursivem Charakter treten demgegenüber in den Hintergrund. Erst zwei Jahre später, 1560, reagiert Dathenus auf die Replik seines Gegners mit seiner Responsio secunda.49 Ähnlich der Spaltung des Latomus ist die Schrift grundsätzlich zweigeteilt: In einem allgemeinen ersten Teil geht er die Argumente von Latomus Schriften noch einmal Schritt für Schritt durch und unterzieht sie einer ausführlichen Widerlegung, während er in einem systematisch gehaltenen zweiten Teil die wichtigsten Streitfragen von evangelischer und altgläubiger Theologie in neun capita abhandelt. Vorangestellt ist der Responsio secunda ein Widmungsbrief an die Grafen von Erbach. Als eines der umfangreichsten und argumentativ ausgefeiltesten Werke bildet es die Hauptquelle für die im Folgenden vorzunehmende Einordnung von Dathenus’ Theologie. Zuvor sei jedoch die Frage bedacht, was Dathenus dazu bewogen haben 46 „Metuisti ne forum perderes in hoc tam Celebri conventu, quisquis es Dathene, si convitia tua, quae insolentissime in me conceperas, una hora tardius effudisses.“ (Latomus, Responsio, f. A 2r) 47 Dathenus’ spöttisches Wortspiel lässt sich im Deutschen nur unzureichend wiedergeben: „Merito autem cynico opere, Canisium honorat, tali sane munere dignus est, qui impio latratu, odioque canino seu Iesuitico, Christus in membris suis persequitur.“ (Dathenus, Refutatio, 23v) 48 „Eiusde[m] salsuginis est, quo aspergis Avium, sive Aviantem (ut tua depravatione utar) quem socium etiam mihi una cum Staphylo, arbitratuo facis.“ (Latomus, Responsio, f. A 3v– [A 4]r) 49 Dieselbe ist in zwei verschiedenen Ausgaben überliefert: Eine frühere, durch den vorangestellten Widmungsbrief an die Grafen von Erbach auf März 1560 datierbare und eine spätere Ausgabe aus dem gleichen Jahr. Letztere umfasst neben der unveränderten Responsio secunda noch den Latomus gewidmeten Abschnitt der Refutatio. Diese „Gesamtausgabe“ der Schriften gegen Latomus, so ist der von Dathenus vorangestellten Einleitung zu entnehmen, ging offenbar auf die Anregung des Druckers Michael Chirat zurück (Vgl. Dathenus, Responsio prima et secunda, f. A 1v). Bei der vorliegenden Untersuchung wird in der Regel die erstgenannte Ausgabe herangezogen, da deren durchlaufende Seitennummerierung das Auffinden der Belegstellen erleichtert. Für die zweite Ausgabe verwende ich der besseren Unterscheidbarkeit von der Refutatio und der Responsio secunda halber den Kurztitel Responsio prima et secunda.
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könnte, die Debatte mit Latomus nach zwei Jahren des Schweigens wiederaufzunehmen. Er selbst nennt dafür mehrere Gründe: Zum einen habe er, so Dathenus in der Einleitung der Responsio secunda, eine Antwort nicht für der Mühe wert erachtet, da er um der eigenen Person willen keinen Streit suche. Der Eifer um die Ehre Gottes und um die Wahrheit habe ihn zuletzt aber doch zu einer Reaktion getrieben.50 Dazu im Widerspruch steht nun jedoch eine Angabe aus seinem Widmungsbrief an die Grafen von Erbach, nach der es gerade ein persönliches Motiv war, das bei der Abfassung seiner zweiten Schrift gegen Latomus eine Rolle spielte. Angesichts der Attacke desselben auf Jakob Andreae (1528–1590) und der Verhöhnung von Dathenus’ eigener Person als eines „Besiegten“ sei er von verschiedenen „guten Männern“ dazu gedrängt worden, eine Erwiderung zu schreiben.51 Scheint es sich bei der ersten Aussage eher um einen rhetorischen Topos zu handeln, so wird die Erwähnung seines Namens in Latomus’ vornehmlich gegen Andreae gerichtete Schrift De docta simplicitate52 sicherlich ein Motiv für die Abfassung der Responsio secunda dargestellt haben. Darüber hinaus war es Dathenus offenbar bewusst, dass die wenigen Seiten, die er in der Refutatio der Auseinandersetzung mit Latomus widmete, der ins Detail gehenden Argumentation der Spaltung nicht gerecht wurden. Er habe, so schreibt er in der Vorrede zur Responsio prima et secunda, damals aus Zeitnot keine Gelegenheit gehabt, die Dinge erneut zu lesen, die er nur schludrig (pingui minerva) durchgearbeitet hatte.53 Und im Widmungsbrief an die Grafen von Erbach gibt er an, die Refutatio in kaum mehr als vier Tagen „nebenbei“ (obiter) abgefasst zu haben.54 Die Klage darüber, kaum Zeit zu haben, da er in der Frankfurter Gemeinde für alles allein zuständig sei, begegnete bereits in dem Brief an den Emder Kirchenrat vom 27. Februar 1557, in dem Dathenus ein50 „Et hoc ingenue coram Deo testari possum, me nu[n]quam ad scribendum calamum arripuisse, nisi gloriae Dei & veritatis qualiscunq[ue] zelus me impulisset.” (Dathenus, Responsio secunda, 13) 51 „Verum cum idem D. Iacobum Andreae, theatricis exclamationibus sine ullo fundamento agressus, me quoq[ue] nominatim quasi victum ac confusum traduceret, triumphumq[ue] stulte atq[ue] ridicule ante victoriam caneret, bonorum quorundam virorum admonitionibus victus, secundo iam insulsis Latomi scriptis respondendum esse putavi“ (a. a. O., 6) 52 „Edito hoc libello, qui vernaculo sermone scriptus erat, incurrit in me Datenus quidam, & quidem eodem stratagemate quo tu, aliud scilicet agens, sed respondi mox homini plausum captanti ex vano impetu in me facto, & ita respondi, licet paucis, vt sensert me non gratis a se appetitum fuisse.“ (Latomus, De docta simplicitate primae ecclesiae, f. Hr). 53 „Nam temporis, ut iam dixi, inopia (instante iam principium ad electionem Imperatoris congregatorum, recessu) vix patiebatur ea, quae pingui Minerua exaraueram relegere“ (Dathenus, Responsio prima et secunda, f. A 1v) 54 „Non ignorant V. C. in Comitiis Francofurdiensibus ad electionem Imperatoris postremo designatis, varia Pontificiorum scripta prodisse, quibus peßime Protestantes Principes traducebantus, iis quatridui tantu[m] aut paulo amplius spacium nactus obiter respondi.“ (Dathenus, Responsio secunda, 5)
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dringlich um personelle Unterstützung bittet. Es liegt die Vermutung nahe, dass das sich im Folgebrief abzeichnende Entgegenkommen des Kirchenrats und das Eintreffen Gaspar van der Heydens in Frankfurt55 es Dathenus schließlich erlaubten, die Muße für die Abfassung einer zweiten, ausführlicheren Replik auf Latomus zu finden. Schließlich wird mit Dathenus’ Widmung der Responsio secunda an die Grafen vor Erbach neben dem Anliegen, persönliche Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen56 vor allem das Interesse verbunden gewesen sein, seine Beziehungen zum pfälzischen Kurfürstenhof zu intensivieren. Ob Dathenus mit der Abfassung der Schrift sich zugleich bei Friedrich III. als Theologe empfehlen wollte, lässt sich zwar nur vermuten; die Annahme erscheint aber angesichts der oben herausgearbeiteten Kontakte in die Kurpfalz nicht unplausibel. Sein Engagement in der Auseinandersetzung mit Latomus dürfte jedenfalls bei den maßgeblichen Trägern des konfessionellen Wandels in Heidelberg wohlwollend aufgenommen worden sein. Auf die Responsio secunda antwortete Latomus abermals mit einer umfangreichen Schrift, der Altera Responsio, die zugleich die letzte überkommene Äußerung in der Auseinandersetzung mit Dathenus darstellt. Da ihr Inhalt für das hier verfolgte Interesse keine Relevanz besitzt, soll auf eine Wiedergabe verzichtet werden.57 Von einer weiteren Reaktion des Dathenus wissen wir nichts.58 Möglicherweise hielt er seine Position in der Responsio secunda für ausreichend begründet und versprach sich nichts von einer Fortsetzung des Disputs. Eventuell könnte auch die Veröffentlichung der Prima et secunda responsio (der zweiten Auflage der Responsio secunda) im April als eine Reaktion 55 56 57 58
Vgl. dazu Teil Eins Kapitel 2.3 (S. 58f). Vgl. Dathenus, Responsio secunda, 4. Eine Zusammenfassung bietet Bundschuh, Religionsgespräch, 553f. An dieser Stelle ist die in Teilen fehlerhafte Darstellung des Schriftwechsels zwischen Dathenus und Latomus bei Ruys (Dathenus, 252–258) zu korrigieren. Ruys stellt die Behauptung auf, die Responsio secunda sei eine Antwort auf Latomus’ Altera Responsio aus dem Jahre 1560, so dass nicht Latomus, sondern Dathenus das letzte Wort in der Debatte gehabt hätte (a. a. O., 255f). Zu diesem Fehlschluss verleitet ihn offenbar die Interpretation von Dathenus’ Compendiosa & diserta responsio als Antwort auf die Responsio des Latomus aus dem Jahr 1558. Jedoch nennt das Titelblatt von Latomus’ Responsio denselben eindeutig als Autor der Schrift. Was also Ruys zu der Annahme bewogen haben könnte, der im Titel von Dathenus’ Compendiosa & diserta responsio genannte „anonyme Papist“ sei niemand anderes als Latomus, ist nicht ersichtlich. Tatsächlich wird es sich wohl um Friedrich Staphylus gehandelt haben (vgl. S. 183 Anm. 38). Bei genauerer Lektüre der Schriften wird anhand der Thematik und Argumentationsstruktur überdies sehr schnell deutlich, dass sich die Compendiosa & diserta responsio nicht sinnvoll auf die erste Antwort des Latomus aus dem Jahr 1558 beziehen lässt. Gleiches gilt für die Vorordnung von Dathenus’ Altera Responsio vor die Responsio secunda. Demgegenüber erfolgt die ältere Darstellung des Schriftwechsels bei Doth trotz einiger auf fehlenden Quellenzugang zurückzuführender Ungenauigkeiten korrekt (vgl. Doth, Dathenus, 225f).
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auf die Antwort des Latomus gewertet werden, dies lässt sich jedoch angesichts der auf die Jahresangabe beschränkten Datierung letzterer nicht weiter belegen. Die fehlende Erwähnung einer weiteren Schrift des Latomus in Dathenus’ Vorrede macht diese Vermutung eher unwahrscheinlich. Letztendlich dürften die Konflikte in der eigenen Gemeinde und die sich zuspitzende Auseinandersetzung mit den Frankfurter Stadtpredigern Dathenus stärker als bisher in Anspruch genommen haben, so dass ihm keine Zeit für die Fortsetzung der Debatte mit dem Trierer Humanisten blieb.
1.2
Das Gespräch von Oudenaarde und Dathenus’ Verantwoordinghe
Die vierte von Dathenus in Frankfurt abgefasste Schrift hat nicht den Streit mit den altgläubigen Theologen um die Schuld am Scheitern des Wormser Kolloquiums, sondern eine Stellungnahme zu einem innergemeindlichen Konflikt zum Gegenstand. Im Jahr 155759 kam es in der Gemeinde von Antwerpen zu einem Streit zwischen Adrian Haemstede, dem Prediger der Gemeinde, und einem gewissen Jan Daelman.60 Die Auseinandersetzung fand in einem Gespräch der Kontrahenten in Oudenaarde ihren Höhepunkt. Nach Dathenus’ Darstellung ging es vor allem um zwei Fragen: Besitzt das Gesetz auch für die Gerechtfertigten Geltung und ist die römische Kirche die wahre Kirche Christi? In der ersten Frage vertrat Jan Daelman offenbar die These einer vollkommenen Gesetzesfreiheit der Gerechtfertigten; in der zweiten war er der Auffassung, eine Trennung von der römischen Kirche solle selbst dann nicht vollzogen werden, wenn das wahre Gesicht des Papstes als des Antichristen sich gezeigt hätte. Letzteres begründete er anscheinend mit einem Hinweis auf 2. Thes 2,4: Wenn der Antichrist im Tempel Gottes sitzen wird und der römische Papst der Antichrist ist, dann müsse die römische Kirche der Tempel Gottes und die wahre Kirche Christi sein. Haemstede hat diesen etwas abenteuerlichen Syllogismus gemeinsam mit der libertinistischen Grundthese Daelmans bestritten, offenbar jedoch ohne seinen Kontrahenten überzeugen zu können: Indem Daelman eine – nach Dathenus’ Auffassung verzerrte61 – Darstellung der Disputation veröf59 Zur Datierung vgl. Gilmont, GenHse, 386 Anm. 2. 60 Zu Adrian Haemstede vgl. überblickshaft Bautz, Art. Haemstede und Goeters, Wirksamkeit; ausführlich Jelsma, Haemstede. Von der Person und der Theologie Jan Daelmans wissen wir nichts weiter als das, was durch die Schrift des Dathenus überliefert ist. Eine gewisse Zurückhaltung bei der Rekonstruktion und Wertung der Ereignisse erscheint daher geboten. 61 „Voorder sal oock den leser weten, dat inder selver Disputacie veel dinghen van Jan D. wtgelaten, veel toeghedaen en veel ommeghekeert en ghecorumpeert sijn“ (Dathenus, Verantwoordinghe, f. 5r) Die von Dathenus erwähnte Darstellung Daelmans scheint nicht überliefert.
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fentlichte, machte er deutlich, dass er von seinen strittigen Anschauungen nicht abgerückt war. Die nur auf den ersten Blick theoretisch anmutende Debatte hatte ihren ganz konkreten „Sitz im Leben“ der Antwerpener Gemeinde: Wie überall in den Niederlanden waren auch in Antwerpen in den 50er Jahren die Folgen der repressiven Religionspolitik Karls V. (bzw. ab 1556 Philipps II. [1556–1598]) zu spüren. Obwohl sich der Rat aufs Ganze gesehen in der Umsetzung der obrigkeitlichen Vorgaben gemäßigt zeigte und kein Interesse an umfangreichen Verfolgungen hatte, blieb die Situation angespannt: An eine offene Religionsausübung für evangelisch gesinnte Einwohner war nicht zu denken und gegen bekennende Täufer wurde mit Härte vorgegangen.62 Zeugnis von der schwierigen Lage geben zwei Briefe an Calvin aus dem Jahr 1558, einer verfasst von Haemstede am 26. November63 und einer von Dathenus am 20. September64, die beide den Rat des Genfer Reformators bezüglich der Probleme in Antwerpen erbitten. Insbesondere bei der Taufe von Kindern standen die Gemeindeglieder vor dem Dilemma, entweder die aus ihrer Sicht abergläubischen Praktiken der Papisten gegen ihr Gewissen in Kauf zu nehmen, oder aber auf die Taufe als insignum consolationis zu verzichten und sich durch das Fernbleiben dem Verdacht der Wiedertäuferei auszusetzen. Letzteres bedeutete nichts anderes als eine Gefahr für Leib und Leben. Interpretiert man die wenigen Informationen über Jan Daelman vor diesem Hintergrund, so schien er für die erste Variante votiert zu haben: Wenn es sich bei der römischen Kirche um die wahre Kirche Christi handelt, dann können Eltern ihre Kinder dort guten Gewissens taufen lassen. Bei dem Gespräch von Oudenaarde ging es demnach in ganz zentraler Weise um die Frage, inwieweit eine Anpassung im Äußeren bei gleichzeitiger Wahrung der eigenen Glaubensüberzeugungen möglich ist. Die gedruckte Darstellung des Gesprächsverlaufes aus der Perspektive Daelmans bildete für Dathenus den Anlass, öffentlich zu Gunsten Haemstedes in die Debatte einzugreifen. In seiner im Laufe des Jahres 1559 erschienen Verantwoordinghe setzt er sich ausführlich mit vier von Daelman vertretenen Thesen auseinander : Erstens: Die Gerechtfertigten sind gänzlich ohne Gesetz; zweitens: Die Römische Kirche ist die Kirche Christi; drittens: Niemand soll sich von der Römischen Kirche trennen; viertens: Alle abergläubischen und abgöttischen Praktiken der Römischen Kirche können von Christen ohne Sünde gebraucht werden. Die Widerlegung der zweiten These nimmt dabei in der Schrift den meisten Raum ein, wobei Dathenus nicht nur eine scharfe Grenze zur rö62 Zur Haltung der niederländischen Städte allgemein vgl. Woltjer, Stadt, 155–160. Zur Situation in Antwerpen vgl. Marnef, Antwerp, 61–87. 63 Vgl. CR 45 (CO 17), 388f. 64 Vgl. CR 45 (CO 17), 345f.
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mischen Kirche zieht, sondern auch einen längeren Abschnitt der Auseinandersetzung mit den „wederdopers“ widmet – sicherlich mit Blick auf das in Antwerpen vergleichsweise stark vertretene Täufertum.65 Die Inanspruchnahme der Riten der römischen Kirche lehnt Dathenus strikt ab: Wer sein Kind wider besseres Wissen in der römischen Kirche habe taufen lassen, habe gesündigt und solle dies öffentlich bekennen.66 Eine Wiedertaufe solle jedoch nicht erfolgen, denn die Kinder seien auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft und Gott halte unverbrüchlich an seinem Wort fest.67 Auch im Fall der Verantwoordinghe stellt sich die Frage nach dem Abfassungsmotiv : Warum greift der in Frankfurt weilende Dathenus in eine Debatte ein, die innerhalb der Gemeinde in Antwerpen geführt wurde? Eine zentrale Rolle könnten die gemeinsamen Kontakte nach Emden gespielt haben. Dathenus dürfte einige Angehörige des Emder Kirchenrates aus seiner Londoner Zeit oder über die Vermittlung a Lascos, Microns u. a. persönlich gekannt haben. Haemstede selbst war vor seiner Wirksamkeit in Antwerpen zunächst einige Zeit in Emden.68 Dass es darüber hinaus enge Beziehungen zwischen den reformierten Gemeinden in Antwerpen und Frankfurt gab, zeigt schon das Eintreffen Gaspar van der Heydens in Frankfurt 1558/59. Umstritten ist, ob Haemstede in diesem Zeitraum während einer Reise nach Aachen auch Frankfurt besuchte.69 Es kann aber davon ausgegangen werden, dass Dathenus zumindest von van der Heyden, wenn nicht gar von Haemstede selbst auf die Veröffentlichung der Darstellung des Gesprächs von Oudenaarde durch Jan Daelman aufmerksam gemacht worden ist. Von Dathenus selbst liest man dazu in der Verantwoordinghe allerdings nichts. Dass er und nicht Haemstede eine Antwort auf die Schrift Daelmans verfasste, begründet er damit, dass Haemstede die Zeit für eine Erwiderung fehle.70 Jelsma äußert mit einigem Recht Zweifel an der Belastbarkeit dieser Angabe und führt das mangelnde Vertrauen Haemstedes in seine Fähigkeiten 65 Die genaue größe der täuferischen Gemeinden in Antwerpen Mitte des 16. Jahrhunderts kann nur geschätzt werden. Für den Zeitraum von 1550–1566 sind 196 Fälle von Täuferverfolgungen dokumentiert. Vgl. Marnef, Antwerp, 72–80. 66 „Daerom wil ic eenen yegelijcke[n] Christe[n] die under des Paus tyrannie noch ghesten is hier met vriedelijc in Christo gebeden hebbe[n], dat so hy in desen deele gesondicht heeft dus langhe ooc moedelijck syn sonde wil bekennen en[de] syn swaecheyt beclaghen“ (Dathenus, Verantwoordinghe, f. 35v) 67 Vgl. a. a. O., f. 36r. 68 Vgl. Jelsma, Haemstede, 27. 69 Zur Diskussion vgl. Jelsma, Haemstede, 110f. 70 „Maer aengaende die Disputacie van Jan D. wtghegheue[n], niemant en twijfele daer aen, ofte M. Adriaen Hamstadt die alle gelegentheyt beter weet dan ick, en hadde daer op beter connen verantwoorden dan ick, daerom dat ick dit aenghegrepe[n] hebbe, en is nergent om anders, dan om dat hy hier toe den tijdt niet ghehadt heeft.“ (Dathenus, Verantwoordinghe, f. 5r)
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zur Disputation als plausibleren Grund an.71 In der Tat hatte Dathenus mit seiner Refutatio und seiner Compendiosa & diserta Responsio bereits Erfahrung mit der Abfassung von Streitschriften sammeln können, was ihn Haemstede für eine Entgegnung auf Daelman empfohlen haben könnte. Dessen These, die römische Kirche sei die Kirche Christi, stand darüber hinaus in eklatantem Gegensatz zu der Auffassung, die Dathenus in seinen Schriften entfaltete. So ist auch die Verantwoordinghe mit einem deutlich polemischen Interesse verfasst: Er wolle, so Dathenus, mit ihr dafür sorgen, dass die einfältigen Menschen, die Gott liebhaben, nicht durch Daelmans Lehre vergiftet würden.72
1.3
Die theologischen Grundzüge der Frankfurter Schriften
1.3.1 Der Kirchenbegriff: Innerprotestantische Weite und antirömische Polemik Im Zuge des im ersten Hauptteil vorgenommenen biographischen Abrisses wurde bereits deutlich, wie prekär sich die Lage der niederländischen Flüchtlinge in Frankfurt Ende der Sechzigerjahre darstellte. In dieser Situation zielte die Betonung des gemeinsamen Lehrfundaments aller Evangelischen in Dathenus’ Schriften zweifellos auf den Nachweis der Konformität der eigenen Theologie mit der CA als der gebotenen Überlebensstrategie der Frankfurter Fremdengemeinde. Dass sich die herausragende Stellung, die dem „Gemeinsamen“ aller Evangelischen nach Dathenus’ Auffassung zukommt, nicht allein aus diesem situativen Interesse ableitet, sondern sich darüber hinaus mit seinen ekklesiologischen Grundüberzeugungen deckt, davon geben seine Frankfurter Schriften Zeugnis. Danach ist das entscheidendes Kennzeichen der einen, wahren Kirche der ständige Bezug auf Christus und dessen Heilswerk. Christus ist das „Haupt“ der Kirche, ihr „Fundament“ und ihr „Eckstein“. Gegen den Vorwurf der inneren Zerstrittenheit seitens der katholischen Theologen wird dieser fundamentale Bezug auf das solus christus immer wieder als das verbindende Element der evangelischen Auffassungen ins Feld geführt:
71 Vgl. Jelsma, Haemstede, 33. 72 „Ouermits dat dan dese voorseyde leeringhen van Jan D. een rechte Libertijnsche vleeschelike leeringhe is, die den weerlijcken sinnelijcken menschen, lichtelijck gheleert wert […] op dat ooc die eenvoudighe God liefhebbende simpel Menschen, met deser valscher leeringhe, niet verghiftet werde[n] so hebbe ic my teghen desen Jan D. willen stellen, en[de] na mijn cleen vermoghen, die contrarie va[n] sijnder leere, sonder scheltwoorden willen bewijsen“ (Dathenus, Verantwoordinghe, f. 3v–4r)
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Vom Anfang der Erneuerung des Evangeliums an haben sie (sc. die Evangelischen) alle übereinstimmend gelehrt, dass Christus das eine Haupt, Fundament, der eine König, Lehrer und Priester der Kirche sei, durch den die Gläubigen umsonst, allein aus Glauben ohne jede Werke von Gott gerecht gesprochen würden […]. Sie lehrten, dass die Kanonische Schrift vollständig [integram] und vollkommen [perfectam] sei, und dass in ihr nichts, was zum wahren Glauben und zur wahren Frömmigkeit notwendig ist, ausgelassen sei – dass ihr nichts hinzugefügt werden braucht noch kann: Dies bekennen sie bis jetzt offen.“73
Das einheitsstiftende Fundament der evangelischen Lehre wird hier in dreifacher Weise inhaltlich charakterisiert: durch die Lehre von den drei Ämtern Christi (das solus christus), durch die Lehre von der Rechtfertigung (das sola fide und das sola gratia), und durch die Lehre von der Vollständigkeit und Vollkommenheit der Schrift (das sola scriptura). Deutlich wird dabei der innere Bezug der Lehrstücke aufeinander : Das solus Christus ist sachlich dem sola gratia und dem sola fide vorgeordnet, denn Christus ist der eine König, Lehrer und Priester, durch dessen Wort Gott die Gläubigen gerecht spricht. Das sola gratia und das sola fide sind wiederum (gemeinsam mit dem solus Christus) dem sola scriptura vorgeordnet, denn die Vollkommenheit der Schrift gründet gerade darin, dass sie alles enthält, was „zum wahren Glauben und zur wahren Frömmigkeit“ notwendig ist. Letztendlich ist es also das solus Christus, Christus selbst und dessen Lehre, von dem her alle anderen Exklusivpartikel ihre Legitimation erhalten. Besonders in der Drei-Ämter-Lehre kommt diese Vorordnung für Dathenus in angemessener Weise zum Ausdruck, weshalb die drei Ämter stellvertretend für alle Dimensionen des evangelischen Lehrfundaments stehen können. So verwahrt er sich an anderer Stelle gegen den Vorwurf einer unübersichtlichen Lehrvielfalt unter den Evangelischen mit dem Hinweis, dieselben würden Christus als den einen König, Propheten und Priester anerkennen. Dies garantiere die Einheit der Kirche.74 Mit der Einordnung der Drei-Ämter-Lehre als Lehrfundament der Kirche bewegt sich Dathenus ganz auf dem theologischen Boden der Londoner Fremdengemeinde bzw. des dort verfassten Compendium doctrinae. Dort waren es ja gerade die Drei-Ämter- und die Zwei-Naturen-Lehre, die, aus dem „Prinzip“ des 73 „Ab initio enim renascentis Euangelii, uno omnes ore, Christum Iesum esse unicum Ecclesiae caput, fundamentum, Regem, Doctorem & Ponitificem tradiderunt, propter quem gratuito, sola fide sine ullis operibus, vere credentes a Deo iusti pronuntiantur […]. Docuerunt Scripturam Canonicam integram ac perfectam esse in qua nihil eorum quae ad veram fidem et pietatem necessaria sunt est pr[a]etermissum, cui nihil addi debet nec potest: istud adhuc firmissime profitentur.“ (Dathenus, Responsio secunda, 27f.) 74 „Obijciunt [sc. pontificii] opinionum inter nos varietatem […] quasi ea vel nova sit: vel iis Ecclesiam auferat, qui fundamentum illud Apostolicum, angularem lapidem Christus Iesum, unicum Ecclesiae Regem, Prophetam ac Pontificem retinent.“ (Dathenus, Responsio prima et secunda, f. A 2r)
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Petrusbekenntnisses gewonnen, zur Beschreibung des Lehrgehaltes der Kirche schlechthin dienten. Auch in seiner Kirchendefinition, die Dathenus in Auseinandersetzung mit dem katholischen Verständnis einer successio Apostolorum entfaltet, findet diese zentrale Stellung der Drei-Ämter-Lehre ihren Niederschlag: „So definiere ich die Kirche: Die sichtbare Kirche Christi ist die Versammlung all jener sowohl wahrhaft Gläubiger als auch Heuchler, die das reine Evangelium bekennen, wobei sie die unreine Lehre fliehen, Christus als das eine und höchste Haupt, als Heiland, Priester und Mittler anerkennen und die Sakramente und die von Christus übergebenen Schlüssel recht gebrauchen.“75
Anders als im Londoner Bekenntnis, wo die Unterscheidung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche keine Rolle spielte, dient sie für Dathenus als Ausgangspunkt der Kirchendefinition. An einer Stelle der Responsio secunda bezeichnet Dathenus dabei die unsichtbare Kirche eher nebenbei als numerus praedestinatorum,76 ansonsten zieht er, vor allem im Kontext der Schilderung der Anfechtungen, denen die wahrhaftig Gläubigen ausgeliefert sind, den Ausdruck numerus electorum77 als Umschreibung der wahren Kirche vor. Das Verhältnis von sichtbarer und unsichtbarer Kirche bestimmt er deutlich in der Verantwoordinghe: Die unsichtbare Kirche bestehe aus der Zahl aller Auserwählten („dat ghetal alder wtuercore[n]“), denen von Ewigkeit her das ewige Leben bereitet ist.78 Sie bekennen Christus nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit dem Herzen.79 Dagegen sei die sichtbare Kirche ein corpus permixtum aus Gläubigen und Heuchlern, das durch das Bekenntnis zum Evangelium konstituiert würde.80 Dathenus folgt in dieser Sache offenbar stärker Calvin als a Lasco, der die harten Konsequenzen der calvinischen Prädestinationslehre ablehnt und die Erwählung stärker an den Glaubensbegriff bindet.81 Es ist auffällig, wie Dathenus in der oben zitierten Definition das Bekenntnis 75 „Visibilis Ecclesia Christi, est congregatio eorum omnium, tam vere fidelium, quam hypocritarum qui profitentur purum Euangelium, fugientum impuram doctrinam, agnoscentum Christum unicum Summum caput Servatorum, Pontificem & Mediatorem, rite utentiu Sacramentis & clavibus Christo traditits.“ (Dathenus, Responsio secunda, 141; vgl. auch Verantwoordinghe, f. 21v–22r) 76 „Nam illi (sc. Pharisaei) erant in Dei visibili Ecclesia, etiamsi ad invisibilem (quae solo praedestinatorum numerum constat) prorsus non pertinerent.” (Dathenus, Responsio secunda, 156) 77 Vgl. z. B. Dathenus, Refutatio, f. 17r und Responsio secunda, 95. 78 „Wa[n]t daer is een onsichtbare oft inwendige kercke welcke is dat ghetal alder wtercore[n] den welcke[n] van inder eewicheyt dat eewich leuen bereyt is.“ (Dathenus, Verantwoordinghe, f. 21v) 79 Vgl. a. a. O., f. 25r. 80 „En[de] daer is ooc een wtwendighe ofte sichtbare kercke[n], inde welcke beyde goede ende quade t’samen ghemenget syn.“ (a. a. O., f. 21v) 81 Vgl. dazu Busch, Ekklesiologie, 132–138 und Falkenroth, Gestalt, 128–130.
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zum Evangelium und zu Christus als dem „höchsten Haupt“ sowie das Abweisen unreiner Lehre den übrigen Kennzeichen der Kirche (zu denen er entsprechend seiner Londoner Prägung ganz selbstverständlich die Kirchenzucht als den Brauch der Schlüssel zählt) sachlich voranstellt. Die rechte Sakramentsverwaltung und die rechte Ausübung der Kirchenzucht ist für Dathenus ein Ausfluss des rechten Bekenntnisses zur Lehre Christi, nicht umgekehrt. Hier, wie auch beim betonten Festhalten der Mitwirkung der Gemeinde an der Zucht, nimmt Dathenus deutlich die Tradition der Londoner Fremdengemeinde auf.82 Hält die Kirche an diesem einen Lehrfundament fest, so kann es in ihr Raum für eine Pluralität von Lehrmeinungen geben, die miteinander um den Anspruch der jeweils angemessensten Schriftauslegung ringen. Dass die wahre Kirche aus Dathenus’ Sicht keiner absoluten und monolithischen Lehreinheit als ihres Kennzeichens bedarf, zeigten im Übrigen schon die alte Kirche und sogar die Apostel, die zu bestimmten Themen durchaus widersprüchliche Auffassungen hatten, ohne dass dadurch die auf Christus gegründete Einheit der Kirche in Frage gestellt würde.83 Explizit hält Dathenus fest, dass selbst Differenzen in der Auslegung der Abendmahlslehre keine kirchentrennende Bedeutung zukommen muss: „Lange wurde über den wahren Sinn und das wahre Verständnis der Einsetzungsworte verhandelt, von denen der eine sagte, sie seien synekdochisch [synekdochice], der andere, sie seien metonymisch [metonymice] auszulegen; es anerkannten indes dennoch beide, dass in der heiligen Versammlung [synaxis] die wahre Gemeinschaft des wahren Leibes und Blutes Christi durch die verborgene Kraft des Heiligen Geistes geschehe: Wer, der kein ungerechter Beurteiler der Dinge ist, wird es wagen, den einen wie den anderen Teil aus der Kirche zu verbannen?“84
In der Konsequenz dieser Auffassung liegt es, dass Dathenus so unterschiedliche Theologen wie Martin Luther, Huldrych Zwingli, Philipp Melanchthon, Matthias Flacius, Johannes Calvin, Johannes Brenz und Martin Bucer gleichermaßen gegen die Angriffe von Seiten altgläubiger Theologen verteidigen kann. Insbe82 „Habere eos etiamnu[m] (de veris Ecclesiae Pastoribus loquor) eandem autoritatem, qua veteris Ecclesi[a]e antistes fueru[n]t praediti, docendi purum Euangelium […], administrandi deniq[ue] Sacramenta, iuxta dominicam institutionem, ac exercendi etiam cum reliquo Ecclesiae corpore claues“ (Dathenus, Responsio secunda, 166) 83 „Graviores inter ipsos Patres contentiones fuisse semper, obscurum non est, qui propterea tamen nec scismatici, nec sectarii a viris cordatis fuerunt apellati“ (Dathenus, Responsio secunda, 45) 84 „De vero verborum Coenae sensu ac intellectu discepatur, qu[a]e alius Synekdochice, alius Metonymice interpretanda dicit, agnoscit tamen interim uterque, fieri in sacra Synaxi veram veri corporis & sanguinis Christi occulta Spiritus S. virtute co[m]munionem: quis non iniquus rerum aestimator alterutrum, ut alienum partem ab Ecclesia damnare audebit?“ (Dathenus, Responsio prima et secunda, f. A 2r)
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sondere Zwingli nimmt er gegen den Vorwurf der Häresie in Schutz: Dieser habe auf dem Marburger Kolloquium mit anderen hervorragenden Männern disputiert, zwischen Luther und ihm kam es auch über die Lehre der Ubiquität zum Streit, jedoch sei er deswegen in keiner Weise als Ketzer verdammt worden.85 Dass diese innerprotestantische Weite im Kirchenbegriff für Dathenus kein bloßes Lippenbekenntnis darstellt, wurde bereits an seinem Verhalten im Konflikt um die Kindertaufe in der Frankfurter Fremdengemeinde deutlich. Dort positionierte er sich gerade auf Seiten derer, die mit Rücksicht auf die äußere Situation der Niederländer zum Kompromiss bereit waren: Es sei theologisch unbedenklich, neugeborene Kinder bei den Stadtpredigern taufen zu lassen, da es mit denselben bislang in Fragen der Taufe keine Auseinandersetzungen gegeben habe, so Dathenus’ Argumentation in einem Brief an Calvin vom 28. April 1562.86 Abergläubische Zeremonien würden nicht abgehalten, wenn er selbst auch die von den Stadtpredigern verlangte Absage an den Satan für überflüssig, aber nicht für gottlos halte. Bei der Taufe würde zudem keine Verleugnung der eigenen Lehre verlangt und die Wahrheit könne durch die Gemeinde offen bekannt werden. Die lutherischen Prediger seien durch den Magistrat der Stadt in ihr Amt berufen (legitime vocati) und durch die Kirche anerkannt (approbati), so dass die von ihnen vollzogenen Taufen volle Gültigkeit besäßen. In seinem Brief an Bullinger vom 18. September 1562,87 der ebenfalls den Taufstreit zum Gegenstand hat, betont Dathenus noch einmal ausdrücklich, dass die lutherischen Gemeinden „Teile der wahren katholischen Kirche“ seien.88 Der in seinen Schriften vertretene offene Kirchenbegriff findet hier also seine situative Applikation: Solange der gemeinsame Grundkonsens in Gestalt der Lehre von den drei Ämtern Christi, unangetastet bleibt, ist für Dathenus Kirchengemeinschaft gegeben und der wechselseitige Empfang der Sakramente möglich. Schon bei den Täufern ist dies aber nicht mehr der Fall: Ihnen fehlten sämtliche Kennzeichen der wahren Kirche, da sie Christus nicht als wahrhaft Menschgewordenen, und das heißt, nicht als wahren Mittler anerkennen.89 85 „Sed dic qu[a]eso, Latome, quo legitimo iudicio Zwingliu[m] tandem damnatum esse putas: Constat ipsum Marpurgensi Colloquio cum aliis perisq[ue] viris doctis interfuisse, cum quibus sente[n]tiam suam libere atq[ue] contulit: sed tantu[m] abfuit ut haereseos damnaretur“ (Dathenus, Responsio secunda, 37; ähnlich auch a. a. O., 80) 86 Vgl. CR 47 (CO 19), 396–398. 87 Vgl. Van Schelven, Vluchtelingenkerken, 409–411. 88 „Nullus hactenus negavit, illos coetus, qui Lutheri sententiam et vehementiam sectantur, partes esse verae ecclesiae Catholicae“ (a. a. O., 410) 89 „Als de Wederdoopers willen bewijsen, dat Christus gheen warachtighe menschelycke nature van die maghet Maria aenghenomen heeft“ (Dathenus, Verantwoordinghe, f. 63r). Die Frage der Beteiligung Marias bei der Menschwerdung Christi bildete einen zentralen Streitpunkt bei der Auseinandersetzung a Lascos und Microns mit Menno Simons; Vgl. Teil 3 Kapitel 2.2.3.
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Wenn sie aber auf diese Art das in der Schrift bezeugte Wort verachteten, so folgt daraus, dass sie auch nicht die wahre Sakramentsverwaltung und die wahre Kirchenzucht besitzen.90 Auf der Exklusivität des solus ruht damit das ganze Gewicht. Wird es in Frage gestellt oder auch nur zu Gunsten anderer Größen aufgeweicht, wie dies aus der Sicht des Dathenus neben dem Täufertum insbesondere im römischen Katholizismus durch die Lehre vom Messopfer und der Heiligenverehrung sowie der damit einhergehenden Leugnung der drei officia Christi geschieht,91 so wird an dieser Stelle nicht nur der Bereich der wahren Kirche verlassen, sondern es kommt darüber hinaus zur Pervertierung der institutionellen Form: Aus der ecclesia Christi wird die synagoga Satanae.92 Katholizismus und Täufertum stellen demnach zwei strukturell verschiedene Formen von Irrlehre dar, die aus Dathenus’ Sicht unterschiedliche Gegenmaßnahmen erfordern. Explizit rät er davon ab, die Täufer mit Gewalt zu verfolgen: Einer derartigen Sekte begegne man am besten, indem man sie in öffentlicher Disputation durch das Wort Gottes überwinde.93 Was demgegenüber die „offenkundige Abgötterei“ der Papisten für Dathenus so unerträglich macht, ist die Manifestation des Widergöttlichen in einer Institution, mit der keinerlei Verständigung auf dem Boden der Schrift möglich sei und die er deshalb überall in seinen Schriften mit schärfster Polemik geißelt: Die römische Kirche sei der Turm zu Babel, in der sodomitische Lust, simonitische Raubsucht, tierische Ausschweifung, heimliche Giftmischerei, und verfluchter Inzest praktiziert würden;94 der römische Papst sei niemand anderes als Nimroth, der Sohn des Antichrists, der sich den Besitz der Witwen und Waisen mit infernalischer und wölfischer Raubsucht einverleibe95 usw. 90 „Alle Sacramenten des oude[n] en[de] nieuwen Testaments sijn segelen en[de] teecken die ons op Christum wijsen ende leeren dat hy wt Abrahams saet warachtich mensche gheworden is ons in alles ghelyck behalvan die sonde, ende darby in dien lichame voor ons die doodt steruen soude, voor onsen sonden volcomenlijc betalende. Desen Christum en hebben sy niet, hoe connen sy dan die Sacramenten Christi hebben?“ (Dathenus, Verantwoordinghe, f. 61r–v) 91 „Ipsi [sc. Papistae] igitur illi sunt qui cum Arrianis, Iouvianis, Valentinianis ac Vigilatianis maximam affinitatem habent, nam eadem pertinacia OFFICIA Christi, Prophetae, Regis, ac unici Pontificis nostri pernegant, qua illi utramq[ue] in Christo Domino naturam abnegarunt.“ (Dathenus, Compendiosa & diserta responsio, F. B iiv ; Majuskeln im Original) 92 Vgl. Dathenus, Responsio secunda, 127. 93 Vgl. Dathenus, Verantwoordinghe, f. 66r–v. 94 „Viderunt [sc. Prinicipes] se vana reformationis spe nimis diu fuisse lactatos, ac intellexerunt frustra pontifice Ecclesiae (a vertice usq[ue] ad plantam corruptae) restitutionem expectari, qui ne aulam quidem suam, Sodomitica libidine, Simniaca rapacitate, brutali luxuria, clandestinis veneficiis, homicidiis manifestis, adulteris horrendis, incestibus execrandis purgare potui[t].“ (Dathenus, Refutatio, f. 18v) 95 „Quis enim Romanum Pontificem, qui inauditam aliquot iam seculis rabiem atq[ue] furorem in Christi Ecclesiam exercuit, ut nec Regibus nec Principibus etiam potentissimis pepercerit, quin sordidis pedibus suis eos protriuerit, qui intollerabilem deniq[ue] conscientiarum
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Zweifellos wird sich die hyperbolische Vehemenz, mit der Dathenus alle rhetorischen Register der Schmäh- und Streitrede zur Ausgestaltung seiner Polemik gegen den römischen Katholizismus zieht, zu einem guten Teil aus den eigenen Verfolgungserfahrungen erklären lassen. Und angesichts der zeitgenössischen Schilderungen über das schonungslose und blutige Vorgehen der katholischen Obrigkeit in den Niederlanden, Frankreich und England dürften gewisse Vorwürfe – wie z. B. derjenige, in ganz Europa würden die Evangelischen von den Inquisitoren der „häretischen Verderbtheit“ (haereticae pravitatis) auf grausamste gefoltert und niedergemetzelt96 – durchaus ihren Anhalt an den historischen Gegebenheiten haben. Fragt man jedoch nach der Stellung dieser Polemik innerhalb der Theologie und ihrer sachlichen Begründung, so wird man auf seinen Kirchenbegriff und seine Auffassung des römischen Katholizismus als einer „Häresie“ verweisen müssen. Wird die Suffizienz des Heilswerkes Christi durch die Lehrstücke vom Messopfer und von der Heiligenverehrung gemindert, so hat dies letztlich nichts anderes als die Leugnung der Lehre des solus christus als dem einen und einzigen Fundament der Kirche zur Konsequenz. Der in seiner innerprotestantischen Weite geradezu irenisch anmutende Kirchenbegriff des Niederländers führt auf diese Weise den harten und kompromisslosen Ausschluss der „papistischen Abgötterei“ als seine Kehrseite immer mit sich. Damit vertritt Dathenus um 1560 bereits eine Position, wie sie charakteristisch für weite Teile der kurpfälzischen Theologen der Folgejahre sein wird.97 1.3.2 Schriftverständnis Bereits anhand des oben angeführten Zitates aus der Responsio secunda wurde deutlich, dass für Dathenus das Bekenntnis zur Schrift als dem vollständigen (integram) und vollkommenen (perfectam) Medium der Gottesoffenbarung Kennzeichen des Lehrfundaments der wahren Kirche Christi ist.98 Anders als Latomus meine, enthalte das „Wort Gottes“ nichts über die Schrift hinausgecarnificinam commentus est: qui oppressis innocentibus, sceleratissimos quosq[ue] diuitiis atq[ue] honoribus auxit: qui viduarum ac pupillorum opes insatiabili, infernali ac lupina rapacitate invasit ac deglutivit, impium Nimroth filium maledicti Satanae esse negare poterit?“ (Dathenus, Responsio secunda, 49) 96 Vgl. Dathenus, Refutatio, f. 17r. 97 Vgl dazu Strohm: „Mit der skizzierten Präsenz der Erfahrungen der westeuropäischen Protestantenverfolgungen in der Kurpfalz und der damit zusammenhängenden militant antirömischen bzw. antipäpstlichen Ausrichtung sind zwei wesentliche Horizonte, die das weltanschaulich-konfessionelle Profil des Heidelberger Protestantismus in den Jahrzehnten von 1560 bis 1620 kennzeichnen, genannt. Das dritte Merkmal ist die oben am Beispiel Ehems gezeigte bleibende Orientierung an den Zielen des Humanismus, die sich damit in charakteristischer Weise verbindet.“ (Strohm, Übergang, 104) 98 Vgl. Dathenus, Responsio secunda, 27f.
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hendes, weil in ihr der ewige Gotteswille klar und unverfälscht zum Ausdruck komme.99 Christus selbst sei als das Heil der Menschen der Gegenstand dieses Gotteswillens100 und zugleich der eine Lehrer der Kirche,101 weshalb die Schrift an der Suffizienz seines Heilswerkes partizipiere. Füge man der Lehre der Propheten und Apostel etwas hinzu oder behaupte gar, sie müsse durch neue Offenbarungen des Geistes ergänzt werden, so sei dies nichts anderes als eine blasphemische Gleichsetzung der eigenen Person mit dem Sohn Gottes,102 denn der Heilige Geist lehre nichts Anderes als der eine Lehrer Christus, mithin das, was in den Schriften der Apostel und Propheten überliefert sei. In zwei Argumentationsfiguren entfaltet Dathenus den kontroverstheologischen Gehalt des so begründeten sola scriptura. In der ersten Argumentationsfigur versucht er zu belegen, dass es die Schrift sein muss, nicht die Kirchenväter, nicht die Konzilien und noch viel weniger der Papst, der das Richteramt in religiösen Streitfragen zukommt. Breiten Raum verwendet Dathenus auf den detaillierten Nachweis, dass alle diese kirchlichen Instanzen sich in der Vergangenheit widersprochen hätten, weshalb durch bloße Verweise auf deren Autorität ein theologisches Urteil nicht begründet werden könne.103 Daneben folgt das bedingungslose „Prä“ systematisch aus der Relationsbestimmung von Kirche und Wort Gottes. Ist die Lehre von der Suffizienz und Perfektion der Schrift als Implikat des Bekenntnisses zu Christus in seinen drei Ämtern ein Kennzeichen der wahren Kirche, so ist klar, dass die Kirche niemals über das Fundament, auf dem sie steht, richten kann. Genau dies, so moniert Dathenus unter Rückgriff auf Luther, geschehe aber bei den altgläubigen Theologen, wenn Latomus behaupte, die Kirche, die Tochter des Wortes, habe über das Wort zu richten.104 Es ist diese Pervertierung der Beziehung zwischen Schrift und Kirche, womit sich die „Papisten“ aus Sicht des Dathenus wiederum 99 „[…] etiamsi Scripturis Canonicis aeternam ac immutabilem Dei voluntatem perfecte ac luculenter expressam patefactamq[ue] esse […] apud omnes veros Christi discipulos extra controversiam sit.” (Dathenus, Responsio secunda, 82f) 100 „Nam ut Deut ab initio, humano generi salutem aeternam in Christo solo proposuit, ita omnibus retro saeculis, summo consensu, Prophetarum vaticiniis ac Apostolorum testimoniis eandem doctrinam confirmavit.“ (a. a. O., 83) 101 „Caeterum quia perpetuo unicus ille Ecclesiae doctor, sibi constat ac manet simillimus“ (ebd.) 102 „Hos ne filios Dei esse nobis persuadebis, quos magnu fastu, & intollarabili ac satanica arrogantia, nova ex suo cerebro dogmata excogitasse, & violenter Ecclesiae obtrusisse negari non potest, quod nullus Prophetarum neque Apostolorum unquam tentare ausus est?“ (a. a. O., 84) 103 Vgl. a. a. O., 100–111. 104 „Praepostere igitur, Latome, Ecclesiam, quae est Verbi filia, de Verbo, quod est ipsa mater, iudicare posse contendis.“ (a. a. O., 89) Vgl. auch Dathenus, Verantwoordinghe, f. 40v. Dort findet sich auch ein expliziter Verweis auf Luthers Genesiskommentar, den Dathenus an dieser Stelle rezipiert.
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der Blasphemie schuldig machten, und es zeichne gerade den Teufel aus, dass er den Menschen das sichere Zeugnis ihres Heils nicht gönne und daher die Schrift ihrer fundamentale Bedeutung für die Kirche zu berauben suche.105 Die zweite, in Dathenus’ Schriften an unterschiedlicher Stelle begegnende Argumentationsfigur befasst sich mit den hermeneutischen Konsequenzen des sola scriptura und richtet sich apologetisch gegen den Vorwurf, die Evangelischen missachteten die Überlieferung der Kirche und führten neue Lehren ein. Das Gegenteil sei der Fall, so der Niederländer : Die Väter würden bei den Evangelischen überall sehr hoch geschätzt, nur könne ihnen nicht die gleiche Autorität zukommen wie der Schrift – eine Autorität, die sie im Übrigen auch niemals selbst beansprucht hätten.106 Stattdessen müsse man die Schrift nach der Regel des Paulus lesen: Prüft alles, das Gute aber behaltet.107 Es muss also nach Dathenus an einer qualitativen Differenz zwischen Schrift und Kirchenvätern festgehalten werden. Dies gilt auch für das von der Gegenseite vorgebrachte Argument eines zeitlichen „Prä“ der Kirche vor der Schrift. Der vorausgesetzte Syllogismus: „Was älter ist, muss über das Neuere urteilen. Die Kirche ist älter als das geschriebene Wort, also muss sie über die Schrift urteilen“,108 scheitert nach Dathenus nicht nur an der obengenannten relationalen Vorordnung des Wortes Gottes als mater ecclesiae, sondern bereits an der fehlenden argumentativen Belastbarkeit des Obersatzes: „Uralt war bei den Athenern die gottlose Verehrung der Götterbilder und ebenso bei den Ephesern die der großen Diana, bei welchen sich Paulus eindeutig nicht gescheut hat, alles zu erneuern, nachdem alle alte Abgötterei vernichtet wurde. Weiter, weil du zugibst, dass eine Reform notwendig ist: Warum nennst du die unsrigen Neuerer, die doch die Missbräuche, den Josia nachahmend, nach Kräften aufgehoben haben?“109
Anhand von geschichtlichen Beispielen (Paulus) zeigt Dathenus, dass aus dem Alter einer Lehre noch nicht notwendig auf deren Wahrheitsgehalt geschlossen 105 „Non destitit gloriae Dei, & salutis humanae adversarius diabolus ab initio mundi, in hunc usque diem, semper Scripturam sacram (quam Spiritus sanctus lucernam pedibus nostris esse asserit) impugnare, contemnere, eiusdemque autoritatem pro virili extenuare, qua in re, mirum est quam sedulo etiamnum omnibus adhibitis machinis laboret.” (Dathenus, Responsio secunda, 91) 106 „Huc accedit, quod ipsi Patres omnes, suos libros Scripturae Canonicae subiiciunt, neq[ue] humanam autoritatem tantum valere patiuntur, ut propter eam aliquis credere debeat, quae in Scripturis sacris diserte non explicantur.“ (a. a. O., 101) 107 Vgl. a. a. O., 102. 108 „Vel si in Sylogismum sententiam tuam redegeris haec erit forma. Quicquid alio est antiquius, de eo quo recentius est iudicare debet: sed Ecclesia scripto verbo est antiquior, ergo Ecclesia de eodem debet iudicare.“ (a. a. O., 90) 109 „Vetustissima erat aput Athenienses Simulachrorum, & apud Ephesios magnae Dianae irreligiosa religio, apud quos omnia innovare, abolitis antiquis idolomaniis omnibus, plane non veretur Paulus Apostolus. Porro cum reformatione opus esse non dissimules: cur nostros qui Iosia imitati abusus pro virili sustulerunt, novatores appellas?” (a. a. O., 174)
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werden darf, so dass historisches Alter allein niemals den hinreichenden Legitimationsgrund theologischer Autorität darstellen kann. Darüber hinaus seien, so der Niederländer, gerade nicht die Evangelischen die Neuerer, sondern die Päpste und ihre Anhänger, da jene wie Josia gerade die Missbräuche (Brot- und Bilderverehrung, Anrufung der Heiligen, Primat des Papstes usw.) im Rückgriff auf die ursprüngliche Lehre der Schrift abschaffen wollten. Insgesamt steht Dathenus’ Theologie mit der Betonung des Richteramts der Schrift bei religiösen Streitigkeiten und der hermeneutischen Ortsbestimmung der Vätertradition deutlich unter dem Eindruck des Wormser Religionsgesprächs von 1557. Seinen Niederschlag findet dies in einer starken Gewichtung der Ekklesiologie und der sie fundierenden Drei-Ämter-Lehre als Fundamentallehre der wahren Kirche in der Absicht, zum einen das Gemeinsame evangelischer Lehre deutlich herauszustellen und zum anderen die Grenze zum römischen Katholizismus scharf zu markieren.
1.3.3 Rechtfertigung und gute Werke Einen weiteren Bestandteil des evangelischen Lehrkonsenses bildet für Dathenus die Lehre von der Rechtfertigung und den guten Werken. Den naheliegenden Einwand, dass gerade am Streit um die angemessene Verhältnisbestimmung dieser theologischen Größen in der Vergangenheit die Einheit zu scheitern drohte, lässt er nicht gelten. Der darum geführte Streit mit Georg Major (1502– 1574) handele lediglich de rebus adiaphoris und erstrecke sich nicht auf das Fundament des Glaubens:110 „Niemand – wenn er nicht durch seine Leidenschaft vom rechten Weg fortgerissen würde – wird in dieser Hinsicht D. Maior anklagen, der mit der Schrift lehrte, dass die Gerechtfertigten Früchte der Gerechtigkeit hervorbringen müssen. Diesen wies er dennoch nicht einmal den kleinsten Anteil am Heil zu, sondern sagte, dass es [sc. das Heil] vollständig allein in der Gnade und der Barmherzigkeit Gottes, die wir im Glauben an Christus ergreifen, angenommen wird.“111
Entscheidend für die Teilhabe am Lehrfundament der wahren Kirche ist also nach Dathenus vor allem das Festhalten am sola gratia und am sola fide, sowie selbstverständlich die Schriftgemäßheit der Lehrentfaltung. Man mag von der Einschätzung, die im Kontext der innerprotestantischen Streitigkeiten abgehandelten Fragen seien res adiaphorae, halten, was man will – jedenfalls ist 110 Vgl. a. a. O., 45. 111 „Nullus nisi affectibus in tra[ns]versum raptus fuerit, D. Maiore hac in parte accusabit, qui cu[m] Scriptura, a iustificatis fructus iustitiae proferendos docuit, quibus tame[n] ne minima[m] quidem salitus portiuncula[m] attribuit, sed hanc in solidu[m] solae gratiae & misericordiae Dei, quam fide in Christo amplecitmur accepta[m] retulit.” (a. a. O., 47)
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Dathenus bereit, selbst innerhalb der Rechtfertigungstheologie Lehrunterschiede zu tolerieren, solange die genannten Grundelemente (sola gratia, sola fide, Schriftgemäßheit) ausreichend klar zur Geltung kommen. Bei dem Gedanken einer iustitia inhaerens, wie er von Andreas Osiander entfaltet wurde, sieht Dathenus – darin a Lasco folgend112 – diese Grenze bereits überschritten: Osiander sei von allen in großer Übereinstimmung als häretisch und als Feind der Kirche verurteilt worden.113 Angesichts der zentralen Bedeutung, die Dathenus den rechtfertigungstheologischen Exklusivpartikeln in der Auseinandersetzung mit den altgläubigen Theologen zuschreibt, scheint es konsequent, wenn er bei der Entfaltung der Rechtfertigungslehre alles Gewicht auf den Ausschluss jeder menschlichen Mitwirkung am Heil legt. In Aufnahme augustinischen Gedankenguts und unter Rückgriff auf Luther hält er fest, dass der freie Wille des Menschen nach dem Sündenfall nicht nur verunklart, sondern ausgelöscht ist und auch nach der Rechtfertigung nicht einfach restituiert wird.114 Die iustificatio wird daher nur als imputatio recht verstanden: „Rechtfertigung ist die Anrechnung der durch Christus erworbenen Gerechtigkeit für alle wahrhaft Gläubigen umsonst, durch welche wir im Urteil Gottes, ohne jede Ansehung der Werke, wegen dem alleinigen Mittler gerecht gesprochen und als Erben des ewigen Lebens eingesetzt werden, deren Ziele in diesem Leben das beständige und tägliche Absterben des alten Menschen und der Anfang des neuen Lebens sind.“115
Allein durch den Mittler Christus wird der Mensch gerecht gesprochen. Auf die Terminologie der Drei-Ämter-Lehre (Christus als Priester) greift Dathenus an dieser Stelle nicht explizit zurück, jedoch wurde bereits deutlich, dass für ihn die Titel „Heiland“, „Priester“ und „Mittler“ sachlich in einer Reihe stehen und jeweils das Heilswerk Christi, des einen Hauptes der Kirche, umschreiben, so dass eine gewisse terminologische Nähe zu seinem Kirchenbegriff aufscheint. 112 A Lasco hatte in seiner Stellungnahme zum Osiandrischen Streit allein die forensische Deutung der Rechtfertigung zugelassen; vgl. seinen Brief an den Herzog von Preußen vom 19. August 1553 (Kuyper II, 668–670). Zum systematisch-theologischen Hintergrund vgl. Falkenroth, Gestalt, 128–130. 113 „Sed praeter haereses, novas adhuc excogitant, nam quod Osiander de inhaerente iustitia asseruit (qui ut haereticus & pacis Ecclesiasticae aduersarius, magno consensu ab omnibus Ecclesiis nostris declaratus est) a Papistis etiam traditur.“ (Dathenus, Responsio secunda, 239) 114 „Dicimus transgressione hominis, libertate[m] omnem (quantum quidem ad res divinas attinet) perditam esse, & extinctam, non in ipso ta[n]tum primo homine, sed in tota posteritate sua“ (a. a. O., 217) 115 „Iustificatio est gratuita omnibus vere credentibus, Iustitiae per Christum acquisitae imputatio, qua in Dei iudicio, sine ullo operum respectu, propter solum Mediatorem iusti pronuntiatur, & vitae aeternae constituuntur haeredes, cuius in hac vita fines sunt, continua ac quotidiana veteris hominis mortificatio, ac novae vitae inchoatio.” (a. a. O., 198)
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Mit den Ausdrücken „Absterben des alten Menschen“ und „Anfang des neuen Lebens“ nimmt Dathenus sodann den reformatorischen Gedanken einer Gleichzeitigkeit von Sünde und Gerechtigkeit bei den Gerechtfertigten auf (simul iustus et peccator). Weil der Mensch auch nach der Annahme der Gnade Gottes Sünder bleibe, sei er jeden Tag neu auf die Buße angewiesen. Am neuen Leben habe er zwar schon jetzt Anteil, jedoch nur als ein „Anfang“, der seiner Vervollkommnung im Eschaton harrt. Ihren metaphorischen Niederschlag findet diese Auffassung im Bild der Pilgerreise des Glaubenden, der mit einem im Blut Christi reingewaschenen Kleid überkleidet wird, dabei jedoch immer unreine Füße behält.116 Die bleibende Unvollkommenheit des Menschen begründet die Gültigkeit des Gesetzes auch für die Gerechtfertigten. Dathenus führt dies in der Verantwoordinghe unter explizitem Rückgriff auf Luthers Galaterkommentar aus: Zwar würden die Gläubigen wegen der Anrechnung der Gerechtigkeit Christi nicht mehr durch das Gesetz verdammt, es bleibe jedoch für sie ein Zuchtmeister, der auf die eigene Schwäche hinweist und zu Christus führt. Über Luther hinausgehend versteht Dathenus das Gesetz aber auch als Richtschnur und Hilfe zum christlichen Leben, solange wir auf Erden sind und noch nicht die Vollkommenheit erlangt haben.117 Er kennt also neben dem sog. theologischen Gebrauch des Gesetzes einen tertius usus für die Gerechtfertigten: Das Gesetz dient nicht nur dazu, gesellschaftliches und religiöses Leben zu ermöglichen und dem Einzelnen die eigene Sündhaftigkeit vor Augen zu führen, sondern es soll im Besonderen Gestaltungskraft für das Leben der Christen entfalten.118 An dieser Stelle kann Dathenus wieder den Bogen zur Lehre von den drei Ämtern schlagen, denn es sei Christus selbst, der König, der den Seinen „das Gesetz Christi“ (Gal 6,2) gibt.119 Trotz der positiven Funktion, die das Gesetz für die Gestaltung des Glaubenslebens gewinnt, hält Dathenus strikt an der Unmöglichkeit der Mitwirkung des Menschen an seinem Heil durch Werke fest: 116 „Dicimus igitur, hominem vere credentem respectu Christi iustum, sanctum sine ruga & macula, candidam vestem habere in sanguine Christi ablutam, in quo nihil fit condemnationis: sed respectu sui, esse peccatorem, qui etsi lotus sit, immundos tamen adhuc pedes retinet quam diu in hac peregrinatione aberrat, qui perpetua quoad hic vixerit lotione indiget.“ (a. a. O., 195) 117 Vgl. Dathenus, Verantwoordinghe, f. 12r–v. 118 „Eijndelic wert sy [sc. de wet] aenghesien als eenen regel eens Christelijcken leuens waer na hem die gherechtuerdichde door den geloouve schicken moeten so langhe sy in desen gebreckeliken sondige[n] leuen zijn. Want als eenen wechwijser aengesien zijnde heeft sy haer merc hier altijt in alle[n] ware[n] Christenen.“ (a. a. O., f. 12v) 119 „Waerwt wy mercke[n] mogen dat Christus ooc den sijnen een Wedt gheeft en[n] wilt dat sy harr daernae rechten. Ende voorwaer dit is oock een vande[n] eynden onser verkiesinghe beroepinghe ende rechtueerdichmakinge dat wy ons neerstelijc oeffene[n] in deser Wet onses Conincx Jesu Christi.“ (a. a. O., f. 16r)
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„Von den Werken, die von der Rechtfertigung an geschehen, aber sagen wir, dass sie, insofern sie durch Gott in den Menschen geschehen, gerecht und vollkommen sind, dass sie aber, insofern der Mensch mit Gott mitwirkt, unrein und unvollkommen sind und in seinem furchtbaren Gericht nicht bestehen können – wie David verkündet, dass bei Gott niemand aus Werken gerecht werden kann.“120
Versucht der Mensch durch eigene Werke sein Heil zu erlangen, so wird er im Gericht Gottes nicht bestehen können. Aber auch schon ein cooperatio-Gedanke, der an irgendeiner Stelle dem Wirken des Menschen eine konstitutive Rolle zubilligt, hat für Dathenus die gleiche Konsequenz: Angesichts des unausweichlichen Versagens des Menschen folge die Verwerfung im Gericht. Demgegenüber versteht Dathenus die guten Werke als spontanen Ausfluss des Rechtfertigungsgeschehens: „Gute Werke sind nicht diejenigen, die aus knechtischer Furcht vor Strafen oder aus Hoffnung auf Lohn geschehen, sondern diejenigen, die aus reinem Glauben und aus der Quelle kindlicher Liebe zu Gott durch die Urheberschaft des Heiligen Geistes hervorsprudeln, deren Ziel es ist, Gott zu verherrlichen, unsere Dankbarkeit zu bezeugen, dem notleidenden Nächsten zu helfen, den wahren Glauben bei uns zu verkünden, die Ungläubigen zu gewinnen, dass sie dem Wort glauben, und den Lästerern den Mund zu verschließen, damit wir nicht aus unseren Sünden denselben einen Grund geben Gott zu lästern und das Evangelium zu verachten.“121
Nicht im Modus eines Ursache-Wirkung-Verhältnisses, sondern teleologisch von ihrer Zweckbestimmung her kommen die menschlichen Werke innerhalb der Rechtfertigungslehre in den Blick. Allein in dieser Perspektive ist es der Mensch, der tatsächlich die guten Werke „tut“, wobei Glaube und Gottesliebe die innere Verfassung des Menschen bestimmen. Fragt man dezidiert nach der Wirkursache der guten Werke, wird man auf Gott in der Person des Heiligen Geistes verwiesen; alles andere würde eine Minderung des sola gratia bedeuten. Es bleibt in den frühen Schriften von Dathenus ungeklärt, ob es so etwas wie eine Steigerung oder ein Wachstum im „neuen Leben“ schon in dieser Welt geben kann. Deutlich wird jedenfalls, dass ein Fortschreiten in der „Erneuerung“, so es dasselbe geben sollte, in diesem Leben niemals über den Status eines „Anfanges“ hinauskäme und ihre Vollendung erst im Eschaton zu erwarten 120 „Opera vero ea, quae a iustificatis fiu[n]t, quatenus a Deo in hominis fiunt, iusta atque perfecta esse quatenus vero Deo cooperatur homo, impura esse & imperfecta dicimus, quae in tremendo illo iudicio subsistere nequeant, cum Dauid apud Deu[m] neminem ex operibus iustificandum esse pronuntiet.“ (Dathenus, Responsio secunda, 195) 121 „Bona opera non quae ex servili poenarum metu, aut spe mercedis fiunt, sed quae ex puro fidei, & filialis dilectionis Dei fonte, autore Spiritu sancto scaturiunt, quorum finis est, glorificare Deum, testari nostram gratitudinem, iuvare proximum in necessitate constitutum, veram in nobis fidem declarare, allicere incredulos ut verbo credant, & obstruere os maledicentibus, ne ex peccatis nostris ausam [sic!] blasphemandi Deum, & contemnendi Euangelium ipsis praebeamus.” (a. a. O., 210f)
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ist.122 Der Mensch bleibt als Sünder immer darauf angewiesen, dass seine Werke ihm durch Christus zur Gerechtigkeit angerechnet werden. Auch das Gesetz, das diese Werke fordert, kann niemals vollständig erfüllt werden. Eine wesenhafte (essentiale) Gerechtigkeit im Menschen lehnt Dathenus angesichts dieser bleibenden Unvollkommenheit strikt ab: „Dies also ist der Grund, warum wir die imputative Gerechtigkeit lehren: Denn die essentiale Gerechtigkeit selbst ist im alleinigen Gott, nämlich im Vater, im Sohn und im Heiligen Geist, der die Gerechtigkeit selbst ist, die diejenigen rechtfertigt, die im Glauben an Jesus Christus sind.“123
Wenn katholische Theologie lehre, die Fähigkeit des Menschen Gutes zu tun und sein freier Wille würden bei der Taufe restituiert, so dass das Gesetz für ihn prinzipiell erfüllbar sei und er in seinem Wesen tatsächlich gerecht werden könne, so ist dies für Dathenus eine blasphemische Gleichsetzung mit dem dreieinigen Gott, denn ihm allein komme das Prädikat zu, seinem Wesen nach gerecht zu sein und von Christus allein könne gesagt werden, er habe das Gesetz vollständig erfüllt.124 Würden auf diese Weise erstens das sola gratia zusammen mit dem solus Christus in seinen Kernaussagen verdunkelt, so führten zweitens die Annahme eines bloß „historischen“ Glaubens und die falsche Verhältnisbestimmung von Glaube und Liebe zu einer Verunklarung des sola fide.125 Aus Dathenus’ Sicht ist es ein argumentatives Hysteron-Proteron, wenn Latomus die Liebe gegen den evangelischen Glaubensbegriff auszuspielen versucht: Die Liebe könne der Rechtfertigung – wie die Frucht dem Baum – niemals vorhergehen.126 Mit der Behauptung eines freien Willens, der Möglichkeit des Erwerbs der essentialen Gerechtigkeit durch den Menschen und der falschen Stellung der Liebe innerhalb des Rechtfertigungsgeschehens laufe die römische Auffassung auf einen neuen Pelagianismus hinaus, der das Heil des Menschen von dessen eigenem Tun abhängig mache.127 Das sola gratia und das sola fide seien damit aufgegeben und die Grundlagen der einen wahren Kirche Christi verlassen. Dathenus profiliert seine imputative Rechtfertigungslehre wiederum anhand 122 „Istud paradoxum est Latomo, omnibus mu[n]di sapientibus, qui inter inchoatam, qu[a]e fit in hoc mundo regenerationem, & inter perfectam, quae olim perficietur in resurrectionem carnis, distinguere non noveru[n]t.“ (Dathenus, Responsio secunda, 194) 123 „Haec est igitur causa, cur Imputatiua[m] Iustitiam doceamus, quia ipsa essentialis iustitia in solo Deo, patre nimirum, Filio & Spirito sancto est, qui est ipsa Iustitia, iustificans eos qui sunt in fide Iesu Christi.“ (a. a. O., 196) 124 Vgl. a. a. O., 223. 125 Vgl. a. a. O., 190f. 126 „Sed turpiter in meridiana luce impingit Latomus, qui fructum arbore et priorem & potiorem constituit, ac perfide in alium sensum Pauli verba, quae 1. Corint. 13. leguntur contorquet.“ (a. a. O., 191) 127 Vgl. a.a.O, 229.
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der Exklusivität und Suffizienz des Heilswerkes Christi. Maßstab für die Frage, ob Lehrunterschiede als kirchentrennend (Osiander) oder als innerhalb der Kirche tolerabel anzusehen sind (Georg Major), ist für Dathenus das ausreichend deutliche Festhalten am sola gratia und am sola fide. Die guten Werke werden vornehmlich hinsichtlich ihrer Zwecke thematisiert, die Auffassung, der Mensch sei in ihnen die wirkende Ursache der Rechtfertigung, wird zurückgewiesen. 1.3.4 Sakramente Es ist bereits deutlich geworden, dass Dathenus „den rechten Gebrauch der Sakramente“ zwar als allgemeines Kennzeichen der wahren Kirche festhält, diesem jedoch das Bekenntnis zur Exklusivität des Heilswerkes Christi vorordnet. Ganz in diesem Sinne rezipiert er die bekannte Sakramentsdefinition Augustins:128 Das göttliche Wort, das sich in der Schrift zum Ausdruck bringt, bestimme die „Rechtmäßigkeit“ der sakramentalen Handlung, so dass, wenn es wie im Täufertum und in der römischen Kirche fehle bzw. verfälscht werde, die Sakramente notwendig nicht rechtmäßig gebraucht würden.129 Angesichts der klaren Vorordnung des Wortes vor das sakramentale Zeichen erscheint es konsequent, wenn Dathenus den Sakramenten eine direkte Heilswirksamkeit abspricht. Ihre Funktion sieht er vielmehr in der Vergewisserung des Glaubens in Analogie zu den Guten Werken: So wie letztere nicht dem Heilserwerb, sondern der Verherrlichung Gottes und der eigenen Glaubensversicherung dienten, so zielten auch die Sakramente auf den Nachweis des Gehorsams und die Stärkung des zweifelnden Gewissens.130 Diese Vergewisserung geschehe allerdings allein durch das zeichenhafte Verweisen auf das Wort: „Alle Sakramente des Alten und Neuen Testaments sind Siegel oder Zeichen, die uns auf Christus weisen und lehren, dass er aus Abrahams Samen wahrhaftig Mensch geworden ist – uns in allem gleich ausgenommen der Sünde –, und dass er, [indem er] in
128 „Want so Augustinus seyt: Het woort moet tot den elementen comen, ende soo wert het een Sacrame[n]t.“ (Dathenus, Verantwoordinghe, f. 33r) Vgl. Augustin, In Iohannis Evangelium Tractatus, CChr.SL 36, 529. 129 „Want het woort moet tot den elemente comen soude een Sacrament wesen: nu en hebben sy [sc. die Wederdoopers] dat woort niet daerom en connen sy oock dat ghebruyt der Sacramente[n] niet hebben.“ (Dathenus, Verantwoordinghe, f. 60v) 130 „Wy segghen dat die goede wercken noodich zijn niet om daermet yet te verdiene[n] maer om daermet de waerheyt des gheloofs te bewijsen om onse ghehoorsaemheyt te openbaren en[n] onsen naesten te helpen. Alsoo is oock dat ghebruyck der Sacramenten noodich, om onse ghehoorsaemhet daermede te bewijsen en[n] dat onse cranckheyt daermet gesterct en[n] onse twijfelachticheyt versekert werde.“ (a. a. O., f. 83v)
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diesem Leib für uns den Tod erleiden musste, für unsere Sünde vollkommen bezahlte.“131
Sakramente finden sich also prinzipiell im Alten wie im Neuen Testament, entscheidend ist der zeichenhafte Bezug auf die res: Christi Menschwerdung und sein Sühnetod. Die besondere Stellung von Taufe und Abendmahl und ihr Verhältnis zu den „Sakramenten des Alten Testaments“ wird von Dathenus nicht weiter entfaltet. Vor Augen hat er wahrscheinlich a Lascos Mysterienbegriff, der in der Forma ac ratio über Taufe und Abendmahl hinaus auch für die Beschneidung verwendet wird.132 Dathenus’ Prägung durch die Londoner Gemeinde wird wohl auch seine Begründung der Kindertaufe über die Beschneidung geschuldet sein: Wie für Abraham die Beschneidung ein Zeichen seines Bundes mit Gott gewesen sei, so für die Christen die Taufe.133 Aufgrund der bleibenden Bundeszusage Gottes sei es nicht notwendig, von „Papisten“ getaufte Kinder erneut zu taufen, weil erstens nicht die äußere Handlung, sondern die von Gott gegebene Verheißung der Barmherzigkeit (das Wort) im Mittelpunkt stehe und zweitens, die Taufe – wiederum analog zur Beschneidung – von ihrem Wesen her ein einmaliges Sakrament sei.134 Es ist klar, dass Dathenus an dieser wie an anderen Stellen, die sich mit dem Thema Taufe befassen, vor allem die Täufer als sein Gegenüber im Blick hat. Die Abgrenzung war hier unproblematisch, da sie von der großen Mehrheit der reformatorischen Theologen vollzogen wurde und für Konflikte im eigenen Lager keinen Anlass bot. Anders stellte sich demgegenüber die Situation im Bereich der Abendmahlstheologie dar, wo die Unterschiede innerhalb des Protestantismus auf der Hand lagen. Bereits weiter oben wurde deutlich, dass 131 „Alle Sacramenten des oude[n] en[de] nieuwen Testaments sijn segelen en[de] teecken die ons op Christum wijsen ende leeren dat hy wt Abrahams saet warachtich mensche gheworden is ons in alles ghelyck behalvan die sonde, ende darby in dien lichame voor ons die doodt steruen soude, voor onsen sonden volcomenlijc betalende. Desen Christum en hebben sy niet, hoe connen sy dan die Sacramenten Christi hebben?“ (a. a. O., f. 61r–v) 132 Zum Mysterienbegriff a Lascos vgl. Sprengler-Ruppenthal, Mysterium, 10–12. 133 „Maer die Wederdoopers die versaeken dat verbondt twelck Godt met den gheloouighen en[de] haren sade ghemaeckt heeft en[de] houden die ghenade Godts doer de campste Christi vermindertsy dewyle sy leeren, dat die kinderen niet en moghen ghedoopt sijn int nieuwe testament die nochtans int oude wel sijn besneden gheweest.“ (Dathenus, Verantwoodinghe, f. 60r–61v) 134 „Maer om weder tot onsen eersten propooste te comen, als ist dat die Roo[m]sche kercke die Kercke Christi niet en is, soo houde ick nochtans dat den doop die de kinderke[n]s ontfanghen hebben, soe veel als hemlieden aengaet recht sy ende dt sy niet van noeden hebben, wederom ghedoopt te wesen also die onuerstandighe halsterrige wederdoopers voor wenden“ (a. a. O., f. 36r). Die Analogie von Beschneidung und Taufe wird von Dathenus argumentativ so weit ausgestaltet, dass er in dem Ausbleiben einer erneuten Beschneidung während der hiskianischen Bundeserneuerung eine Begründung für die Einmaligkeit der Taufe sehen kann; vgl. a. a. O., f. 37r.
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Dathenus in den unterschiedlichen Abendmahlslehren, wie sie beispielsweise Luther, Calvin oder Zwingli vertraten, noch keine Gefahr für die Einheit der Kirche sah. Unklar blieb jedoch, wo in der Abendmahlsfrage ein gemeinsames evangelisches Fundament, eine Art kleinster gemeinsamer Nenner zu suchen sei, der trotz der unterschiedlichen Auffassungen die kirchliche Einheit garantieren könnte – ähnlich wie dies bei der Rechtfertigung mit dem sola gratia und dem sola fide der Fall war. Es stellt sich nun die Frage, ob Dathenus eine solche Begründung in den Abschnitten seiner Texte liefert, die sich explizit mit der Abendmahlslehre befassen. In Anbetracht der zentralen Stellung, die der Drei-Ämter-Lehre und dem solus Christus in Dathenus’ Ekklesiologie zukommen, könnte man erwarten, dass er nun auch beim Thema Abendmahl den behaupteten evangelischen Grundkonsens ausgehend von dem Bekenntnis zum priesterlichen Amt Christi inhaltlich zu entfalten sucht. Dies ist jedoch nur in Ansätzen der Fall: Das Argument, Christus sei der eine und einzige Priester der Kirche, taucht im Kontext der Auseinandersetzung um die Auslegung der entsprechenden Stelle des Hebräerbriefes zwar auf, jedoch in eher randständiger Position.135 Insgesamt scheint sich das „Gemeinsame“ einer gesamtevangelischen Abendmahlslehre für Dathenus noch weniger inhaltlich-positiv bestimmen zu lassen, als das in der Schrift- und Rechtfertigungstheologie mit Blick auf die Exklusivpartikel der Fall war. Ein deutliches Übergewicht in der Darstellung kommt vielmehr der negativen Abgrenzung gegenüber Messopfer und Transsubstantiation als den Merkmalen der römischen „Abgötterei“ zu. Dass die Lehre vom Messopfer aus Dathenus’ Perspektive eine Verleugnung der Suffizienz des Heilswerkes Christi darstellt und mit ihr der Boden der wahren Kirche verlassen ist, wurde bereits deutlich. Latomus’ Versuch, die römische Messopfertheologie durch Verweis auf die alttestamentlichen Opfer schrifttheologisch zu fundieren, weist Dathenus strikt zurück: In allen Opfervorschriften des Alten Testaments zeichne sich das eine Opfer Christi schattenhaft (adumbratus) ab.136 Dieses Verhältnis lässt sich nicht einfach umkehren und daraus ein neues Opferwesen ableiten.137 Genauso wenig schriftgemäß ist für Dathenus die römische Lehre von der Transsubstantiation: Deren Begründung durch den Verweis auf Theophylakt (v. Achrida, ca. 1050/60 bis ca. 1125/ 26) bei Latomus, weist Dathenus anhand einer ausgeklügelten terminologischen Unterscheidung zurück. Theophylakt verwende das Wort transelementatio nur 135 Vgl. Dathenus, Responsio secunda, 227. 136 „Omnibus sacrificiis nobis adumbratus est Christus Dominus.“ (ebd., Marginalie). 137 „Ut enim in lege solidis, liquidisq[ue] sacrificiis […], idem dominus noster Iesus Christus, cum corporis et sanguinis sui hostia est expressus, sic in Melchesidece eundem praefiguratam esse negari non potest […]. Sed dic, obsecro, ubi aliquando legisti novi Testamenti figuras, praecede[n]tibus aliis figuris fuisse adu[m]bratas?“ (ebd.)
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im Zusammenhang einer Verwandlung von Brot und Wein in die Kraft (virtus) von Leib und Blut Christi, spreche aber an den Stellen, an denen die Abendmahlselemente unmittelbar mit Leib und Blut in Bezug gesetzt würden, von einer transformatio. Daher fühlt sich Dathenus berechtigt, Theophylakt im Sinne der „sakramentalen Veränderung“ (sacramentalis mutatio) zu interpretieren, „die auch wir anerkennen“.138 Soll also die Relation der Abendmahlselemente zu Leib und Blut Christi im Abendmahl bestimmt werden, so favorisiert Dathenus den Ausdruck der sacramentalis mutatio, der Assoziationen zur unio sacramentalis der Wittenberger Konkordie zulässt.139 Ganz in diesem Sinne ist einer der Hauptkritikpunkte an der Transsubstantiationslehre neben der fehlenden Begründbarkeit durch Schrift und Tradition das in ihr vorausgesetzte Verständnis der Einsetzungsworte: „Wie also die Symbole der anderen Sakramente den Namen der Sache selbst anlegen, deren Zeichen sie sind, so auch das Brot im Herrenmahl. Wenn Christus dann wie eine Epexegese anfügt: ’das für euch gebrochen wird’ – wer würde zu behaupten wagen, dass jenes über das Brot ausgesagt wird, wenn doch kein anderer Leib für uns hingegeben wurde als der, der vom Samen Davids durch die Wirkung des Heiligen Geistes empfangen und geboren wurde? Dazu kommen noch andere Worte des Herrn Christi, die, wenn sie hinzugezogen werden, Kommentare zu der Stelle sein können: Mit ihnen bezeichnet Christus den Kelch als den neuen Bund in seinem Blut. Wenn man hier die Worte [auf ihre wörtliche Bedeutung] einschränkte, was folgte anderes, als dass der Becher selbst der neue Bund wäre? Dass das absurd und sinnlos ist, versteht jeder leicht, der bei gesundem Verstand ist.“140 138 „Agnosco Theophilacti verba dicentis: Species panis & vini in mysterio Eucharistiae servari, quae tamen in virtutem carnis & sanguinis Christi transelemententur, quemadmodum alio loco, panem transformari in carne[m] Christi asserit, sed de sacramentali ipsum mutatione locutum est, quam et nos agnoscimus, negari non potest, vel ab errore excusari nequit.“ (a. a. O., 229f) Dathenus bezieht sich offenbar auf mehrere Schriften Theophylakts, von denen er jedoch lediglich die Auslegung von Joh 6 (Theophylakt, Enarratio in Evangelium Joannis, PG 123, 1281–1320) nennt. Wahrscheinlich hat er darüber hinaus die Auslegung von Mt 26,26 vor Augen: „Porro dicens [sc. Christus] ,Hoc est corpus meum,‘ ostendit quod ipsum corpus Domini est panis qui sanctificatur in altario, et non respondens figura. Non enim dixit, Hoc est figura, sed, Hoc est corpus meum. Ineffabili enim operatione transformatur, etiamsi nobis videatur panis: quoniam infirmi sumus, et abhorremus crudas carnes comedere, maxime hominis carnem: et ideo panis quidem nobis apparet, sed revera caro est.“ (Theophylakt, Enarratio in Evangelium Matthaei, PG 123, 443) 139 „Et quanquam negant fieri tran[s]substantiationem nec sentiunt fieri localem inclusionem in pane aut durabilem aliquam coniunctionem extra vsum sacramenti, tamen concedunt sacramentali vnione panem esse corpus Christi, hoc est, sentiunt porrecto pane simul adesse et vere exhiberi corpus Christi.“ (Wittenberger Konkordie, BDS 6,1, 122) 140 „Quemadmodu[m] igitur alioru[m] sacrame[n]toru[m] symbola, ipsius rei cuius sunt signa, nomen induu[n]t, ita et panis in Coena d[omi]nica. Deinde cum Christus quasi Epexegesin subiiciat, q[uo]d pro vobis frangitur, q[ui]s illud de pane praedicari, affirmare audeat, cum non aliud corpus pro nobis traditu[m] sit, quam q[uo]d de semine Davidis,
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
Eine Auffassung, die von dem zeichenhaften Verweischarakter der Einsetzungsworte absieht und eine materielle Identifikation von Symbol und Sache unter Auflösung jedes metaphorischen Gehalts propagiert, führt sich am Ende selbst ad absurdum. Für Dathenus scheint daher allein ein symbolisches Verständnis der Einsetzungsworte angemessen. So sehr Messopfer und die von ihm viel gescholtene „Brotverehrung“ (artolatreia) der Römischen seinen Widerstand provozieren, so nimmt er im besonderen Maße an einem „grob caphernaitischen“ Verständnis des Essens und Trinkens der Abendmahlselemente Anstoß.141 Man kann an dieser Stelle einen für reformierte Theologie typischen Zug ausmachen: Bei der Kritik an der Transsubstantiation geht es neben dem Nachweis der Unangemessenheit bestimmter scholastischer Kategorien (der Ersetzung der „Brotsubstanz“, der Wirkung ex opere operato) auch und besonders um die Wahrung der göttlichen Majestät gegenüber einem Herabziehen ins grob Materielle und der damit drohenden Aufhebung der Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf. Diese Einordnung von Dathenus’ Abendmahlstheologie lässt sich anhand einer seiner wenigen umfangreicheren Äußerungen mit positiv-dogmatischem Gehalt zu dem Thema weiter spezifizieren. Gegen Ende seiner Auseinandersetzung mit Latomus in der Responsio secunda tritt er den Vorwurf, er würde im Abendmahl „leere Zeichen aufrichten“ (vacua signa constituere) mit der Ankündigung entgegen, er wolle „vor Gott und der heiligen Kirche“ über seinen Glauben im Abendmahl Zeugnis ablegen. Danach zitiert er wörtlich (allerdings ohne Angabe der Quelle) die Artikel X über das Abendmahl und Artikel XIII über die Sakramente der CAVariata: Leib und Blut Christi werden „mit Brot und Wein den Nießenden im Mahl des Herrn ausgeteilt“, die Sakramente sind Bekenntniszeichen und „Zeichen des göttlichen Willens gegen uns“, die dazu dienen, „den Glauben zu wecken und zu kräftigen“, im Glauben werden die Verheißungen, die die Sakramente bezeichnen und der Heilige Geist angenommen.142 Dathenus lässt an dieser Stelle die Folgerung von CA Variata XIII operante Sp[irit]u sancto conceptu[m] & natu[m] est? Accedu[n]t & alia Christi D[omi]ni verba, quae si adhiheantur [sic!], co[m]mentarii loco esse possunt: q[ui]bus Christus calice[m] novu[m] testamentu[m] in sanguine suo vocat. Hic si verba urgeas, q[uo]d aliud consequitur, quam ipsum poculu[m], novu[m] esse testamentu[m]: q[uo]d quam sit absurdu[m] & vanu[m], nemo sane mentis ignorat.“ (Dathenus, Responsio secunda, 231) 141 „Non enim fallit nos Christus, externis tantu[m] aut ludicris signis, qui veritas est, & mentiri non potest: sed pr[a]ebet revera q[uo]d pollicetur, carnem nimiriu[m] & sanguinem suu[m], ut pascamur & potemur iisde[m] ad vita[m] aeterna[m]. Sed modus huius manducationis, non carnalis, nec crassus Capheranaiticus est, sed sp[irit]ualis“ (a. a. O., S. 234) 142 „Vero ne hic cavilleris Latome, me nuda tantum in Coena D[omi]ni & vacua signa constituere: Testor coram Deo & sancta Ecclesia ipsius me credere quod cum pane & vino exhibeantur vere corpus & sanguis Christi vescentibus in Coena D[omi]ni: praeterea quod sacramenta instituta sint, non modo ut sint not[a]e professionis nostr[a]e, sed multo magis
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aus, die Sakramente seien im Glauben zu gebrauchen,143 und ersetzt sie durch die Analogie von äußerem und innerem Menschen beim Gabenempfang: Wie also der äußere Mensch in dieser so ehrwürdigen Handlung hat, was er empfängt: so glaube ich, dass der innere Mensch hat, was er wahrhaft im Glauben empfängt, denselben Leib, der für uns gebrochen, das wahre Blut, das für uns vergossen wurde.“144
Diese Analogie stellt für Dathenus offenbar eine Erläuterung der Annahme des Verweischarakters der Sakramente durch den Glauben dar, wobei bei der strengen Scheidung zwischen äußerem und innerem Geschehen (Empfang von Brot und Wein bzw. Empfang des Leibes und Blutes Christi) wiederum die Wittenberger Konkordie im Hintergrund stehen wird.145 Ausdrücklich hält Dathenus fest, dass Christus im Mahl gegenwärtig ist, und uns das darreicht, was er uns zusagt, nämlich seinen Leib und sein Blut, mit denen er uns zum ewigen Leben speist.146 Diese Speisung wird nun allerdings – unter Aufnahme calvinischen Gedankengutes – auf der Ebene des Geistes angesiedelt: Sie geschieht spiritualiter, nicht im Bereich des Materiellen: „Aber der Modus dieses Essens ist nicht fleischlich oder grob caphernaitisch, sondern geistlich, der im Glauben geschieht, wie Augustin in ,Ioan. tract. 50‘ sagt: […]. Aber weil es ja wahr ist, was er sagt: ,Siehe ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt‘ und er weggegangen ist […]: seinen Leib hat er in den Himmel gebracht, seine Majestät nicht von der Welt fortgenommen.“147
Etwas versteckt in einem Zitat aus Augustins Tractatus in Ioannem148 formuliert Dathenus an dieser Stelle einen „klassischen“ Einwand gegen lutherische und
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ut sint signa & testimonia volu[n]tatis divinae erga nos, proposita ad excitandam & co[n]firma[n]dam fidem, in his qui eis utuntur. Fide enim accipimus promissam gratiam, quam sacramenta significant & Spiritu[m] sanctu[m].“ (ebd.) „Itaque utendum est Sacramentis ita, ut accedat fides, quae credat promissionibus, quae per Sacramenta exhibentur et ostenduntur.“ (CAVariata, Art. XIII, CR 26, 359) „Quemadmodu[m] igitur exterior homo, in hacta[m] augusta actione, habet quod recipiat: ita credo interiorem homine[m] habere q[uo]d vera etia[m] fide percipiat, ipsum corpus pro nobis fractu[m], & veru[m] sanguine[m] pro nobis effusum.“ (Dathenus, Responsio secunda, 234) „Confitentur iuxta verba Irenaei constare Eucharistiam duabus rebus, terreni et caelesti.“ (Wittenberger Konkordie, BDS 6,1, 120) „Credo denique Christum quoque ipsum huic sacrae Coenae suae esse praesentem, quemadmodum ipsum reliquus suis mysteriis, adesse omnino non dubito. Non enim fallit nos Christus, externis tantum aut ludicris signis, qui veritas est, & mentiri non potest: sed praebet revera quod pollicetur, carnem nimirum & sanguinem suum, ut pascamur & potemur iisdem ad vitam aeternam“ (Dathenus, Responsio secunda, 234) „Sed modus huius manducationis, non carnalis, nec crassus Capharnaiticus est, sed sp[irit]ualis, qui fide fit, ut August. ait in Ioan. Tract. 50 […] Sed quonia[m] verum est, quod ait: Ecce ego vobiscum sum omnibus diebus usq[ue] ad co[n]summatione[m] seculi: & abiit […]: Corpus suu[m] intulit coelo, maiestate[m] non abstulit mu[n]do.“ (ebd.) Vgl. Augustinus, In Iohannis Evangelium Tractatus, CChr.SL 36,438f.
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
römisch-katholische Abendmahlstheologie aus reformierter Perspektive: Weil Christi Leib nach seiner Himmelfahrt nicht auf Erden ist, kann er auch nicht in den Abendmahlselementen gegenwärtig sein. Dies schließt jedoch nicht aus, dass Christus entsprechend der Zusage aus Mt 28 auf andere Weise, nämlich seiner göttlichen Majestät nach, im Mahl anwesend sein kann. Versucht man die Abendmahlslehre des Dathenus innerhalb seiner Theologie zu verorten, so festigt sich der bereits zu Beginn des Abschnitts formulierte Eindruck, dass diese in den frühen Schriften mit dem Rest seiner Theologie und insbesondere der Ekklesiologie nur lose verknüpft ist. Dies liegt wohl im Besonderen daran, dass es für Dathenus bei der Darstellung der Abendmahlslehre in erster Linie nicht um den Nachweis der Glaubenseinheit der Evangelischen geht – dann hätte er die Suffizienz des Opferhandelns des einen Hohepriesters Christus ins Zentrum rücken und mit der Lehre von den drei Ämtern organisch verbinden können. Dathenus ist sich der innerprotestantischen Differenzen in dieser Frage sehr wohl bewusst, zieht es jedoch vor, in einem persönlichen Bekenntnis seiner Abendmahlstheologie ein „reformiertes“ Profil zu geben. Dass dieses Bekenntnis eine legitime Auslegung der Schrift und der CA darstellt, darauf legt Dathenus dann jedoch das ganze Gewicht. Im Übrigen beschränkt er sich darauf, die evangelische Einheit im Abendmahlsverständnis im Gegenüber zu den römischen Lehren vom Messopfer und von der Transsubstantiation negativ zu bestimmen. Man wird nicht fehlgehen, diese Strategie als Konsequenz der konfliktträchtigen Situation der Frankfurter Fremdengemeinde zu deuten, in der ja gerade die Abendmahlsfrage den zentralen Streitpunkt mit den lutherischen Predigern bildete.
1.4
Das Verhältnis zur Londoner Flüchtlingstradition
Dathenus’ Frankfurter Schriften folgen aufs Ganze gesehen der Tendenz, die nach dem Wormser Kolloquium augenscheinlich gewordenen innerprotestantischen Grabenkämpfe durch die Betonung des gesamtevangelischen Glaubenskonsenses zu relativieren. Dem entspricht es, wenn die in ihnen aufscheinende Theologie in weiten Teilen reformatorisches Gemeingut aufnimmt und gegenüber katholischer, aber auch täuferisch-spiritualistischer Anschauung profiliert: Die starke Betonung des sola scriptura und die prinzipielle Vorordnung der Schrift vor die Vätertradition, die strikte Wahrung des solus Christus in der Soteriologie und des sola gratia sowie des sola fide in der Rechtfertigungslehre, das Verständnis der guten Werke als spontane Antwort auf die Rechtfertigung in der Metapher vom Baum und seinen Früchten, dies alles sind gängige Topoi reformatorischer Theologie, die noch nicht auf ein spezifisches konfessionelles Profil schließen lassen.
Die Grundzüge von Dathenus’ Theologie anhand seiner Frankfurter Schriften
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Eindeutiger lässt sich demgegenüber Dathenus’ Sakraments- und Abendmahlsverständnis charakterisieren. Durch die an prominenter Stelle eingefügten Zitate aus der CAVariata knüpft er zwar wiederum an gemeinsame evangelische Grundüberzeugungen an, jedoch überwiegen im Ganzen die Merkmale einer profiliert reformierten Sakraments- und Abendmahlslehre: die pointierte Vorordnung des Wortes (der Sache) vor das Zeichen, die Abwehr eines am Materiellen verhafteten Verständnisses der Gegenwart Christi im Abendmahl, die symbolisch-zeichenhafte Interpretation der Einsetzungsworte, der Rückgriff auf das Motiv einer Analogie von äußerlichem und innerlichem Gabenempfang und die manducatio spiritualis rücken die Darstellung des Dathenus in die Nähe zum Consensus Tigurinus von 1549.149 Dazu kommt das angeführte Augustinzitat aus dem Tractatus in Ioannem, das mit der Dialektik von leiblicher Himmelfahrt und bleibender irdischer Majestät Christi eine verbreitete reformierte Kritik an römischer, aber auch lutherischer Abendmahlslehre in mehr oder weniger verdeckter Form aufnimmt. Die wörtliche Wiedergabe von CAVariata X und XIII in der Responsio secunda lässt sich demgegenüber leicht aus der spezifischen Abfassungssituation der frühen Schriften des Dathenus erklären. Bereits a Lasco hatte 1556 in seiner Purgatio anhand dieser beiden Artikel nachzuweisen versucht, dass die Abendmahlslehre der Fremdengemeinde in Frankfurt als eine legitime Interpretation der reichsrechtlich verbindlichen CA anzuerkennen sei.150 Dasselbe Ziel verfolgt Dathenus, wenn er sie an die Spitze seines Bekenntnisses zum Abendmahl stellt. Überhaupt zeigt sich an zentralen Aspekten seiner Theologie die Prägung durch die Londoner Fremdengemeinde: Die Bestimmung der Drei-Ämter und Zwei-Naturen-Lehre als dem fundamentalen Lehrgehalt der Kirche entspricht prinzipiell den Aussagen des Compendium doctrinae. Die strenge Christozentrik diente schon dort immer auch der Abgrenzung gegenüber der als Irrlehre wahrgenommenen römischen und täuferischen Theologie – ein Aspekt, den Dathenus in der Auseinandersetzung mit Latomus nun breit zur Geltung bringt. Eine bemerkenswerte Parallele ergibt sich in dieser Sache zur Confessio christianae fidei Theodor Bezas: Ganz ähnlich wie für Dathenus stehen für Beza die drei Ämter Christi im Dienst der polemischen Abgrenzung vom römischen Katholizismus und markieren die Grenze der wahren Kirche151 – wenn sie auch innerhalb seiner Kirchendefinition im unpolemischen ersten Teil der Confessio fehlt. 149 Vgl. Consensus Tigurinus, Reformierte Bekenntnisschriften Bd. 1/2, 481–490 (Bearb. Eberhard Busch), insbes. Art. 6.8–9.22 150 Vgl. a Lasco, Purgatio, Kuyper I, 250f. 151 „De Christi officio nunc nobis differendu[m] est, quod & ipsum a Papistis prors[um] ei adimitur. Est aute[m] illud tribus in rebus positum nempe in Sacerdotio, Prophetia, & Regno, de quibus sigillatim disseremus.“ (Beza, Confessio, 255)
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
Trotz dieser Übereinstimmung wird man den Ursprung von Dathenus’ Ekklesiologie in der Londoner Fremdengemeinde zu suchen haben. Seinen offenen Kirchenbegriff könnte man geradezu als Fortführung des bei a Lasco zu beobachtenden Erasmianismus verstehen, insofern Dathenus ganz ähnlich dem polnischen Baron eine gewisse Pluralität der Lehrmeinungen im Bereich der Abendmahlslehre für tolerabel hält,152 und sich darüber hinaus in Dathenus’ späterem Engagement im Rahmen der Kolloquien von Maulbronn und Frankenthal Parallelen zu a Lascos Gesprächen mit den Täufern in Ostfriesland und seinen Vermittlungsbemühungen in der Abendmahlfrage erkennen lassen.153 Bei beiden findet schließlich das humanistische Interesse an der Einheit der Kirche seine scharfe Grenze am römischen Katholizismus. Weil dort das eine Fundament der Kirche, Jesus Christus verlassen wird, ist jede friedliebende Dialogbereitschaft deplatziert. Dathenus radikalisiert diese Haltung und führt sie in seinen Polemiken breit aus: Mit der „Synagoge des Satans“ kann es keine Verständigung geben. Eine eigentümliche Spannung von innerprotestantischer Irenik und überspitzter antirömischer Polemik durchzieht Dathenus’ Frankfurter Schriften. Neben dem Kirchenbegriff dürfte das Heranziehen der Bundestheologie zur Begründung der Kindertaufe bei Dathenus durch die Theologie der Londoner Fremdengemeinde vermittelt sein, begegnet der ursprünglich auf Bullinger zurückgehende Gedanke doch in profilierter Stellung sowohl in der Forma ac ratio und den Ordinancien, wie auch in den laskonischen Katechismen.154 Das selbstverständliche Nennen der Schlüsselgewalt als dritter nota ecclesiae neben Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung, sowie die Beteiligung der Gesamtgemeinde bei der Ausübung der Kirchenzucht155 lassen darüber hinaus unmittelbar den Einfluss der Londoner Gemeinde bzw. a Lascos erkennen.156 In Anbetracht der weitgehenden Abhängigkeit von a Lasco mag es zunächst überraschen, dass Dathenus dessen spezifische Abendmahlstheologie offenbar nicht oder nur in sehr geringem Umfang rezipiert: Das charakteristische Motiv
152 Vgl. Strohm, Kirchenzucht, 163f. 153 A Lascos innerprotestantische Vermittlungsbereitschaft arbeitete bereits Herwart Vorländer heraus (Vorländer, Grundzug). Vgl. auch die Bemerkungen bei Rohls, A Lasco, 116.117– 124 und Strohm, Kirchenzucht, 162. 154 Vgl. Teil Zwei Kapitel 1.2.4.1. 155 „Sed nulla ne inquies iam pastoribus potestas est reliqua? Respondeo habere eos etiamnu[m] (de veris Ecclesiae Pastoribus loquor) eandem autoritatem, qua veteris Ecclesi[a]e antistites fueru[n]t praediti, docendi purum Euangelium […], administrandi deniq[ue] Sacramenta, iuxta dominicam institutionem, ac exercandi etiam cum reliquo Ecclesiae corpore claves“ (Dathenus, Responsio secunda, 166) 156 Vgl. L 250 und E 71–72.
Die Grundzüge von Dathenus’ Theologie anhand seiner Frankfurter Schriften
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der communio corporis Christi findet sich zwar in Dathenus’ Schriften,157 wird jedoch nicht weiter entfaltet und fehlt vor allem in der bekenntnisartigen Zusammenfassung seiner Abendmahlstheologie in der Responsio secunda. Man wird diesen Sachverhalt allerdings nicht überinterpretieren dürfen: Die besonderen Spezifika von a Lascos Abendmahlslehre wurden selbst von den ihm nahestehenden Zeitgenossen nur sehr eingeschränkt rezipiert.158 Später schloss sich der polnische Baron im Zuge des zweiten Abendmahlsstreites zwischen Calvin und Westphal weitgehend der calvinischen Position an:159 Führt man sich vor Augen, dass a Lascos umfassendste Abhandlung über das Abendmahl, die Brevis et dilucida de Sacramentis ecclesiae Christi tractatio160 aus dem Jahr 1552, sich explizit als eine Interpretation des Consensus Tigurinus von 1549 versteht,161 wird deutlich, dass Dathenus mit seiner – oben unspezifisch als „reformiert“ betitelten – Abendmahlsauffassung nicht allzu weit von dem entfernt gewesen sein dürfte, was a Lasco selbst in dieser Lebensphase lehrte. Beiden ging es nicht um eine spezifische Profilierung ihrer Theologie, sondern um die Wahrung eines mindestens innerreformierten Konsenses in der Abendmahlslehre. Eine echte Abweichung von der durch a Lasco und auch Micron vorgegebenen Tradition bedeutet demgegenüber die Rezeption der calvinischen Prädestinationslehre durch Dathenus. Die in der Literatur immer wieder begegnende Auffassung, Dathenus’ Theologie sei im Ganzen „calvinistisch“162 findet hier einen gewissen Anhalt; gleichwohl trifft sie als pauschale Charakterisierung zumindest für diese Phase seines Lebens nicht zu: Wie gesehen tauchen Aussagen zur Prädestination bei Dathenus nur selten und ohne weitere Vertiefung auf. Der in der Frankfurter Flüchtlingsgemeinde ausgetragene Streit um die Taufe belegt, dass er dem Thema keine kirchentrennende Bedeutung beimaß: Die Lehre von der Prädestination dient ihm gerade als Beispiel dafür, dass eine Pluralität von Lehrmeinungen bei Anerkennung des Glaubensfundaments toleriert werden kann.163 Trotz der Anlehnung an Calvin in Frage der Prädestination dominiert aufs Ganze gesehen somit der Einfluss der Londoner Flüchtlingstheologie. Zentrale 157 „Lutherus & Zwinglius renascente Euangelio praestantissima Dei organa, Papisticam Transubstantiationem, circumgestationem, aqtokatqe¸am, ac panis repositionem damna[ve]ru[n]t, ac fide veram salutaremq[ue] corporis Christi communionem percipi, Christumq[ue] ipsum Dominum fidei in caena revera praesentem esse docuerunt.“ (Dathenus, Responsio secunda, 80) 158 Vgl. Zwierlein, Erasmianer, 87. 159 Vgl. Rohls, A Lasco, 115. 160 Vgl. Kuyper I, 97–232. 161 Vgl. ebd. 162 Vgl. exemplarisch Bautz, Art. Dathenus, 1230. 163 Vgl. dazu S. 63 mit Anm. 136.
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
Aspekte wie die Beschreibung des Glaubensfundamentes der Kirche über die Drei-Ämter- und Zwei-Naturen-Lehre hat er von dort übernommen. Die im Eingangsteil mit Blick auf die Biographie angestellte Behauptung, Dathenus sei ein, wenn nicht gar der maßgebliche Träger der Londoner Flüchtlingstradition in der Kurpfalz gewesen, findet damit auf theologischer Ebene ihre Bestätigung.
2.
Die Parallelen zum Heidelberger Katechismus
Die zuletzt herausgearbeiteten theologischen Schwerpunkte der Frankfurter Schriften dienen als Ausgangspunkt für den sich anschließenden Vergleich mit dem HK. Es werden in der Folge die vorhandenen theologischen Parallelen herausgearbeitet und die Annahme eines Einflusses durch Dathenus jeweils auf ihre Plausibilität hin geprüft. Unberücksichtigt bleibt dabei lediglich das Schriftverständnis, denn erstens entfaltet der HK seine Auffassung von der Schrift nicht in einem eigenständigen Fr, sondern dieselbe bildet gewissermaßen seine hermeneutische Ausgangsbasis;164 zweitens verbleibt Dathenus bei der Entfaltung seiner Schrifttheologie ganz im Rahmen des reformatorischen Allgemeingutes, so dass ein Vergleich nur wenig aussagekräftige Ergebnisse erbrächte. Daher wird sich die folgende Untersuchung auf die Parallelen innerhalb der Ekklesiologie, der Rechtfertigungslehre und des Abendmahlsverständnisses konzentrieren. Im zweiten Teil dieses Kapitels soll dann, über die Frankfurter Schriften hinausgehend, die im Frankenthaler Religionsgespräch 1571 zu Tage tretende Inkarnationstheologie mit HK 35–36 verglichen werden, bevor zuletzt die Frage nach einem traditionsgeschichtlichen Zusammenhang von Dathenus’ Messpolemik mit derjenigen von HK 80 gestellt wird. Ein dezidierter Vergleich mit der KKO erübrigt sich an dieser Stelle noch: Die einzige Schrift, die als Referenzpunkt dienen könnte, Dathenus’ Liturgie aus dem Jahr 1571, setzt in weiten Teilen die KKO bereits voraus.
2.1
Die Parallelen in den Frankfurter Schriften
2.1.1 Ekklesiologie (HK 52.54–55.82–85) Die zentralen ekklesiologischen Aussagen des HK finden sich in den Fr 54 und 55 im Kontext der Auslegung des dritten Glaubensartikels sowie in den Fr 82–85 im Zuge der Thematisierung der kirchlichen Schlüsselgewalt. Darüber hinaus be164 Vgl. die umfangreichen biblischen Belegstellen in den Marginalien und die Wendung „in Gottes Wort geoffenbart“ in den Fr 21.25.95 u. ö. Zu den Funktion und der systematischer Einordnung der Wendung vgl. Coenen, Wort, insbes. 84f.
Parallelen zum Heidelberger Katechismus
217
sitzt die Gegenüberstellung von Feinden und Auserwählten bei der Frage nach der Wiederkunft Christi zum Gericht (Fr 52) ekklesiologische Relevanz. Fr 54 und 55 entsprechen wie schon gesehen fast wörtlich Mi. Mit der Bestimmung der Kirche als coetus electorum nehmen sie den traditionellen Erwählungsgedanken auf. Allerdings sind Mi 50–52 über die Prädestination im HK ersatzlos gestrichen. Die Frage, welches theologische Gewicht dieser Streichung zukommt und ob der HK an bestimmten Stellen doch Anleihen an Calvins Prädestinationslehre nimmt, ist Gegenstand verschiedener Forschungsbeiträge,165 braucht an dieser Stelle aber nicht ausführlich diskutiert zu werden. Auffällig ist jedenfalls, dass der HK die Prädestinationslehre offenbar bewusst ausspart, ganz im Gegensatz zu Dathenus, der neben der Wendung numerus electorum zur Bezeichnung der wahrhaft Gläubigen den Ausdruck numerus praedestinatorum für die invisibilis ecclesia – wenn auch sparsam – heranzieht. Trotz dieses Unterschiedes lässt sich eine bemerkenswerte Parallele festhalten: Sowohl im HK in Fr 52 als auch in der Responsio secunda des Dathenus steht der Verweis auf die electori im Kontext der seelsorgerlichen consolatio der angefochtenen Gemeinde durch die zu erwartende Wiederkunft Christi: HK 52 Frag. Was tröstet dich die widerkunft Christi, zu richten die lebendigen und die todten?
Dathenus, Responsio secunda, 95 „[…] sed ita visum est Deo Optimo Maximo complere numerum electorum […] Deus Pater propter Mediatorem Christum, eos passim consoletur, qui captivi detiAntwort. Daß ich in allem trübsal und nenter, ut oves brevi ducendi ad victimam, verfolgung mit aufgerichtem haupt eben ac Spiritu suo ita confirmet, ut cum Danides richters, der sich zuvor dem gericht ele sociisque ipsius, vitam morti ac torGottes für mich dargestellt und alle vermentis exponant, potius, quam ut idolis maledeyung von mir hinweggenommen papisticis genua flectant: ut numero illo hat, auß dem himmel gewertig bin, daß er impleto, brevi appereat filius Dei, ac electos suos colligat, inque coelstem Ecclesiam alle seine und meine feinde in die ewige verdamnuß werfe, mich aber sampt allen suam (perditis praefractis idololatris ac außerwehlten zu im in die himlische freud infidelibus omnibus) benigne recipiat. und herrligkeyt neme. Amen.“
Die unterschiedliche Textform – katechetische Auslegung hier, Gebet im Kontext einer polemischen Streitschrift dort – machen umfangreichere Wortübereinstimmungen unwahrscheinlich. Gleichwohl fällt eine Korrespondenz auf inhaltlicher Ebene ins Auge: Die Hoffnung auf die endzeitliche Scheidung zwischen Erwählten und Verworfenen durch Christus soll jeweils das standhafte Ausharren in der Verfolgung ermöglichen – „mit aufgerichtetem Haupt“ bzw. ohne „die Knie zu beugen“. Aufschlussreich ist dabei der Vergleich mit den Katechismen des Ursinus: Während sich Mi 38 auf die allgemeine christologi165 Vgl. z. B. Niesel, Katechismus; Herlyn, Lehre; Neuser, Erwählungslehre.
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
sche Aussage der Wiederkunft Christi und die mit seinem endzeitlichen Gerichtshandeln verbundene Hoffnung auf Befreiung der Erwählten von allem Bösen und ihre Aufnahme in den Himmel beschränkt, fehlt in Ma 102–103 im Zusammenhang des Gerichtshandelns Jesu die Rede von den „Erwählten“ ganz. Eine Konkretisierung der „Übel“ durch die Erwähnung von Anfechtungen in der Verfolgung findet in beiden Schriften des Ursinus nicht statt. Lang deutet zur Erklärung vorsichtig einen Einfluss von Matthäus Zells Frag unnd Antwort an.166 Dort ist in der Tat von einem „beharren bis ans Ende“167 die Rede, der Perseveranzgedanke wird jedoch im allgemeinen Sinn, ohne konkreten Bezug auf das Erdulden von Verfolgungen entfaltet. Der Schwerpunkt liegt im Gegensatz zu HK 52 auf der Ankündigung des Strafgerichts gegen die „Feinde“, ein verstärktes seelsorgerliches Interesse am Trostcharakter des Lehrstücks ist nicht zu erkennen. Darüber hinaus fehlen bei Zell ebenfalls alle Bezüge zum Wortfeld der Erwählung. Die größte Nähe zu HK 52 besitzt innerhalb der katechetischen Literatur nach Mi 38 und Ma 102f insbesondere M 65, wo jedoch ebenfalls kein Rückgriff auf die Kategorie der Erwählung stattfindet. Die mit den Schlagworten „Vertreibung“ und „aus dem Himmel“ vorhandenen motivischen Übereinstimmungen scheinen eher durch das gemeinsame Thema der Wiederkunft Christi bedingt zu sein. Bei Dathenus findet sich dagegen exakt die gleiche Verknüpfung des Erwählungsgedankens mit dem seelsorgerlichen Interesse an der Tröstung der verfolgten Gemeinde mit Blick auf das Gerichtshandeln Jesu wie in HK 52.168 Die Annahme eines unmittelbaren Einflusses scheint daher die naheliegende Erklärung für Abweichungen des HK von Mi 38 zu bieten. Die theologische Untersuchung der Frankfurter Schriften hat die zentrale Stellung der Lehre von den drei Ämtern innerhalb Dathenus’ Ekklesiologie aufgezeigt, die in Verbindung mit den Exklusivpartikeln das Lehrfundament der einen Kirche inhaltlich bestimmt. Es ist offensichtlich, dass der Drei-Ämter-Lehre im HK keine dementsprechende Bedeutung für die Ekklesiologie zukommt, hat sie ihren systematischen Ort doch zunächst innerhalb der Auslegung des zweiten Glaubensartikels, also innerhalb der Christologie – dort jedoch in einem für die Frage nach einem Zusammenhang zu Dathenus’ Theologie belangreichen 166 Vgl. Lang, Katechismus, XCI. 167 Frag unnd Antwort, Reu I/1, 114, Z. 42. 168 Vor diesem Hintergrund erscheint die von Neuser (Erwählungslehre, 323) vorgeschlagene spiritualistische Deutung der „Feinde“ in HK 51, wenig plausibel. Es sind ja gerade „äußere Feinde“, nämlich die Verursacher von „Trübsal und Verfolgungen“, denen die Verdammnis in dem sich unmittelbar anschließenden Fr 52 angedroht wird. Erst auf einer zweiten Bedeutungsebene sind dann in Fr 51 auch die Feinde aus Fr 127, „Teufel, Welt und unser eigen Fleisch“ gemeint.
Parallelen zum Heidelberger Katechismus
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Kontext: Frage 31, deren Antwort die Lehre von den drei Ämtern aufgreift, hat die Deutung des Gesalbtenprädikats zum Gegenstand und steht damit in formaler Entsprechung zu Fr 29, das die Bedeutung des Jesusnamens auslegt. Fr 32 appliziert sodann die Namenserklärung aus Fr 31 mit der Frage „Warum wirst aber du ein Christ genent?“ auf den einzelnen Christen. Die Fr 29–32 bilden also auf der Mikroebene der Gliederung eine eigene in sich geschlossene Einheit, während ab Fr 33 die Auslegung der im Glaubensbekenntnis als Appositionen zum Christusnamen aufgeführten Hoheitstitel folgen. Auf der Inhaltsebene wird das in Fr 29 anhand des Jesusnamens eingeführte solus in Fr 31 durch das Gesalbtenprädikat als solus Christus expliziert und danach das eine Heilswerk Christi anhand der Drei-Ämter-Lehre entfaltet. Diese enge Verkoppelung des solus Christus mit der Drei-Ämter-Lehre entspricht der Christozentrik der Responsio secunda. Sie begegnet allerdings auch bei Ursinus in Mi 19–20, sowie bei Micron in M 50–51. Hinzu kommt nun aber als Spezifikum des HK, dass zwischen die beiden Auslegungen des Christusnamens in den Fr 29 und 31 als eigenes Fr eine Entfaltung des negativen Gehaltes des solus Christus eingeschoben wird: Wird die Seligkeit nicht bei Jesus allein, sondern bei den Heiligen, bei sich selbst oder anderswo gesucht, so wird Jesus mit der Tat verleugnet (Fr 30). Es geht hier nicht einfach um die Abwehr der Heiligenverehrung, wie von Lang behauptet,169 sondern um die Wahrung der im solus Christus ausgesagten Suffizienz des Heilswerkes Christi, wovon die Heiligenverehrung nur einen Aspekt ausmacht. Wenn in dem beinahe wörtlich aus Mi 20 übernommenen Fr 31 gerade das Wort „volkomlich“ bei der Erläuterung des Offenbarungshandelns Christi in seinem Prophetenamt eingefügt wird,170 so entspricht das genau der Linie einer Verschärfung des solus in Fr 30. In Anbetracht dessen erscheint es wenig wahrscheinlich, dass bei der Abfassung von Fr 30 tatsächlich C 84–86 im Hintergrund stand, wie Lang vermutet.171 Dort geht es ja weniger um die Suffizienz des Heilswerkes Christi, als um die Alleinverehrung Gottes und die dadurch ausgeschlossene Anbetung der Heiligen, ohne dass ein dezidierter Zusammenhang zur Christologie hergestellt würde. Die für einen Katechismus mit ungewöhnlicher Härte entfaltete kontroverstheologische Konsequenz des solus Christus in HK 30 erinnert vielmehr an dessen im Compendium doctrinae angelegte und bei Dathenus breit ausgeführte polemische Dimension: Das solus Christus markiert in Gestalt der ZweiNaturen- und der Drei-Ämter-Lehre die klare Grenze der vera ecclesia. Gleichwohl wird diese Grenze im HK lediglich im unmittelbaren Kontext der in Fr 31 eingeführten Drei-Ämter-Lehre gezogen und nicht unter direkter Aufnahme 169 Vgl. Lang, Katechismus, XC. 170 Vgl. ebd. 171 Vgl. ebd.
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derselben entfaltet, so dass sich zwar eine große Nähe zu Dathenus’ Ekklesiologie ergibt, die Aussagen des HK jedoch nicht einfach deckungsgleich erscheinen. Ein gewisser Einfluss desselben bei der Abfassung von Fr 30 läge dennoch im Bereich des Möglichen. Da Dathenus in seinen Schriften sein Verständnis der Kirchenzucht nicht breiter entfaltet, wird ein Vergleich mit der in den HK 82–85 entfalteten Auffassung von der Schlüsselgewalt sich notgedrungen auf einige wenige Anmerkungen beschränken müssen. Bereits im Zuge des vorangegangenen Vergleichs der laskonischen Katechismen mit dem HK wurde erwogen, ob die Nennung der Gesamtgemeinde als „erster“ Trägerin der Schlüsselgewalt in HK 85 möglicherweise auf den Einfluss der Londoner Flüchtlingstradition zurückzuführen sein könnte. Ihr Spezifikum gegenüber Calvin war ja gerade der Verzicht auf eine vollständige Delegation der Kirchenzucht an die Amtsträger und ihr dezidiertes Festhalten einer Beteiligung der Gesamtgemeinde.172 Dathenus partizipiert, wie gesehen, an dieser Tradition, wenn er im Rahmen seiner Beschreibung der pastoralen Pflichten die Mitwirkung der Gesamtgemeinde bei der Ausübung der Schlüsselgewalt hervorhebt. Gegen eine Rückführung des laskonischen Einflusses in HK 85 auf Dathenus könnte gleichwohl eine Äußerung im Rahmen des Kurpfälzischen Kirchenzuchtstreites sprechen. In seinem Brief an Heinrich Bullinger vom 9. Mai 1570 kritisiert Dathenus dessen Parteinahme für Erastus, verleiht aber gleichwohl der Hoffnung Ausdruck, dass Bullingers Auffassung von seinen Gegnern nur in entstellter Form wiedergegeben worden sei. Dathenus berichtet von der aktuellen Situation in der Kurpfalz und dem schrittweisen Erfolg der Maßnahmen in den Gemeinden und verteidigt dieselben gegenüber Bullinger : „Und du [sc. Bullinger] sollst nicht meinen, dass wir so verrückt sind, hier alles nach jener Strenge der Genfer Kirche oder der Regel, die Johannes a Lasco seligen Andenkens den freiwilligen Flüchtlingen in England vorgeschrieben hat, betreiben und erneuern zu wollen, sondern wir sind mit diesen beiden Dingen zufrieden, dass die Hirten ihre Schafe auf welche Weise auch immer unterscheiden können, deren Blut Gott von ihren Händen fordern wird, und dass die Sakramente von jener öffentlichen und schrecklichen Entweihung bewahrt werden.“173 172 Vgl. z. B. M 103–109 und E 71–73. Zum strengen Gemeindebezug der Zucht bei a Lasco vgl. auch Becker, Gemeindeordnung, 57–60. 173 „Neque putes, nos esse ita dementes, ut hic omnia ad rigorem illum Genevensis Ecclesiae, vel formulam, quam voluntariis exulibus in Anglia praescripsit piae memoriae Dominus Joannes a Lasco, exigere et revocare velimus, sed hisce duobus sumus contentri [sic!] si pastores suas oves qualicunque dignoscere queant, quorum sanguinem Deus ab ipsorum manibus requisiturus est. Deinde si sacramenta a publica illa profanatione vindicentur.“ (Van Schelven, Vluchtelingenkerken, 414f)
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Dathenus distanziert sich also gegenüber Bullinger von dem Gedanken, das laskonische Kirchenzuchtkonzept in der Kurpfalz eins zu eins verwirklichen zu wollen. Dies kann man einerseits als Zugeständnis an den Züricher Antistes werten mit der Absicht, ihn im Kirchenzuchtstreit für die eigene Position einzunehmen, andererseits aber auch als schlichten Realismus angesichts der Schwierigkeiten, die eine strenge Durchsetzung der Zucht in der Kurpfalz bereitete. Eine generelle Absage an das Modell einer gemeindebasierten Kirchenzucht stellt sie gleichwohl nicht dar, wie an der Ablehnung deutlich wird, die Dathenus im Fortgang seines Briefes dem Gedanken einer Ausübung der Zucht durch den örtlichen Magistrat entgegenbringt.174 Insofern wäre die zum Ausdruck gebrachte Distanznahme von a Lasco nicht überzubewerten: Der laskonische Einfluss in HK 85 könnte durch Dathenus’ Einwirken auf den Redaktionsprozess des HK plausibel erklärt werden. 2.1.2 Rechtfertigung und gute Werke (HK 60–64.86) Das Thema „Rechtfertigung und gute Werke“ wird im HK explizit im Anschluss an die Auslegung des dritten Glaubensartikels in den Fr 60–64 behandelt. Fr 59 übernimmt dabei mit der seelsorgerlichen Zuspitzung „Was hilft es…“ eine Scharnierfunktion bei der Überleitung von der Auslegung des Glaubensbekenntnisses zur Ausformulierung der Rechtfertigungslehre. Auf systematischer Ebene schließen die Fr 60–64 in einer Zusammenfassung das mit Fr 21 eingeführte große Thema „Glaube“ ab, wobei der Ausschluss der guten Werke vom Rechtfertigungsgeschehen die thematische Brücke zu dem den dritten Hauptteil des HK einleitenden Fr 86 bildet. Eine inhaltliche Übereinstimmung zu Dathenus besteht in der rein imputativen Bestimmung der Rechtfertigung in HK 60, die angesichts ihrer weiten Verbreitung allerdings wenig aussagekräftig erscheint, wie sich durch einen Blick auf die verwandte Katechismusliteratur sofort bestätigten lässt.175 Ähnliches gilt von den mit der imputativen Rechtfertigung sachlich zusammenhängenden Motiven der „bleibenden Unvollkommenheit der Gerechtfertigten“ (Fr 62) und dem bloßen „Anfang des Gehorsams“ in diesem Leben (Fr 114), die zwar ebenfalls ihre Entsprechungen in Dathenus’ Schriften haben, jedoch eine zu breite Akzeptanz innerhalb reformatorischer Theologie besaßen, als dass sich hier spezifische Aussagen treffen ließen.
174 „Et in his nihil inscio et reclamante Magistratu, denique per solos ministros fieri volumus, sed omnia eo ordine ex quo nulla confusio aut tyrannis Ecclesiae metuenda sit.“ (a. a. O., 415) 175 Vgl. z. B. Mi 46, Ma 132–134, C 118.
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Belangreicher scheint demgegenüber die auffällige inhaltliche Parallele bei der Zweckbestimmung der guten Werke:176 HK 86 Frag. Dieweil wir auß unserm elend one alle unsere verdienst auß gnaden durch Christum erlöset seind, warumb sollen wir gute werck thun? Antwort. Darumb, daß Christus, nachdem er uns mit seinem blut erkauft hat, uns auch durch seinen heiligen geist erneuert zu seinem ebenbildt, daß wir mit unserm gantzen leben uns danckbar gegen Gott für seine wohltat erzeigen und er durch uns gepriesen werde, darnach auch, daß wir bey uns selbst unsers glaubens auß seinen früchten gewiß sein und mit unserm gottseligen wandel unsere nechsten auch Christo gewinnen.
Dathenus, Responsio secunda, 210f „Quid vero sentiamus Latome de bonis operibus paucis sic accipe: Bona opera non quae ex servili poenarum metu, aut spe mercedis fiunt, sed quae ex puro fidei, & filialialis dilectionis Dei fonte, autore Spiritu sancto scaturiunt, quorum finis est, glorificare Deum, testari nostram gratitudinem, iuvare proximum in necessitate constitutum, veram in nobis fidem declarare, allicere incredulos ut verbo credant, & obstruere os maledicentibus, ne ex peccatis nostris ausam [sic!] blasphemandi Deum, & contemnendi Euangelium ipsis praebeamus.”
Übereinstimmend sehen sowohl HK 86 als auch Dathenus den Zweck der guten Werke erstens im Ausdruck der Dankbarkeit gegenüber Gott, zweitens im Mittel der Verherrlichung Gottes, drittens im Mittel zur Vergewisserung des Glaubens im Einzelnen und viertens im Mittel zur Gewinnung Ungläubiger. Darüber hinaus stellen beide den Heiligen Geist der Aufzählung der Zweckbestimmungen betont voran. Gleichwohl scheint der HK den Gläubigen mehr Initiative bei der Wirkung der guten Werke zuzubilligen, denn Fr 86 spricht explizit von der Erneuerung der Gottebenbildlichkeit, während Dathenus (im kritischen Gegenüber zur katholischen Auffassung) alles Gewicht auf das spontane „Hervorsprudeln“ der guten Werke aus der Gottesliebe durch die Urheberschaft des Heiligen Geistes legt und eine Restitution der ursprünglichen schöpfungsgemäßen Fähigkeiten und Kräfte des Menschen ausschließt.177 Darüber hinaus nennt er als Zweck die Nothilfe für den Nächsten und wendet das missionarische Motiv der Gewinnung Ungläubiger durch die guten Werke zusätzlich ins Negative: Den Ungläubigen solle kein Anlass zur Lästerung des Evangeliums gegeben werden.
176 Zum Thema der „guten Werke“ im HK vgl. Busch, Gesetz; vgl. insbes. die durch Veröffentlichung zugängliche Seminararbeit von Kunz zu dem Thema (Kunz, Gesetz), sowie die zugehörigen hermeneutischen Überlegungen von Ehmann (Kontroversen, 134f). 177 Vgl. Dathenus, Responsio secunda, 220.
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Zieht man über den HK hinaus weitere verwandte Katechismen zum Vergleich heran, so ergibt sich ein uneindeutiges Bild: Während Mi die Frage nach den Zwecken der guten Werke überhaupt nicht stellt, beschränkt sich Ma 141– 146 zunächst auf die Entfaltung der mortificatio carnis und der vivificatio spiritus als den Früchten des Glaubens, aus denen die guten Werke folgen. Als deren fines werden danach Dankbarkeit und Gehorsam gegenüber Gott genannt. Die Frage nach dem Sinn von guten Werken angesichts der Rechtfertigung sola gratia nimmt in den beiden Vorarbeiten des Ursinus damit, anders als im HK, eine eher randständige Position ein. Im Gegensatz dazu setzt J genau bei diesem Lehrstück einen Schwerpunkt. Im umfangreichen Fr 86 werden die Zwecke der guten Werke ausführlich erläutert und zwar erstens als Verherrlichung Gottes, zweitens als Gott geschuldete Pflicht, drittens als Zeugnisse des Glaubens nach außen, viertens als Übung zur Mehrung des Glaubens, fünftens als Anreiz für den Nächsten, selbst gute Werke zu tun, sechstens als Vergewisserung des Glaubens nach innen, siebtens als sinnvolle Antwort auf die Lohnverheißung, die mit den Werken verbunden ist (bei gleichzeitiger Abwehr der Werkgerechtigkeit). Auch hier sind mit erstens, sechstens, sowie mit Abstrichen auch zweitens auffällige inhaltliche Parallelen zu HK 86 zu konstatieren. Aber auch im Falle von J liegen die Unterschiede deutlich zu Tage: Zunächst ist J 86 um ein vielfaches länger als HK 86 und dementsprechend reicher an ausführenden Erläuterungen, wohingegen HK knapper, aber dafür klarer und zugänglicher ausfällt. Darüber hinaus betont HK mit dem Aspekt der Dankbarkeit das Moment freier Spontaneität beim Tun der guten Werke, während J 86 auf den Gehorsam verweist, den die Gläubigen angesichts ihrer Erlösung durch Christus umso mehr zu leisten schuldig seien. Schließlich fehlen in HK 86 gänzlich die in J formulierten Gedanken, die guten Werke würden als äußeres Glaubenszeugnis vor anderen Menschen abgelegt und sie dienten der Einübung und dem Wachstum des Glaubens (vgl. auch die passivische Formulierung in HK 115!). Auch die rechtfertigungstheologisch problematisch enge Verbindung von guten Werken und Lohnverheißung aus J 86 findet sich im HK nicht. Die angestellten Beobachtungen stellen den Interpreten vor einige Schwierigkeiten: Auszuschließen ist wohl, dass J 86 direkt als Vorlage für HK 86 gedient hatte – dafür sind die Unterschiede in Inhalt und Struktur der beiden Stücke zu groß. Andererseits handelt es sich bei der Bestimmung der fines der guten Werke offensichtlich nicht um ein Theologumenon, das einer bestimmten theologischen Tradition spezifisch zuzuordnen wäre: Die Frage, welcher Sinn den guten Werken angesichts der gnädigen Gerechtsprechung allein aus Glauben zukommt, war in der Auseinandersetzung mit dem Katholizismus seit jeher Bestandteil reformatorischer Theologie und bewegte dann insbesondere Ende der vierziger Jahre im sog. Maioristischen Streit die Gemüter. Es überrascht daher
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nicht, wenn beispielsweise Melanchthon in seinen Loci der Frage „Propter quas causas facienda sunt bona opera?“178 einen eigenen Abschnitt widmet. Eine direkte Vorlage für HK 86 meint Walter Hollweg gefunden zu haben: Ihm kommt das Verdienst zu auf zum Teil deutliche Übereinstimmungen des HK mit zwei von Theodor Beza verfassten Bekenntnissen hingewiesen zu haben,179 der größeren Confessio und dem 1562 in Heidelberg in deutscher Übersetzung erschienen Kurtzen Bekanntnuß180, das offenbar als knappe Zusammenfassung der deutlich umfangreicheren Confessio konzipiert war. HK 86 sei, so Hollweg, in bestimmten Formulierungen deutlich an Kapitel IV, 19 der Confessio angelehnt.181 Dort charakterisiert Beza den „Nutzen“ der guten Werke auf vierfache Weise: Diese dienten erstens dazu, den Nächsten für Christus zu gewinnen; zweitens seien sie Mittel der Vergewisserung des eigenen Heils; drittens geschähen sie spontan – wie das Wasser aus der Quelle sprudelt, gingen sie aus dem Heiligen Geist hervor ; viertens seien sie Zeugnisse der eigenen Erwählung, was sich als notwendiger Schluss aus dem zweiten Punkt ergibt.182 Wörtliche Übereinstimmungen mit HK 86 finden sich vor allem in Punkt eins183 und zwei184. Darüber hinaus lassen sich aber nun auch Motive festhalten, die nicht in HK 86 erscheinen, dafür aber Dathenus’ Responsio secunda sehr nahe kommen: Das Tun der guten Werke vermag selbst die eingeschworenen Feinde Christi dazu zu bringen, Gott die Ehre zu geben;185 es hat Ähnlichkeit mit dem Hervorsprudeln des Wassers;186 trotz aller Erneuerung durch den Heiligen Geist besteht im Menschen ein dauernder Kampf zwischen Geist und Fleisch.187 Wie 178 Vgl. Melanchthon, Loci praecipui theologici, CR 21, 775–777. 179 Vgl. Hollweg, Untersuchungen I, 86–123. Hollweg legt bei seinen Ausführungen allerdings nicht diese erste erhaltene lateinische Version der Confessio zugrunde, sondern die im polemischen zweiten Teil von ihr abweichende Confessio Tarczal-Tordaensis (in: Müller, Bekenntnisschriften, 367–449). 180 Vgl. Hollweg, Untersuchungen I, 111–123. Es findet sich darüber hinaus angehängt an die 1561 in Frankfurt gedruckte niederländische Übersetzung von Bezas umfangreicherer Confessio. 181 Vgl. Hollweg, Untersuchungen I, 103. 182 Vgl. Beza, Confessio, 62–68. 183 „Primum enim hac ratione solemus proximos nostros vel Christo lucrifacere, vel in Christo retinere.“ (a. a. O., 62; Hervorhebung von mir, TS) 184 „Secundo, bonis operibus certiores simus nostrae salutis, non tanquam causis, ut paulo ante dixi, sed tanquam testibus & affectis caussae instrumentalis per quam adipiscimur salutem, fidei videlicet, ut est a nobis antea demonstratum.“ (a. a. O., 62f; Hervorhebung von mir, TS) 185 „[…] ipsosque [sc. proximos nostros] adeo Christi iuratos hostes cogim gloriam Deo tribuere.“ (a. a. O., 62) 186 „Tertio, necesse est ut fateamur quandam esse congationem aquae & eius scaturiginis ex qua promanat.“ (a. a. O., 63) 187 „Quoniam igitur regeneratio nostra, quandiu in hoc mundo versamur, nunqua[m] euadit in summu[m] gradu[m], & superest in nobis perpetuum illud Spiritus & carnis certamen” (ebd.)
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Dathenus legt Beza bei der Behandlung des „Nutzens“ der guten Werke einen deutlichen Akzent auf die bleibende Unvollkommenheit des Gläubigen – ein Aspekt, den der HK erst in Fr 114 im Anschluss an die Auslegung der Zehn Gebote nachreicht. Diese Beobachtungen könnten darauf hindeuten, dass sowohl bei der Abfassung des entsprechenden Abschnittes der Responsio secunda wie auch bei HK 86 die Confessio Bezas im Hintergrund stand und in der summarischen Aufzählung der fines der guten Werke jeweils eigenständig bestimmte Punkte herausgehoben, andere ergänzt wurden. Ob Dathenus bei der Abfassung der Responsio secunda bereits der lateinische Druck der Confessio aus dem Jahr 1560 zur Verfügung stand, muss unklar bleiben. Wahrscheinlich hat er auf eine frühere Auflage zurückgegriffen, beispielsweise die französische Ausgabe von 1559,188 die allerdings in dem hier betrachteten Abschnitt weitestgehend mit der lateinischen Fassung von 1560 übereinstimmt.189 Die Annahme eines unmittelbaren Einflusses von Dathenus auf HK 86 muss angesichts dieses Befundes als argumentativ zu wenig belastbar angesehen werden. 2.1.3 Sakramente und Abendmahl (HK 65–82) Vor dem Hintergrund der begrenzten innerprotestantischen Konsensorientierung des HK erscheint es nicht verwunderlich, dass sich fast alle der oben herausgearbeiteten Elemente von Dathenus’ Sakraments- und Abendmahlstheologie im HK wiederfinden lassen: die prinzipielle Vorordnung des Wortes vor die Sakramente (Fr 65), ihre Definition als „warzeichen und Sigill“ (Fr 66), die Begründung der Kindertaufe mit dem Bundesbegriff in Analogie zur Beschneidung (Fr 74), die Abwehr einer substanzhaft gedachten Gegenwart Christi in den Elementen Brot und Wein beim Abendmahl (Fr 78), die zeichenhafte Deutung der Einsetzungsworte (Fr 79), sowie das irenäische Motiv einer Analogie von äußerem und innerem Empfang der Gaben als Erläuterung der manducatio spiritualis (Fr 75). Einzige Ausnahme bildet die pointierten Aufnahme der CAVariata bei Dathenus, die jedoch der besonderen Situation in Frankfurt geschuldeten ist. Es wäre allerdings angesichts des unspezifischen Charakter beider Sakramentstheologien voreilig, aus diesen Übereinstimmungen einen direkten Einfluss von Dathenus auf HK 65–82 abzuleiten. Eine deutlichere Parallele findet sich hingegen unter den Belegstellen, die HK 188 Beza, Confession de la foy chrestienne, Genf 1559. 189 Die einzige größere Änderung besteht darin, dass Beza 1560 der Vergewisserung des Heils und des Glaubens durch die guten Werke einen eigenen Abschnitt widmet, während diese noch 1559 mit dem Erwählungsgedanken zusammengenommen ist und hinter ihr zu verschwinden droht. Vgl. Beza, Confessio, 66–72. Die zitierten Passagen finden sich in beiden Auflagen.
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48 zur Begründung der bleibenden Gegenwart Christi nach der Himmelfahrt anführt: In seiner Responsio secunda hatte Dathenus seine Kritik an der römischen und (unausgesprochen wohl auch) lutherischen Auffassung von der Gegenwart des Leibes Christi in den Elementen indirekt über ein Zitat aus Augustins Tractatus in Ioannem formuliert. Die lateinische Ausgabe des HK führt nun u. a. genau diese Stelle als Beleg für das in Fr 48 zur Abweisung der leiblichen Ubiquität Christi ausgeführte sog. Extra Calvinisticum an. Obwohl es hier zunächst um die Deutung der Himmelfahrt im Kontext der Auslegung des zweiten Glaubensartikels geht, ist auch in HK 48 der Bezug zum Abendmahl deutlich genug. Gleichwohl darf die übereinstimmende Begründung der Gegenwart der göttlichen Natur Christi durch Dathenus und HK 48 vermittels Augustins Tractatus in Ioannem nicht überbewertet werden: Die Fr 47–48 gehen fast wörtlich auf Mi 35–36 zurück, sachlich kommt im HK gegenüber Ursinus’ Katechismus nichts Neues hinzu. Der Rückgriff auf Augustins Tractatus in Ioannem L dient darüber hinaus bereits in Calvins Ultima admonitio ad Ioachimum Westphalum von 1557190 und in seiner Dilucida Explicatio sanae doctrinae […] ad discutiendas Heshusii nebulas von 1561191 der Begründung einer exklusiven Gegenwart der göttlichen Natur Christi. Es ist deshalb ebenfalls möglich, dass die Rezeption des Tractatus in Ioannem bei Dathenus und die Aufnahme desselben unter die Marginalstellen von HK 48 letztendlich durch Calvins Schriften veranlasst wurde. Ein unmittelbarer Einfluss von Dathenus auf die Marginalstellen von HK 48 lässt sich jedenfalls angesichts alternativer Erklärungsmöglichkeiten nicht mit hinreichenden Argumenten belegen. Trotz dieses negativen Ergebnisse der Detailuntersuchung ist auf die Bedeutung hinzuweisen, die die grundlegenden Übereinstimmungen innerhalb der Sakramentstheologie für die Plausibilisierung der These eines Einflusses von Dathenus auf den HK gewinnt: Hat man das starke Interesse Friedrichs III. an der kirchlichen Einheit und dessen Widerwillen gerade gegenüber den seines Erachtens fruchtlosen Streitigkeiten über die Abendmahlsfrage vor Augen,192 so könnte Dathenus’ allgemein „reformierte“ Abendmahlstheologie und sein laskonisch geprägter Kirchenbegriff ihn in der Kurpfalz gerade für ein Mitwirken 190 Vgl. CR 37 (CO 9), 173 191 Vgl. CR 37 (CO 9), 510 192 Diese Haltung Friedrichs blickt vielfach aus seiner Korrespondenz mit Johann Friedrich II.; vgl. exemplarisch den Brief vom 24. Oktober 1559: „Ich weiß niemants zu entschuldigen oder zu beschuldigen, demnoch der glaub in das mentschen herz gegrundet und ich inen nit dan unders angesicht sehen kan, so laß ich ayn jeden sich selbs entschuldgen und denselben urteylen, so alleyn in der mentschen herzen siht und dermahl eyns recht wurd richten. Das weyß ich aber, das neulich ayner vom Zwinglianismo vil geschreys und condamnirens macht und da inen ayner fraget, ob er Zwingli Schriften gelesen hette, antwortet er : nayn. Also urthaylt mancher, ders nur von hören sagen hat, und wirt darmit betrogen.“ (Kluckhohn, Briefe I, 99)
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an dem sich vollziehenden kirchlichen Reformprozess empfohlen haben, der auf Überwindung theologischer Spannungen zwischen den Anhängern Melanchthons, Calvins und Zwinglis zielte.193
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Die Verbindung von Mittlerprädikat und Inkarnation bei Dathenus und im Heidelberger Katechismus (HK 35–36)
Mit der Frage nach dem Verhältnis von Mittlerprädikat und Inkarnation ist ein Thema aufgeworfen, das in Dathenus’ Frankfurter Schriften zwar gelegentlich am Rande angeschnitten, jedoch erst im Protokoll zum Frankenthaler Religionsgespräch mit den Täufern von 1571 deutlich greifbar wird.194 Während des Frankenthaler Gesprächs war es vor allem Dathenus, der als Hofprediger Friedrichs III. die Seite der kurpfälzischen Theologen vertrat und das Kolloquium mit seinen Redebeiträgen dominierte. Bevor ein Vergleich mit HK 35–36 durchgeführt werden kann, ist zum besseren Verständnis zunächst auf die Hintergründe des Gesprächs einzugehen. 2.2.1 Zur kurpfälzischen Täuferpolitik bis 1571 Die Existenz von Täufergemeinden auf dem Gebiet der Kurpfalz195 ist bereits für die Zwanzigerjahre des 16. Jahrhunderts beispielsweise für Landau, Bergzabern und Worms belegt. Mit Ausnahme der Wormser Gemeinde gingen sie vor allem auf das Wirken des aus Straßburg ausgewiesenen Täuferpredigers Hans Denck (1495–1527) zurück, der sich 1527 einige Zeit in der Kurpfalz aufhielt. Im Anschluss an das durch Kaiser Karl V. 1528 erlassene Täuferedikt kam es wie in anderen Regionen des Reiches auch in der Kurpfalz zu blutigen Verfolgungen mit zahlreichen Hinrichtungen; allerdings währte diese Phase vergleichsweise kurz: Nach 1529 beschränkte man sich in der Praxis offenbar auf Gefängnis und Landesverweis als äußerste Strafmaßnahmen gegen bekennende Täufer, woran auch die Ereignisse in Münster 1533–1535 nichts änderten. 193 Vgl. Bierma, Doctrine, 31–39. 194 Die im Protocoll mitabgedruckte Vorrede und das Ausschreiben Friedrichs III. weisen im Gegensatz zum eigentlichen Gesprächsprotokoll keine Seitennummerierungen auf. Aus der Vorrede entnommene Zitate werden daher unter Angabe der Folionummer aufgeführt. Zum Frankenthaler Gespräch allgemein vgl. Yoder, Debate; Greulich, Religionsgespräch; Güß, Regierung, 73–88; Hege, Täufer, 32–51; Schmidt, Religionsgespräch; Benrath, Dathenus, 379–383 und van den Belt, Spirituality, 54–58. Einen Überblick über die wichtigsten Themen des Gesprächs gibt van’t Spijker, Dathenus (mein Dank gilt dem Verein für Pfälzische Kirchengeschichte für die Möglichkeit der vorzeitigen Einsichtnahme in das Manuskript). 195 Zu den Täufern in der Kurpfalz vgl. allgemein Güß, Regierung; QGT IV; sowie Hege, Täufer.
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Unter Kurfürst Ottheinrich trat neben der ständig präsenten Sorge vor Unruhe und Aufruhr im Volk die Rückgewinnung der „armen verfurten leuten“196 als dezidiert religiöses Motiv ins Zentrum der kurfürstlichen Täuferpolitik. Insbesondere von Seiten der kurpfälzischen Theologen wurde ein mildes Vorgehen empfohlen: Weltliche Strafe sollte als ultima ratio bei renitenten Täufern nach wie vor angewendet werden, jedoch sollten zuvor alle Möglichkeiten der gutwilligen Unterweisung ausgeschöpft werden. Noch besser sei es, wenn den Täufern durch vorbildlichen Lebenswandel von Pfarrern und Amtsleuten sowie durch die rechte Verkündigung des Wortes gar keine Gelegenheit gegeben werde, Fuß zu fassen.197 Ebenfalls in die Regierungszeit Ottheinrichs fiel das erste Religionsgespräch mit den Täufern in der Kurpfalz. Auf Bitten mehrerer Vorsteher kurpfälzischer Täufergemeinden veranstaltete der Kurfürst 1557 in Pfeddersheim bei Worms ein Kolloquium mit ca. 40 Täufern, das aus Sicht der Teilnehmer beider Parteien allerdings nicht zu den gewünschten Ergebnissen führte.198 In der Folge kam es zu einer relativen Verschärfung des Vorgehens gegen die Täufer, insbesondere bei der Anwendung von Haftstrafen und Ausweisungen. Aber auch der negative Verlauf des Pfeddersheimer Gesprächs änderte nichts an der grundsätzlichen Zurückhaltung Ottheinrichs gegenüber einer allzu rigorosen Anwendung der Todesstrafe. Dies ist insofern bemerkenswert, als ein härteres Durchgreifen ihm einerseits durch kaiserliches Edikt rechtlich vorgegeben, andererseits durch ein auf dem Wormser Religionsgespräch 1557 von Melanchthon abgefasstes Gutachten auch aus theologischer Sicht empfohlen war.199 Eine gewisse Mäßigung im Hinblick auf die obrigkeitliche Verfolgung blieb auch nach dem Regierungsantritt Friedrichs III. Kennzeichen der kurpfälzischen Täuferpolitik. Wie für seinen Vorgänger stellte dabei für Friedrich die Sorge um den religiösen Wandel seiner Untertanen und die Mehrung ihrer Gotteserkenntnis das bestimmende Motiv dar. Oberstes Ziel war es, das einfache Volk vor „falscher und verführerischer lehr“ zu bewahren.200 Stärker als Ottheinrich scheint Friedrich allerdings bereit gewesen zu sein, zur Durchsetzung dieses Zieles auf polizeiliche Gewalt zurückzugreifen. Darauf lassen die umfangreichen Anweisungen der kurfürstlichen Instruktion an die Amtleute von 1568 schließen, die detailliert regeln, wie von Seiten der Behörden mit den
196 Vgl. den Erlaß Ottheinrichs gegen die Wiedertäufer vom 25. Januar 1558, QGT IV, 155. 197 Vgl. die Instruktion der kurpfälzischen Kirchenräte und Gutachten der Superattendenten über das Vorgehen gegen Wiedertäufer und Schwenckfeldianer, QGT IV, 148–151. 198 Vgl. den Erlaß Ottheinrichs gegen die Wiedertäufer vom 25. Januar 1558, QGT IV, 155–159. 199 Vgl. Güß, Regierung, 55–60. 200 Vgl. Friedrichs Gemeiner beuelch der widerteuffer halben a. 63 in alle ampt außganngen, QGT IV, 162.
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Täufern umzugehen sei.201 Die vorgegebenen Maßnahmen wurden in den Jahren bis 1570 mit unterschiedlicher Konsequenz durchgeführt; viele Fälle wurden von Friedrich offenbar situativ nach dem Grundsatz der Billigkeit entschieden.202 Einen Wandel in Friedrichs Täuferpolitik bedeutet das im Jahr 1571 in Frankenthal angesetzte Religionsgespräch: Die Ausschreibung erfolgte im Mai und richtete sich an die Vertreter der wichtigsten kurpfälzischen Täufergemeinden. Diesen wurde Kost und Logis während des Gesprächs zugesichert, darüber hinaus freies Geleit innerhalb der Landesgrenzen bis zu zwei Wochen vor und nach dessen Abhaltung. Zweck des Gesprächs sei es, so das kurfürstliche Ausschreiben vom 10. April desselben Jahres, die Täufer „durch freundliche underredung die Artickel unserer Christlichen Lehr und ordnungen zuerklären, und denen so […] aus einfalt uns mißverstand, sich von unsern kirchen biß daher abgesöndert, alle Christliche mittel und weg, sich wider zu denselben zubegeben, auffzuthun“.203 Bereits aus der Wortwahl der Ausschreibung erhellt, dass es bei dem Frankenthaler Gespräch in keiner Weise um die Herstellung eines theologischen Konsenses mit den Täufern ging. Erklärtes Ziel war es vielmehr, die abgefallenen Täufer für die eine Wahrheit, wie sie zuerst in der Schrift und dann in den Glaubensdokumenten der kurpfälzischen Kirche festgehalten war, zurückzugewinnen.204 2.2.2 Dathenus’ Bedeutung für das Frankenthaler Religionsgespräch Es ist bemerkenswert, dass Friedrich 1571 anders als in den Jahren zuvor ein öffentliches Religionsgespräch als das geeignete Mittel ansah, mit dem Täuferproblem umzugehen. In der Forschungsliteratur werden dafür drei verschiedene, sich teilweise ergänzende Erklärungen angeführt: erstens das generelle Interesse des Kurfürsten an der Herstellung der religiösen Einheit in der Kurpfalz, zweitens der Einfluss seines Sohnes Johann Casimir (1543–1592),205 und Vgl. hierzu insbesondere Güß, Regierung, 65. Vgl. a. a. O., 67–71. Protocoll, f. [b4]r. Vgl. die entsprechenden Passagen in der durch Christoph Ehem gehaltenen Eröffnungsrede des Gesprächs: „Dieweil aber solches [sc. die Rückker der Täufer zur Kirche] von ihnen verblieben, und nicht erhalten werden mögen, sonder vil mehr ihre Churf. G. mit höchster bekümmernuß teglichen sehen und hören müssen, daß sie sich nicht allein von derselben kirchen abgesöndert, andere mit sich abgefüret, sonder auch in derselben außgangnen und publicierten Kirchen, und anderen Ordnungen, allerhand fehl und mängel gestraffet, dagegen ihre Lehr als für recht außgebreitet, und sich zum offtermaln beklagt, daß sie ihrer meinung und Lehr halben nit genugsam gehört, sonder verdampt und verfolgt worden, So haben jre Churf. G. vermög alten Apostolischen Proceß und Lehre, dises Christlich Gesprech frey vor aller meniglich angestellet, die warheit dardurch an tag zu bringen.“ (Protocoll, 3) 205 Einen Einfluss Casimirs auf Friedrich in der Frage des Umgangs mit den Täufern deutet
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drittens die Wahrnehmung, dass sich das Täufertum trotz der behördlichen Maßnahmen in den vorhergehenden Jahren stärker ausgebreitet hatte.206 Alle diese Punkte haben ihren Anhalt an den Quellen und werden in mehr oder weniger großem Umfang die Beweggründe Friedrichs widerspiegeln. Unter dem Eindruck der überragenden historischen Gestalt des Kurfürsten dürfte in der Literatur allerdings die Bedeutung, die Petrus Dathenus nicht nur während, sondern auch im Vorfeld des Frankenthaler Gesprächs für dessen Zustandekommen zukam, deutlich zu gering eingeschätzt worden sein. So wurde es zwar seit je wahrgenommen, dass Dathenus, der seit 1568 als Hofprediger im Dienste des Kurfürsten tätig war, während des Gesprächs beinahe allein die Seite der kurpfälzischen Theologen vertrat.207 Aber schon der Tagungsort Frankenthal hätte zu der weitergehenden Vermutung Anlass geben können, dass der Niederländer bereits im Vorfeld maßgeblich an der Organisation des Gesprächs beteiligt war. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Blick auf die Liste der Unterzeichner des Gesprächsprokolls. Von den dort aufgeführten sieben kurpfälzischen Theologen stammten neben Dathenus noch zwei weitere aus den Niederlanden: Gerardus Verstegus208 (ca. 1520–1572) und Petrus Colonius.209 Legt man das separat überlieferte Verzeichnis der pfälzischen Abgeordneten210 zugrunde so wären noch Gaspar van der Heyden und Arnold Crusius211 (1547– 1605) zu nennen, die gemeinsam mit Dathenus in Frankenthal tätig waren. Der Anteil an niederländischen Theologen unter den Gesprächsteilnehmern war also hoch und es drängt sich der Verdacht auf, dass Dathenus bei der Auswahl der Disputanten zumindest in Teilen seine Hand im Spiel hatte. Bei fast allen dieser Theologen steht zu vermuten, dass sie sich bereits in den Niederlanden mit dem Täufertum auseinandergesetzt hatten und von daher für die Teilnahme am Frankenthaler Gespräch qualifiziert waren. Was läge näher, als dass ihr Lands-
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Hege mit dem seinem Kapitel über das Frankenthaler Gespräch unmittelbar vorangestellten Auszug aus einem Schreiben Casimirs an Friedrich vom 23. Januar 1566 an. Vgl. Hege, Täufer, 110–112. So Güß mit Verweis auf das Mandat des Straßburger Rates zum Frankenthaler Gespräch und auf ein Schreiben Friedrichs an Johann Friedrich II. vom 18. Juni 1571; vgl. Güß, Regierung, 73f. Von den übrigen anwesenden Theologen äußerten sich lediglich Petrus Colonius und Gerhardus Verstegus einige Male in kurzen Einwürfen, vgl. dazu die tabellarische Aufstellung der Redeanteile bei Yoder, Debate, 35. Zur Biographie vgl. Bockmühl, Verstegus, 16. Vgl. Protocoll, 705. Zu Petrus Colonius vgl. Nauta, Art. Colonius (BLGBP); Bopp, Geistlichen, 104. Nicht damit zusammen stimmen die Angaben bei Slee, Art. Ceulen (ADB). Vgl. QGT IV, 181f. Zu Arnold Crusius bzw. Arent Cornelisz und seiner Bedeutung für die niederländische Kirche in den Folgejahren vgl. Nijenhuis, Art. Cornelisz (BLGNP).
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mann Dathenus sie aus seiner Funktion als Hofprediger heraus für die Teilnahme am Gespräch empfohlen hatte? Eine besondere Qualifikation zur Disputation mit den Täufern besaß wohl auch Dathenus. Mit Blick auf die von ihm während des Frankenthaler Gesprächs zitierte – überwiegend niederländische – Täuferliteratur bezeichnet Güß ihn als einen „Experten in der Täuferfrage“, der seine Täufererfahrungen bereits in den Niederlanden gesammelt habe.“212 Dieses Urteil ist sicherlich richtig, kann es sich doch nicht allein auf Dathenus’ Reisen in die Niederlande stützen, durch die er mit der religiösen Situation dort bestens vertraut war, sondern auch auf seine theologische Auseinandersetzung mit dem Täufertum in der Verantwoordinghe. Im Kontext des Frankenthaler Gesprächs fällt dabei besonders ins Auge, dass Dathenus bereits 1559 eine Empfehlung für den Umgang mit den Täufern aussprach: Wenn die Fürsten und Obrigkeiten meinen, diese Sekte [sc. die Täufer] mit Verfolgung auszureißen, irren sie darin, denn die Erfahrung lehrt, wie wenig sie so in langer Zeit mit Verfolgen gewonnen haben. Aber wollten sie die Länder, die ihnen von Gott zu beschirmen und zu regieren anvertraut sind, rein halten von derlei Sekten, so sollten sie ihre Kirche wie die Könige Hiskia und Josia säubern von aller Abgötterei und unreiner menschlicher Lehre und dagegen das reine Wort der Apostel und Propheten, wie es dieselben erklärt und es die Väter der ersten und reinsten Kirche verstanden haben, predigen lassen; und daraufhin die Wiedertäufer lassen öffentlich disputieren und besiegt werden. Also sollten auch alle anderen Sekten zerstäuben, wie die Spreu vorm Wind; denn sie kommen nicht gerne ins Licht, auf dass sie vom Licht nicht gestraft werden. Gott gebe, dass solches schnell geschehe, auf dass wir alle mit einem Munde Gott von Herzen preisen mögen. Amen.”213
Man kann diesen Abschnitt geradezu als das Programm einer Täuferpolitik in nuce lesen: Dem Phänomen des Täufertums soll in drei aufeinander aufbauenden Schritten begegnet werden, nämlich erstens durch die Abstellung der 212 Vgl. Güß, Regierung, 77; vgl. auch die von Güß angehängte Aufstellung der von Dathenus zitierten Täuferliteratur (a. a. O., 137). 213 „Daerin dat de Princen ende Ouerheyden, met veruolghen dese seckte [sc. de Wederdoopers] meynen wt te roepen, sy dwalen daer in, want die experie[n]tie leert, hoe weynich dat sy dus langhe met veruolghen ghewonnen hebben. Maer wilden sy die landen die he[n] van Godt te beschermen en[n] regeeren toe betrout sijn suyuer hebben van alderley seckten, soo souden sy haer kercke[n] na dat exempel der Coninghen Hezechie en[n] Josie suyueren van alle afgoderie en[n] onreyne menschlijcke leeringe, en[n] ter contrarie dat reyne woort der Apostelen ende Prophete[n], alsoot hemseluen verclaert, ende die Vaders der eerster ende reynster kercke verstae[n] hebben, laten prediken. En[n] dan de Wederdoopers opentlijck laten disputeren ende ouerwonnen werden. Also souden sy en[n] alle ander seckten verstuyuen, ghelijc het caf voor den wint, want sy commen niet gheerne int lichte, op dat sy van den lichte niet ghestraften werden. Godt gheue dat sulcr [sic!] haestelijcke gheschiede, op dat wy alle met eene[n] monde Godt van herten prijsen mogen. Amen.“ (Dathenus, Verantwoordinghe, 66f)
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Verfolgungen; zweitens durch die Abschaffung der Abgötterei nach dem Vorbild der alttestamentlichen Könige Hiskia und Josia und der Aufrichtung des „reinen Wortes der Apostel und Propheten“; drittens, nachdem die ersten beiden Schritte vollzogen sind, durch die endgültige Überwindung des Täufertums in Disputationen, die „diese Sekte“ öffentlich dem Licht der Wahrheit aussetzen. Versucht man, die kurpfälzische Religionspolitik in der Zeit vor dem Frankenthaler Gespräch aus der Perspektive dieses Programmes zu bewerten, so lässt sich erstens festhalten, dass blutige Verfolgungen der Täufer in der Kurpfalz unter Friedrich III. (ganz in der Tradition der Täuferpolitik Ottheinrichs) nicht stattfanden; dass man zweitens mit der Kurpfälzischen Kirchenordnung von 1563 und der nach längeren Auseinandersetzungen 1570 eingeführten Ordnung zur Kirchenzucht die Säuberung des Landes von „Abgötterei und unreiner menschlicher Lehre“, sowie die Aufrichtung des „reinen Wortes der Apostel und Propheten“ durch den „neuen Josia“ Friedrich bis zu einem gewissen Grade als abgeschlossen hatte ansehen können; und dass damit aus Dathenus Sicht drittens die Voraussetzungen als erfüllt angesehen werden könnten, durch die Abhaltung von Disputationen das Täufertum mit dem „reinen Wort“ zu konfrontieren und dessen Irrtum vor aller Augen offenzulegen. Genau diesem Zweck dürfte aus der Perspektive des Niederländers das Gespräch in Frankenthal gedient haben. Über diese frühen programmatischen Überlegungen zur Abhaltung einer Disputation mit den Täufern hinaus lässt sich ein unmittelbarer Einfluss von Dathenus auf die in dem Ausschreiben Friedrichs angesetzte Gesprächsagenda nachweisen. Bereits an dritter Stelle, im Anschluss an die hermeneutische Fundamentalfrage nach der richtigen Verhältnisbestimmung von Altem und Neuem Testament und an die Besprechung der Gotteslehre, sollte das Thema abgehandelt werden: „Ob Christus das wesen seines fleisches auß der substantz des fleisches der Jungfrawen Marie, oder anderßwo angenommen habe.“214 Auffällig ist die spezifische Formulierung: Nicht direkt die Zwei-NaturenLehre, sondern die Frage nach der Inkarnation und dem ontologischen Status des „Fleisches“ Jesu (aus der Jungfrau Maria oder anderswoher), waren das Problem, über das mit den Täufern disputiert werden sollte. In der Tat hatten Melchior Hofmann (gest. 1543) und in dessen Nachfolge vor allem Menno Simons (1496–1561) die Auffassung vertreten, Jesus habe sein Fleisch nicht von Maria, sondern unmittelbar von Gott her empfangen.215 Diese von den niederländischen Reformierten als doketischer Monophysitismus gewertete Anschauung entwickelte sich zu einer der zentralen Streitfragen mit den Täufern in den Niederlanden (neben Bann, Stellung zur Obrigkeit, und natürlich der Frage 214 Protocoll, f. cv. 215 Vgl. Zijlstra, Gemeente, 226f.
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der Kindertaufe).216 Niemand anderes als Johannes a Lasco217 und später Marten Micron218 disputierten mit Simons über das Problem der Inkarnation und der Herkunft des Fleisches Christi und es ist davon auszugehen, dass es Dathenus war, der auf dem Hintergrund der Debatten seiner Glaubensbrüder diesen dritten Punkt mit seiner spezifischen Formulierung in die Agenda des Frankenthaler Gesprächs einbrachte – wenn er nicht sogar als der Urheber der ganzen Agenda anzusehen ist. Dathenus’ Einfluss schon auf das Zustandekommen des Gesprächs in Frankenthal könnte darüber hinaus eine Äußerung von Thomas Erastus über das anstehende Gespräch belegen. Erastus war im kurpfälzischen Streit um die Kirchenzucht als entschiedener Gegner der Partei aufgetreten, die die Ausübung der Zucht ausschließlich in der Verantwortung der Kirche sehen wollte und zu der als profilierter Vertreter auch Dathenus gehörte.219 Vernichtend ist nun aber das Urteil, das Erastus gegenüber Heinrich Bullinger über das anstehende Frankenthaler Gespräch äußert: „Als Redner haben sie ungebildete, ungeeignete, jugendliche Leute220, die niemals solche [sc. Täufer] gesehen haben. Mit Gelächter und größter Schande für den Kurfürsten wird diese Geschichte enden. Aber man mahnt vergeblich […]. Wenn das vortreffliche, angefangene Gespräch mit den Wiedertäufern, die keinesfalls Kinder sind, sondern verschlagene, heimtückische und unverschämte Nichtsnutze, beendet ist, werde ich dir den Ausgang der ganzen Sache anzeigen […]. In der Kirchenzucht haben sie sich ihnen angenähert, wodurch ihre Hoffnungen gemehrt wurden, dass man sich in anderen Dingen auch annähern werde. Auch wäre es nicht verwunderlich, wenn einige unter den Gesprächsteilnehmern keine geringeren Wiedertäufer wären als jene, die sie herausfordern.“221
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Vgl. ebd. Vgl. a Lasco, Defensio adversus Mennonem Simonem, Kuyper I, 3–60. Vgl. Mikron, Een waerachtigh verhaal. Das Zerbrechen des reformierten Grundkonsenses in Heidelberg und die immer schärfer werdenden Spannungen zwischen den Parteien, die schließlich in der „Exkommunikation“ Thomas Erastus’ gipfelten, schildert ausführlich Gunnoe, Erastus, 173–256. Zum Streit um die Kirchenzucht vgl. die S. 162 Anm. 293 angegebene Literatur. Zeugnis von Dathenus’ deutlichen Antipathien gegen den Schweizer Arzt geben seine Briefe an Beza vom 23. Mai und 5. November 1570 (CTB 11, 140–143 bzw. 290–294), sowie sein Schreiben an Bullinger vom 9. Mai 1570 (van Schelven, Vluchtelingenkerken, 413–415). Umgekehrt scheute sich Erastus nicht, gegenüber Bullinger Stimmung gegen die niederländischen Immigranten zu machen; vgl. seine Briefe vom 4. Februar und 21. März 1570, auszugsweise zitiert bei van Schelven, Vluchtelingenkerken, 250 bzw. 258. 220 Der Vorwurf der jugendlichen Unerfahrenheit stellte für Erastus offenbar einen beliebten Topos in der Auseinandersetzung mit seinen Gegnern dar : Vgl. die ganze ähnliche Beschreibung Olevianus’ in Erastus’ Brief an Bullinger vom 28. März 1567, auszugsweise wiedergegeben bei Gunnoe, Erastus, 153. 221 „Collocutores habent homines rudes, ineptos, iuvenes qui nunquam viderunt tales. Cum risu finietur haec fabula et summo principis dedecore. Sed frustra monetur […]. Finita
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Auch wenn Dathenus nicht namentlich erwähnt ist, dürfte deutlich sein, auf wen diese Spitzen abzielen. Erastus’ negative Äußerungen über das Religionsgespräch scheinen in entscheidendem Maße durch die beteiligten Personen und deren Haltung in der Kirchenzuchtfrage bestimmt zu sein; ja es sind ebenjene Gegner im Streit um die Kirchenzucht, die aus der Sicht des Erastus nun als die Protagonisten des Frankenthaler Gesprächs auftreten. Es ist bezeichnend, dass der Schweizer Arzt das Gespräch mit den Täufern ausschließlich als Unternehmen seiner Gegner wahrnahm – und das, obwohl das Thema der Kirchenzucht weder im Ausschreiben Friedrichs III. erwähnt wird, noch im weiteren Gesprächsverlauf selbst eine Rolle spielte. Nimmt man die genannten Punkte zusammen – Dathenus’ dominierende Rolle während des Gesprächs, seine zu vermutende Beteiligung bei der Auswahl der kurpfälzischen Kolloquenten, die Übereinstimmungen der Religionspolitik Friedrichs III. mit seinen eigenen Vorstellungen vom Umgang mit den Täufern, sein offenkundiger Einfluss auf die Agenda, die abfällige Äußerung seines Gegners Erastus, zu guter Letzt auch die Wahl Frankenthals als Gesprächsort – so lässt dies den Schluss zu, dass das Frankenthaler Gespräch mit den Täufern mindestens ebenso sehr als ein Projekt von Dathenus wie von Friedrich III. anzusehen ist. Ob Friedrich darüber hinaus gar den entscheidenden Impuls zur Abhaltung der Disputation von seinem Hofprediger empfangen hat, lässt sich in Ermangelung entsprechender Quellenaussagen nicht mit Sicherheit belegen – in das Bild, das uns von dem Gespräch überliefert ist, würde es sich aber stimmig einfügen.
2.2.3 Die systematische Stellung der Inkarnation bei Dathenus Die Inkarnationslehre und die mit ihr einhergehende Frage nach dem „Woher“ des „Fleisches und Blutes Jesu“ stellte für die Theologen um Johannes a Lasco und Marten Micron eine der zentralen Scheidelinien zum mennonitisch geprägten Täufertum dar. Wie gesehen maß ihr Dathenus so große Bedeutung bei, dass er sie während des Frankenthaler Gesprächs in einem eigenen Punkt behandelte, obgleich die in Frankenthal anwesenden Täufer, wie sich im Gesprächsverlauf herausstellte, nicht in mennonitischer Tradition standen und die Relevanz der spezifischen Fragestellung überhaupt erst nach weitschweifigen Erklärungen der kurpfälzischen Kolloquenten nachvollziehen konnten.222 Welpraeclara inchoata disputatione, cum anabaptistis, qui minime sunt pueri, sed versuti, callidi, impudentes nebulones, significabo tibi eventum totius rei. […] In disciplina eis accesserunt, ex quo spes eorum auctae sunt, fore ut in aliis etiam accedant. Nec mirum sit, cum ex disputatoribus aliqui non minores sint anabaptistae illis quos provocarunt.“ (zitiert nach QGT IV, 196 Anm. 1) 222 Vgl. Protocoll, 171, vgl. dazu auch van den Belt, Spirituality, 55f.
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chen systematisch-theologischen Grund hatte Dathenus aber, in dieser Sache einen Akzent zu setzen? Schon in seiner Verantwoordinghe findet sich der gegen die Täufer gerichtete Vorwurf, mit der Leugnung der wahren menschliche Natur Jesu sei letztlich das Fundament jeder Soteriologie angegriffen.223 Wenn Christus nicht wahrer Mensch ist – und das impliziert für Dathenus notwendig: Wenn Christus nicht sein Fleisch von der Jungfrau Maria angenommen hatte –, so kann er nicht der wahre Mittler zwischen Gott und Mensch sein. Im Protocoll finden wir nun genau diesen Aspekt weiter erläutert: „Daß wir aber auff disen Artickel so hart dringen, darzu zwingt uns die gantze heilige Schrift, auß welcher Paulus einen kurzen außzug gemacht hat, inn dem andern Brief an Thimoteum am 2. Capitel […]. Damit lehret er, daß die haupt artickel und fürnembste stück seiner Lehr dies gewesen sein: Erstlich, Daß Christus von den todten aufferstanden sey, Unnd zum andern, daß er sey auß dem Samen Dauids, wie er sich anderswo weiter erkläret. Unnd in disem Artickel besteht unser trost. Dann so Christus nit unser fleisch und blut (doch ohne sünde) hett angenommen, So ist der zorn straffe Gottes, welche unserm fleisch aufferlegt war, Genes. 3 noch nit von uns genommen, unnd ist der gerechtigkeit Gottes noch nit gnug geschehen.“224
Dathenus interpretiert 2. Tim 2,8 ganz im Sinne der Zwei-Naturen-Lehre: Neben Jesu Auferstehung von den Toten ist die Inkarnation („auß dem Samen Dauids“) das entscheidende soteriologische Moment des christlichen Glaubens. Dabei ist jedoch auffällig, dass Dathenus die Zusage des Trostes mit einer substanzontologischen Aussage über das Fleisch Christi verknüpft, nicht, wie man es vielleicht erwarten könnte, mit seinem satisfaktorischen Heilshandeln. Alles Gewicht liegt darauf, dass es „unser fleisch und blut“ ist, das Christus angenommen hat. Das wird explizit als Voraussetzung jeder Satisfaktionstheologie festgehalten: […] dieweil Gottes gerechtigkeit erfordert hat, daß das fleisch leiden, unnd sterben solte, darinn die sünde begangen war, Und aber ein sündlich fleisch auß den todten nit aufferstehen, unnd also den tod zuüberwinden nit dienlich sein köndte, darmit Gottes gerechtigkeit gnug geschehen, unnd uns geholffen werden möchte, Ist ein solcher mensch von nöten gewesen, der unsers fleisch und bluts were, und darneben gerecht, und ohne sünde, wie an die hebreer am 2. 4. und 7. Capitel gelehret wirt. Damit nun Christus dann warer mensch, das ist, des fleisch und bluts teilhafftig, […] sein köndte, Ists von nöten gewesen, daß er auß der Jungfrawen Maria, ein warer mensch geboren würde.“225
223 Vgl. Dathenus, Verantwoordinghe, f. 63r. 224 Protocoll, 162. 225 A. a. O., 180.
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Die Marginalie des Protocolls ergänzt dazu: „Der Mittler Christus Jesus, hat solle[n] ein warer, und ein grechter mensch sein.“226 Die menschliche Natur Christi muss also vollumfänglich neben seiner göttlichen Natur ausgesagt werden, weil Christus nur so sinnvoll als der wahre Mittler zwischen Mensch und Gott verstanden ist. An diese antimonophysitische Aussage lagert sich die deutliche Hervorhebung der Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria: „Damit er aber ein heiliger mensch, und ohne sünd were, unnd also volgends allein für unser sünden bezalen, unnd gnug thun köndte, Ist von nöten gewesen, daß der H. Geist Mariam gebenedeiet, und geheiligt, und daß die krafft Gottes sie uberschattet habe, damit sie also ein Jungfraw bleiben, unnd dannoch einen waren menschen gebären möcht, welchs der Natur unmöglich ist, der gleichwol die gebenedeite frucht ihres leibs, wie Luce am 1. Cap. darnach sagt, und wie Petrus sagt Actor. Am 2. die frucht der lenden Dauids, so vil daß fleisch anlangt, were.“227
Es ist deutlich, dass Dathenus sich hier in den theologischen Bahnen Calvins bewegt228 : Maria ist die Instanz, die das wahre Menschsein Jesu verbürgt. Die Geburt gibt den theologischen „Ort“ an, von dem aus die Zwei-Naturen-Lehre zu entfalten ist. Reduziert man demgegenüber die Mittlerschaft Jesu einzig auf seine Heiligkeit und Gerechtigkeit und versucht, die Konsequenzen der Inkarnationsaussage aufzuweichen, so spricht man Christus die menschliche Natur im vollen Sinne ab und beraubt die Christen des Trostes, der ihnen aus seiner vor Gott geleisteten Genugtuung erwächst. Eine solche Auflösung der soteriologischen Relevanz der menschlichen Natur Christi stellt für Dathenus die Inkarnationsauffassung Menno Simons’ dar, wenn dieser mit Verweis auf die Logoschristologie den Ursprung des Fleisches Jesu nicht in der Jungfrau Maria, sondern unmittelbar in Gott selbst sucht. Simons setzt den soteriologischen Schwerpunkt der Inkarnation ganz konträr : Wenn das Fleisch Christi von der Jungfrau Maria stammte, so wäre aufgrund der Sündhaftigkeit des Fleisches Christus selbst notwendig unrein und könne gerade nicht als der sündlose Mittler zwischen Gott und Mensch fungieren.229 Anders ausgedrückt: Nicht, dass Gott in Christus Mensch geworden ist, ist für Simons im Gegensatz zu a Lasco, Micron und Dathenus die zentrale Aussage der Inkarnationslehre, sondern dass Gott in Christus Mensch geworden ist. Ihr tröstender Gehalt liegt dann gerade darin, dass es nicht das irdische Fleisch Adams, sondern das himmlische und unschuldige Fleisch Christi war, das durch 226 227 228 229
Ebd. Protocoll, 180f. Vgl. Calvin, Institutio, CR 30 (CO 2), 347–352 und C 49–53. „Ten tweeden maeckt ghy eenen onreynen ende zondighen Christum wt onzen onreynen ende verulouckte vleesche.“ (Mikron, Een waerachtigh verhaal, Dankbaar, 42)
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seinen Tod den Zorn Gottes gestillt hat.230 Eine soteriologische Bedeutung der Geburt Christi aus der Jungfrau Maria muss in dieser Konzeption notwendig bestritten werden; die Rolle von Maria bei der Inkarnation tritt zurück, ihre Funktion reduziert sich auf die des Ackers, der die Saat wachsen lässt, aber selbst nichts „wesentliches“ zur Frucht beiträgt.231 Es verwundert nach dem Gesagten kaum, dass Dathenus’ Aussagen zur Inkarnation während des Frankenthaler Gesprächs auffällig an die Fragenreihe aus L zu diesem Thema (L 138–146) erinnern: Die Geburt aus der Jungfrau Maria wird als das Fundament der gesamten Soteriologie verstanden (L 142),232 denn ohne die Teilhabe an ihrem Fleisch und Blut bliebe das gesamte Heilswerk Christi für den Menschen bedeutungslos (L 141). Die Zwei-Naturen-Lehre wird deshalb so entfaltet, dass sie nicht nur das wahre Menschsein Jesu, sondern auch die Teilhabe am Fleisch und Blut des Menschen zur Geltung bringt (L 140 und L 144). Nur auf Grund dieser substantiellen Teilhabe könne Christus von den Menschen mit Recht „Bruder“ genannt werden (L 146). Die Auseinandersetzung mit dem mennonitischen Täufertum um die Inkarnation führte bei den Theologen aus dem Kreis um Johannes a Lasco zu einer gesteigerten Betonung der calvinischen Inkarnationstheologie mit ihrem Interesse an der Herkunft der Substanz des Fleisches Jesu und der Geburt aus der Jungfrau Maria. Auf dem Hintergrund der Satisfaktionstheologie wurde die Mittlerfunktion Jesu gerade an die substantielle Identität des Fleisches Jesu mit dem Fleisch Marias geknüpft; diese Identität gewinnt selbst soteriologische Relevanz: An ihr hängt zuerst der Trost der Gläubigen, weil er allem Heilshandeln Christi logisch vorausgeht233 – eine Konsequenz die Calvin selbst in dieser Schärfe nicht zieht. Bei Dathenus zeichnet sich dieser Zusammenhang bereits 1559 in der Verantwoordinghe ab und kommt dann 1571 im Frankenthaler Gespräch zur breiten Entfaltung.
230 „Adam glaubte es und ist getröstet worden […]. Es hat also nicht das irdische, schuldige, übertretende, verfluchte und sterbliche Fleisch Adams Gottes Gerechtigkeit befriedigt und seinen Zorn gestillt, wie ihr sagt; sondern nur das himmlische, unschuldige, gehorsame, gebenedeite und lebendigmachende Fleisch Christi“ (Simons, Bekenntnis, Werke, 477) 231 Vgl. Simons, Bekenntniß, Werke, 475. Im Hintergrund dürfte wohl die letztlich auf Aristoteles zurückgehende Auffassung stehen, die Frau sei bei der Zeugung des Kindes lediglich in passiver Funktion beteiligt, vgl. Voolstra, Woord, 156–158. 232 „[…] Wat souden wij sekers hebben oft segghen moghen van het cruce, doot, opsta[n]dinghe, leuen ende verdommenisse. Ja de gansche Scrifture, de mont Gods en[n] de Godlycke waerheyt moeste ons onseker werde[n].“ (L 142) 233 Zu einem ganz ähnlichen Urteil gelangt Falkenroth im Hinblick auf die Inkarnationstheologie a Lascos: „Natürlich geschieht die Rechtfertigung durch Christi Leiden, Tod und Auferstehung, aber die Basis für dieses Geschehen bleibt unser Fleisch, und darum ist die Inkarnation das Primäre.“ (Falkenroth, Gestalt, 27)
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2.2.4 Inkarnation im Heidelberger Katechismus (HK 35–36) Bei der dem Vergleich von HK 35–36 mit den laskonischen Katechismen wurde festgehalten, dass die Fr zwar unmittelbar auf Mi 23 zurückgehen, zur Deutung der Ergänzungen der zweiten Ausgabe des HK – insbesondere des Mittlerprädikates – jedoch mehrere Alternativen in Betracht zu ziehen sind. Sicher erschien lediglich, dass hier calvinische Tradition aufgenommen wird. Angesichts der soteriologischen Bedeutung von Inkarnation und Geburt Jesu in Dathenus’ Theologie soll im Folgenden gefragt werden, ob möglicherweise Dathenus diese Tradition in die zweite Ausgabe des HK eingebracht hat. In der Forschung existieren, soweit ich sehen kann, zwei Thesen, die diese Abweichungen der zweiten Ausgabe zu erklären suchen. Die an dieser Stelle zuerst behandelte, jedoch erst später von Walter Hollweg eingeführte und seitdem vielfach rezipierte These sieht Caspar Olevianus als den Urheber der Einfügungen von HK 36.234 Aus einem Brief von Dathenus an Theodor Beza vom 5. November 1570235 geht hervor, dass in dieser Zeit unter den kurpfälzischen Theologen just um HK 36 ein Konflikt aufbrach: Dathenus berichtet, dass Olevianus den Katechismus in der Frage der Empfängnis und Geburt für „unrein“ halte, weil in ihr offenbar der Empfängnis Christi unabhängig von seinem Kreuzestod Heilswirksamkeit zugesprochen würde.236 Dathenus kommentiert dies lakonisch: „Niemand ist so verrückt, dass er der Empfängnis und Geburt Christi für sich allein, das heißt ohne Betrachtung des Todes Christi so große Kraft zuschreiben würde, denn wenn diese allein ausreichend wäre, unsere Sünden zu sühnen und zu bedecken, hätte Christus in der Tat vergeblich den Tod erlitten“237
Demgegenüber vertrat Dathenus gemeinsam mit Johannes Taffinus und Petrus Colonius die Auffassung, der Empfängnis und Geburt Christi müsse Heilswirksamkeit zukommen, da sie zum einen die logische Voraussetzung für seinen 234 Vgl. Hollweg, Untersuchungen I, 149f. Aufgenommen z. B. durch Goeters, in: EKO XIV, 42; Sturm, Ursin, 281 Anm. 181; Latzel, Grundzüge, 122f Anm. 223. 235 Vgl. van Schelven, Vluchtelingenkerken, 416–418. Auszugsweise erneut abgedruckt in Van Schelven, Catechismus, 1–6. 236 Goeters sieht dessen Haltung auf einer Linie mit den bereits 1565 aufgebrochenen Auseinandersetzungen um die Heilsbedeutung der oboedientia Christi activa. Offenbar möchte Olevianus die Ausschließlichkeit der oboedientia passiva, des Kreuzestodes, wahren, indem er gegen jede Formulierung, die im Sinne einer Vorverlagerung der Soteriologie hinein in das Leben Jesu – und sei es in Emfpängnis und Geburt – verstanden werden könnte, ein striktes Veto einlegt. Vgl. Goeters, Olevianus, 308. 237 „Nemo ita insanit, ut conceptioni et nativitati Christi seorsim, hoc est extra mortem Christi consideratis tantam vim tribuabit, nam si haec fuissent expiandis tegendisque peccatis nostris sufficientia, frustra mortem Christus fuissent perpessus“ (Van Schelven, Vluchtelingenkerken, 417)
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Kreuzestod bilde und zum andern mit letzterem durch das theologische Motiv der Erniedrigung Christi zusammgeschlossen sei: „[…] aber jene hochheilige Empfängnis und Geburt Christi ist nicht weniger die Ursache unseres Heils als der Tod selbst; ohne sie hätte der Tod Christi selbst niemals sein und folgen können. Ich meine, dass aus diesem Grund gesagt ist, dass Christus, obwohl er reich ist, unsertwegen arm wurde, damit wir durch die Not desselben reich würden.“238
Der zitierte Brief aus Dathenus’ Feder bildet eine wichtige argumentative Stütze für Hollwegs Kritik an der These, Olevian habe neben Ursinus als der Zweite Hauptverfasser des HK zu gelten: Olevianus’ Anteil an der Überarbeitung des HK habe nicht so umfangreich gewesen sein können, wie in der älteren Forschung vermutet, sonst ließe sich seine spätere kritische Haltung gegen Teile des Katechismus kaum plausibel erklären.239 In diesem Punkt kann seiner Argumentation nur beigestimmt werden. Merkwürdigerweise zieht Hollweg in der Folge allerdings gerade jenen von Dathenus geschilderten Konflikt um Fr 36 als Beleg für Olevianus’ Einfluss auf den HK heran: Es sei niemand anderes als Olevianus gewesen, der durch die Einführung des Mittlerprädikates in Fr 36 den Zusammenhang zum Kreuzestod Jesu herstellen wollte. Deutlich werde dies insbesondere mit Blick auf 1. Tim 2,5f, wo mit dem Hinweis auf die durch den Mittler Christus geschehene Erlösung das „Leiden und Sterben des nach Jerusalem ziehenden Herrn“240 assoziiert werde. Der von Olevianus erst später in vollem Umfang geäußerten Kritik an einer isolierenden Betrachtung der Heilswirksamkeit der Inkarnation wäre somit zumindest in Ansätzen bereits in der 2. Ausgabe des HK Genüge getan worden.241 Anstelle des etwas konstruiert wirkenden Brückenschlages zu 1. Tim 2,5f – die Stelle wird in der Marginalie zu Fr 36 nicht genannt – hätte Hollweg auch einfach auf Olevianus’ Vester Grund verweisen können, wo im Kontext der 238 „[…] sed sanctissimam illam conceptionem Christi et nativitatem non minus salutis nostrae, quam ipsam mortem, esse causam, sine quibus mors ipsa Christi existere et sequi nunquam potuisset. Hac ratione dictum esse arbitror, Christus, cum dives esset, nostra causa pauperem factum esse, ut nos ipsius inopia ditaremur.“ (ebd.) 239 Vgl. Hollweg, Untersuchungen I, 148f. 240 „Die Einführung des Begriffes des ’Mittlers’, der 1. Tim 2, 5f. beschrieben wird als der #mhqypor Wqistºr IgsoOr, a do»r 2aut¹m !mt¸kutqom rp³q p²mtym, eine Aussage, die fast zwingend erinnert an die Aussage des zum Leiden und Sterben nach Jerusalem ziehenden Herrn: er sei gekommen, sein Leben zu geben zu einem k¼tqom !mt· pokk_m (Matth. 20,28), ist ja durchaus geeignet, den Blick auf das Kreuz zu lenken und so der Befürchtung Olevians zu begegnen, als würde das Heilswerk Christi in Frage 36 einseitig auf die einzelne Tatsache der Empfängnis beschränkt, neben die jetzt auch die Geburt gestellt ist und auf diese Weise gleichfalls das Erlösungswerk als einen in fortschreitenden Akten sich vollziehenden Prozeß sichert.“ (a. a. O., 150) 241 Vgl. ebd.
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
Jungfrauengeburt das Mittleramt Jesu breit entfaltet und in der Tat (u. a.) durch Verweise auf das Kreuzesopfer Jesu theologisch gedeutet wird.242 Ohne Zweifel müsste man das Fehlen des Mittlerprädikats in der ursprünglichen Gestalt von Fr 36 aus Olevianus’ Sicht als erhebliches theologisches Defizit werten. Gleichwohl wirft die These Hollwegs gewisse Schwierigkeiten auf. Zunächst stellt sich auf grundsätzlicher Ebene die Frage, warum Olevianus im Jahr 1563 nicht mit mehr Nachdruck darauf gedrungen hatte, Fr 36 in seinem Sinne zu überarbeiten bzw. zu ergänzen, wenn doch dessen Endgestalt ihm sieben Jahre später noch anstößig genug erschien, in der kurpfälzischen Synode einen öffentlichen Streit zu beginnen. Hollweg begründet dies mit dem offiziellen Charakter, den schon die erste Ausgabe des HK besaß und der keine umfassenderen Änderungen mehr zuließ,243 sowie Olevianus’ offenbar geringen Einfluss bei der Abfassung des Katechismus. Zum Ersten ist zu sagen, dass mit HK 80 in der zweiten Ausgabe ein ganzes Fr neu hinzukam – ein Beleg, dass größere Ergänzungen auch nach der Veröffentlichung der ersten Ausgabe sehr wohl möglich waren. Die zweite Begründung, die eher den Charakter einer Einschränkung der eigenen These besitzt, lässt erst recht die Frage aufkommen, ob die Ergänzung von Fr 36 überhaupt mit gutem Grund auf Olevianus zurückgeführt werden kann. Eine zweite, noch einmal mit Blick auf Olevianus’ Vester Grund angestellte Überlegung mag diesen Vorbehalt stützen: Hollweg meint, dass die Hinzufügung der Geburt Christi (zusätzlich zur Empfängnis) in die 36. Frage „[…] das Erlösungswerk als einen in fortschreitenden Akten sich vollziehenden Prozess sichert.“244 Nun zeigt aber gerade Olevianus’ ausführliche Erläuterung zum Artikel von der Empfängnis und Geburt Christi im Vester Grund, dass dessen zweiter Teil, die Geburt, für ihn an dieser Stelle offenbar von minderem Belang war. Zwar wird umfassend erläutert, dass und in welcher Hinsicht Christus „Mittler“ genannt werden könne, jedoch hängt die menschliche Natur für Olevianus offenbar ganz an der Empfängnis Jesu. Das Wort „geboren“ bzw. „Geburt“ findet sich in dem ganzen Abschnitt lediglich dreimal, zweimal in direkten Zitaten des Glaubensartikels245 und ein drittes Mal als Teil einer Aufzählung von Widersprüchen, zu denen aus Olevianus’ Sicht die lutherische Annahme der
242 Vgl. Olevianus, Vester Grund, Gnadenbund, 96–112. Dazu Goeters, Olevianus, 308 und 316f, sowie auführlich ders., in: Gnadenbund, 467–484. 243 „Es liegt in der Natur der Sache, daß an einem solchen Dokument, wie es der Katechismus war, nach seiner offiziellen Einführung nun nicht mehr viel geändert werden konnte.“ (Hollweg, Untersuchugnen I, 149) 244 A. a. O., 150. 245 Vgl. Olevianus, Vester Grund, Gnadenbund, 56 und 58.
Parallelen zum Heidelberger Katechismus
241
„Allenthalbenheit“ führen.246 Dabei ist aufschlussreich, wie Olevianus seine Zurückweisung der Ubiquität begründet: „Denn zwar die persönlich vereinigung der Menschheit unnd Gottheit Christi nur einmal geschehen ist, in mutterleib in der empfengnis, unnd ist kein andere persönliche vereinigung zuvor oder darnach geschehen. Nun ist es aber gewiß, daß in mutterleib, da die persönliche vereinigung geschehen, der leib nur an einem ort, nemlich im leib der jungfrawen, und sonst nirgends in der welt, sichtbar oder unsichtbar gewesen ist.“247
Olevianus denkt die Menschwerdung Jesu offenbar vor allem von der Empfängnis her. Ganz anders als für Dathenus, der im Gespräch zu Frankenthal bei der Entfaltung soteriologischen Bedeutung der Inkarnation den Akzent auf die Geburt legt, ist für Olevianus die Empfängnis der genau bestimmbare Moment, in dem sich die Vereinigung der beiden Naturen Christi vollzieht. Die Geburt ist dann lediglich die notwendige eintretende Folge und besitzt kein eigenes theologisches Gewicht. Es liegt ganz auf dieser Linie, wenn in der HK 36 parallelen Frage aus dem Vester Grund die Geburt Jesu unerwähnt bleibt.248 Angesichts Olevianus’ auffälligen Desinteresses an der Geburt Christi und der problematischen Voraussetzung Hollwegs, dessen Einfluss bei der Überarbeitung des HK hätte gerade soweit – aber nicht weiter! – gereicht, um die knappen Einfügungen in Fr 36 durchzusetzen, scheint mir die These, die Redaktion von Fr 36 ginge maßgeblich auf Olevianus zurück, kaum haltbar. Es ist zu fragen, ob nicht eine zweite, in der Forschung bereits vor Hollweg vertretene, These eine elegantere Erklärung für die Einfügungen liefert. So ließe sich nach August Lang die Ergänzung des Mittlerprädikats durch den Rückgriff auf Ma, insbesondere auf Ma 71 erklären.249 In der Tat entfaltet Ursinus dort auf breitem Raum das Mittlerprädikat in Verbindung mit der Satisfaktionstheologie und in unmittelbarem Kontext der Artikel von der Empfängnis und Geburt Christi (Ma 69) und der mit ihr verknüpften Zwei-Naturen-Lehre (Ma 70ff). Bei Ursinus lässt sich also bereits vor 1563 eben die Position einer soteriologischen Aufwertung der Inkarnation250 feststellen, an der Olevianus dann später nach dem Bericht von Dathenus Anstoß nahm. Es könnte die häufig als theologisches Defizit des HK251 gewertete Auskoppelung der Satisfaktionstheologie aus der Auslegung des zweiten Glaubensartikels in die Fr 11–18 gewesen sein, die Ursinus dazu ver246 Vgl. a. a. O., 71. 247 A. a. O., 72. 248 „Was für trost haben wir auß dieser reinen empfengnis?“ (Olevianus, Vester Grund, Gnadenbund, 57) 249 Vgl. Lang, Katechismus, XC. 250 In dieser Sache offenbar in der Tradition Melanchthons stehend, vgl. Sturm, Ursin, 281. 251 Zur Kritik an einer „apriorischen“ Konstruktion der Satisfaktionstheologie vgl. Lang, Katechismus, LXXXIX; dagegen Barth, Lehre, 42f.
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
anlasste, das Mittlerprädikat nachträglich in Fr 36 einzufügen, um den für ihn einleuchtenden Zusammenhang von Satisfaktion und Inkarnation auf terminologischer Ebene wiederherzustellen. Gegenüber der von Hollweg vertretenen These einer Redaktion des Fr durch Olevianus wäre der letztgenannten Erklärung der Vorzug zu geben, da sie mit wesentlich weniger argumentativen Interpolationen arbeitet. Gleichwohl hat auch sie mit zwei Schwierigkeiten zu kämpfen: Erstens erhebt sich natürlich die Frage, ob Ursinus als der Hauptverfasser des Katechismus nicht unmittelbar Gelegenheit gehabt hätte, Fr 35–36 gleich in seinem Sinne zu formulieren, so dass eine Überarbeitung in der zweiten Ausgabe gar nicht nötig gewesen wäre? In Anbetracht der Analyse des Fr im zweiten Teil der Arbeit stellt sich diese Frage noch einmal verschärft: Denn offenbar hat Ursinus Mi 23 zumindest in Teilen analog zu K 17 gestaltet – jedoch unter Auslassung des dort in zentraler Stellung auftauchenden Mittlerprädikats! Letzteres wird zweitens in der überarbeiteten Ausgabe des HK nun ausgerechnet an einer Stelle eingefügt, wo es in Ma252 nicht auftaucht, nämlich bei der Beschreibung des soteriologischen „Nutzens“ der Inkarnation. Legt man Ma zu Grunde, so scheint für Ursinus das Mittlerprädikat eher in die „dogmatisch“ gefärbte Erläuterung der Zwei-Naturen-Lehre zu gehören. Seine Einfügung in die Auslegung des zweiten Glaubensartikels des HK wäre – führte man sie auf Ursinus zurück – wohl eher in Fr 35 zu erwarten. Angesichts dieser Schwierigkeiten soll hier der Frage nachgegangen werden, ob nicht die Verteidigung von Fr 36 durch Dathenus in seinem oben erwähnten Schreiben an Beza einen Hinweis darauf geben könnte, wer als der eigentliche Urheber der Einfügungen der zweiten Fassung zu gelten hat. Anhand der Verantwoordinghe und den Äußerungen während des Frankenthaler Gesprächs konnte nachvollzogen werden, wie stark Dathenus, ganz in der Tradition der Londoner Gemeinde, die Mittlerfunktion Christi im Gegenüber zu den Täufern an die menschliche Natur knüpfte und welche zentrale Stellung die Geburt Christi innerhalb der Soteriologie bei ihm einnahm. Jeder Abstrich, der hier gemacht wird – wie Menno Simmons’ Ablehnung der substantiellen Teilhabe des Fleisches Jesu an dem Fleisch der Jungfrau Maria – führt für Dathenus notwendigerweise zu einer Minderung bzw. gänzlichen Entleerung des Trostgehaltes der Satisfaktion. Es ist dieses Beharren auf dem soteriologischen „Nutzen“ der Geburt aus der Jungfrau Maria im Sinne einer Theologie der Selbsterniedrigung Christi, das dann auch für Dathenus’ Position in der Auseinandersetzung mit Olevianus charakteristisch ist. In dieser Perspektive konnte die Formulierung von Fr 36 in der ersten Ausgabe des HK theologisch defizitär wirken: Macht sich der soteriologische 252 „Quid jam est credere in Christum e Spiritu sancto conceptum, et ex virgine natum?“ (Ma 78)
Parallelen zum Heidelberger Katechismus
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„Nutzen“ der Inkarnation nur an der Empfängnis Christi (nicht auch an der Geburt aus der Jungfrau Maria) und über dies nur an seinen Vollkommenheiten (Unschuld und Heiligkeit) fest, so droht aus dem Blick zu geraten, dass neben der göttlichen Natur Christi im vollen Sinne an der menschlichen festgehalten werden muss, damit die Satisfaktion überhaupt ihren soteriologischen Gehalt entfalten kann. Verschärft wird dieser Eindruck der ersten Fassung von Fr 36, wenn man sich vor Augen führt, dass durch die Auskoppelung der Satisfaktionstheologie aus der Auslegung des zweiten Glaubensartikels und ihre herausgehobene Stellung im Anfangsteil des HK (Fr 12–18) im Vergleich zu den beiden Vorarbeiten des Ursinus, die Satisfaktion und ihr notwendiger Zusammenhang zur Geburt nicht mehr eindeutig festgehalten wird. Bei isolierter Betrachtung von Fr 36 ergäbe sich so eine ungewollte Nähe zur Lehre Menno Simons’, der das Mittleramt Jesu ausschließlich an dessen Vollkommenheiten knüpfte und eine soteriologische Relevanz der Geburt aus der Jungfrau Maria mit Hinweis auf die Unreinheit ihres Fleisches gerade ausschloss und ihre Rolle auf die eines „Akkers“ beschränkt sah, der die Pflanze aus dem Samen hervorbringt. Die Einfügungen in Fr 36 versuchen diese potentielle Fehldeutung zu korrigieren, und zwar indem erstens durch die Aufnahme der „geburt“ die Bedeutung Marias stärker als zuvor betont wird, so dass die Menschwerdung Christi konsequent zum Ausdruck gebracht ist, und indem zweitens das Mittlerprädikat den Bogen zur Satisfaktionstheologie der Fr 11–18 schlägt. Es ist aufschlussreich, wie sich durch die beiden kurzen Zusätze der Charakter des Fr verändert: Der erste Hauptsatz der Antwort trifft jetzt eine Aussage über Christus, während die Darstellung des Heilshandelns als deren Konsequenz bzw. inhaltliche Füllung an die zweite Stelle rückt. Der HK führt an dieser Stelle somit eine neue soteriologische Aussage ein: Der „Nutzen“ der Geburt Christi ist es, dass er unser Mittler ist; das heißt doch: Das Sein Christi als des Mittlers, und damit die ganze sich im Hintergrund abzeichnende Satisfaktionstheologie, hängt in entscheidendem Maße von seiner Geburt aus der Jungfrau Maria ab. Es ist dies eine auffällige Parallele zur Theologie von Dathenus, der im Gegensatz zur von Menno Simons gebrauchten Metapher des „Ackers“ gerade die Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria hervorhebt, da nur durch die Teilhabe an ihrer Substanz die menschliche Natur Christi im vollen Sinne ausgesagt wird, in der doch die ganze Soteriologie gründet. Geburt und Kreuzestod Christi stellen eine einzige soteriologische Bewegung dar, die nicht auseinandergerissen werden darf. Es sind damit vor allen drei Argumente, die dafürsprechen, dass es in erster Linie Dathenus, nicht Ursinus oder Olevianus war, auf dessen Einfluss die Einfügungen in Fr 36 zurückgingen: Erstens findet die Auseinandersetzung mit den Täufern im Allgemeinen und mit Menno Simons im Besonderen in den Schriften und in seinem theologischen Umfeld einen deutlichen Niederschlag. Seine
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
Sensibilität im Hinblick auf die Frage nach der Deutung der Inkarnation dürfte daher entsprechend groß gewesen sein. Zweitens lässt seine spätere Verteidigung von Fr 36 in dem oben zitierten Brief an Beza auf eine hohe Identifikation mit dem Fr schließen. Er ist offenbar nicht bereit, Olevianus’ Kritik durch die Formulierung des Fr würde der Kreuzestod Christi soteriologisch entwertet, in der Synode unwidersprochen hinzunehmen. Drittens lässt sich auf theologischer Ebene beobachten, dass Dathenus, ganz ähnlich wie HK 36 in seiner Endgestalt, den soteriologischen „Nutzen“ oder „Trost“ der Menschwerdung mit der Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria in betonter Weise verbindet. Es ist die Geburt, nicht allein die Empfängnis, die das volle Menschsein des Sohnes Gottes und damit das der Satisfaktionstheologie zugrundeliegende Mittlerprädikat verbürgt. Nach dem Gesagten scheint es plausibel, dass es sich bei den Ergänzungen der zweiten Ausgabe des HK in Fr 36 um einen durch Dathenus beeinflussten Eintrag handelt, wobei man – so das Ergebnis der oben angestellten Einzeluntersuchung – sowohl auf C 50 oder aber auf K 17 als Vorlage zurückgegriffen haben könnte.253
2.3
Messpolemik bei Dathenus und im Heidelberger Katechismus (HK 80)
Bei der Untersuchung der Schriften aus Dathenus’ Frankfurter Zeit wurde bereits ausführlich auf die kontroverstheologische Auseinandersetzung um das Wormser Kolloquium eingegangen, die für den Prediger Gelegenheit bot, im Zuge der anhebenden literarischen Debatte die Theologie der niederländischen Flüchtlingsgemeinde vor dem Forum einer breiteren Öffentlichkeit als orthodoxe Auslegung der CA zu präsentieren. Deutlich wurde ebenfalls der scharfe, polemische Ton, der jene Schriften ausnahmslos kennzeichnet. Im Folgenden soll der Charakter dieser Polemik Gegenstand genauerer Untersuchung werden. Mit Blick auf die übergreifende Fragestellung bietet es sich an, die Betrachtung thematisch auf die Messpolemik und ihren Zusammenhang zum Vorwurf der Idolatrie bzw. Abgötterei einzuschränken, da beide Elemente im HK eine exponierte Stellung in Fr 80 einnehmen. Es sollen daher im Folgenden zunächst die Grundzüge von Dathenus’ Messkritik herausgearbeitet werden, bevor im Anschluss die sich an sie anlagernde Abgöttereipolemik in ihrem Bedeutungsspektrum knapp skizziert wird. 2.3.1 Messkritik und Abgöttereipolemik bei Dathenus Es verwundert nicht, dass Dathenus’ ausführlichste Streitschrift gegen Bartholomäus Latomus, die Responsio secunda, ein ausgeführtes Kapitel „Über die 253 Vgl. Teil Zwei Kapitel 1.2.3.3.
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Transsubstantiation und die papistische Messe“ enthält. Anders als die Überschrift suggeriert, werden beide Themen jedoch nicht gleichrangig behandelt: Die Widerlegung des Messopfers tritt in ihrem Umfang deutlich hinter die Auseinandersetzung mit der Transsubstantiationslehre und der aus ihr folgenden „Brotverehrung“ (artolatreia) zurück. Als deren anstößigstes Moment für Dathenus wurde bereits das aus seiner Sicht „caphernaitische“ Verständnis der Einsetzungsworte herausgestellt. Identifiziere man die Abendmahlselemente unvermittelt mit dem himmlischen Fleisch und Blut Christi, so werde die göttliche Majestät ins Irdische herabgezogen und in ihrem Wesen verleugnet.254 Die eher knappe Behandlung der Messopferlehre an dieser Stelle dürfte darin gegründet sein, dass die in ihr mitgesetzte Behauptung der Insuffizienz des ein für alle Mal geschehenen Kreuzesopfers Christi nicht im Kontext der Abendmahlstheologie, sondern entsprechend der systematischen Konzeption der Responsio secunda im Kontext der Christologie und der mit ihr über die DreiÄmter-Lehre eng verzahnten Ekklesiologie zurückgewiesen wird. Die Lehre vom Messopfer greift – aus Dathenus’ Sicht offenbar in stärkerem Mäße als die Transsubstantiationslehre – direkt das eine Glaubensfundament der Kirche an, insofern sie das Heilshandeln Christi in seiner vollumfänglichen Gültigkeit einschränkt. Erklärbar wäre diese subtile Schwerpunktbildung jedoch auch aus der Abfassungssituation der Responsio secunda: Die Kritik an der Transsubstantiationslehre, wie sie Dathenus von seinem reformierten Standpunkt aus vollzog, stand immer in Gefahr, zugleich als Kritik an der lutherischen Abendmahlsauffassung gedeutet zu werden. In der Responsio secunda ging es ihm aber mit Blick auf die Vorgänge um das Wormser Kolloquium und darüber hinaus mit Blick auf die angespannte Situation der eigenen Gemeinde in Frankfurt gerade um die Betonung des allen Evangelischen gemeinsamen Glaubensfundaments. Beschreibt Dathenus die fundamentalen „römischen Häresien“, so taucht jedenfalls die Messopfer-, nicht jedoch die Transsubstantiationslehre, regelmäßig an prominenter Stelle auf: „Dieser [sc. der Papst] war also der erste und vornehmste Architekt dieses Babylonischen Turms, dessen Fundament der freie Wille des Menschen (auch in denjenigen, die nicht wiedergeboren wurden) ist. Daraus entstand im Laufe der Zeit der Verdienst aus menschlichen Werken. Es folgte die [Idee der] Bußleistung, welche schließlich die zusätzliche Bezahlung mit Werken und das blasphemische Feilschen gebar, die von der Geringschätzung und Verachtung des einen Sühnopfers Christi begleitet wurde […]. Darauf folgten unmittelbar [die Idee eines] Versöhnung wirkenden Messopfers, das Geschwätz über das Fegefeuer, die Verehrung und Anrufungen sterblicher Menschen und so zuletzt Dreck ohne Ende.“255 254 Vgl. Dathenus, Responsio secunda, 234. 255 „Hic [sc. Romanus Pontifex] ergo primus praecipuusq[ue] huius Babylonicae turris fuit architectus, cuius fundame[n]tum est liberum (etiam in non renatis) hominis arbitrium, ex
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
Bei der Ausgestaltung der Metapher des „Babylonischen Turms“ beschreibt Dathenus die Messopferlehre als auf dem Fundament der Willensfreiheit und Werkgerechtigkeit aufruhend. Sie bildet damit eines der zentralen Elemente der pervertierten Lehre des „römischen Antichrists“, mithin ein untrügliches Unterscheidungsmerkmal von wahrer und falscher Kirche.256 Außerhalb dieser systematischen Einordnung unterscheidet sich Dathenus’ Messkritik inhaltlich im Wesentlichen nicht von dem, was von anderen Reformatoren überliefert ist. Der dargestellte Zusammenhang von Messopferlehre und Werkgerechtigkeit erinnert dabei an die Charakterisierung der Messe durch Luther : Mit dem Messopfer versucht der Mensch Gott aus eigener Kraft zu versöhnen und raubt damit Christus, dem Heiland der Menschen, seine Ehre.257 Demgegenüber dürfte der starke Akzent, den Dathenus auf die Einmaligkeit des Kreuzesopfers in Orientierung am eph’ hapax des Hebräerbriefs legt, der Messkritik Melanchthons und Calvins entstammen258 und durch die Theologie der Londoner Fremdengemeinde vermittelt sein.259 Die an mehreren Stellen ausgeführte antitypische Gegenüberstellung der Lehre von wahrer und falscher Kirche weist darüber hinaus deutliche strukturelle Parallelen mit dem Aufbau von Theodor Bezas Confessio auf.260 Dathenus steht offenbar auf dem Boden einer gesamtreformatorischen Messkritik, deren Grundzüge er in die Auseinandersetzung mit Bartholomäus Latomus einbringt und dabei mehr oder weniger schlagwortartig in die Reihe der gängigen Topoi antirömischer Polemik (gegen Werkgerechtigkeit, Fegefeuer, Heiligenverehrung usw.) einreiht. Funktional dient ihm diese wie jene der Betonung der Einheit der wahren (evangelischen) Kirche im Gegenüber zur römischen Irrlehre: „In mündlicher Rede und in Schriften haben sie [sc. die Evangelischen] immer öffentlich erklärt, dass die papistische Messe kein Sühnopfer für die Lebenden und die
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quo humanorum operum meritu[m] temporis progressu natum est. Sequuta est satisfactio, quae tandem operum supererogationem, ac blasphemam nundinationem peperit, quam sacrificii Christi unice propitiatorii neglectus & co[n]temptus comitatis sunt: […] quibus propitiatorium Missae sacrificium, Purgatorii nugae, mortuorum hominum cultus, & inuocationes ac huiusmodi feces infinit[a]e tandem subsequutae sunt.“ (Dathenus, Responsio secunda, 50) „Ibi non esse veram cognitionem Christi, dogmata illa nova de infinitate Mediatorum, de sacrificio propitiatorio Missae, de meritum bonoru[m] operum apertissime clamant.“ (A.a.O, 144) Von den zahlreichen Schriften Luthers gegen die Messe seien nur genannt Vom Mißbrauch der Messe, WA 8, 477–563; Vom Greuel der Stillmesse, WA 18, 8–36; und natürlich die einschlägigen Passagen aus De captivitate Babylonica, WA 6, 484–573. Zur Charakterisierung der Messkritik Luthers vgl. Bizer, Messe, sowie Beyer, Abendmahl, 83–97. Vgl. Beyer, a. a. O., 67.103f. So begründet beispielsweise das Compendium doctrinae die Einmaligkeit des Priesteramtes Christi durch eine Exegese von Hebr 9; vgl. Compendium doctrinae, Kuyper II, 310–312. Dazu Teil Drei Kapitel 2.3.3.1.
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Toten sei, sondern das Haupt aller Abgötterei und ein Reizmittel göttlichen Zorns; ebenso, dass die Anrufung der Heiligen abgöttisch sei; dass die menschlichen Lehren und Traditionen, mit welchem Namen auch immer sie letztlich genannt werden, zum Heil nicht nötig seien, sondern demselben (wenn sie als notwendig angesehen werden) geradewegs widerstreiten“261
Obwohl der Kritik an der Transsubstantiationslehre bei Dathenus systematisch nicht die gleiche fundamentale Stellung zukommt wie der Kritik am Messopfer, kann er sie als eigene Größe ins Spiel bringen, wenn es darum geht, eine gesamtevangelische Abgrenzung gegen die römische Kirche herauszustellen: Luther und Zwingli hätten die Transsubstantiation, das Herumtragen des Brotes und die Brotverehrung beständig verdammt und gelehrt, dass durch den Glauben die Gemeinschaft mit dem Leib Christi ergriffen und der Herr Christus dem Glauben im Mahl gegenwärtig sei.262 Dass es freilich gerade die Frage nach der Art und Weise der Gegenwart Christi im Abendmahl war, die Luther und Zwingli mehr als alles andere trennte, lässt Dathenus unerwähnt. Die Kritik an der Transsubstantiation kann nur um den Preis ihrer inhaltlichen Entleerung als ein verbindendes Moment der Evangelischen festgehalten werden. Blickt man abschließend auf das gesamte Corpus der von Dathenus überlieferten Schriften, so lässt sich ein gewisses Zurücktreten der Kritik an Messopfer und Transsubstantiation in späterer Zeit beobachten. Der Grund dafür liegt auf der Hand, verschob sich doch der Schwerpunkt der Auseinandersetzung vor allem auf den innerevangelischen Konflikt um die Abendmahlslehre in der Debatte mit den Frankfurter Predigern. Gleichwohl lassen sich auch in diesen späteren Schriften immer wieder einzelne Passagen finden, in denen die Messe das Ziel heftiger polemischer Attacken wird,263 wenn im Ganzen auch eine ähnlich massive antirömische Polemik wie in der Zeit vor 1563 fehlt.
261 „Viva voce ac scriptis professi sunt semper Missam Papisticam non esse sacrificium vivis & defunctis propitiatorium, sed omnis idolomaniae caput, & divinae ultionis irritamentum: Sanctorum item invocatione[m] esse idololatricam: doctrinas, traditionesq[ue] humanas omnes, quocunque tandem nomine vocentur, ad salutem no[n] esse necessarias, sed cum eadem (si ut necessari[a]e urgeantur) ex diametro pugnare“ (Dathenus, Responsio secunda, 28) 262 „Lutherus & Zwinglius renascente Euangelio praestantissima Dei organa, Papisticam Transsubstantiationem, circumgestionem, aqtokatqe¸am, ac panis repositionem constanter damna[ve]ru[n]t, ac fide veram salutaremq[ue] corporis Christi communionem percipi, Christumq[ue] ipsum Dominum, fidei in caena revera praesentem esse docuerunt.“ (a. a. O., 80f) 263 So schildert Dathenus in der Erzelung den Anlass für die Flucht aus London mit den Worten: „Nach dem aber ietzt gedachter König [sc. Edward VI.], hochlöblichster gedächtnuß in Jar 53 den 6. Junii mit todt abgangen, und Maria seiner Kön[iglichen] Ma[iestät] Schwester, welche dem Euangelio zu allen zeyten hart zuwider gewest, in die Regierung kommen ist, da hat sie alsbald die grewliche abgöttische Meß, und was daran
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Die bleibende, kompromisslose Ablehnung der Messe findet schließlich ihren biographischen Niederschlag in Dathenus’ Auseinandersetzung mit Wilhelm von Oranien. Dieser zeigte sich in der sog. Genter Pazifikation von 1576 bereit, den Altgläubigen die freie Ausübung der katholischen Messe zuzugestehen, was den erbitterten Widerstand der radikalen Kräfte in Gent um Jan van Hembyze hervorrief, denen sich Dathenus anschloss.264 Dathenus’ Bereitschaft in dieser Sache in einen Konflikt mit der einzigen politischen Größe einzutreten, die den niederländischen Reformierten eine längerfristige Stabilisierung ihrer Lage mit einiger Aussicht auf Erfolg garantieren konnte, belegt eindrücklich, dass sich seine Einschätzung der „abgöttischen“ römischen Messe seit seiner Frankfurter Zeit in keiner Weise geändert hatte. Mit der Kritik an der römischen Messe aufs Engste verknüpft ist der Abgöttereivorwurf. Zweifelsohne handelt es sich dabei um eines der am häufigsten verwendeten Motive in Dathenus’ Repertoire polemischer Rhetorik: Mehr als zwanzigmal taucht er allein im lateinischen Text der Responsio secunda auf, darunter achtzehnmal als Polemik gegen die idolomania und sechsmal gegen die idololatria. Daneben lässt sich dreimal die adjektivische Ableitung idololatricus belegen. Dabei bleibt der Vorwurf nicht allein auf die Messe beschränkt: Bereits im ersten Abschnitt der Responsio secunda, in dem Dathenus im Durchgang durch Latomus’ Responsio die von seinem Gegenspieler vorgebrachten Argumente im Einzelnen zu widerlegen sucht, führt er zur Bekräftigung des Abgöttereivorwurfs folgende Definition ins Feld: „,Abgötterei‘ wird aber auf folgende Weise von den Gelehrten definiert: Abgötterei heißt, auf bloße Kreaturen gegen das Wort Gottes sein Vertrauen zu gründen, dieselben in Not anzurufen, von ihnen Hilfe zu erhoffen und denselben die Ehre zuzugestehen, die allein Gott zu eigen ist.“265
Diese Definition wird im Anschluss zunächst biblisch als Übertretung des Verbots der Fremdgötterverehrung expliziert – Abgötterei trieben die Verehrer des Baal und die Israeliten, wenn sie hölzerne und steinerne Statuen anbeteten –, und gleich darauf polemisch appliziert, indem von der Situation im alten Israel auf den gegenwärtigen Zustand der römischen Kirche geschlossen wird: Wenn die Anbetung von Statuen in Israel Abgötterei war, was ist dann die Anrufung von geschmückten Bildern sterblicher Menschen in der römischen Heiligenhengt, eingefüret, und alles abgeschafft, wz zuuor nach dem wort Gottes in den Kirchen verordnet war.“ (Dathenus, Erzelung, 6) 264 Vgl. dazu Teil Drei Kapitel 3.2.1. 265 „Idololatria vero a doctis ad hunc modum definitur : Idololatria, est in nudas creaturas contra verbu[m] Dei, fiduciam sua[m] collocare, easde[m] in angustiis invocare, auxiliu[m]q[ue] ab eis sperare, & honore[m] soli Deo propriu[m] ipsis tribuere.“ (Dathenus, Responsio secunda, 31)
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verehrung anderes? Wenn Israel Abgötterei trieb, als es vor dem goldenen Kalb ausrief „Das sind deine Götter!“, was tun dann die Papisten anderes bei der Anbetung des Messbrotes?266 Eine solche unmittelbare Verbindung der Abgöttereipolemik mit ihrem biblischen Hintergrund lässt sich an mehreren Stellen innerhalb Dathenus’ Schriften beobachten. Der biblische Kontext wird in diesen Fällen durch explizite Verweise, zuweilen auch durch die Angabe von Belegstellen in der Marginalie manifest. So parallelisiert Dathenus das Werk der Reformatoren mit der Beseitigung der „alten Abgöttereien“ durch Paulus in Ephesus und mit der Aufhebung der Götzenkulte durch König Josia.267 In den allermeisten Fällen tritt der biblische Referenzrahmen allerdings in den Hintergrund und es wird vorausgesetzt, dass er dem Leser durch den Kontext bzw. seine Bibelkenntnis ausreichend deutlich ist. Schließlich lässt sich an einigen Stellen ein Zurücktreten des spezifischen Bedeutungsgehaltes von Abgötterei, wie er von Dathenus in seiner Definition bestimmt wurde, beobachten. Idolomania bzw. idololatria kann dann neben andere pejorative Ausdrücke aus dem gleichen semantischen Feld (wie superstitio, mendacium, haeresis u. a.)268 treten bzw. ohne maßgebliche Veränderung des Sinnes durch diese ersetzt werden. Hier scheint der Verweis auf die Abgötterei eine rein rhetorische Funktion im Zusammenhang einer allgemeinen, pleonastisch angelegten Polemik zu besitzen. Lässt man einmal diese eher unspezifische Verwendung beiseite, so fallen zwei Momente ins Auge, die von Dathenus mit dem Verdikt der Abgötterei bedacht werden: zum einen die Verehrung der Heiligen, zum anderen die Messe. Angesichts der zitierten Definition ist die Verbindung von Abgötterei und Heiligenverehrung aus Dathenus’ Perspektive unmittelbar einleuchtend. Hier scheint sich ja die Analogie zum altisraelitischen Götzendienst nicht nur in der Anrufung von bloß Geschaffenem, sondern auch in dessen bildhafter Darstellung mit besonderer Deutlichkeit abzuzeichnen. Dathenus lässt dann auch die Gelegenheit nicht aus, die sich aufdrängenden Parallelen en detail zu entfalten: Wie Israel entgegen dem ausdrücklichen Verbot der Zehn Gebote Schnitzbilder anfertigte, so täten es heute die Papisten; wie Israel die Statuen schmückte und mit Kostbarkeiten verzierte, so verführen die Papisten mit den Statuen ihrer Heiligen; wie Israel meinte, die Götter durch ihre Statuen zu besänftigen, so meinten die Papisten ihre Heiligenbilder streicheln zu müssen. „Das Papsttum bewahrt die alten Abgöttereien der Juden und Heiden “269, kann Dathenus darum urteilen. 266 267 268 269
Vgl. a. a. O., 31f. Vgl. a. a. O., 174. Vgl. a. a. O., 34.37.149 u. ö. „Papatus veteres Iudaeorum ac Ethnicorum Idolomanias retinet“ (a. a. O., 34)
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Weniger eindeutig ist dieser Zusammenhang im Fall der Messe. Auch hier ist zunächst klar, dass die Anbetung des Brotes, legt man die reformierte Abendmahlsauffassung zugrunde, unter Dathenus’ Definition von Abgötterei fallen muss. Entsprechend finden sich im direkten Umfeld des Abgöttereivorwurfs mehrfach Angriffe auf die römische „Brotverehrung“ (artolatreia) und das prozessionale Umhertragen des Messbrotes.270 An anderen Stellen scheint idololatria in einem weiteren Bedeutungsspektrum verwendet: Nicht mehr nur die Verehrung des Messbrotes allein, sondern die gesamte Messe wird in allen ihren Elementen, inklusive der ihr angelagerten Theologumena Transsubstantiation und Messopfer, als Abgötterei bezeichnet.271 Lässt sich die Verbindung zwischen Anbetung des Messbrotes und Transsubstantiationslehre noch relativ leicht herstellen – diese bildet die dogmatische Voraussetzung für jene als gottesdienstlicher Praxis –, so bleibt der Bezug zum Messopfer uneindeutig. Es könnte insofern unter die von Dathenus aufgestellte Definition von Abgötterei fallen, als sich der Mensch hier aus evangelischer Sicht die Fähigkeit anmaßt, Gott zu versöhnen, und ihm damit gerade die Ehre raubt, die ihm allein gebührt. Allerdings wird dieser Zusammenhang von ihm nirgendwo direkt und spezifisch im Kontext des Vorwurfs der Abgötterei entfaltet. Es ist immer entweder die Anbetung des Brotes in der Messe oder die Messe im Allgemeinen – zu der dann auch das Messopfer gehört – die in diesem Sinne das Ziel polemischer Attacken darstellt. Dies lässt m. E. den Schluss zu, dass sich in Dathenus’ Sprachgebrauch zwei Bedeutungsebenen der Rede von der „Abgötterei der Messe“ unterscheiden lassen. Zuerst bezeichnet die Wendung im strengen Sinne der oben zitierten Definition lediglich die Anbetung des Messbrotes als Verehrung des Geschöpfes anstelle des Schöpfers. Danach kann ihr Bedeutungsumfang aber auch in der Art einer Synekdoche auf die ganze Messe mit allen ihr angegliederten Elementen (wie Messopfer, Transsubstantiation, das Umhertragen der Hostie usw.) erweitert werden. Die beobachtete intensionale Abflachung des von Dathenus selbst vorgebrachten definitorischen Bedeutungsgehaltes von „Abgötterei“ und die Ablösung von der biblischen Fundierung gehen also einher mit einer extensionalen Ausweitung zumindest für den Bereich der Messe. Die Verwendung von idolomania bzw. idololatria weist damit letztendlich Züge auf, wie sie die Semantik im Allgemeinen für pejorative Lexeme bzw. Schimpfwörter herausgearbeitet hat.272 270 Vgl. a. a. O., 34.81.235. 271 Vgl. a. a. O., 235 und Dathenus, Refutatio, f. 10v. 272 „Der Kontext kann somit sowohl die Bedeutung des auf der paradigmatischen Ebene universalen Pejorativums konkretisieren, als auch das pejorative Lexem, das auf der paradigmatischen Ebene über differentielle Seme zur Bezeichnung negativer Eigenschaften/ Benehmensarten verfügt (d. h. einschätzendes pejoratives Lexem) in ein universales Pejorativum verwandeln.“ (Havryliv, Lexik, 73)
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2.3.2 Messpolemik im Heidelberger Katechismus (HK 80) Bevor ein möglicher Bezug von Dathenus’ Messpolemik und dem HK Gegenstand der Untersuchung werden kann, sind zunächst das berüchtigte Fr 80 und die mit ihm verbundenen Forschungsprobleme in den Blick zu nehmen. Innerhalb des HK stellt Fr 80 gleich in mehrfacher Hinsicht einen Sonderfall dar : Als einziges Fr war es nicht von Anfang an Teil des Textkorpus, sondern wurde erst nachträglich in dessen zweiter Ausgabe hinzugefügt. Damit nicht genug erfuhr es in der dritten Ausgabe noch einmal einige bedeutende Ergänzungen, die ihm seine endgültige Gestalt verliehen. Zu diesen formalen Besonderheiten gesellt sich auf der Inhaltsebene eine im Kontext des Katechismus auffällige, heftige Polemik, die in der antithetischen Gegenüberstellung von Abendmahl und Messe schon in der einleitenden Frage angelegt ist und sich in dem pleonastischen Anathema der „vermaledeiten Abgötterei“ abschließend Bahn bricht. Die genannten Sachverhalte erklären das besondere Interesse der Forschung an HK 80. Der Schwerpunkt der älteren Literatur bei Wolters, Gooszen und Lang lag dabei deutlich auf der Aufhellung der Wachstumsgeschichte des Fr und den sich aus ihr ergebenden Problemen,273 während das grundsätzliche theologische Recht desselben kaum in Frage gestellt274 und allein seine harsche Polemik zuweilen mit einem kritischen Blick bedacht wurde.275 Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bildete das Fr für das wiedererwachende ökumenische Bewusstsein jedoch ein theologisches Problem. Das kompromisslose – und damit kompromissunfähige – Anathema eines der zentralen Glaubensmomente der römisch-katholischen Kirche erwies sich für den interkonfessionellen Dialog als Belastung und es kam zu einer Aufarbeitung und kritischen Auseinandersetzung mit der evangelischen Messpolemik der Reformationszeit. Einen entscheidenden Beitrag lieferte dabei die detaillierte Untersuchung des in HK 80 zum Ausdruck kommenden Messverständnisses durch Ulrich Beyer, die nach wie vor
273 Vgl. Wolters, Katechismus, 110–140 und ders., Urgeschichte, 22–30; Lang, Katechismus, XCIV; Gooszen, Catechismus, Inl. 113–125; auch Doedes, Catechismus, 24–40. 274 Mit Recht macht Ulrich Beyer jedoch auf den reformierten Theologieprofessor und Pädagogen Johann Ludwig Ewald aufmerksam, der bereits im Jahr 1816 eine kritische Haltung gegenüber der „Intoleranz“ von HK 80 an den Tag legte; vgl. Beyer, Abendmahl, 23. 275 So konnte Karl Barth noch 1949 die Grundintention des „zornigen Ausbruchs“ von Fr 80 im Ganzen positiv würdigen: „Es ist eine große Ahnungslosigkeit, wenn man heute vielfach unter Protestanten geneigt ist, die Differenzen zur katholischen Lehre zu verharmlosen, und glaubt, in einer Una-sancta-Bewegung einen gemeinsamen Boden finden zu können. Man kann gewiß echte theologische Gespräche mit Katholiken führen, man kann unter Umständen auch mit ihnen gemeinsam beten, aber man darf sich nicht darüber täuschen, daß das katholische Denken die ihm eigene Struktur niemals preisgeben wird.“ (Barth, Lehre, 106; Hervorhebung im Original)
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als die genaueste und umfangreichste Arbeit zu dem Thema angesehen werden kann.276 Anhand einer vergleichenden Betrachtung mit tridentinischen und vortridentinischen Messkonzeptionen kommt Beyer zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dass die Verwerfungsaussagen des Fr dem gegenwärtigen Stand der römisch-katholischen Theologie nicht mehr entsprächen und wohl auch zur Zeit der Abfassung des Katechismus nicht entsprochen hätten. In dieser letzten Zuspitzung erfuhr die These Beyers den Widerspruch Wilhelm H. Neusers, der an der grundsätzlichen Berechtigung der Messkritik von HK 80 in ihrem historischen Kontext festhält.277 Überein kommen beide Autoren in der Einschätzung, die polemischen Spitzenaussagen des Fr seien angesichts der aktuellen ökumenischen Entwicklungen mindestens erläuterungsbedürftig und nicht mehr ohne weiteres rezipierbar. Ihren vorläufigen Endpunkt erreichte die Debatte mit der Einfügung der Fußnote zu Fr 80 durch das Moderamen des Reformierten Bundes in Deutschland im Jahr 1977 und deren Neufassung im Jahr 1994, die die Distanz zeitgenössischer Theologie zur Messpolemik des sechzehnten Jahrhunderts zum Ausdruck bringen278 – eine Distanz, die neuere und neueste Äußerungen zum Thema in der Regel teilen.279 Es ist deutlich, dass die Auseinandersetzung um HK 80 in den letzten Jahrzehnten vornehmlich auf systematisch-theologischer Ebene geführt wurde. Zwar erfuhr die historische Fragestellung nach der Genese des Fr und der Herkunft seiner Polemik ebenfalls einige Beachtung, jedoch ohne dass man dabei zu einer grundsätzlich tieferen Einsicht in den Entstehungsprozess ge276 Vgl. Beyer, Abendmahl. Vgl. ebenfalls die lesenwerte und durch Veröffentlichung zugänglich gemacht Seminararbeit von Blum zu dem Thema der tridentinischen und vortridentinischen Messtheologie (Blum, Abgötterei). 277 Vgl. Neuser, Dialog, 76f. 278 Vgl. dazu ausführlich Beyer, Schritt. 279 Vgl. Rohls, Frage 80, 195: Die Messopferpolemik von HK 80 sei das „größte Hindernis für eine katholische Anerkennung des HK“; in ganz ähnlichem Sinne attestiert Latzel dem gesamten Fr eine „problematische Grenzüberschreitung“ (vgl. Latzel, Grundzüge, 197f); von ökumenisch-diplomatischer Zurückhaltung geprägt dagegen das aus katholischer Perspektive getroffenen Urteil Rahners im Kontext des 450-jähigen Jubiläums: „Heutigen Ohren klingen solche Sätze [sc. aus HK 80] fremd.“ (Rahner, Abgötterei, 135); schärfer demgegenüber Koch: Die Verwerfung der Messe im HK sei eine „ausgesprochen polemische Abgrenzung des reformierten Abendmahlsverständnisses von der katholischen Messe“ (Koch, Katechismus, 291); ebenso Unterburger : „Sie [die Glosse zu HK 80] war aber gleichzeitig ein performativer Sprechakt, der den Glauben der Katholiken nicht nur beschimpfte, sondern von diesem nur als Blasphemie und Fluch verstanden werden konnte.“ (Unterburger, Kirche) Im Unterschied zu den zuvor genannten Voten unterstreicht Moehn von einem reformierten Stanpunkt aus, dass die zentralen Kritikpunkte von HK 80 (Messopfer und Transsubstantiation) auch in neueren katholischen Lehrdokumenten unverändert geblieben seien – ohne dabei allerdings auf die von Beyer vorgebrachten Argumente einzugehen (vgl. Moehn, Controversy, 156).
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langte, als dies bereits in der älteren Forschung zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Fall war. Mit Blick auf unser Thema rückt nun aber genau jene genetische Fragestellung ins Zentrum des Interesses. Drei Dimensionen sind dabei zu unterscheiden: Erstens stellt sich die Frage nach dem geschichtlichen Kontext von Fr 80. Gab ein bestimmtes Ereignis den Anlass, den Katechismus nachträglich zu erweitern? Wie ist in Anbetracht dessen seine polemische Messkritik in den Kontext der zeitgenössischen katechetischen und nichtkatechetischen Literatur einzuordnen? Zweitens ist der innere, traditionsgeschichtliche Zusammenhang der in HK 80 formulierten Polemik klärungsbedürftig. Handelt es sich um reformatorisches Gemeingut oder lässt sich eine bestimmte Prägung aufzeigen, die Rückschlüsse auf die Quelle erlaubt, aus der der HK seine Polemik schöpft? Dies führt schließlich drittens zur Frage nach Hinweisen auf den Autor bzw. die Autoren von HK 80. An wen von den an der Erstellung des Katechismus beteiligten Theologen wäre zu denken? Die zweite und dritte Dimension, also die Frage nach dem traditionsgeschichtlichen Zusammenhang von HK 80 und die Frage nach dessen Autor wird uns im Rahmen des letzten Abschnitts dieses Kapitels beschäftigen, in dem gesondert das Verhältnis von HK 80 Dathenus’ Messpolemik in den Blick kommt. Demgegenüber befasst sich der sich vorhergehende Abschnitt mit der Untersuchung des historischen und literarischen Kontextes, in dem das Fr formuliert wurde. Zuvor erscheint es jedoch notwendig, dessen Aufbau und Wachstum, wie sie sich nach bisherigem Kenntnisstand darstellen, in knappen Zügen nachzuzeichnen. 2.3.2.1 Aufbau und Wachstum von Fr 80 Die Endgestalt von Fr 80 ist in der Vergangenheit Gegenstand zahlreicher struktureller Analysen geworden,280 deren Ergebnisse hier nur zusammengefasst zu werden brauchen: Auffällig ist die zweigliedrige Struktur des Fr, die Abendmahl und Messe antithetisch gegenüberstellt und zwar so, dass den positiven Aspekten des Abendmahls (Sündenvergebung durch das einmalige Opfer Christi, Partizipation an dessen himmlischem Leib, seine Alleinverehrung) jeweils genau eine negative „Pervertierung“ der Messe (tägliches Opfer Christi, seine leibliche Gegenwart in den Elementen, Anbetung der Elemente) gegenüberstehen. Als Fazit bzw. Folgerung dieser Antithesen ergibt sich das abschließende Urteil über die Messe: „Und ist also die Meß im grund nichts anders, denn ein verleugnung des einigen opffers un[d] leidens Jesu Christi, und ein vermaledeite Abgötterey“. Einige neuere Arbeiten tendieren zu der Auffassung, dieses Fazit sei im Hinblick auf die einzelnen an der Messe kritisierten Aspekte 280 Vgl. z. B. Beyer, Abendmahl, 40–42; ders., 80. Frage, 89; Neuser, Abendmahl, 166; Latzel, Grundzüge, 196 Anm. 75 und jüngst noch einmal Moehn, Controversy, 150–154.
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zu differenzieren:281 Die Leugnung des einmaligen Christusopfers bezöge sich auf das Messopfer im engeren Sinne, während unter das Verdikt der Abgötterei im Besonderen die Anbetung der Elemente – und die in ihnen vorausgesetzte leibliche Gegenwart Christi – fiele. Die konzise strukturelle Gestaltung von HK 80 ließe normalerweise wenig Raum für Spekulationen über eine Wachstumsgeschichte. Gleichwohl belehren die äußeren Textzeugnisse den Historiker in diesem Falle eines Besseren: In der ersten Ausgabe des HK (Januar 1563) fehlte das Fr völlig, während die zweite Ausgabe lediglich eine kürzere Version desselben aufweist. Erst die dritte Ausgabe (spätestens April 1563) enthält schließlich die gerade besprochene Endgestalt des Textes. Von besonderem Interesse ist dabei der Umfang der Ergänzungen, die die dritte Ausgabe im Vergleich zur zweiten vornimmt. Der Text der zweiten Ausgabe sei hier zum Vergleich wiedergegeben: „Was ist für ein underscheid zwische[n] dem Abendmal des HERRN und der Babstlichen Meß? Das Abendmal bezeuget uns daß wir volkommne vergebung aller unser sünden haben, durch das einige opffer Jesu Christi, so er selbst ein mal am creutz volbracht hat. Die Meß aber lehret daß die lebendigen und die todten nit durch das leiden Christi vergebung der sünden haben, es sei da[nn], daß Christus noch teglich für sie von den Messpriestern geopffert werde: Und ist also die Meß im grund ein abgöttische verleugnung deß einigen opffers und leidens Jesu Chrsiti.“282
Neu hinzu kamen in der dritten Ausgabe also die Aspekte der Einleibung in den himmlischen Christus und sein entsprechendes Pendant auf Seiten der Messe – die Kritik an der Lehre von der leiblichen Gegenwart Christi und der Anbetung der Elemente. Das abschließende Urteil erfuhr anhand der Wendung der „vermaledeiten Abgötterei“ eine verschärfende Reformulierung.283 Bereits hier lassen sich zwei für die spätere Diskussion wichtige Beobachtungen festhalten: Erstens taucht schon in der jüngeren Fassung des Fr der Abgöttereivorwurf in betonter Achterstellung auf, allerdings in spezifischer Stoßrichtung gegen das 281 Vgl. Barth, Lehre, 105; Beyer, Abendmahl, 41f; Neuser, Abendmahl, 166. 282 Zitiert nach dem Abdruck der Seiten 55 und 56 der zweiten Ausgabe bei Henß, Katechismus, 21. 283 Es ist in keiner Weise nachvollziehbar, wie Wilhelm H. Neuser der ihm vorauslaufenden Forschung „Verwirrung“ bezüglich des Umfangs der Ergänzungen vorwerfen kann (Neuser, Abendmahl, 165). Der Sachverhalt ist seit Wolters (Katechismus, 110–140) und Doedes (Catechismus, 24–38) zur Genüge bekannt und wurde seitdem vielfach erläutert. Gegen die gesamte Forschungstradition möchte Neuser mit einem Verweis auf Goeters (EKO 14, 42.358f) die Änderungen der dritten Ausgabe in Fr 80 allein auf den Schlusssatz beschränken. In der Tat findet sich in EKO XIV nur die Wendung „vermaledeite Abgötterei“ als Ergänzung der dritten Ausgabe markiert. Dass es sich dabei um eine Ungenauigkeit in der Darstellung handelt, zeigt allerdings ein Vergleich der verschiedenen Katechismusausgaben (dazu Henß, Katechismus, 24 Anm. 22).
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täglich wiederholte Messopfer als die Verleugnung des einen Opfers Christi und unter Verwendung eines etwas schwächeren Vokabulars; zweitens beschränken sich die Ergänzungen der dritten Ausgabe nicht allein auf die Verschärfung dieser abschließenden Polemik, sondern bringen mit dem Thema der „Teilhabe am Leib Christi“ einen zusätzlichen theologischen Aspekt ins Spiel. Textintern wird das Fr so in den größeren Zusammenhang des gesamten Abendmahlspassus gestellt, insofern die Wendung „und daß wir durch den H. Geist Christo werde[n] eingeleibt“ auf die bereits in den Fr 76 und 79 anklingende calvinische Konzeption der Christusgemeinschaft zurückverweist. 2.3.2.2 Die Tridentinumsthese Angesichts der pointierten Messkritik von Fr 80 und dessen nachträglicher Einfügung in den HK hat die Forschung immer wieder die Verbindung zu einem zeitlich parallelen Ereignis gezogen: Seit Januar 1562 tagte nach zehnjähriger Unterbrechung das Konzil von Trient.284 Nachdem das Konzil im April 1552 aufgrund innerer Spannungen und in Erwartung des heraufziehenden Fürstenkrieges in Deutschland ausgesetzt wurde, veranlasste die veränderte konfessionspolitische Situation Ende der fünfziger Jahre Papst Pius IV. (1559–1565) auf eine erneute Einberufung des Konzils zu dringen: Die CA hatte im deutschen Reich durch den Augsburger Religionsfrieden von 1555 rechtliche Anerkennung erlangt, darüber hinaus hatte sich der evangelische Glaube mittlerweile als gesamteuropäisches Phänomen etabliert. Insbesondere die spannungsreiche Situation in Frankreich und Überlegungen im Umfeld der Krone, religiösen Konflikten im Land durch ein Nationalkonzil285 zu begegnen – was wohl unweigerlich eine Vergrößerung der Distanz zu Rom zur Folge gehabt hätte –, spielten als ausschlaggebende Motive bei der Einberufung des Konzils nach Trient eine Rolle. Neben der Auseinandersetzung um die Zulassung des Laienkelches war es vor allem die Reformulierung der Messopferlehre, die die theologische Arbeit seiner 284 Zum Konzil von Trient vgl. allgemein Jedin, Geschichte (Bände IV,1 und IV,2 zur dritten Sitzungsperiode). 285 Vgl. dazu Jedin, Geschichte IV,1, 21–24. Nachdem die Bemühungen der französischen Krone, den reformierten Glaube durch gewaltsame Gegenmaßnahmen einzuschränken, nicht den gewünschten Erfolg erzielten, vollzog der Königliche Rat mit dem Edikt von Amboise (März 1560) eine Wende zu einer stärker auf Ausgleich bedachten Hugenottenpolitik, die selbst durch den einflussreichsten Berater des jungen Königs Franz II. (1544– 1560), dem Kardinal Karl von Lorraine-Guise (1524–1574), zunächst in gewissem Umfang mitgetragen wurde. Nach dem frühen Tod von Franz im Dezember 1560 wurde der ausgleichende Kurs von seinem Nachfolger Karl IX. (1550–1574) bzw. der an seiner Stelle regierenden Königinmutter Katharina von Medici (1519–1589) fortgesetzt, bis das von Herzog Franz von Lorraine-Guise (1519–1563) am 1. März 1562 provozierte Blutbad von Wassy und der nachfolgende erste Hugenottenkrieg (1562–1563) weitere Stabilisierungsbemühungen bis auf Weiteres obsolet machten.
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dritten Sitzungsperiode prägte. Verabschiedet wurde das entscheidende Dekret Sacrosancta oecumenica286 während der Sessio XXII vom 17. September 1562: Die Messe wird als Vergegenwärtigung des einen Opfers Christi am Kreuz aufgefasst und die von evangelischer Seite vorgebrachte Kritik an der Opfertheologie der Messe in neun Canones verworfen. Sowohl in der älteren wie in der neueren Forschung287 hat man in diesen Verwerfungsthesen den unmittelbaren Anlass für die Einfügung von Fr 80 in den HK gesehen. Zwar gebe es keine direkten Belege, die explizit von einer Reaktion auf die Beschlüsse von Trient sprächen, jedoch zeige der Naumburger Fürstentag von 1561 sowie die in seinem Anschluss in Frankfurt 1562 abgefasste Rekusationsschrift, dass die evangelischen Fürsten und Theologen dem Konzil größte Aufmerksamkeit schenkten. Es könne also davon ausgegangen werden, dass man in Heidelberg über dessen Beschlüsse informiert war. In dieser allgemeinen Form fand die Tridentinumsthese Eingang in die meisten Darstellungen zur Geschichte des HK. In weitaus geringerem Umfang wurde sie hingegen in der von Albrecht Wolters vorgenommenen Zuspitzung rezipiert: Das zweistufige Wachstum der Frage, so Wolters, erkläre sich am ehesten aus einem sukzessiven Bekanntwerden der Konzilsbeschlüsse in Heidelberg. Offenbar war man zunächst nur grob über den Inhalt der Beschlüsse informiert, und fügte daraufhin die prinzipielle Messopferkritik als neues Fr 80 in die zweite Ausgabe des HK ein. Erst in einem weiteren Schritt – nachdem man in Heidelberg vom genauen Wortlaut der konziliaren Verwerfungen Kenntnis erlangte – kam es zur Verschärfung seiner Polemik.288 Gelangte schon die allgemeine Fassung der These aufgrund fehlenden Anhalts an den Quellen nicht über den Status einer plausiblen Vermutung hinaus, so scheint es sich bei Wolters’ Zuspitzung erst recht um eine kaum zu belegende Behauptung zu handeln. In der neueren Forschung ist die Tridentinumsthese dann auch in ihrer Tragweite bisweilen erheblich eingeschränkt worden. Insbesondere Ulrich Beyer289 setzte sich kritisch mit ihr auseinander : Beyer bekräftigt zunächst die in der Forschung verbreitete Auffassung, das wiedereinberufene Konzil sei in den protestantischen Teilen Deutschland und insbesondere in der Kurpfalz mit allergrößter Sorge und Aufmerksamkeit wahrgenommen worden, durch den Verweis auf eine Randnotiz in einem Exemplar der Catechetische Geschichte der Reformierten Kirche von Johann Christoph Koecher (1699–1772), das sich in 286 Vgl. Denzinger, Enchiridion, 522–527. 287 Vgl. z. B. Wolters, Katechismus, 127; Doedes, Catechismus, 28.35; Gooszen, Catechismus, 118f; Lang, Gedächtnis, 30; Henß, Katechismus, 24 Anm. 22; Bierma, Sources,78f u. a. Vgl. daneben auch die durch Veröffentlichung zugängliche Seminararbeit von Meier (Meier, Sacrificium). 288 So Wolters, Katechismus, 127; dem folgt Doedes, Catechismus, 28.35. 289 Vgl. Beyer, Abendmahl, 17–19.
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Besitz des Badischen Vermittlungstheologen Carl Ullmann (1796–1865) befand.290 Ullmann gibt diese Randnotiz in seinem 1863 erschienen Jubiläumsaufsatz zum Heidelberger Katechismus wieder : „Kurfürst Friedrich III. habe seine Gedanken über das Konzil zu Trient selbst zu Papier gebracht und die eigene, 6 Bogen starke Handschrift, in welcher der Kurfürst gewaltig über das gedachte Konzil eifere, habe sich noch im Jahr 1789 beim Kirchenrath vorgefunden.“291
Obwohl diese Notiz geeignet ist, die Tridentinumsthese hinsichtlich ihrer äußeren Voraussetzungen weiter zu stützen – Friedrich III. war offensichtlich ein entschiedener Gegner des Konzils –, sieht Beyer sie mit zu vielen Implikationen belastet, denen ein direkter Anhalt an den Quellen abgeht: In der Marginalie zu Fr 80 fänden sich lediglich Verweise auf den Messkanon und das Decretum Gratiani, nicht jedoch auf das tridentinische Konzil; die Beschlüsse des Konzils hüben sich theologisch von den im Mittelalter gängigen Deutungsmustern des Messopfers ab (Beyer spricht von einer „beträchtlichen Kehrtwende“292), was sich in HK 80 gerade nicht wiederspiegele; der Zeitraum zwischen der Verabschiedung des Messopferdekrets und der Abfassung der 80. Frage hätte maximal ein halbes Jahr betragen können; die offizielle Promulgation der Konzilsbeschlüsse fand erst 1564 statt und man müsse – verträte man die Tridentinumsthese in vollem Umfang – davon ausgehen, dass die Beschlüsse bereits Anfang 1563 in Heidelberg bekannt geworden seien, wofür wiederum die Quellenbelege fehlten.293 Alles in allem kann Beyer die Tridentinumsthese nur in abgeschwächter Form vertreten: Man habe in Heidelberg zwar von den Beschlüssen des Konzils gehört und als Reaktion darauf Fr 80 in den Katechismus eingefügt, jedoch ohne die entsprechenden Formulierungen des Konzilsdekrets vor Augen gehabt zu haben.294 Das letztgenannte Argument Beyers, man habe in Heidelberg aufgrund der erst 1564 promulgierten Konzilsdekrete keine genauen Kenntnisse über deren Inhalt haben können, muss bei näherer Betrachtung allerdings zurückgewiesen werden: Bereits vor der offiziellen Promulgation der Konzilsdekrete lässt sich für Italien eine relativ breite Publizistik im Umfeld des Konzils belegen, im Zuge derer nicht nur Teilnehmerkataloge, Predigten und Reden des Konzils gedruckt wurden, sondern auch Dokumente mit offiziellem Charakter, unter die auch die
290 291 292 293 294
Vgl. a. a. O., 17. Ulmann, Züge, 649. Beyer, Abendmahl, 18. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Dieser Argumentation folgt Neuser in seiner ansonsten mit einigen kritischen Zwischentönen versehenen Besprechung der Arbeit Beyers; vgl. Neuser, Dialog, 65.
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Dekrete selbst fielen.295 Prinzipiell wäre es also denkbar, dass ein derartiger Druck seinen Weg bis nach Heidelberg gefunden hat. Eine Mittlerfunktion könnte dabei Heinrich Bullinger zugekommen sein. Wie dessen Korrespondenz mit dem Graubündner Reformator Johannes Fabricius (1527–1566) zeigt, war Bullinger intensiv darum bemüht, möglichst genaue Kenntnisse über die Abläufe in Trient zu gewinnen. Mehr als einmal konnte Fabricius ihm dabei offenbar wertvolle Informationen aus Italien liefern: Am 18. Januar 1563 sandte Fabricius nicht nur die während des Konzils gehaltene Rede des Kardinals von Lothringen an Bullinger, sondern, dies hält er in dem beiliegenden Schreiben explizit fest, auch die Beschlüsse der 6. Sitzung.296 Bei der sechsten Sitzung der dritten Konzilsperiode handelt es sich aber genau um jene Sessio XXII, während der die katholische Messopferlehre ihre Reformulierung fand. Es muss also davon ausgegangen werden, dass Bullinger spätestes seit Mitte Januar 1563 genaue Kenntnis über den Inhalt des Dekretes Sacrosancta oecumenica besaß. Aus Bullingers Korrespondenz mit Fabricius wird darüber hinaus deutlich, dass Bullinger durchaus bereit war, seine Informationen über das Konzil nach Deutschland weiterzugeben. So bittet er Fabricius am 26. März 1563 darum, ihm erneut einen Druck der Verhandlungen der sechsten Sessio zu beschaffen. Das zuvor erhaltene Exemplar habe er mittlerweile an den Landgrafen von Hessen weitergeleitet.297 Angesichts der sehr guten Kontakte Bullingers nach Heidelberg, steht zu vermuten, dass man dort spätestens zur gleichen Zeit, wenn nicht schon etwas früher von ihm über die Konzilsbeschlüsse informiert wurde. Das Datum 26. März 1563 passt jedenfalls auffällig genau zu jenem Zeitraum, der sich für die Einfügung von Fr 80 in den HK und die an ihm vorgenommenen Überarbeitungen rekonstruieren lässt (Ende Januar bis Anfang April 1563). Aufs Ganze gesehen verdichten sich somit die Hinweise, dass tatsächlich das Dekret Sacrosancta oecumenica Anlass zur Abfassung bzw. Redaktion der 80. Frage bot, obwohl es nach wie vor an direkten Quellenbelegen aus den Heidelberger Kreisen mangelt. Auch gibt das Argument Beyers zu denken, Fr 80 selbst enthalte sowohl auf theologischer Ebene wie in der Marginalie keine direkten Hinweise, die es als Reaktion auf Sacrosancta oecumenica zweifelsfrei zu erkennen gäben. Gleichwohl konnte anhand der Korrespondenz Bullingers gezeigt werden, dass die in der Vergangenheit geäußerte Kritik an der Tridentinumsthese zu kurz griff: Eine Einschränkung ihres Gehaltes, wie ihn Beyer und Neuser vorzunehmen sich gezwungen sahen, erscheint überflüssig. Vertritt man die Ansicht, es seien die Beschlüsse des Konzils von Trient gewesen, die das Fr 80 295 Vgl. Jedin, Geschichte IV,2, 208. Als die wichtigsten Druckorte werden Venedig, Padua, Brescia und Riva genannt. 296 Vgl. Schiess, Korrespondenz 2, 428. 297 Vgl. a. a. O., 437.
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in seiner Abfassung maßgeblich beeinflusst hätten, so darf zugleich davon ausgegangen werden, dass man in Heidelberg über deren genauen Wortlaut Kenntnis besaß. 2.3.2.3 HK 80 im Lichte zeitgenössischer Messpolemik Mit der Annahme, Fr 80 stelle in seiner Endgestalt eine Reaktion auf das Dekret Sacrosancta oecumenica dar, wäre zwar der unmittelbare Anlass seiner Abfassung bzw. Überarbeitung geklärt, nicht jedoch der übergreifende Kontext identifiziert, in den dieselbe einzubetten wäre. Dieser Unterschied gerät m. E. bei einigen Arbeiten zum Thema aus dem Blick, insbesondere, wenn sich, wie im Falle Ulrich Beyers, die Tridentinumsthese mit der Annahme einer gewissen Analogielosigkeit der Messpolemik des HK verbindet: „Die 80. Frage ist damit so etwas wie ein letzter und eindrücklicher Endpunkt einer langen Auseinandersetzung der Reformatoren mit der römischen Messe. Herausgefordert von der sich mehr und mehr konstituierenden Gegenreformation, ist sie ein letztes und in den sechziger Jahren auch schon einsames Zeugnis reformatorischer Absage an das Herzstück katholischen Glaubens.“298
Nun ist allerdings von der Forschung schon früh auf die in den ausgehenden fünfziger Jahren zu beobachtende Messpolemik aufmerksam gemacht worden, insbesondere auf die scharfen Formulierungen, die im sog. Frankfurter Rezess 1558 zur Zurückweisung der römischen Sakramentstheologie verwendet werden:299 „Daß gräuliche, öffentliche Abgötterei durch die Papisten mit der Messe, Umtragung des Sacramentes, Reposition und falschen [sic!] Anbetung in die Welt eingeführt sey, und noch mit Blutvergießen gestärkt werde, ist öffentlich.“300
Auch Melanchthon hatte bereits 1557 in seiner Eröffnungsrede301 zum Wormser Kolloquium der altgläubigen Seite die Absicht unterstellt, die „offenkundige Wahrheit zu zerstören und schreckliche Götzenbilder aufzurichten“.302 In dem ebenfalls von ihm abgefassten Abschied der in Worms verbliebenen evangelischen Theologen findet sich dieselbe Polemik schließlich zum expliziten Abgöttereivorwurf verdichtet.303 Obwohl die Messe hier nicht direkt genannt ist, 298 299 300 301
Beyer, Frage 80, 89 (Hervorhebung von mir, TS). Vgl. Gooszen, Catechismus, Inl. 121. Compositio Francoford., CR 9, 499. Responsio Phil. Mel. ad Praefationem Rever. Dom. Praesidentis in colloquio Wormatiensi, CR 9, 265–268. 302 „His divinis mandatis cum parere necesse sit, non nos discordiae autores sumus, sed culpa eorum est, qui manifestam veritatem delere, et horribilia idola stabilire conantur. Nec nos ab Ecclesia Dei discessimus, nec socii illorum esse volumus, qui cruore piorum conspersi idola tuentur.“ (a. a. O., 267) 303 „Den[n] dz man solche Colloquia mit den Widersachern fürnimpt, in welchen sie zum
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schwingt sie in dem anklingenden fugite idola als dem zentralen Topos melanchthonischer Messkritik304 doch mit. Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass die altgläubige Seite eine derartige Verurteilung nicht einfach hinnehmen konnte und zur Verteidigung bzw. zum Gegenangriff ansetzte: Die im Anschluss an das Kolloquium anhebende literarische Auseinandersetzung hatte von daher immer auch die Abgöttereipolemik zum Gegenstand. Melanchthon selbst griff 1558 in diese Auseinandersetzung mit einer Widerlegung305 der Epitome des Friedrich Staphylus und der Warhafften und bestendigen Antwort des Johannes a Via ein, in der er den Vorwurf des Götzendienstes vor dem Hintergrund der Lehre der alten Kirche erneuert: „Und weil ihr viel über die Einigkeit der Kirche verhandelt – ich selbst jedenfalls habe oft dargetan, dass wir beständig die Einigkeit mit der alten und reineren Kirche bewahren; wenn ihr dieser folgen wolltet, würden viele eurer Götzen bald einstürzen. Warf sich die erste Kirche etwa vor Statuen zu Boden und rief sterbliche Menschen an? Bot sie etwa Messen zum Kauf feil? Verbot sie etwa die Ehe? Betete sie etwa das Brot an, wie ihr es beim Umhertragen oder bei schwelgerischen Prozessionen tut? Hat etwa das Altertum gelehrt, dass Menschen das Gesetz Gottes erfüllen könnten und gerecht seien durch diese Erfüllung des Gesetzes und dass es dennoch zweifelhaft sei, ob sie Gott gefallen, wie ihr es in der Synode von Trient beschlossen habt […]? Haben etwa in jenem Zeitalter die römischen Bischöfe die rechtgläubigen Frommen niedergemacht?“306
Inhaltlich werden hier ganz ähnliche Momente des Götzendienstes aufgezählt wie sie in dem oben zitierten Abschnitt aus dem Frankfurter Rezess auftauchen: die Anbetung des Geschaffenen (Menschen und Statuen), die Anbetung des Brotes und das Herumtragen in Prozessionen, die brutale Anwendung von Gewalt. Sie finden sich allerdings durch die Aspekte des Messhandels, der Priesterehe und der Gesetzesgerechtigkeit ergänzt und in die Form von aufschein, als hetten sie inn allensachen recht, auch öffentliche lügen und Abgöterey verteydigen wöllen, Gleichwohl dieweyl die hochlöblichen Reychsstände one zweyffel auß guter meynung, ein Colloquium beyder theyl angestellet, haben wir es an uns nicht wöllen mangeln lassen, besonder dieweyl gegen Gelehrten sich gebürt, grund unserer Lehr anzuzeygen, unnd bekantnuß zuthun“ (Melanchthon, Abschied, f. Aiir–v) 304 Vgl. Beyer, Abendmahl, 104. 305 Responsio ad criminationes Staphyli et Avii, Melanchthon StA 6, 462–481. 306 „Et quia multum de consensu Ecclesiae disputatis, saepe ego quidem addidi, nos constanter retinere veteris et purioris Ecclesiae consensum, quem si vos sequi velletis, multa idola vestra mox ruerunt. Num prima Ecclesia ad statuas advolvebatur et homines mortuos invocabat? Num venales Missas habebat? Num prohibebat coniugum? Num adorabat Panem, ut vos in circumgestatione seu Persica Pompa facitis? Num vetustas docuit, posse homines satisfacere Legi Dei et iustos esse hac legis impletione, et tamen semper dubitandum esse, an Deo placeant? Num vetustas docuit de remissione peccatorum dubitandum esse, ut vos in Synodo Tridentina decrevistis […]. Num in illa antiquitate Romani Episcopi interficiebant pios recte sentientes?“ (Melanchthon, Responsio, Melanchthon StA 6, 464f.)
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einanderfolgenden rhetorischen Fragen gebracht. Aufs Ganze gesehen wird so der Zusammenhang der Messpolemik des Frankfurter Rezesses zum Wormser Religionsgespräch deutlich: Durch den polemischen Angriff auf die gegnerische Seite sollte die eigene Geschlossenheit wiederhergestellt werden, die sich 1557 in Worms als fragil erwiesen hatte. Die literarische Auseinandersetzung um das Kolloquium selbst, insofern wäre der oben zitierten Auffassung Beyers zuzustimmen, war 1563 bereits abgeflaut. Jedoch dürfte sie in den Köpfen der beteiligten Personen noch präsent gewesen sein: Aus der Kurpfalz war immerhin der Hofprediger Ottheinrichs, Michael Diller, persönlich auf dem Wormser Kolloquium anwesend, der diese Funktion auch unter Friedrich III. weiter ausübte. Daneben beteiligten sich Petrus Boquinus mit seiner Defensio und – wie dargestellt – Petrus Dathenus an der sich anschließenden Debatte. Die Messpolemik des HK, soviel kann an dieser Stelle schon festgehalten werden, fällt damit keinesfalls aus dem Rahmen des Bildes, das sich uns für den näheren historischen Kontext ergibt. Neben dem Schriftenkomplex, der Zeugnis von der die Gemüter bewegenden Auseinandersetzung um das Wormser Kolloquium gibt, sind weitere zeitgenössische Texte mit deutlich antirömischer Zuspitzung überliefert. So wird die Messopferlehre in der von Matthias Flacius (1520–1575) verfassten Refutatio Missae aus dem Jahr 1557 das Ziel heftiger polemischer Attacken. Nach eigenen Angaben wurde sie von Flacius als Erwiderung auf die Verteidigung der römischen Messtheologie durch den Dominikanermönch Johannes Fabri307 (geb. 1504, gest. nach 1579) konzipiert. In ihrem ersten Teil führt sie insgesamt dreiundzwanzig Argumente gegen die Messe in summarischer Folge auf, der zweite Teil besteht aus einer ausführlichen Widerlegung der im Einzelnen ausgeführten Thesen Fabris. Die detaillierte Entfaltung der reformatorischen Messkritik verfolgt nach Aussage von Flacius einen einzigen Zweck, nämlich dem Leser den abgöttischen Gesamtcharakter der Messe vor Augen zu stellen: „Das nun die Papistische Meß, darin[n] sie vermeinen dz Sacrament Gott zu opffern, für die lebendige[n] un[d] die todten, un[d] für die Sünde der gantzen welt, und auff dies weise Gott mit dem menschlichen geschlechte zuuersünen, unchristlich, wider Gottes wort, unnd in keinen wege zuleyden, Sondern als die grewlichste Antichristische Abgötterey zufliehen und abzuthun sey, beweyse ich mit volgenden Argumenten“308
Die vorgebrachten Argumente reichen von dem Einwand einer fehlenden biblischen Begründung der Messtheologie bis zu den als gotteslästerlich gebrandmarkten Formulierungen des Messkanons. Weil die Menschen meinen, 307 Vgl. Fabri, Was die Evangelisch Meß sey, Dillingen 1555. Zu Johannes Fabri bzw. Faber – nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen, jedoch bereits 1541 verstorbenen Bischof von Wien – vgl. Kellner, Art. Faber (ADB), 494–495. 308 Flacius, Refutatio Missae, f. iir.
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selbst in der Messe Gott ein Opfer geben zu können, im Sakrament aber Gott in Wahrheit den Menschen etwas geben will, muss die Messe als eine Pervertierung der wahren Natur der Sakramente aufgefasst werden: „Derhalben so ist offenbar, das die Messe nichts anders ist, dan[n] eine greüliche verkerung oder umbkerung, der einsetzung ordnung Gottes, unnd das sie stracks wider die natur des Sacraments ist.“309
Flacius kommt an dieser Stelle strukturell zu ganz ähnlichen Aussagen wie der HK, wenn auch seine Messkritik im Gesamten natürlich wesentlich umfassender ausfällt. Alle bisher angeführten Belege, die für eine weite Verbreitung der Messpolemik Ende der Fünfzigerjahre sprechen, stehen jeweils in der ein oder anderen Weise im Kontext einer kontroverstheologischen Auseinandersetzung, also an einem Ort, wo man sie mit einigem Recht vermuten würde. Nun scheint es aber gerade die Besonderheit des HK zu sein, dass hier in einem katechetischen Text, einem Lehrbuch, das doch die Grundlagen des Glaubens in möglichst eingängiger Weise vermitteln möchte, in Fr 80 die Messe mit der harten Verwerfungsaussage der „vermaledeiden Abgötterey“ konfrontiert wird. Schaut man auf die dem HK verwandte katechetische Literatur, so könnte man sogar zu dem Urteil gelangen, man habe es hier mit einer ausgesprochenen Singularität zu tun: Weder in Ursinus’ Katechismen, noch in G oder den Katechismen der Londoner Flüchtlingstradition finden sich Entsprechungen zu HK 80, lediglich Bullingers Catechismus plenior wartet mit einer kritischen Fragenreihe zum Messopfer auf (Fr 288–290)310, ist dabei jedoch frei von jener exaltierten Polemik, die den Schluss von HK 80 so charakteristisch macht. Erweitert man den Horizont allerdings um Schriften, die nicht als direkte Vorarbeiten zum Katechismus zu werten sind, so schränkt sich der Eindruck des Außergewöhnlichen auch in diesem Bereich ein. Von dem ebenfalls in die literarische Debatte um das Wormser Kolloquium verwickelten Württemberger Theologen Jakob Andreae stammt die auf das Jahr 1558 datierte Schrift Einfeltiger bericht, wie ein jeder Christ antwurten soll auß seinem Catechismo, warumb er nicht mehr zu Meß gehe. In der vorangestellten Einleitung wendet sich Andreae ausdrücklich an diejenigen Christen, die aus Unverständnis eine Abschaffung der Messe, wie sie über Jahrhunderte gebräuchlich gewesen sei, fürchteten: „Umb diser ursach willen, hab ich auff bitt und beger viler frommer Menschen, so alhie meine predigten, von der Mess gehöret, disen kurtzen bericht verfasset, und furnemlich auff den Catechismum gestellt: auß welchem auch die gar einfältige[n] Man un[d] frawe[n], jung un[d] alt, ja auch kinder umb siben jar, sollend grundtliche ursach 309 A. a. O., f. xiiv. 310 Vgl. Gooszen, Catechismus, 160f.
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anzeigen könden, warumb die Mess, wie sie im Bapstumb gehalten wurdt, unrecht seye“311
Es ist also, wie bereits der Titel zu erkennen gibt, ein katechetischer Zweck, den Andreae mit seinem Büchlein verfolgt. Darin stellt es gewissermaßen die Weiterführung bzw. den zweiten Teil von Andreaes Kurzer und einfältiger Bericht aus dem Jahre 1557 dar. War es dort seine Absicht, den ungebildeten Laien von der Wahrheit lutherisch-württembergische Position im innerprotestantischen Abendmahlsstreit zu überzeugen und hatte er dort bereits angekündigt, ein entsprechendes Buch über die Messe verfassen zu wollen, so löst er dieses Versprechen mit dem Einfeltiger Bericht ein Jahr später ein.312 Entgegen der Erwartung, die der Titel des Büchleins wecken könnte, übernimmt Andreae in ihm allerdings nicht das katechetische Schema von Frage und Antwort und nimmt auch keine Auslegung der Hauptstücke des christlichen Glaubens vor, sondern orientiert sich konzeptionell am Aufbau des Messkanons, dem er neun in je eigenständigen Kapiteln abgehandelte Verfehlungen der römischen Messtheologie entnimmt. Gegenstand sind die gängigen Topoi reformatorischer Messkritik, unter anderem die ausschließliche Verwendung der lateinischen Sprache, die Messopferlehre, die von Andreae ausführlich in insgesamt drei Kapiteln widerlegt wird, und der Kelchentzug. Wie kaum anders zu erwarten, spart auch Andreae in seiner Schrift nicht mit antirömischer Polemik. Der Vorwurf der „Abgötterei“ im Besonderen findet sich bei Andreae in enger Verbindung einer Kritik der Anbetung von Brot und Wein: „Das sacrament aber, ist nicht gott, sonder ein götlich wortzeychen, darum[m] so kan[n] es nicht angebettet werden, ohne abgötterey, dann man soll woll underschaiden Christum, und das Sacrament Christi.“313
Weil dieser Unterschied in der Messe durch die Anbetung des Brotes nicht gewahrt bleibe, würde in ihr „greulich abgötterey“314 getrieben. Als ein weiteres Beispiel scharfer antirömischer Polemik in unmittelbarer historischer Nachbarschaft zum HK kann schließlich die Confessio Theodor Bezas genannt werden. Neben der ausführlichen Darstellung der Fundamente des wahren christlichen Glaubens liefert sie – entsprechend dem Vorwort zur französischen Ausgabe von 1559 geäußerten Absicht, den Stoff so zu entfalten, als hätte man nicht bereitwillige Zuhörer, sondern Feinde der Wahrheit oder zumindest Zweifler vor sich315 – in einem zweiten Teil die Beschreibung des 311 312 313 314 315
A. a. O., f. A iir–v. Vgl. Andreae, Einfältiger Bericht, f. A iiv. A. a. O., f. 8r. A. a. O., f. 9r. „[…] davantage aussi pource que je me suis assujetti un peu d’avantage a deduire les matieres comme si j’avoye no[n] point a enseigner des auditeurs tous prests a escouter, en
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durch die papistischen Häresien pervertierten Glaubens. Dabei geht Beza schließlich ausführlich auf das Thema De sacramento altaris Papistico ein.316 Zwölf Verfehlungen der römischen Messe werden von ihm in summarischer Weise aufgeführt und mit rhetorischer Schärfe zurückgewiesen, wobei, wie bei anderen Autoren, auch bei ihm der Abgöttereivorwurf an zentraler Stelle auftaucht.317 Da dieser Teil der Confessio später noch ausführlicher betrachtet wird, verzichte ich an hier auf eine weitere Darstellung des Inhalts. Festgehalten sei lediglich, dass Beza selbst sein Werk im Vorwort der französischen Ausgabe von 1559 in die Katechismustradition der alten Kirche und deren Wiederbelebung durch die Reformatoren – gemeint ist wohl insbesondere Calvin – einreiht.318 Neben Andreaes Einfeltigem bericht handelt es sich bei der Confessio somit bereits um die zweite Schrift, in der sich eine katechetische Grundintention mit scharfer konfessioneller Abgrenzung sowie antirömischer Polemik verbindet und die in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum HK abgefasst wurde. Angesichts dieser Beobachtungen scheinen folgende Verallgemeinerungen gerechtfertigt: Im Anschluss an das Wormser Religionsgespräch von 1557 kam es zu einem Anwachsen der kontroverstheologischen Literatur, in der evangelischerseits die bekannten Topoi reformatorischer Messkritik neu zur Geltung gebracht wurden. Ganz auf den Spuren der Äußerungen Melanchthons während des Gesprächs verband sich die Kritik vielfach mit dem Vorwurf, in der katholischen Messe würde Abgötterei getrieben – eine Polemik, die ihren Niederschlag bis in offizielle religionspolitische Dokumente der evangelischen Fürsten hinein fand (Frankfurter Rezess). Neben diesem breiteren Strom der Messpolemik lassen sich zudem Einzeldebatten nachweisen, die die theologische Legitimität der Messe zum Gegenstand haben, jedoch nicht in unmittelbarem Bezug zum Wormser Kolloquium stehen. So hat die Auseinandersetzung zwischen Flacius und Johannes Fabri ihren Ursprung in der Zeit vor dem Religionsgespräch, zieht sich aber bis ins Jahr 1557 hinein. Parallel zu dem Anschwellen der Polemik im Gefolge der konfessionellen Auseinandersetzungen lässt sich als eine weitere übergreifende Tendenz eine lehrhafte Ausgestaltung der Messkritik für die Jugend bzw. das „einfache Volk“ beobachten. Der Gläubige sollte nicht nur Rechenschaft über den positiven Gehalt seines Glaubens geben können, sondern auch ein genaues Wissen darüber besitzen, was ihn von der Gegenseite trennt und in welchen Punkten er sich l’Eglise de Dieu, mais a respondre a ceux qui s’opposent a la verite de Dieu, ou pour le moins qui sont encores en doute de quel cost8 ils se veulent tourner“ (Beza, Confession de la foy chrestienne, iiiiv) 316 Vgl. Beza, Confessio, 277–285. 317 Vgl. a. a. O., 278.282.284. 318 Vgl. dazu die Angaben Bezas im Vorwort der Confession de la foy chrestienne (Beza, Confession de la foy chrestienne, f. iiiir–v).
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von ihr abzugrenzen hat. Man wird nicht fehlgehen, die Einwanderung dieser mit heftigen polemischen Ausfällen verbundenen Messkritik als Element eines Prozesses zu verstehen, der in der neueren Forschung mit dem Begriff der „Konfessionalisierung“ bezeichnet wird.319 Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass die Messpolemik Ende der Fünfzigerjahre des sechzehnten Jahrhunderts ein gesamtprotestantisches Phänomen darstellte. Sie findet sich in allen Schattierungen: von Melanchthon über Andreae und Flacius bis hinein ins reformierte Lager bei Beza und, wie weiter oben ausgeführt, auch bei Dathenus. Welche Rolle ihr bei den sich zugleich vollziehenden innerprotestantischen Abgrenzungsprozessen zukam, bedürfte genauerer Untersuchung: Sie konnte offenbar, wie in Dathenus’ Falle, einerseits dazu dienen, aufbrechende Lehrdifferenzen durch Verweis auf den „gemeinsamen Feind“ zu übertünchen; andererseits bot sie für die reformierte Seite die Gelegenheit, in mehr oder weniger verdeckter Weise Kritik an dem lutherischen Verständnis einer realen Gegenwart des Leibes und Blutes Christi in den Elementen zu üben. Für das sich etablierende konfessionelle Luthertum wiederum stellte sie nur die eine Seite konfessioneller Polemik dar, die ihre Ergänzung in der Abgrenzung von der reformierten Auffassung einer „bloßen“ Spiritualpräsenz im Mahl andererseits fand. Kehrt man nach dem Durchgang durch einige zeitgenössische Schriften zur oben zitierten These Beyers zurück, wird deutlich, dass sich die polemische Messkritik in HK 80 kaum vom unmittelbaren literarischen Kontext abhebt. Im Gegenteil lässt sich dieselbe gut in die beiden gerade aufgezeigten Linien einfügen: Erstens bleibt die Verbindung zu den Auseinandersetzungen um das Wormser Kolloquium durch eine gewisse personelle Kontinuität gewährleistet, so dass Fr 80 als eine, nun in der Tat späte, Reaktion auf die wenige Jahre zuvor geführte Debatte angesehen werden könnte. Zweitens lässt sie sich mit Blick auf die genannten Schriften Andreaes und Bezas als Exponent eines Entwicklungsprozesses hin zur Frühorthodoxie verstehen, in Zuge dessen harte kon319 Der Begriff der „Konfessionalisierung“ wurde insbesondere durch die Arbeiten Heinz Schillings und Wolfgang Reinhards in die Frühneuzeitforschung eingebracht (Vgl. exemplarisch Reinhard, Gegenreformation; ders., Zwang sowie Schilling, Konfessionskonflikt). Allgemein gesprochen beschreibt er die sich in den Reichsterritorien beiderlei Konfession parallel vollziehende Ausrichtung des politischen und kulturellen Lebens, Handelns und Denkens an konfessionellen Kategorien. Es liegt auf der Hand, dass den jeweiligen Bildungsinstitutionen, wie im obigen Fall der Katechese, dabei eine Schlüsselrolle zukommt. Galt bei Schilling und Reinhard vor allem der Staat bzw. die Obrigkeit als Hauptakteur der Konfessionalisierung, so findet der Begriff in der gegenwärtigen Diskussion häufig breitere Anwendung, so dass auch der Frage nach einer „Konfessionalisierung von unten“ (Ehrenpreis, Konfessionalisierung) nachgegangen werden kann. Zur aktuellen Debatte um das Konfessionalisierungsparadigma vgl. Brockmann/Weiß, „Konfessionsbildung“; dies. (Hg.), Konfessionalisierungsparadigma; Büttgen, Eindeutigkeit.
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fessionelle Abgrenzungsaussagen in Katechismen bzw. katechismusähnliche Literatur Eingang fanden. 2.3.3 Der traditionsgeschichtliche Hintergrund von Fr 80 und das Problem seiner Verfasserschaft 2.3.3.1 Der traditionsgeschichtliche Hintergrund von Fr 80 Angesichts einer anzunehmenden weiten Verbreitung der Messkritik zur Zeit der Abfassung von HK 80 mag die Suche nach ihrem spezifischen theologischen Hintergrund zunächst wenig erfolgversprechend erscheinen. Trotzdem meinte Ulrich Beyer anhand einer vergleichenden Betrachtung der Messkritik der vier „großen“ Reformatoren Luther, Melanchthon, Zwingli und Calvin eine deutliche Linie von Calvin zu HK 80 herausarbeiten zu können. Kennzeichen der calvinischen Messkritik seien – im klaren Gegenüber zu Luther – die pointierte Herausstellung der Ablehnung der Verleugnung des einen Opfers Christi durch das Messopfer im Sinne des eph’ hapax des Hebräerbriefes und die strikte Zurückweisung der Anbetung von Brot und Wein.320 Diese scharfe Gegenüberstellung wurde in der Folge von Wilhelm H. Neuser relativiert – statt von zwei „Typen“ der Messkritik bei Luther und Calvin sei eher von unterschiedlichen Akzentsetzungen zu reden –, ja sie müsste angesichts des oben Gesagten weiter relativiert werden, insofern die sich dezidiert in die Tradition Luthers stellenden Theologen Andreae und Flacius das Messopfer und die Anbetung von Brot und Wein sehr wohl mit entschiedenen Worten kritisieren konnten. Neuser selbst sieht allerdings wiederum eine traditionsgeschichtliche Verbindung zu Calvin oder Melanchthon im Topos der in Fr 80 ausgesagten Christusgemeinschaft gegeben.321 Beachtet man den im Bild der Einleibung auf metaphorischer Ebene bestehenden Zusammenhang zum übrigen Katechismus und insbesondere zu Fr 76, das G 345 aufnimmt,322 so wird man mit einigem Recht davon ausgehen können, dass auch HK 80 zumindest in seiner endgültigen Gestalt durch calvinische Theologie geprägt ist. Dieses Urteil findet seine Bestätigung durch terminologische Übereinstimmungen der Abgöttereipolemik mit Aussagen Calvins, auf die ebenfalls Ulrich Beyer aufmerksam gemacht hat. Mehrfach lässt sich bei dem Genfer Reformator die Wendung execranda idololatria nachweisen, die die lateinische Ausgabe des Katechismus anstelle des deutschen „vermaledeite Abgötterei“ verwendet, – bzw. deren französische Entsprechung idolatrie ex8crable.323 Calvin hat dabei 320 321 322 323
Vgl. Beyer, Abendmahl, 90–92. Vgl. Neuser, Abendmahl, 168, Vgl. S. 98 Anm. 52. Beyer verweist auf einen Brief Calvins an Renata von Ferrera aus dem Jahr 1537 (CR 39 [CO
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vor allem die Anbetung von Brot und Wein in der Messe im Auge, wobei er allerdings letztere auch allgemein als eine „von Grund auf böse und verabscheuungswürdige Abgötterei“324 bezeichnen kann. Es scheint daher der Schluss naheliegend, die Redaktion von HK 80 habe mit dem Aspekt der Einleibung in Christus und dem polemischen Verwerfungsurteil der „vermaledeiten Abgötterei“ das Fr um zwei spezifische, aus dem theologischen Umfeld Calvins stammende Elemente ergänzt. Für die erste Fassung von Fr 80, also allein mit Blick auf die Zurückweisung des Messopfers als Wiederholung des einmaligen Opfers Christi, ließe sich diese Zuordnung allerdings auf Grund der weiten Verbreitung der Messopferkritik nicht ohne weiteres vornehmen – insofern wäre Neuser gegenüber Beyer Recht zu geben.325 Die Endgestalt von HK 80 besitzt nun durch die Ergänzungen der dritten Ausgabe gleichwohl ein deutlich calvinisches Gepräge und es erhebt sich die Frage, ob an dieser Stelle von einer unmittelbaren oder einer indirekten literarischen Abhängigkeit ausgegangen werden muss, ob also bei der Abfassung der Ergänzungen direkt auf die Schriften Calvins zurückgegriffen wurde, oder ob dabei andere Instanzen eine vermittelnde Rolle übernommen haben.326 Als eine solche vermittelnde Größe, durch die calvinisch geprägte Theologie in den HK eingetragen wurde, hat bereits Walter Hollweg 1961 die Confessio Theodor Bezas und ihr zusammengefasstes Derivat, das Kurtze Bekanntnuß, identifiziert. Hollweg führt nicht weniger als dreiundzwanzig Fr an, für die er den maßgeblichen Einfluss Bezas nachzuweisen beansprucht.327 Ob diese Zuschreibungen im Einzelnen schlüssig sind oder ob nicht bisweilen weitere Quellen als Bezugsgrößen in Frage kämen, sei hier dahingestellt. Aufs Ganze gesehen kann es jedenfalls als Hollwegs nicht zu schmälerndes Verdienst angesehen werden, die eminente Bedeutung der beiden Schriften Bezas für den HK als erster in vollem Umfang erkannt zu haben. Als problematisch im Hinblick auf die theologiegeschichtliche Einordnung von HK 80 erweist sich allerdings eine methodische Vorentscheidung Hollwegs:
324 325 326
327
12], 330); auf den 1538 gedruckten Catechismus sive Christianae Religionis Institutio (CR 33 [CO 5], 359; auf Calvins Abendmahlstraktat von 1541 (Petit Traict8 de la Saincte Cene, CR 33 [CO 5], 458); sowie auf den Petit Traict8 von 1543 (Petit Traict8 monstrant que c’est que doit faire un homme fidele, CR 34 [CO 6], 554.561). Vgl. im Ganzen Beyer, Abendmahl, 75f. „une idolatrie du tout m8schante et ex8crable“ (Calvin, Petit Traict8, CR 62 [CO 34], 561) Freilich wird eine in dieser Hinsicht differenzierte Beurteilung der beiden Fassungen bei Neuser durch seine fehlerhafte Einschätzung des Umfangs der Ergänzungen der dritten Ausgabe des HK in Fr 80 verhindert (vgl. S. 254 Anm. 283). Wenn Ulrich Beyer im Anschluss an seinen Ausführungen über Calvins Messkritik „eine volle, bis in die einzelnen Formulierungen reichende Abhängigkeit der 80. Frage von ihm [sc. Calvin]“ (Beyer, Abendmahl, 77) konstatiert, scheint diese Frage vorschnell übersprungen. Vgl. Hollweg, Untersuchungen I, 102–110.
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Wohl aus Gründen der besseren Verfügbarkeit griff Hollweg im Rahmen seiner Besprechung der Confessio Bezas nicht auf deren erste erhaltene Drucke aus den ausgehenden Fünfziger- bzw. beginnenden Sechzigerjahren zurück, sondern auf ihre Adaption als offizielle Bekenntnisschrift durch die reformierten Gemeinden in Ungarn, die sog. Confessio Tarczal-Tordaensis.328 Diesem ungarischen Bekenntnis fehlt nun aber gerade der gesamte zweite Teil der Confessio, die polemische Gegenüberstellung des wahren Glaubens mit dem pervertierten Glauben des Papstes. Hollweg ist sich dieser Einschränkung bewusst, erwartet aber, dass das Kapitel „für die nachfolgenden Untersuchungen in keiner Weise in Frage“ käme.329 Im Fortgang entgeht ihm deshalb eine entscheidende Parallele zur Messpolemik des HK. Bei seiner Beschreibung der einzelnen Verfehlungen der Messe im Abschnitt „De sacramento altaris Papistico“ findet sich im Rahmen der Darstellung der Transsubstantiationslehre folgende interessante Argumentation: Die Sakramente, so Beza, seien eingesetzt, um alle Sinne zum Ergreifen der himmlischen Dinge zu bewegen, als ob diese in der Sache selbst gegenwärtig seien, wovon das feierliche sursum corda Zeugnis gebe.330 Dieser durch ihre Einsetzung gegebene Sinn der Sakramente werde nun jedoch durch die Papisten verkehrt: „Aber jene [sc. die Papisten] bezeugen im Gegenteil, dass Brot und Wein durch magisches Geflüster die Substanz verändert, und (oh Abgötterei, vor den ältesten Abgöttereien selbst zu verfluchen) sie befehlen, man solle das Stückchen Brot, das sie mit unreinen Händen zur Schau stellen, anbeten als wäre es Christus höchstselbst, solange, bis sie es schließlich in grausamer Weise verschlingen.“331
Nachdem Beza mit dem sursum corda den locus classicus des calvinischen Gedankens einer Vereinigung mit Christus im Abendmahl aufnimmt, greift er mit der Lehre von der Transsubstantiation, der aus ihr resultierende Anbetung der Elemente genau jene Momente an, um die HK 80 in der überarbeiteten Fassung erweitert wurde. Darüber hinaus gipfelt Bezas Kritik, ganz wie diejenige des HK, in einem polemischen Ausfall gegen die idolomania execranda der Papisten. Im Kleinen scheint HK 80 genau jene antithetische Struktur abzubilden, die für die 328 Unter dem Titel „Ungarisches Bekenntnis von 1562“ abgedruckt bei Müller, Bekenntnisschriften, 376–449. 329 Hollweg, Untersuchungen I, 91. 330 „Nono, instituta sunt sacrame[n]ta ut omnes sens[us] excitent ad caelestiu[m] reru[m] co[m]prehe[n]sione[m] quasi in re[m] ipsa[m] presente[m] adducamur, cui[us] rei testimoniu[m] esse oportuerat vel illud solemne SURSUM CORDA“ (Beza, Confessio, 282; Majuskeln im Original) 331 „At isti [sc. Papistae] prorsus e co[n]trario testantur se pane[m] & vinu[m] magico susurro transsubstantiare, & (proh Idolomania ipsis etia[m] vetustissimis Idololatris execranda) iube[n]t tanqua[m] ipsissimu[m] Christu[m] adorari crustulu[m] quod impuris manibus ostentant, donec tandem crudeliter vore[n]t.“ (ebd.)
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Confessio in ihrer Gesamtheit kennzeichnend ist. Dem positiven Gehalt des wahren Glaubens wird die negative Pervertierung desselben im Papsttum gegenübergestellt; in Fr 80 wird dies anhand des einmaligen Opfers Christi und der Einleibung in Christus vollzogen, denen jeweils Messopfer bzw. Transsubstantiation und Anbetung als Antithesen entsprechen. Aufgrund des beachtlichen Unterschiedes im Umfang ihrer Anwendung ist diese strukturelle Gemeinsamkeit allerdings nicht überzubewerten. Möchte man sich dezidiert von abweichenden Ansichten abgrenzen, könnte sie einfach als das geeignete rhetorische Mittel nahegelegen haben. Gewichtiger erscheint demgegenüber, dass die terminologische Nähe der beiden Schriften noch einmal in größerer Klarheit zu Tage tritt, wenn man die niederländische Übersetzung der Confessio aus dem Jahr 1561 hinzuzieht.332 Der oben zitierte Abschnitt lautet dort wie folgt: „Maer dese betuygen geheelter contrarie, dat dat broot ende den wyn doer een roouerissche mommelinge in een andere substancie verandert werdt. En[n] (O vermalendyde afgoderye boue[n] alle afgoderye die oyt hier voertyts gheweest is) gebieden datmen dat stucksken broots, welck sy mit haer onreyne hande[n] opbeffen, als Christum des luende Godts sone aenbidde, tot dat syt ten lesten oock ongenadelick op slocken.“333
Mit der Übersetzung „vermalendyde afgoderye“ für das lateinische idolomania execranda ist der Schritt zur „vermaledeiten Abgötterey“ der dritten deutschen Ausgabe des HK lediglich ein orthographischer. Es handelt sich hier meines Wissens um die im Wortlaut genaueste Entsprechung zum Schluss von Fr 80 in der Zeit vor 1563. Neben dieser Parallele in der Formulierung wird man auf die weite Verbreitung der Confessio und das hohe Ansehen verweisen können, das Beza in bestimmten Kreisen der Heidelberger Theologen genoss. Über die persönlichen Kontakte Bezas in die Kurpfalz hat Walter Hollweg Einiges geschrieben, so dass hierauf nicht im Einzelnen eingegangen zu werden braucht.334 Beispielhaft seien hier nur die wertschätzenden Worte genannt, die Caspar Olevianus gegenüber Beza in seinem Brief vom 10. April 1561 mit Bezug auf die Confessio äußert. Hollweg hat diesen Brief zur Stärkung seiner These eines Einflusses Bezas auf den Heidelberger Katechismus 1968 in einem Aufsatz zum Thema gemacht und teilweise übersetzt.335 Da er für das Anliegen dieser Arbeit gleich in mehrfacher Hinsicht belangreich ist, sei hier die entsprechende Passage in der Übersetzung Hollwegs wiedergegeben. Olevianus bedankt sich zunächst für die erhaltenen 332 333 334 335
Bekentnisse des Christelicken Gheloofs, s.l. 1561. Beza, Bekentnisse, 378 (Hervorhebung von mir, TS). Vgl. Hollweg, Untersuchungen I, 87–89. Vgl. Hollweg, Untersuchungen II, 43–47. Der Brief selbst findet sich ediert in der CTB 3, 96f.
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Exemplare der Spottschriften Bezas gegen Heshusen und kommt dann auf die besagte niederländische Übersetzung der Confessio zu sprechen: „Damit du aber nicht glaubst, Du allein sendetest Gaben, von anderen aber werde nichts zurückgegeben, schickt Dir Herr Johannes Junius, Antwerpener Senator, Deine Konfession in niederländischer Übersetzung, damit Du für die Zukunft durch Bekenntnis Deines Glaubens für die Niederländer viele gewinnst. Nichts in der Übersetzung ist leichthin dahingeplappert, sondern mit unglaublichem Eifer hat er sie zweimal übersetzt, wortgetreu und deutlich; auch ist sie durch Gutachten frommer und gelehrter Niederländer geprüft worden, solcher, die bei uns sind im Sapienzkolleg, wie solche besonders, die in Frankfurt an der Spitze der Niederländischen Kirche stehen.“336
Nachdem Olevianus angemerkt hat, dass er die Übersetzung im brieflichen Auftrag des in Frankfurt weilenden Junius an Beza versendet, fährt er fort: „Ich tat das umso lieber, weil ich in der Zeit meiner Haft merkte, welch reichen Trost ich aus Deiner französischen Konfession nahm. Die gleiche Konfession nützt auch unseren jungen Leuten und auch frommen Predigern.“337
Man erfährt aus diesem Brief also nicht nur, dass der Antwerpener Senator Johannes Junius338 der Übersetzer der niederländischen Fassung der Confessio von 1561 ist, sondern auch, dass diese Übersetzung sowohl in der niederländischen Fremdengemeinde in Frankfurt, wie bei den niederländischen Theologen „im Sapienzkolleg“ – gemeint ist wahrscheinlich Petrus Colonius, der seit 1560 gemeinsam mit Olevianus einige Zeit lang das Collegium Sapientiae leitete339 –, Anerkennung gefunden hat. Darüber hinaus wird der enge persönliche Bezug von Olevianus zur Confessio deutlich, die ihm in der Haft „reichen Trost“ gespendet habe. Angesichts dieses brieflichen Belegs wird man mit einiger Gewissheit davon ausgehen dürfen, dass es tatsächlich die Confessio Bezas war, die in ihrer von Junius angefertigten niederländischen Übersetzung Pate für die abschließende Verwerfungsaussage von HK 80 stand. Die Spur führt uns damit zwar ins Umfeld
336 „At vero ne existimes te unum dona mittere, nil vero remitti ab aliis, mittit ad te D. Johannes Junius Senator Antwerpiensis confessionem tuam factam flandricam, ut imposterum Flandris etiam fidem tuam confitendo multos lucrifacias. Nihil in versione effutivit temere, sed incredibili studio bis eam convertit et fideliter et perspicue; judiciis etiam piorum et doctorum Flandrorum examinata est tum eorum qui apud nos sunt in Sapientia, tum vero eorum vel imprimis qui Francofurti praesunt Flandricae ecclesiae.“ (a. a. O., 96) 337 „Quod eo feci libentius quod senserim, ipse in custodia cum essem, quantum ex confessione tua Gallica ceperim solatii prodest eadem confessio etiam adolescentibus nostris et etiam piis ministris.“ (ebd.) 338 Zu Junius vgl. S. 70 Anm. 177. 339 Vgl. Nauta, Art. Colonius, 132.
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der niederländischen Fremdengemeinde in Frankfurt, jedoch nicht unmittelbar zu Dathenus und dessen heftiger Abgöttereipolemik. 2.3.3.2 Zur Frage der Verfasserschaft von HK 80 Angesichts des dargelegten traditionsgeschichtlichen Hintergrundes von HK 80 gewinnt die Frage nach dem Autor bzw. den Autoren des Fr neue Relevanz. Auf welchen der an der Abfassung des Katechismus beteiligten Heidelberger Theologen könnte seine Einfügung und bzw. oder seine Erweiterung unter Rückgriff auf Bezas Confessio zurückzuführen sein? Soweit ich sehen kann, wurden in der Forschung bislang vor allem zwei Alternativen erwogen, wenn es um die konkrete Zuschreibung der Verfasserschaft ging. Seit Albrecht Wolters340 – ihm folgen Jacob I. Doedes341 und mit Abstrichen August Kluckhohn342 – richtete sich das Interesse zum einen auf die Person von Kurfürst Friedrich III. selbst. Dessen Rolle als Initiator des Katechismus, das Gewicht, das dem HK im Zuge der konfessionellen Neuordnung der Kurpfalz zukam und die in Briefen belegte weitgehende persönliche Identifikation des Kurfürsten mit „seinem“ Katechismus sind von jeher bekannt. Wolters geht in seiner Argumentation jedoch noch einen Schritt weiter :343 In einer von Christian Ludwig Mieg überlieferten Notiz zu Fr 78 gebe Friedrich seinem Wunsche Ausdruck, der HK „möge mit der einigen Mutation“ von der kurpfälzischen Synode angenommen werden – und das heißt nach Wolters, mit den Änderungen, die Friedrich selbst vorschlug. Im Gegensatz dazu, so Wolters weiter, gebe Friedrich in seiner Verteidigungsschrift des HK aus dem Jahr 1566 an, den Katechismus „in etlichem“ verbessert zu haben. Schreibe der Kurfürst vor der Verabschiedung des HK durch die Synode er habe lediglich „einige Mutation“ vorgenommen, dann aber 1566 der HK sei durch ihn „in etlichem“ verbessert worden, so lasse dies auf Grund der durch die zweite Wendung indizierten weiteren Umfanges der Veränderungen und der Tatsache, dass allein Fr 80 als umfangreichere spätere Ergänzung in Frage komme nur den Schluss zu, Friedrich selbst habe die spätere Einfügung von Fr 80 bewerkstelligt. Wolters’ Argumentation vermag im Ganzen wenig zu überzeugen: Von der Frage nach der Belastbarkeit der von Mieg überlieferten Notiz Friedrichs III. über das Problem ihrer passivischen Formulierung, bis hin zu der grundsätzlichen methodischen Schwierigkeit aus den von Wolters angeführten kurzen 340 Vgl. Wolters, Katechismus, 110–140; ders., Urgeschichte. 341 Vgl. Doedes, Catechismus, 28. 342 „Und sollte der Kurfürst, so sehr er auch sich auf das eigene Urtheil in kirchlichen Fragen zu verlassen gewöhnte und so rücksichtslos auftreten konnte […] wirklich ganz ohne Zuziehung theologischer Rathgeber die ’bessernde Hand’ an denselben Katechismus gelegt haben“ (Kluckhohn, Friedrich, 135f) 343 Zum Folgenden vgl. Wolters, Urgeschichte, 26–28.
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
Wendungen einen so weitgehenden Schluss zur Verfasserfrage von HK 80 zu ziehen, weist sie eine Reihe von Schwachstellen auf. Man wäre versucht, Wolters beizuspringen und darauf zu verweisen, dass Friedrich die römische Messe an mehreren Stellen in seinen Briefen mit heftigen Worten als Abgötterei verurteilt,344 allerdings besäße dieses Argument angesichts der weiten Verbreitung der Abgöttereipolemik keine große Tragweite. Insbesondere müsste man mit Blick auf die oben angenommene literarische Abhängigkeit des Fr von Bezas Confessio eine genaue Kenntnis dieser Schrift bei Friedrich voraussetzen, was wiederum die Frage aufwürfe, in welchem Umfang der Kurfürst calvinisch geprägte Theologen persönlich studiert hat und wie sich dies mit dem in seinen Briefen wiederholt vorgebrachten Zeugnis zusammenreimt, er, Friedrich, habe die Schriften Zwinglis und Calvins selbst nie gelesen.345 Alles in allem erscheint die Annahme einer unmittelbaren Beteiligung Friedrichs bei der Abfassung von Fr 80 nur schwach begründet, weshalb die Forschung mehrheitlich zu einer alternativen These tendiert, zu der ein vielbeachteter Brief des Caspar Olevianus an Calvin vom 3. April 1563 Anlass gibt. Darin schreibt er : „[…] in der ersten deutschen Ausgabe [des HK] […] fehlte eine Frage über den Unterschied zwischen Abendmahl und päpstlicher Messe. Durch mich ermahnt wünschte der Kurfürst, dass sie in der zweiten deutschen und der ersten lateinischen Ausgabe hinzugefügt würde.“346
Olevianus beansprucht somit, den entscheidenden Impuls zur Einfügung von HK 80 gegeben zu haben. Zu diesem Briefzeugnis gesellen sich verschiedene Übereinstimmungen in seinen Schriften mit der Messkritik und -polemik von 344 Hingewiesen sei nur auf eine protokollarisch festgehaltene Äußerung Friedrichs gegenüber seinen Söhnen und vertrauten Räten aus dem Jahr 1564, die exemplarisch für eine Vielzahl möglicher Belegstellen stehen kann: „Pfalz Intent sei allwege dahin gestanden, wie aller gottseligen Obrigkeiten, die Abgötterei abzuschaffen, sonderlich so aus dem Papstumb hergefloßen. Weil dann solche in der Pfalz Kirchen als das rund Brödlein, daraus ein Abgott gemacht, befunden und fürgeben, daß sie die Prädicanten Gott in ihren Händen hätten, habe Pfalz ohne Rath ihrer Räthe solch rund Brod abgeschafft, die Abgötterei aus dem Herzen der Menschen zu thun, und dagegen das Brodbrechen angericht […] Sollen das Exempel 2 Kön 24 und 25 mit Josia vor Augen haben, welcher im achten Jahr seines Alters zum König erwählet, die Abgötterei abgeschafft und den wahren Gottedienst angerichtet, aber die Kinder den Greuel wieder aufsetzen und die Religion umbstoßen, als im 36. Capitel zu sehen, welches sie lesen sollen.“ (Kluckhohn, Briefe I, 513–515) 345 Vgl. Kluckhohn, Briefe 1, 99.260.415.453.688. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass diese Bemerkungen immer in apologetischem Kontext stehen und der Verteidigung gegen den Vorwurf dienen, in Heidelberg würde „zwinglische und calvinische lehr“ (a. a. O., 452) getrieben. 346 „[…] in prima editione germanica […] omissa erat quaestio de discrimine coenae et missae pontificiae. Admonitus a me Princeps voluit in secunda editione germanica et prima editione latina addi.“ (CR 47 [CO 19], 684)
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HK 80.347 Sowohl die Kritik am Messopfer als Verleugnung des einen Opfers Christi, als auch die Verurteilung von Transsubstantiation und Anbetung der Elemente, als auch der in diesem Zusammenhang vorgebrachte Abgöttereivorwurf gegen die Messe ziehen sich als prägende Motive durch seine späteren Predigten über das Abendmahl.348 Gleichwohl erheben sich angesichts der Infragestellung der These von Olevianus’ Mitverfasserschaft am HK Bedenken, das Eindringen von HK 80 ausschließlich auf Olevianus zurückzuführen. So muss sein Verhältnis zum HK angesichts des bereits genannten Briefes von Dathenus an Beza aus dem Jahr 1570 und folgender seinem Schreiben an Calvin vom 3. April 1563 entnommenen Äußerung als durchaus ambivalent beurteilt werden: „Wenn der Katechismus durch Dein Urteil gebilligt werden wird, dann wird das denen zur Genugtuung gereichen, die ihre Überlegungen zusammengetragen haben […]. Ich habe vorher oft gewünscht, dass er zuvor an Dich übersandt würde, aber dem sind wunderliche Ränke entgegengestellt worden. So groß ist die Schwierigkeit, wenn viele Köpfe zusammenzubringen und auf einen Nenner zu bringen sind.349
Von jemandem, der den Katechismus in seiner Endgestalt maßgeblich geprägt haben soll, würde man ein positiveres Urteil erwarten.350 Daneben stellt sich auf grundsätzlicher Ebene das Problem fehlender Quellen: Alle von Olevianus überlieferten Schriften entstammen der Zeit nach 1563; so auch die genannten Predigten über das Abendmahl, so dass die in ihnen zu beobachtenden Parallelen zu HK 80 ebenso gut den Einfluss des HK auf Olevianus bezeugen, wie umgekehrt als Belege für seine Autorschaft an dem Fr herangezogen werden könnten. Schließlich ist der zitierte Passus aus seinem Brief an Calvin zunächst einmal streng in seinem Wortlaut zu nehmen: Man erfährt darin lediglich, dass die Initiative zur Abfassung von HK 80 von Olevianus ausging, und dass Friedrich daraufhin einen entsprechenden Auftrag erteilt hat. Dass Olevianus im 347 Dazu ausführlich Beyer, Abendmahl, 44–59. 348 „Zum andern, wenn nu der arme vermaledeyte Messzpfaff seinen Brotgott also gezaubert, unnd das arme volck ihn angebetten hat, unnd gesagt, Es sey der Gott der sie erschaffen hab […] so leßt ers bey solcher abgötterey nicht bleiben, sonder sagt, Er opffere dem himmelischen Vatter den leib Christi unnd sein blut zur bezahlung für die sünden der lebendigen und der todten. Macht also auß dem Abendmal ein opffer für die sünde, unnd seind in denselbigen worten des Messzpriesters unaußsprechliche Gotteslästeringe begriffen.“ (Olevianus, Von der ersten Hauptursache alles irrthumbs, 247) 349 „Si catechismus tuo iudicio probabitur, abunde iis erit satisfactum qui cogitationes suas contulerunt […]. Optavi antea saepe ut prius ad [te?] mitteretur, sed mirabiles obiectae fuerunt tricae. Tanta est difficultas in conciliandis multis capitibus et redegendis in unum.“ (CR 47 [CO 19], 685; Einfügung im Original; deutsche Übersetzung nach Goeters, Olevianus, 305) 350 Ausführlich diskutiert noch einmal Goeters (a. a. O., 299–310) Olevianus’ Verhältnis zum HK mit dem Ergebnis „der These von seiner maßgeblichen Mitverfasserschaft“ sei nun „endgültig der Abschied [zu] geben“ (a. a. O., 309).
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
Anschluss daran das Fr auch abfasste, wäre eine plausible, keineswegs aber notwendige Schlussfolgerung. Die im vorhergehenden Abschnitt angestellten Beobachtungen sind nun jedoch geeignet, die These von Olevianus’ Autorschaft von HK 80 zu stärken. Dieser lässt selbst gegenüber Beza die große Bedeutung durchblicken, die dessen Confessio für ihn persönlich seit der Zeit seiner Gefangenschaft besaß. Zudem kannte er offenkundig Junius’ niederländische Übersetzung. Was läge näher, als dass Olevianus die dort vorkommende Wendung der „vermalendyde afgoderye“ ins Deutsche übertragen und als abschließendes Urteil über die Messe in Fr 80 eingefügt hätte? Olevianus’ geringes Vertrauen in seine eigenen Übersetzungsfähigkeiten, das er außerhalb seines Briefes an Beza noch ein weiteres Mal gegenüber Calvin mit Blick auf die Übersetzung des Genfer Katechismus durch Ursinus äußert,351 könnte für ihn den Ausschlag gegeben haben, sich an der dem Deutschen nahestehenden niederländischen Übersetzung von execranda idololatria zu orientieren. Welche Rolle spielte Dathenus bei der Abfassung von HK 80? Auch bei Dathenus konnte ja eine betonte Kritik an Messe und Transsubstantiation beobachtet werden, die sich ganz ähnlich wie in HK 80 zur Abgöttereipolemik zuspitzt. Darüber hinaus kannte er mit Sicherheit nicht nur Bezas Confessio, wie die theologischen Anleihen, die er an ihr nimmt, bezeugen, sondern auch Junius’ Übersetzung derselben. Olevianus schreibt ja an Beza, die Übersetzung sei durch „fromme Niederländer“ gebilligt worden, „die in Frankfurt an der Spitze der Niederländischen Kirche stehen“.352 Gleichwohl gibt es ein gewichtiges Argument gegen die Annahme einer unmittelbaren Beziehung zwischen Dathenus und HK 80: Dathenus selbst verwendet in seiner Übersetzung des HK aus dem Jahr 1563 für die Wendung „vermaledeite Abgötterey“ gerade nicht das Wort „vermalendyde“, sondern übersetzt „vervloekte afgoderij“.353 Wollte man für Dathenus’ unmittelbarer Beteiligung an der Verfasserschaft des Fr argumentieren, müsste man erwarten, dass er sich bei der Rückübersetzung der Wendung ins Niederländische wieder an der Formulierung aus Junius’ Übersetzung der Confessio orientierte. Da dies nicht der Fall ist, wird man annehmen dürfen, dass Dathenus bei der Einfügung von HK 80 nicht direkt beteiligt war. In Anbetracht der genannten Argumente wird man Olevianus als den Verfasser des Fr, oder besser gesagt, als den Redaktor ansehen müssen, der die Einfügungen der dritten Ausgabe in Fr 80 vornahm. Dass er auch die erste Version des Fr formulierte, ist zwar mit Blick auf 351 „Catechismus tuus germanice prodit hisce nundinis bene conversus a Zacharia Ursino, qui me facultate linguae superat.“ (CR 47 [CO 19], 684) 352 Vgl. S. 270 mit Anm. 336. 353 Vgl. Catechismus, Doedes, 50.
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seine gegenüber Calvin getroffene Aussage wahrscheinlich, aber wegen des unspezifischen Charakters der Messopferkritik nur schwer mit letzter Gewissheit nachzuweisen. Durch die Identifikation der niederländischen Übersetzung von Bezas Confessio als direkter literarischer Vorlage des abschließenden Abgöttereivorwurfs in HK 80 gelang eine gewisse Aufhellung seiner bis heute mit vielen Fragezeichen behafteten Entstehungsgeschichte, insofern auf diese Weise die These einer Verschärfung des Fr durch Olevianus weiter gestützt werden konnte. Die scharfe antirömische Polemik desselben scheint zum einen in einer gewissen Verbindung zu den Beschlüssen des Konzils von Trient zu stehen, wie die Betrachtung der Korrespondenz Bullingers mit dem Graubündner Reformator Johannes Fabricius von Anfang 1563 nahelegt. Zum andern lässt sich die Messkritik von HK 80 jedoch auch in einen übergreifenden literarischen Zusammenhang einbetten: So verbanden eine Reihe von zeitgenössischen Schriften scharfe konfessionelle Abgrenzungsaussagen mit der Ausrichtung auf Lehre bzw. Katechese. Beide Beobachtungen vermögen für sich genommen den harten polemischen Ton von HK 80 zu plausibilisieren. Sie ließen sich insofern verbinden, als dass das tridentinische Messopferdekret zwar den unmittelbaren historischen Anlass für die Messpolemik des Katechismus geboten haben könnte, dieselbe sich jedoch inhaltlich nicht an den Spezifika von Sacrosancta oecumenica, sondern an dem orientierte, was durch die gängigen Topoi antirömischer Polemik vorgegeben war. Unabhängig von diesen Beobachtungen zur Genese des Fr wird man mit Blick auf den Abgöttereivorwurf im Besonderen angesichts der Ergebnisse der kurzen semantischen Untersuchung von Dathenus’ Frankfurter Schriften zu fragen haben, ob in HK 80 tatsächlich eine differenzierte Verwendung der Polemik mit Bezug allein auf die Anbetung der Elemente vorliegt, wie sie in Teilen der Forschung angenommen wurde, oder ob dort nicht ebenfalls eine Ausweitung des definitorischen Bedeutungsgehaltes ähnlich wie bei Dathenus stattgefunden haben könnte. Die Wendung „vermaledeite Abgötterey“ wäre dann eben doch als ein „Pauschalurteil über die Messe“ zu werten,354 sie wäre von ihrem Charakter weniger ein begründetes theologisches Urteil, als rhetorischer Ausdruck der Abscheu über das zuvor an der Messe Kritisierte. Aufschlussreich wäre in diesem Zusammenhang sicherlich eine Untersuchung des Bedeutungsumfangs und der Verwendung von idolomania in Bezas Confessio. Dem weiter nachzugehen ist hier nicht der Ort. Kehren wir abschließend noch einmal zur Person von Dathenus zurück: Obwohl eine unmittelbare Beteiligung an der Abfassung von Fr 80 nicht zu erkennen ist, wird man gerade anhand der parallel laufenden Mess- und Ab354 Gegen Beyer, Abendmahl, 42.
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
göttereipolemik eine gemeinsame Prägung festhalten können, die Dathenus und Olevianus verband. Die wohl aus der beiderseitigen Erfahrung der Glaubensverfolgung erwachsene scharfe Messkritik weist auf einen gemeinsamen theologischen und biographischen Hintergrund, der das Fundament für die spätere Zusammenarbeit in der Kurpfalz gebildet haben könnte.
2.4
Ergebnis
Der Durchgang durch die parallelen Motive in der Theologie von Dathenus und im HK ergibt ein gemischtes Bild: Im Falle der beobachteten Entsprechungen in der Beschreibung der fines der guten Werke (HK 86) scheint jeweils Bezas Confessio die unmittelbare Vorlage gebildet zu haben, wie ein direkter Textvergleich nahelegt. Ähnlich verhält es sich im Falle der Messkritik von HK 80: Obwohl in diesem Bereich gewisse Parallelen zwischen Dathenus und dem HK vorhanden sind, ließ sich ein direkter Einfluss nicht nachweisen. Vielmehr dürfte Olevianus, wiederum unter Rückgriff auf Bezas Confessio, die Abgöttereipolemik von HK 80 verschärft haben; möglicherweise war er auch für die Einfügung des Fr in der zweiten Ausgabe des HK verantwortlich. Eine plausible Erklärung böte die Annahme eines wie auch immer gearteten Einflusses von Dathenus auf HK 30 (Suffizienz des einen Heilswerkes Christi), HK 36 (soteriologischer „Nutzen“ der Inkarnation), HK 52 (Wiederkunft Christi zum Gericht) und HK 85 (Schlüsselamt), wenn auch alternative Deutungen in keinem Fall definitiv ausgeschlossen werden konnten. In zwei der vier genannten Fr (HK 36 und HK 85) deckt sich der angenommene Einfluss mit der schon im zweiten Hauptteil aufgezeigten Verwendung der laskonischen Katechismen. Das in HK 36 nachträglich eingefügte Mittlerprädikat und der explizite Verweis auf die soteriologische Bedeutung der Jungfrauengeburt passt sehr gut zur Theologie der Londoner Fremdengemeinde, die vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit dem mennonitischen Täufertum beide Aspekte besonders betonte. Bei Dathenus wirkte dieser Einfluss jedenfalls bis zum Frankenthaler Religionsgespräch 1571 nach. In HK 85 könnte der für die Londoner Gemeindeordnung so prägende Gedanke einer Beteiligung der Gesamtgemeinde an der Kirchenzucht über Dathenus in abgeschwächter Form in den HK eingedrungen sein. Auffällig erscheint allerdings, dass gerade der Bereich, in dem sich der Einfluss der Londoner Flüchtlingstradition im HK und der KKO am deutlichsten niederschlägt, bei Dathenus kaum repräsentiert ist: Weder lässt sich in seinen Frankfurter Schriften ein ähnlich intensives Interesse an der Glaubensexistenz des Einzelnen nachweisen, wie im HK (wenngleich der Trostgedanke auch bei Dathenus bisweilen auftaucht), noch auch eine Rezeption des in der Londoner Gemeindeordnung von Bucer übernommenen Dreierschemas. Dieses negative
Die Rezeption des Heidelberger Katechismus und der Kurpfälzischen Kirchenordnung 277
Ergebnis auf formaler Ebene mag allerdings zum größten Teil durch die in weiten Teilen polemische Ausrichtung seiner Schriften bedingt sein, denen es nicht in erster Linie um die katechetische Unterweisung, sondern die Auseinandersetzung mit dem theologischen Gegner geht. Bevor hier ein abschließendes Urteil gefällt werden kann, ist in der Folge noch die Rezeption von HK und KKO in seinen Schriften nach 1563 in den Blick zu nehmen.
3.
Die Rezeption des Heidelberger Katechismus und der Kurpfälzischen Kirchenordnung in den Schriften nach 1563
3.1
Die Verteidigung der Kurpfälzischen Abendmahlstheologie in der Bestendigen Antwort von 1571
3.1.1 Der erneute Konflikt mit den Frankfurter Stadtpredigern Die Übersiedlung der Gruppe um Dathenus nach Frankenthal im Jahr 1562 markiert einen tiefen Einschnitt in der Geschichte der Frankfurter Fremdengemeinde, verlor diese doch nicht nur einen großen Teil ihrer Mitglieder,355 sondern mit van der Heyden und Dathenus darüber hinaus ihre beiden theologischen Köpfe. Gleichwohl handelte es sich bei dem Weggang nicht um einen endgültigen Bruch. Als die Zahl der Fremden Ende der sechziger Jahre wieder zu steigen beginnt und die religiösen Spannungen in der Stadt erneut aufbrechen, sehen wir Dathenus von der Kurpfalz aus für die Niederländer in Frankfurt Partei ergreifen. Verbindungen bestanden außerdem zur französischen Gemeinde, zu der Dathenus offenbar regelmäßig Kontakt hatte.356 Angesichts der räumlichen Nähe zur Kurpfalz und seinen zahlreichen Reisen wird sich mit Sicherheit die Gelegenheit zu persönlichen Besuchen ergeben haben,357 so dass insgesamt von einem nach wie vor engen Kontakt nach Frankfurt ausgegangen werden kann. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn sich Dathenus 1572 in einer weiteren Schrift für die Fremden in der Stadt einsetzt, in der er auch die kurpfälzische Abendmahlstheologie gegen Angriffe verteidigt. Worum ging es dabei? Im Januar 1571 hatte die Wittenberger Theologische Fakultät einen Kate355 Vgl. dazu Schilling, Exulanten, 52. 356 Zugänglich ist allein ein kurzer Brief an die französische Fremdengemeinde in Frankfurt vom 19. Februar 1578, in dem jedoch weitere Schreiben erwähnt sind, vgl. van Schelven, Dathenus, 339f. 357 Überliefert ist beispielsweise ein Brief an Beza vom 28. Oktober 1565, der nach Dathenus’ Angabe in Frankfurt während der Messe abgefasst wurde; abgedruckt bei Ruys, Dathenus, 304f.
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
chismus veröffentlicht, der als neues Lehrbuch für die kursächsischen Landesschulen auf dem in Verwendung stehenden Kleinen Katechismus Luthers aufbauen und auf die Auseinandersetzung mit weiterführenden theologischen Schriften (Melanchthons Loci theologici und sein Examen ordinandorum) vorbereiten sollte.358 Die Veröffentlichung des Katechismus zog harsche Kritik aus Mansfeld, Braunschweig (Martin Chemnitz [1522–1586], Nicolaus Selnecker [1530–1592]), sowie Jena (Tilemann Heshusen u. a.) auf sich: Uneindeutigkeit in der Abendmahlsauffassung, Abweichen von der überlieferten Lehre Luthers und Nähe zu den „Sakramentierern“ waren die zentralen Vorwürfe, in denen sich der christologische Dissens zwischen melanchthonischer und „gnesiolutherischer“ Tradition manifestierte.359 Die Wittenberger reagierten auf die von verschiedener Seite aus geführten Angriffe mit einer Verteidigungsschrift: Die umfangreiche Grundfest360 sollte die Übereinstimmung ihres Katechismus mit der Lehre der Schrift, der Väter, Luthers und vor allem mit dem Corpus doctrinae Melanchthonis nachweisen. Mittlerweile gerieten die Wittenberger Theologen allerdings nicht nur durch die Schriften ihrer Kollegen, sondern auch durch den Unmut ihres eigenen Landesherrn, Kurfürst August von Sachsen (1526–1586), in Bedrängnis. Bewegt durch die Kritik von außen und offenbar auf Betreiben seines Hofpredigers Philipp Wagner (1526–1589) und seiner Ehefrau Anna (1532–1585), vollzog jener eine grundlegende Neuausrichtung seiner Religionspolitik zu Gunsten einer „rein“ lutherischen, d. h. auf scharfe Abgrenzung zum Reformiertentum bedachten Theologie. Eine erste Maßnahme in diesem Zusammenhang bildete die Einberufung eines umfassenden Theologenkonventes im Oktober 1571 nach Dresden, von dem der Kurfürst hinsichtlich der jüngsten Streitigkeiten Klärung und ein eindeutiges Bekenntnis „bene Lutherana“ erwartete.361 Das Ergebnis des Dresdner Konvents, der Consensus Dresdensis362, besaß nun allerdings entgegen den Erwartungen Augusts gerade nicht den Charakter einer scharfen Abgrenzungsschrift, sondern präsentierte sich eher als ein Kompromiss der in Kursachsen dominierenden theologischen Strömungen.363 Dieser Kompromisscharakter machte den Consensus Dresdensis nun nicht nur für lutherische Theologen rezipierbar, die in der Tradition Melanchthons 358 Abgedruckt bei Dingel, Debatte, 91–289 (Bearb. Johannes Hund). Zur historischen Einordnung und theologischen Deutung vgl. a. a. O., 79–84 und Hund, Wort, 209–221. 359 Zu den unterschiedlichen christologischen Konzeptionen der beteiligten Theologen vgl. a. a. O., insbes. 669–704. 360 Vgl. Dingel, Debatte, 391–673 (Bearb. Henning P. Jürgens/Johannes Hund). 361 So der Dresdener Superintendent Daniel Gresser in einem Brief an Nikolaus Selnecker über Kurfürst August (vgl. Hund, Wort, 436). 362 Abgedruckt bei Dingel, Debatte, 807–822 (Bearb. Henning Jürgens). 363 Vgl. Hund, Wort, 489.
Die Rezeption des Heidelberger Katechismus und der Kurpfälzischen Kirchenordnung 279
eine gewisse Vermittlung zum Reformiertentum suchten, sondern auch für die Reformierten im Deutschen Reich selbst, die sich mit Blick auf ihre rechtlich unsichere Stellung nach wie vor kompromissbereit gaben bzw. geben mussten und die kursächsische Schrift nun in ihrem Sinne als Zeuge für einen auf dem Fundament der CA ruhenden Grundkonsens aller Evangelischen anführen konnten. Entsprechende Aufnahme fand er in der Frankfurter Fremdengemeinde: Dort ließ man das Dresdner Bekenntnis auf eigene Kosten nachdrucken und versandte es mit dem Hinweis an wichtige Personen in der Stadt, man selbst stimme in der Lehre völlig damit überein.364 Durch eine derartige Aneignung des Consensus Dresdensis erhoffte sich die Fremdengemeinde eine Verbesserung ihrer nach wie vor prekären Lage, insbesondere die Erlaubnis zum eigenständigen Abhalten von Gottesdiensten. Die Frankfurter Stadtprediger, die gegenüber den Fremden eine unverändert ablehnende Haltung einnahmen, reagierten auf deren Vorstoß mit der Abfassung einer Gegenschrift, der Christliche Prob365, in der sie die behauptete Übereinstimmung der Fremden mit dem Consensus Dresdensis öffentlich in Zweifel zogen und eine Reihe von Fragen vorbrachten, anhand deren sich erweisen sollte, ob die Fremden tatsächlich das – nach Ansicht der Prediger streng lutherische – Abendmahlsverständnis desselben teilten.366 Auf die von den Stadtpredigern vorgebrachten Fragen hin verfasste nun Dathenus seine Bestendige Antwort, nach eigenen Angaben nicht nur auf Grund persönlicher Angriffe gegen ihn als den ehemaligen Prediger der Frankfurter Gemeinde,367 sondern auch weil die Frankfurter Theologen „unserer Kirchen Catechismum oder bekantnus hönisch und schmelich, als solte er Sacramentiererisch sein, anziehen und verdechtich zu machen sich unterstehen“.368 Demgegenüber wolle Dathenus selbst nachweisen, dass der Vorwurf der Sakramentiererei bloße Verleumdung sei und die fremden Christen in Frankfurt in den Grundsätzen ihrer Lehre schon immer eins mit der sächsischen Kirche gewesen wären.369 Die Bestendige Antwort knüpft von ihrer Intention her also an die apologetische Tendenz der früheren Frankfurter Schriften an, die die 364 Kurtze Christliche unnd einfeltige widerholung der Bekentnuß. Eine vollständige Auflistung aller erhaltenen Druckfassungen des Consensus Dresdensis liefert Jürgens, in: Dingel, Debatte, 802f. 365 Der Druck gibt keine Auskunft über die Autoren im Einzelnen, zu denken wäre jedoch an Hartmann Beyer, Peter Geltner und Matthias Ritter, vgl. Hund, Wort, 470. 366 Eine ausführliche Darstellung und Auswertung der Christliche Prob bei Hund, a. a. O., 469– 475. 367 „Darzu auch mehrgedachte Predicanten zu Franckfurt, in dem sie die frembden Christen unbillicher weise und ohne rechtmessige ursach verketzern, mich auch ihren gewesenen Kirchendiener […] verdammen.“ (Dathenus, Bestendige Antwort, 7) 368 Ebd. 369 Ebd.
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
Übereinstimmung der Abendmahlslehre der Fremdengemeinde mit der CA nachzuweisen suchten, allerdings mit dem Unterschied, dass Dathenus 1571 gleich in doppelter Hinsicht eine Verteidigungsstellung einnimmt: zum einen im Hinblick auf die Fremden in Frankfurt als ihr ehemaliger Prediger, zum andern im Hinblick auf die kurpfälzische Kirche als Hofprediger Friedrichs III. Beides fällt für Dathenus offenbar so sehr zusammen, dass bei seinen Aussagen bisweilen unklar bleibt, wer eigentlich gerade verteidigt werden soll: „Solches [sc. die Verteidigung] aber wil ich nit der meinung thun, als wenn ich hiemit jemand zu reizen und fernern zanck zu erwecken lust hette, sondern allein anzuzeigen, das gedachte Predicanten mir und den frembden Christen zu franckfurt unrecht und gewalt thun, unn mit unwarheit ire faule sache zu beschönen sich understehen, indem sie fürgeben, das die bekantnus, so die Churf. Sächsischen Theologen den 10. abgelauffnen 71. jares zu Dreßden gestelt, die lere unserer Kirche[n] verdam[m]en solte“370
Was hier mit der „lere unserer Kirche[n]“ gemeint ist, ob Dathenus dabei die Reformierten in Frankfurt, die Niederländer in Frankenthal oder aber die kurpfälzische Kirche mitsamt dem HK vor Augen hat, bleibt offen. Erinnert man sich an den weiten Kirchenbegriff seiner Frankfurter Schriften und an den Stellenwert, den in diesem Zusammenhang der fundamentale Lehrkonsens der einen wahren Kirche einnahm, so überrascht es nicht, dass Dathenus hier keine Veranlassung zur Differenzierung sah: Sowohl die Niederländer in Frankfurt wie die Kurpfalz unter Friedrich III. gehörten für Dathenus zur „einen Kirche“ und insofern konnte er beide nicht nur biographisch, sondern auch theologisch aus guten Gründen „seine Kirche“ nennen. Die derartig programmatisch als Verteidigungsschrift eingeleitete Bestendige Antwort gliedert sich in zwei Großteile. Zunächst beantwortet Dathenus die Fragen der Frankfurter Theologen auf zweifache Weise: Einerseits legt er den Consensus Dresdensis aus spezifisch reformierter Perspektive aus, um so die Übereinstimmung der eigenen Theologie mit demselben nachzuweisen. Andererseits weist er die in der Fragestellung implizierte Deutung der Aussagen des Consensus Dresdensis durch die Frankfurter Prediger als falsch und unbegründet zurück. In einem zweiten Teil stellt Dathenus daraufhin seinerseits eine Reihe von Fragen mit dem Ziel, die hinter der Abendmahlsauffassung der Frankfurter stehende Christologie aufzudecken. In einem Schlusswort drückt Dathenus die Hoffnung aus, dass der Frankfurter Rat die Fremden nicht erneut vertreiben wolle und dass der erneut entbrannte Streit durch ein gemeinsames Gespräch beigelegt werden könne. Eine weitere Schrift der Frankfurter Prediger, die auf die in der Bestendigen Antwort gestellten Fragen eingeht, ist nicht überliefert. Im Ergebnis hat die 370 A. a. O., 8.
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Frankfurter Debatte um den Wittenberger Katechismus und den Consensus Dresdensis die Situation der Fremdengemeinde nicht entscheidend verbessern können: Das Ausüben öffentlicher Gottesdienste blieb den Reformierten nach wie vor untersagt, in den Neunzigerjahren wurde ihnen gar das Abhalten gottesdienstlicher Versammlungen im privaten Raum verboten.371 3.1.2 Die Abendmahlstheologie der Bestendigen Antwort im Verhältnis zu Dathenus’ Frankfurter Schriften Es ist deutlich, dass Dathenus die Bestendigen Antwort mit einem ganz ähnlichen Interesse wie die 1560 entstandene Responsio secunda verfasste: Wieder bildete ein Konflikt mit den Frankfurter Stadtpredigern den Anlass und wieder ging es darum, die Theologie der Fremden in positiver Entsprechung zu einem als autoritativ angesehen Bezugstext darzustellen – diesmal nicht so sehr zur CA, sondern vor allem zum jüngst veröffentlichen kursächsischen Consensus Dresdensis. Im Gegensatz zu den frühen Schriften, wo die Situation der Fremden in Frankfurt vorwiegend implizit eine Rolle spielte und die altgläubigen Theologen den Hauptgegner darstellten, ging Dathenus 1572 die Frankfurter Stadtprediger als seine Gegenspieler an. Der Konflikt über die Abendmahlslehre wird nun offen ausgetragen. Auf grundsätzlicher Ebene scheinen sich durch die Änderung der Adressaten aber kaum theologische Verschiebungen ergeben zu haben. Nach wie vor gilt Dathenus die gemeinsame Erkenntnis der Person und der Ämter Jesu Christi als das Fundament, auf das sich die Einheit der Evangelischen gründet, nach wie vor wird diese Einheit durch den Dissens in der Abendmahlslehre nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Deutlicher als in den Frankfurter Schriften weist Dathenus aber auf die negativen Konsequenzen hin, die die Uneinigkeit unter den Evangelischen mit sich bringt: „Eben solcher kunst hat er [sc. Satan] sich in disen letzten zeiten, in welchen Gott auß gnaden das liecht seines Euangelii widerumb angezündet, gewaltig gebraucht, wie die tegliche erfahrung leider nur zuuil anzeige, der gestalt daß er auch die, so Christum Jesum in seiner person unnd emptern gleich im anfang des gepedigten Euangelii recht erkennet und bekennet haben, durch etliche ungleiche reden im handel von des Herrn H. Abentmal (welches billich ein Sacrament der Christlichen einigkeit sein und bleiben solte) dermassen verbittert und von einander getrennet hat, das […] Dannoch ein solche trennung und spaltung darauß entstanden, das nicht allein den Tyrannen ein grosses frolocken dardurch gemacht worden, sonder ach alle Rotten und Seckten sich hefftig gestercket, viel fromme sich hertzlich betrübet, und die einfeltigen sich der-
371 Die hinter dieser Entwicklung stehenden sozialen und religiösen Einflüsse legt Schilling (Exulanten, 125–134) offen.
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
massen gestossen haben, daß sie kaum gewust, was sie in Religionssachen halten und glauben sollen.“372
Zu dieser Verwirrung maßgeblich beigetragen hätten die beiden Lehren von der Ubiquität und der Eingießung der göttlichen Eigenschaften in die menschliche Natur Christi, die Dathenus als unbiblisch und der Lehre der Väter zuwider ablehnt373 – es ist offenkundig, dass sich bei dieser Kritik die Erfahrungen widerspiegeln, die die Kurpfälzischen Theologen in der Auseinandersetzung mit den Württembergern, insbesondere während des Maulbronner Gesprächs 1564 gemacht hatten. Als weitere Differenz zu den Frankfurter Schriften lässt sich festhalten, dass die in der Auseinandersetzung mit den altgläubigen Theologen nur kurz angeklungene Lehre von der sakramentalen Gegenwart Christi in der Bestendige Antwort nun zur breiteren Entfaltung kommt. Das ist wenig verwunderlich, handelte es sich doch bei der Frage nach der Art und Weise der Gegenwart Christi im Mahl bzw. der Auslegung früherer Kompromissformeln wie der Wittenberger Konkordie und insbesondere der Frankfurter Konkordie Bucers von 1542 um einen der Hauptstreitpunkte mit den Frankfurter Predigern. Der Consensus Dresdensis lehne nicht nur die päpstliche Irrlehre der Transsubstantiation ab, so Dathenus, sondern darüber hinaus die Auffassung, der Leib Christi sei in den Abendmahlselementen in der Weise der räumlichen Einschließung (per localem inclusionem) oder nach der Allgegenwart der menschlichen Natur (per modum ubiquitatem) gegenwärtig.374 Der Leib Christi behalte vielmehr auch nach seiner Erhöhung sein menschliches Wesen und seine Form. Aus diesen Abgrenzungen lasse sich nach Dathenus auf das Verständnis der sakramentalen Vereinigung schließen, das dem Consensus Dresdensis zugrunde liegt: Ausgeschlossen sei es, die Vereinigung im Sinne einer innertrinitarischen Wesenseinheit, im Sinne der personalen Einheit der Naturen Christi, oder als eine bloße räumliche Einschließung zu verstehen: „Derwegen kann die Sacramentliche vereinigung keine andere sein, dann allein ein solche, dardurch die eusserliche zeichen erstlich von wegen der ordnung und einsatzung Gottes unnd ehnligkeit, so zwischen dem zeichen und der wahrheit ist, auch von wegen der versiglung der gnaden Gottes, so im brauch der H. Sacramenten geschicht, und letztlich dieweil die ware Christen in dem rechten brauch, eben da sie die heilige warzeichen eusserlich empfangen, zugleich auch durch die krafft und wirckung des H. Geistes der verheissenen warheit in der that und warhafftig theilhafftig werden, eben das sind, das sie nach art der Sacramenten genent werden.“375 372 373 374 375
Dathenus, Bestendige Antwort, 1f. Vgl. a. a. O., 2f. Vgl. a. a. O., 13. A. a. O., 14.
Die Rezeption des Heidelberger Katechismus und der Kurpfälzischen Kirchenordnung 283
Bereits in den Frankfurter Schriften ließ sich die Nähe von Dathenus Aussagen über das Abendmahl zur Wittenberger Konkordie von 1536 festhalten. Ihr entnimmt er an dieser Stelle offenbar das Motiv der „sacramentliche[n] Vereinigung“.376 Die Definition, die Dathenus dabei gibt, wirkt in ihrem Kern allerdings zirkulär, da sie sich allein auf eine Prädikation beschränkt: Kennzeichnend für die sakramentale Vereinigung soll es sein, dass durch sie die äußeren Zeichen „nach art der Sacramente“, also sakramental, genannt werden. Die drei eingeschobenen Erläuterungen bestimmen nun lediglich diese Prädikation „sakramental“: als Ordnung Gottes und Ähnlichkeit zwischen Zeichen und Wahrheit, als Versiegelung der Gnade, als Applikation dieser Gnade auf den Einzelnen im rechten Gebrauch. Es steht zu vermuten, dass es Dathenus bei dieser formal ungenügenden Definition darum geht, die unio sacramentalis dem Geiste der Wittenberger Konkordie gemäß als eine Vereinigung sui generis darzustellen. Andere Arten der Einheit, wie die innertrinitarische Wesenseinheit oder die personale Einheit der Naturen Jesu, können für sie nicht als Analogien herangezogen werden. Stärker als in den Frankfurter Schriften lässt sich in der Bestendigen Antwort der Gedanke der Gemeinschaft des Leibes Christi im Abendmahl ausfindig machen. Auf Grund der durch die sakramentale Vereinigung verbürgten Identität von Zeichen und Wahrheit kann das Brot die Gemeinschaft des Leibes Christi bzw. analog der Kelch die Gemeinschaft des Blutes Christi genannt werden.377 Der Angriff der Frankfurter Stadtprediger auf HK 75 und der Vorwurf, die kurpfälzischen Theologen würden die Versicherung der Sündenvergebung nicht an den Leib und das Blut Christi, sondern allein an Brot und Wein knüpfen, bietet Dathenus die Gelegenheit, sein Verständnis der „Gemeinschaft des Leibes Christi“ ausführlicher zur erläutern: „Dann offenbar ist und am tag, das Christus oder der gecreutzigte Leib Christi die gabe und das geschenck Gottes sey, welches uns Gott schenckt und gibt. Nu schencket Gott uns nicht den blossen Leib Christi, sonder alles was dardurch erlanget ist, als nemlich vergebung der Sünden und das ewige leben […]. Ob nu dann diß geschenck, nemlich der leib Christi sampt seinem verdienst uns krefftig der vergebung der Sünden vergewisse, erscheint doch hell und klar, das eigentlich zu reden die H. [sic!] eusserliche warzeichen im rechten brauch der Sacrament die siegel und versicherung des obengedachten geschencks sind.“378
376 Vgl. Wittenberger Konkordie, BDS 6,1, 122. 377 „Also wird durch diese Sacramentliche vereinigung das H. Brod, die gemeinschaft des Leibs Christi, und auch der Leib Christ, der für uns gebrochen ist, und der H. Wein im Abendtmal die Gemeinschafft des Bluts Christi, und auch das Blut Christi, das zu vergebung unserer Sünden vergossen ist, genent“ (Dathenus, Bestendige Antwort, 15) 378 A. a. O., 20.
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
Teilhabe an Christus bedeutet für Dathenus also zuerst Teilhabe an seinem Heilswerk: Vergebung der Sünde und ewiges Leben. Die Versicherung dieser Teilhabe geschieht in den Sakramenten, im Gebrauch der äußerlichen Wahrzeichen. Wenn die Frankfurter Prädikanten gegen HK 75 anführen, dass dort die Versicherung der Sündenvergebung nicht an den Leib Christi selbst geknüpft ist, so zeigen sie nach Dathenus’ Auffassung nur, dass sie zwischen dem Bund und dem Siegel des Bundes nicht zu unterscheiden wissen: Der Bund ist der Inhalt der Versiegelung, nicht das Siegel selbst.379 Das, was versiegelt wird, der Inhalt oder die res der Sakramente und des Bundes ist die Gemeinschaft des Leibes Christi. Diesen Aspekt unterstreicht Dathenus im gleichen Jahr auch während des Frankenthaler Gesprächs mit den Täufern: „Wie auch Paulo 1. Corint. 10. das Brot nennet die gemeinschafft des leibs Christi, nit darumb, daß der Leib inn dem brot stecke, und das Blut inn dem wein, oder daß der Kelch das newe Testament sey, Sondern darumb, daß er uns von der obgesagten seligen gemeinschafft, die wir mit Im haben inn seinem Testament, und inn seinem gecreuzigten Leib, und vergossenen blut, hat wollen versigeln und vergewissen. So nennt auch Paulus das brot ein gemeinschafft, nit allein darumb, daß wir ein leib miteinander seind, die wir eins Brotes theilhafftig sein worden, Sondern fürnemlich unnd erstlich darumb, daß er uns die jetzt erklärte gemeinschafft, die wir mit Christo haben zu dem ewigen leben, hat wollen rund und klar zuuerstehen geben, unnd damit beschreiben, was die Christen inn dem heiligen Abendmal, nit allein für eine vermanung, Sondern auch fürnemlich, was sie für einen herrlichen trost haben, Nemlich diese jetzt gedachte selige gemeinschafft inn Christo, zum ewigen leben. Das ist unsere runde bekantnuß von diesem Artickel.“380
Wie a Lasco entnimmt Dathenus die Wendung „Gemeinschaft des Leibes Christi“ 1. Kor 10,16 und wie für den polnischen Baron hat sie prinzipiell eine zweifache Dimension:381 Auf horizontaler Ebene konstituiert sie erstens die Gemeinde („daß wir ein Leib miteinander seind“), die im Abendmahl paränetisch gefestigt wird („nit allein für eine vermanung“), und sie bedeutet zweitens in vertikaler Dimension die Teilhabe an den Heilsgütern Christi – Sündenvergebung und ewiges Leben. Diese zweite Bedeutungsebene der „Gemeinschaft des Leibes Christi“ ist für Dathenus offenbar die eminente, die bei einer Erläuterung des Abendmahls vor allem deutlich werden muss, da sich an ihr der „herrliche Trost“, den das Abendmahl mit sich bringe, ersehen lasse. 379 „Die gedachte Predicanten aber zeigen iren unuerstand an, in dem sie nicht underscheiden, zwischen dem Bund und der versiglung des Bunds Gottes, zwischen einem geschenck, und versiglung des geschencks, zwischen vergebung der Sünden, und versiglung der vergebung der Sünden.“ (a. a. O., 19) 380 Protocoll, S. 670f. 381 Zu den Dimensionen der communio corporis Christi bei a Lasco vgl. Zwierlein, Erasmianer, 68f und Becker, Gemeindeordnung, 47–54.
Die Rezeption des Heidelberger Katechismus und der Kurpfälzischen Kirchenordnung 285
Mit der deutlichen Abgrenzung von den Lehren der Ubiquität und der communicatio idiomatum sowie der vertieften Entfaltung der unio sacramentalis und des Gedankens der Gemeinschaft des Leibes Christi weist Dathenus’ Abendmahlstheologie in der Bestendigen Antwort einige charakteristische Abweichungen zu den Frankfurter Schriften auf. Gleichwohl bleiben deren zentrale Merkmale erhalten: die symbolisch-zeichenhafte Deutung der Einsetzungsworte, die pointierte Verteidigung der „geistlichen Speisung“ gegen den Vorwurf, aus den Sakramenten nur „leere Zeichen“ zu machen, sowie die Abwehr eines in Substanzkategorien entfalteten Verständnisses der Gegenwart Christi im Abendmahl – all dies findet sich sowohl in der Responsio secunda von 1560 wie elf Jahre später in der Bestendigen Antwort. Zwar ist Dathenus dort um eine Vermittlung mit den Aussagen des Consensus Dresdensis bemüht, doch ist überdeutlich, dass er dies von einem dezidiert reformierten Standpunkt aus tut.
3.1.3 Die Rezeption des Heidelberger Katechismus in der Bestendigen Antwort
Über die genannte Verteidigung von HK 75 hinaus scheint Dathenus den kurpfälzischen Katechismus in seiner Schrift gegen die Frankfurter Prediger noch in einigen weiteren Aspekten aufzunehmen: in der Abwehr einer unmittelbaren Identifikation der Abendmahlselemente mit dem Leib und dem Blut Christi – dem eigentlichen Anliegen der Fr 78 und 79 – und in der Zurückweisung des zum Topos antireformierter Polemik erstarrten Vorwurfs, man würde bei einer Leugnung der substantiellen Gegenwart des Leibes und Blutes Christi in Brot und Wein die Sakramente auf „leere Zeichen“ reduzieren. Die Kritik an einem dem Materiellen verhafteten Verständnis der Gegenwart Christi in den Sakramenten wird verknüpft mit der Betonung ihrer Heilswirksamkeit: „Summa, ebenso wenig als Christus im wasser des Tauffs weder reumlich noch unreumlich stecket, welcher dannoch im heiligen Tauff angezogen wird, wie Paulus Gal. 3. lehret, so wenig steckt auch sein Leib im Brod, unnd sein Blut im Wein, weder reumlich noch unreumlich, unnd dannoch werden die glaubigen deren warhafftig theilhafftig, und damit im brauch des heiligen Abentmals gespeist unnd getrencket zum ewigen leben.“382
Mit der Parallelisierung von Taufwasser und Abendmahlselementen, der Betonung der wahren Teilhabe an Leib und Blut Christi durch das Mahl und der in ihr geschehenden Speisung zum ewigen Leben klingt dieser Abschnitt wie eine verkürzte Fassung von HK 78 und 79. Dies fällt umso mehr ins Auge, als gerade der erstgenannte Aspekt – die ausdrückliche Analogie von Taufwasser mit Brot bzw. Wein im Abendmahl – in den dem HK verwandten Katechismen gar nicht 382 Dathenus, Bestendige Antwort, 36.
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
oder nur ansatzweise zu finden ist.383 Entnommen könnte eine solche Parallelisierung von Taufwasser und Abendmahlselementen der Institutio Calvins sein, wo sie im Zusammenhang der figurativen Deutung der Einsetzungsworte auftaucht.384 In der Bestendigen Antwort ließ sich darüber hinaus ein besonderes Interesse am Gedanken der im Abendmahl konstituierten Gemeinschaft des Leibes Christi beobachten. Im HK taucht ein verwandtes theologisches Motiv insbesondere in den Fr 76 und 80 auf, jedoch wird Dathenus diesen Aspekt bereits aus der Theologie der Londoner Fremdengemeinde übernommen haben. Sowohl in der Forma ac ratio a Lascos wie in den Ordinancien Microns, aber auch in den laskonischen Katechismen bildet er einen zentralen Gedanken der Abendmahlstheologie. M. A. Gooszen hat angesichts dieses Befundes einen Einfluss der Frankenthaler Fremdengemeinde auf die Abendmahlstheologie des HK festhalten wollen: Dass in Mi die Aussage einer unmittelbaren Teilhabe an der Substanz des Leibes Christi im Mahl, wie sie sich in Ma 300 findet, fehlt, sei als eine Korrektur an der „unbegreiflichen, mirakulösen und substantiellen“385 Vereinigungsvorstellung Calvins und des Genfer Katechismus zu werten. Ursinus habe in Mi unter dem Einfluss der Theologie der Frankenthaler Fremdengemeinde, für die die laskonische Abneigung einer substantiellen Fassung der Gegenwart Christi im Abendmahl kennzeichnend sei, sowie als Reaktion auf Thomas Erastus’ Gründlicher Bericht und Petrus Boquinus’ Exegesis eine weniger anstößige Formulierung gewählt.386 Diese These wurde von Lang und später von Sturm in Frage gestellt: Lang gesteht zwar zu, dass Ma 299–301 in wesentlich stärkerem Maße auf calvinische Theologie zurückgreifen als dies Mi 65 tut, jedoch lehnt er es ab, die beiden Arbeiten des Ursinus in einen Gegensatz zueinander zu stellen. Mi 65 lehre nichts anderes als Ma 299–301 nur mit anderen Worten, nämlich „daß der Gläubige im Abendmahl zu persönlicher Vereinigung mit dem ganzen verklärten Christus gelangt“.387 Ganz ähnlich sieht auch Sturm Mi 65 insgesamt durch „den aus dem Genfer Katechismus stammenden Realismus der Christusgemeinschaft geprägt.“388 Die Beobachtung, dass der Substanzbegriff in Ursinus’ Katechismus fallengelassen sei, sei noch kein hinreichender Beleg dafür, 383 Auffällig ist das Fehlen eines Rückbezugs zur Taufe bei der Abwehr der Auffassung, Christus sei leiblich in den Abendmahlselementen gegenwärtig, insbesondere in Mi und Ma. Er findet sich hingegen in Leo Juds Größer Catechismus, Farner, 227f, aber nicht mit einer ausgesprochenen Parallelisierung von Taufwasser und Brot und Wein. 384 Vgl. Calvin, Institutio, CR 30 (CO 2), 1013 und 1071. 385 „eene onbegrijpelijke, miracueleuse, en substantie[le vereenigung“ (Gooszen, Catechismus, Inl. 88.) 386 Vgl. a. a. O., Inl. 88–92. 387 Lang, Katechismus, LXXXVI. 388 Sturm, Ursin, 304.
Die Rezeption des Heidelberger Katechismus und der Kurpfälzischen Kirchenordnung 287
dass an dieser Stelle tatsächlich eine grundsätzliche Abwendung von Calvins Abendmahlsauffassung erfolgen sollte.389 Darüber hinaus habe a Lasco selbst in seiner Abendmahlslehre durchaus Substanzkategorien erläuternd heranziehen können.390 Die letztgenannte Aussage Sturms ist sicherlich zu relativieren: Erst 1556 im Zuge seines Gesprächs mit Johannes Brenz war a Lasco bereit, eine substantielle Gegenwart von Leib und Blut Christi im Abendmahl zuzugestehen – und dies vermutlich veranlasst durch die Hoffnung, doch noch zu einem umfassenden protestantischen Konsens in der Abendmahlsdebatte beitragen zu können.391 Vor dieser Zeit ist das Fehlen der Substanzkategorie in der Tat ein Kennzeichen der Abendmahlsauffassung a Lascos im Gegenüber zu Calvin.392 Im Ganzen muss der vorgebrachten Kritik an Gooszens These aber dennoch Recht gegeben werden, denn zum Nachweis eines Einflusses laskonischer Theologie auf Ursinus ist die Abwesenheit des Begriffes substantia in der Tat kaum hinreichend; außerdem ist das in Mi 65 an Eph 5,30 angelehnte caro de carne eius et ossa de ossibus eius nun gerade wörtlich C 345 entnommen, stellt also mit Sicherheit keine Abgrenzung gegenüber Calvin dar, wie Gooszen meint. Es ist daher davon auszugehen, dass bei der Abfassung von Mi 65 und damit auch von HK 76 Calvins Gedanke der Christusgemeinschaft prägend war – eine Rezeption von a Lascos spezifischer Vorstellung einer communio corporis Christi lässt sich trotz der theologischen Nähe beider Konzeptionen nicht nachweisen. Die parallelen Wendungen bei Dathenus in der Bestendigen Antwort sind daher ebenfalls nicht als ein solcher Hinweis zu werten. Umgekehrt erscheint es allerdings möglich, dass Dathenus durch den HK zu einer verstärkten Rezeption des ihm schon aus London bekannten Theologumenons angeregt wurde.
3.2
Die Verwendung des Heidelberger Katechismus in der Samenspreking von 1584
3.2.1 Die Abfassung in Gent Unter den bislang besprochenen Schriften nimmt die Samenspreking von 1584 eine Sonderstellung ein, da Dathenus mit ihr weder in eine aktuelle theologische Auseinandersetzung eingreifen, noch apologetisch den Hergang bestimmter Entwicklungen aus der Perspektive der niederländischen Glaubensflüchtlinge darstellen möchte. Ihr Charakter ist vielmehr rein erbaulich-paränetisch, frei 389 390 391 392
Vgl. ebd. Vgl. a. a. O., 303. Vgl. Rohls, A Lasco, 116. Vgl. a. a. O., 115.
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
von jeder Polemik, frei aber auch von deutlichen historischen Bezügen, die eine genauere Einordnung der Schrift in den lebens- und zeitgeschichtlichen Zusammenhang gestatten. Einige wenige Hinweise bietet allein Dathenus’ Vorrede, die er mit einer Widmung an eine Elisabeth de Grave eröffnet. Er habe schon länger im Sinn gehabt, eine Schrift zu verfassen, in der er den Unterschied von Gesetz und Evangelium genau erläutere, sei aber durch seine vielen Reisen und „kerkelijke zwarigheden“393 immer wieder daran gehindert worden. Ein Gespräch mit Elisabeth habe ihm nun den entscheidenden Impuls zur Abfassung der Samenspreking gegeben. Eine ausführlichere Behandlung des Themas Gesetz und Evangelium stellt Dathenus für die Zeit in Aussicht, „da Gott der Herr mir mehr Ruhe geben soll, um diese Materie […] breiter, deutlicher und gründlicher darzulegen und zu erklären.“394 Über die Widmungsempfängerin Elisabeth de Grave wissen wir nichts Näheres und es bleibt unklar, in welchem Verhältnis sie zu Dathenus stand. Möglicherweise handelt es sich bei dem Namen um ein Pseudonym,395 was die Aufhellung der Entstehungsumstände der Schrift zusätzlich erschweren würde. Als aufschlussreicher erweist sich dagegen die am Ende der Vorrede stehende Datums- und Ortsangabe „Gent, 26. juni 1585“.396 Mit Doedes kann unter Berücksichtigung der davon abweichenden Datierung am Ende der Schrift („Gent, 24. juni 1584“397) von einem Schreib- bzw. Druckfehler ausgegangen werden: 1585 befand sich Dathenus schon nicht mehr in Gent, so dass der Jahresangabe 1584 die höhere Plausibilität zukommt.398 Mit dem „Genf Flanderns“399 pflegte Dathenus über einen längeren Zeitraum seines Lebens hinweg enge Verbindungen. Bereits während seiner ersten Reise von der Kurpfalz in die Niederlande in den Jahren 1566–67 war er vor allem in Gent aktiv und hielt dort zahlreiche Predigten, mit denen er die dortigen reformierten Gemeinden, deren Widerstand gegen die spanische Oberhoheit sich in diesen Jahren offen zu manifestieren begann, unterstützte.400 Nach dem blutigen Terror des Herzogs von Alba und der 1576 beschlossenen „Genter Pazifikation“ kehrte Dathenus 1578 in die Stadt zurück, wo er gemeinsam mit 393 Dathenus, Samenspreking, Doedes, XII. 394 „Nochtans bewogen zijnde door de samenspreking, die wij daarvan met elkander gehad hebben, ben ik veroorzakt geworden, dezen Dialoog aldus in de manier van eene vriendelijke confereering, zooveel als de gelegenheid toegelaten heeft, te bewerpen, tot den tijd toe, dat mij God de Heere beter rust geven zal om deze materie […] breder, duidelijker en grondiger te mogen beschrijven en verklaren.“ (Dathenus, Samenspreking, Doedes, XIII) 395 Vgl. Ruys, Dathenus, 278. 396 Dathenus, Samenspreking, Doedes, XIV. 397 A. a. O., 125. 398 Vgl. Doedes, Geschrift, 507f. 399 Vgl. den gleichnamigen Artikel von Johan Decavele in: ders., Eind, 32–64. 400 Vgl. Ruys, Dathenus, 61–72.
Die Rezeption des Heidelberger Katechismus und der Kurpfälzischen Kirchenordnung 289
Jan van Hembyze (1513–1584), der als „Erster Schöffe“ der seit 1577 Autonomie beanspruchenden sog. Genter Republik401 vorstand, als Wortführer der Partei auftrat, die die auf religiösen Ausgleich zwischen römisch-katholischer und reformierter Bevölkerung zielende Pazifikationspolitik Wilhelms von Oranien strikt ablehnte.402 Es war dieser Konflikt mit Wilhelm, der für Dathenus den unmittelbaren Anlass darstellte, im August 1579 zurück nach Frankenthal zu fliehen. Nach dem Einzug Wilhelms in Gent am 18. August und der Ausweisung Hembyzes aus der Stadt folgt dieser ihm nur wenige Tage später in die Kurpfalz. Die Annäherung Wilhelms an Frankreich, namentlich an FranÅois-Hercule de Valois, dem 1580 vertraglich die Souveränität über die südlichen niederländischen Provinzen (ohne Zeeland und Holland) zugesprochen wurde, brachte allerdings die Stimmung in Gent gegenüber der Politik des „Prinzen“ zum Kippen und der Rat berief im August 1583 abermals Hembyze aus der Kurpfalz zum „Ersten Schöffen“ der Stadt. Mit ihm kehrte im Oktober desselben Jahres auch Dathenus nach Gent zurück, bis ihn die Übergabe der Stadt an die spanischen Truppen unter Alessandro Farnese im September 1584 erneut zur Flucht zwang. Auf diese turbulenten Ereignisse der Jahre 1576–1584 geht Dathenus in der Samenspreking allerdings mit keinem Wort ein. Er beschränkt sich vielmehr ganz auf das seelsorgerliche Anliegen, dem Gläubigen den aus der richtigen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium erwachsenden Trost nahezubringen. Hierzu wählt er, worauf bereits der Titel der Schrift hindeutet, die Form eines seelsorgerlichen Lehrgesprächs nach dem Vorbild des Ziekentroost.403 Elizabeth, die Gesprächspartnerin, findet sich in der Rolle der angefochtenen Gläubigen, während Dathenus selbst als Theologe die seelsorgerliche Applikation von Schrift und Lehre übernimmt. Der paränetische Grundcharakter der Samenspreking und die Sensibilität, mit der Dathenus in ihr die Glaubenszweifel seiner Zeitgenossen aufgreift, bilden ein eindrückliches Korrektiv des Bildes vom radikalen und fanatischen Hassprediger, wie es lange insbesondere durch die römisch-katholische Literatur mit Bezug auf Dathenus’ Genter Jahre tradiert wurde.404 Jede Wertung seiner Person, die mit dem Anspruch auf historische 401 Zur „Genter Republik“ vgl. Van Bruaene, Breakdown; Decavele, Eind. 402 Vgl. Ruys, Dathenus, 140–155. 403 Dathenus selbst nennt den von Cornelis van Hille verfassten Ziekentroost im vorangestellten Widmungsbrief als das formale Vorbild seiner Schrift (Vgl. Dathenus, Samenspreking, Doedes, XII). Zu Hille vgl. ten Boom, Art. Hille (BLGNP) und Slee, Art. Hillenius (ADB). 404 Vgl. beispielhaft nur Willem Jan Frans Nuyens: „Te midden van deze ontvlambare menigte nu werkten twee mannen, die tot de koenste en geslepenste demagogen behooren, die ooit bestaan hebben, Rijhove en Hembijze, en een predikant, die die kunst verstond om de hoofden te verhitten, zooals ooit een; dweepziek, onversaagd, volstrekt niet keurig op de middelen, die tot zijn doel geleidden, een geboren redenaar voor fanatieken en gepeupel, de
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
Vollständigkeit und Genauigkeit auftritt, wird an dieser letzten aus seiner Hand überlieferten Schrift nicht vorbeigehen können.
3.2.2 Strukturelle und theologische Besonderheiten Auf formaler wie auf inhaltlich-theologischer Ebene stellt die Samenspreking eine Besonderheit unter der von Dathenus erhaltenen Literatur dar : Nirgendwo sonst begegnet man bei ihm einer so engen Verknüpfung von theologischer Lehre und tröstender Unterweisung. Wohl lassen sich auch in seinen übrigen Schriften sporadisch paränetische Elemente finden, insbesondere wenn es um die Verfolgungsgeschichte der Reformierten geht; jedoch schränkt die überwiegend kontroverstheologische Ausrichtung von Dathenus’ früheren Arbeiten naturgemäß deren Entfaltung ein. Zugespitzt könnte man sagen, dass dem Leser in der Samenspreking zum ersten Mal weniger der Theologe, als der Prediger und Gemeindepastor Dathenus begegnet: Zentrale Themen des christlichen Glaubenslebens wie Zweifel, Anfechtung, Trost, Dankbarkeit und immer wieder eingestreute Gebete ziehen sich als verbindende Motive durch die Schrift.405 Umgekehrt bedeutet dies jedoch nicht, dass Dathenus Abstriche im theologischen Gehalt der Samenspreking macht, vielmehr soll der Gläubige gerade in der intensiven Auseinandersetzung mit Schrift und Theologie die tröstende Deutung seiner spannungsvollen Existenz erfahren: „Meine Elizabeth, rede ganz freimütig und erkläre alles, was dein Herz betrübt und ängstlich macht. Sei versichert, dass unser Heiland Christus gekommen ist um die Kranken gesund zu machen und das vertrocknete Rohr wird Er nicht zerbrechen, sondern im Gegenteil: Wer ihn von Herzen anruft und beladen ist, aber glaubt, dass Er ihn erquicken will, den wird Er auch durch seinen Heiligen Geist und Wort so stärken und trösten, dass du nicht allein für dich selbst ein fröhliches und ruhiges Gewissen haben, sondern auch andere darnach trösten und stärken können wirst.“406 kalvinistische Danton, de weggeloopen monnik, die die monniken haatte, gelijk ooit een ze haatte, Petrus Dathenus.“ (Nuyens, Geschiedenis, 233) 405 Dies beginnt schon mit der Wahl des Gesprächsortes und der Deutung der Naturphänomene als Hinweise auf die Gnadengaben Gottes, die Dathenus geschickt in die Rede einfließen lässt: „Dathenus: […] maar laat ons hier op de eene zijde aan dezen waterkant, buiten het gerucht des volks, onder de groene boomen ons nederzetten, daar de vogelkens met hunnen vroolijken zang God hunnen Schepper loven en prijzen, en ons ook bewegen zullen om ons ook in Hem te verheugen en voor zijne weldaden te danken.“ (Dathenus, Samenspreking, Doedes, 4) 406 „Mijn Elizabeth, spreek wat vrijmoediglijk en verklaar alles wat uw hart bedroefd en benauwd maakt, verzekerd zijnde, dat onze Heiland Christus gekomen is om de kranken gezond te maken […] die tot Hem van Harte roept en beladen is, hem belovende, dat Hij dien verkwikken wil, dien zal Hij ook door zijnen H. Geest en Woord alzoo versterken en vertroosten, dat gij niet alleenlijk voor uzelve eene vroolijke en geruste consci[ntie hebben zult, maar anderen ook daarna zult kunnen vertroosten en versterken.“ (a. a. O., 6f)
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Es ist aber nach Dathenus gerade die Unkenntnis der genauen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, die die betrübten Gewissen in Unruhe versetzt.407 Daher beginnt er mit einer allgemeinen Definition des Gesetzes als den Willen Gottes, der den Menschen zu Gehorsam und Gebotserfüllung aufruft.408 Nach Adams Fall sei der Mensch jedoch „fleischlich gesinnt, blind und unverständig in göttlichen Dingen, unfähig zu einiger Tugend und geneigt zu aller Bosheit“409, so dass er aus eigener Kraft die Gebote Gottes nicht einhalten könne. Auf den Einwand Elizabeths, ob Gott nicht ungerecht wäre, wenn er vom Menschen etwas fordere, was er doch gar nicht leisten könne,410 verweist Dathenus auf die mit der Schöpfung gegebene ursprüngliche Freiheit des Menschen zur vollkommenen Gesetzeserfüllung. Gott verlange vom Menschen nur das, was er ihm einst gegeben hat – wie könnte er da ungerecht sein? Durch den Sündenfall erhalte das Gesetz allerdings eine neue Qualität: Es führe dem Menschen erstens mit seinen Forderungen das eigene Schuldigsein vor Augen und verweise ihn zweitens auf Christus, der für ihn durch seinen Tod die Schuld bezahlt hat.411 Damit ist bereits die Brücke zum Thema Evangelium geschlagen. Auch hier stellt Dathenus zunächst eine Definition voran, die das Wort „Evangelium“ zunächst ganz allgemein von seiner griechischen Bedeutung her als „fröhliche, gute, neue Nachricht“ deutet und danach inhaltlich auf die dem Sünder durch Jesus Christus zuteilwerdende Sündenvergebung appliziert.412 Die genaue Un407 „Diewijl ik dan dus lange in mijnen dienst wandelende, menigmaal vele vrome en eerlijke personen van goede consci[ntie getroost heb, die van wege hunne zondige natuur en boozen aard bijna in kleinmoedigheid vergaan waren […], zoo heb ik dikmaals mij voorgenomen, daarvan volgens het traktataatje, genaamd de Ziekentroost, wat schriftelijk, doch kortlijk te stellen (tot breeder onderrichting der benauwde consci[ntien, die het onderscheid tusschen de Wet en het Evangelie niet genoegzaam verstaan, en het artikel van de rechtvaardigmaking der genade door ’t geloof met een recht gemoed niet aannemen kunnen)“ (a. a. O., XII) 408 Vgl. a.a.O, 12. 409 „Elizabeth. […] maar wat verstaat de Heere daarbij, als Hij spreekt, dat de mensch vleesch is? Dathenus. Dat hij vleeschelijk gezind, blind en onverstandig in goddelijke dingen, onbekwaam tot eenige deugd en genegen to alle boosheid is“ (a. a. O., 17) 410 „Zoo dat alzoo is, waarom heeft dan God den mensch de Wet zoo gegeven nademaal Hij te voren wist, dat hij dezelve niet onderhouden kon? Schijnt de Heere den mensch hier niet onrecht te doen, als Hij van Hem eischt dat hij niet heeft of vermag?“ (a. a. O., 18) 411 „Elizabeth. […] Maar waarom eischt de Heere van ons zulks, dewijl Hij wel weet, dat wij in Adam alzoo verdorven zijnde Hem hetzelve nu niet kunnen betalen? Dathenus. Eerstelijk, om zijn goed recht te toonen, dat Hij over ons heeft, en om ons te vermanen van onze rechtvaardige schuld, opdat wij dezelve, mitsgaders onze armoede en onvermogen, gevoelende en bekennende, ook nedervallende ons verootmoedigen, en Hem om kwijtschelding vlijtiglijk bidden, en daarna door een vast geloof en hartelijk vertrouwen Hem aannemen en toe[igenen, die onze schuld op zich genomen en volkomelijk betaald heeft, ja het handschrift, dat tegen ons was, uitgewischt en aan het kruis genageld heeft, welke is Jezus Christus.“ (a. a. O., 21) 412 „Het grieksche woord Evangelie beduidt zoo veel als eene vroolijke goede nieuwe tijding, waarvan de menschen blijdelijk spreken, zingen en hartelijk verheugd zijn […]. Alzoo is
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
terscheidung von Gesetz und Evangelium dient dabei letztendlich dem Trost des Gläubigen: Das durch das Gesetz angefochtene Gewissen werde auf Christus gewiesen, um in ihm all das zu suchen, zu finden und zu erhalten, was das Gesetz zur Seligkeit verlange.413 Typologisch manifestiert sich dieser Unterschied für Dathenus in den Gestalten von Moses und Christus: Während Moses durch das Gesetz allein Sündenerkenntnis bringe, nehme Christus die Sünde weg, bringe Frieden, Gewissensruhe und schaffe den Gläubigen ein fröhliches Gemüt.414 Indem Dathenus die sündenüberführende Funktion des Gesetzes hervorhebt und das Evangelium als „gute Nachricht“ von der Vergebung der Sünden in Christus auffasst, bewegt er sich ganz auf allgemein-reformatorischem Boden. Gleiches gilt für die sich auf systematischer Ebene anlagernden Loci Glaube, Rechtfertigung, gute Werke und Erwählung, die im weiteren Gang der Samenspreking besprochen werden. Dathenus rezipiert hier weitestgehend reformatorisches bzw. reformiertes (Erwählung) Gemeingut und verbleibt aufs Ganze gesehen im Bereich dessen, was er bereits in früheren Schriften an entsprechender Stelle vertreten hat. Zwei auffällige Verschiebungen lassen sich dabei allerdings doch beobachten: Erklärte Absicht der Samenspreking ist es, den angefochtenen Gläubigen zum Trost den Unterschied von Gesetz und Evangelium zu erläutern. Schon hierin liegt ein für Dathenus neuer Akzent: Denn hebt man auf den Unterschied von Gesetz und Evangelium ab, so werden diese von vornherein als einander gegenüberstehende Größen aufgefasst, und es wird schwierig, die positive Funktion des Gesetzes für das christliche Glaubensleben im Horizont des Evangeliums theologisch plausibel darzustellen. In der Tat tritt in der Samenspreking der tertius usus legis ganz hinter den usus elenchticus zurück bzw. jener wird erst gar nicht erwähnt. Dies war in der Verantwoordinghe von 1559 noch anders, wo dem Gesetz ausdrücklich die Funktion eines „Wegweisers“ und einer „Regel“ für das deze Leer ons het Evangelie, dat ons verkondigt en leert, dat God den arme zondaren wil genadig zijn, en hun hunne zonden ganschelijk wil vergeven en vergeten, ja om Jezus Christus wil voor heilig en gerechtig houden, en dat uit louter genade, zonder toedoen van eenige werken, alleen door het geloof.“ (a. a. O., 27) 413 „Elizabeth. […] Maar zeg mij toch voort, geliefde broeder, waartoe zal mij nu deze kennes des onderscheids der Wet en des Evangelies dienen? Dathenus. Om u te vertroosten en te sterken door ’t geloof in Jezus Christus, en door de voorz. evangelische beloftenisse de ongerustheid uwer consci[ntie (die door de doodslaande letter der Wet bedroeft) te stillen en te overwinnen“ (a. a. O., 32) 414 „Daaruit [sc. Joh 5,45] leert Hij [sc. Christus], dat zoo verre het ambt van eens aanklagers van het ambt eens Middelaars, Zaligmakers, Verzoeners of Voorbidders verscheiden is, zoo verre is ook Mozes’ ambt van het zijne verscheiden. Want Mozes brengt alleenlijk kennis van zonden, het gevoelen van Gods toorn, en volgende ongerustigheid der consci[ntie of vreeze der verdoemenis; maar Christus neemt de zonde weg, mitsgaders de welverdiende straf der zonde, en brengt vrede en gerustigheid der consci[ntie, en maakt den kinderen Gods eenen vroolijken goeden moed, en in somma, Christus geeft den zijnen hetgene dat Mozes van de zijnen is eischende.“ (a. a. O., 53f)
Die Rezeption des Heidelberger Katechismus und der Kurpfälzischen Kirchenordnung 293
christliche Leben zugesprochen wurde.415 Möglicherweise hatte Dathenus inzwischen die seelsorgerliche Erfahrung gemacht, dass bei einem allzu strikten Beharren auf der Lehre vom tertius usus die Gefahr besteht, durch eine Art neuer Gesetzlichkeit die Gewissen der Gläubigen wiederum in Anfechtung zu stürzen, so dass er nun in der Samenspreking zu Gunsten einer entschiedenen Entfaltung der evangelischen Trostbotschaft darauf verzichtet. Ein weiterer Unterschied ergibt sich im Bereich der Rechtfertigungstheologie. Hatte Dathenus in seinen Frankfurter Schriften Rechtfertigung in einem strikt imputativen Sinne allein als Anrechnung der fremden und fremd bleibenden Gerechtigkeit Christi verstanden und eine essentielle Rechtfertigung mit dem Hinweis abgelehnt, dass allein Gott sinnvoll als essentialiter gerecht bezeichnet werden könne,416 so scheint er nun in der Samenspreking genau die entgegengesetzte Auffassung zu vertreten: „Führwahr, es ist über die Maßen tröstend, wie es auch sehr herrlich ist, was Paulus sagt, dass Gott Christus, der keine Sünde gekannt hat, für uns zur Sünde gemacht hat, auf dass wir in Ihm die Gerechtigkeit Gottes werden sollten. So sind wir denn durch die gnädige Zurechnung des Vaters nicht allein gerechtfertigt, sondern auch die Gerechtigkeit selbst, weil wir mit Christus eins sind, der da ist Jehova, das ist, der wahre wesentliche Gott, unsere Gerechtigkeit und die Hauptsumme der Gerechtigkeit, die uns ihren überfließenden Glanz und herrlichen Schein herrlich mitteilt. Denn in Christus wird uns nicht stück- und teilweise, sondern alles gegeben.“417
Die Zurechnung der Gerechtigkeit durch Christus wird hier im Sinne einer seinsmäßigen Teilhabe verstanden, durch die eine echte Wesensveränderung des Menschen eintritt. Es wird nicht thematisiert, wie diese an mystische Traditionen anklingende Aussage mit der bleibenden Unvollkommenheit der Gläubigen zusammengeht, an der Dathenus auch in der Samenspreking festhält.418 Worin dieser deutliche Wechsel in Dathenus’ Rechtfertigungstheologie gründen könnte, lässt sich nicht eruieren. Womöglich spielt die paränetische Grundtendenz der Schrift auch hier eine Rolle. Angesichts Dathenus’ scharfer Ablehnung der essentiellen Gerechtigkeit in den Frankfurter Jahren vermag diese Vermutung aber kaum zu befriedigen. 415 Vgl. Dathenus, Verantwoordinghe, f. 12r–v. Dazu auch Teil Drei Kapitel 1.3.3. 416 Vgl. Dathenus, Responsio secunda, 196. Dazu auch Teil Drei Kapitel 1.3.3. 417 „Voorwaar, het is bovenmate troostelijk, gelijkerwijs als ook dat zeer heerlijk is em vol van troost, dat Paulus spreekt, dat God Christus, die geen zonde gekend heeft, voor ons tot zonde gemaakt heeft, opdat wij in Hem zouden worden de rechtvaardigheid Gods. Zoo zijn wij dan door de genadige toerekening des Vaders niet alleen rechtvaardig, maar de gerechtigheid zelve, overmits dat wij met Christus een zijn, dewelke daar is Jehova, dat is, de ware wezenlijke God, onze gerechtigheid, en de somme der rechtvaardigheid, die ons van haren overvloedigen glans en heerlijken schijn heerlijk mededeelt. Want in Christus is ons niet een deel stuksgewijs, maar alles gegeven.“ (Dathenus, Samenspreking, Doedes, 66) 418 Vgl. a. a. O., 48f.
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
3.2.3 Der Heidelberger Katechismus und die Samenspreking „Durch diesen ganzen Aufsatz hindurch spricht der Geist des Heidelberger Katechismus“, urteilt J. I. Doedes 1871 über die Samenspreking.419 In der Tat fällt sofort ins Auge, dass keine andere von Dathenus’ Schriften dem HK auf formaler Ebene so nahekommt. Die gewählte Dialogstruktur und das Wechselspiel von Frage und Antwort geben ihr über weite Strecken selbst einen katechetischen Charakter. Wie im HK begegnet auch hier eine enge Verknüpfung von Lehre und Glaubensleben, so im Abheben auf den tröstlichen Gehalt bestimmter theologischer Anschauungen und im mehrfach wiederkehrenden Motiv der Dankbarkeit als angemessener Antwort des Gläubigen auf das göttliche Heilshandeln. Man wird diese Strukturparallelen jedoch nicht notwendig auf einen Einfluss des HK auf Dathenus zurückführen müssen, war doch eine gewisse Ausrichtung auf den Trost des Gläubigen bereits in L und den Darstellungen der Londoner Gemeindeordnung zu beobachten. Es ist anzunehmen, dass beide Linien, die Londoner Flüchtlingstradition wie der HK, in dieser Schrift zusammenlaufen. Auf der inhaltlich-theologischen Ebene sind umfangreichere Übereinstimmungen zum HK allein schon dadurch gegeben, dass beide Schriften in hohem Maße reformatorisches Gemeingut rezipieren, was sich insbesondere im Gedanken der bleibenden Angewiesenheit des Menschen auf das Rechtfertigungshandeln Gottes niederschlägt. Sowohl die Samenspreking wie der HK betonen dies, indem sie den Sündenfall als soteriologischer Voraussetzung des Kreuzestodes Jesu im Eingangsteil entfalten. Trotz dieser offenkundigen Parallelen lassen sich aber Differenzen festhalten, die auffälligerweise den oben herausgearbeiteten Veränderungen innerhalb der Theologie des Dathenus entsprechen. Zum einen vermeidet es der HK, anders als die Samenspreking, von einer seinsmäßigen Partizipation der Gläubigen an der Gerechtigkeit Christi zu reden. HK 60 formuliert diesbezüglich zurückhaltend und beschränkt sich auf die Metaphern der Zurechnung und des Schenkens zur Beschreibung des Rechtfertigungsgeschehens, weshalb man das Fr mit einigem Recht unter dem Schlagwort „imputativ“ verbuchen kann. Mit seiner essentialen Beschreibung der Rechtfertigung in der Samenspreking entfernt sich Dathenus an dieser Stelle sowohl vom HK wie von der großen Gruppe der Theologen, die die Rechtfertigungslehre im Anschluss an Melanchthon und Calvin rein imputativ bestimmten. Die in der Samenspreking fehlende Lehre vom tertius usus legis markiert eine zweite deutliche Grenze zum HK, ist es doch gerade dessen Spezifikum, dass das Gesetz in Gestalt der Zehn Gebote unter dem Motiv der Dankbarkeit für das 419 „De geest van de Heidelbergse Catechismus spreekt door geheel dit opstel henen.“ (Doedes, Geschrift, 506)
Die Rezeption des Heidelberger Katechismus und der Kurpfälzischen Kirchenordnung 295
christliche Glaubensleben gestaltende Kraft gewinnt. Dathenus beschränkt sich dagegen – aus paränetischen Gründen? – darauf, die Funktion des Gesetzes im Sinne des usus elenchticus als „Sündenspiegel“ und „Zuchtmeister“ zu bestimmen, der dem Gläubigen die eigene Unvollkommenheit vor Augen hält und auf die frohe Botschaft von der Rechtfertigung verweist. Diese theologischen Differenzen gilt es bei einer abschließenden Verhältnisbestimmung von HK und Samenspreking im Blick zu behalten. Stärker ins Gewicht fällt letztendlich aber die deutliche literarische Abhängigkeit derselben von dem kurpfälzischen Katechismus. So erinnert bereits der erste größere Redegang mit seinen Stationen: Forderung des göttlichen Gesetzes, Unfähigkeit zur Erfüllung des Gotteswillens nach dem Sündenfall, Frage nach Gottes Gerechtigkeit, Hinweis auf den ursprünglich gut geschaffenen Menschen, an die Fr 3–11 des HK. Besonders markant erscheint diese Übereinstimmung in der von Elizabeth vorgebrachten Frage nach Gottes Gerechtigkeit: Samenspreking Elizabeth. Zoo dat alzoo is, waarom heeft dan God den mensch de Wet zoo gegeven nademaal Hij te voren wist, dat hij dezelve niet onderhouden kon? Schijnt de Heere den mensch hier niet onrecht te doen, als Hij van Hem eischt dat hij niet heeft of vermag?420
HK 9 Frag. Thut Gott dem menschen nicht unrecht, daß er in seinem Gesetz von jm fordert das er nicht thun kan?
In der direkten Gegenüberstellung gibt sich die zweite Frage Elizabeths als beinahe wörtliche Wiedergabe der Frage aus HK 9 zu erkennen. Auch in der Beschreibung des Menschen nach Adams Fall als „fleischlich gesinnt, blind und unverständig in göttlichen Dingen, unfähig zu einiger Tugend und geneigt zu aller Bosheit“421 sind die terminologischen Anleihen an HK 8 augenfällig. Offenbar hat Dathenus gerade bei der anthropologischen Grundlegung der Rechtfertigung Material aus dem HK übernommen. Ein weiteres direktes Zitat aus dem HK stellt darüber hinaus die Erläuterung des Glaubensbegriffes in der Samenspreking dar :
420 Dathenus, Samenspreking, Doedes, 18. 421 „vleeschelijk gezind, blind en onverstandig in goddelijke dingen, onbekwaam tot eenige deugd en genegen to alle boosheid” (a. a. O., 17)
296 Samenspreking „Maar het geloof in zijn rechte bekentnis en beduidding, waarvan Christus spreekt: Wie in mij gelooft heeft het eeuwige leven, is niet alleen eene wetenschap en kennis, maar ook een hartelijk vertrouwen, hetwelk de H. Geest door het Evangelie in de harten der uitverkoren kinderen Gods werkt, waardoor zij vastelijk vertrouwen en verzekerd zijn, dat hun de vergeving […] van alle hunne zonden, waarachtige gerechtigheid en de eeuwige zaligheid van God uit genade geschonken zijn, en dat alles zonder toedoen der werken, alleen om de verdiensten van Christus wil.“422
Dathenus und der Heidelberger Katechismus
HK 21 Frag. Was ist warer glaub? Es ist nicht allein ein gewisse erkandtnuß, dardurch ich alles für war halte, was uns Gott in seinem wort hat offenbaret: sonder auch ein hertzliches vertrawen, welches der heilige geist durchs Euangelium in mir würcket, daß nicht allein andern, sonder auch mir vergebung der sünden, ewige gerechtigkeyt und seligkeyt von Gott geschenkt sey, auß lauter gnaden, allein umb des des verdiensts Christi willen.
Die markierten Abschnitte zeigen deutlich den großen Umfang wörtlicher Übereinstimmungen, die Dathenus nur durch einige erläuternde Zusätze erweitert hat, vielleicht in der Absicht, eine lebendigere Gesprächssituation nachzustellen. Theologisch auffällig ist allein die Kategorie der Erwählung („uitverkoren kinderen“) die Dathenus einträgt und die in ihrer Tendenz der deutlichen Entfaltung der Prädestinationslehre in der Samenspreking entspricht – im Unterschied zum HK, der ein eigenes Fragestück zur Prädestination wie bereits erwähnt, nicht kennt und auch mit der Kategorie der Erwählung sparsam umgeht. Obwohl also auf theologischer Ebene durchaus Differenzen bestehen, verdeutlicht die an verschiedenen Stellen der Samenspreking erfolgte Aufnahme von Textmaterial aus dem HK den engen literarischen Zusammenhang beider Schriften. Der oben zitierten Aussage von Doedes kann also mit einigen Abstrichen zugestimmt werden: Die Samenspreking steht tatsächlich in größerem Umfang in der Tradition des HK. Dies ist nicht selbstverständlich, hatte Dathenus doch 1582, nachdem er den Frankenthaler Kirchenrat um Entbindung von seinen Pflichten als Prediger gebeten hatte,423 der Kurpfalz bis auf Weiteres den Rücken gekehrt. Selbst nach der Zuspitzung seines Konfliktes mit dem Hause Oranien und der sich für ihn immer schwieriger gestaltenden Situation in den Niederlanden in den Jahren 1584–85 kehrte er nicht mehr dorthin zurück. Gleichwohl scheint diesem äußeren Abschied keine innere Distanznahme von „seiner Kirche“ und dem für sie so prägenden Glaubensdokument gefolgt zu sein. Der kurpfälzische Katechismus blieb für Dathenus, so darf geurteilt werden, auch in der letzten Phase seines Lebens eine entscheidende theologische Bezugsgröße. 422 Dathenus, Samenspreking, Doedes, 38. 423 Vgl. Ruys, Dathenus, 164.
Die Rezeption des Heidelberger Katechismus und der Kurpfälzischen Kirchenordnung 297
3.3
Die Liturgie des Dathenus und die Kurpfälzische Kirchenordnung von 1563
3.3.1 Die Verhältnisse in der Kurpfalz und in den Niederlanden als historischer Hintergrund des Druckes von 1566 Eine unmittelbare Rezeption der KKO in Dathenus’ Schriften nach 1563 ließ sich bisher nicht beobachten, was freilich vor allem durch die divergierenden Textgattungen bedingt sein mag. Dies ändert sich bei der Betrachtung der von Dathenus 1566 veröffentlichten Liturgie seiner Frankenthaler Gemeinde.424 Abgedruckt wurde dieselbe gemeinsam mit seiner Psalmendichtung425 und seiner Übersetzung des HK ins Niederländische, also mit den beiden Texten, die sich in wirkungsgeschichtlich herausragender Weise mit dem Namen „Dathenus“ verbinden. Dass dabei Psalmlieder, Katechismus und Liturgie in einen Band zusammengebunden wurden, vermag angesichts der engen Beziehung von Lehre und Ordnung in der reformierten Theologie nicht zu überraschen. Sowohl die äußere Gestalt der Kirche, wie die Liturgie und damit auch die Gebete, sollten ja nach der Londoner Ordnung wie nach der KKO gänzlich durch die Lehre formiert sein und es liegt in der Logik dieses Denkens, Lehr-, Gebets- und Ordnungsdarstellung miteinander zu verkoppeln, wie dies exemplarisch am Compendium doctrinae beobachtet werden konnte. Gleichwohl lassen sich für den gemeinsamen Abdruck der drei Schriften auch äußere Gründe anführen: In seiner vom 25. März 1566 datierten Vorrede wendet sich Dathenus explizit „An alle Gemeinden und Diener Jesu Christi, die unter der Tyrannei des Antichrists seufzen und klagen.“426 Er wolle mit seiner Psalmendichtung keinesfalls die Arbeit anderer verdrängen, sondern einen Beitrag zur Einheit der Kirche leisten: Da man in Lehre und Zeremonien schon eins mit den Kirchen in Frankreich sei, wünsche er sich dies auch für den Psalmengesang.427 Daneben habe er den Katechismus und den bedeutendsten Teil der Kirchenordnung, „die bei uns in Gebrauch stehen“, abdrucken lassen, damit dem christlichen Leser ein vollständiges „Handbuch“ gegeben sei.428 424 Als widerlegt darf nach den Ausführungen Gobius du Sarts wohl die These van Lenneps gelten, nicht Dathenus, sondern Gaspar van der Heyden sei der Verfasser der Liturgie gewesen; vgl. van Lennep, van der Heyden, 171f; dazu Gobius du Sart, Geschiedenis, 123f. 425 Zum Dathenus-Psalter vgl. Meijer, De Heere; Lenselink, Psalmberijminge, 493–511; Ros, Lier, 68–99. 426 „An alle gemeenten en dienaren van Jezus Christus, die onder de tirannie van de Antichrist zuchten en klagen.“ (Dathenus, Psalmen, f. iir) 427 Vgl. a. a. O., f. vr. 428 „Op dat oock die Christelicke leser een volkommen handtboecxken hebben mochte, hebbe ick den Christelicken Catechismum, en[de] den voornaemsten deel der kercken ordeninghe, ende der ghebeden, so die by ons ghebruyckt sijn, tot den Psalmen laeten druckken, alles tot beteringhe der kercken Christi.“ (a. a. O., f. Vv)
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
Diese Bemerkungen zeigen zunächst, dass Dathenus den Druck nicht allein, wohl nicht einmal zuerst für die eigene Frankenthaler Gemeinde hat anfertigen lassen, sondern für die im Entstehen begriffenen reformierten Gemeinden in den Niederlanden. Dort waren nach dem Tod Karls V. und dem Regierungsantritt Philipps II. die Gesetze zur Bekämpfung der „Ketzer“, also der lutherischen, reformierten und täuferischen Gemeinden, zwar nach wie vor in Kraft. Jedoch wurden sie seit dem Ende der Fünfzigerjahre von den örtlichen Magistraten kaum noch in voller Schärfe durchgesetzt.429 Dies verschaffte den reformierten Gemeinden Luft zur Bildung eigener Kirchenstrukturen. Man ersuchte die Schwesterkirchen, allen voran in Genf, in London, in Emden aber auch in der Kurpfalz um die Entsendung fähigen Personals, organisierte im Verborgenen die Gemeinden und richtete Synoden ein.430 Diese Bemühungen um Kirchenbildung versuchte Dathenus nach Kräften zu unterstützen: Zunächst von Frankenthal aus durch die Edition der Psalmen, des HK und der Liturgie, wenige Monate später dann auch durch den persönlichen Einsatz auf seiner ersten Reise in die Niederlande, wo er nach eigenen Angaben auf Einladung der Gemeinden predigte.431 Angesichts der Ereignisse des Jahres 1565 in den Niederlanden und in der Kurpfalz lässt sich der Druck der Psalmen darüber hinaus noch aus einer weiteren Perspektive plausibilisieren. Nicht nur die niederländischen Reformierten, sondern auch der dortige Adel war angesichts der Unfähigkeit bzw. der fehlenden Bereitschaft der örtlichen Behörden, den Vorgaben der Ketzergesetze zu folgen, um eine Abmilderung derselben bemüht. Zu diesem Zwecke entsandte der Staatsrat in Brüssel Anfang 1565 Lamoral Graf von Egmont nach Madrid. Von Philipp II. über dessen Absichten im Unklaren gelassen, vermeldete Egmont nach seiner Rückkehr im April 1565 zunächst den Erfolg seiner Mission, wurde jedoch bereits wenig später eines Besseren belehrt, als Philipp ganz im Sinne der bestehenden Ketzergesetze die Hinrichtung von sechs reuigen Täufern befahl.432 Im Oktober ordnete der spanische König dann per Erlass die konsequente Durchsetzung der Ketzergesetze an, auch die Vollmachten der Inquisition im Land wurden nicht eingeschränkt. Die adlige Opposition nahm diese Entwick-
429 Vgl. Parker, Aufstand, 61f. 430 Vgl. Pettegree, Emden, 57–86. 431 Dathenus gibt im Zuge seiner Gefangennahme 1584 an, er sei 1566 durch die Gemeinden von Antwerpen, Brüssel, Gent und Brügge „ende meer andere“ berufen worden (vgl. Puncten, Kok, 54). Unmittelbar beteiligt an den bilderstürmerischen Aktionen im sog. „Wunderjahr“ war Dathenus gleichwohl nicht. Im Sommer 1566 befand er sich nach eigenen Angaben auf diplomatischer Mission im Auftrag des Kurfürsten in der Schweiz (vgl. ebd.). 432 Vgl. Parker, Aufstand, 66.
Die Rezeption des Heidelberger Katechismus und der Kurpfälzischen Kirchenordnung 299
lung zum Anlass, sich im Dezember 1565 im sog. Adelskompromiss stärker als bisher oppositionell zu organisieren.433 Parallel dazu war man in der Kurpfalz seit Oktober 1565 mit der Vorbereitung auf den für das Folgejahr nach Augsburg einberufenen Reichstag beschäftigt. Angesichts der sich abzeichnenden religionspolitischen Isolierung der Kurpfalz im Reich verfolgte man den Plan, die europaweite Verbreitung der eigenen Lehre durch die Glaubenszeugnisse der schweizerischen, französischen, englischen und niederländischen reformierten Gemeinden herauszustellen.434 In den Niederlanden fiel dieses Ansinnen naturgemäß auf fruchtbaren Boden, sah man doch die Möglichkeit, die eigene prekäre Situation auf höchster Ebene vor dem Kaiser zu verhandeln. In einer an den Kaiser gerichteten Oratio – verfasst womöglich durch Philipp von Marnix (1540–1598) – bemühte man sich, den Vorwurf der Ketzerei zurückzuweisen: Deren Ursprung läge in Rom und bei den vom Papst verbreiteten Irrlehren, auf deren Abschaffung die Obrigkeit hinzuwirken habe. Zugleich forderte man die Freigabe der evangelischen Predigt und die Einberufung einer länderübergreifenden Synode.435 Man sieht, dass sich der Druck von Dathenus’ Psalmen deutlich in das Bemühen der kurpfälzischen Religionspolitik um Herstellung einer einheitlichen reformierten Front vor dem Augsburger Reichstag einfügt.436 Dazu passt die Orientierung seiner Übertragung am Genfer Psalter als der in der damaligen Zeit wohl am weitesten verbreiteten reformierten Psalmendichtung, dazu passt auch die Aufnahme des HK und der Liturgie als Konsensdokumente der in der Kurpfalz vertretenen reformierten Strömungen. Ziel war es offenbar, den Anschluss der sich etablierenden reformierten Kirche in den Niederlanden an das gesamteuropäische Reformiertentum zu festigen.437
3.3.2 Das Verhältnis der Liturgie zur Kurpfälzischen Kirchenordnung von 1563 und zu Microns Ordinancien Bei einem Vergleich der Texte fällt unmittelbar ins Auge, dass die von Dathenus 1566 veröffentlichte Liturgie nur zum geringsten Teil eine selbständige Arbeit darstellt. Vielmehr handelt es sich um eine Kompilation von Formularen aus der 433 Vgl. a. a. O., 70. 434 Vgl. zu diesem Heidelberger „Aktionsprogramm“ im Einzelnen Hollweg, Reichstag, 148– 162, insbes. 152ff. Vgl. auch van’t Spijker, in: Psalmen, 42f. 435 Vgl. Hollweg, Reichstag, 200–202. 436 Vgl. in diesem Sinne auch Willem van’t Spijker : „Doordat Datheen de Catechismus onder bereik bracht van de verdrukte gemeente in Nederland, samen met het psalmboek, legde hij een relatie met de begeurtenissen in het rijk, waar de gereformeerden hun plats opelsten.“ (van’t Spijker, in: Psalmen, 45) 437 Vgl. ebd.
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
KKO und Microns Ordinancien. Aus der KKO entstammt dabei das meiste Material: der größte Teil des Taufformulars mit Ausnahme der Tauffragen,438 das Abendmahls-439 und Eheformular440 im Ganzen, das Sündenbekenntnis für den Sonntagsgottesdienst nach der Predigt mit einigen Abweichungen,441 das öffentliche Sündenbekenntnis und Gebet vor der Predigt,442 sowie die „kurze Form des Gebets nach der Predigt“.443 Zusätzlich sind die beiden Gebete vor und nach dem Essen wörtlich den Christliche gebet aus dem Jahr 1563 entnommen.444 Aus den Ordinancien Microns übernahm Dathenus zum einen K inklusive des nachfolgenden Gelöbnisses der Erstkommunikanten,445 die er zwischen das Tauf- und Abendmahlsformular einschiebt, also an der Stelle, wo in der KKO der HK und die Kurtze summa des catechismi ihren Ort finden. Zum anderen gehen das Gebet nach der Katechismuslehre446 und das Gebet für das Begräbnis der Toten447 offenbar auf Micron zurück; beide Formulare wurden von Dathenus jedoch umgestaltet, so dass direkte wörtliche Übereinstimmungen seltener auftreten. Keiner Vorlage zuzuordnen und daher wohl von Dathenus selbst formuliert sind das Gebet am Sonntag vor der Predigt,448 das Gebet vor der Katechismuslehre,449 das Morgen- und das Abendgebet450 – ersteres jedoch unter stellenweiser Verwendung der KKO451 –, sowie die beiden Krankengebete.452 438 Vgl. Dathenus, Psalmen, 72–86 und KKO „Form zu taufen“, EKO XIV, 338–341. 439 Vgl. Dathenus, Psalmen, 110–131 und KKO „Form, das heilige abendmal zu halten.“, EKO XIV, 383–387 (ohne die sich anschließenden Ausführungen zur Exkommunikation). 440 Vgl. Dathenus, Psalmen, 132–148 und KKO „Ordnung der eheeinleytung“, EKO XIV, 398– 401 (ab „Wie man verlobte eheleuth verkündigen soll“ unter Auslassung einiger, in der KKO eingestreuter „Regieanweisungen“). 441 Vgl. Dathenus, Psalmen, 154–165 und KKO „Gebet nach der predig für alle noth und anligen der christenheyt“, EKO XIV, 394–396. 442 Vgl. Dathenus, Psalmen, 168–170 und KKO „Von dem kirchengebet“, EKO XIV, 388–389 (ab „Himmlischer vater usw.“ bis einschließlich des Vaterunsers). 443 Vgl Dathenus, Psalmen, 171–172 und das Gebet nach der Predigt „an allen Son- und feyertagen nachmittags umb zwölf uhren […] in den stätten“, EKO XIV, 391–392 (ab „Herr, allmechtiger Gott usw.“ bis einschließlich des Vaterunsers). 444 Die Gebete waren häufig an die Katechismusausgaben von 1563 angebunden (vgl. z. B. VD 16: C 2326); dazu Goeters, in KKO XIV, 44. 445 Vgl. Dathenus, Liturgie, 87–109 und Micron, Ordinancien, Dankbaar, 83–93 (bis „indien hy met iemandt eenich wtstel heeft.“; also ohne die Anweisung, den Namen des Erstkommunikanten in einem Buch festzuhalten). 446 Vgl. Dathenus, Liturgie, 167–168 und „Een dancksegghinge achter dat de oeffeninghe der cleiner kinderleere ghehouden is“, Micron, Ordinancien, Dankbaar, 68. 447 Vgl. Dathenus, Liturgie, 186–188 und Micron, Ordinancien, Dankbaar, 152. 448 Vgl. Dathenus, Liturgie, 149–153 449 Vgl. Dathenus, Liturgie, 165–167. Gobius du Sart (Geschiedenis, 120) und ihm offenkundig folgend Ijkel (in: Psalmen, 26) sehen auch dieses Gebetsformular in Abhängigkeit von den Ordinancien, ohne jedoch die Vorlage einzugrenzen. Micron bringt im Abschnitt über den Gebrauch des Katechismus allerdings nur ein einziges Gebet, und zwar dasjenige, welches Dathenus als Vorlage für das Gebet nach der Katechismuslehre verwendete (vgl. S. 300 Anm. 446).
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Dass Dathenus bzw. allgemein die Frankenthaler Gemeinde bei der Kompilation ihrer Gottesdienstordnung einem durchgehenden Gestaltungsprinzip folgte, ist nicht erkennbar. Der große Umfang des Materials aus der KKO ist dabei weniger erklärungsbedürftig als das ergänzende Heranziehen von Microns Ordinancien, war die Gemeinde doch in der Kapitulationsurkunde auf die Einhaltung der Kurpfälzischen Kirchenordnung verpflichtet worden.453 Diese Verpflichtung verstand man jedoch offenkundig nicht im Sinne einer wörtlichen Übernahme aller in der KKO vorgesehen Formulare, so dass der Gemeinde Raum für eine gewisse liturgische Eigenständigkeit blieb. Die Verwendung der Ordinancien lässt sich dabei in mehrfacher Hinsicht plausibilisieren: Erstens besaßen sie auf Grund ihrer niederländischen Sprache für die Fremdengemeinde eine besondere Zugänglichkeit; zweitens war Dathenus aus seiner Londoner Zeit mit den entsprechenden Formularen vertraut, die er mit großer Wahrscheinlichkeit auch in seiner Frankfurter Gemeinde in gewissem Umfang verwendete;454 drittens bildeten die Ordinancien bei der Erstellung der KKO eine der Hauptquellen, so dass ihre Verwendung in Frankenthal kaum einen Anlass für Konflikte geboten haben dürfte. Der augenfälligste Unterschied zur KKO, die Einbindung von K an der systematischen Position des HK zwischen Taufe und Abendmahl, stellt mit Sicherheit keine Abwendung von der kurpfälzischen Theologie dar, insofern der HK in Dathenus’ Psalmenbuch ja bereits vor der Liturgie als eigenständiger Teil erscheint. Durch die zusätzliche Einbindung von K als Bekenntnis der Erstkommunikanten, wahrt Dathenus nun nicht allein die innere Beziehung von Lehre und Ordnung, wie sie die Londoner Gemeindeordnung und die KKO auszeichnet, sondern trägt auch dem Umstand Rechnung, dass man in Frankenthal strukturell bedingt wohl weit häufiger als in der übrigen Kurpfalz mit dem Fall einer Aufnahme bereits erwachsener Gläubiger in die Gemeinde konfrontiert war. Ein Rückgriff auf die Formulare aus der Londoner Fremdengemeinde wird dabei nahegelegen haben. Die Übernahme von K als Bekenntnis der Erstkommunikanten lässt nur aber den Eindruck entstehen, dass in Dathenus’ Liturgie deutlicher noch als in der KKO das Konzept der Bekenntnisgemeinde verwirklicht ist. Verstärkt wird dies durch die für die Liturgie spezifischen Tauffragen:455 Deren dreigliedrige 450 Vgl. Dathenus, Liturgie, 173–176. 451 Vgl. KKO „Morgengebet“, EKO XIV, 396. Daraus bildet der Schluss („Gib auch deinen Segen usw.“) auch wörtlich den Schluß von Dathenus’ Morgengebet („Gheeft oock uwen segen etc.“, vgl. Dathenus, Liturgie, 174). 452 Vgl. Dathenus, Liturgie, 180–186. 453 Der Hinweis Gobius du Sarts, dass die Gemeinde in Frankenthal nun eine andere als die Londoner Gemeinde sei und Dathenus deshalb auch die KKO für seine Liturgie herangezogen hätte, lässt diesen Sachverhalt außer Acht; vgl. Gobius du Sart, Geschiedenis, 125f. 454 Vgl. Teil Eins Kapitel 2.1. 455 Vgl. Dathenus, Liturgie, 83f.
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Dathenus und der Heidelberger Katechismus
Struktur hat weder in der KKO noch in den Ordinancien eine unmittelbare Vorlage,456 sie erinnert vielmehr an die Forma ac ratio, wo a Lasco das Bekenntnis zur Tauflehre und den „Mysterien“ der Taufe noch einmal explizit von dem Bekenntnis der Zugehörigkeit der Täuflinge zur Gemeinde abgehoben hatte.457 Dathenus weitet das Bekenntnis zur Tauflehre nun auf das Bekenntnis zur Lehre im Allgemeinen, „wie sie im Alten und Neuen Testament und in den Glaubensartikeln enthalten ist“ aus.458 Diese Wendung ist der Londoner Ordnung freilich nicht fremd: Sie taucht dort als zweite Ordinationsfrage im Kontext der Regelungen für die Ämterwahl auf.459 Die Eltern und Paten, so mag man folgern, stehen für Dathenus in der gleichen Verantwortung zur Unterweisung der ihnen von Gott anvertrauten Kinder in der Lehre wie die Amtsträger zur Auferbauung der ihnen von Gott anvertrauten Gemeinde. Mit Blick auf die Ausgangsfrage dieser Arbeit lässt sich festhalten, dass sich in Dathenus’ Liturgie ein ähnliches Interesse an der existenziellen Aneignung der Lehre andeutet, wie es auch die Londoner Ordnung und die KKO prägt. Auf Grund ihrer kompilatorischen Struktur und dem geringen Umfang des auf Dathenus selbst zurückgehenden Materials lässt sich dies allerdings nur in begrenztem Maße herausarbeiten. Die Verwendung der Ordinancien neben der KKO als Quelle lässt darüber hinaus Dathenus’ bleibende Verbundenheit mit der Theologie der Londoner Fremdengemeinde erkennen, wobei er sich auffälligerweise allein der Micronschen Ordnungsdarstellung, nicht aber der Forma ac ratio bedient. Es zeigt sich hierin eine Parallele zur Verwendung der Londoner Ordnung in der KKO, wo ebenfalls allein die Ordinancien herangezogen wurden.
3.4
Ergebnis
Der Blick auf einige von Dathenus’ Schriften nach 1563 belegt seine bleibende Identifikation mit dem HK und der KKO. So verteidigt er in der Bestendigen Antwort nicht nur HK 75 gegen die Angriffe der Frankfurter Stadtprediger, die kurpfälzischen Theologen würden die Vergebung der Sünden nicht an Leib und Blut Christi knüpfen, sondern scheint auch in der Parallelisierung von Taufwasser und Abendmahlselementen direkt die Argumentationsstruktur von HK 456 Sowohl Gobius du Sart (Geschiedenis, 118f) wie auch Ijkel (in: Psalmen, 26) führen die Tauffragen gleichwohl auf die KKO zurück, ohne auf die strukturellen und inhaltlichen Differenzen einzugehen. 457 Vgl. a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 112f. 458 „Ten anderen, of ghy dese leere, die hier gheleert wert, ende voorder, in’t oude ende nieuwe Testament ende in d’Artijckelen des Christelicken gheloofs begrepen is, niet bekendt de waerachtige ende volkomene leere der salichheit te wesen?“ (Dathenus, Liturgie, 84) 459 Vgl. Micron, Ordinancien, Dankbaar, 50; a Lasco, Forma ac ratio, Kuyper II, 70f.
Die Rezeption des Heidelberger Katechismus und der Kurpfälzischen Kirchenordnung 303
78–79 übernommen zu haben. Noch deutlicher zeigt sich der Einfluss des HK auf Dathenus in der letzten von ihm überlieferten Schrift, der Samenspreking durch die teilweise wörtliche Übernahme einzelner Fr (HK 9 und HK 21) und die Übereinstimmungen auf formaler Ebene. In letzterem könnte Dathenus gleichwohl bereits durch die Londoner Flüchtlingstradition geprägt sein: Die Ausrichtung auf den Trost des Gläubigen fand sich in gewissem Maße bereits in L, wenn auch deutlich weniger pointiert als im HK und in der Samenspreking. Daraus wird sich nun aber kaum ableiten lassen, dass es notwendigerweise Dathenus war, der diese Elemente in den Redaktionsprozess des HK einbrachte. Dafür erscheint der zeitliche Abstand mit über zwanzig Jahren zu groß; zudem bleibt das Auftreten der formalen Parallelen zum HK letztlich auf die Samenspreking beschränkt. Eine Verschmelzung von Londoner und kurpfälzischer Tradition deutet sich nicht allein in dem augenfälligen Interesse an der christlichen Glaubensexistenz in der Samenspreking an, sondern auf anderer Ebene auch in der Frankenthaler Liturgie. Die Kompilation aus Microns Ordinancien und KKO, aber auch die im gleichen Druck erscheinende niederländische Übersetzung des HK belegen noch einmal Dathenus’ Einsatz für eine Verbreitung der kurpfälzischen Theologie in den Niederlanden. Dieser Einsatz hat seine Wurzeln anscheinend nicht nur in Dathenus’ Wirken in der Kurpfalz, sondern auch in der Rezeption der Londoner Flüchtlingstradition in HK und KKO, die er mit großer Wahrscheinlichkeit als eine Aufnahme bzw. Fortentwicklung ihm vertrauter theologischer Ansichten verstanden hat.
Zusammenfassung
1.
Der Einfluss der Londoner Flüchtlingstradition auf den Heidelberger Katechismus und die Kurpfälzische Kirchenordnung von 1563
Durch die im zweiten Hauptteil vorgenommene traditionsgeschichtliche Untersuchung konnte eine verhältnismäßig breite Aufnahme der Londoner Flüchtlingstradition im HK und in der KKO belegt werden. Im HK konzentrierte sich das übernommene Material vor allem auf die Auslegungen des Glaubensbekenntnisses, der Zehn Gebote und des Vaterunsers. Das eröffnende Fr 1 nahm darüber hinaus in Sprache („Trost im Leben und im Sterben“) und Konzeption Anleihen bei L, E und K. Dazu gesellen sich strukturelle Einflüsse bei der Gestaltung der Vaterunserauslegung als Gebet und womöglich der im HK pointiert verwendeten Ich-Form. Indem Ma und Mi in die vergleichende Analyse miteinbezogen wurden, konnte gezeigt werden, dass über den indirekten Einfluss der Vorarbeiten Ursinus’ hinaus ein direkter Einfluss der laskonischen Katechismen auf den HK besteht. Will man nicht die These vertreten, Ursinus selbst habe bei der Abfassung des HK seinen Katechismus korrigiert und dabei verstärkt auf L, K, M und E zurückgegriffen, so muss von der Beteiligung eines weiteren Traditionsträgers ausgegangen werden. In den liturgischen Formularen der KKO fand die Londoner Flüchtlingstradition insbesondere Aufnahme im Tauf-, Abendmahls-, und Eheformular, in geringem Umfang wurde Material in den Anweisungen zum Kirchgebet, zum Begräbnis und zum Krankenbesuch aufgenommen. Von den beiden überlieferten Darstellungen der Londoner Gemeindeordnung wurden dabei ausschließlich die Ordinancien Marten Microns herangezogen, a Lascos Forma ac ratio fand offenbar keine Verwendung. Trotz des Umfangs des übernommenen Materials ging es den Verfassern von HK und KKO dabei offenbar nicht um die Schärfung eines bestimmten theologischen Profils. Im Allgemeinen handelt es sich bei den übernommenen
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Zusammenfassung
Stellen um reformatorisches oder zumindest reformiertes Gemeingut. Lediglich die ausdrückliche Erwähnung der Kirche als erster Trägerin der Schlüsselgewalt in HK 85 könnte von den theologischen Spezifika der Londoner Flüchtlingsgemeinde her zu erklären sein. In weitaus größerem Maße als auf der Inhaltsebene macht sich der Einfluss der Londoner Flüchtlingstradition in HK und KKO auf der Ebene der Sprache und der Form geltend. So zeigte sich nicht nur das den HK eröffnende Fr 1 durch die laskonischen Katechismen geprägt, die Untersuchung der KKO legte darüber hinaus den Schluss nahe, dass auch dessen zentrales Gliederungsprinzip Elend-Erlösung-Dankbarkeit vermittelt über die Londoner Gemeindeordnung in den HK und die KKO eingedrungen sein dürfte. Daneben verleiht das Londoner Material dem HKvielfach einen Zug ins Existenzielle, etwa in der Auslegung des ersten Glaubensartikels in HK 26. Dem korrespondiert auf Seiten der KKO ein intensives Bemühen um Vermittlung der wahren Lehre, das ganz analog der Londoner Gemeindeordnung mit einem gesteigerten Interesse am Ergreifen dieser Lehre im Bekenntnis einhergeht. Insbesondere die Gestaltung der Gemeindeprüfung im Vorbereitungsgottesdienst auf das Abendmahl und die Selbstprüfung vor der eigentlichen Mahlfeier dürften von den Londoner Ordnungsdarstellungen her angeregt sein.
2.
Dathenus’ Einfluss auf den Heidelberger Katechismus und die Kurpfälzische Kirchenordnung von 1563
Eine direkte Beteiligung von Dathenus am Abfassungsprozess des HK ließ sich, wie kaum anders zu erwarten, anhand des erhaltenen Quellenmaterials nicht belegen. Gleichwohl konnte zumindest Dathenus’ Einfluss auf die Geschehnisse in der Kurpfalz um 1563 durch eine Reihe von Beobachtungen plausibilisiert werden: So besaß Dathenus offenbar bereits Ende der fünfziger Jahre Kontakt zu wichtigen Persönlichkeiten am kurpfälzischen Hof und an die Heidelberger Universität, insbesondere zu den Grafen von Erbach, denen er seine Responsio secunda widmete, spätestens seit September 1560 dann auch zu Olevianus. Angesichts dieser Kontakte zu zentralen Trägern des konfessionellen Wandels der Kurpfalz liegt es nahe, auch die Übersiedlung eines Teils der Frankfurter Flüchtlingsgemeinde ins kurpfälzische Frankenthal unter religionspolitischen Vorzeichen zu sehen: Womöglich versprach man sich einen katalytischen Einfluss des in Frankenthal musterhaft verwirklichten Konzepts einer unter der Kirchenzucht stehenden Bekenntnisgemeinde, wofür auch das wahrscheinlich über die Londoner Flüchtlingstradition vermittelte Bekenntniselement in der KKO spräche. Zumindest dürfte man aber die Absicht verfolgt haben, Dathenus als fähigen Theologen für die Kurpfalz zu gewinnen. Dazu passt das frühe En-
Dathenus’ Einfluss
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gagement des Niederländers für den HK, den er 1563 nicht nur ins Niederländische übersetzte, sondern auch, neben anderen Theologen wie Bullinger und Ursinus, gegen die Angriffe aus Württemberg verteidigte. Die Untersuchung von Dathenus’ Theologie erbrachte ein zweifaches Ergebnis: Deutlich wurde zunächst seine Verwurzelung in der Londoner Flüchtlingsgemeinde, die sich über die rein biographische Betrachtung hinaus auch auf theologischer Ebene, insbesondere innerhalb der Ekklesiologie, beobachten ließ. Der Vergleich mit dem HK förderte dann zweitens einige auffällige Parallelen zum HK zu Tage, die in ihrer Aussagekraft unterschiedlich bewertet wurden: Der erwogene Einfluss auf die Entstehung von Fr 80 und 86 konnte trotz struktureller Übereinstimmungen nicht bestätigt werden. Im ersten Fall dürfte der Einfluss von Olevianus, im zweiten derjenige der Confessio Bezas die plausiblere Erklärung für die Gestalt der Fr bieten. Daneben ließen sich jedoch Parallelen in HK 30.36.52 und 85 herausarbeiten, die auf einen gewissen Einfluss von Dathenus hindeuten könnten. Insbesondere die in der zweiten Ausgabe des HK in Fr 36 vorgenommenen Ergänzungen würden gut zu Dathenus’ Äußerungen während des Frankenthaler Religionsgesprächs passen. Im Ganzen lässt dies die Vermutung plausibel erscheinen, Dathenus’ Einfluss in der Kurpfalz habe auch in den beiden zentralen Dokumenten des Jahres 1563, in HK und KKO seinen Niederschlag gefunden. Jedenfalls ergab die Untersuchung der späteren Schriften, der Bestendigen Antwort, der Liturgie und der Samenspreking eine starke Identifikation des Niederländers mit dem HK und der KKO. Angesichts der Verwendung des HK in der Samenspreking und der Kompilation von Material aus der KKO und den Ordinancien kann man sagen, dass Dathenus nach 1563 um eine Verschmelzung von Londoner Flüchtlingstradition und kurpfälzischer Theologie bemüht war, bzw. dass beide Größen in seiner Wahrnehmung höchstwahrscheinlich zusammenflossen. Ähnlich lassen sich wohl die Ergebnisse des unter Dathenus’ Vorsitz abgehaltenen Konvents zu Wesel (1568) und der durch ihn mitvorbereiteten Synode von Emden (1571) deuten. Der HK stellte für Dathenus kein rein „kurpfälzisches“ Dokument dar, sondern ein Lehrbuch, das den übrigen Fremdengemeinden in Deutschland und den im Aufbau befindlichen Gemeinden in den Niederlanden zur Verwendung empfohlen werden konnte. Auf die Frage, wer die Londoner Flüchtlingstradition in den Redaktionsprozess des HK und der KKO einbrachte, bieten sich in Anbetracht der dargestellten Ergebnisse abschließend drei Erklärungsmodelle, denen ein unterschiedliches Maß an Plausibilität zukommt: Erstens könnte die Rezeption der Londoner Flüchtlingstradition auf Zacharias Ursinus zurückzuführen sein. Ursinus war offenbar mit den laskonischen Katechismen vertraut und verwendete sie in seinen eigenen Vorarbeiten. Inwiefern dies auf eine Bekanntschaft mit Dathenus
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Zusammenfassung
zurückzuführen wäre, wird sich angesichts fehlender Quellen kaum hinreichend beantworten lassen. Immerhin kannte Ursinus Johannes a Lasco persönlich, ein eigenständiges Verwenden der Londoner Flüchtlingstradition läge also im Bereich des Möglichen. Andererseits erscheint die Annahme wenig plausibel, Ursinus habe dieselbe bei der Abfassung des HK auf Kosten seiner eigenen Vorarbeiten erneut eingebracht. Zweitens könnte Dathenus selbst die Londoner Flüchtlingstradition in den Abfassungsprozess von HK und KKO unmittelbar eingebracht haben. Dies würde voraussetzen, dass der Niederländer Mitglied in jener Theologenkommission war, der man die Erstellung des Katechismus im Allgemeinen zuschreibt, was nicht belegt werden konnte und mit Blick auf die Quellensituation wohl auch kaum zu belegen sein wird. Erschwerend kommt hinzu, dass sich in den vor 1563 abgefassten Frankfurter Schriften ein Interesse am existenziellen „Trost“ des Christen gerade nicht im gleichen Maße wie im HK, der KKO und der Londoner Flüchtlingstradition nachweisen lässt. Dies wird wohl vor allem auf deren polemischen Charakter zurückzuführen sein, denn in der Samenspreking, der letzten von Dathenus erhaltenen Schrift, kommt ein solches Interesse in später Zeit voll zur Geltung. Da die Samenspreking jedoch unter Verwendung des HK abgefasst wurde, werden sich von hier aus kaum Rückschlüsse auf die Entstehung des kurpfälzischen Katechismus ziehen lassen. Die größte Plausibilität kommt angesichts der Ergebnisse dieser Arbeit schließlich drittens der These zu, Dathenus habe vermittelt über die Person Caspar Olevianus’ einen indirekten Einfluss auf die Entstehung von HK und KKO ausgeübt. Olevianus hatte noch vor der Übersiedlung nach Frankenthal Kontakt zu den niederländischen Glaubensflüchtlingen in Frankfurt und insbesondere zu Dathenus. Dass zwischen den beiden Männern eine große theologische Nähe bestand, zeigt der wenige Jahre später ausgebrochene Streit um die Kirchenzucht in der Kurpfalz, in dem Olevianus und Dathenus die gleiche Position im Gegenüber zur Partei um Erastus einnahmen. Möglicherweise wird man den Umfang von Olevianus’ Einfluss auf den HK und auch die KKO letzten Endes doch höher zu veranschlagen haben, als dies die Untersuchungen von Hollweg und anderen nahelegen.
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Quellen
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Quellen- und Literaturverzeichnis
–, Kurtze und Warhafftige erzelung: Welcher massen / den Frantzösischen vnd Niderlendischen verjagten Christen / in der Stat Franckfurt am Meyn: etlich Jar / die offentliche Predigt Göttliches worts / vnd ausspendung der h. Sacramenten / mit irer sprach verstattet: Und auß was vrsachen ihnen nachmals solches verbotten worden ist. Neben gründlicher vnd nothwendiger ablainung / Eines Büchleins / so derhalben von ermelte Statt predicanten in Truck ist außgegangen, [Mt 5,11], s.l., 1563, VD 16: D 265 (Digitalisat des Exemplars BSB München, Sign. 4 H.eccl. 238 [http://daten.digitalesammlungen.de/~db/0002/bsb00027305/image_5]). –, Breuis ac perspicua Vani scripti, quo Ioannes a Via Theologos August. Confessionis impie traducit ac malitiose insectatur, Refutatio. In qua, candide Lector, quam vane Papatus, Ecclesiae Catholicae, Antiquitatis, ac concordiae nominibus insolescat, diserte docetur. Adiecimus praeterea compendiosam ad Friderici Staphyli Apostata, ac Bartholomaei Latomi Rhetoris, Calumnias, Responsionem, […], [Ez 12,3], s.l., 1558, VD 16: D 262 (Digitalisat des Exemplars BSB München, Sign. 4 Polem. 826 [http:// www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb101674220]). –, De Psalmen Davids met Catechismus, Formulieren en Gebeden. Faksimile van de uitgave Heidelberg 1566. Met Inleijdingen door drs. J.N. Ijkel en dr. W. van’t Spijker, Den Hertog 1992. –, Compendiosa & diserta, Ad Annotationes Papistae cvivsdam anonymi, quibus pontificios in Vuormaciensi colloquio collectos excusare, & econtra Augustanae Confess. Theologos, abrupti colloquij accusare, responsio. Quam Lectore[m] diligenter perlegisse minime poenitebit nam in ea breuiter, quam sanctam & iustam Euangelici, & quam impiam Papistae, reclamante conscientia, causam defendat, declaratur […] , [Ps 79, 5–7] , s. l. , 1558, VD 16 : D 264 (Digitalisat des Exemplars BSB München, Sign. 4 Polem. 827 [http://www.mdz-nbn-resolving.de/ urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10167424-1]). –, Ad Bartholomaei Latomi Rhetoris calumnias quibus Augustanae confessionis Theologos, Anno 1557. Wormatiae colloquii causa collectos, gravat ac traducit, Petri Dathaeni Responsio Prima. Cuius secunde iam editionis ratio in Epistola prefixa redditur: Et quicquid breuius in ea tractatur, secunda Responsio fusius explicat, Frankfurt (Michael Chirat) 1560, VD 16: D 260 (Exemplar BSB München, Sign. H.eccl. 3199 i#Beibd.5, Digitalisat beschädigt [http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/ resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10178626-2]). [Responsio prima et secunda] –, Ad Criminationes et Maledicta Bartholomaei Latomi Rhetoris, Petri Dathaeni Responsio Secunda. Qva primum Ecclesiae pvram Euangelij doctrinam retinentes, a calumnijs quibus iniuste grauantur a Latomo, pulcherrime purgantur : deinde etiam friuola eiusdem ac Pontificiorum omnium argumenta, Scripturae sacrae & vetustissimorum Patrum selectissimis testimonijs diluuntur, ac solide confutantur. Capita hac Responsione Pertractata proxima pagina indicabit […], [2. Tim 3,8], s.l., 1560, VD 16: D 260 (Digitalisat des Exemplars BSB München, Sign. Polem. 683 [http://daten.digi tale-sammlungen.de/~db/0003/bsb00035487/image_1]). –, Een Christelijcke verantwoordinghe op die Disputatcie, ghehouden binnen Audenaerde, tusschen M. Adriaen Hamstadt / ende Jan Daelman beschreuen met onwaerheyt / en[de] wtghegheuen door Jan Daelman voorseyt […], [1. Joh 4,1], Antwerpen (Jasper
Quellen
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Quellen
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a Lasco, Johannes 14 f., 18 f., 22, 30, 35– 41, 43–47, 49–51, 56–58, 66, 90–95, 97, 115, 120 f., 135, 137–144, 146–149, 151, 153 f., 156, 168, 184, 191, 194, 196, 202, 207, 213–215, 220 f., 233 f., 236 f., 284, 286 f., 302, 305, 308 Albrecht von Brandenburg 43 Alting, Heinrich 25, 74, 77, 85–87 Ambach, Melchior 42, 53 Andreae, Jakob 187, 262–266 Anna von Dänemark 278 Anna von Oldenburg 36, 41 August von Sachsen 52, 278 Backerel, Hermes 58 Bakker, Jan de 33 Beyer, Hartmann 42, 44, 48 f., 54, 61 Boquinus, Petrus 15, 27, 55, 71, 74–76, 79 f., 84 f., 261, 286 Braubach, Peter 47, 49, 138 Brenz, Johannes 86, 100, 154, 177 f., 182, 195, 287 Bromm, Claus 42 f., 53 Bucer, Martin 35, 37, 41 f., 77, 93, 99 f., 118, 121, 124–126, 133, 142, 156 f., 164, 167–169, 173, 195, 276, 282 Bullinger, Heinrich 28 f., 35 f., 42, 46, 64 f., 67–69, 71, 74 f., 78, 80, 86–88, 92, 102, 118, 128 f., 140, 142, 196, 214, 220 f., 233, 258, 262, 275, 307 Calvin, Johannes 17, 26, 28, 30, 34, 42, 47, 59–65, 67–71, 74, 77 f., 80, 85, 106,
111 f., 119–121, 131, 142, 144–146, 158, 160, 184, 190, 194–196, 208, 215, 217, 220, 226 f., 236 f., 246, 264, 266 f., 272– 275, 286 f., 294 Canisius, Petrus 178, 180, 186 Christian III. von Dänemark 40 Christoph von Württemberg 78, 178 Cnipius, Johannes Andronicus 42 Colonius, Petrus 80, 230, 238, 270 Cox, Richard 45 Cranmer, Thomas 35 f. Crusius, Arnold 230 Daelman, Jan 59, 189–192 Delenus, Walter 37 f., 40 Denck, Hans 227 Diller, Michael 15, 27, 69, 85, 177, 261 Donellus, Hugo 80 Dorothea Susanna von der Pfalz 75 Duarenus, Franciscus 79 Dyrkinus, Johannes 58, 70 Edward Seymour von Somerset (Herzog) 35 Edward VI. von England 14, 35, 38, 83 f., 146, 247 Ehem, Christoph 27, 54 f., 69, 71 f., 76, 79, 81, 84 f., 198, 229 Elisabeth von Pfalz-Simmern 78 Erastus, Thomas 17, 27, 29, 53, 75 f., 79, 220, 233 f., 286, 308
342 Erbach, Grafen von 66–69, 71, 76, 79, 81, 83, 87, 186–188, 306 – Eberhard XIII. 77 – Eberhard XIV. 66 f., 77–79, 85 – Georg II. 51 f., 65–69, 74, 77–79, 85, 87 – Valentin II. 68, 77 f., 80, 85 f. Faber, Gellius 93 f. Fabri, Johannes 261, 264 Fabricius, Johannes 258, 275 Fagius, Paul 35 Flacius, Matthias 195, 261 f., 264–266 Forstius, Johannes 93 Franz II. von Frankreich 255 Franz von Lorraine-Guise 255 Friedrich II. von der Pfalz 72, 80, 164 Friedrich III. von der Pfalz 13, 15–17, 23, 27, 31, 54 f., 68–70, 72–76, 78–82, 84–86, 162, 172, 188, 226–230, 232, 234, 257, 261, 271–273, 280 Fusipedius, Johann Adolf 93 Gallus, Nicolaus 166 Geltner, Peter 42, 279 Glauburg, – Adolf von 42, 53 – Johann von 42–44, 53, 65 f. Grindal, Edmund 54 Haemstede, Adrian 59, 189–192 Hedio, Caspar 42 Helding, Michael 177 f. Hembyze, Jan van 289 Hermann Ludwig von Pfalz-Simmern 80 Hermann von Wied 142 Heshusen, Tilemann 74 f., 78, 270, 278 Heyden, Gaspar van der 44, 58–61, 64, 70, 188, 191, 230, 277, 297 Hofmann, Melchior 232 Hooper, John 35 f. Houbraque, Guillaume 52 f., 68, 71, 184 Joachim von Brandenburg 52 Johann Casimir von Pfalz-Simmern 229 Johann Friedrich II. von Sachsen 27, 52, 73–75, 79, 226, 230
Personenregister
Johann Wilhelm von Sachsen-Weimar 75 Junius, Johannes 70, 270, 274 Karl IX. von Frankreich 255 Karl V. (Kaiser) 14, 33 f., 77, 144, 190, 227, 298 Karl von Lorraine-Guise 255 Katharina von Medici 255 Klebitz, Wilhelm 74 f., 78 Knox, John 44 f. Latomus, Bartholomäus 66, 181–183, 185–189, 198 f., 205, 208, 210, 213, 244, 246, 248 Le Grand, Augustin 47 Lemsius, Wilhelm 93 Ludwig V. von der Pfalz 72 Lullius, Johannes 42, 53 Luther, Martin 33, 42, 69, 102, 106, 139, 166, 173, 178, 180 f., 195 f., 199, 202 f., 208, 215, 246 f., 266, 278 Major, Georg 201, 206 Marbach, Johannes 72 Maria I. von England 14, 39, 43, 93, 247 Maria von Brandenburg-Kulmbach 79 Melanchthon, Philipp 26, 42, 52, 66, 74, 76, 78, 93, 97 f., 101 f., 106, 135, 157, 166, 177, 179 f., 182, 195, 224, 227 f., 241, 246, 259, 264–266, 278, 294 Micron, Marten 18 f., 36–40, 44–46, 49, 58, 90–93, 113, 136 f., 139–142, 146, 154, 158–161, 165, 173, 191, 196, 215, 219, 233 f., 236, 286, 300 f., 303, 305 Minckwitz, Erasmus von 75, 86 Moritz von Sachsen 43 Mörlin, Joachim 178 Musculus, Wolfgang 85 Ochino, Bernhardino 35 Olevianus, Caspar 15, 17, 25–27, 55, 68– 71, 78–81, 83–85, 87 f., 136, 174, 233, 238–244, 269 f., 272–276, 306–308 Ottheinrich von der Pfalz 13, 17, 52, 72– 76, 79, 154, 158, 177, 228, 232, 261
Personenregister
P8russel, FranÅois 37, 52–54 Pflug, Julius 179 Philipp (I.) von Hessen 51, 55, 65 f., 258 Philipp II. von Spanien 190, 298 Philipp von Marnix 19, 299 Philippi, FranÅois 64 Pius IV. (Papst) 255 Poullain, Val8rand 14, 43–49, 51, 55, 141 f., 161 Reuter, Quirinius 25, 127 Ritter, Matthias 42, 44, 48, 279 Sarcerius, Erasmus 178 Schnepf, Erhard 177 f. Sigismund II. von Polen 137, 140 Simons, Menno 196, 232, 236, 243 Staphylus, Friedrich 177, 181–183, 185 f., 188, 260 Stößel, Johann 75, 178 Strigel, Viktorin 178 Timann, Johann 49, 138 Tremellius, Immanuel 27, 55, 71, 80
343 Ursinus, Zacharias 15, 17, 25–27, 80, 85, 88, 96 f., 101 f., 104–111, 114 f., 117, 124–128, 130–135, 145, 166 f., 169, 174, 217–219, 223, 226, 239, 241–243, 262, 274, 286 f., 305, 307 f. Utenhove, Jan 36–40, 43, 46, 58, 64, 90, 92, 140
Vauville, Richard 37, 39 Vermigli, Petrus Martyr 29, 35, 80, 85 Verstegus, Gerardus 230 Via, Johannes a 181 f., 184–186, 260
Wagner, Philipp 278 Westphal, Joachim 42, 47, 49, 61, 138 f., 215 Wilhelm I. von Oranien 22, 41, 248, 289 Wilhelm IV. von Hessen-Kassel 64
Zuleger, Wenzel 27, 80, 85 Zwingli, Huldrych 35, 90, 149, 184, 195 f., 208, 215, 226 f., 247, 266, 272
Register der Stellen des Heidelberger Katechismus
HK 1 97, 100, 102, 104–106, 109, 132–135, 171 f., 305 f. HK 2 100 HK 3–11 295 HK 4 107 HK 5–6 106 HK 6 106–108, 133 f. HK 8 295 HK 9 98, 295, 303 HK 11–18 241, 243 HK 12–18 28, 111, 243 HK 21 97 f., 216, 221, 296, 303 HK 24 108 HK 25 108, 216 HK 26 96 f., 108 f., 133–135, 306 HK 29 96, 109 f., 113, 133 f., 219 HK 29–32 219 HK 30 219 f., 276, 307 HK 31 97, 219 HK 31f 110 HK 32 219 HK 33 110, 219 HK 34 110 HK 35 110, 242 HK 35–36 110, 133, 216, 227, 238, 242 HK 36 16, 100, 110 f., 238–244, 276, 307 HK 43 100 HK 44 111 f., 133–135 HK 45 98, 100 HK 46 113 HK 46–49 112–114 HK 47–48 226 HK 48 226
HK 49 100, 113 f., 133 f. HK 51 218 HK 52 98, 100, 216–218, 276, 307 HK 53 97, 114 f., 133–135 HK 54 117, 134, 173, 216 f. HK 54–55 114 f., 117, 133 f., 216 HK 55 117, 216 f. HK 57 98, 100 HK 58 100 HK 59 221 HK 60 221, 294 HK 60–64 221 HK 62 221 HK 65 225 HK 66 98, 225 HK 69 98 HK 74 118 f., 133 f., 225 HK 75 160, 225, 283–285, 302 HK 75–76 98 HK 76 255, 266, 286 f. HK 78 225, 271, 285 HK 78–79 303 HK 79 225, 255, 285 HK 80 15–17, 26, 216, 240, 244, 251–259, 262, 265–276, 307 HK 81–85 119, 121 HK 82 119 f. HK 82–85 216, 220 HK 85 119–121, 133–135, 220 f., 276, 306 HK 86 221–225, 276 HK 94 98 HK 95 216 HK 99 121, 133 f.
346 HK 99–101 121 HK 100 121 HK 101 121 f., 133 f. HK 103 122 f., 126, 133 f. HK 105 123–125, 133 f. HK 105–107 123–125 HK 106 124 f. HK 107 124 f., 133 f. HK 108 125 HK 108–109 125, 133 f. HK 109 125 f. HK 110 128 HK 110–111 126, 128, 133 f. HK 111 127 f.
Register der Stellen des Heidelberger Katechismus
HK 112 128 f., 133 f. HK 113 130, 133 f. HK 114 98, 221, 225 HK 115 223 HK 119–129 135 HK 122 130, 133 f. HK 123 131, 133 HK 123–127 171 HK 124 131–134 HK 127 98, 218 HK 128 132–134 HK 128–129 132 HK 129 132 f.
Abkürzungen und Siglen
Abkürzungen BDS
Stupperich, Robert u. a. (Hg.), Martin Bucers Deutsche Schriften, Martini Buceri Opera Omnia Serie 1, 17 Bde., Gütersloh 1960–2013. München Bayerische Staatsbibliothek München Calvin StA Busch, Eberhard u. a. (Hg.), Calvin Studienausgabe, 8 Bde., Neukirchen-Vluyn 1994–2011. CTB Aubert, Hippolyte u. a. (Hg.), Correspondance de Th8odor de BHze, 37 Bde., Genf 1960–2013. FrEJ Frankenthal einst und jetzt, herausgegeben. von der Stadtverwaltung Frankenthal, 1959ff. FRH I und II Franckfurtische Religions-Handlungen etc., 2 Bde., Frankfurt a.M. (Franz Varrentrapp), 1735. FrStA Frankenthal Stadtarchiv GrErA Gräflich-Erbachisches-Archiv Kuyper I und II Kuyper, Abraham (Hg.), Joannis a Lasco Opera tam edita quam inedita duobus voluminibus comprehensa, 2 Bde., Amsterdam u.a. 1866. Melanchthon StA Stupperich, Robert u.a. (Hg.), Melanchthons Werke in Auswahl. Studienausgabe, 7 Bde., Gütersloh 1951–1983. MFAV Monatsschriften des Frankenthaler Altertumvereins, 46 Bde., Frankenthal 1893–1938. NNBW Nieuw Nederlandsch Biografisch Wordenboek, 10 Bde., Leiden 1911–1937. Reu Reu, Johann Michael, Quellen zur Geschichte des kirchlichen Unterrichts in der evangelischen Kirche Deutschlands zwischen 1530 und 1600, Erster Teil: Quellen zur Geschichte des KatechismusUnterrichts, 3 Bde., Gütersloh 1904–1935. SB Berlin Staatsbibliothek Berlin ULB Sachsen-Anhalt Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt
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Abkürzungen und Siglen
Übersicht über die verwendeten Siglen (Katechismen und Kirchenordnungen) C E HK J K KKO L M
Calvin, Johannes, Genfer Katechismus von 1545 (Calvin StA, 10–135) Emder Katechismus von 1554 (Kuyper II, 495–554) Heidelberger Katechismus von 1563, versch. Editionen Jud, Leo, Kürtzer Catechismus von 1541 Een korte ondersoeckinge des gheloofs von 1553 (Kuyper II, 497–452) Kurpfälzische Kirchenordnung von 1563 (EKO XIV, 113–220) Londoner Katechismus von 1551 (Kuyper II, 341–475) Micron, Marten, De kleyne Cathechismus oft Kinder-leere von 1552 (Lang, Katechismus, 117–149) Ma Ursinus, Zacharias, Catechesis, Summa Theologia von 1562 (Lang, Katechismus, 151– 199) Mi Ursinus, Zacharias, Catechesis minor von 1562 (Lang, Katechismus, 200–218)